Naturrecht und Politik [1 ed.] 9783428476701, 9783428076703

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Naturrecht und Politik [1 ed.]
 9783428476701, 9783428076703

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Karl Graf Ballestrem (Hg.) • Naturrecht und Politik

Philosophische Schriften Band 8

Naturrecht und Politik

Herausgegeben von

Karl Graf Ballestrem

Duncker & Humblot . Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Naturrecht und Politik / hrsg. von Karl Graf Ballestrem. Berlin : Duncker und Humblot, 1993 (Philosophische Schriften; Bd. 8) ISBN 3-428-07670-2 NE: Ballestrem, Karl Graf; GT

Alle Rechte vorbehalten

© 1993 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41

Fotoprint: Color-Druck Dorfi GmbH, Berlin 49 Printed in Germany ISSN 0935-6053 ISBN 3-428-07670-2

Vorwort Der vorliegende Band enthält die Beiträge zu einer Tagung über "Naturrecht und Politik" , die vom 11. bis 14. April 1991 in Eichstätt stattfand. Zur Information über Konzeption und Verlauf der Tagung sowie über Themen und Probleme, die die Diskussionen beherrscht haben, verweise ich auf das Nachwort. An dieser Stelle möchte ich gerne Dank sagen: Den Autoren, die ihre Manuskripte zur Verfügung gestellt und z. T. noch einmal überarbeitet haben. Dem Verlag, der die Veröffentlichung des Tagungsbandes übernommen hat. Vor allem aber Frau Barbara Matzner, die nach Angaben des Verlages mit großer Sorgfalt ein druckfertiges Manuskript erstellt hat. Eichstätt; August 1992 Kar! Graf Ballestrem

Inhal t Martin Kriele:

Das Naturrecht der Neuzeit ................................................. 9

Teil I: Naturrecht und Politik im 19. und 20. Jahrhundert Diethelm Klippei:

Naturrecht und Politik im Deutschland des 19. Jahrhunderts ............... 27

P. J. Kelly:

Constitutional Reform vs. Political Revolution: Jeremy Bentham's Critique of Natural Rights ......................................................... 49

Ulfrid Neumann:

Naturrecht und Politik zwischen 1900 und 1945. Naturrecht, Rechtspositivismus und Politik bei Gustav Radbruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 69

Ernst Vollrath:

Historistische und naturrechtliche Apperzeptionen des Politischen. Das deutsche und das angloamerikanische Paradigma ....................... 87

Benjamin R. Barber:

Political Rights or Anti-Political Rights? Germany and America: A Response to Ernst Vollrath ............................................. 103

Teil 11: Naturrecht und praktische Philosophie Robert Spaemann:

Die Bedeutung des Natürlichen im Recht ................................. 113

Volker Gerhardt:

Naturrecht ist Menschenrecht: Kommentar zu Robert Spaemann .......... 123

Onora O'Neill:

Zur Begründung von Prinzipien der Gerechtigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 129

Thomas McCarthy:

Positive and Negative Justice: A Comment on Onora O'Neill. ............. 139

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Inhalt

Teil 111: Naturrecht und Menschenrechte Ludger Kühnhardt: Menschenrechte und Volksrechte .......................................... 147 Walter Schweidler: Menschenrechte und Volksrechte. Kommentar zu Ludger Kühnhardt ...... 157 Stefan Smid: Ökologie, "neue Ethiken" und Naturrecht ................................. 163 Henning Ottmann: Eigenrechte der Natur? Kommentar zu Stefan Smid ....................... 179 Karl Graf Ballestrem: Nachwort ................................................................ 187

Das Naturrecht der Neuzeit von Martin Kriele Wie stark das moderne politische Denken vom Naturrechtsgedanken geprägt ist, macht der Begriff der Menschenrechte augenfällig. Menschenrechte kann man nur naturrechtlich verstehen: Als Rechte, die dem Menschen kraft seines Menschseins, also unabhängig von ihrer positiven Setzung, zustehen, deren Verletzung durch positives Recht vielmehr als Unrecht gilt. Die Menschenrechtsidee wurde in der Geschichte der Neuzeit zu einem Kristallisationskern des Naturrechtsdenkens, das sich in vielfältigen Rechtsregeln niederschlug: In Grundprinzipien des Prozeßrechts, des materiellen Zivilrechts, Strafrechts und Verwaltungsrechts und vor allem des Verfassungsrechts der gewaltenteilenden Demokratien. Um die Eigentümlichkeiten des neuzeitlichen Naturrechtsdenkens und seiner Bedeutung für Recht und Politik zu bestimmen, ist es nötig, einen großen Bogen vom Beginn der Neuzeit bis zur Gegenwart zu schlagen. Denn nur so lassen sich die zugleich historischen und logischen Stufen seines Aufbaus vergegenwärtigen und die wesentlichen Unterschiede zum mittelalterlichen Naturrecht bezeichnen. Denn das neuzeitliche Naturrechtsdenken ist nicht einfach die Fortsetzung des mittelalterlichen. Es wäre zwar eine große Vereinfachung, wenn man ein einheitliches mittelalterliches Naturrechtsdenken unterstellte; denn es gab verschiedene Varianten. Das politische Leben des Mittelalters war ja kaum weniger pluralistisch zerklüftet als das heutige, und die verschiedenen Positionen rechtfertigten sich in der Regel nicht nur mit Argumenten des göttlichen Rechts, sondern, wo immer möglich, auch mit solchen des Naturrechts. Immerhin aber gab es im mittelalterlichen Naturrechtsdenken gemeinsame Tendenzen, die sich, etwas vereinfacht, so charakterisieren lassen: 1. Das Naturrecht ist unmittelbar geltendes Recht. Das einfache Recht wird durch das Naturrecht legitimiert oder verdrängt.

2. Das Naturrecht seinerseits wird durch göttliches Recht legitimiert oder verdrängt. 3. Das Naturrecht ist eindeutig und umfassend erkennbar.

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Martin Kriele 4. Es beansprucht universale und unabänderliche Geltung. 5. Politisches Handeln versteht sich wesentlich als Rechtsvollzug.

Zwar setzten sich mittelalterliche Traditionen des Naturrechtsdenkens in verschiedenen Schulen fort und behielten Einfluß auf Staatslehre und Jurisprudenz bis ins 19. Jahrhundert hinein. Daneben war aber ein ganz neuer Typus des Naturrechtsdenkens aufgebrochen, den man als das der politischen Aufklärung bezeichnen könnte. Dieses prägte sowohl die Entwicklung des modernen Völkerrechts als auch die des demokratischen Verfassungsstaats und scheint weiterhin im Vordringen zu sein. Geht es darum, seine Elemente von denen des traditionellen Naturrechtsdenkens abzuheben, so kann dies mit historischer Genauigkeit nur in einer Vielzahl von Einzeluntersuchungen geschehen, die den jeweiligen philosophischen Gehalt, seine Begründungszusammenhänge und die per litischen Hintergründe darstellen. Dabei würde sich zeigen, daß selbst noch die politische Aufklärung mitunter in den Darstellungsweisen traditioneller Naturrechtslehre auftrat: mit metaphysischen und ontologischen Ableitungen, Theorien des Staatsvertrages oder Versuchen, Systeme oder Begriffspyramiden zu bilden. Solche Denkmuster können den prinzipiellen Unterschied des aufgeklärten vom traditionellen Naturrecht auf den ersten Blick verwirren und blieben auch nicht gänzlich ohne Einfluß auf inhaltliche Argumente und Ergebnisse. Und doch hat sich ein höchst wirksames Naturrechtsdenken der Gegenwart herausgebildet, das sich von den traditionellen Denkmustern wesentlich unterscheidet. Da die Umbruchzeit von der Reformation geprägt war, liegt es nahe, die historischen Quellen des modernen Naturrechtsdenkens im politischen Denken der Reformatoren zu suchen. Dies entspricht in der Tat einem weit verbreiteten Geschichtsschema: die Reformation habe die Wendung zur Autonomie des religiösen Gewissens, zur "Freiheit eines Christenmenschen" vollzogen, in Konsequenz dessen habe die politische Aufklärung den Schritt zur Freiheit und Demokratie vorbereitet. So sagt z. B. Hegel: Die "politische Umgestaltung" sei "die Konsequenz der kirchlichen Reformation" . Was aber für das moderne Naturrechtsdenken viel wesentlicher geworden ist als der theologische Ansatz der Reformatoren, ist die schlichte Tatsache der konfessionellen Pluralität, die nicht mehr rückgängig zu machen war. Sie besiegelte die Schwächung des Reiches, die Verlagerung des machtper litischen Schwerpunktes auf die Fürstenebene und die sich entwickelnden Territorialstaaten, und zugleich die Auflösung des Zusammenhangs von Kirche und Reich. Damit verlor das mittelalterliche Naturrechtsdenken

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seinen Ort, seine politische Bedeutung, seinen übergreifenden Geltungsanspruch. Der auf diese Weise leer gewordene Raum machte es möglich, das Naturrechtsdenken von Grund auf neu aufzubauen. Die neu entstandene Situation im Reich, die konfessionellen Bürgerkriege, die Entstehung absolutistischer Staaten, ihre die traditionalen Rechte zermalmende Macht, aber auch die wachsenden Bedürfnisse des weltweiten politischen Verkehrs und Handels machten diesen Neuansatz auch nötig. Das politische Denken der Reformatoren vermochte diesen Raum nur vorübergehend und regional begrenzt auszufüllen. In der Welt der konfessionellen Pluralität und später in der universalen Pluralität der Religionen und Weltanschauungen büßte es zwangsläufig seine prägende Kraft ein und verlor sich schließlich im Pluralismus subjektiver Werte. Das Naturrecht mußte ganz neu gefunden, philosophisch entwickelt und politisch durchgesetzt werden. Der inneren Logik und Gedankenstruktur dieser Aufklärung entsprechen geschichtliche Schritte, in denen sie sich durch die traditionellen Denkmuster im Laufe der Jahrhunderte gewissermaßen hindurchgearbeitet haben. Die bescheidene Aufgabe einer Einleitung zum Gesamtthema kann nur der Versuch sein, diese Schritte in groben Umrissen zu skizzieren, den roten Faden herauszuziehen und die Grundtendenz nachzuzeichnen, die sich vom ausgehenden 15. Jahrhundert an bis zur Gegenwart mit zunehmender Konsequenz durchgesetzt hat. Im folgenden markiere ich einige zugleich logische und historische Stationen dieses Neuansatzes. 1. Am Anfang stand, noch vor der Reformation, so etwas wie eine kopernikanische Wende im Bereich des politischen Denkens, nämlich die Hinwendung zu einer empirisch-rationalen Betrachtung des Politischen, wie wir sie am ausgeprägtesten bei Machiavelli finden. Dessen Ausgangsfrage war: Wenn du Macht erobern, bewahren und ausweiten willst, dann mußt du dich so und so verhalten. Wesentlich daran ist für unseren Zusammenhang nicht das zynische Element, das in die Lehre von der Staatsraison eingegangen ist und diesem den abfälligen Geschmack des sogenannten Machiavellismus gab, sondern die nüchterne Beobachtung der Wirklichkeit, die Heranziehung von Erfahrungen der Geschichte, die Kenntnis des Menschen und seiner typischen Verhaltensweisen. Hieran anknüpfend ließ sich auch die Frage erörtern: Wenn wir friedlich und freundlich zusammenleben wollen - wie müssen wir dann unsere politischen Ordnungen und internationalen Beziehungen gestalten? Gewiß, diese Frage ist nur eine hypothetische: wenn, dann. Ist aber die Prämisse einmal gesetzt, so wird die Frage, welche rechtlichen und politischen Bedingungen erfüllt werden

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müssen, damit das Ziel erreichbar wird, Gegenstand empirisch-rationaler Diskussion. 2. Die empirisch-rationale Betrachtung des Politischen mündete im Laufe des 16. Jahrhunderts in eine geradezu revolutionäre Umkehrung der Werthierarchie: nicht mehr den höchsten, sondern im Gegenteil den fundamentalsten Gütern sei der Vorzug zu geben, also denen, die faktisch Grundlage und Voraussetzung für die höheren bilden. Es sollte nicht mehr darauf ankommen, dem göttlichen Recht in Naturrecht, Recht und Politik zur Durchsetzung zu verhelfen, die Menschen mit politischen Mitteln zum rechten Glauben und zur ewigen Seligkeit zu führen und sie vor Häresie zu bewahren. Denn diese Denkweise, die öffentliche Geltung und deshalb Einheitlichkeit der Religion verlangte, führte in der Welt der konfessionellen Pluralität zu Kriegen, Bürgerkriegen, Hinrichtungen und Königsrnorden. Die durch den Fanatismus gesteigerten blutigen Auseinandersetzungen machten diese Konsequenz für die Menschen unmittelbar und nachdrücklich erfahrbar. So gewann die Umkehrung der Werthierarchie zunehmend an Evidenz. Auf diese Weise begann sich neben der Intensivierung des Religiösen die empirisch-rationale Betrachtungsweise als ein zweiter Strom des geistigen Lebens auszubreiten. In ihm ging es zuerst um die Frage, wie die Grundlagen und Voraussetzungen eines friedlichen Zusammenlebens gesichert werden können, also um ein Ende des gegenseitigen Tötens und der Verwüstung der Dörfer, Städte, Felder und Ernten. Dafür boten sich zwei Wege an: in Frankreich die Steigerung der Königsrnacht gegenüber den partikularen Mächten mit dem Ziel, die souveräne Durchsetzung der Toleranz möglich zu machen. Dieser Weg führte mit der Thronbesteigung Heinrichs des IV., mit dem Edikt von Nantes und mit der Entstehung des Absolutismus zu einem vorläufigen Erfolg. In Deutschland setzte sich der Grundsatz durch: cuius regio, eius religio, der der Sache nach schon den Augsburger Religionsfrieden bestimmte und nach den Erfahrungen des 30jährigen Krieges zum Verfassungsgrundsatz des Reiches wurde. Dieser naturrechtlich verstandene Grundsatz macht anschaulich, daß der Anspruch des göttlichen Rechts auf öffentliche und einheitliche Geltung der Religion das Naturrecht nicht mehr verdrängen konnte. In diesem Grundsatz schlug sich aber auch nicht das reformatorische Prinzip der Freiheit eines Christenmenschen nieder, demzufolge das an der Bibel orientierte religiöse Gewissen über das evangelische Bekenntnis entscheiden sollte. Vielmehr traf der Fürst mit unmittelbarer Verbindlichkeit für die Untertanen die Entscheidung darüber, was deren Gewissen ihnen sagt. Für Ausnahmefalle blieb das jus emigrandi: aber in einer weitgehend immobilen, bäuerlichen, von Dialekten geprägten Welt konnten nur wenige

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davon Gebrauch machen. Radikaler konnte der reformatorische Grundansatz nicht in sein Gegenteil umschlagen: Die politischen Erfordernisse des neuen Naturrechts verdrängten die Freiheit des religiösen Gewissens. Der Ansatz, nach Grundlagen und Voraussetzungen der Lebensbedingungen zu fragen, zeigte Konsequenz: Kam es in erster Linie auf den Frieden an, so in zweiter Linie auf die wirtschaftlichen Bedürfnisse, auf die Sicherung von Feldbestellung, Handwerk, Handel, Eigentum. In dritter Linie folgte die Entfaltung des geistigen und kulturellen Lebens: der Wissenschaften, Künste, Schulen. Das religiöse Leben galt zwar als das wichtigste, kam aber für die Aufklärer des 16. Jahrhunderts eben deshalb erst in letzter Linie in Betracht: es galt vielmehr, ihm die Grundlagen zu sichern. Der bedeutendste Vertreter dieser Umkehrung der Werthierarchie, Bodin, wurde zu Unrecht der religiösen Indifferenz verdächtigt: Er war ein zutiefst frommer und gebildeter Katholik, für den das höchste Gut die kontemplative Betrachtung Gottes war. Aber gerade dazu bedurfte es nach seiner Ansicht als Grundlage und Voraussetzung der äußeren Ruhe und Zuverlässigkeit des Friedens, des bescheidenen Wohlstands im familiären Heim, der Bibliotheken und des geistigen Austauschs. In der Bedrohung und Hektik des Bürgerkriegs sah er eine Zerstörung der Voraussetzungen, die wahrheitsorientiertes geistiges und religiöses Leben möglich machen. 3. Seine maßgebliche Prägung erhielt das aufgeklärte Naturrechtsdenken durch die Anknüpfung an das Menschsein des Menschen, mit der sowohl die prinzipiell gleichberechtigte Rechtsstellung des Menschen als auch seine Freiheit begründbar wurden. Dafür genügten die bisher genannten Elemente noch nicht. Denn es ist denkbar, die Grundlagen und Voraussetzungen für Frieden sowie für wirtschaftliches, geistiges und religiöses Leben auch auf Kosten anderer zu schaffen, diese zu unterwerfen, zu versklaven, auszubeuten und zugleich zu pazifizieren. Das ist nicht nur denkbar, sondern so wurde auch tatsächlich gedacht, am ausgeprägtesten später im englischen Utilitarismus. Dessen Quintessenz findet sich in Bentham's Formel vom größten Glück der größten Zahl. Sie bot die Rechtfertigung für die Herbeiführung dieses Glücks auf Kosten des Unglücks einer kleinen Zahl. Und so wurde nicht nur gedacht, sondern auch gehandelt: Sklaverei und Indianerausrottung machen anschaulich, wolür das utilitaristische Denken nützlich war. Die aufgeklärte Gegenströmung, die den Menschen als Menschen zum Rechtssubjekt erhob, fand ihren wirkungsmächtigen Ausgangspunkt bei Francisco de Vitoria, dem eigentlichen Vater des neuzeitlichen Völkerrechts, einem Altersgenossen Luthers, der die Ausplünderung, Überlistung, Ver-

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sklavung und Vernichtung südamerikanischer Indianer verurteilte. Die spanische Rechtfertigung dafür war, daß die Indianer keine Rechtssubjekte seien, weil sie weder Christen noch Mitglieder des Reiches waren, und daß deshalb mit ihnen geschlossene Verträge keine Verbindlichkeit hätten. Dem hielt er entgegen, die Menschen seien ihrer Natur nach prinzipiell gleich und frei. Das ihrer Natur gemäße Verhalten sei das Verhältnis von Freien und Freunden. Dem lasse sich nur entsprechen, wenn sie sich gegenseitig als Rechtssubjekte anerkennen und ihre Beziehungen auf der Grundlage prinzipieller Gleichberechtigung rechtlich regeln, auch dann, wenn die Machtverhältnisse bei Anwendung von genügend Schläue und Brutalität an sich die Unterwerfung ermöglichen. Vitoria zitierte Ovid: non enim homini homo lupus est, sed homo. Er knüpfte an Gedanken an, die schon in der Antike vorgeprägt waren, etwa in der Stoa und bei Cicero, und die das rationalistische Naturrechtsdenken durch das Mittelalter hindurch unterschwellig bewahrt hatte. Nun aber erwachten sie erstmals aus ihrer schlummernden Existenz als Idee und moralischer Anspruch, forderten unmittelbare politische Relevanz und begannen revolutionäre Dynamik zu entfalten. Vitoria folgerte Rechtsregeln der Gegenseitigkeit und Universalität ge mäß den Grundsätzen: neminem laedere und: was du nicht willst, was man dir tu, das füg auch keinem andern zu. Weder der Papst noch der Kaiser seien Herren des ganzen Erdkreises. Der Rechtsanspruch des Menschen sei weder an die Zugehörigkeit zur Kirche noch an die zum Reich gebunden. Die Indianer seien sowohl kraft ihres eigenen Rechts als auch kraft des universalen Naturrechts als Eigentümer und freie Vertragspartner zu achten. Die Spanier und Portugiesen hätten in Südamerika nur ebenso viele Gastrechte wie ihnen etwa in Frankreich zugestanden würden. Die Missionierung der Indianer sei nur ohne Zwang und Gewalt zulässig. Dieser neue Naturrechtsansatz war zunächst nur eine wenig wirksame Mindermeinung, gewann aber im Laufe der Zeit zunehmende Breitenwirkung, und zwar zunächst im Völkerrecht. Er wurde in der spanischen Völkerrechtslehre über Vasquez, Suarez und Cavarruvias tradiert und begann schließlich bei Grotius das gemeineuropäische Völkerrecht zu prägen. Dieses lieferte die Grundlage für Rechtsbeziehungen zu den außerhalb des Reiches lebenden Heiden, zunächst zu den Türken, später zu Indern und Chinesen. Es ging nicht nur um die Verteidigung der Freiheit der Meere, die im Interesse der kleineren Seemächte gegen die großen, zumal England, lag. Es ging auch um gemeinsame Interessen wie die Bekämpfung der Piraterie, die Hilfe in Seenot, die Sicherung des Handels und die gegenseitigen Gastrechte. 4. Nachdem das neue Naturrechtsdenken seine Ansätze zunächst in der

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Staatslehre und im Völkerrecht ausgebildet hatte, konnte es sich auch im Blick auf die innere Ordnung des Rechts fortentwickeln. Man ging davon aus, daß zur Natur des Menschen gehöre, friedlich und freundlich zusammenleben zu wollen, und daß dieser Wille ein vernünftiger sei. Zwar verwandte man viel Mühe auf die Frage, ob und wie sich ein dahingehendes Sollensgebot begründen ließe, wenn seine Fundierung im göttlichen Recht nicht mehr in Frage kommen sollte. Ihre Erörterung erwies sich allerdings im Laufe der politischen Aufklärung als wenig relevant. Es gibt immer diejenigen, die an den rechtlichen Bedingungen des friedlichen und freundlichen Zusammenlebens nicht interessiert sind, sei es, weil sie von den gegebenen Verhältnissen Vorteile haben, sei es, weil sie traditionellen Ideologien anhängen, sei es, weil sie für Rechtsfragen einfach keinen Sinn haben: denn dieser Sinn scheint so unterschiedlich ausgeprägt zu sein wie etwa die Musikalität. Die Vertreter der politischen Aufklärung standen zu allen diesen Verneinern des aufgeklärten Naturrechts in einem politischen Gegensatz, der sich durch noch so schlüssige philosophische Beweisführung nicht überbrücken läßt. Welche philosophischen Prämissen man auch setzt: wem die Schlußfolgerung zuwider ist, der verwirft eben die Prämissen. Einem solchen gegenüber kommt es weniger auf verfeinerte Beweisführung an als auf die politische Durchsetzung von Rechtsprinzipien, notfalls auch gegen ihren Willen, solange, bis Verhältnisse hergestellt sind, die ihnen die Anpassung opportun erscheinen lassen. Am wirkungsmächtigsten wurden deshalb nicht die tiefsten Philosophien der Aufklärung, wie etwa die Immanuel Kants, sondern naive Formeln wie die der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung: it is "self-evident that all men are created equal" - als ob daraus ohne weiteres folgte, "that they are endowed by there Creator with certain unalienable Rights" . Was sich hier aussprach, war das von der politischen Aufklärung geprägte öffentliche Meinungsklima, das sich trotz (oder wegen) seiner philosophischen Schlichtheit als durchschlagskräftig erwies. 5. Schon aus den bisher skizzierten Elementen ergibt sich mit logischer Zwangsläufigkeit eine Reihe von Eigenschaften, die das neue von traditionellem Naturrecht unterscheiden: a) Sein Geltungsanspruch löste sich zunehmend aus den Zusammenhängen von Theologie und Kirchen. Es kam immer weniger darauf an, zunächst, ob jemand katholisch oder evangelisch ist, sodann in weiteren Schritten, ob er überhaupt Christ, ob er Atheist, Jude oder Heide ist. Das Weltliche emanzipierte sich aus dem Geistlichen, das Wissen begründete sich unabhängig vom Glauben, die Rechtswissenschaft unabhängig von der Theologie, Staat und Kirche lösten zunehmend ihre Verknüpfungen, die Legalität schied sich von der

