Naturrecht – Spätaufklärung – Revolution 9783787330430, 9783787311088

Der Band widmet sich der Entwicklung des modernen Naturrechts vorwiegend im ausgehenden 18. Jahrhundert. Naturrechtliche

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German Pages 304 [314] Year 1993

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Naturrecht – Spätaufklärung – Revolution
 9783787330430, 9783787311088

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NATURRECHT SPÄTAUFKLÄRUNG REVOLUTION Herausge geben von Otto Dann und Diethelm Klippel

STUDIEN ZUM ACHTZEHNTEN JAHRHUNDERT Herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für die Erforschung des achtz��hnten J ahrhunderts Band 16

FELIX MEINER VERLAG · HAMBURG

NATURRECHT­ SPÄTAUFKLÄRUNG­ REVOLUTION

Herausgegeben von Otto Dann und Diethelm Klippel

FELIX MEINER VERLAG

·

HAMBURG

Im Digitaldruck »on demand« hergestelltes, inhaltlich mit der ursprünglichen Ausgabe identisches Exemplar. Wir bitten um Verständnis für unvermeidliche Abweichungen in der Ausstattung, die der Einzelfertigung geschuldet sind. Weitere Informationen unter: www.meiner.de/bod.

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliogra­phi­­sche Daten sind im Internet über ‹http://portal.dnb.de› abrufbar. ISBN 978-3-7873-1108-8 ISBN E-Book: 978-3-7873-3043-0 © Felix Meiner Verlag GmbH, Hamburg 1995. Alle Rechte vorbehalten. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übertragungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, soweit es nicht §§  53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. Gesamtherstellung: BoD, Norderstedt. Gedruckt auf alterungsbeständigem Werkdruck­papier, hergestellt aus 100 % chlor­frei gebleich­tem Zellstoff. Printed in Germany.  www.meiner.de

INHALT

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

VII

Otto Dann (Köln) Einleitung : Naturrecht - Spätaufklärung - Revolution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

I . DER INTERNATIONALE KONTEXT

Wolfgang Schmale (München) Das Naturrecht in Frankreich zwischen Prärevolution und Terreur

.

5

The Rise and Fall of the Theory of Natural Rights in Late Eighteenth and Early Nineteenth Century Britain . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23

. . . .

Harry T. Dickinsan (Edinburgh) .

Jürgen Heideking (Köln) The Law of Nature and Natural Rights . Die Positivierung von Naturrecht im Amerika des ausgehenden 18. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

li.

48

THEORETISCHE DIMENSIONEN

Klaus Luig (Köln) Die Wurzeln des aufgeklärten Naturrechts bei Leibniz

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61

Naturrecht, Politische Ökonomie und Geschichte der Menschheit. Der Diskurs über Politik und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit . . . .

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Hans Erich Bödeker (Göttingen) und Istvan Hont (Cambridge) . . . . .

. . . .

Wolfgang Kersting (Hannover/Kiel) Der Kontraktualismus im deutschen Naturrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

90

III . DER NATURRECHTUCHE DISKURS IN DEUTSCHLAND

Günter Birtsch (Trier) Naturrecht und Menschenrechte . Zur vernunftrechtlichen Argumentation deutscher Jakobiner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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VI

Inhalt

Jü rgen Wilke (Mainz) Die Entdeckung von Meinungs- und Pressefreiheit als Menschenrechte im Deutschland des späten 18. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Ulrich Engelhardt (Heidelberg) Frauenemanzipation und Naturrecht . Zur normativen >>VorbereitungSpätzeit« . Das moderne Naturrecht war im Zeitalter der konfessionellen Kriege entwickelt worden, um die Politik - sowohl innerhalb der sich festigenden Territorialstaa­ ten als auch im Verhältnis zwischen den Staaten - auf eine neue rechtliche Grund­ lage zu stellen. Thomas Hobbes und Hugo Grotius, die hier für beide Richtungen genannt seien, war es darum gegangen, die alte Lehre vom Naturrecht aus ihrer Verankerung in der theologischen Dogmatik zu lösen und sie auf eine allgemei­ ne Basis zu stellen : die allen Menschen gemeinsame, ihnen mit ihrer Natur ge­ gebene Fähigkeit des Vernunftgebrauchs. Erst mit dieser Fundierung war das Naturrecht der abendländischen Tradition in der Tat zu einem >>natürlichen>Spätauf­ klärung« schmücken, hatte sich das moderne Naturrecht in Europa bereits als das konzeptionelle Grundmodell des rechts- und sozialpolitischen Denkens durch­ gesetzt. Aufs engste mit der Aufklärungsbewegung verbunden, war es weit über den Kreis der Gelehrten hinaus verbreitet . Im juristischen Bereich, aus dem es

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Einleitung

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Otto Dann

hervorgegangen war, finden wir es j etzt als Oberbegriff für das gesamte Rechts­ system und als eine eigene akademische Disziplin, die eine spezielle Literatur ausgebildet hatte. Außerdem war das Naturrecht zu einer beliebten Argumenta­ tionsform innerhalb des praktischen Rechtslebens geworden. Vor allem in die Spra­ che der reformorientierten Gesetzgebung war es in breiter Front eingedrungen. Darüber hinaus finden wir naturrechtliche Anschauungen und Argumente auch in vielen anderen Bereichen der zeitgenössischen Literatur, etwa in der Pädago­ gik oder der Ökonomie. Seine größte Zuspitzung erreichte das Naturrecht aber zweifellos in der Begründung und Entfaltung allgemeiner Menschenrechte, die im Zuge eines neuen konstitutionellen Denkens auch als Grundrechte eingefor­ dert wurden. Damit sind bereits die revolutionären Folgerungen im Blick, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts immer entschiedener aus dem modernen Naturrecht gezogen wurden . Rousseau hatte 1762 in seinem >>Contrat social>Na­ tur>Prärevolution Begründungsum­ weg < über das Naturrecht hat sich erübrigt. Beide Texte mögen nicht mehr sein als jeweils ein Meinungsbeleg von denkbar vielen, aber in ihrer krassen Gegenüberstellung dokumentieren sie durchaus re­ präsentativ einen Bewußtseinsprozeß von radikalem Ausmaß : an die Stelle des mit Skepsis zu betrachtenden Menschen tritt der als gottebenbürtiger Schöpfer handelnde Mensch, der aus sich selbst heraus handelt, ohne Bezug auf Gott und/oder das Naturrecht . Der essentielle Bezugspunkt ist jedoch in beiden Fäl­ len das Recht . Die völlige Besitzergreifung des Menschen von sich selbst im Lauf der Aufklärung und besonders der Revolution verläuft über die Besitzergreifung des Rechts durch den Menschen. Zweifellos war das naturrechtliche Denken mit ein Wegbereiter dieser Entwick­ lung, und deshalb gilt die erste zu behandelnde Frage dem Rechtsbegriff selbst. 16 Die Vorstellung an sich, daß die irdische Welt mit Hilfe des Rechts vor allem geordnet, aber auch gestaltet wird, und daß dies auch über den Menschen ge­ schieht, ist gewiß keine Entdeckung der Aufklärung oder der Revolution. Aller­ dings gibt es entscheidende Akzentverschiebungen, die kaum ohne den Begriff der Natur denkbar gewesen sind. Sucht man in den Quellen des 16. , 17. und 1 8 . Jahrhunderts nach dem alles bündelnden Begriff >>Recht«, so stößt man nicht auf >>droit« in der französischen Sprache, sondern auf >>justice« in der doppelten Bedeutung von >>Gerechtigkeit« und >>institutionalisierter Rechtsprechung« . Die­ se Gerechtigkeit ist aber letztlich, in ihrem Urgrund, das von Gott der Welt ein­ gehauchte gerechte Recht, das nicht in die Disposition des Menschen fällt. In bezug auf diese Gerechtigkeit ist der Mensch nur insofern Gestalter, als er in der Rechtsprechung der Suchende und Findende ist. Er gestaltet natürlich konkrete Rechtsverhältnisse durch Verträge, durch Gesetzgebung (Ordonnanzen, Konsti­ tutionen etc . }, eine Form des rechtlichen Handelns, die immer unter der Prämis­ se der Suche nach der präexistenten Gerechtigkeit steht . Lange Zeit steht die unmittelbare Führung dieses suchenden Menschen durch den allgegenwärtigen Gott im Mittelpunkt der rechtlichen Vorstellungswelt . Gerechtes Recht und Vor­ sehung, auch Strafe Gottes gehören ebenso eng zusammen wie das Verstehen des irdischen Lebens vom Glauben an das Leben nach dem Tod her. Die darin liegende Gewißheit von der Sinnhaftigkeit aller irdischen Abläufe wird sicher15 Evangile de Ia liberte (1794), 5. 1; Übersetzung von mir. 16 Vgl. zum folgenden mit Einzelnachweisen meinen Artikel >>Droit«: In: Handbuch politisch-sozialer Grundbegriffe in Frankreich 1680-1820, hrsg. von R. Reichardt u . a . , Mün­ chen 1985 ff. , Heft 12 (1992), 5. 65 - 87. Zur Quellengrundlage s. die obigen Anmerkungen .

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I. Der internationale Kontext

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Wolfgang Schmale

lieh schon geraume Zeit vor den Glaubenskämpfen des 16. Jahrhunderts beein­ trächtigt, begrifflich sichtbar bezüglich des Rechts wird dies in Frankreich aller­ dings in besonderem Maße erst in den 1570er Jahren. Wenn bis dahin göttliches Recht und Naturrecht im Grunde genommen als Synonyme verstanden wurden und die Vorstellung von der Natur kaum ohne die Vorstellung des allgegenwärti­ gen Gottes auskam, verstärkten sich jetzt Tendenzen, die eine Marginalisierung Gottes im Weltverständnis andeuteten, keineswegs aber vollzogen . Fast unmerklich erfährt der Naturbegriff eine Art Emanzipation, weil e r ange­ sichts des Glaubensstreits, also der zweifelhaft gewordenen Glaubenswahrheit, Objektives, Wahres in sich zu bergen scheint . Die Vorstellung von der Natur wird allmählich zu einer Vorstellung, die sich als Instanz der Transformation zwischen den Menschen und Gott schiebt . Die Wirkung Gottes auf den Menschen wird immer mehr als eine Wirkung durch die Natur begriffen, die gewissen Gesetzen folgt. Vieles von dem, was im späten 16. Jahrhundert in Frankreich aufbricht, scheint im 17. Jahrhundert wie verschüttet, was mit der konsequenten Politik der Aushöhlung des Edikts von Nantes und einer dazu parallelen sozialen Ausgren­ zungsbewegung zusammenhängt . 17 Allerdings sind Descartes' Entdeckungen über das menschliche Denken ein ebenso essentieller Beitrag zur philosophischen Selbstentdeckung des Menschen wie Hobbes' berühmtes Kapitel über den Men­ schen im Leviathan . Libertinismus, 18 Bayle, die >>Querelle des Anciens et Mo­ derneS>Une foi, une loi, un roi?« La Revocation de l'Edit de Nantes, Genf 1985; zur sozialen Ausgrenzung ist auf die Ergebnisse der Tagung >>Les frontieres religi­ euses«, Tours, Centre des Etudes supeneures deIa Renaissance, Juli 1988, hinzuweisen (Sau­ zet, Robert [Hrsg. ) : Les frontieres religieuses en Europe du xv• au XVII• siede, Paris 1992) . 18 Zum Libertinismus s. die kritische Studie von Schneider: Der Libertin, 1970 (dort auch Auseinandersetzung mit L. Febvre : Le problerne de l'incroyance au XVI• siede. La religion de Rabelais, Paris 1947); Schabert : Natur und Revolution, op.cit .

