Neue Grenzen für die internationale Steuerplanung? 9783504383626

Pross/Petzold, Base Erosion and Profit Shifting (BEPS) – Wie geht es weiter? Geberth, Base Erosion and Profit Shifting –

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Neue Grenzen für die internationale Steuerplanung?
 9783504383626

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Jürgen Lüdicke (Hrsg.) Neue Grenzen für die internationale Steuerplanung?

Forum der Internationalen Besteuerung

Band 43

Neue Grenzen für die internationale Steuerplanung?

Herausgegeben von

Prof. Dr. Jürgen Lüdicke Rechtsanwalt, Steuerberater International Tax Institute Universität Hamburg mit Beiträgen von

Georg Geberth Univ.-Prof. DDr. Georg Kofler, LL.M. (NYU) Dr. Dirk Pohl Dr. Achim Pross und Oliver Petzold Prof. Dr. habil. Günther Strunk Diskussionsteilnehmer

Prof. Dr. Dietmar Gosch Dr. Berend Holst Hans-Herbert Krebühl Dr. Friedrich Loschelder, LL.M. (Edinb.) Prof. Dr. Jürgen Lüdicke und die Beitragsverfasser

2014

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN 978-3-504-61543-7 ©2014 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungsbeständig und umweltfreundlich. Einbandgestaltung nach einem Entwurf von: Jan P. Lichtenford Satz: WMTP, Birkenau Druck: Betz, Darmstadt Printed in Germany

Vorwort Aus steuerlicher Sicht ist das Jahr 2013 spätestens seit der Veröffentlichung des Aktionsplans der OECD zu Base Erosion and Profit Shifting (BEPS) im Juli 2013 mit der international organisierten Bekämpfung von noch immer vereinzelt als „aggressiv“ bezeichneter Steuerplanung sowie mit der zunehmenden Erkenntnis verknüpft, dass die eigentliche Problematik zuerst in den unkoordiniert nebeneinander bestehenden traditionellen Steuersystemen zu suchen ist. Besteuerungslücken sucht auch die im Frühjahr 2013 veröffentlichte Deutsche Verhandlungsgrundlage für Doppelbesteuerungsabkommen zu verhindern. Der Spielraum für internationale Steuerplanung wird stetig enger. Der vorliegende Tagungsband dokumentiert die Referate und Diskussionen der unter dem Generalthema „Neue Grenzen für die internationale Steuerplanung?“ stehenden 30. Hamburger Tagung zur Internationalen Besteuerung am 6. Dezember 2013 des Interdisziplinären Zentrums für Internationales Finanz- und Steuerwesen (IIFS) der Universität Hamburg. Die „Nikolaustagung“ wurde durch den auch als „Nikolaus-Orkan“ bezeichneten Orkan Xaver erheblich beeinträchtigt, der am 5. und 6. Dezember 2013 unter anderem über Norddeutschland tobte und in Hamburg den zweithöchsten Pegelstand seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1825 sowie die nahezu vollständige Einstellung des Flug- und Bahnverkehrs verursachte. Hans-Herbert Krebühl (Exxon Mobil) übernahm spontan den Part von Georg Geberth (Siemens AG), der ebenso wie der als Vertreter für Eckehard Schmidt (Bayerisches Staatsministerium der Finanzen) für die Podiumsdiskussion vorgesehene Roland Kammeter (Bayerisches Staatsministerium der Finanzen) Hamburg nicht erreichen konnte. Jens Peter Breitengroß, Vizepräses der Handelskammer Hamburg, hebt in seinem Grußwort die Belange der Wirtschaft hervor und warnt vor unangemessenen zusätzlichen Belastungen durch immer weitere steuerliche Regelungen. Peter Tschentscher, Finanzsenator der Freien und Hansestadt Hamburg, weist in seinem Grußwort auf die aus Fiskalsicht besorgniserregenden steuerlichen Gestaltungsmöglichkeiten internationaler Konzerne und damit auch einhergehende Wettbewerbsverzerrungen hin.

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Vorwort Prof. Dr. Jürgen Lüdicke

Achim Pross und Oliver Petzold berichten – quasi aus erster Hand – über Hintergründe, politische Bedeutung und Stand der OECD-Arbeiten zu Base Erosion and Profit Shifting (BEPS); dabei greifen sie einzelne der geplanten Maßnahme für eine detailliertere Erörterung heraus. Georg Geberth bewertet das BEPS-Projekt einschließlich der diesbezüglichen Aussagen im Koalitionsvertrag abstrakt sowie anhand einzelner praktischer Beispiele aus der Sicht der Wirtschaft. Dirk Pohl gibt einen Überblick über die im Jahr 2013 veröffentlichte deutsche Verhandlungsgrundlage für Doppelbesteuerungsabkommen und setzt sich mit ausgewählten Regelungen, namentlich zur Vermeidung doppelter Nichtbesteuerung, auseinander. Günther Strunk widmet sich der bislang wenig beachteten Umsetzung der EU-Amtshilferichtlinie, erläutert deren praktische Auswirkungen und gibt Handlungsempfehlungen. Georg Kofler beleuchtet aktuelle Entwicklungen auf OECD-Ebene sowie im Europäischen Recht bei der Besteuerung von Betriebsstätten. Der vorliegende Tagungsband enthält die Referate sowie die sich daran anschließenden Podiumsdiskussionen zwischen Dietmar Gosch, Berend Holst, Hans-Herbert Krebühl, Friedrich Loschelder und den Referenten. Hamburg, im Juni 2014 Prof. Dr. Jürgen Lüdicke

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Grußwort Vielen Dank, lieber Herr Professor Lüdicke, sehr geehrter Herr Senator Dr. Tschentscher, meine sehr verehrten Damen und Herren, es wurde schon gesagt, wir feiern heute einen runden Geburtstag und ich freue mich sehr, dass diese hoch interessante und wichtige Tagung wieder wie seit vielen Jahren in unserer Handelskammer stattfindet und begrüße Sie also ganz herzlich in unserer Kammer. Wir sind durchaus stolz darauf, dass wir diese Tagung nun seit langer Zeit begleiten durften, und würden das auch in der Zukunft gern länger so weiter machen, dafür ist ja die Handelskammer da, derartige sinnvolle Aktivitäten zu unterstützen. Seit drei Jahrzehnten ist diese Tagung in der Steuerwelt fest im Kalender verankert, und der Zufall will es, dass es in diesem Jahr nun gerade mal wieder der 6. Dezember ist. D.h. zu diesem kleinen Jubiläum, 30 Jahre, erweist die Tagung ihrem Kurznamen Nikolaustagung alle Ehre, und Sie haben auf den Plätzen einen kleinen Schokoladen-Nikolaus gefunden, der darauf hinweist. Lassen Sie mich ein paar Bemerkungen aus der Sicht nicht eines Steuerfachmannes, sondern eines Mittelständlers machen, der weite internationale Erfahrungen in Übersee hat. Die deutsche Wirtschaft ist im internationalen Vergleich gut aufgestellt. Gute internationale Wirtschaftsbeziehungen sind für den Mittelstand dabei heute längst genauso bedeutend wie für Weltkonzerne. Die Financial Times hat vor einer Woche auf der ersten Seite eine Riesenschlagzeile gehabt, sinngemäß etwa: „Das dichte Netz der deutschen Außenhandelskammern und Stützpunkte ist die Geheimwaffe für den deutschen Exporterfolg.“ Das mag übertrieben sein, aber dieses dichte Netz der deutschen Wirtschaft in nun fast 80 Ländern hilft vor allem Mittelständlern bei der Internationalisierung des Geschäfts, und das ist gut so. Dass Deutschland so exportstark ist, liegt nicht zuletzt an der internationalen Ausrichtung auch vieler Mittelständler. Über 40 Prozent dieser Mittelständler exportieren. Andere importieren und bieten international Dienstleistungen an. Ein Drittel dieser international tätigen Mittelständler ist im Auslandsengagement sogar noch einige Schritte weiter gegangen. Sie halten Beteiligungen, sind joint ventures eingegangen und verfügen über Niederlassungen im Ausland. Dieser Schritt ist richtig, hat aber einige mög-

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Grußwort Dr. Jens Peter Breitengroß

licherweise gefährliche Konsequenzen. Insgesamt belegen diese Zahlen aber, dass es unser großes Anliegen sein muss, den Weg der Unternehmen ins Ausland weiter zu erleichtern und nicht etwa durch administrative Maßnahmen schwerer zu machen oder bürokratischer zu gestalten. Um im Ausland erfolgreich zu sein, müssen nicht nur die Produkte der Unternehmen konkurrenzfähig sein, sondern auch das deutsche Steuerrecht muss der Globalisierung verstärkt Rechnung tragen und die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen unterstützen oder zumindest nicht behindern. In diesem Bereich, so glaube ich, hinken wir immer noch ein wenig hinterher. Viele Regelungen machen es der deutschen Wirtschaft unnötig schwer, die Internationalisierung weiter voran zu treiben. Das Steuerrecht muss gleiche Wettbewerbschancen für deutsche Unternehmen auf den ausländischen Märkten ermöglichen, die unsere Konkurrenten aus anderen Ländern haben. Wir brauchen ein Steuerrecht, das dafür die richtigen Anreize setzt. Wir brauchen ein Steuerrecht, das Leistung fördert und die Wirtschaft in ihrer Innovations- und Investitionskraft unterstützt. Unternehmen müssen auf Basis dieser Bedingungen planen können und brauchen Rechtssicherheit, die ihnen in ihrem operativen Geschäft keine Stolpersteine oder latente Risiken in den Weg legt. Zwar hat Deutschland mit vielen anderen Staaten bilaterale Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung unter grundsätzlicher Anwendung der Freistellungsmethode abgeschlossen, es kommt aber immer wieder vor, dass die beiden beteiligten Staaten die Regeln unterschiedlich auslegen oder ein unterschiedliches Verständnis des Sachverhaltes definieren. Besonders relevant ist dies für die Verrechnungspreise von Lieferungen und Leistungen. Sind Unternehmen in verschiedenen Staaten involviert, hängt die Verteilung der insgesamt erzielten Gewinne – und es sind nicht immer nur Gewinne – auf die verschiedenen Staaten von diesen Verrechnungspreisen ab. Falls die Verteilung durch die Staaten nicht einheitlich erfolgt, hat dies mehrfache Steuern zur Folge, da mehrere Staaten auf denselben Teil des Unternehmensgewinns gleichzeitig zugreifen wollen. Dies führt für das betroffene Unternehmen oft zu Rechtsunsicherheit und jahrelangen Auseinandersetzungen mit den verschiedenen Finanzverwaltungen. Hier muss für eine Beschleunigung derartiger Verfahren gesorgt werden und den Steuerpflichtigen ein Rechtsanspruch auf Einleitung eines Verständigungsverfahrens mit einem Einigungszwang der beteiligten Staaten eingeräumt werden. Hinzu kommt, dass das Steuerrecht den deutschen Unternehmen bei Verrechnungspreisen eine sehr ausführliche Dokumentationspflicht auf-

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Grußwort Dr. Jens Peter Breitengroß

erlegt. Bei Nichterfüllung dieser sehr umfangreichen Pflichten kann die Finanzverwaltung ohne weitere Prüfung von einer Unangemessenheit der Preise ausgehen und Hinzurechnungen zum Betriebsgewinn vornehmen. Außerdem erweisen sich diese Dokumentationspflichten als extrem streitanfällig. Es bleibt auch nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs die Frage offen, ob die vom Fiskus gestellten Anforderungen zur Tiefe dieser Dokumentation nicht das eigentlich Notwendige deutlich überschreiten. Hier darf das gebotene Maß nicht überzogen werden. Zumindest die Schwellenwerte der Dokumentationspflichten für kleine und mittlere Unternehmen sollten erheblich angehoben werden. Meine Damen und Herren, wie schon eben gehört, steht diese Tagung unter dem Titel „Neue Grenzen für internationale Steuerplanung“, Kurztitel „BEPS“. Im Laufe der Veranstaltung wird diese Problematik ausführlich behandelt und diskutiert werden. Im Fokus der seit 2012 laufenden öffentlichen Diskussion und der damit verbundenen Initiativen der OECD, der G8-, G20-Staaten und der EU zu BEPS stehen rechtlich zulässige, jedoch als aggressiv angesehene Steuergestaltungen multinational tätiger Unternehmen. Die großen Beispiele hierfür kommen nicht gerade aus Deutschland, hier sind amerikanische und andere Konzerne führend. Eine Steuerminimierung erfolgt beispielsweise durch Nutzen der unterschiedlichen Regeln der involvierten Staaten sowie durch niedrige Steuern in bestimmten attraktiven Standorten. Dies hat zum Teil zu heftiger Kritik in der öffentlichen Debatte geführt. Zunächst kamen bestimmte ausländische Konzerne und nachfolgend auch vereinzelt deutsche Unternehmen unter Druck. Hier ist eine Versachlichung der Diskussion notwendig. Deutsche Unternehmen sollten nicht verallgemeinernd mit den in der Kritik stehenden ausländischen Großkonzernen in einen Topf geworfen und kriminalisiert werden. Denn eins dürfen wir nicht vergessen: Die deutschen Unternehmen treten regelmäßig vergleichsweise moderat auf und zahlen hier hohe Steuern. Der Gesetzgeber sollte daher nicht vorschnell sich zu Maßnahmen verleiten lassen, die die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft beeinträchtigen. Hierbei sind die Auswirkungen gerade auch für den Mittelstand sorgfältig zu prüfen. Besonnenheit ist angebracht, weil Deutschland bereits heute gegen Gewinnverschiebung – so möchte ich es mal nennen – gut gerüstet ist. So sind beispielsweise durch die Zinsschranke die Maßnahmen gegen exzessive Fremdfinanzierung bereits mehr als ausreichend. Neue Regelungen hierzu sind wirklich nicht er-

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Grußwort Dr. Jens Peter Breitengroß

forderlich. Für die Bekämpfung weißer, d.h. nicht besteuerter Einkünfte, gibt es umfangreiche Regeln in Deutschland. Die Hinzurechnungsbesteuerung nach dem Außensteuergesetz ist weit wirkungsvoller als in vielen anderen Staaten. Es gibt Entstrickungsvorschriften, Funktionsverlagerungsregeln und, wie bereits erwähnt, weitgehende Vorschriften zur Verrechnungspreisdokumentation. Ich bin davon überzeugt, Deutschland braucht keine neuen Missbrauchsregelungen. So ist das, was im Koalitionsvertrag nun angekündigt wird, meiner Meinung nach für den Wirtschaftsstandort Deutschland wenig förderlich und wahrscheinlich sogar sehr schädlich. Vorsicht ist auch geboten, da viele der im Rahmen der BEPS-Diskussion aufgekommenen Steuervorschläge, z.B. Aufweichung des Begriffs der Betriebsstätte, Einführung einer sogenannten Liefergewinnbesteuerung, für die deutsche Wirtschaft gefährlich sind, da grenzüberschreitende Aktivitäten viel schneller als heute eine Besteuerung im Ausland auslösen würden. Auch bei der diskutierten Anzeigepflicht für Steuergestaltungen bzw. bei einer etwaigen Pflicht zur länderbezogenen Steueraufschlüsselung, dem sogenannten „Country-by-Country Reporting“ für Unternehmen, ist Zurückhaltung sehr angebracht. Neue bürokratische Lasten sind zu befürchten, zudem sind Nachteile gegenüber ausländischen Wettbewerbern mit geringeren Reporting-Anforderungen und eine mögliche Gefährdung sensibler Geschäfts- und Steuerdaten zu befürchten. Hinzu kommt, dass durch das Reporting ausländische Staaten angeregt werden könnten, einen deutlich größeren Anteil am Gesamtsteueraufkommen auf Gewinne zu fordern. Zusammenfassend gilt, eine internationale Lösung ist erforderlich. BEPS ist das Resultat von Steuerdumping einzelner Staaten, nicht vorrangig von Deutschland. Nationale Alleingänge des deutschen Gesetzgebers bergen die Gefahr, dass sie zu weiteren Verwerfungen und sonstigen Nachteilen für die deutsche Wirtschaft führen. Deshalb ist es richtig, dass nun staatenübergreifend gemeinsam an einer Lösung der Steuerprobleme bei grenzüberschreitenden Unternehmensaktivitäten gearbeitet wird. Die Ergebnisse dieser Arbeiten sollten abgewartet werden, bevor die deutsche Seite einseitig neue Regelungen einführt. Ich kann Ihnen, sehr geehrter Herr Professor Lüdicke, sowie Ihren Mitstreitern im International Tax Institute der Universität Hamburg nur dazu gratulieren, dass Sie dieses Thema für die heutige Veranstaltung auf-

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Grußwort Dr. Jens Peter Breitengroß

gegriffen haben. Sie haben hierzu wiederum eine Fülle renommierter Referenten gewinnen können. Es bleibt mir nur noch, Ihnen, meine Damen und Herren, einen informativen Tag zu wünschen. Ich möchte Sie ausdrücklich ermuntern, die Gelegenheit zu nutzen, mit den Experten über die vielfältigen Aspekte internationaler Unternehmensbesteuerung zu diskutieren, und in unseren breiten Gängen der Handelskammer bietet sich dazu ja die beste Voraussetzung. Ich wünsche Ihnen aufschlussreiche Informationen, wertvolle Erkenntnisse, aber auch gute Begegnungen und Gespräche am Rande des Fachprogramms in unserer Handelskammer. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Dr. Jens Peter Breitengroß Vizepräses der Handelskammer Hamburg

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Grußwort Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Lüdicke, sehr geehrte Damen und Herren, auch im Namen des Senats herzlich willkommen in Hamburg zur 30. Tagung zur Internationalen Besteuerung. Ich hoffe, Sie hatten trotz des Wetters eine gute Anreise. Sturmfluten haben für uns in Hamburg eine besondere Bedeutung. Bei der Sturmflut von 1962, in der über 300 Menschen ihr Leben verloren haben, stieg das Wasser der Elbe auf 5,70 Meter über Normalnull. Heute sind unsere Deiche und Hochwasserschutzanlagen so gebaut, dass sie Wasserständen von mindestens 7,50 Meter standhalten. Auch sind die Deiche heute stabiler, so dass sie durch das aus der Nordsee „international anflutende“ Wasser nicht so leicht ausgehöhlt werden können wie die steuerlichen Bemessungsgrundlagen durch das gezielte Ausnutzen von Steuerregelungen unterschiedlicher Staaten. Und da sind wir bei einem wichtigen Thema ihrer 30. Tagung zur Internationalen Besteuerung: „Base Erosion and Profit Shifting“, also die Aushöhlung der steuerlichen Bemessungsgrundlage und Gewinnverlagerung multinationaler Konzerne. In einer Zeit zunehmender Staatsverschuldung ist es aus Sicht von Finanzministern besorgniserregend, dass internationale Konzerne zum Teil erstaunlich niedrige effektive Steuerbelastungen erreichen. Steuermindernde Gewinnverlagerungen unter gezielter Ausnutzung von Abweichungen nationaler Steuersysteme sind ein ernstes Problem für die öffentlichen Haushalte und führen zu Wettbewerbsvorteilen von Großkonzernen gegenüber regionalen Unternehmen. Staaten wie Deutschland und andere Länder der Eurozone, die dem Fiskalpakt und ihren eigenen verfassungsrechtlich verankerten Schuldenbegrenzungsregeln unterliegen, sind in dieser Lage gezwungen, die Steuerlast verstärkt auf diejenigen Bürger und Unternehmen zu übertragen, die ihre steuerlichen Verhältnisse nicht durch Gestaltungen „optimieren“ können. Da dies keine vernünftige Entwicklung ist, enthält der Vertragsentwurf für eine große Koalition in Berlin folgende Vereinbarung: „Wir werden als eine zentrale steuerpolitische Aufgabe den Kampf gegen grenzüberschreitende Gewinnverlagerungen international operie-

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Grußwort Dr. Peter Tschentscher

render Unternehmen entschlossen vorantreiben, uns für umfassende Transparenz zwischen den Steuerverwaltungen einsetzen und gegen schädlichen Steuerwettbewerb vorgehen. Wir wollen verhindern, dass Unternehmen eine doppelte Nichtbesteuerung von Einkünften oder einen doppelten Betriebsausgabenabzug erreichen können. Wir erwarten den Abschluss der Arbeiten zur OECD-BEPS (Base Erosion and Profit Shifting)-Initiative im Jahre 2015/…/. Soweit sich unsere Ziele im Rahmen der OECD-BEPS-Initiative in diesem Zeitraum nicht realisieren lassen, werden wir nationale Maßnahmen ergreifen.“ Soweit die Vereinbarung für die neue Bundesregierung. Nun werden Sie Ihr Programm vermutlich nicht geplant haben, um unmittelbar eine Große Koalition zu unterstützen, aber es ist immerhin ein interessanter aktueller Bezug. Ich wünsche Ihnen eine gute Tagung mit vielen neuen Erkenntnissen und trotz des etwas rauen Wetters einen schönen Aufenthalt in der Hansestadt Hamburg. Vielen Dank. Dr. Peter Tschentscher Finanzsenator der Freien und Hansestadt Hamburg Hinweis: Es gilt das gesprochene Wort.

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Inhaltsverzeichnis Seite

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Grußworte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Dr. Achim Pross und Oliver Petzold Base Erosion and Profit Shifting (BEPS) – Wie geht es weiter? . . . . .

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A. Warum BEPS? Was ist es, was ist es nicht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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B. Druckstellen im internationalen Besteuerungssystem multinationaler Konzerne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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C. Aktionsplan zur Bekämpfung von BEPS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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D. Nächste Schritte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Georg Geberth Base Erosion and Profit Shifting – Die Sicht der Wirtschaft . . . . . . .

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A. BEPS im Überblick – das Umfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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B. Der BEPS-Aktionsplan – eine Kurzbewertung aus Sicht der Wirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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C. BEPS – Der Koalitionsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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D. BEPS „at work“ – Beispiele aus der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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E. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Prof. Dr. Jürgen Lüdicke, Hamburg (Diskussionsleitung) Base Erosion and Profit Shifting – Wie geht es weiter?/ Die Sicht der Wirtschaft Podiumsdiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis

Dr. Dirk Pohl Deutsche Abkommenspolitik – Aktuelle Praxisfragen und deutsche Verhandlungsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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A. Vorbemerkung: Deutsche Abkommenspolitik im Dilemma . . .

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B. Überblick zur deutschen Verhandlungsgrundlage (DE-VG) . . . . .

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C. Aufbau der DE-VG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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D. Verteilungsnormen – Immobilie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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E. Verteilungsnormen – Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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F. Weitere Verteilungsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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G. Vermeidung der Doppelbesteuerung im Ansässigkeitsstaat . . . .

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H. Besondere Bestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Protokoll . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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J. Schlussbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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K. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Prof. Dr. Jürgen Lüdicke, Hamburg (Diskussionsleitung) Deutsche Abkommenspolitik – aktuelle Praxisfragen und neue deutsche Verhandlungsgrundlage Podiumsdiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Prof. Dr. habil. Günther Strunk Praktische Auswirkungen der Umsetzung der EU-Amtshilferichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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B. Konkrete Absichten des EUAHIG bzw. der EU-Amtshilferichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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C. Gesetzlicher Rahmen und Regelungsinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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D. Praktische Konsequenzen und Handlungsempfehlungen . . . . . .

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E. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis

Prof. Dr. Jürgen Lüdicke, Hamburg (Diskussionsleitung) Praktische Auswirkungen der Umsetzung der EU-Amtshilferichtlinie Podiumsdiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 Univ.-Prof. DDr. Georg Kofler, LL.M. (NYU) Aktuelle Entwicklungen bei der Besteuerung von Betriebsstätten . 113 A. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 B. Artikel 7 OECD-MA, der „Authorised OECD Approach“ und § 1 AStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 C. Der Betriebsstättenbegriff des Artikel 5 OECD-MA . . . . . . . . . . . 120 D. Betriebsstättenbesteuerung und Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 E. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 Prof. Dr. Jürgen Lüdicke, Hamburg (Diskussionsleitung) Aktuelle Entwicklungen bei der Besteuerung von Betriebsstätten Podiumsdiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149

Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161

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Base Erosion and Profit Shifting (BEPS) – Wie geht es weiter? Dr. Achim Pross und Oliver Petzold1 OECD, Paris

A. Warum BEPS? Was ist es, was ist es nicht? . . . . . . . . . . . . . . . I. Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . II. Besteuerungssysteme unter Beschuss . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Politischer Impuls . . . . . . . . . .

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B. Druckstellen im internationalen Besteuerungssystem multinationaler Konzerne . . .

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C. Aktionsplan zur Bekämpfung von BEPS . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Fünfzehn Maßnahmen gegen BEPS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Kohärenz: Vermeidung doppelter Nichtbesteuerung durch Ausnutzung von Schlupflöchern . . . . . . . . . . . . III. Substanz: Abstimmung von Besteuerung und wirtschaftlicher Tätigkeit . . . . . . . . . . . .

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IV. Transparenz: Verbesserung des Status quo und eine erhöhte Sicherheit . . . . . . . . . . . . 9 V. Horizontale Aktionen: digitale Wirtschaft und multilaterales Instrument. . . . . . . . . . . . 11 1. Lösung der mit der digitalen Wirtschaft verbundenen Besteuerungsprobleme (Maßnahme 1) . . . . . . . . . . . 11 2. Entwicklung eines multilateralen Instruments (Maßnahme 15) . . . . . . . . . . 11 D. Nächste Schritte. . . . . . . . . . . . 12 I. Ein gemeinschaftliches OECD/G-20-Projekt . . . . . . . . 12 II. BEPS und das Vertrauen in das Steuersystem . . . . . . . . . . . 13

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A. Warum BEPS? Was ist es, was ist es nicht? I. Hintergrund Fünf Jahre nach dem Ausbruch der globalen Finanzkrise haben viele Länder weiterhin mit einem schwierigen wirtschaftlichen und sozialen 1 Dr. Achim Pross ist Leiter der Abteilung für internationale Zusammenarbeit und Steuerverwaltung am Zentrum für Steuerpolitik und Steuerverwaltung der OECD, Paris. Oliver Petzold ist Berater in der Abteilung für internationale Zusammenarbeit und Steuerverwaltung am Zentrum für Steuerpolitik und Steuerverwaltung der OECD, Paris. Der Artikel gibt die persönliche Auffassung der Autoren wieder.

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Pross/Petzold – Base Erosion and Profit Shifting (BEPS) – Wie geht es weiter?

Umfeld zu kämpfen. Auf der einen Seite wurden staatliche Dienstleistungen gekürzt, während auf der anderen Seite die Steuern erhöht wurden. In diesem Zusammenhang haben die sehr niedrigen effektiven Steuersätze, die einige multinationale Unternehmen durch internationale Steuerplanung erreichen, zu einem medialen Aufschrei geführt. Obwohl aufgrund des steigenden Kostendrucks Steuerplanung und Steueroptimierung unverzichtbarer Bestandteil vieler multinational agierender Unternehmen geworden sind, haben sich seit einiger Zeit Entwicklungen in diesem Bereich vollzogen, die eine Vielzahl von Staaten um ihr Steueraufkommen fürchten lassen. Angesprochen sind insbesondere Steuergestaltungen, bei denen es gelingt, die Besteuerung von Gewinnen weg vom Ort ihrer Entstehung in Länder zu verschieben, die nur geringe oder keine Steuern erheben, oder die Einkünfte durch hybride Gestaltungen ganz verschwinden zu lassen. Die sich daraus ergebende grundlegende Frage lautet: Haben die derzeitigen internationalen Besteuerungsregelungen mit dem sich ändernden wirtschaftlichen Umfeld Schritt gehalten?

II. Besteuerungssysteme unter Beschuss Viele nationale und internationale Besteuerungsregelungen, deren Ursprung teilweise in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts zu finden ist, beruhen noch auf der Vorstellung eines wirtschaftlichen Umfelds, das durch ein geringes Maß an grenzüberschreitender Tätigkeit mit einer wenig integrierten Wertschöpfungskette geprägt ist. So stellt sich etwa die Frage, ob die Vorstellungen darüber, welche Form der Teilnahme am inländischen wirtschaftlichen Verkehr zur Auslösung einer inländischen Besteuerung führen soll, noch in allen Bereichen zeitgemäß ist (z.B. der digitalen Wirtschaft). Ein wichtiger Aspekt in diesem Zusammenhang ist die zunehmende Bedeutung immaterieller Wirtschaftsgüter. Diese, aber auch andere sog. „mobile“ Wirtschaftsgüter, wie bspw. Finanzanlagen und Forderungen, können über aufwandswirksame Zahlungen für die Nutzung des Wirtschaftsguts zu einer Gewinnminderung im Land der wirtschaftlichen Aktivität führen, wobei korrespondierende Einnahmen oft nur einer geringen oder gar keiner Besteuerung unterliegen. Insgesamt muss man wohl konstatieren, dass das derzeitige Besteuerungssystem mit einigen Bereichen des Wirtschaftslebens nicht Schritt gehalten hat. Steuergestaltungen, die die aufgezeigten Besteuerungs-

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Pross/Petzold – Base Erosion and Profit Shifting (BEPS) – Wie geht es weiter?

lücken nutzen, führen vermehrt zu Ergebnissen, die steuerpolitisch bedenklich sind. Zum einen haben lokale Unternehmen potenzielle Wettbewerbsnachteile, wenn sie ihre Steuern nicht wie Großkonzerne optimieren können. Außerdem entstehen für multinational agierende Unternehmen möglicherweise falsche Anreize für Investitionen. Produktions- und Finanzmittel werden unter Umständen nicht am Ort ihrer wirtschaftlich effektivsten Nutzung eingesetzt. Darüber hinaus kann das bestehende Besteuerungssystem zu einer ungleichen Verteilung des internationalen Steuersubstrats führen. Letztlich leidet auch die Steuermoral der Bevölkerung, wenn Steuerpflichtige nicht nach ihrer Leistungsfähigkeit besteuert werden. Angesichts dessen wird deutlich, dass es nicht ausreicht, nur gegen missbräuchliche Steuergestaltungen im engeren Sinne vorzugehen. Es bedarf hier vielmehr eines koordinierten ganzheitlichen Vorgehens auf internationaler Ebene, um entsprechende Rahmenbedingungen für ein leistungsgerechtes und faires Besteuerungssystem zu bewahren und gleichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen sicherzustellen. Damit richtet sich die OECD vornehmlich gegen das Problem doppelter Nichtbesteuerung, ohne jedoch die Vermeidung der Doppelbesteuerung aus den Augen zu verlieren. Für einen einzelnen Staat ist es schwierig, im Alleingang Lösungen zu finden. Abgesehen davon birgt das unkoordinierte Handeln einzelner Staaten in eigener Regie die Gefahr, dass Unternehmen doppelt besteuert werden. Das Besteuerungssystem wäre zudem anfällig für Qualifikationskonflikte, was vermehrt zu Rechtsunsicherheit bei den Unternehmen und ggf. zu mehr Rechtsstreitigkeiten führt. Nicht zu vernachlässigen ist auch die Gefahr eines Wettlaufs um die niedrigsten Steuern („race to the bottom“) auf das mobile Steuersubstrat, was sich wiederum negativ auf eine gerechte Verteilung der Steuerbelastung auswirken kann.

III. Politischer Impuls Die Debatte hat die höchsten politischen Ebenen erreicht. In ihrer Abschlusserklärung zum G-20-Gipfel im mexikanischen Los Cabos, 18./19. Juni 2012, erklärten die G-20-Staats- und Regierungschefs ausdrücklich die Notwendigkeit, Base Erosion und Profit Shifting zu verhindern.2 Dieser politische Impuls wurde auf dem Treffen der G-20-Finanzminister, 4./5. November 2012, nochmals bekräftigt und 2 G20 Leaders Declaration vom 19. Juni 2012, siehe Punkt 48.

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Pross/Petzold – Base Erosion and Profit Shifting (BEPS) – Wie geht es weiter?

gleichzeitig die OECD gebeten, einen Bericht zu diesem Thema vorzulegen.3

B. Druckstellen im internationalen Besteuerungssystem multinationaler Konzerne Vor diesem Hintergrund hat die OECD eine Initiative zu „BEPS“ ins Leben gerufen und am 12. Februar 2013 den OECD-Bericht „Addressing Base Erosion and Profit Shifting“ mit vorläufigen Ergebnissen zum Ausmaß und der Funktionsweise internationaler Steuerverlagerung vorgelegt.4 Der Bericht enthält, auf der Grundlage der verfügbaren Daten und Informationen, eine eingehende Analyse zum Thema BEPS, der damit verbundenen Probleme und der sie verursachenden Faktoren. Im ersten Teil des Berichts wird das Ausmaß von BEPS, anhand von öffentlich zugänglichen Studien und Daten, beschrieben. Was folgt ist ein Überblick über die globalen Entwicklungen und deren Auswirkungen auf die Unternehmensbesteuerung sowie eine Darstellung der wichtigsten Grundsätze zur Besteuerung von grenzüberschreitenden Aktivitäten und der darauf basierenden Möglichkeiten zur Gewinnverlagerung einschließlich der Analyse einiger bekannter Unternehmensstrukturen. Der Bericht kommt zu dem Schluss, dass es neben der Notwendigkeit einer erhöhten Transparenz der effektiven Steuerquoten von multinationalen Unternehmen auch eine Reihe von Druckstellen gibt, die angegangen werden müssen. Dabei sind die folgenden sechs Druckstellen im Zusammenhang mit BEPS vorrangig identifiziert worden: –

Hybride Gesellschaften und Finanzinstrumente;



Quellenbesteuerung, insbesondere im Bereich der Lieferung von digitalen Gütern und Leistungen;



steuerliche Behandlung von Fremdfinanzierung durch nahestehende Personen, Eigenversicherung und anderen konzerninterne Finanztransaktionen;



Verrechnungspreise, insbesondere in Bezug auf die Verlagerung von Risiken und immateriellen Vermögenswerten, die künstliche Auf-

3 Communiqué of Meeting of G20 Finance Ministers and Central Bank Governors vom 5. November 2012, siehe Punkt 21. 4 OECD (2013), Addressing Base Erosion and Profit Shifting, OECD Publishing.

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spaltung des Eigentums an Vermögenswerten zwischen verbundenen Unternehmen und nicht vergleichbare Geschäfte zwischen verbundenen Unternehmen; –

die Wirksamkeit von Missbrauchsvorschriften, Hinzurechnungsbesteuerung, Fremdfinanzierungsregeln und Vorschriften zur Vorbeugung von missbräuchlicher Inanspruchnahme von Doppelbesteuerungsabkommen; und



das Vorhandensein schädlicher Präferenzregime.

Zugleich kündigte der Bericht einen Aktionsplan an, welcher die Druckstellen näher untersuchen sowie potentielle Lösungen finden und Maßnahmen entwickeln sollte.

C. Aktionsplan zur Bekämpfung von BEPS Die Arbeiten am Aktionsplan begannen nach der Veröffentlichung des OECD BEPS Berichts und wurden vom OECD Steuerausschuss5 zwischen Februar und Juni 2013 durchgeführt. Die G-20-Länder, die derzeit nicht Mitglied der OECD sind,6 waren auch an diesen Arbeiten beteiligt und nahmen an der Sitzung des OECD Steuerausschusses vom 25. Juni 2013 teil, auf welcher der Aktionsplan genehmigt wurde. Nur kurz darauf wurde der Aktionsplan auf dem Treffen der G-20-Finanzminister, am 19. Juli 2013, vorgestellt und zugleich veröffentlicht.7

I. Fünfzehn Maßnahmen gegen BEPS Der Aktionsplan ist ein Katalog von fünfzehn Maßnahmen, um das Thema BEPS auf umfassende und koordinierte Weise anzugehen. Er soll den Staaten nationale und internationale Instrumente bieten, die die Besteuerungsrechte stärker an der wirtschaftlichen Tätigkeit ausrichten. Die Maßnahmen werden in drei Kategorien unterteilt: –

Kohärenz der Besteuerung von Unternehmenseinkünften auf internationaler Ebene;



Neuausrichtung von Besteuerung nach maßgeblicher Substanz; und

5 OECD Committee on Fiscal Affairs. 6 Argentinien, Brasilien, China, Indien, Indonesien, die Russische Föderation, Saudi-Arabien und Südafrika. 7 OECD (2013), Action Plan on Base Erosion and Profit Shifting, OECD Publishing.

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Transparenz, verbunden mit Planungssicherheit und Berechenbarkeit.

Außerdem beschäftigt sich der Aktionsplan mit dem Bereich der digitalen Wirtschaft sowie der Entwicklung eines multilateralen Instruments zur Umsetzung einzelner im Rahmen der Arbeit zu BEPS entwickelter Maßnahmen.

Abb. 1: Einwirkung der Maßnahmen auf die Druckstellen im internationalen Besteuerungssystem.

II. Kohärenz: Vermeidung doppelter Nichtbesteuerung durch Ausnutzung von Schlupflöchern Die Steuerpolitik ist ein zentrales Hoheitsrecht jedes Staates, und jeder Staat hat das Recht, sein Steuersystem so zu gestalten, wie er es für am geeignetsten hält. Gleichzeitig hat die zunehmende Vernetzung der nationalen Volkswirtschaften die Lücken hervorgehoben, die durch die Wechselwirkungen nationaler Steuergesetze verursacht werden. Derzeit gibt es keine internationalen Standards, um diese Lücken zu schließen und zu verhindern, dass infolgedessen eine doppelte Nichtbesteuerung

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auftritt. Der Aktionsplan ist darauf ausgerichtet Standards zu entwickeln, um eine doppelte Nichtbesteuerung zu verhindern. Die Maßnahmen werden zum Beispiel Unternehmen daran hindern, dass zu versteuerndes Einkommen aufgrund der Wechselwirkungen von Steuervorschriften der einzelnen Staaten untergeht. Sie werden auch verhindern, dass Gewinne durch exzessive Zinszahlungen in Staaten verlagert werden, wo sie einem niedrigen oder keinem Steuersatz unterliegen. Diese Kohärenz soll durch die folgenden vier Maßnahmen des Aktionsplans erreicht werden: –

Neutralisierung der Effekte von hybriden Gestaltungen (Maßnahme 2): Die unterschiedliche Behandlung von Gesellschaften und Finanzinstrumenten im Rahmen der Steuergesetze verschiedener Staaten ermöglicht es Unternehmen, einen mehrfachen steuerlichen Abzug für einen wirtschaftlichen Aufwand geltend zu machen oder führt dazu, dass zu versteuerndes Einkommen bei der Besteuerung untergeht. Diese Maßnahme zielt darauf ab, solche Gestaltungen, beispielsweise durch Bestimmungen für nationale Rechtsvorschriften, zu neutralisieren.



Stärkung der Vorschriften zur Hinzurechnungsbesteuerung (Maßnahme 3): Ein Gestaltungsmodell zur Vermeidung der nationalen Besteuerung von Einkünften ist die Gründung von Offshore-Gesellschaften und die Umleitung eigener Einkünfte hin zu diesen verbundenen Unternehmen. Eine Stärkung der nationalen Vorschriften zur Hinzurechnungsbesteuerung könnte dieses Problem beheben, indem das Einkommen dieser Offshore-Gesellschaften bei der Besteuerung der Muttergesellschaft berücksichtigt wird.



Begrenzung der Erosion der Besteuerungsgrundlage durch Abzug von Zins- oder sonstigen finanziellen Aufwendungen (Maßnahme 4): Die derzeitigen Besteuerungsvorschriften ermöglichen es Unternehmen gegebenenfalls überhöhte Zinsabzüge zu nutzen, um steuerpflichtige Gewinne zu minimieren, oder Schulden aufzunehmen, welche Zinsaufwendungen generieren, die ihrerseits steuerfreie Erträge erzielen. Im Rahmen dieser Maßnahme werden Empfehlungen zu bewährten Praktiken für die Gestaltung von Vorschriften zur Vermeidung von BEPS durch den Abzug von Zinsaufwendungen oder sonstigen finanziellen Aufwendungen erarbeitet.



Wirksame Bekämpfung steuerschädlicher Praktiken unter Berücksichtigung von Transparenz und Substanz (Maßnahme 5): Staaten haben schon lange erkannt, dass ein Wettlauf um Steuersenkungen

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(„race to the bottom“) die Steuersätze auf bestimmte Arten von mobilen Einkünften letztlich für alle Staaten auf Null drücken würde, unabhängig davon, ob dies der angestrebten Steuerpolitik eines Staates entspricht – oder nicht. Durch die Vereinbarung eines gemeinsamen Regelwerks könnten Staaten dabei unterstützt werden, im Rahmen ihrer Steuerpolitik eigenständige Entscheidungen zu treffen. In diesem Zusammenhang soll die Arbeit zur Bekämpfung steuerschädlicher Praktiken neu ausgerichtet werden, um wirksame Lösungen zu erarbeiten.

III. Substanz: Abstimmung von Besteuerung und wirtschaftlicher Tätigkeit Bestehende Steuerabkommen und Verrechnungspreisvorschriften sind in der Regel wirksam und verhindern eine Doppelbesteuerung von Gewinnen aus grenzüberschreitender Tätigkeit. In einigen Fällen können sie jedoch die Trennung von steuerpflichtigen Einkünften und den zugrundeliegenden wertschöpfenden Aktivitäten erleichtern. Die Maßnahmen des Aktionsplans werden die beabsichtigten Auswirkungen dieser Standards wiederherstellen und zu einer Angleichung von Besteuerung und maßgeblicher Substanz führen, bei gleichzeitiger Vermeidung einer Doppelbesteuerung. Insbesondere wird die derzeitige Interpretation des Fremdvergleichsgrundsatzes dadurch in Frage gestellt, dass multinational agierende Unternehmen Möglichkeiten haben, künstlich Gewinne durch die Übertragung leicht beweglicher Vermögenswerte – wie zum Beispiel immaterielle Vermögenswerte und Kapital – zu verschieben. Der Aktionsplan wird diese Probleme angehen, entweder im Rahmen oder außerhalb des Fremdvergleichsgrundsatzes, um sicherzustellen, dass steuerbare Gewinne nicht mehr künstlich aus den Staaten wegverlagert werden können, in denen Werte geschaffen wurden. Die Maßnahmen des Aktionsplans werden auch dafür sorgen, dass Briefkastenfirmen nicht genutzt werden können, um eine doppelte Nichtbesteuerung durch die unangemessene Inanspruchnahme von Abkommensvorteilen zu erzielen. Fünf Maßnahmen des Aktionsplans konzentrieren sich darauf, Besteuerung und wirtschaftliche Tätigkeit aufeinander auszurichten: –

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Verhinderung von Abkommensmissbrauch (Maßnahme 6): Während Doppelbesteuerungsabkommen entworfen wurden, um eine Doppelbesteuerung zu vermeiden, werden sie in einigen Fällen genutzt, um eine doppelte Nichtbesteuerung von Gewinnen zu erlan-

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gen. Im Rahmen dieser Maßnahme werden Bestimmungen für das OECD-Musterabkommen und Empfehlungen für die Ausgestaltung nationaler Vorschriften zur Verhinderung der Gewährung von Abkommensvorteilen in unangemessenen Fällen erarbeitet. –

Verhinderung der künstlichen Umgehung des Betriebsstätten-Status (Maßnahme 7): Nach dem Betriebsstättenprinzip kann ein Staat nicht die Gewinne einer ausländischen Gesellschaft besteuern, es sei denn das Unternehmen hat eine Betriebsstätte in diesem Staat. Diese Maßnahme kann zu einer Änderung der Definition des Betriebsstättenbegriffs führen, um die künstliche Vermeidung des BetriebsstättenStatus zu verhindern.



Gewährleistung der Übereinstimmung zwischen Verrechnungspreisergebnissen und Wertschöpfung (Maßnahmen 8, 9 und 10): Die Verrechnungspreisvorschriften dienen dazu, die von einem global agierenden Unternehmen erzielten Einkünfte auf die Staaten zu verteilen, in denen das Unternehmen tätig ist. In einigen Fällen konnten multinationale Unternehmen die Verrechnungspreisvorschriften jedoch dazu nutzen bzw. missbrauchen, um Einkünfte von den zugrundeliegenden wirtschaftlichen Tätigkeiten zu trennen und in Niedrigsteuergebiete zu verlagern. Diese Maßnahmen werden im Ergebnis eine Gewinnverlagerung, z.B. durch die Übertragung immaterieller Wirtschaftsgüter, die Verlagerung von Risiken, eine überhöhte Kapitalausstattung von Konzerngesellschaften oder den Abschluss von Transaktionen, die zwischen Dritten nicht oder nur äußerst selten vorkommen würden, verhindern.

IV. Transparenz: Verbesserung des Status quo und eine erhöhte Sicherheit Voraussetzung für die Verhinderung von BEPS ist auch eine erhöhte Transparenz zwischen Steuerpflichtigen und Steuerverwaltungen sowie zwischen Steuerverwaltungen untereinander. Der Aktionsplan wird gleiche Verhältnisse zwischen Unternehmen und Steuerverwaltungen schaffen, indem ein einheitlicher Vordruck erstellt wird, auf welchem multinational agierende Unternehmen die erforderlichen Informationen über die weltweite Verteilung der Einkünfte, der wirtschaftlichen Tätigkeit und der gezahlten Steuern, aufgeteilt nach verschiedenen Staaten, zur Verfügung stellen. Zur gleichen Zeit wird daran gearbeitet, Planungssicherheit für Unternehmen zu schaffen und sicherzustellen, dass

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Streitigkeiten schnell gelöst werden. Vier Maßnahmen konzentrieren sich auf die Verbesserung von Transparenz: –

Entwicklung von Methoden zur Erfassung und Analyse von BEPSDaten und Gegenmaßnahmen (Maßnahme 11): Es muss daran gearbeitet werden, das Ausmaß und die Auswirkungen von BEPS zu messen und die Wirkungen der Maßnahmen des Aktionsplanes zu beobachten. Im Rahmen dieser Maßnahme werden Methoden identifiziert, die eine Erfassung des Umfangs von BEPS und eine Überwachung und Bewertung der Wirksamkeit und wirtschaftlichen Auswirkungen der Gegenmaßnahmen ermöglichen.



Verpflichtung von Steuerpflichtigen zur Offenlegung ihrer aggressiven Steuerplanungsmodelle (Maßnahme 12): Maßnahmen, die auf eine Verbesserung des Informationsflusses von Steuerplanungsstrategien abzielen, können Steuerverwaltungen und Steuerpolitikern helfen, entstehende Risikobereiche zu identifizieren, und auch eine abschreckende Wirkung auf aggressive Steuerplanung haben. Diese Maßnahme wird zu Offenlegungsvorschriften für aggressive oder missbräuchliche Transaktionen, Modelle oder Gestaltungen führen.



Überprüfung der Verrechnungspreisdokumentation (Maßnahme 13): Obwohl Unternehmen angehalten sind, umfangreiche Unterlagen über ihre Verrechnungspreisvereinbarungen zu erstellen, sind in vielen Situationen die Informationen nicht hilfreich, den Steuerverwaltungen einen umfassenden Überblick über die weltweiten Vereinbarungen des Steuerpflichtigen zu geben. Im Rahmen dieser Maßnahme werden Regeln zur Verrechnungspreisdokumentation erarbeitet, mit dem Ziel einer Verbesserung der Transparenz für die Steuerverwaltungen unter Berücksichtigung der Compliance-Kosten für Unternehmen. Die Regeln werden multinationale Unternehmen verpflichten, die erforderlichen Informationen über die weltweite Verteilung der Einkünfte, der wirtschaftlichen Tätigkeit und der gezahlten Steuern, aufgeteilt nach verschiedenen Staaten, zur Verfügung zu stellen.



Verbesserung der Effizienz von Streitbeilegungsmechanismen (Maßnahme 14): Die Maßnahmen zur Bekämpfung von BEPS müssen um Maßnahmen ergänzt werden, die Planungssicherheit und Vorhersehbarkeit für Unternehmen schaffen, um Investitionen zu fördern. Diese Maßnahme soll diese Sicherheit dadurch gewährleisten, dass Lösungen erarbeitet werden, die Hindernisse beseitigen, die Staaten an der Beilegung von abkommensbezogenen Streitigkeiten hindern.

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V. Horizontale Aktionen: digitale Wirtschaft und multilaterales Instrument 1. Lösung der mit der digitalen Wirtschaft verbundenen Besteuerungsprobleme (Maßnahme 1) Der Aktionsplan dringt auch darauf, die Herausforderungen zu bewältigen, die die digitale Wirtschaft an das derzeitige internationale Besteuerungssystem stellt und die sich über die drei Kategorien – Kohärenz, Substanz und Transparenz – erstrecken. BEPS tritt auch im Zusammenhang mit der digitalen Wirtschaft auf, und einige der geplanten Maßnahmen werden dazu beitragen, diese Probleme zu beseitigen. Allerdings gibt es dabei einige Besonderheiten zu berücksichtigten. Daher sind eine gründliche Analyse der verschiedenen Geschäftsmodelle und der sich stetig wandelnden Rahmenbedingungen sowie eine bessere Kenntnis der Wertschöpfung in diesem Sektor notwendig. Zudem müssen auch Fragen der indirekten Besteuerung beachtet werden. Vor diesem Hintergrund ist eine Arbeitsgruppe zur digitalen Wirtschaft eingerichtet worden, die sich damit beschäftigt, die Hauptschwierigkeiten, die die digitale Wirtschaft an die bestehenden internationalen Besteuerungsvorschriften stellt, zu identifizieren und detaillierte Möglichkeiten zur Lösung dieser Schwierigkeiten zu erarbeiten.

2. Entwicklung eines multilateralen Instruments (Maßnahme 15) Aufgrund der Tatsache, dass die auf den im Aktionsplan genannten Maßnahmen basierenden Empfehlungen schnell umgesetzt werden sollen, müssen innovative Wege für eine solche Umsetzung in Betracht gezogen werden. Vor diesem Hintergrund fordert der Aktionsplan auch die Entwicklung eines multilateralen Instruments, das von interessierten Staaten verwendet werden kann, um eine Umsetzung der im Rahmen der Arbeit zu BEPS entwickelten Maßnahmen zu ermöglichen. In der Tat, Änderungen des OECD-Musterabkommens sind nicht unmittelbar wirksam. Solche Änderungen müssen in den bilateralen Doppelbesteuerungsabkommen nachvollzogen werden. Wird ein solcher Prozess auf einem Abkommen-für-Abkommen basierten Ansatz vorgenommen, kann die schiere Anzahl der bestehenden Doppelbesteuerungsabkommen diesen Prozess sehr stark in die Länge ziehen. Dies gilt umso mehr, wenn die beteiligten Staaten eine umfassende Neuverhandlung des bilateralen Doppelbesteuerungsabkommens vornehmen. Eine Möglichkeit, diese

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Problematik zu überwinden, ist die Verwendung eines multilateralen Instruments zur Änderung bilateraler Verträge. Diese Option ist vielversprechend, wirft jedoch zur gleichen Zeit eine Reihe von steuer- und völkerrechtlichen Fragen auf, die analysiert werden müssen. Auf der Grundlage dieser Analyse werden interessierte Parteien in der Lage sein, ein multilaterales Instrument zu entwickeln, das einen innovativen Ansatz bei internationalen Steuerfragen ermöglichen soll, in dem sich die rasante Entwicklung der Weltwirtschaft und der Bedarf für eine schnelle Reaktion auf diese Entwicklung wiederspiegeln.

D. Nächste Schritte I. Ein gemeinschaftliches OECD/G-20-Projekt Gewinnverlagerungsmöglichkeiten für Unternehmen resultieren im Wesentlichen aus dem Zusammenspiel der Rechtssysteme einzelner Staaten. Kein Staat kann diese Probleme umfassend alleine angehen. Darüber hinaus haben die Staaten erkannt, dass unkoordinierte und einseitige Maßnahmen, die die Besteuerungsrechte grenzüberschreitender Tätigkeiten tangieren, möglicherweise zu einer Doppel- oder Mehrfachbesteuerung grenzüberschreitender Investitionen führen können. Die Umsetzung der in diesem Aktionsplan vorgesehenen Maßnahmen erfordert einen effektiven und umfassenden Prozess, in den alle Beteiligten einbezogen werden. Vor dem Hintergrund des starken Interesses und der Unterstützung, die mehrfach von den G-20-Staaten zum Ausdruck gebracht wurden, wurde das BEPS-Projekt als gemeinschaftliches Projekt der OECD und der G-20 initiiert. Die Arbeiten an dem Projekt werden vom OECD Steuerausschuss und den untergeordneten Arbeitsgruppen vorgenommen. G-20-Staaten, die nicht Mitglied der OECD sind, sind an dem Projekt als assoziierte Teilnehmer beteiligt, d.h. auf gleicher Augenhöhe mit den OECD-Mitgliedsstaaten. Liste der 46 Staaten, die zum derzeitigen Zeitpunkt am Projekt beteiligt sind: Argentinien, Australien, Belgien, Brasilien, Chile, China, Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Indien, Indonesien, Irland, Island, Israel, Italien, Japan, Kanada, Kolumbien, Korea, Lettland, Luxemburg, Malaysia, Mexiko, Neuseeland, Niederlande, Norwegen, Österreich, Polen, Portugal, die Russische Föderation, Saudi Arabien, Schweden, Schweiz, Singapur, die Slowakische Republik, Slowenien, Spanien, Südafrika, die Tschechische Republik, Türkei, Ungarn, das Vereinigtes Königreich, die Vereinigten Staaten.

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Auch Entwicklungsländer sehen sich Problemen im Zusammenhang mit BEPS ausgesetzt, auch wenn sich die Probleme möglicherweise aufgrund der Besonderheiten der rechtlichen und administrativen Rahmenbedingungen dieser Staaten in anderer Weise manifestieren. Die Vereinten Nationen beteiligen sich an der Steuerarbeit der OECD und werden ohne Zweifel nützliche Erkenntnisse im Hinblick auf die besonderen Anliegen von Entwicklungsländern beisteuern. Zudem werden die „Task Force on Tax and Development“ und das OECD-Programm für Globale Beziehungen eine nützliche Plattform für das Einbringen der Anliegen von Entwicklungsländern bilden. Die Konsultation mit nichtstaatlichen Beteiligten ist ebenfalls von zentraler Bedeutung. Vertretern von Wirtschaft und Zivilgesellschaft wird Gelegenheit gegeben, die verschiedenen im Rahmen der Arbeit entwickelten Vorschläge zu kommentieren. Die Kernbeziehungen der OECD mit der Zivilgesellschaft laufen über den Beratenden Ausschuss der Wirtschaft8 und den Gewerkschaftlichen Beratungsausschuss9 bei der OECD. Nichtregierungsorganisationen, Think Tanks und Wissenschaftsvertreter werden ebenfalls konsultiert. Vor diesem Hintergrund fand bereits am 12./13. November 2013 eine öffentliche Konsultation zu verschiedenen Fragen der Verrechnungspreisthematik statt. Die Konsultation wurde auch im Internet übertragen. Weitere öffentliche Konsultationen sind geplant für 2014 und 2015.

II. BEPS und das Vertrauen in das Steuersystem BEPS stellt eine große Herausforderung für die internationale Staatengemeinschaft dar und erfordert die Einsatzbereitschaft aller davon betroffenen Akteure. Die politischen Erwartungen sind in den meisten Staaten sehr hoch, und die Ergebnisse und die Auswirkungen des BEPSProjekts müssen auf der Höhe dieser politischen Erwartungen sein. Die Lösung der BEPS-Problematik ist für die meisten Länder kritisch und muss daher in einer angemessenen, umfassenden und effektiven Weise durchgeführt werden. Der Zeitplan ist anspruchsvoll, und es wird erwartet, dass Vorschläge zu allen Maßnahmen spätestens bis zum Ablauf des Jahres 2015 geliefert werden. Arbeiten an einigen Maßnahmen werden schon in 2014 beendet, in anderen Fällen erst in 2015.

8 Business and Industry Advisory Committee. 9 Trade Union Advisory Committee.

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Abb. 2: Zeitplan

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das BEPS-Projekt eine wichtige Zäsur in der Geschichte internationaler Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Besteuerung darstellt und einen Beitrag leisten kann, das Vertrauen in das internationale Besteuerungssystem wiederherzustellen. Hinweis: Die Podiumsdiskussion zum Thema BEPS ist im Anschluss an den Beitrag von Geberth ab Seite 33 widergegeben.