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Ma.rtin Kriele Moralität. "Naturrecht gälte selbst dann, wenn es Gott nicht gäbe oder er sich in menschliche Dinge nicht einmischte" (meinte Grotius). Dieser Geltungsanspruch ist freilich an die Bedingung geknüpft, daß die Menschen und Staaten die Vernünftigkeit des friedlichen und freundlichen Zusammenlebens nicht nur einsehen, sondern auch in ihren Willen aufnehmen. b) Der Universalitätsanspruch des Naturrechts löste sich zugleich vom Universalitätsanspruch des Reiches, von seiner Ausbreitungstendenz als orbis universalis christianus. Indem das Naturrechtsdenken an das Menschsein des Menschen anknüpfte und allgemeine Menschenrechte formulierte, beanspruchte es aber ebenfalls, für den ganzen Erdkreis Bedeutung zu haben. Kant drückte eine weit verbreitete Ansicht aus, wenn er meinte, daß unser Weltteil "wahrscheinlicherweise allen anderen dereinst Gesetze geben wird" (Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht). Die französische Menschenrechtserklärung von 1789 wurde in der enthusiastischen Überzeugung verkündet, der ganzen Menschheit zur Belehrung zu dienen. Die Väter der amerikanischen Verfassung und ihrer bill of rights waren von der Überzeugung getragen, ein Staatsmodell mit universalem Vorbildcharakter zu schaffen. Sie begründeten eine Tradition, die über alle Isolationstendenzen hinweg bis auf den heutigen Tag jenen missionarischen Zug geprägt hat, der europäischen Konservativen alten Schlages an den Amerikanern mitunter so befremdlich erscheint. Da sich der Schwerpunkt der Macht vom Reich auf die Staaten verlagerte und da sich das Naturrecht ohnehin aus den Zusammenhängen des Reiches gelöst hat, wurden vorzugsweise die Staaten zum Adressaten des naturrechtlichen Geltungsanspruchs. Und da heute die modernen Territorialstaaten mit Gewaltmonopol und Gebietshoheit die Zentren der Macht bilden, über die gesamte Erdoberfläche verbreitet sind, die traditionalen Rechtsbeziehungen überlagern und die Freiheit des Menschen auf neue und unheimliche Weise bedrohen, richtet sich der universale Naturrechtsanspruch in erster Linie an die Staaten. Es geht ebenso um die Mindestbedingungen einer naturrechtsgemäßen Verfassungs- und Rechtsordnung wie um die eines naturrechtsgemäßen internationalen Rechts. c) Die Idee der Freiheit folgte mit Zwangsläufigkeit aus der Anknüpfung an das Menschsein des Menschen. Einschränkungen der Freiheit wurden nun begründungsbedürftig und rechtfertigungsfähig. Wie eng oder breit der Kreis der Freiheiten in verschiedenen Ländern und zu verschiedenen Zeiten auch definiert wurde, im Kern bestand im neuen Naturrechtsdenken Einigkeit zumindest in der Anerkennung

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der fundamentalen Bedeutung des Habeas-Corpus-Prinzips: des Schutzes vor willkürlicher, d. h. nicht rechtfertigungsfähiger Einsperrung, Mißhandlung, Versklavung und Tötung. Dieser Schutz wurde zum Inbegriff dessen, was mit dem Begriff "Achtung vor der Menschenwürde" gemeint war. Das bedeutete zugleich: es ging (zumindest insofern) um den Schutz des Individuums, des individuellen Menschen. Dieser Gedanke wurde zur Keimzelle der naturrechtlichen Idee der Menschenrechte. d) Indem sich dieser Freiheitsgedanke mit einem universalen Geltungsanspruch verband, wurde er zum Gedanken der Gleichheit, der zunächst nur bed~utete: Freiheit in diesem Sinn für alle und nicht nur für einige. Denn der Mensch als Mensch habe Anspruch auf diesen Schutz, ohne daß irgendjemand, aus welchen Gründen immer, davon ausgeschlossen wäre. Wenn in unserem Jahrhundert etwa faschistische, kommunistische oder islamisch-theokratische Systeme einen Anspruch auf Unterwerfung und Mißhandlung der Individuen erheben, so weicht der naturrechtliche Menschenrechtsanspruch nicht zurück und relativiert sich nicht, sondern sieht eben hierin Anlaß, sich erst recht und um so nachdrücklicher zur Geltung zu bringen. Mag ein moderner Despot von der Masse seiner Anhänger noch so fanatisch bejubelt werden, wie etwa Hitler oder Stalin oder Chomeini oder Saddam Hussein: das Augenmerk des naturrechtlichen Menschenrechtsdenkens richtet sich auf die verfolgten Dissidenten, wie groß oder klein ihre Zahl auch sein möge. Es läßt keine Staatsideologie gelten, die zur Rechtfertigung von Mißhandlungen vorgebracht wird, sondern beansprucht vielmehr, ihr unübersteigbare Grenzen zu setzen. Kein Mensch kann vom Geltungsanspruch der Menschenrechte ausgeschlossen werden. Dasy.arCier Grundgedanke der Gleichheit, der aus der naturrechtliehen Verankerung der Freiheit unmittelbar folgt. Freiheit und Gleichheit sind die beiden letzten Prinzipien des aufgeklärten Naturrechts. So verstanden, bilden sie zwei Seiten ein und desselben Gedankens. e) Gleichheit bedeutete aber mehr als nur Anerkennung des Freiheitsanspruchs für jeden. Sie bedeutete darüber hinaus Anspruch auf Unparteilichkeit in der Abwägung der Interessen. Dies aber heißt, daß nicht diejenigen Interessen sich durchsetzen, hinter denen die stärkeren Battalione stehen, sondern die fundamentaleren Interessen. Das heißt: Je mehr ihre Erfüllung bei empirisch-rationaler Betrachtungsweise Grundlage und Voraussetzung für die Erfüllung anderer ist, desto mehr Gewicht kommt ihnen in der Abwägung zu. Welche das sind, ist mitunter evident. Mitunter bedarf es aber sehr 2 Naturrecht und Politik

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genauer, subtiler und langfristiger Vergleiche der Folgen, die die Geltung der einen und der anderen Regel haben könnte. Mitunter ist die Frage unentscheidbar. Dann gibt es keinen Grund zur Änderung des Rechts. Der politische Streit um Rechtsreformen und der juristische um Rechtsauslegung und Rechtsfortbildung geht im Kern meist um die Korrektur verfehlter Fundamentalitätseinschätzungen. f) Aus diesen Ansätzen folgte zwangsläufig, daß das Naturrecht dynamisch wurde. Es drängte auf Reform und notfalls auf Revolution. Es ging nicht mehr um die naturrechtliche Legitimierung des guten alten Rechts. Naturrecht und positives Recht schieden sich für eine Übergangszeit: das Naturrecht wurde zur kritischen Instanz, es gewann die Gestalt rechtspolitischer Forderungen, es drängte auf Umsetzung in positives Recht. z. B. sollten die naturrechtlich begründeten Menschenrechte zu juristisch positivierten und vollziehbaren Grundrechten oder auch zu strafprozessualen und strafrechtlichen Prinzipien werden. In dem Maße, in dem die Positivierung des Naturrechts gelungen ist, entstand ein ganz neuer Typ von Konservatismus, der heute sogenannte Liberal-Konservatismus: dieser verteidigt und bewahrt nun die in das positive Recht eingegangenen naturrechtlichen Elemente. 6. Die innere Logik dieses aufgeklärten Naturrechtsdenkens forderte in erster Linie eine Verfassungsordnung der Gewaltenteilung. Denn nur wenn der Machthaber überhaupt ans Recht gebunden ist, kann er auch an Menschenrechte gebunden sein. Gewaltenteilung ist die Voraussetzung für die Rechtsbindung der Exekutivgewalt: die Exekutive kann nicht willkürlich über den Menschen verfügen, sondern ist an Verfassungen oder Gesetze gebunden, die ihr von außen vorgegeben sind und deren Einhaltung durch unabhängige Richter kontrolliert werden. Der Gedanke der Gewaltenteilung gewann im Laufe des 18. Jahrhunderts vor allem Evidenz, als das Risiko des Absolutismus offenkundig geworden war. Dessen Entwicklung war im aufgeklärten Denken mit der Hoffnung begründet worden, er könne und werde die Toleranz durchsetzen. Diese Chance verwirklichte sich z. B. im Edikt von Nantes. Das Risiko war, daß der absolute Staat den konfessionellen Bürgerkrieg wieder aufnahm, nun aber einseitig mit Polizeimitteln, die Menschen ihrer elementarsten Freiheit beraubte und die Menschenwürde mißachtete. Dieses Risiko hatte sich besonders nachdrücklich nach der Aufhebung des Edikts von Nantes gezeigt. Die Massen von gemarterten, verbannten und flüchtenden Hugenotten stellte Europa vor die Frage, wie der Staat beschaffen sein muß, damit ein Minimum an Freiheit und die Chance des inneren Friedens

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gewährleistet sind. Die Antwort lautete: es bedarf der Überwindung jeder Form von Absolutismus durch Gewaltenteilung. Diese Antwort machte sich die Erfahrungen Englands zu nutze, das die absolutistische Herausforderung abgewehrt und die Prinzipien der rule of law modernisiert und fortentwickelt hat. In England und Amerika gewann die Tradition der rule of law zwar Reformanstöße aus dem aufgeklärten Naturrechtsdenken, konnte sich aber aus sich selbst heraus legitimieren, soweit es mit den Prinzipien der Aufklärung in Einklang stand. Auf dem europäischen Kontinent gewann das Naturrechtsdenken im 18. und 19. Jahrhundert revolutionären Charakter, bezog aber aus den angelsächsischen Erfahrungen das Selbstbewußtsein, erstens praktisch möglich zu sein und nicht in Anarchie zu führen, und zweitens die Würde einer evolutionären Tradition der Rechtskultur zu besitzen. 7. Sollte die Gewaltenteilung ihre Funktion des Schutzes elementarer Menschenrechte erfüllen, so drängte sich die Frage auf, wie die Gesetze, die die Exekutive binden, zustande kommen sollen. Blieb der Monarch Chef der Exekutive, so konnte die Gesetzgebung nicht bei ihm liegen, sondern entweder nur bei Vertretern der Stände oder bei Repräsentanten des Volkes (oder bei beiden im Zweikammersystem). Daß sich das demokratischparlamentarische Prinzip durchgesetzt hat, folgte nicht nur aus dem naturrechtlichen Ansatz der Gleichheit, der die Stände immer bedeutungsloser machte und der schließlich auch das Wahlrecht zum allgemeinen und gleichen werden ließ. Es folgte auch aus der Einsicht in die Verfahrensbedingungen der Rechtsgewinnung. Die parlamentarische Demokratie entstand in England historisch und sachlich aus der Übertragung des Gedankens des gerichtlichen Prozesses auf den Prozeß der Gesetzgebung. Was einen Prozeß auslöst, ist die konkrete Unrechtserfahrung des Klägers, der eine Normhypothese bildet, wie: "so etwas braucht man sich nicht gefallen zu lassen". Im Prozeß gilt der Grundsatz: man muß auch die andere Seite hören. Die Hypothese wird allen denkbaren Einwänden ausgesetzt und im Richterrecht schließlich vom Richter entweder bestätigt oder verworfen oder modifiziert. Der Richterspruch schafft ein Präzedenz, d. h. er entscheidet nicht nur den konkreten Fall, sondern legt in der Auslegung des vorgegebenen Rechts zugleich den genaueren Inhalt generell-abstrakt geltender Rechtsregeln für die Zukunft fest. Der politische Prozeß der Gesetzgebung antizipiert und präjudiziert viele solcher Verfahren, faßt sie zusammen, beschleunigt und systematisiert die Rechtsgewinnung. Aber auch er geht aus konkreten, im Volk gemachten Unrechtserfahrungen hervor und setzt sie kritischer Prüfung aus. Da alle 2'

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beteiligt sind, müssen alle repräsentiert sein: Volksvertreter sind gewissermaßen Anwälte mit Generalvollmacht. Einen neutralen Richter kann es im politischen Prozeß nicht geben, da ein jeder gleichermaßen mit Meinungen und Interessen in den politischen Prozeß verstrickt ist. An seine Stelle treten parlamentarische Mehrheiten und Wahlen, die die Gesetzgebung mit dem Gemeinsinn, dem Common sense, dem Gerechtigkeitssinn des Volkes im Einklang halten. Der Gemeinsinn seinerseits schult und entwickelt sich an den Prinzipien des fortschreitenden Rechts. An die Stelle der Vorstellung, das Naturrecht erschließe sich in der Studierstube von Theologen, Philosophen oder rechtswissenschaftlichen Systematikern und brauche dann nur noch in positives Recht umgesetzt zu werden, tritt die Einsicht in die sehr viel bescheideneren Möglichkeiten und Bedingungen der Rechtserkenntnis. Man erkennt weder umfassend und schon gar nicht eindeutig, was Recht und Gerechtigkeit ist, sondern nur, was in Einzelfragen jedenfalls unrecht und ungerecht sei. Überwindung von Unrecht in der Geschichte des Rechts bedeutet schrittweise Annäherung an das stets unerreichbar bleibende Fernziel, das Recht mit dem Nat urrecht in Einklang zu bringen: durch challenge and answer , durch trial and error. Rechtsreformen können sich erneut als korrekturbedürftig erweisen, können auch unvorhergesehene Nebenfolgen auslösen oder der Anpassung an veränderte Umstände bedürfen. Verschiedene Rechtsordnungen können verschiedene Wege gehen und es mit mancherlei unterschiedlichen Problemlösungen versuchen. Diese Bescheidung bedeutet aber nicht zugleich die Resignation vor einem prinzipiellen Relativismus, sondern nur die Einsicht in die Vorläufigkeit der Rechtserkenntnis. So wie die Naturwissenschaften nicht die Wahrheit über die Welt finden, sondern einzelne Hypothesen prüfen und Unwahrheiten überwinden, so finden Fortschritte der Rechtsgeschichte nicht die Gerechtigkeit, sondern prüfen Normhypothesen und überwinden einzelne Ungerechtigkeiten. In den Naturwissenschaften kann man die Idee der Wahrheit als solche trotz ihrer Unerreichbarkeit nicht aufgeben; denn sonst macht es keinen Sinn, von Falschheit zu sprechen. Ebensowenig kann man die Idee der Gerechtigkeit aufgeben, ohne zugleich die Fähigkeit zu verlieren, konkrete Ungerechtigkeiten feststellen und überwinden zu können. Aber die Gerechtigkeit läßt sich nicht in einem System des Naturrechts umfassend entfalten und darstellen, ebensowenig wie sich ein System der Wahrheit ausbreiten läßt. Gleichwohl hat der historische Prozeß der Rechtgewinnung zu einer Reihe von Erkenntnissen geführt, deren Eindeutigkeit nicht mehr angezweifelt werden kann: z. B. die Ungerechtigkeit von Sklaverei, Gladiatorenkämpfen, grausamen Körperstrafen, Folter, Inquisition, Fehde, He-

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xenverfolgung, Vertragsbruch, primitiven Beweisverfahren, Religionsunterdrückung, Eroberungskriegen, Vernichtungsfeldzügen, Völkermord, Kinderarbeit, Ausbeutung, Diskriminierungen verschiedener Art. Was sich hier durchgesetzt hat, ist nicht die Ablösung einer beliebig möglichen Rechtsauffassung durch eine ebenso beliebige andere, wie es der Relativismus unterstellt, sondern die Erkenntnis, daß das Überwundene unrecht war. Wie im Kleinen, so im Großen: Die Unrechtserfahrung gibt auf allen Rechtsgebieten Anstöße zu Reformen. Zum Sinn der parlamentarischen Demokratie gehört erstens, dem Kampf ums Recht einen Rahmen von Verfahrensregeln vorzugeben, der ihn aus der Notwendigkeit von Kriegen und Bürgerkriegen, Revolutionen und Unterdrückungen befreit und ihn als friedliche Auseinandersetzung ermöglicht, zweitens, seine Chancen durch einen geregelten Prozeß zu optimieren, in dem jeder Gesichtspunkt zur Geltung kommen kann, drittens, seine Ergebnisse in Einklang mit der rechtlichen Urteilskraft des Volkes zu bringen und zu halten. Die Antwort auf die Frage: Was ist Naturrecht? kann also stets nur eine vorläufige sein. Sie verweist zunächst auf die Ergebnisse der Fortschrittsgeschichte des Rechts, sucht sodann die ihr zugrundeliegenden Prinzipien, die den Fortschritt von Rückfall oder interessegeleiteter Beharrung unterscheidbar machen, und entwickelt schließlich aus diesen Prinzipien die Ansätze für weiteren Fortschritt. Die Antwort läßt sich also nicht unabhängig von einem Verstehen des positiven Rechts und seiner Gründe finden; sie ergibt sich nicht aus einer philosophischen oder rechtssystematischen Deduktion aus Prämissen. Von marxistischer Seite ist deshalb stets behauptet worden: dieses Verständnis von Naturrecht sei prinzipiell konservativ und bedeute nichts als die Identifikation des positiven Rechts mit dem Naturrecht, als die ideologische Verklärung des positiven Rechts. Richtig daran ist die Einbettung des Naturrechtsdenkens in die Tradition der Rechtskultur. Diese Einbindung bedeutet zugleich die Zurückweisung des Versuchs, aus dieser Tradition prinzipiell herauszuspringen, weil dies zwangsläufig das schon Erreichte zerstören und einen Rückfall in die Barbarei mit sich bringen muß. Die Einbindung in die Tradition der Rechtskultur bedeutet aber nicht einen Konservatismus, der sich dem Fortschritt verschlösse. Was er bewahren will, ist das, was an Durchdringung des Rechts mit dem Naturrecht schon geleistet worden ist. Die Anerkennung dessen aber impliziert die Anerkennung, daß der Prozeß des rechtlichen Fortschritts unabgeschlossen ist und immer bleibt. Das aufgeklärte Naturrechtsdenken hat sich so dem angelsächsischen

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Rechtsdenken angenähert, das sich am Gedanken der "rule of law" orientiert. Wenn sich Angelsachsen auf "the law" berufen, so unterscheiden sie nicht zwischen positivem Recht und Naturrecht, so wie es im kontinentalen Europa üblich war und zum Teil noch ist. Vielmehr sehen sie in der Fortschrittsgeschichte des Rechts zugleich die Entdeckungsgeschichte des dem Naturrecht sich annähernden Rechts. Die Alternative zur "rule of law" ist das Recht des Stärkeren, Schlaueren, Brutaleren, Schnelleren, Skrupelloseren. Dieses aber würdigt den Menschen auf die Stufe der Bestien hinab, es bedeutet "the law ofthe jungle". Es verkennt die Natur des Menschen als eines vernünftigen Gemeinschaftswesens, das ein friedliches und freundliches Zusammenleben und deshalb eine auf die Prinzipien von Freiheit und Gleichheit gegründete Rechtsordnung anstrebt. 8. In der Konsequenz dieses Ansatzes liegt die Anerkennung möglichen weiteren Fortschritts des Rechts, z. B. die Sicherung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Grundbedürfnisse als Naturrechtsforderung, schließlich auch die Erweiterung des Kreises dieser Forderungen: z. B. als Naturrecht auf Frieden und ökologische Bewahrung der Schöpfung. Die Entdeckung des Naturrechts ist in Evolution. Die Kantische Rechtfertigung von Freiheitsbeschränkungen kannte nur eine Begründung: Es ging darum, die Freiheit so zu begrenzen, daß die Freiheit des einen mit der Freiheit jedes anderen zusammen bestehen kann. Dies muß aber nicht notwendigerweise eine erschöpfende Rechtfertigung von Freiheitsbeschränkungen sein. Der Sozialstaat, der Umweltschutz, der Tier- und Artenschutz, die Erhaltung der Lebensgrundlagen für künftige Generationen liefern Begründungen, die ebenfalls Plausibilität haben, vorausgesetzt, sie fügen sich in eine Rechtskultur ein, die die Prinzipien von Freiheit und Gleichheit als solche nicht antastet. Das aufgeklärte Naturrecht und sein Verhältnis zu Recht und Politik unterscheiden sich vom mittelalterlichen also wesentlich, und zwar nicht nur in seinen Inhalten.

1. Das Naturrecht ist unmittelbar geltendes Recht nur, insofern es ins Völkerrecht oder ins innerstaatliche Recht eingegangen ist. Es beansprucht moralisch und politisch seine Positivierung und Beachtung und wirkt als politische Forderung auf Rechtsreform, Rechtsauslegung und Rechtsfortbildung ein. 2. Es läßt sich zwar durch göttliches Recht stützen oder legitimieren, beansprucht seinen Geltungsanspruch aber unabhängig davon. 3. Es läßt sich nicht systematisch ableiten und umfassend darstellen, sondern nur schrittweise aus konkreten Unrechtserfahrungen ent-

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decken und in geregelten Verfahren feststellen. Die Geschichte seiner Erkenntis ist identisch mit der Fortschrittsgeschichte des Rechts. 4. Sein Geltungsanspruch ist zwar im Kern universal, erlaubt im einzelnen aber verschiedene Ausgestaltungen; es ist nicht unabänderlich, sondern entwickelt sich mit den Umständen und mit neuen Erkenntnissen fort. 5. Politik läßt sich nicht erschöpfend als Rechtsvollzug und schon gar nicht als Naturrechtsvollzug beschreiben. Immerhin aber ergibt sich rur das Verhältnis von Naturrecht, Recht und Politik aus alle dem zweierlei: einmal das naturrechtliche Postulat, den Rahmen des als Naturrecht Definierten nicht zu überschreiten, zum anderen aber auch die politische Tendenz, den Prinzipien des Naturrechts zu positiv-rechtlicher Geltung zu verhelfen. Nachdem in unserem Jahrhundert dreimal Herausforderungen des aufgeklärten Naturrechtsdenkens mit unheimlicher Macht und Gewalt aufgebrochen sind: im Kommunismus, in Faschismus und Nationalsozialismus und schließlich im Islam, wächst die Überzeugung, daß die Orientierung der Politik am Ziel der Verwirklichung der naturrechtlichen Prinzipien in Völkerrecht und innerstaatlichem Recht zu den wesentlichen Aufgaben der Politik gehört. Das aufgeklärte Naturrechtsdenken ist unausweichlich dynamisch: es kann nur entweder vordringen oder untergehen. Entfaltet es geistig-politische Initiative, dann führt es sowohl in die demokratische Weltrevolution als auch in eine friedliche Weltordnung. Weicht es zurück, dann sind die Alternativen Barbarei und möglicherweise Zerstörung der Lebensgrundlagen auf der Erde.

Teil I Naturrecht und Politik im 19. und 20. Jahrhundert

Naturrecht und Politik im Deutschland des 19. Jahrhunderts von Diethelm Klippel Das Thema mag zunächst deshalb Verwunderung hervorrufen, weil das Naturrecht sich in der Regel nicht unter den Begriffen befindet, mit denen wir das 19. Jahrhundert in Verbindung bringen. Im Gegenteil: Das 19. Jahrhundert gilt meist als Zeit der Überwindung naturrechtlichen Denkens. Die rechts- und philosophiegeschichtliche Forschung jedenfalls vermittelt in der Regel das Bild, spätestens in der ersten Hälfte des Jahrhunderts habe das nichttheologische Naturrecht als juristische und philosophische Wissenschaftsdisziplin sein Ende gefunden. So etwa ist Hans Welzel der Meinung, dem Kritizismus Kants und der historischen Schule sei die Zerstörung des Glaubens an ewige materiale Rechtsgrundsätze zuzuschreiben. 1 KarlHeinz Ilting spricht vom "Zusammenbruch des rationalen Naturrechts in der Restaurationszeit"2, und Otfried Höffe stellt einen Abbruch der Tradition im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts fest. 3 Stefan Breuer wiederum sieht den "Abschluß und damit sowohl Höhepunkt wie Auflösung des Naturrechts in der deutschen Rechts- und Staatsphilosophie von Kant bis Marx".4 Doch finden sich vereinzelt auch andere Auffassungen: Erik Wolf interpretiert die Ziele der historischen Rechtsschule als Kampf eines historischen gegen das rationale NaturrechtS und sieht in der Philosophie des deutschen Idealismus die größte Entfaltung des Naturrechts als philosophischer Idee. 6 Abgesehen von "naturrechtlichen Nebenströmungen" 1 Hans Welzel, Die NatWTechtslehre Samuel Pufendorfs. Ein Beitrag zur Ideengeschichte des 17. und 18. Jahrhunderts, Berlin 1958, S. 3; vgl. Hans Thieme, Art. "NatWTecht", H. 3., in: Staatslexikon, 6. Auß., Bd. 5, Freiburg i. Br. 1960, Sp. 938: Das Naturrecht fiel "dem Historismus ... zum Opfer". 2Karl-Heinz I1ting, Art. "NatWTecht", in: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, hrsg. v. Otto Brunner, Werner Conze u. Reinhart Ko~elleck, Bd. 4, Stuttgart 1978, S. 245 ff., 309. 30tfried HöDe, Politische Gerechtigkeit, Frankfurt a. M. 1987, S. 90; vgl. R. Ruzicka, Art. "Naturrecht", IV. (Neuzeit), in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, hrsg. v. Joachim Ritteru. Karlfried Griinder, Bd. 6, Darmstadt 1984, Sp. 582 ff., 604: "bald nach Hegel einsetzende(r) Verfall des N.-Gedankens". ·Stefan Breuer, Sozialgeschichte des Naturrechts, Opladen 1983, S. 50l. 5Erik Wolf, Das Problem der NatWTechtslehre. Versuch einer Orientierung, 3. AuH., Karlsruhe 1964, S. 181 f. 6Ebd., S. 72.