Das Naturrecht in Frankreich zwischen Prärevolution und Terreur

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der Naturgesellschaft nicht ohne modifizierende Transformationen auf die bür­ gerliche Gesellschaft übertragen werden kann . Der Kern ist dabei der Gedanke von der Selbsterhaltung des Menschen . Es ist im Grunde genommen genau die­ ser Gedanke, von dem ausgehend der Rechtsbegriff völlig neu definiert wird . Im Naturrecht wird explizit die menschliche Natur als Quelle des Rechts ins Be­ wußtsein gehoben, von diesem eindeutig bestimmten Standpunkt aus wird das Recht neu durchdacht und erdacht, geordnet, logisch miteinander verknüpft, zu einem homogenen Ganzen geformt. Das materielle Recht wird dabei nur z. T. erneuert, das entscheidend Neue ist eben der >>StandpunktRecht« begriffen wird . Dies ist Voraussetzung dafür, daß im Französischen >>droit« zum zentralen Begriff wird und >>justice« verdrängt, wenn auch nicht völlig. So spricht z . B. noch Mounier in der Menschenrechtsdiskussion am 9. Juli 1789 davon, daß man zur Vorbereitung einer Verfassung die Rechte kennen müsse, die die >>na­ türliche Gerechtigkeit« (justice naturelle) den Individuen zubillige.l9 Auch in der Rhetorik der Parlamente, der Gesetze und z . B . der Cahiers de doleances bleibt >>justice« präsent . Dennoch, mit dem Vormarsch des Begriffs >>droit« verbunden ist eine als nicht zu erschüttern erscheinende Gewißheit, nämlich zu wissen, was >>das Recht« sei. Diese Gewißheit trägt zunächst auch die Revolution, bis plötzlich sehr drängend wieder die Frage auftaucht, was überhaupt >>Recht« sei. Bemerkenswert ist auch, daß in der Revolution die Begriffe >>justice«, >>juste« und die Ulpiansche Defini­ tion wieder an Bedeutung gewinnen und entweder ganz an die Stelle der natur­ rechtlichen Begrifflichkeit oder zumindest an deren Seite treten, weil jene den Erklärungs- und Definitionsbedarf offenbar nicht mehr ausreichend deckt . Im Jahr der Revolution, 1789, waren die Grenzen der Erkenntnisfähigkeit oder vielleicht sollte man sagen: der Vorstellungskraft - in bezug auf das Natur­ recht längst erreicht. Erreicht war aber auch schon die Popularisierung naturrecht­ liehen Denkens, genauer gesagt, der Früchte dieses Denkens. Mit Popularisierung ist damit vorerst ein breiteres gebildetes bürgerliches Publikum gemeint, unter dem die Juristen und besonders die Anwälte eine entscheidende Mittlerrolle im Hinblick auf die Einführung naturrechtliehen Argumentierens in die alltägliche Praxis des Rechtsstreits einnahmen. Dabei kam es naturgemäß nicht so sehr auf philosophische Glanzleistungen an als auf wirkungsvolle Argumente. Die Um­ setzung naturrechtliehen Denkens in die Praxis, nicht per Gesetz, sondern durch die Praxis der rechtlichen Auseinandersetzungen, führte zu einer Reduktion dieses Denkens auf relativ einfache Lehrsätze, verschaffte ihm aber einen breiten Wir­ kungskreis . Naturrechtliche Lehrsätze besaßen rechtspraktische Relevanz, bevor sie in die Formulierung von Gesetzen aufgenommen wurden. Letzteres geschah, soweit ich sehe, 20 vor der Revolution nur einmal, und zwar im Edikt vom Februar 19 In der kritischen Edition von de Baecque : I.:An 1 des droits de l'homme, op.cit . , 5. 62 .

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Der >>Recueil general des anciennes lois fran�aises>Louis, etc . Nous devons a tous nos sujets de leurs as­ surer la j ouissance pleine et entiere de leurs droits; nous devons surtout cette protection a cette classe d'hommes qui, n'ayant de propriE?te que leur travail et leur industrie, ont d'autant plus le besoin et le droit d'employer dans toute leur etendue les seules ressources qu'ils aient pour subsister. Nous avons vu avec peine les atteintes multipliees qu'ont donnees a ce droit nature! et commun des institu­ tions, anciennes a la verite, mais que ni le temps, ni l'opinion, ni les actes meme emanes de l'autorite, qui semble les avoir consacrees, n'ont pu legitimer« . 21 Die folgenden Gesetzesbestimmungen stellen somit die Konformität mit dem Natur­ recht wieder her, sie setzen es nicht in Kraft, sie können es nicht in Kraft setzen, weil das Naturrecht aus eigener Kraft gilt. Es kann höchstens mißachtet werden . Die Präambel der Declaration von 1789 drückt sich sinngemäß aus. 22 Was im Gesetzeswerk des späten Ancien Regime allem Anschein nach nur ein­ mal ausdrücklich zum Tragen kommt, wird bei einer Untersuchung der Gerichts­ praxis als breites Wirkungsfeld deutlich. Praktische Relevanz des Naturrechts ist nicht erst dann gegeben, wenn es zur positiven gesetzlichen Norm gewor­ den ist . Sicherlich hat letzteres Konsequenzen für die Gerichtsfähigkeit des Na­ turrechts. Die einfachste Methode, um eine solche eventuelle Gerichtsfähigkeit festzustellen, wäre, Gerichtsurteile daraufhin zu prüfen . Nun wurden Gerichts­ urteile im Ancien Regime nicht begründet, die Urteilstexte selbst sind daher für diese Frage wenig aufschlußreich . Gewöhnlich sind die Gründe, die zu einem bestimmten Urteil führten, nur mit Hilfe subsidiärer Quellen wie z .B. den Recht­ sprechungssammlungen der Zeit oder den wegen der Bedeutung des Urteils ausdrücklich, aber vom Urteil getrennt veröffentlichten Begründungen zu er­ schließen . Es gab vor 1789 in Frankreich kein Gesetz, das etwa ausdrücklich die >>liberte naturelle>liberte naturelle« in den von den Rechtsanwälten verfaßten Schriftsätzen bei Prozessen und bei zahlreichen Urteilsfindungen eine höchst be­ merkenswerte Rolle. Der wichtigste Bezug bestand dabei im Zweifelsfall im rö­ mischen Recht, das der offiziellen Doktrin zufolge in Frankreich keine Gesetzes­ kraft hatte, aber als ratio scripta eine unumstößliche Autorität besaß bzw. sogar als Verkörperung des Naturrechts verstanden wurde. Es ist symptomatisch, daß häufig Naturrecht und römisches Recht in einem Atemzug genannt werden . Was die >>liberte naturelle« angeht, s o ist das Feudalrecht das vielleicht beste

21 Recueil general, Regne de Louis XVI, Band 1, S. 370-371 . 22 >>Les representants du peuple fran>Philosophie de la nature« (3. Ausgabe, 1787, Band 1) >>eröffnet«, sind die meisten barock­ religiösen Stilelemente verschwunden. 37 In der Mitte steht aufrecht die sechs­ brüstige >>Natur« . Über ihrem Kopf reißen die dunklen Wolken auf und geben das Licht frei. Die Natur stützt sich auf die (männliche) Weisheit, die im nach rechts unten ausgestreckten Arm eine Fackel hält und damit die zu Boden ge­ streckte und entkleidete Lüge, ebenfalls eine männliche Figur, beleuchtet. Die Lüge verdeckt die Augen mit der linken Hand, in der rechten, verkrallt ins Ge­ wand der Natur, hält sie noch den Dolch. Unter dem Bild steht der Text >>Ecoute 35 Die entsprechende Gravur zum Fest ist in fast allen gängigen Repertorien zur Ikono­ graphie der französischen Revolution abgebildet, z . B. bei Boudet : La Revolution franLa Loi Naturel­ le« zwar im Bildmittelpunkt, sie ordnet sich aber in eine harmonisch-kreisförmig angeordnete allegorische Gruppe ein . 38 Sie existiert nicht für sich selbst . In der Darstellung von 1787 dominiert die Natur die Szene, 39 bei den Feierlichkeiten von 1793 ist die Statue der Natur geradezu gottgleich, sie schöpft ihren Sinn rein aus sich selbst, bedarf keiner Attribute mehr; sie ist alleinige Quelle. Der nächste Schritt kann nun kaum mehr überraschen : Wir sind an der Schwelle zu dem Punkt an­ gelangt, der im obigen Zitat aus dem >>Evangile de la liberte« angesprochen war : der Mensch genügt sich selbst, das, was er zur Gestaltung der Welt braucht, schöpft er aus der Materie, der lebendigen Materie, schließlich aus sich selbst. Sicherlich wäre es falsch anzunehmen, daß bestimmte Höhepunkte der revolu­ tionären Kultur absolut repräsentativ sind; es gab andere Anschauungen, und eine Analyse der Publizistik, z . B. der Zeitschriftenliteratur, der Traktate, der Wör­ terbücher, ergibt zahlreiche Differenzierungen . Robespierre versuchte eine Art Wende mit dem Kult des Höchsten Wesens und der Natur sowie der Artikulie­ rung des Glaubens an die Unsterblichkeit der Seele. Die Nation war in Religions­ fragen ohnehin gespalten. Für das Recht jedoch, und damit kehre ich von der allgemeinen Entwicklung wieder zum speziellen Anliegen dieses Beitrages zu­ rück, war durch die Glorifizierung der Fähigkeiten des Menschen die Grundla­ ge für den Rechtspositivismus geschaffen worden . Positivismus heißt dabei, daß der Mensch die Quelle des Rechts ist, ohne - seiner Bewußtseinshaltung nach - in metaphysische Abhängigkeiten eingebunden zu sein . Hier trennen sich wo­ möglich dann aber auch die allgemeine weltanschauliche Entwicklung und die Frage nach den Grundlagen des Rechtsdenkens. Der Positivismus im Recht be­ ruht auf einer soliden Basis. Es lassen sich dafür zahlreiche weitere Belege aus der Revolutionszeit anfüh­ ren. 1791 häufen sich Stimmen, denen zufolge es überhaupt kein Naturrecht gibt: Murat de Montferrand etwa bestreitet, daß es Naturrechte gebe, dies seien viel­ mehr Chimären. Die Menschenrechte seien ein Ergebnis der Verfassung und nicht umgekehrt, deshalb dürften sie der Verfassung auch nicht vorausgehen . Im Natur38 Daß es einmal, wie 1746, die >>Lai naturelle« und das zweite Mal, 1787, die >>Nature« ist, scheint mir keinen wesentlichen Unterschied zu bedeuten, da auch in den Texten der Zeit beide >>Figuren« ineinander übergehen können. Dasselbe gilt für die Attribute Wahr­ heit bzw. Weisheit, Irrtum bzw. Lüge. 39 1787 erschien ebenfalls eine deutsche Ausgabe von Delisie de Sales' >>Philosophie der Natur« . Der Frontispiz ist ähnlich dem der französischen Ausgabe, d. h. er fügt sechsbrü­ stige Natur, Weisheit und Lüge in einer allegorischen Gruppe zusammen, allerdings gibt es eine Reihe von Unterschieden. Besonders sticht hervor, daß die Natur im linken Bildteil in den Hintergrund gerückt ist, während die Sapientia (in der Gestalt des Philosophen) Bild und Szene beherrscht. Ihre Fackel beleuchtet eher die Natur, als daß sie die Lüge blendet. Die Unterschiede in den bildliehen Darstellungen weisen durchaus auf die Unterschiede zwischen französischer und deutscher Aufklärung hin . Auch diese Abbildung entdeckte Ulrich Dierse.

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I. Der internationale Kontext

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Wolfgang Schmale

zustand gebe es keine Rechte, solche würden erst in der Gesellschaft vereinbart und unterlägen jederzeit der Veränderung durch den Gesetzgeber. Man dürfe die natürlichen Anlagen des Menschen nicht mit Rechten verwechseln . 40 Eben­ falls 1791 häufen sich Versuche, Recht wieder vom Begriff des Gerechten her zu definieren (Gautier, Ami du peuple, Journal de Paris), wobei meistens ungeklärt bleibt, was gerecht ist . In der Verfassungsdiskussion gewinnen antike Vorbilder an Einfluß, insgesamt wird auch unter quantitativen Gesichtspunkten der Hin­ weis auf das Naturrecht immer seltener. Der Gedanke, daß Recht wesentlich et­ was mit der Regelhaftigkeit der Beziehungen der Menschen miteinander zu tun habe, gewinnt an Bedeutung. All das enthält selten eine befriedigende Antwort nach den Urgründen des Rechts, die Revolution ist so gesehen vor allem auch ein Prozeß der Suche nach einem neuen Rechtsbegriff. Das Naturrecht hat bereits 1789 ausgedient, als Er­ satz schälte sich nach und nach geschichtlich gewordenes Recht heraus, zu dem auch die Menschenrechtserklärung zählte. Diese Form der positivrechtlichen An­ schauung verband sich mit dem fortbestehenden Glauben an das von der Ge­ setzgebung ausgehende Wohl für die Menschen. Diesen Prinzipien ordnet sich auch die Charte constitutionelle von 1814 unter, und mit ihr zahlreiche Kommen­ tare. Die französische Revolution ist ohne das Naturrecht vielleicht nicht denk­ bar, aber das Naturrecht gehört - wenn das Bild erlaubt ist - auch zu den Opfern der Guillotine, sofern die Betonung auf die Phase der weltverändernden Inno­ vationskraft naturrechtliehen Denkens gelegt wird . Diese Phase war mit der er­ sten Restauration, die die Terreur ablöste, abgeschlossen . Es soll nicht der Einfluß naturrechtliehen Denkens, nicht einmal eine gewisse Renaissance des Naturrechts im Rahmen der Arbeiten am Code civil bestritten werden, 41 aber diese Renais­ sance hat, wenn es denn eine war, eine völlig andere Funktion als das Natur­ recht am Ende des Ancien Regime und 1789. Die Funktion um 1789 war von höchster Geschichtsmächtigkeit, so wie sie ganz offensichtlich nur einmal erreich­ bar war.

