Insolvenzverwaltung: Juristische Personen, Personengesellschaften und Vereine [2 ed.] 9783814558721

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Insolvenzverwaltung: Juristische Personen, Personengesellschaften und Vereine [2 ed.]
 9783814558721

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Wipperfürth Insolvenzverwaltung

Kanzleipraxis 6

Insolvenzverwaltung Juristische Personen, Personengesellschaften und Vereine 2. Auflage

von Sylvia Wipperfürth

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG ˜ Köln

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2022 RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG Postfach 27 01 25, 50508 Köln E-Mail: [email protected], Internet: http://www.rws-verlag.de Das vorliegende Werk ist in all seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das Recht der Übersetzung, des Vortrags, der Reproduktion, der Vervielfältigung auf fotomechanischem oder anderen Wegen und der Speicherung in elektronischen Medien. Satz und Datenverarbeitung: SEUME Publishing Services GmbH, Erfurt Druck und Verarbeitung: Hundt Druck GmbH, Köln

Vorwort zur 2. Auflage Die zweite Auflage wird den Schwerpunkt dieses Werkes, im praktischen Alltag einen gelungenen Zugang zur Rechtsmaterie zu finden, beibehalten und die aktuellen Tendenzen in Literatur, Rechtsprechung und Gesetzgebung berücksichtigen. Unter anderem fließen auch die Auswirkungen des COVInsAG und des SanInsFoG ein, die an der einen oder anderen Stelle für durchaus gewichtige Änderungen sorgen. Thematisiert werden u. a. die Herausforderungen, die sich aus der vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht, die der COVID-19-Pandemie und deren wirtschaftlichen Folgen geschuldet ist, ergeben. Ebenso wird die Haftung des Geschäftsleiters nach § 15b InsO n. F. diskutiert, eine Vorschrift, die die Prüfung der Haftungstatbestandsmerkmale in ein anderes Licht rückt, als dies bislang (z. B. gem. § 64 GmbHG a. F.) der Fall war. Der Stand der Rechtsprechung und Gesetzgebung wird bis Dezember 2021 aktuell abgebildet. Der Fokus auf die Berufspraxis wird hierbei nach wie vor in gewohnter Weise beibehalten werden. Die Autorin wünscht allen Leserinnen und Lesern eine gewinnbringende Lektüre und lädt ein, Anregungen, Kritik und Erfahrungswerte gerne zu teilen.

Alsdorf, im Dezember 2021

Sylvia Wipperfürth

V

Vorwort zur 1. Auflage Die Abwicklung von Unternehmensinsolvenzen ist neben dem Bereich der Privatinsolvenzverfahren der zweite große Bereich im Tätigkeitsspektrum eines Verwalterbüros. Die Unternehmensinsolvenzen lassen sich in weitere große Gruppen unterteilen. Einerseits zählen hierzu die Einzelunternehmen, die freien Berufe und Kleingewerbetreibenden, die mit über 50 % (http:// www.creditreform.de [Stand: September 2014]) knapp die Mehrzahl bilden. Andererseits konzentriert sich das Arbeitsgebiet eines Insolvenzverwalters auf die Insolvenzverfahren über das Vermögen von Kapital- und Personengesellschaften. Beide Gruppen fordern in der Sachbearbeitung neben dem Insolvenzrecht Spezialkenntnisse auf anderen Rechtsgebieten und im Bereich der Betriebswirtschaft. Den speziellen Anforderungen, die die Abwicklung von Gesellschaftsinsolvenzen abverlangt, soll in dem vorliegenden Werk Rechnung getragen werden, indem neben den insolvenzrechtlichen Besonderheiten auch gesellschafts-, steuer-, straf- und arbeitsrechtlich relevante Aspekte berücksichtigt werden. Daneben werden ebenso betriebswirtschaftliche wie strategische Fragestellungen beleuchtet und in Abhängigkeit von der Zielsetzung des Insolvenzverfahrens entsprechende praxisrelevante Überlegungen angestellt. Das Werk orientiert sich weitestgehend am „klassischen“ Ablauf eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen von Gesellschaften, wobei neben allgemeinen Abwicklungsthemen im Wesentlichen die Rechtsform der GmbH besprochen wird, da dieser mit einem Anteil von ca. 80 % der Gesellschaftsinsolvenzen die in der Praxis bei Weitem größte Bedeutung zuzumessen ist (http://www.creditreform.de [Stand: September 2014]). Ferner werden die Besonderheiten bei der Verfahrensabwicklung von Insolvenzen über das Vermögen von Personengesellschaften und anderen, dem Bereich der juristischen Personen zuzuordnenden Rechtsformen besprochen. Berücksichtigung finden hierbei sowohl Liquidations-, als auch Sanierungsszenarien in den teils unterschiedlichen Nuancen und Facetten. Die Autorin hat sich dem Ziel verschrieben, theoretisches Fachwissen mit den Anforderungen der Praxis zu verknüpfen, indem sie Ersteres den Anforderungen der Abwicklungspraxis entsprechend aufbereitet. Mit einem nutzerfreundlichen Aufbau und zielgruppenorientierter Abhandlung der einzelnen Themengebiete lässt sie die Leserinnern und Leser an den Erfahrungswerten aus ihrer über 11-jährigen verfahrensleitenden Berufspraxis und Referententätigkeit teilhaben. Mit dem Werk soll den Leserinnern und Lesern ein Grundverständnis sowie der nötige Gesamtüberblick für die Abwicklung von Gesellschaftsinsolvenzen vermittelt werden.

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Vorwort zur 1. Auflage

Nicht zuletzt versteht sich das Werk auch als Einladung an die Leserinnern und Leser, der Autorin Anregungen, Kritik und eigene Erfahrungswerte rückzumelden, um dem Anwenderbedarf stets umfassend gerecht zu werden. Vielen Dank für Ihr Interesse!

Alsdorf, im Mai 2015

VIII

Sylvia Wipperfürth

Inhaltsverzeichnis Rn.

Seite

Vorwort zur 2. Auflage .................................................................................. V Vorwort zur 1. Auflage ............................................................................... VII Literaturverzeichnis .................................................................................... XIX A. Verfahrensziel und Verfahrensbeteiligte .................................. 1 ........ 1 I.

Vorüberlegung .............................................................................. 1 ........ 1

II. Ziele des Regelinsolvenzverfahrens ............................................. 1. Gemeinschaftliche Gläubigerbefriedigung .......................... 2. Ordnungsfunktion ................................................................ 3. Sanierungsfunktion ...............................................................

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1 1 1 2

III. Gesetzliche Grundlagen und Gesetzessystematik ...................... 9 ........ 3 IV. Ablauf des Insolvenzverfahrens ................................................. 13 ........ 3 V. Verfahrensbeteiligte, Dritte und deren Rechtsstellung im Insolvenzverfahren ................................................................ 1. Insolvenzschuldner und Insolvenzfähigkeit ...................... a) Grundlegendes ............................................................. b) Insolvenzfähigkeit einzelner Rechtsträger ................. aa) Juristische Personen ........................................... (1) Insolvenzfähigkeit juristischer Personen – Grundlegendes ............................................. (2) GmbH (Gesellschaft mit beschränkter Haftung) ...................................................... (3) Aktiengesellschaft (AG) ............................. (4) Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA) ........................................................ (5) Genossenschaft (e. G.) ................................ (6) Eingetragene Vereine (e. V.) ....................... (7) Nicht rechtsfähige Vereine ......................... (8) Stiftungen ..................................................... (9) Juristische Personen des öffentlichen Rechts (§ 12 InsO) ...................................... bb) Personengesellschaften ....................................... (1) Insolvenzfähigkeit von Personengesellschaften – Grundlegendes ........................... (2) Offene Handelsgesellschaft (OHG) .......... (3) Kommanditgesellschaft (KG) ....................

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40 ........ 7 42 ........ 7 42 ........ 7 46 ........ 8 49 ........ 8 IX

Inhaltsverzeichnis Rn.

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(4) Gesellschaft bürgerlichen Rechts/ BGB-Gesellschaft (GbR) ............................ 53 (5) Partnergesellschaft ...................................... 58 c) Auskunfts- und Mitwirkungspflichten ...................... 60 2. Insolvenzgläubiger .............................................................. 66 3. Gläubiger nachrangiger Forderungen ................................ 72 4. Absonderungsberechtigte Gläubiger ................................. 75 5. Aussonderungsberechtigte ................................................. 79 6. Dritte ................................................................................... 85 7. Der Gutachter/Sachverständige ......................................... 88 8. Der vorläufige Insolvenzverwalter ..................................... 96 9. Der Insolvenzverwalter ..................................................... 100 10. Das Insolvenzgericht ........................................................ 107 11. Der (vorläufige) Gläubigerausschuss ............................... 112 12. Der (vorläufige) Sachwalter .............................................. 124

........ 8 ...... 10 ...... 10 ...... 11 ...... 12 ...... 13 ...... 14 ...... 16 ...... 16 ...... 17 ...... 18 ...... 19 ...... 20 ...... 22

B. Das Insolvenzeröffnungsverfahren ....................................... 130 ...... 25 I.

Der Insolvenzantrag ................................................................. 1. Eigenantrag ........................................................................ a) Grundlegendes ........................................................... b) Form und Inhalt des Antrags .................................... c) Antragsrecht .............................................................. d) Antragspflicht ............................................................ 2. Fremdantrag ...................................................................... a) Grundlegendes ........................................................... b) Form und Inhalt des Antrags .................................... c) Zulässigkeit ................................................................ aa) Rechtliches Interesse ........................................ bb) Glaubhaftmachung des Bestehens einer Forderung ................................................ cc) Glaubhaftmachung eines Eröffnungsgrundes .............................................................. d) Antragsrecht .............................................................. 3. Eröffnungsgründe ............................................................. a) Überblick über die Eröffnungsgründe ..................... b) Zahlungsunfähigkeit .................................................. c) Drohende Zahlungsunfähigkeit ................................ d) Überschuldung .......................................................... e) Kennzahlenanalyse .................................................... 4. Antragshäufung .................................................................

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II. Deckung der Verfahrenskosten ............................................... 203 ...... 38 1. Verfahrenskostendeckung ................................................ 203 ...... 38 2. Stundung der Verfahrenskosten ....................................... 208 ...... 39

X

Inhaltsverzeichnis Rn.

III. Bestellung eines Sachverständigen/Insolvenzgutachters durch das Insolvenzgericht ...................................................... 1. Aufgaben und Befugnisse des Sachverständigen ............. 2. Konsequenzen für das Unternehmen .............................. 3. Vergütung des Sachverständigen ...................................... 4. Maßnahmen im Verwalterbüro ........................................ IV. Sicherungsmaßnahmen des Insolvenzgerichts ........................ 1. Sicherungsmaßnahmen ..................................................... a) Grundlegendes ........................................................... b) Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters (§§ 21 Abs. 2 Nr. 1, 22 InsO) ................................... c) Untersagung/einstweilige Einstellung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen in das bewegliche Vermögen (§ 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO) ........................ d) Anordnung einer vorläufigen Postsperre (§ 21 Abs. 1 Nr. 4 InsO) ........................................... e) Anordnung gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO ............. f) Einzelermächtigung ................................................... g) Bestellung eines vorläufigen Gläubigerausschusses (§ 21 Abs. 2 Nr. 1a InsO) ......................................... h) Leistungsgebot ........................................................... i) Betreten und Nachforschungen in den Räumen des Schuldners (§ 22 Abs. 3 Satz 1 InsO) ................ j) Allgemeines Verfügungsverbot (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 InsO) ................................ k) Zustimmungsvorbehalt (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 InsO) ...................................................... 2. Aufgaben und Befugnisse des vorläufigen Insolvenzverwalters ........................................................................... a) Der starke vorläufige Insolvenzverwalter ................ b) Der schwache vorläufige Insolvenzverwalter ........... c) Verwertung und Notverwertung .............................. 3. Konsequenzen für das Schuldnerunternehmen ............... 4. Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters ............. 5. Maßnahmen im Verwalterbüro ........................................ V. Fortführung des Geschäftsbetriebs im Eröffnungsverfahren .... 1. Fortführung oder Einstellung des Geschäftsbetriebs ..... 2. Fortführungsaussichten und Liquiditätsplanung ............ a) Grundlegendes ........................................................... b) Analyse der Krisenursachen ...................................... c) Finanz- und Liquiditätsplanung ............................... d) Liquiditäts-/Finanzplanung ...................................... 3. Basis der Fortführungsarbeit ............................................ 4. Maßnahmen im Verwalterbüro ........................................

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XI

Inhaltsverzeichnis Rn.

VI. Arbeitsverhältnisse im Eröffnungsverfahren und Insolvenzgeld ............................................................................ 1. Insolvenzgeld .................................................................... a) Insolvenzgeldzeitraum .............................................. b) Höhe des Insolvenzgeldanspruchs ........................... c) Antrag auf Insolvenzgeld .......................................... d) Insolvenzgeldzahlung ................................................ e) Anspruchsübergang ................................................... 2. Insolvenzgeldvorfinanzierung .......................................... 3. Kündigung von Arbeitsverhältnissen im Eröffnungsverfahren ............................................................................ VII. Das Gutachten des Sachverständigen ..................................... 1. Ermittlung der Vermögenswerte und Schuldenstruktur .............................................................................. 2. Bewertung von Vermögenswerten ................................... a) Allgemeines ................................................................ b) Bewertungsgrundlagen .............................................. c) Liquidationswerte ...................................................... d) Fortführungswerte .................................................... e) Inhalte eines Gutachtens ........................................... VIII. Vorläufige Eigenverwaltung und der vorläufige Sachwalter ................................................................................. 1. Voraussetzungen, Vorteile und Nachteile der vorläufigen Eigenverwaltung ............................................ a) Hintergründe und Zielsetzung ................................. b) ESUG ......................................................................... c) SanInsFoG ................................................................. d) Vor- und Nachteile der (vorläufigen) Eigenverwaltung .................................................................. e) Besondere Voraussetzungen des Schutzschirmverfahrens ................................................................... 2. Aufgaben und Befugnisse des (vorläufigen) Sachwalters ........................................................................ 3. Konsequenzen für den Schuldner .................................... 4. Vergütung des (vorläufigen) Sachwalters ........................

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342 ...... 82 344 ...... 82 349 ...... 83 353 ...... 83 355 ...... 83

C. Das eröffnete Insolvenzverfahren ......................................... 356 ...... 85 I.

Die Eröffnungsentscheidung ................................................... 356 ...... 85

II. Ablauf des Verfahrens, Termine und Fristen .......................... 359 ...... 85 1. Arbeitsschritte ................................................................... 360 ...... 85 2. Erstgespräch ...................................................................... 361 ...... 87 III. Die Wirkungen der Eröffnung ................................................. 365 ...... 88 1. Aufgaben und Befugnisse des Insolvenzverwalters ........ 365 ...... 88 XII

Inhaltsverzeichnis

2. 3.

a) Inbesitznahme und Verwaltung ................................ b) Verzeichnisse und Übersichten (§§ 151 ff. InsO) ..... aa) Masseverzeichnis (§ 151 InsO) ........................ bb) Gläubigerverzeichnis (§ 152 InsO) ................. cc) Vermögensübersicht (§ 153 InsO) .................. dd) Besonderheit bei Eigenverwaltung ................... ee) Frist .................................................................... c) Verwertung der Insolvenzmasse ............................... Konsequenzen für das Schuldnerunternehmen ............... Verfügungen, Leistungen und Rechtserwerb nach Eröffnung (§§ 81, 82, 91 InsO) ...............................

IV. Umfang, Verwaltung und Verwertung der Insolvenzmasse ......................................................................................... 1. Insolvenzmasse .................................................................. 2. Verwaltung und Verwertung ............................................ 3. Freigabe einzelner Gegenstände aus dem Massebeschlag .............................................................................. 4. Aus- und Absonderungsrechte ........................................ a) Überblick Aus- und Absonderung ........................... b) Aussonderungsrechte ................................................ aa) Grundlagen ........................................................ bb) Eigentum (§§ 903, 985 BGB) ........................... cc) Einfacher Eigentumsvorbehalt (§ 449 BGB) .... dd) Nießbrauch (§§ 1030 ff. BGB) ......................... ee) Grunddienstbarkeit (§§ 1018 ff. BGB) ............ ff) Beschränkt persönliche Dienstbarkeiten (§§ 1090 ff. BGB) ............................................. gg) Mietkaution ....................................................... hh) Factoring ........................................................... ii) Leasing ............................................................... c) Absonderungsrechte .................................................. aa) Grundlegendes .................................................. bb) Immobiliarsicherheiten (§ 49 InsO) ................ cc) Pfandrechte (§ 50 InsO) .................................. dd) Sicherungsrechte (§ 51 Nr. 1 InsO) ................ (1) Sicherungsabtretung .................................. (2) Sicherungsübereignung ............................. (3) Verlängerter Eigentumsvorbehalt ............ (4) Erweiterter Eigentumsvorbehalt .............. ee) Zurückbehaltungsrechte (§ 51 Nr. 2, 3, InsO) ......................................... ff) Fiskalabsonderungsrechte (§ 51 Nr. 4 InsO) .............................................. d) Kollisionslagen ........................................................... e) Ausfall ........................................................................

Rn.

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480 .... 119 481 .... 119 482 .... 119 493 .... 121 XIII

Inhaltsverzeichnis Rn.

Seite

V. Fortführung oder Liquidation? ................................................ 1. Richtungsweisende Entscheidung .................................... 2. Fortführung ....................................................................... 3. Übertragende Sanierung/Asset Deal ............................... 4. Liquidation ........................................................................

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VI. Ausgewählte Verwertungsfragen ............................................. 1. Allgemeines ....................................................................... 2. Grundsätze der Verwertung ............................................. 3. Ausgewählte Verwertungsfragen ..................................... a) Immaterielle Vermögensgegenstände ....................... b) Grundstücke/grundstücksgleiche Rechte ................ c) Bewegliches Sachanlagenvermögen .......................... d) Vorräte ....................................................................... e) Forderungen aus Lieferungen und Leistungen ........ f) Miet-/Pachtforderungen ........................................... g) Einlagehaftung GmbH .............................................. aa) Grundlegendes .................................................. bb) Prüfungsumfang des Insolvenzverwalters ....... cc) Kaduzierung ...................................................... dd) Verjährung ......................................................... h) Einlagehaftung AG .................................................... i) Einlagehaftung Genossenschaft ................................ j) Einlagenhaftung Kommanditgesellschaft ................. k) Ansprüche gegen Gesellschafter ............................... aa) Verstoß gegen den Kapitalerhaltungsgrundsatz (§§ 30, 31 Abs. 1 GmbHG) .............................. bb) Haftung der Aktionäre (§§ 57, 62 AktG) ....... cc) Existenzvernichtungshaftung (§ 826 BGB Schadensersatz wegen eines existenzvernichtenden Eingriffs) ..................... dd) Gesellschafterhaftung bei Personengesellschaften (akzessorische Außenhaftung) ......... l) Ansprüche gegen organschaftliche Vertreter ........... aa) Ansprüche gegen Geschäftsführer (§ 64 GmbHG i. d. F. bis zum 31.12.2020 bzw. § 15b InsO i. d. F. ab dem 1.1.2021) ....... (1) Ansprüche gegen Geschäftsführer (§ 64 GmbHG i. d. F. bis zum 31.12.2020) ................................................. (2) Ansprüche gegen Geschäftsleiter (§ 15b InsO i. d. F. ab dem 1.1.2021) ...... (3) COVID-19-Pandemie und Haftungsansprüche ................................................... bb) Ansprüche gegen Geschäftsführer (§ 43 Abs. 2 GmbHG) .....................................

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XIV

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621 .... 152

621 .... 152 637 .... 157 643 .... 159 645 .... 159

Inhaltsverzeichnis Rn.

m) n) o) p)

cc) Ansprüche gegen Geschäftsführer (§§ 43 Abs. 3, Abs. 2, 30 Abs. 1 GmbHG) ....... dd) Ansprüche gegen Vorstandsmitglieder (§ 92 Abs. 2 AktG) ........................................... ee) Ansprüche gegen Vorstandsmitglieder (§ 93 Abs. 2 AktG) ........................................... ff) Ansprüche gegen gesetzliche Vertreter (OHG, KG; §§ 130a Abs. 3 Satz 1, 177a HGB) ........... gg) Ansprüche gegen Vorstandsmitglieder (§§ 98, 99 GenG) .............................................. hh) Insolvenzverschleppungshaftung ..................... Beraterhaftung ........................................................... Bankguthaben ............................................................ Kassenbestand ............................................................ Anfechtungsansprüche .............................................. aa) Grundlegendes .................................................. bb) Systematik und Konzentration ........................ cc) Allgemeine Voraussetzungen der Anfechtung ........................................................ dd) Die Anfechtungstatbestände des § 135 Abs. 1, 2 InsO ......................................... (1) Grundlegendes ........................................... (2) Anfechtungstatbestand nach § 135 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 InsO .......... (3) Anfechtungstatbestand nach § 135 Abs. 2 InsO ...................................... (4) COVID-19-Pandemie und Anfechtungsrecht ..................................................

VII. Verfahrenskosten, sonstige Masseverbindlichkeiten und die Folgen von Massearmut und Masseunzulänglichkeit ....... 1. Verfahrenskosten (§§ 53, 54 InsO) ................................. a) Gerichtskosten ........................................................... b) Vergütung des Sachverständigen .............................. c) Die Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters ................................................................... d) Die Vergütung des Insolvenzverwalters ................... e) Die Vergütung des vorläufigen Sachwalters und des Sachwalters .......................................................... aa) Vergütung des Sachwalters ............................... bb) Vergütung des vorläufigen Sachwalters ........... f) Die Vergütung der Mitglieder des Gläubigerausschusses ................................................................. 2. Sonstige Masseverbindlichkeiten ..................................... 3. Massearmut ........................................................................ 4. Masseunzulänglichkeit ......................................................

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184 185 188 189 XV

Inhaltsverzeichnis Rn.

VIII. Forderungsanmeldung und Insolvenztabelle ........................ 1. Insolvenzforderungen und Forderungsanmeldungen ..... 2. Der Prüfungstermin .......................................................... 3. Nachmeldungen und Nachprüfungstermin ..................... 4. Nachträgliche Änderungen der Prüfergebnisse .............. 5. Nachrangige Forderungen ................................................

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IX. Gläubigerversammlung und Berichtstermin ........................... 810 .... 200 1. Berichtstermin (Erste Gläubigerversammlung) .............. 810 .... 200 2. Berichtswesen im eröffneten Verfahren .......................... 813 .... 200 X. Vertragsverhältnisse ................................................................. 1. Überblick ........................................................................... 2. Wahlrecht (§ 103 InsO) .................................................... 3. Vormerkung (§ 106 InsO) ............................................... 4. Eigentumsvorbehalt (§ 107 InsO) ................................... 5. Mieterinsolvenz (§§ 109 Abs. 1 Satz 1, 112 InsO) ......... 6. Vermieterinsolvenz (§ 110 InsO) .................................... 7. Bankverträge, Mandatsverhältnisse, Beraterverträge (vgl. §§ 115, 116 InsO) .....................................................

842 .... 206

XI. Arbeitsverhältnisse im eröffneten Insolvenzverfahren .......... 1. Arbeitsverhältnisse und deren Beendigung ..................... 2. Entgeltansprüche der Arbeitnehmer ................................ 3. Betriebsveräußerung in der Insolvenz .............................

845 845 849 853

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206 206 207 208

XII. Insolvenzsteuerrecht, steuerliche und buchhalterische Pflichten .................................................................................... 1. Grundlegendes .................................................................. 2. Beauftragung eines Steuerberaters ................................... 3. Besonderheiten bei einzelnen Steuerarten ....................... a) Körperschaftsteuer .................................................... b) Lohnsteuerforderungen ............................................ c) Gewerbesteuer ........................................................... d) Umsatzsteuer .............................................................

855 855 861 862 862 866 868 873

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208 208 209 210 210 210 211 211

XIII. Vollstreckungsverbot und Rückschlagsperre ....................... 1. Vollstreckungsverbot (§ 89 InsO) ................................... 2. Vollstreckungsverbot für Massegläubiger (§ 90 InsO) ..... 3. Rückschlagsperre (§ 88 InsO) ..........................................

875 875 879 880

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212 212 213 213

XIV. Schlussrechnungslegung und Verfahrensabschluss .............. 1. Grundlagen der Schlussrechnungslegung und der Schlussberichterstattung ............................................ a) Rechnungslegung – eröffnetes Verfahren ................ b) Rechnungslegung – Antragsverfahren ...................... 2. Vorbereitung des Verfahrensabschlusses und Einzelheiten zur Rechnungslegung und zum Schlussberichtswesen .....

883 .... 214

XVI

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201 201 201 202 203 204 205

883 .... 214 883 .... 214 888 .... 215 889 .... 215

Inhaltsverzeichnis Rn.

3.

4. 5. 6.

a) Vermögensverwertung .............................................. b) Abgeltung von Sicherungsrechten ............................ c) Forderungsprüfung und Schlussverzeichnis (Verteilungsverzeichnis) ........................................... d) Buchführung und Steuern ......................................... e) Vertragsverhältnisse und Arbeitsverhältnisse .......... f) Insolvenzbuchhaltung ............................................... g) Aufbauvorschlag eines Schlussberichts .................... h) Nachtragsverteilung .................................................. Arten des Verfahrensabschlusses ..................................... a) Vorbemerkung ........................................................... b) Aufhebung (§ 200 InsO) .......................................... c) Einstellung mangels Masse (§ 207 InsO) ................. d) Einstellung nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit (§§ 208, 211 InsO) ................................ e) Aufhebung nach rechtkräftiger Bestätigung des Insolvenzplans (§ 258 InsO) .............................. f) Einstellung wegen Wegfalls des Eröffnungsgrundes (§ 212 InsO) .............................................................. g) Einstellung mit Zustimmung der Gläubiger (§ 213 InsO) .............................................................. Schlusstermin .................................................................... Schlussverteilung und Nachtragsverteilung .................... Vergütung ..........................................................................

Seite

889 .... 215 892 .... 216 893 901 902 904 908 908 915 915 918 919

.... .... .... .... .... .... .... .... .... ....

216 218 218 218 219 220 221 221 222 223

922 .... 223 929 .... 224 931 .... 224 932 934 935 938

.... .... .... ....

225 225 225 226

D. Insolvenzplanverfahren .......................................................... 940 .... 227 I.

Insolvenzplan als Sanierungsmöglichkeit ................................ 940 .... 227

II. Voraussetzungen des Planverfahrens ...................................... 1. Besserstellung der Gläubiger ............................................ 2. Planvorlagerecht ................................................................ 3. Zeitpunkt der Planvorlage ................................................ 4. Ablauf eines Insolvenzplanverfahrens ............................. a) Überblick Ablauf ....................................................... b) Die Besonderheiten des Verfahrensablaufs .............. 5. Inhalt des Insolvenzplans ................................................. a) Vorbemerkung ........................................................... b) Gliederungsstruktur ..................................................

944 944 948 949 952 952 953 964 964 965

.... .... .... .... .... .... .... .... .... ....

228 228 228 228 229 229 229 231 231 231

III. Vergütungsrelevante Auswirkungen ....................................... 986 .... 235 IV. Schlussrechnungslegung ........................................................... 989 .... 236 V. Besonderheiten ......................................................................... 990 .... 236 1. Anfechtungsansprüche im Insolvenzplanverfahren ........ 990 .... 236 2. Besonderheiten im Planinsolvenzverfahren über das Vermögen einer Genossenschaft ............................... 996 .... 238 XVII

Inhaltsverzeichnis Rn.

3. 4.

Seite

Vergessene Gläubiger ...................................................... 1002 .... 239 Besteuerung des Sanierungsgewinns .............................. 1004 .... 240

E.

Eigenverwaltung .................................................................... 1006 .... 241

I.

Vorbemerkung ........................................................................ 1006 .... 241

II. Ablauf des Eigenverwaltungsverfahrens ............................... 1007 .... 241 III. Beendigung der Eigenverwaltung .......................................... 1014 .... 242 F.

Überblick: Insolvenzstrafrecht ............................................ 1016 .... 243

I.

Grundlegendes ........................................................................ 1016 .... 243

II. Täterkreise ............................................................................... 1019 .... 243 III. Straftatbestände ...................................................................... 1. Insolvenzstrafrecht im engeren Sinne ............................ a) Insolvenzverschleppung (§ 15a Abs. 4, 5 InsO) ...... b) Insolvenzstraftaten (§§ 283 ff. StGB) .................... 2. Insolvenzstrafrecht im weiteren Sinne ........................... a) Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt (§ 266a StGB) .......................................................... b) Vermögensdelikte ....................................................

1020 1020 1020 1024 1027

.... .... .... .... ....

243 243 243 244 244

1027 .... 244 1028 .... 245

IV. Beraterhaftung ........................................................................ 1029 .... 245 Stichwortverzeichnis ................................................................................... 247

XVIII

Literaturverzeichnis Kommentare, Handbücher, Monographien Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier Fachanwalts-Kommentar Insolvenzrecht, 4. Aufl., 2020 (zit.: Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Bearbeiter, InsO) Beck Verlag Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, 3. Aufl., 2013/2014 Busch/Winkens/Büker Insolvenzrecht und Steuern visuell, 3. Aufl., 2020 Graf-Schlicker Kommentar zur Insolvenzordnung, 6. Aufl., 2021 (zit.: Graf-Schlicker-Bearbeiter, InsO) Haarmeyer/Huber/Schmittmann Praxis der Insolvenzanfechtung, 4. Aufl., 2020 (zit.: Haarmeyer/Huber/Schmittmann-Bearbeiter) Haarmeyer/Mock Insolvenzrechtliche Vergütung (InsVV), 6. Aufl., 2019 Hess Sanierungshandbuch, 6. Aufl., 2013 Heyn/Kreuznacht/Voß Arbeitshilfen für Insolvenzsachbearbeiter, 4. Aufl., 2019 (zit.: Muster in: Heyn/Kreuznacht/Voß, Arbeitshilfen für Insolvenzsachbearbeiter) Kübler/Prütting/Bork InsO – Kommentar zur Insolvenzordnung (zit.: KPB/Bearbeiter, InsO) Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung herausgegeben von Kirchhof/Eidenmüller/Stürner, 3. Aufl., 2013/2014 (zit.: MünchKomm-InsO/Bearbeiter) Pape/Uhländer NWB Kommentar zum Insolvenzrecht, 2013 (zit.: Pape/Uhländer/Bearbeiter, InsO) Schmidt Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, 9. Aufl., 2021 (zit.: HK-InsO/Bearbeiter) Schwerdtfeger Gesellschaftsrecht Kommentar, 3. Aufl., 2015 (zit.: Schwerdtfeger/Bearbeiter)

XIX

Literaturverzeichnis

Wimmer Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung, 9. Aufl., 2018 (zit.: FK-InsO/Bearbeiter) Zimmer Insolvenzbuchhaltung, 3. Aufl., 2022 Aufsätze Bach/Knof Insolvenzfähigkeit der Stiftung, ZInsO 2005, 729 Bauer Gesellschafterhaftung in Krise und Insolvenz der GmbH, ZInsO 2011, 1273 ff.; 1335 ff.; 1379 ff. Bitter Haftung von Gesellschaftern und Geschäftsführern in der Insolvenz ihrer GmbH, ZInsO 2010, 1505 Bork Zahlungsunfähigkeit, Zahlungsstockung und Passiva II, ZIP 2008, 1749 Bork Anfechtung bei Rücktritt in den Rang des § 39 Abs. 1 Nr. 4 InsO, ZIP 2012, 2277 Fischer/Knees Zum Umgang des Grundpfandrechtsgläubigers mit § 135 Abs. 3 InsO, ZInsO 2009, 745 ff. Frind Verwalterbestellung: Weder einklagen noch einschleichen, ZInsO 2006, 729 Frind Anmerkungen zur Musterbescheinigung des IDW nach § 270b Abs. 1 Satz 3 InsO, ZInsO 2012, 540 Hackenberg Die Rechtsprechung des BGH zur Vergütung des vorläufigen Sachwalters - ein Sanierungshindernis?, ZInsO 2017, 205 Holzer Insolvenzfähigkeit der Bruchteilsgemeinschaft, EWiR 2001, 589 Keller Zur Insolvenz der zweigliedrigen Personengesellschaft, NZI 2009, 29 Keller Die Vergütung des vorläufigen Sachwalters nach den Vorstellungen des BGH, NZI 2016, 753

XX

Literaturverzeichnis

Kloos Zur Standardisierung insolvenzrechtlicher Rechnungslegung, NZI 2009, 586 Langer/Bausch Die fortschreibende Rechnungslegung im Rahmen standardisierter Gutachten und Zwischenberichte, ZInsO 2011, 1287 Marotzke Gesellschaftsinterne Nutzungsverhältnisse nach Abschaffung des Eigenkapitalersatzrechts, ZInsO 2008, 1281 Marotzke Sonderinsolvenz und Nachlassverwaltung über das Vermögen einer erloschenen Personengesellschaft, ZInsO 2009, 590 Neve Die Geltendmachung offener Stammeinlageverpflichtungen in der Insolvenz der GmbH, InsbürO 2010, 373 Pohlner Die Durchführung einer Massenentlassungsanzeige, InsbürO 2013, 49 ff., 91 ff. Priebe Die Stammeinlageforderung der GmbH im Kaduzierungsverfahren Insbüro 2013, 261 Smid Zur Sicherungsbefugnis des vorläufigen Insolvenzverwalters nach Rücknahme des Eigenantrags, DZWIR 2000, 307 Staufenbiel/Brill Der Betriebsübergang nach § 613a BGB im Insolvenzverfahren, ZInsO 2015, 173 Uhlenbruck Vorläufiger Sachwalter bei Insolvenzanträgen mit Antrag auf Eigenverwaltung?, NZI 2001, 632 Wellensiek Übertragende Sanierung, NZI 2002, 233 Wipperfürth Qualitätssicherung durch den ForStaB (Fortgeschriebener Standardisierter Zwischenbericht) – Eine Zwischenbilanz im Interview mit Repräsentanten des AG, InsbürO 2014, 60 Wipperfürth Das Erstgespräch – Vorbereitung und Durchführung, InsbürO 2012, 463

XXI

A. Verfahrensziel und Verfahrensbeteiligte I. Vorüberlegung Die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer Gesellschaft 1 erfolgt stets in der Form des Regelinsolvenzverfahrens (sog. „IN-Verfahren“). Als Schuldner eines Insolvenzverfahrens kommen juristische Personen, nicht rechtfähige Vereine und Personengesellschaften in Betracht (vgl. § 11 Abs. 1, 2 Nr. 1 InsO). Gemein ist allen, dass sie selbst nur handlungsfähig sind durch die sie vertretenden Organe (z. B. Geschäftsführer, Vorstand). Die Gesellschaften stellen Vereinigungen mehrerer Personen dar (Ausnahme: GmbH, bei er auch eine „Ein-Mann-Gesellschaft“ zulässig ist). Dabei ist das Gesellschaftsvermögen grundsätzlich, d. h. auch im Insolvenzverfahren, getrennt zu betrachten von dem Privatvermögen der an den Gesellschaften beteiligten Einzelpersonen und auch der gesetzlichen Vertreter. Soweit das Gesellschaftsrecht die persönliche Haftung vorsieht, haften die Gesellschafter zwar auch mit ihrem Privatvermögen für Verbindlichkeiten der Gesellschaft; diese Haftung kann nach Insolvenzeröffnung jedoch nur durch den Insolvenzverwalter geltend gemacht werden kann (§ 93 InsO). Nicht zuletzt die immer wieder zu beobachtende Vermögensvermischung ist ein nicht zu verachtender Grund für viele Gesellschaftsinsolvenzen mit sich möglicherweise anschließenden straf- und haftungsrechtlichen Konsequenzen, insbesondere für die organschaftlichen Vertreter. Bevor auf die Einzelheiten näher eingegangen wird, seien nachfolgend zunächst die mit einer Insolvenz verfolgten Ziele dargelegt. II. Ziele des Regelinsolvenzverfahrens 1. Gemeinschaftliche Gläubigerbefriedigung Das Ziel eines jeden Insolvenzverfahrens ist in § 1 InsO definiert als die ge- 2 meinschaftliche und bestmögliche Befriedigung der Gläubiger. Das zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorhandene Gesellschaftsvermögen dient als Haftungsmasse für die gleichmäßige, meist quotale Befriedigung aller Gläubiger (par conditio creditorum). Dies ist sichergestellt durch die dem Insolvenzverwalter obliegende bestmögliche Masseverwertung und sich anschließende Verteilung des Erlöses, flankiert durch das Verbot für Gläubiger, Befriedigung im Wege der Einzelzwangsvollstreckung zu suchen (vgl. § 89 InsO). Niederschlag findet der Rechtsgedanke auch im insolvenzrechtlichen An- 3 fechtungsrecht (§§ 129 ff. InsO), durch das Vermögensabflüsse zugunsten Einzelner mit dem Ziel des Zusammenhalts der Haftungsmasse für alle Gläubiger „rückgängig gemacht“ werden können und müssen. 2. Ordnungsfunktion Das Insolvenzrecht gewährleistet darüber hinaus eine ordnungsgemäße Ab- 4 wicklung des Schuldnervermögens. Dies gilt auch dann, wenn die noch vor1

A. Verfahrensziel und Verfahrensbeteiligte

handene Haftungsmasse nicht ausreicht, um die Gläubiger des Unternehmens zu befriedigen. Ein Insolvenzverfahren ist, sind die Verfahrenskosten (§ 54 InsO) gedeckt, zu eröffnen. Nur dann, wenn die Masse zu dieser Kostendeckung nicht hinlänglich ist, ist der Eröffnungsantrag mangels Masse abzuweisen (§ 26 InsO). 5 Nach Eröffnung des Verfahrens wird durch den Insolvenzverwalter eine ordnungsgemäße Vermögensabwicklung sichergestellt. Aufgrund der Sanierungs- und Ordnungsfunktion des Insolvenzverfahrens kann es daher im Einzelfall auch gerechtfertigt sein, die Entscheidung über die Eröffnung hinauszuzögern.1) Gesetzgeberisches Ziel ist es, eine möglichst hohe Anzahl an Verfahren zur Eröffnung zu bringen.2) 6 Ausdruck der Ordnungsfunktion ist zudem, dass insolvenzwidrige Vermögensverschiebungen im Vorfeld der Krise rückabgewickelt werden können.3) Dies geschieht regelmäßig im Wesentlichen durch das Instrumentarium der Insolvenzanfechtung (§§ 129 ff. InsO) sowie die Inanspruchnahme der Vertretungsorgane aus ihrer zivilrechtlichen, insolvenzspezifischen Haftung heraus (z. B. § 15b InsO). 3. Sanierungsfunktion 7 Die Sanierung des Unternehmens ist gesetzlich nicht explizit als Verfahrensziel definiert,4) ergibt sich jedoch als solches aus der Überlegung heraus, dass hierdurch im Vergleich zur Liquidierung eine bessere und damit die bestmögliche Gläubigerbefriedigung sichergestellt werden kann. Im konsensualen Ansatz des Insolvenzplanverfahrens ergibt sich dies aus § 1 Satz 1 InsO. Die Fortführungs-und Sanierungsfähigkeit eines Unternehmens ist daher stets vom Insolvenzverwalter zu prüfen. Die Entscheidung, ob ein Unternehmen im Insolvenzverfahren einstweilen fortgeführt oder stillgelegt wird, entscheidet nach dem Willen des Gesetzgebers die Gläubigerversammlung im Berichtstermin (§ 157 InsO). In der Praxis beobachtet man, dass hier den Einschätzungen des Insolvenzverwalters regelmäßig gefolgt wird. 8 Eine Konsolodierung der Vermögensverhältnisse kann in Gesellschaftsinsolvenzen nicht über eine Restschuldbefreiung erreicht werden. Diese ist nur natürlichen Personen vorbehalten (§ 286 InsO).

