Nikarchos II: Epigrammata: Einleitung, Texte, Kommentar 9783666252884, 9783525252888, 9783647252889

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Nikarchos II: Epigrammata: Einleitung, Texte, Kommentar
 9783666252884, 9783525252888, 9783647252889

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Hypomnemata Untersuchungen zur Antike und zu ihrem Nachleben

Herausgegeben von Ewen Bowie, Albrecht Dihle, Siegmar Döpp, Dorothea Frede, Hans-Joachim Gehrke, Günther Patzig, Karla Pollmann, Christoph Riedweg, Gisela Striker Band 188

Vandenhoeck & Ruprecht

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Andreas Schatzmann

Nikarchos II: Epigrammata Einleitung, Texte, Kommentar

Vandenhoeck & Ruprecht

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Verantwortlicher Herausgeber: Christoph Riedweg

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar ISBN 978-3-525-25288-8 ISBN 978-3-647-25288-9 (E-Book) Die vorliegende Arbeit wurde in einer früheren Version von der Philosophischen Fakultät der Universität Zürich im Wintersemester 2006/7 auf Antrag von Herrn Prof. Dr. Christoph Riedweg und Herrn Prof. Peter J. Parsons (Oxford) als Dissertation angenommen. Umschlagabbildung: POxy 56402, courtesy of the Egypt Exploration Society. Gedruckt mit Unterstützung des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung sowie des ›Fonds für Altertumswissenschaft‹ und des ›Fonds zur Förderung des Akademischen Nachwuchses (FAN)‹ der Universität Zürich.

© 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen / Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U. S. A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Gesamtherstellung: L Hubert & Co, Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

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Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17

IIVI. Nikarch II.: ein Steckbrief . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Quellen – Nikarch II. in der Literaturgeschichte – Vita

19

IVII. Form und Aufbau, Sprache und Stil . . . . . . . . . . . . . . . Form und Aufbau – Sprache und Stil

26

VIII. Metrik und Prosodie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anzahl Distichen pro Epigramm – Prosodie – Brücken und Zäsuren – Fazit

37

IIIV. Nikarch-Epigramme in der AP: Probleme ihrer Überlieferungsgeschichte und Verteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Anordnung der Spottepigramme in der AP und APl und damit verbundene Probleme – Das Problem der Diogenian-Anthologie – Epigrammbücher des Lukillios und Nikarch? – Nikarch (und Lukillios?) auf Papyrus – Die überlieferten Autorenzuweisungen

46

IIIV. Spottepigramme und ihr ›Sitz im Leben‹ . . . . . . . . . . . . . Epigramm und Gastmahl: Realitäten einer Institution im Spiegel des Epigramms – Mündlichkeit und Schriftlichkeit – Hintergrund: Das Symposion/convivium im 1. Jh. n. Chr. – Traditionsüberkreuzungen: Epigramm, Skolion, σκῶμμα und Symposion

71

IIVI. Das Spottepigramm im Rahmen der Geschichte des Epigramms

89

IVII. Einwirkungen auf das Spottepigramm von außerhalb der Epigrammtradition her . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

Archilochos als ›Urvater‹ skoptischer Dichtung – Aristophanes und die alte Komödie – Theophrast – Neue Komödie (griechisch und lateinisch) – Mimus – Catull – Philogelos und andere antike Witzsammlungen – Carmina Priapea VIII. Spottepigramme, moderne Witztheorien und eine ›Non-sense theory‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117

Texte und Kommentar Sigla, Conspectus criticorum, Abbreviationes . . . . . . . . . . . . . . 126 Comparatio numerorum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 I. I.1.

I.2. I.3.

I.4.

I.5.

I.6.

II. II.1. II.2. II.3.

Die wichtigsten Motivgruppen Epigramme auf Ärzte (εἰς ἰατρούς) . . . . . . . . . . . . . . . Das ›Image‹ des Arztes in der frühen Kaiserzeit – ein Überblick Ein Paradigma: Ärztesatire und epigrammatisches Gattungsspiel a. AP 11,18 – b. AP 11,124 – c. AP 11,122 – d. AP 11,119 – e. AP 11,120 – f. AP 11,121 Epigramme auf gealterte Hetären (εἰς γραίας) . . . . . . . . . a. AP 11,71 – b. AP 5,38 – c. AP 11,73 Λεπτῶν ὁ λεπτεπιλεπτότερος oder Leptologiai: Epigramme auf Dünne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ein Paradigma: Thema und Augmentationen a. AP 11,110 – b. AP 11,407 Schiffsepigramme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schiffbruch als existentielles Thema – ein Überblick a. AP 11,332 – b. AP 11,331 – c. POxy. 4501 Eine Spezialität Nikarchs: Epigramme auf Schwerhörige (εἰς δυσκώφους) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a. AP 11,74 – b. AP 11,251 Les avares . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a. AP 11,169 – b. AP 11,170

129

164

184

198

218 232

Einzelthemen Der erfolglose Athlet (AP 11,82) . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 Zu trockenes Essen (AP 11,96) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 Symposionsatmosphäre: Zwischenfälle, Lebensweisheiten, Männergespräche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256

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Inhalt

Zu kaltes Bad – oder ein schlechtes Tischgerät? (AP 11,244) Weinverlust (AP 11,1) ›Sterben müssen wir so oder so …‹ (AP 5,39) ›Fremdgehen ist Ehrendelikt …‹ (AP 11,7) Durch zu viele Bankette verausgabt? (POxy. 4502,2b) II.4. Der Krummnasige (AP 11,406) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 II.5. Der Wahrsager (AP 11,162) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 II.6. ›Gut gemeinte‹ Ratschläge (AP 5,40) . . . . . . . . . . . . . . . 286 II.7. Sterile Geburt? (AP 11,18) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 II.8. Der Emporkömmling (AP 11,17) . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 II.9. Der Badefetisch (AP 11,243)

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306

II.10. Vom Gockel zum Glatzkopf (AP 11,398) . . . . . . . . . . . . . 312 II.11. Der tödliche Sänger (AP 11,186) . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 II.12. Hohe Treppen (AP 11,330) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 II.13. Ménage à quatre (AP 11,328) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 II.14. cunnilingus (AP 11,329) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 II.15. Die ὀζόστομοι (a. AP 11,252 – b. AP 11,242 – c. AP 11,241) . . . 344 II.16. Königin πορδή (AP 11,395) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 III.

Die neuen Texte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351

III.1. Ein junger pathicus? (POxy. 4502,1) III.2. Ein alter Lüstling (POxy. 4502,2a)

. . . . . . . . . . . . . . . 352 . . . . . . . . . . . . . . . . 359

III.3. Das Rätsel der Sphinx – neu gelöst! (POxy. 4502,4) . . . . . . . . 365 III.4. Der gefährliche μοιχός (POxy. 4502,5) . . . . . . . . . . . . . . 371 III.5. Fragmenta minora . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 Fazit: Ein neuer Nikarch? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 Index verborum Nicarchi

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392

Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 a. Namen und Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 b. Textstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410 c. Griechische Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421

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Vorwort

Dieses Buch entspricht der überarbeiteten und ergänzten Fassung einer Arbeit, die von der Philosophischen Fakultät der Universität Zürich im Wintersemester 2006/07 auf Antrag von Prof. Dr. Christoph Riedweg und Prof. Dr. Peter Parsons als Dissertation angenommen wurde. Mein Doktorvater Prof. Christoph Riedweg hat es mir während der ganzen Entstehungszeit dieser Arbeit ermöglicht, in der Funktion eines Assistenten und Lehrbeauftragten aktiver Teil des Hochschulbetriebs und zuletzt Mitarbeiter am Istituto Svizzero in Rom (ISR) zu sein. All dies hat vielleicht nicht immer den Fortgang dieser Arbeit beschleunigt, doch erwuchsen daraus neben wertvollen arbeitstechnischen Erfahrungen zahlreiche wissenschaftliche Kontakte, die sich für den Kommentar in der einen oder anderen Weise als vorteilhaft erwiesen. Besonders wichtig war ein halbjähriger Aufenthalt am Corpus Christi College in Oxford, der in jeder Hinsicht ein unvergessliches Erlebnis bleiben wird. Er wurde verdankenswerterweise durch ein Stipendium für angehende Forschende vom Schweiz. Nationalfonds (SNF) unterstützt. Großer Dank gebührt Ewen Bowie und Prof. Peter Parsons: sie haben sich in dieser Zeit in äußerst freundschaftlicher Weise um mich gekümmert, Teile meiner Arbeit mit mir besprachen und mir viele wertvolle Anregungen gegeben. Vom unermesslich reichen Wissensschatz von Peter Parsons, hat dieser Kommentar durch und durch profitiert: an diesem ließ er mich nicht nur in seinen ›Tutorials‹ teilhaben, die ich auch wegen seiner menschlichen Wärme und seines Sinns für Humor in angenehmster Erinnerung habe. Auch in der Phase der Überarbeitung des Manuskripts habe ich dank zahlreicher äußerst wertvoller Beobachtungen, die er mir zukommen ließ, noch eine Menge von ihm gelernt; er ist im Buch weitaus stärker präsent, als es die Fußnoten erahnen ließen. Dafür möchte ich ihm von Herzen danken. Die Überprüfung der zahlreichen Textstellen im Kommentar erwies sich in Rom leider als überaus kompliziert und zog sich weit über den erwarteten Zeitraum hinaus, insbesondere weil diese Phase mit der vorübergehenden Schließung der Bibliothek des Deutschen Archäologischen Instituts zusammenfiel, die für eine solche Arbeit am geeignetsten gewesen wäre, während die Literatur sonst auf viele Institutsbibliotheken verstreut ist. Christoph Riedweg hat mir in den entscheidenden Phasen immer wieder genügend Freiheit gelassen und mich von der übrigen Arbeit entlastet, so wie er stets bereit war, auch im informellen Rahmen mit mir über ein aktuelles Problem zu diskutieren. Seine wertvollen kritischen Beobachtungen haben mich gezungen, manchem

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Vorwort

Aspekt und manche Formulierung nochmals zu überdenken; ebenso hat er mit vielen feinsinnigen Bemerkungen Interpretation und Herausarbeitung der verschiedenen Verständnisebenen der Epigramme wesentlich bereichert und verbessert. Für all dies möchte ich ihm herzlich danken. Einschließen in den Dank möchte ich aber auch die Emeriti an der Universität Zürich, die Professoren Walter Burkert, Hermann Tränkle und Heiner Marti, die von Anbeginn des Studiums durch ihren Unterricht meine Begeisterung für antike Texte, oft auch weniger ›kanonische‹, immer weiter vergrößert haben. An der Entstehung des Buches haben weitere Personen mitgeholfen, denen ich zu Dank verpflichtet bin. Schon in die erste Fassung flossen zahlreiche interessante Diskussionen mit meiner damaligen Arbeitskollegin am ISR, Natalie Breitenstein; Magdalene Stoevesandt hat Teile des Manuskripts gelesen und geholfen, mein Vertrauen in die geäußerten Thesen zu stärken. Die überarbeitete Version haben Sebastian Geisseler, meine Schwester Franziska Rutz und meine Mutter Annelies Schatzmann ganz oder in Teilen gelesen und viele sprachliche Verbesserungen eingebracht. Meine derzeitige Arbeitskollegin am Istituto Svizzero, Camille Semenzato, hat mir schließlich in äußerst verdankenswerter Weise bei der schwierigen und langwierigen Endredaktion der Indices mitgeholfen. Für die Aufnahme des Manuskripts in die Reihe ›Hypomnemata‹ fühle ich mich geehrt und den Herausgebern sowie dem Verlag Vandenhoeck & Ruprecht für das entgegengebrachte Vertrauen dankbar verbunden. Die Entscheidung, das Manuskript neu zu setzen, wurde mit der Überlegung getroffen, den Inhalt auch als e-book zugänglich zu machen; die mit der Satzherstellung und -korrektur verbundenen technischen Schwierigkeiten haben die Veröffentlichung des Buches leider erheblich verzögert. Frau Ulrike Blech und ganz zuletzt Herr Kai Pätzke haben in diesem Prozess, der allen Beteiligten viel Energie abverlangte, das Buch mit Kompetenz und Verständnis unbeirrt zu seiner endgültigen Form geführt. Dass es auch zu einem erschwinglichen Preis angeboten werden kann, ist nur wegen eines großzügigen finanziellen Zuschusses des Schweizerischen Nationalfonds sowie des ›Fonds für Altertumswissenschaft‹ und des ›Fonds zur Förderung des Akademischen Nachwuchses (FAN)‹ der Universität Zürich möglich, denen an dieser Stelle herzlich gedankt sei. Den größten Dank schulde ich allerdings meinen Eltern, die sich stets mit der Arbeit identifizierten und wenn nötig auch finanzielle Unterstützung boten. Sie haben mich mit liebenswertem Zuspruch, von Zeit zu Zeit auch deutlicheren Ermahnungen dazu gebracht, dieses Buch nach längerer Zeit doch noch zu Ende zu führen, und haben auf ihre Weise überhaupt viel mehr zu dieser Arbeit beigetragen, als es in diesen Zeilen zum Ausdruck gebracht werden kann. Ihnen und meiner lieben Großmutter, in deren schönem Haus ich Teile dieses Buches schreiben durfte und die sich über das fertige Resultat außerordentlich gefreut hätte, sei dieser Kommentar gewidmet.

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… Mais n’est-ce point… évident pour le genre de l’épigramme et pour celui de la satire? Il y a tant d’allusions et de parodies! Il ne s’agit pas seulement de lire une épigramme et de cataloguer: ah! un musicien, un médecin, un athlète, ah, c’est toujours la même chose; ni non plus de soupirer avec Geffcken: »boshaft!« D’autre part, on ne peut comprendre allusions et énigmes par le jeu d’une simple ingéniosité. Nous ne sommes pas de plain-pied. Il faut une étude érudite et ardue du milieu évoqué par le poète, avec la technique et le vocabulaire de ce milieu. Que ne faudra-t-il pas de travail dans l’avenir – et quelquefois un avenir proche – pour comprendre nos journaux satiriques de ces annéesci! (Robert 1968: 282)

Einführung

Ziel der vorliegenden Arbeit ist eine vollumfängliche Kommentierung aller handschriftlich und auf Papyri erhaltenen Epigramme, die dem Dichter Nikarchos (1. Jh. n. Chr.) zugeschrieben werden können, wobei ein spezielles Gewicht auf die Herausarbeitung intertextueller Beziehungen und die Einbettung in realweltliche Kontexte gelegt wird. Nikarch hatte in der Forschung lange Zeit eine schlechte Presse; im einleitenden Zitat schimmert dies durch. Während die Epigramme des Lukillios, eines etwas älteren Zeitgenossen, noch knapp zuträglich erschienen, zeugten Nikarchs Gedichte demgegenüber von einer ›Verrohung‹. Besonders vernichtend ist das Urteil, das J. Geffcken in seinem RE-Artikel von 1936 und damit an besonders einflussreicher Stelle über ihn zurückgelassen hat (p. 279): ›Ich kann dieses Geschreibsel, das sich bemüht, sogar noch eines Lukilios häufig so alberne Themata und gezwungene Situationen zu überbieten, und vor allem mit reichlichem Schmutz arbeitet, nicht im einzelnen würdigen.‹ Etwas abgemildert ist die Einschätzung von V. Longo in der abgesehen vom schmalen Bändchen von F. Guglielmino (1931) einzigen monographischen Darstellung der Spottepigramme der Anthologia Graeca im vergangenen Jahrhundert (1967: 78) ›… le sue imitazioni di Lucillio costringono a ritenerlo più giovane di lui, il tono ugualmente acre e disincantato, violente e impietoso della sua poesia, anche là dove egli ci sembra più independente dal suo modello, lo rivela più giovane di poco.‹ Erst 1999 erschien die bisher einzige Ausgabe Nikarchs mit knappem Kommentar, verfasst von Hendrich Schulte. Im gleichen Jahr publizierte Peter J. Parsons zwei Oxyrhynchos-Papyri, auf denen neben einem bereits handschriftlich bekannten sechs neue Epigramme enthalten sind, ein Mate-

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Einführung

rialzuwachs, der, wie zu sehen sein wird, in vielen Punkten eine Perspektivenerweiterung ermöglicht. Diese Texte wurden vom Erstherausgeber bereits umfassend und umsichtig kommentiert, dennoch konnten im Rahmen der vorliegenden Arbeit, u. a. auch dank einer erneuten Sichtung der Originaltexte in Oxford, auch einige neue Aspekte hinzugewonnen werden. Auch Schultes Kommentar erwies sich zweifellos als hilfreich, auch wenn der Autor manchmal zu wenig in die komplexen Zusammenhänge und Assoziationsmuster eindringt, die die Natur der skoptischen Epigramme so wesentlich mitbestimmte. Schulte legte sein Hauptaugenmerk auf Realien, motivische Traditionen und lexikalische Untersuchungen; vom Potential der Texte, verschiedene Verständnisebenen zu eröffnen, und von intertextuellen Fragen bleibt er häufig wenig berührt. Dabei war in letzterem Punkt bereits M. Lausberg in ihrer beeindruckenden diachronen Untersuchung des Einzeldistichons (1982) oft einen Schritt weitergegangen; wegen der immensen Materialfülle konnte dort Nikarch natürlich nur gelegentlich und punktuell einbezogen werden. Schließlich diente auch Gideon Nisbets Arbeit, eine weiter gefasste monographische Darstellung des Phänomens der Spottepigramme (2003), dank ihres frischen Zugangs zum Material und der Offenheit der Perspektive als wertvolle Grundlage, auch wenn sich dort die Nikarchinterpretationen auf wenige ausgewählte Textbeispiele beschränken. Einzelne Ideen konnte ich im Rahmen einer Einladung in Oxford mit dem Autor persönlich diskutieren, wofür ich ihm herzlich danke. Nisbet hebt in seiner Darstellung die Witzelemente in den Spottepigrammen hervor und erhellt die Mechanismen, mit denen das Publikum zum Lachen gebracht werden soll, mit vielen modernen Vergleichsbeispielen. Zu wenig Beachtung ist m.E. den im Genus Epigramm selbst seit frühester Zeit angelegten und im Hellenismus weiter entwickelten Traditionen geschenkt, die bei Nikarch als Grundlage der kreativen Auseinandersetzung an zahlreichen Stellen mit Händen zu greifen ist. Das Spottepigramm im 1. Jh. n. Chr. hat sich selbstverständlich nicht bloß aus sich selbst heraus entwickelt. Nisbet stellte nicht zu Unrecht einen strukturellen Vergleich mit Techniken des Spotts in der aristophanischen Komödie an, doch ist diese Sichtweise zu eindimensional. In Wirklichkeit stammen die prägenden Kräfte des nikarchischen Epigramms aus ganz verschiedenen literarischen Genera des Hellenismus und der frühen Kaiserzeit, denen es im Rahmen der Einleitung des vorliegenden Buches nachzuspüren gilt. Auf die Epigramme auf Papyrus verweist Nisbet zwar, doch ist die Evidenz dieser neuen Texte in der Monographie noch nicht im Gesamtbild Nikarchs verarbeitet. Zusammenfassend lässt sich also feststellen, dass ein neuer Kommentar, der nun auch die Papyrustexte miteinschließt, nicht nur gerechtfertigt, sondern im Grunde unabdingbar ist. Wiewohl in Form eines Nachtrags, verdient schließlich die 2011 an der Università di Bologna eingereichte noch ungedruckte Doktorarbeit ›Studi sull’epigramma scoptico greco‹ von Stefano Ceccaroli Erwähnung, die der

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Einführung

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Autor auch im Internet veröffentlicht hat (Details s. Bibliographie). Darin werden zur Hauptsache die späteren skoptischen Epigramme vorgelegt, doch widmet Ceccaroli ein kurzes Kapitel auch Nikarch, wo er insbesondere Zuordnungsfragen innerhalb der Anthologia Palatina diskutiert und dabei interessante neue Thesen vertritt. Wegen des bereits feststehenden Satzes konnte auf diese Dissertation nur gerade noch in einzelnen Fällen verwiesen werden; es ist zu hoffen, dass die Diskussion an anderer Stelle fortgeführt werden kann. Vorliegende Arbeit ist folgendermaßen gegliedert: In einem ersten Teil werden zunächst die spärlichen biographischen Angaben über Nikarch zusammengetragen. Anschließend werden regelmäßig wiederkehrende sprachliche und stilistische Erscheinungen festgehalten. Zweck eines solchen Überblicks ist es, ein unerträgliches Maß an Wiederholungen im Kommentarteil zu verhindern, doch erscheint andererseits eine gewisse Redundanz unvermeidlich, wenn die Erklärungen zu den einzelnen Epigrammen auch für sich autark sein sollen. Ein weiteres Kapitel widmet sich überlieferungsgeschichtlichen Fragen. Auch wenn die Diskussion um die Gedichte Nikarchs nicht von den Problemen der Anthologia Palatina und Planudea abgetrennt werden kann, soll spezifisch die Stellung seiner Gedichte im Gesamtrahmen der Epigrammanthologien im Vordergrund stehen; verzichtet wird auf eine nochmalige Aufrollung der Überlieferungsgeschichte der Anthologien insgesamt, der Geschichte ihrer Erforschung und ihrer Ausgaben – Themen, die bereits andernorts gut greifbar und verlässlich abgehandelt sind. Stattdessen wird der Akzent auch in den weiteren Punkten bewusst auf Nikarch gelegt: ursprünglicher Rezeptionszusammenhang (der ›Sitz‹ im Leben) der nikarchischen Spottepigramme, ihre Stellung im Rahmen der Entwicklungsgeschichte des Epigramms, sowie die Verbindungslinien zu anderen literarischen Genera. In dieser Hinsicht unterscheidet sich die hier gebotene Einleitung von der allgemeiner gehaltenen in Rozemas Ausgabe der Lukilliosepigramme (1971), die eine sorgfältig aufgearbeitete Forschungsgeschichte zur Anthologia Graeca insgesamt bis zum Erscheinungszeitpunkt der Arbeit mit einschließt. Zu Lukillios ist nun ein neuer Kommentar von Lucia Floridi (Milano) in Vorbereitung. Die Kommentierung im Hauptteil erfolgt stets nach dem Motto, mit ausgewählten Textbeispielen die Ausdrucksweise Nikarchs so einleuchtend wie möglich zu erklären. Lexikalische Vollständigkeit wurde nicht angestrebt, wie sie m.E. allzu häufig mit wenig heuristischem Gewinn in modernen Kommentaren zu erreichen versucht wird (aufgrund der heute sehr einfach gewordenen Zugänglichkeit der Textcorpora auf neuen Medien wie dem TLG, andererseits der Ausschnitthaftigkeit der überlieferten antiken Textmasse m.E. ein ohnehin fragwürdiges Unterfangen). Die Qualität eines Kommentars liegt vielmehr in der Auswahl der Beispiele, die stets im Dienste des

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Einführung

zu erklärenden Textes stehen müssen. Für ein Verständnis der sprachlichstilistischen Eigenheiten von Nikarchs Epigrammen ist der Einbezug von Texten der dokumentarischen Papyri von grundlegender Wichtigkeit. Diese zumeist in Alltagssprache verfassten Texte stehen (neben besonderen Erscheinungen der Sprache der Septuaginta) in vielen Fällen als Parallele näher zu unseren Gedichten als irgendein literarischer Text. Umsomehr erstaunt es, dass sie in anderen Kommentaren bisher kaum für die Texterklärung zu Rate gezogen wurden. Besondere Aufmerksamkeit wurde auf die Beschreibung der verschiedenen Sprachstile gelegt: Zu den charakteristischen Merkmalen Nikarchs gehört sein Oszillieren zwischen Umgangssprache und episch-dramatischem Vokabular, aber auch gelegentlicher Einbezug fachsprachlicher Termini. Selbstverständlich sind denkbare Anklänge an ältere in den Anthologien erhaltene Epigramme grundlegend wichtig, doch muss der Stellenwert solcher Bezüge immer auch anhand der Zufälligkeit des Erhaltenen beurteilt werden. Ein Wort schließlich zum berühmtesten ›Kollegen‹ Nikarchs, Martial. Während die bisherige Forschung (vgl. Prinz 1911; Burnikel 1980) den Schwerpunkt ausschließlich auf die Vorbildfunktion der griechischen Autoren Lukillios und Nikarch auf Martial in den Vordergrund gestellt hat – eine Beobachtung, die in einigen Fällen gewiss zutrifft –, wird in diesem Kommentar eine neutralere und der literarischen Eigenleistung der griechischen Autoren gerechtere Perspektive verfolgt (dazu s. Merli 1993) und jedes Epigramm als ganz individuelle Ausgestaltung eines (wie sich zeigen lässt) in der Tradition in aller Regel bereits verankerten Motivs beurteilt. Wiederum kann es nicht darum gehen, einfach nur sämtliche Epigramme Martials aufzuzählen, in denen ähnliche Themata vorkommen (dazu sei auf die genannten älteren Arbeiten verwiesen). Vielmehr interessieren uns diejenigen Fälle, in welchen eine vergleichbare oder auch gerade die entgegengesetzte Technik Martials das Nikarchgedicht noch besser zu verstehen hilft. Eine weitere m.E. bisher zu wenig beachtete Eigenheit der Nikarchepigramme ist es, dass sie häufig mit ganz verschiedenen Verständnisebenen operieren. Neben dem Oberflächeninhalt eröffnet sich auf den zweiten Blick immer wieder eine Aussage ›zwischen den Zeilen‹, die generiert wird etwa durch Ausnutzung verschiedener Bedeutungsnuancen eines Begriffs oder lautliche Anklänge an andere Wörter, welche gerade in der mündlichen Vortragssituation auch akustisch hervorgehoben werden konnten.1 Es zeigte sich bald, dass die klassische Form der Kommentierung ausschließlich mit Hilfe von Lemmata für die jeweilige Kontextualisierung der einzelnen Epigramme 1 Die Untersuchung entsprechender Techniken bei Lukillios ist noch ein Forschungsdesiderat; in den knappen Angaben bei Rozema (1971) wird darauf kaum eingegangen. Allerdings scheint die Lücke bald durch Lucia Floridi geschlossen zu werden, der die Forschung bereits einen Stratonkommentar von hoher Qualität verdankt.

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Einführung

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oder Epigrammgruppen und die Herausarbeitung der darin angelegten Mehrdimensionalität zu wenig geeignet ist. Neben die Lemmata-Abschnitte werden daher in vielen Fällen auch Essaypassagen gestellt, in denen unter Ausnutzung des vorliegenden Vergleichsmaterials über mögliche Gesamtinterpretationen und weitere Kontexte reflektiert wird. Auch wenn die Gefahr von Interferenzen bei einer solchen Vorgehensweise nie ganz ausgeschlossen ist und auch die Entscheidung, welche Information in den Lemmata-Teil und welche in den Essay gehört, nicht immer ganz einfach zu treffen war, halte ich diese Darstellungsform doch für die beste, dem Phänomen der Nikarchepigramme gerecht zu werden. Im übrigen scheinen kombinierte Formen in Kommentaren sich in jüngster Zeit zunehmender Beliebtheit zu erfreuen und in der Fachwelt günstige Aufnahme zu finden. Es ist somit zu hoffen, dass mit der vorliegenden Darstellung die Texte, die sich dem Leser nicht immer auf den ersten Blick in all ihren Dimensionen erschließen, ein umfassendes Bild von der enorm facettenreichen Produktion Nikarchs vermittelt und die Faszination für Texte, die im Grenzbereich zwischen Literatur und Alltagskultur stehen, erweckt werden kann. Wenn der Eindruck des ›mediokren Schreiberlings‹, wie ihn Geffcken nannte, definitiv korrigiert wird, dann hat diese Arbeit ihre Hauptaufgabe erfüllt.

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Einleitung

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I. Nikarch II.: ein Steckbrief

Die Quellen. Der Autor, dem das vorliegende Buch gewidmet ist, Nikarch II., gehört auch unter Fachleuten zu den Unbekannten. Die Epigramme, die wir mit seinem Namen verbinden können, finden sich fast alle in der sogenannten ›Anthologia Graeca‹. Diese in ihrem Grundstock auf antike Ausgaben und Anthologien zurückgehende äußerst umfangreiche Sammlung von Epigrammen, zumeist mit Autorenangabe, ist neben der großen Zahl zumeist anonym überlieferter Gedichte auf Stein1 unsere wichtigste Quelle für eine Kleinform, die eine ihr ganz eigentümliche Zwischenstellung zwischen Literatur und Improvisationskunst einnimmt.2 Sie manifestiert sich uns heute in zwei Haupthandschriften: der Anthologia Palatina (im Folgenden: AP; Mitte 10. Jh.) und der Anthologia Planudea (APl), einem auf 1299 datierten Autograph des Mönchs Maximos Planudes.3 Für die Spottepigramme ist diese zweite Quelle etwas weniger ergiebig, da Planudes mehrere Gedichte, deren Inhalt seinem Sittlichkeitsempfinden nicht genügte, wegließ; allerdings bringt die APl an verschiedenen Stellen die im Vergleich zur AP eindeutig besseren Lesarten.4 Die ersten Druckausgaben der Anthologia Graeca (die editio princeps von Ioannis Laskaris stammt von 1494) basieren ausschließlich auf der Planudea; die AP hingegen tauchte erst kurz nach 1600 in Heidelberg auf und wurde sehr schnell in Form zahlreicher Abschriften unter den Gelehrten herumgereicht, die auf diese Weise die neuen variae lectiones in ihre Privatausgaben eintragen konnten.5 Heute sind bei der Zitierung von Epigrammen aus der griechischen Anthologie Bucheinteilung und Zählsystem der Anthologia Palatina als Referenzpunkte üblich geworden.6 Planudes’ 1 Siehe die Sammlungen in GV, GG, sowie Merkelbach/Stauber (1998–2004). 2 S. allg. Nisbet 2007; Tarán 1979; Hess 1989; Raubitschek (ed.) 1968; auch Puelma 1996. – Alle diese Aspekte werden im Laufe dieser Einleitung weiter vertieft, mit dem Ziel, den historischen Kontext dieser stark in der Alltagskultur verankerten Gattung möglichst adaequat zu rekonstruieren. 3 In Wirklichkeit gibt es zwei einander widersprechende Datierungen (1299 und 1301), vgl. Cameron 1993: 75ss. und unten Kap. IV. 4 Nicht zuletzt auch, was die Autorenzuweisungen angeht, dazu s. unten p. 64ss. 5 Über die Geschichte der Epigrammanthologien findet sich ein immer noch sehr lesenswerter Überblick im ersten Band von Beckbys Edition, 68ss., wo sie auf einen geschichtlichen Abriss über das antike Epigramm im Allgemeinen folgt. 6 Die Epigramme, die nur in der Planudea überliefert sind, wurden in den Ausgaben der AP teilweise als sogenanntes ›Buch XVI‹ angehängt (so z. B. bei Beckby), teilweise wurde für

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Einleitung

Mitarbeit gilt im übrigen auch an einer kleineren Sammlung (Sylloge Laurentina) als gesichert, die dem Abschluss der APl zeitlich vorausging: sie enthält u. a. die drei Nikarchepigramme AP 11,251; 252; 395 (dazu siehe Sigla p. 126). Neben der Anthologia Graeca gibt es für Nikarch noch einen zweiten Überlieferungsstrang, der erst in jüngster Zeit ins Blickfeld getreten ist: die bereits im Vorwort genannten Papyri. Es handelt sich im einzelnen um POxy. 3725, sowie POxy. 4501 und 4502, die uns neben drei bereits aus der handschriftlichen Tradition bekannten und Nikarch zugeschriebenen Epigrammen (AP 5,40; 11,241 und 11,328) sechs völlig neue Texte und sieben kleine Fragmente geliefert haben. Sie bereichern unser Bild über das thematische Spektrum und den Stil der Epigramme Nikarchs beträchtlich.7 Warum sprechen wir von Nikarch II.? – Sowohl die AP wie auch die APl sind, geordnet nach Epigrammgattung, in mehrere Bücher gegliedert (Grab-, erotische, Spottepigramme usw.), und dabei fällt die etwas eigenartige Verteilung der Beiträge mit der Zuschreibung ΝΙΚΑΡΧΟΥ auf (in der AP gibt es davon insgesamt 48). Während es sich beim größeren Teil davon um Spottepigramme handelt, weicht eine kleine Gruppe hinsichtlich Sprachstil und Inhalt erheblich ab: Zum einen sind sie nicht wie die anderen Gedichte in der teilweise recht derb klingenden Alltagssprache der kaiserzeitlichen Koine geschrieben,8 sondern in einem artifiziell wirkenden Stil, der für den Hellenismus typisch ist. Außerdem gehören genau diese Epigramme – und nur diese – auch in einen ganz anderen thematischen Bereich: nämlich den der Grab- und epideiktischen Epigramme. Dazu kommen aber auch noch äußere Anhaltspunkte. Es wurde bereits erwähnt, dass die Anthologia Graeca auf antike Vorbilder zurückgeht, ja, mehr noch, diese streckenweise vollständig inkorporiert, wie in einem der folgenden Kapitel der Einleitung gezeigt werden soll. Die beiden wichtigsten Sammlungen, die in der Anthologia Graeca aufgegangen sind, sind diejenigen des Meleager (70/60 v. Chr.) und des Philipp (40 n. Chr.), beides Dichter, die ihre eigenen Werke zusammen mit denen anderer Autoren veröffentlichten; daneben erzählt uns das Suda-Lexikon von einer Sammlung eines Diogeneianos, die in aller Regel in trajanische Zeit datiert wird. Was nun die beschriebene kleine Sondergruppe mit der Bezeichnung ΝΙΚΑΡΧΟΥ innerhalb dieser Epigramme angeht, so stellte bereits Ende des 19. Jhs. Weißhäupl fest,9 dass zwei dieser insgesamt 5 Epigramme in der Anthologia Graeca offenbar in einer Sequenz stehen, die tel quel aus der Sammlung des Meleager übernommen zu sein diese künstlich geschaffene Teilgruppe ebenfalls die Bezeichnung Anthologia Planudea verwendet – beides Umstände, die auf den ersten Blick etwas verwirrend wirken. 7 Zu diesen Papyri s. p. 61ss. und den Kommentar ab p. 352. 8 Sprache und Stil sind im nächsten Kapitel (II.) dieser Einleitung behandelt. 9 Weißhäupl 1889: 27.

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I. Nikarch II.: ein Steckbrief

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scheint, denn die Epigramme stehen an dieser Stelle immer noch in der alphabetischen Reihenfolge, die Meleager als Prinzip seiner Edition gewählt hatte,10 und von den Autoren dieser Reihe ist keiner jünger als Meleager. Von den Spottepigrammen in kaiserzeitlichem Griechisch hingegen gibt es ebenfalls einige, die in alphabetischen Sequenzen stehen (die in diesem Fall solchen des Diogeneianos entsprechen müssen), und bei denen eine vergleichbare sprachlich-stilistische Homogenität herrscht. Der Umstand, dass es in der Anthologia Graeca also sprachlich rein hellenistische Sequenzen neben rein kaiserzeitlichen Folgen ohne gegenseitige Überlappung gibt, auf der anderen Seite der Vermerk ΝΙΚΑΡΧΟΥ in beiden Folgen auftritt, lässt nur einen möglichen Schluss zu, den auch schon Weißhäupl gezogen hatte: in der Anthologia Graeca müssen zwei verschiedene Autoren gleichen Namens zusammengeflossen sein, je aus verschiedenen Quellen. Dies erklärt wohl auch, warum die Zuschreibungen nicht mit unterscheidenden Adjektiven versehen wurden: sie wurden so übernommen, wie sie in den jeweiligen Vorlagen gefunden wurden. Die Unterscheidung zwischen zwei Νίκαρχοι ist seit einigen Jahrzehnten allgemein anerkannt und in den Ausgaben vollzogen, allerdings leider nicht immer konsequent.11 In der vorliegenden Edition werden folgende Epigramme aus einem oder mehreren der genannten Gründe als zu Nikarch I. gehörig ausgeschlossen: AP 6,31 und 285 (obwohl im zweiten Falle der jüngere Nikarch in der Diskussion auch mit angeführt wurde [cf. Beckby], was jedoch sprachlich ganz unplausibel ist); 7,159 und 9,330;12 ebenso 9,576, ein epideiktisches Epigramm typisch hellenistischen Stils, das ich im Gegensatz zu Beckby und Floridi 2007, jedoch in Übereinstimmung mit Schulte ebenfalls dem älteren Nikarch zuschreiben möchte.13 Für Nikarch den Jüngeren verbleiben somit: 38 in der AP überlieferte Epigramme, wovon sich bis auf AP 5,38–40 alle im 11. Buch befinden, außerdem 9 auf Papyrus überlieferte, wovon 3 parallel auch in der AP überliefert sind. Dies ergibt ein Total von 44 Epigrammen Nikarchs II., denen die vorliegende Edition gewidmet ist. Nikarch II. in der Literaturgeschichte. Über Herkunft, Leben und Zeitstellung Nikarchs II. suchen wir in den antiken Quellen vergeblich nach Informationen. Wir können uns deshalb nur auf interne Merkmale seiner Dichtung 10 Siehe Cameron 1993: 20. 11 Cf. auch die Einleitung zu POxy. 4501–2 in Parsons 1999: 38. – Zu einem anderen Bild für Nikarchos I. gelangt jetzt Ceccaroli 2011: 60ss. 12 Diese 4 Epigramme sind auch bei Gow-Page 1965 aufgeführt. 13 Cf. Longo 1967: 78 ›la questione oggi può considerarsi soluta‹. Für dieses und weitere im Laufe der Zeit fälschlicherweise dem jüngeren Nikarch zugeschriebene Epigramme s. Schulte 1999: 11. Epigramme, deren Autorenzuweisung in der Tradition schwankt oder wo die Zuweisung in der Überlieferung entstellt wurde, werden weiter unten S. 64ss. diskutiert.

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Einleitung

stützen und als chronologischen Bezugspunkt den lateinischen Skoptiker Martial heranziehen, der mit unserem Autor nicht wenige Themen gemeinsam hat und sein erstes Epigrammbuch 85 oder 86 n. Chr. publizierte.14 Da es in zumindest drei Fällen so gut wie sicher ist, dass Martial einen Text von Nikarch als Vorlage verwendet hat und nicht umgekehrt, können diese lateinischen Epigramme als terminus ante quem für die griechischen Vorlagen gelten.15 Für die Lebenszeiten der beiden Dichter dagegen ist eine gewisse Überschneidung äußerst wahrscheinlich. Auf dieselbe Weise können wir die Schaffensperiode Nikarchs gegen hinten in der Zeitachse eingrenzen. Sprachliche und motivische Ähnlichkeiten rücken ihn in besondere Nähe zum etwas berühmteren Lukillios. Dieser wohl kaum mit Senecas Freund zu identifizierende16 Epigrammdichter lässt sich aufgrund eines ›Widmungsepigramms‹ (AP 9,572) zeitlich besser fassen. Darin sagt Lukillios, er hätte nicht ohne Neros wohlwollende (finanzielle) Unterstützung sein zweites Epigrammbuch herausgeben können (wie ironisch die rätselhaft kurze Bemerkung auch immer gemeint gewesen sein mag).17 Für Nikarch wiederum steht in einigen Fällen zweifelsfrei fest, dass er ebenfalls in der AP überlieferte Texte (des Lukillios, aber auch anderer Autoren) als Ausgangspunkt für seine eigenen Epigramme verwendet hat:18 etwa 11,162, wo das Vorhandensein einer intertextuellen Beziehung zu 161 resp. 163 schwerlich zu bestreiten ist, oder 11,110 und 407, für die an gegebener Stelle dafür argumentiert werden wird, dass sie eher aus lukillischen Vorlagen weiterentwickelt wurden und diese also für die Nikarchepigramme vorauszusetzen sind, als dass umgekehrt Lukillios sich aus nikarchischen Motiven hätte inspirieren lassen. Man setzt daher Nikarchs literarische Tätigkeit in aller Regel geringfügig später als diejenige des Lukillios an. Diese Einordnung Nikarchs als etwas jüngeren der beiden Spottepigrammatiker könnte man darin bestätigt sehen, dass dieser das von Lukillios festgelegte Spektrum weiter ausreizt. So werden im Kommentar auch einige Interpretationen zur Diskussion gestellt werden, bei denen in der nikarchischen Bear14 Holzberg 2002: 35. 15 Es handelt sich um AP 11,71 (~ Mart. 3,93, der eine eindeutig größere Komplexität bietet als die nikarchische Vorlage), 11,73 (~ Mart. 9,37) und 11,110 (~ Mart. 11,101, wo die Hyperbel noch weiter gesteigert ist; s. unten Kap. I.3); cf. Holzberg 2002: 29. Die Techniken Martials im Vergleich mit seinen griechischen Vorgängern sind gut untersucht von Burnikel 1980: 110ss. und Holzberg 2002: 99ss. (meist steht allerdings Lukillios als Vergleichspunkt im Zentrum). Vgl. auch Prinz 1911: 24s. 16 Dazu s. Rozema 1971: 44ss.; 124; Longo 1967: 9s. ›… non è giustificabile volerlo fare 〈sc. identificarlo〉 ad ogni costo‹; Burnikel 1980: 1; Nisbet 2003: 108ss. 17 Diskussion in Nisbet 2003: 36ss.; 113ss. 18 Cf. Burnikel 1980: 110 ›er kennt und benützt Lukill‹; im gewohnt negativen Ton Geffcken 1936: 279 ›N. hängt sich an Lukillios‹. Es wird u. a. Aufgabe dieses Kommentars sein zu zeigen, dass dieses ›Sich-Anhängen‹ vielmehr eine kreative Auseinandersetzung ist.

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beitung eines von Lukillios (und ev. schon von Früheren) gepflegten Motivs, aber auch in der Hinzunahme zusätzlicher bewusst alltäglich-niedriger Themen, ein weitergehendes ›Abtasten‹ der Gattungsgrenzen zu sehen ist.19 Nicht immer ist allerdings das Bild so eindeutig. Ob beim Vorhandensein gleicher Themen Nikarch wirklich immer der zweite Autor ist, der dieses aufgreift, sei wiederum zumindest vorsichtig in Frage gestellt – auch wenn festzuhalten ist, dass sich in keinem einzigen Fall eine Verwendung von Vorlagen Nikarchs durch Lukill eindeutig zeigen lässt. In vielen Fällen dürften Lukill, Nikarch und auch Martial unabhängig voneinander in dieselbe Motivtradition eingestimmt haben – und die Autoren könnten sich auch im Sinne eines Spiels von actio und reactio gegenseitig beeinflusst haben, vorausgesetzt, neben den zeitlichen hätten dies auch die geographischen Umstände erlaubt.20 Vita. Auch darüber wissen wir leidlich wenig. Immerhin, es gibt in den Epigrammen Nikarchs eine ganze Reihe von Hinweisen, die dafür sprechen, dass deren Autor aus Ägypten stammt. Diese seien nachfolgend aufgelistet: – AP 11,124,4: der Ort Paraitonion im Westen von Alexandria an der libyschen Grenze, der einem Nicht-Einheimischen kaum geläufig sein dürfte. Mehr noch: Es ist zu fragen, ob einer der Witze in diesem Epigramm nicht im Grunde zwingend eine alexandrinische Perspektive voraussetzt.21 19 Dieser zweite Punkt wurde in der Vergangenheit vorwiegend negativ beurteilt, wie die in der Einführung zitierten Äußerungen zeigen. Für eine moderne Sichtweise, die zwar von Subjektivismus ebenfalls nicht ganz frei ist und teilweise geradezu euphorisch klingt, in der aber moralisierendes Urteilen endlich überwunden ist, sei Nisbet 2003: 82 zitiert: ›… Nikarkhos is far more than simply a cut-rate clone; he works creatively with Loukillian material, steering the new skoptic »joke scripts« in unexpected directions. What’s more, he is often more fun than Loukillios – better value as a humorist, more adventurous as a poet. I very much doubt he was Loukillios’ only »imitator«. Instead, his work survives because he was the smartest and most successful.‹ 20 So ist etwa das ›Schiffbruchsepigramm‹ AP 11,332 keineswegs nur mit den entsprechenden Epigrammen des Lukillios AP 11,245ss. als einzig möglicher Vorlage denkbar. Etwas anders stehen die Dinge für AP 11,331, von dem zu zeigen sein wird, dass die Schiffsbruch- mit der Hetärentopik auf überraschende Weise verbunden ist. Das Epigramm ist ein gutes Beispiel für die einer ›evolutionistischen‹ Perspektive inhärente methodische Problematik; gemäß dieser Perspektive muss ein ›einfaches‹ Epigramm, wo bloß mit einem einzigen Teilaspekt gespielt wird, im Vergleich zu einem komplexen Gedicht (wo dieser eine und/oder andere Teilaspekt weiterentwickelt bzw. neu kombiniert ist) automatisch das ursprünglichere sein. Doch wäre es z. B. unrealistisch anzunehmen, dass die Existenz eines Produkts wie AP 11,331 die Schaffung eines Epigramms nur zur Schiffbruchsthematik in der Folgezeit verunmöglicht hätte. Viel gewinnbringender ist somit eine Vorgehensweise, die zunächst frei von jeglichem Zwang, ›Abhängigkeiten‹ herauszustreichen, für jeden der beteiligten Autoren die ihm gebührende Stellung als Schöpfer eines eigenständigen Texts mit den jeweils zu beschreibenden Eigenheiten würdigt; dazu s. Merli 1993: 110ss., mit deren Argumentation ich in dieser Hinsicht völlig übereinstimme.

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Einleitung

– AP 11,244,4: die nach Athen. 11,784b typisch alexandrinische Bezeichnung βαύκαλις für den Weinkühler. – AP 11,406,5: das Wort βουνός ›Hügel‹, das zum Vokabular der Kyrenaika gehört. – AP 11,18,5: der Hinweis auf die ägyptische Göttin Bubastis, die es anhand der enormen Geburtsfreudigkeit der Philainion nicht mehr brauche. Bastet / Bubastis genießt, wie im Kommentar z. St. gezeigt, im 1. Jhdt. n. Chr. einige Popularität auch in Rom. Doch die Formulierung, dass die Göttin für niemanden mehr von Bedeutung ist, ist nach Longo ›più naturale nella patria stessa della dea.‹

Die aufgezählten Punkte können wohl für sich alleine keinen endgültigen Beweis darstellen,22 doch bleibt die Hypothese einer ägyptischen Herkunft Nikarchs die wahrscheinlichste. Neben der ›ägyptischen Dimension‹ tauchen im Wortschatz unserer Epigramme aber auch Latinismen auf, und zwar die folgenden: – AP 11,73,6: ξέστης (~ lat. sext-arius) – AP 11,244,1: μιλιάριον (// lat. miliarium) – außerdem ist wohl die Sg.-Form λάσανον AP 11,74,8 lateinisch beeinflusst (vgl. Petr. sat. 41,9): im Griechischen findet sich das Wort immer im Plural. – Ein römisches Element ist ferner in der Verwendung von Linsen beim Totenmahl zu sehen (AP 11,119,4).

Keines dieser Elemente kann allerdings als Argument für eine besonders starke Berührung Nikarchs mit der römischen Kultur angesehen werden; sie reihen sich ohne weiteres in den Rahmen der allgemein erfolgten Globalisierung römischer Sitten und Vokabeln nach der Unterwerfung Ägyptens 31 v. Chr. ein.23 Ob sich nun Nikarch zeitlebens in Ägypten aufgehalten hat, wo er in einem Zentrum wie Alexandria nicht nur in den engsten Kreisen der römischen Verwaltungsaristokratie auch eine Gastmahlkultur vorgefunden haben muss, die sich von derjenigen des Zentrums des Imperiums, Rom, kaum wesentlich unterschieden haben kann,24 oder ob er doch eine bestimmte Periode seines Lebens in Italien, gar in Rom, verbracht hat,25 lässt sich somit kaum mehr feststellen. Auch wie er schließlich Anschluss an das gefunden hat, was ich als ›epigrammatischen Diskurs‹ bezeichnen möchte, kann uns letztlich nur weitgehend die Phantasie zu erschließen helfen. Die genannten 21 Siehe dazu die Besprechung in Kap. I.1. 22 Cf. die Übersicht in Parsons 1999: 38, mit der zusammenfassenden Bemerkung ›So far, … the »Egyptian« features have proved less than decisive.‹ 23 Zur Verbreitung des Latein in Ägypten mit interessanten soziolinguistischen Überlegungen s. allg. Adams 2003: 527ss. 24 Siehe dazu die Diskussion in Kap. V. 25 Einige nehmen das ohne Angabe von Gründen, vielleicht wegen der Analogie zu Martial, ganz selbstverständlich an: in der AP-Ausgabe von Aubreton 1972: 298 findet man im Namenindex ›vécut à Rome‹; ebenso Beckby IV 762.

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I. Nikarch II.: ein Steckbrief

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Verbindungslinien zu Lukilliosepigrammen dürfen wir als Beweis dafür nehmen, dass er mit dessen Werk in Berührung gekommen ist und dessen Stil nachhaltig auf ihn gewirkt hat. Die Frage ist, ob dies durch direkte Kenntnis des Autors oder auf schriftlichem Wege geschehen ist, und dazu wäre es wiederum wichtig, Herkunft und insbesondere Wirkungsort des Lukillios besser fassen zu können. Doch ist der Stand der Kenntnis auch hier nicht viel besser: Als Geburtsort wird Neapel vorgeschlagen, mit dem Gedanken einer ebenfalls ägyptischen Herkunft spielt Longo.26 Für die Diskussion von Bedeutung ist außerdem die in jüngster Zeit zutage getretene Evidenz von Texten Nikarchs (und vielleicht auch des Lukillios?) auf Papyrus (POxy. L 3725; LXVI 4501s.; sowie Inv. 103/125 [c] [unpubl.]).27 Alle diese Papyri können wohl noch dem 1. Jhdt. zugeordnet werden, fallen also, obwohl es sich wahrscheinlich um Teile einer oder mehrerer privater Epigrammkollektionen handelt, wohl noch in die Lebenszeit Nikarchs. Wenn wir somit in diesem Zeugnis etwas fassen können, das man als ›Absatzmarkt‹ für diese Art von Epigrammen bezeichnen könnte, stellt sich die Frage, ob sich dies als weitere Evidenz werten lässt, die die ägyptische Herkunft unseres Dichters unterstreicht, mit anderen Worten ob ein zeitlich so nahe stehender Papyrus bei einem nichtlokalen Autor überhaupt denkbar wäre. Andererseits wäre nach Parsons bei der allgemeinen Häufung von Epigrammpapyri in dieser Zeit ein so schnelles Aufscheinen auch im Falle eines Ausländers zumindest nicht auszuschließen. So können die Papyri zwar keine zusätzlichen biographischen Informationen zu unserem Autor liefern; sie bestätigen aber dank ihres gut datierbaren Schrifttyps die zu Beginn dieses Kapitels vorgenommene zeitliche Einordnung Nikarchs. Welche Schlüsse sie für die Überlieferungsgeschichte zulassen, soll in einem späteren Abschnitt dieser Einleitung besprochen werden.28

26 Neapel: Robert 1968: 286; cf. Nisbet 2003: 105ss.; Aubreton 1972: 63s. (mit der Nennung des Motivs der Agone, das mehr für einen griechisch geprägten Kontext wie beispielsweise Parthenope als für Rom vor der Ära Domitians spreche; zu den Capitalia vgl. auch unten Kap. V) und 297; zu Ägypten: Longo 1967: 12 ›Se l’ipotesi cogliesse nel vero, si potrebbe persino parlare, nell’ambito dell’epigramma scoptico, di una »scuola egizia« …‹. Die angeführten Indizien für letzteres sind aber deutlich schwächer als im Falle Nikarchs. Zum gegenwärtigen Stand ist der in Kürze erscheinende Kommentar zu Lukillios von Lucia Floridi abzuwarten. 27 Für das Folgende s. allg. Parsons 1999: 38s. (= Ed. von POxy. 4501 und 02); eine Diskussion dieser Papyri auch unten S. 61ss. Eine Edition von POxy. Inv. 103/125 (c) ist vom Schreibenden vorgesehen. 28 Siehe unten p. 61ss.

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II. Form und Aufbau, Sprache und Stil

Nikarchs Sprache und Stil in wenigen Grundzügen steckbriefartig zu beschreiben, ist ein schwieriges Unterfangen. Mit der Lektüre seiner Epigramme bildet sich wohl durchaus eine Vorstellung heraus, was nun ›typisch Nikarch‹ sei, doch ist ein solcher Eindruck immer zwangsläufig subjektiv. Es stellen sich zwei Fragen: a) Besteht nicht die Gefahr, Erscheinungen im gerade untersuchten Text grundsätzlich überzugewichten, wo sie doch bei anderen Autoren wie beispielsweise Lukillios oder, auf das Lateinische übertragen, Martial, ebenfalls zu finden wären? – Außerdem: b) Ist eine Textmenge von rund 45 Epigrammen nicht grundsätzlich zu klein, um daraus brauchbare Erkenntnisse betreffend sprachlicher Eigenheiten zu gewinnen? – Das wissenschaftliche Gewissen ist beruhigt, wenn die kritischen Fragen gestellt und zur Kenntnis genommen sind, aber sie lassen sich m.E. auch wieder entkräften. Zu letzterem lässt sich sagen, dass ein rein quantitatives Kriterium als Grundlage für die stilistische Charakterisierung eines Textcorpus nicht von vornherein eine entscheidende Rolle zu spielen braucht. Es gibt Texte, deren Individualitätscharakter so hoch ist, dass auch bei kleinen erhaltenen Mengen hochsignifikante Merkmale herausgearbeitet werden können. Dies gilt nun allerdings, sieht man von wenigen Spezialfällen ab, für die meisten Epigrammgattungen und insbesondere auch für das Spottepigramm nicht unbedingt, weil hier Gattungskonventionen dauerhaft (selbst über die Antike hinaus) und bestimmend wirken, vor denen die Individualität zurücktritt. Der individuelle Charakter eines jeden Autors entspricht im Grunde einem ›Merkmalbündel‹, das sich aus vielen Elementen zusammensetzt, die dieser nicht für sich alleine besitzt. Liest man beispielsweise die Übersicht über Sprache und Stil in der Einleitung zum Martialkommentar von Watson & Watson,29 kommen einem viele der aufgeführten Punkte auch von Nikarch her bekannt vor, was angesichts der früher erwähnten zeitlichen Überlappung der beiden und wohl auch Verwendung einzelner Epigramme durch den späteren Autor kaum überrascht. Dasselbe gilt natürlich auch in bezug auf Lukillios.30 An dieser Stelle muss es daher darum gehen, das ganz typische Merkmalbündel für Nikarch herauszuarbeiten, was bisher im Gegensatz zu Lukillios und Martial noch nicht versucht worden ist. Man könnte sagen, 29 Watson & Watson 2003: 15–26. 30 S. die Angaben oben in Fn. 15, p. 22.

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II. Form und Aufbau, Sprache und Stil

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Nikarch bewege sich in einem Spannungsfeld zwischen Lukillios und Martial, stehe einmal diesem, ein andermal jenem näher, und doch trifft er sich weder mit dem einen noch mit dem andern ganz genau. Jeder Autor fällt seine ganz individuellen ästhetischen Entscheidungen,31 und so besitzt auch Nikarch motivische und stilistische Eigenheiten,32 die er nicht mit seinem nächsten literarischen Verwandten Lukillios teilt. Form und Aufbau. Betrachten wir zunächst die Struktur der Epigramme als Ganzes. Hier ist fast notwendigerweise auf die in der Neuzeit intensiv rezipierte, auf der Grundlage von Martial entwickelte Epigrammtheorie Lessings zurückzukommen.33 Darin wird die binäre Struktur als charakteristisch hervorgehoben, die durch die Abfolge der von Lessing als ›Erwartung‹ und ›Aufschluss‹ bezeichneten Teile gebildet wird. Das Begriffsinventar ist auf den ersten Blick nicht ganz selbsterklärend; gemeint ist, dass zunächst eine Situation, ein ›Fall‹ exponiert wird, der die Neugier oder eben Erwartung des Hörers / Lesers erweckt, und im zweiten Teil dann eine zusammenfassende Deutung, Wertung bzw. Erklärung gegeben wird. In der Tat findet sich in vielen Martialepigrammen nach der eigentlichen Erzählung ein persönlicher, ›auktorialer‹ Kommentar, der teilweise an die παρρησία erinnert, die etwa der Chor in einer aristophanischen Parabase für sich beansprucht.34 Doch gilt diese Definition, wie Kritiker hervorgehoben haben, längst nicht für alle Gedichte von Martial, und noch weniger regelmäßig lässt sie sich auf die griechischen Skoptiker übertragen. Eine Gruppe von Beispielen soll dies illustrieren.35 Zur Kategorie von Epigrammen auf todbringende Ärzte haben sowohl Lukillios und Nikarch wie auch Martial beigetragen: Ἑρμογένην τὸν ἰατρὸν ἰδὼν Διόφαντος ἐν ὕπνοις οὐκέτ’ ἀνηγέρθη καὶ περίαμμα φέρων. Als Diophantos im Traum den Arzt Hermogenes erblickte, wachte er gar nicht mehr auf, obschon er ein Amulett trug. (Lukillios; AP 11,257) 31 Vgl. Burnikel 1980: 125. 32 Im folgenden Überblick wird keine strenge Auftrennung in formale und inhaltliche Besonderheiten vollzogen, weil entsprechend dem hohen Grad an Artifizialität, den Spottepigramme im Allgemeinen zeigen, beide miteinander einhergehen bzw. sich gegenseitig widerspiegeln. 33 Hess 1989: 49ss.; Holzberg 2002: 87; Watson & Watson 2003: 15s. 34 Oder man denke an die Diplomatenszene am Anfang der Acharner, wo der am Rande des Theaters (!) sitzende Dikaiopolis das Geschehen sozusagen als außenstehende Instanz kommentiert. 35 S. dazu auch Holzberg 2002: 100s., der mit Recht auf die rhetorische Gestaltung des Martialepigramms aufmerksam macht; ebenso schon Barwick 1959: 34.

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Einleitung

Οὔτ’ ἔκλυσεν Φείδων μ’ οὔθ’ ἥψατο, ἀλλὰ πυρέξας ἐμνήσθην αὐτοῦ τοὔνομα κἀπέθανον. Weder klistiert hat mich Pheidon noch hat er mich berührt, doch in einem Anfall von Fieber erinnerte ich mich seines Namens und starb. (Nikarch; AP 11,118) Lotus nobiscum est, hilaris cenavit, et idem inventus mane est mortuus Andragoras. Tam subitae mortis causam, Faustine, requiris? In somnis medicum viderat Hermocraten. Gebadet hat er mit uns, fröhlich getafelt, und ausgerechnet er ist in der Frühe tot aufgefunden wurden, der Andragoras. Eines so plötzlichen Todes Ursache möchtest du wissen, Faustinus? In seinen Träumen hat er den Arzt erblickt: Hermokrates. (Martial 6,53)

Für eine Illustration der Lessingschen Terminologie stellt Martial 6,53 gewissermaßen ein Idealbeispiel dar. Zeilen 1 und 2 legen einen Sachverhalt dar, der Aufmerksamkeit erzeugt und Fragen aufwirft.36 Genau diese gewollte Reaktion ist in Zeile 3 in Form einer Anrede an einen Faustinus, einen textinternen Hörer, in Worte gefasst. Man kann die Zeile somit als Scharnier zwischen Erwartung (der durch die sonderbare Geschichte ausgelösten Unklarheit) und Aufschluss (der Erklärung dafür) ansehen. Ebenso deutlich ist außerdem, dass eine entsprechende Gliederung weder bei Lukillios noch bei Nikarch hervortritt. Bei ersterem besteht das Epigramm im Grunde nur aus dem erzählenden Teil: was bei Martial als Antwort auf die explizit gestellte Frage in der letzten Zeile als Pointe fungiert, ist bei Lukillios in Form einer Partizipialkonstruktion vorausgenommen. Seine Geschichte ist linear-chronologisch erzählt, und doch entbehrt sie nicht einer gewissen Klimax; sie endet mit dem Anbauwitz,37 dass selbst das Amulett in diesem Fall nutzlos blieb. Im Direktvergleich ist man in diesem Fall geneigt, Lukillios’ Fassung als die weniger witzige zu beurteilen, weil sie sich auf die bloße Darstellung beschränkt und dadurch distanzierter wirkt als die Version Martials mit dem Einbezug einer potenziellen Rezipientenreaktion.38 Bietet also Lukillios in unserem Beispielset das reine Erzählgerüst mit einem steigernden Schluss, so ist die Technik Nikarchs eine andere: In seinem Epigramm ist in der ersten Zeile weder direkt von der Begegnung mit einem Arzt, geschweige denn von dessen tödlichem Effekt die Rede. Vielmehr arbeitet das Epigramm mit einer 36 Zur Verwendung der Frage bei Martial vgl. Siedschlag 1977: 19ss. 37 Diesen Terminus habe ich von Burnikel 1980: 106 übernomen. 38 Allerdings wird weiter unten in diesem Abschnitt noch zu sehen sein, dass dies nicht eine Spezialität allein Martials ist. – Zur Technik des Lukillios vgl. die Darstellung in Burnikel 1980: 95ss.

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II. Form und Aufbau, Sprache und Stil

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vom ich-Sprecher selbst formulierten praeteritio, die in diesem Fall zunächst eine falsche Erwartungshaltung schafft (etwa von einem nicht behandelten Kranken, dessen Zustand sich deswegen vielleicht verschlimmerte). Erst im Pentameter erfährt man vom wirklichen Vorfall: der Arztbesuch im Traum ist gegenüber Lukillios’ Version zur bloßen Erinnerung an den Namen reduziert bzw. ›abstrahiert‹, auf den der tödliche Effekt allerdings ebenso unmittelbar folgt. Man kann also feststellen – und dieses Beispiel steht im Nikarchcorpus nicht alleine –, dass von einer ganz unerwarteten Richtung her auf ein traditionelles skoptisches Thema ›eingeschwenkt‹ wird. Das Spiel dreht sich zunächst weniger um die Vorbereitung der Pointe als vielmehr darum, möglichst lange zu vertuschen, worum es am Ende gehen wird. Hier würde ich nun wirklich von einem Merkmal Nikarchs sprechen, das so sonst nicht in der skoptischen Epigrammatik anzutreffen ist, hingegen in Kallimachos ein Vorbild besitzt. Das Vorgehen seinerseits setzt aber gut etablierte skoptische Themen voraus (sei das in schon bekannten Spottepigrammen oder anderen Formen); nur so können Experimente dieser Art überhaupt erst angestellt werden. Um auf die Lessingsche Zweiteiligkeit von Epigrammen zurückzukommen, lässt sich diese insgesamt, wie es scheint, bei Lukillios,39 vor allem aber bei Nikarch weniger oft oder zumindest weniger klar ausgeprägt finden. Wenn man bei letzterem eine Zweiteiligkeit feststellen kann, ist die ›Erklärung‹ bzw. der ›Kommentar‹ oft weniger als Bemerkung des allwissenden Autors formuliert, als dass er sich mehr oder weniger nahtlos aus dem Vorangegangenen ergibt. Stärker fühlbar ist die ›Dichotomie‹, wenn nach einer neutral scheinenden Erzählung mit Subjekten in der 3. Ps. diese plötzlich in der 2. Ps. angesprochen werden, als wenn kein Wechsel des Sprechaktes stattfindet. In AP 5,38 (Kap. I.2) erklärt beispielsweise der ich-Sprecher, warum das Alter der Hetären für ihn nicht so wichtig ist.40 Die Erklärung oder ein Bonmot stehen gelegentlich auch nicht am Schluss, sondern in der Epigrammmitte, und daraus wird noch eine neue Deutung, ein neuer scherzhafter Bezug oder eine Folgerung abgeleitet (vgl. AP 11,1, Kap. II.3: verlorener Wein führt zu einem Homerzitat; dieses wird dann auf die Situation ›angepasst‹ und umgedreht; in 11,82 (Kap. II.1) wird die Lösung eines scheinbaren Paradoxons auf eine weitere mögliche Situation übertragen). Ja, ein Diktum selber kann als Ausgangspunkt eines Epigramms dienen, um dann in diesem noch eine absurde Erweiterung bzw. überbietende Korrektur zu erfahren (AP 11,186, Kap. II.11: der Gesang des νυκτικόραξ ist todbringend – aber 39 Barwick 1959: 26ss. listet eine Reihe von Beispielen aus griechischen Epigrammen auf, um ihre Zweiteilung als parallele Entwicklung zur Vorliebe für Sentenzen in Prosa seit der ciceronianischen, v. a. aber der augusteischen Zeit aufzuweisen. 40 Ein lukillianisches Beispiel ist AP 11,310 (ein Sprecher listet die Kosmetika auf, die sich eine Alte kauft, und zieht dann gleich eine Schlussfolgerung).

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es gibt etwas, was noch viel todbringender ist).41 Ein spezieller Fall ist ferner AP 11,124 (s. Kap. I.1), wo man sagen könnte, das Epigramm bestehe nur aus gestellter Frage und ›Aufschluss‹; doch hat die sukzessive Enthüllung der Information, die den Reiz des szenenhaft gestalteten Epigramms ausmacht, nichts mit dem zuvor gezeigten Lessingschen Schema zu tun. Vielmehr wird hier gerade mit dem Vorgang der Vermittlung und des Empfangens von Information durch das Medium Epigramm gespielt, um, in typisch nikarchischer Manier, bei einem ganz unerwartet anderen Thema zu enden. Häufiger als bei anderen Autoren werden in Nikarchs Epigrammen veritable Anekdoten, also in sich geschlossene kleine Geschichten mit einer ganzen Kette von Handlungen, erzählt.42 Diese Eigenheit rückt, wie in einem späteren Abschnitt gezeigt werden soll, die entsprechenden Gedichte besonders nahe an die Witzerzählungen im Philogelos.43 Auf die Struktur bezogen bedeutet dies, dass mehrere Pointen (die u. U. in anderen Epigrammen auch je für sich stehen können) in eine Folge mit klimaktischer Entwicklung gebracht sind und deshalb auch untereinander in ein neues intratextuelles Spannungsfeld geraten. Der für volkstümliche Erzählformen wie Fabeln, Märchen und Schwänke etc. typische strophenförmige Aufbau findet sich besonders deutlich in AP 11,251 (Kap. I.5): Im Prozess der δύσκωφοι besitzt nach einer Einführung in die Situation jeder der beiden Kontrahenten einen Teil des zweiten Distichons (wobei die Entgegnung des zweiten kürzer ist), gefolgt von den abschließenden 2 Zeilen des Richterspruchs. Die Tendenz weg von der immer pointierteren Herausarbeitung ganz bestimmter Einzeltopoi hin zu einer ganzen Geschichte, die die einzelnen Motive in einen neuen Bezug zueinander setzt, ist gut sichtbar in den λεπτοί-Epigrammen Nikarchs AP 11,110 und 407 (Kap. I.3). Es wird an gegebener Stelle zu zeigen sein, dass die beiden Gedichte gleich zwei verschiedene Möglichkeiten der ›Erweiterung‹ von in diesem Kontext offenbar bereits etablierten Motiven einander gegenüberstellen; das erste der beiden Beispiele bietet im übrigen wiederum die strophische Struktur.44 Im Hinblick auf den mehrteiligen Aufbau in einem gewissen Sinne vergleichbar ist im übrigen auch die ›Aufteilung‹ der Aristodike auf drei verschiedene Liebhaber (AP 11,328; Kap. II.13), eine mehrstufige Parodie, die aber die Form der Beschreibung durchgehend beibehält. Und schließlich könnte man auch den Inhalt des ›Athleten‹epigramms AP 11,82 (Kap. II.1) 41 Cf. Laurens 1989: 154s. 42 Die Beobachtung schon bei Rozema 1971: 64 (›it is in Nicarchus that we find the refinement of the anecdote in scoptic epigrams‹). 43 Eine vergleichende Übersicht findet sich unten Kap. VII, p. 109ss. 44 Das Epigrammpaar lädt ferner ein zu einer metaphorischen Interpretation, die auch die Figur des Sprechers in den Text mit einbezieht, sei es als Subjekt oder als Objekt – oder möglicherweise sogar beides gleichzeitig. Siehe dazu den Essay unten in Kap. I.3.

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als Anekdote bezeichnen. Begonnen wird in diesem Fall mit dem erstaunlichen Ausgang, dass von 6 Läufern einer als siebter das Ziel erreicht. Das scheinbare Paradox wird mit τάχ’ ἐρεῖς bewusst deutlich als Frage wieder aufgenommen; diese Technik erinnert an das oben besprochene Martialepigramm 6,53 und an Cat. 85 (fortasse requiris): ἓξ ὄντων, πῶς ἕβδομος; – so sollen wir als Hörer erstaunt fragen, bevor uns die Auflösung (die man ohne weiteres als besonders reich ausgebauten Aufschluss bezeichnen könnte) gegeben wird: ein zuerst nicht am Wettlauf beteiligter Freund hatte den Läufer während des ganzen Parcours angefeuert und noch vor diesem die Ziellinie überschritten. Spezifisch zu Nikarch gehört im weiteren die vielen seiner Epigramme innewohnende Dramatizität, mit der er sich auch von Lukillios merklich abhebt. Grundsätzlich neigt groteske Verzerrung ganz allgemein eher dazu, Distanz herzustellen: die komische Extrapolation eines Gegenstands endet in der Regel in einer Fallstudie, die wenig auf innere Beteiligung hinzielt.45 Doch mit diesem Prinzip wird gerade eine gegenteilige Wirkung erzielt: es verleiht vielen von Nikarchs Gedichten den Eindruck von Zufälligkeit und Spontaneität; unterstützt wird dieser Eindruck durch freizügigen Gebrauch kolloquialer Wendungen, ethopoietischer Elemente, die bereits Archilochos und im lateinischen Bereich insbesondere Catull und Horaz wirkungsvoll einzusetzen wussten46 und die im nächsten Abschnitt dieses Kapitels genauer behandelt werden. Bleibt das eine traditionelle Form parodierende Epigramm 11,124 das einzige Dialogepigramm im engeren Sinne, so entpuppen sich andererseits viele von Nikarchs Epigrammszenen zumindest als Ausschnitt aus einem Zwiegespräch, indem der Sprecher auf eine zuvor zu imaginierende Frage oder Bemerkung reagiert, mögliche Einwürfe geradezu systematisch miteinbezieht oder engagiert einen Standpunkt gegenüber einem Ansprechpartner, dessen Name manchmal auch gleich im Epigramm fällt, vertritt. Durch diese Strategie wird der Leser/Hörer viel unmittelbarer in den Inhalt miteinbezogen; die emotionale Beteiligung findet automatisch statt, weil der Rezipient die gleiche Rolle übernimmt wie der im fiktiven Kontext des Epigramms Angesprochene. Besonders illustrativ sind die Beispiele, in denen der Epigrammsprecher uns gleichsam beiseite nimmt und ins Vertrauen zieht, um hernach eine, der Art ihrer Einführung nach zu urteilen, unorthodoxe Ansicht auszusprechen und dafür um Verständnis oder gar Zustimmung zu werben (vgl. etwa 5,38; 11,7 und insbesondere 11,73). Durch die Fingierung einer speziellen Gesprächssituation nehmen solche Epigramme gewissermaßen einen persuasiven Charakter an, der ihrem Inhalt eine sonderbar starke situative Relevanz verleiht (›quasi-dialogische Epi45 Auch dazu gibt es Beispiele bei Nikarch; vgl. die ›Guckkastensituation‹ des Schiffs mit Besatzung in Seenot in AP 11,332. Dazu s. unten Kap. VIII p. 119. 46 Siehe unten Kap. VII p. 60ss.

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gramme‹), eine Unmittelbarkeit, die sich so in einer rein darstellenden Beschreibung wohl kaum evozieren ließe. Geradezu zum Mit-Ausschauhalten wird man in Epigramm 11,406 (Kap. II.4) gezwungen (vgl. Z. 5 ὁρᾷς), wo von einem höher gelegenen Punkt aus die merkwürdige Erscheinung eines von weither Ankommenden kommentiert wird, eine Situation, die stark an eine Komödienszene erinnert.47 Ernsthaft adhortative Züge, wie man sie gelegentlich bei Lukillios herauslesen kann (dazu Nisbet 2006), finden sich bei Nikarch nicht oder nur in starker skoptischer Verzerrung (etwa in der Schiffsbruchthematik, Kap. I.4). Darüber hinaus scheint Nikarch auch Gefallen daran gefunden zu haben, denselben Aspekt durch eine Fülle von Variationen zu bereichern. Das gilt wiederum für das eben erwähnte Epigramm AP 11,406, wo die Karikatur auf immer wieder neue Art reaktiviert und in die Länge gezogen wird, ohne dass das Spiel unattraktiv würde. Die Schwerhörigkeit einer alten Magd wird in 11,251 (Kap. I.5) durch eine ganze Liste von falsch gehörten Wörtern illustriert, die den Informationsgehalt des Epigramms wohl nicht wesentlich steigert, aber immerhin eine Reihe überraschender Wortspiele ermöglicht. Zusammenfassend kann also bei Nikarch nicht das Bestreben festgestellt werden, sich streng an Grundsätze der brevitas zu halten.48 Im Gegenteil scheint für ihn das Überbietenwollen traditioneller Diskursmotive durch Kumulation, durch Schaffung neuer Kontexte resp. Hinzufügung neuer Aspekte, vor allem aber durch noch stärkere Hyperbeln ein Mittel kreativer Auseinandersetzung mit Vorgängerprodukten gewesen zu sein. Die Folge ist eine vergleichsweise hohe Zahl mittellanger bis längerer Epigramme, die fast zu kleinen Satiren werden können. Im Zusammenhang mit der Struktur der Epigramme sei schließlich noch auf eine Auffälligkeit bei Nikarch hinsichtlich Exposition hingewiesen. Häufiger als Lukillios, dessen Perioden in der Tendenz vielleicht etwas länger sind, stellt Nikarch gleich an den Anfang einen kurzen, plakativen Hauptsatz, der über das Folgende gleichsam eine Überschrift setzt oder dafür einen vorläufigen Ausgangspunkt bildet (z. B. 11,170 Δακρύει Φείδων ὁ φιλάργυρος; 11,243 Λούσασθαι πεπόρευται Ὀνήσιμος; 11,244 Ἠγόρασας χαλκοῦν μιλιάριον; 11,251 Δυσκώφῳ δύσκωφος ἐκρίνετο etc.; weitere Beispiele: 11,17; 71; 73; 110; 118; 121; 186; 330; 331; 406). Der jeweilige Rest des Epigramms kann sich dann, wie wir bereits sahen, auch in ungeahnte Richtungen entwickeln, allerdings bleibt der Anfangssatz selbst in solchen Situationen wie eine Art Titel über dem weiteren Verlauf bestehen.

47 Siehe unten Kap. VII p. 102 und Kap. II.4 im Kommentarteil. 48 Cf. für Martial Lausberg 1982: 44ss.

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Sprache und Stil. Dieser zuletzt hervorgehobene parataktisch anmutende Stil geht einher mit der offensichtlichen Tendenz Nikarchs mehr noch als des Lukillios, in seinen Epigrammen Alltagssprache zu verwenden und sich geradlinig und ohne Umschweife auszudrücken – ein Phänomen, das auch im Latein Martials sichtbar ist49. Sind entsprechende Beispiele etwa noch bei Philodem auf wenige ethopoietische Epigramme beschränkt, in denen der kunstvolle Balanceakt zwischen Artifizialität in der Form und den Eindruck des Gewöhnlichen erweckender Wortwahl auffällt,50 so ist die Stilstufe bei Lukillios und erst recht bei Nikarch die der umgangssprachlichen Koine, in der gesuchtes Vokabular grundsätzlich vermieden wird.51 Nicht zuletzt dieser Umstand hat u. a. auch zu den erwähnten negativen Urteilen über die literarischen Qualitäten Nikarchs beigetragen.52 Auch wenn die thematische und stilistische Variationsbreite im erhaltenen Gesamtcorpus sich vielleicht nicht mit der eines Philodem oder auch eines Martial messen kann, sollte nicht übersehen werden, dass auch mit der Entscheidung, in Alltagssprache zu schreiben, bereits ein erhebliches Maß an Gestaltungsarbeit verbunden ist. Wie bei Martial53 und stärker als bei Lukillios ist auch bei Nikarch die Zahl der Adverbien oder adverbiellen Wendungen für poetische Texte auffallend hoch (ἅπαξ, ἔσω, ἔξω, εὐθύ, ὅμως, ὄντως, ὀπίσω, οὕτω, πολύ, τάχα, συνεχῶς, εἰς ὥρας u. a.m.). Metaphorische Ausdrucksweise tritt selten auf und dann nur in auffälliger Stellung (z. B. 5,38 ἀκμῆς ἅπτητ〈αι〉; 11,96 λειμώνων νυκτερίδες; 11,124 γλυκεροῦ φέγγους ἐστέρισεν). Zum Eindruck des Alltäglichen tragen auch zahlreiche Kolloquialismen bei, die man eher im Mimus und in der Komödie als in einem Epigramm erwarten würde: 5,39 die mit οὐκ eingeleitete Frage; τί μοι μέλει; ἔα χωλόν με γενέσθαι; 5,40 πάντα λίθον κίνει; τέκε, ναὶ τέκε; 11,18 τίς θεοῦ ἐστι λόγος; 11,71 κἀγὼ λέγω; 73 τί γὰρ οἶσθα; (si recte; vid. ad loc.; od. τί γάρ;); γίνετ’ ἄνω τὰ κάτω; 74 πρὸς Διός; ἔξω ἔκβαλε; 330 μὴ μέμψῃ u. v. m.54 Gerade bei Nikarch tauchen auch regelmäßig Wendungen oder Einzelwörter auf, die ansonsten nur in den sog. dokumentarischen, d. h. nicht-literarischen Papyri zu finden sind: z. B. POxy. 4502 fr. 5,3 λόγευμα. Diesem Umstand wird in diesem Kommentar große Beachtung geschenkt; für die stilistische Einordnung des untersuchten Textes scheint der Quervergleich nicht nur mit literarischen Texten der Alltagssprache wie etwa dem NT, sondern

49 Watson & Watson 2003: 21ss. 50 Cf. Philod. 20 Sider (= AP 5,46) ›the easygoing language of ordinary life combined with the polished literary form of Hellenistic epigram.‹ 51 Dazu s. auch Nisbet 2003: 89. 52 Vgl. oben Einführung, p. 14. 53 Watson & Watson 2003: 23. 54 Für Martial s. ebenfalls Watson & Watson 2003: 23s.

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insbesondere auch mit den dokumentarischen Papyri als Gradmesser sehr aussagekräftig. Es ist allerdings nicht zu übersehen, dass die Sprachstufe hin und wieder auch in die andere Richtung der Skala gleitet, nämlich hin zu hoher poetischer Diktion mit ausgesucht epischem oder dramatischem Vokabular (wobei zwischen diesen beiden Bereichen oft eine Durchmischung feststellbar ist). Auch diese Technik ist nicht neu in Texten satirisch-spöttischen Inhalts: Komischer Kontrast zwischen Sprachform und behandeltem Inhalt ist auch ein wesentliches Element der aristophanischen Paratragödie, und von Martial heißt es zum ›mock-serious effect‹ im Kommentar von Watson & Watson in der Einleitung: ›… it is in this area that M. displays the greatest originality.‹ Dabei besteht der Kontrast nicht nur zwischen hoher Form und niederem Gegenstand, wie etwa die poetische Beschreibung der πορδή als τραυλὸν ἱεῖσα μέλος in 11,395, sondern, wie gerade bei Nikarch wiederholt zu zeigen sein wird, auch im abrupten Wechsel der Stilhöhe auf kleinstem Raum, weil die übersteigerte Diktion schnell wieder ins βάθος fallen kann. Aufzuführen wären neben 11,395 wiederum 11,1,2, wo um den eigentlichen ›Unfall‹ herum, den Verlust des Weins, die Diktion auf einmal ganz homerisch wird, außerdem 11,96 (2. Hälfte), 11,124, 1 und 2, 11,407, 4 und 5, und natürlich die Homerparodie 11,328. Auch weitere aus der zeitgenössischen Rhetorik bekannte Gestaltungselemente (Tropen; Wort- und Gedankenfiguren) fehlen nicht, ja bilden oft die Grundlage für eine Pointe.55 In der in ihrem stilistischen Grundton abgehobenen ›Schmährede‹ auf die zu trockenen Drosseln (11,96), die metonymisch zunächst ›Harpyien‹ genannt werden, findet sich als besonders auffälliges Element auch die Enallage δραχμῆς ξηρὴ δεκάς. Hier soll besonders stark der Kontrast zwischen rhetorischem Aufwand und erbärmlichem Gegenstand wirken, dieselbe Strategie, die andernorts auch in der Rekontextualisierung von Homerzitaten hervortritt. Von der Hyperbole, der bewusst starken Übertreibung, wird im Laufe der Behandlung der Epigramme an manchen Orten zu sprechen sein, insbesondere auch wenn es um die vergleichende Untersuchung dieses Stilmittels und seiner Anwendung in verschiedenen thematisch verwandten Epigrammen (teilweise unter Einbezug weiterer Autoren) geht. Akzentuierung des Komischen wird ferner durch verschiedene Wortfiguren erreicht: Alliteration dient zur Ausmalung der Tätigkeit der femme fatale in 11,73,7 κολλᾶται κνίζει παθικεύεται, sowie der Schwerhörigkeit der δύσκωφοι in 11,251 mit der über das anfängliche Polyptoton hinausgehenden Häufung von κ-Lauten im ersten Distichon. Sie unterstützt die Charakterisierung von Φείδων ὁ φιλάργυρος in 11,170 und bildet in 11,332 neben dem Wortspiel σορόν – εἰκόσορον die Grundlage für ein wei-

55 Für Martial vgl. Sullivan 1991: 249ss. sowie Watson & Watson 2003: 19s.

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teres, das unter Ausnutzung einer Morphemgrenzenverschiebung auch den Eigennamen mit einbezieht (Εἴκανδρος – εἰκόσορον). Gar in Anordnung eines Parallelismus schließlich findet sie sich bei der Aufzählung der Opfer des tödlichen Arztes Zopyros in AP 11,124,3 Δᾶμις Ἀριστοτέλης Δημήτριος Ἀρκεσίλαος. Eine weitere Auffälligkeit, die Nikarch in erster Linie mit Martial teilt,56 ist die Vorliebe für Wort- oder auch Verswiederholungen in verschiedenen Spielarten: sei es wie in 11,71 als Anadiplose, in der der Geltungsbereich der Feststellung ἤκμασε Νικονόη in der Wiederaufnahme genauer definiert und damit gleichzeitig spöttisch eingeschränkt wird, oder in anaphorischen Folgen wie in 11,122 (πέντε) und 395 (πορδή kommt pro Zeile einmal vor), oder dass ein Einzeldistichon vom selben Wort am Anfang und Ende eingerahmt ist (νυκτικόραξ in 11,186). Als besondere Spezialität ist hier die Anordnung in 11,82 zu nennen: gleichsam als ›Arithmostichon‹ gesetzt (die Hexameter beginnen mit πέντε – ἕξ – ἕβδομος), illustriert das Gedicht in seinem Bau in witziger Weise die Absurdität des Inhalts (der Wettläufer, der mit fünf Konkurrenten als Siebter ins Ziel kommt). Von einer cumulatio kann man im Falle von 11,110 sprechen, wo der Begriff λεπτim ersten Distichon viermal vorkommt, zuletzt verdoppelt in einer abenteuerlichen Neubildung.57 Ein ganzer Vers schließlich wird in 11,169 wiederholt (für vergleichbare Phänomene in der Literatur sei auf den dortigen Kommentar verwiesen; Kap. I.6). Mehr noch erhält die Sprache Nikarchs, wie für die Spottepigramme allgemein üblich, durch Gedankenfiguren (Wortspiele) die ihr eigentümliche Prägung. Besonders beliebt ist erwartungsgemäß das Spiel mit dem Doppelsinn von Wörtern, etwa in 11,1 mit ἀπόλλυμι (ausgehend von einem Homerzitat; vgl. oben zur Rekontextualisierung) oder in 252 φιλεῖν (›lieben‹, ›küssen‹) vs. μισεῖν. Hier ist Nikarch allerdings, wenig überraschend, nicht der erste, der das Thema ausreizt.58 Von einem eigentlich doppelten Oxymoron kann man bei 11,169 sprechen, wo in der Formulierung ἐδυσώνει εὔωνον (ζητῶν) zwei zunächst gegensätzlich erscheinende Begriffe nebeneinander stehen, deren Verhältnis sich aber als doch nicht direkt antithetisch erweist (›er tat sich schwer mit dem Kauf und suchte stattdessen einen günstigen …‹). Das eigentliche Oxymoron, das durch das eben beschriebene vorbereitet wird, besteht in der Kombination des Adjektivs εὔωνον mit θάνατον. Zu den Wortspielen im weiteren Sinne gehört ferner die Wahl

56 Keiner jedoch scheint von diesem Stilmittel so intensiv Gebrauch gemacht zu haben wie Catull (s. weiter unten, Kap. VII), vgl. z. B. c. 16, 36, 42, 49, 52, 56, 78, 94, 112. Für Martial vgl. als besonders extremes Beispiel 3,26. Im griechischen Epigramm zu nennen ist Philodem AP 5,115. Zum Phänomen s. Siedschlag 1977: 44. 57 Für eine inhaltliche Deutung dieser cumulatio verweise ich auf den Kommentarteil. 58 S. unten Kap. VII zum Philogelos.

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sprechender Namen59 für einige der karikierten Figuren, wobei die Bedeutung des Namens den darzustellenden Charakterzug unterstreichen (Φείδων ὁ φιλάργυρος in 11,170) oder auch, weitaus häufiger, in schrillem Gegensatz dazu stehen und damit ebenfalls ein Oxymoron bilden kann (Φείδων der Arzt in 11,118; vgl. noch 122 Ἄλεξις für einen weiteren Arzt, aber auch in POxy. 4502 fr. 5 für einen Ehemann, der seine Frau offenbar gerade bedenkenlos einem μοῖχος überlässt, sowie AP 11,162 Ὀλύμπικος ὁ μάντις). Letztendlich inhaltsgleich wie der Euphemismus Φείδων und ausgesprochen unmissverständlich, sobald man den Namen als bedeutungsvoll aufzuschlüsseln beginnt, ist nach dieser Logik derjenige des Arztes Ἀγέλαος in 11,121. Die Rolle der Klimax braucht im Zusammenhang mit dem Epigramm kaum besonders hervorgehoben zu werden. Bei Nikarch kann eine solche Reihe auch einmal aus lauter spontan gebildeten Komposita bestehen (11,7: φιλόκνισος, ἀλλοτριόχρως, ξενοκυσθαπάτη; alle drei sind für uns Hapax legomena, trotz ihrer Durchsichtigkeit). Schließlich haben gerade die neu hinzugekommenen Texte auf Papyrus dazu beigetragen, unter anderem auch Nikarchs Virtuosität in der Kunst der Parodie zu beleuchten. Unter Kennern bereits geschätzt war seit jeher die ins Sexuelle gewandte Parodie von Il. 15,187ss. in AP 11,328 (Kap. II.13) (τριπορνεία), deren Deutlichkeit z. B. Planudes davon abgehalten haben muss, das Epigramm in seine Sammlung aufzunehmen. In anderen Fällen scheint die Zensur auch die AP zu betreffen, so dass der Text nur dank des Zufalls seiner Erhaltung auf einem Papyrusfetzen auf uns gekommen ist.60 Die ›alternative‹ Lösung des Rätsels der Sphinx (POxy. 4502 fr. 4) ist so geistreich wie schamlos. Der Wortlaut zeigt, dass die ›neue‹ Lösung in spielerische Konkurrenz zur allgemein bekannten tritt und als selbstverständlich dieser überlegen eingeführt wird. Dieses agonale Moment findet sich auch sonst gelegentlich bei Nikarch thematisiert und ist nicht nur im Bereich rhetorischen Wettstreits, in dem es gilt, mit dem Worte überlegen zu sein, zu Hause, sondern gehört auch traditionellerweise in einen Lebensbereich, der besonders eng mit der Form des Spottepigramms verbunden scheint: das Symposion. Davon handelt ein eigenes Kapitel.

59 Zur ›Historizität‹ der Eigennamen in den Spottepigrammen vgl. unten Kap. V p. 88, sowie Richlin 1992: 105; für Nikarch s. Schulte 1999: 13, der in einzelnen Fällen eine Identifikation für möglich hält; anders Conca 2004–5: 326ss. Zu Martial s. Watson & Watson 2003: 12ss. 60 Nisbet 2003: 32s. ›unpublished papyri suggest a far ruder, raunchier poet than the scissors of an unknown number of editors leave to us‹. – Für ein Fallbeispiel dieser Zensur außerhalb Nikarchs vgl. Höschele 2006: 34s.

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III. Metrik und Prosodie

Das ›metrische Profil‹ verschiedener Epigrammautoren präsentiert sich analog zum sprachlich-stilistischen als ein Set mit verschiedenen mehr oder weniger stark veränderlichen Merkmalen. In diesem Set gilt es, Kriterien mit hohem heuristischem Wert zu finden, d. h. solche, die interessante Aussagen über die Verstechnik des jeweiligen Autors ermöglichen. Ein interessanter Punkt liegt etwa darin, wie stark sich ein einzelner Autor noch an kallimacheische Regeln,61 etwa bestimmte Brücken im Vers, hält, oder inwieweit man von einer klaren Binnengliederung der Verse durch wohlgesetzte Zäsuren oder Dihäresen sprechen kann u. a.m. Im Falle Nikarchs besteht das vornehmliche Interesse darin, den Eindruck sprachlicher Alltagsnähe anhand objektiver Merkmale auch in der Verstechnik festmachen zu können. Als comparanda bieten sich in erster Linie die Epigrammautoren in der wohl um 40 n. Chr. entstandenen Sammlung des Philipp an. Wie zu sehen sein wird, ist ihr Umgang mit der Tradition individuell verschieden: während sich die einen sehr streng an überkommene Muster hellenistischer Distichen halten, nehmen sich andere wie z. B. Krinagoras größere Freiheiten. Eine wertvolle Hilfe ist in dieser Hinsicht der in der Einleitung zu GP gegebene Überblick über die wichtigsten metrischen Erscheinungen. Außerdem sind in jüngerer Zeit mehrere Ausgaben von bzw. Untersuchungen zu Einzelautoren samt metrischem Profil entstanden, die ebenfalls mit Gewinn herangezogen werden können und auf denen auch die nachfolgend für diese Autoren angeführten Zahlen beruhen (Sider 1997 zu Philodem, Argentieri 2003 zu den Antipatroi, Guichard 2004 zu Asklepiades von Samos, sowie Floridi 2007 zu Straton). Allerdings wird die Möglichkeit wirklich stichhaltiger Vergleiche auch dadurch wieder erschwert, dass die Auswahl der metrischen Merkmale ebenso wie die zu Grunde gelegten Textbasen in diesen Ausgaben ganz unterschiedliche sind und die Resultate deshalb oft nur unter vielen Vorbehalten allgemeine Gültigkeit beanspruchen können. Ein m.E. bei statistischen Aufstellungen dieser Art gerne unterschätztes Problem ist die Einhaltung des sogenannten ›Gesetzes großer Zahlen‹, wonach für verlässliche Aussagen über Tendenzen die Menge der untersuchten Beispiele nicht zu klein sein darf. Werden nämlich metrische 61 In den in diesem Kapitel präsentierten Aufstellungen beziehen sich die Zahlen unter ›Kallimachos‹ jeweils nur auf die Epigramme, weil die Verstechnik der Epigramme deutlich von derjenigen anderer Gattungen (etwa der Hymnen) abweicht; cf. Guichard 2004: 126ss.

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Einleitung

Auffälligkeiten in Prozentzahlen ausgedrückt, fällt die ganz unterschiedliche Gesamtzahl erhaltener Verse eines Autors entscheidend ins Gewicht: sind es z. B. insgesamt 20 Distichen, wiegt eine einzige Unregelmäßigkeit mit 5% gewiss schwerer als es gerechtfertigt wäre. In dieser Hinsicht scheint mir Nikarch mit seinen ausgewerteten 100 Distichen (zum Vergleich: ca. 300 bei Lukillios) an der unteren Grenze, so dass der prozentuale Häufigkeitswert von Erscheinungen, die regelmäßig wiederkehren, auf jeden Fall aussagekräftiger erscheint derjenige einmalig auftretender Phänomene, der je nach Textmenge oszilliert. Vom wichtigsten Vergleichsautor, Lukillios, wäre die Erarbeitung eines metrischen Steckbriefes, ähnlich dem hier für Nikarch vorgestellten, Aufgabe eines neuen Kommentares, denn bei Rozema findet man leider keine entsprechenden Angaben. Um wenigstens in der wichtigsten Auffälligkeit der nikarchischen Distichen einen Vergleich zu erhalten, wurden auch für die Lukilliosepigramme in der Textgestalt bei Rozema die Spondeen ausgezählt. Eine Bemerkung schließlich noch zur hier verwendeten Textbasis. Einbezogen wurden alle in der vorliegenden Ausgabe Nikarch zugesprochenen vollständigen Distichen. Dieses Verfahren steht im Gegensatz etwa zu dem von L. Guichard, der Asklepiadesepigramme sicherer und unsicherer Zuweisung als je gesonderte Gruppen untersucht und auch tatsächlich für diese teilweise sehr unterschiedliche Zahlen erhält. Doch gerade hier eröffnet sich wiederum das Problem der sehr geringen Textmenge, und Werte, die aus per definitionem inhomogen zusammengesetzten Gruppen unsicherer Zuweisung ermittelt sind, können in meinen Augen keine hohe Aussagekraft für sich beanspruchen. Um die Legitimität des hier gewählten Verfahrens – unterschiedsloser Einbezug aller als ›echt‹ beurteilter Epigramme – zu ›testen‹, wurde die Epigrammfolge 11,118–122, deren Zuweisung zu Nikarch wohl am meisten Anlass zur Debatte bieten könnte, daraufhin untersucht, ob darin im Vergleich zum Gesamtbild Nikarchs markant ins Auge stechende Ausnahmen vorkommen. Außer der zufälligen Tatsache, dass es sich gleich bei zweien der Epigramme um Einzeldistichen handelt, scheint das aber nicht der Fall zu sein: die Anteilverhältnisse zeigen keine wesentliche Veränderung. Es ist daher kein Anlass gegeben, die ohnehin schon geringe Gesamtverszahl der Textbasis weiter zu reduzieren.

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III. Metrik und Prosodie

Anzahl Distichen pro Epigramm (in %)62:

NIKARCH Lukillios Straton Philipp Philippkranz insges. Meleager Dioskorides Kallimachos Poseidippos Asklepiades Leonidas Tar.

1

2

3

4

5

6

13 30 20 3 7 14 2 18 – 3 3

42 28 41 6 19 26 31 48 55 72 35

29 40 30 58 57 29 39 22 10 19 20

8 2.4 9 33 17 20 10 – 20 3 16

2.6 – 1 – – 8 14 2 10 – 19

5.2 – – – – 2 – 2 5 3 6

Hinsichtlich Anzahl der Distichen liegt Nikarch eher im allgemeinen Mittel der Meleagerkranzautoren, wobei längere Epigramme (mit 3 oder mehr Distichen) bei vielen hellenistischen Autoren recht häufig sind. Während bei Philipp wie auch insgesamt in den Epigrammen des Philippkranzes eine klare Bevorzugung von Epigrammen mit 3–4 Distichen manifest ist, liegt die Vorliebe Nikarchs bei 2 Distichen (insofern liegt Lukillios näher beim Philippkranz, während sich in bezug auf die Häufigkeit der Vierzeiler Nikarch und Straton besonders nahe sind). Insbesondere das Einzeldistichon scheint von den individuellen Autoren sehr verschieden intensiv gepflegt worden zu sein, nachdem es im Philippkranz nicht sehr häufig vorkommt63. Diese unterschiedliche Einstellung zeigt sich auch im Direktvergleich zwischen Lukillios und Nikarch. Während bei ersterem fast ein Drittel aller Epigramme aus einem Einzeldistichon besteht, ist es bei Nikarch nur knapp jedes achte. Von Leonidas von Alexandria hingegen ist bekannt, dass er, dem programmatischen Prinzip der Kürze folgend, ein Buch mit ausschließlich Zweizeilern und eines mit ausschließlich Vierzeilern verfasste.

62 Lausberg 1982: 448; 455; Guichard 2004: 123. 63 Für eine Darstellung der Unterschiede bei den Dichtern des 1. Jhdts. Lausberg 1982: 454ss., für die vorausgehende Phase 447ss.

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40

Einleitung

Prosodie Zur Verteilung der Spondeen Nikarch

Nikarch 5d 1s 2s 3s 4s

8 37 32 20 2

Lukillios 56 (= 19%) 126 (= 43%) 84 (= 29%) 25 (= 8.5%) 3 (= 1%)

Lukillios

ddddd

8

56 (= 19%)

sdddd dsddd ddsdd dddsd dddds ssddd sdsdd sddsd dssdd dsdsd ddssd sssdd ssdsd sdssd dsssd ssssd Σ

14 15 6 1 1 15 3 1 11 2 – 10 8 – 2 2 99

51 (= 17%) 42 (= 14%) 26 (= 9%) 7 (= 2.3%) – 23 (= 8%) 16 (= 5.4%) 11 (= 3.7%) 19 (= 6.4%) 14 (= 4.7%) 1 (=0.3%) 15 (= 5.1%) 7 (=2.3%) 1 (=0.3%) 2 (=0.7%) 3 (=1%) 294

Anteil spondeischer Füße auf Gesamtversmenge (in %):

NIKARCH Lukillios Straton Meleager Dioskorides Kallimachos Poseidippos Asklepiades Leonidas Tar.

1.

2.

3.

4.

5. Fuß

53 43 37 40 30 27 26 32 47

65 43 33 49 48 47 46 45 60

34 28 17 19 19 5 12 26 29

16 15 12 22 12 8 14 10 25

1.5 –.5 1.5 0.5 1.6 –.5 –.5 1.5 2.5

Die Hauptauffälligkeit Nikarchs scheint in seiner Vorliebe für Spondeen zu liegen, die aus obiger Tabelle klar ersichtlich wird: Nikarch bietet beispielsweise doppelt so viele spondeische Hexameteranfänge wie Kallimachos, aber auch in den übrigen Positionen (z. B. im 2. Fuß) wesentlich mehr als Lukil-

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III. Metrik und Prosodie

41

lios.64 Dasselbe spiegelt sich in der relativen Häufigkeit von Versen mit mehr als 2 Spondeen wider: Während auch diese durch den Einfluss des Kallimachos am Ende des Hellenismus kaum mehr vorkommen (bei Antipater von Thessalonike sind es gerade noch 2%), besitzt bei Nikarch jeder fünfte Hexameter drei oder mehr Spondeen (wiederum im Gegensatz auch zu Lukillios). Das umgekehrte Bild ergibt sich erwartungsgemäß für die Verbreitung von holodaktylischen Hexametern (ddddd): 32,8% bei Kallimachos; ca. 20% bei Theokrit; 8% bei Nikarch. Lukillios pflegt mit 19% der Gesamtverszahl den holodaktylischen Vers weitaus stärker als Nikarch. Versus σπονδειάζων: Es begegnet nur 1 Fall (11,328,5), der allerdings ein Homerzitat darstellt (Od. 10,512). Spondeus im 5. Fuß ist allgemein wenig verbreitet, von Kallimachos ganz vermieden. Krinagoras sticht mit 7 Beispielen heraus. Cf. GP Introduction: xliv s., sub litt. L; dazu und zum Folgenden Guichard 2004: 126. Fazit: Man geht wohl nicht fehl, wenn man die Häufigkeit der auftretenden Spondeen als Gradmesser für den alltagssprachlichen Charakter der Sprache eines bestimmten Autors verwendet, auch wenn selbstverständlich daneben auch individuelle Vorlieben mit im Spiel sind.

Weitere prosodische Merkmale Monosyllaba: 410 auf 198 Verszeilen = 2,07 pro Verszeile. Der Anteil an Einsilblern pro Verszeile wird in Untersuchungen in der Regel nicht ausgezählt, obwohl m.E. gerade auch unter den Epigrammen der griechischen Anthologie diesbezüglich große Unterschiede festgestellt werden können. Meinem subjektiven Eindruck gemäß ist die Zahl von Monosyllaba bei Nikarch höher als bei anderen Autoren. Hiat: Nikarch bietet verhältnismäßig viele Beispiele, und diese sollten m.E. nicht aus dem Text wegemendiert werden: 11,73,1 (in der überlieferten Textgestalt, s. ad loc.); 11,74,10 (allerdings in Pentameterfuge); 96,3; 118,1 (syntakt. Einschnitt); 241,3; 251,3. Außer dem letzten Beispiel stammen alle aus eindeutigen Partien eines 1.Ps.-Sprechers. In 251,3 könnte der Hiat darauf hinweisen, dass das vorangehende τὸ im Sinne eines Anführungszeichens zu interpretieren ist (s. Kommentar ad loc.).

64 Bei Straton finden sich hingegen die Spondeen hauptsächlich im 1. Fuß, s. Floridi 2007: 25.

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Einleitung

Correptio epica: Von dieser Möglichkeit macht Nikarch freizügig Gebrauch. Während im Philippkranz die Kürzung auf das Ende des ersten Daktylus (also nicht zwischen den beiden Kürzen!), die bukolische Dihärese resp. die entsprechende Stelle im Pentameter beschränkt ist und auch in der Regel nur αι und οι betroffen sind (cf. GP Introduction: xxxix s.; Sider 1997: 41), findet sich die Erscheinung bei Nikarch, wie es scheint, gerne auch an ungewöhnlichen Versstellen (zwischen biceps 5,40,1, 2 und 8; 11,243,1; 328,7; 395,1 und 4; 406,2; im 5. Fuß 11,162,5; 241,1) und mit allen Vokalen/Diphthongen (-η in 5,38,1 (2 x); 40,1 (2 x); 11,332,5; 395,1 und 4; -ηι in 11,330,8; -ᾱ in 11,73,1; -ει in 5,39,1; 11,71,4; 73,8; 74,7 und 9; 243,5; 251,5; -οι in 11,328,7; -ου in 11,18,3 und 6; 241,1; -ω in 5,40,2; 11,71,1; 332,3). Positionsbildendes ν im Hexameter (für Pentameter s. unten): 11,74,8; 118,1; 122,3; 242,1; 3 x bei Straton; 1 x in Philodem; selten in GP. Cf. GP Introduction: xxxix s. sub litt. M.

Brücken und Zäsuren Bukolische Dihärese: Nikarch: 75% (Meleager: 58%; Theokrit: 60%; Leonidas Tar.: 63%; Philodem: 72%; Alkaios: 77%; Asklepiades: 83%; Kallimachos Epp.: 88%). Nikarch bewegt sich mit seinem relativ hohen Anteil im Strom der alexandrinischen und späteren Tradition, für die diese Zäsur typisch ist (West 1982: 154). Naekes Gesetz (kein Spondeus vor einer bukolischen Dihärese, an der mit * markierten Stelle ist auch Wernickes Gesetz verletzt, wonach vor der bukolischen Dihärese keine Längung durch Position vorkommen darf): Keine Verletzung in Kallimachos, 49 mal in Theokrit; keine Verletzung bei Philodem (Sider 1997: 43); 6 Verletzungen bei Nikarch (11,74,5; 124,5; 244,3*; 406 [2 mal]; 407). Hermannsche Brücke (keine Wortgrenze im 4. biceps): Eine Verletzung in POxy. 4502 fr. 4,1 (in 11,110,5 wird die erste Kürze des biceps von einer Präposition gebildet; ›prospective monosyllables‹ sind erlaubt; GP Introduction: xliiii s., sub litt. G. Giseke (beginnt ein Wort vor dem 2. Fuß, darf es nicht mit dem 2. biceps enden): Keine Verletzung. Eine offenbar gewissenhaft befolgte Regel, auf die hin sonst nur Argentieri sein Antipatercorpus überprüfte.

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III. Metrik und Prosodie

43

Meyer I (kein Ende von Wörtern der Struktur | × – ⏑ | oder | × – ⏔ | im 2. Fuß): 3 Verletzungen (5,39,1; 11,74,1; 407,3). Eine vergleichende Tabelle zu den Verletzungen der Meyerschen Gesetze findet sich in Guichard 2004: 132, wobei die Prozentzahlen m.E. von unterschiedlichem Wert sind, da das ›Gesetz der großen Zahlen‹ (s. Beginn des Kapitels) kaum in allen Fällen in der notwendigen Weise erfüllt ist. Hilberg (kein Wortende nach spondeischem 2. Fuß, außer wenn vorausweisender Einsilbler): 6 Verletzungen (5,39,1; 11,74,1; 82,1; 169,3; 332,5; 407,3), was gegenüber den wenigen Fällen im Philippkranz auffallend viel ist. Cf. GP Introduction: xliv s., sub litt. H. Meyer II (kein iambisches Wort vor der Penthemimeres): 7 Verletzungen (5,38,3; 40,9; 11,82,3; 124,5; 241,3; 328,3; 406,5). Cf. GP Introduction: xliv, sub litt. K. Meyer III (keine gleichzeitige Wortgrenze nach dem 3. [= Penthemimeres] und dem 5. longum): Diese Situation wird so gut wie immer durch ein einsilbiges Wort im 5. longum verursacht, d. h. durch die bukolische Dihärese ›entschärft‹. Nur wo diese fehlt, kann man von einer Verletzung sprechen (Argentieri 2002: 54): in 11,110,1; 242,1 (ein Vers mit Wortgrenze hinter jedem longum!); 252,1; 328,11 (ein Vers wie 242,1); 329,3; 395,3. Cf. GP Introduction: xliii s., sub litt. F; J. Tiedke (keine gleichzeitige Wortgrenze nach dem 4. und dem 5. longum): Verletzungen: 5,38,1; 39,1 und 3; 40,3, 5,9; 11,17,1; 73,3; 74,9; 96,3; 124,1; 162,3; 169,5; 243,5; 251,5; 252,1; 328,1,11; 330,3; 332,3; 406,3; 407,5. Cf. GP Introduction: xliv, sub litt. J; bei Sider 1997: 43 ›the tendency to avoid a word ending at position 9 of the shape | ⏔ – |‹, was dasselbe ist. Diese Regel scheint von den Autoren des 1. Jh. v./n. Chr. individuell verschieden befolgt worden zu sein, obwohl Plutarch für entsprechende Verse die Bezeichnung κακόμετρον verwendet (Quaest. conviv. 9,15,2 = 747f):65 Nikarch gehört mit Philipp, Philodem und Krinagoras zu denen, die sich wenig darum kümmern, während z. B. Antiphilos und Argentarius sie befolgen. Bulloch (Dihärese nach dem 3. Fuß sollte begleitet sein von der bukolischen Dihärese):

65 Maas § 97.

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44

Einleitung

3 Verletzungen (11,82,1; 110,1; 252,1).

Pentameter: Verteilung der Spondeen in %:

NIKARCH Lukillios Straton Meleager Dioskorides Kallimachos Poseidippos Asklepiades Leonidas Tar.

1. Fuß

2. Fuß

45 40 36 38 23 31 37 39 41

64 60 64 62 54 69 56 61 59

Situation vor der Zäsur (cf. West 1982: 158): Bei den Autoren des Philippkranzes ist die letzte Silbe des ersten Hemiepes tendenziell naturlang. Cf. GP Introduction: xli, sub litt. D; Sider 1997: 44. Nikarch weist eine Prozentzahl von 11% Pentametern mit Positionslänge vor der Zäsur auf.66 Dies liegt im Bereich von Autoren wie Straton (9%), Rufin (10%), Asklepiades (11%), Kallimachos (12%) und Leonidas Tar. (12%). Theokrit hat 23% solcher Pentameter,67 während Meleager, Bianor and Philipp sie ganz vermeiden; Sider 1997: 44 verwendet eine solche Positionslänge gar als Evidenz gegen eine Autorenschaft Philodems. Immerhin zweimal (11,74,6; 120,4) bildet Nikarch Position mit Hilfe von ν ἐφελκυστικόν, dreimal findet es sich bei Straton, was laut GP besonders selten ist (6 Fälle im Philippkranz, 17 im Meleagerkranz). Elision vor der Zäsur (δὲ, με, σε, τε nicht mitgerechnet) ist im Philippkranz wesentlich seltener (9 Fälle) als im Meleagerkranz (35 Fälle) (cf. GP Introduction: xliv, sub litt. E [2], [i]), Nikarch bietet immerhin 3 Fälle (5,40,10; 11,17,2; 110,6). Einsilbler vor der Zäsur werden allgemein gemieden (Guichard 2002: 120), kommen aber nach Wörtern der Struktur | – | oder | ⏖ | gelegentlich vor. Ausnahmen: 11,170,2; 241,4; 331,2.

66 Laut Floridi 2007: 35 sind es nur 9%. Bei den nur auf Papyrus überlieferten Texten ist das Phänomen etwas häufiger, aber auch ohne deren Einbezug zähle ich für Nikarch 10%. 67 Andere Prozentangaben bei West 1982: 158 (14,4%). Die Differenz muss daher rühren, dass in der einen Zählung alle Verse im elegischen Maß als Grundlage dienen, in der anderen (bei Sider) nur die Epigramme.

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III. Metrik und Prosodie

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Unkallimacheisch ist schließlich das Platzieren von iambischen Wörtern vor der Zäsur (= Meyer II), das sich Nikarch gleich 8 mal erlaubt (5,40,8; 11,74,268 und 10; 82,4; 242,2; 251,4; 332,6; 395,4). Homoioteleuton in den beiden Hemiepes: Gleicher Ausgang der beiden Pentameterhälften (meistens mit grammatischer Kongruenz der Wörter), ein verbreitetes Stilmittel im Pentameter, begegnet auffallend selten bei Nikarch. Lediglich 4 Fälle sind zu nennen: 11,74,4; 96,2; 120,2; 162,2. Die Übersicht bei Sider 1997: 44 zeigt, dass in dieser Hinsicht die prozentualen Anteile normalerweise einiges höher sind. Fazit Die Verbindlichkeit der überprüften Versregeln ist in nachkallimacheischer Zeit in den einzelnen Fällen ganz verschieden stark. Während die Gesetze von Meyer in der Folgezeit wenig Beachtung fanden69 und daher auch die Verletzungen bei Nikarch im normalen Rahmen stehen, konnten sich andere wie die Hermann’sche Brücke und Naekes Gesetz besser halten. Wenn sich Nikarch in seinen Versen auch gegenüber diesen Regeln sehr locker verhält, so ist dies ohne Zweifel im Lichte seiner Entscheidung zugunsten eines von Alltagssprache geprägten Stiles zu sehen.70 Ein besonders illustratives Beispiel für dieses Einhergehen von Eindruck gesprochener Sprache und metrischer Freizügigkeiten ist AP 11,406: Das Gedicht ist voller correptiones epicae und verletzt die Regeln von Meyer II, Naeke und Tiedke.

68 λίαν dagegen lang gemessen in 11,398,2; beide Varianten sind in nachhomerischer Zeit laut LSJ etwa gleich häufig. 69 Floridi 2007: 30s. 70 Zum gleichen Ergebnis kommt Floridi 2007: 37s. für Straton.

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IV. Nikarch-Epigramme in der AP: Probleme ihrer Überlieferungsgeschichte und Verteilung

Nachdem bereits in Kapitel I ein Überblick über die wichtigsten Quellen der in dieser Ausgabe behandelten Epigramme gegeben wurde, soll es nun darum gehen, ihre insgesamt eher verwickelte Überlieferungsgeschichte im Zeitraum zwischen ihrer Entstehung im 1. Jh. n. Chr. und der Mitte des 10. Jhs., der mutmaßlichen Entstehungszeit der Anthologia Palatina,71 in ihren wichtigsten Zügen zu erfassen und dabei sukzessive zu immer älteren Schichten vorzustoßen, deren Spuren wir in der AP noch erkennen können. Die folgende Darstellung beschränkt sich weitgehend auf Punkte, die für die Spottepigramme des 1. Jh. n. Chr. und im speziellen diejenigen Nikarchs II. von Interesse sind; für weitere Details sei auf die bestehenden Zusammenfassungen verwiesen.72 Diese Anthologie ist wie schon erwähnt für die meisten der literarischen Epigramme die älteste Quelle; sie ist in zwei ursprünglich zusammengehörigen Manuskripten erhalten, die in Heidelberg (Cod. Palatinus 23; bis Buch XIII) und Paris (Parisinus Suppl. Gr. 384; Bücher XIV und XV) aufbewahrt werden, nachdem die Handschrift im 17. und 18. Jh. noch in Rom gelegen hatte.73 Die AP stellt gewissermaßen eine erweiterte Neuauflage der wohl nur etwa 30 Jahre älteren74 Anthologie von Konstantinos Kephalas dar, dessen unermüdlicher Sammeltätigkeit wir weitestgehend das große Spektrum antiker Epigramme verdanken, das uns erhalten geblieben ist. Offenbar konnte er auf eine bedeutende Menge der antiken Anthologien, die sich nun mit mehr oder weniger großer Sicherheit aus der AP rekonstruieren lassen, noch direkt zurückgreifen.75 Dabei handelt es sich um den 71 Dies die traditionelle, durch paläographische Erwägungen gestützte Datierung. Gegen Vorschläge einer späteren Entstehung veteidigt sie Cameron 1993: 97–99; vgl. Maltomini 2008: 11 mit weiteren Angaben. 72 Vgl. Beckby I 68ss. (dazu oben Kap. I Fn. 4). Für neuere Ergebnisse im Hinblick auf Datierung, Stellung und Abhängigkeitsverhältnisse, in Auseinandersetzung mit älteren Lehrmeinungen, ist das Werk von Cameron 1993 unverzichtbar, auf dem die folgenden Ausführungen zu einem beträchtlichen Teil gründen; ein nützlicher Überblick auch bei Maltomini 2008: 11– 14. 73 Das Schicksal der Handschrift ist ebenfalls ausführlich bei Beckby I 90ss. beschrieben, was eine erneute Ausführung an dieser Stelle unnötig macht. Für eine photographische Reproduktion der Handschrift cf. Preisendanz 1911. 74 Cameron 1993: 99. 75 Cf. Beckby I 68ss.

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IV. Nikarch-Epigramme in der AP

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›Kranz‹ des Meleager von Kos, ein wohl um 100–60 v. Chr. zusammengestelltes Reader’s Digest älterer Epigramme, angereichert mit eigenen Gedichten, dann um den 40 n. Chr. entstandenen Kranz des Philipp von Thessalonike. Beide Anthologien bilden gewiss eine quantitativ starke Grundlage für die Sammlung des Kephalas; ihre jeweiligen Prooimien sind zusammen mit dem des Agathias in AP IV vereint. Weiter sind eine Reihe späterer Anthologien (Diogeneianos, in trajanischer Zeit? [vgl. allerdings unten]; Palladas, um 400; Agathias, Mitte 6. Jh.), aber wahrscheinlich auch Einzelausgaben eingearbeitet, wobei in der Forschung oftmals strittig ist, um welches von beiden es sich in den einzelnen Fällen handelte. Solche Probleme sollen uns an dieser Stelle mit Ausnahme der speziellen Situation für Nikarch und Lukillios, der der zweite Teil dieses Abschnittes gewidmet ist, nicht weiter beschäftigen.

Die Anordnung der Spottepigramme in der AP und APl und damit verbundene Probleme Es ist naheliegend, dass mehrere Bücher der AP in Inhalt und Aufbau, d. h. insbesondere den Anordnungsprinzipien unter den Epigrammen, ziemlich genau den nicht erhaltenen Büchern bei Kephalas entsprochen haben müssen. Zu diesen muss auch das Buch XI gehört haben. Wie Cameron plausibel gezeigt hat, teilt es Strukturmerkmale mit anderen Büchern, deren Ursprung bei Kephalas zweifelsfrei feststeht.76 Dieser Aufbau soll jetzt genauer betrachtet werden, denn davon ausgehend lassen sich interessante Aufschlüsse zur Verteilung der antiken Straten gewinnen, zu denen es schließlich auch im Hinblick auf unsere Nikarchepigramme vorzustoßen gilt. Das Buch XI gliedert sich zunächst einmal in zwei Hauptteile (συμποτικά und σκωπτικά) und enthält auch zwei wohl auf Kephalas zurückgehende Scholien, die je die Stelle eines Vorworts einnehmen:77 eines ganz am Anfang, das zweite nach 11,64. Die Einleitung für die ›Trinkgedichte‹ lautet folgendermaßen: 76 Dieser wird durch folgende Evidenzen gestützt: das Einleitungsgedicht AP 5,1 von Kephalas; die Bemerkung am Anfang von Buch VI, die dieses als Fortsetzung von Buch V ausweist; verschiedene Scholienbemerkungen in Buch VII; sowie eine Marginalie zu AP 4,1, dem Einleitungsgedicht zum Meleagerkranz, wo es heißt, Kephalas hätte in seiner Sammlung die Gedichte in ἐρωτικά, ἀναθηματικά, ἐπιτύμβια und ἐπιδεικτικά gegliedert (s. auch Gow 1958: 9s.). Dass dort die σκωπτικά nicht genannt sind, ist klar, da sie in Meleagers Sammlung keine Rolle spielen, woraus sich dann aber auch kein Argument gewinnen lässt, dass AP Buch XI nicht auch auf Kephalas zurückgeht. Cf. Cameron 1993: 134 ›No one in recent years has seriously doubted that x and xi are Cephalan.‹ 77 Die Zusammengehörigkeit der beiden Teile war allerdings für einen späteren Schreiber

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Einleitung

Τὸ συμποτικὸν εἶδος ἐκ σκωμμάτων σύγκειται καὶ συμβουλῆς τῶν παλαιῶν ἀεὶ παρὰ τὸν πότον ἀλλήλους ἀποσχεδιαζόντων· ἵν’ οὖν μηδὲ τούτων ἀμοιρῇς, καὶ ἐξ αὐτῶν ὑπέταξα τὰ ἐμπεσόντα. Die sympotische Gattung setzt sich aus Scherzen und Ratschlag zusammen, die die Alten jeweils aus dem Stegreif untereinander beim Trinken improvisiert haben. Damit dir auch diese nicht vorenthalten bleiben, habe ich auch von ihnen folgen lassen, was mir in die Hand gekommen ist.

während am Anfang der σκωπτικὰ folgendes gesagt wird: Πολλὴ κατὰ τὸν βίον τῶν σκωπτικῶν ἐπιγραμμάτων ἡ χρῆσις· φιλεῖ γάρ πως ἄνθρωπος ἢ αὐτὸς εἴς τινας παίζειν ἢ ἑτέρου πρὸς τοὺς πλησίον ἀποσκώπτοντος ἀκούειν, ὅπερ, οἶμαι, διὰ τῶν ἑξῆς τοῖς παλαιοῖς γινόμενον ἐπιδείξωμεν [γενόμενον ἐπιδείξομεν emend. Beckby]. Intensiv ist im Laufe des Lebens die Nutzung von Spottepigrammen. Denn der Mensch liebt es irgendwie, entweder selber über andere zu witzeln oder zu hören, wie ein anderer über seine Nächsten spottet. Dass dies sich schon bei den Alten so verhielt, werde ich, glaube ich, mit den folgenden Beispielen beweisen.

Aus dem Wortlaut wird bereits klar, wie wenig der Scholiast συμποτικά und σκωπτικά als gegeneinander abgrenzbare Typen verstanden hat, da der Begriff σκώμματα schon in der ersten Definition fällt.78 Überblickt man die Epigramme 1–64 auf ihre Inhalte, so sind diese auch keineswegs nur auf die Kernthemen der Skolia79 (Detailmomente im Ablauf eines Symposions, Toasts, allgemeine Lebensweisheiten wie Kürze / Vergänglichkeit des Lebens, der Liebe etc.) beschränkt.80 Gerade unter den Nikarch zugeschriebenen Beiträgen gibt es mehrere, welche man sich auch im hinteren Buchteil vorstellen könnte.81 Während Epigramm AP 11,1 das geschilderte Missgeschick, das auch in einem Symposionszusammenhang denkbar wäre, geistreich mit einem homerischen Bonmot kommentiert, ferner 11,7 ein zu einer Männerrunde passendes Thema – männliche Triebhaftigkeit – bringt, ist 11,17 ein klassisches Typenepigramm (Hochstapler), und 11,18 gehört in die Kategorie ›Unglaublich, aber wahr‹. Damit passen letztere beiden so gut oder so wenig in die Gruppe der Sympotika wie so manches Epigramm, das im hinklar, der ganz zu Beginn, also noch vor den συμποτικά, den Titel Ἀρχὴ σκοπτικῶν (sic!) setzte. 78 Ähnlich auch Nisbet 2003: 22, der im Hinblick auf die Zuschreibung an Kephalas noch räsonniert: ›although this might be attributing too many scruples and too much sense to Cephalas as editor …‹. 79 Cf. allgemein Reitzenstein 1893; Giangrande 1968; Guido 2005; außerdem unten Kap. V p. 82s. 80 Cf. auch Aubreton in der Praefatio seiner Ausgabe, p. 2s. 81 Diese Feststellung ist durchaus nicht neu; cf. Beckby III 543. Zuletzt: Nisbet 2006: 168 ›we find the same poets on both sides of this flimsy and arbitrarily positioned fence‹.

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IV. Nikarch-Epigramme in der AP

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teren Teil von Buch 11 steht.82 Umgekehrt wären etwa das in seiner Thematik u. a. auch an Horaz erinnernde Epigramm AP 5,39 mit dem Bekenntnis eines Zechers, keinen θίασος auszulassen, aber auch die jovial und offen geschilderten Reize des anderen Geschlechts, egal welchen Alters, mit dem Überraschungseffekt am Ende von 5,38 ebenso treffend, wenn nicht besser, als sympotische denn als erotische Epigramme zu bezeichnen, unter welche sie im 5. Buch der AP eingeordnet sind.83 Aus all diesen Tatsachen sehen wir: eine strenge Klassifizierung zwischen den Bereichen ›sympotisch‹ und ›skoptisch‹ ist weder möglich noch sinnvoll und findet auch in der Anordnung der Epigramme in der AP, in der sich zum Teil antike Evidenz widerspiegelt, keinen Anhaltspunkt. Vielmehr wird das nächste Kapitel (V) zeigen, wie stark die beiden Elemente seit den Anfängen zusammengehören. In der zweiten uns erhaltenen wichtigen Epigrammanthologie aus der Feder des Maximos Planudes (APl)84, dessen uns erhaltener Autograph am 1. September 1301 abgeschlossen wurde,85 findet sich eine ähnliche Zweiteilung freilich zunächst in gewisser Weise bestätigt, insofern als sich die συμποτικά gegen Ende des 5. Buches (= dem Pendant des 11. Buches der AP) massieren. Ebenso liefert das Proömium in AP 4,3,127–33 den Beleg, dass Agathias schon in seinem Κύκλος eine entsprechende Aufteilung vorgenommen hatte. Seine Bücher 5 (Σκωπτικά) resp. 7 (Συμποτικά) folgten dabei nicht einmal unmittelbar aufeinander. Auf der anderen Seite stehen jedoch sowohl in der AP wie auch in der APl die beiden Gruppen nicht nur nebeneinander, sondern die kleinere Gruppe ist jeweils als Teilgruppe der größeren eingeordnet.86 Das erste der beiden oben zitierten Scholien in der AP ist zudem, wie bereits gesehen, in Bezug auf die Haltung des Schreibers zu dieser Frage selbstredend: auch nach ihm ist das Symposion der soziale Ort der Spottgedichte. Wenn aber zum συμποτικὸν εἶδος Spottepigramme im weitesten Sinne gehörten, dann muss umgekehrt dieser Kontext ebenso für die nachfolgenden Σκωπτικά gelten (dazu ausführlicher unten Kap. V). Und wenn die beiden Scholien tatsächlich im wesentlichen mit Kephalas verbunden werden können, dann kann das nur heißen, dass er diese innere Verwandtschaft bemerkt und die ihm aus Agathias getrennt vorliegenden Typen wieder näher zusammengebracht hat, wobei er die bequeme Möglich82 Ob im Fall von AP 11,17 der Eigenname Στέφανος Grund für die Platzierung ist (Assoziation mit dem bekränzten Komasten)? 83 Zu dieser Frage s. unten p. 57s. 84 Zur Anthologia Planudea allg. s. Beckby I 77–82; Cameron 1993: 75ss. 85 Die Handschrift trägt eine Datierung sowohl nach Indiktion wie auch nach Weltalter, woraus zwei konkurrenzierende Angaben entstehen (1299 oder 1301); s. dazu Cameron 1993: 75ss.; Maltomini 2008: 11s., n. 2. 86 Dass die APl ebenfalls auf eine ältere Version der Kephalasanthologie zurückgehen muss, ist allgemein anerkannt (so Gow, Rozema, Beckby, Cameron).

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keit der Einordnung der Συμποτικά als besonders umfangreiche Untergruppe in das Buch der Σκωπτικά nutzte.87 Ab AP 11,65, nach dem zweiten ›Vorwort‹, begegnet uns eine noch evidentere Anordnung nach Untergruppen: Thematisch zusammengehörige Epigramme stehen nebeneinander und sind auch durch entsprechende Lemmata miteinander verbunden (die traditionelle Galerie menschlicher Typen, die besonders zum Spott anregen, bietet sich als inhaltliches Ordnungskriterium bestens an): etwa 65–74 auf alte Frauen (εἰς γραίας), 75–86 auf erfolglose Athleten verschiedener Bezeichnung – mit einer zusätzlichen Feinunterteilung: 75–81 betrifft Boxer, der Rest Läufer –, nach einem einzigen Epigramm εἰς μακρόν sodann 88–111 (mit Unterbrüchen) εἰς μικροὺς καὶ λεπτούς, 112–126 auf (meistens todbringende) Ärzte (εἰς ἰατρούς), 127–137 auf erbärmliche Dichter (εἰς ποιητάς), 165–173 auf Geizige (εἰς μικρολόγους), oder die für Nikarch nicht unbedeutende Kategorie 239–242 εἰς βαρυόδμους usw.88 Diese Zusammenstellungen bieten für vergleichende Untersuchungen an Epigrammen zum selben Themenkreis wohl eine wesentliche Vereinfachung, andererseits besteht die Gefahr, dass Anordnungsprinzipien früherer Sammlungen, die vielleicht ähnlich wie in den Büchern Catulls und Martials vom Prinzip der Kontrastwirkung und überhaupt der variatio bestimmt waren, auf diese Weise spurlos eliminiert werden. Durch neue Papyrusfunde (insbesondere der Poseidippepigramme, P. Mil.Vogl. VIII 309; 3. Jh. v. Chr.) steht allerdings auch fest, dass thematische Anordnung nicht bloß ein Prinzip späterer Anthologisierung ist.89 Die Evidenz aus den Nikarch-Papyri wird in einem separaten Abschnitt weiter unten genauer besprochen werden. Nach thematischen Kategorien ist im übrigen auch die APl insgesamt organisiert. Dort geht die Ordnung insofern noch wesentlich weiter, als die 87 Eine andere Ansicht vertritt Rozema 1971: 20, nach dem Kephalas in seinem Prinzip der Anordnung näher bei Agathias lag (›Since a similar division was made by Agathias in his Cyclos … and since we should properly have two books here, we may assume that the books were separate in Cephalas as well‹. Ich meine, die geringe Anzahl der unter Συμποτικά eingereihten Epigramme lässt es wenig wahrscheinlich erscheinen, bei Kephalas von einem zusätzlichen Buch auszugehen; man müsste dann gerade annehmen, in dieser Kategorie hätten sich besonders wenige Epigramme in die AP und die APl hinüberretten können, wozu kein Anlass besteht. 88 Diese Lemmata sind, falls vorhanden, in den Apparaten in dieser Edition stets angeführt. Zu ihrer genauen Verteilung cf. Aubreton 1972: 27s. und 65s. – Die Anordnung in der AP ist nicht frei von Fehlern, die auf falsches inhaltliches Verständnis zurückgehen; so handelt z. B. AP 11,97 von Ammianos nicht von einem μακρός (trotz entsprechender Einordnung sowohl in der AP wie auch der APl), sondern von einem übertriebenen Bauwerk; dies bemerkte Robert 1968: 282s.; übernommen dann von Lausberg 1982: 395s., Nisbet 2003: 138ss. und Schulte 2004 ad loc. 89 Dazu s. Hutchinson 2003: 206s.; Obbink 2005: 104ss.; 115.

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thematischen Sektionen, die durch eigentliche Kapitelüberschriften eingeleitet sind, sowohl im großen Hauptteil wie auch in einem späteren Supplement zusätzlich alphabetisch aufgereiht sind.90 Die für die Überschriften gewählten Begriffe sind nicht immer genau dieselben wie in der AP, allerdings sind die Kategorien einander jeweils so ähnlich, dass eine gemeinsame Vorlage kaum zu bezweifeln ist. Die Ordnung zieht sich durch die ganze APl, dies im Unterschied zur AP. Denn im 11. Buch der AP versickern die bisher beschriebenen Ordnungskriterien im Bereich zwischen Epigramm 249 und 256. Wie stark die ›Grenze‹ zwischen den beiden Sektionen ist, bleibt zu diskutieren, auf jeden Fall sollte man den Übergang nicht später als nach Epigramm 255 ansetzen.91 Dies geht klar aus 11,256 hervor, wo mit einem Beitrag εἰς γραῖαν wieder ein bereits aus den Epigrammen 11,65–74 bekanntes Thema angeschnitten wird; dieser hätte somit schon früher unterkommen können. Lemmata kommen also ebenfalls weiterhin vor, aber nicht immer, wo eines notwendig wäre (z. B. besitzt 11,260 auf einen Möchtegern-Aufsteiger keines). Oft wechselt das Thema von Epigramm zu Epigramm, und doch treten weiterhin vereinzelt kleinere thematische Gruppen auf (z. B. schon 253–255, später z. B. 283– 285; 399–401). Der Bereich, in dem wir uns jetzt befinden, ist also ebenfalls kein völlig durcheinandergemischtes Konglomerat. An verschiedenen Stellen dieses ›ungeordneten Teils‹, wie er meist in Abgrenzung zur thematisch gegliederten Sektion genannt wird, finden sich alphabetische Sequenzen (im Hinblick auf den Anfangsbuchstaben der Epigramme). Dies zeigt, dass offenbar ganze Folgen aus früheren Anthologien übernommen wurden (ob aus diesen Folgen bei der Übernahme einzelne Epigramme herausgestrichen wurden, lässt sich natürlich nicht mehr bestimmen; in diesen Sequenzen sicher nicht mehr wiederholt wurde ein einzelnes Epigramm, wenn es bereits im vorderen Teil unter einer thematischen Kategorie eingeordnet worden war – und sich der Kompilator auch daran erinnern konnte).92 Folgen, deren Epigrammanfänge alphabetische Sequenzen mit einem signifikanten, d. h. über möglichen Zufall hinausgehenden Umfang bilden, finden sich insbesondere dreimal hintereinander innerhalb der Epigrammreihe 90 Eine Tabelle findet sich in Aubreton 65s. Die thematische Anordnung der APl ist Grundlage aller frühen Drucke bis hin zur älteren Ausgabe von Jacobs (1794–1814), in denen die Nikarchepigramme demnach größtenteils in Buch V zu suchen sind. Für die Auffindung der Epigramme bringt dieser Umstand gewisse Schwierigkeiten mit sich, wenn man auf die heute übliche Zählung nach der AP fixiert ist. 91 Die Grenze wurde in der Vergangenheit mehr oder weniger arbiträr gesetzt: wenig überzeugend Rozema 1971: 24 (nach 259); bei Aubreton 39 nach 248; in Cameron 1993: xvii nach 255. 92 Zur Orientierung sei wiederum auf die tabellarische Übersicht in Aubreton 39 verwiesen, die allerdings nicht darüber hinwegtäuschen darf, wie vieles davon hypothetisch bleiben muss.

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388 bis 436; diese schließen auch 8 Beispiele von Lukillios und 4 von Nikarch mit ein (388–98: α–τ: zunächst mit einer alphabetischen Lukilliosreihe bis und mit 394, ferner 2 Nikarchepigramme; 399–413: γ–ω: je 2 Lukilliosund Nikarchepigramme; 417–436: α–θ: Beitrag weder von Lukillios noch von Nikarch). Die Autoren dieser Epigramme gehören alle, wie es scheint, in dasselbe zeitliche Fenster: sie waren offenbar zu jung, um noch in den Kranz des Philipp aufgenommen zu werden. Die alphabetische Anordnung wird nach der communis opinio mit der schon erwähnten Anthologie Diogeneians aus hadrianischer Zeit in Verbindung gebracht, die ›dem Zeitgeschmack entsprechend‹93 hauptsächlich aus Spottepigrammen bestanden haben soll.94 Die damit verbundenen, im Zusammenhang mit der Nikarchüberlieferung äußerst wichtigen Probleme werden im nächsten Absatz besprochen. Zunächst ist aber im Hinblick auf die Gesamtstruktur von Buch XI der AP nochmals auf Kephalas zurückzukommen. Die eben geschilderte Dreiteiligkeit (Συμποτικά – thematisch geordnete Σκωπτικά – thematisch nicht oder kaum geordnete Σκωπτικά) verlangt nach Erklärungen. Das Nebeneinander zweier verschiedener Ordnungsprinzipien findet sich in vergleichbarer Weise auch in den anderen Kephalasbüchern.95 Gleichwohl dreht sich die Diskussion um die Frage, ob diese in der vorliegenden Form etwas unbefriedigende Struktur jeweils einzig und allein Kephalas zugesprochen werden kann. Es kann im Rahmen einer auf Nikarch beschränkten Studie nicht darum gehen, der alten Streitfrage neue Argumente beizufügen. Doch seien die geäußerten Ansichten wenigstens kurz genannt.96 In der Regel wurde angenommen, die geplante Ordnung sei aus irgendwelchen Gründen unvollendet geblieben, sei es, dass Kephalas daran gehindert wurde, seinen Plan zu vollenden, oder dass er die begonnene Anordnung als zu mühsam aufgab. Letztere Hypothese ist nicht so abwegig, wie sie zunächst klingen mag, denn wer immer versucht, ein Korpus von Epigrammen (z. B. auch eines Einzelautors) in ein befriedigendes thematisches System einzupassen, wird irgendwann unvermeidlich mit wohl immer ähnlich bleibenden Problemen konfrontiert sein (hierzu bietet auch das in dieser Arbeit angewandte Anordnungssystem des Materials eine gute Illustration): Wie sollen die Grenzlinien der oft übergreifenden thematischen Kategorien gezogen werden? Wie soll mit den Epigrammen verfahren werden, die sich keiner größeren Gruppe zuordnen las93 Schulte 1999: 9. 94 Auffällig ist ferner die freilich nur aus 5 Epigrammen bestehende Gruppe 318–22. Es handelt sich durchweg um Produkte älterer Autoren, weswegen man annimmt, hier liege ein Stück aus dem Kranz des Philipp vor. In dieselbe alphabetische Ordnung fügt sich allerdings auch 317 von Palladas, also erheblich jüngeren Datums, woraus man auch schließen könnte, dass die alphabetische Ordnung für diese Sequenz nicht vor Palladas bestehen konnte. 95 Eine Aufstellung für die Bücher 7 und 9 der AP findet sich in Cameron 1993: 126s.; cf. 80. 96 Für eine ausführlichere Darstellung s. Cameron 121ss.; Beckby I 76.