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Base Erosion and Profit Shifting – Die Sicht der Wirtschaft Georg Geberth Rechtsanwalt Siemens AG, München

A. BEPS im Überblick – das Umfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . II. Beteiligte Staatengemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Das Dilemma der Staaten – Anreizsetzung und deren Befolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Unternehmen leisten ihren Beitrag zur Staatsfinanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Der BEPS-Aktionsplan – eine Kurzbewertung aus Sicht der Wirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . I. Aktionspunkt 1: „Lösung der mit der digitalen Wirtschaft verbundenen Besteuerungsprobleme“ . . . . . . . . . . . . . . . . II. Aktionspunkt 2: „Neutralisierung der Effekte von Hybrid Mismatch Arrangements“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Aktionspunkt 3: „Stärkung der Hinzurechnungsbesteuerung“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Aktionspunkt 4: „Begrenzung der Erosion der Besteuerungsgrundlage durch Abzug von Zins- oder sonstigen finanziellen Aufwendungen“ . . . . . V. Aktionspunkt 5: „Wirksamere Bekämpfung steuerschädlicher Praktiken unter Berücksichtigung von Transparenz und Substanz“ . . . . . . . . . . . . .

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VI. Aktionspunkt 6: „Verhinderung von Abkommensmissbrauch“ . . . . . . . . . . . . . . . VII. Aktionspunkt 7: „Verhinderung der künstlichen Umgehung des Status als Betriebsstätte“ . . . . . . . . . . . . . VIII. Aktionspunkt 8, 9 und 10: „Gewährleistung der Übereinstimmung zwischen Verrechnungspreisergebnissen und Wertschöpfung“ . . . . . . . . IX. Aktionspunkt 11: „Entwicklung von Methoden zur Erfassung und Analyse von BEPSDaten und Gegenmaßnahmen“ . . . . . . . . X. Aktionspunkt 12: „Verpflichtung von Steuerpflichtigen zur Offenlegung ihrer aggressiven Steuerplanungsmodelle“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI. Aktionspunkt 13: „Überprüfung der Verrechnungspreisdokumentation“ . . . . . . . XII. Aktionspunkt 14: „Verbesserung der Effizienz von Streitbeilegungsmechanismen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIII. Aktionspunkt 15: „Entwicklung eines multilateralen Instruments“ . . . . . . . . . . . . . . . .

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C. BEPS – Der Koalitionsvertrag . 26 I. Diskussionen im Vorfeld . . . . 26 22

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Geberth – Base Erosion and Profit Shifting – Die Sicht der Wirtschaft II. Die Aussagen im Koalitionsvertrag. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. BEPS „at work“ – Beispiele aus der Praxis . . . . . . . . . . . . . . I. Die deutsche Zinsschranke und die Funktionsverlagerungsbesteuerung . . . . . . . . . .

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II. Die geplante „Lizenzschranke“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 III. Die geplante Steuerreform in Mexiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 E. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31

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A. BEPS im Überblick – das Umfeld I. Einleitung Zunächst möchte ich das Umfeld darstellen, in dem „BEPS“ entstanden ist. Denn – entgegen mancher Wahrnehmung – ist es nicht ohne Weiteres wie ein Meteorit vom Himmel gefallen. Zunächst hat BEPS natürlich Vorläufer aus vorherigen Jahrzehnten (Steueroasenbericht aus den 1960er Jahren in Deutschland sowie „Report on Harmful Tax Practices“ der OECD aus dem Jahr 1998), aber auch aus der jüngsten Vergangenheit („Corporate Loss Utilisation through Aggressive Tax Planning“ der OECD aus dem Jahr 20111). Darüberhinaus hat das Thema BEPS sich über die letzten Jahre langsam aufgebaut bzw. es ist von verschiedenen Organisationen aus den verschiedensten Gründen und Interessen aufgebaut worden. Als aktives Mitglied der internationalen Wirtschaftsverbände BIAC, ICC und BusinessEurope konnten wir die Tendenzen schon frühzeitig wahrnehmen. Denn dort waren Themen wie Country-byCountry Reporting schon vor vielen Jahren auf der Tagesordnung, lange bevor sie in Deutschland überhaupt andiskutiert wurden. Wenn wir über BEPS sprechen, geht es eigentlich nur um doppelte Nichtbesteuerung, so ist jedenfalls die offizielle Lesart der OECD (gewissermaßen die „Offizialdefinition“). Zum Umfeld gehört aber auch, dass die Diskussion sich mittlerweile mit der noch viel älteren Diskussion über die gerechte Verteilung des Steueraufkommens zwischen Industrie- und Schwellenländern überlagert hat. Es geht also – zumindest unterschwellig – auch um die Frage der Besteuerung nach dem Ansässigkeits- oder dem Quellenstaatsprinzip.2

1 Zu diesem Bericht siehe Lüdicke, IStR 2013, 611 (615). 2 Zum Verteilungskampf zwischen den Staaten siehe Piltz, IStR 2013, 681 f.

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Hinzu kommen zwei ganz neue Komponenten, welche die Diskussion emotional stark aufgeladen haben. Dies ist zum einen die Staatsschuldenkrise und zum anderen das Auftreten eines neuen oder vielmehr zahlreicher neuer Player in der Steuerpolitik: die Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs – Non-Governmental Organisations). Diese NGOs, ob sie nun Tax Justice Network heißen oder Publish what you pay oder Christian Aid, sind äußerst rührig und verstehen sich vor allem auf eine sehr gute Pressearbeit. Ihre ursprüngliche Idee war es eigentlich, die Entwicklungsländer zu unterstützen, damit große Unternehmen einen angemessenen Anteil Steuern – den sog. fair share – an die jeweiligen Fisci entrichten. Die Argumente konnten nicht drastisch und plastisch genug ausfallen: So hat zum Beispiel Christian Aid im Jahr 2008 einen Bericht veröffentlicht, der den Titel „Death and Taxes“ trug. Darin wird behauptet, dass jeden Tag 1000 Kinder in den armen Ländern Afrikas sterben müssten, weil Großkonzerne aufgrund von Verrechnungspreisgestaltungen zu wenig Steuern entrichteten, die dem jeweiligen Staat dann fehlten, um die eigene Bevölkerung zu ernähren. Solche Argumente verfehlen ihre Wirkung in der Presse natürlich nicht. Und deshalb können die Steuerabteilungen und Pressestellen von Großkonzernen in letzter Zeit beinahe wöchentlich einschlägige Presseanfragen beantworten, zu Fragen wie etwa: „In welchen der folgenden Steueroasen hat Ihr Unternehmen Tochtergesellschaften?“ Im Anschluss an die Frage werden u.a. lauter EU-Mitgliedstaaten wie Österreich, Irland, Belgien, die Niederlande und Luxemburg aufgeführt. Und ganz unten in der Anfrage wird auf die Quelle der „Steueroasenliste“ hingewiesen: Tax Justice Network. Die NGOs haben sich somit auch dem Kampf gegen die Niedrigbesteuerung zwischen den Industriestaaten verschrieben.

II. Beteiligte Staatengemeinschaften Aus dem bisher Gesagten ergibt sich der bekannte Gegensatz zwischen den klassischen Industriestaaten, den Schwellenländern oder BRIC-Staaten sowie den Entwicklungsländern. Während die OECD – ehemals bekannt als der „club of the rich“ unter den Staatengemeinschaften – mit ihrer Arbeit am Musterabkommen und an den Verrechnungspreisrichtlinien bisher eine Klammer um alle Staaten spannen konnte, machen sich insbesondere die BRIC-Staaten mittlerweile selbständig und versuchen, eine eigene Melodie anzustimmen. Das hieraus resultierende Konzert klingt leider recht unabgestimmt und dissonant. Und gerade diese Unabgestimmtheit ist natürlich nicht im Interesse der Unterneh-

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men. Diese sind geradezu darauf angewiesen, dass die Staaten das Steuersubstrat nach möglichst einheitlichen Grundsätzen aufteilen, damit es nicht zu einer „institutionalisierten“ Doppelbesteuerung kommt. Deshalb ist es aus meiner Sicht eine besonders interessante Entwicklung, dass die steuerpolitische Arbeit auf der internationalen Ebene zur Zeit zwar immer noch von der OECD geleistet wird, aber von der Staatengemeinschaft der G20 – also der wichtigsten zwanzig Industrie- und Schwellenländer – mit vorangetrieben wird. Es ist die G20-Gruppe, die letztes Jahr die OECD mit der Erstellung des BEPS-Berichts sowie mit der Erarbeitung des BEPS-Aktionsplans beauftragt hat. Darin liegt Chance und Risiko zugleich. Die Chance ist, dass die Staaten zu einem neuen Konsens bei der Unternehmensbesteuerung finden und die Staaten zu einer gewissen Gleichförmigkeit bei der Aufteilung des Steuersubstrats zurückfinden – das Wort Einheitlichkeit soll bewusst vermieden werden, denn sie wird es nie geben. Das Risiko für die Unternehmen besteht darin, dass die Punkte des BEPS-Aktionsplans zwar – rein formal gesehen – durch konsensuale Dokumente erfolgreich abgearbeitet werden, jedoch inhaltlich weiterhin Dissens besteht. Ein Beispiel hierfür ist die im Rahmen des BEPS-Prozesses von den G20-Staaten erreichte „Einigkeit“ darüber, dass die Besteuerung dort erfolgen solle, wo die „ökonomische Aktivität“ stattfindet sowie die „Wertschöpfung“ erfolgt. Es handelt sich um einen klassischen Formelkompromiss: denn unter diesen beiden Begriffen stellen sich BRIC-Staaten und OECD-Staaten äußerst unterschiedliche Inhalte vor.

III. Das Dilemma der Staaten – Anreizsetzung und deren Befolgung Wichtig ist auch, dass ganz langsam die Kehrseite der angeblich so „aggressiven“ Steuergestaltung ins öffentliche Bewusstsein – zumindest der steuerpolitischen Fachwelt – vorgedrungen ist. Die Kehrseite der Medaille ist die Motivation der Staaten beim Design ihrer Steuergesetze. Genauer gesagt befinden sich die Staaten in einem Dilemma. Auf der einen Seite wollen sie die Ansiedlung von Unternehmen fördern und tun dies u.a. auch mit steuerpolitischen Mitteln3 – vielleicht mit Ausnahme ganz weniger Staaten. Belohnt werden sie mit mittelbaren steuerlichen Effekten insbesondere bei der Lohn- und der Umsatzsteuer. Auf der an3 Schön, FAZ v. 14.4.2013, http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/globale-steuer gerechtigkeit-das-grosse-internationale-steuer-spiel-12145394.html.

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deren Seite wenden sich die Staaten gegen die steuerlichen Anreize anderer Staaten bzw. sie versuchen, die Steueranreize (z.B. die notional interest deduction in Belgien), aber auch andere wirtschaftliche Anreize (z.B. ein niedriges Lohnniveau) aus dem Ausland abzuschöpfen. Werden die internationalen Besteuerungsrechte nun neu geordnet, führt dies aus dem bestehenden Gleichgewicht heraus in ein neues Gleichgewicht, das nicht unbedingt vorteilhaft für die Staaten der OECD sein muss, insbesondere auch nicht für Deutschland. Aus Sicht der Unternehmen stellt sich das Vorgehen der Staaten als äußerst problematisch dar. Denn ihnen wird der Vorwurf einer „aggressiven“ Steuergestaltung bereits dann gemacht, wenn sie die von der Politik gesetzten Anreize ernst nehmen, indem sie diese beanspruchen. Es ist deshalb nur folgerichtig, dass die OECD in ihrem BEPS-Aktionsplan nun auch das Thema der aggressiven Standortpolitik – der harmful tax policy – näher unter die Lupe nimmt.4 Es ist ein Verdienst der OECD, dass an dieser Stelle kein einseitiges „company bashing“ betrieben wird, sondern der Finger auch in die Runde der Staaten zeigt.

IV. Unternehmen leisten ihren Beitrag zur Staatsfinanzierung Zur Schilderung des Diskussionsumfelds gehört ein wichtiger Kritikpunkt am Vorgehen der OECD. Mit dem BEPS-Aktionsplan wird der Versuch einer „Therapie“ unternommen, noch bevor die „Diagnose“ überhaupt erstellt wurde. Hierzu ist die Relation zwischen dem Körperschaftsteueraufkommen der OECD-Mitgliedstaaten und ihrem Bruttoinlandsprodukt sehr aussagekräftig. Denn das Aufkommen aus der Körperschaftsteuer ist im Laufe der letzten Jahrzehnte prozentual zum Bruttoinlandsprodukt nicht zurückgegangen. Trotz des laut beklagten „race to the bottom“ bei den Steuersätzen und trotz der angeblich allenthalben anzutreffenden Erosion der Bemessungsgrundlage durch Gewinnverlagerung: Die Relation dieser beiden Zahlen ist sogar angestiegen. Daraus kann geschlossen werden, dass in den OECD-Staaten im Verhältnis zum BIP heute mehr Körperschaftsteuer gezahlt wird als noch vor zwanzig, dreißig oder vierzig Jahren. Das Beste an dieser Statistik ist: Sie ist nicht gefälscht! Denn es handelt sich um die offiziellen

4 OECD (2013), Action Plan on Base Erosion and Profit Shifting, Aktionspunkt 5, S. 18, OECD Publishing. http://dx.doi.org/10.1787/9789264202719-en.

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Zahlen der OECD.5 Die Schlussfolgerung daraus kann m.E. nur lauten, dass von einem Rückzug der Unternehmen aus der Finanzierung der Staaten keine Rede sein kann. Vielleicht sollte daher eine Untersuchung darüber angestellt werden, inwieweit die viel diskutierten und allseits bekannten Einzelfälle überhaupt verallgemeinerungsfähig sind, ob es sich also beim BEPS-Phänomen tatsächlich um ein Massenphänomen handelt. Wünschenswert wären Maßnahmen auf der Basis von Fakten sowie insgesamt eine differenzierte Herangehensweise.6

B. Der BEPS-Aktionsplan – eine Kurzbewertung aus Sicht der Wirtschaft Im Folgenden sollen die einzelnen Aktionspunkte kurz beleuchtet und jeweils einer kurzen Bewertung aus Wirtschaftssicht unterzogen werden.

I. Aktionspunkt 1: „Lösung der mit der digitalen Wirtschaft verbundenen Besteuerungsprobleme“ Die Unternehmen der „digitalen Wirtschaft“7 sind von den Vorwürfen der aggressiven Steuergestaltung besonders betroffen. Ein Hauptproblemfeld liegt darin, dass der steuerliche Anknüpfungspunkt bei digital ausgerichteten Unternehmen häufig fehlt. Deshalb liegt die Idee nicht fern, sich diesem Wirtschaftssektor isoliert zu nähern. Eine Lösung könnte sein, für die Unternehmen der „digitalen Wirtschaft“ die Schwelle zum Entstehen einer Betriebsstätte abzusenken. Aus Wirtschaftssicht bestehen hier zwei Gefahren: Zum einen könnte der so gefundene neue Betriebsstättenbegriff auf längere Sicht auch auf andere Branchen übertragen werden. Zum anderen müsste überhaupt eine griffige Definition dafür gefunden werden, was ein Unternehmen der digitalen Wirtschaft ist. Dies sei am Beispiel eines traditionellen Unternehmens der klassischen Industrie aufgezeigt, dem Baumaschinen- und Lkw-Hersteller Volvo (nicht der zu einem chinesischen Mutterkonzern gehörende deutlich kleinere Pkw-Hersteller): Es gibt heute bei Volvo nur noch sechs verschiedene Lkw-Motoren, im Vergleich zu ca. 25 frü-

5 OECD (2013), Addressing Base Erosion and Profit Shifting, S. 16, OECD Publishing. http://dx.doi.org/10.1787/9789264192744-en. 6 Rödder/Pinkernell, IStR 2013, 619. 7 Pinkernell, IStR 2013, 17 ff.

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her. Wenn ein Lkw-Fahrer heutzutage beispielsweise bei einer Alpenüberquerung mehr Zugkraft benötigt, lässt er sich auf elektronischem Weg ein zusätzliches PS-Paket – über Chip-Tuning – freischalten. D.h. die Grenzen zwischen der digitalen und der Realwirtschaft verlaufen zusehends. Eine auch nur halbwegs klare Abgrenzung wird kaum zu finden sein.

II. Aktionspunkt 2: „Neutralisierung der Effekte von Hybrid Mismatch Arrangements“ An dieser Stelle ist der deutsche Gesetzgeber mal wieder vorangeprescht, indem er das Korrespondenzprinzip in § 8b KStG verschärft hat. Hier sollte aufgepasst werden, dass aus doppelter Nichtbesteuerung nicht ungewollte Doppelbesteuerung wird. Insbesondere besteht die Herausforderung m.E. darin, genau festzulegen, welcher der Staaten bei der doppelten Nichtbesteuerung leer ausgegangen ist und demzufolge das Besteuerungsrecht erhalten sollte.

III. Aktionspunkt 3: „Stärkung der Hinzurechnungsbesteuerung“ Hier kann sich ein deutsches Unternehmen ganz entspannt zurücklehnen, denn wer bereits Höllenqualen durchleiden muss, für den kann es nicht noch schlimmer kommen. Wir haben in Deutschland bereits eine inhaltlich ausufernde CFC-Regelung, die im Ausland ihresgleichen sucht. Und dies gilt erst recht für den angeblichen Niedrigsteuersatz, der zu extremen Verwerfungen führen kann, die mit Sinn und Zweck der Regelung in keinem Zusammenhang mehr stehen. So führt die Hinzurechnung, obwohl sie vom Konzept her nur die ausländische Besteuerung auf das deutsche Besteuerungsniveau anheben soll, manchmal zu einer Anhebung auf eine Steuerbelastung von knapp vierzig Prozent. Paradoxerweise gilt dies insbesondere dann, wenn das Ausland mit seinem niedrigen Steuersatz nur ganz knapp unter den gesetzlich festgesetzten 25 Prozent liegt.

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IV. Aktionspunkt 4: „Begrenzung der Erosion der Besteuerungsgrundlage durch Abzug von Zins- oder sonstigen finanziellen Aufwendungen“ Auch hier können wir als deutsche Unternehmen den Aktionsplan „kommen lassen“. Das Ergebnis der Beratungen wird nicht schlimmer sein als unsere Zinsschranke. Denn die im Aktionsplan neu auftauchende Einbeziehung von Zinszahlungen an fremde Dritte ist in Deutschland bereits Realität. Dazu komme ich später noch.

V. Aktionspunkt 5: „Wirksamere Bekämpfung steuerschädlicher Praktiken unter Berücksichtigung von Transparenz und Substanz“ Gedacht ist hier an einen zwischenstaatlichen Informationsaustausch über Rulings sowie an eine Bestandsaufnahme der bestehenden schädlichen Steuerregime in OECD- und Nicht-OECD-Staaten. Dieses Thema ist – wie bereits oben erwähnt – das Gegenstück zur aggressiven Steuergestaltung – wie immer dieser Begriff konkret zu fassen ist. Die besondere Herausforderung besteht vermutlich darin, nur solche Steuerregime zuzulassen, die reale unternehmerische Aktivität anziehen. Die EU8 bemüht sich bereits seit vielen Jahren in ihrer Code of Conduct Group, den Bereich der Harmful Tax Competition einzugrenzen. So wurden bspw. die Coordination Centres in Belgien und andere nationalstaatliche Regelungen beseitigt. Es kommt einem manchmal ein bisschen wie der Kampf gegen die Hydra vor, der immer mehr Köpfe nachwachsen, als man soeben abgeschlagen hat. Und eine Sache ist ganz sicher: In diesem Bereich besteht in Deutschland nun wirklich kein Handlungsbedarf.

VI. Aktionspunkt 6: „Verhinderung von Abkommensmissbrauch“ Auch hier benötigt Deutschland keinen Nachhilfeunterricht, ich denke nur an die zahlreichen Aktivitätsklauseln in den neu ausgehandelten DBA und an den immer länger werdenden § 50d EStG.

8 Zum europarechtlichen Spielraum hinsichtlich „Anti-BEPS-Maßnahmen“ siehe Musil/Schulz, DStR 2013, 2205 ff.

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VII. Aktionspunkt 7: „Verhinderung der künstlichen Umgehung des Status als Betriebsstätte“ Ein weiterer Kernpunkt des BEPS-Aktionsplans ist das Thema der künstlichen Umgehung von Betriebsstätten. Und zwar nicht, weil sie Wirtschaft auf diesem Gebiet so aktiv gestaltet. Vielmehr besteht die Sorge, dass der Betriebsstättenbegriff – gewissermaßen als Kollateralschaden – stark ausgeweitet werden könnte. Und die im Ausland tätigen Unternehmen tun sich bereits jetzt recht schwer mit der zutreffenden Erfassung ihrer Betriebsstätten. Wenn der Betriebsstättenbegriff nun erweitert wird, stellt sich die Frage nach einer überhaupt noch möglichen Handhabbarkeit. An dieser Stelle droht die Diskussion übrigens in die Verteilungsdebatte zwischen Quellen- und Ansässigkeitsstaaten überzugehen, die mit BEPS eigentlich in keinem Zusammenhang steht. Denn die Quellenstaaten setzen sich bereits seit langem für eine stärkere Quellenbesteuerung durch einen erweiterten Betriebsstättenbegriff ein.

VIII. Aktionspunkt 8, 9 und 10: „Gewährleistung der Übereinstimmung zwischen Verrechnungspreisergebnissen und Wertschöpfung“ –

Immaterielle Wirtschaftsgüter (8)

Der OECD-Draft zu den immateriellen Wirtschaftsgütern ist schon seit mehreren Jahren in der Diskussion, sogar bevor das BEPS-Projekt begründet wurde. Die aktuelle Fassung datiert von Juli 2013. Im Ergebnis ist damit zu rechnen, dass für die Zuordnung von immateriellen Wirtschaftsgütern mehr Substanz verlangt werden wird. –

Risiken und Kapital (9)



Sonstige risikoreiche Transaktionen (10)

Der Fokus wird auf dem Gleichklang von Wertschöpfung und Verrechnungspreisen liegen. Insbesondere soll untersucht werden, wie die vertragliche Zuordnung von Risiko und Kapital in diesem Bereich verzerrende Wirkungen haben kann.

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IX. Aktionspunkt 11: „Entwicklung von Methoden zur Erfassung und Analyse von BEPS-Daten und Gegenmaßnahmen“ Es ist richtig, eine Analyse durchzuführen. Ähnlich wie bei einer Gesetzesfolgenbetrachtung wäre die Analyse allerdings vor dem Aktionsplan sinnvoll gewesen. Die umgekehrte Reihenfolge ist schwer nachvollziehbar: Kommt hier die Behandlung vor der Diagnose?

X. Aktionspunkt 12: „Verpflichtung von Steuerpflichtigen zur Offenlegung ihrer aggressiven Steuerplanungsmodelle“ In diesem Zusammenhang mag Sie interessieren, dass im Europäischen Parlament dieser Tage die folgenden Offenlegungspflichten diskutiert werden: „(ca) Um die Verhältnismäßigkeit der von einem Unternehmen angewendeten Methoden zur Steuerermäßigung beurteilen zu können, wird eine Beschreibung der Steuerplanungsgestaltung des Unternehmens beigefügt, die mindestens Folgendes beinhaltet: i) Gestaltung der aggressiven Steuerplanung einschließlich des allgemeinen Inhalts der erhaltenen Empfehlungen; ii) Transferpreisgestaltung und Angaben darüber, ob die Transferpreise mit den Finanzbehörden der jeweiligen Länder vereinbart wurden; iii) Entscheidungen über feste Niederlassungen und eine Liste der Länder, in denen das Unternehmen ohne feste Niederlassung tätig ist; iv) Methoden zur Aushöhlung der Bemessungsgrundlage durch Zinsabzug, Lizenzgebühren und andere Finanzzahlungen einschließlich Angaben darüber, wo Handelsmarken entwickelt werden, wo sie von Tochtergesellschaften bezahlt werden und ob sie Eigentum des Mutterunternehmens an ihrer Hauptbetriebsbasis sind oder, falls dies nicht der Fall ist, wo sich ihr steuerlicher Wohnsitz befindet; v) Angaben darüber, wo Forschungs- und Entwicklungsarbeit betrieben wird und wie dies von den Tochterunternehmen zurückgefordert wird.“

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XI. Aktionspunkt 13: „Überprüfung der Verrechnungspreisdokumentation“ Anstatt der bisherigen transaktionsbezogenen Verrechnungspreisdokumentation sollen globale und länderspezifische Zahlen abgeliefert werden. Die damit aufgenommene Diskussion zum Country-by-Country Reporting ging ursprünglich von den NGOs aus. Sie drehte sich zunächst um die Veröffentlichung von Unternehmenszahlen wie „Gewinn vor Steuern“, „gezahlte Ertragsteuern“ etc. Diese Zahlen sollten veröffentlicht werden, damit die sog. Zivilgesellschaft sie analysieren und bewerten kann, um sich von der „Steuermoral“ des jeweiligen Unternehmens ein Bild machen zu können. Diese Herangehensweise ergibt wenig Sinn, da die meisten dieser Zahlen für die Öffentlichkeit kaum interpretierbar sind. So läuft die Forschungsförderung in manchen Staaten vor allem über das Steuerrecht, in anderen über die direkte Forschungsförderung in Form von Zuschüssen. In beiden Fällen kann die Förderhöhe identisch sein, während die Steuerzahlungen der Unternehmen sich wegen der verschiedenen Arten der Förderung sehr stark unterscheiden. Fehlt es aber an der Vergleichbarkeit, kann die Veröffentlichung dieser Zahlen ihren Zweck nicht erfüllen. Diese „High Level Data“ können also ohne ein tieferes steuerliches Verständnis und eine tiefere Kenntnis des jeweiligen Unternehmens nicht vernünftig interpretiert werden. Ein Anliegen der Unternehmen, aber auch der Finanzverwaltung selbst war es daher, die Zahlen nicht öffentlich machen zu müssen, sondern lediglich im Binnenverhältnis zur Finanzverwaltung abzuliefern. Diese Entwicklung zu mehr Vertraulichkeit auf G8- und OECD-Ebene begrüßen wir daher sehr.

XII. Aktionspunkt 14: „Verbesserung der Effizienz von Streitbeilegungsmechanismen“ Dieser Punkt wäre ein echter Pluspunkt für die Unternehmen. Aber nicht nur das: Er ergibt sich auch aus den anderen Punkten des BEPSProjekts. Denn manche dieser Punkte führen zu verstärkter Doppelbesteuerung. Es liegt daher nahe, sie mit einer Verbesserung der Effizienz von Verständigungs- und Schiedsverfahren zumindest abzufedern.9 Ins-

9 Eine interessante Statistik zu den Verständigungsverfahren 2011 ist zu finden bei: Alberts, IStR-LB 2013, 73 ff.

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besondere ein Einigungszwang wäre aus Sicht der Wirtschaft äußerst willkommen.

XIII. Aktionspunkt 15: „Entwicklung eines multilateralen Instruments“ Doppelbesteuerungsabkommen sind ihrer Natur nach – weil sie im bilateralen Verhältnis vereinbart werden – eine etwas träge und langwierige Art der Normsetzung. Bis Deutschland alle seine über 90 DBA „erneuert“ hat, vergehen viele Jahre. Multilaterale Vereinbarungen sind daher im Sinne einer effizienten Rechtsetzung grundsätzlich zu begrüßen. Sie führen zu einer raschen und einheitlichen Rechtsanwendung und damit zu weniger Doppelbesteuerung. Allerdings ist noch nicht ersichtlich, wie dieser Mechanismus funktionieren soll. Denn während bilaterale DBA nur auf jeweils zwei Steuerrechtsordnungen zutreffen müssen, muss ein multilaterales Instrument auf eine Vielzahl von Rechtsordnungen anwendbar sein. Außerdem müsste mit diesem multilateralen Instrument in eine Vielzahl von bereits bestehenden DBA eingegriffen und diese geändert werden. Insgesamt erscheint dieser Punkt äußerst ambitioniert.

C. BEPS – Der Koalitionsvertrag I. Diskussionen im Vorfeld Der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD wurde am 27. November 2013 zunächst zwischen den Parteivorsitzenden abgeschlossen. Die Zustimmung der Parteigremien stand – außer bei der CSU – während der Sitzung am 6. Dezember 2013 noch aus. Letztere ließ „lediglich“ den Parteivorstand über die Zustimmung befinden. Die CDU gönnte sich immerhin einen kleinen Parteitag, während die SPD sogar eine vollständige Mitgliederbefragung durchführte. Da eine Ablehnung der jeweiligen Parteigremien kaum denkbar war, konnten die Inhalte des Koalitionsvertrages bereits während der Sitzung am 6. Dezember 2013 besprochen werden. Der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer hat die große Koalition mit einer „Vernunftehe“ verglichen, die damit beginne, dass die Ehepartner nach einer langen Nacht glücklich, aber erschöpft in getrennte Betten sinken. Nun kann in der Politik eine Ehe für die beteiligten Parteien bereits aus Gründen des Machterhalts „vernünftig“ sein. Auf die von ihnen be-

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schlossenen Regierungsinhalte lässt sich eine solche Beurteilung jedoch nicht notwendigerweise übertragen. So haben CDU/CSU und SPD im Morgengrauen des 27. November 2013 einen Koalitionsvertrag paraphiert, der in seinem haushalts- und steuerpolitischen Teil nur vereinzelt „vernünftige“ Ansätze enthält. Wer die während der Koalitionsverhandlungen kursierende sog. Giftliste der SPD gelesen hat, wird über das Fehlen von einigen darin enthaltenen Positionen und Forderungen immerhin erleichtert sein. Zum Thema BEPS waren die folgenden Vorschläge enthalten: 1. Verschärfung der sog. Escape-Klausel bei der Zinsschranke 2. Absenkung der Freigrenze bei der Zinsschranke auf 1 Mio. Euro 3. Ausdehnung des Anwendungsbereichs der Zinsschranke auf Lizenzzahlungen und Mieten, alternativ: auf alle Finanzsurrogate 4. Verschärfung der Mindestgewinnbesteuerung durch Absenkung der Verrechnungsgrenze von 60 Prozent des Gewinns auf 50 Prozent 5. zeitliche Begrenzung des Verlustvortrags 6. Systemkorrekturen im Bereich der internationalen Unternehmensbesteuerung, insbesondere Unterstützung des von der OECD durchgeführten Projektes zur Bekämpfung der Aushöhlung der Besteuerungsgrundlage und der Gewinnverlagerung (BEPS): –

Vermeidung sogenannter „hybrid mismatch arrangements“ (BEPS Action 2);



Verbesserung der Standards bei der Hinzurechnungsbesteuerung (BEPS Action 3);



Erweiterung des Betriebsstättenbegriffs (BEPS Action 7);



Initiative in der EU/G20 gegen steuerliche Vorzugsregelungen für bestimmte Einkunftsarten (sogenannte Zins- und Lizenzboxen);



Einführung einer länderbezogenen Berichterstattung international tätiger Unternehmen über erzielte Gewinne, entstandene Verluste und gezahlte Steuern (sog. Country-by-Country Reporting);



Wiedereinführung der Gesamtbewertung bei Transferpaketen im Rahmen einer Funktionsverlagerung;



Einführung einer Melde- und Registrierpflicht für grenzüberschreitende Steuergestaltungsmodelle.

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II. Die Aussagen im Koalitionsvertrag In der Folge haben sich beide Lager weitgehend gegenseitig blockiert, weshalb auch sinnvolle Reformen nicht in den Katalog der Koalitionsvorhaben aufgenommen werden konnten. So hatte die Union die weitere Modernisierung der ertragsteuerlichen Organschaft, die Einführung einer steuerlichen Forschungsförderung für KMU sowie das Festhalten an der Freistellungsmethode in Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) gefordert. Diese Punkte wurden – wie die Forderungen der SPD – wieder gestrichen. Während der „großkoalitionäre Gabentisch“ also weitgehend leer bleibt, haben sich doch ein paar Negativpunkte in den Koalitionsvertrag eingeschlichen. Als zentrale steuerpolitische Aufgabe soll der Kampf gegen grenzüberschreitende Gewinnverlagerungen „international operierender Unternehmen“ entschlossen vorangetrieben werden. Aus diesem Bereich drohen vermutlich die größten Risiken für die Wirtschaft, aber nicht wegen der besonders aggressiven Gestaltungspraxis deutscher Unternehmen, sondern wegen zu befürchtender Kollateralschäden einer überbordenden Gesetzgebung zur Eindämmung von Einzelfällen. Gleichzeitig ist nicht nachvollziehbar, weshalb ausgerechnet Deutschland das Thema BEPS (Base Erosion and Profit Shifting) mit solcher Verve vorantreibt, zumal hierzulande zahlreiche der von der OECD vorgeschlagenen Maßnahmen (Funktionsverlagerung, allgemeine Missbrauchsklausel, Hinzurechnungsbesteuerung, hybride Finanzierungen etc.) bereits in geltendem Recht verankert sind. Immerhin wollen die Koalitionsparteien nicht mit weiteren nationalen Alleingängen voranpreschen, sondern zunächst die Ergebnisse der OECD-Diskussionen bis 2015 abwarten. Im Einzelnen sieht der Koalitionsvertrag im Bereich BEPS die folgenden Punkte vor: 1. OECD-BEPS-Initiative bis 2015 abwarten und aktiv unterstützen. 2. Automatischen Informationsaustausch als internationalen Standard in OECD-MA aufnehmen. 3. Soweit sich Ziele der Bundesregierung im Rahmen von BEPS nicht realisieren lassen, sollen nationale Maßnahmen ergriffen werden. 4. Dies gilt insbesondere für den Betriebsausgabenabzug von Zahlungen an Briefkastenfirmen.

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5. Außerdem soll eine Lizenzschranke eingeführt werden: Wenn Lizenzzahlungen eines inländischen Unternehmens beim Empfänger nicht „angemessen“ besteuert werden, soll der Betriebsausgabenabzug eingeschränkt werden 6. DBA-Politik: DBA dienen der Verhinderung weißer Einkünfte, deshalb weiterhin „entsprechende Klauseln in den DBA verhandeln“. 7. In der Zwischenzeit diese Grundsätze in nationalen Regelungen absichern. 8. Das im Entwurf des Koalitionsvertrags zunächst enthaltene klare Bekenntnis zur Freistellungsmethode wurde gestrichen.

D. BEPS „at work“ – Beispiele aus der Praxis I. Die deutsche Zinsschranke und die Funktionsverlagerungsbesteuerung Wie bereits angeklungen ist, hat Deutschland schon lange, bevor es den Begriff BEPS gab, Abwehrmaßnahmen eingeführt, deren Schärfe weltweit ihresgleichen suchen kann. Als Beispiel sei einerseits die Zinsschranke erwähnt, die nur in Italien ähnlich scharf eingeführt wurde. Italien hat allerdings die deutsche Zinsschrankenregelung – noch bevor sie in Deutschland in Kraft getreten war – nur kopiert. Darüber hinaus hat Italien sie mit einer Glättungsregelung versehen (Ebitda-Vortrag), die anschließend wiederum von Deutschland als entlastende Maßnahme übernommen wurde. Die Besteuerung von Funktionsverlagerungen wurde weltweit zuerst von Deutschland eingeführt, im Vorgriff auf Diskussionen, die bei der OECD geführt wurden. Damit hat Deutschland sich als erster und bisher einziger Staat den Zugriff auf zukünftige ausländische Gewinne gesichert.

II. Die geplante „Lizenzschranke“ Nun wird die Einführung einer „Lizenzschranke“ im Koalitionsvertrag angekündigt. Allerdings ist dem Vernehmen nach keine Lizenzschranke in Anlehnung an die Zinsschranke geplant. D.h., es wird voraussichtlich zu keiner Saldierung der Lizenzeinnahmen und -ausgaben und damit auch zu keiner pauschalen Abzugsbeschränkung für ein Lizenzsaldo, der Prozent X zum Ebitda übersteigt, kommen. Stattdessen will die gro-

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ße Koalition jede einzelne Lizenzzahlung isoliert betrachten und einen Nachweis über ihre Besteuerung beim Empfänger einfordern. Falls sie im Empfängerstaat niedrig besteuert wird, soll der Betriebsausgabenabzug in Deutschland eingeschränkt werden. Es handelt sich demnach wohl um eine Lizenzzahlungsabzugsbeschränkung und eben nicht um eine „Lizenzschranke“. Dabei stellen sich einige Fragen, die aus praktischer Sicht besonders relevant sind: 1. Wie ist der Nachweis über die Höhe der Besteuerung zu führen? 2. Gilt die Beschränkung nur zwischen verbundenen Unternehmen oder auch zwischen bloßen Geschäftspartnern? 3. Wird der Betriebsausgabenabzug vollständig oder nur anteilig verwehrt? 4. Was ist eine angemessene Besteuerung? Bemerkenswert ist, dass die Lizenzzahlungsströme zwischen Deutschland und dem Rest der Welt eindeutig einen positiven Saldo für Deutschland ausweisen. Somit können sich für Deutschland aus der Einführung einer Lizenzschranke hohe fiskalische Risiken ergeben. Denn wenn ausländische Staaten ähnliche Vorschriften einführen, ist Deutschland rasch in der Kategorie eines Staates, der nicht „angemessen“ besteuert und es wird zu Minderung des steuerlichen Aufkommens kommen.

III. Die geplante Steuerreform in Mexiko Dies ist im Rahmen einer Ende 2013 in Mexiko geplanten großen Steuerreform beinahe so geschehen. Mit der „Carta Reforma Hascendaria“ wollte die mexikanische Regierung den Betriebsausgabenabzug für alle Zahlungen (nicht nur Zinsen und Lizenzen) an verbundene Unternehmen verwehren, wenn die Zahlung beim empfangenden Unternehmen einer „niedrigen“ Besteuerung unterliegt. Dabei war „niedrig“ jede Besteuerung unterhalb von 75 % des mexikanischen Steuersatzes, welcher bei 30 % liegt (i.e. weniger als 22,5 %). Der entscheidende Punkt für deutsche Unternehmen ist, dass die Gewerbesteuer in die Belastungsberechnung nicht einfließen sollte. Somit wäre Deutschland mit seinem dann allein relevanten Körperschafsteuersatz von 15 % „Niedrigsteuerland“.

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E. Fazit Als Fazit kann festgehalten werden, dass beim BEPS-Projekt der OECD zahlreiche sich überlagernde Interessen und Handlungsmotivationen der verschiedenen Staatengruppen vorhanden sind. Gleichzeitig weisen die zu regelnden Themen einen hohen Komplexitätsgrad auf und haben untereinander zudem Wechselwirkungen. Es bleibt daher abzuwarten, ob das Vorhaben einer dauerhaften Vermeidung der doppelten Nichtbesteuerung von Erfolg gekrönt sein wird. Ein neues Besteuerungssystem wird das BEPS-Projekt wohl nicht hervorbringen.10 Auch ist anzuzweifeln, dass die Nationalstaaten sich darauf einigen können, welche Steuerregime bzw. steuerlichen Anreize als „schädliche Praktiken“ im Sinne von Aktionspunkt 5 einzuordnen sind. Ohne einen Konsens zu diesem Punkt sind Erfolge von einiger Dauer jedoch nicht zu erzielen – das zeigt die Erfahrung der letzten Jahrzehnte.

10 Eine Prognose zu den Steuersystemen in 25 Jahren bei: Lang, IStR 2013, 624 ff.

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Base Erosion and Profit Shifting – Wie geht es weiter?/Die Sicht der Wirtschaft Podiumsdiskussion Leitung Prof. Dr. Jürgen Lüdicke Rechtsanwalt, Steuerberater, International Tax Institute, Universität Hamburg Teilnehmer Prof. Dr. Dietmar Gosch Vors. Richter am Bundesfinanzhof, München/Christian-AlbrechtsUniversität zu Kiel Dr. Berend Holst Volkswagen AG, Wolfsburg Hans-Herbert Krebühl ExxonMobil Central Europe Holding GmbH, Hamburg

Dr. Friedrich Loschelder, LL.M. (Edinb.) Richter am Finanzgericht, Hamburg Dr. Dirk Pohl McDermott Will & Emery LLP, München Dr. Achim Pross Leiter Abteilung internationale Zusammenarbeit und Finanzverwaltung, OECD, Paris

Prof. Dr. Lüdicke Wir haben zwei sehr schöne Vorträge zu dem spannungsreichen Thema BEPS gehört. Ich danke Ihnen, Herr Pross, dafür, dass Sie in engagierter Weise die Position der OECD und der Staatengemeinschaft dargestellt haben. Dazu gehört, und das ist in Ihrem Vortrag deutlich geworden, ganz besonders auch der allgemein politische, über das Steuerrecht hinausweisende Aspekt der international geführten BEPS-Debatte. Herr Krebühl, Ihnen danke ich zunächst und vor allem dafür, dass Sie sich heute Morgen vor weniger als zwei Stunden spontan bereit erklärt haben, für Herrn Geberth einzuspringen, der durch den Orkan Xaver an der Anreise gehindert wurde. Ich danke auch Herrn Geberth, der heute Nacht, nachdem sein Flug endgültig gestrichen war, seine Gedanken für den heutigen Vortrag so aufbereitet hat, dass Sie, Herr Krebühl, damit etwas anfangen konnten. Wir haben ein hervorragend funktionierendes

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Podiumsdiskussion: Base Erosion and Profit Shifting

Joint-Venture der deutschen Industrie erlebt. Dabei sind die durchaus seriösen Befürchtungen der Wirtschaft deutlich geworden, dass die Umsetzung des ebenso seriösen Anliegens in Form noch zu erlassender nationaler Gesetze mit erheblichen Risiken und Nebenwirkungen behaftet ist. Ich möchte nun Herrn Loschelder als derzeit quasi noch Unbeteiligten und Unparteiischen bitten, die Diskussion zu eröffnen. Dr. Loschelder Ja, danke! Ich knüpfe gleich an die Warnung an, die Sie, Herr Pross, ausgesprochen haben, die Warnung vor Stimmungsmache. Sie sagen, man solle die Schuld weder der „bösen Wirtschaft“ noch den einzelnen Ländern zuschreiben. Weder Business Bashing noch Country Bashing. Trotz dieser Warnung verwenden Sie aber in Ihrem Vortrag und auf Ihren Folien das gesamte Negativvokabular, das sich auch in den öffentlichen Verlautbarungen zu diesem Thema findet, insbesondere in dem Aktionsplan der OECD. Sie zitieren auf Folie 6 die Finanzminister der G-20-Staaten mit der Forderung, dass jeder seinen fairen Beitrag zum Steueraufkommen leisten müsse und implizieren damit, dass sich der eine oder andere unfair verhält. Und Sie sprechen von „steuerschädlichen Praktiken“, von „Abkommensmissbrauch“ und von „aggressiven Steuerplanungsmodellen“ – auch wenn Sie das sprachlich mit Ihrem Hinweis auf die Übersetzung aus dem Englischen abgeschwächt haben. Die Reaktionen, die eine solche Wortwahl hervorruft, haben Sie ja selbst sehr anschaulich beschrieben. Ich habe bei der Vorbereitung auf die Veranstaltung, bei dem Lesen der Unterlagen, ein sehr starkes Störgefühl deswegen gehabt und ich habe versucht, das zu verorten. Das war zunächst etwas schwierig, aber ich bin schließlich fündig geworden, bei Isensee im „Handbuch des Staatsrechtes“, im Kapitel über die Bedeutung des Gemeinwohls im Verfassungsstaat und über das Verhältnis von Selbstlosigkeit und Eigennutz im Rechtsstaat.1 Das hängt sehr eng zusammen mit dem, was Herr Geberth angesprochen hat, angesprochen hätte, mit der Frage: Was ist legal, aber nicht legitim? Und ich würde diese Frage gerne noch etwas schärfer formulieren: Gibt es im Steuerrecht überhaupt einen Unterschied zwischen Legalität und Legitimität? Denn, auch das haben Sie angesprochen, Herr Pross, nach dem geltenden Steuerecht gibt es im 1 Isensee in Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, 1. Aufl. 1988, Bd. III, § 57 Rz. 28 ff.

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Grunde nur zwei Möglichkeiten: Entweder ist eine Gestaltung, die der Steuerpflichtige wählt, missbräuchlich im Sinne des § 42 AO oder in Bezug auf spezielle Missbrauchsregelungen – dann wird die Gestaltung verworfen, mit dem Ergebnis, dass sie keinen Bestand hat. Oder aber die Gestaltung ist nicht missbräuchlich – dann hat sich der Steuerpflichtige regelkonform verhalten und sein Handeln befindet sich im Einklang mit dem geltenden Steuerrecht. Wir sprechen also nicht von rechtswidriger Steuerhinterziehung, sondern, das hat Herr Senator Tschentscher auch hervorgehoben, von rechtmäßiger Steuervermeidung. Dabei muss man meines Erachtens zwei Dinge beachten. Das erste: Die Unabgestimmtheit der nationalen Steuerrechtsordnungen ist immanenter Bestandteil eines Systems, das die Steuerhoheit bei den einzelnen Mitgliedstaaten belässt und auf eine Angleichung der jeweiligen steuerrechtlichen Regelungen, auf eine Vereinheitlichung von Bemessungsgrundlagen und Steuersätzen verzichtet. Und das zweite, und da beziehe ich mich jetzt auf die Ausführung von Isensee zu Selbstlosigkeit und Eigennutz: Der grundgesetzliche Steuerstaat baut bewusst auf dem legitimen ökonomischen Eigennutz seiner Bürger auf, um seinerseits an dem Ertrag, der aus diesem Eigennutz resultiert, zu partizipieren. Der staatliche Amtswalter, der Finanzbeamte, und ebenso natürlich der Finanzrichter, ist dem Allgemeinwohl verpflichtet. Für den Steuerpflichtigen als Grundrechtsträger gilt das nicht. Dieser ist im Rahmen der geltenden Gesetze frei, seinem Eigennutz nachzugehen. Und wer ein Unternehmen führt und damit fremdes Geld verwaltet, ist unter Umständen sogar verpflichtet, legale Möglichkeiten der Steuerersparnis zu nutzen. Also ist das eigennützige Verhalten in unserem rechtsstaatlich geprägten Steuersystem systemimmanent. Und Gemeinwohlverpflichtung gibt es nur im Rahmen der geltenden Gesetze. Oder, um noch einmal Isensee zu zitieren: „Der liberale Staat fordert von seinem Bürger nicht Tugend, sondern gewährleistet Freiheit“.2 Dann widerspricht es aber eigentlich nach meinem Verständnis rechtsstaatlichen Grundbegrifflichkeiten, wenn gleichwohl mit solchen Worten wie „schädliche Steuerpraxis“ und „aggressive Steuerplanung“ von staatlichen und zwischenstaatlichen Stellen suggeriert wird, der Steuerpflichtige tue hier etwas Unrechtes und es gäbe neben dem geltenden Steuerrecht noch etwas anderes, eine Art „Gesinnungssteuerrecht“, dem alle Steuerpflichtigen, aber vor allem die großen Unternehmen, ver2 Isensee in Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, 1. Aufl. 1988, Bd. III, § 57 Rz. 84.

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pflichtet wären. Das ist im Effekt nichts anderes, als wenn Sie jedem Arbeitnehmer, der ein Bruttoeinkommen von mehr als t 60 000 hat, sagen: „Du könntest aber auch gut auf die Geltendmachung der Pauschale für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte verzichten; denn Du leistest damit einen zusätzlichen Beitrag zum Gemeinwohl!“ Und so etwas gibt es nicht. Das bedeutet nicht, dass es nicht zu begrüßen ist, wenn sich die Staaten darum bemühen, solche Friktionen, die nun einmal unter den genannten Prämissen entstehen, auszuräumen und neue Regeln zu schaffen. Aber sie sollten das ohne jede Form von Schuldzuweisung und Stimmungsmache tun, gerade auch durch solche Begrifflichkeiten. Und daher zurück zu der Ausgangsfrage: Wenn es zutrifft, dass der Steuerpflichtige nur im Rahmen der geltenden Gesetze dem Gemeinwohl verpflichtet ist – und ich bin überzeugt davon, dass dem so ist –, dann gibt es im Steuerrecht die Unterscheidung zwischen Legalität und Legitimität nicht: Wer sich legal verhält, der verhält sich auch legitim. Und ein Letztes dazu: Sie haben das Bild von den Druckstellen gebracht. Was mache ich denn, wenn ich eine Druckstelle habe? Ich bearbeite den Schuh oder ich suche mir einen anderen Schuh, der passt. Aber dass ich den Fuß bearbeite, das machen eigentlich nur die bösen Stiefschwestern im Märchen. Prof. Dr. Lüdicke Ich glaube, der Applaus spricht für sich, Herr Loschelder. Wir haben hier einen ganz schwierigen Bereich vor uns. Herr Pross, Sie haben versucht, einerseits das politische Momentum aufrecht zu erhalten, zwanzig oder mehr Länder auf die Spur zu bringen, andererseits dann aber auch für diejenigen Staaten, die darauf Wert legen, die rechtsstaatlichen Grundsätze hochzuhalten. Eine Gefahr, die ich sehe, ist in der Tat der sehr, sehr enge Zeitplan. Denn der enge Zeitplan widerspricht gründlicher Gesetzgebung. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, halten Sie den Zeitplan ja auch für recht eng. Geht die Vorstellung der OECD eigentlich dahin, die in dieser kurzen Frist verarbeiteten Ergebnisse den Mitgliedstaaten oder sogar den G20 als quasi bindende Empfehlungen zu geben? Dies würde ja bedeuten, dass die Gefahr besteht, dass eventuelle Fehler oder Probleme in den Empfehlungen, die dem jetzigen Zeitdruck geschuldet sind, dann in geltendes Recht umgesetzt würden.