40 Murat de Montferrand : Qu'est-ce que l'Assembh�e Nationale, 1791, S. 115 ff. 41 Vgl . u.a. C. A. L. Rasenack: Gesetz und Verordnung in Frankreich seit 1789, Berlin 1967,. S. 53 ff. , der sich (m. E. zu Recht) sehr skeptisch in bezug auf die >>Wiederbelebung« des Naturrechts zeigt. Zum Code civil nach wie vor Arnaud: Les origines doctrinales du Code civil fran«;ais, 1%9.

Harry T. Dickinsan (Edinburgh) The Rise and Fall of the Theory of Natural Rights in Late Eighteenth and Early Nineteenth Century Britain

I For centuries philosophers and moralists believed that there was an eternal, un­ changing law of nature which was valid for all men at all times. God was seen as the author of this law and as its enforcing judge . The Creator devised the law of nature, established it as an eternal moral rule for the benefit of man, imprin­ ted it on man's nature and gave man reason so that he would discern its com­ mands. Reason instructed man in this law by which he was to govern hirnself and made known to him how far he was left to the freedom of his own will and how far he must obey the will of God. The law of nature was held to supply a set of moral imperatives which could not justly be infringed by any human authority. It exercised sovereign authority over every man's actions because it established every man's duty and it set bounds on his liberty. Most natural law theorists stressed the obligations which this law imposed upon all men, both rulers and subjects. The emphasis was on man as the creature of civil order and on the authority of rulers as being God-given. Subjects were encouraged to obey, while rulers were taught that they should exercise power in the interests of the whole community. In seventeenth-century England the moral and philosophical doctrine of natu­ ral law was transformed by thinkers, especially John Locke, into the political doc­ trine of natural rights. 1 These theorists placed less emphasis on God's will and placed more on man's nature and reason . In developing a less restrictive and more liberating notion of man's role in the social order they stressed that rulers gained their authority from the consent of the governed and that subj ects possessed in­ alienable rights which could not be legitimately infringed by those in positions of authority. Whereas natural law theorists were primarily concemed with the good order of civil society and with the individual's duty to subordinate his in­ terests to the good of the whole, natural rights theorists were preoccupied with the claims which individuals could make and with the duty of civil government to preserve the rights of all subj ects. A profound philosophical defence of natural rights of this kind was first set down in some detail by John Locke in his Second Treatise of 1690. From his natu­ ral, yet essentially religious, assumptions about the law of nature Locke claimed that God had made all men by nature free and equal, alike in their rights to life, 1 R. Tuck : Natural Rights Theories, Cambridge 1979; and J. H. Franklin : John Locke and the Theory of Sovereignty, Cambridge 1978.

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I. Der internationale Kontext

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Harry T. Dickinson

liberty and property. Hence, all men, by their nature, possessed an inalienable right to personal or negative liberties, including freedom of movement, expres­ sion and belief, freedom to choose where to live and work or whom to marry or to associate with, and freedom to enj oy the fruits of one's labour or to own property and other possessions. All men, by their nature, also possessed politi­ cal or positive liberty either to be his own master or to influence those who were placed in authority over him. According to radical natural rights theorists each individual man was sovereign in the state of nature and possessed the authority to protect his right to > life, liberty arid property < . No man in the state of nature had the right to put any other man under his power or will without that man's consent . If any man attempts to exercise such an arbitrary and illegitimate authority, the injured party has the right to resist even to the extent of destroying the aggressor. Since, in the state of nature, there can be no arbitrary power of one man over another, it follows that civil governrnent can only be created by consent, by the voluntary agreement of all those men who are to be governed . To that extent civil government i s a n artificial construct . While G o d approves of government as a means of restraining the violence of men, the actual institutions of civil government are man-made. Civil government originates in the realiza­ tion by most men that they lack the power to preserve their natural rights against the designs of some of their fellow-men . In place of their own inadequate powers of self-preservation they set up an impartial judge and a known, settled body of laws. Men agree to surrender their individual claim to defend their na­ tural right to life, liberty and property to a civil government which will establish laws for the public good, appoint impartial judges to administer justice and create a force sufficient to preserve law and order in the community. Once this has been done men must go to law rather than resort to force in order to protect their natural rights. According to Locke the only legitimate governments were those established by consent . Absolute or arbitrary governments were illegitimate because they could with impunity overrule the law of nature and infringe the natural rights of man. This is against reason, religion and natural justice. In a civil society created by the consent of the community the sovereign authority rests with the legislature because it alone represents the united force of the whole community and be­ cause it alone can make positive law. The power of the legislature however was restricted by the need to serve the ultimate ends of civil society, which are the protection of the universal and inalienable natural rights to life, liberty and pro­ perty. If these ends are neglected then the government betrays the trust placed in it and the contractual relationship between ruler and subjects has been broken. Once subjects were convinced that a serious breach of trust had occurred, and their natural rights were in grave peril, they were free to act for thernselves in or­ der to force the government to mend its ways or to establish a new government. 2 2 For expositibns of Locke's political philosophy see J. Dunn: The Political Thought of John Locke, Cambridge 1969; and J. W. Gough: John Locke's Political Philosophy, Oxford 1950.

The Theory of Natural Rights in Late 18th and Early 19th Century Britain

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In 1690 Locke's views were certainly radical, but their revolutionary potential was not fully realized because they were not stated with absolute clarity and be­ cause they gained few adherents at the time . While Locke was quite explicit in stating that all men possessed a natural right to > life, liberty and property >Property>People«: Political Usages of Locke and Some Contemporaries in: Journal of the History of Ideas, XLII 1981, pp. 29-51. 5 J . Dunn : The Politics of Locke in England and America in the Eighteenth Century in : John Locke : Problems and Perspectives, ed. J. W. Yolton, Cambridge 1969, chap. 4; M. P. Thompson: The Reception of Locke's Two Treatises of Government, 1690- 1705 in: Po­ litical Studies, XXIV 1976, pp. 184- 191; J. P. Kenyon: Revolution Principles, Cambridge 1977; and H. T. Dickinson: Liberty and Property, London 1977, pp. 125 -134. But see also R. Ashcraft

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I. Der internationale Kontext

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Harry T. Dickinsan

The theory of natural rights did not win significant support until the later eigh­ teenth century when it was propagated by a host of propagandists, including James Burgh, Joseph Priestley, Richard Price and Thomas Paine. These writers believed that they were merely reiterating the views of John Locke and there is some justice in this claim. Locke's ideas on natural rights and the original con­ tract certainly did make a dramatic and decisive comeback among the radicals of the later eighteenth century, 6 but they were far more explicit than he had been in spelling out precisely what natural rights all men possessed and how these could be effectively secured in civil society. The radical natural rights theorists of the later eighteenth century all accepted, as had John Locke, that God had created all men equal . They did not take this to mean that all men were equal in their talents and abilities, but rather that all men possessed > the same sense, feelings and affections to inform and influence; the same passions to activate; the same reason to guide; the same moral prin­ ciples to restrain; and the same free will to determine all alike. ,7 It was never pos­ sible to depend absolutely on the superior wisdom or goodness of any body of men . Indeed, selfishness and the Iove of domination were so widespread that no one could be trusted with power over others. 8 The natural equality which all men did possess was the equal right to act in defence of his inalienable rights to life, liberty and property. These were the same natural rights which Locke had claimed were the inalienable possession of all men, but the radicals of the later eighteenth century were more explicit in their definition of them. Richard Price insisted that all men had an equal claim to liberty because >>no one of them is constituted by the Author of Nature the vassal or the subj ect of another, or has any right to give law to him, or, without his consent to take away any part of his property or to abridge him of his liberty>Your very existence depends on your changing the and M. M. Goldsmith : Locke, Revolution Principles, and the Formation of Whig Ideology in: Historkai Journal, XXVI 1983, pp. 773 - 800; and M. Goldie : The Revolution of 1689 and the Structure of Politkal Argument . An Essay and an Annotated Bibliography of Pamph­ lets on the Allegiance Controversy in: Bulletin of Research in the Humanities, LXXXIII, 1980, pp. 473 -564. 6 I. Kramnkk: Republican Revisionism Revisited in: American Historkai Review, LXXXVII 1982, pp. 629- 664. 7 J. Cartwright: Take Your Choke!, London 1776, pp. 2-3. 8 R. Price : Additional Observations upon the Nature and Value of Civil Liberty, 2nd ed., London 1777, p. 16. 9 lbid . , p. 21 . 10 C. Robbins: The Eighteenth Century Commonwealthman, Cambridge Mass. 1959, pp.

The Theory of Natural Rights in Late 18th and Early 19th Century Britain

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reason for your dissent, which used to be an opinion of superior purity of faith and worship, for another which is the only rational and justifiable reason for dissent the inalienable and universal right of private judgement, and the necessity of an unrestrained enquiry and freedom of debate and discussion on all subjects of know­ ledge, morality and religion . This may be called Intellectual Liberty. This should be the general reason of dissent. « 11 The dernand for religious toleration advanced hand-in-hand with the campaign for a free press and for freedom of expression in all secular matters. While men could not claim an absolute right of action, they did have an absolute and inalienable right to think about and to discuss all subjects. Radical natural rights theorists asserted that the best way to understand man's natural rights was to observe what he must have been like in a state of nature before the creation of civil society. Some radicals were confident that the state of nature was an actual historical experience in which primitive man had en­ joyed equal rights and liberty: >>The best way to discover the natural rights of man, is to refer to him in a state of nature . There certainly was a time when he existed in that state, unless we supposed that government dropped upon him from the clouds. When he was, or how long he remained in it, we cannot teil; but com­ mon sense compels us to conclude, that in that state he must have been some time or another. >natural condition of man>But though neither history nor observation furnish any examples either of unassociated man, or of society without some sort of political institution, yet it is not diffi cult to form a distinct idea of what rnay be called the natural condition of man : that is, to distinguish, in our minds, between what the individual has derived from nature, and what has been conferred, or abroga­ ted, by civil society. >the natural state of a being is always his sound, and good, and happy state; and that all the corrup­ tions and disorders we observe are plainly unnatural deviations and excesses; and that no instance can be produced wherein ill as such is the genuine tenden­ cy and result of the original constitution of things Sovereignty, as a matter of right, appertains to the nation only, and not to any individual; and a nation has at all times an inherent right to abo­ lish any form of government it finds inconvenient, and establish such as accords with its interest, disposition and happiness. < 16 Other natural rights theorists al­ so accepted that ultimate authority lay in the people and they had the right to establish a form of civil government which would best serve their interests. Ac­ cording to Earl Stanhope, >>All warrantable political power is derived, either me­ diately, or immediately, from the People. All political authority is a trust; and every wilful act of abuse of that authority, is a breach of trust>Civil laws were instituted to enforce obedience to the true laws of human nature. Therefore civil laws, which contradict or are repugnant to the true laws of human nature, are not in conscience binding . And all civil laws, and all civil magistracies, ought to be formed, altered and corrected, confirmed or abolished, according as they agree with, or are repugnant to, the true laws of human nature . >The right of voting for representatives, is the prima­ ry right by which other rights are protected . To take away this right, is to reduce men to a state of slavery, for slavery consists in being subject to the will of another, and he that has not a vote in the election of representatives is in this case. >We are not speaking of that visionary equality of property, the practical expression of which would desolate the world and re-plunge it into the darkest and wildest barbarism . The natural state of man is by no means a state of solitude and independence, but of society and Subordination . the greatest happiness of the greatest number < . The question that should interest men most was how to create a government which produced such beneficial results. Since he regarded all men as selfish and self-interested, Bentham accepted that all governments would seek to serve the interests of the governors not the governed . Governors need to be continually watched and every device used to ensure that they looked after the interests of the governed. As far as possible governments should leave people alone so that each man can seek his own hap­ piness since he is the best judge of it . If the individual's civil liberties have to be infringed, then those who take these decisions must be responsible to all citi­ zens. Only in such circumstances would they prefer the public interest rather than their own interest . The only way to make a govemment promote > the grea­ test happiness of the greatest number < was to allow every man to act as the judge of that govemment by giving all men the right to choose their representatives in the supreme legislature . Given the opportunity to elect the members of the legislature men will in general seek to choose representatives who are keen to serve the public interest, which is merely the sum of individual interests. The elected representatives, for their part, will be anxious to promote the public good because they know that if they do not do so they risk not being re-elected. Thus, Bentham's utilitarian principle, while rejecting the claim to natural rights, led to a similar conclusion - that representative democracy was the most efficient political system both for limiting the self-interest of the governors and for advan-