___________ 1) 2) 3)

4)

2

AG Hamburg, Beschl. v. 1.10.2001 – 67g IN 195/01, ZIP 2001, 1885, dazu EWiR 2001, 1099 (Spliedt). Vgl. BT-Drucks. 12/2443, S. 80, 84 f. BGH, Beschl. v. 17.7.2008 – IX ZB 225/07, ZIP 2008, 1793 = NZI 2008, 557, dazu EWiR 2008, 723 (Voß): „Bei strikter Befolgung der schon ab Überschuldung eingreifenden Insolvenzantragspflicht dürfte es regelmäßig nicht zu einer masselosen Insolvenz kommen.“ Vgl. BT-Drucks. 12/2443, S. 80, 84 f.

IV. Ablauf des Insolvenzverfahrens

III. Gesetzliche Grundlagen und Gesetzessystematik Insolvenzrecht ist Gesamtvollstreckungsrecht. Soweit sich aus der Insolvenz- 9 ordnung (InsO) keine besonderen, primär anzuwendenden Bestimmungen ergeben, gelten die Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO) entsprechend. Merke: Die Regelungen der Zivilprozessordnung (ZPO) sind im Insolvenzverfahren immer dann heranzuziehen, wenn sich aus der Insolvenzordnung (InsO) nichts anderes ergibt. In jedem Insolvenzverfahren sind ebenfalls steuerrechtliche Bestimmungen, 10 insbesondere die Gesetze zum materiellen Steuerrecht sowie arbeitsrechtliche Regelungen zu beachten. In Insolvenzverfahren über das Vermögen von Gesellschaften spielen daneben die für die jeweilige Rechtsform gültigen Gesetze eine wesentliche Rolle (z. B. BGB, HGB, GmbHG, AktG, PartG). Im Bereich des Strafrechts sind vor allem insolvenzspezifische Tatbestände 11 (§§ 283 StGB) sowie Vermögensdelikte (z. B. §§ 263, 266 StGB) praktisch bedeutsam. Daneben ist ebenfalls eine Berührung mit weiteren Rechtsgebieten denkbar. 12 Die Insolvenzordnung beschreibt als (fast reines) Verfahrensrecht die vollstreckungsrechtliche Vermögensabwicklung; hierbei können grundsätzlich alle denkbaren Rechtsgebiete tangiert werden. IV. Ablauf des Insolvenzverfahrens Einen Überblick über den Ablauf eines Regelinsolvenzverfahrens gibt nach- 13 folgendes Schaubild: Eröffnungsverfahren

Insolvenzverfahren (eröffnet)

ggf. vorl. Insolvenzverwaltung ggf. Sachverständiger/ vorl. Insolvenzverwalter Antrag

Eröffnung

1. Gläubigerversammlung, i. d. R. verbunden mit dem Prüfungstermin

Insolvenzverwalter

ggf. Nachprüfungstermin

Aufhebung/ Einstellung

Schlussverteilung

3

A. Verfahrensziel und Verfahrensbeteiligte

14 Der Ablauf eines Insolvenzverfahrens unter Eigenverwaltung stellt sich im Überblick wie folgt dar: Eröffnungsverfahren

Insolvenzverfahren (eröffnet)

unter vorläufiger Eigenverwaltung

vorl. Sachwalter

Antrag

Eröffnung

Sachwalter

Aufhebung/ Einstellung

ggf. Nachprüfungstermin

1. Gläubigerversammlung, i. d. R. verbunden mit dem Prüfungstermin

Schlussverteilung

V. Verfahrensbeteiligte, Dritte und deren Rechtsstellung im Insolvenzverfahren 1. Insolvenzschuldner und Insolvenzfähigkeit a) Grundlegendes 15 Die Frage, welchen Rechtsträgern das Insolvenzverfahren eröffnet ist, regelt § 11 InsO. Insolvenzfähigkeit ist eng verbunden mit der Rechtsfähigkeit und, im prozessualen Sinne, der Parteifähigkeit (§ 50 ZPO). 16 Die Insolvenzfähigkeit wird – neben den in diesem Buch nicht behandelten natürlichen Personen – auch den nachfolgend einzeln angeführten Rechtsträgern zugesprochen. b) Insolvenzfähigkeit einzelner Rechtsträger aa) Juristische Personen (1) Insolvenzfähigkeit juristischer Personen – Grundlegendes 17 Juristische Personen sind gemäß § 1 Abs. 1 InsO grundsätzlich insolvenzfähig ab ihrer konstitutiven Eintragung in das Register (vgl. §§ 41 Abs. 1, 278 Abs. 3 AktG; § 11 Abs. 1 GmbHG; § 13 GenG; § 21 BGB; zu den Ausnahmen siehe Ausführungen zur jeweiligen Rechtsform). 18 Wurde bereits vor Eintragung Gesellschaftsvermögen als Sondervermögensmasse eingerichtet und hat die Gesellschaft ihre Tätigkeit bereits aufgenommen

4

V. Verfahrensbeteiligte, Dritte und deren Rechtsstellung im Insolvenzverfahren

handelt es sich um eine Vorgesellschaft, die ebenfalls Insolvenzfähigkeit besitzt.5) Die Insolvenzfähigkeit dauert fort, solange die Verteilung des Vermögens nicht 19 vollzogen ist (gemäß § 11 Abs. 3 InsO).6) Liquidationsgesellschaften im Stadium der Abwicklung sind insolvenzfähig bis zur Vollbeendigung mit Vermögenslosigkeit. Die Löschung der Gesellschaft im Register ist unerheblich.7) Die Insolvenzfähigkeit ergibt sich insbesondere für folgende, in der Praxis 20 relevante juristische Personen: (2) GmbH (Gesellschaft mit beschränkter Haftung) Die Insolvenzfähigkeit der GmbH ergibt sich aus der Stellung als eigenstän- 21 diger Rechtsträger heraus; sie kann selbstständig Träger von Rechten und Pflichten sein, Eigentum und andere dingliche Rechte an Grundstücken erwerben, vor Gericht klagen und verklagt werden (§ 13 Abs. 1 GmbHG). Für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft haftet den Gesellschaftsgläubigern nur das Gesellschaftsvermögen (§ 13 Abs. 2 GmbHG). Gleiches gilt für die Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt)/UG 22 (haftungsbeschränkt) (vgl. § 5a GmbHG). Eine solche Rechtsform liegt dem Grund nach vor, wenn das Mindeststammkapital von 25.000 € (§ 5 Abs. 1 GmbHG) unterschritten wird (§ 5a Abs. 1 GmbHG). Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens stellt regelmäßig einen Auflösungs- 23 grund dar (§vgl. § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG). Die Auflösung leitetet die Abwicklungs-/Liquidationsphase der Gesellschaft ein und ist nicht gleichbedeutend mit deren Ende der Existenz. Insbesondere kann das Fortbestehen unter bestimmten Voraussetzungen mit dem Ziel der Sanierung beschlossen werden (§ 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG). Die GmbH und die UG (haftungsbeschränkt) werden durch den Geschäfts- 24 führer, den gesetzlichen Vertreter, vertreten (§ 35 Abs. 1 Satz 1 GmbHG; vgl. § 6 GmbHG). Der Geschäftsführer wird von den Gesellschaftern der GmbH durch Beschluss der Gesellschafterversammlung bestimmt (§§ 45, 46 Abs. 1 Nr. 5, 47, 48 GmbHG). Die Gesellschafter können im Außen nicht rechtswirksam für die GmbH auftreten. Handlungsfähig wird die Gesellschaft nur durch den Geschäftsführer; die Willensbildung indes obliegt den Gesellschaftern (vgl. §§ 45, 46 GmbHG).

___________ 5)

6) 7)

BGH, Beschl. v. 9.10.2003 – IX ZB 34/03, ZIP 2003, 2123 = ZVI 2003, 591; MünchKomm-InsO/Ott/Vuia, § 11 Rn. 14; FK-InsO/Schmerbach, § 11 Rn. 40; KPB/ Prütting, InsO, § 11 Rn. 18. BGH, Beschl. v. 16.12.2004 – IX ZB 6/04, NZI 2005, 225. BGH, Beschl. v. 16.12.2004 – IX ZB 6/04, NZI 2005, 225.

5

A. Verfahrensziel und Verfahrensbeteiligte

(3) Aktiengesellschaft (AG) 25 Eine AG besitzt Insolvenzfähigkeit ob Ihrer Klassifizierung als Gesellschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit, für deren Verbindlichkeiten den Gesellschaftsgläubigern nur das Gesellschaftsvermögen haftet (§ 1 Abs. 1 AktG). 26 Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist ein gesetzlicher Auflösungsgrund, der die als Regelfalls vorgesehene Liquidationsphase einläutet (vgl. auch § 262 Abs. 1 Nr. 3 AktG), sofern eine Sanierung nicht möglich ist. 27 Gesetzlicher Vertreter der AG ist der Vorstand (§ 78 Abs. 1 Satz 1 AktG). (4) Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA) 28 Eine KGaA ist als Gesellschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit, bei der mindestens ein Gesellschafter den Gesellschaftsgläubigern unbeschränkt haftet (persönlich haftender Gesellschafter) und die übrigen an dem in Aktien zerlegten Grundkapital beteiligt sind, ohne persönlich für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft zu haften (Kommanditaktionäre), ebenfalls insolvenzfähig (§ 278 Abs. 1 AktG). Obwohl sie Merkmale einer Personengesellschaft aufweist, ist die KGaA eine juristische Person. 29 Die gesetzliche Vertretung obliegt dem persönlich haftendenden Gesellschafter/ Komplementär (§ 278 Abs. 2 AktG i. V. m. §§ 161 Abs. 2, 114 HGB). (5) Genossenschaft (e. G.) 30 Eine Genossenschaft ist als Gesellschaft ebenfalls rechtsfähig und damit insolvenzfähig (vgl. § 17 GenG). Das Statut der Genossenschaft kann eine Nachschusspflicht der einzelnen Mitglieder vorsehen für den Fall, dass die Gläubiger der Gesellschaft nicht voll befriedigt werden (§ 6 Nr. 3 GenG; vgl. zur Bestimmung der Haftungssumme §§ 105, 119, 121 GenG). 31 Die Genossenschaft wird durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgelöst und anschließend liquidiert, es sei denn, die Fortsetzung realisiert die Sanierung (§ 101 BGB). 32 Die Genossenschaft wird durch den Vorstand vertreten (§ 24 Abs. 1 Satz 1 GenG). (6) Eingetragene Vereine (e. V.) 33 Eingetragene Vereine, die nicht auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet sind, sind rechtsfähig nach Eintragung im Vereinsregister (§§ 21, 22 BGB). Als Träger von Rechten und Pflichten sind sie insolvenzfähig. 34 Der Verein wird durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgelöst und anschließend liquidiert, es sei denn, über die Fortsetzung wurde beschlossen (§ 42 Abs. 1 BGB).

6

V. Verfahrensbeteiligte, Dritte und deren Rechtsstellung im Insolvenzverfahren

Das Vertretungsorgan des Vereins ist der Vorstand (§ 26 BGB).

35

(7) Nicht rechtsfähige Vereine Für nicht rechtsfähige Vereine (§ 54 BGB) bestimmt § 11 Abs. 1 Satz 2 InsO 36 die Insolvenzfähigkeit. Der Verein ist insoweit einer juristischen Person gleichgestellt. Die Haftung der einzelnen Mitglieder ist zumeist kraft Satzung oder stillschweigend auf den Anteil am Vereinsvermögen beschränkt.8) Der nicht rechtsfähige Verein wird durch die Gesellschafter vertreten (§§ 54, 37 709 BGB). (8) Stiftungen Stiftungen sind ab der Begründung durch Anerkennung durch die zuständige 38 Landesbehörde (§ 80 BGB) insolvenzfähig i. S. v. § 11 Abs. 1 InsO.9) Die Vorstiftung ist nicht insolvenzfähig.10) Der Stiftungsvorstand bildet das Vertretungsorgan (§§ 86, 26 BGB).

39

(9) Juristische Personen des öffentlichen Rechts (§ 12 InsO) § 12 InsO definiert Ausnahmen der Insolvenzfähigkeit für juristische Personen 40 des öffentlichen Rechts, des Bundes und der Länder. Die Insolvenzfähigkeit politischer Parteien und Gewerkschaften ist hingegen 41 anerkannt.11) bb) Personengesellschaften (1) Insolvenzfähigkeit von Personengesellschaften – Grundlegendes Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit sind ab Aufnahme ihrer Tätigkeit 42 insolvenzfähig, soweit sie in § 11 Abs. 2 Nr. 1 InsO aufgeführte gesamthänderisch gebundene Sondervermögensmassen darstellen. Soweit Registereintragungen gesetzlich vorgesehen, aber noch nicht erfolgt 43 sind (siehe z. B. für die OHG § 123 Abs. 1 HGB und für die KG §§ 123 Abs. 1, 161 Abs. 2 HGB), ist dies für die Frage der Insolvenzfähigkeit nicht von Bedeutung, da die BGB-Gesellschaft (GbR) insolvenzfähig ist (vgl. § 11 Abs. 2 Nr. 1 InsO). ___________ 8) FK-InsO/Schmerbach, § 11 Rn. 14 m. w. N. 9) Siehe ausführlich zum Thema Bach/Knof, ZInsO 2005, 729. 10) FK-InsO/Schmerbach, § 12 Rn. 41; HK-InsO/Wehr, § 11 Rn. 17; Bach/Knof ZInsO 2005, 729, 730. 11) FK-InsO/Schmerbach, § 12 Rn. 5; KPB/Prütting, InsO, § 12 Rn. 12; krit. für politische Parteien MünchKomm-InsO/Ott/Vuia, § 12 Rn. 11.

7

A. Verfahrensziel und Verfahrensbeteiligte

44 Ist die Gesellschaft aufgelöst, besteht die Insolvenzfähigkeit bis zur Beendigung der Verteilung des Vermögens fort (§ 11 Abs. 3 InsO). 45 Im Einzelnen ergibt sich die Insolvenzfähigkeit für folgende Rechtsformen: (2) Offene Handelsgesellschaft (OHG) 46 Die OHG (§ 105 HGB) ist gemäß § 11 Abs. 2 Nr. 1 InsO insolvenzfähig. 47 Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist ein gesetzlicher Auflösungsgrund, der die Liquidationsphase einleitet, es sei denn, die Sanierung soll im Wege der Fortsetzung realisiert werden (vgl. § 131 Abs. 1 Nr. 3 HGB). 48 Die OHG wird durch den zur Vertretung ermächtigten Gesellschafter vertreten (§ 125 Abs. 1 HGB). (3) Kommanditgesellschaft (KG) 49 Die Insolvenzfähigkeit der KG (§ 161 HGB) ist ausdrücklich in § 11 Abs. 2 Nr. 1 InsO festgeschrieben. 50 Die KG wird durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgelöst und anschließend im Rahmen des Insolvenzverfahrens liquidiert, es sei denn, über die Fortsetzung wurde mit dem Ziel der Sanierung beschlossen (vgl. §§ 161 Abs. 2, 131 Abs. 1 Nr. 3 HGB). 51 Die KG wird durch die persönlich haftenden Gesellschafter vertreten (vgl. § 170 HGB). 52 Bei Ausscheiden des einzigen Komplementärs aus einer KG ist ein Partikularinsolvenzverfahren analog §§ 315 ff. InsO über das Vermögen des Kommanditisten statthaft, beschränkt sich allerdings auf das im Wege der Gesamtrechtsnachfolge übergegangene Vermögen der KG.12) Praxistipp: Bei der GmbH & Co. KG sind die Vermögensmassen streng zu trennen. Entsprechend handelt es sich bei der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Kommanditgesellschaft und bei der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Komplementärgesellschaft um zwei, ebenfalls streng getrennt zu betrachtende, eigenständige Insolvenzverfahren: Die Insolvenz der KG und die Insolvenz der Komplementär-GmbH.

(4) Gesellschaft bürgerlichen Rechts/BGB-Gesellschaft (GbR) 53 Eine GbR (§ 705 BGB) ist insolvenzfähig (§ 11 Abs. 2 Nr. 1 InsO). Die Gesellschaft ist rechts- und parteifähig, soweit sie durch Teilnahme am Rechtsver___________ 12) LG Dresden, Beschl. v. 7.3.2005 – 5 T 889/04, ZIP 2005, 955; AG Hamburg, Beschl. v. 30.5.2005 – 67a IN 222/05, ZInsO 2005, 838; AG Hamburg, Beschl. v. 10.1.2006 – 67a IN 599/05, ZIP 2006, 390.

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V. Verfahrensbeteiligte, Dritte und deren Rechtsstellung im Insolvenzverfahren

kehr eigene Rechte und Pflichten begründet.13) Über das Gesellschaftsvermögen (als Sondervermögensmasse) kann das Insolvenzverfahren eröffnet werden. Dies gilt nicht, sofern die Gesellschaft als reine Innengesellschaft zu klassifizieren ist, die nicht im Rechtsverkehr auftritt und Rechtswirkungen lediglich im Innenverhältnis zwischen den Gesellschaftern begründet.14) Mit dem Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts – MoPeG15) 54 hat der Gesetzgeber die Rechtsfähigkeit ausdrücklich etabliert, § 705 Abs. 2 Alt. 1 BGB i. d. F. vom 1.1.2024. Der Insolvenzbeschlag in dem Insolvenzverfahren über das Gesellschafts- 55 vermögen erfasst nicht das Privatvermögen der Gesellschafter. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft oder eines Gesellschafters führt jeweils zur Auflösung der GbR (§ 728 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB), sofern der Gesellschaftsvertrag nicht den Fortbestand bestimmt. Im Falle einer Auflösung (§ 727 BGB) ist ein Insolvenzantrag nur noch in- 56 soweit zulässig, als die Verteilung des Gesellschaftsvermögens noch nicht vollzogen ist (§ 11 Abs. 3 InsO). Enthält der Gesellschaftsvertrag eine entsprechende Fortsetzungsklausel, führt 57 das Ausscheiden des vorletzten Gesellschafters – soweit nichts Abweichendes geregelt ist – zur liquidationslosen Vollbeendigung der Gesellschaft und zur Anwachsung des Gesellschaftsvermögens bei dem letzten verbliebenen Gesellschafter.16) Der Beschluss über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines nicht existenten Schuldners (hier: einer voll beendeten BGB-Gesellschaft) ist nichtig.17) Praxistipp: Eine Bruchteilsgemeinschaft (§§ 741 ff. BGB) ist nicht insolvenzfähig.18) Auch eine Wohnungseigentümergemeinschaft ist nicht insolvenzfähig (§ 11 Abs. 3 WEG).

___________ 13) BGH, Urt. v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, ZIP 2001, 330 (m. Bespr. Ulmer, S. 585), dazu EWiR 2001, 341 (Prütting). 14) FK-InsO/Schmerbach, § 11 Rn. 21 m. w. N. 15) Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts – MoPeG v. 10.8.2021, BGBl. I, 436. 16) BGH, Urt. v. 7.7.2008 – II ZR 37/07, ZIP 2008, 1677 (m. Bespr. K. Schmidt, S. 2337) dazu EWiR 2008, 679 (Vortmann); abl. Marotzke, ZInsO 2009, 590, abl. Keller NZI 2009, 29; abl. FK-InsO/Schmerbach, § 11 Rn. 45; im Ergebnis wohl zust. KPB/Prütting, InsO, § 11 Rn. 44. 17) BGH, Urt. v. 7.7.2008 – II ZR 37/07, ZIP 2008, 1677 (m. Bespr. K. Schmidt, S. 2337). 18) KPB/Prütting, InsO, § 11 Rn. 53; Holzer EWiR 2001, 589; MünchKomm-InsO/Ott/ Vuia § 11 Rn. 63a; a. A., sofern Grundvermögen gehalten wird: AG Göttingen, Beschl. v. 18.10.2000 – 74 IN 131/00, ZIP 2001, 580, dazu EWiR 2001, 589 (Holzer); FKInsO/Schmerbach, § 11 Rn. 22.

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A. Verfahrensziel und Verfahrensbeteiligte

(5) Partnergesellschaft 58 Die Partnerschaftsgesellschaft ist ein Zusammenschluss Angehöriger freier Berufe mit dem Zweck der gemeinschaftlichen Berufsausübung, ohne ein Handelsgewerbe zu betreiben (§ 1 Abs. 1 PartGG). Die Insolvenzfähigkeit (§ 11 Abs. 2 Nr. 1 InsO) wird nicht von der gemäß § 8 Abs. 2 PartGG möglichen Haftungsbeschränkung beeinflusst.19) 59 Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist ein gesetzlicher Auflösungsgrund für den Fall, dass eine Sanierung über die Fortsetzung nicht realisierbar ist (vgl. § 9 PartG i. V. m. § 131 Abs. 1 Nr. 3 HGB). c) Auskunfts- und Mitwirkungspflichten 60 Für die gesetzlichen/organschaftlichen Vertreter der Schuldnerunternehmung ergeben sich die in § 97 InsO normierten Pflichten zur Auskunftserteilung und Mitwirkung verpflichtet durch ausdrückliche Verweisung in § 101 Abs. 1 Satz 1 InsO. Dies gilt bereits im Stadium des Eröffnungsverfahrens (§§ 20, 101 Abs. 1 Satz 1, 97 ff. InsO). Der Pflichtenkreis umfasst im Wesentlichen, dem Insolvenzgericht, dem Insolvenzverwalter, dem Gläubigerausschuss sowie auf Anordnung des Gerichts der Gläubigerversammlung über alle das Verfahren betreffenden Verhältnisse Auskunft zu geben (§ 97 Abs. 1 Satz 1 InsO). Auch sind Tatsachen zu offenbaren, die geeignet sind, eine Verfolgung wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit herbeizuführen (§ 97 Abs. 1 Satz 2 InsO). 61 Die Auskunftspflicht gemäß § 97 Abs. 1 InsO gilt entsprechend für die gesetzlichen/organschaftlichen Vertreter, die innerhalb eines Zeitraums von zwei Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens aus dieser Vertretungsposition ausgeschieden sind (§ 101 Abs. 1 Satz 2 InsO). Hierdurch wird u. a. die Möglichkeit sog. „Firmenbestattung“ eingeschränkt, bei der beispielsweise ein Geschäftsführer eigens für den Insolvenzantrag bestellt wird und sich der vormalige Geschäftsführer eventuellen Pflichten entziehen könnte. 62 Ist die Gesellschaft führungslos, treffen diese Pflichten auch Gesellschafter, Aktionäre und andere Personen, die an dem Unternehmen beteiligt sind (§ 101 Abs. 1 Satz 2 InsO). 63 Angestellte und frühere Angestellte sind zur Auskunftserteilung im Rahmen der §§ 101 Abs. 2, 97 Abs. 1 Satz 1 InsO verpflichtet. 64 Die Auskunftserteilung und Mitwirkung kann je nach Eskalationsgrad zwangsweise gerichtlich herbeigeführt werden, erforderlichenfalls bis zur Inhaftierung.

___________ 19) FK-InsO/Schmerbach, § 11 Rn. 24.

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V. Verfahrensbeteiligte, Dritte und deren Rechtsstellung im Insolvenzverfahren

Hinsichtlich der nach § 97 Abs. 1 Satz 1 InsO erteilten Auskünfte gilt eine ein- 65 geschränkte Verwertbarkeit der Informationen in einem Straf- oder Ordnungswidrigkeitsverfahren dahingehend, dass eine Zustimmung des Auskunftspflichtigen zur Verwendung vorliegen muss (§ 97 Abs. 1 Satz 3 InsO). Dies ist gerade im Bereich der Insolvenzstraftaten für organschaftliche Vertreter von Bewandtnis (s. exemplarisch § 15a InsO). Der Zustimmungsvorbehalt ist nicht gleichbedeutend mit einem insolvenzrechtlichen Auskunftsverweigerungsverbot. 2. Insolvenzgläubiger Alle Gläubiger, die zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens 66 einen begründeten persönlichen Vermögensanspruch gegen den Schuldner haben, sind als Insolvenzgläubiger klassifiziert (§ 38 InsO). Diese Gläubiger können Befriedigung aus der Insolvenzmasse erlangen. Abzustellen ist auf die Begründetheit zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Nicht fällige Forderungen gelten als fällig (§ 41 InsO). In Insolvenzverfahren über das Vermögen von Aktiengesellschaften können 67 auch die Aktionäre (Gesellschafter der AG) mit selbstständigen, aus dem Anteilsrecht folgenden Ansprüchen (z. B. Dividenden, Rückzahlung aus Kapitalherabsetzung, Rückzahlung aus entgeltlichen Nebenleistungen, vgl. § 55 Abs. 1 AktG) als Insolvenzgläubiger am Verfahren teilnehmen.20) Gleiches gilt für Inhaber von Schuldverschreibungen (§§ 793 ff. BGB) und von Wandelund Gewinnschuldverschreibungen (§ 221 AktG), auch wenn sie gleichzeitig Aktionär der Gesellschaft sind. Ab der Eröffnung des Verfahrens dient ausschließlich die Insolvenzmasse als 68 Haftungspotential. Die Forderungen können fortan ausschließlich nach den Bestimmungen der Insolvenzordnung geltend gemacht werden (§ 87 InsO). Eine Beitreibung im Wege der Einzelzwangsvollstreckung ist unzulässig (§ 89 InsO). Persönliche Forderungen können in der Aussicht auf eine quotale Befriedigung beim Verfahrensabschluss zur Insolvenztabelle angemeldet werden (§§ 174 ff. InsO). Eine Pflicht, die Forderungen geltend zu machen, besteht nicht. Die Geltendmachung der Forderung zur Insolvenztabelle folgt einem festgeschriebenen Ablauf (ĺ Rn. 769 ff.). Die Befriedigung durch Zahlung einer auf der Basis des vom Insolvenzverwalter aufzustellenden Schlussverzeichnisses ermittelten Insolvenzquote (ĺ Rn. 935 ff.) ist ebenfalls Ausfluss des Gläubigergleichbehandlungsgrundsatzes (ĺ Rn. 2). Mit der ausgezahlten Quote erlöschen die Forderungen der Gläubiger in Höhe 69 des ausgezahlten Betrages. Aus einem vollstreckbaren Auszug aus der Tabelle (vgl. § 178 Abs. 3 InsO) könnte die Restforderung im Wege der Zwangsvollstreckung geltend gemacht werden (vgl. § 201 InsO). Da nach einem durchgeführten Insolvenzverfahren in der Regel jedoch kein Vermögen mehr vorhanden ___________ 20) BGH, Urt. v. 15.4.2010 – IX ZR 188/09, ZIP 2010, 1039 (m. Bespr. Madaus, S. 1214), dazu EWiR 2010, 465 (Mock).

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A. Verfahrensziel und Verfahrensbeteiligte

ist und die Gesellschaften, soweit Registereintragungen vorlagen, gelöscht werden (vgl. hierzu auch § 141a FGG), ist dieses Recht rein theoretischer Natur. 70 In Insolvenzverfahren über das Vermögen von Personengesellschaften berechtigt ein vollstreckbarer Tabellenauszug auch nicht zur Vollstreckung in das Vermögen der Gesellschafter.21) Eine Titelumschreibung gemäß § 727 ZPO ist nicht möglich.22) Für die Frage der Möglichkeit der Titelumschreibung hat die analoge Anwendbarkeit der §§ 128, 129 HGB auf die Gesellschafterhaftung für Gesellschaftsverbindlichkeiten einer GbR keine Bedeutung.23) 71 Für nicht angemeldete Forderungen gilt die (theoretische) Nachhaftung gemäß § 201 InsO mit der Möglichkeit der Vollstreckung aus einem vollstreckbaren Tabellenauszug nicht. Der Gläubiger müsste seine Forderung gegen den Schuldner im Klageweg oder aus einem bereits vorhandenen sonstigen Titel im Wege der Zwangsvollstreckung geltend machen, wobei dies mindestens wirtschaftlich mangels nach dem Abschluss des Insolvenzverfahrens vorhandener Haftungsmasse und nach Löschung der Gesellschaft tatsächlich nicht zielführend ist. 3. Gläubiger nachrangiger Forderungen 72 Den Katalog der sog. Nachrangforderungen, die erst nach vollständiger Befriedigung der Masseverbindlichkeiten und der Insolvenzgläubiger Befriedigung erlangen können, beschreibt § 39 InsO. Zu den Nachforderungen zählen x

die seit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens laufenden Zinsen und Säumniszuschläge auf Forderungen der Insolvenzgläubiger;

x

die Kosten, die den einzelnen Insolvenzgläubigern durch ihre Teilnahme am Verfahren erwachsen;

x

Geldstrafen, Geldbußen, Ordnungsgelder und Zwangsgelder sowie solche Nebenfolgen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit, die zu einer Geldzahlung verpflichten;

x

Forderungen auf eine unentgeltliche Leistung des Schuldners;

x

nach Maßgabe der Absätze 4 und 5 Forderungen auf Rückgewähr eines Gesellschafterdarlehens oder Forderungen aus Rechtshandlungen, die einem solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen.

73 Für die Gläubiger dieser Forderungen gilt gleichermaßen der Grundsatz der Geltendmachung nur nach den insolvenzrechtlichen Bestimmungen (§ 87 InsO)24) sowie das Vollstreckungsverbot (§ 89 InsO). ___________ 21) 22) 23) 24)

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HK-InsO/Herchen, § 201 Rn. 20. OLG Hamm, Beschl. v. 10.2.1978 – 20 W 39/77, NJW 1979, 51. BGH, Urt. v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, ZIP 2001, 330 (m. Bespr. Ulmer, S. 585). MünchKomm-InsO/Ehricke, § 39 Rn. 7.

V. Verfahrensbeteiligte, Dritte und deren Rechtsstellung im Insolvenzverfahren

Eine Anmeldung der Nachrangforderung ist nur dann vorzunehmen, wenn 74 das Insolvenzgericht besonders zur Anmeldung dieser Forderungen auffordert (§ 174 Abs. 3 InsO). 4. Absonderungsberechtigte Gläubiger Soweit die persönlichen Forderungen gegen das Schuldnerunternehmen ding- 75 lich gesichert sind, sind diese Sicherheiten auch im Insolvenzverfahren zu berücksichtigen. Die Gläubiger genießen ein Recht auf bevorzugte Befriedigung aus dem Verwertungserlös des als Sicherheit dienenden, massezugehörigen Vermögenswertes. Die gesetzlichen Grundlagen finden sich in §§ 49 ff. InsO, wobei der Kreis der Absonderungsberechtigten nicht abschließend geregelt ist.25) Zur abgesonderten Befriedigung können sowohl Rechte an beweglichem Vermögen (Mobiliarsicherheiten), als auch Rechte an unbeweglichem Vermögen (Immobiliarsicherheiten) autorisieren. In der Praxis der Insolvenzabwicklung sind insbesondere folgende Sicherheiten, 76 die zur abgesonderten Befriedigung berechtigen, von Bedeutung: x

Immobiliarsicherheiten (§ 49 InsO), z. B. Grundschulden, Hypotheken, Schiffshypotheken

Beispiel: Eine Grundschuld am Firmengrundstück, das im Eigentum der Gesellschaft steht. Merke: Eine Grundschuld, die das Grundstück des Gesellschafters eines Unternehmens belastet, welches dieser z. B. an die GmbH (Schuldnerunternehmung) als Firmengrundstück vermietet hat, berechtigt nicht zur abgesonderten Befriedigung im Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH. Das Grundstück ist in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH nicht massezugehörig, weil es im Eigentum des Gesellschafters steht. Die Vermögensverhältnisse sind konsequent zu trennen. x

Pfandrechte (§ 50 InsO), insbesondere rechtgeschäftliche Pfandrechte, Pfändungspfandrecht, gesetzliche Pfandrechte

Beispiel: Die Schuldner-GmbH hat eine Maschine an einen Lieferanten verpfändet (vgl. §§ 1204 ff. BGB). x

Sicherungseigentum/-übereignung (§ 51 Nr. 1 InsO)

Beispiel: Das Warenlager der Schuldner-GmbH ist an die Hausbank sicherungsübereignet. ___________ 25) MünchKomm-InsO/Ganter, Vor §§ 49 bis 52 Rn. 13.

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A. Verfahrensziel und Verfahrensbeteiligte

x

Sicherungszession (§ 51 Nr. 1 InsO)

Beispiel: Die Kundenforderungen A-F sind an die Hausbank abgetreten zwecks Sicherung der Forderungen der Hausbank gegen die Schuldner-GmbH. x

Rechte aus erweitertem/verlängertem Eigentumsvorbehalt (§ 51 Nr. 1 InsO)

Beispiel: Die Lieferantenforderungen sind über den Zeitpunkt der Weiterverarbeitung oder Weiterveräußerung der Waren hinaus gesichert durch Abtretung der Kaufpreisforderung des Schuldnerunternehmens gegen den Kunden. 77 Darüber hinaus berechtigen noch zur abgesonderten Befriedigung: x

Zurückbehaltungsrechte wegen Verwendungen auf eine massezugehörige Sache (§ 51 Nr. 2 InsO).

x

Zurückbehaltungsrechte nach dem Handelsgesetzbuch (HGB) (§ 51 Nr. 3 InsO).

x

Fiskalische Sicherungsrechte an zoll-/steuerpflichtigen Vermögensgegenständen (§ 51 Nr. 4 InsO).