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Dr. Pross Ich bin natürlich sehr versucht, zu dem ersten Kommentar auch zu reagieren. Prof. Dr. Lüdicke Ja, bitte. Dr. Pross Das ist eine Einwendung, die in diesen Veranstaltungen regelmäßig kommt, und natürlich auch nicht ohne Grund. Und typischerweise bekommt die Einwendung auch mehr Applaus als meine Replik, das würde ich auch nicht anders erwarten. Zunächst, und das versuchte ich am Anfang klar zu machen, ist es wichtig zu sehen, dass die Diskussion über das Steuerrechtliche hinausgeht. Die Diskussion betrifft gesellschaftliche und wettbewerbliche Aspekte. Ich versuchte das in meiner Präsentation herauszuarbeiten. Ob man das nun mag oder nicht, das ist die Realität, in der wir leben. Ich glaube auch, es gibt zudem eine politische Dimension. Man muss festhalten, dass die Ergebnisse des derzeitigen internationalen Besteuerungssystems vielen Menschen nicht gefallen. Daraus kann man jedoch nicht den Rückschluss ziehen, dass es dafür dann einen Schuldigen gibt, nämlich den bösen Unternehmer. Und ich glaube, wir versuchen, es klar zu machen, dass es eine solche Debatte auch nicht geben sollte. Man kann jedoch lange darüber debattieren, was aggressive Steuerplanung ist und wo § 42 AO in diesem Zusammenhang steht. Auf der anderen Seite ist es aber auch wichtig zu sehen, und das ist, glaube ich, auch das, was Sie gesagt haben, dass wir jetzt diese politische Aufmerksamkeit und dadurch auch eine wesentlich höhere Chance haben, dass alle Staaten kollektiv etwas ausrichten können. Nur dann macht es ja Sinn unter dem Gesichtspunkt eines Level Playing Fields. Wenn man also sehr besorgt ist, dass Deutschland zum Beispiel beim Country-by-Country Reporting in Vorleistung geht, dann haben wir jetzt eine Dynamik, die das unwahrscheinlicher macht. Wir müssen aber auch versuchen, solche Themen zu befördern, und ich glaube, das hat auch etwas Positives und ist vielleicht auch gar nicht so einseitig. Aber um auf Ihre Bedenken zurückzukommen: Ich verstehe völlig, wo sie herkommen. Nun vielleicht zu dem von Ihnen angesprochenen Punkt, ob dann auch wirklich alle Staaten mit Punkt und Komma die

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erarbeiteten Vorschläge übernehmen müssen. Das kommt so ein bisschen darauf an, und in manchen Fällen würden Sie das wahrscheinlich wollen. Nehmen wir zum Beispiel ein Modell zum Country-by-Country Reporting. Da möchte man wahrscheinlich dafür sorgen wollen, dass das auch so von allen Staaten auf gleiche Art und Weise übernommen wird und nicht von dem einen so und von dem anderen ein bisschen anders. Es gibt auch noch weitere interessante Fragen. Wer bekommt denn das Ergebnis dessen was wir jetzt ausarbeiten müssen? Geht es an den Staat der Muttergesellschaft oder geht das an alle beteiligten Staaten? Werden die notwendigen Informationen über DBAs ausgetauscht? Da ist noch viel Arbeit, die wir gemeinsam angehen müssen. Aber ich glaube, es ist im Interesse aller, dass, wenn Ergebnisse herauskommen, dann bitte auch alle Beteiligten diese übernehmen. Bei einigen Maßnahmen, glaube ich, gibt es jedoch auch mehr Spielraum. Die Staaten sind natürlich konkret auch selbst in der Pflicht, zum Beispiel werden demnächst im Rahmen des Forums gegen steuerschädlichen Wettbewerb die Patent Boxen überprüft, die Gruppe trifft sich übernächste Woche. Im Rahmen der Arbeit des Forums geht es darum, dass sich die Staaten an die Nase fassen. Da sagt niemand, die böse Industrie sei schuld. Prof. Dr. Lüdicke Vielen Dank! Ich hatte jetzt auch an die technischen Punkte gedacht, da gibt es ja eine ganze Menge, von den Hybriden angefangen bis zu diversen Punkten bei den Verrechnungspreisen. Wenn da erst einmal etwas in den OECD-Papieren Ende 2015 steht, was vielleicht aus Zeitmangel nicht wirklich ausgereift ist, nicht wirklich alle Aspekte aller nationaler Rechtsordnungen schon berücksichtigt hat oder berücksichtigen konnte, besteht nicht die Gefahr, dass das dann hinterher sozusagen im blinden Gehorsam von mehr oder weniger begierigen Politikern eins zu eins umgesetzt wird und wir dann Probleme bekommen? Dr. Pross Wir hoffen natürlich, dass die Ergebnisse, die am Ende herauskommen, nicht zu Problemen führen. Deswegen, wenn man jetzt bei den hybriden Gestaltungen bleibt, haben wir unser Konsultationspapier für den März 2014 vorgesehen, und ich würde dann alle bitten, auch wenn das schwierig ist, zu versuchen, die Geschwindigkeit, die wir hier fahren müssen, dann auch mitzumachen, soweit das geht. Und wenn ich dann

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höre, dass manche Leute sagen, wir konsultieren nicht gut genug, und andere Leute sagen, dass das 90-Seiten-Papier zu den hybriden Gestaltungen, das sie gelesen haben, zu lang sei, dann kann ich nur erwidern, dass manches von dem, was wir machen, vielleicht doch schon bekannt ist. Prof. Dr. Lüdicke Ja, glücklicherweise vielleicht. Dr. Holst Als Steuerverantwortlicher eines internationalen Konzerns nimmt man manche Aussage mit Erstaunen entgegen. Der Finanzsenator stellt sich hier hin und sagt unwidersprochen, international tätige Konzerne, damit muss er auch deutsche meinen, verschieben Gewinne, können das im Gegensatz zu Mittelständlern und würden nicht angemessen zum Steueraufkommen beitragen. Nun ist Herr Senator Tschentscher leider gegangen, aber, verehrter Herr Pross, Ihre Ausführungen gehen da letztendlich in dieselbe Richtung. Wenn ich solche pauschalen Behauptungen höre, frage ich mich letztlich immer, ob wir in unterschiedlichen Realitäten leben, denn ich kann Ihnen versichern, dass von Gewinnverschiebungen bei Volkswagen keine Rede sein kann. Welche steuerplanerischen Möglichkeiten eröffnen sich denn einem in Deutschland ansässigen international tätigen Unternehmen überhaupt? Sicherlich gibt es innerhalb der EU seit Cadbury Schweppes gewisse Gestaltungsspielräume. Dies setzt allerdings jeweils voraus, dass ich in dem betreffenden Staat den Substanzerfordernissen genüge und entsprechend qualifizierte Mitarbeiter beschäftige. Dann ist es sicherlich möglich – und in gewissem Umfang auch Industriestandard – dass beispielsweise ausländische Beteiligungen in einer ausländischen Holding gebündelt und Dividenden, die im Inland nicht benötigt werden (um z.B. selbst genügend Ausschüttungspotential zu generieren) im Holdingstandort verbleiben. Dies spart zum einen die inländische Dividendenbesteuerung in Höhe von 1,5 % und ermöglicht zum anderen eine effiziente Konzernfinanzierung. Auch ist es möglich – sofern ich die finanziellen Ressourcen nicht woanders benötige –, in Belgien Eigenkapital stehen zu lassen und vom fiktiven Betriebsausgabenabzug der Notional Interest Deduction (NID) zu profitieren. Hiermit bewegen sich alle Unternehmen jedoch im geltenden europäischen und nationalen Recht, und das ist für mich entscheidend. Die

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BEPS-Diskussion verlagert meiner Meinung nach eine Debatte, die eigentlich zwischen den Staaten zu führen wäre, auf die Unternehmensebene. Die Bemühungen der Staaten, einem vermeintlich unfairen Steuerwettbewerb durch eine einheitliche Bemessungsgrundlage (GKKB) zu begegnen, sind gescheitert. Nun wird unter einem neuen Etikett der Eindruck erweckt, dass für international tätige Unternehmen Steueroptimierung der Unternehmenszweck ist. Ich kann Ihnen aber versichern, die Wahrheit liegt woanders. Für das Management eines großen Industrieunternehmens sind operative Gesichtspunkte von herausragender Bedeutung. Die Frage der Besteuerung hat eher eine nachrangige Relevanz. Inhaltlich möchte ich noch einmal auf den Punkt der Stimmungsmache zurückkommen. Was ist denn im letzten Frühjahr passiert? Nicht nur Herr Geberth oder Siemens sind medial als angebliche Steuervermeider angegriffen worden. Versuche der Versachlichung der Diskussion waren nicht willkommen, da sie nicht in die mediale Storyline passten. Im Gegenteil, es wurde parallel politischer Druck beispielsweise auf das Land Niedersachsen als Anteilseigner von Volkswagen ausgeübt nach dem Motto: „Wie können Sie denn zulassen, dass Volkswagen Tochtergesellschaften in Delaware registriert hat?“ Ein absurder Vorwurf, weil dies erwiesenermaßen für deutsche Unternehmen keine Steuervorteile bringt. Also Herr Pross: Die Schuldzuweisungen von den Unternehmen fern zu halten, ist Ihnen leider nicht gelungen. Aber mittlerweile hat sich die mediale Diskussion ja ein bisschen beruhigt. Erlauben Sie mir eine weitere inhaltliche Anmerkung: Sie bemängeln das Auseinanderfallen des Ortes der wirtschaftlichen Aktivität und der Zuweisung des steuerlichen Gewinns. Das leuchtet, wenn ich einmal Internet- oder E-Commerce-Aktivitäten betrachte, auch ein. Und natürlich ist es schwer zu vermitteln, dass, wenn hier in Deutschland Geschäfte gemacht werden, Deutschland nicht an den Umsätzen oder Gewinnen partizipiert. Allerdings ist dies nur eine Seite der Medaille, und ich möchte auf Folgendes warnend hinweisen. Die deutschen Automobilkonzerne verkaufen nicht nur Autos in Deutschland, sondern auch in den sehr großen asiatischen Märkten. In diesem Zusammenhang einmal ein Beispiel, wie man es auch sehen kann: Suzuki ist in Indien tätig und hat dort in einem Joint Venture eine Fabrik aufgebaut und verkauft die lokal produzierten Autos. Die japanische Finanzverwaltung macht es dann auch so wie die deutsche und sagt: „Ihr gebt know how

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nach Indien; hierfür sind Lizenzgebühren von Indien nach Japan zu zahlen.“ So wurde auch verfahren. Als es zur Betriebsprüfung kam, sagte der indische Fiskus: „Oh, da habt ihr aber etwas falsch verstanden. Das muss andersherum sein. Es steigert den Unternehmenswert, dass ihr in Indien tätig sein dürft in einem so großen Markt. Das mit den Lizenzgebühren ging leider in die falsche Richtung.“ Auch China ist ein sehr großer Markt, der bekanntlich für die deutsche Automobilindustrie von enormer wirtschaftlicher Bedeutung ist. Wenn die Chinesen jetzt auch auf solche Ideen kommen, droht eine massive Doppelbesteuerung. Die Unternehmen sind durchaus bereit, 100 Prozent ihres Gewinns zu versteuern, aber mehr dann auch nicht! Die Besteuerung von Market Intangibles bzw. eine Liefergewinn-Besteuerung oder Vergleichbares würde zu einer ausufernden Diskussion über die gerechte Verteilung des Steuerkuchens führen – und diese Diskussion muss keinesfalls günstig für das deutsche Steuersubstrat ausgehen. Abschließend noch ein Wort zum Country-by-Country Reporting. Wir haben nichts zu verbergen, und es ergeben sich schon jetzt viele Informationen aus dem Jahresabschluss. Von daher bitten wir um eine Regelung mit Augenmaß, die nicht überbordenden Verwaltungsaufwand nach sich zieht. Und auch in diesem Zusammenhang noch einmal ein warnendes Beispiel. Dem Jahresabschluss 2012 ist zu entnehmen, dass Volkswagen ca. 13 % seiner Autos in Deutschland verkauft hat. Gleichzeitig haben wir mehr als 50 % unserer Ertragssteuern im Inland gezahlt. An Herrn Krebühl anknüpfend: Wir werden in eine unendliche Diskussion über die Wertschöpfung kommen, und andere Länder werden sagen: „Oh, die verkaufen bei uns aber ganz schön viele Autos, aber wir bekommen ganz schön wenig Steuern.“ Sie sollten aus deutscher Sicht überlegen, ob das so gewollt ist. Von der Steuerbelastung her ist es egal, ob wir in China Steuern zahlen oder in Deutschland. Also, ich zahle sie lieber in Deutschland, aber ich zahle sie nicht gern doppelt. Prof. Dr. Gosch Den richterlichen, den rechtlichen Part hat Herr Loschelder ja schon bravourös bewältigt. Ich kann nur ein paar Ergänzungen machen. Im wahren Leben der Justiz kommt BEPS bislang ja nicht vor. Ich kenne dort nur PEBSY, das ist das Personal-Bedarfs-Berechnungs-System, ein besonders bedeutsamer Aspekt in der Gerichtsverwaltung. Auch damit habe ich kaum jemals zu tun, es ist aber wohl ähnlich komplex wie nun unser BEPS.

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Es gibt drei Dimensionen, drei Kategorien, die wir, wie ich meine, auseinanderhalten sollten. Das eine ist die rechtliche Seite, die andere ist die ideologisch-politische Seite, die Sie, Herr Pross, ja auch deutlich hervorgehoben haben, und die dritte Seite ist die wirtschaftlich-sozialökonomische. Was die rechtliche Seite angeht, geht es um etwas ganz Großes: um die Gerechtigkeit. Im Steuerrecht fassen wir diesen Gesichtspunkt bekanntermaßen in den Begriff der Leistungsfähigkeit. Im grenzüberschreitenden, im abkommensrechtlichen Rahmen bestimmt sich die Leistungsfähigkeit nun nach etwas anderen Maßstäben als im reinen Inlandsfall, denn hier ist eben der Rechtsrahmen des Völkerrechtsvertrages zu beachten. Er bestimmt denn auch das maßgebende Vergleichspaar. Hat man sich abkommensrechtlich auf eine Freistellung verständigt und wurde diese nicht mit besonderen Subject-to-tax- oder Switch-over-Klauseln versehen, dann ist die viel bescholtene Keinmalbesteuerung in diesem Bereich sozusagen systemimmanent. Das gilt für die Gegenwart und für die Vergangenheit. Vielleicht nicht mehr für die Zukunft – ich denke dabei an die der Fachwelt kürzlich vorgestellte deutsche Verhandlungsgrundlage, aber im Moment ist es so. Und vor diesem Hintergrund stellt der I. Senat des BFH in seiner bekannten Vorlage an das BVerfG in der Revision I R 66/093 ganz dezidiert denjenigen Steuerpflichtigen, der in dem Rechtsrahmen einer Freistellungsmethode agiert, dem anderen Steuerpflichtigen gegenüber, der „nur“ innerstaatlich oder „unter“ einem Anrechnungs-DBA tätig wird. Beide Steuerpflichtigen bilden kein taugliches Vergleichspaar. Anders gewendet: Die Leistungsfähigkeit hier ist an anderen Maßstäben zu messen als die Leistungsfähigkeit dort. Ob das BVerfG das letztendlich genauso sieht, wissen wir im Moment nicht. Immerhin: Beschränkt Steuerpflichtige und unbeschränkt Steuerpflichtige werden auch nach der Rechtsprechung des BVerfG in entsprechender Weise auseinandergezogen. Der zweite Punkt ist die ideologisch-politische Seite: Dazu hat Herr Loschelder mit einer gewissen Berechtigung gesagt, es ist hier auch eine gewisse Stimmungsmache im Spiel. Viele rufen nach einer wie auch immer zu verstehenden Gerechtigkeit, und es kommt draußen gut an, gegen irgendwelche anonym agierenden Weltunternehmen und „aggressiven“ Steuergestaltern zu sein. Das erreicht, wie wir hören, Herr Pross, sogar Ihren erst zwölfjährigen Sohn, der nun auch Interesse am Steuer-

3 BFH, Vorlagebeschluss v. 10.1.2012 – I R 66/09, BFHE 236, 304.

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recht oder an der Steuerpolitik entwickelt. Populismus ist indessen immer ein schlechter Ratgeber. Letzten Endes verhält sich die absolute Mehrheit, auch der Unternehmen, als durchaus steuertreu und steuergerecht. Man darf davor nicht die Augen verschließen. Denn eigentlich geht es – beinahe hätte ich gesagt: nur – darum, das Steuerrecht, die Steuersysteme auf die veränderte Welt des Internets, auf veränderte Marktgewohnheiten einzustellen und gewissermaßen zu modernisieren. Wir reden ja nicht von ungefähr von Google Tax und ähnlichen Dingen. Damit wird das Steuerrecht nun konfrontiert. Aber man gerät dabei in die Gefahr, auch in der gesellschaftspolitischen Diskussion, das Kind mit dem Bade auszuschütten und sozusagen die Dinge auf den Kopf zu stellen, indem man alles Mögliche – und da kann ich nur Herrn Loschelder beipflichten – als rechtsmissbräuchlich oder als „aggressiv“ qualifiziert. Das wird der real existierenden Besteuerungsgegenwart jedenfalls in der Bundesrepublik Deutschland und wahrscheinlich zumeist auch anderenorts nicht gerecht. Hinzu kommt ein Gutteil an Pharisäertum: Die Empörung darüber, dass international agierende Großunternehmen ihre Steuerquoten senken und entsprechend gestalten, ist groß. Das soll nun international und multilateral bekämpft werden. Ich erkenne derzeit keine vergleichbare Empörung und keine Gegenwehr mit nationalen Mitteln, was die Schattenwirtschaft, die Schwarzarbeit, anbelangt. Schaut man sich hierzu die Zahlen an, wie ich sie den Gazetten entnehme, dann tun sich hier gewaltige Steuerausfälle auf, nicht nur national, vielmehr europaweit, in jedem Land. Ich habe neulich gelesen: Italien hat 180 Mrd. Euro an Ausfällen wegen der Schattenwirtschaft. In Deutschland spricht man, wie ich meine, immerhin von 30/35 Mrd. Euro. Das ist nicht minder sozialschädlich. Ich erinnere aber nicht, dass man dem mit gleicher Intensität nachspürt und entgegentritt, obschon man auf nationaler Ebene viel leichter, gewissermaßen mit Bordmitteln, eine Menge machen könnte. Das ist politisch denn eben schlicht nicht gewollt. Was man in die eine Richtung tut, muss man aber auch in die andere tun. Hier wie dort geht es um Steuerkontrolle und immer um Leistungsfähigkeit, um Leistungsgerechtigkeit und letztlich, ein großes Wort: um Steuermoral oder Steuerethik. Zum Dritten geht es um den ökonomischen Aspekt, den des Ordnungsrechts. Steuerrecht als Ordnungsrecht wird oft etwas vernachlässigt. Wir haben es in der Tat mit Wettbewerbsverzerrung zu tun, an der übrigens auch Deutschland in der Vergangenheit sehr wohl teilgenommen hat. Mit einem Körperschaftsteuersatz von 15 % betreiben wir durchaus Standortpolitik und beteiligen uns an jenem race to the bottom. Und für

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einen Betriebswirtschaftler sind Steuern bekanntlich ein Kostenfaktor. Der ökonomische Akteur, der Unternehmer, muss genauso für eine niedrige Steuerquote Sorge tragen, wie er die Kosten z.B. für Personal niedrig halten muss. Der CEO, der Tax Head, beide sind den Anteilseignern dazu gesellschaftlich geradezu verpflichtet. Soll hier ordnungspolitisch über die Steuern eingegriffen werden, dann muss der Staat entsprechend tätig werden, eben durch intensivere Kontrollen, durch Betriebsprüfungen usf. Es geht darum, die besagte Steuermoral, eine Steuerethik, eine Steuerkultur zu schaffen, die das Sozialbewusstsein aller schärft. Damit, international agierende Unternehmen an den Pranger zu stellen, gelingt das meines Erachtens nicht. Und das gelingt auch nicht, indem wir nun einen Wust von Normen schaffen, die praktisch nicht mehr administrierbar, schon gar nicht mehr justitiabel sind. Prof. Dr. Lüdicke Vielen Dank, Herr Gosch. Vielleicht müsste man dann sogar die Ausgabenseite des Staates auch noch in die Betrachtung einbeziehen. Herr Pohl, Sie wollten eine kurze Bemerkung machen. Dr. Pohl Vielen Dank, Herr Lüdicke. Als Berater internationaler Konzerne, wenn man da in der Märzausgabe des Stern diesen Jahres als legaler Staatsfeind tituliert wird, dann tröstet einen natürlich der Verweis auf Isensee und „Das Handbuch des Staatsrechts“, auch wenn ich mal wissenschaftlicher Mitarbeiter an dessen Lehrstuhl war, wenig. Vielleicht nur aus der Sicht eines Beraters einer vor allem amerikanisch geprägten Kanzlei: Woran liegt denn das ganze Dilemma? Und das ist vielleicht in der jetzigen Diskussion noch nicht vollständig herausgekommen, weil wir die Geschäftsmodelle amerikanischer Konzerne nicht näher besprochen haben. Das ganze Dilemma, wenn Sie auch die drei Beispiele in dem OECD Report zu BEPS aus dem Februar sehen, liegt ja an der lückenhaften Hinzurechnungsbesteuerung in den USA, sog. SubpartF-Besteuerung, die ich mit den Check-the-Box-Regeln in den USA so kombinieren kann, dass die amerikanischen Konzerne ihre Auslandsgewinne, so lange die nicht in die USA repatriiert werden, von einer Besteuerung in den USA abschirmen können. Und das ist auch genau der Punkt, der ist auch gar nicht so komplex. Der ist auch gar nicht auf die digitale Economy bezogen, auf Google oder auf Apple, sondern Starbucks mit Lizenzen für den Namen und das Franchisekonzept macht

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das im Ergebnis genauso mit seinen Kaffeehausketten. Und ich kann Ihnen sagen, wenn ich mit meinen amerikanischen Kollegen in dem Bereich spreche, dann gehen die eigentlich auch am Ende nicht davon aus, dass die USA diesen Wettbewerbsvorteil für ihre Konzerne, den die im Auslandsgeschäft haben, tatsächlich aufgeben werden. Obwohl eigentlich die ganzen Gewinne, die man jetzt in Europa besteuern will, wenn man das mal genau sieht, in die USA gehören. In Deutschland hat niemand Computer wie Apple erfunden, Deutschland hat keinen Steve Jobs und hat auch keine entsprechenden Geschäftsmodelle wie Google mit seinen Algorithmen in Silicon Valley erfunden. Und das ist im Kern die ganze Krux der Sache. Die USA machen zwar bei dem BEPS-Projekt mit, aber ich wage mal die Prognose: Am Ende werden die USA ihre Besteuerungsregelungen, an denen es eigentlich hakt und die eine Subvention von US-Konzernen im Auslandsgeschäft darstellen, nicht ändern, obwohl eigentlich das Besteuerungssubstrat nach unseren bisherigen Systemvorstellungen dahin gehört. Was hilft dann also weiter? Wird am Ende dieses BEPS-Projekt der OECD oder G20 weiterhelfen oder nicht? Ich bin da sehr skeptisch. Wenn ich auf die internationale Ebene schaue, denke ich mal eher, die Sache wird sich nur innerhalb der EU über das EU-Beihilferecht noch regeln lassen. Wenn man nämlich die Patent Box und andere Vergünstigungen als EU-Beihilfen qualifiziert, und es gibt da ja die ersten Initiativen der EU-Kommission, die jetzt gerade die Niederlande und Irland aufgefordert haben darzulegen, was denn eigentlich ihre APAs, also vorweggenommene Verständigungsverfahren und Zusagen mit großen amerikanischen Konzernen, beinhalten. Richtig kritisch wird es natürlich dann, wenn man sich jetzt den Koalitionsvertrag anschaut und dann auf einmal eine Lizenzschranke ins Spiel kommt, weil man sagt: „Na ja, eigentlich gehören diese immateriellen Wirtschaftsgüter, für die gezahlt wird, zwar gar nicht nach Deutschland, aber wenn das Ganze jetzt im Ausland nicht angemessen besteuert wird, zumindest solange die Gewinne nicht nach Amerika repatriiert werden, dann, in diesem Fall, möchten wir doch irgendwas von dem Steuersubstrat haben.“ Eine ähnliche Situation hatten wir bei der Zinsschranke im Rahmen der Unternehmenssteuerreform 2008. Was hat man damals gemacht? Eigentlich hätte man auf die Zinsen eine Kapitalertragsteuer erheben müssen. Das ging aber nicht. Schon alleine innerhalb der EU wegen der Zins- und Lizenzrichtlinie zwischen verbundenen Unternehmen. Und dann hat man eben gesagt, beschränke ich

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stattdessen den Betriebsausgabenabzug der Zinsschuldnerin, aber unter einem ganz anderen Gesichtspunkt als er bei einer Lizenzschranke zur Anwendung kommen könnte. Man hat nämlich gesagt, es gibt eine Escape-Klausel, und eigentlich erwarte ich nur, dass die deutsche Tochtergesellschaft im Verhältnis Fremdkapital zu Eigenkapital genauso finanziert wird wie auch der ganze Konzern insgesamt. Und wenn der Konzern insgesamt viel Fremdkapital braucht, ist auch in Ordnung, viel Zinsaufwand in Deutschland abzuziehen. Und dementsprechend hat auch die deutsche Wirtschaft damals im Vorfeld der Unternehmenssteuerreform 2008 gesagt: Gut, mit der Zinsschranke, damit können wir irgendwie leben, das kriegen wir hin. Bei der Lizenzschranke ist es etwas anderes. Da geht es dann wirklich um Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit. Es gibt nämlich einen Rechtsträger, der hat die immateriellen Wirtschaftsgüter geschaffen. Wenn die Amerikaner das auch über CostSharing-Agreements hinbekommen, dass dieser Rechtsträger auf einmal im niedrig besteuerten Irland ist. Am Ende sind die überlassenen immateriellen Wirtschaftsgüter jedenfalls nicht in Deutschland geschaffen worden. Wenn ich nunmehr die Lizenzaufwendungen über die Gewerbesteuer hinaus, wo ich ja schon eine Art Lizenzschranke habe, allgemein hinzurechne, dann bin ich in einem ganz anderen Besteuerungssystem, dann knüpfe ich in der Besteuerung nicht mehr an den Rechtsträger, die juristische Person, die die Lizenzaufwendungen trägt, an. Und dann habe ich einen Paradigmenwechsel, aber überhaupt keine neue Leitlinie für die daraus abzuleitende Besteuerung, solange ich nicht den Konzern als solchen im Wege einer indirekten Aufteilung des Konzerngewinns besteuern will. Prof. Dr. Lüdicke Vielen Dank, Herr Pohl. Ich glaube, es ist sogar noch ein allgemeineres Problem, was Sie angesprochen haben. Herr Kreienbaum hatte ja im letzten Jahr hier auf dem Podium schon gesagt, man muss aus deutscher Sicht sehr genau aufpassen, auf welche dieser Punkte aus dem damals noch nicht vorhandenen, aber vielleicht in Umrissen schon absehbaren Aktionsplan man sich einlässt. Insbesondere Lizenzverschiebungen, IP, wie werden Märkte bewertet, Transfer Pricing usw., usw. Diese Gefahr, glaube ich, sehen Sie und auch ich. Herr Pross darf das vielleicht als OECD-Vertreter nicht ganz so deutlich sagen. Ich hatte den Eindruck, dass er verständlicherweise in seinem Vortrag etwas zurückhaltend war. Natürlich geht es auch um amerikanisches Steuerrecht und um einige andere Dinge. Man wird sich aber auf diese Dinge möglicherweise am

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Ende nicht einigen. Warum sollten die Amerikaner dem zustimmen, warum sollen Länder, die eine Patent Box gut finden, dem zustimmen? Und was dann übrig bleibt, das ist meine ganz große Befürchtung, sind die kleinen Münzen Hybrids usw., an die man ran kann, die man dann in technisch schlechter Form umsetzt und wo man dann problematische Vorschriften bekommt wie verschiedene Absätze des § 50d EStG oder wie § 14 Abs. 1 Nr. 5 KStG, der im Grunde nicht administrierbar ist. Ich darf an das Korrespondenzprinzip erinnern, das einmal anderen Vorstellungen diente, jetzt aber international fruchtbar gemacht werden soll, was eine schlichte Katastrophe in der Unternehmenspraxis ist und letztlich vielleicht sogar noch Arbeitsplätze aus Deutschland vertreibt. Dr. Pross Es gibt noch ein paar Punkte, zu denen ich kurz etwas sagen möchte. BEPS ist kein Projekt, wo man speziell die deutsche Wirtschaft im Auge hat, aber Deutschland ist Teil der OECD, und die deutsche Wirtschaft ist global aufgestellt. Ich glaube, wir sagen jetzt nicht, dass die deutsche Wirtschaft besonders schlimm ist und nur aggressive Steuergestaltungen einsetzt. So wollen wir das nicht darstellen. Man muss aber auch anmerken, dass wir ein internationales Steuersystem haben, in dem diese Dinge möglich sind und wir auch konkrete Beispiele sehen. Ich habe versucht, das anhand des Wettbewerbsdrucks zu verdeutlichen. Denn wir sehen natürlich auch, dass Wettbewerbsdruck dazu führt, dass man da möglicherweise, auch wenn man das heute nicht macht, in der Zukunft aggressiver vorgehen muss. Das ist die Wettbewerbsdimension, die wir ein bisschen versucht haben herauszuarbeiten und was wir vielleicht geschafft haben. Deswegen bekommen wir wenig Applaus, und das ist möglicherweise ein gutes Zeichen. Bei der OECD sagen wir normalerweise, dass wir auf dem richtigen Kurs sind, wenn wir alle gleich unglücklich gemacht haben. In einer gewissen Weise sind wir so ein bisschen in diesem Rahmen. Wenn ich den gleichen Vortrag halte und ich habe überwiegend ein Publikum aus dem Bereich der Zivilgesellschaft, dann wird mir entgegnet, dass der Aktionsplan nicht weit genug geht. Es wird zum Beispiel gesagt, ihr habt kein Global Formulary Apportionment und euer Ansatz zum Country-by-Country Reporting ist viel zu pragmatisch und gelangt auch nicht an die Öffentlichkeit, etc. Wenn der Vortrag in Indien gehalten wird, können Sie sich vorstellen, dass der Aktionsplan die Inder auch nicht so glücklich macht, weil viele dort Vorstellungen haben zu

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Fragen der Quellen- und Wohnsitzbesteuerung, die sich nicht im BEPSAktionsplan finden. Aber realistisch gesehen, glaube ich, bewegen wir uns in die richtige Richtung. Es gibt viele Stimmen in der öffentlichen Diskussion, und wir versuchen sicherlich eine wichtige Stimme zu sein, aber wir sind nur eine Stimme. Wir versuchen zumindest, diese Diskussion, die in den Medien stattfindet, in eine sachliche Debatte zu überführen, natürlich auch mit Ihnen. Da gibt es natürlich die Gefahr, dass wir zu schnell agieren, aber wir haben politische Vorgaben, an die wir uns halten müssen, und wir müssen das Beste daraus machen. Ich glaube, wenn man kurz an die Schattenwirtschaft denkt, Herr Gosch, Sie hatten das erwähnt, und ich würde das ein bisschen weiter ausführen, dann kann man feststellen, dass wir in diesem Bereich auch sehr stark engagiert sind. Nehmen Sie beispielsweise den automatischen Informationsaustausch, der greift manche Elemente auf, sicherlich nicht alle, und es gibt sicherlich auch dort noch mehr zu tun. Und auch in dem letzten Punkt: Die Schiedsgerichtsklauseln, das bessere Verständigungsverfahren, das ist ein Aktionspunkt, den muss man bewegen. Da muss man sich vielleicht etwas umstellen von dem Denken, das man hier typischerweise hat, und eher auf das amerikanische Baseball gehen, wenn ich mal kurz technisch werde, weil das etwas ist, was den Souveränitätsgesichtspunkten derer, die das nicht so haben wollen, eher entspricht, aber das ist eine Sache, wo wir auch Sie brauchen, damit diese Punkte mit befördert werden. Dann vielleicht auch einen kurzen Überblick zum amerikanischen Steuerrecht. Ich glaube, wir sehen hier mehr als nur ein amerikanisches CFC-Problem. Sie haben es auch schon erwähnt, wenn Sie es durchdeklinieren: Warum ist das Problem erst da? Stimmt der Buy-In? Ist das Cost-Sharing richtig? Und schon sind wir im Bereich der Verrechnungspreise angelangt. Gibt es da Commensurate with Income, und wird das angewandt? Das sind viele Fragen, die viel umfassender sind. Sie sehen da auch wieder das Problem der Patent Box. Das ist kein CFC- oder Check-the-Box-Problem. Deswegen, glaube ich, die Amerikaner haben durchaus auch Interesse, auch unter Berücksichtigung ihrer Finanzlage, möglicherweise einige von diesen nichtzurückgeführten Einnahmen in der einen oder anderen Form zu besteuern. Da sind ja auch schon Vorschläge im amerikanischen Kongress unterwegs, sogar auf einer seltenen parteiübergreifenden Basis. Aber das nur so im Rundumblick. Vielen Dank.

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Podiumsdiskussion: Base Erosion and Profit Shifting

Prof. Dr. Lüdicke Vielen Dank, Herr Pross. Jetzt hat der Herr Krebühl noch um einen Satz gebeten. Krebühl Es werden zwei Sätze. Nämlich einmal zu Herrn Pohl, Sie haben gesagt, die Lösung für die Zinsschranke wäre eigentlich gewesen, wenn ich Sie richtig verstanden habe, eine Kapitalertragsteuer auf Zinsen einzuführen. Dieser Vorschlag wurde auch schon von anderer Seite gemacht. Ich kann nur nachhaltig davor warnen. Wir haben aus guten Gründen heraus grenzüberschreitend grundsätzlich keine Kapitalertragsteuer. Gerade für deutsche Unternehmen, die ausländische Finanzierungsgesellschaften haben, die also im Ausland Kapital aufnehmen und dann wieder weiter verleihen, wäre das der Tod. Denn die ausländischen Gesellschaften haben überhaupt keine Erträge, und die Kapitalertragsteuer wäre eine zusätzliche Kostenbelastung. Bei der Muttergesellschaft im Inland würden die Anrechnungsbegrenzungen über § 34c EStG greifen. Das klappt alles nicht. Zum anderen wollte ich gerne noch einmal darauf hinweisen, dass Herr Pross zu Recht gesagt hat: „Die OECD will kein Unternehmensbashing betreiben.“ Das hört man auch durchaus in der deutschen Politik. Es geht also nicht darum, jetzt Unternehmen an den Pranger zu stellen. Die Unternehmen werden vielmehr von der medialen Öffentlichkeit an den Pranger gestellt. Von daher werbe ich auch nachhaltig darum, jetzt kein OECD-Bashing oder gar ein Pross-Bashing zu betreiben. Herr Pross ist, wie Sie ja auch gehört haben, ein durchaus vernünftiger Mann, mit dem man diskutieren kann. Und er ist nach meiner Einschätzung auch ein intelligenter Mensch, und intelligente Menschen haben nun mal den Nachteil, dass sie rationalen Argumenten gegenüber nicht total verschlossen sind, so dass ich an Sie alle nur appellieren kann, diesen Fehler von intelligenten Menschen auszunutzen. Und Sie finden Intelligenz auch durchaus in der Politik. Sie sollten also die Argumente, die wir hier am Tisch vorgetragen haben, auch vortragen, damit hier doch etwas Augenmaß hineinkommt, vor allen Dingen Deutschland nicht wieder voranprescht. Und ich glaube, die OECD kann insoweit auch ein guter Verbündeter sein, und das sollten wir eher nutzen, als dass wir hier anfangen, OECD oder gar deren Vertreter irgendwo zu verprügeln.

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Deutsche Abkommenspolitik – Aktuelle Praxisfragen und deutsche Verhandlungsgrundlage Dr. Dirk Pohl Rechtsanwalt, Steuerberater McDermott Will & Emery Rechtsanwälte Steuerberater LLP, München

A. Vorbemerkung: Deutsche Abkommenspolitik im Dilemma . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Exportweltmeister vs. Sicherung von Besteuerungssubstrat als Quellenstaat . . . . . . . II. Sicherung von Besteuerungssubstrat als Ansässigkeitsstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Risiken und Zielkonflikte . . .

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B. Überblick zur deutschen Verhandlungsgrundlage (DE-VG)

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C. Aufbau der DE-VG . . . . . . . . .

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D. Verteilungsnormen – Immobilie . . . . . . . . . . . . . . . .

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E. Verteilungsnormen – Unternehmen . . . . . . . . . . . . .

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F. Weitere Verteilungsnormen. .

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G. Vermeidung der Doppelbesteuerung im Ansässigkeitsstaat . . . . . . . . . . . . . . . . .

I. Grundsatz: Freistellungsmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Progressionsvorbehalt . . . . . . . III. Erste Ausnahme: Bestimmte Einkünfte . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zweite Ausnahme: Aktivitätsvorbehalt. . . . . . . . . . . . . . . V. Dritte Ausnahme: „Switchover“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Vierte Ausnahme: „Subjectto-tax“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Fünfte Ausnahme: Notifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Fälle zur „Subject-totax“-Klausel . . . . . . . . . . . . . . . IX. Anrechnung ausländischer Steuern auf die Gewerbesteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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H. Besondere Bestimmungen . . . 71 I. Protokoll . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 J. Schlussbestimmungen . . . . . . 72

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K. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72

A. Vorbemerkung: Deutsche Abkommenspolitik im Dilemma Doppelbesteuerungsabkommen sind völkerrechtliche Verträge. Deutschland muss als Vertragspartei bei dem Abschluss oder der Änderung eines Doppelbesteuerungsabkommens seine Interessen wahren. Dieser (öffentlichen) Aufgabe müssen die deutschen Verhandlungsführer gerecht werden.

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Pohl – Deutsche Abkommenspolitik – Praxisfragen und DE-VG

Dafür bedarf es zunächst allgemeiner Vorgaben für die konkreten Verhandlungen mit dem anderen Staat. Es ist eine Abkommenspolitik, ein Verhandlungsrahmen, festzulegen. Dem dient die neue deutsche Verhandlungsgrundlage zu den Doppelbesteuerungsabkommen (DE-VG).1 Bevor darauf näher eingegangen wird, ist zunächst zu fragen, welche Interessen Deutschland im internationalen (Steuer-)Wettbewerb vor allem im Rahmen des in den vorherigen Beiträgen behandelten „BEPS-Projekts“ hat bzw. haben sollte.

I. Exportweltmeister vs. Sicherung von Besteuerungssubstrat als Quellenstaat Als „Exportweltmeister“ hat Deutschland ein Interesse daran, das Besteuerungsrecht für Liefergewinne (= Exportgewinne) zu behalten. Das Besteuerungsrecht des anderen Staates soll – wie auch im OECD-Musterabkommen vorgesehen – weitestgehend begrenzt werden. Der andere Staat (= der Quellenstaat) soll nur dann besteuern dürfen, wenn im betreffenden Staat eine Betriebsstätte oder lokale Tochtergesellschaft begründet wird, der ein Teil des Gewinns zugerechnet werden kann. Die aktuelle Diskussion über „Base Erosion and Profit Shifting“ (BEPS) birgt gerade für Deutschland das Risiko eines Paradigmenwechsels. Denn die Anknüpfung an die tradierten Prinzipien des OECD-Musterabkommens kann nicht länger aufrechterhalten werden, wenn das maßgebende Besteuerungsprinzip die Überlassung des Marktes im jeweiligen Land und dessen Größe angesehen wird.2 Das betrifft nicht nur die Geschäftsmodelle der digitalen Wirtschaft, sondern gilt auch für die „old economy“. Ein Beispiel dafür ist die aktuelle Diskussion um die Kaffeehauskette Starbucks in Großbritannien. Die Steuerbemessungsgrundlage der britischen Starbucks-Landesgesell1 Siehe dazu insbes. Jürgen Lüdicke, Anmerkungen zur deutschen Verhandlungsgrundlage für Doppelbesteuerungsabkommen, IStR-Beihefter 2013, 26; Schönfeld/Ditz, Deutsche Verhandlungsgrundlage für Doppelbesteuerungsabkommen, Eine erste kritische Analyse, DB 2013, 1437 ff.; Eine erste Kommentierung der DE-VG von Schönfeld/Ditz findet sich in dem DBA-Kommentar von Schönfeld/Ditz, 2013; Burwitz, Neue Entwicklungen im Steuerrecht, Deutsches Musterdoppelbesteuerungsabkommen, NZG 2013, 1300. 2 Siehe dazu Lee A. Shephard. The Twilight of the International Consensus, Tax Notes, 7.10.2013, S. 7 ff.; zum drohenden Paradigmenwechsel siehe auch bereits Pohl in JbFfStR 2013/2014, 506.

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Pohl – Deutsche Abkommenspolitik – Praxisfragen und DE-VG

schaft ist durch entgeltliche Überlassung der Marke und des Franchisekonzepts an die britische Tochtergesellschaft (zu?) niedrig. In der öffentlichen Debatte wird angeführt, Starbucks könne überhaupt keinen Gewinn erwirtschaften, wenn es nicht die britischen Konsumenten gäbe, die den Kaffee trinken. In der Sache geht es also um einen höheren Steueranteil für Zugang zum britischen Markt.3 In diesem Zusammenhang kann man aber das BEPS-Projekt der G20 unter Führung der OECD auch als einen notwendigen oder letzten Reparaturversuch zur Bewahrung des etablierten Systems verstehen. Ob es am Ende ein tauglicher Versuch sein wird, bleibt abzuwarten. Denn mit welchem Recht will beispielsweise Frankreich einerseits eine Google Tax für Geschäfte mit französischen Kunden erheben4, aber andererseits China erklären, dass das Ertragsteueraufkommen für importierte Louis Vuitton Taschen (= der Liefergewinn) allein Frankreich zusteht?5 Aus dieser Ausgangssituation folgt als erstes Postulat, dass die deutsche Abkommenspolitik aus Sicht eines Quellenstaats systembewahrend sein sollte und im Grundsatz auch bleiben wird. Das Besteuerungsrecht des Quellenstaates soll zurückgedrängt bleiben. Man kann unter diesem Gesichtspunkt das BEPS-Projekt eigentlich nicht begrüßen. Denn es dürfte eher in eine andere Richtung gehen, um der „base erosion“ durch die Verrechnung von Lizenzzahlungen Herr zu werden. Beispiele für eine derartige Politik sind: –

Nach Art. 12 Abs. 1 des OECD-MA (und so auch die deutsche Verhandlungsgrundlage) soll der Quellenstaat keine Steuern auf Lizenzgebühren erheben dürfen.



Im Rahmen der Quellensteuer gibt es keinen Vorbehalt i.S. einer „Subject-to-tax“-Klausel, bei deren Eingreifen der Quellenstaat doch besteuern kann.

Ganz im Sinne von BEPS sieht der Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD gerade für Lizenzgebühren vor, dass man deren Abzug als Betriebs-

3 Das führte zu „freiwilligen“ Steuerzahlungen von Starbucks in Großbritannien in Höhe von insgesamt 20 Mio. Pfund in den Jahren 2013 und 2014 (Handelsblatt vom 6.12.2012) und jüngst zur Verlegung der Europazentrale aus den Niederlanden nach London (Handelsblatt v. 16.4.2014). 4 Siehe dazu Pinkernell, StuW 2012, 369. 5 So pointiert Shephard, Tax Notes, 7.10.2013, 7 (10).

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ausgaben ggf. einschränken wird.6 Österreich hat jüngst eine solche Regelung eingeführt.7

II. Sicherung von Besteuerungssubstrat als Ansässigkeitsstaat Denn das BEPS-Projekt ist vor allem mit der Schließung von Besteuerungslücken verbunden, die rein nationale Unternehmen nicht nutzen können.8 Darin wird in der öffentlichen Diskussion ein Beitrag zur Steuergerechtigkeit gesehen. Das führt zur Ergänzung des Ziels eines Doppelbesteuerungsabkommens. Neben der Vermeidung der Doppelbesteuerung soll als gleichberechtigtes Ziel die Vermeidung einer doppelten Nichtbesteuerung (sog. „weißer Einkünfte“) stehen.9 So auch ausdrücklich die Präambel der neuen DE-VG. Das führt zu dem zweiten Postulat, das mit dem ersten zur Begrenzung der Besteuerungsrechte der Quellenstaaten auf das bestehende Maß in einem gewissen Widerspruch steht. Die deutsche Abkommens- und Steuerpolitik wird ihre Besteuerungsrechte aus Sicht eines Ansässigkeitsstaats über den Status quo hinaus ausweiten wollen. Jedoch ist Deutschland dabei im Vergleich zu anderen Staaten im Hinblick auf BEPS wohl bereits der „front runner“ unter den Ansässigkeitsstaaten, die der Freistellungsmethode folgen. Zeugnis dafür ist der Methodenartikel in Art. 22 DE-VG mit einer Aktivitätsklausel, „Subject-to-tax“-Klausel und „Switch-over“-Klausel.10

6 Koalitionsvertrag für die 18. Legislaturperiode vom 27.11.2013, S. 91; siehe auch Ditz/Pinkernell/Quilitzsch, IStR 2014, 45. 7 Trinks, IWB 2014, 211. 8 Siehe dazu z.B. Pinkernell, OECD-Aktionsplan gegen internationale Gewinnverlagerung und Aushöhlung der Bemessungsgrundlage (BEPS-Projekt), FR 2013, 737 (739). 9 Vgl. dazu, dass nach bisherigen Verständnis auch die Beseitigung einer virtuellen Doppelbesteuerung angestrebt wird, BFH v. 19.5.2010 – I B 191/09, BStBl. II 2011, 156, Vogel in Vogel/Lehner, DBA, Einl. OECD-MA, Rz. 74; Pohl in JbFStR 2013/2014, 506. 10 Wie nachstehend noch dargelegt wird, begegnet die damit verbundene „Atomisierung von Einkünften“ aber grundlegenden Bedenken.

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III. Risiken und Zielkonflikte Die damit verbundene Einschränkung von grenzüberschreitenden Steuergestaltungen dient ohne Zweifel der Steuergerechtigkeit. Sie birgt aber auch die Gefahr der Vertiefung von Wettbewerbsnachteilen für die deutsche Wirtschaft, wenn andere Staaten nicht im Rahmen von BEPS nachziehen, sondern dieses Projekt im Sande verläuft. Man muss sehr skeptisch sein, dass die USA die Gestaltungen für ihre Unternehmen im Outbound-Geschäft (u.a. check-the-box election und lückenhafte Subpart-F-Regelung zur Hinzurechnungsbesteuerung) jemals einschränken wird.11 Auch wenn das von offizieller Seite bestritten wird: Es handelt sich bei Licht betrachtet um eine verdeckte Exportsubventionierung der amerikanischen Unternehmen zur Erhaltung bzw. Stärkung von deren Wettbewerbsfähigkeit.12 Die Schließung von Steuerschlupflöchern beinhaltet deshalb immer auch die Gefahr von Kollateralschäden durch solche Gesetzesänderungen.13 Die zukünftige Kernfrage wird es sein, ob und inwieweit die Begehrlichkeiten des Ansässigkeitsstaates eines Unternehmens möglichst alles zu erfassen, es überhaupt noch ermöglichen, die Begehrlichkeiten der Quellenstaaten im Hinblick auf die auf deren Markt erzielten Exportgewinne kurz zu halten. Wenn ein Staat als Ansässigkeitsstaat nach dem Methodenartikel viel für sich fordert, wird der andere Staat, wenn er nicht das gleiche Interesse hat, eher Wert auf ausgeweitete Quellenbesteuerungsrechte zur Nutzung seines Marktes legen. Jedoch darf das wohl von jemandem in verantwortlicher Position gar nicht offen so ausgesprochen werden und dürfte auch politisch als nicht vermittelbar gelten. Es besteht also die Möglichkeiten, auch und gerade bei der Verhandlung von DBA, dass es stets eine nicht offen ausgesprochene „hidden agenda“ gibt. Man muss gerade als Staatsbürger hoffen, dass es auch auf Seiten der deutschen Verhandlungsführer so ist.

11 Pinkernell, FR 2013, 737 (738). 12 So im Ergebnis auch Shepard, Tax Notes, 7.10.2013, 7, (10 f.). 13 Ein aktuelles Beispiel ist die überschießende Wirkung des § 14 Abs. 1 Nr. 5 KStG n.F. Siehe dazu Schreiben der Wirtschaftsverbände an das BMF v. 19.4.2013; Prinz, DB 2013, Heft 35, M1; von Freeden/Liekenbrock, DB 2013, 1690; Schneider/Schmitz, GmbHR 2013, 281.

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B. Überblick zur deutschen Verhandlungsgrundlage (DE-VG) Die erste Veröffentlichung der neuen DE-VG erfolgte durch das BMF am 17. April 2013. Über das öffentliche Symposium wurde im Fachschrifttum berichtet.14 Die aktuelle Fassung in deutscher und englischer Sprache wurde am 22. August 2013 auf der Homepage des BMF veröffentlicht. Sie wirkt zunächst nach innen und soll verwaltungsintern für eine Vereinheitlichung der Verhandlungsführung innerhalb des BMF sorgen. Hier hing es dem Vernehmen nach sehr von den persönlichen Präferenzen des jeweiligen Verhandlungsführers im BMF ab, welche Formulierungen im Detail verwandt wurden. Weiteres Ziel ist die erhöhte Transparenz und Akzeptanz von Verhandlungsergebnisses im Rahmen des Zustimmungsgesetzgebungsverfahrens nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG. Das ist alles sehr zu begrüßen. Kritisch wäre allenfalls die Veröffentlichung strategischer Überlegungen im Rahmen einer Denkschrift. Denn die einseitige „Offenlegung der Karten“ gegenüber dem anderen Staat könnte im Rahmen einer Verhandlung nachteilig sein. Manchmal kann es Verhandlungen erleichtern, wenn „Pflöcke“ unverrückbar eingeschlagen werden, die den Verhandlern vorgegeben sind. Es dürfte aber weitaus mehr Verhandlungen geben, die an zu starren Vorgaben gescheitert sind. Der nachfolgende Teil soll sich deshalb unter der Berücksichtigung der beiden oben formulierten, sich widersprechenden Postulate mit einigen wichtigen Punkten der DE-VG beschäftigen. Dies in der Hoffnung, dass auch die Fachdiskussion zur DE-VG bei laufenden und zukünftigen Verhandlungen helfen kann. Dazu ist zu klären, welche Positionierungen zu wichtigen Praxisfragen in der DE-VG erfolgt sind bzw. bisher ausgespart sind und ungelöst bleiben und ggf. warum das der Fall ist. Vor allem sollen dabei auch die Abweichungen zum OECD-MA näher betrachtet werden15. 14 Siehe insbesondere Lüdicke, IStR-Beihefter 2013, 26 sowie die Beiträge in der ISR 2013, 149 ff. 15 Die Kommentierung der DE-VG von Schönfeld/Ditz in Schönfeld/Ditz DBA, a.a.O. enthält jeweils einen Vergleich der einzelnen Artikel der DE-VG mit dem OECD-MA.

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C. Aufbau der DE-VG Die DE-VG folgt im Grundsatz dem OECD-MA. Jedoch ändert sich die Nummerierung ab Art. 14. Dieser wurde im OECD-MA im Rahmen einer Revision gestrichen. Die selbständigen Einkünfte wurden dem Art. 7 OECD-MA zugeschlagen, jedoch wurde die Nummerierung der folgenden Artikel unverändert gelassen. Der Methodenartikel zur Vermeidung der Doppelbesteuerung findet sich deshalb bspw. nach wie vor in Art. 23 A/Art. 23 B OECD-MA, aber in Art. 22 DE-VG. Es ergibt sich folgende Gliederung der DE-VG: –

Präambel



Geltungsbereich (Art. 1, 2)



Begriffsbestimmungen (Art. 3–5)



Verteilungsnormen für die Besteuerung des Einkommens (Art. 6–20)



Verteilungsnorm für die Besteuerung des Vermögens (Art. 21)



Methodenartikel (Art. 22)



Besondere Bestimmungen (Art. 23–30)



Schlussbestimmungen (Art. 31–31)



Protokoll

D. Verteilungsnormen – Immobilie Für Immobilien ergibt sich nach Art. 6 OECD-MA/DE-VG das Besteuerungsrecht aus dem Belegenheitsprinzip. Die Regelung greift aber nicht, wenn Immobilien über Kapitalgesellschaften gehalten werden. Bis zur Aufnahme von Art. 13 Abs. 4 in das überarbeitete OECD-MA vom 28. Januar 2003 galt auch für Immobilienkapitalgesellschaften ein ausschließliches Besteuerungsrecht des Ansässigkeitsstaats des Gesellschafters (und nicht des Staates, in dem die Immobilien belegen sind bzw. des Ansässigkeitsstaats der Immobiliengesellschaft). Dem entsprechen viele ältere von Deutschland abgeschlossene Doppelbesteuerungsabkommen. Davon wurde aber in jüngster Zeit eine Vielzahl bereits geändert. Art. 13 Abs. 4 des OECD-MA = DE-VG lautet: „Gewinne, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person aus der Veräußerung von Gesellschaftsanteilen bezieht, deren Wert zu mehr als 50 Prozent unmittel-

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Pohl – Deutsche Abkommenspolitik – Praxisfragen und DE-VG bar oder mittelbar auf unbeweglichem Vermögen beruht, das im anderen Vertragsstaat liegt, können in diesem anderen Vertragsstaat besteuert werden.“

Diese Formulierung wird in den geänderten neuen deutschen DBA aber nicht durchgängig verwandt. Dem OECD-MA/der DE-VG entsprechen das geänderte DBA-Zypern und das neue DBA-Liechtenstein. Jedoch führt diese Formulierung zu Auslegungsschwierigkeiten. Denn es ist umstritten, ob der Begriff „Wert“ das Netto- oder Bruttovermögen der Gesellschaft meint. Der OECD-MK sieht in Art. 13, Tz. 28.4. vor, dass im „Normalfall“ die Ermittlung ohne Berücksichtigung von Verbindlichkeiten erfolgt. A.A. ist dagegen Gosch16 wegen der damit verbundenen Gestaltungsmöglichkeiten. Das überzeugt nicht. Die Einstufung als Immobilienkapitalgesellschaft kann nicht von der Struktur der Passivseite der Bilanz der Gesellschaft und damit der Eigen- oder Fremdkapitalfinanzierung abhängen. Deshalb sollte die DE-VG ausdrücklich den Begriff „Aktivvermögen“ statt „Wert“ verwenden; so formulieren auch die neuen DBA mit Großbritannien, Luxemburg, Niederlande, Spanien und Türkei. Ein weiterer Problembereich ergibt sich für den Fall der Änderung eines DBA durch Einführung eines neuen Art. 13 Abs. 4 OECD-MA/DE-VG für Immobiliengesellschaften. Dadurch kann Deutschland zumindest sein ausschließliches Besteuerungsrecht als Ansässigkeitsstaat des Gesellschafters für von diesem gehaltene Anteile an Immobilienkapitalgesellschaften verlieren. Besonders praxisrelevant ist das neue DBA mit Spanien ab 1. Januar 2013. Spanien hat nunmehr erstmals ein Besteuerungsrecht für von deutschen Steuerinländern gehaltene Immobilienkapitalgesellschaften17, Art. 13 Abs. 2 DBA-Spanien n.F. Deutschland rechnet die spanische Steuer zur Vermeidung der Doppelbesteuerung an, Art. 22 b) ii) DBA-Spanien n.F. Dadurch wird das deutsche Besteuerungsrecht eingeschränkt. Es könnte durch die DBA-Änderung zu einer zwangsweisen Aufdeckung der stillen Reserven kommen.18 Die DE-VG sieht nunmehr im Protokoll in einer Fußnote vor: „Soweit erforderlich, Regelung für den Fall, dass der Abschluss oder die Ände16 Gosch in Gosch/Kroppen/Grotherr, Art. 13 OECD-MA Rz. 119. 17 Siehe zu den Gründen, warum Immobilien in Spanien häufig über Kapitalgesellschaften gehalten werden, jüngst Binnewies/Wollweber, DStR 2014, 628. 18 Dagegen Binnewies/Wollweber, DStR 2014, 628. Siehe dazu auch meinen Vortrag auf der Hamburger Tagung in 2001, Pohl in Lüdicke, Fortentwicklung der internationalen Unternehmensbesteuerung, S. 33.

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rung eines DBA eine Entstrickung auslöst.“ Welche Regelung getroffen werden soll, wird aber leider nicht ausgeführt. Aus Sicht der Steuerpflichtigen ist ein Zugriff des Fiskus allein durch Änderung eines DBA empörend. Denn ein Zuwachs an Leistungsfähigkeit ist damit nicht verbunden. Es ist deshalb nur ein Aufschub der Besteuerung bis zur tatsächlichen Veräußerung angemessen und verfassungsgemäß. Dabei müssen die Staaten das dann auszuübende Besteuerungsrecht so aufteilen, dass der Wertzuwachs bis zur Änderung des DBA allein dem Ansässigkeitsstaat des Gesellschafters zukommt. Eine derartige Musterformulierung sollte erarbeitet und in die DE-VG aufgenommen werden. Sie erscheint bspw. für Verhandlungen zur Revision des DBA mit Australien unabdingbar. Für bereits abgeschlossene DBA, wie das neue DBA mit Spanien, hilft das nicht weiter. Hier gilt: Soweit die Anteile an der Immobilienkapitalgesellschaft in einem Betriebsvermögen gehalten werden, könnte eine Entstrickungsbesteuerung nach § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG greifen (EUrechtswidrig trotz Möglichkeit der Verteilung auf 5 Jahre nach § 4g EStG?19). Im Privatvermögen könnte die Entstrickungsbesteuerung aus § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AStG folgen, wobei in diesem Fall nicht einmal die ansonsten bestehende Stundungsmöglichkeit entsprechend dem Wegzug nach § 6 Abs. 5 AStG greift. Zumindest das dürfte EU-rechtwidrig sein. Leider muss man anerkennen, dass der Wortlaut des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG bzw. § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AStG eine solche Entstrickungssteuer abdecken würde. M.E. ist dieser aber im Wege einer verfassungskonformen Auslegung einzuschränken. Das gilt zumindest, wenn man das Realisationsprinzip als Teil der verfassungsrechtlich verbürgten Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit ansieht20, das fiskalischen Beutezügen verfassungsrechtliche Schranken setzt.21 19 Siehe dazu jüngst die Vorlage des FG Düsseldorf an den EuGH v. 5.12.2013 – 8 K 3664/11 F, EFG 2014, 119, EuGH C-657/13; siehe aber auch Mitschke, IStR 2013, 393 bzw. Sydow, IStR 2013, 663. 20 So der Vorlagebeschluss des I. Senats des BFH v. 10.4.2013 – I R 80/12, BFH/ NV 2013, 1834 zu § 6 Abs. 5 EStG (Übertragung von Wirtschaftsgütern zwischen Schwesterpersonengesellschaften). 21 Hinzuweisen ist darauf, dass deutsche Besitzer von spanischen Immobiliengesellschaften zusätzlich auch dadurch gebeutelt sind, dass die unentgeltliche Nutzung der Immobilie eine verdeckte Gewinnausschüttung darstellt; siehe BFH v. 12.6.2013 – I R 109–111/10, BFHE 241, 549.

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E. Verteilungsnormen – Unternehmen Im Bereich der Unternehmensbesteuerung wird die DE-VG leider nicht konkreter als das OECD-MA und positioniert sich nicht zu umstrittenen Themen. Es wird allgemein das Betriebsstättenprinzip in Art. 7 Abs. 1 entsprechend dem OECD-MA verankert. Entsprechend den einleitend beschriebenen deutschen Interessen wird der Tendenz zur Ausweitung des Betriebsstättenbegriffs widerstanden. Eine Dienstleistungsbetriebsstätte ist nicht vorgesehen (siehe aber jüngst z.B. Art. 5 Abs. 3b) DBA-Türkei n.F.). Leider erfolgt aber durch die Übernahme des OECD-MA keine klare Positionierung gegen die zu beobachtende Tendenz zur Ausweitung von Vertreterbetriebsstätten, insbesondere bei Kommissionärstrukturen. Inhaltlich wird sich damit Kofler in diesem Band in einem folgenden Beitrag auseinandersetzen.22 Zu wünschen wäre aber, dass in der DE-VG eine Regelung entsprechend dem Protokoll zum DBA Österreich aufgenommen wird, wonach eine Tochtergesellschaft keine Vertreterbetriebsstätte für die im anderen Vertragsstaat ansässige Muttergesellschaft begründet, wenn die Vertriebsfunktionen der Tochtergesellschaft durch angemessene Verrechnungspreise abgegolten werden. Ansonsten setzt Art. 7 Abs. 2 DE-VG/OECD-MA den (umstrittenen) AOA der OECD für die Gewinnangrenzung von Betriebsstätten um. Die Regelungen dazu im nationalen Recht (§ 1 AStG n.F. nach dem Amtshilferichtlinienumsetzungsgesetz) und in der neuen Rechtsverordnung zur Betriebsstättengewinnaufteilung (Entwurf vom 5. August 2013) werden von Kofler in diesem Band in einem folgenden Beitrag dargestellt. Art. 7 Abs. 3 der DE-VG sieht im Fall einer Doppelbesteuerung aufgrund der unterschiedlichen Betriebsstättengewinnaufteilung ein Verständigungsverfahren vor. Allerdings wird nur von einen „Bemühen“ der Vertragsstaaten gesprochen. Eine abkommensrechtliche Verpflichtung besteht nicht.23 Die Fassung entspricht zwar einem alternativen Formulierungsmuster im OECD-MK. Hier sollte aber an den strikteren Wortlaut des Art. 9 Abs. 2 DE-VG angeknüpft werden, wonach die Korrektur 22 Siehe auch Pohl in JbFfStR 2010/2011, 588. 23 Kritisch auch Ditz/Schönfeld, DB 2013, 1437 (1438); Lüdicke, IStR-Beihefter 2013, 26 (28 f.).

