Natürliche und juristische Personen [1 ed.] 9783428564552, 9783428164554

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Natürliche und juristische Personen [1 ed.]
 9783428564552, 9783428164554

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Natürliche und juristische Personen Von Eduard Hölder

Duncker & Humblot reprints

Natürliche und juristische Personen.

Natürliche und juristische Personen. Don

Dr. Eduard Hölder, Professor der Rechte in Leipzig.

Leipzig, Verlag von Duncker & HumbIot. 1905.

Vorwori. Nachdem die Theorie der juristischen Person als „einer Person, welche bloß zu juristischen Zwecken angenommen wird", 1840 durch Savigny ihre klassische Formulierung erhalten hatte, erstand gegen sie eine doppelte Opposition von entgegengesetzten Ausgangs­ punkten aus, zuerst seit 1843 durch die Genossenschaftstheorie und dann seit 1857 durch die Theorie des Zweckvermögens. Jene ist durch Georg Beseler begründet und wesentlich durch Otto Gierke ausgebildet worden. Sie hat durch ihre fort­ schreitende Ausbildung zugleich eine wesentliche Änderung erlitten. Gierke betont selbst (Genossenschaftstheorie S. 2), daß sie ur­ sprünglich „körperschaftliche und gesellschaftliche Gebilde ineinander rinnen ließ". Nichts hat man ihr früher mehr zum Vorwurf ge­ macht als die Verwischung des Gegensatzes der juristischen Person und der Gesellschaft oder die Annahme eines Mitteldings zwischen beiden. Jetzt unterscheidet Gierke scharf Gesellschaft und Körper­ schaft und verwirft auch die Annahme von Übergangsgebilden zwischen beiden, wenngleich er diese Unterscheidung weder termino­ logisch festhält, wenn er die Körperschaft als „gesellschaftlichen Körper" bezeichnet (z. B. a. a. O. S. 23 und 24), noch ein be­ stimmtes beide gegeneinander abgrenzendes Merkmal anzugeben weiß (Vereine ohne Rechtsfähigkeit 2. Stuft. 1902 S. 10 ff.). Wenn es schon im römischen Rechte im Gegensatze zur gewöhn­ lichen societas nach Florentius Zeugnis eine solche gab, die personae vice fungitur, so hat F. L. Keller, ein als Romanist und zugleich durch sein Verständnis des praktischen Lebens hervor­ ragender Mann, erklärt, der zwischen „Korporation und Sozietät"

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Vorwort.

bestehende Gegensatz sei „im römischen Rechte so gut als ganz rein durchgeführt"; die Neuzeit habe aber „das ganze Zwischen­ gebiet ausgefüllt, alles Aufgezählte als bloße Elemente behandelt und daraus durch jede mögliche Kombination die mannigfachen Gebilde im Fache menschlicher Verbindungen ins Leben gerufen" (Pandekten § 41). Ist es danach zweifelhaft, ob die Genossen­ schaftstheorie mit Recht im Gegensatze zu ihrer ursprünglichen Fassung zur Annahme absoluter Verschiedenheit der Gesellschaft und der Körperschaft zurückgekehrt ist, so muß auf der anderen Seite die Frage aufgeworfen werden, ob es überhaupt einen ein­ heitlichen Begriff der Körperschaft gibt. So wenig man diese Frage auszuwerfen pflegt, so wenig dürfte die Annahme befriedigen, daß eine Kegelgesellschaft, die sich in das Vereinsregister hat ein­ tragen lassen, zu derselben Art von Dingen gehöre wie der Staat, dagegen nicht zu derselben Art, zu der sie bis zu ihrer Eintragung gehörte, und zu der andere Gesellschaften gehören. Während die Genossenschaftstheorie von der Vereinigung ver­ schiedener Menschen zu einem „gesellschaftlichen Körper" ausgeht und nur mit Mühe auch einer Stiftung oder Anstalt die Natur eines solchen zuerkennen kann, ist dagegen die durch Brinz auf­ gebrachte Theorie des Zweckvermögens mehr auf diese be­ rechnet. Sie läßt das Zweckvermögen zu seinem Zwecke in einer Beziehung derselben Art stehen wie das Vermögen einer Person zu seinem Subjekte. Weder die Theorie, nach der Menschen und Körperschaften zweierlei Personen sind, noch die Theorie, nach der das bestimmten Menschen und das bestimmten Zwecken dienende Vermögen zweierlei Vermögen ist, läßt sich auf ihre Berechtigung prüfen, ohne einzugehen auf die Persönlichkeit des Menschen. Die „juristischen Personen" sind nicht zu verstehen ohne Verständnis für die „natürlichen Personen". Manche betrachten den ganzen Rechtsbegriff der Person als eine Schöpfung des positiven Rechtes. Die Persönlichkeit der Rechtsgenossen ist aber etwas, das jedes positive Recht voraussetzt. Gewiß gibt es kein Naturrecht, sondern nur positives, geschichtlich entstandenes und sich änderndes Recht. Ebenso gewiß gibt es aber, wie eine Natur des Menschen, so eine auf dieser beruhende Natur des Rechtes, deren Merkmale in verschiedenen Rechten sehr verschieden entwickelt sind, aber keinem

Vorwort.

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Rechte ganz fehlen. Jede Rechtsordnung hat menschliches Zu­ sammenleben nicht nur zu ihrem Gegenstände, sondern auch zu ihrer Quelle, und die Persönlichkeit der Rechtsgenossen ist, wie eine solche, deren Betätigung sich durch das Recht bestimmt, so auch eine solche, durch deren Betätigung sich das Recht bestimmt. Die Be­ deutung, die ihr von Rechts wegen zukommt, geht zurück auf die Bedeutung, die ihr für die Existenz des Rechtes zukommt. Daher gehen wir aus vom Begriffe der Persönlichkeit als einem nicht spezifisch juristischen und wenden uns dann zur Betrachtung des Rechtes und des Menschen als einer Person im Sinne desselben, was er ist in der doppelten Bedeutung teils einer selbständigen, teils einer unselbständigen Person oder teils eines Subjektes eigener, teils eines Objektes fremder Macht und Sorge. Wie er Objekt solcher ist als Angehöriger der Rechtsgemeinschaft, so ist er Subjekt solcher teils in seinem individuellen, teils im gemeinsamen Interesse der Rechtsgenossen als Organ der Rechtsgemeinschaft oder Vertreter derselben und ihrer Angehörigen, und die dem Gemein­ wesen zugeschriebenen Rechte und Verbindlichkeiten sind Rechte und Verbindlichkeiten der in Gemäßheit seiner Verfassung in seinen Angelegenheiten zuständigen Menschen. Etwas anderes als ein Gemeinwesen ist ein Verein. Seine Rechte und Verbindlichkeiten sind siechte und Verbindlichkeiten seiner Mitglieder. Auch sie sind amtliche Rechte und Verbindlich­ keiten, wenn der Verein die Förderung des Lebens anderer Menschen als seiner Mitglieder bezweckt. Andernfalls ist er eine Gesellschaft, die von anderen Gesellschaften sich dadurch unterscheidet, daß für die Gesellschaftsverbindlichkeiten nicht oder doch nicht in erster Linie die einzelnen Gesellschafter mit ihrem vom Vermögen der anderen getrennten Vermögen, sondern entweder ausschließlich oder doch in erster Linie die vereinigten Gesellschafter oder ihre Vertreter mit dem ihnen gemeinsamen Gesellschaftsvermögen haften. Die Behandlung des Gemeinwesens als eines neben den übrigen Privatrechtssubjekten existierenden Privatrechtssubjektes be­ deutet die Behandlung bestimmter Rechte und Verbindlichkeiten der verschiedenen in seinen Angelegenheiten zuständigen Menschen, wie wenn sie private Rechte und Verbindlichkeiten eines Menschen wären, dessen Vertretung jenen Menschen zukommt. Ebenso wird

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Borwort.

das Vermögen eines rechtsfähigen Vereins, aber in bestimmtem Umfange auch schon jedes Gesellschaftsvermögen behandelt, wie wenn es das Vermögen eines von allen wirklich existierenden Menschen, insbesondere den Mitgliedern des Vereins oder der Ge­ sellschaft verschiedenen und durch diese vertretenen Menschen wäre. Es wird nicht an solchen fehlen, die unsere Auffassung der juristischen Personen ohne Rücksicht auf ihren übrigen Inhalt für rückständig erklären wegen der ihr mit der Lehre Savignps ge­ meinsamen Statuierung einer Fiktion. Gegen die Annahme der Unzulässigkeit jeder juristischen Fiktion sei aber hier nur die Frage gestattet, ob ohne eine solche die Rede sein kann von einem Rechts­ geschäfte, das ein Vertreter vornimmt „int Namen des Vertretenen mit sich im eigenen Namen oder als Vertreter eines Dritten" (§ 181 BGB.), und ob bestritten werden kann, daß ein in dieser doppelten Rolle von einem solchen vollzogener „Vertrag" zwar kein Vertrag ist, aber als Vertrag gilt oder die rechtliche Wirkung eines Vertrages hat. Diese Schrift handelt nicht vom ganzen Rechte der natürlichen und , juristischen Personen, sondern von ihrem Wesen, zu dessen Illustrierung sie auf manche Bestimmungen unseres Rechtes wie des römischen Rechtes eingeht, ohne diese ex professo zum Gegenstände zu haben. Die Grundsätze, die sie aufstellt, beansprucht sie als solche, die unserem Rechte zugrunde liegen, wenn gleich weder unser Gesetz sie aus­ spricht noch sein Inhalt durchweg mit ihnen übereinstimmt. Die einzelnen Bestimmungen eines positiven Rechtes können seinen Prinzipien zuwiderlaufen nicht nur aus Gründen der Zweckmäßig­ keit, sondern auch, weil ihre Urheber seine Prinzipien nicht deut­ lich erfaßt haben. Wer die Prinzipien unseres Rechts untersucht, kann nicht umhin, gegen seine einzelnen Bestimmungen in der Richtung Kritik zu üben, daß er sie unter Umständen als prinzip­ widrig und auf der Verkennung eines Prinzips oder seiner Kon­ sequenzen durch ihre Urheber beruhend nachweist. So ist die Natur eines gemeinnützigen Vereins verkannt durch die Bestimmung des § 33 BGB., daß seine Mitglieder im Falle ihrer Überein­ stimmung durch Änderung seines Zweckes sein Vermögen aus einem dem gemeinen Besten in ein ihrem Besten dienendes ver­ wandeln können. Ebenso sind die Konsequenzen der Existenz eines

Vorwort.

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besonderen Gesellschaftsvermögens verkannt, wenn verneint wird, daß die es verwaltenden Menschen als solche belangt werden können, die für die Gesellschaftsschulden mit ihm haften. Die Literatur über die hier behandelten Fragen ist so aus­ gedehnt, daß eine durchgehende Berücksichtigung auch nur ihrer hervorragendsten Erzeugnisse, deren Auswahl in einwandfreier Weise zu treffen ohnedies nicht möglich wäre, dieser Schrift einen weder dem Verfasser noch dem Leser erwünschten Umfang gegeben hätte. Ganz besonders gilt dies für die Behandlung des Begriffs der Persönlichkeit als eines nicht spezifisch juristischen. Der Ver­ fasser gibt daher Zitate nur insoweit, als ihm zweckmäßig schien, eigene Ausführungen an fremde Aussprüche anzuknüpfen. Natür­ lich durfte eine eingehende Beleuchtung der zwei entgegengesetzten Theorien von Gierke und Brinz nicht fehlen, denen wir die eindringendste Behandlung der juristischen Personen verdanken. Die vom Verfasser sonst der Literatur gegenüber geübte Enthalt­ samkeit erstreckt sich insbesondere auch auf eigene frühere Aus­ führungen. Aus der neuesten Literatur erwähne ich wegen des Verhältnisses seiner Auffassung zur meinigen das Buch von Alexander Hold v. Ferneck: „Die Rechtswidrigkeit", 1903. Sein Verfasser erfaßt gleich mir die Rechtsbeziehungen eines Gemeinwesens als Rechtsbeziehungen der in dessen Angelegenheiten zuständigen Menschen, schreibt aber diesen nicht Rechte, sondern nur Pflichten zu und läßt den Menschen eine Person sein in seiner Eigenschaft als Träger von Durchschnittsinteressen, während das Gebiet der rechtswirksamen Betätigung seiner Persönlichkeit ein Gebiet der Betätigung seines sich durch seine Individualität bestimmenden Willens ist. Übereinstimmung besteht zwischen mir und v. Ferneck auch in dem Punkte, den man für selbstverständlich halten sollte, und worin doch die meisten Juristen anderer Meinung sind, daß es keine Pflichten Handlungsunfähiger oder kein Sollen ohne Können gibt. Wenn die Rechtsverhältnisse eines Handlungs­ unfähigen ein rechtliches Sollen und Können nicht ihres nominellen Subjektes, sondern seines gesetzlichen Vertreters bedeuten, so ist nicht jenes, sondern dieser das Subjekt der durch ihre Existenz gegebenen Macht und Pflicht, und wenn Bernatzik (Archiv für öffentliches Recht V S. 317) meint, eine solche Auffassung ver­

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Vorwort.

biete uns der Sprachgebrauch aufs bestimmteste, so ist dieser nie eine schlechthin entscheidende Instanz, dagegen um so öfter ein schwer zu beseitigendes Hindernis richtiger Erkenntnis. Während des Drucks dieser Schrift ist erschienen die zweite Auflage von Jellineks System der subjektiven öffentlichen Rechte. Seiner Auffassung der Persönlichkeit als eines Produktes des positiven Rechtes bin ich schon in meinem Vortrag über objektives und subjektives Recht (1893 S. 23) entgegengetreten. Mit Recht betont er, dem Einzelnen trete der Staat „stets nur in der Gestalt kompetenzbegabter Organe gegenüber" (S. 80). Wenn es aber nach ihm „ein schwerer Irrtum" wäre anzunehmen, daß „die staat­ liche Organstellung tragenden Personen den Einzelnen zu irgend etwas verpflichtet wären", so ist m. E. ein solcher vielmehr diese Negation. Freilich hat der Richter, wie Jellinek betont, „nur kraft seiner Amtspflicht zu handeln"; wer möchte aber im Ernste behaupten, der zum Schaden eines bestimmten Menschen sie verletzende Richter habe, weil sie nur dem Staate gegenüber bestehe, keine Pflicht gegen jenen verletzt? Leipzig, im Oktober 1905.

E. Holder

Inhalt. Seite

I. Die 1. 2. 3.

Persönlichkeit im allgemeinen. Die Bedeutung der Persönlichkeit.................................................. 1 Die Theorie Gierkes................................................................................42 Der Begriff des Organs.......................................................................55

II. Die rechtliche Persönlichkeit des Menschen. 1. 2. 3. 4.

Das Recht................................................................................................71 Die Vertretung........................................................................................94 Die doppelte rechtliche Bedeutung desBegriffs der Person . . 111 Die ruhende Persönlichkeit.............................................................. 134

III. Das Gemeinwesen. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Überhaupt.............................................................................................. 156 Römisches Recht...................................................................................... 169 Die Träger der Rechte und Verbindlichkeiten des Gemeinwesens 184 Die Persönlichkeit des Gemeinwesens.............................................203 Das Gemeinwesen als Privatrechtssubjekt.....................................218 Die Persönlichkeit des Amtes............................................................. 223 Die Stiftung..........................................................................................241

IV. Der Verein. 1. Verein und Gesellschaft.......................................................................266 2. Zweierlei Vereine.................................................................................. 286 3. Die Persönlichkeit der Vereine......................................................... 292 V. Der Begriff der juristischen Person. 1. Überhaupt.............................................................................................. 301 2. Verwandte Verhältnisse. a) Das interimistische Amtsvermögen.............................................315 b) Das Gesellschaftsvermögen............................................................. 326 3. Die Personifikation............................................................................. 331 4. Das Rechtsgebiet der juristischen Personen.................................... 348 VI. Schluß.................................... ......................................... .........................353

Berichtigungen. Seite 29 Zeile 6 von unten lies: ,ben" anstatt „die". 29 5 „ „ „ „Gefühlen" anstatt „Gefühle". 4 „ „ „ 29 .die" anstatt „den". „ 3 „ „ 40 .unbeschadet der" anstatt „ohne die „ 18 „ „ 50 „der" anstatt „des". 7 „ 109 „ „ „der" anstatt „des". „ 17 „ 110 oben .deren" anstatt „der", 12 „ oben doch" anstatt „noch". 169

I. Die Persönlichkeit im allgemeinen. 1. Die Bedeutung der Persönlichkeit. Die Bezeichnungen der Person und der Persönlichkeit werden vielfach in demselben Sinne gebraucht. Das zweite Wort bezeichnet eine Eigenschaft, das erste ein Ding, das jene Eigenschaft hat. Beide können in demselben Sinne verwendet werden, weil es keine Person gibt ohne Persönlichkeit und keine Persönlichkeit ohne eine Person, der sie zukommt. Damit, daß wir von der Per­ sönlichkeit als einer Eigenschaft reden, geben wir zugleich zu er­ kennen, daß ein Ding, das eine Person ist, in seiner Persönlichkeit nicht aufgeht. Ist der Mensch eine Person, so ist er doch nicht nur eine Person; neben der Eigenschaft oder Gesamtheit von Eigen­ schaften, die wir als seine Persönlichkeit bezeichnen, hat er noch andere von seiner Persönlichkeit unabhängige Eigenschaften. Dabei ist aber ein nicht seltener Fehlschluß zu vermeiden. Daraus, daß eine Person neben ihrer Persönlichkeit solche Eigenschaften hat, die von jener unabhängig sind, folgt nicht, daß auch jene von diesen unabhängig ist. Daraus, daß zwar der Mensch, aber nicht das Tier eine Person ist, folgt, daß die Existenz einer Person noch nicht gegeben ist durch die Existenz eines animalischen Organismus. Es folgt aber daraus nicht, daß jene ohne diese möglich ist. Wenn überhaupt die Menschen neben den Eigenschaften der Tiere andere den Tieren fremde Eigenschaften haben, so folgt daraus nicht die Möglichkeit dieser Eigenschaften ohne jene, die nicht schon dadurch gegeben ist, daß sie ohne jene denkbar sind. Geistiges Leben ist nicht körperliches Leben. Es ist nicht schon durch dieses gegeben. Es ist aber Holder, Nalürl. u. jurist. Personen.

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Die Persönlichkeit im allgemeinen.

darum nicht von diesem unabhängig. Die Persönlichkeit des Menschen ist nichts Körperliches. Daraus folgt aber nicht ihre Unabhängigkeit von seiner körperlichen Existenz. Hängt sie von dieser ab, so nennen wir mit Recht den Menschen eine körperliche Person oder einen solchen, der sowohl ein körperlicher Organismus als eine Person ist und dessen Persönlichkeit mit seiner körperlichen Existenz zusammenhängt. Die Persönlichkeit des Menschen ist eine Eigenschaft, die ihn auszeichnet vor anderen Dingen, mit denen er andere Eigenschaften gemein hat. Er ist ein körperliches Ding. Von einem solchen spricht man in verschiedenem Sinne. Die ganze Körperwelt ist trotz der Vielheit und des Wechsels ihrer verschiedenen Gestaltungen ein Ding durch deren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang. Auf ihm beruht der von ihrer Verschiedenheit absehende Begriff der Materie. Diese ist unentstanden und unvergänglich, daher auch weder der Vermehrung noch der Verminderung fähig. Jedes in bestimmter Gestalt neu auftauchende Stück derselben hat schon in anderer Gestalt existiert, und jedes in bestimmter Gestalt ver­ schwindende Stück derselben besteht in anderer Gestalt fort. Der Mensch ist ein körperliches Ding nicht im Sinne eines vom Wechsel seiner Gestalt unabhängigen Stücks der Materie, sondern im Sinne einer durch bestimmte Vorgänge entstandenen und dem Untergang durch andere Vorgänge ausgesetzten Gestalt, die nicht nur früher noch nicht existiert hat und später nicht mehr existieren wird, sondern auch während ihrer Existenz sich auf bestimmte durch ihre Natur­ gegebene Weise verändert unter beständiger Erneuerung ihres Stoffs, so daß es stets wechselnde Stücke der Materie sind, durch deren Vereinigung zu einem Ganzen sie besteht. Die Gestalten, zu denen der Mensch gehört, nennen wir Organismen. Die diesen eigne Art der Existenz ist das Leben. Persönlichkeit oder Selbstbewußtsein schreiben wir nur dem Menschen, Bewußtsein außerdem den Tieren zu; Orga­ nismen nennen wir auch die Pflanzen, was bedeutet, daß die den Menschen vor anderen Gestalten auszeichnende Besonderheit in geringerem Grade nicht nur dem Tiere, sondern auch der Pflanze zukommt. Wir kennen Organismen nur als solche, die von anderen gleichartigen Organismen abstammen. Ihnen ist ge­

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Die Bedeutung der Persönlichkeit.

meinsam diese Abstammung, der unter beständigem Stoffwechsel sich vollziehende Prozeß ihres Lebens und die Möglichkeit der Fort­ pflanzung, in der ihr Leben gipfelt als ein solches, das trotz seines nach vollendetem Wachstum und damit erlangter Fortpflanzungssähigkeit eintretenden Verfalls und Untergangs bis in die fernste Zukunft in der Weise wirksam sein kann, daß ihm neues Leben derselben Art entspringt. Während die Materie durch sich selbst besteht uild weder zunoch abnimmt, so stammt der Organismus nicht nur von fremdem, dem {einigen vorhergehendem Dasein ab, sondern er ist auch für seine fernere Existenz angewiesen auf fremdes, neben dem feinigen existierendes Dasein, dem er den zu seiner Erhaltung und Ent­ wicklung erforderlichen Stoff entnimmt, wie er den seinem Dasein nicht mehr förderlichen sondern hinderlichen Stoff an es abgibt. Hat er den Höhepunkt seiner Entwicklung erreicht, so geht er seiner Auflösung entgegen, ist aber zugleich fähig geworden, durch die in ihm erwachsenen und von ihm sich ablösenden Keime neuer Orga­ nismen nicht nur einen Ersatz für den durch seinen Verfall und Untergang eintretenden Verlust, sondern eine Vermehrung des Lebens herbeizuführen, für die es keine bestimmte Grenze gibt. Nur ans Organismen, aber auf alle Organismen, wenden wir die Bezeichnungen des Lebens und der Lebenskraft1, des Gedeihens und Verkümmerns, der Gesundheit und Krankheit an. Gleich einem Menschen oder Tiere ist eine Pflanze um so kräftiger und gesünder, je voller und reiner sich ihr Leben oder die ihr als einem Organismus eigne Art des Daseins entfaltet; insbesondere ist ihre Lebenskraft um so größer, je mehr sie nicht nur die Fähigkeit ferneren Lebens, sondern auchdieFähigkeithat,neues Leben gleicherArthervorzubringen. Bewußtsein, bewußte Bedürfnisse und bewußte Bedürfnisbefriedigung schreiben wir der Pflanze nicht zu. Auch ihr schreiben wir aber Bedürfnisse und Triebe zu. Und wie wir unserer Kraft und Ge­ sundheit uns erfreuen, über unsere Schwäche oder Krankheit uns betrüben, so finden wir an jedem Organismus seine Gesundheit 1 Die Lebenskraft eines Organismus hat nichts zu tun mit dem Be« griffe der sogenannten Lebenskraft als einer besonderen die Entstehung von Organismen ermöglichenden Naturkraft. 1*

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Die Persönlichkeit im allgemeinen.

und kräftige Entwicklung erfreulich, seine Krankheit und die Hemmung seiner Entwicklung unerfreulich. Wir legen damit seinem Leben gleich dem unsrigen, wenn auch in weit geringerem Maße, einen selbständigen Wert bei, an dem insbesondere auch seine Pro­ duktivität teilnimmt, in der sein Leben gipfelt. Indem wir seinem Leben selbständigen Wert sowohl sonst wie insbesondere als einer Quelle neuen Lebens beilegen, ist er für uns ein solcher, der so­ wohl um seiner selbst willen existiert als um der Organismen willen, deren Dasein dem seinigen entspringen wird. Vielfach be­ zeichnet man das Verhältnis des Individuums zur Gattung so, daß jenes nur durch diese und um dieser willen existiere. Die Gattung existiert aber nicht ohne die Individuen, aus denen sie besteht. Hätte das Individuum keinen eignen Wert, so hätte auch die Gattung keinen solchen. Das Individuum ist nicht, wie man sich gern ausdrückt, ein Erzeugnis der Gattung, sondern es ist ein Erzeugnis anderer Individuen derselben Gattung. Seine konkrete Bestimmtheit und damit sein bestimmter Wert beruht auf seiner Abstammung von bestimmten anderen Individuen und zwar nicht nur von denen, deren unmittelbares, sondern auch von allen, deren mittelbares Produkt es ist. Seine Bestimmtheit beruht aber keines­ wegs nur auf seiner Abstammung, sondern außerdem auf seiner Entwicklung oder der Geschichte seines Lebens. Die Bedeutung dieser steht hinter der Bedeutung jener insofern zurück, als das eigene Leben nur eine kurze Zeit umfaßt, während die Bedeutung der Abstammung auf eine unbegrenzte Vorzeit zurückgeht. Dagegen ist diese eine solche, die sich uns zwar oft aufs stärkste kundtut, die wir aber nicht begreifen, wogegen der Einfluß der Geschichte des eigenen Lebens unserem Verständnisse nicht ebenso unzugänglich ist. Ein geschichtliches ist das eine Moment so gut wie das andere. Wer der Geschichte und damit dem ganzen Weltlaufe als einem das zur Entstehung gelangte Individuum berührenden die Kraft aberkennt, seine Individualität zu beeinflussen, der dürfte diese auch nicht von geschichtlichen Vorgängen abhängen lassen, die seiner Entstehung vorangingen. Gibt es doch nichts, dessen Existenz und Beschaffenheit zwar ein Produkt der Geschichte, aber für die Zukunft ihrem Einfluß entrückt wäre. Liegt im Begriff des Orga­ nismus die Möglichkeit seiner Entwicklung innerhalb bestimmter

Die Bedeutung der Persönlichkeit.

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durch seine angeborene Natur gegebener Grenzen, so hängt die Verwirklichung jener Möglichkeit ab vom Gange seines Lebens, ist also gleich seiner Entstehung seine weitere Entwicklung ge­ schichtlich bedingt. Dies gilt von jedem Organismus, hat aber um so mehr Bedeutung, je mehr wir in der Stufenleiter der Organismen fortschreiten; denn je höher und mannigfaltiger orga­ nisiert ein solcher ist, desto reicher und wechselvoller kann sich auch die Wechselwirkung zwischen ihm und der übrigen Außenwelt ent­ falten. Mit der höheren Bedeutung der Geschichte seines Lebens verbindet sich eine höhere Bedeutung der Vorgeschichte desselben oder seiner Abstammung von bestimmten anderen Individuen, die auch schon durch die geschichtliche Entwicklung ihres Lebens wie des Lebens ihrer Eltern und Voreltern sich mehr von einander unter­ schieden als die Individuen weniger hoch organisierter Gattungen. Sagt man, das Dasein der Pflanze und des Tieres gehe im Dasein der Gattung auf, wogegen erst dem Menschen Individualität zukomme, so handelt es sich in Wirklichkeit um einen bloßen, wenn auch höchst bedeutenden Gradunterschied. Hat eine Pflanze ihre konkrete Bestimmtheit nicht schon dadurch, daß sie eine Pflanze dieser Gattung ist, sondern dadurch, daß sie von diesen anderen Pflanzen abstammt, aber auch dadurch, daß sie in dem bestimmten Boden wurzelt und aus ihm ihre Nahrung zieht, daß sie durch ihren bestimmten Standort der Sonne, dem Wind und dem Regen in bestimmter Weise ausgesetzt ist, sowie durch alle sonst zwischen ihr und ihrer Umgebung stattfindende Wechselwirkung, so kommt ihr unverkennbar eine geschichtlich gegebene und mit ihren Er­ lebnissen oder ihrer Geschichte sich ändernde Individualität zu. Freilich keine bewußte Individualität. Eine solche hat dagegen das Tier. Es hat Lust- und Unlustgefühle. Es hat den bewußten Trieb, seine Lust zu steigern und seine Unlust zu beseitigen. Es hat die Fähigkeit, durch willkürliche Bewegung die Lust, nach der es strebt, zu suchen und zu finden und der Unlust, die es fürchtet, ;u entfliehen. Es könnte diese Fähigkeit nicht haben ohne eine gewisse Erkenntnis der Wechselwirkung zwischen ihm und seiner Umgebung, ohne ein Wissen davon, wie diese auf sein Leben fördernd und störend einwirkt und wie es selbst durch Einwirkung auf sie sein Leben fördern und von Hemmungen befreien kann. Hat es aber

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Die Persönlichkeit im allgemeinen.

im Gegensatze zur Pflanze die Möglichkeit des Bewußtseins und bewußter Förderung seines Lebens, so ist doch nicht sein ganzes Leben ein bewußtes und steht nicht sein bewußtes Leben selb­ ständig neben dem unbewußten. Es ist dasselbe Leben, das sich betätigt durch sein willkürliches und sein unwillkürliches Verhalten. Das Leben schließt in sich den Trieb seiner möglichsten Erhaltung und Steigerung. Sie ist der letzte Zweck nicht nur der willkür­ lichen, sondern auch der unwillkürlichen Lebensäußerungen des Organismus. Das bestimmte, diesem Zwecke dienende Verhalteil kann in seinem ganzem Umfange ein unwillkürliches sein, wogegeil es nie in seinem ganzen Umfange ein willkürliches ist. Auch der Mensch, der im Verhältnis zum Tiere einen sehr viel weiteren Umfang der Erkenntnis und damit der Willkür hat, verdankt vielfach seinem unwillkürlichen Verhalten für die Förderung seines Lebens weit mehr als seinem willkürlichen Verhalten, das seiner­ seits die ihm zukommende Bedeutung nie für sich, sondern nur in Verbindung mit dem durch dasselbe angeregten unwillkürlichen Ver­ halten hat. Bin ich krank, so kann ich meine Heilung durch mein will­ kürliches sie bezweckendes Verhalten befördern, das aber ebensogut sie vielmehr hindern kann, weil ich eine falsche Vorstellung über seine Wirkung habe. Mächtiger und sicherer arbeitet für jenen Erfolg meine kräftige, gegen schädliche Einwirkungen energisch reagierende Konstitutton. Dem Zweck meiner Ernährung dient das willkürliche Verhalten, daß ich eine Speise in meinen Mund nehme, in ihm zerkleinere und verschlucke; damit sie mir aber wirklich zur Nahrung werde, ist eine Reihe unwillkürlicher Tätigkeiten meines Organismus erforderlich. Ist er normal beschaffen, so ist seine dem Willensakte der Nahrungsaufnahme folgende unwillkürliche Arbeit für meine Ernährung stets zweckmäßig. Wie leicht begegnet dagegen bei der Wahl einer Speise ein Irrtum über ihre Tauglichkeit. Ist mein Organismus sehr geschwächt, so kann er auch die mit der größten Sorgfalt ausgewählte und an sich verdaulichste Speise nicht gehörig verarbeiten. Je kräftiger er ist, desto eher kann er auch aus einerschlecht gewählten Speise noch Nahrung ziehen und eines ihm überhaupt nicht förderlichen, sondern ausschließlich schädlichen Stoffes sich ohne erhebliche Schädigung erwehren oder ent­ ledigen.

Die Bedeutung der Persönlichkeit.

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Wir kennen nicht den Kausalzusammenhang, kraft dessen das unwillkürliche Verhalten der Organismen ein solches ist, daß es ihr Leben fördert. Aber auch bezüglich ihres willkürlichen Ver­ haltens kennen wir diesen Zusammenhang vielfach nicht. Das Tier würde nicht mit heftiger Begierde und lebhafter Freude die Akte der Nahrungsaufnahme und der Begattung anstreben und vollziehen, wenn es nicht ihre Eigenschaft als solcher fühlen würde, die sein Leben fördern. Es weiß aber nichts davon, daß jener Akt die Erneuerung des Stoffes, aus dem sein Leib besteht, und dieser Akt die Entstehung neuen, dem {einigen gleichartigen Lebens bewirken wird. Es weiß ebensowenig bei der Auswahl seiner Nahrung, welcher Art von Stoffeil es zu seiner Ernährung bedarf. Daß es durch sein willkürliches Verhalten zweckmäßig tätig wird für die Befriedigung eines bestimmten Lebensbedürfnisses, ohne dessen Beschaffenheit und die Beschaffenheit der zu seiner Befriedigung geeigneten Mittel zu verstehen, bezeichnen wir als ein Werk seines Instinktes. Der Mensch ist in ungleich höherem Grade fähig, sowohl die Beschaffenheit seiner Bedürfnisse als die Beschaffenheit dessen zu verstehen, was ihre Befriedigung fördert und hindert. Wie aber beim Menschen der Umfang der sein willkürliches Verhalten leitenden Überlegung zunimmt, so nimmt dafür die Sicherheit seines Instinktes ab. Wenn das Tier nicht weiß, welche Stoffe zu seiner Ernährung taugen, aber doch in der Regel solche Stoffe, deren Einverleibung ihm nicht förderlich, sondern schädlich wäre, zu verzehren vermeidet, so kann der Mensch in weit umfassenderer Weise die Gegenstände seiner Verzehrung auf ihre Tauglichkeit zu seiner Ernährung prüfen, ist aber zugleich viel mehr der Gefahr ausgesetzt, wegen ungenügender oder irriger Überlegung Stoffe zu verzehren, die seinem Leben nicht förderlich, sondern schädlich sind. Doch ist dieser Unterschied nur ein Grad­ unterschied. Weder ist das Tier ohne Überlegung, noch ist der Mensch ohne Instinkt. Auch das Tier prüft die Gegenstände seiner Verzehrung. Wenn es einen solchen beriecht und je nach dem Ausfall dieser Prüfung zu sich nimmt oder liegen läßt, ent­ schließt es sich auf Grund einer Überlegung, von der wir nicht sagen können warum, wohl aber daß sie ihm zur Erwartung, die Verzehrung des Gegenstandes werde sein Leben fördern, hin­

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Die Persönlichkeit im allgemeinen.

reichenden Grund im ersten Fall gegeben, im zweiten nicht gegeben hat. Es kann nicht diese Erwartung hegen, ohne ein Kennzeichen dafür zu haben, daß sie begründet ist, und dieses Kennzeichen muß einen, wenn auch noch so entfernten Zusammenhang haben mit ihrer Eigenschaft als einer begründeten, da diese sonst nicht in der Regel zutreffen könnte, wenn es zutrifft. Beobachtet gleich ,rns das Tier ein bestimmtes willkürliches Verhalten, weil es die Eigenschaft desselben, sein Leben zu fördern, annimmt, so muß es gleich uns einen Grund für diese Annahme haben. Wir unter­ scheiden uns also vom Tiere nicht dadurch, daß wir uns Gedanken darüber machen, warum jenes Verhalten unser Leben fördert, sondern nur dadurch, daß unsere Gedanken darüber weiter reichen als die Gedanken des Tieres. Auch hier ist der Gegensatz kein absoluter. Auch unsere Gedanken erfassen ihren Gegenstand nie in seinem vollen Umfang und schon darum nie ganz richtig. Der Erfolg unseres Verhaltens kann hinter unserer Erwartung zurückbleiben, und er geht, da wir ihn nie vollständig übersehen, stets nach irgend einer Richtung über unsere Erwartung hinaus. Diese ist als Erwartung eines unserem Leben günstigen Erfolges Hoffnung, als Erwartung eines ihm ungünstigen Erfolges Furcht. Was wir als Erfolg unseres Verhaltens erhoffen, be­ zwecken wir, was wir als solchen befürchten, lassen wir uns gefallen. Was wir als Folge unseres Verhaltens erhoffen oder fürchten, ist nie eine schlechthin sichere, sondern wegen seiner Ab­ hängigkeit vom ganzen sich unserer Kenntnis entziehenden Weltlauf stets nur eine mögliche und mehr oder weniger wahrscheinliche Folge unseres Verhaltens, das neben ihr oder anstatt derselben eine unübersehbare Reihe anderer Folgen haben kann. Die Förderung wie die Schädigung, die wir durch unser Verhalten unserem Leben bereiten, kann sowohl hinter unseren Erwartungen zurückbleiben als sie übertreffen. Würde mein Verhalten ausschließlich die­ jenigen mir günstigen Folgen desselben bezwecken, die ich zur Zeit seiner Beobachtung erwartete, so hätte es seinen Zweck verfehlt, wenn anstatt derselben andere, mir vielleicht weit günstigere Folgen eintreten, und es hätte ihn erreicht, wenn jene eintreten, aber für mein Leben weit mehr ungünstig als günstig sind. Ist aber der letzte Zweck meines Verhaltens die Förderung meines Lebens, so

Die Bedeutung der Persönlichkeit.

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hat es in letzter Instanz seinen Zweck insoweit erreicht oder ver­ fehlt, als es mein Leben gefördert oder gehemmt hat. Zwecke sind wir gewöhnt nur unserem willkürlichen Verhalten zuzuschreiben. Gleich ihm sind aber die unwillkürlichen Funktionen unseres Organismus Lebensäußerungen, die unser Leben um so mehr fördern, je kräftiger und normaler wir organisiert sind und demgemäß unser Leben betätigen. Der Zweck möglichster Lebens­ förderung schließt in sich den Zweck möglichster Vermeidung der Lebenshemmung. Die Hemmung, die das Leben erfährt, kann so stark sein, daß es erlischt. Seine Förderung ist dagegen nie eine solche, daß es dadurch weiterer Förderung nicht mehr fähig oder bedürftig wäre. Eine gewisse Lebensförderung ist jede Lebens­ äußerung. Sie kann nach Maßgabe ihrer größeren oder geringeren Zweckmäßigkeit das Leben, das sie betätigt, mehr fördern oder mehr hemmen. Hat das Leben als solches Wert, so hat auch die Lebens­ äußerung als solche Wert; setzt sich doch das Leben zusammen aus der Gesamtheit der Lebensäußerungen. Ist sodann im Ver­ hältnis zum pflanzliche« Leben das tierische und im Verhältnis zu diesem das menschliche Leben ein höheres, so hat auch im Verhältnis zur pflanzlichen Lebensäußerung die tierische und im Verhältnis zu dieser die spezifisch menschliche Lebensäußerung einen höheren Wert. Ganz abgesehen davon, wie wir fühlen, denken und wollen, und welcher Wert dem bestimmten Bewußtseins­ vorgang durch seinen besonderen Inhalt zukommt, hat es Wert, daß wir fühlen, denken und wollen, und unser Fühlen, Denken und Wollen ist um so wertvoller, je umfassender und energischer­ es ist. Wenn gleich der Materie ihre Kraft oder Energie konstant ist und auf jene bezogen der Begriff der Energie mit dem Begriffe der Trägheit zusammenfällt, so sind für Organismen beide Begriffe Gegensätze. Je mächtiger er sein Leben betätigt, je mehr er es zu behaupten und zu steigern, aus seiner Umgebung Gewinn dafür zu ziehen und deren schädigende Einwirkung abzuwehren vermag, desto mehr Energie oder Lebenskraft hat der Organismus, während er um so träger ist, je weniger kräftig er auf die ihn umgebende Welt reagiert zum Zweck der Erhaltung und Förderung seines Lebens. Energie und Trägheit sind entgegengesetzte Eigenschaften

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Die Persönlichkeit im allgemeinen.

nicht nur unseres bewußten, sondern ebenso unseres unbewußten Lebens. So sprechen wir von energischer und träger Verdauung und legen ebenso z. B. dem Wachstum nicht nur von Menschen und Tieren, sondern auch von Pflanzen die Prädikate der Energie und Trägheit bei. Kein Organismus ist ohne Energie. Kein Organis­ mus ist aber auch ohne Trägheit. Die Lebensäußerung ist etwas, das als Betätigung seiner Energie diese durch Übung stärkt. Die Lebensäußerung ist aber auch eine Anstrengung, die nicht ohne Mühe und Ermüdung erfolgt. Wie das spezifisch menschliche Leben sich erhebt auf der Basis des tierischen, wie ebenso das animalische Leben neben seiner Besonderheit solche Züge aufweist, die es mit dem Leben der Pflanze teilt, so ist alles Leben oder das ganze Dasein der Organismen nicht getrennt vom Dasein der Materie. Und wie die geistige Natur des Menschen als eine auf der Basis seiner tierischen Natur sich erhebende zu dieser im Verhältnisse nicht nur des Zusammenhangs, sondern auch des Widerstreits steht und den Vorrang vor dieser weder ohne An­ strengung noch überhaupt in vollem Umfang zu behaupten vermag, so erfolgt für jeden Organismus die Betätigung seines Lebens nicht ohne Anstrengung und Kampf sowohl gegen seine Umgebung als gegen die Materie, aus der er selbst besteht. Sein Verhalten bestimmt sich zwar durch seine Natur als Organismus, aber auch durch die Natur der Materie, und es gilt, deren Bedeutung für ihn nicht etwa aufzuheben, was nicht möglich ist, aber möglichst der Bedeutung, die seine Eigenschaft als Organismus hat, unterzu­ ordnen. Je energischer ein Organismus ist, desto mehr ist ihm die eigene Materie ein Mittel der Förderung, je träger er ist, desto mehr ist sie für ihn ein Grund der Hemmung seines Lebens. Bedeutet die dem Tiere eigene Möglichkeit, seinen Körper und durch ihn andere Körper in Bewegung zu setzen, ohne einen körper­ lichen Anstoß erlitten zu haben, eine gewisse Überwindung des Gesetzes der Schwere, so ist doch dieses für die tierische Bewegung nicht aufgehoben, die, um zustande zu kommen, den Widerstand überwinden muß, den ihr nicht nur die übrige Körperwelt, sondern auch die Masse des eigenen Körpers entgegenstellt. Je größer diese ist, desto größerer Energie bedarf es, um sie in Bewegung zu setzen. Je kräftiger der Bau und Zustand des Körpers ist, desto mehr

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bedeutet seine größere Masse anstatt eines Hemmnisses ein Mittel der Förderung seines Lebens. Je umfangreicher und gewichtiger ein lebender Körper ist, desto wirksamer kann sich durch ihn das Leben gegenüber anderen Körpern betätigen. Aber um andere Körper durch den meinigen in Bewegung zu setzen, muß ich erst diesen in Bewegung setzen, was um so mehr Energie erfordert, je schwerer er ist, wie er auch zu seiner Erhaltung um so größerer Zufuhr bedarf, je größer seine eigene Masse ist. Diese Masse bedeutet daher nie nur eine Förderung, sondern stets zugleich eine Erschwerung des Lebens, und sie bedeutet um so mehr eine solche, je mehr die dem Körper neben seiner Eigenschaft als Organismus zukommende Unterwerfung unter das Gesetz der Schwere sich geltend macht. Die nicht organisierte Materie nennen wir tot. Der Organismus ist in geringerem oder höherem Grad organisierte, aber nie durch und durch organisierte Materie. Sein Leben ist ein Kampf, ein Ringen mit dem Tode, dem er nach Maßgabe der doppelten Verschiedenheit seiner mehr oder weniger kräftigen Konstitution und der größeren oder geringeren Förderung und Hemmung seines Lebens durch den ganzen Weltlauf früher oder später anheimfällt. Durch die Notwendigkeit des Todes wäre das Leben ein vorübergehendes ohne die Möglichkeit seiner Fortpflanzung. Jene Notwendigkeit ist aber für das Leben nicht in demselben Sinn charakteristisch wie diese Möglichkeit. Fortpflanzungsfähig ist der Organismus, weil er ein Organismus ist. Sterblich ist er, obgleich er ein Organismus ist. Sein Dasein schließt in sich den Widerstreit zwischen dem ihm eigenen Triebe nie aufhörender Fortsetzung seines Lebens und der für ihn bestehenden Notwendigkeit früheren oder späteren Erlöschens seines individuellen Lebens. Sein Leben ist eine beständige Betätigung jenes Triebes und Be­ kämpfung dieser Notwendigkeit, der er doch nicht entrinnt. Dem­ gemäß finden wir bei solchen Organismen, die willkürlichen Ver­ haltens fähig sind, als mächtigstes Motiv desselben die Furcht vor dem ihnen drohenden Tode. Und doch sehen wir, daß sie nicht nur bei Menschen, sondern auch schon bei Tieren überwogen werden kann durch ein anderes Motiv. Beim Menschen kann dieses sehr verschiedener Art sein. Beim Tiere kommt als ein

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solches fast ausschließlich in Betracht der Trieb der Begattung und der Erhaltung der Brut. Wie jeder Organismus um seiner selbst willen existiert als ein durch seine Lebensäußerungen sein eigenes Dasein betätigender und fördernder, so existiert er um des dem feinigen entspringenden Daseins willen als ein durch seine Lebensäußerungen solches erzeugender und seiner Förderung dienender. Da diese Erzeugung neuer Individuen dem einzelnen Individuum nicht für sich, sondern nur in Verbindung mit einem zweiten Individuum derselben Gattung, aber anderen Geschlechts möglich ist, so schließt der Trieb der Fortpflanzung in sich den Trieb der sie ermöglichenden Geschlechtsverbindung. Durch den neben dem Triebe der Selbsterhaltung ihm eigenen und selbst auf dessen Kosten sich geltend machenden Fortpflanzungstrieb lebt also das Individuum um anderer Individuen seiner Gattung willen nicht nur als solcher, die es erzeugt, sondern auch als solcher, mit denen es zu gemeinsamer Erzeugung anderer Individuen sich verbindet. Mit dem Triebe der Fortpflanzung verbindet sich der Trieb der Ergänzung des individuellen Lebens. Diese ist ein unentbehrliches Mittel jener. Sie hat aber auch, wie jede Lebens­ äußerung, selbständigen Wert. Das Verhältnis der Abstammung ist ein einseitiges, das Verhältnis der geschlechtlichen Ergänzung ein gegenseitiges. Jenes ist ein Verhältnis einander sukzedierender, dieses ein Verhältnis koexistierender Individuen oder ein Ver­ hältnis der Wechselwirkung, die besteht zwischen verschiedenen Dingen, von denen jedes neben dem anderen existiert als ein auf dasselbe einwirkendes und seiner Einwirkung ausgesetztes. Schopenhauer (Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde) hat den Begriff der Wechselwirkung für einen circulus vitiosus erklärt wegen der zeitlichen Priorität der Ursache vor der Wirkung. Selbstverständlich kann von zwei aufeinanderfolgenden Tatsachen nur der früheren die Eigenschaft der Ursache und der späteren die Eigenschaft der Wirkung zukommen. Sind sie aber ein Verhalten koexistierender Dinge, so besteht zwischen diesen ein Verhältnis der Wechselwirkung durch den gegenseitigen Zusammenhang ihrer Existenz und ihres von dieser nicht zu trennenden Verhaltens, der bedeutet, daß nicht nur jedes eine Änderung erfährt durch eine bestimmte Änderung des anderen.

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sondern auch die Fortdauer seines bestimmten Zustandes bedingt ist durch die Fortdauer eines bestimmten Zustandes des anderen. Zwischen solchen Dingen besteht eine Gemeinschaft^ Schopenhauer unterscheidet von der Ursache oder dem Grunde des Werdens den Grund des Seins, und er unterscheidet den Seinsgrund im Raume und in der Zeit. Bei jenem, sagt er, bestehe „ein Analogon der sogenannten Wechselwirkung" (a. a. O. 3. Ausl. § 37), d. h. hier sei im Gegensatz zu anderen Fällen nicht nur der Schluß „vom Dasein des Grundes auf das Dasein der Folge und vom Nicht­ sein der Folge auf das Nichtsein des Grundes", sondern auch der Schluß „vom Dasein der Folge auf das Dasein des Grundes und vom Nichtsein des Grundes auf das Nichtsein der Folge" richtig (§ 48). Diese Vertanschbarkeit von Grund und Folge be­ ruht aber darauf, daß das durch die Koexistenz im Raume ge­ gebene Verhältnis ein gegenseitiges Bedingungsverhälnis ist. Die Gleichheit der Seiten eines Dreiecks ist von der Gleichheit seiner Winkel unzertrennlich, ohne daß die eine Gleichheit der Grund der ailderen wäre. Nur in Anwendung auf den gegen­ seitigen Zusammenhang koexistierender Dinge trifft Schopenhauers Unterscheidung des sogenannten Seinsgrundes von dem Grunde des Werdens oder der Ursache zu. Dagegen ist unrichtig seine Unterscheidung des Verhältnisses der Zeitfolge vom Verhältnisse der Ursache und Wirkung. Ohne Zeiterfüllung hat der Begriff der Zeit ebensowenig Sinn wie der Begriff des Raumes ohne Raumerfüllung. Und daß im Verhältnis der Zeitfolge das Ver­ hältnis der Ursache und Wirkung nicht enthalten sei, ist nur richtig, wenir wir einzelne aufeinanderfolgende Tatsachen isolieren, wogegen unstreitig der ganze Zustand der Welt zu bestimmter Zeit eine Folge des ganzen bisherigen Weltlaufs ist. Wie überhaupt das Leben zur Materie, so verhält sich zur Gemeinschaft des materiellen Daseins die Lebensgemeinschaft. Sie besteht zwischen verschiedenen nebeneinander lebenden Organismen als solchen, die im Verhältnisse der Wechselwirkung zueinander stehen. Die Eltern und Voreltern stehen zu ihren Kindern und Kindeskindern im Verhältnisse der einer früheren Zeit angehörenden 1 Auf Wechselwirkung für die Gemeinschaft zurück Kant, Kritik der teilten Vernunft (ed. Rosenkranz S. 178 ff.).

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Vorfahren zu den einer späteren Zeit angehörenden Nachkommen. Das frühere Leben der Vorfahren verhält sich zum späteren Leben der Nachkommen als Ursache zur Wirkung und als Mittel zum Zwecke. Die Vorfahren leben für die Nachkommen, und die Nach­ kommen leben durch die Vorfahren. Eltern und Kinder leben aber nicht nur nacheinander sondern auch nebeneinander oder miteinander und damit gegenseitig durcheinander und füreinander. Koexistierende im Verhältnisse der Wechselwirkung stehende Dinge existieren durch­ einander vermöge der Bedeutung ihrer Koexistenz für die Existenz eines jeden. Handelt es sich um das Zusammenleben von Orga­ nismen, so leben sie insoweit, als sie durcheinander leben, auch füreinander. Soweit der eine Organismus durch den anderen lebt, lebt der andere für ihn oder um seinetwillen. Für jeden ist das eigene Leben eine Ergänzung des fremden und das fremde Leben eine Ergänzung des eigenen Lebens. Und für bewußtseinsfähige Organismen wird in demselben Maße, wie ihr ganzes Leben, auch dieses Verhältnis ein bewußtes. Wie überhaupt bewußtes Leben, so treffen wir auch eine bewußte Lebensgemeinschaft nicht erst beim Menschen. Eine solche besteht zwischen Tieren gleicher Gattung und verschiedenen Geschlechts, die einander geschlechtlich anziehen. Sie sind nicht nur zum Zwecke ihrer Fortpflanzung aufeinander angewiesen, sondern sie fühlen sich auch aufeinander angewiesen als solche, die gegenseitiger Ergänzung bedürfen. Eine bewußte Lebensgemeinschaft besteht ebenso zwischen dem Muttertiere uud seiner Brut. Es setzt sich zu deren Schutz Gefahren aus, die es sonst flieht, lebt also für sie als eine solche, an deren Leben ihm mehr liegt als am eigenen. Ebenso hat das Junge ein Gefühl der Zusammengehörigkeit mit seiner Mutter. Auch über diese ur­ sprünglichsten mit der Fortpflanzung zusammenhängenden Gemein­ schaften hinaus finden wir eine bewußte Lebensgemeinschaft nicht nur unter Tieren derselben Gattung, sondern selbst zwischen Tieren und Menschen. Wer wollte verneinen, daß eine solche besteht zwischen einem Menschen und seinem Hunde, der ihm anhängt und dem er anhängt, der seinen Befehlen Folge leistet und auch ohne Befehl ihn gegen Angreifer verteidigt, von dem sich trennen zu müssen ihm einen ähnlichen Schmerz bereitet wie die Trennung von geliebten Menschen.

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Das bewußte Leben bezeichnet man als S e e l e n l e b e n. Man streitet über dessen Zusammenhang mit betn körperlichen Leben. Viele erklären das eine und das andere für zwei gesonderte Reihen von Vorgängen und Zuständen, zwischen denen nur ein Paralle­ lismus bestehe. Was dieser anderes als ein Verhältnis der Wechselwirkung bedeuten soll, ist um so schwerer zu sagen, da die Bezeichnung dem Gebiete der ein solches bedetltenden räum­ lichen Koexistenz entnommen ist. In Wirklichkeit ist das Seelen­ leben sowohl eine Wirkung als eine Ursache materieller Vorgänge. Die Wahrnehmung eines materiellen Vorgangs ist eine Wirkung desselben; sie ist ein Rückschluß auf dessen Existenz, der richtig oder eine nicht nur scheinbare, sondern wirkliche Wahrnehmung ist als ein durch dessen Existenz veranlaßter. Jede Erkenntnis setzt ihren Gegenstand voraus als etwas, das unabhängig von ihr existiert, von dessen Existenz dagegen sie selbst nicht tlnabhängig ist. Sie ist eine Reproduktion ihres Gegen­ standes, aber nie eine volle und reine. Sie ist daher stets unvoll­ ständig und mit Irrtum vermischt, was sie aber um so weniger ist, je voller und reiner ihr Objekt auf ihr Subjekt gewirkt hat. Wenn unsere Vorstellung über einen Gegenstand nicht in diesem ihren Grund hat, ist sie keine Wahrnehmung oder Erkenntnis desselben. Lege ich einem Gegenstände eine bestimmte Gestalt bei, weil ich sie als die f einige wahrgenommen zu haben glaube, während diese vermeintliche Wahrnehmung auf einer Sinnestäuschung oder einem Fehlschluß beruhte, so wird daran, daß sie eine wirkliche Wahr­ nehmung nicht war und eine Erkenntnis der Gestalt jenes Gegen­ standes nicht begründet hat, nichts dadurch geändert, daß ihm die bestimmte Gestalt wirklich zukommt. Gleich dem Begriff der Wahrnehmung uitd Erkenntnis ver­ trägt sich der Begriff der Handlung nicht mit der Annahme eines bloßen Parallelismus des Bewußtseins und des materiellen Daseins. Ist unsere Erkenntnis materieller Vorgänge eine geistige Wirkung dieser, so ist unser Wille eine geistige Ursache materieller Wirkungen. Ist meine Tat ein materieller Vorgang, dagegen meine Willensregung ein Bewußtseinsvorgang, so beruht doch die be­ sondere Bedeutung jener gegenüber anderen materiellen Vorgängen und dieser gegenüber anderen Bewußtseinsvorgängen nicht auf

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einem bloßen Zusammentreffen bestimmter Glieder in den zwei Reihen der materiellen Vorgänge und der Bewußtseinsvorgänge als solcher, die nebeneinander verlaufen. Wie das Wesen unserer Erkenntnis nicht im bloßen Zusammentreffen unserer Vorstellung mit der Wirklichkeit, sondern darin besteht, daß jene in dieser ihren Grund hat, so besteht das Wesen unserer Handlung nicht im bloßen Zusammentreffen der Wirklichkeit mit unserem Willen, sondern darin, daß jene in diesem ihren Grund hat. Erkenntnis ist auch ohne Willen denkbar. Wille ist nicht ohne Erkenntnis denkbar. Wer das Gegenteil annimmt, identifiziert den Begriff des Willens mit dem allgemeineren Begriffe des Triebes oder dem noch allgemeineren Begriffe der Kraft. Schopenhauer, der Vorkämpfer dieser weitesten Fassung des Willensbegriffs, bezeichnet als sein auch der unorganischen Natureigenes Wesen den Trieb der Selbsterhaltung. Ist aber die Materie und materielle Kraft als solche weder der Zunahme noch der Abnahme fähig, so versteht sich ihre Erhaltung von selbst, ist also nicht Gegenstand eines Triebes. Für die nicht organi­ sierte Materie ist es ihrem Wesen gleich gemäß, ihre bisherige Gestalt festzuhalten oder gegen eine andere aufzugeben. Ob das Wasser steil herabfällt oder in die Höhe springt, ob es sanft dahin­ gleitet oder sich ganz ruhig verhält, ob es in den Boden eindringt oder verdunstet, so verhält es sich stets seiner Natur gemäß. So bereit es ist, in seinem bisherigen Zustande zu verharren, wenn dessen Bedingungen fortbestehen, so bereit ist es, ihn zu wechseln, sobald eine Ursache dieses Wechsels eintritt. Dagegen hat der Organismus den Trieb der Erhaltung und Steigerung seines Lebens als eines einerseits dieser fähigen, aber auch beständig in seiner ferneren Existenz bedrohten. Und dieser Trieb wird ein be­ wußter in dem Maße, in dem das Leben ein bewußtes wird. Als ein bewußter heißt er Wille. Wie der Trieb der Lebenserhaltung und Lebensförderung ein bewußter nicht sein kann ohne bewußtes Leben, so ist seine Betätigung als eines bewußten nicht möglich ohne Bewußtsein sowohl davon, was das Leben fördert und hindert, als davon, was seine Betätigung zu bewirken vermag. Unser Sprachgebrauch pflegt im Gegensatze zum Menschen dem Tiere Erkenntnis und Willen nicht beizulegen, wie auch die Be­

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zeichnung der Handlung von einem speziell dem Menschen eigenen Körperteil herrührt. Unser Sprachgebrauch versagt ebenso andern Funktionen und Relationen, die das Tier mit dem Menschen ge­ mein hat, den in Beziehung auf diesen ihnen zukommenden Namen. So lassen wir es nicht essen und trinken, sondern fressen und saufen, nennen seine Jungen nicht seine Kinder usw. In Wirklichkeit handelt es sich nur um einen Unterschied des Grades oder Umfangs. So pflegt man auch zu sagen, das Tier lebe ausschließlich in der Gegenwart, wogegen Vergangenheit und Zukunft nur für den Menschen existiere. Doch ist Erkenntnis und Wille ohne diese Kategorien nicht denkbar. Gegenstand der Erkenntnis ist das Erkannte als etwas, dessen Existenz der ihrigen vorhergegangen ist. Gegenstand des Willens ist das Ge­ wollte als etwas, dessen Existenz der feinigen nachfolgen wird. Die der Eigenschaft der Erkenntnis als einer Wirkung des Erkannten zur Seite stehende Eigenschaft des Willens als einer Ursache des Gewollten wird dadurch verdunkelt, daß unser Sprach­ gebrauch zwar die Bezeichnung der Erkenntnis auf die Fälle be­ schränkt, ivo jener Kausalzusammenhang nicht nur vermeintlich, sondern wirklich bestand, dagegen die Bezeichnung des Willens und der Handlung auch auf die Fälle erstreckt, wo die erwartete Wirkung ausblieb. Der Name des Erkenntnisaktes bezeichnet den bestimmten Vorgang in der ihn zu einem solchen stempelnden Eigenschaft, auf der Existenz des durch ihn Vorgestellten zu be­ ruhen ; der Name des Willensaktes bezeichnet einen bestimmten Vor­ gang abgesehen von seiner Eigenschaft, die Existenz des durch ihn Gewollten zu bewirken. Und doch ist diese Eigenschaft ebenso wichtig für den Willen wie jene für die Erkenntnis. Wie das Erkenntnisvermögen nicht nur die Möglichkeit beliebiger Vor­ stellungen, sondern die Möglichkeit solcher Vorstellungen bedeutet, die Erkenntnisse sind, so bedeutet das Willensvermögen die Möglichkeit solcher Willensregungen, die das Gewollte bewirken. Ein Willensakt, der diese Bedeutung hat, gehört dem Gebiete der realen Kausalität an. Ich kann auch wollen, was ich nicht be­ wirken kann, weil ich irrtümlich es bewirken zu können glaube. Ebenso kann ich aber irrtümlich etwas zu erkennen glauben. Wir verneinen im zweiten Falle die Existenz eines Erkenntnisaktes, dagegen nicht im ersten Falle die Existenz eines Willensaktes. Wir tun dies Holder, Natürl. u. jurist. Personen.

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aber, weil wir in den Begriff des Erkenntnisaktes seine Bedeutung, in der Existenz des Erkannten seinen Grund zu haben, aufnehmen, wogegen wir in den Begriff des Willensaktes seine Bedeutung, die Existenz des Gewollten zu bewirken, nicht aufnehmen. Wollen wir richtig vergleichen, so müssen wir unserer Fähigkeit, das Be­ stehende zu erkennen, zur Seite stellen unsere Fähigkeit, den Be­ stand der Dinge zu ändern. Der nicht nur vermeintlichen sondern wirklichen Erkenntnis als einem geistigen Vorgänge, der seinen Grund hat in der ihm vorhergehenden realen Existenz des Erkannten, ent­ spricht die gelungene Tat als ein realer Vorgang, der seinen Grund hat im Willen des Handelndeil. Die Fähigkeit zur Tat ist bedingt durch Erkenntnisfähigkeit. Vom Erkannten als einem ihr vorher­ gehenden ausgehend, könnte die Erkenntnis nicht zur Tat befähigen, wenn sie nicht auch auf Künftiges sich beziehen könnte durch den Kausalzusammenhang zwischen dem Früheren und dem Späteren. Jede Handlung setzt voraus, daß aus dem bisherigen Stande der Dinge ein anderer nicht nur überhaupt hervorgehen, sondern auch durch den Handelnden hervorgebracht werden kann. Wie aber die Tat bedingt ist durch Erkenntnis, so ist die eine wie die andere bedingt durch körperliche Existenz. Die meiner Er­ kenntnis eines materiellen Dings zugrunde liegende Einwirkung des­ selben auf mich ist eine Einwirkung auf meinen Körper. Und ebenso ist meine Einwirkung auf den Bestand der materiellen Dinge eine Ein­ wirkung meines Körpers. Wie jedoch jene Einwirkung eine geistige Wirkung hat, so hat diese Einwirkung eine geistige Ursache. Wir be­ greifen nicht diesen Zusammenhang zwischen Leib und Seele, Körper und Geist; verneinen kann ihn aber nur, wer die Möglichkeit verneint, daß die Körperwelt bestimmeilde Bedeutung hat für unsere Vor­ stellungen und unser Wille bestimmende Bedeutung hat für die Körper­ welt. Als entscheidend für die Persönlichkeit des Menschen pflegt man zu bezeichnen seine Willensfähigkeit. Existiert aber diese nicht ohne seine Erkenntnisfähigkeit und die eine wie die andere nicht ohne seine körperliche Existenz, so ist auch die Persönlichkeit des Menschen nicht zu trennen von seiner Erkenntnis­ fähigkeit und seiner körperlichen Existenz. Als ein die Möglichkeit der Erkenntnis und der Tat ver­ mittelnder ist der Körper dem Bewußtsein dienstbar. Zugleich ist

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aber das Bewußtsein als ein die Befriedigung der Bedürfnisse des Körpers vermittelndes diesem dienstbar. Vom Tiere nehmen wir an, daß sein Bewußtsein wenn nicht ausschließlich, so doch haupt­ sächlich im Dienste der ihm als einem körperlichen Dinge zu­ kommenden Bedürfnisse steht. Vom Menschen nehmen wir dies nicht an. Darauf beruht die Besonderheit der ihn vor dem Tiere auszeichnenden Lust- und Unlustgefühle, daß sie weit hinausgehen über das Gefühl körperlichen — d. h. auf dem Zustande seines Körpers beruhenden — Wohlseins und Mangels. Ebenso be­ schränkt sich sein Drang nach Erkenntnis nicht auf die Erkenntnis des ihm möglicherweise für sein körperliches Dasein Nützlichen oder Schädlichen. Und desgleichen beschränkt sich sein Wille nicht auf die Beherrschung der Außenwelt im Dienste seines körperlichen Daseins; vielmehr liegt ihm wie an der möglichst ausgedehnten Erkenntnis, so an der möglichst ausgedehnten Beherrschung der Welt als solcher. Je mehr sein Denken, Fühlen und Tun aufgeht in der Befriedigung seiner körperlichen Bedürfnisse, desto weniger komnit ihm die Würde einer Person zu. Wir nennen das bewußte Dasein ein geistiges in seiner Eigen­ schaft, nicht nur im Dienste des körperlichen Daseins zu stehen, sondern um seiner selbst willen zu bestehen und das körperliche Dasein zu be­ herrschen. Zwischen dem körperlichen und dem geistigen Dasein besteht ein Verhältnis gegenseitigen Dienstes. Das geistige Dasein ist aber das h ö h e r e, das einesteils dem körperlichen Dasein entsprungen ist und andernteils sich dieses dienstbar macht. Das körperliche Dasein ist dem geistigen teils förderlich teils hinderlich, und je mehr es durch dieses beherrscht wird, je mehr dadurch seine Bedeutung, diesem hinderlich zu sein, abnimmt und seine Bedeutung, ihm förderlich zu sein, zunimmt, desto mächtiger und reicher wird das geistige Dasein. Spricht man von einem Kampfe des Geistes gegen die Materie, so ist dessen Ziel nicht die unmögliche Ver­ nichtung der Materie, sondern ihre möglichste Beherrschung durch den Geist. Es ist der Beruf des geistigen Lebens, auf die Materie so einzuwirken, daß ihre Bedeutung, ihm hinderlich zu sein, immer mehr abnehme und ihre Bedeutung, ihm förderlich zu sein, immer mehr zunehme. Die bestimmende Bedeutung des körper­ lichen Daseins für das geistige ist von Natur gegeben. Sie kann 2*

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nicht aufgehoben werden, tritt aber mit der fortschreitenden Ent­ wicklung des geistigen Lebens immer mehr hinter dessen Bedeutung zurück, und zwar sowohl durch die Bedeutung, die dieses für sich hat, als auch durch die Bedeutung, die es für das körperliche Da­ sein hat. Stets wird die Gesundheit unseres Körpers für unser geistiges Leben Bedeutung haben. Je entwickelter aber dieses ist, desto mehr kann die durch die Kraft unseres Geistes gegebene Förderung unseres Lebens die durch die mangelnde Kraft unseres Körpers gegebene Hemmung desselben überwiegen, und desto mehr können wir auch unserem Körper Förderung angedeihen lassen und Schädigung fernhalten. Ebenso behalten andere materielle Dinge stets Bedeutung für unser Leben; je entwickelter aber unser Geist ist, desto größer ist sowohl seine Unabhängigkeit von ihnen als seine Macht über sie. So ist der Mensch eine Person nicht ab­ gesehen von seinem körperlichen Dasein, sondern dadurch, daß sein ihm entsprungenes und zunächst ihm dienendes geistiges Leben neben und über ihm existiert als ein von ihm unabhängiges und es be­ herrschendes. Seine Unabhängigkeit von seinem Körper und seine Herrschaft über seinen Körper ist nie eine volle; je größer sie aber ist, desto mehr ist er Person. Persönlichkeit ist die spezifisch menschliche Individualität. Gleich jeder Individualität entwickelt sich die Persönlichkeit des Menschen ge­ schichtlich und beruht sie teils auf seiner durch seine Vorgeschichte be­ stimmten ursprünglichen Beschaffenheit, teils auf der gesamten sein Leben erfüllenden Wechselwirkung zwischen ihm und der übrigen Welt, insbesondere zwischen ihm und anderen Personen. Wie überhaupt im Gegensatz zum Tiere sein bewußtes Leben zu einem geistigen, dem körperlichen übergeordneten wird, so wird zu einem geistigen auch der zwischen dem Leben verschiedener Menschen stattfindende Zusammen­ hang. Wie alles, was existiert, in den Zusammenhang der Welt verflochten ist, und wie jeder Organismus sowohl für sich existiert als mit seinesgleichen zusammenhängt, so ist auch das geistige Leben des Menschen sowohl ein individuelles als ein Glied im Gesamtzusammenhang des menschlichen Geisteslebens. Der geistige Zusammenhang ist aber nicht unabhängig vom körperlichen, was für den Zusammenhang des individuellen Geisteslebens nicht weniger gilt als für den Gesamtzusammenhang des menschlichen Geistes­

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lebens. Wir kennen unser körperliches Leben als ein kontinuier­ liches, dagegen unser geistiges Leben nur als ein intermittierendes. So lange wir leben, verhält sich unser Körper ohne Unterbrechung als ein lebender, wogegen die Zeiten unseres bewußten Verhaltens unterbrochen werden durch Zeiten der Bewußtlosigkeit. Wollte man auch annehmen, unser Versinken in solche und Erwachen aus ihr sei nur ein scheinbares, da Bewußtsein auch in der Zwischenzeit bestanden und nur keine Spur hinterlassen habe, so wäre doch da­ durch keine wirkliche Bewußtseinskontinuität gegeben, deren An­ nahme als einer unserer Wahrnehnrung unzugänglichen eine contradictio in adiecto wäre. Wir kennen den Zusammenhang unseres eigenen Geisteslebens nur höchst fragmentarisch, und unsere angeb­ liche unmittelbare Wahrnehmung desselben ist sowohl durch körper­ liche Vorgänge vermittelt als oft genug trügerisch. In unserer Erinnerung scheint uns der durch sie reproduzierte Bewußtseins­ zustand fortzudauern. Und doch hatte er vielleicht seit langer Zeit nicht mehr bestanden. Tie Möglichkeit seiner jetzt eingetretenen Reproduktion beruhte auf unserer körperlichen Organisation, und wir wissen nicht, inwieweit der Vorgang der sogenannten Er­ innerung wirklich einen früheren Bewußtseinszustand wiederherstellt, was er nie vollständig und schon deshalb nie unverfälscht tut. Besteht doch überhaupt für unser Bewußtsein kein Unterschied zwischen dem, was wir wirklich erkennen, und was wir irrtümlich zu erkennen glauben. Gern bezeichnet man im Gegensatze zu anderem Dasein, als einem Gegenstände äußerer oder mittelbarer Erfahrung, das eigene individuelle Dasein als einen Gegenstand innerer oder unmittel­ barer Erfahrung, der man eine der äußeren Erfahrung fehlende Sicherheit zuschreibt. Nach dem berühmten, den Ausgangspunkt der neueren Philosophie bildenden Satze des Cartesius: cogito ergo sum bin ich meines Daseins im Gegensatz zu anderem Dasein unmittelbar inne. Nach Schopenhauer (Parerga, 2. Aust., S. 4) bedeutet dieser Satz, „daß das einzige wirklich und un­ bedingt Gegebene das Selbstbewußtsein ist". Ich kann aber Selbstbewußtsein nicht haben, ohne mich selbst von anderem zu unterscheiden. Ich kann es auch nicht haben, ohne mich selbst von meinen verschiedenen und wechselnden Eigenschaften und Zuständen zu unterscheiden. Durch die Existenz irgendeines Gedankens ist

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weder die eine noch die andere Unterscheidung gegeben. Es ist dadurch nichts unmittelbar gegeben als der bestimmte Gedanke. Wie dadurch sein Gegenstand nicht gegeben ist als ein unabhängig von ihm existierender, so ist dadurch auch sein Subjekt nicht als ein solches gegeben, dessen Existenz über seine Existenz hinausreicht. Je mehr mich zurzeit ein Gedanke erfüllt, desto weniger hat mein derzeitiges Bewußtsein einen weiteren Inhalt. Meine Individualität ist gleich anderen Gegenständen meiner Er­ kenntnis etwas, das ich nur nach und nach und nie vollständig und untrüglich kennen lerne. Daß ich fühle, denke und handle, ist mir mit anderen Menschen gemein und gibt mir über meine Individualität keine Auskunft, die sich dadurch kundgibt, wie ich denke, fühle und handle. Würde ich kein bewußtes Verhalten kennen als das meinige, und bliebe dieses sich stets gleich, so würde für mich nie die Frage seiner Richtigkeit auftauchen. Sie entsteht stir mich dadurch, daß ich die Erfahrung des Widerstreits zwischen ver­ schiedenen nacheinander und nebeneinander existierenden Zuständen meines Bewußtseins sowie zwischen meinem Bewußtsein und fremdem Bewußtsein mache. Mein Bewußtsein besteht aus der Gesamtheit seiner nebeneinander und nacheinander existierenden Zustände als solcher, die miteinander zusammenhängen. Sie stehen zueinander im Ver­ hältnisse sowohl des Zusammenhangs als des Widerstreits. Auf dem ersten Verhältnisse beruht die Einheit meines Bewußtseins. Durch den Widerstreit seiner verschiedenen Zustände wird sie ge­ trübt aber nicht ausgeschlossen. Mein Bewußtsein von ihrem Ein­ klang ist ein Lustgefühl, mein Bewußtsein von ihrem Widerstreit ein Unlustgefühl, das den Trieb erzeugt, ihren Widerstreit zu über­ winden und ihren Einklang herzustellen, was mir nie vollständig, aber doch in einem mit meiner wachsenden Erfahrung wachsenden Umfange möglich ist. Der fortschreitende Gang meines Lebens begriindet eine fortschreitende Entfaltung meines Bewußtseins und damit auch des Widerstreits innerhalb desselben. Zugleich ent­ faltet sich aber dadurch mein Bewußtsein vom Werte meines Lebens als einem solchen, woran verschiedenen Bestandteilen des­ selben nicht die gleiche Teilnahme zukommt, wodurch sich für diese eine Verschiedenheit ihres Wertes oder ihrer Berechtigung und im Falle ihres Widerstreits das Gebot der Hintansetzung des weniger

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Wertvollen hinter das Wertvollere ergibt. Habe ich Durst, so habe ich auch den an sich berechtigten Trieb, ihn zu löschen. Schadet aber seine Löschung meiner Gesundheit, so ist sie unberechtigt, weil meinem Leben weniger förderlich als schädlich. Ein meine Ge­ sundheit schädigendes Verhalten kann trotzdem berechtigt sein, weil es ein dem Bedürfnisse ihrer Erhaltung vorgehendes Bedürfnis be­ friedigt. Wer ein Werk der Kunst und Wissenschaft oder eine patriotische Tat auf Kosten seines Lebens oder seiner Gesundheit vollbringt, hat richtig gehandelt, wenn die dadurch bewirkte Lebens­ förderung größer ist als die dadurch bewirkte Lebenshemmung. Daß der den Menschen beherrschende Trieb der Lebensförderung nicht auf die Förderung des eigenen individuellen Lebens sich be­ schränkt, und daß der Mensch ein dieses vernichtendes Verhalten beobachten kann mit dem Bewußtsein des Übergewichts seiner lebenfördernden Bedeutung über die lebenhemmende Bedeutung, die es als Ursache des eigenen Todes hat, sucht man vergebens mit der Annahme, der Mensch begehre ausschließlich seine indivi­ duelle Lust, dadurch zu vereinigen, daß man sagt, der vom Triebe der Förderung fremden Lebens erfüllte und ihn auf Kosten des eigenen Lebens befriedigende Mensch kenne eben keine höhere Lust als die durch die Förderung anderer ihm erwachsende, die er durch sein Verhalten ebenso suche wie ein anderer durch sein egoistisches Verhalten die durch die Befriedigung seines egoistischen Bedürf­ nisses ihm erwachsende Lust. Wer das Opfer seines Lebens bringt, der kann nicht handeln im Dienste der ihm dadurch er­ wachsenden Lust. Erlebt er nicht mehr den Erfolg seines Tuns, so kann ihm durch dasselbe keine Lust erwachsen. Würde er jenen Erfolg lediglich um der ihm dadurch erwachsenden Lust willen an­ streben, so wäre sein Verhalten verkehrt, da es die Möglichkeit der dadurch bezweckten Wirkung ausschließen würde. Was von jedem zu voller Entwickelung gelangten Organismus gilt, daß sein Leben neues Leben erzeugt und in dieser Produk­ tivität gipfelt, weshalb sie mit dem Preise der Erschöpfung seines individuellen Lebens nicht zu hoch bezahlt wird, das tritt uns beim Menschen als ein bewußtes Motiv seines Verhaltens entgegen, dessen Existenz und Stärke einen Gradmesser seines sittlichen Wertes bildet. Auf dem Grunde fremden Lebens ruht und fremdes Leben

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weckt das geistige Leben des Einzelnen nicht nur dadurch, daß vermöge seiner Abstammung von anderen und der Abstammung anderer von ihm die ersten Keime seines geistigen Lebens Wir­ kungen des geistigen Lebens seiner Vorfahren und die ersten Keinie des geistigen Lebens seiner Nachkommen Wirkungen seines geistigen Lebens sind. Es steht auch das geistige Leben des Einzelnen zum Geistesleben anderer Individuen im Verhältnis, durch dieses angeregt zu sein und dieses anzuregen. Gleich allem Zusammenhang geistigen Lebens ist der Zusammenhang des geistigen Lebens ver­ schiedener Individuen durch einen körperlichen Zusammenhang bedingt. Dieser Zusammenhang kann aber durch eine beliebige Zahl von Zwischengliedern vermittelt sein. An solchen fehlt es schon nicht im sogenannten unmittelbaren Verkehr der einander von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehenden und miteinander redenden Menschen. Wird eine Rede durch dritte mitgeteilt, die sie auf irgendeinem Wege vernommen haben, und wird sie auf Grund ihrer mündlichen Vollziehung oder anstatt dieser schriftlich fixiert, so daß sie zur Kenntnis anderer gelangt vermittelst eigener oder fremder ihnen mitgeteilter Entzifferung der Schrift, so wächst die Zahl der Zwischenglieder, durch die das geistige Leben des einen das geistige Leben anderer anregt. Da es für deren mögliche Zahl keine Grenze gibt und insbesondere die schriftlich fixierte Rede ohne weitere Vermittelung von ihr Kenntnis nehmender und sie weitergebender Menschen zu den fernsten Räumen und Zeiten ge­ langen kann, so besteht dadurch die Möglichkeit geistiger Anregung eines Menschen durch andere, mit denen er in unmittelbare Be­ rührung nie treten konnte wegen der zeitlichen und räumlichen Entfernung ihres beiderseitigen Lebens. Namentlich besteht dadurch die Möglichkeit, daß die Erfahrungen eines jeden anderen zugute kommen, wenngleich sie nie mit ihm zusammengelebt haben. Dies gilt aber nicht für beliebige Menschen, sondern nur für solche, zwischen denen ein wenn auch durch noch so viele Zwischenglieder vermittelter geschichtlicher Zusammenhang besteht, ohne den wir die Äußerungen fremden Geisteslebens nicht als solche zu erkennen vermöchten. Durch diesen Zusammenhang haben alle Menschen, zu denen er hinaufreicht, für uns gelebt und ist ihr geistiges Leben noch in uns wirksam. Durch ihn leben wir für alle Menschen,

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auf die sich unsere geistige Einwirkung, wenn auch durch noch so viele Zwischenglieder, erstreckt, und unser geistiges Leben ist so lange wirksam, als es irgendwie das geistige Leben der Nachwelt anregt. Würde der Wert unseres geistigen Lebens oder unseres Be­ wußtseins ausschließlich auf seinem unmittelbaren Inhalt be­ ruhen, so könnte kein Interesse das Jntereffe der Erhaltung unseres Lebens überwiegen, dessen Untergang den Untergang unseres Belvußtseins in sich schließt. Das Tier kann überhaupt nicht durch eigene Tat sein Leben vorsätzlich zerstören. Der Mensch kann dies. Tut er es, so erfährt sein Verhalten nach der Verschiedenheit des Motivs eine sehr verschiedene Würdigung. Ist es ihm zu tun um die Vernichtung seines Lebens als solche, so mißbilligen wir sein Verhalten, weil jede Lebensvernichtung eine Wertvernichtung ist. Opfert er dagegen sein Leben einem höheren Interesse, so billigen und bewundern wir seine Tat. Hätte das Leben keinen Wert, so wäre an dessen Preisgebung nichts zu bewundern. Jeder erfährt den Wert des Lebens zunächst am eigenen. Wer über dessen Erfassung als eines von jedem fremden Leben schlechthin verschiedenen nicht hinauskommt, wird nichts mehr fürchten als dessen Vernichtung und nur dann sie selbst herbeiführen, wenn er dadurch, daß ihm sein individuelles Leben unerträglich geworden ist, am ganzen Werte des Lebens irre geworden ist. Wer dagegen sein Leben erkennt als ein für fremdes Leben fruchtbares, der wird nie dazu gelangen, es als wertlos zu vernichten; er kann aber dazu kommen, es trotz seines Wertes zu vernichten, weil nach seiner Meinung die dadurch bewirkte Lebens- und Wertvernichtung überwogen wird von der dadurch bewirkten Lebensförderung. War in Wirklichkeit das Verhältnis der durch seine Tat bewirkten Lebensförderung und Lebensvernichtung das umgekehrte, so werden wir seine Tat nicht billigen, sondern bedauern, aber gleichwohl bewundern. Wird der Welt ein Mann, von dem sie noch großes zu erwarten hatte, entrissen, weil er an die Rettung eines gewöhnlichen Menschen sein Leben gesetzt hatte, so wäre besser jener am Leben geblieben und dieser gestorben. Wir bewundern aber jene Tat, weil es unsere Be­ wunderung verdient, wenn für einen Menschen der Vorzug des eigenen Lebens vor fremdem nicht existiert, von dem mit wenigen, sich meist auf die engsten Lebensgemeinschaften beschränkenden

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Ausnahmen der Mensch durchdrungen zu sein pflegt. Von selbst versteht sich, daß für jeden ein Unterschied besteht zwischen seinem Leben und fremdem Leben. Wie jeder in seiner Haut steckt und nicht in der des anderen, so lebt jeder sein eigenes vom Leben des anderen verschiedenes Leben, und es ist eine mißverständliche und unerfüllbare Anforderung, daß er sich für identisch mit anderen halten solle. Insbesondere beruht nicht, wie Schopenhauer lehrt, auf dem Bewußtsein solcher Identität das Mitgefühl und Mit­ leiden mit anderen. Das Mitleid ist keineswegs identisch mit dem Unlustgefühl des durch sein Leiden den Gegenstand desselben bildenden Menschen. Nicht dazu regt fremdes Leiden den von Mitgefühl erfüllten Menschen an, es als eigenes zu fühlen, sondern dazu, es als ein solches zu bedauern und zu bekämpfen, das unsere Mißbilligung und Bekämpfung gleich einem eigenen verdient, ob­ gleich es ein solches nicht ist. Wie jeder Mensch von anderen abstammt und seine angeborene, für die Möglichkeit seiner ferneren Entwickelung maßgebende Be­ schaffenheit seiner Abstammung verdankt, so sind auch die ersten Äußerungen seines Geisteslebens durch fremdes Geistesleben an­ geregt. Und wie er sich entwickelt in Wechselwirkung mit der ganzen Außenwelt als einer solchen, die auf ihn einwirkt und auf die er einwirkt, so entwickelt er sich geistig insbesondere in Wechsel­ wirkung mit der ganzen Welt des menschlichen Geistes als einer solchen, die auf seinen Geist einwirkt und auf die sein Geist ein­ wirkt. Sein Leben steht in einer verschiedenen Beziehung zur Vorwelt, zur Nachwelt und zur Mitwelt. Seine Beziehung zur Vorwelt und zur Nachwelt ist einseitig. Die Vorwelt hat eine Beziehung zu seinem Leben lediglich als eine Ursache desselben. Sie ist aber eine solche nach drei Richtungen. Erstens ist die ganze Gegenwart eine Wirkuug der ganzen Vergangenheit. Zweitens stammt das Leben des Einzelnen von früherem Leben ab. Und drittens ist für das geistige Leben des Einzelnen früheres Geistes­ leben bestimmend durch seine auf die Nachwelt gekommenen Früchte. Diese Früchte sind nicht selbst etwas Lebendiges, aber sie sind so­ wohl Produkte als Mittel der Produktion geistigen Lebens. Meine Gedanken kann ich der Nachwelt nicht hinterlassen. Ich kann ihr aber den Ausdruck hinterlassen, den ich jenen durch meine Werke

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gegeben habe, als einen solchen, der eine Wirkung meiner Gedanken ist und für sie zur Ursache eigener, durch jene angeregter Gedanken werden kann. So wird meine Erkenntnis zwar nicht für sich, aber in Verbindung mit meiner ihr Ausdruck gebenden Tat zur Ursache vielleicht erst lange nach meinem Tode entstehender fremder Er­ kenntnis. Aber nicht nur den Ausdruck feiner Erkenntnis hinter­ läßt der Mensch der Nachwelt als ein Mittel ihrer Erkenntnis. Er hinterläßt ihr auch die durch seine Tat zum Zwecke der Lebens­ förderung umgestaltete Außenwelt als ein Mittel her Förderung ihres Lebens. Das Produkt seiner Tat nennen wir sein Werk. Schopenhauer will die Tat als etwas momentanes vom dauernden Werke unterschieden wissen. Ihre Wirkung ist aber eine dauernde, wenn auch nur durch ihr Fortleben in der Er­ innerung der Menschen, und ihre Wirkung ist ein Werk ihres Urhebers. Jeder Mensch tritt in die Welt ein als eine solche, die von bestimmter, sein Leben bestimmender Beschaffenheit ist nicht nur durch den sonstigen bisherigen Weltlauf, sondern nament­ lich durch die Taten der Menschen, die bisher gelebt haben, und wie die Taten der Vorfahren bestimmend sind für sein Leben, so werden seine Taten bestimmend für das Leben der Nachkommen. Jede Tat erfolgt in der Hoffnung, dadurch das Leben zu fördern; sie erfolgt um so mehr mit Aufbietung aller Kräfte, je umfassender und dauernder die als ihre Wirkung erhoffte Lebensförderung ist. Bei der Beschränktheit und Kürze des individuellen Lebens ist aber eine intensive Tatenlust nur möglich im Fall einer solchen von der Tat erhofften Lebensförderung, die hinausreicht über das individuelle Leben ihres Urhebers. Der einseitige geistige Zusammenhang der nacheinander lebenden Menschen wäre nicht möglich ohne den gegenseitigen geistigen Zu­ sammenhang oder die gegenseitige Lebensgemeinschaft der mit­ einander lebenden Menschen. Die mit mir lebenden Menschen sind zugleich teils solche, die schon vor mir gelebt haben, teils solche, die noch nach mir leben werden. Mein Geist kann sich nicht entwickeln ohne geistige Einwirkung solcher Menschen, die mit mir leben, aber auch schon vor mir gelebt haben, und wenn die Generationen aufeinander folgen würden, ohne ineinander über­ zugreifen, könnte nicht ein früheres Geistesleben durch seine es über­