The Theory of Natural Rights in Late 18th and Early 19th Century Britain

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cing the interest of the greatest number of the govemed . Human selfishness could not be cured, but a democratic system came nearer than any other form of govemment to creating a harmony of interests among those who naturally seek to promote their individual interest . While Bentham ridiculed the theory of na­ tural rights, he eventually reached the conclusion that civil govemment had a moral duty to work for the public good and its conduct should be judged by all its subj ects . 75 A central element in the theory of natural rights was the emphasis on the rights of free equal and independent individuals. A number of different strands in po­ litical thinking in eighteenth- and early nineteenth-century Britain began to chal­ lenge this stress on the autonomaus individual and to recognize the importance of economic influences and the significance of the community as a whole. Civic humanism had long stressed that liberty could only be possessed by those who owned sufficient freehold land to be independent, educated, leisured and thus able to develop the civic virtue without which freedom would be lost . 76 The in­ vestigations of David Hume and Adam Smith led to the conclusion that com­ mercial societies offered the most favourable conditions for personal liberty and strict justice (though not for active political rights) . They both believed that the form of political institutions and the distribution of rights and liberties were sha­ ped by the particular material circumstances and social relations which existed in any society. In their view the development of society was greatly influenced by the role of property and production .77 Bentham and the utilitarians were less concemed with the individual and were concemed instead with the aggregate of happiness and the good of the whole community. They were ready to recog­ nize that the individual could and should be sacrificed if the happiness of the whole community is greater than it would be without such a sacrifice. Bentham thought that the govemment should promote the community's well-being and should take an interest in increasing prosperity and reducing inequality. He took the first tentative and indecisive step towards emancipating liberalism from the shackles of individualism . 78 Some radicals who accepted the theory of natural rights were nevertheless con­ vinced that the political liberty of the individual should not be the sole objective 75 Nonsense upon Stilts, ed. J. Waldron, chap. 3; R. Harrison: Bentham, London 1983; Bentham's Political Thought, ed. B. Parekh, London 1973; and J. Plamenatz: Man and So­ ciety, 2 vols. , London 1963, II, chap. 1 . 76 J . G . A . Pocock : Politics, Language and Time, London 1972, chaps. 3 and 4 ; and J. G. A. Pocock : The Ancient Constitution and the Feudal Law, Cambridge 1957. 77 See the editors' introductory essay and the essay by J. Dunn in: Wealth and Virtue, eds. I. Hont and M. Ignatieff, Cambridge 1983, pp. 1 - 44, pp. 119- 135; D. Forbes : >>Scienti­ fic>amerikanisches ModellState Constitutional Law« in Albany, N.Y. , im Oktober 1988, 5. 3. 15 Zum sog. Quok Walker Fall von 1783 siehe Stourzh : Begründung der Menschenrech­ te (wie Anm . 1), 5. 87. 16 Heideking: Verfassung vor dem Richterstuhl (wie Anm. 2), 5. Sl ff .

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I. Der internationale Kontext

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Jürgen Heideking

Rechten der Menschheit« hinzufügte. 17 Auf der anderen Seite wirkte der gemein­ schaftsorientierte Convenant-Geist fort, dem es weniger um das autonome Indi­ viduum als um die Beteiligung des tugendhaften Volkes am politischen Prozeß ging. Das führte dazu, daß Parlamente häufig ungestraft Verfassungsbestimmun­ gen mißachteten und individuelle Rechte hinter den tatsächlichen oder vorgebli­ chen Willen des Volkes zurückstellten. Damit setzten sie sich dem Vorwurf der »Mehrheitstyranneinationale>gott­ losecivic culture>po­ pular legal culture>according to the dictates of justice and natural reason, as weil as the language of the written constitution. The consti­ tution itself was in fact held to reflect and codify pre-existing natural law. Fundamental rights that did not appear in the written constitution were enforced nonetheless, and sometimes provisions of the written constitution were ignored in favor of unwritten law. « Sherry, a.a.O. , s. 16 f. 30 Livre I, Premiere Partie, Chapitre VI . 31 Political Participation in Eighteenth Century America. Unveröffentlichter Beitrag zu ei­ ner wissenschaftlichen Konferenz über >>State Constitutional Law« in Albany, N.Y. , im Ok­ tober 1988.

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I. Der internationale Kontext

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Jürgen Heideking

trug ganz wesentlich zur Wahlniederlage Präsident Adams' und seiner federali­ stischen Partei bei. 32 Drittens schließlich blieb das Verfassungsverständnis nicht statisch, sondern änderte sich entsprechend den äußeren Lebensumständen der Nation . Mit der Zeit legten die Richter die Texte flexibler aus und fanden Wege, den Bedürfnis­ sen einer sich rasch wandelnden Gesellschaft Rechnung zu tragen . Wie im 18. Jahrhundert verstanden sie das Naturrecht noch als universal und permanent . In der Praxis trugen sie jedoch zur allmählichen Umformung und Weiterentwick­ lung seines materiellen Gehalts bei. So bescheinigte etwa ein New Yorker Ge­ richt 1827 einem Kläger, der Land für öffentliche Zwecke hatte abtreten müssen, daß das Recht auf Entschädigung ein »fundamental principle of civilized socie­ ty« sei. Nun hatte Madison zwar den Grundsatz der »just compensation>christlichen Naturrechts> Eigentumsregel des > suum cuiqueWer glaubt das Gott etwas ohne ursache thue, das ist auß einem sol­ chen wahlgefallen so keine regel noch grundt noch absehen31 hat der hält Gott nicht vor vollenkommen . >infinitae lites de dignitate ac meritis>Der Reichtum der Besit­ zenden reizt die Besitzlosen zur Empörung [ . . . ] Nur unter dem Schutz einer staat­ lichen Behörde kann der Besitzer eines wertvollen Vermögens [ . . . ] auch nur eine einzige Nacht ruhig schlafen [ . . . ] Für den Erwerb wertvoller und großer Vermö­ gen ist es daher unbedingt erforderlich, daß eine solche Verwaltung eingerichtet ist . Wo es j edoch kein Privateigentum gibt [ . . . ] ist eine zivile Behörde nicht so nötig. >ex absoluto beneplacito, ex libertate indifferentiae>Kloster>Es ist von öffentlichem Nutzen, alle Menschen gleich zu behandeln. >Zu­ falk 36 Was im einzelnen dazu gehört, beschreibt Leibniz wie folgt : »Die private Gerechtigkeit oder Austauschgerechtigkeit beruht auf der Wahrung der Gleich­ berechtigung unter den Bürgern, alle sollen sich des gleichen Rechts erfreuen; und wenn sie etwas austauschen oder etwas weggeben, dann muß der Eintritt eines Schadens verhindert werden, damit j edem sein Vermögen erhalten bleibt; und wenn jemandem etwas weggenommen worden ist, dann muß dafür gesorgt werden, daß die Sache selbst zurückgegeben oder ihr Wert erstattet werde. bonum commune vicissim in nos redundat>Ein guter Mensch ist der, der die Eigenschaft der Gerechtigkeit besitzt und das Gemeinwohl soweit fördert, wie es ohne Vernachlässigung des eigenen Wohles möglich ist.« Durch die salvatorische Klausel zugunsten des eigenen Wohls - Leibniz sagt >>salvo bono suo>Alles ist frei, was nicht ausdrücklich geboten oder verboten ist>Unumquodque praesu­ mitur liberum>honeste vivere>suum cuique tribuere>neminem laedere>SUum cuique tribuere>Suum cuique tribuere>TugendVerdienst>Würdigkeitsuum cuique tribuere« gibt es keine Freiheit des Individuums. Es hat nichts, außer dem, was der Staat ihm gewährt . Und es muß alles hingeben, was der Staat fordert . Das ist deswegen gerecht, weil es Aufgabe des Staates ist, für die Wohlfahrt und das Glück der Untertanen zu sorgen. 43 Die iustitia particularis hat aber noch einen zweiten Bestandteil, der ebenso wichtig ist. Das ist die Regel >>neminem laedere« - niemanden verletzen! Im Un­ terschied zur distributiven Gerechtigkeit geht es hierbei um die privatrechtliehen Beziehungen der Bürger untereinander. Diese stehen ebenfalls unter dem Schutz des Staates . Es geht um den vom Staat um der Gerechtigkeit willen geschützten Austausch zwischen den einzelnen Bürgern, um die iustitia privata oder iustitia commutativa . Leibniz faßt diese iustitia commutativa in dem Satz zusammen: >>Niemandem etwas wegnehmen, das er durch Glück oder Fleiß erworben hat« und weiter, >>daß zurückerstattet werde, entweder in Natur oder dem Werte nach, was jemandem weggenommen worden ist« und schließlich, daß >>alle Bürger das gleiche Recht genießen und keiner geschädigt wird, wenn sie etwas austauschen oder weggeben [ . . . ] was alles zur Aufrechterhaltung der Ruhe erforderlich ist«. Hier geht es also um die Ruhe des privaten Austausches, mit dem jeder sein ei­ genes Glück in Freiheit herzustellen versucht - mit dem gleichen Recht wie je­ der andere, ohne daß es wie bei der Verteilung durch den Staat auf Verdienst und Bedürfnis ankommt . Diese unterschiedlichen Maßstäbe, auf der einen Seite Staatsinteresse, Verdienst und Bedürfnis, auf der anderen Seite die Gleichheit der Bürger untereinander und vor dem Gesetz - verbunden mit der Freiheit - sind die entscheidenden Unterschiede zwischen der öffentlichen und der privaten Gerechtigkeit. Leibniz' Ideal des Gottesstaates ist ganz an den Prinzipien der iustitia univer­ saUs und des als iustitia distributiva bezeichneten Teils der iustitia particularis ausgerichtet . Diese enthalten ganz offensichtlich die höchsten Werte. Für Leib­ niz ist es aber auch klar, daß ein geordnetes Staatswesen auf die iustitia privata nicht verzichten kann . Leibniz sagt: 44 >>So muß die Staatsgewalt im Ergebnis drei Dinge besorgen: Erstens -die Vervollkommnung der Individuen; zweitens, daß diejenigen, die an Vollkommenheit einander gleich sind oder als gleich behan­ delt werden, gleiches Recht genießen. Alle aber werden in den Angelegenheiten gleich behandelt, die der Staat nicht seiner Verteilungsgewalt reserviert, sondern der privaten Verfügung überlassen hat . Drittens muß der Staat dafür sorgen, daß bei den Gütern, die gemäß den Prinzipien des öffentlichen Rechts verteilt wer­ den, der Vollkommenheit der einzelnen Rechnung getragen wird [ . . . ] . « Demnach sind neben der Erziehung beide Arten von Gerechtigkeit im Staate notwendig. Vorrang haben aber die Regeln der am Gemeinwohl orientierten 43 Insbesondere der oben Fn . 21 zit. Text, S. 448. 44 Leibniz, Textes inedits, hrsg. v. Gaston Grua, Paris 1848, S. 620. Jetzt: De iure et iusti­ tia, Vorausedition VI, Nr. 471, Fasz . 9, S. 2129, hier 2132 mit erheblichen Veränderungen gegenüber der Edition von Grua .