78 Nach der Verwertung des Sicherungsgutes (ĺ Rn. 451 ff.) ist der Gläubiger insoweit bevorzugt aus dem Verwertungserlös zu befriedigen und ist nur in Höhe der danach noch ungesicherten Forderungen (Ausfallbetrag, § 52 InsO) auf die Anmeldung zur Insolvenztabelle als Insolvenzgläubiger und eine eventuelle Quotenzahlung verwiesen. Gleiches gilt, soweit der Gläubiger auf das Absonderungsrecht verzichtet (§ 52 InsO). 5. Aussonderungsberechtigte 79 Die Insolvenzmasse (ĺ Rn. 422 ff.) umfasst das dem Schuldnerunternehmen zustehende Vermögen sowie den nach Insolvenzeröffnung erzielten Neuerwerb (§§ 35, 36 InsO). Beruft sich ein Beteiligter darauf, dass ein (regelmäßig im Besitz des Schuldners stehender) Gegenstand oder sonstiger Vermögenswert aufgrund eines persönlichen oder dinglichen Rechts nicht zur Insolvenzmasse gehört, kann der Berechtigte den Gegenstand auch nach Insolvenzeröffnung herausverlangen. Ihm steht ein Recht auf Aussonderung zu (§ 47 InsO). 80 Das Aussonderungsrecht ist von dem Absonderungsrecht (ĺ Rn. 434 ff., 451 ff.) strikt zu trennen. Aussonderungsberechtigte sind keine Insolvenzgläubiger (§ 47 Satz 1 InsO).

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V. Verfahrensbeteiligte, Dritte und deren Rechtsstellung im Insolvenzverfahren

In der Verwalterpraxis von Bedeutung sind insbesondere folgende aussonde- 81 rungsfähige Rechte: x

Eigentum (vgl. § 985 BGB), zugrunde liegende Vertragsverhältnisse, insbesondere Miete, Pacht, Leasing.

x

Mietkautionsanspruch, sofern keine Vermischung stattgefunden hat (vgl. hierzu § 551 BGB).26)

x

Einfacher Eigentumsvorbehalt (§§ 929 Satz 1, 158 Abs. 1 BGB).

x

Echtes Factoring („Forderungsverkauf“).

Beispiel: Der Fuhrpark der Schuldner-GmbH besteht ausschließlich aus Leasingfahrzeugen. Leasingfahrzeuge stehen im Eigentum der Leasinggesellschaft, die im Insolvenzfall die Aussonderung der Fahrzeuge verlangen kann. Die geleasten PKW unterliegen nicht dem Insolvenzbeschlag. Nutzt der Insolvenzverwalter einen auszusondernden Gegenstand nach Er- 82 öffnung des Insolvenzverfahrens im Rahmen einer Betriebsfortführung, ist die hierfür zu entrichtende Miete, Leasingrate, Nutzungsentschädigung oder Pacht als Masseverbindlichkeit zu bestreiten (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 InsO; vgl. für gegenseitige Verträge auch § 103 InsO). Bei Fortführung des Unternehmens im Eröffnungsverfahren nach Anord- 83 nung der vorläufigen Insolvenzverwaltung kann das Insolvenzgericht anordnen, dass solche grundsätzlich aussonderungsfähigen Gegenstände zur Fortführung eingesetzt werden dürfen, wenn sie hierfür von erheblicher Bedeutung sind (§ 21 Abs. 2 Nr. 5 Halbs. 1 InsO). Die erhebliche Bedeutung legt regelmäßig der Insolvenzverwalter dar unter gleichzeitiger Anregung, eine entsprechende Anordnung zu beschließen. Der dem Berechtigten zustehende Nutzungsausfall ist in diesem Fall ebenfalls als Masseverbindlichkeit zu entrichten (§ 55 Abs. 2 InsO).27) Ein Anspruch auf Wertersatz besteht darüber hinaus nur, wenn die Nutzung über die vertragliche Abrede hinausgeht.28) Ist ein Gegenstand, dessen Aussonderung hätte verlangt werden können, vor 84 der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom Schuldner oder nach der Eröffnung vom Insolvenzverwalter unberechtigt veräußert worden, kann der Aussonderungsberechtigte die Abtretung des Rechts auf die Gegenleistung verlangen, soweit diese noch aussteht. Er kann die Gegenleistung aus der Insolvenzmasse verlangen, wenn diese (noch) unterscheidbar in der Masse vorhanden ist (Ersatzaussonderung, § 48 InsO). ___________ 26) BGH, Urt. v. 20.12.2007 – IX ZR 132/06, ZInsO 2008, 206. 27) BGH, Beschl. v. 8.3.2012 – IX ZR 78/11, ZIP 2012, 779 = ZInsO 2012, 701, dazu EWiR 2012, 389 (Tillmann). 28) BGH v. 8.3.2012 a. a. O.

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A. Verfahrensziel und Verfahrensbeteiligte

6. Dritte 85 Soweit ein Beteiligter nicht den genannten Kategorien zugeordnet werden kann, ist er Dritter und grundsätzlich kein Verfahrensbeteiligter im engeren Sinne der Insolvenzordnung. Dritte können im Verlauf des Verfahrens in das Verfahren einbezogen werden, wenn die Umstände dies rechtfertigen, z. B. im Rahmen der Informationsbeschaffung, bei Leistung eines Verfahrenskostenvorschusses durch Dritte etc. 86 Wird ein Massegegenstand oder ein Betrieb auf einen Dritten übertragen, übernimmt er die Rolle des Interessenten bzw. nachfolgend des Erwerbers. Sollen dem Dritten im Verhandlungsverlauf sensible Unternehmensdaten bekannt gemacht werden, ist zu empfehlen, in einer Vertraulichkeits-/Verschwiegenheitsvereinbarung das Stillschweigen über die Verhandlungen, die Verhandlungsergebnisse und vertrauliche Informationen festzuschreiben. 87 Soweit sich ein Vermögenswert, der im Eigentum eines Dritten steht, im Besitz des Schuldners befindet, kann jener die Aussonderung vom Insolvenzverwalter verlangen (ĺ Rn. 434 ff.). Der Dritte ist dann Aussonderungsberechtigter. 7. Der Gutachter/Sachverständige 88 Ein Insolvenzverfahren wird nur auf einen schriftlichen Antrag des Schuldnervertreters oder eines Gläubigers hin eröffnet (§ 13 Abs. 1 InsO). 89 Das Antragsrecht bei juristischen Personen und Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit konkretisiert § 15 InsO (siehe ausführlich ĺ Rn. 130 ff.). 90 Ein Eigenantrag muss bzw. soll die in § 13 InsO näher bezeichneten Angaben enthalten; er kann auf einem dafür vorgesehen Formularvordruck gestellt werden (vgl. § 13 Abs. 4). Bei einem Gläubigerantrag sind das Vorliegen des Eröffnungsgrundes sowie die Forderung glaubhaft zu machen (§ 14 Abs. 1 Satz 1 InsO). 91 Nicht in jedem Fall ergeben sich aus den Angaben im schriftlichen Antrag ausreichend Informationen hinsichtlich des vom Insolvenzgericht vor einer Entscheidung auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens festzustellenden Vorliegens der Voraussetzungen zur Eröffnung des Verfahrens. Im Rahmen der Ermittlung dieser Voraussetzungen kann das Insolvenzgericht sich der Unterstützung durch einen Sachverständigen/Insolvenzgutachter bedienen. 92 Die Bestellung eines Sachverständigen ist Ausfluss des in § 5 Abs. 1 InsO normierten Amtsermittlungsgrundsatzes und erfolgt durch Beweisbeschluss. Der Beschluss konkretisiert den Katalog der vom Sachverständigen zu klärenden Fragestellungen. 93 Als Sachverständiger ist eine sachkundige Person zu bestellen. Welcher Profession der Gutachter angehören muss, ist gesetzlich nicht bestimmt. In der

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V. Verfahrensbeteiligte, Dritte und deren Rechtsstellung im Insolvenzverfahren

Praxis werden ganz überwiegend Rechtsanwälte oder Steuerberater bzw. Wirtschaftsprüfer zum Sachverständigen bestellt. Der Sachverständige recherchiert innerhalb des vorgeschriebenen Auftrags 94 die wirtschaftliche Lage des Schuldnerunternehmens und klärt die gerichtlich aufgegebenen Fragestellungen. Die Ermittlungsergebnisse fließen in ein vom Sachverständigen zu erstellendes Abschlussgutachten ein, das dem Gericht als Grundlage für die Entscheidung über die Insolvenzeröffnung dient. Soweit der Sachverständige Vermögenswerte ermittelt, die nach der eventuellen 95 Insolvenzeröffnung Bestandteil der künftigen Insolvenzmasse sein werden, besteht auch vor Eröffnung (Begründung des Insolvenzbeschlags) die Möglichkeit, diese Haftungsmasse zu erhalten und zu sichern. Hierzu bedarf es einer zusätzlichen Anordnung von Sicherungsmaßnahmen durch das Insolvenzgericht (vgl. §§ 21 ff. InsO). Diese Anordnung geht regelmäßig einher mit der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters (ĺ Rn. 232 ff.). Der Sachverständige ist nicht befugt, Sicherungsmaßnahmen zu ergreifen. Ist die Sicherung von Vermögenswerten angezeigt, kann diese nach Eingang des Insolvenzantrags jederzeit bis zur Eröffnungsentscheidung angeordnet werden. Der gerichtliche bestellte Sachverständige ist meist personenidentisch mit dem vorläufigen Insolvenzverwalter. Die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen und die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters kann auch gleichzeitig mit der Bestellung eines Sachverständigen einhergehen, wenn dem Gericht zu diesem Zeitpunkt bereits Erkenntnisse vorliegen, dass künftige Massegegenstände zu sichern sind. Merke: Der Sachverständige hat keine Sicherungsbefugnisse. Die Sicherung künftiger Massegegenstände kann nur durch einen vorläufigen Insolvenzverwalter (ĺ Rn. 232 ff.) erfolgen. Der Sachverständige und der vorläufige Insolvenzverwalter sind in einer ganz überwiegenden Zahl der Fälle personenidentisch. Die Befugnisse und der Handlungsrahmen sind jedoch unterschiedlich (Amtsverschiedenheit). Der Sachverständige und der vorläufige Insolvenzverwalter haben jeweils einen eigenen Vergütungsanspruch (ĺ Rn. 219 ff., 271 ff.). 8. Der vorläufige Insolvenzverwalter Ergeben sich aus den Angaben zum schriftlichen Insolvenzeröffnungsantrag 96 bzw. im Zuge der Ermittlungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen Anhaltpunkt für Vermögenswerte, die dem künftigen Insolvenzbeschlag unterliegen werden, ordnet das Insolvenzgericht Sicherungsmaßnahmen an (§§ 21 ff. InsO, ĺ Rn. 229 ff.) und bestellt einen vorläufigen Insolvenzverwalter (§ 21 Abs. 2 Nr. 1 InsO), der die Aufgabe hat, das Vermögen zu sichern (§ 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 InsO), um so den Zusammenhalt der Haftungsmasse zu gewährleisten. 17

A. Verfahrensziel und Verfahrensbeteiligte

97 Unterschieden wird zwischen dem mit einer Zustimmungsbefugnis ausgestatten sog. „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter (ĺ Rn. 257 ff.) und dem mit voller Verwaltungs- und Verfügungskompetenz bedachten sog. „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalter (ĺ Rn. 260 ff.). 98 Die Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters erfolgt durch gerichtlichen Beschluss. Gleichzeitig wird dem vorläufigen Insolvenzverwalter eine Bestellungsurkunde ausgestellt (Legitimationsnachweis). Die Urkunde muss bei Beendigung des Amtes an das Gericht (im Original!) zurückgegeben werden. 99 Das Amt des vorläufigen Insolvenzverwalters endet mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder mit Abweisung des Eröffnungsantrags mangels Masse. 9. Der Insolvenzverwalter 100 Gleichzeitig mit der Beschlussfassung über die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens bestellt das Gericht einen Insolvenzverwalter (§ 27 Abs. 1 InsO). Über seine Bestellung erhält der Insolvenzverwalter eine Bestellungsurkunde (§ 56 Abs. 2 InsO), die bei Beendigung des Amtes (im Original!) zurückzugeben ist. Praxistipp: Die Bestellungsurkunde wird dem Insolvenzverwalter im Original übersandt. Sie dient als Legitimationspapier im gesamten Verfahrensverlauf und ist bei Beendigung des Amtes an das Insolvenzgericht zurückzureichen. Im organisatorischen Ablauf empfiehlt sich eine sorgfältige Aufbewahrung der Urkunde, um diese stets griffbereit zu haben.

101 Ist ein vorläufiger Gläubigerausschuss bestellt, ist dieser vor Bestellung des Verwalters anzuhören (§ 56a InsO). In der ersten Gläubigerversammlung können die Gläubiger den zunächst bestellten Insolvenzverwalter im Amt bestätigen oder an dessen Stelle eine andere Person wählen (§ 57 InsO). 102 Zum Insolvenzverwalter ist eine für den jeweiligen Einzelfall geeignete, insbesondere geschäftskundige und von den Gläubigern und dem Schuldner unabhängige natürliche Person zu bestellen (§ 56 Abs. 1 InsO). Die Auswahl trifft das Insolvenzgericht in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens.29) 103 Mit Eröffnung des Insolvenzverfahren geht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis hinsichtlich der massebeschlagenen Vermögenswerte auf den Insolvenzverwalter über (§ 80 Abs. 1 InsO). In gleichem Umfang verliert der Schuldner das Recht, über die Gegenstände der Insolvenzmasse zu verfügen. ___________ 29) BVerfG, Beschl. v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04, ZIP 2006, 1355 (m. Bespr. Römermann, S. 1332) = ZVI 2006, 340; hierzu Frind ZInsO 2006, 729 sowie zu der Frage, ob es mit Art. 3 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar ist, dass juristische Personen gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 InsO nicht zum Insolvenzverwalter bestellt werden können BVerfG 1 BvR 3102/13 (anh.).

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V. Verfahrensbeteiligte, Dritte und deren Rechtsstellung im Insolvenzverfahren

Eine nach Insolvenzeröffnung vom Schuldner getroffene Verfügung ist absolut unwirksam (§ 81 Abs. 1 Satz 1 InsO). Der Pflichtenkreis und der Rahmen der Befugnisse des Insolvenzverwalters 104 umfasst insbesondere x

die Inbesitznahme und Verwaltung der Insolvenzmasse (§ 148 InsO),

x

die Veranlassung der Siegelung massezugehöriger Gegenstände durch den Gerichtsvollzieher (§ 150 InsO),

x

die Erstellung eines Masseverzeichnisses (§ 151 InsO),

x

die Erstellung eines Gläubigerverzeichnisses (§ 152 InsO),

x

die Erstellung einer Vermögensübersicht auf den Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens (§ 153 InsO),

x

die Pflicht zur handels- und steuerrechtlichen Rechnungslegung (§ 155 InsO, siehe auch § 34 AO),

x

die Berichtserstattung gegenüber den Gläubigern (§ 156 InsO),

x

die Verwertung der Massegegenstände unverzüglich nach dem Berichtstermin (§ 159 InsO),

x

die Durchsetzung von Anfechtungsansprüchen (§§ 129 ff. InsO),

x

die Führung der Insolvenztabelle (§ 175 InsO),

x

die Befriedigung der Insolvenzgläubiger auf der Grundlage eines Verteilungsverzeichnisses (§§ 187 Abs. 3 Satz 1, 188 InsO),

x

die Pflicht zur Rechnungslegung gegenüber dem aufsichtführenden Insolvenzgericht (§§ 66, 57 InsO).

Für schuldhafte Pflichtverletzungen haftet der Insolvenzverwalter gegenüber 105 den Gläubigern (§ 60 InsO). Das Amt des Insolvenzverwalters endet mit Aufhebung oder Einstellung des 106 Insolvenzverfahrens. Eine Wohlverhaltensphase schließt sich bei Gesellschaftsinsolvenzen nicht an, da nur natürliche Personen die Restschuldbefreiung erreichen können. 10. Das Insolvenzgericht Die in Insolvenzverfahren ausschließliche Zuständigkeit der Amtsgerichte 107 als Insolvenzgerichte ergibt sich aus § 2 Abs. 1 InsO. Das Insolvenzgericht prüft seine Zuständigkeit von Amts wegen (§ 5 Abs. 1 Satz 1 InsO).30) ___________ 30) OLG Hamm, Beschl. v. 24.6.1999 – 1 Sbd 16/99, ZInsO 1999, 533; OLG Celle, Beschl. v. 9.10.2003 – 2 W 108/03, ZIP 2004, 1022, dazu EWiR 2005, 225 (Breitling).

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A. Verfahrensziel und Verfahrensbeteiligte

108 Sachlich zuständig ist das Amtsgericht, in dessen Bezirk ein Landgericht seinen Sitz hat (§ 2 Abs. 1 InsO). Gemäß § 2 Abs. 2 InsO sind die Landesregierungen ermächtigt, die sachliche Zuständigkeit abweichend zu regeln. 109 Örtlich zuständig ist gemäß § 3 InsO ausschließlich das Insolvenzgericht, in dessen Bezirk der Schuldner seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. Liegt der Mittelpunkt einer selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit des Schuldners an einem anderen Ort, so ist ausschließlich das Insolvenzgericht zuständig, in dessen Bezirk dieser Ort liegt. Regelmäßig ist dies der (je nach Rechtsform im Register eingetragene) Sitz der Gesellschaft (vgl. § 3 Abs. 1 Satz 1 InsO i. V. m. § 17 ZPO). Der Sitz wird bei juristischen Personen des Privatrechts durch die Satzung bzw. den Gesellschaftsvertrag bestimmt (§ 3 Abs. 1 GmbHG, § 5 AktG, § 278 Abs. 3 AktG, § 6 Abs. 1 GenG, § 57 Abs. 1 BGB).31) Personengesellschaften legen in der Regel ebenfalls im Gesellschaftsvertrag ihren Sitz fest. Bei mehreren Niederlassungen kommt es auf die Hauptniederlassung an.32) 110 Die funktionelle Zuständigkeit liegt gemäß § 3 Abs. 2e RPflG beim Rechtspfleger mit Ausnahme der in §§ 18, 19a RPflG beschriebenen Richtervorbehalte. Gemäß § 18 Abs. 2 RPflG hat der Richter zudem das Recht, sich das Insolvenzverfahren ganz oder teilweise vorzubehalten. 111 Der Aufgabenkreis des Insolvenzgerichts umfasst im Wesentlichen x

die Entscheidung über die Eröffnung oder Ablehnung des Insolvenzverfahrens,

x

die Entscheidung über einen Antrag auf Stundung der Verfahrenskosten,

x

die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen gemäß §§ 21 ff. InsO,

x

die Bestellung des Insolvenzverwalters (§§ 27, 56 InsO),

x

die Bestimmung von Terminen (§ 29 InsO),

x

die Festsetzung von Vergütungen (§§ 26a, 64 InsO),

x

die Entscheidungen als besonderes Vollstreckungsgericht (vgl. z. B. § 36 Abs. 4 InsO),

x

die Beaufsichtigung des Insolvenzverwalters (§ 58 InsO),

x

die Bestellung des Gläubigerausschusses (§ 67 InsO).

11. Der (vorläufige) Gläubigerausschuss 112 Der Gläubigerausschuss ist ein fakultatives Vertretungsorgan der Gläubiger. Der Ausschuss wird von der Gläubigerversammlung gewählt (§ 68 Abs. 1 ___________ 31) KPB/Prütting, InsO, § 3 Rn. 9; FK-InsO/Schmerbach, § 3 Rn. 16. 32) BT-Drucks. 12/2443 S. 110.

20

V. Verfahrensbeteiligte, Dritte und deren Rechtsstellung im Insolvenzverfahren

Satz 1, Abs. 2 InsO), repräsentiert die Gläubiger des Verfahrens und vertritt deren Interessen. Bereits vor der Möglichkeit zur Wahl in der ersten Gläubigerversammlung 113 kann das Insolvenzgericht im eröffneten Verfahren einen vorläufigen Gläubigerausschuss einsetzen (§ 67 Abs. 1 InsO). Die endgültige Entscheidung über die Beibehaltung des vorläufigen Ausschusses obliegt der Gläubigerversammlung im Termin (§ 68 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 InsO). Zwecks gleichberechtigter Interessenwahrung soll die Zusammensetzung des 114 Ausschusses die Gläubigerstruktur repräsentieren. Daher sollen die absonderungsberechtigten Gläubiger, die Insolvenzgläubiger mit den höchsten Forderungen und die Kleingläubiger sowie ein Vertreter der Arbeitnehmer vertreten sein (§ 67 Abs. 2 InsO). Dem Gläubigerausschuss sind folgende Aufgaben zugedacht:

115

x

die Unterstützung und Überwachung des Insolvenzverwalters (§ 69 Satz 1 InsO),

x

die Einsichtnahme in die Bücher und Geschäftspapiere (§ 69 Satz 2 InsO),

x

die Prüfung des Geldverkehrs und -bestands (i. d. R. durch einen Kassenprüfer),

x

die Zustimmung zu besonders bedeutsamen Rechtshandlungen des Insolvenzverwalters (§ 160 InsO),

x

die Entscheidung über ein Betriebsstilllegung (§ 158 InsO),

x

die Entscheidung über die Verteilung der Masse (§ 187 Abs. 3 InsO),

x

die Mitwirkung im Insolvenzplanverfahren (§ 218 InsO).

Mit Inkrafttreten des Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von 116 Unternehmungen (ESUG)33) zum 1.3.2012 haben die Rechte der Gläubiger eine merkliche Stärkung erfahren. So besteht insbesondere die Möglichkeit, bereits im Eröffnungsverfahren einen Gläubigerausschuss einzusetzen (§ 21 Abs. 2 Nr. 1a) InsO). Hierdurch wird den Gläubigern bereits im Eröffnungsverfahren, demnach in einem sehr frühen Verfahrensstadium, ermöglicht, richtungsweisend Einfluss auf den weiteren Verfahrensgang, insbesondere die Auswahl des (vorläufigen) Insolvenzverwalters, auf die Anordnung der Eigenverwaltung und auf die Bestellung des (vorläufigen) Sachwalters zu nehmen. Die gesetzliche Bezeichnung als „vorläufiger“ Gläubigerausschuss ist dem 117 Grunde nach, da der Einsatz im Eröffnungsverfahren erfolgt und der Terminus dem des vorläufigen Insolvenzverwalters entspricht, denklogisch. Da sich jedoch in der Praxis bereits der nach Eröffnung und vor der ersten Gläubi___________ 33) Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen v. 7.12.2011 m. W. z. 1.3.2012, BGBl. I, 2582.

21

A. Verfahrensziel und Verfahrensbeteiligte

gerversammlung bestellte Ausschuss als „vorläufiger Gläubigerausschuss“ etabliert hat, stiftet die Terminologie manchmal Verwirrung. Der Begriff des „vorläufigen Gläubigerausschusses“ ist also nicht eindeutig belegt. Die Praxis hilft sich insoweit mit anderslautenden Bezeichnungen für den im Eröffnungsverfahren bestellten Ausschuss (z. B. „vor-vorläufiger Gläubigerausschuss“ oder „präsumtiver Gläubigerausschuss“). Die nicht eindeutige Belegung der Begrifflichkeit führt dennoch vielfach zu Missverständnissen und Schwierigkeiten. 118 Dazu trägt nicht zuletzt bei, dass im Eröffnungsverfahren eine weitere Klassifizierung vorgenommen wird. Dies ist insoweit alternativlos, da das Gesetz in einigen Fällen die Bestellung eines Gläubigerausschusses bereits im Eröffnungsverfahren zwingend vorgibt, in anderen Fällen als entsprechende Option anbietet. Unterschieden wird zwischen dem sog. „Kann-Ausschuss“, dem „Soll-Ausschuss“ und dem „Pflicht-Ausschuss“. 119 Der „Pflicht-Ausschuss“ ist einzusetzen, wenn mindestens zwei der drei in § 22a Abs. 1 Nrn. 1 – 3 InsO festgelegten Schwellenwerte für Bilanzsumme, Umsatzerlöse und Arbeitnehmerzahl erreicht sind; andernfalls liegt die Einsetzungsentscheidung im Ermessen des Gerichts. Praxistipp: Schwellenwerte gemäß § 22a Abs. 1 Nrn. 1 – 3 InsO x Mind. 4.840.000 € Bilanzsumme nach Abzug eines auf der Aktivseite ausgewiesenen Fehlbetrags i. S. d. § 268 Abs. 3 HGB; x mind. 9.680.000 € Umsatzerlöse in den 12 Monaten vor dem Abschlussstichtag; x im Jahresdurchschnitt mind. 50 Arbeitnehmer.

120 Der „Soll-Ausschuss“ (oder „Antrags-Ausschuss“) soll auf Antrag eingesetzt werden, wenn ein laufender Geschäftsbetrieb besteht oder nur einer der Schwellenwerte erreicht wird (§ 22a Abs. 2 InsO). 121 Die Einsetzung eines „Kann-Ausschusses“ ist möglich, wenn die verfahrensbedingten Umstände dies bedingen. 122 Die Tätigkeit im Gläubigerausschuss begründet einen eigenen Vergütungsanspruch. Jedes Mitglied des Gläubigerausschusses wird besonders vergütet und hat Anspruch auf Erstattung angemessener Auslagen (§ 73 InsO). 123 Bei einer schuldhaften Pflichtverletzung haften die Mitglieder den Absonderungsberechtigten und den Insolvenzgläubigern gegenüber auf Schadensersatz (§ 71 InsO). 12. Der (vorläufige) Sachwalter 124 Die Insolvenzordnung kennt neben der „klassischen“ Insolvenzverwaltung und dem damit verbundenen Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbe22

V. Verfahrensbeteiligte, Dritte und deren Rechtsstellung im Insolvenzverfahren

fugnis auf einen Insolvenzverwalter (§ 80 Abs. 1 InsO) eine Alternative, die dem Schuldnerunternehmen die Möglichkeit der Sanierung „unter Insolvenzschutz“ bietet. Unter bestimmten Voraussetzungen kann ein Insolvenzverfahren eröffnet werden, ohne dass ein Insolvenzverwalter bestellt wird, auf den die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis übergeht. Diese verbleibt beim Schuldner, d. h. die gesetzlichen Vertreter bleiben nach wie vor umfänglich handlungsbefugt. Das Insolvenzverfahren wird unter Eigenverwaltung durchgeführt (§§ 270 ff. InsO). Voraussetzung für die Anordnung der Eigenverwaltung durch das Insolvenz- 125 gericht ist zunächst ein entsprechender Antrag des Schuldnerunternehmens (§ 270 Abs. 2 Nr. 1 InsO). Zudem dürfen keine Umstände bekannt sein, die erwarten lassen, dass die Anordnung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird (§ 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO). Die Anordnung der Eigenverwaltung erfolgt gleichzeitig mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens. In der Eigenverwaltung führt das Unternehmen die Geschäfte unter der Auf- 126 sicht eines gerichtlich bestellten Sachwalters. Diesem obliegt, durch Ausübung seiner Aufsichts- und Überwachungsfunktion die Gläubiger vor Schaden und nachteiligen Änderungen zu schützen. Der Sachwalter wird mit Eröffnung des Verfahrens bestellt. Seit Inkrafttreten des Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von 127 Unternehmungen (ESUG)34) kann bereits im Eröffnungsverfahren „vorläufige Eigenverwaltung“ angeordnet und ein vorläufiger Sachwalter bestellt werden (§§ 270a ff. InsO). Die Befugnisse des (vorläufigen) Sachwalters (ĺ Rn. 333 ff.) sind im Ver- 128 hältnis zur Anordnung einer (vorläufigen) Insolvenzverwaltung weniger umfassend. Der (vorläufige) Sachwalter hat einen Anspruch auf Vergütung seiner Tätig- 129 keit (vgl. § 12 InsVV, ĺ Rn. 355 ff.).

___________ 34) Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen v. 7.12.2011 m. W. z. 1.3.2012, BGBl. I, 2582.

23

B. Das Insolvenzeröffnungsverfahren I. Der Insolvenzantrag Ein Insolvenzverfahren wird nur auf schriftlichen Antrag eröffnet (Antrags- 130 grundsatz, § 13 Abs. 1 Satz 1 InsO). Antragsberechtigt sind gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 InsO die Gläubiger (Fremd- 131 antrag) und der Schuldner (Eigenantrag). Eine Antragsrücknahme kann nur bis zur rechtskräftigen Entscheidung über 132 den Antrag in Form der Eröffnung oder der Abweisung erklärt werden (§ 13 Abs. 2 InsO). 1. Eigenantrag a) Grundlegendes Stellt der Schuldner einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über 133 sein Vermögen, spricht man von einem Eigenantrag. In Gesellschaftsinsolvenzen wird der Antrag i. a. R. durch den gesetzlichen Vertreter eingereicht. b) Form und Inhalt des Antrags Der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist schriftlich zu stellen 134 (§ 13 Abs. 1 Satz 1 InsO). Im Regelinsolvenzverfahren besteht die Möglichkeit, Formulare zu nutzen (vgl. § 13 Abs. 3 InsO); ob sich hieraus ein Formularzwang herleiten lässt, wird kritisch gesehen.35) Für den Eigenantrag ist vorgeschrieben, dem Antrag ein Gläubigerverzeichnis 135 inklusive der Forderungen beizufügen (§ 13 Abs. 1 Satz 2 InsO). Ist der Geschäftsbetrieb nicht eingestellt, sollen in dem Verzeichnis kennt- 136 lich gemacht werden: x

die höchsten Forderungen,

x

die höchsten gesicherten Forderungen,

x

die Forderungen der Finanzverwaltung,

x

die Forderungen der Sozialversicherungsträger,

x

die Forderungen aus betrieblicher Altersvorsorge.

Zudem sind Angaben zur Bilanzsumme, zu den Umsatzerlösen und zur durch- 137 schnittlichen Zahl der Arbeitnehmer des vorangegangenen Geschäftsjahres zu machen. Wurde die Anordnung der Eigenverwaltung oder die Einsetzung eines vor- 138 läufigen Gläubigerausschusses beantragt, sind diese Angaben zwingend zu ___________ 35) Siehe hierzu FK-InsO/Schmerbach, § 13 Rn. 20 ff, 45 ff.

25

B. Das Insolvenzeröffnungsverfahren

machen (§ 13 Abs. 1 Satz 6 InsO). Gleiches gilt für den Fall, wenn die Schwellenwerte des § 22a Abs. 1 Nrn. 1 – 3 InsO erreicht werden (§ 13 Abs. 1 Satz 6 InsO). Das Insolvenzgericht prüft, ob ein vorläufiger Gläubigerausschuss zwingend einzusetzen ist. 139 Unter den Voraussetzungen des § 13 Abs. 1 Satz 6 InsO sind die Angaben i. S. d. § 13 Abs. 1 Satz 4 InsO zwingend. Sind diese unvollständig, ist der Antrag unzulässig. Liegen die Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 Satz 6 InsO nicht vor, handelt es sich „lediglich“ um Soll-Angaben. Eine Unvollständigkeit berührt in diesem Fall die Zulässigkeit des Antrags nicht. 140 Der Schuldner ist gemäß § 13 Abs. 1 Satz 7 InsO verpflichtet, die Vollständigkeit und Richtigkeit dieser Angaben zu versichern. c) Antragsrecht 141 Das Antragsrecht bei juristischen Personen und Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit regelt § 15 InsO. Die Norm ist als Konkretisierung zu dem in § 13 Abs. 1 InsO normierten Antragsrecht zu verstehen, indem in § 15 InsO der insoweit berechtigte Personenkreis beschrieben wird. 142 Das Antragsrecht ergibt sich in Abhängigkeit von der Rechtsform für folgende Personenkreise: Rechtsform

Antragsrecht

GmbH

Geschäftsführer (§ 15 Abs. 1 Satz 1 InsO, § 35 GmbHG)

AG

Vorstand (§ 15 Abs. 1 Satz 1 InsO, §§ 76, 78 AktG)

KGaA

persönlich haftender Gesellschafter (§ 278 Abs. 3 AktG)

Genossenschaft

Vorstand (§ 15 Abs. 1 Satz 1 InsO, § 24 GenG)

Eingetragener Verein

Vorstand (§ 15 Abs. 1 Satz 1 InsO, § 26 BGB)

nicht rechtfähiger Verein

Vorstand (§ 15 Abs. 1 Satz 1 InsO, § 26 BGB), beim wirtschaftlichen Verein alle Mitglieder (vgl. § 22 BGB)

Stiftung

Vorstand (§ 15 Abs. 1 Satz 1 InsO, §§ 86, 26 BGB)

OHG

Gesellschafter (§ 15 Abs. 1 Satz 1 InsO, § 125 Abs. 1 HGB)

KG

persönlich haftender Gesellschafter (§ 15 Abs. 1 Satz 1 InsO, § 170 HGB)

GbR

Gesellschafter (§ 15 Abs. 1 Satz 1 InsO, § 709 BGB bzw. § 175 BGB i. d. F. vom 1.1.202436))

Partnergesellschaft

jeder persönlich haftende Gesellschafter, jeder Partner (§ 15 Abs. 1 Satz 1 InsO, § 7 Abs. 3 PartGG i. V. m. § 125 Abs. 1 HGB)

143 Bei Führungslosigkeit ist bei einer juristischen Person auch jeder Gesellschafter, bei einer Aktiengesellschaft oder einer Genossenschaft zudem auch ___________ 36) Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts – MoPeG v. 10.8.2021, BGBl. I, 436.

26

I. Der Insolvenzantrag

jedes Mitglied des Aufsichtsrats zur Antragstellung berechtigt (§ 15 Abs. 1 Satz 2 InsO). d) Antragspflicht Mit § 15a InsO definiert der Gesetzgeber eine Antragspflicht bei Insolvenz- 144 verfahren über das Vermögen von juristischen Personen und Personengesellschaften, bei denen keine unbeschränkte Haftung einer natürlichen Person gegeben ist. Eine Insolvenzantragspflicht wird zudem nur angenommen für die Eröffnungs- 145 gründe der Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO, ĺ Rn. 169 ff.) und der Überschuldung (§ 17 InsO, ĺ Rn. 184 ff.); bei (lediglich) drohender Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO, ĺ Rn. 179 ff.) besteht ein Antragsrecht, aber keine Antragspflicht. 146

Eine Antragspflicht besteht bei x

der GmbH (§ 15a Abs. 1 InsO),

x

der UG (haftungsbeschränkt) (§ 15a Abs. 1 InsO),

x

der AG (§ 15a Abs. 1 InsO),

x

der Genossenschaft (§ 15a Abs. 1 InsO),

x

der KGaA (§ 15a Abs. 1 InsO),

x

der OHG und der KG, bei der jeweils keiner der persönlich haftenden Gesellschafter eine natürliche Person ist (§ 15a Abs. 1 InsO; typischerweise die GmbH & Co. KG),

x

dem eingetragenen Verein (§ 15a Abs. 6 InsO, § 42 Abs. 2 BGB),

x

der Stiftung (§ 15a Abs. 6 InsO, §§ 89 Abs. 2, 42 Abs. 2 BGB).

Gemäß § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO besteht für die organschaftlichen Vertreter 147 bzw. Abwickler eine Pflicht, nach Eintritt der Insolvenzreife ohne schuldhaftes Zögern einen Insolvenzantrag zu stellen Der Antrag ist spätestens drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfä- 148 higkeit oder Überschuldung zu stellen. Für Verfahren mit Antragstellung ab dem 1.1.2021 gilt folgende Regelung: Der Antrag ist spätestens drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit und sechs Wochen nach Eintritt der Überschuldung zu stellen.37) Die Antragspflicht entfällt nicht, wenn ein Gläubiger bereits Antrag gestellt 149 hat.38) ___________ 37) Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz (SanInsFoG) v. 22.12.2020, BGBl. I, 3256) m. W. v. 1.1.2021. 38) BGH, Urt. v. 28.10.2008 – 5 StR 166/08, ZIP 2008, 2308, dazu EWiR 2009, 235 (Schork/Ganninger).