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vermißt Alfred Verdross naturrechtliches Denken lediglich zwischen 1850 und 1880. 7 Angesichts der divergierenden Meinungen erscheinen zunächst einige Bemerkungen zur Entwicklung des Naturrechts im 19. Jahrhundert als angebracht (1.). Dabei ist schon deshalb auch auf das Verhältnis von Naturrecht und Rechtsphilosophie einzugehen, weil der Begriff der Rechtsphilosophie häufig gegen das Naturrecht gekehrt und nicht auf dem Hi~tergrund der gesamten naturrechtlichen und rechtsphilosophischen Literatur der Zeit gesehen wird. So z. B. erscheint das Verhältnis von Hegels Rechtsphilosophie zum Naturrecht als umstritten.i! Im übrigen wird gelegentlich das Absterben sogar der Rechtsphilosophie um die Mitte des 19. Jahrhunderts festgestellt. 9 Es wird sich zeigen, daß naturrechtliche Schriften im 19. Jahrhundert eine wesentlich größere Rolle gespielt haben als bisher angenommen; insbesondere kann jedenfalls generell von einem Absterben von Naturrecht und Rechtsphilosophie nicht die Rede sein. Die weiteren drei Teile greifen, bezogen auf das Naturrecht, jeweils unterschiedliche Aspekte des vieldeutigen Politikbegriffs auf. "Politik" dient - im 19. Jahrhundert wie heute - einerseits der Bezeichnung einer Wissenschaft, andererseits werden darunter bestimmte Handlungen und Auffassungen im staatlichen und gesellschaftlichen Bereich verstanden. lO Was das Verhältnis der wissenschaftlichen Lehre der Politik zum Naturrecht angeht, so verliert das Naturrecht um die Mitte des 19. Jahrhunderts seine bis dahin bestehende Funktion als Leitwissenschaft (11.). Der dritte Teil beschäftigt sich mit den politischen Inhalten, der vierte mit den politischen Funktionen des Naturrechts im 19. Jahrhundert. Um auch hier einen Teil der folgenden Thesen vorwegzunehmen: Es läßt sich eine deutliche Kontinuität zwischen den meist liberalen politischen Inhalten der jüngeren deutschen Naturrechtslehre insbesondere im letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts und großen Teilen des Naturrechts in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts feststellen; doch verzweigen sich die Auf7 A1fred Verdrou, Statisches und dynamisches Naturrecht, Freiburg i. Br. 1971, S. 177 ff.; "naturrechtliche Nebenströmungen" sieht auch Ruzieka (wie Fn. 3), Sp. 605. 8Henning Ottmann, Das Recht der Natur in Hegels "Philosophie des Rechts", in: Der Staat 23 (1984), S. 1 ff.; vgl. nur einerseits Wolf (wie Fn. 5) und andererseits I1ting (wie Fn. 2), S. 307 ("Krise der Naturrechtsidee in Hegels 'Rechtsphilosophie"'). 9Hans HaHenhauer, Die geistesgesdüchtlichen Grundlagen des deutschen Rechts, 3. Aufi., Heidelberg 1983, S. 199 (zugleich sei das Naturrecht "endgültig der Verachtung der praktizierenden Juristen" verfallen). lOVolker SeI/in, Art. "Politik", in: Gesdüchtliche Grundbegriffe (wie Fn. 2), S. 789 ff., 873. - Aus den Quellen z. B. Johann Kaspar Blunt,ehli, Art. "Politik und politische Moral", in: Deutsches Staatswörterbuch, hrsg. v. Johann Kaspar Blunt,ehli u. Karl Brater, Bd. 8, Leipzig 1864, S. 117; Pranz von HoltzendorD, Die Principien der Politik, Berlin 1869, S. 3; Ludwig Heinrich Sehmidt, Grundzüge der praktischen Politik, Leipzig 1881, S. 1.

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fassungen zunehmend, und neben das liberale Naturrecht treten andere naturrechtlich-rechtsphilosophische Ansichten (111.). Insbesondere im Zivilrecht erfüllt naturrechtlich-rechtsphilosophisches Denken eine politische Komplementärfunktion zur Dogmatik der historischen Rechtsschule; generell besteht die politische Funktion von Naturrecht und Rechtsphilosophie im 19. Jahrhundert in einer noch zu präzisierenden Modernisierungsleistung für das Denken über Recht und Staat (IV.).

I. Naturrechtliches Denken im 19. Jahrhundert Ginge man von den eingangs skizzierten gängigen Vorstellungen zur Geschichte des Naturrechts im 19. Jahrhundert aus, so wäre allenfalls mit der Möglichkeit zu rechnen, einige vielleicht zu Recht vergessene epigonale Naturrechtier ausfindig zu machen; im übrigen könnte die Frage naturrechtlichen Denkens an das Werk großer Autoren wie Kant oder Hegel gestellt werden. Doch läßt bereits die bibliographische Arbeit erhebliche Zweifel daran aufkommen, ob der Ausgangspunkt zutreffend ist. Die nähere Beschäftigung mit den weitgehend unbekannten Quellen ergibt ein anderes Bild, das allerdings erst in groben Umrissen gezeichnet werden kann. 1. Schon die Zeitgenossen zu Beginn des 19. Jahrhunderts haben keinesfalls ein Absterben des Naturrechts konstatiert, wenn auch einschneidende Änderungen. So heißt es 1819 im Konversationslexikon von Brockhaus: "Durch Kant und Fichte hauptsächlich begann eine neue Epoche dieser Wissenschaft".l1 Die Äußerungen von Befürwortern und Gegnern des Naturrechts belegen einerseits das Fortleben des Naturrechts während des ganzen 19. Jahrhunderts, andererseits die zunehmende Ablehnung naturrechtlichen Denkens. So wird 1825 nach der Publikation mehrerer Neuerscheinungen und Neuauflagen von Naturrechtsschriften "auf ein wiederum erwachendes eifrigeres Studium des Naturrechts" geschlossen.1 2 Leopold August Warnkönig beschreibt dagegen 1839 die Situation des Naturrechts wie folgt: "Daß die Wissenschaft des Nat urrechts seit einem Jahrzehnt im Zustande einer Krise sich befindet, werden alle, die sich mit derselben beschäftigen, schon längst wissen. Die auf der Basis der Kantischen Philosophie aufgebauten Systeme desselben haben das alte Ansehen verloren; der durch jene Philosophie dem Naturrechte vorgezeichnete Kreis ist durchlaufen. Man sehnt 11 Art.

"Naturrecht", in: BlOckhaus, Conversations-Lexikon oder Handwörterbuch

für die gebildeten Stände, Bd. 9, Leipzig u. Altenburg 1819, S. 624 ff., 626. 12Niels Nikolaus Fa/eie, Juristische Encyclopädie, 2. Auß., Kiel 1825, S. 92 f.

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sich von allen Seiten nach Neuem. Aber noch ist es keiner Theorie gelungen, zu allgemeiner Anerkennung zu gelangen." 13 1861 dagegen spricht Warnkönig von einer "Wiederauferstehung des Naturrechts" .14 Selbst im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts scheint es jedenfalls noch Reste des Naturrechts gegeben zu haben. So heißt es 1883 bei Otto von Gierke in der etwas martialischen Diktion des germanistischen Rechtshistorikers: "Der Kampf gegen das Naturrecht gehört in der Hauptsache der Vergangenheit an. Was von ihm die Schwertschläge der historischen Schule überlebt hat, ist nur noch ein Schatten seiner einstigen stolzen Macht." 15 Freilich wird das Naturrecht in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zumeist als wissenschaftlich überwunden angesehen 16 ; Richard Goldschmidt spricht 1886 von der "Alleinherrschaft" der historischen Rechtsschule. 17 Für viele Juristen gilt es, wie Ernst Zitelmann 1888 anschaulich schreibt, "geradezu als contra bonos mores ... , noch irgendeine, wenn auch nur platonische Verbindung mit dem stark kompromittierten Naturrecht zu unterhalten" .18 Im Gegensatz dazu meint Karl Bergbohm, die Kraft des Naturrechts sei ungebrochen: "... diese Leichenreden sind zu früh gehalten worden. Das Naturrecht hat nicht einmal die Namen, unter denen es einst in Blüte gestanden, aufgegeben, geschweige denn aufgehört, sei es pseudonym, sei es anonym sein verwirrendes Wesen zu treiben." 19 Immerhin: "Im Schultalar tritt das Naturrecht allerdings nur noch ausnahmsweise auf, dafür um 13Leopold August Warnkönig, Rechtsphilosophie als Naturlehre des Rechts, Freiburg i. Br. 1839, S. IV. HLeopold August Warnkönig, Die Wiederauferstehung des Naturrechts oder kritische Überschau der drei neuesten Lehrbücher, in: Kritische Vierteljallrsschrift itir Gesetzgebung und Rechtswissenschaft 3 (1861), S. 241 ff.; vgl. Karl David August Röder, Grundzüge des Naturrechts oder der Rechtsfilosofie, 2. Auß., Bd. 1, Leipzig u. Heidelberg 1860, S. XXII: Röder stellt die Veröffentlichung einer größeren Zahl rechtsphilos0phischer Schriften in den Jahren kurz vor 1860 fest. 150tto von Gierke, Naturrecht und deutsches Recht, Frankfurt a. M. 1883, S. 13. 16So z. B. Theodor Reinhold Schütze, Die Stellung der Rechtsphilosophie zur positiven Rechtswissenschaft und zu deren Allgemeiner Rechtslehre insbesondere, in: Zeitschrift für das Privat- und öffentliche Recht der Gegenwart 6 (1879), S. 1 ff., 16; weitere Nachweise bei Karl Bergbohm, Jurisprudenz und Rechtsphilosophie, Leipzig 1892 (Nachdr. Glashütten i. Ts. 1973), S. 110 ff. 17 Richard Gold,chmidt, Kritische Beleuchtung der Übergriffe der historischen Schule und der Philosophie in der Rechtswissenschaft, Berlin u. Leipzig 1886, S. 2. 18Ernst Zitelmann, Über die Möglichkeit eines Weltrechts, Wien 1888, S. 4; vgl. Bergbohm (wie Fn. 16), S. 137). 19 Bergbohm (wie Fn. 16), S. 111; vgl. Rudolf Stammler, Über die Methode der geschichtlichen Rechtstheorie, in: Festgabe zu Bernhard Windscheids fünfzigjährigem Doctorjubiläum, Halle 1888, S. 1 ff., 26: Stammler äußert - von einem gänzlich anderen methodischen und philosophischen Ausgangspunkt her als Bergbohm - die Vennutung, daß die Meinung, das Naturrecht sei wissenschaftlich überwunden, unzutreffend ist.

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so häufiger in allerlei Verkleidungen."2o Rudolf Binding sieht 1885 sogar Anzeichen für "eine volle Renaissance des Naturrechts, also eine Abwendung der Wissenschaft vom positiven Recht" .21 Konsequenterweise fordert Bergbohm noch 1892, es müsse "das Unkraut Naturrecht, in welcher Form und Verhüllung es auch auftreten möge, offen oder verschämt, ausgerottet werden, schonungslos, mit Stumpf und Stiel" .22 2. Freilich sind die z. T. polemischen Aussagen der zeitgenössischen Kontroversliteratur zunächst nicht mehr als ein Indiz dafür, daß das üblicherweise gezeichnete Bild vom Untergang des Naturrechts zu Beginn des 19. Jahrhunderts nicht der Wirklichkeit entspricht. Aussagekräftiger ist schon, daß naturrechtliche Strömungen auch im Vorlesungsbetrieb der Universitäten weiter lebte Ii. J an Schröder und Ines Pielemeier haben anhand der Vorlesungsverzeichnisse der deutschen Universitäten im 19. Jahrhundert gezeigt, daß eine Vorlesung "Naturrecht" - die im Laufe der zweiten Hälfte des Jahrhunderts in die Vorlesung "Rechtsphilosophie" überging an den Juristischen Fakultäten erstaunlich lange, teilweise bis zum Ende des Jahrhunderts, angeboten wurde. 23 In Göttingen z. B. finden wir eine solche Vorlesung bis 1835 als "Naturrecht", dann als "Naturrecht oder die Philosophie des Rechts", dann ab etwa 1850 nur noch als "Rechtsphilosophie". An der Universität Gießen wurde bis 1862 "Naturrecht, als philosophische Rechts- und Staatslehre" gelehrt. In Bonn wurden naturrechtlichrechtsphilosophische Vorlesungen mehr oder weniger regelmäßig bis 1888 gehalten, in Heidelberg noch 1895 und in Leipzig sogar noch im Wintersemester 1900/1901. Demnach erstreckte sich der Prozeß der Verdrängung des Naturrechts aus dem Lehrprogramm der Universitäten über das ganze 19. Jahrhundert.

3. Darüber hinaus läßt sich bibliographisch leicht nachweisen, daß explizit naturrechtliches Denken während des ganzen 19. Jahrhunderts fortlebte. So etwa zählt Leopold August Warnkönig von 1800 bis 1831 knapp 60 selbständig erschienene naturrechtliche Werke mit Lehrbuchcharakter auf2 4 , das 1838 erschienene "Handbuch der Literatur des Criminalrechts" von Friedrich Kappier bibliographiert ab ca. 1800 rund 130 allgemeine naturrechtliche Schriften25 , und 1892 registriert Bergbohm ab 1840 mit 20 Bergbohm

(wie Fn. 16), S. IX.

21 RudoU Binding, Handbuch des 22 Bergbohm (wie Fn. 16), S. 118.

Strafrechts, Bd. I, Leipzig 1885, S. 6.

23Das Folgende nach Jan Schröderu. Ines Pielemeier, Naturrecht als Lehrfach an den deutschen Universitäten des 18. und 19. Jahrhunderts, in: Naturrecht - Spätaufldärung - Revolution. Das europäische Naturrecht im ausgehenden 18. Jahrhundert, hrsg. v. Otto Dann u. Diethelm Klippel (erscheint demnächst in der Reihe "Studien zum achtzehnten Jahrhundert" im Felix Meiner Verlag, Hamburg). U Warnkönig (wie Fn. 13), S. 137 H. 25 Stuttgart 1838, S. 94 H.

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steigender Tendenz allein in Deutschland 118 naturrechtliche oder naturrechtlich beeinflußte Schriftsteller.26 Eine eigene im Rahmen eines Forschungsprojektes "Naturrecht und Rechtsphilosophie im 19. Jahrhundert" erstellte, noch vorläufige Bibliographie umfaßt von 1800 bis 1900 ca. 300 naturrechtliche und rechtsphilosophische Darstellungen allgemeiner Art - Aufsätze und rechtsphilosophische Einzelschriften zum Staats-, Strafund Privatrecht gar nicht gerechnet. Von ca. 100 zwischen 1850 und 1900 selbständig erschienenen Büchern aus der erwähnten Bibliographie beziehen sich immerhin noch 25 im Titel ausdrücklich auf "Naturrecht" oder entsprechende Adjektive; in der ersten Hälfte des Jahrhunderts werden die Begriffe "Naturrecht" und "Rechtsphilosophie" ohnehin synonym gebraucht. 27 4. Einige der Beispiele haben nicht nur das Weiterleben naturrechtlichen Denkens belegt, sondern auch terminologische Veränderungen angezeigt: Synonym mit "Naturrecht" wird im 19. Jahrhundert zunehmend der Begriff "Rechtsphilosophie" verwandt, der "Naturrecht" aber nur sehr langsam und auch bis zum Ende des Jahrhunderts nicht vollständig ablöst. Schon aus der lexikalischen Literatur ist jedenfalls ein Gegensatz nicht zu erkennen. So heißt es 1819 im Brockhaus über die Naturrechtslehre: "Schicklicher wird sie Rechtsphilosophie, oder philosophische Rechtslehre genannt.,,28 In der "Allgemeinen Realencyclopädie" findet sich folgender Hinweis: "Naturrecht ist der jetzt ziemlich außer Gebrauche gekommene Ausdruck für Rechtphilosophie, Vernunftrecht."29 Während die Lexika zunächst unter "Rechtsphilosophie" häufig auf "Naturrecht" verweisen3o , findet sich später eher der umgekehrte Hinweis. 31 Ein Blick in die Vorlesungsverzeichnisse der deutschen Universitäten er26 Bergbokm (wie Fn. 16), S. 354 Fn. 34. 2 7 Dazu sogleich unter 4.; vgl. oben nach

Fn. 23. "Naturrecht", in: Brockhaus (wie Fn. 11), S. 624; ebenso die 8. Aufl., Bd. 7, Leipzig 1835, S. 712; ähnlich Julius Sckmelzing, Uber das Verhältnis des sogenannten Natur-Rechts zum positiven Rechte, zur Moral und Politik. Eine rechtsphilosophische Abhandlung, Bamberg u. Würzburg 1813, S. 34. 29 Art. "Naturrecht", in: Allgemeine Realencyclopidie oder Conversations-Lexikon für das katholische Deutschland, Bd. 7, Regensburg 1848, S. 506. 30Z. B. Brockhaus (wie Fn. 11); Brockhaus, 8. Aufl. (wie Fn. 28), Bd. 9, Leipzig 1836, S. 84; Rheinisches Conversations-Lexikon oder encyclopädisches Handwörterbuch für gebildete Stände, 4. Aufl., Bd. 10, Köln 1844, S. 334; Neuestes ConversationsLexikon für alle Stände, 8 Bde., Leipzig 1833-38; Heinrich August Pierer, UniversalLexikon der Gegenwart und Vergangenheit, 2. Auß., Bd. 24, Altenburg 1844, S. 335; Staatslexikon, hrsg. v. Carl 1/on Rotteck und Carl Welcker, Bd. 13, Altona 1842, S. 28 Art.

533. 31 Brockhaus, 11.

Auß., Bd. 10, Leipzig 1867, S. 623; Heinrich August Pierer, Universal-Lexikon der Vergangenheit und Gegenwart, 4. Aufl., 19 Bde., Altenburg 1857-65. Anders freilich wiederum - vom Standpunkt der katholischen Naturrechtslehre aus - das Staatslexikon der GörresgesellschaCt, Bd. 4, Freiburg i. Br. 1895.

Na.turrecht und Politik im Deutschla.nd des 19. Jahrhunderts

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gibt darüber hinaus, daß Wort und Begriff "Rechtsphilosophie" entgegen der Auffassung von Hans Welzel keinesfalls um 1800 begannen, "die Herrschaft des bisherigen Naturrechts abzulösen" .32 Vielmehr tritt die Bezeichnung "Rechtsphilosophie" neben das Naturrecht; reine Rechtsphilosophievorlesungen bleiben bis zum Ende des 19. Jahrhunderts die Ausnahme. 33 Dem entspricht es, daß zahlreiche Lehrbücher während des ganzen 19. Jahrhunderts "Naturrecht" und "Rechtsphilosophie" im Titel synonym verwenden, angefangen von Hegel34 bis hin zu Heinrich Zoepfls 1879 in zweiter Auflage erschienenem "Grundriss zu Vorlesungen über Rechtsphilosophie (Naturrecht)". Konsequenterweise unterscheiden die in einigen zeitgenössischen Lehrbüchern vorhandenen Darstellungen der Geschichte des Naturrechts bzw. der Rechtsphilosophie auch für das 19. Jahrhundert nicht zwischen naturrechtlichen und rechtsphilosophischen Schriften, wohl aber zwischen einzelnen Schulen: So z. B. differenziert Leopold August Warnkönig 1855 u. a. zwischen den Schulen von Kant und Fichte, Hegel, Schelling, Krause und der historischen Schule.35 Daraus ist zunächst der Schluß zu ziehen, daß es nicht sinnvoll wäre, bestimmte rechtsphilosophische Autoren und Entwicklungen des 19. Jahrhunderts über den Naturrechtsbegriff von vornherein aus der Untersuchung auszuklammern; gerade durch die Anlegung eines rigiden - etwa auf das Naturrecht vor Kant bezogenen - Naturrechtsbegriffs kommt das eingangs skizzierte unzutreffende Bild zustande. Vielmehr geht es darum, bestimmte geschichtliche Veränderungen der Inhalte und der Funktionen rechtsphilosophischer Schriften festzustellen und einzuordnen - unabhängig davon, ob sie sich selbst als naturrechtlich oder rechtsphilosophisch bezeichnen. Vor allem aber ist die geschilderte terminologische Entwicklung selbst erklärungsbedürftig; möglicherweise deutet das Aufkommen des Begriffs "Rechtsphilosophie" auf veränderte Auffassungen von Naturrecht hin. Darauf ist später zurückzukommen (111.).

11. Naturrecht und Politikwissenschaft Befragt man die Quellen nach dem Verhältnis von Politik als Wissenschaftsdisziplin und Naturrecht, so läßt sich im Laufe des Jahrhunderts eine Entwicklung erkennen, die man als Prozeß der Lösung der Politik 32 Hans Welze/, Gedanken zur Begriffsgeschichte der Rechtsphilosophie, in: Festschrift für Wilhelm Gallas, Berlin u. New York 1973, S. 1 11., 3. 33 Oben Fn. 23. 3·088 rechte Titelblatt der Erstausgabe (Berlin 1821) lautet "Grundlinien der Philosophie des Rechts", das linke "Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse". 3sLeopold August Warnkönig, Philosophiae juris delineatio, 2. Auß., Tübingen 1855, S. 18711. 3 Naturrecht und Politik

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vom Naturrecht oder umgekehrt als Funktionsverlust des Naturrechts bezeichnen könnte. Noch kurz nach 1800 erscheint nämlich das Naturrecht als maßgebende, die Politik als "dienende" Disziplin; am Ende des J ahrhunderts ist der Bezug der Politik auf das Naturrecht entfallen. 1. a) So etwa findet sich 1827 bei Heinrich Benedikt von Weber folgende Definition: Politik ist "die Wissenschaft ... , welche die Art und die Mittel lehrt, wie und wodurch das Ideal des Staats in der Wirklichkeit so vollkommen, als es unter gegebenen Umständen und Verhältnissen möglich ist, zur Ausführung zu bringen sey" .36 Das zu verwirklichende Ideal aber ergibt sich aus dem Naturrecht, vor allem aus dem Teil des Naturrechts, der sich mit dem Staat beschäftigt, nämlich dem allgemeinen, das heißt unabhängig von Zeit und Ort gültigen Staatsrecht, dem ius publicum universale. Dementsprechend heißt es 1802 bei Karl Heinrich Ludwig Pölitz, die Politik sei "die Wissenschaft der rechtmäßigen und wirksamsten Mittel ... , wie in dem isolirten Staate das Ideal des Naturrechts am sichersten und leichtesten, mit Rücksicht auf die Bedürfnisse der im Staate lebenden Individuen, zu realisiren ist (wohin denn die Rücksichten auf das Locale, auf Boden, Klima, Religion, Wissenschaften, Künste, Finanzen, Handlung, Schifffahrt [sic], Gewerbe etc. gehören) .. , "37 Politik, so könnte man sagen, ist also die Wissenschaft von den zweckmäßigsten Mitteln zur Verfolgung eines Zieles, das vom Naturrecht als Ideal vorgegeben wird. Um die Inhalte des anzustrebenden Ideals im einzelnen feststellen zu können, muß also der Blick auf das Naturrecht der Zeit gerichtet werden, insbesondere auf die naturrechtliche Staatslehre. Das skizzierte Verhältnis zwischen Politik und Naturrecht impliziert ein bestimmtes Verhältnis zur Wirklichkeit in einem Staat, die nicht etwa hinzunehmen ist oder gar zu Änderungen des naturrechtlichen Staatsideals führt. Vielmehr sind die bestehenden Verhältnisse nur deshalb zu berücksichtigen, um sie der vom Naturrecht formulierten legitimen Staatsform immer näher bringen zu können. 3S Jede Staatsverfassung, so wiederum Pölitz, muß sich dem vom Naturrecht entwickelten Ideal nähern. 39 36Heinrich Benedikt von Weber, Grundzüge der Politik, oder philosophischgeschichtliche Entwicklung der Hauptgrundsätze der innern und äußern Staatskunst, Tübingen 1827, S. 4; nach eigenem Bekunden im Anschluß an: Heinrich Luden, Handbuch der Staatsweisheit oder der Politik, 1. Abt., Jena 1811, S. 36 fr. 37Karl Heinrich Ludwig Pölitz, Über das Ideal der Rechtslehre und über das Verhältniß des Naturrechts, des Völkerrechts, des Staatsrechts, des Staatenrechts und der Politik an sich, in: ders., Fragmente zur Philosophie des Lebens, Chemnitz 1802, S. 170 fr., 187. 38Z. B. Wilhelm Joseph Behr, System der angewandten allgemeinen Staatslehre oder der Staatskunst (Politik). 1. Abt., Die allgemeine Einleitung und die Staatsverfassungslehre, Frankfurt a. M. 1810, S. 1 C., 5 C. 39 Pölitz (wie Fn. 37), S. 170 C., vgl. 182; ähnlich von Weber (wie Fn. 36), S. 37.