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II. Theoretische Dimensionen

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Klaus Luig

iustitia publica . Dem Privatrecht wird der Bereich zugewiesen, der durch die öf­ fentliche Gerechtigkeit nicht erreicht wird. Wie weit der Staat geht, steht in sei­ nem Ermessen . Der Staat soll von den Grundsätzen des ius publicum möglichst wenig abweichen. 45 Die Freiheit ist im Grunde nur eine dem einzelnen vom Staat überlassene Freiheit, eine >>libertas relicta«, und kein ursprüngliches Recht oder Grundrecht . Das Privatrecht gilt nur da, wo der Staat sich mit der austei­ lenden Gerechtigkeit notwendigerweise zurückhält. 46 So haben Leibniz' Üb erlegungen in einer für ihn typischen Weise einen dop­ pelten Aspekt . Das Gemeinwohl ergibt sich weithin erst als erhoffte und not­ wendige Folge der mit den Prinzipien eines freien Privatrechts hergestellten Glückseligkeit der einzelnen. Aber nicht weniger bedeutsam ist die öffentliche Glückseligkeit (felicitas publica), die allerdings auf das private Glück zurückstrahlt . Leibniz sagt : >>Die öffentliche Glückseligkeit besteht nicht nur darin, daß uns kein Leid geschehe, sondern - und das ist der ideale Zustand - daß wir für das Ge­ meinwohl arbeiten, was dann auf uns zurückströmt . « Die Überlegenheit der Prinzipien der öffentlichen Gerechtigkeit gegenüber der privaten Gerechtigkeit zeigt sich schließlich auch darin, daß unter Umständen der einzelne verpflichtet ist, im Umgang mit dem Nächsten - also auf gleich­ sam privatrechtlicher Ebene - die Grundsätze des >>suum cuique tribuere« der distributiven Gerechtigkeit anzuwenden . Es geht also weniger um den Vorrang eines Prinzips als um die rechte Mischung . Das Privatrecht ist keineswegs frei von staatlichen Zwecken . Die Verpflichtung, die Prinzipien der Verteilungsgerech­ tigkeit auf privatrechtlicher Ebene anzuwenden, bezeichnet Leibniz als das Prin­ zip der >>innoxia utilitasNützenmüssens ohne eigenen Schaden>das Belieben>öffent45 Grua, Textes, S. 620. 46 Oe j udicis officio, Vorausedition VI, Nr. 538, Fasz . 10, S. 2650. 47 Zu >>innoxia utilitaS>prodesse« : Vorausedition VI, S. 206- 207, S. 1418, S. 2655, S. 2657 Z . 30 und öfter.

Die Wurzeln des aufgeklärten Naturrechts bei Leibniz

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lieh>honeste vivere>Tunnel« wie >>klassischer RepublikanismusNatur­ recht>Christliche Theologie>klassischen Re­ publikanismus>Naturrechts>natürlichen>ungeselligen Geselligkeit« sollte die weit über die enge rechtswissenschaftliche Fragestellung ausgreifende Forschungsperspek­ tive hervorheben . Der Unterschied zwischen den naturrechtliehen Diskursen einerseits und den rechtswissenschaftlichen, politischen, theologischen und moralischen Diskursen andererseits gründete nicht in der Differenz zwischen juristischen und nichtju­ ristischen, sondern vielmehr in dem Gegensatz zwischen dem fundierenden und dem nichtbegründenden Diskurs. Die These des Naturrechts als eines fundieren­ den Diskurses bedeutete keineswegs zwangsläufig die Unterscheidung zwischen einem stärker allgemeinen und einem stärker besonderen naturrechtliehen Den­ ken innerhalb der gleichen wissenschaftlichen Disziplin . Für eine Rekonstruk­ tion des politischen und sozialen Denkens des 17. und 18. Jahrhunderts ist die ständige Präsenz des Naturrechts als fundierender Theorie gegen skeptische, d . h . relativistische Tendenzen das weitaus wichtigere Forschungsproblem. Die Begründungen für den durchgehenden intensiven Rekurs antiskeptischer und antirelativistischer philosophischer Theoriebildung über Politik und Moral auf rechtswissenschaftliche Terminologien und Konzepte sind eine der zentra­ len Fragestellungen des Forschungsproj ekts. Vielleicht gewann in dieser Epoche die Sprache der Rechte und der Gerechtigkeit weniger in ihrem engeren rechts­ wissenschaftlichen Verständnis, sondern vielmehr als Abwehr des Relativismus an Bedeutung. In dieser Perspektive erscheint das Naturrecht als Gegengewicht gegen moralischen, politischen und religiösen Skeptizismus. Diese Betonung der antiskeptischen Stoßrichtung unterstellt jedoch keineswegs die These der Ent­ stehung des Naturrechts aus der Opposition gegen moralischen und politischen Relativismus (wenngleich die These manchmal zutrifft), sondern behauptet viel­ mehr die wechselseitige Bedingtheit von Naturrecht und Skeptizismus : Das Natur-

Der Diskurs über Politik und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit

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recht war ebenso Ergebnis des Skeptizismus wie sein Widerpart. Naturrechtliche Theorien wurden Medien der Vermittlung der Einsichten skeptischer Denker (etwa Montaignes oder Charrons) über Gesellschaft und Geschichte, aber nun para­ doxerweise durch antiskeptische Begründungen theoretisch untermauert . Diese kontroverse Zuspitzung ist die zentrale Arbeitshypothese des Forschungsprojekts, ermöglicht sie doch die Rekonstruktion der naturrechtliehen Diskussion des späten 17. und des 18. Jahrhunderts ausgehend von dem Konzept von Geselligkeit, ein von Skeptikern häufig diskutiertes Thema, das zugleich ein zentrales Konzept des Naturrechts bis weit in das 18. Jahrhundert hinein wurde. Das Forschungsprojekt hat zwei zeitliche wie thematische Schwerpunkte : ein­ mal die Epoche zwischen 1680 und 1720 um den Einfluß von S. Pufendorfs Theo­ rien sowie die Epoche zwischen 1740 und 1790, also die Zeitspanne von Montes­ quieu und D. Hume zu A. Smith und I. Kant.

II

Einsicht in die Ursprünge und den Charakter der Erneuerung des Naturrechts durch H. Grotius ist die unabdingbare theoretische Voraussetzung des Forschungs­ projekts . Dabei stellt sich nicht so sehr die Frage nach der Kontinuität bzw. Dis­ kontinuität mit der langen Tradition des Naturrechts der Scholastik, sondern viel­ mehr die nach den Gründen der Entstehung der Vorstellung eines fundamen­ talen Bruchs des Naturrechts. Für diese Fragestellung sind die Selbstbeschrei­ bungen des entstehenden modernen naturrechtliehen Diskurses eine aufschluß­ reiche Quelle. Zweifellos hat S. Pufendorf den historischen Mythos eines mo­ dernen Naturrechts mit Grotius als Gründungsvater geschaffen. Einige Versu­ che des 18. Jahrhunderts, die Geschichte des Naturrechts in der Perspektive Pufendorfs zu schreiben, werden gegenwärtig erforscht . Aus ihren Ergebnissen sind vertiefte Einsichten in die Entstehungsphase des modernen Naturrechts zu erwarten . Pufendorfs eigene Synthese, >>De jure naturae e t gentium« (1672), entstand vor dem Hintergrund zweier unterschiedlicher naturrechtlicher Argumentationsmu­ ster. Einerseits suchte er die Ergebnisse von Grotius im Lichte der brillanten, aber destruktiven theoretischen Beiträge von Hobbes zu analysieren, um den syste­ matischen Ort seines eigenen naturrechtliehen Entwurfs im Kontext der großen Debatten um den Skeptizismus und die Begründungen der Theorien der politi­ schen Legitimation zu bestimmen. Andererseits schuf Pufendorf eine umfassende moderne Synthese des Natur- und Völkerrechts, die den spätscholastischen Stil kommentierender Interpretationen verdrängen konnte, der durch die Grotius­ I>De officio hominis et civis« (1673) gelang es Pufendorf, seine umfangreiche und höchst kon­ troverse Synthese in einem Textbuch des Naturrechts für europäische Universi­ täten zu komprimieren . Pufendorfs Version des Naturrechts wurde zur neuen Philosophie der Schule, insbesondere als Einleitung in die Moralphilosophie. Al­ lerdings wurde der zentrale Text, der die alten Kommentare ersetzte, selbst nur allzu schnell das Obj ekt eines neuen Zyklus von Kommentaren. Deshalb ist für die Rekonstruktion des naturrechtliehen Diskurses der Epoche zwischen 1680 und 1720 sowohl die Analyse von Pufendorfs Theorien als auch die der zahlreichen Pufendorf-Kommentare unumgänglich . Auch wenn die Erforschung dieser Periode von Pufendorfs Theoriebildung aus­ gehen muß, d . h . auch von seinen Beziehungen zu den Werken seiner Vorgänger und Zeitgenossen sowie von den theologischen Angriffen gegen ihn, muß den­ noch betont werden, daß sein prägender Einfluß nicht unmittelbar mit seinen Publikationen sondern mit einer Verzögerung einsetzte . Wichtiger als die Frage nach der Originalität Pufendorfs ist die Analyse seines Werks als des Brennpunkts neuer Debatten und als des Ausgangs neuer Theoriebildungsprozesse. Die For­ schung hat diesen wichtigen Zeitraum der Ausformung des modernen naturrecht­ liehen Paradigmas bislang weitgehend vernachlässigt. Die Theorien dieser Epoche sind deshalb so schwierig zu rekonstruieren, weil sie ein genaues Verständnis des europäischen Universitätssystems und seiner Stellung in den zeitgenössischen politischen, theologischen und pädagogischen Diskussionen voraussetzt . Ohne die Rekonstruktion des Universitäten und Akademien verbindenden intellektuel­ len Netzwerks und der mit ihm aufs engste verflochtenen zahlreichen theoreti­ schen Auseinandersetzungen innerhalb der protestantischen Republik der Gelehrten und ohne die Erforschung ihrer komplexen Verbindungen mit dem katholischen Europa kann die Bedeutung dieser für die Entwicklung des Natur­ rechts formativen Periode nur allzu leicht mißverstanden werden und im Schat­ ten überholter Ideengeschichten von tatsächlich vorhandenen oder bloß unter­ stellten Einflüssen verschwinden . Neben den holländischen, schweizerischen, italienischen, schottischen und an­ deren nationalen naturrechtliehen Entwicklungen muß die umfangreiche Produk­ tion naturrechtlicher Literatur innerhalb des damals größten deutschen Univer­ sitätssystems besonders aufmerksam analysiert werden . Die Historiker des Naturrechts haben die damalige umfangreiche deutsche naturrechtliche Kommen­ tarliteratur als typisch erkannt . Das Naturrecht und die natürliche Theologie der deutschen Universitäten waren damals in einem von der Forschung bislang un­ terschätzten Ausmaß in die allgemeinen europäischen Debatten eingeschlossen . Diese historische Tradition erklärt jedoch kaum das gesamteuropäische Phäno­ men naturrechtlicher Literaturproduktion. Als dann der Stil des Kommentars in der naturrechtliehen Theoriebildung an Bedeutung verlor, verlor in der vergleichenden europäischen Perspektive auch die deutsche Literatur zum Naturrecht immer mehr an Gewicht. Sogar die be-

Der Diskurs über Politik und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit

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deutenderen Denker wie Thomasius hatten nur wenig oder kaum Einfluß au­ ßerhalb Deutschlands. Christian Wolffs Rolle ist weitaus komplexer als gewöhn­ lich unterstellt . Er konnte allerdings auf der Ebene des Textbuches niemals die Vorherrschaft erreichen, die Pufendorf unbestritten innegehabt hatte. Für die zwei­ te Phase des >>Zeitalters der Pufendorf-Interpretationen>Ungesellige Geselligkeitphilosophischen Geschichte« begriffen werden . Die neuen >>philosophischen Geschichten« waren keine Geschichten im althergebrachten Sinn. Sie wurden

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II. Theoretische Dimensionen