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vorgenommen werden muss.24 Zu begrüßen ist in diesem Zusammenhang, dass Deutschland an seinem Vorbehalt gegenüber zwingenden korrespondierenden Gegenberichtigungen im Rahmen der Verrechnungspreise nach Art. 9 OECD-MA/DE-VG, wie er sich noch aus Rn. 17 des OECD-MK zu Art. 9 OECD-MA ergibt, wohl endgültig nicht mehr festhält. Umso mehr hätte Anlass bestanden, das auch auf Art. 7 Abs. 3 DE-VG auszuweiten. Bedauerlicherweise werden Personengesellschaften ganz in der DE-VG ausgeklammert. Angesichts der Bedeutung für den deutschen Mittelstand und der im Ausland kaum zu vermittelnden Besonderheiten des Sonderbetriebsvermögens und der damit einhergehenden Treaty Overrides (§ 50d Abs. 8, Abs. 10, § 50i EStG) ist es sehr bedauerlich, dass man diesen Bereich gerade wegen seiner Akzeptanzprobleme ausgespart und keiner Lösung zugeführt hat.25 Hier besteht Nachbesserungsbedarf, auch wenn eigentlich stattdessen eine grundsätzliche Revision der Prinzipien der Mitunternehmerbesteuerung geboten wäre.

F. Weitere Verteilungsnormen Der Art. 8 DE-VG zu Seeschifffahrt, Binnenschifffahrt und Luftfahrt entspricht dem OECD-MA. Art. 10 DE-VG sieht eine Quellenbesteuerung von Dividenden von 5 % im Fall des Schachtelprivilegs vor, wobei ggf. auch eine Absenkung auf 0 % verhandelt werden soll. Außerhalb des Schachtelprivilegs ist die Quellenbesteuerung auf 15 % abgesenkt. Für das Schachtelprivileg ist eine Beteiligung einer Gesellschaft (jedoch keine Personengesellschaft) mit „unmittelbar“ 10 % erforderlich (OECD-MA 25 %). Ärgerlich ist, dass offen bleibt, ob im Fall des Haltens über eine Personengesellschaft das „Unmittelbarkeitserfordernis“ erfüllt ist. Nach bisheriger Auffassung der deutschen Finanzverwaltung ist das nicht der Fall (anders z.B. aber die USA in ihren „technical explanations“26). Diese Rechtsauffassung sollte ohnehin aufgegeben werden. 24 Auch bestehende DBA sollten entsprechend ergänzt werden, siehe Ditz/ Schönfeld, DB 2013, 1437, die darauf hinweisen, dass z.B. Indien wegen fehlenden Art. 9 Abs. 2 entsprechend OECD-MA ohne Rechtsgrundlage die Einleitung von Verständigungsverfahren ablehnt. 25 So auch Prinz, Der neue § 50i EStG: Grenzüberschreitende „Gepräge-KG“ zur Verhinderung einer Wegzugsbesteuerung, DB 2013, 1378. 26 Siehe Wolff in Wassermeyer, Art. 10 DBA-USA Rz. 73.

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Auch § 8b Abs. 4 Satz 4 KStG in der Fassung des AmtshilferichtlinienUmsetzungsgesetzes sieht vor, dass das Halten über eine Personengesellschaft unschädlich für die neue 10 % Portfoliogrenze ist, ab der die Körperschaftsteuerbefreiung für Dividenden nicht greift. Art. 11 DE-VG sieht wie das OECD-MA keine Quellenbesteuerung auf Zinsen vor. Zu beachten ist, dass nach dem Protokoll zu Art. 10 und 11 DE-VG das nationale Quellenbesteuerungsrecht bei Rechten oder Forderungen mit Gewinnbeteiligung einschließlich stiller Gesellschaften nicht durch das DBA beschränkt werden soll, wenn der Aufwand bei dem (deutschen) Schuldner als Betriebsausgaben abzugsfähig ist. Art. 12 DE-VG sieht wie das OECD-MA keine Quellenbesteuerung auf Lizenzgebühren vor. Trotz der BEPS-Diskussion (siehe oben unter A.) ist zu Recht keine „Subject-to-tax“-Klausel aus Sicht des Quellenstaates vorgesehen. Eine „Lizenzschranke“ wäre – wie auch eine Zinsschranke – ohnehin nicht in DBA abzusichern.27 Art. 13 DE-VG regelt das Besteuerungsrecht zu Gewinnen aus der Veräußerung von Vermögen. Auf Immobilienkapitalgesellschaften wurde bereits oben eingegangen. Erfreulicherweise sieht Art. 13 Abs. 6 DE-VG eine besondere Regelung zur Wegzugsbesteuerung vor, die das OECDMA nicht kennt. Der Art. 14 DE-VG (= Art. 15 OECD-MA, dort ist der Art. 14, der vormals freiberufliche Einkünfte regelte, nicht besetzt) betrifft die Einkünfte aus nicht selbständiger Arbeit, Art. 15 DE-VG (Art. 16 OECD-MA) Aufsichtsrats- und Verwaltungsvergütungen, Art. 16 DE-VG (Art. 17 OECD-MA) Künstler und Sportler, Art. 17 DE-VG (Art. 18 OECD-MA) Ruhegehälter, Renten und ähnliche Zahlungen, Art. 18 DE-VG (Art. 19 OECD-MA) den öffentlichen Dienst, Art. 19 DE-VG (Art. 20 OECDMA) Gastprofessoren, Lehrer und Studenten, Art. 20 DE-VG (Art. 21 OECD-MA) andere Einkünfte (siehe dazu auch die Protokollregelung zu Betriebsstätten-Sandwich-Strukturen) und Art. 21 DE-VG (Art. 22 OECD-MA) das Vermögen (trotz fehlender und hoffentlich nicht wiederkehrender Vermögensteuer).

27 Sie könnte auch je nach Ausgestaltung gegen die Diskriminierungsklauseln eines DBA verstoßen und europarechtswidrig sein, siehe zur Diskussion in Österreich Trinks, IWB 2014, 211.

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G. Vermeidung der Doppelbesteuerung im Ansässigkeitsstaat Während die Regelungen zu den Verteilungsnormen weitgehend dem OECD-MA entsprechen, ist das bei dem Methodenartikel nicht der Fall. Art. 23 A/Art. 23 B OECD-MA sehen alternativ die Freistellungs- bzw. Anrechnungsmethode vor und geben damit keine Methode zur Vermeidung der Doppelbesteuerung im Ansässigkeitsstaat vor. Dagegen geht Art. 22 Abs. 1 DE-VG von einer eigenen Konzeption aus, die trotz grundsätzlicher Beibehaltung der Freistellungsmethode auf eine weitgehende Schließung von Besteuerungslücken gerichtet ist.

I. Grundsatz: Freistellungsmethode Im Grundsatz werden die Einkünfte von der Besteuerung in Deutschland freigestellt. Die Freistellungsmethode führt auch zur Freistellung von Schachteldividenden. Wie bei der Reduktion der Quellensteuer in Art. 10 DE-VG ist zu bemängeln, dass unklar bleibt, ob das „unmittelbare“ Halten auch die Beteiligung über eine Personengesellschaft/Mitunternehmerschaft umfasst.

II. Progressionsvorbehalt Im Rahmen der Einkommensteuer erfolgt die Freistellung nach der DEVG unter Progressionsvorbehalt.

III. Erste Ausnahme: Bestimmte Einkünfte Für bestimmte Einkünfte erfolgt ein Wechsel zur Anrechnungsmethode: –

Für Dividenden, soweit das Schachtelprivileg nicht greift.



Für Veräußerungsgewinne von Anteilen an Immobilienkapitalgesellschaften, Art. 13 Abs. 4 DE-VG.



Aufsichtsrats- und Verwaltungsratsvergütungen, Art. 15 DE-VG.



Einkünfte von Künstlern und Sportlern, Art. 16 DE-VG.



Bestimmte Renten nach Art. 17 Abs. 2 und 3 DE-VG.

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IV. Zweite Ausnahme: Aktivitätsvorbehalt Darüber hinaus erfolgt keine Freistellung, sondern eine Anrechnung ausländischer Steuern, „soweit“ ein Betriebsstättengewinn nach Art. 7 DE-VG, ein Betriebsstättenveräußerungsgewinn nach Art. 13 Abs. 2 DEVG oder eine Schachteldividende bestimmte aktive Katalogtätigkeiten nicht erfüllt. Die DE-VG entspricht insoweit Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) DBA-Schweiz. Positiv ist zu vermerken, dass die Klausel keine Infektionswirkung bei nur teilweise passiven Einkünften hat. Denn die Klausel greift nur, „soweit“ keine aktiven Einkünfte vorliegen. Auch ist der eigenständige Katalog der aktiven Einkünfte in der DE-VG vorzugswürdig im Vergleich zu einem Verweis auf den nicht mehr zeitgemäßen Katalog des § 8 Abs. 1 AStG28. Aber bestimmte Einschränkungen sind nicht nachvollziehbar. So wird nur die Herstellung von Gegenständen, aber nicht bspw. von Standardsoftware als aktiv eingeordnet29. Zu beachten wäre auch bei einem DBA entsprechend der DE-VG, dass bei niedriger Besteuerung der Betriebsstätteneinkünfte zusätzlich Art. 28 Abs. 1 b) DE-VG greift. Insoweit würde dann doch der Aktivitätskatalog des § 8 Abs. 1 AStG mit Anrechnungsmethode gelten. An einer Modernisierung des § 8 Abs. 1 AStG führt deshalb kein Weg vorbei. Der Übergang zur Anrechnungsmethode ändert nichts daran, dass die Betriebsstättengewinne nicht der Gewerbesteuer unterliegen. Dabei ist aber die Berücksichtigung von passiven Verlusten bei Geltung der Anrechnungsmethode in der Regel nach § 2a Abs. 1 und 2 EStG gesperrt. D.h., eine Verrechnung ist nur mit Gewinnen der jeweils selben Art und aus demselben Land möglich. Für den Exportweltmeister Deutschland kann es eigentlich keine kluge Abkommenspolitik sein, für den verbleibenden Bereich der aktiven Betriebsstättenverluste die Verlustberücksichtigung im Inland durch die Freistellungsmethode zu sperren.30 M.E. sollte in der DE-VG verankert

28 Lüdicke, IStR-Beihefter 2013, 26 (35 f.). 29 Ditz/Schönfeld, DB 2013, 1437 (1441 f.). 30 Auch wenn das der BFH-Rechtsprechung entspricht, a.A. der österreichische VwGH zum DBA-Deutschland/Österreich, Erkenntnis vom 25.9.2001 – 99/14/0217 E, IStR 2001, 754. Ausnahme sind nach EU-Recht finale Betriebsstättenverluste, siehe EuGH v. 15.5.2008 – C-414/06 – Lidl Belgium, DStR 2008, 1030, Tz. 47 f.

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werden, dass die Freistellungsmethode der Berücksichtigung ausländischer Verluste nicht entgegensteht.

V. Dritte Ausnahme: „Switch-over“ Ganz im Sinne der BEPS-Diskussion ist auch eine „Switch-over“-Klausel mit Wechsel von der Freistellungs- zur Anrechnungsmethode zur Vermeidung einer doppelten Nichtbesteuerung bei Qualifikationskonflikten in der DE-VG vorgesehen.

VI. Vierte Ausnahme: „Subject-to-tax“ Ebenfalls greift die Freistellungsmethode nicht, „wenn der andere Vertragsstaat Einkünfte oder Einkunftsteile nach dem Abkommen besteuern kann, tatsächlich aber nicht besteuert.“ Das Protokoll zur DE-VG sieht dazu vor: „Einkünfte oder Vermögen oder Teile davon werden ‚tatsächlich‘ besteuert, wenn sie in die Bemessungsgrundlage einbezogen werden, auf deren Grundlage die Steuer berechnet wird. Sie werden nicht ‚tatsächlich‘ besteuert, wenn sie nicht steuerpflichtig sind oder von der Besteuerung ausgenommen werden.“

Das soll nachfolgend anhand von drei Fällen näher betrachtet werden.

VII. Fünfte Ausnahme: Notifikation Zuvor ist aber noch auf die fünfte Ausnahme im Rahmen der Freistellungsmethode hinzuweisen. Als Auffanglösung ist noch die Notifikation des anderen Vertragsstaates zur Aufhebung der Freistellung vorgesehen.

VIII. Fälle zur „Subject-to-tax“-Klausel Die „Subject-to-tax“-Klausel in der DE-VG versucht weitgehend die Vorstellungen abzubilden, die das BMF zu bereits bestehenden DBA im Schreiben vom 20. Juni 201331 vertritt. 31 BMF v. 20.6.2013, BStBl. I 2013, 980. Siehe dazu auch Jürgen Lüdicke, „Subject-to-tax“-Klauseln nach den DBA, Bemerkungen zum BMF-Schreiben vom 20.6.2013, IStR 2013, 721; Gebhardt/Rempel, Die neuen „Subject-totax“-Klauseln in deutschen DBA – Praxisfälle und Zweifelsfragen im Kontext des BMF-Schreibens vom 20.6.2013, IStR 2013, 760; Schönfeld, Welche prak-

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Eine in den BMF-Schreiben nicht behandelte Vorfrage ist, was überhaupt eine „Tax“ darstellt. Das musste der BFH mit Urteil vom 9. Dezember 201032 entscheiden. In diesem Fall erzielten deutsche Gesellschafter einer vermögensverwaltenden britischen Limited Partnership einen Gewinn aus der Veräußerung britischer Immobilien.

A-AG

General Partner

B-GmbH

C-GmbH

LP

Das führte zwar nicht zu einer vollen Besteuerung des Veräußerungsgewinns nach dem britischen Chargeable Gains Act. Jedoch ergab sich durch die Veräußerung dennoch eine Steuerbelastung. Es erfolgte eine Rückgängigmachung der Abschreibungen auf sog. „fixtures“ nach dem Capital Allowance Act (sog. „claw back“). Dabei handelt es sich um Gegenstände der Geschäftseinrichtung, die Gebäudebestandteil sind.

tischen Probleme löst das BMF-Schreiben zu „Subject-to-Tax“-Klauseln und welche nicht? – dargestellt anhand von Fallbeispielen, IStR 2013, 757. 32 BFH v. 9.12.2010 – I R 49/09, BStBl. II 2011, 482.

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Das reichte dem BFH anders als dem FG Düsseldorf33 in der Vorinstanz im Hinblick auf die spezielle „Subject-to-tax“-Klausel für Immobiliengewinne nach dem alten DBA Großbritannien nicht aus. Er betonte jedoch in dieser Entscheidung, dass eine Zerlegung der Einkünfte in Einzelteile nicht möglich ist.34 Es ging also bei der Steuerbelastung der „fixtures“ um alles oder nichts, d.h. den gesamten Veräußerungsgewinn. Es erfolgte eine klare Absage an eine „Atomisierung“ der Einkünfte durch den BFH. Das sieht das BMF-Schreiben vom 20. Juni 2013 anders. Dort wird der Fall aufgegriffen, in dem in einer Betriebsstätte in den USA nach USRecht steuerfreie Zinsen aus Kommunalanleihen erzielt werden. Deutschland

USA

Bank

Betriebsstätte

Zinsen Anleihe

Amerikanische Kommunen

33 FG Düsseldorf v. 28.4.2009 – 17 K 1070/07 F, EFG 2009, 1395. 34 Eisenack/Pohl, IStR 2011, 259.

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Hier soll die Freistellungsmethode nach der m.E. unzutreffenden Auffassung des BMF nicht greifen, obwohl Art. 23 Abs. 4 b) Abs. 2 des DBA anders als die DE-VG die „Subject-to-tax“-Klausel nur auf „Einkünfte“, aber nicht etwa „Einkunftsteile“ bezieht.35 Aber auch bei Anwendung eines DBA entsprechend der DE-VG würde sich die Frage stellen, ob zumindest im Fall einer für In- und Ausländer gleichermaßen greifenden Steuerbefreiung der andere Vertragssaat nach innerstaatlichem Recht überhaupt an der Besteuerung „gehindert“ ist. Denn eine bewusste, allgemeine Steuerbefreiung ist kein Hindernis. Vielmehr sollte eine Begrenzung auf die Fälle erfolgen, in denen sich die Nichterfassung der inländischen Einkünfte allein aus der fehlenden Ansässigkeit ergibt. In anderen Fällen ist nicht einsichtig, warum in diesem Fall die (Nicht-)Belastungsentscheidung des anderen Staates durch die „Subject-to-tax“-Klausel ausgehebelt werden soll. Die Schwäche der Regelung zeigt sich auch darin, dass bei einer nur 50 % Besteuerung von Zinsen im anderen Vertragsstaat die Klausel greifen würde. Bei Besteuerung von 100 % der Zinsen mit dem halben ordentlichen Steuersatz dagegen nicht. Etwas anders mag der Fall aussehen, in dem der andere Vertragsstaat nur Steuerausländer nicht erfasst, die Einkünfte bei Inländern in dem anderen Vertragsstaat aber steuerpflichtig wären Dazu gibt das BMFSchreiben (a.a.O.) folgendes weiteres Beispiel.

35 Siehe auch Lüdicke, IStR 2013, 721 ff.

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Pohl – Deutsche Abkommenspolitik – Praxisfragen und DE-VG

> 50 % Kapitalgesellschaft

Vertriebsgesellschaft > 50 %

Lizenzgebühren Vertriebsgesellschaft

Lizenzgebühren

US-Personengesellschaft – Verwaltung Konzernmarkenrechte weltweit außer für Deutschland und USA

Eine deutsche Kapitalgesellschaft gehört zu einem internationalen Konzern. Sie ist an einer US Personengesellschaft beteiligt, die überwiegend, aber nicht ausschließlich Einkünfte aus der Vergabe von Lizenzrechten erzielt. Nach US Steuerrecht greift keine Steuerpflicht, da eine Vergabe an Lizenznehmer in Drittstaaten erfolgt und eine Beteiligung des deutschen Personengesellschafters zu mehr als 50 % an dem Lizenznehmer vorliegt. Abkommensrechtlich greift im Grundsatz für den Betriebsstättengewinn in Deutschland die Freistellungsmethode.36 Nach Auffassung des BMF soll hier die Freistellungsmethode nicht greifen, da das DBA USA eine „Subject-to-tax“-Klausel enthält. Das muss man leider als Wunschdenken einstufen. Denn im DBA steht „wenn“ und nicht etwa „soweit“ Einkünfte nach innerstaatlichem Recht nicht besteuert wer-

36 Auch § 20 Abs. 2 AStG soll daran im vorliegenden Fall nichts ändern, da die Einkünfte aktiv im Sinne von § 8 Abs. 1 AStG sind.

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den können.37 Von „Einkunftsteilen“ wird im aktuellen DBA auch nicht gesprochen. Auch eine konkrete Definition, was „Einkunftsteile“ sind, fehlt in Art. 22 Abs. 1 e) bb) DE-VG. Das BMF-Schreiben lässt befürchten, dass darunter schon eine einzelne Einnahme fallen soll. Das würde aber deutlich zu weit gehen. Man sollte jedenfalls eine einheitliche Funktion fordern, um einen Teil von den gesamten erzielten Einkünften abspalten zu können. Hier gibt es aber sicherlich auch Abgrenzungsschwierigkeiten, wie die Diskussion zur Atomisierung von Funktionen im Rahmen der Besteuerung von Funktionsverlagerungen zeigt.38 Jedenfalls sind nach dem neuen BMF-Schreiben (a.a.O.) unschädlich: –

temporäre Differenzen (höhere Rückstellung bzw. Steuerabschreibungen, frühere Gewinnrealisierung nach deutschen Grundsätzen als im anderen Vertragsstaat);



permanente Differenzen in der Gewinnermittlung, bspw. im anderen Vertragsstaat kein Betriebsausgabenabzugsverbot entsprechend § 4 Abs. 5 EStG;



fehlende tatsächliche Steuerlast durch Freibeträge, Verlustausgleich etc.

Eine große Schwäche von „Subject-to-tax“-Klauseln ist auch, dass bereits eine Besteuerung der Einkünfte mit einem geringen Steuersatz ihre Wirkung entfallen lässt. Dann bleibt aus deutscher Sicht nur das Notifikationsverfahren.

IX. Anrechnung ausländischer Steuern auf die Gewerbesteuer Leider schweigt die DE-VG auch zur Anrechnung ausländischer Steuern auf die Gewerbesteuer. Hier besteht seit der Absenkung der Körperschaftsteuer auf 15 % dringender Handlungsbedarf.39 Sie ist ohne DBA mangels nationaler Regelung im GewStG ausgeschlossen. Im Protokoll des DBA mit Australien ist sie ausdrücklich vorgesehen. Im DBA mit der Schweiz ist sie dagegen ausdrücklich ausgeschlos37 Siehe auch Lüdicke, IStR 2013, 721 (725). 38 Siehe dazu Kroppen, IWB, 2010, 824; Pohl, JbFStR, 2010/2011, 588. 39 Siehe dazu Jürgen Lüdicke, Überlegungen zur deutschen DBA-Politik, 2008, 108.

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sen. Ansonsten dürfte sie nach DBA möglich sein, wenn dieses die Anrechnung allgemein vorsieht. Anders dagegen der Fall, dass das DBA auf (bei der Gewerbesteuer nicht vorhandene) deutsche nationale Rechtsvorschriften zur Anrechnung verweist.

H. Besondere Bestimmungen Die Gleichbehandlung ist in Art. 23 DE-VG vorgesehen. Sie soll nach dem Protokoll zur DE-VG nicht zu einer grenzüberschreitenden Organschaft führen können.40 Art. 24 DE-VG regelt Verständigungs- und Schiedsverfahren. Art. 25 DEVG den Informationsaustausch sowie Art. 26 DE-VG die Amtshilfe bei der Steuererhebung. Der Art. 27 DE-VG enthält ohne Vorbild im OECD-MA Verfahrensregeln für die Quellenbesteuerung. Im Wesentlichen wird dort der § 50d Abs. 1 EStG verankert. Regelungen zu hybriden Gesellschaften wie bspw. in Art. 1 Abs. 7 DBA USA sind nicht vorgesehen41. Der Art. 28 DE-VG trifft weitere Regelungen zur Anwendung des Abkommens. Die innerstaatlichen Vorschriften zur Verhinderung der Steuerumgehung oder Steuerhinterziehung sind danach anzuwenden. Ob darunter auch noch der § 50d Abs. 3 EStG fällt, erscheint mir unklar, da diese Vorschrift eine weit überschießende Tendenz hat. Zu begrüßen ist jedenfalls, dass keine „limitation-on-benefits“-Klausel entsprechend US-Vorbild (siehe Art. 28 DBA USA) vorgesehen ist. Die Regelung ist bei weitem zu kompliziert. Auch ist in Art. 28 DE-VG vorgesehen, dass der 4., 5. und 7. Teil des AStG anwendbar sind. Der Art. 29 DE-VG betrifft Mitglieder diplomatischer Missionen etc. Der Art. 30 DE-VG stellt dankenswerter Weise klar, dass auch das Protokoll Bestandteil des DBA ist. In der Praxis wird allzu häufig das Protokoll bei der Fallbearbeitung übersehen.

40 Siehe dagegen BFH v. 9.11.2011 – I R 54, 55/10, BStBl. II 2012, 106 zum alten DBA mit Großbritannien und die Änderung von § 14 KStG durch die „kleine Organschaftsreform“. 41 Siehe dazu jüngst BFH v. 26.6.2013 – I R 48/12, BFH/NV 2013, 2002 sowie § 50d Abs. 1 Satz 11 EStG – AmtshilfeRLUmsG ab 30.6.2013.

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I. Protokoll Auf das Protokoll zur DE-VG wurde bei den einzelnen Artikeln bereits im Zusammenhang eingegangen. Generell sollte in einem DBA wegen der besseren Übersichtlichkeit alles den einzelnen Artikeln zugeordnet und auf ein Protokoll als weiteres Dokument verzichtet werden.

J. Schlussbestimmungen Art. 31 DE-VG betrifft das Inkrafttreten, Art. 32 DE-VG die Kündigung eines DBA.

K. Fazit Das Fazit fällt kurz aus. Die DE-VG ist uneingeschränkt zu begrüßen. Ein großer Wurf ist sie aber nicht und soll es angesichts ihrer Aufgabe als „starting point“ für DBA-Verhandlungen auch nicht sein. Gerade im Zeitalter von BEPS tritt hinzu, dass Abkommenspolitik auch Zielkonflikte auflösen muss. In diesem Kontext bedarf die DE-VG der kontinuierlichen Fortentwicklung und sollte auch die umstrittenen, hier aufgezeigten Einzelpunkte und Streitfragen angehen und sich dazu positionieren. Neben einem Beitrag zur Steuergerechtigkeit in Zeiten von BEPS sollte und könnte sie dabei vor allem auch einen Beitrag zur Handhabbarkeit des Steuerrechts leisten. Wie auch das mittelbar über den Neuabschluss und die Revision bestehender DBA oder die Aufgabe von zu bestehenden DBA vertretenen Rechtspositionen der Finanzverwaltung gehen könnte, wurde im vorstehenden Beitrag an vielen Stellen aufgezeigt (Definition der Immobilienkapitalgesellschaften, Entstrickung, Unmittelbarkeitserfordernis bei Schachteldividenden, keine Lizenzschranken, Begrenzung der „Subject-to-tax“-Klausel durch Definition von „Hindernis“ und „Einkunftsteilen“, Anrechnung auf die Gewerbesteuer). So verstanden und weiterentwickelt könnte die DE-VG für das BMF die Bedeutung bekommen, die für ein Unternehmen im Bereich der Verrechnungspreise das zentrale sog. „master file“ hat.

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Deutsche Abkommenspolitik – aktuelle Praxisfragen und neue deutsche Verhandlungsgrundlage Podiumsdiskussion Leitung Prof. Dr. Jürgen Lüdicke Rechtsanwalt, Steuerberater, International Tax Institute, Universität Hamburg Teilnehmer Prof. Dr. Dietmar Gosch Vors. Richter am Bundesfinanzhof, München/Christian-AlbrechtsUniversität zu Kiel Dr. Berend Holst Volkswagen AG, Wolfsburg Hans-Herbert Krebühl ExxonMobil Central Europe Holding GmbH, Hamburg

Dr. Friedrich Loschelder, LL.M. (Edinb.) Richter am Finanzgericht, Hamburg Dr. Dirk Pohl McDermott Will & Emery LLP, München Dr. Achim Pross Leiter Abteilung internationale Zusammenarbeit und Finanzverwaltung, OECD, Paris

Prof. Dr. Lüdicke Herr Pohl, vielen Dank für Ihren Überblick über die aktuelle DBA-Politik und die Verhandlungsgrundlage. Herr Holst, darf ich Sie bitten den Auftakt zu machen und die Sicht der Wirtschaft zu diesen Themen darzustellen? Dr. Holst Generell bewertet die Wirtschaft die Veröffentlichung der deutschen DBA-Verhandlungsgrundlage und deren Inhalt positiv. Es gibt insbesondere eine gewisse Rechtssicherheit. Die Verhandlungsgrundlage zeigt aber – und da stimme ich Herrn Pohl voll zu – das Dilemma zwischen der Sicherung des deutschen Steuersubstrats einerseits und den Begehren der Quellenstaaten, insbesondere der BRIC-Staaten, andererseits. Das wird nach meiner Einschätzung eines der wesentlichen Zukunfts-

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Podiumsdiskussion: Deutsche Abkommenspolitik

themen werden. Denn die genannten Staaten schlafen nicht und sehen schon, dass sie große Märkte haben und für exportorientierte Länder attraktiv sind. Für Unternehmen ist aber das Thema Rechtssicherheit wichtig, und die Unternehmen zahlen in der Regel gern Steuern auf 100 % ihres Gewinns, aber sie reagieren allergisch auf Doppelbesteuerung. Wenn man einmal im Detail betrachtet, wo die Verhandlungsgrundlage vom Musterabkommen der OECD abweicht, so ist aus Sicht der Industrie positiv auf den Betriebsstättenbegriff zu verweisen, der von anderen Staaten weiter ausgelegt wird. Mit Spannung bleibt abzuwarten, wie die praktische Umsetzung des AOA in Art. 7 Abs. 2 OECD-MA funktioniert. Gut für die Wirtschaft ist zudem, dass keine Quellensteuern auf Zinsen und Lizenzen erhoben werden sollen. Die Anrechnungsproblematik ist erläutert worden. Eine solche Anrechnung bei der Gewerbesteuer hinzubekommen, ist wünschenswert; indes mir fehlt so recht der Glaube, so dass in den Fällen ausländischer Quellensteuern zwangsläufig Anrechnungsüberhänge drohen. Erlauben Sie mir in dem Kontext Lizenzzahlungen noch einen kleinen Exkurs zur derzeit diskutierten Lizenzschranke: Wenn man diese so ausgestaltet wie die Zinsschranke, nämlich erst einmal die Lizenzeinnahmen mit den Lizenzausgaben saldiert, dürften deutsche Unternehmen im Inland eigentlich keine Schwierigkeiten haben, weil wir in Summe eher Lizenzgeber als Lizenznehmer sind. Trotzdem eine Warnung, falls dieses im Ausland nachgeahmt würde. Eine solche Regelung im Ausland würde zwar nicht zulasten des deutschen Fiskus gehen, aber die Lizenzzahlungen, die ausländische Tochterunternehmen nach Deutschland leisten, wären dann im Ausland gegebenenfalls nicht mehr steuerlich abzugsfähig. Das wäre ein Vertrag zulasten der deutschen Industrie. Zurück zur DBA Verhandlungsgrundlage: Rechtsunsicherheit verspricht auch der Methodenartikel. Das BFH-Urteil und die Konsequenzen aus dem BMF-Schreiben würde ich aber gerne der Kommentierung kompetenterer Stellen überlassen. Prof. Dr. Gosch Herr Holst: Bevor wir eine Lizenzschranke kreieren, sollte vielleicht erst einmal Rechtsgewissheit erreicht werden, was die Zinsschranke anbelangt. Ist diese denn verfassungsrechtlich über jeden Zweifel erhaben? Die Frage stellt sich dem BFH gerade, wenn auch nur in einer Sache des vorläufigen Rechtsschutzes. Wir werden mal sehen, was wir daraus ma-

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chen. Leider ist heute kein Vertreter der Finanzverwaltung auf dem Podium, den wir dazu befragen könnten. Prof. Dr. Lüdicke Ja, das ist sehr bedauerlich. Prof. Dr. Gosch Sehr bedauerlich. Nun aber zu dem Muster der deutschen Verhandlungsgrundlage. Ich war mit Herrn Lüdicke und auch anderen am 18. April 2013 auf dem Podium im BMF, und ich bin dort danach gefragt worden, wie ich denn nun die ins Auge gefasste neue Präambel verstehe. Die Präambel, die in diesem Verhandlungsprotokoll vorgesehen ist, geht nämlich dahin, vermittels des Abkommens nicht nur die doppelte Besteuerung zu vermeiden, sondern eben auch Steuerverkürzungen, wobei darunter augenscheinlich die doppelte Nichtbesteuerung verstanden werden soll. Diese „Wesenserweiterung“ von DBA, also von Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung hin zu solchen der Doppelnichtbesteuerung, lässt sich unter dem verfassungsrechtlichen Gesichtspunkt der Leistungsfähigkeit sicherlich gut rechtfertigen. Zu Ende gedacht bedeutet das aber zugleich: Die Freistellungsmethode wird praktisch aufgegeben, und damit auch eine Reihe von Vorteilen, die mit dieser Methode verbunden sind. Dazu zählt vor allem, dass es dem inländischen Rechtsanwender erspart bleibt, einen Blick auf das ausländische Steuerrecht zu werfen. Dieser bisher hochgehaltene Vorteil der Freistellung wird jetzt letzten Endes beiseite geschoben. Und das, obschon der „Keinmalsteuer“ keineswegs, wie aber suggeriert wird, immer eine Steuerverkürzung zugrunde liegen muss. Die tatsächliche Nichtbesteuerung kann ein überaus heterogenes Bündel von Ursachen haben. Ursache kann die Standortpolitik des anderen Vertragsstaats sein, die Absicht, durch einen Steuerverzicht Kapital anzuziehen; der Steuerverzicht kann ein umfassender sein, er kann sich aber auch in einem niedrigeren Steuersatz widerspiegeln. Ursache können Verjährungsfragen sein. Es können Verfahrenserwägungen sein, etwa der Eintritt der Bestandskraft. Es können Qualifikationskonflikte sein und schließlich denn auch in der Tat eine Steuerverkürzung. Will man hier unterscheidend vorgehen? Oder gänzlich unterschiedslos auf den Umstand der tatsächlichen Nichtbesteuerung von Einkünften oder gar bloß von Einkunftsteilen im anderen Vertragsstaat abstellen? Letzteres wäre ein hoher Preis! Man muss sich dann ggf. vor Augen führen: Wie ist es z.B.,

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Podiumsdiskussion: Deutsche Abkommenspolitik

wenn der andere Staat nach seiner Einkunftsqualifikation zwar kein Besteuerungsrecht für sich reklamiert, wenn er aber eine Besteuerung ohnehin unilateral preisgibt, etwa durch eine Vorschrift, wie wir sie in § 8b Abs. 1 KStG kennen? Fällt das dann auch darunter? Ist das dann eine tatsächliche Nichtbesteuerung? Also in der praktischen Umsetzung eine ungemein komplexe Vorschrift. Im Ergebnis höhlt man den Freistellungsgedanken aus. Insofern ist das aus meiner Sicht eine bedenkliche Entwicklung. Vom Allgemeinen zum Besonderen: Entstrickung durch Schaffen eines DBA, also die handlungsunabhängige Entstrickung, die nicht durch ein Agieren des jeweils Steuerpflichtigen bewirkt wird, indem dieser eben einen entstrickungsauslösenden Tatbestand verwirklicht. Die Entstrickung wäre vielmehr eine fremdbestimmte, eine unfreiwillige. Das scheint aber im Sinne des Gesetzgebers zu liegen, wie auch das neue DBA Liechtenstein ja ganz dezidiert zeigt, das diesen Fall des neu verhandelten DBA ausdrücklich als Entstrickungsfall benennt. Letztlich wird eine solche fremdbestimmte Entstrickung hinzunehmen sein. Es genügt die objektive Tatbestandsverwirklichung, auf das Entstrickungsmotiv kommt es nicht an. Aktuell und wohl zustimmend diskutiert wird das derzeit ja auch im Anschluss an die Entscheidung des BFH1 zu der verhinderten Vermögensmehrung der Ferienhausbesitzer und im Zusammenhang damit dem neuen DBA Spanien.2 Stichwort Aktivitätsklauseln. Solche haben Sie, Herr Pohl, wenn ich das recht verstanden habe, so wie sie hier in der Verhandlungsgrundlage ausgeformt worden sind, wohlwollend begleitet. Ein Aspekt, der mir beim Hören kam: Der BFH hat eine vergleichbare Aktivitätsklausel im unilateralen Zusammenhang, nämlich in § 2a Abs. 2 EStG, als unionsrechtlich problematisch eingestuft, weil sie ohne die Möglichkeit eines Gegenbeweises im Einzelfall der Missbrauchsverhinderung dient,3 diese Entscheidung wird seitens der Finanzverwaltung nicht angewandt.4 Derartige Gedanken gelten im Abkommenszusammenhang jedoch nicht. Ein etwaiger Grundfreiheitsverstoß ließe sich wohl mit der Formel von der ausgewogenen Aufteilung des Besteuerungssubstrats rechtfertigen, wenn sich die Vertragsstaaten denn auf eine Aktivitätsklausel verständigen.

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BFH v. 2.10.2013 – I R 109–111/10, BStBl II 2013, 1024. Z.B. Behrenz, IStR 2013, 837. BFH v. 29.1.2008 – I R 85/06, BStBl. I 2008, 671. BMF v. 4.8.2009, BStBl. I 2008, 837.

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Weiteres Stichwort: Anrechnung auf die Gewerbesteuer. Eine solche Anrechnung mag systematisch sinnvoll, ja geradezu zwingend sein. Die abkommensrechtlich vereinbarte Anrechnung fällt sonst für die Gewerbesteuer, obschon diese in den sachlichen Regelungsbereich des Abkommens regelmäßig einbezogen wird, aus. Der Städte- und Gemeindebund wird sich aber hinreichend lobbyistisch einbringen, und es wird nicht dazu kommen. De lege lata fehlt eine Anrechnung auf die Gewerbesteuer jedenfalls, und sie lässt sich nicht im Auslegungswege herstellen. Eine Frage, die ich vielleicht auch noch einmal in die Runde werfe und die sich mir auch anlässlich des besagten Symposiums im BMF gestellt hat, auf die ich keine Antwort bekommen habe. Nämlich: Wird es ein begleitendes Mustergesetz, ein Anwendungsgesetz geben, das die bilateral auszuhandelnden Verträge mit den anderen Staaten unilateral absichert, indem man dem Gericht, der dritten Gewalt und dem anderen Rechtsanwender sozusagen die Auslegung an die Hand gibt? Das wird, wie ich weiß, diskutiert und wir haben derzeit bereits eine Regelung, die das schon partiell versucht, nämlich in § 50d Abs. 10 EStG. Glaubt man den Gesetzesmaterialien, dann handelt es sich hierbei nicht um ein Treaty Override, durch das nationale Sondervergütungen in abkommensrechtliche Unternehmensgewinne umgeformt werden, sondern um ein „Auslegungsoktroi“, einen Anwendungsbefehl, auch wenn dieser dem widerspricht, was das Gericht qua Auslegung dem DBA entnimmt. Das ist auch staatsrechtlich ein höchst problematischer Eingriff. Und last but not least: Die schon angesprochene Atomisierung der Einkunftsteile. In der Tat kann man das nur kritisch beleuchten, und ich verweise dazu auch auf meine Eingangsworte zu den Rückfallklauseln. Mit gesetzlicher Einfügung eines „Soweit“ ist es in der Tat nicht getan. Ich darf in diesem Zusammenhang auch auf eine Entscheidung des BFH hinweisen, wonach Betriebsstätteneinkünfte, die aus einer Vielzahl von Einkünften gespeist werden, auch aus Dividenden durch Kapitalbeteiligungen, auch aus Sicht des Abkommensrechts in ihrer Gesamtheit Unternehmensgewinne sind.5 Der BFH atomisiert Dividendeneinkünfte also nicht, sondern schließt sie in den gewerblichen Bereich ein. Und das widerspräche dem, was jetzt möglicherweise in der Verhandlungsgrundlage angedacht ist.

5 BFH v. 24.8.2011 – I R 46/10, IStR 2011, 925.

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Prof. Dr. Lüdicke Vielen Dank, Herr Gosch. Es widerspricht ja vor allen Dingen auch dem, was in dem von Herrn Pohl erwähnten BMF-Schreiben vom 20. Juni 2013 drinsteht, welches ja für die alten DBA gelten soll. Und es ist immerhin erstaunlich, dass in dem BMF-Schreiben weder dieses Urteil noch ein früheres Urteil6 Ihres Senats Erwähnung findet, in dem auch schon gesagt worden ist, es darf nicht atomisiert werden. Es ist noch nicht einmal ein BFH Decision Override. Dr. Loschelder Wenn ich so etwas lese, stelle ich mir immer als erstes die Frage: Was passiert eigentlich, wenn das in einem Prozess auftaucht, wenn es also in einem finanzgerichtlichen Verfahren um ein DBA geht, das auf der Verhandlungsgrundlage beruht? Neu ist hier beispielsweise, dass in der Präambel als Ziel des Abkommens die Vermeidung der Nichtbesteuerung aufgeführt ist. Hat das in irgendeiner Weise normativen Charakter für die Auslegung einzelner DBA-Regelungen? Dazu haben Sie, Herr Lüdicke, in der IStR geschrieben, es handle sich lediglich um eine Absichtserklärung.7 Aber was ist, wenn ich bei der Auslegung einzelner Klauseln kein definitives Ergebnis erziele? Kann ich dann unter Rückgriff auf die Präambel sagen, im Zweifel solle eine Nichtbesteuerung vermieden werden? Ich halte das ebenfalls für fraglich. Bemerkenswert ist darüber hinaus die Mechanik dieser neuen Subjectto-tax-Klausel im Art. 22 der Verhandlungsgrundlage. Dort ist unter Abs. 1 Buchstabe e) Doppelbuchstabe bb) vorgesehen, dass die Doppelbesteuerung durch Steueranrechnung vermieden wird, wenn der Vertragsstaat Einkünfte oder „Einkunftsteile“ tatsächlich nicht besteuert. Das wirft die Frage auf, welche Konsequenzen sich aus einer solchen Bestimmung in einem Finanzgerichtsprozess in Bezug auf die Beweislast ergeben. Vom grundsätzlichen Verständnis her – wir haben als Regel die Steuerfreistellung und als Ausnahme die Steueranrechnung – müsste die Beweislast insofern die Finanzverwaltung treffen, die sich darauf beruft, dass ein Switch-over stattfinden soll. Allerdings wird das Ganze flankiert von § 90 Abs. 2 AO, die erhöhte Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen bei Auslandssachverhalten, auf die sich auch das BMF in

6 BFH v. 27.8.1997 – I R 127/95, BStBl II 1998, 58. 7 Lüdicke, Beihefter zu IStR 2013, Heft 10, S. 26 (27).

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Podiumsdiskussion: Deutsche Abkommenspolitik

seinem Schreiben vom 20.6.2013 beruft.8 Danach träfe die Nachweispflicht für die Besteuerung im Ausland den Steuerpflichtigen. Dementsprechend verlangt das BMF die Vorlage von ausländischen Steuerbescheiden und Zahlungsbelegen. Wie sich das im Einzelfall gestaltet, kann, denke ich, sehr problematisch werden. Denn im Grunde muss der Steuerpflichtige einen Negativbeweis führen: Er macht geltend, dass in seinen ausländischen Einkünften keine steuerfreien Einkunftsteile enthalten sind. Allgemein gilt in solchen Fällen, dass es zunächst einmal dem Prozessgegner – hier also den Steuerbehörden – obliegt, substantiiert Tatsachen oder Umstände vorzugtragen, die für das Vorliegen steuerfreier Einkunftsteile sprechen9. Die Frage ist allerdings, ob man im Hinblick auf § 90 Abs. 2 AO auf diese allgemeinen Regeln wird zurückgreifen können. Prof. Dr. Lüdicke Vielen Dank, Herr Loschelder. Ich glaube, gerade der letzte Punkt ist ja ein sehr spannender Punkt, leider gerade für die Unternehmen, die letztlich ihre Steuererklärung unterschreiben müssen. Denn die eine Frage ist, wer muss vor Gericht was beweisen oder gegebenenfalls vorlegen. Aber kann der Unternehmer noch seine Steuererklärung, die ja strafbewehrt ist, abgeben, wenn er nicht genau weiß, was da im Ausland vorgeht? Wir machen im immer größeren Umfang die deutsche Besteuerung von ausländischen Tatbestandsmerkmalen nach ausländischem Steuerrecht abhängig. Die Subject-to-tax-Klausel ist ein Beispiel, Korrespondenzprinzip ein weiteres, § 14 Abs. 1 Satz 1Nr. 5 KStG noch ein weiteres. Das muss der Unternehmer alles im Grunde, wenn er die Steuererklärung unterschreibt, positiv wissen. Und wenn er das nicht weiß, was macht er eigentlich? Dr. Loschelder Dazu vielleicht noch eines: Wir haben im deutschen Prozessrecht, auch im finanzgerichtlichen Verfahren, nach wie vor die Regel, dass die Auslegung ausländischen Rechts allein Sache des Finanzgerichts als erste Instanz ist, als Tatsacheninstanz. Im Prinzip ist, was auch immer das Finanzgericht als Gegenstand des ausländischen Rechts feststellt, revisi8 BMF v. 20.6.2013, BStBl. I 2013, 980, Tz. 2.4. 9 Vgl. allg. BFH v. 19.4.2007 – V R 48/04, BStBl II 2009, 315; s auch FG BadenWürttemberg v. 16.1.2012 – 12 V 2793/11, juris; ferner: Zöller, ZPO, Vor § 284 Rz. 24.

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onsfest im Sinne des § 118 Abs. 2 FGO. Das ist meiner Ansicht nach im Grunde nicht mehr zeitgemäß. Eigentlich dürfte sich im Zeitalter der Globalisierung auch ein Revisionsgericht nicht darauf zurückziehen, dass es ausländisches Recht nicht kennt und nicht kennen muss. In der Praxis sieht das unter Umständen dann auch ganz anders aus. So hat der BFH10 im Rahmen seines Urteils zur britischen Claw-Back-Besteuerung eigentlich entgegen dieser Regel Feststellungen zum britischen Recht getroffen, die entgegengesetzt zu dem waren, was das Finanzgericht als Tatsacheninstanz festgestellt hatte. Aber das ist, wie gesagt, meiner Meinung nach vom Ergebnis her auch richtig. Man müsste das vielleicht bloß einmal explizit sagen, dass diese Regel so nicht mehr gilt oder gelten sollte. Prof. Dr. Gosch Erlauben Sie mir dazu doch noch einen Einspruch, Herr Loschelder. Die Feststellungen des ausländischen Rechts sind Tatsachenstoff. Im Zweifel bedarf es eines Sachverständigen, um diesen Stoff zu eruieren, oder der Tatrichter glaubt das, was die Beteiligten vorbringen und stellt das dann schlicht unstreitig. Das Revisionsgericht ist dann an diesen tatrichterlich festgestellten Stoff gebunden. Das gebietet § 118 Abs. 2 FGO. Genügen uns die tatrichterlichen Feststellungen nicht, wird die Sache normalerweise an das FG im Rahmen einer Zurückverweisung zurückgereicht. Es ist dann weiter aufzuklären. Das alles ist gängige Praxis und resultiert aus der funktionalen Aufgabenverteilung der Instanzen. Was konkret die Claw-Back-Besteuerung anbelangt: Auch dort ist der Senat wie beschrieben vorgegangen. Er hat sich dann allerdings das ihm zugewiesene Recht herausgenommen, den festgestellten Tatsachenstoff zu würdigen. Prüfungsmerkmale, die das Revisionsgericht legitimieren, sich von der Tatsachenwürdigung zu distanzieren, sind neben etwaigen Verfahrensfehlern die Gesetze der Logik, die Denkgesetze, hier insbesondere die Plausibilität des Gewürdigten mit dem Festgestellten. Die Auslegung, die das Finanzgericht einer ausländischen Vorschrift hat angedeihen lassen, muss eben nicht unbedingt diejenige sein, die sich mit dem deckt, was tatsächlich festgestellt worden ist. Mit „modernen Ansprüchen“ hat das eigentlich nichts zu tun, vielmehr nur mit Revisionsrecht. Mehr könnte der BFH ja auch nicht tun als das FG, nämlich im Zweifel einen Sachverständigen zu beauftragen. Insofern meine ich

10 BFH v. 9.12.2010 – I R 49/09, BStBl II 2011, 482.

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doch, dass der bisherige Stand der Dinge im Prozessrecht hinreichend Sorge trägt, um dies alles zu berücksichtigen. Krebühl Ich möchte gerne das, was Herr Gosch zutreffend zur Freistellungsmethode gesagt hat, noch um einen Aspekt ergänzen. Die Freistellungsmethode steht Deutschland als einer der größten Exportnationen der Welt nicht nur gut zu Gesicht, sie ist nach meiner festen Überzeugung auch unabdingbar und eine wesentliche Grundlage für die erfolgreichen Investitionen deutscher Unternehmen im Ausland. Leider Gottes sieht aber nicht nur die Verhandlungsgrundlage, sondern auch der Koalitionsvertrag weiße Einkünfte, sprich Einkünfte, die nirgendwo auf der Welt besteuert werden, als das Grundübel per se an. Dem kann man vielleicht zustimmen in bestimmten Bereichen, vor allem wenn man an passive Einkünfte denkt. Wenn man aber daran denkt, dass ein deutsches Unternehmen in einem Staat investiert, der keine Steuer erhebt, so etwas gibt es immer noch, z.B. auf der arabischen Halbinsel oder in einem Entwicklungsland, das einen Tax Holiday gewährt, dann sagt sowohl die Verhandlungsgrundlage als auch der Koalitionsvertrag, dass in diesem Fall die Anrechnungsmethode greifen soll. D.h. das deutsche Unternehmen, das dort über eine Tochtergesellschaft investiert, muss den Gewinn, der national aus guten Gründen steuerfrei gestellt wird, in Deutschland nachversteuern. Da kann man sagen, das ist ja nur gerecht, das entspricht dem Leistungsfähigkeitsprinzip. Mag ja alles schön und gut sein. Am Ende des Tages schneidet sich aber Deutschland damit auch wieder ins eigene Fleisch, weil die deutschen Unternehmen dann nicht mehr konkurrenzfähig im Ausland sind. Weil Unternehmen, die aus anderen Ländern in diesen Staaten investieren, eben bei dieser Nullbesteuerung bleiben und das deutsche Unternehmen wesentliche höhere Kosten hat. Noch in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts war dieses eine Grundüberzeugung, die auch von allen Politikern und allen Leuten in der Finanzverwaltung geteilt wurde. Warum das jetzt auf einmal nicht mehr der Fall ist, entzieht sich meiner Kenntnis. Dr. Holst Ich würde das voll teilen, aber, Herr Krebühl, dass angedacht ist, bei wirklich aktiven ausländischen Tochtergesellschaften von der Freistellungs- auf die Anrechnungsmethode überzugehen, habe ich so noch nicht wahrgenommen. Ich kann nur davor warnen.

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Podiumsdiskussion: Deutsche Abkommenspolitik

Krebühl Schauen Sie sich die Verhandlungsgrundlage an und die Erläuterung dazu. Dort werden nur Gewinnverlagerungen, also unterschiedliche Zeitpunkte, in denen ein Gewinn versteuert wird, nicht als ein Grund angesehen, von der Subject-to-tax-Klausel Gebrauch zu machen. Aber was anderes nicht. Prof. Dr. Lüdicke Vielleicht muss man da doch unterscheiden: Sie haben sicherlich recht bei Betriebsstätten, bei denen die Freistellung für aktive und passive Einkünfte von der tatsächlichen Besteuerung abhängig gemacht werden soll. Für Tochterunternehmen gilt das so zwar nicht. Aber die Unterscheidung ist problematisch, denn das ist ja ein ganz starker Eingriff in die Gestaltungsautonomie der Unternehmen, wie sie sich nämlich im anderen Staat niederlassen wollen. Wir können allerdings, Herr Krebühl, zur Zeit nur hoffen, dass das Finanzministerium die Verhandlungsgrundlage zumindest in einem Punkt ändert: Das Schachtelprivileg bei Dividenden wird von der Besteuerung dieser Einkünfte im anderen Staat abhängig gemacht. Dies bezieht sich auf die Besteuerung der Dividende als solcher und nicht auf den zugrundeliegenden ausgeschütteten Gewinn. Letzteres ist in Ordnung und gut, Ersteres allerdings völlig unsinnig. Wenn nämlich der andere Staat, wie beispielweise Großbritannien, auf Dividenden keine Quellensteuer erhebt oder daran, z.B. durch die Mutter-Tochter-Richtlinie, gehindert ist, darf die unterbleibende Quellenbesteuerung der Dividende in Deutschland nicht zum Anlass für deren Besteuerung genommen werden. Es gibt da einfach nichts auszugleichen, denn die Nichterhebung der Quellensteuer dient der Vermeidung der wirtschaftlichen Doppelbesteuerung. Die Klausel ist nicht zu Ende gedacht und gehört gestrichen. Krebühl Ich hoffe, dass ich auch mal Widerspruch zu meiner These aus der Finanzverwaltung erhalte. Ich habe das schon mehrfach vorgetragen, wenn Vertreter der Finanzverwaltung dabei waren, und habe bisher von denen keinen Widerspruch erhalten.

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Podiumsdiskussion: Deutsche Abkommenspolitik

Dr. Pross Ein ganz kurzes Wort, ein bisschen weiter gegriffen aus der Sicht eines OECD-Vertreters und auch in Anbetracht der Zeit halte ich mich wahrscheinlich etwas darin zurück, die deutsche Verhandlungsgrundlage zu kommentieren. Aber auf die Debatte, die Ihrem Vortrag am Anfang auch sehr zentral zu Grunde lag, nämlich die BRIC, die Quellensteuer und das Wohnsitzstaatprinzip, würde ich sehr gerne eingehen. Ich glaube, es ist sehr wichtig, dass man auch die Entwicklung der BRIC betrachtet. Die BRICS sind nicht alle gleich, und das muss man im Auge behalten. Es gibt wirtschaftliche Positionen, die sich verschieben, zum Beispiel wenn wir hier vom Exportweltmeister Deutschland sprechen. Technisch ist das, glaube ich, gar nicht mehr richtig. Das sind nämlich eigentlich die Chinesen. Und das bringt bestimmte wirtschaftliche Positionen mit sich, die sich zunehmend auch in der Steuerpolitik auswirken. Das muss man berücksichtigen. Wenn Sie ein Beispiel nehmen, dann gibt es sicherlich zwischen Indien und China gleiche Tendenzen in den Fragen Marktzugang und dass dies ein wirtschaftliches und verrechnungspreisrelevantes immaterielles Wirtschaftsgut sei. Das sind große Märkte. Auf der anderen Seite, wenn Sie sich die Frage stellen, wie sich die Betriebsstättendebatte in Indien darstellt, dann ist das nicht das Gleiche wie bei den Chinesen. Es gibt auch, wenn man es jetzt aus deutscher Sicht sieht, deutsche Unternehmen, die inzwischen aus China nach Indien exportieren, und das wird durchaus berücksichtigt. Ich glaube, man muss auch sehen, dass wenn man China von außen betrachtet, dann sieht man ein Riesenland. Wenn man es von innen betrachtet, und wir arbeiten mit den Leuten ja relativ eng zusammen, zum Beispiel der Zentrale der SAT, der chinesischen Finanzverwaltung, die in Peking sitzt, die hat irgendwo zwischen 600 und 800 Leuten, dann ist das relativ klein für die Größe dieses Landes. Und da werden viele Fragen aufgeworfen. Die Anwendung der Verrechnungspreise ist inzwischen zentralisiert worden, das wird besser, aber da gibt es immer noch viele Sachen, wo auch an Kapazitätsbildung gedacht werden muss. So sind auch wir gefordert, in den Verrechnungspreisen zum einen etwas strenger zu werden, gerade im Bereich der immateriellen Wirtschaftsgüter, zum anderen aber auch Vereinfachungen einzuführen, damit das System der Verrechnungspreise handhabbar bleibt, z.B. durch die Schaffung von Safe-Harbours. Wenn Sie jetzt zum Beispiel an Brasilien oder Argentinien denken, da gibt es Kapazitätsfragen, aber auch Methoden, die teilweise gar nicht so im Widerspruch zum Arm’s Length Principle stehen. Und so müssen wir, wenn wir das Arm’s Length Principle beibe-

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Podiumsdiskussion: Deutsche Abkommenspolitik

halten wollen, versuchen, eben auch die Entwicklungsländer, die nun einfach mal wirtschaftlich bedeutender werden, in so ein System einzubinden und zu überlegen, was das bedeutet. Und wenn ich das noch abschließend sagen darf: Ich glaube, es ist sehr wichtig, auch für die deutsche Wirtschaft eine unnötige Blockbildung aus „hier sind die OECD-Länder, hier sind die BRIC-Staaten“ zu vermeiden, weil das gerade dazu führt, Gegensätze zu verhärten und Kompromisse zu erschweren. Da ist viel mehr grau als schwarz und weiß. Das, glaube ich, hilft uns allen gar nicht, und dieser Versuchung muss man widerstehen. Auch ist die OECD nun gar nicht so homogen, und sie haben Länder wie Australien, die in Punkto Quellen- versus Wohnsitzbesteuerung eventuell näher am Ansatz mancher BRIC-Staaten sind. Das ist eine Debatte, die offen gehalten und selektiv angegangen werden muss, wie wir das auch teilweise im Rahmen von BEPS machen. Dann haben wir alle mehr davon. Dr. Pohl Erster Punkt: Es ist absolut positiv, dass es diese Verhandlungsgrundlage gibt und dass es jetzt auch den Diskurs darüber gibt. Und ich habe die große Hoffnung, dass dabei eben auch die kritischen Punkte, die ich angesprochen habe, im Rahmen der Weiterentwicklung bedacht werden und man dabei zumindest erfährt, warum sie in der einen oder anderen Richtung gelöst werden oder warum sie keiner Lösung zugeführt werden sollen. Zweiter Punkt: Auch Herrn Pross mit der OECD kann man für das BEPS-Projekt wirklich nur sehr viel Glück wünschen. Ich habe immer ein wenig die Befürchtung, es verheißt uns eine Steuerwelt, in der alles gerecht zugeht, die es angesichts der nationalen Egoismen aber nicht geben wird. Man muss auch beachten, wenn man in verantwortlicher Position im Moment aufstehen würde und sagen würde, das Projekt ist ja gar nicht so toll: Könnte man das überhaupt politisch überleben und verantwortlich bleiben? Aber es ist manchmal so, dass man an Projekten mitwirken muss, aber längst nicht alle so enthusiastisch dabei sind, wie sie nach außen behaupten, vielleicht ist das auch die Situation in Deutschland in mancherlei Hinsicht.