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dauernden Werke für spätere Menschen existieren. Nur aus deni gegenseitigen Verkehr und Verständnisse der miteinander Lebenden, nur daraus, daß die Mitwelt einen Teil der Vorwelt und einen Teil der Nachwelt umfaßt, kann ein Verständnis der Nachwelt für die von der Vorwelt hinterlassenen geistigen Schätze hervorgehen. Und wenn wir uns bewußt sind, sowohl die durch unsere Vor­ fahren uns hinterlassenen Schätze zu genießen, als solche für unsere Nachkommen aufzuspeichern, wozu namentlich auch die Sorge dafür gehört, daß die uns überlieferten geistigen Schätze uns überdauern, so entwickelt sich unser Bewußtsein, für die Nachwelt zu leben, aus dem Bewußtsein, daß wir für die Mitwelt leben. Hätte die Gegenwart keinen Wert, so könnte auch die Zukunft keinen Wert haben. Lebe ich nun nicht nur für mich, sondern auch für die durch Lebensgemeinschaft mit mir verbundenen Menschen, so lebe ich für sie als solche, die nicht nur der Mit­ welt, sondern auch, soweit ich vor ihnen sterben werde, der Nach­ welt angehören. In der Mitwelt trifft die Vorwelt und die Nachwelt zusammen. Dadurch, daß verschiedene Menschen mit­ einander leben, stehen sie in einer gewiffen Gemeinschaft schon deshalb, weil sie miteinander derselben Außenwelt angehören und gegenüberstehen, deren jeder als einer sein Leben fördernden sich möglichst ju bemächtigen unb als einer es hemmenden sich möglichst zu erwehren trachtet. Ihre gemeinsame Angehörigkeit zu dieser begründet zwischen ihnen ein Verhältnis sowohl der Kollision als der Gemeinschaft. Der Kollision, weil vielfach, was das Leben des einen fördert oder hemmt, die gegenteilige Bedeutung hat für das Leben des anderen. Der Gemeinschaft, weil vielfach, was das Leben des einen fördert oder hemmt, die gleiche Bedeutung hat für das Leben des anderen. Soweit das erste Verhältnis reicht, schließt die Förderung des einen Lebens eine Hemmung des anderen Lebens in sich. Soweit das zweite Verhältnis reicht, schließt die Förderung des einen Lebens eine Förderung des anderen in sich. Dazu kommt aber die Bedeutung, die das geistige Leben des einen für das geistige Leben des anderen hat. Es kann solche nicht unmittelbar, sondern nur als ein solches haben, das sich durch äußere Vorgänge kundgibt. Eine Äußerung geistigen Lebens ist jede Tat als ein äußerer Vorgang, der eine geistige

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Ursache hat. Als Betätigung des geistigen Lebens ihres Urhebers ist sie zugleich eine Förderung desselben. Und sie ist auch eine Förderung fremden Geisteslebens als eine anderen erkennbare Kund­ gebung des geistigen Lebens ihres Urhebers. Auf dieser Eigenschaft des individuellen Geisteslebens, durch seine Kundgebung fremdes Geistesleben anzuregen und durch die Kundgebung fremden Geisteslebens angeregt zu werden, beruht der Zusammenhang des geistigen Lebens verschiedener Menschen. Daß er durch körper­ liche Vorgänge vermittelt ist, hat er mit dem Zusammenhang des individuellen Geisteslebens gemein. Ebenso hat er mit diesem gemein das neben dem Verhältnisse des Einklangs bestehende Ver­ hältnis des Widerstreites zwischen verschiedenen Bestandteilen des geistigen Lebens. Daß die Gefühle, Gedanken und Bestrebungen verschiedener Menschen einander vielfach widerstreiten, haben sie gemein mit den verschiedenen Gefühlen, Gedanken und Bestrebungen desselben Menschen. Für den Einzelnen ist dadurch die Einheit seines Geistes nicht ausgeschlossen; könnte er doch ohne sie seiner verschiedenen Gefühle, Gedanken und Bestrebungen weder als einander widerstreitender noch als miteinander übereinstimmender bewußt sein. Ebenso ist mein Bewußtsein nicht nur von der Übereinstimmung, sondern nicht minder vom Widerstreite meiner Gefühle, Gedanken und Bestrebungen mit fremden ein Zeichen davon, daß die einen und die anderen Teile eines Ganzen sind, die sich als solche ebenso auf zweierlei Weise zu einander verhalten, wie die verschiedenen Teile der Außenwelt zu einander im Ver­ hältnis teils der Anziehung teils der Abstoßung stehen. Für den Einzelnen schließt der sein Leben beherrschende Trieb der Erhaltung und möglichsten Steigerung desselben den doppelten Trieb in sich, die verschiedenen Richtungen seines geistigen Lebens immer mehr auszubilden und zu betätigen, sowie möglichst den zwischen ihnen bestehenden Einklang zu steigern und in dem zwischen ihnen bestehenden Widerstreite, soweit er sich nicht beseitigen läßt, die für sein ge­ samtes Leben wichtigeren Gefühle, Gedanken und Bestrebungen den weniger wichtigen unterzuordnen. Je mehr der Mensch seine sämtlichen Geisteskräfte entfaltet, desto größer ist der Reichtum, je mehr er ihren Einklang und in ihrem nie ganz aufhörenden Widerstreite den Vorrang der für sein Leben wichtigeren

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Regungen herstellt und festhält, desto größer ist die Einheit seines geistigen Lebens. Durch sein Bewußtsein vom Widerstreite bestimmter Bestandteile desselben ist er sich jener als einer unvollkommenen und damit dieses Widerstreites als eines solchen bewußt, dessen möglichste Aufhebung ein Teil der durch jede Lebensäußerung be­ zweckten Lebensförderung ist. Würde zwischen verschiedenen Menschen kein geistiger Zusammen­ hang bestehen, so könnte kein Mensch sein geistiges Leben andereil Menschen kundgeben und dadurch ihr geistiges Leben anregen. Diese Anregung ist möglich in dem Sinne, daß sie übereinstimmende Regungen anderer veranlaßt. Sie ist aber auch möglich in dem Sinne, daß sie gegenteilige Regungen anderer veranlaßt. Das Beispiel anderer kann mich zur Nachahmung reizen oder abschrecken. Die fremde Meinungsäußerung kann mich zur gleichen oder zur entgegen­ gesetzten Meinung bestimmen. Die fremde Willensäußeruilg kann nicht nur bewirken, daß ich mich ihr gemäß verhalte, sondern auch, daß ich gerade deshalb, weil sie ergangen ist, ein anderes Verhalten beobachte. Unstreitig ist es ein Zeichen einer für mein Bewußtsein zwischen mir und einem anderen bestehenden Gemeinschaft, wenn sein Verhalten für mich ein Grund ist, mich ebenso zu verhalten, seine Meinung für mich ein Grund ist, sie anzunehmen und sein Wunsch für mich ein Grund ist, ihm nachzuleben. Wenn um­ gekehrt sein Beispiel mich abgeschreckt, seine Meinungs- oder Willensäußerung mich zum entgegengesetzten Denken oder Tun bestimmt hat, so war dafür ein zwischen mir und dem anderen bestehender Gegensatz entscheidend, der aber gleichfalls auf einem zwischen uns bestehenden Zusammenhang beruht. Wären wir einander gleichgültig, so konnte das Vorbild, das Wort und der Wille des anderen mich weder zu einem ihm gemäßen, noch zum gegenteiligen Verhalten bestimmen. Jeder Zusammenhang ver­ schiedener Dinge schließt zugleich einen Gegensatz derselben in sich. Jeder Teil eines Ganzen unterscheidet sich von jedem anderen Teile desselben dadurch, daß er dieser Teil ist. Wie aber innerhalb des individuellen Geisteslebens dem Triebe der Ausbildung seiner verschiedenen Teile zur Seite steht der Trieb, sie möglichst in Einklang miteinander zu bringen und in ihrem Widerstreite dem für das Ganze wichtigeren Teil den weniger wichtigen unterzu-

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ordnen, so besteht dieser Trieb auch innerhalb des durch die geistige Wechselwirkung zwischen verschiedenen Menschen sich entwickelnden Ganzen. Wie durch die Entfaltung und Wechselwirkung, den Einklang und Widerstreit seiner verschiedenen Bestandteile das individuelle Geistesleben sich als ein Ganzes entwickelt, an beut jenen ein verschiedener Anteil zukommt und das trotz ihres viel­ fachen Widerstreites eine Einheit aufweist, deren fortschreitende Steigerung im Zwecke seiner Förderung enthalten ist, so entwickelt sich auch das geistige Gesamtleben der verschiedenen geistig mit­ einander zusammenhängenden Menschen als ein Ganzes, woran verschiedene Menschen in verschiedener Weise beteiligt sind und das trotz vielen Widerstreites eine Einheit aufweist, die, je kräftiger und gesunder seine Entwickelung ist, desto mehr sich steigert pari passn mit der fortschreitenden Steigerung des individuellen Geistes­ lebens der an ihm beteiligten Menschen. Dabei ist aber ein großer Unterschied. Selbstbewußtsein schreiben wir dem einzelnen Menschen als einem solchen zu, der sich der Fülle und der Einheit seines geistigen Lebens bewußt ist, so daß sein Bewußt­ sein nie aufgeht in der bestimmten, zurzeit im Vordergründe des­ selben stehenden geistigen Regung, sondern er sich dieser bewußt ist als eines Gliedes im Zusammenhange seines geistigen Lebens. Wenn aber diesen der Einzelne nur unvollständig und lückenhaft übersieht, so gilt dies noch in ganz anderer Weise von dem sein geistiges Leben umfassenden Gesamtzusammenhange des mensch­ lichen Geisteslebens. Wir kennen kein anderes als individuelles Bewußtsein. Indem jener Gesamtzusammenhang kein individueller ist, so ist er für keinen Menschen so wie der Zusammenhang seines individuellen geistigen Lebens ein Gegenstand seiner Selbsterkenntnis. Er ist auch nicht ein solcher, zu dem das geistige Leben des Einzelnen sich als ein bestimmtes Glied verhält. Am geistigen Gesamtleben kommt dem Einzelnen eine bestimmte Beteiligung nicht als diesem Individuum zu. Wollen wir seine Beteiligung daran, so­ weit dies überhaupt möglich ist, bestimmen, so müssen wir ver­ schiedene Gebiete des geistigen Lebens unterscheiden. Hatte ein Mann hervorragende Bedeutung in zwei heterogenen Gebieten, so war seine vereinigte Beherrschung des einen und des anderen charakteristisch für sein individuelles geistiges Leben, wogegen die

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Bedeutung, die er durch seine Leistungen im einen und im anderen für die Mitwelt und Nachwelt erlangt hat, eine ganz getrennte sein kann. Die bestimmte Person ist er durch die bestimmte mit der Einheit seines Körpers zusammenhängde Vereinigung der verschiedenen Teile seines geistigen Lebens. Für das geistige Gesamtleben hat das individuelle geistige Leben Bedeutung nicht schon durch seine Existenz, sondern erst durch seine Betätigung. Mein Gedanke existiert als solcher nur für mich als ein Bestand­ teil meines von jedem fremden Geistesleben verschiedenen geistigen Lebens. Für andere existiert er erst als ein irgendwie geäußerter. Der von mir geäußerte Gedanke ist nicht identisch mit dem von mir gehegten Gedanken. Jener ist ein für andere nicht existierender Teil meines individuellen Geisteslebens; dieser ist eine durch dessen Betätigung erwachsene Frucht desselben. Wirft mein Geistesleben Früchte verschiedener Art ab, so ist es eine Quelle verschiedener durch dasselbe geleisteter Beiträge zum geistigen Gesamtleben, deren Bedeutung für dieses nicht abhängt von ihrer Eigenschaft als Früchte dieses bestimmten individuellen Lebens. Weil der Einzelne am geistigen Gesamtleben teilnimmt, aus ihm Nahrung für sein Geistesleben zieht und es durch die Äußerungen seines Geisteslebens befruchtet, hat man das Gesamtleben der Menschheit sowie bestimmter Kreise derselben für eine ähnliche Einheit erklärt, wie das individuelle Leben, und eine neben der Persönlichkeit des einzelnen Menschen existierende Persönlichkeit teils bestimmter menschlicher Kreise teils der ganzen Menschheit angenommen. Man unterscheidet eine mensch­ liche Einzelpersönlichkeit und Gesamtpersönlichkeit. Man glaubt um so mehr, so unterscheiden zu dürfen, da auch die Einzelperson sich aus verschiedenen Teilen zusammensetzt, zwischen denen nicht nur Einklang, sondern auch Widerstreit besteht. Man denkt sich das Verhältnis der Gesamtperson zur Einzelperson ähnlich wie das Verhältnis eines körperlichen Ganzen zu seinen Teilen. Bezeichnet man als solche Gesamtpersonen z. B. die Völker, so würde die Auffassung der einzelnen Menschen als ihrer Teile in jenem Sinn erfordern sowohl, daß der Einzelne nur einem Volke angehören könnte als auch, daß sein Wesen in seiner Eigen­ schaft als Teil seines Volkes und sein Leben in seiner Beteiligung an dessen Leben aufginge. Dadurch wäre nicht gegeben, daß

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er sich nicht von anderen Teilen seines Volkes unterschiede, wohl aber daß seine Persönlichkeit eine bestimmte Spezialisierung der Volkspersönlichkeit und diese eine bestimmte Spezialisierung der dem Menschen als solchem eigenen Persönlichkeit wäre. Und damit dieses Verhältnis ein Verhältnis des Teiles zum Ganzen wäre, müßte die Einheit des Ganzen derselben Art sein wie die Einheit des Teiles. Hat ein Körper verschiedene Teile, so unter­ scheiden wir den Gesamtkörper vom Teilkörper, und wenn seine sämtlichen Teile Körper derselben Art sind, so ist ein Körper dieser Art auch der Gesamtkörper. Sind sie Organismen derselben Art, so existiert ein Gesamtorganismus dieser Art. Ist der Mensch eine Person nicht ohne seine Eigenschaft als körperlicher Organismus, so könnte eine aus einer Vielheit einzelner Personen bestehende Gesamtperson nur existieren als ein aus einer Vielheit körperlicher Einzelorganismen bestehender körperlicher Ge­ samtorganismus. Die Menschheit ist nicht ein solcher Organismus, aber sie ist eine Gattung, zu deren Natur die Natur des einzelnen sich verhält als eine Spezialisierung derselben. Kein Mensch hat andere Eigenschaften als solche, deren Möglichlichkeit durch die Natur der menschlichen Gattung gegeben ist, und so sehr auch die Eigenschaften verschiedener Menschen sich unterscheiden, so sind sie doch durchweg Spezialisierungen allgemein mensch­ licher Eigenschaften. Was aber so vom Verhältnis des Menschen zur Menschheit gilt, das gilt nicht von seinem Verhältnis zu einem bestimmten Volk. Er kann nicht dieser Mensch oder diese Person sein, ohne ein Mensch zu sein. Er kann keine durch den Begriff des Menschen gegebene Eigenschaft ganz entbehren und keine durch den Begriff des Menschen ausgeschlossene Eigen­ schaft haben. Einem bestimmten Volke kann ein bestimmter Mensch nicht nur ganz oder gar nicht, sondern auch zum Teile angehören, und er gehört ihm nie ganz an in dem Sinne, daß sein Jndividualcharakter nichts anderes wäre als eine Spezialisierung des be­ stimmten Volkscharakters. Sein individuelles Leben geht nie auf in seiner Teilnahme am Gesamtleben seines Volkes. Dieses geht nicht nur über jenes hinaus, sondern bleibt auch hinter jenem zurück. Ist der bestimmte Mensch nur ein Teil des bestimmten Volkes, so ist auch umgekehrt seine Angehörigkeit zu diesem nur Holder, Natürl. u. jurist. Personen.

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eine Seite seines Lebens. Ihre Bedeutung kann größer oder ge­ ringer sein. Je entwickelter aber das geistige Leben eines Menschen ist, desto weniger geht es auf in seiner Teilnahme am Gesamt­ leben seines Volkes oder irgendeines ihn umfassenden Kreises von Menschen. Wäre für den Begriff der Person die körperliche Einheit un­ wesentlich, so daß es unkörperliche Gesamtpersonen gäbe, die aus einer Mehrheit körperlicher Personen bestehen, so könnte doch nicht dieselbe Einzelperson ein Teil mehrerer einander koordinierter Ge­ samtpersonen sein. Ist etwas ein Teil sowohl eines bestimmten Ganzen als eines bestimmten anderen Ganzen, das nicht wieder selbst zu jenem im Verhältnisse des Teiles zum Ganzen oder des Ganzen zum Teile steht, so gehört es nicht in seinem vollen Umfange sowohl dem einen als dem anderen an. Diese Person ist der Mensch durch die Vereinigung seiner sämtlichen Eigenschaften. Gehörter aberverschiedenen Menschen­ gesamtheiten an, so gehört er ihnen durch verschiedene ihn mit ver­ schiedenen anderen Menschen verbindende Eigenschaften an. Er gehört ihnen also nicht an durch die Gesamtheit seiner Eigenschaften, sondern als ein solcher, der neben anderen für seine Angehörigkeit zur be­ stimmten Gemeinschaft gleichgültigen Eigenschaften die bestimmte für seine Angehörigkeit zu ihr entscheidende Eigenschaft hat. Je nach der größeren oder geringeren Bedeutung dieser Eigenschaft für sein ganzes Wesen und Leben ist seine Angehörigkeit zur be­ stimmten Gemeinschaft von größerer oder geringerer Bedeutung für seine Persönlichkeit. Nie geht aber diese in jener auf, und nie kommt daher der Gesamtheit eine die ganze Persönlichkeit ihrer Angehörigen in sich schließende Gesamtpersönlichkeit zu. Gäbe es eine aus einer Mehrheit von Einzelpersonen be­ stehende Gesamtperson, so wären die Ehegatten der Prototyp einer solchen. Fichte (Sittenlehre S. 449) sagt: „Die unverheiratete Person ist nur zur Hälfte ein Mensch." Ist sie nur ein HalberMensch, so ist sie auch nur eine halbe Person. Ist die Ehe, wie sie schon Justinians Institutionen (§ 1 de pa. pot. 1, 9) bestimmen,

viri et mulieris coniunctio, individuam vitae consuetudinem continens, so ist das ganze Leben jedes Gatten nur ein Teil ihres gemeinsamen Lebens. Die Bezeichnung des Lebens der Gatten als eines in jeder Beziehung gemeinsamen ist aber auch für den Fall

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der innigsten überhaupt möglichen Lebensgemeinschaft derselben eine Übertreibung. Ihre Lebensgemeinschaft ist die wichtigste Lebensgemeinschaft verschiedener Organismen, weil in der Fähigkeit seiner Fortpflanzung das körperliche Leben des individuellen Orga­ nismus gipfelt, und weil auch für das Gedeihen der aus der Ver­ einigung eines Mannes und eines Weibes hervorgegangenen Menschen ihre fortdauernde Gemeinschaft und gemeinsame Fürsorge von höchster Bedeutung ist. Wenn aber auch das Leben des Organismus in seiner durch seine geschlechtliche Vereinigung mit einem anderen Organismus bedingten Fortpflanzung gipfelt, so geht es doch nicht in ihr auf, und insbesondere ist das geistige Leben des einzelnen Menschen einesteils ein selbständiges und andernteils ein solches, für dessen Wechselwirkung mit fremdem geistigem Leben sein Ver­ hältnis zu seinem Gatten bald größere, bald geringere, aber nie erschöpfende und ausschließliche Bedeutung hat. Die Unterscheidung von Einzelpersonen und Gesamtpersonen hat sich eingebürgert durch die namentlich dem Juristen geläufige Unter­ scheidung von Einzelwille und GesamtwilleunddurchdieJdentifizierung der Person und des Willens, kraft welcher durch die Existenz eines Ge­ samtwillens dieExistenz einer Gesamtperson unmittelbar gegeben schien. Immer mehr wird aber erkannt, daß ein menschlicher Gesamtwille nichts anderes ist als die mehr oder weniger bewußte Überein­ stimmung des von verschiedenen Menschen Gewollten. Soweit sie dasselbe wollen, sollen verschiedene Menschen Bestandteile der­ selben Person sein. Dabei fällt die verschiedene Behandlung des Wollens und Denkens auf. Auch die Gedanken verschiedener Menschen sind teils voneinander verschieden und einander vielfach widerstreitend, teils miteinander übereinstimmend. Der aus der Über­ einstimmung ihres Willens abgeleiteten Annahme, er sei der Wille einer aus einer Mehrheit von Menschen bestehenden Person, würde entsprechen die aus der Übereinstimmung ihrer Gedanken abgeleitete Annahme, sie seien Gedanken einer aus einer Mehrheit von Menschen bestehenden Person. Daß im Gegensatz zu jener Annahme diese Annahme nicht üblich ist, beruht nicht etwa darauf, daß für unser Leben die Übereinstimmung der Gedanken verschiedener Menschen eine geringere Rolle spielen würde als die Übereinstimmung ihres Willens. Beruht doch auf der Annahme, 3*

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daß sie den zwischen den Gedanken verschiedener Menschen be­ stehenden Widerstreit überwiegt, die ganze für jedes gegenseitige Verständnis und jeden Verkehr der Menschen unerläßliche An­ nahme, daß es dieselbe Welt ist, die für das Bewußtsein deS einen und des anderen Menschen existiert und an der jeder in verschiedener Weise beteiligt ist, dieselbe Außenwelt und dieselbe Geisteswelt, ohne deren Einheit es keine Wissenschaft, Kunst und Religion geben könnte. Wie wir keinen anderen Willen als Menschenwillen kennen, so auch keine andere als menschliche Wissen­ schaft, Kunst oder Religion. Auch ein solcher, durch den und für den diese existiert, der durch sie gefördert wird und sie fördert, ist der Mensch als eine Person. Wäre er ein Teil einer aus ihni und anderen Menschen bestehenden Gesamtperson durch die Über­ einstimmung seines Willens mit fremdem Willen, so wäre er ein solcher auch durch seine ihm mit anderen gemeinsame Beteiligung an Wissenschaft, Kunst und Religion. Auf der angegebenen Grundlage begegnet uns die Annahine von Gesamtpersonen namentlich bei dem Philosophen, der unter den Lebenden am meisten die Rechtswissenschaft berücksichtigt, und bei dem zurzeit wohl einflußreichsten Philosophen, Schuppe und Wundt. Schuppe (der Begriff des subjektiven Rechts) erklärt (S. 327): „Zum konkreten Wollen gehört ebenso wesentlich ein ganz konkreter Wollender." Wenn es nun z. B. zur „einheitlichen Verlautbarung des gemeinschaftlichen Willens in einer Versammlung aller Genossen" komme, so seien „sie in ihrer konkreten Viel­ heit nicht die Gesamtperson. Zu dieser gehört wesentlich die Abwesenheit der oder die Abstraktion von den individuellen Eigen­ tümlichkeiten und Unterschieden der Wollenden; sie ist also doch das in diesen allen wirkende, für sich allein gedacht aber aller konkreten Bestimmtheit ermangelnde, abstrakt allgemeine Moment des bestimmten Willens." Er meint, man könne „dieses Moment er­ gänzen durch Hinzufügung der ebenso allgemeinen Vorstellung eines bewußten Ich als Trägers derjenigen Gesinnungen, welche diesen bestimmten Willen begründen und sichern". Er fügt aber selbst hinzu, ein abstractum bleibe jene Gesamtperson doch immer; dieses zur Ergänzung hinzugefügte Ich sei kein wirkliches Ich und „für die Konsequenz der Sache" sei die Annahme einer Gesamt­

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person „gleichgültig". Geht aber, wie Schuppe richtig sagt, jedes Wollen von einer konkreten Person und der Gesamtwille von einer Mehrheit konkreter Personen aus, die nicht etwa miteinander eine konkrete Gesamtperson bilden, so ergibt sich daraus die Negation des Begriffs der Gesamtperson und die Einheit des Gesamtwillens als eine solche, die auf einem anderen Momente beruhen muß als der Einheit der Person. Wund t, der früher jede Gesamtpersönlichkeit verneint hat, schreibt neuerdings eine solche dem Staate, aber nur diesem zu, weil nur sein Gesamtwille sowohl ein autonomer als nicht auf ein bestimmtes Zweckgebiet beschränkt sei. Es gebe zwei „selbst­ bewußte und freihandelnde Wesen", den Einzelnen und den Staat. „Selbstbewußtsein und Wille" sei bei jenem „zu einer unmittel­ baren Einheit verbunden", bei diesem „über zahlreiche individuelle Einheiten verteilt, so daß . . . jeder Willensentschluß mehr oderminder verwickelte Wechselwirkungen individueller Personen voraus­ setzt. Diese Unterschiede sind es aber gerade, die der Gesamt­ persönlichkeit ihre das Einzelwesen weit überragende Bedeutung verleihen" (Ethik 2. Ausl. S. 668). Daneben erklärt aber Wundt: „Gerade die Eigenschaft, durch welche eine Gemeinschaft als Organismus betrachtet dem Individuum überlegen ist, die Zu­ sammensetzung aus selbständigen, mit dem Charakter der Persönlich­ keit begabten organischen Einheiten macht den engeren Begriff der Persönlichkeit auf sie unanwendbar" (Syst, der Philosophie S. 605). Wie steht es aber mit dem Selbstbewußtsein und der Autonomie des Staates? Bestimmt sich sein Wille durch die Wechselwirkung der verschiedenen, an dessen Bildung beteiligten Menschen, so hat er keinen von deren Willen unabhängigen Willen. Des Menschen Wille hängt ab von seiner Entschließung. Der Staatswille hängt ab von verschiedenen Entschließungen verschiedener an ihm be­ teiligter Menschen. Von ihrem Verhalten und damit von ihrer Persönlichkeit, von ihrer Einsicht, Energie und Güte, von ihrer Verblendung, Trägheit und Bosheit hängt der Inhalt des Staats­ willens ab. Die Einheit der Person beruht auf ihrer Fähigkeit, ihre verschiedenen Triebe dem Triebe der möglichst umfaffenden Lebensförderung unterzuordnen. Soweit die an der Bildung des Gemeinwillens beteiligten Menschen die Erfordernisse des Gemein­

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wohls zu erkennen und ihm als einem ihren Sonderinteressen vorgehenden die Verfolgung dieser unterzuordnen vermögen, ver­ bürgt ihre Einsicht und Tatkraft die Bildung eines der Förderung des Gemeinwohles dienenden Staatswillens. Es gibt aber kein eigenes Bewußtsein und keine eigene Willenskraft des Staats, wodurch das individuelle Bewußtsein und die individuelle Willens­ kraft der an ihm beteiligten Menschen zur Tätigkeit im Dienste des Staates als eines sie umfassenden Ganzen geweckt werden könnte. Es kann also von einer Autononne des Staates gegen­ über den an ihm beteiligten Menschen keine Rede sein. Allerdings unterscheidet er sich von anderen Organisationen durch die Unbegrenzheit seiner Zwecke. Aber nicht von seiner Wahl, sondern von der für seinen Willen bestimmenden Wahl der an ihm beteiligten Menschen hängen die Zwecke ab, denen er dient, und seine letzten Zwecke liegen jenseits seines Daseins. Reicht deshalb gehört die Förderung von Religion, Wissenschaft und Kunst zu den Zwecken des Staates, weil die religiösen, wissenschaftlichen und künstlerischen Interessen der Menschen solche wären, die sie haben als Staats­ angehörige, sondern weil der Staat durch den Willen der zu ihni vereinigten Menschen bestimmt ist, allen menschlichen Interessen zu dienen, denen die staatliche Tätigkeit förderlich zu fein vermag. Wundt schreibt dem Staate nicht nur „Wahlfähigkeit", sondern auch ein S e l b st b e w u ß t s e i n zu, „welches die Vorbedingung des Rückblicks und der Voraussicht in einem das individuelle Vermögen weit übertreffenden Grade besitzt" (Syst, der Philosophie S. 605). Daran ist aber nur richtig, daß durch die Organisation des Staates und das auf ihr beruhende Zusammenwirken verschiedener Menschen die zur Entscheidung in staatlichen Angelegenheiten berufenen Menschen eine sonst nicht zu erreichende Information erlangen können. Können sie vermöge dieser richtiger und sicherer ent­ scheiden als andere Menschen, so ändert das nichts daran, daß es sich handelt um ihre auf Grund ihrer Einsicht getroffene Entscheidung. Die durch ihre Stellung ihnen zugängliche be­ sondere Information ist nicht zu verachten. Sie hat aber viel weniger Bedeutung als ihre Einsicht und insbesondere als ihre Gesinnung und ihre Energie. Dienen sie vermöge ihrer Gesinnung Sonderinteressen, so kommt gleich ihrer sonstigen Kenntnis auch

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die besondere durch ihre Stellung ihnen zugängliche Kenntnis weniger dem Staate als jenen Sonderinteressen zugute. Regelmäßig begnügt man sich damit, der Gesamtheit einen eigenen Willen zuzuschreiben, ohne von einer ihr eigenen Intelligenz zu reden. Hat sie aber nicht gleich dem einzelnen eine eigene ihren Willen bestimmende Intelligenz, so hat sie auch nicht gleich jenem einen eigenen Willen. Hat der Mensch mit der Pflanze die Eigenschaft eines lebenden Körpers und mit dem Tiere dieEigenschaft eines beseelten oder des Bewußtseins und willkürlicher Bewegung fähigen Körpers gemein, und ist er eine Person in seiner Eigenschaft als Mensch, also nicht abgesehen von den ihm mit dem Tiere gemeinsamen Qualitäten, sondern durch den ihn vor diesem auszeichnenden höheren Umfang und Gehalt seines Bewußtseins und Willens, so besteht kein Grund zur Annahme, daß es Personen gibt, die keine Menschen sind. Die Frage, ob eine (Gesamt-)Person aus mehreren Personen bestehen kann, ist von diesem Ausgangspunkte aus identisch mit der Frage, ob ein Mensch aus mehreren Menschen bestehen kann. Unstreitig kann ein Ganzes aus Teilen bestehen, die zur gleichen Art von Dingen gehören wie jenes. Ein Ganzes ist auch der Teil als ein von anderen Teilen desselben Ganzen verschiedener. Ob das Ganze, dessen Teil er ist, ein Ganzes der­ selben Art ist wie das Ganze, das er bildet, bemißt sich danach, ob sein Zusammenhang mit anderen Teilen jenes Ganzen gleicher Art ist wie der Zusammenhang seiner Teile. Daher ist eine Sachgesamtheit keine Gesamtsache, weil zwischen den einzelnen Sachen, aus denen sie besteht, der zwischen den verschiedenen Teilen dieser bestehende körperliche Zusammenhang fehlt. Daher ist auch eine Personengesamtheit keine Gesamtperson. Der Ge­ samtheit fehlt sowohl die körperliche Einheit als die Bewußiseinseinheit, die der Person zukommt. Auch diese ist eine durch eine Vielheit gebildete Einheit. Obgleich aber sowohl der Körper als das Bewußtsein des Menschen verschiedene und wechselnde Be­ standteile hat, ist der Mensch doch sowohl eine körperliche als eine Bewußtseinseinheit. Der Zusammenhang sowohl der verschiedenen Bestandteile dieser beiden Einheiten als der einen und der anderen ist uns nur sehr fragmentarisch bekannt, aber er ist kein zufälliger oder durch den sonstigen Weltlauf gegebener, sondern ein auf der

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Natur des Menschen beruhender. Der Weltlauf und die dadurch gegebene Wechselwirkung zwischen ihm und der übrigen Außenwelt, wie insbesondere zwischen ihm und anderen Menschen, hat Einfluß sowohl auf seine körperliche als auf seine Bewußtseinsentwicklung, aber nur innerhalb der durch seine angeborene Natur gegebenen bestimmten Möglichkeiten. Der Weltlauf kann als ein ihn berührender sein Leben begünstigen und hemmen, einen schnelleren oder lang­ sameren, einen mehr oder weniger normalen Verlauf nehmen lassen. Er kann seinem Leben ein vorzeitiges Ende bereiten, er kann es aber höchstens, was er nie ganz tut, zu der vollen, durch seine angeborene Lebenskraft möglichen körperlichen und geistigen Entwicklung gelangen lassen. Ein von Natur dummer Mensch wird nie ein Genie, ein stumpfer wird nie feinfühlig, ein träger nie energisch. In ganz anderer Weise ist ein Produkt der Geschichte eine ihre Mitglieder wechselnde Personengesamtheit. Der Wert ihrer Existenz hängt ganz ab vom Verhalten der Menschen, aus denen sie besteht und deren Koexistenz und Sukzession als solcher, die mit­ einander die Gesamtheit bilden, nicht oder doch nur zum Teil aus einem natürlichen Zusammenhang beruht. Jede Geburt eines Menschen ist eine Vermehrung, jeder Tod eines solchen ist eine Verminderung menschlichen Lebens. Dasselbe gilt durchaus nicht von jeder Bildung und jedem Zerfall einer ver­ schiedene Menschen zu einer Gesamtheit verbindenden Organisation. Jedes Menschenleben hat eigenen Wert. Die Existenz einer solchen Organisation hat Wert nur als ein Mittel zur Förderung mensch­ lichen Lebens. Kommt ihr in höherem Grade als diese Eigenschaft die Eigenschaft eines Hemmnisses menschlichen Lebens zu, so ist nicht ihre Entstehung sondern ihre Vernichtung wertvoll. Sie ist ein Mittel zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse, dessen Existenz nicht nur dann keinen Wert hat, wenn sie nicht geeignet ist, die Befriedigung dieser Bedürfnisse zu fördern, sondern auch dann, wenn diese Bedürfnisse nicht und vielleicht gerade durch ihre Wirksamkeit nicht mehr existieren, und wenn sie der Berechtigung entbehren, weil ihre Befriedigung nicht möglich ist ohne die Befriedigung vorgehender Bedürfnisse. Die Geschichte einer solchen Organisation ist nicht die Ge­

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schichte eines eigenen Lebens, sondern sie ist ein Stück der Lebens­ geschichte der aktiv und passiv an ihr beteiligten Menschen. Einem Menschen kann zu seiner leiblichen und geistigen Förderung nicht mehr Nahrung zugeführt werden, als er nach seiner Natur zu ver­ arbeiten vermag; die Möglichkeit seines leiblichen und geistigen Wachstums ist durch diese beschränkt. Ein Staat und dergl. hat keine ihm angeborenen für sein Wachstum maßgebenden Kräfte und Fähigkeiten. Er zieht seine Kraft aus den persönlichen Kräften der an ihm beteiligten Menschen. Es ist eine Spielerei, wenn man auf ihn die Verschiedenheit der Lebensalter anwendet. Ein Greis kann nicht wieder jung werden. Ein durch die Be­ schaffenheit der an ihm beteiligten Menschen in Verfall geratener Staat kann durch deren Erneuerung zu erneuter Blüte gelangen. Jede Personengesamtheit, wie sie nicht aus eigener Kraft, sondern durch die Kräfte der an ihr beteiligten Personen besteht, existiert auch nicht um ihrer selbst willen, sondern um der an ihr beteiligten Personen und damit ihrer Lebenszwecke willen. Kein individuelles Leben existiert lediglich um seiner selbst willen. Aber kein Leben existiert auch lediglich um fremden Lebens willen. Der Mensch existiert nicht um des Staates, sondern der Staat existiert um des Menschen willen. Da aber jeder Mensch zwar auch, aber nicht n u r um seiner selbst willen existiert, so existiert er allerdings auch um des Staates als eines der mächtigsten Mittel der Lebens­ förderung willen. Wie aber nicht die Existenz des Staates der letzte Zweck des Menschen, sondern die Förderung menschlichen Lebens der Zweck des Staates ist, so kann trotz der von ihm vollauf gewürdigten Bedeutung des Staates für die Förderung menschlichen Lebens der Mensch sich zu einem dem Staatswillen zu­ widerlaufenden Verhalten berechtigt und verpflichtet fühlen, weil dieses gefordert ist durch ein dem Bedürfnis der Übereinstimmung des eigenen Verhaltens mit dem Staatswillen vorgehendes Bedürfnis. Darüber, wann ein solches vorliegt, läßt sich sehr verschieden urteilen; die nicht zu bestreitende Möglichkeit der Existenz eines solchen genügt aber, um erkennen zu lassen, daß der Mensch sich nicht zum Staate verhält als Teil zum Ganzen. Ein dem Gesetze des Ganzen, das als solches ein Gesetz seiner sämtlichen Teile ist, zuwiderlaufendes Verhalten eines Teiles könnte nie ein berechtigtes sein. Würde

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insbesondere der Staat als Gesamtperson zum Menschen als einer einen Teil jener bildenden Einzelperson sich so verhalten, wie im Menschen sich zur Einheit seines Bewußtseins seine verschiedenen Bewußtseinszustände verhalten, so wäre jedes dem Staatswillen zu­ widerlaufende Verhalten eine Befriedigung eines untergeordneten Bedürfnisses auf Kosten des vorgehenden, während der umgekehrte Fall vorliegt, wenn der Mensch das Gebot des Staates wegen einer höheren Gewissenspflicht nicht befolgt. Hätte die Gemein­ schaft eine eigene Persönlichkeit, zu der sich die Persönlichkeit der ihr angehörenden Menschen als eine ihr untergeordnete und nur insoweit, als sie mit jener im Einklänge steht, berechtigte verhielte, so würde vom Standpunkte des Theismus aus die Gesamtpersön­ lichkeit der Gemeinschaften als eine der Persönlichkeit der einzelnen übergeordnete in der Mitte stehen zwischen dieser und der jeder anderen übergeordneten Persönlichkeit Gottes. Gewiß ist unter uns nie­ mand der Meinung, daß die Beziehung des Menschen zu Gott durch den Staat vermittelt werde; diese Meinung wäre aber eine Konsequenz der Annahme, daß dem Staate eine eigene, der Per­ sönlichkeit des Einzelnen übergeordnete Persönlichkeit zukomme.

2. Die Theorie Gierkes. Wir haben bisher den Begriff der Person betrachtet ohne Ver­ wendung spezifisch juristischer Argumente. Soweit für die An­ nahme solcher Personen, die nicht menschliche Individuen sind, rechtliche Erscheinungen geltend gemacht werden, haben wir nur einer nicht von Juristen, sondern von Philosophen ausgehenden Verwertung solcher gedacht. Wir gedenken auch jetzt nicht solcher Formulierungen des Begriffs der Person, die diesen als einen aus­ schließlich juristischen verstehen. Wir gedenken aber hier speziell der Theorie Otto Gierkes, der den Begriff der Person als einen auf das menschliche Individuum sich nicht beschränkenden sowohl einesteils aufs umfassendste juristisch verwertet, als andernteils auf eine Basis gestellt hat, durch die er uns als ein keines­ wegs ausschließlich juristischer, vielmehr für alle Geisteswissenschaften überaus wichtiger und grundlegender entgegentritt. Seiner juristischen Verwertung sind zwei Werke Gierkes gewidmet: „Das deutsche

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Genossenschaftsrecht" (I 1868, II 1873, III 1881), sowie „Die Ge­ nossenschaftstheorie und die deutsche Rechtsprechung" (1887), wozu weitere Ausführungen kommen, so namentlich in Gierkes Deutschem Privatrechte I (1895) und in der Schrift: „Vereine ohne Rechtsfähigkeit", zweite Auflage, 1903. Der prinzipiellen weit über das Gebiet des Rechts hinausragenden Basis seiner Theorie hat Gierke 1902 eine Berliner Rektoratsrede gewidmet über „Das Wesen der menschlichen Verbände". Diese Rede be­ zeichnet sich als „Betrachtung eines Grundproblems ..., das in der Rechtswissenschaft fragend sein Haupt erhebt, das aber in der Tiefe aller Geisteswissenschaft wurzelt und der Berührung mit der Naturwissenschaft nicht entbehrt". Gierke erklärt, daß er dessen Betrachtung anstelle „unter einem gewissen inneren Zwange", da es für seine wissenschaftliche Lebensarbeit „Ausgangspunkt gewesen und Mittelpunkt geblieben" sei. Er will also hier die Quintessenz seiner Theorie geben, und es ist gewiß in seinem Sinne, wenn wir deren prinzipielle Betrachtung an diese Rede anschließen. Gierke erklärt (S. 2), es handle sich um „die Frage nach der Beschaffenheit der untereinander überaus ungleichartigen Gebilde, die wir dem Gattungsbegriff der gesellschaftlichen Körper unter­ stellen, und denen wir hiermit ein gemeinsames Merkmal zu­ schreiben, das die erhabenen Erscheinungen des Staates und der Kirche mit der kleinsten Gemeinde und der losesten Genossenschaft teilen". „Allen diesen Verbänden gegenüber begnügt" nach ihm die Rechtsordnung „sich nicht, wie den Individuen gegenüber, mit Normen für äußeres Verhalten. Nein! Sie beherrscht und durch­ dringt auch ihr Innenleben" (S. 3). Machen wir davon die Probe etwa auf eine Reisegesellschaft, die gewiß eine „Genossen­ schaft" und im Falle einer schwierigen vielleicht große Gefahren mit sich bringenden Reise sowie einer bestimmten Organisation nicht einmal eine „loseste" ist. Auch ist diese Gemeinschaft nicht nur eine tatsächliche, sondern zugleich eine rechtliche. „Beherrscht und durchdringt" aber das Recht „ihr Innenleben" ? Dieses wird sich um so gedeihlicher entwickeln, je enger sich die Genossen an­ einander schließen, je mehr sie die gemeinsamen Gefahren mit ver­ einter Kraft bestehen, überhaupt das zur Erreichung des Reise­ zwecks Erforderliche mit Eifer und Sachkenntnis teils durch

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gemeinsame Arbeit, teils, wo Arbeitsteilung zweckmäßiger ist, untermöglichst zweckdienlicher Verteilung der erforderlichen Arbeit tun, und je mehr jeder die günstigen Reiseerlebnisse zu genießen und zu ver­ werten, die ungünstigen zu ertragen und zu überwinden sowie sich mit den anderen zu vertragen versteht. Dieses „Innenleben" der Reisegesellschaft wird nicht vom Recht beherrscht und durchdrungen. Es kann nicht gedeihen, wenn die Mitglieder derselben an ihr Ver­ halten nur den Maßstab des Rechtes anlegen. Und es ist kein eigenes Leben neben dem Leben ihrer Mitglieder, zu dem es im doppelten Verhältnis eines Produktes und eines Mittels desselben in der Weise steht, daß die Existenz der Gesellschaft überhaupt nicht möglich ist ohne die Existenz von Menschen, die sie miteinander bilden, während die Existenz der Gesellschaft für die zu ihr ver­ einigten Menschen zwar eine Bedingung einer bestimmten Förderung ihres Lebens, aber nicht eine Bedingung seiner Existenz ist. Was aber hier gilt, das gilt auch von den „erhabenen Erscheinungen des Staates und der Kirche". Auch ihr „Innenleben" ist nicht vom Rechte „durchdrungen". Es ist nicht schon deshalb ein ge­ deihliches, weil das Verhalten ihrer Teilnehmer sich innerhalb der Grenzen des Rechtes bewegt. Und es ist nicht ein eigenes vom Leben dieser getrenntes Leben. Es ist ein Produkt und ein Mittel ihres Lebens gleichfalls in dem doppelten Sinne, daß der Staat und die Kirche ohne Menschen, die daran teilnehmen, überhaupt nicht existieren kann, während das Leben der Menschen ohne seine Teilnahme an jenen Gemeinschaften zwar einer wesentlichen Förderung entbehrt, aber nicht ausgeschlossen ist. Der Grundgedanke der „Verbandseinheit" ist nach Gierke „der Gedanke der selbständigen Persönlichkeit des organisierten Ganzen" (S. 8). Ist aber der Verband das Ganze, so ist der durch ihn mit anderen verbundene Mensch nur ein Teil jenes Ganzen. Hat jener „selbständige Persönlichkeit", so hat sie sein Teil nicht. Wie kann aber der Verband „selbständige Persönlichkeit" haben, wenn die durch ihn Verbundenen ihn jederzeit auflösen können? Fürlosere Verbände ist diese Möglichkeit unbestritten. Aber auch für den Staat und die Kirche ist unbestreitbar, daß, wenn es zur Ver­ einbarung ihrer Auflösung durch ihre sämtlichen Teilnehmer käme, diese dadurch erfolgt wäre.

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Gierke meint, seine Auffassung müsse jeder teilen, „der mit der individualistischen Gesellschaftsauffassung gebrochen hat und das menschliche Gemeinleben als ein Leben höherer Ordnung be­ trachtet, dem sich das Einzelleben eingliedert" (S. 10). Wer wollte leugnen, daß die höchsten Güter der Menschheit nicht die den einen im Gegensatz zu anderen eignen, sondern solche sind, die fähig und bestimmt sind, den Menschen gemeinsam zu sein. Solche Güter sind die Sprache, die Wissenschaft, die Kunst, die Religion. Wer schließt aber daraus, daß Sprache, Wissenschaft, Kunst und Religion eine vom Leben der daran teilnehmenden Menschen unabhängige Existenz hätten? Sie sind gemeinsame Produkte, Bestandteile und Mittel des Lebens aller daran teilnehmenden Menschen, deren Leben ohne sie weit ärmer wäre, wogegen es ein vom Leben der daran teilnehmenden Menschen getrenntes Leben der Sprache, Wissenschaft, Kunst oder Religion nicht gibt. Nach Gierke ist der Verband „gleich dem Individuum eine leiblich-geistige Lebenseinheit . ., die wollen und das Gewollte in Tat umsetzen kann" (S. 12). Kann er aber auch fühlen, wahr­ nehmen und denken, hat er Selbstbewußtsein, kann er sich freuen und betrüben, mit sich und der Welt zufrieden oder unzufrieden, glücklich und unglücklich sein, was er alles können müßte, um „gleich dem Individuum eine leiblich - geistige Lebenseinheit zu sein" ? Die Argumentation, „unsere sinnliche Wahrnehmung zeige uns nur einzelne Menschen", ist nach Gierke „bei aller ihrer Seichtigkeit durch und durch unklar" (S. 17). Doch ist diese Ein­ wendung gegen die Verbandspersönlichkeit weder seicht noch unklar. Sie ist nicht unklar. Es ist unbestreitbar, daß der Verband nicht „gleich dem Individuum" eine körperliche Einheit ist. Und wenn wir den Zusammenhang der Persönlichkeit des Menschen mit seinerkörperlichen Existenz nicht verstehen, so können wir doch ihn nicht verkennen. Jener Einwand ist nicht seicht. Denn wenn die Persönlichkeit des Menschen ein integrierender Bestandteil seiner ganzen geistig-leiblichen Existenz ist, so erhebt sich gar sehr die Frage nach der Berechtigung der Übertragung jenes Prädikates auf eine „Erscheinung" (als eine solche bezeichnet mit anderen auch Gierke Staat und Kirche, während wir uns selbst nicht leicht eine

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bloße Erscheinung nennen), der die leibliche Existenz des Menschen ganz und seine geistige Existenz mindestens zu einem großen Teile fehlt. Seicht ist dagegen Gierkes Satz: „wir bezweifeln ja auch nicht, daß die Erde ein kugelförmiger Körper ist, obschon wir nur winzige Stücke davon unmittelbar wahrnehmen" (S. 19). Unsere Überzeugung von der körperlichen Einheit und der Kugel­ gestalt der Erde beruht auf zwingenden Schlüssen aus sinnlichen Wahrnehmungen. Und damit soll auf einer Linie stehen die An­ nahme einer körperlichen Existenz des Staates, obgleich wir „immer nur einzelne Stücke des Staatskörpers" (S. 17) sehen. Ein solches sollen wir sehen, wenn wir „Vorgänge" wahrnehmen, „die dem Zusammenhange des Staatslebens angehören", z. B. den Marsch eines Regiments mit klingendem Spiel, eine Wahlhandlung oder eine Amtshandlung eines Schutzmanns. Solche Vorgänge sollen uns zeigen, daß der Staat gleich dem Individuum einen Körper hat, während es doch hier ganz fehlt an der unserem körperlichen Dasein zukommenden Kohäsion und Kontinuität. Die Erfahrung, insbesondere „die Vertiefung in die Geschichte der Menschheit zeigt uns" nach Gierke, „daß Völker und andere Gemeinschaften handelnd die Welt der Machtverhältnisse gestalten und die materielle und geistige Kultur hervorbringen. Dies alles spielt sich, da die Gemeinschaften aus Individuen bestehen, in und durch Individuen ab. Allein die Individuen werden insoweit, als ihre Leistungen dem gesellschaftlichen Zusammenhange angehören, durch leibliche und seelische Einwirkungen bestimmt, die aus ihrer Verbundenheit herrühren" (S. 21). Gierke erwähnt hier „Völker und andere Gemeinschaften". Ist aber ein Volk eine Gemeinschaft in dem ihn beschäftigenden Sinne eines Verbandes? Sprechen wir davon, daß ein Volk von bestimmten Gefühlen, Gedanken oder Bestrebungen ergriffen ist und bestimmte Taten verrichtet, so meinen wir nicht den seine Glieder umfassenden Verband als eine eigene neben jenen existierende Einheit, sondern die Summe jener. Wir meinen das Volk als Masse, und das eine Änderung der Kultur- oder Machtverhältnisse bewirkende Verhalten dieser Masse ist nicht die Äußerung eines durch ihre Angehörigkeit zum be­ stimmten Verbände für sie maßgebenden Verbandswillens, sondern eine Äußerung ihres Begehrens als eines durch seine Heftigkeit

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und Allgemeinheit so mächtigen, daß entweder die Verbandsorgane sich seiner Berücksichtigung nicht entziehen können oder ihr Wider­ stand überwunden wird durch ihre Beseitigung, mit der sich ent­ weder ihre Ersetzung durch andere dem Begehren der Masse will­ fahrende Organe oder die Sprengung des ganzen Verbands als eines der Masse durch den Widerstand seiner Organe gegen ihr Begehren unerträglich gewordenen verbindet. Handelt es sich nicht um Machtverhältnisse, sondern um eine neue, die Masse ergreifende Kulturströmung, so setzt sie sich möglicher Weise als eine von den bisherigen Machthabern und Verbandsorganen nicht bekämpfte, sondern vielleicht beförderte durch; eine Tat des Volkes ist aber ihre Durchsetzung nie im Sinne einer Äußerung des es beherrschenden Verbandswillens, sondern stets im Sinne einer so mächtigen Äußerung des Lebens so vieler Volksgenossen, daß die dadurch bekundete Anschauung zu der unter diesen herrschenden geworden ist. Gierte meint, man könne sehr verschiedener Meinung darüber sein, inwieweit bei den großen Wandlungen des Gemein­ lebens die aktive Kraft von den Gesamtheiten oder von Einzelnen ausgehe; doch könne man „niemals übersehen, daß eine stete Wechselwirkung zwischen beiden Faktoren stattfindet". Was man aber auch nicht übersehen darf, das ist, daß der Faktor der Gesanitheit ein äußerst zusammengesetzter ist und daß eine von dieser ausgehende Wirkung ein Verhalten derselben varaussetzt, das selbst schon ein Produkt der Wechselwirkung zwischen den Einzelnen ist, aus denen sie besteht. Nach Gierke sind „die Wirkungen, die wir der Gemeinschaft zuschreiben müssen, so be­ schaffen, daß sie sich aus bloßer Summierung individueller Kräfte nicht erklären lassen", was „sofort in die Augen" falle in Be­ ziehung auf „Machtorganisation, Recht, Sitte, Volkswirtschaft, Sprache", also müsse „die wirkende Gemeinschaft ein Ganzes mit überindividueller Lebenseinheit sein" (S. 22). Allerdings nun kommt dieser eine über das Leben ihrer jeweiligen Teilnehmer hinaus­ reichende Einheit zu, was aber nicht ausschließt, daß sie ein Produkt ihres koexistierenden und sukzessiven Lebens ist. Es gäbe keine Volkswirtschaft, wenn es keine Einzelwirtschaft gäbe, während es diese geben kann ohne jene. Es gäbe keine Sitte, wenn es keine individuelle Gewöhnung gäbe, während diese nicht wegfällt, wenn

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für ihr Subjekt als ein mit keinem anderen Menschen verkehrendes keine Sitte existiert. Die Sprache ist ein Mittel, durch das ich meine Gedanken nicht nur für andere, sondern auch für mich fixiere. Natürlich kann ich Recht oder Unrecht gegen andere nicht haben, wenn ich nicht mit solchen zusamnlenlebe; dieser Begriff würde aber nicht für mich existieren, wenn nicht auch abgesehen von meinem Verhältnis zu anderen mein Verhalten teils ein richtiges, teils ein unrichtiges wäre. Und ebenso könnte ich anderen gegenüber weder als Subjekt, noch als Objekt von Macht in Betracht kommen, wenn nicht auch abgesehen von meinem Verhältnis zu ihnen mein Leben sowohl eine Quelle meiner Einwirkung auf fremdes Dasein als ein Objekt der Einwirkung fremden Daseins wäre. Wenn Gierke meint, daß, falls wir unsere Zugehörigkeit zu den uns umfassenden Gemeinschaften wegdenken wollten, so wenig übrig bliebe, daß „wir in dem ärmlichen Rest uns selbst nicht wiedererkennen", so würde, wenn wir von jenen Gemeinschaften ihre sämtlichen Teilnehmer wegdächten, überhaupt nichts übrig bleiben. Dächten wir sie alle bis auf einen weg, so bliebe etwas übrig, das aber nicht mehr eine Gemeinschaft wäre. Würde nun die spezifische Natur und der ganze Wert z. B. des in einer Religionsgemeinschaft pulsierenden religiösen Lebens auf seiner Eigenschaft beruhen, ein vom Leben der Einzelnen verschiedenes Gemeinschaftsleben zu sein, so wäre es dadurch, daß ihre Teil­ nehmer bis auf einen weggefallen sind, notwendig erloschen, während es in Wirklichkeit in diesem fortlebt, sowie durch seine Tat und sein Beispiel wieder zu einem Gemeinschaftsleben werden kann. Jedes Verhalten einer Masse geht aus vom Vorbild und Beispiel, von der Nötigung und Verführung Einzelner, und deren „dem ge­ sellschaftlichen Zusammenhange angehörende Leistungen" sind keines­ wegs durchweg „durch leibliche und seelische Einwirkungen bestimmt, die aus ihrer Verbundenheit herrühren". Auch Gierke bemerkt, daß „einzelne überragende Individuen schöpferisch eingreifen und durch ein Eigenstes, was nur ihnen entstammt, die Gesellschaft umgestalten". Daß aber das Gemeinleben seine Nahrung zieht aus solchen Leistungen der Einzelnen, die nicht nur wiedergeben, was diese aus jenem geschöpft haben, sondern aus eigenen Mitteln etwas neues beisteuern, gilt nicht nur für einzelne überragende

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Individuen, sondern für jeden, der mit Erfolg für die Gemein­ schaft arbeitet. Der äußeren, die Existenz realer Verbandseinheiten be­ zeugenden Erfahrung stellt Gierke zur Seite die innere Erfahrung als eine solche, aus der wir die „Realität unseres Ich" und ebenso unsere Eigenschaft als „Teileinheiten höherer Lebenseinheiten" entnehmen. „Die höheren Lebenseinheiten selbst freilich können wir in unserem Bewußtsein nicht finden. Denn da wir nur Teile des Ganzen sind, kann das Ganze nicht in uns sein. Unmittelbar also können wir aus der inneren Erfahrung nur das Vorhanden­ sein, dagegen nichts über die Beschaffenheit von Verbandseinheiten entnehmen. Mittelbar jedoch können wir aus den Gemeinschafts­ wirkungen in uns schließen, daß die sozialen Ganzen leiblich­ geistiger Natur sind. Denn diese Wirkungen bestehen in leiblich vermittelten psychischen Vorgängen. Darum sprechen wir nicht nur von den gesellschaftlichen Körpern und ihren Gliedern, sondern auch von Volksseele, Volksempfindung, Volksüberzeugung und Volks­ willen, von Standesgeist, Korpsgeist und Familiengeist usw." (S. 23). Erinnern wir uns daran, daß Gierke ausdrücklich „der losesten Genossenschaft" dieselbe .Verbandseinheit* zuschreibt wie den „er­ habenen Erscheinungen des Staates und der Kirche", so ergibt sich, daß, wenn jene z. B. ein Kegelverein ist, wir als Teilnehmer desselben Teileinheiten der höheren Lebenseinheit des Kegelvereins sind, daß wir freilich, da wir nur Teile desselben sind, aus der inneren Erfahrung nur sein Vorhandensein, aber nichts über seine Beschaffenheit entnehmen können, daß wir aber aus seinen Wirkungen in uns seine leiblich-geistige Natur entnehmen. Gierkes Satz, daß wir uns als Teilnehmer höherer Lebenseinheiten fühlen, ohne diese selbst in unserem Bewußtsein zu finden, hat einen wahren Kern. Unrichtig ist aber die Identifizierung der Verbandseinheiten mit solchen höheren Lebenseinheiten, deren Begriff kein rechtlicher ist, wenn sie auch unter Umständen mit demselben Namen bezeichnet werden wie bestimmte durch ihren Zweck mit ihnen zusammen­ hängende Verbände. So wird z. B. als Kirche sowohl ein Rechts­ verband, als eine religiöse Lebensgemeinschaft bezeichnet, und wird oft genug, aber durchaus mit Unrecht, jener mit dieser identifiziert. Holder, Natürl. u. jurist. Personen.

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Keine Bedeutung hat Gierkes Hinweisung auf die Bezeichnungen der Volksseele, des Standesgeistes, Familiengeistes und bergt. Vom Volkswillen spricht man teils in anderem Sinne, teils im Sinne des Staatswillens, der ein Verbandswille ist. Subjekt der Volksseele, Volksempfindung und Volksüberzeugung ist nicht der Staatsverband, dessen auf den Kundgebungen der Staatsorgane beruhender Wille mit jenen Instanzen im schärfsten Widerstreite stehen kann. Der Standesgeist ist kein Verbandsgeist. Er lebt entweder in den Standesgenossen oder überhaupt nicht, und er erlischt nicht dadurch, daß alle Standesgenossen bis auf einen weg­ fallen. Ebenso kann ein bestimmter Familiengeist sehr mächtig im letzten Sprößling einer Familie leben, die überhaupt nur noch durch ihn der Gegenwart angehört. Mit der Verbandseinheit als einer höheren Lebenseinheit identifiziert Gierke die soziale Lebenseinheit, und er läßt das Recht „entsprechend der Doppelnatur des Menschen, der ein Ganzes für sich und Teil höherer Ganzen ist", sich „in zwei große Zweige spalten, die wir als Individualrecht und Sozialrecht bezeichnen können". Was soll aber „Individualrecht" sein? Ist Gegenstand alles Rechtes das gegenseitige Verhalten des Menschen, so ist alles Recht „Sozialrecht". Ein ihm gegenüberstehendes Individualrecht würde von dem Standpunkte ausgehen, daß jedes Individuum schlechthin für sich existiert, und von diesem Standpunkte aus ist zu keiner Rechtsordnung zu gelangen. Er würde die bindende Kraft irgend einer Vereinbarung nicht zulassen. Dieser setzt Gierke „die freie Willenstat, die eine Verbandsperson ins Leben ruft", ent­ gegen als eine solche, die „kein Vertrag" ist, „sondern ein schöpferischer Gesamtakt". Dies gelte namentlich „für jede Vereins­ gründung" (S. 31). Macht man damit Ernst, so entsteht ein Verein nicht dadurch, daß er von anderen Personen gegründet wird, sondern durch seine eigene Tat. Entsteht er doch durch eine „freie Willenstat", die eine Äußerung nicht eines Jndividualwillens, sondern des Vereinswillens als eines sich durch sie betätigenden ist. Man gerät nicht nur durch solche Annahme zu unauflöslichen Widersprüchen, sondern man muß auch die Augen vor sicheren Tat­ sachen zuschließen, um zu verkennen, daß ein Verein sein Dasein der Vereinbarung seiner Gründer verdankt.

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Als Ergebnis seiner Ausführung bezeichnet Gierte, „daß die organische Auffaffung der Verbände sich in der Rechtswissenschaft bewährt" (S. 33). Er fügt hinzu, diese müsse „einseitig ver­ fahren", weil das Rechtsleben nur eine Seite des Gemeinlebens sei; sie müsse aber „sich dieser Einseitigkeit bewußt bleiben" und „stets sich daran erinnern, daß die lebendigen Kräfte der gesell­ schaftlichen Organismen sich jenseits des Rechts in allen Machtund Kulturbewegungen äußern und ihre gewaltigsten Wirkungen unabhängig vom Recht, ja gegen das Recht vollbringen". Für ihn muß daraus folgen, daß auch solche Gemeinschaften oder Lebens­ einheiten, in denen die Rechtswissenschaft keine Personen sieht, doch für die allseitige Betrachtung solche sind. Ist der Staat und die Kirche, die Akademie der Wissenschaften und der Künste ein Verband oder eine Person im Sinne des Rechtes, so steht doch die Menschheit und die Nation über dem Staate, die Religion über der Kirche, die Wissenschaft und die Kunst über der Akademie. Sind jene Verbände für die Rechtswissenschaft Personen als über­ individuelle Lebenseinheiten von rechtlicher Existenz, so müßte für die allseitige, jede Lebenseinheit unabhängig von ihrer rechtlichen Existenz würdigende Betrachtung die Menschheit, die Nation, die Religion, die Wissenschaft und die Kunst erst recht eine Person sein; davon ist aber keine Rede. Nicht dadurch unterscheidet sich die juristische Betrachtung von der Betrachtung anderer Wissenschaften, daß diese außer rechtlichen Verbänden auch andere Lebenseinheiten als Personen ansehen, sondern dadurch, daß sie auch jene nicht als Per­ sonen auffassen, wenngleich sie natürlich gleich allen Menschen von diesen und anderen unpersönlichen Dingen wie von Personen reden. Dieser Tatsache gegenüber legt die von Gierke mit Recht betonte Einseitigkeit der juristischen Betrachtung von vornherein die Annahme nahe, daß etwas spezifisch juristisches und ein Akt juristischer Einseitigkeit nicht die Beschränkung sondern die Erstreckung des Begriffs der Person auf rechtliche Verbände ist, wie denn auch der Name der juristischen Person ihre Persönlichkeit als eine ausschließlich juristische oder nur für die Rechtswissen­ schaft bestehende bezeichnet. Gierkes Vortrag endigt mit einem „Hinweis auf die ethische Bedeutung, die dem Gedanken der realen Einheit der Gemeinschaft 4*

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zukommt. Nur aus diesem Gedanken entspringt die Vorstellung, daß die Gemeinschaft etwas an sich wertvolles ist" (S. 34). Als reale Einheit tritt uns hier jede Gemeinschaft entgegen, obgleich die Bezeichnung der Gemeinschaft nichts anderes bedeutet als eine Gemeinsamkeit, so daß die Eristenz einer menschlichen Lebensgemeinschaft zwar eine gewisse Einheit des Lebens ver­ schiedener Menschen, aber nicht die Existenz eines eigenen Lebens außerhalb des ihrigen bedeutet. Gewiß ist die Gemeinschaft der Mutter mit dem Kinde, des Mannes mit der Frau, des Freundes mit dem Freunde, des Lehrers mit dem Schüler „etwas an sich wertvolles". Wo ist aber ihre „reale Einheit" als einer solchen, die in der gegenseitigen Beziehung der zwei durch sie miteinander verbundenen Menschen nicht aufgeht, sondern neben ihrem Dasein ein eigenes Dasein hat? Durch die reale Einheit der Gemeinschaft als einer neben den durch sie verbundenen Menschen existierenden ist nach Gierke die sittliche Pflicht bedingt „für das Ganze zu leben und, wenn es sein muß, zu sterben". „Und warum soll der Einzelne sein Selbst für das Wohlergehen vieler anderer Einzelner opfern, die doch nichts anderes sind als er selbst?" Wäre aber, was es durch das Opfer meines Lebens zu retten oder zu fördern gilt, etwas schlechthin anderes als ich selbst, so wäre erst recht nicht zu verstehen, wie ich dazu kommen sollte, mich dafür zu opfern. Jede Betätigung menschlichen Lebens be­ zweckt Förderung menschlichen Lebens. Wird durch sie das Opfer des eigenen Lebens gebracht, so geschieht dies nicht um eines anderen Zweckes als der Förderung menschlichen Lebens willen, sondern deshalb, weil für das Bewußtsein des Handelnden die

lebenäfinbembe Sdebeutung bet bestimmten £ebenääu$emng itjve lebenhemmende Bedeutung überwiegt. Bringt er sein Leben fremdem Leben zum Opfer, so tut er es, weil ihm an dessen Erhaltung mehr liegt als an der Erhaltung des feinigen. Wer durch die Erhaltung seines Lebens eine große Zahl anderer Menschen retten kann, der tut dies nicht, obgleich sie „nichts anderes sind als er selbst". Er wird dies vielmehr um so mehr tun, je mehr er davon durchdrungen ist, daß sie nichts anderes sind als er selbst. Denn wie er die umfassendere Förderung und geringere Hemmung seines Lebens der weniger umfassenden Förderung und größeren

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Hemmung desselben vorzieht, so muß er um so mehr die Rettung vieler Menschenleben der Rettung des seinigen vorziehen, je weniger er in diesem etwas anderes sieht als in jenen. Es ist ein Mysterium, daß es ihm möglich ist, trotz der Getrenntheit seines Leibes und Bewußtseins von fremdem Leibe und Bewußtsein die Förderung fremden Lebens der Förderung des eigenen gleichzustellen und vorzuziehen. Die Betrachtung des Staates oder Vaterlandes als einer von den Staats- oder Vaterlandsgenossen verschiedenen realen Einheit trägt aber nichts bei zur Aufhellung jenes Mysteriums. Fällt er für die Erhaltung des Vaterlandes, so fällt er, um es seinen gegenwärtigen und zukünftigen Bürgern zu erhalten. Wer an seinem Staate hängt und dessen Erhaltung dringend wünscht, wird doch, wenn diese nur möglich ist um einen solchen Preis, daß dadurch das Leben seiner Mitbürger und ihrer Nachkommen weniger gefördert und mehr gehemmt wird als durch die Ein­ verleibung des Staats in einen anderen Staat, diese vorziehen. Gierte betont, die religiöse Ergänzung des Gebotes der Nächsten­ liebe liege in dem Gebote, Gott über alles zu lieben, und so gelte es auch für die irdische Gemeinschaft, das Ganze mehr zu lieben als sich selbst. Es gilt aber deshalb, den Staat mehr zu lieben als sich selbst, weil dessen Erhaltung und Gedeihen eine umfassendere Förderung menschlichen Lebens bedeutet als das Leben des Einzelnen und dessen Gedeihen. Wenn der Staat das geistige Leben seiner Bürger als ein solches antastet, ohne dessen Entfaltung das Leben für sie keinen Wert hat, so können sie auch ihn nicht lieben und ihm in jenem Punkte nicht gehorchen. Nicht sein Wille, sondern mein Gewissen ist die oberste Richtschnur meines Verhaltens. Gierkes Diebe klingt aus in die Ermahnung an die Studenten, nie zu vergessen, was sie ihrem innersten Selbst schulden, aber auch sich mit echtem Gemeinschaftsgeist zu erfüllen. Von diesen beiden sittlichen Geboten ist aber das höchste nicht das zweite, sondern das erste. Es ist viel wert, sich in Übereinstimmung mit anderen zu wissen, und es ist Pflicht, der Einwirkung fremden Geisteslebens zur Bereicherung, Befestigung und Berichtigung des eigenen sich hinzugeben. Es ist aber die höchste Pflicht, sich nach Maßgabe des eigenen Gewissens zu verhalten und an jeder unser Leben berührenden Gemeinschaft zwar als ein durch sie geförderter und

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sie fördernder teilzunehmen, vor allem aber seinem ,innersten Selbst' treu zu sein und immer treuer zu werden. Gierkes Verbandslehre hat ihr Vorbild in Platons Staats­ lehre, die sich aber von jener dadurch unterscheidet, daß nach ihr es nur ein Verband ist, dem eine individuelle Lebenseinheit zu­ kommt, der das ganze Leben seiner Angehörigen umfassende Staat. Nach Platon existiert der Einzelne lediglich als Teil des Staates, durch den Staat und für den Staat. Dieser, wie Stahl (Philos. des Rechts I. 2. Aust. S. 16) treffend sagt, „besteht nur um sein Selbst, um der Herrlichkeit seiner Erscheinung willen, und der Bürger ist nur bestimmt als ein dienendes Glied sich in die Schön­ heit seines Baues zu fügen". „Es ist keinem vergönnt, zu werden, was er als Mensch seiner Natur nach werden sollte; sondern nur das, wodurch der Staat den größten Gewinn hat" (Stahl a. a. O. S. 18). „Die große Frage", wie Stahl sich ausdrückt, „ob der Vollkommenheit des Menschen oder des Staats der Vorrang gebühre", ist damit zugunsten des Staats entschieden, während sowohl der christlichen als der deutschen Auffassung nur die ent­ gegengesetzte Entscheidung entspricht. Es berührt eigentümlich, daß gerade Gierke, der eifrige Vorkämpfer germanischer Anschauungen, die ganz und gar nicht germanische Anschauung vom Leben des Verbandes als einem nicht dem Leben der Verbundenen ent­ sprungenen und unabhängig von diesem existierenden verkündet. Echt germanisch ist, daß anstatt des einen allmächtigen Staats­ verbands uns eine Vielheit mehr und minder mächtiger Verbände entgegentritt, denen der Mensch je nach einer bestimmten Seite seines Lebens angehört. Sobald es aber nicht um einen das ganze Leben der Verbundenen umfassenden Verband, sondern um verschiedene Verbände sich handelt, die jenes nach verschiedenen Seiten berühren, ohne es zu erschöpfen, ist unrichtig die Be­ zeichnung des Verbands als eine Einheit, zu der sich die Ver­ bundenen als Teile verhalten. Personen sind diese durch ihre Totalität; gehören sie verschiedenen Verbänden und keinem von diesen in ihrer Totalität an, so können sie nicht sich als Teil­ personen zu den sie umfassenden Verbänden als Gesamtpersonen verhalten. Als Personen sind sie unteilbar und können sie nicht Teile verschiedener nebeneinander existierender Gefamtpersonen sein.

Der Begriff des Organs.

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3. Der Begriff des Organs. Aus der Eigenschaft eines Verbandes als eines Organismus, der gleich einem Menschen eine Person ist, folgt nach Gierke, daß der vermöge seiner Verfassung oder Organisation in einer An­ gelegenheit desselben zuständige Mensch ein Organ desselben ist, das durch die Wahrnehmung seiner Zuständigkeit nicht handelt als eine eigene Person, sondern als ein Teil jener Gesamtperson. Zu dieser neuerdings namentlich durch Gierkes Schüler Hugo Preuß in Jherings Jahrb. 44 S. 429 ff. näher ausgeführten Lehre gilt es Stellung zu nehmen. Bin ich durch meine Zuständigkeit in den Angelegenheiten eines bestimmten Verbandes neben meiner Eigenschaft als einer eigenen ihr eigenes Leben lebenden Person ein Teil einer gleich­ falls ein eigenes Leben lebenden Gesamtperson, so ist, wenn ich nicht in der ersten, sondern in der zweiten Eigenschaft handele, mein Verhalten eine Betätigung nicht meines eigenen Lebens, sondern des Lebens der Gesamtperson, und damit, sollte man denken, nicht eine eigene Handlung dieser, sondern nur ein Teil einer solchen. Besteht die Gesamtperson aus einer Mehrheit ihr Leben als ein gemeinschaftliches gemeinsam betätigender Menschen, so ist die Betätigung des Lebens der Gesamtperson eine Gesamt­ handlung, woran jeder beteiligt ist, die aber keiner für sich voll­ bringt. Sie bewirkt durch Aufbietung der Kräfte aller einen Er­ folg für alle. Unstreitig gibt es solche Gesamthandlungen einer Mehrheit von Menschen. Die dadurch erfolgte Lebensbetätigung und Lebensförderung ist eine mehrfache als Betätigung und Förderung des Lebens sowohl des einen als des anderen. Sie ist aber zugleich eine einheitliche dadurch, daß jeder sein Leben betätigt und fördert als ein mit dem Leben der anderen zusammen­ hängendes, wodurch ihre verschiedenen Handlungen Bestandteile einer Gesamthandlung und deren verschiedene ihren verschiedenen Urhebern zuteil werdenden Erfolge Bestandteile eines Gesamt­ erfolges sind. Dies gilt insbesondere von jedem Vertrage. Mag auch der von der einen und der anderen Partei als Förderung ihres Lebens bezweckte Erfolg ein entgegengesetzter sein, so ist doch sowohl der eine als der andere ein Teil des durch die Gesamt-

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Handlung des Vertrages begründeten Gesamterfolges, den jede Partei durch ihre Teilnahme am Vertrag als einen von ihr gewollten und damit als einen solchen kundgegeben hat, von dem sie mehr Förderung als Hemmung ihres Lebens erwartet. Die Gesamt­ handlung des Vertrages setzt sich wie jede Gesamthandlung zu­ sammen aus mehreren Handlungen der mehreren an ihr beteiligten Menschen. Sie ist nicht möglich ohne die Handlungen der Einzelnen, durch deren Zusammentreffen sie entsteht, und diese sind zwar Be­ standteile jener Gesamthandlung, aber zugleich eigene Handlungen und als solche ein Mittel der Betätigung und Förderung des individuellen Lebens ihrer verschiedenen Urheber. Den Vertrag als eine Gesamthandlung verschiedener Personen erfassend, deren Bestandteile die durch ihr Zusammentreffen ihn bildenden Einzelhandlungen dieser sind, betrachten wir deshalb doch nicht diese als Bestandteile einer Gesamtperson. Wohl aber nennen wir sie eine Personengesamtheit. Eine solche ist eine Mehrheit von Personen, die miteinander zusammenhängen. Tie Art und der Umfang ihres Zusammenhanges kann sehr verschieden sein. Aber auch im Falle eines Vertrages zwischen Menschen, die bisher einander fremd waren, im übrigen einander fremd bleiben und an der Geltung des Vertrages ein entgegengesetztes Interesse haben, ist doch ihre Vereinbarung eine gemeinsame Betätigung und Förderung ihres Lebens als eines nach ihrem gemeinsamen Urteile trotz seiner sonstigen Verschiedenheit darin übereinstimmenden, daß es mehr gefördert als gehemmt wird durch die Geltung des Vertrages. In dieser Beziehung verhält sich ein Gesellschafts­ vertrag nicht anders als ein Tauschvertrag oder ein ausschließlich zugunsten eines Teiles gereichender lukrativer Vertrag. Wie beim Tauschvertrag das Interesse an seiner Geltung ein gemeinsames ist, wenngleich es für jede Partei durch einen anderen Teil seines Inhalts begründet ist, wie beim lukrativen Vertrag sowohl ein gemeinsames Interesse beider am bestimmten Vorteil des Bedachten als auch schon deshalb ein verschiedenes Interesse eines jeden vorliegt, weil das Interesse an einem bestimmten fremden Vorteil verschieden ist von dem Interesse an demselben Vorteil als einem eigenen, so liegt auch im Fall eines Gesellschaftsvertrages keines­ wegs nur ein gemeinsames Interesse vor. Bezweckt er Geld­

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gewinn, so bezweckt er für jeden Teilnehmer seinen eigenen Gewinn, der nicht identisch ist mit dem Gewinn des anderen. Bezweckt er einen anderen Erfolg, so bezweckt er ihn für jeden Teilnehmer als einen ihm zuteil werdenden und sein Leben fördernden. Die zwischen verschiedenen Menschen bestehende Gemeinschaft der Betätigung und Förderung ihres Lebens kann, wie über­ haupt mehr oder weniger umfassend, so insbesondere von kürzerer oder längerer Dauer sein. Demgemäß ist die Existenz einer durch gemeinsame Lebensbetätigung und Lebensförderung verschiedener Menschen gegebenen Personengesamtheit eine mehr oder weniger vorübergehende oder dauernde. Eine von der Existenz der Einzelnen unabhängige Existenz der Gesamtheit ist durch die Eigenschaft der Gemeinschaft als einer dauernden nicht gegeben. Sie kann unabhängig sein vom Wechsel ihrer Teilnehmer. Sie besteht aber zu jeder Zeit ihres Daseins aus ganz bestimmten Personen, und gleich ihrer trotz der Vielheit der Einzelnen bestehenden Einheit beruht ihre deren Wechsel überdauernde Identität auf deren Zu­ sammenhang. Jeder Verein besteht zunächst aus den bestimmten Menschen, die zu ihm zusammengetreten sind, und hat kein Dasein außerhalb ihres Lebens. Er kann neue Mitglieder, die zu jenen hinzutreten und ihn auch nach deren Wegfall fortsetzen, nur da­ durch bekommen, daß jene den Beitritt solcher zulassen. Die Existenz des Vereines als eines solche in sich schließenden und viel­ leicht nur noch aus solchen bestehenden ist abgeleitet von seiner Existenz als einer Vereinigung seiner ersten Mitglieder. Es macht dafür keinen Unterschied, ob es um einen zu Recht bestehenden Verein oder etwa um eine Diebsbande sich handelt. Nicht im Wesen, sondern nur in der Dauer und dem sonstigen Umfange der Genieinschaft ist ein Unterschied zwischen einigen Menschen, die einmal einen Diebstahl gemeinsam begehen, denselben Menschen als solchen, die gewerbsmäßig gemeinsam stehlen, und einer Diebs­ bande, deren Mitglieder wechseln, weil die ursprünglichen Genossen später andere zugelassen, und diese auch nach dem Wegfalle jener das Gewerbe miteinander fortgesetzt, sowie wieder neue Genossen zugelassen haben, die es gleichfalls auch nach dem Wegfall der bis­ herigen Genossen fortsetzen. Wäre der Verein eine von den zu ihr vereinigten Personen verschiedene reale Gesamtperson, so wäre eine

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solche auch die Diebsbande. In Wirklichkeit sind beide zwar nicht Gesamtpersonen, aberPersonengesamtheiten. Einen Gesamtwillen und ein Gesamtverhalten derselben gibt es im Sinne eines gemeinsamen Willens und Verhaltens ihrer Mitglieder. Deren Beschluß ist eine Gesamthandlung derselben als solcher, die miteinander den Verein oder die Bande bilden. Haben sie alle zugestimmt, so ist offen­ sichtlich der dadurch geäußerte Gesamtwille identisch mit dem Willen aller. Ist ein Mitglied überstimmt worden, so gilt der Beschluß für dieses als ein solches, das bei der Beschlußfassung mitgewirkt hat und zwar einen anderen Beschluß vorgezogen hätte, aber in seiner Eigenschaft als Mitglied des Vereins oder der Bande mit dem gefaßten Beschluß einverstanden ist, weil es als solches die Geltung der Mehrheitsbeschlüsse in den gemeinsamen Angelegen­ heiten will. War es an der Beschlußfassung überhaupt nicht be­ teiligt, so hat der Beschluß Geltung für es als ein von den anderen an der Beschlußfassung beteiligten Mitgliedern nicht nur für sich, sondern auch für die übrigen gefaßter. Dasselbe gilt von Beschlüssen, die gefaßt wurden von solchen Personen, denen nach der Verfassung oder Übung des Vereins oder der Bande in der bestimmten Angelegenheit die Entscheidung zukam. Die Mitglieder eines Vereins pflegen wir nicht Vereinsorgane zu nennen. Nennen wir die Mitgliederversammlung ein solches, so können wir nicht eine „Organperson" meinen, da eine Versamm­ lung keinesfalls eine Person ist. Hat die von allen Mitgliedern besuchte Mitgliederversammlung einen Beschluß gefaßt, so hat der Verein selbst als eine Personengesamtheit gehandelt, was aber nichts anderes bedeutet, als daß die ihn miteinander bildenden Menschen gehandelt haben. Der Beschluß ist rechtlich nichtig als ein von geschäftsunfähigen Personen gefaßter, wenn von den an ihm beteiligten Mitgliedern nicht so viele geschäftsfähig waren, als zu einem gültigen Beschlusse mitwirken mußten. Die Gefühle, Gedanken und Absichten, die für den Beschluß entscheidend waren, sind die ihrigen. Jeder hat durch seine Teilnahme am Beschlusse in der bestimmten Vereinsangelegenheit gehandelt als der seinigen. Beschlossen wurde das ihren Gefühlen, Gedanken und Absichten gemäße und, falls diese auseinander gingen, entweder das von den Mächtigeren als solchen Begehrte, gegen deren Willen zu stimmen

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die anderen nicht gewagt haben, oder soweit jeder für das von ihm Begehrte durch seine Abstimmung eingetreten ist, das von der Mehrzahl Begehrte. Sind an der Mitgliederversammlung nicht alle beteiligt, sei es wegen des verfassungsmäßigen Ausschlusses, sei es wegen der Ver­ hinderung öder des willkürlichen Ausbleibens bestimmterMitglieder, so werden die am Beschlusse nicht beteiligten Mitglieder durch die an ihm beteiligten vertreten. Kommt eine Entscheidung anderen Personen als der Gesamtheit der Mitglieder zu, so wird diese durch jene vertreten. Von Handlungen eines Vereinsorgans redet man namentlich dann, wenn nicht die sämtlichen Vereinsmitglieder, sondern solche Personen gehandelt haben, denen es durch die Verfassung des Vereins zukommt, Handlungen zu vollziehen, die als seine Hand­ lungen gelten. Solche Personen handeln als Vertreter des Vereins oder, da dieser aus seinen Mitgliedern besteht, als deren Vertreter. Ebenso steht es bei irgendeinem Kollegium, das im Falle eines Kollegialbeschlusses selbst gehandelt hat, wogegen es in solchen An­ gelegenheiten seiner Kompetenz, deren selbständige Erledigung seinem Vorsitzenden, einem bestimmten Mitglieds oder auch einem dritten zukommt, durch diesen vertreten wird, was nichts anderes be­ deutet, als daß dessen Handlung dieselbe Geltung hat, wie wenn sie eine Handlung des ganzen Kollegiums wäre. Gleich einem Vereine hat es keine neben der Handlungsfähigkeit seiner Mit­ glieder und Vertreter bestehende eigene Handlungsfähigkeit. Ist in Ermanglung der dazu erforderlichen Menschen zurzeit weder ein gültiger Vereins- oder Kollegialbeschluß noch ein Akt der Ver­ tretung des Vereins oder Kollegiums möglich, so ist keine Handlung möglich, der die rechtliche Geltung einer Handlung desselben zu­ kommt. Dieser Umstand bedeutet aber ebensowenig die Geschäfts­ unfähigkeit wie der gegenteilige Umstand die Geschäftsfähigkeit des Vereins oder Kollegiums. Bin ich geschäftsfähig, so hängt mein rechtsgültiges Handeln von meinem Entschlüsse ab. Hätte ein Verein oder Kollegium eine von der Geschäftsfähigkeit seiner Mit­ glieder verschiedene eigene Geschäftsfähigkeit, so müßte es ihm möglich sein, zu handeln kraft eigenen vom Entschlüsse seiner Mit­ glieder unabhängigen Entschlusses, wogegen ohne den Entschluß dieser oder anderer der Vertretung des Vereins oder Kollegiums

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fähiger Personen keine Handlung möglich ist, die als Handlung des Vereins oder Kollegiums gilt. Liegt es so im Begriff der „Organperson", ein Vertreter zu sein, so liegt es nicht in ihrem Begriffe, ein Teil der durch sie vertretenen Gesamtheit zu sein. Wenn wir auch davon ab­ sehen, daß keinesfalls jede sogenannte Verbandseinheit aus einer Mehrheit von Menschen besteht, und daß es unmöglich ist, z. B. in dem Vorstand einer Stiftung einen Teil derselben zu sehen, so besteht auch für Vereine und bergt, nicht die Notwendigkeit, daß ihre Organe zu ihren Mitgliedern gehören. Es ist weder durch die Natur der Sache noch durch das Bürgerliche Gesetzbuch gegeben, daß der Vereinsvorstand ein Vereinsmitglied sein oder aus Vereinsmitgliedern bestehen müsse. Ebenso haben die „Ge­ samtpersonen" des öffentlichen Rechts vielfach „Organe", die zu ihren Angehörigen nicht gehören. Der „Organwille" ist nach Preuß als Wille eines Teils stets dem „Gemeinwillen" als dem Willen des Ganzen, wovon das Organ ein Teil ist, untergeordnet, und das Ganze kann in die Tätigkeit seiner Organe „durch höhere Organe, jedenfalls aber durch seine Willensäußerung im Gesetz oder Statut jederzeit eingreifen" (S.402). Preuß scheint danach das Gesetz nicht als eine Handlung bestimmter Organe anzusehen. Und doch entsteht es durch nichts anderes als das Zusammenwirken der sogenannten gesetzgebenden Faktoren. Je größer deren Zahl ist, je mehr zur Entstehung des Gesetzes das Verhalten der einzelnen an ihr beteiligten Menschen nur einen Beitrag liefert, desto mehr, sollte man denken, trifft es zu, daß ein Gesamtverhalten vorliegt, von dem das Verhalten des Einzelnen nur ein Bruchstück ist, daß also, wie es die Eigenschaft der „Organperson" als eines Teils der „Gesamtperson" fordern würde, sich deren Leben als ein vom Sonderleben der Einzelnen verschiedenes durch die Gesetzgebung betätigt. Wer freilich das wirkliche Leben betrachtet, wird davon nicht viel sehen. Er wird insbesondere sehen, daß jede Gruppe der Bevölkerung bestrebt ist, eine ihren Sonderinteressen möglichst günstige Gestaltung der Gesetzgebung herbeizuführen. Er wird deren wirkliche Gestaltung wahrnehmen als eine durch Machtverhältnisse und namentlich dadurch herbeigeführte, daß wie im privaten Verkehr ein Kämpfen und Feilschen statt­