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Die Politik arbeitet also ständig an der Verringerung der Diskrepanz zwischen Naturrecht und Wirklichkeit und entschärft dadurch das Problem des Verhältnisses zwischen Naturrecht und positivem Recht, nämlich u. a. durch "Politik der Kultur" und "Politik des Rechts" , die J ulius Schmelzing 1813 als "die Kenntniß und Anwendung der zur Realisirung der Rechts-Idee im individuellen Staate zweckmäßigsten Mittel" definiert. 40 Insbesondere die Gesetzgebung des Staates, so ist zu erkennen, spielt eine wichtige Rolle bei der Verwirklichung der naturrechtlichen Ziele. b) Allerdings fassen nicht alle Autoren den Politikbegriff in dieser Weise auf; auch dann wird jedoch die Rolle des Naturrechts nicht in Frage gestellt. So etwa unterscheidet Wilhelm Traugott Krug zwischen Politik im weiteren Sinn und Politik im engeren Sinn, nämlich der Staatspraxis, die zusammen mit dem allgemeinen Staatsrecht (also der naturrechtlichen Staatslehre) die Politik im weiteren Sinn ausmachte. 41 Unter Politik (im weiteren Sinn) ist demnach zu verstehen die "Staatsgelahrtheit, welche der Inbegriff alles dessen ist, was sich auf Staat und Regierung bezieht" .42 Ganz ähnlich unterscheidet Gustav Anton Freiherr von Seckendorff zwischen der theoretischen und praktischen Politik; die theoretische Politik gibt sich wiederum als philosophische Staatslehre zu erkennen, die keine auf den Staat angewandte Klugheitslehre sei, sondern ein "Ideal, dem Begriffe Staat entspringend, ... für allen Folgebegriff aufzustellen" suche und "dabei ... nach unfehlbaren Sätzen" ringe. 43 Auch hier besteht also die klare Rollenverteilung zwischen dem Naturrecht als der maßgeblichen, den idealen Entwurfliefernden Wissenschaft und der praxisorientierten Politik; nur der systematische Bezugsrahmen ist anders. 2. Dieses Verhältnis ändert sich im Laufe des 19. Jahrhunderts grundlegend. Das Naturrecht verliert seine Bedeutung als Leitwissenschaft für die Politik, oder, anders ausgedrückt, politische Fragen werden aus der bisherigen Verklammerung mit dem Naturrecht gelöst. 44 Statt dessen rücken die (wie Fn. 28), S. 78. Wilhehn Traugott Krug, Dikäopolitik oder neue Restaurazion der Staatswissenschaft mittels des Rechtsgesetzes, Leipzig 1824, S. VII f.; ders., Was ist Politik und was soll sie seyn? In: Deutsche Staats-Anzeigen 1 (1816), S. 9 fr., 13 fr.; ähnlich Art. "Politik" , in: Brockhaus, 8. Auß., Bd. 8, Leipzig 1835, S. 675. t2 Johann Georg Eck, Was ist Politik? Leipzig 1808, S. 23 (unter Berufung auf August Ludwig Schlözer). t3Gustav Anton Freiherr von SeckendorD, Grundzüge der philosophischen Politik. Ein Handbuch bei Vorträgen, Leipzig·u. Altenburg 1817, S. 10, VII. HVgl. Hans Maier, Die Lehre der Politik an den deutschen Universitäten vornehmlich vom 16. bis 18. Jahrhundert, in: Wissenschaftliche Politik. Eine Einführung in Grundfragen ihrer Tradition und Theorie, hrsg. v. Dieter Oberndörfer, 2. Auß., Dannstadt 1966, S. 59 fr., 103; vgl. auch Ernst Vollrath, Art. "Politik" (111.: 19. und 20. Jh.), in: Historisches Wörterbuch der Philosophie (wie Fn. 3), Bd. 7, Basel 1989, S. 1055 fr., 1060 f. 40 Schmelzing

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historische Entwicklung und die Realität des Staates in den Mittelpunkt. 45 Dementsprechend lassen sich neue Leitbegriffe der Politik feststellen. So z. B. nimmt die Macht als Gegenstand der Untersuchung von Politik zu. Ludwig August von Rochau formuliert 1853 den Grundsatz, daß Macht vor Recht gehe; der umgekehrte Grundsatz sei gescheitert. 46 Besonders deutlich wird die Veränderung des Verhältnisses von Naturrecht und Politik daran, daß nunmehr die Politik selbst die Maßstäbe für das Staatsleben setzt, das Ideal entwirft. So faßt Julius Fröbel 1861 die Politik als "die Ethik und Technik des Staatslebens" auf. 47 Die Rechtswissenschaft ist für zahlreiche Autoren nur noch die Theorie der staatlichen Zustände, während die Politik als Theorie des staatlichen Lebens und seiner Veränderungen aufgefaßt wird; das Staatsrecht betreffe den Staat im Ruhestand, die Politik den Staat in Bewegung, den Staat, so wie er sein soll.48 Um die Wende des 19. zum 20. Jahrhundert wird dann die Soziologie als neue normative Grundlage der Politik als Wissenschaft angesehen. 49 3. a) Die Loslösung der Politik von der naturrechtIich-rechtsphilosophischen Staatslehre zeigt sich deutlich bei der Staatszwecklehre, die zunächst und herkömmlicherweise ein Thema des allgemeinen Staatsrechts war. Im Laufe des 19. Jahrhunderts übernimmt die Politik selbst die Entwicklung der Theorie des Staatszwecks oder der Staatszwecke. Noch Robert von Mohls Definition der Politik als Wissenschaft setzt voraus, daß die Staatszwecke außerhalb der Politik festgelegt werden: Politik ist für ihn "die Wissenschaft von den Mitteln, durch welche die Zwecke der Staaten so vollständig als möglich in der Wirklichkeit erreicht werden". 50 J 0hann Kaspar Bluntschli und Franz von Holtzendorff dagegen ziehen '5So z. B. bei Friedrich Christoph Dahlm/I1In, Die Politik, auf den Grund und das Maß der gegebenen Zustände zurückgeführt, 2. Auß., Leipzig 1847. '6Ludwig August 1/071 Rocho.u, Grundeiitze der Realpolitik, angewendet auf die staatlichen Zustände Deutschlande (1853), hrsg. v. Hans Ulrich Wehler, Frankfurt a. M. usw. 1972, S. 3 C.; vgl. Julius Fröbel, Theorie der Politik, als Ergebniss einer erneuerten Prüfung demokratischer Lehrmeinungen. Bd. I, Die Forderungen der Gerechtigkeit und Freiheit im State, Wien 1861, S. 17, 21 ff.; Gustav Ratzenhojer, Wesen und Zweck der Politik als Teil der Soziologie und Grundlage der StaatswissenschaCten, Bd. I, Leipzig 1893, S. 140; Albert Eberhard Friedrich Schiffle, Über den wissenschaftlichen Begriff der Politik, in: Zeitschrift C. d. gesamte Staatswissenschaft 1897, S. 579 ff., 590. H Frö6el (wie Fn. 46), S. 10; vgl. 1/071 HoltzendorfJ (wie Fn. 10), S. 146 ff. U Blunbchli (wie Fn. 10), S. 117 C.; Fröbel (wie Fn. 46), Bd. 2, Die Thatsachen der Natur, der gegenwärtigen Weltlage, als Bedingungen und Beweggründe der Politik, Wien 1864, S. VI; vgl. Heinrich 1/071 Treit.chke, Die GesellschaftswissenschaCt. Ein kritischer Versuch (1859), Halle 1927, S. 79 ff. ULudwig Gumplowicz, Sociologie und Politik, Leipzig 1892; Gustav Ratzenhojer (wie Fn. 46), S. V, 1 ff.; Abraham Eleutheropulo., Rechtsphilosophie, Soziologie und Politik, Innsbruck 1908, S. 39, 43. 5°Robert 1/071 Mohl, EncykIopädie der StaatswissenschaCten, Tübingen 1859, S. 541; weitere Nachweise bei Sellin (wie Fn. 10), S. 849.

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ausdrücklich gegen von Mohl - die Erörterung der Staatszwecke in die Aufgaben der Politik hinein 51 ; um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert ist dies dann anerkannt, so etwa bei Fritz Stier-Somlo. 52 Allerdings wäre es falsch, darin eine bloße Variante der oben dargestellten zweiten Politikauffassung zu sehen, die Theorie und Praxis, Zweck und Mittel integriert: Während bei dieser die naturrechtliche Staatslehre die Staatszwecke bestimmte, ist der naturrechtlich-rechtsphilosophische Bezug nunmehr verlorengegangen. Angesichts des empirischen Charakters des Staates verbiete es sich, ihn "aprioristisch zu konstruieren": "Die Staatslehre als solche muß abgelehnt werden."53 b) Das Naturrecht hatte im 18. Jahrhundert und zu Beginn des 19. Jahrhunderts eine Gesetzgebungstheorie entwickelt, die formale und inhaltliche Kriterien für die Umsetzung von Naturrecht in positives Recht enthielt 54; als Wissenschaft der Mittel konnte die Politik insofern nur eine bescheidene Rolle spielen. Durch den Verlust des Naturrechts als gemeinsamer Bezugsgröße wuchsen der Politik insofern Aufgaben zu, die vorher das Naturrecht erfüllt hatte. "Unzweifelhaft gehören ... die Eigenschaften, Formen und Methoden der Gesetzgebung in die Politik." 55 Darüber hinaus wird der Zusammenhang zwischen positivem Recht und Politik nicht mehr vom Naturrecht als dem gemeinsamen Ideal hergestellt; vielmehr ist die Gesetzgebung das Verbindungsglied zwischen Politik und positivem Recht: "Der Zusammenhang der Politik und des Rechtes tritt hervor in dem Akt der Gesetzgebung, welcher ein politischer Vorgang ist und gleichzeitig die Grundlegung positiv bestimmter Rechte gewährt ... ,,56 Mehr noch: Die Politik übernimmt bei Holtzendorff die Aufgabe des Naturrechts, über die Reformbedürftigkeit oder gar die Rechtmäßigkeit des geltenden Rechts zu urteilen. Wenn nämlich ein Gesetz in Widerspruch zum Zeitbewußtsein gerate, könne es zu Konflikten zwischen Recht und Politik kommen. In der Regel greife in diesem Fall die Gesetzgebung ein. Bleibe sie aber untätig, müsse die Politik das Gesetz von Rechts wegen brechen, wenn zwei Voraussetzungen erfüllt seien: 1. "die materielle Rechtswidrigkeit des Gesetzesinhalts im Verhältnis zum Rechtsbewußtsein einer bestimmten Zeitperiode" ; 2. "die Unmöglichkeit, auf dem 51 Blunt.chli (wie Fn. 10), S. 120; von HoltzendorD (wie Fn. 10), S. 9 fr., 22 f., 59 fr., 183 fr.; vgl. ferner Georg Waitz, Grundzüge der Politik nebst einzelnen Ausführungen, Kiel 1862, S. 11 fr. 52Fritz Stier-Somlo, Politik, Leipzig 1907, S. 23 f., 34 f., 125 fr.; femer Fritz van Calker, Politik als Wissenschaft, Straßburg 1898, S. 28 fr. 53 Stier-Somlo (wie Fn. 52), S. 54. 5tS. unten Fn. 92. 55Franz von HoltzendorD (wie Fn. 10), S. 12. 56Ebd., S. 107.

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Wege einer reformatorischen Gesetzgebung den materiellen Widerspruch zu beseitigen" .57

III. Politische Inhalte des Naturrechts Die Frage nach der politischen Einordnung des Naturrechts im 19. Jahrhundert ist dann einfach zu beantworten, wenn zumindest in der Naturrechtslehre der Neuzeit einheitliche politische Strukturen zu erkennen wären. Dann könnte das Naturrecht entweder durchweg als Begründung und Rechtfertigung bestehender politischer Verhältnisse oder umgekehrt als immer kritisch und oppositionell charakterisiert werden. 58 Doch sind solche Aussagen zwar in einer noch zu schreibenden Historiographie des Naturrechts zu berücksichtigen, da sie Aufschluß geben über Intentionen und Projektionen des Autors; aber für unsere historische Fragestellung führen sie nicht weiter. Franz Wie acker hat zu Recht auf die politische Pluralität des Naturrechts hingewiesen: Kritik und Rechtfertigung eines Verfassungszustandes, Absolutismus, ständische Rechte, die liberale Konzeption von Individuum, Gesellschaft und Staat fanden gleichermaßen ihre naturrechtliche Begründung. 59 Folglich ergibt sich der politische Stellenwert eines Naturrechtssystems oder einer naturrechtlichen Strömung nur dann, wenn man deren politische Aussagen in Beziehung setzt zu den politischen Strukturen der jeweiligen Zeit; dann erst lassen sich auch die politischen Funktionen des jeweiligen Naturrechts präzise herausarbeiten. 1. Hilfestellung bei der Beantwortung der Frage nach der politischen Einordnung des Naturrechts des 19. Jahrhunderts leistet ein historischer Rückblick. 6o Bis weit in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts hinein diente das deutsche Naturrecht in der Regel der theoretischen Legitimation der absolutistischen Bestrebungen der deutschen Fürsten. Das zeigt sich, um ein Beispiel anzuführen, an der Auffassung, der Herrscher sei nicht an das positive Recht gebunden. Bei J oachim Georg Darjes heißt es 1762: "Was haben Principes als Principes für Gesetze, nach welchen ihre Unternehmungen zu entscheiden? Sie leben in Libertate naturali, und sind also dem legi civili nicht unterworfen. Ja wenn ein Fürst einen gewissen 57Ebd., S. 132 fr., insbes. 134. 58Vgl. etwa einerseits Walter Schön/eld, Grundlegung der Rechtswissenschaft, Stuttgart u. Köln 1951, S. 287; andererseits Reinhold Ari&, History of Political Thought in Gennany from 1789 to 1815, New York 1965, S. 113 f. 59Franz Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2. Aufl., Göttingen 1967, S. 257 fr.; ähnlich Stefan Breuer, Sozialgeschichte des Naturrechts, Opladen 1983, S. 2 f. 6 0 Zu diesem (1.) und zum folgenden Abschnitt (2.): Diethelm Klippel, Politische Freiheit und Freiheitsrechte im deutschen Naturrecht des 18. Jahrhunderts, Paderborn 1976.

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Legern in seinen Landen gegeben, ist er rur seine Person diesem Gesetze nicht unterworfen. Wir können demnach ihre Streitigkeiten nicht anders entscheiden, als durch die leges, die per ipsam rei notionem et naturam vestgesetzet werden."61 Der Herrscher steht also "supra leges civiles", er ist legibus solutus. Als Begründung dafür wurde immer wieder angeführt, niemand - also auch nicht der Herrscher - könne sich selbst Gesetze geben, da niemand sich selbst verpflichten könne. 62 Darüber hinaus entwickelte das Naturrecht kaum herrschaftseinschränkende Grundsätze. Insbesondere formulierte es keine effektiven rechtlichen Bindungen des Herrschers gegenüber den Untertanen. Als Ansatzpunkt zur Begrenzung von Herrschermacht wäre etwa die Staatszwecklehre in Betracht gekommen; gerade damit aber, des näheren mit den Gedanken der salus publica, der Glückseligkeit und der Policey wird die Ausweitung der Interventionsmöglichkeiten des Herrschers auch über die Schranken entgegenstehender ständischer Rechte hinaus begründet. Zudem legt der Herrscher selbst den Umfang der salus publica fest; so heißt es 1726 bei Justus Henning Boehmer: "In quo autem salus reipubl. sita sit, de eo quidem naturaliter ipsi imperantes iudicant."63 Demgemäß steht dem Herrscher die Befugnis zu, über das Ausmaß der bürgerlichen Freiheit der Untertanen zu entscheiden. Bei den verbleibenden naturrechtlichen Pflichten des Herrschers handelt es sich zudem meist nicht um Rechtspflichten, sondern in der Terminologie des Naturrechts nur um unvollkommene, also moralische Pflichten. 2. In den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts und zunehmend ab etwa 1790 trat ein grundlegender Wandel in der politischen Stoßrichtung des deutschen Naturrechts ein. Nunmehr wandte es sich in der Regel gegen die absolutistischen Auffassungen des älteren deutschen Naturrechts der Aufklärung. So etwa wurde die Bindung des Herrschers an die positiven Gesetze gefordert: Der Fürst sei verpflichtet, "die dem Volke gegebenen Gesetze selbst zu befolgen". 64 Das Naturrecht selbst wird in der Weise umgedacht, daß es Einschränkungen staatlicher Herrschaft entgegen absolutistischer Herrschaftsstrukturen oder -ambitionen enthält. Dies geschieht vor allem durch die Entwicklung und Entfaltung der Theorie 61 Joachim Georg Darje6, Discours über sein Natur- und Völkerrecht, Bd. 1, Jena 1762, S. 66. 62Näher dazu Diethehn Klippei, Naturrecht als politische Theorie. Zur politischen Bedeutung des deutschen Naturrechts 1m 18. und 19. Jahrhundert, in: Aufklärung als Politisierung - Politisierung der Aufklärung, hrsg. v. Hans Erich Bödeker u. Ulrich Herrmann, Hamburg 1987, S. 267 fr., 271 f. 63 Justus Henning Boehmer, Int"roductio in ius publicum universale, 2. Aufl., Halle 1726, S. 293. 64Leopold Friedrich Freder6dorD, System des Rechts der Natur, auf bürgerliche Gesellschaften, Gesetzgebung und das Völkerrecht angewandt, Braunschweig 1790, S. 521.

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der Menschenrechte. Das Naturrecht, das sich selbst jetzt treffend als "Wissenschaft der Rechte des Menschen" bezeichnet, entwirft mehr oder weniger umfangreiche Kataloge von Rechten des Individuums, zu denen u. a. persönliche Freiheit, Religions- und Gewissensfreiheit, Meinungsund Pressefreiheit, Handels-, Gewerbe- und Eigentumsfreiheit gehören. Die Rechte werden dem Staat als Norm für sein Handeln entgegengesetzt; nach Johann Heinrich Abicht etwa handelt es sich um "natürliche und erwiesene Rechte, die keiner Veränderung und keinem Widerspruche unterworfen sind und welche sowohl eine gültige Norm für alle Gerichtshöfe seyn können und seyn müssen als auch ein sicherer Prüfstein für alle vorgeblichen Rechte und Ansprüche" .65 Darüber hinaus werden auch andere Begriffe und Konzeptionen, die bisher der theoretischen Legitimation der absolutistischen Bestrebungen im Ancien regime dienten, im Sinne einer liberalen politischen Theorie verändert. So z. B. wird die Glückseligkeit als naturrechtsgemäßer Staatszweck abgelehnt; der Staat gilt als "Sicherheitsanstalt unter Gesetzen", dessen Zweck der "Schutz des Gebrauchs der veräußerlichen und unveräußerlichen Rechte" sei. 66 Insgesamt kann dieses Naturrecht als liberale politische Theorie aufgefaßt werden. 3. Die theoretischen Konzeptionen und politischen Forderungen dieses liberalen Naturrechts finden sich auch im 19. Jahrhundert - und zwar ebenfalls in Naturrechtslehren. Die vorhandene Kontinuität ergibt sich schon daraus, daß einige der um die Jahrhundertwende erschienenen Naturrechtslehrbücher in den folgenden Jahrzehnten Neuauflagen erlebten. 57 Auch die Zeitgenossen stellten die Verbindung zwischen dem Liberalismus des 19. Jahrhunderts und dem Naturrecht heraus, so etwa Leopold August Warnkönig: "Der deutsche Liberalismus stützt sich einerseits auf Frankreich, andererseits auf die Prinzipien des ewigen Vernunftrechts."68 Die Indizien für die Kontinuität des liberalen Naturrechts werden durch die politischen Inhalte vieler Naturrechtslehrbücher bestätigt. Denn ein großer Teil von Naturrecht und Rechtsphilosophie im 19. Jahrhundert 65 Johann Heinrich Abicht, Neues System eines aus der Menschheit entwikelten Naturrechts, Bayreuth 1192, S. 188 f. 66Johann Adam Bergk, Untersuchungen aus dem Natur-, Staats- und Völkerrechte, Leipzig 1196, S. 26. 67Z.B. Johann Christoph HoD6auer, Naturrecht aus dem Begriffe des Rechts entwickelt, Halle 1193 (4. Aufl., Merseburg 1825); Karl Heinrich Grol, Lehrbuch der philosophischen Rechtswissenschaft oder des Naturrechts, Tübingen 1802 (6. AuH., Stuttgart u. Tübingen 1841); Anton Bauer, Lehrbuch des Naturrechts, Marburg 1808 (3. Aufl., Göttingen 1825). 68 Warnkönig, (wie Fn. 13), S. 148; ähnlich Röder (wie Fn. 14), S. XI; vgl. Joseph Gambihler, Philosophie und Politik des Liberalismus, Niirnberg 1831.

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setzte insbesondere die liberale Theorie der Freiheitsrechte fort. 69 Ähnlich wie am Ende des 18. Jahrhunderts wurden - meist auf der Grundlage der Lehre Kants, daß der Mensch "Zweck an sich selbst" sei - ein "Urrecht" oder mehrere "Urrechte" als angeborene, unveräußerliche Menschenrechte deduziert, darunter häufig auch das "Recht der Persönlichkeit" .70 Aus den Urrechten wiederum wurden weitere Freiheitsrechte abgeleitet, die die Interessen des Individuums und der Gesellschaft gegen den Staat schützen sollen. Diese Tradition blieb auch über den Vormärz hinaus bestehen: Noch 1859 stellte Friedrich Adolph Schilling in seinem "Lehrbuch des Naturrechts" Kataloge von Staatsbürger- und Menschenrechten auf7 l ; der von Friedrich Julius Stahl gerügte Mißbrauch der Menschenrechte in der Theorie der Französischen Revolution könne seiner Ansicht nach "keinen Grund abgeben, das Dasein dieser Rechte selbst in Zweifel zu ziehen, oder gar wegzuleugnen, wie es von Manchen geschieht" .72 Neben der Theorie der Freiheitsrechte wurden, wie zu erwarten, zahlreiche weitere typisch liberale Auffassungen im Vormärz naturrecht lieh begründet. So etwa entwickelte die Staatszwecklehre Kriterien zur Einschränkung staatlicher Tätigkeit im liberalen Sinn; desgleichen wurden Wahlrecht, Repräsentation, Verfassung, Gewaltenteilung erörtert und gefordert - um nur einige Themen zu nennen. All dies braucht nicht im einzelnen nachgewiesen zu werden; es mag der Hinweis auf das "Lehrbuch des Vernunftrechts und der Staatswissensehaften" von earl von Rotteck genügen. 73 Allerdings verzweigen sich die politischen Inhalte im einzelnen, so daß die Lehre von den Menschen- und Bürgerrechten noch am ehesten der kleinste gemeinsame Nenner des Naturrechts darstellt. 4. Freilich blieb dieses liberale Naturrecht von Anfang an nicht unangefochten. Die politische Kontinuität zwischen dem Naturrecht am Ende des 18. Jahrhunderts und dem Naturrecht des Vormärz spiegelt sich daher auch in der Kontinuität der Angriffe gegen seine Grundlagen und Inhalte. 74 69 Dazu

und zwn Folgenden Klippel (wie Fn. 62), S. 218. 70 Belege bei Klippel (wie Fn. 62), S. 218; ders., Persönlichkeit und Freiheit. Das "Recht der Persönlichkeit" in der Entwicklung der Freiheitsrechte im 18. und 19. Jahrhundert, in: Grund- und Freiheitsrechte von der ständischen zur spätbfugerlichen Gesellschaft, hrsg. v. GÜRter Birtach, Göttingen 1981, S. 269 H., 288 f. 71 Friedrich Adolf Schilling, Lehrbuch des Naturrechts oder der philosophischen Rechtswissenschaft, 2. Abt., Leipzig 1863, S. 243 H.; Cerner: August Geyer, Geschichte und System der Rechtsphilosophie in Grundzügen, lnnsbruck 1863, S. 131 H.; Hermann Ulrici, Grundzüge der praktischen Philosophie, Naturrecht, Ethik und Aesthetik. Bd. 1, Das Naturrecht, Leipzig 1813, S. 234 H.; Heinrich Zoepjl, Grundriß zu Vorlesungen über Rechtsphilosophie (Naturrecht), 2. Auß., Berlin 1819, S. 88. 72 Schilling (wie Fn. 11), 1. Abt., Leipzig 1859, S. 66 C. 73Carl von Rotteck, Lehrbuch des Vernunftrechts und der StaatswissenschaCten, 4 Bde., Stuttgart 1829-1835 (Bd. 1 u. 2 auch in 2. Auß., Stuttgart 1840). HZwn Folgenden Klippel (wie Fn. 62), S. 216 C., 219 C.; ders., Die Theorie der

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Sowohl in der Zeit während der Französischen Revolution als auch im Vormärz wurde das Naturrecht aus politischen Gründen inhaltlich angegriffen und in seiner Verbreitung gefahrdet. Inhaltlich galten die Angriffe vor allem der Forderung nach uneingeschränkter Geltung der Menschenrechte im Staat und dem Anspruch eines großen Teils des Naturrechts, höherrangiges Recht und allgemein gültig zu sein. Darüber hinaus wurde das Naturrecht als Auslöser und Träger der Französischen Revolution dargestellt, so etwa von August Wilhelm Rehberg und Friedrich Gentz. Bereits 1791 wird Jurastudenten demzufolge geraten, "mit dem Naturrecht auf Universitäten sich entweder gar nicht zu befassen, oder es nur bey einem Juristen zu hören, auf dessen Anhängigkeit an das positive Recht sie ... sicher rechnen" könnten 75; nach Karl Ignaz Wedekind wird aus politischen Gründen die Aufue bung der Naturrechtslehrstühle an den Uni versitäten erwogen. 76 Die Angriffe setzten sich nach der Jahrhundertwende fort; Carl von Rotteck etwa berichtet 1835, daß sein "Lehrbuch des Vernunftrechts" von der Regierung eines großen deutschen Staates verboten worden sei. 77 5. Die Angriffe blieben nicht ohne Auswirkungen auf Naturrecht und Rechtsphilosophie. Sie führten dazu, daß sich die Disziplin u. a. hinsichtlich Grundlagen, Methoden und Inhalten in eine größere Zahl von Richtungen als vorher aufspaltete; in der zeitgenössischen Literatur zeigt sich das, wie erwähnt, in der Unterscheidung einzelner naturrechtlich-rechtsphilosophischer Schulen. Zwei Veränderungen erscheinen als besonders wichtig für unser Thema: die Reduzierung der Reichweite des Naturrechts und die entstehende politische Vielfalt. Zu betonen ist allerdings, daß sich auch das vorher skizzierte Naturrecht fortsetzt, das in der Regel den Anspruch erhebt, allgemein gültig zu sein und dem positiven Recht als oberste Richtschnur zu dienen. 7s Freiheitsrechte am Ende des 18. Jahrhunderts in Deutschland, in: Rechtsgeschichte in den beiden deutschen Staaten (1988-1990), hrsg. v. Heinz Mohnhaupt, Frankfurt a. M. 1991, S. 348 ff., 376 ff. 75Vgl. Martin Eh/era Staats wissenschaftliche Aufsätze, Kiel 1791, S. 14 f. 76Karl Ignaz Wedekind, Kurze Systematische Darstellung des Allgemeinen Staatsrechtes ... , Frankfurt u. Leipzig 1794, S. 10. 77 Rotteck (wie Fn. 73), Bd. 4, Lehrbuch der ökonomischen Politik, Stuttgart 1835, S.479. 78Stellvertretend für viele: Rot/eck (wie Fn. 73), Bd. 1, Allgemeine Einleitung in das Vernunftrecht. Natürliches Privatrecht, 2. Auß., Stuttgart 1840, S. 65 ff.; Bd. 2, Allgemeine Staatslehre, 2. Auß., Stuttgart 1840, S. 43, 78: "Das Staatsrecht kann nach seinen Haupt-Gesezen nie ein anderes als das natürliche, d. h. rein vernünftige, seyn. Das positive, in so fern es jenem widerstreitet, ist nur faktische Behauptung, nicht aber Recht"; Wilhelm Traugott Krug, Dikäologie oder philosophische Rechtslehre, Wien 1818, S. 29; earl Welcker, Allgemeine encyklopädische Uebersicht der Staatswissenschaft und ihrer Theile, in: Staatslexikon (wie Fn. 30), Bd. 1, Altona 1834, S. 1 ff., 18.