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Praktische Auswirkungen der Umsetzung der EU-Amtshilferichtlinie Prof. Dr. habil. Günther Strunk Steuerberater Strunk Kolaschnik Partnerschaft mbB, Hamburg

A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . B. Konkrete Absichten des EUAHIG bzw. der EUAmtshilferichtlinie . . . . . . . . . C. Gesetzlicher Rahmen und Regelungsinhalt. . . . . . . . . . . . I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . II. Persönlicher und sachlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . 1. Sachlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Persönlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Prüfungsbefugnisse. . . . . . .

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III. Ausprägungsformen der Übermittlung von Informationen. . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Übermittlung von Informationen auf Ersuchen . . . . 2. Automatische Übermittlung von Informationen . . . 3. Spontanauskünfte . . . . . . . . 4. Sonstige Formen der Zusammenarbeit der Finanzverwaltungen . . . . . . . . . . . . D. Praktische Konsequenzen und Handlungsempfehlungen

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E. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98

A. Einführung Für das Verständnis der sich offenbarenden dramatischen Veränderung durch die Umsetzung des EU-Amtshilferichtlinie-Gesetzes auf Steuerpflichtige im Allgemeinen und Unternehmen im Besonderen erscheint es wesentlich zu sein, die Einbindung dieser gesetzlichen Maßnahmen in die Steuerpolitik der letzten Jahre in Europa wie in Deutschland genauer zu betrachten. Die offensichtlich in allen Gebietskörperschaften und allen Staaten anzutreffende Finanzknappheit hat viele Staaten dazu veranlasst, rigoroser gegen tatsächliche oder vermeintliche Steuerbetrüger vorzugehen. Während es selbstverständlich anzuerkennen ist, dass die jeweiligen Behörden gegen Steuerhinterzieher und Steuerbetrüger mit aller Schärfe vorgehen, ist es problematisch, wenn einzelne Staaten Personen, die ihre Lebensumstände in der Weise ändern, dass sie nicht mehr in einem Hochsteuerland besteuert werden, sondern in einem anderen Staat, bei dem die Steuerlast niedriger ist. Diese, wie die EU sie of-

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fensichtlich sieht, Steuerflüchtlinge werden undifferenziert mit den Steuerhinterziehern und Steuerbetrügern gleichgesetzt.1 So wird in der Begründung zu RL 2011/16 EU wie folgt ausgeführt: „In den letzten Jahren haben sich Steuerbetrug und Steuerhinterziehung zu einer erheblichen Herausforderung entwickelt und sind in der Europäischen Union sowie weltweit in den Mittelpunkt des Interesses gerückt. … Insbesondere in wirtschaftlich schwierigen Zeiten so wie jetzt sollten ehrliche Steuerzahler nicht durch zusätzliche Steuererhöhungen belastet werden, um durch Steuerbetrüger und Steuerflüchtlinge verursachte Einnahmeverluste auszugleichen.“ Auch der Koalitionsvertrag der amtierenden Großen Koalition formuliert in eine entsprechende Richtung2, wenn es dort als Ziel heißt: „Bekämpfung internationaler Steuerumgehungsstrukturen und Weiterentwicklung des BZSt zur zentralen Anlaufstelle der Länder zur Unterstützung der Steuerfahndungsstellen und zentrale Anlaufstelle für Gebietsfremde“. Wenngleich es nicht Gegenstand eines wissenschaftlichen Beitrages sein soll, sich polemisch über die Formulierung von Richtlinienbegründungen und zukünftigen Gesetzesvorhaben zu äußern, kommt man meines Erachtens im folgenden Fall nicht umhin, dies zu tun. Zunächst definiert die EU den Begriff des „Steuerflüchtlings“ nicht, aber aus der Wortwahl und dem Kontext ist zu erkennen, dass es sich hierbei um etwas anderes als einen Steuerbetrüger handelt. Soweit so gut. Nimmt man jedoch den zweiten Teil der Begründung, stellt man fest, dass ein Steuerflüchtling wohl auch kein ehrlicher Steuerzahler sein kann, denn Letztgenannter muss ja vor dem Erstgenannten geschützt werden. Die Tragweite einer solchen Formulierung ist beachtlich, denn natürlich kann es Steuerpflichtige geben, die sich vollständig an alle gesetzlichen Regelungen in allen Ländern halten, in denen das Gesetz eine Steuerpflicht vorsieht, so dass diese mit Fug und Recht behaupten können, dass sie gesetzestreu und ehrlich ihre Einkünfte angeben und versteuern. Die Tatsache, dass ein Steuerpflichtiger Einkünfte nicht mehr in Deutschland oder einem anderen Hochsteuerland versteuert, sondern in einem Staat, der geringere Steuern erhebt, ist nicht Ausdruck eines ge-

1 Begründung zum Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der RL 2011/16 EU bezüglich der Verpflichtung zum automatischen Austausch von Informationen im Bereich der Besteuerung, EU ABl. L 64/1. 2 „Deutschlands Zukunft gestalten“ – Koalitionsvertrag CDU, CSU und SPD, 18. Legislaturperiode, S. 65. https://www.cdu.de/sites/default/files/media/dokumente/koalitionsvertrag.pdf.

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setzeswidrigen Verhaltens, sondern folgt der betriebswirtschaftlichen Logik von Unternehmensentscheidern. Dies mag man in Einzelfällen für moralisch angreifbar halten, doch entzieht sich das Steuerrecht einer solchen Beurteilung als Teil des öffentlichen Rechts und damit des Eingriffsrechts. Eine Befolgung der Gesetze kann vom Steuerpflichtigen zu Recht verlangt werden, aber nicht mehr. Insbesondere kann man von Steuerpflichtigen nicht verlangen, dass sie den denkbar höchst möglichen Steuerbetrag bezahlen. Auch verkennt eine solche Argumentation, dass der Staat, der nun die Einkünfte besteuert, ein ebensolches Recht darauf hat, dass Einkünfte, die einen Bezug zu einem Hoheitsgebiet haben, dort besteuert werden. Politisch betrachtet ist die soeben dargestellte Argumentation nicht mehr und nicht weniger als die Abkehr vom Wettbewerb der Bedingungen der Staaten und somit auch vom Wettbewerb der Steuersysteme, die am Ende offensichtlich zur Harmonisierung der Ertragsteuern hinsichtlich Bemessungsgrundlage und Höhe führt, obwohl die EU hierfür keinen Harmonisierungsauftrag der Mitgliedstaaten hat. Aber abseits solcher doch eher politischen Überlegungen ist festzustellen, dass Unternehmen und Steuerpflichtige, die grenzüberschreitend tätig sind, auch wenn keine Gestaltungsabsicht vorliegt, in ein internationales Konfliktfeld zwischen den beteiligten Finanzverwaltungen geraten. Die Finanzverwaltung ist mit dem Umstand grenzüberschreitender Geschäftsaktivitäten in anderer Weise ebenfalls betroffen, denn hoheitliche Maßnahmen, wie z.B. auch Sachaufklärungsmaßnahmen und Zustellungshandlungen, sind nach Völkerrecht auf das eigene Staatsgebiet beschränkt. Unzulässig sind alle Maßnahmen auf fremdem Hoheitsgebiet.

B. Konkrete Absichten des EUAHIG bzw. der EU-Amtshilferichtlinie Durch die Regelungen zur internationalen Amtshilfe innerhalb der EU versuchen die Staaten ein Problem zu überwinden, welches spätestens seit der zunehmenden Internationalisierung der Geschäftsaktivitäten immer drängender wird: die Beschränkung behördlicher Maßnahmen auf das Hoheitsgebiet des eigenen Staates. Es geht daher unter anderem um die Überwindung des im Völkerrecht verankerten Territorialitätsprinzips der Staaten, dass keine Hoheitsakte auf einem fremden Staatsgebiet vorzunehmen sind durch Ziehung von Rechtsfolgen im innerstaatlichen Recht aufgrund von ausländischen Sachverhalten. Weitere

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Absichten, die mit dem Gesetzesvorhaben verbunden sind, sollen nachfolgend genannt werden: –

Bekämpfung von Steueroasen (wobei mittlerweile anerkannt wird, dass sich solche nicht nur außerhalb, sondern auch innerhalb der EU befinden),



Verhinderung der Steuerhinterziehung,



Vermeidung der als missbräuchlich empfundenen Steuergestaltungen,



Sicherstellung der Fähigkeit der nationalen Steuerbehörden, bei grenzüberschreitenden Sachverhalten Steuern ordnungsgemäß festsetzen zu können,



Zurverfügungstellung zeitgemäßer Instrumente für einen effektiven Informationsaustausch in Zeiten steigender Internationalisierung des Wirtschaftslebens3 und



Voraussetzung schaffen, damit das Funktionieren des europäischen Binnenmarktes sichergestellt wird.

Die EU-Kommission sieht in dem Erlass der Richtlinie auch keinen Verstoß gegen die Rechtsetzungskompetenz und führt hierzu wörtlich aus: „Da das Ziel dieser Richtlinie, nämlich die wirksame Zusammenarbeit zwischen den Verwaltungsbehörden der Mitgliedstaaten zur Bewältigung der negativen Folgen der zunehmenden Globalisierung für den Binnenmarkt, auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend verwirklicht werden kann und daher wegen der erforderlichen Einheitlichkeit und Wirksamkeit besser auf Unionsebene zu verwirklichen ist, kann die Union im Einklang mit dem in Artikel 5 des Vertrags über die Europäische Union niedergelegten Subsidiaritätsprinzip tätig werden. Entsprechend dem in demselben Artikel genannten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geht diese Richtlinie nicht über das zur Erreichung dieses Ziels erforderliche Maß hinaus.“4 Zwar kann man über diese Frage sicherlich intensiv diskutieren, aber der Grundtenor, dass unterschiedliche Besteuerungssysteme in den einzelnen EU-Staaten zu Wettbewerbsverzerrungen innerhalb des Binnenmarktes führen und damit die Grundfreiheiten beschränken, ist wohl nicht von der Hand zu weisen, wie auch die aktuellen Diskussionen über die Qualifizierung von

3 So beispielsweise die Formulierung in der Regierungsbegründung, BT Drucks. 17/10000, 42. 4 RL 2011/16/EU, Abl. L 64/1.

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Steuervergünstigungen als nicht zulässige Beihilfen und die geplante Änderung der EU-Mutter-Tochter-Richtlinie dies in der jüngsten Vergangenheit zeigen.

C. Gesetzlicher Rahmen und Regelungsinhalt I. Grundlagen Das EUAHiG ersetzt mit Wirkung zum 1.1.2013 das EG-Amtshilfe-Gesetz, welches an diesem Tage außer Kraft tritt. Die Vorschriften des EUAHiG sind in Art. 1 des „Gesetzes zur Umsetzung der Amtshilferichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften“5 aufgenommen worden und insoweit gem. Art. 31 Abs. 2 des AmtshilfeRLUmsG mit Wirkung vom 1.1.2013 eingeführt worden. Ebenfalls zu beachten ist in diesem Zusammenhang auch das EU-Beitreibungsgesetz vom 7.12.2011.6 Auch das Verhandlungsmuster für die zukünftigen deutschen Doppelbesteuerungsabkommen enthält in Art. 25 und Art. 26 entsprechende Regelungen für den Informationsaustausch und die Beitreibung.7 Diese unionsrechtlichen Rechtsakte gehen vermittels ihrer jeweiligen Umsetzung in das nationale Recht den Vorschriften über die Zustimmungsgesetze zu den jeweiligen DBA vor. Insoweit kann in DBA-Fällen zwischen EU-Staaten nur das EUAHiG zur Anwendung kommen, es sei denn, die Regelungen des anzuwendenden DBA gehen über den Inhalt des EUAHiG hinaus.

II. Persönlicher und sachlicher Anwendungsbereich 1. Sachlicher Anwendungsbereich Der sachliche Umfang erstreckt sich auf alle Steuern mit Ausnahme der Umsatzsteuer sowie der bereits harmonisierten Verbrauchsteuern. Der Schwerpunkt der Anwendung liegt hierbei sicherlich auf der Einkommensteuer, wobei sowohl die unterschiedlichen Erhebungsformen: Kapitalertragsteuer, Lohnsteuer, aber auch die Abzugssteuern nach § 50 EStG vor allem berücksichtigt werden sollen. Neben der Körperschaftund Gewerbesteuer soll der Informationsaustausch auch für das Investmentsteuergesetz zur Anwendung kommen. Letzterer offensicht5 BGBl. I 2013, 1809. 6 BGBl. I 2011, 2591. 7 BMF-Schreiben IV B 2 – S 1301/13/10009, Entwurf v. 22.8.2013.

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lich nicht zuletzt deshalb, um bekanntgewordene Steuergestaltungen wie CUM-EX-Strukturen besser verstehen und ermitteln zu können, und offensichtlich von der Hoffnung getragen, solche Gestaltungen frühzeitiger zu erkennen und gegebenenfalls hiergegen vorgehen zu können. Aber auch die immer wichtiger werdenden Bereiche der Substanzsteuern, vor allem für natürliche Personen, sind im Fokus der Amtshilfe und des Informationsaustausches. Hierbei kann es zu Situationen kommen, bei denen Deutschland ausländische Finanzverwaltungen um Informationen bittet, die die ausländische Finanzverwaltung zwar vom Steuerpflichtigen eingesammelt hat, aber hieraus derzeit noch keine Steuerfolgen gezogen hat. Als Beispiel möge die Regelung in Spanien gelten, nach denen in Spanien mit einem Wohnsitz ansässige Personen ihr gesamtes ausländisches Vermögen erklären müssen, ohne dass dieses Vermögen der spanischen Vermögensteuer unterliegt. Hat nun der deutsche Fiskus, z.B. im Rahmen einer Beurteilung eines einkommensteuerlichen oder erbschaftsteuerlichen Sachverhaltes, Interesse an dem weltweiten Vermögen des zu beurteilenden Steuerpflichtigen, kann eine solche Abfrage beim spanischen Finanzministerium vorgenommen werden. Ein weiteres Beispiel für einen möglichen Anwendungsbereich zeigt ebenfalls das Verhältnis zu Spanien. Nach dem aktuellen DBA Deutschland-Spanien hat nach Art. 13 des DBA Spanien das Besteuerungsrecht aus den Gewinnen aus der Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft, durch die der Steuerpflichtige mehrheitlich an einer spanischen Immobilie beteiligt ist. Beispiel: Denkbar wäre somit eine Struktur, bei der eine natürliche Person 100 % der Anteile an einer deutschen GmbH hält, die ihrerseits wiederum 100 % der Anteile an einer spanischen S.L. innehat, deren Vermögen ausschließlich aus einer in Spanien belegenen Immobilie besteht. Die natürliche Person erzielt aufgrund einer Wertsteigerung in der Immobilie einen Veräußerungsgewinn aus dem Verkauf der Anteile an der inländischen GmbH. Spanien kann das ihr durch nationales Steuerrecht entstandene und durch das Abkommensrecht gewährte Besteuerungsrecht nur ausüben, wenn es Informationen über den stattgefundenen Verkauf erhält. Ungeachtet der Tatsache, wie im Einzelfall eine Finanzverwaltung überhaupt Kenntnis von solchen Vorgängen bekommen kann, könnte dies ein Anwendungsfall des Informationsaustausches sein, der anders als die meisten DBA-Auskunftsklauseln nicht auf die Durchführung des Abkommens beschränkt ist, sondern auf die Wahrnehmung des nationalen Besteuerungsrechts. Vermutlich wäre im konkreten Fall der Informationsaustausch auch bereits über die DBA-Regelung möglich gewesen.

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2. Persönlicher Anwendungsbereich Mittelbar betroffen aus der Amtshilfe bzw. dem Informationsaustausch sind die Personen, deren steuerliche Verhältnisse Gegenstand der behördlichen Maßnahmen sind oder die Informationen über die steuerlichen Verhältnisse Dritter haben, die offengelegt werden. Betroffen sind somit natürliche und juristische Personen sowie Personenvereinigungen, denen die Rechtsfähigkeit zuerkannt wird, ohne jedoch juristische Person zu sein, wobei hierunter vor allem Personengesellschaften fallen. Bedeutend ist jedoch die Einbeziehung von offensichtlich existenten Rechtsgebilden, die unabhängig ob sie rechtsfähig sind oder nicht, die Aufgabe haben, Vermögensgegenstände zu besitzen oder zu verwalten, sofern sie einschließlich der daraus erzielten Einkünfte einer der oben genannten Steuern unterliegen. Nicht so sehr für die Unternehmenspraxis, aber gleichwohl für die Vermögensanlage von vermögenden Privatpersonen ist wichtig, dass durch die gewählte gesetzliche Formulierung Stiftungen nach deutschem oder ausländischem Recht der EU ebenso erfasst werden sollen wie Trusts nach angelsächsischem Recht. Unklar ist demgegenüber, ob Family Offices und andere Kapitalsammelstellen, die beispielsweise nur die Vermögensgegenstände verwalten, nicht aber zur Einbehaltung von Steuern verpflichtet sind, in den Anwendungsbereich fallen. In jedem Fall ist gem. § 7 EUAHIG die Ansässigkeit der Person im anderen Mitgliedstaat erforderlich. Dies führt im Ergebnis dazu, dass die ausländischen Rechtsformen erfasst werden und die Finanzverwaltung nach dem jeweiligen Recht des Ansässigkeitsstaates zu entscheiden hat, ob es sich um eine Person im Sinne des § 7 EUAHIG handelt. Durch das Abstellen auf die Ansässigkeit ist meines Erachtens nicht klar, ob hiervon auch Betriebsstätten erfasst werden. Dies ist wohl immer dann der Fall, wenn die Betriebsstätte auch den Ort der Geschäftsleitung darstellt und somit eine Ansässigkeit nach den Regeln des Abkommensrechts und des nationalen Steuerrechts begründet. In allen anderen Fällen dürfte eine Anwendung auf Gesellschaften in Drittstaaten mit EU-Betriebsstätte nicht in den Anwendungsbereich fallen. Gestaltungsidee: Durch die Nichterfassung gewöhnlicher Betriebsstätten von Drittstaatenunternehmen könnte es sinnvoll sein, nicht mit einer EU-Kapitalgesellschaft tätig zu werden, sondern, sofern vorhanden, mit einer Kapitalgesellschaft im Drittstaat.

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Weitere Tatbestandsvoraussetzung für den Informationsaustausch und die Amtshilfe bezogen auf eine Person im Sinne des § 7 EUAHIG ist darüber hinaus, dass es sich um voraussichtlich erhebliche Informationen in Steuersachen handelt. Der Begriff ist der Abkommenspraxis entlehnt, so dass hinsichtlich der Begriffsbestimmung auf die hierzu ergangene Kommentierung und Rechtsprechung verwiesen werden soll. Im Ergebnis soll den Finanzverwaltungen ein größtmöglicher Anwendungsbereich eröffnet werden, der aber gleichwohl seine Begrenzung im Verbot der „fishing expeditions“ findet, die weiterhin nicht zulässig sind. Bezieht man in die Bandbreite möglicher Anwendungsbereiche auch Gruppenanfragen ein, wird offensichtlich, dass es in Einzelfällen sehr schwierig sein wird, eine sachgerechte Abgrenzung zwischen zulässigem Ersuchen auf Informationsaustausch und Amtshilfe und unzulässigen „fishing expeditions“ vorzunehmen. Da es sich, wie noch zu zeigen sein wird, regelmäßig um ein internes Verfahren innerhalb der Finanzverwaltungen handelt, welches sich einer Prüfung im Vorfeld über die Zulässigkeit der Amtshilfe entzieht, kann nicht ausgeschlossen werden, dass Steuerpflichtige durch diese Verwaltungsmaßnahmen belastet werden, obwohl die Erlangung der Information nicht zulässig war. Das Rechtsschutzbedürfnis des Steuerpflichtigen ist im vorliegenden Fall aus meiner Sicht nicht ausreichend gewürdigt und geschützt. Insoweit besteht Handlungsbedarf beim Gesetzgeber, entsprechende Interessen zu schützen.

3. Prüfungsbefugnisse Neben den Finanzbehörden dürfen auch Gemeinden und Gemeindeverbände Amtshilfe in Anspruch nehmen. Letztere müssen jedoch nicht mitwirken, da es für eine solche Erweiterung der Pflichten der Gemeinden und Gemeindeverbände einer Grundgesetzänderung bedurft hätte, auf die man im vorliegenden Fall verzichtet hat. Das zentrale Verbindungsbüro in Deutschland ist das Bundeszentralamt für Steuern. Der Umfang der Prüfungsbefugnisse ausländischer Behörden im Inland sowie der Ausgestaltung der Amtshilfe und des Informationsaustausches bestimmten sich nach den EU-Verordnungen und ihren jeweiligen Durchführungsbestimmungen, die unmittelbar anwendbares Recht sind. Dies hat für den Steuerpflichtigen zur Folge, sich permanent über etwaige Änderungen der Durchführungsbestimmungen zu informieren.

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III. Ausprägungsformen der Übermittlung von Informationen Bevor auf die Ausprägungsformen der Übermittlung von Informationen eingegangen werden soll, erfolgen zunächst einige Anmerkungen zur Gewährung von Amtshilfe als solcher. Jede Finanzverwaltung, somit auch die deutsche, kann nur subsidiär die Hilfe der Verwaltung eines anderen Staates in Anspruch nehmen, also stets nur dann, wenn die eigenen Ermittlungsbemühungen erfolglos vorgenommen wurden. Wird die deutsche Finanzverwaltung zur Amtshilfe aufgefordert, müssen auch alle Tatbestandsvoraussetzungen für inländische Amtshilfe vorliegen, so dass insbesondere die Erforderlichkeit der Informationen für die Aufklärung gegeben sein muss. Auch die zwischenzeitlich weiter gefasste Formulierung in Art. 26 Abs. 1 OECD-MA „voraussichtlich erheblich“ gibt den Finanzverwaltungen nicht das Recht, sogenannte „fishing expeditions“ vorzunehmen. Das Problem für den deutschen Steuerpflichtigen ergibt sich bei Fällen der gewöhnlichen Amtshilfe jedoch daraus, dass es aus deutscher Sicht der Finanzverwaltung in ihrem Ermessen obliegt, zu entscheiden, ob dem Amtshilfeersuchen stattzugeben ist oder nicht. Hierbei darf das Beweismittel der Amtshilfe auch für die am Verfahren beteiligten Steuerpflichtigen unverhältnismäßig oder unzumutbar sein. Gem. § 4 Abs. 1 EUAHiG ist die Erteilung einer Auskunft auf Ersuchen zum Zwecke der Steuerfestsetzung in einem konkreten Einzelfall zwingend vorzunehmen. Es besteht die Pflicht zur Amtshilfe, unabhängig davon, ob die Information für die Steuerfestsetzung in Deutschland von Bedeutung ist oder voraussichtlich nur für die steuerliche Behandlung im anfragenden Staat. Eine Überprüfung des Auskunftsersuchens durch das BZSt ist weder geplant noch zumutbar. Es muss lediglich ein schlüssig vorgetragenes Auskunftsersuchen vorliegen. In § 4 Abs. 3 EUAHiG wird für die folgenden Fälle ein absolutes Informationsverbot festgeschrieben. Dies ist dann der Fall, wenn: –

Die Durchführung erforderlicher Ermittlungen oder die Beschaffung nach deutschem Recht nicht möglich ist,



der andere Mitgliedstaat die üblichen Informationsquellen nicht ausgeschöpft hat,

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ein Handels-, Gewerbe- oder Berufsgeheimnis oder ein Geschäftsverfahren preisgegeben werden würde oder



die öffentliche Ordnung verletzt würde.

Aus der Sicht des Steuerpflichtigen, über den die Auskünfte weitergegeben werden sollen, ist es nachteilig, dass er keinen Einfluss darauf hat, ob die deutsche Finanzverwaltung geprüft hat, ob ein absolutes Informationsverbot vorliegt. Insbesondere die Prüfung, ob der andere Staat seine eigenen Informationsquellen ausgeschöpft hat, wird regelmäßig in der Praxis von der deutschen Finanzverwaltung nicht möglich sein.

1. Übermittlung von Informationen auf Ersuchen Diese Form der Übermittlung von Informationen auf Ersuchen entspricht der Vorgehensweise aus den Abkommen. Vorhandene Informationen werden vom BZSt übermittelt. Hierbei stellt sich stets die Frage, ob der Steuerpflichtige über die Informationserteilung an die ausländische Finanzbehörde in Kenntnis gesetzt wird. Sofern die Informationen vorhanden sind, ist dies regelmäßig nicht der Fall, da es sich insoweit nicht um einen Verwaltungsakt handelt. Müssen die Informationen durch die deutsche Finanzbehörde erst durch Ermittlungsmaßnahmen beschafft werden, wird der Steuerpflichtige allein durch diese Maßnahmen von dem Vorgang unterrichtet, ohne hiergegen jedoch im verfahrensrechtlichen Sinne vorgehen zu können. Dem Steuerpflichtigen bleibt insoweit nur das Klageverfahren, um entsprechende Maßnahmen der deutschen Finanzverwaltung zu verhindern oder zu unterbinden. Die deutsche Finanzverwaltung führt bei Ersuchen der ausländischen Finanzverwaltung alle nach der Abgabenordnung vorgesehenen behördlichen Ermittlungsmaßnahmen durch. Anders als bei den Auskunftsklauseln im Abkommensrecht gibt es zunächst keinerlei inhaltliche Beschränkung der zu übermittelnden Informationen. Hinsichtlich der Beschränkungen siehe oben. Unklar ist, welche Rechtsschutzmöglichkeiten der Steuerpflichtige selbst hat, eine Übermittlung von Informationen an den ausländischen Staat zu verhindern, wenn zu vermuten steht, dass die eigenen Informationsquellen des anfragenden Staates nicht ausgeschöpft sind. Bei Ersuchen der deutschen Finanzverwaltung ist ebenfalls zu prüfen, ob die eigenen Ermittlungsmöglichkeiten nicht auch zum Ziel geführt hätten. Insbesondere § 90 Abs. 2 AO ist zu beachten. Im Schrifttum wird jedoch ausgeführt, dass § 90 Abs. 2 AO nicht hilft, um unbekannte Steuerfälle

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aufzudecken oder wenn der Steuerpflichtige nicht kooperiert oder nur scheinbar kooperiert. Inwieweit bei unbekannten Steuerfällen nicht bereits die allgemeine Beschränkung des Anwendungsbereichs zur Abgrenzung von „fishing expeditions“ greift, stellt sich m.E. wohl zu Recht. Aber auch hier ist auf das Spannungsverhältnis von zulässigen Gruppenanfragen zu nicht zulässigen „Anfragen ins Blaue“ zu verweisen. Die Entscheidung, ob die eigenen Ermittlungsmaßnahmen ausgeschöpft sind, obliegt dem BZSt, aber rechtliche Prüfungsmöglichkeiten durch den Steuerpflichtigen bestehen nicht. Da es sich bei den Maßnahmen des Informationsaustausches nicht um einen nach außen gerichteten Verwaltungsakt handelt, kann sich der Steuerpflichtige nicht mit Rechtsbehelfen zur Wehr setzen, sondern nur mit dem Instrument des vorläufigen Rechtsschutzes, einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Dies ist jedoch nur dann möglich, wenn er überhaupt Kenntnis hiervon erlangt. Gleichwohl besteht mit § 117 Abs. 4 S. 3 AO eine Sollvorschrift zur Anhörung des betroffenen Steuerpflichtigen oder sonstiger Beteiligter. Diese strikte Anhörungspflicht gilt jedoch nicht für den Informationsaustausch innerhalb der EU für die USt sowie die Fälle des EUAHiG. Für spontane Auskünfte sowie die Simultanbetriebsprüfung soll somit eine Anhörungspflicht unterbleiben. Zwar wird in der Literatur vertreten, dass sich in allen anderen Fällen des Informationsaustausches eine Anhörungspflicht nach Art. 2 Abs. 1 GG i.V. mit Art. 19 Abs. 4 GG herleiten lässt, da sonst die Gefahr irreparabler Schäden entstehen würde, doch ist die Rechtslage unbefriedigend.8 In der Gesetzesbegründung BTDrucks. 17/10000, 70 wird zwar vertreten, dass innerhalb der EU aufgrund der durch die Zusammenarbeits-RL geänderten Situation kein Anhörungszwang mehr bestehe, doch ist Seer zuzustimmen, dass es nur ausnahmsweise nicht zur Anhörung der Steuerpflichtigen kommen soll.9

2. Automatische Übermittlung von Informationen Neben dem Standardfall der Übermittlung von Informationen auf Ersuchen nimmt einen immer größer werdenden Umfang die automatische

8 Seer in Tipke/Kruse, § 117 AO, Rz. 77, Lfg. 133 August 2013 mit weiteren Verweisen zum Schrifttum. 9 Seer in Tipke/Kruse, § 117 AO, Rz. 110 Lfg. 133 August 2013.

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Strunk – Praktische Auswirkungen der Umsetzung der EU-Amtshilferichtlinie

Übermittlung von Informationen ein. Diese findet Anwendung bei folgenden Sachverhalten: –

Vergütungen aus nichtselbständiger Arbeit,



Aufsichtsrats- oder Verwaltungsratsvergütungen,



Ruhegelder, Renten und ähnliche Zahlungen,



Eigentum an unbeweglichem Vermögen und Einkünften daraus,



sowie durch Änderung der EU-Amtshilferichtlinie vom 12.6.2013 nun auch zusätzlich Informationen über Dividenden, Veräußerungsgewinne und alle sonstigen Einkünfte aus Vermögenswerten aus einem Finanzkonto.



Für die nähere Zukunft ist eine Ausweitung auch auf Lizenzgebühren geplant.

Hieran zeigt sich aber auch das Grundübel der Regelungen zur Amtshilfe und zum Informationsaustausch, nämlich, dass die Finanzverwaltungen nicht in jedem Fall verpflichtet sind, den Steuerpflichtigen über diese Vorgänge zu informieren. Auch die automatische Übermittlung stellt keine mitteilungspflichtige Vornahme eines Verwaltungsaktes dar. Durch die Neuregelung können Vorgänge seit dem 1.1.2014 erfasst werden, wenngleich der Anwendungsbereich auf Zeitpunkte nach dem 1.1.2015 gerichtet ist. Insbesondere die Maßnahmen der Vereinigten Staaten im Zusammenhang mit FATCA sowie die Vereinbarungen der Mitgliedstaaten mit den USA insoweit, führen dazu, dass die EU-Amtshilferichtlinie entsprechend hinsichtlich des Anwendungsbereichs ausgeweitet wird. Dies insbesondere auch deshalb, weil durch die Vereinbarungen mit den USA die grundsätzliche Machbarkeit des Informationsaustausches deutlich wird. Während ein Großteil der automatischen Übermittlung von Informationen die natürlichen Personen trifft, sind insbesondere Informationen über Dividenden, Veräußerungsgewinne sowie in der Zukunft über Lizenzgebühren auch für Unternehmen von großer Bedeutung. Der Gestaltungsspielraum von Unternehmen, einen solchen Informationsaustausch zu verhindern, ist sehr begrenzt und beschränkt sich auf die Nutzung von Drittstaatengesellschaften, mit denen nur die Auskunftsklauseln der jeweiligen DBA zur Anwendung kommen. Die Ausweitung der Fälle des automatischen Auskunftsaustausches auf weitere Sachverhalte stellt insbesondere vor dem Hintergrund der dann

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fehlenden Anhörung des Steuerpflichtigen ein beachtenswertes Problem dar.

3. Spontanauskünfte Besonders problematisch für Unternehmen wie natürliche Personen sind Spontanauskünfte. Eine solche hat immer dann zu erfolgen, wenn: –

Gründe für die Vermutung einer Steuerverkürzung in dem anderen Mitgliedstaat vorliegen,



ein Sachverhalt vorliegt, auf Grund dessen eine Steuerermäßigung oder Steuerbefreiung gewährt worden ist,



Geschäftsbeziehungen zwischen einem in Deutschland Steuerpflichtigen und einem in einem anderen Mitgliedstaat Steuerpflichtigen über ein oder mehrere weitere Staaten in einer Weise geleitet werden, die in einem oder beiden Mitgliedstaaten zur Steuerersparnis führen kann,



künstliche Gewinnverlagerungen mit dem Ergebnis einer Steuerersparnis vorliegen,



oder in sonst erheblichen Fällen.

Gerade die im Gesetz genannten Gründe für Spontanauskünfte zeigen sehr exemplarisch, dass der Gesetzgeber die Finanzverwaltungen in die Lage versetzen möchte, auch Steuergestaltungen frühzeitiger zu erkennen, um möglicherweise im konkreten Einzelfall, aber auch in vergleichbaren Fällen frühzeitig tätig zu werden. Während bei Verdachtsfällen im Hinblick auf Steuerverkürzungen die spontane Übermittlung von Informationen grundsätzlich nicht zu kritisieren ist, stellt sich im Detail die Frage, wie denn der die Auskunft gewährende Staat ein genaues Bild darüber erlangen kann, dass im anderen Staat möglicherweise eine Steuerverkürzung vorgelegen hat. Im zweiten Fall, also bei Sachverhalten, bei denen der Steuerpflichtige eine Steuerermäßigung oder Steuerbefreiung begehrt, kann die Spontanauskunft auch zum Vorteil des Steuerpflichtigen eingesetzt werden, da ihm dies die sonst obliegende Darlegungslast erleichtert oder sogar den Nachweis der Vorlage eigener Unterlagen ersetzen kann. Die dritte genannte Fallkonstellation beschreibt offensichtlich Treaty Shopping Fälle, wobei nicht ganz klar ist, wie eine Finanzverwaltung eine solche Beurteilung eines Sachverhaltes vornehmen kann, ohne ihn zuvor abschließend geprüft zu haben, da ja nur missbräuchliche Gestaltungen, nicht jedoch betriebswirtschaftlich vertretbare Vorgänge hierdurch erfasst werden sollen.

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4. Sonstige Formen der Zusammenarbeit der Finanzverwaltungen Neben dem Informationsaustausch in seinen unterschiedlichen Ausprägungen sind auch weitere Formen der Amtshilfe nun gesetzlich kodifiziert. Zu nennen sei hier die Anwesenheit von Betriebsprüfern aus anderen Mitgliedstaaten, die aber keine unmittelbaren Prüfungsbefugnisse besitzen. Auch Gegenstand des § 12 EUAHiG sind gleichzeitige Prüfungen in mehreren Mitgliedstaaten.

D. Praktische Konsequenzen und Handlungsempfehlungen Der erste praktische Hinweis ist zunächst die Erkenntnis, dass die inländische wie die ausländische Finanzbehörde zukünftig die Möglichkeit besitzt, umfassend Informationen zu erlangen und Amtshilfe in Anspruch zu nehmen. Im Ergebnis bedeutet dies, dass sich der Steuerpflichtige Kenntnis über die Informationsbeschaffung in den einzelnen Staaten beschaffen muss, um auf entsprechend erfolgende Besteuerungsfestsetzungen reagieren zu können. Die Anhörung über die Amtshilfe in Deutschland ist in wesentlichen Fällen nicht vorgesehen und ist nach Auffassung der Finanzverwaltung eine zweckmäßige Form der Kommunikation und der Gewährung des Rechtsschutzes, jedoch kann sich der Steuerpflichtige letztendlich nicht darauf verlassen, dass eine Unterrichtung bzw. Anhörung in allen Fällen vorgenommen wird. Bei unterlassener Anhörung trotz bestehender Verpflichtung wird es wohl kaum ein Verwertungsverbot im Ausland geben, so dass dem Steuerpflichtigen Schadenersatzansprüche nur gegenüber der deutschen Finanzverwaltung zustehen. Abseits entsprechender Gestaltungen über Drittlandstrukturen sollte das Unternehmen ein grenzüberschreitendes Tax-Reporting aufbauen, welches dem Konzern ermöglicht, angemessen und zeitnah auf Fälle der Amtshilfe und des Informationsaustauschs zu reagieren.

E. Fazit Der Trend, legale Steuergestaltungsvorhaben in eine Linie mit Steuerverkürzungen oder Steuerhinterziehung zu stellen, erscheint gefährlich. Das Steuerrecht ist nicht dazu geeignet als moralisch verwerflich oder zumindest kritikwürdig anzusehendes Verhalten von Steuerpflichtigen

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zu sanktionieren, ohne dass ein klarer Verstoß gegen geltendes Steuerrecht festgestellt werden konnte. Der Steuerpflichtige kann nur eingeschränkte Informationsrechte geltend machen. Darüber hinaus bestehen erhebliche Bedenken gegen die fehlende Prüfung der Ermessensausübung der Finanzverwaltung. Damit sind die Rechtsfolgen bei Verstoß der Finanzverwaltung gegen die Regeln des EUAHiG unklar. Es bedarf einer Lösung und eines gemeinsamen Fundaments des materiellen Steuerrechts, bevor über die Durchsetzung und deren Verbesserung entschieden wird.

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Praktische Auswirkungen der Umsetzung der EU-Amtshilferichtlinie Podiumsdiskussion Leitung Prof. Dr. Jürgen Lüdicke Rechtsanwalt, Steuerberater, International Tax Institute, Universität Hamburg Teilnehmer Prof. Dr. Dietmar Gosch Vors. Richter am Bundesfinanzhof, München/Christian-AlbrechtsUniversität zu Kiel

Dr. Friedrich Loschelder, LL.M. (Edinb.) Richter am Finanzgericht, Hamburg

Dr. Berend Holst Volkswagen AG, Wolfsburg

Prof. Dr. Günther Strunk Strunk Kolaschnik Partnerschaft, Hamburg

Prof. DDr. Dr. Georg Kofler, LL.M. (NYU) Johannes Kepler Universität Linz

Prof. Dr. Lüdicke Herr Strunk, haben Sie vielen Dank für die Darstellung eines Rechtsgebietes, mit dem sich gerade Praktiker, aber auch Wissenschaftler manchmal nur spärlich beschäftigen, im Wesentlichen dann, wenn es einen konkreten Anlass gibt. Bei der Vorbereitung für den heutigen Tag habe ich in der Präambel der Amtshilfe-Richtlinie1 interessante Überlegungen gefunden. Der erste Erwägungsgrund hat drei Sätze, ich lese Ihnen den ersten und dritten Satz vor: „Im Zeitalter der Globalisierung wird der Bedarf der Mitgliedstaaten an gegenseitiger Amtshilfe im Bereich der Besteuerung immer vordringlicher.“ Im Satz zwei wird begründet, dass es eben für die Finanzverwaltung wegen der Globalisierung schwierig ist, informationell mitzuhalten. Bemerkenswert dann der dritte Satz: „Diese zunehmende Schwierigkeit wirkt sich auf das Funk-

1 Richtlinie 2011/16/EU v. 15.2.2011, ABl. L 64 v. 11.3.2011, S. 1.

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tionieren der Steuersysteme aus und zieht Doppelbesteuerung nach sich, was wiederum zu Steuerbetrug und Steuerhinterziehung Anlass gibt, während die Kontrollbefugnisse auf nationaler Ebene verbleiben.“ Jetzt kennen wir endlich, sozusagen EU-amtlich, den Anlass für Steuerhinterziehung. Wer hätte das gedacht? Prof. Dr. Gosch Ich will drei Punkte hervorheben. Zunächst, Herr Strunk, die These, die Sie gleichsam en passant gemacht haben: Die Kategorisierung zwischen beschränkter und unbeschränkter Steuerpflicht lasse sich aufheben, wenn es gelingt, durch Informationsbeschaffung insofern praktisch einen Besteuerungsgleichstand herzustellen. Die These ist, sage ich mal, gewagt. Die tragende Säule des objektsteuerartigen Zugriffs bei der beschränkten Steuerpflicht ist letztlich doch der Grundsatz der Territorialität, es ist doch nicht die mangelnde Information. Aber ich denke, Sie haben das auch nicht ganz so ernst vertreten, wie ich es hier aufgreife. Dann der zweite Punkt, Sie haben die „Skalierung“ dargetan, in der die Informationsbeschaffung durch Spontanauskünfte oder Auskunftsersuchen zu verifizieren ist. Vor diesen Nachsuchungen sind die Sachverhalte aber durch ein Wechselspiel von Amtsermittlung und Mitwirkungspflichten des Steuerbürgers aufzuklären. Für den Bereich der Verrechnungspreisbestimmung geschieht das etwa mittels der Dokumentationsanforderungen, Sachverhaltsdokumentation einerseits und die Angemessenheitsdokumentation andererseits. Der BFH2 hat die Anforderungen dieser Dokumentationen erst soeben als unionsrechtlich unverdächtig eingeschätzt, allerdings zunächst nur, was die Dokumentationsanforderungen betrifft. Ob das gleichermaßen für die daraus abzuleitenden Sanktionen gilt, wie sie in § 162 Abs. 3 und 4 AO bestimmt sind, steht auf einem anderen Blatt. Man mag daran zweifeln. Der Steuerbürger ist aber gehalten, sein Recht insoweit mit Rechtsbehelfen gegen nachfolgende Steuerbescheide zu suchen. Wie gesagt, im Rahmen von Rechtsmitteln gegen die bloße Anforderung gelingt das aus Sicht des BFH nicht. Der Steuerpflichtige muss gewissermaßen erst einmal vorleisten. Einer ähnlichen Informationsbeschaffung bedarf es übrigens auch und gerade in Anbetracht der vielfältigen Ausweitung des sog. Kor-

2 BFH v. 10.4.2013 – I R 45/11, BStBl II 2013, 771.

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respondenzprinzips.3 Wird beispielsweise der Abzug einer Betriebsausgabe oder die Steuerfreistellung von der steuerlichen Behandlung im anderen Staat abhängig gemacht, dann muss über diese steuerliche Behandlung Klarheit geschaffen werden. Das kann durch Auskünfte des Steuerpflichtigen geschehen, aber auch durch unmittelbare behördliche Informationsbeschaffung. Und drittens – und das liegt mir als Richter naturgemäß sehr am Herzen – die Rechtschutzfrage, die Sie angesprochen haben. Der I. Senat des BFH ist zuständig für § 117 AO und Auskünfte aufgrund der DBA-Auskunftsklauseln. Praktisch sind einschlägige Fälle aber eher selten. Und wenn doch, dann ist es letztlich eine Spontanauskunft, um deren Verhinderung es mittels einer einstweiligen Anordnung geht. Im Zuge dessen ist dann auch zu prüfen, ob denn wirklich ein Informationsbedarf für die Weitergabe besteht, ob die Weitergabe angemessen ist. Eine Runduminformation ist nicht legitimiert, ebenso wenig wie sog. fishing expeditions. Ansonsten wird zu unterscheiden sein: Bei einem Auskunftsersuchen des anderen Staates ist es wohl Sache des Steuerbürgers in jenem Staat, sich dort gegen das Auskunftsersuchen zu wehren. In Deutschland tritt das Auskunftsersuchen als bloßes Internum zutage und ein Rechtsbehelf dagegen wäre nicht möglich. Auch die von deutscher Seite erteilte Auskunft wird kaum anfechtbar sein. Es handelt sich um einen bloßen Realakt, vergleichbar mit einer Kontrollmitteilung. Während im reinen Inlandsfall aber ein nachfolgender Steuerbescheid als Verwertungsakt angefochten werden könnte, ist das grenzüberschreitend nicht möglich. Der Zugriff wird ja hier in ein anderes Land verlegt. Ich denke, hier sollte und müsste Rechtsschutz auch im Inland gegen die Auskunftserteilung gewährt werden. Wenn das die Richtlinie so nicht vorsieht – und so habe ich Sie verstanden –, dann sollte Art. 19 Abs. 4 GG als Grundlage genügen. So recht ausgegoren erscheint mir das alles aber derzeit nicht. Dr. Loschelder Ich bin vor zwei Tagen auf ein noch ganz „frisches“ EuGH-Urteil vom 22. Oktober 20134 gestoßen über Mitteilungen beim Informationsaustausch zwischen Mitgliedstaaten nach der Richtlinie 77/799/EWG, und 3 Lüdicke, Maßgeblichkeit ausländischer Besteuerung für Nichtbesteuerung und Verlustberücksichtigung im Inland, in: FS Frotscher (2013), 403 ff. 4 EuGH v. 22.10.2013 – C-276/12 – Sabou, ISR 2013, 423 mit Anm. Schaumburg.

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da hat der EuGH zunächst einmal ganz klar festgestellt: Der Steuerpflichtige hat keinen unionsrechtlichen Anspruch auf Beteiligung bei Auskunftsersuchen. Das bedeutet, dass der Steuerpflichtige häufig gar nichts darüber wissen wird, wenn ein solches Auskunftsersuchen gestellt wird. Dann hat er aber auch keine Möglichkeit, im Wege einer einstweiligen Anordnung dagegen vorzugehen. Der EuGH verweist allerdings darauf, dass die mitgeteilten Informationen im Besteuerungsverfahren auf ihre Richtigkeit hin überprüft werden können. Und ich denke, das gilt auch nach dem neuen EU-Amtshilfegesetz; denn in § 19 Abs. 2 heißt es dort: „Diese Informationen können für folgende Zwecke verwendet werden: 1. zur Anwendung und Durchsetzung des innerstaatlichen Steuerrechts über die in § 1 genannten Steuern […]“ Die Informationen fließen also in ein ganz normales Besteuerungsverfahren mit ein. Deswegen meine ich auch, anders als Herr Strunk, dass der Steuerpflichtige sehr wohl eine Möglichkeit hat, diese Information tatsächlich doch einzusehen, und zwar im Einspruchsverfahren. Das ergibt sich aus § 364 AO, der Regelung über die „Mitteilung der Besteuerungsgrundlagen“. Es handelt sich um eine Vorschrift der verfahrensrechtlichen Fairness: Wenn der Steuerpflichtige sich gegen etwas verteidigt, dann muss er auch die Möglichkeit haben herauszufinden, wogegen er sich genau verteidigt. D.h. spätestens im Einspruchsverfahren hat er einen Anspruch darauf, dass ihm mitgeteilt wird, was dem Finanzamt eigentlich an Informationen vorliegt. Und dieser verfahrensrechtliche Anspruch wird so hoch aufgehängt, dass die Gerichte zum Teil schon dann Aussetzung der Vollziehung gewähren, wenn das Finanzamt einem Antrag nach § 364 AO nicht nachgekommen ist oder übersehen hat, dass es von Amts wegen Besteuerungsgrundlagen hätte mitteilen müssen.5 Eine weitere Möglichkeit bietet § 78 FGO: Kommt es zu einem finanzgerichtlichen Verfahren, hat der Steuerpflichtige ein Akteneinsichtsrecht, anders als im Einspruchsverfahren. Im Wege der Akteneinsicht kann er also auch feststellen, was an Informationen über ihn eingeholt worden ist. Es kommt zwar schon mal vor, dass dem Gericht Akten übersandt werden mit der Aufschrift: „Dem Steuerpflichtigen nicht vorzulegen“, z.B. bei Steuerfahndungsakten. Aber so etwas geht natürlich nicht. Die Akten schicken wir ungeöffnet zurück mit der Mitteilung, dass alles, was das Gericht zum Gegenstand seiner Entscheidung ma-

5 Vgl. etwa FG Hamburg v. 30.1.2012 – 4 V 4/12, PStR 2012, 166 m.w.N.

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chen soll, von dem Steuerpflichtigen auch eingesehen werden kann. Für das Finanzamt ergibt sich dann allerdings das Problem, dass es den streitigen Steueranspruch gegebenenfalls ohne Rekurs auf den betreffenden Akteninhalt begründen muss. Jedenfalls, um das noch einmal festzuhalten, hat der Steuerpflichtige meiner Auffassung nach sowohl im Einspruchsverfahren als auch im finanzgerichtlichen Verfahren die Möglichkeit, nach § 19 EUAHiG überlassene Informationen einzusehen. Dr. Holst Als Unternehmensvertreter halte ich das so, wie Herr Krebühl gesagt hat. Transparenz gegenüber der Steuerverwaltung ist ohnehin gegeben. In Großunternehmen kennt die Betriebsprüfung die wesentlichen Vorgänge sowieso. Also insofern sehe ich da im Praktischen eigentlich wenig Änderung. Als Privatperson kommen einem dann schon etwas andere Gedanken. Nicht, weil man etwas zu verbergen hätte, aber eben auch, weil man gläsern wird, ohne es zu wissen. Aber – und das ist ironisch gemeint – letztlich wird damit die Zielsetzung des Koalitionsvertrages unterstützt. Dort steht ja drin, dass wir ab 2017 vorausgefüllte Einkommenssteuererklärungen haben sollen, und irgendwo muss der Staat die Informationen ja auch herkriegen, damit die richtig sind. Ergänzend noch einmal im etwas breiteren Kontext zu einem Themenbereich, der den Unternehmen beim grenzüberschreitenden Informationsaustausch viel Arbeit und Kosten bereitet, ich meine FATCA. Volkswagen hat eine Bank, die im Wesentlichen der Vertriebsunterstützung dient, und ist damit von FATCA betroffen. Das Erfordernis, alle Bankkunden mit irgendwelchem US-Bezug herauszufiltern (das können auch Greencard-Inhaber sein), ist ein Riesenprojekt, das viele personelle und finanzielle Ressourcen bindet. Wo man dann nachdenklich wird: Es gibt diesen Informationsaustausch auch in umgekehrter Richtung von den USA nach Deutschland, d.h. der deutsche Fiskus darf sagen: „Liebe USBanken, gebt uns doch bitte einmal Informationen über deutsche Steuerpflichtige in den USA.“ Ich habe gehört, dass es in den USA eine Eingabe des Bankenverbandes nach dem Motto gibt: So etwas kennen und wollen wir hier nicht. Wir Deutschen gehen nach meiner Einschätzung immer mehr vorweg als andere. Zu dem angesprochenen Thema Joint Audit: Hier bin ich ehrlich gesagt skeptisch. Das klingt zwar theoretisch alles gut, ich darf jedoch einmal

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darauf verweisen, wie das bei dem mit einer ähnlichen Zielrichtung gestarteten Projekt der APAs in der Praxis aussieht. Wir haben immer große Schwierigkeiten, beim Advanced Pricing Agreement das erste „A“ (Advanced) abgeschlossen zu haben, bevor die Geltungsfrist abgelaufen ist. Tendenziell glaube ich, dass Joint Audits mehr Hürden aufbauen als Effizienz schaffen. Prof. Dr. Lüdicke Vielen Dank, Herr Holst. Noch eine Frage an Sie, Herr Kofler. In Österreich musste die Richtlinie ja auch umgesetzt werden, und Österreich war sogar noch etwas schneller als wir. Ist die Rechtslage jetzt ähnlich oder gibt es signifikante Unterschiede? Prof. DDr. Dr. Kofler Wir waren in der Tat schneller. Die Umsetzung erfolgte bereits 2012 (BGBl I Nr. 112/2012), das Inkrafttreten war sodann richtlinienkonform am 1.1.2013. Die österreichische Umsetzung orientiert sich stark an der deutschen Fassung der Amtshilferichtlinie. Die Neuerungen betreffen im Wesentlichen die Erweiterung des Geltungsbereiches der Amtshilfe, die Ausweitung und Verbesserung des Informationsaustausches, die Vereinfachung des Zustellungsverfahrens und die administrative Vereinfachung des Informationsaustauschs. Außerdem wird die Möglichkeit der Ablehnung des Informationsaustauschs für Bankauskünfte aufgegeben und für bestimmte Einkunftsarten ab 1.1.2014 die Schaffung eines automatischen Informationsaustausches vorgesehen; diese Bestimmung tritt allerdings erst am 1.1.2015 in Kraft, wobei die näheren Einzelheiten der künftigen Anwendung des automatischen Informationsaustausches einer – noch zu erlassenden – Rechtsverordnung des Bundesministers für Finanzen vorbehalten sind. Prof. Dr. Lüdicke In Art. 21 Abs. 4 der Amtshilferichtlinie wird anheimgestellt, dass sich zwei Staaten bilateral auf eine Sprache einigen, in der die Informationen ausgetauscht werden sollen. Das könnte beispielsweise Englisch sein. Ich habe aber in dem deutschen EU-Amtshilfegesetz dazu nichts gesehen. Ich weiß auch nicht, ob da was geplant ist.

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Peter Scheller Ich habe eine Frage dazu an Professor Gosch. Müssen wir uns dann auch darauf einstellen, dass, wenn das passiert und man sich auf eine Sprache einigt, dass dann auch Sprachversionen herangezogen werden? Dass Übersetzungen nicht ganz ungefährlich sind und sie nicht unbedingt dem Original entsprechen, können wir der EuGH Rechtsprechung entnehmen, wenn englische oder französische Sprachversionen herangezogen werden. Müssen wir uns darauf einstellen, dass wir das dann auch haben werden? Prof. Dr. Gosch Das ist im Moment eine relativ virtuelle Frage, weil ich ja nicht weiß, ob es jemals zu einer solchen Verständigung kommt. Wenn Sie zu Gericht kommen, ist die Gerichtssprache noch Deutsch. Ich habe vor einiger Zeit einem hohen Beamten des BMF, weil er minuten-, viertelstundenweise englische Texte vorlas und verstörte Gesichter hinterließ – es sind natürlich nicht alle so sprachkundig wie jener Beamte – das Wort entziehen müssen. Normalerweise können Sie eben nur auf Deutsch vortragen. Es gibt ja neuerdings, gerade aus Hamburg, Anstrengungen, Gerichtsverfahren in Englisch durchzuführen. Vielleicht kommt man da irgendwann einmal hin. Prof. Dr. Lüdicke Aber vielleicht nicht Finanzgerichtsverfahren. Prof. Dr. Gosch Na, vielleicht doch, wer weiß. Prof. Dr. Lüdicke Ich möchte auf einen Punkt zurückkommen, der vielleicht eben bei den Diskussionsbeiträgen noch nicht ganz klar geworden ist: Wenn der Steuerpflichtige ein Interesse daran hat, in dem ersuchten oder in dem spontan tätigen auskunftserteilenden Staat die Auskunftserteilung zu verhindern, weil er z.B. befürchtet, dass Geschäftsgeheimnisse in irgendeinen anderen EU-Staat gelangen, der vielleicht nicht so sorgfältig damit umgeht, welche Möglichkeiten stehen ihm dann zur Verfügung?