27

B. Das Insolvenzeröffnungsverfahren

150 An die Pflichtverletzung sind sowohl strafrechtliche Konsequenzen (vgl. § 15a Abs. 4, 5 InsO, siehe auch ĺ Rn. 144 ff.), als auch eine zivilrechtliche Haftung (ĺ Rn. 658 ff.) geknüpft. 151 Zur Antragstellung verpflichtet sind auch der faktische Geschäftsführer oder der faktische Vorstand. Faktische Geschäftsführung liegt vor, wenn eine Person zwar nicht förmlich zum Geschäftsführer bestellt wurde, dennoch mit Einverständnis der Gesellschafter die Aufgaben der Geschäftsführung wahrgenommen hat. Abgestellt wird auf das Gesamterscheinungsbild des Handelnden nach außen.39) Dem steht nicht entgegen, dass neben ihm auch ein bestellter Geschäftsführer die Geschäftsführung ausübt. Jedoch muss der faktische Geschäftsführer neben dem bestellten eine überragende Stellung einnehmen.40) Als faktischer Geschäftsführer ist derjenige zu klassifizieren, der fehlerhaft zum Geschäftsführer bestellt wurde, bzw. derjenige, ohne bestellt worden zu sein, wie ein Geschäftsführer auftritt und die Geschicke der Gesellschaft durch eigenes Handeln im Außenverhältnis maßgeblich in die Hand genommen hat.41) Nach der von den Strafsenaten des Bundesgerichtshofs in ständiger Rechtsprechung vertretenen Definition ist faktischer Geschäftsführer derjenige, „der die Geschäftsführung mit Einverständnis der Gesellschafter ohne förmliche Bestellung faktisch übernommen hat, tatsächlich ausübt und gegenüber dem formellen Geschäftsführer eine überragende Stellung einnimmt oder zumindest das deutliche Übergewicht hat.“42) Praxistipp: Indizien: Faktische Geschäftsführung x Einnahme einer überragenden Stellung und nachhaltiger Einfluss auf die Geschäftsführung;43) x Wahrnehmung von Führungsaufgaben, betriebsintern und betriebsextern bestimmende Einflussnahme auf sämtliche Geschäftsvorgänge (z. B. Bestimmung der Unternehmenspolitik, Unternehmensorganisation);44) x Unternehmensführung muss mit dem Einverständnis der Gesellschafter, das als eine konkludente Bestellung zu werten ist, erfolgt sein;45) x regelmäßige Kundenbetreuung, Einstellung von Personal in eigener Verantwortung, eigenverantwortliches, ohne Hinzuziehung der ordentlichen Geschäftsführer Führen von Kreditverhandlungen.46)

___________ 39) OLG München, Urt. v. 8.9.2010 – 7 U 2568/10, ZIP 2010, 2295. 40) Vgl. BGH, Urt. v. 10.5.2000 – 3 StR 101/00, ZIP 2000, 1390. 41) BGH, Urt. v. 27.6.2005 – II ZR 113/03, ZIP 2005, 1414; BGH, Urt. v. 11.7.2005 – II ZR 235/03, ZIP 2005, 1550, dazu EWiR 2005, 731 (Bork); BGH, Urt. v. 11.2.2008 – II ZR 291/06, ZIP 2008, 1026, dazu EWiR 2009, 237 (Kleinschmidt, Andreas/Lau). 42) BGH, Urt. v. 11.6.2013 – II ZR 389/12, ZIP 2013, 1519. 43) BGH, Urt. v. 10.5.2000 – 3 StR 101/00, ZIP 2000, 1390. 44) BGH, Urt. v. 22.9.1982 – 3 StR 287/82, BGHSt 31, 118 = ZIP 1983, 173. 45) BGH, Urt. v. 22.9.1982 – 3 StR 287/82, BGHSt 31, 118 = ZIP 1983, 173. 46) BGH, Urt. v. 21.3.1988 – II ZR 194/87, ZIP 1988, 771, dazu EWiR 1988, 905 (Schmidt).

28

I. Der Insolvenzantrag

Bei Führungslosigkeit (vgl. § 10 Abs. 2 InsO) einer Gesellschaft mit be- 152 schränkter Haftung ist auch jeder Gesellschafter, im Fall der Führungslosigkeit einer AG oder einer Genossenschaft ist auch jedes Mitglied des Aufsichtsrats zur Stellung des Antrags verpflichtet. Dies gilt nicht, wenn diese Person von der Zahlungsunfähigkeit und der Überschuldung oder der Führungslosigkeit keine Kenntnis hatte (§ 15a Abs. 3 InsO). Unter den Vorzeichen der COVID-19-Pandemie hat der Gesetzgeber die 153 Insolvenzantragspflichten unter bestimmten Voraussetzungen vorübergehend ausgesetzt.47) Dies galt unter den Voraussetzungen, dass die Insolvenzreife auf den Folgen der Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus (COVID-19Pandemie) beruhte, und oder wenn Aussichten darauf bestanden, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen (§ 1 Abs. 1 CovInsAG). Ab dem 1.10.2020 bis zum 31.12.2020 war allein die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags wegen Überschuldung ausgesetzt. Vom 1.1.2021 bis zum 30.4.2021 war die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags nach vorstehender Maßgabe für die Geschäftsleiter solcher Schuldner ausgesetzt, die im Zeitraum vom 1.11.2020 bis zum 28.2.2021 einen Antrag auf die Gewährung finanzieller Hilfeleistungen im Rahmen staatlicher Hilfsprogramme zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie gestellt hatten. War eine Antragstellung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen innerhalb dieses Zeitraums nicht möglich, war die Pflicht ebenfalls ausgesetzt für Schuldner, die nach den Bedingungen des staatlichen Hilfsprogramms in den Kreis der Antragsberechtigten fielen. Dies galt nicht, wenn offensichtlich keine Aussicht auf Erlangung der Hilfeleistung besteht oder die erlangbare Hilfeleistung für die Beseitigung der Insolvenzreife unzureichend war. 2. Fremdantrag a) Grundlegendes Ein Antragsrecht genießen auch die Gläubiger der Schuldnerunternehmung 154 (Fremdantrag). b) Form und Inhalt des Antrags Ein Fremdantrag eines Gläubigers ist schriftlich einzureichen (§ 13 Abs. 1 155 Satz 1 InsO). Die beim Eigenantrag fakultativ oder zwingend vorzunehmenden Angaben i. S. d. § 13 Abs. 1 Satz 1 – 7 InsO (ĺ Rn. 133 ff.) gelten bei einem Gläubigerantrag nicht.48) Der Antrag eines Gläubigers ist hinsichtlich der Zulässigkeit und der Begründetheit an die nachfolgenden Voraussetzungen geknüpft. ___________ 47) COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz – COVInsAG v. 27.3.2021, BGBl. I., 569, zuletzt geändert durch am 15.2.2021, siehe BGBl. I, 237. 48) FK-InsO/Schmerbach, 8. Aufl., § 13 Rn. 30.

29

B. Das Insolvenzeröffnungsverfahren

c) Zulässigkeit 156 Ein gläubigerinitiierter Fremdantrag ist nur zulässig, wenn der Gläubiger ein rechtliches Interesse an der Eröffnung hat und das Bestehen seiner Forderung/en gegen den Schuldner sowie das Vorliegen eines Eröffnungsgrundes (ĺ Rn. 167 ff.) glaubhaft macht (§ 14 Abs. 1 Satz 1 InsO). Die Anforderungen an die Glaubhaftmachung sind erfüllt, wenn das Gericht der Überzeugung ist, dass die Behauptung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zutrifft (§ 4 InsO, § 294 ZPO).49) Eine förmliche Beweisführung ist nicht erforderlich. aa) Rechtliches Interesse 157 Der antragstellende Gläubiger muss ein rechtliches Interesse an der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens haben (§ 14 Abs. 1 Satz 1 InsO). Das Vorliegen des Rechtschutzinteresses prüft das Insolvenzgericht. § 14 Abs. 1 Satz 1 InsO dient dem Schutz des Schuldners vor u. U. mit einem Insolvenzverfahren einhergehenden einschneidenden Eingriffen in dessen Vermögensverhältnisse. Dient die Antragstellung offenkundig und ausschließlich als Druckmittel und im Rahmen der Forderungsbeitreibung als „verlängerter Arm der Einzelzwangsvollstreckung“, dürfte das Rechtschutzinteresse fehlen. Ein Druckantrag ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn nicht zumindest auch die Durchführung eines Insolvenzverfahrens tatsächlich angestrebt wird. bb) Glaubhaftmachung des Bestehens einer Forderung 158 Der Gläubiger muss glaubhaft machen, dass er z. Zt. der Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens Inhaber einer persönlichen Forderung gegen den Schuldner ist. Voraussetzung ist ein vermögensrechtlicher Charakter des Anspruchs; er muss einen Geldwert haben oder ggf. in einen solchen umgerechnet werden können (vgl. § 45 InsO). Nicht zur Antragstellung berechtigen daher z. B. Duldungs- oder Unterlassungsansprüche. 159 Der Antrag ist unzulässig, wenn die Forderung des Gläubigers nach Antragstellung, aber vor Eröffnung, beglichen wird. Bestehen mehrere Forderungen des Gläubigers, ist ein „Auswechseln“ der Forderungen jedoch möglich.50) 160 Auch kann der Antrag unter den Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 Satz 2, 3 InsO trotz zwischenzeitlich beglichener Forderungen weiterverfolgt werden, wenn innerhalb der letzten zwei Jahre vor dem Antrag bereits ein zulässiger Insolvenzantrag über das Vermögen des Schuldners gestellt wurde. Dies ist jedoch nur dann möglich, wenn das rechtliche Interesse an der Eröffnung des Verfahrens, das Vorliegen eines Eröffnungsgrundes sowie der vorhergehende

___________ 49) Vgl. hierzu BGH, Beschl. v. 11.9.2003 – IX ZB 37/03, ZVI 2003, 538 = NZI 2003, 662. 50) BGH, Beschl. v. 5.2.2004 – IX ZB 29/03, ZIP 2004, 1466 = ZVI 2004, 408.

30

I. Der Insolvenzantrag

Antrag glaubhaft gemacht werden können (vgl. § 14 Abs. 1 Satz 2, 3 InsO).51) Sinn und Zweck dieser Regelung ist die Vermeidung von sog. „Stapelanträgen“.52) Unbenommen bleibt dem Gläubiger die Möglichkeit, den Antrag zurückzunehmen bzw. für erledigt zu erklären. Im Rahmen der gemäß § 14 Abs. 2 InsO vorgesehenen Anhörung des Schuldners kann durch Gegenglaubhaftmachung, d. h. durch den Vortrag, dass die Voraussetzungen für eine Eröffnung des Verfahrens nicht bestehen, das Vorliegen eines Eröffnungsgrundes ausgeräumt werden. Der Gläubiger ist gehalten, das Bestehen der Forderung glaubhaft zu machen. 161 Hierzu kann die Vorlage eines Titels ausreichend sein, zwingend erforderlich ist sie nicht, sodass auch nicht titulierte Forderungen dem Antrag zugrunde gelegt werden können, wenn ihr Bestand durch Einreichung möglichst vollständig anspruchsbegründender Unterlagen (z. B. Lieferscheine, Rechnungen, Kontoauszüge etc.) dargetan wird.53) cc) Glaubhaftmachung eines Eröffnungsgrundes Ein zulässiger Antrag fordert ebenfalls die Glaubhaftmachung des Vorliegens 162 eines Eröffnungsgrundes (§ 14 Abs. 1 Satz 1 InsO, ĺ Rn. 167 ff.). Ausreichend und als geeignetes Mittel zur Glaubhaftmachung anzusehen sind insbesondere: x

die Vorlage einer Erklärung des Schuldners zu seiner fehlenden Liquidität,

x

die Vorlage einer Fruchtlosigkeitsbescheinigung eines Gerichtsvollziehers (§ 63 GVGA) bzw. eines Vollziehungsbeamten,

x

Indizien (z. B. mehr als sechsmonatiger Rückstand hinsichtlich der Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen),54)

x

fortlaufend steigender Forderungsstand trotz Teilzahlungen.55)

Das Gericht nimmt stets eine Gesamtwürdigung aller vorgetragenen Tatsachen 163 vor.56) d) Antragsrecht Antragsberechtigt ist grundsätzlich jeder Insolvenzgläubiger (§ 38 InsO). 164 Zum Kreis der Gläubiger können auch an der Gesellschaft Beteiligte, aus ihrer ___________ 51) Geltung für Verfahren, die ab dem 1.1.2011 beantragt worden sind (Art. 103e EGInsO); BGH, Beschl. v. 11.4.2013 – IX ZB 256/11, ZIP 2013, 1086 = ZVI 2013, 221, dazu EWiR 2013, 515 (Kexel). 52) KPB/Pape, InsO, § 14 Rn. 9. 53) OLG Köln, Beschl. v. 14.12.2001 – 2 W 146/01, ZInsO 2002, 772. 54) BGH, Beschl. v. 13.6.2006 – IX ZB 238/05, ZIP 2006, 1457. 55) BGH, Beschl. v. 9.1.2003 – IX ZR 175/02, ZIP 2003, 410 = ZVI 2003, 125, dazu EWiR 2003, 379 (Hölzle). 56) KPB/Pape, InsO, § 14 Rn. 88.

31

B. Das Insolvenzeröffnungsverfahren

Beteiligtenstellung heraus jedoch nicht nach § 15 InsO primär Antragsberechtigte (z. B. Kommanditisten) gehören und damit als Insolvenzgläubiger antragsberechtigt sein, wenn Sie Forderungen gegen die Gesellschaft geltend machen.57) Dies gilt nur insoweit, als sie nicht gemäß § 176 Abs. 1, 2 HGB unbeschränkt haften.58). Ein Antragsrecht kann sich auch für Gesellschafter ergeben, wenn sie Ansprüche gegen die Gesellschaft erheben (z. B. aus Kauf, Miete).59) 165 Nachrangige Gläubiger i. S. d. § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO haben ein rechtliches Interesse auch dann, wenn sie eine konkrete Befriedigungsmöglichkeit ihrer Forderung im eröffneten Verfahren nicht erwarten können.60) 166 Dinglich gesicherte Gläubiger sind insoweit antragsberechtigt, als die Sicherung nicht vollumfänglich ist und der Schuldner in Höhe des Ausfalls persönlich haftet (vgl. § 52 InsO). Für Aussonderungsberechtigt hingegen fehlt es am Antragsrecht (§ 47 Satz 2 InsO). 3. Eröffnungsgründe a) Überblick über die Eröffnungsgründe 167 Die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens setzt das Vorliegen eines Eröffnungsgrundes voraus (§ 16 InsO). Die Gründe für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens ergeben sich aus §§ 17 ff. InsO. 168 Als Eröffnungsgründe kennt die Insolvenzordnung die Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO), die drohende Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) und die Überschuldung (§ 19 InsO). b) Zahlungsunfähigkeit 169 Zahlungsunfähigkeit liegt vor, wenn der Schuldner nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen (§ 17 Abs. 2 Satz 1 InsO, Legaldefinition). 170 Der Gesetzgeber stellt eine gesetzliche Vermutung für das Vorliegen der Zahlungsunfähigkeit auf für den Fall, dass der Schuldner die Zahlungen eingestellt hat (§ 17 Abs. 2 Satz 2 InsO). Als Zahlungseinstellung versteht sich dasjenige nach außen hervortretende Verhalten des Schuldners, in dem sich typischerweise ausdrückt, dass er nicht in der Lage ist, seine fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen.61) Ausreichen kann insoweit bereits die Nichtzah___________ 57) FK-InsO/Schmerbach, 8. Aufl., § 15 Rn. 4. 58) FK-InsO/Schmerbach, 8. Aufl., § 15 Rn. 4; MünchKomm-InsO/Schmahl/Klöhn, § 15 Rn. 49; a. A. HK-InsO/Wehr, § 15 Rn. 5. 59) FK-InsO/Schmerbach, 8. Aufl., § 15 Rn. 4. 60) BGH, Beschl. v. 23.9.2010 – IX ZB 282/09, ZVI 2010, 422 = ZIP 2010, 2055, dazu EWiR 2010, 819 (Gundlach/Müller Udo). 61) BGH, Urt. v. 20.11.2001 – IX ZR 48/01, ZIP 2002, 87, dazu EWiR 2002, 219 (Wagner).

32

I. Der Insolvenzantrag

lung gegenüber einem einzigen Gläubiger, wenn dessen Forderung von insgesamt nicht unerheblicher Höhe ist.62) Nur die Nichterfüllung von fälligen Zahlungspflichten begründen die Zah- 171 lungsunfähigkeit i. S. d. § 17 InsO. Forderungen, deren Gläubiger sich für die Zeit vor Eröffnung eines Insolvenzverfahrens mit einer späteren oder nachrangigen Befriedigung einverstanden erklärt haben, sind bei der Prüfung der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nicht zu berücksichtigen.63) Die Fälligkeit einer Forderung im Sinne von § 17 Abs. 2 InsO ist i. d. R. dann anzunehmen, „wenn eine Gläubigerhandlung feststeht, aus der sich der Wille, vom Schuldner Erfüllung zu verlangen, im Allgemeinen ergibt.“64) Dies ist grundsätzlich schon bei Übersendung einer Rechnung zu bejahen.65) Mit der Übersendung gilt die Forderung auch bereits als „ernsthaft eingefordert“.66) Die fehlende Zahlungsfähigkeit ist nach objektiven Gesichtspunkten zu be- 172 urteilen. Sämtliche dem Schuldner zur Verfügung stehenden liquiden oder kurzfristig liquidierbaren Mittel67) sind hierbei zu berücksichtigen (insbesondere Barmittel, Buchgeld, Ausschöpfen des Kreditrahmens). Abzugrenzen ist die Zahlungsunfähigkeit von einer vorübergehenden Zah- 173 lungsstockung. In einer Grundsatzentscheidung hat der BGH hierzu die sog. „3-10-Regel“ aufgestellt:68) „Zahlungsunfähigkeit im Rechtssinne liegt regelmäßig jedenfalls dann vor, wenn der Schuldner 10 % oder mehr seiner fälligen Gesamtverbindlichkeiten länger als drei Wochen nicht erfüllen kann, sofern nicht ausnahmsweise mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Liquiditätslücke demnächst vollständig oder fast vollständig beseitigt werden wird und den Gläubigern ein Zuwarten nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zuzumuten ist. Beträgt die innerhalb von drei Wochen nicht zu beseitigende Liquiditätslücke weniger als 10 %, liegt Zahlungsunfähigkeit nur vor, wenn bereits absehbar ist, dass die Lücke demnächst mehr als 10 % erreichen wird.“

Zur Beurteilung, ob Zahlungsunfähigkeit bereits eingetreten ist oder „lediglich 174 eine vorübergehende Zahlungsstockung vorliegt, ist eine Zeitraumbetrachtung erforderlich. Einzubeziehen sind zu erwartende Zahlungseingänge (sog. Aktiva II)69) sowie fällig werdende Verbindlichkeiten (sog. Passiva II)70). Die ___________ 62) Vgl. BGH, Urt. v. 27.4.1995 – IX ZR 147/94, ZIP 1995, 929. 63) BGH, Beschl. v. 19.7.2007 – IX ZB 36/07, ZVI 2007, 462 = ZIP 2007, 1666, dazu EWiR 2007, 665 (Schröder). 64) BGH, Beschl. v. 19.7.2007 – IX ZB 36/07, ZIP 2007, 1666 = ZVI 2007, 462. 65) BGH, Beschl. v. 19.7.2007 – IX ZB 36/07, ZIP 2007, 1666 = ZVI 2007, 462. 66) BGH, Beschl. v. 14.7.2011 – IX ZB 57/11, ZIP 2011, 1875. 67) BGH, Urt. v. 3.12.1998 – IX ZR 313/97, ZIP 1999, 76, dazu EWiR 1999, 169 (Haas). 68) BGH, Urt. v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, ZIP 2005, 1426 (m. Bespr. Hölzle, ZIP 2006, 101) = ZVI 2005, 408, dazu EWiR 2005, 767 (Bruns). 69) Bork, ZIP 2008, 1749. 70) Bork, ZIP 2008, 1749.

33

B. Das Insolvenzeröffnungsverfahren

künftig fällig werdenden Zahlungsverpflichtungen werden auch als „Bugwelle« bezeichnet.71) 175 Eine Liquiditätsbilanz ist zum Nachweis des Vorliegens der Zahlungsunfähigkeit grundsätzlich nicht mehr erforderlich, wenn die fälligen Verbindlichkeiten bis zur Verfahrenseröffnung nicht mehr beglichen werden können, falls nicht ausnahmsweise aufgrund konkreter Umstände damals angenommen werden konnte, der Schuldner werde rechtzeitig in der Lage sein, die Verbindlichkeiten zu erfüllen.72) 176 Die Zahlungsunfähigkeit spielt auch im Anfechtungsrecht (ĺ Rn. 687 ff.) eine bedeutende Rolle. Im Insolvenzanfechtungsprozess ist die Aufstellung einer Liquiditätsbilanz oftmals nicht erforderlich, weil im eröffneten Verfahren auch auf andere Weise, insbesondere durch Indizien, festgestellt werden kann, ob der Schuldner einen wesentlichen Teil seiner fälligen Verbindlichkeiten nicht bezahlen konnte.73) Die Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen stellt angesichts der Strafbewehrtheit (§ 266a StGB) ein starkes Indiz für die Zahlungsunfähigkeit dar.74) Die schleppende Zahlung von Löhnen und Gehältern ist ein Anzeichen für eine Zahlungseinstellung und damit für die Zahlungsunfähigkeit.75) 177 Das Vorliegen der Zahlungsunfähigkeit löst die Antragspflicht i. S. d. § 15a InsO aus (ĺ Rn. 144 ff.). 178 Nachfolgendes Muster soll einen Überblick über die Prüfung der Zahlungsunfähigkeit erleichtern: Checkliste Zahlungsunfähigkeit Stichtag

Woche 1 Woche 2 Woche 3 Betrag in T€

I.

Bestand zum Stichtag

1.

Liquide Mittel

2.

Kreditlinie

II.

Zuflüsse

1.

Bareinnahmen

___________ 71) BGH, Urt. v. 18.7.2013 – IX ZR 143/12, ZIP 2013, 2015, dazu EWiR 2014, 53 (Wagner). 72) BGH, Urt. v. 12.10.2006 – IX ZR 228/03, ZIP 2006, 2222 (m. Bespr. Hölzle, ZIP 2007, 613) = ZVI 2006, 577, dazu EWiR 2007, 113 (Wagner). 73) BGH, Urt. v. 12.10.2006 – IX ZR 228/03, ZIP 2006, 2222 (m. Bespr. Hölzle, ZIP 2007, 613) = ZVI 2006, 577; BGH, Urt. v. 18.7.2013 – IX ZR 143/12, ZIP 2013, 2015. 74) BGH, Beschl. v. 13.6.2006 – IX ZB 238/05, ZIP 2006, 1457; BGH, BGH, Beschl. v. 28.4.2008 – II ZR 51/07, NZI (Beilage) 2009, 6; BGH, Urt. v. 18.7.2013 – IX ZR 143/12, ZIP 2013, 2015. 75) BGH, Beschl. v. 14.2.2008 – IX ZR 38/04, ZIP 2008, 706, dazu EWiR 2008, 533 (Dörrscheidt).

34

I. Der Insolvenzantrag 2.

Forderungseinzug

3.

Zinsen und sonstige Erträge

Summe III.

Fällig Verbindlichkeiten zum Stichtag

IV.

Abflüsse (fällige Zahlungsverpflichtungen)

1.

lfd. Betrieb

2.

Steuern und Gebühren

3.

Investitionen

4.

Finanzbereich (Darlehenstilgung, Zinsen)

Summe V.

Ausgleichsmaßnahmen (EK-Erhöhung, Darlehensrückführung, Verkäufe etc.)

Liquiditätsüberschuss/-unterdeckung

c) Drohende Zahlungsunfähigkeit Die drohende Zahlungsunfähigkeit stellt bei einem Eigenantrag einen Eröff- 179 nungsgrund dar (§ 18 Abs. 1 InsO). Dem Schuldnerunternehmen wird hierdurch die Möglichkeit eingeräumt, bei frühzeitiger Antragstellung die Möglichkeit der Sanierung unter Insolvenzschutz aufrechtzuerhalten.76) So kann insbesondere ein Eigenverwaltungsverfahren als sog. „Schutzschirmverfahren“ nur durchgeführt werden, wenn drohende Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, nicht aber bereits eingetretene Zahlungsunfähigkeit vorliegt (vgl. § 270b InsO). Ein hierauf gestützter Antrag kann bei einer juristischen Person oder einer 180 Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit (bzw. rechtsfähigen Personengesellschaft77)) von einem von mehreren organschaftlichen/gesetzlichen Vertretern jedoch nur gestellt werden, wenn der Antragsteller zur Vertretung der juristischen Person oder der Gesellschaft berechtigt ist (§ 18 Abs. 3 InsO). Durch diese Regelung sollen in einer Situation, in der noch keine Antragspflichten (vgl. § 15a InsO) bestehen, voreilige, nicht ausreichend abgestimmte Anträge vermieden werden. Die Eingrenzung dient der Vermeidung eines missbräuchlichen Umgangs.78) Angesichts der unklaren Formulierung bereitet die Regelung in der Praxis regelmäßig Schwierigkeiten. Die wohl ganz überwiegende Auffassung geht davon aus, dass nur der Alleinvertretungsberech___________ 76) Siehe in diesem Zusammenhang auf §§ 270a, 270b InsO. 77) Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts – MoPeG v. 10.8.2021, BGBl. I, 436. 78) Vgl. BT-Drucks. 12/7302 S. 157.

35

B. Das Insolvenzeröffnungsverfahren

tigte oder alle Vertretungsberechtigten gemeinsam einen Antrag wegen drohender Zahlungsunfähigkeit stellen können.79) 181 Zur drohenden Zahlungsunfähigkeit definiert § 18 Abs. 2 InsO, dass „der Schuldner droht, zahlungsunfähig zu werden, wenn er voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, die bestehenden Zahlungspflichten im Zeitpunkt der Fälligkeit zu erfüllen.“ Durch das SanInsFoG wurde geregelt, dass in der Regel ein Prognosezeitraum von 24 Monaten zugrunde zu legen ist.80) 182 Zu berücksichtigen sind bei der drohenden Zahlungsunfähigkeit die noch nicht fälligen, aber bereits absehbaren Verbindlichkeiten. Dargestellt wird dies regelmäßig im Rahmen einer Prognose zur künftigen Liquiditätsentwicklung (Liquiditäts-/Finanzplan) unter Einbeziehung der bereits begründeten Forderungen. 183 Das Vorliegen der drohenden Zahlungsunfähigkeit begründet nicht die Antragspflicht i. S. d. § 15a InsO (ĺ Rn. 144 ff.). d) Überschuldung 184 Die in § 19 InsO geregelte Überschuldung ist ein Eröffnungsgrund bei Insolvenzverfahren über das Vermögen juristischer Personen und Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit, bei denen kein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist (§ 19 Abs. 1, 3 InsO). 185 Überschuldung liegt vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich (§ 19 Abs. 2 Satz 1 InsO). 186 Durch das SanInsFoG wurde in § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO ein Prognosezeitraum von 12 Monaten etabliert: Überschuldung liegt vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist in den nächsten zwölf Monaten nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich.81) 187 Es handelt sich um einen sog. zweistufigen modifizierten Überschuldungsbegriff.82) Allein eine positive Fortführungsprognose entkräftet die Überschuldung als Eröffnungsgrund. 188 Die Prüfung der Überschuldung erfordert ein zweistufiges Vorgehen, wobei eine Prüfungsreihenfolge gesetzlich nicht vorgeschrieben ist. An die Praxis ___________ 79) FK-InsO/Schmerbach, § 18 Rn. 27 m. w. N. 80) Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz (SanInsFoG) v. 22.12.2020, BGBl. I, 3256) m. W. v. 1.1.2021. 81) Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz (SanInsFoG) v. 22.12.2020, BGBl. I, 3256) m. W. v. 1.1.2021. 82) Unbefristet; die bis zum 31.12.2013 geltende Befristung ist entfallen.

36

I. Der Insolvenzantrag

angelehnt empfiehlt sich eine dem Einzelfall gerecht werdende zweckmäßige Vorgehensweise bei der Prüfung der folgenden Punkte: x

Ist die Fortführungsprognose positiv?

Die Fortführungsprognose beinhaltet ein schlüssiges, realisierbares Unter- 189 nehmenskonzept unter Darstellung der Maßnahmen und Zielsetzungen sowie eine Finanzplanung als eine dynamische, zeitraumbezogene Liquiditätsbetrachtung.83) x

Nur im Fall einer negativen Fortführungsprognose: Liegt Überschuldung vor?

Gegenüberzustellen sind die Aktiva und Passiva nach Liquidationswerten. Ist 190 das Unternehmen rechnerisch überschuldet (negatives Reinvermögen), liegt der Eröffnungsgrund der Überschuldung i. S. v. § 19 InsO vor. e) Kennzahlenanalyse Eine betriebswirtschaftliche Liquiditätsanalyse kann zur Beurteilung des 191 Schuldnerunternehmens eingesetzt werden und liefert verdichtete Informationen, u. a. bei der Problemanalyse. Als Liquiditätskennzahlen bieten die Liquiditätsgrade einen relativ einfachen und zügig zu ermittelnden Überblick über die Entwicklung der letzten Jahre und helfen bei der Feststellung und Eingrenzung des finanziellen Liquiditätseinbruchs. Man unterscheidet zwischen Liquidität 1. Grades, Liquidität 2. Grades und 192 Liquidität 3. Grades. Die Liquidität 1. Grades (Cash Ratio) gibt das Verhältnis der liquiden Mittel 193 zu den kurzfristigen Verbindlichkeiten eines Unternehmens an und erlaubt damit eine Analyse darüber, inwieweit ein Unternehmen seine derzeitigen kurzfristigen Zahlungsverpflichtungen allein durch seine liquiden Mittel erfüllen kann. 194

Die Liquidität 1. Grades berechnet sich wie folgt: Praxistipp: Liquidität 1. Grades = liquide Mittel ./. kurzfristige Verbindlichkeiten

Der ideale Zielwert beträgt 10 – 30 %; der Sollwert liegt bei 10 %.

195

Die Liquidität 2. Grades (Acid Test Ratio [ATR] oder auch Quick Ratio), 196 auch Einzugsliquidität (kurz EL), gibt das Verhältnis des Geldvermögens zu-

___________ 83) Vgl. BGH, Urt. v. 13.7.1992 – II ZR 269/91, ZIP 1992, 1382, dazu EWiR 1992, 1093 (Hunecke).

37

B. Das Insolvenzeröffnungsverfahren

züglich Wertpapierbestand und den kurzfristigen Forderungen zu den kurzfristigen Verbindlichkeiten eines Unternehmens an. Es ist ein Maß dafür, ob ein Unternehmen in der Lage ist, seine kurzfristigen Verbindlichkeiten zu bezahlen. 197 Die Liquidität 2. Grades berechnet sich wie folgt: Praxistipp: Liquidität 2. Grades = (Geldvermögen + Wertpapiere + kurzfristige Forderungen) ./. kurzfristige Verbindlichkeiten

198 Der ideale Zielwert beträgt 100 – 120 %; der Sollwert liegt bei 50 %. 199 Die Liquidität 3. Grades (Current Ratio) gibt das Verhältnis des Umlaufvermögens (englisch current assets) zu den kurzfristigen Verbindlichkeiten eines Unternehmens an. Ist das Current Ratio kleiner als 1, dann wird ein Teil der kurzfristigen Verbindlichkeiten nicht durch das Umlaufvermögen gedeckt, das heißt, es muss unter Umständen Anlagevermögen zur Deckung der Verbindlichkeiten verkauft werden. Die Liquidität 2. Grades berechnet sich wie folgt: Praxistipp: Liquidität 2. Grades = Umlaufvermögen ./. kurzfristige Verbindlichkeiten

200 Der ideale Zielwert beträgt > 120 %; der Sollwert liegt bei 100 %. 4. Antragshäufung 201 In der Praxis nicht unüblich ist das Vorliegen mehrerer paralleler Eröffnungsanträge: Ein Schuldnerantrag neben einem oder mehreren Gläubigeranträgen oder auch mehrere Gläubigeranträge. Jeder Antrag wird mit Eingang bei Gericht unter einem eigenen Aktenzeichen geführt. 202 Mit der Entscheidung über die Eröffnung des Verfahrens erfolgt regelmäßig eine Verbindung der Verfahren (§ 4 InsO, § 147 ZPO).84) II. Deckung der Verfahrenskosten 1. Verfahrenskostendeckung 203 Zwingende Voraussetzung für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer juristischen Person oder einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit (bzw. rechtsfähigen Personengesellschaft85)) ist die Deckung der Verfahrenskosten (ĺ Rn. 203 ff.) aus dem vorhandenen Schuldnervermögen. Sind die Kosten des Insolvenzverfahrens nicht gedeckt, weist das In___________ 84) Vgl. BGH, Beschl. v. 11.3.2010 – IX ZB 110/09, ZIP 2010, 888 = ZVI 2010, 300, dazu EWiR 2010, 493 (Stahlschmidt). 85) Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts – MoPeG v. 10.8.2021, BGBl. I, 436.

38

II. Deckung der Verfahrenskosten

solvenzgericht den Eröffnungsantrag mangels einer die Verfahrenskosten deckenden Masse ab (§ 26 Abs. 1 Satz 1 InsO), es sei denn, es wird ein ausreichender Verfahrenskostenvorschuss eingezahlt (§ 26 Abs. 3 bzw. Abs. 4 InsO). Die Verfahrenskosten sind voraussichtlich nicht gedeckt, wenn wahrschein- 204 lich ist, dass kein für die Verfahrenskostendeckung ausreichendes Vermögen vorhanden ist.86) Zur Beantwortung der Frage der Verfahrenskostendeckung bedarf es einer Prognose hinsichtlich der künftigen voraussichtlich freien Insolvenzmasse (ĺ Rn. 422 ff.) und der voraussichtlichen Verfahrenskosten (ĺ Rn. 203 ff.) zu einem unter Ansatz eines angemessenen Zeitraums, der zur Realisierung der Vermögenswerte veranschlagt werden muss, zu bestimmenden Zeitpunkt.87) Der maßgebliche Zeitpunkt für die Entscheidung über die Frage der voraus- 205 sichtlichen Verfahrenskostendeckung ist der Zeitpunkt der Entscheidung über den Insolvenzantrag.88) Gemäß § 26 Abs. 4 InsO besteht eine Vorschusspflicht gegen denjenigen, der 206 entgegen den Vorschriften des Insolvenz- oder Gesellschaftsrechts pflichtwidrig und schuldhaft keinen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt hat (vgl. insbesondere § 15a InsO, ĺ Rn. 144 ff.). Anspruchsberechtigt sind der vorläufige Insolvenzverwalter und jede Person, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens Insolvenzgläubiger (§ 38 InsO) wäre.89) Wird das Insolvenzverfahren aufgrund einer positiven Prognose zur Verfah- 207 renskostendeckung eröffnet, die prognostizierten Erlöse jedoch im Zuge der Verwertung nicht erzielt, muss eine Einstellung des Verfahrens mangels Masse gemäß § 207 InsO (ĺ Rn. 919 ff.) erfolgen. 2. Stundung der Verfahrenskosten Eine Stundung der Verfahrenskosten kommt nur in Frage, wenn der Schuld- 208 ner eine natürliche Person ist (vgl. § 4a InsO). Bei Insolvenzverfahren über das Vermögen von juristischen Personen und Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit muss daher eine Verfahrenskostendeckung gegeben sein, soll das Verfahren eröffnet werden. Eine Stundung kommt nicht in Betracht. Andernfalls entscheidet das Insolvenzgericht über den Eröffnungsantrag durch Abweisung mangels Masse (§ 26 InsO).

___________ 86) BGH, Beschl. v. 13.4.2006 – IX ZB 118/04, ZIP 2006, 1056 = ZVI 2006, 237. 87) Siehe hierzu BGH, Beschl. v. 17.6.2003 – IX ZB 476/02, ZIP 2003, 2171 = ZVI 2004, 28, der auf einen Zeitraum von einem Jahr ab der Verfahrenseröffnung abstellt. 88) BGH, Beschl. v. 2.12.2010 – IX ZB 121/10, ZIP 2011, 90, dazu EWiR 2011, 155 (Gundlach/Müller Udo). 89) BT-Drucks. 17/5712.