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sen, sondern als ›Einzelbeispiele‹ angesehen werden müssen? Daraus lässt sich allerdings keine schlüssige Erklärung gewinnen, warum dann gerade der verhältnismäßig geringe Aufwand unterlassen wurde, ganz eng mit bereits eingeordneten Epigrammen verwandte Beispiele diesen auch zuzugesellen. Auch wäre es grundsätzlich gut vorstellbar, dass Kephalas nicht an alle von ihm benutzten Vorlagen gleichzeitig herangekommen war. Allerdings kann die Evidenz aus den Büchern der AP nicht als Illustration einer solchen Annahme verwendet werden, denn sonst müsste sich für ganz bestimmte Vorlagen abzeichnen, dass sie immer erst im hinteren, ›ungeordneten‹ Teil ausgewertet wurden. Dies ist aber gerade nicht der Fall: Schon für den thematischen Teil scheinen die Hauptquellen, soweit erkennbar, alle zur Hand gewesen zu sein. In seiner Edition des 11. Buches der AP vertrat deshalb Aubreton die Ansicht, dass nur die jeweils ersten, d. h. die thematisch geordneten Teile auf Kephalas zurückgehen, beim Folgenden es sich dagegen um Zusätze späterer Schreiber handeln müsse.97 Diese Hypothese fand er gestützt in der oben zitierten Einleitung, woraus nach Kephalas’ eigenen Worten hervorgehe, dass er nur eine Auswahl habe geben wollen, Vollständigkeit also nicht das Ziel seiner Anthologie gewesen sei. Nimmt man eine solche Minimalanthologie des Kephalas an, so hat dies allerdings insofern Folgen für die weiteren Abhängigkeitslinien, als dass man dann gezwungen ist, einen zusätzlichen gemeinsamen Archetypus für die AP und die APl zu postulieren, der nun im Gegensatz zu Kephalas diese Zusatzepigramme enthielt und dann von den Schreibern der AP getreuer in seiner Gestalt übernommen worden wäre als von Planudes, der umgekehrt die von Kephalas vorgegebene thematische Ordnung perfektioniert hätte. Außerdem datierte Aubreton die AP ihrerseits erst erheblich später, nämlich in die 2. Hälfte des 11. Jhs. Die aus einer solchen Annahme sich ergebenden Zwischenstufen zwischen Kephalas und AP wären allerdings mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden, und die Spätdatierung der AP fand von paläographischer Seite her (etwa N. Wilson) kaum Zustimmung.98 Ein substantieller Beitrag zur Diskussion stammt schließlich von Cameron. Er hält die Idee, die nicht thematisch geordneten Teile seien spätere Zutat, für rein arbiträr;99 dass Kephalas letztlich nur eine strenge Auswahl aus den zweifellos mit viel Aufwand zusammengetragenen Anthologien habe bieten wollen, sei eine Überinterpretation seiner eigenen Bemerkungen. Stattdessen kann Cameron überzeugend zeigen, dass Kephalas’ Anthologie als Vorlage über wahrscheinlich zwei verschiedene Abschriften zu den 97 Aubreton 36. 98 Cf. Cameron 1993: 98; N.G. Wilson, Scholars of Byzantium, Oxford 1983: 138 (›probably c. 930–950‹ für die AP). 99 Cameron 1993: 134.

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Schreibern der AP gelangte, die Anordnung im hinteren Teil folglich ebenfalls schon auf Kephalas zurückgeht. Wie erklärt sich dann aber Cameron die Anwendung zweier verschiedener Systeme nebeneinander und die dadurch augenscheinlich stehengebliebenen Härten? ›Cephalas has studied his Meleager, Philip, and Agathias closely‹, ist Camerons Antwort,100 und so hätte er die seiner Meinung nach höher stehenden Anordnungskriterien, die er in diesen Sammlungen vorfand, nicht einfach durch platte thematische Aufreihung ersetzen und damit zerstören wollen. Die Lösung, für die er sich schließlich entschied, entsprach einem Kompromiss. Eine Auswahl von Epigrammen, und zwar offensichtlich aus allen Vorlagen,101 habe er doch nach Themata zusammengestellt, während er gleichzeitig lange Reihen daraus unverändert übernahm und dadurch ›sich zu eigen machte‹, wie es Cameron nennt. Dass dieser Kompromiss nicht auf die Dauer befriedigen konnte, ist klar. Durch spätere mehr oder auch weniger erfolgreiche Umstellversuche wird die Problemhaftigkeit der vorgegebenen Sammlung klar illustriert; am konsequentesten von Kephalas’ Gesamtform weg hätte sich Planudes bewegt, indem er auf die Dokumentation ursprünglicher Folgen, falls er sie denn überhaupt als solche erkannte, keinen Wert legte und dafür die thematische Ordnung als das leitende Prinzip seiner Sammlung wählte. In der AP dagegen wären die Mängel, die Kephalas’ Entscheid mit sich brachte, meistens noch unverfälscht erkennbar (vgl. oben zu 11,256). Ich denke, dass es schwierig ist, Camerons Schlussfolgerungen, die auf zahlreichen mit großer Sorgfalt zusammengetragenen Evidenzen gründen, substantielle Zweifel entgegenzubringen. Wenn daran etwas fragwürdig erscheint, so m.E. die angenommenen Beweggründe für das Nebeneinander zweier Ordnungskriterien. Wäre Kephalas die ›authentische‹ Dokumentation der Reihenfolgen seiner Vorlagen besonders wichtig gewesen (was schon als Grundhaltung doch sehr eigenartig wäre), so wäre andererseits dieses Vorhaben in den hinteren Teilen der Sammlung, wie wir aus dem Befund der AP schließen dürfen, trotz allem bloß in inkonsequenter Weise umgesetzt gewesen, da ja in Wirklichkeit ganz verschiedene Reihen aus derselben Vorlage auftreten, ihr jeweiliger Originalzustand also sowieso nicht mehr wiedergegeben wird. Überdies sind ja gerade in Buch XI der AP wie erwähnt auch alphabetische Reihen erhalten geblieben, und warum eine solche, alles andere als von künstlerischen Kriterien geprägte Anordnung einer solchen nach den verschiedenen Themata vorzuziehen gewesen wäre, will nicht recht einleuchten.102 Kurz: Es wird wohl unmöglich bleiben, den speziellen Befund in 100 Cameron 1993: 123s. 101 Dies gilt natürlich weniger für Buch XI, wo es sehr wenig hellenistisches Material gibt; s. dazu unten p. 56. 102 Zur Frage der thematischen Anordnung von Epigrammen nach künstlerischen Kriterien innerhalb desselben Buchstabens s. Gutzwiller 1998: 38 mit weiteren Angaben.

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den AP-Büchern und damit die Motive und Überlegungen hinter dem Konzept des Kephalas befriedigend zu erklären. Mit dieser Feststellung wollen wir uns der für uns wichtigeren Frage zuwenden, in welcher seiner Vorlagen Kephalas denn nun wohl Nikarch (und Lukillios) vorfand.

Das Problem der Diogenian-Anthologie Hinsichtlich der Anthologie, welche die Spottepigramme der frühen Kaiserzeit ab etwa 50 n. Chr., d. h. nach der Veröffentlichung des Philippkranzes, umfasste, sind sich die Editoren einig. Sie stammt von Diogeneianos und wurde in hadrianischer Zeit zusammengestellt – um 140/150 n. Chr., wie Sakolowski annahm.103 Die Suda (δ 1140)104 nennt uns einen Grammatiker Diogeneianos, unter dessen Werken neben einem Ἐπιγραμμάτων ἀνθολόγιον auch noch ein alphabetisch geordnetes Lexikon über Redensarten, ferner eine Sammlung von Flüssen, Seen, Quellen und Bergen erscheint, und gibt als Herkunftsort des Autors Herakleia, ἑτέρας, οὐ τῆς Πόντου.105 Keine Schwierigkeit scheint auch der Inhalt dieser Anthologie zu bieten: Da die uns erhaltenen Epigramme von Autoren, die sich zwischen 50 und 150 n. Chr. ansiedeln lassen, weitgehend skoptische und gelegentlich sympotische Themen besitzen, deren enge Verbindung wir weiter oben gesehen haben, muss die Sammlung aus eben solchen Epigrammen bestanden haben.106 Zur Untermauerung werden gewöhnlich die bereits erwähnten Reihen im Buch XI der AP angeführt, die Epigramme aus diesem zeitlichen Fenster in alphabetischer Anordnung bieten. So weit scheint also alles aufzugehen. Und doch entpuppt sich das ganze Bild bei näherem Hinsehen als hochgradig problematisch. Die Diogeniananthologie scheint geradezu ein Musterbeispiel dafür zu sein, wie aus hypothetischen Annahmen durch Abschreiben und stillschweigende Zustimmung im Laufe der Zeit gesicherte Fakten werden können. Es ist einmal mehr das Verdienst A. Camerons, auf diesen Sachverhalt in seinem Buch mit unmiss103 Sakolowski 1893: 70; Beckby I 71. 104 Diese Angabe gelangte wohl über das Onomastikon des Hesych von Milet, ein Lexikon griechischer nichtchristlicher Schriftsteller eines Historikers wohl des frühen 6. Jhs., in die Suda. 105 Insofern ist Beckby I 71 zu korrigieren, wo ebendies ignoriert ist. 106 So auch ganz selbstverständlich Renzo Tosi im DNP-Artikel ›Diogeneianos [2] aus Herakleia‹ (III 605s.), vgl. Schulte 1999: 9 ›Diogenian sammelte die Epigramme seit Philippos (ca. 40 n. Chr.) und edierte sie alphabetisch, ohne eigene hinzuzufügen.‹ Unter den Autoren, die nach diesem consensus in die Sammlung eingegangen waren, finden sich neben Nikarch und Lukillios u. a. Ammianos, Gaetulicus, Killaktor (= Kallikter ?) sowie die Kaiser Trajan und Hadrian (ausführliche Liste in Beckby I 105).

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verständlichen Worten hingewiesen zu haben, auch wenn seine eigenen Ideen zu diesem Problembereich sich vom Charakter des Hypothetischen ebenfalls nicht wirklich losmachen können.107 In der Tat ist unser Wissen über Diogenian auf die wenigen Sätze in der Suda beschränkt. Alles Weitere hingegen ist erschlossen, wohl nach den Regeln der Plausibilität, mitunter aber auch mit Zirkelschluss. Nicht bewiesen ist zum Beispiel, dass das genannte ἀνθολόγιον auch wirklich in der Sukzession des Philippkranzes stand; d. h. es ist ganz offen, ob in ersterem wirklich nur jüngere Epigramme standen, ob grundsätzlich Eingang fand, was nicht bei Philipp zu finden war, was dann den Einschluss auch älteren Materials nicht ausschlösse,108 oder ob es gar Überschneidungen mit bereits in anderen Anthologien vorhandenem Material gab. Nimmt man wie allgemein üblich die erste dieser Möglichkeiten an, so folgt daraus, dass die Autoren etwa der alphabetischen Folge 399–413 mit der auffällig großen Gruppe von Epigrammen mit Anfangsbuchstabe τ zwangsläufig zwischen 50 und 150 zu datieren sind, wie etwa der sonst nicht sicher einer historischen Figur zuzuordnende Apollinarios, oder Gaetulicus, der dann vom gleichnamigen Verfasser zahlreicher Anathematica und Epitymbia in AP VI und VII zu trennen wäre. Man sieht, wie sehr hier ein Argument vom andern abhängt. Ein weiterer Punkt ist die alphabetische Anordnung. Die Suda bezeichnet das Werk Περὶ ποταμῶν Diogenians als κατὰ στοιχεῖον ἐπίτομος ἀναγραφή, vom ἀνθολόγιον wird nichts dergleichen erwähnt. Dies soll nun nicht heißen, dass wir daraus einen Beweis für nicht-alphabetische Anordnung ableiten sollen. Wichtig ist einzig die Feststellung, dass uns für diese Frage, wie für andere auch, die Suda keine Evidenz liefert. Nun erwecken indes die Folgen AP 399–413 etc. zunächst den Eindruck, die genaue Formulierung in der Suda sei in diesem Fall gar keiner weiterer Besorgnis wert. Cameron aber stellt die Frage in den Raum, warum die Reste von Vorlagen in Form von Sequenzen im Buch XI vergleichsweise kurz sind, d. h. sich nicht über Reihen von 50 oder mehr Epigrammen hinziehen, wie das in anderen Büchern bei Meleager- bzw. Philippsequenzen durchaus der Fall ist. Da Kephalas kaum bei seinen Quellen eine so verschiedene Vorgehensweise an den Tag gelegt haben dürfte, bleibt als Antwort, dass dieser offenbar aus Diogenian nicht direkt schöpfen konnte, sondern aus einer stark umgestalteten Abschrift. Als Stütze für diese Annahme führt Cameron u. a. das Vorkommen mehrerer Epigramme mit der Zuschreibung ΛΟΥΚΙΑΝΟΥ, doch wohl Lukians von Samosata (ca. 120–180),109 an – eine Angabe, 107 Cameron 1993: 84ss. nennt den Problemkomplex ›the cloudy waters of the Anthology of Diogenian‹. 108 Das Problem ist z. B. relevant für die Frage nach der Identität des Dichters Kallikter / Killaktor (s. unten p. 69s.). 109 Sie sind z. B. in MacLeods OCT-Ausgabe unter Nr. 85 aufgenommen.

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die, wenn immer es darum ging, die hadrianische Datierung der Diogeniananthologie zu halten, gerne überall, wo sie vorkam, ohne weitere Skrupel in ΛΟΥΚΙΛΛΙΟΥ wegemendiert wurde.110 Da nun im späteren 4. Jh. eine Reihe von älteren griechischen Epigrammen unabhängig voneinander ins Lateinische übersetzt wurden (sie befinden sich im Corpus des Ausonius, sowie in den Epigrammata Bobiensia), hält es Cameron für wahrscheinlich, dass im 4. Jh. eine Epitome entstanden sein muss, die auf eine (oder mehrere) ältere Sammlung(en) zurückgriff und ihrerseits für die lateinischen Übersetzungen als Vorlage diente. Allein, ob diese Argumente dazu ausreichen, eine weitere Anthologie zu rekonstruieren, von der sich ansonsten nirgends direkte Spuren erhalten hätten, sei dahingestellt. Es scheint jedenfalls naheliegend anzunehmen, Kephalas hätte zumindest teilweise auch auf die Epigrammautoren nach 50 n. Chr. über eine Anthologie mit mehreren Autoren Zugriff gehabt; wie diese Sammlung aussah und wann sie entstand, ob diese dem Ἐπιγραμμάτων ἀνθολόγιον des Diogenianos entsprach oder nicht, dies alles entzieht sich unserer Kenntnis.111 Wenn wir also wegen der oben besprochenen Reihen an eine – wie auch immer zu datierende – Zwischenstufe zwischen den Autoren und Kephalas in Form einer Anthologie glauben wollen, so hätte sie folgenden Charakter gehabt: in alphabetischer Ordnung, Spottepigramme darin offenbar reichlich vertreten, ebenso aber auch Erotika und Epideiktika. Es scheint vieles dafür zu sprechen, dass darin auch Epigramme des Rufin enthalten waren, die Cameron im Gegensatz zu Page ins 1. Jh. n. Chr. datiert – was wiederum eine Einzelausgabe auch der Rufingedichte nicht ausschließt.112 Diese Elemente werfen möglicherweise auch ein klareres Licht auf ein seltsames Verteilungsmuster dreier Nikarchepigramme (und anderer), die wenig befriedigend unter den erotischen Gedichten eingeordnet sind: AP 5,38–40. Wohl handeln 5,38 und 40 auch vom ἔρως, aber in einem jeweils sehr speziellen Rahmen – in 5,40 zudem nur implizit –, und das charakteristische Element ist auf jeden Fall die skoptische Verzerrung.113 Die Platzierung von 5,39 ist zumal in der überlieferten Textgestalt völlig unverständlich: es gehört doch wohl eigentlich zu den Συμποτικά. Nun könnte der Umstand, dass zu Beginn von AP V Rufinepigramme neben Nikarchepigrammen stehen, etwas abbilden, was auch in jener Zwischenstufe so gewesen sein muss. Der Beginn von Buch V,

110 Cf. Nisbet 2003: 107. – An die Möglichkeit von Jugendwerken wurde offenbar nicht gedacht. 111 S. auch Höschele 2006: 47. 112 Cameron 1993: 84; vgl. 89; allg. zu Rufin 78ss. und Höschele 2006: 38ss. 113 Es scheint mir deswegen nicht gerechtfertigt, bei den drei nicht in Buch XI eingeschlossenen Epigrammen die Urheberschaft Nikarchs des Jüngeren in Zweifel zu ziehen; cf. Longo 1967: 78. Beckby lässt in seiner Ausgabe die Zuweisung offen.

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sowie Buch XI der AP würden dann den Orten entsprechen, an denen diese etwas buntschillernde Anthologie über Kephalas Eingang in die AP gefunden hätte. Und in der Tat sind auch sonst bei Rufin und Nikarch inhaltliche Nähen evident; die Grenzen zwischen Erotika und Skoptika sind mitunter schwer zu ziehen. Besonders instruktiv scheint mir der Vergleich zwischen Rufins Epigramm AP 5,43 und Nikarchs 11,7, sowie zwischen 5,44 (Rufin; Warnung vor zwei Hetären, von denen die eine Λέμβιον heißt) und 11,331 (Nikarchs λέμβος-Epigramm), von dem ich es sogar für äußerst wahrscheinlich halte, dass es in Kenntnis von 5,44 geschrieben wurde.114 Betrachtet man die Verteilung der traditionell so bezeichneten ›Diogenianreihen‹, fällt noch eine Merkwürdigkeit auf, die ihren Grund in der Organisation der Vorlage (oder wie es auch nicht abwegig erscheint: mehrerer Vorlagen?) haben muss. Wie bereits weiter oben erwähnt,115 wird gegen Ende des 11. Buches der AP, zwischen 388 und 436, das Alphabet in der Reihenfolge der Epigramme drei-, wenn nicht sogar viermal durchgespielt. Da die Annahme, Kephalas hätte seine (alphabetisch geordnete) Vorlage ebensooft durchforstet und seine Funde dann in dieser Form nebeneinandergestellt belassen, unrealistisch erscheint, bleiben wohl nur diese Folgerungen: a) Die Vorlage besaß verschiedene Ordnungsprinzipien, die alphabetische Ordnung war nicht das oberste Leitprinzip, sondern galt vielleicht nur jeweils innerhalb einzelner Kategorien. b) Die verschiedenen alphabetischen Sequenzen gehen doch nicht alle auf dieselbe Vorlage zurück; ein Verdacht, der sich erhärten würde, wenn die einzelnen Epigrammsequenzen untereinander in bezug auf das Material sehr heterogen wären. Ist es also möglich, anhand der einzelnen alphabetischen Gruppen ein übergeordnetes System zu erkennen? Ein Überblick über die darin zusammengefassten Epigramme ergibt etwa folgendes: 388–398

399–413

414–416 (?)

417–436

α–τ

γ–ω

λ – χ / Zufall?

α–θ

388–394 alle Lukillios 395 Nikarch 396/7 Λουκια〈νοῦ〉(?) 398 Nikarch (Νικαίου)

399 Apollinarios 400–05 Lukianos 406/7 Nikarch 408 Lukianos (-illios?)

414 Hedylos 415 Antipatros v. Thess. / Nikarch ? 416 anon.

einige anonym, eher spätere Autoren, 421 Apollinarios 427–36 Lukianos

bunt gemischt

gemischt (399–401 Grammatiker 403 Podagra 405/06 Nase)

gemischt (414 Podagra)

bunt gemischt

114 S. unten Kap. I.4. 115 S. 51ss.

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IV. Nikarch-Epigramme in der AP

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Der Befund zeigt, dass die verschiedenen alphabetischen Sequenzen nicht verschiedenen thematisch organisierten Kapiteln einer mutmaßlichen Vorlage entsprechen können: zu wild ist der Wechsel von einem Thema zum nächsten. Die Gebetsparodie an die Göttin Podagra (11,403) steht zum Beispiel für sich: Ihre ›Genealogie‹ in 11,414, die auch als Komplementärstück dazu vorstellbar wäre, findet sich nicht in derselben Reihe. Außerdem fällt auf, dass die gleichen Autoren in verschiedenen Reihen vorkommen, in diesen aber ungleich verteilt sind. Zwischen 417 und 436 z. B. gibt es kein einziges Epigramm von Lukillios oder Nikarch, während diese die Gruppe 388– 98 eindeutig dominieren.116 Dagegen finden sich in der Reihe ab 417 tendenziell eher spätere Autoren, insbesondere die umfangreiche Lukianreihe. Hedylos in 414 bietet wiederum eine echte Überraschung, sollte es sich wirklich um den hellenistischen Autor handeln, was nicht alle zu akzeptieren bereit sind.117 Aber wie schon erwähnt, ist die stillschweigende Voraussetzung, in dieser Anthologie habe nichts Vorphilippisches gestanden, eine reine Hypothese, und schlussendlich können die Epigramme 414–416, ebenso wie 417ss. auch aus einer ganz anderen Quelle stammen. Hier sind unsere Grenzen erreicht, und es lohnt sich nicht, sich auf weitere Spekulationen einzulassen. Außer den hier betrachteten alphabetischen Reihen gibt es andere, in denen die Epigramme alle vom selben Autor zu stammen scheinen, so beispielsweise gerade 308–12 (309–12 alphabet.) und 313–16 (alphabet.) von Lukillios, sowie 240–44 (umgekehrt alphabet.?) und 328–33 (329–33 alphabet.) von Nikarch.118 In diesen Folgen scheint es auch Paare thematisch verwandter Epigramme zu geben, die dann nebeneinanderstehen (241s., 243s., 331s.).119 So wenig wir auch in diesem Fall über ursprüngliche Anordnungsprinzipien sagen können: Nikarch und Lukillios gehören klar zu den wenigen Autoren (nebst Lukian und Palladas), von denen sich offensichtlich im hinteren Teil von AP Buch 11 längere, nicht durch andere Autoren unterbrochene Folgen erhalten haben.

116 Zum Problem der Zuschreibung der Epigramme 400–5 siehe Aubreton 23s. n. 3 gegen Ende; Rozemas Entscheide (1971: 250ss.) beruhen auf der überholten Annahme, Lukian in einer ›Diogenianreihe‹ sei ausgeschlossen (s. oben). 117 Zur Diskussion im ähnlich gearteten Fall von 11,123 s. unten Kap. I.1. 118 Zum Problem des Einschubs von AP 11,119 und 118 vor 333 s. unten Fn. 148. 119 S. auch Rozema 1971: 4.

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Einleitung

Epigrammbücher des Lukillios und Nikarch? Diese ›Autorenreihen‹ können entweder dem Anthologisten oder auch einer Einzelausgabe zugeschrieben werden, auf die Kephalas zurückgriff, doch was im ersten Fall zumindest auffällig wäre, ist die Tatsache, dass gewisse Autoren quantitativ so gut vertreten sind, während andere mit einer winzigen Menge von Beispielen repräsentiert sind. Dies gilt insbesondere für Lukillios, den im 11. Buch der AP bestvertretenen Autor, aber auch für Nikarch, und das ist umso erstaunlicher, als die beiden zeitlich ja weder besonders nahe bei Diogenian noch erst recht bei Camerons Anthologisten des 4. Jhs. lagen. Die Dominanz von Lukillios und Nikarch könnte neben einer bald erfolgten Kanonisierung auch durch eine generell über ihre Blütezeit hinausgehende leichte Greifbarkeit erklärt werden – in Form eigener Ausgaben. Nun sind zwei Bücher des Lukillios wenigstens indirekt durch die Bemerkung in AP 9,572 (τί γράψω | δεύτερον ἐκδιδόναι βιβλίον ἀρχόμενος; ›was soll ich schreiben, jetzt wo ich mich an die Herausgabe meines zweiten Buches mache?‹) bezeugt, wie man auch immer die Aussage dieses Epigramms interpretiert.120 Eine vergleichbare Äußerung findet sich in den Nikarchepigrammen nicht, allerdings lassen die doch wohl sehr ähnlichen Produktions- und Rezeptionsbedingungen vermuten, dass bei Nikarch die Dinge nicht viel anders standen. Gestützt wird die Annahme einer Existenz von Nikarchbüchern seit kurzem auch durch drei Papyri (POxy. 3725 und 4501s.) mit mehreren Epigrammen in lockerer thematischer Anordnung: da zwei davon in der AP die Zuschreibung an Nikarch haben, drängte sich der Gedanke auf, dass auch die übrigen vom selben Autor stammen. Die Quellen auf Papyri werden gleich im nächsten Abschnitt besprochen. Kommen wir nochmals zurück zur Frage, inwieweit allfällige Spuren von Lukillios- und/oder Nikarchbüchern in der AP auffindbar sein könnten. Die im letzten Abschnitt besprochene, an so vielen Stellen noch in Fragmenten erkennbare alphabetische Anordnung als neutrales Prinzip ohne ästhetische Kriterien erscheint typisch für eine Anthologie mit verschiedenen Autoren. Wäre die Einzelausgabe noch greifbar gewesen, hätte Kephalas sie der Anthologie mit der alphabetischen Anordnung gewiss vorgezogen.121 Diese Vermutung lässt sich allerdings nur für die Epigramme des hinteren Teils von Buch 11 der AP anstellen. Über die ursprüngliche Position der thematisch angeordneten Epigramme im vorderen Teil wissen wir nichts – auch nicht, ob sie derselben Quelle entstammen wie die in Reihen angeordneten hinten. 120 Zur Diskussion der eigentlichen ›message‹ (Huldigung an Nero oder Ironie?) s. Nisbet 2003: 113ss. 121 Cameron 1993: 89.

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IV. Nikarch-Epigramme in der AP

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Wie im ersten Kapitel der Einleitung schon festgehalten wurde und sich im Laufe der Besprechung an den einzelnen Texten immer wieder zeigen wird, sind Abhängigkeiten Nikarchs von Lukillios sowohl in der Themawahl wie auch als Grundlage seines eigenen Umgangs mit den Motiven äußerst wahrscheinlich. Dass diese Abhängigkeitsbeziehung zur Verdeutlichung der Kreativität im Schaffen der beiden Autoren auch dem Rezipienten deutlich gemacht werden musste, weil es von Vorteil war, wenn dieser z. B. ein bestimmtes Lukilliosepigramm (oder mehrere) kannte, um danach das Vorgehen Nikarchs besser zu verstehen, scheint mir sehr wahrscheinlich.122 Nun mag das bei mehr oder weniger gleichzeitigem Wirken der beiden Epigrammatiker und auch ungefähr gleichzeitigem Zirkulieren von Epigrammbüchern von Lukillios wie auch von Nikarch kein größeres Problem gewesen sein: gewisse Themen lagen dann als gattungsspezifischer ›Diskurs‹ sozusagen in der Luft. Dennoch musste sich der Gedanke, die Epigramme beider Autoren, die wie erwähnt möglicherweise während des 2. Jhs. (und darüber hinaus?) in den Genuss eines gewissen Sonderstatus als Hauptvertreter der griechischen Skoptika gekommen sind, in einer gemeinsamen Ausgabe zu vereinigen, sehr bald aufdrängen. Während eine solche unmöglich mehr aus den Befunden der AP erschlossen werden kann, lädt eine papyrologische Neuentdeckung von 2004 dazu ein, mit diesem Gedanken zu spielen.

Nikarch (und Lukillios?) auf Papyrus Epigramme des Nikarch traten, wie schon mehrfach erwähnt, in jüngster Zeit gleich mehrmals auch auf Papyri in Erscheinung. Es handelt sich um POxy. 3725, 4501, 4502, die alle durch P. Parsons in mustergültiger Weise vorgelegt wurden.123 Sowohl auf Nr. 3725 wie auch 4502 befinden sich Epigramme, die schon aus der AP bekannt und dort Nikarch zugeschrieben sind, nämlich 5,40 und 11,241 resp. 11,328. Ihr Text, ebenso derjenige der neuen, zumeist lückenhaft erhaltenen Epigramme, wird im Kommentarteil ausführlich besprochen. An dieser Stelle soll es vorerst um die überlieferungsgeschichtlich relevanten Details gehen. Soweit ersichtlich (auf 3725 und 4502), sind die einzelnen Epigramme teilweise (aber nicht durchgängig) durch Zwischentitel abgegrenzt, die eine grobe Themaangabe liefern (z. B. ἐπὶ μοιχοῦ vor dem letzten Epigramm auf 4502). In einem Fall (3725) wird das folgende Epigramm auch einfach mit 122 Vgl. auch die Diskussion am Ende des nächsten Kapitels zur Notwendigkeit schriftlicher Fixierung im epigrammatischen Diskurs. 123 POxy. LIV: 82ss.; LXVI: 38ss.

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Einleitung

ὁμοίως angehängt. ›It is a question how far the lemmata of AP derive from such early practice‹, überlegt mit Recht P. Parsons. Man könnte einwenden, dass zumindest auf 4502 mit der Überschrift ἐπὶ γέροντος παρθένο̣[ν ἀγομένου eher eine Zusammenfassung des einen, unmittelbar folgenden Epigramms gegeben wird als eine Kategorienbezeichnung nach dem Muster der AP, die im Gegensatz zu ersterer auch mehrere Epigramme zu einem gegebenen Thema unter sich vereinen kann. Das Problem zeigt sich auch daran, dass auf dem Papyrus der Titel zum darauffolgenden Epigramm, das AP 11,328 entspricht und keine Überschrift trägt, nicht passt.124 Es scheint also so zu sein, dass der Schreiber der auf 4502 vorliegenden Sammlung in der Vergabe von Zwischentiteln nicht konsequent war, oder – wahrscheinlicher noch – nur dort solche setzte, wo er aus seiner Vorlage einen übernehmen konnte (d. h. wenn das Epigramm dort das erste in einer Serie zu einem bestimmten Thema war?).125 Trotz dieser Freizügigkeit in der Verwendung und des ganz anderen inhaltlichen Charakters der Titel ist es nicht ganz ausgeschlossen, hier einen möglichen Ursprung der in den Handschriften auf uns gekommenen Lemmata zu sehen, da ja, wie erwähnt, im hinteren Teil des 11. Buchs der AP ähnliche Inkonsequenzen herrschen.126 Da in den Zwischentiteln kein Autorenname angeführt wird,127 war es naheliegend anzunehmen, obgleich nicht beweisbar, dass die Epigramme allesamt vom gleichen Autor stammen müssen, also Nikarch. Das gilt auch für 4501, das höchstwahrscheinlich von derselben Hand geschrieben ist wie 4502128 und ein Epigramm bietet, das offenbar in den Themenbereich des lecken Schiffs gehört, wozu die AP noch weitere Beispiele sowohl von Nikarch als auch Lukillios bietet.129 Ob auch 3725 demselben ursprünglichen Manuskript zugewiesen werden kann, ist dagegen eine kaum zu beantwortende Frage. Die technischen Gründe, insbesondere Abweichungen im Schriftcharakter, zählt Parsons in seiner Edition alle auf; immerhin lässt er die Unterschiede in den Buchstabenformen noch als innerhalb der Bandbrei124 Erstaunlich auch der fehlende Titel vor Zeile 30, wo die obszöne Lösung des Rätsels der Sphinx folgt. Dabei bietet ausgerechnet 3725 einen Titel, wie er auch hier passen würde: ἐπὶ σφιγγ[ός, gefolgt von zwei sehr fragmentarisch erhaltenen Zeilen. Klar ist immerhin, dass diese zu einem anderen Epigramm gehört haben. 125 Cf. Nisbet 2003: 35 n. 42, der die Titel dagegen als Hinweis für ein ›arrangement by category‹ von Nikarch- (und Lukillios)büchern ansieht. 126 Ebenso auch in den anderen Büchern der AP; Gow 1958: 17 führt dies darauf zurück, dass die Kephalashandschriften, die bei der Erstellung der AP als Vorlage dienten, je nach Fleiß und Stimmung des Schreibers dichter oder auch spärlicher mit solchen Lemmata versehen waren. Für Lemmata auf Papyri fehlte Gow damals noch eine Evidenz; für die Nikarchpapyri vgl. auch das Schlusskapitel dieses Buches. 127 Cf. POxy. IV 662; dazu Gow 1958: 15s. und Gutzwiller 1998: 34ss. 128 Parsons in POxy. LXVI: 39. 129 S. unten Kap. I.4.

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te eines mit literarischen Texten wenig geübten Schreibers gelten (›… may reflect the inconsistency of an amateur copyist.‹).130 Und dass es eine ›Amateur-Abschrift‹ sein muss, also keine ›offizielle‹ Edition, gilt es in der Tat zu bedenken. Die Epigramme befinden sich, sowohl auf POxy. 3725 als auch auf POxy. 4501 und 4502, auf der Rückseite offenbar nicht mehr benötigter Dokumente – sozusagen als Makulaturtext, eine im übrigen recht häufige Erscheinung. Der Eindruck einer privaten Sammlung (eines Liebhabers?) wird verstärkt durch die auffällige (von Parsons auf 14 Zeilen berechnete) Lücke in 4501: war dieser Platz für ein noch nicht gefundenes Epigramm vorgesehen? Man kann nun darüber spekulieren, ob die Epigramme vielleicht gar nicht alle in einem Zug niedergeschrieben wurden, sondern nach und nach, ein Umstand, der auch die Unterschiede in der Schrift zu erklären helfen würde. Denkbar scheint mir unter dieser Voraussetzung auch, dass die Epigramme nicht alle in derselben Vorlage oder an ganz verschiedenen Orten einer Ausgabe gefunden wurden, d. h. die Anordnung auf den Papyri auf jeden Fall nicht die Reihenfolge irgendeiner Vorlage wiedergibt.131 Das Spektrum der Themen der auf den Papyri enthaltenen Epigramme bietet ein interessantes Bild. Insgesamt zeigen sie eine über die bisher bekannten Beispiele hinausgehende Direktheit und Frivolität: das Epigramm, das AP 11,328 entspricht, die freche Homerparodie, galt schon zuvor als eines der derberen Stücke Nikarchs, und vergleichbare Töne finden sich auch in anderen Beispielen (vgl. fr. 1 μὴ πύγιζε; insbesondere aber den ›Lösungsvorschlag‹ des Rätsels der Sphinx in fr. 4).132 Insofern scheint die Zuschreibung aller Gedichte an Nikarch nicht schlecht zu passen. Das durch die bisher beschriebenen Papyrustexte gezeichnete Bild hat für mich persönlich eine unverhoffte Bereicherung und leichte Modifikation erhalten durch ein weiteres Papyrusstück aus Oxyrhynchos mit der Inv.nr. 103/125 (c), das ich im Frühling 2004 im Rahmen eines Kurses in Oxford von Dirk Obbink zur Sichtung erhielt und dessen Bearbeitung in der Reihe der Oxyrhynchus Papyri erscheinen soll.133 Darauf befinden sich 5 fragmentarisch erhaltene Zeilen (offenbar am unteren Kolumnenrand) eines bisher 130 Parsons ebda. 38: ›It would be tidy to regard all three as part of the same MS, and attribute all the poems to Nicarchus II. But there are discrepancies. …‹. Dem selben Schreiber ordnet die Papyri jetzt auch Johnson 2004: 65 zu. 131 Für weitere Überlegungen zum Aspekt einer privaten Epigrammkollektion s. unten Kap. V und das Kapitel am Ende von Abschnitt III am Schluss des Buches. 132 Nisbet 2003: 74s. spürt in den Epigrammen ferner die für Nikarch typische Diesseitigkeit, die er auch in Kontrast zu Lukillios setzt. Cf. auch Kap. II p. 32; 34. 133 Für alle technischen Details verweise ich auf diese Publikation. Dirk Obbink sei an dieser Stelle mein herzlicher Dank für sein Vertrauen und die zahlreichen Diskussionen während der Texterschließung ausgesprochen.

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unbekannten Epigramms. Die Zeile davor, die etwa bis zur Kolumnenhälfte ausgerissen ist, scheint ab dieser Position unbeschrieben geblieben zu sein; einige Striche, die sich in ihrer Höhe schwer einer ganz bestimmten Zeile zuordnen lassen, könnten zu einer Hervorhebung eines (in diesem Falle sehr kurzen) Titels gehört haben. Wiederum darüber befindet sich eine Zeile, von deren Buchstaben sich geringe Spuren nur in zwei in diese Höhe reichenden Zipfeln erhalten haben. Besonders auffällig ist nun die insgesamt sehr starke Ähnlichkeit der Schrift mit derjenigen von POxy. 3725: Der bereits im Fall von 4501 und 4502 von Parsons gehegte Gedanke, die verschiedenen Papyri als Teile eines Manuskripts zu betrachten,134 drängt sich demnach wieder neu auf, mehr noch im Sinne einer Anbindung des neuen Stücks an POxy. 3725. Auch auf dem neuen Papyrus befindet sich der Epigrammtext im übrigen auf der Versoseite, während die ursprüngliche Vorderseite Spuren dokumentarischer Kursive trägt, die bisher noch nicht untersucht ist. Ein besonders interessantes Detail bietet die erste Zeile (die der letzten des vorangegangenen Epigramms entspricht), wo folgendes lesbar ist: ]ὐ[

]c̣ ατ̣ι̣c̣ c̣ c̣

Ein verlockender Gedanke ist es, diese Reste mit dem Ende von Lukillios’ AP 11,80 zu verbinden. Sollten sich weitere Indizien für diese im Moment noch sehr gewagt erscheinende Hypothese finden lassen, so hätten wir es hier mit dem ersten Zeugnis eines Lukilliosepigramms auf Papyrus zu tun. Die Möglichkeit, dass man die beiden ›großen‹ Spottepigrammatiker auch nebeneinander auf einem und demselben Papyrus vereint hätte, ist in der Tat nicht grundsätzlich auszuschließen. Doch vorerst müssen wir uns mit dem großen Fragezeichen zufrieden geben, das auf jeden Fall mit diesem attraktiven Gedankenspiel zu verbinden ist.

Die überlieferten Autorenzuweisungen Dass der Verfasser eines ἐπίγραμμα nicht genannt wird, liegt an sich ganz im Ursprung der Gattung begründet. Sobald allerdings im Rahmen der Anthologisierung Beiträge von mehr als einem Verfasser zusammenkamen, wurde die Angabe von Autorennamen zwingend nötig,135 obgleich es selbst 134 S. oben Fn. 130. 135 Vgl. allg. Gutzwiller 1998 für frühere Gemeinschaftsausgaben. Welche Art von Lemmata die frühere ist, ist kaum zu entscheiden: Gow 1958: 19s. (keine thematischen Lemmata in den Papyri) ist überholt; zweifellos ist die Autorenangabe im Gegensatz zu derjenigen des Themas essentiell, da nicht aus dem Text erschließbar.

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unter den ›literarischen‹ Epigrammen in der Meleager- und Philippsammlung immer noch eine hohe Zahl anonymer Gedichte gibt. Wo die Autorenzuweisungen dagegen vorkommen, bilden sie neben den thematischen Lemmata ein wichtiges Element der Überlieferungsmasse, auf denen die Entscheide, die zur Festlegung des Corpus eines ganz bestimmten Epigrammautors führen, letztlich gründen. Dies ist auch im Falle Nikarchs II. in dieser Edition nicht anders. In diesem Abschnitt sollen jedoch hauptsächlich die Fälle besprochen werden, in denen in der Überlieferung Nikarch bezüglich Autorschaft mit einem zweiten Autor in Konkurrenz steht. Dies kann in zwei Formen geschehen. Einerseits gibt die AP im Lemma manchmal gleich zwei Namen an. In den Fällen, bei denen Nikarch involviert ist, geschieht dies entweder in der Form τοῦ δεῖνα ἢ τοῦ δεῖνα oder τοῦ δεῖνα οἱ δὲ τοῦ δεῖνα, wobei der erstgenannte Name grundsätzlich immer die höhere Wahrscheinlichkeit besitzt, der ursprüngliche zu sein, während der zweite, hinzugefügte sowohl auf die Sichtung einer besseren Lesart zurückgehen kann als auch (was wohl für die größere Zahl gilt) bloß auf eine individuelle Konjektur. Der häufigste Fall besteht allerdings darin, dass die Angaben der AP und der APl schlichtweg voneinander abweichen. Zu diesen Varianten mag es während der ganzen Phase der Überlieferung gekommen sein: wie die verschiedenen Angaben in der AP und APl zeigen, auch noch nach Kephalas. Die verschiedenen Abschriften, die im Umlauf waren, führten zwangsläufig nicht nur zu berechtigten, sondern auch zu vermeintlichen Korrekturen, und nach subjektiven Plausibilitätskriterien getroffene Entscheide konnten sich leicht weiter fortpflanzen. Vor solchen Verdunkelungen waren selbst Epigramme wie AP 7,13 oder 352 im Meleagerkranz nicht geschützt, von denen Meleager selbst noch wissen musste, ob er ihr Verfasser war oder nicht – das Beispiel zeigt klar, dass die Verunklärung in die spätere Überlieferung gehört.136 Gow, der sich insbesondere im Zusammenhang mit dem Meleager- und Philippkranz mit der generellen Problematik unsicherer Autorenzuweisung beschäftigt hat, stellte eine Typologie der häufigsten Arten von Fehlern auf, wie sie sich in der Überlieferung breitmachen konnten.137 Er nennt: (1) ›Illegibility‹ (insbesondere wenn die Namen in zweideutiger Weise abgekürzt worden waren, wie z. B. ›Νικ~‹), (2) ›Marginalia‹: Ein relativ häufig auftretendes Problem, das dadurch entsteht, dass die Randscholien gemessen am Epigramm zu lang sind. Konfusion ergibt sich, wenn die Scholien zum nächsten Epigramm weiterlaufen oder auch, wenn das nächste Epigramm keine genaue Angabe besitzt: Die ursprüngliche Zugehörigkeit kann mit der Zeit unklar werden. 136 Gow 1958: 31. 137 Gow 1958: 33ss.

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(3) ›Τοῦ αὐτοῦ‹: Solche Titel sind besonders anfällig, weil ihre weitere Richtigkeit von der genauen Einhaltung einmal gegebener Reihenfolgen abhängig ist. (4) ›Absorption and False Division‹: Dies betrifft den Epigrammtext selbst. Größerer Freiraum zwischen einzelnen Epigrammen war in den Handschriften oft nicht vorgesehen. Die Frage, ob ev. zwei zusammengewachsene Epigramme vorliegen, wird und wurde auch mehrmals im Zusammenhang mit Nikarch diskutiert.138 Schließlich: (5) ›Erudition and Conjecture‹: von einem Schreiber aufgrund ›philologischer‹ Überlegungen eingebrachte Zuweisung, meistens aufgrund thematischer und motivischer Ähnlichkeiten. Gerade in diesem letzten Fall ist – bis heute! – die Gefahr von Zirkelschlüssen evident: Motive werden als ›typisch‹ für bestimmte Autoren festgelegt; aufgrund dieser Kriterien werden dann Gedichte den entsprechenden Verfassern zuerkannt. Solche Zuweisungen können dann wiederum als lectio facilior abgelehnt werden. Ein Beispiel für diesen letzten Fall ist AP 11,415 mit dem Titel ΑΝΤΙΠΑΤΡΟΥ Η ΝΙΚΑΡΧΟΥ. Das Thema des Epigramms – Gleichsetzung von Mund- und Aftergeruch – begegnet auch in AP 11,241s., wo die AP nur einen Autor liefert: Nikarch. Da das Motiv allgemein als für diesen typisch angesehen wird, nehmen fast alle Editoren entsprechend an, auch 11,415 passe eher zu Nikarch.139 Der Gedanke ist legitim, nur zeugt die Prämisse von der stillschweigenden Annahme, es sei ausschließlich Nikarch gewesen, der sich mit dieser Art obszöner Direktheit beschäftigt hätte. Woher diese Sicherheit? – Die Art und Weise, wie die Pointe in 11,415 entwickelt ist, scheint mir umgekehrt eher dafür zu sprechen, dass dieses Gedicht eine Vorlage für 11,241s. ist. Eine Zuweisung von 11,415 an Antipater von Thessalonike entspricht somit der lectio difficilior und erscheint gerade deswegen als attraktiv, während umgekehrt eine Zuweisung aufgrund anderer Epigramme zum selben Thema mit gewisser Wahrscheinlichkeit auch der ›philologischen Schlussfolgerung‹ irgendeines Bearbeiters im Laufe der langen Überlieferungskette entstammen kann. Dennoch, ganz ausschließen lässt sich Nikarch natürlich nicht.

138 S. zu AP 11,118; 242; auch in POxy. 4502 fr. 2. 139 So Jacobs, Sakolowski, Stadtmüller und Beckby. Die bei letzterem im Kommentar gegebene Anmerkung, Waltz hätte die Zuschreibung an Antipatros von Thessalonike unterstützt, konnte ich nicht nachvollziehen; unter Antipater findet sich das Epigramm als Nr. 105 bei Gow-Page, GP. Offen gelassen ist die Autorschaft bei Aubreton (in der Anmerkung: ›… les critiques préfèrent l’attribution à Nicarque‹). – Für die beschriebene Argumentationsweise cf. auch Argentieri 2003: 212 (›Al Tessalonicese non è certo estraneo la tonalità cruda e aggressiva di questo epigramma …; tuttavia Nicarco sembra essere un candidato migliore, visto che in 11.241 e 11.242 presenta la stessa tematica con la stessa pointe (l’incertezza tra bocca e deretano, o tra fonazione e peto) e in 11.395 tesse l’elogio del peto.‹).

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Im Folgenden seien die Fälle, in denen Nikarch in bezug auf Urheberschaft zu anderen Autoren in Konkurrenz steht, unter der Verwendung von Gows Kategorien in numerischer Reihenfolge zusammengestellt (fett sind die Nummern, die in dieser Ausgabe als Epigramme Nikarchs akzeptiert werden; was für die anderen Fälle nicht bedeuten soll, dass die Möglichkeit ganz grundsätzlich ausgeschlossen wird). Die hier gefällten Entscheidungen zugunsten des einen oder anderen Autors weichen kaum je von denen der meisten Editoren ab (außer für 11,415, wie eben diskutiert). In aller Regel werden sie bei diesen allerdings nicht oder nur spärlich begründet. Für weitere Informationen sei auf die jeweiligen Einzelbesprechungen verwiesen.140 11,7: Νικάνδρου P : Νικάρχου Pl. Beispiel für Fall (1) in Gows Klassifikation. Sprachduktus und Thema sprechen klar dafür, dass die APl die richtige Form bietet. Ferner wäre Nikander im 11. Buch der AP mit keinem weiteren Beispiel vertreten. 11,17: Ein Vorzeigebeispiel für die Kombination von Fall (1) und (2), weil auch über die Vorlage, aufgrund derer der Fehler entstand, Klarheit besteht. In der AP lautet die Autorenangabe Νικάρχου; laut den in Wechels Edition (1600) abgedruckten privaten Randnotizen (›Scholia Wecheliana‹) eines Exemplars der Erstausgabe der Planudea von Laskaris (1494)141 stammt das Epigramm von Lukianos, während es in der APl unbezeichnet ist. Die Autorenangabe wurde vom vorhergehenden Epigramm übertragen, das in der AP 11,10 entspricht, dort aber mit der Angabe Λουκιλλίου, was zu der so oder so fehlerhaften Angabe in den Scholia Wecheliana für das AP 11,10 entsprechende Epigramm führte (die Handschrift der AP selbst wurde zu dieser Zeit gerade erst entdeckt).142 Zur Differenz in der Autorenangabe von AP 11,10 führte ganz offensichtlich eine Abkürzung Λουκ. in der Traditionslinie. Der Fall ist textgeschichtlich bedeutungslos, aber als Illustration für vergleichbare, ältere Fälle doch instruktiv. Siehe Aubreton 21 n. 2. 11,72: Βασσοῦ Σμυρναίου P : Νικάρχου Pl. Die Angabe in der APl stammt wohl vom vorangehenden 11,71, dessen Text allerdings erst in einer späteren Phase Eingang in das Manuskript fand. Nach der Schreibung des Titels Νικάρχου wäre also ein Epigramm in der Vorlage übersprungen worden (und dadurch der richtige Titel Βασσοῦ Σμυρναίου verlorengegangen?). Siehe Aubreton 25 n. 1. Unterstützend kann m.E. argumentiert werden, dass die Sprache in AP 11,72 einen ganz anderen Charakter besitzt als in den umgebenden Nikarchepigrammen 11,71 und 73; das Thema wird ge-

140 Nicht mehr wiederholt wird hier die Diskussion, ob ein mit Νικάρχου bezeichnetes Epigramm dem älteren oder jüngeren Nikarch zuzuweisen ist; dazu s. oben p. 20s. 141 Diese Marginalien entstanden wohl durch den Vergleich mit späteren Abschriften der Planudea, die für die Textgeschichte ohne Bedeutung sind (Rozema 1971: 36). 142 Siehe oben p. 19 und Beckby I 90ss.

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mächlicher ausgebreitet, und die Schlusspointe scheint näher beim Anfangsthema als insbesondere bei 11,73. 11,102: Ἀμμιανοῦ οἱ δὲ Νικάρχου P (deest tit. in Pl). Dieses Distichon nimmt Bezug auf 11,308 (Lukillios), dessen Pentameter es übernimmt. Es wäre umgekehrt schwerlich vorstellbar, dass 11,308 das jüngere Gedicht wäre. Für 11,102 ist bezüglich Autorschaft eine definitive Entscheidung kaum möglich (in den Editionen bis auf Aubreton wird sie offen gelassen). Nikarch nimmt öfters Bezug auf Lukillios, aber genau diese Überlegung könnte auch für den Zusatz οἱ δὲ Νικάρχου ausschlaggebend gewesen sein (also Kategorie (5) nach Gows Klassifikation). Der Umstand, dass auch noch 11,110 und 407 von Nikarch dem λεπτός gewidmet sind, mag eine Änderung der Angabe bei 11,102 zugunsten Nikarchs noch begünstigt haben. Schulte bevorzugt – mit der nötigen Vorsicht – auch wegen der stärkeren Vorliebe Ammians für Monodisticha die Zuschreibung an diesen,143 während Nisbet eher an Nikarch denkt.144 11,111–16: In APl ist 11,111 mit Λουκιλλίου betitelt; in der AP fehlt eine Angabe, dafür setzte ein späterer Schreiber an den Rand von 11,112ss. ›τοῦ αὐτοῦ‹, so dass man, geht man allein von der Evidenz in der AP aus, alle diese Epigramme noch auf den Autor von 11,110 beziehen müsste, nämlich Nikarch.145 Es handelt sich also um ein typisches Beispiel von Fehlertyp (3). Ich folge der Mehrheit der Editoren, welche die Angabe der APl (die ja mit keiner Angabe der AP in Konkurrenz steht) für richtig halten (die Epigramme sind auch in Rozema 1971 aufgenommen und kommentiert; anders, aber mit der Möglichkeit im Auge, der Autor könnte Lukillios sein, entschied sich Geffcken 1936: 279). 11,118–22: Hier ist eine ganze Epigrammreihe von einer unangenehmen Verwirrung in der AP betroffen. Epigramm 119 und 118 tauchen in der AP noch ein zweites Mal auf, und zwar vor 11,333, wo sie wie dieses die Zuschreibung Καλλικτῆρος resp. ›τοῦ αὐτοῦ‹ tragen. Bei seinem ersten Vorkommen ist 11,118 mit dem vorhergehenden Epigramm 117 von Strato verbunden146 (Gows Kategorie [4]), worauf dann 119ss. mit der Bezeichnung ›τοῦ αὐτοῦ‹ folgen. Strato fällt aber für die nachfolgende Gruppe aus thematischen Gründen mit einiger Sicherheit weg.147 Dazu kommt die Evidenz der APl: sie schreibt die Epigramme Nikarch zu.148 Zu entscheiden bleibt al143 Schulte 1999: 11; vgl. Schulte 2004: 11; 27. 144 Nisbet 2003a: 91, wo sich auch eine Besprechung des durch Überlieferungsprobleme verdunkelten Verhältnisses zwischen AP 11,102 und 308 findet. 145 So entschied sich Jacobs in seiner Ausgabe (cf. Schulte 1999: 11). AP 11,111 wird auch von Nisbet 2003b: 192 Nikarch zuerkannt. 146 Cameron 1993: 67ss. 147 Vgl. Floridi 2007: 414s. 148 Stefano Ceccaroli (Università di Bologna) hat mir briefl. seine interessante Vermutung

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IV. Nikarch-Epigramme in der AP

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so zwischen Kallikter (so die älteren Ausgaben außer Brunck) und Nikarch (so die Ausgaben ab Aubreton). Für Kallikter als Autor könnte argumentiert werden, dass die Präsenz von Nikarchepigrammen zum selben Thema (sicher 11,124, wohl aber auch schon 11,120–22) die Zuschreibungen an Kallikter ›aufgesogen‹ hat, wie das gelegentlich geschieht, so dass schließlich alle Epigramme einer thematischen Reihe auch mit demselben Autor verbunden werden.149 Andererseits scheint gerade dieses Phänomen hier doch nicht vorzuliegen: (a) ›ΗΔΥΛΟΥ‹ hat sich in beiden Anthologien für Epigramm AP 11,123 halten können, entkräftet also diese Argumentation gleich wieder. (b) Es muss nochmals betont werden, dass Kallikter als zusätzliche Option (aufgrund der zweiten Nennung innerhalb der AP) nur für 11,118 und 119 gilt; 120–122 dagegen kommen nur einmal vor und sind mit ›τοῦ αὐτοῦ‹ einzig an Straton gehängt, den wir schon ausgeschlossen haben. Nun weisen ausgerechnet sowohl 11,118 wie auch (insbesondere!) 119 Gestaltungsmerkmale auf, die ich, soweit sich in der Spottepigrammatik überhaupt individuelle Züge ausmachen lassen, als geradezu typisch für Nikarch bezeichnen möchte: die erneute Steigerung bereits in der Epigrammatik angelegter Hyperbeln bis zur Grenze des Machbaren (118) sowie die Fähigkeit, in das formale Gefäß eines bestehenden Epigramms einen total neuen Sinn einzuarbeiten – eine besondere Form der Parodie (119).150 Natürlich wäre es wiederum methodisch falsch, solche aus einer geringen Zahl von Beispielen herausgelesene und für einen Autor als typisch bezeichnete Eigenschaften nicht auch einem anderen zuzutrauen – es geht hier bloß um Wahrscheinlichkeiten. Kallikter selbst ist für uns leider eine nur sehr schwer greifbare (geschweige denn datierbare) Persönlichkeit.151 Ein Ärzte-Epigramm (AP 11,333; Wortspiel mit αἴρειν; ohne auffällige Hyperbel) schreibt ihm die APl zu, während der Text der AP verdorben ist (sie bietet die unverständliche Marginalie πειου).152 Die drei anderen ihm zugewiesenen Epigramme in über das Zustandekommen dieser Situation mitgeteilt (jetzt 2011: 134s.), wofür ich ihm an dieser Stelle nochmals herzlich danken möchte. Die erneute Anordnung der Epigramme AP 11,119 und 118 vor 333 könnte auf eine ursprünglich alphabetische Anordnung von ÄrzteEpigrammen in folgender Weise hindeuten: AP 11,116 (ε) – 117 (ι) – 119 (ι) – 118 (ο) – [ev. 120 (ο)] – 333 (φ) – 121 (χ). Diese Folge hätte dann aus nicht mehr erkennbaren Gründen an zwei verschiedenen Orten in der AP ihren Niederschlag gefunden; klar scheint, dass das Thema von AP 11,333 das nochmalige Anführen von AP 11,119 und 118 ausgelöst haben muss. An dieser zweiten Stelle hat die Einfügung sogar eine bestehende alphabetische Folge (AP 11,329–333) aufgelöst. 149 Vgl. dasselbe Phänomen in AP 11,72. 150 S. unten Kap. I.1, wo für die hier beschriebene Eigenheit die Bezeichnung ›Translation‹ vorgeschlagen wird (cf. auch 11,328). 151 In G. Nisbets Überblicksdarstellung über das griechische skoptische Epigramm (2003) kommt sein Name nicht einmal vor. S. jetzt aber Ceccaroli 2011: 127ss. 152 Dazu vgl. die Besprechung von AP 11,332,5 im Kommentarteil.

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Einleitung

Buch 11 liegen alle im thematischen Bereich der Συμποτικά; zwei erotische Epigramme rufinischen Stils in Buch V (29 und 45) – dort mit der Bezeichnung ›Killakter‹ – runden das Bild ab. 11,331: Τοῦ αὐτοῦ [sc. Νικάρχου] P : Ἀντιπάτρου θεσσ〈αλονικέως〉 Pl. Dass das Epigramm innerhalb einer alphabetischen Reihe steht, ist ohne Aussagekraft für die Autorenfrage, weil die alphabetische Anordnung mit einiger Sicherheit sekundär ist.153 In diesem Falle scheint es mir sinnvoll, das Epigramm in Verbindung mit Schöpfungen des Lukillios zum Thema des Schiffbruchs sowie Rufins Epigramm AP 5,44 zu lesen; die Linie zu letzterem könnte in diesem Fall möglicherweise besonders eng sein.154 Das spricht aber gegen Antipater als Autor, dessen Tätigkeit wohl nicht viel über 15 n. Chr. hinausreichte.155 Wie auch bei AP 11,415 hält Argentieri Nikarch aus allgemeinen thematischen Gründen für einen ›candidate migliore‹.156 Unerklärlich bleibt allerdings die Genese der alternativen Zuschreibung. 11,398: Νικαίου P : Νικίου Pl : Νικάρχου corr. Brunck. Ein weiteres Beispiel für die Verwirrung durch Abkürzung (Kategorie [1]), wobei der Fehler auf einen gemeinsamen Vorläufer der AP und APl zurückgeht und nirgends korrigiert wurde. 11,415: Siehe Besprechung weiter oben in diesem Kapitel. Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass Sakolowski, teilweise gefolgt von späteren Editoren, auch 11,158, 219 (wegen des gleichen Wortspiels wie in 11,252)157 von Antipater, wohl weil er diese Form von Skoptik bei ihm für unmöglich hielt, sowie das sicher nicht von Meleager stammende Epigramm 11,223 Nikarch zuschreiben wollte (für letzteres gibt es eine ganze Reihe weiterer Vorschläge; wiederum für Nikarch spricht sich jüngst Ceccaroli 2011: 65s. aus). Keine dieser philologischen Spekulationen scheint überzeugend genug; sie illustrieren lediglich die Zeitlosigkeit der Kategorie (5) in Gows Schema.

153 S. oben p. 58s. 154 Vgl. oben p. 57s. Zur möglichen Datierung Rufins noch ins 1. Jh. n. Chr. s. Cameron 1993: 69; cf. Höschele 2006: 49ss. 155 Argentieri 2003: 34–8. 156 Argentieri 2003: 199. 157 Siehe auch unten Kap. VII p. 110s. zu Philogelos.

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V. Spottepigramme und ihr ›Sitz im Leben‹158

Zur Problemlage: Ein Überblick. Gemäß der Scholienbemerkung am Anfang des 11. Buchs in der Handschrift der Anthologia Palatina ist das Symposion der Ort, mit dem unsere Epigramme in symbiotischer Weise verbunden seien: ›Die sympotische Gattung setzt sich aus Scherzen und Ratschlag zusammen, die die Alten aus dem Stegreif untereinander beim Trinken improvisiert haben (τὸ συμποτικὸν εἶδος ἐκ σκωμμάτων σύγκειται καὶ συμβουλῆς τῶν παλαιῶν ἀεὶ παρὰ τὸν πότον ἀλλήλους ἀποσχεδιαζόντων).‹159 Obgleich diese Feststellung höchstwahrscheinlich nicht aus der Antike stammt,160 liefert sie zumindest auf den ersten Blick eine willkommene Verortung der σκωπτικά, die dabei als die witzige Teilgruppe im etwas genereller gefassten Konzept der συμποτικά angesehen werden können, genau wie sich der Befund des 11. Buchs der Anthologia Palatina insgesamt ja auch darbietet. Als besonders hervorgehobenes Charakteristikum ist neben der Bezeichnung witziger und auch erbaulicher Inhalte daneben das Element der Improvisation (ἀποσχεδιάζειν) genannt. Man hat sich nun die Frage gestellt, auf welche Weise in der gesellschaftlichen Realität des 1. Jhs. alle diese Elemente miteinander verbunden gewesen sein konnten: Dem Wesen des ἀποσχεδιάζειν entsprechend, müsste man sich vorstellen, dass nach einem kreativen geselligen Abend besonders gute Produkte aufgeschrieben wurden, vielleicht weniger um sie der Nachwelt zu erhalten als sie bei anderer Gelegenheit noch einmal griffbereit zu haben. Eine andere Möglichkeit besteht darin, sich den Dichter selbst unter den Eingeladenen vorzustellen. Oder 158 In ihrem nach Abfassung dieses Textes herausgekommenen Buch Die blütenlesende Muse. Poetik und Textualität antiker Epigrammsammlungen (Tübingen 2010) setzt sich Regina Hoeschele in einem mit ›Symposialdichtung oder Buchpoesie?‹ betitelten Kapitel (p. 27ss.) ebenfalls mit diesem Thema auseinander. Es freut mich zu sehen, dass wir unabhängig voneinander und mit z. T. sehr ähnlichen Argumenten weitestgehend zu den selben Ergebnissen gekommen sind. 159 Für den vollständigen Text s. oben p. 48. 160 Von der bisherigen communis opinio, sie stamme aus derselben Phase wie die Gliederung der Epigramme nach Untergattungen mit den entsprechenden Bezeichnungen, d. h. wohl von Kephalas, weichen jetzt Livingstone/Nisbet 2010: 15s. ab mit der Hypothese, sie könne aus der Zweiten Sophistik stammen – wohl hauptsächlich wegen der Verwendung des Ausdrucks οἱ παλαιοί. Doch neben den bereits dort Fn. 28 vorgebrachten Problemen ist auch zu bedenken, dass diese Bezeichnung genauso in byzantinischer Zeit für die ›Menschen in der Antike‹ möglich ist.

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verhielt es sich wohl nicht am häufigsten so, dass der Gastgeber oder verschiedene Teilnehmer vor dem Symposion ihre gesammelten (und somit bereits schriftlich zur Verfügung stehenden) Epigramme konsultierten und aus diesem Schatz einige auswählten, die vor der Gesellschaft präsentiert werden konnten?161 Wo wäre aber hier das ἀποσχεδιάζειν? – Ich hoffe, im Laufe dieses Kapitels illustrieren zu können, dass die Frage in dieser antithetisch zugespitzten Form methodisch falsch ist: sie bringt uns keinen Erkenntnisfortschritt. Stattdessen erscheint es angebracht, die Vorstellung vom ›Sitz im Leben‹ für unsere Epigramme auszuweiten. Denn neben dem wie auch immer gearteten ›mündlichen‹ Aspekt gehört zum ›Sitz im Leben‹ auch von allem Anfang an die Auseinandersetzung mit dem Epigramm als geschriebenem Produkt. Diese mindest so wichtige, wenn nicht sogar bedeutendere Seite zeitgenössischer Interaktion mit dem Epigramm ist gerade in Folge der jüngst am Mailänder Poseidipp-Papyrus (3. Jh. v. Chr.) vollzogenen Beobachtungen viel stärker in den Vordergrund gerückt und lässt sich trotz Differenz in der Entstehungszeit ohne größere Modifikationen auch auf Nikarch übertragen.162 Die zufälligen Einblicke, die uns sowohl der Poseidipp-Papyrus wie auch die Oxyrhynchus-Papyri mit den NikarchTexten gewähren, führen uns in ein Stadium noch vor dem Wirksamwerden der Auswahlkriterien für Anthologien, die letztlich die Gestalt der AP und APl prägten. Sie führen im Grunde direkt in das hinein, was zum ganz ursprünglichen ›Sitz im Leben‹ dieser Epigramme gehörte und sich in der Antike in einer beachtlichen Menge privater Buchrollen äußern musste. Die Besitzer solcher Epigrammrollen unterscheiden sich von einem heutigen Besitzer von Goethes gesammelten Werken, aber auch von einem antiken Buchbesitzer, der sich das Werk eines bestimmten Autors integral beim Buchhändler erstanden hat oder von einem Sklaven hat kopieren lassen, in mehreren wichtigen Punkten: diese Epigrammzusammenstellungen gehen weniger auf auktorielle Anordnung oder kanonische Auswahlen zurück als auf eigene, mitunter ganz persönliche Kriterien. Auf diese Weise kompilierte Sammlungen stellen hinsichtlich Abfolge und Auswahl der Elemente jeweils Unikate dar, die in genau dieser Form wohl in der Regel auch nicht weiter161 Vgl. Parsons 2002: 104; Nisbet 2003: 33s.; Obbink 2007: 282. – Wir wissen beispielsweise, dass Gedichte von Statius und Juvenal an Gastmählern aufgeführt wurden (vgl. SteinHölkeskamp 2005: 251). Für die griechischen Spottepigramme des 1. Jhs. n. Chr. liefern uns die Quellen dagegen keinen solchen Hinweis. Anders steht es bei Martial, wo in 10,20,19ss. die Lektüre aus seinem Buch im Rahmen eines Gastmahls im Hause des jüngeren Plinius suggeriert wird – als ›Kontrastprogramm‹ zu dessen gelehrter Tätigkeit. Ausuferndes Vorlesen beim Gastmahl galt als lästig (vgl. 3,50) – eine Chance für das Epigramm, dessen Reiz in der Kürze liegt? Umgekehrt verbindet sich in 5,78 mit der Einladung des Gastgebers das Versprechen, nichts vorzulesen, sei es auch, wie in 11,52, um den eingeladenen Dichter selbst zum Zug kommen zu lassen (Hardie 1983: 50ss.). 162 S. dazu Obbink 2005: 111ss.; vgl. a. Livingstone/Nisbet 2010: 18.

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V. Spottepigramme und ihr ›Sitz im Leben‹

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überliefert wurden,163 und ihr Kompilator nimmt damit eine Mittelstellung zwischen Autor und Kopist einer bereits vorgenommenen Auswahl ein: Er vollzieht auf seine Weise ebenfalls einen kreativen Akt, ja wird aktiver Teilnehmer am ›epigrammatischen Spiel‹.164 Auf diesen m.E. eminent wichtigen Punkt wird im Lichte der Nikarchpapyri nochmals zurückzukommen sein; ich verweise daher auf das Kapitel ganz am Schluss dieses Buches. Wie bereits erwähnt, ist es gut denkbar, dass ein Besitzer solcher Sammlungen auch im Vorfeld von Einladungen darauf zurückgreifen konnte, um seine Gäste damit zu beeindrucken und zu vergnügen, auch wenn wir letztlich nie wissen werden, ob nun gerade die Besitzer der Poseidipp- und Nikarch-Papyri ganz solitär für sich dieses epigrammatische Spiel trieben oder es hinaustrugen in die lärmende Heiterkeit des Gastmahls.165 Von diesen direktesten Zeugnissen zeitgenössischer Epigrammkultur in Form von ›Mini-Anthologien‹ hat uns der Zufall ganz wenige in die Hand gepielt;166 für Nikarch haben wir diesbezüglich also überdurchschnittliches Glück. Was nun andererseits die Kontexte betrifft, in welche sich die Epigramme Nikarchs selber einordnen, so ist das Gastmahl in der Tat sehr häufig präsent. Die ›Eroberung‹ des Symposions hat das Epigramm bereits in hellenistischer Zeit vollzogen,167 und die Verbindung der beiden gehört seither zu den fruchtbaren literarischen Elementen. So finden sich bei Nikarch zahlreiche Topoi, die die typische Atmosphäre eines Symposions kreieren: großzügiger Weingenuss, (fehlende) Qualität des Essens, sowie ganz allgemein die Begleitumstände einer Einladung wie etwa (zumindest vordergründig) die Schwierigkeit, bei der Adresse des Gastgebers überhaupt anzukommen, besonderes Tischgerät, oder das typisch sympotisch-agonale Element, bei welchem jeder Gast in der Runde den Vorgänger zu überbieten hat, und weiteres mehr, auf das wir gleich nochmals zurückkommen werden. All diese Themen gehören zu einem dem antiken Leser/Hörer vertrauten Bereich, und der Eindruck, dass umgekehrt zu einem Gastmahl auch Epigramme gehört haben müssen, stellt sich fast automatisch ein. Man könnte also von einer fruchtbaren Wechselbeziehung sprechen, wobei auf der ›Realienseite‹ doch wohl eine funktionierende Gastmahlkultur die lebenserhaltende 163 Vgl. Obbink 2005: 115. 164 Dies gilt genauso, wenn man annimmt, dass der Besitzer für seine Auswahl ja mit größter Wahrscheinlichkeit bereits auf eine oder mehrere Vorlagen zurückgreifen musste, die ihrerseits eine Auswahl darstellten. Vgl. Cameron 1993: 4 ›The epigram was in fact destined by its very nature to be anthologized‹; eine Kernaussage, die sich Gutzwiller 1998: 14 als Ausgangspunkt für ihre Untersuchung nimmt. Die für den ›Sitz im Leben‹ des Epigramms wichtige Rolle des Sammlers/Liebhabers, der mit dem Dichter nicht personengleich ist, darf aber keineswegs unterschätzt werden. 165 Vgl. auch Parsons 2002: 112. 166 Gutzwiller 1998: 20ss.; Johnson 2005: 78s. 167 S. unten p. 82 mit Fn. 189.

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Voraussetzung dafür ist. Ja, das aus den historischen Quellen nachvollziehbare neue Erstarken dieses traditionellen sozialen Phänomens in dieser Periode gibt uns eine Bestätigung, dass wir nicht bloß von einem literarischen Topos sprechen können. Es bleibt andererseits zu betonen, dass wir bei Nikarch sehr oft auch bei einem Symposion präsent sein können, ohne realiter bei einem solchen teilnehmen zu müssen. Der Übergang vom realen zum vorgestellten Gastmahl ist einfach, und wir sollten Nikarchs sympotische Settings insgesamt als eher generisch bezeichnen und als literarische Konstruktionen ansehen. Der eingeschränkte Raum eines Epigramms lässt es gar nicht zu, die Details einer in Raum und Zeit konkret festgesetzten Einladung auszubreiten. Dies soll kein Widerspruch zum eben Gesagten sein, denn Wirklichkeit kann auch sehr konkret konstruiert, die Fiktion sehr ›realistisch‹ sein. Ein Beispiel für die Problematik, in der wir uns bewegen: Wie gehen wir mit einem (nach Schulte) ›mäßig witzigen‹ Epigramm über den crepitus ventris wie AP 11,395 um, das uns zudem auch keine literarisch besonders ausgeklügelte Technik offenbart? Ist ein solcher Kalauer, dessen primäre Wirkung auf der Nennung des Fäkalbereichs beruht und bei dem die Zuhörer gewiss auch spontan losgeprustet haben, vielleicht doch ein aus einem mündlichen Kontext in die Epigrammsammlung gerutschter ›Irrläufer‹? Ich ziehe eine Sichtweise vor, die auch solche Beispiele als Produkte einer sehr realitätsgetreuen literarischen Fiktion erklärt. Wie bereits bei der Untersuchung von Sprache und Stil gezeigt wurde, gehört das Vulgäre genauso zum literarischen Werkzeug dieser Epigramme wie raffinierte und verborgene Anspielungen. Man könnte sagen: im Generieren von ›Mündlichkeit‹ ist Nikarch ungemein ethopoietisch – und somit literarisch. Zu seiner Kunst gehören alle Elemente, die uns im Zitat eingangs dieses Kapitels begegnet sind: Witz, (Eindruck von) Spontaneität und Einfälle aus dem Stegreif, dies Hand in Hand mit ausgeklügelter Intertextualität und Spiel mit der Tradition des Genus Epigramm, ›Mündlichkeit‹ ebenso wie ›Schriftlichkeit‹ also. Die Verhältnisse im realen ›Sitz im Leben‹ dieser Gedichte sind darin sozusagen gespiegelt. Damit ist fürs erste die Problemlage umrissen und gleichzeitig ein weiter Bogen aufgespannt. Verschiedene der angesprochenen Themen bedürfen nun noch einer genaueren Behandlung. Um dabei eine gewisse Struktur zu gewährleisten und der Gefahr eines allzu starken Mäandrierens zwischen den zahlreichen Aspekten zu entgehen, sei folgende Gliederung gewählt: (1) In einem ersten Exkurs soll mit Hilfe weiterer Quellen, d. h. ›von außen‹ her, wenigstens in den Grundzügen ein Bild über die historische Situation des Symposions als Hintergrund für unsere Epigramme gezeichnet werden. (2) Daraufhin soll für einen Moment der Blick auf das erste der beiden im Scholion genannten Elemente gerichtet sein, die sich von unseren Epigrammen

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und ihrer Tradition nicht trennen lassen: der ›Spott‹ oder eigentlich genauer ›Witz‹ (σκῶμμα). (3) Wir kehren dann wieder zu Nikarch selbst zurück und betrachten nochmals genauer einige Themen und Techniken, mit denen er seine Epigramme deutlich in den Symposionskontext stellt (wozu auch das zweite im Scholion genannte Element, die Improvisationskunst, gehört), bevor (4) am Ende des Kapitels, sozusagen als Quintessenz, nochmals ein Versuch unternommen werden soll, die Gedichte im Spannungsfeld zwischen ›Mündlichkeit‹ und ›Schriftlichkeit‹ zu situieren, wie das ansatzweise ja bereits geschehen ist. Hintergrund und Exkurs 1: Das Symposion/convivium im 1. Jh. n. Chr. Wie angekündigt, soll in diesem Abschnitt der Blick wenigstens kurz auf das Symposion bzw. convivium und seine Strukturen in der Zeit des 1. Jhs. n. Chr. gelenkt werden. Es kann in diesem Rahmen nicht darum gehen, einen Abriss über die Institution seit archaischer Zeit zu geben; dafür sei auf die sich in jüngster Zeit in erfreulicher Weise mehrenden Kolloquiumsbeiträge verwiesen.168 Hier soll nur abgesteckt werden, was für eine genauere Eingrenzung des performativen Kontextes und Hintergrundes unserer Epigramme von Bedeutung sein könnte. Sowohl im hellenistischen Osten wie im römischen Italien scheint das Gastmahl als zentraler Ort sozialen Austausches, mehr aber noch der sichtbaren Bestätigung sozialer Hierarchien in Form einer Zurschaustellung der Stellung des Gastgebers, seine Bedeutung nie eingebüßt zu haben. Wohl gibt es regionale Unterschiede: zur hellenistischen Tradition gehören größere Speiseräume (ἀνδρῶνες), in denen die Speisenden auf je einem Sofa lagen, während sich auf römischer Seite als wohl italische Erfindung das triclinium (ein langschmaler Speiseraum mit 2 Sofas an der Längsseite und einem an der Schmalseite) findet, in welchem die Bankettteilnehmer zu dritt auf einer Kline lagen. Infolge dieser räumlichen Begrenzung waren die Einladungen notwendigerweise von intimerem Charakter; in den Palästen der Vertreter der obersten Gesellschaftsschichten konnten große Bankette selbstverständlich durch die gleichzeitige Nutzung mehrerer nebeneinanderliegender Triklinienräume veranstaltet werden. Im Laufe des 1. Jhs. n. Chr. kamen allerdings mit den sog. Rund-Triklinien (stibadia) auch Speiseräume auf, die schon für sich wieder größere Zusammenkünfte erlaubten.169 Mit der Größe der Speiseräume verknüpft ist die Reflexion um die ideale Teilnehmerzahl. Abgesehen von den Empfängen für Würdenträger am kaiserlichen Hof170 hört man von patroni, für deren Selbstwertgefühl ei168 Murray 1984; Slater 1991; Vössing 2007; s. auch B.K. Gold / J.F. Donahue, Roman Dining, Baltimore 2005. 169 Dunbabin 2004: 40ss. 170 Die literarische Verarbeitung eines Augenzeugen eines Gastmahls bei Domitian ist Stat. silv. 4,2,32ss.

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ne möglichst hohe Zahl versammelter Klienten auch beim Gastmahl wichtig war.171 Solche ›Massenabfertigungen‹ finden ihren literarischen Niederschlag etwa in Epigrammen Martials.172 Andere Ideale herrschten in Kreisen, wo die Schaffung einer Atmosphäre freundschaftlicher Vertrautheit und zumindest ähnliche Interessen unter den Teilnehmenden im Mittelpunkt standen.173 In solchen Zirkeln ist gemeinsames Scherzen in seiner ganzen formalen Spannbreite am ehesten vorstellbar. Wer führte die Gastmähler durch? – In der Aristokratie gehörte die Einladung zum täglich wiederkehrenden Ritual, in welchem die gesellschaftliche Position des Gastgebers, aber auch der Eingeladenen bestätigt wurden. Qualitative Abstufung in der Bewirtung, je nach sozialem Rang des Eingeladenen, war normal174 und ein häufiges Thema bei Juvenal und Martial,175 und auch bei Nikarch steht in einem Epigramm ein Mahl mit kärglichen Drosseln im Zentrum (AP 11,96; Kap. II.2). Auch abgesehen von diesem Diskurs ist naturgemäß die Quellenlage für die aristokratischen Gastmähler am besten (wobei wir uns cenae wie die des Nasidienus bei Horaz sat. 2,8 und die des Trimalchio bei Petron als grotesk überzeichnet vorstellen müssen). Es spricht jedoch vieles dafür, dass Einladungen so sehr als Institution in der Gesellschaft integriert waren, dass wer immer sich es irgendwie leisten konnte, auch darum bemüht war, solche durchzuführen, und dies war nicht auf das Zentrum Rom beschränkt. Eine diesbezüglich interessante Evidenz haben die Papyri aus Oxyrhynchos geliefert, in denen die Anzahl gefundener Einladungsschreiben zur cena für ein mittelmäßig wichtiges Städtchen erstaunlich hoch ist.176 Mehr als mit der Präsenz außerordentlich zahlreicher ranghoher Persönlichkeiten ist das Phänomen mit der guten Verankerung des Symposions in weiten Teilen der Gesellschaft zu erklären. Ein indirektes Indiz für die Verwendung literarischer Texte in einem solchen sozialen Kontext erhalten wir möglicherweise aus der Tatsache, dass zahlreiche Beispiele – nicht zuletzt die neuen Nikarch-Epigramme (Sektion III) – auf der versoSeite dokumentarischer Papyri stehen (beispielsweise mit Abrechnungen auf der Vorderseite) und somit weder zu einem Schultext noch zu einer Textausgabe gehört haben können. Angesichts der Tatsache, dass Lesen in der Antike in aller Regel ein gesellschaftliches Unterfangen war, ist die bereits zu Beginn des Kapitels angesprochene Möglichkeit zumindest nicht ausge-

171 Tac. hist. 1,4,3. 172 Mart 1,43; 11,35; vgl. Sen. epist. moral. 19,10. 173 Hor. epist. 1,5,24ss. – Varro sat. Men. fr. 333 Krenkel (= Gell. 13,11,1s.) definiert eine Teilnehmerzahl von 3 bis 9 als ideal. 174 Stein-Hölkeskamp 2005: 94ss. 175 Einige Bspe: Iuv. sat. 5,67ss.; Mart. 3,60; 4,68; vgl. auch Plin. epist. 2,6,1ss. 176 Bagnall 2007: 188.

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schlossen, dass der Besitzer des Dokuments sich Texte gesammelt hatte, um diese bei einer Einladung rezitieren zu können.177 Es schließt sich die Frage an, ob und inwiefern sich im 1. Jh. n. Chr. noch die Bankette im griechischen Osten von denen in Rom unterschieden. Die literarischen Quellen geben dafür kaum etwas her. Archäologische Zeugnisse aus dem 2. und 3. Jh. aus Antiocheia am Orontes bestätigen den Einzug des Trikliniums auch im Osten, zeigen aber auch, wenig verwunderlich, eine stärkere Verhaftung in der hellenistischen Tradition hinsichtlich der Ausschmückung der Speiseräume mit mythologischen Figuren oder Dichtern wie Menander, der als Anspielung auf literarische Unterhaltung nach dem Essen verstanden werden kann.178 Die römischen Pendants, insbesondere diejenigen aus Pompeji, zeichnen sich hingegen durch die Darstellung des Hier und Jetzt aus: sie zeigen Banketteilnehmer, Tafelluxus und Unterhaltung. Diese äußerlichen Unterschiede erwecken nicht den Eindruck, dass die Gastmähler im Osten und Westen grundsätzlich verschieden strukturiert waren. Es scheint überhaupt wenig sinnvoll, auch bei der Art der Vergnügungen, die nach dem Essen geboten wurden, räumliche Unterschiede zu stark ins Zentrum rücken zu wollen. Die Auswahl aus dem breiten Spektrum der möglichen Aktivitäten – Tanzdarbietungen, Mimus, Witzeerzählen ohne formales Gewand (dazu s. unten), literarische Spielereien (ludere in tabellis; cf. Catull 50) oder gar ein philosophischer Diskurs unter gebildeten Freunden – entsprach vielmehr den ganz individuellen Vorlieben des Gastgebers und der momentanen Zusammensetzung der Teilnehmer. Auffällig ist immerhin, dass die Institution des Gastmahls auch in der Unterhaltung nach dem Essen häufig selber zum Gesprächsthema wurde:179 eine Tendenz zum mise-en-abîme, Reflexion über das gegenwärtige Geschehen, in denen die Teilnehmer zugleich die Subjekte waren, wird in den literarischen Quellen damit durchaus sichtbar. Exkurs 2: Symposion und σκῶμμα. Pointierte Äußerungen über andere Personen gehören seit archaischer Zeit bekanntlich zu einer Dichtung, die nicht in öffentlichem Raum, sondern im geschützten Rahmen einer Versammlung weniger Freunde und Gesinnungsgenossen vorgetragen wurde. Zwischen der Iambendichtung, die die Meinung der Gruppe über bestimmte Zeitgenossen mit Hilfe der Waffe der Invektive formen konnte, und dem harmloseren Spiel, bei dem auch anwesende Teilnehmer zum Ziel des Spotts werden konnten, ist der Unterschied allerdings beträchtlich, auch wenn Vokabular und Themenwahl in der Strategie der Bloßstellung vergleichbar sein kön177 Obbink 2007: 282. 178 Dunbabin 2003: 71s. 179 Vgl. Stein-Hölkeskamp 2005: 270.

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nen.180 Unter dem Begriff σκῶμμα wird nur letzteres verstanden. Ein explizites Zeugnis für die Rolle dieser Art von Unterhaltung am Symposion bietet ein auf einem Berliner Papyrus (PBerolin. 13270)181 erhaltenes Gedicht in elegischen Distichen aus dem 4. oder 3. Jh. v. Chr. (IEG II Adesp. Eleg. 27 West),182 dem auf demselben Träger mehrere Skolien vorangehen. Es lautet folgendermaßen: χαίρετε συμπόται ἄνδρες ὁμ[ ̣ ̣ ̣ ̣ ̣ ̣ · ἐ]ξ ἀγαθοῦ γὰρ ἀρξάμενος τελέω τὸν λόγον [ε]ἰ̣ ς ἀγ[αθό]ν̣. χρὴ δ’, ὅταν εἰς τοιοῦτο̣ συνέλθωμεν φίλο̣ι̣ ἄνδρες πρᾶγμα, γελᾶν παίζειν χρησαμένους ἀρετῆι, ἥδεσθαί τε συνόντας, ἐς ἀλλήλους τε φ[λ]υαρεῖν καὶ σκώπτειν τοιαῦθ’ οἷα γέλωτα φέρειν. ἡ δὲ σπουδὴ ἑπέσθω, ἀκούωμεν̣ δὲ̣ λ̣εγόντων ἐν μέρει· ἥδ’ ἀρετὴ συμποσίου πέλ̣ε̣ται. τοῦ δὲ ποταρχοῦντος πειθώμεθα· ταῦτα γάρ ἐστιν ἔργ’ ἀνδρῶν ἀγαθῶν, εὐλογίαν τε φέρειν.

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10

1 ὁμ[ήλικες· Schubart || 2 [ε]ἰ̣ ς ἀγ[αθό]ν̣ Schubart || 7 δὲ̣ λ̣εγ- Ferrari : [τε λ]εγedd. priores || 10 φέρειν Pap., def. West Ferrari : φέρει Wilamowitz

Seid mir gegrüßt, Trinkgenossen gleichen Alters! Mit Gutem habe ich begonnen, und zum Guten möchte ich meine Rede abschließend führen. Sooft wir Freunde nämlich zu dieser Veranstaltung zusammenkommen, sollten wir lachen und scherzen, indem wir von unserer Tugend Gebrauch machen, uns am Zusammensein erfreuen, miteinander schwatzen und Witze reißen von der Art, dass sie Lachen hervorrufen. Doch der Ernst sollte folgen, und hören wir umgekehrt auch auf die, die sprechen! Darin besteht die Tugend des Symposions. Und gehorchen wir dem Symposiarchen. Denn dies sind die Pflichten edler Männer, die ihnen Lobrede bringen.

Das σκώπτειν τοιαῦθ’ οἷα γέλωτα φέρειν wird dabei mit unter den Pflichten der Symposiasten genannt. In welcher Form man sich dieses vorzustellen hat, darüber gibt der Text keine näheren Auskünfte, doch neben einem Skolion könnte im Grunde dafür auch schon die Gestalt des Epigramms nicht zuletzt deswegen in Frage kommen, weil es das Medium par excellence für eine kurze und pointierte Äußerung ist und überdies der zitierte Text als 180 Dazu s. nächstes Kapitel, p. 90s. 181 Pack-Mertens3 nr. 1924 mit den kompletten Literaturangaben zum Papyrus. Für den Hinweis auf viele dieser Texte danke ich P. Parsons (cf. auch Parsons 2002: 104). 182 Der Papyrus stammt ursprünglich aus Elephantine; eine neue Edition jetzt von Ferrari 1988.

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Einleitung und Einladung zur Fortsetzung im selben Versmaß angesehen werden könnte.183 Einen Hinweis auf die Verbindung von Witz und Symposion bietet auch der leider nur fragmentarisch erhaltene Inhalt eines Heidelberger Papyrus (2. H. 3. Jh. v. Chr.).184 Immerhin, das Erkennbare deutet mit hoher Wahrscheinlichkeit auf Typenspott. Die wichtigen syntaktischen Elemente hatte der junge R. Kassel in einprägsamer Kürze aufgezeigt: Mehrere Sätze beginnen mit der Struktur οὐ πρόσ]ωπον resp. κεφαλὴν ἔχεις, ἀλλὰ …, ferner kommt ein Vergleichssatz vor: ἡ κεφαλή σου ὥσπε[ρ, außerdem das an eine Definition erinnernde ταῦτ’ ἔστιν, ὅταν. Besonders auffällig aber sind kurze Zwischentitel: εἰς πυρρόν, dann, 11 Zeilen später, εἰς φαλακρόν. Diese Überschriften haben nicht nur in den Charakteren des Theophrast, von denen weiter unten die Rede sein wird, sondern auch in vielen griechischen Epigramm-Anthologien ihre genaue Parallele (Nikarch hat sogar ein Beispiel εἰς φαλακρόν: dazu s. Kap. II.10). Über die ursprüngliche Zweckbestimmung des Textes wurden verschiedene Theorien geäußert. Kassel hat wohl mit seiner Deutung als Teil eines ›Witzbuches‹, d. h. als Materialsammlung zur praktischen Verwendung bei gesellschaftlichen Anlässen, das Richtige getroffen. Die Gliederung nach thematischen Kapiteln diente wohl zur schnellen Auffindung einer beim Publikum noch unbekannten Variante: Nicht das Thema als solches war neu zu finden, sondern das sprachliche Gewand des Beitrags. Solche Witzbücher sind auch in lateinischen Zeugnissen gut belegt, und die Kontexte geben uns eine klarere Vorstellung, wer deren Benutzer gewesen sein könnten.185 In den Komödien des Plautus besitzen sie auch gleich passende, sprechende Namen. Im Stichus 400 ist einer von ihnen, der Parasit Gelasimus, angesichts der Ankunft von Konkurrenten um seinen Lebensunterhalt höchst besorgt und tritt vorläufig von der Bühne ab, um zur Erlernung neuer Späße ›über die Bücher‹ zu gehen: ibo intro ad libros et discam de dictis melioribus – ohne dass allerdings später noch ein Effekt dieses Entschlusses bei seinem Brotgeber gezeigt würde. Ein anderer Parasit, Saturio, scheint eine ganze Truhe voll ähnlicher Bücher zu besitzen, die er für seine Tochter als Mitgift verwenden will (Persa 392). Solche ›Spaßmacher‹ scheinen seit hellenistischer Zeit eine feste Institution an den Gastmählern vermögender Patrone gewesen zu sein, von deren Gunst sie abhingen, weswegen sie zweifellos um die Einhaltung eines gewissen Qualitätsniveaus ständig bemüht sein mussten. Die griechische Bezeichnung, γελοιασταί, liefert 183 So auch Page in Select Papyri III: Poetry (Loeb), London 1941, wo der Text die Nr. 103 besitzt. 184 Pack-Mertens3 nr. 2752 mit Lit.; E. Siegmann, Literarische griechische Texte der Heidelberger Papyrussammlung, Heidelberg 1956: 26ss.; nr. 190 sowie inbesondere Kassel 1956. 185 Vgl. a. Laurens 1989: 143.

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Athenaios (B. 6; 246c), der über die Witzemacher spricht, die im Dienste des Ptolemaios Philopator standen. Cicero erklärt (de or. 2,217), Bücher mit dem Titel περὶ γελοίων konsultiert und davon auch Inspiration erhalten zu haben; laut Sueton (de gramm. 21) verfasste der Grammatiker C. Melissus in augusteischer Zeit 150 Bücher Ineptiae. Es zeichnet sich somit ein reicher Hintergrund ab, der naheliegenderweise auch im Epigramm, wo, wie bereits gesehen, die Symposionsatmosphäre im Themenspektrum seit längerem fest etabliert war, seine Spuren zu hinterlassen begann.186 Wie eng die Parallelen tatsächlich sein können und wie gut Prosawitz und Epigramm eigentlich zusammenpassen (die Natur des Witzes verlangt eine gewisse Kürze und eine Zuspitzung auf eine Pointe), wird in den nächsten beiden Kapiteln u. a. anhand eines Vergleichs mit der Sammlung Philogelos augenscheinlich werden. Zum Thema von Witz und Spott sollte schließlich auch die Äußerung Plutarchs im Rahmen des Symposion nicht unerwähnt bleiben, auch wenn diese Quelle von etwas anderer Natur ist. Plutarchs Traktat Quaestiones convivaliae enthält Reflexionen eines Intellektuellen über ein ideales Symposion, von dem es in der Realität gewiss viele Abweichungen gab. Dennoch ist sein Zeugnis über die nach wie vor wichtige Rolle des σκώπτειν im Symposion wertvoll (Quaest. conviv. 2,1,8s.): Δεῖ δὲ τὸν ἐμμελῶς σκώμματι χρησόμενον εἰδέναι καὶ νοσήματος διαφορὰν πρὸς ἐπιτήδευμα, λέγω δὲ φιλαργυρίας καὶ φιλοινίας πρὸς φιλομουσίαν καὶ φιλοθηρίαν· ἐπ’ ἐκείνοις μὲν γὰρ ἄχθονται σκωπτόμενοι, πρὸς ταῦτα δ’ ἡδέως ἔχουσιν. οὐκ ἀηδῶς γοῦν Δημοσθένης ὁ Μιτυληναῖος, φιλῳδοῦ τινος καὶ φιλοκιθαριστοῦ θύραν κόψας, ὑπακούσαντος αὐτοῦ καὶ κελεύσαντος εἰσελθεῖν »ἂν πρῶτον« ἔφη »τὴν κιθάραν δήσῃς·« ἀηδῶς δ’ ὁ τοῦ Λυσιμάχου παράσιτος, ἐμβαλόντος αὐτοῦ σκορπίον ξύλινον εἰς τὸ ἱμάτιον ἐκταραχθεὶς καὶ ἀναπηδήσας, ὡς ᾔσθετο τὴν παιδιάν, »κἀγώ σε« φησίν »ἐκφοβῆσαι βούλομαι, ὦ βασιλεῦ· δός μοι τάλαντον.« Εἰσὶ δὲ καὶ περὶ τὰ σωματικὰ τοιαῦται διαφοραὶ τῶν πολλῶν. οἷον εἰς γρυπότητα καὶ σιμότητα σκωπτόμενοι γελῶσιν, ὡς ὁ Κασάνδρου φίλος οὐκ ἠχθέσθη τοῦ Θεοφράστου πρὸς αὐτὸν εἰπόντος »θαυμάζω σου τοὺς ὀφθαλμοὺς ὅτι οὐκ ᾄδουσιν, τοῦ μυκτῆρος αὐτοῖς ἐνδεδωκότος·« καὶ ὁ Κῦρος (Xen. Cyr. VIII 4, 21) ἐκέλευσε τὸν γρυπὸν 〈σιμὸν ἀγαγέσθαι γύναιον〉, οὕτω γὰρ ἐφαρμόσειν· εἰς δὲ δυσωδίαν μυκτῆρος ἢ στόματος ἄχθονται σκωπτόμενοι. καὶ πάλιν εἰς φαλακρότητα πράως φέρουσιν, εἰς δὲ πήρωσιν ὀφθαλμῶν ἀηδῶς. … Wer in angemessener Weise vom Witz Gebrauch machen will, muss auch den Unterschied kennen zwischen krankhaftem Verhaltensmuster und allgemeiner Lebensweise, etwa den von Geld- und Weinsucht im Unterschied zu einer Neigung zu musischen Künsten oder zur Jagd. In bezug auf ersteres reagieren die 186 Siehe auch Parsons 2002: 104s. ›in the Roman period, … [the epigram] extends again by versifying the jokes about personal appearance which earlier circulate in prose.‹

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Verspotteten mit Verärgerung, während sie letzterem gegenüber eine angenehme Empfindung haben. So war es nicht von irritierender Wirkung, als Demosthenes aus Mytilene an die Tür eines passionierten Sängers und Kitharisten klopfte und, als dieser ihn hörte und einzutreten hieß, entgegnete: »Aber erst hänge die Zither an die Wand!« Unangenehm dagegen, sich der Parasit des Lysimachos : nachdem jener ihm einen hölzernen Skorpion ins Gewand gelegt hatte, sprang dieser voll Schreck auf und sprach, als er den Scherz bemerkte: »Auch ich will dich erschrecken sehen, Herrscher! Gib mir ein Talent!« Solche Unterschiede werden von der Mehrheit auch in bezug auf körperliche Eigenschaften gemacht. So lachen etwa diejenigen, die wegen ihrer Haken- oder ihrer Plattnase gehänselt werden: Kasandros’ Freund verübelte es Theophrast nicht, als dieser bemerkte: »Ich wundere mich, dass deine Augen keinen Gesang produzieren, wo doch deine Nase ihnen den Ton angibt«, und ebenso empfahl Kyros einem Hakennasigen eine stumpfnasige Frau, weil sie so doch aufeinander abgestimmt seien. Wer dagegen wegen schlechten Nasen- oder Mundgeruchs Ziel des Spottes wird, der ärgert sich darüber. Ebenso nimmt gelassen entgegen, wer wegen seiner Kahlköpfigkeit verspottet wird, nicht aber, wenn es wegen Blindheit ist. …

Auch wenn diese Äußerungen wohl einer gewissen Subjektivität nicht entbehren, geben sie doch Aufschluss darüber, wie in der Sicht eines Intellektuellen im 2. Jh. n. Chr. verschiedene Arten von σκώμματα beurteilt wurden, welche in bezug auf ihr Verletzungspotential als akzeptabel beurteilt werden konnten und welche nicht. Zulässig ist der Spott im Symposion laut Plutarch dann, wenn er ein ἐπιτήδευμα (allg. Lebensweise, Verhaltensweise, Vorliebe) zum Objekt hat. Dagegen wirken Witze beleidigend, wenn sie allzu deutlich einen charakterlichen Fehler der fokussierten Person, wie etwa die φιλαργυρία, ins Licht rücken (mit νόσημα wird hier die Abartigkeit des entsprechenden Charakters, dessen Zugehörigkeit zu einem Bereich jenseits der Grenzen gesellschaftlicher Akzeptanz, illustriert). Ebenso nimmt Plutarch eine Zweiteilung bei Witzen über körperliche Eigenheiten (σωματικά) vor.187 Unproblematisch sind demgemäß Witze über Merkmale, die sozusagen natürlich angelegt sind, wie die Hakennase etc. Anders steht es etwa mit schlechtem Mundgeruch, der, wie in der Behandlung entsprechender Epigramme zu zeigen sein wird, durchwegs als Folge oraler Sexualpraktiken und daher als sekundäres, d. h. auch selbst verschuldetes Problem angesehen wurde.188 Überblickt man das Material der Spottepigramme im Hinblick auf diese Zweiteilung, wird sofort sichtbar, dass die thematische Spanne beide Gruppen umfasst. Was die Charakterzeichnungen angeht, so sind es in der Regel sogar eher die problematischeren der beiden, aus denen der Stoff geholt 187 Vgl. a. Cic. de or. 2,239 est etiam deformitatis et corporis vitiorum satis bella materies ad iocandum. 188 S. unten Kap. II.15.

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wird: Geizige und Trunksüchtige sind für die Karikatur interessanter als Leute mit besonderen Interessen und Neigungen. Im Bereich der σωματικά werden sowohl natürliche Auffälligkeiten (vgl. die lange Nase des Grypon; Kap. II.4) wie auch die ekelerregenden Widernatürlichkeiten thematisiert, wobei insbesondere Nikarch eine Schwäche für Letzteres besitzt. Dennoch haben solche Spötteleien mit der bloßstellenden und aus der Gemeinschaft ausschließenden Funktion des Iambos kaum mehr etwas gemeinsam. Das Symposion und seine Strukturen im Spiegel des Epigramms. Wie bereits mehrfach erwähnt, spiegelt sich die realweltliche Atmosphäre des Symposions in hellenistischer Zeit nicht mehr nur in Lyrik und Skolien, sondern auch im Epigramm.189 Die Themen wurden von Kallimachos, Asklepiades, Philodem und anderen auf raffinierte und oft überraschende Weise variiert, neu kombiniert und konnotiert und, wie wir sahen, um neue Inhalte erweitert, wie diejenigen, die traditionellerweise zu den Witzbüchern gehörten. In diese Reihe fügt sich auch Nikarch. Hinsichtlich der Epigramme bei Nikarch schlägt Nisbet eine Unterteilung in zwei Gruppen vor:190 einerseits diejenigen, welche über das Symposion und dessen Teilnehmer sprechen, auf der anderen Seite Gedichte, deren Inhalte mit hoher Wahrscheinlichkeit Gesprächsstoff während Symposien gewesen sein dürften.191 Zur ersten Gruppe gehören insbesondere die schon erwähnten Epigramme über schlechte Gastgeber, schlechtes Essen und andererseits mühsame oder gar unerwünschte Gäste – ein Komplex, zu dem neben Nikarch mit AP 11,96 offenbar in erster Linie Lukillios beigetragen hat. Doch fügt sich, was bisher wenig beachtet wurde, auch eine Reihe von weiteren Nikarchepigrammen gut in dieses Bild, allerdings mit der (autorentypischen?) Eigenheit, dass ganz bestimmte Situationen resp. Zwischenfälle vor oder während des Symposions im Epigramm ›gewürdigt‹ werden. Dazu gehören AP 11,330, das eine Einladung zuoberst in einem mehrstöckigen Haus zum Ausgangspunkt nimmt, der nicht funktionierende Wasserwärmer in AP 11,244, einem Epigramm, dessen falsches Verständnis bisher eine sinnvolle Kontextualisierung verunmöglichte; einem anakreontischen Skolion nach189 Das Thema ist unterdessen sehr gut untersucht, die Literatur reichhaltig. Für eine generelle Übersicht zuletzt Livingstone/Nisbet 2010: 68ss.; grundlegend Bowie 2007; Gutzwiller 1998: 115ss.; weiterhin wichtig Reitzenstein 1893. Ein ausgezeichneter Überblick, nach Motiven im Epigramm geordnet, findet sich außerdem bei Giangrande 1968. 190 Nisbet 2003: 30s. 191 Die Grenze zwischen den beiden Gruppen lässt sich selbstverständlich nicht scharf ziehen: spottet man über einen Mimus, so wird eher eine öffentliche Veranstaltung im Hintergrund stehen, die hinterher Gesprächsstoff am Symposion bieten konnte; für den Sänger in AP 11,186, der selbst den ›Nachtraben‹ den Tod bringt, will Nisbet (wegen der nächtlichen Stunde) eher einen Symposionsauftritt sehen. Für die Rekonstruktion des Orts der performance der (Spott)epigramme ist die Diskussion allerdings nicht von großer Wichtigkeit.

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empfunden ist die Zusicherung des Zechers in AP 5,39, der Gicht zum Trotz ganz bestimmt keine Einladung auszuschlagen.192 Etwas weniger gut zu greifen, aber auf einen zweiten Blick erstaunlich umfangreich ist die zweite ›Gruppe‹ der Epigramme, die hinsichtlich des angeschlagenen Themas den Eindruck erwecken, sich in das Spektrum dessen einzupassen, was in der oftmals exquisiten Männerrunde eines Symposions zum Gesprächsstoff gehören musste. Dies braucht nicht zwingend zu bedeuten, dass die thematisierten Probleme, Namen, Situationen etc. einen ganz konkreten realweltlichen Hintergrund besessen haben müssen. Es ist in diesem Fall eher von Chiffren zu sprechen, die exemplarisch für die real gelebten Erfahrungen193 und Wunschvorstellungen stehen. In erster Linie denkt man hier an die prahlerisch verkündeten Geschichten über ›Erfolge‹ mit Frauen, das Darlegen gewisser Vorlieben am anderen Geschlecht (inklusive dem scheinbar vertraulichen Miteinbezug des Zuhörers in AP 11,73), das derbe Zurschaustellen des Abartigen, außerhalb des Wertesystems Liegenden als gleichzeitige Absicherung der Zugehörigkeit der eigenen Person resp. Gruppe in ebendieses System, oder auch das offene Bekennen von Untreue gegenüber der eigenen Frau als geradezu natürlichen Merkmals der männlichen Spezies (AP 11,7). Dass in der römischen Satire, sowie im griechischen und lateinischen Epigramm seit Catull auch vor mitunter aggressivem sexuellen und sexistischem Humor nicht zurückgeschreckt wurde, hat Amy Richlin in ihrem Buch ›The Garden of Priapus‹ gezeigt, – nicht weiter verwunderlich, dass die Perspektive in diesen Fällen weitestgehend ›maleoriented‹ ist.194 Ein Ort, an dem eine männliche Gruppe ihre eigene Identität in der beschriebenen Weise zelebriert, bietet die idealen Voraussetzungen für Spott im sicheren Rahmen auf alle aufgrund ihres Geschlechts und/oder ihres außernormativen Verhaltens außerhalb der Gruppe Stehende – wobei von allen erdenklichen Formen außernormativen Verhaltens der sexuelle Bereich traditionellerweise der motivisch fruchtbarste ist. Die erhaltenen Beiträge Nikarchs fügen sich ganz offensichtlich bestens in diesen Gesamtrahmen, insbesondere die neu auf Papyrus hinzugekommenen, die eine noch direktere, noch unverschämtere Ausdrucksweise an den Tag legen. Wichtig ist sodann die Tatsache, dass auch im Ablauf des Symposions verankerte strukturelle Eigenheiten ihre überraschend enge Entsprechung in der Eigenschaft der Epigrammkunst als arte allusiva finden: das Aufgreifen und kreative Weiterentwickeln der jeweils vorangegangen Darbietung eines 192 Etwas in einen anderen Kontext gehört AP 11,1 wo während eines öffentlichen Festes während der Besorgung Wein verschüttet wird. 193 Immerhin ist der Bezug zur realweltlichen Gegenwart in zahlreichen Epigrammen auch deutlich präsent; cf. Robert 1968: 284, der ähnlich Roland Barthes (vgl. unten p. 122) von einer ›impression de réalité‹ spricht. Für Nikarch ist dies besonders klar an den Ärzte- und den Schiffsepigrammen zu sehen (Kap. I.1 und 4). 194 Richlin 1992: 57.

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anderen Teilnehmers an der geselligen Runde.195 Dieses seit den Anfängen in der archaischen Epoche vorhandene agonale Element hat die literarische Topik wesentlich mitbestimmt – man denke nur an Platons Symposion als Variationen zum Thema Eros, von denen die jeweils nächste die eben gehörte übertreffen soll.196 Diese Praxis widerspiegelt sich zweifellos beispielsweise in gewissen Eigenheiten der Anordnung einzelner Gedichte im Komplex der Theognidea, aber auch in einer Reihe von Papyri, die wie der bereits erwähnte PBerolin. 13270 Gedichte verschiedenster Herkunft und in verschiedenen Versmaßen enthalten und ohne weiteres als ὑπομνήματα zum Gebrauch während des traditionellen Weiterreichens des Myrten- oder Lorbeerzweiges am Symposion interpretiert werden können.197 Vor diesem spielerischen Hintergrund erklärt sich wohl der Ursprung des Phänomens der sog. companion pieces in den Epigrammen, bei dem unter nur geringer Abänderung der Form bzw. Austausch weniger Worte neue, überraschende Inhalte geschaffen werden und das darüber hinaus zum vitalen Element der ganzen Gattung wurde, auch bei größerer raumzeitlicher Distanz zwischen jeweiligem Präund Phänotext. Agonales Denken im Sinne eines geselligen Wettstreits ist in verschiedenen Beispielen auch im Corpus Nikarchs auszumachen. Als erhellend in dieser Hinsicht empfiehlt sich eine serielle Lektüre verschiedener Epigramme zum selben traditionellen Thema, wie sie auch in dieser Arbeit vorgenommen werden soll. Zu überlegen ist dabei u. a., ob nicht mit dem eigenen Produkt das implizite Ziel verkündet wird, im ›epigrammatischen Agon‹ das letzte Wort zu haben, d. h. mit einer Bearbeitung, die im Diskurs nicht mehr übertroffen werden kann, den Sieg davonzutragen. Der Diskurs kann selbstverständlich auch über die Grenzen der Gattung Epigramm hinausgehen, wie im Falle von POxy. 4502, wo auf das fest in der Tradition verhaftete Rätsel der Sphinx mit der entsprechenden Ironie gewissermaßen die ultimative Antwort gegeben wird – bemerkenswert in diesem Fall ebenfalls die charakteristische Anrede ἄνδρες. Überhaupt gehörte Rätselraten seit jeher zu den beliebten Tätigkeiten an Symposien.198 Die Frage: wer ist 195 Die Beobachtung ist schon älter, doch weist Nisbet 2003: 19 ganz zu Recht auf ihre Wichtigkeit hin (›the epigram’s tendency to ring changes on other epigrams makes it a perfect match for the ›capping‹ element which clearly formed an important aspect of the sympotic performative ethos.‹) – auch wenn die strukturelle Parallele strenggenommen keine Entscheidung zulässt, ob nun eher ein Symposion als literarisches Konstrukt oder als unmittelbar realer performativer Ort im Hintergrund steht (vgl. auch Parsons 2002: 105). Das eine braucht das andere allerdings nicht auszuschließen; beide Aspekte konnten sich als gegenseitig befruchtend ergänzen. 196 Vgl. auch Andreassi 2004: 61s. 197 Ferrari 1988: 181ss.; 187s. sind einige Bspe. aufgeführt: Carm. conviv. 900 und 901 PMG; Thgn. 579s. und 581s.; 595s. und 597s.; 1253s. und 1255s. (im letzten Fall ist der Ausgangspunkt ein Gedicht von Solon [fr. 23 West]). 198 Burkert 1991: 16 (= Kl. Schriften II: 128). – Zu Rätseln vgl. a. Athen. 10,448b ss.; 457c.

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am meisten λεπτός? ist in AP 11,110 und 407 (Kap. I.3) Thema eines agonähnlichen Wettstreites, für den es naheliegend scheint, das ›Setting‹ auf die realweltliche Situation eines Gastmahls zu transzendieren und dabei auch die Doppelbedeutung von λεπτός in gelehrt-spielerischer Weise auszureizen: Hinweis für eine solche Deutung bietet insbesondere der Text von AP 11,110,7, wo der letzte Kandidat von sich sagt: ἐμὲ στεφανώσατε – eine Äußerung, die auf der Oberflächenebene der Erzählung wenig Sinn ergeben würde, wohl aber für die konkrete Symposionssituation. Dieses Beispiel illustriert im übrigen auch sehr deutlich, wie die mit der Epigrammproduktion und -rezeption verbundenen Wirkungsabsichten weniger auf den an der Oberfläche in aller Regel belanglosen Inhalten als vielmehr auf der geistreichen spielerischen Auseinandersetzung mit überkommenen Formen und deren Transpositionen beruht haben müssen. Mit dem Element des Wettstreits im Symposion ist dasjenige der Improvisation eng verbunden. In den λεπτός-Diskurs gehört auch ein in einer kleineren Anthologie erhaltenes Epigramm, dessen Einleitung die Situation eines Teilnehmers, der an der Reihe ist und sich zum Thema aus dem Stegreif äußern sollte, explizit nennt und daher das Gesagte in optimaler Weise illustriert: Εἴς τινα πάνυ μικρὸν κελευσθεὶς εἰπεῖν στίχον σχέδιον.199 Tatsächlich stellt das Improvisieren aus dem Stegreif eigentlich eine gegenläufige Tendenz zum Phänomen der Literarisierung dar. Für den Epigrammdichter, der um das Heraufbeschwören einer entsprechenden Atmosphäre des vermeintlich Vorläufigen bemüht ist, musste dieses Paradoxon daher eine besondere Herausforderung dargestellt haben, doch auch dies ist seit Kallimachos und den Neoterikern in der Tradition bestens verankert. Die Fähigkeit, über ein bestimmtes Thema aus dem Stand die richtigen Ideen und Worte zu finden (αὐτοσχεδιάζειν), wurde erstmals Ende des 5. Jhs. v. Chr. im Gefolge der Rhetorik des Sophisten Gorgias von dessen Schüler Alkidamas in einem Traktat als maßgeblich für einen guten Redner definiert,200 und diesen selben Stellenwert hatte sie auch und sogar ganz besonders in der griechischen und lateinischen Rhetorik im 1. Jahrhundert n. Chr. inne.201 Besonders eng ist der Berührungspunkt zwischen der epideiktischen 199 Dazu s. unten Kap. I.3, p. 196. – Peter J. Parsons verdanke ich, wie so vieles in dieser Übersicht, als interessante sozialgeschichtliche Parallele den Hinweis auf das im 18. Jh. weit verbreitete Spiel der bouts-rimés, bei dem die improvisatorischen Fähigkeiten der einzelnen Teilnehmer und soziale Akzeptanz in einem direkten Abhängigkeitsverhältnis standen. Im Film Ridicule von Patrice Leconte (1996) wird die Notwendigkeit des esprit anhand einer Figur, die die hohe Kunst dieses Spiels erst lernen muss, vor Augen geführt. 200 Alkidamas fr. 1 Avezzù = B XXII 15 Radermacher. 201 Vgl. Quint. Inst. or. 10,7. – Für einen ausgezeichneten Überblick s. Hardie 1983: 76– 85, der die anhaltende Bewunderung der Gesellschaft gegenüber Improvisation auch vor dem Bewusstsein einer zunehmend literarisierten Kultur sieht.

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Rhetorik (Festreden), wo mehrheitlich griechische Redner einen Vortrag mitunter zu einem vom Publikum gewünschten Gegenstand extemporierten, und der epideiktischen Poesie zu einem ganz bestimmten Anlass, wie sie beispielsweise bei Statius greifbar ist. In diesem Zusammenhang interessant ist auch das Aufkommen von festlichen Wettkämpfen wie den ludi Capitolini, die von Domitian in Rom ins Leben gerufen wurden und danach im Vierjahresrhythmus stattfanden. Wir besitzen das Zeugnis von einem elfjährigen Teilnehmer, Q. Sulpicius Maximus, der 94 n. Chr. als Improvisationstalent in diesem Wettbewerb siegte. Die Hexameter, die der Knabe offenbar auf der Stelle zum Thema ›Was könnte Zeus zu Helios gesagt haben, nachdem dieser Phaëthon seinen Sonnenwagen ausgeliehen hatte?‹ ersonnen hatte, sind uns überliefert, weil Q. Sulpicius kurze Zeit später starb und sein Vater die Verse auf dem Grabmonument anbringen ließ.202 Eine der innumerabiles necessitates,203 bei denen von einem Dichter Improvisation gefragt sein konnte, war zweifellos auch das Gastmahl. Auch wenn wir nicht wissen, ob Nikarch vielleicht sogar als Improvisationsdichter für einzelne Patrone arbeitete, – und die Spottepigramme sich von den ethopoietischen Versen, die an den ludi Capitolini zum besten gegeben wurden, selbstverständlich beträchtlich unterschieden, so ist dieser allgemeine kulturelle Hintergrund doch auch für unsere Epigramme von Bedeutung. Epigramm und Symposion: Mündlichkeit und Schriftlichkeit. Vor dem dargestellten Hintergrund seien nun zusammenfassend nochmals einige Gedanken zum Spannungsfeld zwischen Produktion, Rezitation, Rezeption, Reproduktion und Anthologisierung angeführt. In den vorangegangenen Abschnitten wurde für die Plausibilität des Symposions als primären literarischen Orts von Nikarchs Epigrammen argumentiert.204 Die Vorstellung eines Dichters, der für gesellschaftliche Anlässe seiner Patrone arbeitet oder sogar regelmässig an diesen gegenwärtig ist, ist zwar nicht völlig unvereinbar mit der Realität, wäre aber gewiss zu eindimensional, da dies zu den Elementen des literarischen Topos gehört. Verschiedene Eigenheiten der Epigramme weisen darauf hin, dass auch im Falle des Nikarch der ›epigrammatische Diskurs‹ ein eminent literarisches Phänomen ist.205 Dazu gehört unter ande202 IG XIV 2012; vgl. Hardie 1983: 75. Eine Kopie des im Kapitolinischen Museum aufbewahrten Monuments ist heute an der Piazza Fiume in Rom zu sehen, wo es in unmittelbarer Nähe in einem Gräberfeld am Anfang der Via Salaria gefunden wurde. 203 Quint. Inst. or. 10,7,2. 204 Nisbet 2003: 34 ›These poems are jokes, they live in the telling, and invite response in kind. The symposium is the obvious site for this to happen, and the themes and tone of skoptic epigram are well shaped to fit it.‹ 205 Eine Tatsache, der m.E. auch in der Darstellung Nisbets zu wenig Rechnung getragen wurde.

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rem auch der Umstand, dass die meisten uns erhaltenen Epigramme Nikarchs mit einiger Sicherheit genauso wie diejenigen Martials in Buchform erschienen und damit als ›Literatur‹ gewissermaßen so weit sanktioniert waren, dass sie in der Tradition hernach nicht ganz vergessen gingen. Zeitlich vor, ev. aber auch Hand in Hand mit den anthologisierten Nikarchepigrammen ist daneben wohl mit zahlreichen privaten ὑπομνήματα zu rechnen, deren Textauswahl und -reihenfolge im Glücksfall ein zufällig uns erhaltenes Unikat bilden kann. Der Aspekt des ›Literarischen‹ tritt zugestandenermaßen in Nikarchs Produktion nicht immer mit gleicher Selbstverständlichkeit vor Augen. Ein Epigramm wie AP 11,241 oder 242 über den üblen Mundgeruch gibt sich eher als improvisierte Augenblicksschöpfung denn als literarisches Produkt – es sei denn, die Suggestion des Improvisierten sollte so weit gehen, dass auch für unser Empfinden ›schwächere‹ Epigramme ohne weiteres in einer Sammlung ihren Platz finden konnten, was ich durchaus anzunehmen bereit bin. Wohl scheinen die Beispiele Nikarchs zu diesem Thema gegenüber einem Gedicht wie Catulls c. 97 oder auch den ausgereifteren Variationen Martials zum Thema206 nicht wirklich bestehen zu können, und doch, die Tatsache, dass das Motiv der beiden Gedichte so ähnlich ist, spricht, wenn auch nicht für direkte Abhängigkeit (die unbeweisbar ist), so doch für dessen Präsenz im literarischen Diskurs – und für diese ist Schriftlichkeit im Sinne einer Buchkultur doch eigentlich unabdingbar. Trotz dieser scheinbaren Vorbehalte geben sich die Epigramme Nikarchs somit im Grunde durch und durch als literarisches Phänomen. Eine Parodie wie 11,119 scheint undenkbar ohne das Vorhandensein von Anthologien, in denen die Prätexte zu finden und durch welche die Genialität der Neugestaltung erst vollständig zu würdigen waren. Der spielerisch-kreative intertextuelle Umgang mit traditionellen Untergattungen des Epigramms oder auch mit Homer findet sich an verschiedenen Beispielen im nikarchischen Corpus – besonders ausgeprägt lässt sich dieser an der Gruppe der Epigramme auf Ärzte studieren. In bestimmten Fällen gewinnt man auch geradezu den Eindruck, dass in der nikarchischen Gestaltung des Epigramms die eigene Position innerhalb dieses ›epigrammatischen Diskurses‹ reflektiert und, wenn man dies so nennen will, als poetologische Äußerung in das Produkt integriert ist.207 206 Vgl. unten Kap. II.15. 207 Vgl. oben und in Kap. I.3. des Kommentarteils die Diskussion der λεπτοί-Epigramme. – Explizite ›Züge einer regelrechten Poetik nach den Kategorien einer gattungsmässigen Definition des Begriffs epigramma, wie literarische Vorbilder, künstlerische Inspiration und Sendung, Form und Inhalt der Gedichte, Abgrenzung gegen andere Dichtungsarten, Komposition, Stilart, Beziehung zum Publikum‹ bietet dagegen, sieht man von verstreuten gattungstheoretischen Reflexionen über die Ausdehnung von Epigrammen ab, erst Martial (Puelma 1996: 136s.; cf. auch

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Es gibt allerdings den äußerst interessanten Fall in der Parallelüberlieferung von AP 11,328 auf POxy. 4502, wo eine mögliche Interpretation darin besteht, dass das im übrigen hinsichtlich der Menge an intertextuellen Bezügen mit Abstand reichste erhaltene Epigramm Nikarchs tatsächlich im Vorfeld eines gesellschaftlichen Anlasses aus einer schriftlichen Quelle kopiert und an eine ganz spezifische Konstellation angepasst wurde (s. dazu den Kommentar Kap. II.13. sowie das letzte Kapitel dieses Buches). Während die Texte der beiden Überlieferungen sonst fast deckungsgleich sind, weichen in Z. 9 die beiden Namen der im Vokativ angeredeten Person voneinander ab (Κλεόβουλος AP 11,328 vs. Διδύμαρχος POxy. 4502). Könnte es sein, dass uns im Papyrus die auf ein ganz konkretes Symposion bezogene Version vorliegt, in welchem das Gedicht in scherzhafter Weise an einen tatsächlich anwesenden Διδύμαρχος adressiert wurde? Gilt das vielleicht auch für Κλεόβουλος, so dass man annehmen müsste, die regelmäßig in Nikarchs Epigrammen begegnenden Namen im Vokativ entsprächen ebenfalls in der späteren Überlieferung zufälligerweise festgehaltenen und dann sanktionierten Varianten? In welchem Verhältnis würden ferner solche Namen zu der Auffälligkeit stehen, dass häufig für bestimmte im Epigramm ausgedrückte Sachverhalte auch sehr sprechende Namen stehen (wozu man in unserem Beispiel auch Διδύμαρχος zählen kann)?208 Die in den Nikarch-Epigrammen selber evozierten Gastmahlssituationen gehören ihrerseits, wie wir sahen, ebenfalls zu einem literarischen Konstrukt, in welches sich der Dichter einreiht, wie das in ähnlicher Weise auch z. B. für Catulls, Horazens und Martials Gastmahlsgedichte gilt:209 Durch die Inszenierung eines virtuellen Symposions hat der Autor den Vorteil, sich in ganz verschiedenen Rollen einzubinden, sei es als Gast, als Gastgeber, oder auch als Dichter im Dienste eines Patrons. Er kann sich als Teilnehmer an diesem virtuellen Agon mit seinen Zeitgenossen messen, mit seinen Vorgängern – oder auch mit sich selbst. In einer Gattung wie dem Epigramm, die von sprachlichen Spielereien, Illusionen und Überraschungen lebt, wo Subjekt und Objekt schnell ausgetauscht sind und sich Realitäten ständig überlagern, scheint mir eine solche Inszenierung sehr gut denkbar. Dem Symposion des 1. Jahrhunderts n. Chr. sollte damit am Ende dieses Kapitels auf keinen Fall seine Wichtigkeit als realer Hintergrund unserer Epigramme abgesprochen werden. Literarische Konstruktion von Realität und historische Realität waren aufs engste miteinander verflochten, bedingten und unterstützten sich gegenseitig. Stein 1989: 29; allgemein Lausberg 1982: 31ss.). Dass derartiges bei Martial aber nicht ex nihilo entwickelt sein kann, sondern auf die beschriebene Weise implizit schon bei den griechischen Vorläufern und insbesondere auch bei Nikarch angelegt ist, scheint einleuchtend. 208 Diese ›sprechenden Namen‹ sind in der Tat oft nicht einfach frei erfunden, sondern entsprechen durchaus auch real existierenden Namen; vgl. Parsons 2002: 106ss. 209 Stein-Hölkeskamp 2005: 57ss.; 232ss.

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VI. Das Spottepigramm im Rahmen der Geschichte des Epigramms

Welche Zwischenstationen haben zu der spezifischen Form von Epigrammen geführt, die in der 2. Hälfte des 1. Jahrhunderts n. Chr. das Feld so gut wie vollständig dominierte? Bereits öfters erwähnt als wichtige Eigenschaft der Epigrammproduktion Nikarchs wurde die produktive und sehr kreative Auseinandersetzung mit dessen traditionellen Formen, insbesondere dem Grab- und Siegesepigramm, die im neuen Gefäß auch gelegentlich einmal auf überraschende Weise kombiniert sein können. Die Epigrammschreiber jener Zeit verstanden also in selbstbewusster Weise ihre Produktion als Gattungsbeitrag, zu deren Vorgeschichte sie in einer neuen, oft sehr individuellen Weise Stellung bezogen und damit die weitere Entwicklung ebendieser Gattung bestimmten. Eine treffliche Illustration hierfür bietet Lukillios AP 11,312: Οὐδενὸς ἐνθάδε νῦν τεθνηκότος, ὦ παροδῖτα, Μάρκος ὁ ποιητὴς ᾠκοδόμηκε τάφον καὶ γράψας ἐπίγραμμα μονόστιχον ὧδ’ ἐχάραξε· »Κλαύσατε δωδεκέτη Μάξιμον ἐξ Ἐφέσου.« οὐδὲ γὰρ εἶδον ἐγώ τινα Μάξιμον· εἰς δ’ ἐπίδειξιν ποιητοῦ κλαίειν τοῖς παριοῦσι λέγω. Zwar ist hier nun niemand gestorben, o Wanderer, doch Markos der Dichter hat ein Grab errichten lassen, und folgenden Einzeiler als Aufschrift verfasst und hier einmeißeln lassen: »Beweint den zwölfjährigen Maximos aus Ephesos!« Ich selbst habe nie einen Maximos gesehen … aber um dem Talent des Dichters ein Denkmal zu setzen, sage ich den Vorübergehenden: weint!

Eine implizite Spitze gegen den Dichter Markos liegt in dem Umstand, dass dieser ein Monostichon in einem dafür so undenkbaren Metrum wie dem Pentameter (!) verfasst haben sollte (nicht erwähnt von Rozema ad loc.), ferner liegt ein witziges double entendre im Begriff κλαίειν (das auch bedeuten kann: ›sich zum Teufel scheren‹). So scheint das Band, das die Skoptiker mit dem ursprünglichen Aufschriftepigramm verband, nie verloren, im Gegenteil sogar regelmäßig neu bereichert worden zu sein. Typisch ist auch die mit einer Parodie häufig

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Einleitung

verbundene polare Werteumkehr.210 Für Nikarch lässt sich dieser Umgang mit der Tradition in mustergültiger Weise an den Ärzteepigrammen zeigen, wo es z. B. möglich ist, dass an Heilungsepigramme erinnernde Anklänge den Ausgangspunkt für ein Gedicht bilden, das sich schließlich als einem Grabepigramm verwandt entpuppt (AP 11,124). Diese Technik der Umkehr einer Vorlage ins Gegenteil, die schon hellenistische epideiktische Epigramme kennen, lässt sich sinnvollerweise als ›Inversion‹211 bezeichnen. In der Einleitung zum Kapitel I.1 wird ausführlicher auf die Mechanismen eingegangen, mit welchen dieses vonstatten geht. Für Lukillios hat Robert dasselbe Phänomen sehr überzeugend an einer Reihe von Epigrammen gezeigt, die traditionelle Topoi aus den Siegerepigrammen auf Athleten wieder aufnehmen und zumeist in contrarium wenden. Das Material führte ihn zu folgendem Schluss: ›La satire des athlètes ne vient pas de l’introduction du mime dans l’épigramme; elle est plutôt une évolution à l ’ i n t é r i e u r du genre épigrammatique, transformant l’épigramme d’éloge en un contre-éloge‹ (meine Hervorhebung).212 Nun sind jedoch bekanntlich gerade Techniken der intertextuellen Bezugnahme, der scharfsinnigen Wiederaufnahme, Modifikation oder gar Umdrehung bereits formulierter Inhalte und die Hinzugewinnung neuer Aspekte eines der eminentesten Merkmale bereits der hellenistischen Epigrammatik.213 Von dieser ästhetisch-intellektuellen Praxis ist letztlich die des Spottepigramms des 1. Jh. n. Chr. gar nicht so sehr verschieden. Vor allem aber existieren satirische Darstellungen im Sinne einer weiteren Definition, gemäß welcher Personen oder Dinge die Objekte sind, die belacht, verspottet oder zumindest in witziger Weise kritisiert werden, im Epigramm schon seit 210 Robert 1968: passim. Es handelt sich aber nicht um Parodien im Sinne der engeren Definition von G. Genette, Palimpseste. Die Literatur auf zweiter Stufe, Frankfurt a. M. 1993 pass., wonach der Prätext persifliert werden soll. 211 Der Terminus inversio begegnet z. B. beim Auctor ad Herennium 1,6,10 als Quelle für Humor, ohne dass dort die verschiedenen Erscheinungen genauer untergliedert wären; vgl. R. Janko, Aristotle on Comedy, London 1984: 166. Der tractatus Coislinianus gibt in dieser Hinsicht kaum etwas her, weil er stärker auf dramatische Aktion ausgerichtet ist. – Zur wesentlichen Funktion der Inversion als eines intertextuellen Mechanismus s. Stewart 1979: 57ss. 212 Robert 1968: 287 sieht in Lukillios geradezu den Erfinder für diese Technik des Umgangs mit älterem Epigrammaterial: ›… Lucillius est original. On ne lui voit pas de prédécesseurs. … Pour cette partie importante que sont les épigrammes consacrées aux concours athlétiques grecs, l’épigramme de Lucillius n’a pas eu de descendance, ni romaine ni grecque.‹ Dies trifft angesichts der Überlieferungslage wohl zu (vgl. a. Nisbet 2003: 16); ihn aber deswegen überhaupt zum ›Erfinder des Spottepigramms‹ zu machen (u. a. Longo 1967: 92s.), ist vor dem Hintergrund der gleich folgenden Ausführungen eine zu grobe Vereinfachung. 213 Vgl. allg. Tarán 1979 pass.; Gutzwiller 1998: 227ss.; instruktives Beispiel: 247ss. – eine ganze Reihe von Epigrammen, die Leonidas’ Myron-Epigramm AP 9,719 (= GP 881) aufnehmen und weiterentwickeln.

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VI. Das Spottepigramm im Rahmen der Geschichte des Epigramms

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frühester Zeit, ganz besonders aber im späteren Hellenismus: in diesem Zusammenhang finden sich selbstverständlich auch Differenzen zwischen Literal- und übertragenem Sinn. Selbst auf archaischen Grabepigrammen kann Ironie manchmal nicht ganz ausgeschlossen werden. Im Folgenden soll die Entwicklungslinie anhand einiger Beispiele gezeigt werden. Da solche u. a. im Beitrag von J. Blomqvist (1998) bequem greifbar zusammengestellt sind,214 kann der Abschnitt allerdings verhältnismäßig kurz gehalten werden.215 Viele Beispiele aus dem 3. Jh. zeigen, dass Satire in dieser Zeit zumeist mit persönlicher Invektive verbunden ist, dass also das Gefäß des Epigramms die Funktion des Iambos in sich aufgesogen hatte.216 Zu nennen ist etwa AP 7,247 von Alkaios von Messene (ca. 200 v. Chr.), gerichtet gegen Philipp V. von Makedonien, dem er Feigheit vorwirft, wobei auch die Antwort des letzteren bei Plutarch (Flam. 9,4; FGE 291) überliefert ist. In diesem Fall hat der Disput einer persönlichen Feindschaft auf Ebene der Epigrammform ihren literarischen Niederschlag gefunden. In den Beispielen in Blomqvists Darstellung gehören die Namen generell zu historischen, oft auch lebenden Personen, und die Handlungen besitzen oft einen ganz konkreten historischen Hintergrund. Dabei zeigen Epigramme mitunter einen souveränen Umgang mit den althergebrachten Mustern. Ein von Theokrit von Chios verfasstes Gedicht gibt sich als fiktives Grabepigramm, das aber im Grunde den Erbauer eines echten Kenotaphs für einen Eunuchen in hoher gesellschaftlicher Stellung kritisiert.217 Dennoch gibt es durchaus schon Ansätze einer Typensatire. Besonders früh scheint das Thema der alten Hetäre auf, die sich dem Wein hingibt: AP 7,457 (Ariston; Ende 3. Jh.) gibt sich als Grabepigramm, das beschreibt, wie die zittrige Alte, auf einen Stock gestützt, heimlich ihren Becher aus dem Keltertrog aufzufüllen trachtet, die Kräfte ihr aber entweichen und sie umgeben vom Wein ihr Leben endet. Das Epigramm offenbart das typisch hellenistische Interesse an außergewöhnlichen Todesarten. Dass es ein literarisches Grabepigramm ist, zeigt der Name der Verstorbenen: Ampelis. Es ist feine Ironie, nicht derber Spott, doch der weitere Weg ist mit Gedichten wie diesen gewiesen. 214 Eine etwas weniger deutlich hervortretende (da in den forschungsgeschichtlichen Abschnitt integrierte) Sammlung vor allem der unmittelbar Lukillios und Nikarch vorangehenden kaiserzeitlichen Autoren findet sich auch bei Rozema 1971: 63–7. Vgl. auch den Überblick von Hewitt 1921–2. 215 Für einen Überblick über die Geschichte des Epigramms allgemein bleibt Beckby I 12 grundlegend; s. auch Holzberg 2002: 19ss. mit weiterer Literatur. 216 Dies gilt genauso für andere literarische Formen satirischen Inhalts wie die menippeische Satire und die timonischen Silloi, mit welchen Ansichten anderer Philosophenschulen lächerlich gemacht wurden, oder auch Iambographen wie Sotades (CA 238ss.), der Ptolemaios II. wegen der Ehe mit der eigenen Schwester Arsinoe verunglimpfte. 217 FGE 353; zu den historischen Umständen Blomqvist 1998: 51.

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Unter den neu bekannt gewordenen Epigrammen des Poseidipp von Pella (um 275), die im Papyrustext durch Titel in Gruppen zusammengefasst sind, ist diejenige der τρόποι von besonderem Interesse. Hier begegnen Epigramme, die, ebenfalls die Form des Sepulkralepigramms als Ausgangspunkt nehmend, zwei verschiedene menschliche Charaktere offenlegen (den Schwätzer und den Misanthropen).218 Interessant ist, wie die beiden Gedichte in ihrer Gegensätzlichkeit aufeinander bezogen sind und deshalb als ›companion pieces‹ bezeichnet werden können. Von ihnen wird im Kap. I.1 im Zusammenhang mit der Besprechung von AP 11,124 ebenfalls nochmals die Rede sein. Auch Poseidipps etwas jüngerer Zeitgenosse Hedylos bietet in seinem Corpus offensichtlich gleich mehrere Epigramme, die man ohne weiteres auch einem Lukillios zuschreiben würde,219 u. a. ein Arztepigramm (s. Kap. I.1) und eine ganze Reihe von Epigrammen, die in einen Symposionskontext gehören, in denen von ὀψοφάγοι wie auch von Hetären die Rede ist. Dass man beim Arztepigramm die Urheberschaft des Hedylos wegerklären will, wie dies Gow und Page und andere tun wollen, kann nicht die richtige Lösung sein.220 Das Thema des todbringenden Arztes ist im 3. Jh. v. Chr nicht a priori undenkbar und könnte im Grunde auch Lukillios und Nikarch für ihre Schöpfungen angespornt haben. M.E. ist selbst für den früheren Abschnitt des Hellenismus mit einer erheblich größeren Verbreitung von Epigrammen zu rechnen, die denen des 1. Jhs. recht nahe kamen, als es die wohl durch persönliche Auswahlkriterien Meleagers und Philipps beeinflusste Überlieferungsmasse vermuten lässt. So kann auch die Häufigkeit von Spottepigrammen bei Catull wohl am einfachsten damit erklärt werden, dass er entsprechendes Material schon in seinen Vorlagen fand.221 Schließlich besaß kein Geringerer als Kallimachos durchaus Sinn für das Satirische, wie u. a. AP 7,524 = epigr. 13 Pfeiffer (s. ebenfalls Kap. I.1) beweist. Während im 2. Jh. v. Chr. satirische Epigramme selten auftauchen, gibt es im 1. Jh. bei Philodem einige Epigramme vorwiegend schlüpfrig-erotischen Inhalts, ferner bietet er ein skoptisches Epigramm auf einen Astrologen (AP 11,318 = 31 Sider). Seit der Zeitenwende wird die Breite und Häufigkeit der

218 Epigramme nr. 102s. Austin-Bastianini; dazu Obbink 2004 und 2005: 112s. 219 S. Gutzwiller 1998: 171ss.; Ausg.: Galli Calderini 1983. 220 Deutliche Stellungnahme für die Autorschaft Hedyls findet sich bei Aubreton und Galli Calderini 1984 ad loc. und bei Gutzwiller 1998: 171s., während Blomqvist 1998: 54 sich dagegen ausspricht, wohl um seine generelle Theorie (›nor do the early Hellenistic epigrams offer any examples of professions being ridiculed‹) nicht untergraben zu müssen. 221 Gutzwiller 1998: 172; Reitzenstein 1893: 93 ›Von den skoptischen Epigrammen der älteren Alexandriner hat Meleager wenig oder nichts aufgenommen. Ihre Existenz verbürgen die Nachahmungen der poetae νεώτεροι zu Rom, welche allerdings ihren Vorbildern an Kühnheit und Gehässigkeit weit überlegen waren. …‹.

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VI. Das Spottepigramm im Rahmen der Geschichte des Epigramms

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sympotischen und skoptischen Motive deutlich größer. AP 11,29 (Automedon) vereinigt das u. a. aus Ovids Amores und aus der römischen Satire bekannte Motiv sexuellen Versagens mit der Beschreibung symposiastischer Ausgelassenheit und verwendet auch die Seefahrtsmetapher. Bianors AP 11,248 zeigt eine interessante Schilderung eines seltsamen Unfalls, dessen Paradoxie unmerklich in Ironie übergeht – dennoch, es ist noch kein eigentlich skoptisches Epigramm. Wie nahe zueinander die Feststellung einer scheinbar von der Tyche gelenkten Paradoxie auf der einen Seite und bewusste Ausbreitung einer Paradoxie, die lächerlich wirken soll, auf der anderen stehen, wird in Kap. I.4 diskutiert.222 Der im Philippkranz vertretene Antiphanes (tiber.-claud. Zeit) bietet u. a. ein Epigramm auf einen Grammatiker (AP 11,322) und einen Geizigen (AP 11,168), das aber der behandelten Figur auch bis zu einem gewissen Punkt menschliches Mitgefühl entgegenbringt, dies im Unterschied zu entsprechenden Gedichten Nikarchs, wo die Zeichnung des Charakterfehlers ohne Gefühlsbeteiligung ins geradezu Unerträgliche gesteigert wird (AP 11,170: Mitbestattung eines Kindes, um den im Sarg zu Verfügung stehenden Raum möglichst ökonomisch auszunutzen). Mit Antiphanes’ Zeitgenossen Antipater von Thessalonike (skoptisch: AP 11,158; 219; 224; 327; 415) liegen wir in Ton und Motivauswahl (alte Hetäre, ore impurus-Motiv, Vertauschung von ἄνω und κάτω) gar schon näher bei Nikarch als bei Lukillios. Welches waren die Gründe, die im 1. Jh. n. Chr. zu einer völligen Aufgabe der ›iambischen‹ Seite satirischer Epigramme (Verspottung realer Personen) und zur mehr oder weniger ausschließlichen Beschränkung auf Typenspott geführt hatten,223 eine Erscheinung, die, wie wir wissen, parallel auch in anderen Genera in der römischen Literatur sichtbar ist? In aller Regel werden die veränderten Lebensumstände angeführt: im Prinzipat erschien es auch gegenüber einfacheren Amtsträgern als nicht mehr geraten, Spott ad personam zu äußern. Schon Horaz übt diesbezüglich äußerste Zurückhaltung;224 Persius und Juvenal klammern lebende Personen ganz aus.225 Doch ist m.E. eine monokausale Erklärung des Phänomens, das quer über die verschiedenen Gattungen einer eingehenden Untersuchung bedürfte, nicht befriedigend. Auch die Erklärung Beckbys dürfte daher vielleicht doch nicht ganz

222 Zu diesem Thema s. auch Garson 1980, der paradoxe Elemente bei Grabepigrammen untersucht. 223 Die Verwendung der Bezeichnung ›skoptisches Epigramm‹ beschränkt sich in der Regel auf diese letztere Ausprägung (cf. den Titel der Arbeit von Longo 1967). Im Lichte der eben beschriebenen Entwicklungsgeschichte sollte sie allerdings neu überdacht werden. 224 Vgl. seine Beteuerung, sich nur in Form und nicht im Inhalt auf Archilochos zu berufen, s. unten p. 96s. 225 Blomqvist 1998: 59; vgl. Brecht 1930: 17.