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findet, als dessen Ergebnis, wer nicht ganz unterliegt, einen Teil des von ihm Begehrten dadurch erlangt, daß er anderen einen von diesen begehrten ihm unerwünschten Gesetzesinhalt bewilligt. Gemeinwille ist das Gesetz wegen des allgemeinen Einverständnisses nicht über seinen Inhalt, sondern darüber, daß für alle gelten soll, was die Personen, denen verfassungsmäßig die Gesetzgebung zukommt, verfassungsmäßig beschlossen haben. Ihr Beschluß ersetzt die allgemeine Vereinbarung wegen der ihnen zukommenden Ver­ tretung der Gesamtheit. Wird durch ein Gesetz z. B. eine Ver­ ordnung aufgehoben, so hat nicht eine unmittelbare Äußerung des Staatswillens als eines solchen stattgefunden, der dem durch die Ver­ ordnung geäußerten bloßen Organwillen vorgeht; vielmehr liegt im einen wie im anderen Falle eine Willenserklärung staatlicher Organe vor, die unter Bedingungen erfolgt ist, unter denen nach der Staatsverfassung der durch sie erklärte Wille als Staatswille gilt. Was sie als gewollt erklären, das erklären sie als gewollt von ihnen, aber in ihrer Eigenschaft als Vertreter des Staates, die ihnen zukommt unter den nach der Staatsverfassung dafür be­ stehenden Bedingungen. Wie nicht der Vertreter eine Person, sondern nur die Vertretung eine Handlung von besonderer Art ist, so ist auch das Gesetz eine Willenserklärung, aber nicht der „Gesetzgeber" eine Person von be­ sonderer Art. Würden die gesetzgebenden Faktoren nicht als die Menschen, die sie sind, handeln, so hätten sie im Fall eines von ihnen begangenen die Geltung ihres Handelns ausschließenden Form­ fehlers nicht als dieselbe Person gehandelt wie im Falle form­ gerechten Handelns, da nur dieses eine Staatswillensäußerung ist. In Wirklichkeit verhält sich das formgerechte und das der Form entbehrende Verhalten als wirksame und unwirksame oder ge­ lungene und mißlungene, versuchte und vollendete Vertretung. Handle ich als Organ, wenn ich in einer Sache handle, die nicht meine individuelle Sache ist, und in der ich daher nur rechtsgültig handle als ein bezüglich derselben legitimierter und den Be­ dingungen, unter denen ihre Wahrnehmung mir zukommt, ge­ nügender, so schließt meine Eigenschaft als Organ meine Eigen­ schaft als Vertreter nicht aus, sondern in sich. Wie der Vertreter von einem bloßen Gehilfen verschieden und der in der Angelegen­

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heit eines andern Handelnde nur insoweit dessen Vertreter ist, als seine Stellung über die Stellung eines bloßen Gehilfen hinausgeht, so ist auch dasjenige Organ, dessen Eigenschaft als Vertreter oder Verschiedenheit von einem solchen in Frage steht, nur das selbständige oder innerhalb seiner Zuständigkeit kraft eigener Entschließung handelnde, wogegen der Name des Organs auch Anwendung findet auf ein bloßes Werkzeug fremden Handelns. Wenn das Bürgerliche Gesetzbuch (§ 32) sagt: „Die Angelegen­ heiten der Vereins werden, soweit sie nicht von dem Vorstand oder einem anderen Vereinsorgane zu besorgen sind, durch Beschluß­ fassung in einer Versammlung der Mitglieder geordnet", so hat hier die Bezeichnung des Vereinsorgans genau denselben Sinn wie in § 31 die Bezeichnung des verfassungsmäßig berufenen Vertreters. Wenn dagegen in § 45 (der einzigen Stelle, wo das Bürgerliche Gesetzbuch außerdem jenes Wort gebraucht) die Mitgliederversammlung selbst zu den Vereinsorganen gezählt wird, so hat hier die Bezeichnung des Organs einen weiteren Sinn. Die Mitgliederversammlung ist nicht eine Person. Ihr Beschluß ist ein Produkt der Überlegung und Entschließung der verschiedenen Mitglieder, deren Zusammentritt, Beratung und Abstimmung ein durch sie gehandhabtes Mittel ist, um in den Angelegenheiten des Vereins eine Entscheidung herbeizuführen. Die der Teilnahme an der Versammlung nach der Vereinsverfassung fähigen Menschen sind es, auf deren Entschluß und diesen bestimmende Gesinnung alles ankommt, und jeder hat die bestimmte ihn zur bestimmten Abstimmung veranlassende Gesinnung nicht durch seine Eigenschaft als Vereinsmitglied, sondern durch seine Individualität. Inner­ halb der durch den Zweck und die Verfassung des Vereins ge­ zogenen Grenzen sind dafür, welche Beschlüsse gefaßt werden, die individuellen Gesinnungen der Mitglieder entscheidend, wie für das Handeln jedes Vertreters innerhalb der Grenzen seiner Zuständig­ keit seine Gesinnung entscheidend ist. Neuestens (1904) handelt „über Organschaft und die rechtliche Stellung der sogenannten Verbandsorgane" eine Leipziger Inaugural­ dissertation von Konrad O. Bloch. Er erklärt jede Bezeichnung einer Verbandseinheit als eines Organismus und der in ihren Angelegenheiten handelnden Menschen als ihrer Organe für eine

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„höchst gefährliche Analogie" und meint: „sicherer wäre vielleicht schon, beim Begriffe des Vertreters stehen zu bleibe« und den des Organs zu opfern." Trotzdem soll es „ein Verdienst der Organologen" sein, den Unterschied zwischen Organschaft und Stellvertretung zur Geltung gebracht zu haben: „nur hätten jene den juristischen Begriff des Organs genauer präzisieren sollen" (S. 20). Diese Präzisierung unternimmt nun Bloch, indem er davon ausgeht, man sei „wohl heute mehr oder wenig (sie!) einig, daß die Personenverbände als Träger eigener Rechte und Pflichten, als Zentren einer Lebensbetätigung, Urheber von Willens­ aktionen sein müssen" (S. 21). Diese Worte sind trotz ihrer vor­ sichtigen Fassung nicht schlechthin zutreffend. Unstreitig kommen vermittelst der Verbände Handlungen zustande, die als von Verbandswegen erfolgte eine besondere Bedeutung haben, womit aber nicht gesagt ist, daß diese Handlungen im Gegensatze zu anderen Handlungen, deren Urheber bestimmte Menschen sind, nicht solche, sondern den Verband zum Urheber hatten. Was die „Organologen" mit Recht betonen, ist nach Bloch die Realität der Gesamterscheinungen, insbesondere des Gesamt­ willens, die er trefflich durch Wundt geschildert findet als „eine darin bestehende, daß die Gemeinschaft bestimmte Willensakte hervorbringt, die aus der Coincidenz des Wollens vieler Einzelnen hervorgehen". Daß ein solcher Gesamtwille nicht der Wille einer eigenen Gesamtperson ist, findet er „vom naturwissenschaft­ lichen Standpunkte ganz richtig gedacht, nicht aber vom juristisch-ethischen", von dem aus die Persönlichkeit „nur vom Rechte verliehen" und „nie von der Natur gegeben" sei (S. 30). Höchst auffallend ist hier die Identifizierung des juristischen und des ethischen Standpunktes. Wer die Persönlichkeit als eine durch das Recht verliehene ansieht, kann damit nur meinen das bestimmte positive Recht als ein solches, von dem es abhängt, sowohl wann Persönlichkeit in seinem Sinne existiert, als was sie bedeutet. So verstanden ist der Begriff der Persönlichkeit ausschließlich ein Begriff des bestimmten positiven Rechtes, für den namentlich dessen Eigenschaft als Produkt oder Inhalt eines Gesamtwillens keine Bedeutung haben kann; denn existiert Persönlichkeit lediglich durch den Gesamtwillen, so kann

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dieser als letzter Grund der Existenz von Personen nicht selbst die Betätigung einer Persönlichkeit sein. „In der nämlichen Denk­ weise" wie vom Willen eines Verbandes sprechen wir nach Bloch „z.B. von dem Willen der Natur, weil wir auch hier gleichartige Aktionen wahrnehmen, welche scheinbar einer einheitlichen Macht ihren Ursprung verdanken" (S. 39). Wie kann man aber die ursprüngliche und unauflösliche Einheit der Natur vergleichen mit der aus der geschichtlichen Koexistenz von Menschen hervor­ gegangenen und der Auflösung durch geschichtliche Vorgänge aus­ gesetzten Einheit eines menschlichen Verbandes? Organ des Verbandes ist nach Bloch der von Verbands wegen handelnde Mensch im Sinne des unpersönlichen Werkzeugs (S. 50), wogegen Bloch kein Gewicht legt auf die von anderen betonte Eigenschaft des Organes als eines integrierenden Bestandteils des Verbandes. Vom Organe wird der Mensch, dem die Stellung eines solchen zukommt, als Organträger unterschieden. Jede Verbandshandlung entspringt einer pflichtmäßigen Organträgerhandlung und „soweit die Pflichtsetzung reicht, ist nicht nur die Persönlichkeit des Organ­ trägers ausgeschieden und zum ausschließlichen Werkzeug eines höheren Ganzen geworden, sondern auch die in Tätigkeit tretende Pflichtsubjektivität bildet nur einen Bestandteil des Rechts- bezw. Pflichtsubjekts der Verbandseinheit". Diesen Ausführungen liegt der richtige Gedanke zugrunde, daß der von Verbandswegen handelnde „Organträger" zwar innerhalb seiner Zuständigkeit nach eigenem Ermessen handelt, daß aber dieses Ermessen ein pflichtmäßiges ist, da mit seiner Zuständigkeit die Ob­ liegenheit sich verbindet, von jener einen die Verbandsangelegenheiten möglichst fördernden Gebrauch zu machen. Bloch folgert daraus, daß wir „diese Lebensmittler der Verbände uns immer nur als Organ vorstellen und ihre im Gemeinzweck (sic!) erfolgten Willensaktionen als die Resultate nicht ihres eigenen, sondern als die des Willens des betreffenden Verbandes denken" (S. 55). Wenn aber auch jede amtliche Zuständigkeit verbunden ist mit der Obliegenheit, davon einen die Zwecke, um deren willen das Amt besteht, möglichst fördernden Gebrauch zu machen, so ist doch die Geltung der Amtshandlung nicht abhängig von der Erfüllung jener Ver­ pflichtung. Betrachten wir den von Verbands wegen handelnden

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Menschen als einen nicht in seinem individuellen Sinn, sondern im Sinn und Geist des Verbands handelnden, so handelt er doch in diesem Geist als einem nicht ihm fremden, sondern ihn er­ füllenden, ist daher keineswegs ein bloßes Werkzeug desselben. Und er ist von diesem Geiste nicht erfüllt als einem solchen, der selbständige Bedeutung hätte neben seinem von ihm verschiedenen individuellen Sinn und Geist, sondern nur insoweit, als er ihn sich angeeignet hat. Daß er dies möglichst vollkommen tue, ist seine Pflicht, durch deren Erfüllung aber seine Zuständigkeit nicht bedingt ist. Das einfachste Beispiel eines obersten Verbandsorganes ist ein absoluter Monarch. Fühlt er sich als solcher und nicht etwa als bloßer Eigentümer einer Herde, so fühlt er sich auch als ein zur Sorge für das Wohl seines Volkes verpflichteter. Er fühlt sich aber nicht als Werkzeug eines von seinem individuellen Geiste verschiedenen und diesem übergeordneten Volksgeistes; vielmehr ist es sein individueller Geist, mit dessen Kräften er seiner Aufgabe als einer solchen obliegt, deren Natur für ihn keine andere ist als die durch seine individuelle Auffassung derselben gegebene. Das­ selbe gilt von jedem Verbandsorgane innerhalb der Grenzen seiner Zuständigkeit. Nach Bloch gibt der Mensch als „Organträger" seine Individualität preis. Je reicher und mächtiger aber die Individualität eines Menschen ist, desto stärker macht sie auch in seiner Wirksamkeit als Verbandsorgan sich geltend, desto mehr beeinflußt und beherrscht sie das Leben des Verbandes. Anstatt daß er ein bloßes Werkzeug des Verbandes wäre, ist für ihn der Verband ein Werkzeug der Realisierung seiner Zwecke. Ihre Förderung ist, soweit sie mit den Verbandszwecken zusammenfallen, eine Förderung dieser. Sie kann aber auch durch den Widerstreit seiner individuellen Zwecke und der Verbandszwecke eine Schädigung dieser sein. Der innerhalb seiner Zuständigkeit als Verbandsorgan handelnde Mensch handelt als solches unabhängig davon, ob sein Verhalten den Verband und seine Zwecke fördert oder schädigt. Ebenso, wie mit einem Verbandsorgane, verhält es sich mit dem Vertreter eines Menschen. Jede Vertretung bezweckt die Förderung des Lebens des Vertretenen. Wie aber der Ver­ band durch das Verhalten seiner zuständigen Organe nicht nur Förderung, sondern auch Schädigung erfahren kann, so ist jeder Holder, Nalürl. u. jurist. Personen.

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Vertretene der Schädigung durch das Verhalten seines Vertreters ausgesetzt nicht nur infolge der mangelnden Einsicht, sondern auch infolge der Untreue desselben. Von einem Menschen, dem als dem Vertreter eines anderen die Sorge für diesen zukommt, sagen wir, er habe nicht als dessen Vertreter gehandelt, wenn er, anstatt in dessen Interesse zu handeln, bewußt gegen dasselbe handelt. Wie er jedoch dadurch zwar die ihm gegen den anderen als dessen Vertreter obliegende Pflicht verletzt hat, aber doch innerhalb seiner Zuständigkeit gehandelt haben kann, so hat der den Interessen des Verbandes bewußt zuwiderhandelnde „Organträger" pflichtwidrig gehandelt, woraus aber noch nicht folgt, daß die Handlung seine Zuständigkeit überschritt und damit die Eigenschaft nicht hatte, von Verbandswegen zu erfolgen. Sagt man, der Vertreter handle für den Vertretenen, durch die Handlung eines Verbandsorgans handle dagegen der Verband selbst, so hält man für einen Fall der Vertretung fest, was matt früher für die Vertretung überhaupt annahm, daß durch sie der Vertretene handle. Und doch tritt uns die Unrichtigkeit dieser Auffassung schlagend entgegen, sobald ein Verbandsorgan innerhalb seiner Zuständigkeit dem Verbandszweck bewußt zuwiderhandelt. Wenn der dirigierende, bezüglich aller ärztlichen Maßregeln auf eigne Entscheidung verwiesene Arzt eines öffentlichen Krankenhauses einen Kranken versehentlich oder gar vorsätzlich so behandelt, daß er, anstatt geheilt zu werden, stirbt, so stirbt dieser durch sein Verhalten und seine Fahrlässigkeit oder seinen rechtswidrigen Vorsatz. Nach § 31, 86 und 89 BGB. haftet für den durch ihn gestifteten Schaden der Verband, um desien Krankenhaus es sich handelt, und manche führen jene Haftung darauf zurück, daß durch das in Verbandsangelegenheiten fehler­ haft oder verbrecherisch handelnde Verbandsorgan der Verband selber gehandelt habe. Wäre dem so, so müßte die eigne Haftung dessen, durch den der Verband gehandelt hat, ausgeschlossen sein. Es ist aber nicht nur davon feine Rede, sondern es ist auch klar, daß die Schuld des bestimmten Menschen für den Verband und die ihm angehörenden Menschen um so mehr eine fremde Schuld ist, je ausschließlicher ihr Anlaß seinem individuellen mit dem Leben des Verbandes nicht zusammenhängenden Leben angehört, während davon die Haftung des Verbandes ganz unabhängig ist. Desien

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Organ, oder, wie es in § 31 heißt, „verfassungsmäßig berufener Vertreter" ist um so weniger ein solcher, durch den der Verband selbst handelt, je mehr erst vermöge der Beschaffenheit jenes Organs von Verbandswegen so gehandelt werden kann. Wenn ein Verein von Menschenfreunden, die ärztlicher Kenntnisse entbehren, ein Krankenhaus gründet und in allen ärztlichen Dingen der selb­ ständigen Leitung eines Arztes überläßt, so ist der Geist, der diesen Arzt bei seinem Verhalten in der ihm überwiesenen An­ gelegenheit des Vereins beseelen soll, zwar ein den Verein selbst oder seine Mitglieder beseelender als Geist der Menschenliebe, Hilfs­ bereitschaft usw., dagegen ein solcher, der erst durch die Berufung jenes Arztes dem Verein gewonnen werden soll, als Inbegriff der speziell einem guten Arzte zukommenden Eigenschaften. Stiftet der Arzt einen Schaden dadurch, daß ihm durch seine Schuld eine solche Eigenschaft fehlt, weil er z. B. seine Ausbildung in einer bestimmten neueren Heilmethode versäumt hat, so hat der Verein eines dieser kundigen und durch ihre Anwendung der Abwendung des durch das Gegenteil gestifteten Schadens fähigen Organs entbehrt, aber lediglich durch die eigene Schuld des jener Eigenschaft entbehrenden Organs, dem allein es möglich war und oblag, ihre Wichtigkeit zu erkennen und sie sich zu verschaffen. Würde schon bei seiner Anstellung es einer solchen Eigenschaft entbehrt haben und dieser Mangel erkennbar gewesen sein, so läge eine Schuld der Verbandsorgane vor, die es trotzdem angestellt haben. Aber auch sie wäre lediglich deren individuelle Schuld. Hätte z. B. ein Minister die Anstellung vollzogen auf Grund des Vor­ schlags seiner ärztlichenBerater,dessenFehlerhaftigkeit er nicht erkennen konnte, so läge eine Schuld dieser vor. Wäre er selbst Mediziner und hätte er gehandelt auf Grund eigner Sachkenntnis, die nicht als un­ genügend erkannt zu haben ihm zur Schuld fiele, so läge auch hier eine individuelle Schuld vor, die nicht durch ihre Eigenschaft als Schuld eines bestimmte Staatsangelegenheiten leitenden Staats­ organes den Charakter einer eignen Schuld des Staates annähme. Nicht eine Schuld des Staates als eines Verbandes, dessen eigne Schuld die Schuld seiner Organe ist, aber eine wenn­ gleich nicht juristisch faßbare Gesamtschuld des zu ihm ver­ einigten Volkes liegt vor im Falle eines unter dem Drucke 5*

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einer es fordernden öffentlichen Meinung beobachteten fehlerhaften Verhaltens. Hat dagegen ein Verbandsorgan ein solches beobachtet, während die Verbandsangehörigen es nicht begehrt und vielleicht sein Gegenteil begehrt hatten, so schädigt es diese ohne ihre Schuld, wie jedes Verhalten eines Vertreters als ein dem Vertretenen schädliches diesen ohne seine Schuld schädigt. Ich kann handeln in eigner Sache, ich kann handeln in fremder Sache, und ich kann handeln in einer solchen Sache, die teils die meinige, teils eine fremde Sache ist. Handle ich als sogenanntes Verbandsorgan, so handle ich nie ausschließlich in eigner Sache. Ich handle aber auch nicht ausschließlich in fremder Sache, sobald ich selbst dem Verband angehöre, in dessen Angelegenheit ich handle. Ob dies zutrifft, ist aber für meine Eigenschaft als Verbandsorgan gleichgültig. Als solches bin ich Vertreter, und es ist dasselbe, ob wir sagen, ich sei Vertreter des Verbandes oder der an ihm beteiligten Menschen. Für die Menschen, denen gegenüber die Handlung eines Vertreters erfolgt und die sich auf sie einlassen, ist wesentlich deren Gleichstellung mit einer vom Vertretenen vollzogenen Handlung. Gleichgültig kann ihnen sein, ob ihnen ein Vertreter oder ein bloßes Werkzeug des anderen gegenübersteht. Sage ich einem anderen, daß ich ihm eine Erklärung im Namen eines dritten mache, oder, daß dieser sie ihm durch mich mache, so kann das gleichmäßig meine Eigenschaft als Vertreter und als bloßer Bote bedeuten. Ob die Erklärung eine erst durch mich vollzogene oder schon durch den dritten vollzogene und durch mich nur übermittelte ist, macht keinen Unterschied. Hat der andere mich irrtümlich für einen Vertreter oder für einen bloßen Boten gehalten, so liegt kein Irrtum über den Inhalt der Willenserklärung vor. Wie es daher einerseits nicht richtig ist, daß ein von Verbandswegen handelndes Verbandsorgan dem anderen stets als bloßes Werkzeug gegenübertritt, so ist es andernteils zwar richtig, daß es dem anderen nicht gegenübertreten muß als eine kraft eignen Ermessens handelnde Person, gilt aber das gleiche vom Vertreter, dernichtdadurch aufhört, Vertreter zu sein, daß er als bloßes Werkzeug des fremden in Wirklichkeit durch den seinigen ersetzten Willens auftritt. Die Eigenschaft eines Organes schreibt man dem Menschen

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zu nicht nur in Beziehung auf menschliche Verbände, sondern auch in Beziehung auf bestimmte Interessen und Tendenzen oder Angelegenheiten. Wir nennen ihn ein Organ derselben, wenn er sich ihnen widmet als solchen, die nicht seine individuellen An­ gelegenheiten sind. Auch in dieser Anwendung ist die Bezeichnung des Organes identisch mit der Bezeichnung des Vertreters. Die Eigenschaft eines Menschen als eines Organes oder Vertreters eines bestimmten Interesses kann zusammentreffen mit seiner Eigenschaft als Organ oder Vertreter eines diesem Interesse dienenden Verbandes. Wir nennen den Richter ein Organ oder einen Vertreter nicht nur des Staates, sondern auch des Rechtes, den Geistlichen ein Organ oder einen Vertreter nicht nur der Kirche, sondern auch der Religion. Es ist aber keineswegs notwendig, daß beides zusammentrifft. Wer ein Organ oder Vertreter einer zur Förderung der Wissenschaft oder Kunst bestimmten Organisation ist, kann weit entfernt sein von der Eigenschaft eines Organs oder Vertreters der Wissenschaft und Kunst. Und die Eigenschaft eines Menschen als eines Organs oder Vertreters dieser ist unabhängig von der Existenz einer ihrer Förderung gewidmeten Organisation und einer durch diese gegebenen Kompetenz des bestimmten Menschen. Wie die Bezeichnung des Vertreters und Organes, so hat auch die Bezeichnung der Kompetenz oder Zuständigkeit nicht nur eine juristische Bedeutung. Wer auftritt als Organ oder Vertreter der Wissenschaft, der tritt auf als ein in Sachen derselben kompetenter oder zuständiger Mensch. Ob wir sein Auftreten als Auftreten eines Organes oder Vertreters derselben gelten lassen, hängt ab von unserer Anerkennung seiner Kompetenz. Erfordert die Eigen­ schaft eines Organes oder Vertreters eine bestimmte Kompetenz, so bedeutet sie eine bestimmte Macht. Innerhalb seiner Kompetenz als Organ oder Vertreter ist der Mensch nicht ein Werkzeug fremder, sondern ein Subjekt eigner Macht. Wie er das rechtliche Organ eines Verbandes ist durch die maßgebende Bedeutung seines Willens für diesen und damit für die an ihm beteiligten oder durch ihn berührten Menschen, so ist er ein Organ oder Vertreter der Kunst und Wissenschaft als ein sie beherrschender und handhabender. Allerdings bedeutet jede Vertretung, sei es einer Person oder einer Sache, nicht nur eine Herrschaft, sondern zugleich einen Dienst.

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Sie bedeutet aber nicht den Dienst eines Werkzeugs fremden Willens, sondern den Dienst eines solchen, für dessen Verhalten maßgebend ist sein eigenes Ermessen darüber, wessen die Sache oder Person bedarf, in deren Dienst er steht. Wie für den Vertreter eines anderen innerhalb seiner Kompetenz nicht maßgebend ist, was nach dessen, sondern was nach seiner eignen Meinung dem Wohle des anderen dient, so bestimmt sich mein Verhalten als Vertreter der Wissenschaft durch meine eigne Forschung und Über­ zeugung. Trete ich also als Vertreter irgend einer Sache aus, so verfechte ich sie als eine solche, die zwar nicht meine individuelle Angelegenheit, aber keineswegs mir fremd ist, wie ebenso mein Auftreten als Vertreter eines anderen meine Wahrnehmung seiner von meinen individuellen Interessen verschiedenen Interessen als solcher bedeutet, deren Förderung mir nicht gleichgültig, sondern als einem solchen angelegen ist, der für jenen zu sorgen die Macht und das Bedürfnis hat.

II. Die rechtliche Persönlichkeit -es Menschen. 1. Das Recht. Die Unterscheidung von Recht und Unrecht geht zurück auf die Unterscheidung des Richtigen und Unrichtigen. Im weitesten ihr zukommenden Sinne deckt sie sich mit dieser. Jedes Verhalten erfolgt als ein richtiges mit Recht, als ein unrichtiges mit Unrecht. Für die Frage seiner Richtigkeit kommt in Betracht die doppelte Frage nach seiner lebenfördernden oder lebenhemmenden Bedeutung und nach der Möglichkeit eines anderen in höherem Grade leben­ fördernden oder in geringerem Grade lebenhemmenden Verhaltens. Es kann trotz seiner lebenfördernden Bedeutung unrichtig sein, weil ein in noch höherem Grade lebenförderndes Verhalten möglich ist, und es kann trotz seiner lebenhemmenden Bedeutung richtig sein, weil kein weniger lebenhemmendes Verhalten möglich ist. Im engeren Sinne bezieht sich die Unterscheidung von Recht und Unrecht auf das Verhalten eines Menschen gegen andere Menschen als ein solches, das deren Leben fördert oder hemmt. Diese Eigenschaft kann nur zukommen einem auf andere Menschen sei es körperlich oder geistig einwirkenden Verhalten. Wie vom Standpunkt meines individuellen Lebens aus mein Verhalten unt so mehr mit Recht oder mit Unrecht erfolgt ist, je mehr es jenes fördert oder hemmt, so bedeutet seine Bezeichnung als eines anderen gegenüber mit Unrecht erfolgten eine dadurch erfolgte Hemmung oder unterbliebene Förderung ihres Lebens. Für das eigene Leben

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bezweifelt niemand, daß kein Unterschied ist zwischen einem es hemmenden und einem seine mögliche Förderung unterlassenden Verhalten. Fremdem Leben gegenüber bezeichnet man gern seine Hemmung, aber nicht seine unterlassene Förderung als Unrecht. Doch ist eine strenge Trennung beider Fälle weder durchführbar noch grundsätzlich berechtigt. Wenn mir wegen des Zusammen­ hangs meines Lebens mit fremdem Leben daran liegen muß, daß dieses nicht gehemmt werde, so muß mir auch daran liegen, daß es gefördert werde. Zu ermessen, welche Bedeutung mein Verhalten für mein individuelles Leben hat, und nach Maßgabe des von mir ange­ nommenen Übergewichtes seiner Bedeutung, dieses zu fördern oder zu hemmen, mich dafür oder dagegen zu entscheiden, ist meine Sache. Dasselbe gilt von der Bedeutung meines Verhaltens für fremdes Leben, soweit für mich dieses ein Bestandteil des meinigen, also seine Förderung und Hemmung eine unmittelbare Förderung und Hemmung meines Lebens ist. So ist nicht nur das Leben des Kindes im Mutterleibe ein Bestandteil des Lebens seiner Mutter, sondern auch das Leben des heranwachsenden Kindes ein Bestandteil des Lebens seiner Eltern, die für es sorgen nach Maß­ gabe ihrer Auffassung von der lebenfördernden und lebenhemmenden Bedeutung des bestimmten Verhaltens. Je mehr sie das Leben ihres Kindes als einen Bestandteil ihres Lebens oder ihr Leben als ein sich auf jenes erstreckendes fühlen, desto mehr ist für sie das Wohl ihres Kindes ein Bestandteil ihres Wohles. Üben sie gegen ihr Kind im Interesse seines Wohles Zwang, so erleidet es durch sie eine Lebenshemmung als Mittel zum Zwecke seiner Lebensförderung, wie jeder Zwang, den ich gegen mich selbst übe, und durch den ich um eines höheren oder umfassenderen Be­ dürfnisses willen mir die Befriedigung eines geringeren versage, eine im Dienste der Förderung meines Lebens stehende Hemmung desselben ist. Je mehr das Kind heranwächst, desto mehr wird es auch seinen Eltern gegenüber zu einem Subjekte selbständigen Lebens und wird zu einem Motive ihres Verhaltens gegen das­ selbe neben ihrer Auffassung über die Erfordernisse seines Wohls die seinige, oder sein eigner Wille. Stehn zwei Menschen einander selbständig gegenüber, so wird

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die im Interesse möglichster Lebensförderung jedem obliegende Rücksicht auf das Wohl des anderen zur Rücksicht auf dessen Willen dadurch, daß die Entscheidung darüber, was das Wohl eines jeden erfordert, in erster Linie ihm selbst zukommt. Weiß keiner vollständig, was ihm frommt, so weiß er es doch schon deshalb besser als andere, weil dafür neben und vor seinen äußeren Verhältnissen seine ganze Gemütsbeschaffenheit niaßgebend ist, die sich der unmittelbaren Wahrnehmung anderer ent­ zieht. Auch liegt es in der Natur des Menschen, daß sein Leben seinen größten Wert nicht sowohl in dem hat, was ihm von außen und durch andere widerfährt, als in der Art, wie er selbst es gestaltet. Das Wertvollste, was ihm für sein Leben durch andere widerfahren kann, ist die Sicherung der Entfaltung und Betätigung seiner Persönlichkeit und damit der Realisierung seines Willens. Daher besteht im Verhältnisse einander selbständig gegenüberstehender Menschen für jeden das Bedürfnis eines seinem Willen möglichst gemäßen Verhaltens anderer und im Dienste jenes Bedürfnisses das Bedürfnis, durch das eigene Verhalten dem Willen jener mög­ lichst Rechnung zu tragen. Daher kann eine Einwirkung auf fremdes Leben ein Unrecht sein trotz großer Förderung, die es da­ durch erfährt, als eine von dem dadurch Betroffenen nicht ge­ wollte, und kein Unrecht sein als eine sein Leben vielleicht stark be­ einträchtigende, aber seinem Willen gemäße. Fragen wir aber, wann ein Verhalten, um kein Unrecht gegen einen anderen dadurch betroffenen Menschen zu sein, der Zu­ stimmung desselben bedarf, so kann dies nicht von jeder Einwirkung auf fremdes Leben gelten. Träfe dies zu, so wäre überhaupt kein äußeres Verhalten ohne fremde Zustimmung zulässig. Da alle Menschen derselben Außenwelt angehören und jeder Bestandteil derselben der Einwirkung auf jeden anderen fähig, wie der Ein­ wirkung jedes anderen ausgesetzt ist, so gibt es von Natur kein Gebiet ausschließlichen Lebens eines bestimmten Menschen. Zwar be­ zeichnet man gern als ein solches seinen Körper, und gewiß steht dieser zu seinem Leben in weit näherer Beziehung als die übrige Außen­ welt. Als ein beständig ihrer Einwirkung ausgesetzter und auf sie einwirkender, Stoff aus ihr aufnehmender und an sie abgebender hat er aber keine von der ihrigen getrennte Existenz. Und keines­ falls ist jede Einwirkung meines Verhaltens auf den Körper eines

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anderen ohne dessen Zustimmung Unrecht. Wäre doch dadurch jedes von fremder Zustimmung unabhängige äußere Verhalten aus­ geschlossen; denn es gibt keinen Bestandteil der Außenwelt, dessen Verhalten nicht jeden anderen berühren könnte, während keine Rede davon sein kann, daß etwa die Einwirkung eines Menschen auf den Körper eines anderen nur als unmittelbare ein Unrecht wäre. Läßt sich so nicht sagen, wann ein fremdes Leben schädigendes oder fremdem Willen zuwiderlaufendes Verhalten Unrecht ist, so ist doch zu sagen, daß ceteris paribus das dem Leben anderer günstigere und wegen der in dieser Beziehung nicht uns, sondern den anderen zukommenden Entscheidung das ihrem Willen gemäßere Verhalten den Vorzug verdient. Es ist nicht richtig, sich um jeden Preis fremdem Willen zu fügen. Es ist aber noch weniger richtig, grundsätzlich fremdem Willen keine Beachtung zu schenken oder zu­ widerzuhandeln; vielmehr ist es richtig, die Übereinstimmung des eigenen Verhaltens mit fremdem Willen dem Widerstreite mit diesem vorzuziehen, also in Ermanglung überwiegender Gründe für ein anderes Verhalten das anderen genehmere Verhalten zu beobachten. Als Mittel der Erkenntnis dafür, welches Verhalten anderen genehm ist, dient neben dem Schlüsse von sich auf andere der von anderen teils unabsichtlich teils namentlich auch absichtlich kundgegebene Wille. Gleich dem Bedürfnisse der eigenen Beachtung fremden Willens haben wir das Bedürfnis fremder Beachtung unseres Willens und damit der Kundgebung unseres Willens zum Zweck der Ermöglichung seiner Beachtung durch andere. Haben wir ein Verhalten beobachtet, das andere nach der Übung des Kreises von Menschen, dem sie mit uns angehören, Grund haben als Kund­ gebung eines bestimmten Willens anzusehen, so müssen wir auch diesen als den unsrigen gelten lassen. Daraus, daß wir zur be­ stimmten Zeit einen bestimmten Willen hatten, folgt nicht not­ wendig, daß wir ihn noch später haben. Würde er aber durch seine Kundgebung nur für den Augenblick ihrer Vollziehung als der unsrige gelten, so wäre es nicht möglich, mit dem von einem anderen wenn auch noch so deutlich kundgegebenen Willen als einem noch nach seiner Kundgebung existierenden zu rechnen. Soll der anderen kundgegebene Wille bestimmende Bedeutung für sie haben können, so muß er auch für sie zwar nicht auf immer, aber aus

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so lange existieren, bis Umstände eintreten, die ihnen als Gründe seines eingetretenen Wegfalls erkennbar sind. Ist jemand in eine bisher von keinem Menschen betretene Gegend verschlagen worden, und wird dann ein zweiter bisher in keinerlei Beziehung zu jenem stehender in dieselbe Gegend ver­ schlagen, so ist jeder für den anderen ein solcher, dessen Leben dem eigenen Leben sowohl förderlich als hinderlich werden kann, und ist vernünftigerweise jeder dafür besorgt, daß seinem Leben das Leben des anderen möglichst förderlich und möglichst wenig hinderlich werde. Glaubt er dem anderen überlegen zu sein, so wird er vielleicht es unternehmen, sich desselben durch Vertreibung oder Tötung zu entledigen. Mehr fördert er aber sein Leben, wenn es ihm gelingt, den anderen sich zu unterwerfen und dadurch dessen Leben aus einem Hindernis in ein Mittel der Förderung seines Lebens zu ver­ wandeln. Ist der andere ihm überlegen, so wird er danach trachten, sich aus dessen Machtgebiet zu entfernen. Er wird aber nicht nur, wenn ihm dies nicht möglich ist, der ihm drohenden Vernichtung durch den anderen die Unterwerfung unter ihn vorziehen, sondern er wird sich zu dieser auch dann bequemen, wenn er sich ihr glaubt nur entziehen zu können um den Preis seines in noch höherem Grade als im Falle derselben gehemmten Lebens. Ist keiner dem anderen entschieden überlegen, so wird jeder darnach trachten, sein Leben möglichst der Hemmung durch den anderen zu entrücken und der Förderung durch ihn teilhaft werden zu lassen. Er wird daher möglichstes Einvernehmen mit dem andern anstreben und zu diesem Zwecke sowohl der Beachtung des von diesem geäußerten Willens als eigener Willensäußerung sich befleißigen. Ist dadurch eine Verständigung erfolgt, so gilt ihr Inhalt unter den Beteiligten als ein von ihnen gemeinsam gewollter. Damit ist nicht gesagt, daß ihn jeder in demselben Sinne will. Ich kann etwas wollen in dem Sinne, daß ich es begehre, und in dem Sinne, daß ich nur es mir gefallen lasse. Ich begehre etwas, weil ich glaube, daß es mein Leben fördert. Ich lasse mir etwas gefallen, obgleich es mein Leben hemmt, weil ich dadurch eine Förderung meines Lebens zu erkaufen hoffe, die wichtiger ist als die dadurch gegebene Hemmung desselben. Als ein vom einen begehrter ist der Inhalt der Verständigung jenem vom anderen bewilligt. Als ein von

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beiden begehrter ist er von jedem dem anderen bewilligt. Wenn­ gleich der Gegenstand dieser Bewilligung derselbe ist wie der Gegen­ stand des eigenen Begehrens, so begründet sie doch insofern eine der Förderung fremden Lebens dienende Hemmung des eigenen, als sie nicht dadurch wegfällt, daß, was ich dem anderen bewilligt habe als etwas auch von mir begehrtes, dies zu sein aufhört. Die zwei von uns unterschiedenen Fälle der aus der Über­ legenheit des einen erwachsenden Unterwerfung des anderen und der in Ermanglung solcher stattfindenden gegenseitigen Beachtung des fremden Willens sind nicht toto genere verschieden. Keine Unter­ werfung kann das Leben des Unterworfenen zu einem solchen machen, das ausschließlich ein Mittel der Förderung des Lebens seines Herrn ist. Stets ist jenes für dieses auch ein möglicher Grund seiner Hemmung, uild soll es ein solcher in möglichst ge­ ringem, dagegen ein Mittel seiner Förderung in möglichst großem Maße sein, so muß auch der Herr es sich angelegen sein lassen, das Leben des Unterworfenen zu fördern, da dieser um so mehr an der Förderung des Lebens seines Herrn interessiert und mit so weniger zum Widerstände gegen ihn veranlaßt ist, je mehr dessen Existenz und Macht ihm selbst zugute kommt. Wie die Herrschaft über einen Unterworfenen zu ihrer Sicherung der Rücksicht des Herrn auf dessen Wohl und Willen bedarf, so ist auch umgekehrt int gegenseitigen Verhältnisse solcher, die einander selbständig gegen­ überstehen, die Verschiedenheit ihrer Macht keineswegs ohne Be­ deutung. Je mächtiger einer im Verhältnisse zum anderen ist, desto mehr kann er diesem sowohl nützen als schaden, desto mehr hat also dieser Ursache, aus ihn Rücksicht zu nehmen, und wenn Verständigungen über Dinge, in denen ein Interessengegensatz der Beteiligten besteht, dadurch zustande zu kommen pflegen, daß jeder die fremde Bewilligung durch eine eigene erkauft, so hat jeder Grund, dem anderen um so mehr zu bewilligen, je mehr ihm dttrch dessen Macht am beiderseitigen Einvernehmen liegen muß. So ist das Verhältnis zttsammenlebender Menschen, einander schaden und nützen zu können und daher im eigenen Interesse eines jeden auf Rücksicht gegeneinander und Verständigung miteinander angewiesen zu sein, stets ein gegenseitiges, aber nicht ein gleiches, sondern ein durch das Verhältnis ihrer materiellen und geistigen Macht sich

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bestimmendes und mit dieser wechselndes. Wie aber im Lause des individuellen Lebens der Wille des Einzelnen an Konstanz zu­ nimmt und er sich mehr und mehr ein bestimmtes Verhalten an­ gewöhnt, so bestimmt auch das Verhalten verschiedener Menschen gegeneinander sich je länger desto mehr durch ihre gegenseitige Ge­ wöhnung. Insbesondere bildet sich dadurch die Unterscheidung eines den anderen berührenden und eines ihn nicht berührenden äußeren Verhaltens. Dieses ist, da es ein den anderen über­ haupt nicht berührendes äußeres Verhalten nicht gibt, ein solches, dessen Bedeutung als eines ihn berührenden nicht ins Gewicht fällt neben seiner Bedeutung für das Leben dessen, der es be­ obachtet. Je wichtiger es für dieses ist, desto lästiger muß es für den anderen sein, wenn die Rücksicht auf ihn dessen Unterlassung als eines nicht von ihm bewilligten fordern soll. Fragen wir aber, wann dieses Übergewicht seiner Bedeutung für den einen über seine Lästigkeit für den anderen zutrifft, so gibt es in Ermanglung einer besonderen Verständigung darüber kein anderes Kennzeichen dafür als die Gewohnheit. Würde von zwei Menschen, die sich außerhalb des Geltungsgebietes eines positiven Rechts nebeneinander angesiedelt haben, der eine das viel­ leicht seitJahren existierende und nicht anders als bisher funktionierende Kamin des anderen nicht mehr dulden wollen, so widerspräche sein Ver­ halten der bisherigen der Änderung nicht ohne gegenseitiges Ein­ vernehmen ausgesetzten Regel ihres Zusammenlebens. Würde der andere sich seinem Widersprüche fügen, so wäre in diesem Punkte die Regel ihres Zusammenlebens durch beiderseitiges Einvernehmen geändert. Würde der andere sich nicht fügen und infolge davon der durch das Kamin Belästigte sich in dessen fernere Existenz er­ geben, so wäre die Regel aufrecht erhalten. Würde er dagegen dieses gegen den Willen des anderen gewaltsam zu beseitigen unternehmen, so hätte der bisherige Zustand des Einvernehmens oder Friedens zwischen beiden bis auf weiteres aufgehört. Würde es sich da­ gegen nicht um die Fortdauer eines Zustandes handeln, den der andere sich bisher hatte gefallen lassen, sondern um eine neue An­ lage, die dieser als eine ihm lästige nicht dulden will, so wäre sein Widerstand kein Widerspruch gegen die bisherige Regel ihres Zusammenlebens. Ein solcher Widerspruch läge aber auch nicht

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darin, daß der Gegner bei der Anlage beharrt. Vielmehr ergäbe jene Regel für diesen Fall als einen noch nicht dagewesenen und weder durch Vereinbarung noch durch tatsächliche Übung und deren Duldung entschiedenen nichts. Wird die Anlage wegen des gegen sie erhobenen Widerspruchs aufgegeben, so ist es zum Gegen­ stand des Einvernehmens geworden, daß sie nicht ohne Bewilligung erfolgen darf. Läßt sich der andere die trotz seines Widerspruchs aufrecht erhaltene Anlage nachträglich gefallen, so ist es zum gegen­ teiligen Einvernehmen gekommen. Bewährt jeder seinen dem Willen des anderen entgegengesetzten Willen durch die Tat, so hat der Friede zwischen ihnen aufgehört, und ist es fraglich, ob es zu seiner Wiederherstellung kommt, sei es mit der einen oder mit der anderen Entscheidung jenes Streitpunkts. Wo immer der eine glaubt, zu einem Verhalten der Be­ willigung des anderen nicht zu bedürfen, weil es diesen nichts angeht, wogegen dieser sich dadurch berührt fühlt und es nicht dulden will, da ist, wenn es nicht entweder zum gänzlichen Nach­ geben des einen oder zu gegenseitigem Nachgeben kommt, der Friede zwischen beiden nicht weniger aufgehoben als im Falle bewußter Verletzung des einen durch den anderen. Das gegenseitige Nach­ geben kann aber namentlich auch erfolgen durch die Vereinbarung, daß die Entscheidung der zwischen den Parteien streitigen Frage einem dritten zukommen soll. Dadurch unterscheidet sich prinzipiell der Fall der Unterwerfung des einen unter den anderen vom Falle sonstigen Zusammenlebens, daß in jenem Fall sowohl die Änderung der Regel des Zusammenlebens als die Entscheidung über ihren Inhalt dem Herrn zukommt. Eine solche besteht auch hier. Der Herr, der am Unterworfenen einen nicht nur seiner körperlichen, sondern auch seiner geistigen Einwirkung ausgesetzten und ihm gehorchenden Menschen haben will, regelt durch seine Willens­ äußerung das Verhalten des Unterworfenen gegen ihn. Und er regelt dadurch auch sein eigenes Verhalten gegen jenen. Seine Willensäußerungen sind nicht nur Befehle, sondern auch Ver­ heißungen, die er jenem erteilt. Er verheißt ihm für den Fall seines Ungehorsams Hemmung seines Lebens. Er verheißt ihm aber namentlich auch Förderung seines Lebens. Er untergrübe die Bedeutung, die sein Wille für den Unterworfenen hat, wenn er

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nicht, wie auf die Ausführung der ihm erteilten Befehle, so auf die Ausführung der ihm erteilten Verheißungen hielte. Ebenso ist es der von ihm gewollten Bedeutung seines dem Unterworfenen kundgegebenen Willens zuwider, wenn er die Frage, ob diesem ein bestimmtes Verhalten des Unterworfenen zuwiderlief, anders ent­ scheidet als in Gemäßheit des wirklichen Inhaltes seiner Kund­ gebung. Durch den Mißbrauch seiner Gewalt zur Mißhandlung des Unterworfenen und zur Verleugnung seiner Kundgebungen an ihn begeht er ein Unrecht gegen ihn, das die Fortdauer seiner Herrschaft über ihn gefährdet. Besteht keine Unterwerfung des einen unter den anderen, so besteht doch ihre gemeinsame Unterwerfung unter einen vom in­ dividuellen Willen eines jeden verschiedenen Willen, wenn sie einig sind über die maßgebende Bedeutung eines solchen für ihr gegen­ seitiges Verhalten. So wenn sie demselben dritten unterworfen sind; aber auch wenn vermöge ihrer Vereinbarung oder Gewöhnung ihre gegenseitige Verständigung ersetzt wird durch die Entscheidung bestimmter, sei es von ihnen verschiedener oder selbst zu ihnen gehörender Menschen. In einer Sache, über die wir uns nicht unmittelbar einigen können, vermögen wir uns doch dahin zu einigen, daß in ihr der Wille sei es der Mehrzahl von uns oder bestimmter Menschen gelten soll. Der Wille der Mehrzahl ist nicht der Wille aller, aber er steht doch dem Willen aller näher als der Wille einer Minderzahl. Soll am liebsten geschehen, was alle wollen, so soll auch lieber geschehen, was ein größerer als was nur ein kleinerer Teil aller will. Handelt es sich um eine Sache, wovon einzelne mehr verstehen als andere, so empfiehlt sich die Überlassung der Entscheidung an jene um so mehr, in je höherem Grade ihr be­ sonderes Verständnis besteht oder als bestehend gilt. Neben diesem spielt aber eine wesentliche Rolle die besondere Macht einzelner. Ist möglichstes Einvernehmen aller wünschenswert, so ist doch die Zustimmung eines bestimmten Menschen um so wünschens­ werter, je mächtiger er ist, je mehr er also das ihm Ge­ nehme zu befördern und das ihm nicht Genehme zu hindern, sowie die Beachtung oder Nichtbeachtung seines Willens zu ver­ gelten vermag. Dazu kommt die dem Mächtigeren mehr als

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dem minder Mächtigen mögliche Unabhängigkeit seiner Ent­ scheidung. Die Unterordnung der einzelnen unter einen Willen, der für ihr gegenseitiges Verhalten maßgebend ist kraft ihres, sei es durch Vereinbarung oder durch tatsächliche Übung und Duldung dieser entstandenen Einvernehmens, und an dessen Bildung der einzelne unmittelbar entweder überhaupt nicht oder als ein mit seinem Begehren nicht durchgedrungener beteiligt war, bedeutet nicht die Existenz einer neben oder über den einzelnen stehenden Gesamt­ person. Träfe dies zu, so würde eine solche existieren z. B. im Falle jeder Gesellschaft, deren Mitglieder darüber einig sind, daß bestimmte Entscheidungen bestimmten Mitgliedern zukommen und im übrigen Stimmenmehrheit entscheidet. Daß hier die Ent­ scheidung der zu ihr ermächtigten Mitglieder oder der Mehrheit als von allen gewollt gilt, ist die einfache Folge der gleichen Be­ deutung des unmittelbar von allen Vereinbarten. Mit Unrecht sagt man, eine Vereinbarung habe Geltung nur kraft eines sie bestimmenden positiven Rechtes. Das Gegenteil zeigt die völker­ rechtliche Vereinbarung. Treffen wir eine Vereinbarung unter Umständen, unter denen dafür kein positives Recht gilt, und sind wir uns dessen bewußt, so werden wir besondere Sorge für die genaue Bestimmtheit ihres Inhaltes tragen, weil unsre Bestimmung hier durch kein Gesetz ergänzt wird. Wir werden vielleicht auch auf die Sicherung ihres Vollzugs besonders bedacht sein, weil hier die positiv rechtlichen Mittel derselben fehlen. Wir können aber nicht ohne inneren Widerspruch sie treffen und doch ihr keine Geltung zuschreiben. Durch das positive Recht bezüglich ihrer Geltung seiner Bestimmung untergeordnet, ist doch die Vereinbarung oder allgemeiner die Willenserklärung nicht erst ein Produkt, sondern schon eine Grundlage des positiven Rechts, dessen letzte Grundlage ist das für die Menschen im Interesse der Förderung ihres Lebens bestehende Bedürfnis gegenseitiger Berücksichtigung, die insbesondere in sich schließt die gegenseitige Beachtung ihres Willens und damit, da dieser für den anderen nur existiert als ein für ihn erkennbarer, die Notwendigkeit, den Willen, den sie anderen als den ihrigen be­ zeichnet haben, jenen gegenüber als den ihrigen gelten zu lassen. Jede Verständigung solcher Menschen, die bisher durch kein positives

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Recht miteinander verbunden waren, über ihr gegenseitiges Ver­ halten ist ein Anfang eines sie miteinander verbindenden positiven Rechtes. Sie ist nur möglich, wenn schon eine gewisse geistige Gemeinschaft zwischen ihnen besteht. Eine solche entsteht teils durch wechselseitige, teils durch vorwiegend einseitige Einwirkung des einen auf den anderen. Die geistige Entwicklung der heran­ wachsenden Menschen erfolgt unter der Einwirkung anderer bereits entwickelter Menschen. Dadurch entsteht eine geistige Gemeinschaft, in der vorwiegend diese der gebende und jene der empfangende Teil sind. Diese haben in größerem oder geringerem Umfange geistige Gewalt oder Auktorität über jene sowohl durch ihre reale Macht, durch die jene vom Ungehorsam gegen sie Hemmung und vom Gehorsam gegen sie Förderung ihres Lebens zu erwarten haben, ohne die es nicht gedeihen kann, als durch das Zutrauen in ihre Einsicht und Liebe, das sie jenen einflößen. Der Gehorsam eines Menschen gegen den anderen hat zur Grundlage teils die Furcht vor Schädigung durch dessen Macht für den Fall des Un­ gehorsams und die Hoffnung auf Förderung durch sie für den Fall des Gehorsams, teils das Vertrauen auf die durch die Ein­ sicht und Liebe des anderen gewährleistete Vorteilhaftigkeit des von ihm Verlangten für das eigene Leben. Beide Momente be­ deuten die anzunehmende Vorteilhaftigkeit des Gehorsams teils als solchen, teils durch die anzunehmende Vorteilhaftigkeit des verlangten Verhaltens. Je mehr das eine Moment zutrifft, desto weniger bedarf es zur Erwirkung des Gehorsams des anderen. Beide Momente sind aber in ihrem Bestände davon abhängig, daß jene Annahme sich bewährt und nicht als unzutreffend erweist. Daher ist ihr Bestand und damit der Bestand der Gewalt des einen über den anderen abhängig vom Verhalten des Gewalt­ habers. Je mehr er die Verheißung der Förderung des Ge­ horsamen und der Schädigung des Ungehorsamen durch seine Macht erfüllt, weil er sie sowohl erfüllen kann als erfüllen will, und je mehr das von ihm Verlangte selbst sich als lebensförderlich bewährt, weil er sowohl den anderen fördern will als weiß, was diesem frommt, desto mehr befestigt sich dessen Gehorsam und damit die Gewalt über ihn; je mehr das Gegenteil zutrifft, desto mehr besteht die Gefahr des Erlöschens der Gewalt. Insbesondere Holder, Natiirl. u. jurist. Personen.

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ist, soweit sie auf der durch die reale Macht des Gewalthabers gegebenen Furcht und Hoffnung beruht, ihre Grundlage zerstört, wenn er dem anderen gegenüber nicht mehr übermächtig ist. Der individuellen Gemeinschaft Einzelner steht zur Seite die durch die wechselseitige Einwirkung aller miteinander verkehrenden Menschen entstehende und sich fortbildende Gemeinschaft. Durch diese steht jeder nicht einzelnen, sondern allen anderen gegenüber. Seine Macht ist stets eine geringere als deren Macht, und soweit ihr Wille übereinstimmt, ist er für die Förderung seines Lebens darauf angewiesen, sich diesem gemäß zu verhalten. Ist er in den bestimmten Kreis von Menschen hineingeboren, so ergibt sich für ihn die maßgebende Bedeutung des in diesem herrschenden Willens dadurch, daß die Menschen, die Gewalt über ihn haben, dazu gehören. Ist er als ein selbständiger Mensch jenem Kreise hinzu­ getreten, so kann er ihm nur gedeihlich angehören als ein dem allgemeinen Willen sich fügender. Je länger er ihm angehört, desto mehr Einfluß kann er in ihm gewinnen und dadurch Änderungen des in ihm Geltenden herbeiführen. Es bleibt aber dabei, daß unbeschadet der maßgebenden Bedeutung, die der Einzelne für das allgemein Gewollte erlangen kann, dieses maßgebende Bedeutung hat für den Einzelnen unabhängig davon, ob es seinen individuellen Wünschen gemäß ist. Die Lebensgemeinschaft ist als solche auch eine Rechts­ gemeinschaft. Ob sie auf einzelne Menschen sich beschränkt oder auf einen größeren Kreis wechselnder Menschen sich erstreckt, macht keinen prinzipiellen Unterschied. Wie für das Verhältnis Einzelner zu einander teils die einseitige Willensäußerung dessen, der Macht über den anderen hat, teils die gegenseitige Verständigung der gegenseitig aufeinander angewiesenen maßgebend ist, so erwächst die Existenz und Verfassung einer größeren Rechtsgemeinschaft teils aus der wegen der Übermacht des einen platzgreifenden Unter­ werfung anderer, teils aus der Verständigung solcher, zwischen denen nicht das Verhältnis entschiedener Übermacht des einen besteht. Eine organisierte Rechtsgemeinschaft oder ein Gemeinwesen kann aus einer kleinen Zahl zusammengeratener und in individuelle Beziehungen zueinander getretener Menschen erwachsen, ohne daß

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es möglich wäre, den Punkt des Überganges vom einen zum anderen Verhältnis zu bestimmen. Eine gewisse Organisation kann schon aus der ausdrücklichen und stillschweigenden Verständigung einzelner Menschen hervorgehen. Eine solche existiert, wenn sie auch nur 31t brüt sind und es unter ihnen zur Regel geworden ist, daß im Falle einer Differenz zwischen zweien die Entscheidung dem dritten zukommt. Ebenso existiert eine solche, wenn unter ihnen die Regel zur Geltung gelangt ist, daß in irgend einer Beziehung die Be­ stimmung des einen, der in der bestimmten Richtung den anderen als Auktorität gilt, für ihr Verhalten maßgebend ist. Auch der Wechsel der Beteiligten ist in solchen Verhältnissen nicht ausge­ schlossen. Gerät in ein bisher nur von zwei Menschen, die mit­ einander in Verkehr getreten sind, bewohntes Gebiet ein dritter, so kann dessen Teilnahme an ihrem Verkehr und die Erstreckung der diesen beherrschenden Normen auf ihn ebenso eintreten, wie in ein organisiertes Gemeinwesen ein ihm bisher fremder Mensch aufgenommen werden kann. Dasselbe gilt von der Erstreckung der Gemeinschaft auf die Angehörigen ihrer Teilnehmer und ihrer Fortsetzung durch diese nach dem Wegfall ihrer ersten Teilnehmer. Sind es auch nur zwei Familien, die zusammengeraten und mit­ einander in Verkehr getreten sind, so bringt die Teilnahme der Familienmitglieder am Leben des Familienhauptes und die Be­ deutung, die sein Leben auch für das spätere Leben seiner An­ gehörigen hat, es mit sich, daß die Verkehrsbeziehungen der Familienhäupter nicht nur während ihres Lebens, sondern auch noch nach ihrem Tode sich auf ihre Angehörigen erstrecken. Man nennt gern die Familie den Urstaat, und man vergleicht die Macht der Eltern über ihre Kinder der Macht des Staats­ oberhauptes. Doch hat jene ihre spezifische Bedeutung dadurch, daß des Kindes Leben ein Produkt, ein Bestandteil und eine Fortsetzung des elterlichen Lebens ist. Sie hat eine andere Wurzel als die Macht des Staatsoberhauptes, für das die Untertanen nicht solche sind, deren Leben dem seinigen entsprungen ist, sondern solche, die seine Herrschaft deshalb sich gefallen lassen, weil sie ihr zwar eine Hemmung, aber auch eine Förderung ihres Lebens oder, was dasselbe ist, die Abwehr anderer Hemmungen desselben ver­ danken. Die Familienbeziehung entspringt der einseitigen Be6*

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ziehung der Abstammung des Menschen von anderen, deren Leben dem seinigen vorhergeht. Die rechtlichen Beziehungen entspringen der Wechselwirkung oder dem Verkehre der koexistierenden Menschen. Da es die Koexistenz der Menschen im Raume ist, durch die sie aufeinander einwirken, so ist die Gestaltilng dieser gegenseitigen Einwirkung als einer möglichst förderlichen und möglichst wenig hinderlichen am besten gesichert, wenn ein Gemeinwesen entstanden ist, das alle in demselben Raume existierenden Menschen so um­ faßt, daß bezüglich aller zwischen diesen bestehenden praktischen Differenzeir seinen Organen die Entscheidung zukommt. Ein solches Gemeinwesen ist der Staat. Die lange Zeit allgemeine Annahme seiner Entstehung durch Staatsvertrag gilt als längst überwunden; doch fehlt es nicht an nachweisbaren Fällen der Staatsgründung durch Vertrag. Gegen ihre Beweiskraft wendet man ein, es handle sich hier nicht um originäre, sondern um abgeleitete Staatsgründung, da die zur Bildung eines neuen Staates zusammentretenden Menschen schon bisher in rechtlichen Beziehungen zu einander gestanden haben, auf die sich die durch ihre Vereinbarung geschaffene neue Ordnung gründet. Wie aber jede positive Rechtsordnung ein geschichtliches Produkt menschlichen Verkehrs ist, so ist auch jeder Verkehr ver­ schiedener Menschen miteinander etwas, das eine Beziehung zwischen ihnen nicht nur begründet, sondern schon voraussetzt. Handelt es sich doch in ihm um Kundgebungen imb deren Beachtung, und damit um Dinge, die nicht möglich wären, wenn ihre Urheber und Empfänger einander als solche gegenüberständen, deren Leben ein schlechthin getrenntes ist. Besteht von Natur zwischen ko­ existierenden Menschen die Eigenschaft ihres Lebens als eines das Leben des anderen teils hemmenden, teils fördernden, und die Eigenschaft ihres Willens als eines die möglichste Förderung des eigenen Lebens erstrebenden, so besteht auch dessen Eigenschaft, die möglichste Verminderung der Hemmung des eigenen Leben durch fremdes und die möglichste Steigerung seiner Förderung durch solches anzustreben. Der volle Ausschluß jener könnte nur an­ gestrebt werden um den Preis des vollen Ausschlusses dieser; er wäre daher, wenn überhaupt, so doch nur Mit dem Erfolge über­ wiegender Schädigung des eigenen Lebens erreichbar. Kein Mensch hat einigermaßen sichere Aussicht auf die Behauptung seines Lebens

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gegenüber den durch die Koexistenz anderer ihm drohenden unüberseh­ baren Hemmungen desselben, wenn er nicht diejenigen Hemmungen des­ selben sich gefallen läßt, die gegeben sind durch die in dem Gebiete, innerhalb dessen er lebt, von ihm vorgefundene und dem Leben eines jeden sowohl zur Förderung als zur Hemmung gereichende Ord­ nung. Er kann sie nicht zu seinen Gunsten geltend machen, ohne sie zu seinen Ungunsten gelten zu lassen, und wenngleich er vielleicht eine ganz andere Ordnung vorzöge, muß er doch ver­ nünftigerweise sich ihr fügen im Interesse der Sicherheit seines Lebens, an der jedem liegen muß, dem überhaupt etwas an seinem Leben liegt. Davon, daß er sich unbedingt ihr fügen müßte oder anders als ihr gemäß sich nicht verhalten könnte, ist keine Rede; er kann aber nicht sich anders verhalten ohne die Wahrscheinlichkeit, daß ihm dieses Verhalten mehr schadet als nützt. Wenn Jhering (Zweck im Rechte I S. 102ff.) als egoistische Hebel der sozialen Bewegung den Lohn und den Zwang unter­ scheidet und im Gegensatze zum Verkehre als der sozialen Organisation des Lohnes Staat und Recht als die soziale Organisation des Zwangs bezeichnet, so spielt auch hier der Lohn eine größere Rolle als der Zwang. Dadurch unterscheiden sich die Gesetze menschlichen Verhaltens von Naturgesetzen, daß ihre Geltung nicht die Unmöglichkeit eines ihnen zuwiderlaufenden Verhaltens, sondern nur seine Fehlerhaftigkeit und Schädlichkeit für das dadurch fehlerhaft betätigte Leben bedeutet. Verstoße ich gegen die Gesetze der Logik, der von mir gesprochenen Sprache oder einer von mir getriebenen Kunst, so wird der Wert, den mein Verhalten als eine dem Gebiete des Gedankens, der Sprache oder der bestimmten Kunst angehörende Lebensäußerung hat, vermindert und vielleicht ausgewogen oder überwogen durch den begangenen Fehler. Läuft mein Verhalten einem sittlichen Ge­ setze zuwider, so betätigt es einen nach der geistigen Natur des menschlichen Lebens einem anderen untergeordneten Trieb auf dessen Kosten, und wie zum Grunde, so hat es auch zur Folge eine Hemmung meines geistigen Lebens. Läuft es einer Sitte zuwider, was es nur tun kann als ein ihrem Gebiet angehörendes, so ist es ein Akt des Verkehrs, der diesen dadurch schädigt, daß er eine Bedingung seiner Gedeihlichkeit nicht erfüllt. Wie der Grund meines Verhaltens als eines unsittlichen eine Unvollkommenheit

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meines geistigen Lebens ist, so trifft auch ihre Folge dieses. Wie der Grund meines Verstoßes gegen die Sitte meine mangelnde Rücksicht auf das im Gebiete des bestimmten Verkehrs Übliche ist, so ist auch seine Folge eine bezüglich der Teilnahme an diesem Verkehre meinem Leben widerfahrende Hemmung. Je mehr ich die Gesetze eines bestimmten Lebensgebietes befolge, desto mehr wird mein Leben als ein diesem Gebiete angehörendes gefördert. Ebenso ist mein der Rechtsordnung gemäßes oder nicht gemäßes Verhalten eine fehlerfreie oder fehlerhafte Betätigung meiner Teil­ nahme an ihr, die meine Stellung innerhalb derselben fördert oder schädigt. Diese Förderung und Schädigung kann beruhen auf einer Bestimmung der Rechtsordnung, die für den Fall eines be­ stimmten ihr gemäßen oder nicht gemäßen Verhaltens mir be­ stimmte Vorteile oder Nachteile verheißt. Sie erschöpft sich aber nicht in diesen. Auch ein solches dem Rechte gemäßes oder nicht gemäßes Verhalten, das mir nicht von Rechts wegen einen be­ stimmten Vorteil oder Nachteil bringt, wirkt doch ein auf meine Stellung im Rechtsleben. Wenn mir auch meine pünktliche Tilgung meiner Verbindlichkeiten keinen bestimmten rechtlichen Vorteil und meine verzögerte, ungenaue oder ganz unterbleibende Tilgung der­ selben keinen bestimmten Rechtsnachteil bringt, so bekunde ich mich doch dadurch als ein mehr oder weniger dem Rechte gemäß lebender, was mich fördert oder hemmt im Rechtsverkehr, auf den andere sich mit mir um so lieber und unter für mich um so günstigeren Bedingungen einlassen werden, je mehr sie kraft meines bisherigen Verhaltens von mir ein dem Recht gemäßes Verhalten erwarten. Dies gilt insbesondere auch von dem der Beurteilung und Korrektur durch andere entrückten Verhalten der obersten Organe der Rechtsordnung, die ihre Stellung und die durch diese gegebene Förderung ihres Lebens um so mehr stärken oder schwächen, je mehr oder weniger ihr Verhalten dem Rechte gemäß ist und das Gemeinwohl fördert, dessen Förderung ebenso der letzte Zweck jedes Aktes des Gemeinwillens ist, wie überhaupt jeder Willensakt die Förderung des durch ihn betätigten Lebens bezweckt. Im Gegensatze zu den Gesetzen der Sittlichkeit und der Sitte pflegt man die Gesetze des Rechts für solche zu erklären, die nicht nur befolgt werden sollen, sondern befolgt werden

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müssen. Daß dieses Müssen kein unbedingtes, daß rechts­ widriges Verhalten nicht nur möglich, sondern auch nur zu häufig ist, liegt auf der Hand. Notwendig ist das rechts­ gemäße Verhalten nur für die Vermeidung der Folgen des Gegenteils, was ebenso gilt z. B. von einem den Geboten der Sittlichkeit, der Gesundheit und dergl. gemäßen Verhalten. Ich kann nicht mich unsittlich oder gesundheitswidrig verhalten, ohne mich sittlich oder gesundheitlich zu schädigen. Der Satz, daß ich mich dem Rechte gemäß nicht nur verhalten solle, sondern ver­ halten müsse, meint, ich könne mich nicht rechtswidrig verhalten, ohne Folgen zu begründen, die mir mehr schaden, als mir jenes Verhalten nützt, so daß mein rechtswidriges Verhalten unterblieben wäre, wenn ich seine Folgen für mein Leben voll erkannt und be­ herzigt hätte. Dies gilt aber keineswegs stets bezüglich der bestimmten Rechtsfolgen des bestimmten Verhaltens. Es gibt gar manches rechtswidrige Verhalten, das bestimmte Rechtsfolgen überhaupt nicht hat. Und wenn es sie hat, so sind sie möglicherweise für seinen Urheber nach dessen Auffassung entweder überhaupt nicht nachteilig oder doch nicht so nachteilig, daß ihre Kenntnis ihn be­ stimmt, um ihretwillen sich anders zu verhalten. Wem die Unter­ kunft, die er im Gefängnisse findet, mehr bedeutet als die dadurch gegebene Freiheitsberaubung nebst den übrigen ihm nachteiligen Folgen seiner Bestrafung, dem ist die auf sein Verbrechen gesetzte Strafe ein Motiv zu seiner Begehung anstatt zu seiner Unter­ lassung. Wem an der Kränkung oder Schädigung eines anderen mehr liegt als an der Strafe, die er dafür wird leiden müssen, der fühlt keine Nötigung zum gegenteiligen Verhalten. Als solche kann einen Menschen die von ihm erkannte Rechts­ widrigkeit eines Verhaltens nur dann daran hindern, wenn ihm die Geltung des Rechts so wichtig ist, daß für ihn die irgend einem Verhalten durch seine sonstige Beschaffenheit zukommende lebenfördernde Bedeutung überwogen wird durch die jenem wegen seiner Rechtswidrigkeit zukommende lebenhemmende Bedeutung. Wenn daher neben dem Zwangscharakter des Rechts und in Ver­ bindung damit gelehrt wird, für die Bedeutung des dem Rechte gemäßen oder nicht gemäßen Verhaltens sei das Motiv seiner Beobachtung oder die Gesinnung seines Urhebers gleich­

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gültig, so wird nicht nur für das rechtswidrige Verhalten jener Satz widerlegt durch die bezüglich seiner Bestrafung diesem Momente zukommende Bedeutung, sondern es ist auch die grundsätzliche Geltung des Rechts für jeden nur möglich im ©time des für jeden geltenden Grundsatzes, daß an seiner Geltung mehr liegt als an einer durch ihre Beeinträchtigung erkauften Lebensförderung, oder daß die durch sie gegebene Lebensförderung die durch sie gegebene Lebenshemmung überwiegt. Damit ist gegeben die Eigenschaft des Rechts nicht etwa als des höchsten Lebensgutes, aber als eines solchen, dessen Existenz eine unentbehrliche Grundlage der freien Entfaltung des menschlichen Lebens ist, weshalb auch für den durch die bestehende Rechtsordnung in seinem Leben am meisten Ge­ hemmten und am wenigsten Geförderten doch ihre Existenz der Ab­ wesenheit jeder Rechtsordnung vorzuziehen ist. Das menschliche Leben sowohl fördernd als hemmend, ist sie sowohl ein Gut als ein Übel. Sie ist aber ein notwendiges Übel nicht im Sinne eines solchen, dessen Abwesenheit unmöglich wäre, sondern im Sinne eines solchen, dessen Abwesenheit schlimmer wäre als seine Existenz, oder im Sinne eines Dings, das zwar auch ein Übel, aber doch in höherem Maße ein Gut ist. Sobald sich für einen Menschen dieses Verhältnis umkehrt und er grundsätzlich der Geltung der Rechtsordnung für ihn den Ausschluß ihrer Geltung vorzieht, weil er durch diesen sein Leben mehr gefördert und weniger gehemmt glaubt als durch jene, entbehrt das Recht für ihn der Geltung. Steht er auf diesem Standpunkte, so wird er seiner Befolgung sich möglichst entziehen und, soweit er sich ihr nicht entziehen kann, sich dem Recht lediglich als einer ihm überlegenen Macht des äußeren Daseins fügen. Läßt er es aber nicht als ein ihn bindendes gelten, so kann er es auch nicht als ein andere bindendes geltend machen. Die in jeder Geltendmachung des Rechts enthaltene Anerkennung desselben schließt den Versuch, es zu ändern, nicht aus. Eine solche Änderung kann erfolgen nicht nur in Gemäßheit des bis­ herigen Rechts, sondern auch im Widerstreit mit diesem. Erfolgt sie auf dem durch dieses dafür vorgesehenen Wege, so begründet die Geltung des bisherigen Rechts die Geltung der Änderung. Wird sie auf anderem Wege versucht, so ist sie gelungen, wenn sie durch die Tat und Duldung der an ihr aktiv und passiv Be-

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teiligten zu einer nicht nur von jenen begehrten, sondern auch voll diesen bewilligten geworden ist. Die so im Widerspruche mit dem bisherigen Rechte erfolgte Änderung ist aber eine fehlerhafte, und sie stellt nicht nur bis zur Entscheidung über ihr Gelingen oder Scheitern den gegenwärtigen Inhalt des Rechts in Frage, sondern erschüttert auch dessen grundsätzliche Geltung. Seine Geltung ist identisch mit seiner Existenz. Wenn wir von ihr seine tatsächliche Befolgung oder die tatsächliche Bestimmtheit des gegenseitigen Berhaltens der Menschen durch dasselbe unterscheiden, so hat es doch nicht eine von dieser unabhängige Existenz. Es steht mit seiner Geltung wie mit jeder Geltung eines Grundsatzes für unser Verhalten. Ich kann einen Grundsatz nicht wirklich haben, ohne ihn zu befolgen. Unterlasse ich im einzelnen Falle die Befolgung eines Grundsatzes, den ich habe, so ist dies ein Fehler, den ich nicht begangen hätte, wenn sowohl jener Grundsatz als die tat­ sächliche Lage des Falles mit allem, was daraus folgt, mir gegen­ wärtig gewesen wäre. Außerdem ist es möglich, daß ich ihn nicht befolge wegen seiner Kollision mit einem höheren Grundsätze, den ich nicht befolgen kann, ohne jenen zu vernachlässigen. Im Be­ griffe eines Grundsatzes liegt es, daß es keines besonderen Grunds bedarf, um in jedem Falle, auf den er Anwendung leidet, ihn zu befolgen. Im Begriffe eines Grundsatzes liegt es dagegen nicht, daß nicht im einzelnen Falle seine Befolgung ausgeschlossen sein könnte durch ihre Unverträglichkeit mit der Befolgung eines Grund­ satzes von höherer Bedeutung. Vermöge der hohen Bedeutung unserer Gesundheit für unser ganzes Leben vermeiden wir grund­ sätzlich alles ihr Schädliche, können aber doch in den Fall kommen, um eines höheren Gutes willen jenem Grundsätze zuwider zu handeln. Ebenso verhält es sich mit der grundsätzlichen Geltung des Rechts für uns. Der Christ, der im römischen Reiche die von jenem geforderte Anbetung des Kaisers verweigerte, verneinte nicht seine grundsätzliche Geltung. Es ist für jeden eine Frage seines Gewissens, wann für ihn eine der Rechtspflicht vorgehende Pflicht vorliegt, und es ist eine Aufgabe aller an der Gestaltung des Rechts Beteiligten, eine solche Gestaltung desselben herbeizu­ führen, die im Interesse wie der von ihr Betroffenen, so seiner eigenen Geltung möglichst wenig Anlaß zur Entstehung solcher

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Kollisionen gibt. Soweit wir den Geboten des Rechts nicht um einer solchen Kollision willen, sondern deswegen nicht gehorchen, weil entweder ihr Inhalt oder die Lage des Falls uns nicht gegenwärtig ist, liegt eine Ausnahme von der Regel vor, die deren Geltung oder die Eigenschaft ihres Inhaltes als eines von uns regelmäßig befolgten nicht ausschließt. Verhalten wir uns rechtswidrig, weil wir zwar gewöhnt sind, das Recht zu unseren Gunsten geltend zu machen und, was davon unzertrennlich ist, gegen uns gelten zu lassen, aber uns von dem konkreten Verhalten einen solchen Vorteil versprechen, daß wir es trotz seiner von uns erkannten Rechtswidrigkeit beobachten, so haben wir den Grundsatz der Geltung des Rechts für uns nicht einem höheren Grundsätze untergeordnet. Wir haben ihn auch nicht aufgegeben. Wir haben aber seine Befolgung der Befriedigung eines anderen Bedürfnisses hintangesetzt, dessen Befriedigung zu der für unser Verhalten ent­ scheidenden Zeit uns für unser Leben wichtiger schien, als die Geltung des Rechtes. Die Strafe, die rechtswidrigem Verhalten droht, soll seinen Urheber erkennen lassen, daß die Lebensförderung, die er sich von ihm versprach, ausgewogen wird durch die infolge davon ihm wider­ fahrende Lebenshemmung. Und auch ohne drohende Strafe ist die Geltung des Rechts so wichtig für das Leben eines jeden, daß ihre Erschütterung und damit ein eigenes sie erschütterndes Verhalten trotz aller daraus erwachsender Vorteile ihm mehr Hemmung als Förderung seines Lebens verheißt. Für die richtige Entscheidung im Falle des Konfliktes verschiedener Bedürfnisse sind die zwei Hauptgesichtspunkte der Vorzug der umfassenderen, insbesondere der dauernderen Lebensförderung vor der weniger umfassenden und insbesondere der flüchtigeren, und der Vorzug der mit größerer Sicherheit erreichbaren Lebensförderung vor der weniger sicheren, deren Erstrebung in höherem Maße die Gefahr der Verfehlung ihres Zieles und der Schädigung durch diese begründet. Wer sich bewußt rechtswidrig verhält, ohne dadurch einer für ihn der Rechtspflicht vorgehenden Gewissenspflicht zu genügen, schadet sich mehr als er sich nützt. Gleich jedem Rechtsgenossen an der Geltung des Rechts interessiert verhält er sich unsittlich und schadet er sich sittlich wie durch jede nicht um eines höheren

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Grundsatzes willen erfolgte Verletzung eines für sein Leben geltenden Grundsatzes. Er schadet außerdem, wenn wir von unberechenbaren Zufällen absehen, die im Gebiete des äußeren Daseins nicht aus­ zuschließen sind, deren Möglichkeit aber die Lebensführung nicht zu bestimmen verdient, auch seinem äußeren Leben mehr als er ihm nützt. Die Geltung des Rechts, die er durch sein rechts­ widriges Verhalten nicht nur als eine ihm lästige angetastet, sondern auch als eine ihm zugute kommende erschüttert hat, ist ein umfassenderes Gut als der durch ihre Antastung von ihm er­ kaufte Vorteil. Und sie ist das Gut, von dessen Existenz alle anderen Güter abhängen, soweit sie gefährdet sind durch die Ein­ griffe anderer Menschen. Der Mensch existiert nicht nur durch sich selbst und um seiner selbst willen. Die Rechtsgemeinschaft existiert aber über­ haupt nicht durch sich selbst und um ihrer selbst willen. Das Leben des einzelnen erführt durch sein Verhältnis zu anderen und zur Rechtsgemeinschaft sowohl eine Beschränkung als eine Ergänzung. Die Rechtsgemeinschaft hat überhaupt kein eigenes vom Leben der an ihr teilnehmenden Menschen getrenntes Leben. Wäre sie durch ihre Eigenschaft als Subjekt eines für die Rechts­ genossen schlechthin maßgebenden Willens eine Person, so wären die Rechtsgenossen, soweit für sie anstatt des eigenen Willens das Recht maßgebend ist, keine Personen. Der Wille einer Person ist ein integrierender Bestandteil ihres körperlichen und geistigen Lebens. Die Rechtsgemeinschaft hat weder einen eigenen Leib noch eine eigene Seele. Ihr fehlt die Einheit, wie des Körpers, so des Bewußtseins. Wenn der Wille des Menschen durch seine Sinnesempfindungen, Gedanken und Gefühle sich bestimmt und durch seine Taten sich verwirklicht, deren günstige oder ungünstige Folgen das Gefühl der Befriedigung oder Reue u. dgl. begründen, so schreiben wir dem Staate zwar einen eigenen Willen, aber weder eigene Empfindungen, Gedanken und Gefühle, noch eigene Taten zu. Subjekt eigener Handlungen ist er nicht im Sinne realer Taten, sondern nur im Sinne von Willenserklärungen, die maß­ gebend sind für das Verhalten der an ihm teilnehmenden Menschen. Im Gegensatze zu anderen Handlungen ist die Willenserklärung als solche nicht eine Ursache, sondern ein Motiv. Sie ist ein

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solches für das Verhalten einesteils ihres Urhebers gegen ihren Empfänger, andernteils ihres Empfängers gegen ihren Urheber. In der ersten Eigenschaft ist sie eine Verheißung, in der zweiten ein Verlangen. Die Verheißung begründet für ihren Empfänger die Erwartung ihrer Erfüllung, deren Täuschung durch ihren Urheber ein Unrecht desselben gegen jenen ist. Er hat durch ihre Vollziehung versichert, daß ihre Erfüllung eine sowohl von ihm gewollte als ihm mögliche ist, und die Unterlassung ihrer Erfüllung widerspricht der nach seinem Willen ihr zukommenden Bedeutung. Während die Verheißung durch sich selbst bindende Kraft für ihren Urheber hat, so hat das Verlangen bindende Kraft für den dadurch zu einem bestimmten Verhalten aufge­ forderten nur, soweit er entweder dessen Befolgung verheißen hat oder durch dessen Urheber beherrscht wird, so daß es für ihn ein Befehl ist. Dieser schließt in sich die Verheißung der Lebens­ förderung für den Fall seiner Befolgung und der Lebenshemmung für den Fall des Gegenteils, wenngleich sich mit ihm nicht die ausdrückliche Verheißung einer bestimmten Lebensförderung und Lebenshemnmng verbindet. Bedeutet doch überhaupt, daß ich auf bestimmte Weise mich verhalten soll, zwar nicht, daß ich mich nicht anders verhalten könnte, aber daß ich mich nicht anders verhalten kann, ohne dadurch eine Schädigung zu erfahren. Wenn aber Verheißungen und Befehle gleichmäßig zu ihrer Befolgung verpflichten, so besteht doch ein wesentlicher Unterschied zwischen einer lediglich auf der eignen Verheißung und einer auf der Unterwerfung unter fremde Herrschaft beruhenden Pflicht. Die Pflichtverletzung dessen, der dem anderen frei gegenübersteht, berechtigt diesen nicht zu einem die Beseitigung oder Vergütung der erlittenen Verletzung bezweckenden Zwang gegen den Ver­ pflichteten, wogegen dem anderen ein solcher gegen den Ver­ pflichteten als einen seiner Gewalt unterworfenen zusteht. Und was so gilt vermöge der Unterwerfung des Verpflichteten unter den anderen, das gilt auch vermöge ihrer gemeinsamen Unter­ werfung unter fremde im Dienste der Realisierung ihrer rechtlichen Beziehungen stehende Macht mit der Modifikation, daß wegen der nicht dem nach seiner Meinung Berechtigten, sondern Dritten zu­ kommenden Macht der Entscheidung und des Zwangs er solchen

Das Recht.

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nicht gegen den nach seiner Meinung ihm Verpflichteten selbst üben darf, aber als einen durch die Organe des Gemeinwesens nach Maßgabe ihrer Entscheidung über die Existenz seines Rechtes geübten erwirken kann. Nach einer verbreiteten Meinung liegt es im Begriffe des positiven Rechtes, daß sein Inhalt von Rechts wegen zwangsweise durchgesetzt werden kann. Doch gilt dies nur von einem Teile seines Inhaltes. Wir pflegen zu unterscheiden, was wir als Rechtsgenossen einander schulden, was wir der Rechtsgemeinschaft schulden und was uns diese schuldet. Was bedeutet es aber, daß nicht nur den Rechtsgenossen, sondern auch der Rechtsgemeinschaft selbst Rechte und Pflichten gegen uns zukommen? Vermöge der maßgebenden Bedeutung des Gesetzes für das gegenseitige Verhalten der Genossen berechtigt und verpflichtet jedes Gesetz diejenigen Genossen gegeneinander, für die der Tatbestand zutrifft, an den es die Berechtigung und Verpflichtung knüpft. Es können aber auch teils die durch ein Gesetz berechtigten, teils die dadurch ver­ pflichteten Menschen durch seinen Inhalt noch nicht für sich ge­ geben sein, sondern erst in Verbindung mit dem Inhalt anderer Gesetze. Dies gilt insbesondere von den Gesetzen, wonach den Angehörigen der Gemeinschaft bestimmte Rechte oder Pflichten zu­ kommen gegen diese selbst. Was ich dem Staate schulde und was mir der Staat schuldet, das schulde ich den Menschen und schulden mir die Menschen, denen nach der Staatsverfassung in der bestimmten Richtung die Realisierung des Staatswillens zu­ kommt. Zwischen den zwei Fällen der in diesem Sinne der Ge­ meinschaft gegen die Einzelnen und den Einzelnen gegen die Ge­ meinschaft zustehenden Rechte ist aber ein wesentlicher Unterschied. Die Entscheidung darüber, was ich der Gemeinschaft schulde, steht nicht mir, sondern den durch ihre Verfassung dazu berufenen Menschen zu. Die Entscheidung darüber, was sie mir schuldet, steht gleichfalls solchen Menschen zu, die durch ihre Verfassung dazu berufen sind. Und es kommt solchen zu, die Rechte der Gemeinschaft gegen mich zwangsweise durchzusetzen, dagegen nicht mir zu, meine Rechte gegen die Gemeinschaft zwangsweise durch­ zusetzen. Derselben Beschränkung, wie meine Rechte gegen die Gemein­

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schaft, unterliegen die mir gegen andere Angehörige derselben zu­ stehenden Rechte. Da auch bezüglich dieser das Reckt der Ent­ scheidung über ihre Existenz und ihrer zwangsweisen Durchsetzung nicht mir, sondern den durch die Verfassung der Gemeinschaft dazu berufenen Menschen zukommt, so hängen die Rechte der Gemein­ schaft gegen die Einzelnen, der Einzelnen gegen die Gemeinschaft und der Einzelnen gegeneinander1 bezüglich ihrer Realisierung gleichmäßig ab von der Einsicht, dem guten Willen und der Macht der durch die Verfassung der Gemeinschaft dazu berufenen Menschen. Ihre Einsicht und ihr guter Wille hat Bedeutung nicht nur für den Gebrauch, den sie von ihrer Macht machen, sondern auch für deren Existenz. Wenn sie auch gegen ungehorsame Genossen Zwang an­ wenden dürfen, so hätten sie doch im Falle überwiegenden Un­ gehorsams der Genossen keine ausreichendeil Zwangsmittel. Daher ist der wichtigste Teil ihrer Macht ihre Macht über die Gemüter, die um so größer ist, je mehr sie das Vertrauen genießen, daß sie sowohl gewillt sind als es verstehen, das Recht zu wahren und das gemeinsame Wohl möglichst zu fördern.