39

B. Das Insolvenzeröffnungsverfahren

III. Bestellung eines Sachverständigen/Insolvenzgutachters durch das Insolvenzgericht 1. Aufgaben und Befugnisse des Sachverständigen 209 Kann das Insolvenzgericht nach Eingang des Eröffnungsantrags nicht zweifelsfrei feststellen, ob die Voraussetzungen der Eröffnung des Verfahrens vorliegen, bestellt es regelmäßig einen Sachverständigen. Die Bestellung erfolgt durch Beweisbeschluss (Amtsermittlungsgrundsatz, § 5 Abs. 1 InsO). 210 Der Sachverständige stellt umfassende Ermittlungen zu den Vermögensverhältnissen der Schuldnerunternehmen an und nimmt nach Abschluss der Ermittlungen zu den vom Gericht definierten Fallfragen gutachterlich Stellung. Der Ermittlungsumfang ist gesetzlich nicht vorgeschrieben und kann im Einzelfall inhaltlich und quantitativ abweichen. 211 Der Aufgabenkreis des Sachverständigen beschreibt sich im Wesentlichen wie folgt: x

die Prüfung der wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse des Schuldners;

x

die Feststellung, ob Auslandsbezug vorliegt;

x

die Prüfung des Erfordernisses der Anordnung von Sicherungsmaßnahmen (§§ 21 ff. InsO);

x

die Prüfung des Vorliegens eines nach der Rechtsform des Schuldners maßgeblichen Eröffnungsgrundes (§§ 16 ff. InsO);

x

die Prüfung der Fortführungsfähigkeit des schuldnerischen Unternehmens;

x

die Feststellung, ob eine kostendeckende Masse vorhanden ist;

x

die Ermittlung besonders bedeutsamer Rechtshandlungen, zu denen ggf. die Zustimmung der stimmberechtigten Gläubiger einzuholen ist (§ 160 Abs. 1 Satz 3 InsO);

x

ggf. die Prüfung, ob ein zulässig Insolvenzantrag vorliegt (§ 13 InsO).

212 Das Abschlussgutachten des Sachverständigen (ĺ Rn. 310 ff.) ist innerhalb einer vom Gericht frei bestimmbaren Frist einzureichen. Diese beträgt – je nach Gericht und Sachverhalt – ca. drei bis sechs Wochen. Konnten die Ermittlungen innerhalb der Frist nicht abgeschlossen werden, erstattet der Sachverständige bis zum Abschluss seiner Tätigkeit in regelmäßigen Abständen Zwischenberichte an das Insolvenzgericht. Die Zwischenberichte beinhalten Ausführungen über den Fortgang der Ermittlungen, über die Vermögenswerte, über eventuelle Ermittlungsschwierigkeiten sowie über die noch zu klärenden Sachverhalte und Fragestellungen. Für die Zwischenberichte kann und wird das Insolvenzgericht ebenfalls bestimmte Zeitvorgaben festlegen; diese betragen i. d. R. durchschnittlich ca. zwei bis vier Wochen.

40

III. Bestellung eines Sachverständigen/Insolvenzgutachters durch das Insolvenzgericht

Als Informationsquelle kann der Sachverständige hauptsächlich auf die ge- 213 mäß §§ 101, 97 InsO zur Auskunftserteilung verpflichteten Personen (organschaftliche/gesetzliche Vertreter und Angestellte) zurückgreifen. Regelmäßig lädt er zur Auskunftserteilung zu einem oder mehreren unverzüglich anzuberaumenden Besprechungstermin/en, die meist am Firmensitz stattfinden. Hierdurch besteht die Möglichkeit, sich ein „Bild vor Ort“ zu machen und sogleich einige wichtige Unterlagen in Besitz zu nehmen, um diese im Nachgang auswerten zu können. Zudem informiert der Sachverständige die wichtigsten Verfahrensbeteiligten 214 über das Vorliegen eines Insolvenzeröffnungsantrags. Dies sind in aller Regel die beteiligten Banken, die Finanzverwaltung und Sozialversicherungsträger. Die Information erfolgt einerseits, um die dort bestehenden Forderungen gegen den Schuldner zu ermitteln, nicht zuletzt aber vor dem Hintergrund, die Beteiligten im Hinblick auf mögliche Insolvenzanfechtungsansprüche (ĺ Rn. 687 ff.) „bösgläubig“ über den vorliegenden Eröffnungsantrag zu machen. Stellt der Sachverständige im Zuge der Ermittlungen werthaltiges Vermögen 215 fest oder ist der Geschäftsbetrieb noch nicht eingestellt, wird er umgehend die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen gemäß §§ 21 ff. InsO, insbesondere die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters, der diese Sicherung der Haftungsmasse gewährleistet, anregen. Die nachfolgende abgebildete Checkliste soll die umfassende Ermittlung der 216 Vermögensverhältnisse und die Erstellung der nach Abschluss der Ermittlungen einzureichenden Sachverständigengutachten erleichtern.90)

___________ 90) In ähnlicher Form bereits Wipperfürth, InsbürO 2012, 463.

41

42

Ehegatte

Unterhaltsberechtigte Eltern

c)

d)

Minderjährige Kinder

11.

Volljährige Kinder

Familienstand

Unterhaltspflichten

10.

b)

Email

9.

a)

Telefon – Mobil

Fax

8.

6.

7.

Anschrift

Telefon – Festnetz

5.

Geburtsdatum

Geburtsort

3.

4.

Name, Vorname (org./gesetzl. Vertreter)

Geburtsname

1.

2.

ALLGEMEINES

I.

Sachverhalt/Frage

Antragsdatum (Eingang bei Gericht)

Eigenantrag/Fremdantrag von

Az. des Gerichts

Insolvenzverfahren

nein

Checkliste Gesellschaftsinsolvenzen

ja

Angaben/Antworten liegen vor

werden nachgereicht

Nachweise

B. Das Insolvenzeröffnungsverfahren

Erlernter Beruf

13.

15.

14.

eingestellter Geschäftsbetrieb

cc)

Gesellschafterbeschlüsse seit Gründung

Liste der aktuellen und ehemaligen Gesellschafter/Mitglieder (Name/n und aktuelle Anschrift/en)

Geschäftsführeranstellungsvertrag/-verträge (entspr. bei Vorstand etc.)

h)

i)

j)

Steuerberater (Name, Anschrift)

Gesellschaftsvertrag/-verträge/Satzung

g)

(2) Grund der Einstellung

(1) eingestellt am

Br a n c h e

laufender Geschäftsbetrieb (s. auch V.)

bb)

Evtl. Zweigniederlassungen (vollständige Bezeichnung inkl. Sitz)

Geschäftsbetrieb

e)

f)

aa)

HR A/HR B Nr.

Handelsregisterauszug

d)

Sitz

b)

c)

Vollständige Firma

a)

Angaben zur Schuldnerunternehmung

Unternehmen

Anerkannte Schwerbehinderungen, sonst. Einschränkungen d. Erwerbstätigkeit

12.

Sachverhalt/Frage

nein

ja

Angaben/Antworten liegen vor

werden nachgereicht

Nachweise

III. Bestellung eines Sachverständigen/Insolvenzgutachters durch das Insolvenzgericht

43

44

Bilanzen/Jahresabschlüsse der letzten 3 Jahre

c)

Eigentum des Gesellschafters (Mietvertrag?)

cc)

Anschrift des Grundstücks

A l l e i n e ig e n t u m

Miteigentum zu [...] Anteil

a a)

b)

bb)

Amtsgericht, Liegenschaft, Grundbuchblatt

Ei g e n t u m s a n t e i l

a)

Grundbesitz

g)

1.

G e w e r k sc h a f t

f)

AKTIVA

Angaben zum Betriebsrat

Tarifvertrag

e)

Beitragsnachweise, Lohnsteueranmeldungen der letzten 3 Monate

Sozialversicherungsträger, Berufsgenossenschaften (jeweils Anschrift und Betriebs-/Mitgliedsnummer)

d)

Gehaltsabrechnungen aller AN der letzten 12 Monate + Angabe der Lohnrückstände (seit wann?)

b)

c)

Arbeitsverträge + Kündigungen der zuletzt beschäftigten Arbeitnehmer

a)

Personalbuchhaltung

c)

II.

18.

L e t z t e BW A

Letzte Summen-/Saldenliste

b)

Stand der Buchhaltung

17.

a)

Finanzamt u. Steuernummer

16.

Sachverhalt/Frage

nein

ja

Angaben/Antworten liegen vor

werden nachgereicht

Nachweise

B. Das Insolvenzeröffnungsverfahren

2.

Versicherungsgesellschaft, Vers.-Nr.

Grundsteuern (Zahlungsempfänger, Betrag, Fälligkeit)

Abwasser-/Kanalgebühren (Zahlungsempfänger, Betrag, Fälligkeit)

dd) sonstige lfd. Kosten, z. B. Schornsteinfeger, Abfall, Straßenreinigung (Zahlungsempfänger, Betrag, Fälligkeit)

cc)

bb) Energiekosten (Zahlungsempfänger, Betrag, Fälligkeit)

aa)

Nebenkosten

bb) Beitragsrückstände seit [...]

aa )

Besteht eine Gebäudeversicherung?

Marke, Modell

Amtl. Kennzeichen

a)

b)

Kraftfahrzeuge (PKW, LKW, Zweiräder, o. ä. – jeweils Zulassungsbescheinigung I + II bzw. Betriebserlaubnis)

i)

h)

Nutzung eines Gesellschafters zur Miete (Höhe)?

dd) Nutzung eines Gesellschafters mietzinsfrei (seit wann)?

cc)

bb) Fremdnutzung durch [...] (Mieteinnahmen s. u.)

Selbstnutzung Schuldnerunternehmen

Wer nutzt das Grundstück/die Immobilie

g)

a a)

Anordnung Zwangsversteigerung? Ja/Nein

Belastungen Abt. II, III

e)

f)

Anordnung Zwangsverwaltung? Ja/Nein

d)

Sachverhalt/Frage

nein

ja

Angaben/Antworten liegen vor

werden nachgereicht

Nachweise

III. Bestellung eines Sachverständigen/Insolvenzgutachters durch das Insolvenzgericht

45

46

6.

Rechte Dritter (Pfändungen, Verpfändungen, Zwangsverwaltung, Abtretungen)

c)

Vorlage Drittschuldnerverzeichnis mit vollständiger Bezeichnung des Drittschuldners, Forderungsgrund und -betrag)

Rechte Dritter (Pfändungen, Verpfändungen, Globalzession, Abtretungen, Factoring)

Einwendungen

a)

b)

c)

Forderungen gegen Dritte bzw. L+L

Name, Anschrift d. Mieters (Mietvertrag)

Letzte Mietzahlung (Datum, Betrag)

b)

Mieteinnahmen

a)

Mietkautionsguthaben

5.

Fahrzeug(e) zur Betriebsfortführung erforderlich (§§ 21 Abs. 1 Nr. 5, 169 InsO)?

h)

4.

Kfz-Steuer (letzter Bescheid)

g)

Steuererstattungsansprüche

Kfz-Versicherungen (Haftpflicht/Kasko) bei Versicherung… unter Nr. …. + Beitragshöhe und Fälligkeit (ggf. Rückstände)

f)

3.

Kilometerlaufleistung

Eigentum/Leasing/Finanzierung (Sicherungsübereignung); bei Leasing/ Fremd- o. Sicherungseigentum Vorlage Vertragswesen

d)

e)

Baujahr/Erstzulassung

c)

Sachverhalt/Frage

nein

ja

Angaben/Antworten liegen vor

werden nachgereicht

Nachweise

B. Das Insolvenzeröffnungsverfahren

9.

8.

7.

Kontoauszüge aller Konten (Zeitraum mind. 6 Monate vor Antragsstellung bis Eröffnung)

aktuelles Guthaben und Buchungen mind. der letzten 6 Monate vor Antragstellung bis Eröffnung

S c h l i e ßf ä c he r

bb) Rechte Dritter (Pfändungen, Verpfändungen, Abtretungen)

aa)

Festgeldkonten

bb) Rechte Dritter (Pfändungen, Verpfändungen, Abtretungen)

aa)

Giro-/Geschäftskonten (Angabe aller Konten nebst Kreditinstitut und Kontonummer)

Inventarliste (möglichste genaue Gerätebezeichnung nebst Anschaffungsdatum + Anschaffungswert)

Evtl. Drittrechte (Verpfändungen, Pfändungen, Raumsicherungsverträge, Vermieterpfandrecht, Leasing, Sicherungsübereignung, Fremdeigentum)

a)

b)

Betriebs- und Geschäftsausstattung

Aktueller Barkassenbestand

Kassenbuch (inkl. Originalbelege)+ Kassenberichte mind. 6 Monate vor Antragstellung bis Eröffnung

a)

b)

Barkasse

c)

b)

a)

Bankguthaben

Sachverhalt/Frage

nein

ja

Angaben/Antworten liegen vor

werden nachgereicht

Nachweise

III. Bestellung eines Sachverständigen/Insolvenzgutachters durch das Insolvenzgericht

47

48

Forderungspfändungen

Pfändungen Gerichtsvollzieher

aa)

bb)

Befriedigungen einzelner Gläubiger im Wege der Zwangsvollstreckung (haupts. 3 Monate vor Antragstellung)

Anfechtungen

15.

a)

Patente/Lizenzen/Wortmarken/Bildmarken

d)

Sonstige Forderungen/Vermögenswerte

Beteiligungen

Existieren zu a)–c) Rechte Dritter (Abtretungen, Verpfändungen, Pfändungen)

c)

14.

Wertpapiere, Aktiendepots

b)

13.

Anteile an verbundenen Unternehmen

a)

Finanzanlagen

12.

Evtl. Drittrechte (Verpfändungen, Pfändungen, Raumsicherungsverträge, Vermieterpfandrecht, Leasing, Sicherungsübereignung, Fremdeigentum, Eigentumsvorbehalt)

b)

Stammeinlagen-/Kommanditeinlagen (Summe, Nachweise, Hin-/Herzahlungen, Darlehen)

Inventurliste (möglichste genaue Bezeichnung nebst Kaufdatum + Kaufpreis, Angaben zu Zahlungen)

a)

Vorratsbestand/Warenlager

11.

10.

Sachverhalt/Frage

nein

ja

Angaben/Antworten liegen vor

werden nachgereicht

Nachweise

B. Das Insolvenzeröffnungsverfahren

Ansprüche gegen Gesellschafter

Anhängige/laufende Rechtsstreite (Gegner, Gericht, Aktenzeichen, Verfahrensstand/Termine, evtl. anwaltl. Vertreter)

Aktuelle Pfändungen/Zwangsvollstreckungsmaßnahmen (§§ 88, 89 InsO, ggf. § 129 ff. InsO)

Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung (Liquiditätsstatus, Indizien, Fehlbetrag im Jahresabschluss)

1.

2.

3.

IV. SONSTIGES

Darlehen Gesellschafter (Verträge, Rückzahlungen, Rangrücktritt)

Energielieferungsverträge

Versicherungsverträge (Haftpflicht, Betriebshaftpflicht, Unfall, Hausrat etc.)

d)

e)

3.

Telefon-/Internet-/Handyverträge

c)

Insolvenzforderungen (Gläubigerliste nebst vollständiger Anschriften, Forderungsbetrag, ggf. Inkassodienstleister/Rechtsanwalt)

Miete (Vorlage Mietvertrag)

Leasingverträge

b)

Dauerschuldverhältnisse

a)

2.

1.

III. PASSIVA

Ansprüche gegen Geschäftsführer/Vorstand

17.

Zahlungen/Sicherheitenbestellung auf Druck einzelner Gläubiger (ggf. Nachbesicherung)

c)

16.

Ratenzahlungen an einzelne Gläubiger

b)

Sachverhalt/Frage

nein

ja

Angaben/Antworten liegen vor

werden nachgereicht

Nachweise

III. Bestellung eines Sachverständigen/Insolvenzgutachters durch das Insolvenzgericht

49

50

Dringende anstehende Bestellungen

b)

c)

Dringende Wartungen/Reparaturen/Investitionen

Ist ein Warenwirtschaftssystem vorhanden?

Je nach Branche: Verwendung eines EC-Cash-Geräts?

Je nach Zielsetzung: Angabe potentieller Investoren

4.

5.

6.

7.

Kundenliste (vollständige Datensätze incl. Anschriften und Ansprechpartner)

Wichtigste Lieferanten

Offene Bestellungen

a)

Lieferanten/Bestellungen

Auftragsangebote/Auftragserwartungen

c)

3.

2.

Begonnene Aufträge mit Bearbeitungsstand

Nicht begonnene Aufträge

b)

Derzeitiges Auftragsvolumen

1.

a)

Betriebsfortführung

V.

Sachverhalt/Frage

nein

ja

Angaben/Antworten liegen vor

werden nachgereicht

Nachweise

B. Das Insolvenzeröffnungsverfahren

III. Bestellung eines Sachverständigen/Insolvenzgutachters durch das Insolvenzgericht

2. Konsequenzen für das Unternehmen Die organschaftlichen/gesetzlichen Vertreter und die Angestellten sind zur 217 umfassenden Auskunftserteilung und Mitwirkung verpflichtet (vgl. §§ 20, 97, 101 InsO).91) Allein die Anordnung über die Bestellung eines Sachverständigen (Beweisbe- 218 schluss) hat keinen Einfluss auf die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnisse der organschaftlichen/gesetzlichen Vertreter der Schuldnerunternehmung. Einschränkungen erfahren die Kompetenzen erst durch die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen (§§ 21 ff. InsO, ĺ Rn. 229 ff.) und in weniger einschneidendem Maße durch die Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung und gleichzeitigen Bestellung eines vorläufigen Sachwalters (vgl. §§ 270a, 270b InsO, ĺ Rn. 333 ff.). 3. Vergütung des Sachverständigen Der Sachverständige hat einen Anspruch auf angemessene Vergütung und 219 Auslagenersatz. Die Vergütung richtet sich nach § 9 JVEG und ist als gerichtliche Auslage aus der Staatskasse zu begleichen (GKG – KV 9005). Die Festsetzung erfolgt zusätzlich zu der Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters, sofern ein solcher bestellt ist. Bei der Bestimmung der Höhe des Stundensatzes ist zu unterscheiden, ob 220 der Sachverständige gleichzeitig zum vorläufigen Insolvenzverwalter oder als „isolierter“ Sachverständiger bestellt wurde.92) Für alle Sachverständigenaufträge bis zum 31.7.2013 wurde nach gefestigter 221 Rechtsprechung ein Stundensatz für den „isolierten“ Sachverständigen in Höhe von 80 € (in Orientierung an Honorargruppe 7 gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 JVEG a. F.), bei gleichzeitiger Bestellung zum vorläufigen Insolvenzverwalter ein Stundensatz in Höhe von 65 € als Honorar gewährt.93) Soweit der Sachverständigenauftrag ab dem 1.8.2013 erteilt wurde, ist § 9 222 JVEG in der seitdem geltenden Fassung anzuwenden.94) Danach steht dem Sachverständigen, der gleichzeitig zum vorläufigen Insol- 223 venzverwalter bestellt wird, gemäß § 9 Abs. 2 JVEG95) ein Stundensatz in Höhe von 80 € zu. ___________ 91) Siehe hierzu OLG Jena, 12.8.2010 – 1 Ss 45/10, ZInsO 2011, 732 sowie OLG Celle, Beschl. v. 19.12.2012 – 32 Ss 164/12, ZIP 2013, 1040 = ZInsO 2013, 731. Die OLG sehen den Insolvenzgutachter nicht als Auskunftsberechtigten i. S. v. § 97 Abs. 1 Satz 1 InsO an. 92) Anm.: Bestellung ausschließlich als Sachverständiger ohne gleichzeitige Bestellung zum vorläufigen Insolvenzverwalter. 93) AG Hamburg, Beschl. v. 29.3.2010 – 67c IN 446/09, ZVI 2010, 285; OLG Hamburg, Beschl. v. 11.2.2010 – 4 W 138/09, ZInsO 2010, 634 m. w. N. 94) Vgl. Art. 72 Kostenrechtsmodernisierungsgesetz (2. KostRMoG) v. 23.7.2013, BGBl. I, 2586 m. W. v. 1.8.2013. 95) I. d. F. d. Art. 72 Kostenrechtsmodernisierungsgesetz (2. KostRMoG) v. 23.7.2013, BGBl. I, 2586 m. W. v. 1.8.2013.

51

B. Das Insolvenzeröffnungsverfahren

224 Gesetzlich nicht geregelt ist für alle bis zum 31.12.2020 beantragten Verfahren der Stundensetz für den „isolierten“ Sachverständigen. Ausgehend von der Regelung zum Stundensatz eines gleichzeitig zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellten Sachverständigen (§ 9 Abs. 2 JVEG), die „abweichend von Absatz 1“ einen Stundensatz von 80 € vorsieht, lässt sich herleiten, dass der Gesetzgeber die Tätigkeit eines isolierten Sachverständigen den Vergütungsklassen des § 9 Abs. 1 JVEG zuordnet.96) Unter Zugrundelegung der bisher ergangenen Rechtsprechung dürfte eine Eingruppierung in die Honorargruppe sechs bis neun mit einen Stundensatz zwischen 90 € und 105 € angemessen sein. Eine einheitliche Rechtsprechung hat sich noch nicht herausgebildet. Für die Praxis ist daher zu empfehlen, eine Abstimmung mit dem zuständigen Insolvenzgericht anzustrengen. Zum Teil versenden die Insolvenzgerichte auch Informationen an die Verwalterbüros, welche Stundensätze abgerechnet werden können. 225 Mit Inkrafttreten des SanInsFoG zum 1.1.2021 (insoweit) regelt § 9 Abs. 4 JVEG die Stundensätze für alle ab dem 1.1.2021 beantragten Verfahren für den „isolierten“ Sachverständigen mit 120 € und für den Sachverständigen, der zeitgleich auch vorläufiger Insolvenzverwalter ist, mit 95 €.97) § 9 Abs. 4 JVEG „[…] (4) Das Honorar des Sachverständigen für die Prüfung, ob ein Grund für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens vorliegt und welche Aussichten für eine Fortführung des Unternehmens des Schuldners bestehen, beträgt 120 Euro je Stunde. Ist der Sachverständige zugleich der vorläufige Insolvenzverwalter oder der vorläufige Sachwalter, so beträgt sein Honorar 95 Euro je Stunde. […]“

226 Zusätzlich zur Vergütung erhält der Sachverständige seine eigenen Auslagen sowie die Umsatzsteuer aus der Staatskasse ersetzt (§§ 7, 12 JVEG). 227 Soweit ein weiterer Industrie- oder Grundstückssachverständiger zur Bewertung des Anlage- und/oder Umlaufvermögens, der Grundstücke (o. Ä.), oder ein Sachverständiger zur Prüfung der Fortführungsaussichten (Aufstellung einer Liquiditätsplanung o. Ä.) beigezogen wird, ist das Insolvenzgericht hiervon zumindest in Kenntnis zu setzen (vgl. § 4 InsO, § 407a Abs. 1 ZPO). Die Beauftragung eines sog. Verwerters zum Zwecke der Bewertung des schuldnerischen Anlagevermögens im Eröffnungsverfahren erfolgt nach anderer Ansicht ausschließlich durch das Insolvenzgericht im Rahmen des ___________ 96) So auch LG Wuppertal, Beschl. v. 4.3.2014 – 16 T 37/14, ZIP 2014, 1990 = ZVI 2014, 358, das zumindest 90 € Stundensatz für angemessen hält (Honorargruppe 6); AG Darmstadt, Beschl. v. 17.10.2013 – 9 IN 612/13, ZIP 2013, 2372 = ZVI 2014, 79, das den Ansatz von regelmäßig 95 € befürwortet; AG Stuttgart, Beschl. v. 10.1.2014 – 3 IN 806/13, ZIP 2014, 1348 (LS) = NZI 2014, 227, das regelmäßig 105 € für angemessen erachtet. 97) Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz (SanInsFoG) v. 22.12.2020, BGBl. I, 3256) m. W. v. 1.1.2021.

52

III. Bestellung eines Sachverständigen/Insolvenzgutachters durch das Insolvenzgericht

§ 5 Abs. 1 InsO. Dem Sachverständigen/vorläufigen Insolvenzverwalter ist es gestattet, konkrete Vorschläge hinsichtlich der Person zu unterbreiten, denen das Gericht im Regelfall folgen wird.98) 4. Maßnahmen im Verwalterbüro Sobald ein Sachverständigenauftrag erteilt wurde, sind im Verwalterbüro be- 228 stimmte Arbeitsabläufe standardmäßig zu befolgen. Nachfolgende To-DoListe soll zur Unterstützung der Implementierung eines Prozesses dienen: Praxistipp: Prozessablauf Arbeitsschritte Sachverständigenauftrag x Aktenanlage und Erfassung der Beteiligten x Erstkontakt zum organschaftlichen/gesetzlichen Vertreter des Schuldnerunternehmens (schriftlich/fernmündlich/persönlich) – Informationsbeschaffung (ggf. anhand Checkliste; ĺ Rn. 216) – Ermittlung der Kontaktdaten des Ansprechpartners (Gerichtsakte, Internetrecherche, [bei Fremdantrag] fernmündliches Gespräch mit dem Antragsteller) – Bei laufendem Geschäftsbetrieb: Ortstermin am Geschäftssitz x Fristen notieren – Abgabetermin Gutachten – Ggf. Zwischenberichtsfristen – Spätester Abgabetermin Gutachten bei laufendem Insolvenzgeldzeitraum (sobald der Zeitraum der Lohnrückstände bekannt ist, ĺ Rn. 289 ff.) x Aktenrücksendung x Ggf. Anregung zur Anordnung von Sicherungsmaßnahmen (ĺ Rn. 229 ff.), sobald zu sichernde Vermögenswerte festgestellt werden, regelmäßig bei laufendem Geschäftsbetrieb. Die daraufhin zusätzlich zu befolgenden Arbeitsschritte betreffen die vorläufige Insolvenzverwaltung (ĺ Rn. 229 ff.). x (Ggf.)99) Einrichtung eines Sonderkontos x Anschreiben an weitere evtl. Beteiligte, insbesondere Hausbank/en, Steuerberater, Krankenkassen, Finanzamt, Versicherungen – Bei der Bestellung eines „isolierten Sachverständigen“ sind Informationen i. d. R. nur nach Vorlage einer Schweigepflichtentbindungserklärung/ Vollmacht zur Informationsbeschaffung zu erhalten. Diese ist vom Schuldnervertreter zu unterzeichnen.

___________ 98) So zutreffend AG Hamburg, Beschl. v. 29.4.2013 – 67g IN 327/11, ZIP 2014, 338. 99) Die Einrichtung eines Sonderkontos erfolgt in manchen Verwalterbüros standardmäßig für jedes Verfahren, in manchen Büros hingegen nur dann, wenn auch Vermögenswerte festgestellt werden; siehe zum Sonderkonto BGH, Urt. v. 19.2.2019 – IX ZR 47/18, ZIP 2019, 718.

53

B. Das Insolvenzeröffnungsverfahren x Erfassung der Gläubiger x Ggf. Zwischenberichte an das Insolvenzgericht über die bis dahin entfalteten Tätigkeiten, wenn der Gutachterauftrag innerhalb der ersten Frist zur Einreichung des Abschlussgutachtens noch nicht abgeschlossen werden konnte x Vermögenswerte ermitteln und erfassen, inkl. Klärung evtl. Drittrechte x Erstellung des Abschlussgutachtens100) x Vergütungsabrechnung Sachverständigentätigkeit101)

IV. Sicherungsmaßnahmen des Insolvenzgerichts 1. Sicherungsmaßnahmen a) Grundlegendes 229 Soweit sich bereits aus den Angaben zum Insolvenzeröffnungsantrag in der Insolvenzakte oder im Zuge der Ermittlungen des Sachverständigen Anhaltspunkte für Vermögenswerte ergeben, die der künftigen Insolvenzmasse zuzurechnen sind, gilt es, diese Haftungsmasse für die Befriedigung der Gläubiger zu erhalten. Das Insolvenzgericht hat die Möglichkeit, von Amts wegen dem Einzelfall entsprechende Sicherungsmaßnahmen gemäß §§ 21 ff. InsO anzuordnen. Die Anordnung erfolgt durch gerichtlichen Beschluss (§ 21 Abs. 1 Satz 1 InsO). Eines Antrags bedarf es insoweit nicht. Die Anordnung kann auch vor abschließender Prüfung der Zulässigkeit des Eröffnungsantrags ergehen.102) 230 Das Insolvenzverfahren bedeutet einen drastischen Eingriff in den schuldnerischen Handlungs- und Wirkungskreis. Die Anordnung von Sicherungsmassenahmen hat daher stets nach einzelfallbezogener Würdigung der Gesamtumstände und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und der Erforderlichkeit zu erfolgen.103) Die Entscheidung, welche Anordnungen aus dem nicht abschließenden, sondern beispielhaft zu verstehenden104) Maßnahmenkatalog des § 21 Abs. 2, 3 InsO im konkreten Einzelfall angezeigt, erforderlich und verhältnismäßig sind, trifft das Insolvenzgericht nach pflichtgemäßem Ermessen. Das Eröffnungsverfahren ist geprägt vom vorherrschenden Ziel der Sicherung der künftigen Masse. Verwertungsbefugnisse zugunsten des vorläufigen Insolvenzverwalters sind daher nur dann angezeigt, wenn hierdurch ein Schaden von der Masse abgewendet werden kann, der ohne diese Befugnisse entstehen würde.105) ___________ Muster in: Heyn/Kreuznacht/Voß, Arbeitshilfen für Insolvenzsachbearbeiter, Rn. 398 ff. Muster in: Heyn/Kreuznacht/Voß, Arbeitshilfen für Insolvenzsachbearbeiter, Rn. 400 ff. BGH, Beschl. v. 15.12.2011 – IX ZB 139/11, KSI 2012, 92. Exemplarisch: BGH, Beschl. v. 14.12.2000 – IX ZB 105/00, ZIP 2001, 296 (m. Bespr. Keller, S. 1749) = NZI 2001, 191, dazu EWiR 2001, 281 (Keller). 104) Vgl. Wortlaut des § 21 Abs. 2 Satz 1 InsO: „[…] kann insbesondere […]“. 105) Hierzu grundsätzlich u. a. BGH, Beschl. v. 14.12.2000 – IX ZB 105/00, ZIP 2001, 296 (m. Bespr. Keller, S. 1749) = NZI 2001, 191.

100) 101) 102) 103)

54

IV. Sicherungsmaßnahmen des Insolvenzgerichts

Nachfolgend werden die in der Praxis gängigsten Sicherungsmaßnahmen 231 im Einzelnen näher erläutert. b) Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters (§§ 21 Abs. 2 Nr. 1, 22 InsO) Siehe hierzu sogleich Rn. 256 ff.

232

c) Untersagung/einstweilige Einstellung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen in das bewegliche Vermögen (§ 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO) Ausfluss der im Eröffnungsverfahren geltenden Zielsetzung der Sicherung 233 und des Erhalts der Haftungsmasse ist die Möglichkeit, Einzelzwangsvollstreckungsmaßnahmen, durch die sich einzelne Gläubiger aus dem noch vorhandenen Vermögen entsprechend der im Vollstreckungsrecht geltenden Rangfolge bevorzugt befriedigen können, zu verhindern. Im eröffneten Insolvenzverfahren unterbindet das Vollstreckungsverbot (§ 89 234 InsO, ĺ Rn. 875 ff.) Zwangsvollstreckungen für einzelne Insolvenzgläubiger während der Dauer des Insolvenzverfahrens in die Insolvenzmasse und in das sonstige Vermögen des Schuldners. Im Eröffnungsverfahren existiert ein gesetzliches Verbot nicht. Zwar werden im Wege der Zwangsvollstreckung erlangte Sicherheiten mit Eröffnung unwirksam gemäß § 88 InsO (Rückschlagsperre ĺ Rn. 880 ff.) und durch die Zwangsvollstreckung erlangte Befriedigungen unter den Voraussetzungen der § 129 ff. InsO anfechtbar (ĺ Rn. 687 ff.). Ein zunächst eintretender Vermögensabfluss und die damit einhergehende Schmälerung der Haftungsmasse zulasten der Gläubigergesamtheit werden jedoch nicht verhindert. Die Anfechtung muss nach Eröffnung vom Verwalter aktiv erklärt und der daraus resultierende Rückgewähranspruch (§ 143 Abs. 1 InsO) durchgesetzt werden. Um im Antragsverfahren Vermögensabflüsse frühzeitig zu verhindern und 235 insbesondere auch bei einer Betriebsfortführung Liquidität zu sichern, können durch gerichtliche Anordnung Maßnahmen der Einzelzwangsvollstreckung untersagt und einstweilen eingestellt werden. Die Anordnung nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 InsO kann ausschließlich für 236 bewegliches Vermögen ergehen und umfasst hauptsächlich x

die Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen in das bewegliche Vermögen (vgl. §§ 803 ff. ZPO),

x

die Zwangsvollstreckung in Forderungen und andere Vermögensrechte (§§ 828 ff. ZPO),

x

die zwangsweise Abgabe der eidesstattlichen Versicherung (vgl. §§ 807 ff. ZPO),106)

___________ 106) BGH, Beschl. v. 24.5.2012 – IX ZB 275/10, NZI 2012, 560.

55

B. Das Insolvenzeröffnungsverfahren

x

die Herausgabevollstreckung (vgl. §§ 883 ff. ZPO),

x

die Räumungsvollstreckung (§ 885 ZPO),

x

die Zwangsvollstreckung zur Erwirkung von Handlungen oder Unterlassungen (vgl. §§ 887 ff. ZPO) und

x

die Vollziehung von Arresten und einstweiligen Verfügungen i. S. d. §§ 928, 936 ZPO.107)

237 Soweit unbewegliches Vermögen betroffen ist, kann eine Intervention durch das Insolvenzgericht nicht ausgesprochen werden. Hat ein Gläubiger einen Antrag auf Zwangsversteigerung oder Zwangsverwaltung gestellt, ist diese Maßnahme nicht von § 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO erfasst. Eine einstweilige Einstellung kann nur auf Antrag des vorläufigen Insolvenzverwalter durch das Vollstreckungsgericht, nicht aber durch das Insolvenzgericht angeordnet werden (§ 30d Abs. 4 ZVG). d) Anordnung einer vorläufigen Postsperre (§ 21 Abs. 1 Nr. 4 InsO) 238 Die Verhängung einer vorläufigen Postsperre (§§ 21 Abs. 1 Nr. 4, 99 InsO) soll gewährleisten, dass die Korrespondenz des Schuldnerunternehmens nicht diesen, sondern dem vorläufigen Insolvenzverwalter zugestellt wird. Infolgedessen wird der vorläufige Insolvenzverwalter in die Lage versetzt, durch Sichtung sämtlicher Schriftstücke eventuell noch verborgenes Vermögen zu entdecken bzw. zu verhindern, dass noch vorhandenes Vermögen entzogen wird. Die Anordnung einer vorläufigen Postsperre geht regelmäßig einher mit der Bestellung eines mindestens „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalters und soll gewährleisten, dass dieser seiner Sicherungspflicht nachkommen kann. Die Anordnung ist auch nach Eröffnung des Verfahrens noch möglich (vgl. § 99 InsO). 239 Insbesondere, wenn die organschaftlichen/gesetzlichen Vertreter des insolventen Unternehmens obstruierendes Verhalten zeigen und hierdurch die Sicherungs- und Ermittlungsarbeit behindern oder vereiteln, ist die Anordnung einer vorläufigen Postsperre ein probates Mittel, dem entgegenzutreten. Das Insolvenzgericht ist gehalten, die Verhältnismäßigkeit einer solchen Anordnung unter Berücksichtigung des Brief- sowie des Post- und Fernmeldegeheimnisses (Art. 10 GG) zu beachten.108) Die Anordnung einer solchen (vorläufigen) Postsperre erfolgt daher sehr restriktiv.

___________ 107) HK-InsO/Schröder, § 21 Rn. 54 f. 108) Vgl. OLG Celle, Beschl. v. 11.9.2000 – 2 W 87/00, ZIP 2000, 1898 = NZI 2000, 583, dazu EWiR 2001, 123 (Voß).

56

IV. Sicherungsmaßnahmen des Insolvenzgerichts

e) Anordnung gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO Das Insolvenzgericht kann bei Vorliegen von Aus-/Absonderungsgut, welches 240 zu einer Betriebsfortführung benötigt wird, eine Anordnung gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO treffen. § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO Das Gericht kann insbesondere […] 5. anordnen, dass Gegenstände, die im Falle der Eröffnung des Verfahrens von § 166 erfasst würden oder deren Aussonderung verlangt werden könnte, vom Gläubiger nicht verwertet oder eingezogen werden dürfen und dass solche Gegenstände zur Fortführung des Unternehmens des Schuldners eingesetzt werden können, soweit sie hierfür von erheblicher Bedeutung sind; § 169 Satz 2 und 3 gilt entsprechend; ein durch die Nutzung eingetretener Wertverlust ist durch laufende Zahlungen an den Gläubiger auszugleichen. Die Verpflichtung zu Ausgleichszahlungen besteht nur, soweit der durch die Nutzung entstehende Wertverlust die Sicherung des absonderungsberechtigten Gläubigers beeinträchtigt. Zieht der vorläufige Insolvenzverwalter eine zur Sicherung eines Anspruchs abgetretene Forderung anstelle des Gläubigers ein, so gelten die §§ 170, 171 entsprechend.