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verfehlt sein, die ein zunehmendes Eingreifen der ›Welt des Verstandes‹ in die bisher von Gefühlen bestimmte Domäne des Epigramms konstatiert226 – eine Modeströmung also, die zumindest teilweise auch von gesellschaftlichen Veränderungen unabhängig gewesen sein dürfte.

226 Beckby I 47.

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VII. Einwirkungen auf das Spottepigramm von außerhalb der Epigrammtradition her

Die im Grunde erstaunliche Entwicklungsgeschichte des Epigramms ist im wesentlichen auch in der Offenheit der Gattung begründet: Etwas plakativ formuliert könnte man sagen, dass sich dieses am Leben erhalten hat, indem es immer wieder mit neuem Material experimentierte. Das vorliegende Kapitel soll in Form von punktuellen Gegenüberstellungen der Frage nachgehen, welche ›außerepigrammatischen‹ Impulse für die eben umrissene Entwicklung des Epigramms hin zum Spottepigramm, dem im Hinblick auf die Neuzeit erfolgreichsten Seitenzweig, und insbesondere der spezifischen Form, wie wir sie schließlich bei Nikarch vorfinden, von Bedeutung gewesen sein könnten. Das Ergebnis des vorangegangenen Kapitels, dass es primär die Epigramme selbst waren, die als Motor für ihre Weiterentwicklung wirkten, sollte dabei nicht vergessen werden (und wird in vielen der Einzelbesprechungen weiterhin deutlich bleiben). Direkte Abhängigkeitsverhältnisse, wie sie innerhalb der Epigrammgattung zweifelsfrei nachgewiesen werden können,227 d. h. unmittelbare Wirkung von Text zu Text, lassen sich zu den im Folgenden beschriebenen potenziellen Einflussquellen kaum je mit letzter Sicherheit ausmachen. Es geht hier vielmehr um beliebte Themen und andere Tendenzen, die von verschiedenen literarischen Formen und Gattungen aus in den breiten Traditionsstrom eingespeist wurden und hinsichtlich ihrer Wirkung auf Form und Motivgestaltung der Epigramme zu einem späteren Zeitpunkt relevant sein können. Da sich diese jeweils nur annäherungsweise umreißen lassen, ist ihre relative Wichtigkeit bisher verschieden beurteilt worden. In der folgenden Besprechung ist die Diskussion der einzelnen Beiträge nach Gattungen und Autoren gegliedert. Der Leser möge auf den wenigen Seiten keine vollständige motivgeschichtliche Untersuchung erwarten; die Materialmenge gäbe genügend her für eine umfangreiche eigene Monographie.228 Nicht ausgeklammert werden soll auf jeden Fall die ebenso interessante wie schwierig zu beantwortende Frage, inwiefern auch römische literarische Traditionen an diesem Formungsprozess beteiligt waren.229 227 Vgl. unten p. 151ss., 156ss. 228 Ein solcher Versuch liegt vor in der Arbeit von Brecht 1930, die allerdings in zahlreichen Punkten zu ergänzen wäre. 229 In dieser Hinsicht ist etwa die abgesehen von wenigen Einzelheiten fehlende Über-

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Archilochos als ›Urvater‹ skoptischer Dichtung Der Dichter aus Paros (ca. 680–630 v. Chr.) wird und wurde schon in der Antike zu Recht als Urvater der Invektive (in Wirklichkeit nur eine von ganz verschiedenen Erscheinungsformen seiner literarischen Produktion) und als Präger satirischer Ausdrucksweise gefeiert.230 In seiner Wirkungsgeschichte mit Homer und Hesiod vergleichbar (vgl. Plat. Ion 531a), wurde er öffentlich vorgetragen, als Heros verehrt, von zahlreichen Autoren zitiert und als literarisches Vorbild hochgeschätzt. Nicht nur für Horaz, der sich auf ihn beruft numeros animosque secutus …, non res et agentia verba, wie er selbst sagt (epist. 1,19,23ss.), sondern auch für dessen Vorgänger, den Satiriker Lucilius, sowie später Martial ist er von zentraler Bedeutung; im 1. Jh. n. Chr. beweisen zudem mehrere griechische Autoren (u. a. Dion Chrysostomos und Plutarch) direkte Kenntnis seiner Werke; die vielen Archilochos-Papyri aus den ersten nachchristlichen Jahrhunderten bestätigen das Bild ungebrochener Popularität.231 Inwieweit bedient sich auch Nikarch von den ›Krumen vom Tische des großen Archilochos‹?232 Eine Durchsicht der erhaltenen Texte liefert uns einige Anklänge, aber diese reichen kaum aus als Indiz für direkte Kenntnis des Parers. Da, wie im letzten Kapitel erwähnt, die Form des Epigramms in elegischen Distichen früh auch die Funktion iambischer Dichtung als Gefäß für Invektive übernommen hat, ist es sehr wahrscheinlich, dass die weitere Entwicklungsgeschichte der Motive zum wesentlichen Teil auf diesem Strang verlaufen ist. Dennoch ist es für einzelne Bilder, Gedanken und Vokabeln in Nikarchs Epigrammen wichtig zu sehen, dass sie offenbar schon zum Rüstzeug des Archilochos gehörten (für die Stellen sei auch auf den jeweiligen Einzelkommentar verwiesen). Interessant ist der Epodenbeginn fr. 168 West, in welchem im Kreise der Freunde die Erzählung einer lächerlichen Begebenheit angekündigt wird233 – ähnlich wie man sich die Einleitung eines Spottepigramms vorstellen könnte. Ansonsten ist es nicht weiter verwunderlich, dass man Parallelen insbesondere zu misogynen Bemerkungen in den Gedichten findet, die im iambischen Versmaß verfasst sind. Von diesen Fragmenten steht wohl ein größerer Teil im Kontext der Anfeindungen gegen die Töchter des Lykambes in Form erniedrigender sexueller Bemerkunschneidung des Motivinventars der römischen Satire (cf. Rudd 1986) mit dem der Spottepigramme bemerkenswert. 230 Vgl. die Bemerkung bei Athenaios 3,122b, dass Archilochos zu denjenigen Dichtern gehöre, bei denen man auch πονηρῶς εἰρημένα finden könne. 231 Vgl. auch das Grabepigramm des Gaetulicus auf Archilochos (AP 7,71). 232 Vgl. Aisch. TrGF 3, T 112a–b. 233 … χρῆμά τοι γελοῖον | ἐρέω, πολὺ φίλταθ’ ἑταίρων, | τέρψεαι δ’ ἀκούων.

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VII. Einwirkungen auf das Spottepigramm

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gen mit dem Ziel sozialer Ausgrenzung; nach späterer Tradition, die sich u. a. auch in Epigrammen der Anthologia Palatina greifen lässt,234 hat Archilochos sie mit solchen Versen in den Tod getrieben. Dabei ist von Archilochos selbst die Äußerung erhalten, seinen Spott nie über Verstorbene auszugießen (fr. 134 West). Im einzelnen sind folgende Auffälligkeiten sind zu nennen: – das Bild einer Alten, die selbst Greise noch in erotische Wallung bringt: Archil. ὡς ἂν καὶ γέρων ἠράσσατο; greifbar aus den Resten auf POxy. 2311 fr. 1 und einem Zitat bei Athen. 15,688c [fr. 48 West], ebenso fr. 66–69 und fr. 205 West οὐκ ἂν μύροισι γρηῦς ἐοῦσ’ ἠλείφεο ~ Nikarch AP 11,71 und 73; cf. Horaz epod. 8, mit den Bemerkungen unten p. 171; allg. Grassmann 1966: 1ss., mit viel Material. – Archilochos’ Epode fr. 188 West [PColon. 58,36ss.] über eine gealterte Geliebte scheint, obwohl möglicherweise im selben Kontext wie die Iamben, einen anderen Ton anzuschlagen; vgl. auch fr. 196a,26ss. West auf dem selben Papyrus. – explizite obszön-erotische Anspielungen: Archil. κύβδα fr. 42 West ~ Nikarch POxy. 4502 fr. 4; dort allerdings in homoerotischem Kontext; Archil. τέχνην πᾶσαν fr. 58 West (ev.) ~ Nikarch AP 5,40 πάντα λίθον κίνει bzw. AP 11,73 εὑρήσεις τεχνῖτιν; Archil. fr. 66 μηρῶν μεταξύ und fr. 118 West προσβαλεῖν μηροὺς … μηροῖς ~ Nikarch AP 11,329 μηροτραφής.

Vor diesem Hintergrund ist es keine Überraschung, dass sich unter den Spuria auch einige Spottepigramme (u. a. fr. 331 West auf eine sexhungrige alte ›Krähe‹) und weitere Gedichte derben Inhalts finden, welche die Tradition (wohl zu Unrecht) Archilochos zuweist.

Aristophanes und die alte Komödie Die Rezeption der Alten Komödie und im speziellen von Aristophanes beschränkte sich auf die Stücke qua literarische Texte und war während der hellenistischen Zeit nicht immer gleich intensiv. Immerhin blieb eine Auswahl davon dank der Arbeit der alexandrinischen Philologen im kulturellen Gedächtnis, und gerade ab dem 1. Jh. n. Chr. setzte im Zuge der attizistischen Bewegung eine neue Aristophanes-Renaissance ein, nicht zuletzt dank der Tatsache, dass dieser in den Kanon der Musterautoren hinsichtlich Sprache aufgenommen wurde. Die Beschäftigung mit Aristophanes wurde also Teil einer rhetorischen Ausbildung, wie sich u. a. auch an der wachsenden Zahl von Aristophanes-Papyri zeigt.235 234 cf. AP 9,185 (anonym). 235 Cf. Quint. Inst. or. 10,1,65 zu den Vorzügen der Sprache des Aristophanes: sincera Attici sermonis gratia … facundissima libertas … plurimum virium … et grandis et elegans et venusta; Dion. Hal. de imit. II 2 p. 207,1ss. Usener-Radermacher.

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Wie weit lassen sich nun auch im griechischen Spottepigramm des 1. Jh. n. Chr. noch mehr oder weniger direkte Einflüsse der ἀρχαία festmachen? Auf den ersten Blick scheinen die beiden Formen doch sehr wenig miteinander gemeinsam zu haben: hier steht der Komödiendichter, der der Polisgemeinschaft, zu der er selbst gehört, in krasser spiegelbildlicher Verzerrung und nicht ohne direkte persönliche Invektive gegenwärtigen Alltag und Lebensumstände vor Augen führt, auf der andern Seite ein kaum in seinem biographischen Kontext greifbarer Verfasser einer weit weniger unmittelbaren Karikatur zeitloser Absurditäten, die mit dem Unterhaltungswert keinen dringenden Appell an die Adressaten verbindet. Gänzlich verschiedene Kontextualisierung braucht aber, wie dies ähnlich zuvor für Archilochos sichtbar wurde, die Aneignung vergleichbarer Gestaltungstechniken nicht auszuschließen. G. Nisbet hat in seiner Monographie in dieser Hinsicht Aristophanes einen überaus hohen Stellenwert eingeräumt.236 In der Tat lassen sich gerade bei Nikarch, aber nicht nur bei ihm, stilistische sowie motivische Besonderheiten aufzählen, die man in dieser spezifischen Kombination ansonsten nur bei Aristophanes findet. Wohl gemerkt: die ›Gemeinsamkeiten‹ sind auch in diesem Fall nie so nahe, das Bündel an parallelen Eigenschaften nie dick genug, dass eine direkte Beeinflussung beweisbar wäre. So bleibt die merkwürdige, auch etwas unbefriedigende Situation bestehen, dass einem vieles vertraut vorkommt, aber man dies doch nicht richtig greifen kann. Ein paar Beispiele: auffällig ist etwa der Hang zum Surrealismus, welcher anderen satirischen Gattungen, insbesondere auch in der römischen Tradition, viel weniger stark aneignet. Das Geschehen einer Horaz- oder auch Juvenalsatire ist bis auf wenige Ausnahmen in Raum und Zeit klar umrissen. Nicht so hingegen in vielen Fällen im griechischen Spottepigramm des 1. Jhs. – und ebenso gelegentlich bei Aristophanes, dessen Stücke den Bereich zwischen Menschen und Göttern bis hin zur Unterwelt zur Szene haben (Martial zeigt dagegen wieder einen stärkeren Realitätsbezug). Zur Formung des Surrealismus ist, wie schon erläutert,237 Hyperbole das geeignete Mittel (vgl. AP 11,330 od. 11,243 mit der m.E. ganz ähnlichen Steigerungstechnik in Aristoph. Ach. 61ss. für eine ›Mission‹, die unglaublich viel Zeit in Anspruch nimmt, s. Kap. II.9). Die λεπτοί bewegen sich in einer Welt, in der die physischen Relationen überspielt sind. Lukillios’ Gedicht AP 11,392, in dem der schwächliche Rhetor, nur Haut und Knochen, sich auf eine geflügelte Ameise setzt und sich wie Bellerophon vorkommt, lässt nach Nisbet klar den Mistkäfer anklingen, auf dem der Bauer Trygaios im aristophanischen 236 Nisbet 2003: 15s.; 86–90 (auch zur Technik des Einbezugs des Rezipienten in AP 11,328, der im Laufe des Epigramms zum wohlwollenden Zuschauer der τριπορνεία wird; s. Kap. II.13). 237 Kap. II p. 34.

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›Frieden‹ davonreitet.238 Das ist möglich; ob die intertextuelle Assoziation für die Idee mit der Ameise zwingend ist, muss aber letztlich offen bleiben. Auch weitere Eigenschaften, die im Abschnitt über Sprache und Stil Nikarchs besprochen wurden, erinnern unweigerlich an Aristophanes: etwa die Vorliebe, in mehreren Registern zu sprechen und dabei von einem Moment zum nächsten von epischer Höhe ins βάθος zu fallen (vgl. etwa 11,124; 407),239 und, damit eng verbunden, die literarische Parodie: Aristophanes greift bekanntlich besonders gerne Euripidestragödien auf, deren Inhalt dem Großteil seines Publikums bestens vertraut war (auch die Idee des Flugs auf dem Mistkäfer ist eine Parodie des Pegasosritts in Euripides’ Bellerophontes). Im Spottepigramm wird dagegen auf allgemeines Bildungsgut wie Homer zurückgegriffen (ein besonders illustratives Beispiel von Nikarch ist 11,328),240 oder aber, wie ebenfalls bereits gesehen, auf älteres Epigrammgut. Sowohl der Aristophaneskomödie wie auch dem Spottepigramm scheint überdies ein nicht unbeträchtlicher Grad an Metatextualität inhärent (vgl. dazu die Interpretationen zu 11,110 und 407).241 Auch für Aristophanes kommen wir zu einem ähnlichen Schluss: Viele der konzeptuellen Gemeinsamkeiten brauchen nicht auf eine direkte Benutzung hinzudeuten, sondern können auch als Grundkonstanten angesehen werden, die sich aus dem Umgang mit skoptischen Themata immer wieder von selbst ergeben. So äußert sich auch K. Gutzwiller in ihrer Rezension von Nisbets Buch (BMCR 2005.01.19): ›While paradox, surrealism, and hyperbole are certainly common to Aristophanic comedy as well as satirical epigram, it seems unlikely that poets of the first century A.D., such as Loukillios and Nikarkhos, had to return directly to Aristophanes to rediscover these elements. As Nisbet argues, skoptic epigram surely had a presence in popular culture, and oral circulation probably explains the tendency toward ridiculous hyperbole, since striving after ever greater variation produces ever greater exaggeration.‹ Es bleibt m.E. Ermessenssache, wie präsent man sich Aristophanes als Hintergrund für die Epigrammproduktion im speziellen 238 Nisbet 2003: 86 (die dortige Stellenangabe für das Lukilliosepigramm ist zu korrigieren): »The ›Aristophanic‹ image of the flying ant does no more than set the scene for a Loukillian character assassination. In the upbeat and carnivalesque comic worlds of Aristophanes, a hero really can make a dung-beetle carry him to the heavens …«. 239 Vgl. K. Dover, Aristophanic Comedy, Berkeley 1972: 72 ›Comedy, alone of Greek literary genres (sic! Anm. d. V.), combines all the registers of Greek utterance which are known to us: at one extreme a solemnity evocative of heroic warfare and gorgeous processionals, at the other a vulgarity inadmissible in polite intercourse.‹ 240 Homerparodien entstanden auch während des Hellenismus, wie uns etwa die Batrachomyomachie lehrt. 241 Das Phänomen ist bei Aristophanes unterdessen gut untersucht; vgl. Th. Hubbard, The Mask of Comedy. Aristophanes and the Intertextual Parabasis, Ithaca (N.Y.) 1991; N.W. Slater, Spectator Politics, Metatheatre and Performance in Aristophanes, Philadelphia 2002.

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Nikarchs denken will. Dass er im 1. Jh. n. Chr. jemandem, der in den Genuss einer Schulbildung kam, kein Unbekannter gewesen sein muss, haben wir gesehen. Jedenfalls findet sich von Antipater von Thessalonike, der in augusteischer Zeit schrieb, bereits ein enkomiastisches Lob auf Aristophanes (AP 9,186) – in Epigrammform.

Theophrast Die meisten aristophanischen Figuren zeigen ausgeprägte Individualzüge. Die systematische Analyse und Beschreibung ganz bestimmter Charaktertypen geht dagegen auf den Aristotelesschüler Theophrast zurück, zu dessen Schülern zumindest gemäß einem Teil der Tradition auch der Komödienschriftsteller Menander gehörte. Die wohl ursprünglich Χαρακτῆρες ἠθικοί betitelte Sammlung242 beinhaltet insgesamt 30 je einem bestimmten Charaktertyp gewidmete Abhandlungen. Diese Typen stellen jeweils Verfehlungen bzw. Laster dar; entsprechend kommen sie teilweise in Aristoteles’ Nikomachischer Ethik 1107a32ss. als polare Extreme vor, die jeweils als Abirrungen auf die eine oder andere Seite von einer in der Mitte (μεσότης) stehenden Tugend angesehen werden. Die einzelnen Charakterbilder beginnen mit einer kurzen Definition, auf die dann eine Reihe den gerade besprochenen Menschenschlag kennzeichnender Situationen und Verhaltensmuster aufgezählt wird, wobei keine strengen Ordnungskriterien zu gelten scheinen. Die Beispiele sind also nicht im Sinne einer Abfolge oder Entwicklung angeordnet, sondern verkörpern autonome, abgeschlossene ›Studienfälle‹, die nur dadurch verbunden sind, dass sie alle denselben Typ zeichnen sollen. Diese ›Einzelepisoden‹ bestehen in der Regel nur aus einer syntaktischen Einheit: die Situation wird in kurzen Worten geschildert, in Form einer Partizipialkonstruktion oder eines Konditionalsatzes (insbes. mit iterativem ἐάν), der Hauptsatz erzählt die Reaktion und die Handlungsweise des porträtierten Menschentyps. Im Unterschied zur Neuen Komödie ist es auch nicht durchgehend dasselbe Individuum, dessen typische Züge sich in einem zusammenhängenden Handlungsbogen immer aufs neue manifestieren. Jedes dieser Einzelbeispiele böte vielmehr für sich allein den Stoff für ein skoptisches Epigramm, in dem dann der betreffende Fall sprachlich besonders extrapoliert werden könnte. Evident ist die Nähe solcher als Traktate konzipierter Exempelsammlungen zu den Spottepigrammen, aber auch zur weiter unten zu besprechenden Witzsammlung des Philogelos, die sich nur im sekundären Charakter ihrer 242 Die neueste Ausgabe mit umfassendem Kommentar stammt von J. Diggle (Cambridge 2004); zuvor griff man hauptsächlich zu derjenigen von Ussher (Bristol 1960; repr. 1993).

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Anthologisierung von ersteren unterscheiden. Insbesondere führt die durch die extreme Kürze geforderte Ökonomie in der Schilderung der Situation zu auffallend ähnlichen syntaktischen Strukturen.243 Zur Illustration dieses Sachverhalts sei auf die Textbeispiele unten im Kapitel I.6 (›Les avares‹; zu 11,169 und 170) verwiesen. Im Zusammenhang mit Typenspott zu nennen sind außerdem die in Kap. V erwähnten ›Witzbücher‹, die als Folge des Interesses an verschiedenen menschlichen Charaktereigenschaften gewiss in großer Zahl bereits ab dem 3. Jh. kursierten, auch wenn sich bis heute nur wenige Reste erhalten haben, die einem solchen Kontext zugewiesen werden können. Über den ursprünglichen Zweck der Χαρακτῆρες gibt es verschiedenste Ansichten, die von der moralischen Unterweisung über Anschauungsmaterial für den Unterricht bzw. Material für andere theoretische Traktate Theophrasts bis hin zu reinen Unterhaltungszwecken reichen. Fest steht, dass Charakterzüge in der peripatetischen Schule stets Gegenstand besonderen Interesses blieben. Die Technik der Charakterzeichnung wurde zu einem wesentlichen Element rhetorischer Ausbildung (vgl. Cic. Top. 83 descriptio, quam χαρακτῆρα Graeci vocant … qualis sit avarus, qualis adsentator ceteraque eiusdem generis, in quibus et natura et vita describitur; Quint. Inst. or. 6,2,17) und war selbstverständlich auch für die Satire von großer Bedeutung (vgl. z. B. die Darstellung des Kleinkarierten in Iuv. 14,109–34). Aus dem gleichen Vorrat schöpften gewiss auch die Verfasser der Spottepigramme, auch wenn sich ganz direkte Linien einmal mehr nicht nachweisen lassen.

Neue Komödie (griechisch und lateinisch) Wie im letzten Kapitel angetönt, könnte man die sich über einen längeren plot ausdehnende Zeichnung eines Typus, der aber auch reichlich mit Individualzügen ausgestattet sein kann, ohne weiteres als natürliche Fortsetzung theophrastischer Charakterporträts ansehen. Der grundlegende Unterschied zum Spottepigramm besteht im zur Verfügung stehenden Textraum, so dass in ersterem selten mehr als ein Handlungszug und keine Handlungsentwicklung mit komplexem Situationshintergrund beschrieben werden kann.244 243 Am Beispiel von AP 11,264 (Distichon von Lukillios) vorgeführt in Lausberg 1982: 397: Schilderung der Situation in Form einer Partizipialkonstruktion im Hexameter; im Pentameter Bericht des Zusammentreffens von beschriebener Situation und Menschentyp. Für Philogelos cf. ebda., sowie Thierfelder 1968: 23 ›Mit einer lächerlichen Äußerung oder Handlung reagiert der Dumme auf eine Situation, die am Anfang kurz dargelegt wird, meist mit Hilfe von Partizipialkonstruktionen.‹ 244 Vgl. Nisbet 2003: 15 ›they [sc. the types of New Comedy] have been developed as pegs for dialogue and extended comic routines.‹

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Eine interessante Ausnahme scheint allerdings AP 5,40 zu verkörpern, das hinsichtlich der Gattungszugehörigkeit schon eher als ἐλεγεῖον zu bezeichnen wäre und Nikarch in seinen ethopoietischen Fähigkeiten alle Ehre macht. Wie in Kap. II.6 gezeigt werden wird, erinnert das Epigramm in seiner Szenenhaftigkeit auch tatsächlich an Situationen, wie sie in der Neuen Komödie gezeichnet sind, ohne dass ein genaues Vorbild zu eruieren wäre:245 Die Milieuschilderung, die sich aus den Ermahnungen eines verreisenden Mannes an seine Geliebte eröffnet, greift auf bekannte Vorbilder aus der Νέα zurück, allerdings, wie es scheint, nicht ohne diese mit einer derb-alltäglichen Note zu verschärfen. Ein Beispiel wie AP 5,40 ließe sich als vom Dichter an sich selbst gestellte Herausforderung werten, eine typischerweise aus einer anderen Gattung stammende Szene in das eigene Genus einzubringen. Für die Details sei auf die Besprechung des Epigramms verwiesen. Ein zweites Beispiel, das stark an eine Komödienszene erinnert, ist die Situation zweier Personen in AP 11,406 (Kap. II.4), die auf die Ankunft einer dritten, die sie von weitem bereits sehen, warten und die ihnen zu zweit verbleibende Zeit dazu nutzen, sich über den demnächst Eintreffenden lustig zu machen. Eine denkbare Parallele wären Sklaven, die in der Abwesenheit ihres Herrn ihre Spötteleien treiben oder einen Komplott besprechen können. Auch hier ist das Gedankenexperiment interessant, welche gattungstypischen Vorteile Komödie und Epigramm aus der Situation jeweils ziehen können. Während eine Komödie aus dem Informationsdefizit gegenüber dem noch nicht aufgetretenen Dritten und der daraus resultierenden Situationskomik ihre Nahrung nehmen kann, ist es in AP 11,406 das sich in immer absurdere Vorstellungen steigernde Auskosten der langen Nase des Ankommenden.246 Abgesehen davon gibt es selbstverständlich ein Reihe weiterer Motivparallelen in Komödie und Spottepigramm, die ohne direkte Abhängigkeiten aus dem gleichen Pool stammen (z. B. AP 11,18, das ›Unterschieben‹ eines Findelkindes). Dasselbe gilt für die ›sprechenden Namen‹ für einzelne Protagonisten im Spottepigramm.247 Auf solche Erscheinungen wird an gegebener Stelle in den Einzelbesprechungen hingewiesen.

245 Vgl. unten p. 292. 246 Zum ›quasi-dialogischen‹ Charakter dieses Epigramms s. oben Kap. II (Sprache und Stil). 247 Zu den Parasitennamen Saturio und Gelasimus s. oben p. 79.

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Mimus Dass das griechische Spottepigramm vom gerade im 1. Jh. n. Chr. äußerst populären Mimenschauspiel stark beeinflusst gewesen sein müsse, ist eine Feststellung, die bereits Brecht in seiner Motivgeschichte wiederholt formulierte,248 und die Tatsache, dass es sich dabei vornehmlich um eine gegenüber traditionellen Komödienstücken vereinfachte Typenkomödie handelte, machen es in der Tat sehr naheliegend, entsprechende Verbindungslinien zu dieser Gattung zu ziehen. Die Berührungspunkte dürften vor allem dort gegeben gewesen sein, wo sich typische Berufs- oder Charaktereigenschaften zur Darstellung auch auf der Bühne eigneten, oder anders ausgedrückt: je stärker die Spottepigramme dramatisch-mimetischen Charakter besitzen. Man denkt dabei an Figuren wie den betrogenen Ehemann, unfähige Lehrer, Ärzte, lüsterne alte Frauen, Erbschleicher usw.249 Wiederum geht es hier in erster Linie um das generelle Profil solcher Figuren, das auch das Spottepigramm aufgriff und das in seinen Konturen zweifellos sehr stark durch den Mimus angereichert ist. Da der Mimus als dramatische Unterhaltungsform im 1. Jh. n. Chr. weitestgehend skriptlos war und auf Improvisation beruhte,250 sind Textvergleiche mit den gewohnten philologischen Methoden kaum möglich. Ebenso fehlen die Grundlagen zur Beurteilung der Frage, ob eine Beeinflussung nicht nur durch den griechischen, sondern, wie man gerne anzunehmen bereit wäre, auch durch den lateinischen Mimus stattgefunden hat, dessen Improvisationsgrad vielleicht noch etwas stärker war. Die wenigen auf Papyrus erhaltenen griechischen Texte sind aber vermutlich bereits eher als literarisch gehobenere Ausnahmen anzusehen. Unter den aus Ägypten stammenden Beispielen zu nennen ist v. a. ein unter dem Namen der Protagonistin Charition bekannt gewordenes Stück, offenbar eine Parodie auf Euripides’ Iphigenie in Tauris. Der Papyrus stammt aus dem 1./2. Jh. n. Chr. und liegt somit ungefähr im zeitlichen Bereich unserer Spottepigramme.251 Hier wird offensichtlich die Absurdität zelebriert, dass man sich anrückende Feinde durch Einsatz der πορδή vom Leibe halten kann, ein Motiv, das uns zumindest in verwandter Weise auch bei Nikarch begegnet (AP 11,395). Zu den hellenistischen Mimiamben des Herondas (3. Jh. v. 248 Brecht 1930: 3; 17; 101ss.; er war in dieser Hinsicht stark von Reich 1903: 57 beeinflusst. 249 Cf. auch Sullivan 1991: 112s. 250 Fantham 1998: 11s.; 137; cf. dies. 1988/89: 155. 251 POxy. III 413; Ausgaben: M. Andreassi, Mimi greci in Egitto. Charition e Moicheutria. Introduzione, traduzione, commento, Bari 2001 (dort auf S. 12 auch ein Überblick über die weiteren Textreste auf Papyrus zwischen dem 2. Jh. v. und dem 3. Jh. n. Chr.); S. Santelia, Charition liberata (P. Oxy. 413), Bari 1991.

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Chr.) mit ihren kunstvollen und gleichzeitig oft frivolen Alltagszeichnungen bestehen außer der Direktheit der Darstellung, soweit ich sehe, keine engeren motivischen Beziehungen.252 Im lateinischen Bereich denkt man an die berühmte Geschichte, nach der Caesar im Jahr 46 v. Chr. zwei namhafte Vertreter, den Freigelassenen Publilius Syrus und den Ritter D. Laberius, geradezu nötigte, sich in einem Wettstreit zu messen (s. dazu Macr. Sat. 2,7,1–9; cf. Cic. fam. 12,18,2). Von beiden sind Zitate lediglich bei späteren Autoren erhalten;253 zwei davon (Publ. Syr. bei Sen. contr. 7,3,8 tam deest avaro quod habet quam quod non habet resp. desunt luxuriae multa, avaritiae omnia), die fast schon wie Teile eines Epigramms klingen, zeigen ausschnittweise, dass der Typus des Geizigen auch eine Rolle gespielt haben muss. Wichtiger noch: wir ersehen daraus, wie scheinbar primär moralisch-ethisch anmutende Sentenzen auch ganz im Dienste der Unterhaltung stehen konnten, ein Aspekt, der z. B. für Martial in der Forschung erst in jüngster Zeit vorbehaltlos akzeptiert wurde.254 Aus dieser Übersicht ergibt sich, dass die Eigenschaften des Mimenschauspiels, die auch für die Herausbildung der Spottepigramme von Bedeutung sein könnten, im wesentlichen aus den Stimmen Dritter zu erschließen sind.255 In erster Linie wird man an die eingangs erwähnte Profilierung aus der Tradition übernommener komischer Typen denken. Unter den dargestellten Objekten des Mimus nennt Cicero den Mürrischen, den Abergläubischen, den Verdächtigen, den Prahler (vgl. AP 11,17) und den Dummkopf.256 Von der Beliebtheit obszöner Inhalte zeugen, wie ebenfalls schon erwähnt, erhaltene Reste,257 sowie Ovids Argument, dass seine eigene Dichtung im Vergleich zum Mimus harmlos sei (trist. 2,497s. Scribere si fas est imitantes turpia mimos, | materiae minor est debita poena meae). Eine Situation wie diejenige in AP 11,73 von Nikarch, wo der Sprecher seinen Adressa-

252 Dasselbe gilt auch für das Wenige, was sich aus den Fragmenten Sophrons (5. Jh. v. Chr.) herauslesen lässt (ed. J. Hordern, Oxford 2004). 253 Ed. der Fragmente: M. Bonaria, Romani mimi, Roma 1965. 254 Dies ist ein Verdienst von Holzberg 2002. – Zu Lukillios vgl. die Diskussion bei Nisbet 2006 (u. a. anhand von AP 11,389 und 391 über einen Raffgierigen und einen Geizhals). 255 Einen guten Überblick bietet Fantham 1988/89: 153ss. Cf. 154: ›Mime is elusive … it is best defined negatively. Whatever did not fit the generic categories of tragedy or comedy, Atellane or the Italian togate comedy, was mime, a narrative entertainment in the media of speech, song and dance.‹ 256 Cic. de or. 2,251 genus hic, quod risum vel maxime movet, non est nostrum: morosum, superstitiosum, suspiciosum, gloriosum, stultum: naturae ridentur ipsae, quas personas agitare solemus. 257 Cf. auch Fantham 1988/89: 155 ›The surviving fragments of mime show that … body language was combined with language about the body – lavatory jokes and jeering at physical handicaps.‹

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ten in eine besonders vertrauliche Situation hineinziehen möchte, könnte man sich gut auch im Mimus vorstellen. Daneben wird man auch hier die generischen Unterschiede nicht übersehen, und das führt zu ähnlichen Gedanken, wie sie schon im Zusammenhang mit der Neuen Komödie angestellt wurden. Für komplizierte Ränkespiele war in einem Epigramm kein Platz, ebensowenig für eine weiter ausgreifende Tragödienparodie, wie sie das Charitionstück und viele andere Beispiele boten. Der Themabereich war der des Alltags; Handlungskomik war gewiss zentral, ergänzt und angereichert durch Sprachkomik (für die u. a. Publilius Syrus berühmt war) und Hyperbole, die typischen Werkzeuge des Spottepigramms.

Catull Die Bedeutung Catulls als Vermittler hellenistischer und älterer griechischer Dichtkunst für die lateinische Tradition braucht nicht besonders hervorgehoben zu werden. Längst ist bestens untersucht, wo er in seinen Gedichten griechische Traditionen aufgriff, den Motiven seinen persönlich-emotionalen Stempel aufsetzte und sie in einer ihm unverkennbar eigenen Form weiterverarbeitete, und wo er andererseits an genuin Römisches anknüpfte, wie etwa an den Brauch der diffamatio (flagitia), die Form der Volksjustiz, die ihre literarische Entsprechung in der (iambischen) Invektive hat.258 Sein Corpus besteht bekanntlich aus einem polymetrischen (c. 1–60) sowie einem elegischen Teil (worin die eigentlichen Epigramme c. 69–116 ausmachen);259 für unseren Kontext ist somit v. a. der letztere von Interesse. Martial zählt Catull unzweideutig zu seinen Vorbildern, denn er nimmt in einem Fall implizit, aber doch so, dass es dem Rezipienten nicht entgehen kann, auf ihn Bezug. Sein Epigramm 1,32 Non amo te, Sabidi, nec possum dicere quare: | hoc tantum possum dicere, non amo te lässt keinen Zweifel über die Anspielung auf Catulls c. 85 offen – und zeigt auch klar die Unterschiede zwischen den beiden Ausgestaltungen. Denn der catullischen Darstellung eines zwischen zwei Polen oszillierenden inneren Konflikts tritt bei Martial eine scheinbar eindimensionale Hassbekundung gegenüber, die zudem den Eindruck erregt, als wolle sie die im Prätext inhärente Spannung durch die 258 Viel Wesentliches findet sich bereits bei Hezel 1932, vgl. außerdem Hutchinson 2003. 259 Zur alten Frage, ob das auf uns gekommene Catullcorpus als ganzes mit einer auktorialen Buchpublikation verbunden werden kann, ebenfalls Hutchinson 2003: 206ss., mit Nennung der älteren Literatur. Zumindest die beiden Hauptteile weisen nach ihm alle Zeichen zweier ursprünglich getrennter, für sich aber durchgehend als Buch konzipierter Einheiten auf (s. bes. 211).

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inhaltliche Reduktion bagatellisieren. Dass die ›Berührung … so oberflächlich‹ sei, ›dass Friedländer … eine Reminiszenz an Catull 85 nicht annehmen wollte‹,260 kann ich nicht nachvollziehen. Vielmehr demonstriert die Art und Weise, in der Martial 1,32 zu Catull c. 85 steht, beispielhaft eine mögliche Art der Bezugnahme des einen Epigramms auf das andere: Der Text ›auf zweiter Stufe‹ nimmt einen einzelnen Aspekt des Prätextes heraus und konzentriert sich auf diesen,261 eine Technik, die für Martial nicht untypisch ist. Bei Lukillios und Nikarch finden sich allerdings tendenziell häufiger andere Methoden, nämlich Anbau und / oder Neukombination von Motiven.262 Vom rein chronologischen Standpunkt her wäre die Annahme einer Bezugnahme auf Catull auch bei den griechischen Skoptikern des 1. Jhs. n. Chr. und im speziellen bei Nikarch möglich, ja geradezu verlockend. Und sucht man im Inventar Nikarchs und Catulls nach auffälligen Ähnlichkeiten, so stechen auch tatsächlich einige ins Auge. Dennoch fehlt hier leider eine so klare Evidenz wie die eben besprochene für Martial, so dass wohl wiederum diejenigen Recht behalten, die eine direkte Verbindungslinie vom Skoptiker Catull zu den griechischen Epigrammautoren stark anzweifeln, so willkommen und spektakulär ein Hinweis auf einen Reflex lateinischer Literatur in einem griechischen Text an sich wäre.263 Immerhin weist eine formale Eigentümlichkeit bei Nikarch, aber auch bei Martial, hauptsächlich auf Catull: die manchmal sehr auffällige refrainartige Wiederholung von Versteilen oder gar ganzen Sätzen. Beispielstellen sind bereits in Kap. II angeführt, weswegen hier der Verweis darauf genügen soll. Auf motivischer Ebene sind die Berührungspunkte teilweise ebenfalls ziemlich eng. Sie liegen, wenig erstaunlich, in dem Bereich, wo Catull und Nikarch sich am ehesten treffen: in der Aischrologie.264 Hierzu zunächst noch260 Weinreich 1926: 79, der diese Aussage allerdings auch bereits ein wenig relativiert hat. 261 Die richtige Deutung des intertextuellen Spiels (das sich demnach auf noch weitere Prätexte als nur Catull 85 ausdehnt) hat wohl Holzberg 2002: 98 gefunden: ›In 3.17 geht es wie in 1.32 um einen Sabidius, und dieser wird dort indirekt als Fellator verspottet. Wer sich an das frühere Gedicht erinnert, wird ihn mit dem dort Angeredeten identifizieren, und darf dann auch noch annehmen, dass Martial in 1.32 lügt. Denn er weiß offensichtlich sehr wohl, warum er Sabidius nicht mag.‹ 262 Vgl. oben Kap. II p. 27s. – Die unterschiedliche Art des Umgangs mit Prätexten wird auch aus der Besprechung der Einzelgedichte immer wieder hervorgehen; wichtig, wenn auch teilweise mit etwas von den meinigen abweichenden Ergebnissen, sind außerdem die Untersuchungen von Burnikel 1980: 16ss.; 99ss.; spez. für Nikarch und Martial 110ss. 263 Weinreich 1926: 67 ›Nicht nur im Epigramm, auch in anderen Literaturgattungen hat es sich als das methodisch Richtige herausgestellt, bei starker Übereinstimmung zwischen einem Römer und einem der Zeit nach auf ihn erst folgenden Griechen, nicht Abhängigkeit dieses von jenem anzunehmen, sondern aus dem Consensus beider auf eine gemeinsame, ältere griechische Quelle zurückzuschließen.‹ 264 Für einen allgemeinen Überblick im Vergleich mit dem früheren griechischen Epi-

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mals zu Catull 85: Die Opposition odisse – amare, im Griechischen μισεῖν – φιλεῖν, erschien auch im griechischen Epigramm, das ja von Anfang an Antithesen nutzbar zu machen trachtete, als geeigneter kreativer Ausgangspunkt.265 φιλεῖν hat den zusätzlichen Vorteil der Doppelbedeutung (›lieben‹ und ›küssen‹) und musste daher zu Wortspielen einladen. Zuerst finden wir ein solches in einem Epigramm Antipaters von Thessalonike, der, von Piso gefördert, in augusteischer Zeit auch in Rom aktiv war (AP 11,219); in den Kanon der Variationen stimmt danach Nikarch (AP 11,252; Kap. II.15) ein, und auch in der Sammlung des Philogelos gibt es einen entsprechenden Beitrag.266 Die Dynamik des Wortspiels ist, wie man sieht, im griechischen Bereich eine ganz andere (die Inhalte erhalten schnell eine sexuelle Konnotation, eine Möglichkeit, die lat. amare so nicht von sich aus bietet) als die des Auskostens der semantischen Opposition bei Catull; wir scheinen es hier also von Anfang an mit Traditionslinien zu tun zu haben, die sich auf zwei verschiedenen Geleisen bewegen. Das Thema gehört in den Spottepigrammen somit in den Bereich des Fäkalhumors: der fehlende Unterschied zwischen στόμα und πρωκτός findet sich in AP 11,241s. sowie 415; entsprechend werden auch Atem und πορδή gleichgesetzt. Diese Vertauschbarkeit thematisiert Catull andernorts ebenfalls: in c. 97 wird zudem von Anfang an klar (nicht nur durch den Ausruf ita me di ament in Z. 1), dass sie nur eines von mehreren Elementen im Schmäharsenal Catulls ist, das zunehmend deutlicher wird, weil der Adressat als cunnilingus gebrandmarkt wird (vgl. a. c. 98) und damit ein in der griechischen Epigrammatik gerne verwendeter Topos aufgeboten ist, zu dem letztlich auch alle hier aufgezählten Beispiele gehören.267 Dass es sich bei Catull um eine persönliche Invektive handelt, die besonders von der Eifersucht bestimmt ist, zeigen Z. 9/10, aus denen ein Stück Liebeskonkurrenz hervortritt: so einer beansprucht für sich, venustus zu sein?! Insofern liegt hier Catull bedeutend näher bei Archilochos als bei Nikarch. Es war der Befund an solch derben Motiven bei Catull, der seit geraumer Zeit zur Einsicht führte, dass es dafür (abgesehen von Archilochos) gewiss auch in der hellenistisch-griechischen Epigrammproduktion Vorbilder geben musste. Sie lieferten dem Neoteriker das Material, auf das er aufbauen konnte, auch wenn man gerne und weiterhin zu Recht annimmt, vieles sei daneben vom ihm selbst neu entwickelt worden. Wichtig ist die bereits von Hezel

gramm-Material Hezel 1932: 39–48, mit umsichtigen Interpretationen; vgl. auch Grassmann 1966: 28ss. Selbstverständlich bestehen vergleichbare Beziehungen auch in anderen Themenbereichen, etwa bei den erotischen Epigrammen. 265 Weinreich 1926: 66s. 266 S. unten p. 110. 267 Zum ore impurus-Motiv s. allg. Kap. II.15.

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geäußerte und auch anhand der oben besprochenen Epigramme268 bestätigte Beobachtung, dass sich in diesem älteren Material offensichtlich invektivische Epigramme auf Individuen und der bei Lukillios und Nikarch einzig noch fassbare Typenspott eine Zeit lang die Hand reichten.269 Als Grund dafür, dass wir von diesem so wenig besitzen, drängt sich ein ebenfalls schon ausgesprochener Verdacht auf: unser Bild ist wohl deutlich durch die Auswahlkriterien des Meleager und des Philipp, in diesem Falle ihr fehlendes Interesse gegenüber skoptischen Epigrammen, bestimmt – ein Umstand, welcher die Tatsache des Spottepigramms als einer im Grunde hellenistischen Schöpfung verdunkelt.

Philogelos und andere antike Witzsammlungen Noch engere Verbindungslinien bestehen nun zwischen den Spottepigrammen und der zumindest in einem Teil der handschriftlichen Überlieferung so bezeichneten und hernach unter diesem Namen bekannt gewordenen Witzsammlung (in Prosa) des Philogelos.270 Umso erstaunlicher ist es, dass diese in der Forschungsliteratur im Kontext einer Situierung der Spottepigramme im literarischen und sozialen Umfeld des 1. Jhs. gar nicht häufig erwähnt wird.271 Tatsächlich aber gibt es zahlreiche motivische Parallelen; in einigen Fällen ist die Situation, auf der der Witz gründet, fast deckungsgleich mit der eines Nikarchepigramms. Neben der äußerst dominanten Figur des σχολαστικός (›Akademiker‹, ›Stubengelehrter‹), deren komische Wirkung auf der Lebensuntüchtigkeit in fast allen Bereichen des Alltags beruht, die aber im Spottepigramm generell keinen vergleichbaren Niederschlag gefunden hat, finden sich im Philogelos typische Berufsvertreter und verschiedene Charaktere als Ziele des Spotts, wie dies genauso auch im 11. Buch der Anthologia Palatina und ohne die bewusste komische Zuspitzung, wie wir sa268 Kap. VI. 269 Hezel 1932: 40; in seinem illustrativen Beispiel stellt er die Hedylosepigramme Anth. Graec. App. 5, 16–18 (= Athen. 8,344s.) auf ὀψοφάγοι dem in AP 9,363 erhaltenen auf Μόσχος, den Sohn einer πόρνη, gegenüber. 270 Ausgaben: A. Thierfelder 1968 (mit nach wie vor grundlegender Einleitung, wo er p. 25ss. auch auf die Nähe zu den Spottepigrammen eindringlich hinweist, mit überlieferungsgeschichtlicher Darstellung und Kommentar); B. Baldwin 1983; außerdem die Edition von R. D. Dawe, München 2000. 271 Nicht erwähnt z. B. bei Nisbet 2003; Holzberg 2002; Sullivan 1991; sehr stark dagegen hervorgehoben von Brecht 1930: 101, der die Frage formuliert, ›ob ein Quellenverhältnis bestimmter Art zwischen Spottepigramm, Philogelos und Lukian besteht.‹ Die Frage wird in der zweiten Hälfte dieses Kapitels ebenfalls diskutiert. Eine ausführliche Gegenüberstellung, die sich mit der folgenden in vielen Punkten berührt, findet sich zudem in Laurens 1989: 142–8.

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hen, schon in Theophrasts Χαρακτῆρες der Fall ist. In die Überlieferungsgeschichte sowohl des Philogelos wie auch der Epigramme gehören außerdem Redaktionen mit thematischen Anordnungen; entsprechende Spuren haben sich in Form von Titeln (Lemmata) auch in einzelnen Philogeloshandschriften erhalten.272 An Themen, die wir sowohl bei den Spottepigrammen des 1. Jhs. wie im Philogelos finden, seien zu nennen:273 – Geizige (εἰς μικρολόγους: AP 11,165ss. ~ περὶ φιλαργύρων Phil. 104s.): die Idee, sich selbst zum Erben einzusetzen, teilt der Protagonist in Phil. 104 z. B. mit Mart. 5,32.274 – Ärzte: eine Kombination vom Motiv des diebischen Arztes (cf. AP 11,333) mit dem Augenarzt, der seinem Patienten eine (potentiell auch schädliche) Salbe einreibt (cf. AP 11,112; 115; 117), ist Phil. 142; in Kombination mit einer schlüpfrigen Bemerkung Phil. 151b (unter ›εὐτράπελοι‹ eingereiht, weil der Patient bzw. der Betrachter eine schlagfertige Antwort gibt). Phil. 176 handelt sodann von einem Arzt, der ein Klistier verabreichte: Κυμαῖος ἰατρὸς ἀπεγνωσμένον ἄρρωστον ἐνημάτισεν,275 ἐκέλευσε δὲ τὰ ἐκκεχωρημένα ἰδεῖν. τοῦ δὲ δείξαντος καὶ εἰπόντος, ὅτι ἀπέθανεν, ὁ ἰατρὸς μεθ’ ὅρκου ἀπεκρίνατο· Οὗτος εἰ μὴ ἐκλύσθη, ἐλάκησεν ἄν. Ein kymäischer Arzt hatte einen Patienten, den er schon aufgegeben hatte, klistiert und wollte die Ausscheidung sehen. Als man sie ihm zeigte und sagte, sei gestorben, beteuerte der Arzt unter Eid: ›Wäre er nicht klistiert worden, wäre er zerplatzt‹. Hier zeigt sich das typische Motiv vom Arzt, der grundsätzlich einmal seine Patienten ohne Unterschied klistiert (cf. insbes. AP 11,122). Die Ausrede nach einer offensichtlichen Fehlentscheidung kennen wir auch von AP 11,121. Beliebt im Philogelos ist auch die Kombination der Arztfigur mit dem Charakter des δύσκολος (Phil. 183ss.), die mit dieser Deutlichkeit nicht unter den Epigrammen aufscheint. – Barbiere: Phil. 198–200, cf. AP 11,191 (Lukillios).276 – Wahrsager/Seher/Astrologen: Phil. 201–5; diese sind, wie auch die vorher angeführten Beispiele über Barbiere, unter der Gruppe der ἀφυεῖς eingereiht. Vgl. in der AP die Gruppe εἰς μάντεις (11,159ss.). Die Epigramme sind allerdings i.d.R. nicht eindimensional auf die ›Unfähigkeit‹ des Sehers fixiert, obwohl dieser Ruf immer auch untergründig mitschwingt.277 272 Für die Spottepigramme s. oben p. 50; für Philogelos s. Thierfelder 1968: 183ss. 273 Vgl. auch Andreassi 2004: 39s. 274 S. allg. Brecht 1930: 79. 275 In den Epigrammen findet sich immer nur die (älter bezeugte) Wortfamilie κλύζω, κλυστήρ, nie Bildungen aus ἔνεμα. S. unten Kap. I.1 zu 11,118ss. 276 Brecht 1930: 49. 277 S. unten Kap. II.5; allg. Brecht 1930: 41ss. (insbes. 44, mit m.E. etwas zu ausschließlicher Betonung des Aspekts der Unfähigkeit).

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– Boxer: Phil. 208–10; 217s. Die Anekdoten sind unter dem Stichwort δειλοί vereint, während in den Spottepigrammen primär die Unfähigkeit im Vordergrund steht: AP 11,75–81 (alle von Lukillios).278 – Faule: Zur Illustration dieses Lasters eignet sich eine durch Hyperbole derart ins Absurde gesteigerte Situation, dass die Motivation (Reduktion/Meidung von Arbeitsaufwand) gerade zum gegenteiligen Resultat führt: vgl. Phil. 211–3 mit AP 11,276s. (Lukillios). – Neidische: Dieselbe Feststellung gilt auch für diese Gruppe: Phil. 214–6; AP 11,192s. – Vielfraß: Phil. 219ss. In den Epigrammen ist anders als bei Phil. jeweils die Situation eines Gastmahls vorausgesetzt: vgl. insbes. AP 11,206s. (Lukillios);279 allgemeiner AP 11,402. – Frauen/Misogynie: Die Witze im Philogelos werden dominiert von Äußerungen von Ehemännern, die unter der Fuchtel ihrer Gattin stehen bzw. sich danach sehnen, wieder ›frei‹ zu sein (Phil. 246–50; auch 227). Dieses Thema, das man sich in der Männerrunde eines Symposions als eines der beliebteren vorstellen kann, begegnet unter den Epigrammen vergleichsweise selten (AP 11,79; 310; 388, alle von Lukillios);280 etwas anders 11,7 von Nikarch, wo für sexuelle Abwechslung plädiert wird. Begehrlichkeit von Frauen (Phil. 244s.; 251), speziell von γραῖαι (Phil. 245), ist ein häufiges Thema im Spottepigramm, wobei der Akzent hauptsächlich auf dem vergeblichen Versuch liegt, sich durch übertriebenen Putz zu verjüngen (AP 11,65ss.; 256; 327s.; 408; 417). – Besonders eng zu Epigrammen vornehmlich des Nikarch sind die Verbindungslinien schließlich bei der Gruppe der ὀζόστομοι, für die der Philogelos eine reiche Auswahl bietet (231–42), angereichert auch hier mit viel Wortwitz und zusätzlicher Situationskomik. Die für diese Kategorie von Witzen typische Vertauschung/ Gleichsetzung von στόμα und πρωκτός resp. von ἄνω und κάτω finden wir bei Nikarch AP 11,241s. sowie AP 11,415 (dazu vgl. oben p. 66) ebenso wie in Phil. 233, 235, 237, 240.281 Exakt dasselbe Wortspiel, das auf der Doppeldeutigkeit des Verbs φιλεῖν gründet, begegnet in Phil. 234 und AP 11,252: Ὀζόστομος τὴν γυναῖκα ἠρώτα λέγων· Κυρία, τί με μισεῖς; κἀκείνη ἀπεκρίνατο λέγουσα· Ὅτι σύ με φιλεῖς. Ein Stinkmaul fragte seine Frau: »Herrin, warum hassest du mich?« Jene gab zur Antwort: »Weil du mich liebst/küsst«. (Phil. 234) Εἴ με φιλεῖς, μισεῖς με, καὶ εἰ μισεῖς σύ, φιλεῖς με· | εἰ δέ με μὴ μισεῖς, φίλτατε, μή με φίλει. Wenn du mich liebst (=küsst), hasst du mich, und wenn du mich hassest, küsst du mich. Wenn du mich aber nicht hassest (=wirklich liebst), Liebster, dann küss mich nicht. (AP 11,252) 278 Zu diesen Epigrammen allg. Robert 1968 (die Nähe zum Philogelos hatte auch er bereits festgestellt; p. 289). 279 Von dieser scheinbaren thematischen ›Verengung‹ abgesehen war das Motiv aber schon im hellenistischen Epigramm beliebt; s. Brecht 1930: 73s. 280 S. dazu Nisbet 2003: 76–81. 281 Für die Texte s. unten Kap. II.15.

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Trotz des identischen Wortspiels, das die Pointe des Witzes herbeiführt, wird man auch in diesem Fall kaum von einer direkten Abhängigkeit sprechen wollen (die Frage wäre zudem, in welche Richtung diese ginge). Die Tatsache, dass dasselbe Spiel nochmals in dem mit einiger Sicherheit früheren Epigramm AP 11,219 erscheint, spricht eher dafür, dass dieses als geistreiches, aber auch ein wenig auf der Hand liegendes dictum, unabhängig von einer der genannten Bearbeitungen, in der Tradition zirkulierte. Aus dieser konnte man sich immer und immer wieder bedienen, ohne dass die Bezugnahme auf einen bestimmten Text nötig gewesen wäre (vgl. auch unten Kap. II.15).

Abgesehen von diesem zuletzt aufgelisteten, freilich in zahlreichen Variationen behandelten vitium bietet der Philogelos keine weiteren Anekdoten über körperliche Defekte – ein ›Punkt, der unserem Philogelos Ehre macht‹, wie Thierfelder es ausdrückt:282 ›Die Masse der Spottepigramme auf rein körperliche Fehler, also auf zu Dicke oder zu Dünne, auf Leute mit großen Nasen usw. hat im Philogelos keine Entsprechung‹. Wie zu sehen sein wird, tritt u. a. gerade für diesen Bereich Nikarch als Spezialist hervor. Die Ausnahme im Philogelos – den üblen Mundgeruch – erklärt sich Thierfelder nicht ohne Grund dadurch, dass man sich in der Antike dieses ›Syndrom‹ so gut wie immer, zumindest unterschwellig, auch als selbstverschuldet dachte.283 Andererseits sollte man aber auch die Filterfunktion späterer Überlieferung nicht unterschätzen: die Situation für den Philogelos entbehrt in dieser Hinsicht nicht einer gewissen Komplexität, und gerade die Gruppe der ὀζόστομοι ist in einem Teil der Philogelos-Handschriften gar nicht aufgenommen.284 Von einer Art nachträglicher Zensur zeugt auch die Rasur von AP 11,395 in der Planudea, obwohl gerade dieses Epigramm inhaltlich vergleichsweise harmlos ist (die Allmacht der πορδή).285 Die beschriebenen motivischen Berührungspunkte führen zur Frage nach dem gegenseitigen zeitlichen Verhältnis der beiden Sammlungen, oder genauer: ihrer jeweils ältesten Straten.286 Während es, wie an anderer Stelle gezeigt,287 viele plausible Gründe gibt, die für schriftliche Ausgaben von Spottepigrammen schon im 1. Jh. n. Chr. sprechen, bleibt die Entstehungsgeschichte des Philogelos trotz verschiedenster Forschungsbemühungen weitestgehend in Dunkel gehüllt. Handschriftlich überliefert sind die Verfassernamen Hierokles und Philagrios, ohne weitere Bemerkungen, weswegen eine nähere Eingrenzung unmöglich ist. Philagrios mit einem der bekannten Träger dieses Namens während der Kaiserzeit identifizieren zu wollen, bliebe 282 283 284 285 286 287

Thierfelder 1968: 25. Mehr dazu unten Kap. II.15. Thierfelder 1968: 186s. Vgl. oben p. 36. Zur Datierungsdiskussion allg. Thierfelder 1968: 11ss.; Baldwin 1983: ivss. S. oben p. 60s.

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reine Spekulation. Bei Hierokles kann es sich kaum um den Kommentator gleichen Namens (5. Jh.) der pythagoreischen Goldenen Verse handeln; ein besserer Kandidat wäre Hierokles der Stoiker des beginnenden 2. Jhs., von dessen Werk über die Grundlinien der Ethik sich umfangreiche Reste auf Papyrus erhalten haben und der überdies, wie vielleicht Nikarch, aus Alexandria stammte. Die Annahme einer ›Materialsammlung‹ in Form von Witzen über bestimmte Typen wäre bei einem Zeitgenossen von Epiktet zumindest nicht gänzlich absurd. Wohl gehören gewisse sprachliche Auffälligkeiten eher ans Ende der Spätantike, doch reflektieren diese vermutlich einen späteren Zustand der im Gegensatz zu den Epigrammen nicht streng an ein formales Kleid gebundenen und daher gegenüber sprachlichen Neuerungen wohl verhältnismäßig offenen Überlieferungstradition, oder auch spätere Ergänzungen (die Sammlung wurde im Laufe der Zeit gewiss inhaltlich noch erweitert). In einzelnen Fällen ist ein recht genauer zeitlicher terminus möglich, wie in Phil. 62, wo die von Kaiser Philipp am 21. April 248 organisierte Jahrtausendfeier der Stadt Rom als Ausgangspunkt dient.288 Nun schafft andererseits die Suda eine Verbindung zum augusteischen Mimendichter Philistion, indem sie s.v. Φιλιστίων (φ 364) u. a. sagt: οὗτός ἐστιν ὁ γράψας τὸν Φιλόγελων. Es erscheint daher nicht unangebracht anzunehmen, dass die Witzsammlung im Kern tatsächlich schon auf die augusteische Zeit zurückgeht. Inwieweit man unter γράψας ein ›Schreiben‹ im Sinne eines Verfassens verstehen soll, ist fraglich: im Falle des Philogelos wird es wohl eher ein Zusammenstellen von bereits Vorhandenem gewesen sein. Mit der Abfassung von Mimen konnte ein solches Unternehmen gewiss Hand in Hand gehen; man muss deswegen nicht so weit gehen, die Witzsammlung als aus den Mimen entwickelt zu bezeichnen.289 Treffender ist es auch hier, von verschiedenen Gestaltungsvarianten derselben oder ähnlicher in der Tradition verankerter Motive zu sprechen. Als rares erhaltenes Beispiel einer Witzsammlung lädt der Philogelos somit zu einem genaueren Vergleich mit den Spottepigrammen ein, wie er hier unternommen wurde, doch ist zu erinnern, dass Vergleichbares schon Jahrhunderte zuvor im Umlauf gewesen sein muss.290 So können und dürfen wir den Philogelos ohne weiteres als ›motif index‹,291 d. h. als Quelle für die Themen verwenden, die in diesem ›pool‹ zur Verfügung standen. Viele der Witze im Philogelos besitzen allerdings durchaus einen gewissen Ausarbeitungs288 S. Robert 1968: 289 n. 3. 289 So Reich 1903: 454ss. 290 Dazu s. Baldwin 1983: viii–xi; wichtig auch der Hinweis, dass einzelne Anekdoten direkt von Cicero, Velleius Paterculus und Sueton übernommen scheinen, m.a.W. die griechische Sammlung auch Vertrautheit mit lateinischem Material offenlegt. Zu anderen ›Witzbüchern‹ s. oben Kap. V p. 79s. 291 Eine solche ursprüngliche Intention der Sammlung diskutiert in S. West 1992: 287s.

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stand. Man kann also nicht generell sagen, hier sei bloß das ›Rohmaterial‹ gesammelt, aus dem nun erst ein skoptischer Epigrammdichter ein ausgereifteres Produkt hätte herstellen können (auch wenn es durchaus Beispiele gibt, die eine solche Aussage unterstützen würden). Vielmehr sind die Witze im Philogelos oft ebenfalls schon durch eine raffinierte Verbindung mehrerer komischer Motive, teilweise aus ungeahnt verschiedenen Bereichen, gekennzeichnet. Dieselbe Art kreativen Umgangs mit Motivbausteinen292 findet man auch bei den Nikarchepigrammen wieder. Selbst dort, wo die Themen wirklich sehr ähnlich sind, fallen jedoch einzelne kleine Unterschiede auf, die in erster Linie durch die verschiedenen Textformen zu erklären sind. Gegenüber den Spottepigrammen sind im Philogelos beispielsweise Dialoge mit wechselnden Sprechern viel häufiger (vgl. etwa nochmals z. B. Phil. 234 mit AP 11,252). Wichtig für den Witz ist hier in erster Linie die schlagfertige Antwort293 – oder auch die Unangepasstheit des Gesagten an die Situation. Oft wird auch eine längere Geschichte erzählt (z. B. Phil. 240: ein ὀζόστομος und ein ὀζόχρωτος im Theater), in denen nicht einfach über den Charakter oder den Defekt anhand eines einzelnen Exempels gespottet wird, sondern dieser Ausgangspunkt einer ganzen Aktionskette ist, für deren Darstellung wiederum die im Epigramm gebotene Kürze in der Regel nicht ausreicht. Als tendenzieller Unterschied zwischen Philogelos-Witz und Spottepigramm lässt sich somit folgendes festhalten: Ersterer abstrahiert aus der primären Aussage, dass jemand geizig, unfähig, feige etc. ist, oft eine Situation, in der die entsprechende Eigenschaft ganz besonders zum Tragen kommt. Man lacht dann weniger über die Eigenschaft an sich als über das Zusammentreffen dieser Eigenschaft mit und ihre Manifestation in ganz bestimmten Umständen. Demgegenüber bleibt das Epigramm in der Regel sozusagen auf einer unmittelbareren und abstrakteren Stufe stehen (für Ausnahmen sei etwa auf AP 11,251, den Prozess der Schwerhörigen, verwiesen, eine Szene, die auch dem Philogelos alle Ehre machen würde): jemand ist z. B. geizig und tut deswegen etwas Absurdes (z. B. AP 11,169: ein Geiziger hängt sich nicht auf, weil ihm der Strick zu teuer ist). Abgeschlossenheit in der Motivation ist in diesem Fall weniger wichtig (z. B. bleibt offen, weswegen er sich erhängen will). Der Fokus wird auf eine ganz bestimmte Absurdität gerichtet, diese dafür aber so kräftig wie nur möglich herausgearbeitet. Es handelt sich oft eher 292 Diese ist im Falle des Philogelos allerdings eher auf die jeweiligen Quellen zurückzuführen. 293 Insofern ist auch eine Nähe zu den in der frühen Kaiserzeit beliebten Sammlungen von Aussprüchen berühmter Personen zu erkennen (Apophthegmata; Dicta). In mehreren Fällen ist auch die ursprüngliche Verbindung einer Anekdote mit historischen Personen noch sichtbar: vgl. Phil. 193 mit Cic. de or. 2,275s.; Phil. 148 mit Plut. mor. 177a (= reg. et imp. apophth. Archel. 2) und Phil. 264 mit Plut. mor. 178f–179a (= ibid. Phil. 25); dazu S. West 1992.

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um ein Tableau einer Situation als um eine Geschichte, und der Realweltsbezug ist meist geringer. So dringen Spottepigramme, wie wir wissen, auch gerne in den Bereich des Abstrakten vor, wo die Grenzen der Physik aufgehoben sind – im Philogelos finden sich solche Beispiele kaum. In erster Linie aber leben die Spottepigramme von den sprachlichen Möglichkeiten, die das elegische Distichon bietet: die überraschende Heranführung an den Gegenstand, die intertextuellen Spiele, das sind Kunstgriffe, die ihnen allein vorbehalten sind. Durch den höheren Grad an Artifizialität in der Gestaltung erschließen sie sich dem Rezipienten vielleicht etwas weniger direkt. Doch hat Nikarch es mit seiner direkten Sprache und durch die Wahl derber Themen zu verhindern verstanden, dass seine Witze in Epigrammform Gefahr laufen, zu introvertiert zu wirken.

Carmina Priapea In mehrfacher Hinsicht interessant ist auch ein Vergleich mit der lateinischen Sammlung von Priapeengedichten, die man zu einem größeren Teil ruhig als Epigramme bezeichnen kann, deren genaue Einordnung der Forschung allerdings viel Mühe bereitet hat. Auch nach den sorgfältigen Untersuchungen von V. Buchheit, H. Tränkle und G. Kloss besteht weiterhin noch kein Konsens darüber, ob die Sammlung a) alle Merkmale eines durchdachten Konzepts eines Einzelautors vorweist (was immerhin heute mehr oder weniger als communis opinio bezeichnet werden kann) oder vielmehr eine Zusammenstellung von Gedichten verschiedener Autoren darstellt, wie es etwa für die Kränze Meleagers und Philipps gilt, und b) wie zeitlich entfernt das Corpus von Martial ist.294 Buchheit glaubte, Martial sei als Vorlage vorauszusetzen; Tränkle datiert die Sammlung um die Zeitenwende, einzelne Elemente eventuell auch etwas danach; Kloss hingegen hält es ›weiterhin für möglich, dass die Carmina Priapea in der Zeit nach Martial, für sehr wahrscheinlich, dass sie frühestens in neronischer Zeit entstanden sind‹.295 Obwohl die Thematik des Priapus bei Nikarch nicht so deutlich hervortritt, überhaupt das griechische Epigramm diesbezüglich nicht so viel beisteuert,296 fehlen die motivischen Anklänge nicht ganz, was vielleicht auch 294 Buchheit 1962 (für Einzelautor als Verfasser); Tränkle 1999 (verschiedene Autoren); Kloss 2003 (Einzelautor). Vgl. auch Kissel 1994, sowie zuletzt zu den Kompositionsprinzipien der Sammlung Holzberg 2005. Es fiele außerhalb des Rahmens dieser Arbeit, zu der mit einer Vielzahl subtiler Argumente geführten Diskussion insbesondere zwischen Kloss und Tränkle Stellung zu beziehen; es genüge daher der Hinweis darauf. – Eine handliche Ausgabe mit Anmerkungen stammt von Bianchini 2001. 295 Kloss 2003: 485. 296 Buchheit 1962: 61.

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im Lichte der eben beschriebenen Datierungsdiskussion nicht ganz bedeutungslos ist. Darüber hinaus sind einige formale Parallelen zu nennen, die unsere Vorstellungen von den allgemeinen ästhetischen Kriterien im zeitlichen Rahmen unserer Spottepigramme in willkommener Weise ergänzen können. Mit letzteren will ich beginnen. Wichtig scheint mir die Tatsache, dass die Priapeendichtung, genau wie die der Epigramme, zunächst ein außerliterarisches, an andere Medien gebundenes Phänomen darstellte (z. B. pompejanische Graffiti).297 Die Motive fanden sukzessive Eingang in die literarische Dichtung298 – man denke an Horazens Satire 1,8 olim truncus eram ficulneus, wo der Priap im Grunde auch nur ein Motiv unter mehreren ist. Erst in den Carmina Priapea tritt uns eine Sammlung mit thematischer Geschlossenheit auf beträchtlicher literarischer Höhe entgegen, die nach dem Vorbild von in Buchform vereinigten Aufschriftepigrammen auch ihr Einleitungsgedicht (σφραγίς) besitzt. Das Phänomen der Literarisierung einer Poesie, die sich auf eine genuin nichtliterarische Thematik beschränkt hat, ist in gewissen Stücken vielleicht auch mit dem Einbezug gewisser zuvor kaum innerhalb des Genus verarbeiteter skoptischer Motive in der griechischen Epigrammatik während des 1. Jhs. n. Chr. vergleichbar. Mit Nikarch verbindet die Gedichte u. a. der souveräne Einsatz der Technik der Parodie, wobei als Prätext jeweils Homer dient. Die Art der sexuellen Verballhornung illustriert c. 68, ganz abgesehen von einem sicheren Gespür für humoristische Ausdeutung der in performance und Rezeption natürlicherweise angelegten Spannung und der eigenen Autorenrolle. Ein Priap schnappt von seinem Herrn, der während seiner Mußestunden im Garten Homer nach antiker Gepflogenheit laut liest, einzelne Fetzen auf, die er aber, ungebildet (rudis) wie er ist, gehörig missversteht und sich so die Geschichte seinem eigenen Erfahrungshorizont gemäß zusammenreimt. Während die Anlage insgesamt – der Priap spricht über ein persönliches Erlebnis und wie er darauf reagierte – eher an Horaz sat. 1,8 erinnert,299 finden wir für den Umfang der Homerparodie ein gleichwertiges Gegenstück in Nikarchs AP 11,328, der τριπορνεία, die uns seit kurzem ja auch auf Papyrus überliefert vorliegt (POxy. 4502). Die Anspielungen werden im einzelnen an gegebener Stelle zu untersuchen sein; sie sind bei Nikarch und in c. 68 immerhin so ähnlich, dass Buchheit eine direkte Abhängigkeit des letzteren von Nikarch durchaus für möglich hielt (auffällig, aber andererseits auch auf der Hand liegend, ist das Wortspiel, das Zeus’ Blitzbündel, ψολόεντα κεραυνόν, mit ψωλή ›steifes Glied‹ in Verbindung bringt).300 297 298 299 300

Vgl. CE 193; 862; 15061. Überblick: Buchheit 1962: 31. Buchheit 1962: 101. Buchheit 1962: 102s.

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Vom griechischen Epigramm her bekannte Motive finden sich in den Carmina Priapea selbstverständlich noch weitere: neben der kreativen Weitergestaltung der traditionellen Form der Anathematika fällt die besonders enge Linie zum Spottepigramm auf, wenn es um die alternde Hetäre geht.301 Vor dem älteren Hintergrund ist es gerade aufschlussreich, welche neuen Ideen der Priapeendichter und Nikarch einbringen. Während in AP 11,73 der Spott neben der gleichzeitig stattfindenden überraschenden Wendung ins Positive, dargestellt am ›kumpelhaften‹ Erlebnisbericht eines Erfahrenen seinem Freund gegenüber, weiter bestehen kann, ist die Thematik in c. 12 mehr ausgeweitet und die Problematik des Hintergrundes mit einem weiteren Fokus gesehen (die Alte drückt auch in direkter Rede aus, was ihr Begehren ist), als es in den meisten griechischen Epigrammen zu diesem Thema der Fall ist. In c. 32 dagegen ist die Gewandtheit des Dichters sichtbar, traditionelle (Epigramm)motive aus einem ursprünglich anderen Kontext in den seinen zu übertragen: in diesem Falle ist es die alte Liebhaberin, auf die in einer Reihe von Hyperbeln der traditionelle Spott, aber durchaus mit neuen comparanda, angewandt wird. Diese Technik der Motivkontamination, sei es aus anderen Genera, sei es von anderen Untergattungen des Epigramms, teilen die Carmina Priapea als wesentliches Merkmal gerade auch mit Nikarch, wie wir wissen und wie an den Texten immer wieder zu zeigen sein wird. Sie kann als Zeugnis eines reiferen, souveräneren Umgangs mit dem überkommenen Material angesehen werden, spricht für den Grad der Literarisierung und bestätigt die Annahme der zeitlichen Nähe solcher Sammlungen.

301 Für das Material verweise ich auf meine Besprechung in Kap. I.2; dazu auch Buchheit 1962: 88s.

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VIII. Spottepigramme, moderne Witztheorien und eine ›Non-sense theory‹

W. Burnikel hat sich ausführlich mit der Frage beschäftigt, inwiefern bedeutendere moderne Witztheorien auch zur Beschreibung der von unseren Spottepigrammen ausgehenden Effekte dienlich sein können.302 In seiner sehr lesenswerten Übersicht kommt er zum Schluss, dass jede der einzelnen Theorien jeweils nur in Teilaspekten dem Phänomen antiker Epigramme gerecht wird. Insbesondere wird in der Regel dem ἀστεῖον, also dem ästhetisch-literarischen Element, das sich in der bereits untersuchten Sprachkunst und arte allusiva äußert und wesentlich zur Genussempfindung des ›Witzes‹ (man vergleiche die beiden Bedeutungen des deutschen Begriffs!) beiträgt, zu wenig Beachtung geschenkt. Es ist hier nicht der Ort, verschiedene Phänomene in den Nikarchgedichten mit Modellen theoretischen Überbaus zu vergleichen, die auf anderer Grundlage entwickelt wurden. Deswegen seien nur einzelne wichtige Punkte kurz angesprochen und für weitere Details, die den Rahmen dieser Darstellung sprengen würden, auf Burnikel verwiesen, mit dessen Urteil ich weitgehend übereinstimme. Im zweiten Teil des Kapitels soll schließlich ein Modell vorgestellt werden, das unter eklektischem Einbezug einer Menge von Witz- und literarischen Theorien das Phänomen von einer anderen Seite her angeht: von den Sinn- bzw. Non-sense-Strukturen. S. Freud hat in einem fortgeschrittenen Teil seiner Abhandlung als wichtiges konstitutives Element des Witzes den ›Lustgewinn‹ herausgestellt, der in der ›Überwindung eines äußeren oder inneren Hemmnisses‹ beruht; diese Erscheinung zeige sich am deutlichsten im ›tendenziösen Witz‹, in dem Tabuthemen frei ausgesprochen werden können, was zweifellos zu einer Entspannungssituation beitragen kann.303 Auch für die skoptischen Epigramme kann ein solches Modell in vielen Fällen durchaus aufschlussreich sein: bei Nikarch werden Tabuthemen aus dem Fäkal- und Sexualbereich angeschnitten, bei denen die Komik schon jeweils auf der bloßen Erwähnung beruht.304 302 Burnikel 1980: 119ss. Einige der auf dieser und der nächsten Seite angeführten Zitate aus den Witztheorien verdanke ich dieser auf die Situation der Spottepigramme gerichteten und deshalb äußerst nützlichen Zusammenstellung. 303 S. Freud, Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten, Frankfurt a. M. 1992 (div. Nachdrucke; erstmals erschienen London 1940): 110ss.; 131ss.; 162ss. u. ö. 304 Zur Funktion solcher Themen als ›Eisbrecher‹ vgl. Aristoph. Ran. 1ss. Dort ist der ›Witz‹ allerdings bereits komplexer: Er gründet in der Tatsache, dass diese als ›billig‹ verrufe-

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Der ›Abbau des Hemmungsaufwandes‹ – würde ich ergänzen – wird in einem Epigramm auch durch die Verwendung einer speziellen, d. h. nicht-alltäglichen sprachlichen Form erleichtert – und mit dieser ›Andersartigkeit‹ tritt der Witz in Versform auch in eine Spannungsbeziehung zum ›Literarischen‹ (insofern als sprachlich ungewöhnliche Ausdrucksweise seit Roman Jakobson als eminentes Merkmal von ›Poetizität‹ angesehen werden kann). Das Gefäß des Speziellen, Unalltäglichen ermöglicht bzw. legitimiert aber auch Äußerungen, die im ›normalen‹ Sprachgebrauch nicht ohne Konflikte möglich sind; es schützt in einem gewissen Sinne das ἄρρητον. Dieser Aspekt des Humors besitzt im übrigen enge Verbindungslinien zu antiker religiöser Tradition und wurde im Gefolge der Arbeiten M. Bakhtins mit dem Begriff ›karnevalesker Phänomene‹ umschrieben: Zu bestimmten, im voraus festgelegten Gelegenheiten war die Umkehr traditioneller Werte ohne den ›Hemmungsaufwand‹ möglich. Mit diesen speziellen Momenten waren auch sexuelle Themen aufs engste verbunden: man denke beispielsweise an die γεφυρισμοί während der Prozession nach Eleusis, an Baubo, die der Demeter laut Mythos ihr Geschlechtsorgan präsentierte u. v. m. Auch ein Symposion kann für eine zeitlich begrenzte Dauer den sicheren Rahmen für eine Werteumkehr und damit Entlastung von aufgestauten Hemmungen bieten.305 Dem intertextuell-intellektuellen Aspekt und damit der ›literarischen Seite‹ des Spottepigramms näher liegt der von Freud so bezeichnete ›harmlose Witz‹, der nicht personenbezogen ist, sondern auf Sinnesverschiebung, Doppelsinn usw. sprachlicher Ausdrücke beruht. Darauf baut W. Preisendanz auf, der den ›Lusteffekt‹ des Witzes vornehmlich auf der Rezipientenseite und auf äußerlich-formalen Eigenheiten von Witzen begründet sieht, nämlich durch das ›Erfassen‹ von verborgenen Anspielungen, Bezugslinien u. v. m.306 Dass diese auch als Ergänzung des Freudschen Ansatzes entwickelte Perspektive nicht zuletzt eine eminent antike ist, braucht wohl nicht besonders hervorgehoben zu werden. Ein die beiden Bestimmungen verbindendes Modell, welches das tendenziöse Element des Witzes als ›sekundäre‹, das intellektuelle Vergnügen des Sprechers / Hörers als ›primäre Funktion‹ des nen Themen in der Diskussion darüber, ob sie nun erwähnt werden sollen oder ob man dieses Mal darauf verzichten will, bereits genannt sind. 305 Zum sympotischen ridenter dicere verum, insbesondere im Spottepigramm des Lukillios, s. Nisbet 2006: 168ss. – Für die schwierige Frage, ob im Spottepigramm bei Anreden tatsächlich ein konkreter Adressat als präsent vorgestellt werden muss oder ob dieser nur einem gedanklichen Konstrukt entspricht, vgl. die Diskussion oben p. 88. 306 W. Preisendanz, Über den Witz, Konstanzer Universitätsreden 13, Konstanz 1970: 24s.; lesenswert auch zahlreiche Beiträge in der von ihm und R. Warning herausgegebenen Sammlung Das Komische, München 1976. Vgl. Freud (Fn. 303): Kap. II ›Die Technik des Witzes‹.

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Witzes definiert, bietet B. Marfurt.307 Beide Aspekte finden sich auch in der etwas älteren Arbeit von H. Bergson, nach welcher der typische Moment für Komik der ist, in dem ›die Gesellschaft und die Einzelnen frei von jeder Sorge um ihre Existenz sich selber wie einem Kunstwerk gegenüberstehen‹.308 Doch wie wird eine solche existentielle Freiheit erreicht? Dem Ansatz ist in dem Sinne zuzustimmen, dass eine der zeitlich limitierten ›Sondersituationen‹ wie Fest oder Symposion zwar eine gewisse ›Ausgeschnittenheit‹ von belastenden Alltagsfragen bieten kann, andererseits scheinen mir existentielle Fragen eben doch, wenn auch in der Regel verborgen unter der analytischen Kälte, um nicht zu sagen Emotionsleere des Witzes, wesentlich und konstitutiv für dessen Gelingen zu sein.309 Neben den Witztheorien im engeren Sinne haben uns auch die Gender Studies Mittel an die Hand gegeben, um die wirkenden Momente und insbesondere den aggressiv sexistischen Charakter des Humors in der römischen Satire und im Spottepigramm besser zu erklären. Gut vorstellbar ist für uns das Bild einer scherzenden Männerrunde, die in der Sicherheit ihrer abgeschlossenen Zusammenkunft Witze gegen die Abwesenden (Frauen, Personen mit abartigen körperlichen Merkmalen oder nicht normativen sexuellen Neigungen) ausschleudert.310 Das Verhältnis ist allerdings komplexer als das reiner Aggression, denn in der ironischen Brechung findet ja, von solchen Modellen gerne übersehen, durchaus eine Identifikation mit diesen Spottobjekten statt.311 Ein anderer Diskussionspunkt betrifft schließlich des Verhältnis der Relevanz zwischen Form und Inhalten. Frühere Gelehrte blickten gerne nur auf letztere312 und zogen das Fazit einer erschreckenden Banalität, und eine solche Empfindung mag sich auch beim modernen Leser noch gelegentlich einstellen. Zwar ist es, wie gesagt, möglich, ja m.E. sogar essentiell, vielen Themen innerhalb des Spektrums der Spottepigramme, trotz der scherzhaften Verzerrung der Tatsachen, auch eine Relevanz für den antiken Menschen im Hinblick auf die Lebenssituation im Gefüge von Zufällen (Tyche), göttlichen 307 B. Marfurt, Textsorte Witz. Möglichkeiten einer sprachwissenschaftlichen Textsorten-Bestimmung, Linguistische Arbeiten 52, Tübingen 1977: 88. 308 H. Bergson, Das Lachen, Jena 1914 (zuerst frz. erschienen, Paris 1900): 17. 309 Zu diesem ›kalten Interesse‹ gegenüber existentiellen Fragen, die sozusagen von außen wie in einem Guckkasten betrachtet werden, vgl. z. B. Kap. I.4. Vgl. Bergson cit.: 8 ›das Komische setzt, soll es voll wirken, etwas wie eine zeitweilige Anästhesie des Herzens voraus, es wendet sich an den reinen Intellekt‹. 310 Richlin 1992. 311 Vgl. insbes. AP 5,38; 11,7; 73; 328 (zu letzterem Richlin 1992: 129s.). Im Falle der in Kap. I.3 besprochenen λεπτοί-Epigramme erscheinen zwei Richtungen der Interpretation als denkbar, die sich, wie ich meine, sogar überlagern: als Invektive auf die abwesenden ›Anderen‹, oder im Sinne einer ironischen Identifikation; vgl. die dortige Besprechung. 312 S. oben Einführung p. 11.

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Mächten und des richtigen oder falschen Umgangs damit zuzusprechen (dies gilt besonders für Epigramme über lecke Schiffe und über todbringende Ärzte). Ferner können Epigramme auf Personen, die eine auf sie projizierte Erwartungshaltung (deren Erfüllung in der ›Normwelt‹ eine Situation z. B. für ein Siegesepigramm schafft) gerade nicht erfüllen, als aufschlussreiche Spiegelung dieser mitunter arbiträr festgefügten Erwartungshaltungen angesehen werden. Demgegenüber scheinen sich andere Epigramme tatsächlich in einem Bereich wenig tiefgründigen Fäkalhumors oder einer geradezu kindlich wirkenden Phantasiewelt zu bewegen, die die wirklichen Sorgen und Herausforderungen des täglichen Lebens offenbar in geradezu naiver Weise ignoriert, und dies mag als unerträglicher beurteilt werden, als es in H. Bergsons auf Extrapolation von ›Sorge um Existenz‹ beruhender Definition gemeint gewesen sein kann. Dieses Dilemma ist allerdings vielmehr in unserer Prägung auf ganz bestimmte einseitige Rezeptionshaltungen begründet und beachtet nicht, dass es auch moderne Witzarten gibt, die zunächst den Eindruck erwecken, keine tieferen Inhalte zu behandeln, und sich stattdessen auf formale (und deshalb scheinbar belanglose) Spielereien beschränken (z. B. die Limericks). Im Folgenden möchte ich deshalb ein bisher im Zusammenhang skoptischer Epigramme, ja überhaupt in der Beurteilung antiker Texte nicht zur Kenntnis genommenes, sehr eklektisch erarbeitetes Modell der beginnenden Achtzigerjahre von Susan Stewart etwas ausführlicher vorstellen, das die Generierung von ›Sense‹ und ›Nonsense‹ auf breiter rezeptionstheoretischer und semiotischer Basis (gerade auch die Wichtigkeit von ›uneigentlichem Sprechen‹ als Kriterium für Literatizität, wie sie u. a. von Jakobson beschrieben wurde) untersucht und dabei u. a. auch Ansätze genannter Witztheorien mit einbezieht.313 Unsere Beurteilung von sprachlichen Einzelinformationen, aber auch komplexeren Mitteilungen, wird gesteuert von einem ›common sense‹-System als Interpretationsgrundlage. Dieses wiederum ist geprägt durch Alltagserfahrungen, physische Realitäten, Wertesysteme, die wir mit einem Großteil unserer Mitmenschen teilen. Von verschiedenen Seiten zu uns gelangende Information filtern und gewichten wir nach diesem System – ein Vorgang, welcher sich non-verbal vollzieht, weil das Selbstverständliche nicht eigens erwähnt werden muss. Was wir aus den Mitteilungen herausschneiden, hängt allerdings mit unserer ganz persönlichen Anwendung dieses Systems zusammen; ›common sense‹ ist also einerseits eine durch die Häufigkeit be313 Stewart 1979, die einzige mir bekannte ›Nonsense-Theorie‹, die im Sinne eines allgemeinen Kommunikationsmodells mit Erkenntnissen aus verschiedensten Disziplinen arbeitet und sich für alle Stufen von sub-literarischer Folklore bis zur elaborierten Poesie gewinnbringend anwenden lässt.

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stimmter Eindrücke geprägte, andererseits aber auch durch den individuellen Erfahrungshorizont geformte Bezugsgröße, wobei wir Letzteres zumeist nicht als etwas Abweichendes, Anderes wahrnehmen, sondern automatisch in unser ›common sense‹-System eingliedern. ›Non-sense‹ seinerseits ist, wie schon die Negativbildung zeigt, nur existenzfähig, weil daneben der ›(common) sense‹ besteht: er wird geschaffen durch Abweichung von dem, was ›üblich‹ ist, d. h. im Bereich des ›common sense‹ liegt, und definiert sich somit e contrario aus diesem. Es erscheint mir sehr einladend, unsere Epigramme – oder zumindest einzelne Beispiele davon – probeweise zur Gruppe von ›Non-sense‹ zu zählen und auf sie anzuwenden, was die Theorie zu ihrer Schaffung und Eigenart sagt. ›Non-sense‹ bildet insofern eine stete (geistige) Herausforderung, als die automatisierten Assoziationsbrücken, die das tägliche Leben in den sicheren Bahnen halten, hier gerade in die Irre führen. Auf diesem Hintergrund scheint es auch klar, warum das frühe 20. Jh. sich so schwer tat mit Spottepigrammen. Die damalige pragmatische Vorstellung der ›Aufgabe‹ von poetischer Literatur stützte sich ganz selbstverständlich auf den ›common sense‹: Poesie soll Probleme unserer Existenz thematisieren und Trägerin tiefgründiger Gedanken sein, dies in einer verfeinerten Sprache, aut prodesse aut delectare – oder besser noch: et prodesse et delectare. Dabei war es gerade im ›common sense‹ selber verankerte Selbstverständlichkeit und ungeschriebenes Gesetz, dass der Inhalt, wenn auch oft mit sprachlich ungewohnten Fügungen beschrieben, letztlich wiederum im Sinne der ›common-sense‹-Welt ›Sinn‹ machen musste.314 Allerdings ist ›Sinn‹ bei einem solchen Verständnis letztlich auf Oberflächensinn beschränkt. Es verkennt, dass Kommunikation, und insbesondere schriftlich fixierte Kommunikation, meist komplexer ist und sich nicht bloß auf eine Sinnesebene beschränkt. Im Grunde stellen schon die auch in der mündlichen Kommunikation verbreiteten Metaphern einen Verstoß gegen ›common sense‹ dar: sie erzwingen eine Denkleistung, damit sie in das bestehende alltägliche Assoziationsnetz eingegliedert werden können, zumindest wenn sie nicht bereits so häufig geworden sind, dass man sie gar nicht mehr als Metaphern erkennt (die sog. ›toten Metaphern‹, die vollständig in den sprachlichen ›common sense‹ eingegliedert sind; der sprachliche ›common sense‹ seinerseits ist auch im Alltag dank der Kreativität der Sprecher ständigen Bereicherungen und Verlusten und damit einem diachron stetigen Wandel unterworfen).

314 Das gilt auch für andere literarische Gattungen in bestimmten Perioden; zum Realismus cf. Stewart 1979: 43 n. 49 ›This is why, as Roland Barthes has so often pointed out, the nineteenth-century novel’s minute and »unmotivated« descriptions of everyday life have little more to say than »We are the real.« ‹

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Stewart greift Roland Barthes’ bekanntes Theorem des ›Effet du réel‹ auf und verbindet es mit seinem ›Common sense‹-Begriff:315 ›Realität‹ wird im Erzähler wie im Empfänger erst geschaffen durch die Zuhilfenahme von Erfahrungen aus der ›common sense‹-Welt, die, individuell verknüpft, der Äußerung ›Sinn‹ geben.316 In diesem Prozess der Sinngebung findet eine Gewichtung und Selektion statt (sog. ›framing‹; nicht alle Teile einer Aussage sind gleich wichtig). Dies hat seine Parallele in der Erkenntnis, dass ›Realität‹ immer subjektiv und ein Produkt dieses individuellen Prozesses ist, in dem sich Erfahrung und Imagination beide in der ›Kreation von Realität‹ beteiligen (das in der Analyse mimetisch-narrativer Texte längst festgehaltene ›Realitäts‹-Paradox!).317 Je weniger nun eine Äußerung durch ›common sense‹ abgedeckt ist, desto mehr Möglichkeiten bleiben für ein neues ›framing‹, das versucht, dem durch das Sinnvakuum entstandenen horror vacui ein Ende zu setzen: der Wahrnehmungsprozess besteht also aus der Folge Anspannung (Konfrontation mit neuer, ungewohnter Konstellation) – Entspannung (wenn die durch den ›non-sense‹ für einen Moment hervorgerufene Aporie mit Hilfe einer Assoziationsbrücke durch ›Einordnung‹ in die individuelle Realität wieder aufgehoben und der ›non-sense‹ zum ›sense‹ geworden ist).318 Ist der materielle Realweltsbezug der Äußerung sehr gering, dann treten gerne ihre Form, ihre semiotischen Elemente stärker in den Vordergrund, weil sie es sind, die das ›framing‹ lenken.319 In der oft nur Bruchteile von Sekunden dauernden Phase der Existenz von ›non-sense‹ prallen die alltäglichen Vorstellungswelten aufeinander, bilden Widersprüche zueinander und müssen neu geordnet werden. Je stärker dieser Ordnungsbedarf herrscht, desto stärker sind in der Regel die Signale, die der Text selbst diesbezüglich gibt.320 Falls derartige Signale (in einem zweiten Schritt) sogar bewusst als solche wahrgenommen werden, kann man von Metadiskursivität sprechen (der Text selber ist dann bewusst antimimetisch).321 315 R. Barthes, ›L’effet du réel‹, in: Communications no 11 (1968): 84–9. Stewart 1979: 13ss. 316 P. Florenskij in B. Uspensky, The Poetics of Composition, Berkeley 1963: 139 ›Reality is described through symbols or images. Yet a symbol would cease to be a symbol and become in our consciousness a simple reality in its own right, without any relation to the thing symbolized, if the description of reality had as its object only reality‹ (zitiert in Stewart 1979: 19; vgl. 43 n. 50). 317 Stewart 1979: 35. 318 Vgl. die Lessingsche Zweiheit ›Erwartung – Aufschluss‹ oben p. 27ss. 319 Stewart 1979: 24. 320 Vgl. dazu auch Cic. de or. 2,255 sed scitis esse notissimum ridiculi genus, cum aliud exspectamus, aliud dicitur. hic nobismet ipsis noster error risum movet. quod si admixtum etiam est ambiguum, fit salsius. … Zum ›Widersinn‹ s. auch Freud 1992 (s. Fn. 303), p. 71ss. 321 Stewart 1979: 37ss. zeigt die Ähnlichkeit solcher Transgressionen und Rearrangements von Hierarchien mit dem Spiel von Kindern, die Entstehung von ›Humor‹ auf Basis intertextueller Widersprüche, und, auf Basis von W.F. Fry, Sweet Madness. A Study of Humor, Palo Al-

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Zur Illustration ließe sich eine ›non-sense‹-Geschichte anfügen, die man auch als ›abstrakten‹ Witz bezeichnen könnte: Eine Katze und ein Fisch sitzen auf einer Stromleitung. Eine Kuh fliegt vorbei. Da sagt der Fisch zur Katze: »Sachen gibt’s!«.

Die Geschichte lebt von konstanter Verletzung des ›common sense‹ und ist in diesem Punkt z. B. dem Epigramm AP 11,407 äußerst ähnlich. Sie erzwingt ständig ein neues ›framing‹, und dadurch, dass die Figuren in pointierter Weise genau so agieren, wie man es nicht von ihnen erwartet, macht der Text auf seinen ›non-sense‹-Charakter selbst aufmerksam (Katze und Fisch, potentielle Beute, halten sich am selben Ort auf, dieser Ort ist in der Luft, sie sitzen auf einer Stromleitung, wie das normalerweise Vögel tun). Als metatextueller Kommentator stellt sich in diesem Fall ausgerechnet der Fisch heraus, der stellvertretend auf eines der Adynata, dabei gleichzeitig ein weiteres vollziehend, explizit hinweist. An derselben Geschichte kann man auch sehen, dass demgegenüber die Tatsache, dass Tiere überhaupt sprechen, seit den Fabeln Äsops längst zum ›common sense‹ geworden sind. Doch anders als in der Fabel wird in dieser Erzählung am Ende kein exemplum aus der ›common sense‹-Welt, kein ›relevanter‹ Inhalt gegeben: der Satz ›fabula docet‹ bleibt aus. Wie die bisherigen Ausführungen zeigen, kann ein Bruch mit ›common sense‹ auf ganz verschiedenen Stufen und mit verschieder Intensität auftreten. Beziehen wir nun auch wieder unsere Spottepigramme in die Erwägungen mit hinein. Der Bruch kann auf formaler Ebene geschehen – mit der Syntax, bewusste Verwendung ›falscher‹ Wörter – oder semantisch (häufig auch in Kombination mit ersterem): traditionelle Verbindungen fehlen oder werden bewusst vermieden. Nikarch liefert schöne Beispiele auf den verschiedenen Ebenen im Prozess der Gehörlosen (AP 11,251); weniger auf Sinnreduktion angelegt ist das Spiel mit Wörtern in AP 11,74. Der Bruch kann auch auf der Ebene des Themas überhaupt liegen: dieses erscheint banal; es ist kein ›tiefer‹ Beitrag, kein wirkliches ›Problem‹ – solange man in der Oberflächenebene verbleibt. Das eigentliche Thema, könnte man sagen, stellt sich erst als Resultat der ›erzwungenen Sinnsuche‹ heraus und besteht im Verhältnis von Oberflächeninhalt zu den verschiedenen impliziten Diskursebenen: diese ›Entdeckung‹ ist weit weniger banal (vgl. die Besprechung der λεπτοί-Epigramme in Kap. I.3). Das ›Klistier‹-Epigramm AP 11,119 bleibt für sich alleine gesehen unauflösbar ›non-sensical‹: der Witz und damit die ›Sinnhaftigkeit‹ ergeben sich erst mit dem exquisiten intertextuellen to (CA) 1963, die multiple Natur von ›Realität‹, die im Spiel ebenso wie durch Intertextualität ergründet wird. Die Erkenntnis kann m.E. gewinnbringend auf Spottepigramme wie die in Kap. I.3 beschriebenen übertragen werden.

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Einleitung

Hintergrund. Die Rekonstruktion des unvollständig erhaltenen Sphinx-Epigramms (Kap. III.3) schließlich ist genau deswegen so schwierig, weil es mit der Waffe des ›non-sense‹ operiert. Vor dem Hintergrund des theoretischen Exkurses in diesem Kapitel sollten wir nochmals für einen Augenblick zu den Resultaten der Diskussion um den literarischen ›Ort‹ (oben Kap. V) zurückkehren. Sind solche mehrbödigen, selbstreflexiven Produkte bzw. ist Metadiskursivität auch mit oral performance an einem realen, d. h. nicht bloß virtuellen Symposion des 1. Jhs. n. Chr. vereinbar? Solange es nicht, wie wohl für AP 11,119, für das Gelingen des Witzes nötig ist, in philologischer Weise Wortlaut und Strukturen verschiedener Textvorlagen zu vergleichen, wofür deren Existenz in schriftlicher Form doch eigentlich unabdingbar ist,322 würde ich die Frage auf jeden Fall bejahen. Metadiskursivität in mündlicher Form erscheint denkbar dort, wo man die Existenz fest etablierter ›Domänen‹ des Diskurses annehmen kann, d. h. vertraute Themenkomplexe mit einem Bündel von dazugehörigen Motiven. Die spielerische ›Herausforderung‹ ist dann auf zwei verschiedene Arten (die sich gegenseitig überlappen) möglich: a) Schaffung und Wahrnehmung neuer Links (neue sprachliche Fügungen, neue Assoziationslinien als neues ›framing‹) als kreativ-innovativer Diskurs und / oder b) das Spiel mit (bewusst) zelebrierter Tradition/Gewichtung der Wiederholung. Hier werden die Elemente des Diskurses vorzugsweise in leichter Verfremdung extrapoliert und als solche objektiviert: man könnte von einem Metadiskurs oder reflektiven Diskurs (der auf a aufbaut) sprechen. Beides sind, wie wiederum S. Stewart gezeigt hat, wesentliche Elemente evolutionistischen Sprachverhaltens und der sozialen Interaktion. Sprache und Kommunikation sind keine statischen Phänomene: sie beinhalten Modifikation, Kontroverse, Infragestellen und Neuformulieren. Das formale Gefäß der Spottepigramme scheint für dieses lebenserhaltende Spiel wie geschaffen.

322 S. dazu oben p. 87s.

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Sigla quae in apparatibus criticis adhibentur

P

Palatinus Heidelbergensis gr. 23 (saec. xi) A, B, B2, J librarii Palatini c corrector Palatini l lemmatista Palatini Pl Marcianus gr. 481 (Planudis autographon) (confectus 12o sept. AD 1301) (Cameron 1993: 75ss.) Laur. 32,16 Sylloge Laurentiana (Laurentianus XXXII-16) (1280), epp. AP 11,251, 252 et 395 continens (vid. Maltomini 2008: 49ss., Cameron 1993: 202ss., Beckby I 84, Rozema 1971: 30s., Aubreton 11) Laur. 31,28 Laurentianus XXXI-28 (1466), ep. AP 11,251 continens (vid. Maltomini 2008: 73s.) Laur. 56,3 Laurentianus LVI-3 (saec. xv) (apographon Planudeum, vid. Aubreton 11) C Parisinus gr. 2744 (prototypus Planudeus) (1315–20) (vid. Cameron 1993: 351ss., Aubreton 8) D Parisinus gr. 2739 (circa 1450) (apographon Planudeum, vid. Aubreton 8) Conspectus criticorum1 quorum notae in aliorum editionibus continentur Boissonade (1774–1857) vid. Dübner 1872 Brodaeus (1500–63) vid. Wechel 1600 D’Orville (1696–1751) vid. notulam 85 in cap. I.2 Hermann (1772–1848) vid. Huschke 1800 Opsopaeus (?–1539) vid. Wechel 1600 Salmasius (1588–1653) vid. Brunck 1772–76 Scaliger (1540–1609) vid. Jacobs 1794–1814 Stephanus (1528–98) vid. Wechel 1600 Abbreviationes in textu Bauer-Aland W. Bauer, Griechisch-deutsches Wörterbuch zu den Schriften des Neuen Testaments und der frühchristlichen Literatur, 6., völlig neu bearb. Aufl., hg. von K. und B. Aland, Berlin 1988. BDR F. Blass, A. Debrunner, F. Rehkopf, Grammatik des neutestamentlichen Griechisch, 16. durchgesehene Auflage, Göttingen 1984. CA J.U. Powell 1925 (Collectanea alexandrina) (s. Bibl.) Debrunner A. Debrunner, Griechische Wortbildungslehre, Heidelberg 1917. Denniston J.D. Denniston, The Greek Particles, 2nd edition rev. by K.J. Dover, Oxford 1950 (div reprints). 1 vid. W. Pökel, Philologisches Schriftsteller-Lexikon, Leipzig 1882 (ND Darmstadt 1966; 1974).

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Comparatio numerorum Nicarchi epigrammatum (cf. p. 67ss.) AP

haec editio

AP/POxy.

haec editio

5,38 5,39 5,40 11,1 11,7 11,17 11,18 11,71 11,73 11,74 11,82 11,96 11,110 11,118 11,119 11,120 11,121 11,122 11,124 11,162 11,169 11,170 11,186 11,241 11,242

I.2 II.3 II.6 II.3 II.3 II.8 II.7 I.2 I.2 I.5 II.1 II.2 I.3 I.1 I.1 I.1 I.1 I.1 I.1 II.5 I.6 I.6 II.11 II.15 II.15

11,243 11,244 11,251 11,252 11,328 11,329 11,330 11,331 11,332 11,395 11,398 11,406 11,407 POxy. 3725,1 POxy. 3725,2 POxy. 3725,3–9 POxy. 4501,1 POxy. 4501,2 POxy. 4502,1 POxy. 4502,2a POxy. 4502,2b POxy. 4502,3 POxy. 4502,4 POxy. 4502,5

II.9 II.3 I.5 II.15 II.13 II.14 II.12 I.4 I.4 II.16 II.10 II.4 I.3 = AP 5,40 = AP 11,241 III.5 I.4 III.5 III.1 III.2 II.3 = AP 11,328 III.3 III.4

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I. Die wichtigsten Motivgruppen I.1.

Epigramme auf Ärzte (εἰς ἰατρούς)

Τῶν νούσων σχεδόν τι μάλιστα αἱ ὀξεῖαι καὶ ἀποκτείνουσι καὶ ἐπιπονώταταί εἰσι, καὶ δεῖ πρὸς αὐτὰς φυλακῆς τε πλείστης καὶ θεραπείης ἀκριβεστάτης, καὶ ἀπὸ τοῦ θεραπεύοντος κακὸν μὲν μηδὲν προσγίνεσθαι, ἀλλ’ ἀρκέειν τὰ ἀπ’ αὐτῶν τῶν νουσημάτων ὑπάρχοντα, ἀγαθὸν δὲ ὅ τι ἂν οἷός τε ᾖ· καὶ ἢν μέν, ὀρθῶς θεραπεύοντος τοῦ ἰητροῦ, ὑπὸ μεγέθεος τῆς νούσου κρατέηται ὁ κάμνων, οὐχὶ τοῦ ἰητροῦ αὕτη ἡ ἁμαρτίη ἐστίν· ἢν δέ, μὴ θεραπεύοντος ὀρθῶς ἢ μὴ γινώσκοντος, ὑπὸ τῆς νούσου κρατέηται, τοῦ ἰητροῦ. (Hippokr., de aff. 13)

Dieses Kapitel behandelt die quantitativ bemerkenswerte Gruppe von Epigrammen auf Ärzte, deren Unfähigkeit resp. deren bloßes Erscheinen zum Tod der Patienten führt. Der Topos ist keineswegs neu: er begegnet bereits ab der Alten Komödie,2 und ist, wenn wir die Autorenangabe für AP 11,123 (Hedylos, wohl ein jüngerer Zeitgenosse des Poseidippos) ernst nehmen wollen – dazu weiter unten –, als Spottmotiv offensichtlich schon in der hellenistischen Epigrammatik etabliert, auch wenn das Zeugnis für letzteres bisher ein Einzelfall bleibt.3 In stärkerem Maße als bei vielen anderen Spottepigrammen ist es für die Bestimmung der Wirkkraft der Arztepigramme auf antike Rezipienten nötig, den realen Hintergrund mit einzubeziehen. Es ist zu bedenken, dass die Auseinandersetzung mit dem Arzt als möglicher Bezugsfigur von starker persönlicher Relevanz ist: die stets unterschwellig vorhandene Angst, die im Umgang mit Ärzten (und beim Gedanken an diese!) mitschwingt, bleibt auch in der Brechung des Spotts ein wichtiger Faktor.4 In einem kurzen Überblick soll daher auf einzelne Quellen eingegangen werden, die als Realienhintergrund für die Motive in den Spottepigrammen von Bedeutung sein können. 2 Aristoph. fr. 723 K.-A.; Theoph. fr. 4 K.-A.; Antiph. fr. 106–7 K.-A.; Aristophon. fr. 4–5 K.-A.; Philem. fr. 35–6; 122 K.-A.; Men. fr. 1112 = 269 K.; die Stellen bei Galli Calderini 1984: 104 n. 147. Über deren Inhalt gewinnen wir aus den Fragmenten allerdings kein klares Bild; meist kennen wir kaum mehr als den Titel. Wichtig sind die Stellen jedoch als Belege, dass ein Set von Motiven zum Thema Arzt vorhanden gewesen sein muss. 3 Vgl. Einleitung p. 92. 4 Vgl. Einleitung p. 119s.

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Das ›Image‹ des Arztes in der frühen Kaiserzeit – ein Überblick In der eingangs zitierten, wohl um 380 v. Chr. entstandenen5 hippokratischen Schrift de affectionibus findet sich eine klare Stellungsnahme zur Schuldfrage des Arztes. Hier soll noch die Übersetzung angefügt werden: Unter den Krankheiten haben wohl die akuten am häufigsten tödliche Wirkung und sind am meisten von Schmerzen begleitet; ihnen gegenüber bedarf es sorgfältigster Überwachung und genauester Pflege. Vom Arzt darf nichts hinzukommen, was die Krankheit noch verschlimmert – was die Krankheiten selber Schlimmes bringen, ist schon genug –, Gutes hingegen , soviel in seiner Macht liegt. Sollte der Kranke trotz richtiger ärztlicher Pflege der Stärke der Krankheit erliegen, so ist es nicht die Schuld des Arztes. aber , weil der Arzt nicht richtig pflegt oder nicht richtig diagnostiziert, so ist der Arzt schuld. (de aff. 13)

Der Kontext dieser hier als ›Folie‹ für die Epigrammtexte gewählten Äußerung liegt in erster Linie in der Abgrenzung des ›richtigen‹ Arztes, dessen Tun an eine persönliche Verantwortung gebunden ist, von den Wunderheilern, deren Legitimation in erster Linie auf dem Charisma ihrer Wirkung beruht. Er lässt sich in einem gewissen Sinne allerdings auch auf die Zustände in der frühen und mittleren Kaiserzeit übertragen. Wie eingangs angedeutet, ist als emotionaler Hintergrund für die Epigramme zu bedenken, dass eine Konfrontation mit einem Arzt zumeist schon in einem kritischen, wenn nicht lebensbedrohenden Gesundheitszustand stattfand, und es war nie auszuschließen, dass dieser den Patienten für nicht mehr rettbar erklärte.6 Der Arzt galt in der allgemeinen, von existentieller Furcht geprägten Sichtweise meist als übermächtige Figur, die in das Walten der Τύχη zwar nicht grundsätzlich eingreifen, deren Bestimmungen für die Zeit des irdischen Daseins aber erträglicher machen kann. Seine τέχνη bleibt dem Durchschnittspatienten undurchschaubar; es ist das gleiche Handwerk, das auch der Gott Asklepios anwendet.7 Dies erhöht den Arzt in 5 Jouanna 1999: 374. 6 Jouanna 1999: 107. Vgl. Men. Aspis 450ss., wo dieser Umstand eine wichtige Grundlage für das Funktionieren der Intrige bildet. 7 In beiden Bereichen – sowohl Heilung durch Inkubation in einem Asklepiosheiligtum als auch durch medizinisches Fachwissen im Rahmen einer ärztlichen ›Therapie‹ – überschneiden sich die Termini (cf. L. Wells, The Greek Language of Healing from Homer to New Testament Times, Berlin/NY 1998: 35; 38s.; 73s.). Zur plötzlichen, ›wunderbaren‹ Heilung gehört zwar eher das Verb ἰάομαι, während ärztliche Pflege und längerdauernde Anwendung medizinischen Fachwissens vornehmlich mit θεραπεύω ausgedrückt wird, entsprechend der eher punktuellen vs. der eher linearen Aktionsart der beiden Verben. Doch gibt es Überkreuzungen:

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seiner gesellschaftlichen Stellung zunächst einmal gewaltig und schafft ihm eine respektvolle Distanz aus dem Blickwinkel seiner Patienten.8 Auf der anderen Seite allerdings brachte es die fortschreitende Internationalisierung im Imperium mit sich, dass neben zweifellos verdienstvollen Ärzten auch nicht wenige selbstberufene und daher zwielichtige Praktiker ihr Unwesen trieben; eine venia medicandi gab es nicht. Überhaupt stammten auch im Westen fast alle Ärzte zu dieser Zeit aus Griechenland, in ihrem Fachwissen der italischen Heilkunst oft überlegen, und das war dem durchschnittlichen Römer Grund genug, diesen Ärzten mit einem grundsätzlichen Misstrauen zu begegnen. Bezeichnend ist das Verbot Catos, des strengen Hüters des römischen mos maiorum, gegenüber seinem Sohn, griechische Ärzte zu konsultieren (interdixi tibi de medicis); Pflicht des Römers war es, die Arzneipflanzen aus dem eigenen Garten anzuwenden.9 Dieselbe Haltung findet ihren deutlichen Niederschlag auch im Werk des älteren Plinius (NH 29,23–27), der sich in dieser Hinsicht als ein mustergültiger Erbe Catos zeigt und dessen Tirade inhaltlich von den etwa gleichzeitigen Spottepigrammen nicht weit entfernt ist. Er nimmt eine aus 54 Ingredienzen bestehende Mixtur, wovon keine zwei zu gewichtsmäßig gleichen Anteilen enthalten sind, als Beispiel dafür, wie sich solche Leute über Götter und Natur stellten, wenn sie derart absurde Proportionen vorschrieben. Die mit der Effekthascherei gepaarte Ignoranz zeige sich u. a. darin, dass diese Quacksalber es auch ohne weiteres fertigbrächten, aufgrund simpler Namensverwechslung gefährliche anstelle von heilenden Zutaten ihren Wundermitteln beizumischen. Ungeschönt gibt sich schließlich die Folgerung

besonders augenfälliges Zeugnis auch dafür, wie traditionelle Glaubensvorstellung und weiter entwickelte Fachkenntnis Hand in Hand gehen können, ist IG IV2 1, 126 (= Edelstein T 432), eine der späteren Inschriften aus Epidauros (2. Jh. n. Chr.). Hier beschreibt M. Iulius Apellas ausführlich, welches Wellnessprogramm und welche Diätvorschriften zur Wiedererlangung der Gesundheit für ihn während seines Aufenthaltes im Heiligtum festgesetzt wurden; als er, der mühseligen Vorschriften überdrüssig, den Gott um schnellere Heilung bittet, heißt es, habe ihn ein Knabe zum Priester geführt, der zu ihm sprach (Z. 20): ›τεθεράπευσαι, χρὴ δὲ ἀποδιδόναι τὰ ἴατρα‹. Finanzielle Aspekte lagen nicht erst in der Kaiserzeit im besonderen Interesse der Verwaltung des Asklepiosheiligtums. – Auf andere ἰαματικά wird zurückzukommen sein. 8 Für die Verehrung von Ärzten als Helden vgl. Poseidipp 95 Austin-Bastianini über einen besonders begabten Arzt, der seine Patienten selbst vor normalerweise tödlicher Erkrankung zu retten verstand, ferner die bei Plin. NH 29,6 erzählte Geschichte von Antonius Musa, der durch Änderung der Behandlung des kranken Augustus (kalte Bäder anstelle von heißen) dessen Genesung bewirkte. – Zur Stellung von Ärzten allg. A. Gervais, ›Que pensait-on des médecins dans l’ancienne Rome?‹, BAGB 1964: 197–231; J. Scarborough, Roman medicine, London 1969: 109–21; C. D’Amato, La medicina (Vita e costumi dei Romani antichi, 15), Roma 1993: 41–43. 9 Cato agr. 160; vgl. Plin. NH 29,14s.; allg. D’Amato (vorang. Fn.) 1993: 22s.

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(26): wer ihren Vorschriften (heiße Bäder) gehorcht, ist am Ende der Behandlung kranker als zuvor.10 Dass Plinius’ Tirade nicht für sich steht, zeigt im übrigen eine Reihe von Inschriften, die explizit den Ärzten die Schuld an einem Todesfall zuschreiben,11 und was man landläufig von dieser Gilde hielt, davon scheint auch Seleukus’ Statement bei Petron ein authentisches Zeugnis zu sein (Petr. Sat. 42 medici illum perdiderunt, immo magis malus fatus, medicus enim nihil aliud est quam animi consolatio).

Ein Paradigma: Ärztesatire und epigrammatisches Gattungsspiel Das Thema bringt es mit sich, dass Nikarch (ebenso wie andere Epigrammschreiber) hier in hohem Maße nicht bloß inhaltliche Motive mit neuen Aspekten bereichern, sondern überhaupt, wie schon in der Einleitung dargelegt, ganz verschiedene traditionelle ›Untergattungen‹ des Epigramms aufgreifen, auf vielfältige Weise invertieren und so besonders stringente Paradoxa schaffen konnte.12 Die im Folgenden zu besprechenden Beispiele erwecken den Eindruck geradezu eines Experimentierfeldes. Sie zeigen, dass die Möglichkeiten von Inversion einer Vorlage häufig nicht bloß auf ein Motiv beschränkt sind. Komische Wirkung kann auch dann erzielt werden, wenn alle formalen Parameter einer Vorlage gleich bleiben, aber in einem völlig neuen inhaltlichen Kontext erscheinen. In diesem Fall ist das skoptische Epigramm nicht nur eine Häufung von Motivparodien, sondern darf als Ganzes als Parodie im Sinne Genettes bezeichnet werden (AP 11,119). Folgende Subgenres werden in den Spottepigrammen dieser Gruppe als Folie benutzt:13 a) Grabepigramme: Auch bei den Ärzteepigrammen geht es um Verstorbene, nicht trotz, sondern gerade wegen ärztlicher Kunst – bei dieser Parallelisierung ist also vorerst keine Inversion nötig. Abgesehen davon, dass solche Todesfälle wie erwähnt auch epigraphisch tatsächlich genannt werden,14 sind 10 … ut nemo non minus validus exiret, oboedientissimi vero efferrentur. Vgl. auch NH 29,11 hinc illa infelix monumentis inscriptio, turba se medicorum perisse, sowie Galen 19,9 über die Unfähigkeit einiger Ärzte zu lesen. 11 S. gleich unten Fn. 14. 12 Vgl. p. 87 und zur Inversion 89s. 13 Dies gilt natürlich auch für weitere thematische Gruppen, lässt sich im Nikarchcorpus aber in keinem anderen Bereich so gut zeigen wie an den Arztepigrammen. 14 Carmina Latina Epigraphica (ed. Buecheler) 94: Ephesia Rufria ma[ter et coniux bona | hec adquiescit, quai [mala periit febri | quam medici praeter e[xspectatum adduxerant …; ILS 9441 Dessau: d. m. | Euhelpisti lib. qui et Manes, vixit annis XXVII | mens. IIII dieb. XI, floren| tes annos mors subita | eripuit, anima inno|centissima, quem | medici secarunt | et occiderunt. |

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folgende Anknüpfungen in formaler Hinsicht zu nennen: die Rede in der 1. Sg. (11,118)15 oder, besonders deutlich, der dialogische Einbezug vorübergehender Passanten mit der nachfolgenden Schilderung der Todesursache (11,124, das sich somit als ›klassisches‹ Grabepigramm gibt). Überhaupt erinnert die übliche Schilderung des ›Unfallhergangs‹ oft an das in späthellenistischer Zeit festzustellende Interesse an besonders merkwürdigen Todesarten. Die Grundlage für die Außergewöhnlichkeit ist zumeist durch das Auftreten paradoxer Umstände gegeben.16 Eine kontrastive Beziehung dagegen besteht zwischen Grabepigrammen auf Ärzte, die lobend deren besondere Tugend hervorheben (mit der Betonung, wie vielen Leuten sie das Leben retten konnten)17 und Spottepigrammen, die die gegenteilige Qualität hervorheben. b) Heilungsepigramme (ἰαματικά): Im Hinblick auf Epigramme, die von einer erfolgreichen Heilung berichten (ebenfalls gerne in der 1. Sg.) und daher eine Untergruppe der Weihepigramme bilden, stellen die hier betrachteten Arztepigramme das genaue Invertprodukt18 dar. Solche ἰαματικά sind in großer Zahl insbesondere aus den Asklepiosheiligtümern bekannt,19 wobei die meisten von ihnen nicht metrisch sind, oder aber, wenn doch, nicht in den kanonischen Formen (statt elegischen Disticha z. B. eine unregelmäßige Folge von Hexa- und Pentametern). Anknüpfungspunkt zu den skoptischen Epigrammen ist hier in erster Linie die Gegenüberstellung der ZustänP. Aelius Aug. lib. Peculiaris | alumno suo; cf. 14188 precisus a medico; als Beispiele für vom normalen Formular abweichende Ausdrucksweise zählt solche Aufschriften I. Kajanto, ›On the »freedom of expression« in Latin Epitaphs‹, Latomus 27 (1968): 85s., auf. 15 Zu allen diesen Aspekten s. auch Lausberg 1982: 406. – In der 1. Ps. formuliert ist allerdings auch 11,126, wo der Patient noch lebt. 16 Dazu Garson 1980: pass.; vgl. 114: ›Death, like any other subject, can, it seems, be a mere springboard for the display by writers of their own virtuosity or wit. A humorous anecdote, a strange twist of fate, a pun, an incongruous mythological parallel, a wry reflection on human depravity – these are the ingredients, all more or less paradoxical in their context, that lend variety and piquancy to what was once a reverend art form.‹ – In seiner Zusammenstellung wird deutlich erkennbar, in welcher Nähe Paradox und Satire zueinander stehen (dazu s. auch unten Kap. I.4). Ein typisches Beispiel ist AP 7,504; ebenso 702 (ein Fischer, der an einem gefangenen Fisch erstickt). 17 GV 1907; IG XIV 1900 (Lattimore 1962: 268). Eine Zusammenstellung solcher Epigramme findet sich in A. Stecher, Der Lobpreis des Toten in den griechischen metrischen Grabinschriften, Diss. Innsbruck 1963: 196 (gemäß Lausberg 1982: 595 n. 14). 18 Die Inversion ist hier zudem meistens von einer erschreckenden Totalität, insofern als die Patienten in den allermeisten Fällen nicht überleben. Groteske Überzeichnung (hyperbole) spielt also auch hier eine wichtige Rolle. 19 Zum Material s. Edelstein & Edelstein 1945; dazu vgl. R. Nehrbass, Sprache und Stil der Iamata von Epidauros. Eine sprachwissenschaftliche Untersuchung, Philolog. Suppl. 27,4, Leipzig 1935. Weniger zuverläßig ist M. Girone, ’Ιάματα. Guarigioni miracolose di Asclepio in testi epigrafici, Bari 1998.

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de vor und nach der Intervention, teilweise auch die Nennung der Technik, die zur Heilung/Verschlimmerung beim Patienten führte. Vor allem aber ist, wie noch zu sehen sein wird, bemerkenswert, wie sehr der (in 11,118 sogar ebenfalls im Traum erscheinende) Arzt teilweise e negativo an die Erscheinung des göttlichen Asklepios erinnert.20 Wichtig ist auch der Umstand, dass uns neue Epigramme des Poseidippos seit kurzem vor Augen führen, dass der Themenbereich der ἰαματικά auch für die literarische Epigrammproduktion von Bedeutung war.21 Der Terminus selbst für das sub-genre ist jetzt ebenfalls durch den Mailänder Papyrus belegt.22 Unter den in dieser Kategorie angeführten Epigrammen bietet nr. 100 Austin-Bastianini eine interessante Gattungsüberkreuzung zwischen Heilund Grabepigramm: ἡνίκ’ ἔδει Ζήνωνα τὸν ἥσυχον ὕπνον ἰαύειν, πέμπτον ἐπ’ εἰκοστῷ τυφλὸν ἐόντα θέρει, ὀγδωκονταέτης ὑγιὴς γένετ’, ἠέλιον δὲ δὶς μοῦ̣ [νον βλέψας τὸ]ν̣ βαρὺν εἶδ’ Ἀΐδην. Als es Zenon vergönnt war, den ruhigen (Heil-/Todes-)Schlaf zu genießen, er, der in seinem fünfundzwanzigsten Sommer blind war, da wurde er als Achtzigjähriger gesund. Doch die Sonne [erblickte] er nur zweimal, dann sah er den bedrückenden Hades.

Das Gedicht fügt sich in die Reihe insofern, als es wie die meisten die Art der Behinderung und die Dauer angibt, wie lange der Betroffene schon darunter zu leiden hatte; dazu im Kontrast steht zunächst die Geschwindigkeit der Heilung (im Verlaufe eines einzigen ὕπνος), dann aber die Kürze ihres Genusses (nur zweimal ›erblickt‹ Zenon die Sonne) und der unmittelbar danach eintretende Tod, der in seiner zeitlichen Ausdehnung dem in der ersten Hälfte genannten langen Krankheitszustand gegenübersteht. Die Ereignisse in der Epigrammmitte sind dagegen zeitlich limitiert und punktuell (vgl. die Abfolge τυφλὸν ἐόντα in Zeile 2 – ὑγιὴς γένετ’ in Zeile 3 – βλέψας – εἶδ’ Ἀΐδην beide in Zeile 4).23 Das Paradoxon dient hier dazu, die Mutwilligkeit 20 Stattdessen wird er zu einem Hermes; s. unten zu AP 11,257 und insbesondere 124. 21 Epigr. 95–101 Austin-Bastianini. 22 Der Heilvorgang selbst, d. h. das Thema der ἰαματικά, heißt ἴαμα, Pl. ἰάματα (cf. IG 4.951,2; Epidauros), teilweise auch ἴασις. 23 Ich interpretiere die erste Zeile und damit die Struktur des Epigramms etwas anders als Di Nino 2010: 242ss., die ἥσυχον ὕπνον ἰαύειν einzig mit dem Todesschlaf in Verbindung bringt (was mit ἔδει gewiss schon signalisiert ist) und der Meinung ist, der Heilungsakt als solcher werde gar nicht erwähnt (insbes. 248: ›colpisce … la totale assenza del divino, considerato che Asclepio non è né menzionato, né vagamente alluso come artefice della sanatio; in più, il testo non contiene indizi di sorta che dimostrino la speranza di guarire da parte di Zenone, né, tanto meno, la sua presenza in un qualcunque Asklepieion.‹). – M.E. wird in der ersten Zeile

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des Schicksals zu unterstreichen; es stellt zwar das Heilungswunder nicht als solches in Frage, aber es relativiert es zumindest in seiner Tragweite. c) Sieges-/Ehrenepigramme: Der Aspekt der erstaunlichen Geschwindigkeit von Ärzten, die ja auch in gegenseitiger Konkurrenz stehen, schafft überdies eine Querverbindung zu Epigrammen auf siegreiche Athleten. Ihre Basisfunktion für Gedichte auf Sportler, die das Gegenteil der dort gefeierten Idealgestalten bilden, hat L. Robert 1968 in seinem grundlegenden Artikel hervorgehoben und erstmals durch Aufdeckung einer Reihe von versteckten Verbindungslinien die für die Spottepigramme so wichtige Technik der Parodie mittels Inversion intensiv behandelt (vgl. ferner auch unten Kap. II.1). Während sich für Epigramme auf erfolglose Sportler bei Lukillios zahlreiche Beispiele finden, ist die Art der Parodie bei Nikarch in AP 11,119 von anderer, aber nicht weniger beeindruckender Art. Wie beim Athleten wird die Geschwindigkeit des Arztes ›gepriesen‹ – und dessen fatale Folgen. Ein anderer Anknüpfungspunkt ist der reale Hintergrund öffentlicher Ehrungen von Ärzten: in den Spottepigrammen werden mit ungezügelter Phantasie neue Begründungen angegeben, weshalb die Ärzte geehrt und sogar bekränzt werden (11,118). Die folgende eingehendere Betrachtung der einzelnen Epigramme beginnt mit dem strukturell einfachsten Beispiel AP 11,118, das in einer interessanten Beziehung zum bereits erwähnten, in seiner Autorschaft umstrittenen Beitrag des Hedylos (11,123) und einem Epigramm des Lukillios (11,257) steht. In der Besprechung sollen daher auch diese den ihnen gebührenden Raum finden. a. AP 11,11824 Οὔτ’ ἔκλυσεν Φείδων μ’ οὔθ’ ἥψατο, ἀλλὰ πυρέξας ἐμνήσθην αὐτοῦ τοὔνομα κἀπέθανον. Pl.: IIa,22,7 f. 24r. – Tit. Νικάρχου e Pl rest. Dübner. In P bis, i. e. Stratonis epigrammati 117 iunctum [Pa] et inferius post ep. 332 iteratum utque ep. 333 sub Callicteris nomine positum [Pb] invenitur (vid. supra p. 68ss.) || 1 οὔτ’ ἔκλυσεν Pa Pl : οὔκ ἔκλυσεν Pb

Weder klistiert hat mich Pheidon noch hat er mich berührt, doch in einem Anfall von Fieber erinnerte ich mich seines Namens und verstarb. mit dem verwendeten Vokabular (ὕπνον ἰαύειν und das Adj. ἥσυχος wird auch für den Schlaf des Lebenden verwendet) der Bezug allerdings noch bewusst offen gelassen und erst gegen Ende des Epigramms die Aufmerksamkeit auf den Tod gelenkt. Das Paradoxe des unmittelbaren Aufeinanderfolgens von Heil- und erst in der 4. Zeile eindeutig bestimmtem Todesschlaf rückt damit umso stärker in den Vordergrund. 24 Zum Problem der Autorenzuweisung allg. siehe Einleitung, p. 64ss.

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Worterklärungen: 1 ἔκλυσεν Bildungen der Wurzel κλυδ- treten früher auf (seit Hdt., s. u.) als das semantisch gleichwertige ἔνεμα (erst seit Diosk. 2,118), das gegenüber κλυστήρ fast nur in medizinischen Fachschriften verwendet wird. Beide Termini nebeneinander finden sich allerdings in Philogelos 176 (s. oben p. 109). Auffällig ist, dass die Verwendung des Verbs κλύζω mit Ausnahme von 11,123 bei den Epigrammen auf Nikarch beschränkt ist. Klistieren war ein vielfältig angewandtes Mittel, dessen Häufigkeit durch die wichtige Stellung der Viersäftelehre erklärt wird. Ihr zufolge ist die Verteilung der Säfte Grundlage für die Befindlichkeit des Patienten; entsprechend wurden schädliche Flüssigkeiten aus allen Körpergegenden häufig auf diesem Wege abgeführt. Zur Geschichte des Klistiers in der antiken Medizin sei allg. auf Zglinicki 1972 und Pufe 1979: 63–75 verwiesen. Wie sich aus Hdt. 2,77 (monatliches Klistier zur Gesunderhaltung des Körpers bei den Ägyptern), aber auch Hippokr. De salubr. 5 (Empfehlung regelmäßigen Klistiers im Sommer, um die im Körper aufsteigende Galle abzuführen) ergibt, war die Verabreichung prophylaktischer Klistiere gang und gäbe, also auch ein Routinevorgang. Einen indirekten Hinweis, dass zeitweise eine regelrechte Klistiersucht herrschte, erhält man aus Bemerkungen wie der des Celsus (2,12), der vor allzu häufiger Anwendung warnte. Ein Klistier ist übrigens auch Thema des schillernd-erotischen anonymen Rätselepigramms AP 14,55 (cf. 14,29). – In vorliegendem Epigramm wie auch jenem von Hedylos (11,123) fällt auf, dass eine der ersten Assoziationen, die von der Erscheinung des Arztes ausgehen, offenbar auf das Klistier geht (vgl. a. Philogelos 176). Dieses scheint geradezu ein ›Markenzeichen‹ zu sein, so dass die Berufszugehörigkeit des Pheidon gar nicht mehr explizit genannt werden muss. Diese Beobachtung wird durch eine Stelle gestützt, die völlig außerhalb des skoptischen Kontextes steht und deswegen m.E. besonders aufschlussreich ist: Philod. de lib. dic. fr. 64 Konstan καὶ γὰρ ἰατρὸς ἐ|π̣[ὶ] τῆς αὐτῆς νόσου διὰ κλυσ|τῆ]ρος οὐδὲν περάνας, πάλ[ι | κε]νοῖ 〈sc. τὸν νοσοῦντα〉. – Φείδων Einer der typischen sprechenden Namen; s. oben p. 88 sowie nachfolgende Besprechung. Vgl. auch Komm. zu 11,170 (Kap. I.6). – πυρέξας πυρέσσω ist das übliche medizinische Wort für ›an Fieber leiden‹; im Aor. hier ingressiv zu verstehen (›einen Fieberschub bekommen‹). Diesem Epigramm soll zunächst AP 11,123 (Hedylos),25 später auch 257 (Lukillios) vergleichend zur Seite gestellt werden: Ἆγις Ἀρισταγόρην οὔτ’ ἔκλυσεν οὔτ’ ἔθιγ’ αὐτοῦ· ἀλλ’ ὅσον εἰσῆλθεν, κᾤχετ’ Ἀρισταγόρης. ποῦ τοίην ἀκόνιτος ἔχει φύσιν; ὦ σοροπηγοί, Ἆγιν καὶ μίτραις βάλλετε καὶ στεφάνοις. 25 Zu diesem Epigramm cf. auch Galli Calderini 1984: 102–105 und Ehrhardt 1975: 54–58.

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Weder hat Agis Aristagoras klistiert noch (irgendwie) angerührt, doch Agis kam, und Aristagoras verschied. Wo hat Akonit dergleichen Wirkung? Ihr Sargzimmerer, verseht Agis mit Siegerbinden und Kränzen!

Sowohl AP 11,118 wie auch 123 beginnen mit der negativen Feststellung, deren formale Ähnlichkeit wohl kaum zufällig ist: ›weder hat … klistiert noch (überhaupt) berührt, doch…‹. Ein Unterschied besteht in der Sprechersituation: 123 ist in der 3. Sg. formuliert, während in 118 der (offenbar ebenfalls maskuline) Verstorbene selbst spricht. Der negative Beginn verlangt nach sofortiger Auflösung in Form eines positiven Gegensatzes: dieser Umstand verhindert in 123 eine wirkliche Pause am Ende der ersten Zeile; in 118 wird ihm äußerlich Rechnung getragen, indem der erwartete 2. Teil noch auf der ersten Zeile beginnt und mit Enjambement in die zweite weiterzieht. Doch auch nach der vorläufigen Auflösung der primär durch die negative Formulierung des Satzes aufgeladenen Erwartungshaltung bestehen noch Leerstellen. Dass Pheidon und Agis Ärzte sind, ist nicht explizit gesagt, wird aber aus ἔκλυσεν doch unmittelbar klar (s. oben). Warum die Patienten realiter (in AP 11,123) oder auch nur gedanklich (in AP 11,118) mit dem Arzt in Kontakt treten, erfahren wir nicht und scheint für das Gelingen des Witzes ohne weitere Bedeutung zu sein. In 11,123 erweckt die Abfolge der Verben (ἔκλυσεν – ἔθιγ’ – εἰσῆλθεν) hinsichtlich Interaktion mit dem Kranken zunächst den Eindruck eines Decrescendo – das allerdings Ende der 2. Zeile mit einem Paukenschlag endet: Agis muss gar nicht richtig aktiv werden, um den Tod des Aristagoras zu bewirken, er braucht nur einzutreten, die tödliche Wirkung erfolgt sozusagen schon von der Schwelle aus. Die Erwähnung des Klistiers, das nicht ausgeführt wurde, ist also eine reine praeteritio.26 In einem hübschen Parallellismus stehen Subjekte und zugehörige Verben in Zeile 1 und 2 jeweils unmittelbar nebeneinander, wobei die aktive Rolle eindeutig auf der Seite von Agis dem Arzt steht: er tritt ein (εἰσῆλθεν), sein Patient und Opfer tritt ab, und zwar sehr schnell, wie das anstelle des üblichen Euphemismus ἐξέρχεσθαι gewählte ᾤχετο illustriert. Von der Handlung her ist das Epigramm bereits nach der Hälfte abgeschlossen und könnte also auch dort enden. Doch folgt im zweiten Distichon noch eine auktorielle Zusatzbemerkung im Sinne eines Anbauwitzes,27 der mit dem Komödienmotiv des wirtschaftlichen Interesses, den eine verheerende Figur wie Agis noch erregen könnte, nochmals eine neue Wende bringt. Schließlich am Ende eine

26 Rhetorische Formen wie diese unterstreichen die Annahme, dass die Konzeption dieser Epigramme auch stark auf den mündlichen Vortrag ausgerichtet war; s. Einleitung p. 84ss. 27 Cf. Burnikel 1980: 64.

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Überraschung, ein Spiel mit der Erwartungshaltung: Nicht der Verstorbene wird bekränzt (wie nicht zuletzt auch 11,119 erwarten ließe), sondern στέφανοι und μίτραι erhält derjenige, der den Tod verursacht hat – und zwar von seinen ›Geschäftspartnern‹! Statt Totenkränzen also Ehren- bzw. Siegeskränze:28 die Absurdität der Zusatzbemerkung wird durch dieses Abdriften in einen ganz anderen Kontext m.E. besonders deutlich hervorgehoben. Ob Aristagoras bereits so schwach war, dass Agis’ Eintreten zu viel für ihn war, bleibt offen; die Tatsache, dass ein Klistier typischerweise nicht wirklich ein Eingriff in Situationen ist, in denen es um Leben oder Tod geht,29 spricht eher dagegen. Das würde der Pointe auch mehr Schärfe verleihen: Aristagoras hätte also wohl überlebt, wäre bloß der Arzt nicht erschienen! Eindeutig aber ist die aktive Rolle des Agis: er ist es, der am Ende des Epigramms klar im Zentrum steht (soll die Wurzel ᾱ γ- in seinem Namen an ἡγέομαι anklingen? Überhaupt beachte man die Paronomasie Ἆγις – Ἀρισταγόρην. Da Quantitätenunterschiede im 1. Jh. n. Chr. kaum mehr bewusst wahrgenommen wurden (BDR § 28), wäre als Wortspiel auch das einer Überlegenheit von ἄγειν gegenüber ἀγορεύειν denkbar …). Sind typische Merkmale skoptischer Epigramme wie Spiel mit Namen, binäre Oppositionen, Spiel mit der Diskrepanz zwischen erwarteten und tatsächlichen Inhalten einem Hedylos im 3. Jh. v. Chr. zuzutrauen? Ich meine, Argumente ex silentio, die auf mangelnden Parallelen aus dieser Zeit gründen,30 haben a priori weniger Gewicht als die Tatsache, dass gerade von Hedylos weitere satirische Texte erhalten sind. Die Frage wurde bereits im Abschnitt über das Spottepigramm im Rahmen der allgemeinen Gattungsgeschichte in der Einleitung (p. 92) diskutiert. Vor dem Hintergrund von 11,123, und im Kontrast dazu,31 soll nun das eingangs zitierte Epigramm 11,118 betrachtet werden.32 Auch hier besitzt bereits der erste Hauptsatz Chiffrecharakter: Wer bereits wusste, dass Namen in einem solchen Epigramm e contrario sprechend sein konnten, und wer, wie weiter oben dargelegt, die 1. Sg. als Sprecher traditionell mit Grabepigrammen assoziierte, der konnte schon ahnen, dass hier etwas faul ist. Wer mit anderen Arztepigrammen wie beispielsweise dem eben besprochenen AP

28 Cf. dieselben Ausdrücke z. B. in Pi. I. 5,64. 29 Cf. oben (Lemma). 30 So Gow (ἡδύλου ex ἄδηλον corruptum); selbes Urteil, aber mit anderer Erklärung (kaiserzeitlicher Dichter gleichen Namens) Lausberg 1982: 406. 31 In der hier gewählten Darstellungsweise ist bewusst keine chronologische Perspektive enthalten, sondern der Blick nur auf die ›Variationskunst‹ gerichtet. Die Ergebnisse werden damit auch nicht ungültig, wenn neue Argumente doch für eine jüngere Datierung von 11,123 sprechen sollten. Für Burnikel 1980: 63 n. 142 ist die Abhängigkeit des Epigramms 11,118 von 11,123 immerhin unbestritten. 32 S. auch Ehrhardt 1975: 59–61.