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a) Gerade angesichts der vorgebrachten Einwände lag es nahe, den Geltungsanspruch des Naturrechts zu reduzieren. Diese Entwicklung zeigt sich schon an dem zunehmend gebrauchten Begriff "Rechtsphilosophie" : In ihm drückt sich die Reduzierung des naturrechtlichen Anspruchs der Vorrangigkeit gegenüber dem positiven Recht aus; der reduzierte Geltungsanspruch erklärt daher jedenfalls teilweise die festgestellte terminologische Verschiebung von "Naturrecht" zu "Rechtsphilosophie" . Die Rechtsphilosophie betonte dementsprechend zunehmend die Trennungslinie zwischen ihr und dem positiven Recht. Die Veränderung wird von Leopold August Warnkönig 1861 im Rückblick anschaulich beschrieben: "Man darf es sagen, das Naturrecht starb, und ging nur noch in der Rechtsphilosophie als Geist umher! von apriori als Vernunftgesetz formulirten, ohne Staatssanction, geltenden Rechtssätzen konnte nach den übereinstimmenden Ansichten fast Aller nicht mehr die Rede seyn: das Naturrecht als Rechtsphil0sophie war nur die Lehre de lege ferenda!"79 Das Naturrecht sollte also nicht mehr Lücken des positiven Rechts füllen oder, wie es immer wieder hieß, als "Probierstein" des positiven Rechts fungieren; "nur der Theorie der Gesetzgebung muß es als Grundlage dienen" .80 b) Auch hinsichtlich explizit politischer Aussagen nahm im Vormärz die Vielfalt naturrechtlich-rechtsphilosophischer Richtungen zu. Die Unterscheidung von politischen Strömungen wird dadurch erschwert, daß die Richtungen nicht identisch sind mit den einzelnen naturrechtlich-rechtsphilosophischen Schulen. Insgesamt sind demokratische, liberale - von altständischen bis konstitutionellen - und konservative Auffassungen naturrechtlich begründet worden81 ; selbst ein von sozialistischen Gedanken beeinflußtes Naturrechtslehrbuch erschien 1848.82 Vor allem die konservative Richtung trug zwar zur Differenzierung des politischen Bildes bei; aber es gelang ihr nicht, die Rechtsphilosophie politisch zu besetzen. Allerdings diskreditierte gerade die Vielfalt der Richtungen, die Anspruch auf Wahrheit erhoben, naturrechtliches Denken83 ; auch hierin ist ein Grund für die terminologische Verschiebung von "Naturrecht" zu "Rechtsphilosophie" zu erblicken. 79 Warnkönig, (wie Fn. 14), S. 241 ff., 244 f. 80Friedrich Kappier, Handbuch der Literatur des Criminalrechts und dessen philosophischer und medizinischer Hülfswissenschaften, Stuttgart 1838, S. 94. - V gl. Jan Schröder, "Naturrecht bricht positives Recht" in der Rechtstheorie des 18. Jahrhunderts? In: Staat, Kirche, Wissenschaft in einer pluralistischen Gesellschaft, Festschrift für Paul Mikat, Berlin 1989, S. 419 ff., 432. 81 Vgl. oben Fn. 59. 82Franz Fi6cher, Naturrecht und natürliche Staatslehre, Gießen 1848. 83 Hinsichtlich der Philosophie im allgemeinen, deren Systemdenken aus ähnlichen Gründen in Mißkredit geriet, vgl. Klaus Christian Köhnke, Entstehung und Aufstieg des Neukantianismus. Die deutsche Universitätsphilosophie zwischen Idealismus und Positivismus, Frankfurt a. M. 1986, S. 109 ff.

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6. Damit nähern wir uns einer terra incognita: nämlich dem Naturrecht und der Rechtsphilosophie seit etwa 1850. Vieles spricht dafür, daß die Jahrhundertmitte auch in der Entwicklung der Rechtsphilosophie eine Zäsur bildet: Zum einen mußte es sich auswirken, daß der politische Liberalismus des Vormärz, der ja zu einem großen Teil naturrechtlich argumentiert hatte, sich nicht durchsetzen konnte. Zum andern - und damit in Zusammenhang - zeigte sich auch in der allgemeinen Philosophie um die Jahrhundertmitte ein solcher Einschnitt, den Klaus Christian Köhnke beschrieben hatll4 : Die Philosophie geriet unter gravierende äußere und innere Beschränkungen. Ihr wurde die politische Polarisierung der Revolutionszeit angelastet. Dementsprechend unterlag die Philosophie staatlichen Repressionen, auf die sie ihrerseits mit einer Selbstbegrenzung auf grundsätzliche Fragen reagierte, also politische und soziale Themen weitgehend ausklammerte. Einige dieser Tendenzen lassen sich auch in der Rechtsphilosophie feststellen. So etwa gewannen Bestrebungen an Boden, die die bisherige Rechtsphilosophie innerhalb der Rechtswissenschaft auf eine allgemeine Rechtslehre oder eine Philosophie des positiven Rechts reduzieren wollten. S5 Daneben läßt sich beobachten, was Rainer Schröder etwas mißverständlich als "Ethisierung der Rechtswissenschaft" bezeichnet hat. s6 Es handelt sich nämlich nicht um die "Wiedereinführung der Ethik in das Recht"S7; vielmehr wurden Rechtsphilosophie und Naturrecht zunehmend wieder als Teil der Ethik angesehen und damit aus der Rechtswissenschaft ausgegrenzt. 88 In der "Ethisierung" in diesem Sinne zeigt sich ein weiterer Funktionsverlust, eine noch weiter als vorher gehende Reduzierung der Reichweite des Naturrechts und der Rechtsphilosophie. Dennoch behielten Naturrecht 8{ K öhnke (wie Fn. 83), S. 121 ff.i Köhnke geht allerdings nicht auf die Rechtsphil0sophie ein. 85Vgl. Adolf Merke!, Über das Verhältnis der Rechtsphilosophie zur "positiven" Rechtswissenschaft und zum allgemeinen Theil derselben, in: Zeitschrift für Privatund öffentliches Recht der Gegenwart 1 (1874), S. 1 ff.i Bergbohm (wie Fn. 16), S. 26 f., 35,91,96, 104i "Philosophie des positiven Rechts" bereits bei Gustav Hugo, Lehrbuch des Naturrechts als einer Philosophie des positiven Rechts, 2. Auß., Berlin 1799. 86Rainer Schröder, Abschaffung oder Reform des Erbrechts, Ebelsbach 1981, S. 474. 87So aber Schröder (wie Fn. 86), S. 473. 88Vgl. z.B. Adolf Trendelenburg, Naturrecht auf dem Grunde der Ethik, Leipzig 1860 (2. Aufl., Leipzig 1868)i Wilhelm Arnold, Cultur und Rechtsleben, Berlin 1865, S. XXII: Arnold begrüßt das neue Naturrecht Trendelenburgs, das in "Gegensatz zu der abstracten und hohlen Philosophie früherer Tage" stehe und deshalb von Bedeutung sei, weil "es den Rechtsbegriff wieder auf seine sittlichen Grundlagen zurückführt"; Geller (wie Fn. 71), S. 3, 110 ff.i Julius Hermann 110n Kirchmann, Die Grundbegriffe des Rechts und der Moral als Einleitung in das Studium rechtsphilosophischer Werke, Berlin 1869, S. V i.i Ulrici (wie Fn. 71), S. VIi Friedrich Pauben, System der Ethik mit einem Umriß der Staats- und Gesellschaftslehre, 2 Bde., Berlin 1889 (zahlreiche weitere Auflagen, z. B. 5. Aufl., Berlin 1900).

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und Rechtsphilosophie ihren Charakter als Diskussionsforum für die Formulierung von Idealen der sozialen und politischen Fragen der Zeit. Der weiter vorhandene, aber reduzierte Anspruch des Naturrechts zeigt sich etwa bei Hermann Ulrici 89 : "Das Naturrecht ... hat ... nicht der Gesetzgebung, der Justiz und der Regierung Vorschriften zu machen, nicht in rein praktische Fragen, weder der Rechtspflege noch der Verwaltung, sich einzumischen - was es oft genug sich angemaßt hat. Auch seine alleinige Aufgabe ist, das Rechtsbewußtseyn des Volks aufzuhellen, zu festigen, zu berichtigen, und so zur Fortbildung des Rechts beizutragen."

IV. Politische Funktionen des Naturrechts im 19. Jahrhundert Wenn das so häufig totgesagte Naturrecht ebenso wie die Rechtsphil0sophie während des ganzen 19. Jahrhunderts an den Universitäten gelehrt wurde und auch in einer unvermutet großen Zahl von Publikationen weiterlebte, so drängt sich eine Fülle von Fragen auf. Einige Andeutungen über eine dreifache Modernisierungsleistung von Naturrecht und Rechtsphil0sophie im 19. Jahrhundert sollen im folgenden eine vorläufige Antwort auf die Frage nach den politischen Funktionen geben. Die Vorläufigkeit der Antwort ergibt sich schon daraus, daß der größte Teil der Quellen bisher unausgewertet ist, so daß eine gründliche Erforschung insbesondere der deutschen politischen Theorie des 19. Jahrhunderts noch zahlreiche Überraschungen zutage fordern kann. 1. Die erste Modernisierungsleistung des deutschen Naturrechts am Ende des 18. Jahrhunderts und großer Teile des Naturrechts des Vormärz besteht darin, daß hier die politischen Theorien und Ereignisse der Zeit, insbesondere der Französischen Revolution, diskutiert, verarbeitet und z. T. auch rezipiert wurden. Liberales und demokratisches Denken über Recht und Staat wurden in Deutschland zunächst naturrechtlich propagiert, systematisiert und modifiziert. Diese Modernisierungsleistung geriet freilich in Vergessenheit oder wurde bestritten, so daß dieses Naturrecht - ebenso wie die politischen Entwürfe der sog. deutschen Jakobiner - zu den verschütteten politischen Traditionen in Deutschland gehört: Nicht zuletzt durch die Gegenüberstellung von positiv zu bewertenden (preußischen) Reformen und negativ zu bewertender (französischer) Revolution wurde es politisch als "revolutionär" diskreditiert 90 ; methodisch wurde ihm historisches Denken entgegenge89 Ulrici (wie Fn. 71), S. Vj vgl. Kirchma'n'n (wie Fn. 88), S. 174 f.: Die Rechtsphilosophie habe nur zu beobachten, nicht zu kritisieren. 90VgI. etwa Georg Grupp, Freiherr v. Hertling über Naturrecht und Politik, in:

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setzt. Als "modern" für die Entwicklung im 19. Jahrhundert mußte daher etwa die historisch fundierte Staatslehre erscheinen; das Naturrecht des Vormärz dagegen wurde als veraltet angesehen. 91 Überdies entsprach diese Sichtweise einer polarisierenden und auf einen deutschen Sonderweg fixierten Geschichtsschreibung, die sich daher mit den genannten naturrechtlichen Traditionen nicht oder allenfalls negativ beschäftigte. 2. Obwohl Naturrecht und Rechtsphilosophie ihre Rolle als Leitwissensehaft für das Denken über Recht und Staat um die Jahrhundertmitte zunehmend verloren, erfüllten sie während des ganzen 19. Jahrhunderts eine wichtige Funktion innerhalb der Rechtswissenschaft. Sie stellten nämlich ein Diskussionsforum zur Verfügung, auf dem die theoretische Legitimation bestehenden Rechts grundsätzlich diskutiert wurde und die Rechtswissenschaft soziale und wirtschaftliche Veränderungen zur Kenntnis nehmen, erörtern und das theoretische Rüstzeug zu deren rechtlicher Bewältigung entwickeln konnte. Damit bildeten Naturrecht und Rechtsphilosophie sozusagen das Gelenk zwischen dem positiven Recht und dessen Wissenschaft einerseits und sozialen, wirtschaftlichen und politischen Verhältnissen, Veränderungen und Theorien andererseits. Insbesondere erfüllten Naturrecht und Rechtsphilosophie damit eine Komplementärfunktion gegenüber der Wissenschaft des positiven Rechts, und das heißt im 19. Jahrhundert im wesentlichen gegenüber der historischen Rechtsschule. Diese Komplementärfunktion zeigte sich vor allem auf dem Gebiet des Privatrechts in zweifacher Beziehung, nämlich zum Ausgleich von zwei Defiziten der historischen Rechtsschule. Erstens stellte die historische Schule schon wegen ihres theoretischen Ausgangspunktes keine Hilfen zur theoretischen und praktischen Erfassung staatlicher Gesetzgebung zur Verfügung. Naturrecht und Rechtsphilosophie dagegen konnten gerade hier seit dem 18. Jahrhundert eine reichhaltige, auch im 19. Jahrhundert weiterentwickelte Literatur anbieten; sie fungieren also als Gesetzgebungstheorie. 92 Zweitens zeigte sich, daß insbesondere die PanHistorisch-politische Blätter für das katholische Deutschland 121 (1898), S. 187 H., 190 f.: "Das Naturrecht haben die neueren Juristen nicht nur deshalb verworfen, weil es zu unbestimmt ist und keinen Rechtscharakter hat, sondern auch deshalb, weil man in ihm ... einen Ausgangspunkt revolutionärer Bestrebungen vermuthete ... Daß diese Besorgniß ganz und gar unbegründet sei, wer wollte das behaupten?" Insbesondere in der Französischen Revolution sei das Naturrecht "in den Händen der Revolutionsparteien ein gefährliches Werkzeug" gewesen. 9lZ. B. Gustav Cohn, Politik und Staatswissenschaft, in: Deutsche Rundschau 43 (1885), S. 351 H.; 358 f. 92Vgl. z. B. den Art. "Gesetzgebung", in: Wilhelm Traugott Krug, Allgemeines Handwörterbuch der philosophischen Wissenschaften, 2. AuH., Bd. 2, Leipzig 1833, S. 246 H. (mit Nachw.); s. ferner oben Fn. 80. - Dementsprechend wird Rechtsphilos0phie gelegentlich als "Philosophie der Gesetzgebung" verstanden, so in der Zeitschrift Hermes, 1822/23, S. 349; bei der Rechtsphilosophie hole sich der Gesetzgeber Rat,

Naturrecht und Politik im Deutschland des 19. Jahrhunderts

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dektistik gelegentlich nur schwer in der Lage war, neue Rechtsfiguren zu entwickeln und in ihr System zu integrieren, die bestimmte wirtschaftliche und soziale Entwicklungen des 19. Jahrhunderts reflektierten. So z. B. gelang es ihr bis in die letzten beiden Jahrzehnte hinein nicht, Rechte wie das Urheber-, Patent- oder Warenzeichenrecht adäquat zu begründen und zu systematisieren. Desgleichen ist der Anteil der historischen Rechtsschule an der rechtlichen Erfassung des industriellen Lohnarbeitsverhältnisses und an der Entwicklung des modernen Arbeitsrechts gering. Gerade Naturrecht und Rechtsphilosophie des 19. Jahrhunderts waren es aber, in denen die theoretische Diskussion um den Schutz des sog. geistigen Eigentums und um die rechtliche Erfassung und Ausgestaltung des Arbeitsrechts geführt wurde. 93 3. Gegen Ende des Jahrhunderts gingen diese Funktionen freilich zurück. Eine Rechtsphilosophie, die sich als "Allgemeiner Teil" der Rechtswissenschaft verstand, konnte zwar vom Gesetzespositivismus akzeptiert werden; gleichzeitig verzichtete sie aber weitgehend auf die Diskussion oder Formulierung rechtlicher Gedanken, die zum positiven Recht in Gegensatz geraten, also rechtspolitisch wirken konnten. Auch eine "ethisierte" Rechtsphilosophie vermochte zwar weiterhin den Kontakt zu neuen wirtschaftlichen, sozialen und wissenschaftlichen Entwicklungen aufrechtzuerhalten, war aber in ihrer Reichweite innerhalb der Rechtswissenschaft begrenzt und trat darüber hinaus in Konkurrenz zu zahlreichen anderen Wissenschaften und Wissenschaftsdisziplinen, die mit ihr das Schicksal teilten, als gleichermaßen unverbindlich für die Wissenschaft vom positiven Recht betrachtet zu werden. Zu diesen Wissenschaftsdisziplinen gesellte sich geso H. M. Och, Das Verhältniß des natürlichen Rechts zum positiven, vom ethischen Standpunkte aus, Würzburg 1847, S. 92. hn einzelnen ergibt sich der angedeutete Zusammenhang aus zahlreichen Titeln rechtsphilosophischer Lehrbücher und aus zahlreichen Veröffentlichungen speziell zur Gesetzgebung, vgl. nur Karl Friedrich Wilhelm Geratiicker, Systematische Darstellung der Gesetzgebungskunst, sowohl nach ihren allgemeinen Prinzipien, als nach den ... der Civil-, Criminal-, Polizei-, Prozeß-, Finanz, Militär-, Kirchen- und Constitutions-Gesetzgebung eigenthümlichen Grundsätzen, Frankfurt a. M. 1837. - Vgl. auch Jan Schröder, Das Verhältnis von Rechtsdogmatik und Gesetzgebung in der neuzeitlichen Rechtsgeschichte (am Beispiel des Privatrechts), in: Gesetzgebung und Dogmatik, hrsg. v. Okko Behrend. u. Wolfram Henckel, Göttingen 1989, S. 37 ff., 45 ff., 50 f. 93Zu diesen Zusammenhängen Barbara Dö/emeyer u. Diethelm KlippeI, Der Beitrag der deutschen Rechtswissenschaft zur Theorie des gewerblichen Rechtsschutzes und Urheberrechts, in: Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht in Deutschland. Festschrift zum hundertjährigen Bestehen der Deutschen Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht und ihrer Zeitschrift, Bd. 1, Weinheim 1991, S. 185 ff.; Diethelm KlippeI, Der Lohnarbeitsvertrag in Naturrecht und Rechtsphilosophie des 18. und 19. Jahrhunderts, in: Geschichtliche Rechtswissenschaft: Ars tradendo innovandoque aequitatem sectandi. Festschrift für Alfred Söllner, Gießen 1990, S. 162 ff.

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gen Ende des 19. Jahrhunderts auch die Rechtsgeschichte, so daß sich die Komplementärfunktion von Rechtsphilosophie und geschichtlicher Rechtswissenschaft auch darin zeigen, daß sie beide gleichzeitig ihre Bedeutung für das positive Recht und dessen Wissenschaft verloren. JosefSchein etwa lehnt 1889 insofern zusammen mit der Rechtsphilosophie auch die Brauchbarkeit der Rechtsgeschichte ab: "Von der Rechtsgeschichte können wir ... keine große Bereicherung unseres rechts wissenschaftlichen Wissens erwarten ... "94

94Josef Schein, Unsere Rechtsphilosophie und Jurisprudenz. Eine kritische Studie, Berlin 1889, S. 120. - Einen weiterführenden Überblick über die Entwicklung von Naturrecht und Rechtsphilosophie im 19. Jahrhundert gibt nunmehr - unter dem Blickwinkel der Kant-Rezeption - Joachim Rickert, Kant-Rezeption in juristischer und politischer Theorie (Naturrecht, Rechtsphilosophie, Staatslehre, Politik) des 19. Jahrhunderts, in: John Locke und/and Immanuel Kant, hrsg. v. Martyn P. Thomp6on, Berlin 1991, S. 144 ff.

Constitutional Reform vs Political Revolution: Jeremy Bentham's Critique of Natural Rights von P. J. Kelly The language of natural rights is 'terrorist language'l, so wrote Jeremy Bentham in 1796 in a work that was to become known as 'Anarchical Fallacies'.2 In a world whose political architecture is largely shaped by the language of rights, especially since the adoption of the Universal Declaration of Human Rights by all members of the United Nations Organization in 1948, it is perhaps difficult to fully appreciate the force of a critique of natural rights which is so scathing and uncompromising. Yet Bentham could hardly contain hirnself when writing ab out natural rights: 'the vilest of nonsense, or the worst of treasons'3, 'bawling on paper'4, 'nonsense upon stilts's 'Out of one foolish word may start a thousand daggers'6, almost every second line of 'Anarchical Fallacies' contains some quotable phrase or passage exemplifying the fury that poured from Bentham's pen when he contemplated the 'Declaration of the Rights of Man and the Citizen' of 1789. To explain the intemperance of Bentham's attack on natural rights one might wish to focus on his attempts to involve hirnself in, and contribute to, the process of the French Revolution, and his increasing disappointment at the wrong turning he thought it was taking. 7 However, it is not my intention to provide any justification for the rhetoric of Bentham's 'Anarchical Fallacies', instead I propose to range more widely among his writings to develop the full significance of his challenge to a rights-based political morality. 1 'Anarcbical Fallacies', in: The Works of Jeremy Bentbam Published under the Supervision of bis Executor, John Bowring, (11 vols., Edinburgh, 1838-43), ii. 501. Bentham bad originally intended to entitle tbis work: No French Nonsense: or A Cross Buttock for the first Declaration of Rights: together with a kick of the A for the Second ... by a practioner of the Old English Art of SeH Defence. Bentham MSS, University College London, Box 108, fo. 114. 2 Bowring, Ü. 489-534. 3 Bowring, Ü. 500. { Bowring, Ü. 494. 5 Bowring, Ü. 501. 6 Bowring, Ü. 497. 7See J.H. Burnß, 'Bentham and the French Revolution', Transactions of the Royal Historical Society, 16 (1966), 95-114.

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'Anarehieal Fallaeies' is an important work beeause it brings together a number of themes developed throughout Bentham's writings whieh are then woven into a sustained attaek on the 'Declaration' of 1789, however the most signifieant eomponents of his eritique of natural rights are best found by looking beyond this work. In what follows I will foeus on his analysis of the eoneept of right, his theory of distributive justiee developed in his Civil Law writings and his mature eonstitutional theory. Little attempt will be made to loeate Bentham's arguments in emerging or transforming politieal voeabularies. This is not however, simply a symptom of a naive attempt to trawl Bentham's voluminous writings in order to 'resolve' some eontemporary politieal dilemma, rather it is a eonsequenee of the fact that mueh of Bentham's most important work simply did not make any impact in his lifetime or even among the sueeeeding generation of Philosophie Radieals. There are a number of reasons for this. Firstly, despite Bentham's practiee of writing more than one thousand words per day he was almost ineapable of seeing any of his work to eompletion. Thus the vast majority of his writings still await publieation as part of the new Collected Works 0/ Jeremy Bentham currently in preparation. s Seeondly, even though some of Bentham's work was published during his lifetime (though only a small proportion ofhis intelleetual output), as J. B. Schneewind has argued, his reputation was prineipally that of areformer and not a philosopher, and when he began to be eonsidered as a philosopher this was largely through the influenee of J. S. Mill. 9 Bentham eontributes to later nineteenth-eentury debates only through the refraeting medium of J. S. Mill's own moral and politieal theory. And thirdly, by the time Bentham's thought began to be taken seriously in its own right utilitarianism as a substantive theory of politieal morality had taken on a uniform identity whieh did not allow much seope for the politieal and legal eontext in whieh Bentham developed his own peeuliar version of the doetrine. It remains a eommonplaee of Bentham scholarship to derive his mature utilitarian theory from one or two early published works such as A Fragment on Government (1776) and An Introduction to the Principles 0/ Morals and Legislation (1789)10, as if Bentham was engaged in a eonversation with either J. S. Mill or Henry Sidgwiek. 8The new Collected Works of Jeremy Bentham, eds. J. H. Burns, J. R. Dinwiddy, and F. Rosen, London and Oxford, 1969 -. The Bentham MSS Collection at University College London contains approx 70 000 folios, much of which is being prepared for publication by the Bentham Project at UCL. 9 J. B. Schneewind, Sidgwick's Ethics and Victorian Moral Philosophy, Oxford, 1977, pp. 129-30. lOFor an account of Bentham's moral theory that is not confined to the existing published sourees, see P. J. J( elly, Utilitarianism and Distributive Justice: Jeremy Bentham and the Ci viI Law, Oxford, 1990.