Durch die Anordnung ist gewährleistet, dass bewegliches Aus-/Absonderungs- 241 gut zunächst für die Betriebsfortführung eingesetzt werden darf, ohne dass der Berechtigte die Verwertung oder den Einzug verlangen kann. Voraussetzung ist jedoch, dass die jeweiligen Gegenstände für die Betriebs- 242 fortführung von erheblicher Bedeutung sind (z. B. die geleasten LKW für ein Speditionsunternehmen). Diese muss individualisierbare Ausführungen zu den betreffenden Gegenständen enthalten. Ist sie zu pauschal, ist sie unwirksam. Getroffen wird die Anordnung regelmäßig nach einer dahingehenden Anregung des vorläufigen Insolvenzverwalters, die bereits Konkretisierungen beinhalten sollte, aus welchem Grund der jeweilige Gegenstand für die Fortführung von erheblicher Bedeutung ist.109) Pauschalangaben ohne weitere Präzisierung verbieten sich auch hier (z. B. „das gesamte Inventar“). Die Anordnung gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO ist zu unterscheiden von der 243 sog. Einzelermächtigung (ĺ Rn. 245 ff.).110) Der Berechtigte hat bei Weiternutzung der Gegenstände durch den vorläufigen 244 Insolvenzverwalter einen Anspruch auf Nutzungsentschädigung von dem Zeitpunkt an, der drei Monate nach dieser Anordnung liegt (§§ 21 Abs. 1 Nr. 5, 169 Satz 2 InsO). Die Entschädigung ist eine Masseverbindlichkeit

___________ 109) BGH, Urt. v. 3.12.2009 – IX ZR 7/09), ZIP 2010, 141 = ZInsO 2010, 136, dazu EWiR 2010, 155 (Voß). 110) BGH, Urt. v. 3.12.2009 – IX ZR 7/09, ZInsO 2010, 136.

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B. Das Insolvenzeröffnungsverfahren

(§ 55 Abs. 2 InsO).111) Geht die Nutzung über die vertragliche Abrede hinaus, besteht zudem ein Anspruch auf Wertersatz.112) f) Einzelermächtigung 245 Insbesondere bei der Fortführung eines Geschäftsbetriebs ist auch im Eröffnungsverfahren die Weiterbelieferung/-versorgung mit Material, Energie, Telefon, Internet, Wasser, etc. sicherzustellen. Auf Seiten der Lieferanten und Dienstleister ist Handeln von höchster Vorsicht bestimmt; ein insolventer Kunde bedeutet ein erhöhtes Risiko an Forderungsausfall, sodass die Gläubiger die Weiterbelieferung und/-versorgung davon abhängig machen, dass die Zahlungen garantiert werden. Dies geschieht regelmäßig durch die Erklärung bargeschäftlicher Zahlungszusagen des vorläufigen Insolvenzverwalters.113) Letztere sind aber nicht unbedingt gleichzusetzen mit einer Garantie, dass ihre in der vorläufigen Insolvenzverwaltung begründeten Forderungen auch vor Eröffnung des Verfahrens noch ausgeglichen werden. Nach Eröffnung ist dem Insolvenzverwalter untersagt, Zahlungen auf vor Insolvenzeröffnung begründete Insolvenzforderungen zu leisten. Eine solche Zahlung wäre als Verstoß gegen die Befriedigungsreihenfolge (§§ 53, 38, 209 InsO) haftungsbewehrt114). Kann trotz Zahlungszusage eine Forderung vor Insolvenzeröffnung nicht mehr bedient werden, ist der Gläubiger darauf verwiesen, seinen Anspruch durch Anmeldung zur Insolvenztabelle weiterzuverfolgen. Dieses Risiko ist vielen Gläubigern zu hoch. 246 Zur Überwindung dieser Problematik, die u. U. eine Sanierung gefährden könnte, kann das Insolvenzgericht den „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter (ĺ Rn. 260 ff.) im Rahmen von § 22 Abs. 2 InsO ermächtigen, einzelfallbezogen Masseverbindlichkeiten zu begründen, damit eine Weiterbelieferung/-versorgung und somit auch die Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs sichergestellt ist (Einzelermächtigung).115) Hierdurch haben die Geschäftspartner im vorläufigen Insolvenzverfahren die Sicherheit, dass die betreffenden Rechnungen auch nach Insolvenzeröffnung (dann als Masseverbindlichkeiten) noch beglichen werden, sodass sie regelmäßig mit der Weiterbelieferung fortfahren. Wurde ein „starker“ vorläufiger Insolvenzverwalter (ĺ Rn. 257 ff.) bestellt, ist eine solche Anordnung nicht erforderlich, da die durch ihn begründeten Verbindlichkeiten kraft Gesetzes mit Eröffnung zu Masseverbindlichkeiten aufgewertet werden (vgl. § 55 Abs. 2 InsO). 247 Die Einzelermächtigung erfasst in Ihrem Wirkungsrahmen nicht Zahlungsrückstände, die bereits vor Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung ___________ 111) BGH, Beschl. v. 8.3.2012 – IX ZR 78/11, ZIP 2012, 779 = ZInsO 2012, 701. 112) BGH v. 8.3.2012 a. a. O. 113) Siehe hierzu BGH, Beschl. v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, ZIP 2002, 1625 (m. Bespr. Prütting/Stickelbrock, S. 1608) = ZVI 2002, 250 = ZInsO 2002, 819, dazu EWiR 2002, 919 (Spliedt). 114) BGH, Beschl. v. 6.5.2004 – IX ZR 48/03, NZI 2004, 435. 115) BGH, Beschl. v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, ZIP 2002, 1625 (m. Bespr. Prütting/ Stickelbrock, S. 1608) = ZVI 2002, 250 = NZI 2002, 543.

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IV. Sicherungsmaßnahmen des Insolvenzgerichts

begründet wurden. Eine Verrechnung der Zahlungen zunächst auf die Altforderungen ist ausgeschlossen. Auch eine Einzelermächtigung bedarf konkreten, individualisierten Ausfüh- 248 rungen im Beschluss. Eine Pauschalanordnung ist unzulässig. Nach den Heidelberger Leitlinien116) soll es allerdings zulässig sein, eine Ermächtigung auch für einzelne Projekte/Projektgruppen (z. B. Bauprojekt „Markt-Hochhaus“) zu beschließen. Eine konkrete Projektbeschreibung nebst Darlegung des projektbezogenen Kostenaufwands ist allerdings auch dann unerlässlich. g) Bestellung eines vorläufigen Gläubigerausschusses (§ 21 Abs. 2 Nr. 1a InsO) Gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 1a InsO kann bzw. muss das Insolvenzgericht unter 249 den Voraussetzungen des § 22a InsO bereits im Eröffnungsverfahren einen vorläufigen Gläubigerausschuss bestellen (vgl. zum Aufgabenkreis und zur Abgrenzung der Begrifflichkeit ĺ Rn. 112 ff.). h) Leistungsgebot Unabhängig davon, ob der vorläufige Insolvenzverwalter mit Verfügungsbefug- 250 nissen ausgestattet ist („starker“ vorläufiger Insolvenzverwalter ĺ Rn. 257 ff.), beschließt das Insolvenzgericht ein Leistungsgebot. Drittschuldner werden aufgefordert, nur noch an den vorläufigen Insolvenzverwalter zu leisten (§ 23 Abs. 1 Satz 3 InsO). Dies dient der direkten Liquiditätsgewinnung, da hierdurch das „Einfrieren“ bzw. die Verrechnung von auf dem – oftmals debitorisch geführten – Schuldnerkonto eingehenden Geldern verhindert wird. Diese Gelder stünden im Eröffnungsverfahren nicht als Liquidität zur Verfügung, sondern könnten erst nach Eröffnung im Wege der Anfechtung (ĺ Rn. 687 ff.) liquiditätswirksam zur Masse erstattet verlangt werden. Daneben wird durch die Vereinnahmung der Gelder auf dem Sonderkonto eine sorgfältige Prüfung hinsichtlich, eventuell an den Forderungen bestehende Drittrechte und ggf. Drittrechtskollisionslagen ermöglicht. i) Betreten und Nachforschungen in den Räumen des Schuldners (§ 22 Abs. 3 Satz 1 InsO) Eine Anordnung, die das Betreten der Räume des Schuldners sowie das An- 251 stellen von Nachforschungen durch den vorläufigen Insolvenzverwalter erlaubt, ist vor dem Hintergrund der „Verdunklungsgefahr“ gesetzlich vorgesehen. Diese Anordnung entfaltet keine Wirkung auf Räume Dritter und kann insoweit auch nicht ausgedehnt werden.117) ___________ 116) Heidelberger Leitlinien, ZInsO 2009, 1848. 117) BGH, Beschl. v. 24.9.2009 – IX ZB 38/08, ZIP 2009, 2068 = ZVI 2009, 442 = NZI 2009, 766, dazu EWiR 2010, 21 (Frind).

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B. Das Insolvenzeröffnungsverfahren

j) Allgemeines Verfügungsverbot (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 InsO) 252 Die Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots bedeutet für den organschaftlichen/gesetzlichen Vertreter des Schuldnerunternehmens den Verlust der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis, soweit Gegenstände der künftigen Insolvenzmasse betroffen sind. Gleichzeitig bestellt das Gericht einen („starken“) vorläufigen Insolvenzverwalter (ĺ Rn. 257), auf den die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners übergeht (§ 22 Abs. 1 Satz 1 InsO), da andernfalls Verfügungen über das Vermögen des Schuldners nicht mehr möglich wären. Bei Anordnung i. S. v. § 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 InsO handelt es sich um ein absolutes Verfügungsverbot (vgl. § 24 InsO i. V. m. §§ 81, 82 InsO); der organschaftliche/gesetzliche Vertreter kann keine rechtswirksamen Verfügungen über künftige Massegegenstände vornehmen. k) Zustimmungsvorbehalt (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 InsO) 253 Alternativ zum Verfügungsverbot (ĺ Rn. 252) kann das Gericht anordnen, dass Verfügungen des Schuldners nur noch mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind. Zeitgleich ist ein solcher („schwacher“ vorläufiger Insolvenzverwalter ĺ Rn. 260 ff.) zu bestellen. Zu beachten ist, dass ausschließlich Verfügungen118) dem Zustimmungsvorbehalt unterliegen. Verpflichtungsgeschäfte kann der Schuldner nach wie vor rechtlich wirksam schließen ohne jedoch die künftige Insolvenzmasse hierdurch zu verpflichten. Eventuelle Ansprüche der Vertragspartner können allenfalls Insolvenzforderungen sein. Praxistipp: Verfügung i. S. v. § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO definiert sich als ein Rechtsgeschäft, durch das der Verfügende auf ein Recht unmittelbar einwirkt, es also entweder auf einen Dritten überträgt oder mit einem Recht belastet oder das Recht aufhebt oder es sonst wie in seinem Inhalt verändert.119)

254 Verfügungen, die der Schuldner nach Anordnung des Zustimmungsvorbehalts vornimmt, kann der vorläufige Insolvenzverwalter zustimmen. Dadurch erlangen sie Rechtswirksamkeit. Erteilt der vorläufige Insolvenzverwalter keine Zustimmung, sind die Verfügungen absolut unwirksam (§ 24 InsO i. V. m. §§ 81, 82 InsO). 255 Eine Besonderheit ergibt sich für dingliche Rechte (z. B. Grundpfandrechte, Eigentumsrechte), die zu ihrer Entstehung der Einigung und Eintragung im Grundbuch bedürfen. Fehlt zum Rechtserwerb lediglich noch die zum Zeitpunkt der Anordnung des Zustimmungsvorbehalts bereits beantragte Eintragung, hat der künftige Berechtigte eine gesicherte Rechtsposition. Der Rechtserwerb hängt in diesem Fall nur noch von der Bearbeitung des Eintra___________ 118) Im allgemeinen, zivilrechtlichen Sinne. 119) BGH, Beschl. v. 4.5.1987 – II ZR 211/86, BGHZ 101, 24.

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IV. Sicherungsmaßnahmen des Insolvenzgerichts

gungsantrags durch das Grundbuchamt ab. In diesem Fall hindert der Zustimmungsvorbehalt nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO den Eintritt des Verfügungserfolges nicht.120) 2. Aufgaben und Befugnisse des vorläufigen Insolvenzverwalters Ein vorläufiger Insolvenzverwalter kann mit weitereichenden oder weniger 256 weitreichenden Befugnissen ausgestattet werden. Die Insolvenzordnung kennt zwei Möglichkeiten: a) Der starke vorläufige Insolvenzverwalter Wurde ein allgemeines Verfügungsverbot (ĺ Rn. 252) beschlossen, geht die 257 Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis hinsichtlich der künftigen Gegenstände der Insolvenzmasse auf den vorläufigen Insolvenzverwalter über (sog. „starker“ vorläufiger Insolvenzverwalter, §§ 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1, 22 Abs. 1 InsO). In gleichem Umfang verliert der Schuldner das Recht zur Verwaltung und Verfügung. Zwar bleibt das Schuldnerunternehmen Rechtsträger,121) die gegen die Anordnung getroffenen Verfügungen sind jedoch absolut unwirksam (vgl. § 24 InsO i. V. m. § 81 InsO). Die Befugnisse des „starken“ vorläufigen Verwalters sind denen des Insol- 258 venzverwalters angenähert. Verbindlichkeiten, die der „starke“ vorläufige Insolvenzverwalter im Eröffnungsverfahren begründet, sind mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens kraft Gesetzes als Masseverbindlichkeiten qualifiziert (§ 55 Abs. 2 InsO). Mir der starken vorläufigen Insolvenzverwaltung geht auch ein erhebliches Haftungsrisiko für den Bestellten einher. In der Praxis wird die „starke“ vorläufige Insolvenzverwaltung daher eher zu- 259 rückhaltend angeordnet. b) Der schwache vorläufige Insolvenzverwalter Dem Sicherungszweck des vorläufigen Insolvenzverfahrens entsprechend ist 260 bereits die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters mit Zustimmungsvorbehalt. Verfügungen des Schuldners sind in diesem Fall nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam (sog. „schwacher“ vorläufiger Insolvenzverwalter, §§ 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2, 22 Abs. 2 InsO). Bis zur Genehmigung durch den vorläufigen Insolvenzverwalter sind Verfügungen, die der organschaftliche/gesetzliche Vertreter des insolventen Unternehmens vornimmt, schwebend unwirksam (vgl. § 185 Abs. 2 BGB). Verweigert der vorläufige Insolvenzverwalter die Zustimmung, ist eine Verfügung des Schuldners endgültig unwirksam. ___________ 120) BGH, Urt. v. 26.4.2012 – IX ZR 136/11, ZIP 2012, 1256 = ZfIR 2012, 547 (m. Anm. Kesseler, S. 549) = NZI 2012, 614, dazu EWiR 2012, 629 (Mitlehner). 121) MünchKomm-InsO/Haarmeyer, § 21 Rn. 24.

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B. Das Insolvenzeröffnungsverfahren

261 Auch der „schwache“ vorläufige Insolvenzverwalter kann die Insolvenzmasse verpflichten und Masseverbindlichkeiten begründen. Dies ist einerseits abhängig vom Umfang der gerichtlich angeordneten Sicherungsmaßnahmen (siehe hierzu §§ 21 Abs. 1 Nr. 5, 55 Abs. 2 Satz 2 InsO). Andererseits regelt § 55 Abs. 4 InsO für bestimmte Verbindlichkeiten aus einem Steuerschuldverhältnis eine Fiktion dahingehend, dass diese mit Eröffnung zu Masseverbindlichkeiten aufgewertet (ĺ Rn. 180 ff.) werden. Im Steuerschuldverhältnis hat auch die ebenso, teils umstrittene Entscheidung des BFH vom 9.12.2010122) weitergehende Privilegien im eröffneten Verfahren geschaffen (ĺ Rn. 753). c) Verwertung und Notverwertung 262 Der im Eröffnungsverfahren geltende Sicherungs- und Erhaltungsgrundsatz ist gleichbedeutend mit dem nur auf Ausnahmefälle erheblich eingeschränkten Verwertungsrecht des vorläufigen Insolvenzverwalters. 263 Das Verwertungsrecht steht dem Insolvenzverwalter zu (§§ 159 ff. InsO, ĺ Rn. 521 ff.). Der Insolvenzverwalter hat grundsätzlich (erst) nach dem Berichtstermin, dann aber unverzüglich die Verwertung der Massegegenstände vorzunehmen (vgl. § 159 InsO). 264 Ausnahmsweise stehen auch dem vorläufigen Insolvenzverwalter Verwertungsbefugnisse zu, jedoch nur dann, wenn er hierdurch eine Deckung wenigstens der Verfahrenskosten und Masseverbindlichkeiten sicherstellen muss (vgl. § 25 Abs. 2 InsO).123) 265 Ein mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis ausgestatteter vorläufiger Insolvenzverwalter kann bereits aus dieser Befugnis heraus Verwertungshandlungen vornehmen, ohne dass es hierzu einer zusätzlichen gesonderten Beschlussfassung des Insolvenzgerichts bedarf; klarstellend kann aber auch eine solche erfolgen.124) Ein „schwacher“ vorläufiger Insolvenzverwalter ist, sind Verwertungshandlungen wegen § 25 Abs. 2 InsO erforderlich, nur nach einer dahingehenden, gesonderten Beschlussfassung durch das Insolvenzgericht zur Verwertung aus eigener Verfügungsbefugnis heraus berechtigt. 266 Soweit dies zur Kostendeckung erforderlich ist, stehen dem vorläufigen Insolvenzverwalter allerdings ausschließlich aus diesem Grund Verwertungsbefugnisse zu. 267 Als eine weitere Ausnahmekonstellation ist die „Notverwertung“ durch den vorläufigen Insolvenzverwalter bereits im Eröffnungsverfahren anerkannt. Eine Notverwertung ist dann angezeigt, wenn hierdurch Schaden von der Masse abgewendet werden kann (z. B. bei Vorhandensein verderblicher Waren, ___________ 122) BFH, Urt. v. 9.12.2010 – V R 22/10, ZIP 2011, 782 (m. Bespr. Schmittmann, S. 1125 u. Welte/Friedrich-Vache, S. 1595), dazu EWiR 2011, 323 (Mitlehner). 123) KPB/Pape, InsO, § 25 Rn. 11. 124) AG Duisburg, Beschl. v. 29.3.2000 – 62 IN 10/00, DZWIR 2000, 306 m. Anm. Smid DZWiR 2000, 307.

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IV. Sicherungsmaßnahmen des Insolvenzgerichts

wobei ein Zuwarten bis nach dem Berichtstermin ohne weiteren Schaden zulasten der Gläubigerbefriedigung nicht denkbar ist). Die Notverwertung kann durch einen „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalter 268 aus eigener Verfügungsbefugnis heraus vollzogen werden. Ein „schwacher“ vorläufiger Insolvenzverwalter bedarf entweder einer Anordnung des Gerichts, wodurch der „schwache“ vorläufige Verwalter im Rahmen von § 22 Abs. 2 InsO mit der Verfügungsbefugnis nur für die Verwertung des/der einzelnen Vermögensgegenstandes/Vermögensgegenstände ausstattet wird. Alternativ kann er einer vom organschaftlichen/gesetzlichen Vertreter des Schuldnerunternehmens vorgenommenen Verwertungsverfügung zustimmen. 3. Konsequenzen für das Schuldnerunternehmen Mit der Anordnung von Sicherungsmaßnahmen und der Bestellung eines vor- 269 läufigen Insolvenzverwalters geht der Verlust auf Schuldnerseite einher, allein und rechtswirksam über Gegenstände der künftigen Insolvenzmasse zu verfügen. Ist eine schwache vorläufige Insolvenzverwaltung angeordnet, ist die Wirksamkeit der Verfügung abhängig von der Zustimmung des vorläufigen Verwalters; ist ein starker vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt und dem Schuldner ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt, bedeutet dies einen umfassenden Verlust der Verfügungsbefugnis, soweit der künftigen Masse zugehörige Gegenstände betroffen sind. Die organschaftlichen/gesetzlichen Vertreter und Angestellten des Schuld- 270 nerbetriebs sind im Rahmen von §§ 20, 97, 101 InsO zur umfassenden Auskunftserteilung und Mitwirkung verpflichtet. Diese können zwar zwangsweise durchgesetzt werden (vgl. § 101, 98 InsO); mit dem Ziel eines reibungslosen Verfahrensablaufs empfiehlt sich jedoch primär die Schaffung einer vorurteilsfreien Gesprächskultur und guten Kommunikationsbasis. Dies gilt umso mehr, soll ein Unternehmen saniert/fortgeführt werden. Eine Rollenklärung und Definition der Wirkungskreise sollten, ebenso wie eine transparente Arbeitsweise beidseitig ein Selbstverständnis sein. 4. Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters Der vorläufige Insolvenzverwalter hat einen Anspruch auf eine angemessene 271 Vergütung seiner Tätigkeit. Diese ist gesondert abzugelten (§ 63 Abs. 3 InsO, § 11 InsVV), demnach auch, wenn das Verfahren nicht eröffnet wird.125) Der Vergütung ist ein gesonderter Abschnitt gewidmet (ĺ Rn. 724 ff.). 5. Maßnahmen im Verwalterbüro Wurde der Sachverständige im Eröffnungsverfahren gleichzeitig zum vorläu- 272 figen Insolvenzverwalter bestellt, sind ergänzend zu den Maßnahmen im ___________ 125) Vgl. hierzu Haarmeyer/Mock, Insolvenzrechtliche Vergütung (InsVV), § 11 Rn. 1.

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B. Das Insolvenzeröffnungsverfahren

Rahmen des Sachverständigenauftrags (ĺ Rn. 228) die nachfolgend aufgelisteten weiteren Arbeitsschritte erforderlich, soweit die Sicherungsmaßnahmen diesen Aufgabenkreis umfassen. Praxistipp: Prozessablauf Arbeitsschritte vorläufige Insolvenzverwaltung x Drittschuldnerdaten erfassen x Zustellung des Beschlusses über die Anordnung der Sicherungsmaßnahmen an Drittschuldner (i. d. R. zusammen mit dem Aufforderungsschreiben zum Forderungseinzug) x Zustellnachweis an das Insolvenzgericht (§ 8 Abs. 3 InsO) x Forderungseinzug bei Drittschuldnern x Ggf. Betriebsfortführung koordinieren (ĺ Rn. 273 ff.) x Ggf. Veranlassung der Eintragung des vorläufigen Sperrvermerks (§§ 23 Abs. 3, 32, 33 InsO beim zuständigen Grundbuchamt, Schiffsregister – Veranlassung nur, wenn nicht bereits ein Ersuchen des Insolvenzgerichts ergangen ist (vgl. § 32 Abs. 2 InsO). x Ermittlung und Bewertung der Vermögenswerte (Inventur, Inventarverzeichnis, Bilddokumentationen), ggf. unter Hinzuziehung eines externen Bewerters/Industriegutachter/Sachverständigen x Sicherung der Vermögenswerte durch auf den Einzelfall und den konkreten Verfahrensverlauf abgestimmte Maßnahmen (insbesondere abhängig von der Fortführungsfähigkeit des Unternehmens): – Inbesitznahme der Zulassungsbescheinigungen – Kfz-Schlüsselsätze sicherstellen – Barkassenbestand auf das Sonderkonto einzahlen, soweit nicht zur Fortführung benötigt. – Inbesitznahme der Schlüsselsätze Betriebsstätte, sofern nicht zur Fortführung benötigt. x Rechnungslegung nach Beendigung des Amtes und Abschluss der Tätigkeit (§§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 66 InsO126) x Vergütungsantrag nach Beendigung des Amtes, spätestens jedoch mit Einreichung des Schlussberichts im eröffneten Verfahren.127)

V. Fortführung des Geschäftsbetriebs im Eröffnungsverfahren 1. Fortführung oder Einstellung des Geschäftsbetriebs 273 In der hochsensiblen Anfangsphase des Eröffnungsverfahrens sind – findet der Sachverständige/vorläufige Insolvenzverwalter einen laufenden Geschäftsbetrieb vor – die Entscheidungsgrundlagen zusammenzustellen, die der Gläubigerversammlung nach Eröffnung eine abschließende Entscheidungsfindung ___________ 126) Zimmer, Insolvenzbuchhaltung, Rn. 801 ff. 127) Muster in: Heyn/Kreuznacht/Voß, Arbeitshilfen für Insolvenzsachbearbeiter, Rn. 562 ff.

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V. Fortführung des Geschäftsbetriebs im Eröffnungsverfahren

über die Fortführung oder Stilllegung des Betriebs ermöglicht (§ 157 InsO). Soweit tatsächlich, rechtlich und betriebswirtschaftlich darstellbar, wird ein laufender Geschäftsbetrieb daher gerade im Eröffnungsverfahren zunächst bis auf Weiteres fortgeführt. Die gilt auch, wenn nach Verfahrenseröffnung eine übertragende Sanierung 274 beabsichtigt ist. Mit § 158 InsO besteht die Möglichkeit einer Veräußerung noch vor dem Berichtstermin. Voraussetzung ist die Zustimmung des Gläubigerausschusses, die regelmäßig dann erteilt werden wird, wenn dies die bestmögliche Masseverwertung darstellt. Alternativ kann das Unternehmen bis zum Votum der Gläubigerversammlung an einen potenziellen Erwerber verpachtet werden, sofern dies dem Erhaltungsinteresse dient.128) Muss der Betrieb vor Einberufung der ersten Gläubigerversammlung einge- 275 stellt werden, ist nach Eröffnung bereits vor dem Berichtstermin die Zustimmung des Gläubigerausschusses einzuholen (§ 158 Abs. 1 InsO) bzw. der Schuldner zu unterrichten, ist ein Gläubigerausschuss nicht bestellt (§ 158 Abs. 2 InsO). Zeichnet sich in einem noch früheren Stadium, dem Eröffnungsverfahren, ab, 276 dass der Geschäftsbetrieb nicht fortgeführt werden kann, ist eine Einstellung ebenfalls möglich. Diese ist im Fall der schwachen vorläufigen Verwaltung vom Schuldner mit Zustimmung des schwachen vorläufigen Verwalters bzw. vom starken vorläufigen Verwalter nach pflichtgemäßem Ermessen zu initiieren. Die Einstellung bereits im Eröffnungsverfahren darf die Befriedigungsaussichten der Gläubiger keinesfalls gefährden und beeinträchtigen. 2. Fortführungsaussichten und Liquiditätsplanung a) Grundlegendes Soll ein Unternehmen im Insolvenzverfahren fortgeführt werden, ist der Insol- 277 venzverwalter verpflichtet, die Fortführungsaussichten zu prüfen. Der Senat hat zum Umfang bzw. zur Art und Weise der Prüfungspflicht wie folgt ausgeführt:129) „Der Verwalter ist vor der Entscheidung zur Fortführung des Schuldnerunternehmens u. a. zu einer realistischen Einschätzung der Werthaltigkeit bestehender und künftig zu begründender Masseforderungen verpflichtet. Welche Überprüfungen der Verwalter im Einzelnen anstellen muss, ist eine Frage des Einzelfalls, die verallgemeinernden Rechtssätzen nicht zugänglich ist.“

Bekräftigt wurde diese Linie durch eine weitere Entscheidung aus dem 278 Jahr 2020:130) ___________ 128) OLG Rostock, Urt. v. 8.4.2011 – 5 U 31/08, NZI 2011, 488. 129) BGH, Beschl. v. 6.10.2011 – IX ZR 105/09, ZInsO 2012, 137. 130) BGH, Beschl. v. 12.3.2020 – IX ZR 125/17, ZIP 2020, 1080.

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B. Das Insolvenzeröffnungsverfahren „Maßstab aller unternehmerischen Entscheidungen des Insolvenzverwalters im Rahmen einer Betriebsfortführung ist der Insolvenzzweck der bestmöglichen gemeinschaftlichen Befriedigung der Insolvenzgläubiger sowie das von den Gläubigern gemeinschaftlich beschlossene Verfahrensziel – Abwicklung des Unternehmens, Veräußerung oder Insolvenzplan – als Mittel der Zweckerreichung. Der dem Insolvenzverwalter bei unternehmerischen Entscheidungen zustehende Ermessensspielraum ist überschritten, wenn die Maßnahme aus der Perspektive ex ante angesichts der mit ihr verbundenen Kosten, Aufwendungen und Risiken im Hinblick auf die Pflicht des Insolvenzverwalters, die Masse zu sichern und zu wahren, nicht mehr vertretbar ist.“

279 Dies gilt ebenfalls für den vorläufigen Insolvenzverwalter bei einer Fortführung im Eröffnungsverfahren. 280 Die Prüfung der Fortführungsfähigkeit und -würdigkeit ist einzelfallbezogen. Sie umfasst insbesondere folgende Punkte: b) Analyse der Krisenursachen 281 Die Analyse der Krisenursachen hilft bei der Einschätzung der Fortführungsfähigkeit eines Unternehmens bereits erheblich. Zunächst ist zwischen externen und internen Krisenfaktoren zu unterscheiden. Häufig sind die Ursachen intern, d. h. innerbetrieblich. Die Erkenntnis ist für das Unternehmen nicht angenehm, hat aber einen entscheidenden Vorteil: interne Krisen lassen sich oftmals aus eigener Kraft heraus beheben. Dies gilt nur in den seltensten Fällen für externe Krisen. Ein Markt, der nicht mehr vorhanden ist, ist gleichbedeutend mit ausbleibendem oder zu geringem Absatzpotential: Hersteller von Wählscheibentelefonapparaten würden in einer digitalisierten Welt 2.0 kaum noch „überleben“ können. Potenziell korrigierbar sind dagegen interne Faktoren, z. B. eine fehlende oder mangelhafte Finanzplanung, Fehlinvestitionen/-finanzierungen oder eine tatsachenferne Einschätzung der wirtschaftlichen Entwicklung. 282 Sind die Krisen intern, ist zu analysieren, ob die Faktoren durchschlagend auf die Liquidität eingewirkt haben, der Betrieb ansonsten aber „gesund“ ist. 283 Zeichneten sich im Vorfeld der Insolvenz bereits rückgängige Tendenzen im Bereich der Auftragslage ab oder sind die Kundenzahlen merklich zurückgegangen, ist zu analysieren, ob sich diese Tendenz künftig wahrscheinlich fortsetzen wird. In diesem Fall ist eine Fortführung eher nicht anzuraten. Ist die Auslastung indes konstant und die Insolvenz eher einem erheblichen Forderungsausfall zuzuschreiben, ist in einem weiteren Schritt eine Analyse der Gründe der Nichtzahlung zu empfehlen. Erhebt der Drittschuldner Einwendungen wegen Mängeln oder Schlechtleistung, sind diese auf ihre objektive Begründetheit hin zu prüfen. Die subjektive Wahrnehmung des Schuldnervertreters ist dabei nur bedingt aussagekräftig, da diese nicht immer deckungsgleich mit objektiven Bewertungskriterien ist.

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V. Fortführung des Geschäftsbetriebs im Eröffnungsverfahren

c) Finanz- und Liquiditätsplanung Die Prüfung der Fortführungsfähigkeit fordert zwingend die Aufstellung einer 284 fundierten Finanzplanung. Diese bildet die Basis für die Beurteilung der Fortführungsfähigkeit und dient im weiteren Verlauf als Controlling-Instrumentarium, das es ermöglicht, die Entwicklung im Soll-/Ist-Vergleich zu überwachen. Daneben ist ein sorgfältig erstellter Liquiditätsplan im weiteren Verlauf des Verfahrens aus haftungsrechtlicher Sicht entlastend und daher unersetzlich.131) d) Liquiditäts-/Finanzplanung Die nachfolgende Übersicht soll eine Idee davon geben, welche Inhalte eine 285 Finanzplanung im Kern beinhalten kann. Der Zeitraum ist dem jeweiligen Verfahren anzupassen. Bei einer geplanten langfristigen Fortführung empfiehlt sich ein Zeitraum von mindestens zwölf Monaten. Finanzplan (kumulierte Salden)

Status

KW 17 KW 18 KW 19 KW 20 KW 21 KW 22

AKTIVA A.

Unmittelbar verfügbare Zahlungsmittel

I.

Bankguthaben

II.

Kasse

Summe

Voraussichtliche Einnahmen

Voraussichtliche Zahlungsmittelbestände

PASSIVA A.

Unmittelbar fällige Verbindlichkeiten

I.

Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen

___________ 131) BGH, Urt. v. 17.12.2004 – IX ZR 185/03, ZIP 2005, 311, dazu EWiR 2005, 679 (Pape).

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B. Das Insolvenzeröffnungsverfahren Finanzplan (kumulierte Salden) II.

Verbindlichkeiten Darlehen

III.

Sonstige Verbindlichkeiten

Status

KW 17 KW 18 KW 19 KW 20 KW 21 KW 22

Summe

B.

Betriebsausgaben

I.

Wareneinkauf

II.

Personal

III.

Raumkosten

IV.

sonstige Fixkosten

V.

Energiekosten

VI.

Geräteleasing

VII. Sonstige Ausgaben

Summe Betriebsausgaben

Über- bzw. Unterdeckung absolut

3. Basis der Fortführungsarbeit 286 Neben den „harten Fakten und Zahlen“ ist eine weitere Komponente gerade bei einer Fortführung unter Insolvenzgesichtspunkten gleichermaßen von Bedeutung: Die Basis für eine konstruktive, koordinierte und zielgerichtete Interaktion zwischen dem Unternehmen, dem (vorläufigen) Insolvenzverwalter, dem Steuerberater und ggf. Rechtsberater. In diesem engen Rahmen und Personenkreis sind eine transparente Kommunikation, eine enge Abstimmung und stringente Prozessabläufe entscheidend für das Gelingen einer Fortführung. Dabei ist der (vorläufige) Insolvenzverwalter gehalten, sich in einem gesetzlich definierten Kompetenzfeld zu bewegen (keine Rechtsberatung). In einem weiteren Schritt ist angezeigt, durch ein von identischen Grundsätzen geprägtes Handeln eine belastbare und gute Basis zu den Mitarbeitern, den Kunden, den Lieferanten und anderen wichtigen Geschäftspartnern (Banken, Leasinggebern, Vermieter etc.) herzustellen. Gerade bei den Letztgenannten hat die finanzielle Krise einen das Vertrauen erschütternden Einfluss auf die (Geschäfts-)Beziehung genommen, sodass es gilt, die Ver-

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V. Fortführung des Geschäftsbetriebs im Eröffnungsverfahren

trauensgrundlage im Sanierungsprozess zu stärken und auszubauen und eventuelle Konfliktfelder konstruktiv und nachhaltig zu bearbeiten.132) 4. Maßnahmen im Verwalterbüro Wurde die Fortführungswürdigkeit und -fähigkeit des Betriebs bejaht, ver- 287 stehen sich die nachstehenden Prozess-/Arbeitsschritte als ein Leitfaden zur Koordinierung der Fortführung im Verwalterbüro. Diese sind jeweils einzelfallbezogen und unter Beachtung auch der Branchenspezifika zu ergänzen oder zu reduzieren. Praxistipp: Prozessablauf Arbeitsschritte Betriebsfortführung x Abwicklung des laufenden Zahlungsverkehrs über das Sonderkonto oder ein separates Fortführungssonderkonto – Bei Bestimmung der vergütungsrechtlichen Teilungsmasse ist „lediglich“ der Überschuss aus der Fortführung zu berücksichtigen (§ 1 Abs. 2 Nr. 4 Satz 2b InsVV). – Empfehlung: Buchung ausschließlich der die Fortführung betreffenden Vorgänge zu Einnahmen und Ausgaben mit eindeutiger Zuordnung zur Fortführung auf einem Fortführungssonderkonto.133) x Regelmäßige Barkassenbestandseinzahlungen auf Sonderkonto/Fortführungsanderkonto (Kassenbuchführung) x Übersicht über die getätigten und noch anstehenden Ausgaben aufgrund von bargeschäftlichen Zahlungszusagen/Einzelermächtigung x Ggf. Anregung einer Einzelermächtigung (ĺ Rn. 245 ff.) x Lieferanteninformation und Forderungseinzug – Zahlungseingänge zum Sonderkonto/Fortführungssonderkonto! – Änderung der Bankverbindung auf schuldnerbetrieblichen Briefbögen, sofern diese verwendet werden (ggf. ein besonders ins Auge fallender Hinweis wegen Stammkontendatenänderung beim Kunden) x Sicherung des Auftragsbestands/Kundenstamms durch transparente, vertrauensgewinnende Kommunikation x Inventarverzeichnis und Bewertung des Sachanlagevermögens – Ggf. Anregung zur Anordnung gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO (ĺ Rn. 240 ff.) x Anfangsinventur (Stichtag: Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung) + Endinventur (Stichtag: Beendigung des Amtes)

___________ 132) Siehe hierzu auch den gesetzgeberischen Gedanken für das außergerichtliche Sanierungs-/ Restrukturierungsverfahren, §§ 94 ff. StaRuG – Sanierungsmoderation, Sanierungsund Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz (SanInsFoG) v. 22.12.2020, BGBl. I, 3256 m. W. v. 1.1.2021. 133) Siehe zu den einzelnen Konten Zimmer, Insolvenzbuchhaltung, Rn. 291 ff.