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Hans Erich Bödeker und Istvan Hont

durch die antirelativistischen Strategien naturrechtliehen Denkens bedingt; sie übernahmen gleichsam die Funktion der früheren >>natürlichen Geschichtsmo­ delle. »Natur« war im naturrechtliehen Argumentationszusammenhang immer eine Chiffre für historische Verallgemeinerungen auf der Ebene des Menschen­ geschlechts. Diese historische Dimension des Naturrechts wurde als neuartiger fundierender Begründungsdiskurs besonders herausgehoben. In diesem Versuch, dem skeptischen Relativismus zu begegnen, öffnete sich das legalistisch gepräg­ te postscholastische Naturrecht für eine neue Konzeptionierung des naturrecht­ liehen Idioms, in dessen Zentrum der Begriff Zivilisation bzw. Kultur stand. Das Zivilisationskonzept wurde benutzt, um die »zweite Natur« des Menschen, also sein im geschichtlichen Prozeß erworbenes Wesen zu definieren. Einerlei ob ver­ teidigt oder leidenschaftlich kritisiert, die Theorie der Zivilisation verknüpfte sich mit der von den Theoretikern des Naturrechts vorangetriebenen strukturellen Re­ vision der Theorien des Eigentums und der Geselligkeit . Aus diesen theoreti­ schen Ursprüngen entstand auch die neue wissenschaftliche Disziplin der »political economy>Status bestiarum«, nicht j edoch wie es sich gehöre, als >>Status humanitatis«, 14 in dem die Menschen, durch Sprache und Vernunft verbunden, prinzipiell friedlich miteinander leben könnten. Zwar ist der Mensch in hohem Maße aufgrund seiner >>imbecillitas« Überlebensrisiken ausgesetzt und folglich ein >>animal sui conservandi studiosissimum«, 15 aber eben auch ein vernunftfä­ higes, sprachbegabtes und zur Einsicht in die naturrechtliehen Verbindlichkei­ ten fähiges Wesen, 16 das, so Pufendorf in Anlehnung an Grotius, 17 die Anlage zur >>socialitas« besitzt und daher von Natur aus sowohl der klugen Einsicht in die Nützlichkeit des Staates als auch der naturrechtliehen Notwendigkeit der Ge­ meinschaftsgründung durch einen Hang zur Geselligkeit entgegenkommt . In der natürlichen Sozialitätsanlage ist das Echo des aristotelischen zoon politikon deut­ lich vernehmbar. Pufendorf übernimmt nicht die metaphysische Teleologie des Aristoteles, sondern er naturalisiert das aristotelische Polislebewesen, macht aus einer metaphysischen Wesensbestimmung eine sich auf breite empirische Evi­ denzbasis stützende natürliche Disposition. Aber dieser Restaristotelismus ist aus­ reichend, um die dezidiert antiaristotelischen Prämissen des Hobbesschen staatsphilosophischen Konzepts zu revidieren: der für Hobbes charakteristische schroffe Gegensatz von Natur und Gesellschaft weicht einem harmonischen, ko­ operativen Verhältnis von Menschennatur und Gesellschaftsform; der Naturzu­ stand ist nicht mehr durch einen atomistischen Individualismus extremer Un­ verbundenheit geprägt, sondern nimmt den Charakter eines geselligen, gesellschaftlichen Zustandes an; das gerade entdeckte Individuum gibt seine pro12 C. G. Svarez : Vorträge über Recht und Staat, hrsg. v. H. Conrad/G. Kleinheyer, Köln 1960, 5. 461 . 13 Ebd . 14 Pufendorf: Oe Jure Naturae et Gentium Libri VIII, London 1672, I, 1, § 8; vgl . >>lnde Hobbesius accusatus quod statum mere naturalem nominaverit, et finxerit, qualis non es­ set homine dignus, aut naturalis humanus; sed bellius aptior, quarum natura rationem et orationem ignorat« (Oe Jure Naturae II, 2, § 4) . 15 Pufendorf: Oe officio humanis et civis juxta Iegern naturalem libri II (1673), I, 3, § 7. 16 Pufendorf: Elementorum jurisprudentiae universalis libri II (1660), II, observatio 3, § 2. 17 Grotius : Oe jure belli ac pacis (1625), Proleg. §§ 7- 13.

Der I>inter Hobbesianos et Scholastico-Aristotelicos« 18 steuern. So ist denn auch sein Naturzustand »nec status belli [ ] nec status pacis, sed confusum chaos ex utroque, plus tarnen participans de statu belli, quam de statu pacispactum unionis voluntatum«41 verstanden wird, durch das sich die Gesellschaft als Kooperationsgemeinschaft, als unio virium, in eine moralisch-rechtliche Entität verwandelt, die mit dem Herrscher in Ver­ tragsbeziehungen tritt und während der gesamten vertragsbegründeten Un­ terwerfungsherrschaft erhalten bleibt. Die für Hobbes' politische Philosophie cha­ rakteristische rechtliche Selbstnegation des Volkes, die die berühmte heftige Kri­ tik von Rousseau provoziert hat, hat bereits Pufendorf als unzumutbar verworfen: die absorptive Repräsentation der Menschen durch den Ieviathanischen Herrscher mache diese zu rechtlichen und moralischen Nullitäten, degradiere sie zur dis­ poniblen Körpermasse eines fremden Willens, zu >>immobiles propriis nervis trun­ ciper Submissionern voluntatem apud subditos non extingui naturalem libertatem voluntatis, per quam de facto velut retrahere possunt, quod semel dederunt, de detractare obsequium, quod polliciti sunt«. 43 Indem die Herrschaftsbeziehung auf einen Vertrag gestellt wird, wird einer­ seits das Volk rechtlich erhalten und andererseits der Herrscher aus der hobbe­ sianischen Bindungsfreiheit herausgeholt und in die Vertragspflicht genom­ men. 44 Allerdings kann für diesen Unterwerfungsvertrag die von den Monarcho­ maehen beim ständischen Vertrag herausgestellte Mutualität der in ihm grün­ denden Rechts- und Pflichtbeziehungen nicht konstitutiv sein . Denn ein pactum submissionis, das liegt im Begriff der Sache, kann nur zu einer »obligatio imperfecta mutua« führen, da die Bürger keine Macht haben dür­ fen, ihre Vertragsinterpretation gegen den Herrscher durchzusetzen, dieser hin­ gegen alle Macht haben muß, um den Zweck der Ordnungssicherung und Wohlfahrtsbeförderung zu realisieren . 45 Der monarchomachische Herrschaftsver-

41 »Das Pactum unionis virium war unzulänglich, so lange nicht unio voluntatem hin­ zukam. Letztere ward nicht anders möglich, als auf die beschriebene Art, durch das pac­ tum subjectioniS>Se diligenter invi­ gilare velle saluti publicae promovendae, bonos defensurum, malos coerciturum, iustitiam integre administraturum, neminem oppressurum« . 47 Jedoch muß die Entscheidung, wie und mit welchen Mitteln dem naturrechtliehen Staatszweck in der jeweiligen Situation am besten gedient ist, allein dem Herrscher überlas­ sen bleiben - das ist ein unbezweifelter Grundsatz des deutschen älteren Na­ turrechts, das inferenzabwehrende Individualrechte nicht kennt. Zu Recht qua­ lifiziert Klippel es als >>Recht des souveränen FürstenDas ganze Volk, und jeder einzelne, ist dem Herrscher schuldig, Gehorsam, selbst blinden Ge­ horsam : d . i . er muß immer voraussetzen, der Herrscher befele wirklich und zweckmäßig, falls er auch die Gründe davon nicht einsieht, oder gar vom Ge­ genteil überzeugt zu seyn glaubt . Ruhig befolge er alle Befehle; ruhig unterwerfe er sich, wenn er gesündigt hat, der einmal von dem Herrscher festgesetzen Stra­ fe selbst TodesStrafe nicht ausgenommen. Erster Grundsatz im Stat, und höch­ ste Pflicht des Bürgers, wenn er den Gräueln der Anarchie ausweichen will. Jeder vorsetzliehe Ungehorsam gegen irgend einen Befel, der vom Herrscher und des­ sen Subalternen ergeht, ist HochVerrat>Kerzen- und Obermeister der

46 Eine merkwürdige Etymologie bietet Johann August Eberhard zur Charakterisierung der Unwiderruflichkeit des Unterwerfungsvertrages an: >>Auf so lange dieser Vertrag ein­ gegangen ist, gehört das Recht der Ausübung der Souveränität auschließungsweise dem­ jenigen, dem sie übertragen worden; der Übertragende hat es so lange nicht mehr, er kann es auch nicht willkührlich und einseitig zurücknehmen; der deutsche Ausdruck Ve r t r a g zeigt selbst an, daß es ist v e r t r a g e n worden, daß es als in dem ersten Besitzer nicht mehr ist«. Über Staatsverfassungen und ihre Verbesserung, Berlin 1783, S. 10. 47 Pufendorf: De jure naturae VII, a . a .O., 5, § 10. 48 Klippe!: Naturrecht als politische Theorie, a . a .O. , S. 268; zu Recht weist Klippe! dar­ auf hin, daß es eine unzulässige Verallgemeinerung ist, den Sozial- und Staatsvertrag als >>emanzipative Kategorie« zu bezeichnen (Politische Freiheit, a . a .O. , S. 46) . In der Tat darf von dem grundlegenden Antitraditionalismus der konsensualen Legitimationsbasis Ver­ trag nicht auf eine politisch progressive Funktion des Kontraktualismus geschlossen wer­ den; gerade der Pufendorfiansche Kontraktualismus zeigt die Anschmiegsamkeit des Vertragsmodells an die vorfindliehen Verhältnisse und die politische Wirkungslosigkeit des legitimationstheoretischen Konsensualismus. 49 Schlözer: Allgemeines StatsRecht, a . a .O., S. 104.

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II. Theoretische Dimensionen

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Wolfgang Kersting

Souveränitätsmacherzunft«, 50 vom Widerstandsrecht einen überaus vorsichtigen Gebrauch machen und es auf den Fall einer manifesten obrigkeitlichen Perver­ sion des naturrechtliehen Staatszwecks einengen: erst dann, wenn die Natur­ rechtswidrigkeit offenkundig ist und der Souverän sich in einen wütenden hostis populi verwandelt hat, erlischt die vertragliche Gehorsamspflicht 51

II

Der Unterwerfungsvertrag des älteren deutschen Naturrechts besiegelt das Bünd­ nis zwischen Eudämonismus und Absolutismus. Es ist in den Augen Kants ein menschenunwürdiger und seinem Freiheitsrecht widersprechender paternalisti­ scher Vertrag, eine vertragliche Selbstentrnündigung. Eine Regierung, die sich auf einen derartigen Pakt gründet und damit auf >>den Principien des Wohlwol­ lens gegen das Volk als eines Vaters gegen seine Kindereinen Stand aufzufinden, in welchem die Frei­ heit des Menschen gesichert ist, oder mit andern Worten : einen Stand der

56 Fichte : Zurückforderung der Denkfreiheit von den Fürsten Europens (1793), Akademie-Ausgabe I/1, S. 171 . 57 E. F. Klein : Freyheit und Eigenthum, Berlin 1790, S. 77. 58 Heydenreich: System des Naturrechts, Erster Theil, a . a.O. , 1794, S. 79. 59 J. B. Erhard : Üb er das Recht des Volks zu einer Revolution, in: Ders . : Schriften, hrsg. v. H. G. Haasis, München 1970, S. 33; vgl . J. Chr. G. Schaumann: Kritische Abhandlungen zur philosophischen Rechtslehre, Halle 1795, S. 200; H. Stephani, Grundlinien der Rechts­ wissenschaft oder des sogenannten Naturrechts, Frankfurt a . M . , Leipzig o. J . , S. 44. 60 J. A . Bergk: Untersuchungen aus dem Natur-, Staats- und Völkerrechte, o. 0. 1796, S. 26.

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II. Theoretische Dimensionen

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Wolfgang Kersting

Sicherheit, in welchem der Mensch so frei ist, als er es seiner vernünftigen Natur gemäß seyn soll«, 61 hat die Vertragslehre in verschiedener Gestalt Verwendung ge­ funden. Feuerbach etwa übernimmt in seinem > Anti-Hobbes < den triadischen I Anti-Hobbes < zum Programm seiner Schrift gemacht hat, erfolgt über den Herrschaftszweck, und dieser hinwiederum wird durch den Gesellschaftsvertrag und die rechtlichen Be­ dingungen seiner Entstehung bestimmt : »daß [ . . . ] der Wille des Regenten durch den allgemeinen Willen bedingt und beschränkt seyn solle, dies ist eine Bedin­ gung, die, ohne einer ausdrücklichen Erklärung des Volks zu bedürfen, aus der Natur des Geschäfts, aus der Idee des Bürgervertrags und des allgemeinen 61 P. J. A. Feuerbach : Anti-Hobbes, oder über die Gränzen der höchsten Gewalt und das Zwangsrecht der Bürger gegen den Oberherrn, Gießen 1797, S. 19 f. 62 Ebd . , S. 17. 63 Ebd . , S. 23. 64 Ebd . ; vgl . Feuerbach : Philosophisch-juridische Untersuchungen über das Verbrechen des Hochverraths, Erfurt 1798, S. 44 ff. 65 Feuerbach: Anti-Hobbes, S. 25. 66 Ebd . , S. 26 f. 67 Vgl . ebd . , S. 28 f. 68 Ebd . , S. 34. 69 Ebd . , S. 93 f. 70 Ebd . , S. 57.