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Although Bentham's critique of natural rights doctrine makes little reference to any of the great theorists of the natural rights tradition l l , it is clear from the dismissive references to Grotius, Pufendorf, Barbeyrac or even Locke 12 , and the total ommission of any discussion of Hobbes or SeIden, that his primary concern was not directly with these grand theories. Rather his concern is more closely related to the emergence of natural rights onto the political agenda with the French 'Declaration' of 1789, the Preamble to the American Declaration of Independence, and the Bill of Rights appended to the Federal Constitution of the United States of America in 1791. His target is not simply the concept of natural rights, but more importantly the political implications of the strategy of 'declaration', the problems of rights in constitutional jurisprudence and the related problem of substantive precommitment embodied in these documents. For Bentham the method of the 'Declaration' challenged the stategy of radical constitutional reform by advocating revolutionary political transformation with all its anarchical consequences. Bentham's initial enthusiasm for the French Revolution had turned to disappointment and hostility by 1792-3. 13 At first he had hoped to obtain some influence in the course of French affairs, writing 'An Essay on Political Tactics'14 as a theory of parliamentary procedure for the French National Assembly, and attempting to get his infamous Panopticon Prison project, which was in its early stages, accepted. However, as the course of the Revolution became apparant Bentham became increasingly concerned with the political implications of the ideology of natural rights. This concern culminated in his writing aseries of manuscripts between 1795-6 which were eventually published only after his death as 'Anarchical Fallacies'Y Whereas Bentham had previously ignored the Declaration of 1789 as an aberration on the path to enlightened constitutional reform, in the same way that he had reacted to the use of fundamental rights by the American Revolutionaries 16, - by the mid 1790's he began to locate the problems of the French Revolution within the intellectual problems posed by the doctrine of natural and imprescriptible rights. While the R. Tuck, Natural Rights Theories, Cambridge, 1979. iii. 158, and for Locke, see Deontology, Together with a A Table of the Springs of Action and Article on Utilitariarusm (CW), ed. A. Goldworth, Oxford, 1983, pp. 314-5. 13 BUTnS, 'Bentham and the French Revolution', pp. 109-14. 14 'An Essay on Political Tactics', Bo.wring, ii. 299-373, first published in French as Tactique Des Assernbles Legislatives, ed. P. E. L. Dumont, 2 vols., Geneva and Paris, 1816. 15 A French version of 'Anarchic;.l Fallacies' was edited by Dumont and published in 1816 as part of 'Tactique'. 16 Bentham to John Lind, September 1776, in: The Correspondence of Jeremy Bentharn (CW), vol. 1,1752-76, ed. T. L. S. Sprigge, London, 1968. 1l See

12 Bowring,

4'

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fundamental problems of natural rights dis course had troubled Bentham since his earliest works such as his re action to Sir William Blackstone's invocation of Lockean social contract theory in A Fragment on Government (1776) 17 and his collaboration with J ohn Lind on a pamphlet entitled An Answer to the Declaration 0/ the American Congress (1776)18, the French Revolution brought horne the political implications of the revolutionary strategy of the 'Declaration'. Therefore, 'Anarchical Fallacies' will be the starting point for this account of Bentham's critique of natural rights discourse.

I. There are two main charges made against the doctrine of natural rights in 'Anarchical Fallacies'. These are both summed up in the following famous passage: Natural rights is simple nonsense: natural and imprescriptible rights, rhetorical nonsense, - nonsense upon stilts. But this rhetorical nonsense ends in the old strain of mischievous nonsense: 19

The doctrine of natural rights is both meaningless and dangerous. The first charge generally receives much attention in ac counts of Bentham's critique of rights, however, for Bentham the more important charge was the second. If natural rights were not mischievous or dangerous than they need not be a cause for concern. There are two main components to his argument that natural rights are meaningless, the first concerns the analysis of the concept of a right, the second focuses on the possibility of nature serving as a source of rights. Bentham analyses the concept of a right in terms of a benefit conferred upon the right holder by the imposition of duties on others to respect that benefit, and the absence of a correspondent obligation on the right holder. 2o Duties are given priority over rights because they are directly sanctioned by the legislator, whereas rights which are an equally fictitious concept, are one furt her remove from the reality of sanctions. This 17 A Comment on the Commentaries and A Fragment on Goverrunent (CW), ed. J. H. Burn6 and H. L. A. Hart, London, 1977, pp. 394-7. 18Correspondence (CW), i. 341-4. 19 Bowring, ii. 501. 20See D. Lyons, 'Rights, Claimants and Beneficiaries', American Philosophical Quarterly, 6 (1969), 173-85.

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'beneficiary'21 theory of rights is a consequence of Bentham's concern to darify the language of law. From his earliest writings it is dear that Bentham saw the need to reform the language of law as a precondition of rational legal and political reform, and the first task of this project was his campaign against the tyranny of fictions in the language of law. Some fictitious terms such as duty and right were unavoidable in order to construct a workable legal system, however, it was necessary to provide a means of distinguishing these necessary fictions from other fictitious terms that only served to obscure the workings of sinister interests in the creation and administration ofthe law. The means Bentham used for marking this distinction was provided by his theory of meaning. Empiricist theories of meaning at least from the time of Hobbes had focused on the correspondence between a concept and some real entity to which it referred to establish its sense. Bentham's developed this theory by shifting the focus from individual words to whole senten ces as the primary unit of meaning. Consequently any term could be assigned a determinate meaning insofar as it could function in a sentence which could be verified by experience. This method of analysis he called paraphrasis. A word may be said to be expounded by paraphrasis, when not that word alone is translated into other words, but some whole sentence of wh ich it forms apart is translated into another sentence, the words of which latter are expressive of such ideas are simple or are more immediately resolvable into simple ones than those of the former. 22 Bentham provided an analysis of the concepts right and duty in terms of sentences referring to 'law', 'sanctions' and 'sovereign power'. While each of these latter concepts remain complex they are nevertheless reducible to objects of experience. One immediate implication of this method is that it lends itself to a positivist analysis of such concepts, and this already creates difficulties for natural rights discourse. Another consequence is that duties have a priority over rights in that rights are a consequence of duties created by the imposition of sanctions. Therefore, any account of natural rights is dependent on an ac count of naturallaw ~hich creates the 21 'Otherwise than from the idea of obligation, no dear idea can be attached to the word right. The efficient causes of right are two - 1. Absence of correspondent obligation. You have a right to perform whatever you Me not under an obligation to abstain from the performance of. Such is the right which every human being has in the state of nature. - 2. The second efficient cause of right is, presence of correspondent obligation. This obligation is the obligation imposed upon other persons at large, to abstain from disturbing you in the exercise of the first mentioned sort of right.' Bowring, iii. 217-8. 22 A Comment on the Commentaries (CW), p. 495, see the discussion in R. Harri6on, Bentham, London, 1983, pp. 53-74.

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duties in virtue of which one can be said to be in possession of a right. Natural rights cannot therefore, be morally basic in the way claimed by Grotius and Hobbes. 23 Having provided an analysis of the meaning of the concept of 'right' Bentham is able to use this in his critique of natural rights. The concept of a right is not in itself meaningless or nonsensical as long as it can be analysed in terms of sanction-based duties. However, natural rights do become strictly meaningless unless a natural legislator can be found to sanction them. One obvious candidate for the role of naturallegislator is God, whose will could indeed sanction the imposition of duties which would provide the existence conditions for natural rights. Bentham ignores this possibility, not simply because he did not believe in the existence of such a divine legislator, but rather because this is a move which the drafters of the 'Declaration' were not prepared to make. However, if as with modern legal positivism one abandons the requirement that the normative force of a duty be derived solely from an expression of the sovereign's will and instead focus on an authoritative system of rules as the source of a duty 24 then the prospect of grounding rights in nature without appealing to a divine legislator might seem more plausible. But even this solution poses important problems, for whereas an authoritative system of mIes in a given community can be identified in terms of the practices of that community, this is not so easily done in the case of nature. Bentham's argument is not that nature does not provide any authoritative systems of laws, after all he was prepared to accept the existence of natural causal laws on which science is based. Nevertheless the existence of these natural causal laws does not provide any solution, for the laws of nature have to provide the existence conditions of normative rights which are in themselves morally basic. It is an assumption of Bentham's argument that the appeal of natural rights is that they are morally basic and, therefore, pronounce on the legitimacy of any other rule or norm. This rules out appeal to any other moral principle such as utility as the identification condition of a natural normative law. Whatever, the criterion of authenticity appealed to in order to identify those natural laws and the duties derived from them, it cannot be a moral principle. This means that nature has to provide a non moral criterion of authenticity for these natural normative laws, and the problem is not that nature provides no such criterion, it is rather that nature provides an infinite number of possible criteria and no

23See Tuck, Natural Rights Theories, pp. 58-81, and pp. 119-42. 24 In his more considered moments Bentham does appear to acknowledge that rights can be conferred by conventional soda! practices as well as munidpallaws. See Bowring, viii. 247.

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way of distinguishing between them. 25 The incoherence ofnatural rights is further brought out in cases of a conflict of rights. Given the existence of naturallaw it is possible to provide priority principles extern al to each right claim which enables one to determine how to act in cases of conflict. But if there is no way of identifying such a standard then the only criterion for determining between two rights in conflict is a non moral external criterion provided by nature. However, this raises again the problem that nature provides no such criterion for determining the application and priority of natural rights principles, because virtuaHy any natural characteristic could be appealed to as the criterion for determining moral priority. Given Bentham's premises that moral rights are both objective and moraHy basic and his -analysis of the existence conditions of a right, his critique of natural rights dis course is difficult to answer . However, Bentham's reduction of rights discourse to the re alm of what rights exist within a given municipal legal system has left many subsequent rights theorists distinctly uneasy. J. S. Mill, while accepting a sanction based theory of obligations such as that which underlies Bentham's analysis of the concept of a right, nevertheless attempted to salvage the concept to refer to those important areas of an individual's weH-being which ought to be the subject of legislative protection. Mill's attempt to rehabilitate the notion of moral rights within a utilitarian context is closely connected with the development of a utilitarian theory of justice in chapter five of Utilitarianism. 26 Mill appears to be more concerned with identifying those conditions of human weH-being which ought to be seeured by law because of his concern for the threat posed to individuality by mass society. By resurrecting the not ion ofrights and connecting it with a particularly important component of individual weH-being Mill wished to emphasize that these components of weH-being, such as the conditions of personal autonomy, gave rise to a claim that could be held against society and the state, demanding proteetion. However, the connection of moral or extensional natural rights with a peculiar species of reasons for the creation of municipallegal rights involves Mill in an incoherence that Bentham had already addressed: a reason exists for wishing that there were such things as rights. But reasons for wishing there were such things as rights, are not rights; 25 See L. W. Sumner, The Moral Foundation of Rights, Oxford, 1987, pp. 111-26, and K elly, Utilitarianism and Distributive Justice: Jeremy Bentham and the Civil Law, pp. 56-9. 26p. J. Kelly, 'Utilitarian Strategies in Bentham and John Stuart Mill', Utilitas, 2 (1990), 245-66.

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a reason for wishing that a certain right were established is not that right - want is not supply - hunger is not bread. 27 Also by connecting the concept of a natural or moral right with the special category of reasons for the creation of legal rights, Mill effectively rules out appeal to tlie concept of a natural or moral right serving as a reason for there being a municipal legal right and this is abs,urd. 28 While J. S. Mill attempts to rehabilitate the notion of natural rights, Bentham sticks rigidly to his separation of the tasks of expository and censorial jurisprudence. 29 The task of the expositor is to explain what the law is, whereas the task of the censor is to give an ac count of what the law ought to be. While Bentham combined both tasks throughout his career he was determined that the two sets of questions must be separated. Thus the question of what rights we have is an expository question which can only be determined by the rights conferred upon us in a given municipal legal system, whereas the quest ion of what rights we ought to have is a quest ion that must be answered in terms of utilitarian considerations. Some contemporary rights theorists such as Joseph Raz 30 have attempted to salvage something from J. S. Mill's theory of rights as reasons for protecting certain components of well-being, by arguing that one has a right to A if and only if one's interest in A is a suflicient reason for the state guaranteeing to protect one in the enjoyment of A. Raz 's point is not that the right is coextensive with the reason for the recognition of that right in the creation of conventional obligations, but rather that the right establishes a connection between the reason, namely a particularly weighty component of well-being such as the conditions of autonomy, and the creation of certain municipal and conventional guarantees of that component of interest. 31 While this strategy does not confuse the right with the reason for the right, it does little more than identify a particularly weighty sort of 'ought' claim. The claim of a moral or natural right on this account remains a claim about wh at there ought to be. Also as with Mill's theory the criteria for identifying these privileged components of interest remains a theory of the good, so that rights while important components of the moral and political vocabulary are not morally basic. ii. 501. L. A. Hart, 'Natural Rights: Bentham and John Stuart Mill', in Essays on Bentham, OxIord, 1982, p. 92. 2 9 Fragment of Government (CW), p. 399. 30J. Raz, The Morality of Freedom, OxIord, 1986, p. 166. 31For a discussion of the Mill/Raz thesis see G. J. P06tema, 'In Defence of French Nonsense: Fundamental Rights in Constitutional Jurisprudence', in N. MacCormick and Z. Bankow6ki, eds., Enlightenment, Rights and Revolution, Aberdeen, 1989, pp. 27 Bowring,

28H.

10~15.

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In his Civil Law writings Bentham also develops an ac count of certain essential components ofindividual welfare which ought to be the subject of the utilitarian legislator's concern. These conditions form part ofhis theory of distributive justice and playamajor role in the articulation of a complete code of laws designed on utilitarian lines. The distribution of rights and titles which ought to lie at the basis of a utilitarian code of laws is based upon the 'security-providing principle'.32 This principle identifies arealm ofpersonal inviolability which gives rise to the fixed expectations which are necessary for individual welfare maximization. The considerations which underlie this realm of personal inviolability are premised on protection from interference with person, possessions, beneficial condition in life and reputation. The 'security-providing principle' can thus be interpreted as a harm principle, identifying that realm of activity which is important enough to warrant the protection afforded by rights and their consequent sanctions. While the conditions underlying Bentham's harm principle are similar to those which Mill claimed as the basis of rights claims, Bentham chose to avoid any appeal to rights which would collapse his distinction between the tasks of the expositor and the censor. To understand why Bentham wished to maintain this distinction so strictly it is necessary to turn to the political consequences of the discourse of fundamental rights.

11. Although much can be made of Bentham's claim that the discourse of natural rights is nonsensical, his most important charge against the idea of natural rights is that they are dangerous, mischievous and pernicious. This section will establish the connection between Bentham's critique of the anarchical consequences of natural rights and his rejection of revolutionary political transformation in favour of the strategy of radical constitutional reform. The real anarchical danger posed by natural rights, argued Bentham, was that they purported to establish a standard against which the legitimacy of any municipallaw could be determined. Bentham recognised that the concept of a natural right was not merely intended to represent aspirations about wh at provisions should be recognised by law - as is the case with J. S. Mill's revision of the concept of moral rights - rather the concept of a natural right as it is used in the 'Declaration' of 1789, the 'Bill of Rights', and subsequent constitutional jurisprudence, actually determines what can constitute a legitimate exercise of sovereign political power. Thus 32S ee Kelly, Utilitarianism and Distributive Justice: Jeremy Bentham and the Civil Law, chaps., 4, 6 and 7.

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whether one is under an obligation is determined by the natural rights embodied in the 'Declaration' or the 'Bill of Rights', and not by the exercise of the will of a sovereign legislator. By collapsing the question of what our obligations ought to be into the question of what obligations one is under, Bentham argued that the framers of the 'Declaration' were undermining the conditions of citizenship and setting up individual judgements against the public requirements of stability and security. This separation of freedom of judgement from the requirement of obedience undermines Bentham's motto of the good citizen, 'To obey punctually to censure freely'.33 It was essential for Bentham that individual judgement should be free to criticize existing political arrangements for this is essential if an accurate judgement of the general welfare is ever to emerge. However, it is equally important that this freedom of judgement cannot be allowed to undermine the performance of one's political and legal obligations. If individuals are free to appeal to a higher authority and abandon their existing obligations then the enterprise of stable rule governed social inter action would collapse and anarchy would inevitably follow. The idea that the fundamental laws of astate could be declared illegal and cease to oblige irrespective of the value of those laws, was deeply troubling far Bentham, it posed achallenge that went to the very he art of his understanding of politics and the function of law within society. The threat posed to a stable social order by appeals to natural rights, has for Bentham two main dimensions, firstly the immediate practical threat posed by those making rights-based challenges to existing political power, and secondly the more fundamental threat to the possibility of a stable social order posed by the very idea of the 'Declaration' and the revolutionary transformation of society that it advances. The immediate threat posed to political authority by natural rights claims is that by establishing a criterion of legitimacy they do not criticize bad laws, but simply deny their very existence. Consequently, they set the subject in immediate opposition to the sovereign power, every case of a bad law becomes not a ground for reform rather it becomes a ground for resistence, and this threatens the peace and stability of society on which so much else depends. When this possibility is coupled with the impossibility of establishing an unequivocal criterion of authenticity for identifying what natural rights we have, then these claims to natural rights amount to no more than the claims of subjective judgement, or as Bentham describes it ipsedixitism. 34 If everyone is free to determine what are the requirements 33Fragment (CW), p. 393. 3. An Introduction to the Principles of Morals and Legislation (CW), ed. J. H. BUTns and H. L. A. Hart, London, 1970, pp. 21-33.

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of natural rights and consequently what laws are genuine and should he obeyed then the very possibility of society let alone a legally constituted state necessarily collapses. Relying on individual judgement as the sole criterion for determining where one's obligations reside, would according to Bentham result in genuine anarchy, the collapse of any form of political society. While Bentham undoubtedly thought that the putative incoherence of natural rights dis course could lead to everyone setting themselves up as a standard of right in opposition to existing sovereign power, his main target was those who were actually setting themselves up as a source of right, namely the framers of the 'Declaration' and the rights theorists. He writes: 'that which the Alexanders and the Tamerlanes endeavoured to accomplish by traversing apart of the Globe, the Grotii and the Puffendorffs would accomplish, each one sitting in his chair'35, and later. Those who govern allege legal rights - the rights of the citizen - real rights: those who wish to govern allege natural rights - the rights of man - counterfeit rights - rights which are sanctioned by the knife of the assassin, as weIl as the gibbet and the guillotine. Those to whom the faculty of making these imaginary laws, instead of real laws, has been transferred, have not much trouble in making them. Constitutions are made as easily as songs: they succeed each other as rapidly, and are as speedily forgotten. For the making of reallaws, talent and knowledge are requisite: for making reallaws good or bad, labour and patience are requisite: hut for the making of forgeries sour ces of the rights of man, nothing more is required than ignorance, hardihood, and impudence.36 Bentham's concern is that the framers were attempting to reconstitute political society with little more than their own individual judgement as a guide. 37 The appeal to natural rights, because it is effectively meaningless, is merely a disguise for the reconstitution of society in the interests of one particular social group, although this is not necessarily the conscious intention of the framers. The challenge posed to an existing political community 35 Bowring, iii. 220. 36Ibid., see also Jeremy Bentham's Econornic Writings, ed. W. Stark, (3 voIs., London, 1952-4) i. 335: 'the language of natural rights requires nothing but a hard front, a hard heart and an unblushing countenance. It is from beginning to end so much Hat assertion. ' 37Bentham's critique of natural rights converges at this point with that offered by E. Burke in Reflections on the Revolution in France.

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by the acceptance of a rights-based criterion of politicallegitimacy, is that it effectively reconstitutes the terms of social interaction, and for Bentham the harm that must necessarily result will far out weigh any possible good. In short Bentham's argument is that the appeal to natural rights is increasingly being used as cover for political revolution, but also that the effect of a 'Declaration' of'rights will be the creation of political revolution and consequently anarchy. The question then remains why does Bentham think political revolution is a consequence of a 'Declaration' of rights, and why did he oppose political revolution so vehemently, given his own commitment to radical reform?38 To understand the contrast that Bentham wished to establish between the idea of political revolution and radical reform it is necessary to appreciate the significance that he attaches to the idea of security of expectation. A dedaration of fundamental rights establishes a criterion of legitimacy which determines what can constitute a legal obligation. The framers of the 'Dedaration' were according to Bentham, reconstituting the terms of political society because this new criterion of legitimacy usurps the de facto authority of the existing sovereign legislator. While the exercise of sovereign power in any existing regime can be put to either good or bad uses, for Bentham it remains a source of obligations, and it is essential that it does so. Even in a bad regime, as long as the sovereign power is exercised by means of publicly accessible and regularly enfored rules, these rules will give rise to secure expectations. And security of expectation is the primary benefit offered by political society.39

J. H. Bums has argued that Bentham's hostility to the consequences of the French Revolution crystallised when it became dear that it posed a serious threat to the stability of property rights. 40 However, it would be wrong to assume with C. B. Macpherson that Bentham's concern with security of property is merely another example of the bourgeois character of emerging British Liberalism. 41 Bentham's concern for the security of property is more substantial than Macpherson suggests. Property rights are one of the most important sources of expectation, they also provide the exercise conditions of liberty, therefore, any direct attack on property rights undermines both individual liberty and ultimately individual and 38Bentham's conunitment to radical reform followed his association with James Mill, see J. R. Dinwiddy, 'Bentham's Transition to Political Radicalism', Journal of the History of Ideas, 36 (1975), 68~700. However, the whole of Bentham's career was marked by a commitment to reform although this did not always entail constitutional reform. 39 Bowring, i. 302 . • 0 Burna, 'Bentham and the French Revolution', p. 109. uc. B. Macpheraon, The Life and Times of Liberal Democracy, Oxford, 1977, pp. 27-34.

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social welfare. 42 The idea that security should be the primary concern of government is a commonplace of eighteenth-century political thought. However, Bentham gives this idea a utilitarian character by justifying the value of security in terms of the significance of expectations and their utilitarian value. For Bentham expectations are not merely a means of coordinating social interaction, they provide the conditions of personal continuity and coherence. He writes: This disposition to look forward, which has so marked an influence upon the condition ofman, may be called expectation - expectation of the future. It is by means of this we are enabled to form a general plan of conduct; it is by means of this, that the successive moments which compose the duration of life are not like insulated points, but become parts of a continuous whole. Expectation is a chain which unites our present and our future existence, and passes beyond ourselves to the generation which follows uso The sensibility of the individual is prolonged through all the links of this chain. 43 Bentham also used the idea of expectation to distinguish man from the other animals. While all sentient beings can fee I pain, and are thus worthy of our concern it is only humans who can derive pain from frustated expectations, for it is only humans who can project themselves into the future through their various projects and enterprizes. 44 Any attempt at undermining an existing pattern of expectations necessarily creates siginificant disutilities. The problem with declarations of rights is that they create such disutilities by frustrating expectations and creating the conditions of uncertainty in which expectation is undermined. This problem is compounded by the fact that natural rights theory is concerned simply with quest ions of legitimacy and not with the utilities derived from existing legal systems, so that in cases where a set of previously recognised legal practices are declared illegitimate the theory has nothing to say about the benefits that might be derived from those practices. 45 This is not to say that Bentham's concern for the expectati42 Kelly, Utilitarianism and Distributive Justice: Jeremy Bentham and the Civil Law, pp. 154-67. 43 Bowring, i. 308. H'1n order to form a dear idea of the whole extent which ought to be given to the principle of security, it is necessary to consider, that manis not like the brutes, lirnited to the present time, either in enjoyment or suffering, but that he is susceptible of pleasure and pain by anticipation, and that it is not enough to guard him against an actualloss, but also to guarantee to him as much as possible, his possessions against future losses. The idea of his security must be prolonged to him throughout the whole vista that his imagination can measure.' Bowring, i. 308. 45There is no discussion of this problem in contemporary theories such as J. Rawl8,

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ons of slave owners which are premised on the enjoyment and exploitation of their property, should trump any attempt at securing the liberation of slaves. But it is to recognize that any attempt to undermine property rights, even those of slave owners, will create disutilities which have to be accomodated in any process of political transformation. The substance of Bentham's argument is that while rights theories can point out what might be bad in a particular regime, they are no use in assisting in the transformation of that regime for they only compound the disutilities created by those practices. A strategy of political change which attempts to ac cornodate the requirements of political transformation with the minimization of disturbance is that of radical reform. That Bentham was concerned with reconstituting social relationships in the interests of maximizing overall welfare can be seen from the theory of distributive justice which underlies his Civil Law writings. However, Bentham was not merely concerned with determining what rights and entitlements ought to be embodied in a utilitarian code of laws, he was also concerned with how such a code could be implimented in a given society without undermining expectations and creating significant disutilities. The so called 'disapointment-preventing principle'46 which Bentham used in both his Civil Law writings and his Constitutional theory was concerned with precisely the problem of reconciling political transformation with the requirements of order and stability. The political consequence of natural rights theory is a form of constitutionalism which, according to Bentham, is unable to reconcile the requirements of political transformation with the benefits of stability and security. Natural rights lead to anarchy whereas radical reform promises orderly political transformation. Bentham's critique of the political consequences of rights-based constitutionalism is encapsulated in his claim that for the 'making of real laws good or bad, labour and patience are requisite '47 , 'whereas for the framers of the 'Declaration of Rights', 'Constitutions are made as easily as song'.48 It might, however, be retorted that on ce a declaration of rights has been incorporated into a municipal legal system, it will cease to violate expectations, but will eventually provide a focus for them. In this case it would only be the court that declared certain actions of the legislature or executive illegitimate, and the matter would not simply be left to individual judgment. Thus constitutional jurisprudence based on a bill of rights need A Theory of Justice, Oxford, 1972. 46S ee K el/y, Utilitarianisrn and Distributive Justice: Jererny Bentharn and the Civil Law, chap. 7, and F. Ro&en, Jererny Bentharn and Representative Dernocracy, Oxford, 1983, pp. 101-6. 47 Bowring, iii. 220. 48Ibid.