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Epigramme auf Ärzte (εἰς ἰατρούς)

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11,123 vertraut war, erlebte zudem als Überraschung die weitere Steigerung gegenüber dem bloßen Eintreten des Arztes: der Arzt war gar nicht da! Dessen Einfluss hat hier sein absolutes Minimum erreicht – die Hyperbole gleichzeitig ihr Maximum: die physische Präsenz des Arztes ist reine Imagination, und nicht einmal das: es reicht schon, dass man sich an seinen Namen erinnert. Das Opfer stirbt hier somit gewissermaßen selbstverschuldet; der Arzt ist im Vergleich zu 123 kein direkt am Krankenbett Handelnder. Vielmehr zeitigt die Erinnerung an den Namen im Traum denselben Effekt wie seine als skoptisches Motiv gewiss bereits geläufige Präsenz. Wichtiger noch ist im Zusammenhang mit der ›Fernwirkung‹ des Namens allerdings eine Dimension, die vor dem Hintergrund antiker Religiosität zu sehen ist, wonach die Kraft des Namens, oft geradezu symbolischer Stellvertreter eines Gottes oder Dämons, keinesfalls unterschätzt wurde (damit vergleichbar ist der böse Blick).33 Wer den Namen kennt, besitzt den Schlüssel, um mit der Macht in Verbindung zu treten: das gilt nicht nur für die Magie, wo es meist um die Anrufung und Bindung dämonischer Mächte geht, sondern ist seit jeher wesentliche Voraussetzung zur Einleitung eines Gebets.34 Unter dieser Voraussetzung erhält der Arzt also die Konnotation einer geradezu göttlichen Macht (vergleichbar der des Heilgottes Asklepios, der ja im übrigen auch im Traum erscheint), nur ist es eben eine unheilvolle Epiphanie. Und doch gehen der hier geschilderten Erscheinung die Züge einer klassischen Traumvision ab: Der plötzlich einsetzende Fiebertraum (man beachte den Aor. πυρέξας!) ist wohl nicht die richtige Voraussetzung für einen ὄναρ, einen prophetischen Traum, es ist wohl eher ein unruhiger Schlaf, während dem die aktuellen Probleme und Ängste (hier vor einem möglichen bevorstehenden Arztbesuch) wieder hochkommen.35 Wenn dies so ist, dann ist einerseits die Macht des Arztes mittels der Anspielung auf den numinosen Bereich zu der eines unheilvollen Dämons angewachsen, und im Epigramm scheint mit dieser Assoziation bewusst gespielt zu sein. Die Verantwortung dafür, mit ihm überhaupt in Verbindung getreten zu sein, bleibt andererseits aber beim Opfer.

33 M.P. Nilsson, Geschichte der griechischen Religion, HdbA 5,2, 3. Aufl. München 1967: insbes. I 41s.; 55; 158; R. Hirzel, Der Name, Berlin 1927: 19; 22s. 34 Die Kultepiklese ist das feierliche Anrufen des Namens und die Nennung der Eigenschaften der göttlichen Macht, für die der Name steht. Zur Wichtigkeit des Namens bei einer Epiphanie cf. etwa hymn. Apoll. 480 sowie hymn. Bacch. 17ss., wo der Steuermann alle möglichen Namen aufzählt, im redlichen Bemühen, die Gottheit zu erkennen. 35 Diese Unterscheidung stammt von Artemidor Oneirocrit. 1,1 (cf. MacAlister 1996: 72– 74; Näf 2004: 126s.). Demnach geht es hier um ein ἐνύπνιον, das als Spiegel des mentalen Zustands typischerweise aktuell vorhandene Ängste verarbeitet. Ein ähnliches Beispiel wäre Heliod. Aith. 2,20,4, wo Knemon sich im Traum immer noch auf der Flucht wähnt, obwohl er schon in Sicherheit ist.

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Die wichtigsten Motivgruppen

Wie schon früher bemerkt wurde, ist in das intertextuelle Spiel noch ein drittes Epigramm mit einbezogen, nämlich 11,257 (Lukillios):36 Ἑρμογένην τὸν ἰατρὸν ἰδὼν Διόφαντος ἐν ὕπνοις οὐκέτ’ ἀνηγέρθη καὶ περίαμμα φέρων. Als Diophantos im Traum den Arzt Hermogenes erblickte, wachte er gar nicht mehr auf, obschon er ein Amulett trug.

Tatsächlich scheint dieses Epigramm die an 11,118 entwickelten Ideen zu stützen. Der Name Διόφαντος mag vielleicht schon auf das Potential dieses Mannes hinweisen, Traumgesichte zu sehen, doch in diesem Fall handelte es sich nicht um Zeus, sondern Hermogenes, einen Arzt, dessen aus dem Geschlechte des Seelengeleiters abgeleiteter Name nicht besser zu seinen ›Qualitäten‹ passen könnte. Auch hier erscheint also der Arzt als quasi-göttliche Macht. Anders als in 257 besitzt dieser Traum vermutlich stärker den Charakter einer prophetischen Vision,37 die dann die Bedeutung besäße, dass er in unmittelbarster Zukunft von Hermes aus dem Leben geführt werden sollte. Es heißt ja auch ganz neutral, er sei einfach im Schlafe (ἐν ὕπνοις) von dieser ›heimgesucht‹ worden. Nichts deutet jedenfalls darauf hin, dass er sich zuvor hätte Gedanken über Hermogenes machen müssen. Die Hyperbel am Ende der zweiten Zeile fügt sich ebenfalls in diesen Kontext, denn Amulette schützen den Träger sonst vor üblen Dämonen.38 Doch gegen die Macht eines Hermogenes ist selbst dieses wirkungslos. Dass Traum und tödlicher Effekt auch in diesem Fall sich sehr schnell vollzogen, darauf scheint wohl zudem die flinke Bewegung des holodaktylischen Hexameters zu weisen; erst mit ἀνηγέρθη verlangsamt sich das Tempo. Eine m.E. wichtige Bestätigung erfährt diese Deutung von einer Passage in den Oneirocritica des Artemidoros.39 Bei ihm heißt es in 2,37, Hermes im 36 Lausberg 1982: 406s.; Burnikel 1980: 54ss. wählt dieses Epigramm als Ausgangspunkt seiner vergleichenden Gegenüberstellung. Er stellt aufgrund der Übereinstimmung der Namen Ἑρμογένης und Διόφαντος mit Epigramm 11,114 (ebenfalls Lukillios) die Hypothese auf, dass es sich bei Διόφαντος in 11,257 um denselben Astrologen handeln muss, der gegen den Arzt aber ›unterliegt‹. Die beiden Gedichte bildeten demnach ein Epigrammpaar; wie zwingend jedoch eine Verbindung mit 11,114 für das Verständnis von 11,257 wirklich ist, erscheint m.E. in diesem Fall fraglich. Ferner knüpft daran Mart. 6,53 an und baut eine ganze Erzählung darum herum (cf. Burnikel 62s.); bei ihm heißt der Arzt Hermocrates. – Zu 11,257 vgl. noch Rozema 1971: 218s.; Ehrhardt 1975: 62–68. 37 Ein prophetischer Traum, deren Aussage aber nicht durch Symbole verschlüsselt ist. Diesen ›Typ‹ nennt man im Anschluss an Artemidor ›theorematischen Traum‹ (MacAlister 1986: 74; Näf 2004: 126s.; vgl. 114ss.). 38 Diese Zusammenhänge hat schon Ehrhardt 1975: 60; 63s. ganz deutlich gemacht, nur ohne explizit daraus ein Argument für literarische Abhängigkeiten zu entwickeln; für Schulte 1999: 49 ad 118.2 scheinen sie ohne Bedeutung geblieben zu sein. 39 Auf die Stelle hat als erster Prinz 1911: 26 n. 3 hingewiesen (cf. auch Dolderer 1933: 32).

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Epigramme auf Ärzte (εἰς ἰατρούς)

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Traum zu sehen, sei ein gutes Vorzeichen für Rhetoren, Athleten, Trainer, für alle, die im Handel arbeiten, und für Reisende. Anders für Kranke: νοσοῦντας δὲ ἀναιρεῖ διὰ τὸ ψυχοπομπὸς νενομίσθαι. Für Kranke aber bedeutet es den Tod, weil er als ›Seelengeleiter‹ gilt.

Das ist genau das Bild, das durch die Angleichung des Arztes in Namen und weiteren Eigenschaften an den Gott vermittelt werden sollte (es wird sich noch deutlicher im folgenden Epigramm 11,124 zeigen).40 Wie schon zuvor kurz erwähnt, bietet die Vorstellung des Arztes als Unheilsdämon jedoch e contrario noch einen anderen Anknüpfungspunkt, weil er den genauen Gegenpol zur Heilungsmacht darstellt, die er sonst verkörpert – Asklepios. Die Inschriften über wundervolle Heilungen in den Asklepiosheiligtümern berichten teilweise denn auch, dass der Gott die Kranken mit seiner Hand berührt hätte (ἥψατο). Solche Heilungsinschriften waren wie gesagt in nicht invertierter Form schon längst literarisch fruchtbar, wie man v. a. seit der Auffindung des Mailänder Epigrammpapyrus mit der Sektion ἰαματικά weiß. Das inverse Verhältnis zwischen solchen Vorbildern und dem AntiAsklepios in den Spottepigrammen, der ja ebenfalls im Traum erscheint, ist demnach offensichtlich. Während die Bewegung in einem Heilungsepigramm wie 98 Austin-Bastianini (siehe jetzt die Besprechung in Di Nino 2010: 230ss.) von lebensgefährlicher Wunde zurück ins Leben verläuft, ist sie genau umgekehrt – vom Leben in den Tod – im Spottepigramm. Nur in letzterem ist es möglich, dass ein Heilungsepigramm invertiert und dadurch zum Grabepigramm bzw. ein Anti-Asklepios zu Hermes werden kann. Dass zu AP 11,118 engere Beziehungslinien bestehen, ist vor diesem Hintergrund sehr plausibel; ebenso deutlich wurde allerdings, dass beide Autoren mit dem Konzept auf individuelle Weise umgehen. Nikarchs Epigramm 118 scheint Kernelemente aus 123 wie auch aus 257 zu übernehmen, andere wegzulassen und selbst auch wieder eine neue Richtung einzuschlagen: die Konnotation des Grabepigramms, die in den anderen beiden Gedichten fehlt, sowie die stärkere Zeichnung des Opfers als eines unfreiwillig aktiven Förderers (ἐμνήσθην αὐτοῦ τοὔνομα) seiner letztlich unheilvollen Vision, die aber keine echte ist. b. AP 11,124 Ξεῖνε, τί μὰν πεύθῃ; — »Τίνες ἐν χθονὶ τοῖσδ’ ὑπὸ τύμβοις;« — 40 Interessanterweise werden auch Ärzte als Traumerscheinungen bei Artemidor besprochen (2,29; 4,45), wobei sie eine ähnliche Funktion wie Rechtsanwälte haben: Sie markieren eine Entscheidungssituation (κρισίμους ἡμέρας προαγορεύουσιν). Wenn ein Kranker von einem Prozess träumt und diesen gewinnt, lebt er weiter, verliert er ihn, stirbt er. Das Entsprechende gilt von Advokaten, die von einem Arzt träumen.

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Die wichtigsten Motivgruppen

Οὓς γλυκεροῦ φέγγους Ζώπυρος ἐστέρισεν, Δᾶμις, Ἀριστοτέλης, Δημήτριος, Ἀρκεσίλαος, Σώστρατος οἵ τ’ ὀπίσω μέχρι Παραιτονίου. κηρύκιον γὰρ ἔχων ξύλινον καὶ πλαστὰ πέδιλα ὡς Ἑρμῆς κατάγει τοὺς θεραπευομένους. Pl.: IIa,22,13 f. 24v. – Tit. Νικάρχου P || 1 ἐστέρισεν P1 : ἐστέρησεν c : ἐστέρισε Pl || 5 ἔχων Pl : ἔχω P.

Fremder, was willst du denn wissen? – »Wer sind die Leute, begraben unter den Gräbern hier?« – All jene, die Zopyros des süssen Tageslichts beraubt, Damis, Aristoteles, Demetros, Arkesilaos, Sostratos, und alle die weiter hinten bis zu Paraitonion (od.: Paraitonios?). Denn mit hölzernem Heroldsstab und Pseudo-Sandalen, wie Hermes, führt er seine Patienten hinunter .

Worterklärungen: 1 ξεῖνε Zur Anrede an den Fremden bei Grabepigrammen s. unten; als erstes Wort am Gedichtanfang vgl. noch GV 620; 1274; 1455; 2002. – μὰν Schulte bemerkt, durch die Wahl der dorischen Form werde Trauer evoziert (auch sonst sind Begriffe, die Trauer ausdrücken, in dorischer Form beliebt), was für das Kolorit, das erzeugt werden soll, wichtig ist. Ein weiterer Aspekt ist die Vorgabe von Altertümlichkeit: ein dorisch klingendes Grabepigramm erweckte im 1. Jh. n. Chr. wohl bereits den Eindruck, aus uralten Zeiten zu stammen. Vgl. a. Beckby I 36s. – τί … πεύθῃ; πεύθομαι, die ältere Form von πυνθάνομαι, hat den Vorteil, dass sie im Gegensatz zu letzterer in den Hexameter passt; v. a. bei Homer als dominante Form (bei Späteren verleiht ihre Wahl dem Text dementsprechend episches Kolorit, was gewiss auch für das vorliegende Epigramm nicht unwichtig ist); vereinzelt bei Lyrikern, den Tragikern und noch Herondas 6,38 ἤν τι ῥῆμα μὴ σοφὸν πεύθηι (außerhalb literar. Sprache begegnet die Wurzel dialektal noch in der Gortyn-Inschrift). Ihr Vorkommen weist die Wendung τί … πεύθῃ/πυνθάνῃ; auch als typisch für lebendige, erregte Dialogsituationen aus: cf. Eur. Heracl. 383; Plat. Parm. 126b7; Luk. Dial. Mort. 18,1, und bezeichnenderweise sehr häufig bei Epikt.: 1,2,15; 1,8,16 etc. – Τίνες … Die Lebendigkeit des Dialogs wird weiter unterstrichen durch die anaphorische Wiederaufnahme des Interrogativpronomens nach der Penthemimeres (s. auch Conca 2004–5: 326). – ἐν χθονὶ τοῖσδ’ ὑπὸ τύμβοις Auffällig die wortreiche, dramatisch klingende Wendung und der Sg. ἐν χθονὶ: Die Toten liegen in derselben Erde, wenn auch unter verschiedenen τύμβοι an der Oberfläche. Zur Wendung allg. vgl. GV 1813 τύμβῳ ὑπὸ τῷδε u. v. m. 2 γλυκεροῦ φέγγους Cf. Od. 17,41 γλυκερὸν φάος; ferner noch Ap. Rhod. 4,1146s. τοῖον ἀπὸ χρυσέων θυσάνων ἀμαρύσσετο φέγγος: | δαῖε δ’ ἐν ὀφθαλμοῖς γλυκερὸν πόθον … . Auch in dieser zweiten Zeile setzen sich also die epischen Anklänge noch fort. – Ζώπυρος Der Name

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Epigramme auf Ärzte (εἰς ἰατρούς)

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lässt sich mit keiner bekannten historischen Persönlichkeit gewinnbringend verbinden (entsprechende Versuche finden sich zwar bei Schulte ad loc.; am Ende kommt er aber im Grunde zum selben Ergebnis; s. a. Conca 2004–5: 326 ›… difficilmente allude ad un personaggio storico‹). Vermutlich war es hauptsächlich wichtig, einen orientalisch klingenden Namen zu haben, der Assoziationen mit wandernden ›Wunderheilern‹ entsprechender Herkunft ermöglichen konnte (vgl. auch die Interpretation unt. gegen Abschnittsende, außerdem Hdt. 3,123; in Plat. Alc. I 122b für einen Thraker verwendet). Auch ist die Bildung Ζώ-πυρος gewiss als sprechend für den Arzt anzusehen (›einer, der das Feuer am Leben erhält‹): er ist in Wirklichkeit θανατοφόρος! 3s. Δᾶμις, Ἀριστοτέλης, Δημήτριος, Ἀρκεσίλαος, | Σώστρατος Der Parallelismus in den Silben der ersten beiden Namenpaare ist auffällig (vgl. Einleitung, p. 35). Außerdem ist es wohl kein Zufall, dass beide mit Ἀρbeginnenden Namen zu wichtigen Philosophen gehören (Arkesilaos gilt als Begründer der Mittleren Akademie). Ob die Namen allerdings wegen der Bekanntheit der Träger für ihre Todesverachtung (cf. AP 7,104; 197) Signalfunktion besaßen (so Schulte ad loc.), lässt sich bezweifeln. Viel wahrscheinlicher soll damit in hyperbolischer Weise ausgedrückt werden, dass Zopyrus’ verheerender Wirkung alle denkbaren Personen, auch historische Größen, zum Opfer fallen konnten (so auch Conca 2004–5: 326). Ein Blick ins LGPN zeigt außerdem, dass beide Namen alles andere als selten sind, was die historischen Persönlichkeiten als allein denkbare Bezugsgröße etwas relativiert. Im Namen ›Aristoteles‹ ist möglicherweise auch eine Ironie angesichts des im Epigramm geschilderten Vorfalls enthalten: war sein τέλος im Lichte des hier Erzählten wirklich ἄριστον? Arkesilaos und Sostratos betonen vielleicht, in Analogie zum üblichen Lob der Tugenden des Verstorbenen, deren Nutzen für das Gemeinwohl (interessant in dieser Hinsicht auch die von Conca beobachtete Klammer Δᾶμις … λαος, mit welcher der Hexameter Z. 3 eingefasst wird). Im Falle des Sostratos besteht wohl eine Ironie darin, dass er ein Heer aus der Gefahr retten kann, sich selbst aber nicht vor Zopyros, doch wichtiger noch ist der Hinweis von Conca 2004–5: 327 auf die Stelle im Wörterbuch des Pollux 6,186, wonach das Wort σῶστρα auch die Bedeutung ›Ärztelohn‹ haben kann. Demetrios schließlich klingt an die Göttin an, deren Tochter Gemahlin des Hades wurde. – Wenn also eine sinnvolle Identifizierung mit einer historischen Person kaum möglich ist, so bleibt auch die Signifikanz des generell häufigen Vorkommens von Damis und Demetrios in Grabepigrammen der AP für die vorliegende Stelle m.E. sehr fraglich (Schulte ad loc.). Wichtiger ist m.E. die Tatsache, dass die Aufzählung mit einem dorischen Namen beginnt: sollte damit der Eindruck der Altertümlichkeit auch auf die Verstorbenen erweitert werden (vgl. allerdings auch oben Z. 1 zu μὰν)? Allerdings stünde eine solche Interpretation in gegenläufiger Tendenz zur nachfolgend eröffneten Problematik des Hermogenes; und

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dieser Witz würde an Schärfe verlieren, wenn der Arzt nicht als gegenwärtiges Phänomen dargestellt wäre. P.J. Parsons macht mich auf den Artikel von Clarysse 1998 aufmerksam, in welchem u. a. eine bilingue Zensusliste aus der Kyrenaika (P. Count 22–23; 230 v. Chr.) mit einer auffälligen Anhäufung dorischer Namen, u. a. auch Δάμων, besprochen wird (dies neben Koineformen mit η statt langem α im selben Dokument); überdies konnten sich dorische Formen bei der Vergabe von Namen in Familien noch über Jahrhunderte halten, lange nachdem diese aufgehört hatten, dorisch zu sprechen.41 Ein Name Δάμων begegnet im übrigen im neuen Epigramm POxy. 4502 fr. 5,5 für den μοιχός. 4 οἵ … ὀπίσω Aus der Perspektive des Betrachters, der vor den ersten Gräbern steht und über diese hinweg in Richtung Horizont blickt, wo immer noch Gräber stehen. – μέχρι Παραιτονίου Παραιτόνιον ist die Grenzstadt zwischen Ägypten und Libyen (= ht. Mersa Matruh) und damit eine wichtige Evidenz für die ›ägyptische Dimension‹ unseres Autors (dazu s. Einleitung p. 23s.). Aubreton erwägt demgegenüber die Alternative, dass es sich ebenfalls um den Namen eines Toten (Παραιτόνιος) handelt. In diesem Fall wäre aber unklar, worin denn der Witz überhaupt besteht. Akzeptiert man hingegen die Nennung des 250 km westlich von Alexandreia gelegenen Ortes, ist eine komische Wirkung auf ein mit der Geographie vertrautes Publikum (in Alexandreia?) evident: Das Gräberfeld hat durch das Wirken von Zopyros gewaltigen Zuwachs erhalten und erstreckt sich von der Westnekropole von Alexandreia (Bagnall/Rathbone 2004: 72) bis nach Paraitonion – eine starke Hyperbole! 5 κηρύκιον … ξύλινον der Heroldsstab, der nach Hermes’ goldenem Stab gebildet ist, unter dessen göttlichem Schutz die Boten stehen (vgl. Daremberg-Saglio s.v. Mercurius, p. 1807). Der gebräuchliche Begriff dafür ist ῥάβδος (hymn. Herm. 529s.; Od. 24,1ss.). Im vorliegenden Fall handelt es sich wohl um eine komische Aufwertung eines hölzernen (wie eigens erwähnt wird) βάκτρον, das als Attribut zu Zopyros gehört haben muss. Hier steht natürlich Hermes’ Funktion als Seelengeleiter im Vordergrund (vgl. z. B. Luk. dial. deorum 11,4). – πλαστὰ πέδιλα πέδιλα ist der übliche terminus für Hermes’ Flügelschuhe (z. B. Il. 24,340); πλαστὰ wird i. d. R. so gedeutet, dass Zopyros’ Schuhe offenbar eine besondere Anfertigung waren, die in ihrer Form dem göttlichen ›Prototyp‹ nachempfunden waren. S. insbes. hymn. Herm. 79ss., wo die Sandalen als θαυματὰ ἔργα bezeichnet sind. Beide Attribute begegnen u. a. auch im Pariser Zauberpapyrus (4. Jh. n. Chr.) PGM 4,2330ss. Preisendanz, wo sich der Zauberer als Hermes gibt – auch Zopyros hat etwas Magisches an sich (vgl. a. oben p. 130s.). Für eine eingehendere Interpretation der Verwendung der Bezeichnung in diesem Epi41 Clarysse 1998: 4s.; zu den Personen auf P. Count 22–23 hält er fest: ›no doubt they still used their home dialect alongside ordinary koine‹.

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Epigramme auf Ärzte (εἰς ἰατρούς)

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gramm, insbesondere auch der etwas rätselhaften Bedeutung des Adj. πλαστά siehe unten. Bemerkenswert im übrigen auch die Assonanz π… π… ebenso wie schon zuvor bei κηρύκιον … κσύλινον, womit die Attribute zusätzlich betont werden sollen. Vor allem mittels der ersten Zeile gibt sich das Gedicht deutlich als Parodie von Dialogepigrammen, wie sie vor allem unter den Grabaufschriften (und zwar durchaus nicht nur innerhalb der sog. ›literarischen‹ Epigramme) regelmäßig vorkamen.42 Wie die in den Sammlungen von Peek gut greifbaren Beispiele zeigen, lassen sich dabei weitere Subkategorien unterscheiden:43 a) im einen (häufigeren) Fall beginnt der Vorüberziehende (der ὁδοιπόρος, ὁδίτης od. ξεῖνος) den Dialog, indem er sich aus Neugier und/oder ehrlicher Ergriffenheit nach Name, Abstammung, Nachkommen, Todesumständen etc. erkundigt, manchmal Punkt für Punkt wie in einem Fragekatalog44 – und zwar entweder beim Toten selbst, oder, häufiger, beim Grabstein. Dieser letzte Fall lässt sich nebenbei bemerkt ohne weiteres als Form der Autoreferentialität werten, in der die Funktion des konkreten Epigramms bzw. eine erwünschte Form der Rezeption zur Grundlage genommen wird. b) Es gibt aber auch einige Epigramme, in denen die Stele (oder der Tote) selbst den Dialog beginnt und am Schluss meistens den Passanten mit guten Wünschen, aber auch Verpflichtungen, entlässt.45 Im Poseidippapyrus findet sich ein interessantes Epigrammpaar, das mit dieser Tradition spielt: In nr. 102 Austin-Bastianini fühlt sich das Grabmal eines offensichtlichen Misanthropen durch die Besucher gestört und beschimpft diese, bevor es die gewünschte Information dennoch gibt, während sich das Grabmal eines Schwätzers in nr. 103, also die genaue Inversion, durch die Nichtbeachtung beleidigt fühlt.46

42 Einige Beispiele innerhalb der AP: 7,165; 400; interessant auch 7,79 von Meleager, der mit der Tradition über Heraklit spielt. Vgl. auch Fantuzzi/Hunter 2002: 413ss. – Zu archaischen und klassischen Dialogepigrammen s. jetzt Tueller 2010: 54ss. 43 GV 1831–87 bzw. GG 424–60. Für eine Diskussion der beiden Kategorien s. Rasche 1910: 5; 21. 44 Vgl. z. B. GV 1866. 45 Das berühmteste Beispiel hierfür ist gewiss das auch in der AP (7,249) enthaltene Simonidesepigramm (= GV 4; cf. Hdt. 7,228,2): Ὦ ξεῖν’, ἀγγέλλειν Λακεδαιμονίοις, ὅτι τῇδε | κείμεθα τοῖς κείνων ῥήμασι πειθόμενοι. 46 Zu den beiden Gedichten s. Obbink 2004. – Ein späteres Beispiel einer Parodie dieses Typs stellt AP 7,307 von Paulos Silentiarios (Mi. 6. Jh. n. Chr.) dar; vgl. a. Fantuzzi/Hunter 2002: 418. – Selbstverständlich finden sich Dialogepigramme, insbesondere bei späthellenistischen Dichtern, auch in anderen Kontexten (häufig in erotischem Zusammenhang) – das Epigramm stellt dann fast einen gerafften Mimusdialog dar (Bspe.: Asklepiades: AP 5,181, Philodem: 5,46; 308). Solche Formen spielen als Vorbild wohl ebenfalls eine Rolle.

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Der Anklang von AP 11,124 an die hier umrissene Tradition ist unverkennbar, und doch ist das Nikarchepigramm viel dramatischer gebaut. Es zeigt nicht ein starres Frage- und Antwortschema und erinnert in dieser Hinsicht auch an ein Gedicht von Kallimachos (Epigr. 13 Pfeiffer = AP 7,524), das seinerseits ein bemerkenswertes Beispiel für die Dramatisierung der traditionellen Form darstellt. Hier wird die Dialogeinleitung dadurch verlebendigt, dass zunächst der Grabstein (sozusagen als ›Türhüter‹) sicherstellt, dass der Sprecher sich vor dem richtigen Grab befindet; zu dessen eindeutiger Bestimmung liefert das Monument autoreferentiell auch gleich den vom Kanon her geforderten Vatersnamen. Dann folgt ein Dialog mit dem Verstorbenen selbst. Auch inhaltlich sprengt dieses Gedicht den sonst für das Grabepigramm üblichen Kanon, einerseits durch die Mythenkorrektur,47 vor allem aber auch durch die Wendung ins Satirische in Z. 5s., die den Verstorbenen ganz am Schluss noch liebevoll als ἀσελγής charakterisiert, wie ihn auch verschiedene Spottepigramme porträtieren:48 Ἦ ῥ’ ὑπὸ σοὶ Χαρίδας ἀναπαύεται; ›εἰ τὸν Ἀρίμμα τοῦ Κυρηναίου παῖδα λέγεις, ὑπ’ ἐμοί.‹ – ὦ Χαρίδα, τί τὰ νέρθε; »πολὺ σκότος.« αἱ δ’ ἄνοδοι τί; »ψεῦδος.« ὁ δὲ Πλούτων; »μῦθος.« ἀπωλόμεθα. »οὗτος ἐμὸς λόγος ὔμμιν ἀληθινός· εἰ δὲ τὸν ἡδύν βούλει, Πελλαίου βοῦς μέγας εἰν Ἀΐδῃ.« »Sag mir: liegt Charidas unter dir?« – »Falls du den Sohn des Arimmas von Kyrene meinst, dann ja.« »Lieber Charidas, wie ist’s denn so da unten?« – »Stockdunkel.« – »Und wie steht’s mit Rückkehrmöglichkeiten?« »Alles Lug und Trug.« – »Und Pluton?« – »Ein Märchen.« – »Das heißt, mit uns ist’s aus.« »So ist’s wahr, wie ich’s euch erzähle, doch wenn du das Positive hören willst: ein Riesenochse kostet (bloß) einen Cent hier im Hades.«

Auch in AP 11,124 ist bereits die Einleitung trotz der Anlehnung an traditionelle Muster hinsichtlich ihrer Form ungewohnt. Man kann sich geradezu folgendes dramatische ›Setting‹ vorstellen: einen Besucher, der sich ziellos in einer riesigen Gruppe von Gräbern umhertreibt, beeindruckt von der Menge, der aber die Zusammenhänge weder sieht noch danach fragt. So ist es der Grabstein, der die Initiative ergreifen und dem Besucher Gelegenheit geben muss, auszusprechen, was ihn bewegt. Die alternative Situation, nämlich die eines Touristen, der von einem ›Fremdenführer‹ über die Umstände des Ortes aufgeklärt wird (vgl. Cat. 4 Phaselus ille, quem videtis, hospites …; Plut., de Pyth. or., pass.), ist wegen der intertextuellen Beziehung zu den Grabepi47 Dazu vgl. auch Peek GV 1906 (Rom, 3./4. Jh n. Chr.); Lattimore 1962: 75. 48 Zum Epigramm s. Gutzwiller 1998: 39s.

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grammen m.E. die etwas weniger wahrscheinliche. In der besonderen Situation des Nikarchgedichts fragt nun der Besucher nicht, wie sonst üblich, nach einem ganz bestimmten Toten, sondern nach der ganzen Gruppe (τίνες … ;). Auf diese Weise sind die beiden zuvor erwähnten Dialogformen im Grabepigramm in raffinierter Weise verbunden: der Grabstein nutzt die (aus den ersten Worten zu schließen, ohnehin schon vorhandene) Neugier des Besuchers aus, dessen Aufmerksamkeit auf sich zu lenken und ihn nach weiteren Informationen fragen zu lassen – eine Technik, die wiederum stark auf die reale Problematik der Rezeption echter Grabepigramme Bezug nimmt. Was die vielen Toten miteinander verbindet, wird nun schon in Z. 2 in pseudo-epischen Worten geschildert: οὓς γλυκεροῦ φέγγους Ζώπυρος ἐστέρισεν, doch wer dieser Zopyros ist, ob etwa gar ein Mörder, das bleibt vorerst unklar. Stattdessen wird durch eine schier endlose Liste von Namen (man denke an den Katalog der Gefallenen in Aischylos’ Persern!) der Kontrast zwischen der Menge von Opfern und dem einen Namen Zopyros gleichsam ins Unermessliche verstärkt und gleichzeitig die Perspektive von dem einen Grab auf die unendliche Ausdehnung des Gräberfeldes ausgeweitet (… οἵ τ᾽ ὀπίσω μέχρι Παραιτονίου). Man fühlt sich an Staatsgräberinschriften49 wie etwa auf die Gefallenen von Marathon erinnert, nur ist hier die Todesursache nicht eine Übermacht von Feinden, sondern eine einzige Person, die zu der unendlichen Menge von Opfern aufs schärfste in Kontrast steht. Dieser Aspekt des einen Verursachers wird auch im nächsten Epigramm (AP 11,122) deutlich herausgestrichen. Bereits sind 4 von 6 Zeilen vorbei, und immer noch steht die Frage, was denn hier geschehen ist, offen im Raum. Stellt man sich diesen Text mündlich vorgetragen vor, so ist zu beachten, dass auch für den ›geübten‹ Zuhörer bisher kein eindeutig klärender Hinweis vorkam, dass es sich hier um ein skoptisches Epigramm handelt. Erst im allerletzten Distichon zeichnet sich nun langsam eine Erklärung ab: erst indirekt, mit Nennung der Attribute des Hermes (v. a. den πέδιλα), dann fällt in der letzten Zeile auch der Name, seine typische Tätigkeit κατ-άγει, und ganz zuletzt, mit dem letzten Wort τοὺς θεραπευομένους, wird es vollends klar, dass Zopyros Arzt ist. In diesem Zusammenhang sollten wir uns noch der seltsamen Verbindung πλαστὰ πέδιλα zuwenden: Für πλαστά gibt es laut LSJ zwei Interpretationsmöglichkeiten: entweder ›geformt‹ oder ›nachgebildet, gefälscht‹. Die Mehrzahl der Interpreten geht hier von der ersten Bedeutung aus und nimmt an, dass ein ganz bestimmter Zopyros gemeint ist, der wegen einer offensichtlichen Invalidität orthopädische Schuhe besaß und so als ›Hermes‹

49 Die Sammlungen der Grabinschriften bei Peek (GV und GG) beginnen mit diesen Epigrammen.

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verspottet werden konnte.50 Allerdings bleibt dieses Adjektiv bei einer solchen Interpretation merkwürdig flach und ohne Motivation im Gedankenablauf. Einiges besser scheint mir daher die zweite Variante zu passen: es sind eben künstlich nachgebildete Schuhe, reiner Bluff, eine Nachahmung von Hermes’ Flügelschuhen, nicht die berühmten πτηνὰ πέδιλα, wie das erwartete Attribut lautet, sondern πλαστὰ (der Witz besteht auch in der Überraschung der Nennung eines Adj., das dem erwarteten lautlich ähnlich ist). Dadurch wird auch verständlich, weswegen so stark betont wird, dass sein Stock nur ξύλινον ist: er ist eben nicht golden wie das Original. Wenn diese Interpretation richtig ist, dann könnte man darin eine besonders raffinierte Wiederaufnahme der Hermesassoziation im Zusammenhang mit Ärzten sehen, die man wohl aus früheren Bearbeitungen zum Thema als bereits bekannt annehmen darf. Damit verbunden ist die Frage, ob Ärzte denn überhaupt normalerweise Sandalen trugen oder ob es sich hierbei um eine Spezialität des Zopyros handelte. Sucht man die archäologischen Quellen auf die Frage hin durch, ob es typische Attribute von Ärzten in der Ikonographie gegeben hat, auf die hier eventuell angespielt sein könnte, so wird man leider enttäuscht. Grabreliefs zeigen in der Regel nur das Porträt, und ohne Beischrift wäre es unmöglich zu erkennen, dass es sich beim Verstorbenen um einen Arzt handelte. Lediglich eine zeitlich allerdings weit zurückliegende Ausnahme ist zu nennen: das sog. ›Basler Arztrelief‹ aus dem 5. Jh. v. Chr.51 Der Stock dürfte darauf hinweisen, dass es sich um eine Autoritätsfigur, wohl vorgerückten Alters, handelt. Die Sandalen hingegen wurden von Berger und Käppeli als Attribut des Wanderarztes gedeutet, und dies bietet trotz der enormen zeitlichen Distanz auch eine willkommene Erklärung für die πέδιλα des Zopyros. Wanderärzte standen zu verschiedenen Zeiten im Fokus der Kritik, und gerade auch in den ersten Jahrhunderten n. Chr. waren sie ein verbreitetes Phänomen (s. oben p. 131s. mit Fn. 8–10; 14). Welches intertextuelle Spiel treibt Nikarch in AP 11,124? – Er knüpft bereits mit dem ersten Wort ξεῖνε unzweideutig an das Grabepigramm an. Die Dialogstruktur verstärkt den gewonnenen Eindruck zusätzlich, wenn auch dieser sehr farbig und fast wie eine kleine Szene gestaltet ist. Ebenfalls noch in Verbindung zum gewählten genre scheint die Erklärung der Todesart zu stehen, doch wird mit dem Umstand, dass es hier um eine ganze Schicksalsgemeinschaft geht, jetzt die Abweichung von traditionellen Formen immer 50 Diese Idee geht auf Boissonade (bei Dübner) zurück und wurde in den Ausgaben von Aubreton wie auch Schulte übernommen. Ein Witz würde bei dieser Interpretation höchstens im Paradoxum bestehen, dass von einem Arzt, der selber Invalide ist, ein solches Maximum an Verderben ausgehen kann. 51 Die grundlegende Publikation ist E. Berger/R. Käppeli, Das Basler Arztrelief: Studien zum griechischen Grab- und Votivrelief um 500 v. Chr. und zur vorhippokratischen Medizin, Basel 1970; insbes. p. 97.

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stärker. Die Erklärung wird verzögert und gleichzeitig umso dringlicher gemacht durch das Motiv der großen Menge der Opfer. Als sie endlich kommt, entpuppt sie sich als traditionelles skoptisches Motiv: die Metamorphose des Genres und der damit einhergehende Fokuswechsel ist vollzogen! Bemerkenswert ist dabei nicht zuletzt, wie subtil dieser Fokuswechsel in der Struktur des Epigramms vorbereitet wird. Der Agierende wird als Subjekt sehr schnell, schon in Z. 2, genannt, nur wird er hier erst indirekt als agens zur Kenntnis genommen – die Aufmerksamkeit des Lesers/Hörers liegt noch auf den Opfern. Von diesen ist auch in Zeile 3/4 die Rede, während das letzte Distichon dem Arzt und dem großartigen Hermesgleichnis gehört. Wenn wir den Arzt mit der Variablen a, die Opfer mit b versehen, dann sieht die Struktur folgendermaßen aus: b (1 Zeile) – a (1 Zeile) – b (2 Zeilen) – a (2 Zeilen). Τὸ δὲ κρεῖσσον ἐν τέλει! c. AP 11,122 Πέντ’ ἰητρὸς Ἄλεξις ἅμ’ ἔκλυσε, πέντ’ ἐκάθηρε, πέντ’ ἴδεν ἀρρώστους, πέντ’ ἐνέχρισε πάλιν· καὶ πᾶσιν μία νύξ, ἓν φάρμακον, εἷς σοροπηγός, εἷς τάφος, εἷς Ἀΐδης, εἷς κοπετὸς γέγονεν. Pl.: IIa,22,11 f. 24v. – Tit. τοῦ αὐτοῦ Nicarcho Pl, perperam Stratoni trib. P (vide sub 11,118) || 1 πέντ’ ἰητρὸς Pl : πέντε ἰητρὸς P

Fünf hat Arzt Alexis gleichzeitig klistiert, fünf hat er purgiert, fünf Kranke hat er visitiert, fünf wiederum hat er gesalbt. Und alle haben eine Nacht, eine Medizin, einen Sargmacher, ein Grab, einen Hades, eine Totenklage.

Worterklärungen: 1 ἰητρὸς Die Verwendung der ion. Form steht möglicherweise mit deren Verwendung als ›Markenzeichen‹ des hippokratischen Arztes in Zusammenhang (dazu s. Adams 2003: 357), wodurch der ironische Kontrast zum Inhalt des Epigramms noch verschärft würde. – Ἄλεξις Wieder ein sprechender Name (vgl. ἀλεξι-φάρμακος etc.); die Funktion des ›Helfers‹ könnte man durch die im ersten Distichon aufgezählten Tätigkeiten zunächst sogar bestätigt sehen. Vgl. aber die Besprechung unten. – ἐκάθηρε ›purgieren‹; wie alle Verben des 1. Distichons medizinisches Fachvokabular; vgl. z. B. Hippokr. de morb. popul. 5,36,1 Ὁ Εὐβίου ἄνθρωπος, πιὼν ἐλατήριον, τρεῖς ἡμέρας ἐκαθαίρετο, καὶ ἔθανε; nat. hom. 5 Γνοίης δ’ ἂν τοῖσδε, ὅτι οὐχ ἓν ταῦτα πάντα ἐστὶν, ἀλλ’ ἕκαστον αὐτέων ἔχει δύναμίν τε καὶ φύσιν τὴν ἑωυτέου· ἢν γάρ τινι διδῷς ἀνθρώπῳ φάρμακον ὅ τι φλέγμα ἄγει, ἐμέεταί σοι φλέγμα, καὶ ἢν διδῷς φάρμακον ὅ τι χολὴν ἄγει, ἐμέεταί σοι χολή. Κατὰ ταὐτὰ δὲ καὶ χολὴ μέλαινα καθαίρεται, κτλ.; nat. mul. 54; 78; Epid. 5,22,2 u. v. m. – ἔκλυσεν S. oben (a) zu 11,118,1.

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2 ἴδεν Hier mit der Bedeutung ›inspizieren‹ (inkl. einer ev. Befragung), im Sinne der Arztvisite (so schon Jacobs X 40 visitavit. Ut enim ἰδεῖν saepe pro congredi, colloqui ponitur, … sic inprimis de medico, qui aegrotorum interrogat, venam explorat etc.; cf. LSJ s.v. εἴδω A 1 b). Vgl. für denselben Kontext Philogelos 176 (s. Einleitung, p. 109). – ἀρρώστους Cf. Hippokr. de prist. med. 6,1 τῷ δὲ σώματι φθίσις τε καὶ ἀρρωστίη; in de morb. popul. 1,13 werden die Krankheiten unter der Bezeichnung ἄρρωστος aufgelistet. Zum Begriff s. D.L. Vita philosoph. 7,115 τὸ γὰρ ἀρρώστημά ἐστι νόσημα μετ’ ἀσθενείας. Als Bezeichnung für die Kranken findet sich das Adj. allerdings erst regelmäßig im Corpus der Schriften Galens, vgl. auch NT Mt. 14,14; Mk. 6,13 ἤλειφον ἐλαίῳ πολλοὺς ἀρρώστους καὶ ἐθεράπευον, ferner wiederum Philogelos 176 sowie AP 11,206,5 (Lukillios; dort nur mit einem ρ überliefert). – ἐνέχρισε ›einsalben‹; vgl. z. B. Hippokr. loc. in hom. 13,1; de mul. aff. 189,2; im Epigramm AP 11,117,1 (Straton; = 101 Floridi); 126,5 (anon.); beide Male vom Augenarzt. 3 σοροπηγός Eine durchsichtige Bildung, die sonst allerdings, abgesehen vom oben besprochenen Epigramm AP 11,123 (Hedylos) nur noch bei Aristoph. Nub. 846 vorkommt. Auch das Grundwort σορός verwendet Nikarch durchaus gerne und häufig: nochmals im Zusammenhang mit dem tödlichen Arzt s. AP 11,119,4; ferner 170,2 und 332,6 (in letzterem ist damit sogar noch ein Wortspiel verbunden). 4 εἷς τάφος, εἷς Ἀΐδης Ehrhardt weist mit Recht darauf hin, dass das eine auf die sterbliche Hülle, das andere auf die Seele bezogen ist, die nach antiker Vorstellung (sieht man von den Epikureern ab) den Körper mit dem Tod verlässt. S. allg. R. Garland, The Greek Way of Death, London 1985 (2nd ed. 2001): 18s.; J. Bremmer, The Rise and Fall of the Afterlife, London-New York 2002: pass.; Lattimore 1942: 21; vgl. z. B. Plat. Phd. 115c; auch AP 7,49; 61s.; 87; 131. – κοπετός = κομμός, vgl. Acta Ap. 8,2 etc. Hervorstechendes Merkmal des Epigramms ist das Spiel mit den zwei anaphorisch gereihten Zahlbegriffen. Allein schon auf der Oberfläche ist eine klare Zweiteilung gegeben durch den Umstand, dass im ersten Distichon viermal πέντε verwendet ist, im zweiten εἷς/μία/ἕν sogar sechsmal. Doch spricht vieles dafür, die Reihung im ersten Teil sogar in multiplikativem Sinne zu verstehen, so dass man auf die absurde Menge von 20 gleichzeitig durch Alexis behandelten Patienten kommt.52 Das Nebeneinander verschiedener ärztlicher Tätigkeiten, die aber im Grunde doch allesamt Routinehandlungen sind und keine schwierigen Eingriffe, erweckt von Anfang an den Eindruck von Hektik und Pfuscherei (kombiniert mit Geldgier?), die 52 Dass es immer die gleichen fünf Patienten sind, erscheint weniger wahrscheinlich. Auch in AP 11,124 schwingt sich die Zahl der Opfer von fünf namentlich genannten hinauf ins Unermessliche.

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aber von umso verheerender Wirkung sind. Gerade das Vorhandensein der Partikeln ἅμα und πάλιν verbietet es m.E., einen anfänglich in täuschender Weise vermittelten positiven Eindruck des Arztes anzunehmen.53 Es ist wohl kein Zufall, dass diese Massenabfertigung in klarem Kontrast zu Äußerungen in hippokratischen Schriften steht, die dem Arzt im Umgang mit den Patienten ruhiges und besonnenes Auftreten nahelegen.54 Auch in dieser Hinsicht ist Alexis als Gegenfigur gezeichnet. Zu nennen sind folgende Stellen: τὸ γὰρ προπετὲς καὶ τὸ πρόχειρον καταφρονεῖται κἂν πάνυ χρήσιμον ᾖ. Das Überstürzte und Hastige wird nicht geschätzt, auch wenn es ganz nützlich sein sollte. (de med. 1) … πρήσσειν δ’ ἅπαντα ταῦτα ἡσύχως, εὐσταλέως, μεθ’ ὑπουργίης, τὰ πολλὰ τὸν νοσέοντα ὑποκρυπτόμενον, ἃ δὲ χρή, παρακελεύοντα ἱλαρῶς καὶ εὐδιεινῶς. … alles ist ruhig, mustergültig, zuvorkommend zu tun. Das meiste soll der Kranke gar nicht bemerken. Wo nötig, sind die Anordnungen mit Freundlichkeit und heiterer Ruhe zu geben. (de dec. hab. 16–18)

Der Aspekt der ins Groteske gesteigerten Gleichzeitigkeit verschiedener Handlungen ist für die Karikatur also sehr wichtig. Wie in etwas anderer Form in den vorangegangenen Epigrammen soll auch hier die erschreckende Effizienz des Arztes deutlich gemacht werden, und mehr noch als dort besteht ein starker Kontrast zwischen der Menge der Patienten/Opfer und dem einen behandelnden Arzt. Nicht nur werden sie durch die Tatsache, dass sie alle dasselbe Schicksal erleiden, im vorliegenden Epigramm zusammengebracht: die ›Gemeinschaft‹, zu der sie vereint werden, wird insbesondere durch das penetrant wiederholte εἷς/μία/ἕν geradezu eingehämmert. Bereits Jacobs hatte bemerkt, dass diese Wiederholungen parodiae … speciem habent, ohne aber hierfür einen Prätext anzugeben.55 Diesen fand erst später Wifstrand:56 dabei handelt es sich um ein Sepulkralepigramm, genauer gesagt um ein Epigrammpaar, das unter dem Namen des Simonides Eingang in die Anthologie gefunden hatte, aber mit großer Sicherheit nicht von diesem stammt (AP 7,270; 650bis).57 Die Texte lauten folgendermaßen:

53 So Ehrhardt 1974: 41, der der Meinung ist, dass ›durch die umständliche Aufzählung der ärztlichen Bemühungen … beim Leser der Eindruck eines gewissenhaften, kein Mittel der Kunst vernachlässigenden Doktors‹ hervorgerufen werde. 54 Dies hat schon Ehrhardt 1974: 40s. treffend herausgearbeitet. 55 Jacobs X 41 ad loc. 56 Wifstrand 1926: 70. 57 Zum Epigrammpaar allg. Boas 1905: 243s.

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Τούσδε ποτ’ ἐκ Σπάρτας ἀκροθίνια Φοίβῳ ἄγοντας ἓν πέλαγος, μία νύξ, ἓν σκάφος ἐκτέρισεν. (AP 7,270) Diese hier, die einst aus Sparta Opfergaben / Waffenbeute Apoll überbringen wollten, hat ein Meer, eine Nacht, ein Boot bestattet. Τούσδ’ ἀπὸ Τυρρηνῶν ἀκροθίνια Φοίβῳ ἄγοντας ἓν πέλαγος, μία ναῦς, εἷς τάφος ἐκτέρισεν. (AP 7,650bis) Diese hier, die von den Tyrrheniern Opfergaben/ Waffenbeute Apoll überbringen wollten, hat ein Meer, ein Schiff, ein Grab bestattet.

Von welchen Subjekten die Epigramme genau handeln, bleibt dabei unbestimmt: sind es ursprüngliche Steinepigramme, müsste diese Information durch eine ergänzende Aufschrift bzw. Statuen oder Reliefs geliefert worden sein. Der Begriff ἀκροθίνια (›Opfergaben; Kriegsbeute‹) ermöglicht zwei verschiedene Deutungen: entweder handelte es sich um eine θεωρία, die unterwegs zu einem Apolloheiligtum (Delphi?) war, oder es war eine Gruppe von Kriegern, die in einer, wie es dann scheint, erfolgreichen Kampfeshandlung erbeutete Waffen Apollo weihen wollte.58 Dazu war es offensichtlich nicht mehr gekommen, vielmehr scheint die ganze Gruppe während der Überfahrt durch Schiffbruch den Tod gefunden zu haben. So oder so bewegen sich die Epigramme also ganz im Bereich des hellenistischen Interesses für die unberechenbare Grausamkeit der Tyche, die auch einer auf frommes Opfer eingestellten Gruppe, vielleicht nach Momenten des Triumphs, unerwartet den Tod bringen kann. Gegenstand der Debatte war sodann die Frage, ob es sich bei den beiden Epigrammen bloß um überlieferungsbedingte Varianten oder um zwei verschiedene Gedichte handelt, von denen das eine nach der Vorlage des anderen geformt ist.59 Es liegt in der Natur der Sache, dass zwischen den beiden Möglichkeiten kaum wirklich eine Entscheidung möglich ist und sich die Fragestellung als solche im Grunde erübrigt. Sicher ist nur, dass die Epigramme an zwei verschiedenen Stellen im 7. Buch der AP auftauchen, jeweils in Meleagersequenzen, was darauf hindeutet, dass dieser sie als zwei eigenständige Epigramme in seinen Kranz aufgenommen hatte.60 Boas hat glaubwürdig gezeigt, dass von den beiden Gedichten AP 7,270 das ursprüngliche ist: Meer, Nacht und Schiff stehen hier metaphorisch für das Grab, während 58 Von letzterer Deutung geht ganz selbstverständlich Waltz im Kommentar ad loc. aus. Dass diese aber insbesondere für AP 7,270 keineswegs so sicher ist, darauf hat mich mit Recht E. Bowie aufmerksam gemacht. 59 Seit neuem sind auch durch die Evidenz von POxy. 4502 eindeutige Varianten eines identischen Textes bekannt – diese sind allerdings punktuell und stehen in einem längeren Epigramm. 60 S. Page, FGE 295s. (›Simonides‹, nr. LXXVI).

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in 650bis der wichtige Begriff νύξ (s. unten) weggefallen ist und später tautologisch nochmals τάφος genannt wird.61 Dass Nikarchs Epigramm 11,122 diesen Wortlaut in parodierender Weise wieder aufgreift, ist offensichtlich. Wahrscheinlich hat er (durch die Tatsache, dass sowohl 7,270 als auch 650bis in den Meleagerkranz gelangt sind) auch beide Bearbeitungen gekannt, und Page ist recht zu geben, wenn er schreibt: ›he knows both epigrams, and takes from each what he needs‹. Ob die Parodie gerade durch den Umstand begünstigt oder gar ausgelöst wurde, dass beide Vorlagen im 1. Jh. n. Chr. innerhalb einer Anthologie (weiterhin des Meleager?) greifbar waren, lässt sich selbstverständlich nicht mehr klären. Sollte dies zutreffen, ließe sich AP 11,322 als philologisch-kreative Antwort auf eine Evidenz in der Überlieferung deuten, die einem Nikarch zumindest zuzutrauen wäre. Schon vor der Entdeckung der unzweifelhaften Beziehung zu den ›simonideischen‹ Epigrammen stand der Ausdruck μία νύξ im Zentrum des Interesses, der etwa in Cat. 5,6 in una nox seine Parallele findet zur Bezeichnung der einen, sc. ewig währenden Nacht. Je nach Kontext, z. B. wenn er wie in Hor. carm. 1,28,15 nach omni(bu)s steht, dürfte allerdings eine andere Deutung die wahrscheinlichere sein, und diese ließe sich mit dem Gedanken in den griechischen Epigrammen direkt vergleichen: nämlich dass es dieselbe Nacht ist.62 Die erste Interpretation lässt sich, obwohl gewiss von sekundärer Wichtigkeit gegenüber dem Konzept des Vereintseins aller Opfer, trotzdem nicht ganz ausschließen, und sie mag immerhin mitgeklungen haben. AP 11,122 startet unmittelbar mit der Hyperaktivität des Arztes: von hier geht die Bewegung in Richtung eines pathetischen Grabepigramms. Gerade umgekehrt war es in 11,124, das aus dem vermeintlichen Kontext eines Sepulkralepigramms plötzlich auf die Ärzteskoptik umschwenkt. Im speziellen schafft hier die Parodie eine neue Querverbindung zwischen Schiffbruchs- und Ärztetopos. Der todbringende Arzt Alexis ist in seinem Effekt 61 Page ad loc. nennt letzteres ›the utterance of a muddled mind‹. – Offen bleibt die Frage, ob 650bis tatsächlich auch eine ›Adaption‹ an eine neue Situation darstellt. Angesichts der Tatsache, dass die in den beiden Epigrammen gegebene Information auch als komplementär aufgefasst werden kann (270: die Herkunft der Opfer; 650bis: der Ort ihrer Expedition, von wo sie zurückkehrten), könnten diese auch als companion pieces ursprünglich auf dem selben Monument angebracht gewesen sein. Die ›Aufteilung‹ von Information auf verschiedene, z. T. auch in ihrem Charakter variierende Inschriften (Poesie/Prosa; verschiedene Metren) unter Umständen auch auf dem selben Träger ist gängige Praxis; vgl. Laurens 1973: 91 n. 2 mit weiteren Beispielen. 62 Cat. 5,6 nox est perpetua una dormienda (cf. den Komm. von Kroll [1989; 1. A. 1923] ad loc.) vs. Hor. carm. 1,28,15s. sed omnis una manet nox | et calcanda semel via leti; dazu s. Nisbet-Hubbard 1970: 329 (›one for all alike‹). Auf die Stellen hat schon Jacobs (oben Fn. 55) hingewiesen.

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einem Sturm auf hoher See vergleichbar: eine Bedrohung, der man nicht entfliehen kann (und so lässt sich auch der Name e negativo deuten: ὃς οὐκ ἀλέξει οὐδ’ ἀλέξεται). Wie bei Schiffbruch werden die Opfer durch die Tatsache verbunden, alle an der gleichen Todesursache umgekommen zu sein. Für das Nikarchepigramm bedeutet dies somit, dass es sich in der Textur an die Tradition der Schiffbruchepigramme anlehnt, nur dass das tragische Moment des Schicksalschlages von der Gewalt des offenen Meeres auf eine einzige verursachende Figur übertragen ist – ein Bruch, dessen komische Dimension nicht unentdeckt bleiben konnte. Eine ähnliche Zuspitzung ist bei den skoptischen Schiffbruchepigrammen bei der Hervorhebung des Paradoxums des seeuntauglichen Schiffes als Todesursache feststellbar: es entsteht auch dort der Eindruck, dass weniger höhere Gewalt (Tyche) als vielmehr menschliches Versagen das Unglück herbeigeführt hat. Mit dieser Bewegung vom Unvermeidlichen hin zum Kritisierbaren, potentiell Korrigier- bzw. Vermeidbaren einher geht der Übergang von der Klage des Sepulkralepigramms zum karikierenden Ton des Spottepigramms. Sowohl bei den Arzt- wie auch bei den Schiffbruchepigrammen wird eine real existente Gefahr als Ausgangspunkt für eine Fokussierung auf Details (Figur des Arztes; Zustand des Schiffes) genommen, auf die real vorhandene und verbreitete Ängste projiziert werden und die dann in ihrer Unzulässigkeit in komischer Weise ins Absurde gesteigert sind.63 Einen Höhepunkt nikarchischer Parodie bietet sodann d. AP 11,119 ’Ιητρὸς τὴν γραῦν εἴτ’ ἔκλυσεν εἴτ’ ἀπέπνιξεν, οὐδεὶς γινώσκει· δαιμόνιον τὸ τάχος. ὁ ψόφος ἦν κλυστῆρος ἐν οὔασι, καὶ στεφανοῦτο ἡ σορός, οἱ δ’ ἄλλοι τὸν φακὸν ηὐτρέπισαν. Pl.: IIa,22,8 f. 24r. – Tit. Νικάρχου e Pl rest. Dübner. In P non modo ordine suo [Pa] sed iterum post ep. 332 iteratumque ep. 118 atque ut ep. 333 sub Callicteris nomine positum [Pb] invenitur (vid. supra p. 68ss.) || 1 ’Ιητρὸς ] ὁ ἰητρὸς (ὁ et α suppunx., η super α scrips. man. rec.) Pa || 2 γινώσκει Pa : γιγνώσκει Pb Pl || 4 φακὸν Pa Pl [in textu] : τάφον Pb Pl [superscr.] C

Ob der Arzt die Alte klistiert oder erwürgt hat, kann keiner erkennen: wunderlich war die Geschwindigkeit. Der Klang des Klistiers war noch in den Ohren, und wurde bekränzt – der Sarg, die anderen aber bereiteten den Linsenbrei vor.

63 Siehe unten Kap. I.4.

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Worterklärungen: 1 τὴν γραῦν … ἔκλυσεν Möglicherweise liegt hier unter der Oberfläche noch ein semantisches Wortspiel vor: vgl. Poll. Onom. 7,39, der auf die Verwendung des Begriffs κλύσμα u. a. für eine abgetakelte Hetäre hinweist: καὶ ἡ κατατετριμμένη ἑταίρα κλύσμα καὶ πλύμα. 2 γινώσκει ›(durch Beobachtung) erkennen‹; d. h. der Arzt war so schnell, dass sich sein Tun menschlicher Wahrnehmung entzog. – δαιμόνιον ›erstaunlich‹ im positiven wie im negativen Sinne (cf. dt. ›wunderlich‹). Die ironische Verwendung des Adj. in der Alten Komödie, auf die Schulte ad loc. hinweist, ist zwar an zahlreichen Stellen unbestreitbar, doch handelt es sich dabei immer um die Situation einer Anrede (z. B. Aristoph. Eccl. 564 ὦ δαιμόνι’ ἀνδρῶν). Der hier vorliegende Fall ist also nur teilweise mit solchen Stellen vergleichbar; die ›Ironie‹ bzw. das komische Potential rührt hier eher daher, dass der Kontext in der Parodie von einem ursprünglich positiven (wunderhafte Geschwindigkeit eines Athleten) auf einen sekundären Kontext übertragen ist, wo er eben im Grunde nur e contrario passt. 3s. ψόφος … κλυστῆρος Hier ist die Klistierspritze gemeint (cf. Hdt. 2,87); ihr Geräusch ist natürlich nicht sehr laut (vgl. auch unten). – στεφανοῦτο | ἡ σορός Für die Niederlegung von Kränzen auch auf Särgen und Grabmälern cf. Soph. El. 893ss. ἐπεὶ γὰρ ἦλθον πατρὸς ἀρχαῖον τάφον, | ὁρῶ … | περιστεφῇ κύκλῳ | πάντων ὅσ’ ἐστὶν ἀνθέων θήκην πατρός. – τὸν φακὸν ›Linse; Linsenbrei‹. Diese Lesart ist als lectio difficilior gegenüber τάφον klar vorzuziehen. Als Leichenmahl sind Linsen bezeugt bei Plut. Crass. 29,6 φακοὺς καὶ ἅλας, ἃ νομίζουσιν ῾Ρωμαῖοι πένθιμα. Obwohl seit Jacobs in den Besprechungen dieses Gedichts immer auch wieder Bohnen mit ins Spiel gebracht werden und die Bemerkung des Festus s.v. faba angeführt wird, dass der flamen dialis Bohnen weder essen noch gar berühren darf – putatur ad mortuos pertinere –, scheinen die beiden Dinge (φακός und κύαμος) und die darauf bezogenen Bemerkungen bei Plutarch und Festus doch nicht direkt vergleichbar zu sein; vgl. auch Athen. 4,158e. – ηὐτρέπισαν εὐτρεπίζω findet sich im militärisch-strategischen Vokabular (cf. Aubreton), aber auch im medizinischen Bereich (LSJ s.v. I 2, ›treat‹). Ohne Zweifel ist pure Intertextualität das entscheidende determinierende Moment für den Humor in AP 11,119. Wie in nur wenigen vergleichbaren Fällen ist hier die Vertrautheit des Rezipienten mit mindestens einem der Vorbilder, sinnvollerweise aber gleich mit beiden (und das wohl am ehesten in schriftlicher Form), Voraussetzung dafür, am intellektuell-intertextuellen Spiel teilhaben zu können. In seinen Einzelheiten hat dieses Pierre Laurens erschlossen, auf dessen m.E. sehr treffenden Beobachtungen das Folgende im wesentlichen beruht.64 Vorlage für AP 11,119 ist ein anonymes Athletenepigramm APl 16,53 auf den Läufer Ladas, dessen 2. Distichon nicht nur aufgrund der hier bespro-

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chenen Parodie, sondern auch des Vorhandenseins der gleichen Vokabeln in Prosastellen im Zusammenhang mit Ladas glaubwürdig von Laurens rekonstruiert ist: Τὸ στάδιον Λᾴδας65 εἴθ᾽ ἥλατο, εἴτε διέπτη, οὐδὲ φράσαι δυνατόν· δαιμόνιον τὸ τάχος. 〈ὁ ψόφος ἦν ὕσπληγος ἐν οὔασι καὶ στεφανοῦτο Λᾴδας, οἱ δ’ ἄλλοι δάκτυλον οὐ προέβαν.〉 Ob Ladas das Stadion durcheilt oder durchflogen, das ist unmöglich zu sagen: wunderlich ist die Geschwindigkeit.

Eine erste Parodie dieses Epigramms findet sich in der AP unter dem Namen des Lukillios (11,86): Τὸ στάδιον Περικλῆς εἴτ’ ἔδραμεν εἴτ’ ἐκάθητο, οὐδεὶς οἶδεν ὅλως· δαιμόνιος βραδυτής. ὁ ψόφος ἦν ὕσπληγος ἐν οὔασι, καὶ στεφανοῦτο ἄλλος, καὶ Περικλῆς δάκτυλον οὐ προέβη. Ob Perikles das Stadion durchrannt oder durchsessen, keiner weiß es genau: wunderlich ist die Langsamkeit. Der Klang der Barriere war noch in den Ohren, und wurde bekränzt – ein anderer, Perikles war noch keinen Zentimeter vorangekommen.

In diesem Fall ist unter Einsatz der Technik der inversio aus dem ehemaligen Siegeslob ein Spottepigramm auf einen extrem langsamen Läufer geworden: diese Umkehr traditioneller Formen der Huldigung ist bei Athletenepigrammen sehr beliebt.66 Gerade auch wenn man Laurens’ Rekonstruktion für APl 16,53 akzeptiert, kommt die für Parodien allgemein so wichtige Feststellung zum Tragen, dass für den Übergang von Prätext zu Phänotext möglichst kleine Änderungen vorgenommen werden sollten.67 Für den langsamen Läufer wird ein altehrwürdiger Name gewählt; βραδυτής fügt sich idealerweise an die selbe metrische Stelle wie τὸ τάχος, und mirakulös (δαιμόνιον) sind sie beide, Ladas wie Perikles. Das Subjekt des Original-Epigramms, Ladas, das mit einiger Sicherheit zwecks Steigerung des solemnen Charakters mit Enjambement in die letzte Zeile genommen wurde, so dass es zu den nur an 64 Laurens 1973. 65 So Jacobs, Laurens : Λᾴδας τὸ στάδιον Pl. 66 Dazu s. die sehr sorgfältige, auf breiter Kenntnis epigraphischen Materials basierende Zusammenstellung von Robert 1967; für dieses Epigramm 278s. 67 Laurens 1973: 94 ›la loi de la parodie, qui veut que l’on utilise le maximum de mots de l’original‹.

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zweiter Stelle stehenden Gegnern (οἱ ἄλλοι) in wirkungsvollem Kontrast steht, hat in der Parodie genau diesen Platz eingebüßt. So nimmt in AP 11,86 die erste Position der ἄλλος ein: er erhält überraschenderweise den Kranz, während der Läufer Perikles keinen δάκτυλος vorankam. In Zeile 2 wäre der Wechsel von οὐδὲ φράσαι δυνατόν zu οὐδεὶς οἶδεν ὅλως vom inhaltlichen Standpunkt her nicht einmal notwendig: man wird ihn dem Bedürfnis nach variatio zurechnen. Während der komische Effekt von 11,86 somit auf der Umkehr des ursprünglich ernsten Inhalts ins genaue Gegenteil (Inversion) beruht, geht Nikarch mit seiner Parodie 11,119 noch einen Schritt weiter, indem er unter Beibehaltung der Struktur und möglichst viel Übereinstimmung im Vokabular mit dem Vorbild dieses in einen völlig neuen Kontext stellt (Transposition). Es handelt sich bei Nikarch demnach nicht um eine Parodie von 11,86,68 sondern wie auch bei 11,86 selbst um eine Parodie von 16,53. Vieles spricht allerdings dafür, den Beitrag Nikarchs als weiteren Vorschlag zu sehen, was aus der Vorlage sonst noch zu gewinnen wäre, was nichts anderes bedeuten würde, als dass Nikarch mit der Parodie des Lukillios ebenfalls vertraut war und daraus auch das Potential für ein eigenes Produkt ableitete, das sich davon in entscheidenden Punkten absetzen sollte. Die besondere Leichtigkeit, zwei Untergattungen von Epigrammen, die auch sonst im skoptischen Bereich begegnen, in diesem Falle Athleten- und Arztepigramm, auf neue, überraschende Art miteinander zu verbinden, scheint geradezu typisch für ihn.69 Die Spur der Vorlage fügt sich in einem Fall bei Nikarch trotz stärkerer Veränderung des Kontextes sogar besser in das neue Umfeld als bei Lukillios: Die Hyperbole, dass das Geräusch der Startvorrichtung noch in den Ohren klang, als … ein anderer den Siegeskranz erhielt, hat in der Parodie im Grunde ihre Kraft verloren, wenn man sie nicht gerade mit der Vorstellung ihrer Wirkung im Original liest, ja sie hat sogar etwas leicht Befremdliches. Dass diejenigen, die das Totenmahl vorbereiten, noch das Geräusch der Klistierspritze in den Ohren haben, wie es bei Nikarch heißt, ist zwar eine unglaublich absurde Hyperbole, aber als solche folgerichtig: Sie unterstreicht die unheimliche Geschwindigkeit, mit der sich die unheilvolle Wirkung des Arztes manifestiert – und übertrifft dabei das Bild, in welchem bereits die unglaubliche Geschwindigkeit des Athleten hyperbolisch gesteigert war. Die 68 So etwas unsorgfältig Beckby ad 11,119, obwohl er ad 11,86 auch auf 16,53 hinweist. Auch Schulte ad loc. spricht von einer ›Parodie auf XI 86‹ und sagt nur kurz darauf: ›XVI 53 (Anonym) scheint die ernstgemeinte Vorlage für beide Epigramme zu sein‹. Zur Beziehung zwischen 11,86 und 119 ist zweifellos Laurens 1973: 92 recht zu geben, der klärend festhält: ›On parodie une pièce sérieuse déjà célèbre, une première parodie en engendre une deuxième: quel sel y aurait-il à parodier une parodie?‹. 69 Dazu s. Einleitung, Kap. II p. 28s.

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mit dem Enjambement am Beginn von Zeile 4 verbundene besondere Überraschung liegt dieses Mal in der Tatsache, dass es gar kein Mensch ist, der bekränzt wird, sondern ein Sarg. Wie schon in den vorher besprochenen Epigrammen ist die Wirkung des Arztes nicht in seinem Handeln, sondern im Resultat, nämlich den Todesopfern sichtbar: der Arzt entspricht auch hier einer gottgleichen Unheilsmacht, mit der die Begegnung, gleich welcher Art, immer mit fatalen Folgen verbunden ist. Anders stehen die Dinge in den beiden letzten in diesem Kapitel zu besprechenden Epigrammen, in welchen der Arzt durchaus als Handelnder dargestellt ist, aber sein Entscheid vollständig falsch ist. e. AP 11,120 Ὀρθῶσαι τὸν κυρτὸν ὑποσχόμενος Διόδωρον Σωκλῆς τετραπέδους τρεῖς ἐπέθηκε λίθους τοῦ κυρτοῦ στιβαροὺς ἐπὶ τὴν ῥάχιν· ἀλλὰ πιεσθεὶς τέθνηκεν, γέγονεν δ’ ὀρθότερος κανόνος. Pl.: IIa,22,9 f. 24r. – Tit. τοῦ αὐτοῦ Nicarcho Pl, perperam Stratoni trib. P (vide sub 11,118) || 3 κυρτοῦ P post corr. Pl : κοτοῦ P ante corr.

Geradezurichten den krummen Diodoros hatte Sokles versprochen: Er legte drei vierflächige Quadersteine – mächtige! – auf das Rückgrat des Buckligen. Doch zerdrückt starb er. Immerhin ist er gerader als ein Lineal geworden.

Worterklärungen: 1 ὀρθῶσαι Typischerweise steht auch in diesem Epigramm das Wort, das sich als ›roter Faden‹ erweisen wird, unmittelbar am Beginn. Die Grundbedeutungen von ὀρθόω sind: (1) ›aufrichten‹, (2) ›gerade richten‹, (3) ›in die richtige Position rücken‹. In der medizinischen Terminologie ist, wie zahlreiche Beispiele aus den hippokratischen Schriften zeigen, die Verwendung (3) häufig. Vgl. im übrigen auch Gal. de const. ad Patroph. p. 264 Kühn ἀλλὰ τινὰ μὲν τῇ φύσει, τινὰ δὲ τοῖς ἰατροῖς ἐστιν ἀδύνατα. τῇ φύσει μὲν ὀστοῦν κατεαγὸς, ὡς παραλλάττειν αὐτοῦ τὰ μόρια καὶ διεστρέφθαι τὸ κῶλον, ἀδύνατον ὀρθῶσαι καὶ διαπλάσαι, τῷ δὲ ἰατρῷ δυνατόν. οὕτω δὲ καὶ τὸ παραρθρῆσαν ἰατρῷ μὲν ἐμβαλεῖν δυνατὸν, ἀδύνατον δὲ τῇ φύσει. – τὸν κυρτόν bezeichnet zunächst einmal die konvexe Rundung; cf. Il. 4,426 κυρτὸν κῦμα; dann in Zusammenhang mit dem menschl. Körper Il. 2,217s. τὼ δέ οἱ ὤμω | κυρτώ; Jul. or. 6,201b τὸ κυρτὸν τῶν ὤμων; als Adj. (›bucklig‹) verwendet in PFay. 121,14s. πα̣[ρὰ τοῦ] κυρτοῦ βυρσέως. – ὑποσχόμενος bringt ein zusätzliches Moment der (An-)Spannung in die Erzählung: Der Arzt ist durch sein Versprechen gebunden; er muss also den Buckel um jeden Preis gerade richten. Die Notwendigkeit zu erfüllen, was er versprochen hatte, schafft für ihn einen Zwang, der im Rezipienten an dieser Stelle bereits schlimme Vor-

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ahnungen über das Resultat erwecken mag. – Διόδωρον Dieser Name begegnet in der Spottepigramatik in verschiedensten Zusammenhängen, und es ist in der Regel keine Anspielung ersichtlich, aus der sich in der jeweiligen Situation ein Witz gewinnen ließe. In diesem Falle liegt er vielleicht darin, dass ausgerechnet einer, der sich ›Geschenk des / für Zeus‹ nennt, einen buckligen Körper besitzt. In der Syntax liegt ein spielerischer Einsatz eines Hyperbatons vor: κυρτὸς Διόδωρος ist unzweideutig direktes Objekt von ὀρθῶσαι: dies scheint auffällig, denn erwarten würde man Διοδώρῳ als indirektes Obj. zu ὑποσχόμενος, was zumindest vom Metrum her unproblematisch wäre. Der Arzt versprach (in der Öffentlichkeit?), den buckligen Diodorus gerade zu richten – ob er es Diodorus selbst versprach, wird dabei aber offen gelassen.70 2 Σωκλῆς Hier liegt wiederum mit der Assoziation von σῴζω zweifellos ein ›sprechender Name‹ vor: der Arzt ist ein ›berühmter Retter‹ (vgl. in 11,118 Φείδων). – τετραπέδους τρεῖς ἐπέθηκε λίθους Die überraschende Detailtreue, ebenso wie die darin mitenthaltene Zahlenspielerei, tragen mit zum komischen Effekt bei. Im Hintergrund stehen aber sehr realistische Praktiken (vgl. dazu weiter unten). -πέδους lässt möglicherweise die Tatsache durchklingen, dass Ärzte für gewisse Therapiemethoden an der Wirbelsäule auch ihre Füße einsetzten. Zu τετράπεδοι λίθοι ›Steinquader‹ (LSJ I 2) vgl. Diod. 20,95; manchmal ist die Bedeutung auch ›vier Fuß groß‹, s. Polyb. 8,4,4: der Aspekt besonderer Größe könnte auch hier mitschwingen. Angesichts der Evidenz von AP 8,179 (Gregor v. Nazianz), wo das Wort im Sepulkralkontext gebraucht ist, ist ferner zu fragen, ob hier auch schon eine Anspielung auf ein Grabmal gesehen werden soll. 3 στιβαροὺς ›massig, gewichtig‹. Das Wort stammt aus dem epischen Repertoire, unterstreicht also noch zusätzlich den gewichtigen Inhalt. Zu λίθος στιβαρὸς vgl. Dioskorid. mat. med. 5,143, wo diese Eigenschaft dem Serpentin zugewiesen wird (λίθος ὀφίτης). – ῥάχιν Vgl. Aristot. Hist. An. 516a11 σύγκειται ἡ ῥάχις ἐκ σφονδύλων, τείνει δ’ ἀπὸ τῆς κεφαλῆς μέχρι πρὸς τὰ ἰσχία. – πιεσθείς Wie zahlreiche Stellen im Corpus Hippocraticum zeigen (u.a. De fract. 5; dort finden sich üblicherweise Formen wie πεπίεγμαι, ἐπιέχθην, etc.), gehört dieses Verb durchaus zum medizinischen Inventar, wenn es um die Behandlung von Frakturen und auch um das ›Richten‹ von Rückenschäden geht (vgl. die weiter unten erwähnte Passage de articulis 46). In der Steigerung des Spottepigramms ist es nur ein kleiner gedanklicher Schritt von ›fest drücken‹ zu ›zerdrücken‹. 4 τέθνηκεν Schulte weist mit Recht auf die Stellung des Verbs (mit Enjambement vorbereitet) hin: ›Im Grabepigramm stehen genretypische 70 Insofern ist Aubretons Übersetzung (›Suite à sa promesse de redresser la bosse de Diodore …‹) näher beim Original als diejenige von Schulte (›Nachdem Sokles dem Diodoros versprochen hatte, seinen Buckel geradezurichten …‹).

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Wörter gerne an markierter Versstelle‹. Sehr deutlich (allerdings z. B. nicht vermerkt bei Rozema ad loc.) ist dieses Spiel mit dem Genus des Grabepigramms in AP 11,133 (Lukillios), wo τέθνηκεν gleich am Beginn steht; danach wird auf das Motiv des unbegabten Musikers eingeschwenkt. In unserem Epigramm wird durch das bis zu Beginn der letzten Zeile zurückgehaltene Verb eine erste Pointe erreicht, die danach noch durch eine zweite (Diodoros ist vollkommen ὀρθός) überboten wird. – ὀρθότερος κανόνος Das Oxymoron ergibt sich aus der Bedeutungsverengung, die im Vergleich zum in Z. 1 (ὀρθῶσαι) noch möglichen Spektrum stattgefunden hat: hier wird der Fokus einzig noch auf den Aspekt der Geradheit gelegt und diese per se absolute Eigenschaft auch noch gesteigert (Adynaton), wie der Vergleich mit dem κανών (›Richtschnur‹; ›Messstab‹, konkr. auch ›Lineal‹) zeigt. Dieses Gedicht behandelt nicht wie die bereits besprochenen Beispiele allgemein die verderbliche Wirkung, die von einem Arzt als Person ausgeht. Vielmehr beschreibt es in satirischer Weise eine konkrete Behandlung, bei der der Rücken eines Patienten gerade gerichtet werden soll. Zweifellos schimmert hier denn auch stärker der reale Hintergrund medizinischer Praktiken durch. Wie die Texte zeigen, wurden Rückgratverkrümmungen jeweils als Verschiebung der Wirbelgelenke, hervorgerufen z. B. durch innere Krankheiten, angesehen. Die Behandlung dieser Art von Leiden ist besonders ausführlich in einem hippokratischen Buch ›Über die Einrenkung von Gliedern‹ (de articulis reponendis) beschrieben. Selbstverständlich entspringt die Idee vom Auflegen von schweren Steinquadern humorvoller Phantasie, doch waren die Methoden in diesen Fällen tatsächlich nicht gerade zimperlich. In der genannten Schrift finden sich immerhin auch Reflexionen über die geringen Erfolgsaussichten bei Rückenschäden, insbesondere heißt es in Kap. 46, dass die Verschiebung von Wirbeln so selten und nur unter starker äußerer Gewalteinwirkung vorkommt, dass für den Arzt ein direkter Eingriff in den seltensten Fällen sinnvoll ist. In Kap. 47 folgt die Beschreibung der Methoden, welche der Beseitigung von Buckeln dienen sollen. Den Versuch, dem Problem mittels Druck und Zug zu begegnen (Extensionsverfahren), illustriert die Praxis des sog. Schlingentisches: der Patient wurde bäuchlings auf eine ebene Unterlage gelegt und mit Bändern und Schlingen, die ihrerseits mit hebelartig einsetzbaren Stäben verbunden waren, an Schultern und Extremitäten festgehalten. Zusätzlich zur eigentlichen Streckung übte der Arzt auch unter Zuhilfenahme seiner Füße vorsichtig Druck auf die zu therapierende Stelle aus. Von hier aus ist es leicht vorstellbar, wie komische Übertreibung zur Vorstellung der Steinblöcke führen konnte. Im selben Kapitel wird auch ein allerdings als misslungen bezeichneter Versuch erwähnt, den Patienten in Rückenlage mit einem mit Luft gewölbten Schlauch gerade zu richten. Besonderen Bekanntheitsgrad erhielt ferner die Methode, nach welcher der Patient an eine Leiter gebunden, auf eine gewisse Höhe gehoben und

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dann ruckartig fallengelassen wurde, wobei der Buckel durch den Aufprall gewissermaßen zurück korrigiert werden sollte (de art. 42). Der Verfasser der hippokratischen Schrift nimmt hier dieser Heilungsmethode gegenüber eine distanzierte Stellung ein: sie diene mehr dazu, in der Menge Staunen hervorzurufen (ἐκχαυνοῦν τὸν πολὺν ὄχλον) als dass sie wirklich etwas nütze. Aus dieser Stelle ist ersichtlich, wie ernstgemeinte Polemik gegenüber Scharlatanerie in der Darstellung absurder Heilungsmethoden von den Gepflogenheiten im Spottepigramm im Grunde gar nicht allzuweit entfernt ist; allerdings spricht alles dafür, dass die ›Leitermethode‹ durchaus nicht nur der Phantasie des Verfassers zuzuschreiben ist, sondern verbreitete Realität war.71 Um von den Realien zurück zur Darstellung des Vorfalls in AP 11,120 zu gelangen, so erscheint (wie bereits oben erwähnt) besonders auffällig, dass das Handeln des Arztes gleich von Beginn weg an ein Versprechen gebunden ist: ὀρθῶσαι τὸν κυρτὸν ὑποσχόμενος Διόδωρον. Dieser Zwang, ein bestimmtes Resultat durch die Behandlung auf jeden Fall erreichen zu müssen, wirft ein eigenartiges Licht auf Sokles: die von vornherein getroffene ›Abmachung‹ erinnert wie oben gesehen eher an marktschreierische Verkaufsstrategien und Zurschaustellung der eigenen Fähigkeiten, wie sie auch sonst in den hippokratischen Schriften weniger seriösen Ärzten gerne vorgeworfen werden und in klarem Gegensatz zu den besonnenen Überlegungen des ganz zu Beginn des Kapitels zitierten Autors stehen, wonach das jeweils Mögliche zu versuchen sei, aber immer auch unter Abschätzung der realistischen Erfolgsaussichten bzw. der Verantwortbarkeit eines Eingriffs. Hier setzt der Witz an: Wie auch Ehrhardt bemerkt hat, liegt er in der ›Tatsache, dass zwischen dem Ende einer Therapie und ihrem Erfolg nicht unbedingt unterschieden wird‹.72 Der Erfolg ist hier eingetreten, und zwar ironischerweise in noch größerer Perfektion als man ihn hätte erwarten dürfen: γέγονεν δ’ ὀρθότερος κανόνος. Dass der Patient dabei gestorben ist, ist Nebensache; worauf es ankommt, ist, dass das Versprechen erfüllt ist. Man könnte sich als Szenerie geradezu eine versammelte Zuschauerschar vorstellen, vor der Sokles lauthals verkündet: ›Wetten, dass es mir gelingt, den krummen Diodoros wieder gerade zu machen …?‹ Es ist keine Frage, dass er seinen Zuschauern nichts schuldig bleiben wird – und dies auf Kosten des Patienten. Mit dem Motiv des Versprechens eng verbunden ist das Spiel mit dem Begriff ὀρθός. Das Verbum ὀρθῶσαι steht am Beginn des Epigramms, mit der Hyperbel ὀρθότερος κανόνος endet es. Dabei findet fast unmerklich eine Verschiebung von der spezielleren Bedeutung ›in die richtige Position rü-

71 Sie wird schon in Kap. 7 derselben Schrift genannt, dort ohne irgendwelche kritische Bemerkungen. 72 Ehrhardt 1975: 89.

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cken‹ (s. Lemma oben: (3)) zu (2) ›gerade richten‹ statt. Wohl entspricht hier ›anatomisch richtig‹ auch einem ›gerade‹, insofern als der Buckel eliminiert werden soll, es deckt sich aber gewiss nicht mit einem ›absolut gerade‹, in welches die Hyperbole hinausläuft. Man könnte daher sagen: der Witz operiert mit der Tatsache, dass der Arzt seine Aufgabe hyperkorrekt (und daher unangemessen) ausführt resp. den Begriff ὀρθός zu wörtlich nimmt und dadurch zum Vollzieher der Hyperbole wird: ›Gerader als ein Maßstab‹ ist wiederum eine Abweichung von der anatomisch ›richtigen Position‹, bloß dieses Mal in die andere Richtung (ist κάνων gar eine versteckte Anspielung auf rigor mortis? Hinw. von P. Parsons). Wie üblich bei den Arztepigrammen steht das Genus der Sepulkralepigramme als Bezugsgröße besonders nahe. Anders als etwa in AP 11,124, wo die Anklänge am Anfang klar erkennbar sind, ist dies bei 11,120 erst am Übergang von Zeile 3 zu 4 gegeben. Der Umstand, dass der Begriff τέθνηκεν bis zum Beginn der letzten Zeile hinausgezögert wird, wurde schon oben erwähnt. An dieser Stelle angelangt, kann man die Schilderung im ersten Teil des Epigramms rückwirkend als typisches Element eines Grabgedichts lesen: nämlich die Schilderung der unglücklichen Umstände, die zum Tod führten. Dabei handelt es sich allerdings nicht um höhere Gewalt bzw. tragisches Zusammenspiel unglücklicher Faktoren, sondern ganz konkretes ärztliches Versagen und Brutalität. Mit dem letzten Beispiel dieser Reihe erfahren wir noch von einer weiteren potentiellen Eigenschaft des todbringenden Arztes, die in den anderen Epigrammen nicht thematisiert war: die Kunst, sich nach offensichtlichen Fehlern herauszureden. Dieses Motiv zeichnet den Arzt als Menschen mit all seinen Schwächen, der diese aber mit geschickter Argumentationskunst zu vertuschen vermag. Stellt man einem solchen Epigramm Gedichte wie AP 11,118 oder 123 gegenüber, wo der Arzt als gottgleicher Anti-Asklepios und schon aus der Ferne wirkt, so sieht man, in welch verschiedene Richtungen das Zerrbild gehen kann. Eine ganz ähnliche Situation eines argumentativ versierten Arztes begegnet auch in der bereits in der Einleitung (p. 109) zitierten Anekdote im Philogelos 176 (für den Text s. dort). f. AP 11,121 Χειρουργῶν ἔσφαξεν Ἀκεστορίδην Ἀγέλαος· »Ζῶν γὰρ χωλεύειν,« φησίν, »ἔμελλε τάλας.« Pl.: IIa,22,10 f. 24r. – Tit. τοῦ αὐτοῦ Nicarcho Pl, perperam Stratoni trib. P (vide sub 11,118)

Während einer Operation schlachtete Agelaos den Akestorides ab. »Hätte er weitergelebt,« sprach er, »wäre es dem Armen ja bestimmt gewesen, gelähmt zu sein«.

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Worterklärungen: 1 χειρουργῶν Das Verb bedeutet zunächst allg. ›mit der Hand aus-/bearbeiten, ausführen‹; im Corpus Hippocraticum und bei Galen besitzt es die in moderner Zeit geläufige Spezialbedeutung ›operieren‹. Neben dem medizinischen Terminus steht ἔσφαξεν in komischem Kontrast. – Ἀκεστορίδην Schulte weist auf das Spiel mit ἀκέομαι ›heilen‹ hin. Merkwürdig ist hier aber die Tatsache, dass es der Patient ist, der diesen Namen trägt. Der Bildetyp weist den Namen als Patronymikon aus: es handelt sich um einen Sohn des Ἀκέστωρ – besteht die Ironie darin, dass es ein Arztsohn ist, der hier zum Opfer wird? – Ἀγέλαος Von Schulte übersetzt als ›der Volk aufhäufende‹ – was mir nicht ganz verständlich ist. Vielmehr ist es doch wohl der, der das Volk ἄγει . 2 τάλας Das Adjektiv markiert so etwas wie professionelles Mitleid; dieses wird zum ›Argument‹, dass dem gegenüber der Tod das geringere Übel war. Dabei wird die eine Aussicht χωλεύειν … ἔμελλε durch die Wortwahl wie etwas Unausweichliches, vom Schicksal Verhängtes dargestellt (μέλλειν gehört u. a. zum Vokabular der Mantik, cf. AP 11,161,2; 163,3). Durch diesen Kunstgriff wird geschickt überspielt, dass der Arzt für das χωλεύειν genauso verantwortlich gewesen wäre wie für das σφάττειν. Die Interpretation Brechts (1930: 47), wonach sich der Chirurg verpflichtet glaube, ›den Lahmen zu töten – weil dieser es im Leben doch nicht gut gehabt habe‹, trifft daher den Punkt nicht, ja verkennt den Witz in seiner effektiven Schärfe. Viel eher drängt sich der Verdacht auf, dass es um (Spontan)euthanasie geht, insofern als der Arzt feststellt, dass er selber die Lähmung des Patienten hervorgerufen hat, und nun sich aus scheinbarer ›Menschenfreundlichkeit‹ entscheidet, ihn sterben zu lassen, weil der Tod besser als Lähmung sei (dies die Deutung bei Ehrhardt 1975: 18). Der Arzt entschuldigt also seinen fatalen Fehler, indem er ihn im Vergleich zum Tod relativiert und dabei eine Formulierung wählt, nach der die Lähmung nicht auf ein eigenes Verschulden zurückgeht, sondern wie ein Leiden tönt, aus dem er sein Opfer gar noch ›erlöst‹ hat. Dies erst streicht die Ironie des letzten Wortes τάλας so richtig heraus; der Arzt selber erscheint in einem schillernden Licht, und es ergibt sich eine ›dämonische‹ Dimension, die sich von derjenigen in den zuvor in diesem Kapitel besprochenen Epigrammen durchaus noch abhebt.

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I.2. Epigramme auf gealterte Hetären (εἰς γραίας)

a. AP 11,71 Ἤκμασε Νικονόη· κἀγὼ λέγω· ἤκμασε δ’ αὐτή, ἡνίκα Δευκαλίων ἄπλετον εἶδεν ὕδωρ. ταῦτα μὲν οὖν ἡμεῖς οὐκ οἴδαμεν, ἀλλ’ ὅτι ταύτην οὐκ ἄνδρα ζητεῖν νῦν ἔδει, ἀλλὰ τάφον. Pl.: IIb,6,1 f. 87r. – Tit. Νικάρχου P (Lemma: εἰς γραῖαν B2) : om. Pl || 1 Νικονόη Pl Salmasius : Νεικονόη P || αὐτή Pl : ἀύτη (i. e. αὕτη ?) P || 2 εἶδεν Pl : ἴδεν P

Nikonoe stand in voller Blüte. Das ist auch meine Meinung: Sie stand in voller Blüte, als Deukalion die unermessliche Flut erblickte. Das nun wissen wir zwar nicht , wohl aber, dass diese heute keinen Mann suchen sollte, sondern ein Grab.

Worterklärungen: 1 ἤκμασε eine v. a. bei Hdt. beliebte Bildung für ἐν ἀκμῇ εἶναι, die für Personen ebenso wie für Sachen zur Bezeichnung eines qualitativen oder quantitativen Höhepunkts verwendet werden kann. Im Kontext der Epigramme v. a. von AP B. 5, 11 (im symposiastischen Teil, sowie in der Gegenperspektive im Spottepigramm) und 12 ist ἀκμή, wie weiter nicht verwunderlich, Chiffre für das erotisch-ästhetische Ideal, das in der zeitlich sehr limitierten körperlichen Makellosigkeit besteht (dazu cf. Richlin 1983: 44ss.), welche es nicht zu verpassen gilt (ὁ καιρός); vgl. a. Suda α 901, s.v. Ἀκμάζει· νεάζει. Cf. AP 5,70; vorzeitige Todesfälle: 7,188; 221; 466 (junger Mann), 476; mit der Schiffsmetapher 10,2; 100; 11,36; 53; pueri: 12,3; 4; 14; 65 (Ganymedes); 93; 197 (mit der Aufforderung ›Καιρὸν γνῶθι‹), 205; 233; 16,182 (von Kypris), sowie unten 5,38 mit Anm.; cf. auch παρθένον ὡραίαν in POxy. 4502,2. – Das Gegenkonzept des Ideals ist τὸ αἰσχρὸν, ἄκαιρον etc. (cf. Siems 1974: pass.). – Νικονόη Der Name mag die Vorstellung einer gebildeten Kurtisane erwecken, deren erotische Attraktivität durch Intellekt, mit dem sie andere (Konkurrentinnen?) übertreffen soll, gesteigert wurde (doch vgl. Reinsberg 1989: 158ss., die hinsichtlich Hetären, die wegen ihrer feinen Bildung in Ansehen standen, skeptisch ist); cf. Ἀριστο-νόη in 5,53. Die Kommentare nennen im übrigen die in 6,292 (Hedylos) genannte Hetäre Nikonoe, die nach dem Sieg in einem Schönheitswettbewerb Priap ein Weihgeschenk darbrachte, als mögliches Vorbild. Dieses Epigramm stellt seinerseits ein interessantes Beispiel von Kreuzung der Gattungen dar (Erotika / Anathematika; je nach Textgestalt auch skoptisch: der

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I.2. Epigramme auf gealterte Hetären (εἰς γραίας)

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überlieferte Text ist mit schwierigen Problemen behaftet; cf. Galli Calderini 1984: 83ss.). – Daneben ist der Name aber auch in der Realwelt verankert, wie sich aus dem LGPN ergibt: er findet sich zweimal in thessalischen Inschriften. Damit ist er vielleicht sogar eine ägyptische Realität: zur Verbreitung makedonischer und thrakischer Namen als ptolemäisches Erbe in Ägypten s. Clarysse 1998: 1ss. Stand demnach der Name Nikonoe in diesem Fall doch für eine reale (d. h. nicht-literarische) Person? – κἀγὼ λέγω Zu den Kolloquialismen, die den Eindruck einer fiktiven Gesprächssituation schaffen, vgl. Einleitung p. 31s. und 33; ähnlich Epikt. 2,4,8. – αὐτή Ich folge hier dem consensus der Editoren, die sich für die Variante in der Planudea entscheiden (die Wahl des Pronomens erscheint mir nach dem Subjektswechsel in κἀγὼ unverdächtig). Die AP suggeriert dagegen ein αὕτη, das folgendermaßen zu verstehen wäre: ›diese blühte , als …‹ Eine solche Verdeutlichung halte ich an dieser Stelle nicht für zwingend; im Gegenteil, sie verhindert die Möglichkeit, die Aussage ἤκμασε Νικονόη in ironischer Ausdeutung auf die Urzeit eingeschränkt zu lesen (s. unten). 2 Δευκαλίων steht als Symbol für die weitest vorstellbar zurückliegende Urzeit; vgl. auch AP 11,67 (Myrinos), wo die Alte Δευκαλίωνος ἀδελφή genannt wird (zu mythischen Namen s. auch unten). Teilweise wird daneben Deukalion persönlich für die Flut und die damit verbundene verheerende Wirkung auf das Menschengeschlecht verantwortlich gemacht: cf. 11,131 (Lukillios; cf. Rozema 1971: 163: ›an awkward brachy[o]logy‹) sowie 19 (Straton; = nr. 99 Floridi; hier fehlt der erste Aspekt, vielmehr ist Deukalions Wirkung ›zeitlos‹), je mit Aubretons Komm. – Ein interessanter Aspekt, nämlich das Zeitalter Deukalions als eines der natürlichen Ungezwungenheit beider Geschlechter (die sich leicht in malam partem ausdeuten lässt), findet sich bei Iuv. 1,81ss. (84 et maribus nudas ostendit Pyrrha puellas); hier könnte eine ähnliche Assoziation mitspielen. 3 ταῦτα Für eine Diskussion möglicher Bezüge cf. den folgenden Abschnitt. – οἴδαμεν Zum Ausgleich im Paradigma von οἶδα (seit hellenistischer Zeit) s. BDR § 99; Adrados 2001: 188. Im Gesamtvergleich der nikarchischen Epigramme zur gealterten Hetäre (zum Thema allg. Brecht 1930: 62ss.; Grassmann 1966: 5–34) darf vorliegendes Beispiel wohl als das einfachste bezeichnet werden. Wie die Mehrzahl der Gedichte anderer Autoren zum Thema stellt es in der Form einer ›EinstJetzt-Antithese‹ (Z. 2 Δευκαλίων vs. Z. 4 νῦν) die Diskrepanz zwischen lange zurückliegender ἀκμή und der Hoffnung, immer noch attraktiv zu wirken, fest. Allerdings ist letztere nur indirekt ausgedrückt: Die häufig in diesem Zusammenhang beschriebenen kosmetischen Versuche sind hier nicht genannt; der Vorwurf an die Alte, etwas Nutzloses und völlig Lächerliches zu tun, kommt erst in der letzten Zeile mit der brutal direkten Feststellung, dass sie keinen Mann, sondern ein Grab suchen müsste. Trotzdem zeigt auch

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Die wichtigsten Motivgruppen

dieses Epigramm einige bemerkenswerte Eigenheiten und Raffinessen. In der Sekundärliteratur wird es gerne als Vorbild für Martials langes Gedicht 3,93 erwähnt, wobei der Struktur der nikarchischen Variante, wie ich sie lieber bezeichnen möchte, dabei wenig Interesse entgegengebracht wird.73 In den weiter unten zu besprechenden Epigrammen wird sich geradezu als Spezialität Nikarchs abzeichnen, dass in die Darstellung der grotesken Alten die Perspektive der männlichen Freier (mit der entsprechenden Erfahrung) integriert ist, die die liebeshungrige Alte auch durchaus noch positiv beurteilen; daraus ergeben sich teilweise die dort intendierten Überraschungseffekte.74 Auch das vorliegende Epigramm operiert mit einer textimmanenten Person in der 1. Sg. (κἀγὼ λέγω),75 was – wie ebenfalls die vergleichbaren Epigramme zum Thema zeigen – keineswegs selbstverständlich ist. Hier kommt dieses Ich allerdings letztlich zu einem distanzierten Urteil und entspricht so eher der Vorstellung des textexternen Lesers. Das Epigramm beginnt (wie auch 11,73; s. unten) mit einer Kürzestsentenz, kürzer als die meisten der für Nikarch typischen einleitenden Hauptsätze (cf. Einleitung p. 32). Sie ist in ihrem Inhalt zunächst offen, denn mit ἤκμασε Νικονόη könnte z. B. eine neutrale Erzählung (das Tempus ist ἀ-όριστον) oder auch eine sehnsüchtige Erinnerung an vergangene Schönheit in der Art von klassischen erotischen Epigrammen76 eingeleitet sein. Die Sentenz wird daraufhin gleich wieder aufgegriffen und bestätigt, doch, wie sich zeigt, in modifizierter Form (›ja, richtig, und zwar …‹). Das Unerwartete besteht in der ›Festlegung‹ der Gültigkeit des Satzes weit zurück in der Urzeit, wodurch eine erste Pointe gewonnen ist. Gleichzeitig ist damit aber auch erst mit definitiver Sicherheit ersichtlich, von welchem ›Problem‹ das Epigramm handelt: Thema und Genus sind erst jetzt festgelegt – zuvor konnte man in der Tat noch denken, es handle sich um ein erotisches Epigramm. Die Verlegung des Zeitpunkts der ›Blüte‹ Nikonoes in die Uranfänge der Menschheit durch Nennung der damit verbundenen mythischen Figur ist eine Strategie, die an die auch sonst im Spottepigramm beliebte Wahl mythischer Namen für die Alte erinnert. Die Beispiele für Deukalion wurden oben genannt; außerdem findet sich bei Lukillios AP 11,69 das Wortspiel οὐ νέα, ἀλλὰ ῾Ρέα; ein anderer Vergleich in 11,408: οὔποτε φῦκος | καὶ ψίμυθος τεύξει τὴν Ἑκάβην Ἑλένην; von Κυτώταρις in 11,72 (Bassos Smyrnaios) 73 Prinz 1911: 66ss.; Longo 1967: 86 n. 11. Zur methodischen Problematik, die solchen vereinfachenden Gegenüberstellungen inhärent ist, vgl. die m. E. sehr berechtigten Bemerkungen von Merli 1993. 74 Das muss aber nicht gleichzeitig der auktoriellen Sicht im Epigramm entsprechen; cf. unten Fn. 81. 75 S. Einleitung p. 31s. 76 Cf. z. B. AP 5,76 (Rufinos).

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heißt es schließlich: δι’ ἣν Νέστωρ οὐκέτι πρεσβύτατος. Somit ist das Epigramm zweifellos in die vetula-Skoptik eingeschwenkt, doch die eher ausladende Formulierung (ἡνίκα Δευκαλίων ἄπλετον εἶδεν ὕδωρ) erregt Misstrauen, ob damit wirklich schon die ganze Aussage erfasst ist. Tatsächlich lässt m.E. der Vergleich mit AP 11,328,3, wo die Anspielung in diesem Sinne eindeutiger ist (ἧς … πολιὴν ἅλα ναιέμεν), zumindest die unterschwellige Deutung nicht ausschließen, dass hier Deukalion nicht nur zur ›Datierung‹, sondern als unmittelbarer Zeuge aus eigener Erfahrung von Nikonoes ἀκμή angeführt sein könnte …77 Eine solche Interpretation scheint mir auch durch die recht unbestimmte Formulierung anfangs des zweiten Satzes gestützt zu werden: ταῦτα μὲν οὖν ἡμεῖς οὐκ οἴδαμεν… . Der Frage, die sich hier unweigerlich stellt: wovon haben wir denn keine Kunde? scheint man bisher eher ausgewichen zu sein.78 Der Oberflächensinn liegt eindeutig in der Feststellung, dass wir uns nicht mehr in die längst vergangene Zeit Deukalions zurückversetzen können79 und somit auch die ἀκμή Nikonoes nicht mehr überprüfbar ist. Der Satz würde aber daneben sehr gut auch passen, wenn wir Deukalion im Sinne der geäußerten Vermutung noch stärker einbeziehen, dass er diese ἀκμή durchaus ›nutzte‹ – doch davon sind wir eben nicht Augenzeugen: es liegt im Dunkel der Vorzeit – und wir müssen das Urteil über Nikonoes Attraktivität Deukalion überlassen…! Die Pluralform kommt einer solchen ›mehrschichtigen‹ Lektüre entgegen und wäre problemlos erklärbar (›über all dies …‹). Im übrigen fällt bei einer solchen Lektüre auch auf Deukalion selbst ein besonderes Licht. Unbarmherzig folgt nun, was wir dagegen genau wissen, harte Realität: die Alte sucht offenbar immer noch; aber sie würde besser ihr Grab suchen (wobei τάφον pointiert als letztes Wort gesetzt ist)! Im Vergleich mit anderen Epigrammen ist dies hier sehr direkt ausgedrückt;80 in formaler Hinsicht ließe sich die οὐκ … ἀλλὰ-Antithese81 in der letzten Zeile als resümierende Wiederaufnahme (und Spiegelung) der auf die beiden Pentameter verteilten ›Einst-Jetzt-Antithese‹ beschreiben. Für die Schlusszeile und die darin enthaltene Antithese hat Elena Merli eine sehr attraktive Deutung formuliert, gemäß der der Kontrast zwischen bevorstehender Verbindung mit einem 77 Zum Bild der ›Seefahrt‹ für sexuelle Erfahrung (auch dort mit einer Alten, γραῦς) s. unten die Besprechung von 11,328. Immerhin scheint εἶδεν gegenüber dort verwendetem ναιέμεν weniger in diese Richtung zu weisen; aber übermäßige Akribie ist m.E. bei diesem Vergleich fehl am Platz. 78 Etwas unklar Schulte ad loc.: ›auf Deukalion bezogen‹, mit Verweis auf 5,39,4 ebenfalls mit Plural des Demonstrativpronomens, der dort aber keineswegs überrascht. 79 So Opsopaeus ad loc.: scilicet diluvium Deucalionis tempore factum. 80 Cf. Hor. carm. 3,15: maturo propior desine funeri inter ludere virgines. 81 Dazu vgl. a. Siedschlag 1977: 68 mit Beispielliste.

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Die wichtigsten Motivgruppen

Mann und Tod unter veränderten Vorzeichen einen Topos aufgreift, der in einer Gruppe von Grabepigrammen, aber auch in der Tragödie sowie später im griechischen Roman öfters begegnet:82 das Paradoxon der unmittelbaren Überlagerung von Hochzeits- und Todestag junger Frauen. Formal auffällig nahe stehen AP 7,182 (Meleager) Οὐ γάμον, ἀλλ’ Ἀΐδαν ἐπινυμφίδιον Κλεαρίστα | δέξατο …, sowie mit der Position des Wortes am Schluss des Epigramms AP 7,183 τὰς δὲ γαμούντων | ἐλπίδας οὐ θάλαμος κοίμισεν, ἀλλὰ τάφος (Parmenion).83 Dieses emotional stark aufgeladene Motiv des unzeitig frühen Todes eines Mädchens (ἄωρος) dient Nikarch nach der Transposition in den skoptischen Kontext somit zur Hervorhebung der Unzeitigkeit der (vermeintlichen) erotischen Anziehungskraft Nikonoes (sie ist keine παρθένος ὡραία mehr; das ἤκμασε der ersten Epigrammzeile ist weit zurückliegende Vergangenheit). Die ursprüngliche Bestürztheit über das Unfassbare wird dadurch zur brutalen Kälte einer karikaturistischen Überzeichnung des Absurden (vgl. für eine ähnliche Beobachtung auch unten Kap. I.4).84 Schließlich ist für die Beurteilung der Gesamtstruktur des Epigramms auch der Umstand von Bedeutung, dass dieses im Grunde erst hier, ganz am Schluss, so richtig deutlich in das ›Schema‹ des Spottepigramms auf lüsterne Hetären einbiegt – im ersten Teil befanden wir uns in der Vergangenheit, und es gab keine explizite Verbindung zu Nikonoes jetzigem Tun. In der letzten Zeile hingegen ist alles klar, die Hyperbel kommt erst jetzt voll zum Tragen, in dem zu Nikonoes Blüte in den Uranfängen (und zu ihrem möglicherweise damaligen Erfolg bei Deukalion) ihr stets noch nicht gestilltes Verlangen als Gegenpol gesetzt wird und somit ewige Dimensionen bekommt. Ein ›Einschwenken‹ Nikarchs in den traditionellen Motivcluster von einem eher ungewohnten Startpunkt aus werden wir in dieser wie auch in weiteren thematischen Gruppen noch häufig beobachten. b. AP 5,38 Εὐμεγέθης πείθει με καλὴ γυνή, ἄν τε καὶ ἀκμῆς ἅπτητ’, ἄν τε καὶ ᾖ, Σιμύλε, πρεσβυτέρη. ἡ μὲν γάρ με νέα περιλήψεται· ἡ δὲ παλαιή, γραῖά με καὶ ῥυσή, Σιμύλε, λειχάσεται. 82 Bspe.: Eur. Alc. 911ss.; IT 364ss., Heliod. Aithiop. 1,31,1; 2,29,4. – S. Merli 1993: 118ss. mit weiterer Literatur; zum Motiv vgl. a. T. Szepessy, ›The story of the girl who died on the day of her wedding‹, AAntHung 20 (1972), 341–57. 83 Merli 1993: 124s. Weitere Bspe. (vgl. ead.: 119): AP 7,188; 712. 84 Eine (hier nicht durchgeführte, aber ebenfalls gerne verfolgte) Variante dieser Topik besteht außerdem in der Feststellung, dass diese lüsternen Alten für andere zum Grab werden könnten. Cf. AP 5,204 (Meleager; wohl ein Muster für viele der späteren Variationen zum Thema), ebenfalls mit dem Gegensatz von früherer Schönheit und jetziger Hässlichkeit.

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Pl.: Ø. – Tit. Νικάρχου P (Lemma: ὅτι τὰς εὐμεγέθεις μᾶλλον δεῖ φιλεῖν l) || 2 ἄπτητ’ ἄν c : ἄπτηται P1 || 3 ἡ μὲν Guyet : η μεν c in marg. : ἦν μὲν P1 || ἡ δὲ Brunck85 : ἢν δὲ Gruter: ἦν δὲ P || 4 με P : τε Waltz || λειχάσεται Toup : λιχμάσεται Brunck : λαιχάσεται Heraeus (dub. Bain) : δικάσεται P

Eine großgewachsene, hübsche Frau reizt mich – ob sie mitten in ihrer Jugendblüte steht oder auch, Simylos, schon älter ist. Die junge nämlich wird mich umarmen, die Alte aber, Greisin und runzlig, wird mir, Simylos, – ein Leckerchen sein.

Worterklärungen: 1 εὐμεγέθης betont die großgewachsene, schlanke Statur (bei Homer ist μέγεθος die übliche Bezeichnung für ›Wuchs, Gestalt, Statur‹); cf. LSJ s.v. I.); vgl. insbes. für unseren Zusammenhang auch Aristot. Rhet. 1361a7 θηλειῶν δὲ ἀρετὴ σώματος μὲν κάλλος καὶ μέγεθος. Unzutreffend ist Schultes Behauptung ad loc., dass der Begriff sonst nur bei Sachen verwendet werde und heikel die daraus abgeleitete Folgerung, dass dieser ›ein bezeichnendes Licht auf Nikarchos’ Einstellung zu Frauen‹ werfe. Neben der gewichtigen Evidenz des Gebrauchs von μέγεθος im genannten Sinne sind für die Verwendung des Adjektivs zur Bezeichnung von Personen mit hoher Taille u. a. zu nennen (in chronolog. Ordnung): Fab. Aesop. 110 mit der Beischrift πρὸς ἄνδρα εὐμεγέθη μὲν σώματι, κατὰ ψυχὴν δὲ ἀλόγιστον (über Zeus, der Hermes beauftragt, den Menschen νοῦς einzuflößen); Aristoph. Byz. epit. 2 (596) Ἀρμένιοι δὲ σώματι εὐμεγέθεις εἰσὶ καὶ χρεμετιστικοί; direkt für den weiblichen Körper Soranus Gynaec. 2,19 (=Aët. Med. Iatr. 4,4) ἄνοσον, εὐεκτοῦσαν, εὐμεγέθη τῷ σώματι καὶ εὐχρουστέραν; ferner auch Lukian. Gall. 11 πέντε … νεανίσκοι εὐμεγέθεις, sowie Navig. 22 εὐμεγέθεις βάρβαροι. In allen Fällen handelt es sich wohl um ein rein äußerliches Kriterium (Körpergestalt), doch stehen in unserem Epigramm ja auch keine inneren Werte zur Diskussion; die Reduktion der Perspektive der Frau auf das Äußere kommt daher nicht überraschend. – Besonders nahe an unser Epigramm kommt Lukian. Dial. meretr. 1,1, über eine Konkurrentin: ἓν μόνον, εὐμήκης ἐστὶ καὶ ὀρθὴ καὶ μειδιᾷ πάνυ ἐπαγωγόν. Dasselbe Adj. noch bei Rufin (AP 5,76) als allerdings mit dem Alter schwindende weibliche Qualität. – πείθει im Sinne von ›reizen, ver85 So Dübner (die jüngeren Editionen erwähnen diese Lesart gar nicht mehr). Die Variante findet sich aber auch in Ms. 273 D’Orville der Bodleian Library Oxford, einem anonymen Apographon von P aus dem 17. Jh., also nahezu einem Jahrhundert vor Bruncks die Variae lectiones von P erstmals vollständig einschließender Edition (vgl. Beckby I 100 und oben Einleitung p. 19). Ms. 273 seinerseits geht auf ein Apographon zurück, das in Isaac Gruters Besitz war und Emendationen von Salmasius aufweist (zu den frühen Apographa von P cf. Beckby I 95ss.); vorliegende Emendation mag auf einen der beiden letzteren (weniger wahrscheinlich auf den anonymen Verfasser von Ms. 273) zurückgehen. Sie findet sich im übrigen auch in Ms. 234, das auf einer Kollation des Palatinus unter Einbezug anderer Apographa durch D’Orville selbst im Jahre 1727 beruht. Obwohl dieses Ms. sehr reich an textkritischen Bemerkungen ist, wird an dieser Stelle nichts über Varianten zur Lesung ἡ δὲ gesagt.

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Die wichtigsten Motivgruppen

führen‹ (allerdings eine Frau) als Gegensatz zu βιάζεσθαι in Xen. Kyr. 6,1,34, sowie wiederum Lukian. Dial. meretr. 5,2: τοῦτο αὐτὸ καὶ διήγησαι, ὅπως μὲν ἐπείρα τὸ πρῶτον, ὅπως δὲ καὶ σὺ συνεπείσθης καὶ τὰ μετὰ ταῦτα. Vgl. a. πιϑανή in AP 5,53,1 (Dioskorides). – 1s. ἀκμῆς ἅπτηται meint hier: noch im (Berührungs)bereich des Ideals der ἀκμή liegen; cf. oben 11,71 ἤκμασε Νικονόη, mit Anm. und Interpretation. Das Heraustreten aus diesem engen Kreis geschieht zwar schnell, kann sich aber bei einzelnen Individuen noch etwas verzögern (cf. 5,62 [Rufin]; ausnahmsweise wird in 5,13 [Philodem] auch einer älteren Frau noch in positiver Weise Attraktivität zuerkannt; das Skoptische ist hier jedenfalls nicht vordergründig; vgl. a. Hoeschele 2006: 65). – Zum Gebrauch von ἅπτεσθαι cf. Plat. Phd. 65b πότε οὖν … ἡ ψυχὴ τῆς ἀληθείας ἅπτεται; – 2 Σιμύλε s. unten Interpretation mit Fn. 92. 3 περιλήψεται Wie auch Schulte zu Recht hervorhebt, gehört dieses Verb zur Terminologie erotischer Epigramme (cf. AP 5,37 und 5,129) bzw. zum Hetärenwesen (cf. Lukian. Dial. meretr. 4,2). – ἡ δὲ Die Lesart ἦν δὲ wie auch das vorangehende ἦν μὲν in der Palatina müssen korrupt sein; leider fehlt uns für dieses Gedicht das Zeugnis der Planudea. Gruter korrigierte ἦν δὲ in ἢν δὲ, doch ob ἢν neben ἂν (Z. 1 und 2) im gleichen Text zu setzen ist, scheint mir mehr als fraglich. Am besten setzt man unter diesen Gegebenheiten wohl ἡ δὲ, eine Idee, die schon Brunck und andere vor ihm hatten (s. oben den textkrit. Apparat mit Fn. 85), parallel zu ἡ μὲν, das seinerseits wenigstens durch eine Randnotiz in P gestützt wird. Vgl. im übrigen auch die Parallele in ἄν τε καὶ … ἄν τε καὶ, die m.E. eher gegen variatio in den beiden Kola des 2. Distichons spricht. 4 λειχάσεται Zweifellos verdorben (u. a. auch da nicht ins Metrum passend) ist das überlieferte δικάσεται (Jacobs: nullum omnino sensum habet), und die seit Ende des 18. Jhs. geäußerte Annahme, dass an entsprechender Stelle ein verbum obscaenum stand, welches in der Tradition verlorenging, erscheint so gut wie sicher. Paläographisch am einfachsten ist wohl das von Toup konjizierte und von Dübner erstmals übernommene λειχάσεται; Brunck emendierte hingegen in λιχμάσεται. Die modernen Ausgaben entscheiden sich für einen der beiden Vorschläge, doch im Detail bleiben Schwierigkeiten (s. Jocelyn 1980: 27; Bain 1991: 75): Während λιχμάζω bei seinem sonstigen Vorkommen nicht direkt sexuell konnotiert ist (z. B. Nikand. Ther. 229 vom Züngeln der Schlangen), ist λειχάζω eine vor der byzantinischen Epoche nur schlecht bezeugte Variante (nämlich in einem Teil der Überlieferung bei Martial 11,58,12; dazu s. Heraeus 1915: 38 m. Anm.) zur eigentlichen vox propria für fellatio, λαικάζω (s. auch Floridi 2007: 207s.), weswegen sie Bain als für unsere Stelle unakzeptabel ausschloss. Zieht man, wie Jacobs probeweise in seiner Ausgabe von 1813 und dann nachdrücklicher Heraeus, λαικάσεται vor, so gilt trotzdem der von Jocelyn genannte Einwand, dass λαικάζειν in allen sicheren Belegstellen ausschließlich abso-

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lut verwendet wird. Sowohl Jocelyn als auch Bain halten es ferner für wenig wahrscheinlich, dass im Epigramm ein Tabu-Wort wie dieses entgegen der für das Genus typischen Gepflogenheiten direkt ausgesprochen wird – ›an ending like the one conjectured for this poem would be crude even for a Nicarchus‹. Es verbleibt also die Annahme, dass hier anstelle des Wortes selbst ein – aufgrund der Überlieferung nicht mehr erschließbares – Wortspiel stand, das auf jenes verwies. Vielleicht bestand dieses gerade darin, ein geläufiges λείχω mit Hilfe eines produktiven Suffixes dem Tabu-Wort so weit wie nur möglich anzunähern? – Wie auch immer, die fast unumgängliche Entscheidung für eine Konjektur, und zudem für eine, die dem Epigramm seine Harmlosigkeit nimmt, bestimmt dann auch weitgehend die Interpretation des Gedichts im ganzen (cf. den folgenden Abschnitt). Da die Thematik aber sich in vertrauten Bahnen bewegt, ist dieses Vorgehen m.E. gerechtfertigt. Sowohl im Thema wie auch in der Schlusspointe ähnlich – aber ganz anders im Ton – ist etwa Horazens Epode 8 (vgl. den ›Eclat‹ in der letzten Zeile, v. 20 ore adlaborandum est tibi); die Motivparallele reicht allerdings gewiss nicht dazu aus, eine direkte Abhängigkeitsbeziehung zwischen den beiden Texten zu postulieren (vgl. Weinreich 1942; Lasserre 1950: 150 n. 1; Grassmann 1966: 3). Dieses Epigramm steht in seinem formalen Bau und der dargestellten Perspektive für sich: die übliche Schelte und der verächtliche Spott fehlen hier vordergründig. Die Hauptrolle scheint der eigene sexuelle Genuss zu spielen, auch wenn im Hintergrund natürlich das bekannte Motivfeld rund um gealterte Hetären steht. Nicht zuletzt wegen des Überlieferungsproblems beim letzten Wort scheint sich das Epigramm einer kohärenten Deutung gegenüber in der Vergangenheit eher entzogen zu haben. Als Zeugnis dafür sei Waltz mit seiner Bemerkung ad loc. zitiert:86 Cette courte pièce est d’une incohérence fragrante: le premier distique célèbre les mérites d’une femme de haute taille et d’âge moyen; le second oppose ceux d’une jeune femme et d’une vieille qui devaient rivaliser ensemble, on ne sait trop à quel propos ou à quelle occasion. Peut-être est-ce simplement à cause du même nom de Simylos, répété dans l’un et dans l’autre, qu’un compilateur aura rapproché ces deux distiques, dont l’un constituait une pièce complète, l’autre la fin d’une épigramme dont le début est perdu.

Natürlich lässt sich an dieser Aussage vieles korrigieren, u. a. der Vorwurf der Inkohärenz. Die Annahme zweier Epigramme, wovon das letztere ein Torso wäre, erscheint heute absurd und verkennt den parallelen Bau der beiden Disticha (ἄν τε καὶ … ἄν τε καὶ entspricht in Z. 3 ἡ μὲν … ἡ δὲ; dazu weiter unten). 86 t. I: p. 35.

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Betrachten wir die Struktur im Einzelnen. Das wichtige Adjektiv, das an ein erotisches Ideal denken lässt (εὐμεγέθης), steht gleich an erster Stelle; darauf folgen in dichter Reihe weitere Wörter von essentieller Bedeutung, bis vor die Hephthemimeres, wo erst einmal das Grundlegende gesagt zu sein scheint (γυνή ist dann noch nachgetragen, aus καλὴ aber schon klar). Einmal mehr haben wir es mit einem dieser typisch nikarchischen elementaren Hauptsätze zu tun, die gleich zum Epigrammbeginn so etwas wie den Titel setzen.87 In diesem Falle deutet somit alles auf den Beginn eines erotischen Epigramms, und die Tatsache, dass das Gedicht in Buch 5 der Anthologia Palatina untergebracht ist, zeigt zumindest teilweise, dass es Kompilatoren gegeben hat, die dem Spiel Nikarchs mit den Kategoriengrenzen erlagen.88 Die Schilderung eines ich-Erzählers, er sei von den Reizen eines Mädchens (oder eines puer) verführt worden oder werde gerade in Liebe verzehrt, gehört zum guten hellenistischen Repertoire (auch wenn die Epigramme, in denen das Objekt der Begierde in der 2. Ps. direkt angesprochen wird, zahlreicher sind). Mit dem Anfang hier vergleiche man das erste Distichon von AP 5,210 (Asklepiades): Τῷ θαλλῷ Διδύμη με συνήρπασεν· ὤμοι, ἐγὼ δὲ τήκομαι ὡς κηρὸς πὰρ πυρί, κάλλος ὁρῶν. κτλ. Mit ihrem Reiz hat Didyme mich gepackt. Weh mir, ich schmelze wie der Wachs beim Feuer, wenn ich ihre Schönheit sehe. …

oder, fast noch näher, wie hier mit lobendem Attribut für die Schöne und einem Verbum, das die Ergriffenheit des männlichen Betrachters zeigt, AP 5,193 (Dioskorides): Ἡ τρυφερή μ’ ἤγρευσε Κλεὼ … κτλ. Die zierliche Kleo hat mich gefangen …

bzw. dessen vermutliche Vorlage, AP 5,53 (ders.): Ἡ πιθανή μ’ ἔτρωσεν Ἀριστονόη … κτλ. Die anmutige Aristonoe hat mir eine Wunde zugefügt. …

Anders als in diesen zwei Beispielen ist bei Nikarch kein bestimmter Frauenname genannt. Vielmehr wird die καλὴ γυνή mit dem Adjektiv εὐμεγέθης eingeführt, was den Eindruck erweckt, hier werde in schwelgerischer Weise ein typischer Männerphantasie entsprechendes generisches Idealbild ausgebreitet. Dies wird zunächst auch noch durch die Fortsetzung ἄν τε καὶ ἀκμῆς | ἅπτητ’ bestätigt (s. dazu oben das Lemma): es scheint um uneingeschränkte, makellose weibliche Schönheit zu gehen. 87 S. oben Einleitung p. 32. 88 Allerdings sind auch noch weitere Epigramme ›falsch‹ in Buch 5 platziert, s. Einleitung p. 57s.

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Indes, eine solche generische Zeichnung des Ideals weiblicher Attraktivität entspricht nicht unbedingt dem aus erotischen Epigrammen Gewohnten, denn diese handeln ja eher von einer individuellen Beziehung oder dem Wunsch bzw. Versuch, eine solche zu beginnen. Stärker untergraben wird die Wichtigkeit des Ideals allerdings durch das Vorhandensein einer ebenfalls durch ἄν τε καὶ eingeleiteten Alternative. Durch die eher ungewöhnliche Vorausnahme der Kopula ᾖ sowie die erneute Verzögerung des Prädikativums durch eine Anrede ausgerechnet an dieser Stelle wird das letzte Wort des Distichons, πρεσβυτέρη, das erstmals ein deutlicheres Signal setzt, so weit wie nur möglich hinausgeschoben. Obwohl damit die bis hierher gebildete Vorstellung ins Wanken gerät, wäre eine ›harmlose Lektüre‹ immer noch möglich: πρεσβυτέρη wird ja offenbar gemessen an ἀκμῆς ἅπτητ(αι), was sozusagen juste à point bedeutet, und von diesem absoluten Ideal eine kleine Abweichung zu akzeptieren, muss zunächst nicht nur unverdächtig, sondern sogar sympathisch erscheinen (vgl. Waltz in obigen Zitat: ›une femme … d’âge moyen‹). Man könnte sich bis hierher das Epigramm auch als Skolion vorstellen, in dem der Sprecher freimütig seine Ideale, aber auch seine großzügige, realistische Einstellung dazu, vorträgt. Mit diesen gemischten Gefühlen gehen wir ins zweite Distichon. Hier finden wir anfänglich nochmals Anklänge ans Liebesepigramm,89 doch dann löst sich die Illusion, dass diejenige, die ἀκμῆς ἅπτητ(αι), und die πρεσβυτέρη so weit voneinander getrennt gar nicht seien, endgültig auf und schlägt ins Gegenteil um. Das Distichon ist einerseits deutlich parallel zum ersten gebaut: wieder ist erst vom ›Ideal‹, dann von der Person, für die das nicht zutrifft, die Rede. Doch der Schwerpunkt hat sich verlagert: Gehörte im ersten Distichon mehr als die Hälfte der νέα, so ist ihr Anteil nun auf einen Teil des Hexameters geschrumpft, während für die πρεσβυτέρη, die ab dem Schlussadoneus das Epigramm beherrscht, mit jedem Adjektiv das wahre Alter deutlicher und mit jedem Schritt der Gegensatz zur νέα vollendeter wird (schon παλαιή ist deutlicher als πρεσβυτέρη des 1. Distichons; das vollends anti-erotische ῥυσή steht wohl bezeichnenderweise als letztes der Adjektive in der Pentameterfuge!). Weiterhin offen bleibt aber, warum der Sprecher selbst einer ῥυσή noch die Fähigkeit zu verführen zugesteht. Das wird, wie Schulte schon hervorgehoben hat, mit Bedacht im letzten Verb ausgedrückt: welches Wort auch immer wir hier setzen wollen. Akzeptieren wir Toups Konjektur, so ist es bloß die Sexualpraktik, die eine andere ist; ja es wird so geradezu eine ungebrochene Kontinuität sexueller Attraktivität suggeriert, nicht zuletzt durch die klangliche Nähe von λήψεσθαι und λειχάσεσθαι.90 Gleichzeitig bringt, wie schon in harmloserer Weise im ersten Distichon, das letzte Wort den Inhalt 89 S. Worterklärung zu περιλήψεται. 90 Schulte 1999: 22.

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vollends zum Kippen: die sympathische Vorstellung, wie sie dort noch möglich war, ist dahin. Fellatio mit einer Alten (τὸ ἄκαιρον) gehört im antiken Urteil grundsätzlich zu den perversen, verurteilungswürdigen Praktiken, deren Erwähnung auf Komödie und Spottepigramm beschränkt ist.91 Damit ist das Epigramm langsam, aber unaufhaltsam vom scheinbar Freundlichen ins tendenziell Grotesk-Ekelhafte abgeglitten, aber der Weg ist ein äußerst kunstvoll gebauter Abstieg. Dass die Tradition das entsprechende verbum obscaenum am Ende des Gedichts als unerträglich elimiert hätte, erscheint nur zu gut vorstellbar. Noch eine weitere Parallele zwischen den Distichen verdient unsere Aufmerksamkeit: Geradezu aufdringlich wird der Name des Angesprochenen, Σιμύλος, wiederholt, und dies an genau gleicher Versstelle, nämlich am Anfang der zweiten Pentameterhälfte, unmittelbar vor der Stelle, die noch einen neuen Aspekt bzw. die Schlusspointe einbringt. Dass dies kein Zufall ist, scheint mir selbstverständlich, umgekehrt aber von Waltz, der aus dem Epigramm zwei machen wollte, übersehen worden zu sein. In beiden Distichen hält die Anrede den Umschlag bis zum Ende zurück und bleibt so die Spannung so weit als nur möglich bestehen. Gleichzeitig ist es jeweils ein letztes Anhalten des Atems, bevor das Überraschende bzw. Unsagbare ausgesprochen und möglicherweise die Tabugrenze überschritten wird. Passend zur hier gewählten Interpretation erscheint auch der Name des Angesprochenen, bei dem man mit Sicherheit das Adjektiv σιμός, ›stumpfnasig‹, mitgehört hat.92 Denn σιμός steht in direktem Gegensatz zu ›hübsch‹, wie z. B. eine Stelle aus Lukians Hetärengesprächen (2,2) belegt, wo sich ein Liebhaber gegen den Vorwurf der Untreue so verteidigt: ἐγὼ δὲ ἢ σιμήν τινα ἢ καλὴν νύμφην οἶδα; Umgekehrt ist mit dem Adjektiv σιμός traditionellerweise auch der Aspekt der erotischen Triebhaftigkeit verbunden, wie sich aus den anonymen Zeugnissen der Physiognomiker erkennen lässt.93 Auch hier ist

91 Insofern ist es fraglich, ob die ›positive Wende‹ (Schulte 1999: a. a. O.), die das Epigramm scheinbar überraschenderweise nimmt, nicht doch sehr ironisch gemeint ist. Zu anderen möglichen Funktionen des grundsätzlich bejahenden Tonfalls, zu dessen Deutung die gewählte ich-Perspektive nicht außer Acht gelassen werden darf, s. weiter unten. 92 Aus körperlichen Merkmalen gebildete Namen sind allgemein recht verbreitet, und zwar können sowohl die Körperteile selbst (Substantiva) oder damit in Verbindung stehende Adjektive die Grundlage bilden: cf. Bechtel 1917: 479ss.; 484ss. (zu Simylos auch Fick 1874: 76s.). Einige weitere Beispiele: aus Subst.: Γνάθων (Gnatho bei Terenz) Κέρκων Κύλων Χαίτων Χειρίας; aus Adj. z. B. Πλάτων Πύρρος (Farben waren überhaupt beliebt) Στράβων (›triefäugig‹) Φανίας. Simylos hätte also zuwenig, was ein Γρύπων (cf. Naso sowie AP 11,406 [Kap. II.4]; im lat. Bereich finden sich solche Bildungen häufig bei den Cognomina) zuviel hat. 93 Script. physiognom. II, 71,5; 203,6; 228,19; 376,5; 14 (dort in der Kombination σιμοὶ καὶ μοιχοί); 429,6 Foerster. Vgl. auch Plut. quaest. conviv. 2,1,8 (oben Einleitung p. 80s.) und für eine ähnliche Anspielung im Zusammenhang mit alten Frauen, wo die Idee in der Namens-

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der Name wohl kaum mit bekannten Trägern zu identifizieren (jedenfalls nicht mit erkennbarem Gewinn für das Verständnis des Epigramms),94 sondern vielmehr im Interesse der Aussage gebildet: die Rede ist von etwas, das neben der ich-Person auch den Angesprochenen interessieren dürfte, wie konkret auch immer man sich diesen Gesprächspartner in der evozierten Situation des Epigramms vorstellen muss (vgl. oben Einleitung p. 88). Im Vergleich zu Gedichten, die eine sexhungrige Alte direkt ansprechen oder in Form einer Beschreibung kritisieren,95 ist die Struktur von 5,38 komplexer, der Spott weniger geradlinig. Das liegt nicht nur daran, dass das eigentliche Thema erst allmählich herausgeschält wird, sondern auch an der gleichmäßigeren ›Aufteilung‹ der involvierten ›komischen‹ Objekte: Die ichFigur, die eine schockierend einfache Lösung erzählt, wie sich mit dem Dilemma der mit dem Alter vergehenden Schönheit umgehen lässt – Reduktion auf eine alternative Form sexuellen Kontaktes – kann am Ende ebenfalls nicht wirklich ernstgenommen werden, sondern wird im Gegenteil mit zur Zielscheibe des Spottes.96 Die durch eine solche Äußerung entstehende Ironie ist sehr vielschichtig: sie betrifft einerseits die gesellschaftliche Konvention, die bewusst durchbrochen wird, andererseits fällt sie auf die Charakterzeichnung dessen zurück, der sie durchbricht und davon (stolz; denkbar wäre auch rebellisch aufbegehrend) erzählt. Die γραῖα καὶ ῥυσή und ihre Tätigkeit werden im Spott entlastet, weil in der Fiktion daneben jemand existiert, der dies billigt. Eine Reflexion über bestehende Normen also? – Zumindest ist es die Erkenntnis, dass für den Normbruch ein Täter/eine Täterin nicht ausreicht, und man könnte das Epigramm auch als Versuch sehen, diese Tatsache in einer neuen Form auszudrücken, die sich von der traditionellen Ein-ObjektPerspektive abhebt. Der Spott wird dabei distanzierter, und der Dichter-Autor braucht keine Position zu beziehen, ja er steht weit über der Sache: Er kann stattdessen die komplexen Verhältnisse der sozialen Wirklichkeit durch eine komplexe Verbindung traditioneller Formen, wie sie eben besprochen wurde, abbilden. wahl gewiss auch mitspielt, Herond. 1,89s. ἐμοὶ δὲ Μυρτάλη τε κ[αὶ Σ]ίμη | νέαι μένοιεν. S. dazu Headlam 1922: 60 (ad loc.). – Mit der Stumpfnasigkeit als traditionellem Motiv der vetula-Skoptik wohl ebenfalls verbunden ist die Erwähnung des Affengesichts von Alten (cf. AP 5,76), obwohl das wichtigste tertium comparationis die Runzeln sind. 94 Anders sieht das Schulte 1999: 23s. ad loc. (ein bei Leonidas von Alexandria bzw. Plutarch genannter Poetaster). Auch die von Schulte diskutierte Anspielung durch Anklang des Namens an den Semele-Mythos (Dionysos’ Schenkelgeburt) und in zweiter Ebene an fellatio (cf. AP 11,329) scheint mir hier zuwenig deutlich. 95 Cf. AP 11,66–69; 408, 417. 96 Zur Wirkung einer Figur, die ebenfalls von sich aus und mit Stolz erklärt, gewisse gesellschaftlich-sittliche Normen bewusst zu durchbrechen cf. auch etwa Petron Sat. 42: (Seleucus:) non cotidie lavor … aqua dentes habet.

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c. AP 11,73 Γραῖα καλὴ – »τί γὰρ οἶσθα;« –, ὅτ’ ἦν νέα. ἀλλὰ τότ’ ᾔτει, νῦν δ’ ἐθέλει δοῦναι μισθὸν ἐλαυνομένη. εὑρήσεις τεχνῖτιν· ὅταν δὲ πίῃ, τότε μᾶλλον, εἰς ὃ θέλεις, αὐτὴν εὐεπίτακτον ἔχεις. πίνει γὰρ καὶ τρεῖς καὶ τέσσαρας, ἢν 〈ἐ〉θελήσῃ〈ς〉, 5 ξέστας, κἀκ τούτου γίνετ’ ἄνω τὰ κάτω· κολλᾶται, κνίζει, παθικεύεται· ἤν τι διδῷ τις, λαμβάνει· ἢν μὴ δῷ, μισθὸν ἔχει τὸ πάθος. Pl.: Ø. – Tit. Νικάρχου P (Lemma: εἰς γραῖαν B2) || 1 ›τί γὰρ οἶσθα;‹ –, ὅτ’ ἦν νέα distinxi (vid. infra) : τί γάρ; οἶσθα〈ς〉, ὅτ’ ἦν νέα Meineke (sed cf. supra p. 41) : οἶσθα ὁτῆνεα P : οἶσθ’ ὅτ’ ἔην νέα Jacobs || 2 δ’ ἐθέλει Brunck : δεθέλει P || 3 εὑρήσεις τεχνῖτιν Salmasius : εὑρήσει τεχνίτην P || 5 〈ἐ〉θελήσῃ〈ς〉 Jacobs : θελῃσι P || 6 κἀκ Brunck : ἐκ P || ἢν μὴ δῷ Jacobs : ἠν μη διδῶ P.

Hübsch, die Alte… – »Wie willst du das wissen?« – …, als sie jung war. Aber damals hielt sie die Hand hin, jetzt ist sie sogar bereit, ’nen Preis zu zahlen für den Ritt. Du wirst ’ne Expertin vorfinden. Wenn sie trinkt, dann umso eher, wofür du willst, hast du sie bereit. Denn sie trinkt auch drei und, wenn immer du willst, auch vier Schöppchen, und von da an geht’s drunter und drüber. Sie kuschelt sich an, sie macht dich an, sie lässt sich (anal) penetrieren. Wenn einer was gibt, so nimmt sie’s. Wenn nicht, so hat sie als Lohn die Erregung.