Der Kontraktualismus im deutschen Naturrecht

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Willens unabänderlich herfließt und die selbst nicht durch Willen des Volks, die­ ses müßte denn die bürgerliche Gesellschaft aufheben wollen, beschränkt oder aufgehoben werden kann>Privileg für Räuber und Henker [ . ] und Zuchtmeister von Sklaven>Ehrennahmen>bürgerlichen Unterwerfungsvertrageskritischen Principien Meta­ physischen Anfangsgründe der Rechtslehre >bürgerlichen Unterwerfungsvertrage>SO unbe­ schränkt ist, daß selbst ihre geprüfte bessere Üb erzeugung sie nicht zum Wider­ stande berechtigen kann>nach dem principio exeundum e statu naturali« 79 nimmt Kant von dem obligationstheoretischen Voluntarismus des neuzeitlichen Kontraktualismus Abstand und entfernt den Vertrag aus dem 77 Vgl . Kant : Gemeinspruch, Akademie-Ausgabe (AA) VIII, a. a.O. , S. 289. 78 Gierke : Althusius, a . a .O. , S. 110. 79 Kant : Reflexion zur Rechtsphilosophie, AA XIX, a . a .O. , Refl . 7961 .

Der Kontraktualismus im deutschen Naturrecht

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Problemfeld der Herrschaftslegitimation . Dieser bislang von allen Kant-Vorgängern gemachte legitimationstheoretische Rekurs auf die sich selbst bindende indivi­ duelle Freiheit wird genau dann überflüssig, wenn ohnehin alle durch die Ver­ nunft hinsichtlich ihres Freiheitsgebrauchs untereinander wie in Hinblick auf äußere Gegenstände nach Maßgabe des rationalen Rechtsgesetzes und der all­ gemeinen, das Postulat des öffentlichen Rechts beinhaltenden Bestimmungen des natürlichen Privatrechts eingeschränkt sind . Kants Konzept der rechtlichen Not­ wendigkeit des Staates hebt die voluntaristischen Voraussetzungen des Kontrak­ tualismus auf, und es ist nicht überraschend, wenn bei einigen Kantianern dann ganz auf die Vertragsfigur verzichtet wird . >>Es wird also hier der Zweck des Staates nicht durch die freye Wahl der Mitglieder bestimmt, sondern durch das Gesetz mit Nothwendigkeit; es wird hier niemand Mitglied durch freye Wahl, sondern durch das Gesetz mit Nothwendigkeit [ . . . ] Die Rechtlichkeit jeder andern Gesell­ schaft gründet sich auf den freywilligen Beytritt eines jeden zum Grundvertrag; hingegen die Rechtlichkeit des Staates gründet sich auf die Nothwendigkeit des Rechtsgesetzes, vor allem Vertrag. Daraus folgt unmittelbar : daß ein Vertrag als Basis der bürgerlichen Verfassung unmöglich und widersprechend sey« . 80 Angesichts eines Vernunftrechts auf Staat und einer Vernunftpflicht zum Staat nimmt der Vertrag bei Kant die Gestalt einer vernunftrechtlichen Organisations­ norm des um des Rechts überhaupt willen einzurichtenden und in seiner recht­ lichen Notwendigkeit unabhängig von jedem Vertrag ausweisbaren status civilis an. Kant tilgt aus dem Vertragskonzept alle empirischen und geschichtlichen Spu­ ren und verwandelt den kontraktualistischen hypothetischen Gründungsakt staat­ licher Herrschaft in eine praktische Vernunftidee, die als dem Rousseauschen cantrat social strukturell stark verpflichtetes »Ideal des Staatsrechts>in welchem beide kontrahierenden Teile gegenseitig Rechte und 94 J. v. Radowitz : Das patrimoniale Prinzip, Ges. Schriften 4, S. 238; zit. n. Boldt, a . a .O. , s. 61 . 95 C. L. v. Haller: Restauration der Staatswissenschaft oder Theorie des natürlich­ geselligen Zustandes, der Chimäre des künstlich-bürgerlichen entgegengesetzt, Bd. 1, Win­ terthur 1816, S. VI f. 96 H. Brandt: Landständische Repräsentation im deutschen \brmärz, Neuwied 1968, S. 217. CJ7 K. H. Pölitz: Die Staatswissenschaften im Lichte unserer Zeit, 1 . Theil, 2 . Auf!. , Leip­ zig 1827, S. 172. 9B Ebd . , S. 176.

Der Kontraktualismus im deutschen Naturrecht

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Pflichte übernehmen>kein einheitliches ProfilJakobiner« im Sinne des von Grab beschrittenen Weges verwandt . Dafür spricht nicht nur, daß er sich historiographisch für eine bestimmte Grup­ pe radikaler Demokraten eingespielt hat, sondern auch, daß er ihrem Selbstver­ ständnis zu entsprechen vermochte. 6 Zu vergegenwärtigen bleibt indessen, daß von einem einheitlichen Programm deutscher Jakobiner nicht gesprochen werden kann. Der dem >>radikalen Flügel der Aufklärung« verpflichtete Reformpädagoge Joachim Heinrich Campe, der sich selbst vor dem \brwurf des Jakobinismus rechtfertigen mußte, hielt im März 1792 fest : >>Man frage doch alle Gelehrten, die sich in Deutschland als Anhänger der religiösen und politischen Freiheit gezeigt haben, ob sie verbunden sind. Man wird finden, daß nicht das geringste gemeinschaftliche Band unter ihnen herrscht . Jeder wirkt, arbeitet für sich zu dem großen gemeinschaftlichen Zwecke. « 7 Mit dem Hinweis auf einen solchen weiteren Zweck : das gemeinschaftliche Wohl 4 J. Höppner: Zum Gesellschaftsbild linker Jakobiner in Deutschland. In: Deutscher Idea­ lismus und Französische Revolution (Schriften aus dem Karl-Marx-Haus Nr. 37), Trier 1988, 5. 177- 192, hier 5. 177. s Vgl . C . Mazauric : Jacobinisme et Revolution . Autour du bicentenaire de Quatre-vingt­ neuf, Paris 1984, insbes. 5. 90 ff. (Signification et fonction du Jacobinisme). 6 Dies äußert sich z . B . in der in einem ironisierenden Dialog gehaltenen politischen Kampfschrift des Mainzer Philosophieprofessors und Klubisten A. J. Hofmann: Der Aristokraten-Katechismus. Ein wunderschönes Büchlein, gar erbaulich zu lesen, für Junge und Alte, Mainz 1792. Hofmann legt hier dem aristokratischen Gesprächspartner zwar den pejorativ gebrauchten Begriff des Jakobiners in den Mund : >>in Frankreich haußten die Teufels Jakobiner«, doch heißt es von diesen >>verschrnizten Köpfen«: >>Die haben das Volk belehrt, und da halfen all unsre Kniff nichts« (5. 9). - Zum Gebrauch des Jakobiner-Begriffs siehe auch Grab (Hrsg. ) : Deutsche revolutionäre Demokraten, Bd. 1, 5. VIII . 7 Campe ( 1792), zit . nach W. Grab : Deutsche revolutionäre Demokraten. In: H. Reinal­ ter (Hrsg . ) : Jakobiner in Mitteleuropa, Innsbruck 1977, 5. 47-76, hier 5. 55.

Naturrecht und Menschenrechte

113

oder das Glück aller, lassen sich die nach Temperament und Zielsetzung unter­ schiedlich zusammengesetzten Radikaldemokraten schwerlich angemessen er­ fassen . Ein idealtypischer Ansatz, der der Verständigung über den Begriff des Jakobiners dienlich wäre, könnte von drei Kriterien ausgehen, die für die histori­ sche Erscheinung des revolutionären Demokraten als charakteristisch gelten dürfen:

1 . Von dem Bekenntnis zur Volkssouveränität und deren verfassungsmäßiger 2.

3.

Verankerung, von der Neigung, der volonte generale i m Sinne Rousseaus Geltung z u ver­ schaffen, - wobei freilich von einem gebrochenen Verständnis Rousseaus auszugehen ist, von der Bereitschaft zur Akzeptanz von Gewalt zur Durchsetzung freiheitli­ cher Ziele .

Zur Untermauerung ihrer Forderungen beriefen sich Jakobiner wie Georg Wede­ kind und Karl Oauer ganz allgemein und durchgehend auf das >>Naturrecht« oder wie Georg Forster »auf die unverlierbaren Rechte unserer Natur>nach den reinen Grundsätzen der Vernunft, des Naturrechts oder den Rechten der Menschheit« keinen »Wirklichen, erweisbaren und festen Grund«, der den Menschen zur Aufgabe seines Selbstbestimmungsrechtes verpflichtete. 9 Ohne auf die im einzelnen voneinander abweichenden Argumentationsmu8 G. Wedekind: Erklärung der Rechte des Menschen und des Bürgers (Rede vom 26. Fe­ bruar 1793) . In: H. Scheel (Hrsg. ) : Die Mainzer Republik I. Protokolle des Jakobinerclubs, Berlin 1975, S. 738 -767, hier S. 756, 765; K. Clauer : Sendschreiben an alle benachbarten Völker Frankreichs zum allgemeinen Aufstand, abgedr. als Anhang zu H.-W. Engels : Kar! Clauer. Bemerkungen zum Leben und zu den Schriften eines deutschen Jakobiners. In: Reinalter: Jakobiner in Mitteleuropa, a . a .O. , S. 179- 191; G. Forster: Anrede an die Gesell­ schaft der Freunde der Freiheit und Gleichheit am Neujahrstage 1793. In: Scheel: Die Mainzer Republik, a . a .O. , S. 474 ff . ; G. F. Rebmann : Einfälle bei Durchlesung der neuesten fränki­ schen Konstitution (1796), zit. nach C. Träger (Hrsg.): Die Französische Revolution im Spiegel der deutschen Literatur, Leipzig 1979, S. 800 f. 9 A . J. Hofmann : Über Fürsten und Landstände bei Gelegenheit der Bittschrift des Mainzer-Handelsstandes an den Frankengeneral Custine, Mainz 1792, S. 1 1 .

114

III . Der naturrechtliche Diskurs in Deutschland

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Günter Birtsch

ster einzugehen, ließen sich bei den Jakobinern je nach der Begründungsstruk­ tur verschiedene Argumentationsmodelle oder auch Richtungen unterscheiden: Vorherrschend war eine am aufgeklärten Naturrecht orientierte oder sich auf das aufgeklärte Naturrecht berufende säkular vernunftrechtliche Richtung, zu der akademisch Gebildete stießen wie Rebmann, Wedekind oder der Naturrechtier Andreas Joseph Hofmann . 1° Eine wesentlich von aufgeklärten Antrieben bestimmte christliche Richtung, die sich auf das Vernunftrecht als göttliches Recht berief, war im Mainzer Klub durch katholische Laienpriester wie Münch oder Pape vertreten. 11 - Der Jako­ binerpriester Joseph Rendler12 nimmt eine besonders herausragende Stellung ein . Eine >>plebejische>Pfaffenre­ giment>natürlichen Energien Systeme des Natur- und VölkerrechtS>unverführbar>merklich hinter die Freiheitsparole« zurücktrat -, 35 ihnen folgte die Presse- und Meinungsfreiheit . In ihr wurde ein wesentliches Partizipationsrecht gesehen, nicht zuletzt ein Mittel der Volksaufklärung, vor allem aber ein Instrument, die Män­ gel einer Staatsverfassung aufzudecken oder bessere Einrichtungen zu schaffen . Der hohe Stellenwert der Menschenrechte, der ihre Durchsetzung und Behaup­ tung zur Pflicht machte, ließ auch das Widerstandsrecht als unverzichtbar erschei­ nen . - Einen zentralen Aspekt der jakobinischen Menschenrechtskataloge bildete auch das Eigentumsrecht . Hier schlug entschieden die sich ausbildende bürger­ liche Eigentümergesellschaft auf die Wertorientierung der Jakobiner durch . In ei­ nem gewissen Spannungsverhältnis dazu stand ein Ansatz zur sozialreformeri­ schen Utopie, wie er sich im Kreise der Österreichischen Jakobiner um Riedel, vor allem bei Hebenstreit zeigte . 36 Aber mochte auch der Gedanke des Kollektiveigentums ins Spiel kommen, ins­ gesamt lag der Nachdruck auf der Sicherung der Individualrechte. Sie konnten für die Jakobiner nicht anders als in einer demokratischen, auf dem Fundament der Volkssouveränität ruhenden Verfassung verwirklicht werden . - Mit ihrem vernunftrechtlich begründeten, individualrechtlich orientierten Programm wa­ ren die Jakobiner Vertreter einer sonst in der deutschen Grundrechtsgeschichte des 18. und frühen 19. Jahrhunderts unterrepräsentierten Richtung. So irritie­ rend die prinzipielle Bereitschaft zur Akzeptanz von Gewalt zur Durchsetzung dieses freiheitlichen Konzepts anmutet und so wenig anziehend sich eine Erschei­ nung wie der schließlich an der Schreckensherrschaft (Terreur) im Elsaß aktiv beteiligte ehemalige Franziskanermönch und Bonner Professor Eulogius Schnei­ der unter den Jakobinern ausnimmt, mit ihrem entschiedenen Eintreten für eine auf unveräußerlichen Menschenrechten fußende demokratische Verfassung wie­ sen sie den Weg in die Zukunft .