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Prof. Dr. Gosch Das sind die einstweiligen Anordnungen, von denen ich sprach. Wir haben solche Ersuchen. Die Gerichte schauen da schon ganz genau, ob die Auskünfte verhältnismäßig sind, ob alle Nachweiserfordernisse aus eigener Kraft ausgeschöpft worden sind, ob die Auskunft überhaupt erforderlich ist. Prof. Dr. Lüdicke Aber das setzt ja voraus, dass der Steuerpflichtige überhaupt weiß, dass diese Auskunft erteilt wird. Ich hatte das jetzt eben teilweise so verstanden, dass er genau dieses möglicherweise nicht weiß. Prof. Dr. Gosch Dann können Sie ja nichts machen. Prof. Dr. Lüdicke Ja, das ist genau das Problem. Wenn der Staat einerseits ein schützenswertes Interesse der Steuerpflichtigen anerkennt, sich gegen das Erteilen von Auskünften aus diesem Staat in einen anderen Staat, auch wenn es ein EU-Staat ist, wehren zu können, dann müsste er ja andererseits eigentlich sagen: Gut, dann musst du das auch vorher erfahren und dann hast du einen Tag oder eine Woche oder wie viel auch immer Zeit. Aber einerseits ein schützenswertes Interesse anzuerkennen und andererseits, die entsprechende Kenntnis des Steuerpflichtigen dem Zufall zu überlassen, wirkt doch etwas unabgestimmt. Prof. Dr. Gosch Na gut, dann müssen Sie aber ein Verwaltungsverfahren schaffen, das diese Transparenz ermöglicht. Im Moment kann ich das jetzt nicht erkennen. Dr. Loschelder Noch einmal zu dem EuGH-Urteil vom 22.10.2013 – auch damit hat sich der EuGH befasst und festgestellt: Wenn die Verwaltung Informationen sammelt, ist sie nicht verpflichtet, dies dem Steuerpflichtigen anzuzeigen und seine Stellungnahme einzuholen. Das von der Steuerverwaltung in Anwendung der Richtlinie 77/799/EWG gestellte Amtshilfeersuchen wird dem Sammeln von Informationen zugeordnet. Glei-

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ches gilt für die von der ersuchten Steuerverwaltung übermittelte Auskunft und für die von dieser Verwaltung durchgeführten Vorermittlungen, einschließlich der Vernehmung von Zeugen. All dies wird als verwaltungsinternes Handeln verstanden; und der Steuerpflichtige hat, wenn er nicht zufällig auf andere Weise davon erfährt, tatsächlich keine Möglichkeit, das mitzubekommen. Prof. Dr. Gosch Gut, das liegt ja streng genommen, Herr Loschelder, nicht anders im innerstaatlichen Bereich. Die Kontrollmitteilung wird Ihnen ja auch dort nicht mitgeteilt. Prof. Dr. Lüdicke Die unterliegt allerdings auch dem innerstaatlichen Steuergeheimnis. Dr. Loschelder Genau da liegt das Problem. Prof. Dr. Frotscher Ich wollte dazu Folgendes sagen: Man muss zwei unterschiedliche Stadien des Verfahrens unterscheiden. Wenn die Finanzverwaltung bereits im Besitz der Information ist, z.B. aufgrund Betriebsprüfung, wird der Steuerpflichtige bei Informationsaustausch auf Grund der EU-Vorschriften nicht gehört. Das ergibt sich, glaube ich, aus § 117 Abs. 4 S. 2 AO. Wenn die Finanzverwaltung nicht im Besitz der Informationen ist, sondern eine Anfrage stellen muss, erfährt der Steuerpflichtige durch die Anfrage, dass Auskunft an ausländische Finanzbehörden erteilt werden soll. Das ist ein Verwaltungsakt, und dagegen kann er sich wehren. Prof. Dr. Gosch Ist das wirklich ein Verwaltungsakt? Das ist für mich erst einmal ein Realakt. Prof. Dr. Frotscher Herr Gosch, wenn es kein Verwaltungsakt ist, kann der Steuerpflichtige Antrag auf einstweilige Anordnung stellen bzw. Unterlassungsklage erheben.

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Prof. Dr. Gosch Herr Frotscher, das sind genau die Situationen, die wir bisher haben. Leistungsklage in Gestalt der Unterlassungsklage oder der einstweiligen Anordnung. Aber wenn das von vornherein gar nicht erst in irgendeiner Form transparent gemacht wird, dann geht doch das eine wie das andere ins Leere. Prof. Dr. Frotscher Wenn der Steuerpflichtige gefragt wird, dann erfährt er es doch. Dr. Loschelder Aber doch nur, wenn er tatsächlich gefragt wird. Prof. Dr. Gosch Aber da wird nicht er gefragt, sondern irgendeine Behörde. Dr. Loschelder Aber normalerweise, wenn die Informationen auf andere Weise beschafft werden, z.B. über Bankauskunftsersuchen oder Kontenabfragen, dann kann es natürlich sein, dass er tatsächlich nichts davon erfährt. Prof. Dr. Frotscher Das ist richtig. Aber das erfährt er jetzt ja bei innerstaatlichen Ermittlungen auch nicht. Dr. Loschelder Aber das ist ja gerade der Punkt. Prof. Dr. Frotscher Ja, also insofern liegt die Parallelität vor. Nikolay Herber Ganz kurz ein Einwand in dieser Sache, Herr Loschelder. Das Bankauskunftsersuchen beispielweise ist ja nur dann zulässig, wenn erstens der Steuerpflichtige selbst seiner Ermittlungspflicht nicht nachkommt und er diesbezüglich belehrt worden ist. Zudem kann sich der inländische

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Beteiligte auch noch gegen die Beantwortung des Ersuchens wehren. Als inländischer Beteiligter soll in dem mir vorschwebenden Fall des Bankauskunftsersuchens das Kreditinstitut sein. In Folge der Verletzung der eigenen Mitwirkungspflicht muss der Steuerpflichtige auf die Möglichkeit der Auskunft durch Dritte hingewiesen worden sein. Dadurch bleibt ihm nicht verborgen, dass die Möglichkeit besteht. Über das tatsächliche Ersuchen selbst hat er natürlich keine Kenntnis. Prof. Dr. Strunk Auf der einen Seite bin ich ganz froh, dass erkannt worden ist, dass ich das mit der beschränkten und unbeschränkten Steuerpflicht nicht tatsächlich ernst meinte. Mir ging es eigentlich ein bisschen darum, deutlich zu machen, dass es durchaus unterschiedliche Denkansätze gibt, wie mit solch einem Informationsaustausch vor dem Hintergrund der berechtigten Interessen des Steuerpflichtigen umzugehen ist. Trotz dieses Umstandes wurden nun Fakten geschaffen, obwohl zahlreiche rechtliche Fragen noch nicht angesprochen oder gar abschließend gelöst sind. Und die Kommentierung zu dem alten EG-Amtshilfegesetz zeigt ja eben auch, dass man typischerweise nicht von Verwaltungsakten ausgeht, und das war jetzt für mich als Nicht-Jurist eben schon eine bedenkliche Situation, in der man nicht weiß, wie man sich eigentlich dagegen wehren kann, wenn mir die Tatsache eines Informationsaustausches und einer Amtshilfe überhaupt nicht bekannt ist. Schön, dass wir da Gemeinsamkeiten in der Bewertung haben, insofern bin ich ganz dankbar, dass die Herren Richter das hier auch noch einmal klarstellen konnten.

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Aktuelle Entwicklungen bei der Besteuerung von Betriebsstätten Univ.-Prof. DDr. Georg Kofler, LL.M. (NYU) Johannes Kepler Universität Linz

A. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 B. Artikel 7 OECD-MA, der „Authorised OECD Approach“ und § 1 AStG . . . . . . . 114 C. Der Betriebsstättenbegriff des Artikel 5 OECD-MA . . . . . . . . 120 D. Betriebsstättenbesteuerung und Unionsrecht . . . . . . . . . . . 127

I. Verwertung von ausländischen, „befreiten“ Betriebsstättenverlusten . . . . . . . . . . . . 127 II. „Gestreckte“ Entstrickungsbesteuerung bei grenzüberschreitender Überführung von Wirtschaftsgütern und Betriebsverlegungen . . . . . . . . 134 E. Zusammenfassung. . . . . . . . . . 146

A. Überblick Das internationale Besteuerungsregime für Betriebsstätten war in den vergangenen Jahren auf mehreren Ebenen Umbrüchen ausgesetzt, von denen einige – zugegeben subjektiv gewichtet – in diesem Beitrag herausgegriffen werden sollen. Zu diesen Umbrüchen zählt zunächst der „Authorised OECD Approach“, durch den die Fiktion der umfassenden Eigenständigkeit der rechtlich unselbständigen Betriebsstätten für Zwecke des Art. 7 und Art. 23 OECD-MA eingeführt wurde. Ohne eine Revision des deutschen Abkommensnetzes abzuwarten, hat der deutsche Gesetzgeber diese umfassende Selbständigkeitsfiktion auch als Einkünftekorrekturvorschrift in das AStG aufgenommen. Dem „Authorised OECD Approach“ und der deutschen unilateralen Umsetzung ist Kapitel B. gewidmet. Ein weiterer Umbruch besteht in der kontinuierlichen Absenkung der abkommensrechtlichen Betriebsstättenschwelle und der damit einhergehenden Ausweitung der Besteuerungsbefugnisse der Quellenstaaten. So führt die OECD die im „Anstreicherbeispiel“ eingeläutete Aufweichung des Kriteriums der Verfügungsbefugnis und auch der zeitlichen Komponente der Betriebsstättenbegründung kontinuierlich fort. Kapitel C. ist daher einzelnen Punkten des OECD Betriebsstät-

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tenberichts des Jahres 2012 und den Bezügen der Betriebsstättendefinition zum BEPS-Projekt der OECD gewidmet. Schließlich hat auch und vor allem das Unionsrecht zu wesentlichen Umbrüchen bei der Besteuerung von Betriebsstätten geführt. Dieser Beitrag greift exemplarisch die jüngsten Entwicklungen hinsichtlich der Verwertung von ausländischen, „befreiten“ Betriebsstättenverlusten (Kapitel D.I.) und der „gestreckten“ Entstrickungsbesteuerung bei grenzüberschreitender Überführung von Wirtschaftsgütern und Betriebsverlegungen (Kapitel D.II.) heraus.

B. Artikel 7 OECD-MA, der „Authorised OECD Approach“ und § 1 AStG Hinter dem „Authorised OECD Approach“ („AOA“) verbirgt sich eines der größten OECD-Steuerprojekte der vergangenen Jahre: Obwohl sich die OECD bereits 1994 mit Fragen der Gewinnverteilung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte befasst hatte,1 bestanden nach wie vor große Unsicherheiten, insbesondere im Hinblick auf den Umfang der Selbständigkeitsfiktion für Betriebsstätten. Diese Probleme löst der AOA dahingehend, dass die Eigenständigkeit der (rechtlich unselbständigen) Betriebsstätte für Zwecke des Art. 7 und Art. 23 OECD-MA umfassend fingiert wird, insbesondere auch für „Dealings“ mit dem Stammhaus oder anderen Betriebsstätten, und ungeachtet der Frage, ob das Gesamtunternehmen Gewinne oder Verluste erzielt („Functionally Separate Entity Approach“ oder „FSEA“). Zur Verwirklichung der Eigenständigkeitsfiktion soll in einem ersten Schritt eine Zuordnung von Funktionen, Wirtschaftsgütern,2 Risiken und Kapital auf Basis von wesentlichen Personalfunktionen („significant people functions“) zur Betriebsstätte erfolgen; in einem zweiten Schritt finden sodann – mit Ausnahmen z.B. für Zinsen und Garantien3 – auch für die unternehmensinternen „Dealings“ etwa zwischen Stammhaus und Betriebsstätte

1 Siehe OECD, Attribution of Income to Permanent Establishments, Issues in International Taxation No. 5 (1994). 2 Ergänzungen des Kommentars zur Zuordnung („wirtschaftliches Eigentum“) von Wirtschaftsgütern im Hinblick auf Art. 10, 11, 12, 13 und 21 OECD-MA; siehe Art. 10 Tz. 32.1 f., Art. 11 Tz. 25.1 f., Art. 12 Tz. 21.1 f., Art. 13 Tz. 27.1 f. und Art. 21 Tz. 5.1 f. OECD-MK 2010. 3 Siehe Z 152, 157–158 AOA-Bericht 2010 und Art. 7 Tz. 28 OECD-MK 2010.

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(z.B. interne, fiktive Veräußerung, Vermietung, Dienstleistung, Lizensierung)4 die OECD Verrechnungspreisgrundsätze Anwendung. Die Umsetzung dieses Projekts verteilt sich auf mehrere Ebenen und war zeitlich gestaffelt: Im Jahr 2008 wurde – basierend auf den umfangreichen Vorarbeiten – der OECD-Bericht „Attribution of Profits to Permanent Establishments“ veröffentlicht und der Musterkommentar zu Art. 7 OECD-MA insofern angepasst, als der AOA und dessen Eigenständigkeitsfiktion nicht mit dem (damaligen) Wortlaut dieser Bestimmung kollidierte.5 Dies führte dazu, dass insbesondere das „Arm’s Length Principle“ für den Ansatz der internen „Dealings“ (z.B. fiktive Lizenzgebühren) nicht vollständig in das Update 2008 Eingang finden konnte.6 Die Neufassung des Kommentars wird von der Verwaltungspraxis aber dynamisch so verstanden, dass sie auch auf Altabkommen anwendbar ist,7 wenngleich der deutschen Rechtsprechung8 und dem Schrifttum9 traditionell ein statisches Verständnis zu Grunde liegt. Die abkommensrechtliche „Vollumsetzung“ bedürfte aber jeweils einer Neufassung des konkret anwendbaren DBA.10 Zur „Vollimplementierung“ des AOA auf Ebene des OECD-MA kam es schließlich im Jahr 2010: So wurden – neben einem umfangreichen Abschlussbericht11 – eine Neufassung des Art. 7 OECD-MA sowie ein um-

4 Nach dem Konzept der OECD sollen diese fiktiven Vorgänge nicht zur Erhebung von Quellensteuern führen, da der Anwendungsbereich des AOA auf Art. 7 und Art. 23 beschränkt ist; siehe Art. 7 Tz. 28–29 OECD-MK 2010. 5 OECD, The 2008 Update to the OECD Model Tax Convention (18. Juli 2008). 6 Vgl. Art. 7 Abs. 3 OECD-MA 2008 sowie Art. 7 Z 27 ff. und insbesondere Z 37 OECD-MK 2008. Der Ansatz eines fremdüblichen Verrechnungspreises (z.B. inklusive Gewinnaufschlag) ist nach OECD-Auffassung vor dem Update 2010 nur in Ausnahmefällen angebracht, etwa wenn vergleichbare Leistungen auch an fremde Dritte zu standardisierten Entgelten erbracht werden oder wenn Leistungen besonders umfangreich und erfolgsintensiv sind (vgl. Art. 7 Z 35 f. OECD-MK 2008; siehe auch Rz. 229 ff. öVPR 2010. 7 Siehe für Österreich z.B. zur Zuordnung von Wirtschaftsgütern, öBMF v. 7.2.2008, EAS 2931; Rz. 191 öVPR 2010. 8 So ausdrücklich zum AOA BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 464. 9 Siehe nur Hemmelrath/Kepper, Die Bedeutung des „Authorized OECD Approach“ (AOA) für die deutsche Abkommenspraxis, IStR 2013, 37 (39 f. m.w.N.). 10 Vgl. EAS 3251 = SWI 2012, 3. 11 OECD, Report on the Attribution of Profits to Permanent Establishments (22. Juli 2010), im Folgenden „AOA-Bericht 2010“.

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fangreiches Update des OECD-MK vorgenommen.12 In der Tat folgen bereits mehrere deutsche Doppelbesteuerungsabkommen dem AOA,13 und auch die Verhandlungsgrundlage für Doppelbesteuerungsabkommen im Bereich der Steuern vom Einkommen und Vermögen14 sieht ihn vor,15 wohingegen die UNO den AOA nicht in ihr Musterabkommen 2011 übernommen hat.16 Der deutsche Gesetzgeber ist aber zudem einen großen Schritt darüber hinaus gegangen und hat den AOA als Einkünftekorrekturvorschrift unilateral in das innerstaatliche Recht übernommen:17 Im Rahmen des AmtshilfeRLUmsG18 wurde der AOA vollinhaltlich, d.h. einschließlich der Notwendigkeit eines fremdüblichen 12 OECD, The 2010 Update to the OECD Model Tax Convention (22. Juli 2010). Dazu z.B. Hemmelrath/Kepper, Die Bedeutung des „Authorized OECD Approach“ (AOA) für die deutsche Abkommenspraxis, IStR 2013, 37 ff.; Kahle, Internationale Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten nach dem Authorised OECD Approach, in Lüdicke/Mössner/Hummel (Hrsg.), Das Steuerrecht der Unternehmen, FS Frotscher (2013) 287 ff. 13 Siehe das Protokoll Nr. 4 v. 1.6.2006 zum DBA USA (BGBl. II 2008, 611), das DBA Liechtenstein v. 17.11.2011 (BGBl. II 2012, 1462), das DBA Niederlande v. 12.4.2012, das DBA Luxemburg v. 23.4.2012, und das Protokoll v. 24.6.2013 zum DBA Norwegen. In Österreich besteht noch kein DBA mit AOA, dessen Implementierung ist aber derzeit in den laufenden Revisionsverhandlungen mit den USA vorgesehen. 14 IV B 2 – S 1301/13/10009 v. 22.8.2013. 15 Dazu und zu den Abweichungen von Art. 7 OECD-MA siehe z.B. Lüdicke, Anmerkungen zur deutschen Verhandlungsgrundlage für Doppelbesteuerungsabkommen, IStR Beihefter zu Heft 10, 26 (28 f.); Brunsbach/Endres/Lüdicke/Schnitger, Deutsche Abkommenspolitik – Trends und Entwicklungen 2012/2013 –, IFSt Schrift Nr. 492 (2013) 107 f. 16 Siehe die United Nations Model Double Taxation Convention between Developed and Developing Countries (2011). 17 Siehe dazu jeweils m.w.N. etwa Hemmelrath/Kepper, Die Bedeutung des „Authorized OECD Approach“ (AOA) für die deutsche Abkommenspraxis, IStR 2013, 37 ff.; Schaumburg, Grenzüberschreitende Einkünftekorrektur bei Betriebsstätten, ISR 2013, 197 ff.; Rehfeld/Goldner, Gewinnabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte, IWB 2013, 548 ff.; Schnitger, Comments on the Klaus Vogel Lecture – Problems Arising under Domestic Tax Law Due to the Introduction of the Authorised OECD Approach, BIT 2013, 211 ff.; Kofler/Rosenberger, RuSt 2013: Highlights aus dem Workshop „Internationales Steuerrecht“, RdW 2013/618, 632 (635). Kaminski, Funktionsverlagerungen auf Betriebsstätten nach dem Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz, in Lüdicke/Mössner/Hummel (Hrsg.), Das Steuerrecht der Unternehmen, FS Frotscher (2013) 301 ff. 18 AmtshilfeRLUmsG vom 26.6.2013, BGBl. I 2013, 1809.

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Ansatzes von „anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen“, also „Dealings“,19 im innerstaatlichen Recht – konkret in § 1 Abs. 4 Nr. 2 und Abs. 5 AStG – einseitig zu Gunsten Deutschlands20 verankert21 und mit einer Wirksamkeit für alle Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2012 beginnen, versehen. Diese Regelungen entsprechen wohl weitgehend dem von der OECD erarbeiteten Ansatz und übernehmen dessen Einschränkungen,22 weichen aber teilweise auch davon ab.23 Möglicherweise diskriminierende Verwerfungen in der deutschen Regelung bestehen etwa darin, dass für die Kapitalzuordnung zu Inlands- und Auslandsbetriebsstätten unterschiedliche Methoden Anwendung finden sollen.24 Andererseits bestätigt § 1 Abs. 5 AStG auch, dass die „normalen“ Entstrickungsnormen des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG bzw. § 12 Abs. 1 KStG anwendbar bleiben und die Verteilungsmöglichkeit des § 4g EStG nicht eingeschränkt wird.25 Die deutsche Umsetzung sieht freilich eine wesentliche Einschränkung vor: Die Betriebsstättengewinnabgrenzung

19 § 1 Abs. 4 Nr. 2 AStG nF spricht in diesem Zusammenhang von „anzunehmende[n] schuldrechtliche[n] Beziehungen“. 20 Siehe § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG, wonach nicht dem Fremdvergleich entsprechende Verrechnungspreise für Geschäftsbeziehungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte insoweit geändert werden, als dadurch die inländischen Einkünfte eines beschränkt Steuerpflichtigen gemindert oder die ausländischen Einkünfte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen erhöht werden. 21 Ergänzend wird auf Basis der Verordnungsermächtigung des § 1 Abs. 6 AStG eine konkrete Handlungsanweisung zur Anwendung des AOA ergehen; siehe den Entwurf einer Verordnung zur Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes auf Betriebsstätten nach § 1 Absatz 5 des Außensteuergesetzes (Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung – BsGaV) v. 5.8.2013, im Folgenden „BsGaV-E“. 22 Etwa die Ausnahme vom Fremdvergleichsgrundsatz insb. für Garantien und Zinsen außerhalb einer Treasuryfunktion (siehe Z. 152, 157–158 AOA-Bericht 2010 und Art. 7 Tz. 28 OECD-MK; ebenso §§ 16 Abs. 3, 17 BsGaV-E; siehe auch BT-Drucks. 17/10000, 64 [zum JStG 2013]). 23 Siehe z.B. das Abstellen auf die „Personalfunktion“ (§ 4 BsGaV-E) im Vergleich zu den „significant people functions“ (Z. 60–67 AOA Bericht 2010). 24 So soll eine asymmetrische Kapitalzuordnung für Inlandsbetriebsstätten einerseits (§ 12 BsGaV-E: Kapitalaufteilungsmethode) und Auslandsbetriebsstätten andererseits (§ 13 BsGaV-E: Mindestkapitalausstattungsmethode) und entsprechende Zuordnung von Passiva und Finanzierungsaufwendungen (§§ 14 f. BsGaV-E) erfolgen. 25 Siehe dazu auch BT-Drucks. 17/10000, 65 (zum JStG 2013); weiters z.B. Schaumburg, Grenzüberschreitende Einkünftekorrektur bei Betriebsstätten, ISR 2013, 197 (198 f.).

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wird nach § 1 Abs. 5 Satz 7 AStG nicht auf das Verhältnis zwischen Gesellschafter und Personengesellschaft bzw. Mitunternehmerschaft angewendet; vielmehr gelten die gleichen Grundsätze wie bei Leistungsbeziehungen zu Kapitalgesellschaften, wobei die Sondervergütungen durch § 50d Abs. 10 EStG umqualifiziert und dem Personengesellschaftsgewinn zugeordnet werden, also in Inboundfällen der steuerlich wirksame Abzug versagt wird.26 Es darf freilich bezweifelt werden, ob es dem AOA entspricht, dass auch auf Abkommensebene solche Entgelte noch einen Bestandteil des (inländischen) Betriebsstättengewinnes bilden.27 Selbst wenn man von möglichen verfassungsrechtlichen28 und unionsrechtlichen29 Problemen absieht, schafft die innerstaatliche Implementierung des AOA in § 1 Abs. 4 Nr. 2 und Abs. 5 AStG für grenzüberschreitende Betriebsstättenfälle im Falle von „Altabkommen“ das immanente Risiko einer Doppelbesteuerung. Die dafür ursächliche einseitige Anwendung durch Deutschland – wohl ein Treaty Override30 – kann gem. § 1 Abs. 5 Satz 8 AStG nur insoweit hintangehalten werden, als der Steuerpflichtige dem deutschen Fiskus den abkommenskonformen Besteuerungsanspruch sowie die daraus resultierende Doppelbesteuerung nachweist. Besteuerungskonflikte – auch im Verhältnis zu Österreich – sind vorprogrammiert: So wendet z.B. die österreichische Verwaltungspraxis das OECD-Update 2008 auch auf „Altabkommen“ an, doch bleibt es auch nach diesem Update bei einer bloß eingeschränk-

26 Dazu ausführlich Schmidt, Sondervergütungen im Abkommensrecht, IStR 2013, 1704 (1704 ff.). 27 Siehe auch die in Rz. 298 öVPR 2010 zum Ausdruck kommenden Zweifel; dazu auch Schmidt, Sondervergütungen im Abkommensrecht, IStR 2013, 1704 (1710 f.). 28 Dazu bereits Hemmelrath/Kepper, Die Bedeutung des „Authorized OECD Approach“ (AOA) für die deutsche Abkommenspraxis, IStR 2013, 37 (41); Schaumburg, Grenzüberschreitende Einkünftekorrektur bei Betriebsstätten, ISR 2013, 197 (199 ff.). 29 Für einige Überlegungen dazu siehe z.B. Kofler/van Thiel, The „Authorised OECD Approach“ and European Tax Law, ET 2011, 327 ff. m.w.N. (wiedergegeben auch in van Thiel (Hrsg.), CFE Brochure on European Taxation (2011) 213 ff.); Schaumburg, Grenzüberschreitende Einkünftekorrektur bei Betriebsstätten, ISR 2013, 197 (201 f.). 30 Kaminski, Funktionsverlagerungen auf Betriebsstätten nach dem Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz, in Lüdicke/Mössner/Hummel (Hrsg.), Das Steuerrecht der Unternehmen, FS Frotscher (2013) 301 (310 f.).

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te Selbständigkeitsfiktion.31 Überlässt daher etwa ein deutsches Stammhaus einer österreichischen Betriebsstätte ein Wirtschaftsgut, würde Österreich nur eine verursachungsgerechte Zuordnung des Aufwandes akzeptieren,32 Deutschland aber einen Gewinnaufschlag für die fiktive Vermietung nach § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG ansetzen. Die daraus resultierende Doppelbesteuerung könnte nach § 1 Abs. 5 Satz 8 AStG nur durch entsprechende Nachweise (wohl insb. durch den österreichischen Steuerbescheid und allenfalls ergänzende Unterlagen)33 vermieden werden. § 1 Abs. 5 Satz 8 AStG wirft zudem die Frage auf, welche Abkommensauslegung Deutschland akzeptieren würde; in den Gesetzesmaterialien ist angedeutet, dass im Verhältnis zu OECD-Staaten für die Auslegung des Art. 7 eines bestehenden Abkommens auf den OECD-MK i.d.F. des Updates 2008 abzustellen sei,34 was freilich im Verhältnis zu Staaten, die Kommentaränderungen nicht auf Altabkommen durchschlagen lassen, zu einem weiteren Spannungsfeld führen würde. Eine weitere Entwicklung im Bereich des AOA könnte aus dem Projekt der OECD zu „Base Erosion and Profit Shifting“ (BEPS) resultieren: Als Aktion 9 des OECD-Aktionsplanes35 ist nämlich vorgesehen, die Verrechnungspreisregelungen so zu überarbeiten, dass die Verteilung von Risiken und Kapital nicht einzig von der vertraglichen Gestaltung abhängen, sondern die Gewinnaufteilung mit der Wertschöpfung in Einklang stehen soll. Damit ist wohl eine Abkehr vom Ansatz der gegenwärtigen OECD-Verrechnungspreisleitlinien, die eine vertragliche Zuordnung prinzipiell akzeptieren,36 eingeläutet. Die Aktion 9 könnte dabei auch so verstanden werden, dass die OECD die Verrechnungspreissystematik – wie bereits die Betriebsstättengewinnaufteilung im Rah31 Vgl. Damböck/Galla/Nowotny (Hrsg.), Verrechnungspreisrichtlinien (2012) K 404. 32 Siehe z.B. öBMF v. 25.11.2011, EAS 3251. 33 Siehe BT-Drucks. 17/10000, 65 (zum JStG 2013). 34 BT-Drucks. 17/10000, 65 (zum JStG 2013). 35 OECD, Action Plan on Base Erosion and Profit Shifting (19. Juli 2013). Ausführlich zu den verrechnungspreisbezogenen Punkten des BEPS Aktionsplans Kofler, The BEPS Action Plan and Transfer Pricing: The Arm’s Length Standard Under Pressure? BTR 2013, 646 (646 ff.). 36 Siehe nur Tz. 1.52 der OECD-Verrechnungspreisleitlinien. So akzeptiert die OECD z.B. eine vertragliche Zuordnung von Risiken, wenn der Risikoträger die finanzielle Kapazität zur Risikotragung hat (z.B. auch durch Abschluss einer Versicherung) und das Risiko „kontrolliert“, also die Entscheidungen über das Eingehen und das – interne oder externe – Management von Risiken trifft; siehe Tz. 9.10–9.47 der OECD-Verrechnungspreisleitlinien.

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men des AOA – in Richtung eines Fokus auf die wesentlichen Personalfunktionen bewegen möchte, wonach z.B. das Risiko den Funktionen folgen37 und sich der freien vertraglichen Zuordnung entziehen würde. Ein Zirkel: Der AOA sollte nämlich gerade die Anwendbarkeit der Verrechnungspreisgrundsätze innerhalb der Teile eines Unternehmens ermöglichen, nicht aber die über viele Jahre ausgefeilten Verrechnungspreisgrundsätze fundamental in Frage stellen. Gerade ein Abgehen von Verträgen würde natürlich ein erhebliches praktisches Unsicherheitselement in die ohnehin schon hochkomplexe Welt der Verrechnungspreise einführen.38

C. Der Betriebsstättenbegriff des Artikel 5 OECD-MA Der in Art. 5 OECD-MA definierte Begriff der Betriebsstätte ist im Bereich des internationalen Unternehmenssteuerrechts von wesentlicher Bedeutung: Im Bestand einer Betriebsstätte manifestiert sich jene „Intensitätsschwelle“, die erreicht sein muss, damit der Quellenstaat sein Besteuerungsrecht über den ausländischen Unternehmer nach Art. 7 OECD-MA ausüben darf.39 Der im vergangenen halben Jahrhundert kaum veränderte Art. 5 wird allerdings aufgrund der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle, die bei nur geringer Intensität der physischen Bindung an den Quellenstaat eine hohe Wertschöpfung ermöglichen, auch kritisch gesehen. Nicht zuletzt aufgrund des Drucks der Entwicklungs- und Schwellenländer, die abkommensrechtlichen Betriebsstättentatbestände zu erweitern,40 fand auch in der OECD ein Prozess statt, ohne Änderung des Wortlautes des Art. 5 OECD-MA die Anforderungen an den Bestand einer Betriebsstätte durch Änderungen des Kommentars kontinuierlich zu senken und sich vom traditionellen Erfordernis einer festen Geschäftseinrichtung immer weiter zu entfernen;41 hinzu tritt

37 Siehe Z. 71 AOA Bericht 2010. 38 Kritisch daher Kofler, The BEPS Action Plan and Transfer Pricing: The Arm’s Length Standard Under Pressure? BTR 2013, 646 (659 f.). 39 BFH v. 21.4.1999 – I R 99/97, BFHE 189, 292 = BStBl. II 1999, 694. 40 Solche alternative Betriebsstättentatbestände sind Dienstleistungsbetriebsstätten (Art. 5 Abs. 3 lit. b UN MA), Versicherungsbetriebsstätten (Art. 5 Abs. 6 UN MA), Betriebsstätten durch Öl- und Gasexploration oder Betriebsstätten wegen Bestandes wesentlicher Ausrüstungen. 41 Siehe z.B. Bendlinger, Die Betriebsstätte im OECD-Musterabkommen 2010, SWI 2011, 61 (61 ff.); Bendlinger/Kofler, RuSt 2012: Highlights aus dem Workshop „Internationales Steuerrecht“, RdW 2012/658, 615 (619).

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beispielsweise der im Rahmen der Revision des Jahres 200842 in den OECD-MK aufgenommene Textvorschlag, der dem Quellenstaat die Besteuerung von Dienstleistungen auch dann ermöglichen soll, wenn der Unternehmer dort über keine feste Geschäftseinrichtung verfügt.43 Insgesamt lässt sich daher auch ein gewisses Auseinanderdriften von Art. 5 und Art. 7 OECD-MA konstatieren: Während im Bereich der Betriebsstättendefinition die Schwelle abgesenkt wird, wird die Gewinnaufteilung durch die mit dem AOA eingeführte Eigenständigkeitsfiktion der Betriebsstätte zunehmend komplexer. Oder, um es etwas überspitzt anhand eines aktuellen Beispiels aus der österreichischen Verwaltungspraxis44 zu formulieren: Das „Besenkammerl“ des Reinigungsunternehmens ist als Kapitalgesellschaft zu fingieren. Die interpretative „Aufweichung“ des Betriebsstättenbegriffs betrifft vor allem das Kriterium der „Verfügungsmacht“ über die Geschäftseinrichtung45 und die zeitliche Komponente der Ausübung bei wiederkehrenden Leistungen.46 Am Ausgangspunkt sticht vor allem das im Zuge der Revision des Jahres 200347 in den OECD-MK eingefügte „Anstreicherbeispiel“ hervor: Demnach soll ein Anstreicher, der für einen Zeitraum von zwei Jahren an drei Tagen in der Woche die Räume eines großen Bürogebäudes ausmalt, allein durch seine Präsenz in dem Gebäude, wo er seine wesentlichen unternehmerischen Funktionen (das Ausmalen) ausübt, eine Betriebsstätte begründen.48 Wird der Anstreicher jedoch für verschiedene Auftraggeber tätig, für die er in ein- und demselben Bürogebäude arbeitet, soll das Gebäude selbst (mangels Verfügungs42 OECD, The 2008 Update to the OECD Model Tax Convention (18. Juli 2008). 43 Art. 5 Rz. 42.11 bis 42.48 OECD-MK; dazu etwa Bendlinger, Zum Seminar A: Die Betriebsstätte – ein alternativer Betriebsstättentatbestand, IStR 2009, 521 (521 ff.); Reimer, Die Zukunft der Dienstleistungsbetriebstätte, IStR 2009, 378 (378 ff.); Reiser/Cortez, Betriebsstättenbegriff im Wandel – Zur veränderten Bedeutung des Kriteriums der Verfügungsmacht, IStR 2013, 6 (12). 44 öBMF v. 5.8.2013, EAS 3333. 45 Arg. „durch die“ in Art. 5 Abs. 1 OECD-MA bzw. „über eine bestimmte Geschäftseinrichtung verfügt“ in Art. 5 Rz. 4.1 OECD-MK. Ausführlich dazu jüngst sowohl aus innerstaatlicher wie auch abkommensrechtlicher Sicht Reiser/Cortez, Betriebsstättenbegriff im Wandel – Zur veränderten Bedeutung des Kriteriums der Verfügungsmacht, IStR 2013, 6 (6 ff.). 46 Arg. „fest“ in Art. 5 Abs. 1 OECD-MA. 47 Siehe den Bericht OECD, The 2002 Update to the Model Tax Convention (angenommen am 28. Januar 2003). 48 Art. 5 Rz. 4.5. OECD-MK.

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macht) nicht als „feste Geschäftseinrichtung“ des Anstreichers gelten.49 Eine ähnliche Sichtweise findet sich auch für Schulungstätigkeiten eines Unternehmensberaters.50 Gleichermaßen wird bei einem Unternehmen, das eine Straße pflastert, unterstellt, dass es seine Geschäftstätigkeit „durch“ (also an) den (dem) Ort ausübt, wo die Tätigkeiten stattfinden.51 Wie im Anstreicherbeispiel deutlich wird soll damit z.B. das anzustreichende Bürogebäude nicht nur das Objekt der Tätigkeit, sondern zugleich auch die Einrichtung sein, mit deren Hilfe die Unternehmenstätigkeit ausgeübt wird.52 Das Erfordernis der Ausübung der unternehmerischen Tätigkeit „durch“ eine Betriebsstätte wird damit aber völlig kontraintuitiv im Sinne von „an“ einer Geschäftseinrichtung verstanden. Wenngleich die deutsche und österreichische Verwaltungspraxis dieser weiten Auslegung der OECD oder gar einem extensiven Verständnis eher skeptisch gegenübersteht,53 verfolgt die OECD ihre Linie konsequent weiter. So wurde im Oktober 2011 der Entwurf eines Berichtes vorgelegt, der sich mit 25 Zweifelsfragen der Auslegung des abkommensrechtlichen Betriebsstättenbegriffs – und darunter auch mit den Aspekten der Verfügungsmacht und der zeitlichen Komponente – beschäftigt und z.T. Empfehlungen zur Änderung des OECD-MK beinhaltet.54 Angesichts der heftigen Reaktion von Wirtschaft und Verwal49 Art. 5 Rz. 5.3. OECD-MK. 50 Art. 5 Rz. 5.4. OECD-MK. 51 Art. 5 Rz. 4.6. OECD-MK; dazu Bendlinger/Kofler, RuSt 2012: Highlights aus dem Workshop „Internationales Steuerrecht“, RdW 2012/658, 615 (619 f.). 52 Kritisch auch Reiser/Cortez, Betriebsstättenbegriff im Wandel – Zur veränderten Bedeutung des Kriteriums der Verfügungsmacht, IStR 2013, 6 (11 f.). 53 Siehe für Deutschland die Nachweise bei Reiser/Cortez, Betriebsstättenbegriff im Wandel – Zur veränderten Bedeutung des Kriteriums der Verfügungsmacht, IStR 2013, 6 (12), und für Österreich z.B. öBMF v. 5.8.2013, EAS 3333, der zufolge „nach der derzeitigen österreichischen Verwaltungspraxis noch nicht die im ‚Painter-Example‘ (Z 4.5 des OECD-Kommentars zu Artikel 5 OECD-Musterabkommen) zum Ausdruck kommende OECD-Auffassung derart extensiv angewendet“ wird, dass die von einem deutschen Reinigungsunternehmen „zu reinigenden Gebäudeteile als Betriebstätte des deutschen Unternehmens zu werten sind“. 54 OECD, Interpretation and Application of Art. 5 (permanent establishment) of the OECD Model Tax Convention (12 October 2011 to 10 February 2012); dazu z.B. Bendlinger, Neuer OECD-Bericht zur Betriebsstättendefinition, SWI 2011, 531 (531 ff.); Hoor, Der OECD-Diskussionsentwurf zur Revision

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tungspraxis55 wurde der Entwurf am 7.9.2012 einem „Public Consultation Meeting“ unterzogen und nachfolgend mit Modifikationen als „Revised Discussion Draft“ veröffentlicht,56 der nunmehr offenbar in das BEPS Projekt integriert werden soll. Dieser Bericht zu Art. 5 OECD enthält auch eine Reihe von – z.T. wohl der deutschen Rechtsprechung widersprechenden57 – Klarstellungen und Beispielen zum Begriff der „Verfügungsmacht“. So soll die Verfügungsmacht allgemein von der tatsächlichen Befugnis, eine bestimmte Örtlichkeit zu nutzen (z.B. Eigentum, Miete, Pacht, aber auch gewisse Fälle der längerfristigen und regelmäßigen Nutzung58), der Anwesenheitsdauer und den am fraglichen Ort ausgeführten Tätigkeiten abhängen.59 Diese Grundzüge werden dann auf Einzelfälle übertragen: So hängt beispielsweise die Frage, ob ein Arbeitszimmer („Home Office“) eines Dienstnehmers eine Betriebsstätte des Dienstgebers darstellt, von der Verfügungsmacht des Unternehmens und damit von den konkreten Umständen ab, insb. davon, ob dem Dienstnehmer ein für die Tätigkeit erforderliches Büro zur Verfügung steht.60 Die Verfügungsmacht soll auch entscheidend dafür sein, wie sich eine Subvergabe alle Aspekte des Vertrags durch den Generalunternehmer („Totaldelegation“) auswirkt. Der Betriebsstättenbericht geht offenbar dann von einer Begründung einer Betriebsstätte und einer – auch zeitlichen – Zurechnung der Subunternehmer an den Generalunternehmer aus, wenn dieser keine eige-

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des Kommentars zu Art. 5 (Betriebsstätte) im OECD Musterabkommen, IStR 2012, 17 (17 ff.). Bei der OECD sind 40 Stellungnahmen von Interessenvertretungen, global tätigen Unternehmen und internationalen Beratungsunternehmen eingegangen, die unter www.oecd.org zum Download zur Verfügung stehen. Siehe den Revised Public Discussion Draft „Interpretation and Application of Article 5 (Permanent Establishment) of the OECD Model Tax Convention“ (2012/13), im Folgenden „OECD Betriebsstättenbericht“. Ausführlich Reiser/Cortez, Betriebsstättenbegriff im Wandel – Zur veränderten Bedeutung des Kriteriums der Verfügungsmacht, IStR 2013, 6 (6 ff.). Dazu Reiser/Cortez, Betriebsstättenbegriff im Wandel – Zur veränderten Bedeutung des Kriteriums der Verfügungsmacht, IStR 2013, 6 (13). Pkt. 2 des OECD Betriebsstättenberichts; dazu z.B. auch Ronge, Anmerkungen zur geplanten Neufassung der Kommentierung zu Art. 5 des OECD-MAKommentars, IStR 2013, 266 (267 f.). Pkt. 4 des OECD Betriebsstättenberichts.

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nen Mitarbeiter dort beschäftigt, aber dennoch die Verfügungsmacht im Hinblick auf die Geschäftseinrichtung hat.61 Besonders kontroversiell diskutiert werden auch die zeitlichen Aspekte der Betriebsstättenbegründung, speziell bei wiederkehrenden Leistungen. So dürfte es der gängigen Praxis entsprechen, dass die Annahme einer „festen Geschäftseinrichtung“ i.S.d. Art. 5 Abs. 1 OECD-MA einen bestimmten Grad an Beständigkeit voraussetzt, der sich in einer geografischen und in einer zeitlichen Verfestigung manifestiert, wobei letztere ab einer sechsmonatigen Dauer gegeben sein soll.62 Die OECD möchte die 6-Monats-Frist jedoch nicht zum zwingenden Standard i.S. einer „Mindestanforderung“ erheben. Vielmehr führt sie im Betriebsstättenbericht zwei – durchaus kritisch zu sehende63 – „Ausnahmen“ an, nämlich einerseits für wiederkehrende Aktivitäten und andererseits für Situationen, in denen die Aktivität für einen beschränkten Zeitraum ausschließlich im Quellenstaat ausgeübt wird. Die erste Situation der wiederkehrenden Aktivitäten, bei denen jede unter sechsmonatige Zeitspanne, über die die Einrichtung genutzt wird, in Verbindung mit der Zahl der Nutzungen (die sich über eine Reihe von Jahren erstrecken kann) in Betracht gezogen werden muss,64 hängt von den spezifische Eigenheiten ab. Sie ist nach der OECD z.B. dann verwirklicht, wenn ein Unternehmen Bohrarbeiten an einem entlegenen Teil der Arktis im Quellenstaat unternimmt, wo aufgrund der klimatischen Verhältnisse nur drei Monate pro Jahr gebohrt werden kann und die Bohrarbeiten deshalb fünf Jahre in Anspruch nehmen.65 Der Betriebsstättenbericht äußert sich freilich nicht zu den praktischen Problemen, insbesondere zum Zeitpunkt der (ungeplanten) Betriebsstättenbegründung. Besondere

61 Pkt. 8 des OECD Betriebsstättenberichts; weiterführend dazu z.B. Reiser/Cortez, Betriebsstättenbegriff im Wandel – Zur veränderten Bedeutung des Kriteriums der Verfügungsmacht, IStR 2013, 6 (15); Ronge, Anmerkungen zur geplanten Neufassung der Kommentierung zu Art. 5 des OECD-MA-Kommentars, IStR 2013, 266 (268 ff.). 62 Siehe Art. 5 Rz. 6 erster Satz OECD-MK und Pkt. 6 des OECD Betriebsstättenberichts. Zum Verhältnis zur 12-Monatsfrist nach Art. 5 Abs. 3 OECD-MA bei Bauausführungen siehe jüngst Seitz, The Construction Clause in Article 5(3) of the OECD Model, BIT 2013, 450 (450 ff.). 63 Ronge, Anmerkungen zur geplanten Neufassung der Kommentierung zu Art. 5 des OECD-MA-Kommentars, IStR 2013, 266 (268). 64 Rz. 6 fünfter Satz OECD-MK zu Art. 5 Abs. 1 OECD-MA 2010; Rz. 6.1. erster Satz OECD-MK zu Art. 5 Abs. 1 OECD-MA (neu). 65 Pkt. 6 des OECD Betriebsstättenberichts.

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Probleme können dabei wiederkehrende Dienstleistungen zwischen verbundenen Unternehmen (z.B. Entsendung von Mitarbeitern der Mutterzur Tochtergesellschaft) oder Wartungsarbeiten hervorrufen, bei denen nach dem Verständnis der OECD zumindest ein „Betriebsstättenrisiko“ besteht; ein dadurch den Finanzverwaltungen und Steuerpflichtigen auferlegter Verwaltungsaufwand steht aber wohl in keinem Verhältnis zum Steueraufkommen für den Quellenstaat.66 Für betriebsstättenbegründende Aktivitäten, die ausschließlich im Quellenstaat ausgeübt werden, führt die OECD das Beispiel einer Einzelunternehmerin an, die im Haus ihrer Eltern im Quellenstaat auf Basis eines einzigen Vertrages mit einem Filmproduzenten Cateringleistungen während der viermonatigen Dreharbeiten eines Dokumentarfilms erbringt und danach das Unternehmen beendet.67 Keine Betriebsstätte würde hingegen begründet, wenn ein größeres Cateringunternehmen z.B. während eines vierwöchigen Sportevents im Quellenstaat solche Leistungen erbringt.68 Der Fokus der OECD liegt hier offenbar auf dem Umstand, dass im Beispiel der Einzelunternehmerin das gesamte Unternehmen während seiner Lebenszeit im Quellenstaat ausgeübt wird. Allerdings könnte dieser Fall auch neues Licht auf das „Anstreicherbeispiel“ werfen, wenn man unterstellt, dass es sich auch dort um ein Einzelunternehmen handelt. Komplexen und streitanfälligen Abgrenzungsproblemen sind damit freilich Tür und Tor geöffnet.69 Die Überlegungen der OECD im Bereich der abkommensrechtlichen Betriebsstättendefinition stehen überdies in engem Zusammenhang zum Projekt zu „Base Erosion and Profit Shifting“ (BEPS). Aktion 7 des OECD Aktionsplanes70 befasst sich mit Fragen der „künstlichen“ Vermeidung der Betriebsstättenbegründung. Damit sind nicht nur Aufspaltungen einer integrierten Aktivität in mehrere Nicht-Betriebsstätten i.S.d. Ausnahmekatalogs nach Art. 5 Abs. 4 OECD-MA (z.B. Waren- und Auslieferungslager) angesprochen, sondern auch Gewinnverlagerungen durch Kommissionärsstrukturen. In der Tat neigen vor allem bei „Funktionsabschmelzungen“ durch Herabstufung von bisher auf Eigenhandelsbasis tätigen Tochtergesellschaften zu Kommissionären Finanzver66 Bendlinger/Kofler, RuSt 2012: Highlights aus dem Workshop „Internationales Steuerrecht“, RdW 2012/658, 615 (620). 67 Pkt. 6 des OECD Betriebsstättenberichts. 68 Pkt. 6 des OECD Betriebsstättenberichts. 69 Siehe auch Ronge, Anmerkungen zur geplanten Neufassung der Kommentierung zu Art. 5 des OECD-MA-Kommentars, IStR 2013, 266 (268). 70 OECD, Action Plan on Base Erosion and Profit Shifting (19. Juli 2013).

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waltungen dazu, das dadurch entgehende Steuersubstrat durch die Unterstellung einer Vertreterbetriebsstätte nach Art. 5 Abs. 5 OECD-MA „kompensieren“ zu wollen,71 wiewohl der Wortlaut einen Vertrag „im Namen“ des Vertretenen mit dem Abnehmer erfordert. Nicht zuletzt angesichts der widerstreitenden Judikatur in den Mitgliedstaaten72 konnte bislang aber keine internationale Einigung erzielt werden, ob für die Annahme eines „abhängigen Vertreters“ i.S.d. Art. 5 Abs. 5 OECD eine gegenüber Dritten wirksame rechtliche (direkte) Bindung des Unternehmers notwendig ist, oder ob eine wirtschaftliche (indirekte) Bindung des Geschäftsherrn durch den Vertreter ausreicht.73 Angesichts 71 So für Österreich z.B. Rz. 175 f. VPR 2010; öBMF v. 14.12.2005, EAS 2681; Jirousek, Kommissionärstochtergesellschaften als Vertreterbetriebsstätten? in BMF/JKU (Hrsg.), Einkommensteuer – Körperschaftsteuer – Steuerpolitik, GedS Quantschnigg (2010) 133 (133 ff.); zur Kritik siehe z.B. Staringer, Kommissionärsstrukturen im internationalen Konzernvertrieb, SWI 2010, 407 (407 ff.). 72 Siehe zuletzt für ein zivilrechtliches Verständnis den französischen Conseil d’Etat v. 31.3.2010 – No. 304715 and No. 308525, Zimmer, sowie das norwegische Höchstgericht v. 2.12.2011 – No. 2011.755, Dell Products, und für ein wirtschaftliches Verständnis das spanische Tribunal Supremo v. 12.1.2012 – 1626/2008, JUR/2012/41054, Roche; siehe dazu jeweils m.w.N. auch Bendlinger, Sinn und Zweck der Vertreterbetriebsstätte, ÖStZ 2010/308, 140 (140 ff.); Mitterlehner, Die Vertretervollmacht im Lichte des OECD-Reports, SWI 2013, 492 (492 ff.); Ditz/Bärsch/Schneider, Betriebsstättenrisiken bei Prinzipalstrukturen am Beispiel Spaniens, IWB 2013, 559 (550 ff.). 73 In Pkt. 19 des OECD Betriebsstättenberichts wird jedoch eine Klarstellung dahingehend vorgeschlagen, dass – im Lichte der angelsächsischen Rechtskultur – auch eine verdeckte Vertretungsmacht ausreichen soll, es also auf die rechtliche Bindung und nicht auf den förmlichen Abschlusses „im Namen“ des Unternehmens ankommt (siehe auch Mitterlehner, Die Vertretervollmacht im Lichte des OECD-Reports, SWI 2013, 492 (494 ff.); Ditz/Bärsch/ Schneider, Betriebsstättenrisiken bei Prinzipalstrukturen am Beispiel Spaniens, IWB 2013, 559 (565 und 567 f.)). Umgekehrt findet sich dort auch der Hinweis, dass sich der zweite Teil des (derzeitigen) Art. 5 Rz. 32.1 OECD-MK nicht auf die Bindung des Unternehmens bezieht, sondern nur auf die Frage, ob die Aktivitäten des Vertreters ausreichend sind, um einen Vertragsabschluss anzunehmen (z.B. Annahme von Bestellungen und quasi-automatische Auslieferung durch Unternehmer). Ergänzend soll auch klargestellt werden, dass von dem in Art. 5 Abs. 5 OECD-MA verwendeten Begriff der „Verträge“ nicht nur auf Verträge über den Verkauf von Gütern und Waren umfasst sind, sondern auch andere Verträge wie z.B. Leasing- oder Dienstleistungsverträge; siehe Pkt. 20 des OECD Betriebsstättenberichts. Für eine umfangreiche und historische Analyse siehe Pijl, Agency Permanent Establish-

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der Einbindung dieser Fragestellung in das BEPS-Projekt ist wohl davon auszugehen, dass hier eine entsprechende Änderung des OECD-MK – womöglich unter Rückgriff auf die wirtschaftliche Sinnhaftigkeit und die primäre Strukturierung zur Vermeidung der Betriebsstättenbegründung74 – erfolgen wird. Sollte eine Tochtergesellschaft aber als abhängiger Vertreter i.S.d. Art. 5 Abs. 5 OECD-MA anzusehen sein, geht die OECD75 – wie auch § 1 Abs. 5 Satz 5 AStG – davon aus, dass es zu einer fremdüblichen Gewinnzuordnung angesichts des dualen Status der Tochtergesellschaft im Hinblick auf ihre Funktionen und die Risiken, die zwar verrechnungspreisrechtlich bei der Muttergesellschaft liegen, aber nach dem AOA der Betriebsstätte zuzuordnen sind, kommen muss; der – z.B. auch im Protokoll zum DBA Deutschland-Österreich vorgesehenen76 – „Nullsummentheorie“, wonach eine Abgeltung ohnehin durch einen fremdüblichen Verrechnungspreis erfolge und keine weitere Gewinnzuordnung zu einer Vertreterbetriebsstätte notwendig sei,77 erteilt die OECD damit wohl eine Absage.

D. Betriebsstättenbesteuerung und Unionsrecht I. Verwertung von ausländischen, „befreiten“ Betriebsstättenverlusten Die Rechtsprechung des EuGH hat seit Marks & Spencer78 die Diskussion darüber angeheizt, ob und inwieweit im Falle einer Verlustwertbarkeit in Inlandssituationen in vergleichbaren grenzüberschreitenden Si-

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ments: in the name of and the Relationship between Article 5(5) and (6), BIT 2013, 3 (3 ff.), und 62 (62 ff.). Siehe Rz. 108 des OECD Betriebsstättenberichts. Z 230–247 AOA Bericht 2010. Nach Punkt 2 des Protokolls zum deutsch-österreichischen DBA besteht Einverständnis, „dass im Fall verbundener Unternehmen keines dieser Unternehmen als Vertreterbetriebsstätte eines anderen verbundenen Unternehmens behandelt wird, wenn die jeweiligen – ohne dieses Einverständnis sonst zur Vertreterbetriebsstätte führenden – Funktionen durch Ansatz angemessener Verrechnungspreise, einschließlich eines diesem verbleibenden Gewinns, abgegolten werden“. Siehe dazu Ditz/Bärsch, Gewinnabgrenzung bei Vertreterbetriebsstätten nach dem AOA – ein Plädoyer für die Nullsummentheorie, IStR 2013, 411 (411 ff.). EuGH v. 13.12.2005 – Rs. C-446/03, Marks & Spencer, EuGHE 2005, I-10837.

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tuationen auch eine „Hereinnahmeverpflichtung“ für ausländische Verluste, insbesondere auch aus „befreiten“ Betriebsstätten, besteht.79 Diese Debatte hat durch die unlängst vom EuGH entschiedene Rechtssache A Oy80 erneut Auftrieb erhalten. In dieser Rechtssache ging es um die Frage, ob die unionsrechtliche Niederlassungsfreiheit die Hereinnahme der vor einer Upstream-Hereinverschmelzung entstandenen Verluste der übertragenden Gesellschaft erfordert, wenn im Staat der übertragenden Gesellschaft keine Betriebsstätte verbleibt, sofern im vergleichbaren Inlandsfall eine Verlustübernahme möglich wäre. Das Urteil des EuGH in A Oy enthält hier eine Reihe wertvoller Klarstellungen: Der EuGH 79 Der EuGH war sowohl mit Verlusten von Tochtergesellschaften (EuGH v. 13.12.2005 – Rs. C-446/03, Marks & Spencer, EuGHE 2005, I-10837; EuGH v. 18.7.2007 – Rs. C-231/05, Oy AA, EuGHE 2007, I-6373; EuGH v. 27.11.2008 – Rs. C-418/07, Société Papillon, EuGHE 2008, I-8947; EuGH v. 25.2.2010 – Rs. C-337/08, X Holding, EuGHE 2010, I-1215; EuGH v. 21.2.2013 – Rs. C-123/11, A Oy, ISR 2013, 103 m. Anm. Müller) und mit „befreiten“ Betriebsstättenverlusten (EuGH v. 28.2.2008 – Rs. C-293/06, Deutsche Shell GmbH, EuGHE 2008, I-1129; EuGH v. 15.5.2008 – Rs. C-414/06, Lidl Belgium, EuGHE 2008, I-3601; EuGH v. 23.10.2008 – Rs. C-157/07, Krankenheim Ruhesitz am Wannsee, EuGHE 2008, I-8061) als auch mit Veräußerungsverlusten sonst befreiter Einkunftsquellen befasst (EuGH 7.11.2013 – Rs. C-322/11, K, ISR 2013, 425 m. Anm. Müller). Darüber hinaus hat der EuGH auch zu negativen Vermietungseinkünften beschränkt Steuerpflichtiger judiziert (EuGH v. 21.2.2006 – Rs. C-152/03, Ritter Coulais, EuGHE 2006, I-1711; EuGH v. 18.7.2007 – Rs. C-182/06, Lakebrink, EuGHE 2007, I-6705; EuGH v. 16.10.2008 – Rs. C-527/06, Renneberg, EuGHE 2008, I-7735). Siehe auch Mitteilung der Kommission betreffend „Steuerliche Behandlung von Verlusten bei grenzübergreifenden Sachverhalten“, KOM(2006)824 endg. 80 EuGH v. 21.2.2013 – Rs. C-123/11, A Oy (abgedruckt z.B. in DStR 2013, 392 m. Anm. Hruschka, und in IStR 2013, 239 m. Anm. Ditz/Quilitzsch); ausführlich dazu z.B. Müller, Altbekanntes bei der Finalität von Auslandsverlusten, ISR 2013, 103 ff.; Mitschke, Finale Verluste in der „Zwickmühle“ des Europäischen Steuerrechts – Zum EuGH-Urteil in der Rechtssache A Oy vom 21.2.2013, C-123/11, IStR 2013, 209 ff.; Schiefer/Quinten, Berücksichtigung „finaler Verluste“ durch grenzüberschreitende Verschmelzung – Auswirkungen des Urteils in der Rs. A Oy, IStR 2013, 261 ff.; Blum/Spies, Ausländische Verluste im Lichte des Unionsrechts – die Rs. A Oy und ihre Implikationen für Österreich, SWI 2013, 213 ff.; Schulz-Trieflaff, Die Entscheidung des EuGH in dem Verfahren „A Oy“: Gibt es in der Rechtswirklichkeit finale Verluste? ISR 2013, 216 ff.; Musil, EuGH-Entscheidung „A Oy“: Ausschluss der Verlustnutzung einer gebietsfremden Tochtergesellschaft nach Fusion auf die gebietsansässige Muttergesellschaft – Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit? FR 2013, 374 f.; Petritz-Klar, EuGH in der Rs. A Oy: Finale Verluste reloaded? RdW 2013, 432 ff.