Worterklärungen: 1 Γραῖα Weder ist eine semantische Differenz zu einsilbigem γραῦς auszumachen noch ist Komplementarität in der Verbreitung dieser beiden Formen erkennbar; dies gilt für den Rahmen der griechischen Literatur im Allgemeinen (beide Formen kommen schon in der Od., dann bei den 3 großen Tragikern vor) wie auch für die Epigramme (in einem Fall sogar nebeneinander; AP 11,65) und insbesondere die Spottepigramme Nikarchs und des Lukillios im speziellen. Auch innerhalb des Nikarch-Corpus kommt beides etwa gleich häufig vor (vgl. AP 11,74 γραῖαν vs. AP 11,119 γραῦν). Entscheidend für die Wahl waren offenbar weitgehend metrische Kriterien. – τί γὰρ οἶσθα; κτλ. Auch wenn dies aus den Bemerkungen der Editoren nicht direkt hervorgeht, hat das genaue Verständnis der sehr kolloquial gehaltenen Anfangspassage trotz der Unmissverständlichkeit des Grundgedankens bis heute erhebliche Schwierigkeiten bereitet. Es zeigt sich an der Tatsache, dass die Übersetzungen von Paton, Beckby, Aubreton und Schulte im Detail je verschiedene Lösungsvorschläge bieten. In folgenden Punkten differieren die Interpretationen: 1.) der Bezugspunkt von καλή: zu γραῖα, mit zu ergänzendem ἐστιν bzw. ἦν oder, zum Nebensatz ὅτ’ ἦν νέα (dann wäre auch im Hauptsatz ein ἦν zu ergänzen); 2.) die Sprechersituation und genaue

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Bedeutung von τί γάρ; (nach der bisher geläufigen Interpunktion); 3.) die Bedeutung von οἶσθα. Mit diesem letzten will ich beginnen. Griechischem Sprachgebrauch entsprechend muss für οἶδα jeweils ein Objekt mitgedacht werden, auch wenn dieses dann als Ellipse ausgelassen wird. Parenthetisches οἶδα in bekräftigend-beschwichtigender, ggf. auch richtigstellender Funktion, das in modernen Sprachen so beliebte und auch in den Übersetzungen der Stelle verwendete ›…, weißt du, …‹; ›…, tu sais, …‹; ›…, you know, …‹ kommt so im Griechischen nicht vor (stattdessen wird für Parenthese ein durch ὡς eingeleiteter Nebensatz oder sonst die Imp.form ἴσθι mit abhängiger Part.- oder Inf.konstruktion gewählt). Umgekehrt führt Patons und Aubretons Lösung, die ganze Feststellung von οἶσθα abhängig zu machen (›A handsome old woman (why deny it?) you know she was, when she was young; …‹; bzw. ›Elle était belle, la vieille, eh oui! tu le sais bien, du temps qu’elle était jeune! …‹) zu einer syntaktischen Härte: erwartet wäre dann Akk. mit Partizip, und man ist gezwungen, für γραῖα καλή eine Kopula in der Vergangenheit anzunehmen (dies der Punkt 1.) zu Beginn der Diskussion). Die Hauptaussage (die Alte war hübsch) würde dann durch den 2. Hauptsatz οἶσθα … unterstrichen. Da aber die Kopula nicht steht und die Ellipse so geradezu automatisch mit der präsentischen Kopula aufgefüllt wird, macht diese Annahme Schwierigkeiten und ist wohl auch nicht sprachwirklich. Es bleibt als Obj. für οἶσθα die Möglichkeit eines ellipt. (›Hübsch ist die Alte. O ja. Du sahst sie als Mädchen. …‹, d. h. du kanntest sie, als sie jung war – so Beckby). In diesem Falle wäre der Gedankengang: die Alte ist hübsch! wie sollte es anders zu erwarten sein: Du kennst sie ja, bzw.: Du weißt noch, (wie es war,) als sie jung war (und da wäre zu ergänzen: da war sie erst recht die unangefochtene Schönheit!). Der temporale Nebensatz wäre eine sehr auffällige Variante für gewöhnlicheres νέαν οὖσαν, doch besäße diese Konstruktion zumindest eine Parallele in Eur. Hec. 109s.: τύμβου δ’ ἐπιβὰς | οἶσθ’ ὅτε χρυσέοις ἐφάνη σὺν ὅπλοις. Schließlich noch zu 2.): τί γάρ; kann bekräftigend (›wie sollte es auch anders sein?, natürlich‹; cf. LSJ s.v. τίς, τί B8f) oder verwundert fragend sein (›wie denn, wieso denn?‹; cf. LSJ B7a; so Schulte ›Die Alte ist hübsch. Wieso denn? Du weißt, als sie noch jung war. …‹); nur in letzterem Falle wäre auch ein Sprecherwechsel zu setzen. Ausgehend von den aufgezählten Schwierigkeiten, aber auch von der überlieferten Textgestalt (cf. App.), drängt sich m.E. noch eine andere, bisher nicht erwogene Variante auf, in der das Fragezeichen erst nach οἶσθα gesetzt wird. Eine solche Lesung eröffnet überraschend neue Horizonte; es erscheint eine neue Gesprächssituation, die m.E. den zuvor besprochenen an Attraktivität nicht nachsteht. Die Wendung τί … οἶσθα; im Sinne von ›wie kannst du wissen, woher weißt du, …?‹ findet ihre Parallele z. B. in Aischin. in Timarch. 80 Εἰ δή τίς με ἔροιτο ὑμῶν· »σὺ δὲ τί οἶσθα εἰ ἡμεῖς ἂν τούτου κατεψηφισάμεθα;« εἴποιμ’ ἄν· κτλ., wo τί οἶσθα εἰ … geradezu einem

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οὐκ εἰδέναι δύνασαι εἰ … gleichkommt, also implizit negierend ist. Nimmt man eine ähnliche Formulierung für unser Epigramm an, so setzt dies einen Sprecherwechsel voraus, ja mehr als das: einen ungestümen Einwurf. Nach diesem würde Sprecher A seine Äußerung ungestört in der Syntax fortführen, gleichzeitig aber die eingeschobene Frage beantworten – eine Szene von großer Vitalität. Fortsetzung einer begonnenen Äußerung nach Sprecherwechsel ist eine aus Stichomythien und der aristophanischen Komödie bekannte Erscheinung. Als besonders passend für Nikarch könnte man dabei bezeichnen, dass hier mit einem ersten Verständnis gespielt wird (cf. die im Grunde sehr ähnliche Technik in 11,71; oben): ›Hübsch, die Alte, …‹ ist zweideutig – ist sie (immer noch) hübsch, oder war sie es? –, aber die Syntax spricht zunächst für das erste, für das παράδοξον. Der Sprecher der sich aufdrängenden, geradezu entrüstet eingeworfenen Frage verkörpert daher den textimmanenten Gesprächspartner und gleichzeitig den Leser/Hörer des Epigramms, und am Ende des Satzes verlagert sich dessen Sinn (wohlgemerkt, ohne dass dafür die Syntax verletzt werden müsste!) in Richtung der zweiten Interpretation. Sie war hübsch, als sie jung war, aber da hatte sie eben einen entschiedenen Nachteil: ᾔτει. Diese Deutung besitzt m. E. noch mehr Prägnanz als diejenige, die Beckbys Übersetzung verkörpert. Die Emendation kommt gegenüber dem überlieferten Text mit der simplen Verschiebung eines Satzzeichens aus, und überdies besitzt diese Lesung den Vorteil, dass sie den bei Nikarch an sich schon unproblematischen Hiat (vgl. Einleitung p. 41) nach dem 3. Trochäus noch einfacher erklärt (an dieser Stelle findet ein Sprecherwechsel statt) und Meinekes Änderung in οἶσϑας entbehrlich macht. – τότ’ ᾔτει Zur Situation cf. AP 5,100 und 5,46,4 πόσου παρέσῃ; vgl. auch AP 11,416, Men. fr. 163,3 K.-A. – Absolute Verwendung des Verbs im Zusammenhang mit Prostitution (›es gegen Geld tun‹) auch in 12,36 für einen Knaben (cf. 12,212); cf. ferner das Wortspiel bei Marcus Argentarius über eine Σικελή, die zur Αἰτ-ωλή wurde (5,63).97 2 ἐθέλει δοῦναι Wie aus Z. 7–8 klar wird, muss dies bedeuten (s. Burnikel 1980: 112):98 ›sie ist (wäre sogar) bereit … zu geben (= bezahlen)‹. Zu θέλειν in der Bedeutung ›bereit sein (wenn es sein muss)‹, d. h. eine positive Disposition besitzen, sollte etwas als notwendig erscheinen, cf. z. B. Plat. Leg. 925e1s. μυρία … ἐμπόδια … τοῖς τοιούτοις ἐπιτάγμασιν τοῦ μήτινα ἐθέλειν πείθεσθαι. Zur sich anbietenden Alten, die ihren Preis reduzieren oder gar selber bezahlen muss, vgl. auch Mart. 7,75; 9,37; 10,75; 11,29 und 97 Σικελή dürfte wohl auf ihre Tätigkeit als Tänzerin anspielen, cf. σικελίζω = ὀρχέομαι (LSJ s.v.); für andere Vorschläge (zu lat. sic ›ja‹ oder griech. σιγηλή ›verschwiegen‹) cf. p. 669 in Beckbys Edition. 98 Etwas übertrieben finde ich hier, von Unbestimmtheit zu sprechen (›Bietet nun die Alte Geld oder nicht?‹). Wie es tatsächlich am Ende kommt, steht nicht im Blickpunkt des Interesses; wichtig ist vielmehr die Einstellung der Alten, und diese ist ganz klar umrissen.

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insbesondere 62 cum futui vult, numerare solet; Anth. Lat. I,1,357 ut amaretur, praemia promittebat; Philog. 245; allg. Brecht 1930: 65. – ἐλαυνομένη Dem (hier dominanten) erotischen Nebensinn des Verbs kann die Schiffsmetapher zugrunde liegen (so Jacobs X 23 petita metaphora a navibus, quae remis agitantur), was auch in anderen Epigrammen Parallelen hat: cf. AP 5,161; 5,44 (Rufin; von den älteren Editoren einstimmig Nikarch zugesprochen) sowie 11,331 (mit meinem Komm., Kap. I.4), wo mir die Sache ebenfalls eindeutig zu sein scheint; auch Aristoph. Eccl. 37ss.; Plat. Com. fr. 3,2 K.-A. Noch wahrscheinlicher im vorliegenden Fall ist allerdings wohl die Reitermetapher (ἐλαύνω ἵππον). 3 τεχνῖτιν Für den Gebrauch von τέχνη für ›Berufserfahrung‹ bei Hetären cf. auch Alexis fr. 103 K.-A. πρῶτα μὲν γὰρ πρὸς τὸ κέρδος καὶ τὸ συλᾶν τοὺς πέλας πάντα τἄλλ’ αὐταῖς πάρεργα γίνεται· ῥάπτουσι δὲ πᾶσιν ἐπιβουλάς· ἐπειδὰν δ’ εὐπορήσωσίν ποτε, ἀνέλαβον καινὰς ἑταίρας, πρωτοπείρους τῆς τέχνης εὐθὺς ἀναπλάττουσι ταύτας, κτλ. und insbes. AP 5,129 (Automedon) und 5,132 (Philodem) über die lasziven Fertigkeiten (κακότεχνα σχήματα bzw. κινήματα [Plan.]) einer Tänzerin – auch dies ein wertvoller Hinweis bei Jacobs, der in der späteren Kommentierung unberechtigterweise verlorengegangen ist). 4 εὐεπίτακτον vgl. Plat. Leg. 925e4 οἱ ἐπιταττόμενοι γαμεῖν: in diesem Ausdruck ist noch keine Information über die innere Disposition gegenüber dem ›erhaltenen Auftrag‹ enthalten. Diese kommt durch die durchsichtige Verbindung des Verbaladj. mit dem Adv. εὖ mit ins Spiel, die hier ein ἅπαξ darstellt: ›gut beauftragbar‹ = ›zu allem bereit‹. Die griechische Bildung zeigt besser als diese Übersetzung, dass dies eminent aus dem männlichen Blickwinkel gesehen ist (cf. dazu auch insbesondere αὐτὴν … ἔχεις). In AP 5,40,7 (II.6) verwendet Nikarch im übrigen εὐτακτεῖν; vgl. den Komm. zur dortigen Stelle. 5s. τρεῖς καὶ τέσσαρας … | ξέστας ξέσται ist eines der bei Nikarch, aber auch schon bei anderen griechischen Autoren ab dem 1. Jh. v. Chr. (NT Mk. 7,4; Flav. Ioseph. Ant. Iud. 8,57 et al.; cf. Epikt. 2,16) begegnenden römischen Kulturwörter, deren Verwendung im Rahmen der ›Globalisierung‹ auch in nicht-lateinischen Sprachgebieten kaum verwundert (s. oben Einleitung p. 24). Der ξέστης (sextarius; = 0,55 l) ist das römische Pendant zum χοῦς, der allerdings von Nikarch auch verwendet wird (AP 11,1; s. dort). Zur ›Aktivierung‹ der Alten sind also 1,5–2 l Wein ideal! – ξέστης findet sich nochmals in AP 6,298, wie hier im Kontext einer alten Trinkerin: Dort beklagt sich diese allerdings, dass ihre Flasche ›nur‹ 30 ξέσται fasse. Die trunksüchtige Alte ist seit dem frühen Hellenismus ein Epigrammotiv; s. Einleitung p. 91 zu AP 7,457, ferner P. Zanker, Die trunkene Alte. Das Lachen der Verhöhnten, Frankfurt a. M. 1989; Brecht 1930: 66. Ovid hat der Figur in Gestalt der Kupplerin Dipsas ein Denkmal geschaffen (am. 1,8; bes. 111s. lacrimosa vino | lumina). – Die auffällige Vorausnahme und Hervorhebung der

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Zahlenangaben und auf der anderen Seite die durch die Parenthese noch weiter verstärkte Verzögerung des mit Enjambement in den Pentameter gezogenen Begriffs ξέστας erweckt den Verdacht, dass hier eine verborgene und uns nur schattenhaft erkennbare Anspielung auf eine sprichwörtliche Redensart vorliegen könnte (sie trinkt alles, was in ihre Nähe gelangt?); vgl. den Kontext in Plaut. Stich. 708 cantio Graecast: ἢ πέντ’ ἢ τρία πῖν’ ἢ μὴ τέσσαρα, wo der Witz in der Verquickung zwischen Mischverhältnis und Mengenangabe besteht (s. Dunbabin 1995: 261). – 〈ἐ〉θελήσῃ〈ς〉 Berechtigte Emendation (Jacobs): mit einer 3. Sg. würde mit dem eigenen Willen der Alten ein neuer Aspekt bloß undeutlich angeschnitten, um nachher wieder fallengelassen zu werden. Die refrainartige Wiederholung (vgl. Z. 4 εἰς ὃ θέλεις) kann als geradezu genretypisch bezeichnet werden (vgl. oben Einleitung p. 35). – γίνετ’ ἄνω τὰ κάτω Primär ist hier gewiss die sprichwörtliche Bedeutung ›es geht drunter und drüber‹ (cf. Plut. Apophth. Lak. 216b5 und 8; Schol. in Plat. Tht. 28–29 [ad 153d4–5; p. I 51 Cufalo] ἄνω κάτω πάντα] παροιμία ἐπὶ τῶν τὴν τάξιν μεταστρεφόντων; ferner auch in der Sammlung des Greg. Cypr.: CPG I p. 61,12f. [n. 61], mit weiteren Stellen); aber es versteht sich von selbst, dass die Wendung in gegebenem Zusammenhang dann eine kräftige sexuelle Färbung bekommt (was auch schon Jacobs erkannte). Schulte verweist in diesem Zusammenhang auf AP 11,242,2 (II.15.b) und liest auch diese Stelle als Andeutung des os impurum, verursacht durch fellatio (vgl. seine Übersetzung ›… dann vertauscht sich bei ihr unten und oben‹). Allerdings ist dies hier im Gegensatz zum vorherigen Epigramm 5,38 m.E. weniger zentral; die Verwendung des Motivs der Vertauschung (resp. Gleichsetzung) von oben und unten bei einer fellatrix wäre ein Einzelfall (vgl. a. Obermayer 1998: 214). Viel wahrscheinlicher ist m.E. bereits hier ein versteckter Hinweis auf die Rollen im folgenden Akt und die damit verbundenen ›Positionen‹ (s. zu παθικεύεται und unten Interpretation). 7 κολλᾶται, κνίζει, παθικεύεται Für ein ähnliches Trikolon vgl. AP 5,129 γλωττίζει, κνίζει, περιλαμβάνει; zu einer möglichen Abhängigkeit s. unten. – Die Grundbedeutung von κολλάω ist ›fest zusammenkitten, zementieren‹ (oft verschiedene Werkstoffe); im medizin. Bereich z. B. für das Schließen von Wunden; aber auch in übertragenem Sinne (z. B. Plat. Phaid. 82e προσκεκολλημένη für die mit dem Körper verbundene Seele). Mit erotischem Unterton bleibt die vorliegende Stelle ein Einzelfall (cf. Schulte ad loc.), wenn auch die Assoziation bei der Medialform nicht weit entfernt liegt. – κνίζω (eig. ›kitzeln‹) lässt sich wohl am besten mit ›antörnen‹ übersetzen; vgl. a. AP 11,7,3 φιλόκνισος. – παθικεύεται ›to act as a catamite‹ (LSJ Suppl.); ein ἅπαξ, das zusammen mit μισθὸν ἔχει τὸ πάθος darauf hinweist, dass es im Folgenden um analen Sex gehen wird, aber auch das vollständige Sich-Überlassen der Alten betont. Interessanterweise fehlt eine Evidenz für sexuellen Gebrauch der Wurzel παθ- im klassischen Griechisch. Im vorliegenden Zusammenhang meint πάθος jedoch sicherlich nicht einfach

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›Liebesleid‹ / ›les souffrances de l’amour‹ – insofern sind die von Schulte angeführten Parallelen (Plat. Phdr. 265b und Parthenios’ ’Ερωτικὰ παθήματα) m.E. nicht so treffend. Demnach muss das Bedeutungsspektrum in der Umgangssprache ganz anders ausgesehen haben: neben der vorliegenden Bildung zeigt dies insbesondere die Beliebtheit des entlehnten Adj. pathicus im Lateinischen (dazu s. Adams 1982: 234). Während die Konnotation im Gebrauch für Männer normalerweise negativ ist (›Invertierter; Passiver; Lustknabe‹; cf. zu POxy. 4502,4), scheint der Begriff bei Frauen die generelle Bereitschaft zu sexuellen Praktiken zu signalisieren (meistens für Prostituierte); s. Carm. Priap. 25,3; 40,4; 73,1. – ἤν τι διδῷ τις s. oben zu 2 ἐθέλει δοῦναι; doch wird hier zweifellos auch mit dem sexuellen Sinn von δοῦναι gespielt. Noch kürzer als in 11,71 (s. dort) ist die ›Titelsequenz‹ Γραῖα καλὴ, und im Vergleich zu jener bedeutend provokativer, setzt sie doch die beiden Begriffe unmittelbar nebeneinander, die das binäre Schema der allgemeinen Vorstellung, wie wir sahen, so streng auseinandergehalten wissen will. Dieses Statement muss erklärt, die Provokation beantwortet werden: das ist die Aufgabe der folgenden Zeilen des Epigramms. Doch dieses Ziel wird erwartungsgemäß nicht auf ganz geradlinigem Weg erreicht, vielmehr findet eine kreative Auseinandersetzung, ein Spiel mit dem Wertesystem statt, und wir finden anfänglich die typische Oszillation, bevor der Gedanke auf eine bestimmte Bahn schwenkt. Der im Folgenden gegebenen Interpretation liegt die oben beschriebene Lesung von Z. 1 zugrunde, auf deren Diskussion und Begründung ich hier nur noch verweise. Dieser gemäß folgt unmittelbar auf die Titelsequenz ein Einwurf eines zweiten Sprechers, der sich nach der Verlässlichkeit dieser so ungewohnten Aussage erkundigt und somit der Leser-/Zuhörerreaktion auf die ersten beiden Worte im Epigramm entspricht. Gleichzeitig erhält man auch den Eindruck, mitten hinein in einen (möglicherweise emotional geführten) Dialog geworfen worden zu sein, eine Technik, die auch sonst bei Nikarch begegnet (s. Einleitung, p. 31s.). Immer noch in der ersten Zeile, bringt Sprecher A jedoch unbeirrt seinen Satz zu Ende, beantwortet resp. entkräftet dadurch den Einwurf und lenkt gleichzeitig das Verständnis der zunächst zweideutigen Anfangsworte von der Primärassoziation ›Hübsch ist die Alte‹ weg zu ›Hübsch war die Alte, als …‹. Damit stehen wir bei einem traditionellen Topos, doch jetzt ist der Weg gebahnt, und der Gedankengang kann sich weiter entwickeln. Die Erweiterung des Fokus auf das ›Damals‹ führt zur Feststellung, dass die Alte sich früher den Dienst am Kunden bezahlen ließ, was sie als Hetäre ausweist. Wir sehen somit, wie viel an Dramatik allein schon in der ersten Zeile steckt. Ab der zweiten Zeile ist das Interesse auf den gegenwärtigen Zustand gerichtet, genauer: auf die Vorzüge der Alten, wie sie nun im ganzen Rest des

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Die wichtigsten Motivgruppen

überdurchschnittlich langen Gedichts ausführlich geschildert werden. Die schon in den vorher besprochenen Epigrammen bekannte Antithese ›jung‹ bzw. Vergangenheit vs. ›alt‹ bzw. Gegenwart ist somit auffällig verschoben, indem das letztere den Großteil von AP 11,73 einnimmt. Außerdem ist die Antithese mit einem weiteren Gegensatzpaar gekoppelt: ›sich bezahlen lassen‹ vs. ›freigebig sein‹ (sowohl finanziell als insbesondere auch sexuell). Der alte Topos der sexhungrigen Alten endet hier in einer merkwürdigen Aufweichung des Anbieter- und Kundenverhältnisses, denn der Sprecher schlägt das Angebot der Alten nicht nur nicht aus, sondern lässt sie, zahlungswillig wie sie ist, gar die Rolle eines Strichjungen einnehmen (vgl. oben Z. 2 zu ἐλαυνομένη und Z. 5 zu παθικεύεται; m.E. könnte außerdem auch γίνετ’ ἄνω τὰ κάτω auf dieses Spiel mit vertauschten Rollen hinweisen). Damit kommt unser Epigramm nahe an eine Situation, wie sie sich im Carmen Priapeum 57,4s., dort allerdings als überraschende Wendung in der letzten Zeile, eröffnet (vgl. a. Obermayer 1998: 210). Dort heißt es von einer Alten, die zuvor als cornix, vetus bustum und nutrix Tithoni Nestorisque bezeichnet wurde, ›ne desim sibi, me rogat, fututor. Quid si nunc roget, ut puella fiat? Si nummos tamen haec habet, puella est.‹ (›… 〈die Alte〉 bittet mich, es ihr nicht fehlen zu lassen … als Ficker. Was, wenn sie mich nun bittet, dass sie zum Mädchen werde? Nun, wenn sie 〈genug〉 Geld hat, ist sie ein Mädchen‹). Dass sich zudem empörte Zurückweisung und Eingehen auf ihre Wünsche gegen Bezahlung im selben Corpus als Optionen der Reaktion auf die sexhungrige Alte gegenüberstehen (CP 12 vs. das eben besprochene CP 57), findet im Nikarchcorpus mit dem oben behandelten (a; AP 11,71) und dem vorliegenden Beispiel, sowie u. a. auch bei Rufin (wie oben gezeigt) seine beste Parallele. Allerdings geht Nikarch mit der klar durchschimmernden Begeisterung des Sprechers auch auf seiner Seite über den sexuellen Genuss deutlich weiter.99 Die Schilderung der ›Vorzüge‹ läuft in Form eines jovial gehaltenen ›Erfahrungsberichtes‹ ab, die auch den Zuhörer überzeugen soll. In der vorgeschlagenen Gestalt von Zeile 1 wäre als Adressat insbesondere der zweite Sprecher gemeint, der damit sukzessive von der Richtigkeit des Anfangssatzes in der ursprünglich angenommenen Bedeutung überzeugt werden soll: γραῖα καλὴ – wie wahr! Die Erzählung ist, so assoziativ und spontan sie klingt (man glaubt, Tips des Freundes an den Freund zu hören!), raffiniert aufgebaut: Zunächst die Versicherung, dass die Dame sich in ihrem Metier auch wirklich auskennt, dann wird in auffälliger Langsamkeit (man beachte v. a. Z. 5, die bis zum 4. Fuß aus lauter Spondeen besteht!) ihre Trinkfestigkeit (ebenfalls an sich ein altes topisches Motiv; s. oben zu Z. 5) ausgemalt; es ist, wie wenn man sie zunächst aufwärmen müsste. Von diesem Moment 99 Vgl. Guglielmino 1931: 15 ›In qualche caso però l’epigramma diventa invettiva inquinata di sconcezze …‹

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I.2. Epigramme auf gealterte Hetären (εἰς γραίας)

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an ist sie aber nicht mehr aufzuhalten, die Dinge überschlagen sich – die (durch das Warten) angestaute Energie entlädt sich in wildem erotischem Spiel: die zahlreichen κ-Laute in Z. 7 scheinen das Finale akustisch zu untermalen, vor allem aber auch die parataktische Folge von Verben sexuellen Inhalts. Dass hier zudem AP 5,129 (Automedon) als Vorbild gewirkt hat (s. oben zu Z. 3 und 5), ist gut möglich, stehen doch die beiden Epigramme inhaltlich zueinander in einem reziproken Verhältnis: in 5,129 ist es eine schnittige, junge Tänzerin, die genug Übung besitzt, auch noch Greise in Erregung zu bringen. Schließlich folgt nochmals der finanzielle Aspekt; die Alte erscheint als eine Person, die realistisch denkt und deswegen auch keine Gaben verschmäht. Man beachte die Ringkomposition, die mit dem Ende von Z. 2 eingesetzt hat: – – – – –

Bereitwilligkeit zu zahlen (Z. 2) erotische Erfahrung (Z. 3) Trinkfreudigkeit fördert Bereitschaft (Z. 3–6) ungezügelte erotische Entladung (Z. 6/7) Zufriedenheit mit dem, was sie bekommt (Z. 7/8)

Die Schlusspointe bringt die Gleichsetzung der in diesem Schema ineinander verbauten, bisher nacheinander angesprochenen μισθοί. Für die Alte ist beides letztlich dasselbe und austauschbar. Insofern ist der letzte Nebensatz ἢν μὴ δῷ … fast ein Oxymoron, denn wir wissen selbstverständlich, dass er etwas anderes zumindest gibt. In der Fülle der angestimmten Motive und im überraschend positiven Grundton gegenüber der lüsternen Alten steht dieses Gedicht sehr nahe beim zuvor besprochenen Epigramm 5,38. Dort bestätigt der männliche ichSprecher, dass es unabhängig vom Alter der Hetäre eine Möglichkeit zum Geschlechtsverkehr mit ihr gibt, wobei sich bloß die Form ändert. In 11,73 geht es zwar ebenfalls um eine andere Praktik des Sexualverkehrs, doch im Zentrum steht die Alte selbst und die ironische Verkehrung ihrer Rolle, die sich von der ehemaligen Anbieterin zur zahlenden Kundin gewandelt hat – eine Hyperbole, die ihren stets ungestillten Sexhunger zum Ausdruck bringen soll. Doch ist auch hier die Erzählperspektive durch und durch die männliche. Von der zweiten Zeile an bis zum Ende ist die Schilderung durchgehend positiv (dies insbesondere auch im Gegensatz zum ersten in diesem Kapitel besprochenen Epigramm AP 11,71), ja geradezu protreptisch, es doch auch mal mit ihr zu versuchen – und dadurch natürlich hochgradig ironisch. Denn der Aspekt des ἄκαιρον bleibt bestehen; er ist, wenn meine Interpretation von Z. 1 nicht ganz falsch ist, dort implizit zur Sprache gebracht, um dann im Folgenden zugunsten des ironischen Lobs vordergründig scheinbar entkräftet zu werden. In dieser Technik zeigt Nikarch zweifellos beachtliche Kunstfertigkeit.

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I.3. Λεπτῶν ὁ λεπτεπιλεπτότερος

Die λεπτοί-Epigramme stehen in einem besonders deutlichen Spannungsfeld zwischen Banalität und komplexer Mehrbödigkeit der Aussage. Für eine grundlegende Diskussion sei auf das entsprechende Kapitel in der Einleitung (VIII; p. 119ss.) verwiesen. In diesem Kapitel soll insbesondere gezeigt werden, inwiefern sich Nikarchs Epigrammbeiträge in diesem Themenkomplex von denen anderer Autoren, soweit erhalten, unterscheiden. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse scheinen mir über die hier gezeigten Beispiele hinaus für eine Beurteilung der Stellung von Nikarchs Epigrammen von Interesse zu sein. Die beiden λεπτοί-Epigramme AP 11,110 und 407 stehen deswegen in einer engeren Beziehung zueinander (und sollten daher wohl auch als Gesamtkunstwerk verstanden werden), weil sie je ein Exemplum für Augmentation der Form unter exzessiver Nutzung des Motivrepertoirs liefern. Für die Erweiterung stehen prinzipiell zwei Möglichkeiten zur Verfügung; 11,110 steht für die erste, 11,407 für die zweite: a) parallele Augmentation: statt bloß von einem Subjekt, an dem mit Hilfe von Hyperbole die Folgen seiner Dünnheit illustriert werden, wird gleich von mehreren erzählt. Was ihnen im einzelnen widerfährt, kann gleichzeitig erlebt sein, doch spielt das zeitliche Verhältnis der einzelnen Handlungen nur eine untergeordnete Rolle. Einer narrativen Notwendigkeit zufolge müssen die hintereinander präsentierten Adynata allerdings in einer klimaktischen Reihe stehen, und dem trägt der fiktive Rahmen eines ›Agons‹ Rechnung, in dem der Sieger natürlich den Schluss einnimmt. b) serielle Augmentation: alle Hyperbolai beziehen sich auf dieselbe Figur, die so ein ganzes Spektrum von in der Lepto-Epigrammmatik bekannten Motiven zeitlich nacheinander durchläuft. Eine klimaktische Reihe drängt sich auch in diesem Fall auf: die Hyperbolai nehmen in ihrem Abstraktionsund Absurditätsgrad laufend zu. Die enge Beziehung zwischen 11,110 und 407 ist auch aus der parallelen Nutzung zweier Motive in beiden Epigrammen deutlich: das Sich-in-einMausloch-ziehen-Lassen, sowie das Sich-aufhängen-Lassen am Spinnenfaden (in 110 gehören allerdings beide Motive zur selben ›Darbietung‹). Man wird die Vermutung nicht los, diese motivische Nähe habe die Funktion, gerade zum Vergleich der beiden Epigramme einzuladen und dabei auch auf die eben dargelegten Unterschiede zu achten. Auf die Möglichkeit der Inter-

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I.3. Λεπτῶν ὁ λεπτεπιλεπτότερος

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pretation als ›epigrammatologische Companion pieces‹ wird nach der jeweiligen Detailanalyse zurückzukommen sein. Nicht uninteressant ist in diesem Zusammenhang die Tatsache der weit auseinanderliegenden Position der Epigramme in der Anthologia Palatina.100 11,110 befindet sich im ›thematischen‹ Teil, während 407 aus einer vielleicht direkt auf die ›Diogenian-Anthologie‹ (?) zurückgehenden alphabetischen Sequenz stammt.101 Wenn man annimmt, die ›thematische‹ Auswahl des ersten Teils der satirischen Epigramme von Buch 11 der Anthologia Palatina widerspiegele eine frühere Organisationsform des Materials, während weiter hinten stehende Epigramme ›Nachträge‹ aus älteren Quellen sind, dann musste der hier postulierte Bezug zwischen den beiden Gedichten irgendwann im Laufe der Überlieferungsgeschichte verlorengegangen sein: Offenbar wurde 11,407 bloß eine sekundäre Bedeutung zuerkannt, mit der Folge, dass es in der Vorlage für den ›alphabetischen Teil‹ der AP schließlich fehlte.102 Dank des Strebens nach Vollständigkeit des Kompilators der AP (Kephalas?), das sich im offensichtlichen Einbezug von weiteren Vorlagen äußert, ist (auch?) 11,110 wieder im Kontext analysierbar, auch wenn die sekundär entstandene Distanz in der Platzierung der Epigramme dies nicht eben gefördert hat. a. AP 11,110 Τρεῖς λεπτοὶ πρῴην περὶ λεπτοσύνης ἐμάχοντο, τίς προκριθεὶς εἴη λεπτεπιλεπτότερος. ὧν ὁ μὲν εἷς, Ἕρμων, μεγάλην ἐνεδείξατο τέχνην καὶ διέδυ ῥαφίδος τρῆμα λίνον κατέχων· Δημᾶς δ’ ἐκ τρώγλης βαίνων ἐς ἀράχνιον ἔστη, 5 ἡ δ’ ἀράχνη νήθουσ’ αὐτὸν ἀπεκρέμασεν. Σωσίπατρος δ’ ἐβόησεν· »’Εμὲ στεφανώσατ’· ἐγὼ γὰρ εἰ βλέπομ’, ἥττημαι· πνεῦμα γάρ εἰμι μόνον.« Pl.: IIa,32,17 f. 25v – Tit. Νικάρχου P || 2 λεπτεπι- ex λεπτουπι- Pl || 6 ἀπεκρέμασε P

Drei Dünne wetteiferten neulich um das Dünn-tum, wem die Auszeichnung, noch-dünner-als-dünn zu sein, zustehe. Deren einer, Hermon, zeigte ein gewaltiges Kunststück: Er schlüpfte durch ein Nadelöhr mit dem Faden in der Hand. Demas aber kam aus einem Erdloch und trat in ein Spinnetz: die Spinne wickelte ihn ein und hängte ihn auf.

100 Zu dieser Situation s. allg. Einleitung, p. 51ss.; vgl. Aubreton 1972: 36; Schulte 1999: 10. 101 S. Einleitung p. 58s. 102 So fehlt z. B. 11,407 auch in der Anthologia Planudea.

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Die wichtigsten Motivgruppen

Sosipatros aber schrie: »Mir sollt ihr den Siegeskranz geben! Denn werde ich gesehen, habe ich verloren. Ein Lufthauch nämlich bin ich nur.«

Worterklärungen: 1 πρῴην Für die Übersetzung ist zu entscheiden zwischen ›eben erst, neulich‹ und (als genauere Zeitbestimmung) ›vorgestern‹. Letztere Deutung ist vor allem in der Verbindung mit χθές angebracht, wie die Beispiele in LSJ zeigen, und das spricht in unserem Fall für die erste Variante. Die Funktion des Adverbs im vorliegenden Epigramm ist es, die folgende Geschichte mittels einer zeitlichen Fixierung nicht allzu weit zurück in der Vergangenheit möglichst ›real‹ erscheinen zu lassen. In der Tat bewegt sich das erste Distichon noch nicht im Bereich phantastischer Adynata; der Kontrast zum Folgenden wird dadurch verstärkt. πρῴην in diesem Sinne ist in der Alltagssprache fest verankert, wie die dokumentarischen Papyri zeigen; für eine typische Wendung cf. z. B. Pap. Mich. Mchl. 25 (= SB 11'127) (88 n. Chr.) καὶ πρώην σοι ἔγραψα περὶ τῶν ξυλαρίων ἵνα μοι αὐτὰ πέμψῃς, oder auch Wilcken, UPZ I 42,25 (2. H. 2. Jh.) ἀναβάντι πρώην εἰς τὸ ἱερόν. – πρῴην und πρώην (auch πρῶον) werden etwa gleich häufig in den Papyri gebraucht, wobei die Form mit ι eine Analogiebildung nach πρωΐ ist; dazu Frisk s.v. und Schwyzer II 70 (cf. a. Preisigke 133). Jacobs druckt in seiner Ausgabe beispielsweise πρώην. – λεπτοσύνη Eine (selbstverständlich äußerst durchsichtige) ἅπαξ-Bildung anstelle der gebräuchlichen Form λεπτό-της (cf. Schwyzer I 529, der die -τητ-Bildung als die für Prosa gewöhnliche bezeichnet – vgl. aber immerhin φημο-σύνη in Inscr. Cret. I 129 nr. 7 –, sowie Debrunner 162). Das Suffix -σύνη ist an sich auch in der Kaiserzeit überaus produktiv (Palmer 107s.). Dennoch besitzt die ungewohnte Kombination an vorliegender Stelle möglicherweise bereits Signalcharakter; es ist, als sollte durch die Artifizialität des Konstruktes ein besonderer Abstraktionsgrad ausgedrückt werden (›sie stritten sich um die Natur der Dünnheit‹; cf. auch die folgende Interpretation). Als Vergleich ließe sich ev. Thgn. 1225s. heranziehen: Οὐδέν, Κύρν’, ἀγαθῆς γλυκερώτερόν ἐστι γυναικός. | μάρτυς ἐγώ, σὺ δ’ ἐμοὶ γίνου ἀληθοσύνης. Auch hier ist der Begriff nicht einfach deckungsgleich mit ἀληθίας, sondern gemeint ist eher ›die Tatsache, dass meine Aussage der Wahrheit entspricht‹. Außerdem, wenn Naucks von den neueren Editoren durchweg akzeptierte Emendation richtig ist, Eur. IT 1279 ἀλαθοσύνα νυκτωπός ›nachts sich zeigende (Manifestation der) Wahrheit = Traumorakel‹. Cf. auch μαντεία (›Prophetie‹ im Sinne der ausgeführten Tätigkeit) vs. μαντο-σύνη, das die potentielle Fähigkeit zur Prophetie stärker betont (ars vs. facultas divinandi); für letzteres cf. Il. 1,72. 2 προκριθείς liegt ganz in der mit ἐμάχοντο gewählten Linie eines agonalen Kontextes. Cf. κριτής in AP 11,251,2 und 5. – λεπτεπιλεπτότερος Schulte ad loc. hat bereits auf φαυλεπιφαυλότατοι (Demodokos [5. Jh. v.

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Chr.]; AP 11,238,4 = IEG Demod. 5 West; dort ebenfalls am Ende einer Steigerungsreihe, außerdem bietet eine der Quellen für das Epigramm in einer sonst korrupten Lesart gar den Komparativ, dem West den Vorzug gibt; somit vielleicht als Modell für Nikarch denkbar) und παππεπίπαππος ›UrUr-Ahn‹ in Nikophon fr. 23 = Philonides fr. 17 K.-A. hingewiesen. Zu Wortspielen im allg. cf. Raines 1946: 99. 3 ἐνεδείξατο τέχνην ἐνδείκνυμι bedeutet ›zeigen, unter Beweis stellen‹; absolut findet es sich mit der Färbung ›ein Showstück zeigen, darbieten‹, was hier gewiss auch mitspielt; cf. Plat. Prot. 317c7 (die τέχνη ist in jenem Fall die Gelehrsamkeit des Protagoras). 4 καί hier explikativ (führt die Erklärung ein, worin das Kunststück besteht). – ῥαφίδος τρῆμα Mit Recht verweist Schulte auf den locus classicus zum Ausdruck eines Adynaton (nämlich dafür, dass τὴν σωτηρίαν χαλεπωτέραν τοῖς πλουτοῦσι δοκεῖν ἢ τοῖς ἀχρημάτοις τῶν ἀνθρώπων, cf. Clem. Al., Quis dives salvetur 2,1s.): das Kamelgleichnis in NT Mt. 19,24 (Εὐκοπώτερόν ἐστιν κάμηλον διὰ τρυπήματος ῥαφίδος διελθεῖν ἢ πλούσιον εἰσελθεῖν εἰς τὴν βασιλείαν τοῦ θεοῦ). Zur Urheberschaft dieses Diktums cf. den späteren Streit zwischen Kelsos, der es auf Platon zurückführt, und Origenes (contra Cels. 6,16). ῥαφίς und (att.) βελόνη (cf. AP 11,102) sind offenbar weitgehend synonym und können für jeden nadelförmigen Gegenstand, ob mit (Nähnadel) oder ohne Öhr (›Dorn‹), verwendet werden. 5 τρώγλη als Mausloch s. Batrachom. 52; Babr. 31,17, und v. a. AP 11,95, zum Motiv s. unten. Trotz des Anklanges an 11,95 ist es hier nicht zwingend nötig, ebenfalls von einem Mausloch auszugehen; ein noch kleineres Loch ist auch denkbar (anders Schulte ad loc.). Allerdings besteht eine terminologische Differenz zwischen gegrabenem Loch und natürlich vorhandener Spalte, ῥαγάς; cf. zu AP 11,407,2. 6 ἀπεκρέμασεν Hier geht es nicht um Suizid wie in AP 11,90; 91 und 111 (alle von Lukillios), wozu der λεπτός in diesen Darstellungen in Spottepigrammen neigt (Nisbet 2003a: 92; 2003b); dafür wird ein anderes Verb gebraucht: ἀπαγχονίζω. 7 ἐβόησεν; στεφανώσατε Beide Verben tragen angesichts eines λεπτός als Subjekt zur Steigerung des Komischen und zur Zeichnung des Absurden bei, sobald man beginnt, sich die Situation akustisch (mit einem entsprechenden Fistelstimmchen) und bildlich vorzustellen (Bekränzung eines πνεῦμα); s. unten. – Das στεφανοῦν erinnert an eine Wettkampfsituation und ist vielleicht auch im Rahmen des Symposionskontextes zu interpretieren; s. unten. 8 ἥττημαι Primäre Bedeutung ist hier ›in der Wette unterliegen, verlieren‹; cf. Plat. Soph. 239b καὶ … πάλαι καὶ τὰ νῦν ἡττημένον ἂν εὕροι περὶ τὸν τοῦ μὴ ὄντος ἔλεγχον. Der Begriff passt zur in Z. 1 gewählten Metapher für den Wettkampf: ἐμάχοντο; mitschwingen könnte auch die

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Assoziation, dass er in jedem Fall – als bloßes πνεῦμα, aber auch sonst – der ›schwächste‹ ist. Dieses Epigramm stellt seinen Bau so offen heraus wie es nur möglich ist. Zeile 1 fasst schlagzeilenartig zusammen, worum es im Folgenden geht: um den Agon dreier Dünner, von denen im Epigramm jeder ein Distichon bekommt. Sie streiten nicht um irgendetwas, sondern um die Dünnheit (was nicht per se selbstverständliche Tatsache ist; sie könnten ebensogut auch um etwas anderes streiten und dann infolge ihrer Dünnheit verschieden gut ihr Ziel erreichen; darin steckte zweifellos auch komisches Potential). Aber hier sind Thema und Rhema dasselbe; die Dünnen sind im Fokus des Epigramms, und sie reden über das, was sie verbindet, die Dünnheit, und mehr als das: sie versuchen einander zu übertreffen. Das Epigramm ist damit nicht nur reflexiv bezüglich des eigenen Inhalts (denn die Anlage erzwingt schon einen klimaktischen Aufbau), sondern es reflektiert auch seine Position im Hinblick auf andere Epigramme und damit den Hintergrund, wie wir ihn uns als performativen Diskurs bei diesen Gedichten ja immer wieder vorstellen können:103 Die eine Story soll die andere überbieten (wobei es beim Kunststück mit der Nähnadel und demjenigen mit Erdloch und Spinne nicht so klar wird, welches von beiden eine Steigerung gegenüber dem anderen bedeutet). Jedenfalls scheint die Hyperbole als Gestaltungsmittel neben der unmittelbaren fiktiven auch eine außertextliche Funktion zu bekommen, die in der realen Lebenswelt verankert ist. Das erste Distichon holt schließlich weiter aus und klärt, was mit μάχεσθαι περὶ λεπτοσύνης gemeint ist: die Entscheidung, τίς προκριθεὶς εἴη λεπτεπιλεπτότερος. Auf der unmittelbaren Verständnisebene ist das eine unglaublich banale Tautologie, und sie steht so offensichtlich im Raum (wegen der viermaligen Wiederholung der Wurzel λεπτ-, davon einmal (Z. 1) in einem völlig artifiziellen (nicht sprachwirklichen) Abstraktum (s. oben), schließlich sogar einer Bildung, die diese Häufung λεπτ- ἐπὶ λεπτgeradezu in sich selbst illustriert), dass man nicht umhin kann, in all diesem ›Zuviel‹ auch semantische Relevanz (und zwar gerade im Kontrast zur Irrelevanz der Aussage auf unmittelbarer Ebene) zu sehen.104 Darauf wird zurückzukommen sein; im Moment sei festgehalten, dass die drei Dünnen genau das in Aussicht stellen, was wir von ihnen als Epigrammsubjekten erwarten: sie werden ihre Dünnheit visualisieren, und sie kündigen uns die agonale Gegenüberstellung der Motive – bzw. aus ihrem Blickwinkel: ihrer τέχναι – selbst an.

103 Vgl. Einleitung p. 83ss. 104 Zum automatischen Zwang zur Generierung von ›Sense‹, die ein Text mit zahlreichen ›Non-sense‹-Elementen auslöst, s. oben Einleitung p. 121ss.

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Die nun folgende Darstellung dieser ›Kunststücke‹ ist geprägt vom Spiel der Brechung zwischen den verschiedenen Aussageebenen, zu denen ganz offensichtlich auch selbstreflexiv-ironischer Humor gehört. Die Hyperbolai der vorgestellten Bilder scheinen geradezu herausgestrichen durch einzelne Bemerkungen, die man auch als metadiskursiv verstehen kann. So wird vom Durchschlüpfen des Nadelöhrs gesagt: μεγάλην ἐνεδείξατο τέχνην. Das ist es natürlich im fiktiven Rahmen, in dem die ganze Geschichte abläuft (der Dünne im nächsten ›Schaustück‹ ist im Vergleich dazu mehr passiv), aber vor allem ist es ein Adynaton, was der Bemerkung gleich eine ironische Brechung gibt und ihren Gültigkeitsbereich letztlich mehr auf die Idee als solche verlagert, mit einem solchen Bild Dünnheit zu exemplifizieren (d. h. das ›große Kunststück‹ ist ein gedankliches, nicht ein real durchführbares). So interpretiert, könnten wir uns die Ironie aber auch auf der nächsten Ebene als wirksam vorstellen: Ist die Idee, das gedankliche ›Kunststück‹ wirklich so außergewöhnlich, eine so μεγάλη τέχνη? Der Vergleich mit einem typisch schmalen Gegenstand – Nähnadel oder Dorn – und die nachfolgende Verhältnisumkehr der Größenkategorien ist letztlich nicht weit hergeholt.105 Und wird das Ganze nicht auch durch die Tatsache relativiert, dass es der erste Beitrag in diesem Agon ist und dieser den noch folgenden ›Kunststücken‹ naturgemäß unterliegen muss? Demas, der nächste Kandidat, kommt aus einem kleinen Loch – ein ebenfalls bekanntes Motiv. Die Vorstellung könnte geradezu die Fortsetzung zu Lukillios’ AP 11,95 bilden, wo ein Winzling, in ein Mausloch gezogen, als ›neuer Herakles‹ seinen monströsen Gegner erwürgt. In der Folge bringt sich Demas allerdings (der Logik der Fiktion gemäß ganz bewusst) in eine Situation völliger Passivität (im Gegensatz zu Hermons τέχνη), wodurch er paradoxerweise seine Chance, im Agon der λεπτοσύνη zu gewinnen, zu erhöhen glaubt: indem er sich von einer Spinne einwickeln und aufhängen lässt. Schulte hat auch überzeugend auf den Anklang seines Namens an δέμα ›Strick‹ hingewiesen, der auf den Spinnenfaden nach entsprechender Anpassung der ›Fadenstärke‹ vorausdeuten soll.106 Mehr noch als die Maus ist die Spinne und ihr Netz bzw. Faden ein ständig wieder auftauchendes Epigrammmotiv.107 105 Die Idee ist auf Epigramme beschränkt, wo sie allerdings sozusagen ein Gattungsstereotyp darstellt; cf. Brecht 1930: 93. 106 Schulte 1999: 47 ad loc. Weniger stichhaltig scheint mir die ebenfalls von ihm erwähnte Assoziation mit δεῖμα ›Furcht‹. 107 Cf. neben AP 11,407 (s. u.) die Lukillios zugewiesenen Epigramme 106 und 111. Während in 111 der Spinnenfaden als Strick für den lebensmüden Diophantos dient, ist er in 106 die Rettung für Chairemon, der sonst vom Lufthauch durch den Äther fortgetragen worden wäre. Es geht also durchaus nicht immer um Selbstmord (vgl. a. oben zu ἀπεκρέμασεν). Zum Motiv von Spinne und Wind s. Brecht 1930: 92.

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Das letzte Distichon bringt den Höhepunkt – und, wie ich glaube, eine Anzahl von Brechungen durch Paradoxa. Das Maximum an Dünnheit ist es, nur noch πνεῦμα zu sein (in 106 und 107 wird der λεπτός von einer αὔρη λεπτή bzw. einem ἄνεμος fortgetragen; hier ist er es selbst). Dass man einen Lufthauch kränzen soll oder auch dass man für ihn das Verb βοᾶν verwendet, sind ›non-sense‹-Verbindungen, die gerade durch ihre Paradoxie wirken sollen. Das bedeutet aber auch, dass es nicht mehr nötig ist, von diesem Dünnen eine ›Geschichte‹ im Sinne einer τέχνη zu erfinden; der Höhepunkt der Hyperbole ist allein durch die Eigenschaft der Körperlosigkeit gegeben. Mit der Grenze der Hyperbole ist gleichzeitig, wie ich meine, die Grenze des Diskurses erreicht; keine weitere ›Steigerung der Dünnheit‹ ist mehr möglich. Man könnte sagen: der ›Höhepunkt‹ ist enttäuschend, denn der schon zuvor erreichte Abstraktionsgrad erlaubt keine weiteren kühnen Phantasien mehr, die noch von einem partiellen Bezug zur Realwelt ihre Nahrung erhalten könnten. Die Steigerung des fiktiven wie des diskursiven Agons hat sich vielmehr gewissermaßen im πνεῦμα aufgelöst und ist in diesem verpufft. Mit der Auflösung des λεπτός im Nichts hat dieser auch sein Potential für Phantasiespiele eingebüßt, und es ist schwer vorstellbar, dass die EpigrammMacher dies übersehen hätten. Wenn wir bereit sind, die Interpretation der Entwicklung des Agons auch als Symbol für die Grenze des (epigrammatischen) λεπτός-Diskurses zu akzeptieren (in dem es, wie mit προκρίνεσθαι in Z. 2 bestens vereinbar, ebenfalls einen ›Sieger‹ geben soll), sollten wir nochmals zum ersten Distichon zurückkehren, das ja das ganze Geschehen sozusagen zusammenfasst bzw. den Titel dafür setzt. Die Versuchung scheint mir groß, auch diese Aussage auf zwei Ebenen, der fiktiven und derjenigen der Realwelt der Epigrammproduktion, auszudeuten. Die λεπτοί, die Subjekte dieser Aktion, sind dann gleichzeitig auch diejenigen, die – in der Gestaltung von λεπτοί – bezüglich der λεπτοσύνη (der von ihnen gestalteten λεπτοί) wetteifern; der Agon wäre auf dieser Ebene der Diskurs, der in der Übernahme und Weiterentwicklung von Epigrammen besteht, wie wir ihn uns als Lebensnerv für dieses Genus vorzustellen haben (s. Einleitung, Kap. V). Der fiktive Wettstreit wäre gewissermaßen eine Chiffre für den epigrammatischen Agon in der Realwelt; die Grenze der Fiktionalität ein Spiegel für die Grenze, Epigramme über λεπτοί zu gestalten. Das wäre ein höchst selbstreflexiver Prozess, der über die schlichte Feststellung lusimus in tabellis (Cat. 50) hinausgeht, weil in diesem Falle der ludus in sich und durch sich selbst thematisiert und sogar ironisch in Frage gestellt würde (Nikarchs Beitrag wäre in der Reihe der letzte, abschließende).108

108 Vgl. oben Einleitung p. 84s.

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Und noch eine Hypothese sei hier in den Raum gestellt. Wenn die λεπτοί zugleich auch die Schöpfer der λεπτοί widerspiegeln, dann drängt sich in der metadiskursiven Ebene ebenso eine doppelte Interpretation des Adjektivs λεπτός auf: Die Verfasser wären in ihrer eigenen selbstironischen Zeichnung nicht nur körperlich ähnlich wie ihre Produkte (nämlich von schmächtiger Gestalt),109 sondern sie wären auch im kallimacheischen Sinne des Begriffs ›feinsinnig‹ und ›witzig‹. Das Epigramm entspräche dann ›einem feinsinnigen Agon über die Grenzen der Witzigkeit in λεπτός-Epigrammen, symbolisch dargestellt in Form eines Agons von Dünnen über ihre Dünnheit‹. Das ist wohl mise-en-abîme und ein Gedankenexperiment des feinsinnigen Lesers, scheint aber für Nikarch und ebenso auch für den Kontext eines Symposions recht realistisch. Nur kurz sei hier auf eine abweichende Deutung des Kontextes eingegangen, die ebenfalls im zusätzlichen Verständnis von λεπτοί als ›feinsinnig; gebildet‹ verankert ist.110 Gemäß dieser wären die λεπτοί gerade die nicht am Symposion Teilnehmenden: die Gelehrten, die keinen sozialen Verpflichtungen nachkommen, Essen und Trinken vernachlässigen und stattdessen Tag und Nacht in der Studierstube verbringen. Ihr dürftiges Leben könnte sich dann in Form eines pathologisch dünnen, unmuskulösen Körpers äußern. Es wäre nicht weiter erstaunlich, wenn die gesellige Runde sich gerade solche Zeitgenossen zum Objekt des Spottes auserwählt hätte (die ›Nicht-Zugehörigen‹; zum Witz als Bestätigung der eigenen sozialen Zugehörigkeit und Abgrenzung von den ›anderen‹ s. oben Einleitung p. 83 und 119). Auf literarischer Stufe wäre zudem zu erwägen, ob der Spott im Sinne der kurz zuvor angestellten Überlegung auch gegen die Schriftprodukte solcher Leute (also nach dem Grundsatz κατὰ λεπτόν verfasste Gedichte) im Sinne eines antikallimacheischen Manifests gerichtet sei. So wichtig und interessant das Gedankenexperiment auf jeden Fall ist, die spezielle Anlage der Gedichte mit der beschriebenen agonalen Situation spricht m.E. doch eher für die erste Deutung, die darin besteht, dass die Symposiasten sich in ironischer Weise selbst mit den λεπτοί identifizieren. Die Karikaturen könnten in ihrer Vielschichtigkeit so weit gehen, dass mit dieser Identifikation zwar auch eine verschlüsselte Kritik kallimacheischer Poesie verbunden ist (Nikarch ist etwa in metrischen Belangen kein getreuer Schüler des Kallimachos),111 doch wächst diese jedenfalls nicht zu einem literaturtheoretischen Manifest heran, und auch in anderen Gedichten gibt es 109 Dies ist ein von Aristophanes besonders gerne angewandtes Verfahren: klassisches Beispiel sind die Frösche (cf. die Parallelität zwischen Charakterzügen der Dichterperson und ihrer Werke) und die Wolken (Sokrates), für die Zeichnung des Euripides auch Ach. 393ss. und Thesm. 1ss. 110 S. Nisbet 2003b. 111 S. Einleitung p. 39ss.

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Die wichtigsten Motivgruppen

keine deutlicheren Signale dafür. Vielmehr erlaubt das Epigramm den im Moment seiner Aufführung Involvierten, für einen Moment die λεπτοί zu spielen, nicht in kallimacheischer, sondern in nikarchischer Weise, wo das Spiel mit πνεῦμα und Kranz für den Unsichtbaren endet. b. AP 11,407 Τὸν λεπτὸν θακεῦντα Μενέστρατον εἴαρος ὥρῃ μύρμηξ ἐξελθὼν εἵλκυσεν εἰς ῥαγάδα· μυῖα δ’ ἐπιπτᾶσ’ αὐτὸν ἀνήρπασεν, ὡς Γανυμήδην αἰετὸς εἰς θαλάμους οὐρανίους Κρονίδεω· πίπτεν δ’ ἐκ χειρῶν μυίης, κοὐδ’ ὣς θίγε γαίης, ἐκ δ’ ἀράχνης ἱστοῦ τῶν βλεφάρων κρέμαται.

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Pl.: Ø. – Tit. τοῦ αὐτοῦ P || 4 Κρονίδεω Jacobs112 : -δαο P : -δα Hecker || 5 -εν δ’ ἐκ Jacobs : -ε δὲ P

Den dünnen Menestratos, wie er ruhend dasaß, zu frühlingshafter Jahreszeit, begann eine Ameise, hervorgekommen, in ihr Loch zu ziehen. Doch eine Fliege flog dazu und raubte ihn von dannen, wie einsten Ganymed der Adler in die himmlischen Gemächer des Kroniden. Er fiel aus den Händen der Fliege, doch auch so berührte er die Erde nicht: Er hängt an seinen Wimpern von der Spinne Gewebe.

Worterklärungen: 1 θακεῦντα Die hier gewählte, kaum auf Überlieferungszufall zurückgehende nicht-attische Form ist doch wohl als absichtliches Stilelement (altertümlich-hehrer Eindruck) zu werten. Schulte ad loc. betont ferner den Gebrauch des Verbs vornehmlich in Tragödien (z. B. Soph. Ai. 325), was hier, gleich zu Beginn des Epigramms, ebenfalls maßgeblich zu dessen Kolorit beiträgt. Ein wichtiger Bedeutungsaspekt des Wortes ist hier der des Sich-Ausruhens: dadurch wird die Vorstellung gefördert, Menestratos sei erschöpft und sitze ruhig da, während um ihn herum die (Tier-)Welt (im Frühling!) sich zu regen beginnt. Zu Menestratos’ Passivität, die im übrigen einmal mehr in starkem Kontrast zu seinem Namen steht (›Heerführer‹), zu welcher aber der spondeische Versbeginn passt, cf. die Interpretation unten. – εἴαρος ὥρῃ eine epische Junktur, hier ebenfalls zur Schaffung komischen Kontrasts gesetzt; vgl. Hes. fr. 70,13 M.-W.; dann wieder im 2. Jh. n. Chr.: Opp. Hal. 4,164; 374; Dion. Perieg. orbis descr. 833. In der AP noch in 9,363,2 (Meleager) und 580,3. 2 ἐξελθὼν ἐκ ῥαγάδος. – ῥαγάδα eine natürliche Erdspalte (= rima; fissura; cf. a. ῥηγμός), cf. oben a) zu AP 11,110,5; Diod. 1,39,7 φησὶ 112 Für Synizese in Κρονίδεω cf. Hes. Theog. 572 = Op. 71; SH 970,3.

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I.3. Λεπτῶν ὁ λεπτεπιλεπτότερος

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… τὴν Αἴγυπτον ἅπασαν οὖσαν ποταμόχωστον …, ῥαγάδας τε μεγάλας καὶ διηνεκεῖς ἔχειν, sowie SB 6797, 9 (Lohnabrechnung für Landarbeiten, 3. Jh.) καὶ Κερκίωνι εἰς σκαλιδευτὰς τ[οὺς ἐν τῷ] β περιχώματι διὰ τὸ ῥαγάδας [εἶναι καὶ μὴ] δύνασθαι ἀπὸ ἀρότρου … 3 μυῖα Die Fliege ist selbst Objekt komischen Spotts, in ebenfalls parodistischer Form mit überhöhtem Register, in Lukians Μυίας ἐγκώμιον (nr. 7 MacLeod), cf. dessen Beginn Ἡ μυῖα ἔστι μὲν οὐ τὸ σμικρότατον τῶν ὀρνέων, ὅσον ἐμπίσι καὶ κώνωψι καὶ τοῖς ἔτι λεπτοτέροις παραβάλλειν, ἀλλὰ τοσοῦτον ἐκείνων μεγέθει προὔχει ὅσον αὐτὴ μελίττης ἀπολείπεται. Vgl. M. Billerbeck/C. Zubler, Das Lob der Fliege von Lukian bis L.B. Alberti, Bern etc. 2000: 4s. und 74s. 4 θαλάμους οὐρανίους Κρονίδεω Obwohl die Wendung durch das Patronymikon (s. Hes. Theog. 572 = Op. 71) und den Pl. in θαλάμους entsprechend klingt, hat sie als Ganzes kein direktes Vorbild im Epos: Der Begriff θάλαμοι begegnet im Kontext mit dem Olympos erst in Eur. Ion 459 Ὀλύμπου χρυσέων θαλάμων und Bakch. 56; in den homer. Epen ist er hingegen noch in der Bedeutung ›Ehe-, Frauengemach‹ für den Bereich der Sterblichen reserviert, z. B. für Helena Il. 3,142. Für Zeus steht in Il. 11,77 der neutrale Ausdruck δώματα Οὐλύμποιο. Bei Nikarch handelt es sich somit um ›episches-dramatisches Patchwork‹. Inhaltlich gelangt außerdem eine Brechung mit in die Aussage, denn der in die θάλαμοι Verschleppte ist ja kein anderer als Ganymed (vgl. auch AP 12,230 [Kallimachos]). Dem Kontrast zwischen gravitätischem Ton und bedeutungslosem Inhalt steht ein Epigramm wie AP 9,790 (Antipater v. Sidon) gegenüber, wo der feierliche Klang bestens in den Kontext passt. – Κρονίδεω passt besser als -αο zum vorhergehenden θακεῦντα, und der Übergang vom einen zum andern ist paläographisch einfach. 5 ἐκ χειρῶν μυίης galt wohl auch nach antiker Empfindung als Oxymoron; χεῖρ wird zwar von Tatzen und Pfoten größerer Tiere gebraucht (cf. LSJ s.v., I 3), ist aber als Terminus für Fliegenbeine wohl sehr auffallend. – κοὐδ’ ὣς eine typisch homerische Fügung (in den Ausgaben meist mit Zirkumflex, οὐδ’ ὧς): ›auch so nicht‹, die an dieser Stelle ebenfalls zur Überregistrierung beiträgt. – θίγε θιγγάνω ist wieder der Tragödiensprache entlehnt; das gleich folgende γαίης gehört dagegen zur homerischen Kunstsprache. Das zeigt, dass sich Nikarch nicht speziell an die homerische oder die tragische Diktion klammert; der allgemeine Eindruck eines gehobenen Registers reicht ihm aus. 6 ἀράχνης ἱστοῦ Cf. Bacchyl. paean. fr. 1, 69s. Irigoin ’Εν δὲ σιδαροδέτοις πόρπαξιν αἰθᾶν ἀραχνᾶν ἱστοὶ πέλονται. Wie einleitend erwähnt, illustriert dieses Beispiel die zweite Art, das traditionelle λεπτός-Epigramm zu erweitern. Es handelt sich um eine Reihe von Erlebnissen, mit denen sich dieselbe Person konfrontiert sieht, und diese Bege-

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Die wichtigsten Motivgruppen

benheiten sind alles Elemente, wie sie zumindest in ähnlicher Form auch aus anderen Epigrammen bekannt sind: Dass der λεπτός von einem winzigen Tier in ein Loch gezogen wird, hat, wie auch Schulte bemerkt, seine enge Parallele in AP 11,95 (Lukillios), nur dass das Tier hier noch eine Kategorie kleiner ist (eine Ameise; in 11,104 und 392 spielt sie die Rolle des Reittiers, das den Winzling an Größe noch massiv überbietet): Τὸν μικρὸν Μάκρωνα θέρους κοιμώμενον εὑρὼν εἰς τρώγλην μικροῦ τοῦ ποδὸς εἵλκυσε μῦς· ὃς δ’ ἐν τῇ τρώγλῃ ψιλὸς τὸν μῦν ἀποπνίξας· »Ζεῦ πάτερ«, εἶπεν, »ἔχεις δεύτερον Ἡρακλέα.« Den kleinen Herrn Groß fand im Sommer beim Schlafen und zog an seinem winzigen Fuß ins Loch – eine Maus. Der aber, unbewaffnet, erwürgte im Loch die Maus. »Vater Zeus,« sprach er, »du hast einen zweiten Herakles!«

Für die Rolle von 11,95 als direktem Vorbild spricht neben der allgemeinen Ähnlichkeit der Situation auch die in beiden Epigrammen vorkommende Angabe der Jahreszeit (95,1: θέρους; 407,1: εἴαρος) und das Detail, dass der ›Akteur‹ passiv dasitzt oder -liegt und in dieser Situation ›verschleppt‹ wird. Er ist offenbar ein so leichtes Opfer, dass diese Aktion sozusagen innerhalb eines Augenblicks möglich ist (cf. die Antithese ἐξελθὼν εἵλκυσεν εἰς …). Die Wehrlosigkeit unterscheidet ihn zumindest von den wetteifernden Gestalten in 11,110, vor allem von Hermon, der willentlich μεγάλην ἐνεδείξατο τέχνην. Passivität ist auch in der Fortsetzung das hervorstechende Merkmal, und gerade deshalb entsteht auch die starke Kontrastwirkung zum Namen Μενέ-στρατος (in 104, wo der Name ebenfalls für den λεπτός gewählt ist, liegt die Komik dagegen darin, dass dieser ›Heerführer‹ auf einer Ameise und nicht auf einem Pferd reitet). Auch die nächsten Zwischenfälle, die ihm ›passieren‹, sind aus anderen Epigrammen bekannte Motive. Vom ›Raub‹ durch eine Fliege handelt auch AP 11,88,113 vom Spinnennetz, das den Fall (bzw. genauer noch: das Schweben oder Davongetragenwerden in der Luft) hemmt, auch 11,106. Während bei 11,95 die Geschichte ebenfalls aus einem einfachen Handlungsablauf besteht, finden sich die einzelnen Motive von 11,407 sonst über einzelne Epigramme verstreut, jeweils mit der Funktion, die Kleinheit der karikierten Person durch Übertragung der alltäglichen Größenrelationen auf eine künstliche Liliputanerwelt zu illustrieren. Im hier besprochenen Epigramm werden allerdings nicht nur verschiedene Motive aneinandergereiht; sie stehen auch in einem gewissen Sinne in ursächlichem Bezug zueinan113 Auch der Ganymedvergleich ist dort (indirekt) durch die Figur selbst ausgespochen. Zu Ganymed in einem anderen Kontext bei Nikarch s. AP 11,330 (p. 325s.).

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der.114 Die eine Situation schafft die Voraussetzung für die nächste (Menestratos sitzt passiv da und wird daher von der Ameise wie ein lebloses Objekt oder wie eine wehrlose Beute weggeschleppt), wobei als besonders auffällig bezeichnet werden kann, dass der folgende Handlungsstrang jeweils intervenierende Funktion besitzt: die Ameise zieht Menestratos nicht ins Loch, weil er gerade noch von der Fliege geschnappt wird; er fällt nicht zu Boden, weil er vorher im Spinnennetz aufgefangen wird. Innerhalb der Reihung ist also ein deutliches Kompositionsprinzip erkennbar. Im Gesamteffekt bietet diese Sequenz ein klares Mehr an Adynata; durch ihre Verbindung innerhalb der Erzählung gelangen sie allerdings in ein Bezugssystem, in dem die Grenzen der Physik nicht so einfach überspielt werden können wie in den verschiedenen einzelnen Epigrammen, in denen eine Einzelidee so weit wie nur möglich hyperbolisch aufgebläht wird (etwa der Konflikt des Dünnen mit Epikurs Atomen, die natürlich größer sind als er). In der Sequenz müssen gewisse Grenzen von Raum und Zeit – oder anders ausgedrückt: ein gewisser Realweltsbezug – gewahrt bleiben, damit eine logisch erscheinende Erzählung noch möglich bleibt. Das Spiel bewegt sich also zwischen zwei Polen: einerseits dem Bestreben, noch teilweise im Bereich alltäglicher Imagination zu verbleiben, andererseits dem Auskosten von Verfremdungselementen in Form eines neu geschaffenen, ungewöhnlichen Größenrelationssystems mit der üblichen hyperbolischen Verstärkung. Daneben findet sich aber auch eine andere Form von Verfremdungselementen, die außerhalb dieses narrativen Relationssystems stehen und daher gewissermaßen eine Außenperspektive schaffen – und damit sind wir wieder bei Selbstreflexivität. Im Falle von AP 11,407 ist die ›Brechung‹, wie wir das auch von anderen Nikarch-Epigrammen kennen, stark durch nicht adäquate Stilelemente markiert (generell an Tragödie115 und Epos anklingende Diktion; s. oben die Worterklärungen). Zum epischen Kolorit dürfte auch das mythische Gleichnis von der Fliege zählen, die, wie der Adler Ganymed, den Dünnen ›in die himmlischen Gemächer des Kroniden‹ entführt. Unterstützend als Marker wirkt ferner zweifellos das plakative Oxymoron ἐκ χειρῶν μυίης. Und schließlich ist die ›Artifizialität‹ der Geschichte auch dadurch hervorgehoben, dass, wie ebenfalls auch Schulte bemerkt hat, in 4 von 6 Zeilen eine Tierbezeichnung fast oder ganz am Anfang der Zeile steht. Es stellt sich also die Frage – und damit wird die Antwort bereits suggeriert –, ob diese Überregistrierung in mehrfacher Hinsicht nicht als bewusst 114 Lausberg 1982: 411 ›Nikarchos verbindet verschiedene Einzelhyperbeln zu einer einzigen Geschichte mit verschiedenen Stadien und will so offenbar durch Motivhäufung die Hyperbeln seines Vorbildes hyperbolisch überbieten.‹ 115 Darauf hat Schulte 1999: 79s. ad loc. mit Recht hingewiesen. Das Epos spielt, wie gesehen, als Vorbild aber ebenfalls eine Rolle.

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eingesetztes selbstreflexives Element zur Förderung einer metatextuellen Deutung interpretiert werden sollte. Damit rückt die Interpretation von Epigramm 407 in die Nähe derjenigen von 110 und, wenn man die Idee nicht als ganz unrealistisch verwerfen will, ergibt sich letztlich eine Gesamtdeutung beider Epigramme als selbstreflexive ›Companion pieces‹. Durch die Vorführung zweier verschiedener Optionen des Umgangs mit tradiertem Material, das bereits seinerseits aus kreativen Ideen/Verfremdungen (sozusagen Primärmetaphern) hervorgegangen ist, reflektieren sie die generelle Problematik kreativer Möglichkeiten mit motivischen Versatzstücken, vor allem aber auch die Frage nach deren Grenze. In 110 ist mit der maximalen Hyperbole λεπτός = πνεῦμα ein Grenzpunkt nicht nur im rein quantitativen Sinne gegeben, sondern auch im Sinne der Attraktivität der so weit übersteigerten Metapher, dass sie keinen Bezug mehr zur common-sense-Realität besitzt und dadurch narratologisch unfruchtbar wird. Im Moment der Ausdehnung der Hyperbole auf ihr Maximum (= aufs Nichts) ist auch der Diskurs und das damit verbundene Spiel am Ende angelangt – es gibt nichts Weiteres mehr hinzuzufügen. In einem performativen Kontext, einem Agon auf den λεπτός, behält der Sprecher das letzte Wort, da er nicht mehr übertroffen werden kann. Genau dieser Umstand scheint mir implizit aufs treffendste auf den Punkt gebracht in einem anonymen, nur im Parisinus Suppl. Gr. 352 (= Sylloge Crameriana) erhaltenen Epigramm, das wegen seines interessanten Hinweises auf Stegreifproduktion schon in der Einleitung (p. 85) angeführt wurde:116 Εἴς τινα πάνυ μικρὸν κελευσθεὶς εἰπεῖν στίχον σχέδιον.

Οὐ δύναμαι ἰδέειν τὸν σκωπτόμενον· σύγγνωτε. Auf die Aufforderung hin, eine Verszeile auf einen ganz Kleinen zu improvisieren:

Verzeiht, aber ich kann das Objekt des Spottes ja gar nicht sehen!

In AP 11,407 dagegen sind die Bilder unter sich nicht wesentlich verschieden im Abstraktionsgrad; die Klimax entsteht vielmehr durch die Zeit, die die Erzählung braucht, und die Abfolge der einzelnen absurden Geschehnisse. Je mehr der λεπτός erlebt, umso ›unwirklicher‹ werden die im Grunde schon für sich unwirklichen Einzelbilder. Der absolute Gipfelpunkt ist mit dem 116 Anthologiae Graecae Appendix, Epigramma irrisorium 56 Cougny. Auf die Parallele aufmerksam wurde ich dank Brecht 1930: 90. Brecht trennt im übrigen in seiner Aufstellung zwischen Epigrammen auf Kleine (μικροί) und solchen auf Dünne (λεπτοί), doch in der Verwendung der hyperbolischen Motive überschneiden sich die beiden Bereiche, wie gerade z. B. 11,407 zeigt, das bei Brecht in der ersten Kategorie erwähnt ist. – Ein Spiel mit Realitätsbezug und Grenzen der Wahrnehmbarkeit findet sich auch in Martial 11,101 Thaida tam tenuem potuisti, Flacce, videre? | tu, puto, quod non est, Flacce videre potes. Cf. den Kommentar von Kay 1985: 271s. ad loc.

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Hängen am Spinnfaden mit einer Wimper erreicht; hier sind die Gesetze der Schwerkraft definitiv aufgehoben, wie wir das von Epigrammen mit schwebenden λεπτοί kennen. Dadurch aber, dass die Einzelbilder, wie gezeigt, in einem ›sinnvollen‹ Rahmen (›framing‹) stehen, tritt die Erzählung als Konstruktion hervor. Diese Art von Kreation braucht somit die Einzelmotive, um ihre eigene Natur als ›Meta-kreation‹ zu offenbaren. Und sie scheint dies im Wissen um die eigene Stellung zu tun. Im Vokabular der oben p. 120ss. beschriebenen Theorie ausgedrückt, geschieht die ›Sinngebung‹ auf zwei Ebenen: der textinternen, mehr aber noch der metatextuellen.

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I.4. Schiffsepigramme

Die Anthologia Graeca bietet eine Gruppe von Spottepigrammen über die Seeuntauglichkeit von Schiffen (›Seelenverkäufern‹). Zu diesen ist außerdem ein bisher unbekanntes Epigramm von POxy. 4501 hinzugekommen. Die Gruppe gehört in den weiteren Rahmen des traditionellen Schiffbruchmotivs, das sich nicht nur in den Grabepigrammen, sondern als existentielle Frage seit jeher in weiteren Bereichen der antiken Literatur findet. Die skoptischen Epigramme setzen darin neue Schwerpunkte, ohne dass jedoch die dahinterstehende Tradition vergessen wird. In dieser Hinsicht ist die Situation von derjenigen der Arztepigramme (I.1) nicht allzu verschieden. Zur Illustration dieses Hintergrundes soll auch in diesem Kapitel ein kurzer motivgeschichtlicher Abriss dienen. Für ein besseres Verständnis der im Folgenden zu besprechenden Nikarchepigramme AP 11,331s. und POxy. 4501 und um zu sehen, inwiefern sich die Schiffsepigramme als Untergruppe der Spottepigramme an die Gattungstradition anlehnen, aber auch von ihr abheben, werden später in die Besprechung zwei Beispiele von Lukillios sowie eines von Bianor (wohl august. Zeit) in die Diskussion mit einbezogen.

Schiffbruch als existentielles Thema – ein Überblick Wie sich im Laufe des Kapitels ergeben wird, handelt es sich beim skoptischen Motiv des maroden Schiffes um eine Sonderentwicklung, deren Ausgangspunkt im traditionellen, in der antiken Literatur äußerst verbreiteten Schiffbruchmotiv als Auseinandersetzung mit einem realweltlichen Problem zu sehen ist.117 Das Verhältnis des antiken Menschen gegenüber der Seefahrt war ein ambivalentes:118 Sie gilt im Rahmen entsprechender Reflexionen als sichtbarer Ausdruck einer zivilisatorischen Entwicklungsstufe des Menschen 117 Ein anregender Essay zur Kulturgeschichte des Motivs bis in die Literatur und Philosophie der Neuzeit liegt vor in H. Blumenberg, Schiffbruch mit Zuschauer. Paradigma einer Daseinsmetapher, Frankfurt a. M. 1979 (Neuauflage 1997) (für das Grundlegende insbes. 9–17). 118 S. Utzinger 2003: 28 n. 63 mit Stellenangaben und weiterer Bibliographie, sowie 267. Locus classicus und in seinem bestimmenden Einfluss auf das Weltbild folgender Generationen nicht zu unterschätzen ist Hes. Op. 618ss., wo die Seefahrt als δυσπέμφελος, aber nicht grundsätzlich dem Menschen versagt dargestellt ist; einzig nach dem Untergang der Plejaden soll man sich vom Meer fernhalten (622: τότε μηκέτι νῆα ἔχειν ἐνὶ οἴνοπι πόντῳ).

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und hatte sich als unabdingbar für kulturellen und materiellen Austausch erwiesen. So wurde in aller Regel das Befahren des Meeres bei günstigen Verhältnissen zwar nicht per se als Hybris angesehen,119 doch blieb das Überqueren offener See als besonders gefährliches Wagnis immer eine Grenzerfahrung mit eng gesetztem Aktionsrahmen,120 deren Anfang und Ende jeweils durch religiöse Handlungen (Weihungen, Gebete, Einholung von Orakeln; vgl. AP 11,162 [unten Kap. II.5]) markiert war. In der Zeit dazwischen befand man sich in wörtlichem und in übertragenem Sinne auf extraterritorialem Bereich, einer Exklave menschlicher Lebenswelt, die auch bei scheinbar guten äußeren Voraussetzungen sehr labil und verwundbar war (vgl. z. B. Alkaios fr. 6 Voigt). Geriet diese winzige menschliche Lebenswelt in Bedrohung, so führte das in aller Regel zu einer vollständigen Elimination, die zumeist den Tod der Seefahrer miteinschloss.121 Besonders schwer wog dabei, dass Unfallsopfer auf offenem Meer kaum je in gültiger Weise bestattet werden konnten und so nach gängiger religiöser Vorstellung der Seele der Zugang zum Hades verwehrt blieb. Dieser Umstand begegnet bereits in der eindrücklichen Klage des Archilochos für seinen auf hoher See umgekommenen Schwager (fr. 9; 13 West) und dann natürlich häufig in den Grabepigrammen.122 Sie schildern etwa, wie stattdessen die Körper im Meer treiben und von den Fischen langsam aufgefressen werden (AP 7,271–75 und 285; 271 [Kallimachos] beginnt mit dem Ausruf Ὤφελε μηδ’ ἐγένοντο θοαὶ νέες).123 Damit verbunden ist ein tiefes Mitgefühl für die Person, die einen solch unnatürlichen Tod fand, und stets wird auch betont, wie edel solche handeln, die einem zufällig gefundenen Leich-

119 Anders bei Lukrez, de rerum nat. 5,999–1006, wo die Seefahrt unzweideutig im Lichte ihrer Widernatürlichkeit dargestellt ist. Cf. auch Ov. Met. 1,94–6 (nondum … in liquidas pinus descenderat undas, | nullaque mortales praeter sua litora norant). Für weitere Stellen s. auch unten c) den Komm. zu POxy. 4501,4. 120 Die Nichtbeachtung dieser Grenzen – etwa Ausfahrt bei stürmischer See oder im Winter – kam dagegen einer Hybrishandlung gleich. 121 Im Überlebensfall bedeutete der Schiffsbruch die Reduktion aufs Absolut-Elementare, was häufig mit dem Bild der Nacktheit des Schiffbrüchigen ausgedrückt wurde; cf. Od. 6,127f. – Oft ist auch erwähnt, wie vom Schiff so gut wie nichts mehr übrigbleibt; vgl. Petr. Sat. 114,13. Als der tote Lichas 115,8ss. entdeckt wird, wird er mit Worten beklagt, die durchaus auch in einem Schiffbrüchigenepigramm stehen könnten. – Ein guter Überblick über das Thema jetzt in Di Nino 2010: 77ss. 122 Di Nino 2010: 84s. 123 Zum Komplex der Grabepigramme für Schiffbrüchige s. die nützliche Zusammenstellung von M. Campetella (1995); ferner Lausberg 1982: 160–62 und Lattimore 1962: 199ss. – Seit dem Fund der Mailänder Poseidipp-Papyri (Di Nino 2010: 108ss.) ist uns auch direkt der ›Gattungsbegriff‹ für solche Epigramme, zusammen mit einer Reihe typischer Beispiele, überliefert: Ναυαγικά (P.Mil.Vogl. VIII 309 col. XIV 2–28; Bastianini-Gallazzi 2001: 99ss.; 216ss.; nrr. 89–94 Austin-Bastianini).

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nam aus dem Meere doch noch eine späte Bestattung zukommen lassen (AP 7,277; 9,52 mit Erwähnung eines ›Lohns‹; EG 642 Kaibel [3.–4. Jh. n. Chr.]; vgl. auch Poseid. 94 Austin-Bastianini), wie im Gegenteil jene der Fluch treffen soll, die die an den Strand gespülte Leiche noch ihres Gewandes berauben (AP 7,268). Daneben gibt es eine Reihe von Epigrammen, in denen von der Unabänderlichkeit dieses Drangs zur Seefahrt die Rede ist: obwohl die Menschen durch die Grabmale der Gescheiterten gewarnt sind, lösen sie weiterhin ihre Schiffe, manchmal sogar mitten im Winter (AP 7,263–64; 266; 277; 282; 675). Hier mag der Hybris-Vorwurf im Hintergrund mitschwingen; die Tätigkeit ist aber andererseits als eine solche dargestellt, zu der es gar keine Alternative gibt – eine condicio humana schlechthin. (Die Metapher des Lebens als Schiffahrt,124 die dann im christlichen Kontext stark wirkte, erscheint von hier aus naheliegend.) Daneben aber begegnet die Feststellung, dass keine ›Gerechtigkeit‹ darin besteht, wer zum Opfer wird und wer nicht. Auch die Vorsichtigen kann es treffen, wie umgekehrt Verwegene heil ihr Abenteuer bestehen können (Theodizee; cf. z. B. AP 7,265). Damit ist ein für viele dieser Epigramme und letztlich auch für die Spottgedichte sehr wesentlicher Aspekt angesprochen: die Unabwendbarkeit der Schicksalsmacht (Τύχη), die insbesondere seit hellenistischer Zeit für das Weltbild von zentraler Bedeutung ist.125 Sie äußert sich beispielsweise darin, dass man noch kurz vor dem Hafen scheitern kann (AP 7,630) (sogar im Hafen? → vgl. POxy. 4501; AP 7,639) oder, dem Meeressturm mit knapper Not entronnen, auf dem Lande ums Leben kommt (7,289–90). 7,289, wohl um die Zeitenwende entstanden, endet mit der Feststellung: ὦ γαίης κύματα πιστότερα, die sinngemäß fast gleich im Epigramm AP 11,248 (s. unten) begegnet, wo ein Schiff paradoxerweise nicht im Wintersturm, sondern zu Lande durch Feuer sein Ende findet. Die Tyche zeigt sich in letzterem nicht am Menschen selbst, doch immerhin am Menschenwerk, und stellt dem Betrachter die paradoxe Natur ihres Wirkens vor Augen.126 Diese Thematik scheint um die Zeitenwende ungemein beliebt gewesen zu sein, denn es gibt zahlreiche Ausarbeitungen des Motivs: AP 9,34; 36; 106. Das Paradoxe ist zugleich das literarisch Fruchtbare: gegenüber der bloßen Feststellung, wer wo gestorben ist (resp. auch der Feststellung, dass der Tote namenlos bleibt), geben Formulierungen, die zwangsläufig Reflexionen über die condicio humana auslösen, dem Schiffbruchmotiv eine ›Wendung, die [auch] den literarischen Leser zu be-

124 Z. B. AP 10,65 (Palladas). Cf. auch etwa den metaphorischen Ausdruck oὐριοστάτης ›glücklich (im Leben) stehend‹ in Aisch. Ch. 821. 125 Siehe dazu Campetella 1995: 60ss.; vgl. a. Lattimore 1962: 149s. 126 Damit einher geht die Tatsache, dass motivisch eng verwandte Epigramme sowohl im 7. Buch der AP (Sepulkralepigramme) als auch im 9. (epideiktische Epigramme) auftreten.

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friedigen vermag‹.127 Diesen Umstand bestätigt auch das generelle Interesse an speziellen Todesarten in der hellenistischen Epigrammatik, das die Verfasser skoptischer Gedichte teilweise auf ihre Art weiterpflegen.128 Das Paradoxe als das Ungewöhnliche und vordergründig Sinnentfremdete bildet demnach auch Voraussetzung und Ausgangspunkt, zum Gegenstand des Komischen und Objekt der Satire zu werden, dies insofern, als Komik, wie in der Einleitung Kap. VIII festgestellt, durch ›Normverstöße‹ bzw. nicht erfüllte oder sogar ins Gegenteil verkehrte Erwartungshaltungen konstituiert wird. Ist dieser Weg einmal eingeschlagen, d. h. eine Situation ›konstruiert‹, die sich gerade durch ihren paradoxen Charakter auszeichnet, so ist damit die Legitimät geschaffen, in der beschreibenden Darstellung auch weitere ›Verstöße‹ einzubauen, die illustrierend und verstärkend wirken, aber natürlich auch in einem bestimmten Rahmen eine Eigendynamik entwickeln können: ein Bild, ein Motiv ist literarisch ›fruchtbar‹ geworden, es ist Teil des Gattungsdiskurses. Das Paradoxe, das uns die Tyche in unserer Lebenswelt immer wieder bietet, zu verarbeiten ist letztlich nur möglich, indem man zu dessen Betrachtung aus diesem heraustritt und eine neutrale ›Außenperspektive‹ zu gewinnen sucht. Das ist die Haltung, die die Satire und das ›Witzepigramm‹ gegenüber der Tragik des Schiffbruches einnehmen,129 und dadurch kommt sie im Grunde nahe an das Bild heran, das Lukrez gleich am Beginn des 2. Buchs von ›De rerum natura‹ über die epikureische ἀταραξία verwendet: Suave, mari magno turbantibus aequora ventis | e terra magnum alterius spectare laborem; | non quia vexari quemquamst iucunda voluptas, | sed quibus ipse malis careas quia cernere suave est (›Süß ist es, vom Land aus einen anderen zu betrachten, der auf offener See mit windgepeitschter Meeresfläche sich abmüht; nicht weil es angenehme Wonne bereitetet, wenn ein anderer gequält wird, sondern weil es süß ist zu erkennen, von welchen Übeln man selber frei ist.‹).130 Der Mensch bleibt dabei der Spielball der Tyche, doch er muss diese Rolle akzeptieren und wird mit ihr fertig, indem er zu dem, was ihm widerfährt, die notwendige Distanz schafft (beispielsweise auch durch eine satirische Perspektive). Was aus dieser Außensicht betrachtet wird, ist demnach nicht frei von Not und Leid, aber es präsentiert sich wie ein schillerndes Gemälde, ein Panneau mit bunten Farben, dem man vorübergehend emotionslos im Hinblick auf die inhärente Tragik gegenübertreten, ja es wie in einem Guckkasten betrachten und sich bei einer literarischen Komposition sogar über das gelungene ›Setting‹ freuen kann: auffällig ist, wie stark der visuelle Eindruck betont wird (vgl. im unter (c) zu besprechenden Epigramm AP 11,332,5s. νῦν πρῶτον … ὦπται – ἴδῃς; bei 127 128 129 130

Lausberg 1982: 160. Vgl. Di Nino 2010: 92ss. Zu diesem emotionsfreien Interesse s. oben Einleitung p. 119. Lukr. de rerum nat. 2,1–4. Vgl. Blumenberg 1979: 31ss.

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Lukillios 11,245,3s. δελφίνων δ’ ἀγέλαι καὶ Νηρέος ἀγλαὰ τέκνα … βλέπεται). Indem das Epigramm thematisiert, was man sieht, ist es sozusagen selbstreflexiv, weil es genau diese Außenposition des neutralen Betrachters einnimmt, von wo aus das Schreckliche harmlos aussieht, deswegen aber nicht weniger präsent ist. Es ist ein weiteres Paradoxum, dass der Spott dieses Schreckliche oft notwendigerweise braucht, ja aus diesem erst die Nahrung bezieht.131 Der ernsthafte Hintergrund in Form existentieller Furcht schimmert aber in den Epigrammen immer noch gelegentlich durch, besonders wenn sie gegen Ende die Todesthematik ansprechen und damit schließlich in unzweideutiger Weise an die traditionellen Grabgedichte anknüpfen (s. zu AP 11,332,6) – eine Tatsache, die sich in ähnlicher Weise auch bei den Arztepigrammen feststellen ließ. a. AP 11,332 Οὐ πλεῖν, ἀλλ’ ἀντλεῖν ἡμᾶς Εἴκανδρος ὁ πρῳρεὺς εἰς τὴν εἰκόσορον φαίνεται ἐμβιβάσας· οὐκ ὀλίγον γὰρ ἔνεστιν ὕδωρ ἔσω, ἀλλ’ ὁ Ποσειδῶν ἐν ταύτῃ διαπλεῖν φαίνεται εἰς τὸ πέραν· νῦν πρῶτον ναῦς ὦπται ὑδρωπική, ἀλλά γε 〈δείδω〉, μὴ σορὸν οὖσαν ἴδῃς τὴν πάλαι εἰκόσορον.

5

Pl.: Ø. – Tit. τοῦ αὐτοῦ 〈sc. Νικάρχου〉 P || 1 πρῳρεὺς Huschke : πλωρεὺς P || 5 νῦν Jacobs : ναῦ P || ὑδρωπική Jacobs : ὑδροπική P || δείδω suppl. Jacobs : lacuna in P : ’Ε〈πειέ〉 Schulte : γ’ ’Ε〈πειοῦ〉 Preisendanz ex πειου in marg. epigrammatis 333 deductum

Nicht zum Schiffen, sondern zum Schöpfen hat uns Kommandant Eikandros offenkundig auf den Zwanzigruderer geladen. Denn nicht wenig ist das Wasser hier drin; vielmehr macht Poseidon darin, scheint es, seine Überfahrt.

131 Schiffbruch als komisches Motiv ist durchaus nicht auf das skoptische Epigramm beschränkt. Durch seinen Effekt, die Opfer auf das Elementare zu reduzieren, hat er auch eine demaskierende Funktion und ist entsprechend in der Komödie (schon von Aristophanes ist zumindest der Titel einer Schiffbruchskomödie überliefert; auch im plautinischen Rudens ist ein Schiffbruch wichtig für den plot) und im Mimus beliebt. Vgl. dazu die Bemerkung von Sen., de ira II,2,5, die im Grunde mit dem hier gezeichneten Bild der Außenperspektive gut harmoniert: … non sunt irae, non magis quam tristitia est quae ad conspectum mimici naufragii contrahit frontem, non magis quam timor qui Hannibale post Cannas moenia circumsidente lectoris percurrit animos, sed omnia ista motus sunt animorum moveri nolentium, nec affectus sed principia proludentia affectibus. Es ist nicht die Vollumfänglichkeit der Affekte mit kathartischer Wirkung im Sinne aristotelischer Dramentheorie, die hier intendiert ist. – In Philogelos 25 und 30 funktioniert das Motiv als Hintergrund, vor dem sich die merkwürdige Verhaltensweise des σχολαστικός manifestiert.

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Heute präsentiert sich erstmals ein Schiff mit Wassersucht, nur 〈fürchte ich〉, dass man entdeckt, dass der Zwanzigruderer in Wahrheit ein Sarg ist.

Worterklärungen: 1 οὐ πλεῖν, ἀλλ’ ἀντλεῖν Die beiden als gegensätzlich dargestellten Tätigkeiten, durch die Paronomasie besonders hervorgehoben, stehen plakativ wie üblich als Grundmotiv vor der Penthemimeres der ersten Zeile; die rhetorisch gestaltete Einleitung wirkt gleich als klares Literarisierungselement (für beides s. Einleitung, p. 32 und 34s.). Doch schließen sich die zwei Verben nicht grundsätzlich und von vornherein aus. ἀντλεῖν ist term. techn. der Seemannssprache und bezeichnet das Kippen über Bord des gelegentlich über die Reling geratenden Meerwassers bei der Reinigung des Decks (cf. Thgn. 673 [Metapher des Staatsschiffs]; Alk. fr. 6,1–3 Voigt). Die wahren Dimensionen des Problems werden also erst mit Z. 3 deutlich (cf. zur Betonung οὐκ ὀλίγον). Immerhin ist mit ἀντλεῖν auch die metaphor. Bedeutung ›Mühen ertragen‹ verbunden (Alk. cit., 2: 〈κῦμα〉 παρέξει δ’ ἄ[μμι πόνον π]όλυν) – ein Aspekt, der mit dem Fortschreiten des Epigramms hier besonders an Bedeutung gewinnt; dazu s. auch Kahlmeyer 1934: 31. – Εἴκανδρος Ob mit dem Namen, abgesehen vom Wortspiel, das ihn mit dem εἰκόσορος verbindet, eine Anspielung auf εἰκῇ ›unüberlegt, planlos‹ (woran auch Schulte ad loc. denkt) oder εἴκω ›nachlassen, sich gehen lassen‹ intendiert ist, scheint schwer entscheidbar; zumindest passen beide Aspekte zur Situation. Auch ein Spiel mit der Bedeutung ›gleichen‹ ist denkbar: der εἰκόσορος gleicht einem Sarg; beim Kommandanten wäre das Understatement, dass er ›nur‹ εἴκ-ανδρος ist? (vgl. auch das verbreitete Element -ανδρ- bei Namen bedeutender Feldherren etc.) – πρῳρεύς Bezeichnung für den Schiffsoffizier auf der πρῷρα, dem κυβερνήτης, dessen Position die πρύμνη ist, unterstellt (cf. Xen. An. 5,8,20; Diod. 14,43,4; Artemid. Oneirocrit. 1,35). Für diese allgemein akzeptierte Konjektur siehe Huschke 1800: 256s. 2 εἰκόσορον ›Zwanzigruderer‹, ein langschmales Handelsschiff. Die schweren Lastschiffe (ὁλκάδες) bewegten sich hauptsächlich mit Hilfe von Segelantrieb; vgl. Casson 1995: 169 n. 5. – Vgl. a. unten p. 208 zum Gebrauch des Begriffs in den Epigrammen. 3 ἔνεστιν … ἔσω ein auffälliger Pleonasmus, der den Eindruck emotional erregter mündlicher Sprache erweckt. Zugleich fällt auf, mit welcher Selbstverständlichkeit ἐν- und eine Bildung aus εἰς, die hier ebenso die Ortsruhe, nicht die Richtung dorthin angibt (cf. Huschke 1800: 257 Optimi scriptores, ut Sophocles, Euripides, Eubulus, voc[ab]ulas ἔσω et ἔνδον permutarunt; sowie den Grammatiker Ammonius [1./2. Jh. n. Chr.], de adfin. vocab. diff. 169, der die Erscheinung tadelt, mit Hinw. u. a. auf Soph. Trach. 202), fast unmittelbar nebeneinander offenbar verwendet werden können. Vergleichbar für diese Erscheinung ist AP 11,74,1s. ἔξω ἔκβαλε. – ἀλλά führt

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den Gegensatz zu ὀλίγον ein, was für sich selbst noch nicht außergewöhnlich wäre (cf. oben zu ἀντλεῖν), hier jedoch in folgender Weise: οὐκ ὀλίγον …, ἀλλ’ ὁ Ποσειδῶν … διαπλεῖν φαίνεται. Dadurch wird ὁ Ποσειδῶν mehr oder weniger zum Metonym für ›viel Wasser‹ bzw. es wird klar, dass sich das Meer auf der Schiffsinnenseite befindet. 4 διαπλεῖν … εἰς τὸ πέραν bezeichnet in der Regel das Übersetzen vom einen Meeres- (selten: Fluss-)ufer zum gegenüberliegenden (s. LSJ s.v. πέραν I 4); vgl. z. B. Xen. Anab. 3,5,2. – Die Interpretation des Bildes des innerhalb des Schiffs segelnden Poseidon ist nicht ganz einfach. Auf den ersten Blick scheint es um die an sich absurde Vorstellung zu gehen, dass sich im Schiff so viel Wasser befindet, dass dieses selbst zum Meer wird und deswegen wieder Schiffe tragen kann (cf. AP 11,245,5 … πλεύσει τάχα καί τις ἐν ἡμῖν). Für Poseidon ist allerdings die Annahme unnötig, er segle im meergewordenen εἰκόσορος von einer Bordwand zur andern. Vielmehr fährt er übers Meer, ohne dabei ein Fahrzeug zu brauchen (in der Ikonographie fährt er zumeist auf einem von Hippokampen gezogenen Gespann übers Meer; vgl. LIMC s.v.). – Zu fragen ist, ob diese Stelle mit εἰς τὸ πέραν vorausgehend bereits eine Unterweltsfahrt andeuten könnte. Für eine solche Interpretation erscheint der Ausdruck hier allerdings zu unspezifisch. Wird von der Unterwelt an den Grenzen der bekannten Welt gesprochen, so wird dies, anders als im vorliegenden Epigramm, zusätzlich deutlich spezifiziert: vgl. Eustath. Σ ad Homeri Odysseam 11,156 (p. 405,16 Stallbaum) φανερῶς ἐνταῦθα ὁ ποιητὴς δηλοῖ τὴν Ὀδυσσέως μυθικὴν εἰς Ἅιδου κατέλευσιν ἐπὶ τὰ πέραν ἐκεῖθεν τέρματα γενέσθαι τοῦ Ὠκεανοῦ, ἔνθα καὶ τοὺς ἀστέρας δηλαδή φασιν δύνειν (ähnl. ders. Σ ad Homeri Iliadem 5,646; p. 591,32ss. St.). – Die Grenze zwischen umgebender Außenwelt (dem Meer) und Herrschaftsbereich des πρῳρεύς als winziger Enklave ist jedenfalls aufgehoben: alles ist (wieder) Meer. Poseidon ist Chiffre für das Meer im Meer, und in dieser Situation wird das Paradoxum möglich, dass das Meer sich selbst durchqueren (διαπλεῖν) kann. 5 πρῶτον Eine Anspielung auf das traditionelle Interesse an den αἴτια menschlicher τέχναι; im vergleichbaren Fall von POxy. 4501,4f. ὁ πρῶτος … παράθεις sind es gar die πρῶτοι εὑρεταί; s. dazu ausführlicher dort. Gleichzeitig wird die visuelle Erscheinung sarkastisch als ›neu‹ und bisher ungesehen bezeichnet, was dem Paradox zusätzliches Gewicht verleiht. – ὑδρωπική ein medizinischer t. t.; nur hier in metaphor. Bedeutung (cf. LSJ s.v.), was aber insofern gut passt, da das Schiff ja tatsächlich ›krank‹ ist und gierig auf Wasser. Zu beachten ist die in ὦπται – ὑδρωπική enthaltene Paronomasie. – 〈δείδω〉 Ergänzungsvorschlag von Jacobs, den die Hrsg. bis auf Schulte allg. akzeptieren. Preisendanz hielt das in der Palatina an den Rand von 11,333 geschriebene πειου für den an dieser Stelle ausgefallenen Text; somit würde der Vers auf γ’ ’Ε〈πείου〉 enden, mit dem Namen des sagenhaften Erbauers des trojanischen Pferdes. Schulte betont aufgrund von

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Athen. 10,456e–f (= Stesich. fr. 200 PMG) dessen Funktion als Wasserträger der Atriden. Es sprechen allerdings gewichtige Gründe gegen diese Annahme: (a) Die Syntax würde in diesem Falle ’Ε〈πειοῦ〉 mit σορόν verbinden, was dann heißen müsste, dass Epeios in einem ähnlich gearteten Schiff seine Funktion zum letzten Mal ausüben konnte. Es bleibt dann aber unklar, warum ganz ohne Vorbereitung eine nur mäßig bekannte mythische Figur auf diese Weise in den Mittelpunkt gestellt würde (an Epeios’ Bekanntheit als Wasserträger darf ohnehin eher gezweifelt werden). Außerdem hängt der μὴ-Satz, obwohl Ellipse nicht grundsätzlich undenkbar ist, in diesem Falle merkwürdig in der Luft. Schulte möchte denn auch den Genitiv nicht stehen lassen, doch ist seine Konjektur in ’Ε〈πειέ〉 ein verfehlter Rettungsversuch, da damit inhaltlich nichts gewonnen ist. Zunächst einmal ist es nicht zwingend, dass im Epigramm noch ein direkter Adressat der Äußerung der Autoren-persona vorkommen muss; nimmt man umgekehrt einen solchen an mit Namen ᾽Επειός, so bleibt der damit intendierte Witz verborgen. Denn die Stellung des Wasserträgers erlaubt keinen Querbezug zu einer etwaigen Dienerstellung auf dem Schiff. (b) Wenn in der Marginalie das in dieser Zeile fehlende letzte Wort (aus einer anderen Quelle) nachgetragen worden wäre, so erschiene es unerklärlich, dass dieses nicht gleich am richtigen Ort im Textblock angehängt worden wäre, wo in diesem Fall kein Platzproblem bestanden hätte. Es hätte sich dabei ja nicht um eine varia lectio gehandelt, sondern um eine echte Ergänzung. So wie sich das Bild indessen präsentiert, ist auch die Distanz der Marginalie von unserer Zeile zu groß (und der nachgetragene Text wäre erst noch verdorben, falls man Schultes Konjektur folgen würde …). Ob es sich daher eher um eine verdorbene Autorenangabe zu 11,333 handelt (Grotius), muss offen bleiben. – Jacobs’ (insbesondere auf das folgende μὴ sich stützende) Konjektur verleiht dem Epigramm hingegen einen ›klassischen‹, an Martial erinnernden Bau:132 in Z. 1–4 wird die Szene als Beobachtung referiert (s. dazu Einleitung zu diesem Kap.), in Z. 5 folgt eine resümierende Bemerkung, 〈δείδω〉 schließlich leitet den auktoriellen Kommentar in Z. 6 ein, dessen Wirkung auf einem weiteren Wortspiel beruht. 6 σορόν Mit diesem Begriff erst wechselt die Perspektive vom maroden Schiff auf das mit dem Vorfall verbundene menschliche Schicksal. Das, wie anzunehmen ist, demnächst versinkende Schiff, das so zum Sarg wird, erinnert damit auch an den Topos des ναυηγοῦ τάφος der Grabepigramme auf Seeleute; cf. insbesondere AP 7,285 (Glaukos, im Meleagerkranz enthalten). Zum Umschwenken auf die Todesthematik in der letzten Zeile vgl. das unten zu 11,331,4 παρὰ Φερσεφόνην Gesagte. Für eine allgemeine Interpretation von σορόν s. auch die Gesamtdeutung am Kapitelende. Zum weiten Bedeu-

132 S. Einleitung p. 27s.

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tungsfeld von σορός vgl. den Komm. zu AP 11,170,2 (unten Kap. I.6). – οὖσαν ist hier wohl gesetzt, um die wahre Natur des scheinbaren Schiffes hervorzuheben. Die letzte Zeile, die das wirkliche ›Sein‹ offenbart, steht somit in offensichtlichem Kontrast zu den vorangehenden Distichen, in denen jeweils Eindrücke beschrieben wurden, die dem ›Schein‹ entsprechen (φαίνεται). Mit dieser Dichotomie geht das geistreiche Wortspiel einher: der scheinbare εἰκόσορος ›ist‹ in Wirklichkeit nur σορός. Genau wie in AP 11,17,3 geht es also auch um γράμματα προσθεῖναι bzw. ἀφελεῖν (als intellektuelles Spiel in den Rätselepigrammen beliebt; siehe die Angaben ad loc. in Kap. II.8), und wie dort steckt die wahre Identität im unerweiterten ›Kern‹ des Wortes (μένει Στέφανος). b. AP 11,331 Εἶχε Φίλων λέμβον Σωτήριχον· ἀλλ’ ἐν ἐκείνῳ σωθῆν’ οὐδὲ Ζεὺς αὐτὸς ἴσως δύναται. οὔνομα γὰρ μόνον ἦν Σωτήριχος, οἱ δ’ ἐπιβάντες ἔπλεον ἢ παρὰ γῆν ἢ παρὰ Φερσεφόνην. Pl.: IIa,41,4 f. 27r. – Tit. τοῦ αὐτοῦ (sc. Νικάρχου) P : Ἀντιπάτρου θεσσ〈αλονικέως〉 Pl || 4 Φερσεφόνην P : Φερσεφόνῃ Pl (an recte?)

Philon besaß einen Kahn: den ›Retter‹ – doch in jenem kann wohl nicht einmal Zeus persönlich sich retten. Denn ›Retter‹ – das war bloß Name; die Passagiere aber segelten entweder dem Land entlang oder zu Persephone.

Worterklärungen: 1 εἶχε Φίλων λέμβον Einmal mehr ein Kurzsatz, der das Epigrammthema schlagzeilenartig noch vor der Penthemimeres bekanntgibt (vgl. oben zu 11,332,1). Ein λέμβος kann gegenüber einem σκάφος (s. unten AP 11,248,1) eine noch einfachere Ausführung (›Nachen, Fischerkahn‹) oder aber eine kleine, wendige und schnelle Jolle (z. B. Polyb. 2,3,1) sein; cf. Casson 1995: 352. Der Begriff kann metaphorisch zudem für einen Parasiten verwendet werden, wie es aus einem Fragment des Komödiendichters Anaxandrides (fr. 35,7 K.-A.) ersichtlich ist. Zur Verwendung für Hetären s. unten. – Der Beginn mag auch etwas an ein Weihe- (vgl. AP 6,69,5) oder an ein Grabepigramm anklingen, in dem gerne die Tätigkeit oder der (manchmal ärmliche) Besitz des Verstorbenen zu Lebzeiten aufgezählt wird (cf. AP 9,149, das ebenfalls mit Εἶχεν … beginnt). – ἀλλ’ ἐν ἐκείνῳ Eine typische Spannungserhöhung durch Enjambement. 2 σωθῆν(αι) … Ζεὺς Ein Spiel mit Zeus’ Epiklese Σωτήρ, in dem der Gott vom aktiven Retter ebenfalls zum Bedrängten wird (zumindest stellt man sich das unter diesen desolaten Umständen so vor: ἴσως). Der Vergleich führt damit in hyperbolischer Weise die Unzulänglichkeit des Schiffes vor Augen. Die Situation, dass die eigene Macht einem Gott in gewissen Mo-

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menten nicht ausreicht, sich selbst zu schützen (ein an sich typisch burleskes Element), findet sich auch bei den Diebesepigrammen AP 11,176s. (ein Dieb stiehlt eine Herme und übertrifft so den Meister; bzw. ein Bild des Apollo, der Diebe überführt, wird gestohlen) und illustriert ferner in hyperbolischer Form die Unabweisbarkeit des Schicksals (s. oben Überblick). Im übrigen erwähnenswert ist die Häufung der Silbe -σω- in den ersten drei Epigrammzeilen (inkl. ἴσως), wodurch das spielerische Infragestellen des Aspekts der ›Rettung‹ auch lautlich unterstützt wird. 3 οὔνομα Hier wird direkt thematisiert, wie sehr Euphemismus und Wunschdenken bei der Namensgebung (seit jeher) eine Rolle spielen; im Spottepigramm kommt, wie bereits gesehen, der besondere Effekt hinzu, wenn die tatsächlichen Gegebenheiten bzw. Qualitäten zum dargestellen Träger gerade im Widerspruch stehen (vgl. z. B. AP 11,118 Φείδων 〈ὁ ἰατρός〉 mit AP 11,170 Φείδων ὁ φιλάργυρος, wo der Name den Charakter zusätzlich beschreibt; ferner Einleitung p. 36). Zum Gedanken, dass das Wesen einer Sache mit dem Namen noch nicht umschrieben ist, cf. auch Eur. Phoin. 553 τί δ’ ἔστι τὸ πλέον; ὄνομ’ ἔχει μόνον. 4 παρὰ γῆν Für παρὰ mit Akk. wird allgemein die Bedeutung ›zu … hin‹ (LSJ s.v. C I 1) angenommen; entsprechend übersetzt Beckby ›… der schiffte entweder wider das Land oder …‹, Aubreton ›… faisaient voile ou bien vers la côte, ou bien …‹. Laut LSJ ist diese Verwendung häufiger noch im Zusammenhang mit Personen anzutreffen, vgl. das gleich folgende παρὰ Φερσεφόνην. Auf der anderen Seite ist zu bedenken, dass der Ausdruck παρὰ γῆν in der griechischen Literatur, insbesondere in Seefahrtsschilderungen, jeweils die Bedeutung ›dem Land entlang‹ besitzt (vgl. etwa Thuk. 2,83,3; 6,13,1 [hier im Kontrast zu διὰ πελάγους]; Ps.-Skyl. 69 u. ö.; Hanno, Peripl. 14; Antiphanes fr. 127,3 K.-A.; u. v. m.), während eine Stichprobe mit dem TLG keine Stelle mit der Bedeutung ›gegen das Land‹ hervorgebracht hat (für das scheinbare Gegenbeispiel Theogn. 855s. Πολλάκις ἡ πόλις ἥδε δι’ ἡγεμόνων κακότητα | ὥσπερ κεκλιμένη ναῦς παρὰ γῆν ἔδραμεν vgl. den Komm. von van Groningen [1966] ad loc.: ›la préposition doit signifier ici »le long de«, avec la nuance de »trop près«, là où guette de danger des écueils.‹). Die Übersetzung ›… entlang‹ ist demnach auch im vorliegenden Epigramm zumindest in Erwägung zu ziehen. Denn die traditionelle Deutung entbehrt nicht gewisser Probleme: Wenn mit πλεῖν παρὰ γῆν die Vorstellung eines Strandens verbunden ist und dies eine der beiden Möglichkeiten sein soll, die die ἐπιβάντες erwartet, dann ist die Gedankenlogik etwas diffus: wer ein Schiff besteigt, muss erst einmal das Meer erreicht haben, von wo aus das Boot wieder auf Grund laufen kann. Und was wäre der Sinn dieser ersten Möglichkeit? Ein folgenschwerer Unfall kann die erste Variante noch nicht sein, denn sie steht ja als Alternative (deutlich mit ἢ ausgedrückt) zu πλεῖν παρὰ Φερσεφόνην und nicht als Ursache dafür, wie dies logisch korrekt wäre. Die erste Variante kann daher nur das Problem bezeichnen,

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dass man schon gar nicht aufs offene Meer herauskommt, sondern am Ufer ›kleben‹ bleibt (dies meinte wohl auch Schulte mit seiner Übersetzung ›Die Insassen lagen entweder an Land [damit ist allerdings παρὰ γῆν nicht präzise wiedergegeben] oder …‹). Die Alternative lautet somit: Man erreicht entweder die offene See gar nicht, oder – falls doch – findet dort den Tod. – παρὰ Φερσεφόνην Es ist nicht ausgeschlossen, dass ein Teil des Witzes in einer Bedeutungsverschiebung von παρὰ liegt: zunächst ›entlang‹ (s. oben), nun ›zu … hin‹. (Oder wäre hier vielleicht besser die Lesart der Planudea, παρὰ Φερσεφόνῃ, in den Text zu setzen?) – Für den Gedanken, dass man bei der κατάβασις bei Persephone vorstellig wird, vgl. z. B. die zahlreichen Texte auf den orphisch-bakchischen Goldblättchen (dazu s. zuletzt die Textausgabe in R. G. Edmonds III [ed.], The »Orphic« Gold Tablets and Greek Religion: Further Along the Path, Cambridge 2011: 15ss.). In mehreren Fällen laufen bei Nikarch die Epigramme auf ein letztes Wort hin, das für den Tod steht – gewissermaßen als Paukenschlag: vgl. AP 11,71; 118 – oder das Thema wird zumindest in der letzten Zeile angeschnitten wie in 11,332 (s. oben). Wie ist nun die Alternative aber wirklich zu verstehen? – Einen bisher zu wenig beachteten Schlüssel liefert die Bezeichnung λέμβος, die gerade in der AP einige Male für verführerische und zugleich Verderben bringende alternde Hetären steht, cf. AP 5,44 Λέμβιον, ἡ δ’ ἑτέρα Κερκούριον, αἱ δύ’ ἑταῖραι … (Rufin; dazu siehe Höschele 2006: 123); 5,161 (Simonides; dort werden sie εἰκόσοροι genannt);133 5,204 (vgl. auch im dt. Sprachgebrauch ›Jacht, Fregatte, Schalüppchen‹ als Bezeichnung für leichte Mädchen). Die Epigramme warnen vor dem schlimmen Ende solcher ›Fahrten‹, besonders deutlich AP 5,204 von Meleager, der das Gleichnis gewissermaßen ekphrastisch ausbreitet und 9s. abschließend feststellt δύστανός γ’, ὃς ζωὸς ἔτ’ ὢν Ἀχερουσίδα λίμνην | πλεύσετ’ ἄνωθ’ ἐπιβὰς γραὸς ἐπ’ εἰκοσόρου. Die auffälligen Ähnlichkeiten im Wortschatz (insbesondere εἰκόσορος, vgl. zu 11,332) machen die Annahme wahrscheinlich, dass genau dieses Epigramm u. a. auch auf Nikarch seine Wirkung ausübte.134 Die Schiffsmetapher für Hetären ist allerdings bereits seit Alkaios POxy. 2307 fr. 16 = 306T Voigt zu fassen und auch in moderner Zeit noch literarisch wirksam; man denke nur 133 S. Gutzwiller 1998: 178. 134 Sie waren auch bereits Huschke 1800: 258 nicht entgangen, der unter Hinweis auf AP 5,161 und 204 schreibt: Nihil autem frequentius allegoria, qua utitur Nicarchus. Dagegen scheint die Erkenntnis außer bei Beckby in modernen Ausgaben teilweise verloren gegangen zu sein; jedenfalls weisen weder Aubreton noch Schulte auf die Anklänge hin. – Obwohl die Vokabel εἰκόσορος das Meleagerepigramm mehr mit AP 11,332 als mit 331 verbindet und entsprechend Huschke und Siems 1974: 107 n. 2 im Zusammenhang mit dem Wortspiel auch nur ersteres anführen, halte ich bei 11,332 die Assoziation mit einer γραῖα längst nicht so zwingend wie hier, wo sie durch zahlreiche weitere Signale im Text gestützt ist (s. weiter unten). Vgl. auch σορὸς = γραῖα in AP 11,425.

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beispielsweise an die Darstellung von Madame Hortense in N. Katzantzakis’ Roman ›Alexis Zorbas‹. Für den Vergleich von Hetären mit Schiffen vgl. unter den Epigrammen noch AP 9,415 (Antiphilos) und 416 (Philipp); zur Seefahrtsmetapher für Geschlechtsverkehr auch AP 11,29 (Automedon). Damit hat sich auf den zweiten Blick eine thematische Verknüpfung mit einer ganz anderen Motivgruppe ergeben, die gerade bei Nikarch ja auch sonst eine gewisse Wichtigkeit besitzt. Mit dieser Deutung eröffnet sich nun im Text eine Menge weiterer Signale, die den gewonnenen Eindruck sukzessive unterstreichen: a) Der Name Φίλων kann als Φιλῶν (Ptz. von φιλέω) gehört werden. b) Eine erotische Konnotation ist bei Σωτήριχον gut denkbar, denn es liegt nahe, ihn als Hetärennamen (im Sinne einer ›Erlöserin vom Manko‹, ›Stillerin des Verlangens‹) aufzufassen (obwohl es dafür keine Parallele gibt). c) Gut passt ferner, dass gerade auch Zeus, der größte Liebhaber unter den Göttern, dem λέμβος nicht entfliehen kann. d) Bestens verbreitet ist, wie auch schon aus den obigen Beispielen ersichtlich, das Spiel mit dem double entendre bei ἐπιβαίνω.135 Die Schlussalternative lässt sich in dieser Lesung schließlich so deuten, dass es entweder gar nicht erst spannend wird, oder, wenn man ›in See sticht‹, lebensbedrohlich (vgl. noch AP 5,204,7s.). Die Nähe zwischen Katabasismotiv und γραῖα schlägt damit auch eine Brücke zu AP 11,328 (unten Kap. II.13).

c. POxy. 4501 fr. 1 (Nikarch [?]) εχθ̣εσυσε . . . . . .[. . . . . . . . . . . .]φ[. . .]ε Οὐκ εἰς τὸν λιμέν̣α σπ̣ε̣[. . . . . .]α καὶ ἡμᾶς ὥρμισεν, εἰς τὴ〈ν〉 ναῦ̣ ν δ’ ὥρ̣[μισε] τ̣[ὸν λι ??]μένα π̣αῖ, τί̣ς ἐναυπήγ̣η̣σ̣ε τὸ κ[ό]σ̣κινον̣, ἢ τίς ὁ̣ πρῶτο̣ς̣ πηδάλιον παραθεὶς τῷ ξυλίνῳ ποταμῷ; 1 ἐχθὲ〈ς〉 σὺ coni. Parsons Luppe (cf. lemma) || 2 σπε[ύδων τὴν νῆ]α Luppe : σπέ[νδων πάκτων]α Parsons || 3 ὥρ[μισε] τ[ὸν λι]μένα Parsons || 5 παραθεὶς Pap : περιθεὶς Bernsdorff

gestern / hasse (?) … Nicht in den Hafen ließ […Subj.…] […Obj. I.…] und uns einlaufen, vielmehr ließ er den [Hafen??] ins Schiff einlaufen. Mein Lieber, wer hat dieses Sieb als Schiff gezimmert – oder wer hat als erster um den hölzernen Fluss ein Steuerruder gelegt?

135 Vgl. allg. den Abschnitt ›Nautical Terminology‹ bei Henderson 1991: 161ss. Das aristophanische Beispiel zu ἐπιβατεύειν (§ 262) steht allerdings in päderastischem Kontext. Auch πλεῖν = βίνειν spielt in unserem Zusammenhang gewiss eine Rolle (§ 270).

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Dieses nur auf Papyrus überlieferte Epigramm wurde in der Erstpublikation durch Parsons (POxy. LXVI 4501) bereits als Schiffbruchepigramm erkannt und mit einem ausführlichen Kommentar zur Textgestalt versehen, auf den für alle technischen Belange verwiesen werden soll. Ergänzende Vorschläge zur Textrekonstruktion folgten von Luppe (2000c) und von Bernsdorff (2000). Parsons wies auf die Nähe des Ausdrucks τῷ ξυλίνῳ ποταμῷ zu der bereits aus der AP bekannten Formulierung πηγὴ Ὠκεανοῦ ξυλίνη (11,247) hin, als deren Schöpfer dort Lukillios angegeben wird: Ἦ πέλαγος πλέομεν, Διονύσιε, καὶ γεγέμισται τὸ πλοῖον παντὸς πανταχόθεν πελάγους. ἀντλεῖται δ’ Ἀδρίας, Τυρρηνικός, ’Ιστρικός (’Ισσικός Letronne), Αἴγων· οὐ πλοῖον, πηγὴ δ’ Ὠκεανοῦ ξυλίνη. ὁπλίζου, Καῖσαρ· Διονύσιος ἄρχεται ἤδη οὐκέτι ναυκληρεῖν, ἀλλὰ θαλασσοκρατεῖν. In der Tat! Meer befahren wir, Dionysios, und vollbeladen ist das Schiff bereits von Meer jeder Art und von überallher. Man schöpft bereits Adrias, Tyrrhenikos, Istrikos (Issikos), Aigon: kein Schiff ist das, sondern Okeanos’ hölzerner Quell! Rüste dich, Cäsar! Denn schon ist Dionysios drauf und dran, nicht mehr Schiffsherr, sondern Meerbeherrscher zu sein.

Gegenüber AP 11,247 ist das Bild im neuen Papyrustext stärker kondensiert und wirkt deshalb noch abstrakter. Parsons hält es somit mit Recht für wahrscheinlicher, dass die Version POxy. 4501 auf diejenige von AP 11,247 Bezug nimmt als umgekehrt; zusammen mit dem Befund von POxy. 4502 und der Vermutung, POxy. 4501 und 4502 seien von der selben Hand geschrieben (s. Einleitung p. 62ss.), ist es nicht verfehlt, Nikarch für den Autor des Gedichts anzusehen. Das auch in AP 11,245 und 247 ausgebreitete Paradoxum, dass sich auf der Innenseite ebensoviel (resp., in hyperbolischer Steigerung, noch mehr) Meerwasser befindet als außerhalb, scheint sich in diesem Fall, soweit ersichtlich, auf sprachlicher Ebene in Form von normalerweise undenkbaren Wortfügungen zu widerspiegeln (das Epigramm und insbesondere Verbindungen wie πηδάλιον περιθεὶς lassen sich daher mit der non-sense-Theorie besonders gut fassen, vgl. Einleitung p. 121ss.). Leider ist dieses Spiel wegen der Erhaltungslage nur in Teilen rekonstruierbar. Worterklärungen: 1 εχθ̣εσυσε̣ ̣ ̣ ̣ ̣ Von θ̣ ist wegen einer ausgerissenen Faser an dieser Stelle kaum Tinte in der Mitte zu erkennen; allerdings schließt die Umgebung ein ϲ als Alternative aus. Für die Wortaufteilung am Beginn dieser Zeile bestehen folgende Möglichkeiten: (a) ἔχθε σὺ (zu ἔχθω ›has-

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sen‹); (b) ἐχθὲς υ …; kaum (c) ἐχθ〈ρ〉ὲ σὺ. (a) bietet den Vorteil, dass keine Korrektur nötig ist, aber die Semantik bleibt dunkel: Was soll man hassen? Das im Folgenden beschriebene Schiff? den Schiffsbesitzer / den Seemann (dessen Name im erhaltenen Text fehlt)? oder allgemein: aufs Meer hinauszufahren? Angesprochen wäre vermutlich dieselbe Person, die in Z. 4 παῖ genannt wird. Das Zeitadverb (b) könnte die Schilderung eines Vorfalls im Sinne einer im Epigramm erzählten ›Novelle‹ (vgl. z. B. noch von Nikarch AP 11,169 mit Komm.; 330) einleiten und würde sich zu den Aoristen (Z. 3) fügen, doch hat diese Variante den sehr schwerliegenden Nachteil, dass man mit dem nachfolgenden υσε … nichts anfangen kann und das Metrum die inhaltlich attraktive Emendation ἐχθὲ〈ς〉 σὺ nicht gestattet. Das damit verbundene Problem ist allerdings, ob es sich hier überhaupt um die erste Zeile des Epigramms handelt. Denn die insgesamt 5 Zeilen sind sowohl oben wie auch unten von unbeschriebenen Partien begrenzt.136 Nach Zeile 5 folgt ein Kolophon; vor Zeile 1 könnte es sich also um den Kolumnenrand handeln. Zeile 1 könnte dann den Pentameterteil eines auf zwei Kolumnen aufgeteilten Distichons verkörpern (wofür es Parallelen gibt). Weniger wahrscheinlich, aber dennoch nicht ganz auszuschließen ist, dass ›nach dem 1. Vers versehentlich ein Pentameter ausgelassen worden ist‹ (so Luppe). Für die auf ϲυ folgenden Buchstaben ist ϲελ̣ι̣ν̣ … aus metrischen Gründen nicht möglich, daher ϲεμ̣ν̣ο̣ am wahrscheinlichsten, danach wohl η oder wahrscheinlicher ν, vielleicht auch κ, kaum jedoch π, σ oder τ (Parsons erwägt σεμ̣ν̣ο̣π̣ρ̣ό̣[σωπε). Zwischen diesem Buchstaben und dem vor der Lücke wohl noch zu erkennenden ε müsste man noch einen weiteren Buchstaben annehmen. Keines der bei LSJ aufgeführten Komposita fügt sich in den Befund an dieser Stelle, doch besteht bei einem so durchsichtigen Vorderglied immer auch die Möglichkeit einer Hapaxbildung. 2 σπ̣ε̣[ Im ersten als solches erkennbaren Distichon trägt insbesondere die größere Lücke im Hexameter dazu bei, dass hinsichtlich der Syntax wesentliche Unklarheiten bestehen bleiben müssen. Man erwartet an dieser Stelle a) ein Subj. zu ὥρμισεν; mit einiger Wahrscheinlichkeit in Form eines Partizips – eventuell stand ein Subj. auch schon im vorangehenden Distichon, falls denn dieses wirklich existierte –; außerdem b) ein 1. Obj., dem am Ende der Zeile ἡμᾶς zur Seite steht. Mit Recht denkt man für (b) an eine Schiffsbezeichnung (ev. auch pars pro toto), analog zu εἰς τὴ〈ν〉 ναῦν in der folgenden Zeile. Parsons schlägt vor Σπέ[νδων πάκτων]α; ein seltenes und v. a. auf Pap. überliefertes Wort für ein kleines Nilboot (z. B. PMert. 19,4 [173 n. Chr.] πέπρακά σοι πάκτωνα ποτάμιον; PKoeln 229 [178 n. Chr.] 136 Nach unten folgt ein ca. 7cm hoher unbeschriebener Zwischenraum, danach wenige Buchstaben von drei weiteren Zeilen. Offensichtlich war der leere Raum für ein später einzufügendes Gedicht vorgesehen (zum Papyrus s. allg. Parsons 1999).

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κυβερνήτης πάκτωνος; POxy. 3913,7 [265 n. Chr.] τὸν πάκτω̣[να σὺν ταῖς | κώπαις; POxy. 1220,12 [3. Jh.] u. v. m.); vgl. die Einleitung p. 23s. für Nikarchs mögl. ägypt. Herkunft. Zu den verschiedenen Schiffsbezeichnungen vgl. Casson 1995: 350ss. Luppes Vorschlag (2000c) σπε[ύδων τὴν νῆ]α überzeugt durch seine Einfachheit: Die Verwendung zweier verschiedener Akk.formen für dasselbe Wort ναῦς innerhalb zweier aufeinanderfolgender Zeilen ließe sich aus metrischen Gründen rechtfertigen. So wird wohl auch das Wort λιμένα zweimal verwendet, was eine chiastische Struktur εἰς τὸν λιμένα … τὴν νῆα – εἰς τὴν ναῦν … τὸν λιμένα mit Wiederholung der Begriffe sowohl für A wie auch für B geradezu wahrscheinlich macht.137 Der Rekonstruktion lässt sich allerdings entgegenhalten, dass eine TLG-Recherche kein einziges Beispiel in der griechischen Literatur an den Tag fördert, in welchem die beiden Akkusativformen so nahe nebeneinander verwendet werden. 3 εἰς τὴ〈ν〉 ναῦ̣ ν δ’ ὥρ̣[μισε] τ̣[ὸν λι]μένα Die Rekonstruktion des eben genannten Chiasmus geht von der Tatsache aus, dass Nikarch gerne auch sehr abstrakte Gedankengänge zugunsten von Sprachspielen vollzieht (auf ähnlicher abstrakter Ebene liegt in der Tat später auch die Vorstellung eines ξύλινος ποταμός). ὁρμίζω ναῦν bzw. τινα εἴς τι, spez. εἰς λιμένα in der Bedeutung ›in den Hafen zurückführen; → in Sicherheit bringen‹ ist wohlvertraut (vgl. noch AP 9,9 καμάτων ὅρμισον εἰς λιμένας). Wie ist aber die Wendung in der Umkehrung zu verstehen? – λιμήν muss in diesem Fall in weiterem Sinne das Wasser des Hafenbeckens meinen, das eindringt (im TLG fanden sich allerdings keine Parallelen für eine solche Verwendung; der Begriff wird normalerweise eher für die Anlage als feste Strukur verwendet, was für diese Interpretation gewisse Schwierigkeiten mit sich bringt). Das tertium comparationis für ὁρμίζω wäre die Tatsache, dass etwas ›hineingeführt‹ und dort sicher festgemacht bzw. von der Struktur umfasst wird; wenn mit λιμήν also tatsächlich auch das Wasser mitgemeint sein kann (heißt dies, dass das Schiff sich immer noch im Bereich des Hafenbeckens befindet?), dann wäre die Struktur, die dieses umfasst, nun die Schiffswand. 4 π̣αῖ Parsons schließt die alternativen Lesungen κ̣αί bzw. ναί mit Recht aus. Zum Vokativ vgl. oben zu Z. 1. Wer dieser π̣αῖς ist, muss offenbleiben: naheliegend wäre der πρῳρεύς. Die Frage, ob die Beschreibung des lecken Schiffs an den Kapitän als Adressaten gerichtet ist, stellt sich auch in der möglichen Vorlage AP 11,247 (Lukillios). Aber warum sollte man diesen so ansprechen? Andere Möglichkeit: ein Begleiter (Sklave) des Sprechenden auf dem Schiff, oder, m.E. am wahrscheinlichsten, ein außerhalb der Erzählung stehender Adressat in der Sprechsituation des Epigramms (zur ›Außenperspektive‹ s. oben p. 201s.). – τ̣ίς ἐναυπήγ̣η̣σ̣ε … Die Spuren auf dem Papyrus (Ende einer Schräge) weisen an der Stelle von γ̣ eher auf einen anderen 137 Ebenso auch Luppe ad loc.

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Buchstaben: wurde γ durch einen Abschreibefehler zu λ? – τὸ κ[ό]σ̣κινον ›Sieb‹ – ein sehr treffendes Bild für ein leckes Schiff. In AP 11,78 wird das Wort noch für den durchlöcherten Kopf eines erfolglosen Boxers verwendet. – τίς ὁ πρῶτος̣ … Vgl. oben 11,332,5 νῦν πρῶτον ναῦς ὦπται ὑδρωπική. Von der ersten Frage (›wer hat denn diesen Seelenverkäufer gezimmert?‹) weitet sich die Frage durch Anschluss eines zweiten τίς mit ἢ unmerklich aus und klingt wie die genustypische Frage nach dem πρῶτος εὑρετής menschlicher τέχναι (Parsons ad loc.; cf. Utzinger 2003: 104s.), die oft genug auch in kritischem Ton gestellt sein kann (zur Geschichte s. allg. Kleingünther 1933; zur Kritik spez. 96ss.): vgl. Hor. carm. 1,3,9ss. illi robur et aes triplex | circa pectus erat, qui fragilem truci | commisit pelago ratem | primus … (vgl. auch Nisbet-Hubbard 1970 ad loc. mit einer Menge weiterer Parallelstellen, z. B. Prop. 1,17,13s. a pereat quicumque ratis et vela paravit | primus et invito gurgite fecit iter; Plin. NH 19,6 nulla exsecratio sufficit contra inventorem … cui satis non fuit hominem in terra mori, nisi periret et insepultus). In unserem Epigramm findet vermutlich eine inhaltliche Verlagerung vom Thema der gefährlichen τέχνη (cf. oben p. 199) zur von Anfang an mangelhaften τέχνη statt. 5 πηδάλιον περιθείς Die überlieferte Lesung bietet mit περιθείς semantische Schwierigkeiten, die Parsons folgendermaßen umschrieb: ›I do not find a parallel for the verb referring to a concrete object which by its nature is not enveloping‹. Die abstrakte Vorstellung, das am Ende ξύλινος ποταμός genannte Fahrzeug werde von etwas sozusagen ›eingehüllt‹ bzw. ›umgeben‹, wäre für sehr viele Ruder (κωπεῖς) noch einigermaßen passend, nicht aber für ein Steuerruder, das an einer bestimmten Stelle auf der Schiffsflanke mit dem Wasser in Berührung kommt. Diese Schwierigkeit hat Bernsdorff (2000) mit seinem Korrekturvorschlag παραθείς zu entschärfen versucht. Er hebt hervor, dass in unserem Text πηδάλιον im Sg. steht. πηδάλιον παραθεῖναι bedeutet ›das Steuerruder (auf der Seite) anbringen‹ (vgl. insbes. Polyain. Strat. 3,11,14), was soviel heißt wie ›das Schiff zu Wasser lassen‹. Korruptel von παρα- zu περι- und umgekehrt begegnet in der Überlieferung auch sonst (Bernsdorff verweist u. a. auf Hes. Theog. 576s.). An der Konjektur attraktiv scheint das so entstandene inhaltliche Paradoxum ›wer hat als erster den hölzernen Fluss dem Wasser anvertraut?‹ (s. nächstes Lemma). Doch andererseits besitzt der überlieferte Text den Vorteil, dass er ein noch stärkeres Adynaton bietet: Die Vorstellung, dass ein ›hölzerner Fluss‹ auf seiner Außenseite ›mit einem Steuerruder umgeben‹ wird, lebt von nicht in der Realwelt nachvollziehbaren Verknüpfungen und entspricht ›non-sense‹. Unser sonstiger Eindruck von Nikarchs abstrakten Bildern legitimiert uns m.E., auch diese kühne Konstruktion für authentisch zu halten. – τῷ ξυλίνῳ ποταμῷ Für dieses Element ist wohl, wie bereits einleitend erwähnt, AP 11,247,4 (Lukillios) πηγὴ δ’ Ὠκεανοῦ ξυλίνη das Vorbild. Locus classicus für den Ausdruck ist allerdings Hes. Theog. 282. Im Spottepigramm hat dann

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komische Imagination die Quelle in Holz gefasst und das Bild weiter auf das Schiff übertragen (Nikarch): das Flussbett wird zu den Außenwänden des Schiffes. Gleichsam einer mise-en-abîme-Struktur ist dieses Phantasie-Konstrukt seinerseits wieder von Wasser umgeben; das Schiff/der Fluss (vgl. das hereinströmende Wasser!) kann sich auch analog zum im oben zitierten Epigramm AP 11,247 gezeichneten Bild im Meer/Hafenbecken befinden. Ich halte deswegen nicht für zwingend, dass das Epigramm ›transposes the leaky ship joke from the sea to a river‹ (Parsons 1999: 39). *** Nachdem nun die Epigramme im Text vorgestellt sind, gilt es an dieser Stelle, diese nochmals zusammen vor dem Hintergrund exemplarischer Beispiele weiterer Schiffsepigramme aus dem 11. Buch der AP revue passieren zu lassen, um sie in ihrer motivischen Variationsbreite und den innerhalb der Schiffbruchsthematik zu Tage tretenden Entwicklungslinien noch schärfer fassen zu können. Beginnen wir mit einem Beispiel von Bianor (AP 11,248; laut Beckby um 20 n. Chr.): Τὸ σκάφος οὐ Βυθὸς εἷλε (πόθεν Βυθός; οὐ γὰρ ἔπλωσεν), οὐδὲ Νότος, πρὸ Νότου δ’ ὤλετο καὶ πελάγευς. ἤδη γάρ μιν ἅπασαν ἐπὶ ζυγὰ γομφωθεῖσαν ἤλειφον πεύκης τῇ λιπαρῇ νοτίδι· πίσσα δ’ ὑπερβρασθεῖσα πυρὸς φλογὶ τὴν ἁλὶ πιστὴν τευχομένην γαίῃ δεῖξεν ἀπιστοτέρην. Das Boot verschlang nicht Meerestiefe (warum Meerestiefe? Es segelte ja nicht!), auch der Südwind nicht. Nein, v o r dem Südwind ging es zugrunde und vor dem Meer. Schon war es bis zu den Ruderbänken vollständig verzapft und vernagelt, und man war daran, es mit dem glänzenden Saft der Fichte zu bestreichen. Doch das Harz siedete auf mit feuriger Flamme und führte vor Augen: Was man sicher für die See bauen wollte, ist noch unsicherer an Land.

Dieses Epigramm atmet noch ganz den hellenistischen Geist. Es bietet die Beschreibung eines paradoxen Unfalls einerseits (a) insofern, als das Schiff ausgerechnet im Moment kurz vor seiner Vollendung zerstört wird, andererseits (b) dadurch, dass diese Zerstörung nicht durch die ›genretypische‹ Ursache, einen Sturm, erfolgt, sondern durch Feuer. Beide Paradoxa stehen beispielhaft für die Ironie der Tyche (s. oben p. 200s.). Nichts weist demgegenüber darauf hin, dass das Schiff schlecht gebaut gewesen wäre – im Gegenteil. Der Ton gibt sich nicht in der ironisch-spöttischen Schärfe eines

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Lukillios oder Nikarch; es steht klar die Absurdität des Vorfalls im Zentrum, und die Stimmung ist diejenige eines ›Unglaublich, aber wahr‹. Der Unterschied im Schwerpunkt wird im Vergleich zu den Lukilliosund Nikarchepigrammen sofort deutlich, und an dieser Stelle soll neben dem bereits weiter oben angeführten (AP 11,247) noch ein zweites Beispiel des Lukillios zitiert werden (AP 11,245): Οἱ τοῖχοι, Διόφαντε, τὰ κύματα πάντα δέχονται, καὶ διὰ τῶν θυρίδων Ὠκεανὸς φέρεται· δελφίνων δ’ ἀγέλαι καὶ Νηρέος ἀγλαὰ τέκνα ἐν τῷ πλοίῳ σου νηχόμενα βλέπεται. ἂν δ’ ἀναμείνωμεν, πλεύσει τάχα καί τις ἐν ἡμῖν· οὐ γὰρ ἔνεστιν ὕδωρ οὐκέτι τῷ πελάγει. Die Wände, Diophantos, gewähren sämtlichen Fluten Einlass, und durch die Schiffsplanken wird Okeanos hereingeführt. Herden von Delphinen und des Nereus glänzende Töchter sieht man in deinem Schiff sich tummeln. Falls wir abwarten, so segelt wohl gar noch einer in uns: Denn Wasser ist schon keines mehr im Meer drin.

Hier wird weder die Beschädigung eines Schiffes noch werden Schiffbrüchige wie in den traditionellen Beispielen beklagt. Zwar spielen diese beiden Aspekte im Hintergrund durchaus eine Rolle. Im Vordergrund steht jedoch die Situation eines maroden Schiffes, durch dessen Wände das Wasser immer stärker eindringt. Das Epigramm stellt wie AP 11,332 (a) also nicht die Katastrophe des Schiffbruchs ins Zentrum, sondern gibt vielmehr ein Stimmungsbild der Situation kurz davor ab, weswegen ich solche Gedichte im Unterschied zu den in der Einleitung zum Kapitel genannten Beispielen als Schiffsepigramme bezeichnen möchte. Obwohl die Lage zweifellos als kritisch und desolat bezeichnet werden muss, ist der Ton nicht primär von Mitgefühl geprägt, sondern eher von sarkastischer Distanz. Im einleitenden Abschnitt wurde die Nähe zwischen schicksalsbestimmter Paradoxie und ironisch-distanzierter Zeichnung bereits herausgearbeitet; als auffällig festzuhalten ist nochmals das ›kalte Interesse‹, mit der die klägliche Situation beschrieben wird.138 Selbstverständlich ist als spannungsbildendes Element die Potentialität, mit der solche Schiffsepigramme leicht zu Schiffbruchsepigrammen werden können, jederzeit, vor allem aber gegen Ende, wenn wie bei Nikarch Begriffe wie σορός hinzutreten, spürbar. Doch insgesamt geht es hier um eine harte Analyse der Absurdität der Situation (bei Lukillios wird die Bedrohung für die Schiffspassagiere gar nicht explizit angesprochen), und vor allem auch um klare Schuldzuweisungen (vgl. 11,332 ἀντλεῖν ἡμᾶς Εἴκανδρος ὁ πρῳρεὺς … εἰς τὴν εἰκόσορον φαίνεται ἐμβιβάσας) – der 138 Vgl. auch Einleitung p. 119.