35 0. Dann: Gleichheit und Gleichberechtigung. Das Gleichheitspostulat in der alteuro­ päischen Tradition und in Deutschland bis zum ausgehenden 19. Jahrhundert (Historische Forschungen Bd . 16), Berlin 1980, S. 150 ff. 36 A. Körner: Der Österreichische Jakobiner Franz Hebenstreit von Streitenfeld . In: Jahr­ buch des Instituts für Deutsche Geschichte (Tel Aviv) 3 (1974), S. 73-99; H. Reinalter: Uto­ pien im Jakobinismus. In: ders. : Die Französische Revolution in Mitteleuropa, a . a .O., S. 113- 138; ferner H . Dippel : Die Französische Revolution und die ersten deutschen Verfas­ sungsprojekte. In : A. Herzig (Hrsg. ) : Sie und nicht Wir. Die Französische Revolution und ihre Wirkung auf Norddeutschland und das Reich, Bd. 2: Das Reich, 5. 671 - 690, hier S. 675 ff. über Riede!, S. 676 ff. über Rendler.

Jürgen Wilke (Mainz) D ie Entdeckung von Meinungs- und Pressefreiheit als Menschen­ rechte im D eutschland des späten 18. Ja hrhunderts

I

Was Meinungs- und Pressefreiheit anbelangt, ist Deutschland - um ein inzwi­ schen geflügeltes Wort zu gebrauchen - eine >>verspätete Nation>uneingeschränkte Fre­ yheit der Presse« verfügt . Und in den folgenden Jahrzehnten gab es einzelne, mit den politischen Zeitläuften wechselnde und zumeist wieder zurückgenom­ mene Ansätze, das bestehende System der Kontrolle von Druckwerken zumin­ dest zu lockern und ein Mehr an Meinungs- und Pressefreiheit einzuräumen. Doch deren Proklamierung als Grundrechte erfolgte zuerst 1848 im Verfassungs­ werk der Paulskirche. 3 Bekanntlich blieb jedoch auch dieses weitgehend Papier, ja es kam alsbald zu neuen, gegen den >>Mißbrauch der Presse« gerichteten Bun­ desbestimmungen. Die Reichsverfassung von 1871 überließ die Pressefreiheit der einfachen Gesetzgebung, wenn auch gesagt werden muß, daß das 1874 erlasse­ ne Reichspressegesetz den Spielraum für die Presse so weit zog wie nie zuvor. 4 Unter die Grundrechte wurde die Meinungsfreiheit wieder in die Weimarer 1 Vgl. H. Plessner, Die verspätete Nation, Stuttgart 1959. 2 Als Überblick vgl . }. Wilke (Hrsg.), Pressefreiheit, Darmstadt 1984, S. 1 - 55.

-

J. Schwartländer, D. Willoweit (Hrsg.), Meinungsfreiheit - Grundgedanken und Geschichte in Europa und USA, Kehl am Rhein/Straßburg 1986. 3 Vgl. 0. Dann, Die Proklamation von Grundrechten in den deutschen Revolutionen von 1848/49. In: G. Birtsch (Hrsg.), Grund- und Freiheitsrechte im Wandel von Gesellschaft und Geschichte. Beiträge zur Geschichte der Grund- und Freiheitsrechte vom Ausgang des Mit­ telalters bis zur Revolution von 1848, Göttingen 1981, 5. 515-532. - H. Scholler (Hrsg.), Die Grundrechtsdiskussion in der Paulskirche. Eine Dokumentation, Darmstadt 1982 . 4 Vgl . J. Wilke, Die periodische Presse im Kaiserreich. In: Archiv f. Geschichte des Buch­ wesens 31 (1988), S. 221 - 230, sowie die dort angegebene ältere Literatur zum Reichspres­ segesetz .

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III . Der naturrechtliche Diskurs in Deutschland

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Jürgen Wilke

Reichsverfassung von 1919 (Art. 118) aufgenommen, doch verzichtete man jetzt bedauerlicherweise auf einen eigenen Schutz der Pressefreiheit . 5 Beides kam erst im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland zusammen, dessen Art . 5 so­ wohl Meinungs- wie Pressefreiheit als Menschenrechte garantiert . 6 Inzwischen scheint die konstitutive Bedeutung dieser Rechte für die Demokratie im Bewußt­ sein der (jungen) Bundesbevölkerung jedenfalls fest und vorrangig verankert . In einer Repräsentativerhebung befragt, woran man eigentlich erkennen kann, ob es in einem Land politische Freiheit gibt oder nicht, nannten im Jahre 1987 Ju­ gendliche zwischen 14 und 21 Jahren mit 48 Prozent (und weitem Abstand) an erster Stelle Meinungs-, Redefreiheit, Pressefreiheit, keine Zensur. 7 Von einer »Verspätung« muß aber nicht nur bezüglich der praktischen Durch­ setzung von Meinungs- und Pressefreiheit die Rede sein, sondern nicht minder in bezug auf die ihr vorausgehende theoretische, die Freiheitsforderung begrün­ dende Argumentation . Diese war in England bereits in den vierziger Jahren des 17. Jahrhunderts eröffnet worden und hatte in John Miltons >>Areopagitica>Cato>Politischen Journaldaß [ . . . ) alle diese Articel zu philosophisch wären, um dem gemeinen Volke zum Grundgesetze zu dienen>BürgerfreundAber das Recht zu denken und seine Gedanken mitzutheilen ist von dem erforderlichen Alter; und die Druckerei ist ein Mittel zur Mittheilung unserer Ge­ danken [ . . ] Zu den wichtigsten Erfindungen gehört [ . ] die Buchdruckerei, und von daher schreibt sich ein Schwung des menschlichen Geistes, wie er vor dem nicht war, und nicht seyn konnte, weil man die Gedanken nicht so allgemein aufbewahrlieh machen konnte>In Mainz ward diese Erfindung gemacht : und in Mainz erhielt sie die erste deutsche Freiheit wieder, welche geistliche und weltliche Vernunfttyrannei ihr geraubt hatten>im zweiten Jahr der Freiheit und Gleichheit>Die Rechte des Menschen und des Bürgers, wie sie die französi­ sche konstituierende Nationalversammlung 1791 proklamierte, mit Erläuterungen> Gesetze der Natur und der Vernunft« zu überwinden . 38 So sehr das Wort Mensch (homme) an sich das >>allgemeine Zei­ chen>sozusagen gleichmachte>admission des femmes au droit de ci­ tE�>Trikolore über den Menschenrechten> Überall stehn die Frauen unter dem GehorsamGeschichte des Men-

36 Dazu 5. 106 ff. , bes. 5. 107 die Lilburne-Äußerung. 37 Dazu E. C. Stanton/5. B. Anthony/M . J. Gage, History of Woman Suffrage, Bd. 1, New

York 1881, 5. 31 ff. ; s.a. Lily Braun, Die Frauenfrage, Leipzig 1901 (Neudruck Bonn 1979), 5. 73; Martha Strinz, Die Geschichte der Frauenbewegung in den Vereinigten Staaten von Nordamerika, in: H. Lange und G. Bäumer (Hrsg.), Handbuch der Frauenbewegung, Teil I, Berlin 1901, 5. 456 ff. ; Gustav Keckeis u . a . (Hrsg. ) , Lexikon der Frau, Bd. 1, Zürich 1953, Artikel >>FrauenbewegungDroits de Ia Femme«); zuvor u . a . Ursula Geitner, >>Die eigentlichen En­ ragees ihres Geschlechts«. Aufklärung, Französische Revolution und Weiblichkeit, in : Hel­ ga Grubitzsch/Hannelore Cyrus/Elke Haarbusch (Hrsg. ) , Grenzgängerinnen, Düsseldorf 1985, 5. 181 ff. ; s.a. Dann, Gleichheit und Gleichberechtigung (Fn . 8), 5. 237, Anm . 4. 39 Ernst Bloch, Rousseaus Contrat Social, amerikanische Unabhängigkeitserklärung, Menschenrechte, in: ders . , Naturrecht und Menschenwürde, Frankfurt/M. 1961 (u .ö. ), 5. 77 ff. (Nr. 11), s.a. 5. 175 ff. (Nr. 19); Condorcet (in der Tradition von Poullain de Ia Barre, 1672), hier nach Haussauer (Fn . 38), 5. 278, s.a. Geitner (Fn. 38), 5. 185 f. - Vgl . in diesem Zusammenhang Wolfgang Schieder, Artikel »Brüderlichkeitin die neue Gemeinschaft der revolutionären einen Nation« intendierte) .

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III. Der naturrechtliche Diskurs in Deutschland

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Ulrich Engelhardt

sehen« von 1788), hielten die Gesetze >>j enes Geschlecht unter ewiger Vormund­ schaftaus dem gleichen Recht>sehr ungleiche Rechte entsprin­ gen>praktische Emanzipation als Menschenrecht>Emanzipationsgeschichte der modernen Naturrechtstradition Soll und Haben < der Frauen - und zwar so deutlich, daß der Eindruck naheliegt, die Leistungsbilanz des Naturrechts sei zumindest in dieser Beziehung gänzlich negativ. Genau so ist sie denn auch oft beschrieben, zudem häufig mit mehr oder minder moralisierendem Pathos an­ geprangert worde n . Darin liegt ein zusätzlicher Anreiz zu prüfen, ob auf diese Weise etwa lediglich die Außenansicht einer Entwicklung in Erscheinung tritt, die in nuce weitaus mehr enthielt oder doch anbahnte. Eröffnete sie, so fragt sich,

gen 1793 (Neudruck Frankfurt a . M . 1968), S. 31; dazu schon Karin Hausen, Die Polarisie­ rung der >>Geschlechtscharaktere« - Eine Spiegelung der Dissoziation von Erwerbs- und Familienleben, in: Werner Conze (Hrsg. ) , Sozialgeschichte der Familie in der Neuzeit Eu­ ropas, Stuttgart 1976, 5. 363 ff. (S. 371, Anrn. 22) . 45 So u . a . schon Christian Wolff; dazu Breuer (Fn . 6), S. 194 (s.a. S. 326 ff. , bes. S. 342 f. zu John Locke), vor allem aber Klippe!, Politische Freiheit (Fn . 8), bes. S. 198 ff. - Zu So­ zialfigur und Ordnungsmodell des sog. Ganzen Hauses und zum korrespondierenden Fa­ milienbegriff vor allem Dieter Schwab, Artikel >>Familie«, in: Geschichtliche Grundbegriffe (Fn . 1), S. 253 ff. , bes. 266 ff. ; zur realgeschichtlichen Seite jetzt - wenn auch wohl überzo­ gen kritisch (>>Legende Über die WeiberDekorporierung>die Mannspersonen durch den freiem Umgang mit Frauenzimmern und [ . . . ] die Frauenzimmer durch den freiem Umgang mit mannspersonen gewonnen oder [ . . . ] beiderseits Schaden davon gehabt