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B. Das Insolvenzeröffnungsverfahren – Endinventurbestand ist gleichzeitig der in das eröffnete Verfahren zu übernehmende Anfangsinventurbestand bei einer Betriebsfortführung nach Insolvenzeröffnung x Klärung evtl. Dritt-/Sicherungsrechte – Ggf. Separierung eingehender Gelder auf einen Sonderkonto bei undurchsichtigen Rechts-/Kollisionslagen – Bei Anordnung gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO: Evtl. Nutzungsentgelte/ Wertersatzansprüche sind Masseverbindlichkeiten. x Prüfung des (branchenspezifischen) Versicherungsschutzes x Prüfung der Vertragsverhältnisse (Notwendigkeit zur Fortführung) – Zählerstandablesungen (z. B. Energieversorger und Wasserlieferanten) auf Stichtage „Anordnung der vorläufigen Verwaltung“ und „Eröffnung des Insolvenzverfahrens“ (keine Zahlung auf Rückstände aus dem Zeitraum vor Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung; mit Eröffnung erneute stichtagsbezogene Abgrenzung, da die nach Eröffnung anfallenden Kosten Masseverbindlichkeiten i. S. d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO sind) x Personalbezogene Tätigkeiten – Mitarbeiterinformation, Personalbindungsmaßnahmen, Betriebsversammlungen etc. – Insolvenzgeldzeitraum anhand des angestrebten Eröffnungsstichtags bestimmen – Ggf. Insolvenzgeldvorfinanzierungen (ĺ Rn. 302 ff.) – Ggf. Kündigungen vorbereiten/aussprechen x Kündigungen bei einer „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwaltung nur durch Erklärung des Schuldnerunternehmens (schriftlich!) mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters x Arbeitsrechtliche Besonderheiten einhalten (Zustimmungserfordernisse, Massenentlassungsanzeige, Kündigungsschutz etc.) x Oktroyierte Masseverbindlichkeiten berücksichtigen – Beachte zu Verbindlichkeiten aus dem Steuerschuldverhältnis § 55 Abs. 1 InsO134) bzw. § 55 Abs. 4 InsO – Bei „starker“ vorläufiger Insolvenzverwaltung: Masseverbindlichkeiten, die vom vorläufigen Insolvenzverwalter begründet wurden (§ 55 Abs. 2 InsO) x Ggf. Aufnahme eines Massekredits135)

___________ 134) BFH, Urt. v. 9.12.2010 – V R 22/10, ZIP 2011, 782 (m. Bespr. Schmittmann, S. 1125 u. Welte/Friedrich-Vache, S. 1595). 135) Wohl über den Weg der Einzelermächtigung auch für den schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter möglich; vgl. BGH, Urt. v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, ZIP 2002, 1625.

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VI. Arbeitsverhältnisse im Eröffnungsverfahren und Insolvenzgeld

Den nach Eröffnung des Insolvenzverfahren bei einer Fortführung zu beach- 288 tenden Besonderheiten ist an entsprechender Stelle ein weiterer Abschnitt gewidmet (ĺ Rn. 494 ff.). VI. Arbeitsverhältnisse im Eröffnungsverfahren und Insolvenzgeld 1. Insolvenzgeld In einer ganz überwiegenden Anzahl der Insolvenzverfahren können die 289 Löhne und Gehälter wegen fehlender finanzieller Mittel unmittelbar vor Antragstellung nicht mehr gezahlt werden. Dies hat für den einzelnen Mitarbeiter u. U. eine existenzbedrohende Bedeutung. Mit dem Ziel der Sicherstellung des existentiellen Unterhalts für Mitarbeiter und deren Familien wurde eine Sicherstellung der Lohn-/Gehaltszahlungen über das staatlich vorfinanzierte, von der Bundesagentur für Arbeit gezahlte Insolvenzgeld institutionalisiert. Die Voraussetzungen, unter denen Insolvenzgeld gewährt wird, sind in §§ 165 ff. SGB III geregelt. a) Insolvenzgeldzeitraum Insolvenzgeld wird für einen Zeitraum von maximal dem Insolvenzereignis 290 vorausgehenden drei Monaten gezahlt (§ 165 Abs. 1 Satz 1 SGB III). Als Insolvenzereignis definiert § 165 Abs. 1 Satz 2 SGB III die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers, die Abweisung des Antrags mangels Masse oder die vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland, wenn ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht gestellt worden ist und ein Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt. Beispiel: Insolvenzeröffnung:

1. Mai

Insolvenzgeldzeitraum:

1. Februar – 30. April

Bei einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor dem Insolvenzereignis be- 291 stimmt sich der Zeitraum für die letzten drei Monate des Arbeitsverhältnisses. Beispiel: Insolvenzeröffnung:

1. Mai

Beendigung des Arbeitsverhältnisses:

31. März

Insolvenzgeldzeitraum:

1. Januar – 31. März

Bei einem über den Eröffnungszeitpunkt hinaus fortdauernden Arbeitsver- 292 hältnis sind die Lohn- und Gehaltsansprüche der Arbeitnehmer ab Insolvenzeröffnung Masseverbindlichkeiten gemäß § 55 InsO.

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B. Das Insolvenzeröffnungsverfahren

Beispiel: Insolvenzeröffnung:

1. Mai

Beendigung des Arbeitsverhältnisses:

31. Oktober

Insolvenzgeldzeitraum:

1. Februar – 30. April

Masseverbindlichkeit:

1. Mai – 31. Oktober

293 Sind die Löhne für einen längeren Zeitraum rückständig, ist der Arbeitnehmer hinsichtlich der ihm über den Dreimonatszeitraum hinaus zustehenden Ansprüche auf die Geltendmachung zur Insolvenztabelle verwiesen (§§ 38, 174 InsO). b) Höhe des Insolvenzgeldanspruchs 294 Insolvenzgeld wird in Höhe des Nettoarbeitsentgelts gezahlt (§ 167 Abs. 1 SGB III). 295 Die für den Insolvenzgeld-Zeitraum rückständigen Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Kranken-, Renten- und sozialen Pflegeversicherung sowie die Beiträge zur Arbeitsförderung werden von der Agentur für Arbeit auf Antrag an die zuständigen Einzugsstelle (Krankenkasse) abgeführt (§ 175 SGB III). c) Antrag auf Insolvenzgeld 296 Eine Zahlung von Insolvenzgeld ist nur auf Antrag zulässig (Vordruck „Insg 1“ der Bundesagentur für Arbeit), der innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Monaten nach Vorliegen des Insolvenzereignisses zu stellen ist (§ 324 Absatz 3 SGB III). Nach der Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens wendet sich die Behörde an den Insolvenzverwalter (bzw. im Fall der Abweisung mangels Masse an den Schuldner) zwecks Ausstellung der Insolvenzgeldbescheinigungen. Grundlage für die Bescheinigungen sind die auf der Grundlage der ihm vorliegenden Lohn-/Gehaltsabrechnungen für den maßgeblichen Zeitraum. d) Insolvenzgeldzahlung 297 Eine Zahlung erfolgt rückwirkend für den Insolvenzgeldzeitraum nach Eintritt des Insolvenzereignisses. 298 Eine Vielzahl der Arbeitnehmer ist finanziell nicht in der Lage, den gesamten Zeitraum aus eigenen Rücklagen vorzufinanzieren. Unter bestimmten Voraussetzungen (vgl. § 168 SGB III) kann daher ein Vorschuss auf das Insolvenzgeld gezahlt werden. Eine Insolvenzgeldvorfinanzierung (ĺ Rn. 302 ff.) kommt nur bei einer positiven Fortführungsprognose infrage, nicht aber bei einer Einstellung des Geschäftsbetriebs.

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VI. Arbeitsverhältnisse im Eröffnungsverfahren und Insolvenzgeld

Die Praxis kennt mit der sog. „Bankbescheinigung“ noch eine weitere Mög- 299 lichkeit, der Belegschaft zu ermöglichen, bis zum Eintritt des Insolvenzereignisses auseichend Liquidität zur Verfügung zu haben. Hierbei bestätigt der vorläufige Insolvenzverwalter, dass ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt wurde und dass der Arbeitnehmer aller Voraussicht nach einen Anspruch auf Insolvenzgeld haben wird. Unter Vorlage dieser Bescheinigung bei der eigenen Hausbank des Arbeitnehmers wird diesem unter der Voraussetzung der Abtretung der Insolvenzgeldansprüche eine zinsfreie Überziehungsmöglichkeit zum eigenen Girokonto bis zur Höhe des Insolvenzgeldes eingeräumt. Dies dient der Sicherstellung der Zahlung der eigenen laufenden Lebenshaltungskosten. e) Anspruchsübergang In Höhe des gezahlten Insolvenzgeldes findet ein gesetzlicher Anspruchs- 300 übergang statt (§ 169 SGB III). Die Forderung des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber auf Zahlung des Lohns/Gehalts geht auf die Agentur für Arbeit über. Im Insolvenzverfahren kann diese Forderung (inkl. der Gesamtsozialversi- 301 cherungsbeiträge) nur im Rang eines Insolvenzgläubigers zur Tabelle, nicht aber als Masseverbindlichkeit geltend gemacht werden (§ 55 Abs. 3 Satz 1 InsO, § 175 SGB III). 2. Insolvenzgeldvorfinanzierung Bei Vorliegen einer positiven Fortführungsprognose besteht die Möglichkeit 302 der Insolvenzgeldvorfinanzierung. Die Bereitstellung der Gelder erfolgt darlehensweise durch ein Kreditinstitut, welches über die von den Arbeitnehmern im Rahmen der Vorfinanzierung zu erklärende Abtretung der betreffenden Ansprüche gesichert ist. Die Vorfinanzierung bedarf der Zustimmung der Agentur für Arbeit (§ 170 303 Abs. 4 SGB III). Kann dargelegt werden, dass der überwiegende Teil der Arbeitsplätze bei der Betriebsfortführung erhalten bleibt, ist die Wahrscheinlichkeit, dass diese Zustimmung erteilt wird, hoch. Die Vorfinanzierung ist auch bei einer (vorläufigen) Eigenverwaltung 304 (§§ 270b ff. InsO) möglich, sofern es zu einer Entscheidung über die Eröffnung des Verfahrens kommt. Bei einer vorherigen erfolgreichen Sanierung, ohne dass der Eröffnungsantrag beschieden wurde, besteht kein Anspruch auf Zahlung von Insolvenzgeld.136)

___________ 136) DA zu § 170 SBG III (Stand Mai 2013).

73

B. Das Insolvenzeröffnungsverfahren Praxistipp: Informationsbeschaffung Personalbuchhaltung x Liste aktuell/zuletzt beschäftigter Arbeitnehmer mit mindestens den relevanten Eckdaten (Name, Adresse, Geburtsdatum, Betriebszugehörigkeit, Zeitpunkt der letzten Lohn-/Gehaltszahlung, evtl. Kündigungsdatum, arbeitsrechtliche Besonderheiten, z. B. Schwerbehinderung, Betriebsrat, Mutterschutz, Elternzeit) x Anforderung der Betriebsnummer x Anforderung der Lohn-/Gehaltsabrechnungen der letzten sechs Monate x Anforderung der Arbeitsverträge x Anforderung der Meldungen zur Sozialversicherung x Anforderung der Lohnsteueranmeldungen x Anforderung einer vollständigen Liste der beteiligten Sozialversicherungsträger x Informationen über anhängige Klageverfahren x Anforderung der Tarifverträge x Anforderung evtl. Kündigungsschreiben nebst Zugangsnachweis

3. Kündigung von Arbeitsverhältnissen im Eröffnungsverfahren 305 Die Kündigung ist unter Beachtung der arbeitsrechtlichen Bestimmungen und unter Beachtung der vertraglichen oder gesetzlichen Kündigungsfristen im Eröffnungsverfahren zulässig. Der Ausspruch der Kündigungen erfolgt in Ausübung der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalters (§§ 21 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 1, 22 Abs. 1 InsO) durch diesen oder durch den Schuldner mit Zustimmung des „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalters (§§ 21 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 2, 22 Abs. 2 InsO). 306 Die im eröffneten Verfahren geltende verkürzte – und daher im Einzelfall für das Verfahren „günstigere“ – Kündigungsfrist des § 113 InsO von drei Monaten zum Monatsende, wenn nicht eine kürzere Frist maßgeblich ist, gilt im Eröffnungsverfahren noch nicht; § 113 InsO ist erst nach Insolvenzeröffnung anwendbar.137) 307 Eine Kündigung kann nur unter Berücksichtigung. eventueller arbeitsrechtlicher Besonderheiten (z. B. Betriebsrat, Schwerbehinderung, Mutterschutz, Massenentlassungsanzeige138) etc.) ausgesprochen werden. Dringend anzuraten ist, den Zeitpunkt des Zugangs der schriftlichen Kündigung nachweisbar (z. B. persönliche Quittierung, postalische Nachweise) festzuhalten.

___________ 137) BAG, Urt. v. 20.1.2005 – 2 AZR 134/04, ZIP 2005, 1289, dazu EWiR 2005, 867 (Thüsing/ Grosse-Brockhoff). 138) Siehe hierzu instruktiv Pohlner, InsbürO 2013, 49 ff., 91 ff.

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VII. Das Gutachten des Sachverständigen

Ist Arbeitskraft des betroffenen Arbeitnehmers nicht mehr einsetzbar, kann 308 eine sofortige oder stichtagbezogene Freistellung ausgesprochen werden. Eventuelle Resturlaubsansprüche und Ansprüche auf Freizeitgewährung können auf die Zeit der Freistellung angerechnet werden. Übersteigt die Freistellungszeit die Resturlaubsdauer, besteht die Möglichkeit, dasjenige auf den Vergütungsanspruch anzurechnen, was der Arbeitnehmer durch Einsatz seiner Arbeitskraft bei einem anderen Arbeitgeber erwirbt (§§ 615 Satz 2, 254 Abs. 2 Satz 1 BGB). Die kraft Gesetzes eintretende Unterbrechung bereits anhängiger Klagever- 309 fahren tritt erst mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein (§ 240 ZPO). VII. Das Gutachten des Sachverständigen Bei Beendigung des Sachverständigenauftrags fasst dieser die ihm zur Klärung 310 übertragenen Sachverhalten in einer abschließenden gutachterlichen Stellungnahme zusammen (Abschlussgutachten). In aller Regel spricht er als Ermittlungsfazit eine Beschlussempfehlung aus, im Rahmen derer er anregt, das Insolvenzverfahren zu eröffnen, den Antrag mangels Masse abzuweisen oder den Antrag als unzulässig oder unbegründet zurückzuweisen. Die Zulässigkeit des Antrags ergibt sich aus den Voraussetzungen der §§ 13, 311 14 InsO (ĺ Rn. 130 ff.). Ein Antrag ist begründet, wenn ein für die Rechtsform einschlägiger Eröff- 312 nungsgrund vorliegt (ĺ Rn. 167 ff.). Ist der Antrag zulässig und begründet und ist eine Verfahrenskostendeckung 313 gewährleistet, wird das Insolvenzverfahren durch gerichtlichen Beschluss i. a. R. eröffnet. Sind die Kosten nicht gedeckt wird der Antrag auf Eröffnung mangels Masse abgewiesen (§ 26 InsO). Die Beurteilung, ob das Schuldnervermögen zur Verfahrenskostendeckung 314 ausreicht, ergibt sich aus einer Gesamtschau aller ermittelten Vermögenswerte, die allesamt zu erfassen und zu bewerten sind. Die zur Verfahrenskostendeckung im Eröffnungsfall zu Verfügung stehenden Vermögenswerte sind den prognostizierten Verfahrenskosten gegenüber zu stellen. 1. Ermittlung der Vermögenswerte und Schuldenstruktur Die Ermittlung der Vermögenswerte ist ebenfalls wichtig zur Feststellung 315 des Vorliegens des Eröffnungsgrundes (sog. „Überschuldungsstatus“). Zu erfassen sind alle dem Schuldnerunternehmen „gehörenden“ Vermögens- 316 werte (§ 35 InsO, Insolvenzmasse). Die Feststellung der Zugehörigkeit bedarf einer Feststellung der Rechtsverhältnisse. Drittsicherheiten, die im Fall der Eröffnung zur abgesonderten Befriedigung berechtigen (ĺ Rn. 451 ff.), sind auszuweisen, um die „freie Masse“ festzustellen. Nicht dem Schuldner-

75

B. Das Insolvenzeröffnungsverfahren

vermögen zuzurechnen sind die Gegenstände, die nach Insolvenzeröffnung der Aussonderung unterliegen (ĺ Rn. 434 ff.). 317 Neben den rechtlichen Feststellungen bedarf es einer Bewertung unter rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten (ĺ nachfolgend Rn. 319 ff.). 318 Den Aktiva gegenüberzustellen sind die Verbindlichkeiten (Passiva). Neben der Einordnung zu den jeweiligen Masseverbindlichkeiten sind hierbei auch die Zuordnung zu Insolvenzforderungen (§ 38 InsO) und Nachrangforderungen (§ 39 InsO) vorzunehmen. Zudem sind die Sicherheiten zu den jeweiligen Forderungen der Gläubiger anzuführen. Merke: Der Wert der Drittrechte in der Aktiv-Übersicht ist stets identisch mit dem der Sicherheiten in der Passiv-Übersicht! Es empfiehlt sich, sich hinsichtlich der Gliederung an den §§ 151 ff. InsO, die erst nach Insolvenzeröffnung gelten, zu orientieren. Die gutachterlichen Feststellungen können bei der Aufstellung der Verzeichnisse gemäß §§ 151 ff. InsO als Grundlage herangezogen und aktualisiert werden. Diese Vorgehensweise spart Arbeitszeit! 2. Bewertung von Vermögenswerten a) Allgemeines 319 Bei der Bewertung von Vermögensgegenständen werden im Wesentlichen zwei Wertansätze unterschieden: Der Liquidationswert und der Fortführungswert. 320 Die Bewertung erfolgt auf den Stichtag der Insolvenzeröffnung, da in diesem Moment die Prüfung der Begründetheit (Eröffnungsgrund) ansteht. b) Bewertungsgrundlagen 321 Nach Insolvenzeröffnung hat der Insolvenzverwalter die Masse dem Grundsatz der bestmöglichen Verwertung, d. h. Verwertung mit maximaler Gewinnerzielung, zu entsprechen. Die Wertfeststellung hat daher unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu erfolgen. Eine wirtschaftliche Gesamtwürdigung der aktuellen Vermögenssituation der Unternehmung ist daher unerlässlich. Buchwerte sind insoweit nur bedingt bis gar nicht aussagekräftig. 322 Im Rahmen der Gesamtwürdigung sind auch stets die nach Insolvenzeröffnung anfallenden Masseverbindlichkeiten zu berücksichtigen. Sofern sich im eröffneten Verfahren herausstellt, dass für die Insolvenzmasse kein die Verwaltungs- und Verwertungskosten übersteigender Verwertungserlös zu erwarten ist, kann der Insolvenzverwalter nach Eröffnung einen einzelnen Ver-

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VII. Das Gutachten des Sachverständigen

mögenswert aus dem Insolvenzbeschlag freigeben (masseschonende Verwaltung; ĺ Rn. 427 ff.). Soweit die Vermögensbewertung durch Heranziehung von belastbaren In- 323 formationen dargestellt werden kann, bedeutet dies wenige Schwierigkeiten. Für die Feststellung des Wertes von Finanzanlagen, Kontenständen, Festgeldguthaben etc. sind eine schriftliche Anfrage beim jeweiligen Vertragspartner und die daraufhin erteilte, nachprüfbare Auskunft völlig ausreichend. Die Bewertung anderer Vermögenswerte setzt wiederum Fach- oder Branchen- 324 kenntnisse voraus. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der Gegenstände des Anlage- und Umlaufvermögens (z. B. Spezialmaschinen, Zulieferprodukte). In diesen Fällen empfiehlt sich die Hinzuziehung eines Industriesachverständigen, der unter Einsatz seines Spezialwissens und/oder der Branchenkenntnisse ein Bewertungsgutachten erstellen kann. Wird auf die Hinzuziehung eines Industriesachverständigen verzichtet, sollte 325 sich der mit Insolvenzeröffnung bestellte Insolvenzverwalter bewusst sein, dass er im Fall einer masseschädigen Verwertung auf der Grundlage einer von ihm initiierten (Falsch)Bewertung riskiert, von den Gläubigern auf Schadensersatz in Anspruch genommen zu werden (vgl. § 60 InsO).139) Manche Gerichte erachten es für zulässig, die durch die Beauftragung eines 326 Industriesachverständigen verursachten zusätzlichen Kosten als Auslagen über die Abrechnung des Insolvenzgutachters abzurechnen (§ 8 Abs. 1 Nr. 4 JVEG). Andere Gerichte wiederum bestellen diese Gutachter unmittelbar mit der Folge, dass diese Gutachterkosten unmittelbar mit dem Gericht abgerechnet werden; eine Information über die Höhe ist zu erfragen, damit die Verfahrenskosten (§ 54 InsO) korrekt berücksichtigt werden können. c) Liquidationswerte Der Zerschlagungswert oder Liquidationswert (auch Verkehrs- oder Markt- 327 wert) ist bei einem eingestellten Geschäftsbetrieb die für die Bewertung maßgebliche Kennzahl. Soweit das Unternehmen fortgeführt werden kann und soll, empfiehlt es sich, neben den Fortführungswerten stets auch die Liquidationswerte anzuführen, um den Gläubigern eine umfassende Grundlage zur Verfügung stellen zu können, wenn sie über den Fortgang des Verfahrens entscheiden (§ 157 InsO). Als Liquidationswert definiert sich der im Fall der Veräußerung am Markt 328 voraussichtlich zu erzielende Erlös. Bei der Wertbestimmung handelt es sich um eine Erlösprognose, bei der notwendig wertende Einschätzungen einfließen, die – zwar objektiv nachvollziehbar, aber dennoch subjektiv gefärbt – „nicht geeignet sind, die Gewissheit zu vermitteln, das Objekt werde bei einer ___________ 139) BGH, Urt. v. 10.10.2013 – III ZR 345/12, WM 2013, 2225 zur Haftung eines Sachverständigen bei unrichtiger Verkehrswertermittlung im Zwangsversteigerungsverfahren.

77

B. Das Insolvenzeröffnungsverfahren

Veräußerung genau den ermittelten Wert erzielen“.140) Die Bewertung erfolgt unter Beachtung der Grundsätze der „kaufmännischen Vorsicht folgen“ und durch Ermittlung einer möglichst zutreffenden Bewertungsgröße, wobei ein gewisser Toleranzspielraum vertretbar und in Kauf zu nehmen ist, der im Einzelfall unter dem Aspekt der Angemessenheit und Toleranzgrenze zu beurteilen ist.141) 329 Bei der Wertfestsetzung gilt auch im Insolvenzverfahren stets der Grundsatz von „Angebot und Nachfrage“. Bei entsprechend hoher Nachfrage ist es durchaus möglich, dass der Insolvenzverwalter nach Eröffnung einen Erlös erzielt, der weit über dem prognostizierten Verkehrswert liegt. Bei geringer Nachfrage ist selbstverständlich auch der umgekehrte Fall denkbar. d) Fortführungswerte 330 Wird eine Sanierung/Fortführung angestrebt, sind (zusätzlich zu den Liquidationswerten) die Fortführungswerte („going concern“) in Ansatz zu bringen. Der Fortführungswert eines Gegenstandes liegt regelmäßig über dem Liquidationswert. Entscheidend ist der Nutzwert des Gegenstandes. Hinsichtlich der Herangehensweise, der Marktregularien sowie des Bewertungsspielraums wird auf die unmittelbar vorstehenden Ausführungen verwiesen, die auch bei Ermittlung des Fortführungswertes gelten (ĺ Rn. 330 ff.). e) Inhalte eines Gutachtens 331 Der Inhalt eines Gutachtens wird maßgeblich durch den Umfang des gerichtlichen Sachverständigenauftrags bestimmt. Die Aufträge sind – auch gerichtsbezogen – zum Teil abweichend, sodass sich in jedem Fall die Lektüre des Auftragsumfangs und dessen Beachtung empfiehlt. Dies gilt auch für die geübte Praxis, dass die meisten Verwalterbüros Mustergutachten für die jeweiligen Insolvenzgerichte vorhalten.142) 332 Nachfolgende Checkliste soll als Leitfaden dienen und bildet die Vielfalt der Arbeitsaufträge weitestgehend ab. Die Gliederungsreihenfolge kann je nach Auftrag und Vorgaben des Verwalterbüros abweichen. Praxistipp: Checkliste Themen Abschlussgutachten A.

Auftrag

B.

Gutachten

___________ 140) BGH, Beschl. v. 19.6.2008 – V ZB 129/07, ZfIR 2008, 685 (m. Anm. Böttcher, S. 687) = Rpfleger 2008, 588. 141) So auch BGH, Urt. v. 2.7.2004 – V ZR 213/03, ZIP 2004, 1758 = ZfIR 2004, 805, dazu EWiR 2004, 1069 (Medicus); BGH, Urt. v. 1.4.1987 – IVa ZR 195/87, JurionRS 1987, 13005. 142) Diverse Muster auch in: Heyn/Kreuznacht/Voß Arbeitshilfen für Insolvenzsachbearbeiter, Rn. 333 ff.

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VIII. Vorläufige Eigenverwaltung und der vorläufige Sachwalter I.

Allgemeine Angaben (ggf. tabellarische Übersicht)

II.

Gesellschaftsrechtliche Verhältnisse 1.

III.

Firma und (ggf.) Handelsregister

2.

Gründung

3.

Gesellschaftsrechtliche Entwicklung

4.

Organschaftliche/Gesetzliche Vertretung

Wirtschaftliche Verhältnisse

IV.

Arbeitsrechtliche Verhältnisse

V.

Unternehmerische Entwicklung

VI.

Rechtstreitigkeiten

VII.

Maßnahmen im Eröffnungsverfahren

VIII.

Sanierungs-/Fortführungsmöglichkeiten/Insolvenzplanverfahren/ Eigenverwaltung

IX.

Insolvenzgründe

X.

Deckung der Verfahrenskosten

XI.

Besondere Beschlussfassungen, § 160 InsO

XII.

Verfahrensabwicklung (Besonderheiten)

XIII.

Auslandsbezug

XIV.

Vermögensstatus – Aktiva (tabellarisch und textliche Erläuterungen inkl. evtl. Drittrechte)

XV.

Vermögensstatus – Passiva(tabellarisch und textliche Erläuterungen inkl. evtl. Drittrechte)

XVI.

Beschlussempfehlung

XVII. Ermächtigung gemäß § 25 Abs. 2 InsO XVIII. Zusammenfassung der Ergebnisse

VIII. Vorläufige Eigenverwaltung und der vorläufige Sachwalter 1. Voraussetzungen, Vorteile und Nachteile der vorläufigen Eigenverwaltung a) Hintergründe und Zielsetzung Auf Antrag des Schuldnervertreters kann das Insolvenzverfahren unter An- 333 ordnung der Eigenverwaltung eröffnet werden. Die Eigenverwaltung verfolgt das Ziel, das Unternehmen unter Insolvenzschutz zu sanieren. Kern der Regelung ist, dass der im Regelinsolvenzverfahren stattfindende Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf einen Insolvenzverwalter (§ 80 Abs. 1 InsO) gerade nicht stattfindet zugunsten der beim Schuldner-

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B. Das Insolvenzeröffnungsverfahren

vertreter selbst verbleibenden Befugnis, unter Aufsicht eines Sachwalters über die Gegenstände der Insolvenzmasse zu verfügen und diese zu verwalten (§ 270 Abs. 1 Satz 1 InsO). 334 Die Eigenverwaltung ist geregelt in § 270 InsO und war bis zum Inkrafttreten des ESUG erst ab Eröffnung des Verfahrens zulässig. 335 Die Insolvenz unter Eigenverwaltung ist keine grundlegend neue Idee, wurde aber von der Praxis bislang kaum angenommen. Frühzeitig wurde indes die Möglichkeit einer vorläufigen Eigenverwaltung diskutiert.143) b) ESUG 336 Durch das Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmungen (ESUG)144) wurde die Möglichkeit eröffnet, in Regelinsolvenzverfahren bereits vor Eröffnung unter vorläufiger Eigenverwaltung zu agieren. In Verfahren mit Antragstellung ab dem 1.3.2012 kann bereits im Eröffnungsverfahren eine „vorläufige Eigenverwaltung“ (§§ 270a, 270b InsO) angeordnet und ein vorläufiger Sachwalter (§ 270c InsO) bestellt werden. Die bisherige Praxis zeigt, dass diese richtungsweisende Gesetzesänderung den Sanierungsgedanken auch unter Insolvenzschutz aufgewertet hat. Merklich gestärkt wurden Einflussnahmemöglichkeiten der Gläubiger insbesondere durch das Gremium des (vor-)vorläufigen Gläubigerausschusses Praxistipp: Ziele und Instrumente des ESUG x Bessere Nutzung von Sanierungschancen x Ausbau von Sanierungsinstrumenten x Anreize für eine frühere Stellung von Insolvenzanträgen x Verbesserung von Verfahrensabläufen x Verringerung von Blockademöglichkeiten x Stärkere Einbeziehung der Gläubiger in das Verfahren

337 Mit dem Schutzschirmverfahren (§ 270b InsO) wurde eine besondere und nur unter bestimmten Voraussetzungen durchführbare Ausgestaltung des vorläufigen Insolvenzverfahrens geschaffen. Die Intention des Gesetzgebers ist, dem Schuldner einen Anreiz zu geben, frühzeitig/rechtzeitig einen Antrag zu stellen, um durch ein professionell begleitetes Sanierungsverfahren seinen Geschäftsbetrieb unter Insolvenzschutz aufrechtzuerhalten und sich ___________ 143) Vgl. exemplarisch Uhlenbruck, NZI 2001, 632, der seinerzeit dafür plädierte, dass über die Anordnungsoptionen zur vorläufigen Verwaltung ein vorläufiger Insolvenzverwalter mit den Befugnissen eines „vorläufigen“ Sachwalters ausgestattet werden könne. 144) Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen v. 7.12.2011 m. W. z. 1.3.2012, BGBl. I, 2582.

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VIII. Vorläufige Eigenverwaltung und der vorläufige Sachwalter

binnen kürzester Zeit durch das in einen Insolvenzplan gefasste Sanierungskonzept zu rehabilitieren. c) SanInsFoG Mit Inkrafttreten des Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetzes 338 (SanInsFoG)145) hat der Gesetzgeber das (vorläufige) Eigenverwaltungsverfahren unter neue Vorzeichen gestellt und auch die Zugangsvoraussetzungen schärfer konturiert. Der Antrag auf Anordnung der Eigenverwaltung ist nunmehr mit einer voll- 339 ständigen und schlüssigen Eigenverwaltungsplanung nach Maßgabe des § 270a InsO i. d. F. vom 1.1.2021 zu versehen: x

Finanzplan für den Zeitraum von sechs Monaten unter Ausweis der Deckung der Fortführungskosten und der Verfahrenskosten;

x

Sanierungskonzept;

x

Bericht über den Stand der Verhandlungen mit Gläubigern, Gesellschaftern und Dritten;

x

Darstellung der Vorkehrungen, die der Schuldner zur Erfüllung der insolvenzrechtlichen Pflichten getroffen hat;

x

begründete Darstellung der Mehr- oder Minderkosten der Eigenverwaltung im Vergleich zu einem Regelinsolvenzverfahren (inkl. Berater- und Gerichtskosten).

Etabliert wurde zudem unter den Voraussetzungen des § 10a InsO146) i. d. F. 340 vom 1.1.2021 der Anspruch auf ein Vorgespräch mit dem Gericht. Das Gericht bestellt einen vorläufigen Sachwalter nur dann, wenn der Eigen- 341 verwaltungsplan vollständig und schlüssig ist und keine Umstände bekannt sind, aus denen sich ergibt, dass die Eigenverwaltungsplanung in wesentlichen Punkten auf unzutreffenden Tatsachen beruht (§ 270b Abs. 1 Satz 1 InsO i. d. F. vom 1.1.2021). Eine vorläufige Eigenverwaltung wird grundsätzlich nicht angeordnet, wenn die Kosten der Betriebsfortführung und der Eigenverwaltung nicht gedeckt sind, oder diese wesentlich die Kosten eines Regelinsolvenzverfahrens übersteigen. Es sei denn, es ist zu erwarten, dass der Schuldner bereit und in der Lage ist, seine Geschäftsführung an den Gläubigerinteressen auszurichten (§ 270b Abs. 2 InsO i. d. F. vom 1.1.2021). Gleiches gilt für die Anordnung der Eigenverwaltung im Eröffnungsbeschluss (§ 270f Abs. 1 InsO i. d. F. vom 1.1.2021).

___________ 145) Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz (SanInsFoG) v. 22.12.2020, BGBl. I, 3256) m. W. v. 1.1.2021. 146) Voraussetzung: zwei der Schwellenwerte des § 22a InsO sind erreicht.

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B. Das Insolvenzeröffnungsverfahren

d) Vor- und Nachteile der (vorläufigen) Eigenverwaltung 342 Die Insolvenz unter Eigenverwaltung lässt ein zeit- und kostenintensives Einarbeiten eines (vorläufigen) Insolvenzverwalters entfallen, da das Know-how der bisherigen Geschäftsleitung voll eingesetzt werden kann. Der Gläubigerschutz ist gewahrt durch die Aufsichtsführung des (vorläufigen) Sachwalters, der insbesondere in Bezug auf gläubigerschädigende Handlungen handlungsanzeigepflichtig ist. 343 Die Tatsache, dass der Schuldnervertreter weiterhin der „Steuermann“ ist, weckt auf Gläubigerseiten bisweilen Misstrauen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass Insolvenzverfahren nicht selten Managementfehler vorausgegangen sind. Im Sanierungsprozess gilt es daher, diesem Misstrauen entgegenzuwirken. Die Praxis bedient sich beizeiten eines Interim-Managers, der für einen gewissen Zeitraum die geschäftsleitenden Aufgaben (mit)übernimmt. e) Besondere Voraussetzungen des Schutzschirmverfahrens 344 Im Rahmen der Krisenfrüherkennung ist eine besondere Art des vorläufige Eigenverwaltungsverfahrens anerkannt: das Schutzschirmverfahren. 345 Mit dem SaninsFoG147) wurde dieses in § 270d InsO neu konturiert. 346 Der Eröffnungsantrag und Antrag auf Eigenverwaltung kann dabei nur bei drohender Zahlungsunfähigkeit (ĺ Rn. 184 ff.) oder Überschuldung (ĺ Rn. 179 ff.) gestellt werden. Ist zum Zeitpunkt der Antragstellung bereits Zahlungsunfähigkeit (ĺ Rn. 169 ff.) eingetreten, ist das Verfahren nicht für ein Schutzschirmverfahren qualifiziert. Dies ist von einem in Insolvenzsachen erfahrenen Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Rechtsanwalt oder einer Person mit vergleichbarer Qualifikation zu bescheinigen; es muss Personenverschiedenheit zum vorläufigen Sachwalter bestehen. 347 Daneben ist zu beantragen, dass das Insolvenzgericht eine Frist zur Vorlage eines Insolvenzplans festsetzt, die maximal drei Monate betragen. 348 Der Schuldner ist berechtigt, einen namentlich zu benennenden (geeigneten) vorläufigen Sachwalter vorzuschlagen. Von dem vom Schuldner eingebrachten Vorschlag darf das Gericht nur bei offensichtlicher Ungeeignetheit abweichen. Die Anordnung vorläufiger Sicherungsmaßnahmen nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 InsO kann optional beantragt werden. Diese Anordnung über die einstweilige Einstellung bzw. Untersagung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen hinsichtlich der beweglichen Güter ist einer Sanierung zweckdienlich. ___________ 147) Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz (SanInsFoG) v. 22.12.2020, BGBl. I, 3256) m. W. v. 1.1.2021.