2. Die Vertretung. Die Rechte der Einzelnen kommen ihnen zu um ihrer selbst willen zum Zwecke der Förderung ihres Lebens. Sie sind nicht rechtlich verpflichtet zu deren Verwendung im Dienste fremden Lebens und begehen durch dessen Hemmung kein Unrecht, wenn sie die Grenze ihres Rechtes nicht überschreiten. Die Rechte der Gemein­ schaft oder ihrer Organe kommen diesen zu im Dienste des Ge­ meinlebens oder des Lebens aller jetzt und in Zukunft an der Gemeinschaft beteiligten Menschen. Diese Stellung derselben will man dadurch ausdrücken, daß man sie als Werkzeuge eines höheren Willens bezeichnet und durch ihre Handlungen die Gemeinschaft handeln läßt. Wenn aber ein absoluter Monarch wie Friedrich der Große sich als Diener seines Staates bezeichnet hat, so hat er nicht im Staate, dessen Herr er war, eine ihm übergeordnete 1 Daran ändert nichts die unter Umständen zulässige Eigenmacht, da im Streitfälle staatlichen Organen die Entscheidung darüber zukommt, ob sie berechtigt war.

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Person gesehen. Er hat aber seine Überzeugung ausgedrückt, daß es ihm von Rechts wegen zukomme, das Wohl der von ihm be­ herrschten Menschen nach Kräften zu fördern. Er war sich bewußt, ihnen diese Förderung zu schulden nach eigenem pflichtmüßigem Ermessen. Hätte das positive Recht den ihm meistens zugeschriebenen Zwangscharakter, so wäre die Befolgung seiner Gebote durch seine Existenz gewährleistet unabhängig von der Macht, der Einsicht und dem guten Willen der an der Rechtsgemeinschaft beteiligten Menschen. Wenn dies aber in gewissem Maße zutrifft für die der zwangsweisen Einwirkung der Organe der Rechtsgemeinschaft ausgesetzten Menschen, so trifft es in keiner Weise zu für ihre obersten, der zwangsweisen Einwirkung anderer entrückten Organe. Wäre der Zwangscharakter dem Rechte wesentlich, so hätte nicht nur der rechtlich unverantwortliche Monarch überhaupt keine Rechtspflicht, sondern auch jedes andere für den Gebrauch, den es von seiner Zuständigkeit macht, nicht verantwortliche Staats­ organ keine Rechtspflicht bezüglich ihres Gebrauchs. Die Rechte der Organe des Gemeinwesens sind durch die diesen obliegende Verpflichtung ihres Gebrauchs zum gemeinen Besten zugleich Pflichten. Soweit ihre Zuständigkeit reicht, sind sie als solche, denen es zukommt, im Interesse aller zu handeln und deren Handlungen alle gelten lassen müssen, Vertreter aller am Gemeinwesen beteiligten Menschen. Mein rechtlicher Vertreter ist, wem es von Rechts wegen zukommt, mein Leben zu fördern. Kommt es jemandem zu, das gemeinsame Leben verschiedener Menschen zu fördern, so hat er, soweit die Bedürfnisse ihres Lebens anstatt zusammenzuhängen einander widerstreiten, den Widerstreit möglichst zu beseitigen, und soweit er sich nicht beseitigen läßt, die weniger wichtige Lebensförderung der wichtigeren hintanzusetzen. Die den Organen des Gemeinwesens obliegende Förderung des gemeinen Lebens schließt in sich die Förderung des Lebens jedes am Gemeinwesen beteiligten Menschen. Fordert die ihnen ob­ liegende Lebensförderung eine Lebenshemmung, so ist diese nicht nur für den unmittelbar Betroffenen, sondern auch für die Ge­ samtheit eine solche, die aber überwogen wird durch die mit ihr verbundene Lebensförderung. Dies gilt nicht nur von dem für die Gesamtheit geopferten Leben oder Lebensgute des Kriegers,

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des Steuerzahlers usw., sondern ebenso von dem zum Zwecke der Bestrafung geopferten Leben oder Lebensgute eines Verbrechers. Mag das gemeine Beste noch so sehr den Untergang oder eine Hemmung seines Lebens als eines dem Gemeinleben schädlichen fordern, so gibt es doch kein Leben, das fremdem Leben aus­ schließlich schädlich und nicht auch nützlich wäre, und erstreckt sich außerdem die Gesamtheit auch auf den Verbrecher selbst, besten Lebenshemmung also auch eine Hemmung des Gesamtlebens ist. Wer immer das Gesamtwohl als ein dem Wohle des Einzelnen vorgehendes auf dessen Kosten wahrzunehmen hat, der hat doch nie dieses unbeachtet zu lassen, sondern stets, wenn jenes mit dessen größerer oder geringerer Beeinträchtigung wahrgenommen werden kann, die geringere vorzuziehen. Die Förderung seines individuellen Lebens pflegt das Recht dem Einzelnen zu überlassen, doch gilt dies nicht in jeder Be­ ziehung. Verlangt es ein bestimmtes, die Gesundheit förderndes Verhalten unabhängig von der etwaigen Schädlichkeit seiner Ver­ nachlässigung für andere, so ist in dieser Beziehung der Grundsatz durchbrochen, daß dem Belieben des Einzelnen die Sorge für sein Wohl überlassen bleibt. Es ist dadurch nichts daran geändert, daß sie ihm zukommt. Es ist aber, was er nach dem Urteile der zuständigen Vertreter der Gesamtheit seiner Gesundheit schuldet, zur Rechtspflicht erhoben, weil jene nicht jedem genügendes Interesse an seiner Gesundheit, genügende Erkenntnis des zu ihrer Förderung Erforderlichen oder genügende Tatkraft zu dessen Aus­ führung zutrauen. Es besteht hier von Rechts wegen dieselbe Ausnahme von der entscheidenden Bedeutung meines eigenen Triebes und meiner eigenen Erkenntnis für mein Verhalten, die für mich auch kraft meiner eigenen Entschließung bestehen kann. Bin ich mir bewußt, an meine Gesundheit und das zu ihrer Förderung Erforderliche nicht genügend zu denken, so kann ich diese Lücke meiner Sorge für mein Leben dadurch ausfüllen, daß ich in der bestimmten Beziehung mich an die Weisung eines anderen halte, dein ich zutraue, daß er mir stets das meiner Gesundheit zuträglichste Verhalten vorschreibt. Wollte ich in jeder Beziehung darauf verzichten, nach eigener durch den eigenen Trieb und die eigene Erkenntnis bestimmter Entscheidung mich zu verhalten, so würde ich die eigne

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Persönlichkeit verleugnen, was aber nicht zutrifft, wenn ich dies nur tue in einer bestimmten Beziehung und zugunsten einer solchen fremden Entscheidung, die wegen der Beschaffenheit ihres Urhebers nach meiner Überzeugung meinem Leben förderlicher ist, als ihm die eigene ohne genügende Einsicht getroffene Entscheidung wäre. Ich bin dadurch ein solcher, der in der bestimmten Beziehung seine Angelegenheiten nicht selbständig besorgt. Daß ich zur Besorgung meiner Angelegenheiten mich fremden Rats bediene, schließt ihre selbständige Besorgung durch mich nicht aus, wenn ich diesen Rat nicht ungeprüft befolge. Wenn ich ihn aber nicht be­ folge wegen seines von mir gebilligten Inhalts, sondern wegen seines Urhebers als eines solchen, dessen wie immer ausfallende Entscheidung in der bestimmten Angelegenheit für mich maßgebend ist, so behandle ich ihn in dieser Sache als meinen Vertreter. So sehr es auch dem Menschen zukommt, sein Leben nach eignem Trieb und eigner Einsicht zu gestalten, so viele Dinge gibt es doch, in denen ihn fremdes Beispiel und fremde Weisung ohne jede eigne Prüfung bestimmt, was eine gewisse Berechtigung schon durch den allgemeinen Wert des Einvernehmens mit anderen hat, aber namentlich dann berechtigt ist, wenn die Persönlichkeit oder Stellung des anderen mir in der bestimmten Beziehung die Unter­ ordnung meiner Lebensführung unter seinen Willen empfiehlt. Dies kann zutreffen wegen seiner Bedeutung für mein durch mein Einvernehmen mit ihm gefördertes, durch das Gegenteil gehemmtes Leben. Es kann aber auch zutreffen wegen meines Zutrauens dazu, daß die Befolgung seines Rates wegen seiner Besorgtheit für mein Wohl und seines Verständnisses für dessen Erfordernisse meinem Wohle förderlicher ist, als was ich für dasselbe kraft eignen Triebes und eigner Einsicht tun könnte. Für jeden gibt es Dinge, die zwar zu seinen Angelegenheiten gehören, die er aber nicht selbst oder doch nicht selbständig besorgt, weil ihm entweder der Trieb dazu fehlt oder er sich die dazu erforderliche Erkenntnis nicht zutraut, so daß er es vorzieht, entweder ihre Besorgung einem anderen, dem er das erforderliche Interesse und die erforderlichen Kenntnisse dafür zutraut, zu überlassen oder doch für seine eigne Besorgung derselben sich an dessen von ihm nicht geprüfte Weisung zu halten. Was so für einen Teil meiner Angelegenheiten gilt kraft Holder, Natürl. u. jurist. Personen.

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meines eigenen jederzeit widerruflichen Entschlusses, das gilt für einen anderen Teil derselben von Rechts wegen. Wie ich, anstatt für meine Gesundheit oder ein anderes Bedürfnis meines Lebens selbständig zu sorgen, teils die Sorge dafür, teils die Entscheidung darüber, wie ich dafür zu sorgen habe, einem anderen übertragen kann, so kann durch die Vertreter der Gesamtheit als solche, die auch mich vertreten, sowohl mir selbst als bestimmten Vertretern der Gesamtheit eine bestimmte Sorge für meine Ge­ sundheit übertragen werden. Soweit sie mir übertragen ist, kommt sie mir als eine solche zu, die mir von Rechts wegen obliegt. Ist sie Vertretern der Gesamtheit übertragen, so ist sie mir abgenommen und kommt sie jenen als solchen zu, die mich vertreten. Ist die Desinfektion eines Wohnraumes im Interesse der Gesundheit seiner Bewohner vorgeschrieben, so kann sie bestimmt sein als eine durch jene oder als eine durch Vertreter der Gesamtheit zu bewirkende. Ihre Bewirkung durch Vertreter der Gesanitheit kann nur sub­ sidiär bestimmt sein für den Fall ihrer unterbliebenen Bewirkung durch jene. Sie kann auch schlechthin bestimmt sein, was nichts daran ändert, daß sie ihnen zukommt als den Vertretern der von ihrer eigenen Bewirkung ausgeschlossenen Bewohner, deren Ge­ sundheit zu sichern ihr Zweck ist. Auch in diesem Falle erfolgt in Ermangelung einer anderen Bestimmung die Desinfektion auf Kosten nicht der Gesamtheit, sondern der Personen, als deren Vertreter die Vertreter der Gesamtheit sie bewirkt haben. Man spricht viel davon, daß die Völker nicht bevormundet oder als unmündig behandelt werden dürften. Eine gewisse Be­ vormundung enthält aber jede Rechtsbestimmung, die irgend etwas vorschreibt unabhängig vom Belieben dessen, in dessen Interesse es vorgeschrieben ist. Es gilt nicht ausnahmslos, daß von Rechts wegen jedem die Sorge für sein Wohl überlassen bleibt. Aller­ dings aber gilt der Grundsatz, daß die Sorge für das Wohl des Einzelnen vor allem seine Sache ist und die Sorge der Gesamtheit dafür nicht ohne besondere Gründe platzgreift. Sie kann platz­ greifen als mittelbare durch die dem Einzelnen erteilte Vorschrift, auf bestimmte Weise für sich zu sorgen, und als unmittelbare, indem ihm die Gesamtheit eine bestimmte Sorge durch deren Übertragung auf ihre Vertreter abnimmt. Der erste Fall tritt

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namentlich ein, wenn nach dem Urteil der Vertreter der Gesamt­ heit nicht jedem die zur Befriedigung eines dringenden Lebens­ bedürfnisses unerläßliche Einsicht zuzutrauen ist. Das bezüglich derselben ihm auferlegte Verhalten ist ein bindender Rat. Die Befolgung einer Vorschrift, die ein in meiner eigenen Sache mir erteilter Rat ist, kann ich nicht einem anderen um seinetwegen schulden; ich kann sie aber von Rechts wegen schulden als etwas, das ich nach dem dafür maßgebenden Urteile der Vertreter der Gesamtheit mir selbst schulde. Ist ein bestimmtes Verhalten in eigener Sache mir von Rechts wegen vorgeschrieben, ohne daß ich für seine Vernachlässigung verantwortlich bin, so habe ich durch diese lediglich etwas unterlassen, was ich mir selbst schuldete. Daß ich dieses Verhalten von Rechts wegen schuldete, bedeutet zwar keine bestimmte Rechtsfolge seiner Vernachlässigung, ist aber doch nicht ohne Bedeutung; der Schaden, den ich etwa mir dadurch zugefügt habe, ist eine Folge meines rechtswidrigen Verhaltens. Ter Fall, daß die Gesamtheit dem Einzelnen eine bestimmte Sorge in eigener Sache durch deren Übertragung auf ihre Vertreter ab­ nimmt, tritt namentlich ein, wenn die Schultern der Einzelnen zu schwach sind, um sie zu tragen, und auch auf ihre freiwillige Vereinigung zu deren gemeinsamer Tragung nicht mit genügender Sicherheit gerechnet werden kann. Daß die Sorge des Einzelnen für sich selbst von Rechts wegen ihm abgenommen und Vertretern der Gesamtheit tibertragen ist, trifft für den voll und normal entwickelten Menschen nur in be­ stimmten Beziehungen zu. Es gibt aber Menschen, denen von Rechts wegen die Sorge für ihr Leben überhaupt nicht zukommt, weil sie anderen Menschen als ihren Vertretern zukommt. Der Grund dafür liegt teils in einer Beziehung ihres Lebens zu fremdem Leben, teils in der eigenen Beschaffenheit ihres Lebens. Nach römischem Rechte galt das Leben des Hauskindes über­ haupt nicht als ein selbständiges neben dem Leben des Hausvaters oder Hausherrn, sondern als ein Bestandteil seines Lebens. Die Sorge für das Hauskind kam daher rechtlich dem Hausherrn zu als ein Teil der Sorge für sich selbst und damit als eine Sache nicht seiner Verpflichtung, sondern seines Beliebens. Auch der römische Vater hatte Pflichten gegen seine Kinder, die aber nicht 7*

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Rechtspflichten waren. Was er ihnen schuldete, war ein Teil dessen, was er sich selbst schuldete; die Schädigung ihres Lebens war eine Schädigung seines Lebens. Privatrechtlich dem Vater schlechthin untertan stand ihm der Haussohn in publicis causis gleich (1. 9 D. de bis qui sui 1, 0). Schloß das Leben des Haus­ vaters das Leben seines Kindes in sich, so gehört doch das Leben des Mannes nicht nur ihm selbst, sondern auch der Gesamtheit. Es gehört ihm selbst und damit als Bestandteil des Lebens seines Vaters diesem nur insoweit, als es nicht der Gesamtheit gehört, in deren Dienst er Macht haben kann über den eigenen Vater als einen gleich ihm ihr angehörenden und ihren Vertretern, daher auch ihm selbst, soweit er ein solcher ist, Untertanen. Daher konnte der Haussohn von Staats wegen Gewalt über den Vater haben, in dessen privater Gewalt er stand. Im Gegensatz zur römischen väterlichen Gewalt auf der einen und zur Vormundschaft auf der anderen Seite, hat unsere elterliche Gewalt einen gemischten Charakter. Sie besteht vorwiegend um des Kindes willen, durch dessen Volljährigkeit sie erlischt als eine solche, die für dasselbe kein Bedürfnis mehr ist. Sie steht aber auch ihrem Subjekte zu um seiner selbst willen. Das Recht ge­ währt mir die elterliche Gewalt über meine Kinder in Anerkennung des Interesses, das ich als Vater daran habe, daß, solange mein Kind der Selbständigkeit nicht fähig ist, die Sorge für dasselbe mir zukomme. Weder der Natur der Sache gemäß noch praktisch ist es, daß durch die Volljährigkeit die elterliche Gewalt auch dann erlischt, wenn trotz jener das Kind der Selbständigkeit unfähig bleibt. Ist doch die wesentliche Bedeutung der Volljährigkeit die durch sie gegebene volle Geschäfts- und Verfügungsfähigkeit, die trotz jener ausbleibt, wenn sie ein anderer Grund ausschließt. Ist mein Kind geisteskrank, so ändert sich, sollte man denken, durch sein an seiner rechtlichen Unfähigkeit, selbst für sich zu sorgen, nichts änderndes Alter nichts an der durch meine Eigenschaft als Vater mir zukommenden Sorge für sein Leben. Warum soll sie mir von jetzt an nicht mehr als Vater, sondern nur noch als ge­ richtlich bestelltem Vormund zukommen? Und warum soll mit der elterlichen Verwaltung des Kindesvermögens nicht mehr, wie bis­ her, seine elterliche Nutznießung sich verbinden? Auch sonst kann

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die Teilnahme des Kindes am elterlichen Hausstande seine Voll­ jährigkeit überdauern, und es ist in diesem Falle das Natürliche, daß, wie das Kind an diesem nach wie vor teilnimmt, ohne eine Vergütung dafür zu schulden, so dem Haupte dieses Hausstands nach wie vor die Nutznießung des in seiner Verwaltung verbliebenen Kindesvermögens zukommt. Das Bürgerliche Gesetzbuch bestimmt in § 1619 die Möglichkeit dieser Behandlung für den Fall eines im elterlichen Hausstand verbleibenden und sein Vermögen in elterlicher Verwaltung lassenden Kindes. Dagegen besteht sie nicht für den Fall eines solcher Überlassung nicht fähigen Kindes. Damit ist im Gegensatze zum gemeinen Rechte, nach dem die Gewalt erst durch die dem Geschäftsunfähigen nicht mögliche separata oeconomia erlosch, eine ebenso überflüssige wie schäd­ liche Verwicklung entstanden. Sonst verblieb ein geisteskrankes, volljährig gewordenes Kind, wie im Hausstande, so in der Gewalt seines Vaters, und einer Entmündigung desselben bedurfte es nicht. Jetzt hat ohne diese der Vater, abgesehen von der für Geisteskranke illusorischen Dienstpflicht des von den Eltern unter­ haltenen Kindes nach § 1617, keinerlei Recht weder an der Person noch am Vermögen des Kindes, namentlich auch nicht das Recht des § 1632, die Herausgabe des Kindes von dritten zu verlangen. Ist sodann die Entmündigung erfolgt und er zum Vormunde be­ stellt, so kommt ihm nun die Sorge für die Person und das Vermögen seines Kindes wieder von Rechts wegen zu. Lebt er aber, wie es das Natürlichste ist, mit ihm als einem Gliede seines Hausstandes zusammen, so muß er dessen Kosten, was wegen seiner Einheit nicht ohne Willkür möglich ist, einteilen in solche, die er für sich, und solche, die er für das Kind aufgewendet hat. Während nach § 1619 das dem Vater gegenüber sich seiner durch seine Volljährigkeit eingetretenen Selbständigkeit nicht bedienende Kind ein solches ist, dessen Leben sowohl auf des Vaters Kosten erfolgt als durch die Nutzungen seines Vermögens dem Vater Früchte trägt, so ist dies ausgeschlossen bezüglich des der Selb­ ständigkeit nicht fähigeu Kindes. Vielleicht hatte es noch während seiner Minderjährigkeit von einem Freunde seines Vaters, der damit zugleich diesem Gutes zu tun gedachte, ein großes Ver­ mögen geerbt, dessen Zinsen dem Vater gestatteten, mit seinem

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Kinde sehr reichlich zu leben. Ist dieses volljährig geworden und gestattet dem Vater sein eigenes Einkommen nur ein karges Leben, so darf er nicht seinen Hausstand als einen ihm mit seinem Kinde gemeinsamen in der bisherigen Weise fortsetzen. Vielmehr hat er nur die Wahl, entweder sein Kind reichlich leben zu lassen und selbst kärglich zu leben oder, wenn er auf die Einheit seines Hausstandes als eines solchen hält, an dem sein Kind teilnimmt, diesen nicht üppiger zu gestalten, als ihm das eigene Einkommen gestattet, und die dadurch ersparten Einkünfte des Kindes zum Kapital zu schlagen. Und das alles, obgleich die Admassierung für das bezüglich der Befriedigung seiner Bedürfnisse reichlich gesicherte Kind keinen Wert hat und, falls es vor ihm stirbt, er selbst dessen Erbe sein wird. Das Bürgerliche Gesetzbuch bezeichnet als Kern, wie der elterlichen Gewalt, so der Vormundschaft und Pflegschaft, die ihrem Subjekt zustehende Sorge für ihr Objekt. Sie ist eine solche, die dem Gewalthaber, Vormund und Pfleger nicht nur zusteht, sondern auch obliegt. Sie kommt ihm stets zu um ihres Objektes willen, aber dem Gewalthaber auch um seiner selbst willen. Daher ist die Vormundschaft ausschließlich, dagegen die elterliche Gewalt unseres Rechtes im Gegensatze zur römischen patria potestas zwar auch, aber nicht nur ein Amt; denn ein Amt ist jede ihrem Subjekte nicht mit seiner selbst willen zukommende und daher mit der Pflicht ihrer Verwendung zu dem Zwecke, um dessen willen sie besteht, verbundene rechtliche Macht. Wie dem Vormunde die Sorge für den Mündel ausschließlich um des Mündels willen, dagegen den Eltern die Sorge für ihre Kinder zugleich um ihrer selbst willen zukommt, so besteht tut Staatsrechte die gleiche Verschiedenheit zwischen einem Btonarchen und einem republikanischen Magistrate. Die Stellung öes einen wie des anderen ist sowohl Herrschaft über die Staatsangehörigen als Sorge für die Staatsangehörigen. Gleich diesem kann jenem eine beschränkte Herrschaft zukommen, und gleich jenem kann dieser unverantwortlich sein. Die Monarchie geht aber aus vom Stand­ punkte nicht sowohl der Unterordnung des Interesses des Monarchen unter das Gesamtinteresse als seiner Identität mit diesem. Da das Gesamtinteresse sich nicht aus die Dauer eines individuellen

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Lebens beschränkt, so kann mit ihm das Interesse des Monarchen nur zusammenfallen als ein solches, für das gleichfalls diese Be­ schränkung nicht besteht, was in sich schließt, daß der Person des Monarchen bestimmende Bedeutung über die Zeit seines Lebens hinaus zukommt. Wie mein Eigentum darin gipfelt, daß es noch bestimmend ist für das Schicksal meiner Sache nach meinem Tode als einer solchen, die nun zufällt den durch meinen Willen be­ stimmten oder anderen mit mir zusammenhängenden Personen, so ist die Person des Monarchen auch nach seinem Tode bestimmend dafür, auf wen nun die Staatsgewalt übergeht, sei es durch die dafür maßgebende Bedeutung seines Willens oder durch eine andere dafür maßgebende Beziehung des nunmehrigen zum bis­ herigen Monarchen. Auf dessen Gewalt gründet sich in beiden Fällen die Gewalt seines Nachfolgers. Sie entsteht nicht durch sogenannte successio ex pacto ac providentia maiorum als eine sich auf eine andere Quelle gründende und nur durch das Recht des Vorgängers auf dessen Dauer ausgeschlossene. Durch die Verfassung des Staates bestehend kann die Thronfolgeordnung jederzeit durch Änderung der Staatsverfassung geändert werden. Mag die Entstehung der Thronfolgeordnung, durch die der Nach­ folger eintritt, noch so weit jenseits der Regierung seines Vor­ gängers liegen, so würde sie doch nicht bestehen, wenn sie unter dessen Regierung durch eine von ihm herbeigeführte Verfassungsänderung aufgehoben worden wäre, wofür es keinen Unterschied macht, ob er diese Verfassungsänderung als unbeschränkter Monarch für sich oder als beschränkter Monarch nur mit Zustimmung anderer Staatsorgane hätte bewirken können. Mein Vermögen kann ich, soweit ich nicht vor meinem Tode es vernichte,- bestimmten Per­ sonen als meinen gesetzlichen Erben hinterlassen müssen, weil das der Aufhebung durch meinen Willen unzugängliche Gesetz mir nicht die Möglichkeit anderer Bestimmung gewährt. Für den Monarchen besteht dagegen stets die Möglichkeit, eine Änderung der Staatsverfassung unter den dafür verfassungsmäßig bestehenden Bedingungen herbeizuführen und dadurch die Staatsgewalt einem anderen Nachfolger zu hinterlassen als dem durch die bisherige Staatsverfassung bestimmten. Die einem Menschen von Amts wegen zukommende Sorge für

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andere ist Vertretung, aber nicht notwendig Stellvertretung. Dieses Wort hat wieder verschiedene Bedeutungen. Der Stell­ vertreter eines anderen steht anstatt desselben nicht an der Stelle, an der dieser steht, denn an einer Stelle kann zu bestimmter Zeit nur einer stehen, aber an der Stelle, an der dieser stehen würde, wenn er nicht aus einem bestimmten Grunde sie nicht einnähme. Der Stellvertreter nimmt sie ein als eine zurzeit durch den Ver­ tretenen nicht besetzte, für die deshalb die Möglichkeit und das Bedürfnis ihrer anderweitigen Besetzung besteht. Er nimmt sie nicht mehr ein, wenn der Grund wegfällt, wegen dessen der andere sie nicht einnimmt. Betrifft die Stellvertretung nicht eine private Angelegenheit des anderen, so bedeutet jene Bezeichnung nur den Anlaß und den mit dessen Wegfall eintretenden Wegfall der dem Stellvertreter zukommenden Funktion, dagegen weder eine Be­ deutung der Person des anderen für diese Funktion noch eine Bedeutung dieser Funktion für dessen Person. Als dem Stell­ vertreter eines Richters oder Beamten kommen mir die Ver­ richtungen zu, die ohne einen ihre Vollziehung durch ihn aus­ schließenden Grund ihm zukämen. Die Verrichtungen des be­ stimmten Amtes kommen mir aber in derselben Weise zu wie jedem Träger desselben und weder als solche, die ich im Sinne des von mir vertretenen Amtsträgers zu vollziehen hätte, noch als solche, die ich vollziehe mit Wirkung für ihn. Ich bin nicht sein Vertreter im Sinne eines solchen, dessen Tätigkeit ihren Grund und Zweck seinem Leben entnimmt. Bin ich dagegen der Stell­ vertreter eines anderen in seinen privaten Angelegenheiten, so bezieht sich der Zweck meines Handelns auf sein Leben, dem daher auch dessen Gründe zu entnehmen sind. Als sein Vertreter handle ich nicht nur mit derselben Wirkung, wie wenn er selbst handeln würde, sondern ich handle auch im Dienste seines Wohles. Diese Seite der privatrechtlichen Stellvertretung pflegt nicht betont zu werden, weil die Geltung der vom Stellvertreter innerhalb der Grenzen seiner Vertretungsmacht vollzogenen Handlung un­ abhängig davon ist, ob sie das Wohl des Vertretenen fördert oder vielmehr schädigt. Was aber so vom Stellvertreter gilt, das gilt ebenso von jedem Träger eines Amtes, daß die Geltung einer innerhalb seiner Zuständigkeit von ihm vollzogenen Handlung un­

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abhängig davon ist, ob sie die Zwecke, um deren willen das Amt besteht, fördert oder schädigt. Im allgemeinen Begriffe der Stellvertretung liegt kein anderes Verhältnis des Vertreters zum Vertretenen, als daß jener diesen ersetzt oder die Lücke ausfüllt, die dadurch gegeben ist, daß dieser nicht an der bestimmten Stelle steht. Hiefür ist nicht erforderlich die Existenz einer bestimmten durch den Stellvertreter vertretenen Person. Es ist gleichermaßen Stellvertretung, wenn ich ein Amt versehe, weil sein Träger an seiner Wahrnehmung verhindert ist oder weil es einen solchen zurzeit nicht hat. Daß meine Handlung dieselbe rechtliche Wirkung hat wie dessen Handlung, versteht sich von selbst, weil die rechtliche Wirkung der Amtshandlung un­ abhängig ist von der Individualität des Amtsträgers. Anders steht es im Falle der privatrechtlichen Stellvertretung. Da der Privatrechtsakt Wirkungen speziell für seinen Urheber zu haben pflegt, so kann er als Akt eines Stellvertreters dieselbe Wirkung wie ein Akt des Vertretenen nur haben, indem er Wirkung für diesen hat. Wie die Handlung, die ich für mich vollziehe, ein Akt der Sorge für mich ist, so ist die Handlung, die ich für einen anderen als dessen Vertreter vollziehe, ein Akt der Sorge für diesen. Wie aber die Stellvertretung nicht immer eine Vertretung in diesem Sinne ist, so ist die Vertretung in diesem Sinne nicht immer Stellvertretung. Das Bürgerliche Gesetzbuch spricht von Vertretung ausschließlich im Sinne der Stellvertretung; dagegen gebraucht es die Bezeichnung des Ver­ treters nicht ausschließlich im Sinne des Stellvertreters, dessen Stellung sich auf die Vollziehung von Rechtsakten im Namen des Vertretenen beschränkt, während der gesetzliche Vertreter des Bürgerlichen Gesetzbuchs auch durch Rechtsakte in eigenem Namen, sowie durch Handlungen, die überhaupt nicht Rechtsakte sind, als solcher auftritt. Der Begriff der Vertretung schließt nicht aus, daß sie auf den eigenen Willen des Vertretenen zurückgeht. Mit Unrecht hat man aber in diesem Fall ihren Normalfall und im Vertreter einen solchen gesehen, durch den der Vertretene selbst handle. Soweit ich selbst handle und dabei nur der Hilfe eines anderen mich be­ diene, ist dieser lediglich mein Gehilfe, wogegen mein Vertreter

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für mich handelt als ein solcher, der sein Leben betätigt zum Zwecke der Förderung meines Lebens. Ein anderer ist insoweit von Rechts wegen mein Vertreter, als ihm von Rechts wegen die Sorge für mich zukommt. Die einem Menschen zustehende Sorge für einen anderen ist ein Kunstausdruck des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Es bezeichnet sie in bestimmten Fällen als eine dessen Vertretung umfassende, in anderen als eine diese nicht in sich schließende. Es erkennt dadurch an, daß die Ver­ tretung int Sinne der Stellvertretung, in dem es dieses Wort aus­ schließlich gebraucht, ein Akt der Sorge für den Vertretenen ist. Für diese Sorge als solche gebraucht es nicht die Bezeichnung der Vertretung. Wollen wir aber das Verhältnis dessen, dem die Sorge für einen anderen zukommt, zu diesem mit einem Worte bezeichnen, so bietet sich uns dafür kein anderer Name dar als der des Vertreters. Wenn das Gesetz der ehelichen Mutter neben dem Vater und der unehelichen schlechthin die Sorge für die Person ihres Kindes zuerkennt, aber dessen Vertretung aberkennt, so er­ klärt sie es für einen Vertreter, aber nur für einen solchen Ver­ treter ihres Kindes, der nicht Stellvertreter ist. Wäre der gesetzliche Vertreter ein solcher nur als Stellvertreter, so könnte nicht die Rede sein von seiner Zustimmung zu Handlungen des Vertretenen, deren Auffassung als eines Aktes der Stellvertretung oder des Handelns im Namen des Vertretenen geradezu widersinnig wäre. Ebenso spricht das Gesetz in § 31 von verfassungsmäßig berufenen Vertretern einer juristischen Person keineswegs nur als solchen, die in deren Namen handeln. Es läßt diese haften für den von jenen in Aus­ führung der ihnen zustehenden Verrichtungen gestifteten Schaden; unstreitig beschränkt sich aber die Bezeichnung der Verrichtungen nicht auf Rechtsakte, die allein in fremdem Namen vollzogen werden können. Auch hier ist also der Vertreter keineswegs notwendig ein Stellvertreter. Die Stellung des Vertreters als eines solchen, dem die Sorge oder eine bestimmte Sorge für den Vertretenen zukommt, ist sowohl Macht als Pflicht. Bezüglich des Stellvertreters pflegt man aus­ schließlich die Vertretungsmacht zu betonen. Wenn er aber auch von dieser unbeschadet der Geltung seiner Handlung einen be­ liebigen Gebrauch machen kann, so ist es doch seine Pflicht, davon

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Gebrauch zu machen nicht zum Schaden sondern zum Besten des Vertretenen. Der Annahme dieser Pflicht steht nicht entgegen die Unabhängigkeit der Vertretungsmacht vom Willen des mit ihr aus­ gestatteten, dem doch eine Pflicht dtirch die einseitige ihm Ver­ tretungsmacht erteilende Erklärung eines anderen nicht auferlegt werde» kann. Diese Erklärung befähigt ihn nur zu dessen Ver­ tretung. Wer Vollmacht hat, mein Haus zu verkaufen, ohne zu­ gleich den Auftrag dazu übernommen zu haben, dem steht es frei, dies zu tun oder nicht zu tun; wenn er es aber tut, verkauft er das Haus als ein solcher, der mein Interesse wahrnimmt, und be­ geht, soweit er diesem zuwiderhandelt, ein Unrecht gegen mich. Eine Macht hat der Vertreter nicht nur dritten gegenüber, sondern insbesondere über den Vertretenen. Auch dieses Moment tritt bei der durch dessen Vollmacht ermöglichten Vertretung in den Hintergrund durch die regelmäßige Widerruflichkeit jener. Es wird aber dadurch nicht ausgeschlossen. Ist sie auch widerruflich, so er­ lischt doch die von mir erteilte Vollmacht nicht schon dann, wenn ich ihre fernere Existenz nicht mehr will. Solange die Vollmacht besteht, ist der Bevollmächtigte auch gegen meinen Willen in der Lage, als mein Vertreter in mein Leben eingreifen zu können. Daß eine bestimmte Sorge für nlich meinem Vertreter zukommt, bedeutet zugleich, daß sie mir selbst nicht oder nur mit dessen Zustimmung zukommt. Wenn ich meinem Freunde Vollmacht gebe, mein Haus zu verkaufen, so ist der dadurch kundgegebene Verzicht auf den eigenen Verkauf ohne rechtliche Geltung, weil ich auf die Mög­ lichkeit, in eigener Sache zu handeln, nicht rechtsgültig verzichten kann. Doch bedeutet meine Bestellung eines anderen zu meinem Vertreter in einer bestimmten Sache, daß, solange ich nicht meinen Willen ändere, deren Erledigung dem anderen zukommt, anstatt, wie sonst die Erledigung meiner Angelegenheiten, mir selbst zuzu­ kommen, und es steht damit in Widerspruch, wenn ich jene An­ gelegenheit selbst erledige, ohne die dem anderen erteilte Vollmacht zurückgezogen zu haben. Daß durch die mir zukommende Vertretung eines anderen es mir und daher auf deren Dauer nicht dem anderen selbst zukommt, die mir anvertraute Angelegenheit desselben zu besorgen, tritt deutlich hervor im Falle des sogenannten gesetzlichen Vertreters. Einen

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solchen erhält namentlich, wer nicht selbst für sich sorgen kann. Dagegen war nach römischem Rechte der minor viginti quinque annis, wenn er einen curator hatte, von der eigenen Verwaltung seines Vermögens dadurch ausgeschlossen, daß sie seinem curator zukam. Für die Pflegschaft des § 1910 BGB. nimmt man an, sie schließe den Pflegling nicht von der eigenen Besorgung der An­ gelegenheiten aus, deren Besorgung dem Pfleger zukommt. Ist aber z. B. mit der dem Pfleger übertragenen Vermögensverwaltung die freie Verfügung des Pfleglings vereinbar? Soll dieser, so lange jene besteht und er ihre Aufhebung nicht beantragt hat, gegen den Pfleger auf Herausgabe seiner in dessen Besitz befind­ lichen Sachen klagen können? Wenn ihm der Pfleger bestellt ist, weil er seine Angelegenheiten oder die bestimmte Angelegenheit „nicht zu besorgen vermag", was er durch seinen Antrag auf Be­ stellung des Pflegers bekundet hat, soll er dann gleichzeitig sowohl ein solcher sein, der aus jenem Grunde einen Pfleger hat, als ein solcher, der trotzdem die von diesem wahrzunehmenden Angelegen­ heiten selbständig „zu besorgen vermag" ? Hat er nicht durch die Erbittung des Pflegers für die Dauer der Pflegschaft, deren Auf­ hebung er ja jederzeit erwirken kann, auf die selbständige Be­ sorgung jener Angelegenheit verzichtet? Und ist nicht dieser Ver­ zicht im Gegensatz zu sonstigem Verzichte auf die Möglichkeit rechtsgültigen Handelns rechtswirksam? Soll, wenn er zu einer ihm ungünstigen Handlung in einer Angelegenheit beschwatzt wurde, für die er als ein solcher, der sie nicht zu besorgen vermag, einen Pfleger erhalten hat, sowohl er selbst als dieser die Handlung gelten lassen müssen, wenn nicht gerade ein Irrtum über den In­ halt oder eine rechtswidrige Täuschung vorlag? Soll nicht nach dem von mir kundgegebenen und durch die Anordnung der Pfleg­ schaft zu rechtlicher Geltung erhobenen Willen mir dadurch, daß die Verwaltung meines Vermögens mir wegen meiner Gebrechlichkeit abgenommen wird, Schutz zuteil werden gegen die nachteiligen Folgen eines von mir in den Angelegenheiten meines Vermögens getanen falschen Schritts? Und soll im Falle eines wegen der mit dem Pflegling nicht möglichen Verständigung ohne dessen An­ trag bestellten Pflegers eine dem Pflegling durch einen dritten ent­ lockte Übergabe oder Zusage ein rechtsgültiger Veräußerungs- oder

Die Vertretung.

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Verpflichtungsakt sein? Ein ganz anderer ist z. B. der Fall des Abwesenheitspflegers, dem die Sorge für das Vermögen des Ab­ wesenden nur insoweit zukommt, als dieser durch seine Abwesenheit an der eigenen Sorge verhindert ist. Das Wesen der Vertretung als einer solchen, die sowohl Macht als Pflicht ist, trifft das Wort des römischen Juristen Servius Sulpicius, der die tutela bestimmt als eine vis ac potestas in capite libero zum Zwecke der tuitio ihres Objekts. Vermöge dieses ihres Zwecks ist sie gleich jeder amtlichen potestas zugleich officium. Nur dann, wenn eine potestas ihrem Subjekte nicht um seiner selbst willen, sondern um ihres Objekts willen zusteht und daher zugleich officium ist, kann ihr Objekt ein caput liberum sein. Daher ist ein solches nicht das römische Haus­ kind gegenüber dem pater familias, aber der Mündel gegenüber dem Vormunde und ebenso der Bürger gegenüber dem magistratus. Dessen potestas ist nicht der potestas des pater familias, sondern der potestas des Vormunds analog. Während aber das Amt des Vormunds im Dienste eines individuellen Lebens steht, so steht das Amt des magistratus im Dienste des Gemeinlebens, hat daher individuelles Leben nach Maßgabe seines verschiedenen Verhältnisses zu jenem ebenso sehr zu hemmen wie zu fördern. Den Staats­ organen kommt es zu, die Staatsangelegenheiten wahrzunehmen als gemeinsame Angelegenheiten aller am Staate beteiligten Menschen. Dies gilt insbesondere auch von den Gerichten. Der Strafrichter hat als Vertreter der Gesamtheit, zu der auch der eines Ver­ brechens Verdächtige gehört, durch sein Verfahren und seine Ent­ scheidung nicht nur das Interesse an der Bestrafung des Schuldigen, sondern auch das Interesse an der Befreiung des Unschuldigen von dem auf ihm lastenden Verdachte als ein für alle und insbesondere für jenen selbst bestehendes wahrzunehmen. Jedes Staatsorgan hat das Interesse aller am Staate Beteiligten und insbesondere des an der bestimmten Angelegenheit näher Beteiligten nur wahrzu­ nehmen innerhalb der Grenzen seiner Zuständigkeit; es hat aber, soweit es in seinem Ermessen steht, von ihr Gebrauch zu machen oder nicht Gebrauch zu machen, nicht einseitig das Interesse der an ihrem Gebrauche Interessierten wahrzunehmen. Der Staats­ anwalt handelt seiner Amtspflicht nicht nur dadurch zuwider, daß

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Die rechtliche Persönlichkeit des Menschen.

er die Erhebung einer Anklage trotz hinreichenden Verdachts unter­ läßt, sondern auch dadurch, daß er ohne einen solchen Anklage er­ hebt, und er begeht dadurch ein Unrecht gegen beit von ihm grundlos Angeklagten, dessen Interesse, nicht grundlos angeklagt zu werden, er ebenso wahrzunehmen hat wie das Interesse an seiner Anklage als eines Verdächtigen. Der Zivilrichter hat bezüglich des Gegenstands seiner Entscheidung das Interesse der Geltung des Rechts wahrzunehmen als ein gemeinsames Interesse des Klägers und des Beklagten, daher sowohl das Interesse des einen an der Anerkennung des von ihm geltend gemachten Rechts als eines bestehenden wie das Interesse des anderen an seiner Ab­ erkennung als eines nicht bestehenden. Das Verhältnis ist nicht grundsätzlich anders als das Verhältnis eines solchen, der im gemeinsamen Interesse zweier Freunde als ihr Schiedsrichter tätig ist und den ihren Vertreter zu nennen niemand Bedenken trägt. Gleich jeder durch die zuständigen Organe der Gemeinschaft ergangenen Entscheidung hat das durch der Bestimmung ent­ standene Gesetz für die durch seinen Inhalt berührten An­ gehörigen der Gemeinschaft dieselbe Geltung, wie wenn sie es ver­ einbart hätten. Wäre das Gesetz ein Befehl des Staates als einer die Staats­ angehörigen beherrschenden Person, so wäre jedes seiner Vorschrift nicht gemäße Verhalten ein Ungehorsam gegen jenen Befehl. Besteht dagegen traft gesetzlicher Bestimmung unter bestimmten Umständen z. B. ein privates Schuldverhältnis, so wird die Leistung viel­ mehr dem Gläubiger und nur ihm geschuldet. Dieser Widerspruch gegen die Eigenschaft des Gesetzes als eines staatlichen Befehles, dessen Befolgung dem Staate geschuldet wird, läßt sich nicht be­ seitigen durch Wind scheids Wendung, die Rechtsordnung habe ihren „Befehl demjenigen, zu dessen Gunsten sie ihn erlassen hat, zur freien Verfügung hingegeben" und dadurch „zu seinem Befehl gemacht" (Lehrb. d. Pand. R. S. 37). Einen Befehl, den ich er­ lasse in dem Sinn, daß er nicht als mein Befehl, sondern als Befehl eines anderen gilt, habe ich erlassen als dessen Vertreter. Aus der Eigenschaft der Staatsorgane als solcher, die innerhalb ihrer Zuständigkeit alle am Staate beteiligten Menschen vertreten, folgt nicht, daß sie durch jede Amtshandlung jeden vertreten.

Die doppelte rechtliche Bedeutung des Begriffs der Person.

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Durch die zwischen zwei Parteien ergangene Entscheidung vertritt der Richter nur jene, weshalb seine Entscheidung keine Rechtskraft hat für dritte. Durch die Normierung eines Privatrechtsver­ hältnisses vertreten die sie vollziehenden Menschen diejenigen, für deren gegenseitiges Verhältnis jene Normierung durch ihren Inhalt gelten wird. Am deutlichsten zeigt sich dies bei der gesetzlichen Bestimmuitg des Inhalts eines Rechtsgeschäftes. Sind Rechts­ geschäfte bestimmter Art zwischen uns häufig, so können wir in den Fall kommen, zum voraus zu vereinbaren, daß ihnen in Er­ mangelung einer im einzelnen getroffenen Vereinbarung ein be­ stimmter Inhalt zukommen wird. Genau dieselbe Bedeutung hat die gesetzliche Bestimmung über den bestimmten Rechtsgeschäften in Ermanglung einer anderen privaten Bestimmung zukommenden Inhalt. Daß für Privatrechtsverhältnisse der Willenserklärung der Beteiligten eine andere Rolle zukommt als anderen Tatsachen, konnte man nie verkennen. Wer nicht nur die bestimmte Be­ grenzung, sondern die ganze Existenz ihrer Geltung auf das Gesetz zurückführt, übersieht nicht nur, daß dieses selbst eine Willens­ erklärung ist und deren rechtliche Bedeutung voraussetzt, sondern auch, daß die Eigenschaft des Gesetzes, privatrechtliche Wirkungen zu begründen, nicht zu verstehen ist ohne die Eigenschaft seiner Urheber, im Dienste des individuellen Lebens der Rechtsgenossen zu stehen und durch die privatrechtlichen Bestimmungen, die sie für einen bestimmten Fall treffen, diejenigen Rechtsgenossen zu vertreten, für die er eintreten wird.

3. Die doppelte rechtliche Bedeutung des Begriffs der Person. Die rechtliche Persönlichkeit des Menschen bedeutet teils seine Rechtsfähigkeit, teils seine Handlungsfähigkeit. Das römische Recht kannte Menschen, die handlungsfähig waren, ohne rechtsfähig zu sein. Nach unserem Rechte ist zwar nicht jeder Mensch handlungs­ fähig, aber jeder Mensch rechtsfähig. Darauf beruht der gemeinhin gelehrte Satz, daß alle Menschen im Sinne des Rechtes in gleicher Weise Personen sind. Was ist es aber, das unser Recht allen

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Die rechtliche Persönlichkeit des Menschen.

Menschen dadurch zuerkennt, daß es sie unterschiedslos als Personen behandelt? Es ist damit ein Wert bezeichnet, den es ihrem Leben zuerkennt. Wir müssen in Beziehung auf den Wert des Lebens eine engere und eine weitere Auffassung unterscheiden. Nach dieser hat alles Leben selbständigen Wert. Wo wir es als bewußtes wahrnehmen, haben wir daran nicht den mindesten Zweifel. Jedem normal fühlenden Menschen tut es leid, nicht nur einen Menschen, sondern auch ein Tier leiden oder sterben zu sehen. Der Wert des tierischen Lebens ist aber geringer als der Wert des menschlichen Lebens. So leid uns das Leiden und Sterben des Tieres tun mag, so gibt es doch keine Beeinträchtigung seines Lebens, die nicht für uns gerechtfertigt werden könnte durch eine von ihr abhängende Förderung menschlichen Lebens, wie sich am deutlichsten daran zeigt, daß wir uns kein Gewissen daraus machen, zur Fristung unseres Lebens Tiere zu töten. Es ist damit gesagt, daß im Fall der Kollision zwischen tierischem und menschlichem Leben dieses vorgeht, also jenem nie eine solche Bedeutung zukommt, die nicht überwogen werden könnte von der Bedeutung einer durch seine Beeinträchtigung bedingten Förderung menschlichen Lebens. Indem nun das Recht es betn Einzelnen überläßt, sein Verhalten, soweit es nicht in das von ihm zu respektierende Lebensgebiet anderer Menschen übergreift, nach seiner eigenen Schätzung der dadurch gegebenen Lebensförderung und Lebenshemmung zu regeln, so überläßt es regelmäßig das Verhältnis feiner Lebensbetätigung zu anderem als menschlichem Leben gleich ihrem Verhältnisse zur Förderung und Hemmung seines eigenen Lebens seinem Belieben. Diese Regel ist nicht ohne Ausnahmen. Von selbst versteht sich, daß sein Verhalten gegenüber anderem als menschlichem Leben gleich jedem Verhalten gegenüber irgend welchen Bestandteilen der Außenwelt rechtlichen Beschränkungen unterliegen kann wegen des dadurch berührten Gemeinlebens. Es kann ihm aber auch um seiner selbst willen z. B. mutwillige Tierquälerei untersagt sein. Dieses Verbot bedeutet nicht, daß sein Leben dem Leben des Tieres nicht unbedingt vorginge, aber daß die durch kein höheres Interesse als die Lust am Leiden des Tieres gebotene Verletzung desselben wegen der Verwerflichkeit dieser durch ihre Befriedigung genährten

Die doppelte rechtliche Bedeutung des Begriffs der Person.

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Lust fein eigenes Leben mehr hemmt als fördert. Das Verbot der Tierquälerei beseitigt weder die unbedingte rechtliche Unterordnung des tierischen Lebens unter das menschliche, noch die Regel, daß dem Einzelnen die freie Beurteilung seiner Bedürfnisse zukommt. Es macht aber von dieser Regel eine Ausnahme. Es verbietet die Tierquälerei in ihrer Eigenschaft als Befriedigung eines be­ stimmten Bedürfnisses, das es dadurch für unberechtigt erklärt. Sobald die Verletzung des Tieres einem anderen nicht gleich jenem Zweck vom Rechte für unberechtigt erklärten Zwecke dient, fällt sie nicht unter jenes Verbot, wenngleich sie vielleicht ebenso stark, ebenso grausam und ebenso unnütz ist, weil sie zum Zwecke z. B. eines ganz aussichtslosen Experimentes oder der in Wirklichlichkeit dadurch in keiner Weise geförderten Heilung eines Menschen erfolgte. Was vom Tiere gilt, daß sein Leben fremdem Leben schlecht­ hin untergeordnet ist, das gilt nach unserem Rechte von keinem Menschen. Und zwar gilt es auch nicht von dem noch nicht ge­ borenen, sondern erst empfangenen Menschen. Seine Tötung kann gleich der Tötung jedes Menschen , erlaubt sein wegen einer dadurch bedingten Lebensförderung, insbesondere der durch sie bedingten Erhaltung des das Leben der Leibesfrucht an Wert überwiegenden Lebens der Mutter. Daß aber abgesehen davon seine Tötung ver­ boten und insbesondere der Mutter verboten ist, zeigt, daß für das Recht sein Leben ein eigenes Leben von selbständigem Werte ist, wenn auch von geringerem Werte als das Leben des bereits geborenen Menschen. Tatsächlich hat nicht nur für die Gesamtheit, sondern auch für sich einen verschiedenen Wert sowohl das Leben verschiedener Menschen als das Leben desselben Menschen in ver­ schiedenen Stadien seiner Entwicklung. Wenn ein Unterschied ist zwischen der durch den Tod einer Leibesfrucht und den Tod eines neugeborenen Kindes gegebenen Lebenszerstörung, so ist noch ein weit größerer Unterschied zwischen seinem Tode und dem Tode eines in der Vollkraft seines Lebens stehenden Menschen. Unser Strafgesetzbuch ignoriert diesen und andere Unterschiede dadurch, daß es jede vorsätzliche, mit Überlegung ausgeführte Tötung eines Menschen mit derselben Strafe bedroht. Dagegen unterscheidet es vom Menschen streng die menschliche Frucht, die doch auch ein Holder, Natürl. u. jurist. Personen.

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Die rechtliche Persönlichkeit des Menschen.

werdender Mensch und als ein solcher durch das Verbot ihrer Vernichtung geschützt ist. Bezüglich der Frage, wann aus der Frucht ein Mensch geworden ist, ergibt sich der Standpunkt des Strafgesetzbuchs aus § 217. Dieser spricht von einer Mutter, die „ihr uneheliches Kind in oder gleich nach der Geburt vorsätzlich tötet", behandelt also die im Austritte aus dem Mutterleibe begriffene Frucht nicht mehr als eine bloße Frucht, sondern gleich der aus dem Mutterleibe ausgetretenen Frucht schon als einen Menschen. In dieser Argumentation sieht Bin ding (Lehrb. des gem. Straft. Bes. Teil I. 2. Ausl. 1902 S. 38 Note 2) ,eine silben­ stechende AuslegungEr gründet dasselbe Ergebnis auf „die durchaus realistische Betrachtungsweise des Strafrechts", nach der „eine lebendige Frucht, die soweit ausgetreten ist, daß sie von außen getötet oder verletzt werden kann, als geborener Mensch angesehen werden" müsse. Dieses Argument ist aber weder zwingend noch schlechthin zutreffend, da schwerlich behauptet werden kann, die Frucht im Mutterleibe vermöge nicht „von außen" verletzt zu werden. Das Argument aus dem Gesetzestexte stützt sich nicht nur auf § 217, sondern auch auf § 218, der von einer Schwangeren spricht, die „ihre Frucht ... im Mutterleibe tötet", mithin gleich­ falls in deren Tötung als einer nicht mehr im Mutterleibe be­ findlichen nicht mehr eine bloße Tötung einer Frucht, sondern eine Tötung eines Menschen sieht. Ohne einen bestimmten Anhalt im Texte des Gesetzes dürften wir um so weniger annehmen, daß die Entstehung eines Menschen im Sinne des Strafrechts früher abgeschlossen sei als im Sinne des Privatrechts, da diese Annahnie eine strengere Bestrafung der Verletzung eines Menschen während seiner Geburt begründet. Die Bestimmung des Erfordernisses der vollendeten Geburt findet Binding für das Privatrecht „sehr ver­ ständig", wogegen er ebenso der von Medizinern vielfach ange­ nommenen entscheidenden Bedeutung des Beginns der Atmung „für die Medizin volle Berechtigung" zuerkennt (a. a. O. S. 37). Es gibt aber keine sachlichen Gründe für eine verschiedene Auffassung der Medizin, des Privatrechts und des Strafrechts. Ist sowohl Objekt der Tötung und Körperverletzung als privatrechtsfähig der Mensch, solange er lebt, so ist nicht abzusehen, warum nicht, wie das Ende, so der Beginn seines Lebens für das Recht sich ebenso

Die doppelte rechtliche Bedeutung des Begriffs der Person.

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bestimmen sollte wie für die Wissenschaft vom menschlichen Leben. Und vollends ist nicht abzusehen, warum für das dem übrigen Rechte subsidiäre Strafrecht der Beginn des menschlichen Lebens früher eintreten sollte als für das Privatrecht. Daß für dieses spezifische Gründe zu einer sowohl der nicht juristischen Auffassung als der Auffassung eines anderen Rechtszweigs fremden Auffassung bestehen, ist nicht zu ersehen. Ob jemand noch im Mutterleibe, während der Geburt, oder bald nach ihr gestorben ist, macht für ihn selbst, der im einen Falle von seinem Leben ebensowenig gehabt habt wie im anderen, keinen Unterschied. Das große Ver­ mögen, das ihm vielleicht in den wenigen Tagen seines Lebens als dem Erben seines schon früher gestorbenen Vaters zugeschrieben wurde, ist ein solches, dessen Genuß und Verwendung ihm nie zugekommen ist und dessen Verwaltung eine um seinetwillen einem anderen Menschen zukommende nicht nur während seines kurzen Lebens gewesen ist, sondern auch schon vorher gewesen sein kann. Einen großen Unterschied macht die Frage, ob jemand gelebt hat, dafür, ob das im Falle seines Lebens ihm zugefallene Vermögen durch seinen Tod ein von ihm hinterlassenes und seinen Erben zufallendes oder ob es, weil er überhaupt nicht gelebt hat, ein solches ist, für dessen Schicksal er nicht in Betracht kommt. Des­ halb bedarf es der Bestimmung des für den Beginn des Lebens entscheidenden Momentes. Diese Bestimmung hat stets etwas willkürliches, weil der Mensch ein werdender sowohl schon von der Zeugung an als auch noch nach der Geburt ist. Für sie besteht, wie für jede Rechtsbestimmung, das Interesse, daß die durch sie gezogene Grenze sich möglichst leicht erkennen lasse und daß sie nicht ohne Rot sich von der Auffassung des Lebens und der für das Verständnis des bestimmten Gebietes bedeutsamen Wissen­ schaften entferne. Dagegen existiert kein durch die besondere privatrechtliche Wirkung des Lebensanfangs gegebenes Interesse an einer besonderen privatrechtlichen Bestimmung desselben. Ist der Mensch eine Person in seiner Eigenschaft als Mensch, so kommt ihm Persönlichkeit in um so höherem Grade zu, je voller, kräftiger und gesunder sein spezifisch menschliches oder geistiges Leben entwickelt ist. Wie jeder Organismus die spezifische Bedeutung, die ihm als 8*

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einem Organismus dieser bestimmten Art und als diesen! be­ stimmten Organismus zukommt, im Laufe seines Lebens nach und nach erlangt, so gilt das gleiche von der Persönlichkeit des Menschen. Während auf die schrittweise Entwicklung des körperlichen Lebens dessen schrittweise Rückbildung folgt, so ist das geistige Leben trotz dieser und trotz der dadurch auch ihm zuteil werdenden Verluste fortschreitenden Wachstums fähig, weshalb für die Persönlichkeit zwar das jugendliche Alter eine Zeit ihrer erst teilweisen Ent­ faltung, aber nicht das hohe Alter eine Zeit ihrer Rückbildung ist. Neben seiner auf seinem Wesen beruhenden Entwicklung kommt für den Organismus in Betracht seine auf der Schwäche seiner Konstitution und störenden Einflüssen, denen zu widerstehen er nicht stark genug war, beruhende Erkrankung. Ist sie eine geistige, so alteriert sie die Persönlichkeit, die dadurch eine andere und weniger normale ist als im Fall der geistigen Gesundheit. Das Kind hat am Anfang seines Lebens überhaupt noch keinen Willen. Sein im Laufe desselben sich entwickelnder Wille hat noch nicht den Umfang, die Kraft und die Festigkeit des Willens eines Er­ wachsenen wegen seiner noch unvollendeten körperlichen Entwicklung und der geringen Erfahrung, die es während seines noch kurzen Lebens hat machen können. Die durch seine Jugend gegebene Mangelhaftigkeit seiner Persönlichkeit wird mit jedem Tage kleiner, um den es älter wird. Der Wille des Geisteskranken ist nicht notwendig, wie der Wille des Kindes, flüchtiger als der Wille anderer. Die Mangelhaftigkeit seines Intellekts und Willens beruht nicht darauf, daß sein Leben eine bestimmte Stufe noch nicht erreicht hat. Ihre Beseitigung ist gleichfalls nicht ausgeschlosien, aber bedingt durch einen vielleicht noch möglichen, vielleicht aber auch nicht mehr möglichen Heilungsprozeß, der das Leben des Kranken von seiner Beeinträchtigung durch die Krankheit befreit. Die Persönlichkeit des Kindes ist eine noch im Werden be­ griffene; die Persönlichkeit des Geisteskranken ist eine abnorme. Es ist aber nicht möglich, sie gegen die Persönlichkeit dessen, der kein Kind mehr und geistesgesund ist, scharf abzugrenzen. Als eine werdende Person hat das Kind eine im Werden begriffene Persönlichkeit. Ein werdender ist aber der Mensch in gewissem

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Sinne während seines ganzen Lebens. Und wenn die Verfassung des Kranken eine abnorme ist, so gibt es keinen Menschen, dessen Verfassung in jeder Beziehung und zu jeder Zeit durchaus normal wäre, so daß zu seiner Prädizierung als eines Kranken eine Ab­ normität von einer gewissen Größe und Dauer erforderlich ist, für deren Bestimmung es keinen exakten Maßstab gibt. Wir be­ zeichnen einen körperlichen wie einen geistigen Mangel nicht als Krankheit, wenn er nur kurze Zeit währt und wenn er durch seinen geringen Umfang uns keiner besonderen Erklärung aus der besonderen Verfassung des bestimmten Menschen oder einer be­ sonderen seinem Leben widerfahrenen Hemmung zu bedürfen scheint, sondern lediglich als ein Fall der erfahrungsmäßigen Unvollkommenheit des Menschen entgegentritt. Im Rechte hat der Gegensatz der voll und normal entwickelten und der noch nicht voll oder normal entwickelten Persönlichkeit eine große Bedeutung. Es erkennt dem Menschen, dessen Persönlichkeit eine noch nicht voll oder nicht normal entwickelte ist, Handlungsfähigkeit teils überhaupt nicht, teils nur beschränkt zu. Von der Handlungs­ fähigkeit unterscheidet man aber die Rechtsfähigkeit als eine durch den Ausschluß und die Beschränkung jener nicht berührte, und mit dieser läßt man die rechtliche Persönlichkeit zusammenfallen, die man daher allen Menschen gleichmäßig zuschreibt. Der einzige namhafte Jurist, der längst die Rechtsfähigkeit und die Handlungsfähigkeit in Verbindung gebracht hat, ist Brinz. Ihm schien schon 1857 (Pand. I.Aufl. I e§ Staates obliegenden Pflichten; er handelt aber dadurch nicht dein Staatswillen zuwider als einem von seinem Willen ver­ schiedenen, sondern dem Willen, den er durch die Übernahme der Staatsgewalt oder die Erteilung des bestimmten Gesetzes als den feinigen erklärt hat. Er handelt einer von ihm erteilten Verheißung zuwider, was ebenso von jedem Staatsorgane gilt, das in der Ausübung seines Amtes eine Pflicht verletzt, deren Erfüllung seinem Ermessen anheimgegeben ist. Solche Pflichten bestehen zwar nicht gegenüber anderen Staatsorganen, aber gegenüber den Staatsangehörigen, deren Leben durch ihre Erfüllung oder Ver­ nachlässigung berührt wird, was auch von den durch ihren Inhalt nicht berührten deshalb gilt, weil an der Befolgung der Rechts­ gebote jeder Rechtsgenosse interessiert ist. Gerade im Falle der unterbliebenen Erfüllung solcher Pflichten sprechen wir davon, daß der Staat uns gegenüber seine Pflicht nicht erfüllt habe. Wird uns, was wir glauben vom Staate verlangen zu können, zwar nicht durch das an erster Stelle, aber durch das an letzter Stelle von uns angegangene Staatsorgan zuteil, so hat durch dessen Ver­ halten der Staat seine Pflicht gegen uns erfüllt, wie wir von einem durch verschiedene Menschen vertretenen Menschen erlangt haben, was wir zwar nicht vom einen, aber vom anderen Vertreter desselben erlangt haben. Hat aber das Verhalten der kompetenten Staatsorgane die Bedeutung eines Verhaltens des Staates als eines durch sie vertretenen, so ist klar, daß es eine Erfüllung oder Verletzung einer Pflicht gegen den Staat nicht in demselben Sinne sein kann. Der Bezeichnung jenes Verhaltens als eines pflichtmäßigen oder pflichtwidrigen Verhaltens des Staates liegt zugrunde dessen Gleichstellung mit einem durch andere Menschen vertretenen Menschen, die der Bezeichnung jenes Verhaltens als eines pflichtmäßigen oder pflichtwidrigen Verhaltens gegen den Staat nicht zugrunde liegen kann. Wenn wir sowohl von Rechten als von Pflichten, wie der Staatsangehörigen gegen den Staat, so des Staates gegen die Staatsangehörigen reden, so sind doch in diesem gegenseitigen Verhältnisse die Rechte und Pflichten des einen und des anderen Teiles von verschiedener Art. Wir schreiben dem Staate recht­ liche Macht, Gewalt oder Herrschaft über die Staatsangehörigen, dagegen nicht diesen rechtliche Macht, Gewalt oder Herrschaft über 14*

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Das Gemeinwesen.

den Staat zu. Darin tritt deutlich zutage die Gleichstellung der Träger staatlicher Macht, Gewalt oder Herrschaft mit Vertretern eines von ihnen verschiedenen Subjektes derselben, das doch in Wirklichkeit nicht existiert. Ist der Staat eine gänzlich unbeschränkte Monarchie, so ist die ganze Staatsgewalt nichts anderes als Ge­ walt des Monarchen. Existieren neben dem Monarchen andere selbständige Staatsorgane z. B. als Träger der richterlichen Ge­ walt, so existiert ihre Gewalt neben der seinigen. Kann er, sei es allein oder als konstitutioneller Monarch mit fremder Zu­ stimmung, Gesetze geben, so kann doch nur das kompetente Gericht bestimmen, was im konkreten Falle rechtens ist in Gemäßheit des Gesetzes als eines solchen, dessen Anwendung auf diesen ihm zukommt. Jedes in irgend einer Sache verfassungsmäßig maßgebende Staatsorgan ist ein Träger eigener Entscheidungsmacht. Inner­ halb seiner Kompetenz schuldet ihm jeder Staatsangehörige Gehorsam und schuldet es selbst niemand Gehorsam. Jeder Staatsangehörige schuldet den Gehorsam, den er dem Staate schuldet, allen kompetenten Staatsorganen, und daß er ihn diesen schuldet, ist nicht eine Konsequenz eines Gehorsams, der dem Staate auch geschuldet würde als einem durch kein Organ vertretenen; vielmehr ist die Bezeichnung der Gehorsamspflicht als einer dem Staat gegenüber bestehenden nur eine zusammenfassende Bezeichnung aller gegen alle kompetenten staatlichen Organe be­ stehenden Gehorsamspflichten. Sie ist aber eine Zusammenfassung dieser als solcher, die nicht etwa nur zufällig zusammentreffen, sondern zusammengehören durch ihren gemeinsamen Grund und Zweck. Der Gehorsam, den der Staatsangehörige schuldet, ist ein verfassungsmäßiger d. h. durch die Staatsverfassung sich be­ stimmender. Durch sie bestimmt sich, wer Gewalt im Staate hat. Auf wen sich diese Gewalt erstreckt, bestimmt sich gleich­ falls durch sie, aber nicht durch ihre Bestimmungen über die Staatsorgane, sondern durch ihre Bestimmungen über die Staats­ angehörigen im weitesten Sinne des Wortes. Daß der Staat im Wechsel der Menschen, die an ihm teilnehmen, und der Art, in der sie an ihm teilnehmen, dasselbe Rechtsverhältnis bleibt, daß insbesondere im Wechsel der Träger und der Gegenstände staat­ licher Macht eine Kontinuität dieser und ein Zusammenhang ihrer

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verschiedenen Träger besteht, durch den die Macht eines jeden als ein Teil der einen die Macht aller umfassenden staatlichen Macht erscheint, ist die sachliche Bedeutung der Bezeichnung des Staates als einer Person. Neuerdings hat B i e r l i n g (Jur. Prinzipienlehre II S. 208) dafür, daß das Staatsverhältnis „ein Rechtsverhältnis zwischen Staat und Staatsgenossen" sei, sich auf das Wort Hein­ rich v. Treitschkes berufen, alle Welt sei, „seit überhaupt über den Staat gedacht worden" sei, „darüber einig gewesen, daß sowohl der Staat Rechte und Pflichten habe gegenüber den Bürgern, wie der Bürger Rechte und Pflichten gegenüber dem Staate". Gerade Treitschke hat aber auch stets betont, daß der Staat Macht ist, und wie es keine Religion und Kunst gibt ohne religiös und künst­ lerisch produktive und empfängliche Menschen, keine Sprache ohne Menschen, die sich ihrer bedienen und sie verstehen, so existiert keine Macht ohne Machthaber und Machtunterworfene. Bezeichnen wir die rechtliche Herrschaft der einen und Beherrschung der anderen als ein Verhältnis derselben zum Staate, so hätte doch dieses Ver­ hältnis für die Machthaber keinen Inhalt ohne die Existenz von Machtunterworfenen und für die Machtunterworfenen keinen In­ halt ohne die Existenz von Machthabern, die ihnen gegenüberstehen. Mit Ausnahme eines absoluten Monarchen gehört im Staate jeder Machthaber auch zu den Machtunterworfenen nicht dadurch, daß es eine über der Macht aller staatlichen Machthaber stehende Macht des Staates gäbe, sondern dadurch, daß der Macht des einen über andere zur Seite steht eine Macht anderer über ihn, die zugleich, wenn sie demselben Gebiete angehört, wie seine eigene Macht, diese beschränkt. So ist der sonst für bestimmte Entscheidungen zuständige Richter bezüglich der Prozesse, in denen er selbst Partei ist, fremder richterlicher Gewalt unterworfen. Daß die Rechtsbeziehung, in der einesteils die Staatsorgane und anderenteils die Staatsangehörigen zum Staate stehen, rechtswirksam nur mittelbar durch die Beziehungen ist, die kraft derselben zwischen Staatsorganen und Staatsangehörigen, sowie zwischen verschiedenen Staatsorganen und verschiedenen Staatsangehörigen bestehen, teilt sie z. B. mit dem Erbverhältnisse. Dasselbe ist eine Beziehung des Erben zum Erblasser, die, da dieser nicht mehr lebt, nicht für sich, sondern lediglich im Verhältnisse zu Dritten rechtswirksam

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Das Gemeinwesen.

ist. Die darauf beruhenden Beziehungen des Erben zu Dritten sind eine Folge zweier Beziehungen, nämlich der bisherigen Be­ ziehung jener Personen zum Erblasser und der Beziehung des Erben zum Erblasser. Für das System des Privatrechtes ist man darüber einver­ standen, daß es das System der nach dem zur Zeit geltenden Rechte möglichen Privatrechtsverhältnisse ist, deren Existenzbedingungen und Inhalt es angibt, ohne darüber Auskunft zu geben, welche konkreten Privatrechtsverhältnisse zur Zeit existieren. Wären im Gegensatze zu diesen die staatlichen Rechte und Verbindlichkeiten solche des Staates, so würde das System des Staatsrechtes Zuständigkeiten und Obliegenheiten verzeichnen, die nicht möglicherweise bestimmten Menschen, sondern dem Staate als einer für sich existierenden Person zukämen, aber für ihn als eine solche nur die Bedeutung hätten, die für einen Menschen die zur Zeit ihm eigenen In­ tentionen haben, da er jederzeit seine bisherigen Zuständigkeiten beliebig erweitern und seine bisherigen Obliegenheiten beliebig ein­ schränken könnte. Das zeitweilige Fehlen der nach seiner Ver­ fassung ihm wesentlichen Organe hätte danach für ihn nicht mehr Bedeutung als für einen Menschen das zeitweilige Fehlen der von ihm bestellten Vertreter, deren er zur Besorgung seiner An­ gelegenheiten tatsächlich bedarf, oder seine eigene zeitweilige Be­ wußtlosigkeit, während doch der Mensch aus dieser wieder er­ wachen und anstatt der von ihm verlorenen sich neue Vertreter bestellen kann, wogegen der Staat, wenn er der verfassungsmäßigen Organe entbehrt, nicht auf verfassungsmäßigem Wege sie wieder erlangen kann. Wenn Gerber (Grdz. des Staatsr. § 1) nach dem Vorgänge Albrechts (Gött. Gel. Anz. 1837 III S. 1489 ff.) den Satz auf­ gestellt hat, „die Auffassung desStaates als eines persönlichen Wesens" sei die „Voraussetzung der juristischen Konstruktion des Staats­ rechtes", so trifft davon das Gegenteil zu. Die Theorie des Staats­ rechtes hat nach Gerber (§ 2) „zum Gegenstände die Entwickelung des dem Staate als solchem zustehenden Rechtes". Die erste von ihr zu beantwortende Frage soll sein: „Was kann der Staat als solcher wollen?" Bestimmt sich aber das Recht eines persönlichen Wesens durch das, was es wollen kann? Eine Rechtsfrage ist nicht die

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Frage, was es wollen und wie es in Gemäßheit seines Willens sich verhalten kann, wohl aber die Frage, welches Verhalten es als ein ihm mögliches anderen schuldet und welche Bedeutung seine Existenz und sein Verhalten als ein Motiv des Verhaltens anderer hat. Im Gegensatze zum Menschen wird der Staat aufgefaßt als ein nicht eines Verhaltens von realer Bedeutung, aber eines solchen Verhaltens fähiges Wesen, dem die Bedeutung eines Motives für das Verhalten der durch dasselbe beherrschten Menschen zukommt. Fassen wir ihn als ein solches Wesen auf, das zwar keine reale Wirkung verursachen, aber anderen ihm untergebenen Wesen Befehle erteilen kann, so begrenzt das Staatsrecht in keiner Weise seine Fähigkeit, solche Befehle zu erteilen. Daß der Wille irgend eines Wesens auf bestimmte Dinge sich zur Zeit nicht er­ streckt, ist kein Grund dafür, daß er auf sie sich nicht erstrecken kann. Schranken der Staatsgewalt als einer Gewalt des Staates sind Schranken der Geltung des Staatswillens, die nicht auf diesem beruhen können. Ist der Staat eine gänzlich unbeschränkte Mo­ narchie, so ist in der Tat der Staatswille identisch mit dem Willen eines persönlichen Wesens; Staatsrecht gibt es aber in diesem Falle überhaupt nicht. Solches gibt es nur, wo die Staats­ gewalt ein Gegenstand rechtlicher Normierung ist, und diese ist nichts anderes als eine Normierung der rechtlichen Macht der an der Staatsgewalt teilnehmenden Menschen. Nach Gerber kommt dem Staate als einem persönlichen Wesen Herrschaft zu, der entspricht „eine Unterwerfung im Sinne eines Gehorsams gegen die allgemeine Rechtsordnung" (§ 7, Note 3). An dieser Unterwerfung wird durch keine Änderung des Rechtes etwas ge­ ändert. Ist sie der Ausgangspunkt des Staatsrechtes, so ist sie auch sein Endpunkt und geht dieses in ihr auf. Nach Gerber erhält „die Willenskraft des Staates" im Gegensatz zur privat­ rechtlichen „ihre Richtung und Grenze durch den ethischen Grund ihres Daseins". Was aber aus diesem sich ergibt, ist kein Gegen­ stand rechtlicher Bestimmung. Staatsrecht existiert dadurch, daß die staatliche Macht selbst eine rechtlich normierte ist, sowohl bezüglich der Menschen, denen sie zukommt, als bezüglich ihres Umfanges. Von der Organisation oder Verfassung des Staates sieht die

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Betrachtung desselben als eines persönlichen Wesens ab. Wie jedes Bild erschließt sie nicht das Wesen der Sache, kann vielmehr selbst ohne dessen Kenntnis nicht richtig verstanden werden. Selbst der Erklärung bedürfend, dient sie nicht dem Zwecke der Erklärung des Sachverhaltes, sondern dem Zwecke der Vereinfachung seiner Vorstellung und Darstellung. Dieser ist, wo es sich um verwickelte, schwer zu übersehende Verhältnisse handelt, nicht zu unterschätzen. Eine ihm dienende Bezeichnung darf aber nur mit Vorsicht gebraucht und zu Folgerungen nur da ver­ wendet werden, wo der Teil des Sachverhaltes, den sie nicht hervortreten läßt, keine Bedeutung hat. Wir können unbedenklich von Rechten und Pflichten des Staates sprechen, wo es sich um Rechte und Pflichten staatlicher Organe handelt, ohne daß etwas darauf ankommt, welchem Staatsorgane sie zukommen. Weiß ich, daß von Staats wegen ich etwas schulde oder mir etwas gebührt, so weiß ich damit noch nicht, wem ich es zu leisten oder von wem ich es zu erwarten habe. Ich weiß aber, daß die Bestimmung der Menschen, denen gegenüber dies zutrifft, abhängt von der Verfassung des Staates. Sobald es dagegen sich handelt um die Macht und die gegenseitigen Beziehungen verschiedener, je an ihrem Teile kompetenter Staatsorgane, so ist für jedes die Macht, die wir dem Staate zuschreiben, insoweit, als es kompetent ist, die feinige, ist also das Verhältnis des einen zum anderen nicht ein Verhältnis zum Staat, sondern ein gegenseitiges Verhältnis verschiedener Träger staatlicher Macht und damit ihrer verschiedenen Kompetenzen als solcher, die selbständig nebeneinander existieren und möglicherweise miteinander kollidieren, während die Einheit der Staatsgewalt, die nicht fehlen darf, wenn der Staat sich nicht auflösen soll, mir dadurch besteht, daß ihre Konkurrenz und Kollision überwogen wird durch ihr Zusammenwirken als solcher, deren Macht trotz ihrer Verschiedenheit einen gemeinsamen Grund und Zweck hat. Die rechtliche Macht körperlichen Zwanges ins­ besondere, deren Objekt der Mensch regelmäßig nicht als einer privaten, aber als einer staatlichen ist, kann schon nach ihrem Inhalte nur körperlichen Wesen zukommen, da nur von solchen körper­ licher Zwang ausgehen kann. Objekte staatlichen Zwangs sind die Menschen nur dadurch, daß es von Staats wegen anderen Menschen

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zukommt, solchen gegen sie zu üben, und er ist ausgeschlossen gegen Träger staatlicher Macht, die sei es überhaupt oder doch in der bestimmten Beziehung nicht wieder andere Menschen als Träger solcher über sich haben. Wäre es dem Staate wesentlich, als ein von den Menschen im Staate verschiedenes Wesen jene zu beherrschen, so würde der Monarch zu den Menschen int Staate nicht gehören. Er würde nicht an seiner Spitze, sondern außerhalb desselben stehen, und seiner Bezeichnung als Vertreter oder Organ des Staates wäre vorzuziehen die Bezeichnung des Staates als eines Gegenstandes seines Rechtes und Werkzeuges seines Willens, durch den allein sich ja in der absoluten Monarchie der Staatswille bestimmt. In der Tat würde in ihr der Staat als ein vom Monarchen ver­ schiedenes Wesen nicht über, sondern unter diesem stehen, nicht diesen beherrschen, sondern von diesem beherrscht sein. Daß dieser durch gesetzwidriges oder das Gemeinwohl schädigendes Verhalten eine Pflichtverletzung gegen den Staat begeht, läßt sich nur sagen im Sinne der Verletzung seiner Pflicht gegen die am Staate beteiligten Menschen. Er steht im Dienste des Staates nicht als einer Person, sondern als einer menschlichen Angelegen­ heit, wie jeder Mensch, der sich einem bestimmten Berufe gewidmet hat, im Dienste desselben steht, und zwar von Rechts wegen, wenn ihm dieser Beruf von Rechts wegen zukommt. Wie dem Staate, so schreiben wir auch der Religion, der Kunst und der Wissenschaft insofern einen Willen zu, als wir von Forderungen sprechen, die sie gegen den in ihrem Dienste stehenden Menschen erhebt, oder was dasselbe ist, von einem Verhalten, das ihr dieser schuldet. Von einem eigenen Verhalten der Religion, Kunst oder Wissenschaft wie des Staates können wir nur sprechen im Sinne des Verhaltens ihrer menschlichen Subjekte, Vertreter oder Organe. Sprechen wir von einem Verhalten, das sie diesen ge­ bietet, so liegt auch darin eine Personifikation, aber eine solche, die das durch sie Personifizierte nicht als ein Subjekt eigener Tat und damit eigenen durch seine Betätigung geförderten Lebens, sondern als Subjekt eines solchen Willens erscheinen läßt, der für die Menschen ein anderen Motiven vorgehendes Motiv ihres Ver­ haltens ist. In diesem Sinne sprechen wir auch vom Staate

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oder, was hier das gleiche bedeutet, vom staatlichen Rechte als einem uns ein bestimmtes Verhalten unabhängig davon gebietenden, ob Menschen existieren, die dieses Verhalten von uns verlangen können. Wir sind in diesem Sinne dem Staate in der Weise verpflichtet, daß die Pflicht der Befolgung seiner Gebote als eine von Staats wegen bestehende Nechtspflicht unbegrenzt ist, während sie zwar wegen des sittlichen Wertes des Staates auch eine sittliche Pflicht, aber als solche nicht unbegrenzt ist wegen ihrer möglichen Kollision mit einer ihr vorgehenden sittlichen Pflicht. Von einer Pflicht des Staates gegen uns kann dagegen in diesem Sinne nicht die Rede sein, da in diesem Sinne seine Existenz aufgeht in seiner Eigenschaft, das Subjekt der Rechtsgebote zu sein, die ergehen an die am Staate beteiligten Menschen und maßgebend sind für ihr Verhalten. Gleich dem ganzen staatlichen Rechte be­ zeichnen wir daher auch das einzelne Staatsgesetz als ein solches, dem wir Gehorsam schulden. Dieser Gehorsam gegen das Gesetz ist etwas anderes als der Gehorsam gegen seine Urheber, obgleich für die Frage, ob wir ein Gebot als Staatsgesetz zu befolgen haben, seine Urheber nicht gleichgültig sind, weil seine Eigenschaft, ein solches zu sein, davon abhängt, daß es die Menschen, denen die Herstellung solcher verfassungsmäßig zukommt, hergestellt haben. Man redet auch etwa von der dem Rechte oder Gesetze zu­ kommenden Aufgabe oder Pflicht der Klarheit, der Gerechtigkeit, der Zweckmäßigkeit u. dergl. Damit ist aber immer gemeint eine Aufgabe oder Pflicht der an seiner Herstellung beteiligten Menschen, die allein diese Pflicht sowohl erfüllen als verletzen können.

5. Das Gemeinwesen als Privatrechtssnbjekt. Wir haben eine doppelte Personifikation des Gemeinwesens kennen gelernt. Eine solche enthält seine Betrachtung als des Ur­ hebers der seinen Angehörigen geltenden Gebote. In diesem Sinne ist es die Quelle aller in ihm bestehenden Rechte und Pflichten, aber nicht selbst ein Subjekt solcher. Es ist in diesem Sinne nicht ein Subjekt von Pflichten, aber auch nicht ein Sub­ jekt bestimmter Rechte. Jedes Recht hat seine Bestimmtheit durch seine Begrenzung. Die Geltung des Staatswillens ist eine un­ begrenzte. Ein Subjekt bestimmter Rechte und Pflichten ist da­

Das Gemeinwesen als Privatrechtssubjekt.

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gegen das Gemeinwesen als ein solches, dem wir die Rechte und Pflichten der durch seine Verfassung in seinen Angelegenheiten zu­ ständigen Menschen zuschreiben. Die Rechte und Pflichten, die wir ihm dadurch gegen seine Angehörigen zuschreiben, sind aber anderer Art als diejenigen, die wir diesen gegen jenes zuschreiben. Die Rechte des Staates gegen seine Angehörigen zu realisieren, kommt seinen Organen zu, die gegen jene Gewalt brauchen dürfen. Die Rechte seiner Angehörigen gegen ihn zu realisieren, kommt gleichfalls seinen Organen zu, gegen die seine Angehörigen nicht Gewalt brauchen dürfen. Wie das Kind den Eltern, so ist der Staatsangehörige den ihm gegenüber kompetenten Staatsorganen untertan. Gegen Mißbrauch der elterlichen Gewalt oder Ver­ nachlässigung der elterlichen Pflichten kann das Kind staatliche Hilfe anrufen. Gegen Amtsmißbrauch und Pflichtverletzung eines Staatsorganes kann der Staatsangehörige ein anderes anrufen, soweit ein solches die erforderliche Kompetenz hat. Kann aber gegen das Verhalten eines solchen kein anderes angerufen werden, so kann gegen seine Pflichtverletzung nicht im Wege Rechtens vor­ gegangen werden. Private Rechte und Verbindlichkeiten schreiben wir dem Staate insofern zu, als für die Beziehungen staatlicher Organe zu Privaten, soweit sie auf Tatsachen beruhen, die im gegenseitigen Verhältnisse solcher private Rechte und Verbindlichkeiten begründen, dieselben Bestimmungen gelten wie für die durch die gleichen Tatsachen gegebenen Beziehungen Privater. Zu jenen Tatsachen gehören namentlich Verträge. Rom hat die Möglichkeit, durch Verträge staatlicher Organe ein gegenseitiges Verpflichtungsverhältnis zwischen dem Staate und einem Einzelnen zu begründen, schon früh gekannt. Nach Mommsens Annahme ist namentlich das ganze Recht der locatio conductio operis aus den zensorischen Lokationen hervorgegangen. Ob dem so ist, lassen wir dahingestellt sein. Jedenfalls hat der römische Staat schon in alter Zeit namentlich die Errichtung und Instandhaltung seiner Bauten an Unternehmer vergeben. Die Verträge mit diesen schlossen regelmäßig die Zensoren. Daß aber Pflicht und Recht des Unternehmers aus dem Vertrage nicht gerade nur dem kon­ trahierenden Zensor gegenüber bestand, war offensichtlich. Die

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Zensoren wechselten nicht nur gleich anderen Magistraten, sondern existierten überhaupt nur intermittierend, da mit der Erledigung ihres Hauptgeschäftes, des Zensus, die bisherigen Zensoren ab­ traten und neue erst nach einigen Jahren gewählt wurden. In der Zwischenzeit hatten ihre Kompetenz die Konsuln. Hier war es klar, daß für die Verbindlichkeit des Unternehmers und das Recht des Magistrates, ihre Erfüllung zu verlangen und durch­ zusetzen, gleichgültig war nicht nur, ob der zur Zeit in dieser Beziehung kompetente Magistrat derselbe Mensch war, der den Kontrakt geschlossen hatte, sondern auch, ob er der Träger des­ selben Amtes war wie der Kontrahent. Die ihm geschuldete Ver­ gütung hatte der Unternehmer aus dem aerarium zu bekommen und damit nicht vom Zensor. Daß er zu seiner Leistung an­ gehalten werden konnte durch die jeweilig bezüglich des Bau­ wesens kompetenten Menschen und Zahlung zu erwarten hatte von den jeweilig in Beziehung auf Zahlungen aus dem aerarium kompetenten Menschen, fand um so leichter seinen zusammen­ fassenden Ausdruck darin, daß er der oder zur res publica etwas zu leisten und von oder aus der res publica etwas zu bekommen hatte, als seine Leistung sich auf ein Stück des ager publicus bezog. Daß die das Verhältnis begründende Tatsache des Vertrages, die ihm obliegende und die ihm gebührende Leistung eine solche war, wiesle auch im gegenseitigen Verhältnisse Einzelner vorkommen konnte, war gleichfalls leicht zu ersehen. Keineswegs stand aber das Ver­ hältnis einem Verhältnisse zwischen Privaten schlechthin gleich. Der Streit über den Umfang der dadurch begründeten Pflichten und Rechte kam nicht vor den Prätor, sondern seine Entscheidung kam dem Zensor zu, und ebenso war die Zwangsvollstreckung gegen den Unternehmer eine andere als für die Forderungen Privater, wogegen es eine ihm zustehende Zwangsvollstreckung nicht gab. Daß es ein Staatsorgan ist, das über die privaten Rechte und Verbindlichkeiten des Staates entscheidet, gilt auch heut­ zutage. Das Staatsorgan, dem die Entscheidung über dieselben zukommt, ist aber nicht das Staatsorgan, dem die Wahrnehmung derselben zukommt. Sehen wir im Staat als solchem eine Person, sei es, indem wir ihm die Rechte und Pflichten seiner Organe

Das Gemeinwesen als Privatrechtssubjekt.