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Schiffsbesitzer ist ohne Wenn und Aber für den verlotterten Zustand seines Kahns und damit die ganze Misere verantwortlich und daher Objekt des Spottes. Manchmal glaubt man geradezu herauszulesen: selber schuld, wer sich einem solchen Seelenverkäufer anvertraut! Instruktiv scheint mir ein Vergleich mit den Arztepigrammen: Auch dort scheinen Emotionen gegenüber den Patienten, an denen die ärztliche Kunst versagt, gewissermaßen ausgeblendet. Stattdessen geht es primär darum, die Unfähigkeit, ja Verderblichkeit des Arztes ins rechte Licht zu rücken und zu verspotten – und dazu wird kräftig zum Mittel der Hyperbole gegriffen. Dabei gehen Lukillios und Nikarch in ihren Produkten jeweils durchaus verschiedene Wege. In AP 11,245 und 247 steht das unaufhaltsam ins Schiff stürzende Wasser im Mittelpunkt, was zur Feststellung führt, dass das Meer sich im Grunde jetzt im Fahrzeug befindet bzw. dieses zum Meer geworden ist (11,247 γεγέμισται τὸ πλοῖον παντὸς πανταχόθεν πελάγους). Alles Wasser, das außen war, ist nun innen – bzw. die Grenze zwischen (sicherem) Innen und (bedrohlichem) Außen und damit die Aussonderung des menschlichen Existenzbereichs existiert weiter nicht mehr – eine zwangsläufige Folge, auch wenn sie so nicht explizit zur Sprache kommt. In 11,247 geben sich unter dem geschöpften ›Material‹ alle möglichen Meere ein Stelldichein – und das Schiff wird zur ›hölzernen Quelle des Okeanos‹, eine Prägung, die auch als Vorbild für das Epigramm POxy. 4501 sehr wahrscheinlich ist. In 11,245 wird die Allgegenwart des Wassers durch Einbettung einer pseudo-idyllischen Szenerie mit marinen Lebewesen wie Delphinen und Nereiden verdeutlicht, die ebenso wie der ›durchschimmernde‹ Name des Schiffsbesitzers, in dem auch noch διαφαίνω hörbar ist, an dieser Stelle sarkastisch wirken muss. Zusätzlich zur Idee, dass das Schiff zum Meerbecken geworden ist, kommt die abstrakte Vorstellung, dass es deshalb seinerseits wieder Schiffe tragen kann (πλεύσει τάχα καί τις ἐν ἡμῖν). Nikarch arbeitet mit den genannten Motiven weiter, und zwar in neuer Kombination, sowie mit zusätzlicher hyperbolischer Steigerung. Anders als in den beiden Beispielen des Lukillios kommt nun auch explizit der Gedanke dazu, dass ein solches Abenteuer mit einiger Wahrscheinlichkeit nicht zu überleben ist. Man könnte also sagen, dass in den Schlusswendungen bei AP 11,331 und 332 der traditionelle Hintergrund der Sepulkralepigramme wieder stärker aufscheint. AP 11,332 wirkt in formaler Hinsicht besonders elaboriert: das Epigramm lebt von den zahlreichen Wortspielen, die ähnlich klingende Begriffe in unerwartete Beziehung zueinander setzen. Auf den Wechsel zwischen Scheinperspektive (φαίνεται) und tatsächlichem Sein (nämlich σορός) wurde bereits hingewiesen. Zu den aufgezählten Motiven kommt insbesondere in AP 11,331 die ebenfalls bereits beschriebene Motivüberkreuzung mit dem Themenbereich der abgetakelten Hetäre. Das Besondere an diesem Epigramm besteht darin, dass dessen Elemente offensichtlich eine Lektüre auf der Oberflächenebene eben-

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so zulassen (Nennung des Schiffseigentümers, Aspekt der nicht bestehenden Rettungsmöglichkeit, Anspielung auf die Unterwelt) wie wenn die Doppeldeutigkeiten, die auf die Hetären-Thematik weisen, miteinbezogen werden (dazu s. oben). Einmal mehr zeigt sich somit eine souveräne Handhabung in der Kombination traditioneller Motivbündel, deren Kenntnis man zumindest teilweise auch für die Rezipienten voraussetzen muss.

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I.5. Eine Spezialität Nikarchs: Epigramme auf Schwerhörige

Von Nikarch sind zwei Beiträge erhalten, die aus dem Spott über Schwerhörigkeit ihre Nahrung beziehen. Möglicherweise nicht zufällig stehen sie zueinander wiederum in starker Kontrastbeziehung: im ersten Fall handelt es sich um den ›reihenden Typ‹, der eine ganze Folge von Wortspielen präsentiert, im andern Fall um eine durch ihre Absurdität wirkende Anekdote. Während sich für das Thema erstaunlicherweise in der Antike nur wenige Parallelen finden lassen (dazu weiter unten), haben die beiden Texte direkt oder indirekt ab dem Humanismus eine reiche Nachwirkung entfaltet, auf die hier nur hingewiesen werden kann (eine sehr nützliche Zusammenstellung bietet Weinreich 1953; einzelnes zitiert auch bei Schulte): Die ohne Effektverlust nicht direkt in eine andere Sprache übersetzbaren Wortspiele in AP 11,74 wurden gelegentlich mittels alternativer Reimpaare imitiert. Die Prozesserzählung AP 11,251 dagegen wurde mit leichten Abänderungen und Erweiterungen zum ersten Mal bereits Ende des 14. Jhs. von Franco Sacchetti, der von der Geschichte wohl über eine mündliche Vermittlung erfahren hat (Weinreich 1953: 335s.), sowie von humanistischen Autoren (Erasmus, Thomas Morus und anderen) und später etwa von Puschkin aufgegriffen und weiter tradiert, bis hin zu einer ›modernisierten‹, aber immer noch direkt auf Nikarch zurückgehenden Version in der Witzsektion einer Tageszeitung von 1951 (Weinreich 1953: 340), eine Erscheinung, die im Grunde zum antiken ›epigrammatischen Spiel‹ der formal sich eng anlehnenden und nur geringfügig aktualisierten Wiederaufnahme eines Beitrags (s. oben Einleitung Kap. V; p. 73) ihre engste Parallele hat. a. AP 11,74 Τὴν δύσκωφον γραῖαν, Ὀνήσιμε, πρὸς Διὸς ἔξω ἔκβαλε· πολλὰ λίην πράγματά μοι παρέχει. ἢν αὐτῇ τυροὺς ἁπαλοὺς εἴπωμεν ἐνέγκαι, οὐ τυρούς, πυροὺς δ’ ἔρχετ’ ἔχουσα νέους. πρῴην τὴν κεφαλὴν ἐπόνουν καὶ πήγανον αὐτὴν ᾔτουν· ἡ δ’ ἔφερεν τήγανον ὀστράκινον. ἂν †ὀπὸν† αἰτήσω, δοκὸν εἰσφέρει· ἂν »Λάχανόν μοι« εἴπω »δὸς« πεινῶν, εὐθὺ φέρει λάσανον· ὄξος ἐὰν αἰτῶ, τόξον φέρει· ἂν δέ γε τόξον, ὄξος· ὅλως δ’ ὃ λέγω, οὔποτ’ ἐπαισθάνεται.

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αἰσχρὸν τῆς γραός με χάριν κήρυκα γενέσθαι καὶ μελετᾶν ἔξω νυκτὸς ἐγειρόμενον. Pl.: IIa,9,6 f. 22v – Tit. Τοῦ αὐτοῦ 〈sc. Νικάρχου〉 P : in Pl rec. manu post praecedens ep. (= AP 11,72) perperam, ut opinor, Nicarcho tributum (vid. pag. 67s.) insertum est (Lemma: εἰς γραῖαν κωφὴν B2 in marg.) || 3 ἢν Pl : ἦν P || 6 ὀστράκινον Pac Pl : ὀτράκινον Ppc || 7 ἂν (1) P : ἢν Pl || ὀπὸν P Pl : τόκον Riedweg (cf. infra) : πόκον Scaliger acc. Jacobs: λόβον Maxwell-Stuart || δοκὸν P Pl : λοπὸν Boissonade acc. Maxwell-Stuart || 8 πεινῶν, εὐθὺ Pl : πινῶν, εὐθὺς P || 9 ἐὰν αἰτῶ em. Herrmann : ἂν αἰτήσω P Pl || δέ γε Pl : δὲ P || ὅλως Pl : ὅσλως P

Raus mit der schwerhörigen Alten, Onesimos, bei Zeus, schmeiss’ sie raus! Viel zu viele Mühen bereitet sie mir. Wenn ich ihr sage, weichen Käse zu besorgen, kommt sie und hat nicht Käse, sondern Weizen. Neulich hatte ich Kopfweh und wollte Raute von ihr: Sie aber brachte eine irdene Bratpfanne. Wenn ich Feigensaft möchte, bringt sie einen Holzbalken; wenn ich hungrig »Bring mir Gartengemüse!« fordere, bringt sie gleich den Nachttopf. Wenn ich Essig fordere, bringt sie einen Bogen, wenn einen Bogen – Essig. Kurz: Was immer ich sage, nie versteht sie es. Schlimm, wenn ich wegen der Alten noch zum Ausrufer werde und nachts aufstehen muss, um draußen zu üben.

In dieser Übersetzung wurde auf den Wirkungseffekt zugunsten wortgenauer Übersetzungen verzichtet; für den Versuch einer ›gereimten‹ Übersetzung vgl. Weinreich 1953: 341. Worterklärungen: 1 τὴν δύσκωφον γραῖαν Es handelt sich hier um eine schwerhörige Alte; die Situation ist daher von der Dienerschelte über die Schwerfälligkeit einer begriffsstutzigen Magd (vgl. Herondas 4,53 δούλη ᾽στι, δούλης δ᾽ ὦτα νωθρίη θλίβει) etwas verschieden. – Zu δύσκωφοι als Spottmotiv allg. s. unten zu AP 11,251,1 und die auf die beiden Gedichte folgende Besprechung. – 1s. ἔξω | ἔκβαλε Pleonastische Zufügung von Adverbien ist eine Erscheinung, die bei Nikarch auch sonst begegnet (cf. AP 11,332,3 ἔνεστιν … ἔσω und Einleitung p. 33); hier dürfte sie die emotionale Erregung des Sprechers und allgemein mündliche Sprechweise zum Ausdruck bringen. Dadurch, dass sich die Wendung auf zwei Zeilen verteilt, wird diese Wirkung noch erhöht. Die Synonymie von βαλεῖν ἔξω und ἐκβαλεῖν wird durch Marc. Aur. 12,25 geradezu beispielhaft vor Augen geführt: Βάλε ἔξω τὴν ὑπόληψιν· σέσωσαι. τίς οὖν ὁ κωλύων ἐκβάλλειν. Adverb und Präfix zusammen scheinen sonst kaum gleichzeitig gebraucht zu werden; ein spätes Beispiel ist noch Euseb. Praep. ev. 5,36,3 οὐδ’ εἰς τὴν γῆν ἔξω ἐκβαλόντες αὐτόν. 2 πολλὰ λίην πράγματα Eine ähnliche Überbestimmung liegt auch in dieser Wendung vor. Durch die Stellung scheint klar, dass λίην sich mehr

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auf πολλὰ πράγματα als auf das Verb παρέχει beziehen muss. Allerdings ist die Bezeichnung der Vielheit im Grunde schon im Wort λίην vollständig enthalten (dasselbe gilt für ἄγαν): deswegen kommen die Wörter πολύς und λίην(-αν)/ἄγαν so gut wie nie zusammen vor (Passow s.v. bezeichnet die Kombination als unklassisch; Ausnahme: Isokr. 9,48, wo das Adj. πολλὰ eine Ergänzung zum Adverb ist). Zur Überdetermination tritt als weiteres Gestaltungselement die auffällige Assonanz von Π-Lauten in dieser Zeile hinzu (einzubeziehen sind wohl auch die λ-Laute (πολλὰ λίην) sowie das mit dem Ausdruck πράγματά παρέχει inhärent verbundene Klangspiel). 3 τυροὺς ἁπαλούς ἁπαλός als Beiwort für τυρός findet sich erstmals in dem gastronomischen Gedicht (Δεῖπνον) des Philoxenos von Leukas (Anf. 4. Jh. v. Chr.); im 1. Jh. n. Chr. wird es, wenig verwunderlich, gerne in medizinischen Texten so verwendet (Dioskorides, Galen). Demgegenüber sind πυροὶ ἁπαλοὶ nicht sprachwirklich; dass die Alte πυροὺς νέους bringt, kann also nicht mehr dem akustischen Missverständnis zugeschrieben werden, sondern dient einzig der Folgerichtigkeit des Witzes (resp. die Alte hat den zweiten Teil überhaupt nicht mehr gehört). Solche ›Einkaufslisten‹ an das Personal sind übrigens ein traditionelles Motiv der Neuen Komödie. Vgl. auch AP 5,181 und 185 (Asklepiades). 5 πήγανον Die Raute ist eine strauchartig wachsende, gelbblühende alte Heilpflanze; wegen ihrer hohen Wirksamkeit gilt sie z. T. auch als giftig. Ein sekundärer Nutzungszweck ergibt sich aus ihrem durchdringenden Geruch, der Schlangen vertreiben soll. Als Mittel gegen Kopfschmerzen empfiehlt sie Dioskorides mat. med. 3,45,3 (nicht 47, wie bei Schulte angegeben), der von ihr sagt: σὺν ῥοδίνῳ δὲ καὶ ὄξει κεφαλαλγοῦσι βοηθεῖ. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass Plin. NH 20,51 ihr ausgerechnet eine günstige Wirkung gegen Schwerhörigkeit zuschreibt (wie ebenfalls schon von Schulte hervorgehoben). 6 τήγανον auch in der Form τάγηνον, ein in der Komödie prominenter Begriff für eine einfache Bratpfanne, wie überhaupt gerne dort mit solchen Alltagsgeräten die ›Einbettung‹ der Handlung in den sozialen Kontext vorgenommen wird. Cf. J. Wilkins, The Boastful Chef, Oxford 2000: 32s.; insbes. Euboul. Orth. fr. 75 (7–8); Eupolis fr. 374 K.-A. für ev. Nebenassoziationen (wer nur περὶ τάγηνον ist, ist deswegen noch kein richtiger Freund). 7 †ὀπὸν† – δοκὸν Im überlieferten Text überrascht hier schon der erste Terminus: ὀπὸν Saft (vom Feigenbaum) reiht sich nicht wirklich in den Zusammenhang; zu δοκὸν Holzbalken bzw. (Dach)sparren cf. unten zu 11s. Auch stehen die verwechselten Wörter lautlich weniger nahe zueinander als in den übrigen Wortpaaren. P.G. Maxwell-Stuart (1979: 329) hat vermutet, dass dem Verwechslungsspiel durchaus ein Schema zugrunde liegt: in den ersten zwei Paaren werden τ und π am Wortanfang kreuzweise ausgetauscht, im letzten ὀ- und το- (doch sind auch die Ausgänge nicht ganz

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I.5. Eine Spezialität Nikarchs: Epigramme auf Schwerhörige

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genau gleich). In Zeile 7 und 8 wird mit χ und σ im Inlaut gespielt; Entsprechendes in umgekehrter Reihenfolge müsste man demnach strenggenommen für Zeile 7 fordern – aber Maxwell-Stuart begnügt sich in seinem Vorschlag λοβὸν – λοπὸν (< Boissonade) mit der Annahme, dass weiterhin bloß ein Buchstabe ausgetauscht werden sollte. Während für λοπὸν die angenommene Verderbnis paläographisch noch denkbar wäre, scheint mir solches für λοβὸν eher problematisch. Überzeugender, da mit wenig Änderungsaufwand gegenüber dem überlieferten Text verbunden, ist der Vorschlag von C. Riedweg, zuerst τόκον zu setzen (Verwechslung von κ und π ist paläographisch problemlos vorstellbar) und dann das überlieferte δοκὸν zu halten, womit der Austausch eines Konsonanten auch in diesem Fall gegeben ist. Die Forderung, den (eingenommenen) Zins zu bringen, ist zumindest nicht so aus der Luft gegriffen. Der einzige Nachteil besteht darin, dass damit die ›Einkaufsliste‹ unterbrochen würde; ansonsten sind die angeforderten Dinge immer Nahrungsmittel. Was hier wirklich im Text stand, kann letztlich nicht definitiv entschieden werden. 8 λάσανον Auch dieser Begriff aus der Alltagssprache (cf. oben τήγανον) ist uns v. a. in Komödientexten überliefert; man erwähnt den Nachttopf insbesondere dann, wenn er (noch) nicht zur Verfügung steht: cf. Eup. fr. 240 K.-A. ἐμοὶ γὰρ οὐκ ἔστ’ οὐδὲ λάσαν’ ὅπου χέσω – aber das sagt natürlich nicht mehr aus als dass Komödie und Spottepigramm aus dem gleichen Vorrat schöpfen. Häufiger ist die Pl.form; Sg. ist bekannt aus dem lat. locus classicus Petr. sat. 41,9 Trimalchio ad lasanum surrexit (cf. 47,5 si quid plus venit, omnia foras parata sunt: aqua, lasani et cetera minutalia); Hor. sat. 1,6,109 pueri lasanum portantes; griech. noch Hippokr. de superf. 8 (CMG 1,2,2). 9 ὄξος i. d. R. auch für billigen Wein verwendet. 10 ἐπαισθάνεται stammt, wie Schulte zu Recht hervorhebt, aus dem trag. Vokabular (z. B. Soph. Philokt. 1295s. τέκνον, τίνος φώνημα, μῶν Ὀδυσσέως, ἐπῃσθόμην; u. v. m.); die Klage erhält so mehr Pathos und hebt sich deutlich vom vorangehenden Komödienwortschatz ab. 11s. κήρυκα γενέσθαι | καὶ μελετᾶν ἔξω νυκτὸς ἐγειρόμενον Das tertium ist klar: um überhaupt noch verstanden zu werden, muss sich der Sprechende im Schreien üben, ähnlich hart wie einst Demosthenes am Meeresufer (gleiche Assoziation bei Schulte s. v.). Die Beschreibung der Situation besitzt allerdings in der Weise, wie sie hier ausgebreitet ist, einige ›Leerstellen‹, die von verschiedenen Übersetzern je nach persönlicher Imagination verschieden aufgefüllt wurden. Die Fragen lassen sich wie folgt zusammenfassen: a) warum muss der Sprecher nachts aufstehen, um zu üben? und b) wo tut er das (ἔξω)? Das breite Spektrum von Antworten widerspiegelt sich in ganz verschieden gefärbten Übersetzungen und soll anhand einer Auswahl von diesen vorgestellt werden. Aubreton: ›C’est une honte qu’à cause d’une vieille, moi, j’aille me muer en crieur public, et que, sur le trottoir, je

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m’y exerce, tenu en éveil toute la nuit‹; Beckby: ›Soll ich denn wegen der Alten noch schließlich zum Ausrufer werden und zur Brüllübung gar nachts in die Felder noch ziehn?‹ Jacobs (bei Dübner II 368) kommentiert: Praecones, quorum multus usus in rebus publicis, in certaminibus praesertim, in quibus ipsi quoque peculiaria sua habebant certamina, vocis exercitia (μελέτας) in agris, ut videtur, instituebant. Dübner ad loc. versucht eine diplomatische Erklärung der beiden Möglichkeiten, wie ἔξω verstanden werden kann: extra domum urbemve; ohne Einbezug von ἔξω hingegen die Erklärung von Opsopaeus: nocte experrectum meditari, scilicet quid facto opus sit. Ein Versuch, alles in einen harmonischen Zusammenhang zu bringen, findet sich bei Longo 1967: 82s. (Übers.: ›È vergognoso che per causa della vecchia io sia diventato un banditore ed eserciti fuori città facendomi svegliare di notte‹): Er nimmt an, dass der Sprecher am ehesten sich auf dem Land aufhält und wohl in der Landwirtschaft tätig ist; in ἔξω ›außerhalb‹ fiele also AußerHaus-Sein (dies die primäre Bedeutung; dafür spricht auch die Verwendung oben in Z. 1; für das Gegenteil – zu Hause sein –, cf. Aristoph. Ach. 396 Οὐκ ἔνδον ἔνδον ἐστίν, εἰ γνώμην ἔχεις) und Aufenthalt außerhalb der Stadt automatisch zusammen. Frühes Aufstehen für diese Übungen (noch in der Nacht) wäre also rein deswegen nötig, weil der Tag durch die übliche Arbeit schon belegt ist (und, möchte ich ergänzen, – auf die Alte bezogen – muss er sich nachts im Schreien üben, um es tagsüber anwenden zu können). Dieses Bild scheint mir in sich recht überzeugend; wäre hier an einen künftigen städtischen Marktschreier gedacht, so bliebe das frühe Aufstehen weniger klar motiviert (wie es Jacobs’ ut videtur auch zeigt), und ebenso bliebe ein nächtliches Üben auf den Gehsteigen in der Stadt nicht recht vorstellbar. Longo weist noch mit Recht darauf hin, dass alle Gegenstände, mit denen im ersten Epigrammteil gespielt wird, vornehmlich aus der ländlichen Welt stammen (inkl. des Begriffes δοκόν). Ist es daher vielleicht die Situation eines Gutsverwalters, die das Epigramm evoziert? – γενέσθαι m.E. nicht vorzeitig (so Longo: ›che … io sia diventato‹), sondern als komplexiv in der (nahen) Zukunft gedacht. Cf. z. B. Philemon fr. 115 Kock (comp. Men. et Philist., fehlt bei K.-A.) ὃ δεῖ παθεῖν σε μηδαμοῦ σκέψῃ φυγεῖν.

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I.5. Eine Spezialität Nikarchs: Epigramme auf Schwerhörige

b. AP 11,251 Δυσκώφῳ δύσκωφος ἐκρίνετο, καὶ πολὺ μᾶλλον ἦν ὁ κριτὴς τούτων τῶν δύο κωφότερος. ὧν ὁ μὲν ἀντέλεγεν τὸ ἐνοίκιον αὐτὸν ὀφείλειν μηνῶν πένθ’, ὁ δ’ ἔφη νυκτὸς ἀληλεκέναι. ἐμβλέψας δ’ αὐτοῖς ὁ κριτὴς λέγει· »Ἐς τί μάχεσθε; μήτηρ ἔσθ’ ὑμῶν· ἀμφότεροι τρέφετε.«

5

Pl.: IIa,30,1 f. 25r; Laur. 32,16 (25); Laur. 56,3 (fa 150v) – Tit. Νικάρχου P Pl (?) (Lemma: εἰς δυσκώφους B in marg.) : om. Laur. || 2 τῶν Pl : om. P Laur. || δύο κ.] δυοκ. Laur. 32,16 || 4 νυκτὸς] οὔπω Laur. 56,3 || ἀληλ.] η ex λ Pl || 5 λέγει] ἔφη Laur. 56,3 || 6 ὑμῶν P : ὑμῖν Pl Laur. 32,16

Ein Tauber führte Prozess mit einem Tauben, und viel mehr noch als diese beiden war der Richter taub. Der eine von ihnen warf entgegen, dass dieser die Miete schulde von fünf Monaten, der andere sagte, dass er nachts gemahlen habe. Der Richter schaut ihnen ins Gesicht und spricht: »Wofür zankt ihr euch? Sie ist die Mutter von euch: kümmert euch also beide um sie!«

Worterklärungen: 1 Δυσκώφῳ δύσκωφος … κωφότερος Der Satz Nikarchs hat Eingang in die byzantinische Sprichwortsammlung des Apostolios (15. Jh.) gefunden; vgl. Apostol. 6,39 (CPG II p. 374 Leutsch) Δύσκωφος δυσκώφῳ ἐκρίνετο· ὁ δὲ κριτὴς ἦν πολλῷ τούτων κωφότερος· ἐπὶ τῶν πάνυ γελοίων; vgl. auch Erasmus Adagia III 4,83 surdaster cum surdastro litigabat. – Im Epigramm wird der absurde dreifache Zusammenfall derselben Defizienz sukzessive akkumulierend durch dreimalige Wiederholung desselben Adj. anhand jeder einzelnen der beteiligten Personen betont. Der Effekt dieses Vorgehens ist, dass sich die Abnormalität der Situation immer noch mehr erhöht und als Verdreifachung des Übels besonders deutlich eingehämmert wird (δύσκωφοι δύο wäre z. B. deutlich schwächer). Eine ähnliche Wiederholungstechnik in der Exposition, ebenfalls mit einem Adj. der Defizienz, allerdings mit im Detail anderer Verteilung, findet sich in 11,110 (oben Kap. I.3): Τρεῖς λεπτοὶ … περὶ λεπτοσύνης ἐμάχοντο, τίς προκριθεὶς εἴη λεπτεπιλεπτότερος. Auffällig ist im vorliegenden Falle insbesondere auch die Überbestimmung durch zwei Komparative (μᾶλλον … κωφότερος), welche die vollkommene Taubheit des Richters illustrieren soll und somit die Kraft einer Hyperbel hat. Für eine ähnliche Überbestimmung vgl. das oben besprochene Epigramm AP 11,74,2 πολλὰ λίην. – δύσκωφος begegnet außer AP 11,74 nicht in skoptischem Kontext; stattdessen findet man das Adj., abgesehen von der LXX und darauf sich beziehenden Autoren, am häufigsten in medizinischen Texten (z. B. Aët. 6,80, der zur Behandlung in Öl gekochte Asphodillwurzeln empfiehlt). Schwerhörigkeit scheint generell ein vergleichsweise selten genutztes komisches Motiv gewesen zu sein (vgl. Brecht 1930: 96 sowie Besprechung unten). – ἐκρίνετο Vgl. auch den folgenden Begriff κριτής: Im M.-P. in der Bedeutung ›einen

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(Wett)streit für sich entscheiden lassen‹; im engeren Sinne ›einen Disput führen‹ (absolut vgl. Aristoph. Nub. 66 τέως ἐκρινόμεθα [sc. welchen Namen der Sohn bekommen sollte]), zum Dat. soc. cf. Eur. Med. 609 οὐ κρινοῦμαι … σοι τὰ πλείονα ›über das Weitere … will ich nicht mit dir debattieren‹. Daraus ableitbar ist die hier passende Bedeutung ›prozessieren mit‹. Im Vordergrund des Epigramms steht also der Aspekt gegenseitigen Kräftemessens, der mit einer Entscheidung für eine Partei endet, nicht eine Anklage einer Partei gegen die andere. Das passt bestens zur hier gezeichneten Situation, in der die Gegner mit verschiedenen und durch ihre Verschiedenheit absurden Argumenten versuchen, gegenüber dem anderen ›recht‹ zu bekommen. 2 ὁ κριτής hier = δικαστής; diese Verwendung scheint in klass. Zeit literarisch kaum belegt (LSJ geben z. B. nur Demad. 4), genießt aber eine gewisse Beliebtheit in den dokumentar. Papyri (Preisigke s. v. gibt ›Richter‹ als Hauptbedeutung an): cf. u. a. POxy. 1195 (2. Jh. v. Chr.). Trotz der Künstlichkeit der ganzen Geschichte ist die Situation auch in der Realwelt verwurzelt: Es geht wohl um einen zur Schlichtung von Privatangelegenheiten üblicherweise aus einer Liste gewählten iudex. Den realweltlichen Hintergrund bildet dann die Tatsache, dass die Streitenden die Person des κριτής zuvor nicht kennen: der Umstand, dass er mit dem selben Handicup versehen ist, wird zur ›echten‹ Überraschung. – τῶν δύο indeklinables Numerale begegnet schon bei Homer: z. B. Il. 10,253 etc.; in der Koine wird es zur Regel, vgl. BDR § 63; ebenso in den dokumentarischen Papyri, s. Mayser I 2 § 70,2 (p. 72) sowie Gignac II 187. Zur Interpretation des Gen. s. unten. 3 ὧν ὁ μὲν Vgl. AP 11,110,3 (Kap. I.3), ebenfalls eine Agonsituation. – ἀντέλεγεν Der absolute Gebrauch des Verbs an dieser Stelle ist auffällig. Zwar begegnet ein solcher, wie die bei LSJ und DGE s. v. 1 angeführten Stellen zeigen, gelegentlich, doch ist die (üblicherweise mit Dat. [Person] oder mit περὶ + Gen. [Sache] angegebene) Stoßrichtung des ›Dagegen-sprechens‹ bzw. ein dazugehöriger Kontext immer im vorangegangenen Text bereits genannt und muss deswegen nicht explizit wiederholt werden. Im vorliegenden Fall dagegen wird das Verb für den ersten Kläger, der ja noch nicht ›gegen‹ etwas sprechen kann, und nicht, wie man erwarten würde, für den zweiten verwendet. Während vergleichbare literarische Belege offenbar schwierig zu finden sind (von der Idee her ähnlich ist die Bedeutungserweiterung in ὁ ἀντιλέγων ›Rivale, Gegner im Disput‹; cf. Plat. Prot. 335a), liefern einmal mehr die dokumentarischen Papyri zahlreiche Beispiele für die absolute Verwendung des Verbs ohne konkreten vorausgehenden Bezug und gleichzeitig mit Spezialisierung auf die Prozessituation (im Sinne von ›Widerspruch erheben, Gegner sein -> gerichtlich streiten‹; cf. Preisigke s.v.). Genau dies ist auch hier gemeint. Wie im Folgenden ersichtlich, besteht ja die Pointe gerade darin, dass die Klagen nicht aufeinander Bezug nehmen. Das Fehlen einer Ergänzung zu ἀντι- ist so ganz folgerichtig. Eine weitere Interpretation, die die

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eben referierte nicht ausschließen muss, sondern eher ergänzt, stützt sich auf die Ausschnitthaftigkeit der Szene im Epigramm: die beiden Kontrahenten, so wird suggeriert, befinden sich schon mitten in der Debatte (vgl. auch das Imperfekt ἐκρίνετο ›stand mitten im Prozess gegen …‹), wenn wir als textexterne Betrachter dazustoßen. – τὸ ἐνοίκιον Ein gängiger Terminus für den Mietzins von Häusern bzw. Räumen und deshalb in den dok. Papyri ebenfalls sehr häufig (Rupprecht 1994: 122ss.; vgl. insbesondere H.G. Müller, Untersuchungen zur ΜΙΣΘΩΣΙΣ von Gebäuden im Recht der gräko-ägyptischen Papyri, Diss. Erlangen-Nürnberg, Köln 1985: 197f., mit Abgrenzung zu φόρος, das häufiger einen Pachtzins bezeichnet, wenn also der gemietete Raum gewerblich nutzbar ist); in der Lit. taucht er zuvor vereinzelt bei den att. Rednern auf (Lys. fr. 27 Thalheim; Isokr. 6,21; Dem. 48,45), bei Nikarch nochmals in AP 5,40,7 (unten Kap. II.6.). Rückstand in der Zahlung des (in vielen Fällen auf Ende Monat fälligen) Zinses war wohl einer der häufigsten Gründe für eine Klage und Prozess. Allerdings sind Prozessurkunden aus dem röm. Ägypten sehr rar (Müller cit. 1985: 300; vgl. allg. dens. 299ss. zum haftungsbegründenden Element einer μίσθωσις: Er sieht diese Vertragsform als Einräumung einer partiellen Verfügungsmacht unter bestimmten Auflagen an den Mieter/Pächter, darunter vornehmlich die Zahlung der Miete. Bei deren Ausbleiben erging im Gerichtsfall kein Zahlungsbefehl an den Schuldner, sondern es wurde, anders als im römischen Obligationenrecht üblich, ›lediglich‹ die Zwangsvollstreckung durch den Gläubiger sanktioniert; cf. 328). – Zum auffälligen Gleichklang von ἐνοίκιον (in der Koine-Aussprache) und νυκτὸς in der folgenden Zeile, sichtbares Zeichen des Missverständnisses seitens eines δύσκωφος (vgl. ebenso Z. 4 μηνῶν und Z. 6 μήτηρ), s. unten. 4 ἔφη νυκτὸς ἀληλεκέναι Diese Aussage bereitet Schwierigkeiten auf der unmittelbaren Verständnisebene; dies liegt nicht zuletzt an der Neutralität des Ausdrucks ἔφη. M.E. sind folgende Deutungsvarianten möglich: a) ›entgegnen‹ im Sinne von ›zu bedenken geben‹. Dies wäre so zu verstehen, dass B zu seiner Verteidigung vorbringt, er tue ja alles, was in seiner Möglichkeit steht, auch Nachtarbeit, um die geschuldete Summe aufbringen zu können (direkter Bezug auf die vorangehende Äußerung; dieselbe Deutung bei Schulte ad loc.). b) ›eingestehen‹, ›zugeben‹. In diesem Fall käme es vor dem Richter sozusagen zu einem Schuldbekenntnis des Sprechers B, aber einem, das sich scheinbar nicht mit der Klage von A deckt (weil er diese eben nicht verstanden hat?). Warum allerdings könnte Nachtarbeit etwas sein, das man vor Gericht zugeben muss? Regelungen betreffend Lärmimmissionen und daraus sich ergebende Beschränkungen im Gewerbebetrieb sind aus dem röm. Ägypten nicht bekannt (freundl. Mitteilung N. Gonis). Einen möglichen Grund vermutet Paton ad loc.: ›to avoid certain dues‹; diese Formulierung ist etwas vage und wurde von Schulte wohl nicht ganz treffend

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wiedergegeben. Paton ging es dabei letztlich wohl um die oben (zu ἐνοίκιον) erwähnte Unterscheidung, ob ein Raum/Gebäude zum bloßen Wohnen oder zum Gewerbebetrieb gemietet ist. Wer nachts seine Mühle laufen lässt, scheint die Arbeit damit vertuschen zu wollen, vermutlich um nicht einen höheren Zins zahlen zu müssen; dies wiederum kann auch durch die ohnehin schon drückende Schuldenlast motiviert sein. Mit anderen Worten: Die Antwort auf den ersten Vorwurf (Zahlungsrückstand) wäre bei einer solchen Interpretation auch gar nicht so absurd: ›ja, aber ich arbeite heimlich, um dafür keinen Pachtzins zahlen zu müssen.‹ – Zu Ölmühlen vgl. POxy. LI 3639. 5 μάχεσθε Cf. Hom. Il. 1,304 ὣς τώ γ’ ἀντιβίοισι μαχεσσαμένω ἐπέεσσι … – 6 τρέφετε Sorge- und Unterhaltspflicht gegenüber schwächeren Familienmitgliedern ist ebenfalls ein häufiges Thema in den dok. Papyri; vgl. auch AP 5,40,5. Im Folgenden sollen die beiden Epigramme auf Gehörgeschädigte, die einzigen in der Anthologia Graeca enthaltenen Beispiele insgesamt, in ihrem Wesen, in Struktur und Gehalt noch etwas genauer untersucht werden, insbesondere das weitaus abstraktere Epigramm AP 11,251. In die Diskussion mit einzubeziehen ist Vergleichbares aus Literaturgattungen jenseits des Epigramms, zumindest sofern sich davon Spuren erhalten haben. Beginnen wir mit dem Vordergründigen: In AP 11,74 hängt der komische Erfolg mit der Findigkeit im Bereich lautlich sehr nahe stehender Begriffe zusammen; in der langen Reihe solcher Minimalpaare erwischt die schwerhörige Alte selbstverständlich immer genau den falschen Begriff. Demgegenüber funktioniert 11,251 auf einer ganz anderen Ebene: Lautliche Anklänge an bereits gefallene Wörter sind zumindest auf den ersten Blick nicht wirklich auszumachen (dazu allerdings vgl. weiter unten). Der ›Reiz‹ der Situation liegt vielmehr in der scheinbar totalen Bezugslosigkeit der Äußerungen (vgl. a. Hewitt 1921: 76; Weinreich 1953: 352), sowohl des zweiten Kontrahenten auf den ersten wie insbesondere des Richters auf beide. Mit der Aufweichung des Prinzips der Gesprächslogik ist eine Möglichkeit gegeben, die sonst automatisch funktionierende Sinngebung bewusst zu unterlaufen und damit als Prinzip erst in den Vordergrund zu stellen (damit gibt sich das Epigramm als Musterbeispiel des ›non-sensical‹; s. Einleitung p. 123). Im Gegensatz zur Situation bei der Verwendung von Bildern jenseits der physikalischen Vorstellungswelt (vgl. Kap. I.3) sind hier die Aussagen, für sich genommen, ohne Fehl und Tadel, ja sogar betont alltäglich (Zahlungsrückstand). Das kreative Moment, das beim Rezipienten durch das Sinnvakuum ausgelöst, wenn nicht sogar erzwungen wird, besteht darin, dass er nun in den einzelnen Äußerungen nach Nebenassoziationen zu suchen hat, in deren Anordnung vielleicht ein neues Sinngeflecht zu erkennen wäre, ähnlich einem Palimpsest.

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Und diesbezüglich bietet das verwendete Vokabular und dessen Verankerung in der Realwelt, wie bereits in den Lemmata gezeigt, doch einige Anhaltspunkte. Wir haben gesehen, dass man der Antwort/Verteidigung des zweiten Kontrahenten auf den zweiten Blick durchaus einen Sinn abgewinnen kann: er hatte etwas unternommen, um dem Problem des Zahlungsrückstands Abhilfe zu schaffen. Das Überraschende besteht dann eher sogar in der Tatsache, als wie gut vorbereitet sich dieser zweite δύσκωφος herausstellt. Auf die Ebene des Abstrakten scheint man hingegen wieder mit dem als Pointe gesetzten Richterspruch zurückzukehren: Sie ist die Mutter von euch beiden, also sorgt euch auch beide um sie! Beschränkt sich nun der Witz darauf, dass diese Aussage komplett ohne Realweltsbezug kommt? – M.E. gibt es auch hier letztlich die Möglichkeit einer zweiten Verständnisebene. Nehmen wir den Satz nämlich ernst, dann können wir aus ihm durchaus einen Hintergrund rekonstruieren. Dieser ist beim ersten Kläger am einfachsten zu sehen: er ist Gläubiger und wartet auf sein Geld. Ebenso lässt er sich für den Richter ohne größeren Aufwand erschließen. Er sieht die beiden vor sich, die er für Geschwister hält, und nimmt aufgrund seiner ›Berufserfahrung‹ automatisch an, es gehe hier um die Frage des Unterhalts von Eltern. Wenn wir uns nun vorstellen, dass der Richter aus irgendwelchen Gründen der Überzeugung ist, die beiden seien sich über die Unterhaltspflichten gegenüber ihrer Mutter und im speziellen den Beitrag jedes einzelnen hierzu nicht einig, dann ist auch für seine Äußerung zumindest die Möglichkeit eines inhaltlichen Anschlusses ans Vorhergehende gegeben. Der erste besteht darauf, vom zweiten das ἐνοίκιον zu erhalten, um sich finanziell über Wasser halten zu können; der zweite ist aus den selben Gründen auf seine Nachtarbeit angewiesen. Es geht wohl nicht zu weit, wenn man den beschriebenen Weg einer sekundären ›Sinngebung‹ für dieses Epigramm als intendiert annimmt. Als Signal für die zunächst scheinbar fehlende Kohärenz der Äußerungen stehen auf der anderen Seite primär die Subjekte selbst, die δύσκωφοι, deren Konversation nach anderen Regeln zu verlaufen scheint, als es die unseren sind. Wir befinden uns also zunächst in einem Zustand von maximalem ›non-sense‹, in einer eigentlichen Aporie. Paton ad loc. bringt dies auf den Punkt, wenn er schreibt: ›C’est plus une »histoire de fous« qu’une histoire de sourds, car il n’y a aucune assonance [vgl. aber oben zu Z. 3 ἐνοίκιον, mein Einschub] qui puisse expliquer les erreurs comme dans l’épigramme 74‹. Die Nähe zwischen ›schwerhörig‹ und ›verrückt / blöde‹ ist in der Antike überdies schon im Bedeutungsspektrum des Worts κωφός selbst angelegt; aus unserer Perspektive würden wir eher von einem ›aneinander Vorbeireden‹ sprechen. Interessant wäre es, die postulierten mit den δύσκωφοι verbundenen Aspekte der Abnormalität anhand motivischer Parallelen weiter bestimmen zu

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können. Es ist unschwer vorstellbar, dass Schwerhörige bzw. unfreiwillige Gesprächskomik Gegenstand skoptischer Darstellung auch in der Antike waren; findet sich doch auch z. B. bei Cicero de or. 2,239 die Feststellung: est etiam deformitatis et corporis vitium satis bella materies ad iocandum, wobei die surditas ein corporis vitium wie viele weitere ist. Doch leider bietet die Überlieferung insgesamt zu diesem Thema nur wenig Material.139 Weder finden sich in der Anthologia Graeca weitere Beispiele, noch ist es möglich, Dialoge etwa aus der Komödie anzuführen, für die ja misslingende Gesprächslogik erstklassiges Potential hätte bieten müssen. Zwar erkennt man aus einer vereinzelten Notiz (Schol. vett. in Aristoph. Pacem 348e: ὁ δὲ δεύτερος [sc. Φορμίων] ἦν κωφός· μέμνηται καὶ Στράττις),140 dass der Defekt offenbar von Strattis, einem Vertreter der Alten Komödie, in einem Porträt des elenden Lebens des erfolgreichen Feldherrn Phormion nach seiner Rückkehr nach Athen ›genutzt‹ wurde. Da aber über die Art und Weise, wie dies geschah, jeglicher Hinweis fehlt, sollte das Zeugnis m.E. auch nicht überbewertet werden.141 Etwas klarer ist die Sache, wenn schon der Titel auf das Gebrechen hinweist, wie im Falle des Surdus, einer Atellane des auch von Cicero142 gepriesenen Novius (1. Jh. v. Chr.), aus der aber ebenfalls kein ›dialogue des fous‹ erhalten ist. Wirklich brauchbar für einen strukturellen Vergleich bleibt somit nur die ebenfalls schon von Weinreich 1953 analysierte Szene in den Aithiopika, dem umfangreichen Liebesroman des Heliodor, einer Darstellung, die erheblich jünger ist (3. od. 4. Jh. n. Chr.), was aber keine Rolle spielt, da der interessierende Aspekt, die im Dialog der δύσκωφοι inhärente Problematik und ihre Extrapolation, kein zeitspezifisches Thema ist und außerdem der klassische Traditionsstrom bei Heliodor noch erstaunlich breit fließt. Am Ende von 5,18 ist geschildert, wie das Protagonistenpaar zusammen mit seinem Beschützer Kalasiris auf der Überfahrt nach Ägypten vom Winter eingeholt wird, so dass die Gruppe für die ungünstige Jahreszeit auf Zakynthos eine Bleibe finden muss. Kalasiris wendet sich an einen Fischer, den er vor seinem Haus sitzend vorfindet: … Πλησιάσας δὴ »Χαῖρε« εἶπον »ὦ βέλτιστε καὶ φράζε ὅποι τις ἂν τύχοι καταγωγῆς.« Ὁ δὲ »Περὶ τὴν πλησίον ἄκραν« ἔφη »χοιράδι πέτρᾳ τῆς προτεραίας ἐνσχεθὲν διεσπάρακται.« Κἀγὼ »Τοῦτο μὲν« ἔφην »οὐδὲν ἐδεόμην μαθεῖν, ὅμως δ’ οὖν χρηστῶς ἂν ποιοίης καὶ φιλανθρώπως ἢ αὐτὸς ὑποδεχόμενος ἢ ἕτερον ὑφηγούμενος.« Καὶ ὃς »Οὐκ αὐτὸς« φησίν, »οὐ γὰρ συνέ139 Das Vorhandene sorgfältig zusammengestellt und beschrieben bei Weinreich 1979: 351ss. 140 Erstmals erwähnt bei Brecht 1930: 96. 141 Dem Wortlaut des Scholions nach zu schließen, das die Handlung des Stücks grob zusammenfasst, kann die Schwerhörigkeit nicht mehr als ein Nebenaspekt gewesen sein. 142 De orat. 2,255; 279 und v. a. 285.

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πλεον· μὴ γὰρ οὕτω ποτὲ σφαλείη μηδὲ ὑπὸ γήρως πιεσθείη Τυρρηνός, ἀλλ’ ἐστὶ πταῖσμα τῶν παιδαρίων ἀπειρίᾳ τῶν ὑφάλων οὗ μὴ ἐχρῆν τὰ δίκτυα καθορμισάντων.« Ὀψὲ δὴ οὖν συνεὶς ὡς παχύτερον ἔχει τῆς ἀκοῆς γεγωνότερον ἐμβοήσας »Χαίρειν κελεύω σοι« ἔφην »καὶ φράζειν ἡμῖν ξένοις οὖσι καταγωγήν.« »Ἀλλὰ καὶ αὐτὸς χαίροις« ἀπεκρίνατο »καὶ μένοις εἰ βούλοιο παρ’ ἡμῖν« κτλ. »Sei gegrüßt, mein Bester« redete ich ihn an. »Sag, wo kann man hier wohl eine Unterkunft finden?« – »Dort in der Nähe, am Vorgebirge«, antwortete er, »ist es gestern an einem Felsen hängengeblieben und zerrissen.« – »Das wollte ich eigentlich nicht wissen«, entgegnete ich. »Aber du würdest mir eine besondere Gefälligkeit erweisen, und es wäre ein Akt von Menschenfreundlichkeit, wenn du uns bei dir aufnehmen oder an einen anderen verweisen könntest.« – »Ich selbst nicht«, sagte er. »Ich bin gar nicht mitgefahren. Ein solcher Fehler wird wohl dem Tyrrhenos nicht passieren, auch nicht, wenn ihn das Alter noch mehr drücken sollte. Daran sind die jungen Burschen schuld, die sich mit den Riffen nicht auskennen und da, wo sie es nicht tun sollten, die Netze auswerfen.« Erst spät merkte ich, dass er schwerhörig war und schrie ihn mit lauterer Stimme an: »Ich entbiete dir meinen Gruß und bitte dich, uns zu sagen, wo wir unterkommen können.« – »Sei ebenfalls gegrüßt,« antwortete er, »und bleibe doch bei uns, wenn du magst …«

Die Stelle zeigt sehr deutlich, was man als ›psychologischen Mechanismus‹ dieser speziellen Form von Dialogen bezeichnen könnte, auch wenn hier anders als im Epigramm nur die eine Seite Schwierigkeiten mit dem Gehör hat. Beide sprechen das aus, was im Moment für sie das Wichtigste ist bzw. sie besonders bewegt: Kalasiris erkundigt sich nach der Möglichkeit einer Bleibe für den Winter, Tyrrhenos dagegen, den Kalasiris beim Flicken der Maschen eines Fischernetzes antrifft, nimmt automatisch an, der Fremde frage ihn, was denn damit geschehen sei. Mit anderen Worten: die Aussagen sind – für den Leser aus dem Kontext ersichtlich – klar motiviert, und trotz des nur punktuell erkennbaren Bezugs in der Kommunikation wirkt diese nicht wie eine ›histoire de fous‹. Tyrrhenos’ Antworten schließen sich korrekt an einzelne von Kalasiris verwendete Begriffe an – ὅποι, αὐτός –, aus denen er sich das Nicht Gehörte nach seinem Horizont zusammenreimt. Die Situation erregt ein sympathisches Lächeln, aber beinhaltet keinen Spott. Was das Epigramm 11,251 mit der eben betrachteten Romanstelle verbindet, ist die Tatsache, dass nach der ersten Überraschung wegen fehlender Kohärenz durch die Ausbreitung des persönlichen Hintergrunds der Sprecher ›Sinnhaftigkeit‹ geschaffen und ein nicht von Anfang an gesehener ›Zusammenhang‹ konstituiert wird. Bei Heliodor ist die Darstellung darauf angelegt, dass dieser Prozess der Sinngebung ohne weitere Schwierigkeiten funktioniert. Im Epigramm Nikarchs dagegen ist dies mit viel größerem Aufwand verbunden: das ›non-sense‹-Element steht den Bestrebungen, ›sense‹ ausfindig zu machen, hartnäckig entgehen.

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Die wichtigsten Motivgruppen

Am Ende dieses Abschnitts gilt es schließlich die Frage zu stellen, ob es neben der oben gegebenen Deutungsmöglichkeit einer Gerichtssituation mit Zahlungsverzug und Nachtarbeit Signale gibt, die bei einer ›dritten Lektüre‹ noch die Konstituierung einer zusätzlichen, untergründigen Sinnesebene erlauben könnten, ähnlich wie dies früher anhand von AP 11,331 vorgeschlagen wurde. Die Anlage des Epigramms lässt uns solches im Grunde von Anfang an erwarten. In der Tat erwecken die lautlichen Anklänge der Begriffe ἐνοίκιον und νυκτὸς (in der Koine-Aussprache rücken sie noch näher zusammen) den Verdacht, dass gerade auf einem solchen Phänomen letztlich der Witz des akustischen Missverständnisses beruhen muss. Mein Vorschlag ist folgender: der zweite Kontrahent könnte statt ἐνοίκιον ἐννύχιον ›in der Nacht stattfindend‹ verstanden haben. Die Geschichte würde in diesem Fall folgendermaßen ablaufen: Die Forderung nach der Miete würde dieser fälschlicherweise als Frage nach dem ἐννύχιον, nach dem, was er in der Nacht jeweils unternehme oder unternommen habe, auslegen, was er dann auch prompt beantwortet. Befinden wir uns erst einmal auf diesem Pfad, so drängt sich auch eine doppelte Interpretation für das in dieser Hinsicht nicht unverdächtige Verb ἀληλεκέναι auf. Auch Schulte ad loc. mutmaßt hier, unter Hinweis auf lat. per-molere, einen obszönen Nebensinn, Nisbet setzt ihn in seiner Übersetzung sogar als Literalsinn.143 Tatsächlich stehen die Dinge bei per-molere in einer ganzen Reihe von Fällen eindeutig144 (als Beispiel nenne ich Hor. sat. 1,2,35: huc iuvenes aequom est descendere, non alienas | permolere uxores), während ein vergleichbarer Befund für ἀλέω als Metapher im griechischen Bereich offenbar nicht zu finden ist.145 So wird nicht klar, ob dies im Sinne von βεβινηκέναι gemeint sein könnte, oder ob es eher um Masturbation geht. Im ersten Fall fände die Zote mit der Aufforderung des Richters an beide, sich um die Mutter zu kümmern, eine besonders groteske Überhöhung. In der Tat dürfte ein weiteres lautliches Spiel zwischen μήτηρ und μηνῶν (auffälligerweise auch an gleicher Versstelle) bestehen. Im Bereich der sexuellen Andeutungen ist Ungenauigkeit im Hinblick auf den Geschlechtsverkehr kein so großes Problem.146 Sicher wäre auf jeden Fall, dass bei diesem 143 Nisbet 2003: 96 ›»The assault came during the night.«‹. 144 Siehe dazu Adams 1982: 152s.; auffallend die große Zahl von Belegen in den späteren Ausonius-Epigrammen. – Ganz offensichtlich ist das Bedeutungsspektrum relativ weit und nicht auf eine bestimmte Sexualpraktik beschränkt. 145 Henderson 1991: 166 hat aus Aristophanes einen Befund, der eine ähnliche Deutung zulässt, nur für einen ›Arbeitsgang‹ zuvor: dreschen (ἀλοάω). Doch als Quelle für die Metapher steht in diesem Fall das Lateinische klar näher. 146 Zu obszönen Bemerkungen und Inzest vgl. a. Henderson 1991: 22; das Motiv gehört bereits ins ›Repertoire‹ der Iambendichtung: s. Hipponax fr. 70 West; vgl. außerdem Cat. 88– 90; Mart. 2,4.

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›schmutzigen re-reading‹ des Epigramms auch die Aussage, jemand sei mit seinem ἐννύχιον im Rückstand, aufs beste passen würde.

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I.6. Les avares

a. AP 11,169 ’Εχθὲς ἀπάγχεσθαι μέλλων Δείναρχος ὁ φείδων, Γλαῦκε, δι’ ἓξ χαλκοῦς δύσμορος οὐκ ἔθανεν· ἓξ χαλκῶν ἦν γὰρ τὸ σχοινίον· ἀλλ’ ἐδυσώνει εὔωνον ζητῶν ἄλλον ἴσως θάνατον. τοῦτο φιλαργυρίας δεινῆς ὅρος, ὅς γ’ ἀποθνῄσκων, Γλαῦκε, δι’ ἓξ χαλκοῦς δύσμορος οὐκ ἔθανεν.

5

Pl.: IIa,50,5 f. 29r. – Tit. Νικάρχου P || 1 Δείναρχος ὁ φείδων Pl : Δίναρχος ὀφείλων P || 4 ἴσως Pl : ἴσος P || 5 ὅς γ’ Pl : ὅς κ’ P

Gestern wollte Deinarchos der Geizhals sich erhängen, Glaukos, doch wegen sechs Bronzemünzen starb der Arme nicht. Sechs Bronzemünzen kostete nämlich der Strick. So wartete er ab mit dem Kauf und suchte, ob er vielleicht einen anderen, preiswerten Tod finde. Das ist der Inbegriff furchtbaren Geizes: wer sterben wollte, Glaukos, wegen sechs Bronzemünzen starb der Arme nicht.

Worterklärungen: 1 ’Εχθὲς Diese Zeitbestimmung ist im Epigramm sehr beliebt (oft als eines der ersten Wörter), um dem nachfolgenden Inhalt den Anschein einer aktuellen, brühwarmen Begebenheit zu verleihen (vgl. noch AP 11,14; 92; 113; 174; 325; 12,11; 34; 207), oder auch zur Fixierung eines Gegensatzpaars zwischen Einst und Jetzt (AP 11,351; 12,191; 248). Eine besondere Situation ist in AP 11,330 (Kap. II.12) gegeben, wo eine seit gestern andauernde Handlung markiert ist. – ἀπάγχεσθαι Suizid ist ein häufiges Thema in der Anthologia Graeca: abgesehen vom anonymen Epitaph eines am Leben Verzweifelten (AP 9,574), wo keine Ironie direkt erkennbar ist, vor allem im skoptischen Kontext und hier insbes. bei Lukillios (Rozema 1971: 127), wobei die Motive wechseln: so in AP 11,76 (ungünstiges Äußeres); 90s., 111 (emotional labile λεπτοί; vgl. Komm. zu 11,110,6 und Nisbet 2003b; oben Kap. I.3), sowie, ebenfalls über einen Geizigen, 264 (zur ›variatio‹ beim Suizidgrund siehe auch unten). – Δείναρχος In diesem Epigramm ist der auch von Schulte ad loc. hervorgehobene Anklang an δηνάριον gewiss kein Zufall; er ist einer, der δηναρίου ἄρχει, wobei besonders reizend ist, wie sich diese ›Etymologie‹ beim Anhören erst nachträglich erschließt, u. a. auch, weil durch die Pseudo-Haplologie die Morphemgrenze vor bzw. nach αρ verwischt ist. – φείδων Im Gegensatz zum folgenden Epigramm

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11,170 handelt es sich hier nur um die Eigenschaft des Deinarchos und nicht um einen Eigennamen. Das Adj. existiert sonst nur in der Form φειδός; wegen der Diathese kann es auch nicht als Ptz. zu φείδομαι gestellt werden. 2 δι’ ἓξ χαλκοῦς δύσμορος οὐκ ἔθανεν Refrainartige Wiederholung ganzer Verse ist, sehen wir von epischen Formelversen ab, im griechischen Bereich im wesentlichen auf Hymnen beschränkt (cf. z. B. den Kuretenhymnus [um 300 v. Chr.?], CA 160s. Powell). Hier, wie auch z. B. in Catulls Carm. 62 hat der Refrain klar unterteilend-gliedernde Funktion (vgl. a. oben Einleitung p. 35). In einem kurzen Epigramm wie dem vorliegenden besteht die Funktion dagegen darin, der Aussage, zusammen mit der Anrede an einen Dritten, zusätzliches emotionales Gewicht zu geben. Im Satz selbst ist δι’ ἓξ χαλκοῦς durch die Voranstellung besonders betont; das Unfassbare ist die geringe Ausgabensumme, die den Suizid ja offenbar allein verhindert hat. Eine ausgereiftere Variante solch ›emotionaler Redundanz‹ ist die Wiederholung des ersten Hemistichon des Hexameters in der zweiten Pentameterhälfte; cf. Ov. Am. 1,9,1s. militat omnis amans; Mart. 9,97 rumpitur invidia; Meleager AP 5,176,1s. δεινὸς Ἔρως, δεινός· τί δὲ τὸ πλέον ἢν πάλιν εἴπω | καί πάλιν οἰμώζων πολλάκι, ›δεινὸς Ἔρως‹. In Mart. 2,41 wird die Anfangszeile ride si sapis, o puella, ride am Ende durch plora si sapis, o puella, plora wieder aufgenommen. – χαλκοῦς Eine Bronzemünze mit besonders geringem Nominalwert: in Athen 1/8 Obolos (6 Oboloi = 1 Drachme), anderswo ein noch geringerer Teil davon (s. DNP s.v. Chalkus). – δύσμορος Wie Schulte bemerkt, ein ironischer Nachhall des insbesondere in Grabepigrammen geläufigen Ausdrucks (in der Angabe der Beispiele allerdings steht ein Druckfehler: 7., nicht 5. Buch der AP), wo er das unglückliche Los derer, die zu Tode kamen (tödliche Krankheit: 7,127; Schiffbrüchiger: 7,374; 1. Wort des Epigramms), oder auch der Hinterbliebenen (der Vater überlebt den Sohn: 7,701) hervorhebt (ähnlich verhält es sich mit δύστηνος). Es ist wohl kein Zufall, dass im zweiten Hemiepes genau δύσμορος οὐκ ἔθανεν nebeneinander steht, wobei die Überraschung natürlich in der Negation besteht. S. auch unten. 3 ἐδυσώνει Die Verbalableitung δυσωνέω ist laut TLG nur hier wirklich mit Kontext überliefert (die bei Poll. 3,126 überlieferte Stelle aus Plat. Com. fr. 246 K.-A. beschränkt sich auf den Ausruf Παῦσαι δυσωνῶν). Sie erfolgte aus dem Determinativ-Kompositum δυσ-ώνης, einer Nom. ag.-Bildung (kein s-stämmiges Adj. wie etwa δυσ-μαθής; cf. die Betonung). Die Bedeutung ist daher ›ein Schwierig-Käufer‹; cf. LSJ s.v. ›one who beats down the prize‹; Com. Adesp. 277 Kock [n. bei K.-A. aufgenommen] οὐδεὶς δυσώνης χρηστὸν ὀψωνεῖ κρέας (aus Suda ο 820) = Apostol. 13,30 (CPG II p. 581 Leutsch = Ael. Dion. ο 33); das Verb ist etwa so zu übersetzen: ›sich schwer tun mit dem Kauf, abwarten‹. Vgl. Athen. 6,12 [=228c]; 8,40 [=348b]; δύσωνος beim Attizisten Herodian Partit. 213,5. – ἴσως gemeint ist: ›er suchte, ob es vielleicht einen anderen, preiswerten Tod gebe‹. Ein Be-

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Die wichtigsten Motivgruppen

zug des Adverbs auf ζητῶν (›er suchte vermutlich einen anderen, preiswerten Tod.‹) erscheint weniger wahrscheinlich. 4 εὔωνον … θάνατον Dadurch, dass die Begriffe ἐδυσώνει und εὔωνον nur durch den Zeilenwechsel voneinander getrennt sind, offenbaren ihre Vorsilben das in der gegenseitigen Antithese liegende Wortspiel in besonders augenfälliger Weise. Es erhält seinen zusätzlichen Reiz dadurch, dass die beiden Wörter selbst nicht ein direktes Gegensatzpaar bilden, sowohl in bezug auf die Wortart als auch besonders auf die Semantik: εὔωνος, im Gegensatz zu δύσ-ωνος recht häufig, bedeutet ›leicht zu kaufen → preiswert‹. Die Verbalwurzel im Hinterglied des Kompositums ist hier also in passiver Bedeutung verwendet, während sie es vorher, bei δυσώνης, aktiv war (thematische Verbaladjektiva dieses Typs können an sich grundsätzlich aktive und passive Bedeutung besitzen, wie sich aus den Beispielen in Debrunner 1917: 32 [§ 62] ergibt; im Falle von εὔωνος gibt es keine Stelle, wo die Bedeutung ›leicht kaufend → kauflustig‹ angebracht wäre.) – Im Epigramm wird durch die Fokussierung der Aufmerksamkeit auf die beiden Wörter ein ›PseudoEnjambement‹ geschaffen und so die syntaktische Grenze ›überspielt‹. Tatsächlich beginnt mit εὔωνον ja die Partizipialkonstruktion, die am Ende des Pentameters zu einer für Spottepigramme typischen Überraschung führt: während man als logisches Bezugswort von εὔωνον und als Objekt von ζητῶν zunächst weiterhin σχοίνιον erwartet, schließt die Zeile mit θάνατον, dessen jetzt sichtbare Verbindung mit εὔωνον ein klares Oxymoron darstellt. 5 τοῦτο … ὅρος, ὅς … οὐκ ἔθανεν Eine Verschränkung zweier syntaktischer Konstruktionen, insofern eine leichte Constructio ad sensum, wodurch die Aussage wohl emotionaler klingt und stark mündlichen Charakter bekommt: a) τοῦτο … ὅρος, ὅτι … οὐκ ἔθανεν (oder mit aci) X b) οὗτος … ὅρος, ὅς… οὐκ ἔθανεν. Im Hauptsatz soll als Vordergrund einerseits Variante a) stehen (der Umstand ist der Gipfelpunkt menschlichen Geizes, dass …), andererseits soll aber auch der ›Refrain‹ ohne Änderung wiederholt werden. – φιλαργυρίας … ὅρος ὅρος kann Grenzpunkt bzw. -linie (als Landmarke) oder, wie hier, in metaphorischer Weise, den Gipfelpunkt, über den hinaus etwas nicht gehen kann, bezeichnen. – δεινῆς Wie schon von Schulte beobachtet, ein witziger Nachhall des in 1 genannten Namens des Geizhalses, den man hier im Gen. subi. zu φιλαργυρίας ja ebenfalls erwartet. – ὅς γ(ε) ein Beispiel für emphatischen Gebrauch von γε: ›sogar einer, der sterben wollte; selbst noch im Sterbenwollen‹. Cf. Demosth. or. 54,33 ἀλλ’ ὑφ’ οὗ γε πρώτου ἐπλήγην … τούτῳ καὶ δικάζομαι; für weitere Bspe. nach Rel.pronomen s. Denniston 123s. – ἀποθνῄσκων hier offensichtlich konativ (cf. 1 ἀπάγχεσθαι μέλλων); in dieser Funktion in augenfälligem Kontrast zum ebenfalls am Zeilenende stehenden οὐκ ἔθανεν im folgenden Pentameter, wie auch zur Gattung der Grabepigramme überhaupt.

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b. AP 11,170 Δακρύει Φείδων ὁ φιλάργυρος, οὐχ ὅτι θνῄσκει, ἀλλ’ ὅτι πέντε μνῶν τὴν σορὸν ἐπρίατο. τοῦτ’ αὐτῷ χαρίσασθε καί, ὡς τόπος ἐστὶν ἐν αὐτῇ, τῶν πολλῶν τεκνίων ἕν τι προσεμβάλετε. Pl.: IIa,50,6 f. 29r. – Tit. τοῦ αὐτοῦ 〈sc. Νικάρχου〉 P || 3 τοῦτ᾽ P : ταῦτ᾽ Pl.

Es weint Pheidon der Geldgierige, nicht weil er am Sterben ist, sondern weil er den Sarg für fünf Minen kaufen musste. Tut ihm doch diesen Gefallen und, da es noch Platz in diesem gibt, legt von seinen vielen Kindlein eines mit dazu!

Worterklärungen: 1 δακρύει Dieses Verb findet sich öfters im Kontext von Grabepigrammen (z. B. AP 7,652); wie hier am Gedichtanfang vgl. GV 1119 δάκρυα κουριδίη[ι ἀλό]χωι προλέλοιπ’ ἀποθνήσ[κων] (Lydien; II/I. Jh.); 1542 δάκρυά σοι καὶ νέρθε διὰ χθονός … | δωροῦμαι στοργᾶς λείψανον εἰς Ἀίδαν; 2007 [δά]κρυα σοὶ σπένδω etc.; Gespräch: 1843; 2002); im Zusammenhang mit Hinterbliebenen, die ihre verstorbenen Lieben beweinen: GV 851; 1097; 1259; 1430; vgl. a. Lattimore 1962: 180. Als erstes Wort des hier besprochenen Epigramms lenkt es die Erwartung zunächst ebenfalls in diese Richtung. – Φείδων Im Gegensatz zu AP 11,169 ist Φείδων hier Eigenname, nicht Charakterbeschreibung. Diese Aufgabe übernimmt hier das Adj. φιλάργυρος. Das Spiel mit dem chiastischen Wechsel von (Name) ὁ φείδων und Φείδων ὁ (Adj.) bei gleichzeitig paralleler Verwendung der Folge Eigenname (A) – Artikel – charakterisierendes Adjektiv (B) in den beiden Gedichten ist wohl kaum zufällig; eine sehr ähnliche Wendung an gleicher Versstelle auch in Lukillios: AP 11,165. Hinsichtlich Semantik sind aber im vorliegenden Fall Element A und B mehr oder weniger austauschbar. Hier mag auch die Assonanz Φει- (im 1. Jh. n. Chr. monophthongisch ausgesprochen) – φι- zusätzlich als Gestaltungsmittel eine Rolle spielen. – οὐχ ὅτι θνῄσκει Eine Korrektur der durch δακρύει zunächst geförderten falschen Annahme, es würde nun Totenklage im Zentrum stehen. 2 πέντε μνῶν 1 Mine entsprach 100 Drachmen, wobei eine Drachme im römischen Ägypten, wo immer noch die griechischen Münzen im Umlauf blieben, in etwa einem römischen Sesterz entsprach (Rupprecht 1994: 33). Zum Wert s. F.J. Krengel, ›Der Geldwert im römischen Ägypten in der Zeit des Prinzipats‹, Göttinger Miscellen 37 (1980), 67ss. – τὴν σορὸν Was σορὸς hier bezeichnen muss, hat im wesentlichen schon Aubreton ad loc. ausgeführt. Das Wort besitzt wohl ein weites Bedeutungsfeld (hierin dem Begriff θήκη ähnlich); es bezeichnet generell ein Behältnis zur Aufbewahrung menschlicher Überreste; so in der homerischen Welt, wo grundsätzlich kremiert wird, auch eine Aschenurne (Il. 23,91). Doch davon abgesehen ist, pace Aubreton, die Bedeutung ›Sarg‹ zweifellos die übliche (und deshalb auch an dieser Stelle keine Besonderheit), wie sich aus zahlreichen Stellen und nicht zuletzt auch aus

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dem Kompositum σορο-πηγός ergibt; cf. etwa Aristoph. Ach. 691 (unten) und Lys. 600; Ach. Tatios 3,17,5ss. (Rolle des Sargs wesentlich beim Scheintodmotiv); Iambl. Pyth. 155; PGM IV (=Pariser Zauberpapyrus, 4. Jh. n. Chr.), 1424. Dass insbesondere Nikarch mit σορὸς einen Sarg bezeichnet, zeigt noch deutlicher AP 11,332,6 (Schiffskasten, der damit verglichen wird; s. Kap. I.4). Das Motiv, dass jemand für sich selbst vor dem Ableben einen Sarg kauft, wobei die Kosten im Zentrum stehen, findet sich auch bei Aristophanes Ach. 691. Kremation und Inhumation existierten mit wechselnden Akzenten sowohl in der griechischen wie in der römischen Geschichte stets nebeneinander; Körperbestattung nahm nach vorheriger Dominanz der Kremation im westlichen Imperium im 2. Jh. n. Chr. stark zu, im Osten schon etwas früher (cf. allg. J. Toynbee, Death and Burial in the Roman World, Baltimore 1971, 101ss.; 270ss.). Diese Umstellung hatte innert kurzer Zeit eine starke Ausdehnung der bereits bestehenden und die Anlage neuer Nekropolen als Folge des größeren Platzbedarfes zur Folge (vgl. auch oben Kap. I.1 zu AP 11,124). Wenn dieser Sarg 5 Minen (= nach Aubretons Umrechnung etwa 400 frz. Francs, also ca. 60–75 Euro) gekostet hat, dann wird es sich wohl um einen einfacheren Holz-, Terrakotta- oder Bleisarg gehandelt haben, sicher nicht um einen Marmorsarg. Ein extremer Luxus wäre im Kontext dieses Epigramms auch gar nicht verständlich; etwas anders Schulte ad loc. 3 τοῦτ’ αὐτῷ χαρίσασθε Zu dieser expliziten Ankündigung einer Bitte in Form eines Imp. von χαρίζομαι, verbunden durch καὶ mit den weiteren Imperativen (›sei so gut und …‹) cf. Dion. Hal. Ant. Rom. 6,88,2; App. Civ. 2,19. Die Verbindung scheint in dieser Form unklassisch zu sein (vgl. dagegen Plat. Resp. 338a2). – Die Aufforderung steht im komischen Kontrast zur traditionellen χάρις, die in der Gewährung eines Grabs gegenüber einem Verstorbenen (vgl. z. B. AP 7,300 [Simonides]; 581 [Julian v. Ägypten]; allg. dazu s. oben Kap. I.4, p. 199s.) bzw. auch in der Mitbestattung eines Sohnes im Grabmal des Vaters bzw. des Vaters in demjenigen früher verstorbener Söhne besteht (s. Lattimore 1962: 247ss.). 4 τεκνίων ein Deminutiv, der generell zur emotionalen Steigerung gesetzt ist (ob die Kinder klein sind, ist hier irrelevant), wobei diese Funktion angesichts der Beliebtheit v. a. in mündlich gefärbten Texten oder reportierter direkter Rede oft nicht mehr vordergründig ist. Metrisch wäre die Form jedenfalls nicht zwingend. Die Bildung kommt in erster Linie im kaiserzeitlichen Griechisch vor (s. BDR § 111,3); z. B. NT Joh. 13,33; Epikt. 2,22,10; Mark Aur. 9,40; cf. POxy. 1766,14 (3. Jh. n. Chr.?) ἀσπάζομαι … καὶ τὰ ἀβάσκοντα τεκνία. – προσεμβάλετε In ärmeren Schichten war die Praxis verbreitet, die Toten – meist unter Schädigung der ursprünglichen Vorrichtung – in bereits bestehenden Gräbern zu bestatten, weil man sich keinen Sarg bzw. kein Grab leisten konnte (entsprechend waren Vorschriften zum Schutze bestehender Gräber nötig, cf. Cic. leg. 2, 55). Pheidon besitzt zwar seinen Sarg, aber ist unglücklich über die Kosten. Der vordergründige Gedanke, der

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als Vorschlag an ihn sozusagen ›von außen‹ kommt, wird vom Streben nach größtmöglicher Ökonomie bestimmt, wenn sich schon die hohen Auslagen nicht vermeiden ließen, und da wird auch vor einem krassen Bild (Mitbestattung eines der Kinder) nicht zurückgeschreckt. Bei solchen Übersteigerungen, wie sie ja in Spottepigrammen gerne vorkommen (s. auch unten), stehen gewiss nicht moralische Überlegungen im Vordergrund, und man stieß sich nicht an dieser Art von ›kaltem Humor‹ (vgl. Einleitung p. 119; Jacobs X 33 ad loc.: frigidum, pro meo sensu, huius carminis acumen); es geht vielmehr um das Grell-Plakative. Von den menschlichen Charakterfehlern sind die zusammengehörigen Phänomene Habgier und Geiz in verschiedenen Literaturgattungen besonders gerne thematisiert und exemplifiziert worden. Wie bei anderen Charaktereigenschaften auch, treten sie allerdings erst in einer bestimmten Situation sichtbar an die Oberfläche. Häufig findet sich darin das dargestellte Objekt durch Fremdeinflüsse in einen Entscheidungszwang gestellt. Unter den zur Verfügung stehenden Alternativen ist zumindest eine mit einem Verlust bzw. mit größeren Ausgaben verbunden, und die Porträtierung vollzieht sich in der Beobachtung, wie die Person im Fokus nun reagiert. Als grundsätzliches Problem menschlicher Existenz begegnet das Thema natürlich in allen möglichen Formen des Diskurses, v. a. auch in der Popularphilosophie. Geiz und Habgier sind dabei primär mit dem Problemkreis Reichtum verbunden – man denke an die insbesondere von Kynikern extrapolierte Antithese wahre Güter vs. materielle Bedürfnislosigkeit. Ein individuelles Abschwören gegenüber Reichtum ist schon in einem Iambenfragment des Archilochos (fr. 19 West) fassbar. Da dort Charakterfehler aber nicht direkt angeprangert werden, sondern vielmehr durch die Distanzierung von Reichtum von vornherein vermieden werden sollen, führt keine direkte Linie zu den Spottepigrammen. Die Zeichnung des φιλάργυρος als eines Typen lässt sich dagegen erstmals in der Alten Komödie fassen, und dies geschah offensichtlich auch in sehr plakativer Weise, wie die zahlreichen entsprechenden Titel belegen.147 Das Gefäß der Komödie, wie wir nicht zuletzt aus Molières Meisterwerk ersehen, ist vorzüglich dazu geeignet, einen solchen Menschen in einer Kette von Erlebnissen und seinen darauf jeweils folgenden Reaktionen zu beschreiben und durch diese seine Handlungsweise (nämlich eine Reihe von abnormem Verhalten) auch zu charakterisieren. Die Griesgrämigkeit der Hauptfigur, die nicht am selben Strick zieht wie ihre Umgebung, ist eine zwangsläufig damit einhergehende Begleiterscheinung. Mit dem Motiv des φιλάργυρος ist daher gerne ein Bündel weiterer Charakterelemente verbun147 Aristoph. fr. 455; Plat. Com. fr. 110; Eubul. fr. 87; Mnesimach. fr. 3; Eupolis fr. 156,1; Alexis fr. 268 (alle nach K.-A.); vgl. Brecht 1930: 77ss.

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den, die sich gegenseitig ebenso bedingen wie fördern, etwa dasjenige des δύσκολος bzw. μισάνθρωπος (cf. Lukians Timon). Wie schon in der Einleitung p. 100s. gezeigt, sind aus motivgeschichtlicher Sicht für die Spottepigramme die verschiedenen Abschnitte von Theophrasts Χαρακτῆρες besonders wichtig.148 Geiz und verwandte Erscheinungen kommen gleich in vier Traktaten vor. Zwar trägt keines davon den Titel φιλαργυρία: die dazugehörigen Züge finden sich aber unverkennbar in den thematisch sehr eng nebeneinander liegenden Nrn. 10 (μικρολογία), 22 (ἀνελευθερία) und 30 (αἰσχροκέρδεια). In allen dreien werden Exempel als Illustration aufgelistet, die auch als Thema eines Spottepigramms gut denkbar wären (in Nr. 30 ist der Schwerpunkt etwas stärker auf die Bereicherung gelegt, und auch Beispiele aktiven Betrugs fehlen nicht). Zur Verdeutlichung sei eine kleine Auswahl angefügt: 10,5 καὶ οἰκέτου χύτραν ἢ λοπάδα κατάξαντος εἰσπρᾶξαι ἀπὸ τῶν ἐπιτηδείων Wenn ein Sklave einen Krug oder eine Platte zerschlägt, zieht er den Preis von den Lebensmittel(rationen) ab. 10,8 καὶ οὐκ ἂν ἐᾶσαι οὔτε συκοτραγῆσαι ἐκ τοῦ αὑτοῦ κήπου οὔτε διὰ τοῦ αὑτοῦ ἀγροῦ πορευθῆναι οὔτε ἐλάαν ἢ φοίνικα τῶν χαμαὶ πεπτωκότων ἀνελέσθα Und er würde weder zulassen, dass man Feigen aus seinem eigenen Garten pflückt noch sein Landstück durchquert noch eine Olive oder eine Dattel, die auf dem Boden liegt, aufhebt. 10,11 καὶ ἑστιῶν δημότας μικρὰ τὰ κρέα κόψας παραθεῖναι Und wenn er die Leute von seinem Demos bewirtet, schneidet er das Fleisch in kleine Stücke, bevor er es servieren lässt. 22,7 καὶ ἐξ ἀγορᾶς δὲ ὀψωνήσας τὰ κρέα αὐτὸς φέρειν καὶ τὰ λάχανα ἐν τῷ προκολπίῳ Und wenn er auf dem Markt eingekauft hat, dann trägt er das Fleisch selbst zurück und im Gewandbausch das Gemüse (sc. anstatt einen Sklaven zum Einkauf zu schicken). 30,8 καὶ ἀλειφόμενος ἐν τῷ βαλανείῳ [καὶ] εἰπών· Σαπρόν γε τὸ ἔλαιον ἐπρίω, ὦ παιδάριον· τῷ ἀλλοτρίῳ ἀλείφεσθαι Und wenn er sich im Bade einsalben lässt, sagt er: »Ranziges Öl hast du gekauft, Sklave«, und lässt sich mit einem fremden einölen (= einem, das ihm nicht gehört).

Auf die typischen syntaktischen Strukturen wurde bereits in der Einleitung hingewiesen, was eine Wiederholung an dieser Stelle unnötig macht. Ebenfalls große Ähnlichkeit besteht zum Motivschatz in der Sammlung des Philo148 Erstaunlicherweise ist Theophrast in diesem Zusammenhang bei Brecht 1930 nicht einmal erwähnt.

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I.6. Les avares

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gelos (Einleitung p. 108ss.). So trägt eine der Sektionen in dessen hinterem Teil (§§ 104ss.) die Bezeichnung Περὶ φιλαργύρων; dies hat allerdings, so scheint es, den Blick auf zwei andere Einzelepisoden (§§ 50 und 97) ganz verstellt, deren motivische Parallelen zu AP 11,170 geradezu schlagend sind: Wie im Spottepigramm ist dort die Hauptfigur in einen Sargkauf involviert (in § 50 wohl ebenfalls für sich selbst); das Problem des Preises ist in § 97 ebenfalls präsent. Den beiden Episoden und AP 11,170 gemeinsam ist sodann die Lösung, dass fürs Geld ein wenig mehr geboten wird, d. h. es gibt einen kleinen Zusatzbonus, der in einem zusätzlichen kleinen Sarg für eines der Kinder besteht, und so ist der Kunde schlussendlich zufrieden. Das sehr makabre Element von 11,170 (in den gleichen Sarg soll bei der Bestattung auch eines der Kinder zugefügt werden) ist hier zwar nicht vorhanden; ›vorsorglich‹ kann aber ein Kindersarg auch nur dann sein, wenn mit dessen frühem Tod gerechnet wird oder dieses schon gestorben ist, und dieser Humor ist nicht viel weniger schwarz.149 Im Folgenden soll die Zeichnung der φιλάργυροι im Spottepigramm (und spezifisch in den beiden nikarchischen) in Form einer typischen Pointierung mittels Darstellung des Missverhältnisses zwischen Situation und Handlung/Reaktion des Subjekts im Zentrum stehen. Nicht nur in den beiden Nikarchepigrammen spielt zusammen mit Geiz gerne auch ein Aspekt des Todes mit. Einerseits tritt so die Handlung des φιλάργυρος als besonders verfehlt hervor (dem übergeordneten Naturgesetz steht das Kleinkariert-Schäbige und Ephemere gegenüber), andererseits gibt es auch eine gattungsgeschichtliche Erklärung:150 Das Motiv erlaubt, wie in den Lemmata schon erwähnt, thematische und formale Anknüpfung an das Grabepigramm. Wie wir früher sahen,151 gibt es dort neben den zahlreichen Beispielen, die an einen Toten gerichtet sind, auch solche, die der Tote selbst spricht bzw. im Augenblick des Sterbens sprach – eine Situation, die wiederum an 11,170 erinnert. Vom Umstand, dass ein Geizkragen angesichts des nahenden Todes mit Grauen den damit verbundenen Kosten entgegensieht und dabei den in seinem Charakter ganz verschobenen Realitätssinn offenbart, ist die mehrmals gezeichnete Neigung dieses Typus zu Selbstmord zu scheiden, auch wenn die damit verbundenen Probleme ähnlich sind: zu hohe Ausgaben. In einem Epigramm von Lukillios (AP 11,264) sind diese die eigentliche Motivation für Selbstmord, wobei die Steigerung dadurch erreicht wird, dass es nicht einmal reale, sondern nur geträumte Ausgaben sind: Ποιήσας δαπάνην ἐν ὕπνοις ὁ φιλάργυρος Ἕρμων ἐκ περιωδυνίας αὑτὸν ἀπηγχόνισεν. 149 Für eine Diskussion von ev. Abhängigkeitsverhältnissen vom Philogelos s. Einleitung p. 108ss. und Lausberg 1982: 398. 150 S. Lausberg 1982: 397s. 151 Kap. I.1.

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Die wichtigsten Motivgruppen

Eine aufwändige Anschaffung machte im Traum Hermon der Geizhals, da hängte er aus umfassendem Kummer sich selbst auf.

Wie teilweise die λεπτοί152 sind also auch die φιλάργυροι als labile Charaktere gezeichnet; ihr Verlust von Realitäts- und Relationsempfinden erleichtert die Schaffung eingängiger hyperbolischer Bilder.153 Andererseits bietet es sich angesichts des offenbar schon im 1. Jh. weitgehend etablierten Motivsets einmal mehr geradezu an, in den einzelnen Beiträgen nach Möglichkeit schon Antworten auf frühere Äußerungen zum Thema zu sehen. So ist es z. B. erwägenswert, ob man nicht das eben zitierte Epigramm gerade als Fundament für Nikarchs AP 11,169 verstehen sollte, d. h. 11,169 wäre dann als ›Hypervariante‹ von 11,264 zu lesen. Stellen wir folgendes Experiment an und betrachten wir dazu die Prämisse von 11,264: eine schockierende Auslage im Traum (Hyperbole H1),154 die das Leben des Hermon (eines dem Namen nach gewieften Händlers also, oder eher e contrario?) so stark aus der Bahn wirft, dass er sich erhängt (H2). Was hier im Aorist als abgeschlossen und durchgeführt berichtet wird, ist in AP 11,169 erst noch Plan (ἀπάγχεσθαι μέλλων); für diesen aber wird die Motivation nicht angegeben. Was liegt näher als in diese Leerstelle die Situation von 11,264 einzusetzen? Deinarchos hatte viel ausgegeben – sagen wir: ebenfalls im Traum –: er will sterben. Das ganze Epigramm 11,264 wird damit inhaltlich zur Prämisse eines neuen (eine Abhängigkeitsbeziehung in umgekehrter Richtung ist dagegen kaum denkbar). Und da ist die Geschichte keineswegs zu Ende: Deinarchos steht sich selbst so sehr im Wege, dass er nicht einmal sterben kann – eine neue Hyperbole (H3), die wie ein Epiphyt auf der anderen (H2[ (2) totaler Haarverlust / Glatzköpfigkeit Z. 2 (nochmalige Rekapitulation: δασύς –> ᾠόν) Z. 3 Folge: –//–> (3) Barbierthematik Z. 4 –//–> (1) Thematik der gefärbten Haare Mit anderen Worten: die Ankunft in Themenbereich (2) ist irreversibel; die Frage (1), auf die der Epigrammbeginn deutete: weiße oder schwarze Haare? wird sich nie mehr stellen; die Schlussworte nehmen in negativer Spiegelung das Verb βάπτων von Z. 1 nochmals auf.

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II.11. Der tödliche Sänger

AP 11,186 Νυκτικόραξ ᾄδει θανατηφόρον· ἀλλ’ ὅταν ᾄσῃ Δημόφιλος, θνῄσκει καὐτὸς ὁ νυκτικόραξ. Pl.: IIa,24,1 f. 24v – Tit. Νικάρχου P Pl : Λεωνίδα ex sequentis epigr. confusione D || 1 εἰ δέ ποτ’ ᾄσῃ Theod. Prodr. miscell. 7 (= PG 133 p. 1259,14 Migne; saec. xii), ubi hoc epigramma cit., cf. infra || 2 καὐτὸς Pl : καὶ αὐτὸς P.

Der Nachtrabe singt einen todbringenden Gesang. Doch wenn Demophilos singt, stirbt er selbst, der Nachtrabe.

Worterklärungen: 1 Νυκτικόραξ ›Nachtrabe‹, s. Douglas 1927: 109s. Von den Eulen unterschieden ist er auch bei Aristot. hist. an. 619b18ss. Γλαῦκες δὲ καὶ νυκτικόρακες, καὶ τὰ λοιπὰ ὅσα τῆς ἡμέρας ἀδυνατεῖ βλέπειν, τῆς νυκτὸς μὲν θηρεύοντα τὴν τροφὴν αὑτοῖς πορίζεται, … Zum mit diesen Vögeln verbundenen Aberglauben inhaltlich von unserem Epigramm verschieden Artemid. Oneirocrit. 3,65 Γλαὺξ ἐλεὸς βύας αἰγωλιὸς σκὼψ νυκτικόραξ καὶ προσέτι νυκτερὶς καὶ εἴ τι ἄλλο νυκτερινὸν ὄρνεον πρὸς μὲν τὰς πράξεις πάντα ἐστὶν ἄπρακτα, πρὸς δὲ τοὺς φόβους ἄφοβα. Vom hier erwähnten Ruf, einen Tod anzukündigen bzw. zu verkünden, zeugt erst wieder Horapollo (4./5. Jh. n. Chr.) in seiner Schrift über die Hieroglyphenzeichen, die er dort als Wortsymbole erklärt, wobei auch Begründungen für die Bedeutungen nicht fehlen: Hierogl. 2,25 p. 150 Sbordone195 [Πῶς αἰφνίδιον θάνατον]. Νυκτικόραξ θάνατον σημαίνει· ἄφνω γὰρ ἐπέρχεται τοῖς νεοσσοῖς τῶν κορωνῶν κατὰ τὰς νύκτας, ὡς ὁ θάνατος ἄφνω ἐπέρχεται. Ansonsten besitzt der Uhu die Rolle des Todkünders: Verg. Aen. 4,462s. solaque culminibus ferali carmine bubo | saepe queri et longas in fletum ducere voces; außerdem Ael. nat. anim. 10,37. – ᾄδει Für Lautäußerungen verschiedenster Art benutzt (z. B. auch das Quaken von Fröschen). Zum Ruf von Eulen vgl. Arat. 1000. – ἀλλ’ὅταν ᾄσῃ Die bei Theodoros überlieferte Lesart (s. oben App.), der in keiner Ausgabe der Vorzug gegeben wird, ist sowohl syntaktisch wie inhaltlich unbefriedigend: Es geht kaum darum, dass Demophilos eine künftige potentielle Gefahr darstellt, sondern um einen Erfahrungswert und eine allgemeine Regel: immer wenn er den Mund auftut, stirbt sogar … 195 Eine neue Ausgabe jetzt von H.J. Thissen, Des Niloten Horapollon Hieroglyphenbuch, München 2000, die den Text von Sbordone als Grundlage verwendet.

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II.11. Der tödliche Sänger

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2 Δημόφιλος einer der sprechenden Namen Nikarchs, aber als Kompositum durchaus schillernd: ist es einer, der a) im Volk / vom Volk geschätzt wird (dann wäre der Name κατ’ ἀντίφρασιν gebildet; ähnlich wie der des Arztes Φείδων)? oder b) der das Volk schätzt, d. h. sich gerne in der Öffentlichkeit aufhält (um sich dort zu produzieren)? Letzteres hätte umsomehr von seiten der Öffentlichkeit eine Reaktion zur Folge, die genau umgekehrt zur in a) ausgedrückten Idealvorstellung steht. Beide Assoziationen können also wohl spielen, ohne dass die eine die andere verunmöglicht. Die Dynamik des Witzes folgt in vorliegendem Einzeldistichon einem erzähltechnisch wirksamen Muster: als Ausgangspunkt wird eine allgemeine Regel bzw. Wahrheit hingestellt, deren bloße Nennung schon den Verdacht erregt, dass die Verhältnisse dieses Mal etwas anders stehen könnten. Tatsächlich folgt der allgemeinen Aussage, meist durch ἀλλὰ bzw. δὲ eingeleitet, jeweils der Spezialfall, in welchem die sonst gültige Regel genau nicht gilt, so dass dieser vor der Folie der allgemeinen Einleitung umso stärker abgehoben ist.196 Im vorliegenden Epigramm kommt hinzu, dass die Aussage, die als Ausgangspunkt dient, eine unangenehme ist und daher schon für sich eine gewisse Emotionsgeladenheit besitzt. Der Einzelfall hebt nun zwar die allgemeine Regel ›Nachtrabe kündet von Tod‹ auf, aber gleichzeitig wird das eine θανατήφορον von einem noch stärker wirksamen θανατήφορον, dem selbst das erste zum Opfer fällt, überboten: das ist das klassische Muster ›schlimm ist A; A aber ist harmlos im Vergleich mit B‹.197 Die eben beschriebene Struktur widerspiegelt sich auch in der Anordnung der Wörter innerhalb des Distichons. Es wird gerahmt durch den Ausdruck νυκτικόραξ, der auf diese Weise zunächst als scheinbares Hauptthema des Epigramms ins Auge sticht. Durch das Verb ᾄδειν ist er mit der Thematik des Todes verbunden. Mit dem selben Verb zusammen wird dann Demophilos eingeführt, der genau am Übergang von der 1. in die 2. Zeile und somit im Zentrum des Epigramms steht. Es folgt dann wieder das Verb des Sterbens, und schließlich wieder der νυκτικόραξ, dieses Mal aber mit dem gewichtigen Unterschied, dass er gewissermaßen zum Objekt geworden ist. Man kann also folgendes Schema zeichnen: νυκτικόραξ → θάνατος || Δημόφιλος → θάνατος → νυκτικόραξ

196 Vgl. dazu auch Lausberg 1982: 402, die als weitere Beispiele noch AP 11,373; 387 sowie APl 16,319 (alle von Palladas); außerdem 5,284; Mart. 11,97 auflistet. 197 Dasselbe Muster findet sich in AP 11,237 (Demodokos): Eine Schlange beißt einen Kappadokier, der ist aber so giftig, dass sogar die Schlange daran stirbt. – Vgl. a. Laurens 1989: 155.

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Einzelthemen

Innerhalb der ersten Zeile, und darauf beruht im wesentlichen der Witz, machen dabei ᾄδειν und φέρειν einen bemerkenswerten Bedeutungswandel durch. ᾄδει θανατήφορον muss im Epigramm zunächst bedeuten ›er singt einen Tod verkündenden ‹, d. h. ›er kündet den Tod‹, im Sinne einer Totenklage oder des Ankündens eines baldigen Todes (vgl. oben Verg. Aen. 4,462s.). Man sollte jedenfalls θανατήφορον als echten Objektsakkusativ auffassen und nicht etwa adverbiell. Ganz anders im Falle des Demophilos: Auch von ihm gilt: ᾄδει θανατήφορον, aber bei ihm bedeutet der Satz ›er singt einen Tod bringenden ‹ oder, mit adverbieller Auffassung, er singt so, dass der Zuhörer daran stirbt, und zwar auch der νυκτικόραξ (von dem im Witz implizit angenommen wird, dass er gegen θανατήφορα besonders immun wäre). Der Vorwurf an Sänger, unbegabte Musiker oder auch Dichter, einen tödlichen Effekt zu haben, ist als Motiv keineswegs neu.198 Er findet sich auch in zwei weiteren, in der Anthologia Palatina unmittelbar anschließenden Epigrammen (11,187: Leonidas von Alexandria; 188: Ammianos). Im Falle des Lukillios-Epigramms 11,185 wird von einem Sänger Hegelochos berichtet, der mit einer Nauplios-Aufführung eine griechische Stadt entleerte. Diese Anspielung lässt sich doch wohl kaum von der Nachricht bei Sueton, Nero 39 trennen, wonach Kaiser Nero selbst in dieser Rolle in einer griechischen Stadt auftrat; da die Stadttore geschlossen worden waren, hätten die Bewohner über die Mauer springen müssen, um sich zu retten (Nero 23). Während dieser Bezug und die damit verbundene Problematik des Entstehungszeitpunkts des Epigramms Gegenstand von Diskussionen waren, auf die hier nur verwiesen werden soll,199 stellt sich die Frage, ob denn nun alle unbegabten Musiker, die auffälligerweise in dieser Periode besonders häufig als Motiv auch im Spottepigramm greifbar sind, implizit auf Nero anspielen. Für das Nikarchgedicht 11,186 sind m.E. die Bezüge zu gering: einzig aufgrund des Namens Δημόφιλος einen versteckten Hinweis zu sehen, wie dies Aubreton ad loc. tut, scheint mir nicht nötig. Unbegabte Sänger gab es nicht weniger als unbegabte Barbiere, Ärzte etc. Eine einseitige Fixierung dort, wo keine eindeutigen Signale zu finden sind, erscheint auch angesichts der genannten Verbreitung des Motivs ungerechtfertigt. Der Realität am nächsten kommt vielleicht eine Erwägung, wie sie sich aufgrund der Überlieferung zweier verschiedener Namen an der selben Versstelle im Kap. II.13 besprochenen Epi198 Spott gegenüber einem schlechten Flötisten bzw. Kitharöden findet sich schon in Aristoph. Ach. 15s.; Vesp. 1277s.; Pax 951 und in einem Iambos des Hipponax (fr. 118 West), der in Teilen aus den Zitaten mit den zugehörigen Scholien auf POxy. 2176 rekonstruiert werden kann. In Philogelos 147 besitzt ein Kitharöde den Übernamen ἀλεκτρυών, weil sein Gekrächze alle weckt. Für weiteres Material s. Brecht 1930: 39s. und Schulte ad loc. 199 Ausführliche Besprechung in Nisbet 2003: 118ss. sowie im Kommentar von Rozema 1971; Longo 1967: 46s.

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II.11. Der tödliche Sänger

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gramm (AP 11,328) aufdrängt (vgl. Einleitung p. 88): Das formal gleiche Epigramm konnte wohl mitunter bei verschiedenen Anlässen zur Geltung kommen, wobei die Adressaten ganz verschieden sein konnten, die situativen Kontexte vielleicht geradezu entgegengesetzt. Entsprechend ist es auch für das vorliegende Epigramm durchaus möglich, dass Neros Name einmal als ›Demophilos‹ kodifiziert verstanden worden ist, während der unbegabte Sänger ein anderes Mal vielleicht gerade eine Negativfolie zum Kaiser bildete resp. ohne jeglichen Bezug zu diesem stand. Mehr lässt sich allerdings nicht sagen.

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II.12. Hohe Treppen

AP 11,330 ’Εκλήθην ἐχθές, Δημήτριε· σήμερον ἦλθον δειπνεῖν. μὴ μέμψῃ, κλίμακ’ ἔχεις μεγάλην· ἐν ταύτῃ πεποίηκα πολὺν χρόνον· οὐδ’ ἂν ἐσώθην σήμερον, ἀλλ’ ἀνέβην κέρκον ὄνου κατέχων. ἧψαι τῶν ἄστρων· Ζεὺς ἡνίκα τὸν Γανυμήδην ἥρπασε, τῇδ’ αὐτόν, φαίνετ’, ἔχων ἀνέβη. ἔνθεν δ’ εἰς Ἀΐδην ποτ’ ἀφίξεαι; οὐκ ἀφυὴς εἶ· εὕρηκας τέχνην, πῶς ἔσῃ ἀθάνατος.

5

Pl.: IIb,17,1 f. 88v – Tit. τοῦ αὐτοῦ 〈sc. Νικάρχου〉 P : om. Pl : Lucillio Linnenkugel, Niciae trib. Sakolowski et Stadtmüller || 1 ἐχθές Pl : χθές P || 2 κέρκον D Lascaris : κίρκον P Pl || 5–8 om. Pl || 5 Ζεὺς Brunck : Ζεῦ P || Γανυμήδην Brunck : Γανυμίδην P.

Gestern wurde ich eingeladen –, Demetrios. Heute bin ich gekommen – um zu speisen. Tadle mich nicht: du hast eine hohe Treppe. Auf dieser habe ich viel Zeit verbracht. Ich hätte es auch heute nicht geschafft, aber ich ging hoch, indem ich einen Eselschwanz niederdrückte. Du berührst die Sterne. Als Zeus den Ganymed entführte, ging er hier mit ihm hinauf (resp.: bestieg er ihn an dieser Stelle). Willst du von hier jemals in den Hades gelangen? Du bist ein Schlaumeier: Du hast einen Kniff gefunden, wie du unsterblich sein wirst.

Worterklärungen: 1 ’Εκλήθην ἐχθές … Die lange verflossene Zeitdauer zwischen Einladungstermin und Erreichen des Ziels wird durch die vielen Längen in der ersten Zeilenhälfte sinnfällig gemacht. Sehr auffällig sind ferner die zahlreichen e-Laute, die wohl einen Zustand der Erschöpfung bzw. des Überdrusses ausdrücken sollen. Der sowohl von ἐκλήθην wie auch von ἦλθον abhängige Infinitiv δειπνεῖν wird zudem in pointierter Weise in Z. 2 hineingenommen: über den Kontext gewinnt man also erst hier volle Klarheit. So steht in der ersten Zeile zunächst die Verspätung im Mittelpunkt, die schließlich zur Erwähnung der Treppe und zur Reflexion über die spezielle Wohnsituation des Gastgebers führt. Die Rede des erschöpften Besuchers wirkt durch diese Anordnung besonders lebendig. – Zu καλεῖν τινα ›als Gast ins Haus einladen‹ (LSJ s.v. 2) vgl. schon Od. 10,231 (von der Kirke); im Folgenden häufig. Vgl. auch οἱ κεκλημένοι ›Gäste‹. – Δημήτριε

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Schulte ad loc. sieht im gewählten Namen eine Anspielung auf die lange Wegstrecke (indem man μέτρον heraushört); das ist unter der Berücksichtigung der Tatsache, dass Quantitätsunterschiede eine zunehmends geringere Rolle spielten, zwar nicht vollends auszuschließen, doch hält der Itazismus die Vokale in der Aussprache auseinander: BDR § 28. Denkbar wäre zudem in diesem Fall, wie bei vielen anderen ›nikarchischen‹ Eigennamen, ein Anklang an δῆμος (vgl. noch AP 11,110; 186; 329; POxy. 4502 fr. 5). Zweifelhafter in seiner Stichhaltigkeit scheint mir die Überlegung, dass Δημήτριος häufig im Grabepigramm auftaucht (vgl. AP 11,124,3 [Kap. I.1]) und dadurch zur Pointe, Erfinder der Unsterblichkeit zu sein (Z. 8), in komischem Kontrast stünde: der Name erinnerte schwerlich bereits als solcher an die menschliche Sterblichkeit. 2 κλίμακ’ ἔχεις μεγάλην μεγάλην kann ›lang‹ oder auch ›hoch‹ (oder beides) bedeuten. Offenbar muss man sich Demetrios’ Wohnung zuoberst in einem mehrstöckigen Block vorstellen. Beispiele solcher Bauten bieten insbesondere die für Rom und Ostia noch teilweise erhaltenen, mehrstöckigen Mietskasernen, deren miserable Wohnqualität Stoff für zahlreiche Bemerkungen in der erhaltenen antiken Literatur – nicht nur in der Satire – bot. Dort waren die unteren Stockwerke jeweils durch eine Steintreppe miteinander verbunden, während die oberen Etagen meist nur durch enge Holzstiegen mit hohen Tritten zu erreichen waren. Besonders der Aufenthalt in den obersten Stockwerken war mit ständiger Lebensgefahr verbunden (cf. Iuvenal 3,198ss.); in diesen mansardenähnlichen Räumen waren folglich jeweils die zahlungsschwächsten Mieter untergebracht. Zu diesen scheint auch Demetrios gehört zu haben. 3 πεποίηκα πολὺν χρόνον Zu ποιεῖν mit Zeitangabe ›Zeit brauchen für, Zeit aufwenden; (an einem Ort) verweilen, harren‹ s. LSJ s.v. VII (vgl. a. Jacobs X 44 ad loc.); die Wendung dürfte wohl primär in der Umgangssprache verankert gewesen sein. Vgl. Demosth. 19,163 οὐκ ἀνέμειναν τὸν κήρυκα οὐδ’ ἐνεποίησαν χρόνον οὐδένα; NT Acta Ap. 15,33; 18,23 ποιήσας χρόνον τινὰ ἐξῆλθεν; auch in dok. Papyrustexten: z. B. UPZ 70,21 (2. Jh. v. Chr.) δύο ἡμέρας ποιεῖ ἐν τῷ Ἀνουβιείῳ; außerdem Plat. Phil. 50d6s. νῦν οὖν λέγε πότερα ἀφίης με ἢ μέσας ποιήσεις νύκτας. Genau diese Formulierung auch in einem Epigramm des Lukillios auf einen langsamen Athleten AP 11,85,1. – ἐσώθην hier in der Bedeutung ›heil an einem Ort ankommen‹ (LSJ II 2); z. B. Xen. Hell. 1,6,7 ἂν σωθῇ οἴκαδε. 4 ἀνέβην κέρκον ὄνου κατέχων Spätestens hier wird die Vorstellung von der Situation des Treppenhauses zugunsten weiterer Assoziationen deutlich erweitert. Die bisherigen Erklärer (Dübner, übernommen von Aubreton und Schulte) halfen sich damit aus, dass es unter Bauern üblich gewesen sei, sich am Schwanz ihres Esels festzuhalten und ihn als Steighilfe für steile Wege zu nutzen. Doch viel wichtiger dürfte an dieser Stelle das traditionelle Image des Esels als besonders geiles Tier sein (vgl. Archil. fr. 43 West

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Einzelthemen

= Et. Gud. I 230,15, mit W. Luppes überzeugender Textverbesserung [in Hermes 123 (1995): 247–49] οἰδέοι σάθη | ὅση τ’ ὄνου κήλωνος ὀτρυγηφάγου; außerdem das Archilochoszitat (fr. 43 West) bei Eustath. in Hom. Od. p. 1597,28 ὥστ’ ὄνου Πριηνέως κήλωνος ἐπλήμυρον; Semonid. fr. 7,48s. West mit dem Komm. von H. Lloyd-Jones, Females of the species. Semonides on women, London 1975: 76; Lukian. ver. hist. 2,660–85; asin. 56; Philostr. vita Apoll. 4,25; Et. Mag. p. 185,28 s.v. βάκηλος; Poll. 5,92; AP 12,238,8 [Straton; = nr. 79 Floridi] ὡς λέγεται, κνήθειν … ὄνος τὸν ὄνον mit Komm. von L. Floridi zur St.); vgl. außerdem Mills 1978: 304 n. 6 und die Darstellung auf einem pompejanischen Fresko im ›Gabinetto segreto‹ des archäolog. Nationalmuseums in Napoli (S. De Caro, Il Gabinetto segreto del Museo archeologico nazionale di Napoli. Guida alla collezione, Napoli 2000: 23). Ein (bisher unerkannter) Aspekt, der vielleicht auch für dieses Epigramm von Bedeutung sein könnte, ergibt sich ferner aus einer Stelle bei Aëtius Amid., umso mehr als dieser alexandrinische Arzt des 6. Jhs. weitestgehend älteres Material kompiliert (die von A. Garzya und F. Sbordone vorgesehene Neuausgabe des Textes im Rahmen des Corpus medicorum Graecorum 8,3–5 stand zum Zeitpunkt der Drucklegung noch nicht zur Verfügung; für eine summarische Übersetzung s. Geburtshülfe und Gynäkologie bei Aëtios von Amida: Ein Lehrbuch aus der Mitte des 6. Jahrhunderts n. Chr. nach den Codices in der Kgl. Bibliothek zu Berlin. Zum ersten Male ins Deutsche übersetzt von M. Wegschneider, Berlin 1901): Iatr. 16,116 [bei Wegschneider Kap. 107] (Kapitelüberschrift Περὶ κερκώσεως) Σπανίως ἐπὶ ἐνίων γυναικῶν σαρκώδης ἔκφυσις ἀπὸ τοῦ στομίου τῆς ὑστέρας γίνεται, ἀναπληροῦσα τὸ γυναικεῖον αἰδοῖον· ποτὲ δὲ καὶ εἰς τὰ ἔξω προπίπτουσα τῇ τοῦ ὄνου κέρκῳ παραπλησίως ἐστὶν ὁμοία, ὅθεν καὶ ὠνόμασται. Es handelt sich also um ein krankhaftes Geschwür, das vom Muttermund in die Vulva, manchmal aber auch nach außen wächst und in diesem Fall genau die Bezeichnung κέρκος ὄνου trug, was man geradezu als sexuellen Euphemismus bezeichnen könnte. Dass sie im vorliegenden Epigramm zusammen mit ἀναβαίνειν, einem klassischen Verbum im Zusammenhang mit Geschlechtsakt (Henderson § 227), vorkommt, ist vielleicht doch ein wenig mehr als nur Zufall. Dass es sich auf jeden Fall um eine der vielen Stellen bei Nikarch mit sexuellem Nebensinn handeln dürfte, ist kaum zu bestreiten; außerdem ist eine komische Wirkung durch die nahe Stellung von ἀνέβην und κατέχων gegeben. – Zu κέρκος vgl. auch Henderson § 62. Im Hetärennamen Κερκούριον in AP 5,44 (Rufin) geht die Anspielung (in zweifacher Weise) auf das männliche Glied; vgl. auch Nikarchs Epigramm AP 11,328,10 τὸ ψολόεν κατέχων. 5 ἧψαι ἀστρῶν weil er so weit oben wohnt; sonst von der enormen Länge / Höhe von Menschen bzw. Objekten: Hanno, Peripl. 16 ἐν μέσῳ δ’ ἦν ἠλίβατόν τι πῦρ, τῶν ἄλλων μεῖζον, ἁπτόμενον, ὡς ἐδόκει, τῶν ἄστρων; LXX Makk. II,9,10 καὶ τὸν μικρῷ πρότερον τῶν οὐρανίων ἄστ-

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ρων ἅπτεσθαι δοκοῦντα παρακομίζειν οὐδεὶς ἐδύνατο. – Ζεὺς ἡνίκα τὸν Γανυμήδην ἥρπασε … Diese mythologische Anspielung (für die Geschichte s. Il. 20,231ss.; Ovid met. 10,155ss.; vgl. auch Plat. Phaidr. 255c) ist, wie nicht weiter erstaunlich, vor allem im päderastischen Bereich häufig: vgl. AP 12,194; 199; 221 etc. Auch in Nikarchs Epigramm AP 11,407 (Kap. I.3) ist es nicht undenkbar, dass mit dem λεπτός die Vorstellung eines Lustknaben erweckt werden sollte. 6 τῇδ’ αὐτόν, φαίνετ’, ἔχων ἀνέβη Auch diese Passage scheint eine doppelbödige Lesung geradezu herauszufordern: zu ἀνέβη vgl. oben Z. 4, allerdings scheint es nun um päderastische Assoziationen zu gehen, wofür das Verbum durchaus ebenfalls verwendet werden kann (vgl. Henderson § 262 m. Fn. 51). Nach der traditionellen Lesung bedeutet der Satz ›als er ihn hatte / entführte, stieg er auf diesem Wege auf ‹, d. h. er kam bei dir, Demetrios, vorbei. Die alternative Lesung wäre entsprechend der eben erwogenen Assoziation ›nachdem er ihn entführt hatte, bestieg er ihn hier‹: αὐτόν gehörte dann ἀπὸ κοινοῦ sowohl zu ἔχων als auch zu ἀνέβη. 7 οὐκ ἀφυὴς εἶ Die Wendung findet sich zuerst bei Epikur fr. 94 Arrighetti = 171 Usener (als vox propria eingereiht) = Athen. 8, 354b οὐκ ὢν ἀφυὴς, dann häufiger ab dem 1. Jh. n. Chr. Cf. schon Alexis fr. 140,13 K.-A. μάλ’ εὐφυὴς ἄνθρωπος. 8 εὕρηκας τέχνην, πῶς ἔσῃ ἀθάνατος Ob hier ein direkter Anklang an Eur. Alc. 699 vorliegt? (Admets Vater auf dessen Frage, ob er für ihn in den Hades gehe) σοφῶς δ’ ἐφηῦρες ὥστε μὴ θανεῖν ποτε. Ein Blick in Brechts Zusammenstellung der Motive des Spottepigramms200 zeigt, dass das vorliegende Gedicht hinsichtlich seiner Thematik ein Einzelfall ist:201 Die persona des Dichters ist bei Demetrios eingeladen – zum Essen, wie in Z. 2 nachgetragen wird. Im Zentrum steht allerdings nicht diese Einladung, sondern der Umstand, dass der Sprecher zu spät kommt – viel zu spät, denn in der mächtigen Hyperbole ist von einem Tag die Rede. Und immer noch scheint der Sprecher außer Atem zu sein: Schulte hat treffend auf die ›kurzen, asyndetischen Phrasen‹ hingewiesen, die insbesondere den Beginn des Epigramms charakterisieren. Als Grund für die Verspätung wird die besondere Wohnsituation des Demetrios angegeben. Zunächst (Z. 2–4) wird diese vergegenwärtigt aus der Perspektive des Besuchers, der sich mit einer schier endlosen Anstrengung konfrontiert sieht und auch diese nur mit Unterstützung meistert. Dann findet ein Perspektivenwechsel statt: es wird über die Situation des Demetrios räsonniert (Z. 4–8), der jetzt auch direkt in 200 Brecht 1930: 98. 201 Vgl. immerhin Mart. 1,117 über seinen Wohnort ad pirum auf dem Quirinal: … scalis habito tribus, sed altis.

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der 2. Ps. angesprochen wird: Aus dem Umstand, in solcher Höhe zu wohnen, nicht viel tiefer als Zeus, lassen sich erhebliche Vorteile ziehen, auch derjenige der Unsterblichkeit, und das sei wohl die raffinierte Überlegung gewesen, wird gewitzelt, die zu diesem Entscheid geführt hätte. Die Einladung scheint also weiter keine Rolle zu spielen; die Nichteinhaltung des Termins seitens des Sprechers war nur Anlass für eine weiter ausgreifende Beschreibung der (Wohn)situation des Demetrios. Allerdings wurde bereits in einzelnen Lemmata darauf hingewiesen, dass der eben beschriebene Inhalt nur sozusagen die Oberflächenstruktur darstellen kann, denn es gibt auch hier Signale, die auf das Vorhandensein einer zweiten Verständnisebene weisen.202 Insbesondere ist die Sinnkohärenz schon auf der Oberflächenebene (der Beschreibung der Mühen, die es aufzuwenden gilt, um Demetrios zu besuchen) nicht durchgängig: während sich das meiste durch die Steigerung in hyperbolische Dimensionen erklären lässt, macht die Übertragung der Vorstellung, dass man sich an einem Eselsschwanz hochziehen lässt, in einem Treppenhaus wenig Sinn. Wie bereits erwähnt, macht es in diesem Fall die Symbolik des Esels als des geilen Tieres par excellence naheliegend, an unterschwellige sexuelle Anspielungen zu denken. Ist man erst einmal bereit, die verborgene Existenz einer zweiten ›schmutzigen‹ Ebene zu akzeptieren, deren Aussagen zum Oberflächensinn in einem ähnlichen Verhältnis stehen wie eine Parodie zum Prätext, also eine völlig neue Sinnstruktur aufbauen können, so liegt es nahe, auch in der Umgebung nach Ausdrücken zu suchen, die in ähnlicher Weise doppelbödig sind, wie dies auch bei mehreren voranstehenden Epigrammen unternommen wurde. ἀνέβην wurde bereits erwähnt; ist der Text erst einmal ›infiziert‹, wird so manches andere ebenfalls verdächtig. So kann ποιεῖν gemäß Henderson § 245 absolut durchaus auch im Sinn von βινεῖν verwendet werden (auch im päderastischen Kontext); πολὺν χρόνον käme einer solchen Interpretation gewiss entgegen. Im Bewusstsein, dass wir uns hier im Bereich der (wiewohl m.E. sehr gewichtigen) Hypothesen aufhalten, sei auch für κλίμακ’ ἔχεις μεγάλην ein vielleicht etwas gewagter Deutungsversuch vorgeschlagen. Ebenso wie das ἀναβαίνειν im Falle des mehrstöckigen Hauses mit der Schiffsmetaphorik verglichen werden kann, die ihrerseits hochgradig sexuell belastet ist, kann man das vielleicht auch mit der ›Steighilfe‹ tun. Denn κλίμακες werden auch verwendet, um ein Schiff zu besteigen resp. zu verlassen (dazu s. AP 7,365,3s. τὴν χεῖρα βατηρίδος ἐκβαίνοντι | κλίμακος ἐκτείνας δέξο): auf den sexuellen Bereich übertragen könnte dies bedeuten, dass der Partner nicht so einfach zugänglich ist, sondern das ἀναβαίνειν einige Mühen und Zeit braucht.

202 Auf diese Signale hat mich besonders C. Riedweg aufmerksam gemacht; meine anfängliche Interpretation des Epigramms war noch zu ›harmlos‹.

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In der Folge werden die sexuellen Untertöne durch den Hinweis auf Ganymedes’ Raub deutlicher. Das anerkennende Lob an Demetrios, er habe den Trick gefunden, wie man sich unsterblich machen könne, bringt einen auf den Gedanken, dass es eher Demetrios ist, der die (passive) Rolle des Ganymedes spielt. Wie ist dann aber auf der untergründigen Ebene Kohärenz mit dem Verspätungsmotiv zu gewinnen? Wenn als Begründung für die Verspätung der lange Weg resp. die Schwierigkeit, das Schiff zu besteigen angegeben wird, könnte das in der Tat damit zusammenhängen, dass Demetrios als Objekt der Begierde schwer zu erreichen ist (vielleicht ist er als παῖς spröde; nahe beim Olymp, wo er sich aufhält, hat er für die gewöhnlichen Sterblichen wenig Zeit …). Um diese Mühen, dieses lange Warten zu überwinden, braucht es wohl ›fremde Hilfe‹: ἡ φύσις ἐστὶ φιλόκνισος, ἀλλοτριόχρως, καὶ ζητεῖ διόλου τὴν ξενοκυσθαπάτην, sagt Nikarch an anderer Stelle (AP 11,7; Kap. I.2): jedenfalls muss schon etwas geschehen sein, bevor der Sprecher bei Demetrios ankommt (das seinerseits vielleicht auch dessen Atemlosigkeit zu Beginn des Epigramms in noch etwas anderer Weise erklärt?). Diese ›Hilfe‹ brachte dem Besucher offenbar Rettung: gerade auch im Seitenblick auf das folgende Epigramm 11,331,2 ist es schwer, den Verdacht loszuwerden, σωθῆναι sei hier auch im Sinne von ›sexuelle Befriedigung erhalten‹ gebraucht. Dass dies durch ἀνέβην κέρκον ὄνου κατέχων ausgedrückt ist, könnte als zusätzlicher ironischer ›Twist‹ gedeutet werden. Es sei hier betont, dass die vorangegangenen Gedanken bloß einen spielerischen Versuch einer kohärenten Lesung des Gedichts auf einer zweiten Ebene darstellen, deren grundsätzliche Existenz mir auf jeden Fall aufgrund der vorhandenen textlichen Signale genügend plausibel und vertretbar erscheint. Sie gibt der vordergründigen Geschichte, die in ihrem Themenbereich für die Spottepigrammatik durchaus ungewohnt ist (sie ist im Grunde in der Satire zu Hause) zusätzliche Würze, indem sie diese mit einem dem Spottepigramm eigenen sexuell-aischrologischen Hintergrund versieht. Eine solche ›Rezeption auf zweiter Stufe‹ mag in der Situation einer mündlichen performance durch Hervorheben der kritischen Worte so gesteuert worden sein, dass für die Zuhörer alles klar wurde. Noch ein auffälliger Punkt sei hier immerhin erwähnt, auch wenn die Anordnung der Epigramme in der AP gewiss kein hinreichendes Argumentarium bietet, ein bestimmtes Gedicht in dieser oder der anderen Weise zu interpretieren. Dass unser ›Treppen-Gedicht‹ eingerahmt ist von einem Stück, dass in vielen zweideutigen Anspielungen vom cunnilingus handelt (11,329; Kap. II.14), andererseits von einem scheinbaren Schiffbruchsepigramm, das aber bei genauerem Hinsehen wohl eher von einer Hetäre spricht (11,331; Kap. I.4.b), könnte doch mehr als bloßer Zufall sein. Der Gedanke, dass hier eine Sequenz von Gedichten vorliegt, deren gemeinsames Merkmal die schlüpfrigen Doppeldeutigkeiten bei sonst sehr verschiedenem Oberflächensinn darstellen, scheint mir zu-

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mindest nicht ganz abwegig zu sein. In der Diskussion um den Autor von AP 11,330 spricht, wie ich meine, jedenfalls alles dafür, die durch den Palatinus überlieferte Zuschreibung an Nikarch ernst zu nehmen.

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II.13. Ménage à quatre

AP 11,328 = POxy. 4502 fr. 3 Τὴν μίαν Ἑρμογένης κἀγώ ποτε καὶ Κλεόβουλος ἤγομεν εἰς κοινὴν Κύπριν Ἀριστοδίκην· ἧς ἔλαχον μὲν ἐγὼ ῾πολιὴν ἅλα ναιέμεν᾽ αὐτός· εἷς γὰρ ἕν, οὐ πάντες πάντα, διειλόμεθα. Ἑρμογένης δ’ ἔλαχε ῾στυγερὸν δόμον εὐρώεντα᾽, ὕστατον, εἰς ἀφανῆ χῶρον ὑπερχόμενος, ἔνθ’ ἀκταὶ νεκύων καὶ ἐρινεοὶ ἠνεμόεντες δινεῦνται πνοιῇ δυσκελάδων ἀνέμων. Ζῆνα δὲ θὲς Κλεόβουλον, ὃς οὐρανὸν εἰσαναβαίνειν, τὸ ψολόεν κατέχων ἐν χερὶ πῦρ, ἔλαχεν. γῆ δ’ ἔμενε ξυνὴ πάντων· ψίαθον γὰρ ἐν αὐτῇ στρώσαντες τὴν γραῦν ὧδε διειλόμεθα.

5

10

Pl.: Ø. – POxy. 4502 fr. 3 – Tit. Νικάρχου P || 1 κἀγώ] καιω POxy. || Κλεόβουλος P : Διδυ̣[μαρχος POxy. || 3 πολιὴν] τολ̣ι̣ην POxy. || 4 εἷς Jacobs : εἰς P || πάντα P : ταυτα̣ POxy. || διειλόμεθα P : διειλάμεθ̣α̣ POxy. || 5 στυγερὸν] στυγερων POxy. || εὐρώεντα ex Homero corr. Brunck : εὐρόεντα P POxy. || 6 ὕστατον] ὕστατος edd. vett. || ἀφανῆ] αφανηι POxy. || 7 νεκύων] νεκτων POxy. || ἐρινεοὶ ex Homero corr. Jacobs sanctum a POxy. : ἐρμηναῖοι P || ἠνεμόεντες] ηνεμοεντος POxy. || 8 πνοιῇ … ἀνέμων] πνοιαις δυσκελαδ̣ . . ενεμον POxy. (πνοιαῖς fort. praeferendum, vid. infra) || 9 δὲ θὲς Pauw sanctum a POxy. : δεσθες [σ expuncto] P || Κλεόβουλον P : Διδυμαρ̣χον POxy. || εἰσαναβαίνειν P : εισανεβ̣αιν[ POxy. || 10 ἐν χερὶ πῦρ, ἔλαχεν] ἐν χερὶ π̣ . . . . . . POxy. ex quo π̣η̣δ̣α̣λ̣ . . legit Coles, vid. infra || 11 ξυνὴ] ξυνηι POxy. || ψίαθον Brunck sanctum a POxy. : ψιάθων P.

Die eine und alleinige, Hermogenes, ich und Kleoboulos (Didymarchos), wir brachten sie zum gemeinsamen Liebesspiel, die Aristodike. Von ihr erloste ich selbst ‘zu wohnen in der grauen Salzflut’, denn jeder eines, nicht alle alles, teilten wir auf. Hermogenes aber erloste das ‘verhasste, modrige/weite Haus des Hades’, ganz zuhinterst: er stieg hinab an den lichtlosen Ort, wo sich die Klippen der Toten befinden und die winddurchschüttelten Feigenbäume im Atem des übel lärmenden Windes wirbeln. Als Zeus jedoch setze Kleobulos (Did.), der den Himmel zu besteigen, das flammende Feuer niederdrückend in seiner Hand, erloste. Die Erde aber blieb gemeinsamer Besitz von allen. Eine Matte also legten wir auf der Alten aus, und so teilten wir sie uns auf.

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Einzelthemen

Das vorliegende Epigramm darf wohl ohne Umschweife als das bekannteste Nikarchs angesehen werden. Es wird auch in Handbüchern genannt, die sonst Nikarch bzw. das griechische Spottepigramm nur am Rande behandeln, so etwa im Artikel ›Epigram‹ von Lindsay C. Watson in A Companion to Latin Literature, herausgegeben von S. Harrison (Oxford 2005).203 Es dient dort als Beispiel für die Aussage, dass griechische Epigramme, auch wenn sie unzweideutig pornographischen Inhalts sind, keine ›four-letter words‹ beinhalten und deshalb wie das vorliegende Beispiel mit mythischen Andeutungen operieren. Die Beobachtung gilt allerdings gerade für Nikarch nicht durchgehend: natürlich spielt er auch gerne mit doppeldeutigen Vokabeln, doch kann er die Dinge ohne weiteres direkt beim Namen nennen (z. B. verwendet er auch das Verb κινεῖν).204 E. Magnelli (2005) hat dem Epigramm einen ganzen Artikel gewidmet und dabei auch eine Menge feinsinniger Überlegungen zum Phänomen nikarchischer Parodiekunst im allgemeinen eingeschlossen, die mit den meinigen zum größten Teil korrespondieren. Thema des Epigramms ist eine τριπορνεία, d. h. ein Akt mit drei Partnern gleichzeitig. Während der gleichzeitige Akt einer Hetäre mit zwei Freiern auch ein auf Vasenbildern vorkommendes Motiv ist,205 sind uns zum ›Ménage à quatre‹ gleich mehrere Epigramme erhalten, die somit als Steigerung des bildlichen Motivs angesehen werden können: so das typischerweise in der APl nicht eingeschlossene Gedicht AP 5,49 (= FGE 223ss.) Ἡ τρισὶ λειτουργοῦσα πρὸς ἓν τάχος ἀνδράσι Λύδη, | τῷ μὲν ὑπὲρ νηδύν, τῷ δ’ ὑπό, τῷ δ’ ὄπιθεν, | εἰσδέχομαι … mit wohl verderbter Autorenzuweisung (†Τουδικίου† Γάλλου), sowie Martial 9,32,4 hanc volo quae pariter sufficit una tribus (zwei Freier sind es demgegenüber in 10,81).206 Der große Reiz der nikarchischen Variante rührt allerdings vom Umstand, dass es sich bei diesem Epigramm um eine geistreiche Parodie einer

203 Watson 2005: 204. Erwähnung findet das Gedicht u. a. auch in Buchheit 1962: 102s., Richlin 1992: 130s.; Nisbet 2003: 83–85 (›Nikarkhos at his amplest and most elaborate‹); Höschele 2006: 117. 204 Dazu s. auch Richlin 1992: 129s.; dort eine Liste der ›obscenities‹ bei Lukillios und Nikarch. 205 Dierichs 2008: 82 (Abb. 62a; Paris, Musée du Louvre, G 13) und 85 (Abb. 63c; Firenze, Museo archeologico, 3921); unklar ist, ob es sich bei p. 86 Abb. 64 (Athen, Nat.museum, 2579) um das Vorspiel zu einer τριπορνεία handeln könnte. 206 Zum selben Thema vgl. noch AP 6,17 (die verschiedenen ἐργασίαι der Kypris); unter Männern 11,225, 12,210 (beide Straton); Cat. 56; Auson. 59; als wahrhafte Invektive Prokop Anecd. (Hist. arc.) 9,18 κἀκ τριῶν τρυπημάτων ἐργαζομένη. Ähnliche Doppeldeutigkeiten: AP 5,105 (Marcus Argentarius); HA Heliog. 5,2 princeps per cuncta cava corporis libidinem recipiens.

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zentralen Iliasstelle handelt (aus dem Munde Poseidons), und zwar die Aufteilung der Welt unter die drei olympischen Götter (Il. 15,187ss.), die je einen ›Wirkungsbereich‹ zugelost bekommen haben: τρεῖς γάρ τ’ ἐκ Κρόνου εἰμὲν ἀδελφεοὶ οὓς τέκετο Ῥέα Ζεὺς καὶ ἐγώ, τρίτατος δ’ Ἀΐδης ἐνέροισιν ἀνάσσων· τριχθὰ δὲ πάντα δέδασται, ἕκαστος δ’ ἔμμορε τιμῆς· ἤτοι ἐγὼν ἔλαχον πολιὴν ἅλα ναιέμεν αἰεὶ παλλομένων, Ἀΐδης δ’ ἔλαχε ζόφον ἠερόεντα, Ζεὺς δ’ ἔλαχ’ οὐρανὸν εὐρὺν ἐν αἰθέρι καὶ νεφέλῃσι· γαῖα δ’ ἔτι ξυνὴ πάντων καὶ μακρὸς Ὄλυμπος.

190

Drei Brüder sind wir nämlich von Kronos her, die Rhea geboren, Zeus und ich und als dritter Hades, welcher über die Unteren gebietet. Dreifach ist alles aufgeteilt, und jeder erhielt seine Würde zugelost: Ich erlangte, in der grauen Salzflut zu wohnen immerzu, 190 als wir die Lose warfen, Hades aber erlangte das düstere Schattenreich, Zeus aber erlangte den weiten Himmel im hellen Lichtraum und Gewölk: Die Erde aber ist allen gemeinsam und der gewaltige Olymp.