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hielt zunächst deutlich am in Marks & Spencer81 entwickelten, aus der zulässigen Verhinderung der doppelten Verlustverwertung82 abgeleiteten Konzept der Berücksichtigungspflicht „finaler Verluste“ fest; entgegen der Schlussanträge von GA Kokott83 führe dabei auch die freiwillige Entscheidung zur Verschmelzung nicht zum Verwertungsausschluss „finaler Verluste“. Damit erteilte der EuGH den – im Lichte des Urteils in der Rechtssache X Holding84 und des dortigen Fokus auf den Rechtfertigungsgrund der „Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse“ – angestellten Überlegungen, dass Marks & Spencer nicht mehr „good law“ sei und daher nicht einmal eine Berücksichtigungspflicht für „finale“ Verluste bestünde,85 wohl vorerst eine Absage.86 Ebenso deutlich bestätigt der EuGH, dass der Betriebsstättenvorbehalt des Art. 4 der steuerlichen FusionsRL nichts an der Anwendbarkeit der Grundfreiheiten ändert.87 Damit dürfte feststehen, dass im Falle einer Vergleichbarkeit mit Inlandssituationen bei ausländischen Tochterge-

81 EuGH v. 13.12.2005 – Rs. C-446/03, Marks & Spencer, EuGHE 2005, I-10837. 82 Angemerkt sei jedoch, dass sich aus dem Urteil des EuGH in der Rechtssache Philips Electronics insbesondere ableiten lässt, dass die Vermeidung der mehrfachen Verlustverwertung nicht (rechtfertigende) Aufgabe des Quellenstaates ist; siehe EuGH v. 6.9.2012 – Rs. C-18/11, Philips Electronics, Rz. 33 f. (vorgehend UK First Tier Tribunal v. 27. und 28.7.2009 – Philips Electronics UK Ltd v. HMRC [2009] UKFTT 226(TC)). 83 Schlussanträge GA Kokott v. 19.7.2012 – Rs. C-123/11, A Oy, Rz. 55–60 (abgedruckt z.B. in IStR 2012, 618 m. Anm. Schnitger und Anm. Mitschke). 84 EuGH v. 25.2.2010 – Rs. C-337/08, X Holding, EuGHE 2010, I-1215. 85 So Schlussanträge GA Kokott v. 19.7.2012 – Rs. C-123/11, A Oy, ISR 2012, 25 m. Anm. Müller, Rz. 47–54; Mitschke, Ergebnisabführungsvertrag „über die Grenze“ und Abzug finaler Verluste ausländischer Tochtergesellschaften, IStR 2011, 185 (188), auch mit Nachweisen zur herrschenden Gegenauffassung. 86 Siehe z.B. Blum/Spies, Ausländische Verluste im Lichte des Unionsrechts – die Rs. A Oy und ihre Implikationen für Österreich, SWI 2013, 213 (213 ff.); a.A. etwa Schulz-Trieflaff, Die Entscheidung des EuGH in dem Verfahren „A Oy“: Gibt es in der Rechtswirklichkeit finale Verluste? ISR 2013, 216 (216 ff.). 87 EuGH v. 21.3.2013 – Rs. C-123/11, A Oy, Rz. 22; ausführlich dazu Kofler, Das Verhältnis zwischen primärem und sekundärem Unionsrecht im direkten Steuerrecht, in Lang/Weinzierl (Hrsg), Europäisches Steuerrecht, FS Rödler (2010) 433 (433 ff.).

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sellschaften,88 befreiten Betriebsstätten89 und sonst befreiten Einkunftsquellen90 für „finale Verluste“ prinzipiell eine „Hereinnahmeverpflichtung“ besteht. Freilich ist das Konzept der „finalen Verluste“ in vielerlei Hinsicht unklar91 und auch theoretisch nur schwer greifbar.92 Die nationalen Höchstgerichte haben hier auf Basis der europäischen Rechtsprechung und der dieser inhärenten Disparitätenanalyse93 mehrere Entscheidungsgrundlagen erarbeitet, die letztlich auf der Überlegung basieren, dass lediglich faktische, nicht aber rechtliche Gegebenheiten für die Beurteilung der Finalität von Verlusten entscheidend sein sollen. Aus A Oy leitet beispielsweise der UK Supreme Court ab, dass die bloße steuerrechtliche Vortragsfähigkeit eines Verlustes nach ausländischem Recht nicht zwingend dessen faktische Finalität hindert.94 Diese Ansicht vertritt letztlich auch der deutsche BFH in Betriebsstättenfällen, der zwischen rechtlichen und faktischen Umständen des Verlustuntergangs unterscheidet: So seien Verluste, die aufgrund von rechtlichen Bestimmungen (z.B. Auslaufen von Verlustvorträgen) wegfallen, nicht final,95 während Verluste, die im Ausland unbeschadet der dort herrschenden rechtlichen Rahmenbedingungen definitiv keiner anderweitigen Berücksichtigung mehr zugänglich sind (z.B. wegen Aufgabe, Veräußerung etc), final und berücksichtigungsfähig sind.96 Eine derartige faktische „Finalität“ ist gegeben, wenn die Verluste im Quellenstaat aus tatsächlichen Gründen 88 EuGH v. 13.12.2005 – Rs. C-446/03, Marks & Spencer, EuGHE 2005, I-10837; EuGH 21.3.2013, C-123/11, A Oy. 89 EuGH v. 15.5.2008 – Rs. C-414/06, Lidl Belgium, EuGHE 2008, I-3601. 90 EuGH 7.11.2013 – Rs. C-322/11, K, ISR 2013, 425 m. Anm. Müller. 91 Staringer, Konzernsteuerrecht, 18. ÖJT Band IV/1 (2012) 148 ff., der das „Fehlen wirklich präziser unionsrechtlicher Vorgaben“ für die grenzüberschreitende Verlustverwertung beklagt. 92 Siehe z.B. Haslehner, Cross-Border Loss Relief for Permanent Establishments under EC Law, BIT 2010, 33 (43 f.). 93 Siehe nur EuGH 7.11.2013 – Rs. C-322/11, K, ISR 2013, 425 m. Anm. Müller, Rz. 78 ff. 94 UK Supreme Court v. 22.5.2013 – HMRC v Marks & Spencer, [2013] UKSC 30. 95 BFH v. 3.2.2010 – I R 23/09, BStBl. II 2010, 599; BFH v. 9.6.2010 – I R 100/09, BStBl. II 2010, 1065. 96 BFH v. 9.6.2010 – I R 107/09, BFHE 230, 35 = IStR 2010, 663 m. Anm. Benecke/Staats; BFH 5.2.2014 – I R 48/11 (vorgehend siehe auch FG Niedersachsen v. 16.6.2011 – 6 K 445/09, EFG 2011, 2088 = IStR 2011, 768 m. Anm. Mitschke).

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nicht mehr berücksichtigt werden können oder ihr Abzug in jenem Staat zwar theoretisch noch möglich, aus tatsächlichen Gründen aber so gut wie ausgeschlossen ist.97 Falls im Quellenstaat in den Folgejahren doch noch eine Verlustberücksichtigung in Betracht kommt (z.B. bei späterer Neubegründung einer Betriebsstätte unter Weiternutzung der in der Vergangenheit aufgelaufenen Verluste), entfiele die „Finalität“ der Verluste nachträglich, was ein rückwirkendes Ereignis darstellen würde.98 Allerdings dürfte nach der Entscheidung des EuGH in A Oy weder die Schließung einer Betriebsstätte noch die Verschmelzung einer Gesellschaft für sich alleine ausreichender Nachweis für die Verlustfinalität sein, sondern darüber hinaus erforderlich sein, dass die Verluste faktisch nicht mehr realistischerweise verwertet werden können (z.B. mit einer Wegzugssteuer, mit anderen Einkünften).99 Offensichtliche Grenzfälle können sich schließlich dort ergeben, wo eine Verlustverwertung im Quellenstaat sowohl aus rechtlichen wie auch aus faktischen Gründen nicht möglich ist, etwa weil eine Einkunftsquelle endgültig verlustbringend aufgegeben wird, das Ausland aber für solche Verluste schon nach nationalem Steuerrecht „an der Wurzel“ keine Verwertungsmöglichkeit eröffnet; hier geht der EuGH in seinem Urteil in der Rechtssache K wohl davon aus, dass die rechtliche Komponente die faktische „überholt“, also keine relevanten „finalen Verluste“ vorliegen.100 Es überrascht daher nicht, dass in Schrifttum und Verwaltungspraxis nunmehr eine erhebliche Interpretationsbandbreite besteht, in welchen Fällen denn nun „finale“ Verluste vorliegen können. Gegen die Finalitäts-Rechtsprechung des BFH101 und diesem folgend zuletzt des FG Niedersachsen102 bestehen daher in Verwaltung und Politik auch erhebliche Ressentiments: Nicht nur ist das BMF dem Revisionsverfahren gegen die Entscheidung des FG Niedersachsen beigetreten und erhofft eine

97 Siehe zuletzt BFH v. 5.2.2014 – I R 48/11, ISR 2014, 204 m. Anm. Müller. 98 BFH v. 9.6.2010 – I R 107/09, BFHE 230, 35 = IStR 2010, 663 m. Anm. Benecke/Staats. 99 Siehe EuGH v. 21.2.2013 – Rs. C-123/11, A Oy, ISR 2013, 103 m. Anm. Müller. 100 EuGH 7.11.2013 – Rs. C-322/11, K, ISR 2013, 425 m. Anm. Müller, Rz. 81. 101 BFH v. 9.6.2010 – I R 107/09, BFHE 230, 35 = IStR 2010, 663 m. Anm. Benecke/Staats. 102 FG Niedersachsen v. 16.6.2011 – 6 K 445/09, EFG 2011, 2088 = IStR 2011, 768 m. Anm. Mitschke (Revision zu I R 48/11); BFH v. 5.2.2014, I R 48/11, BFHE 244/371, Bestätigung der Berücksichtigung von Verlusten bei tatsächl. Finalität.

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Vorlage an den EuGH,103 sondern auch der Bundesrat hat in einer Prüfbitte von einer „sehr weitgehenden Rechtsprechung“ des BFH gesprochen, die „erhebliches Gestaltungspotential eröffnet und […] die Gefahr einer doppelten Verlustnutzung [erhöht]“, und die Bundesregierung ersucht, „unter Berücksichtigung aktuell zur Entscheidung anstehender EuGH-Verfahren zu prüfen, ob eine gesetzliche Lösung erforderlich ist, die die inländische Verrechnung endgültiger ausländischer Betriebsstättenverluste auf das unionsrechtlich Erforderliche beschränkt“.104 Unsicherheiten bestehen aber auch im Hinblick auf die Auswirkungen der Rechtsprechung des EuGH auf Steuersysteme, die eine sofortige Verlusthereinnahme unter Nachversteuerungsvorbehalt vorsehen. Anders als das (derzeitige) deutsche ermöglicht es z.B. das österreichische Steuerrecht, unter Berücksichtigung einer doppelten Deckelung105 sowohl Verluste ausländischer, abkommensrechtlich befreiter Betriebsstätten (§ 2 Abs. 8 Z. 3 öEStG)106 als auch Verluste ausländischer Tochtergesellschaften im Rahmen der Gruppenbesteuerung (§ 9 Abs. 6 Z. 6 öKStG) bereits in der Verlustentstehungsperiode unter Nachversteuerungsvorbehalt in Österreich gewinnmindernd zu verwerten, sofern im Ausland keine Berücksichtigung erfolgt. Insbesondere in Nachversteuerungsfällen stellt sich hier die Frage, ob die im nationalen Steuerrecht vorgesehene Nachversteuerung unionsrechtlich dann zu unterbleiben hat, wenn es sich um „finale Verluste“ handelt. Während dies im Betriebsstättenbereich deswegen unproblematisch ist, weil ohnehin nur im Fall von ausländischen Gewinnen eine Nachversteuerung erfolgt, ist im Bereich der Gruppenbesteuerung eine solche Nachversteuerung hereingenommener Verluste auch dann vorgesehen, wenn das ausländische Gruppenmitglied durch Veräußerung der Beteiligung, Untergang des Gruppenmitgliedes oder – seit dem öBudBG 2009107 – auch wirtschaft103 Siehe Mitschke, Schließung einer Betriebsstätte ergibt „finale“ Verluste, IStR 768 (774); nach Kaminski, Aktuelle Entwicklungen bei der Betriebsstättenbesteuerung, Stbg 2012, 354 (362 f.), plant das BMF im Falle eines Unterliegens, eine umfangreiche Nachversteuerungsregel vergleichbar dem früheren § 2a Abs. 4 EStG aF einzuführen. 104 BR-Drucks. 302/12, 61. 105 Dazu z.B. Bendlinger/Kofler, RuSt 2012: Highlights aus dem Workshop „Internationales Steuerrecht“, RdW 2012/658, 615 (615 ff.). 106 Zu bemerken ist allerdings, dass § 2 Abs. 8 Z. 3 EStG nicht nur Betriebsstättenverluste betrifft, sondern etwa auch außerbetriebliche Verluste im Ausland (z.B. aus Vermietung und Verpachtung); siehe z.B. Rz. 192 öEStR 2000. 107 öBGBl I 2009/52.

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lich aus der Gruppe ausscheidet (§ 9 Abs. 6 Z. 6 öKStG);108 eine Ausnahme besteht lediglich im Fall der Liquidation oder Insolvenz der ausländischen Konzerngesellschaft, wobei diesfalls der Nachversteuerungsbetrag um die bisher steuerneutral vorgenommenen Teilwertabschreibungen auf die Beteiligung gekürzt werden darf, was im Ergebnis einer Nachholung der während der Gruppenzugehörigkeit nicht steuerwirksamen Teilwertabschreibungen entspricht. Liegen aber „finale Verluste“ vor, könnte angesichts der durch die A Oy bestätigten Marks & Spencer-Grundsätze gefolgert werden, dass diese von der Nachversteuerung nach § 9 Abs. 6 Z 6 öKStG auszunehmen sind bzw., sofern sich nachträglich herausstellen sollte, dass ein in Österreich nachversteuerter Verlust im Ausland „endgültig“ wurde, die Nachversteuerung rückgängig gemacht werden; dies entspricht auch der hA in Österreich.109 Ob diese Sichtweise unionsrechtlich geboten ist, ließe sich im Lichte von Krankenheim Ruhesitz am Wannsee110 womöglich deshalb in Zweifel ziehen, weil es nach diesem Urteil auf den ersten Blick dem Ansässigkeitsstaat nicht untersagt ist, sämtliche hereingenommenen Verluste einer Auslandsbetriebsstätte nachzuversteuern, diese also durch Nachversteuerung „auf Null“ zu stellen. Ein asymmetrisches Auslandsverlustverwertungssystem – also keine Besteuerung ausländischer Gewinne, aber Hereinnahme ausländischer Verluste unter dem Vorbehalt vollständiger Nachversteuerung – schiene damit vorderhand auch dann unionsrechtlich zulässig zu sein, wenn es letztlich zur gewinnunabhängigen Nachversteuerung und damit auch zur Nichtberücksichtigung „finaler“ Verluste führte. Reichweite und Bedeutung dieser Entscheidung sind allerdings ungeklärt,111 insbesondere weil der Verlustuntergang in Krankenheim Ruhesitz am Wannsee allein der Rechtsordnung des Betriebsstättenstaates zuzurechnen war.112 Unklar ist, ob die mit der Ver108 Siehe Rz. 1092 öKStR 2013 (ex-Rz. 434 ff. öKStR 2001). 109 Wiesner/Kirchmayr/Mayr, Gruppenbesteuerung2 (2008) K38c; Stefaner/Weninger in Lang/Schuch/Staringer, KStG (2009) § 9 Rz. 188; Hohenwarter, Verlustverwertung im Konzern (2010) 332 ff. und 531 f.; Staringer, Konzernsteuerrecht,18. ÖJT Band IV/1 (2012) 148 ff.; Blum/Spies, Ausländische Verluste im Lichte des Unionsrechts – die Rs. A Oy und ihre Implikationen für Österreich, SWI 2013, 213 (222 f.); siehe auch die zahlreichen Nachweise bei Urtz in Achatz/Kirchmayr, KStG (2011) § 9 Tz. 19. 110 EuGH v. 23.10.2008 – Rs. C-157/07, Krankenheim Ruhesitz am Wannsee, EuGHE 2008, I-8061. 111 Ausführlich und kritisch konkret im Hinblick auf die Gruppenbesteuerung Hohenwarter, Verlustverwertung im Konzern (2010) 525 ff. 112 Siehe z.B. Hohenwarter, Verlustverwertung im Konzern (2010) 436.

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lustverwertung und Nachversteuerung im Rahmen der Anrechnungsmethode befasste Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Nordea Bank Danmark113 für Befreiungssysteme weitere Erhellung bringt; denn jenem Urteil lässt sich lediglich entnehmen, dass eine Nachversteuerung von Verlusten dann unzulässig ist, wenn der Ansässigkeitsstaat nicht nur die laufenden Gewinne der Auslandsbetriebsstätte (unter Anrechnung der Auslandssteuer), sondern auch einen Gewinn aus der Veräußerung der Betriebsstätte an ein verbundenes Unternehmen besteuert.

II. „Gestreckte“ Entstrickungsbesteuerung bei grenzüberschreitender Überführung von Wirtschaftsgütern und Betriebsverlegungen Unionsrechtliche Fragestellungen ergeben sich aber nicht nur bei der Verlustverwertung, sondern auch bei der grenzüberschreitenden Verlagerung von Wirtschaftsgütern oder Betriebsverlegungen und einer dadurch ausgelösten Entstrickungsbesteuerung.114 Wenngleich das deutsche Steuerrecht bis zum SEStEG115 keinen allgemeinen Entstrickungstatbestand kannte,116 war die deutsche Rechtsprechung in der Vergangenheit – bis zum Jahr 2008 – im grenzüberschreitenden Bereich von der – im Schrifttum heftig kritisierten117 – „finalen Entnahmetheorie“ ge-

113 EuGH v. 17.7.2014 – C-48/13; siehe zu diesem Verfahren z.B. Schiefer, Europarechtskonformität der Nachversteuerung von zuvor bereits im Inland berücksichtigten Verlusten einer ausländischen Betriebsstätte – Neuauflage der Rs. KR Wannsee? ISR 2013, 220 (220 ff.). 114 Ausführlich zum Ganzen Schnitger, Die Entstrickung im Steuerrecht, IFSt Schrift Nr. 487 (2013). 115 BGBl. I 2006, 2782. 116 Siehe z.B. BFH v. 9.2.1972 – I R 205/88, BStBl. II 1972, 455; BFH v. 16.12.1975 – VIII R 3/74, BStBl. II 1976, 246; BFH v. 26.1.1977 – VIII R 109/75, BStBl. II 1977, 283; BFH v. 14.6.1988 – VIII R 387/83, BStBl. II 1989, 187; siehe auch Schaumburg, Internationales Steuerrecht3 (2010), Rz. 5.346. 117 Siehe zur Kritik an dieser Rechtsprechung Musil in H/H/R § 4 EStG Anm. 170 m.w.N.; weiters z.B. die Überlegungen bei Schaumburg, Spezielle Gewinnrealisierungsprobleme im außensteuerlichen Kontext, in Ruppe (Hrsg), Gewinnrealisierung im Steuerrecht, DStJG (1981) 247 (247 ff.); Lechner, Gewinnaufteilung zwischen in- und ausländischen Betriebstätten (1982) 70 f. und 99 ff. m.w.N.

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prägt.118 Das SEStEG sollte sodann dieses von der Rechtsprechung entwickelte Rechtsinstitut zur Sicherung des deutschen Besteuerungsanspruchs gesetzlich verankern.119 Dementsprechend wurde in § 4 Abs. 1 dritter Satz EStG – und korrespondierend in § 12 Abs. 1 KStG – erstmals ein allgemeiner Steuerentstrickungstatbestand eingefügt. Danach steht „[e]iner Entnahme für betriebsfremde Zwecke […] der Ausschluss oder die Beschränkung des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung oder der Nutzung eines Wirtschaftsguts gleich“. Die Rechtsfolge einer fiktiven Entnahme i.S.d. § 4 Abs. 1 dritter Satz EStG besteht darin, dass der gemeine Wert des entnommenen Wirtschaftsgutes dem Gewinn wieder hinzuzurechnen ist.120 Allerdings wird die – unionsrechtlich gebotene121 – aufgeschobene Besteuerung („Stundungslösung“) nach § 6 AStG i.d.F. des SEStEG für die „Wegzugsbesteuerung“ bei wesentlichen Anteile i.S.d. § 17 EStG des Privatvermögens „für Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens nicht angewendet“. Begründet wurde dies vor allem 118 Siehe aus dieser „Entstrickungsrechtsprechung“ nur BFH v. 16.7.1969 – I 266/65, BStBl. II 1970, 175; BFH v. 28.4.1971 – I R 55/66, BStBl. II 1971, 630; BFH v. 30.5.1972 – VIII R 111/69, BStBl. II 1972, 760; BFH v. 17.8.1972 – IV R 26/69, BStBl. II 1972, 903; BFH v. 7.10.1974 – GrS 1/73, BStBl. II 1975, 168; BFH v. 24.11.1982 – I R 123/78, BStBl. II 1982, 113; BFH v. 18.5.1983 – I R 5/82, BStBl. II 1983, 771; BFH v. 19.2.1998 – IV R 38/97, BStBl. II 1998, 509. Basierend auf der Judikatur des BFH hatte die deutsche Finanzverwaltung in den Betriebsstätten-Verwaltungsgrundsätzen 1999 (BStBl. I 1999, 1076 i.d.F. BStBl. I 2000, 1509) insbesondere im Falle einer Überführung von Wirtschaftsgütern des inländischen Stammhauses in dessen DBA-befreite ausländische Betriebsstätte eine Aufdeckungsverpflichtung zum Fremdvergleichspreis vertreten, sah jedoch aus „Billigkeitsgründen“ über den Ansatz eines Merkpostens die Möglichkeit einer aufgeschobenen Besteuerung vor. 119 Siehe zum Anwendungsbereich der Vorschrift insbesondere Kahle/Franke, Überführung von Wirtschaftsgütern in ausländische Betriebsstätten, IStR 2009, 406 (408 ff.); Schönfeld, Entstrickung über die Grenze aus Sicht des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG anhand von Fallbeispielen, IStR 2010, 133 (133 ff.). 120 Dabei sieht § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 EStG eine von der üblichen Teilwertbewertung abweichende Bewertung derartiger Entnahmen mit dem gemeinen Wert (§ 9 Abs. 2 BewG) vor. Bei der Überführung von Wirtschaftsgütern einer Kapitalgesellschaft in eine Betriebsstätte wird durch § 12 Abs. 1 KStG die Fiktion der Entnahme mit der Fiktion einer Veräußerung oder Überlassung des Wirtschaftsguts zum gemeinen Wert ersetzt. 121 Siehe z.B. EuGH v. 11.3.2004 – Rs. C-9/02, de Lasteyrie du Saillant, EuGHE 2004, I-2409, und EuGH v. 7.9.2006 – Rs. C-470/04, N, EuGHE 2006, I-7409.

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mit administrativen Schwierigkeiten und verfassungsrechtlichen Überlegungen.122 Allerdings sieht der – auch für Körperschaften anwendbare123 – § 4g EStG i.d.F. des SEStEG im Falle der Überführung von Wirtschaftsgütern in eine EU-Betriebsstätte die – gegenüber der früheren Verwaltungspraxis restriktivere124 – Möglichkeit einer zinslos gestreckten Besteuerung der aufgedeckten stillen Reserven des (materiellen und immateriellen) Anlagevermögens auf fünf Jahre vor.125 Eine vergleichbare Lösung besteht mit § 16 Abs. 3a EStG seit dem JStG 2010126 hinsichtlich der Entstrickung bei grenzüberschreitenden Betriebsverlegungsfällen.127 Nach dem – ebenfalls durch das JStG 2010 eingefügten – § 36 Abs. 5 EStG kann im Falle der Betriebsverlegung in einen anderen EU- oder EWR-Staat mit umfassender Amts- und Vollstreckungshilfe beantragt werden, die festgesetzte Steuer zinslos in fünf gleichen Jahresraten zu entrichten. Das gesetzliche Konzept des § 4 Abs. 1 dritter Satz EStG wurde freilich durch die Judikatur des BFH in Frage gestellt: So hat der BFH im Jahr

122 Siehe zur Begründung BT-Drucks. 16/2710, 26. 123 Rückwirkend klargestellt in § 34 Abs. 8 KStG durch das JStG 2008, BGBl. I 2007, 3150. 124 Die deutsche Finanzverwaltung hatte – wenn auch mit Einschränkungen für bestimmte Fallgestaltungen – ein Wahlrecht zwischen sofortiger und „aufgeschobener“ Realisierung der jeweiligen stillen Reserven eingeräumt; siehe zunächst den sogenannten Überführungerlass, BStBl. I 1990, 90 (mit Einschränkung durch das BMF-Schreiben v. 3.6.1992 – IV B 2 – S 2135–4/92, DStR 1992, 948) und nachfolgend Tz. 2.6.1 der Betriebsstätten-Verwaltungsgrundsätze, BStBl. I 1999, 1076 i.d.F. BStBl. I 2000, 1509. 125 § 4g EStG war in seiner konkreten Form noch nicht im Gesetzesentwurf der Bundesregierung enthalten (BT-Drucks. 16/2710), sondern wurde erst auf Initiative des Bundesrates und des Finanzausschusses (siehe BT-Drucks. 16/3369, 3, 7 und 11) in das EStG aufgenommen. Siehe zu dieser Bestimmung z.B. Kessler/Winterhalter/Huck, Überführung und Rückführung von Wirtschaftsgütern: Die Ausgleichspostenmethode des § 4g EStG, DStR 2007, 133 (133 ff.); Goebel/Jenet/Franke, Anwendungsfragen beim Ausgleichsposten gemäß § 4g EStG, IStR 2010, 235 (235 ff.). 126 BGBl. I 2010, 1768. 127 Zur zuvor geführten Diskussion, ob bzw. inwieweit der durch das SEStEG geschaffene Entstrickungstatbestand des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG auf die Verlegung von Betrieben oder Teilbetrieben Anwendung finden kann, siehe z.B. Kahle/Franke, Überführung von Wirtschaftsgütern in ausländische Betriebsstätten, IStR 2009, 406 (409 ff. m.w.N.).

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2008128 – in deklarierter Abweichung von seiner früheren Rechtsprechung und für Zeiträume vor der Einfügung des § 6 Abs. 5 EStG durch das StEntlG 1999/2002/2002129 – judiziert, dass die Theorie der finalen Entnahme für „Altjahre“ im Gesetz keine hinreichende Grundlage findet.130 Wird ein Einzelwirtschaftsgut aus einem inländischen Stammhaus in eine ausländische Betriebsstätte überführt, soll es daher nicht zur sofortigen Gewinnrealisierung kommen, auch wenn die ausländischen Betriebsstättengewinne aufgrund eines Doppelbesteuerungsabkommens von der Besteuerung im Inland freigestellt sind. Dieser Rechtsprechungswandel beruht im Wesentlichen auf einem geänderten Abkommensverständnis: Denn nach abkommensrechtlichen Regelungen, die Art. 7 OECD-MA entsprechen, könnten die bis zum Zeitpunkt der Überführung entstandenen stillen Reserven weiterhin in Deutschland besteuert werden. Zumal solcherart die (spätere) Besteuerung im Inland entstandener stiller Reserven durch eine Freistellung der ausländischen Betriebsstättengewinne nicht beeinträchtigt werde, bestehe weder eine gesetzliche Grundlage noch ein rechtspolitisches Bedürfnis nach einer Theorie der „finalen Entnahme“.131 Daran änderten auch die Bestrebungen der OECD zur Gleichstellung von Betriebsstätten mit Tochtergesellschaften im Rahmen des „Authorised OECD Approach“, der letztlich zu einer Neufassung des Art. 7 OECD-MA und des Kommentars geführt hat, nichts.132

128 BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BFHE 222, 402, BStBl. II 2009, 464; siehe auch BFH v. 28.10.2009 – I R 99/08, DStR 2010, 40 (zu Wegzug und Verlegung des Betriebes eines selbständigen Erfinders nach Belgien); BFH v. 28.10.2008 – I R 28/08, IStR 2010, 103 (zu Wegzug und Verlegung des Betriebes eines selbständigen Handelsvertreters nach Luxemburg). Bezüglich dieser Rechtsprechung hat der BMF mit einem Nichtanwendungserlass reagiert (BMF v. 20.5.2009 – IV C 6-S 2134/07/10005, 2009/0300414, BStBl. I 2009, 671). 129 Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002, BGBl. I 1999, 402. 130 Siehe dazu z.B. Ditz, Aufgabe der finalen Entnahmetheorie – Analyse des BFH-Urteils vom 17.7.2008 und seiner Konsequenzen, IStR 2009, 115 (115 ff.); Roser, Überführung von Wirtschaftsgütern ins Ausland – eine Grundsatzentscheidung mit vielen Fragen DStR 2008, 2389 (2389 ff.); Kahle/ Franke, Überführung von Wirtschaftsgütern in ausländische Betriebsstätten, IStR 2009, 406 (407 f.). 131 Siehe dazu die Nachweise in BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BFHE 222, 402, BStBl. II 2009, 464. 132 BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BFHE 222, 402, BStBl. II 2009, 464.

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Damit blieb unklar, ob diese sowohl zur Überführung von Wirtschaftsgütern133 als auch zur Betriebsverlegung134 ergangene Rechtsprechung auch auf die gesetzliche Kodifizierung der finalen Entnahmetheorie in den Entstrickungsbestimmungen des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und des § 16 Abs. 3a EStG durchschlug. So lässt sich nämlich durchaus argumentieren, dass sich das in § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG geforderte Tatbestandsmerkmal „Ausschluss […] des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland“ lediglich auf die bereits gebildeten stillen Reserven beziehen könne und im Falle der Überführung eines Wirtschaftsgutes in das Ausland nicht erfüllt sei, weil Deutschland die im Inland angelegten stillen Reserven auch später besteuern dürfe; dagegen könnte wiederum eingewendet werden, die Rechtsprechung des BFH sei durch das SEStEG überholt und überdies wäre im Hinblick auf § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG der Ausschluss des Besteuerungsrechts für zukünftige stille Reserven angesprochen.135 Angesichts dieser Diskussion und insbesondere aufgrund einer literarischen Stellungnahme von Gosch136 sah sich der deutsche Gesetzgeber allerdings veranlasst, durch das JStG 2010137 – rückwirkend138 – eine gesetzliche Klarstellung durch die Ein133 BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BFHE 222, 402, BStBl. II 2009, 464. 134 BFH v. 28.10.2009 – I R 99/08, DStR 2010, 40; BFH v. 28.10.2008 – I R 28/08, IStR 2010, 103. 135 Siehe zu dieser Diskussion z.B. Rödder/Schumacher, Das SEStEG – Überblick über die endgültige Fassung und die Änderungen gegenüber dem Regierungsentwurf, DStR 2007, 371 (371 ff.); Wassermeyer, Entstrickung versus Veräußerung und Nutzungsüberlassung steuerrechtlich gesehen IStR 2008, 176 (176 ff.); Rödder/Schuhmacher, Das kommende SEStEG – Teil I: Die geplanten Änderungen des EStG, KStG und AStG, DStR 2006, 1483 (1483 ff.); Wassermeyer in Kessler/Kröner/Köhler, Konzernsteuerrecht2 (2008) Rz. 283; Ditz, Aufgabe der finalen Entnahmetheorie – Analyse des BFH-Urteils vom 17.7.2008 und seiner Konsequenzen, IStR 2009, 115 (115 ff.); Gosch, Anmerkung zum BFH-Urteil v. 17.7.2008 – I R 77/06, BFH-PR 2008, 499 (499 ff.); Blöchle, Anwendungsbereich für die Entstrickungsregelung des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG nach Aufgabe der „finalen Entnahmelehre“ beim Wegzug von Personengesellschaftern, IStR 2009, 645 (645 ff.); Kahle/Franke, Überführung von Wirtschaftsgütern in ausländische Betriebsstätten, IStR 2009, 406 (408 f.); Schaumburg, Internationales Steuerrecht3 (2010), Rz. 5.349 ff. 136 Gosch, Anmerkung zum BFH-Urteil v. 17.7.2008 – I R 77/06, BFH-PR 2008, 499 (504); zustimmend z.B. Musil in H/H/R § 4 EStG Anm. 214. 137 BGBl. I 2010, 1768; siehe dazu z.B. Häuselmann, Unternehmensbesteuerung nach dem Jahressteuergesetz 2010, SteuK 2010, 507 (507). 138 Mit dem JStG 2010 wurde § 52 Abs. 8b EStG, in dem bis dahin nur geregelt war, dass § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG in der Fassung des SEStEG ab 2006 gilt,

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fügung eines Regelbeispiels in einem vierten Satz in § 4 Abs. 1 EStG – und korrespondierend in § 12 Abs. 1 KStG – zu normieren.139 Nach § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG i.d.F. JStG 2010 liegt solcherart „[e]in Ausschluss oder eine Beschränkung des Besteuerungsrechts hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung eines Wirtschaftsguts […] insbesondere vor, wenn ein bisher einer inländischen Betriebsstätte des Steuerpflichtigen zuzuordnendes Wirtschaftsgut einer ausländischen Betriebsstätte zuzuordnen ist.“ Unlängst ist die Finanzgerichtsbarkeit auch davon ausgegangen, dass mit der Einfügung des Regelbeispiels die Bedenken gegen die tatbestandliche Anwendbarkeit des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG ausgeräumt seien.140 Geht man davon aus, dass eine Entstrickungsbesteuerung nach § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG tatbestandlich greift, fokussiert sich die Frage im Binnenmarkt auf die Grenzen, die das Unionsrecht einer solchen Besteuerung setzt.141 Die für das Betriebsvermögen einschlägige Judikaturlinie wurde um die Sätze 2 und 3 ergänzt. Satz 2 bestimmt, dass § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG auch für frühere Veranlagungszeiträume gilt, wenn eine Überführung eines Wirtschaftsguts in eine ausländische Betriebsstätte stattgefunden hat, deren Einkünfte durch ein DBA im Inland freigestellt sind. Satz 3 bestimmt, dass § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG in allen Fällen gilt, in denen § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG anzuwenden ist. Diese Rückwirkung wurde jüngst vom FG Düsseldorf v. 5.12.2013 – 8 K 3664/11 F, IStR 2014, 73, als verfassungskonform beurteilt, zumal die mit dem JStG 2010 rückwirkend implementierte Theorie der finalen Entnahme auf einer jahrzehntelangen Rechtsprechung des BFH beruhte und allgemein angewendet wurde, weshalb ein schutzwürdiges Vertrauen auf eine hiervon abweichende Rechtslage sich jedenfalls bis zur Aufgabe der Theorie der finalen Entnahme durch das Urteil BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, und damit auch für beim FG anhängige Streitjahr 2005 nicht bilden hätte können; a.A. etwa Wied in Blümich, EStG121 (2014) § 4 Rz. 486. 139 Dazu BT-Drucks. 17/2823, 3: „Der neue Satz 4 erläutert klarstellend den Hauptanwendungsfall des § 4 Absatz 1 Satz 3 EStG mittels eines Regelbeispiels. Dieses Regelbeispiel knüpft – wie auch die Formulierung in § 4g EStG – an die Zuordnung eines Wirtschaftsguts, das bisher z.B. einem inländischen Betriebsvermögen zugeordnet war, zu einer ausländischen Betriebsstätte an.“ 140 FG Düsseldorf v. 5.12.2013 – 8 K 3664/11 F, IStR 2014, 73. 141 Diese Diskussion wird in Österreich schon deswegen nur in Detailbereichen geführt, weil in § 6 Z. 6 öEStG eine umfassende, zinslose Steueraufschublösung vorgesehen ist; dazu z.B. Laudacher in Jakom6 (2013), § 6 Rz. 147 ff. Umstritten ist aber z.B., ob die gesetzliche „Zwangsverlustverwertung“, wonach laufende Verluste und Verlustvorträge den Nichtfestsetzungsbetrag beeinflussen (arg Nichtfestsetzung der „Steuerschuld“ kann unionsrechtskon-

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Ende 2011 durch das Urteil der Großen Kammer des EuGH in der Rechtssache National Grid Indus zum „Umzug“ von Gesellschaften begründet.142 In Abgrenzung von Daily Mail143 bestätigte der EuGH hier zunächst, dass sich eine Gesellschaft auf Niederlassungsfreiheit berufen kann, wenn das form sein (bejahend UFS v. 22.10.2012 – RV/3525-W/11, Beschwerde beim VwGH zu Zl 2013/13/0038; Rz. 6683g öEStR 2000; kritisch Bieber/Lehner, Zwangsverwertung von Verlustvorträgen bei Wegzug? SWI 2013, 497 (497 ff.)). Das deutsche Steuerrecht ist hier dem österreichischen voraus: So besteht für den Grundfall des § 6 Abs. 5 AStG die Regelung, dass keine Berücksichtigung des Entstrickungsbetrags nach § 6 Abs. 5 AStG erfolgt, wenn der Gesamtbetrag der Einkünfte (ohne Entstrickungsbetrag) negativ ist (§ 6 Abs. 5 Satz 6 AStG); es kommt überdies auch zu keiner Kürzung der auf den positiven Entstrickungsbetrag entfallenden, zu stundenden Steuer um bestandskräftig festgestellte Verlustvorträge (FG München v. 14.4.2010 – 9 K 680/10). 142 EuGH v. 29.11.2011 – R. C-371/10, National Grid Indus, EuGHE 2011, I-12273. Siehe dazu ausführlich z.B. Thömmes, Rs. National Grid Indus – Wegzugsbesteuerung von Gesellschaften verstößt gegen Unionsrecht, IWB 23/2011, 896 ff.; von Brocke/Peter/Albrecht, Rs. National Grid Indus – Schicksal einer Schlussbesteuerung in den Händen wegziehender Gesellschaft, IWB 24/2011, 939 ff.; Brinkmann/Reiter, National Grid Indus: Auswirkungen auf die deutsche Entstrickungsbesteuerung, DB 2012, 16; Körner, Europarechtliches Verbot der Sofortbesteuerung stiller Reserven beim Transfer ins EU-Ausland, IStR 2012, 1 ff.; Mitschke, National Grid Indus – Ein Pyrrhussieg für die Gegner der Sofortversteuerung? IStR 2012, 6 ff.; Bron, Besteuerung der grenzüberschreitenden Sitzverlegung im Lichte der Niederlassungsfreiheit, EWS 2012, 32 ff.; Ruiner, Überlegungen zur deutschen Wegzugsbesteuerung von Gesellschaften im Licht des EuGH-Urteils in der Rs. National Grid Indus BV, IStR 2012, 49 ff.; Beutel/Rehberg, National Grid Indus – Schlusspunkt der Diskussion oder Quell neuer Kontroverse zur Entstrickungsbesteuerung? IStR 2012, 94 ff.; Hahn, Überlegungen zum Urteil des EuGH in der Rechtssache National Grid Indus, BB 2012, 681 ff.; Petritz, EuGH zur Entstrickungsbesteuerung durch Verlegung der Ansässigkeit von Kapitalgesellschaften, RdW 2012/65, 61 ff.; Rautenstrauch/Seitz, National Grid Indus: Europarechtliche Implikationen für den Wegzug und die internationale Umwandlung von Gesellschaften, Ubg 2012, 14 ff.; Kessler/Philipp, Rechtssache National Grid Indus BV – Ende oder Bestätigung der Entstrickungsbesteuerung? DStR 2012, 267 ff.; Thömmes/Linn, Verzinsung und Sicherheitsleistung bei aufgeschobener Fälligkeit von Steuern im Wegzugsfall, IStR 2012, 282 ff.; Loidl/Moshammer, Rs. National Grid Indus: Wende in der Wegzugsbesteuerung? SWI 2012, 177 ff.; Sieker, Folgerungen aus „National Grid Indus“ für die Besteuerung der Betriebsverlegung ins Ausland nach nationalem Recht, FR 2012, 352 ff. 143 EuGH v. 27.9.1988 – Rs. 81/87, Daily Mail, EuGHE 1988, 5483.

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nationale Gesellschaftsrechtrecht den „Wegzug“ (z.B. auf Basis der Gründungstheorie) zulässt. Auf den für den Wegzug von natürlichen Personen mit Kapitalgesellschaftsbeteiligungen in Lasteyrie du Saillant144 und N145 gelegten Bahnen befand der EuGH eine fiktive Realisierung im Rahmen einer Entstrickungsbesteuerung zwar diskriminierend, bestätigte aber, dass sie auf Basis der ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnis dann rechtfertigbar sei, wenn sie verhältnismäßig ist. Auf der Verhältnismäßigkeitsebene differenziert der EuGH sodann zwischen Festsetzung und Einziehung der Steuerschuld: Letztere sei grundsätzlich nur im Fall der tatsächlichen Realisierung zulässig, d.h. es müsse auf Antrag des Steuerpflichtigen zu einer Stundung kommen. Im Unterschied zur Vorjudikatur legt der EuGH im Betriebsvermögensbereich allerdings wesentlich restriktivere Maßstäbe in dem Sinne an, dass es zu einer definitiven Steuerfestsetzung bei Wegzug kommen könne. Der EuGH betont daher auch, dass im Fall einer vom Steuerpflichtigen beantragten Stundung jährliche Nachweise gefordert werden können,146 keine Berücksichtigung späterer Wertverluste erfolgen müsse,147 eine Verzinsung der gestundeten Steuer zulässig sei148 und auch Sicherheiten (z.B. eine Bankgarantie) verlangt werden dürften,149 wobei auf das Nichteinbrin144 EuGH v. 11.3.2004 – Rs. C-9/02, Hughes de Lasteyrie du Saillant, EuGHE 2004, I-2409. 145 EuGH v. 7.9.2006 – Rs. C-470/04, N, EuGHE 2006, I-7409. 146 EuGH v. 29.11.2011 – Rs. C-371/10, National Grid Indus, EuGHE 2011, I-12273, Rz. 70 ff.; zur einmaligen Steuererklärung siehe EuGH v. 7.9.2006 – Rs. C-470/04, N, EuGHE 2006, I-7409, Rz. 49 f. 147 EuGH v. 29.11.2011 – Rs. C-371/10, National Grid Indus, EuGHE 2011, I-12273, Rz. 58 ff.; anders noch EuGH v. 7.9.2006 – Rs. C-470/04, N, EuGHE 2006, I-7409, Rz. 54, sofern keine Doppelberücksichtigung erfolgt. 148 EuGH v. 29.11.2011 – Rs. C-371/10, National Grid Indus, EuGHE 2011, I-12273, Rz. 73; EuGH v. 6.9.2012 – Rs. C-38/10, Kommission/Portugal, Rz. 32; EuGH v. 18.7.2013 – Rs. C-261/11, Kommission/Dänemark, Rz. 73; anders implizit EuGH v. 7.9.2006 – Rs. C-470/04, N, EuGHE 2006, I-7409, Rz. 56 ff.; ausführlich dazu Thömmes/Linn, Verzinsung und Sicherheitsleistung bei aufgeschobener Fälligkeit von Steuern im Wegzugsfall, IStR 2012, 282 (282 ff.). 149 EuGH v. 29.11.2011 – Rs. C-371/10, National Grid Indus, EuGHE 2011, I-12273, Rz. 73; anders EuGH v. 7.9.2006 – Rs. C-470/04, N, EuGHE 2006, I-7409, Rz. 51 f.; einschränkend auf begründete Ausnahmefälle Thömmes, Rs. National Grid Indus – Wegzugsbesteuerung von Gesellschaften verstößt gegen Unionsrecht, IWB 23/2011, 896 (902); Körner, Europarechtliches Verbot der Sofortbesteuerung stiller Reserven beim Transfer ins EU-Ausland, IStR 2012, 1 (4); Thömmes/Linn, Verzinsung und Sicherheitsleistung bei auf-

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gungsrisiko abzustellen ist;150 das Verlangen einer Sicherheitsleistung ist daher in den Worten des EFTA-Gerichtshofs nur zulässig, wenn „ein echtes und nachweisbares Risiko des Zahlungsausfalls“ besteht.151 Diese Rechtsprechung ist nicht auf die in National Grid Indus einschlägigen Währungsgewinne beschränkt, sondern findet gleichermaßen Anwendung auf abschreibbare Wirtschaftsgüter,152 die Wegverlegung des satzungsmäßigen Sitzes und der tatsächlichen Leitung einer Gesellschaft153 sowie die teilweise oder vollständige grenzüberschreitende Überführung von Wirtschaftsgütern einer Betriebsstätte.154 Über den EU-Raum hinaus ist diese Judikatur auch für den EWR bedeutsam.155 Eine Reihe weiterer Verfahren vor dem EuGH könnte in einzelnen Bereichen womöglich noch weitere Klärung bringen: Nachdem nämlich die Kommission bereits 2006 in einer Mitteilung ihre Sichtweise zu nationalen Wegzugsbesteuerungssystemen dargelegt hat,156 hat sie eine Reihe von Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet: Davon wurden jene gegen Dänemark,157 die Niederlande,158 Portugal159 und Spanien160 bereits durch eine Entscheidung des

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geschobener Fälligkeit von Steuern im Wegzugsfall, IStR 2012, 282 (282 ff.); für „flächendeckenden Einsatz“ aber Mitschke, National Grid Indus – Ein Pyrrhussieg für die Gegner der Sofortversteuerung? IStR 2012, 6 (11). Ausführlich EuGH v. 23.1.2014 – Rs. C-164/12, DMC Beteiligungsgesellschaft mbH, Rz. 65 ff. EFTA Gerichtshof v. 3.10.2012 – Rs. E-15/11, Arcade Drilling, Rz. 101 (abgedruckt in IStR 2013, 195 m. Anm. Dürrschmidt/Wobst). EuGH v. 18.7.2013 – Rs. C-261/11, Kommission/Dänemark, Rz. 73. EuGH v. 6.9.2012 – Rs. C-38/10, Kommission/Portugal; EFTA Gerichtshof v. 3.10.2012 – Rs. E-15/11, Arcade Drilling; EuGH v. 31.1.2013, C-301/11, Kommission/Niederlande; EuGH v. 25.4.2013, C-64/11, Kommission/Spanien. EuGH v. 6.9.2012 – Rs. C-38/10, Kommission/Portugal; EuGH v. 25.4.2013, C-64/11, Kommission/Spanien; EuGH v. 18.7.2013 – Rs. C-261/11, Kommission/Dänemark, Rz. 73. Siehe dazu und zu den Rechtfertigungsgründen der mangelnden Amts- und Vollstreckungshilfe EFTA Gerichtshof v. 3.10.2012 – Rs. E-15/11, Arcade Drilling, Rz. 100 ff. (abgedruckt in IStR 2013, 195 m. Anm. Dürrschmidt/ Wobst). Mitteilung der Kommission betreffend „Wegzugsbesteuerung und die Notwendigkeit einer Koordinierung der Steuerpolitiken der Mitgliedstaaten“, KOM(2006)825 endg. EuGH v. 18.7.2013 – Rs. C-261/11. EuGH v. 31.1.2013 – Rs. C-301/11. EuGH v. 6.9.2012 – Rs. C-38/10. EuGH v. 25.4.2013 – Rs. C-64/11.

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EuGH abgeschlossen, wohingegen jene gegen Deutschland,161 Irland162 und Luxemburg163 derzeit noch anhängig sind.164 Der deutsche Gesetzgeber hat auf National Grid Indus und die Folgerechtsprechung bislang nicht reagiert.165 Wenngleich nicht gesagt ist, dass die von National Grid Indus vorgesehene Lösung – insbesondere unter der im Raum stehenden Möglichkeit des Begehrens de lege ferenda von gem. § 10 Nr. 2 KStG nicht abziehbaren Stundungszinsen i.H. v. 6 % (§§ 234, 238 AO)166 und der allfälligen Verpflichtung zur Beibringung von Sicherheiten – praktisch „günstiger“ wäre als die derzeitige deutsche Streckungslösung, liegt der Fokus der Diskussion auf der Bestimmung des – auch für Körperschaften anwendbaren167 – § 4g EStG idF SEStEG bzw des § 36 Abs. 5 EStG. Im deutschen Schrifttum war daher heftig umstritten, ob durch die Streckung der Besteuerung den uni-

161 Bei der Kommission geführt unter Ref. Nr. 2011/4043. 162 Siehe zum zweiten Schritt des Vertragsverletzungsverfahrens die Pressemitteilung IP/11/78 v. 27.1.2011. 163 Bei der Kommission geführt unter Ref. Nr. 2012/4016. 164 Die Verfahren gegen Belgien, Großbritannien und Schweden wurden inzwischen eingestellt. Das Verfahren gegen Belgien wurde unter Ref. Nr. 2008/4250 geführt (siehe zum zweiten Schritt des Vertragsverletzungsverfahrens die Pressemitteilung IP/10/299 v. 18.3.2010), jenes gegen Großbritannien unter Ref. Nr. 2008/4923 (siehe zum zweiten Schritt des Vertragsverletzungsverfahrens die Pressemitteilung IP/12/285 v. 22.3.2012) und jenes gegen Schweden unter Ref. Nr. 2008/4250 (siehe zur Einstellung des Verfahrens die Pressemitteilung IP/10/299 v. 18.3.2010, und zuvor zum zweiten Schritt des Vertragsverletzungsverfahrens die Pressemitteilung IP/08/1362 v. 18.9.2008). 165 Siehe aber die „Zwölf Punkte zur weiteren Modernisierung und Vereinfachung des Unternehmensteuerrechts“ der früheren Koalitionsfraktionen der CDU/CSU und FDP (dazu auch die Anfragebeantwortung BT-Drucks. 17/9216 v. 29.3.2012), wo in Punkt 10 ausgeführt wurde, dass „[a]ufgrund einer aktuellen Entscheidung des EuGH (Rechtssache „National Grid Indus“) […] die Stundung des Steueranspruchs mit einer Sicherheitsleistung und einer Verzinsung versehen werden [kann]. Dies soll durch eine entsprechende gesetzliche Regelung umgesetzt werden“. 166 Ausführlich und kritisch zur Verzinsung Thömmes/Linn, Verzinsung und Sicherheitsleistung bei aufgeschobener Fälligkeit von Steuern im Wegzugsfall, IStR 2012, 282 (282 ff.). 167 Rückwirkend klargestellt in § 34 Abs. 8 KStG durch das JStG 2008, BGBl. I 2007, 3150.

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onsrechtlichen Anforderungen Genüge getan ist,168 und auch die Kommission hegte in einem derzeit laufenden Vertragsverletzungsverfahren offenbar Bedenken gegen die deutsche Lösung.169 Es ist daher auch nicht verwunderlich, dass – nachdem bereits mehrere Finanzgerichte ihren Bedenken Ausdruck verliehen haben170 – schließlich Anfang 2012 das FG Hamburg171 und im Dezember 2013 das FG Düsseldorf172 die Frage nach der Unionrechtskonformität der deutschen Entstrickungsbesteuerung dem EuGH in unterschiedlichen Konstellationen zur Vorabentscheidung vorgelegt haben. In der Tat wurde bisher auch unionsrechtlich die Frage nach der Zulässigkeit von Verteilungslösungen bzw. „Zahlungsstreckungs-Methoden“ und der möglichen Grade zulässiger Typisierungen (z.B. kürzere Streckung bei Zinslosigkeit) diskutiert.173 So hat der EuGH auch angedeutet, dass bei Wirtschaftsgütern, die nicht abnutzbar sind, nicht zur Veräußerung bestimmt sind oder eine tatsächliche Realisierung der Natur des betroffenen Wirtschaftsgutes nach nicht möglich ist, auch ein anderer Zeitpunkt der Steuererhebung als je168 Kritisch z.B. Benecke/Schnitger, Letzte Änderungen der Neuregelungen des UmwStG und der Entstrickungsnormen durch das SEStEG Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses, IStR 2007, 22 (22 ff.); Kessler/ Winterhalter/Huck, Überführung und Rückführung von Wirtschaftsgütern: Die Ausgleichspostenmethode des § 4g EStG, DStR 2007, 133 (133 f.); Rödder/Schumacher, Das SEStEG – Überblick über die endgültige Fassung und die Änderungen gegenüber dem Regierungsentwurf, DStR 2007, 369 (372); Körner, Ent- und Verstrickung, IStR 2009, 741 (742); Schaumburg, Internationales Steuerrecht3 (2010), Rz. 5.351 m.w.N.; Hey in Tipke/Lang, Steuerrecht20 (2010), § 17 Rz. 239; die Unionsrechtskonformität aufgrund der mittlerweile eingetretenen Rechtsprechungsentwicklung des EuGH bejahend Mitschke, Entstrickung und Verstrickung – BFH I R 77/06 und § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG, IStR 2010, 95 (96 f.); Mitschke, Entstrickung und Verstrickung – BFH I R 77/06 und § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG, IStR 2010, 211 (212 f.); siehe auch Musil in H/H/R § 4 EStG Anm. 211. 169 Bei der Kommission geführt unter Ref. Nr. 2011/4043. 170 Siehe FG Rheinland-Pfalz v. 17.1.2008 – 4 K 1347/03, EFG 2008, 680; FG Köln v. 18.3.2008 – 1 K 4110/04, EFG 2009, 259; FG Köln v. 16.11.2011 – 10 V 2336/11, IStR 2012, 184. 171 FG Hamburg 26.1.2012, 2 K 224/10, EFG 2012, 1206, Vorlage in der – mittlerweile entschiedenen – Rs. C-164/12, DMC Beteiligungsgesellschaft mbH. 172 FG Düsseldorf v. 5.12.2013 – 8 K 3664/11 F, IStR 2014, 73, Vorlage in der – derzeit anhängigen – Rs. C-657/13, Verder LabTec. 173 Generelle Sympathie wohl in den Schlussanträgen GA Mengozzi v. 28.6.2012 – Rs. C-38/10, Kommission/Portugal, Rz. 68.