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zuschreiben, oder in seiner Eigenschaft als Subjekt des für das Verhalten der Staatsangehörigen maßgebenden Willens, so sehen wir in ihm nicht eine Privatperson, während meine privaten Rechte und Verbindlichkeiten mir als einer solchen zukommen. Wir können ihm private Rechtsbeziehungen nur zuschreiben, wenn wir von seiner Eigenschaft als Staat absehen. Dies ergibt hand­ greiflich der Umstand, daß der Staat als Privatrechtssubjekt der Entscheidung der Gerichte untersteht, die seine eigenen Organe sind. Das über die privaten Rechte und Verbindlichkeiten des Staates entscheidende Gericht entscheidet dadurch über die Rechte und Verbindlichkeiten anderer Staatsorgane, die in dieser Be­ ziehung dieselbe Behandlung erfahren, wie wenn sie die Vertreter einer Privatperson wären. Die gerichtliche Geltendmachung und Durchsetzung einer Kontraktsforderung des Staates ist gleich der administrativen Geltendmachung und Durchsetzung seiner Steuer­ forderung eine Betätigung der amtlichen Macht des kompetenten Staatsorganes, die zwar im Gegensatz zu einer privaten Macht mit der Amtspflicht ihrer Verwendung zum gemeinen Besten ver­ bunden ist, aber gleich jener eine eigene Macht des bestimmten Staatsorganes ist, wie sich namentlich darin zeigt, daß es die Forderung nicht nur beitreiben, sondern auch dem Schuldner er­ lassen kann. Was beide Fälle unterscheidet, ist, daß für den Schuldner die Steuerschuld besteht in seiner Eigenschaft als Staats­ angehöriger, die Kontraktsschuld in seiner Eigenschaft als Privat­ person. Wo zwischen ihm und den Staatsorganen Beziehungen entstehen, die auf denselben Tatsachen beruhen, wie seine Rechts­ beziehungen zu anderen Privatpersonen, da erfahren diese Be­ ziehungen dieselbe Behandlung, wie wenn auch das andere Sub­ jekt derselben eine Privatperson wäre, und zwar trotz der Ver­ schiedenheit der Staatsorgane, denen ihre Begründung zukam und ihre Wahrnehmung, sei es schlechthin, sei es nach dieser oder jener Richtung, zukommt, dieselbe Privatperson als eine durch jedes Staatsorgan, soweit es kompetent ist, vertretene. Die Betrachtung des Gemeinwesens anstatt seiner Organe als des Subjektes der diesen zukommenden Zuständigkeiten und Verbindlichkeiten ermöglicht zugleich die Betrachtung derselben als solcher, die auch zu einer Zeit bestehen, zu der vorübergehend das Organ, dem sie zukommen, nicht existiert. Daß sie zu dieser Zeit

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nicht wirklich existieren, kann nicht bestritten werden. So lange z. B. das höchste Gericht der Besetzung, in der allein es nach der Gerichtsverfassung entscheiden kann, sich nicht erfreut, existiert die ihm zukommende Macht der Entscheidung nicht. Könnte es jene Besetzung nicht mehr erlangen, so würde niemand bezweifeln, daß es nicht mehr existiert. Seine Existenz als eines zur Zeit zwar nicht besetzten, aber erneuter Besetzung fähigen bedeutet, daß es zur Zeit nicht existiert, aber zu erneuter Existenz gelangen kann in der Weise, daß diese als eine Fortsetzung seiner früheren Eristenz, also seine Existenz als eine solche gilt, die auch in der Zwischenzeit bestanden hat, wenngleich ihre Betätigung nicht möglich war, wie ja auch der Mensch Zeiten hat, zu denen er seinen Willen nicht betätigen kann. Wie der rechtlichen Identität bestimmter staatlicher Zuständigkeiten im Wechsel der Menschen, denen sie zukommen, die gleiche Identität bestimmter Privatrechts­ verhältnisse im Wechsel der daran beteiligten Menschen entspricht, so entspricht der Identität des früher besetzten, des in der Zwischen­ zeit unbesetzten und des später wieder besetzten Amtes die Iden­ tität des Privatrechtsverhältnisses, das am Erblasser ein Subjekt hatte und am Erben wieder ein Subjekt hat, während es ein solches nicht hatte, solange der eine weggefallen und der andere noch nicht eingetreten war. Die Kompetenz des unbesetzten Amtes hat niemand. Steht sie, wie man sagt, vertretungsweise einem anderen Menschen als seinem zur Zeit nicht existierenden Träger zu, so ist es nicht unbesetzt, sondern für die Zeit seiner fehlenden, regulären Besetzung anders besetzt. Durch die Existenz einer hereditas iacens ist in der Regel gleichfalls niemand berechtigt und verpflichtet. Hat sie einen curator, so existieren nicht private, sondern amtliche Rechte und Verbindlichkeiten desselben, die aber als identisch gelten mit den früheren und späteren privaten Rechten und Verbindlichkeiten des Erblassers und Erben. Florentins Bezeichnung der hereditas als einer solchen, die personae vice fungitur sicut municipium, erkennt ihr diese Rolle zu unabhängig davon, ob sie, was in der Regel nicht zutraf, einen curator hat. Er vergleicht nicht dessen Zuständigkeit mit der Zuständigkeit der Organe eines municipium, sondern sieht von diesen ab, die eben­ so vorübergehend fehlen können, wie der hereditas ein curator

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in der Regel fehlt. Er stellt die hereditas und das municipium

nebeneinander als Verhältnisse, vermöge welcher Rechte und Ver­ bindlichkeiten als existent gelten unabhängig nicht nur davon, wem sie zukommen, sondern auch davon, daß sie zur Zeit nie­ mandem zukommen. Gleich der hereditas bezeichnet er das municipium nicht als eine Person und kennt eine Persönlichkeit desselben weder als des Subjektes eines für die municipes maß­ gebenden, über ihrem Willen stehenden Willens noch im Sinne seiner Identifizierung mit seinen Organen.

tz. Die Persönlichkeit des Amtes. „Von dem populus Romanus . . . sowie von dem ihm imchgebildeten municipium civium Romanorum geht die weitere Entwicklung der juristischen Person bei den Römern aus; sie ist, wenn wir von der aus dem Privatrecht hervorgegangenen staat­ lichen societas absehen, wesentlich die mehr oder minder voll­ kommene privatrechtliche Verselbständigung eines Organes des Staates oder der Stadt." So Mommsen in dem aus seinem Nachlaß herausgegebenen Aufsatz zur Lehre von den römischen Korporationen (Ztsch. der Sav.-St. für Rechtsgesch. 25, S. 43 f.). Ein Organ des Gemeinwesens nennt man sowohl das Amt als seinen Träger. Die „Verselbständigung" eines Organes des Ge­ meinwesens bedeutet seine Behandlung als eines eigenen Ganzen trotz seiner Eigenschaft als Organ oder Teil des Gemeinwesens. Diese Behandlung ist nicht eine Fiktion, sondern betont nur und erklärt, soweit sie reicht, für maßgebend, was schon im Begriffe des Teiles als eines von anderen Teilen desselben Ganzen ver­ schiedenen liegt, daß auch er in gewissem Sinne ein Ganzes ist. Die Verschiedenheit verschiedener Organe des Gemeinwesens ist handgreiflicher als dessen Einheit. Soweit sie aber dessen An­ gehörigen oder auch vermöge solcher Tatsachen, die Privatrechts­ beziehungen begründen, anderen Menschen gegenüberstehen, gilt ihr Wille und Verhalten, ihre Macht und Obliegenheit als Wille und Verhalten, Macht und Obliegenheit des Gemeinwesens, was namentlich bedeutet, daß durch ihr Verhalten Rechte und Pflichten entstehen können nicht nur für sie, sondern auch für beliebige

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andere Organe des Gemeinwesens nach Blaßgabe ihrer verfassungs­ mäßigen Kompetenz. Danach kommt bestimmten Menschen die Verwendung der Mittel des Gemeinwesens zu seinen Zwecken und insbesondere zum Zwecke der Deckung seiner Schulden, anderen die Aufbringung der Mittel zur Förderung seiner Zwecke, ins­ besondere zur Deckung seiner Schulden zu. Wird dafür nicht ge­ sorgt, so sagen wir vom Gemeinwesen, daß es seiner Pflicht, sei es gegen seine Angehörigen oder gegen seine Gläubiger, nicht nach­ komme, während eine Pflichtverletzung aller oder auch nur be­ stimmter in der Sache zuständiger Menschen vorliegt. Hat die Regierung alles getan, um die erforderlichen Mittel aufzubringen, ist sie aber am Widerstande der Volksvertretung gescheitert, so liegt eine Pflichtverletzung der sie bildenden Menschen vor, und zwar auch dieser nur insoweit, als sie den Bemühungen der Regierung Widerstand geleistet oder sie nicht genügend unterstützt haben. Es liegt aber auch vor eine Pflichtverletzung der Wahlberechtigten, die bei der Wahl sich nicht beteiligt oder ihr Augenmerk nicht auf Männer gerichtet haben, von denen sich genügende Sorge für das Bedürfnis des Gemeinwesens erwarten ließ. Freilich können die Gläubiger des Gemeinwesens sich nur an dessen Verwalter und, falls diese nicht leisten, an das von ihnen verwaltete Ver­ mögen halten. Ebenso kann ich aber meinem privaten Schuldner gegenüber mich nur an sein Vermögen halten, was nicht ausschließt, daß er seiner Pflicht gegen mich vergißt, wenn er es unterläßt, durch Arbeit und Sparsamkeit dafür zu sorgen, daß er mich be­ friedigen kann. Wie die mehr oder weniger sichere Aussicht auf Befriedigung, die ich gegenüber meinem privaten Schuldner habe, nicht nur auf seinem Vermögen, sondern auf seiner ganzen Per­ sönlichkeit und seinen ganzen Verhältnissen beruht, so beruht diese Aussicht, wenn mein Schuldner ein Gemeinwesen ist, auf dessen ganzer Beschaffenheit und dessen ganzen Verhältnissen, zu denen namentlich die Eigenschaften und Verhältnisse der an ihm be­ teiligten Menschen gehören. Je leistungsfähiger diese sind, desto leichter können sie die Mittel zur Erfüllung der Aufgaben des Gemeinwesens und insbesondere zur Deckung seiner Schulden beisteuern, und je gewissenhafter sie sind, desto weniger werden sie, soweit ihre rechtliche Verpflichtung zu solcher

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Beisteuer von ihrer eigenen Bewilligung abhängt, sich dieser ent­ ziehen. Verschiedene Organe des Gemeinwesens gebieten über ver­ schiedene Mittel und haben verschiedene Bedürfnisse aus den Mitteln, über die sie gebieten, zu decken. Diese Verschiedenheit hat aber regelmäßig (mit den S. 197 f. erwähnten Ausnahmen) keine Be­ deutung für den Dritten, der dem Gemeinwesen als Berechtigter oder Verpflichteter gegenübersteht. Sind insbesondere bestimmte Bedürfnisse aus bestimmten Mitteln zu decken, reichen aber diese zu ihrer Deckung nicht hin, so kann dem Gläubiger des Gemein­ wesens dieser Umstand nicht entgegengehalten werden, kann er vielmehr zum Zwecke seiner Befriedigung sich auch an andere Mittel halten, so daß die über sie gebietenden Organe des Ge­ meinwesens deren eventuell im Wege der Zwangsvollstreckung er­ folgende Verwendung zu jenem Zwecke dulden müssen. Es können aber kraft Rechtsbestimmung die Mittel, die bestimmte Organe des Gemeinwesens zu verwalten und zu bestimmten Zwecken zu verwenden haben, von seinen sonstigen Mitteln in der Weise ge­ trennt sein, daß gleich ihrer Verwaltung und Verwendung ihre Erhebung und Einforderung keinen anderen als jenen Organen des Gemeinwesens zukommt, sowie sie ausschließlich und ausschließlich sie, d. h. jene Organe mit ihnen, haften für die Verbindlichkeiten, die entstanden sind durch deren amtliches Verhalten und andere dem Gebiete des bestimmten Amtes angehörende Tatsachen. Hier existiert die von Mommsen bezeichnete „privatrechtliche Verselb­ ständigung" eines Organes des Gemeinwesens. Dieses ist hier nicht nur neben anderen Organen desselben ein Subjekt eigener Kompetenz. Es tritt vielmehr auch Dritten gegenüber als Subjekt von Zuständigkeiten und Obliegenheiten, die nicht in derselben Weise, wie andere Zuständigkeiten und Obliegenheiten der verfassungsmäßigen Organe des Gemeinwesens, diesem selbst zugeschrieben werden. Seine rechtliche Macht gilt nicht als Macht des Gemeinwesens, sondern als eine solche, hinter der dessen Macht ebenso steht wie hinter der rechtlichen Macht Privater. Und seine Verbindlichkeiten gelten nicht als Verbindlichkeiten des Gemein­ wesens, so daß ihre Tilgung ausschließlich ihm selbst obliegt und ihre Geltendmachung und Durchsetzung nur möglich ist Holder, Natürl. u. jurist. Personen.

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durch seine Belangung und durch die Beschlagnahme und Ver­ wertung der Mittel, über die es von Amts wegen gebietet. Steht so ein Organ des Gemeinwesens Dritten als Subjekt von Rechten und Verbindlichkeiten gegenüber, die gleich privaten durch dasselbe und gegen dasselbe geltend gemacht, sowie eventuell durch Beschlagnahme und Verwertung der Mittel, über die es gebietet, realisiert werden können, so ergibt sich dadurch auch ein besonderes Verhältnis jenes Organes zu anderen Organen des Gemeinwesens. Zwischen verschiedenen Organen desselben besteht die Möglichkeit eines Kompetenzkonsliktes, der sowohl ein positiver als ein nega­ tiver sein kann. Es kann ein eigenes Organ für dessen Ent­ scheidung bestehen, das dann, soweit seine Kompetenz reicht, jenen übergeordnet ist. Es kann aber auch an einem solchen fehlen, und notwendig fehlt ein solches z. B. für Kompetenzkonflikte zwischen dem Monarchen und einem anderen in seiner Sphäre un­ abhängigen Staatsorgane. Soweit dagegen ein solches Dritten gegenüber als Subjekt von Rechten und Verbindlichkeiten gilt, die von denen des Staates verschieden sind, besteht für den Kom­ petenzkonflikt zwischen ihm und einem anderen gleichfalls in solcher Stellung befindlichen Staatsorgane, sowie zwischen ihm und den sonst bezüglich des Staatsvermögens zuständigen Organen, die Möglichkeit seines Austrages im Wege des Zivilprozesses. Natür­ lich besteht aber diese Möglichkeit nur für den positiven Kom­ petenzkonflikt. Ist es z. B. bezüglich eines zugunsten eines be­ stimmten Staatszweckes errichteten Vermächtnisses zweifelhaft, ob die Macht über dasselbe diesem oder jenem Staatsorgane zukommt, so kann diese Frage int Wege des Zivilprozesses zur Entscheidung kommen, wenn verschiedene Staatsorgane sie beanspruchen, dagegen nicht, wenn kein Staatsorgan sie beansprucht, weil jedes sie für eine dem anderen zukommende hält. Unter den juristischen Personen des öffentlichen Rechtes unter­ scheidet § 89 BGB. neben dem Fiskus Körperschaften, Stiftungen und Anstalten. Als eine fundamentale pflegt man zwar nicht die Unterscheidung der Stiftungen und An­ stalten, aber die Unterscheidung beider von den Körperschaften oder Korporationen anzusehen. In diesen sieht man, wie in einem Vereine und einem Gemeinwesen, sogenannte uni-

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versitates personarum. Eine solche ist, ohne daß es einen Unter­ schied macht, ob wir in ihr eine Gesamtheit oder eine gegenseitige Beziehung von Personen sehen, nicht denkbar ohne eine Mehrheit an ihr beteiligter Personen. Dies gilt sowohl von einem selb­ ständigen Gemeinwesen als von einem privaten Vereine. Es gibt aber keineswegs von jeder sogenannten Körperschaft oder Korporation. Als eine solche gilt unstreitig z. B. ein Domkapitel. Ist es wegen des Wegfalles seiner sämtlichen Mitglieder vorübergehend un­ besetzt, so nimmt niemand an, daß es dadurch untergegangen sei. Seine oder, was dasselbe ist, seiner Mitglieder Zuständigkeit ist eine amtliche gleich der Zuständigkeit des Bischofs, von der sie sich dadurch unterscheidet, daß diese einem Manne, jene mehreren mit einander zukommt. Unbestritten ist, daß sowohl das Bistum als das Domkapitel eine juristische Person, daß dagegen zwar dieses, aber nicht jenes eine Körperschaft oder Korporation ist. Soll aber deshalb das Bistum im Gegensatz zum Domkapitel als einer Universitas personarum eine universitas bonorum sein? Damit würde der Unterschied zwischen beiden höchst verkehrt be­ zeichnet. Wir bezeichnen als Organ des Staates den König und das Königtum, das unser Sprachgebrauch vom Königreich unter­ scheidet. Wie dagegen Imperium sowohl das Amt als das Amts­ gebiet heißt, so gilt dasselbe von den deutschen Bezeichnungen des Herzogtums und des Bistums. Dessen Rechte und Verbindlich­ keiten sind Rechte und Verbindlichkeiten des Bischofs, und wir bezeichnen die Rechte und Verbindlichkeiten des Amtsträgers als Rechte und Verbindlichkeiten des Amtes, um zu betonen, daß sie jener Person zukommen durch ihr Amt, auf die Dauer ihres Amtes und um ihres Amtes willen, daß sie übergehen auf den Amts­ nachfolger, und daß sie im Falle ihres zeitweiligen Fehlens durch zeitweilige Unbesetztheit des Amtes behandelt werden, wie wenn sie auch in der Zwischenzeit bestanden hätten und nur ihr Träger an ihrer Wahrnehmung verhindert gewesen wäre. Vom Domkapitel unter­ scheidet sich mithin das Bistum als eine juristische Person nicht dadurch, daß jenes eine Korporation, dagegen dieses nur eine Institution wäre, sondern als das kirchliche Amt eines für sich kompetenten Menschen von einem gleichfalls kirchlichen Amte mehrerer nur miteinander kompetenter Menschen. Wie die Rechte 15*

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und Verbindlichkeiten des Bistums Rechte und Verbindlichkeiten des Bischofs, so sind in der katholischen Kirche die Rechte und Verbindlichkeiten der Gesamtkirche Rechte und Verbindlichkeiten des Papstes. Werden sie, anstatt ihm zugeschrieben zu werden, dem päpstlichen Stuhle zugeschrieben, so wird dadurch betont, daß er sie hat in seiner Eigenschaft als Oberhaupt der Kirche. Gewiß hat er gleich einem weltlichen Monarchen seine Stellung nicht un­ abhängig davon, daß die Angehörigen der menschlichen Gemein­ schaft, deren Oberhaupt er ist, seine Herrschaft sich gefallen lassen. Dies ändert aber nichts daran, daß die Rechte, die er als Ober­ haupt der Kirche hat, lediglich seine Rechte sind, so daß die Wendung, er habe sie als Vertreter der Kirche, keine Beschränkung seiner rechtlichen Macht bedeutet. Insbesondere bedeutet eine solche nicht die zeitliche Begrenzung derselben. Wie der Eigen­ tümer zwar nach seinem Tode über seine Sache nicht mehr verfügen kann, aber durch die während seines Lebens getroffene Verfügung keineswegs nur auf die Zeit desselben ihr Schicksal bestimmen kann, so kann der Träger kirchlicher wie staatlicher Herrschaft Verfügungen treffen, deren bestimmende Bedeutung sich keineswegs auf die Zeit seiner Herrschaft beschränkt. Hat in den Angelegenheiten eines Gemeinwesens ein Organ alle Kompetenz, so ist es dasselbe, ob wir reden von den Rechten und Verbindlichkeiten des Gemeinwesens, des die Kompetenz in dessen Angelegenheiten verleihenden Amtes oder des beziehungs­ weise der durch die Bekleidung desselben in den Angelegen­ heiten des Verbandes kompetenten Menschen. Nur insoweit unter­ scheidet sich die Zuständigkeit des bestimmten Amtes oder die amtliche Zuständigkeit seines Trägers von der Zuständigkeit des Gemeinwesens, als neben jenem andere Ämter und neben seinem Träger andere Amtsträger existieren. Haben mehrere Ämter den­ selben Träger, so ist er das Subjekt der im einen wie der im anderen Amt enthaltenen Rechte und Pflichten. Soweit sie nicht nebeneinander als Rechte und Pflichten derselben Person existieren können, existieren sie so lange nicht, als ihr Träger derselbe ist. Fällt dessen Identität wieder weg, so existieren sie wieder ebenso, wie wenn sie nie zu existieren aufgehört hätten, weshalb sie als solche gelten, die auch in der Zwischenzeit bestanden und nur wegen eines

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zeitweiligen Hemmnisses ihrer Wahrnehmung geruht haben. Daß z. B. die dem Träger eines Amtes zukommende Kontrolle über die Führung eines anderen nur eine nominelle ist, solange beide Ämter von demselben Menschen bekleidet werden, ist offensichtlich. Ge­ bietet derselbe Mensch über die Mittel des einen und des anderen Amtes, so ist es zwar seine amtliche Berechtigung und Ver­ pflichtung, auf Kosten des einen Amtsgebietes dem anderen zu­ kommen zu lassen, was nominell jenes diesem schuldet; es besteht aber kein Recht einer Person, von einer anderen etwas zu verlangen, währen'' im Falle verschiedener Amtsträger ein solches dem Träger des einen Amtes gegen den Träger des anderen zukommt. Die sogenannte juristische Persönlichkeit eines Amtes, einer Anstalt oder Kasse bezeichnen unsere Gesetze namentlich durch die Wendung, das bestimmte Gebilde könne „vor Gericht klagen und verklagt werden". Kommt aber die Prozeßführung oder die Entscheidung über diese für das eine und das andere denselben Menschen zu, so ist ein Prozeß zwischen ihnen ausgeschlossen. Wer im Falle einer Fest­ stellungsklage das für sie erforderliche rechtliche Interesse nicht als ein praktisches faßt, kann auf den Gedanken kommen, daß der Träger zweier Ämter die für ihn bestehende Ungewißheit über Rechte und Verbindlichkeiten, die sie als juristische Personen gegen­ einander haben oder nicht haben, dadurch zu beseitigen unternehmen könnte, daß er als Vertreter des einen gegen sich selbst als den Vertreter des anderen eine Feststellungsklage erhebt, was dagegen sich als schlechthin ausgeschlossen ergibt vom Standpunkte der Auf­ fassung aus, daß die Feststellungsklage die dem Kläger durch den Beklagten drohende Gefahr zukünftiger Existenz eines dem Rechte nicht gemäßen oder zukünftiger Nichtexistenz des dem Rechte ge­ mäßen realen Zustandes fordert. Zur Persönlichkeit des Gemeinwesens verhält sich die Persön­ lichkeit des bestimmten Amtes so, daß bei streng monarchischer Ver­ fassung beide zusammenfallen, während andernfalls eine einheitliche Zuständigkeit des Gemeinwesens nicht existieren würde, wenn nicht ein Zusammenhang bestände zwischen der Zuständigkeit der ver­ schiedenen durch seine Verfassung gegebenen Ämter oder ihrer Träger. Die Persönlichkeit des Gemeinwesens ist nicht anderer Natur als die Persönlichkeit des Amtes und existiert nicht ohne

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diese. Sind insbesondere einem Gemeinwesen engere Verbände nicht nur untergeordnet, sondern eingegliedert, so daß sie Bestand­ teile desselben sind, so ist es nur eine Verschiedenheit des Aus­ drucks, ob die durch deren auf der Verfassung des Gesamtverbandes beruhende Verfassung gegebene Kompetenz bezeichnet wird als Kompetenz eines Organs bezw. verschiedener Organe des Gesamt­ verbandes oder des Teilverbandes bezw. seiner Organe. Alan legt Wert darauf, daß die Gemeinde oder die Verbindung der Gemeindegenossen ein eigener Verband neben dem Staate ist. Sie tritt um so mehr als ein solcher hervor, je mehr Teilnahme die Gemeinde­ verfassung den Gemeindeangehörigen an der Besorgung der Ge­ meindeangelegenheiten gewährt. Für die juristische Persönlichkeit der Gemeinde ist aber dieser Einfluß und sein Blaß gleichgültig. Und wie er ohne Bedeutung für die juristische Persönlichkeit der Gemeinde ist, so ist auch die Angehörigkeit eines Menschen zur Gemeinde nicht abhängig davon, daß ihm eine, wenn auch noch so geringe und mittelbare, Teilnahme an der Besorgung der Ge­ meindeangelegenheiten zukommt. Eine solche kommt nie allen An­ gehörigen der Gemeinde zu nicht nur wegen des Ausschlusses solcher Menschen, die überhaupt nicht selbständige Personen sind, sondern insbesondere auch, weil dazu nicht nur die Gemeindeangehörigen im engeren Sinne gehören, sondern alle an der Rechtsgemeinschaft des Staates beteiligten Menschen, deren Leben in irgend einer Be­ ziehung zu fördern zu den Aufgaben der Gemeinde gehört. Man spricht von der Selbstverwaltung einer dem Staate eingegliederten engeren Gemeinschaft in dem Sinne, daß es den an dieser Be­ teiligten zukommt, deren Angelegenheiten als ihre eigenen An­ gelegenheiten selbst zu besorgen oder doch durch solche Ver­ treter besorgen zu lassen, die sie selbst gewählt haben. Mehr oder weniger Selbstverwaltung kommt nicht zu der Gemeinde als einer juristischen Person, da keine Besorgung ihrer An­ gelegenheiten durch sie selbst und jede Besorgung solcher in ihrem Namen erfolgt. Selbstverwaltung kommt zu den Angehörigen der Gemeinde. Sie ist aber stets nur eine beschränkte auch dann, wenn alle Gemeindeangelegenheiten durch Menschen besorgt werden, die von den Gemeindeangehörigen gewählt sind, da die Vorsteher der Gemeinde nicht Bevollmächtigte der Gemeindeangehörigen sind.

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denen ihre Vollmacht durch diese entzogen werden kann, sondern Amtsträger mit eigener Zuständigkeit und gesetzliche Vertreter der Gemeindeangehörigen. Und die Selbstverwaltung ist auch insofern stets nur eine beschränkte, als an ihr nie teilnehmen alle, sondern nur die in bestimmtem Maße, insbesondere nicht die nur vorübergehend oder gelegentlich an der zu besorgenden Angelegenheit Beteiligten. Wer in einer Gemeinde sich nur vorübergehend aufhält, ist an der kommunalen Selbstverwaltung und an den Gemeindewahlen nicht beteiligt; auch er ist aber an der Gemeinde beteiligt und gehört zu den Menschen, deren Vertretung als solcher, die an ihr be­ teiligt sind, ihren Organen zukommt. Öffentliche Korporationen oder Körperschaften pflegt man bloßen öffentlichen Anstalten entgegenzusetzen durch die ihnen zukommende Selbstverwaltung. Zugleich bezeichnet man jene im Gegensatze zu diesen gleich dem Staate und den Vereinen als Personengesamtheiten. Es ist aber einmal ihre Verwaltung eine amtliche, die zwar von der allgemeinen Staatsverwaltung ver­ schieden, aber als Verwaltung eines von Staats wegen existierenden Amtsgebietes zugleich mittelbare Staatsverwaltung ist. In welchem Umfange an diesen Amisverwaltungen beteiligt sind oder auf sie Einfluß haben die an den bestimmten Angelegenheiten beteiligten und durch die Träger des Amtes vertretenen Menschen, ist eine Frage seiner Organisation. Wie aber kein Staat existiert ohne Staatsgewalt, deren Objekt die Untertanen sind, wenngleich viel­ leicht sehr vielen von ihnen (aber nie allen) Teilnahme an ihr und Einfluß auf sie zukommt, so ändert die noch so ausgedehnte Selbstverwaltung nichts daran, daß die Gewalt, woran sie Teil­ nahme oder worauf sie Einfluß gewährt, von Staats wegen existierende Amtsgewalt ist, für deren Träger die Gesamtheit der an der bestimmten Angelegenheit beteiligten Menschen ein Objekt ihrer amtlichen Macht und Fürsorge ist. Wenn sodann der Name der Korporation nach unserem Sprachgebrauche darauf hindeutet, daß in ihren Angelegen­ heiten nicht ein Mensch, sondern eine Mehrheit solcher entscheidet, so wird diesem Momente, das sich nur auf die Organisation des Amtes bezieht, eine ihm nicht zukommende Bedeutung beigelegt (weshalb auch die Engländer eine nur aus einem Menschen bestehende sole Cor­ poration kennen). Läßt man aber die Korporation aus der Ge­

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samtheit der Menschen bestehen, die ihr dadurch angehören, daß die durch ihre Organe wahrzunehmenden Angelegenheiten sie an­ gehen, so ist keine Rede davon, daß jene Gesamtheit und ihr Wille für die Besorgung dieser Angelegenheiten und für die Existenz der Korporation die Bedeutung hätte, die für die Existenz und die Angelegenheiten eines Vereins die Gesamtheit seiner Mitglieder und ihr Wille hat. Auf die Unterscheidung der öffentlichen Korporationen von bloßen öffentlichen Anstalten und die Zugehörigkeit zu jenen legt man vielfach besonderen Wert für die Universitäten, deren Name nicht von der den ältesten Universitäten fremden Erstreckung ihres Betriebs auf alle Wissenschaften, sondern von der ihnen zukommenden Eigenschaft, Personengesamtheiten zu sein, herrührt. Die Uni­ versität Bologna war eine Universitas (oder eine Vereinigung zweier universitates) seholarium, deren Haupt, der Rektor, durch diese und aus diesen gewählt wurde. Die für die spätere Universitätsverfassung maßgebend gewordene Universität Paris hatte eine andere, die Verwaltung der Universität den Lehrern über­ tragende Verfassung. Unsere Universitäten sind durchweg Staats­ universitäten. Nennt man sie Körperschaften oder Korporationen, so fragt sich, aus welchen Menschen sie als solche bestehen. Aka­ demische Bürger nennen wir die Studenten, und wenn die Uni­ versität sowohl der Lehrer als der Schüler bedarf, so besteht kein Zweifel daran, daß sie nicht so sehr um jener als um dieser willen besteht, und daß die Schüler nicht um der Lehrer willen, wohl aber die Lehrer um der Schüler willen als solcher existieren, deren Leben zu fördern ihr Beruf bezweckt. Verstehen wir aber unter den Mitgliedern einer Korporation Menschen, denen von Rechts wegen in deren Angelegenheiten eine Entscheidung oder Ein­ fluß auf eine solche zukommt, so sind in den Angelegenheiten der Universität die Studenten solche Menschen nicht. Dasselbe gilt aber von den Universitätslehrern. In dieser Eigenschaft stehen die ordentlichen Professoren, die außerordentlichen Professoren und die Privatdozenten einander gleich; insbesondere ist, soweit die Teil­ nahme am akademischen Unterricht rechtliche Bedeutung hat, diese unabhängig von der Angehörigkeit des Lehrers zur einen oder anderen Gruppe. Ein rechtlicher Einfluß auf die Angelegenheiten

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der Universitäten kommt dagegen den Privatdozenten nicht und den außerordentlichen Professoren nur vereinzelt zu. Von ihm ist also gerade die Gruppe von Universitätslehrern gänzlich aus­ geschlossen, deren Zulassung allein etwas ist, das von Universitäts­ angehörigen abhängt. Zum Professor können ausschließlich Staats­ organe ernennen, die nicht zu den Universitätsangehörigen gehören, und das solchen zustehende Vorschlagsrecht bedeutet lediglich die ihnen durch den Staat verheißene Einholung ihres Rates, deren Unterlassung die Gültigkeit der Enennung nicht ausschließt. Wie so gerade die Verleihung derjenigen Angehörigkeit zur Universität, die allein eine gewisse Kompetenz in ihren An­ gelegenheiten begründet, nicht von Unioersitätsangehörigen, sondern ausschließlich von der Entscheidung staatlicher Organe abhängt, so haben auch sonst die oberste und umfassendste Kompetenz in ihren Angelegenheiten Staatsorgane, die nicht Universitäts­ angehörige sind, insbesondere das Staatsoberhaupt. Eine be­ schränkte Kompetenz haben als Träger akademischer Ämter teils einzelne Universitätsangehörige teils verschiedene akademische Kollegien. Unter jenen ist ein Universitätslehrer der Rektor, dagegen nicht der Universitätsrichter. Diese Kollegien bestehen vorwiegend aus Universitätslehrern; doch nimmt z. B. in Preußen am akademischen Senate auch der Universitätsrichter teil. Was dieser, was der Rektor und was der Senat vermöge seiner Kompetenz rechtsgültig tut, geschieht gleichmäßig im Namen der Universität. Ist in den Angelegenheiten der einzelnen Fakultät teils der Dekan teils das Kollegium der Fakultätsmitglieder kom­ petent, so macht es keinen Unterschied, ob wir sagen, die Aus­ übung dieser Kompetenz erfolge im Namen der Fakultät oder der Universität. Wer, wie man sagt, die Fakultät vertritt, der ver­ tritt in einer Angelegenheit, die nach der Universitätsverfassung eine Angelegenheit der bestimmten Fakultät ist, die Universität. Als eigene juristische Personen pflegen die Fakultäten nicht zu gelten. Wo sie, wie in Leipzig, als solche gelten, da ist nicht etwa das Kollegium ihrer Mitglieder in der Lage, über ihr Ver­ mögen zu verfüge», wie die Mitglieder eines Vereins durch ihre Beschlüsse über das Vereinsvermögen verfügen können. Über alles Universitätsvermögen, sei es nun Vermögen der Gesamtuniversität,

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Das Gemeinwesen.

einer Fakultät oder eines Universitätsinstituts, gebieten staatliche Organe. Wenn darüber andere Organe gebieten, als über anderes Staatsvermögen, und vermöge der juristischen Persönlichkeit der Uni­ versität ein Kompetenzkonflikt dieser verschiedenen Organe gleich einer Privatrechtsstreitigkeit vor den Zivilrichter gebracht werden kann, so gilt dies doch nicht vom Verhältnis des Fakultäts- oder Jnstitutsvermögens zu anderem Universitätsvermögen wegen der Identität der in den Angelegenheiten, daher auch bezüglich des Vermögens der Gesamtuniversität und ihrer Fakultäten, Institute usw. kom­ petenten Staatsorgane. Das eine Vermögen unterscheidet sich vom anderen durch seine Herkunft und seine Bestimmung. Es unterscheidet sich auch einigermaßen durch die bezüglich seiner Ver­ wendung kompetenten Behörden. Da aber die oberste Kompetenz in dieser Beziehung demselben Staatsorgane zukommt, ist ein Rechtsstreit jener verschiedenen Behörden in den Angelegenheiten ihrer Kompetenz gerichtlichen Austrags nicht bedilrftig und fähig, da er seine administrative Erledigung findet durch die Entscheidung des ihnen gemeinsam vorgesetzten Staatsorganes. Ist sodann, wie in Leipzig, die Verwaltung des Universitäts- und des Fakultäts­ vermögens demselben (nicht unter den Universitätsbehörden, sondern unmittelbar unter dem Minister stehenden) Universitätsrentmeister übertragen, so begründen Beziehungen, die sonst zwischen den In­ habern zweier Vermögen eine Verbindlichkeit begründen, deren Er­ füllung der eine dem anderen schuldet, für den Verwalter jener Vermögen die Verbindlichkeit der entsprechenden Leistung aus dem einen zugunsten des anderen als eine Amtspflicht, für deren Er­ haltung zu sorgen außer ihm selbst ausschließlich seinen amtlichen Vorgesetzten zukommt. Was uns hier im Gebiete der juristischen Personen begegnet, gilt ebenso, wenn dieselbe Person der gesetz­ liche Vertreter verschiedener Menschen ist. Die durch den Vormund oder Pfleger wahrzunehmende Verbindlichkeit des einen Mündels oder Pfleglings gegen den anderen kann, wenn jener identisch ist, durch niemand und von niemand als private geltend gemacht werden, und ihre Erfüllung ist eine ausschließlich innerhalb seines Macht­ gebietes verlaufende Handlung. Eine eigene amtliche Macht hat jeder, dem durch sein Amt eine Entscheidung zukommt. Seine Macht kann von sehr ver­

Die Persönlichkeit des Amtes.

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schiedenem Umfang sein, nicht nur durch das Gebiet, auf das sie sich erstreckt, sondern auch dadurch, daß ihm eine Entscheidung zukommen kann für sich oder nur in Verbindung mit anderen, daß er bezüglich derselben verpflichtet oder nicht verpflichtet sein kann, etwaige Weisungen ihm vorgesetzter Amtsträger zu befolgen, und daß seine Entscheidung der Umstoßung durch die Entscheidung eines anderen Amtsträgers ausgesetzt oder nicht ausgesetzt sein kann. Subjekt eigener, wenngleich nur in Verbindung mit der Entscheidung anderer maßgebender Entscheidung ist auch das einzelne Mitglied eines Kollegiums. Otto Mayer (Deutsches Ver­ waltungsrecht II, S. 395, Note 2) beruft sich dagegen, daß jeder Teilhaber an der Willensbildung des Organismus ein Organ des­ selben sei, darauf, danach wäre „nicht das Gericht . . . das Organ, sondern der Landgerichtsrat". Nach ihm ist vielmehr Organ die, sei es von einem oder von mehreren „gebildete Stelle . . . von welcher der Wille der juristischen Person, d. h. der für sie geltende, ausgeht". Was aber von einer bestimmten Stelle ausgeht, das geht aus von der sie einnehmenden Kraft und, wenn diese, wie im Falle der Willensbildung, notwendig menschliche Kraft ist, von den die Stelle einnehmenden Menschen. Wie Mayer mit Recht sagt, das Wort „Organ" sei ein „abkürzender Ausdruck", so ist ein solcher auch das Wort „Gericht" insbesondere für die Gesamt­ heit der an der Bildung des Gerichtes beteiligten Menschen. Die Zivil- oder Strafkammer des Landgerichtes kann ein zur Ent­ scheidung von Zivil- oder Strafprozessen berufenes Organ nicht sein, ohne daß solche Organe ihre Mitglieder wären. Wäre ein Staatsorgan nur die Stelle, wovon Staatswille „ausgeht", so wäre ein an der Gesetzgebung beteiligtes Staatsorgan die Volks­ vertretung nur, wenn ihr Initiative zukommt. Die Gerichte oder die Träger des Richteramtes sind, wie man sagt, solche Staats­ organe, die bezüglich der ihnen zukommenden Entscheidung keine Weisung vorgesetzter Staatsorgane zu befolgen haben, was aber in dieser Allgemeinheit nur deshalb gesagt werden kann, weil man gewohnt ist, das Gesetz als unmittelbare Äußerung des Staats­ willens den bloßen Vorschriften bestimmter Staatsorgane ent­ gegenzusetzen. Durch ihre Pflicht, in Gemäßheit der Gesetze zu entscheiden, sind die Gerichte verpflichtet, die Weisungen der gesetz­

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Das Gemeinwesen.

gebenden Faktoren zu befolgen. Sie sind aber im Gegensatze zu Verwaltungsstellen oder deren Inhabern schlechthin selbständig bezüglich der Anwendung des Gesetzes auf den von ihnen zu ent­ scheidenden konkreten Fall und seiner dafür maßgebenden Aus­ legung. Der Umstoßung seiner Entscheidung durch die von einem Beteiligten angerufene Entscheidung eines höheren Gerichtes ist nur das höchste Gericht entrückt. Die Kompetenz verschiedener Menschen in den Angelegenheiten des Gemeinwesens ist eine sehr verschiedene, nicht nur bezüglich ihrer Gegenstände, sondern auch bezüglich ihrer Eigenschaft als einer individuellen oder kollegialen, mit der Pflicht zur Befolgung etwaiger Weisungen Vorgesetzter verbundenen oder nicht verbundenen und der höheren Kompetenz anderer Amtsträger untergeordneten oder nicht untergeordneten. Wie daher durch die ganze Verfassung des Staates sich bestimmt, welcher Anteil diesem oder jenem Menschen zukommt an der amtlichen Macht über Staatsvermögen, so bestimmt sich durch seine Verfassung in Beziehung auf be­ stimmte Angelegenheiten der Anteil bestimmter Menschen an der amtlichen Macht über solches Staatsvermögen, worüber die in der bestimmten Angelegenheit zuständigen Menschen gebieten. Da Staatsangelegenheiten, für die besonderes Vermögen besteht, vielfach teils mit dessen Mitteln, teils mit allgemeinen Staats­ mitteln besorgt werden, so kann denselben Staatsorganen unter­ schiedslos Macht zukommen über solches staatliches Sondervermögen und über den der Förderung derselben Angelegenheit gewidmeten Teil des allgemeinen Staatsvermögens, wogegen die Unter­ scheidung beider praktisch wird in Beziehung auf Verbindlich­ keiten, für die nach der Verschiedenheit ihres Entstehungsgrundes das allgemeine Staatsvermögen oder ein bestimmtes staatliches Sondervermögen haftet. Entsteht z. B. eine Ersatzpflicht durch den Einsturz eines Gebäudes einer öffentlichen Anstalt oder durch ein für sie gehaltenes Tier, so haften dafür nur die ihr als einer juristischen Person zugeschriebenen Mittel, wenn jener Gegen­ stand als der ihrige, dagegen nicht, wenn er als eine Sache des Staates gilt. Ebenso macht es für Verbindlichkeiten aus Rechts­ geschäften und aus dem sonstigen amtlichen Verhalten der in bestimmten Angelegenheiten kompetenten Menschen einen Unterschied, ob diese ge­

Die Persönlichkeit des Amtes.

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handelt haben als Vertreter des ganzen Gemeinwesens oder aus­ schließlich des bestimmten Amtes. Sobald ihnen aber nicht nur die zweite, sondern auch die erste Eigenschaft zukommt, haben sie im Zweifel in ihr gehandelt. Daß die Universität eine eigene juristische Person ist, ändert nichts daran, daß die Handlungen der in ihren Angelegenheiten kompetenten Menschen, seien sie nun Universitätsangehörige oder nicht, Handlungen staatlicher Organe sind, die, soweit die Mittel des Staates für die Handlungen seiner Organe haften, diese Haftung begründen. Zwar kann für die Universität als eine eigene juristische Person ein Darlehen auf­ genommen werden, so daß dafür nur ihr Vermögen haftet; da­ gegen begründet im Zweifel ein zur Befriedigung eines Be­ dürfnisses derselben von der in dieser Beziehung zuständigen Be­ hörde eingegangener Kontrakt Rechte und Verbindlichkeiten des Staates gleich jedem Kontrakte einer Staatsbehörde, der es zustand, ihn einzugehen. Daß die Macht der meisten Staatsorgane eine amtliche Macht anderer über sich hat, daß insbesondere über allen anderen Staatsorganeu die gesetzgebenden Faktoren stehen, was nur vom Monarchen nicht gilt, weil er in der Weise zu diesen gehört, daß ein Gesetz nicht ohne seine Zustimmung möglich ist, gilt ebenso von der rechtlichen Macht der Privaten. Sie besteht in Gemäßheit der Gesetze und ist der Änderung durch diese ausgesetzt. Sie bedarf regelmäßig zu ihrer Durchsetzung der Hilfe staatlicher Organe. Und wenn sie vom Gegner nicht anerkannt wird, so kann sich ihre Existenz nur bewähren durch die Anerkennung der kompetenten Staats­ organe, durch deren Anerkennung und Aberkennung sie eventuell mit rückwirkender Kraft aus einer nicht existenten zu einer existenten und aus einer existenten zu einer nicht existenten wird. Wie hinter der privaten Macht eine Macht staatlicher Orane, so steht hinter der privaten Verbindlichkeit eine Verbindlichkeit staatlicher Organe, aber nicht zur Erfüllung jener, sondern nur dazu, auf Ver­ langen des Berechtigten den Erfolg ihrer Erfüllung oder ein Surrogat desselben insoweit herzustellen, als dazu das ihrer Einwirkung aus­ gesetzte Vermögen des Verpflichteten ausreicht. Daß die Verbindlichkeit nicht nur eines bestimmten Staatsamtes, sondern auch des Staates als eines Privatsubjektes eine Verbindlichkeit bestimmter Staats­

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Das Gemeinwesen.

organe ist, zeigt handgreiflich die Möglichkeit der Belangung des Staates bei seinen Gerichten und der Vollstreckung gegen ihn durch seine Vollstreckungsorgane, die nicht sowohl bedeutet die Möglichkeit, vermittelst eines Staatsorganes gegen den Staat, als die Möglichkeit, vermittelst bestimmter Staatsorgane gegen andere vorzugehen. Steht der Staat als nominelles Privatrechtssubjekt einem Staatsamte, das gleichfalls ein solches ist, oder steht ein zu dieser Kategorie gehörendes Staatsamt einem anderen gleich­ falls zu ihr gehörenden Staatsamte gegenüber, so ist das ganze Verhältnis lediglich ein gegenseitiges Verhältnis verschiedener Staatsorgane, das sich von anderen Verhältnissen solcher unter­ scheidet durch die für seine Behandlung platzgreifende Analogie privatrechtlicher Verhältnisse, die aber nur insoweit platzgreift, als sie nicht ausgeschlossen ist durch den zwischen jenen Staats­ organen bestehenden Zusammenhang, wie namentlich ein Zivil­ prozeß jener Organe gegeneinander dadurch ausgeschlossen sein kann, daß sie nicht prozessieren können ohne die Genehmigung eines höheren ihnen gemeinsam vorgesetzten Staatsorganes. Als Subjekt des allgemeinen Staatsvermögens hat man früher anstatt des Staates den Fiskus oder die Staatskasse bezeichnet. Das Subjekt staatlichen Sondervermögens bezeichnet man sehrverschieden. Auch hier nennt man als solches die bestimmte Staatskasse, sodann die bestimmte Staatsanstalt, von der, wie wir gesehen haben, eine von Staats wegen existierende Körperschaft oder Korporation nicht zu unterscheiden ist, endlich das bestimmte Staatsamt. Sind die dem Staate als einer juristischen Person oder einer anderen von Staats wegen existierenden juristischen Person zugeschriebenen privaten Rechte und Verbindlichkeiten in Wirklichkeit amtliche Zuständigkeiten und Obliegenheiten, so fällt der Grund für die Unterscheidung des Staates und des Fiskus weg, den die dem Staate fremde, dagegen angeblich dem Fiskus eigene Eigenschaft eines Privatrechtssubjektes bildete. Die sprach­ liche Willkürlichkeit der Unterscheidung leuchtet ohnedies ein, da sprachlich die Staatskasse nichts anderes ist als die Kasse des Staates. Als Anstalten bezeichnen wir manche, aber nicht alle besonderen Amtsgebiete. Und es ist dasselbe, ob wir sprechen von der Persönlichkeit einer von Staats wegen existierenden

Die Persönlichkeit des Amtes.

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Anstalt oder des von Staats wegen für ihre Verwaltung existierenden Amtes. Auch das Vermögen jener Anstalt oder dieses Amtes ist Staatsvermögen, und auch das allgemeine Staatsvermögen ist Amtsvermögen. Jede durch die Existenz des einen wie des anderen gegebene Zuständigkeit ist eine staatliche und amtliche. Diese kommt aber im Falle des staat­ lichen Sondervermögens ausschließlich den Trägern bestimmter von Staats wegen bestehender Ämter zu, und ihre Existenz als einer durch deren Bekleidung gegebenen wird am kürzesten dadurch ausgedrückt, daß wir sie dem Amte selbst zuschreiben. Wir nennen, wie die ganze Staatsgewalt eine Gewalt des Staates, so die bestimmte von Staats wegen existierende Amtsgewalt eine Gewalt des bestimmten von Staats wegen existierenden Amtes und schreiben damit diesem Persönlichkeit in demselben Sinne zu wie jenem. Auch diesem schreiben wir sie zu in einem doppelten Sinne. Wie der Herrscher um des Staates, so existiert jeder Träger eines Amtes um seines Amtes willen. Was jener dem Staate schuldet, das schuldet dieser seinem Amte. Der Unter­ schied beider besteht nur in dem geringeren Umfange des dem einen und dem anderen zukommenden Amtes oder der dem einen und dein anderen zukommenden Amtsgewalt und Amtspflicht. Was der Herrscher dem Staate schuldet, das schuldet er seinem Herrscheramte. Wie jenem, so gehört er diesem an. Und was der Träger eines anderen von Staats wegen existierenden Amtes seinem Amte schuldet, das schuldet er dem Staate. Ebensowenig, wie das Amt, ist der Staat in Wirklichkeit eine Person, der er etwas schuldet. Was ich dem Staate schulde, das schulde ich den am Staate, was ich meinem Amte schulde, das schulde ich den an dessen Führung beteiligten Menschen als solchen, für die zu sorgen mir zukommt In diesem Sinne steht der Herrscher und Amtsträger im Dienste des Staates und seines Amtes oder der Menschen, um deren willen der Staat und das Amt existiert. Er steht im Dienste aller dieser Menschen, aber nicht als solcher, von denen er seine Gewalt hat, sondern als solcher, in deren eigenem Interesse er Gewalt über sie hat, die daher sowohl eine Macht über ihr Leben als ein Mittel der Förderung ihres Lebens ist. Das Amt selbst hat Macht über den Amtsträger als einen

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Das Gemeinwesen.

solchen, der sich durch seine Amtspflicht bestimmen läßt. Gewalt hat nicht das Amt über den Amtsträger, sondern der Amtsträger durch das Amt. Die Gewalt oder Kompetenz des Amtes ist eine Gewalt und Kompetenz seines Trägers oder seiner verschiedenen, sei es nebeneinander an ihr beteiligten, sei es aufeinander folgenden Träger. Wir nennen deren amtliche Zuständigkeiten und Obliegen­ heiten solche des Amtes, um auszudrücken, daß sie den bestimmten Menschen nicht als diesen Individuen um ihrer selbst willen, sondern als den Trägern dieses Amtes nm der Menschen willen zukommen, um deren willen es existiert. Wie dem geschäftsunfähigen Menschen rechtliche Persönlichkeit in anderem Sinne zukommt als dem geschäftsfähigen, so kommt dem Staate und Staatsamte rechtliche Persönlichkeit nicht ebenso zu wie dem Menschen. Wenn jedoch jener zwar um seiner selbst willen existiert, aber keine eigene Zuständigkeit und Obliegenheit hat, weshalb diese, soweit sie ihm als einem ihrer fähigen zukäme, von Staats wegen seinem gesetzlichen Vertreter als amtliche zukommt, so existiert umgekehrt der Staat und das Amt nicht um seiner selbst willen. Der Mensch existiert um seiner selbst, aber auch um anderer Menschen willen als solcher, die neben ihm existieren, wie als solcher, die nach ihm existieren werden, was von Rechts wegen vom Amtsträger gilt durch seine Amtspflicht. Durch diese stehen ihm die Menschen, denen seine Amtsführung gilt, gegenüber als Objekte seiner ihnen geschuldeten Fürsorge, wie durch seine Amtsgewalt als Objekte seiner Macht. Wir nennen den Träger eines Amtes auch dessen Vertreter und sagen, er habe die Amtsgewalt nicht in seinem eigenen Namen, sondern im Namen seines Amtes. Er handelt aber in anderem Sinne im Namen seines Amtes als der Vormund, der selbst ein Amtsträger ist, im Namen des Mündels. Der Vormund hat seine Kompetenz um des Mündels willen, aber nicht vom Mündel. Der Amtsträger hat seine Kompetenz durch sein Amt. Das Amt hat nicht Kompetenz, aber es verleiht solche oder ist solche. Es bedeutet dasselbe, daß ich ein Amt habe und daß ich seine Kompetenz habe, und wenn wir dem Amte Existenz und Kompetenz auch als einem unbesetzten zuschreiben, so ruht doch, so lange es nicht besetzt ist, das Amt und seine Kompetenz

Die Stiftung.

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d. h. es und sie existiert zur Zeit nur insofern, als die Existenz eines Trägers desselben, der seine Kompetenz hat, eintreten kann mit der Wirkung der rechtlichen Ignorierung der Zeit, zu der ein solcher nicht existierte. Daß dessen Zuständigkeit dem Amte zu­ geschrieben wird, bedeutet, daß er sie von Amts wegen hat und daß sie rechtlich dieselbe ist trotz erfolgten Wechsels und vorüber­ gehenden Fehlens des Amtsträgers. Daß dem Amte oder seinem Träger bestimmte Zuständigkeiten zukommen als privatrechtliche, bedeutet, daß für sie mutatis mutandis dasselbe gilt wie für private, daß insbesondere sie möglicher Gegenstand eines Zivil­ prozesses oder der Anerkennung und Aberkennung durch die Staats­ organe sind, denen die Anerkennung und Aberkennung privater Rechte zusteht, und daß wegen der dem Amte zugeschriebenen privaten Verbindlichkeiten Zwangsvollstreckung in die Mittel, worüber sein Träger als Vermögen des Amtes gebietet, ebenso möglich ist, wie wegen der privaten Verbindlichkeiten eines Menschen in dessen Vermögen.

7. Die Stiftung. Daß durch die Existenz einer Stiftung keine anderen als amt­ liche Rechte und Pflichten existieren, kann nicht bestreiten, wer als wirkliche Subjekte solcher nur Menschen kennt. Nach Fr. H. B eh­ rend (Die Stiftungen nach dem deutschen bürg. R. I, 1904, S. 248) ist die Meinung, daß die durch die Existenz der Stiftung berechtigten Menschen ihre Verwalter seien, „auf alle Fälle unannehmbar", da sowohl „die laienhafte Anschauung" als ins­ besondere „die technisch-juristische Behandlung — für die (formale) Zuständigkeit von Rechten immer eine Beziehung zu (bezw. eine Beteiligung an) den materiellen Erträgnissen derselben (begriffs­ mäßig) erfordern" werde, weshalb das Rechtssubjekt, um Bekkers Ausdruck zu gebrauchen, „immer mindestens auch Genießer" sein müsse oder „nicht grundsätzlich bloß Verfüger sein" dürfe. Ist aber Subjekt eines Rechtes keinesfalls ein zufälliger Genießer, sondern nur ein Genußberechtigter, so existiert z. B. im Fall einer Stiftung zur Unterstützung oder sonstigen Förderung von Menschen, deren Auswahl dem Ermessen ihres Verwalters anheimgegeben ist, kein Mensch, der auf diese Unterstützung oder Förderung ein Holder, Natürl. u. jurist. Personen.

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Das Gemeinwesen

Recht hätte. Es steht hier genau so wie im Falle einer Stiftung zu irgend einem unabhängig davon, welche Menschen an ihm be­ teiligt sind, zu fördernden Zwecke. Seine Förderung mit den Mitteln der Stiftung als solchen, über die er gebietet, ist etwas, das ihrem Verwalter zusteht und obliegt, und wenn seine Obliegenheit gleich jeder anderen ihn belästigt oder drückt, so gewährt ihm seine Zuständigkeit gleich jeder anderen Genuß. Hat die Verwaltung einer Stiftung zugunsten von Armen oder von Tieren ein warmer Freund der Armen oder Tiere, so hat er die Macht, über ihre Mittel zu jenem Zweck zu gebieten, und sowohl den Genuß, den ihm dessen Förderung, als den Genuß, den jede Macht oder Möglich­ keit wirksamer Willensbetätigung gewährt, und zwar in um so höherem Maße, je mehr Freiheit die Stiftung seinem Er­ messen gibt. Behalte ich auf die Zeit meines Lebens mir selbst die Verwaltung einer von mir errichteten Stiftung vor, so bereite ich mir dadurch die Pflicht, aber auch das Recht, die Blühe, aber auch die Freude ihrer Verwaltung oder den Genuß, den mir nicht nur die Förderung des Stiftungszweckes durch meine Tätigkeit, sondern auch die Macht gewährt, die ich als ein über die Mittel der Stiftung gebietender habe. Wenn man vielfach im Gegen­ satz zu sonstigem durch den Willen seines Subjektes beherrschtem Vermögen das Vermögen einer Stiftung als ein vom Willen des Stifters beherrschtes bezeichnet, so ist es durch dessen Willen nur so beherrscht wie das kraft letzten Willens ererbte Vermögen durch den Willen des Erblassers und alles kraft einer Rechtsübertragung existierende Vermögen durch den Willen ihres Urhebers. Wer eine von ihm gegründete Stiftung mit Vermögen ausstattet, ent­ äußert sich dieses Vermögens nicht weniger als wer es anderen zuwendet. Er verwandelt es aus einem Gegenstände seinerprivaten Macht in einen Gegenstand amtlicher Macht der Menschen, denen die Verwaltung der Stiftung zukommt. Bestritten ist die Bedeutung, die für die Existenz einer Stiftung einesteils die Existenz von Stiftungsvermögen, anderen­ teils die Existenz einer Stiftungsverwaltung hat. Unerläßlich ist die erste von dem Standpunkte aus, nach dem alle juristischen Personen entweder universitates personarum oder universitates bonorum sind. Dieser Standpunkt ergibt nicht nur die Unmöglichkeit der

Die Stiftung.

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Entstehung einer Stiftung ohne Vermögen, sondern auch die Un­ möglichkeit ihrer ferneren Existenz nach dem Wegfall ihres Ver­ mögens. Ohne Kräfte, über die sie verfügt, kann freilich die Stiftung nicht existieren. Sind aber solche nur ihre pekuniären Mittel und nicht auch die persönlichen Kräfte der in ihrem Dienste stehenden Menschen? Das Gegenteil folgt nicht etwa daraus, daß diese für die Schulden der Stiftung nicht persönlich haften. Ist doch die Verschiedenheit der mit seiner persönlichen Haftung ver­ bundenen Verbindlichkeit eines Menschen und der mit niemands persönlicher Haftung verbundenen Verbindlichkeit einer juristischen Person lediglich eine Verschiedenheit des Vermögens, das haftet oder mit dem im einen Falle die bestimmten Menschen als ihrem privaten Vermögen, im anderen Falle die Vertreter der juristischen Person als einem solchen haften, über das sie von Amts wegen gebieten. Wie trotz der auf sein Vermögen beschränkten Haftung meines Schuldners ich für meine Befriedigung keineswegs nur auf jenes, sondern namentlich auch auf seine persönlichen Eigenschaften und sonstigen Beziehungen, seine Gewissenhaftigkeit, seine Arbeits­ kraft und seinen Kredit, seine voraussichtlich im Notfall für ihn eintretenden Verwandten usw. rechne, so rechnet der Gläubiger einer juristischen Person für seine Befriedigung nicht nur auf ihr Vermögen, sondern auch namentlich auf die Tüchtigkeit und Ge­ wissenhaftigkeit ihrer Vertreter. Nehmen wir an, daß durch Un­ glücksfälle die pekuniären Mittel einer Stiftung nahezu erschöpft sind, so ist sicher, daß sie wieder vermehrt werden können durch die Tüchtigkeit ihrer Verwalter, denen es z. B. gelingt, die Auf­ merksamkeit des Publikums so auf sie zu lenken, daß ihr reiche Mittel zugewendet werden. Soll es einen Unterschied machen, ob diese Tätigkeit erfolgt oder erfolgreich geworden ist zur Zeit schon der annähernden oder erst der gänzlichen Erschöpfung der Stiftungs­ mittel? Und sollen, wenn die Existenz der Stiftung bedingt ist durch die Existenz von Stiftungsvermögen, dazu, wie Brinz annimmt (Pand. 2. A. S. 584), Schulden genügen, so daß sie durch die Erschöpfung ihrer Kasse zwar sonst, aber nicht dann untergegangen ist, wenn noch ein unbezahlter Gläubiger derselben existiert? Soll die Geltung einer vielleicht gerade mit Rücksicht auf ihre Notlage ihr gemachten letztwilligen Zuwendung davon abhängen, ob vor 16*

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Das Gemeinwesen.

oder nach dem Tode ihres Urhebers der letzte Rest des bisherigen Stiftungsvermögens verschwunden ist? Die Annahme, daß durch den Wegfall ihres Vermögens die Stiftung wegfällt, ist unhaltbar. Die Entstehung einer solchen ist, wie unser BGB. sehr mit Recht bestimmt, abhängig von einem Staatsakte, der nur erfolgt, wenn nach dem Ermessen des zu­ ständigen Staatsorganes ihre Zulassung sich empfiehlt sowohl durch ihren Zweck als dadurch, daß sie voraussichtlich zu seiner Erreichung oder doch erheblichen Förderung sich eignet, was namentlich abhängt von den ihr zu Gebote stehenden pekuniären Mitteln. Ist sie aber staatlich zugelassen, so hängt ihre rechtliche Existenz nicht ab von der Suffizienz ihrer Mittel, und da sie ihrem Zwecke dient nicht nur mit den ihr von Anfang an durch ihren Gründer zugewendeten, sondern auch mit den später sowohl durch die eigene Tätigkeit ihres Verwalters als sonst ihr zu­ fließenden Mitteln, so kann ihre Zulassung namentlich auch er­ folgen mit Rücksicht auf die ihr als einer zu rechtlicher Existenz gelangten in Aussicht stehenden Mittel. Existiert sie trotz der In­ suffizienz der vor ihrer staatlichen Zulassung ihr zugesicherten Mittel, so existiert sie auch trotz der Abwesenheit solcher. Es hat keinen Sinn, die rechtliche Existenz der Stiftung anzunehmen, obgleich die ihr vor ihrer Entstehung durch den Stifter zu­ gesicherten Mittel nur ein Tausendstel des zur Erreichung ihres Zweckes erforderlichen Aufwands betragen, sie dagegen zu ver­ neinen, wenn sie auch ein solches Minimum von Mitteln im Zeit­ punkt ihrer Entstehung noch nicht hat. Natürlich wird die staat­ liche Genehmigung nur erfolgen, wenn die Erwartung genügender, der Stiftung als einer genehmigten zufließender Mittel besteht, die trotz geringer Voraussehbarkeit ihres eventuellen Betrages be­ stehen kann. Soll z. B. durch eine von der Verwaltung der Stiftung periodisch veranstaltete Sammlung ein Kapital zusammen­ gebracht und vermehrt werden, dessen jährliche Zinsen verwendet werden sollen, um einen der Förderung im verschiedensten Umfang fähigen Zweck in dem Umfang zu fördern, den ihr Betrag ge­ stattet, so ist nicht abzusehen, warum mit der Bitte um die staat­ liche Gestattung jener Sammlung nicht verbunden werden könnte die Einreichung der Stiftungsurkunde zur Genehmigung, so daß

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nach deren Erteilung die Einsammlung der Beiträge für die Stiftung erfolgt durch die Stiftungsverwaltung. Ein solcher Vorgang kann namentlich so geschehen, daß die Personen, von denen der Antrag auf Gestattung der Sammlung und die Ein­ reichung der Stiftungsurkunde zur Genehmigung ausgeht, wie die Veranstaltung der Sammlung, so überhaupt die Verwaltung der Stiftung übernehmen. Da es im Begriffe der Stiftung nicht liegt, daß ihr Zweck schon von ihrer Entstehung an durch sie ge­ fördert wird, so ist auch nicht erforderlich, daß sie schon von ihrer Entstehung an Vermögen habe, wenn nicht solches-zur Deckung der Verwaltungskosten erforderlich ist, was nicht der Fall ist, wenn z. B. der Stifter selbst ihre Verwaltung unentgeltlich übernimmt, sowie wenn sie einer Behörde in der Weise übertragen wird, daß die Verwaltungskosten zu den vom Gemeinwesen ge­ tragenen Kosten ihrer Amtsführung gehören. Wie eine kirchliche oder staatliche Stiftung dadurch errichtet werden kann, daß be­ stimmte Einnahmen des Staates oder der Kirche einer besonderen Kasse überwiesen und deren Mittel einem besonderen Zwecke ge­ widmet werden, so kann auch ein Privater eine Stiftung dadurch errichten, daß er gewisse Einnahmen, die er von jetzt an machen wird, einem bestimmten Zwecke widmet. Hat er diese Bestimmung nur für sich getroffen, so hat dies keine rechtliche Bedeutung. Hat er aber für sie die staatliche Genehmigung erwirkt, so kann er sie nicht mehr widerrufen und ist verpflichtet, jene Einnahmen ge­ sondert von seinen übrigen Einnahmen zu verwalten und in Ge­ mäßheit der behördlich genehmigten Stiftungsurkunde zu ver­ wenden. Eine andere Bedeutung als die Existenz von Stiftungsver­ mögen hat die Existenz von Menschen, denen es zukommt, die Stiftung zu verwalten oder zu vertreten. Vom Standpunkt der herrschenden Lehre aus ist gerade dieses Moment unwesentlich. Wie nach ihr der Mensch ein Subjekt eigener Rechte und Ver­ bindlichkeiten auch dann ist, wenn er weder ihrer eigenen Wahr­ nehmung fähig ist noch einen gesetzlichen Vertreter hat, dem diese zukomnrt, so bedeutet nach ihr die Existenz von Menschen, die in den Angelegenheiten einer Stiftung zuständig sind, ein Erfordernis zwar für die Möglichkeit der Wahrnehmung, aber nicht für die

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Existenz der ihr zugeschriebenen Rechte und Verbindlichkeiten und damit für ihre Existenz als Subjekt solcher. Wenn aber die Stiftung durch die Tätigkeit in ihrem Dienste stehender und in ihren Angelegenheiten zuständiger Menschen Förderung auch ohne Aufwendung pekuniärer Mittel erfahren kann, und wenn sie Mittel, die sie nicht schon von Anfang an hat, durch die Tätigkeit jener und durch Zuwendungen Dritter gegenüber jenen bekommen kann, so würde dagegen das größte Stiftungsvermögen dem Stiftungs­ zwecke nicht zugute kommen können ohne Menschen, denen seine Verwaltung und Verwendung für jenen zukommt. Freilich nennen wir die Stiftung eine existente auch ohne die Existenz solcher Menschen. Es verhält sich aber mit dieser Existenz derselben ebenso wie mit der Existenz eines unbesetzten Amtes, die nur die Möglichkeit seiner erfolgenden Besetzung und die nach dieser statt­ findende Ignorierung seiner vorherigen Unbesetztheit bedeutet. Sind aber so die Rechte und Verbindlichkeiten einer Stiftung amtliche Rechte und Verbindlichkeiten der in ihren Angelegenheiten zuständigen und daher über ihre Mittel gebietenden Menschen, so fragt sich, woher diese ihr Amt haben. Rach dem BGB. beruht die Stiftung auf dem vom Stifter vollzogenen Stiftungsgeschäfte und staatlicher Genehmigung. Ist also jenen Menschen ihr Amt durch den Stifter mit Genehmigung des Staates übertragen? Kaum ein Begriff des BGB. ist weniger klar als der Begriff des „Stiftungsgeschäftes". Seinen Inhalt gibt das Gesetz nicht an. Seine Form ist die schriftliche. Seine Wirkung besteht darin, daß durch die dazu kommende staatliche Genehmigung die Stiftung entsteht, wenn es nicht zur Zeit dieser widerrufen ist. Über seinen Widerruf ist bestimmt 1. daß der Stifter dazu berechtigt ist, 2. daß, nachdem die Genehmigung bei der zuständigen Behörde nachgesucht ist, er nur dieser gegenüber erklärt werden kann, 3. daß der Erbe des Stifters dazu nicht berechtigt ist, wenn der Stifter schon be­ stimmte Schritte zum Zwecke der Erwirkung der Genehmigung ge­ tan hat. Daß die Genehmigung nur möglich ist als eine vom Stifter gewollte, ist nicht gesagt, muß aber angenommen werden. Ein Stiftungsgeschäft, von dem sie nichts weiß, kann die Behörde tat­ sächlich nicht genehmigen. Erfährt sie davon ohne den Willen

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seines Urhebers, so wird sie, wenn sie weiß, daß die Mitteilung nicht von diesem ausgeht, entweder überhaupt nicht oder doch nicht, ohne sich seiner Zustimmung vergewissert zu haben, an Genehmigung denken. Genehmigt sie in Unkenntnis jenes Umstandes, so wird der davon erfahrende Urheber des Stiftungsgeschäftes ihre Ge­ nehmigung gelten lassen können, aber nicht gelten lassen müssen, d. h. sie wird in diesem Falle nur gültig sein als eine solche, der er nachträglich zustimmt. In Beziehung auf die Widerruflichkeit des vollzogenen Stiftungsgeschäftes bestimmt das Gesetz eine Ver­ schiedenheit für die Zeit von der nachgesuchten Genehmigung an, womit natürlich nicht gemeint sein kann die durch einen Dritten nachgesuchte, durch dessen ohne meinen Willen erfolgtes Verhalten die Möglichkeit meines Widerrufs meiner Handlung nicht be­ schränkt werden kann. Es besteht aber ein tiefer greifender Unter­ schied als der durch den Text des Gesetzes bezeichnete. Ist, was niemand bestreiten wird, die nicht mit dem Willen des Stifters (oder seines Erben) erfolgte Genehmigung ungültig, so bedarf es, solange er nicht die Genehmigung erbeten oder einen anderen zu ihrer Erbittung ermächtigt hat, zu ihrem Ausschlüsse keines positiven Widerrufs, hat vielmehr nicht schon durch die Vollziehung des Stiftungsgeschäftes, sondern erst durch die mit ihr verbundene oder ihr nachfolgende Erbittung der Genehmigung oder Ermächtigung eines anderen zu ihrer Erbittung der Stifter getan, was zur Herbei­ führung der Entstehung der Stiftung zu tun ihm oblag. Wenn dem aber so ist, so ist erst durch diese Handlung die zur Ent­ stehung der Stiftung erforderliche Willenserklärung des Stifters vollständig vollzogen *. Die von mir unterschriebene Stiftungs­ urkunde, deren Absendung an die Behörde noch nicht durch mich erfolgt oder angeordnet ist, bedeutet ebensowenig eine von mir bereits vollzogene Erklärung wie der von mir unterschriebene und postfertig gemachte Brief, dessen Aufgabe zur Post noch nicht durch mich erfolgt oder angeordnet ist. Daß ich die Stiftungsurkunde der Behörde nicht mitteile, ist nicht ein Widerruf des Stiftungsgeschäftes, sondern ein Unterbleiben 1 Vgl. des

Verfassers Kommentar zum allgemeinen Teil des BGB.

S. 191 und 288 ff.

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eines zu dessen vollständiger Vollziehung erforderlichen Verhaltens. Wie der Stifter, so ist auch sein Erbe, falls jener nichts getan hatte, um die Genehmigung herbeizuführen, nicht sowohl zum Widerruf berechtigt als ein solcher, ohne dessen positives Zutun die Stiftung nicht entstehen kann. Während aber sonst ein Rechts­ geschäft des Erben vorliegt, wenn dieser eine vom Erblasser unter­ schriebene, aber nicht mehr abgegebene Erklärung abgibt, so be­ trachtet das BGB. wegen jener Auffassung des Stiftungsgeschäftes den Erblasser als den Stifter, wenngleich erst der Erbe die Ge­ nehmigung nachgesucht oder die Erklärung der Behörde gegenüber vollzogen hat. Wenig klar ist auch der Begriff der „außer dem Stiftungs­ geschäfte" zur Entstehung der Stiftung erforderlichen staatlichen Genehmigung. Als Gegenstand derselben wird nicht das Stiftungs­ geschäft, sondern die Stiftung bezeichnet (§ 82, 84), die also da­ durch entsteht, daß sie genehmigt wird. Liegt es aber int Begriffe der Genehmigung, daß sie zum Gegenstand eine schon vor ihr existierende Handlung hat, die durch sie eine ihr bisher noch nicht eigene, aber von ihrem Urheber gewollte Bedeutung erlangt, so muß das Stiftungsgeschäft als der Gegenstand der Genehmigung aufgefaßt werden. Wie sonst der ein Rechtsgeschäft Genehmigende bei seiner Vollziehung nicht mitwirkt, aber seiner erfolgten Voll­ ziehung zustimmt, so scheint danach auch die Stiftung und mit ihr die Zuständigkeit der Menschen, denen ihre Verwaltung zukommt, auf einem Privatrechtsgeschäfte zu beruhen, das nur von anderen sich dadurch unterscheidet, daß es der staatlichen Zustimmung bedarf. Das BGB. bestimmt nicht, welchen Inhalt das Stiftungs­ geschäft haben muß. Es spricht aber von einem doppelten In­ halte als einem solchen, den es haben kann. Es spricht von dem in dem Stiftungsgeschäfte zugesicherten Vermögen, ohne die Notwendigkeit solcher Zusicherung zu be­ stimmen (82 I) und ohne zu sagen, wem diese Zusicherung erteilt ist. Es erklärt sodann: „Die Verfassung einer Stiftung wird, so­ weit sie nicht auf Reichs- oder Landesgesetz beruht, durch das Stiftungsgeschäft bestimmt." Den Stiftungen pflegte man früher nicht eine „Verfassung" zuzuschreiben. Das BGB. hat diesen Namen voit den Vereinen auf die Stiftungen übertragen. Wie

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es ihn gleichmäßig für die beiden von ihm normierten Arten juristischer Personen gebraucht, so meint neuerdings Fr. Behrend, (a. a. O. S. 379 ff.), der Rechtsbegriff der Verfassung hänge zusammen mit dem Begriffe der juristischen Person als einer auf bestimmte Weise verfaßten oder gestalteten Einrichtung. Richtig ist, daß die Bezeichnllng der Verfassung diesen Sinn haben kann und in An­ wendung auf die Stiftung hat. Das BGB. gebraucht sie aber in einem weit umfassenderen Sinne. Rach § 85 wird „die Verfassung einer Stiftung . . . soweit sie nicht auf Reichs- oder Landesgesetz beruht, durch das Stiftungsgeschäft bestimmt". Da­ mit ist einmal gemeint die Ordnung ihrer Verwaltung, und in dieser geht auf die Verfassung der Stiftung als einer auf be­ stimmte Weise verfaßten oder gestalteten Einrichtung. § 88 BGB. bezeichnet aber als Inhalt ihrer Verfassung auch die Bestimmung der Personen, an die mit ihrem Erlöschen ihr Vermögen fällt. Ihre Verfassung umfaßt danach die ganze Normierung nicht nur der durch ihre Entstehung und Existenz, sondern auch der durch ihr Erlöschen gegebenen Rechtsbeziehungen, und zwar insbesondere auch als solcher, die sich durch den Stiftungszweck bestimmen. Hängt doch gerade mit diesem aufs engste zusammen die Be­ stimmung der Personen, denen das Vermögen einer Stiftung nach ihrem Erlöschen zufallen soll. Wenn für das Vermögen einer Stiftung zu kirchlichen, Unterrichts- oder Wohltätigkeitszwecken durch das Stiftungsgeschäft oder durch das Gesetz bestimmt ist, daß es mit ihrem Erlöschen der Kirche, der Schulgemeinde oder dem Armengut eines bestimmten Ortes zufällt, so handelt es sich um seine möglichste Erhaltung für den Stiftungszweck. Und wie jede Willenserklärung eine Ergänzung und eine Korrektur ihres Inhaltes durch gesetzliche Bestimmung finden kann, so auch das Stiftungsgeschäft sowohl bezüglich seines sonstigen Inhaltes als insbesondere bezüglich des Stiftungszweckes. Würde durch Landes­ gesetz in Beziehung auf bestimmte Stiftungszwecke vorgeschrieben, wie sie zu verstehen sind, so würden diese Vorschriften zu der durch § 85 BGB. zugelassenen landesgesetzlichen Normierung der Verfassung der Stiftungen gehören. Dem weiten Verfassungsbegriffe der §§ 85 und 88 steht gegen­ über der engere Nerfassungsbegriff des § 87, der die Änderung der Ver­

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fassung von der Umwandlung des Zweckes unterscheidet, also unter der Verfassung der Stiftung nur die Ordnung ihrer Verwaltung versteht. Daß er enger ist als der Verfassungsbegriff des § 88, ergibt sich deutlich daraus, daß § 87 11 die Normierung des Per­ sonenkreises, dem die Erträge des Stiftungsvermögens nach der Umwandlung des Stiftungszweckes zugutekommen, nicht zur Nor­ mierung der Verfassung der Stiftung rechnet, von deren Änderung erst im nächsten Satze die Rede ist, während § 88 die Personen, an die das Vermögen der erloschenen Stiftung fällt, in der Ver­ fassung bestimmt nennt. Sowohl im weiteren Sinne ihrer Normierung überhaupt als im engeren Sinne der Normierung ihrer Verwaltung steht die Verfassung einer Stiftung durchaus nicht auf einer Stufe mit der Verfassung eines Gemeinwesens oder Vereins, da sie im Gegensatze zu dieser nicht ein möglicher Gegenstand verfassungsmäßiger Änderung ist, sondern eine Änderung nur erfahren kann durch den Willen des Staates. Gehört zur „Verfassung einer Stiftung" jedenfalls auch die Ordnung ihrer Verwaltung, so erfolgt diese nach § 85, soweit sie nicht auf Reichs- oder Landesgesetz beruht, durch das Stiftungs­ geschäft. Dieses kann die Menschen bestimmen, denen nach dem Willen des Stifters die Verwaltung zukommen soll. Es samt sie bestimmen individuell oder nicht. So, wenn es für sie bestimmt eine bestimmte Behörde, d. h. dieselben Menschen, denen die Zu­ ständigkeit dieser zukommt, aber auch z. B. den Eigentümer eines bestimmten Grundstücks. Was bedeutet es aber, daß das Stiftungs­ geschäft den Verwalter der Stiftung bestimmt? Ist der Staatsakt, durch den die Stiftung entsteht, lediglich eine Genehmigung des Stiftungsgeschäfts als eines vom Stifter vollzogenen, so ist jene Be­ stimmung eine Übertragung der Verwaltung, die durch die staatliche Genehmigung rechtsgültig wird. Kann aber ein Privatrechtsgeschäft die Verwaltung einer Stiftung übertragen? Die Verwaltung meines Vermögens kann ich einem anderen übertragen zwar nicht durch einseitiges Rechtsgeschäft, aber durch Vertrag. Die Übertragung der Stiftungsverwaltung durch den Stifter bezöge sich aber auf die Verwaltung eines Vermögens, das auch dann, wenn es ganz vvn ihm herrührt, doch von der Zeit an, zu der die Übertragung in

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Kraft tritt, nicht mehr sein Vermögen ist. Der Verwalter meines Vermögens ist mir verantwortlick. Der Verwalter oder, wie ihn das BGB. nach Analogie des Vereinsvorstandes nennt, der Vorstand einer Stiftung ist nicht dem Stifter verantwortlich. Das BGB. spricht auch nicht von einer anderen Verantwortlichkeit desselben, und daß es amtliche Zuständigkeiten und Obliegenheiten ohne Ver­ antwortlichkeit gibt, zeigt die Unverantwortlichkeit nicht nur des Monarchen, sondern auch anderer für die Pflichtmäßigkeit ihres Verhaltens nicht verantwortlicher Staatsorgane. Für die Ver­ walter einer Stiftung kann aber davon keine Rede sein. Wer einem anderen eine Summe zu wohltätigen oder gemeinnützigen Zwecken so gäbe oder hinterließe, daß er ihm ihre vollständig freie und rechenschaftslose Verwendung überließe, der hätte ihm einfach die Summe zugewendet mit dem unverbindlichen Wunsche ihrer Verivendung zu solchen Zwecken. Im Falle einer solchen Zu­ wendung unter Lebenden würde er nicht daran denken, ihre staat­ liche Genehmigung als eines Stiftungsgeschäftes einzuholen, von der ebenso die Zuwendung als Zuwendung von Todes wegen un­ abhängig wäre. Verantwortlich ist der Stiftungsverwalter nicht dem Stifter, aber den Organen des Gemeinwesens, denen die Aufsicht, sei es über Stiftungen überhaupt, über Stiftungen der bestimmten Art oder über die bestimmte Stiftung zukommt. Von dieser Ver­ antwortlichkeit spricht das BGB. nicht, weil sie eine öffentlich rechtliche und landesrechtliche ist. Würde sie nicht existieren, so würde aus der Eigenschaft der Stiftung als einer juristischen Person und ihres Vorstandes als ihres Vertreters folgen, daß dieser, so lange er nicht Rechte Dritter verletzt oder ein von Amts wegen verfolgtes Verbrechen begeht, mit dem Stiftungsvermögen nach seinem Belieben umgehen könnte, wie ebenso der Vormund eines Handlungsunfähigen, wenn er nicht unter der Aufsicht von Organen des Gemeinwesens stände und diesen verantwortlich wäre, mit dem nominellen Vermögen seines Mündels nach Belieben umgehen könnte. Begründet aber die Übertragung einer Stiftungsverwaltung Pflichten nicht gegen den Stifter, sondern gegen das Gemein­ wesen als ein solches, dessen Organen ihr Verwalter verantwort­

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lich und untergeben ist, so kann sie auch nicht durch den Stifter, sondern nur durch das Gemeinwesen oder ein Organ desselben erfolgen. Ist die Verfassung der Stiftung durch Gesetz bestimmt, so bedeutet die staatliche Genehmigung zugleich die staatliche Über­ tragung der Stiftungsverwaltung auf die Menschen, denen sie nach dem Gesetze zukommt. Ist die „Verfassung" der Stiftung durch das Stiftungsgeschäft „bestimmt", so bedeutet die staatliche Ge­ nehmigung zugleich die Übertragung der Verwaltung auf die im Stiftungsgeschäft bestimmten Menschen. Im ersten Falle sind diese Menschen nie individuell, sondern stets als die Träger eines schon abgesehen von der Existenz der konkreten Stiftung be­ stehenden Amtes bestimmt. Im zweiten Falle können sie auch als die Träger eines solchen bestimmt sein. Hat der Stifter die Verwaltung seiner Stiftung dem Pfarrer oder dem Pfarramts, dem Bürgermeister oder dem Gemeinderate, dem Rektor oder dem Senate der Universität, einer Fakultät oder ihrem Dekan zugedacht, so ergibt sich die Unmöglichkeit der Übertragung dieser Stellung durch sein privates Rechtsgeschäft nicht nur aus ihrer Natur, sondern auch aus der Bezeichnung ihrer von ihm gewünschten Träger. Wie könnte der Privatwille die mit bestimmten Staats-, Gemeinde- oder Kirchenämtern verbundene Zuständigkeit und Ob­ liegenheit erweitern? Die staatliche Genehmigung ist als eine auf diesen Punkt sich erstreckende nur möglich im Sinne staatlicher Übertragung der Verwaltung auf jene Amtsträger oder Behörden. Wenn das BGB. nur die Bestimmung der Verfassung durch das Gesetz und das Stiftungsgeschäft kennt, so besteht doch noch eine dritte, gar nicht zu entbehrende Möglichkeit. In Stiftungs­ sachen kompetente Staatsorgane kann und muß es nicht nur im Sinne solcher geben, denen die Verwaltung von Stiftungen oder die Beaufsichtigung der solche verwaltenden Menschen zukommt, sondern auch im Sinne solcher, denen es zukommt, für die Ver­ waltung von Stiftungen durch deren Übertragung auf andere zu sorgen. Das BGB. kennt (§ 8?n) eine Änderung der Ver­ fassung einer Stiftung nur „soweit die Umwandlung des Zweckes es erfordert". Auch ohne diese kann aber eine solche Änderung notwendig werden. Die Verwaltung einer Stiftung kann mit einem bestimmten anderen Amte nicht mehr verbunden sein, wenn

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dieses Amt nicht mehr existiert. Ebenso wird eine anderweitige Sorge für sie notwendig, wenn das Amt zwar fortbesteht, aber ihre Verbindung mit ihm nicht mehr als zweckmäßig erscheint. Auch dann, wenn sie in Übereinstimmung mit der Bestimmung des Stiftungsgeschäftes eingetreten ist, kann doch dieses und seine staatliche Genehmigung nicht die Wirkung haben, die Aufhebung jenes Amtes oder eine Änderung desselben auszuschließen, durch die es nicht mehr mit der Verwaltung jener Stiftung verbunden sein kann. Im Falle einer solchen Verbindung ist, so lange sie besteht, für die Ersetzung des weggefallenen Stiftungsverwalters gesorgt durch die Sorge für die Besetzung des erledigten Amtes. Ist dagegen die Stiftungsverwaltung nicht mit einem sonstigen Amte verbunden, dessen weggefallene Träger von Staats wegen durch andere ersetzt werden und dessen Kompetenz während seiner Erledigung vielfach aushilfsweise den Trägern anderer Ämter zusteht, so kann leicht der bisherige Träger der Stiftungsverwaltung wegfallen, ohne daß für einen neuen Träger derselben gesorgt ist. So, wenn sie einem bestimmten Individuum übertragen war, nicht nur durch dessen Tod, sondern auch durch dessen Entlassung oder Ab­ setzung. Die Übertragung der Verwaltung erfolgt wie andere Staatsakte zwar nicht durch Vertrag, aber, wenn sie nicht an den Träger eines anderen Amtes erfolgt, der sich ihr als dessen Träger unterziehen muß, nicht ohne die, sei es vorhergehende oder nach­ trägliche Zustimmung des sie Übernehmenden. Unter welchen Um­ ständen seine Stellung erlischt, ist eine Frage des Landesrechtes. Jedenfalls kann er aber unter bestimmten Umständen sowohl sie niederlegen oder doch seine Entlassung fordern als auch abgesetzt werden. Könnte nach dem Wegfall seiner Verwaltung nicht eine andere staatlich angeordnet werden, so wäre in jedem Falle einer Stiftung, deren Verwaltung nicht einer Behörde übertragen ist, ihre Existenz prekär. Es würde dafür keinen Unterschied machen, daß im Stiftungsgeschäfte Nachfolger des ursprünglichen Ver­ walters vorgesehen oder die sukzessiven Verwalter durch ein voraus­ sichtlich jederzeit für bestimmte Menschen zutreffendes Merknlal be­ zeichnet wären, da es nie sicher ist, daß sie zur Führung der Verwaltung bereit und fähig sein werden. Da es ihm um die dauernde Existenz der Stiftung zu tun ist, will der Stifter ihre

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Existenz nicht nur als einer solchen, die durch die von ihm be­ zeichneten Menschen verwaltet wird, sondern stets mindestens even­ tuell auch als einer solchen, die verwaltet wird durch andere Menschen. Die staatliche Genehmigung erbittend erbittet er zu­ gleich die staatliche Ordnung der Stiftungsverwaltung, die auch dann, wenn er sie erbittet als eine zunächst in Gemäßheit seiner Bestimmung eintretende, doch nie ausschließlich in Gemäßheit dieser erfolgen kann. Versagt die Behörde von Anfang an seinen Vor­ schlägen für die Verwaltung die Genehmigung, so steht es bei ihm, die Errichtung der Stiftung deshalb zu unterlassen, weil er nicht die ihm genehme Verwaltung erwirken konnte. Wird aber nachträg­ lich nach dem Ermessen der kompetenten Behörde die von ihm vorgeschlagene und in Gemäßheit seines Vorschlages angeordnete Verwaltung unmöglich oder unzulässig, so kommt der Behörde ihre Ersetzung durch eine andere zu mit der Pflicht, von der bis­ herigen Ordnung nicht mehr abzuweichen als sie notwendig findet. Dasselbe gilt im Falle einer Stiftung von Todes wegen, wenn die im Testament oder Erbvertrag bestimmte Verwaltung von An­ fang an unmöglich oder unzulässig ist. Daß immer die Verwaltung eine durch das Gemeinwesen über­ tragene ist, zeigt namentlich auch der Fall der vom Stifter selbst über­ nommenen Verwaltung, wie es auch hier sich am deutlichsten zeigt, daß die Verantwortlichkeit des Stiftungsverwalters eine solche nicht gegenüber dem Stifter, sondern gegenüber dem Gemeinwesen ist. Der Stifter kann nicht durch eigene Bestimmung sich in einen solchen verwandeln, dem von Amts wegen im Dienste des Stiftungs­ zweckes zukommt die Verwaltung und Verwendung dessen, was bisher sein Privatvermögen war. Durch die Genehmigung seiner Erklärung an die Behörde ist ihm in Gemäßheit seines Antrages oder seiner von ihm erklärten Bereitschaft als Gegenstand seiner amtlichen Verwaltung übertragen, was bisher sein Privatvermögen war. Seine nach § 82 BGB. bestehende Verpflichtung, „das in dem Stiftungsgeschäfte zugesicherte Vermögen auf die Stiftung zu über­ tragen", beruht auf der Zusicherung, die er der Behörde oder dem Gemeinwesen erteilt hat, und sie hat zum Inhalte die Übertragung in die amtliche Macht des Verwalters der Stiftung oder, wenn er selbst ihr Verwalter ist, die Absonderung von seinem Privatvermögen

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und Behandlung des von diesem abgesonderten Stiftungs­ vermögens als eines Gegenstandes seiner eigenen amtlichen Ver­ waltung. Für den, der in der juristischen Person eine wirkliche durch ihre Organe handelnde Person sieht, ist der Verwalter einer Stiftung ein Organ dieser. Atit demselben Rechte würde man aber den Vormund ein Organ des Mündels nennen. Heißt er doch dessen Vertreter und hat man doch früher für jede Ver­ tretung angenommen, daß es der Vertretene sei, der durch die Tat des Vertreters handle. Freilich unterscheidet sich die sogenannte Vertretung des Mündels von anderer Vertretung dadurch, daß sie nicht wie diese auf den Willen des Vertretenen zurückgeht. Die Stellung des Organes eines Gemeinwesens geht zurück auf dessen Willen oder einen solchen Willen, der nach seiner Verfassung als sein Wille gilt. Die Stellung des „Organs" einer Stiftung geht zurück auf den Willen, dem sie ihre Existenz und Verfassung verdankt. Dieser Wille ist nicht der ihrige in dem Sinne, in dem man von einem Willen eines Gemeinwesens spricht; denn dessen Wille hat umgekehrt in dessen Existenz und Verfassung seinen Grund. Wer erkennt, daß der Verwalter einer Stiftung nicht deren Organ in dem Sinne ist, in dem ein Gemeinwesen Organe hat, der nennt ihn gerne ein Organ des Stifters. Danach wäre dieser, wenn er die Stiftung selbst verwaltet, sein eigenes Organ. Danach wäre aber auch der letztwillig ernannte Vormund oder Testamentsvollstrecker ein Organ des Testators. Ein Mensch kann aber ein Organ wie ein Vertreter nicht solcher Menschen sein, die nicht mehr existieren. Ob die Handlung meines Organes oder Vertreters meine Handlung ist oder nur als meine Handlung gilt, macht keinen Unterschied dafür, daß ich ein Organ nicht haben kann, ohne zu existieren. Ebensowenig, wie der Testator durch die Existenz eines testamentarischen Vormundes oder Testaments­ vollstreckers, gilt der Stifter durch die Existenz der Stiftung und Stiftungsverwaltung noch als existierend; hat er doch auch dann, wenn er wirklich noch existiert, mit ihr nichts mehr zu tun in seiner Eigenschaft als Stifter, sondern nur insoweit, als er an ihrer Verwaltung beteiligt ist und dadurch im Dienste des Stiftungs-

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ziveckes als eines solchen steht, der rechtliche Geltung nicht deshalb hat, weil sie seinem gegenwärtigen Willen gemäß ist. Der Stiftungsverwalter ist ein Organ weder der Stiftung noch des Stifters, sondern des Gemeinwesens, das (möglicher Weise, aber keineswegs notwendig auf Antrag des Stifters) ihm die Verwaltung übertragen hat und dessen höheren Organen er amtlich verant­ wortlich und untergeben ist. Er ist gleich dem Vormunde nur in beschränktem Sinn ein Organ des Gemeinwesens. Zu den An­ gelegenheiten des Gemeinwesens gehört diejenige Sorge für den Einzelnen, die dem Vormunde für den Mündel zukommt, in der Regel nicht, weil sie vielmehr jeden: für sich selbst zukommt. Dem Vormunde kommt sie zu zum Ersätze dafür, daß der Mündel ihrer nicht selbst fähig ist. Wie ihm die Sorge zukommt, die sonst dem Mündel zukäme, so gebietet er zum Zwecke derselben über die Mittel, über die sonst der Mündel geböte. Die Rechtsgemein­ schaft ist es, die ihm sein Amt überträgt und deren Organen er als Träger desselben verantwortlich und untergeben ist. Das Ge­ biet seines Amtes ist aber das Privatrechtsgebiet des Mündels oder ein solches, das ein Gebiet privater Zuständigkeit und Ob­ liegenheit des Mündels wäre, wenn dieser ihrer Wahrnehmung fähig wäre. Eine solche Sorge für den Mündel, die auch, wenn er mündig wäre, dem Gemeinwesen zukäme, kommt nicht dem Vor­ munde, sondern denselben Organen des Gemeinwesens zu, denen sie gegenüber anderen Menschen zukommt. Wie es Sache eines jeden ist, für seinen Unterhalt zu sorgen, soweit seine Kräfte ihm dies gestatten, so ist es Sache des Vormundes, für den Unterhalt des Mündels aus den Mitteln zu sorgen, über die er als Vormund gebietet. Bedarf dagegen jener des Unterhalts aus öffentlichen Mitteln, so ist dessen Gewährung Sache der mit der Fürsorge für die Armen betrauten Organe des Gemeinwesens, und Sache des Vormundes ist nur, wie für den mündigen Armen dessen eigene Sache, ihre Erwirkung. Wie dem Vormunde die Sorge für den Unterhalt des Mündels nur zukommt als eine aus dessen Mitteln oder den Mitteln, über die er als dessen Vormund ge­ bietet (wozu auch dessen Arbeitskraft gehört), zu bestreitende, so kommt dem Stiftungsverwalter die Sorge für den Stiftungszweck nur insoweit zu, als sie feinen das Stiftungsvermögen über­

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steigenden Aufwand erfordert. Unrichtig wäre es zu sagen, der Stiftungsverwalter hafte mit dem Stiftungsvermögen als einem vom Vermögen des Stifters abgezweigten. Rührt doch jenes keineswegs nur aus diesem her. Ist ein Stiftungsvermögen durch Zuwendungen Dritter auf das Zehnfache seines ursprünglichen Bestandes gebracht, so verdankt es seine Existenz nur zu 1ho dem Stifter, und sowohl diesem als den Urhebern der späteren Zu­ wendungen verdankt es seine Existenz nur so, wie auch mein Ver­ mögen, soweit es durch Zuwendung anderer entstanden ist, diesen seine Existenz verdankt. Die Möglichkeit seiner Existenz als eines eigenen von jedem anderen Vermögen getrennten Vermögens ver­ dankt das Stiftungsvermögen der Behörde, die durch die so­ genannte staatliche Genehmigung nicht sowohl eine Anordnung des Stifters genehmigt als eine von ihm beantragte Anordnung getroffen hat. Daß die vom BGB. nicht bestimmte Aufsicht des Gemein­ wesens (das der Staat oder die Kirche sein kann) im Begriff der Stiftung liegt, wird vielfach nicht angenommen. Nach dem bayrischen AG. zum BGB., Art. 6 erstreckt sich die Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden nicht auf Stiftungen, „die ausschließ­ lich privaten Zwecken dienen". Gibt es aber solche? Örtmann (Bayr. Landesprivatrecht S. 110) rechnet dazu „reine Familien­ stiftungen". „Sonst bliebe für den Bereich der privaten Stiftungen überhaupt nichts mehr übrig." Örtmann versteht unter reinen Familienstiftungen alle Stiftungen, die ausschließlich den Angehörigen einer bestimmten Familie zugute kommen sollen. Doch wird zu unterscheiden sein, ob sie auch von solchen ver­ waltet werden oder etwa von einer Behörde; denn hier wird keinesfalls die Rede davon sein können, daß die dieser Behörde sonst zukommende Unterordnung unter andere und Verantwort­ lichkeit gegen andere Behörden wegfiele. Nehmen wir aber auch eine mit Einschluß der Verwaltung „reine" d. h. eine solche Familien­ stiftung, deren Verwaltung Angehörigen der bestimmten Familie zukommt. Gewiß kann hier der Stifter in die von ihm zur Ver­ waltung berufenen Angehörigen ein solches Vertrauen setzen, daß er sie jeder Aufsicht und Verantwortung enthoben wissen will. Wird er aber nicht in einem solchen Falle unterlassen, die staatliche Holder, Natiirl. u. jurist. Personen.