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not have the anarchie al consequences that Bentham claimed for the French 'Declaration' of 1789. However, while rights-based constitutionaljurisprudence is not obviously anarchieal, because it is effectively judge made law, it fails to provide an adequate public focus for expectations in just the way that English Common Law failed, according to Bentham.49 The adjudication of a supreme court is not strictly analogous to adjudication under Common Law for in the later case the judges task is intuiting the law from precedent and applying it in a new set of circumstances, whereas that of the supreme court judge is concerned with the interpretation of a bill or declaration of rights. In each case the judge is deciding on the legality of actions after the event, and this necessarily undermines the ability of law to function as a focus of expectations. The substance of Bentham's critique of constitutional jurisprudence based on a bill of rights is that it locates the identification conditions of legality and consequently of obligation in the determinations of a supreme court. While the bill or declaration may set out the principles against which legality can be determined, it is the task of the court to determine when those principles have been adhered to. This meant that the bill or declaration was not in itself an immediately accessible public standard of legality, for in reality this standard is located in the particular decisions of the supreme court judges. As with the common law it is the judge who is the ultimate arbiter of legality. While the judges decisions may weIl converge upon the existing pattern of expectations, because his reasons for judgement are not publicly accessible until after some case has been brought before the court, these reasons cannot provide a focus for secure and stable expectations. It is the ultimate indeterminacy of fundamental or natural rights which, for Bentham, makes them an unacceptable criterion of legality. The incorporation of these fundamental rights into constitutional jurisprudence undermines the laws ability to provide a public focus of expectations. And it is because law, properly understood, can serve as a public focus of expectations that Bentham adopts a rational science of legislation as the primary condition for understanding the social order and as the key to orderly political transformation. For Bentham it is only by means of rendering the processes of government transparent and public, that one can attempt to make political power accountable. The ultimate guar an tee of good government is not conformity with some set of fundamental constitutional rights, rather it is the ability of the subject many to censure the ruling few, and this requires that government be ren49See G. J. Po&tema, Bentham and the Common Law Tradition, 191-217.

o xford , 1986, pp.

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dered public and transparent. 50 Onee again Bentham's argument against natural or fundamental rights ean be traeed to his rejeetion of the form of constitutionalism derived from the theory of natural rights.

111. The final problem that Bentham identified with the concept of natural rights and the strategy of the declaration in particular, is that of substantive precommitment. All forms of constitutionalism whether rights based or not involve some precommitment of the body politic. 51 If this were not so then normal politics would not be possible as everyone would constantly be concerned with the reconstitution of the fundamental terms of political life. One of Bentham's arguments against revolutionary political change was that it raised the possibility of such a continuous reconstitution of the fundamentals of political order. The idea of a permanent revolution where the terms of association are constantly being transformed has been a significant component of some political theories. However, Bentham clearly rejected this because he was ultimatly concerned with the conditions in which individuals could form and pursue their own conceptions of interest without interference from others. The general welfare was best pursued by allowing individuals do what they wanted as long as this did not constitute an actual harm to others in the similar pursuit of their own welfare. This libertarian reading of Bentham's utilitarianism is exemplified in 'securityproviding principle' which forms part of his theory of distributive justice in his Civil Law writings. This is not to say that Bentham was unconcerned about the fundamental organization of political society, but it is to recognise that these foundational quest ions are only significant to the extent that they allow for a conception of normal politics in which individuals can bargain among themselves in the course of maximizing their welfare. Whilst I have already discussed Bentham's ac count of the anarchical implications of fundamental rights and the strategy of 'declaration', Bentharn also has another important line of argument which revolves directly around the problem of substantive precommitment. His main charge is that while rights-based constitutionalism has the tendency to focus solely on the fundamental terms of political organisation, the strategy of 50For an excellent discussion of the role of publicity and demonstrability in Bentham's critique of fundamental rights, see Po~tema, 'In Defence of "French Nonsense" " pp. 11&.20.

51See S. Holme~, 'Gag Rules and the Politics of Ommission', and 'Precommitment and the Paradox of Democracy', in J. El~ter and R. Slag6tad, eds., Constitutionalism and Democracy, Cambridge, 1988, pp. 19-58, and pp. 195-240.

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declaration suggests that the question of determining these fundamental questions can be resolved easily, simply by appealing to the notion of natural rights, hence his charge that for the framers 'Constitutions are made as easily as songs'.52 His charge against the framers is that they have a naive view of the complexity of political change, one in which the terms of political association can be set out in aseries of general propositions about what can legimately be the concern of political discussion and what is irreducibly private and beyond the realm of government authority. This is because the idea of a declaration not only sets out the framework within which political power can be exercised, but it actually determines those things over which it can be exercised and this is to bind the future in a way that is, for Bentham at least, irrational. However, the claim of rights does not only determine those things over which political power can be exercised in present circumstances. Because natural rights are also imprescriptible, they bind all future generations. Bentham ridicules this idea in the following passage: All nations - all futures ages - shall be, for they are predestined to be, our slaves. Future governments will not have the honesty enough to be trusted with the determination of what rights shall be maintained, what abrogated - what laws kept in force, what repealed. Future subjects (I should say future citizens, for French government does not admit of subjects) will not have wit enough to be trusted with the choice whether to sub mit to the determination of the government of their time, or to resist it. Government, citizens - all to the end of time all must be kept in chains. 53 Against this version of constitutionalism which attempts to substantively bind future generations, Bentham developed a constitutional theory which determined the functions of government, but left the objects of the exercise of political power open for the sovereign to determine in the light of circumstances. This, it might be argued, is not a form of constitutionalism at all 54 for there are not formallimitations on the exercise of sovereign power, and this opens the way for just the sort of tyranny that natural rights are intended to preclude. But Bentham's response is that if natural rights are appealed to as a defence against misrule then they are both ineffective and unnecessary. In his mature constitutional theory 52 Bowring,

üi. 220. 501. 5"See C. H. Mcllw4in, Constitutionalism Ancient and Modern, Cornell, 1958, p. 22.

53 Bowring, Ü.

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Bentham developed a system of 'securities against misrule'55 which served precisely the purpose of fundamental rights without indefinitely binding the terms of political association, without appealing to the idea of rights at all. Secondly, the main protection against misrule for Bentham, was not a system of rights, but a system of representative democracy by means of which the rulers could be held accountable and removed. 56 However, as important as the mechanism for removing rulers, is Bentham's notion of the public opinion tribunal, an informal body made up of all those who pass judgement on the conduct of the ruler. 57 The public opinion tribunal provides a framework within which rulers can be criticised and in which a public conception of the general welfare can be articulated. Given Bentham's premise that all individuals are largely self-interested the public opinion tribunal is only likely to coverge on a minimal conception of the general welfare as the conditions within which individuals can form and pursue their own projects. Thus, for Bentham, the quest ion of the fundamental terms of political association can be determined within the context of his constitutional framework. Indeed part of the rationale for his mature constitutional theory is that it provides a framework within which these fundamental questions can be incorporated into normal politics without undermining the constitution's primary function of providing the conditions of security within which individuals can pursue their private goods. Although Bentham's Constitutional Code is designed as a framework for a liberal society, whether or not it retains a liberal character depends on the character of the subject many. Given that all individuals are predominantly self-interested Bentham thought that the structure of competitive politics within the constitution would be sufficient to guarantee the minimal libertarian character of the general welfare that would guide the public opinion tribunal and the electorate. However, as a liberal republican Bentham also recognised that ultimately the maintenance of the liberal character of the constitution depended on the vigilance and commitment of the subject many. In the absence of such a political commitment no formallimitations on the exercise of political power, such as those offered by natural rights, will guarantee liberal values. Ultimately Bentham's critique of natural rights discourse is reducible to the claim that they involve a naive understanding of the requirements of enlightened political transformation. And it is this very hastiness and naive te which for Bentham suggests a sinister motive for the appeal to fundamental natural rights. The turn taken by the French Revolution in 55Securities Against Misrule and other Constitutional Writings for Tripoli and Greece (CW), ed. P. Schofield, Oxford, 1990, pp. 74-109. 56 R06en, Jererny Bentharn and Representative Dernocracy, pp. 19-40. 57Constitutional Code (CW), ed. F. R06en and J. H. Burn6, Oxford, 1983, pp. 29-40.

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the 1790's which prompted his writing 'Anarchical Fallacies', only served to confirm his suspicion that the Revolutionaries were not concerned with the general welfare, but only their own sinister interests.

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Naturrecht und Politik zwischen 1900 und 1945: Naturrecht, Rechtspositivismus und Politik bei Gustav Radbruch von Ulfrid Neunlann

I. Einleitung Das Thenla "Naturrecht und Politik zwischen 1900 und 1945" stellt den Referenten vor die Wahl, entweder eine kartographische Darstellung korrelierender rechtsphilosophischer und politischer Orientierungen dieser Zeit zu geben, oder aber das Thenla als konkretisierungsbedürftiges Oberthenla zu interpretieren und sich auf die Analyse der politischen Inlplikationen einer bestinlnlten rechtsphilosophischen Position auf der Skala zwischen Naturrecht und RechtspositivisnluS zu beschränken. Ich werde inl folgenden den zweiten Weg beschreiten und das Thenla anhand der rechtsphilosophischen Arbeiten erörtern, die Gustav Radbruch zwischen 1905, denl Jahr des Erscheinens der ersten "rein" rechtsphilosophischen Arbeit l und denl Ende des Zweiten Weltkriegs veröffentlicht hat. Ausschlaggebend für die Wahl des zweiten Wegs war dabei die sich inl Laufe der Vorarbeiten nlehr und nlehr verfestigende Überzeugung, daß eine kartographische Darstellung in denl vorgegebenen Rahnlen allenfalls in einenl außerordentlich groben Maßstab nlöglich wäre. Ich nlöchte einige Punkte, die die KOnlplexität der Diskussion erhellen und zugleich verdeutlichen, in welchenl zeitund ideengeschichtlichen Zusanlnlenhang die Rechtsphilosophie Radbruchs zu sehen ist, kurz skizzieren. Geht nlan von den einfachsten Gegensatzpaaren aus, dann bietet sich jedenfalls für die Zeit der Weinlarer Republik die Gegenüberstellung von (genläßigt) "linken" positivistischen und "rechten" naturrechtlichen Positionen an. Personalisieren ließe sich dieser Gegensatz etwa anhand der unterschiedlichen Positionen von Hans Kelsen einerseits und Erich Kaufnlann andererseits. Auf der einen Seite der Verfechter des PositivisnluS 1 Rechtswissenschaft als Rechtsschöpfung (1906), in: Gustav Radbruch Gesamtausgabe, hrsg. von Arthur Kaufmann, Bd. 1 (Rechtsphilosophie I), S. 409 Ir.. Die Gesamtausgabe wird im folgenden abgekiint zitiert (GA).

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und Anhänger der Sozialdemokratie, auf der anderen Seite der naturrechtsorientierte Deutschnationale. 2 Es besteht kein Zweifel, daß jedenfalls Kelsen eine solche Verbindung von rechtsphilosophischer Position und politischer Orientierung nicht für zufällig erachtet hat; für ihn hatte "die Wendung zum Naturrecht und zur Metaphysik" in der damaligen Rechtstheorie ausdrücklich "eine politische Bedeutung".3 Aber diese Zuordnung relativiert sich nicht nur aufgrund der eher vordergründigen Tatsache, daß andere Rechts- und Staatstheoretiker, wie etwa Hermann Heller, zwar Kelsens politische Orientierung, nicht aber seinen rechtsphilosophischen Standpunkt teilten. 4 Bedeutsamer ist, daß solche Koinzidenzen, soweit sie signifikant und nicht nur Ausdruck biographischer Zufälligkeiten sind, im Zusammenhang mit der politischen Couleur des jeweiligen Staatsapparats gesehen werden müssen. Es bestätigt sich die Analyse, daß der Gegensatz von Naturrecht und Rechtspositivismus politisch zwar nicht indifferent, aber mehrdeutig ist. 5 Diese Mehrdeutigkeit zeigt sich exemplarisch in der Diskussion zum richterlichen Prüfungsrecht in der Zeit vor 1919 einerseits, während der Weimarer Republik andererseits. Das Recht der Gerichte, die entscheidungsrelevanten Gesetze auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen, wurde von Konservativen und "Rechten" zunächst verworfen, nach 1919 aber ganz überwiegend bejaht. 6 Was gegenüber dem Gesetzgeber des Kaiserreichs Anathema war, wird gegenüber dem Parlament der Republik zum Mittel der Wahl. Noch vieldeutiger wird das Verhältnis von rechtsphilosophischen und politischen Positionen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts durch den Befund, daß die Alternative "Rechtspositivismus oder Naturrecht" der rechtsphilosophischen Landschaft dieser Zeit nur eingeschränkt gerecht wird, weil außerhalb der katholischen Lehre 7 ausgearbeitete naturrechtliche Systeme nicht zu finden sind. Zwar bestand die Opposition gegen den Rechtspositivismus auf der Notwendigkeit, materiale Kriterien der Legitimation von Staats- und Rechtsordnung zu formulieren. Diese Legitimation wurde weniger aber in der Übereinstimmung mit bestimmten als überpositiv geltend gedachten Normen als vielmehr in einer diffusen Anbindung an Mystik und Metaphysik gesehen. So endet E. Kaufmanns "Kritik der neukantischen Rechtsphilosophie" in einer Beschwörung des Glaubens an die "unerschöpfliche metaphysische und mystische Tiefe des 2 Vgl.

S onth eim er, Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik, 1968, S.72. VVDStL 1927, S. 20; zitiert bei Sontheimer, a.a.O. S. 71. ·Vgl. Sontheimer, S. 72. 5 Kriele JuS 1969, S. 149 ff. 6 ROlenbaum, Naturrecht Wld positives Recht, 1972, S. 86 ff.; Sontheimer, a.a.O., S. 75 ff. 7 Cathrein, Naturrecht Wld positives Recht, 2. Aufl. 1909. 3 Kellen,

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deutschen Geistes".8 Kaufmanns Ansätze zu einer eigenständigen Ontologie von Volksgeist und Volkswille 9 blieben ohne Ausarbeitung. lO Soweit man schließlich von einem Naturrecht in der nationalsozialistischen Rechtsideologie sprechen kann, handelt es sich um eine Konzeption, die dem traditionellen Naturrechtsdenken, das durch die Annahme der Existenz überpositiver rechtlicher Regeln gekennzeichnet ist, durch die Methode der Normativierung der Besonderheiten, der "konkreten Ordnungen", diametral entgegengesetzt ist. lI Diese wenigen Stichworte müssen zur Strukturierung der Dimension des Oberthemas genügen - wie auch zur Illustration der Motive, die eine exemplarische Behandlung dieses Themas nahelegen. Für die Konzentration auf die Arbeiten Radbruchs gibt es mehrere Gründe. Das Werk Gustav Radbruchs verkörpert den Zusammenhang zwischen rechtsphilosophischer Orientierung und politischer Parteinahme in einer doppelten Weise. Rechtsphilosophische Reflexion und politisches Engagement verbinden sich zum einen in der Biographie Radbruchsl2 , dem sich als Abgeordneten des Reichstags (1920-1924) und als Reichsjustizminister (1921/22 im Kabinett Wirth, 1923 im Kabinett Stresemann) die Möglichkeit bot, das politische Geschehen nicht nur über die Kraft des Arguments, sondern durch den institutionell eröffneten unmittelbaren Zugriff zu beeinflussen. Zum andern betont Radbruch in seinen wissenschaftlichen Arbeiten das Wechselverhältnis von Rechtsphilosophie und Politik: So wie Philosophie nichts anderes sei als die Deutung des Lebens, so sei insbesondere Rechtsphilosophie Deutung, Sinnerfassung der Tagespolitik und umgekehrt der Kampf der politischen Parteien eine großartige rechtsphilosophische Diskussion. 13 Radbruch zitiert in diesem Zusammenhang beifällig die Formulierung Berolzheimers, die Politik sei das "Kleingeld der Rechtsphilosophie" und umgekehrt Rechtsphilosophie "Politik im Jahrhundertmaßstab" .14 Nach 1945 tritt an die Stelle des symmetrischen, komplementären Verhältnisses von Politik und Philosophie des Rechts die Mitverantwortung der Wissenschaft für die Entartungen des 8Erich Kaufmann, Zur Kritik der neukantischen Rechtsphilosophie, 1921, S. 101. 9Erich Kaufmann, Zur Problematik des Yolkswillens (1931), in: ders., Rechtsidee und Recht, 1960, S. 272 ff. 10Ygl. dazu von Oer/zen, Die soziale Funktion des staatsrechtlichen Positivismus, 1974, S. 15. 11 Ygl. dazu Dietze, Naturrecht in der Gegenwart, 1936, S. 266 ff. unter Berufung auf earl Schmilt. 12Zu den Beziehungen zwischen Biographie und Werk Radbruchs vgl. Arthur Kaufmann, Gustav Radbruch - Leben und Werk, in: GA Bd. 1, S. 7 ff. 13 Radbruch, Die Problematik der Rechtsidee, in: Die Dioskuren Bd. 3 (1924), S. 43 ff.,43. HLiteraturbericht Rechtsphilosophie (1908), GA Bd. 1, 1987, S. 510 ff., 510.

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Rechts während des Dritten Reiches: der Positivismus habe, so das bekannte Diktum Radbruchs, "den deutschen Juristenstand wehrlos gemacht gegen Gesetze willkürlichen und verbrecherischen Inhalts" .15 Die Naturrechtsdiskussion nach 1945, in deren Zusammenhang diese Feststellung gehört, ist nicht mein Thema; deshalb dazu nur eine kurze Anmerkung. Radbruchs Schuldzuweisung ist zustimmend aufgenommen worden; sie entsprach der sich abzeichnenden Tendenz zu einer ebenso durchschlagskräftigen wie methodisch unreflektierten Naturrechtsrenaissance in der rechtsphilosophischen Literatur wie, vor allem, in der Rechtsprechung der ersten Nachkriegszeit. Wörtlich genommen, als ideengeschichtliche oder sozialpsychologische Kausalanalyse der Rechtswirklichkeit des Dritten Reichs, führt sie in die Irre .. Der Positivismus bildet nicht das Grundmuster des nationalsozialistischen Rechtsdenkens, und die schlimmsten Entartungen der Rechtswirklichkeit verstießen nicht nur gegen anerkannte Rechtsprinzipien der zivilisierten Nationen, sondern, nach den Maßstäben des überlieferten Rechtspositivismus, auch gegen das positive Recht. Umgekehrt ist auch die Feststellung, das Naturrecht habe im dritten Reich die Rolle eines trojanischen Pferdes spielen können, in dieser Allgemeinheit nicht richtig. 16 Die offizielle Rechtsideologie des Nationalsozialismus steht methodisch trotz scharfer inhaltlicher Kontraste zu den Traditionen des Naturrechts dem naturrechtlichen Denken näher als einer positivistischen Auffassung. Neben diesen eher äußerlichen Gründen, die in Radbruchs Biographie und seiner eigenen Einschätzung der Verbindung von Rechtsphilosophie und Politik liegen, gibt es einen dritten, in der Sache liegenden Grund, das Problem "Naturrecht und Politik zwischen 1900 und 1945" anhand der Arbeiten Radbruchs zu thematisieren. Die Frage, ob und mit welcher Trennschärfe politische Gestaltungsprinzipien rechtsphilosophischen Positionen zwischen Naturrecht und Rechtspositivismus zugeordnet werden können, ist für die Grenzwerte der Skala in einem bestimmten Sinne trivial. Ein Naturrechtssystem mit großer Regelungsdichte und dem Anspruch auf unmittelbare Verbindlichkeit ist mit einem politischen Programm deckungsgleich. In diesem Sinne ist das katholische Naturrecht unabhängig von der Frage, ob seine Forderungen von einer bestimmten Partei repräsentiert werden, zugleich politisches Programm. Diese Funktion des Naturrechts, politische Forderungen als Konsequenzen einer vorgegebenen Ordnung erscheinen zu lassen, steht im Zentrum der ideologiekritischen 15Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht (1946), GA Bd. 3, 1990, S. 83 H., 88. 16Zu tr. Langner, Der Gedanke des Naturrechts seit Weimar und in der Rechtsprechung der Bundesrepublik, 1959, S. 82.

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Analyse des naturrechtlichen Denkens bei Kelsen. 17 Auf der anderen Seite ist eine positivistische Auffassung, die sich auf die Behauptung der Verbindlichkeit der jeweils korrekt gesetzten Rechtsnormen beschränkt, politisch indifferent - abgesehen von dem politischen Minimum, das aus dieser Behauptung selbst resultiert. 18 Die Position Radbruchs scheint mir für die Frage des Verhältnisses von Rechtsphilosophie und Politik deshalb besonders aufschlußreich, weil sie sich beiden Extremen verweigert. 19 Ich werde im folgenden zunächst einige zentrale Positionen der Rechtsphilosophie Radbruchs darstellen und daran die Frage nach der politischen Bedeutung dieser Positionen anschließen. Dabei verstehe ich unter der politischen Bedeutung einer rechtsphilosophischen Position ihren appellativen Gehalt hinsichtlich der Gestaltung des sozialen Zusammenlebens, insbesondere, aber nicht ausschließlich, der fundamentalen gesellschaftlichen Strukturen. Im einzelnen geht es um folgende vier Komplexe:

1. Die Frage der Verbindlichkeit "ungerechter" Gesetze für den Bürger bzw. den Rechtsanwender; 2. die Kompetenzverteilung zwischen Legislative und Judikative; 3. die pluralistische Gestaltung der staatlichen Ordnung (Rechtsstaat, Liberalismus, Demokratie); 4. die Option für ein soziales Recht und eine sozialistische Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung 11. Grundzüge der rechtsphilosophischen Position Radbruchs Bei der folgenden Skizze der Grundzüge der rechtsphilosophischen Position Radbruchs werden die Akzentverschiebungen, die sich in Radbruchs Denken nicht erst nach 1945, sondern schon nach dem Ende des 1. Weltkriegs aufzeigen lassen, außer Ansatz bleiben. Für die Frage des Verhältnisses von Rechtsphilosophie und Politik sind diese Akzentverschiebungen ohne wesentliche Bedeutung. 1. Die Position Radbruchs zwischen Naturrecht und Rechtspositivismus

Die Lokalisierung von Radbruchs Rechtsphilosophie als Position zwischen Naturrecht und Rechtspositivismus darf nicht als Behauptung einer gleich17 Kel.en, Die philosophischen Grundlagen der Naturrechtslehre und des Rechtspositivismus (1928), in: Die Wiener rechtstheoretische Schule, Bd. I, 1968, S. 281 H. u.ö. 18Dazu Ke/.en, a.a.O., S. 345/346. 19V9l. dazu Arthur Kaufmann, Gustav Radbruch, Leben und Werk, in: GA Bd. I, S. 7 H., 72.