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ner der tatsächlichen Realisierung denkbar sein könnte.174 Zudem ist zu bemerken, dass die EU-Kommission unlängst offenbar keine Bedenken gegen eine dem § 4g EStG im Grundkonzept durchaus vergleichbare schwedische Regelung hatte.175 Der EuGH hat diese Entwicklung im Januar 2014 in der vom FG Hamburg176 im Kontext des UmwStG vorgelegten Rechtssache DMC Beteiligungsgesellschaft mbH nunmehr zu einem (vorläufigen) Abschluss gebracht: So sei die deutsche Streckungslösung unionrechtskonform und darüber hinaus sei es zulässig, dass im Rahmen einer Streckungslösung auch eine (konkret nach § 20 Abs. 6 i.V.m. § 21 Abs. 2 Satz 3 bis 6 UmwStG 1995 erforderliche) Sicherheitsleistung bei entsprechendem Nichteinbringungsrisiko gefordert werde.177 Konkret bestätigte der EuGH zwar, dass dem Steuerpflichtigen die Wahl „zwischen einerseits der sofortigen Zahlung der Steuer auf die nicht realisierten Wertzuwächse im Zusammenhang mit seinem Vermögen oder andererseits einer Stundung des Steuerbetrags, gegebenenfalls zuzüglich Zinsen nach der geltenden nationalen Regelung“ zustehe.178 Allerdings stelle „die Staffelung der Zahlung der vor der tatsächlichen Realisierung der stillen Reserven geschuldeten Steuer in fünf Jahresraten in Anbetracht des mit 174 EuGH v. 18.7.2013 – Rs. C-261/11, Kommission/Dänemark, Rz. 35 ff.; ausführlich Sydow, Das EuGH-Urteil Kommission/Dänemark, C-261/11 vom 18.7.2013 zur Exit Tax, IStR 2013, 663 ff. Wenngleich der EuGH eine Begründung schuldig bleibt, könnte diesem Ansatz die Überlegung zu Grunde liegen, dass gerade bei immateriellen Wirtschaftsgütern – womöglich rechtfertigend wirkende – Schwierigkeiten bei einer bis zur Realisierung aufgeschobenen Besteuerung bestehen; siehe z.B. Thiel, Europäisierung des Umwandlungssteuerrechts: Grundprobleme der Verschmelzung, DB 2005, 2316 (2318); Schwenke, Europarechtliche Vorgaben und deren Umsetzung durch das SEStEG“, DStZ 2007, 235 (246 f.); siehe auch Englisch, Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse – Ein Rechtfertigungsgrund für die Einschränkung von EG-Grundfreiheiten, IFSt Schrift Nr. 449 (2008) 89 ff. 175 Dazu Kemmeren, European Commission requests Belgium, Denmark and the Netherlands to change restrictive exit tax provisions for companies and closes a similar case against Sweden, H&I 2010/6, 66 (69). 176 FG Hamburg 26.1.2012, 2 K 224/10, EFG 2012, 1206. 177 Zum Aspekt der Sicherheitsleistung siehe EuGH v. 23.1.2014 – Rs. C-164/12, DMC Beteiligungsgesellschaft mbH, ISR 2014, 96 m. Anm. Zwirner und ISR 2014, 136 m. Anm. Müller, Rz. 65 ff. 178 EuGH v. 23.1.2014 – Rs. C-164/12, DMC Beteiligungsgesellschaft mbH, Rz. 61, u. H. a. EuGH v. 29.11.2011 – Rs. C-371/10, National Grid Indus, EuGHE 2011, I-12273, Rz. 73, und EuGH v. 6.9.2012 – Rs. C-38/10, Kommission/Portugal, Rz. 31 f.

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der Zeit steigenden Risikos der Nichteinbringung eine Maßnahme dar, die für die Erreichung des Ziels, die Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten zu wahren, angemessen und verhältnismäßig ist“.179 Damit geht auch eine Streckungsvorschrift, „indem sie dem Steuerpflichtigen die Wahl zwischen einer sofortigen oder einer auf fünf Jahre gestaffelten Erhebung lässt, nicht über das hinaus, was erforderlich ist, um das Ziel zu erreichen, die Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten zu wahren“.180 Im Rahmen einer solchen Stundung könne dem Steuerpflichtigen auch „die Obliegenheit zur Stellung einer Banksicherheit nach Maßgabe des tatsächlichen Risikos der Nichteinbringung der Steuer auferlegt werden“.181

E. Zusammenfassung Spätestens mit Einführung der innerstaatlichen Einkünftekorrekturvorschriften des § 1 Abs. 4 Nr. 2 und Abs. 5 AStG ist die als „Authorised OECD Approach“ erdachte umfassende Selbständigkeitsfiktion für Betriebsstätten in der Rechtspraxis angekommen. Die Probleme dieses Ansatzes, insbesondere aufgrund einer bloß unilateralen Anwendung im Falle von „Altabkommen“, liegen teilweise schon jetzt offen zu Tage und werden durch die zukünftigen Erfahrungen sicherlich noch schärfer hervortreten. Nahezu gegenläufig zur Strenge der Gewinnabgrenzung entwickelt sich der Zugang der OECD zur abkommensrechtlichen Betriebsstättendefinition, der durch ein kontinuierliches Absenken der Schwelle, insbesondere im Hinblick auf das Kriterium der Verfügungsmacht über eine Geschäftseinrichtung und die zeitliche Komponente der Betriebsstättenbegründung, geprägt ist. Wenn nämlich schon das Objekt einer Tätigkeit zur festen Geschäftseinrichtung wird und selbst bei kurzen Tätigkeiten von Einzelunternehmern eine Betriebsstättenbegründung nicht ausgeschlossen ist, sind Abgrenzungsfragen Tür und Tor geöffnet. Hinzu tritt die Einbindung von Definitionsfragen in das BEPS-Projekt der OECD, die wohl zur Neuorientierung im Hinblick auf den Ausnahmenkatalog des Art. 5 Abs. 4 OECD-MA und die Kriterien für das Vorliegen eines „abhängigen“ Vertreters i.S.d. Art. 5 Abs. 4 179 EuGH v. 23.1.2014 – Rs. C-164/12, DMC Beteiligungsgesellschaft mbH, Rz. 62. 180 EuGH v. 23.1.2014 – Rs. C-164/12, DMC Beteiligungsgesellschaft mbH, Rz. 64. 181 Dazu EuGH v. 23.1.2014 – Rs. C-164/12, DMC Beteiligungsgesellschaft mbH, Rz. 65 ff., konkret Rz. 68.

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OECD-MA führen wird. Demgegenüber kristallisieren sich die unionsrechtlichen Vorgaben zur Betriebsstättenbesteuerung immer klarer heraus. So ist zwar umstritten, wann „finale“ Verluste vorliegen, die im Inland Berücksichtigung finden müssen, doch ist immerhin dem Grunde nach geklärt, dass eine solche Berücksichtigungspflicht besteht. Und auch im Hinblick auf die Entstrickungsbesteuerung hat die Rechtsprechung des EuGH zuletzt wesentliche Klärung gebracht, insbesondere dahingehend, dass die deutsche Streckungslösung des § 4g EStG den unionsrechtlichen Vorgaben entspricht.

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Aktuelle Entwicklungen bei der Besteuerung von Betriebsstätten Podiumsdiskussion Leitung Prof. Dr. Jürgen Lüdicke Rechtsanwalt, Steuerberater, International Tax Institute, Universität Hamburg Teilnehmer Prof. Dr. Dietmar Gosch Vors. Richter am Bundesfinanzhof, München/Christian-AlbrechtsUniversität zu Kiel Dr. Berend Holst Volkswagen AG, Wolfsburg Prof. DDr. Dr. Georg Kofler, LL.M. (NYU) Johannes Kepler Universität Linz

Dr. Friedrich Loschelder, LL.M. (Edinb.) Richter am Finanzgericht, Hamburg

Prof. Dr. Günther Strunk Strunk Kolaschnik Partnerschaft, Hamburg

Prof. Dr. Lüdicke Herr Kofler, vielen Dank für Ihren beeindruckenden Überblick über die derzeit aktuellen Fragen bei der Betriebsstättenbesteuerung. Herr Gosch, bitte. Prof. Dr. Gosch Das war ja ein Feuerwerk, Herr Kofler, im guten Sinne. Ich habe meinem Kombattanten Lüdicke gesagt: „Herr Kofler kann so schnell wie ein Norddeutscher.“ Ich gehe die Themen einmal durch, wobei wir jetzt hier nicht alle Punkte in der Detailliertheit ansprechen können, die sie eigentlich verdienen. Herr Kofler, Sie betonen, es besteht derzeit ein Dissens, was die sog. statische und dynamische Wirkung der OECD-Kommentierung im Hin-

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blick auf bestehende Abkommen anbelangt. Dieser Dissens besteht in der Tat. Der BFH vertritt in nunmehr ständiger Spruchpraxis das „statische“ Verständnis. Nachfolgenden Änderungen und Anpassungen der OECD-Musterkommentierungen wird allenfalls die Bedeutung eines Auslegungshinweises, eines Indizes zugestanden. Dass die Wiener Übereinkunft über das Recht der Verträge einer zwischenstaatlichen Übung größere Auslegungsbedeutung beimisst, hat damit nichts zu tun, weil von einer solchen bilateralen Übung bei den OECD-Verlautbarungen gerade keine Rede sein kann. Diese Äußerungen spiegeln vielmehr nur die Verwaltungsmeinung wider. Sie sind aber weder demokratisch legitimiert, noch handelt es sich um authentische Äußerungen der jeweiligen Vertragspartner. Zum AOA. Dieser fußt auf einer Selbständigkeitsfiktion. Gesetzliche Fiktionen kranken nun häufig daran, dass sie nicht bis ins letzte zu Ende gedacht werden. So ist es ja auch hier. So wird beispielsweise davon abgesehen, quellensteuerpflichtige Ausschüttungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte herzustellen. In Deutschland versagt die Fiktion bei den mitunternehmerischen Sondervergütungen als Unternehmensgewinne. Kurzum: Man schafft einerseits den § 1 Abs. 5 AStG und setzt dadurch um, was die OECD auf diesem Gebiet beschlossen und sich ausgedacht hat, und macht auf der anderen Seite doch just das Gegenteil, wie sich in Deutschland, jüngst an § 50d Abs. 10 EStG, erweist. Das schuldrechtliche Band zwischen Personengesellschafter und Personengesellschaft und damit zwischen Stammhaus und Betriebsstätte wird schlicht ignoriert. Das widerspricht dem AOA aber, und da scheint mir noch einiges ungereimt zu sein. Was den § 1 Abs. 3 AStG anbelangt, gut, Sie haben zu Recht gesagt, die Unionsrechtsfrage stellt sich einmal in entstrickungsrechtlicher Hinsicht, aber dann zum anderen auch vor dem Hintergrund der EuGH-Entscheidung SGI1. In dieser Entscheidung hat der EuGH den Fremdvergleich als Maß der Dinge akzeptiert und einen Grundfreiheitseingriff durch die Einkommenskorrektur über die Formel der angemessenen Aufteilung des Besteuerungssubstrats als gerechtfertigt angesehen. Das Problem ist, dass der Fremdvergleich auch ein solcher sein muss, im wahrsten Sinne des Wortes, und dass er nicht unilateral an Maßstäben ausgerichtet werden darf, die gerade nicht „fremdvergleichen“. In Deutschland geschieht aber genau das. Ich denke an den sog. Mittel1 EuGH v. 21.1.2010 – C-311/08 – Société de Gestion Industrielle SA (SGI)/Belgien, BFH/NV 2010, 571.

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wert, wie er in § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG im Rahmen der sog. Bandbreitenbetrachtung festgelegt wird, an die Anpassungsklausel in § 1 Abs. 3 Satz 11 und 12 AStG, an die sog. Hellseher-Klausel in § 1 Abs. 1 Satz 2 AStG. Derartige gesetzliche Beeinflussungen des Fremdvergleichs sind unter Fremden unüblich. Sie lassen sich deswegen gerade nicht durch die Formel von der angemessenen Aufteilung des Besteuerungssubstrats legitimieren. Zum Betriebsstättenbegriff. Auch bei Ihnen in Österreich scheint dem Reinigungsunternehmen eine betriebsstättenrelevante Bedeutung zuzukommen, ebenso wie in Deutschland. Der BFH musste sich in jüngerer Zeit jedenfalls gleich zweifach mit der Reinigung von Flugzeugen beschäftigen, die ein Auslandsunternehmen in Deutschland durchführte.2 Im Ergebnis genügte ihm das bloße Reinigen nicht, um eine Betriebsstätte anzunehmen. Es fehlte an der notwendigen territorialen Verbundenheit, der Verfügungsmacht. Von einer Betriebsstätte im Sinne des berühmten painter example ist man also ein gutes Stückweit entfernt. Die neuen Tendenzen, die sich in der OECD dartun, schlagen sich in jener Rechtsprechung also nicht nieder. Nun zu den finalen Verlusten, ein gängiges Thema. Sie haben zu Recht betont, Herr Kofler, dass in Deutschland durch den BFH einige Entscheidungen dazu auf dem Tisch liegen und andere auch noch zeitnah zu erwarten sind. Letzteres betrifft vor allem die Revision I R 48/113. Dass zu dieser immerhin schon seit rund drei Jahren anhängigen Sache eine Entscheidung noch aussteht, hat mit den Schlussanträgen der Generalanwälte Kokott und Mengozzi in den EuGH-Rechtssachen A Oy und K zu tun. Die Finanzverwaltung hatte durch diese Schlussanträge gewissermaßen Oberwasser bekommen, und das Revisionsverfahren wurde deswegen im Zuwarten auf den EuGH erst einmal ausgesetzt. Der EuGH hat die insoweit geschürten administrativen Erwartungen, den finalen Verlusten würde alsbald der Garaus gemacht, allerdings enttäuscht. Der EuGH hat seine Spruchpraxis vielmehr in beiden Entscheidungen bestätigt, sowohl in A Oy4 als auch in K5, beides finnische Fälle. Und von daher möchte man meinen, der I. Senat des BFH fühlt sich im Moment keineswegs missverstanden, was den EuGH anbelangt, son2 BFH v. 4.6.2008 – I R 30/07, BStBl II 2008, 92, abgrenzend zu BFH v. 14.7.2004 – I R 106/03, BFH/NV 2005, 154. 3 BFH v. 5.2.2014 – I R 48/11, BFHE 244, 371 = ISR 2014, 204 m. Anm. Müller. 4 EuGH v. 21.2.2013, C 123-11, ISR 2013, 103 m. Anm. Müller. 5 EuGH v. 7.11.2013, C-322/11, ISR 2013, 425 m. Anm. Müller.

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dern er sollte sich eigentlich eher bestätigt fühlen. Das betrifft auch die strengen Nachweisanforderungen, welche dem Steuerpflichtigen vom EuGH abverlangt werden, nämlich den Nachweis zu erbringen, dass eine Verlustberücksichtigung im Betriebsstättenstaat tatsächlich und absolut ausgeschlossen ist. Das wurde seitens des BFH auch bislang schon so gesehen, also nichts Neues. Aufgrund der jeweiligen tatrichterlichen Feststellungen bestanden in den entschiedenen Fällen allerdings keine Zweifel daran, dass eine solche Finalität vorlag. Bemerkenswert ist im Moment aber in der Tat noch die neue dänische Vorlage in Sachen Nordea-Bank6. Sie betrifft eine Kombination zwischen einerseits dem Nachversteuerungsmodell, das wir früher ja auch in Deutschland hatten, § 2a Abs. 3 und 4 EStG, und das Sie in Österreich wohl immer noch haben, und andererseits der Verlustfinalität. Möglicherweise spielt diese Situation auch eine Rolle in der schon angesprochenen noch anhängigen Sache beim BFH. Sie sagen, Herr Kofler, der BFH sei, was den innerstaatlichen Verlustabzug im Finalitätsfall anbelangt, großzügig. Ich bin da eigentlich nicht so sicher. Der BFH hat sich einem Rechtsimport ausländischer Verlustbeschränkungen und Verlustabzugsverbote klar widersetzt. Das gebietet die EuGH-Entscheidung Wannsee7. Was die Frage des Finalitätseintritts anbelangt, hat der BFH allerdings in der Tat ein bisschen „Gesetzgeber gespielt“. Er hat in einem obiter dictum Anleihe genommen bei den Maßstäben, die im alten Nachversteuerungsmodell nach § 2a Abs. 4 EStG gesetzt worden sind. Danach muss nachversteuert werden bei Veräußerung, Umwandlung und Einstellung einer Betriebsstätte. Er hat also diese tatsächlichen Merkmale als denkbares Modell für eine Qualifizierung dessen, was als tatsächlich final zu verstehen ist, aufgegriffen. Natürlich stand ihm die Möglichkeit einer missbräuchlichen „Finalitätsschaffung“ durchaus vor Augen, etwa durch Schließen und alsbaldiges Wiedereröffnen der Betriebsstätte. Nur ist solches mit Hilfe des § 42 AO zu schultern. Die ultima ratio-Ausfallbürgschaft des Ansässigkeitstaats im Finalitätsfall steht jedoch nicht von vornherein unter einem Missbrauchsvorbehalt. Kurzum: Ich halte die Rechtsprechung des BFH nach wie vor für richtig und auch klar dem entsprechend, was der EuGH vorgibt. 6 EuGH, anhängiges Vorlageverfahren C 48/13. S. dazu Schiefer, ISR 2013, 220 ff. 7 EuGH v. 23.10.2008 – C-157/07 – FA für Körperschaften III in Berlin/Krankenheim Ruhesitz am Wannsee-Seniorenheimstatt GmbH, BStBl. II 2009, 566.

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Schlussendlich: Das Thema Entstrickung. Herr Kofler, Sie monieren dazu ein „Ping Pong“ zwischen dem deutschen Gesetzgeber bzw. der Finanzverwaltung auf der einen Seite und der Steuerrechtsprechung auf der anderen Seite. Ich selbst erkenne eigentlich nur ein „Pong“ oder auch ein „Ping“, je nach Betrachtungswinkel. Denn „historisch“ hat sich das Ganze wie folgt vollzogen: Es gab die alte Rechtsprechung des BFH zur finalen Entnahme. Diese Rechtsprechung ist in der Tat aufgegeben worden. Unbeschadet dessen hatte der deutsche Gesetzgeber aber schon zuvor – vor dieser Rechtsprechungsaufgabe – erkannt, dass es für die literarisch reich diskutierte Theorie der finalen Entnahme an einer normierten Regelungsgrundlage fehlte. Die Theorie gründete nur auf jener alten Rechtsprechung. Der Gesetzgeber hat deshalb § 4 Abs. 1 Satz 3 und 4 EStG geschaffen und wähnte sich nun „im grünen Bereich“ einer gesetzlichen Grundlage. Dass der BFH diese seine Rechtsprechung kurz darauf ohnehin aufgeben würde, konnte er zu jenem Zeitpunkt nicht wissen. Es gab also auch kein „Ping Pong“. Legt man die neue Sichtweise des BFH nun aber zugrunde – ich weiß, Herr Frotscher, man kann das kritisieren, und Sie tun das ja auch8 –, aber nimmt man das jetzt einmal so hin, dann verbleibt dem Entstrickungsstaat sozusagen in der letzten Sekunde des Entstrickungsvorgangs die Möglichkeit zum Besteuerungszugriff. Und wenn das richtig ist, dann greift der Tatbestand des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG hier zu kurz, denn der besagt ja, der deutsche Besteuerungsanspruch müsse beschränkt oder ausgeschlossen werden. Weder das eine noch das andere ist aber, folgt man dem BFH, der Fall. Bezogen auf jene „letzte Sekunde“ bedarf es weder einer Steuerfreistellung noch einer Steueranrechnung. Der Tatbestand des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG fängt jene Situation deshalb nicht ab, und Folge wäre, dass dann auch der Entstrickungszugriff misslingt. Der Tatbestand springt immer noch zu kurz. Die spätere gesetzliche Nachbesserung des § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG ändert daran nach meinem Dafürhalten nichts. Und schließlich noch zur Stundung der Entstrickungssteuer durch die Fünftelung des § 4g EStG. Es ist derzeit noch unklar, ob das unionsrechtlich trägt. Grundsätzlich wird sich nicht der eine Nachteil mit einem anderen Nachteil „saldieren“ lassen und kann der Verzicht auf Zins- und Sicherheitsleistung nicht im Wege einer Stundungsstreckung aufgewogen werden. Möglicherweise sind wir hier alsbald klüger, wenn der EuGH über

8 Frotscher, JbFfSt 2010/2011, 529.

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die zweite Vorlagefrage antwortet, die ihm das FG Hamburg in der Rechtssache DMC9 gestellt hat. Prof. Dr. Lüdicke Sie können auch sehr schnell reden. Prof. Dr. Gosch Ja, kann ich. Prof. Dr. Lüdicke Vielen Dank, Herr Gosch. Herr Holst, Betriebsstätten, bei VW vielleicht nicht ganz so ein Thema. Insofern ist schade, dass Herr Geberth nicht da ist, denn bei Siemens ist das ein Megathema. Dr. Holst Ja, Herr Lüdicke, Sie haben für Fragen nach Betriebsstätten tendenziell den Falschen eingeladen, denn wir fokussieren uns mehr auf die Frage, wie wir das Entstehen einer Betriebsstätte vermeiden können. Volkswagen agiert weltweit über Tochtergesellschaften. Das schließt eine parallele Betriebsstätte sicherlich nicht aus, aber wir investieren einiges, um dies zu vermeiden. Warum ist das so? Nicht um irgendwelche Steuersparmodelle zu realisieren, sondern um eine praktikable und rechtssichere Gewinnaufteilung zu erreichen, soweit das überhaupt möglich ist. Wie soll beispielsweise eine risiko- und chancenorientierte Gewinnaufteilung zwischen einer kleinen Dienstleistungsbetriebsstätte in einem Entwicklungsland und dem riesigen Stammhaus in Deutschland funktionieren – wir sind da skeptisch. Wenn ich jetzt den AOA unbefangen lese, dann halte ich es wie Österreich. Mir ist das so lange unheimlich, bis die Rechtsgedanken des AOA auch von anderen Staaten weitgehend geteilt werden. Herr Kofler, Sie haben das Problem meines

9 EuGH v. 23.1.2014 – C-164/12 – DMC Beteiligungsgesellschaft mbH/Finanzamt Hamburg-Mitte: Eine Regelung eines Mitgliedstaats, nach der in seinem Hoheitsgebiet entstandene nicht realisierte Wertzuwächse sofort besteuert werden, geht nicht über das hinaus, was erforderlich ist, um das Ziel der Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten zu erreichen, sofern für den Fall, dass der Steuerpflichtige eine Stundung wählt, die Obliegenheit zur Stellung einer Banksicherheit nach Maßgabe des tatsächlichen Risikos der Nichteinbringung der Steuer auferlegt wird.

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Erachtens auf den Punkt gebracht: Wenn ich als Unternehmen Nachweise erbringen muss, um eine Doppelbesteuerung in diesem Bereich zu vermeiden, kann das nicht der richtige Weg sein. Insofern sehen wir uns eigentlich bestätigt, Betriebsstätten aus dem Weg zu gehen. Und das ist in unserem Geschäftsmodell auch weitgehend möglich. Prof. Dr. Lüdicke In anderen Geschäftsmodellen geht es halt leider nicht ohne Betriebsstätten. Ich möchte auf den Punkt hinweisen, den Herr Kofler angesprochen hat, nämlich das painter example der OECD. In diesem Zusammenhang sollte man auch das von der OECD zusätzlich gebildete Beispiel10 einer Person sehen, die im Zusammenhang mit Fernsehaufnahmen für vier Monate in einem Staat, in dem sie nicht ansässig ist, eine Cafeteria betreibt. Es handelt sich dabei ausdrücklich um „the only business activities that she has carried on“. Im Rahmen einer umfangreichen Anhörung bei der OECD im September 2012 ist ausdrücklich von der Bundessteuerberaterkammer gefragt worden, ob für die Lösung des painter example entscheidend sei, dass der Anstreicher offenbar keine Mitarbeiter habe und an den Tagen, in denen er den Großauftrag bei seinem Großkunden abarbeite, keinerlei anderen Beschäftigung nach gehe. In diesem Sinne habe ich eben auch den von Herrn Kofler interpretierten Sachverhalt verstanden. Die Frage ist seitens der OECD bis heute unbeantwortet geblieben, obwohl sie später auch noch einmal schriftlich eingereicht wurde. Aus der Sicht der Industrie dürfte es sich dabei um die entscheidende Frage handeln. Wenn nämlich für die OECD-Lösung des painter example es tatsächlich entscheidend sein sollte, dass die gesamte Unternehmenstätigkeit an den fraglichen Tagen bei dem einzigen Großkunden stattfindet, dürfte das painter example für normale Unternehmen mit einer Vielzahl von Angestellten und gleichzeitig abgearbeiteten Aufträgen keine Bedeutung haben. So gesehen bleibt die Beantwortung der Fragestellung durch die OECD äußerst spannend. Dr. Loschelder Ich habe im Grunde nur eine Frage an Herrn Kofler, und zwar auch noch einmal zu dem Thema: Anwendbarkeit der Neufassung auf Altabkommen. Dazu haben Sie gesagt, das sei aus österreichischer Sicht möglich, 10 OECD Model Tax Convention: revised proposals concerning the interpretation and application of Art. 5 (permanent establishment) v. 19.10.2012, Tz. 33, dort Vorschlag zur Neufassung von Tz. 6.2 des OECD-MK.

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und haben das österreichische BMF zitiert. Herr Prof. Staringer erklärte letztes Jahr auf der Jahrestagung der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft in Linz, eine so gravierende Änderung im OECD-Musterabkommen wie die erweiterte Selbständigkeitsfiktion der Betriebsstätte könne nach allgemeiner Auffassung in Österreich für Altabkommen nicht relevant sein, und er verweist auf Randziffer 8 der Verrechnungspreisrichtlinie. Ist das eine Differenz oder verstehe ich das nicht? Prof. DDr. Dr. Kofler Auch in Österreich kann die vollkommende Selbständigkeitsfiktion, wie sie von der OECD im AOA angedacht ist, nicht durch bloße Änderung der Verwaltungspraxis umgesetzt werden. Nach Ansicht des BMF ist jedoch der AOA, soweit er im Wortlaut von Altabkommen Deckung findet, also jener Stand des AOA, der in das Update des OECD-Musterabkommens im Jahr 2008 Eingang gefunden hat, anzuwenden. Die Annahme fiktiver Lizenzgebühren oder Mietentgelte ist daher nicht möglich. Der OECD-MK wird also von der Verwaltungspraxis dynamisch herangezogen, was ja dem generellen Verständnis der OECD entspricht11 und daher wohl von allen Finanzverwaltungen der OECD gleich gesehen wird. Allerdings fehlt es in Österreich an einer vergleichbar prononcierten Rechtsprechung wie in Deutschland zur Frage der dynamischen bzw. statischen Anwendung des OECD-MA, die existierenden höchstgerichtlichen Entscheidungen widersprechen einander12; auch vom Unabhängigen Finanzsenate (nunmehr dem Bundesfinanzgericht) wurde diese Frage – soweit ersichtlich – nicht abschließend geklärt. Es stimmt also, dass man sich in der Wissenschaft zwar relativ einig zu Gunsten eines statischen Verständnisses ist, dem aber eine ebenso eindeutige Verwaltungspraxis und eine nicht eindeutige Rechtsprechung gegenübersteht. Allerdings sehen eine Reihe von Abkommen – wie auch das deutsch-österreichische – in ihren Protokollen vor, dass der OECD MK „– der von Zeit zu Zeit überarbeitet werden kann – […] eine Auslegungshilfe im Sinne des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge“ darstellt, was als Anordnung eines dynamischen Verständnisses zu verstehen sein soll.

11 Einl. Tz. 3, 33–35 OECD-MK. 12 Einerseits VwGH v. 31.7.1996 – 92/13/0172, andererseits VwGH v. 24.11.1999 – 94/13/0233.

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Prof. Dr. Lüdicke Vielen Dank. Noch ein kurzer Hinweis: angeblich soll der Diskussionsentwurf zu Art. 5 OECD-MA zurzeit auf Eis liegen wegen des BEPS-Projektes. Seit Ablauf der Stellungnahmefrist im Januar dieses Jahres hat man nichts mehr davon gehört. Nach meiner Kenntnis wird es im Rahmen des BEPS-Projektes wohl zu Änderungen führen, weil im Rahmen dieses Projektes ja auch Fragen der Betriebsstättenbegründung behandelt werden. Prof. DDr. Dr. Kofler Ich kenne die gleichen Gerüchte. Prof. Dr. Lüdicke Noch einmal zu der Frage § 1 AStG. Herr Kofler hatte mit aller gebotenen Distanz kritisiert, dass § 1 Abs. 5 AStG nur einseitig wirkt. Wie wird das hier am Podium beurteilt? Politisch scheint das ja so gewollt zu sein. Ist das aus richterlicher Sicht unproblematisch als Diktum des Gesetzgebers hinzunehmen? Prof. Dr. Gosch Was sollte ein Gericht dagegen denn unternehmen? Es könnte eine „Unwucht“ allenfalls verfassungsrechtlich abfangen. Ich erkenne hier aber keinen „Hebel“ zum Tätigwerden. Letztlich handelt es sich um eine politische Entscheidung, die vielleicht unschön sein mag, aber nicht alles, was unschön ist, gehört vor das Verfassungsgericht. Prof. Dr. Lüdicke Das ist dann wohl so. Ich möchte noch einmal auf die Frage zurückkommen, die Herr Gosch eben angesprochen hat: Die Frage der Entstrickung. Der Gesetzgeber hat zunächst einmal die technischen Details geregelt. Mich interessiert jetzt eher die steuerpolitische Frage. Warum beharrt der Gesetzgeber so auf dieser Entstrickung? Es geht ja offenbar nicht um die Abgrenzung der Besteuerungsrechte. Das wäre laut EuGH ja in Ordnung. Was stört, ist die sofortige Entstrickung mit sofortiger Steuerzahlung ohne sofortigen Zufluss von Cash. Andererseits haben wir ein Umwandlungssteuergesetz, durch das wir genau solche betrieblichen Vorgänge, die nicht zu einem Cash-Zufluss führen, von der Besteuerung ausnehmen. Mir ist nicht ganz klar, was da eigentlich wirk-

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lich die Finanzverwaltung und den von ihr gesteuerten Gesetzgeber umtreibt, dieses zu einem Anlass für einen derartig tiefgehenden Streit zu nehmen. Prof. Dr. Gosch Ich kann mich naturgemäß nur schlecht in die Gedanken eines Beamten hineinversetzen. Vermutlich treiben ihn aber die Schwierigkeiten um, den entstrickten Steueranspruch dann auch zu vollziehen und durchzusetzen. Der EuGH hat das ja auch erkannt. Er hat dem Steuerpflichtigen die Alternative, das Wahlrecht gelassen, entweder mit der Sofortentstrickung einverstanden zu sein, oder aber sich mit verstärkten Mitwirkungspflichten in die Stundung gewissermaßen einzukaufen. Wählt er Letzteres, gibt es aber eigentlich keinen tragfähigen Grund, ihn durch Zins- und Sicherheitsleistung weiter zu benachteiligen. Wenn ich so die Verlautbarungen von Herrn Mitschke lese, ist aber genau das zu mutmaßen. Und in seinem Urteil National Grid Indus hat der EuGH das ja auch nicht gänzlich ausgeschlossen, dass das geschehen darf; der EuGH erwies sich zuletzt ja immer häufiger einer Mitgliedsstaats- und eher weniger einer Unionsraison verpflichtet. Aber genau wissen wir das immer noch nicht. Jedenfalls wird diese Ausgangslage der Grund dafür sein, warum die Verwaltung an dieser Stelle etwas „mauert“. Prof. Dr. Strunk Ich will vielleicht nur ganz kurz hinweisen, wenn es tatsächlich die Befürchtung der Erfassung gibt, dann stellt sich natürlich die Frage, warum wir dieses Amtshilfegesetz überhaupt haben. Innerhalb der EU sollte das ja nun gerade einer der Gründe sein, so einen Tatbestand tatsächlich im Endeffekt auch zu erfassen. Prof. DDr. Dr. Kofler Vielen Dank auch an Prof. Gosch für den Parallelvortrag, durch den ich mich eigentlich sehr bestätigt fühle. Ich möchte noch kurz einen Punkt ergänzen, bei dem ich selbst ein wenig unschlüssig bin, und zwar die Beurteilung von „Dealings“ im Lichte der vom EuGH entschiedenen Rechtssache SGI. Im Vereinigten Königreich gibt es zur Frage der möglichen Diskriminierung durch Verrechnungspreiskorrekturen bereits die Nachfolgeentscheidung in der Sache Thin Cap Group Litigation, wobei eine der rechtlichen Kernfragen war, ob bei einer Verrechnungspreiskorrektur, die dem Fremdvergleichsstandard des Art. 9 OECD-MA ent-

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spricht, zwingend und automatisch auch den Grundfreiheiten entsprochen ist, wenn dem Steuerpflichtigen rechtliches Gehör eingeräumt ist. In der Tat hat der England and Wales Court of Appeal dies so gesehen13, wobei der UK Supreme Court es abgelehnt hat, ein Rechtsmittel zu hören, und die Entscheidung damit meines Wissens rechtskräftig geworden ist. Unterstellt man vorerst, dass diese Analyse richtig ist, ließe sich vermutlich weiter argumentieren, dass Deutschland, soweit es bei seiner unilateralen Umsetzung des AOA dem Art. 7 Abs. 2 OECD-MA folgt, auch diesbezüglich unionsrechtskonform vorgeht. Freilich lassen sich an der Richtigkeit der Entscheidung des Court of Appeal insofern Zweifel anmelden, als das Unionsrecht womöglich auf der Verhältnismäßigkeitsebene einer anderen Logik folgt als Art. 9 OECD-MA, etwa in Fällen, in denen wirtschaftliche Gründe bestehen, fremdvergleichswidrig zu agieren. Prof. Dr. Lüdicke Vielen Dank. Meine Damen und Herren, wir kommen zum Ende der Tagung. Ich möchte vor allem den Referenten danken, die ja zum Teil in diesem Jahr wirklich überobligationsmäßige Mühen auf sich genommen haben, was die Anreise, was die nächtliche Erstellung von Manuskripten und was das Übernehmen dieser Manuskripte betrifft. Unser Dank gilt ebenso den Podiumsdiskutanten. Im nächsten Jahr findet die Tagung zum 31. Mal wie immer am ersten Freitag im Dezember statt, und das ist der 5. Dezember 2014.

13 Entscheidung v. 18.2.2011 – Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation v. HMRC, [2011] EWCA Civ 127.

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Stichwortverzeichnis § 42 AO 35 ff., 152 § 50d EStG 22, 47, 61, 71, 77, 118, 150 § 50i EStG 61 Abkommenspolitik 51 ff., 116 Advanced Pricing Agreement – auch APA 45, 106 Aggressive Steuerplanung 10, 24, 34 f., 37 Aktionsplan der OECD – auch action plan 5 ff., 18 ff., 34, 47, 54, 119, 125 Aktivitätsklausel – auch Aktivitätsvorbehalt 22, 54, 64, 76 – Gegenbeweis 76 Allgemeine Missbrauchsklausel 28; s.a. § 42 AO Amtshilfe 71; s.a. EU-Amtshilfe – internationale 87 – ~ersuchen 93, 108 Anrechnung 42, 63 f., 78, 134, 158 – Gewerbesteuer 70 ff., 77 – ~sbegrenzungen 49 – ~smethode 63 f., 65, 81 – ~süberhang 74 Ansässigkeitsstaat 23 f., 48, 54 ff., 83 f., 90 f., 133; s.a. Wohnsitzstaat – Sicherung des Besteuerungssubstrats 54 ff. – Vermeidung der Doppelbesteuerung 63 ff. Anstreicherbeispiel – auch Painter example 113, 121 ff., 151, 155 Anzunehmende schuldrechtliche Beziehung 114 f., 117 f., 158 AOA 113 ff., 137, 146, 154, 156, 159; s. Authorised OECD Approach APA 45, 106; s. Advanced Pricing Agreement

Arm’s Length Principle 8, 83, 115, 117, 135, 150 ff.; s.a. Fremdvergleich Aufgeschobene Besteuerung 135 Auskunftsklausel – DBA 90, 94, 96, 103 Auslegung – ausländischen Rechts 79 f. – DBA 77 ff., 119, 122 – MK 150, 156 – ~sschwierigkeiten 58 f. Authorised OECD Approach – auch AOA 113 ff., 137, 146, 154, 156, 159 Bankauskunftsersuchen 110 f. Banksicherheit 146, 154 Beihilfe – EU-~ 45, 89 Beitreibung – Beitreibungsrichtlinien-Umsetzungsgesetz (BeitrRLUmsG), auch Beitreibungsgesetz 89 Belegenheitsprinzip 57 Bemessungsgrundlage 19, 24, 35, 52, 54, 65, 87 – einheitliche, GKKB 40 BEPS – Auch Base Erosion and Profit Shifting 1 ff., 15 ff., 33 ff., 52 ff., 62, 65, 72, 84, 114, 119 ff., 125 ff., 147, 157 Besteuerungslücken 54, 63 Besteuerungssubstrat – Aufteilung 45, 76, 150 – Sicherung 52 ff. Betriebsausgabenabzug 28 ff., 39, 46 – ~sverbot 70 Betriebsprüfung 41, 44, 105, 109 – Simultan~ 95 Betriebsstätte – Auslands~ 117, 133 f. – Dienstleistungs~ 60, 120 f., 125, 154 – Einkünfte 64, 77, 82

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Stichwortverzeichnis – Gewinnabgrenzung 116 ff., 127, 146 – Kommissionär 60, 125 f. – Subunternehmer~ 123 – Verfügungsmacht 121 ff., 146, 151 – Verhältnis zum Stammhaus 114, 116 f., 119, 135 ff., 150, 154 – Verluste 64 f., 114, 127 f., 132 – Vertreter~ 60, 126 f., 137, 147 – ~nbegriff/Definition 9, 20, 23, 27, 60, 74, 114, 120 ff., 146 f., 151 – ~nbegründung 113, 124 f., 127, 147, 157 – ~nprinzip 9, 60 – ~nvorbehalt 121 Betriebsstätten-Verwaltungsgrundsätze 1999 135 f. Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung, BsGaV-E 60, 117 Betriebsstättenverlust – ausländische aktive befreite 64, 114, 127 ff. Betriebsverlegung 114, 134 ff., 138, 141 BFH – Claw-Back 66, 80 – Vorlagebeschluss 42, 59 Binnenmarkt 88, 139 BRIC-Staaten 17 f., 73, 83 f. Bruttoinlandsprodukt – Auch BIP 19 Bundeszentralamt für Steuern – BZSt 86, 93 ff. Buy-in 48 Capital Allowance Act 66 CFC 5, 7, 21, 27 f., 44, 48, 55; s.a. Hinzurechnungsbesteuerung Check-the-box-Regeln 44, 48, 55 Claw-Back-Besteuerung 66, 80 Code of Conduct Group 22 Commensurate with Income 48 Compliance – Kosten 10 Cost-Sharing – Agreement 46, 48

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Country-by-Country Reporting 16, 25, 27, 37 f., 41, 47 CUM-EX-Struktur 90 DBA – auch Doppelbesteuerungsabkommen 5, 8, 11, 22, 26, 28 f., 38, 42, 54 f., 58 ff., 65, 67 ff., 73 ff., 89 f., 96, 115 f., 127, 135, 139 – Auskunftsklausel 90, 94, 96, 103 – Liechtenstein 58, 76, 116 – Luxemburg 58, 116 – Niederlande 58, 116 – Präambel 54, 57, 75, 78 – Protokoll 57, 58 ff., 62, 65, 70 f., 72, 75, 116, 127, 156 – Schweiz 64, 70 – Spanien 58 f., 76, 90, 126 – Türkei 58, 60 – USA 61, 69, 71, 116 – Zypern 58 Dealings – auch anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen 114 f., 117 f., 158 Dienstleistungsbetriebsstätte 60, 120 f., 125, 154 Digitale Wirtschaft 2, 4, 6, 11, 20 ff., 44, 53 Disparitätenanalyse 130 Dividenden 39, 61 ff., 72, 77, 82, 96 – Quellensteuer 61, 82 – Schachtel~ 62 f., 72, 82 Doppelbesteuerung – Auch Mehrfachbesteuerung 12, 18, 21, 25 f., 41, 54, 57 f., 60, 74 – Vermeidung 3, 8, 63 ff., 75, 78, 82, 102, 118 f. Doppelte Nichtbesteuerung 3, 6 ff., 16, 21, 31, 42, 54, 65, 75 ff., 103; s.a. Keinmalbesteuerung Doppelte Verlustnutzung 132 Druckstellen 4 ff., 36 E-Commerce 40 Ebitda 29

Stichwortverzeichnis Eigenkapital 39, 46 Eigenständigkeitsfiktion 113 f., 121 Einkünftekorrekturvorschrift 113, 116, 146 Einkunftsteile 65, 68, 70, 72, 75, 77 ff. – Atomisierung 70, 77 – Nachweispflicht 78 f. Entstrickungsbesteuerung 59, 72, 76, 114, 117, 135 f., 139 ff., 147, 150, 153, 157 – Betriebsverlegung 114, 134 ff. – Finale Entnahmetheorie 134 ff., 138, 153 – Gestreckte ~ 134, 136, 145 – Sicherheitsleistung, Verzinsung 140 ff., 153, 158 – Stundung, § 4g EStG 59, 135, 141, 143, 146 f., 153 f., 158 – Überführung von Wirtschaftsgütern 59, 114, 134 ff. – Unionsrechtskonformität 141 ff., 150, 157 f. Entwicklungsländer 13, 17, 84 Escape-Klausel 27, 46 EU-Amtshilferichtlinie – Präambel 101 – RL 2011/16 EU 85 ff., 101 ff. – ~ umsetzungsgesetz (AmtshilfeRLUmsG) 60, 89, 116 EUAHiG – EG-Amtshilfegesetz 87, 111 – EU-Amtshilfegesetz (EUAHiG) 87, 89 ff., 104, 106, 158 EuGH – A Oy 128 ff., 151 – Cadbury Schweppes 39 – Deutsche Shell 128 – DMC 142 ff., 145 f., 154 – K 130 f., 151 – Lasteyrie du Saillant 135, 141 – Lidl Belgium 64, 128 ff. – Marks & Spencer 127 ff. – National Grid Indus 140 ff., 146, 158

– – – – – –

Nordea Bank 134, 152 Papillon 128 Sabou 103 SGI 150, 158 Wannsee 128, 133 f., 152 X Holding 128 f.

FATCA 96, 105 Fiktiv – Betriebsausgabenabzug 39 – Entnahme 135, 141 – Lizenzen 115, 156 – Veräußerungsgewinn 115 – Verträge 115, 119 Finale Entnahmetheorie 134 ff., 138, 153 Finale Verluste 128 ff., 147, 151 f. Finanzinstrumente – Hybride 4, 7 Finanzkrise 1 Fishing expeditions – Auch Anfragen ins Blaue 92 ff., 103 Freistellungsmethode 28 f., 42, 54, 63 ff., 68 f., 75 ff., 81 f., 103, 137, 153 Fremdkapital 46, 58 Fremdvergleich 8, 83, 115, 117, 135, 150 ff., 158 f.; s.a. Arm’s Length Principle – Personengesellschaften 118, 150 – Preis~ 135 – ~sgrundsatz 8, 117 Functionally Separate Entity Approach – Auch Selbständigkeitsfiktion 113 f., 119, 146, 150, 156 Funktionsanalyse 60, 114, 120 f., 127 Funktionsverlagerung 27 f., 29 ff., 70, 116 ff., 125 – Transferpaket 27 FusionsRL 129 G20/G-20 3 ff., 12, 18, 27, 34, 36, 45, 53 Gemeinwohl – Auch Allgemeinwohl 34 ff. Generalunternehmer 123

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Stichwortverzeichnis Geschäftsbeziehung – Anzunehmende Schuldrechtliche Beziehung 114 f., 117 f., 158 Geschäftseinrichtung – feste 66, 120 ff., 146 f. Gesellschaften – Hybride 2, 4, 7, 21, 27 f., 38 f., 47, 71 Gewerbesteuer 30, 46, 64, 89 – Anrechnung 70 ff., 77 Gewinnaufteilung – Auch Gewinnverteilung 114, 119 ff., 134, 154 Gewinnverlagerung 4, 9, 12, 19, 27 f., 54, 82, 97, 125 Global Formulary Apportionment 47 Google tax 43 ff., 53 Gruppenbesteuerung – österreichische 132 f.

– Erhebliche Informationen 92 – Ermessensausübung 99 – Fishing expeditions, auch Anfragen ins Blaue 92 ff., 103 – Geschäftsgeheimnisse 107 – Grenzüberschreitender, auch internationaler, zwischenstaatlicher 22 – Gruppenanfrage 92, 95 – Informationsquelle 93 f. – Mitwirkungspflicht, § 90 Abs. 2 AO 78, 102, 111 – Prüfungsbefugnisse 92, 98 – Rechtsschutzmöglichkeiten 103 ff. – Spontanauskunft 95, 97, 102 f., 107 Informationserteilung – Verwaltungsakt 94 f.

Harmful tax competition 22 Harmful tax policy 19 Harmonisierung 87 ff. Hinzurechnungsbesteuerung 5, 7, 21, 27 f., 44, 48, 55; s.a. CFC Hochsteuerland 85 f. Holding 39 Hybride Gestaltung, auch Gesellschaften, Finanzinstrumente – Hybrid Mismatch Arrangements 2, 4, 7, 21, 27 f., 38 f., 47, 71

Kapitalertragsteuer 45, 49, 89 Keinmalbesteuerung 3, 6 ff., 16, 21, 31, 42, 54, 65, 75 ff., 103; s.a. Nichtbesteuerung, doppelte Koalitionsvertrag 2013 26 ff., 45, 53 f., 81, 86, 105 Kohärenz 5 ff., 11 Kontrollmitteilung 103, 109 Korrespondenzprinzip – Einnahmen 2, 21, 47, 79 – Gegenberichtigung 61, 135, 139

Immaterielle Wirtschaftsgüter – Auch Vermögenswerte, Market Intangibles 2, 9, 23, 41, 45 f., 83, 145 Immobilienkapitalgesellschaft 57 ff., 62 f., 72 Informationsaustausch 85 ff., 101 ff. – Absolutes Informationsverbot 93 f. – Anhörung 109 – Auf Ersuchen 92 – Automatisch 28, 48, 95 f., 106 – Bankauskünfte 106, 110 f. – DBA 71, 89 f. – Einstweilige Anordnung 95, 103 f., 108 ff.

Legitimität 34 ff. Leistungsfähigkeit 3, 42 ff., 46, 59, 75, 81 Liefergewinn – ~besteuerung 41, 52 f. Limitation-on-benefits 71 Lizenzen – Abzugsfähigkeit 30 – Fiktive 115 – Lizenzbox, auch Patent Box 27, 38, 45, 47 f. – Lizenzgebühren, auch ~aufwendungen 24, 27, 29, 41, 44, 53, 62, 74, 96, 156

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Joint Audit 98, 105 f.

Stichwortverzeichnis – Lizenznehmer 69, 74 – Lizenzschranke 29 f., 45 f., 62, 72, 74 Methodenartikel 54 f., 57, 63, 74 Missbrauch – Abkommens~ 8, 22, 34 – Gestaltungs~ 3, 9 f., 35, 43, 88, 97, 152 – ~svorbehalt 152 – ~svorschrift 5 – ~verhinderung 76 Missbrauchsvermeidungsnorm, Missbrauchsvorschrift – Allgemeine 28 – Spezielle 35 Mitunternehmerschaft 63, 118; s.a. Personengesellschaft Mitwirkung – ~serfordernisse, ~spflicht 102, 111 – ~spflichten, erweiterte 78, 158 Multilaterales Instrument 6, 11 f., 26 Multinational agierende Unternehmen 2 f., 4, 8 ff. Musterabkommen – Auch OECD-MA 9, 11, 17, 28, 52 f., 56 ff., 60 ff., 71, 74, 93, 114 ff., 120 f., 122 f., 125 ff., 137, 147, 156 ff. Mutter-Tochter-Richtlinie 82, 89 Muttergesellschaft 7, 38, 49, 60, 127 f. Nachversteuerung 132 ff., 152 – ~svorbehalt 132 ff. Nicht-Regierungsorganisation – Auch NGO 13, 17, 25 Nichtbesteuerung 3, 6 ff., 16, 21, 31, 42, 54, 65, 75 ff., 103; s.a. Keinmalbesteuerung – Auslegungsziel 78 Niederlassungsfreiheit 128, 140 f. Notifikation 65, 70 Notional interest deduction 19, 39 Nullsummentheorie 127

OECD – Addressing Base Erosion and Profit Shifting (BEPS) 4, 20 – Attribution of Income to Permanent Establishments, 1994 114 – Attribution of Profits to Permanent Establishments, 2010 115 – Committee on Fiscal Affairs, auch Steuerausschuss 5, 12 – Corporate Loss Utilization through Aggressive Tax Planning, 2011 16 – Musterabkommen, auch OECD-MA 9, 11, 17, 28, 52 f., 56 ff., 60 ff., 71, 74, 93, 114 ff., 120 f., 122 f., 125 ff., 137, 147, 156 ff. – Musterkommentar, auch OECDMK 58, 60 f., 114 ff., 119 ff., 123, 126 f., 155 f. – Permanent Establishment of the OECD Model Tax Convention, 2012/2013 123 ff. – Report on Harmful Tax Practices, 1998 16 OECD-MK 58, 60 f., 114 ff., 119 ff., 123, 126 f., 155 f. – Statische Verweisung 115, 149 f., 156 Offenlegungsvorschriften 10 Offshore-Gesellschaften 7 Painter example – auch Anstreicherbeispiel 113, 121 ff., 151, 155 Passive Einkünfte 64, 81 f. Patent Box – Auch Lizenzbox 27, 38, 45, 47 f. Personengesellschaft 59, 61 ff., 69, 91, 118, 138, 150 Planungssicherheit 6, 9 f. Präferenzregime 5 Progressionsvorbehalt 63 Qualifikationskonflikt 3, 65, 75 Quellenstaat 23, 52 ff., 62, 73, 113, 120 f., 124 f., 129 ff. – ~sprinzip 16

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Stichwortverzeichnis Quellensteuer – auch Quellenbesteuerung 4, 23, 53 ff., 63, 71, 74, 82 f., 115, 150 – Dividenden 61, 82 – Lizenzen 62, 74 – Zinsen 62, 74 Race to the bottom 3, 8, 19, 43 Realisationsprinzip 59 Rechtsschutz 74, 92, 94 f., 98, 103 Rechtssicherheit 3, 73 f., 114, 120, 132 Safe-Harbours 83 Schachteldividenden 63 f., 72 – Unmittelbarkeitserfordernis 61, 63, 72 Schachtelprivileg 61, 63, 82 Schiedsverfahren 25, 71 – Schiedsgerichtsklauseln 48 Schuldrechtliche Beziehung 114 f., 117 f., 158 Schwellenländer 16 ff., 120 Selbständigkeitsfiktion – Auch Functionally Separate Entity Approach 113 f., 119, 146, 150, 156 SEStEG 134 ff., 138 f. Sicherheitsleistung 140 ff., 153, 158 Significant Peoples Function – Auch Personalfunktion 114, 117, 120 Sofortbesteuerung 140 ff. Sondervergütungen 77, 118, 150 Souveränität 48 Spontanauskunft 95, 97, 102 f., 107 Stammhaus 114 ff., 119, 135, 137, 150, 154 Standortpolitik 19, 43, 75 – auch harmful tax policy 19 Starbucks 44, 52 f. Steueranreize 19 Steueraufkommen – Auch Steuersubstrat 2 f., 16, 18 f., 34, 39, 41, 45, 53, 73, 125 f. Steuerethik, auch Steuermoral 3 f., 25, 43 f.

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Steuerflucht, auch Steuerflüchtling 86 Steuergeheimnis 109 Steuergestaltung, auch Steuerplanung 2 f., 10, 18 ff., 22, 24, 27, 34 f., 37, 47, 55, 88, 90, 97 f. – Aggressive 10, 24, 34 f., 37 Steuerhinterziehung 35, 71, 86, 88, 98, 102 Steueroase 16 f., 88 Steuerquote 4, 43 f. – Effektive 4 Steuersatz 2, 7 f., 19, 21, 30, 35, 43, 68, 70, 75 – Effektiver 2 Steuersubstrat – Auch Steueraufkommen 2 f., 16, 18 f., 34, 39, 41, 45, 53, 73, 125 f. Steuerumgehung 71, 86 Steuerverkürzung 75, 97 f. Steuerverlagerung – Internationale 4 Steuervermeidung 35 Stille Reserven 58, 136 ff., 146 Streitbeilegungsmechanismen 10, 25 Stundung 59, 135, 141, 143, 146, 153 f., 158 Subject-to-tax-Klausel – Auch Rückfallklausel 42, 53 f., 62, 65 ff., 72, 77 ff., 82 – BMF-Schreiben v. 20.6.2013 65 ff., 78 f. Subpart-F-Besteuerung 44, 55 Subsidiaritätsprinzip 88 Substanz 5, 7 f., 11, 22 f., 39 Subunternehmer 123 Switch-over-Klausel 42, 54, 65, 78 Technical explanations 61 Teilwertabschreibung 133 Territorialitätsprinzip 87, 102 Thin Cap Group Litigation 158 f. Tochtergesellschaft 17, 24, 40, 46, 52 f., 60, 81, 125 ff., 129, 132, 137, 154 – Vertreterbetriebsstätte 60, 125 ff.

Stichwortverzeichnis Transferpreise, auch Transfer Pricing 4, 8 f., 13, 17, 23, 38, 46, 48, 60 f., 72, 81, 83, 102, 117 ff., 127; s.a. Verrechnungspreise Transparenz 4, 6 f., 9 ff., 22, 56, 105, 108 Treaty Override 61, 77 f., 118 Treaty Shopping – Anti-Treaty-Shopping-Klauseln 97 Trust 91 Umwandlungssteuer 145, 157 Verbundene Unternehmen 5, 7, 30, 45, 125, 127, 134 Verfügungsbefugnis, auch Verfügungsmacht 113, 121 ff., 146, 151 Verhältnismäßigkeit 54, 88, 141, 159 Verhandlungsgrundlage – Anwendungsgesetz 77 – Deutsche, auch DE-VG, auch Verhandlungsmuster 42, 51 ff., 73 ff., 116 – Präambel 54, 57, 75, 78 Verlust 27 – doppelte ~verwertung 129, 132 – finaler 128 ff., 147, 151 f. – Nachversteuerung 134 – passiver 64 – Veräußerungsverlust 128 – Wert~ 141 – ~beschränkungen 152 – ~entstehungsperiode 132 – ~hereinnahme, auch ~übernahme 128, 131 f. – ~untergang, faktisch 130 ff., 152 – ~untergang, rechtlich 133 – ~vortrag 27, 130, 140 Verlustausgleich 70, 103 – Betriebsstätte, ausländische 64 f., 114, 127 f., 132 – Tochtergesellschaft, ausländische 127 f., 132

Verrechnungspreisdokumentation 10, 25, 102 Verrechnungspreise 4, 8 f., 13, 17, 23, 38, 46, 48, 60 f., 72, 81, 83, 102, 117 ff., 127; s.a. Transferpreise – ~gestaltungen 17 – ~korrekturen 158 – ~richtlinien, auch ~grundsätze 17, 115, 119, 156 – ~vorschriften 8, 119 Verständigungsverfahren 25, 45, 48, 60 f., 71 Vertreterbetriebsstätte 60, 126 f., 137, 147 Vollstreckungshilfe 136, 142 Wegzugsbesteuerung 59, 61 f., 131, 135 ff., 140 ff. Weiße Einkünfte 29, 54, 81 Wertschöpfung 2, 9, 11, 18, 22 f., 41, 119 f. Wettbewerb 37 ff., 43, 45, 47, 52, 88 – der Steuersysteme 87 – ~sfähigkeit 3, 55 – ~snachteil 3, 55 – ~vorteil 45 Wohnsitzstaat 23 f., 48, 54 ff., 83 f., 90 f., 133; s.a. Ansässigkeitsstaat Zins- und Lizenzrichtlinie 45 Zinsaufwendungen – Auch ~zahlungen 7, 22, 24, 45 f. Zinsbox 27 Zinseinkünfte 45, 49, 74, 114, 6267 f. Zinsschranke 22, 27, 29 f., 45 f., 49, 62 f., 74 – Ebitda 29 – Escape-Klausel 27, 46 – Verfassungsmäßigkeit 74 Zuordnung – Funktion 119 – Gewinn~ 127 – Kapital, Risiko, Wirtschaftsgüter 23, 114, 117, 139

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