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Genehmigung nachzusuchen, und damit zur Gründung einer rechts­ fähigen Stiftung überhaupt nicht schreiten? Soll, wenn die Ge­ nehmigung erteilt ist, die Behörde nicht einschreiten können, falls aus der Familie, für die eine bedeutende Stipendienstiftung er­ richtet ist, niemand studiert und vielmehr mit allseitigem Ein­ verständnis der Familienangehörigen der Ertrag des Stiftungs­ kapitals und vielleicht dieses selbst eine andere Verwendung findet? Um einen ausschließlich privaten Zweck handelt es sich hier schon deshalb nicht, weil ein Studienstipendium auch als ein auf die Angehörigen einer bestimmten Familie beschränktes doch nicht nur deren Unterstützung, sondern auch die Förderung des bestimmten Studiums bezweckt. Die Unterstützung anderer ist aber auch selbst nicht ein privater Zweck, wenngleich es sich vielleicht um ganz be­ stimmte Personen handelt. Der Zweck eines Vereines ist ein privater als ein solcher, der ausschließlich die Förderung des eigenen Lebens der Vereinsmitglieder bezweckt. Der Stiftungszweck ist nie ein privater. Er bezweckt nicht die Förderung des individuellen Lebens des Stifters. Er bezweckt auch nie ausschließlich die Förderung des individuellen Lebens der Menschen, denen die Verwaltung der Stiftung zukommt. Die Förderung des Lebens Dritter ist als solche eine private Angelegenheit jener Dritten, aber weder des Stifters noch der Personen, denen die Verwaltung der Stiftung zukommt. Sind jene so nahe Angehörige dieser, daß die Förderung ihres Lebens auch eine private Angelegenheit dieser ist, so existiert keine Stiftung, wenn diesen Verfügung über Vermögen zu­ kommt zum Zweck der Förderung des Lebens jener Angehörigen als ihrer eigenen privaten Angelegenheit. Stifte ich einem Ver­ wandten oder Freunde eine Summe, um ihm zu ermöglichen, daß er seine Kinder studieren läßt, so schenke ich sie ihm und denke nicht daran, die staatliche Genehmigung dieser Schenkung nachzu­ suchen. Erkläre ich dagegen, daß ich einer Familie einen Be­ trag zuwende, den ein bestimmtes Glied derselben verwalten und dessen Zinsen es zur Gewährung von Unterstützungen für studierende Familienglieder verwenden soll, und erbitte ich dafür die staatliche Genehmigung, so gebe ich schon.durch deren Erbittung kund, daß die Eigenschaft des bestimmten Familiengliedes, dem ich den Betrag übergeben werde, nicht dessen Eigentümer, sondern ein solcher zu

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sein, dem dessen amtliche Verwaltung und Verwendung zu jenem Zwecke zukommt, auch für den Staat existieren soll, womit gegeben ist das Recht der Staatsorgane, denen die Aufsicht über Stiftungen zukommt, sich um diese Verwaltung und Verwendung zu kümmern. Aus der nach dem BGB. bestehenden Ausnahmslosigkeit des Er­ fordernisses staatlicher Genehmigung für die Errichtung von Stiftungen folgt, wenn wir jenes richtig aufgefaßt haben, auch die Ausnahms­ losigkeit der dem Staate über ihre Verwaltung zukommenden Auf­ sicht. Wenn für das Recht des Reichslandes, dem früher „Stiftungen als selbständige juristische Personen des Privatrechts unbekannt" waren (Kisch, Elsaß-Lothr. Landesprivatr. S. 115), sein Bearbeiter Kisch annimmt, der Staat könne „sich eine Mitwirkung bei der Verwaltung und eine Aufsicht über dieselbe" nur „sichern", wenn er seine Genehmigung von deren Bewilligung abhängig mache, so ist diese Auffassung keinesfalls dem BGB. gemäß, das keine Verhandlung des Stifters mit der Behörde, sondern nur die staatliche Genehmigung oder Nichtgenehmigung des Stiftungs­ geschäftes als eines bereits vollzogenen kennt. Wie aber daran die mangelhafte Auffassung jenes Staatsaktes durch die Verfasser des BGB. die Schuld trägt, so konstatiert auch Kisch mit Recht, daß bezüglich der Ordnung der Verwaltung nicht nur die doppelte dem BGB. allein bekannte Möglichkeit ihrer Bestimmung durch das Stiftungsgeschäft oder durch Gesetz besteht. Wenn er aber ihre behördliche Bestimmung nur als eine von der Zustimmung des Stifters abhängige Modifikation oder Ergänzung des Stiftungs­ geschäftes kennt, so ist diese Auffassung nicht anwendbar auf das Stiftungsgeschäft von Todes wegen, das als ein durch Testament oder Erbvertrag vollzogenes der Modifikation oder Ergänzung nach dem Tode des Erblassers unfähig ist, und sie gestattet keine staatliche Ordnung der Verwaltung nach dem Wegfall der im Stiftungsgeschäfte bestimmten Verwaltung, verurteilt also die Stiftung zum Untergang durch diesen. So ist die Existenz der Stiftung eine privatrechtliche weder durch den Vorgang, der sie bewirkt hat, noch durch dessen Wirkung. Das BGB. unterscheidet in § 89 von den durch seine Bestimmungen normierten privaten Stiftungen die Stiftungen des öffentlichen Rechtes. Beide lassen sich aber nicht gegeneinander abgrenzen.

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Nehmen wir an, daß jemand ein Stiftungsgeschäft errichtet, worin er für die Stiftung ein bestimmtes Kapital zusichert und um staatliche Genehmigung nachsucht. Die Behörde findet, daß der Stiftungszweck durch jenes Kapital der Erreichung nicht hinreichend sicher ist, aber jede Förderung verdient. Sie bestimmt daher mit Zustimmung des „Stifters" als Stiftungskapital neben dem von diesem zugesicherten Betrage einen weiteren Betrag, der aus öffent­ lichen Mitteln fließt, über die sie selbst oder eine andere Behörde gebietet, von der sie die Zusicherung des bestimmten Betrages er­ halten hat. Ist nun die Stiftung eine öffentliche oder eine private? Der „Stifter" und sein „Stiftungsgeschäft" hat über­ haupt nicht die vom BGB. ihm beigelegte Bedeutung. Er ist der Mensch, von dem der Anstoß zur Entstehung der Stiftung aus­ gegangen ist. Verdankt sie aber ihm ihr Vermögen? Wenn wir auch absehen von der Möglichkeit ihrer Errichtung als einer ganz auf zukünftigen Erwerb angewiesenen, so kann doch jedenfalls die Stiftung jenem nur einen kleinen Teil und der Zuwendung Dritter den größten Teil ihres Vermögens verdanken. Und sie muß nicht gerade einen „Stifter" haben. Werden Beitrüge zur Errichtung einer Stiftung gezeichnet und wird der Person, die durch ihre Errichtung geehrt werden soll, die nähere Bestimmung ihres Zweckes sowie die Vollziehung und Einreichung der Stiftungs­ urkunde überlaffen, so ist nach dem BGB. sie und sie allein, wenn sie nicht die Unterzeichnung der Stiftungsurkunde im Namen jener Zeichner vollzieht, der Stifter, was die fatale Konsequenz hat, daß jene trotz der Genehmigung der Stiftung die gezeichneten Beiträge nicht schulden, wie auch die bereits zugunsten der Stiftung voll­ zogenen Veräußerungserklärungen der Personen, die zu ihrer Er­ richtung beigetragen haben, der rechtlichen Geltung entbehren, da nur Zusicherungen und Zuwendungen des „Stifters" durch die Genehmigung der Stiftung in Kraft treten. In Wirklichkeit ver­ dankt die Stiftung ihre Existenz dem Staatsakte der „Genehmigung", für den deren Erbittung durch den „Stifter" nur die Bedeutung eines Anlasses hat, und ihre Ausstattung mit Vermögen dem „Stifter" nicht in anderer Weise als anderen Personen, die ihr solches zugewendet haben, wie auch im Leben zu den Stiftern jeder gezählt wird, dem die Stiftung einen Teil ihres Vermögens

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verdankt. Ihre Existenz und ihr Vermögen bedeutet ausschließlich amtliche Zuständigkeiten und Obliegenheiten der Menschen, denen ihre Verwaltung zukommt, wofür aber vermöge der sog. Privatrechtsfühigkeit der Stiftung in bestimmtem Umfange dasselbe gilt wie für private Rechte und Verbindlichkeiten. Daraus ergibt sich auch die Entscheidung der wichtigen vom BGB. nicht entschiedenen Frage, ob insoweit, als nach der Stiftungsurkunde bestimmten Personen bestimmte Leistungen un­ abhängig vom Ermessen der Stiftungsverwaltung gebühren, diese Leistungen gerichtlich eingeklagt werden können. Nach dem Wort­ laute des BGB., das als Inhalt des „Stiftungsgeschäftes" außer der Errichtung der Stiftung nur Zuwendungen des Stifters an diese kennt, wäre jene Frage zu verneinen. Die durch die Be­ stimmung solcher Leistungen der Stiftungsverwaltung auferlegte Verbindlichkeit zur Vollziehung derselben aus den Mitteln der Stiftung kann aber deshalb gleich einer von einem Privaten ge­ schuldeten eingeklagt werden, weil die ganze Existenz der Stiftung als eines nominellen Privatrechtssubjektes die Gleichstellung der von ihrem Verwalter aus ihren Mitteln zu erfüllenden Verbind­ lichkeiten mit privaten bedeutet, soweit jene Gleichstellung nach der Natur dieser Verbindlichkeiten möglich ist. Sie sind dem Ver­ walter der Stiftung auferlegt durch den Staatsakt der sogenannten Genehmigung der Stiftung, wie ihm durch diesen eine Macht über das Stiftungsvermögen gegeben ist, die seine amtliche Macht ist, aber derselben Beurteilung unterliegt, wie wenn sie eines anderen durch ihn vertretenen Menschen private Macht wäre. Als Subjekt derselben ist er niemandes Stellvertreter, aber gleich jedem Träger amtlicher Macht ein gesetzlicher Vertreter aller Menschen, deren Leben zu fördern sein Amt bezweckt. Solche sind nicht nur die Menschen, denen die Mittel der Stiftung durch seine Verwaltung unmittelbar zugute kommen sollen, sondern alle Angehörigen des Gemeinwesens als solche, die ein Jntereffe an der Förderung des Stiftungszweckes haben. Sollen die Mittel einer Stiftung Tieren zugute kommen, so empfindet es jeder Angehörige des Gemein­ wesens mit Recht als eine rechtswidrige Beeinträchtigung seines Interesses für die Tiere und damit als ein gegen ihn begangenes Unrecht, wenn jene Mittel eine andere Verwendung finden. Wenn

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er dagegen nicht gerichtlich klagen kann, weil nicht eine ihm ge­ schuldete Leistung vorliegt, die ein möglicher Gegenstand eines privaten Forderungsrechtes ist, so kann er sich doch darüber bei der Stiftungsverwaltung und bei den ihr vorgesetzten Staats­ organen beschweren, und diese Beschwerde darf nicht deshalb ab­ gewiesen werden, weil die Sache, über die er sich beschwert, ihm nichts angehe. Während also unmittelbare Stiftungsinteressenten überhaupt nicht existieren müssen, ist mittelbarer Stiftungs­ interessent jeder Angehörige des Genleinwesens, daher auch der Stiftungsverwalter ein mittelbares Organ und das Stiftungs­ vermögen mittelbares Vermögen desselben. Die Möglichkeit staatlicher Aufhebung von Stiftungen oder Umwandlung ihres Zweckes bestimmt § 87 BGB. nur für den Fall der unmöglich gewordenen oder das Gemeinwohl gefährdenden Erfüllung des Stiftungszweckes. Solche Gefährdung besteht aber, sobald der Fortbestand der Stiftung in ihrer bisherigen Gestalt dem Gemeinwohl mehr schädlich als nützlich ist. Eine Änderung oder Aufhebung, die lediglich bezweckt, das Gemeinwohl in noch höherem Maße zu fördern, als es durch den unveränderten Fort­ bestand der Stiftung gefördert würde, ist nur im Wege der Ge­ setzgebung möglich. Wenn aber dadurch nicht Privatrechte Dritter gegen die Stiftung aufgehoben werden, so liegt darin kein Ein­ griff in bestehende Privatrechte. Wird insbesondere für das Be­ dürfnis, dessen Befriedigung die Stiftung bezweckte, in Zukunft von Staats wegen besser gesorgt, als durch jene dafür gesorgt werden konnte, so begründet gegen ihre Aufhebung und die Über­ weisung ihres Vermögens an den Staat der Umstand kein Be­ denken, daß dadurch ein nominelles Privatrechtssubjekt aufgehoben wird. Die Umwandlung oder Aufhebung kann aber auch durch das Stiftungsvermögen veranlaßt sein, und zwar nicht nur, weil dieses erschöpft oder so klein geworden ist, daß es einen gedeihlichen Fortbestand der Stiftung als einer dem bestimmten Zwecke ge­ widmeten nicht zuläßt, sondern auch, weil es so groß geworden ist, daß seine ausschließliche Verwendung für den bestimmten Zweck dem Gemeinwohl zuwider ist, das daher eine Ausdehnung des Stiftungszweckes fordert. Wenn sodann das BGB. eine staat­ liche Änderung der „Verfassung" der Stiftung int Sinne der

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Ordnung ihrer Verwaltung nur zuläßt, „soweit die Umwandlung des Zweckes es erfordert", so ist eine Änderung jener unerläßlich, sobald die Person oder Behörde weggefallen ist, der bisher die Verwaltung zukam, was namentlich auch zutrifft, wenn jene Person wegen Untreue oder Unfähigkeit hat abgesetzt werden müssen oder diese Behörde durch eine Änderung der Behördenorganisation eine solche ist, der die Verwaltung der bestimmten Stiftung nicht mehr zukommen kann. Das BGB. läßt der Landesgesetzgebung in Be­ ziehung auf alle diese Dinge freie Hand dadurch, daß § 85 die Verfassung der Stiftung als eine solche bezeichnet, die auf Landes­ gesetz beruhen kann; denn daß es zu dieser insbesondere die Normierung ihrer Aushebung und Änderung rechnet, ergibt § 88, wonach die Frage, an wen das Vermögen einer erloschenen Stiftung fällt, eine Frage ihrer Verfassung ist. Bezüglich des Vermögens erloschener Stiftungen bestimmt das BGB. nur seinen Anfall an „die in der Verfassung be­ stimmten Personen", d. h. die durch das Stiftungsgeschäft oder durch Gesetz und insbesondere durch Landesgesetz bestimmten. In Ermangelung einer anderen Bestimmung gilt, obgleich sie nicht besonders bestimmt ist, die reichsgesetzliche Erbfolge des Fiskus, die aus der Eigenschaft der Stiftung als einer juristischen Person für alle Fälle folgt, für die nicht eine andere Bestimmung getroffen ist. Eine juristische Person kann keine Testaments- und Vertrags­ erben haben, ebenso keinen Ehegatten oder Verwandten; daß sie dagegen ohne besondere Bestimmung den Fiskus nicht zum gesetz­ lichen Erben haben könnte, entbehrt der Begründung. Wenn schon das Privatvermögen in Ermangelung eines anderen Erben dem Staate anheimfällt, weil hinter und über der Macht des Staats­ angehörigen die Macht des Staates steht, so muß dies um so mehr von einem Vermögen gelten, das schon vorher ausschließ­ lich ein Gegenstand amtlicher Macht war. Diese stand im Dienste eines bestimmten, jetzt weggefallenen Zweckes. Sie stand aber in seinem Dienste als eines solchen, an dessen Förderung dem Ge­ meinwesen lag, das sonst nicht durch die Genehmigung der Stiftung die Möglichkeit eines von Amts wegen in seinem Dienste zu ver­ waltenden Vermögens bestimmt Hütte. Ist es nicht mehr ein Gegenstand seiner amtlichen Verwaltung und Verwendung für diesen.

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so bleibt es doch ein Gegenstand amtlicher Verwaltung und Ver­ wendung, die nun zukommt den Organen des Gemeinwesens, denen die Verwaltung und Verwendung seines allgemeinen oder un­ mittelbaren Vermögens zukommt. Kein Grund besteht dazu, das Vermögen erloschener Stiftungen an den Stifter oder dessen Erben fallen zu lassen. Rührt es doch vielleicht nur zu kleinem Teile von ihm her. Wollte man für sein Schicksal seinen Ursprung entscheiden lassen, so müßte man, was un­ durchführbar wäre, jeden Bestandteil desselben an die Person zurück­ kehren lassen, von der er herrührt. Daß dem Staate zufällt, was einem jetzt weggefallenen Zwecke in einer Weise gewidmet war, in der es ihm nur durch staatliche Anordnung gewidmet sein konnte, liegt weit näher, als daß die einem Menschen zur Förderung seines Wohles zugewendete Gabe, die diesem Zweck wegen seines kurz darauf erfolgten Todes nicht hat dienen können, seinen Ver­ wandten zufällt, an deren Wohl ihrem Urheber nichts lag. Das Vermögen der Stiftung steht zum Stifter, soweit es von ihm herrührt, in demselben Verhältnis wie das Eigentum des Beschenkten zum Schenker. Wie es nicht mehr sein Vermögen ist, so hat er und jeder andere, von dem Stiftungsvermögen herrührt, keine Beziehung zur Stiftung als einer solchen, deren Persönlich­ keit auf seiner Persönlichkeit beruhen würde, und nur eine historische Beziehung zu ihreni Vermögen, das vielleicht sein Vermögen war, aber in keiner Weise noch sein Vermögen ist. Wenn Otto Mayer (Verwaltungsrecht II, S. 391) die Personen, denen die Stiftung ihr Vermögen verdankt, Angehörige derselben als eines Selbstver­ waltungskörpers nennt, so sind sie weder Angehörige der Stiftung, noch ist diese ein Selbstverwaltungskörper. Selbstverwaltung be­ steht insoweit, als an einer amtlichen Verwaltung die Menschen beteiligt sind, um deren willen die Verwaltung stattfindet. Sind solche im Fall einer Stiftung vor allem die Menschen, denen sie zugute kommt, so kommt nie diesen Menschen als solchen eine Teilnahme an der Verwaltung der Stiftung zu. Bestimmte Be­ deutung für sie kommt den Stiftern im weiteren Sinne der Menschen, die der Stiftung etwas zugewendet haben, überhaupt nicht und dem einen Stifter i. e. S. nur mittelbar insoweit zu, als die staatliche Ordnung der Stiftungsverwaltung in Gemäßheit seiner

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Vorschläge erfolgt ist. Die juristische Persönlichkeit der Stiftung ist nichts anderes als ein Fall der juristischen Persönlichkeit des Amtes. Ihre sogenannten privaten Rechte und Verbind­ lichkeiten sind amtliche Rechte und Verbindlichkeiten der Stiftungs­ verwaltung d. h. aller an ihr beteiligten Menschen, soweit diese be­ züglich derselben zuständig sind. Deren Amtspflicht nennen wir eine der Stiftung gegenüber bestehende in demselben Sinne, in dem wir sagen, daß wir unserem Amte schulden, was wir von Amts wegen schulden, und was der Amtsträger seinem Amte schuldet, das schuldet er hier wie immer dem Gemeinwesen, auf dessen Existenz das Amt beruht, oder den an ihm beteiligten Menschen.

IV. Der Verein. 1. Verein und Gesellschaft. Den rechtsfähigen Verein pflegt man einer bloßen Ge­ sellschaft entgegenzusetzen als eine Körperschaft, und man läßt ihn die Natur einer solchen teilen mit dem Gemeinwesen. Dabei verwendet aber nicht nur der Sprachgebrauch des Lebens die Bezeichnungen der Gesellschaft und des Vereines in derselben Bedeutung, sondern es begegnet uns auch kraft gesetzlicher Be­ stimmung der Name der Gesellschaft in vielen Fällen, wo im Sinne jener Entgegensetzung nicht Gesellschaften, sondern Körper­ schaften vorliegen, so für die Kolonialgesellschaften, Aktiengesell­ schaften und Gesellschaften mit beschränkter Haftung. Diesem terminologischen steht zur Seite ein weit größeres sachliches Be­ denken gegen eine Auffassung, die einem privaten Vereine zwar eine wesentliche Verschiedenheit von einer Gesellschaft, aber dieselbe Natur wie dem Gemeinwesen zuschreibt. Aktiengesellschaften und offene Handelsgesellschaften, die das Gesetz beide als Handelsgesell­ schaften bezeichnet, sollen nicht derselben Art von Dingen angehören. Eine Lesegesellschaft, die sich in das Vereinsregister hat eintragen lassen, soll ein ganz anderes Ding sein als bisher und als andere nur dadurch, daß sie diese Eintragung nicht begehrt und erlangt haben, sich von ihr unterscheidende Gesellschaften, denen sie gegen­ überstehen soll als etwas, das derselben Art von Dingen angehört wie der Staat und die Gemeinde. Jeder Laie fühlt, daß eine solche Auffassung Gleichartiges trennt und Ungleichartiges ver­ bindet. Den letzten Grund dieses richtigen Gefühls bildet die

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jener Auffassung eigene gänzliche Ignorierung der Verschiedenheit des öffentlichen und des Privatrechtes. Das Gemeinwesen besteht nicht ohne seine Angehörigen. Es bezweckt ihr Wohl und würde nicht existieren, wenn sie nicht seine Existenz sich gefallen ließen. Seinen Organen stehen aber seine übrigen Angehörigen gegenüber als Objekte ihrer Macht und Für­ sorge. Daß es als ein. solches, das diese nicht mehr gelten ließen, nicht mehr existieren würde, ändert nichts daran, daß, solange es besteht, seinen aktiv an ihm beteiligten Organen gegenüberstehen seine passiv an ihm beteiligten Untertanen, zu denen auch jene im Verhältnisse zu anderen ihnen gegenüber zuständigell Organen des­ selben gehören. Daher ist jede staatliche Macht eine amtliche, die das Wohl aller am Staate beteiligten Menschen bezweckt, aber keineswegs allen am Staate beteiligten Menschen zukommt. Im Gegensatze zu einem Gemeinwesen hat ein Verein nicht Angehörige, sondern Mitglieder. Seine Existenz ist ein Produkt des vereinigten Willens seiner Mitglieder. Seine Macht ist ihre Macht. Sein Wille ist ihr Wille. Dies ist offensichtlich, wenn er beruht auf ihrer Vereinbarung. Daß der Inhalt ihrer Vereinbarung als In­ halt ihres gemeinsamen Willens gegenübersteht dem Inhalte des Svnderwillens der Einzelnen, dem er, soweit die Vereinbarung zu Recht besteht, vorgeht, teilt er mit jedem die Parteien im Ver­ hältnisse zueinander bindenden Vertragsinhalte, den doch jeder als Inhalt des gemeinsamen Willens der Parteien ansieht. Es beruht nicht minder auf ihrer Vereinbarung, wenn kraft derselben ihre Einigung ersetzt wird durch Mehrheitsbeschluß oder durch die Be­ stimmung eines zu ihrer Vertretung Ermächtigten. Dadurch unter­ scheidet sich das sogenannte Vereinsorgan von einem Staatsorgan, daß jenes ein Bevollmächtigter der Vereinsmitglieder, dagegen nicht dieses ein Bevollmächtigter der Staatsangehörigen ist. Die Kompetenz des Staatsorganes ist eine amtliche, die beruhen kann auf ihrer Übertragung durch ein anderes dazu kompetentes Staats­ organ, aber nie beruht auf einer Vollmacht der Untertanen, für die zu sorgen dem Staatsorgan zukommt. Die Kompetenz des sogenannten Vereinsorganes ist eine von den Vereinsmitgliedern oder von Bevollmächtigten derselben erteilte Vollmacht. Wie die Macht des Staatsorganes die amtliche Macht eines gesetzlichen

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Vertreters, die Macht des sogenannten Vereinsorgans nichts anderes als Vollmacht ist, so ist die Pflicht des Staatsorganes zur Besorgung der bestimmten Staatsangelegenheit eine Amts­ pflicht, die ihm gegen seine Amtsuntergebenen zukommt als ein Korrelat seiner Amtsgewalt, dagegen die Pflicht eines sogenannten Vereinsorgans keine andere als die Pflicht des Beauftragten (im weiteren auch die Anstellung durch Dienstvertrag umfassenden Sinn) gegen seinen Auftraggeber. Daher ist auch das Staatsorgan als solches ein Staatsangehöriger, dagegen keineswegs das Vereins­ organ als solches ein Vereinsmitglied. Was hier vom Verein gesagt ist, wird allgemein anerkannt für die Gesellschaft. Gleich dem Vereine entsteht sie durch Ver­ einbarung ihrer Mitglieder. Der Gesellschaftsvertrag kann be­ stimmen, daß in den gesellschaftlichen Angelegenheiten die Einigung der Mitglieder ersetzt wird durch Mehrheitsbeschluß. Wie schon durch den Gesellschaftsvertrag bestimmte Mitglieder der Gesellschaft ermächtigt sein können, die übrigen zu vertreten, so können durch Gesellschaftsbeschluß auch andere Menschen ermächtigt werden, in den Angelegenheiten oder bestimmten Angelegenheiten der Gesell­ schaft die Gesellschafter zu vertreten. Wie der Gesellschaftsbeschluß nichts anderes ist als Wille der Gesellschafter und zwar, wenn gleich einige dagegen gestimmt oder nicht daran teilgenommen haben, aller Gesellschafter, so ist das Gesellschaftsvermögen gemein­ schaftliches Vermögen der Gesellschafter. Was unterscheidet nun den Verein von der Gesellschaft? Von der societas des römischen Rechtes unterscheidet ihn seine Unabhängigkeit vom Wechsel seiner Mitglieder. Diesen läßt aber das BGB. auch für die Gesellschaft zu. Zwar spricht es nur von der Möglichkeit des Ausscheidens eines Gesellschafters und der dadurch erfolgten Ausdehnung der Anteile der übrigen. Kann aber die Gesellschaft nach dem Weg­ fall eines Gesellschafters unter den übrigen als solchen fortbestehen, deren Anteile eine Erweiterung erfahren haben, so ist nicht abzu­ sehen, warum ausgeschlossen sein sollte der Beitritt eines neuen Gesellschafters und die dadurch erfolgende Einschränkung der An­ teile der übrigen. Beide Möglichkeiten bestehen für jede Gesell­ schaft, da sie, wo nicht schon der Gesellschaftsvertrag sie zuläßt, durch eine Änderung desselben bestimmt werden können. Das

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Gesetz kennt auch die Möglichkeit des Mehrheitsbeschlusses nur als eine „nach dem Gesellschaftsvertrage" bestehende (§ 709 n, 7121). Vereinbaren sie aber die Gesellschafter nachträglich, so kann weder davon die Rede sein, daß diese Vereinbarung rechtlicher Geltung unfähig wäre, noch davon, daß durch sie die bisherige Gesellschaft aufgehoben und eine neue gegründet würde. Vielmehr ist dadurch der Inhalt des Gesellschaftsvertrages und des fortbestehenden Ge­ sellschaftsverhältnisses in dem bestimmten Punkte geändert, wie ebenso andere Verträge und die durch sie begründeten Rechtsbe­ ziehungen der Kontrahenten durch spätere Verträge eine Änderung in bestimmten Punkten erfahren können, wenngleich das BGB. diese Möglichkeit nicht besonders behandelt. So hat, wenn einige Freunde eine Reise auf gemeinsame Kosten unternehmen, eine Änderung des Gesellschaftsvertrages und Gesellschaftsverhältniffes, aber nicht eine Auflösung der bisherigen und Eingehung einer neuen Gesellschaft stattgefunden, wenn unterwegs ein Freund ausscheidet oder ein anderer hinzutritt. Nachdem Gierke (Vereine ohne Rechtsfähigkeit 2. Aufl. 1902) konstatiert hat, daß weder die Fortdauer beim Wechsel der Mitglieder, noch der Vorstand und die Möglichkeit von Mehrheitsbeschlüssen den Verein der Gesellschaft entgegensetzt, erklärt er als einziges „entscheidendes Kennzeichen des Vereins eine ihrem Gesamtinhalte nach als Körperschaftsverfassung bestehende Einrichtung" oder eine solche, daß der Verband „seinen Mitgliedern als besonderes ein­ heitliches Ganzessj gegenübertritt und im Verkehr als solches sich gibt und genommen wird" (S. 11). Gewiß tritt keine Vereinigung ihren Mitgliedern als „besonderes einheitliches Ganzes" gegenüber, wenn sie sich zu ihr zusammentun, sowie wenn sie zu Beschlüssen zusammentreten. Wird bei ihrer Fassung der Einzelne über­ stimmt, so tritt seinem Willen nicht der Gesamtwille als Wille eines einheitlichen Ganzen, sondern der Wille der anderen als ein solcher gegenüber, der durch deren Überzahl dem f einigen vorgeht. Dagegen tritt ihm der Verein als ein besonderes Ganzes gegen­ über, wenn er z. B. etwas in die Vereinskasse zu zahlen oder aus ihr zu empfangen hat, was aber ebenso von jeder Gesellschaft gilt. Wenn Gierke beifügt, daß der Verein „im Verkehr als solches sich gibt und genommen wird", so macht er die Existenz

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eines Vereins davon abhängig, als was der Verband von anderen „genommen wird". Er kann unter diesem Verhalten anderer zum Verbände nicht ein Verhalten Einzelner verstehen. Versteht er aber darunter die Übung des Verkehrs, so hängt danach die rechtliche Eigenschaft der Vereinigung als eines besonderen Ganzen von ihrer Anerkennung durch die übrigen Rechtsgenossen, also nicht nur von ihrer Verfassung oder Einrichtung ab. Hätte entscheidende Be­ deutung die Natur der Vereinigung, als ein besonderes Ganzes sich zu geben und genommen zu werden, so müßte dieses Merkmal ein solches sein, für dessen Existenz oder Abwesenheit jeder, wenn er auch ihre Gründe nicht kennt, ein gewisses Gefühl hat. Die Frage, ob etwas ein besonderes einheitliches Ganzes sei, ist un­ abhängig davon, um was für ein Ganzes es sich handelt, nicht nur kein Gegenstand eines solchen Gefühls, sondern überhaupt ohne Sinn. Nichts existiert, ohne als etwas Bestimmtes zu existieren oder in irgend einem Sinne „ein besonderes einheitliches Ganzes" zu sein. Ein solches ist auch ein Teil eines Ganzen durch seine Verschiedenheit von dessen übrigen Teilen. Was einen eigenen Namen hat, ist auch ein eigenes Ganzes, dessen Bezeichnung als eines einheitlichen eine Tautologie ist. Vom Vereine dadurch, daß sie keine Körperschaft ist, wesens­ verschieden ist doch nach Gierke die Gesellschaft „vom BGB. in eine Form gegossen . . vermöge deren sie . . . sich einer Körper­ schaft nähert", nämlich in die Form der gesamten Hand. Danach sollte man denken, die Gemeinschaft zu gesamter Hand trete im Gegensatze zu anderen Gemeinschaften ihren Teilnehmern als be­ sonderes einheitliches Ganzes gegenüber, während doch die ge­ samte Hand nicht eine den Gesamthändern gegenübertretende, sondern eine aus ihnen bestehende Einheit bedeutet. Als entscheidendes Merkmal der Korporationen bezeichnet Brinz (Pand. 2. u. 3. Aust. § 34), „daß in ihnen zwei Dinge, Kontinuität und Autonomie, miteinander verbunden sind". Von der Korporation ist nach ihm die Sozietät dadurch ver­ schieden, daß sie zwar nicht „ohne Autonomie" aber „ohne Kon­ tinuität" ist. Diese hat jedoch der rechtsfähige Verein nicht in höherem Grade als die Gesellschaft des BGB. Beide können den Wechsel ihrer Mitglieder überdauern. Beide können aber nicht

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ohne Mitglieder existieren und erlöschen sowohl durch deren Weg­ fall als durch ihre von diesen beschlossene Auflösung. Und Autonomie hat die Gesellschaft in demselben Sinne wie der Verein, während die sogenannte Körperschaft des öffentlichen Rechtes solche Autonomie nicht hat. Sie hat Angehörige, die an ihr nur passiv beteiligt sind, denen daher überhaupt kein Einfluß auf die Ordnung ihrer Angelegenheiten zukommt. In ihren Angelegenheiten sind vielfach Organe des Gemeinwesens zllständig, die zu ihren Angehörigen nicht gehören. Die Ab­ grenzung ihrer Angelegenheiten und der bestimmten Menschen in ihnen zustehenden Kompetenz beruht auf der Bestimmung des Gemeinwesens oder der in dessen Angelegenheiten zuständigen Menschen. Auf solcher Bestimmung beruht auch vielfach die An­ gehörigkeit bestimmter Menschen zu ihr. Die Existenz der Vereine wie der Gesellschaften geht zurück auf die Existenz ihrer Mitglieder. Die Existenz der sogenannten Körperschaften des öffentlichen Rechts geht zurück auf die Existenz des Gemeinwesens. Dieses ist gerade dadurch ein Gemeinwesen, daß die von seinen verfassungsmäßigen Organen gegebenen Gesetze für seine An­ gehörigen zu Recht bestehen nicht als solche, die sie sich selbst gegeben haben, sondern als solche, die ihnen gegeben sind durch Menschen, denen nach der Verfassung des Gemeinwesens Macht über sie und Sorge für sie zukommt. Autonomie in der Be­ deutung, in der sie den Vereinen zukommt, bedeutet die Möglichkeit, sich selbst oder dem eigenen Leben Gesetze zu geben, oder die Mög­ lichkeit rechtswirksamer Betätigung der eigenen Persönlichkeit im Dienste des eigenen Lebens. Sie ist die den Menschen zustehende potestas, wie Gams in I. 4 D. de coli. 47, 21 sich ausdrückt, pactionem quam velint sibi ferre dum ne quid ex publica lege corrumpant. Die der lex publica gegenüberstehende und

innerhalb der durch jene gezogene Grenze zu Recht bestehende pactio ist eine private Vereinbarung, und wenn sie hier erwähnt wird als eine den sodales gesetzlich gestattete, so handelt es sich lediglich um die Fähigkeit, rechtsgeschäftliche Bestimmungen zu treffen, oder die sogenannte Privatautonomie. Wo sie waltet, da haben wir es mit Privatrecht zu tun, wogegen das öffentliche Recht ein Gebiet nicht der das eigene Leben ordnenden Autonomie,

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sondern amtlicher Macht über fremdes Leben im Dienste des­ selben ist. Daß die Gemeinschaft den an ihr beteiligten Menschen als ein be­ sonderes Ganzes gegenübertritt, gilt für Gemeinwesen, Vereine und Ge­ sellschaften. Es gilt aber in verschiedener Weise, und es gilt für Ver­ eine nicht in derselben Weise wie für Gemeinwesen, sondern in derselben Weise wie für Gesellschaften. Das Gesellschaftsvermögen ist gemein­ sames Vermögen aller Gesellschafter. Es unterscheidet sich als ein solches, über das sie nur gemeinsam verfügen können, vom ausschließ­ lichen Vermögen der einzelnen Gesellschafter. Es ist ein Vermögen mehrerer Menschen. Dies gilt im Fall jeder, wenngleich sonst nock so verschieden gestalteten Gemeinschaft sei es bezüglich eines ganzen Vermögens oder bezüglich einzelner Vermögensbestandteile. Jedes mehreren Menschen gemeinsame Eigentum ist ein Eigentum mehrerer Menschen. Die „Gemeinschaft nach Bruchteilen", die das BGB. anderen Fällen der Gemeinschaft entgegensetzt, wäre eine contradictio in adiecto, wenn sie bedeutete sowohl Gemein­ schaft d. i. Ungeteiltheit als Geteiltheit ihres Objektes. Sie be­ deutet aber die Verbindung seiner gegenwärtigen Ungeteiltheit mit einem Rechte auf Teilung, für die maßgebend ist der bestimmte Bruchteil, der also nur eine eventuelle Bedeutung hat. Wäre auch eine Sache zu 99°/o mein und nur zu l°/o eines anderen, so ist doch, so lange die Gemeinschaft besteht, für die Verwendung der Sache nur unser gemeinsamer Wille entscheidend, und lediglich für die Verteilung ihrer Kosten und Erträge sind schon jetzt die bestimmten Teile maßgebend. Die Vermögensgemeinschaft der Gesellschaft hat das Besondere, daß sie durch das Gesellschaftsver­ hältnis gegeben ist, weshalb, was auch bei anderen durch die Existenz eines bestimmten Rechtsverhältnisses gegebenen Vermögens­ gemeinschaften vorkommt, kein Teilnehmer ihre Auflösung ver­ langen kann ohne Auflösung der Gesellschaft, sowie daß ein Wechsel der Teilnehmer an dieser den gleichen Wechsel der Teil­ nehmer am Gesellschaftsvermögen bedeutet. Das Gesellschaftsver­ mögen umfaßt nach § 718 BGB. die Beiträge der Gesellschafter, den gesellschaftlichen Erwerb und das durch einen Bestandteil des Gesellschaftsvermögens, sowie als Ersatz für Verlust oder Verderb eines solchen Erworbene. Das Recht auf jene Bei-

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träge zählt der Wortlaut des BGB. nicht zum Gesellschafts­ vermögen ; doch ist seine Zugehörigkeit zu diesem nicht zweifelhaft und gilt insbesondere ihm gegenüber die in § 719 n bestimmte Un­ möglichkeit, eine Gegenforderung gegen einen einzelnen Gesellschafter aufzurechnen. Wem werden aber jene Beiträge geschuldet? Es wird geschuldet ihre Übertragung in das Gesellschaftsvermögen. Dessen Verwaltung kann eine gemeinsame sein. Sie kann einem Gesellschafter oder auch einem dritten Bevollmächtigten und Be­ auftragten der Gesellschafter übertragen sein. In jedem dieser Fälle schuldet aber der einzelne Gesellschafter seinen Beitrag nicht etwa nur zu dem Teile, zu dem er nicht selbst am GesellschaftsVermögen teilnimmt. Er hat ihn voll abzuliefern in die, sei es gemeinschaftlich oder durch einen Gesellschafter oder durch einen dritten Vertreter der Gesellschafter verwaltete Gesellschaftskasse. Er hat ihn auch dann in diese abzuführen, wenn er sie selbst verwaltet. Dasselbe gilt, wenn er etwas schuldet aus einem mit ihm eingegangenen gesellschaftlichen Geschäfte oder weil er das Gesellschaftsvermögen geschädigt hat. Ebenso hat umgekehrt sein Anspruch auf seinen Gewinnanteil oder auf die Leistung, die ihm geschuldet wird aus einem ihm gegenüber vollzogenen gesellschaft­ lichen Geschäfte, volle Befriedigung zu finden durch Zahlung aus dem Gesellschaftsvermögen, die, soweit er es verwaltet oder an seiner Verwaltung teilnimmt, durch ihn selbst oder unter seiner Mitwirkung erfolgt. Es sind hier die vereinigten Gesellschafter, die entweder unmittelbar oder durch einen Vertreter gegenüber­ treten dem einzelnen Gesellschafter, und es tritt dadurch der einzelne Gesellschafter als Subjekt eines ihm ausschließlich eigenen Vermögens, ihm ausschließlich eigener Rechte und Verbindlich­ keiten sich selbst gegenüber als einem Teilhaber an dem Vermögen, den Rechten und den Verbindlichkeiten der Gesellschaft oder der sämtlichen Gesellschafter. Daß ein solches Gegenübertreten mög­ lich ist in Beziehung auf die Geltendmachung und Realisierung von Rechten und Verbindlichkeiten, ist nicht verwunderlicher, als daß ich durch einen Vertrag sowohl in eigenem als in fremdem Namen handeln kann. Niemand wird bezweifeln, daß der Ver­ walter des Gesellschaftsvermögens den einzelnen Gesellschafter auf Bezahlung seines Beitrages belangen kann. Er tritt gegen diesen Holder, Natürl. u. jurist. Personen.

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nicht als Vertreter der übrigen und, wenn er geschäftsführender Gesellschafter ist, nicht als ein solcher auf, der zum Teil in eigenem, zum Teil in fremdem Namen handelt. Er tritt auf als ein solcher, der eine gemeinsame Angelegenheit aller Gesellschafter und damit auch des Beklagten wahrnimmt. Damit hat er in dieser Angelegenheit dieselbe Stellung wie ein gesetzlicher Ver­ treter. Im Gegensatze zu einem solchen hat er aber seine Stellung durch den eigenen Willen der von ihm Vertretenen, der sie ihm auch möglicher Weise entziehen kann, während nie der Vertretene seinen gesetzlichen Vertreter absetzen kann. Wäre in den gemeinsamen Angelegenheiten, wie nach römischem Rechte, nur der übereinstimmende Wille aller maßgebend, so gäbe es keine Unterordnung des Einzelwillens unter den gemeinsamen Willen. Wenn der Gesellschaftsvertrag diese bestimmen und damit bestimmen kann, daß der einzelne Gesellschafter als gemeinsamen Willen und damit als einen auch ihm in seiner Eigenschaft als Gesellschafter eigenen Willen etwas muß gelten lassen, das seinem individuellen Sonderwillen widerspricht, so kann dieser Wille auch gegen ihn geltend gemacht werden durch die Vertreter der Gemeinschaft als solche, die in der gemeinsamen Angelegenheit das ihm in seiner Eigenschaft als Gesellschafter mit den anderen gemeinsame Interesse gegen sein individuelles Sonderinteresse vertreten. Seinen Beitrag verlangend und beitreibend erwirken sie dessen Über­ tragung aus dem Vermögen, das als Mittel der Förderung seines Lebens seiner individuellen Verwendung untersteht, in das Ver­ mögen, das als Mittel der Förderung des den Gesellschaftern gemeinsamen Gesellschaftszweckes ihrer gemeinsamen Verwendung untersteht. Ebenso verlangt der Gesellschafter, was er aus der Gesellschaftskasse für sich verlangt, aus dem ihm mit den übrigen Gesellschaftern gemeinsamen zur gemeinsamen Verwendung be­ stimmten Vermögen für das ihm ausschließlich eigene seiner indi­ viduellen Verwendung unterstehende Vermögen. Das Verhältnis des gesetzlichen Vertreters zum Vertretenen unter­ scheidet sich von jenem Verhältnisse dadurch, daß es nicht auf dem Willen des Vertretenen beruht und daß dieser seinem gesetzlichen Ver­ treter nicht als selbständige Person gegenübersteht. Daher kann der Vornlund dem Mündel die von diesem besessenen Gegenstände

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seiner Verwaltung wegnehmen, anstatt sie ihm gerichtlich abver­ langen zu müssen. Und daher kann der Mündel vom Vormunde nicht durch gerichtliche Klage verlangen, was ihm der Vormund aus seinem Vermögen zu leisten hat, weil die in dieser Beziehung bestehenden Pflichten des Vormundes nicht privatrechtliche, sondern Amtspflichten sind. So schuldet der Vormund dem Mündel Alimen­ tation aus dem von ihm verwalteten Mündelvermögen; der Mündel kann aber gegen den sie ihm nicht gewährenden Vormund nicht durch Klage, sondern nur dadurch vorgehen, daß er sich an das Vor­ mundschaftsgericht wendet. Die Ähnlichkeit des das Gesellschafts­ vermögen oder einen bestimmten Teil desselben verwaltenden ge­ schäftsführenden Gesellschafters mit einem gesetzlichen Vertreter, die sich so ergibt im Verhältnis zu den übrigen, besteht auch in seinem Verhältnisse zu sich selbst. Wie der Bevollmächtigte die Rechte des Vollmachtgebers nicht gegen diesen selbst ausüben kann, so kann nieinand sein eigener Bevollmächtigter sein. Dagegen ist jeder Amtsträger, soweit ihm die amtliche Sorge für Menschen zukommt, zu denen er selbst gehört, sein eigener gesetzlicher Ver­ treter. Ebenso handelt der geschäftsführende Gesellschafter, der als Gesellschafter etwas zu der von ihm verwalteten Gesell­ schaftskasse beizutragen oder aus ihr zu empfangen hat, da­ durch, daß er den Betrag ihr zuführt oder entnimmt, in seiner doppelten Eigenschaft als Gesellschafter und als ein solcher, der alle Gesellschafter, also auch sich selbst, vertritt. Ebenso macht sich endlich die Ähnlichkeit seiner Stellung mit der Stellung eines ge­ setzlichen Vertreters int Verhältnisse zu Dritten geltend. Zur Zwangsvollstreckung in das Gesellschaftsvermögen ist nach § 736 CPO. ein gegen alle Gesellschafter ergangenes Urteil erforderlich. Soll aber, wer mit dem geschäftsführenden, das Gesellschaftsver­ mögen verwaltenden Gesellschafter kontrahiert hat, wegen seiner Befriedigung aus dem Gesellschaftsvermögen sich nicht an diesen halten können, sondern sich an alle Gesellschafter halten und seine Klage als eine ihnen allen geltende jedem Gesellschafter zustellen müssen? Gewiß ist jener den Gesellschaftern gegenüber nicht nur zur Vollziehung der in den Angelegenheiten der Gesellschaft er­ forderlichen Kontrakte, sondern auch zur Führung der in ihnen sich ergebenden Prozesse und, wie zur sonstigen Verwaltung des

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Gesellschaftsvermögens, so namentlich zur Tilgung der Gesell­ schaftsverbindlichkeiten aus ihm sowohl berechtigt als verpflichtet. Folgt aber daraus, daß er durch die Gesellschaftsgläubiger als Vertreter der Gesellschafter belangt werden kann? Aus der Voll­ macht, die mich befähigt, als Vertreter eines anderen aufzutreten, folgt sonst nicht, daß ebenso Dritte gegen mich als den Vertreter des anderen auftreten können, wogegen aus der Stellung eines gesetzlichen Vertreters folgt, daß es ihm sowohl dem Vertretenen als Dritten gegenüber obliegt, für jenen einzutreten, so daß der Dritte, anstatt sich an den Vertretenen zu halten, sich an ihn als dessen Vertreter halten kann, an den er namentlich dann, wenn der Vertretene eigenen rechtswirksamen Auftretens nicht fähig ist, sich auch halten muß. Ist nun der geschäftsführende Gesellschafter als Verwalter des Gesellschaftsvermögens zur Tilgung von Gesellschaftsverbindlichkeiten mit dessen Mitteln nicht nur be­ rechtigt, sondern auch den Gesellschaftern gegenüber verpflichtet, so daß er z. B. ihnen verantwortlich ist für den durch die Unter­ lassung rechtzeitiger Tilgung solcher entstandenen Schaden, so ist notwendig auch für die Gesellschaftsgläubiger ihre Befriedigung aus dem Gesellschaftsvermögen etwas, das sie von ihm verlangen können. Die zur Zwangsvollstreckung in das Gesellschaftsver­ mögen erforderliche Verurteilung aller Gesellschafter ist also, wenn dessen Verwaltung einem Vertreter übertragen ist, eine Verurteilung dieses Vertreters, der für die Gesellschaftsschulden haftet mit dem Gesellschaftsvermögen als einem solchen, das zu diesem Zwecke seiner Verwendung untersteht, wie der gesetzliche Vertreter für die Schulden des Vertretenen haftet mit dessen seiner Verwaltung unterstehendem Vermögen, wenngleich zwischen beiden Fällen der Unterschied besteht, daß der Mündel überhaupt nicht Herr seines nominellen Vermögens und dessen vormundschaftliche Verwaltung von seinem Willen unabhängig ist, während die Verwaltung des Gesellschaftsvermögens durch einen Vertreter der Gesellschafter auf deren eigenem Willen beruht. Daß der Gesellschaftsgläubiger, um eine Zwangsvollstreckung in das Gesellschaftsvermögen zu er­ wirken, alle Gesellschafter belangen muß, gilt also nur, wenn sie das Gesellschaftsvermögen gemeinsam verwalten. Kann er aber, anstatt sie insgesamt zu belangen, ihren Vertreter belangen, so ist

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es auch nicht notwendig, daß er sie bei dessen Belangung als diese bestimmten Individuen aufzählt. Der von ihm belangte Vertreter vertritt sie ja nicht als diese Individuen, sondern als die Gesamtheit der an dieser Gesellschaft Beteiligten, und dessen Belangung bezweckt Befriedigung aus dem Vermögen, das zu diesem Zweck zu verwenden dem belangten Vertreter zukommt als dem Bevollmächtigten und Beauftragten der Gesellschafter. Das Recht der Gesellschaftsgläubiger, wegen ihrer Be­ friedigung aus dem von ihm verwalteten Gesellschaftsvermögen sich an ihn zu halten, würde illusorisch, wenn ihnen die Auf­ zählung und damit die Kenntnis der von ihm vertretenen Ge­ sellschafter zugemutet würde. Wird ein Unternehmen nach dem Tode seines Urhebers im Namen der vielleicht sehr zahlreichen und in der ganzen Welt verstreuten Erben durch einen Geschäftsführer fort­ betrieben, so rechnet jeder, der sich auf Geschäfte mit einer solchen Gesellschaft einläßt, darauf, daß er sich an diesen halten kann, ohne um die Zahl, die Namen und den Wohnort der verschiedenen Erben sich kümmern zu müssen. Lassen wir aber eine solche Be­ langung zu, so sagen wir, daß er belangt wird als Vertreter nicht individuell bestimmter Menschen, sondern der Gesellschafter. Die Belangung ihres Vertreters mit der Wirkung der durch die Verurteilung begründeten Zwangsvollstreckung in das Gesellschafts­ vermögen ist genau dasselbe wie die Belangung des Vorstandes eines Vereins mit der Wirkung der durch die Verurteilung be­ gründeten Zwangsvollstreckung in das Vereinsvermögen. In dem­ selben Sinne, wie diese Belangung eine Belangung des Vereines, ist jene Belangung eine Belangung der Gesellschaft. Das so gewonnene Ergebnis steht in schroffem Widerstreite mit dem Wortlaute der §§ 50, 735 und 736 CPO. Diese Para­ graphen bestimmen die Belangbarkeit eines nicht rechtsfähigen Vereines, dagegen nicht einer Gesellschaft. Und sie setzen dem zur Zwangsvollstreckung in das Vermögen eines nicht rechtsfähigen Vereines genügenden Urteil gegen diesen entgegen das zur Zwangs­ vollstreckung in ein Gesellschaftsvermögen erforderliche Urteil gegen alle Gesellschafter. Der Unterschied beider Urteile erweist sich aber als ein lediglich nomineller, sobald wir, was gänzlich unentbehr­ lich ist, als Belangung aller Gesellschafter gelten lassen die Be­

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langung ihres gemeinsamen Vertreters. Vom belangten nicht rechtsfähigen Vereine sagt § 50 CPO., er habe „in bent Rechts­ streite ... die Stellung eines rechtsfähigen Vereins". Dessen Vorstand, also „im Rechtsstreite" auch der Vorstand eines nicht rechtsfähigen Vereines hat nach § 26 BGB. „die Stellung eines gesetzlichen Vertreters". Er kann sie aber nicht erst „im Rechtsstreite", muß sie vielmehr schon vorher haben, damit dieser möglich sei; denn die Belangbarkeit eines nicht rechtsfähigen Vereines setzt die Existenz eines Menschen voraus, durch dessen Belangung als seines Ver­ treters er belangt wird. Wenn nun der gesetzliche Vertreter von sonstigen Vertretern sich dadurch unterscheidet, daß nicht nur er als Vertreter des anderen auftreten kann, sondern auch Dritte gegen ihn als dessen Vertreter auftreten können, so gilt dies ebenso vom Vertreter einer Gesellschaft wie vom Vorstand eines nicht rechts­ fähigen Vereines. Und es gilt vom einen wie vom anderen außerdem, daß er auch als Vertreter der Gesamtheit dem einzelnen Mitgliede gegenübertreten kann, wodurch die Gesellschaft gleich dem Vereine ihren einzelnen Mitgliedern als ein besonderes Ganzes gegenübertritt. Das Gesetz bestimmt die Belangbarkeit des nicht rechtsfähigen Vereines, aber nicht die Belangbarkeit anderer durch jenen. Man hat mit Recht die schweren Unzuträglichkeiten hervorgehoben, die aus der mit der Möglichkeit jener verbundenen Unmöglichkeit dieser folgen würden. Gleich der Unmöglichkeit der Klage gegen eine Gesellschaft ist aber die Unmöglichkeit der Klage eines nicht rechtsfähigen Vereins und einer Gesellschaft durch das Gesetz nicht bestimmt. Allerdings ergibt sich aus der besonderen Bestimmung der Belangbarkeit eines nicht rechtsfähigen Vereins, daß nach der Meinung der Verfasser des Gesetzes eine Klage gegen einen solchen wie gegen eine Gesellschaft, sowie eines solchen und einer Gesell­ schaft, um möglich zu sein, der besonderen Zulassung bedurfte. War aber jene Meinung unrichtig, so war die besondere Be­ stimmung jener Möglichkeit für den einen Fall, für den allein sie getroffen wurde, überflüssig. Run ist allerdings int Zweifel an­ zunehmen, daß eine vom Gesetze getroffene Bestimmung nicht über­ flüssig war, so daß ihre ausschließliche Vollziehung für den einen Fall ein argumentum a contrario für den anderen ergibt.

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Doch liegt hier ein solcher Zweifel nicht vor. Könnte die Gesell­ schaft nicht klagen, so könnten insbesondere die Beiträge der Gesellschafter keinesfalls voll eingeklagt werden, da der Ver­ walter des Gesellschaftsvermögens, falls er nicht als Vertreter der Gesellschaft oder aller Gesellschafter gegen den einzelnen auftreten könnte, diesen nur belangen könnte teils im eigenen Namen, teils im Namen der übrigen, so daß er den Beitrag nicht verlangen könnte zu dem Teile, zu dem der Belangte selbst Teilhaber der Gesellschaft und ihres Vermögens ist. Dritten gegenüber ist überhaupt kein Unterschied zwischen einer Klage im Namen der Gesellschaft und im Namen aller Gesellschafter. Die Eigenschaft der Klage als einer im Namen der Gesellschafter er­ hobenen schließt nicht aus die Eigenschaft des sie erhebenden Vertreters, nicht die bestimmten zur Zeit ihrer Erhebung an der Gesellschaft be­ teiligten Personen, sondern die jeweiligen Gesellschafter zu vertreten, so daß zu den von ihm vertretenen Gesellschaftern nicht mehr gehören die nach ihrer Erhebung ausgeschiedenen, dagegen gehören die inzwischen hinzngetretenen. Der Kläger kann nicht auf Leistung an den von ihm Vertretenen klagen, ohne diesen zu nennen. Ist er dagegen zur Ver­ tretung ermächtigt nicht nur bezüglich der Klage, sondern auch be­ züglich des Empfangs der Leistung, so bedarf es nicht der Be­ nennung des Vertretenen als eines nach Maßgabe des geltend gemachten Rechtes durch ein Gattungsmerkmal genügend bestimmten. Werden den Eigentümern bestimmter Sachen als solchen bestimmte Leistungen geschuldet, die für sie ein Mensch einfordert und bei­ treibt, so genügt es, daß er sich ausweist als legitimiert zur Geltend­ machung jenes Eigentums, wer auch sein Subjekt sein mag. Wer z. B. aus Schuldverschreibungen auf den Inhaber klagt, ist durch ihren Besitz legitimiert als ein solcher, der entweder der Gläubiger oder dessen nicht nur zum Verlangen, sondern auch zum Empfang der Leistung ermächtigter Vertreter ist. Seine Klage bedarf nicht der Angabe, ob er selbst oder wer sonst der Gläubiger ist, und er bekommt das vom Beklagten Bezahlte oder durch Zwangs" Vollstreckung Erlangte für den Gläubiger. Wer eine Forderung geltend macht als Bestandteil eines Gesellschaftsvermögens, be­ kommt auch das durch ihre Geltendmachung Erlangte als einen solchen und damit als Vertreter nicht der zur Zeit der Er-

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Hebung der Klage existierenden, sondern der gegenwärtigen Gesell­ schafter. Der Gegensatz, in den sich unsere Auffassung zum Wortlaute des Gesetzes stellt, findet seine Begründung und Rechtfertigung darin, daß dessen Verfasser die von ihm vollzogene Ordnung der Gesellschaft nicht hinreichend in ihren Konsequenzen erfaßt haben. Darum bestimmt das Gesetz die Möglichkeit der Fortdauer der Gesellschaft trotz des Wegfalls von Gesellschaftern, dagegen nicht die Möglichkeit des späteren Hinzutritts solcher. Darum spricht es von Gesellschaftsvermögen, aber nicht von Gesellschaftsgläubigern und Gesellschaftsschuldnern, obgleich aus der Existenz eines Ge­ sellschaftsvermögens die Existenz von Gesellschaftsverbindlichkeiten und Gesellschaftsgläubigern folgt, die wegen ihrer Befriedigung sich an jenes und damit au dessen Verwalter als einen solchen halten können, der sie daraus zu befriedigen und eventuell die Zwangsvollstreckung in dasselbe zu dulden hat, sowie die Existenz von Gesellschaftsforderungen, die als Bestandteile des Gesellschafts­ vermögens durch dessen Verwalter geltend gemacht werden können gegen die Gesellschaftsschuldner. Solche sind auch die Gesell­ schafter nicht nur bezüglich anderer Verbindlichkeiten, sondern namentlich auch bezüglich der Verbindlichkeiten, die sie als Gesell­ schafter haben, und es bezeugt die in dieser Beziehung bestehende Unklarheit, daß der Gesetzestext zwar ihre Beiträge, aber nicht das Recht, deren Leistung zu verlangen, zum Gesellschaftsvermögen rechnet, zu dem ebenso gehören die vom Gesetze gleichfalls nicht genannten Ersatzforderungen wegen Vernachlässigung der in den Angelegenheiten der Gesellschaft geschuldeten Sorgfalt. Daß ein vom sonstigen Vermögen der Gesellschafter ver­ schiedenes, sei es durch sie gemeinschaftlich oder durch einen gemein­ schaftlichen Vertreter derselben verwaltetes, Gesellschaftsvermögen existiert, ist nicht notwendig. Von Gesellschaften, bei denen ein solches nicht vorkommt, spricht das Gesetz nicht, wie es denn über­ haupt vorwiegend die Erwerbsgesellschaften im Auge hat, durch deren Existenz die Existenz eines Gesellschaftsvermögens notwendig gegeben ist, weil Bestandteil desselben nach § 718 BGB. jeder gesellschaftliche Erwerb ist. Wo ein solches nicht existiert, da be­ gründen die in Angelegenheiten der Gesellschaft vollzogenen Rechts-

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geschäfte nach allgemeinen Grundsätzen unmittelbare rechtliche Wirkungen nur für den Handelnden, er hätte sie denn zugleich als Vertreter der übrigen Gesellschafter (oder, wenn er selbst nicht Gesellschafter war, überhaupt nur als Vertreter der Gesellschafter) in deren Namen vollzogen. Zur Vertretung der übrigen Gesell­ schafter gegenüber Dritten ist nach § 714 BGB. jeder Gesellschafter im Zweifel insoweit ermächtigt, als ihm nach dem Gesellschafts­ vertrage die Geschäftsführung zusteht. Da diese Bestimmung ohne Rücksicht darauf gilt, ob ein Gesellschaftsvermögen existiert oder nicht, so kann der geschäftsführende Gesellschafter zugleich im Namen der übrigen zur Zeit existierenden Gesellschafter mit der­ selben Wirkung handeln, die nach allgemeinen Grundsätzen die Handlung eines Bevollmächtigten hat. Der Gesellschaftsgläubiger kann in diesem Falle sich nicht nur an ihn halten in seiner doppelten Eigenschaft als Kontrahent und als Verwalter des Ge­ sellschaftsvermögens, sondern auch an jeden anderen damaligen Gesellschafter als einen solchen, in dessen Namen jener kontrahiert hat. Diese zweite Möglichkeit setzt aber voraus, daß der Kon­ trahent zugleich im Namen der anderen als dieser Individuen kontrahiert hat. Ob er es getan hat, ist, wie die ganze Frage, in wessen Namen jemand kontrahiert hat, eine Frage der Aus­ legung des Vertrags. Er hat es aber nicht getan, wenn die anderen dem dritten Kontrahenten weder von ihm genannt wurden noch sonst bekannt waren. Wer kontrahiert mit dem Vertreter einer Gesellschaft, deren Mitglieder er nicht kennt, der denkt nicht daran, sich an diese zu halten, sondern will sich nur halten an jenen teils als einen solchen, der mit seinem Vermögen haftet, teils insbesondere und, falls jener ausdrücklich nur als ein an der Gesellschaft nicht selbst beteiligter Vertreter derselben aufgetreten ist, ausschließlich als den Vertreter der Gesell­ schaft, der haftet mit ihrem von ihm verwalteten Vermögen. Und wie es Fälle gibt, wo der Vertreter der Gesellschaft, ob­ gleich er so handeln konnte, doch tatsächlich nicht gehandelt hat im Namen der Gesellschafter als dieser bestimmten Personen, so gibt es auch Fälle, wo er so nicht handeln konnte, weil in ihnen die nach dem Gesetze „im Zweifel" für ihn bestehende Ermächtigung, so zu handeln, nicht vorlag.

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In der Regel übernimmt jeder Gesellschafter durch den Ge­ sellschaftsvertrag eine Verbindlichkeit von unbegrenztem Umfang. Hat er auch zunächst nur den vereinbarten Beitrag zu leisten, so hat er doch außerdem seinen Anteil an dem sich ergebenden Verluste zu tragen. Der Anteil des Einzelnen am Verluste kann aber begrenzt sein namentlich durch den Ausschluß jedes Verlustes, der darüber hinausgeht, daß er seinen Beitrag nutzlos aufge­ wendet hat. Der rechtsfähige Verein unterscheidet sich von der Gesellschaft in der Regel dadurch, daß seine Mitglieder mehr als den bestimmten Beitrag überhaupt nicht schulden. Finden seine Verbindlichkeiten weder durch sein sonstiges Vermögen noch durch die von seinen Mitgliedern geschuldeten Beiträge Deckung, so haben seine Gläubiger ebenso das Nachsehen wie die Gläubiger eines Menschen, dem die Mittel zur Erfüllung seiner Verbindlich­ keiten fehlen. Über den nicht rechtsfähigen Verein hat § 54 BGB. die doppelte Bestimmung, daß auf ihn die Vorschriften über die Ge­ sellschaft Anwendung finden und daß einein Dritten ans einen: Rechtsgeschäfte im Namen eines solchen der Handelnde persönlich haftet. Den rechtsfähigen Verein nennt das Gesetz einen solchen, der bald durch Eintragung in das Vereinsregister, bald durch staat­ liche Verleihung Rechtsfähigkeit erlangt. Es setzt damit voraus, daß er schon vorher existiert, wie er denn auch jene erlangt auf sein eigenes Betreiben. Es redet von rechtsfähigen und nicht rechtsfähigen Vereinen. Es redet dagegen nicht von anderen als rechtsfähigen Stiftungen, läßt also die Stiftung durch die staat­ liche Genehmigung nicht etwa nur Rechtsfähigkeit erlangen, sondern erst entstehen. Würde es ebenso nur rechtsfähige Vereine kennen, so wäre der für die Rechtsfähigkeit eines Vereines erforderliche Staatsakt für seine Existenz erforderlich, wiirde also durch ihn der Verein erst entstehen. Hätte es sich so ausgedrückt und würde es außerdem von Vereinen ohne Rechtsfähigkeit überhaupt nicht reden, so wäre, wie eine nicht rechtsfähige Stiftung nicht eine Stiftung im Sinne des BGB. ist, so ein nicht rechtsfähiger Ver­ ein schlechterdings kein Verein im Sinne des BGB. Wie jene nur als etwas existieren kann, das nicht unter den Stiftungs­ begriff, aber unter andere Begriffe des BGB. fällt, so könnte der

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nicht rechtsfähige Verein nach dem BGB. nur als etwas existieren, das zwar nicht unter den Vereinsbegriff, aber unter einen anderen Begriff des BGB. fällt, wobei es vergebliche Mühe wäre, einen anderen Begriff, unter den er fallen könnte, ausfindig machen zu wollen als den Begriff der Gesellschaft. Inwieweit von diesem der Vereinsbegriff der öffentlichrechtlichen und zur Zeit noch aus­ schließlich landesrechtlicheu Vereinsgesetzgebung abweicht, kommt hier nicht in Frage, da diesem Begriffe privatrechtliche Bedeutung nicht zukomntt. Fragen wir aber, ob jenes Verhältnis eine Änderung dadurch erleidet, daß das Gesetz auch nicht rechtsfähige Vereine kennt, sei es, daß sie nur Rechtsfähigkeit noch nicht er­ langt haben oder daß sie deren nicht begehren, so tritt uns die Tatsache entgegen, daß es in keiner Weise bestimmt, was es unter einem nicht rechtsfähigen Vereine versteht. Nach § 54 finden auf ihn „die Vorschriften über die Gesellschaft Anwendung". Damit ist nicht gesagt, daß er eine Gesellschaft im Sinne des BGB. ist. Damit ist aber auch nicht gesagt, daß er eine solche nicht ist. Die Vorschriften über diese sollen auf ihn Anwendung finden, ob er nun eine solche ist oder nicht. Ist er nicht eine solche, so sind die Vorschriften über sie durch das Gesetz auf ihn übertragen. Ist er eine solche, so hat das Gesetz bestimmt, was auch ohne be­ sondere Bestimmung gelten würde. Daß die Verfasser des Ge­ setzes diese für erforderlich gehalten haben, ist ein Kennzeichen ihrer Meinung, daß die Eigenschaft des nicht rechtsfähigen Ver­ eines als eurer Gesellschaft entweder nicht zutreffe oder doch nicht feststehe. Darüber aber, ob er in Wirklichkeit eine solche ist oder nicht ist, ergibt sich daraus nichts. Entweder muß er eine solche sein, da er keinesfalls unter einen dritten Begriff des BGB. fällt, oder muß es neben dem engeren Begriffe des rechtsfähigen Vereines einen weiteren Veceinsbegriff des BGB. geben, der eines­ teils das Merkmal der Rechtsfähigkeit nicht umfaßt, aber anderen­ teils ein dem Begriffe der Gesellschaft fremdes Merkmal aufweist. Ein solches Merkmal gibt es nicht, wohl aber Merkmale, die dem rechtsfähigen Vereine wesentlich und der Gesellschaft unwesentlich sind, ihr aber zukommen müssen, wenn sie ein nicht rechtsfähiger Verein sein soll, so daß dieser ein besonderer Fall der Gesellschaft ist. Ein solches Merkmal ist einmal die Existenz eines Vereins- oder

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Gesellschaftsvermögens. Die durch § 50 CPO. vermeintlich im Gegensatze zu jeder Gesellschaft des BGB., in Wirklichkeit aber nur im Gegensatze zu einer Gesellschaft ohne Gesellschaftsvermögen bestimmte Belangbarkeit des nicht rechtsfähigen Vereines und die durch dessen Verurteilung gegebene Zwangsvollstreckung in sein Vermögen zeigt, daß eine Gesellschaft ohne Gesellschaftsvermögen nicht ein solcher ist. Ein zweites Merkmal jener Art ist die einem Vorstande oder Vertreter des Vereines oder der Gesellschaft zu­ kommende Verwaltung des Vereins- oder Gesellschaftsvermögens. Wäre sie vielmehr eine gemeinsame der Gesellschafter, so wäre deren gemeinsame Belangung eine Belangung derselben nicht nur als der Subjekte des ihnen gemeinsamen Gesellschaftsvermögens, sondern auch als dieser je mit ihrem ganzen Vermögen haftenden Personen. Ein drittes für die Abgrenzung des nicht rechtsfähigen Vereines entscheidendes Merkmal ist die in der Regel dem rechtsfähigen Vereine eigene Begrenzung der Verbindlichkeit seiner Mitglieder. Sie ist auch bei der Gesellschaft möglich, aber nicht als eine für alle Mitglieder derselben bestehende. Es muß wenigstens ein Mit­ glied derselben geben, das für Verluste voll aufzukommen hat. Wo diesem die übrigen Mitglieder als solche gegenüberstehen, die mehr als einen bestimmten Beitrag nicht schulden, da ist dieses der geschäftsführende Gesellschafter, dessen Ermächtigung, die anderen zu vertreten, hier eine beschränkte ist. Er kann hier nicht handeln im Namen der anderen Gesellschafter, so daß der dritte Kontrahent sie belangen könnte, wie wenn sie selbst gehandelt hätten. Er vertritt sie aber in ihrer Eigenschaft als Gesellschafter, indem er den Gesellschaftsgläubigern haftet mit dem Gesellschafts­ vermögen, dessen Verwaltung ihm als dem Vertreter aller Gesell­ schafter zukommt. Die verschieden beantwortete Frage, ob es möglich ist, daß die Mitglieder eines nicht rechtsfähigen Vereines dessen Gläubigern nicht persönlich haften, ist zu bejahen ohne Ver­ neinung der Eigenschaft jenes Vereines als einer Gesellschaft, weil er eine so konstruierte Gesellschaft ist, daß die im Zweifel für den geschäftsführenden Gesellschafter bestehende Vollmacht, im Namen der anderen zu handeln, ausgeschlossen ist. Wer wollte auch verneinen, daß wer einer Vereinigung für wohltätige oder gemein­ nützige Zwecke beitritt, deren Statuten ihm ausschließlich einen be-

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stimmten Jahresbeitrag auferlegen, ihrem Vorstand oder Geschäfts­ führer keine Vollmacht erteilt hat, Geschäfte in seinem Namen ein­ zugehen, während er allerdings jenem die Ermächtigung erteilt hat, seinen Beitrag ihm abzuverlangen und als Bestandteil des ihren Teil­ habern gemeinsamen Vermögens der Vereinigung zu ihren Zwecken, insbesondere zur Erfüllung der in ihren Angelegenheiten einge­ gangenen Verbindlichkeiten, zu verwenden. Die vom Gesetze bestimmte persönliche Haftung des Handelnden versteht sich von selbst, wenn er im eigenen Namen gehandelt hat. Und als ein im Namen eines nicht rechtsfähigen Vereines handelnder hat er stets in eigenem Namen gehandelt. Bin ich zur Vertretung anderer nur in dem Sinne ermächtigt, daß der dritte Kontrahent sich nicht unmittelbar an jene, sondern nur an mich als einen solchen halten kann, der ermächtigt ist. Vermögen des Vertretenen zur Erfüllung der Verbindlichkeit zu verwenden, so hafte ich, wenn ich kein gesetzlicher Vertreter bin, auch mit meinem Vermögen. Dies wäre nicht der Fall, wenn, wie neuerdings viele annehmen, der Umfang der Haftung für eine übernommene Ver­ bindlichkeit bei ihrer Übernahme beliebig begrenzt werden könnte. Ihr Umfang beruht aber auf dem öffentlichen Rechte. Daß es eine Reihe von Fällen gibt, wo er kraft Gesetzes enger begrenzt ist als sonst, beweist nichts für die durch keine gesetzliche Be­ stimmung zugelassene Möglichkeit seiner Begrenzung durch private Bestimmung. Wenn Planck (Komm. II, 3. Aufl. S. 8) im Hin­ blick auf die Bestimmungen über die beschränkte Haftung dessen, der das Vermögen eines anderen übernommen hat, meint, es sei „nicht abzusehen, weshalb ein Vertrag, durch welchen die Haftung des Schuldners in einer jenen gesetzlichen Vorschriften entsprechenden Art beschränkt wird, unzulässig sein sollte", so geht diese Argu­ mentation von der falschen Auffassung aus, daß alles, was das Gesetz bestimmen kann, auch der Privatwille bestimmen könne. Wer, ohne gesetzlicher Vertreter zu sein, eine Verbindlichkeit ein­ geht als Vertreter anderer nicht in dem Sinne, daß diese aus ihr belangt werden können, sondern in dem Sinne, daß er selbst aus ihr belangt werden kann auf Zahlung aus dem Vermögen jener als einem zu biefent Zwecke ihm zu Gebote stehenden, kann aus ihr auch belangt werden auf Zahlung aus seinem eigenen Vermögen,

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und nichts anderes bestimmt § 54 BGB., dessen Bestimmung daher auch gelten würde, wenn sie nicht besonders getroffen wäre. Anders steht es, wenn er gehandelt hat im Namen bestimmter Menschen. Wer gehandelt hat im Namen des als dieser bestimmte Mensch oder als Mehrheit solcher dem dritten Kontrahenten von ihm benannten oder sonst bekannten Vorstandes des nicht rechts­ fähigen Vereines, begründet nicht seine, sondern dessen Haftung und die feinige nur eventuell wegen mangelnder Vollmacht in derselben Weise wie jeder, der im Namen eines anderen handelt. Unterscheidet der nicht rechtsfähige Verein sich in der ange­ gebenen Weise von anderen Gesellschaften, so ist der einzige Punkt, worin sich jede Gesellschaft vom rechtsfähigen Vereine unterscheidet, die Unmöglichkeit der auf das Gesellschaftsvermögen beschränkten Haftung für die gesellschaftlichen Verbindlichkeiten. Sie könnte nicht das entscheidende Kriterium für die Abgrenzung der dem Privatwillen freigegebenen Gesellschaftsbildung gegen die ihm nicht freigegebene Bildung rechtsfähiger Vereine sein, wenn nicht grund­ sätzlich dem Privatwillen die Begrenzung der Haftung für übernommene Verbindlichkeiten entzogen wäre. Ein Akt der privaten Autonomie oder der rechtswirksamen Betätigung des Privatwillens ist die bezüglich der Vereine den Vereinsmitgliedern zukommende Macht vor allem als Macht der Vereinsbildung, die in Beziehung auf Gesellschaften und nicht rechtsfähige Vereine freier ist als bezüg­ lich der nicht ohne staatliche Mitwirkung entstehenden rechtsfähigen Vereine.