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mäßigen Distanz mißverstanden werden. Radbruchs methodische Kritik des Naturrechts macht jedenfalls vor 1945 keine Konzessionen. Das Naturrecht ist für ihn durch den von Kant geführten Nachweis widerlegt, daß die Vernunft "nicht ein Arsenal ... anwendungsreifer ethischer ... Normen sei", sondern nur das "Vermögen, zu solchen ... Normen zu gelangen" .20 Die Darstellung des katholischen Naturrechts durch Cathrein wird (1911) als Werk aus einem Winkel glossiert, "wo, weitab von den Heerstraßen der modernen Wissenschaft, im Schatten der katholischen Kirche noch heute das Naturrecht grünt" .21 Diese Abwertung betrifft die erkenntnistheoretischen Voraussetzungen des Naturrechtsdenkens, nicht den Gehalt der großen Naturrechtssysteme. Der Gedanke des Naturrechts war "ein Irrtum; aber der denkbar fruchtbarste Irrtum" 22, und in einer Rezension aus dem Jahre 1918 wird es als ein "unauslöschlicher Ruhmestitel" der katholischen Philosophie betrachtet, daß sie "inmitten dieser fast ausnahmslosen Machtvergötterung in unserer Rechtswissenschaft an dem Gedanken des Naturrechts festgehalten hat" .23 Aber diese Verbeugung vor der katholischen Naturrechtslehre gilt dem rechtsethischen Engagement, dem moralischen Bekenntnis, nicht der Erkenntnisleistung dieser Lehre. Daß eine naturrechtliche Position wissenschaftlich nicht begründbar sei, ist das Grundmotiv von Radbruchs Rechtsphilosophie. Die erkenntniskritisch motivierte Verwerfung naturrechtlicher Positionen impliziert eine positivistische Rechtsauffassung insofern, als die Verbindlichkeit des Rechts nicht an die Bedingung eines bestimmten Regelungsgehalts der rechtlichen Normen gebunden werden kann. Damit ist aber nur eine negative Geltungsbedingung des gesetzten Rechts eliminiert, nicht dessen Verbindlichkeit positiv begründet. Sofern der Positivismus die Verbindlichkeit des Rechts aus dem bloßen Faktum seiner Setzung ableiten will, wird er verworfen: Da aus dem Faktum der Setzung allein auf der Basis einer dem Methodendualismus verpflichteten Position ein Sollen nicht deduzierbar ist, bedarf es einer normativen Prämisse, um die Geltung des positiven Rechts zu begründen. Diese Prämisse kann als transzendentallogische Bedingung der Geltung eines Rechtssystems formuliert werden (Kelsen), sie kann auch von einer Funktions- und Wertbetrachtung der Rechtsordnung her gewonnen werden. Die Rekonstruktion der Geltungsbedingungen des Rechts bei Radbruch folgt dem zweiten Weg. Ausgangspunkt ist die These von der Unmöglichkeit eines Naturrechts: vermag niemand festzustellen, was gerecht ist, so muß jemand festsetzen, Rechtsphilosophie, 3. Aufl. 1932, S. 107. 21Rezension zu Cathrein, Recht, Naturrecht und positives Recht, 2. Aufl. 1909, in: GA Bd. I, S. 528. 22Einführung in die Rechtswissenschaft, 1. Aufl. 1910, in: GA Bd. I, S. 91 ff., 109. 23Rezension von Mausbach, Naturrecht und Völkerrecht, 1918, GA Bd. I, S. 534. 20 Radbruch,

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was Rechtens sein soll.24 Diese Folgerung ist dann begründet, wenn die Existenz einer sozialen Normenordnung per se wertvoll ist. Sie ist es deshalb, weil jede Normenordnung, die faktisch befolgt wird, allein durch ihr Dasein Orientierungsgewißheit, Rechtssicherheit garantiert. Der Gesichtspunkt der Rechtssicherheit ist der Katalysator, der die Transformation eines Seins in ein Sollen ermöglicht: "Wer Recht durchzusetzen vermag, beweist damit, daß er Recht zu setzen berufen ist."25 Ein Verstoß gegen das Folgerungsverbot des Methodendualismus liegt darin nicht, weil der Gesichtspunkt der Rechtssicherheit nicht als faktische Voraussetzung des gesellschaftlichen Lebens, sondern als Aspekt der Rechtsidee und damit als Wert aufgefaßt wird. "Es gehört zur Idee des Rechts, positiv von einer Macht getragen und in·diesem Sinne geltendes Recht zu sein." 26

2. Die Rechtsidee als Bezugspunkt des positiven Rechts

Diese Begründung der Verbindlichkeit des positiven Rechts aus der Rechtsidee trägt den Keim zur Zerstörung der positivistischen Rechtsauffassung schon in sich. Denn sobald man der Rechtsidee als - im Sinne des neukantianischen Verständnisses einer wertbeziehenden Betrachtungsweise ("Methodentrialismus" ) - notwendigem Bezugspunkt des Rechts 27 legitimatorische Potenz zuerkennt, gewinnen auch die anderen Elemente der Rechtsidee, Zweckmäßigkeit und Gerechtigkeit, unvermeidlich normative Kraft. Damit aber reproduziert sich die Spannung innerhalb der Rechtsidee, insbesondere der Konflikt zwischen Gerechtigkeit und Rechtssicherheit, tendenziell als Streit um das Verhältnis materialer und formaler Geltungskriterien des Rechts, d. h.: als Streit zwischen Naturrecht und Rechtspositivismus. Auf diesen Punkt werde ich bei der Erörterung der politischen Konsequenzen von Radbruchs Rechtsphilosophie zurückkommen. Die Komplexität der Rechtsidee, die in gleicher Weise die Elemente der Rechtssicherheit, der Gerechtigkeit und der Zweckmäßigkeit umfaßt, begründet in doppelter Weise die Unmöglichkeit der Konstruktion einer normativ ausgezeichneten Rechtsordnung. Zum einen bedarf der Gesichtspunkt der Zweckmäßigkeit der inhaltlichen Ausfüllung, die in allgemein verbindlicher Weise nicht geleistet werden kann. Möglich ist lediglich die Typisierung unterschiedlicher Zwecke; in diesem Sinne unterscheidet Radbruch zwischen einer individualistischen, einer überindividualistischen und einer transpersonalistischen, auf "Werkwerte" hin orientierten Rechts- und 24Rechtsphilosophie, S. 179. 25 a .a .0. 26Die Problematik der Rechtsidee, S. 47. 27Rechtsphilosophie, S. 95.

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Staatsauffassung. 28 Diesen unterschiedlichen Auffassungen lassen sich jedenfalls tendenziell die Programme der liberalen, der konservativen und der sozialistischen Parteien zuordnen ("Rechtsphilosophische Parteienlehre"29). Zum andern ist eine verbindliche Rangordnung zwischen den Elementen der Rechtsidee nicht herzustellen. 3o 9. Der Relativismus

In beiden Punkten, bei der inhaltlichen Ausfüllung der Zweckorientierung des Rechts wie hinsichtlich der Rangordnung der Elemente der Rechtsidee, sind Werturteile nur in Bezug zu einem obersten Werturteil, nicht aber "an sich", nicht mit Anspruch auf Allgemeingültigkeit möglich. Das ist der Kernpunkt des Relativismus der Rechtsphilosophie Radbruchs. Relativismus meint hier nicht Verzicht aufWertung. Die Spielart des Rechtspositivismus, die sich der Wertbetrachtung methodisch entzieht und sich auf die analytische Disziplin einer Allgemeinen Rechtslehre beschränkt, bedeutet, so Radbruch, die Euthanasie der Rechtsphilosophie~l Die Rechtsphilosophie Stammlers erscheint deshalb als Renaissance "wirklicher" Rechtsphilosophie, weil sie der Wertbetrachtung im Recht ihren Platz zurückerobert habe. 32 Relativismus bedeutet auch nicht die Forderung, auf die Entscheidung für letzte, oberste Wertungen zu verzichten. Der Relativismus besteht aber darauf, daß es sich bei diesen Entscheidungen um Bekenntnisse, nicht um Erkenntnisse mit dem Anspruch auf Intersubjektivität handelt.33 Der Relativismus bestreitet, anders formuliert, die Existenz eines universalen Subjekts fundamentaler rechtlicher Wertungen. Wissenschaftliche Erkenntnis kann einen Wenn-Dann-Zusammenhang zwischen Wertungen herstellen; sie kann den einzelnen auf bestimmte Wertungen verpflichten, sofern er sich zu bestimmten anderen, mit jenen logisch verbundenen Wertungen bekennt. Die Prämissen dieser Wertungen vermag sie nicht bereitzustellen. Die der Wissenschaft zugänglichen Seinstatsachen kommen wegen des Verbots der Ableitung eines Sollens aus einem Sein ("Methodendualismus" ) als Prämissen normativer Sätze nicht in Betracht. 28Rechtsphilosophie, S. 146 fr. 29Rechtsphilosophie, S. 156 fr. 30Zu beiden Gesichtspunkten und ihrer Bedeutung für Radbruehs "rechtsphilosophisehe Parteienlehre" W. Goltl&chmitlt, Erkenntnis und Bekenntnis, in: Arthur Kaufmann (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Gustav Radbruch, 1968, S. 93 fr. 31 Rechtsphilosophie, S. 114. 32Rez. Stammler, Wirtschaft und Recht, 1924 (1925), GA Bd. 1, S. 541. 33Zur Funktion dieser Trennung, "jeden politischen, kulturellen, religiösen Absolutheitsanspruch im Recht ab(zu)wehren" E. Wolf, Umbruch oder Entwicklung in Gustav Radbruchs Rechtsphilosophie, ARSP 45 (1956), S. 481 fr., 497.

Naturrecht und Politik zwischen 1900 und 1945

4.

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Die Natur der Sache

Diese Festlegung auf das Prinzip des Methodendualismus impliziert die Absage an den Historismus und die evolutionistische Ethik des Historischen Materialismus. 34 Weder aus dem Gewesenen noch aus dem Werdenden kann auf das Gesollte geschlossen werden. Gemildert, aber nicht aufgehoben wird der Gegensatz zwischen Sein und Sollen durch das Zugeständnis der Stoßbestimmtheit der Rechtsidee, der Bedeutung der Natur der Sache für die Gestaltung des Rechts. Der bestimmende Einfluß des Rechtsstoffes, der sozialen Wirklichkeit, auf die Gestaltung des Rechts ist dabei nicht als Kausalzusammenhang, sondern als Adäquanzfunktion zu verstehen: Die rechtlichen Regeln können der Struktur der sozialen Wirklichkeit in höherem oder geringerem Maße entsprechen. Inwieweit aus diesem Zusammenhang normative Konsequenzen gezogen werden können, wird bei der Erörterung der rechtsphilosophischen Begründbarkeit einer sozialen Rechtsordnung zu prüfen sein.

111. Politische Konsequenzen der rechtsphilosophischen Position Radbruchs 1. Das Problem der Verbindlichkeit des Rechts

Bei der Erörterung der Rechtsidee als Bezugspunkt des positiven Rechts wurde festgestellt, daß die Begründung der Verbindlichkeit des positiven Rechts aus der Rechtsidee tendenziell selbstzerstörerisch ist, weil diese Verbindlichkeit dann konsequenterweise nicht nur unter dem Aspekt der Rechtssicherheit, sondern auch unter dem der Gerechtigkeit zu beurteilen ist. Wenn das positive Recht deshalb verbindlich ist, weil die Befolgung des gesetzten Rechts der Rechtssicherheit als einem Element der Rechtsidee dient - müßte dann nicht folgerichtig die Verbindlichkeit verneint werden, wenn es als ungerechtes Recht der Gerechtigkeit als einem gleichgewichtigen Element der Rechtsidee widerstreitet? Selbst wenn man der Rechtssicherheit für den Regelfall den Vorrang einräumt - müßte nicht jedenfalls dem kraß ungerechten Gesetz die Verbindlichkeit abgesprochen werden? Radbruch hat diese Frage nach 1945 bejaht und damit die Rechtssprechung des BGH und des BVerfG wesentlich beeinflußt. An dieser Stelle interessiert der frühere Lösungsversuch Radbruchs, der einen anderen Weg beschreitet. 3{Rechtsphilosophie. S. 97.

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Anerkannt wird, daß die Komplexität der Rechtsidee es verbietet, die Geltung des Rechts ausschließlich mit der aus der Setzung des Rechts resultierenden Rechtssicherheit zu begründen. "Die überpositive und in diesem Sinne naturrechtliche Wertung des positiven Rechts, nicht nur nach seiner Form und seinem Inh~lt sondern auch nach seiner Geltung ist mit dem Wesen der Rechtsphilosophie untrennbar verbunden, und es ist ein Verdienst der katholischen Rechtsphilosophie, auch im ZeitalteI' des Rechtspositivismus das Bewußtsein davon immer lebendig erhalten zu haben."35 Diese Relativierung des Geltungsanspruchs des Rechts ist von unmittelbarer politischer Bedeutung. Denn die Perspektive der Rechtsphilosophie koinzidiert mit der des Bürgers, der sich die Frage stellt, ob er ungerechten Normen des positiven Rechts die Gefolgschaft versagen dürfe. Radbruchs Antwort auf diese Frage ist konsequent: Gesetze, die nicht den Sinn haben, der Gerechtigkeit zu dienen, sondern als Instrumente des politischen Kampfes eingesetzt werden - wie die ausdrücklich genannten Sozialistengesetze und bestimmte Gesetzgebungsakte im Rahmen des Kulturkampfes - sind für den einzelnen unverbindlich. 36 Soll diese Konzession an das materiale Element der Rechtsidee, die Gerechtigkeit, nicht mit dem völligen Bedeutungsverlust der Rechtssicherheit erkauft werden, muß sie mit einer Sicherung versehen werden, die eine Erosion der positiven Rechtsordnung verhindert. Diese Sicherung resultiert aus der Unterscheidung der Perspektive des Bürgers auf der einen, der des Juristen und der von ihm verwalteten Rechtsordnung auf der anderen Seite. Das Recht, "wie der Jurist es auszulegen und zu handhaben verpflichtet ist", darf der Überzeugung von der Nichtgeltung bestimmter Rechtsnormen keine Beachtung schenken. 37 Für den Richter ist es Berufspflicht, den Geltungswillen des Gesetzes ohne Rücksicht auf dessen materialen Gehalt zur Geltung zu bringen. Mit dieser Differenzierung wird das, was zunächst als Problem der Geltung positiven Rechts formuliert wurde, unversehens zu einer Frage der Überzeugung von der Verbindlichkeit bzw. der Richtigkeit des Rechts transformiert. Der Richter ist verpflichtet, auch das nach seiner Überzeugung unrichtige Gesetz anzuwenden. In der berühmten Formulierung Radbruchs: "Wir verachten den Pfarrer, der gegen seine Überzeugung predigt, aber wir verehren den Richter, der sich durch sein widerstrebendes Rechtsgefühl in seiner Rechtstreue nicht beirren läßt."38 Die Formulierung läßt keinen Zweifel daran, daß diese Pflicht des Richters als eine sittliche Pflicht zu verstehen ist. Radbruch sucht die Lösung des Problems der Verbindlichkeit materiell unrichtigen Rechts also nicht, wie 350ie Problematik der Rechtsidee. S. 49. 36&.&.0. 37&.&.0.

38Rechtsphilosophie. S. 182.

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heutige Autoren aus dem positivistischen Lager, in der Unterscheidung zwischen der rechtlichen und der moralischen Verbindlichkeit einer Norm - er kann sie dort nicht suchen, weil er die Pflicht zur Rechtsbefolgung überhaupt nur als moralische Pflicht eines autonomen Subjekts denken kann. An die Stelle dieser Differenzierung tritt die zwischen der Verbindlichkeit gegenüber dem Bürger einerseits, dem Rechtsanwender andererseits. Gegenüber dem Bürger, der von der Unrichtigkeit bzw. der Unverbindlichkeit einer Rechtsnorm überzeugt ist, begründet diese kein Sollen, sondern lediglich ein Müssen. Die Konsequenz ist die Forderung nach Respektierung des Überzeugungstäters, die Radbruch in seinem Strafgesetzentwurf in den Vorschlag einer nicht entehrenden Sonderbehandlung ausgemünzt hat. Das Problem der Verbindlichkeit "ungerechten" Rechts wird damit subjektiviert und infolgedessen entschärft. Der notwendige Bezug des Rechts auf die Gerechtigkeit - Recht ist nur, was der Gerechtigkeit wenigstens zu dienen bezweckt39 - führt bei Radbruch nicht zu der Konsequenz, Normen des positiven Rechts, die dieses Bezugs entbehren, als schlechthin unverbindlich zu betrachten. 4o

2. Das Verhältnis von Legislative und Judikative

Der Streit um die Kompetenzabgrenzung zwischen Regierung und Parlament auf der einen und der Justiz auf der anderen Seite in der Weimarer Zeit, der seine sinnfälligste Ausprägung in der Auseinandersetzung zwischen Reichsregierung und Reichsgericht um die Aufwertung der inflationsbedingt entwerteten Geldschulden findet 41 , wird unter institutionellverfassungsrechtlichen wie unter rechtstheoretischen Gesichtspunkten geführt. Unter verfassungsrechtlichem Aspekt steht im Mittelpunkt das Problem eines richterlichen Prüfungsrechts hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen 42 sowie, damit im Zusammenhang, die Frage, ob der Gleichheitssatz des Art. 109 WRV nur den Rechtsanwender oder auch den Gesetzgeber binde. 43 Rechtstheoretisch geht es um die Möglichkeit und Reichweite der Gesetzesbindung bzw., komplementär dazu, um die Befugnis des Richters zu Rechtsfortbildung und freier Rechtsfindung. Beide Fragen werden explizit in einen parteipolitischen Zusammenhang gestellt - sowohl von Radbruch, der die Forderung nach einem richterlichen Prü39Die Problematik der Rechtsidee,.S. 43. 40Gegen diese von Riimelin gezogene Konsequenz (Die Gleichheit vor dem Gesetz, 1928, S. 80) Radbruch, GA Bd. 1, S. 541. H Darstellung bei R08enbaum, Naturrecht und positives Recht, 1912, S. 80 m. Nachw. 42Dazu etwa E. Kaufmann, Die Gleichheit vor dem Gesetz im Sinne des Art. 109 der Reichsverfassung, 1921. 43 w ie FN 49

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fungsrecht dem politischen Programm der Rechtsparteien zuordnet 44 wie etwa von James Goldschmid', der das Freirecht als methodische Waffe gegen eine unbrauchbare Gesetzgebung bezeichnet, die ein demokratischer Absolutismus hervorgebracht habe. 45 Diese letztere Äußerung enthält einen Hinweis darauf, daß die traditionell dem Naturrecht zugefallene Rolle der Opposition gegen das positive Recht jetzt von einer Richtung übernommen wird, die eher dem Spektrum der juristischen Methodenlehre als dem traditioneller, axiologisch ausgerichteter rechtsphilosophischer "Schulen" zugehört. Die Einschätzung der Weimarer Zeit als Periode eines unbestritten herrschenden Positivismus 46 wird jedenfalls dann fragwürdig47 , wenn man das subkutane Naturrecht der Freirechtsbewegung mit berücksichtigt.48 Freilich handelt es sich um eine naturrechtliche Position nur im methodischen, nicht in einem substantiellen Sinne: an die Stelle apriorischer Rechtsprinzipien oder geoffenbarter Rechtswahrheiten tritt das historisch wandelbare und individuell unterschiedliche Rechtsgefühl. Radbruch hat die Notwendigkeit der Orientierung des Richters an eigenen Werturteilen in Auseinandersetzung mit dem "positivistischen" Dogma von der Lückenlosigkeit des Gesetzes 49 verteidigt. Neben dem Gesetz ist, wie Radbruch in einer als "Beitrag zum juristischen Methodenstreit" untertitelten Arbeit formuliert, das Rechtsbewußtsein als Rechtsquelle anzuerkennen. 50 Da dieses Rechtsbewußtsein unüberwindlich subjektiv ist, seine Wertungen jeder beweisbaren Allgemeingültigkeit entbehren51 , ist das richterliche Urteil wie die wissenschaftliche Bearbeitung des Rechts eine schöpferische Leistung, die den Einsatz der ganzen Persönlichkeit verlangt.52 Die politische Intention dieser Methodenlehre zielt eher auf eine Popularisierung des Rechts als auf eine Verschiebung der Gewichte von Legislative und Judikative: Nur das aufrichtige Bekenntnis zur richterlichen Rechtsschöpfung könne der EntfremH Rad6ruch, GA Bd. I, S. 547 (Rezension von Rfunelin, Die Gleichheit vor dem Gesetz 1928); vgl. auch Radbruch, Richterliches Prülungsrecht, in: Die Justiz I (1925/26), S. 12 H. 45Zitiert nach Manigk, Wie stehen wir heute zum Naturrecht?, 1926, S. 8. 46So Welzet, Naturrecht und Rechtspositivismus, in: Niedermayer-Festschrift 1953, S. 290 H. HSkeptisch zu dieser Einschätzung Langner, Der Gedanke des Naturrechts seit Weimar und in der Rechtsprechung der Bundesrepublik, 1959, S. 10 H. 48Zur (Selbst-)Einschitzung der Freirechtslehre als "Auferstehung des Naturrechts" vgl. Gnaeu6 Flaviu6 (H. Kantorowicz), Der Kampf um die Rechtswissenschaft, 1906, S.10. 49GA Bd. I, S. 484 (in Auseinandersetzung mit Anschütz). 50 Rechtswissenschaft als Rechtsschöpfung. Ein Beitrag zum juristischen Methodenstreit (1906), GA Bd. I, S. 409 H., 419. 51 Rad6ruch, Rezension von Hoche, Das RechtsgeC"ühl in Justiz und Politik, 1932, GA Bd. I, S. 556 H., 557/558. 52 Rechtswissenschaft als Rechtsschöpfung, S. 418.

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dung von Recht und Volk abhelfen, die vornehmlich auf der Prätention der Justiz beruhe, mit Hilfe eines geheimnisvollen Denkvorgangs die jeweilige Entscheidung zuverlässig aus dem Gesetz ableiten zu können. 53 Es geht also um die Offenlegung, nicht um eine Erweiterung des richterlichen Gestaltungsspielraums. Radbruchs Mißtrauen gegenüber einer Ausweitung richterlicher Machtbefugnisse hat seinen Grund nicht nur in der rechtskonservativen ideologischen Ausrichtung eines großen Teils der Richterschaft der Weimarer Zeit. Die Forderung nach einer Auflockerung der richterlichen Gesetzesbindung gehört nicht historisch-zufällig, sondern prinzipiell zu einem "rechten" politischen Programm, weil die Rechtsform als solche den sozial Benachteiligten dient. Nur der Rechtsformalismus könne, wie Radbruch unter Bezug auf Fraenkel formuliert, die unterdrückte Klasse vor Willkürakten schützen. 54 Die politische Einfärbung des Rechts resultiert insofern nicht aus seinem Gehalt, sondern aus seiner Form. Der Grund dafür liegt in einer Eigentümlichkeit des Rechts, die man in heutiger Terminologie als immanente Universalisierbarkeitstendenz bezeichnen könnte. Sobald die Interessen einer Gruppe nicht mehr als Interessen, sondern als rechtliche Forderungen geltend gemacht werden, drängen sie über die Begrenzung auf diese Gruppe hinaus. Die Eigengesetzlichkeit der Rechtsform erzwingt die Generalisierung der in Rechtsnormen oder Rechtsforderungen transformierten Interessen. 55 3. Politische Konsequenzen des rechtsphilosophischen Relativismus

Der erkenntnistheoretisch begründeten Absage an das Naturrecht entspricht die Überzeugung, daß die Behauptung der inhaltlichen Richtigkeit einer bestimmten Rechtsnorm nur unter Bezug auf bestimmte normative und empirische Prämissen Gültigkeit beanspruchen kann. Rechtsnormen können nicht an dem Maßstab, wohl aber an Maßstäben der Gerechtigkeit gemessen und nach ihnen beurteilt werden; die Entscheidung zwischen diesen Maßstäben ist als Akt des Bekenntnisses dem Bereich wissenschaftlicher Erkenntnis entzogen. Für die Frage der richtigen Gestaltung der politischen Ordnung scheint diese relativistische Position zu einem non liquet zu führen; zu erwarten wäre eine Auffassung, die auch die Entscheidung zwischen unterschiedlichen Strukturmodellen von Staat und Gesellschaft zu einer Frage des persönlichen Bekenntnisses erklärt. Im Gegensatz dazu

5.

S3 a .a .O.,

S. 422. Radbruch, Klassenrecht und Rechtsidee (1929), in: ders., Der Mensch im Recht, 1957, S. 23-34. 55Dazu Cattaneo, Gustav Radbruch als Theoretiker und Verteidiger des Rechtsstaates, in: Arthur Kaufmann (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Gustav Radbruch, 1968, S. 182 ff., 186. 6 Naturrecht und Politik

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zieht Radbruch aus dem relativistischen Ansatz detaillierte Konsequenzen für die Gestaltung des politischen Lebens. Aus dem Relativismus folgen, so Radbruch, die überlieferten Forderungen des Naturrechts - die Forderungen der Freiheit, der Rechtsstaatlichkeit, der Demokratie, darüberhinaus die Forderung nach Verwirklichung einer sozialistischen Gesellschaftsordnung und einem Sonderstrafrecht rur Überzeugungstäter. 56 Radbruch ap