Wie im Folgenden zu sehen sein wird, gruppiert sich um diesen Kern eine Fülle weiterer Homerzitate. Vom gelungenen Bau des Gedichts geht somit eine Faszination aus, der man sich schwer entziehen kann. Worterklärungen: 1 μίαν steht einerseits in unmittelbarem spannungsgeladenem Kontrast zur mächtigen, den ganzen Rest der Zeile ausfüllenden Dreiheit, andererseits zu κοινὴν Κύπριν in Z. 2, auf das erst (mit enormer Verzögerung) der Name folgt, zu dem μίαν kongruent ist: Ἀριστοδίκην. – Ἑρμογένης κἀγώ Hier soll vorerst der allen drei Namen (von Sterblichen) anhaftende epische Klang wirken. Schulte ad loc. macht mit Recht darauf aufmerksam, dass dies besonders auch dann zutrifft, wenn man für die persona des Erzählers Νίκ-αρχος setzt. Die hier verwendete Reihenfolge wird bei der nachfolgenden Ausführung im Detail auffälligerweise abgeändert: dort wird Ἑρμογένης als zweiter behandelt. Die kontextuelle ›Eignung‹ des Namens Ἑρμογένης, entsprechend dem von ihm gezogenen Los, als Totengeleiter wird erst später, in Z. 5, vollends deutlich (cf. a. Nisbet 2003: 84). Eine weitere, nicht unattraktive Interpretationsmöglichkeit erwägt Magnelli 2005: 160, unter Verweis auf eine Tradition, nach der Pan Sohn des Hermes ist (Hdt. 2,145,4; Plut. de def. orac. 419d; Ph. Borgeaud, Recherches sur le dieu Pan, Bibliotheca Helvetica Romana 17, Roma 1979: 84s.): Pan als Prototyp ausschweifender, animalesker Triebhaftigkeit fügte sich ohne weiteres in den Zusammenhang; vgl. Borgeaud 1979: 115ss. – Κλεόβουλος Der Name wird bei Schulte mit ›berühmt durch Rat und Klugheit‹ paraphrasiert, wobei der Bildetyp am ehesten einem attributiven Kompositum (sog. Bahuvrihi) entspricht: ›einen berühmten Rat habend‹. Abgesehen vom ›homerischen Kolo-

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rit‹ (doch vgl. weiter unten) spielt der Träger gleichen Namens in Il. 16,330, ein vom jüngeren Aias verwundeter Troer, für den Kontext des Epigramms keine Rolle. Ein Anklang besteht vielleicht an den von Anakreon fr. 359 PMG besungenen Kleoboulos; zum παῖς, der in verschiedenen Gedichten Meleagers (AP 12,74; 164s.) denselben Namen trägt, bestehen hingegen m.E. ebensowenig intertextuelle Verbindungen wie zu den Ἑρμογέναι in 12,42 (Dioskorides), aber auch bei Nikarch (11,124) – das letztere Beispiel zeigt im Gegenteil, wie das semantische ›Potential‹ eines Namens in ganz verschiedenen Kontexten nutzbar gemacht werden konnte (vgl. auch Einleitung p. 36). Eher noch als Anlass für ein mögliches Assoziationsspiel im Hintergrund vorstellbar ist die Namensgleichheit mit dem Weisen aus Lindos: Dass man zu ehrfurchtgebietenden Namen gerne frivole, in den Bereich des Fäkalen gehende Verse erfand, lehrt z. B. die Evidenz aus den sog. ›Terme dei Sette Sapienti‹ in Ostia (R. Meiggs, Roman Ostia, 2nd ed., Oxford 1973: 429; C. Pavolini, Ostia, Guide archeologiche Laterza 8, Roma 1983: 135), auch wenn es nicht klar ersichtlich wird, inwiefern die Graffiti zu einzelnen Figuren besonders gut passen bzw. warum von den Weisen hier ausgerechnet Kleoboulos gewählt werden sollte (in gewisser Hinsicht besteht in vorliegendem Epigramm eine Parallele auf einer etwas anderen Dimension, insofern als es Verse der Autorität Homers sind, mit denen das respektlose Spiel getrieben wird). Am naheliegendsten erscheint es mir, den Namen Kleoboulos wie denjenigen des Hermogenes kontextuell zu erklären, d. h. aus der Tatsache, dass jeder der drei Akteure den ›Part‹ eines der homerischen Götter übernimmt (vgl. unten Z. 9 Ζῆνα δὲ θὲς Κλεόβουλον). Hier ist zu erinnern, dass es von Zeus bereits in Il. 1,5 heißt: Διὸς δ’ ἐτελείετο βουλή. Besonders interessant ist an dieser Stelle jedoch die Tatsache einer varia lectio im Papyrustext: Dieser bietet nämlich hier fragmentarisch (Διδυ̣[) und in Z. 9 vollständig den Namen Διδύμαρχος. Im inhaltlichen Kontext ist diese Variante die von der Namensbildung her durchsichtigere, wenn man von der Assoziation mit δίδυμοι ›Hoden‹ (so vgl. LXX Dt. 25,11) ausgeht, die in diesem Fall zweifellos eine Rolle spielen musste (cf. a. AP 5,126,6 [Philodem; = nr. 22 Sider], m. Komm. von Sider); teilweise auch für weibl. Geschlechtsorgane gebraucht: cf. Herophil. in Gal. de usu part. 14,11; Soran. 1,12. Natürlich stellt sich die Frage, welche von beiden Varianten die ›echtere‹ ist. Ihre Verschiedenheit ist nicht durch einen Übertragungsfehler erklärbar und muss daher ernst genommen werden. Es ist bekanntlich nicht zwingend, dass der Papyrustext als der zeitlich nähere beim Original auch die authentischere Textgestalt bieten müsste. Doch scheint, wie erwähnt, Διδύμαρχος gegenüber Κλεόβουλος noch einen zusätzlichen Witz zu beinhalten, weshalb Magnelli 2005 den auf dem Papyrus überlieferten Namen in den Text setzt. Allerdings ist es m.E. ungerechtfertigt, der Variante Κλεόβουλος jegliches allusive Potential abzusprechen (159s.). Ich bin eher geneigt, darin den intellektuell feinsinnigeren, intertextuellen Witz zu sehen, während Διδύ-

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μαρχος für die grell-plakative Variante steht, die mit einer für jedermann durchsichtigen Wortbildung operiert, und zu Nikarch gehört sowohl das eine wie auch das andere. Mit der Frage verbunden sind aber auch grundsätzliche Überlegungen nach dem Charakter von POxy. 4502 als Quelle: Handelt es sich hierbei letztlich um die Aufzeichnung einer mündlichen performance, für die der Name ›adaptiert‹ wurde? Allerdings gibt es klare Spuren einer Abschrift von einer schriftlichen Vorlage zumindest in der unmittelbar vorausgehenden Stufe (Z. 1 καιω statt κἀγώ). Oder: ›Did Nicarchus revise his text for a second (or collected) edition?‹ (Parsons) – eine mögliche Annahme, wenn auch die Substitution des Namens nicht zwingend auf den Autor selbst zurückgehen muss und bei einer privaten Sammlung, wie sie als Hintergrund für POxy. 4502 anzunehmen ist (Einleitung, p. 63), auch nicht unbedingt der ›authorative text‹ zu erwarten ist. Es existieren also Argumente in beide Richtungen; ein definitiver Entscheid ist beim momentanen Stand der Erkenntnis m.E. zu früh (zu einem ähnlichen Schluss kommt Magnelli 2005: 164). Eine interessante Parallele, auf die ebenfalls Parsons hinweist, ist das Schwanken der Überlieferung zwischen den Namen Gemellus und Venustus in Mart. 1,10,1. Vgl. a. Einleitung p. 72s. und unten p. 380. 2 εἰς κοινὴν Κύπριν Die Wendung ist sonst nicht belegt. Für andere Darstellungen des Themas s. oben Anf. des Kapitels. – Ἀριστοδίκην Wieder ein sprechender Name (vgl. in der nächsten Zeile ἔλαχον): ›die alles äußerst gerecht verteilt‹ (Schulte). In der Tat ist Gerechtigkeit das, was Poseidon im Prätext der Ilias angesichts der seiner Meinung nach sich manifestierenden Kompetenzüberschreitung von Zeus in Frage stellt (dazu s. unten); das wäre bei Aristodike besser – vielleicht. Ein ingeniöser Einfall von G. Agosti ist referiert bei Magnelli 2005: 159 n. 34: Er weist auf die antike Diskussion hin, ob die homerische Aufteilung der Welt denn wirklich so gerecht sei, sowie auf die Antwort in Kallim. hymn. Iovi 57ss., wonach Zeus als höchstem der Götter auch der wichtigste Teil der Welt zustehe. 3 ἔλαχον Verb- und Aspektwahl zeigen das Momentane und Zufällige an der ›Auslosung‹ gegenüber dem homerischen Prätext, wo die Verteilung der τιμαί seit langem feste Tatsache und Teil der Weltordnung ist (πάντα δέδασθαι, ἕκαστος δ’ἔμμορε τιμῆς). – πολιὴν ἅλα ναιέμεν Hier geht es, wie auch die beiden folgenden ›Bereiche‹ dann vollends deutlich machen, zunächst um vaginalen Geschlechtsverkehr (wobei hier mit πολιὴν vielleicht auch zusätzlich Bezug auf graue Haare genommen wird; vgl. Z. 12 γραῦν). Gegenüber den weiblichen Genitalien finden sich in verschiedenen (nicht nur misogynen) Kontexten gelegentlich auch wenig positive Bemerkungen von männlicher Seite: die Feuchtigkeit der secreta muliebra begegnet als Thema der Aischrologie, meist im Zusammenhang mit cunnilingus, und zwar schon in der Alten Komödie (Siems 1974: 131s.; Henderson 1991: 145s., vgl. AP 11,220 Ἀλφειοῦ στόμα φεῦγε· φιλεῖ κόλπους Ἀρεθούσης | πρηνὴς

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ἐμπίπτων ἁλμυρὸν ἐς πέλαγος). In ihrem Überblick über römische Konzepte von Obszönität sagt Richlin 1992: 26, die Erwähnung weiblicher Genitalien sei ›almost always connoting disgust‹). Das Bild, nach erfolgter Penetration ›in der grauen Salzflut zu schwimmen‹, ist also nur folgerichtig: ganz ähnlich vgl. AP 5,19 (Rufin) βοσκήσει … καὶ πολιὸν πόντου κῦμα θοὰς ἐλάφους, mit Höschele 2006: 98. In anderen Epigrammen findet sich der zusätzliche Aspekt, dass diese Fluten auch lebensgefährlich sein können – besonders bei einer alten Hetäre: vgl. Rufins AP 5,44 (mit Höschele 2006: 123) sowie Nikarchs AP 11,331, das man im gleichen Sinne lesen kann: s. Kap. I.4. Im vorliegenden Epigramm ist die Assoziation mit der Unterwelt allerdings für den dritten Bereich reserviert (Z. 5ss.). 4 εἷς γὰρ ἕν, οὐ πάντες πάντα Diese ›Bekräftigung‹ lässt sich so deuten, dass nicht nur in der Aufteilung der Welt auf die olympischen Götter, sondern auch in deren ›irdischen‹ Übertragung eine geregelte Ordnung herrscht – und niemand auf die Idee käme, in den Kompetenzbereich des andern vorzudringen (ein Problem, das ja gerade Anlass für die Äußerung im homerischen Prätext war!). – διειλόμεθα Interessant ist das Vorhandensein eines schwachen Aorists διειλάμεθα an dieser Stelle (dagegen διειλόμεθα in Z. 12) auf POxy. 4502. Mit Parsons ist davon auszugehen, dass im Originalepigramm Nikarchs hierin keine variatio bestand: Man wird dieses Mal die Form deshalb nicht auf einen ›colloquial touch‹ seitens Nikarchs zurückführen, sondern es ist wohl das dem Schreiber geläufigere umgangssprachliche Griechisch, das ihm an dieser Stelle (gegen die Vorlage) durchging (vgl. aber Einleitung, p. 33s.). Zum schwachen Aor. vgl. GP 2885; allgemein das NT; in den dokumentar. Papyri (Gignac II 344s.) z. B. BGU 7,1575,3 (2. Jh. n. Chr.) διειλάμην. 5 στυγερὸν δόμον Obwohl der Text Nikarchs der Vorlage Il. 15,191 (s. oben) nicht wörtlich genau folgt, ist die Textur doch klar von ihr bestimmt und auch sonst unverkennbar homerisch; zum Epitheton στυγερὸν cf. Il. 8,368 = hymn. Hom. in Cer. 395 στυγεροῦ Ἀΐδαο (cf. auch Apoll. Rhod. Arg. 3,810); Il. 13,672 = 16,607 στυγερὸς δ’ ἄρα μιν σκότος εἷλεν; Il. 20,64s. (vgl. Hes. Theog. 810) οἰκία … σμερδαλέ’ εὐρώεντα, τά τε στυγέουσι θεοί περ. – εὐρώεντα ›modrig, schimmlig; finster‹; zum Epitheton vgl. Od. 10,512 (cf. 23,322, Il. 20,64) εἰς Ἀΐδεω … δόμον εὐρώεντα (cf. Σ vet. ad Il. 1,404; auch Hes. Theog. 739 = 810 und später Orac. Sib. 2,302 ζοφόενθ’ ὑπὸ Τάρταρον εὐρώεντα). Magnelli 2005: 157s. weist darauf hin, dass in der epischen Tradition zur Beschreibung des Hades die Adj. εὐρώεις und ἠερόεις quasi als synonym verwendet wurden, teilweise auch in geringem Abstand aufeinander folgend (Hes. Theog. 729ss.). Sowohl im Papyrustext wie auch in der AP findet sich (metrisch unmögliches) εὐρόεντα. Dass das Epitheton schon im Altertum nicht mehr verstanden und statt mit εὐρώς ab einem bestimmten Zeitpunkt auch mit εὐρύς in Verbindung gebracht wurde, bestätigen der Eintrag εὐρώεντα im Homerlexikon des Apol-

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lonios (1./2. Jh. n. Chr., also im Zeitrahmen Nikarchs): εὐρέα, ἀνατεταμένα (ebenso Hesych s.v.; Etym. Magn. 397,57) und Stellen wie Opp. Hal. 5,3 κόλπος εὐρώεντα θαλάσσης; Nonn. Dionys. 26,107 βέρεθρον; im 4. Jh. Greg. Naz. carm. de se ipso PG 37 p. 1007,9 Migne. – Dass Nikarch das Wort ebenfalls in der sekundären Bedeutung verwendet, setzt Nisbet 2003: 84s. stillschweigend als Grundlage seiner Interpretation voraus, wenn er schreibt: ›In Nikarkhos’ revision, the epithet ›wide‹ which Homer applied to Zeus‹ domain (Il. 15,191) is transferred to the Underworld taken by Hades / Hermogenes, viz. Aristodike’s anal passage. This has to be read as a sly comment on years spent as a prostitute, a neat bit of characterization by the back door‹. Diese Interpretation wurde von Höschele 2006: 117 (und auch von N. Holzberg, mündl.) als Irrtum zurückgewiesen, doch sind solche Bedenken aufgrund des oben dargestellten Befundes für einen Text des 1. Jhs. n. Chr. wohl kaum nötig – im Gegenteil, auch in diesem Fall wird Nikarchs Fähigkeit, aus einer bereits bestehenden oder zumindest angelegten semantischen Unsicherheit ein geistreiches Wortspiel und double entendre abzuleiten, um so sichtbarer. Die Vorstellung von einer ›weiten‹ Unterwelt deckt sich im übrigen durchaus mit antiken Jenseitsvorstellungen; s. auch Hes. Theog. 119 χθονὸς εὐρυοδείης m. dem Komm. von West. 6 ὕστατον ›zuhinterst gelegen‹; cf. Hes. Theog. 809 ἑξείης πάντων. Die anale Penetration wird also mit einer Unterweltsfahrt (Katabasis; vgl. Z. 7 ὑπερχόμενος) verglichen, die auch die Regionen des Tartaros, wo Schlamm und Schmutz das Bild bestimmen, mit einschließt (in der typisch schillernden Zweideutigkeit, ob es nun ein positives oder negatives Erlebnis ist). Schillernd ist aber auch die Bedeutung des Adjektivs: mitschwingen dürfte auch ›als (qualitativ) letztes‹, sowie ein von Magnelli 2005: 161 sehr vorsichtig als Hypothese präsentiertes Wortspiel als Superlativ von ὗς ›besonders schweinisch‹ (für ein ähnliches double entendre vgl. Timon von Phl. fr. 825 SH = 51 Di Marco (über Epikur) ὕστατος αὖ φυσικῶν καὶ κύντατος ἐκ Σάμου ἐλθών mit der Bemerkung von Wachsmuth a voce ὗς). Spielt man diesen Gedanken weiter, kann man sogar die verschiedenen Aspekte miteinander verbinden: ›besonders weit hinten, d. h. hinter der ὗς‹, die wie χοῖρος (vgl. Nikarchs AP 11,329,2; II.14) auch als Chiffre für die weibliche Scham verwendet wird. ὕστατος könnte unter diesen Umständen also geradezu zur (grotesken) Steigerung zum Z. 3s. abgehandelten vaginalen Bereich werden. – ἀφανῆ χῶρον Die Unterwelt bzw. ihre Eingänge sind traditionellerweise dem Sichtbereich der Menschen entzogen; vgl. Od. 10,84ss. Zum Ausdruck vgl. auch den Vorschlag einer Etymologie von Ἀΐδης < α-ϝιδ- (›nicht sichtbar‹) (Plat. Gorg. 493b4s.; Phd. 80d); dazu C. Rujigh, Scripta minora I, Amsterdam 1991: 575s.; L. Albinus, The House of Hades, Aarhus 2000: 32 n. 21. 7 ἔνθ’ ἀκταὶ νεκύων Eine klare Anspielung auf Od. 10,509s. (Nekyia) ἔνθ’ ἀκτή τε λάχεια καὶ ἄλσεα Περσεφονείης | μακραί τ’ αἴγειροι καὶ ἰτέαι ὠλεσίκαρποι. Vgl. auch noch Soph. OT 177 ἀκτὰν πρὸς ἑσπέρου

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θεοῦ; fr. 523,13 Radt ἀκτὰς ἀπαίωνάς τε καὶ μελαμβαθεῖς (!) | λιποῦσα λίμνης ἦλθον, ἄρσενας χοὰς | Ἀχέροντος ὀξυπλῆγας ἠχούσας γόους. Im Rest der Zeile werden die in Od. 10,510 genannten ›Trauerbäume‹ Pappel und Weide in komisch-parodistischer Verkehrung zu Feigenbäumen, womit auch die Assoziationen in einen anderen Bereich hinübergleiten (s. nächstes Lemma). – ἐρινεοὶ ἠνεμόεντες Der in der AP im Laufe der Überlieferung entstellt vorliegende, überaus wichtige Begriff ἐρινεοὶ wurde durch eine Konjektur von Jacobs wiedergewonnen, die der POxy. 4502 nun aufs glänzendste bestätigt hat. Vorlage ist Il. 22,145, die hochberühmte Passage von Hektors Flucht vor Achill παρὰ σκοπιὴν καὶ ἐρινεὸν ἠνεμόεντα. Der Feigenbaum begegnet als Landmarke, vor der man sich versammelt, z. B. noch in Il. 6,433. Doch hier steht weiterhin die Parodie der Nennung von herausragenden Punkten am Beginn der Unterwelt im Vordergrund, wie sie in den orphisch-bakchischen Totenpässen auf Goldblättchen (die im übrigen in ihrer Datierung bis in die Kaiserzeit hinein reichen; vgl. auch die Angaben auf p. 208) eine wichtige Rolle spielen: dort ist es z. B. eine helle Zypresse. Im Zusammenhang Nikarchs bildeten die ›Landmarken‹ Feigen(bäume): sie stehen für die Hämorrhoiden der Aristodike, die in der Situation analen Geschlechtsverkehrs bei der Orientierung helfen (während die Zypresse als Metapher eher zum irrumator gehört); zu dieser Verwendung der Feigenmetaphorik (im Griech. noch ἰσχάς, σῦκος; im Lat. ficus) allg. Adams 1982: 113s. sowie Obermayer 1998: 192; 249ss. Hämorrhoiden wurden gerne als ›Abnutzungsspuren‹ durch häufigen analen Sex gedeutet; z. B. Mart. 6,49,11 nascetur, licet hoc velis negare, | inserta tibi ficus a cupressu; 1,65; APl 16,240s. Offenbar wird dieselbe Symbolik aber auch für das weibl. Geschlechtsorgan verwendet: Henderson § 122, 127. Vgl. allg. Buchheit 1960: 218ss. und Siems 1974: 121ss. – ἠνεμόεντες: ἠνεμοέσσας ist ein typisch homerischer Versschluss (cf. Od. 9,400 ἄκριας ἠνεμοέσσας; Od. 16,365; 19,432); ἠνεμόεντες dagegen in Nonn. Dionys. 29,52; 33,314 für ὀϊστοί; zu ἠνεμόεντα s. o. In der nikarchischen Parodie bekommt er die Bedeutung = crepitus ventris; vgl. POxy. 4502 fr. 1 πικρὸν ἵησι βέλος. 8 δινεῦνται πνοιῇ δυσκελάδων ἀνέμων Auch diese Zeile ist komplett aus homerischen Versatzstücken verschiedener Provenienz gefertigt, die den in der nikarchischen Parodie bereits erweckten Eindruck von Flatulenz weiter und auch noch stärker ausmalen (was damit gemeint ist, illustriert auch Nikarchs Epigramm AP 11,395,2 [Kap. II.16] πορδὴ … τραυλὸν ἱεῖσα μέλος). δινέω ›wirbeln‹ mit ion. Kontraktion findet sich ansonsten nicht bei Homer, wo die Form δινεύω üblich ist, deren 3. Pl. M.-P. freilich nicht in den Hexameter passt; zur ion. Kontraktion bei Nikarch vgl. AP 11,407,1 θακεῦντα. Weiter ist erkennbar ›eingepackt‹ die Formel Il. 12,207; 23,367; 24,342; Od. 1,98; 2,148; 5,46 πνοιῇς ἀνέμοιο; doch besonders wichtig als Modell war wohl Il. 17,53ss. οἷον δὲ τρέφει ἔρνος ἀνὴρ ἐριθηλὲς ἐλαίης | … | … τὸ δέ τε πνοιαὶ δονέουσι | παντοίων ἀνέμων, καί τε

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βρύει ἄνθεϊ λευκῷ etc.; in diesem Fall war im Verbalstamm für die Parodie nur ein Buchstabe zu ändern (Magnelli 2005: 156 mit n. 17, wo er mit Recht darauf hinweist, dass man mit einer weiteren minimalen Änderung bereits bei βινεῦνται ankäme; das kann im Kontext des Epigramms durchaus mitgehört worden sein, auch wenn es nicht so im Text gestanden haben muss)! Ob aufgrund dieses Prätexts auch der Variante von POxy. 4502 mit dem Pl. πνοιαῖς der Vorzug gegeben werden soll, lässt sich m.E. nicht entscheiden. – δυσκέλαδος ›übel klingend, lärmend, tosend‹ ist entgegen dem Vorbild Homers (Il. 16,357 zu φόβος), aber bestens passend zur Parodie, mit ἄνεμος verbunden. Vgl. noch Agathias, AP 11,382,4, vom schweren Atem eines Kranken δυσκελάδοις ἄσθμασι πνευστιόων. 9 Ζῆνα δὲ θὲς … Durch die explizite Nennung des Namens Zeus wird noch klarer als zuvor Bezug auf den Prätext, die Aufteilung der Welt unter die drei olympischen Götter, genommen. τίθημι steht hier im Sinne von ›in der Rolle von … einsetzen; ansehen als …‹ (LSJ s.v. B II 1). Vgl. a. LSJ A II 9 ›put down in writing‹: in der Tat wurden für den Part des Zeus ja in der AP und auf POxy. 4502 zwei verschiedene Namen ›niedergeschrieben‹. – οὐρανόν Die mit dem Begriff verbundene Vorstellung vom Gewölbe wurde vom Himmel u. a. auch auf den Mundinnenraum übertragen (auch ›Gaumen‹). Vgl. AP 6,17 (Lukianos [?] = ep. 2 MacLeod), wo als τριτάτη ἐργασίη diejenige ἀπ’ οὐρανίων genannt ist: in beiden Kontexten geht es um fellatio (der Euphemismus ist vielleicht noch durch den Anklang an οὖρος begünstigt?). Zu dieser Verwendung s. Krenkel 1980: 79. Cf. auch AP 5,105 (Marcus Argentarius) = GP 1332 ὁ ταύτης οὐρανὸς ἐντὸς ἔχει καὶ κύνα (= πέος) καὶ διδύμους (vgl. oben zu Διδύμαρχος). – εἰσαναβαίνειν eine homerische Schlussformel (Il. 2,514; 6,74; 8,291; Od. 2,172; 17,101; 18,252; 19,125 und 594), deren Übertragung in malam partem hier zweifellos auch durch den traditionellen Gebrauch von ἀνα-/εἰσβαίνειν in erotischem Kontext begünstigt ist (cf. Henderson § 227). POxy. 4502 hat an dieser Stelle εισανεβ̣αιν[, was auf eine lectio facilior hinweist, die anstelle eines Infinitivs, abhängig vom erst in der nächsten Zeile folgenden ἔλαχε, einen auf Διδύμαρχον bezogenen Relativsatz enthielt (vgl. die abweichende Syntax auch in der folgenden Zeile). 10 τὸ ψολόεν … πῦρ Cf. Od. 23,330; 24,539 ψολόεντα κεραυνὸν; ebenso hymn. Hom. in Ven. 288; Hes. Theog. 515; Scut. 422; fr. 51 M.-W.; Pi. Nem. 10,71. Wie schon Jacobs X 25 ad loc. bemerkte, erinnerte das Adj. auch an ψωλή (resp. -ος) ›steifes Glied‹ (cf. Henderson § 4s.), wofür uns das schon in der Einleitung p. 115 erwähnte Carmen priap. 68,5 ille vocat, quod nos ψωλήν, ψολόεντα κεραυνόν, ein prächtiges Zeugnis ablegt (cf. Buchheit 1962: 102s.). Die Wörter begegnen in lit. Texten praktisch nur in der Alten Komödie (Aristoph. Lys. 979; Av. 560); vgl. aber auch POxy. 3070 ψωλή; PLond. 3,604B ψωλοκοπῶ τὸν ἀναγιγνώσκοντα (beide 1. Jh. n. Chr.). Der unterschwellige Sinn ergänzt sich auch bestens mit

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κατέχων ἐν χερὶ πῦρ. – Der Text auf POxy. 4502 ist an dieser Stelle wegen Überlappung zweier Lagen besonders schwer zu lesen, scheint aber gemäß R. Coles am ehesten πη̣δ̣α̣λ̣[ bzw. πη̣δ̣α̣λ̣ο̣ν̣ zu bieten, was dann mit Parsons zu πηδάλ〈ι〉ον zu ergänzen wäre (vgl. a. POxy. 4501; Kap. I.4.c); ebenfalls ein Wort, das für πέος / ψωλή stehen kann (Henderson § 63). Diese Lösung bietet aber auf der Oberflächenebene Probleme (was soll Zeus mit einem Ruder?); auf der unterschwelligen Ebene wäre ein πηδάλιον im Zusammenhang mit πολιὴν ἅλα ναιέμεν (Z. 3) wesentlich sinnvoller. Der Zustand des Papyrus hat zur Folge, dass die hier zu vermutende varia lectio (vgl. auch die Bemerkung oben zu Z. 9) nicht richtig fassbar wird; der exempli gratia-Vorschlag einer weiteren homerischen Formel πῦρ μαλερόν, geäußert von Magnelli 2005: 163 n. 55, ist unvereinbar mit dem Befund auf dem Original. 11 γῆ δ’ἔμενε … Nach dem Vorangegangenen überlegt man sich zunächst, welcher Körperteil Aristodikes mit γῆ noch gemeint sein könnte; erst die Fortsetzung macht klar, dass hier mit der Angabe des Orts des Aktes noch eine neue Wendung eingeschlagen ist. – ψίαθον ›Binsenmatte, Strohsack‹. Ob hier ein weiteres Spiel angenommen werden soll, indem ψίαθον … στρώσαντες in einer weniger anständigen Lesung ebenfalls auf τὴν γραῦν bezogen wird (diese Idee ergibt sich aus der bei LSJ angeführten Stelle Com. Adespota 789 Kock = 383 Meineke [nicht bei K.-A.], der offenbar eine Redensart zugrunde liegt: ἐκ τῆς αὐτῆς ψιάθου γεγονώς; vorgeschlagen wird die Übersetzung ›bed-fellow‹; ebenso wohl auch Aristoph. Ach. 874; cf. ferner Append. proverb. 2,47 Schneidewin mit der Erkl. ἐπὶ τῶν παραπλησίων καὶ ὁμοίων), hier also etwa: ›wie eine Matte legten wir die Alte flach auf die Erde und …‹? 12 τὴν γραῦν Erst an dieser Stelle wird explizit klar, zu welchem ›Typus‹ Aristodike gehört (obwohl der sprechende Name bereits teilweise darauf hinweist und die ›graue Salzflut‹ oben in Z. 3 wohl schon als erster metonymischer Hinweis darauf verstanden werden kann; vgl. auch die Diskussion zu εὐρώεντα oben Z. 5, sowie die auffällige Hervorhebung der ἄνεμοι in Z. 7s.; beides gehört zum typischen Motivinventar der vetula-Skoptik). Damit ist Nikarch wieder aus zunächst ungeahnter Richtung auf eines seiner klassischen Themen eingeschwenkt; dazu insges. s. Kap. I.2. ›Epigramme auf alte Hetären‹. Wie in den vorangegangenen Erläuterungen deutlich wurde, ergibt sich die Parodie Nikarchs aus der Anwendung zweier verschiedener, in bemerkenswerter Weise miteinander verflochtener Techniken im Umgang mit den olympischen Texten. Das Epigramm wird durch die Parodie der eingangs zitierten Iliaspassage über die Aufteilung der Welt unter die drei olympischen Götter (Il. 15,187ss.) zusammengehalten und im groben strukturiert. Innerhalb dieses Rahmens bietet es gleichzeitig ein (unvollständiges) Cento, ein Patchwork von homerischen Formeln, die von ganz verschiedenen Stellen

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der Ilias und der Odyssee her stammen:207 in Nikarchs Gedicht sind sie auf raffinierte Weise neu zusammengefügt (etwa durch auf neue Substantive übertragene Epitheta) und in ihrem Inhalt rekontextualisiert. Für die Parodie einer gegebenen poetischen Struktur, die mit ganz neuen (im Falle Nikarchs: vulgären) Inhalten gefüllt werden, bietet AP 11,119 eine enge Parallele (dazu s. Kap. I.1. ›Epigramme auf Ärzte‹). In beiden Fällen steht der Inhalt des Nikarchepigramms allein schon durch die Transposition in einem komischen Kontrast zum ernst gemeinten Prätext. Zu Beginn des 15. Buchs der Ilias liegt das Kampfesglück ganz eindeutig auf seiten der Achäer, nachdem Zeus durch eine Liebeslist eingeschläfert worden war: Poseidon kann offen auf der Seite der Achäer in den Kampf eingreifen. Umso heftiger ist die Reaktion des Zeus, als er erwacht und die List bemerkt. Er schickt Iris zu ihm mit der Depesche, unverzüglich von seinem Tun abzulassen, im Falle der Nichtbeachtung auch unter Androhung von Gewalt. Poseidon nimmt den Befehl entgegen und fügt sich, aber nicht ohne Murren. Jeder der drei Kronossöhne habe seinen Teil und seine Ehren (τιμαί) zugelost bekommen; die Erde aber sei gemeinsamer Besitz, in dem keiner mehr Rechte hat als der andere. Letzteres ist der Punkt, auf den die Argumentation hinzielt; von der Frage, wer sich in dieser gemeinsamen Domäne letztlich durchsetzen kann, hängt das Schicksal Trojas ab. In der nikarchischen Parodie sind die Schwerpunkte ganz anders gelegt. Ob auf der γῆ ξυνὴ πάντων sich der eine mehr Rechte ausnimmt als der andere, spielt hier keine Rolle. Wichtig ist vielmehr das Aufteilen und die (Neu-)definition der Bereiche, die jedem der drei durch Los zufallen. Die Exposition im ersten Distichon zeichnet für die Handlung durch ihren naiv-lockeren Erzählton (wir haben es hier in der Erzählfiktion mit einem Erlebnisbericht und nicht mit einem Verweis auf eine frühere Übereinkunft zwecks Legitimation zu tun wie in der Ilias) einen fast schon spielerischen Hintergrund, der auf jeden Fall frei von Spannungen sein soll. Mit für diesen Eindruck verantwortlich ist auch die Tatsache, dass die κοινὴ Κύπρις als selbstverständlichste Sache der Welt eingeführt wird, wenn einmal die Rollen bzw. die Bereiche verteilt sind. In der folgenden Beschreibung der drei ›Bereiche‹ in homerischem Vokabular ist eine seltsame Spannung zwischen epischer Würde und obszönem Inhalt fühlbar. Keine wertende Klassifizierung des einen oder anderen Loses ist zu erkennen, was im Falle der modrigen Tiefen des Hades besonders auffällig ist. Jeder scheint mit seiner ›Domäne‹ 207 Vollständige, d. h. ausschließlich aus Homer- (oder auch Hesiod- und Vergil)versen zusammengesetzte Centones gehören in der Spätantike (insbesondere bei christlichen Autoren) zu den beliebten literarischen Spielereien (vgl. a. Skiadas 1965: 158s.). Ein sowohl in der Umdeutung auf derb-sexuelle Inhalte wie auch im Einsatz von Wortspielen an Nikarch erinnerndes Epigramm (AP 9,361) stammt vom byz. Kaiser Leo dem Philosophen (866–912). Vgl. a. Mart. 11,104,13–6.

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zufrieden, und wie ›geordnet‹ das Ganze abläuft, wird nicht nur in Z. 2 durch den Namen der Ἀριστοδίκη, sondern insbesondere in Z. 4 nochmals in pointiert expliziter Weise betont. Allerdings sind die Bereiche, in denen sich Aristodike anbietet, für das Spottepigramm von verschiedenem Interesse. Für vaginalen Geschlechtsverkehr, ausgedrückt durch das Gleichnis von der ›grauen Salzflut‹, reicht eine Zeile; dass es die persona des Erzählers ist, die mit dieser Form verbunden ist, kommt wohl wenig unerwartet; so bleibt die Möglichkeit, mit den anderen beiden Formen, die traditionellerweise in das Motivinventar des Spottepigramms gehören, auch andere Namen zu verbinden. Dass im Folgenden die in homerische Euphemismen gekleideten Vorstellungen vom analen Geschlechtsverkehr am meisten Raum beherrschen, vermag kaum zu erstaunen, insbesondere seit man im POxy. 4502 fr. 1 einiges aus dem damit verbundenen Repertoir wiedererkennen kann (Kap. III.1; zur Vorstellung der damit verbundenen Beschmutzung vgl. die dort angeführten Stellen); für die an sich nicht so weit hergeholte Idee, gerade die anale Penetration in eine Katabasis zu kleiden, fehlen dagegen überraschenderweise die Parallelen. Schließlich ergibt sich durch die Übertragung des οὐρανός auf Zeus durch den Wortlaut ›setze als Zeus … ein‹ das gewiss nicht zufällige Paradox, dass der sexuell aktivste aller olympischen Götter in Nikarchs Kontext auf Oralverkehr eingeschränkt wird. Das emotionale Schwanken des Rezipienten zwischen affirmativer ›Mittäterschaft‹, Überraschung und Widerwille, das den Reiz der Parodie ausmacht, findet sich auch im letzten Distichon noch einmal, in dem endgültig (vgl. oben zu Z. 4) ganz klar wird, wer dieses Objekt dreifacher Begierde, in epische Formeln gehüllt, ist: γραῦς.208 Die Haltung dieser Figur gegenüber ist, wie man am deutlichsten aus AP 11,73 (Kap. I.2) ersieht, durchaus ambivalent, und auf dieser Ambivalenz beruht die in den Epigrammen angelegte Spannung. Einerseits ist es eine negative Ästhetik: durch die Nennung der abstoßenden körperlichen Merkmale wird dies in anderen Epigrammen ganz deutlich.209 Andererseits ist es einzig die Alte, die zu dreifachem Dienst am Kunden bereit ist und die hier beschriebene Konstellation überhaupt ermöglicht. Damit hat sich das Epigramm in der letzten Zeile in die Kategorie der Hetärenepigramme eingereiht, als deren elaboriertestes Beispiel es zweifellos angesehen werden darf.

208 Vgl. Longo 1967: 85 ›… solo alla fine precisa che costei era una vecchia. Così proprio attraverso la parola γραῦν il rapporto con lo σκῶμμα vero e proprio si fa più stretto, se pensiamo che la vecchia desiderosa ancora d’amore è uno dei tipi che ricorrono più frequentemente nell’epigramma scoptico.‹ 209 Dazu siehe Siems 1974: 99ss.

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II.14. cunnilingus

AP 11,329 Δημῶναξ, μὴ πάντα κάτω βλέπε, μηδὲ χαρίζου τῇ γλώσσῃ· δεινὴν χοῖρος ἄκανθαν ἔχει. καὶ συζῇς ἡμῖν, ἐν Φοινίκῃ δὲ καθεύδεις κοὐκ ὢν ἐκ Σεμέλης μηροτραφὴς γέγονας. Pl.: Ø – Tit. τοῦ αὐτοῦ 〈sc. Νικάρχου〉 P || 2 χοῖρος Brunck : χοιρὰς P || 3 καὶ συζῇς Brunck acc. Degani : κἂν συζῇς Piccolo : καὶ σὺ ζῇς P || 4 κοὐκ ὢν Salmasius : κουκαν P

Demonax, schau nicht die ganze Zeit nach unten, und erweise nicht deiner Zunge den Dienst: Ein Schwein hat einen fürchterlichen Stachel. Auch lebst du mitten unter uns, schlafen aber tust du in Phönikien und, obwohl du nicht von Semele abstammst, bist du zu einem Schenkelgenährten geworden.

Nachdem dieses Epigramm wegen eines Überlieferungsproblems in Z. 3 lange nicht richtig verstanden wurde, kann dessen Interpretation seit der Publikation des Artikels von Degani 1963 als gesichert gelten. Dieser besteht aus einem konzisen Kommentar, der alle nötigen Informationen liefert, so dass an dieser Stelle trotz weiterer Zusätze zumeist nur wiederholt werden kann, was bei jenem in vorbildlicher Weise bereits zusammengestellt und später von Schulte um einzelne Stellen erweitert wurde. Als wesentliches Charakteristikum des Epigramms darf wohl bezeichnet werden, dass kein deutliches Anprangern stattfindet, vielmehr zahlreiche Anspielungen zwischen den Zeilen geliefert werden. Worterklärungen: 1 Δημῶναξ Der Name (< Δημο-άναξ) erweckt die Assoziation einer wichtigen gesellschaftlichen Stellung des Trägers (›Anführer des Volkes‹); was im Folgenden als dessen Tätigkeit beschrieben wird, steht dazu in stärkstem Gegensatz (treffend beobachtet von Schulte). Die Symbolik des Namens muss sich aber nicht bloß auf ihre Wirkung e contrario beschränken. So lädt das Element Δημ- auch zu einer Interpretation im Sinne des πάνδημος ἔρως ein (›einer, der es mit allen treibt‹). – Was demgegenüber eine Verbindung mit dem von Lukian beschriebenen Kyniker Demonax (RE s. v. 1) angeht, so fehlen jegliche Anhaltspunkte, die eine Identifikation sinnvoll machen würden. Demonax ist zwar ein vergleichsweise nicht allzu

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Einzelthemen

häufig bezeugter Name; er kommt aber immerhin auch in früheren dokum. Papyri vor: PErasm. 1,3,4 (166 v. Chr.); PHeid. 3,228 (3. Jh. v. Chr.). – πάντα hier ›die ganze Zeit‹ (s. Preisigke s.v. πᾶς 2). – κάτω βλέπε Die Ironie der Formulierung liegt darin, dass damit sonst u. a. αἰδώς zum Ausdruck gebracht wird (Erffa 1937: 72s.): vgl. Plut. Cato Min. 65,6 (von Soldaten) πάντες δ’ ὑπ’ αἰσχύνης σιωπῇ καὶ κάτω βλέποντες ἀπῄεσαν; de vit. pudore 528e τὴν κατήφειαν ὁρίζονται λύπην κάτω βλέπειν ποιοῦσαν; Dio Chrysost. Or. 5,14 τὰ δὲ μένειν ἀτρεμοῦντα καὶ κάτω πολλάκις βλέποντα, μιμούμενα γυναῖκα κοσμίαν; Ach. Tat. Leuc. et Cleoph. 6,6,4 ὡς δὲ ἔνευσεν εἰς τὴν γῆν, λέγει· »Τί κάτω βλέπεις, γύναι; τί δέ σου τὸ κάλλος τῶν ὀφθαλμῶν εἰς γῆν καταρρεῖ; …« (vgl. Charit. 5,8,6); Lukian. dial. mar. 15,4; Icar. 15; Jul. Misop. 351a (vom Schulknaben); Aristain. epist. 1,19; Musaios Hero 160s. Παρθενικὴ δ’ ἄφθογγος ἐπὶ χθόνα πῆξεν ὀπωπὴν | αἰδοῖ ἐρευθιόωσαν ὑποκλέπτουσα παρειὴν; Ter. Eun. 580 terram intuens modeste; Sen. contr. 2,7,3 etc.; im Epigramm AP 5,253 (Eirenaios Referendarios) Τίπτε πέδον, Χρύσιλλα, κάτω νεύουσα δοκεύεις | καὶ ζώνην παλάμαις οἷά περ ἀκρολυτεῖς; auch AP 12,8,5; 176,3. Bei Nikarch dagegen ist der Ausdruck in obszönem Sinne gemeint und steht damit in genauem Gegensatz zu einer Reaktion aus schamvoller Verlegenheit. – μηδὲ χαρίζου τῇ γλώσσῃ In der bei Degani und Schulte angegebenen Stelle Eur. Or. 1514 δειλίᾳ γλώσσῃ χαρίζῃ ist der Sinn anders, nämlich ›du sprichst aus Feigheit anders als du in deinem Innern denkst‹ (vgl. Σ ad loc.); mit der Ergänzung γαστρί wird die Wendung für Gourmets verwendet, die sich Schlemmereien hingeben (z. B. AP 9,367; 573). Für die vorliegende Stelle hingegen gilt: ›ovviamente traspare il senso di ore morigerari‹. 2 χοῖρος Hier wird mit der klassischen Doppeldeutigkeit = γυναικεῖον αἰδοῖον gespielt; vgl. am deutlichsten die visuelle Verdeutlichung in Aristophanes’ Szene mit dem Megarer, der aus Armut seine als Schweinchen ›verkleidete‹ Töchter verkaufen will (Ach. 739ss.); ganz ähnlich der Wortwitz auch in AP 11,218 (Krates v. Malles; s. zu Z. 4). S. ferner Henderson § 110s.; Radermacher 1940. – ἄκανθαν Schulte übersetzt ›Ein Schwein hat eine gefährliche Borste‹. Ein solcher Gebrauch lässt sich allerdings für ἄκανθα ansonsten nicht finden. Gemeint ist hier wohl das ›Stachelschwein‹, ἀκανθόχοιρος, das bei den Cyranides 2,13 als ἐχῖνος χερσαῖος umschrieben ist (cf. a. Hesych s.v. ἐχῖνος). Zur Verwendung der Begriffe κέντρον und ῥόδον in erotisch-obszönem Kontext s. auch Höschele 2006: 92s. 3 συζῇς ἡμῖν Dies Bruncks überzeugende und von Degani übernommene Korrektur für das nicht verstandene σὺ ζῇς †ἡμῖν†. Sie löst die Verständnisprobleme auf elegante Weise: nun besteht ein klarer Gegensatz zum folgenden Satz ἐν Φοινίκῃ δὲ καθεύδεις: du lebst zwar mitten unter uns, aber die Nacht verbringst du in … – ἐν Φοινίκῃ δὲ καθεύδεις = φοινικίζει = cunnum lingis (bei Krenkel 1980: 78 ungenau). Vgl. Gal. simpl. med. 10,1 (= 12,249 Kühn) πολὺ δ’ αὐτοῦ βδελυρώτερον ἡγοῦμαι τὴν κόπρον εἶναι.

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II.14. cunnilingus

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καὶ μεῖζόν γε ὄνειδός ἐστιν ἀνθρώπῳ σωφρονοῦντι κοπροφάγον ἀκούειν ἢ αἰσχρουργὸν (=fellatorem cunnilingumque) ἢ κίναιδον, ἀλλὰ καὶ τῶν αἰσχρουργῶν μᾶλλον βδελυττόμεθα τοὺς φοινικίζοντας τῶν λεσβιαζόντων (=fellatores), ᾧ φαίνεταί μοι παραπλήσιόν τι πάσχειν ὁ καὶ καταμηνίου (= menses) πίνων; Lukian. Pseudol. 28; Hesych σ 1164 s.v. σκύλαξ; Σ in Aristoph. Pacem 883. Wie die Stelle bei Galen zeigt, wurde zwischen cunnilingus und Menophagie kein größerer Unterschied gemacht (wohl diente letzteres auch als ›Etymologie‹ für φοινικίζειν) und beides auch in die Nähe von κοπροφαγεῖν gestellt (dazu s. Siems 1974: 127ss.; zu unserem Gedicht 129ss.). Mit ἐν Φοινίκῃ δὲ καθεύδεις ist daher mit Sicherheit auch bei Nikarch auf das Menstruationsblut angespielt; die Assoziation Φοινίκη = ›Rotes Meer‹ ist naheliegend, wenn man bedenkt, dass Nikarch das Bild der πολιὴ ἅλς auch sonst für den weiblichen Genitalbereich verwendet hat (s. AP 11,328,3; oben II.13). Während das Thema ansonsten, wie nicht verwunderlich, weitgehend tabuisiert ist, findet es sich noch in der überaus detaillierten Schilderung der αἰσχραὶ ἡδοναί bei Aristoph. Eq. 1284ss. (nach Siems 1974: 131 ›die mit Abstand abstoßendste Stelle der antiken Literatur‹; Henderson § 391), nachdem bereits in Eq. 1088 in der gegenseitigen Beschimpfung zwischen Wursthändler und Paphlagonier zu diesem Bild gegriffen wurde: … Καὶ γὰρ ἐμοί· καὶ γῆς καὶ τῆς ἐρυθρᾶς γε θαλάσσης, | χὤτι γ’ ἐν ’Εκβατάνοις δικάσεις, λείχων ἐπίπαστα (nicht bei Henderson). – Zu καθεύδω in der Bedeutung ›die Nacht verbringen‹ mit erotischem Nebensinn s. Hom. Od. 8,313 τώ γε καθεύδετον ἐν φιλότητι (Mythos von Ares und Aphrodite); Sappho 168B,4 Voigt ἐγὼ δὲ μόνα κατεύδω; Plat. Symp. 219d. 4 οὐκ ὢν ἐκ Σεμέλης μηροτραφὴς γέγονας Die Anspielung geht auf Dionysos’ Geburt aus Zeus’ Schenkel, wo er nach Semeles Tod eingenäht war (zum Mythos s. Eur. Bakch. 1ss.; 94ss.; 262ss.; [Apollod.] Bibl. 3,4,3, wonach das Kind damals im 6. Monat war; cf. Lukian. Dial. deor. 9,2). Das Verbum τρέφειν macht die obszöne Umdeutung im Sinne von Demonax’ Neigungen besonders leicht und offensichtlich. Wortspiele mit μῆρος haben im Epigramm bereits Tradition: vgl. Rufin AP 5,36 (dort mit dem Eigennamen Μηριόνης, der für die vagina steht: Z. 5 μέσος μηρῶν; zum Ged. allg. Höschele 2006: 106ss.); Krates AP 11,218 Χοιρίλος Ἀντιμάχου [beides Dichter der AP; zum Spiel mit χοιρ- oben Z. 2] πολὺ λείπεται· ἀλλ’ ἐπὶ πᾶσιν | Χοιρίλον Εὐφορίων εἶχε διὰ στόματος | καὶ κατάγλωσσ’ ἐπόει τὰ ποήματα καὶ τὰ φίλητρα | ἀτρεκέως ᾔδει· καὶ γὰρ Ὁμηρικὸς ἦν; eine ähnliche Zweideutigkeit schon in AP 7,406 (Theodoridas; 3. Jh. v. Chr.). In all diesen Beispielen sollte gewiss auch die Praxis des διαμηρισμός anklingen; vgl. dazu Dover 1989: 98. Er weist darauf hin, dass der Anwendungsbereich für διαμηρίζειν in der hetero- wie in der homoerotischen Sphäre liegt; vgl. z. B. Aristoph. Av. 669 (weibl. Bereich) und AP 12,97 und 247 (männl. Bereich). – Der Ansicht Schultes, dass auch in AP 5,38 von Nikarch, wo in

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Einzelthemen

der letzten Zeile fellatio angesprochen ist, mit dem zweimal genannten Namen Σίμυλε eine Anspielung auf Σεμέλη verbunden sein soll, stehe ich etwas skeptisch gegenüber; vgl. den Kommentar an entsprechender Stelle (Kap. I.2; Fn. 94). Sexuelle Verunglimpfung in der Gestalt des Vorwurfs, jemand pflege abartige Formen sexueller Befriedigung, ist ein traditionelles Mittel iambischer Invektive und begegnet, wie oben gesehen, überaus häufig in der Alten Komödie.210 Im Spottepigramm wird gerne auf die Spannung gesetzt, die die versteckten Andeutungen erzeugen, ob ein gehegter Verdacht nun wirklich durch weitere Signale auch seine Bestätigung findet. Im vorliegenden Gedicht, in dem die Anspielungen so offensichtlich sind, dass man von einer solchen ›Spannung des Entdeckens‹ von Hinweisen auf die ἄρρητα nicht mehr wirklich sprechen kann, zielt das Interesse eher in eine andere Richtung, nämlich mit welchen geistreichen Assoziationen der Dichter das längst Entdeckte noch ausdrücken wird. Entsprechend wird nicht bloß über die Person gesprochen, von der es ἄρρητα zu erzählen gibt, sondern diese – und dies ist als bemerkenswert hervorzuheben – wird in der literarischen Fiktion direkt angesprochen und in scheinbar freundschaftlich-wohlgemeinter Weise auf eventuelle Gefahren hingewiesen. Dieser von der ursprünglichen iambischen Denunziation sich deutlich abhebende Ton (der Unterschied wird sofort deutlich, wenn man zum Vergleich etwa das jener noch viel näher liegende Epigramm AP 11,218 heranzieht) behält aber die Tabuisierung gleichzeitig bei; die dadurch geschaffene Notwendigkeit, in Bildern zu reden, wird geradezu zelebriert. In seinem Aufbau besitzt das Epigramm auffällige inhaltliche wie formale Parallelen – soweit rekonstruierbar – zum neuen Gedicht POxy. 4502 fr. 1 (Kap. III.1). Wie im vorliegenden Fall so handelt es sich auch dort um eine von der persona des Dichters an den Betroffenen gerichtete Warnung, in Form eines negativen praeceptum (vgl. dort Z. 1 … ]να μὴ πύγιζε; hier μὴ πάντα κάτω βλέπε), mit dem einzigen Unterschied, dass es in jenem Fall offensichtlich um einen pedicator und nicht wie hier um einen cunnilingus geht. In beiden Fällen wird die Tätigkeit des Angesprochenen gleich in der ersten Zeile genannt, und ebenso wird die Ermahnung jeweils durch μηδέ weitergeführt, worauf dann weitere Details folgen und so die erzählerische Darstellung dessen, was denn der Angesprochene genau treibt, doch möglich wird. Der Grund für die ausgesprochene Warnung wird in beiden Fällen mit einer inhärenten Gefahr angegeben, die abschreckend wirken soll: auch hier sind Vokabular und Vorstellungshorizont also ganz ähnlich: POxy. 4502 fr. 210 Brecht 1930: 53s. Nach den Kriterien einer Kontra-Ästhetik, die mit dem Einsatz ekelerregender Bilder arbeitet, in denen sich das ›Hässliche‹, d. h. in der antiken gesellschaftlichen Wertung Unakzeptable manifestiert, ist das Material präsentiert bei Siems 1974; insbes. 126ss.

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II.14. cunnilingus

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1,7 εἰς ἥβην πικρὸν ἵησι βέ[λος; AP 11,329,2 δεινὴν χοῖρος ἄκανθαν ἔχει. Auf der Oberflächenebene geht es also zunächst einmal um den gutgemeinten Rat, sich nicht durch leichtsinniges Handeln zu verletzen. Dieser Rat, und das ist von Beginn des Epigramms an klar, ist selbstverständlich durchwegs spöttisch zu verstehen. Es lässt sich also feststellen, dass durch den Gegensatz zwischen dem scheinbar freundlichen Ton und der demaskierenden Deutlichkeit eine emotionale Doppelbödigkeit entsteht, wie sie für Nikarch als recht charakteristisch angesehen werden kann. Und diese Doppelbödigkeit, die in den beiden Distichen geschaffen wird, schafft eine neue Art von Spannung in der Geschichte der Verarbeitung eines delikaten Themas wie des cunnilingus, zudem befindet sich das Gedicht, in den Anklängen an den διαμηρισμός, in einer eigentümlichen Schwebe zwischen hetero- und homosexuellen Praktiken, die auch am Ende bestehen bleibt.

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II.15. Die ὀζόστομοι

Die hier vereinigten Epigramme behandeln das in der Aischrologie traditionelle ore impurus-Motiv, das sich auf die antike Vorstellung stützt, dass Personen, die sich als fellator bzw. als cunnilingus betätigen, im Munde unrein sind und entsprechenden Geruch ausströmen lassen. Die Karikatur von Personen, denen dieser Vorwurf angehängt wird, schreckt dabei, wie man sich leicht vorstellen kann, auch vor ekelhaften Vorstellungen nicht zurück. Der realweltliche Hintergrund besteht im gesellschaftlichen Ausschluss von Leuten, die im Verdacht der nicht sanktionierten Sexualpraktiken stehen; eine Vorstellung davon kann man sich bilden, wenn es zur Überlagerung mit der Thematik des Essens kommt und die anderen Teilnehmer am Gastmahl oder auch der Gastgeber plötzlich keine Lust mehr haben, den von einem ὀζόστομος benutzten Becher nochmals zu brauchen. Das Thema ist umfassend aufgearbeitet bei Obermayer 1998: 214ss. Nikarchs Beiträge zu diesem Motivkomplex können insgesamt (etwa im Vergleich zu Martial: 2,10; 3,28; 77; 6,66; 11,95; 12,21–3; vgl. a. Cat. 79; 97,2 utrum os an culum olfacerem Aemilio; Iuv. 6,51) als marginal bezeichnet werden: die Beispiele zeigen keine Merkmale besonders raffinierter literarischer Ausarbeitung und erwecken daher eher den Eindruck von αὐτοσχεδιασμός (vgl. Einleitung p. 87); AP 11,242 könnte als Minimalvariante zum etwas ausgereifteren Stück AP 11,241 angesehen werden. Sie mit dem Problem der πορδή in Verbindung zu bringen, wie es Schulte in der Einleitung zu AP 11,241 tut, scheint mir vor dem geschilderten Hintergrund der motivischen Tradition und trotz des Vorkommens des Verbs βδέω und der natürlich mitspielenden Assoziationen von sekundärer Relevanz. a. AP 11,252 Εἴ με φιλεῖς, μισεῖς με, καὶ εἰ μισεῖς σύ, φιλεῖς με· εἰ δέ με μὴ μισεῖς, φίλτατε, μή με φίλει. Pl.: IIa,14,2 f. 23v; Laur. 32,16. – Tit. τοῦ αὐτοῦ 〈sc. Νικάρχου〉 P : Νικάρχου Pl : om. Laur. (Lemma: εἰς βαθύοδμον B in marg.) || 1 post σύ interpunx. Pl Laur.

Wenn du mich küsst, hasst du mich, und wenn du mich hasst, küsst du mich; wenn du mich aber nicht hasst, mein Liebster, dann küss mich nicht!

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II.15. Die ὀζόστομοι

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Dieses Epigramm konzentriert sich auf den in der Doppeldeutigkeit von φιλεῖν (›lieben‹, ›küssen‹) beruhenden Wortwitz, ganz ähnlich wie das auch bereits in etwas weiter ausgebauter Form Philogelos 234 und AP 11,219 (Antipater von Thessalonike) tun. Die Texte wurden bereits in der Einleitung p. 110s. ausführlicher behandelt, weswegen ich dorthin verweise. Es sei noch erwähnt, dass selbstverständlich nicht in allen Texten, die mit dem Kontrast von φιλεῖν und μισεῖν operieren, diese Doppeldeutigkeit im Vordergrund steht. In vielen Fällen geht es vielmehr darum, dass ein Übermaß an Liebesbekundungen auch in Hass umschlagen kann; dazu s. u. a. Theophrast bei Plut. Cato Min. 37,3 μεμψάμενος δὲ μετρίως οὐ μετρίας τυχεῖν ἀποκρίσεως, ὅτι κινδυνεύει τὸ λίαν φιλεῖν, ὥς φησι Θεόφραστος (frg. 82 Wimmer), αἴτιον τοῦ μισεῖν γίνεσθαι πολλάκις; Aristain. epist. 1,22 … ἤθελε πρὸς μῖσος αὐτῇ μεταβληθῆναι τὸ φίλτρον. αἴτιον δὲ ἦν τοῦ βούλεσθαι μισεῖν τὸ λίαν φιλεῖν. In diesen Themenkreis gehört letztlich auch das Epigramm AP 11,390 (Lukillios). b. AP 11,242 Οὐ δύναμαι γνῶναι, πότερον ἔχανεν Διόδωρος ἢ βδῆσ’· ἓν γὰρ ἔχει πνεῦμα κάτω καὶ ἄνω. Pl.: IIb,8,11 (iunct. cum praeced.) f. 87v – Tit. τοῦ αὐτοῦ 〈sc. Νικάρχου〉 P || 1 ἔχανεν Pl : χαμαὶ P : χαίνει Jacobs || Διόδωρος P : Θεόδωρος (cf. AP 11,241) Pl || 2 ἢ βδῆσ’· ἓν γὰρ ἔχει Eldick : ἤβδησεν ἔχει γὰρ P : ἢ βδέσ’· ἔχει γὰρ ἔχει Pl || κάτω Pl : καὶ κάτω P.

Ich kann nicht erkennen, ob Diodoros gegähnt hat oder gefurzt: er hat denselben Atem unten und oben.

Worterklärungen: 1 ἔχανεν Es geht hier wohl einfach um die Gegenüberstellung der beiden Verben an sich; bei χαίνειν einen durativen Aspekt hervorzuheben, ist nicht zwingend nötig und rechtfertigt daher keinen Eingriff in den überlieferten Text. – 2 πνεῦμα Für übelriechenden Atem vgl. noch AP 11,240 (Lukillios). Die Verwendung des Worts πνεῦμα auch für ›Wind‹ ist völlig üblich; vgl. z. B. Aristot. Probl. 948b25 τῶν δὲ φοβουμένων κατέψυκται τὸ σῶμα καὶ τὸ θερμὸν κάτω ἐνήνεκται, ὃ ποιεῖ πνεύματα; für die Diätetik Dioskorid. mat. med. 2,112 ῥαφανὶς … πνευμάτων γεννητική, εὔστομος, οὐκ εὐστόμαχος etc. c. AP 11,241 = POxy. 3725 fr. 2 Τὸ στόμα χὠ πρωκτὸς ταὐτόν, Θεόδωρε, σοῦ ὄζει, ὥστε διαγνῶναι τοῖς φυσικοῖς καλὸν ἦν ἢ γράψαι σε ἔδει, ποῖον στόμα, ποῖον ὁ πρωκτός· νῦν δὲ λαλοῦντός σου 〈βδεῖν σ’ ἐνόμιζον ἐγώ〉.

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Einzelthemen Pl.: IIb,8,11 f. 87v; POxy. 3725 fr. 2. – Tit. Νικάρχου P (om. Pl) : ἐπὶ σα.[ POxy. (i.e. ἐπὶ σαπ̣[ροστόμου? Parsons) || 1 χὠ Pl : χὡ P || ταὐτόν, Θεόδωρε, σοῦ Pl : ταυτὸν θεώδορέ σου P || 3 ἢ Pl : ἦ P || σε ἔδει P Pl : σ’ ἂν ἔδει Boissonade || ποῖον2 Pl (ν supra ς scriptum quod iam in loco ν scriptum erat) : ποῖος P Lascaris || βδεῖν σ’ ἐνόμιζον ἐγώ suppl. Jacobs : κἄμμιγα περδομένου suppl. Aldina 2 (iuncto, ut fit in Pl, ep. 242).

Dein Mund und dein Hintern, Theodoros, riechen gleich, so dass es für Biologen zum Ruhm gereichen würde, den Unterschied festzustellen, oder du anschreiben müsstest, welches der Mund und welches der Hintern ist. Nun , wenn du sprichst.

Worterklärungen: 1 σου In seiner pointierten Stellung nach dem Eigennamen ist das Pronomen gelöst von seinen Bezugswörtern στόμα und πρωκτός, zu denen es dem Sinnzusammenhang gemäß gehört. Es besteht daher keine syntaktische Verbindung zum unmittelbar benachbarten Verb ὄζει, wie man dies auf den ersten Blick annehmen könnte, wird doch ὄζειν auch regelmäßig mit Gen. konstruiert (›nach etw. riechen‹; cf. Aristoph. Nub. 50 ὄζων τρυγός). Vielmehr wird das Hyperbaton, das in der ersten Zeile von links her zum Pronomen σου hinüberreicht, auf der rechten Seite von einem zweiten gespiegelt, das ταὐτόν mit ὄζει (Ergänzung mit adv. Akk. ist ebenfalls häufig; cf. LSJ s.v.) verbindet und somit eine achsensymmetrische Satzstruktur bildet. 2 διαγνῶναι Schulte ad loc. zählt das Verb zum ›ärztlichen Spezialvokabular‹ unter Verweis auf Galen. de plenitud. 6 (= 538,13; 15 Kühn) (›Diagnose stellen‹; s. a. LSJ s.v. I 3). Mehr noch scheint mir hier der Aspekt wichtig, der u. a. auch zu ersterer Bedeutung führte, nämlich der des naturwissenschaftlich genauen Auseinanderhaltens; cf. Aristot. Hist.an. 613a16 διαγνῶναι τὴν θήλειαν καὶ ἄρρενα; 501b11 Τοὺς δὲ κύνας διαγινώσκουσι τοὺς νεωτέρους καὶ πρεσβυτέρους ἐκ τῶν ὀδόντων. – διαγνῶναι ἐκ τῆς ὀσμῆς präsentiert sich in diesem Fall als eine subtile, schwierige Angelegenheit. – τοῖς φυσικοῖς Entsprechend stellt sich die Frage, ob φυσικοί tatsächlich, wie das Aubreton, Beckby und Schulte mit fast unheimlicher Sicherheit tun, mit ›Ärzte‹ zu übersetzen ist (andererseits findet sich weder bei Jacobs noch bei Dübner eine solche Zuweisung), oder ob nicht ›(empirisch forschende) Naturwissenschaftler‹ (teilweise auch = ›Vorsokratiker‹) das Akkuratere wären. Gegen erstere Deutung spricht u. a., dass LSJ nirgends eine Verwendung von ὁ φυσικός im Sinne von ἰατρός erwähnen. Anders Schulte, der diese Bedeutung als ›später‹ aufführt und sie mit AP 12,13,2 untermauert, was mir weniger stichhaltig erscheint (dort steht der Begriff als Adj. zu ἀντίδοτος; als ›Beleg‹ demnach nicht gut brauchbar; zur Stelle s. unten p. 362). Weiter auffällig ist die Tatsache, dass in sämtlichen Spottepigrammen, sowie den Anekdoten des Philogelos auf Ärzte nirgends für diese der

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II.15. Die ὀζόστομοι

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Terminus φυσικός auftaucht; dasselbe gilt ferner auch für lat. physicus. Die Vorstellung eines Biologen (genauer: eines Zoologen), der verschiedene Körperteile von Lebewesen systematisch miteinander vergleicht, hat nicht nur den Vorteil, dass sie durch die Evidenz gestützt ist, sondern bringt die Absurdität der Situation m.E. viel besser zur Geltung. – καλὸν ἦν M.E. treffend umschrieben bei Jacobs ad loc. (X 37): decori esset physicis, si hoc tam subtile discrimen dignoscere possent – aber genau dies ist im Fall des Theodorus unmöglich! 3 ἢ Entgegen verbreiteter Praxis in den Ausgaben wird hier auch in diesem Punkt der Lesart der APl der Vorzug gegeben. Die syntaktische Lösung, die die Wahl von ἦ ›wirklich, in der Tat‹ mit sich bringt, nämlich den Satz am Ende von Z. 2 enden zu lassen und Z. 3 zu einer eigenständigen Feststellung zu machen, scheint mir wenig befriedigend, denn sie führt zu einem merkwürdigen Ungleichgewicht in der Gesamtstruktur des Epigramms. Gegen die Wahl von ἦ sprechen weitere Gründe: a) bekräftigendes ἦ begegnet nur in poetischer Sprache. Solche Elemente kommen bekanntlich zwar immer wieder bei Nikarch vor, meist in Verbindung mit einer Wendung zurück in (derbe) Alltagssprache und mit entsprechender Kontrastwirkung (vgl. Einleitung p. 33s.); zum Gebrauch im Spottepigramm vgl. AP 11,247 (Lukillios) Ἦ πέλαγος πλέομεν … In der vorliegenden Situation findet sich allerdings nichts damit Vergleichbares; die Verwendung einer einzelnen stilistisch abweichenden, inhaltlich aber eher irrelevanten Partikel kann hier kaum bereits als bewusst eingesetztes Stilmittel angesehen werden. b) Der Konnex zwischen Zeile 2 und 3 wäre inhaltlich wenig befriedigend und bliebe im Gegensatz zum sehr konkreten, deftigen Thema in einer unerklärlichen Schwebe, wenn nicht sogar Widersprüchlichkeit, denn nach Zeile 2 wirkt Zeile 3 eher schwach: »(2) es wäre für ›Physiker‹ ein Ehrenstück, Unterscheidungskriterien zwischen den beiden Öffnungen zu definieren; (3) tatsächlich – du müsstest eigentlich anschreiben, welcher Körperteil nun welcher ist« (m.a.W. würde ἦ dann nicht die Feststellung in Zeile 2, sondern vielmehr diejenige in Zeile 1 bestätigen). Diese Probleme verschwinden mit der Übernahme der Lesart ἢ: die Sätze in Zeile 2 und 3 sind nun als parallele Konsekutivsätze mit je einer gedachten Folge auf gleicher Stufe von ὥστε abhängig. Für ἢ kann überdies ins Feld geführt werden: a) die Deutung von Zeile 2 und 3 als zwei Nebensätze auf gleicher Stufe fände sich auch durch parallele Moduswahl bestätigt (vorgestellte Folge sowohl in ἦν als auch in ἔδει); b) die Entsprechung von Anfang und Ende des Satzes in Z. 1–3: (1) τὸ στόμα χὠ πρωκτὸς … (3) ποῖον στόμα, ποῖον ὁ πρωκτός. 4 λαλοῦντος Hier wie bei späteren Autoren üblich neutral gebraucht, ohne negative Kennzeichnung dessen, was gesagt wird (LSJ III), auch wenn dem Sprecher hier ebenfalls nicht gerne zugehört wird. – 〈βδεῖν σ’ ἐνόμιζον ἐγώ〉 Ergänzungsvorschlag von Jacobs für die in der Überlieferung ausgefallene Pentameterhälfte, der dazu schreibt: sed ejusmodi hariolationibus

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Einzelthemen

nihil incertius. In der Tat geht es nicht um einen agrestis homo, qui inter loquendum etiam pedat, sondern um den schon aus Philogelos 233 bekannten Witz, dass εἰπεῖν und βδεῖν bei einigen Personen nicht zu unterscheiden sind. Schulte lobt mit Recht an Jacobs’ Vorschlag die Responsion von ἐγώ am Versschluss auf σου vor der Pentameterfuge.

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II.16. Königin πορδή

Auch wenn Schulte gewiss darin beigepflichtet werden kann, dass das folgende Epigramm nicht zu Nikarchs Meisterwerken gehört, ist es interessanterweise in der Überlieferung besonders gut vertreten. Anders als bei diesem, der es zusammen mit AP 11,241 und 242 als ›drei Varianten‹ zur πορδή gruppiert, soll hier durch die Setzung einer neuen Kapitelüberschrift das Gedicht von den eben genannten, bei denen das ore impurus-Motiv im Vordergrund steht, geschieden werden. Sein komisches Potential gründet primär auf der expliziten Nennung des Begriffs, den man im Normalfall umschreibt, eine einfache Strategie, wie sie bei Aristoph. Ran. 10 diskutiert, gleichzeitig so aber auch ausgeführt wird (s. oben p. 177). Hier wird in geradezu naiver Weise, gleichzeitig in gewichtige Worte gekleidet, festgestellt, wie mächtig die πορδή sein kann, und dann wiederum mit auffälliger Langsamkeit – die Feststellungen der ersten beiden Zeilen werden in der dritten nochmals wörtlich aufgenommen – der Schluss daraus gezogen. Die fast penetrant wirkende Wiederholung des Provokationsbegriffs in jeder Zeile besitzt ihre nächste Parallele in literarischen Techniken Catulls (vgl. Einleitung p. 35 Fn. 56). Eine besondere Nähe besteht ferner zum in der Einleitung p. 103 erwähnten sog. Charition-Mimus, wo der Effekt des σῴζειν sogar noch weitreichender ist. Für die Details soll der Hinweis auf die dortige Besprechung genügen. – Über das selbe Thema, aber viel komplexer, da in eine ganze Erzählung einer peinlichen Situation gebettet (Verehrung des Zeus im Kapitoltempel), handelt ein Epigramm Martials (12,77); in der Verwendung als Seitenhieb begegnet es ferner in 7,18,9s. und 10,15,10. AP 11,395 Πορδὴ ἀποκτέννει πολλοὺς ἀδιέξοδος οὖσα, πορδὴ καὶ σῴζει τραυλὸν ἱεῖσα μέλος. οὐκοῦν εἰ σῴζει καὶ ἀποκτέννει πάλι πορδή, τοῖς βασιλεῦσιν ἴσην πορδὴ ἔχει δύναμιν. Pl.: IIa,44,1 f. 27v (Lemma: εἰς πορδήν Pl) (postea totum epigramma erasum est in Planudeo, sed vestigia dinoscuntur haudque deest epigramma in apographis edd.que vett. codicis Planudei; cf. Cameron 1993: 353ss.); Laur. 32,16; Laur. 31,28. – Tit. Νικάρχου P Pl (om. Laur. 32,16) || 3 εἰ] καὶ P || πάλι] πάλιν P

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Einzelthemen

Der Furz tötet viele, wenn er ohne Ausgang ist, der Furz rettet auch, wenn er einen stotternden Klang ertönen lässt. Also: wenn der Furz rettet und umgekehrt auch tötet, dann hat der Furz eine Macht den Herrschenden gleich.

Worterklärungen: 1 πορδή Dieses Wort (mit zugehöriger Familie) gehört ebenso wie βδέω zu den Begriffen aus der Fäkalsprache, die in der Antike erstaunlich streng tabuisiert waren (strenger als sexuelle Perversion; vgl. Obermayer 1998: 183 Fn. 177; zur Bestimmung und psychologischen Funktion von ›primary obscenities‹ cf. Henderson 1991: 35ss.) und deshalb fast nur dort vorkommen, wo ein expliziter Tabubruch intendiert ist: bei Aristoph. neben der bereits genannten Stelle nochmals in Nub. 394 in der Karikatur des etymologisierenden Sokrates, der βροντή (ausgesprochen wohl βορ(ν)τή; cf. Dover ad loc.) und πορδή gleichsetzt. – ἀποκτέννει Dies die in der LXX übliche Koine-Schreibweise (BDR § 73,3). – ἀδιέξοδος Wie schon Schulte festgestellt hat, wird das Wort fast durchgehend passiv (›undurchdringlich‹) verwendet. Eine Ausnahme hierzu ist Plut. Aqua 957d. 2 σῴζει Blähung nach dem Essen und die Möglichkeit, sich davon zu befreien, scheinen in der Gastmahlskultur ein so gerne diskutiertes Thema gewesen zu sein, dass es auch in die Literatur Eingang gefunden hat; vgl. Suet. Claud. 32; Petr. Sat. 47,4ss. nemo nostrum solide natus est. ego nullum puto tam magnum tormentum esse quam continere … multos scio sic periisse. – τραυλὸν Auch dieses Wort besitzt eine eingeschränkte Verbreitung (frühester Beleg ist Hdt. 4,155): während τραυλίζω in der Komödie eine gewisse Beliebtheit besitzt, finden sich sowohl Adj. wie auch Verbalableitung besonders in medizinischen Texten. Beim Gebrauch im vorliegenden Fall könnte man gar an Onomatopoesie denken, die den Klang der πορδή nachahmt. Ein komischer Kontrast zum niederen Gegenstand ist sodann mit der hochdramatisch (oder -episch) wirkenden Fügung τραυλὸν ἱεῖσα μέλος gegeben, wodurch man sich geradezu an eine Kriegstrompete erinnert fühlt (vgl. Enn. Ann. 140 Vahlen).

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III. Die neuen Texte

Dieser letzte Abschnitt vereinigt die 1987 und 1999 durch P. Parsons publizierten Texte und kleineren Fragmente auf POxy. 3725, 4501 und 4502, soweit sie nicht schon aus thematischen Gründen in vorherigen Kapiteln behandelt wurden.211 Da die Diskussion von Vorschlägen zur Textrekonstruktion stets alle Aspekte – lexikalische, strukturelle und motivgeschichtliche Überlegungen – gleichzeitig berücksichtigen muss, erschien es wenig sinnvoll, die in den anderen Abschnitten vollzogene Zweiteilung in eine ›technische‹, durch Lemmata gegliederte Sektion und eine interpretative Gesamtwürdigung in essayistischer Form fortzuführen. Es versteht sich von selbst, dass die Behandlung der Texte der mustergültigen Erstpublikation durch Parsons, die geprägt von vielen scharfsinnigen Beobachtungen ist, durch und durch verpflichtet ist; das Nachfolgende versteht sich daher als τεμάχη … τῶν Πέτρου μεγάλων δείπνων. Wenn hier eine erneute Untersuchung der Texte gewagt wird, dann geschieht es in der hauptsächlichen Absicht, sie den im vorhergehenden Abschnitt an den ›alten‹ Texten gewonnenen Erkenntnissen gegenüberzustellen. Eine erneute Sichtung der Originale im Papyrology Room der Sackler Library in Oxford ermöglichte es außerdem, seit der Erstpublikation publizierte Vorschläge zur Textergänzung212 kritisch zu überprüfen.213 Die Darstellung schließt mit einem Kapitel, das die wesentlichsten Aspekte dieser Texte nochmals zusammenfasst und den Stellenwert des Textzuwachses im Lichte des Gesamtprofils unseres Autors beurteilt.

211 POxy. 4502, 2b: Kap. II.3; 4502, 3: Kap. II.13; POxy. 4501, 1: Kap. I.4; POxy. 3725, 1: Kap. II.6; 3725, 2: Kap. II.15. 212 Vgl. die in der Bibliographie angeführten Beiträge von W. Luppe. 213 Ich möchte an dieser Stelle Dr. D. Obbink, dem Leiter der Abteilung, nochmals herzlich danken für das entgegengebrachte Vertrauen.

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III.1. Ein ›junggebliebener‹ pathicus?

POxy. 4502 fr. 1 …]να μὴ {.} πύγιζε . .π̣ε̣μμ̣[ …].̣με. . εὐρε[ί̣]ας ἀμφιβεβη̣[ …].τ̣ε μ̣ι̣σ̣θ̣ώ̣ ση̣[ι] πιθα. . .ε̣[ …]ον ὡ̣ [ρ]αῖον κόλλοπα ν[ 5 …]ο̣ν ὕπνον πύγιζε με̣σ̣.[ παύ]ου δ’, ἂν πεισθῆ[ι]ς ὀρθ̣ὰ̣ λέγ[ μὴ] κ̣{ε}ίνει Καμάριναν· ὁ γὰρ τόπο[ς – ⏑ ⏑ – – οὔ]λ̣ι̣ος εἰς ἥ{ι}βην πικρὸν ἵησι βέ[λος. 2 μελ̣ι̣ Parsons : μεν̣ο̣[ς] Luppe || ἀμφιβεβή̣ [κας Luppe || 3 τ̣ε μ̣ι̣σ̣θ̣ώ̣ ση̣[ι] posui : γεμι̣σ̣θ̣εὶ̣ ς ἧ̣ ι Luppe || πιθαν̣ὴ̣ ν̣ ε̣ Parsons Luppe || 4 κόλλ̣οπ’ ἀν[αινόμενος Parsons : κόλλ̣οπ’, ἄν[ωγα, φύγε Luppe || 6 παύ]ου Parsons || 8 οὔ]λ̣ι̣ος Luppe || βέ[λος Parsons

… den … durchdringe nicht … Kuchen …… weite ……… herumgeh[st (=umwirbst?) …. wirst du einen glaubwürdigen / attraktiven … anheuern … einen … jugendlichen (junggebliebenen?) Passiven …… … durchdringe im Schlaf ……. wenn du den Rat folgen willst, richtiges sagt. Bringe Kamarina nicht in Bewegung! Denn der Ort…… sendet ein verderbliches Geschoß in die Jugend.

Für dieses Epigramm hat W. Luppe in APF 46 (2000), 6–8, unter Verwendung von Ideen von P. Parsons folgenden Rekonstruktionsvorschlag publiziert: Αἵμο]να μὴ πύγιζ’ ἐ̣ π̣ὶ̣ π̣έ̣μ̣μ[ασιν, οἷσί νιν αἰεὶ μνώ]μεν̣ο̣[ς] εὐρε[ί]ας ἀμφιβέβη̣[κας ὁδούς ἂν δ]ὲ γεμι̣σ̣θ̣εὶ̣ ς ἧ̣ ι πιθαν̣ὴ̣ ν̣ ε̣[ἰσαγγελίαν σοι, ἠὲ τ]ὸν ὡ̣ [ρ]αῖον κόλλ̣οπ’, ἄν[ωγα, φύγε ἢ ’ς τ]ὸ̣ ν̣ ὕπνον πύγι̣ζε μέ̣σ̣η̣[ν κατὰ νύκτα μέλαιναν. παύ]ου δ’, ἂν πεισθῇς ὀρθ̣ὰ̣ λέγ[οντι φίλωι. μὴ] κίνει Καμάριναν· ὁ γὰρ τόπο[ς οὗτος ὑπάρχων bzw. ὅς ἐστιν οὔ]λ̣ι̣ος εἰς ἥβην πικρὸν ἵησι βέ[λος.

Nach einer eigenen Sichtung scheinen mir nicht alle Ergänzungen Luppes mit der Evidenz auf dem Papyrus in Einklang zu stehen, gewisse der vorgeschlagenen Formulierungen sind wohl etwas gar weit von der sonst zu be-

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III.1. Ein ›junggebliebener‹ pathicus?

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obachtenden generell einfachen Sprache Nikarchs entfernt. Im übrigen müssen gerade in den ersten Zeilen auch auf inhaltlicher Ebene einige Fragezeichen stehen bleiben. Der nachfolgende Kommentar versucht, die Überlegungen von Parsons und Luppe mit den neuen Lesungen und einigen zusätzlichen Aspekten zu verbinden. Für die technischen Details, die hier nicht alle nochmals wiederholt werden, sei aber nach wie vor auf die Erstpublikation von Parsons verwiesen. 1 μὴ πύγιζε ne paedicaveris. Für πυγίζω (›la vox propria per indicare il coito anale‹: Floridi ad Strat. 81,4) vgl. Stratons Epigramme AP 12,240, 243 und 245 (= 81, 85 und 87 Floridi); das anonyme AP 9,317 (Silen und Hermaphrodit; mit dem nachträgl. Titelzusatz μιαρόν ἐστι τὸ ἐπίγραμμα ὅλον καὶ αἰσχρουργότατον); Aristoph. Thesm. 1120; Theokr. Id. 5,41; SEG 31,824 (5. Jh. v. Chr.); 8,574,9 (3. Jh. n. Chr.); POxy. 3070,5 (1. Jh. n. Chr.; sexuell eindeutige ›Anfrage‹). Cf. Henderson § 450 s.v. πυγή. – Wie Parsons sagt, bietet vorliegendes Epigramm wohl ›a negative praeceptum amoris‹ (vgl. auch Floridi 2007: 329) und ist als solches offenbar ein Pendant zum Anfang des nächsten Epigramms, sowie zu AP 11,329 (Warnung an cunnilingus; auch dieser könnte, wie hier Z. 8, mit einem πικρὸν βέλος in Kontakt kommen). – Vor dem Ausdruck stand aller Wahrscheinlichkeit nach das Obj. zu πύγιζε: ein Eigenname (e. g. Αἵμο]να), oder eine Gruppenbezeichnung (e. g. ποιμέ]να; cf. wiederum Theokr. Id. 5,41), kaum μηθέ]να (cf. unt. ad III.3,2). Dass diese Zeile auch tatsächlich die erste des Epigrammes gewesen sein muss, darf man aus inhaltlichen Gründen als plausibel annehmen. – . .π̣ε̣μμ̣[ Für . . entweder π̣ι̣ (was mit elidiertem πύγιζ’ zu ἐπὶ zu ergänzen wäre) oder τ̣ὸ̣ ; beides ist paläographisch denkbar, insbesondere wegen der Anbindung des Mittelstrichs von ε an den nächsten Buchstaben, der τ oder π sein kann. Schwierigkeiten bereitet das darauf folgende π̣, wegen seiner doppelten Senkrechten am Anfang, die nirgends sonst auf dem Papyrus ein Vergleichsstück findet: ob diese Spezialität als Folge eines davor zu vermutenden angebundenen ι zu erklären ist? Auch die inhaltlichen Probleme bleiben m.E. trotz Luppes Erklärungsversuch bestehen (die πέμματα wären nach Luppe der ›Köder‹, mit dem der Geliebte umworben wird; ἐπὶ πέμμασι/-τι wäre hier als Ergänzung zu μὴ πύγιζ(ε) zu nehmen im Sinne von ›aufgrund von Kuchengebäck‹; ›indem du ihn durch Anbieten von Gebäck dafür gewinnst‹; vgl. zu Z. 2). Nach πύγιζε wäre im Grunde auch ein neuer Satzbeginn denkbar: ]να μὴ πύγιζε wäre dann einer der für Nikarch typischen Kurz-Sätze, der wie ein Titel das Epigramm eröffnet (dazu s. Einleitung p. 32). Der zweite Satz könnte dann ev. auch mit τὸ πέμμ[α beginnen. 2 ̣ με ̣ ̣ Was nach με folgt, sieht wohl auf den ersten Blick wie ν aus, doch stimmt die Form nicht mit den übrigen auf dem Papyrus überein: In den anderen Beispielen wird die Diagonale nämlich tendenziell vor der Senkrechten

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Die neuen Texte

begonnen, vor allem aber ist die Senkrechte hier leicht vornüber nach rechts gekippt, was zusammen mit der Seriphen an der zweiten Senkrechten vielleicht eher für die schon von Parsons erwogene Lesung λι spricht (auch sonst besitzen die ι einen leicht nach rechts gezogenen Fuß; vgl. im übrigen die erste Zeile von fr. 5 (III.4) auf demselben Papyrus). Damit scheint die Möglichkeit, hier eine Partizipialendung -μενο[ς] zu rekonstruieren, für die sich auch Luppe entschied, insgesamt wenig wahrscheinlich, ganz abgesehen vom Problem, dass nach μεν̣ nur für einen Buchstaben Platz bliebe (wohl ϲ). Dagegen passt ein μελ̣ι̣ nicht schlecht zu π̣ε̣μμα in Z. 1 (vgl. z. B. Galen de simpl. med. 7; p. 73,10 Kühn τοῖς διὰ μέλιτος πέμμασι). – εὐρε[ί̣ ]ας ἀμφιβεβη̣[ Luppes Rekonstruktion, wonach ›der Angeredete ständig mit seinen Keksen um den Angebeteten herum‹ schlenderte, ist, obwohl sich vieles davon auf hypothetische Ergänzung stützt, inhaltlich nicht unattraktiv (das letztlich vergebliche ständige Umgarnen des Geliebten). Es würde sich in diesem Fall um das handeln, was in AP 12,184,1 (Straton; = 25 Floridi), im übrigen ebenfalls in der Form eines praeceptum amoris, unter den ›Eroberungsstrategien‹ mit ἑλεῖν δόλῳ ausgedrückt ist. Nicht unwichtig ist möglicherweise die Feststellung, dass ἀμφιβέβηκ- außerhalb der homerischen Sprache (z. B. Il. 1,451s. ἀργυρότοξ’, ὅς Χρύσην ἀμφιβέβηκας | Κίλλάν τε ζαθέην … etc. ) nur sporadisch vorkommt. Es wäre also zumindest denkbar, dass Nikarch hier mit einem homerischen Versatzstück spielt, wie sich das auch in anderen Fällen zeigen lässt, um unmittelbar danach ins βάθος zu fallen, indem er einen derben Kontrastbegriff (in diesem Falle ein zu εὐρε[ί̣]ας kongruentes, iambisches Substantiv) setzt. Ist der Geliebte ein εὐρύπρωκτος, und daher die Warnung in Z. 1 (erwogen von Parsons)? Dann wäre etwa denkbar πυλάς (Henderson § 451), was auch neben ἀμφιβέβηκnicht ohne komische Wirkung bliebe. Gegenüber Luppes Vorschlag, der ein Obj. zu ἀμφιβέβηκ- außerhalb des erhaltenen Textes ansetzen muss, ist es wohl sinnvoller, εὐρε[ί̣]ας als Teil dieses Obj. zu behandeln. 3 ̣ τ̣ε μ̣ι̣ σ̣θ̣ώ̣ ση̣[ι] Die Überprüfung des Originals spricht gegen Luppes Idee, in den ersten Buchstaben den Querstrich und unteren Abschluss von ε, gefolgt von γ, zu sehen; vielmehr scheint die über die Senkrechte ziehende leicht gewellte Linie typisch für τ. Es ergibt sich also τε, ev. ο]τε (doch vgl. gleich unten). In der darauf folgenden Buchstabengruppe halte ich θ̣ (erkannt von Luppe) für ziemlich sicher; hingegen wird ein Ausgang -θεις durch die Evidenz nicht gestützt. Ich glaube vielmehr, μι̣σ̣θ̣ω̣- erkennen zu können, was zu einer Verbform μισθώσηι führen würde. Nimmt man diese Lesung als vertretbar an, so braucht man allerdings vorher eine Einleitung (ἂν) und eine entsprechende Satzstruktur, die den Konj. bewirkt. Zu μισθός im päderastischen Zusammenhang vgl. immerhin AP 12,212,3ss. (= 54 Floridi), wo Geldlohn sogar als steigernder Kontrast zu den bisher angebotenen Süßigkeiten erwähnt ist – eine Möglichkeit, die es auch für unser Epigramm zu bedenken gilt: ὡς ἀπόλωλα· | μισθὸν ἴσως αἰτεῖς. τοῦτ’ ἔμαθες δὲ

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III.1. Ein ›junggebliebener‹ pathicus?

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πόθεν; | οὐκέτι σοι κοπτῆς φίλιαι πλάκες οὐδὲ μελιχρὰ | σήσαμα καὶ καρύων παίγνιος εὐστοχίη· | ἀλλ’ ἤδη πρὸς κέρδος ἔχεις φρένας. …; 12,219,5s. (= 62 Floridi) πεμπέτω, εἴ τις ἔχει καλὰ παιδία· κἀμὲ φιλείτω. | μισθὸν καὶ παρ’ ἐμοῦ λαμβανέτω, τί θέλει (beide Straton), zum Lohn bei einer γραῖα καλή ferner Nikarch AP 11,73 (Kap. I.2). – πιθα…ε̣ Zur Verfügung stehendes Vokabular und zur Verfügung stehender Raum machen πιθαν̣ὴ̣ ν̣ ε[ am wahrscheinlichsten (so auch Parsons und Luppe). Das Adj. hat sowohl passive wie auch aktive Bedeutung, und beide würden sowohl allg. in einen erotischen Kontext passen: a) ›leicht zu überreden, bereitwillig‹ wie in AP 5,158 [Asklepiades] (so Parsons), b) ›leicht überredend‹ = ›ansprechend, attraktiv‹, cf. AP 5,53 [Dioskorides], wie auch zum Thema von μισθός (im Sinne von ›glaubwürdig zugesichert‹). 4 ]ον ὡ̣ [ρ]αῖον κόλλοπα ν[ oder κόλλοπ’ ἀν[. Zu ὡραῖος s. im nächsten Kapitel die Angaben in III.2, Z. 1. – κόλλοψ bedeutet ›Wirbel am Joch der Leier‹, außerdem ›Rinds-/Schweineschwarte‹, sowie = cinaedus, pathicus (LSJ s.v. II 2 = neu III, da die Edd. nun eher mit Homonymie zweier Wörter als mit einer metaphor. Bedeutungsentwicklung desselben Worts rechnen; Henderson § 469), cf. Plat. Com. fr. 202,5 K.-A.; Diphil. fr. 42,22; Eubul. fr. 10,3 K.-A. Καλλίστρατος ἔστι τις· οὗτος οὖν πυγὴν μεγάλην εἶχ’, ὦ Χαριάδη, καὶ καλήν. | τοῦτον καταλεκτέ’ ἐστὶν ἐς τοὺς κόλλοπας τοὺς ἐκδρομάδας; Comic. Adesp. fr. 849 K.-A. κολλοποδιώκτης; schließlich AP 12,42,5s. (Dioskorides) οὐδὲ … αἰδὼς | οὐδ’ ἔλεος δαπάνῳ κόλλοπι συντρέφεται (denn dieser Geliebte namens Hermogenes ist offenbar recht geschäftstüchtig: auch hier also der bekannte Topos). Zum Wort und der Stelle bei Dioskorides vgl. Slater 1999: 506. – Folgende Erklärung bringt Hesych κ 3335 s.v.: … διὰ τὸ εἰς κόλλαν εὐθετεῖν. καὶ τοὺς σκληροὺς δὲ καὶ παρηβηκότας παῖδας ἐντεῦθεν κόλλοπάς φασιν. Dass die Bezeichnung auf παρηβηκότες gerichtet ist (und darüber hinaus, wie AP 12,42 zeigt, generell als Schimpfwort brauchbar ist), steht zunächst in offensichtlichem Gegensatz zu ὡ̣ [ρ]αῖον; Parsons hält dies für ein Problem. M.E. ist eine solche Antithese aber gerade attraktiv, und zwar im Sinne eines pointierten Paradoxon (cf. Parsons: ›that would add another insult here‹). Gut vorstellbar wäre dann m.E., dass ὡραῖος als subjektiver Begriff gebraucht ist, d. h. dass der κόλλοψ sich wohl jung gibt, davon aber realiter weit entfernt ist. Das ganze Epigramm zielt wohl auf die Feststellung, dass der Geliebte eben kein lohnendes Objekt der Begierde (mehr) ist, und wird ihn zu diesem Zweck möglichst schlecht machen wollen. Zu einem solchen Inhalt würde sehr gut Parsons’ Ergänzung des Pentameters ἀν[αινόμενος passen. 5 ]ο̣ν ὕπνον πύγιζε Vor dem erhaltenen Text kann, wie Parsons schreibt, kaum mehr als das 1. longum stehen. Das bedingt, dass die erste Silbe von ὕπνον als Kürze gemessen werden muss, wofür aber u. a. auch Lukillios (AP 11,264,1 und 277,1) Parallelen bietet (bei Nikarch kommt das Wort sonst nicht vor). Das so gut wie sichere ο̣ vereitelt die Möglichkeit einer Prä-

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Die neuen Texte

position direkt vor ὕπνον: ev. σ]ὸν; τ]ὸν? Dass das noch vor der Zäsur κατὰ τρίτον τροχαῖον stehende πύγιζε in einem engeren Zusammenhang mit ὕπνον steht, ist höchst wahrscheinlich. Aber wo soll die Präposition stehen, die davor unabdingbar erscheint? Soll mit Luppe εἰς (resp. ’ς) in der Bedeutung ›innerhalb eines Zeitraums‹ (vgl. noch AP 11,243,5 εἰς ὥρας) angenommen werden? – Folgende Gedankenstrukturen (die ersten beiden schon von Parsons erwogen) sind denkbar: a) μὴ πύγιζε … μὴ ’ς τ]ὸν ὕπνον πύγιζε: ›tu’s nicht, auch nicht im Traum‹, d. h. Z. 5 wäre eine eindringliche Steigerung von Z. 1. – b) μὴ πύγιζε … ἀλλὰ τ]ὸν bzw. σ]ὸν ὡ̣ [ρ]αῖον κόλλοπ’ ἀν[αινόμενος | εἰς τ]ὸν ὕπνον πύγιζε … ›tu’s nicht, sondern lass deinen abgetakelten Jungen fahren und treib’s im Traum mit …‹ – c) (Luppes Vorschlag) μὴ πύγιζε … ἠὲ τ]ὸν ὡ̣ [ρ]αῖον κόλλοπ’, ἄν[ωγα, φύγε | ἢ ’ς τ]ὸν ὕπνον πύγιζε ›tu’s nicht: entweder geh deinem abgetakelten Jungen aus dem Weg oder treib’s mit ihm (lediglich) im Traum‹. Dabei besitzen die Varianten b) und c) die Eigenheit, dass der zweite Teil der übergeordneten Struktur im zweiten Pentameter beginnen würde, was zumindest auffällig wäre. Die Tatsache, dass das praeceptum aus Z. 1 in Z. 7 in sprichwörtlicher Weise wieder aufgenommen wird, ebenso wie auch das erneute Appellieren an die Vernunft, spricht, soweit aus Z. 6 rekonstruierbar, wohl ebenfalls dafür, dass die Vorschrift in Z. 5 eher negativ gemeint ist. 6 παύ]ου δ’, ἂν πεισθῆ[ι]ς ὀρθ̣ὰ̣ λέγ[οντι φίλωι ›Von Parsons bereits ansprechend ergänzt‹ (Luppe). Dem kann ich nichts beifügen. – Zu πεισθῆ[ι]ς ohne Schreibung des ι cf. ggf. μισθώση[ι] oben Z. 3. 7 μὴ] κ̣{ε}ίνει Καμάριναν Zum Sprichwort s. Herodian. prosod. cath. p. 258,14 Lentz Καμάρινα πόλις Σικελίας. καὶ λίμνη, ἀφ’ ἧς ἡ παροιμία »μὴ κίνει Καμάριναν, ἀκίνητος γὰρ ἀμείνων«; Callim. Aetia fr. 64 Pfeiffer (sepulchr. Simonidis) Οὐδ’ ἄ]ν τοι Καμάρινα τόσον κακὸν ὁκκόσον ἀ[ν]δρός | κινη]θεὶς ὁσίου τύμβος ἐπικρεμάσαι; AP 9,685; Lukian. Pseudol. 32; Zenob. Ath. prov. 5,18 Lelli = CPG I Schneidewin (ed. Bühler 1982: IV 199 [nr. 25]) μὴ κίνει Καμάριναν. φασὶν εἶναι λίμνην τῇ πόλει τῇ Καμαρίνῃ 〈παρακειμένην〉 ὁμώνυμον {τ}αὐτῇ, ἣν οἱ Καμαριν〈αῖ〉οι μετοχετεῦσαι εἰς τὸ πεδίον βουλόμενοι ἐχρήσαντο τῷ θεῷ· ὁ δὲ εἶπε »μὴ κίνει Καμάριναν«. οἱ δὲ παρακούσαντες τοῦ χρησμοῦ ἐβλάβησαν. κἀκεῖθεν ἡ παροιμία εἴρηται ἐπὶ τῶν βλαβερῶς τι ποιεῖν μελλόντων. Nach EtMagn α 152 (εἴρηται δὲ διὰ τὴν ἐν αὐτῇ δυσῳδίαν· κινουμένης γὰρ αὐτῆς φθορὰ ἐγγίγνεται σώματος) ist mit dem Begriff auch übler Gestank verbunden – ein Umstand, den sich Nikarch wohl zunutze machte: vgl. AP 11,328,5ss. (Kap. II.13). Wichtig ist der (auf G. Nisbet zurückgehende) Hinweis, dass μὴ κίνει (=βίνει) zugleich genau μὴ πύγιζε aus Z. 1 wieder aufnimmt. – ὁ γὰρ τόπος … gibt sich zunächst als harmlose Erklärung des Sprichworts resp. als geographischer Exkurs (D. Obbink); die Doppelbödigkeit (Καμάρινα = πυγή) wird durch den Gebrauch von τόπος zur Be-

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III.1. Ein ›junggebliebener‹ pathicus?

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zeichnung einer bestimmten Körperstelle (v. a. in medizinischen Schriften; cf. LSJ s.v. 3), insbesondere = pudendum muliebre, erleichtert. 8 οὔ]λ̣ι̣ ος Mit Luppe halte ich die Lesung des ersten Buchstabens als rechten Teil von λ, das sich an ι lehnt, für sehr wahrscheinlich (η fällt aus metrischen Gründen weg); einzige Möglichkeit scheint dann οὔ]λιος: dieses Adj. ist als Epitheton zu Apollon verbreitet (cf. LSJ s.v. II), und dies wiederum passt bestens zum folgenden πικρὸν ἵησι βέ[λος. Sonst gehört das Wort zum tragischen und lyrischen Vokabular und schafft das nötige Pathos. – εἰς ἥ{ι}βην Dem Schreiber bereitete offensichtlich die korrekte Setzung von ι adscriptum Schwierigkeiten: den Fällen mit fehlendem ι steht hier eine Hyperform gegenüber. – Für ἥβη zur Bezeichnung der Geschlechtsteile s. Henderson § 20 (wonach der Euphemismus ein terminus technicus ist, cf. Aristot. Hist. anim. 493b3); Aristoph. Nub. 976; Theopomp. fr. 38,2 K.-A.; AP 9,554,6 (M. Argentarius) = GP 1490; 12,225,4 (Straton; = 68 Floridi; ebenfalls ein negatives praeceptum amoris, das nur mit mythologischen Anspielungen operiert); das Spiel funktioniert auch mit der Andeutung auf Herakles’ Geliebte, die Göttin Ἥβη. In unserem Text steht das Wort daneben ev. auch in komischem Kontrast zum älteren Geliebten, dem sog. ›ὡραῖος‹ κόλλοψ, von dem das Epigramm so eindringlich abrät. – πικρὸν ἵησι βέ[λος Der Ausdruck ist einerseits homerisch vorgeprägt (Il. 22,206 ἱέμεναι … πικρὰ βέλεμνα; dort konkret verwendet), andererseits gehört er in der erotischen Epigrammatik und in der Bukolik traditionellerweise in den Kontext von Liebesleid: AP 5,189,4 (Κύπρις,) ἀνιηρὸν δ’ ἐκ πυρὸς ἧκε βέλος; Theokr. Id. 23,4s. κοὐκ ᾔδει τὸν Ἔρωτα τίς ἦν θεός, ἁλίκα τόξα | χερσὶ κρατεῖ, χὠς πικρὰ βέλη ποτικάρδια βάλλει. Wenn die Vermutung richtig ist, dass hier auf schlimme Folgen angespielt ist, falls die Warnungen nicht ernstgenommen werden, dann liegt der Verdacht nahe, dass mit beiden traditionellen Verwendungen als Folie gespielt wird (für eine andere nikarchische ›Adaption‹ eines homer. Diktums vgl. AP 11,1,3 [oben Kap. II.3]). In diesem Fall ist der Fokus klar so gelegt, dass der pedicator beim Akt etwas Unangenehmes erleidet (cf. ὁ γὰρ τόπος … ἵησι βέλος!). Für die Bestimmung des πικρὸν βέλος gibt Parsons 2 Möglichkeiten: a) die Beschmutzung der mentula des pedicator. Cf. carm. priap. 68,8 pediconum mentula merdalea est; Lucil. 1186 Marx bei Paul. Fest. 32,1 M. haec inbubinat, at contra te inbulbitat , mit Paulus’ Erklärung bubinare est menstruo mulierum sanguine inquinare … inbulbitare est puerili stercore inquinare; Iuv. 9,43s. an facile et pronum est agere intra viscere penem | legitimum atque illic hesternae occurrere cenae?; CIL X 4483 caca, ut possimus bene dormire … et pedicare natis candidas; auch AP 12,225,3s. (Straton; = 68 Floridi) μή ποτε καρπολόχου Δημήτερος ὑγρανθείσης | βρέξῃς τὴν λασίην Ἡρακλέους ἄλοχον (wobei Ἡρακλέους ἄλοχος = Ἥβη, zu ἥβη wiederum s. oben). Zum Motiv (das man als ›Revanche des pedicatus‹ bezeichnen könnte) s. Buchheit 1962: 145s. und insbesondere Obermayer 1998: 183ss. mit weiteren

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Die neuen Texte

Stellen. Der Vergleich mit AP 11,328,5ss. (Kap. II.13), einer oszillierenden Schilderung des zweifelhaften Vergnügens (in diesem Fall bei einer γραῦς!), und auch die Tatsache, dass das ›fliegende Geschoß‹ nicht sonderlich gut zu merda passt, stellt jedoch Möglichkeit b) als näherliegend in den Vordergrund, wonach βέλος = πορδή (zu dessen ›apotropäischer‹ Kraft vgl. AP 11,395 [Kap. II.16] sowie POxy. III 413, den Charition-Mimus, s. oben Einleitung p. 103). Vgl. im übrigen das oben zu Καμάρινα Gesagte (EtMagn.). Dieser Lösung scheinen auch Parsons wie implizit Luppe eher zuzuneigen. Die Ergebnisse der erneuten Lesung des lückenhaften Textes lassen sich wie folgt zusammenfassen: Trotz der nach wie vor zahlreichen offenen Fragen vornehmlich in den ersten Zeilen des Epigramms, in denen nicht alle Rekonstruktionsvorschläge Luppes in gleicher Weise überzeugen, ist es plausibel, als Thema des Gedichts an eine Warnung an einen Freund zu denken, sich nicht mit einem (vermutlich mit dem ersten Wort genannten) κόλλοψ abzugeben, der sich wohl jung gibt (der Topos von der geschminkten Alten wäre dann analog auf den pathicus übertragen), aber im Grunde jegliche Attraktivität verloren hat. Der Angesprochene scheint diesen bisher mit πέμματα (und vielleicht noch auf andere Weise) ›belohnt‹ zu haben; ob in dieser Phase bereits davon die Rede ist, dass ggf. solche Belohnungen seinen ›weiten Arsch‹ umgeben, muss offen bleiben. Die Warnung scheint eindringlicher wiederholt zu sein und in der Weisheit zu gipfeln, sich von Kamarina fernzuhalten, einem εὐώνυμος τόπος, auf dessen Gefährlichkeit in der letzten Zeile nochmals die Aufmerksamkeit gelenkt ist, dies unter Aufbietung einer auch sonst von Nikarch bekannten Symbolik (Fäulnis, πορδή), die vermutlich durch das Epigramm hindurch vorbereitet wird (blähende Wirkung der πέμματα).

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III.2. Ein alter Lüstling

POxy. 4502 fr. 2a ἐπὶ γέροντος παρθένο̣[ν ἀγομένου παρ]θένον ὡραίαν μὴ λάμ[β]αν[ε – ⏑ ⏑ – x μηδ]ὲ λέγε »πλούτου Κύπρις ἀμε[ινότερον« μηδ’] ὠνοῦ ζήλους καὶ δάκρυ[α – ⏑ ⏑ – x ζωμ]ο̣ὺς καὶ χυλὸν καὶ πτισάν[ην ⏑ ⏑ x μη]δ’ ἔχ’ ἐπ’ εὐζώμοις τὰς ἐλπ[ίδας· – ⏑ ⏑ – x ̣ ̣ ̣ ]ψεις, ποιήσει δ’ ἄλ̣λ̣ος ὃ μὴ σ̣[ ⏑ ⏑ x .

5

Tit. παρθένο̣[ν ἀγομένου Parsons || 2 ἀμε[ινότερον Parsons acc. Luppe || 2–3; 5 μηδ]ὲ … μηδ’] … μη]δ’ Parsons acc. Luppe || 4 ζωμ]ο̣ὺς Parsons acc. Luppe

ÜBER DEN ALTEN, DER SICH EIN MÄDCHEN NEHMEN WILL Nimm kein Mädchen im blühenden Alter … und behaupte nicht: »Kypris ist besser (?) als Reichtum«. Handle dir [auch nicht] Eifersucht und Tränen ein … [, sondern?] Suppen (?), Saft und Gerstenschleim … [solltest du schlürfen o. ä. ?]… Und setze [auch nicht] auf die Rauke deine Hoffnungen: … du wirst …, ein anderer aber wird tun, was du/dich (?) nicht … .

Auf diese Zeilen folgen auf dem Papyrus zwei durch kleinen Abstand abgesetzte weitere: Ich folge Luppes Vorschlag, wonach es sich dabei um ein Einzeldistichon für sich handelt (besprochen oben in Kap. II.3). Dies hätte zur Folge, dass die auf POxy. 4502 erhaltenen Epigramme doch etwas stärkere Schwankungen in der Länge aufweisen würden – wären es lauter 8- bzw. 12Zeiler, wäre umgekehrt die generelle Länge der Einzelgedichte auffällig. Auch für vorliegendes nun also auf 3 Distichen reduzierte Epigramm hat W. Luppe in APF 46 (2000), 163–4 einen exempli gratia-Ergänzungsvorschlag geliefert: παρ]θένον ὡραίαν μὴ λάμ[β]αν[ε, νήπιε + troch. Name μηδ]ὲ λέγε ›πλούτου Κύπρις ἀμε[ινότερον‹ μηδ’] ὠνοῦ ζήλους καὶ δάκρυ[α. σοὶ δ’ ἀγαπητόν, ζωμ]ο̣ὺς καὶ χυλὸν καὶ πτισάν[ην ῥοφέειν. μη]δ’ ἔχ’ ἐπ’ εὐζώμοις τὰς ἐλπ[ίδας· οὐ γὰρ ἐπαρκῶς θάλ]ψεις, ποιήσει δ’ ἄλλος ὃ μὴ δ̣[ύνασαι.

Diese Ergänzungen sind alles andere als sicher. Nach dem philologischen Kommentar möchte ich daher einen weiteren, eigenen exempli gratia-Vorschlag zur Diskussion stellen.

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Tit ἐπὶ γέροντος παρθένο̣[ν ἀγομένου (od. γαμοῦντος). Nach Parsons’ Berechnung wäre unter der Annahme, dass die Titel zentriert stehen, παρθένο̣[υ oder παρθενί̣[ου zu kurz. Immerhin steht in fr. 5 ἐπὶ μοιχοῦ ein wenig nach links versetzt. 1 παρ]θένον ὡραίαν μὴ λάμβανε Das Adj. ὡραῖος betont den richtigen Zeitpunkt (zur Heirat: vgl. Theogn. 1288s. παρθένον ’Ιασίην, | ὡραίην περ ἐοῦσαν ἀναινομένην γάμον ἀνδρῶν …; Hdt. 1,196,1; Xen. Cyr. 4,6,9; Lukian. dial. meretr. 6,1; AP 7,488 (Mnasalkes) Tod eines Mädchens ὡραίου … πρὸ γάμου etc.); vgl. im übrigen (wohl iron.) Nikarchs ὡραῖον κόλλοπα POxy. 4502 fr. 1,4 (oben III.1). Für ὡραῖος als Ideal im erotischen Epigramm vgl. AP 6,201 (Marcus Argentarius) ὡραῖοι πλόκαμοι, derselbe Umstand ist von Nikarch anders ausgedrückt in AP 5,38 ἄν … ἀκμῆς ἅπτητ〈αι〉. – Dass παρθένον λαμβάνειν nicht der gebräuchliche Terminus ist für ›zur Frau nehmen‹, wird u. a. aus. Lukian. dial. marin. 8,3,1 deutlich: hier besprechen Poseidon und Triton zunächst die Schönheit der Amymone, bevor sie sie auf dem Weg von Argos nach Lerna überfallen (zum Mythos s. Apollod. 2,14): (Ποσειδών:) Κάλη, ὦ Τρίτων, καὶ ὡραία παρθένος· ἀλλὰ συλληπτέα ἡμῖν ἐστιν. Am Ende der Zeile erwartet man einen Namen im Vokativ, der Aufschluss darüber gibt, an wen sich dieser Ratschlag richtet. Allerdings, wie Parsons sagt, ›the alert reader will infer this from l. 2 and 5‹. Die Möglichkeit, dass an dieser Stelle nicht ein Name plus ein qualifizierendes Adj. steht, sondern ein Verb in finaler Ergänzung zu λάμβανε, soll zumindest nicht ausgeschlossen sein (vgl. meinen Vorschlag unten). 2 μηδ]ὲ λέγε ›πλούτου Κύπρις ἀμε[ινότερον‹ Der Satz ist wörtlich so sonst nicht belegt, aber der Sinn lässt sich, was bisher zu wenig beachtet wurde, m.E. gerade aus dem Motivrepertoir der Spottepigramme klar erschließen (vgl. Brecht 1930: 58). Die Alternative geht offensichtlich dahin, eine reiche Alte zu heiraten, die sexuell wenig attraktiv ist, auf deren Ableben man aber bald hoffen kann (ein z. B. in der kynisch-stoischen Diatribe gerne behandeltes Thema, das, wie nicht anders zu erwarten, in der Komödie seit jeher beliebt war) – oder eben eine junge Frau, die ev. arm ist, dafür mehr an Κύπρις bietet … aber wiederum nicht zum γέρων passt. Es ist klar, dass die ethischen Maximen in aller Regel forderten, das Interesse an Reichtum hintanzustellen; die hier bei Nikarch begegnende Vorschrift wäre dann eine komische Umkehr des normalerweise Erwarteten. Kaum je dürfte jemand so ›erfolgreich‹ sein wie Moschos im anonymen Epigramm AP 11,202, der eine reiche Alte heiratet, sie kurze Zeit später begräbt und dann sich eine Junge zur Frau nimmt: ἄξιον αἰνῆσαι Μόσχου φρένας, ὃς μόνος οἶδε, | καὶ τίνα δεῖ κινεῖν καὶ τίνα κληρονομεῖν. – ἀμε[ινότερον Zu den von Parsons angeführten Evidenzen (e. g. Mimn. fr. 14,9 W.) mit der Hyperform des Komparativs lässt sich ergänzend der Appell des Attizisten Phrynichos (2. Jh. n. Chr.) gegen solche Formen anführen, woraus sich indirekt eine gewisse

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Verbreitung solcher Bildungen auch noch in dieser Zeit erschließen lässt: Ecl. 106 Εἰ ποιητὴς εἶπεν ἀμεινότερον, χαιρέτω· οὐδὲ γὰρ καλλιώτερον οὐδὲ κρεισσότερον ῥητέον· συγκριτικὸν γὰρ συγκριτικοῦ οὐ γίνεται. λέγε οὖν ἄμεινον. Im übrigen lässt sich der ›Verstoß‹ auch auf einem Papyrusdokument fassen: BGU 3,948 καλλιότερον. Die Rekonstruktion des Zeilenendes bezeichnet Parsons zwar als lediglich exempli gratia; m.E. aber besitzt sie eine hohe Wahrscheinlichkeit: Welches iambische Wort, das zudem mit Vokabel beginnen müsste, sollte man sonst sinnvollerweise hinter ἄμεινον stellen? 3 ζήλους καὶ δάκρυ[α Cf. bei den Epigrammen insbes. AP 5,24 (Philodem, = no. 13 Sider; von Jacobs Meleager zugewiesen; vgl. aber Sider ad loc.), bei dem man sich ernsthaft fragen muss, ob unsere Stelle nicht darauf anspielt: Ψυχή μοι προλέγει φεύγειν πόθον Ἡλιοδώρας, | δάκρυα καὶ ζήλους τοὺς πρὶν ἐπισταμένη – genau dies wird auch hier als Argument für das negative praeceptum amoris angeführt! Ferner 5,306 (Philodem = nr. 25 Sider) Δακρύεις, ἐλεεινὰ λαλεῖς, περίεργα θεωρεῖς, | ζηλοτυπεῖς, ἅπτῃ πολλάκι, πυκνὰ φιλεῖς. | ταῦτα μέν ἐστιν ἐρῶντος. κτλ.; Lukian. dial. meretr. 12,2 (quasi der dramatische Aufwand der Verliebten). 4 ζωμ]ο̣ὺς καὶ χυλὸν καὶ πτισάν[ην Das kleine Papyrusstück am Zeilenanfang muss gegenüber der photograph. Abb. in POxy. wohl um 90º nach links gedreht und an den unteren Zipfel angesetzt werden, so dass der Bogenteil der unteren Hälfte des ο̣ entspricht (Parsons). Für die fehlende lange Silbe ist die Ergänzung ζωμ]ο̣ὺς ›Brühe, Suppe‹ sehr plausibel: für ζωμοί und χυλοί nebeneinander cf. z. B. Hippokr. de morb. popul. 7,1,8. χυλὸν καὶ πτισάν[ην finden sich sehr häufig nebeneinander in den hippokrat. Schriften und späteren medizin. Traktaten; dabei ist χυλός ›Saft, Brühe‹ der allgemeinere Begriff. Wo wie hier die Wörter durch καὶ verbunden sind, schlagen LSJ s.v. πτισάνη 2 eine Unterscheidung nach Konsistenz vor: πτισάνη ist dann eher Gerstenschleim. Es findet sich aber auch πτισάνης χυλός (Saft / Brühe aus Gerstengraupen), z. B. Hippokr. de morb. popul. 7,108,2; de mul. affect. 171 καθαίρειν δὲ ὀνείῳ γάλακτι ἢ αἰγείῳ, ἢ ζωμῷ ὄρνιθος· οἶνον δὲ μὴ πίνειν, καὶ πτισάνης χυλὸν ῥοφεέτω. Diese Mahlzeit hat schon bei Aristoph. komisches Potential: fr. 165 K.-A. (Γηρυτάδης). Man erinnere sich an den Titel ἐπὶ γέροντος auf dem Papyrus: es geht also um die typische Mahlzeit vermutlich des zahnlosen Greises (Parsons: ›you will find gruel more suitable to your age than drinking‹), als hyperbolische Verzerrung für die Altersdifferenz beim Liebhaber. Es scheint mir gut denkbar, dass erst durch die Nennung solcher Speisen klar werden soll, wer der Angeredete eigentlich ist, dem eine Liaison mit einem Mädchen abgeraten wird (vgl. oben zu Z. 1); der Titel ist gegenüber dem Epigramm sekundär! Wenn diese Interpretation korrekt ist, dann würde das bedeuten, dass zumindest hier in Zeile 4 die ›series of prohibitions‹, die die Struktur des Epigramms ansonsten zu bestimmen scheint (Parsons), aufgebrochen ist (viell. auch durch eine

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Partizipialkonstruktion?): die genannten Flüssigkeiten sprechen auf jeden Fall im Hinblick auf den γέρων eher für eine Empfehlung. Geht man davon aus, dass die Ergänzung ζωμ]ο̣ὺς an dieser Stelle verantwortbar ist, so muss zumal in einem Epigramm erotischen Inhalts die Doppeldeutigkeit des Begriffs ζωμός in die Augen stechen: er findet sich bei Aristophanes, wo ein cunnilingus karikiert werden soll (Pax 716; 885; dazu Henderson § 180 und 392). Es ist kaum vorstellbar, dass Nikarch das Potential des Worts unausgenutzt gelassen hat, was zu einer völlig neuen unterschwelligen Bedeutungsebene führen würde (die etwas Schwierigkeiten bereitende Pluralform ließe sich dann mit einer wiederholten Aktion erklären; für eine Umsetzung dieser Idee s. weiter unten). 5 μη]δ’ ἔχ’ ἐπ’ εὐζώμοις τὰς ἐλπ[ίδας εὔζωμον ›Rauke‹ ist ein typisches Aphrodisiakum, cf. Theophr. Hist. Plant. 1,6,6 etc.; CP 2,5,3; PCair. Zen. 293,15 (3. Jh. v. Chr.); Diosk. 2,140 (=PGM 12,433) συνουσίαν παρορμᾷ; POxy. 1088,15 (1. Jh. v. Chr.); allg. Gal. temp. 3,4 (= I, p. 681 K.); Cyranides 1,5,9–20 Kaimakis, wo nur den Samen diese Wirkung zugeschrieben wird – allerdings just für die hier zur Diskussion stehende Situation: ἐὰν … τις τὴν ἡλικίαν ἐστὶ προβεβηκὼς καὶ τὸ μόριον ἔχει παρειμένον; cf. a. Ov. rem. am. 799; Iuv. 9,134; Plin. NH 10,182; Mart. 3,75,3. Für die Richtigkeit der Ergänzung in Z. 4 spricht, dass hier ein Wortspiel ζωμούς – εὐζώμοις möglich würde (vgl. in AP 11,332 σορός – εἰκόσορος), ev. auch eines mit dem homerischen Epitheton εὔζωνος ›wohlgegürtet‹, denn der Satz μηδ’ ἔχ’ ἐπ’ εὐζώνοις τὰς ἐλπίδας wäre mit der Vorschrift in Z. 1 in etwa inhaltsgleich. 6 ]ψεις Als Ergänzung vorgeschlagen wurden τρί]ψεις (Parsons) (vgl. Henderson § 340: ›to rub/chafe [an organ in preparation for sexual intercourse]‹ sowie AP 12,13,2 [= 12 Fl.], mit dem Komm. von Floridi, p. 159) und θάλ]ψεις (Luppe) ›erhitzen, zu Liebe entzünden‹); bei letzterem als Obj. die Partnerin. – ποιήσει δ’ ἄλ̣λ̣ος ὃ μὴ σ̣[ Der Hinweis auf einen andern könnte mit der Annahme, dass diese Zeile die letzte des Epigramms ist, gut harmonieren (so auch Luppe). Die Ergänzung ὃ μὴ δ̣[ύνασαι (Luppe) ist, so sehr sie inhaltlich anzusprechen vermag, mit dem Schriftbild auf dem Papyrus (runder Bogen) absolut unverträglich. Am ehesten handelt es sich um σ̣. In einem anderen Artikel (Luppe 2000d: 30) wird Parsons’ Vorschlag ὃ μὴ σ̣[ὺ ποεῖς beibehalten (man würde dann allerdings vielleicht ὃ μὴ ποεῖς σύ erwarten). Luppes Rekonstruktion der (quantitativ doch beträchtlichen) Leerstellen der Geschichte ist m.E. vergleichsweise ›harmlos‹. Sie geht davon aus, dass der Person zunächst abgeraten wird, sich eines jungen Mädchens zu ›bedienen‹; stattdessen solle sie pürierte Kost zu sich nehmen – daraus wird dann implizit auch klar, dass der Angeredete in der Vorstellung als zahnloser Greis erscheinen sollte. Auch solle er nicht mehr seine Hoffnung auf Aphrodisiaka setzen, denn eine Frau zu entflammen, dazu ist er nicht mehr in der Lage – das soll er anderen überlassen. Das Epigramm könnte man in gewisser Weise

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als inhaltlichen Gegenpol zu Epigrammen wie AP 11,71 auf alte Hetären, die trotz ihrer Schminke keinen Mann mehr zu begeistern vermögen, bezeichnen. Die Ergänzungen erscheinen insgesamt plausibel, mit Ausnahme des Endes der letzten Zeile (s. oben). Und doch bietet der ›plot‹ in der eben zusammengefassten Form für ein Nikarchepigramm einen m.E. entschiedenen Nachteil: er steuert zu wenig in Richtung einer Pointe zu. Das Epigramm bleibt ab der Mitte zu sehr bei den bisher festgestellten Tatsachen stehen: dass der Greis nicht mehr in der Lage ist, eine Frau zu erfreuen, hat man zuvor schon erschlossen und müsste nicht mehr explizit betont werden. Als bloßes Spiel und daher ohne wissenschaftlichen Anspruch, dem verlorenen Originaltext noch näher zu kommen als die bereits unternommenen Versuche, sei der im Folgenden angeführte eigene Rekonstruktionsvorschlag erlaubt, der dem Inhalt des Epigramms in der zweiten Hälfte eine neue, bisher nicht mit dem Gedicht assoziierte Wende gibt und damit dem Problem einer fehlenden Zuspitzung Abhilfe schafft. Das Vorhandensein der vorgeschlagenen inhaltlichen Wende ist selbstverständlich nicht beweisbar, besitzt aber immerhin eine gewisse Wahrscheinlichkeit in der generell zu beobachtenden Technik Nikarchs, im Laufe eines Epigramms ungeahnt neue Aspekte einfließen zu lassen. In diesem Falle läge die Überraschung in der Feststellung, dass es für den Greis durchaus Alternativmöglichkeiten gibt, sexuell aktiv zu werden, und diese würden ihm sogar empfohlen. Die Vorschrift παρ]θένον ὡραίαν μὴ λάμβανε, die zunächst den Eindruck moralischer Strenge erwecken könnte, würde in der Folge durch eine ›Erweiterung‹ des Blickwinkels vollkommen desavouiert: παρ]θένον ὡραίαν μὴ λάμ[β]αν[ε συγκατακεῖσθαι μηδ]ὲ λέγε ›πλούτου Κύπρις ἀμε[ινότερον‹ μηδ’] ὠνοῦ ζήλους καὶ δάκρυ[α. σοὶ δ’ ἀναμαρτές ζωμ]ο̣ὺς καὶ χυλὸν καὶ πτισάν[ην ῥοφέειν. μη]δ’ ἔχ’ ἐπ’ εὐζώμοις τὰς ἐλπ[ίδας, ἀλλ’ ἐρεβίνθους τρί]ψεις· ποιήσει δ’ἄλλος ὃ μή σ̣[ε πρέπει.

Ein paar kurze Erläuterungen zu den Vorschlägen, soweit nicht bereits oben darauf eingangen: 3 ἀναμαρτές s. Hesych = νημερτής. Man könnte sich hier folgenden Doppelsinn vorstellen: (1) sicher (d. h. außerhalb der Gefahr, mit ζῆλοι καὶ δάκρυα konfrontiert zu werden); (2) gesellschaftlich legitimiert (wenigstens nach der Meinung des Sprechers; der Alte gibt sich nicht offenkundig mit jungen Frauen ab. Was er stattdessen tut, ist weniger offenkundig …). 4 ζωμ]ο̣ὺς … ῥοφέειν Auf vordergründiger Ebene: pürierte Kost essen; man kann aber auch mithören: cunnum lingere und (letzte Zeile?) fellatio treiben. 5s. ἐρεβίνθους | τρί]ψεις Dies wäre eine weitere Speise, die für den zahnlosen Greis geeignet ist (gestampfte Kichererbse, also ein Püree in der

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Art von Baba Ghanoui). Die Wörter sind daneben aber ebenfalls hochgradig ›belastet‹: zu ἐρέβινθος (membrum erectum) s. Henderson § 42, zu τρίβω s. oben; damit wäre zur ›harmlosen‹ Interpretation von ζωμ]οὺς eine Gegenperspektive gegeben! 6 ὃ μή σ̣[ε πρέπει Dieser Vorschlag ist primär von der Notwendigkeit eines auf μή folgenden σ bestimmt. Im Rekonstruktionsvorschlag wird weiter mit der Vorstellung gespielt, was für den Greis im Gegensatz zu παρθένον ὡραίαν λαμβάνειν nach Ansicht des Sprechers gesellschaftlich sanktioniert ist. Er müsste nur die Sexualpraktik ändern (wie vermutlich die ich-persona in AP 5,39 [Kap. II.3], vgl. die dortige Interpretation; außerdem auch AP 5,38 von der alten Hetäre [Kap. I.2]. Die in meiner Rekonstruktion vorgeschlagene Gedankenfolge ließe sich so zusammenfassen: – A: Lass die Finger von jungen Frauen, damit handelst du dir nur Probleme ein (Z. 1–3) – B: mit ›harmlosen‹ Substanzen wie ζωμοί kannst du dagegen nichts falsch machen (Z. 3–4) – A (plus Übergang zu C): Vergiss also das erste, auch mit εὔζωμον! (Z. 5). Oder anders ausgedrückt: ζωμοί – ja, εὔζωμον – nein! – C: … vielmehr kannst du Kichererbsen reiben ( = es mit einem παῖς treiben?) (Z. 5–6) – D => A: Was sich nicht ziemt für dich (nämlich A: Umgang mit einer jungen Frau), wird (stattdessen) ein anderer tun (Z. 6).

Im so rekonstruierten Epigramm verliefe die Bewegung damit genau gegenläufig etwa zum Inhalt von AP 5,19 (Rufin), wo aus dem Knaben- ein Frauenverehrer wird. Es bleibt festzuhalten, dass dieser Vorschlag genauso exempli gratia-Charakter besitzt wie der von Luppe. Nicht zuletzt soll damit auch demonstriert werden, wie viele Leerstellen resp. wie viele Möglichkeiten der Rekonstruktion auch in einem Fall wie dem vorliegenden noch offenbleiben, wo pro Zeile ungefähr zwei Versfüße fehlen, bzw. wie stark der Gesamteindruck eines Epigramms zu einem beträchtlichen Teil auch von nicht überlieferten Elementen bestimmt werden kann. Die Möglichkeit, dass das Epigramm in seiner 2. Hälfte einen ›sexual turn‹ enthielt, scheint mir insgesamt recht hoch. Der Rekonstruktion kann entgegengehalten werden, dass viele der bedeutungsgeladenen und auch doppeldeutigen Begriffe ausgerechnet an Anfang und Ende der Zeilen, mithin genau dort stehen, wo uns die Bestätigung auf dem Papyrus fehlt. Allerdings sind diese Positionen genau diejenigen, die für überraschende Vokabeln und dadurch entstehende Modifikation des Gedankengangs in den Epigrammen wichtig sind (gerne auch mit Hilfe von Enjambements). Insofern ließe sich dieser Vorbehalt also wenigstens teilweise entkräften.

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III.3. Das Rätsel der Sphinx – neu gelöst!

POxy. 4502 fr. 4 τὴν] ἀρχὴν τί̣ δίπουν̣ τ̣ε̣τ̣ρ̣ά̣π̣ουν τε τρ̣[ί]π̣ο̣υ̣ν̣ τ̣’ ἐπὶ γαίηι οὐ]θ̣είς εἶχε λέγειν. ἔστι δ’ ἀ[ν̣ὴ̣ ]ρ̣ παθικός. οὗ]τ̣ος ἕως ἕστη{ι}κε, δίπους· ἀπερεισ̣[ά]μ̣ε̣νο̣ς δὲ …] χερὰς ἀμφοτέρους κύβδα χαμαὶ τε̣τ̣[ρ]ά̣πους τῶι] φ̣άλλωι δ’ αὖ τῶιδε τρίπους το[.]εφικι̣ο̣ναυτ̣. . 5 ὃν τ]ρόπον ἐν Θή{ι}βαις πλησίον ἐστὶ λέπ̣ας. οὐ]κ ἄν τις διέ̣λοιτο σοφώτερον· εἰ τόθ’ ὑπῆρχον, ἄν]δρες, ἐγώ̣ {ι} Θήβας ἔσχον ἂν ἑπταπύλους. 2 ἀ[ν̣ὴ̣ ]ρ̣ παθικός Rea || 4 εἰς] χερὰς Parsons || 5 φ̣άλλωι sive θ̣άλλωι Parsons || τὸ δ̣ὲ φίκι̣ο̣ν αὐ̣ τ̣ο̣ῦ̣ tempt. Parsons || 6 ὃν τ]ρόπον Parsons

Am Anfang – was auf zwei, dann mit vier und mit drei Füßen auf der Erde ist, das wusste keiner zu sagen: Klar – es ist der Passive! Dieser ist, solange er steht, zweifüßig. Wenn er sich aber stützt auf seine beiden Hände, zu Boden gebückt, dann ist er vierfüßig. Mit diesem Phallos hier aber ist er dreifüßig. … Phikion … ganz wie (?) der Hügel in der Nähe von Theben ist. Keiner könnte dies wohl kluger auseinanderhalten. Hätte ich damals schon gelebt, Kameraden, hätte ich das siebentorige Theben bekommen.

Das Rätsel der Sphinx war über die ganze Antike hinweg allgemein bekannt und fand auch Eingang in die Sprichwortsammlungen. In seinem traditionellen Wortlaut ist es wohl bei Asklepiades von Tragilos (FGrHist 12 F7) fassbar: ἔστι δίπουν ἐπὶ γῆς καὶ τετράπον, οὗ μία φωνή, καὶ τρίπουν; danach findet es sich in verschiedenen Varianten zitiert in zahlreichen Texten.214 Es bildet bis in die Gegenwart den Ausgangspunkt für unzählige Ge214 Zur ursprünglichen metrischen Struktur des Rätsels vgl. H. Lloyd-Jones, Academic Papers I, Oxford 1990, 332–4. Zur Geschichte vgl. Hes. Theog. 326ss., Soph. OT 391ss., Eur. Phoen. 45ss., Diod. 4,64, [Apollod.] Bibl. 3,5,8, Paus. 9,26,2–4, Hyg. Fab. 67, Sen. Oed. 92ss.; spezifisch zum Rätsel Athen. 10,69,448e; 81,456b = Σ Eur. Phoen. 50 = AP 14,64 (Rätselepigramme); bereits als bekannt vorausgesetzt ist es in Soph. OT 33ss. Schon früh scheint der ernste Kern der Geschichte durch komische Elemente untergraben worden zu sein; so schrieb Aischylos ein Satyrspiel ›Sphinx‹. In der Komödie des Anaxilas fr. 22,22ss. K.-A. geht es ebenfalls schon um verschiedene ›Positionen‹ (s. Henderson § 362). Als Sprichwort: s. Zenob. Ath. 2,68 Lelli = CPG I Schneidewin.

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staltungen in Literatur und anderen Kunstgattungen. Das entscheidende Element, auf dem die ungebrochene Fazination der Sphinx-Geschichte beruht, ist dasjenige eines ›Schlüssels‹: das Wissen um die richtige Antwort bedeutet die Bestimmung über Leben oder Tod. Dies ist offensichtlich auch die Folie für das vorliegende Epigramm. In einem von anderen Gedichten her bestens vertrauten agonalen Ton behauptet der ich-Sprecher, die ultimativ richtige Lösung zu wissen, die dereinst sogar Oedipus nicht kannte, bzw. dieser war zu ungenau mit seiner Lösung. Auch wenn, wie im Folgenden ersichtlich, längst nicht alle Details klar sind – sicher ist: die Antwort dieses Epigramms auf das Rätsel lautet: es ist der pathicus! Interessant ist im übrigen die Tatsache, dass auf POxy. 3725 zu fr. 7 [s. unt. III.5] ein Titel ἐπὶ σφιγγ[ός erhalten ist. Offensichtlich schrieb somit Nikarch mehr als nur das vorliegende Epigramm zum Thema – leider ist der dortige Inhalt allerdings aufgrund des schlechten Erhaltungszustands des Papyrus nicht mehr zu greifen. 1 τὴν] ἀρχὴν … Durch den gleich danach folgenden indirekten Fragesatz bleibt dieser innere Akk. vorerst ohne Bezug (der logische Bezug, den man im ersten Moment herstellen möchte, nämlich τὴν ἀρχὴν 〈sc. τοῦ βίου〉 … τί τετράπουν, verbietet sich durch die Wortstellung). Erst mit εἶχε Z. 2 wird er klar: τὴν ἀρχὴν … οὐ]θ̣εὶς εἶχε λέγειν. – Es ist anzunehmen, dass mit der Koinzidenz, dass der Ausdruck τὴν] ἀρχὴν auch tatsächlich am Anfang des Epigramms steht, bewusst gespielt wird. – δίπουν̣ τ̣ε̣τ̣ρ̣ά̣π̣ουν τε … Die Wortstellung ist schon in der traditionellen Form (s. oben) nicht chronologisch; bei Nikarch könnte man die Beibehaltung dieser Reihenfolge zusätzlich so erklären, dass dadurch schon klar wird, dass das zeitliche Nacheinander der Phasen (bei dem δίπουν an zweiter Stelle folgen müsste) nicht im Vordergrund stehen wird, implizit also schon der thematische ›Schwenk‹ im eigenen Epigramm angekündigt wird. – ἐπὶ γαίηι cf. Asklep. v. Tragilos FGrHist 12 F7 (s. oben); AP 14,64,1 ἐπὶ γῆς. Man beachte aber, dass der Ausdruck bei Nikarch hinter τρίπουν steht – wohl kein Zufall! 2 οὐ]θ̣εὶς Wie auch Parsons schreibt, ist der Buchstabenrest mit großer Sicherheit mit θ und nicht δ in Zusammenhang zu bringen. An den beiden anderen Stellen bei Nikarch (AP 11,7,1; 119,2) begegnet die Form οὐδείς: denkbar, dass dort die Handschriftentradition ausgeglichen hat, während der Schreiber von POxy. 4502 sich diese für Hellenismus und Koine im Grunde typische Form gewohnt war, die in den dokumentarischen Papyri bis ins 2. Jh. n. Chr. neben οὐδείς einhergeht, um später wieder von letzterer abgelöst zu werden (Parsons; Mayser I 1,148s.; Gignac I 97; BDR § 33,2; Schwyzer I 408). – οὐ]θ̣εὶς εἶχε λέγειν schafft die ideale Ausgangsposition bzw. Daseinsberechtigung für das Epigramm. Denn im Unterschied zu allen Bisherigen, so die implizite Folgerung, gilt für dieses selbstverständlich: ἔχω λέγειν – mehr noch: es gibt sozusagen die ultimative Antwort (vgl. auch Z. 7). Und diese folgt auch unmittelbar, eingeleitet durch ἔστι δ(ὲ) ›nun: die

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III.3. Das Rätsel der Sphinx – neu gelöst!

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Lösung lautet …‹. – ἀ[νὴ]ρ̣ παθικός Eine sehr überzeugende Ergänzung (Rea); damit spielt das Epigramm mit der traditionellen generischen Antwort ἄνθρωπος, indem es diese scheinbar nur leicht in einen anderen allgemeinen Begriff umändert (Obbink). – Das Adj. παθικός war, wie Parsons feststellt, bisher nur lateinisch bekannt (Cat. 16,2; 57,2; Iuv. 2,99 etc.); für eine griechische Evidenz (Graffiti im Odeion von Aphrodisias) jetzt Bain in ZPE 117 (1997) 81s. Wie aus Henderson 1975: 209ss. ersichtlich, ist die geläufige Bezeichnung für den Passiven in der Komödie, aber auch anderswo, εὐρύ-πρωκτος, resp. andere Zusammensetzungen mit -πρωκτος oder -πυγος. Für παθικεύεσθαι hingegen cf. ausgerechnet Nikarch AP 11,73,7; cf. Aristoph. Thesm. 200s. εὐρύπρωκτος εἶ | οὐ τοῖς λόγοισιν, ἀλλὰ τοῖς παθήμασιν. 3 Die Parodie auf die traditionellen Texte mit dem Sphinxrätsel schließt auch die auf die Antwort jeweils folgende Erklärung ein (s. oben Fn. 214). – ἕως ἕστη{ι}κε Nach den Regeln der Grammatik wäre strenggenommen ἕως ἂν mit Konj. verlangt, wenn es um eine allgemeingültige Tatsache geht wie hier. Doch ist in der Koine das Regelwerk diesbezüglich in Auflösung begriffen; vgl. BDR § 455,3a, sowie Mayser II 1,268 Anm. 1 für Fälle mit Ind. in den dokumentarischen Papyri. – ἀπερεισ̣[ά]μ̣ε̣νο̣ς ›sich stützend auf, ruhend‹ lässt bereits eine obszöne Deutung erwarten. Das Verb ist aus dem ursprünglichen Kontext in parodistischer Weise übernommen, und zwar mit Übertragung von der Beschreibung des τρίπους, der sich auf den Stock stützt, auf den τετράπους; bei jenem steht das Simplex: τρίτατον πόδα βάκτρον ἐρείδει (Σ in Aisch. Theb. hyp. 6,50 Smith; Σ in Eur. Phoin. 50 Schwartz). Die übliche Ergänzung für ἀπερείδομαι ist, wie die Beispiele in LSJ zeigen, εἴς τι (daneben auch τὴν χεῖρα πρός τι). Cf. auch Nonn. Dionys. 3,169 καὶ πολὺς εὐποίητος ἐρεισάμενος πόδα πέτρῳ χρύσεος ἵστατο κοῦρος. 4 ̣ ̣ ̣ ] χερὰς ἀμφοτέρους Es drängt sich auf, hier die Ergänzung zu ἀπερεισ̣[ά]μ̣ε̣νο̣ς (s. zu Z. 3) in die Lücke zu setzen: sei es εἰς oder ἐς (beides kommt in der hschr. Überlieferung bei Nikarch vor; für metrisch gefordertes εἰς z. B. AP 11,243,5); dies ist jedenfalls einem τὰς] vorzuziehen (so auch Parsons). Es bleibt das Problem des falschen Genus bei ἀμφοτέρους, dessen Emendation in ἀμφοτέρας unausweichlich erscheint. – κύβδα χαμαὶ τε̣τ̣[ρ]ά̣πους Was sich bereits Ende Z. 3 abgezeichnet hatte, wird durch die Verwendung des unzweideutigen Begriffs vollends deutlich: κύβδα, seit Archil. fr. 42 W. die vox propria (Parsons) im Kontext analer Penetration, unabhängig vom Geschlecht (Henderson § 361), cf. Aristoph. Pax 896ss. τετραποδηδὸν … κύβδ’. Unterstützend wirkt χαμαὶ, das ebenfalls nicht in den ursprünglichen Rätseltext gehört. 5 τῶι] φ̣άλλωι δ’ αὖ τῶιδε τρίπους Obwohl der erste sichtbare Buchstabe schlecht erhalten ist, meine ich doch, dass sich gegen φ̣άλλωι kaum etwas einwenden lässt (gegen die alternative Lesung θ̣άλλω spricht m.E. der

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den ganzen Buchstaben durchlaufende Vertikalstrich). Diese letzte Erklärung scheint damit zunächst überraschend kurz; sie wird aber offensichtlich noch durch eine Art mythologischen Anbauwitz abgerundet und kommt mit diesem schließlich doch auf ein komplettes Distichon. Die vorgeschlagene Worttrennung scheint, will man zweimaliges δὲ im Text vermeiden und sich nicht auf Emendationen verlegen (was aber in diesem Fall m.E. nicht nötig ist), die einzig mögliche. Ein Demonstrativum τῶιδε würde dem Epigramm einen starken epideiktischen Anstrich verleihen: der Vers liest sich dann wie eine Aufschrift auf einer Priapusstatue – wobei der Priapus in der Parodie zum pathicus geworden ist: er wäre es dann, der (in Form des Epigramms) die Lösung des Rätsels verkündet (zur in der Epigrammkunst verbreiteten Technik, mit deiktischen Pronomen den Eindruck einer ganz konkreten Aufschrift zu erwecken, vgl. u. a. auch Obbink 2005: 99ss.). Im weiteren ermöglicht es diese Lesung, die eine Identifikation des Sprechers mit dem τρίπους (und nicht bloß mit diesem) zur Folge hat, die Zeile bereits als Vorbereitung von Z. 7 zu sehen, wo 1. Sg. dann auch tatsächlich auftaucht. – Zum Witz insgesamt vgl. Theokrits Epigramm auf Priapus AP 9,437, der Z. 3 〈sc. ξόανον〉 τρισκελές (pace Gow) genannt ist. Der grundlegende Unterschied, dass hier vom φάλλος des pathicus die Rede ist, lässt keine Frage offen, ob dieser die pedicatio denn auch als positives Erlebnis empfindet: dazu s. Obermayer 1998: 145ss., insbes. 165–73, wo eine ganze Reihe von Texten besprochen ist, die in eine ähnliche Richtung weisen und damit die These von K. Dover, Greek Homosexuality, Berkeley 1978 (2. Aufl. 1989) pass., die passiven Sexualpartner hätten beim Akt nach antiker Vorstellung keine Lust empfunden, grundsätzlich widerlegen. Es genügt allein der Hinweis auf Nikarchs AP 11,73,8, wo – allerdings von der γραῖα καλὴ – gesagt wird: μισθὸν ἔχει τὸ πάθος. – το ̣ εφικι̣ ο̣ναυτ̣. . Die Buchstabenreste nach το zeigen zwei Senkrechte: dies passt zu ν, π, ev. κ. Nichts davon fügt sich in einen sinnvollen Zusammenhang. Parsons erwägt noch δ (allerdings bleibt das Problem, dass der fehlende Unterstrich dann paläographisch nicht einfach zu erklären ist). Mit dem in Z. 7 stehenden ἐστὶ ist die Möglichkeit gegeben, dass hier ein Nominalsatz anschließt; unter Vorbehalt der problematischen Evidenz auf dem Papyrus könnte man ergänzen: τὸ δ̣ὲ φίκι̣ο̣ν αὐ̣ τ̣ο̣ῦ̣ … Φίκιον ist die Bezeichnung des Hügels, auf dem sich die Sphinx aufhält: cf. [Hes.] Sc. 33 (= fr. 195,33 M.-W.). Wenn diese Ergänzung richtig ist – und man wird sie trotz allem schwerlich in Abrede stellen wollen –, dann war damit mit Sicherheit (trotz der verschiedenen Quantitäten des Vokals ι) auch ein Wortspiel mit φίκις (= πυγή) verbunden; vgl. POxy. 3070; PHeid. 190, fr. 1,75, auch wenn der korrekte Diminutiv φικίδιον wäre, worauf schon Parsons hinweist. Der Witz bestünde dann entweder im Vergleich der Form ›sein Hintern aber ist wie …‹, oder, wie D. Obbink vorschlug, wegen der Formulierung im Relativsatz aber vielleicht weniger wahrscheinlich, in einer pseudo-etymologischen

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Erklärung des Toponyms Φίκιον, etwa ›(sein) Hintern ist wie = gab dem Ph. bei Theben den Namen‹. 6 ἐν Θή{ι}βαις Siehe oben zu fr. 1,8 εἰς ἥ{ι}βην, cf. Z. 8 ἐγώ{ι}. – ἐν Θή{ι}βαις πλησίον ist leicht pleonastisch. 7s. οὐ]κ ἄν τις διέ̣λοιτο σοφώτερον Dies der Anspruch der persona, die sich im Epigramm ausdrückt, um auf das Rätsel der Sphinx eine besonders weise Lösung zu geben. Man darf das letzte Distichon wohl als Feststellung ›in eigener Sache‹ lesen (vgl. die ›persönlichen‹ Kommentare, mit denen Martial gerne seine Epigramme abschließt). Denkt man sich das Epigramm etwa in dem performativen Kontext eines Symposions, wird man dem agonalen Aspekt (οὔ τις … σοφώτερον) besondere Aufmerksamkeit schenken: auch in einer geselligen Trinkrunde wäre es Ziel jedes Teilnehmers, eine Rätselfrage in nicht mehr zu überbietender Weise zu beantworten (cf. auch Z.8 das an ein [reales?/fiktives?] Publikum gerichtete ἄνδρες; vgl. oben p. 196). Die ›Einnahme Thebens‹ ist dann die witzige Übertragung des rhetorischen Siegs, der mit der Antwort (in autoreferentieller Sicht auch: mit dem Epigramm) errungen wurde. Für eine weitere Ebene, die mit den genannten nicht zu konkurrieren braucht, dass nämlich der παθικός auch über sich selbst spricht, s. oben zu Z. 6. Eine solche Interpretation als denkbares Spiel mit mehreren Realitätsebenen wäre vergleichbar mit der des Wettstreits der λεπτοί (s. Einleitung Kap. V, insbes. p. 84s. sowie Kap. I.3), in dem die Personen, von denen das Epigramm handelt, ebenfalls mit denen verschmelzen, die das Epigramm inszenieren. In beiden Situationen verschafft die Frage einer möglichen Identität mit dem/den Verspotteten – im Falle des παθικός gewiss mehr noch als bei den λεπτοί – dem Spiel eine eigentümliche Spannung. 8 ἐγώ̣ {ι} kann auf ὑπῆρχον wie auf ἔσχον bezogen werden (Parsons), die Scharnierstellung ist wohl nicht unbeabsichtigt. Die Betonung weist aber eher darauf, dass das Pronomen hauptsächlich zum Folgenden gehört. – Θήβας ἑπταπύλους Cf. Il. 4,406; Od. 11,263; etc., aber auch im dramatischen Vokabular: Aisch. Sept. 165, Soph. Ant. 119. Ob der mögliche Genusfehler in Z. 4 durch zweiendige Adj. wie hier motiviert ist? Der vergleichsweise gute Erhaltungszustand des betreffenden Papyrusabschnittes ermöglicht es, die Struktur dieses Epigramms klar zu erfassen. Es beginnt unmittelbar mit dem berühmten Zitat des Rätsels der Sphinx, biegt aber bereits in der zweiten Zeile in eine überraschende Antwort um. Dass Zitate bei Nikarch eine durchaus geistreiche obszöne Umdeutung bekommen können, ist uns auch aus AP 11,328 (Kap. II.13) bestens geläufig; Dirk Obbink (in Parsons ad loc.) verweist auf eine entsprechende Umdeutung astrologischer Konstellationen in einem Epigramm Philodems (AP 11,318), wo für den pathicus der Begriff μαλακός steht. Im vorliegenden Gedicht ist mit dem Rätselzitat und der erstaunlichen Antwort sozusagen eine doppelte

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Überschrift gesetzt, und die nächsten beiden Distichen erfüllen die Aufgabe, den unerwarteten Sachverhalt zu erklären. Nachdem dies vollzogen ist, gibt das letzte Distichon einen Kommentar ab über die Genialität der Lösung; das Epigramm endet mit der scherzhaften Bemerkung der persona des ichSprechers: hätte ich zu Oidipous’ Zeiten gelebt, hätte ich das siebentorige Theben bekommen! Weitere Eigentümlichkeiten schaffen Verbindungslinien zwischen dem ›Sphinx-‹ und anderen Nikarchepigrammen: das Spiel mit Zahlen (vgl. AP 11,82) sowie mit Hilfe einer Anrede an anwesende Kameraden (ἄν]δρες; vgl. Einleitung Kap. V) die Kreation einer agonalen Atmosphäre, in der der vorliegende Epigrammbeitrag ganz ähnlich wie in AP 11,110 explizit den Siegespreis davonträgt (dazu s. auch unten das letzte Kapitel dieses Abschnitts).

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III.4. Der gefährliche μοιχός

POxy. 4502 fr. 5 πισ]τεύεις μυῒ τυρόν, ὄνωι χόρτον, μέλι μ̣ην̣[.] χ̣η̣ισὶ σέριν, κυσὶν ὗν, παιδαρίοις ὑφίδα, (ε)ἱμ]άτιον ῥιγοῦντι, θεατρώ{ι}νηι τὸ λόγευμα, ἀθ]λ̣εύ〈ου〉σι κρέ̣ας, ὀψοφάγωι λοπάδα, ὃς] μ̣ετ̣ὰ τοῦ μοιχοῦ δ〈ε〉ιπνῶν Δάμωνος, Ἄλεξι, ἐγ]γ̣ὺς ἄγεις αὐτοῦ καὶ τὸ γύν̣α̣ι̣ον ἅμα. … ] ἀ̣ νεστάμενο̣ς̣ τ̣αχυνεῖ, διὰ ταῦτα δ’ομοι̣[ … ]σ̣οι τὴν μορ̣φὴν τῶι πατρὶ· τῶι δὲ πατρὶ …

5

1 μ̣ην i. e. 〈σ〉μην-? Parsons || 2 ὑφίδα POxy. : σφυρίδα Rea || 3 (ε)ἱμ]άτιον spatio imponitur Parsons || 4 ἀθ]λ̣εύ〈ου〉σι Parsons || 5 ὃς] Parsons || 7 οὗτος] temptavi, sed vid. infra || κ̣ακυνεῖ praedil. Parsons || 8 post πατρὶ (1) interpunxi || cum Parsons et Luppe epigrammatis finem postea fuisse opinor

Du vertraust einer Maus Käse an, dem Esel Heu, Honig dem … (?) den Gänsen Endivien, den Hunden ein Schwein, den Sklaven ein Ziergewand (?), einen Mantel dem Frierenden, dem Theaterbesitzer das eingenommene Geld, den Sportlern Fleisch, dem Feinschmecker eine Scholle, [der du] während des Essens mit dem Ehebrecher Damon, Alexis, in die Nähe von ihm zugleich auch deine Frau bringst. [Dieser (?)] steht schnell auf, deswegen … ähnlich(?) … … die Gestalt dem Vater. Dem Vater aber … . …

Dieses Epigramm tadelt offenbar zunächst allzu leutseliges Verhalten, welches den Verlust der eigenen Frau an einen μοιχός geradezu herausfordert. Damit wäre hier möglicherweise eine Gegenposition zum bereits in AP 11,7 (Kap. II.3.d) behandelten Thema dargestellt. Was für eine Gelegenheit es genau ist, bei der die Frau während eines Essens in die Nähe eines gefährlichen Konkurrenten ›gebracht‹ wird, ist allerdings nicht erkennbar; Parsons bemerkt: ›dining out gives the seducer his chance‹, und führt Hor. carm. 3,6,25ss.; Ov. ars 1,229ss.; 569ss.; am. 1,4; Iuv. 1,57 an. Dass Frauen beim Gastmahl eingeladen sein konnten, ist eine römische Errungenschaft (s. Stein-Hölkeskamp 2005: 73ss.); dass sie die Aufmerksamkeit anderer Tafelnder wecken konnten, ist dabei keine Überraschung.