2. Zweierlei Vereine. Das BGB. unterscheidet zweierlei rechtsfähige Vereine nach doppelter Richtung. In Beziehung auf die Art, wie sie die Rechts­ fähigkeit erlangen, unterscheidet es Vereine, deren Zweck auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist (§ 21, 22), und Ver­ eine, deren Zweck nicht auf einen solchen gerichtet ist. In Be­ ziehung auf das Schicksal ihres Vermögens, nachdem sie nicht mehr existieren oder nicht mehr rechtsfähig sind, unterscheidet es Vereine, die ausschließlich den Interessen ihrer Mitglieder dienen, und andere Vereine (§ 45). Diesen Unterschied können wir be­ zeichnen als den Unterschied der egoistischen und der altruistischen

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Vereine. Er bedeutet einen grundsätzlichen Gegensatz des Vereins­ zweckes. Ob dagegen einen solchen auch der erste Unterschied bedeutet, ist bestritten. Der nach den Worten des Gesetzes ent­ scheidende wirtschaftliche Geschäftsbetrieb erfolgt nie um seiner selbst willen, ist also nie Zweck, sondern stets Mittel zum Zwecke. Kommt es auf ihn an, so kommt es nicht an auf den Zweck des Vereines, sondern auf die Art, wie er seinen Zweck betreibt. Demgemäß gehört z. B. ein Verein, der die Verbreitung gemein­ nütziger Schriften zum Zwecke hat, zur einen Kategorie, wenn er diese Schriften kauft und verschenkt, dagegen zur anderen, wenn er sie gewerbsmäßig vertreibt oder zum Zwecke ihrer Herstellung das Gewerbe eines Buchdruckers oder Verlegers betreibt. Die Unterscheidung bedeutet dann Vereine mit und ohne Betrieb eines Gewerbes und hat mit dem letzten Zwecke des Vereines nichts zu tun. Betont man dagegen, daß nach dem Gesetze nicht der wirt­ schaftliche Geschäftsbetrieb als solcher, sondern der auf ihn ge­ richtete Vereinszweck entscheidet, so kommt es an auf den Zweck, dem wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb gewöhnlich dient, und dies ist der wirtschaftliche Vorteil seines Inhabers. Der auf jenen ge­ richtete Zweck bedeutet dann den Zweck des wirtschaftlichen Vor­ teils der Vereinsmitglieder, nicht etwa des Vereins als eines von diesen verschiedenen; denn der Gewinn des Vereines ist stets ein Ntittel zum Vereinszwecke. Nach dieser Auffassung gehört zur Kategorie der Vereine, deren Zweck nicht auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist, jeder altruistische Verein, dagegen nicht zur anderen Kategorie jeder egoistische Verein. Ein Bildungs- oder Leseverein kann dienen den Interessen nur seiner Mitglieder oder auch und namentlich Dritter. Hält er ein Lesezimmer, das im ersten Falle nur jenen, im zweiten einem weiteren Kreise oder jedermann zugänglich ist, so gehört er ohne Rücksicht auf diesen Unterschied nach keiner Auffassung zu den Vereinen, deren Zweck auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist; denn weder betreibt er ein Gewerbe, noch bezweckt er den wirtschaftlichen Vorteil seiner Mitglieder. Löst er sich aber auf, so besteht der Unterschied, daß sein Vermögen im ersten Falle seinen letzten Mitgliedern, im anderen dem Fiskus zufällt. Dieser Unterschied ist durchaus gerechtfertigt; denn auch schon während

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seines Bestandes existiert sein Verniögen im ersten Falle in jebent Zeitpunkte um der zurzeit au ihm beteiligten Menschen, im anderen Falle um jedes zurzeit oder später existierenden Menschen willen, der in die Lage kommen könnte, das Lesezimmer zu benutzen und damit gleich dem Staatsvermögen im allgemeinen Interesse. Im ersten Falle existiert ein gemeinsames Privatvermögen der Vereinsmitglieder, bezüglich dessen jeder zwar einen Mehrheits­ beschluß nur innerhalb der Grenzen des Vereinszweckes gelten lassen muß, das sie aber, falls sie einig sind, auch zu beliebigen anderen Zwecken verwenden dürfen, soweit dadurch nicht die Gläubiger geschädigt würden, deren Rechte ja auch den Einzelnen in der freien Verwendung seines Vermögens beschränken. Durch die Auflösung des Vereines hört das bisher von Vereins wegen gemeinsame Vermögen nicht auf, gemeinsames Vermögen zu sein; aber die Gemeinschaft ist von jetzt an eine sogenannte Gemeinschaft nach Bruchteilen mit dem Rechte eines jeden auf Teilung und mit der dieser Gemeinschaft eigenen Konstanz, Vererblichkeit und Übertragbar­ keit des bisher durch die Mitgliedschaft zum Verein gegebenen, daher durch deren Wegfall erlöschenden, sowie durch Wegfall und Hinzu­ tritt anderer Mitglieder sich vergrößernden und verkleinernden Anteils. Anders steht es im Falle eines Vereines für öffentliche Lese­ zimmer. Löst er sich auf, so ist sein Vermögen nicht Vermögen seiner letzten Mitglieder, weil es schon vorher nicht Privatvermögen war. Der Verein, der gebildet wird für einen nicht auf die Förderung des Lebens seiner Mitglieder sich beschränkenden Zweck, hat denselben Zweck wie eine Stiftung. Was macht es für einen Unterschied, ob wir zum Zwecke der Unterhaltung öffentlicher Lese­ zimmer einen Verein oder eine Stiftung errichten? Es macht keinen Unterschied bezüglich des Zweckes. Es besteht aber im ersten Falle eine Besonderheit bezüglich der zu seiner Förderung getroffenen Einrichtung. Es ist eine Stiftung errichtet, deren Verwaltung einem Vereine zukommt. Der Verein ist hier ein zum Zwecke der Verwaltung der Stiftung gebildetes Kollegium. Im Gegensatze zu anderen Vereinen ist hier die der Gesamtheit der Vereins­ mitglieder zukommende Macht über das Vereinsvermögen eine amt­ liche, die verbunden ist mit der amtlichen Pflicht ihrer Ausübung zur möglichsten Förderung des Vereinszweckes. Diese Auffassung

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allein entspricht, wie dem durch die Errichtung des Vereins ge­ äußerten Willen, so insbesondere den Intentionen der durch Zu­ wendungen an ihn zu ihm in Beziehung tretenden Menschen. Ob ich eine Schenkung oder ein Vermächtnis einem Vereine oder einer Stiftung mit dem Zwecke der Unterstützung oder sonstigen Förderung Armer, Kranker oder sonstiger Notleidender, einem Vereine oder einer Stiftung für Zwecke der Bildung, Kunst oder Wissenschaft, für den Zweck der Bekämpfung von Volkskrankheiten und anderer Not­ stände, aber auch etwa für den Zweck der Ausbildung oder Unter­ stützung eines bestimmten Menschen zuwende, macht keinen Unterschied dafür, daß es dadurch das eine Mal dem Vereine und das andere Mal der Stiftungsverwaltung zusteht, aber auch obliegt, das Zu­ gewendete nach Maßgabe der Bestimmungen der Vereinssatzung oder der Stiftungsurkunde und im übrigen kraft eigener Ent­ scheidung, aber nicht nach Lust und Laune, sondern nach pflicht­ mäßigem, durch den Zweck des Vereines oder der Stiftung ge­ leitetem Ermessen zu verwenden. Zwischen dem Falle, daß ich dem Vereine etwas zuwende, und daß ich ihm beitrete, besteht der Unterschied, daß ich durch meinen Beitritt an der Macht, aber auch an der Pflicht der Verwaltung und Verwendung des Vereinsvermögens zum Vereinszweck teilnehme. Zwar pflegt man die Teilnahme an den Vereinsversammlungen gleich der Teilnahme an staatlichen Wahlen als Gegenstand nur eines Rechtes und nicht auch einer Pflicht anzu­ sehen; wenn aber eine zweck- und pflichtwidrige Verwendung des Vereinsvermögens erfolgt oder seine zweck- und pflichtgemäße Ver-wendung unterbleibt durch Vereinsbeschlüsse oder das Unterbleiben solcher, so beruht dieser Erfolg auf einer Pflichtwidrigkeit nicht nur der Mitglieder, die an solchen Beschlüssen teilgenommen haben, sondern auch der Mitglieder, die durch ihr Ausbleiben es zu solchen Beschlüssen oder zur Beschlußunfähigkeit der Versammlung haben kommen lassen. Aus der Zuständigkeit des Vereins bezüglich des Vereins­ vermögens als einer amtlichen mit der Pflicht seiner Verwendung zum Vereinszweck verbundenen folgt, daß der Verein dessen Änderung nicht beschließen kann. Das Gegenteil bestimmt § 33 BGB., der nur für diese Änderung in Ermanglung einer anderen Bestimmung der Satzung die Zustimmung aller Mitglieder fordert. Holder, Natürl. u.

jurist. Personen.

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Diese Bestimmung ist unbegreiflich. Sie gestattet einem im be­ wußten Gegensatze zur Strömung unserer Tage errichteten Verein zur Förderung des Studiums der alten Sprachen, sich, nachdem die Stimmung seiner Mitglieder gewechselt hat, in einen Verein zur Förderung realistischer Bildung zu verwandeln und das durch seine früheren für das Altertum begeisterten Mitglieder sowie durch Schenkungen und Vermächtnisse anderer ebenso gesinnter Menschen zusammengebrachte Vermögen zu ganz anderen Zwecken, ja zur Bekämpfung des ursprünglichen Vereinszweckes, den jene Menschen zu fördern gedachten, zu verwenden. Sie gestattet auch einem Vereine für öffentliche Lesezimmer, sich in einen Verein zu verwandeln, der nur noch das Lesebedürfnis seiner Mitglieder zu befriedigen bezweckt. Und sie macht dadurch die Bestinimung illusorisch, daß, wenn der Verein nach seiner Satzung nicht aus­ schließlich den Interessen seiner Mitglieder dient, das Vermögen des aufgelösten Vereins nicht an diese, sondern an den Fiskus fällt. Sind sie einig, so hindert sie nichts, vor der Auflösung des Vereines ihn durch Änderung seines Zweckes in einen ausschließlich ihren Interessen dienenden zu verwandeln. Die Eigenschaft des altruistischen Vereins, nicht gleich dem egoistischen ausschließlich um seiner Mitglieder willen zu existieren, fordert nicht nur, daß diese den Vereinszweck nicht ändern können. Sie fordert auch, daß die Vereinstätigkeit unter der Aufsicht des Gemeinwesens steht. Fehlt diese, so kann auch ohne beschlossene Änderung des Vereinszweckes gegen eine ihm zuwiderlaufende Ver­ wendung von Vereinsvermögen in keiner Weise vorgegangen werden, wenn die Vereinsmitglieder einig sind. Diesem Falle steht gleich der weit häufigere, daß die dabei nicht beteiligten Mitglieder sich nicht darum kümmern oder nicht dagegen vorgehen mögen. Daß sie den Schaden, den sie etwa dadurch leiden, sich selbst zuzuschreiben haben, ist kein Grund dafür, solchen Schaden die Interessen Dritter leiden zu lassen, in deren Dienst der Verein durch seinen Zweck steht. Das Bedürfnis der öffentlichen Aufsicht über einen solchen Verein ist genau dasselbe wie das Bedürfnis der Aufsicht über eine Stiftungsverwaltung. Von selbst versteht sich, daß die Gründung eines solchen Vereins nicht lediglich eine private Vereinbarung sein kann. Eine

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solche kann nicht amtliche Zuständigkeit und Obliegenheit, sondern nur private Vertretungsmacht und Geschäftsführung begründen, wie sie gleich dem Vertreter und vertragsmäßigen Geschäfts­ führer Einzelner dem Vertreter und Geschäftsführer einer Ge­ samtheit zukommen kann. Freilich können wir auch durch private Vereinbarung uns gegenseitig verpflichten, fremdes Leben zu fördern. Wir schulden aber dann diese Förderung lediglich einander und können das von uns in ihren Dienst gestellte gemeinsame Vermögen durch Auflösung der von uns zu jenem Zwecke gebildeten Gesellschaft wieder anderen Zwecken zuwenden. Haben wir aber die von uns gebildete Vereinigung als ein­ getragenen Verein in das Vereinsregister eintragen lassen, so ist vollzogen die durch das Verlangen der Eintragung von uns be­ antragte staatliche Verwandlung unseres Vereines in einen von Rechts wegen jenem Zwecke dienenden und damit des Vereins­ vermögens in ein solches, über das wir nicht mehr als Eigentümer sondern amtlich gebieten, und der von jetzt an begründeten Vereins­ verbindlichkeiten als solcher, die uns nur noch als amtliche oder als solche obliegen, die wir mit den Mitteln zu erfüllen haben und wofür die Mittel haften, über die wir amtlich gebieten. Wie überhaupt an den Zuständigkeiten und Obliegenheiten eines Kollegiums jedes Mitglied desselben beteiligt ist, so ist an den Zuständigkeiten und Obliegenheiten des Vereines jedes Vereins­ mitglied beteiligt. Sein Vorstand oder ein anderes sogenanntes Vereinsorgan hat eine selbständige Kompetenz nur insoweit, als sie unabhängig ist von den Beschlüssen seiner Mitglieder. Löst der Verein sich auf durch Beschluß oder Wegfall seiner Mitglieder, so ist dem Vereinsvermögen als einem dem Vereinszweck gewidmeten und für ihn amtlich zu verwendenden Vermögen Dasselbe wider­ fahren wie dem Stiftungsvermögen durch den Wegfall der Menschen, denen bisher seine amtliche Verwaltung und Verwendung für den Stiftungszweck zukam. Wie dadurch die Stiftung nicht erlischt, sondern es dem Gemeinwesen zukommt, für die fernere Existenz jener amtlichen Zuständigkeit und Obliegenheit durch ihre Übertragung auf andere Menschen zu sorgen, so müßte dasselbe gelten, wenn sie einem weggefallenen Vereine zukam. Es ist grundlos, daß durch staatliche Fürsorge für seine fernere Verwaltung und Verwendung zu 19*

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dem Zwecke, dem es gewidmet wurde, zwar das Stiftungsvermögen, aber nicht das Vermögen fortexistieren soll, für dessen Verwaltung und Verwendung zu jenem sich ein Verein gebildet hatte. Sind die Vereinsmitglieder bis auf eines weggefallen, so existiert auch kein Verein mehr. Wenn aber privates Vermögen dieses letzten Mitgliedes ist, was bisher gemeinsames Privatvermögen aller war, so besteht auch kein Grund, warum nicht als eine nun jenem mt3= schließlich zukommende fortbestehen sollte die amtliche Zuständig­ keit und Obliegenheit bezüglich des bisherigen Vereinsvermögens, die bisher den Mitgliedern des Vereines miteinander zukam. Daß von der freien Entschließung staatlicher Organe zwar die Existenz einer Stiftung, aber nicht (oder doch, wenn man auch altruistische Vereine zu den Vereinen zählt, deren Zweck auf einen wirtschaft­ lichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist, nicht immer) die Existenz eines Vereines jener Art abhängt, hat keinen prinzipiellen Grund. In beiden Fällen ist das Gemeinwesen an dem bestimmten Zwecke als einem seinen Angehörigen zugute kommenden in derselben Weise beteiligt. Es ist ebenso in derselben Weise beteiligt an der für seine Verfolgung getroffenen Einrichtung als einer solchen, die seiner Beaufsichtigung bedarf, wenn die zweck- und pflichtgemäße Ver­ wendung des bestimmten Vermögens gewährleistet sein soll.

3. Die Persönlichkeit der Vereine. Ein rechtsfähiger Verein unterscheidet sich von einem nicht rechtsfähigen Verein oder einer Gesellschaft weder dadurch, daß die Gesamtheit den Einzelnen als ein besonderes Ganzes gegen­ übertritt, noch dadurch, daß aus seinen Verbindlichkeiten seine Vertreter als solche belangt werden können, die sie aus seinen Mitteln zu erfüllen haben. Er hat aber die Besonderheit, daß eine solche Verbindlichkeit für sich existieren kann, während eine Verbindlichkeit eines nicht rechtsfähigen Vereines oder einer Ge­ sellschaft nur existieren kann in Verbindung mit einer Verbindlichlichkeit einer oder mehrerer dafür mit ihrem Vermögen haftenden Personen, zu der jene hinzutritt, weil die betreffenden persönlichen Verbindlichkeiten in den Angelegenheiten einer Gesellschaft, die ein Gesellschaftsvermögen hat, entweder für die Gesellschafter oder für eine Person entstanden sind, der durch deren Übertragung

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das bestimmte Geschäft zukam. Wäre der Umfang der durch die Existenz einer Verbindlichkeit gegebenen Haftung nicht durch das Gesetz gegeben, sondern der Begrenzung durch private bei ihrer Begründung getroffene Bestimmung zugänglich, so könnte auch ein Gesellschafter oder Geschäftsführer einer Gesellschaft bei der Eingehung eines Kontraktes in ihren Angelegenheiten den anderen Kontrahenten bezüglich seiner Befriedigung ganz auf das Gesellschaftsvermögen verweisen, und diese Verweisung wäre sogar regelmäßig als eine stillschweigend erfolgte anzunehmen. Daß aus einem Kontrakte in Angelegenheiten der Gesellschaft neben dem Gesellschaftsvermögen das private Vermögen aller Gesellschafter oder doch, wenn nach ihrer Konstruktion der Kontrahent diese nicht in der Weise vertreten konnte, daß sie aus seinem Kontrakte per­ sönlich belangt werden können, dessen privates Vermögen haftet, beruht nicht auf einer vermuteten Intention des Handelnden, sondern auf dem für alle Fälle, für die nicht das Gesetz das Gegenteil bestimmt, geltenden Ausschlüsse solcher Verbindlichkeiten, für die nicht das ganze Vermögen einer Person haftet. Die Rechtsfähigkeit eines Vereines bedeutet die Möglichkeit solcher Verbindlichkeiten, wofür ausschließlich das Vereinsvermögen haftet. Sie können entstehen durch Vorgänge in Beziehung auf Bestand­ teile des Vereinsvermögens und durch Handlungen der Vereins­ mitglieder und ihrer Vertreter. Fragen wir aber, warum das Gesetz diese Möglichkeit in bestimmten Fällen zuläßt, so müssen wir die egoistischen und die altruistischen Vereine unterscheiden. Bei diesen erfolgt die Entbindung der Vereinsmitglieder von der Haftung mit ihrem Privatvermögen in Anerkennung des Um­ standes, daß der Verein int Dienste fremden Wohles steht. Die Verbindlichkeiten des Vereines und seiner Mitglieder als solcher sind damit anerkannt als amtliche, für die sie nach der auch sonst für amtliche Verbindlichkeiteit geltenden Regel nicht haften mit ihrem Privatvermögen, sondern nur mit dem Vermögen, über das sie von Amts wegen gebieten. Für egoistische Vereine und ihre Mitglieder dagegen ist die Möglichkeit von Vereinsverbindlichkeiten, die mit niemands persönlicher Haftung verbunden sind, nichts anderes als eine gesetzliche Begrenzung des Schadens, den sie durch deren Existenz und damit namentlich durch wirtschaftlich verlust­

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bringende Vereinstätigkeit leiden können, während der Nutzen einer wirtschaftlich gewinnbringenden Vereinstätigkeit ihnen unbegrenzt zufließt. Solche Vereine sind nichts anderes als Gesellschaften, bei denen nicht nur für einzelne, sondern für alle Gesellschafter die Möglichkeit von Verlust oder das Risiko begrenzt ist. Jede Zulassung solcher Gesellschaften hat große Bedenken. Ist ihr Be­ dürfnis und ihr Nutzen so groß, daß man sie trotzdem zulassen muß, so gebietet die Rücksicht auf die Menschen, denen sie gegen­ übertreten, sie nur zuzulassen, wenn diesen möglichste Garantie dagegen geboten wird, daß sie um die Befriedigung ihrer Forderungen kommen, weil sie wegen derselben sich nur an das Vereinsver­ mögen halten können. Man hat sich alle Mühe gegeben, ver­ schiedene, namentlich auch diesem Bedürfniffe möglichst Rechnung tragende Gesellschaftsformen zu konstruieren. Durch die Be­ stimmungen des BGB. über die rechtsfähigen Vereine muß aber eine Gesellschaft, um als eine solche existieren zu können, für deren Verbindlichkeiten niemand persönlich haftet, nicht den Erforder­ nissen einer jener Formen genügen. Dadurch, daß Vereinen, deren Zweck auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist, die Rechtsfähigkeit staatlich verliehen werden kann, ist der Staat, und zwar der Einzelstaat, in der Lage, jeder Gesellschaft, die einen solchen Zweck hat, die Eigenschaft eines rechtsfähigen Vereines zu verleihen, wenn sie den allgemeinen Bestimmungen über solche genügt, unter denen irgend eine Vorkehrung für die Existenz eines die Befriedigung der Gläubiger einigermaßen sicherstellenden Vereinsvermögens sich nicht befindet. Und wenn im Fall eines solchen Zweckes eine Gesellschaft, die nicht den Erfordernissen einer der gesetzlich normierten Arten rechtsfähiger Gesellschaften genügt, die Rechtsfähigkeit durch Verleihung des Einzelstaates doch nur gewissermaßen im Gnadenweg erlangen kann, so hat sie in anderen Fällen ein Recht auf ihre Erlangung durch Ein­ tragung. Auch unter den besonderen Bestimmungen über ein­ getragene Vereine findet sich keine die Sicherstellung der Gläubiger bezweckende Bestimmung bezüglich des Vermögens. Treten einige Menschen (mehr als sieben brauchen es nicht zu sein) zu einer Lesegesellschaft zusammen, so hindert sie nichts, die­ selbe zu einem rechtsfähigen Verein zu erheben mit der Be­

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stimmung, daß jeder ausschließlich einen bestimmten Jahresbeitrag schuldet. Wirtschaftet nun der Vorstand dieses Vereines, von dem vielleicht jeder weiß, daß er aus sehr vermögenden Mit­ gliedern besteht, verschwenderisch, so haben die Vereinsgläubiger das Nachsehen, wenn kein besonderer Grund der Haftung des Vor­ standes besteht, sowie trotz eines solchen, wenn sie von dem ihnen haftenden Vorstande, der ein armer Teufel sein kann, nichts er­ langen können. Daß für sein Verhalten nach § 31 der Verein verantwortlich ist, nützt ihnen nichts, weil keine persönliche Ver­ antwortlichkeit der Vereinsmitglieder besteht, obgleich diese vielleicht merken mußten, daß, was ihnen geboten wurde, einen weit größeren Aufwand erforderte als den durch ihre Beiträge gedeckten. Ein Bedürfnis dafür, neben den durch besondere Gesetze nor­ mierten noch andere Fälle rechtsfähiger egoistischer Vereine zuzu­ lassen, besteht in keiner Weise. Aber auch in Beziehung auf al­ truistische Vereine ist die Zulassung ihrer Rechtsfähigkeit ohne jede Sicherung ihrer Gläubiger um so bedenklicher, da die an solchen Vereinen, ihren Versammlungen und ihrer Leitung sich beteiligenden Menschen gerade durch den Eifer für die gute Sache, der zu dienen sie sich bewußt sind, sich leicht zu Beschlüssen bestimmen lassen, die den Gläubigern gefährlich werden können. Während es sich empfiehlt, zu egoistischen Zwecken andere als die durch be­ sondere Gesetze normierten Arten rechtsfähiger Vereine oder Gesell­ schaften überhaupt nicht zuzulassen, empfiehlt es sich, für altruistische Vereine wie für Stiftungen sowohl das Erfordernis der staat­ lichen Aufsicht zu bestimmen, als auch das Erfordernis der staat­ lichen Genehmigung, soweit wenigstens die Vereinsverfassung nicht bestimmten, die Vereinsgläubiger einigermaßen sicherstellenden Erfordernissen genügt. Mancher wird diese Auffassung sehr reaktionär finden durch deu diametralen Gegensatz, in dem sie zu stehen scheint zu dem von anderer Seite aufgestellten Postulat der freien Vereinsbildung. Wir haben es aber hier nicht zu tun mit der Vereinsbildung, sondern nur mit der Frage, inwieweit es von Vereins wegen existierende Verbindlichkeiten soll geben können, für die ausschließlich das Vereinsvermögen haftet. Wir haben nichts gegen die Existenz des Vereines als eines solchen, dessen Mitglieder nur die durch seine

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Verfassung bestimmten Beiträge schulden. Daß aber die Personen, die in seinen Angelegenheiten kontrahieren, den anderen Kontra­ henten wegen seiner Befriedigung auf das Vereinsvermögen ver­ weisen können ohne irgend eine für dessen Suffizienz getragene Sorge, ist unbegründet. Eine solche Sorge fordert das BGB. so wenig für die Erlangung der Rechtsfähigkeit durch Eintragung, daß § 58 ausdrücklich als einen Gegenstand, worüber die Satzung Bestimmungen enthalten „soll", nennt, „ob und welche Beiträge von den Mitgliedern zu leisten sind". Es kennt also auch Ver­ eine, bei denen Beiträge nicht zu leisten sind, so daß ein Vereins­ vermögen, obgleich für die Verbindlichkeiten des Vereines aus­ schließlich dieses haftet, nur existieren kann durch den Zufall dem Vereine gemachter Zuwendungen. Nach jener Bestimmung besteht die Beitragspflicht nur inso­ weit, als sie in der Satzung bestimmt ist. Hat also eine Lesegesellschaft, für deren Bedürfnisse Geldbeiträge bisher nach Bedarf erhoben wurden, sich als rechtsfähigen Verein eintragen lassen ohne eine Bestimmung ihrer Satzung über die geschuldeten Bei­ träge, so werden solche nicht geschuldet, so daß sich miteinander verbindet die Beschränkung dritter Kontrahenten auf Befriedigung aus dem Vereinsvermögen und die Verneinung jeder Verpflichtung der Vereinsmitglieder zur Deckung der Verbindlichkeiten des Vereins. Bei allen Vereinen haben die Mitglieder durch ihren Beitritt sich in den Dienst des Vereines oder seiner Sache gestellt. Sie haben sich aber bei egoistischen Vereinen in deren Dienst gestellt als ihrer gemeinsamen Sache, die zu fördern sie nur einander schulden, dagegen bei altruistischen Vereinen als einer Sache, die zu fördern sie dem Gemeinwesen schulden. Es macht dafür keinen Unterschied, wie vielen Angehörigen des Gemeinwesens deren Förderung unmittelbar zugute kommt. Dient ein rechts­ fähiger Verein dem ausschließlichen Zwecke, einen talentvollen armen Knaben für eine bestimmte Kunst ausbilden zu lassen, so bezweckt er diese Förderung seines Lebens als eine allgemeine Angelegen­ heit. Er kann sie auch nur bezwecken als eine gemeinsame An­ gelegenheit seiner Mitglieder. Das kann er aber nur tun als nicht rechtsfähiger Verein. Als ein solcher ist er eine Gesellschaft, die sich jederzeit auflösen samt mit der Wirkung des ihren letzten

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Mitgliedern als „nach Bruchteilen" gemeinsames Vermögen ver­ bleibenden Gesellschaftsvermögens, die aber nicht existieren kann ohne persönliche Haftung, sei es der Gesellschafter oder dessen, der in der bestimmten Sache für die Gesellschaft gehandelt hat, für die Gesellschaftsverbindlichkeiten. Wer die Gründung eines solchen Vereines unternimmt und andere zum Beitritt auffordert als einem lediglich zur Zahlung eines bestimmten Jahresbeitrags ver­ pflichtenden, der gründet eine Gesellschaft, deren übrige Mitglieder an ihren Kosten nur bis zum Betrage jenes Beitrages beteiligt sind, während die Mehrkosten ihm allein zufallen. Hat sich da­ gegen der Verein als ein jenem Zweck dienender in das Vereins­ register eintragen lassen, so hat er durch eine dem Gemeinwesen abgegebene Erklärung sich und das durch die Beiträge und Zu­ wendungen, sei es seiner Mitglieder oder Dritter, zusammen­ gebrachte Vermögen in den Dienst jenes Zweckes, damit des Gemein­ wesens und jedes an der Förderung jenes Zweckes interessierten Angehörigen des Gemeinwesens gestellt. Es ist dadurch die doppelte Änderung eingetreten, daß von nun an die Verbindlichkeiten des Vereines nur noch auf dem Vereinsvermögen als einem solchen lasten, über das er amtlich gebietet, daß aber auch jede Ver­ wendung von Vereinsvernrögen zu einem anderen als dem Vereins­ zwecke eine Verletzung der mit der amtlichen Macht über dasselbe verbundenen Amtspflicht ist. Damit ist gänzlich unvereinbar die Möglichkeit der Änderung des Vereinszweckes durch Vereins­ beschluß. Nicht unvereinbar ist damit die Möglichkeit, daß der Verein sich durch Vereinsbeschluß auflöst. Durch diesen Beschluß legen die Mitglieder das Amt, das sie übernommen haben, nieder, wie auch jedes einzelne Mitglied durch seinen Austritt seine Be­ teiligung an jenem Amte niederlegt. Wie aber eine Stiftung da­ durch, daß ihr Verwalter sein Amt niederliegt, nicht notwendig erlischt, sondern fortbestehen kann als eine solche, für deren ander­ weitige Verwaltung das Gemeinwesen sorgt, so ist nicht abzu­ sehen, warum nicht ebenso das für einen bestimmten Zweck durch einen Verein zusammengebrachte Vermögen nach dessen Wegfall sollte fortexistieren können als ein solches, das nach wie vor ein Gegenstand amtlicher Verwaltung und Verwendung für jenen Zweck ist.

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Der Verein.

Von selbst versteht sich für den int Dienste fremden Lebens stehenden Verein, daß austretende Mitglieder keinen Anspruch haben können auf einen Teil des Vereinsvermögens als eines solchen, das für den ganzen Verein nur ein Gegenstand anttlicher Macht ist. Dagegen folgt dieser Satz nicht für egoistische Vereine aus ihrer Eigenschaft als juristische Personen. Auch ihr Vermögen steht, so lange es Vereinsvermögen ist, im Dienste des Vereinszweckes. Aber es steht in seinem Dienste lediglich als eines gemeinsamen Bedürfnisses der Vereinsmitglieder, durch deren Vereinbarung es jederzeit diesem Dienst entfremdet werden und ihrer beliebigen Verwendung anheimfallen kann, soweit nicht die Vereinsgläubiger darauf Anspruch haben. Daß die Vereinsmitglieder jederzeit die Verwandlung des den Betrag der Vereinsverbindlichkeiten über­ steigenden Vereinsvermögens in freies Vermögen der Einzelnen herbeiführen können, dagegen nicht haften für den seinen Wert übersteigenden Betrag der Vereinsverbindlichkeiten, ist eine all­ gemeinen Rechtsgrundsätzen zuwiderlaufende Begünstigung der­ selben, und ihr Verein ist eine Gesellschaft, deren Gewinn ganz der ihrige ist, während für deren Verlust ausschließlich das Gesellschafts­ vermögen haftet, wie wenn die Gesellschaftsverbindlichkeiten nicht ihre Verbindlichkeiten, sondern Verbindlichkeiten einer von ihnen verschiedenen Person wären, deren ganzes Vermögen das Gesell­ schaftsvermögen ist. Der Verein haftet mit ihm als dem allein für den Vereinszweck und damit auch für die Befriedigung der Vereinsgläubiger zur Verfügung stehenden Vermögen, obgleich es nicht, wie das Vermögen eines altruistischen Vereines, ein aus­ schließlich jenem Zwecke gewidmetes ist, bezüglich dessen der Verein nur amtliche Macht hat. Fragen wir, in welchem Sinne von einem Willen und einerPersönlichkeit des Vereines geredet werden kann, und wie dieser Sinn sich ver­ hält zu dem Sinne, in dem man von einem Willen und einer Persönlich­ keit des Gemeinwesens spricht, so ist sowohl in Beziehung auf Vereine als in Beziehung auf Gemeinwesen die Rede von einem Gemeinwillen oder Gesamtwillen. Dessen Bedeutung ist aber in beiden geilte« verschieden. Der Verein beruht auf der Vereinbarung seiner Mit­ glieder, und der Vereinswille ist im Verhältnis zum individuellen Sonderwillen derselben ein diesem vorgehender Gemeinwille oder

Die Persönlichkeit der Vereine.

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Gesamtwille in demselben Sinne, in dem jede bindende Verein­ barung die Existenz eines solchen begründet. Dies gilt von dem, was die Vereinsmitglieder vereinbaren. Es gilt von dem, was sie per maiora beschließen. Es gilt ebenso von jeder Bestimmung eines durch ihren Beschluß dazu ermächtigten Menschen. Dagegen geht im Gemeinwesen seine Verfassung und die Bestimmung seiner verfassungsmäßigen Organe nicht zurück auf eine Vereinbarung seiner Angehörigen. Das sogenannte Vereinsorgan ist ein Bevoll­ mächtigter der Vereinsmitglieder und steht in ihrem Dienste als ihr Beauftragter (i. w. S.). Das Staatsorgan ist ein gesetzlicher Vertreter der Staatsangehörigen und steht in ihrem Dienste als ein Mensch, dem kraft seiner Amtsgewalt, soweit sie reicht, die Sorge für jene zukommt. Daher ist der Staatswille als Wille der Staatsorgane (und eine amtliche Willensäußerung solcher ist namentlich auch das Gesetz) für den einzelnen Staatsangehörigen ein Wille solcher Menschen, denen er, soweit ihre verfassungsmäßige Zuständigkeit reicht, untergeben ist, dagegen für das einzelne Vereinsmitglied der Vereinsbeschluß ein gemeinsamer Wille der Menschen, zu denen er selbst gehört, und die Bestimmung eines sogenannten Vereinsorganes der Wille eines Menschen, den er selbst zu seiner Vertretung in der bestimmten Angelegenheit als einer ihm mit anderen gemeinsamen mit der Wirkung ermächtigt hat, daß dessen innerhalb der Grenzen seiner Vollmacht getroffene Bestimmung die rechtliche Geltung eines widersprechenden Sonder­ willens des durch ihn Vertretenen ebenso ausschließt wie die un­ mittelbare Vereinbarung der Vereinsmitglieder. Pflichten gegen den Staat schreiben wir auch einem Staatsorgane zu, das kein anderes über sich hat, weil es den Angehörigen desselben sowohl ein gesetzmäßiges Verfahren als die möglichste Förderung ihres Wohles schuldet. Bei einem egoistischen Vereine existieren keine anderen rechtlich an ihm beteiligten Menschen als seine Mitglieder. Bei einem altruistischen Vereine existieren solche in der Eigenschaft, Objekte der ihnen vom Verein geschuldeten Fürsorge zu sein. Da aber im Gegensatze zum Namen des Gemeinwesens der Name des Vereines nur die Gesamtheit seiner Mitglieder und nicht die Ge­ samtheit der Objekte seiner Fürsorge bezeichnet, so wird nicht, wie das den Staatsangehörigen Geschuldete dem Staate, so das den

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Der Verein.

Objekten der Vereinsfürsorge Geschuldete dem Vereine als einer Gesamtheit von Menschen geschuldet. Daß wir dem Verein schulden, was wir seinem Zwecke und damit den von den Vereins­ mitgliedern verschiedenen Menschen schulden, in deren Dienst der Verein steht, läßt sich nur sagen, wenn wir den altruistischen Verein, was nicht üblich, aber seinem Wesen gemäß ist, als ein Kollegium auffassen. Was ich als Mitträger der einem Kollegium zustehenden Kompetenz meinem Amte schulde, das schulde ich auch dem Kollegium und damit den Kollegen. Ich schulde die Erfüllung meiner Amtspflicht, wie dem Gemeinwesen und damit teils allen, teils insbesondere den auf meine amtliche Fürsorge angewiesenen Angehörigen desselben, so auch insbesondere meinen Kollegen, die als Mitträger desselben Amtes eine besondere Anwartschaft darauf haben, daß durch mein Verhalten bezüglich desselben die Erfüllung seiner und damit ihrer Ausgaben möglichst gefördert werde. Wie die Tätigkeit der Staatsorgane die Förderung des Lebens der Staatsangehörigen, so bezweckt die Vereinstätigkeit die Förderung des Lebens der Menschen, um deren willen der Verein besteht, und damit je nach dem Zwecke des Vereines nur die Förderung des Lebens der Vereinsmitglieder oder die Förderung des Lebens anderer Menschen. Da diese sie nicht verlangen können, ist sie ihnen geschuldet als unselbständigen Personen und damit als Gegenstand einer Amtspflicht, die gleich jeder Amtspflicht dem öffentlichen Rechte angehört.

V. Der Begriff der juristischen Person. 1. Überhaupt. Nach der im vorstehenden durchgeführten Auffassung gehören die juristischen Personen durchweg dem Gebiete des öffentlichen Rechtes an mit Ausnahme des rechtsfähigen egoistischen Vereins. Dieser ist eine Gesellschaft, die vor der schlechthin so genannten Gesellschaft des BGB. gleich anderen teils durch das Handels­ gesetzbuch, teils durch besondere Gesetze normierten Gesellschaften, aber unter Entbindung von den für diese bestehenden namentlich eine gewisse Sicherstellung der Gläubiger bezweckenden Erforder­ nissen den Vorzug hat, daß die Gesellschaftsverbindlichkeiten nicht verbunden sein müssen mit persönlichen Verbindlichkeiten der Gesell­ schafter oder der Menschen, die sie begründet haben, so daß für sie das Gesellschaftsvermögen ausschließlich zu haften vermag. Die Be­ langung des rechtsfähigen Vereines ist eine Belangung seines Vor­ standes, dem § 26 BGB. „die Stellung eines gesetzlichen Vertreters" zuerkennt. Sie kann aber auch eine Belangung seiner sämtlichen Mitglieder sein, da es keineswegs ausgeschlossen ist, daß der Vor­ stand aus allen Mitgliedern besteht (vgl. Hölder, Komm, zum allg. Teil des BGB. S. 139 f.). Das BGB. gibt dem Vorstande die Stellung eines gesetzlichen Vertreters des Vereines. Er vertritt ihn durch die Wahrnehmung seiner Angelegenheiten. Wer be­ stimmte Angelegenheiten wahrnimmt, vertritt dadurch die Menschen, deren Angelegenheiten sie sind. Als ein solcher, der Angelegen­ heiten der Vereinsmitglieder wahrnimmt, teilt der Vorstand mit dem gesetzlichen Vertreter eines Menschen die Notwendigkeit seiner

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Der Begriff der juristischen Person.

Vertretung in dem Sinne, daß Dritten gegenüber ihm und nur ihm die Wahrnehinung der bestimmten Angelegenheit zukommt und obliegt, während er einem gesetzlichen Vertreter entgegengesetzt ist als ein durch die Vertretenen selbst bestellter. Seine Stellung den Vereinsmitgliedern gegenüber ist denn auch die Stellung nicht eines Amtsträgers, sondern eines Bevollmächtigten und Beauftragten. Dagegen kommt im Falle eines altruistischen rechtsfähigen Vereines nicht dem Vereinsvorstande, der auch hier nur Bevollmächtigter und Beauftragter der Vereinsmitglieder ist, aber der Gesamtheit dieser und damit jedem Mitglieds eine amtliche Fürsorge für die Menschen, um deren willen der Verein besteht, und damit eine ge­ wisse gesetzliche Vertretung derselben zu. Nach § 31 BGB. ist der Verein „für den Schaden verantwortlich, den der Vorstand, ein Mitglied des Vorstandes oder ein anderer verfassungsmäßig berufener Vertreter durch eine in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen begangene, zum Schadenersätze verpflichtende Hand­ lung einem dritten zufügt". Diese Bestimmung nimmt als selbst­ verständlich an, daß der Vorstand ein „verfassungsmäßig berufener Vertreter" ist, betrachtet dagegen nicht als einen solchen das Vereins­ mitglied. Wenn aber in einem Gemeinwesen den nach seiner Ver­ fassung einer bestimmten Zuständigkeit sich erfreuenden Menschen diese nicht oder nur aus bestimmten Gründen entzogen werden kann, so ist die Bestellung des Vorstandes in Ermanglung einer anderen Bestimmung ohne weiteres und im Falle eines wichtigen Grundes für den Widerruf immer widerruflich. Die durch die Existenz des Vereines und durch diejenige Verfassung, die er hat, sobald nicht etwas anderes bestimmt ist, zur Wahrnehmung der Vereinsangelegenheiten in erster Linie berufenen Menschen sind die Vereinsmitglieder, deren Bevollmächtigter und Beauftragter der Vorstand ist, falls er nicht aus ihnen besteht. Haftet der Verein für dessen zum Schadenersätze verpflichtende Handlung, so muß er um so mehr haften für den durch Beschlüsse seiner Mitglieder gestifteten Schaden. Mit Ausnahme der egoistischen Vereine existiert bei allen juristischen Personen ein Gebiet amtlichen Waltens. Amt ist Macht und Pflicht. Amt ist aber auch Macht- und Pflichtgebiet, so daß die Bezeichnung des Amtes auch das Amtsgebiet bedeutet, wie

Überhaupt.

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ebenso die römischen Bezeichnungen des Imperium und des regnum gleich unseren Bezeichnungen des Bistums und Herzog­ tums, der Grafschaft und Herrschaft sowohl eine bestimmte Macht als ihr Gebiet bedeuten. Die amtliche Macht und Pflicht ist eine Macht und Pflicht des Amtsträgers oder der verschiedenen neben und nacheinander existierenden Träger des Amtes, und es macht keinen Unterschied, ob wir als juristische Person das Amt oder das Amtsgebiet bezeichnen. Es macht keinen Unterschied, ob wir von Rechten und Verbindlichkeiten des Pfarramtes oder der Pfarrei sprechen. Sie sind amtliche Rechte und Verbindlichkeiten des Pfarrers sowie der Menschen, denen nach der Verfassung der Kirche ihre Wahrnehmung in Verbindung mit dem Pfarrer, als den Vorgesetzten des Pfarrers oder anstatt des Pfarrers zukommt. Die Rechte des Amtes können seinem Träger zukommen zugunsten anderer Menschen, aber auch zu seinen eigenen Gunsten. Kommen die Erträge des Amtsvermögens dem jeweiligen Amtsträger zu, so dient es dem Bedürfnisse seiner Versorgung als einem Be­ dürfnisse des Gemeinwesens. Ist das Amt kollegialisch organisiert, so bezeichnet man als Subjekt des Amtsvermögens das Kollegium. Wenn man als Körperschaften des öffentlichen Rechtes neben den Gemeinden und bergt, gewisse Kollegien bezeichnet, so macht man keinen Unterschied zwischen verschiedenartigen Dingen. Das Ver­ mögen einer Gemeinde besteht um ihrer Angehörigen willen, be­ deutet aber eine Macht nicht dieser, sondern der Träger der Ge­ meindeämter, zu denen gehören alle von Staats wegen in An­ gelegenheiten der Gemeinde zuständigen Menschen. Das Vermögen eines Kollegiums bedeutet eine Macht des Kollegiums oder seiner Mitglieder, die als Macht eines Amtes oder seiner Träger eben­ so bestehen kann, wenn es nicht kollegial organisiert ist. Würden gewisse gerichtliche Einnahmen ein eigenes der Verwendung des Gerichtes unterstehendes Vermögen bilden, so wäre dieses in gleicher Weise Gerichtsvermögen als Vermögen eines Kollegial­ gerichtes und eines durch einen Einzelrichter besetzten Gerichtes. Das Amt und sein Gebiet ist als ein durch den Willen des Gemeinwesens oder seiner Organe existierendes eine Institution oder Einrichtung, Veranstaltung oder Anstalt desselben. Jede In­ stitution ist ein Menschenwerk und ein Werkzeug oder Mittel zur

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Der Begriff der juristischen Person.

Erreichung menschlicher Zwecke. Sie unterscheidet sich aber von den der realen Außenwelt angehörenden Werken und Werkzeugen der Menschen dadurch, daß sie überhaupt keine selbständige Existenz hat. Die vom Menschen bewirkten Veränderungen der Außen­ welt überleben ihn. Die Stücke derselben, die er zu seinen Werk­ zeugen gemacht hat, existieren als solche unabhängig von ihrer Verwendung als solcher und können als solche wieder dienen, nachdem sie lange nicht als solche gedient haben. Menschliche Institutionen existieren dagegen nur dadurch, daß sie als solche fungieren. Haben sie zu fungieren aufgehört, so sind sie unter­ gegangen, und sie können nicht fungieren ohne Menschen, die sie handhaben. Dabei ist aber ein Unterschied zwischen selbständigen Institutionen und solchen, die kraft anderer ihnen iibergeordneter Institutionen bestehen. Jene können nicht existieren ohne die gegen­ wärtige Existenz von Menschen, die sie handhaben. Diese be­ dürfen gleichfalls zu ihrer gegenwärtigeu Existenz oder Wirksam­ keit der Menschen, die sie handhaben. Sind aber die Menschen, von denen dies bisher galt, weggefallen, ohne durch andere er­ setzt zu sein, so kann Ersatz beschafft werden durch die Menschen, denen die Handhabung der übergeordneten Institution zukommt. Ist er beschafft, so gelten sie als solche, die auch in der Zwischen­ zeit eristiert hatten. Ihre Existenz in dieser bedeutet aber nur die Möglichkeit, daß sie wieder in Wirksamkeit treten. Aus einheitlichen Namen für alle juristischen Personen hat der Verfasser den Namen der Anstalt vorgeschlagen (Komm, zum allg. Teil des BGB. S. 125), um damit zu bezeichnen, daß die ihnen zugeschriebenen Rechte bestehen „um der Bedürfnisse willen, deren Befriedigung bestimmte Einrichtungen oder Anstalten be­ zwecken". Dieselbe Bezeichnung findet sich bei Co sack (Lehrb. des bürg. R. § 28) mit der Bemerkung, was „das Gesetz mit Rechten begabt und mit Pflichten belastet", seien „nicht die Menschen, welche die Anstalt gegründet haben und verwalten oder deren Nutzen die Anstalt dient, sondern der Anstaltsorganismus, welcher alle diese Personen und die von ihnen getroffenen Einrichtungen in sich zu­ sammenfaßt". Danach sind zwei verschiedene Arten des rechtsund pflichtfähigen Organismus der Mensch und die Anstalt, so daß Cosacks Anstalt zusammenfällt mit Gierkes neben der Persön-

Überhaupt.

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lichkeit des Brenschen bestehender realer Verbandspersönlichkeit. Man kann aber nicht die Gründer einer Anstalt, die Ver­ walter einer Anstalt und die Menschen, denen sie zugute kommt, als solche bezeichnen, die der Anstaltsorganismus „in sich zusammenfaßt". Für seine Gründer ist der „Anstalts­ organismus" ein Produkt, für seine Verwalter ist er ein Grund und ein Gebiet der Betätigung ihrer Persönlichkeit. Für die Menschen, denen die Anstalt zugute kommt, ist er ein Mittel der Förderung ihres Lebens. Er faßt schon deswegen weder die erste, noch die letzte Gruppe von Menschen „in sich zusammen", weil möglicher Weise jene schon der Vergangenheit, diese erst der Zukunft angehören. Dagegen müssen, damit ihm nicht nur die Möglichkeit zukünftiger Existenz, sondern gegenwärtige Existenz zukomme, Menschen existieren, denen es zukommt, ihn zu hand­ haben oder die Anstalt zu verwalten, woraus sich ergibt, daß er ein wirklicher Organismus, der eigenes Leben hat, nicht ist. Dem­ gemäß komnien die ihm zugeschriebenen Rechte und Verbindlich­ keiten den Menschen zu, denen seine Handhabung zukommt. Sie komnien ihnen aber zu als solchen, die im Dienste der Menschen stehen, deren Leben er zu fördern bestimmt ist. Die Bezeichnung der juristischen Person als einer Anstalt legt den Akzent auf den Zweck und damit auf die Menschen, um deren willen sie besteht. Als Krankenhaus, Armenhaus oder Kinderbewahranstalt ist sie eine Anstalt für Kranke, Arme oder bewahrungsbedürftige Kinder. Daß die ihr zugeschriebenen Zuständigkeiten und Obliegenheiten nicht jenen, sondern den Verwaltern der Anstalt als solchen zukommen, die im Dienste jener und des Gemeinwesens als eines an der Versorgung jener interessierten stehen, tritt schärfer hervor, wenn wir als Subjekt dieser Zuständigkeiten und Obliegenheiten nicht die bestimmte Anstalt, sondern das Amt bezeichnen, das ihre Ver­ waltung zum Inhalte hat. Es bedeutet dasselbe, ob wir von Rechten und Verbindlichkeiten der Anstalt oder dieses Amtes, also der Anstaltsverwaltung, reden. Sie vielmehr jener zuzuschreiben, liegt namentlich nahe durch ihre Bezeichnung als privater Rechte und Verbindlichkeiten. Sie sind aber in Wirklichkeit nicht solche. Auch ist die Bezeichnung der juristischen Person als einer Anstalt deshalb nicht auf alle Fälle anwendbar, weil wir nicht jedes AmtsHolder, Natilrl. u. jurist. Personen.

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Der Begriff der juristischen Person.

gebiet eine Anstalt nennen. Lediglich darauf beruht es, wenn man der Bezeichnung der Anstalt die Bezeichnung der Organisation oder Einrichtung vorzieht, die genau dasselbe bedeutet wie jene, aber auch in Fällen gebraucht wird, wo jene nicht üblich ist. Wo immer ein besonderes Amt und Anitsgebiet existiert, da existiert auch eine besondere Organisation oder Einrichtung unbeschadet ihrer Eigenschaft, ein Bestandteil einer umfassenderen Organisation oder Einrichtung zu sein. Eine juristische Person existiert nicht überall, wo ein besonderes Amt besteht. Gleich der ganzen Existenz jedes Amtes ist es eine (int Zweifel zu verneinende) Frage des öffentlichen Rechtes, ob damit verbunden ist die Möglichkeit solcher Zuständigkeiten und Obliegenheiten seines Trägers, die dieselbe Behandlung erfahren, wie wenn sie private Rechte und Verbind­ lichkeiten eines Menschen wären, dessen gesetzlicher Vertreter jener ist und dessen Vermögen das Vermögen ist, worüber jener von Amts wegen gebietet. Auch wenn dies nicht zutrifft, ist die Zu­ ständigkeit eines Amtes als eine solche seines Trägers verschieden von der Zuständigkeit anderer Menschen und kann sie Objekt eines Kompetenzkonfliktes zwischen jenem und diesen sein, so insbesondere bezüglich der Verfügung über bestimmte Bestandteile des Staatsvermögens, wobei genau derselbe Streit über die Zuständigkeit verschiedener Staatsorgane stattfindet, wie wem: die verschiedenen Ämter juristische Personen sind, nur nicht als ein nach Privat­ rechtsnormen und durch das für Zivilprozesse zuständige Gericht zu erledigender. Wenn im Fall eines besonderen Amtes und Amtsgebietes eine be­ sondere juristische Person existieren kann, aber nicht muß, so ist dagegen eine solche nicht möglich im Falle einer lediglich privaten Anstalt, Ein­ richtung oder Organisation. Ich kann innerhalb meines privaten Rechtsgebietes die verschiedensten Einrichtungen und Organisationen treffen. Ich kann bestimmen, daß verschiedene Bestandteile meines Ver­ mögens durch verschiedene Menschen verwaltet und zu verschiedenen Zwecken verwendet werden. Ich kann dadurch die mir gegenüber be­ stehende Verpflichtung ihrer von mir bestellten Verwalter begründen, in derselben Weise, wie wenn es um das Vermögen verschiedener durch sie vertretener Menschen sich handeln würde, aus den Gründen, die zwischen solchen Verbindlichkeiten begründen, Leistungen aneinander zu

Überhaupt.

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vollziehen, die der eine macht aus den Mitteln und der andere be­ kommt als Verstärkung der Mittel, über die er als mein Ver­ treter gebietet. Ich kann aber nicht bewirken, daß diese Ein­ richtungen maßgebend sind für Dritte. Ich kann nicht machen, daß der Dritte, der etwas von mir zu fordern hat, anstatt sich an mich halten zu können, sich an den von mir bestellten Vertreter halten muß, dem nach der von mir getroffenen Einrichtung die Besorgung der bestimmten Angelegenheit zukommt. Ich kann nicht machen, daß, wenn ich die Befriedigung bestimmter Bedürfnisse aus bestimmten Bestandteilen meines Vermögens angeordnet habe, im Falle eines zur Befriedigung jener Bedürfnisse eingegangenen Kontraktes die andere Partei sich nur an diese Bestandteile meines Vermögens halten kann. Daher ist die Bezeichnung der juristischen Person als einer Anstalt auch deshalb nicht hinreichend bezeichnend, weil sie nie eine rein private Anstalt ist. Als Anstalt ist sie stets eine öffentliche Anstalt. Wir haben gesehen, daß auch der Ver­ walter einer sogenannten privaten Stiftung sowie der altruistische Ver­ ein eilt mittelbares Organ des Gemeinwesens ist. Daher ist die Bezeichnung der juristischen Person als einer Anstalt, wenn auch nicht unrichtig, so doch ungenügend, da sie, abgesehen von den Füllen, wo sie lediglich eine privilegierte Privatgesellschaft ist, stets eine öffentliche, wenngleich als sogenannte private Stiftung oder altruistischer Verein aus privater Initiative heroorgegangene Anstalt ist. Nicht verständlich ist es uns, daß neuerdings H. Fr. B ehr end (die Stiftungen I S. 368 ff.) zwar der Bezeichnung der juristischen Person als einer A n st a l t entgegentritt, aber sie eine Einrichtung nennt und zugleich betont, „daß der Begriff der juristischen Person ausschließlich ein Begriff des Privatrechtes ist" (S.373). Die juristische Person sei eine am Privatrechtsverkehr teilnehmende Einrichtung. Sie nehme an ihm teil „gleich den Menschen und mit ihnen" (S. 394). Wenn wir auch absehen von der behaupteten Gleichartigkeit der Menschen und menschlicher Einrichtungen, so müßte doch die juristische Person als eine solche, die eine Einrichtung und deren Begriff zugleich ein ausschließlich privatrechtlicher ist, eine private Einrichtung sein, während eine solche weder die sogenannten juristischen Personen des öffentlichen Rechtes noch die Stiftungen 20*

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Der Begriff der juristischen Person.

und altruistischen Vereine sind, die dem Gegenteile des das Privatrecht beherrschenden Gedankens dienen, daß es die Sache eines jeden ist, für sein Leben selbst zu sorgen. Wenn Behrend außerdem seine Theorie als Realitätstheorie bezeichnet (S. 396), so ist zu entgegnen, daß Einrichtungen nie für sich existieren. Wenn nach ihm die sie handhabenden Menschen „ganz sachgemäß und ganz präzise" gleich dem eigentlichen oQyavov oder Werkzeug Organe heißen (S. 401), so ist in Wirklichkeit nie der Mensch das Werkzeug einer menschlichen Einrichtung, sondern stets diese ein Werkzeug des Menschen, und zwar im Gegensatze zu einem körperlichen Werkzeuge ein solches, dessen Existenz in seiner Funktion aufgeht. Die Auffassung, daß die Zuständigkeiten juristischer Personen nicht private, sondern amtliche sind, teilt mit uns die von Brinz begründete Theorie des Zweckvermögens. Unterscheidet sich doch die amtliche von privater Zuständigkeit dadurch, daß sie ihrem Träger zukommt in Verbindung mit der amtlichen Pflicht ihrer Ausübung im Dienste des Amtszweckes. Brinz geht aus von der­ bem Vermögen eines Menschen zukommenden Eigenschaft, um seinet­ willen zu existieren, und er läßt das Zweckvermögen ebenso um des bestimmten Zweckes willen existieren wie das Personenver­ mögen um des bestimmten Menschen willen. Wenn aber auch das Mündelvermögen als ein um des Mündels willen existierendes schlechthin sein Vermögen wäre, so kann doch nicht um eines be­ stimmten Zweckes willen in dem gleichen Sinne wie um eines be­ stimmten Menschen willen Vermögen existieren. Der Zweck existiert nicht ohne die Menschen, deren Zweck er ist. Jeder einzelne Zweck eines Menschen ist selbst wieder ein Drittel zum letzten Zwecke der Förderung seines Lebens. Was das Leben eines Menschen fördert, ist für ihn ein Lebensbedürfnis. Durch seine Existenz sind zahl­ reiche Bedürfnisse gegeben, um deren willen sein Vermögen existiert, weil sie durch sein Leben und für sein Leben bestehen. Alan kann der Existenz eines Vermögens um eines bestimmten Menschen willen dessen Existenz für einen bestimmten Zweck oder um eines bestimmten menschlichen Bedürfnisses willen nur in dem Sinne entgegensetzen, daß jenes besteht um der Bedürfnisse des be­ stimmten Menschen willen unabhängig von ihrem Inhalte, dagegen

Überhaupt.

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dieses um der menschlichen Bedürfnisse willen, die einen bestimmten Inhalt haben, unabhängig davon, für welche Menschen sie be­ stehen. Es ist aber weder ausgeschlossen, daß eine Stiftung oder ein Verein vielmehr die Befriedigung aller Bedürfnisse eines be­ stimmten Menschen bezweckt, noch besteht für die Bedürfnisse, deren Befriedigung z. B. der Staat bezweckt, eine bestimmte inhaltliche Abgrenzung. Von Rechts wegen steht mein Privatvermögen im Dienste meiner Bedürfnisse, das Vermögen, über das ich von Amts wegen gebiete, wie ich selbst als Träger des bestimmten Amtes, tm Dienste anderer Menschen und ihrer Bedürfnisse. Die recht­ liche Wirksamkeit meiner Verwendung desselben hängt aber weder im einen noch im anderen Falle davon ab, daß sie die Befriedigung jener Bedürfnisse oder das Leben des Menschen, deren Bedürfnisse sie sind, fördert und nicht vielmehr hemmt. Ich kann mein Privat­ vermögen, anstatt seiner Bestimmung gemäß zu meinem Besten, auch seiner Bestimmung zuwider zu meinem Schaden verwenden. Ich verletze dadurch, wenn ich es besser hätte verwenden können, meine Pflicht gegen mich selbst, die aber keine Rechtspflicht ist. Ich kann ebenso das Vermögen, über das ich amtlich gebiete, an­ statt zum Besten zum Schaden der Menschen verwenden, denen ich durch mein Amt Fürsorge schulde. Ich verletze dadurch, wenn ich es besser hätte verwenden können, eine Rechtspflicht, was aber nichts an der rechtlichen Wirksamkeit der innerhalb der Grenzen meiner Zuständigkeit erfolgten Verwendung ändert. Als ein von Rechts wegen im Dienste meiner Bedürfnisse stehendes ist mein Privatvermögen ein solches, für dessen Verwendung mein Wille maßgebend ist. Als ein von Rechts wegen im Dienste fremder Bedürfnisse stehendes ist das Vermögen, über das ich von Amts wegen gebiete, ein solches, für dessen Verwendung nicht der Wille der Menschen, um deren Bedürfnisse es sich handelt, sondern gleich­ falls mein Wille maßgebend ist. In beiden Fällen ist also maß­ gebend mein Wille, aber im einen Falle als eines solchen, dem die Sorge für sich zukommt, im anderen Falle als eines solchen, dem eine Sorge für andere zukommt. Jede rechtliche Macht kommt zu den Menschen um der Menschen willen, sie kann aber einem Menschen zukommen um seiner selbst und um anderer Menschen willen. Wie im ersten Fall die Förderung seines Lebens,

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Der Begriff der juristischen Person.

so ist im zweiten Fall die Förderung ihres Lebens der Zweck, um dessen willen sie ihm zukommt, und dem ihre Verwendung dienen soll, ohne daß deren Wirksamkeit davon abhinge, daß sie ihm wirklich dient. Weil die Würdigung meiner Bedürfnisse mir über­ lassen bleibt und die rechtliche Wirksamkeit meines Verhaltens unabhängig davon ist, ob es in richtiger Würdigung derselben erfolgte, bedeutet die Eigenschaft meines Vermögens, von Rechts wegen im Dienste meiner Bedürfnisse zu stehen, die maßgebende Bedeutung meiner Entscheidung und meiner sie bestimmenden Würdigung meiner Bedürfnisse. Gebiete ich über ein Vermögen amtlich als ein solches, das von Rechts wegen im Dienste fremder Bedürfnisse steht, so ist bezüglich desselben gleichfalls maßgebend meine Entscheidung und meine sie bestimmende Würdigung jener Bedürfnisse. Darum existiert auch das Vermögen eines Un­ mündigen nicht in demselben Sinne um seiner Bedürfnisse willen, wie das Vermögen eines Mündigen. Von Rechts wegen steht dieses im Dienste der Bedürfnisse, die sein Subjekt hat nach seinem eigenen Ermessen, jenes im Dienste der Bedürfnisse, die der Un­ mündige hat nach dem Ermessen seines Vormundes. Wie hier, so ist in jedem Fall eines von Amts wegen zu bestimmten mensch­ lichen Bedürfnissen zu verwendenden Vermögens innerhalb der amt­ lichen Zuständigkeit der dazu berufenen Menschen für die Frage, welchen Bedürfnissen es zu dienen bestimmt ist, maßgebend das Ermessen nicht der Menschen, deren Bedürfnisse sie sind, sondern der Menschen, denen die aintliche Sorge für ihre Befriedigung zukommt. Die Gegenstände des in ihrem Dienste zu ver­ wendenden Vermögens sind nicht für jene und damit überhaupt für niemand ein Objekt privater, aber für diese ein Objekt amt­ licher rechtlicher Macht. Diese Macht besteht um der Menschen willen, aber nicht durch den Willen der Menschen, für die zu sorgen ihrem Träger zukommt. Da Objekt der Fürsorge anderer Menschen auch der noch nicht existierende Mensch ist, so kann sie bestehen nicht nur um bereits existierender, sondern auch um solcher Menschen willen, die möglicherweise leben werden. Von einem Vermögen, das nach seiner Bestimmung ausschließlich ein Gebiet amtlicher Macht ist, unterscheidet sich das für einen be­ stimmten Menschen von seinem gesetzlichen Vertreter verwaltete Ver-

Überhaupt.

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mögen dadurch, daß es zwar auch zurzeit ein solches ist, aber sich in privates Vermögen jenes Menschen oder seiner Erben verwandeln wird, sobald der Grund weggefallen ist, wegen dessen es zurzeit ein Gebiet amtlicher Macht ist. Es ist also gleichfalls Amtsvermögen, aber nur interimistisches, wie es denn auch nach der Auffassung von Brinz in der Mitte steht zwischen einem Personen­ vermögen und einem Zweckvermögen. Bedenken wir, daß auch dieses um menschlicher Bedürfnisse willen und damit um der Acenschen willen besteht, deren Bedürfnisse sie sind, so läßt sich in der Terminologie von Brinz sagen, das Mündelvermögen bestehe um des Mündels, also einer bestimmten Person willen, die aber, so lange sie unmündig ist, nicht die für das Personenvermögen seinem Subjekte, sondern nur die für das Zweckvermögen seinem Zwecke zukommende Bedeutung habe. Die rechtliche Macht, die ich um meiner selbst willen habe, beruht namentlich auf der rechtlichen Bedeutung meiner Persön­ lichkeit und ihrer Betätigung. Die rechtliche Macht, die ich um anderer als der Objekte meiner Fürsorge willen habe, beruht nicht auf einer Betätigung ihrer Persönlichkeit. Sie kann nur beruhen auf meiner Stellung innerhalb des Gemeinwesens oder auf ihrer Übertragung durch solche, denen diese vermöge ihrer Stellung im Gemeinwesen zustand. Eine solche Übertragung liegt nicht nur vor, wenn sie im konkreten Falle erfolgt, sondern auch, wenn durch Gesetz, das ja eine Bestimmung der in dieser Beziehung zu­ ständigen Acenschen ist, die Bedingungen der bestimmten amtlichen Macht rechtlich normiert sind. Auf der durch die Verfassung des Gemeinwesens für dessen Organe gegebenen Möglichkeit, für neue Träger eines erledigten Amtes zu sorgen, beruht dessen Behandlung als eines noch existierenden, wogegen es endgültig erloschen ist, wenn es nicht mehr besetzt werden kann. Sehr mit Recht betont Brinz, daß z. B. das Vermögen eines altruistischen Vereines nicht um dieses Vereines, sondern um des Bedürfnisses willen besteht, dessen Befriedigung er bezweckt. Wenn er aber meint, deshalb müßte das von einem Dombauverein zusammengebrachte Vermögen nicht dessen Vermögen, sondern Dom­ bauvermögen heißen (Pand., 2. Aust., III, S. 488 Note 1), so über­ sieht er einmal, daß um eines Dombaus willen Vermögen nur

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Der Begriff der juristischen Person.

existieren kann als ein solches, das existiert um der an ihm interessierten Menschen willen. Er übersieht sodann, wenn er das Dombauvermögen als ein um des Dombaus willen existierendes neben das Staatsvermögen als ein um des Staates willen existierendes stellt, daß diese Bezeichnung nicht nur die im Dienst der staatlichen Bedürfnisse erfolgende, sondern vor allem die den Staatsorganen oder den Menschen, die von Staats wegen recht­ liche Macht haben, zukommende Verwaltung und Verwendung des bestimmten Vermögens bezeichnet. Ebenso ist das Kirchenvermögen, Gemeindevermögen oder Universitätsvermögen ein Vermögen, dessen Verwaltung und Verwendung zukomvit den in den Angelegenheiten der Kirche, Gemeinde oder Universität zuständigen Menschen, wo­ gegen das ihren Bedürfnissen dienstbare Vermögen auch Vermögen eines Vereines oder einer nicht von jenen Menschen verwalteten Stiftung sein kann. Diejenigen Angehörigen der Kirche, Gemeinde oder Universität, die keine amtliche Zuständigkeit in ihren An­ gelegenheiten haben, sind solche, um deren willen es besteht, inBeziehung auf das Vermögen der Vereine oder Stiftungen zu kirchlichen, ge­ meindlichen oder akademischen Zwecken ebenso wie in Beziehung auf das Vermögen der Kirche, Gemeinde oder Universität, da­ gegen Subjekte rechtlicher Macht in Beziehung auf dieses ebenso wenig wie in Beziehung auf jenes. Dagegen sind Träger solcher Macht bezüglich eines Vereinsvermögens alle Vereinsmitglieder durch ihr Stimmrecht, wie überhaupt alle Mitglieder eines Kollegiums bezüglich des Vermögens, dessen Verwendung diesem zukommt. Das Vermögen, das wir der Kirche, Gemeinde oder Universität zu­ schreiben, ist ein solches, dessen Verwendung ihren Organen zu­ kommt. Das Vermögen, das wir einem kirchlichen, städtischen oderakademischen Kollegium zuschreiben, ist ein solches, dessen Ver­ wendung ihm selbst zukommt. Insoweit, als sie ihm zukommt, ist es das feinige oder ein Gebiet seiner rechtlichen Macht und damit auch der rechtlichen Macht jedes Mitgliedes desselben als einer diesem mit den anderen Mitgliedern desselben gemeinsamen. Wenn wir von einem Vermögen wie von Rechten und Verbindlich­ keiten bald der Stadt, bald ihres Rates sprechen, so kann beides das­ selbe bedeuten, weil es um Zuständigkeiten und Obliegenheiten der städtischen Organe sich handelt, die wir kurz entweder der Stadt

Überhaupt.

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selbst oder ihrem Rate als ihrem Hauptorgane zuschreiben. Wenn es aber Vermögen gibt, dessen Verwendung dem Rate für sich zu­ kommt, und anderes, dessen Verwendung ihm nur mit der Zu­ stimmung der Stadtverordneten zukommt, so ist jenes int Gegen­ satze zu diesem in besonderem Sinne ein Vermögen des Rates. Wenn wir keinen Anstand nehmen, es so zu nennen im Gegen­ satze zum sonstigen städtischen Vermögen, so nennen wir doch nicht ein solches städtisches Vermögen, über das der Bürgermeister für sich Macht hat, dessen Vermögen. Dies beruht aber nur darauf, daß wir beim Vermögen eines Kollegiums an amtliches, dagegen beim Vermögen eines Menschen stets an privates Ver­ mögen denken, während doch dasjenige städtische Vermögen, dessen Verwendung dem Bürgermeister für sich zukommt, genau ebenso ein Gegenstand seiner ausschließlichen amtlichen Macht ist wie anderes städtisches Vermögen ein Gegenstand der ihm mit anderen Menschen gemeinsamen amtlichen Macht. Dasselbe gilt von solchem Universitäts­ vermögen, dessen Verwendung dem Rektor für sich zukommt. Fließen gewisse Einnahmen in eine Nektoratskasse, über die er nach seinem Ermessen verfügt, so ist sie seine Kasse, die sich von seiner privaten Kasse dadurch unterscheidet, daß sie nicht mehr die {einige ist, wenn er nicht mehr Rektor ist, und daß ihre den Interessen, denen sein Amt dient, möglichst förderliche Berwendung für ihn Amtspflicht ist. Von anderen Kollegien, deren Vorsitzender vielfach neben dieser Eigenschaft eine ihm ausschließlich eigene Kompetenz hat, unter­ scheidet sich ein Verein dadurch, daß dies bei ihm nicht zutrifft. Ist dem Vorstande oder einem anderen sogenannten Vereins­ organe die selbständige Erledigung der Vereinsangelegenheiten in geringerem oder größerem Umfange überlassen, so kontmt sie ihm doch nicht zu unabhängig vom Willen der Vereinsmitglieder, sondern durch deren widerrufliche Bestellung zu jener Funktion. Der Verein unterscheidet sich von anderen Kollegien als ein solches, das durch die Vereinbarung seiner Mitglieder sich selbst gebildet hat und ebenso entweder unmittelbar durch diese oder durch einen als Ersatz derselben vereinbarten Modus für seine Leitung sorgt, so daß es keinen Leiter hat, dem neben seinen Mitgliedern eine eigene Kompetenz zukommt. Daß sein Vermögen „den Personen, sowohl im einzelnen als allen zusammen, nicht gehört" (Brinz,

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Der Begriff der juristischen Person.

Pand., 2. Aufl., III, S. 457), kann man nur sagen, wenn man nur ein privates Gehören kennt. Wenn wir als Mitglieder eines Dombauvereins uns bewußt sind, das von uns zusammengebrachte Vermögen nicht zu andere« Zwecken als zum Dombau verwende« zu dürfen, so wissen wir doch auch, daß es von unserer Ent­ scheidung abhängt, wie es zu diesem Zwecke zu verwenden ist, daß es uns zwar nicht gehört als ein Mittel zum Zwecke der Be­ friedigung unserer sonstigen Bedürfnisse, aber als ein Mittel zum Zwecke der Befriedigung jenes Bedürfnisses, das zwar nicht aus­ schließlich, aber doch namentlich für uns besteht, die wir durch Gründung des Vereins oder Beitritt zu ihm sowohl uns in seinen Dienst gestellt, als uns die Macht verschafft haben, mit den zum Zwecke seiner Befriedigung durch uns und andere aufgebrachten Mitteln für diejenige Befriedigung desselben zu sorgen, die mit meisten unseren Anschauungen und Wünschen gemäß ist. Unser sind die Rechte, unser aber auch die Verbindlichkeiten des Ver­ eins. Wo immer die Gläubiger einer juristischen Person volle Befriedigung aus deren Mitteln nicht finden, weil die Menschen, denen deren Verwaltung zukommt, ihrer Amtspflicht nicht genügt haben, da ist ihnen ihre Befriedigung entgangen durch Pflicht­ verletzung jener Menschen. Beschließt ein Dombauverein einen Bau, von dem seine Mitglieder wissen oder wissen müssen, daß er mit den Mitteln des Vereins nicht auszuführen ist, und finden infolge davon dessen Gläubiger nicht ihre volle Befriedigung, so ist es, wenn auch die Mitglieder ihnen nicht haften, doch deren Pflichtverletzung, wodurch jene zu kurz komtnen. Die Theorie des Zweckvermögens kann diese Verbindlichkeiten überhaupt nicht konstruieren. Besteht meine rechtliche Macht als private um meinetwillen, so bestehen meine rechtlichen Verbind­ lichkeiten stets um anderer Menschen willen. Hat nach der Theorie des Zweckvermögens die anttliche Macht, die jentand um anderer willen hat, überhaupt kein Subjekt, sondern nur einen Zweck, so kann die Verbindlichkeit, die jemand im Gegensatze zu einer privaten mit seinen privaten Mitteln zu erfüllenden als amtliche und mit den Mitteln, über die er von Amts wegen gebietet, zu erfüllende hat, nicht durch ihren Zweck jener entgegengesetzt werden; denn die eine wie

Verwandte Verhältnisse.

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die andere bezweckt die Befriedigung dessen, dem gegenüber sie besteht. Wenn aber so die Theorie des Zweckvermögens in ihrer be­ grifflichen Fassung verfehlt ist, so hat sie doch einen durchaus richtigen Grundgedanken, den wir am kürzesten bezeichnen, wenn wir anstatt des Zweckes das Amt nennen. Nicht zu jedem Zwecke besteht ein Amt, aber jedes Amt hat einen Zweck. Wie den privaten Rechten, so stehen den privaten Verbindlichkeiten amtliche gegenüber. Jene gehören dem Privatrechte, diese gehören dem öffentlichen Rechte an. Nicht auf richtiger Fährte war Brinz, wenn er meinte, es lasse sich fragen, ob nicht „der Staat in allem anderen vom Privaten verschieden, gerade im Wesen des Ver­ mögens dem Privatmanne gleich" sei (Pand., 2. Ausl., III, S. 468). Wie sollte auch solche Gleichheit in einem Hauptpunkte sich mit der Verschiedenheit „in allem anderen" vertragen? Ist die Existenz des Staates keine private, so ist auch sein Vermögen kein Privat­ vermögen und sind Staatsschulden nicht private Schulden. Wird er doch als Privatrechtssubjekt bezeichnet, so handelt es sich ledig­ lich daruni, daß für die von Staats wegen bestimmten Menschen zukommenden amtlichen Zuständigkeiten und Obliegenheiten in be­ stimmtem Umfange dieselben Normen gelten, wie wenn sie private Zuständigkeiten und Obliegenheiten eines durch jene vertretenen Menschen wären, und zwar eines solchen, der von allen wirklich existierenden Menschen verschieden ist, wodurch das Staatsvermögen sich ebenso vom Mündelvermögen unterscheidet wie dadurch, daß dieses nur interimistisch Amtsvermögen ist.

2. Verwandte Verhältnisse. a) Das interimistische Amtsvermögen. Nennen wir das Gebiet amtlicher Vermögensverwaltung kurz Amtsvermögen, so haben wir zu unterscheiden zwischen solchem Ver­ mögen, das in Gemäßheit seiner Bestimmung Amtsvermögen ist, und solchem Vermögen, das in Gemäßheit jener Privatvermögen, aber aus einem bestimmten Grunde auf so lange, als er zutrifft, also nur interimistisch Amtsvermögen ist, was gilt nicht nur von

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Der Begriff der juristischen Person.

dem Vermögen, dessen Verwaltung dem Vormund oder Pfleger seines nominellen Subjektes zukommt, sondern auch von deni durch einen Testamentsvollstrecker oder Nachlaßpfleger verwalteten Nachlasse. Der Testamentsvollstrecker ist weder ein Subjekt einer um seiner selbst willen ihm zustehenden Macht noch der Bevoll­ mächtigte und Beauftragte eines anderen Menschen. Wäre seine Ernennung die Erteilung einer Vollmacht und eines Auftrages, so müßte er ein Bevollmächtigter und Beauftragter der Erben sein, da es keine Vollmacht und keinen Auftrag gibt ohne existierenden Vollmachtgeber und Auftraggeber. Wie die zweite Stellung nach dem BGB. im Zweifel vererblich ist, so kann es auch die erste sein. Da außerdem nach dem BGB. der Antrag durch Tod des Antragstellers nicht erlischt, hätte es kein Bedenken, daß der Testamentsvollstrecker zum Beauftragten der Erben würde durch die ihnen erklärte Annahme des ihm vom Erblasser erteilten Auftrages. Es ist aber kein Zweifel daran, daß er nicht ihr Bevollmächtigter und Beauftragter ist. Weder können sie ihm seine Stellung durch Widerruf entziehen, noch beschränkt sich seine Pflicht auf ihnen geschuldetes Handeln und seine Macht auf ein Handeln in ihrem Namen. Seine Stellung ist, wie sie auch das BGB. nennt, ein Amt. Seine Macht und seine Pflicht ist eine amtliche. Indem das Gesetz dem Testator die Ernennung eines solchen gestattet, so gestattet es ihm, die Angelegenheit der Aus­ führung seines Testamentes und der Regelung seines Nachlasses, die eine Angelegenheit aller daran beteiligten Menschen ist, nicht ihrer eigenen Besorgung zu überlassen, sondern deren Besorgung dem Testamentsvollstrecker zu übertragen. Dieser ist, soweit seine Zuständigkeit reicht, der gesetzliche Vertreter aller an jener An­ gelegenheit beteiligten Menschen. Die Ähnlichkeit seiner Stellung mit der Stellung eines gesetzlichen Vertreters konnte man nicht verkennen. An ihrer Subsumtion unter diese war man verhindert durch die Identifizierung des Vertreters mit dem im Namen des Vertretenen handelnden Stellvertreter und durch die Verkennung des Umstandes, daß der Vertretene als ein Objekt der Fürsorge seines Vertreters nicht ein bestimmter und nicht ein schon lebender Mensch sein muß, daß vielmehr durch die einem Menschen von

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Amts wegen zukommende Wahrnehmung bestimmter Angelegen­ heiten er bezüglich dieser ein amtlicher oder gesetzlicher Vertreter aller Menschen ist, deren Angelegenheiten diese sind oder sein werden. Dasselbe wie vom Testamentsvollstrecker, dem in der Regel namentlich die Verwaltung des Nachlasses zukommt, gilt von jedem amtlichen Verwalter eines solchen. Wenn auch das BGB. die Rachlaßverwaltung im engeren Sinne des Wortes bezeichnet als „Nachlaßpflegschaft zum Zwecke der Befriedigung der Nachlaß­ gläubiger", so ist doch dieser nicht ihr einziger Zweck. Sonst hätte der Nachlaßverwalter dem Zwecke seines Amtes und damit seiner Amtspflicht genügt, sobald er durch seine Amtsführung die Befriedigung der Gläubiger bewirkt hätte. Seine Amtspflicht um­ faßt aber nicht nur die Verwendung des Nachlasses zur Befriedi­ gung der Gläubiger, sondern auch, soweit dieser Zweck seine Auf­ wendung nicht fordert, seine Erhaltung für die Erben und Nach­ erben. Jeder amtliche Verwalter eines Vermögens ist innerhalb seiner Zuständigkeit ein gesetzlicher Vertreter der Menschen, um deren willen es existiert. Daß die Eigenschaft eines solchen nicht einen bestinunten Vertretenen fordert, zeigt § 1913 BGB-, wo­ nach für eine bestimmte Angelegenheit dem unbekannten oder un­ gewissen Menschen, dessen Angelegenheit sie ist, ein Pfleger be­ stellt werden kann. Ein solcher gesetzlicher Vertreter eines unbe­ stimmten Menschen liegt auch vor im Falle der Abwesenheitspfleg­ schaft. Ergibt sich, daß der „Abwesende" nicht abwesend, sondern vielmehr gestorben war, so ergibt sich, daß der „Abwesenheits­ pfleger" ein Nachlaßpfleger war, der durch seine Verwaltung nicht für jenen, sondern für seine Erben sorgte. So kommt denn auch betn Konkursverwalter, bezüglich dessen man so sehr darüber streitet, ob er ein gesetzlicher Vertreter des Gemeinschuldners oder seiner Gläubiger ist, eine bestimmte Sorge sowohl für diese als für jenen zu. Nach § 82 KO. ist er „für die Erfüllung der ihm obliegenden Pflichten allen Beteiligten ver­ antwortlich". Es ist jedem Amte eigen, daß sein Träger, wenn er auch nicht allen Beteiligten und vielleicht niemandem verant­ wortlich ist, doch allen Angehörigen des Gemeinwesens, um deren willen das Amt existiert, seine pflichtgetreue Führung schuldet.

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Die Verwaltung eines bestimmten Vermögens kann dieses zum Gegenstände haben als das Vermögen eines Menschen, als ein solches, das vielleicht das Vermögen eines bestimmten Menschen ist, und als ein solches, das nicht das Vermögen eines bestimmten Menschen ist. Im ersten und im zweiten Falle ist sie stets eine interimistische, und auch im letzten Falle kann sie eine interimistische sein. Alle drei Arten interimistischen Amtsvermögens begegnen uns im Gebiete des Erbrechts. Die erste Art liegt vor, wenn eine amtliche Verwaltung des Nachlasses besteht zu einer Zeit, zu der schon feststeht, wer Erbe ist. Die zweite Art liegt in der Regel vor, wenn jene besteht zu einer Zeit, zu der noch nicht feststeht, wer Erbe ist. Die dritte Art liegt vor, wenn jene besteht, während der Mensch, der vielleicht Erbe sein wird, noch nicht geboren ist; denn wenn er auch eventuell als ein solcher gelten wird, der schon seit dem Tode des Erblassers Erbe ist, so existiert er doch jetzt überhaupt noch nicht als Person und damit auch nicht als ein solcher, der vielleicht Erbe ist. Dieser Fall macht eine Ausnahme von der Regel des heutigen Rechtes, daß es keinen Nachlaß gibt, der nicht schon jetzt die Erbschaft irgend einer Person wäre, wenn gleich es noch von späteren Tatsachen abhängen kann, wessen Erb­ schaft er ist. Für die Eigenschaft des Nachlasses als eines Gegen­ standes amtlicher Verwaltung macht es aber keinen Unterschied, ob ein bereits feststehender, ein noch nicht feststehender oder über­ haupt noch kein Erbe existiert. Auch für den bereits feststehenden Erben ist der in amtlicher Verwaltung befindliche Nachlaß sein Vermögen oder ein Gegenstand seiner rechtlichen Macht nur in dem Sinne, daß ihm diese Eigenschaft nach dem Wegfall der amtlichen Verwaltung zukommen wird, wogegen er ein um des Erben willen verwalteter auch dann ist, wenn dieser noch gar nicht existiert. Zehrt die Befriedigung der Nachlaßgläubiger den ganzen Nachlaß auf, so wird er für den Erben kein Gegenstand seiner rechtlichen Macht. War seine Zerstörung oder Verwendung vom Verwalter verschuldet, so schuldet dieser Ersatz nicht als ein solcher, der Vermögen dieser bestimmten Person, sondern als ein solcher, der den Nachlaß verwaltet und durch dessen schlechte Verwaltung die an seiner guten Verwaltung interessierten Personen geschädigt hat, zu denen, soweit sie dadurch zu kurz kommen, die Gläubiger

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gleich den Erben gehören, die zukünftigen Erben gleich den zur Zeit seiner Verwaltung existierenden Erben gehören und, falls er andere für die Erben hielt, nicht die vermeintlichen, sondern die wirklichen Erben gehören. Werden Rechte des Nachlasses durch ihn oder Nachlaßverbindlichkeiten gegen ihn geltend gemacht, so werden sie auch dann, wenn die Erben schon feststehen, nicht geltend gemacht als Rechte und Verbindlichkeiten dieser bestimmten Personen, sondern als solche, die zum Nachlaß gehören und die geltend zu machen sein amtliches Recht, die mit den Mitteln des "Nachlasses zu erfüllen seine amtliche Pflicht als Verwalter des Nachlasses ist. Es ist daher hier kein Unterschied zwischen der amtlichen Verwaltung eines Nachlasses, dessen Erbe feststeht, noch nicht feststeht und noch nicht existiert. Ob sein Verwalter klagt oder belangt wird als Vertreter des Lschen Nachlasses oder der Nschen Erben, ist genau dasselbe. Wenn man zwar nicht im Fall der existierenden, aber im Fall der noch nicht existierenden Erben, also der römischen hereditas iacens und des noch nicht geborenen Erben, ihn glaubt den Vertreter einer juristischen Person nennen zu sollen, so müßte man diesem Falle mindestens den Fall der noch nicht feststehenden Erben beifügen, da er in diesem Falle nicht klagen und belangt werden kann als Vertreter dieser bestimmten Personen. Wenn im Fall der juristischen Person ein Gebiet amtlicher Verwaltung existiert, so fragt sich, ob auch umgekehrt eine juristische Person überall existiert, wo ein Vermögen ein Gegenstand amt­ licher Verwaltung in der Weise ist, daß Rechte und mit seinen Mitteln zu erfüllende Verbindlichkeiten seines Verwalters bestehen, die nach den Normen des Privatrechts beurteilt werden. Daß dies nicht der Fall ist, zeigt das Mündelvermögen. Es ist Gegen­ stand amtlicher Verwaltung nur interimistisch und so, daß eine Person existiert, deren privates Vermögen es wäre ohne den Grund und sein wird nach dem Wegfall des Grundes, aus dem es zur Zeit ein Gegenstand amtlicher Verwaltung ist. Genau das­ selbe gilt im Falle des Konkurses. Die Rechte und Verbindlich­ keiten des Gemeinschuldners, deren amtliche Wahrnehmung dem Konkursverwalter zukommt, kommen jenem, solange dieses Ver­ hältnis besteht, nicht zu; sie kämen ihm aber ohne dasselbe zu

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und werden ihm nach seinem Wegfall zukommen, soweit sie nicht im Konkurse untergegangen sind. § 17 CPO. spricht von „Ver­ mögensmassen, welche als solche verklagt werden können", wo­ mit gemeint ist, daß geklagt werden kann gegen ihren Verwalter mit der im Fall seiner Verurteilung möglichen Zwangsvollstreckung in das von ihm verwaltete Vermögen. Eine solche „Vermögens­ masse" ist auch der amtlich verwaltete Nachlaß. Der Belangung des Konkursverwalters, aber auch schon des Vormundes ist schlecht­ hin gleichartig die Belangung des Nachlaßverwalters, wenn der Erbe feststeht. Gilt er aber in diesem Falle nicht als Vertreter einer sogenannten juristischen Person, so würde seine Bezeichnung als eines solchen im Falle des noch nicht feststehenden oder noch nicht existenten Erben eine verschiedene Benennung solcher Fälle begründen, zwischen denen ein praktischer Unterschied überhaupt nicht besteht. Wir kommen damit zu dem Ergebnisse, daß überall da zwar ein dem Falle der juristischen Person verwandter Fall, aber nicht eine solche vorliegt, wo nur ein interimistisches Amtsvermügen existiert. Ein solches ist auch das Sammelvermögen des § 1914 BGB. Diese Bestimmung spricht von Vermögen, das „durch öffentliche Sammlung" zusammengebracht ist „für einen vorüber­ gehenden Zweck". Sie meint damit einen solchen Zweck, der nur vorübergehend die Existenz eines in seinem Dienste verwalteten Vermögens fordert. Der typische Fall eines solchen ist der Fall der Sammlung für irgendwie Verunglückte. Ihnen soll geholfen und zwar nicht nur für den Augenblick, sondern womöglich nach­ haltig geholfen werden. Da aber das für sie gesammelte Ver­ mögen unter sie verteilt und dadurch aufgezehrt werden soll, be­ darf es einer Verwaltung desselben nur bis zur Vollziehung jener Verteilung. Wem gehört nun die zu jenem Zwecke gespendete Gabe? Wer sie gespendet hat, wollte sich (vorbehaltlich eines etwaigen Ersatzanspruchs gegen ungetreue Verwender) ihrer endgültig ent­ äußern. Er gibt sie dem Veranstalter oder den mehreren Ver­ anstaltern der Sammlung. Er will, daß diese sie zu keinem anderen als jenem Zweck verwenden. Und er will dies nicht etwa so, daß sie ihr Eigentum wird, dessen Übertragung an Dritte sie ihm schulden. Sammelt ein Kaufmann für die Abgebrannten

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seiner Heimat und gerät er in Konkurs, nachdem er eine schöne Summe zusammengebracht hat, die sich noch in seinem Besitze be­ findet, so wird als redlicher Mann weder er selbst noch sein Kon­ kursverwalter bezweifeln, daß sie nicht ihm und in die Konkurs­ masse gehört. Wem gehört sie aber? Er wird sagen, daß sie den Abgebrannten seiner Heimat gehört. Gerade diesen Fall hat Brinz als typischen Fall des Zweckvermögens behandelt. Es ist auch, sobald wir, abgesehen von jeder Bestimmung des positiven Rechtes, die Intentionen sowohl der Geber als eines redlichen Veran­ stalters der Sammlung ins Auge fassen, kein Zweifel daran, daß jene diesem die Verwendung ihrer Gaben nach Maßgabe der bei der Veranstaltung der Sammlung getroffenen Bestimmungen und im übrigen nach bestem Wissen und Gewissen überlassen haben, daß sie dagegen nicht daran gedacht haben, das Gesammelte zu seinem Privateigentum zu machen und eventuell als solches in die Hände seiner Gläubiger fallen zu lassen. Von dem Falle, daß ich jemanden! Vollmacht und Auftrag erteile, ist jener Fall ver­ schieden dadurch, daß Widerruf ausgeschlossen ist, daß der einzelne Beitragende nicht eine ihm erteilte Rechenschaft über die Ver­ wendung seines Beitrages erwartet und daß die gute Verwendung der Beiträge als eine solche erscheint, die der Allgemeinheit und insbesondere den Menschen geschuldet wird, um deren willen sie gegeben sind, zwar nicht als solchen, die darauf klagen können, aber als solchen, denen durch das Gegenteil ein Unrecht wider­ fährt, und zwar nicht durch einen beliebigen, sondern durch einen solchen Menschen, dem eine bestimmte Fürsorge für sie oblag. Eine gewisse amtliche Fürsorge für diese Menschen ist es, zu der sich chie Veranstalter der öffentlichen Sammlung öffentlich erboten habsn, und die ihnen zugewendeten Gelder oder anderen Gegen­ stände sind ihnen zugewendet als Objekt ihrer amtlichen zu jenem Zwecke zu verwendenden Macht. Und es steht auch nicht anders, wenn der Zweck der Sammlung z. B. die Errichtung eines Denk­ mals war, für die ihren Ertrag zu verwenden die Veranstalter der Sammlung gleichfalls allen an seiner Errichtung interessierten Angehörigen des Gemeinwesens schulden. Zu diesen gehören aller­ dings vor anderen die Spender von Beiträgen, die dadurch ihr Interesse an der Erreichung jenes Zweckes dargetan haben, jedoch Holder, Natürl. u. jurist. Personen.

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auch wer vielleicht einen solchen nicht gegeben, aber eine andere Leistung zu seinen Gunsten vollzogen z. B. eine Aufführung ver­ anstaltet hat, deren Ertrag ihm zugute kam, oder einen Aufsatz geschrieben hat, der für ihn eintrat. Was dieser Auffassung entgegensteht, ist nur, daß nicht amt­ liche Macht und Pflicht durch Privatrechtsgeschäft pflegt begründet werden zu können. Daß sie begründet wird durch die Veranstaltung einer öffentlichen Sammlung und Entgegennahme der eingesammelten Gaben, und zwar für jeden, der sich zur Entgegennahme solcher öffent­ lich erboten hat, hätte daher das Gesetz ausdrücklich bestimmen sollen. Anstatt dieser Bestimmung enthält es nur eine indirekte Anerkennung jenes Rechtsverhältnisses durch die Bestimmung, daß „zum Zwecke der Verwaltung des Vermögens ein Pfleger bestellt werden" kann, „wenn die zu der Verwaltung und Verwendung berufenen Per­ sonen weggefallen sind". Gibt es Personen, die dazu „berufen" sind und durch deren Wegfall die „Verwaltung und Verwendung", zu der sie berufen waren, nicht wegfällt, sondern vielmehr eine solche ist, für die das Gemeinwesen durch Bestellung eines Pflegers sorgen kann, so ist damit gegeben, daß die Verwaltung und Ver­ wendung des Vermögens zum bestimmten Zwecke nicht eine solche war, wozu jene Personen als seine Eigentümer verpflichtet waren, daß vielmehr gleich der Pflicht derselben die Macht derselben ihnen als ein Amt zukam, dessen erneute Besetzung das Gemein­ wesen nach dem Wegfall seiner bisherigen Träger vollzieht. Da­ bei fragt sich noch, wann jene Personen „weggefallen sind". Selbstverständlich sind sie weggefallen, wenn sie nicht mehr existieren, und die Bestimmung der Pflegschaft für diesen Fall schließt in sich, daß jene Personen bezüglich des bestimmten Vermögens nicht etwa ein vererbliches Privatrecht hatten. Wie aber, wenn sie das Vermögen anders als für jenen Zweck verwenden? Soll der Staat dies ruhig ansehen müssen, wenn etwa von den Spendern wegen des hohen Ansehens der Veranstalter der Sammlung niemand gegen sie vorzugehen wagt? Und wenn den Spendern, wie es der Intention gemäß ist, mit der sie gegeben haben, nichts daran liegt, ihre Gabe von dem nachlässigen oder untreuen Verwalter derselben wieder zu bekommen, aber sehr viel an der Verwendung des Vermögens zum bestimmten Zwecke liegt, soll es da kein Mittel

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zu ihrer Erwirkung geben- Das Mittel der gerichtlichen Klage, Verurteilung und Zwangsvollstreckung kann es dazu nicht geben. Es kann keine Rede davon sein, daß, wer einen kleinen Beitrag zu einem vielleicht Millionen kostenden Denkmal gegeben hat, auf dessen Ausführung einen privaten Anspruch gegen das Denkmal­ komitee hätte. Es kann ebensowenig von einem solchen Ansprüche der Gesamtheit der Spender die Rede sein, zwischen denen da­ durch, daß sowohl der eine als der andere seinen Beitrag zu dem­ selben Zweck gegeben hat, überhaupt kein rechtlicher Zusammen­ hang besteht. Es kann aber ein Pfleger bestellt werden, der jenen Personen das Vermögen abfordert als solchen, die aufgehört haben, „die zu der Verwaltung und Verwendung berufenen Per­ sonen" zu sein. Sie waren zu ihr berufen als solche, die sich dazu erboten hatten und denen man das Vertrauen schenkte, daß sie das Vermögen treu und sorgfältig verwalten und zum be­ stimmten Zwecke verwenden werden. Ergibt sich, daß dieses Ver­ trauen ihnen mit Unrecht geschenkt wurde, wobei nicht gleich an den Fall gedacht zu werden braucht, daß sie das Vermögen sich aileignen, sondern genügt, daß sie seiner Verwaltung sich nicht gewachsen erweisen oder bezüglich seiner Verwendung von dem Zwecke, zu dem es gesammelt wurde, abweichen, so sind sie in ihrer Eigenschaft, zur Verwaltung und bestimmten Verwendung des Vermögens berufen zu sein, weggefallen, weil jene Eigenschaft bedeutet, daß die bestimmte Tätigkeit von ihnen zu erwarten ist, was nun nicht mehr zutrifft. Ist aber die Bestellung des Pflegers zulässig, wenn jene Personen zwar noch existieren, aber als solche iveggefallen sind, von denen die Tätigkeit erwartet werden kann, zu der sie berufen waren, so muß auch der Behörde das Recht zu­ stehen, sich davon zu überzeugen, ob sie noch als solche existieren, so daß ihre Amtsführung zugleich ein Gegenstand staatlicher Auf­ sicht ist. Die nahe Verwandtschaft dieses Falles mit den Fällen der Stiftung und des altruistischen Vereines ist offensichtlich. Auch hier aber existiert keine juristische Person, weil das bestimmte Amtsvermögen nur ein interimistisches ist, wozu noch kommt, daß der Träger eines solchen Amtes nicht kraft desselben Verbindlich­ keiten eingehen kann, für die er nicht mit seinem Privatvermög«'n 21*

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haftet. Hat er sie eingegangen in den Angelegenheiten seines Amtes , so haftet dafür auch sein Amtsvermögen als ein solches, das er zur Tilgung dieser, aber nicht zur Tilgung anderer Ver­ bindlichkeiten verwenden kann. Existiert eine juristische Person nur im Falle eines nicht nur interimistischen Amtsvermögens und daher nicht im Fall eines amtlich verwalteten Nachlasses, wenngleich ein Erbe noch nicht existiert, so existiert eine solche auch nicht im Falle eines zur Zeit sowohl des Erben als amtlicher Verwaltung entbehrenden Nach­ lasses. Wenn nach römischem Rechte die des heres entbehrende hereditas nicht nur als amtlich verwaltete, was sie nur aus­ nahmsweise war, sondern als solche personae vice fungitur, so haben wir es hier zu tun nicht mit der juristischen, sondern lediglich mit der ruhenden Persönlichkeit, die selbst wieder eine juristische d. h. amtliche oder eine private sein kann. Die Persön­ lichkeit des Amtes ruht, so lange es niemandem zukomnit. Es existiert in dieser Zeit nicht, gilt aber nachher als ein solches, das auch in ihr existiert hat. Ebenso ist die private Persönlichkeit oder Eigenschaft des Menschen als einer selbständigen Person, so­ lange sie ruht, eine nicht existierende, die aber nachher als eine solche gilt, die existiert hat. So schon im Falle zeitweiliger Be­ wußtlosigkeit des Menschen. Nach seinem Tode können die Zuständig­ keiten und Obliegenheiten, die bisher die seinigen waren, nur fort­ bestehen als solche anderer Menschen. Daß sie als solche, wie daß sie als die seinigen trotz des zeitweiligen Wegfalls seiner Fähigkeit, sie zu haben, fortbestehen, kann trotz einer Zwischenzeit, in der sie niemand hatte, nur dadurch angenommen werden, daß man diese ignoriert, also jene Zuständigkeiten und Obliegenheiten behandelt, wie wenn sie auch in ihr bestanden hätten. Die sogenannte Persönlichkeit der hereditas iacens bedeutet dieselbe Ignorierung der Zwischen­ zeit zwischen der Existenz des Vorgängers und des Nachfolgers wie die Behandlung des erledigten Amtes als eines existierenden mit einer Modifikation, die dadurch gegeben ist, daß doch für die private Rechtsstellung ein größerer Unterschied ist zwischen der Stellung des Vorgängers und des Nachfolgers als für die amt­ liche. Wie der noch nicht auf den Erben übergegangene Nachlaß ein ruhendes Privatvermögen ist, so ist das Gebiet, bezüglich desien

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der Träger eines erledigten Amtes kompetent ist, ein ruhendes Amtsvermögen, und daß es ruht, bedeutet, daß es nicht existiert, aber nur interimistisch als ein solches, das später wieder existieren kann und dessen zeitweiliges Fehlen ignoriert wird, so daß alle rechtliche Folgen, die seine ununterbrochene Existenz hätte, insoweit platzgreifen, als sie platzgreifen können, obgleich es zurzeit nicht wirklich existiert. Wie sodann einem Amte für die Zeit seiner Er­ ledigung ein anderes substituiert sein kann, so daß so lange dem Träger dieses Amtes zusteht und obliegt, was sonst dem Träger jenes Amtes zusteht und obliegt, so kann im Bedürfnisfalle durch staatliche Organe, denen diese Bestimmung zukommt, der zurzeit nicht existierenden privaten Zuständigkeit und Obliegenheit die amt­ liche eines Nachlaßpflegers substituiert werden, so daß anstatt des interimistisch nicht existierenden Privatvermögens ein interimistisches Amtsvermögen existiert, wie dies auch beim Mündelvermögen mit dem Unterschiede zutrifft, daß hier ein bestimmter Mensch existiert, um dessen willen das Amt besteht und dessen Privatvermögen jenes Vermögen nicht nur sein wird nach dem Wegfalle des Grundes, sondern auch schon jetzt wäre ohne den Grund, wegen dessen es zurzeit Amtsvermögen ist. Die Gleichheit der hereditas mit dem municipium, die Florentin damit bezeichnet, daß jene gleich diesem personae vice fungitur und die ebenso Gaius damit bezeichnet, daß die res hereditariae gleich den Sachen der universitates nullius in bonis sunt, ist also nur die negative, daß sowohl der Nachlaß, solange kein Erbe existiert, als das Vermögen einer universitas kein Privatvermögen ist. Während dieses ein solches überhaupt und seiner Bestimmung gemäß nicht ist, so ist der Nachlaß ein solches nur intermistisch nicht. Daß er aber in der Tat als ein noch nicht auf die Erben übergegangener ein solches nicht ist, zeigt sich daran, daß die Rechte und Verbindlichkeiten, die als Be­ standteile desselben gelten, nur wahrgenommen werden können, wenn er einen Pfleger hat, dem ihre Wahrnehmung von Amts wegen zukommt. Wenn Brinz (Pand., II., S. 33) sich darauf beruft, daß an der hereditas iacens „Delikte begangen werden können", wie „das eigens darum aufgestellte crimen expilatae hereditatis“ und „das des damnum iniuria datum“, so betont er

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für dieses selbst, es sei „hereditate iacente nur das Delikt, die Klage erst nach Antretung der Erbschaft in der Person des nunmehrigen Erben möglich", was eben bedeutet, daß jenes damnum zwar eine Beeinträchtigung eines zurzeit existierenden Vermögens nicht war, aber als eine solche gilt nach dem erfolgten Eintritte der Erbfolge. Und das crimen expilatae hereditatis zeigt gerade, daß es mit der Entwendung von Erbschaftssachen eine eigene Bewandtnis hatte, weil dadurch nicht ein bereits existierendes, sondern nur ein erst später zur Existenz gelangendes Eigentum verletzt wurde.

b) Das Gesellschaftsvermögen. Das Gesellschaftsvermögen ist nicht Amtsvermögen, aber Zweckvermögen. Es ist gemeinsames Vermögen der Gesellschafter, das durch deren Vereinbarung zur Verwendung für den Gesell­ schaftszweck bestimmt ist. Daß ich einen Bestandteil meines Ver­ mögens zur Verwendung für einen bestimmten Zweck bestimmt habe, ist ohne rechtliche Bedeutung. Ist er dazu bestimmt durch meine Vereinbarung mit einem anderen, so kann nach Verschieden­ heit der Umstände jene Verwendung diesein oder auch einem Dritten, zu dessen Gunsten sie vereinbart ist, geschuldet sein oder doch ihr Unterbleiben die Rückforderung dessen begründen, mit. dessen Zuwendung die Vereinbarung seiner Verwendung zu jenem Zwecke verbunden war. Im Falle der Gesellschaft hat aber die im Gesellschaftsvertrage enthaltene Vereinbarung, daß bestimmte Vermögensbestandteile den Gesellschaftern als solchen gemeinsam und zur Verwendung für den Gesellschaftszweck bestimmt sind, eine weitergehende Bedeutung, und zwar sowohl im Verhältnisse der Gesellschafter zueinander als in ihrem Verhältnisse zu Dritten. Sie hat, wie wir gesehen haben, in ihrem gegenseitigen Verhält­ nisse die Bedeutung, daß die zum Gesellschaftsvermögen ge­ hörenden Rechte durch die zu seiner Verwaltung berufenen Ge­ sellschafter oder Vertreter derselben gegen die einzelnen Gesell­ schafter und die Ansprüche der einzelnen Gesellschafter auf Leistungen aus dem Gesellschaftsvermögen durch diese gegen jene ebenso geltend gemacht werden können, wie wenn sie gegen­ seitige Ansprüche und Verbindlichkeiten verschiedener Menschen wären. Sie hat im Verhältnisse der Gesellschafter zu Dritten die

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Bedeutung, daß diese wegen ihrer Ansprüche in Angelegenheiten der Gesellschaft sich an das Gesellschaftsvermögen und damit an die es verwaltenden Gesellschafter oder Vertreter derselben halten können. Und sie hat die fernere Bedeutung, daß die Beteiligung am Gesellschaftsvermögen und damit an den Gesellschaftsverbind­ lichkeiten als solchen, für die es haftet, sich bestimmt durch die Beteiligung an der Gesellschaft. Wie also das Amtsvermögen ein besonderes Vermögen ist sowohl im Verhältnisse zu Dritten als im Verhältnisse zum Privatvermögen der Amtsträger, und wie deren Beteiligung an ihm sich bestimmt durch ihre Beteiligung am Amte, so ist auch das Gesellschaftsvermögen ein besonderes Vermögen sowohl im Verhältnisse zu Dritten als im Verhältnisse zu den einzelnen Gesellschaftern und bestimmt sich deren Beteiligung an ihm durch ihre Beteiligung an der Gesellschaft. Daher ist jede Gesellschaft mit Gesellschaftsvermögen eine juristische Person im weiteten Sinne des Wortes, wenngleich sie nicht eine juristische Person im engeren Sinne ist, weil Gesellschaftsverbindlichkeiten nur möglich sind in Verbindung mit individuellen Verbindlichkeiten, für die jemand mit seinem ganzen Vermögen haftet. Wenn die Gesellschaft, sei es als Gesellschaft einer durch das Handelsgesetzbuch oder andere Gesetze besonders normierten Art oder als rechtsfähiger egoistischer Verein des BGB., Verbindlichkeiten haben kann, ohne daß persönliche Verbindlichkeiten der Gesellschafter oder der Handelnden bestehen, ist sie eine juristische Person im engeren Sinne oder im Sinne des BGB., die sich aber von einer solchen Gesellschaft, die lediglich eine juristische Person im weiteren Sinne ist, nur unterscheidet durch die Möglichkeit für sich existierender Gesellschaftsverbindlichkeiten. Daß das Vermögen eines rechts­ fähigen egoistischen Vereines nicht ein Amtsvermögen, sondern ein Gesellschaftsvermögen ist, zeigt sein durch § 45 ui BGB. bestimmter Anfall an die Mitglieder. Diese könnten ihn nicht mit der Wirkung auflösen, daß sein Vermögen ihr Vermögen nach Bruch­ teilen wird, wenn es nicht schon vorher ihr gemeinsames Ver­ mögen wäre. Auch das interimistische Amtsvermögen könnte man als Ver­ mögen einer juristischen Person im weiteren Sinne des Wortes und als ein Zweckvermögen im Sinne von Brinz bezeichnen. Das

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Mündelvermögen gehört dem Mündel nicht als einer Person, der seine Verwendung zukommt, sondern als einem solchen Menschen, für den es durch andere Menschen zu verwalten und verwenden ist, mithin nicht als ein ihm zustehendes, sondern als ein um seinetwillen bestehendes. Wäre aber seine Auffassung als einer bis zur Mündigkeit nicht natürlichen, sondern juristischen Person unserem Sprachgebrauch« und unserem Gefühle durchaus zuwider, so gilt das gleiche von der durch namhafte Juristen vertretenen Auffassung des erzeugten, aber noch nicht geborenen Menschen als einer juristischen Person (Rudorfs, zu Puchtas Pandekten § 114, Note b). Und doch erfolgt die seinem Pfleger (§ 1912 BGB.) zukommende Verwaltung der Erbschaft, die, wenn es zu seiner Geburt kommt, die seinige sein wird, um seinetwillen. Gleich dem interimistischen Amtsvermögen betrachten wir nicht als Fall einer juristischen Person das ruhende oder interimistisch nicht existierende Vermögen. Läge ein solcher vor im Falle eines interimistisch nicht existierenden Privatvermögens, so wäre das, weil zur Zeit kein Amtsträger existiert, interimistisch nicht existierende Amtsvermögen ein Fall einer juristischen Person in der zweiten Potenz, weil es weder ein Privatvermögen, noch ein zur Zeit existierendes Vermögen ist. Jedes Vermögen einer juristischen Person ist entweder Amts­ vermögen oder Gesellschaftsvermögen. Es ist aber auch jedes Gesellschaftsvermögen ein solches, dessen Verwalter als Verwalter dieses besonderen den Gesellschaftern gemeinsamen Vermögens so­ wohl den einzelnen Gesellschaftern als Dritten gegenübertreten wie die Vertreter eines Menschen anderen Menschen. Und wenn dies bei anderen Gesellschaften nur in der Weise zutrifft, daß ihre Haftung mit dem Gesellschaftsvermögen neben persönlicher Haftung besteht, also die in den Angelegenheiten der Gesellschaft entstandene Verbindlichkeit die spezifische Natur einer Gesellschaftsverbindlich­ keit nur neben ihrer Eigenschaft als persönlich auf dem ganzen Vermögen eines bestimmten Schuldners lastende Verbindlichkeit haben kann, so gibt es doch Gesellschaften, für die dies nicht gilt. Daß aber in bestimmten Fällen ausschließliche Gesellschafts­ oder Vereinsverbindlichkeiten zugelassen sind, ändert nichts daran, daß die zu ihrer Erfüllung erforderliche Aufwendung das Gesell-

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schafts- oder Vereinsvermögen als ein um der Gesellschafter oder Vereinsmitglieder bestehendes oder als ein ihnen gemeinsames Privatvermögen mindert, wogegen im Falle eines Vermögens, über das bestimmte Menschen von Amts wegen gebieten, die zur Tilgung der auf ihm lastenden Verbindlichkeiten erforderliche Aufwendung dasselbe mindert als ein anderen Menschen zugute kommendes Objekt seiner amtlichen Verwendung durch jene. Sind die Ge­ sellschafter weggefallen, so sind weggefallen die Menschen, deren Vermögen das Gesellschaftsvermögen war im doppelten Sinne eines Gegenstandes ihrer rechtlichen Macht und eines Mittels der Förderung ihres Lebens. Sind sie bis auf einen weggefallen, so ist das Gesellschaftsvermögen schlechthin sein Vermögen und sind die Gesellschaftsverbindlichkeiten schlechthin seine Verbindlich­ keiten geworden, wenngleich er für sie als solche, wofür nur das Gesellschafts- oder Vereinsvermögen haftet, nicht haftet mit seinem sonstigen Vermögen, wie wenn er der Vertreter eines anderen wäre, dessen ganzes Vermögen das Gesellschaftsvermögen ist. Sind dagegen die Träger des Amtes weggefallen, kraft dessen die Macht über das bestimmte Vermögen und die Pflicht seiner Verwendung zum Amtszwecke bestand, so sind damit die Menschen nicht weg­ gefallen, deren Leben zu fördern das Amt und Amtsvermögen be­ zweckt. Sind jene bis auf einen weggefallen, so ist er der einzige Träger der amtlichen Zuständigkeit und Obliegenheit, die ihm bis­ her in Gemeinschaft mit anderen zukam. Da auch, wenn sie sämt­ lich weggefallen sind, das erledigte Amt durch die Fürsorge der dazu kompetenten Organe des Gemeinwesens — und solche sind in Ermangelung anderer jedenfalls die zum Erlasse von Gesetzen kom­ petenten — neue Träger erhalten kann, so wird, solange das Ge­ meinwesen besteht, kein Amt und Amtsvermögen durch den Weg­ fall des Amtsträger zu einem fernerer Existenz nicht mehr fähigen. Sogenannte universitates personarum, die durch den Wegfall der Personen, aus denen sie bestehen, wegfallen, sind daher nur die Gesellschaften, während alle anderen juristischen Personen weder solche noch sogenannte universitates bonorum sind, die man als die zweite Art der juristischen Personen den universitates per­ sonarum an die Seite gestellt hat; denn ihre Eigenschaft, juristische Personen zu sein, fordert nicht, daß sie Vermögen haben, sondern

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bedeutet, daß sie Vermögen haben können, im Sinne solcher Zu­ ständigkeiten und Obliegenheiten der Träger des bestimmten Amtes, die sich nach Privatrechtsnormen bemessen und ein Gegenstand der Entscheidung und Realisierung durch die in Beziehung auf Privat­ rechtsverhältnisse kompetenten Staatsorgane sind. Wie überhaupt die Urheber des BGB. zwar die Existenz eines eigenen dem Vermögen der einzelnen Gesellschafter gegen­ überstehenden Gesellschaftsvermögens bestimmt, aber die Konse­ quenzen seiner Existenz und insbesondere die aus ihr folgende Möglichkeit, daß die Gesellschaftsgläubiger sich an das Gesellschafts­ vermögen halten oder die Gesellschaft belangen können, sich nicht vergegenwärtigt haben, so drängt auch die Sonderstellung des Ge­ sellschaftsvermögens als eines solchen, an das, solange es Gesell­ schaftsvermögen ist, zwar die Gesellschaftsgläubiger, aber nicht andere Gläubiger der Gesellschafter sich halten können, dazu, die Gesellschaftsgläubiger erst dann an das sonstige Vermögen der Gesellschafter sich halten, also die einzelnen Gesellschafter belangen zu lassen, wenn sie Befriedigung aus dem Gesellschaftsvermögen nicht haben finden können, so daß für das Verhältnis der Gesell­ schaftsgläubiger und anderer Gläubiger zum Gesellschaftsvermögen und zum sonstigen Vermögen der Gesellschafter dasselbe gilt, wie schon nach römischem Rechte im Fall der durch die Erbschafts­ gläubiger erwirkten separatio bonorum für das Verhältnis dieser und der übrigen Gläubiger des Erben zur Erbschaft und zum übrigen Vermögen des Erben. Wie hier das ererbte dem sonstigen Vermögen desselben Menschen ebenso gegenübersteht, wie wenn jedes einem anderen Menschen zukäme, so bedeutet auch die Sonder­ stellung des Gesellschaftsvermögens die Gegenüberstellung der Eigen­ schaft des einzelnen Gesellschafters als Subjekt sonstigen Vermögens und als eines solchen, der mit den anderen Gesellschaftern zu­ sammen Subjekt des Gesellschaftsvermögens ist. Wäre von den Urhebern des Gesetzes der Gedanke des Gesellschaftsvermögens zu Ende gedacht und demgemäß jenes Verhältnis desselben und des sonstigen Vermögens der einzelnen Gesellschafter zu den Gesell­ schaftsgläubigern und den Gläubigern dieser bestimmt worden, so hätte niemand einen Zweifel an der Zugehörigkeit einer Gesell­ schaft, die ein Gesellschaftsvermögen hat, zu den juristischen Per-

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fönen, zu denen jeder die eingetragenen Genossenschaften zählt trotz der unbeschränkten Haftung, die bei ihnen den Genossen­ schaftern obliegen kann für die den Genossenschaftsgläubigern nicht aus dem Genossenschaftsvermögen zu teil gewordene Be­ friedigung.

3. Die Personifikation. Man hat seit langem das Losungswort ausgegeben, das des Eindruckes auf viele nicht verfehlt, eine rechtliche Fiktion oder Be­ handlung irgend eines Dinges, wie wenn es ein anderes wäre, sei schlechthin unzulässig, die juristische Person möge daher zwar sonst sein, was sie wolle, keinesfalls aber könne oder dürfe sie eine fingierte Person oder etwas sein, das zwar keine Person ist, aber behandelt wird, wie wenn es eine solche wäre. Dabei ist jedoch vor allem zu sagen, daß die durch eine Fiktion gegebene Gleich­ stellung verschiedener Dinge stets nur eine partielle oder relative ist. Die Gleichstellung verneint, soweit sie reicht, die Verschieden­ heit. Wäre sie eine volle, so wäre sie eine volle Verneinung der Verschiedenheit. Als einfachsten Fall einer Fiktion erwähnt Ihering (Geist des RR. III § 58), daß eine Steuerbehörde ein Formular hat drucken lassen, dem eine Rubrik für einen bestimmten Artikel fehlt, und daß sie nun dessen Unterbringung in der Rubrik für einen anderen Artikel bestimmt; „Braunkohlen z. B. sollten als Steinkohlen gelten." Diese Bestimmung ist aber nur möglich, wenn in Beziehung auf die in Frage stehende Behandlung über­ haupt kein Unterschied zwischen Braunkohlen und Steinkohlen be­ steht, und es sind durch die Ausdehnung der Rubrik für die einen auf die anderen nicht die Kohlen der einen Art als Kohlen der anderen Art fingiert; vielmehr sind Braunkohlen und Steinkohlen dadurch bezüglich der bestimmten Behandlung verschiedene Fälle derselben Art von Dingen. Wären in einem Staate, wo bisher nur die Angehörigen einer bestimmten Rasse oder Konfession voll­ berechtigt waren, ihnen die Angehörigen einer anderen Rasse oder Konfession mit der Wendung gleichgestellt, sie sollten als Angehörige jener Nasse oder Konfession gelten, so wäre die verschiedene Be­ deutung jener und dieser für die Teilnahme am bestimmten Staate beseitigt; der Unterschied der in ihm voll und nicht voll berechtigten

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Der Begriff der juristischen Person.

Menschen wäre ein Unterschied der Angehörigen nicht mehr einer, sondern zweier Rassen oder Konfessionen und der übrigen Menschen. Hätte die juristische Person die volle rechtliche Bedeutung, die dem Menschen als einer Person zukommt, so wäre kein Unterschied zwischen seiner Persönlichkeit und ihrer Persönlichkeit und könnte davon, daß diese eine fingierte wäre, keine Rede sein. Daß Fiktionen auch außerhalb des Gebietes der juristischen Person weder dem römischen Rechte noch dem unsrigen fremd sind, kann kein Unbefangener verkennen. Eine solche ist jede Bestimmung einer Rückwirkung'. Durch sie gilt eine jetzt eintretende Wirkung als eine solche, die schon früher eingetreten und nur noch nicht erkennbar war. Wenn aber auch von jetzt an diese Wirkung als eine schon seit jener Zeit be­ stehende gilt, so ändert dies doch nichts daran, daß sie erst ein­ getreten ist durch einen späteren Vorgang und daß ihre frühere Behandlung als einer noch nicht eingetretenen richtig war, wenn­ gleich von heute an ihre Behandlung als einer schon früher ein­ getretenen platzzugreifen hat. Die Wirkung ist eine erst jetzt ein­ getretene, hat aber denselben Umfang, wie wenn sie schon damals eingetreten wäre. Besteht sie in der Aufhebung eines früheren rechtlichen Erfolges, die auf die Zeit seines Eintrittes zurückwirkt, so bewirkt sie seine nunmehrige Behandlung als eines solchen, der nicht eingetreten war. Vermöge einer Fiktion fallen, soweit sie reicht, die Wirkungen weg, die ohne sie der durch sie verneinte Sachverhalt hätte. Sie ersetzt aber nicht diesen durch den von ihr fingierten Sachverhalt, sondern nur die Wirkungen des einen durch die Wirkungen des anderen, was sie nur tun kann, soweit nicht jene Wirkungen durch den wirklichen Sachverhalt notwendig gegeben und diese Wirkungen durch das Fehlen des fingierten Sachverhaltes notwendig ausge­ schlossen sind. Nach § 2150 BGB. gilt das Vorausvermächtnis „als Vermächtnis auch insoweit, als der Erbe selbst beschwert ist". Damit sind im Gegensatze zum römischen Rechte ausgeschlossen die Konsequenzen des gegenteiligen Sachverhaltes, daß, wenn z. B. 1 Vierling, Juristische Prinzipienlehre II S. 198 ist mit Recht einer früheren abweichenden Auffassung des Verfassers entgegengetreten.

Die Personifikation.

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das Vermächtnis dem bedachten Erben zusammen mit einem anderen zugewendet ist, dieser seinen Gegenstand zu einem größeren Teile bekommt durch die Anwachsung, die zu seinen Gunsten eintritt, soweit das Vermächtnis an den Erben als ein ihm selbst aufer­ legtes ungültig ist. Die Bestimmung des BGB. ändert aber nichts daran, daß der Erbe den bestimmten Gegenstand zu dem Teil, zu dem er Erbe ist, schon als einen Bestandteil seiner Erbschaft hat, mithin nicht erst als Vermächtnis bekommen kann, sowie daß er nicht Subjekt einer Vermächtnisforderung und Vermächtnis­ verbindlichkeit gegen sich selbst sein kann. Jede Bestimmung, daß eine Forderung oder Verbindlichkeit nicht erloschen ist durch die eingetretene Identität des Gläubigers und Schuldners, ist außer stände zu bewirken, daß dieser die Leistung sich selbst schuldet und von sich selbst verlangen kann. Sie bewirkt aber, daß die obligatio ebenso, wie wenn sie nicht erloschen wäre, wieder besteht, nachdem die Möglichkeit ihrer Existenz wieder gegeben ist, weil z. B. der frühere Gläubiger in seiner Eigenschaft als Erbe seines früheren Schuldners durch einen Nacherben abgelöst wurde. Und sie bewirkt ebenso, daß dieselben Wirkungen, wie wenn die obligatio noch existierte, platzgreifen für Dritte, für die etwas von ihrer Existenz abhängt, z. B. für die Erbschaftsgläubiger und die übrigen Gläubiger des Erben. Auch in diesem Falle sind die Forderungen und Verbindlichkeiten, die der Erblasser gegen den Erben hatte, erloschen; dieser haftet aber im Falle der se­ paratio bonorum einesteils den Erbschaftsgläubigern und anderen­ teils seinen sonstigen Gläubigern, wie wenn sie noch beständen. Wie diese Obligationen fingierte sind, so gilt dasselbe von den Obligationen des römischen pater familias und seines Hauskindes oder Sklaven. Von einer Forderung und Verbindlichkeit des einen gegen den anderen ist hier keine Rede; bei der die Haftung des pater familias gegen Dritte bestimmenden Berechnung des peculium bilden aber die bestimmten Beträge Additions- und Sub­ traktionsposten, wie wenn sie geschuldet würden. Gleich jeder Rechtswirkung ist die Rechtsfiktion gegeben durch den Inhalt teils unmittelbar des Gesetzes, teils einer solchen Willenserklärung, die rechtliche Geltung hat. (Vgl. dazu Archiv für civilistische Praxis 69 S. 224 ff.)

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Der Begriff der juristischen Person.

In Beziehung auf Personen kennt unser Recht verschiedene Fiktionen. Es kennt die Behandlung einer Person, wie wenn sie eine andere wäre, die Behandlung mehrerer Personen, wie wenn sie eine Person wären, die Behandlung einer Person, wie wenn sie eine Mehrheit von Personen wäre, und eine Personifikation oder Behand­ lung von Dingen, die keine Personen sind, wie wenn sie solche wären!. Ein Fall der ersten Art ist die Stellvertretung. Sie ist eine Handlung, der dieselbe Geltung zukommen soll, und, wenn sie zu Recht besteht, zukommt, wie wenn sie eine Handlung nicht des Stellvertreters, sondern des von ihm Vertretenen wäre. Die rechts­ gültige Vertretungshandlung wird vom Rechte nicht dem Stell­ vertreter, sondern dem Vertretenen als seine Handlung zugerechnet. Während die Wirkung der rechtsgültigen Stellvertretung für den Stellvertreter und nicht für den Vertretenen platzgreift, so sind die Erfordernisse ihrer Gültigkeit solche, die in der Person teils des einen, teils des anderen platzgreifen müssen. Ein Fall der fingierten Identität verschiedener Personen ist das Gesamtschuldverhältnis. Ist von zweien ein Dar­ lehen so gegeben, daß jedem die volle Summe geschuldet wird, so ist jeder berechtigt, wie wenn er die ganze Summe allein ge­ geben hätte, aber auch nach ihrem Empfange durch den einen jeder nicht mehr berechtigt, wie wenn er selbst sie empfangen hätte. Während im Fall der Stellvertretung die Handlung des einen als Handlung des anderen gilt, begründet hier das Zusammen­ handeln beider für jeden dasselbe Recht, wie wenn er allein ge­ handelt hätte, aber auch dasselbe Erlöschen seines Rechtes durch gewisse in der Person des anderen eintretende Tatsachen, wie wenn diese in seiner Person eingetreten wären (vgl. darüber Hölder, Das Wesen der Korrealobligation in: Zwei Abhandlungen aus dem römischen Rechte von Brinz und Hölder 1884). Vom Falle der fingierten Identität verschiedener Menschen ist verschieden der Fall, daß ihre Gesamtheit den einzelnen gleich einer eigenen Person gegenübergestellt wird. Sie wird dadurch behandelt, 1 Mit Unrecht setzt Brinz (Pand. 2. und 3. Aufl. § 59) die Personi­ fikation der Fiktion entgegen, von der jene ein Fall ist. Einen uns sonst nicht be­ gegnenden Personifikationsbegriff hat Köhler, der (Lehrb. des bürg. R. I S. 428) sagt: „Die Personifikation besteht darin, daß jemand rechtlich eine andere Persönlichkeit annimmt."

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wie wenn sie ein neben jenen existierender, also von jedem derselben ebenso wie von jedem anderen Menschen verschiedener Mensch wäre. Auch sie ist ein Ganzes, aber nicht eine Person, weshalb ihre Be­ handlung als einer solchen zu den Fällen gehört, wo etwas Un­ persönliches als Person behandelt wird. Daß eine Person behandelt wird, wie wenn sie eine Mehr­ heit von Personen wäre, kommt überall da vor, wo ein mehrfaches Gebiet ihres Lebens so unterschieden wird, daß zwischen dem einen und dem anderen Gebiete Beziehungen derselben Art als existent gelten wie zwischen verschiedenen Personen. Diese Behandlung ist uns auch in Fällen geläufig, wo sie keine rechtliche Bedeutung hat. Bestimme ich verschiedene Bestandteile meines Vermögens zur Ver­ wendung für verschiedene Zwecke, so habe ich nach meiner Be­ stimmung für jeden dieser Zwecke ein besonderes Vermögen. Be­ stimme ich je einen besonderen Bestandteil meines Vermögens für Nahrung, für Kleidung und für Wohnung, für Bildung, für Kunstgenuß und für Reisen, so habe ich nach meiner Bestimmung jeden in meiner besonderen Eigenschaft als Subjekt des bestimmten Bedürfnisses, das ich nur in dem Umfang befriedigen kann, in dem mir dies die zu seiner Befriedigung zu Gebote stehenden Mittel gestatten. Sind sie unzureichend, so steht es bezüglich des bestimmten Bedürfnisses so, wie bezüglich meiner gesamten Be­ dürfnisse, wenn mein ganzes Vermögen zu ihrer Befriedigung nicht hinreicht. Reichen meine gegenwärtigen Mittel nicht hin, um die Kosten einer bestimmten Bedürfnisbefriedigung zu decken, so ist dies für mich ein Grund, mir diese zur Zeit zu versagen. Ist das Bedürfnis so dringend, daß ich dies nicht tun mag, so können die Kosten, anstatt durch meine gegenwärtigen, durch meine zukünftigen Mittel ihre Deckung finden, sei es, daß mir die bestimmte Be­ friedigung auf Kredit gewährt wird oder daß ich die Möglichkeit sofortiger Deckung ihrer Kosten mir durch Kredit verschaffe. In derselben Lage, wie als Subjekt meiner gesamten Bedürfnisse, wenn mein Vermögen zu ihrer Befriedigung nicht hinreicht, bin ich als Subjekt des bestimmten Bedürfnisies, wenn zu dessen Be­ friedigung nicht hinreicht der von mir dazu bestimmte Teil meines Vermögens. Habe ich verschiedene Kassen, denen ich je bestimmte Einkünfte zufließen lasse, z. B. für die Anschaffung von Kleidern

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Der Begriff der juristischen Person.

und für Reisen, und reicht zur Zeit die bestimmte Kasse nicht hin zur Befriedigung des bestimmten Bedürfnisses, so kann ich ent­ weder mir diese versagen oder sie auf Kredit vollziehen, wo­ durch der bestimmten Kasse die gegenwärtige Ausgabe erspart, aber eine spätere auferlegt wird, oder, wenn jene Befriedigung nicht ohne sofortige Deckung ihrer Kosten zu haben ist, die dazu er­ forderlichen Mittel der bestimmten Kasse auf Kredit verschaffen. Wenn nun von verschiedenen zur Verwendung für verschiedene Bedürfnisse bestimmten Kaffen zur Zeit, die eine ungenügende, die andere überflüssige Mittel hat, so kann ich jener dadurch aufhelfen, daß ich ihr Mittel zuführe, die ich dieser entnehme und die später wieder an diese abgeführt werden sollen, was wir kurz dadurch ausdrücken, daß wir von einem der einen Kasse durch die andere gewährten Darlehen reden. Könnte ich meine Haftung für be­ stimmte von mir eingegangene Verbindlichkeiten auf bestimmte Bestandteile meines Vermögens beschränken, so hätte jener Vor­ gang ebenso rechtliche Bedeutung wie sie nach römischem Rechte für die Berechnung des peculium ein Darlehnsgeschäft zwischen seinem Inhaber und dem pater familias hatte. Er hat sie nicht, weil die ganze Verwendung verschiedener Vermögeusbestandteile für verschiedene Bedürfnisse eine interne Angelegenheit des bestimmten Menschen ist, was aber nichts daran ändert, daß für ihn jene verschiedenen Vermögensbestandteile durch ihre verschiedene Be­ stimmung, solange sie besteht, einander ebenso gegenüberstehen wie das Vermögen verschiedener Personen. Es besteht hier als ein Verhältnis ohne rechtliche Bedeutung dasselbe Verhältnis, das als ein Verhältnis von rechtlicher Bedeutung besteht, wenn ein mehrfaches Vermögen existiert, dessen Verwendung demselben Bien scheu zukommt, dessen Bestimmung aber von Rechts wegen eine ver­ schiedene ist. Auch hier kann diese Bestimmung auf dem Willen des Menschen beruhen, dessen das eine wie das andere Vermögen ist, und der Änderung durch ihn ausgesetzt sein. Sie ist aber eine solche, die rechtliche Geltung hat bis zu ihrer rechtsgültigen Aufhebung. Für den absoluten Monarchen, der unbeschränkt über das Staatsvermögen wie über sein Privatvermögen gebietet, ist die Unterscheidung seiner Herrscherpersönlichkeit und seiner Macht über das Staatsvermögen von seiner privaten Persönlichkeit und

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seinem Privatvermögen keine andere als z. B. für einen Kaufmann die Unterscheidung seiner kaufmännischen Persönlichkeit und seines kaufmännischen Vermögens von seiner sonstigen Persönlichkeit und seinem sonstigen Vermögen. Sobald beides auch rechtlich getrennt und die Haftung des Kaufmanns für Geschäftsschulden eine andere wäre als für andere Schulden, so hätte der Kaufmann auch recht­ lich eine mehrfache Persönlichkeit. Wie die Behandlung eines Menschen als einer Mehrheit von Personen bedeutet die Behandlung seines Lebensgebietes als einer Mehrheit von Lebensgebieten, zwischen denen Beziehungen gleicher Art bestehen wie zwischen den Lebensgebieten verschiedener Menschen, so bedeutet die Behandlung eines Dinges, das kein Mensch ist, als einer Person die Behandlung eines bestimmten Gebietes mensch­ lichen Lebens, wie wenn es das Lebensgebiet eines von den wirk­ lich lebenden Menschen verschiedenen Menschen wäre, der in den­ selben Beziehungen zu ihnen steht wie sie zu einander. Ist das rechtliche Lebensgebiet des Menschen, wie wir gesehen haben, ein Gebiet der rechtlichen Wirksamkeit und Betätigung seiner Persön­ lichkeit, so kann es ein bestimmtes von anderen abgegrenztes und zu ihnen in rechtlichen Beziehungen stehendes Gebiet menschlichen Lebens nicht geben ohne bestimmte menschliche Kräfte, durch die sich dieses bestimmte Leben als ein von jedem anderen verschiedenes betätigt. Diese Kräfte können nur solche wirklich lebender Menschen sein. Jene Fiktion ist daher notwendig verbunden mit der weiteren Fiktion, daß die in Gemäßheit der Ordnung des bestimmten Lebens­ gebietes in seinen Angelegenheiten zuständigen Menschen Vertreter der Person seien, deren Lebensgebiet es ist. Daher gelten, soweit beide Fiktionen platzgreifen, ihre Amtshandlungen als Akte der Stell­ vertretung und ihre amtlichen Rechte und Verbindlichkeiten als private Rechte und Verbindlichkeiten einer anderen durch sie vertretenen Person, als deren privates Vermögen das Verniögen gilt, worüber sie von Amts wegen gebieten. Damit ist die Entscheidung über jene Rechte und Ver­ bindlichkeiten sowie die wegen jener Verbindlichkeiten platzgreifende Zwangsvollstreckung in dieses Vermögen in die Hände derselben Staats­ organe gelegt, von denen die Entscheidung über private Rechte und Verbindlichkeiten, sowie die wegen dieser platzgreifende Zwangs­ vollstreckung in privates Vermögen abhängt. Die wirkliche Existenz Holder, Natur l. u. jurist. Personen.

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privaten Vermögens und privater Verbindlichkeiten ist aber damit nicht gegeben. Es ist im gegenseitigen Verhältnisse der Menschen, denen die Wahrnehmung jener Rechte und Verbindlichkeiten und die Verwaltung oder Verwendung dieses Vermögens zukommt, eine Frage des öffentlichen Rechtes, inwieweit in dieser Beziehung der eine oder der andere zuständig ist. Und diese Frage ist auch nicht gleichgültig für die Menschen, denen jene als Vertreter der juristischen Person gegenüberstehen, weil die rechtliche Wirksamkeit des gegen­ seitigen Verhaltens der einen und der anderen davon abhängt, daß in der bestimmten Beziehung dem bestimmten Menschen durch sein Amt die Vertretung der juristischen Person zukam. Wie als Macht der Vertretung einer juristischen Person, so ist die amtliche Vertretungsmacht auch als Macht der Vertretung eines bestimmten Menschen mehr als eine Vollmacht, weshalb ihr Subjekt im Gegensatze zum bloßen Träger einer Vollmacht anderen Menschen Vollmacht erteilen kann zur Vollziehung der Rechtsakte, deren Vollziehung ihm zukommt. Das römische Recht hat auch für die spezifisch staatlichen Funktionen der Magistrate den Grund­ satz, daß sie anderen übertragen können die ihnen proprio iure oder iure magistratus zukommenden, aber nicht die ihnen durch mandatum übertragenen Funktionen. Rach unserem Recht gilt dieser Grundsatz nicht für jene Funktionen, wohl aber für die einem Organe des Gemeinwesens kraft seiner verfassungsmäßigen Zuständigkeit zukommende Vertretung desselben als einer juristischen Person. Er gilt ebenso für den Vormund, dessen Bezeichnung als eines solchen, der nicht eigene amtliche, sondern fremde private Rechte und Verbindlichkeiten wahrnimmt, gleichfalls eine Fiktion ist. Sage ich von einem Menschen, eine bestimmte Macht sei die seinige, ihre Betätigung komme aber zur Zeit nicht ihm, sonder» seinem Vormunde zu, so sage ich, sie sei zur Zeit nicht seine, sondern seines Vormundes Macht, die aber, soweit dies möglich ist, dieselben rechtlichen Wirkungen habe, wie wenn sie die seinige wäre. Ein Vertreter des Mündels ist der Vormund sowohl da­ durch, daß seine Macht und Verbindlichkeit besteht zum zeitweiligen Ersätze der zur Zeit ausgeschlossenen eigenen Macht und Verbind­ lichkeit des Mündels, als dadurch, daß ihm die amtliche Sorge für diesen zukommt. Der in den Angelegenheiten einer juristischen

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Person zuständige Mensch ist nicht ein solcher Ersatzmann, aber ein Vertreter sowohl jener Angelegenheiten als der an ihnen be­ teiligten Menschen durch die ihm für sie zukommende amtliche Sorge. Gleich den Angelegenheiten ist das Vermögen des Gemein­ wesens allen an ihm beteiligten Menschen gemeinsam nicht als ein solches, worüber sie Macht haben, aber als ein solches, das um ihretwillen besteht. Von ihm unterscheidet sich ein Gesellschafts­ vermögen dadurch, daß es den Gesellschaftern gemeinsam ist nicht nur als ein solches, das um ihretwillen besteht, sondern auch als ein solches, worüber sie Macht haben. Es dient den von ihren sonstigen Bedürfnissen verschiedenen Bedürfnissen, die ihnen in ihrer Eigenschaft als Gesellschafter gemeinsam sind. Es dient jenen Bedürfnissen kraft ihrer eigenen widerruflichen Bestimmung, die aber als eine durch sie vereinbarte so lange rechtlich maßgebend ist, als sie nicht durch Auflösung der Gesellschaft wieder erloschen ist. Sie ist maßgebend sowohl im gegenseitigen Verhältnisse der Gesellschafter als im Verhältnisse zu Dritten, und zwar so, daß dadurch die Gesellschaft sowohl jenen als diesen gleich einer eigenen Person gegenübersteht. Nicht schuldet der zu 1U an ihr Beteiligte seinen Beitrag den drei übrigen gleichfalls zu 1U an ihr Beteiligten je zu 1U und zu 1U überhaupt nicht. Er schuldet vielmehr dessen volle Überführung in das Gesellschaftsvermögen, wie ihm voll ge­ schuldet wird, was ihm aus diesem gebührt. Ebenso haftet dieses als ein eigenes Vermögen den dritten Gesellschaftsgläubigern. Wenn in den Fällen, wo diese Haftung nur in Verbindung mit einer persönlichen Haftung möglich ist, keine juristische Person im Sinne des BGB. existiert, so tritt doch auch hier die Gesell­ schaft insbesondere ihren eigenen Mitgliedern gleich einer eigenen Person gegenüber. Wie für den einzelnen Gesellschafter, gegen den sie besteht, eine Forderung, „die zum Gesellschaftsvermögen ge­ hört", als eine ihm gegenüber bestehende fremde Forderung gilt, so bedeutet für ihn eine Leistung, die ihm aus dem Gesellschafts­ vermögen gebührt, eine ihm gegenüber bestehende fremde Verbindlich­ keit. Die Gesellschaft ist das Subjekt dieser Forderung und Ver­ bindlichkeit als das Subjekt des Gesellschaftsvermögens, das ein eigenes Vermögen dadurch ist, daß wir den verschiedenen An22*

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gelegenheiten der verschiedenen Gesellschafter die eine ihnen als solchen gemeinsame Angelegenheit ebenso entgegensetzen, wie wenn sie nicht ihre Angelegenheit, sondern die einzige Angelegenheit eines von ihnen verschiedenen Menschen und das zur Verwendung für sie bestimmte Vermögen dessen Vermögen wäre. Es scheint dadurch von den verschiedenen Bedürfnissen, die der Mensch hat, eines, weil er es in Gemeinschaft mit andren zu befriedigen trachtet, aus dem Inbegriffe seiner Bedürfnisse ausgeschieden und zum Bedürfnisse einer eigenen Person ge­ worden zu sein, die kein anderes Bedürfnis hat. Diese Vor­ stellung gibt dem Sachverhalt eine greifbare Gestalt, die aber seine wirkliche Beschaffenheit nicht sowohl offenbart als verdeckt. Zu­ gleich ist sie ein technisches Hilfsmittel, um Rechtsverhältnisse, in denen nicht, wie es die Regel der Privatrechtsverhältnisse ist, der eine Mensch als solcher dem anderen gegenübersteht, unter Bestimmungen subsumieren zu können, die zunächst auf diesen Fall berechnet und unmittelbar nur auf ihn anwendbar sind. Diesen Wert hat die Behandlung des Amtsvermögens, wie wenn es das Vermögen eines von jedem wirklich existierenden Menschen verschiedenen und durch die Amtsträger vertretenen Menschen wäre. Ihn hat auch die Behandlung des Gesellschaftsvermögens, wie wenn es das Vermögen eines von den Gesellschaftern verschiedenen Menschen wäre. Das eine wie das andere Vermögen hat zu seinen wirk­ lichen Subjekten wirkliche Menschen. Es ist im ersten Falle deren amtliches, im zweiten Falle deren privates, aber vermöge ihrer Vereinbarung ihnen zum Gesellschaftszwecke gemeinsames Vermögen. Die Verbindlichkeiten, die sie als Amtsträger oder Gesellschafter wahrzunehmen haben, sind ihre Verbindlichkeiten, und zwar im ersten Falle amtliche, im zweiten Falle private Verbindlichkeiten, die ihnen gemeinsam sind und für die sie nicht schon nach dem Begriffe der Gesellschaft, aber unter Umständen kraft gesetzlicher, ihre Haftung beschränkender Bestimmung ausschließlich gemeinsam mit dem ihnen gemeinsamen Vermögen haften. So ist die juristische Person weder eine selbständige Person, wie der Mensch als Subjekt rechtswirksamer Betätigung seines Willens, noch eine unselbständige, wie der Mensch als Objekt recht­ licher ihm um seiner selbst willen zuteil werdender Fürsorge. Sie

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ist ein Rechtsverhältnis, und zwar teils ein Amts­ verhältnis, teils ein Gemeinschaftsverhältnis. An jedem Rechte und jeder Verbindlichkeit, die wir einem bestimmten Amte oder einer bestimmten Gemeinschaft zuschreiben, sind be­ stimmte Menschen beteiligt nach Maßgabe ihrer Beteiligung an dem Amte oder der Gemeinschaft. Dasselbe gilt von anderen Dingen, die wir von dem Amte und der Gemeinschaft aussagen. Schreiben wir ihnen gleich Menschen eine bestimmte Ehre zu, so ist die Ehre des Amtes eine Ehre, die seinem Träger als solchem zu­ kommt, und die Ehre der Gemeinschaft eine Ehre, die den an ihr teilnehmenden Menschen als solchen zukommt. Jeder Mensch ist an der Ehre des bestimmten Amtes oder der bestimmten Gemein­ schaft in demselben Verhältnisse beteiligt wie an dem Amte und der Gemeinschaft selbst. Die Frage nach der Ehre eines bestimmten Amtes oder Berufes und einer bestimmten Gemeinschaft fällt in keiner Weise zusammen mit der Frage nach ihrer sogenannten Privatrechtsfähigkeit. Die Mitglieder eines Vereines können in ihrer spezifischen Eigenschaft als dessen Mitglieder beleidigt werden unabhängig davon, ob er ein rechtsfähiger Verein ist, und ebenso kann eine bestimmte Gruppe von Menschen als solche beleidigt werden, ohne rechtlich organisiert zu sein. Die Bedeutung des Amtes und der Gemeinschaft geht weit hinaus über ihre Bedeutung als einer juristischen Person. Wenn man zu fragen pflegt, ob der Begriff der juristischen Person nur dem Privatrechte oder auch dem öffentlichen Rechte angehört, so gehört der Begriff des Amtes überhaupt nicht dem Privatrechte an, und eine Fiktion enthält nicht nur seine Behandlung als einer durch den Amtsträger ver­ tretenen Person, sondern auch die ganze Behandlung amtlicher Zuständigkeiten und Obliegenheiten als privater. Der Begriff der Gemeinschaft gehört auch, aber keineswegs ausschließlich, dem Privatrechte an. Sind die juristischen Personen personifizierte Ämter und Gemeinschaften, so beruht der Begriff der juristischen Person auf der Behandlung dieser, wie wenn sie Personen wären. Sie sind nicht sowohl Rechtssubjekte als Rechtsverhältnisse, mit denen andere Rechtsverhältnisse in der Weise verbunden sind, daß sich aus jenen ergibt, wem die Rechte und Verbindlichkeiten zu­ kommen, die den Inhalt dieser bilden.

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Ist eine wirkliche Person nur der Mensch, und zwar teils eine selbständige, teils eine unselbständige, so fragt sich, ob die Personifikation von Ämtern und Gemeinschaften ihre Behandlung als selbständiger oder als unselbständiger Personen bedeutet. Soferne wir sie personifizieren als solche, die das Verhalten ihrer Vertreter bestimmen, behandeln wir sie als Subjekte eines eigenen Willens, die aber ihn nicht selbst realisieren können, sondern für seine Realisierung auf menschliches Verhalten angewiesen sind, wie sie auch auf dieses angewiesen sind für ihre Willensbildung. So unterscheiden wir das Staatsgesetz vom Willen der am Staate beteiligten Menschen, obgleich es sich durch ihn bestimmt und seine Bedeutung darin aufgeht, für ihn bestimmend zu sein. Wenn wir dagegen Ämter und Gemeinschaften personifizieren als solche, denen zukommt, was den an ihnen beteiligten Menschen zukommt, so rechnen wir mit der Zuständigkeit dieser auch deren Ausübung durch diese dem Amte oder der Gemeinschaft selbst zu. Wir be­ trachten sie also als Subjekte eigener durch eigene Tat realisier­ barer Rechte und Pflichten. Aber wir betrachten sie als solche nur dadurch, daß wir, wie die Rechte und Pflichten, so die Hand­ lungen ihrer Vertreter ihnen selbst zurechnen. Als solche, die nur durch die Handlungen ihrer Vertreter handeln können, erscheinen sie, sobald wir sie von diesen unterscheiden, als unselbständige Personen, deren gesetzliche Vertreter diese sind. Run sind in der Tat, wie wir gesehen haben, die Träger eines Amtes Vertreter der Menschen, um deren willen es besteht. Die Angelegenheiten ihres Amtes sind gemeinsame Angelegenheiten dieser, aber nicht als solcher, denen deren eigene Wahrnehmung zukommt, sondern als solcher, deren Vertretung in jenen Angelegenheiten den Trägern des Amtes zukommt. Deren Behandlung als der Vertreter einer neben den Menschen, um deren willen das Amt besteht, eristierenden Person bedeutet daher die Behandlung der diesen Menschen ge­ meinsamen Angelegenheiten des bestimmten Amtes, wie wenn sie die einzigen Angelegenheiten eines von ihnen verschiedenen durch die Träger des Amtes vertretenen Menschen wären. Die Gemeinschaft der Menschen, um deren willen das Amt existiert, ist eine passive oder eine Gemeinschaft unselbständiger Per­ sonen. Das Amtsvermögen ist ein ihnen gemeinsames Vermögen in

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demselben Sinne wie das Mündelvermögen ein Vermögen des Mündels. Die Gemeinschaft der Gesellschafter und Vereinsmitglieder, wie aller Mitglieder eines Kollegiums, ist eine aktive oder eine Gemein­ schaft selbständiger Personen. Soweit sie besteht um eines anderen Zweckes als der Förderung ihres Lebens willen, wie für die Mit­ glieder eines altruistischen Vereines oder sonstigen Kollegiums, ist sie eine Amtsgemeinschaft. Soweit sie besteht um einer bestimmten gemeinsamen Förderung ihres Lebens willen, ist sie eine private Gemeinschaft. Wie aber der Amtsträger als Vertreter der Amts­ interessen sich selbst gegenübersteht als einem Subjekte privater Interessen, so steht durch die Identität des ihnen gemeinsamen Gesellschaftsinteresses und die Verschiedenheit ihrer sonstigen Interessen die Gesamtheit der Gesellschafter jedem einzelnen Ge­ sellschafter gegenüber. Ich kann mir selbst rechtlich gegenüberstehen in meiner Eigen­ schaft als Vertreter eines anderen, und ich stehe in meiner Eigen­ schaft als Gesellschaftsmitglied und Teilhaber am Gesellschafts­ interesse mir selbst gegenüber als einem Subjekt anderer Interessen. Jenes wird behandelt, wie wenn es das einzige Interesse einer von den Gesellschaftern verschiedenen und durch sie vertretenen Person wäre. Und als ein solches wird es auch Dritten gegenüber behandelt, wenn diese wegen der Forderungen, die sie gegen die Gesellschaft oder gegen uns als die Mitglieder derselben haben, sich nur an das Gesellschaftsvermögen oder das uns in unserer Eigenschaft als Gesellschafter gemeinsame Vermögen halten können. Auf Gemeinschaft geht auch das Amt zurück. Es besteht nicht nur eine passive Gemeinschaft der Menschen, um deren willen es besteht, sondern auch eine Gemeinschaft jener und seiner Träger. Jene sind für diese von Rechts wegen Objekte sowohl ihrer Fürsorge als ihrer Gewalt oder Herrschaft. Jede rechtliche Macht, die nicht nur um ihres Subjektes willen, sondern sei es, wie die Macht des Vormundes über den Mündel, ausschließlich um ihres Ob­ jektes willen oder, wie die Macht der Eltern über die Kinder und des Btonarchen über die Untertanen, sowohl um ihres Objektes als um ihres Subjektes willen besteht, bedeutet eine Gemeinschaft beider. Sie bedeutet eine Wechselwirkung ihres beiderseitigen Lebens und Verhaltens und ein Verhältnis gegenseitigen Dienstes.

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Von Rechts wegen ist das Wohl des Beherrschten bestimmend für das Verhalten seines Herrn oder Gewalthabers und dessen Wille und Wohl (vgl. S. 76) bestimmend für das Verhalten des seiner Gewalt Unterworfenen. Jeder steht, wenn auch in einem ver­ schiedenen Sinne, im Dienste des anderen. Die ganze Existenz und Verfassung des Genleinwesens bedeutet die Existenz einer Ge­ meinschaft, deren Teilnehmern die Eigenschaft zukommt, teils im einen, teils im anderen Sinne einander dienstbar zu sein. Dazu kommt aber, sobald das Gemeinwesen nicht eine kein Privatrecht kennende Despotie ist, die Existenz eines solchen Lebensgebietes der Einzelnen, worauf sich jene gegenseitige Dienstbarkeit nicht er­ streckt, so daß innerhalb desselben den Subjekten der öffentlichen Gewalt Fürsorge für die Untertanen und Herrschaft über sie nicht zukommt. Wie weit dieses Gebiet oder das Gebiet des Privat­ rechtes reicht, ergibt sich nicht aus seiner eigenen Regelung, sondern aus dem öffentlichen Recht als einem solchen, dem das Privat­ recht untergeordnet ist und das zu diesem in denk doppelten Ver­ hältnisse steht, es zu beschränken und dadurch zu ergänzen, daß es die Gewalt der Staatsorgane in den Dienst seiner Realisierung stellt. Als Untertan ist der Staatsangehörige eine unselbständige Person, wogegen er eine selbständige Person ist in der doppelten Eigenschaft, Privatrechtssubjekt und Amtsträger oder Staatsorgan im weitesten Sinne zu sein. Diese Eigenschaft hat er, sobald ihm von Staats wegen ein gewisses Handeln zukommt, das dadurch, welches auch seine Bedeutung sei, zu einer Staatsangelegenheit erhoben ist. An staatlicher Gewalt oder Herrschaft ist er aber da­ durch nur dann beteiligt, wenn ihm eine Entscheidung (oder Teil­ nahme an einer solchen) zukommt, der die Untertanen oder be­ stimmte Untertanen sich zu fügen haben. Das ihm zukommende Handeln kann diese Bedeutung haben. Es kann ohne recht­ liche Bedeutung sein als Akt einer solchen Fürsorge, die sich anzueignen oder nicht anzueignen jedem freisteht. Und es kann lediglich privatrechtliche Bedeutung haben. Wo uns der Staat als juristische Person entgegentritt, da haben bestimmte Menschen eine bestimmte Zuständigkeit von Staats wegen, deren Bedeutung eine privatrechtliche oder eine solche ist, für die abgesehen von der Frage, welchen Menschen das bestimmte Verhalten zukommt, die­

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selben Bestimmungen gelten, wie wenn diese Menschen nicht eigene amtliche, sondern private Rechte und Verbindlichkeiten eines ihrer eigenen Wahrnehmung nicht fähigen und durch sie vertretenen Menschen wahrzunehmen hätten. Jeder Träger eines Staatsamtes ist innerhalb seiner Zuständigkeit ein Vertreter des einen Staates. Ist aber das bestimmte Amt eine eigene juristische Person, so daß seine Träger als Vertreter dieser den Trägern anderer Ämter gegenüberstehen, so stehen bezüglich solcher Rechtsbeziehungen, für die Privatrecht gilt, die Angelegen­ heiten des bestimmten Amtes, die Angelegenheiten anderer Ämter, die gleichfalls juristische Personen sind, die allgemeinen Staats­ angelegenheiten und die Angelegenheiten bestimmter Menschen in demselben Verhältnisse zu einander wie die privaten Angelegen­ heiten verschiedener Menschen. Träger eines Amtes und damit Vertreter solcher Interessen des Gemeinwesens, die durch ihre be­ sondere Vertretung sowohl dessen allgemeinen Interessen als den privaten Interessen seiner Angehörigen selbständig gegenüberstehen, sind, wie wir gesehen haben, auch die Mitglieder eines altruistischen Vereins und die Verwalter einer Stiftung. Sie unterscheiden sich aber nicht nur von anderen Organen des Gemeinwesens, sondern auch von den durch dieses bestimmten Menschen ge­ gebenen gesetzlichen Vertretern dadurch, daß die Objekte ihrer Fürsorge nicht zugleich Objekte ihrer Gewalt oder Herrschaft sind. Damit hängt es zusammen, daß die Staatsorgane und die gesetz­ lichen Vertreter bestimmter Menschen, aber nicht die altruistischen Vereine und die Verwalter von Stiftungen für die Menschen, um deren willen sie existieren, sorgen auf deren eigene Kosten. Der gesetzliche Vertreter eines Menschen hat zum Zweck der ihm zu­ kommenden Sorge für diesen Verfügung über dessen Person und Vermögen. Ebenso kommt den Organen des Staates zum Zwecke ihrer Fürsorge für seine Angehörigen Gewalt über sie und ihr Vermögen zu. Diese kommt ihnen aber nicht zu, soweit sie Ver­ treter des Staates als eines Privatrechtssubjektes sind, und Menschen, denen sowohl diese Eigenschaft als staatliche Herrschaft zukommt, stehen den Objekten ihrer staatlichen Herrschaft nicht als Subjekte derselben gegenüber, soweit ihre Zuständigkeit sich auf die Ver­ tretung des Staates als eines nominellen Privatrechtssubjektes

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bezieht. Die Träger desselben Amtes können denselben Menschen in Beziehung auf Leistungen desselben Inhaltes, die sie von diesen zu bekommen oder diesen zu machen haben, gegenüberstehen das eine Mal als Träger staatlicher sich selbst durchsetzender Gewalt und staatlicher nur durch die Gewissenhaftigkeit ihrer Subjekte bezüglich ihrer Erfüllung gewährleisteter Pflicht, das andere Mal als Vertreter eines für die Durchsetzung seiner Forderungen aus die gerichtliche Belangung seines Schuldners angewiesenen und wegen seiner Verbindlichkeiten gerichtlicher Belangung und eventuell Zwangsvollstreckung ausgesetzten Privatrechtssubjektes. Den Verwaltern einer öffentlichen Anstalt kann ausschließlich Verwaltung oder auch obrigkeitliche Gewalt über die Objekte ihrer Fürsorge zukommen. Solche obrigkeitliche Gewalt z. B. über die In­ sassen eines aus den Mitteln der Stiftung unterhaltenen Armen­ hauses, Krankenhauses u. bergt, kann der Staat aber auch den Ver­ waltern einer aus privater Initiative hervorgegangenen Stiftung übertragen, so daß ihr Verwalter nicht ein bloßer Vertreter ihres nominellen Privatrechtssubjektes, sondern auch ein Träger staatlicher Herrschaft ist. Ebenso kann staatliche Gewalt sowohl einem alt­ ruistischen Verein als einer Gesellschaft übertragen sein, wie sie ja auch mit einem anderen Privatrechtsverhältnisse, z. B. dem Eigentum an einem bestimmten Grundstück, verbunden sein kann. Mit der Stiftung hat der altruistische Verein gemein, daß die Verfolgung seines Zweckes nicht auf Kosten der Menschen erfolgt, deren Leben er zu fördern bezweckt. Er teilt mit der Gesellschaft die Eigenschaft, grundsätzlich seinem Zwecke zu dienen auf Kosten seiner Mitglieder, was er tut, weil diese nicht nur ihre Tätigkeit, sondern auch ihr Vermögen bis zu dem Betrage, zu dem sie nach seiner Verfassung zu Beiträgen verpflichtet sind, in den Dienst seines Zweckes gestellt haben, während für die Gesellschaft ihre Eigenschaft, auf Kosten ihrer Mitglieder zu existieren, daraus folgt, daß sie sowohl durch diese als um dieser willen existiert. Vereine und Gesellschaften können auch Zuwendungen durch Dritte erhalten, was aber für sie wie für die einzelnen Menschen ein günstiger Zufall ist, wogegen für die Stiftung die Zuwendung durch andere sich für ihren Zweck interessierende Menschen auf der­ selben Stufe steht, wie die Zuwendung durch den Stifter, dem

Die Personifikation.

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als solchem ebenso wenig wie jenen die Verwaltung und Ver­ wendung des der Stiftung durch ihn Zugewendeten zukommt. Wie eine durch den Staat gegründete Anstalt einer Stiftung gehören kann, weil ihre Verwalter auf die Mittel angewiesen sind, die dieser bei ihrer Gründung zugewendet wurden und später durch den Staat oder Dritte zugewendet werden, so kann sie auch einem Verein gehören, dessen Mitgliedern die Aufbringung der zu ihren Zwecken erforderlichen Mittel obliegt, wie dies bei den Berufs­ genossenschaften der Fall ist. So entnimmt wesentlich die pe­ kuniären Mittel zur Erreichung seiner Zwecke das Gemeinwesen den Beiträgen der Menschen, um deren willen es existiert und die zugleich ihm untertan sind, dagegen der Verein den Beiträgen der Menschen, die ihn miteinander bilden, und die Stiftung der Zu­ wendung Dritter. Das ist es auch, was namentlich im Gegen­ satze zur Universität, die nur zum kleinsten Teile aus Beiträgen ihrer Angehörigen unterhalten wird, der Gemeinde den Charakter eines eigenen wenngleich dem umfassenden Gemeinwesen des Staates eingegliederten Gemeinwesens gibt, daß ihre Bedürfnisse wesentlich bestritten werden durch die Beiträge ihrer Angehörigen als solcher, die für sie und ihre Organe Objekte nicht nur der Fürsorge, sondern auch der Herrschaft und damit insbesondere der Heranziehung zu den Kosten der Gemeindeverwaltung sind. Je mehr die pekuniären Mittel, mit denen ein Verein seinem Zwecke dient, nicht sowohl durch die verfassungsmäßigen Beiträge seiner Mitglieder als durch freiwillige Zuwendungen zusammengebracht sind, desto mehr hat er den Charakter eines eine Stiftung verwaltenden Kollegiums. Eine ganz eigenartige juristische Person ist die Reichsbank. Sie ist zum Teil, aber nur zum Teil, eine Aktiengesellschaft, da an ihr neben Aktionären das Reich in andrer Weise beteilgt ist. Sie ist von Reichs wegen privilegiert durch das ihr zuerkannte Recht der Notenausgabe. Das Reich ist aber auch an ihrem Ver­ mögen beteiligt, so daß dieses ein Vermögen teils der Aktionäre, teils des Reiches ist, wie auch die ganze Gesellschaft nicht nur um der Aktionäre, sondern zugleich um des Reiches willen existiert. Und während sonst der Geschäftsführer einer Gesell­ schaft ein Bevollmächtigter und Beauftragter der Gesellschafter ist, so steht die Führung der dem Reiche und den Aktionären

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gemeinsamen Geschäfte der Reichsbank von Amts wegen Organen des Reiches zu. Wenn nach dem BGB. der durch den Willen der Vereins­ mitglieder existierende Vorstand eines rechtsfähigen Vereines Dritten gegenüber die Stellung eines gesetzlichen Vertreters hat, so kommt hier die Führung der Geschäfte solchen Menschen zu, auf deren Bestellung die Aktionäre keinen Einfluß haben. Das Unternehmen ist diesen und dem Reiche gemeinsam; die Geschäftsführung und Vertretung kommt aber ausschließlich den von Reichs wegen dazu bestellten Menschen zu, die mithin als solche, die durch ihre Geschäftsführung das Interesse der Aktionäre wahrnehmen, in der Tat deren gesetzliche oder unabhängig von ihrem Willen existierende Vertreter sind. Es handelt sich also um eine Gesellschaft, an der das Reich und die Aktionäre in der verschiedenen Weise teilnehmen, daß an ihrem Vermögen jedem Teile eine bestimmte Beteiligung zukommt, daß der Beitrag des Reiches in etwas anderem besteht als die Beiträge der Aktionäre, und daß die Geschäftsführung ausschließlich jenem als dem unabsetzbaren und durch seine Beamten vertretenen geschäftsführenden Gesellschafter zukommt. Wir haben es mit einer Gesellschaft zu tun, die im Gegensatze zu anderen Gesell­ schaften dadurch dem öffentlichen Rechte angehört, daß ihre Be­ sonderheit auf der Eigenschaft des einen Gesellschafters beruht, das deutsche Reich zu sein. Was bei anderen Gesellschaften und Vereinen möglich ist, daß sie juristische Personen zu Mitgliedern haben, das ist dieser Gesellschaft wesentlich als einer solchen, deren geschäftsführender Gesellschafter das Reich, deren Geschäftsführung daher notwendig eine amtliche und von Reichs wegen geführte ist.

4. Das Rechtsgebiet der juristischen Personen. Fragen wir, welche Rechte und Verbindlichkeiten nominell juristischen Personen und dadurch den Menschen zukommen können, die als deren Vertreter gelten, so pflegt man zu unter­ scheiden zwischen vermögensrechtlichen Verhältnissen, in denen sie stehen können, und familienrechtlichen, in denen sie nicht stehen können. Was diese angeht, so versteht sich ihre Unmöglichkeit von selbst für die Stellungen eines Ehegatten, eines Vaters, einer Mutter und eines Kindes. Kann doch ein Mensch diese Stellungen

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nur haben durch seine individuelle Beziehung zum bestimmten anderen Menschen als seinem Ehegatten, Kinde usw. und nicht dadurch, daß er in einer bestimmten anderen Beziehung steht, auf deren Dauer. Zwar kennt das BGB. bezüglich der elterlichen Gewalt eine Aus­ übung derselben durch einen von ihrem nominellen Subjekte ver­ schiedenen Menschen. Gleich jener beruht aber diese auf einer individuellen Beziehung des bestimmten Menschen zum Objekte der Gewalt. Die, sei es von Rechts wegen ruhende, oder auch nur durch die tatsächliche Unmöglichkeit ihrer Ausübung gehemmte Ge­ walt des Vaters ist eine interimistisch nicht existierende. Steht ihre Ausübung der Mutter zu, so existiert eine interimistische Ge­ walt dieser, die ihr nicht zukommt durch ihr Verhältnis zum Vater, sondern durch ihr Verhältnis zum Kinde. Anders als mit der elterlichen Gewalt steht es aber mit der Vormundschaft und Pfleg­ schaft. Diese besteht im Gegensatze zu jener ausschließlich um ihres Objektes willen und beruht nicht auf einer Beziehung ihres Subjektes zu jenem, begründet vielmehr erst eine solche. Wie der Vormund und Pfleger als ein durch das Gemeinwesen bestellter ein Organ desselben ist, so ist es sehr wohl denkbar, daß diese Stellung dem Träger eines bestimmten Staats- oder Gemeinde­ amtes als solchem zukommt. Dasselbe gilt von anderen amtlichen Stellungen. Ist doch, wenn sie nominell einer juristischen Person zukommen, der Unterschied der nominellen und der wirklich existierenden Zuständigkeit kleiner, als wenn jene eine private ist, da die nominell private Zuständigkeit des Gemeinwesens oder Amtes eine amtliche Zuständigkeit der Menschen ist, denen das Amt zukommt. Daher kommt es auch für die Frage, ob ein bestimmtes Verhalten der­ selben Bedeutung hat für das Gemeinwesen als ein durch sie ver­ tretenes, stets darauf an, ob jenes Verhalten ein amtliches war. Fordern sie einen Schuldner des Gemeinwesens auf, seine Schuld zu bezahlen, so hängt die Eigenschaft dieser Aufforderung als einer rechtsgültigen Mahnung davon ab, daß sie eine amtliche war. Man hat die Frage aufgeworfen, ob Erklärungen juristischer Per­ sonen auch stillschweigend erfolgen können. Gewiß ist dies mög­ lich, aber nur dann, wenn dieses Stillschweigen eine solche amt­ liche Unterlassung ihrer zuständigen Organe ist, daß sie nach Lage der Sache amtliche Zustimmung bedeutet.

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Wie steht es mit dem Besitze juristischer Personen? Nach Kipp (Windscheids Lb. des Pand. R. I 8. Aufl. S. 692) „ist es für zweifellos zu halten, daß die Sachen, welche im Vermögenskomplex einer juristischen Person sich tatsächlich befinden, von ihr unmittelbar besessen werden; auch die obersten Organe der juristischen Person, welche die tatsächliche Gewalt für dieselbe aus­ üben, sind dann nur als Besitzgehülfen anzusehen". Als Be­ stätigung dafür erwähnt Kipp, daß § 983 BGB. vom Besitze einer Behörde „offenbar im Sinne des unmittelbaren Besitzes" spreche. Doch ist eine „Behörde" als solche nicht eine juristische Person, wie auch § 981 BGB. den Fiskus und die Gemeinde von den Reichs-, Landes- und Gemeindebehörden unterscheidet. Ganz unmöglich ist aber Kipps Gleichstellung der obersten Organe der juristischen Person mit einem Hausknecht. Wessen Weisungen sollen sie so Folge zu leisten haben, daß nur der andere Besitzer ist? (§ 855 BGB.). „Daß die Sachen, über die sie verfügen, nicht als Gegenstände ihrer eigenen Herrschaft gelten, beruht nicht darauf, daß sie bezüglich derselben keine Machtvollkommenheit hätten, sondern darauf, daß diese Machtvollkommenheit eine amt­ liche ist, die ihnen nicht als Privatrechtssubjekten, sondern durch die ihnen zustehende und obliegende Wahrnehmung der Angelegenheiten der juristischen Person zukommt." (Meine Besprechung des Kipp­ schen Buches in der kr. Vjschr. f. R.W. 45 S. 237.) Ebenso ist der Besitz, den der Vormund als solcher hat, ein amtlicher, der dem Mündel als sein Besitz angerechnet wird, während dieser, so­ lange die Vormundschaft besteht, dem Vormunde weder als mittel­ barer Besitzer, noch vollends als ein solcher gegenübersteht, dessen Weisungen der Vormund Folge zu leisten hätte. Der Besitz der juristischen Person ist amtlicher Besitz ihrer Organe. Nach ge­ meinem Rechte hätten diese stets als bloße Detentoren zu gelten, weil sie nicht den animus rem sibi habendi haben. Nach dem BGB. ist es, solange der amtliche Besitz des bestimmten Menschen besteht, gleichgültig, ob er diesen geltend macht als den seinigen oder als Besitz der durch ihn vertretenen juristischen Person. Immer aber ist sein Besitz bloßer Verwaltungsbesitz mit oder ohne Nutz­ besitz und gilt als Eigenbesitzer die juristische Person. Und sein Besitz erlischt durch den Wegfall seiner amtlichen Stellung insoweit.

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als er ausschließlich ein amtlicher war. Würde er das Amtslokal nicht verlassen, so würde ihn sein Amtsnachfolger als nun­ mehriger Besitzer hinauswerfen können. Würde er bei seinem Abzüge Gegenstände des bisher ihm und nun seinem Nachfolger zustehenden amtlichen Besitzes mitnehmen wollen, so würde dieser ihre Weg­ nahme nicht dulden müssen. Hat aber ein Amtsträger einen Gegenstand, dessen Besitz ihm von Amts wegen zukommt, in seine private Verwahrung genommen, wofür das Hauptkennzeichen ihre Aufbewahrung in Räumen ist, über die . er nicht nur kraft seines Amtes gebietet, so ist dieser Besitz dadurch, daß er nicht mehr Träger des Amtes ist, nicht erloschen, aber ein solcher geworden, dem ein mittelbarer Besitz gegenübersteht, der ein solcher des Genleinwesens oder Amtes, aber auch, sobald dieses wieder einen Träger hat, seines nunmehrigen Trägers ist. Dessen Besitz verhält sich zum Besitz des Gemeinwesens oder Amtes nicht als eine un­ selbständige Jnhabung, ist vielmehr von diesem, wie jede Macht des Amtsträgers von der Macht des Amtes, nur insofern ver­ schieden, als die Einheit und Identität dieser nicht berührt wird da­ durch, daß sie verschiedenen Menschen miteinander und nacheinander zukommt, wie sie auch während der Zeit, zu der sie keinem Menschen zukommt, als bestehend gilt, wenn sie nach erfolgter Wiederbesetzung des Amtes seinem Träger zukommen wird. So gelten die Räume, die ein Gegenstand amtlicher Herrschaft sind, nebst den in ihnen befindlichen Sachen als solche, die ein Gegenstand derselben auch zu der Zeit waren, zu der ein Mensch, dem sie zukam, nicht existierte. Wie für Rechtsgeschäfte, so hängt für die Wirkungen sonstigen menschlichen Verhaltens die Frage, ob sie für die juristische Person eintreten, ab von der Eigenschaft des bestimmten Verhaltens als eines amtlichen. So entsteht nicht nur ein Urheberrecht der juristischen Person an amtlichen Schriften, sondern auch Eigentum derselben durch amtliche Umarbeitung von Sachen. Ob dieses Kennzeichen zutrifft, kann im einzelnen Falle sehr zweifelhaft sein. Der Begriff des amtlichen Verhaltens hat aber für die Eigenschaft seiner Wirkung, das Amtsvermögen zu berühren, die gleiche Be­ deutung, wie nach § 718 BGB. der Begriff der „Geschäfts­ führung für die Gesellschaft" für die Eigenschaft ihrer Wirkung, das Gesellschaftsvermögen zu berühren, wobei int einzelnen Falle

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wesentlich sein kann, daß dieses Kriterium nicht nur überhaupt, sondern als ein der anderen Partei erkennbares zutraf. Damit hängt zusammen § 31 BGB., wonach in Verbindung mit § 86 und 89 jede juristische Person verantwortlich ist für die zum Schadensersätze verpflichtende Handlung, die ein verfassungs­ mäßig berufener Vertreter derselben begangen hat „in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen". Es ist damit gemeint ein Mensch, der gehandelt hat in Angelegenheiten seines Amtes. Dieselbe Haftung ist anzunehmen für ein Gesellschaftsvermögen wegen eines zum Schadensersätze verpflichtenden Verhaltens eines geschäftsführenden Gesellschafters in Angelegenheiten der Ge­ sellschaft. Sie unterscheidet sich von rechtsfähigen Vereinen $u ihren Ungunsten dadurch, daß es nicht Gesellschaftsverbindlichkeiten geben kann, die niemands persönliche Verbindlichkeiten sind; eS besteht aber kein Grund dafür, daß sie von solchen zu ihren Gunsten sich unterscheiden sollte durch den Ausschluß der Haftung des Gesellschaftsvermögens für das zum Schadensersätze ver­ pflichtende Verhalten in ihren Angelegenheiten. Sehr mit Unrecht sieht man in der Verantwortlichkeit der juristischen Person für das Verhalten ihrer verfassungsmäßigen Vertreter einen Beweis dafür, daß deren durch ihr amtliches Verhalten begangenes Delikt ein eigenes Delikt der juristischen Person sei. Es ist vielmehr ein Delikt, wie gegen den dadurch geschädigten Dritten, so auch gegen die Menschen, deren Leben zu förde;n das bestimmte Amt bezweckt, und gegen das Amt selbst, von dessen Macht dadurch ein der Amtspflicht zuwider laufender Gebrauch gemacht worden ist, der überhaupt nicht gemacht werden könnte, wenn der Amtsträger lediglich das Organ des durch ihn handelnden Gemeinwesens oder Amtes wäre, wogegen sein amtliches Handeln zwar bestimmt ist, die Angelegenheiten des Gemeinwesens und des Amtes zu fördern, sie aber sowohl wegen seiner mangelnden Pflichttreue als wegen seiner Unfähigkeit ebenso gut vielmehr schädigen kann.

VI. Schluß Wir können im Ganzen das Privatrecht bezeichnen als ein Gebiet des individuellen Fürsichseins, das öffentliche Recht als ein Gebiet des Füreinanderseins der Menschen. Beide können nur dadurch zusammen bestehen, daß jenes diesem untergeordnet ist. Zeitlich ist aber ihr Verhältnis das umgekehrte. Mommsen sagt (Abriß des röm. Staatsrechts