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Das Epigramm gehört ganz offensichtlich zum ›aufzählenden‹ Typus (vgl. AP 11,74; Kap. I.5.a), insofern als in den ersten zwei Distichen immer neue Beispiele, alle abhängig von der Konstruktion πιστεύειν τί τινι, für Situationen besonderer Versuchung präsentiert werden. Worin der Tatbestand eigentlich besteht, der alle diese Vergleiche evoziert, erfährt man erst in Z. 5s. Es scheint, dass sich das Epigramm nachher auf die Handlungen oder auf die Beschreibung des μοιχός verlagert, so dass gegen Schluss wohl eher er als der leichtfertig handelnde Ehemann im Zentrum steht. Leider ist jedoch der Inhalt am Ende nicht wirklich fassbar. 1 μυῒ In der Schreibung ΜΗ (Pap.) ist, wie es aus graphischen und wohl auch phonetischen Gründen scheint, eine Korruptel noch in statu nascendi erkennbar. – ὄνωι χόρτον Diese Kombination begegnet öfters, cf. Galen de aliment. fac. 2,6,1 (= 6 p. 567 Kühn) ὅλαις τῶν οὐσιῶν ταῖς ἰδιότησιν οἰκείας εἶναι τροφὰς ἑκάστῳ γένει ζῴων, ὄνοις μὲν καὶ ἵπποις ἄχυρα καὶ χόρτον καὶ κριθὰς ὅσα τ’ ἄλλα τοιαῦτα, λέοντι δὲ σάρκας ζῴων ὠμάς, κτλ.; LXX Gen. 42,27, Iud. 19,19; Aes. Fab. 295 Hausrath = 277 Chambry; klar sprichwörtl. Gebrauch in Alex. Aphrod. in Aristot. metaph. 11,7 p. 693,30 Hayduck. Sonst findet sich die Verbindung ὄνος εἰς ἄχυρα (Diogen. paroim. epit. 6,91; Philem. fr. 158 K.-A.). – μέλι μ̣ην̣[.] Der Ausdruck muss weiterhin ›an unsolved problem‹ (Parsons) bleiben. Man mag in einem ersten Moment an der Identifikation von μ̣ zweifeln, da der Buchstabe eher in der Art von λ ganz ohne Seriphe beginnt, aber was würde in diesem Fall als nächstes folgen? Auch mit einer (paläographisch nicht unbedenklichen) Lesung λη{ι}ν- lassen sich keine besseren Resultate finden. So bleibt trotz der Schwierigkeit der Zuordnung zu einer bekannten Vokabel nichts anderes übrig, als doch die Lesung μ̣ην̣ zu akzeptieren. Zwei von Parsons und Rea erwogene Möglichkeiten, die die Probleme jedoch nicht endgültig lösen, sind folgende: a) μ̣ήν̣[ε]ι̣ für σμήνει ›Schwarm‹ (vgl. μικρός/σμικρός; dazu Schwyzer I 311); allerdings ist die Schreibung ohne σ für dieses Wort nicht belegt. Und auch in bezug auf die Semantik befriedigt die Ergänzung nur halbwegs: von ›anvertrauen‹ kann nicht wirklich die Rede sein, wenn der σμῆνος 〈sc. μελίττων〉 den Honig ja selber produziert. b) Oder sind gar nicht Bienen, sondern Wespen oder Fliegen gemeint (vgl. Aes. Fab. 82 Hausrath = 241 Chambry ἔν τινι ταμιείῳ μέλιτος ἐκχυθέντος μυῖαι προσπτᾶσαι κατήσθιον; Apoll. Rhod. 4,1453ss. ὅτε μυῖαι | ἀμφ’ ὀλίγην μέλιτος γλυκεροῦ λίβα πεπτηυῖαι | ἄπλητον μεμάασιν ἐπήτριμοι)? Nimmt man auch hier den gleichen graphischen Fehler (Η=ΥΙ) im Papyrustext an (Rea), hilft dies allerdings auch nicht weiter für die Fortsetzung. 2 χ̣η̣ισὶ σέριν Eine plausible Lesung: aus metrischen Gründen kann am Anfang nur Diphthong stehen, und der waagrechte Strich macht η wahrscheinlich. Wenn man nicht annehmen will, die Zeile sei auf dem Papyrus weiter eingerückt gewesen als andere, drängt sich davor ein weiter Buchstabe

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III.4. Der gefährliche μοιχός

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wie χ auf (Parsons); zu Gänsen und Endivien cf. Varro de re rust. 3,10,5; Colum. 8,14,2. – παιδαρίοις ὑφίδα Die Verständnisprobleme rühren hier daher, dass das zweite Wort sonst nirgends belegt ist. Naheliegend ist eine Verbindung mit der Wurzel ὑφ-, wie sie in ὑφαίνω enthalten ist; ferner findet sich παρυφίδα bei Klearch. fr. 48 Wehrli = Athen. 12,522d für ein durchscheinendes, offenbar luxuriöses Kleidungsstück, bei dem wohl zusätzliche Ziermuster eingewoben waren (παρυφίδα διαφανῆ); Men. fr. 370 K.A (= Hes. π 1019); Aristoph. fr. 332,7 K.-A. Wer mit παιδάρια genau gemeint ist, bleibt offen – Sklaven oder Kinder? Besteht die Aussage darin, dass man exquisite Gewänder nicht den Kindern überlassen sollte (weil sie nachher beschädigt sind), oder nicht den Sklaven (weil diese sie nicht mehr hergeben und ihrer Tunika [cf. Iuv. 1,93] vorziehen?)? Zur Problematik dieser Stelle s. allg. Parsons; Rea schlug vor, ὑφίδα in σφυρίδα (= sportulam) zu emendieren. Keine der Ideen ist allerdings für sich so überzeugend, dass sie alle anderen Möglichkeiten in den Hintergrund stellen würde. Oder ist mit dem Begriff eine Art ›Sparstrumpf‹ gemeint? 3 (ε)ἱμ]άτιον ῥιγοῦντι Dies wohl die wahrscheinlichste Ergänzung, obwohl sie den Nachteil aufweist, dass die normale Schreibung ἱμάτιον an dieser Stelle eindeutig zu kurz wäre: Parsons nimmt deshalb eine Hyperform an; zu solchen neigt der Schreiber auch sonst (vgl. oben Z. 1 ΜΗ). ἱμάτιον ist ein Oberkleid, das über dem χιτών getragen wird; der Sinn wäre dann also: wer friert, stürzt sich auf das ἱμάτιον und will dieses nicht mehr hergeben. Umgekehrt scheint der Platz für semantisch ebenfalls denkbares στρωμ]άτιον (mit so breiten Buchstaben wie μ und ω) zu klein zu sein (cf. a. Parsons). – θεατρώ{ι}νηι τὸ λόγευμα Für θεατρώνης cf. Theophr. Char. 30,6 (über den Profitjäger, der mit etwas Verspätung in die Theateraufführungen geht, weil dann die θεατρῶναι keinen Eintritt mehr verlangen); cf. ὠνηταί IG II2 1176 (Piräus; Vertrag zur Verpachtung eines Theaters, c. a. 360): also = ›Theaterpächter‹, der für Betrieb und Unterhalt zuständig war und dafür den Eintritt erheben konnte (für Theatertickets s. M. Bieber, The History of the Greek and Roman Theater, Princeton 1961: 246s.). Daneben gibt es den θεατροπώλης (= ὁ θέαν ἀπομισθῶν gemäß Pollux 7,199). Die beiden Funktionen sind also wohl voneinander zu unterscheiden (so auch Ussher zu Theophr. l.c.). – τὸ λόγευμα begegnet nur in den dok. Papyri in der Bedeutung ›eingenommenes Geld‹ (cf. Preisigke s.v.): Mussten also die θεατρῶναι den θεατροπῶλαι regelmäßig Abgaben entrichten, mit denen letztere für den Unterhalt aufkamen, oder waren die θεατρῶναι für die Finanzierung selbst verantwortlich (für eine andere Möglichkeit s. Parsons: ›three tiers – the city rents its theatre to the lessor, who then collects fees from companies using it‹)? Aus der vorliegenden Bemerkung lässt sich dies kaum entscheiden. 4 ἀθ]λ̣εύ〈ου〉σι κρέ̣ας Mit dieser Zeile kehren wir wieder zurück zu den (Ende von Z. 2 unterbrochenen) Esswaren, die bestimmte Gruppen mit Si-

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cherheit nicht unangerührt lassen (zu Athleten und Fleisch vgl. u. a. Porph. VPyth. 15 und zahlreiche weitere Stellen). Die Schwierigkeit, dass auf dem Papyrus . ευϲϲι zu lesen ist (was davor mindestens zwei Silben nötig machen würde), lässt sich durch die m.E. sehr berechtigte Konjektur ἀθ]λ̣εύ〈ου〉σι lösen. In dieser Zeile sind dem Schreiber die ε im Gegensatz zu den übrigen Stellen sehr kurz geraten (vgl. gleich nachher noch κρεαϲϲ, das Parsons als κροας las; ich meine aber, der Mittelstrich ist noch zu erkennen; der Buchstabe ähnelt am ehesten einem θ, muss aber ganz offensichtlich ein ε sein). Überhaupt erscheint die Sorgfalt des Schreibers in diesem Epigramm im Vergleich zu den anderen etwas geringer. Die Erklärung, dass er an vorliegender Stelle Opfer seiner eigenen schlechten Schreibweise geworden ist, scheint mir besonders naheliegend, wenn man den Papyrus vor Augen hat: nach ἀθλευhatte er den Eindruck, schon bei -ου- angelangt zu sein; -ευου- > -ευ- wäre also eine durch nachlässige Schreibung entstandene Haplologie. – ὀψοφάγωι λοπάδα Der ὀψοφάγος ist schon Ziel des Spotts in der Alten Komödie, s. Aristoph. Pax 810, cf. Aristot. EN 3,10 (=1118a32). – λοπάς ›flacher Teller‹; in übertragener Bedeutung ›Gericht (auf einem solchen Teller)‹, cf. AP 12,44,3 (= HE 1813), aber auch (mit schwankendem Vokalismus; s. Parsons) Bezeichnung für eine Fischart (Scholle): letzteres ist hier wohl gemeint (LSJ s. v. IV; s. D’A. W. Thompson, A Glossary of Greek Fishes, London 1947: 147s. s. v. λεπάς); cf. Lukian. Asin. 47; Galen de foet. 3 (= 4 p. 670 K.); Theophr. Hist. Plant. 4,6,7, cf. auch Plaut. Rud. 297, fr. 102, sowie das Riesenkompositum in Aristoph. Eccl. 1169; Athen. 3,86–7; außerdem die bei Aristoph. immer wieder durchschimmernde Wertschätzung böotischer Aale. 5 ὃς] Die Notwendigkeit einer Einleitung des Nebensatzes durch Relativpronomen macht die Ergänzung so gut wie sicher. Nachdem die ersten vier Zeilen durch eine Reihe von vergleichbaren ›Konstellationen‹ ausgefüllt waren, die das wirkliche Epigrammthema noch im Ungewissen ließen, wird hier endlich aufgedeckt, worum es geht – eine im Spottepigramm durchaus geläufige Taktik, Spannung zu erzeugen. – Δάμωνος Nikarch ist eine gewisse Vorliebe für diesen Namen nicht abzusprechen; cf. noch POxy. 3725 fr. 9 [s. unt. III.5]; Δᾶμις als eines der Opfer eines verderblichen Arztes in AP 11,124,3 (Kap. I.1). Den Bildungen auf Δαμ-/Δημ- haftet wohl meist auch die Konnotation des Vulgären an (vgl. zu AP 11,329 und 330; Kap. II.14 und 12). – Ἄλεξι Der mit dem Namen verbundene Witz besteht hier wohl darin, dass er κατ’ ἀντίφρασιν gesetzt ist, denn im Verhalten des Trägers wird ja gerade deutlich, dass er den μοιχός nicht von seiner Frau abwehrt. Dasselbe Spiel treibt Nikarch in einem anderen Fall mit einem seiner Ärzte (AP 11,122,1). 6 ἐγ]γ̣ὺς ἄγεις αὐτοῦ καὶ τὸ γύν̣α̣ι̣ ον ἅμα Dass die Ausdrucksweise reduntant sei (Parsons), stört mich an dieser Stelle nicht. Denn selbst in diesem Distichon scheint es noch so zu sein, dass das Unfassbare so lang wie möglich, bis in das 2. Hemiepes hinein, zurückgehalten werden soll: ›der du

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mit dem μοιχός zusammen essend in die Nähe von ihm bringst – sogar zugleich noch deine Frau!‹. καὶ … ἅμα scheinen mir die adäquaten Mittel dafür zu sein, dieser entrüsteten Steigerung Ausdruck zu verleihen: es genügt nicht, dass du mit Damon freundlich verkehrst, nein, du musst ihm sogar zusätzlich noch deine Frau gleichsam in die Hand reichen. 7s. Das folgende Distichon – das letzte vor dem Kolumnenrand – bringt mit dem Wechsel von der 2. in die 3. Sg. die Schilderung, wie nun Damon unter diesen (so günstigen) Voraussetzungen handelt bzw. immer zu handeln pflegt. Meiner Meinung nach ist es wenig wahrscheinlich, dass dies in nur einem Distichon gesagt ist, während die auf Alexis bezogenen Linien 3 Distichen ausmachen (es sei denn, man hätte die erstaunliche Geschwindigkeit des Damon im Vergleich zum arglosen Alexis augenfällig machen wollen). Im übrigen sprechen auch die Worte τῶι δὲ πατρί stark gegen ein Ende des Epigramms an dieser Stelle. Vgl. auch Luppe 2002: 486 ›das Epigramm ging gewiss noch weiter‹. Ein allfällig vorhandener Paragraphos befände sich außerhalb des erhaltenen Papyrusstücks. ἀ̣ νεστάμενο̣ς̣ τ̣αχυνεῖ Während das Partizip als sicher angesehen werden darf, bietet für das folgende Verb eine Lücke im Papyrus Schwierigkeiten. Danach folgt mit Sicherheit -αχυνει. Der Ergänzung ταχυνεῖ gegenüber bleibt Parsons reserviert. Er geht für die Lesung in diesem Fall vom Part. ἀ̣ νεστάμενο̣ν̣ 〈sc. σε〉 als Obj. aus: »as soon as you stand up, he’ll speed you on your way«? – so as to be left alone with your wife?’. Die zweite erwogene Lesung ἀ̣ νεστάμενο̣ς̣ 〈sc. Δάμων〉 κ̣ακυνεῖ 〈sc. τὴν σὴν γυναῖκα〉 ›moralisch verderben‹ (s. Com. Adesp. 138,2 Kock = Euseb. praep. ev. 6,6,42 οἶδε γὰρ συνουσία φαύλη | κακύνειν und Dio Cass. 60,2,4 [über Tib. Claudius Germanicus] ὑπό τε τῶν ἐξελευθέρων καὶ ὑπὸ τῶν γυναικῶν, αἷς σύνην, ἐκακύνετο) besitzt den Nachteil, dass sie die Evidenz des Papyrus gegen sich hat. – M.E. lässt sich aber doch für ταχυνεῖ (das Fut. ist aus metrischen Gründen unumgänglich) ein befriedigender Sinn gewinnen: Damon muss die Gunst des Augenblicks (ev. eine kurze Abwesenheit, viell. auch Unachtsamkeit des Alexis) nutzen und schnell handeln. Was dabei geschieht, kann man sich vorstellen: es muss gar nicht unbedingt schon explizit an dieser Stelle gesagt sein, da ja offenbar nachher mit διὰ ταῦτα eine Folge dieser Handlung erzählt wird. ταχυνεῖ wäre intrans. gebraucht (vgl. LSJ s.v. II), vermutlich in einer Konstruktion analog zu σπεύδω ποιῶν τι ›er wird sich schnell erheben‹, wie sie für trans. gebrauchtes ταχύνω auch bei Eur. Alk. 256 belegt ist (τάδε τοί με σπερχόμενος ταχύνει); das Wort ist im übrigen gerade bei Plut. gut bezeugt (z. B. Aem. Paull. 16,2). Mit dem μοιχός als Subj. wäre für das in der Lücke am Versbeginn geforderte trochäische Wort οὗτος] denkbar – allerdings unter der Annahme, dass die Zeile im Papyrus weiter vorn begonnen hätte (vgl. die wenigen ergänzten Buchstaben am Beginn der übrigen Zeilen). – παχυνεῖ (vgl. Henderson § 21) lässt sich aus paläographischen Gründen ausschließen.

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διὰ ταῦτα δ’ομοι̣ [ | … ]σ̣οι τὴν μορ̣φὴν τῶι πατρὶ Das zweimalige Auftreten von πατρὶ in Z. 8 ist kaum anders zu deuten als ›that paternity is put in doubt by adultery. The lover fathers the child, and the husband unsuspectingly accepts it? Or each fathers a child on the same woman (Mart. 10,95)?‹ (Parsons). Für dasselbe Thema vgl. auch AP 11,215 (Lukillios). Für den Schluss von Z. 7 drängt sich dann auf (a) ὅμοιος / ὁμοίαν 〈sc. τὴν μορφὴν〉 / ὁμοίως o.ä., wozu σ̣οι und die erklärende Apposition τῶι πατρὶ die Ergänzung wäre. Damit verbunden sind zwei kleinere Probleme: vom erwarteten Sinn her müsste die Aussage verneint sein (also ὅμοιος / ὁμοίαν | οὐ ] σ̣οι τὴν μορ̣φὴν τῶι πατρὶ), und der Satz hätte dann bis Z. 8 weder Subj. (erwartet: ὁ υἱός o.ä.) noch Prädikat (]σ̣οι in Z.8 erscheint ziemlich sicher). Das Metrum würde am Ende von Z. 7 auch (b) ὁ μοι[χὸς erlauben, wodurch zwar ein naheliegendes Subj. gewonnen wäre – aber wie ginge der Satz danach weiter? Auch keines der bei Kretschmer-Locker aufgeführten Verben auf -σόω lässt sich am Anfang von Z. 8 einsetzen, das das Problem in schlagender Weise zu lösen vermöchte. Am besten bleibt unter diesen Umständen die von Parsons schon vorgeschlagene Lösung (a) ὅμοι̣ος / ὁμοί̣αν | οὐ ] σ̣οι τὴν μορ̣φὴν τῶι πατρὶ, auch wenn die Wortstellung etwas eigenartig ist. Sie ließe sich ev. dadurch rechtfertigen, dass auch hier, wie in vorangegangenen Sätzen, die relevante Satzinformation (Subj. und Prädikat) möglichst lange aufgeschoben werden soll, um die Spannung aufrecht zu erhalten. Das Problem bleibt auch erhalten, wenn man in Z. 7 ὁμοι̣[οῖ (Subj. ὁ μοιχὸς; Obj. τὴν μορ̣φὴν οὐ σοὶ τῶι πατρὶ) setzt, weil τὴν μορ̣φὴν unbestimmt bliebe. Im übrigen ist die Lesung μορ̣φὴν auch nicht sicher; für μομ̣φὴν scheint mir allerdings zu wenig Platz zur Verfügung zu stehen (vgl. den Platzbedarf des unmittelbar davor stehenden ersten μ im selben Wort). Obwohl also der erschlossene weitere Sinn im generellen einigermaßen plausibel erscheint, sind es die Detailprobleme, für die eine einleuchtende Lösung noch immer aussteht und die an dieser Stelle weiterhin offen bleiben müssen.

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III.5. Fragmenta minora

Hinweis: Die hier verwendete durchgehende Zählung der Fragmente auf POxy. 3725 entspricht nicht der Bezeichnung ›fragment 1–3‹ in der Erstausgabe, die sich auf die drei Papyrusstücke bezieht, aus welchen sich POxy. 3725 zusammensetzt. Die Fragmente wurden hier jedoch ebenfalls so angeordnet, dass die ursprüngliche Verteilung erkennbar bleibt. POxy. 3725 ›fr. 1‹

(3)

›fr. 2‹ (5) (6)

(7)

col. i ]σ̣ ] ]̣ σ̣αι ]̣ ]̣ σ̣ ]̣ εω ̣ [ ]̣ νω ̣ [ ὁ]μ̣οίως̣ [̣ ]̣ ον Διοκλῆν ἀπ̣[ ]̣ ενδημωνω̣[ ]σχεδίας ὁ δε[ ]̣ ενος παρὰ τω .[

(1) (2) (4)

›fr. 3‹

col. ii = AP 5,40,5–10 (II.6) = AP 11,241 (II.15.c) sequitur αλλ̣ω̣[ ]̣ ̣ [ (8)

]π . . . η . . . . π̣τερυ̣[ ]φερ̣εγδη ̣ ωνε ̣ [ δρ]ο̣μά̣δην̣ φ[ . . . . . .[ ]κ̣ ἐνέβαλλεν̣ ὁλη[

(9)

] ὁμοίως [ ]̣ θυσια δαμω̣[ . . ] ̣ [

] ἐπὶ σφιγγ̣ [ ]α̣ι . ρ . νακεσω̣[ ] . νουτουν.[

(6) 1 Διοκλῆν Eine Worttrennung Διοκλῆν ἀπ̣[ (mit dem Koine-Akkusativausgang; s. BDR § 46,1) ist wahrscheinlicher als Διοκλῆ ναπ̣[. Es scheint sich hier um eine für die Exposition typische Nennung eines Personennamens zu handeln. – 2 denkbare Worttrennungen (s. Parsons): -εν (ἐν) δήμῳ (δήμων) bzw. ἐνδημῶ, -ῶν; ev. auch Δημώ? doch steht nach dem zweiten ν ein größerer Zwischenraum, so dass die Wortfuge wohl dort anzunehmen ist. – 3 σχεδίας kann, muss aber nicht auf Darius’ Schiffsbrücke anspielen; auch andere (einfache) Schiffe sind denkbar (›Floß‹; vgl. LSJ s.v.). – 4 nach παρὰ τῷ (τὼ?) muss die Pentameterfuge folgen; Parsons

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Die neuen Texte

nennt als Beispiele mit der selben Situation AP 12,162,2 (Asklepiades) und 12,149,4 (Kallimachos). (7) Tit. ἐπὶ σφιγγ̣[ Bildete dieses Fragment mit POxy. 4502 fr. 4 zusammen ein Epigrammpaar? Leider gibt es innerhalb des Erhaltenen zu wenig signifikante Ausdrücke, die Rückschlüsse auf den Inhalt zulassen würden. Denkbar wäre auch ein Epigramm auf die ägyptische Sphinx (Bernand 1969: no. 129). (8) 2 φερ̣εγδη ̣ ωνε̣ [ Die Situation erinnert an oben (6),2 (vielleicht aber bloßer Zufall): ev. (-)φερεγ δήμων (Δημώ)? Oder φερ’ ἐγδημῶ, -ῶν? Allerdings findet sich die Assimilation von Nasal vor Dental ab dem 2. Jh. vor Chr. im Grunde nicht mehr in den Papyrustexten (Mayser I 231s.; vgl. a. Parsons). Ev. gar φέρε δὴ mit inkorrekter Schreibung? – 3 δρ]ο̣μά̣δην wahrscheinlichste Ergänzung, zumindest aufgrund Kretschmer-Locker. – 4 ἐνέβαλλεν Dies die wahrscheinlichste Worttrennung. Die häufigste Verwendung des Verbs in den dok. Papyri ist diejenige des Beladens von Schiffen mit Fracht (vgl. Preisigke s.v. 1; PErl. 118, s. oben Kap. II.3.a zu AP 11,244,4), doch sind selbstverständlich zahlreiche andere Kontexte ebenso möglich. (9) ] ̣ θυσια δαμω̣[ (-)θύσια/ θυσία/ θυσίᾳ? – Danach ev. einer der typischen ›nikarchischen‹ Namen auf Δαμ-; s. dazu oben p. 374 zu POxy. 4502 fr. 5,5. POxy. 4501 fr. 2 praecedit epigr. I.4.c (= fr. 1) post spatium magnum sequitur ] λ̣αμβα̣νι . [ ]ν̣ατ̣ . αν . [ ]..[ ...

] λ̣αμβα̣νι ̣ [ λαμβάνει (-ῃ ) mit Itazismus? oder λαμβάν’ (λάμβαν ’) ἰ-? – ev. ein mit POxy. 4502 fr. 2a (III.2) vergleichbarer Beginn?

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Fazit: Ein neuer Nikarch?

›Nikarkhos is noticeably ruder on papyrus‹:215 Noch derbere, direktere sexuelle Anspielungen kommen gemäß diesem Urteil in den neuen, in diesem letzten Abschnitt besprochenen Texten zum Vorschein, eine Verdeutlichung eines bisher von den Epigrammen der AP schon bekannten Aspektes unseres Dichters. Wie ›neu‹ ist also das Bild, das uns diese Gedichte bieten? Und wie gut lassen sich die neuen Texte mit Themen und Techniken verbinden, die wir an den im Laufe dieses Buches studierten Werken des ›alten‹ Nikarch herauszuarbeiten versuchten? Die Fragestellung, der wir uns hier im Sinne einer abschließenden Konklusion nochmals zuwenden wollen, ist die gleiche, wie sie auch im Lichte des ungleich größeren Zuwachses an Epigrammen im Mailänder Papyrus bei Poseidipp diskutiert wurde und immer noch wird.216 Wie bei Poseidipp existieren auch für Nikarch ›Scharniere‹ in der Papyrusüberlieferung: Im Fall des POxy. 4502 ergab sich die Verbindung mit Nikarch dank des doppelt überlieferten Epigramms AP 11,328; auf POxy. 3725 befinden sich neben dem in Kap. I.4 besprochenen mutmaßlichen Schiffbruchsepigramm auch AP 5,40 und 11,241. Ein großer Teil der neuen Epigramme (ausnahmslos alle auf POxy. 4502; wobei in fr. 5 [III.4] sexuelle Aischrologie immerhin nicht im Vordergrund zu stehen scheint) kreist tatsächlich um sexuelle Themen. Die Häufung kann leicht den Eindruck erwecken, dass genau dies der Grund dafür ist, dass ihnen die Aufnahme in die handschriftliche Tradition versagt geblieben ist, während uns die Zufälligkeit des Ausschnittes von POxy. 4502 nun umgekehrt einen punktuellen Einblick in einen ›unzensierten Nikarch‹ bietet. Nichtberücksichtigung – um einen neutraleren Begriff zu wählen – hat im Laufe der Überlieferungsgeschichte der Epigramme zweifellos eine Rolle gespielt (vgl. auch die nachträgliche Streichung von AP 11,395 in der APl, s. Kap. II.16). Auf der anderen Seite erlaubt uns der nun gewonnene Gesamtüberblick über die erhaltenen Nikarchgedichte auch eine Relativierung des Sachverhalts. Es ist wahrscheinlich, dass die Epigramme auf den Papyrusresten zu einer privat angelegten Sammlung gehörten, und diese besaß wohl eine von persönlichen Kriterien geprägte thematische Organisation (dazu s.

215 Nisbet 2003: 82. 216 Vgl. den Titel ›New Old Posidippus and Old New Posidippus‹ von Obbink 2005, auf den die hier gewählte Überschrift ebenfalls Bezug nimmt.

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unten). Die Gedichte auf POxy. 4502 könnten demnach vielleicht eher zufälligerweise alle aus einem Abschnitt mit sexuellen Themen stammen.217 Allerdings sind, wie gesehen, direkte und indirekte sexuelle Bemerkungen und Anspielungen überhaupt im Œuvre Nikarchs zwar nicht gerade omnipräsent, aber doch überaus häufig. Im Verlauf der Interpretationen der ›alten‹ Epigramme wurde des Öfteren für die Annahme einer unterschwellig vorhandenen Bedeutungsebene geworben, auf der unter Ausnutzung von semantischer Doppelbödigkeit auch derb-sexueller Humor getrieben wird. Verdeckte (und dadurch subtile) sexuelle Anspielungen sind neben den eindeutigen, offenen Bemerkungen m.E. ein wesentliches Element nikarchischen Humors; in Gedichten wie AP 11,17 (II.8) oder 11,330 (II.12) scheinen diese von der Forschung bisher nicht bemerkt oder zumindest nicht beschrieben worden zu sein. Deutlicher verhält es sich in AP 11,329 (II.14), obwohl das ›brisante‹ Thema auch hier indirekt, in mythologische Vergleiche und übertragene Wendungen verhüllt, aufscheint, sowie schließlich in der Adaption der homerischen ›Aufteilung der Welt‹ (II.13), die sowohl in AP 11,328 als auch auf POxy. 4502 überliefert ist. Im Detail gibt es zahlreiche weitere Anknüpfungspunkte inhaltlicher und formaler Art zwischen ›altem‹ und ›neuem‹ Nikarch, die, so weit sie als gesichert gelten können, hier nochmals überblicksartig aufgezählt seien: – Das Schiffbruchsepigramm auf POxy. 4501 scheint seiner Thematik nach in einen auch sonst von Nikarch gepflegten Bereich zu gehören (vgl. AP 11,331 und 332); auch im ›neuen‹ Epigramm wird offenbar vom Stilmittel der Hyperbole kräftig Gebrauch gemacht. – Das negative praeceptum amoris in POxy. 4502 fr. 1 gibt sich, wie auch einige der seit längerem bekannten Epigramme Nikarchs, als Ausschnitt aus einem jovialen Gespräch unter Freunden und erinnert sowohl in der Herabsetzung der Qualitäten des Objektes der Begierde des Angesprochenen wie auch insbesondere in der Warnung vor schlimmen Folgen an AP 11,329. In beiden Epigrammen scheinen die aischrologischen Komponenten durch episches Vokabular überspielt zu werden; in POxy. 4502 fr. 1 wird zur Untermauerung der Warnung zudem ein Sprichwort um eine skatologische Konnotation ›erweitert‹. Dass Nikarch geflügelten Worten gerne eine auf einen ganz ungewöhnlich alltäglichen oder auch schmutzigen Kontext zugeschnittene ›neue‹ Bedeutung verleiht, illustrieren die in der AP erhaltenen Epigramme ebenfalls schon aufs beste. – Etwas mehr Leerstellen bietet fr. 2a. Es handelt sich wiederum um ein negatives praeceptum amoris, vermutlich mit dem Unterschied, dass das ›Problem‹ mehr beim Angesprochenen selbst bzw. in der Altersdifferenz

217 Vgl. Parsons 1998: 39.

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Fazit: Ein neuer Nikarch?

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zwischen ihm und seinem Objekt der Begierde liegt. Das Epigramm wird offensichtlich durch eine Reihe von μὴ-Sätzen (die offensichtlich länger ist als in AP 11,329) strukturiert. Ob das Thema in der zweiten Gedichthälfte ›umschwenkt‹ und statt des Umgangs mit einer παρθένος ὡραία eine andere Sexualpraktik vorgeschlagen wird (vgl. AP 5,38; vermutlich auch 5,39), muss aufgrund des Erhaltungszustands offen bleiben – vieles spricht auf jeden Fall für eine solche Hypothese. – Im ›Sphinx-Epigramm‹ (fr. 4) begegnet uns eine ganze Reihe von Elementen, die wir als Charakteristika Nikarchs beschrieben haben. Da ist einerseits wieder das Zitat, das als Ausgangspunkt dient, in diesem Fall ein bekanntes Rätsel, insbesondere aber seine überraschende, ›schmutzige‹ Lösung, eine Neuinterpretation, die in ihrer Frivolität sehr an das Epigramm AP 11,328 erinnert, das ja im Papyrus auch tatsächlich und gewiss nicht bloß aus Zufall diesem Gedicht vorangeht. Wichtig ist außerdem die Art und Weise, in der sich das Epigramm besonders in der letzten Zeile (mittels der Anrede ἄνδρες) in den Kontext vermutlich einer Symposionsgesellschaft situiert (für eine ausführlichere Darstellung dieser Technik sei auf Kap. V der Einleitung rückverwiesen). Dazu gehört auch die an verschiedenen Stellen dieses Buches hervorgehobene Schaffung einer ›agonalen Situation‹, die dadurch zum Ausdruck kommt, dass die persona (das Sprecher-ich) im Epigramm von sich behauptet, die beste Lösung für das Rätsel oder allgemein für eine Aufgabe gefunden zu haben, und folglich auch einen Preis für sich in Anspruch nimmt (vgl. AP 11,110,7 ’Εμὲ στεφανώσατ’). Die von niemand anderem übertroffene Variante entspricht in fr. 4 der nikarchischen obszönen ›Umdeutung‹ der traditionellen Rätselantwort und lässt sich daher letztlich auch als autoreferentieller Hinweis lesen. – Ein auffälliges Merkmal des ›Ehebrecher-Epigramms‹ (fr. 5) ist die über vier Zeilen sich ausdehnende Reihung paralleler Satzglieder. Eine ähnliche katalogartige Aufzählung, die das Epigramm geradezu zu einem kleinen Epyllion anwachsen lässt, begegnet auch in AP 11,74. Wie im Kap. II und III a) der Einleitung festgehalten, sind im griechischen Bereich außerhalb Nikarchs lange Spottepigramme mit mehr als vier Distichen sehr selten, während sie bei Martial auch gelegentlich vorkommen. Gerade die auf POxy. 4502 vereinigten Beispiele sind alle sehr lang, doch Nikarch-Gedichte vergleichbarer Länge kommen in der AP ebenfalls vor. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Häufung auf dem Papyrus auf persönliche Vorlieben des Kompilators zurückgeht. In dieser abschließenden Gesamtschau sei nun auch nochmals kurz auf den äußeren Aspekt des Mediums hingewiesen, der unser Bild von der Realität der Nikarchepigramme als gesammelte, rezipierte und reproduzierte Texte erheblich erweitert hat: Was die mögliche Situierung dieser Textzeugen in der antiken Alltagsrealität angeht, bestehen zahlreiche Parallelen zum Posei-

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dipp-Papyrus. Die Nikarchtexte auf Papyrus zeigen klare Spuren einer Kopie von einer schriftlichen Vorlage (z. B. καιω statt κἀγώ in POxy. 4502 fr. 3,1 usw.; s. oben II.13), die Hand ist nicht die eines Schreibers luxuriöser Buchausgaben, die Orthographie mit den Hyperformen offenbart einen, der es möglichst gut machen wollte, aber gerade dabei teilweise fehlging.218 Der Beschreibstoff, auf dessen verso-Seite die Epigramme stehen, entspricht bei weitem nicht dem, was man unter einer qualitätvollen, zum Zwecke des Verkaufs hergestellten Buchrolle verstand.219 Diese Indizien lassen darauf schließen, dass es sich bei diesen Textzeugnissen viel wahrscheinlicher um eine private Zusammenstellung handelt, in welcher sich eine Anordnung nach persönlichen Kriterien und nicht nach einer auktorialen oder zumindest autorisierten Edition manifestiert; der Sammler editiert vielmehr selber und für sich selbst.220 Für eine solche Einschätzung sprechen – unter der plausiblen Annahme, dass POxy. 4501 und 4502 wohl zur selben Buchrolle gehörten,221 auch zwei weitere Besonderheiten: Auf POxy. 4501 befindet sich nach fr. 1 und vor den wenigen Buchstabenresten von fr. 2 ein großer unbeschriebener Raum, der doch wohl am wahrscheinlichsten so zu erklären ist, dass Platz für ein noch fehlendes Epigramm freibleiben sollte.222 Dies lässt den Schluss zu, dass (a) offensichtlich nicht nur eine einzige Vorlage (Ausgabe?) als Quelle für die Kompilation durchforstet wurde und (b) klare editorische Absichten (wie erwähnt, zu privaten Zwecken) bei der Herstellung der Sammlung auf POxy. 4501 und 4502 vorhanden waren, aus denen eine Anordnung der einzelnen Epigramme hervorging, welche von derjenigen der Quellen auch verschieden sein konnte. Der andere Punkt betrifft die bei der Besprechung von POxy. 4502 fr. 3 (II.13) diskutierten und im kritischen Apparat dokumentierten Textvarianten zu AP 11,328, und zwar insbesondere diejenige zwischen den Namen Κλεόβουλος und Διδύμαρχος (vgl. ad 1). Es bleibt eine offene Frage, in welcher Weise wir hier von zwei ›Varianten‹ sprechen wollen: etwa einer auktorialen und einer persönlichen, die an eine ganz bestimmte Konstellation (z. B. einen Gast bei einer Einladung, mit dessen Name gespielt wird) angepasst wurde. Andere mögliche Erklärungen wären die einer Autorenvariante (für eine neubearbeitete Epigrammausgabe?), oder, was ich im Grunde nicht für ausgeschlossen halten würde, dass solche Epigramme überhaupt gewisse ›flexible Elemente‹ aufwiesen, die je nach Anlass einfach angepasst und ›aktualisiert‹ werden konnten.223 218 Parsons 1998: 44s. (›the would-be correctness of an amateur?‹). 219 Für Poseidipp vgl. Johnson 2005: 72s. 220 Parsons 1998: 39; vgl. Einleitung, Kap. V, erster Abschnitt. 221 Vgl. auch den entsprechenden Abschnitt in Kap. IV der Einleitung. 222 Parson 1998: 39 ›I have … wondered whether the central blank in 4501 was left to accommodate another epigram not yet excerpted‹.

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Damit eröffnet sich für unsere Epigramme ein faszinierend lebendiger Hintergrund. Die auf dem Papyrus festgehaltenen Texte waren allem Anschein nach nicht Teil einer gekauften oder aus formellem Anlass geschenkten Buchrolle, die dann in einem Regal gehortet und vielleicht gar nicht so oft geöffnet wurde. Im Gegenteil: Vor unseren Augen entsteht das Bild eines passionierten Liebhabers ebenso derber wie literarisch ausgefeilter Epigramme (wer möchte diesbezüglich der homerischen Triporneia die Qualitäten absprechen?), der sich mit diesen Gedichten auch in kreativer Weise auseinandergesetzt hat: Er hat seinen Schatz auf der Rückseite von Notizen, die ihre Wichtigkeit offensichtlich verloren haben, vermutlich systematisch und über einen längeren Zeitraum angereichert, ein Anordnungssystem für sein Material ersonnen und vielleicht hin und wieder sogar gestalterisch in den Text eingegriffen und kleine Änderungen vorgenommen. (Wie weit er außerdem Freunde gleichen Interesses darin eingeweiht hat und sie daran hat teilhaben lassen, wissen wir nicht.) Ein solcher Umgang mit Texten entspricht lebendiger antiker Realität und beschreibt wohl aufs beste den Charakter des ›epigrammatischen Spiels‹, an dem Autoren, Editoren und Anthologisten ebenso wie Liebhaber derb-gelehrten Humors teilhatten und dadurch die so erfolgreiche wie wandelbare Form des Epigramms am Leben erhielten, bevor es in stärker kanonisch festgesetzten Auswahlen von Vorlage zu Kopie weitergereicht wurde. Die auf den ersten Blick unscheinbaren Papyrusreste zeigen, wie groß die Erweiterung des Spektrums mit jedem Neufund sein kann, aber auch wie viele neue Probleme dazu kommen. Doch während P. Parsons in seiner beispielhaften Erstedition der Texte hinter die Zuschreibung an Nikarch noch ein Fragezeichen gesetzt hatte, untermauern die zuvor aufgeführten inhaltlichen und formalen Gemeinsamkeiten zwischen diesen und dem ›alten‹ Textcorpus auf jeden Fall die Annahme, dass alle Gedichte auch wirklich vom selben Autor stammen. Dies bedeutet, dass auch die Interpretation der seit langem bekannten Texte ihrerseits vom Materialzuwachs profitieren kann. Der ›neue alte‹ und der ›alte neue‹ Nikarch wachsen weiter zusammen; eine erneute Beschäftigung mit dem ›liederlichen Schreiberling‹, wie ihn die 1. Hälfte des letzten Jahrhunderts sah, ist somit unbedingt lohnend.

223 Vgl. auch die Überlegungen im ersten Abschnitt von Kap. V (Einleitung).

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Index verborum Nicarchi

Reine Zahlenfolgen verweisen auf Gedichte innerhalb der AP (Buch der AP, Epigrammnummer, Zeile). Bei Texten, die einzig auf Papyrus erhalten sind, ist die Angabe ›POxy.‹ vorangestellt, gefolgt von Papyrus-Nummer, Epigrammfragment innerhalb dieses Papyrus, Zeilenzahl. Wo der Text korrupt überliefert ist, wurde die wahrscheinlichste Konjektur, versehen mit dem Zusatz (coni.), in die Liste mit aufgenommen. Nicht berücksichtigt wurden sehr häufige Wörter wie Artikel, Formen von εἰμί, die Präpositionen εἰς ἐκ ἐν ὡς, die Konjunktionen ἀλλά γάρ δέ μέν τε sowie Personalpronomen. ᾿Αγέλαος: 11,121,1 ἀγοράζω: 11,244,1; 4 ἀγορανόμιον: 11,17,6 ἄγω: 11,328,2; POxy. 4502,2b,2; 5,6 ἀδιέξοδος: 11,395,1 ᾄδω: 11,186,1 (2x) ἀθάνατος: 11,330,8 ἀθλέω: POxy. 4502,5,4 ᾿Αίδης: 5,39,3; 11,122,4; 330,7 αἰετός: 11,407,4 αἴρω: 5,39,3; 11,1,2 αἰσχρός: 11,74,11 αἰτέω: 11,73,1; 74,6; 7; 9 ἄκανθα: 11,329,2 ᾿Ακεστορίδης: 11,121,1 ἀκμάζω: 11,71,1 (2x) ἀκμή: 5,38,1 ἀκούω: 5,40,1 ἀκτή: 5,40,6; 11,328,7 ῎Αλεξις: 11,122,1; POxy. 4502,5,5 ἀλέω: 11,251,4 ἄλλος: 11,82,1; 119,4; 169,4; 243,4; POxy. 4502,2a,6 ἀλλοτριόχρως: 11,7,3 (coni.) ἅλς: 11,328,3 ἅμα: 11,17,1; 122,1 ἀμε[ινο…: POxy. 4502,2a,2 ἀμφιβαίνω: POxy. 4502,1,1 ἀμφότεροι: 11,251,6; POxy. 4502,4,4 ἄν: 11,82,6; 330,3; POxy. 4502,4,7; 8

ἄν (= ἐάν): 5,38,1; 2; 11,74,7 (2x); 9; 162,5; 6; POxy. 4502,1,6 ἀναβαίνω: 11,330,4; 6 ἀνάγω: 11,162,4 ἀναρπάζω: 11,407,3 ἀνεμόεις: 11,328,7 ἄνεμος: 11,328,8 ἀνήρ: 11,71,4; POxy. 4502,4,2 (?); 8 (?) ἀνίστημι: POxy. 4502,5,7 ἀντιλέγω: 11,251,3 ᾿Αντίφιλος: 11,243,2 ἀντλέω: 11,332,1 ἄνω: 11,73,6; 242,2 ἀπάγω: 11,162,1 ἁπαλός: 11,74,3 ἅπαξ: 5,40,2 ἀπερείδω: POxy. 4502,4,3 ἀπέρχομαι: 5,40,1 ἀπέχω: 11,406,4 ἄπλετος: 11,71,2 ἀπό: 11,18,2 ἀποθνῄσκω: 5,39,1; 11,118,2; 120,4; 169,2; 5; 6; 170,1; 186,2 ἀποκρεμάννυμι: 11,110,6 ἀποκτείνω: 11,395,1; 3 ἀπόλλυμι: 11,1,3; 4; 398,1 ἀποπνίζω: 11,118,1 ἅπτομαι: 5,38,2; 11,118,1; 330,5 ἀράχνη: 11,110,6; 407,6 ἀράχνιον: 11,110,5 ᾿Αριστοδίκη: 11,328,2

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Index verborum Nicarchi ᾿Αριστοτέλης: 11,124,3 ᾿Αρκαδία: 11,82,1 ᾿Αρκάς: 11,96,1 ᾿Αρκεσίλαος: 11,124,3 ἁρπάζω: 11,330,6 ῞Αρπυιαι: 11,96,3 ἄρρωστος: 11,122,2 ἄρσην: 11,18,4 ἀρχή: POxy. 4502,4,1 ἄρχω: 5,40,4 ἄστρον: 11,330,5 ἀσφαλής: 11,162,2 αὖ: POxy. 4502,4,5 αὐτόματος: 11,18,2 αὐτός: 11,18,6; 71,1; 73,4; 74,3; 82,3; 110,6; 118,2; 170,3 (2x); 186,2; 241,1; 251,3; 5; 328,3; 11; 330,6; 331,2; 398,1; 406,2; 5; 6; 407,3; POxy. 4502,5,6 ἀφανής: 11,328,6 ἀφικνέομαι: 11,330,7 ᾿Αφροδίσιος: 11,1,1 ἀφυής: 11,330,1 ἀχέω: 11,96,2 βαίνω: 11,110,5 βαλανεῖον: 11,243,1 βαλανεός: 11,243,5 βάπτω: 11,398,1 βασιλεύς: 11,395,4 βαύκαλις: 11,244,4 βαφεύς: 11,398,3 βδέω: 11,241,4 (coni.); 242,2 βέλος: POxy. 4502,1,8 βλέπω: 11,110,8; 329,1 βλέφαρον: 11,407,6 βοάω: 11,110,7 Βορέας: 11,244,2 Βούβαστις: 11,18,5 βουνός: 11,406,5 Γανυμήδης: 11,330,5; 407,3 γαστήρ: 5,40,9; 11,18,1 γέ: 11,74,9; 169,5; 332,5 γῆ: 11,328,11; 331,4; 407,5; POxy. 4502,4,1 γίγνομαι: 5,39,2; 3; 40,6; 8; 11,17,2; 73,6; 74,11; 120,4; 122,4; 242,1; 329,4; 398,2 γιγνώσκω: 11,119,2 Γλαῦκος: 11,169,2; 6 γλυκερός: 11,124,2 γλῶσσα: 11,329,2 γραῖα: 5,38,4; 11,73,1; 74,1; 11; 119,1; 328,12

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γράμμα: 11,17,3 γράφω: 5,40,5; 11,241,3; 243,5 γρυπός: 11,406,1 γύναιον: POxy. 4502,5,6 γυνή: 5,38,1; 11,7,1 δαιμόνιος: 11,119,2 δακρύ: POxy. 4502,2a,3 δακρύω: 11,170,1 Δᾶμις: 11,124,3 Δαμω[: POxy. 3725,9,1 Δάμων: POxy. 4502,5,5 δασύς: 11,398,2 δείδω: 11,332,5 (coni.) Δείναρχος: 11,169,1 δεινός: 11,169,5; 329,2 δειπνεῖν: 11,330,2; POxy. 4502,5,5 δέκας: 11,96,3 Δευκαλίων: 11,71,2 δέω: 5,39,1; 11,71,4; 241,3 Δημᾶς: 11,110,5 Δημήτριος: 11,124,4; 330,1 Δημόφιλος: 11,186,2 Δημῶναξ: 11,329,1 διαγιγνώσκω: 11,241,2 διαδύω: 11,110,4 διαιρέω: 11,328,4; 12; POxy. 4502,4,7 διαλείπω: 11,18,3 διαπλέω: 11,332,4 Διδύμαρχος: POxy. 4502,3,1; 9 (cf. Κλεόβουλος) δίδωμι: 11,73,2; 8; 74,8 δινεύω: 11,328,8 Διόδωρος: 11,120,1; 242,1 Διοκλῆς: POxy. 3725,6,1 Διονυσιοπηγανόδωρος: 11,17,5 δίπους: POxy. 4502,4,1; 3 δοκός: 11,74,7 δολιχεύω: 11,82,1 δόμος: 11,328,5 δραχμή: 11,96,3 δρ]ομάδην (?): POxy. 3725,8,3 δρομεύς: 5,39,2 δύναμαι: 11,7,2; 242,1; 331,2 δύναμις: 11,395,4 δύο: 11,243,3; 251,2 δυσκέλαδος: 11,328,8 δύσκωφος: 11,74,1; 251,1 (2x) δύσμορος: 11,169,2; 6 Δύστρος: 11,243,2 δυσωνέω: 11,169,3

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Index verborum Nicarchi

δωδέκατος: 11,82,6; 243,2 ἐάν: 11,74,9 ἔαρ: 11,407,1 ἐάω: 5,39,3; 4 ἕβδομος: 11,82,2; 3; 5 ἐγγύς: POxy. 4502,5,6 ἐγείρω: 11,74,12; 244,3 ἐθέλω: 11,73,2; 4; 5 εἰ: 11,18,5; 82,5; 110,8; 162,1; 252,1; 2; 395,3; 406,3; POxy. 4502,4,7 Εἴκανδρος: 11,332,1 εἰκόσορος: 11,332,2; 6 εἷς: 11,82,3; 110,3; 122,3 (3x); 4 (3x); 170,4; 242,2; 328,1; 4 (2x) εἰσαναβαίνω: 11,328,9 εἰσοράω: 11,406,6 εἰσφέρω: 11,74,7 εἴτε: 11,119,1 (2x) ἕκαστος: 11,18,5 ἐκβάλλω: 11,74,7 ἐκεῖνος: 5,40,3; 11,331,1 ἐκεῖσε: 11,162,5 ἐκπίπτω: 11,82,2 ἐλαύνω: 11,73,2 ἐλεεινός: 11,96,3 ἕλκω: 11,407,2 ἐλπίς: POxy. 4502,2a,5 ἐμβάλλω: POxy. 3725,8,4 ἐμβιβάζω: 11,332,2 ἐμβλέπω: 11,328,1; 5 ἐμπαίζω: 5,40,4 ἐνδείκνυμι: 11,110,3 ἔνειμι: 11,332,3 ἕνεκα: 5,39,4 ἔνθα: 11,328,7 ἔνθεν: 11,330,7 ἐνοίκιον: 5,40,7; 11,251,3 ἕξ: 11,1,1; 18,3; 82,3; 169,2; 3; 6 ἐξέρχομαι: 11,407,2 ἔξω: 5,40,2; 11,74,1; 12 ἐπαισθάνομαι: 11,74,10 ἐπιβαίνω: 11,331,3 ἐπιπέτομαι: 11,407,3 ἐπιτίθημι: 11,120,2 ἐπιτίτθιος: 11,243,3 ἑπτάπυλος: POxy. 4502,4,8 ἐρινεός: 11,328,7 ῾Ερμαῖοι: 11,1,1 ῾Ερμῆς: 11,124,6 ῾Ερμογένης: 11,328,1; 5

῾Ερμων: 11,110,3 ἔρρω: 11,96,4 ἔρχομαι: 5,40,10; 11,74,4; 82,4; 6; 162,1; 330,1 ἐρωτάω: 11,162,1 ἔσω: 11,332,3 ἔτι: 11,82,5; 406,2 ἔτυμος: 11,96,4 εὐεπίτακτος: 11,73,4 εὔζωμος: POxy. 4502,2a,5 εὐθύς: 11,17,2; 74,3 εὐμεγέθης: 5,38,1 εὑρίσκω: 5,40,10; 11,73,3; 243,4; 330,8 εὐρύς: POxy. 4502,1,2 εὐρώεις: 11,328,5 εὐτακτέω: 5,40,7 εὐτρεπίζω: 11,119,4 εὐφρόσυνος: 5,40,6 ἔχω: 5,40,3; 11,73,4; 8; 74,4; 82,6; 124,5; 162,3; 242,2; 329,2; 330,2; 6; POxy. 4502,2a,5; 4,2; 8 ἕως: POxy. 4502,4,3 ζάω: 11,121,2 Ζεύς: 11,74,1; 328,9; 330,5; 331,2 ζῆλος: POxy. 4502,2a,3 ζητέω: 11,7,4; 71,4; 169,4 Ζωίλος: 11,82,6 ζωμός (?): POxy. 4502,2a,4 Ζώπυρος: 11,124,2 ἦ: 11,241,3 (P) ἤ: 11,241,3 (Pl); 242,2; 331,4 (2x) ἥβη: POxy. 4502,1,8 ἥκω: 11,162,5; 243,5; 406,3 ἡλικία: 5,40,10 ῾Ηλιόδωρος: 11,18,1; 244,1 ἦμαρ: 11,18,4 ἠμάτιον: 5,40,8 (coni.) ἤν: 5,38,3 (coni.); 39,1; 2; 40,1; 7; 9; 11,73,5; 7; 8; 74,3; 406,5 ἡνίκα: 11,71,2; 330,5 ἡττάομαι: 11,110,8 θακέω: 11,407,1 θάλαμος: 11,407,4 θανατηφόρος: 11,186,1 θάνατος: 11,169,4 θαρρέω: 11,82,4 θαῦμα: 11,82,2 θεατρώνης: POxy. 4502,5,3 θεός: 11,18,6

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Index verborum Nicarchi θεραπεύω: 11,124,6 θέρος: 11,162,4; 244,4 Θεόδωρος: 11,241,1 Θῆβαι: POxy. 4502,4,6; 8 θῆλυς: 11,18,2; 3 θίασος: 5,39,4 θιγγάνω: 11,407,5 θορυβέω: 5,40,9 Θρᾴκη: 11,244,2 θρίξ: 11,398,1 ]θυσια: POxy. 3725,9,1 ἰατρός: 11,119,1; 122,1 ἴδιος: 11,7,1; 332,6 ἵημι: 11,395,2; POxy. 4502,1,8 ἱμάτιον: 5,40,8; 11,82,4; POxy. 4502,5,3 ῾Ιπποκρατιππιάδης: 11,17,4 ἴσος: 11,169,4; 331,2; 395,4 ἵστημι: 11,110,5; 406,6; POxy. 4502,4,3 ἱστός: 11,407,6 καθαιρέω: 11,243,6 καθαίρω: 11,122,1 καθεύδω: 11,329,3 καινός: 11,162,3 καλέω: 11,330,1 καλός: 5,38,1; 11,17,3; 73,1; 241,2 Καμάρινα: POxy. 4502,1,7 κάμνω: 11,244,3 κανών: 11,120,4 καπνός: 11,244,3 κατάγω: 11,124,1 καταλύω: 11,18,5 καταπαίζω: 5,40,3 κατέχω: 11,110,4; 328,10; 330,4 κάτω: 11,73,6; 242,2; 329,1 Κένταυρος: 11,1,3 κέρκος: 11,330,4 κεφαλή: 11,74,5; 398,1 κηρύκιον: 11,124,5 κῆρυξ: 11,74,11 κινέω: 5,40,5; 11,7,2; POxy. 4502,1,7 κίχλη: 11,96,1 Κλεόβουλος: 11,328,1; 9 κλῖμαξ: 11,330,2 κλύζω: 11,118,1; 119,1; 122,1 κλυστήρ: 11,119,3 κνίζω: 11,73,7 κοινός: 11,328,2; 11 κολλάω: 11,73,7 κόλλοψ: POxy. 4502,1,4

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κόμη: 11,398,4 κοπητός: 11,122,4 κόσκινον: POxy. 4501,1,4 κοτύλη: POxy. 4502,2b,1 κουρεύς: 11,398,1 κρέας: POxy. 4502,5,4 κρεμάννυμι: 11,407,6 κρίνω: 11,251,1 κριτής: 11,251,2; 5 Κρονίδης: 11,407,4 κύβδα: POxy. 4502,4,4 Κύπρις: 11,328,2; POxy. 4502,2a,2 κυρτός: 11,120,1; 3 κύων: POxy.4502,5,2 κωφός: 11,251,2 λαγχάνω: 11,328,3; 5; 10 λαλέω: 11,241,4 λαμβάνω: 5,40,9; 11,18,1; 73,8; 162,6; POxy. 4501,2,1 (?), 4502,2a,1 λάσανον: 11,74,8 λάχανον: 11,74,7 λέγω: 11, 71,1; 74,3; 10; 82,4; 251,6; POxy. 4502,1,6 (?); 2a,2; 4,2 λειμών: 11,96,4 λείπω: 11,243,3 λειχάζω: 5,38,4 (coni.) λέμβος: 11,331,1 λέπας: POxy. 4502,4,6 λεπτεπιλεπτός: 11,110,2 λεπτός: 11,110,1; 407,1 λεπτοσύνη: 11,110,1 λευκός: 11,398,4 λίην: 11,74,2; 398,2 λίθος: 5,40,5; 11,120,2 λιμήν: POxy. 4501,1,2 (und 3??) λίνον: 11,110,4 λόγευμα: POxy. 4502,5,3 λόγος: 5,40,3; 11,18,6; 74,8; 82,3 λόπας: POxy. 4502,5,4 λούω: 11,243,1; 4 λυπέω: 11,18,3 μακρός: 11,406,2 μᾶλλον: 11,73,3; 251,1 μάντις: 11,162,2; 3 μάτην: 11,244,3 μάχομαι: 11,110,1; 251,5 μέγας: 11,1,2; 110,3; 330,2 μελαίνω: 11,398,4 μελετάω: 11,74,12

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Index verborum Nicarchi

μέλι: POxy. 4502,5,1 μέλλω: 11,121,2; 162,1 μέλος: 11,395,2 μέλω: 5,39,1 μέμφομαι: 11,330,2 Μενέστρατος: 11,407,1 Μένιππος: 11,406,1 μένω: 11,17,6; 328,11; 406,3 μετά: 11,82,1; POxy. 4502,5,5 μέχρι: 11,124,4 μή: 5,40,1; 3; 9; 11,73,8; 162,4; 6; 244,3 (2x); 252,2 (2x); 329,1; POxy. 4502,1,1; 2a,1; 6 μηδέ: 11,329,1; POxy. 4502,2a (?) μηκέτι: 11,398,3 μήν: 11,124,1; 243,2; 251,4 μηροτραφός: 11,329,4 μήτε: 11,398,4 (2x) μήτηρ: 5,40,1; 11,251,6 μιλιάριον: 11,244,1 μιμνῄσκω: 11,118,2 μισέω: 11,252,1 (2x); 2 μισθός: 11,73,2; 8 μισθόω (?): POxy. 4502,1,3 μνᾶ: 11,170,2 μοιχός: POxy. 4502,5,5 μόνος: 11,110,8; 331,3 μορφή: POxy. 4502,5,8 μυῖα: 11,407,3; 5 μύρμηξ: 11,407,2 μῦς: POxy. 4502,5,1 ναί: 5,40,9 ναίω: 11,328,3 ναυπηγέω: POxy. 4501,1,4 ναῦς: 11,162,3; 332,5; POxy. 4501,1,3 νεκύς: 11,96,2; 328,7 νέος: 5,38,3; 11,73,1; 74,4 νήθω: 11,110,6 Νικονόη: 11,71,2 Νίκων: 11,406,1 νομίζω: 11,241,4 (coni.) νυκτερίς: 11,96,4 νυκτικόραξ: 11,186,1; 2 νῦν: 11,1,4; 17,1; 71,4; 73,2; 241,4; 332,5 νύξ: 11,74,12; 122,3; 251,4 ξενοκυσθαπάτη: 11,7,4 ξένος: 11,124,1 ξέστης: 11,73,6 ξηρός: 11,96,2; 3 ξύλινος: 11,124,5; POxy. 4501,1,5

ὅδε: 5,39,4; 11,124,1; 330,6 ὄζω: 11,241,1 οἶδα: 11,71,3; 73,1 οἶκος: 11,243,3 οἶνος: 11,1,1; 3 οἴομαι: 11,406,4 ὀλίγος: 11,332,3 ὅλος: 11,7,4; 74,10 ᾿Ολυμπικός: 11,162,1 ὁμοι[…: POxy. 4502,5,7 ὅμως: 11,406,3 ᾿Ονήσιμος: 11,74,1; 243,1 ὄνομα: 11,118,2; 331,3 ὄνος: 11,330,4; POxy. 4502,5,1 ὄξος: 11,74,9; 10 ὀπίσω: 11,124,4 ὀπός: 11,74,7 ὁράω: 11,71,2; 122,2; 332,5; 406,1; 5 ὀρθός: 11,120,4; POxy. 4502,1,6 ὀρθόω: 11,120,1 ὁρμίζω: POxy. 4501,1,3 (2x) ὅρος: 11,169,5 ὅς: 11,73,4; 74,10; 110,3; 123,2; 169,5; 243,3; 251,3; 328,3; 9 ὀστάριον: 11,96,2 ὀστράκινος: 11,74,6 ὅταν: 11,73,3; 186,1 ὅτε: 11,73,1 ὅτι: 11,71,3; 170,1; 2 οὐ: 5,39,1; 11,18,1; 71,3; 4; 74,4; 96,1; 169,2; 6; 170,1; 242,1; 328,4; 329,4; 330,7; 332,1; 3; 406,2; 4; POxy. 4501,1,2; POxy. 4502,4,7 οὐδέ: 11,330,3; 331,2; 407,5 οὐδείς: 11,7,1; 119,2; οὐθείς: POxy. 4502,4,2 οὐκοῦν: 11,395,3 οὔ]λιος (?): POxy. 4502,1,8 οὖν: 11,73,3; 82,5 οὔποτε: 5,39,4; 11,74,10 οὐράνιος: 11,407,4 οὖς: 11,119,3 οὔτε: 11,118,1 (2x) οὗτος: 11,1,4; 7,3; 18,5; 71,3 (2x); 73,6; 74,5; 82,5; 96,1; 162,5; 169,5; 170,3; 251,2; 330,3; POxy. 4502,4,3; 5,7 ὀφείλω: 11,1,3; 251,3 ὀψοφάγος: POxy 4502,5,4 παθικεύομαι: 11,73,7 παθικός: POxy. 4502,4,2 πάθος: 11,73,8 παιδάριον: POxy. 4502,5,2

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Index verborum Nicarchi παῖς: 11,17,1; 18,2; 4; 243,3; POxy. 4501,1,4 πάλαι: 11,332,6 παλαιός: 5,38,3 πάλιν: 11,122,2; 395,3 παρά: 11,331,4 (2x); POxy. 3725, 6,4 (?) παραγίγνομαι: 11,82,5 παρατίθημι: POxy. 4501,1,5 παρέχω: 11,74,2 παρθένος: POxy. 4502,2a,1 πᾶς: 5,40,5; 11,17,6; 122,3; 328,4 (2x); 11; 329,1; 398,2 πατήρ: POxy. 4502,5,8 (2x) πέδαλον: 11,124,5 πείθω: 5,38,1; POxy. 4502,1,7 πεινάω: 11,74,8 πειράομαι: 5,40,7 πειρατής: 11,162,6 πέλαγος: 11,162,6 πέμμ[α: POxy. 4502,1,1 πένθος: 11,1,2 πενία: POxy. 4502,2b,2 πέντε: 11,82,1; 5; 122,1 (2x); 2 (2x); 170,2 πέραν: 11,332,4 περί: 11,244,2 περιλαμβάνω: 5,38,3 περισσός: 5,40,7 Περσεφόνη: 11,331,6 πήγανον: 11,74,5 πηδάλιον: POxy. 4501,1,5 πιέζω: 11,120,3 πικρός: POxy. 4502,1,8 πίνω: 11,73,3; 5 πίπτω: 11,407,4 πισ]τεύω: POxy. 4502,5,1 πλαστός: 11,124,5 πλατυ[…: POxy. 4502,2b,1 πλέω: 11,162,1; 2; 331,4; 332,1 πλήν: 11,406,3 πλησίον: POxy. 4502,4,6 πλουτέω: 11,17,2 πλοῦτος: POxy. 4502,2a,2 πνεῦμα: 11,110,8; 242,2 πνοιή: 11,328,8 ποδαγρός: 5,39,1 πόθεν: 5,40,10 ποιέω: 5,40,4; 11,162,5; 330,3; 398,3; POxy. 4502,2a,6 ποῖος: 5,40,6; 11,241,3 (2x) πολιός: 11,328,3 πόλις: 5,40,2

397

πολύς: 5,39,3; 40,4; 11,74,2; 170,4; 251,1; 330,3; 395,1; 406,3 πονέω: 11,74,5 πορδή: 11,395,1; 2; 3; 4 πορεύομαι: 11,243,1 Ποσειδῶν: 11,332,3 ποταμός: POxy. 4501,1,5 ποτέ: 11,328,1; 330,7 πότερον: 11,242,1 πούς: 5,40,2 πρᾶγμα: 11,74,2 πρεσβύς: 5,38,2 πρίαμαι: 11,170,2 προκόπτω: 11,17,1 προκρίνω: 11,110,2 προπορεύομαι: 11,406,5 πρός: 5,40,5; 11,74,1 προσκόπτω: 11,1,2 προστίθημι: 11,17,3 πρῴην: 11,74,5; 110,1 πρωκτός: 11,241,1; 3 πρωρεύς: 11,332,1 πρῶτος: 11,17,3; 162,3; 332,5; POxy. 4501,1,4 πτισάνη: POxy. 4502,2a,4 πτωχός: 11,17,1 πυγίζω: POxy. 4502,1,1; 5 πυνθάνομαι: 11,124,1 πῦρ: 11,328,10 πυρέττω: 11,118,1 πυρία: 11,243,6 πυρός: 11,74,4 πῶς: 11,82,3; 162,2; 330,8 ῥαγάς: 11,407,2 ῥαφίς: 11,110,4 ῥαχίς: 11,120,3 ῥιγέω: POxy. 4502,5,3 ῥίς: 11,406,1; 4 ῾Ρόδος: 11,162,2 ῥυσός: 5,38,4 σεαυτοῦ: 5,40,5 Σεμέλη: 11,329,4 σέρις: POxy. 4502,5,2 σήμερον: 11,330,1; 4 Σιμύλος: 5,38,2; 4 ‹σ›μῆνος (?): POxy. 4502,5,1 σοροπηγός: 11,122,3 σορός: 11,119,4; 170,2; 332,6 σός: 5,39,4

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Index verborum Nicarchi

σοφός: POxy. 4502,4,7 σπατάλη: 11,17,5 στάδιον: 11,406,4 στερίζω: 11,124,2 Στέφανος: 11,17,1; 3; 4 στεφανόω: 11,110,7; 119,3 στιβαρός: 11,120,3 στόμα: 11,241,1; 3 στρώννυμι: 11,328,12 στυγερός: 11,328,5 Στυμφαλίδες: 11,96,1 συζάω: 11,329,3 (coni.) σφάττω: 11,121,1 σχεδία: POxy. 3725,6,3 σχοινίον: 11,169,3 σῴζω: 11,330,3; 331,2; 395,2; 3 Σωκλῆς: 11,120,2 Σωσίπατρος: 11,110,7 Σώστρατος: 11,124,4 Σωτήριχος: 11,331,1; 3 τάλας: 11.121,2 τάττω: 11,243,6 τάφος: 11,74,4; 122,4 τάχος: 11,119,2 ταχύνω (?): POxy. 4502,5,7 ταχύς: 11,82,3 τέκνιον: 11,170,4 τέκνον: 11,243,3 τέμνω: 11,398,3 τέρπω: 11,7,2 τέσσερα: 11,17,3; 73,5 τετράπεδος: 11,120,2 τετράπους: POxy. 4502,4,1; 4 τεχνῖτις: 11,73,3 τέχνη: 11,110,3; 330,8 τήγανον: 11,74,6 τίθημι: 5,40,2; 11,1,2; 328,9 τίκτω: 5,40,9 (2x): 11,18,2; 4; 6 τίς: POxy. 4501,1,4 (2x) τις: 5,40,4; 7; 11,18,6; 73,1; 7; 110,2; 124,1; 2; 162,1; 170,4; 251,5; 398,1; POxy. 4502,4,7 τόξον: 11,74,9 (2x) τόπος: 11,170,3; POxy. 4502,1,7 τότε: 11,73,1; 3; 243,6; POxy. 4502,4,7 τραυλός: 11,395,2 τρεῖς: 11,73,5; 110,1; 120,2 τρέφω: 5,40,5; 11,251,6 τρῆμα: 11,110,4 τρίπους: POxy. 4502,4,1; 5 τρόπος: POxy. 4502,4,6

τρώγλη: 11,110,5 τύμβος: 11,124,1 τυρός: 11,74,3; 4; POxy. 4502,5,1 ὑδρωπική: 11,332,5 ὕδωρ: 11,71,2; 332,5 ὑπάγω: 5,39,2 ὑπάρχω: POxy. 4502,4,7 ὑπέρχομαι: 11,328,6 ὑπισχνέομαι: 11,120,1 ὕπνος: POxy. 4502,1,5 ὑπό: 11,124,1 ὗς: POxy. 4502,5,2 ὕστατος: 11,328,6 ὑφίς: POxy. 4502,5,2 ὑψηλός: 11,406,6 φαίνω: 11,330,6; 332,2; 4; 406,2 φακός: 11,119,4 φάλλος: POxy. 4502,4,5 φάρμακον: 1,122,3 φέγγος: 11,124,2 Φείδων: 11,118,1; 169,1; 170,1 φέρω: 11,74,3; 6: 8; 9; POxy. 3725,8,2 (?) φημί: 11,18,4; 121,2; 162,3; 251,4 φίκιον (?): POxy. 4502,4,5 Φιλαίνιον: 11,18,1 φιλαργυρία: 11,169,5 φιλάργυρος: 11,170,1 φιλέω: 11,252,1 (2x); 2 Φιλουμένη: 5,40,1 Φίλων: 11,331,1 Φοινίκη: 11,329,3 φροντίζω: 5,40,8 φυσάω: 11,244,3 φυσικός: 11,241,2 φύσις: 11,7,3 χαίνω: 11,242,2 χαλκοῦς: 11,169,2; 3; 6; 244,1; 4 χάμαι: POxy. 4502,4,4 Χαρίδημος: 11,7,1 χαρίζω: 11,170,3; 329,1 χάριν: 11,74,11 Χάρις: 5,39,4 (coni.) Χάρμος: 11,82,1; 4 χειμών: 11,162,4 χείρ: 11,328,10; 407,5; POxy. 4502,4,4 Χειρουργός: 11,121,1 χήν: POxy. 4502,5,2

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Index verborum Nicarchi ἔχθες / χθές: 11,169,1; 330,1; POxy. 4501,1,1 (?) χθών: 11,124,1 χοῖρος: 11,329,2 χόρτος: POxy. 4502,5,1 χοῦς: 11,1,1 χρίω: 11,122,2 χρόνος: 11,330,3 χυλός: POxy. 4502,2a,4 χωλεύω: 11,121,2 χῶρος: 11,328,6 ψίαθον: 11,328,11

ψολόεις: 11,328,10 ψόφος: 11,119,3 ψυχή: 11,7,2 ψυχρός: 11,244,2 ὦ: 11,96,3 ὧδε: 11,162,5; 328,12 ὠνέομαι: POxy. 4502,2a,3 ᾠόν: 11,398,2 ὥρα: 11,17,4; 243,5; 407,1 ὡραῖος: POxy. 4502,1,4; 2a,1 ὥς: 11,407,5 ὥστε: 11,241,2

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399

Register

a. Namen und Sachen Vorbemerkung: Dieses Register versteht sich als analytischer Index mit interner Gliederung nach Kategorien. Die Recherche nach bestimmten Erscheinungen (Motive, sprachliche Besonderheiten etc.) in den Gedichten Nikarchs und die Auffindung von deren Besprechung in diesem Buch sollte dadurch erleichtert werden. Selbstverständlich ist eine gewisse Subjektivität bei einer solchen Anordnung und auch in der Auswahl der Begriffe unvermeidlich. Inhaltlich ähnliche bzw. unter einem Oberbegriff eingeordnete Einträge sind durch ein Verweissystem miteinander verbunden. A Abbruchformel: 275s. Aberglaube: 316. Vgl. a. böser Blick Abgrenzung von den ›anderen‹: 83, 119, 191 Abschiedsszene: 286ss. Abstraktion: 98s., 113s., 123, 184ss., 212, 226s., 273. Vgl. a. Figuren: Hyperbole, ›Non-sense‹, Surrealismus Absurdität: 29s., 35, 110, 113s., 138, 215, 241ss., 248, 294, 295ss. et saep. Vgl. a. Figuren: Hyperbole und Paradoxon Abtreibung: 293 Agathias: 47, 49s., 54 Aggressivität, aggressiver Ton: 66 n. 139, 83, 119 Agon, agonähnliche Situation: 25 n. 26, 36, 73, 84s., 184ss., 224, 245ss. 366, 369s., 381. Vgl. a. Capitalia Ägypten: 23ss., 136, 144, 165, 211s., 225, 235, 257s., 278, 297, 307 Aischrologie: 11, 106s., 117, 164, 174, 230s., 325s., 328, 331ss., 338, 339ss., 344ss., 363, 379s. S. a. Motive: ore impurus Aischylos: 147, 365 n. 214 akustische Missverständnisse: 220s. Alexandreia: 23s., 112, 144, 258 Alkidamas: 85 Alltagsbezug, -realität: 23, 220ss., 225s., 250s., 275

Alltagssprache: 13, 20, 33, 37, 45, 186, 221, 225, 275, 287s., 309, 321, 324, 332, 347 Ammianos: 55 n. 88, 253, 301s. Amulett: 27s., 140 Anacreontea: 264 Anbauwitz: 28, 106, 137, 242s., 368 Anekdoten: 30s., 108ss., 218ss., 272ss. Ängste, Unsicherheit: 120, 129s., 139, 154, 281 Anrede: s. Dialoge Ansprechpartner: 31s., 242, 267, 275ss. Anthologia Palatina: 19s., 46ss. et pass. Anordnung der Epigramme: 47ss., 185 nach alphabetischen Sequenzen: 51s., 57ss. nach thematischen Kategorien (Lemmata): 50s., 52 nach dem Prinzip der variatio: 50 Nebeneinander zweier Ordnungsprinzipien: 52s., 58s. Scholien im 11. Buch: 47s., 71s. Anthologia Planudea: 19, 49s., 53, 64ss., 111, 170, 185 n. 102, 349 (andere) Anthologien Agathias: 47, 49s., 54 Diogeneianos: 20s., 47, 52, 55ss., 185 Einleitungsgedichte (σφραγίς): 47 n. 76, 115 Epigrammata Bobiensia: 57

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Namen und Sachen

401

›Epitome des 4. Jhs.‹: 57 Kephalas: 46s., 49, 52ss., 60, 71 n. 160 Lukillios und Nikarch: 60s. Meleagerkranz: 20, 39ss., 47, 54, 56, 65, 92, 108, 114, 152s. Philippkranz: 20, 37ss., 47, 52, 54s., 64s., 92, 108, 313 private Epigrammsammlungen: 63, 72s., 87, 331, 379s., 382s. Anthologisierung: s. unter Epigramme Antipater von Thessalonike: 41, 66, 70, 93, 100, 107 Antiphanes: 93 Aphrodisiakum: 362 Apophthegmata: 113 n. 293 Archilochos: 31, 96s., 107, 199 Archonten: 307, 310 Aristokratie: 76 Aristophanes: 34, 97ss., 191, 236, 302, 308, 362 ›Arithmostichon‹: 35, 245ss. arte allusiva: 63s., 114, 118. Vgl. a. Intertextualität Artemidoros: 140s. Asklepiades: 82 Astrologie: 109, 140 n. 36, 279, 369 Athleten: 50, 135, 140s., 155ss., 245ss., 265, 279, 282, 284, 373s. Augusteische Gesetze: 295s. Ausonius: 57, 230 n. 144 Autor-ich: s. Ich-Sprecher, ›auktorieller‹ Kommentar Autoreferentialität: s. Selbstreflexivität Autorenzuweisungen: 20s., 60, 64ss., 326

D Dämonen: 139s. Demonax (Kyniker): 339s. Dialoge: 31s., 113, 142, 145ss., 176ss., 181, 228s., 274s., 286s. Vgl. a. Epigramme: DialogDiamerismos: 341ss. Diatribe, kynisch-stoische: 360 diffamatio: 105 Dike: 304 Diktum: 29s., 187, 262, 357. Vgl. a. Motive: allg. Regel, Sprichwörter Dion Chrysostomos: 96 Diskurs kreativ-innovativer: 124 meta- oder reflektiver: 124 Doppelbödigkeit, double entendres, sexuelle Anspielungen: 35, 89, 209, 230s., 293s., 324s., 328, 333, 343, 356s., 362 dorische Formen: 142, 144 Drosseln: 34, 250ss.

B Bäder: s. unter Motive Bakhtin, M.: 118 Barthes, R.: 83 n. 193, 121s. Bedeutungstiefe von Inhalten: 85, 119s., 184ss. bellus homo: s. cinaedus, Lustknabe Bergson, H.: 119 Berufsattribute (Ärzte): 144, 147s. Bewirtung: s. Einladung Bianor: 44, 93, 198, 214s. böser Blick: 139 bouts-rimés: 85 n. 199 Boxer: s. unter Motive Briefe: s. Epistolographie, Papyri: Privatbriefe

E ›effet du réel‹: 74, 82ss., 88, 122 Einkaufslisten: 218ss. Einladung/Gastmahl: 71ss., 82s., 88, 252s., 275, 290 320ss., 350, 371, 382. S. a. Symposion Emotion, Emotionalität: 31s., 105, 130s., 168, 203, 219, 232ss., 236, 257, 275, 317, 338, 343, 374s. Emotionsleere: s. kalter Humor Epidauros: 131, 133s. Epigramme Abhängigkeit von einem anderen Epigramm: 23, 66, 153ss., 158ss., 296 ›Hypervariante‹: 240

Buchausgaben; -publikationen: 22, 39, 60s., 72s., 86s., 115, 379ss. Vgl. a. Mündlichkeit und Schriftlichkeit C Capitalia, ludi Capitolini: 25 n. 26, 86 Carmina Priapea: 114ss. Cato: 131 Catull: 31, 35, 50, 83, 87s., 92, 105ss., 247, 349 Charakterzeichnung: 92, 100s., 232ss. cinaedus: 301, 355. Vgl. a. pathicus condicio humana: s. Existenzfragen cunnilingus: s. unter Motive

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Anonymität des Verfassers: 64 Anthologisierung: 47ss., 64ss., 72s., 86ss., 100s., 382s. Ärzte-: 27ss., 50, 69, 83 n. 93, 87, 90, 109, 120, 129ss., 216, 282, 374. S. a. Motive: Ärzte Athleten-: s. Athleten auf Bäder: s. Motive: Bäder auf tote Tiere: 252, 254 Dialog-: 31, 145ss. Diebes-: 207 epideiktische: 20s., 90, 164s., 368 Epigrammpaare, 59, 84s., 135ss., 145, 151s., 184ss., 196, 240ss., 283 Epigrammproduktion als selbstreflexiver Diskurs: 84, 190 erotische: 92, 145 n. 46, 164ss., 170, 172ss., 357, 360 erotische vs. skoptische: 49, 57s. Gastmahl-: s. Einladung Grab-: 89ss., 132ss., 141ss., 151ss., 160, 162, 167s., 199ss., 205s., 216, 233s., 235, 239, 251 Heilungs-: 90, 133ss. Hetären-: 92, 164ss., 206ss., 216s., 313, 325, 338, 362s. Konstruktion von ›Realität‹: s. ›effet du réel‹ Kreuzung der Gattungen: 134, 164, 216s. Vgl. a. Spiel mit verschiedenen Genera (scheinbare) Naivität: s. unter Bedeutungstiefe von Inhalten ›quasi-dialogische‹: 31s., 102 Rätsel-: 136, 206, 249, 301s., 365 reihender Typ: 218ss., 226, 361s., 372 Rezitation: 77, 86ss., 147. Vgl. a. Mündlichkeit und Schriftlichkeit Schiff(bruch)s-: 83 n. 93, 120, 154, 198ss., 325 Sieges-/Ehren-: 89s., 135, 155ss. Sphinx-: s. unter Motive Spiel mit verschiedenen Genera: 22s., 61, 74, 84, 87, 89, 95ss., 132ss., 151, 157s., 159s., 162, 170, 172, 206ss., 292ss. sympotische: 71, 82ss., 92, 256ss., 262, 267 sympotische vs. skoptische: 47ss., 269 Umgang mit traditionellen Motiven: 31, 84, 116, 298 Varianten eines Gedichts vs. Epigrammpaar: 88, 152, 330s., 382 Epiphanie: 139 n. 34

episches Kolorit: s. unter Stilistik Epistolographie: 292s. Epitheta: 332s., 362 Erasmus v. Rotterdam: 218 Erlebnisbericht: 182, 320ss., 337 erotische Konnotation: s. Doppelbödigkeit ›Erwartung‹ und ›Aufschluss‹: s. Lessing Esel: 321s., 324, 372 Ethopoietik: 31, 33, 74, 86, 102, 275, 278, 287 Etymologie, ›etymologisierender‹ Wortwitz: 143, 230s., 232, 254s., 294, 332, 333, 341 Euripides: 99, 103 Euthanasie: 163 Existenzfragen: 119s., 130, 200s. Vgl. a. Ängste Exposition, erste Zeile: s. unter literarische Technik F Fabel: 30, 123 Fachbegriffe, -sprache: 136, 149, 251 Fäkalsprache: 107, 117, 120, 341, 350, 357. Vgl. a. Tabu ›Fake‹-Attribut: 147s. Feigensymbolik: 334 fellatio: s. unter Motive Festsituation: 85s., 119, 261 Figuren Adynata: 123, 160, 184ss., 195, 213, 241, 246, 248 Alliteration: 34, 145, 235, 254 n. 161 Anadiplose: 35, 166 Anapher: 35, 142, 252 Antithese: s. Gegensatzpaare Antonomasie: 234 Aprosdoketon: 120, 166, 182, 242, 254, 267 Assonanz: 145, 220, 235 Chiasmus: 212, 235, 258, 273, 298 cumulatio: s. literarische Technik: Akkumulation Enallage: 34, 251, 254, 290 Euphemismus: 36, 207, 303, 338, 357 Homoioteleuton: s. unter Metrik Hyperbaton: 159, 259, 307, 346 Hyperbole: 32, 34, 98s., 105, 116, 133 n. 18, 139s., 143s., 157, 161s., 168, 183ss., 188s., 195, 206, 216, 223, 237, 240ss., 248s., 273, 274ss., 298, 307, 309ss., 323ss., 380 Klimax: 28, 30, 36, 184ss., 196, 269

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Namen und Sachen Metapher: 33, 93, 121, 152s., 179, 196, 208s., 230, 254, 312, 324, 334, 338, 355. S. a. Gleichnisse Reiter-: 179, 265 Seefahrts- / Schiffs-: 93, 164, 179, 208s., 324 Metonym: 34, 204, 336 Oxymoron: 35, 160, 193, 195, 234 Paradoxon: s. Paradoxa Parallelismus: 35, 137, 143, 298 Paronomasie: 138, 148, 203s., 206s., 234 pars pro toto: 211 Polyptoton: 34 praeteritio: 29, 137 Synekdoche: 312 Trikolon: 180, 269s. Fledermäuse: 252 Frauen in Gesellschaft: 371 Freimütigkeit: s. Jovialität Freud, S.: 117s. G Gaetulicus: 55s., 96 Ganymedes: s. unter Mythologie Gastgeber: s. Patrone Gastmahl: s. Einladung Geck: 302 geflügelte Worte: s. Diktum Gegensatzpaare: 182, 232, 234, 258s., 270. S. a. Motive: Einst-Jetzt-Antithese, Geburt und Tod, Hochzeit und Tod Geilheit: 321s. Gender Studies: 119. S. a. Männerperspektive, Misogynie, sexistischer Humor Gerichtsprozess: 223ss. Geschlechtsverkehr: s. unter Motive Geschwür: 322 Gesprächskomik: 228 Gesprächspartner, textimmanenter: s. imaginärer Einwand Gleichnisse: 140s., 149, 187, 195, 395ss. Vgl. a. Metapher Globalisierung: 24, 131, 179 Gorgias: 85 H Hades: s. unter Mythologie Hadrian: 55 n. 106 Hämorrhoiden: 334 Hapax: s. unter Stilistik: mögl. Wortneubildungen

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Hedylos: 58s., 69, 92, 108 n. 269, 129, 136ss. Heilungsinschriften: 141 Heilungsmethoden, spektakuläre: 160ss. Heliodor: 228s. Herondas: 103s., 275, 288 Hesych: 55 n. 104 Hetären: 23 n. 20, 29, 58, 91ss., 116, 155, 164ss., 208s., 216s., 287, 290, 292s., 296, 314, 328, 332, 336. Vgl. a. Epigramme: Hetären-, Motive: vetula-Skoptik, Namen: HetärenHierokles der Stoiker: 111s. Hipponax: 318 n. 198 Homerparodie, -zitate: s. unter literarische Technik homoerotisches Kolorit: 266s., 286, 341 Horapollo: 316 Horaz: 31, 88, 93, 96, 98, 115, 171, 253, 287 Hybris: 199s. Hyperformen (Grammatik/Orthographie): 357, 360, 373, 382 I Iambos, Invektive: 77s., 91, 93, 96ss., 105, 107s., 119 n. 311, 230 n. 146, 237, 304, 318 n. 198, 328 n. 206, 342 Ich-Sprecher: 29, 31s., 166, 172ss., 181, 205, 263, 329, 338, 342, 369s., 381 Ideal, erotisches: 164, 172s., 360 Identität, wirkliche: s. Motive: Sein und Schein Imaginärer Einwand: 178, 246 implizite Ausdrucksweise: 339ss. S. a. Doppelbödigkeit Improvisation: 48, 71, 85ss., 103, 106. S. a. Stegreifproduktion Interpunktion: 176ss., 290 Intertextualität (als Gattungsspiel): 83ss., 87s., 90, 105s., 118, 122s., 132ss., 148s., 151s., 154ss., 282s. Vgl. a. literarische Technik: Homerparodie, Selbstreflexivität, Umgang mit traditionellen Motiven Inversion: s. Umgang mit traditionellen Motiven Inzest: 230 ionische Formen: 149 Itazismus: 291, 321 J Jovialität, Selbstironie: 49, 83, 173ss., 176ss., 182, 269ss., 337, 380

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Juvenal: 72 n. 161, 76, 93, 98 K Kallikter: 55, 69 Kallimachos: 29, 37ss., 82, 85, 92, 146, 191s., 199, 263 kalter Humor: 31, 119, 167s., 201, 215s., 237, 298 Kamarina: 356ss. karnevaleske Phänomene: 118 Katabasis: s. unter Motive Kephalas: 47ss., 71 n. 160, 185 Killaktor: s. Kallikter Kindessaussetzungen: 296ss. Klangspiele: s. unter literarische Technik Klistier: 109, 123, 135ss., 149, 154s., 157 Koine: 20, 33, 144, 165, 224s., 230, 236, 251, 254s., 265, 269, 273, 274, 291, 321, 350, 366, 367. S. a. Quantitätenunterschiede Kolloquialismen: s. unter Stilistik Kommentar, auktorieller: 27ss., 48, 205, 242, 262, 298, 369s., 381 Komödie: 12, 32s., 202 n. 131, 220s., 253, 254ss., 274, 293s., 299, 350, 360, 374 alte Komödie: 97ss., 228, 237, 331s., 342, 365 n. 214 neue Komödie: 79s., 101s., 220, 286s., 291ss. Korruptelen: s. unter Textkritik Kränze: 49 n. 82, 85, 138, 157, 190, 300 Krinagoras: 37, 41, 43 Kulturwörter, römische: 24, 179, 221, 257 L Laberius: 104 labile Charaktere: 187, 232ss., 240 ländliche Welt: 222 Laskaris, Ioannes: 19, 67 Leerstellen: s. unter literarische Technik Lemmata: 50s., 61ss., 109s. Lessing (›Erwartung‹ und ›Aufschluss‹): 27ss., 284s., 369s. Limericks: 120 Linsenbrei: 155 literarische Technik Akkumulation: 32, 35, 150, 233, 349 Ambivalenz: 338 Aprosdoketon: s. unter Figuren Artifizialität: 33, 114, 188, 195 Aussageebenen, verschiedene: 189 vgl. a. Doppelbödigkeit

Ausschnitthaftigkeit: 31s., 181, 225, 272ss., 286ss. Autoreferentialität: s. Selbstreflexivität Bedeutungswandel von Ausdrücken: 318 Cento: 263, 327ss. Deixis: 388 descriptio: 101 Dialogform: s. Dialog, Epigramme: DialogDramatizität: 30, 31s., 102, 103, 146, 247ss., 274ss., 286ss. Eindruck von Aktualität: 232, 242 Eindruck von Spontaneität: 31, 36, 74, 273 Enjambement: 137, 156s., 158, 180, 206, 251, 254, 273, 283, 320, 364. Vgl. a. Figuren: Hyperbaton ›Pseudo-Enjambement‹: 234 Erwartungshaltungen: 120, 138 Exposition, erste Zeile: 32, 166, 172, 283, 297, 306, 309. Vgl. a. Stilistik: Kurzsätze. Folie: 130, 132ss., 280ss., 317, 319, 357, 366 Nachfragen nach auffälligem Sachverhalt: 246s. ›framing‹: 122ss., 197, 276 ›Guckkasten‹: 31, 119, 210s., 225 Homerparodie, -zitate: 29, 34ss., 87, 99, 115, 261s., 327ss., 354, 357 Hyperbole: s. unter Figuren Klangspiele: 173, 189, 220, 225s., 230, 237, 254s., 296, 321, 335 Klimax: s. unter Figuren Kontrast zwischen gravitätischem Klang und erbärmlichem Gegenstand: 34, 192s., 195, 253ss., 337ss., 350 Kontrastwirkung: 50, 134, 149, 151, 163, 192, 236, 258s., 298, 307, 329, 344s., 347, 357. Vgl. a. Namen: e contrario ›Kreation/Konstruktion von Realität‹: s. ›effet du réel‹ Kurzsätze: s. unter Stilistik Lautmalerei/Onomatopoesie: 183, 207, 320, 350. S. a. Figuren: Alliteration, Assonanz Leerstellen: 113, 137, 221s., 240, 275, 287, 293, 364 mäandrierender Gedenkengang: 275s. Metatextualität, -diskursivität: 99, 124, 188ss., 196, 284s., 314 mimetische Elemente: 122, 276, 292. S. a. Dramatizität

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Namen und Sachen mise-en-abîme: 77, 191, 214 Motivaufstockung, -kombination, -verschränkung: 13, 30, 32, 69, 106, 116, 132, 184, 216s., 240s., 294, 298. S. a. Epigramme: Spiel mit verschiedenen Genera parallele und serielle Augmentation: 184 mythologischer Vergleich: 250s., 253, 328, 341 Novelle: 211, 242 Paradoxon: s. Paradoxa parataktischer Stil: s. oben Kurzsätze Parodie: 30, 36, 69, 87, 99, 103, 115, 132, 145, 151ss., 154ss., 252, 265ss., 294, 297, 327, 357 Perspektivenwechsel: 298 Pointe: 28ss., 34, 80, 160, 166, 171, 183, 227, 234, 252, 254, 267, 270, 284, 311, 338, 363 Redundanz: 276, 374s. S. a. oben Akkumulation refrainartige Wiederholung: 106, 174, 180, 233s., 242 Reihung: s. Epigramme: reihender Typ Ringkomposition: 35, 183, 241s., 256, 305, 317 strophischer Bau: 30, 188, 258ss. Szenenhaftigkeit: s. oben Dramatizität thematischer ›Schwenk‹: 29s., 153, 160, 166ss., 208, 336, 366 Variationen des selben Themas: 32 et saep. Verfremdungselemente: 195 Verzögerung: 148s., 173, 179s., 242, 252, 254, 276, 320, 329, 374. S. a. Figuren: Hyperbaton Visualisierung: 144, 148, 201s., 275s. Wort- und Verswiederholungen: s. oben Akkumulation Literazität: s. Mündlichkeit und Schriftlichkeit Lohn: 178s., 294, 354s. Lucilius (Satiriker): 96 Lukian: 56s., 67, 108 n. 271, 193, 265, 292 n. 176 Lukillios: 22, 25, 27ss., 38ss., 52, 55, 58s., 60ss., 68, 82, 89ss., 98s., 109s., 135, 140ss., 156s., 160, 187, 189, 210, 215s., 235, 239ss., 247s., 251, 253, 269, 279ss., 306, 313, 318, 321, 345, 355

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mögl. Abhängigkeit/Wechselbeziehung: 22ss., 61, 140ss., 156, 189, 194, 210, 212, 213, 239s., 256, 283, 306, 318 Erfinder des ›skoptischen‹ Epigramms?: 90ss. Lukrez: 199 n. 119, 201 Lustknabe: 181, 182, 301, 305, 329ss., 352ss. Luxus: 77, 236, 258, 260, 302, 373. S. a. Tafelluxus M Magie: 139, 144 Männerperspektive, männl. Gemeinschaft: 48, 78, 83, 110, 119, 172, 183, 268ss. Mantikterminologie: 279ss. Marfurt, B.: 118s. Marginalia: 65ss., 69, 205 Martial: 14, 22s., 26ss., 33ss., 50, 72 n. 161, 76, 87s., 96, 98, 104, 105s., 114, 166, 205, 247, 263, 298, 314, 344, 369, 381 Meleager: 39ss., 70, 92, 108, 208, 361. S. a. Anthologien: Meleagerkranz Menander: 100, 287, 291s. Metaphern (Seefahrts- etc.): s. unter Figuren Metrik Correptio epica: 42, 45, 271 Freiheiten: 45, 274 Hiat: 41, 178, 271 holodaktylische Hexameter: 41 Homoioteleuton: 45 ν ἐφελκυστικόν: 42, 44 Spondeen: 40s., 182, 192 Synizese: 192 n. 112 Mietzins: s. unter Motive mimetische Elemente: s. unter literarische Technik Mimus: 77, 103ss., 145 n. 46, 202 n. 31, 275, 299 Charition: 103, 349 Minimalpaare: 226 mise-en-abîme: s. unter literarische Technik Misogynie: 96, 110, 119 Monatsnamen: 307 Moral, Moralität: 23, 101, 104 Morphemgrenze: 35, 232 Morus, Th.: 218 Motivaufstockung, -kombination: s. unter literarische Technik Motive abartige sexuelle Neigungen: 81, 119, 174s., 339ss., 344ss. et saep.

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allg. Regel bzw. Wahrheit: 317 Änderung der Sexualpraktik: 173ss., 183, 267, 364 Ärzte: 27ss., 50, 103, 109, 120, 129ss., 318, 346s. S. a. Epigramme: ÄrzteBäder: 257, 259, 306ss. Barbier: 109, 314s., 318 betrogener Ehemann: 103, 371ss. Boxer: 50, 110, 282s. Charakterfehler (allg.): 81, 93, 237 cunnilingus: 107, 325s., 331s., 339ss., 344, 353, 362ss. Einst-Jetzt-Antithese: 165, 182, 232, 304s. Eltern und Kind: 291s. Emporkömmling: 299ss. Erbschaft, Erbschleicher: 103, 241 Essensqualität: 73, 76, 82, 250ss. Faule: 110 fellatio: 170s., 174, 180, 335, 341, 344, 363 Findelkind: 102, 298 Gastmahl: s. Einladung Geburt und Tod: 298 Geizige: 50, 81s., 93, 104, 109, 113, 232ss. Gelehrter (σχολαστικός): 108 Gicht: s. unten Podagra Grammatiker: 93 Hetären: s. Epigramme: Hetären-, Hetären Hochzeit und Tod: 168 Katabasis: 204, 208s., 332ss., 338 körperliche Eigenschaften und Defekte: 81, 111, 119 Lehrer: 103. Vgl. a. oben Gelehrter (σχολαστικός) Mietzins: 225s., 290 Misanthrop (δύσκολος): 104, 109 Mundgeruch: s. unten ore impurus Nase: 80s., 102, 272ss. Neidische: 110 ore impurus, ὀζόστομοι: 66, 81, 87, 93, 107, 110s., 180, 344ss. Podagra: 59, 263ss. Schiffbruch, marodes Schiff: 23 n. 20, 70, 151ss., 198ss., 233, 280, 282. S. a. Epigramme: SchiffbruchsSchwein: 340 Schwerhörige: 32, 113, 123, 218ss. Sein und Schein: 147s., 206, 216, 252, 254s., 257, 258s., 304s. sexuelles Versagen: 93 spezielle Todesarten: 91, 201 Sphinx: 36, 62 n. 124, 63, 84, 124, 365ss.

Spinne: 184s., 188s., 194s. Suizid: 187ss., 232s., 239s., 241 sympotische Themen: s. Symposion Unglaublich, aber wahr: 48, 156, 215, 246, 297ss. unzeitiger Tod: 168, 199s. Verspätung: 320ss. vetula-Skoptik: 91, 97, 103, 110, 116, 155, 164ss., 208s., 216s., 314 Vielfraß: 110 Wahrsager: 109, 278ss. Weingenuss: 73, 91, 179, 257, 260ss. S. a. Einladung, Symposion mündliche Ausdrucksweise: 203, 219s., 234, 236, 273, 321. S. a. Alltagssprache Mündlichkeit und Schriftlichkeit: 14, 72, 74s., 84ss., 103, 116, 121, 124, 137 n. 26, 169, 325, 331, 344, 383 (satyrische) Mythenkorrektur: 146 Mythologie Achill: 310, 334 Apollon: 152, 207, 279, 357 Asklepios: 130ss., 139, 141 Bubastis: 24, 297 Charis: 267 Demeter: 118, 143 Deukalion: 165, 167 Diana: 297s. Dionysos: 175 n. 94, 303, 341 Ganymedes: 193ss., 323, 325 Hades: 134, 142, 146, 149, 199, 208, 264ss., 329, 332s. Harpyien: 34, 251 Hebe: 357 Hekabe: 261 Hektor: 261, 334 Herakles: 189, 194, 250, 357 Hermes: 140, 144, 147s., 207, 329 Flügelschuhe: 148 Odysseus: 288, 307, 309s. Oedipus: 366, 370 Pan: 329 Peleus: 309s. Persephone: 208 Poseidon: 204, 329, 337, 360 Semele: 175 n. 94, 341 Sphinx: s. unter Motive Stymphaliden: 250 Telemachos: 307, 309s. Tyche: 93, 119, 130, 134s., 152, 154, 200s., 207, 214s.

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Namen und Sachen Zeus: 86, 115, 194, 206s., 209, 279s., 324, 328ss., 335, 341 N Namen: 174, 301, 303, 311, 374 deren Kenntnis und daraus entstehende Macht: 139 dorische: 143s. e contrario: 36, 154s., 163, 192, 194, 206, 240, 258, 272s., 306, 309ss., 317, 339, 374 Erweiterung: 299ss. fehlende Angabe: 314 fiktive: 307 Hetären-: 164s., 287, 296, 322 makedonische: 165 sprechende: 36, 79, 88, 91, 102, 136, 138ss., 149, 156, 159, 163, 174s., 203, 209, 216, 235, 240s., 245, 258, 261, 268, 279, 282s., 287, 299ss., 306, 317, 321, 322, 329, 330, 331, 336, 338, 339, 341, 355, 374, 382 thrakische: 165 Nekyia: 333s. Nero: 22, 60, 318s. Nikarchos I / II: 20s. Nikarch-Zitate bei späteren Autoren: s. Sprichwörter, Theodoros Prodromos ›Non-sense‹: 120ss., 188, 190, 213, 226, 229, 276 O obszöne Umdeutungen: S. Doppelbödigkeit Obszönität: 11, 97, 104ss., 170s. et saep. S. a. Aischrologie, Doppelbödigkeit Olympia: 273, 279 Opfergaben: 152 Orakel: 199, 280ss., 295. S. a. Mantikterminologie, Sortes Astrampsychi ore impurus: s. unter Motive orphisch-bakchische Goldblättchen: 208, 334 Orthographie: s. Hyperformen Oxyrhynchos (Ort von Einladungen): 76 P Päderastie: 323s., 354 Palladas: 47, 52 n. 94, 256 Papyri

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dokumentarische: 13, 33s., 76, 186, 224ss., 251, 258, 261, 274, 288, 290ss., 307, 321, 332, 340, 361, 366s., 373 Mimus: s. Mimus: Charition Nikarch: 25, 61ss., 351ss. et saep. Poseidipp: 50, 72, 134, 145, 199 n. 23 Privatbriefe: 258, 287ss., 292 Titelangabe: 61ss., 366; bei Poseidipp: 134, 199 n. 23 Paradoxa: 29, 31, 93, 99, 133ss., 154, 168, 178, 190, 200ss., 210, 213ss., 245ss., 298, 338, 355 Parasiten: 79, 81, 102, 206 Paratragödie: 34 Parodie: 154ss., 252, 294, 365ss. Passiver, pathicus: 266, 325, 354s., 365ss. Patrone: 71ss., 75ss., 82, 86, 88, 253s. Paulos Silentiarios: 145 n. 46 pedicator: 142, 357 performativer Diskurs: s. Agon, agonähnliche Situation; literarische Technik: Metadiskursivität performativer Kontext: s. Mündlichkeit und Schriftlichkeit Persiflage: 261s. Persius: 93 persona: s. Ich-Sprecher Personen, reale/historische: 36 n. 59, 88, 91, 93, 142s., 165, 339s. Petron: 76, 299s., 312ss. Philagrios: 111s. Philipp: 20, 43s. S. a. Anthologien: Philippkranz Philistion: 112 Philodem: 33, 35 n. 56, 42ss., 82, 92s., 361, 369 Philogelos: 30, 80, 100s., 107, 108ss., 238s., 241 n. 57, 282, 345s., 348 Physiognomiker: 174 Piraterie: 280 Planudes, M.: 19, 36 Pleonasmus: 203, 219s. S. a. Alltagssprache, Redundanz Plutarch: 43, 80s., 96, 279 Poetologie, implizite: 87. S. a. Selbstreflexivität Popularphilosophie: 280 Poseidipp: 92. S. a. unter Papyri. praeceptum amoris, negatives: 342s., 352ss., 361, 380s. Preisendanz, W.: 118

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Priapus: 115, 268, 367s. vgl. a. Carmina Priapea Privatbriefe: s. unter Papyri private Epigrammsammlungen: s. unter Anthologien Prostitution: 178, 290s., 294, 333. Vgl. a. Hetären, cinaedus. Prozess: s. Gerichtsprozess Publilius Syrus: 104 Pushkin, A.: 218 Q Quantitätenunterschiede: 138, 321 R Rätsel: 36, 84s., 365ss. S. a. Epigramme: RätselRealweltsbezug, realer Hintergrund: 114, 129ss., 195, 198ss., 224, 226s., 248, 280ss. Vgl. a. Abstraktion Redundanz: s. unter literarische Technik Religiosität: 199 Rezitation: 77, 86, 137 n. 26, 147, 381ss. Rhetorik, rhetorische Gestaltung: 34ss., 137 n. 26, 163, 203 zeitgenössische Rhetorik als Hintergrund: 85s., 97, 101 Richlin, A.: 83, 119, 164, 268 Rivalen in der Liebe: 288, 362 vor Gericht: 224 römische Kulturwörter: s. Kulturwörter römische Maße: 24, 179, 261 Roman, antiker: 168, 280, 291 Rufinos: 57s. S Sacchetti, F.: 218 Sandalen: 144, 148 sarkastische Distanz: s. kalter Humor Satire, römische: 83, 119, 253, 293, 299 Schicksal: s. Mytholgie: Tyche Schiffbruch: s. unter Motive Scholia Wecheliana: 67, 126s., 300 Schuldzuweisungen: 215s. Selbstironie: s. Jovialität Selbstreflexivität: 189, 195s., 369s. S. a. Metatextualität, -diskursivität sexistischer Humor: 83, 119 sexuelle Anspielungen: s. Doppelbödigkeit

Siegerstatuen: 248 [Ps.-]Simonides: 151ss. Sinngebung, -haftigkeit bzw. -vakuum: s. ›Non-Sense‹ Sklaven: 102, 212, 238, 274s., 288, 295, 300s., 373 Skolia: 48, 78ss., 82, 173 Sortes Astrampsychi: 278, 281 Sotades: 91 n. 216, 258 Speiseräume (Anlage): 75 Sphinx: s. unter Motive Spinne: s. unter Motive Spontaneität: s. literarische Technik: Eindruck von Spontaneität Sprichwörter, sprichwörtliche Redensarten: 111, 179s., 187, 223, 289, 236s., 356s., 365, 372. S. a. Diktum Statius: 72 n. 161, 75 n. 170, 86 Stegreifproduktion: 48, 71ss., 85s., 87, 196, 260, 275, 344ss. Sterilität: 295s. Stilistik bathos: 34, 99, 354 brevitas: 32 constructio ad sensum: 234 Diminutiv: 236, 251 Eindruck von Altertümlichkeit: 142s., 192 episches Kolorit: 34, 99, 142, 147, 159, 192s., 246, 251ss., 309s., 328ss., 362. Vgl. a. Homerparodie episch-dramatisches Patchwork: 34, 193ss., 251s., 350 exakte Zeitangaben: 307, 311 Gebrauch von Adverbien: 33 Kolloquialismen: 31, 33, 165, 176 Kurzsätze, (einleitende) Hauptsätze: 32s., 166, 172, 203, 206, 275, 306, 353. Vgl. a. literarische Technik: Exposition οὐκ … ἀλλὰ-Antithese: 167s. Überbestimmung: 193, 219s., 223, 242, 246. Vgl. a. literarische Technik: Redundanz, Pleonasmus (mögliche) Wortneubildungen (Hapax): 36, 211, 269 Zweiteiligkeit: s. Lessing Straton: 39ss., 68 Struktur ›Erwartung und Aufschluss‹: s. Lessing reihende Epigramme: s. Epigramme: reihender Typ Suizid: s. unter Motive

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Namen und Sachen Surrealismus: s. Abstraktion Symposion, sympotischer Topos: 36, 48s., 71–88, 92s., 110, 118 n. 305, 119, 124, 187, 191, 256–71, 272, 290, 300, 303, 305, 369, 381 Szenenhaftigkeit: s. literarische Technik: Dramatizität T Tabus, Tabuisierung: 117s., 170s., 174, 340ss., 350 Tafelluxus: 77, 258, 260 Terenz: 287, 292 Textkritik Interpunktion: 176ss. Korruptelen, Konjekturen, variae lectiones: 41, 165, 169 n. 85, 170, 180, 187, 193, 213, 220s., 265s., 267, 269, 291, 300s., 334, 335, 340, 347, 367, 372, 374 lacunae: 65, 204s., 211s., 352ss. Marginalie: 204 gleichwertige Varianten: 330s. Theater: 113, 373 Theatralik: s. literarische Technik: Dramatizität Theodoros Prodromos: 316 Theognidea: 84 Theokrit: 41ss., 91, 368 Theophrast: 79, 100s., 108s., 238 Thermen: s. Motive: Bäder Timon von Phleius: 91 n. 216 Titel: s. Papyri: Titelangabe Tod: 27ss., 129ss., 152ss., 167s., 199ss., 232ss., 235ss., 239ss., 262, 264ss., 316ss. merkwürdige Todesarten: 91, 201 Trajan: 55 n. 106 Trauer: 142, 235 Traum: 139ss., 240 triclinium: s. Speiseräume Triporneia: 327ss. Tyche: s. unter Mythologie Typenspott: 79, 93, 101, 103, 108 Ü Überraschungseffekt: s. literarische Technik: Pointe Übertreibung: s. Figuren: Hyperbole Umgang mit traditionellen Motiven Inversion: 90, 132ss., 141, 145, 156s., 241, 247s., 253

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sexuelle Verballhornung der Vorlage: 115, 327ss., 365ss. et saep. Transposition: 69, 85, 154ss., 168, 263, 337 Umgangssprache: s. Alltagssprache Unsterblichkeit / Sterblichkeit: 264, 321, 324 Unterhaltspflicht (Eltern, Kinder): 226s., 291 Unterwelt: s. Motive: Katabasis, Mythologie: Hades Untreue: 83, 174, 268ss. Unzeitigkeit: 168 V Verfremdungselemente: s. unter literarische Technik Verunglimpfung, sexuelle: s. Iambos, Invektive vetula-Skoptik: s. unter Motive Vokabular dramatisches: 13, 34, 142, 192, 221, 287, 357, 369 episches: 13, 34, 142, 192s., 246, 251s., 261, 329ss., 362, 369. S. a. Stilistik: episches Kolorit Fachsprache: 13, 203, 346. S. a. Mantikterminologie kyrenaisches: 274 medizinisches: 251, 346, 350 Neologismen: 188, 233, 269s. W Wechelius: s. Scholia Wecheliana Weingenuss: s. unter Motive Werteumkehr: 90, 118. S. a. Jovialität, Umgang mit traditionellen Motiven: Transposition Wettläufer: s. Athleten Witze als intellektuelles Vergnügen: 118 Unalltäglichkeit der Form: 118 Witzbücher: 79s., 101, 108ss. Witz und Symposion: 77ss. Witzeerzählen: 77ss., 314 Witztheorien: 117ss. S. a. Sexistischer Humor Wortspiele: 34s., 110s., 143, 166, 186s., 203, 206, 216, 219ss., 226, 232, 234, 262, 289, 290, 296, 335s., 339ss., 345, 362, 367s. Vgl. a. Doppelbödigkeit, Etymologie, Motive: Sein und Schein

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Register

Z Zahlenspiele: 31, 35, 150, 159, 179s., 246s., 301, 370 Zahlungsrückstand: s. Motive: Mietzins Zeitstufen, verschiedene: 311. S. a. Motive: Einst-Jetzt-Antithese

Zensur: 36, 111, 349 Zitate: 223, 316, 356. S. a. literarische Technik: Homerparodie, -zitate; Sprichwörter Zwischenfälle: 256ss. Vgl. Tod: merkwürdige Todesarten

b. Textstellen (in Auswahl: reine Wortparallelen wurden hier nicht aufgelistet) Nicarchus AP 5,38

5,39 5,40 11,1 11,7

11,17

11,18 11,71 11,73

11,74

11,82 11,96 11,110

11,118

11,119 29, 31, 33, 42s., 49, 57s., 119 n. 311, 168ss., 183, 266, 267, 341s., 360 33, 42s., 49, 57s., 83, 263ss., 364 20, 33, 42–44, 57s., 61, 97, 102, 226, 286ss., 297, 379 29, 34, 35, 48, 83 n. 192, 179, 260ss., 357 31, 36, 48, 58, 67, 83, 110, 119 n. 311, 180, 267ss., 325, 366, 371 32, 43s., 48, 49 n. 82, 67, 104, 206, 267, 299ss., 308, 380 24, 33, 42, 48, 102, 291, 295ss. 22 n. 15, 32, 33, 35, 42, 67, 97, 164ss., 208, 366 22 n. 15, 24, 31, 32, 33, 34, 41ss., 83, 97, 104s., 116, 119 n. 111, 176ss., 261, 269, 294, 313, 338, 355, 367, 368 24, 33, 41ss., 123, 176, 203, 218ss., 223, 226ss., 306, 372, 381 29, 30s., 35, 43s., 245ss., 370 33, 34, 41, 43, 45, 76, 82, 250ss. 22, 30, 32, 35, 42ss., 68, 85, 99, 184ss., 223, 224, 321, 370, 381 28, 32, 36, 38, 41, 66 n. 138, 68ss., 133ss., 135ss., 159, 162, 207, 208, 240 n. 154, 273

11,120 11,121 11,122 11,124

11,162 11,169 11,170 11,186 11,241 11,242 11,243 11,244 11,251

11,252 11,328

11,329

24, 38, 68ss., 87, 123s., 132, 135, 138, 150, 154ss., 176, 247, 263, 337, 366 38, 44s., 68ss., 158ss. 32, 36, 38, 68ss., 109, 162ss. 35, 36, 38, 42, 68ss., 109, 147, 149ss., 374 23, 30, 31, 33, 34, 35, 42s., 90, 99, 133, 141ss., 150 n. 52, 153, 162, 236, 321, 330, 374. 22, 36, 42s., 45, 199, 273, 278ss. 35, 43, 113, 211, 232ss., 240ss. 32, 34, 36, 44, 93, 150, 207, 232s., 235ss., 251, 273 29s., 32, 35, 82 n. 191, 316ss., 321 20, 41ss., 61, 66, 87, 107, 110, 344ss., 349, 379 42ss., 66, 87, 107, 110, 180, 344ss., 349 32, 42s., 98, 259, 291, 302, 306ss., 356, 367 24, 32, 42, 82, 255 n. 162, 256ss. 20, 30, 32, 34, 41ss., 113, 123, 126, 186, 223ss., 255 n. 162 20, 35, 43, 70, 107, 110, 113, 126, 344s. 20, 30, 34, 36, 41ss., 61ss., 88, 99, 110, 115, 119, 167, 209, 263, 322, 327ss., 341, 356, 358, 369, 379ss. 43, 97, 318s., 321, 325, 333, 339ss., 353, 374, 380, 381

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Textstellen 11,330

32, 33, 42s., 82, 98, 232, 320ss., 374 23 n. 20, 32, 44, 58, 70, 179, 206ss., 216, 230, 280, 282, 325, 332, 380 23 n. 20, 31 n. 45, 34s., 42ss., 150, 201s., 202ss., 208, 213, 215s., 219, 236, 255 n. 162, 280, 282, 362, 380 20, 34, 35, 42ss., 66 n. 139, 74, 103, 111, 126, 334, 349s., 358 45 n. 68, 70, 312ss. 24, 32, 42s., 45, 102, 174 n. 92, 272ss., 286 22, 34, 42s., 68, 85, 99, 123, 184s., 192ss., 323, 334

11,331

11,332

11,395

11,398 11,406 11,407 POxy. 3725 fr. 1 3725 fr. 2 3725 fr. 3–9 3725 fr. 7 3725 fr. 9 4501 fr. 1

286ss. S. a. unter AP 5,40. 345ss. S. a. unter AP 11,241. 377s. 366 374 200, 204, 209ss., 216, 280, 380, 382 377s., 382 63, 334, 338, 342, 352ss., 380, 382 66 n. 138 267, 359ss., 380s. 270s. 88, 327ss., 382. S. a. unter AP 11,328. 36, 42, 63, 97, 181, 365ss., 381 33, 36, 144, 321, 371ss., 381

4501 fr. 2 4502 fr. 1 4502 fr. 2 4502 fr. 2a 4502 fr. 2b 4502 fr. 3 4502 fr. 4 4502 fr. 5 *

*

Achilleus Tatius Leucippe et Clitophon 6,6,4 340 Aelianus De natura animalium 10,37 316 Aëtius Amidensis Iatrica 16,116 322 Alcaeus (Voigt) fr. 6 199, 203

*

411

fr. 283 269 fr. 306T 208 fr. 306 i, col. II,31; 344 289 Alcidamas (Avezzù; Radermacher) fr. 1 A. = B XXII 15 R. 85 Alciphron Epistulae meretricum 4,2 293 4,14s. 287 Anacreon fr. 359 PMG 330 fr. 372 PMG 299 [fr. 50,21ss.] West 264 Anaxilas (Kassel-Austin) fr. 22,22ss. 365 n. 214 Anthologiae Graecae Appendix (Cougny) 5,16–8 108 n. 269 5,56 196s. Anthologia Latina (Bailey) 1,1,338s. 314 n. 191 Anthologia Palatina 4,1 47 4,3,127–33 49 5,1 47 5,4 296 5,13 170 5,18 302 5,19 332, 364 5,24 361 5,27 302 5,36 341 5,40,5 226 5,43 58 5,44 58, 70, 179, 208, 322, 332 5,46 33 n. 50, 145 n. 46 5,49 328 5,53 164, 170, 172, 355 5,62 170 5,70 164, 287 5,76 169; 175 n. 93 5,105 328 n. 206, 335 5,115 35 n. 56 5,121 296 5,126 330 5,129 183 5,158 355 5,161 179, 208 5,162 296

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412 5,176 5,181 5,186 5,189 5,193 5,202 5,204 5,210 5,253 5,284 5,306 5,308 5,320,2 6,17 6,31 6,201 6,206s. 6,284 6,285 6,292 6,308 7,13 7,71 7,91 7,127 7,159 7,182s. 7,190 7,203 7,206 7,247 7,249 7,263–6 7,268 7,270 7,271–75 7,277 7,282 7,285 7,289s. 7,300 7,307 7,352 7,365 7,374 7,406 7,457 7,504 7,524 7,581 7,607

Register 233 145 n. 46 296 357 172 296 168 n. 84, 208 172 340 317 n. 196 361 145 n. 46 302 328 n. 206, 335 21 360 296 296 21 164 302 65 96 n. 231 273 233 21 168 252 252 302 91 145 n. 45 200 200 151ss. 199 200 200 199, 205 200 236 145 65 324 233 341 91 133 n. 16 92, 146 236 241 n. 157

7,630 7,639 7,650 bis 7,675 7,692 7,701 7,702 7,725 9,9 9,34 9,36 9,52 9,106 9,185 9,186 9,254 9,317 9,330 9,361 9,363 9,367 9,415s. 9,437 9,554 9,572 9,573 9,574 9,576 9,651 9,685 9,719 11,3 11,4 11,6 11,10 11,12 11,14 11,19 11,29 11,32 11,33 11,64 11,65 11,65ss. 11,66 11,67 11,68 11,69 11,72 11,75–81 11,75

200 200 151ss. 200 247 233 133 n. 16 262 212 200 200 200 200 97 n. 234 100 296 353 21 337 n. 207 108 n. 269 273, 340 209 368 357 22, 60 340 232 21 291 356 90 n. 213 271 293 n. 179 270 67 262 232 264 93, 209 264 262, 264 47s. 176 50, 110 313 165, 313 312s. 166, 312s. 67s., 69 n. 149, 166s. 110 279

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413

Textstellen 11,76 11,78 11,79 11,80 11,83 11,84 11,85 11,86 11,90 11,91 11,92 11,95 11,97 11,102 11,106 11,111 11,111–16 11,112 11,113 11,114 11,115 11,117 11,123 11,126 11,128 11,133 11,151 11,158 11,159ss. 11,161 11,163 11,164 11,165 11,165ss. 11,168 11,171 11,174 11,181 11,185 11,187 11,188 11,190 11,191 11,192s. 11,199s. 11,203s. 11,206 11,206s. 11,215 11,218

232, 279 213, 282 110 64 247 248 247s., 321 156ss., 256 187, 232, 314 187, 232 232 189, 194 50 n. 88 68 189 n. 107 187, 189 n. 107, 232 68 109 232 140 n. 36 109 68, 109, 150 69, 136ss., 150 150 247 160 246 70, 93 109 22, 163, 279, 282s., 311 n. 190 22, 163, 279, 283 239s. 240 109 93 241s. 232 302 318 318 318 314 n. 192 109 110 272 272 150 110 376 340, 341, 342

11,219 11,220 11,222 11,223 11,224 11,225 11, 230s. 11,237 11,239 11,240 11,245 11,245ss. 11,247 11,248 11,256 11,257 11,260 11,264 11,268 11,276 11,277 11,308 11,310 11,312 11,313s. 11,317 11,318 11,322 11,325 11,327 11,333 11,351 11,358 11,373 11,382 11,387 11,388 11,390 11,392 11,395 11,402 11,403 11,405 11,408 11,413 11,414 11,415 11,417 11,425 11,426 12,8

70, 93, 107, 111, 256, 345 331s. 302 70 93 328 n. 206 302 317 n. 197 251 345 202, 210, 215s., 278 23 n. 20 210, 212ss., 216 93, 200, 214s. 51, 110, 306 27, 140s., 240 n. 154 51 101 n. 243, 232, 239, 355 272 110 110, 355 68 110, 256s., 258 89 253 52 n. 94 92, 369 93 232, 253 93, 110 68s., 109 232 304s. 317 n. 196 335 317 n. 196 110, 269 345 98s. 103 110, 302 59, 264 272 110, 166, 313 253 59, 264s. 66, 93, 107s., 110 110 208 302 340

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414

Register

12,11 232 12,13 346 12,34 232 12,42 305, 355 12,97 341 12,176 340 12,184 354 12,191 232 12,207 232 12,210 328 n. 206 12,212 354s. 12,219 355 12,225 357 12,230 193 12,238 322 12,240 353 12,243 353 12,245 353 12,247 341 12,248 232 14,29 136 14,55 136 14,64 365 15,40 262 APl 16,53 155ss. APl 16,240s. 334 APl 16,319 317 n. 196 [Apollodorus] Bibliotheca 3,4,3 341 3,5,8 365 n. 214 3,12,6 253 Apollonius Rhodius Argonautica 2,234ss. 251 2,1052ss. 250 3,810 332 Archilochus (West) fr. 9; 13 199 fr. 19 237 fr. 42 97, 367 fr. 43 321s. fr. 48 97 fr. 58 97 fr. 66–69 97 fr. 118 97 fr. 134 97 fr. 168 96 fr. 188 97 fr. 196a 97 fr. 205 97

[fr. 331] 97 Aristaenetus Epistulae 1,19 291, 304 n. 186, 340 Aristophanes Acharnenses 15s. 318 n. 198 61ss. 98, 310 691 236 739ss. 340 781s. 269 874 336 1104ss. 250 Aves 560 335 669 341 Ecclesiazusae 37ss. 179 1169 374 Equites 1088 341 1284ss. 341 1403 308 Lysistrata 600 236 979 335 Nubes 62ss. 301s. 86 269 394 350 976 357 Pax 896ss. 367 951 318 n. 198 Ranae 1ss. 117 n. 304 10 349 710 308 Thesmophoriazusae 200s. 367 502–16 295 1099s. 287 1120 353 Vespae 1277s. 318 n. 198 Aristoteles Ethica Nicomachea 1107a32ss. 100 Artemidorus Onirocriticon 2,29 141 n. 40

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Textstellen 2,37 140s. 3,65 316 4,45 141 n. 40 Asclepiades Tragilensis (FGrHist) 12 F 7 365s. Athenaeus Deipnosophistae 3,86–7 374 3,98c 257 3,122b 96 n. 230 6,246c 79s. 7,296d 303 n. 186 8,344s. 108 n. 269 10,448e; 456b 365 n. 214 11,784b 24, 258 12,522d 373 Auctor ad Herennium 1,6,10 90 n. 211 Ausonius 59 328 n. 206 Callimachus Aetia fr. 64 Pfeiffer 356 Epigrammata 13 Pfeiffer 92, 146 61 Pfeiffer 262 Hymn. in Iovem 57ss. 331 Carmina Priapea 12 116, 182 25,3 181 32 116 40,4 181 57,4s. 182 68, 115, 335, 357 73,1 181 Cato de agricultura 160 131 n. 9 Catullus 2 252 3 252 4 146 5 153 7 270 16 35 n. 56, 367 36 35 n. 56 42 35 n. 56 49 35 n. 56 50 77, 190 52 35 n. 56

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56 35 n. 56, 328 n. 206 57,2 367 62 233 76 270 78 35 n. 56 79 344 85 31, 105ss., 246 94 35 n. 56 97 107, 344 98 107 106 301 112 35 n. 56 Celsus 1,9,2 265 2,12 136 4,31,2 265 Cicero ad Atticum 14,8,1 290 pro M. Caelio 35 290 ad familias 12,18,2 104 de oratore 2,217 80 2,239 81 n. 187, 228 2,251 104 n. 256 2,255 122 n. 320 Topica 83 101 in Verrem 5,63; 94 290 Demosthenes 18,130 301 Dio Chrysostomus Orationes 5,14 340 Diodorus 4,64 365 n. 214 Diogenianus Paroemiae (Leutsch-Schneidewin; Lelli) 6,91 372 7,42 289 Dionysius Halicarnassensis de imitatione (Usener-Radermacher) 2,2 97 n. 235 Epigrammata Graeca (Kaibel) 642 200 Etymologicum Magnum (Gaisford) p. 185,28 322

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Register

Euripides Alcestis 699 323 911ss. 168 n. 82 Bacchae 1ss.; 94ss.; 262ss. 341 Heraclidae 1002 289 Ion 304 295 Iphigenia Taurica 364ss. 168 n. 82 Orestes 1514 340 Phoenissae 45ss. 365 n. 214 Troiades 866 269 TGF (Kannicht) fr. 667 269 Eustathius Commentarii ad Homeri Odysseam (Stallbaum) p. 1597,28 322 Heliodorus Aethiopica 1,31; 2,29 168 n. 82 3,13 281 5,18 228s. Herodotus 2,77 136 2,87 155 2,145 329 7,228 145 n. 45 Herondas Mimiambi 1 288 1,89s. 175 n. 93 2 303 n. 185 4 275 4,53 219 Hesiodus Opera et dies 618ss. 198 n. 118 622 280 Theogonia 119 333 282 213 326ss. 365 n. 214 729ss. 332

739 332 810 332 945s. 267 Hippocrates; Corpus Hippocraticum Aphorismi 5,25; 6,30 265 de affectionibus 13 129s. de articulis 42; 46s. 160s. de decente habitu 16–18 151 de diaeta salubri 5 136 de medico 1 151 Prorrheticon 2,8 265 Hipponax (West) fr. 70 230 n. 146 fr. 118 318 n. 198 Historia Augusta Heliogabalus 5,2 328 n. 206 Homerus Ilias 1,5 330 6,264 261 6,433 334 8,368 332 13,672 332 15,187ss. 36, 329ss. 16,357 335 16,607 332 17,37 261 17,53ss. 334s. 18,382s. 267 20,64s. 332 22,145 334 22,206 357 24,741 261 Odyssea 6,127f. 199 n. 121 8,313 341 10,84ss. 333 10,509s. 333s. 10,512 41, 332 21,295s. 262 23,322 332 23,330 335 24,1ss. 144

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Textstellen 24,539 335 Horatius Carmina 1,3,9ss. 213 1,28,15 153 3,6,25ss. 293 n. 179, 371 3,15 167 n. 80 Epistulae 1,5,24ss. 76 n. 173 1,19,23ss. 96 Epodi 3 253 3,17s. 250 8 97 Saturae (sermones) 1,2,35 230 1,8 115 2,3,142ss. 241 n. 156 2,8 76 Horapollo Hieroglyphica (Sbordone) 2,25 p. 150 316 Hyginus Fabulae 67 365 n. 214 Hymni homerici in Cererem 395 322 in Mercurium 79ss.; 529s. 144 in Venerem 288 335 Ibycus (PMG) fr. 1,10 269 Iambi et elegi graeci II Adespota (West) Eleg. 27 78s. Inscriptiones Carmina Latina Epigraphica (Buecheler) 193; 862; 15061 115 n. 297 Inscriptiones Graecae (IG) XIV 2012 86 Iuvenalis Saturae 1,55ss. 293 n. 179 1,57 371 1,81ss. 165 2,99 367 5 253 5,67ss. 76 n. 175 6,51 344

9,43s. 357 9,134 362 14,109–34 101 Julianus Imperator Misopogon 351a 340 Lucianus Dialogi deorum 9,2 341 Dialogi marini 8,3,1 360 15,4 340 Dialogi meretricii 1,1 169 2,2 174 5,2 170 6,1 296, 360 12,2 361 Gallus 14 304 n. 186 Icaromenippus 15 340 Lexiphanes 8 257 Pseudologista 28 341 32 356 Somnium 14; 29 304 n. 186 Timon 20 241 n. 155 22 304 n. 186 Verae historiae 2,660–85 322 [Asinus] 56 322 [Ocypus] 33 287 Lucilius Saturae 1186 Marx 357 Lucillius s. unter Anthologia Palatina Lucretius de rerum natura 2,1ss. 201 5,999–1006 199 n. 119 Macrobius Saturnalia 2,7,1–9 104

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Martialis Epigrammata 1,3,5s. 272 1,10,1 331 1,20 253 1,32 105s. 1,43 76 n. 172, 253 1,65 334 1,73 293 n. 179 1,117 323 n. 201 2,4 230 n. 146 2,10 344 2,19 253 2,41 233, 314 n. 192 2,43 253 2,52 302 3,12 253 3,17 106 n. 261 3,26 35 n. 56 3,28 344 3,43 314 n. 191 3,50 72 n. 161 3,60 76 n. 175, 253 3,75,3 362 3,77 344 3,93 22 n. 15, 166 4,36 314 n. 191 4,68 76 n. 175, 253 4,85 253 5,29 253 5,32 109, 241 n. 157 5,59 314 n. 192 5,78 72 n. 161 6,11 253 6,17 304 n. 186 6,36 274 n. 170 6,49,11 334 6,53 28, 31, 140 n. 36, 246 6,57 314 n. 192 6,66 344 6,75 253 7,18,9s. 349 7,78 253 9,32,4 328 9,37 22 n. 15 9,49 253 9,85 253 9,97 233 10,15,10 349 10,20,19ss. 72 n. 161 10,81 328

10,83 314 n. 192 10,95 376 11,31 253 11,35 76 n. 172 11,52 72 n. 161 11,95 344 11,97 317 n. 196 11,101 22 n. 15, 196 n. 116 11,104,13–6 337 n. 207 12,20 246 12,21–3 344 12,38 301, 302 12,77 349 12,88 274 n. 170 13,2 272 Lib. spect. 14 (12); 15 (13) 298 Musaeus Hero et Leander 160s. 340 Nonnus Dionysiaca 26,107 333 Novum Testamentum Matthaeus 19,24 187 Oppianus Halieutica 5,3 333 Ovidius Amores 1,4 371 1,9,1s. 233 2,6 252 3,4,45ss. 293 n. 179 Ars amatoria 1,229ss. 371 1,569ss. 371 Metamorphosae 1,94–6 199 n. 119 10,155ss. 323 Tristiae 2,497s. 104 Papyrustexte PBerolin . 13270 78s., 84 PCount 22s.: 144 PHeid. 190 79

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Textstellen 190, fr. 1,75 PHibeh 29,3 PLond . 3,604B PMich . I 97,8 POxy . 413 744 3070 Inv.nr. 103/ 125 (c) Pausanias 9,26,2–4 Petronius fr . 26,9s. Buecheler Satyrica 23,3 41,9 42 43,1 47,4ss. 109,8 109,10ss. 114,13; 115,8ss. Philogelos 25; 30 50 62 97 104 104ss. 142 147 151b 176 183ss. 198–200 201–5 208–10 211–3 214–6 217s. 219ss. 227 233 234 235

368 303 335 291 103, 358 296 335, 353, 368 63s. 365 n. 214

269 302, 305 24 132 301 350 314 312 199 n. 123 202 n. 131 239 112 239 241 n. 157 109, 239 109 318 n. 198 109 109, 150, 162 109 109 109 110 110 110 110 110 110 110, 348 110, 113, 345 110

237 110 240 110, 113 244s. 110 245 110 246–50 110 251 110 Philodemus de libertate dicendi (Konstan) fr. 64 136 Philostratus Vita Apollonii 4,25 322 Plato Gorgias 493b4s. 333 Ion 531a 96 Leges 917e2ss. 303 Phaedon 80d 333 Phaedrus 255c 323 Symposium 219d 341 Plautus Captivi 286 302 Persa 392 79 Pseudolus 88 241 n. 155 Stichus 400 79 Plinius Epistulae 2,6,1ss. 76 n. 175 Naturalis historia 19,55 258 19,6 213 29,6ss. 131 n. 8 29,23–27 131s. Plutarchus Apophthegmata Laconica 216b5; 8 180 Cato Minor 65,6 340 T. Flamininus 9,4 91 Quaestiones convivales 2,1,8s. 80s., 174 n. 93, 272

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4,2 290 9,15,2 43 de vitioso pudore 528e 340 Pollux Onomasticon 5,92 322 6,186 143 Posidippus Epigrammata (Austin-Bastianini) 89–94 199 n. 123 94 200 95 131 n. 8 98 141 100 134s. 102s. 92, 145 Procopius Anecdota (Historia arcana) 9,18 328 n. 206 Propertius 1,17,13s., 213 2,33B,31s., 262 3,7,35s., 280 Quintillianus Institutio oratoria 6,2,17 101 10,1,65 97 n. 235 10,7 85 n. 201 Sappho (Voigt) fr. 145 289 fr. 168B 341 Scholia in Platonis Theaetetum (Cufalo) 28s. (ad 153d4s.) 180 Semonides (West) fr. 7,48s. 322 Seneca maior Controversiae 2,7,3 340 7,3,8 104 Seneca minor de ira 2,2,5 202 n. 131 2,25 258 Epistulae morales 19,10 76 n. 172 Naturales quaestiones 3,24,2 257 Oedipus 92ss. 365 n. 214

Sophocles fr. 523,13 Radt 334 Oedipus tyrannus 33ss. 365 n. 214 177 333s. 391ss. 365 n. 214 Statius Silvae 4,2,32ss. 75 n. 170 Suda d 1140 55 f 364 112 Suetonius Claudius 32 350 de grammaticis 21 80 Nero 23; 39 318 Tacitus Historiae 1,4,3 76 n. 171 Terentius Eunuchus 580 340 1078ss. 293 n. 179 Heautontimorumenos 231ss. 292 Hecyra pass. 292 Theocritus Epigrammata (FGE) nr. 353 91 n. 217 Idyllia 5,41 353 23,4s. 357 Theodorus Prodromus Miscellanea 7 316 Theognidea 541ss. 262 Theophrastus Characteres 10,5s.11 238 22,7 238 28,2 303s. n. 186 30,6 373 30,8 238 Theopompus fr. 38,2 K.-A. 357

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Griechische Begriffe Timon Phliasius fr. 825 SH 333 Varro Saturae Menippeae fr. 333 Krenkel 76 n. 173 Vergilius

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Aeneis 4,462s. 316 Zenobius (Athos) Epitome proverbiarum (Bühler; Lelli) 2,68 365 n. 214 5,18 356 5,63 289

c. Griechische Begriffe αἴρειν: 265s. αἴτια: 204 ἄκαιρον (vs. ἀκμή): 164, 183 ἀκτή: 290 ἅλς: 331s., 341. S. a. Figuren: Metapher: Schiffs(εἰσ)αναβαίνω: 324, 335. Vgl. ἐπιβαίνω ἄνω / κάτω: 93, 110s., 344ss. γίνετ’ ἄνω τὰ κάτω: 180 αὐτοσχεδιασμός: 260. S. a. Stegreifproduktion ἄωρος: 167s. βαύκαλις: 24, 258 βουνός: 24, 274 γραῦς: 154s., 164ss., 338 γραῖα: 176, 219 διαμηρισμός: 341 δρομεύς: 265 δύσκωφος: 218ss., 227 εἰ (Orakel): 278s. ἐμπαίζω: 289 ἐνοίκιον: 227, 230s., 290, 294 ἔξω: 219, 222 ἐπιβαίνω: 207ss. ῾Ερμαια: 261 εὐρύπρωκτος: 354 εὐρύς, -ώς, -ώεις: 332s. ζωμός: 361s. ἰαματικά: 133ss. καθεύδω: 340s. κάτω βλέπειν: 340 κέρκος (ὄνου): 321s. κηρύκιον: 144 κλίμαξ: 324 κλύσμα, κλυστήρ: 109, 163, 155 κνίζω: 180, 269 κόλλοψ: 305, 355 λάσανον: 24, 221

λέμβος: 206, 208 λεπτοί: 184ss., 232, 369 λίαν, -ην: 45 n. 68, 219s., 312 λόγος = ›Wichtigkeit‹: 297 μία νύξ: 153 μιλιάριον: 24, 257 Ναυαγικά: 199s. ξενοκυσθαπάτης: 269 ξέσται: 24, 179, 261 οἶνος καὶ Κένταυρον ἀπώλεσεν: 262 ὄνος: 321s., 372 ὁρμίζω: 212 οὐρανός: 335, 338 παθικεύομαι: 180s. παθικός: 367, 369 παῖς: 212, 300s., 325 πάκτων: 211s. παρά mit Akk.: 207s. πέδιλα: 144s., 147s. πήγανον: 220, 303 πλήν: 273 πνεῦμα: 196 ποδάγρα: 264s. ποιεῖν = ›verweilen‹: 321, 324 πορδή: 34, 35, 103, 107, 111, 344, 349s., 358 πτωχός: 305 ῥαφίδος τρῆμα: 187 σορός: 150, 205s., 215, 235s. σῶστρα: 143 τρίπους: 367s. Φίκιον: 368s. φιλεῖν: 35, 107, 344s. Φοινίκη, φοινικίζω: 340s. φυσικός: 346 Χάρις: 266s. χοῖρος: 340 ψωλή: 115, 335 ὡραῖος: 168, 355, 360

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