82

VIII. Vorläufige Eigenverwaltung und der vorläufige Sachwalter

2. Aufgaben und Befugnisse des (vorläufigen) Sachwalters Gemäß § 274 Abs. 2 Satz 1 InsO hat der Sachwalter im eröffneten Verfahren 349 die Pflicht, die wirtschaftliche Lage des Schuldners zu prüfen und die Ausgaben für die Lebensführung zu überwachen. Das Gericht kann anordnen, dass der Sachwalter den Schuldner im Rahmen der Insolvenzgeldvorfinanzierung, der insolvenzrechtlichen Buchführung und der Verhandlung mit Kunden und Lieferanten unterstützen kann. Stellt der Sachwalter Umstände fest, die nachteilige Auswirkungen für die 350 Gläubiger erwarten lassen, hat er dies dem Gericht und dem Gläubigerausschuss unverzüglich anzuzeigen (§ 274 Abs. 3 InsO). Der weitere Pflichtenkreis des Sachwalters umfasst insbesondere: x

die Insolvenzanfechtung (§ 280 InsO),

x

die Tabellenführung und Verteilung (§ 283 InsO),

x

die Anzeige der Masseunzulänglichkeit (§§ 285, 208 InsO).

351

Die Befugnisse des vorläufigen Sachwalters ergeben sich aus § 270b Abs. 1 352 Satz 1 InsO i. V. m. §§ 274, 275 InsO, insbesondere hinsichtlich folgender Aufgabenbereiche: x

Prüfung der wirtschaftlichen Lage des Schuldners.

x

Überwachung der Geschäftsführung und der Ausgaben für die Lebensführung.

3. Konsequenzen für den Schuldner Der Schuldner behält nach Insolvenzeröffnung die Verwaltungs- und Verfü- 353 gungsbefugnis auch über Gegenstände der Insolvenzmasse (Ausnahme zu § 80 Abs. 1 InsO). Im Eröffnungsverfahren wird kein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt. Demnach besteht kein Zustimmungserfordernis bzw. es findet kein „vorgezogener“ Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf einen „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalter statt. Der Schuldner sieht sich der Aufsichtsführung inkl. der beschriebenen Veto- 354 Rechte des (vorläufigen) Sachwalters ausgesetzt (ĺ Rn. 349). 4. Vergütung des (vorläufigen) Sachwalters Die Vergütung des Sachwalters und des vorläufigen Sachwalters wird wegen des 355 Sachzusammenhangs in einem gesonderten Abschnitt erläutert (ĺ Rn. 741 ff.).

83

C. Das eröffnete Insolvenzverfahren I. Die Eröffnungsentscheidung Über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens entscheidet das Insolvenzgericht 356 durch Beschluss. Gleichzeitig wird ein Insolvenzverwalter ernannt (§ 27 InsO). Der Eröffnungsbeschluss enthält folgende wesentliche Angaben:

357

x

Firma, Registergericht und Registernummer, unter der das Schuldnerunternehmen in das Handelsregister eingetragen ist, Geschäftszweig, gewerbliche Niederlassung (§ 27 Abs. 2 InsO).

x

Namen und Anschrift des Insolvenzverwalters (§ 27 Abs. 2 InsO).

x

Stunde der Eröffnung (§ 27 Abs. 2 InsO).

x

Aufforderung an die Gläubiger zur Forderungsanmeldung binnen einer gerichtlich festgesetzten Anmeldefrist (§ 28 Abs. 1 InsO).

x

Aufforderung an die Gläubiger zur Mitteilung evtl. Sicherungsrechte an den Insolvenzverwalter (§ 28 Abs. 2 InsO).

x

Aufforderung an die Drittschuldner, ausschließlich an den Insolvenzverwalter zu leisten (§ 28 Abs. 3 InsO).

x

Bestimmung des Berichtstermins (§ 29 Abs. 1 InsO).

x

Bestimmung des Prüfungstermins (§ 29 Abs. 1 InsO).

Der Eröffnungsbeschluss ist öffentlich bekanntzumachen (§ 30 Abs. 1 InsO). 358 Die gemäß § 30 Abs. 2 InsO vorzunehmende Zustellung des Beschlusses an den Schuldner, die Gläubiger und die Drittschuldner wird regelmäßig dem Insolvenzverwalter übertragen (vgl. § 8 Abs. 3 InsO), der die hierfür entstehenden Auslagen gesondert in Rechnung stellen kann. II. Ablauf des Verfahrens, Termine und Fristen Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens setzt im Insolvenzverwalterbüro einen 359 regelmäßig standardisierten Prozess in Gang. Nachfolgend sollen die Arbeitsschritte, die unmittelbar nach Eröffnung abzuhandeln sind dargestellt werden. Auf einzelfallspezifische Besonderheiten sollte darüber hinaus stets geachtet werden. 1. Arbeitsschritte Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens sind in aller Regel folgende Ar- 360 beitsschritte zu beachten: x

Abholung und Rücksendung der Insolvenzakte (Anm.: Soweit diese bereits im Eröffnungsverfahren vorgelegen hat, erübrigt sich dieser Arbeitsschritt in den meisten Fällen.)

85

C. Das eröffnete Insolvenzverfahren

x

Fristen notieren

x

Anmeldefrist (§ 28 Abs. 1 InsO)

x

Berichtstermin (§§ 29 Abs. 1 Nr. 1, 156 InsO)

x

Prüfungstermin (§§ 29 Abs. 1 Nr. 2, 176 InsO)

x

Niederlegungsfrist (§ 175 Abs. 2 InsO) Praxistipp: Die Sorgfaltspflicht in Fristsachen verlangt von einem Rechtsanwalt, alles ihm Zumutbare zu tun, um die Wahrung von Fristen zu gewährleisten. Überlässt er die Berechnung und Notierung von Fristen einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Bürokraft, hat er durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert werden.148)

x

Übernahme der Gläubigerdaten in das insolvenzspezifische Programm Praxistipp: Wurden die Gläubiger bereits anhand der Angaben in der Gerichtsakte im Eröffnungsverfahren gelistet, sind die Daten ggf. zu korrigieren und zu ergänzen. Nicht selten ergeben sich im Verlauf des Eröffnungsverfahrens weitere Gläubiger, die aufzunehmen sind.

x

Bei Übertragung des Zustellwesens durch das Insolvenzgericht (vgl. § 8 Abs. 3, 30 Abs. 2 InsO): Zustellung des Eröffnungsbeschlusses an die Gläubiger und Drittschuldner und Fertigung des Zustellnachweis ans Insolvenzgericht Praxistipp: Wurde das Zustellwesen auf den Insolvenzverwalter übertragen, ist zu empfehlen, eine Kopie des Zustellnachweises in der Akte aufzubewahren. Die Auslagen, die für die Zustellungen entstanden sind, können bei der Vergütung des Insolvenzverwalters zusätzlich berücksichtigt werden. Die Anzahl der getätigten Zustellungen ist wichtig, um diese Auslagen zu bestimmen.

x

Gerichtsakte sichten: Verfahrenseckdaten, Anhaltspunkte für Vermögenswerte notieren

x

Schuldnervertreter zum Erstgespräch einladen unter gleichzeitiger Aufforderung, die die verfahrensspezifisch beizubringenden Unterlagen einzureichen

Erstgespräch mit dem Schuldnervertreter (persönliches Gespräch oder Ortstermin vereinbaren) zwecks Klärung der Vermögens- und Vertragsverhältnisse ___________ x

148) BGH, Beschl. v. 9.7.2014 – XII ZB 709/13, NJW 2014, 3102 = lexetius.com/2014, 2603.

86

II. Ablauf des Verfahrens, Termine und Fristen

x

Sichtung und Auswertung der Schuldnerunterlagen

x

Sekundärinformationsquellen heranziehen (z. B. Kreditinstitute, Versicherungsgesellschaften, Arbeitgeber etc.)

2. Erstgespräch Die Mitglieder des Vertretungs- oder Aufsichtsorgans treffen im Insolvenz- 361 verfahren umfassende Auskunfts- und Mitwirkungspflichten. Dies gilt auch für die innerhalb der letzten beiden Jahre vor dem Eröffnungsantrag ausgeschiedenen Schuldnervertreter und die aktuell und ehemals Angestellten, sofern diese nicht früher als zwei Jahre vor dem Eröffnungsantrag ausgeschieden sind (§§ 101, 97 InsO). Praxistipp: Da in einer ganz überwiegenden Anzahl der Gesellschaftsinsolvenzen der Eröffnungsentscheidung ein Eröffnungsverfahren unter Einbeziehung eines Sachverständigen vorausgeht, werden die Informationen in einem ersten Gespräch und weiteren Folgeterminen bereits unmittelbar nach Antragstellung durch den Sachverständigen eingeholt. Die in §§ 101, 97 f. InsO normierten Auskunfts- und Mitwirkungspflichten gelten qua Verweisung (§ 20 Abs. 1 InsO) auch bereits im Eröffnungsverfahren. Dier hier geschilderten Grundsätze sind daher gleichermaßen im Eröffnungs- wie im Hauptverfahren anwendbar.

Der Insolvenzverwalter kann sich zwecks Informationsbeschaffung im We- 362 sentlichen an folgende Personen wenden: x

Geschäftsführer einer GmbH (§ 35 GmbHG) bzw. faktische Geschäftsführer einer GmbH149),

x

Vorstände einer AG, einer e. G. oder eines e. V. (§ 78 AktG, § 26 GenG, § 26 BGB),

x

Komplementäre einer KGaA (§ 278 Abs. 2 AktG),

x

Vertretungsberechtigte Gesellschafter von Personengesellschaften (vgl. § 11 Abs. 2 Nr. 1 InsO) sind die vertretungsberechtigten Gesellschafter (§ 714 BGB bzw. § 715 BGB i. d. F. vom 1.1.2024,150) § 714 BGB, § 125 HGB, § 170 HGB),

x

Partner bei Partnerschaften (§ 7 Abs. 3 PartGG). Wichtig: Die Organstellung bleibt von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens und der möglichen Kündigung eines Dienstvertrags (§ 113 InsO) unberührt.

___________ 149) Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Piekenbrock, InsO, § 101 Rn. 4 m. w. N. 150) Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts – MoPeG v. 10.8.2021, BGBl. I, 436.

87

C. Das eröffnete Insolvenzverfahren

363 Daneben kann der Insolvenzverwalter Auskünfte bei Angestellten oder ehemals Angestellten einholen. Dies ist insbesondere im Bereich der Buchhaltung, des Controllings, der Disposition und in anderen Schnittstellenbereichen eines Unternehmens von Bedeutung. 364 Die Mitwirkungspflichten gegen die Schuldnervertreter sind gemäß §§ 101 Abs. 1, 98 InsO auch zwangsweise durchsetzbar, wohingegen dies mangels Verweisung auf § 98 InsO nicht gilt in Bezug auf die Angestellten (vgl. § 101 Abs. 2 InsO). Bevor jedoch auf den Maßnahmenkatalog der zwangsweisen Auskunftserteilung zurückgegriffen wird, sollte zuvor in jedem Fall in angemessenem Rahmen und einer professionellen Verfahrensabwicklung unter Einhaltung folgender Grundsätze der Kommunikation die Auskunftserteilung erwirkt werden: x

Wer fragt, der führt! Mit gezielten Fragen lenkt der Insolvenzverwalter die Gedanken der Auskunftsperson zu den verfahrenswesentlichen Themen.

x

Respektvolle Wahrnehmung des Gesprächspartners

x

Vorurteilsfreiheit, Neutralitätswahrung

x

Rollenklärung und Transparenz in den insolvenzspezifischen Aufgabenbereichen

x

Deeskalierende Gesprächsführung

x

Beachtung der Grenzen zur Rechtsberatung

III. Die Wirkungen der Eröffnung 1. Aufgaben und Befugnisse des Insolvenzverwalters a) Inbesitznahme und Verwaltung 365 Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens bewirkt einen Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis hinsichtlich der dem Insolvenzbeschlag unterliegenden Gegenstände (ĺ Rn. 422 ff.) auf den Insolvenzverwalter (§ 80 Abs. 1 InsO). Dieser hat die sog. „Ist-Masse“ in Besitz zu nehmen und zu verwalten (§ 148 Abs. 1 InsO), sofern diese Inbesitznahme nicht bereits im vorgeschalteten Eröffnungsverfahren bei der Sicherung der künftigen Massegegenstände erfolgt ist. Die Inbesitznahme erfolgt durch freiwillige Besitzverschaffung. Der Insolvenzverwalter kann bei Weigerung oder obstruierendem Verhalten des Schuldners den Herausgabeanspruch aufgrund einer vollstreckbaren Ausfertigung des Eröffnungsbeschlusses, die einen Titel i. S. v. § 794 Abs. 1 Nr. 3 ZPO darstellt, im Wege der Zwangsvollstreckung durchsetzen (§ 148 Abs. 2 Satz 1 InsO, §§ 888, 885 ZPO). Der Eröffnungsbeschluss stellt jedoch keinen geeigneten Vollstreckungstitel gegen Dritte dar.151) ___________ 151) LG Trier, Beschl. v. 4.4.2005 – 4 T 4/05, ZVI 2005, 434; OLG Nürnberg, Urt. v. 24.6.2005 – 5 U 215/05, NZI 2005, 44; vgl. zur Zwangsräumung von Wohnraum BGH, Beschl. v. 25.6.2004 – IXa ZB 29/04, Rpfleger 2004, 640.

88

III. Die Wirkungen der Eröffnung

b) Verzeichnisse und Übersichten (§§ 151 ff. InsO) Zu den originären Pflichten des Insolvenzverwalter gehört die Aufstellung 366 der Verzeichnisse gemäß §§ 151 ff. InsO. aa) Masseverzeichnis (§ 151 InsO) Gemäß § 151 Abs. 1 Satz 1 InsO hat der Insolvenzverwalter ein Verzeichnis 367 der Massegegenstände aufzustellen. Eine Frist für die Erstellung des Verzeichnisses ist gesetzlich nicht bestimmt. 368 Da das Verzeichnis gemäß § 154 InsO spätestens eine Woche vor dem Berichtstermin niederzulegen ist, muss es auch spätestens zu diesem Zeitpunkt vorliegen. Das Masseverzeichnis bildet gemeinsam mit dem Gläubigerverzeichnis 369 (§ 152 InsO) die Grundlage für die gemäß § 153 InsO zu erstellende Vermögensübersicht. Diese ist auf den Stichtag der Insolvenzeröffnung zu erstellen. Hieraus sowie aus der Pflicht zur sofortigen Inbesitznahme der Massegegenstände ist eine unverzügliche Erstellung des Masseverzeichnisses der Sorgfaltspflicht des Insolvenzverwalters geschuldet.152) Hat der im Eröffnungsverfahren bestellte Sachverständige/vorläufige Insolvenzverwalter bereits eine erste Erfassung der (künftigen) Massegegenstände vorgenommen, kann selbstverständlich auf dieses bereits erstellte Verzeichnis zurückgegriffen werden. Es ist jedoch darauf zu achten, das Verzeichnis ggf. zu aktualisieren und zu vervollständigen; die Listung der Gegenstände bereits im Eröffnungsverfahren entbindet den Insolvenzverwalter nicht von der Pflicht, als solcher das Masseverzeichnis gemäß § 151 InsO aufzustellen.153) Das Verzeichnis muss dazu geeignet sein, den Gläubigern einen umfassenden 370 Überblick über die wirtschaftliche Lage des Schuldners – und damit die Befriedigungsgrundlage – zu verschaffen.154) Die Gegenstände der Insolvenzmasse sind durch eine Inventur/Bestands- 371 aufnahme zur erfassen. Mit einem Absonderungsrecht belastete Gegenstände sind massezugehörig und demnach im Verzeichnis anzuführen unter gleichzeitiger Angabe der Fremdrechtsbelastung.155) Vermögensgegenstände, die der

___________ 152) KPB/Wipperfürth, InsO, § 151 Rn. 2; MünchKomm-InsO/Füchsl/Weishäupl/Jaffé, § 151 Rn. 4; a. A. HK-InsO/Jarchow, § 151 Rn. 6. 153) KPB/Wipperfürth, InsO, § 151 Rn. 2. 154) BGH, Beschl. v. 16.9.2010 – IX ZR 56/07, ZInsO 2010, 2234. 155) Kohärenz mit dem gemäß § 152 aufzustellenden Gläubigerverzeichnis; KPB/Wipperfürth, InsO, § 151 Rn. 15; Wimmer/Wegener, InsO, § 151 Rn. 8; Pape/Uhländer/Hansing, InsO, § 151 Rn. 5; MünchKomm-InsO/Füchsl/Weishäupl/Jaffé, § 151 Rn. 6; HK-InsO/Jarchow, § 151 Rn. 11; Möhlmann, DStR 1999, 163.

89

C. Das eröffnete Insolvenzverfahren

Aussonderung unterliegen, sind nicht Bestandteil der Insolvenzmasse und demnach nicht zu erfassen.156) Praxistipp: Steht zum Zeitpunkt der Erstellung des Verzeichnisses die Massezugehörigkeit eines Gegenstandes noch nicht abschließend fest, ist zu empfehlen, den Vermögenswert mit einem entsprechenden Hinweis aufzunehmen. Gleiches gilt für Gegenstände, die einem einfachen Eigentumsvorbehalt unterliegen, sofern der Insolvenzverwalter die Erfüllung noch nicht abgelehnt hat (§ 107 Abs. 2).157)

372 Aufzunehmen sind auch die mit Eröffnung entstehenden insolvenzspezifischen Ansprüche (Anfechtungsansprüche, §§ 129 ff. InsO; Sondermassen, §§ 92, 93 InsO). 373 Die im Verzeichnis erfassten Vermögenswerte sind einzeln, zunächst dem Grundsatz der Einzelbewertung für den Fall der Zerschlagung des Unternehmens folgend, zu bewerten (§ 151 Abs. 2 Satz 1 InsO).158) Hängt der Wert von der Fortführung oder Stilllegung des Unternehmens ab, sind nach § 151 Abs. 2 Satz 2 InsO beide Werte anzugeben. Fortführungswerte übersteigen in der Regel die Liquidationswerte (auch Zerschlagungswerte, Stilllegungswerte). Durch die Angabe sowohl der Liquidations-, als auch des Fortführungswertes erhalten die Gläubiger die für ihre Mitwirkungsmöglichkeiten erforderlichen Informationen.159) Praxistipp: Auszuweisen sind stets die Bruttowerte (inkl. Umsatzsteuer, vgl. zur Unternehmereigenschaft § 2 UStG). Die Umsatzsteuer ist im Fall der Verwertung (auch von Absonderungsgut, vgl. § 170 InsO), Masseverbindlichkeit i. S. v. § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO.160)

374 Beim Liquidationswert ist von dem jeweils wahrscheinlichen Verwertungserlös auszugehen, der am Absatzmarkt voraussichtlich erzielbar ist.161) Die Aufstellung des Masseverzeichnisses ist demnach unter rechtlichen Gesichtspunkten und unter Einbeziehung einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise vorzunehmen. Sind z. B. Forderungen aus Lieferung und Leistung ___________ 156) KPB/Wipperfürth, InsO, § 151 Rn. 16; FK-InsO/Wegener, § 151 Rn. 8; Pape/Uhländer/ Hansing, InsO, § 151 Rn. 5; MünchKomm-InsO/Füchsl/Weishäupl/Jaffé, § 151 Rn. 6; HK-InsO/Jarchow, § 151 Rn. 12; a. A. IDW RH HFA 1.010, FN-IDW 2008, 309 Rn. 18. 157) KPB/Wipperfürth, InsO, § 151 Rn. 16; FK-InsO/Wegener, § 151 Rn. 8; Pape/Uhländer/ Hansing, InsO, § 151 Rn. 5; MünchKomm-InsO/Füchsl/Weishäupl/Jaffé, § 151 Rn. 6; a. A. HK-InsO/Jarchow, § 151 Rn. 12. 158) HK-InsO/Jarchow, § 151 Rn. 16; MünchKomm-InsO/Füchsl/Weishäupl/Jaffé, § 151 Rn. 9; Pape/Uhländer/Hansing, InsO, § 151 Rn. 7. 159) KPB/Wipperfürth, InsO, § 151 Rn. 17; Delhaes, NZI 1999, 47. 160) Siehe exemplarisch BFH, Urt. v. 9.12.2010 – V R 22/10, ZIP 2011, 782 (m. Bespr. Schmittmann, S. 1125 u. Welte/Friedrich-Vache, S. 1595) = BStBl II 2011, 996; BFH, Beschl. v. 11.7.2013 – XI B 41/13, ZIP 2013, 1680. 161) KPB/Wipperfürth, InsO, § 151 Rn. 21.

90

III. Die Wirkungen der Eröffnung

rechtlich zweifelhaft oder wirtschaftlich schwierig bis nicht durchsetzbar, sind entsprechende Wertanpassungen vorzunehmen.162) Fortführungswerte sind nur in Ansatz zu bringen, „soweit eine Möglichkeit 375 der Fortführung des Unternehmens besteht“.163) Kann eine Fortführung nicht ausgeschlossen werden, sind beide Werte neben- 376 einander auszuweisen (§ 151 Abs. 2 Satz 2 InsO). Nur dann haben die Gläubiger die Möglichkeit, über den Fortgang des Verfahrens zu entscheiden (§ 157 InsO). Auf den Ausweis von Fortführungswerten kann der Insolvenzverwalter dann verzichten, wenn keine Fortführung des Unternehmens darstellbar ist (z. B. bei einem bereits vor Insolvenzantragstellung unwiderruflich eingestellten Geschäftsbetrieb ohne Möglichkeit der Wiederaufnahme). Hat der vorläufige Insolvenzverwalter/Sachverständige im Antragsverfahren 377 bereits eine Bewertung veranlasst, kann hieran angeknüpft werden. Mit der Bewertung können externe Sachverständige/Industriegutachter beauftragt werden, wenn die Bewertung der Gegenstände Spezialwissen verlangt oder mit sonstigen Schwierigkeiten verbunden ist (§ 151 Abs. 2 Satz 2 InsO). Das Verzeichnis stellt die Aktivseite der Insolvenzbilanz dar.164) Alle Ver- 378 mögensgegenstände sind nach den vorbeschriebenen Grundsätzen einzeln anzuführen. Gesetzliche Vorgaben zur Gliederung des Verzeichnisses existieren nicht. Es empfiehlt sich, eine Gliederung in Anlehnung an die handelsrechtliche Bilanz gemäß § 266 HGB, abgestimmt auf die jeweilige Verfahrensart und ergänzt um die insolvenzspezifischen Ansprüche. Dies verspricht Übersichtlichkeit und den bestmöglichen Informationsgehalt für betriebswirtschaftlich orientierte Gläubiger, da an die im Geschäftsverkehr gängige Darstellung angelehnt.165) Insbesondere angesichts der Tendenzen zur Standardisierung der Insolvenzverwalterrechnungslegung166) erscheint es zweckmäßig, die handelsrechtliche Struktur auch auf die Vermögensübersicht (§ 153 InsO) und das Masseverzeichnis anzuwenden.167) Die nachfolgende Übersicht soll als Anregung zur Gliederung dienen:168)

379

___________ 162) Begründung RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 171; KPB/Wipperfürth, InsO, § 151 Rn. 21; FK-InsO/Wegener, § 151 Rn. 16. 163) Begründung RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 171. 164) Zimmer, Insolvenzbuchhaltung, Rn. 55. 165) KPB/Wipperfürth, InsO, § 151 Rn. 47; Zimmer, Insolvenzbuchhaltung, Rn. 105. 166) Vgl. exemplarisch Kloos, NZI 2009, 586, Langer/Bausch, ZInsO 2011, 1287; Wipperfürth, InsbürO 2014, 60. 167) KPB/Wipperfürth, InsO, § 151 Rn. 47. 168) Gliederung entspricht KPB/Wipperfürth, InsO, § 151 Rn. 50; siehe hierzu instruktiv auch Zimmer, Insolvenzbuchhaltung, Rn. 108.

91

92

G e l e is t et e A nza h lu n ge n

Technische Anlagen und Maschinen

Andere Anlagen, Betriebs- und Geschäftsausstattung

Geleistete Anzahlungen und Anlagen im Bau

2.

3.

4.

Grundstücke, grundstücksgleiche Rechte und Bauten einschließlich Bauten auf fremden Grundstücken

1.

Sachanlagen

G e s c h ä f t s - o d e r Fi r m en w e r t

3.

Entgeltlich erworbene Konzessionen, gewerbliche Schutzrechte und ähnliche Rechte und Werte sowie Lizenzen an solchen Rechten und Werten

2.

4.

Selbst geschaffene gewerbliche Schutzrechte und ähnliche Rechte und Werte

1.

Immaterielle Vermögensgegenstände

4. Ausleihungen an Unternehmen, mit denen ein Beteiligungsverhältnis besteht

3. Beteiligungen

2. Ausleihungen an verbundene Unternehmen

1. Anteile an verbundenen Unternehmen

III. Finanzanlagen

II.

I.

A. Anlagevermögen

Buchwert per XX.YY.ZZZZ

Masseverzeichnis (§ 151 InsO) Liquidationswert/ Fortführungswert

Drittrechte

Kostenbeiträge

freie Masse

C. Das eröffnete Insolvenzverfahren

II.

I.

g) Miet e in n ah me n

f) Finanzanlagen (Lebensversicherungen, Bausparverträge o. Ä.)

e ) S t e u e r e r s t a t t un g s a n s p r ü c h e

d ) M i e t k a u ti o n s gu t ha b e n

c ) A n sp r ü c h e g e g en G es ch ä f t sf üh re r

b ) An sp r ü ch e g e g en G e se l l sc h a f t e r

a ) A us s te he nd e St a mm e i n l a g e

4 . S o n s ti g e V e r mö g e n s g e g e n st ä n d e

3. Forderung gegen Unternehmen, mit denen ein Beteiligungsverhältnis besteht

2. Forderungen gegen verbundene Unternehmen

1. Forderungen aus Lieferungen und Leistungen

Forderungen und sonstige Vermögensgegenstände

3 . F e r t i g e E r z e u g n is s e u n d W a r e n

2. Unfertige Erzeugnisse, unfertige Leistungen

1 . Ro h - , Hi l f s - un d B e t r i e b s s to ff e

Vorräte

B. Umlaufvermögen

6 . S o n s t i g e A u s l e ih u n g e n

5 . W e r t p a p i e r e d e s A n l a g ev e rm ö g e n s

Buchwert per XX.YY.ZZZZ

Masseverzeichnis (§ 151 InsO) Liquidationswert/ Fortführungswert

Drittrechte

Kostenbeiträge

freie Masse

III. Die Wirkungen der Eröffnung

93

94

Massekostenvorschuss, Zuschüsse Dritter

III.

IV.

Summe Aktiva

Sondermasse gemäß § 92 InsO

Sondermasse gemäß § 93 InsO, § 171 Abs. 2 HGB

II.

Anfechtung, §§ 129 ff InsO

Insolvenzspezifische Ansprüche

F.

I.

Aktiver Unterschiedsbetrag aus der Vermögensverrechnung

E.

D. Aktive latente Steuern

C. Rechnungsabgrenzungsposten

3. Kassenbestand vorläufiger Verwalter/Übertrag Insolvenzeröffnung

2 . B ar k as s e

1 . Ge s c h äf tsk o n te n

IV. Kassenbestand, Bankbestand etc.

2. S o n s tig e W ert p ap ie re

1. Anteile an verbundenen Unternehmen

III. Wertpapiere

i) Sonstige Forderungen/Vermögenswerte

h ) B er e i c h e r u n g s a n s p r ü c h e

Buchwert per XX.YY.ZZZZ

Masseverzeichnis (§ 151 InsO) Liquidationswert/ Fortführungswert

Drittrechte

Kostenbeiträge

freie Masse

C. Das eröffnete Insolvenzverfahren

III. Die Wirkungen der Eröffnung

In der Verwaltungspraxis zeigt sich eine Entwicklung, dass Insolvenzgerichte 380 die Abbildung des Verwertungsverlaufs und der Verwertungsergebnisse über die gesamte Verfahrensdauer fortlaufend/fortgeschrieben verlangen. Eine einheitliche Vorgehensweise hat sich insoweit noch nicht etabliert, auch existiert bislang keine gesetzliche Grundlage für die fortgeschriebene Darstellung des Masseverzeichnisses.169) bb) Gläubigerverzeichnis (§ 152 InsO) In einem Verzeichnis der Gläubiger hat der Insolvenzverwalter vollständig 381 sämtliche bekannten Gläubiger zu erfassen (§ 152 Abs. 1 InsO). Die Aufstellung des Verzeichnisses dient rein der Listung der bekannten Gläubiger, ohne dass es einer Vorprüfung hinsichtlich der Begründetheit und Durchsetzbarkeit der Forderung bedarf. Diese Prüfung ist für die zur Insolvenztabelle angemeldeten Forderungen im Prüfungstermin vorzunehmen. Praxistipp: Als Ermittlungsquellen für die Aufstellung des Gläubigerverzeichnisses dienen insbesondere: x die Bücher und Geschäftspapiere des Schuldners (§ 152 Abs. 1 Satz 1 InsO), x die sonstigen Angaben des Schuldners (§ 152 Abs. 1 Satz 1 InsO), x die von den Gläubigern angezeigten Forderungen (§ 152 Abs. 1 Satz 1 InsO), x Erkenntnisse sonstiger Art (§ 152 Abs. 1 Satz 1 InsO).

Das Verzeichnis stellt mit dem Masseverzeichnis (§ 151 InsO) die Grundlage 382 für die Vermögensübersicht (§ 153 InsO) dar, die auf den Stichtag der Insolvenzeröffnung vorzunehmen ist.170) Dementsprechend muss auch das Gläubigerverzeichnis die zu diesem Stichtag bestehenden Verbindlichkeiten beinhalten.171) Absonderungsberechtigte Gläubiger sind in das Verzeichnis unter Angabe 383 des Gegenstands, an dem das Absonderungsrecht besteht, sowie der Höhe des mutmaßlichen Ausfalls aufzunehmen (§ 152 Abs. 2 Satz 1, Satz 3 InsO).172) Aussonderungsberechtigte sind grundsätzlich nicht aufzunehmen, soweit 384 ihre Forderungen durch das Aussonderungsrecht erfüllt werden.173) Eine Auf___________ 169) 170) 171) 172) 173)

KPB/Wipperfürth, InsO, § 151 Rn. 51. KPB/Wipperfürth, InsO, § 152 Rn. 5; Pape/Uhländer/Hansing, InsO, § 152 Rn. 11. KPB/Wipperfürth, InsO, § 152 Rn. 5. KPB/Wipperfürth, InsO, § 152 Rn. 15. Begründung RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 171; KPB/Wipperfürth, § 152 Rn. 13; FKInsO/Wegener, § 152 Rn. 10; Pape/Uhländer/Hansing, InsO, § 152 Rn. 4; MünchKommInsO/Füchsl/Weishäupl/Jaffé, § 152 Rn. 7, HK-InsO/Jarchow, § 152 Rn. 6; FischerBöhnlein/Körner, BB 2001, 191, 193; a. A. Möhlmann, DStR 1999, 163, 166.

95

C. Das eröffnete Insolvenzverfahren

nahme erfolgt lediglich dann, wenn zum Zeitpunkt der Erstellung noch nicht mit abschließender Sicherheit feststeht, ob ein Aussonderungsrecht besteht.174) 385 Nachranggläubiger (§ 39 InsO) sind in das Gläubigerverzeichnis unabhängig davon aufzunehmen, ob das Insolvenzgericht eine besondere Aufforderung zur Anmeldung der nachrangigen Forderungen gemäß § 174 Abs. 3 Satz 1 InsO ausspricht (§ 152 Abs. 2 Satz 1 InsO).175) 386 Auch Masseverbindlichkeiten sind in das Verzeichnis aufzunehmen (vgl. § 152 Abs. 3 Satz 2 InsO).176) 387 Jeder Gläubiger ist mit vollständiger Anschrift und dem Grund sowie der Höhe der Forderung aufzunehmen (§ 152 Abs. 2 Satz 2 InsO). Merke: Beim Gläubigerverzeichnis liegt der Schwerpunkt auf der vollständigen und korrekten Erfassung aller Gläubiger. Die Erfassung erfolgt i. a. R. in dem EDV-Programm, das im weiteren Verfahrensverlauf auch zur Prüfung der Insolvenztabellenforderungen dient. Ein vollstreckbarer Tabellenauszug einer festgestellten Forderung entfaltet die Wirkungen eines rechtskräftigen Urteils (§ 178 Abs. 3 InsO). Die Bezeichnung des Gläubigers ist daher den Grundsätzen der Zivilprozessordnung folgend genau zu wählen (vgl. § 4 InsO i. V. m. §§ 50 ff., 313, 724 ff. ZPO). Eine korrekte Erfassung von Beginn an erspart im weiteren Verfahrensverlauf Zeit, Arbeit und Mühen, die für Korrekturen im Fall der Falschbezeichnung aufgewendet werden müssen. 388 Eine gesetzliche Vorgabe zur Gliederung des Verzeichnisses existiert nicht. Die nachfolgende Übersicht soll als Anregung zur Gliederung dienen:177)

___________ 174) 175) 176) 177)

96

KPB/Wipperfürth, InsO, § 152 Rn. 13. KPB/Wipperfürth, InsO, § 152 Rn. 24. Siehe zum Meinungsstreit KPB/Wipperfürth, InsO, § 152 Rn. 26. Gliederung entspricht KPB/Wipperfürth, InsO, § 152 Rn. 29.

II.

I.

Vergütung des Insolvenzverwalters

Vergütung des Gläubigerausschusses

3.

4.

Unterhalt (§ 100 InsO)

Schadensersatz (§ 169 Satz 1 InsO)

Wertersatz (§ 172 Abs. 2 Satz 1 InsO)

9.

10.

§ 55 Abs. 4 InsO

6.

Sozialplanansprüche (§ 123 Abs. 1 InsO)

§ 55 Abs. 2 Satz 2 InsO

5.

8.

§ 55 Abs. 2 Satz 1 InsO

4.

7.

§ 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO

§ 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO

3.

§ 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO

2.

1.

Sonstige Masseverbindlichkeiten

Gerichtskosten

Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters

1.

2.

Verfahrenskosten, § 54 InsO

A. Masseverbindlichkeiten

Forderungsgrund Gesamtverbindlichkeit

Absonderungsrecht (Gegenstand)

Gläubigerverzeichnis (§ 152 InsO) Buchwert per XX.YY.ZZZZ Wert Absonderungsrecht (Sicherheit)

NachAufrech- Insolvenzfor- Massenungsmög- derung unge- verbind- rangige sichert (Auslichkeit lichForde(Betrag) fallbetrag) keiten rungen

III. Die Wirkungen der Eröffnung

97

98

Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen

Insolvenzforderungen, § 38 InsO

I.

Verbindlichkeiten aus Arbeitsverhältnissen

IV.

§ 39 Abs. 1 Nr. 2 InsO

§ 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO

§ 39 Abs. 1 Nr. 4 InsO

§ 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO

§ 39 Abs. 2 InsO

III.

IV.

V.

VI.

§ 39 Abs. 1 Nr. 1 InsO

II.

I.

Nachrangige Insolvenzforderungen, § 39 InsO

[… ]

Steuerverbindlichkeiten

III.

Summe

C.

Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten

II.

Gläubiger A-GmbH, Musterstr. 12, 34567 Musterdorf

B.

Forderungsgrund Gesamtverbindlichkeit Absonderungsrecht (Gegenstand)

Gläubigerverzeichnis (§ 152 InsO) Buchwert per XX.YY.ZZZZ Wert Absonderungsrecht (Sicherheit)

NachAufrech- Insolvenzfor- Massenungsmög- derung unge- verbind- rangige sichert (AuslichFordelichkeit keiten rungen (Betrag) fallbetrag)

C. Das eröffnete Insolvenzverfahren

III. Die Wirkungen der Eröffnung

Merke: Das Gläubigerverzeichnis (§ 152 InsO) und das Masseverzeichnis (§ 151 InsO) bilden die Grundlage für die Vermögensübersicht (§ 153 InsO). Wie in einer handelsrechtlichen Bilanz müssen sich Aktivseite und Passivseite in der Summe entsprechen. Das bedeutet bei der Aufstellung jeweils, dass die Werte der Absonderungsrechte auf der Aktivseite mit den Sicherheiten auf der Passivseite übereinstimmen müssen. cc) Vermögensübersicht (§ 153 InsO) Die Vermögensübersicht gemäß § 153 InsO ist die sog. Eröffnungsbilanz, 389 demnach eine konzentrierte Gegenüberstellung der insolvenzbefangenen Vermögensgegenstände und der Verbindlichkeiten.178) Grundlage für das auf den Stichtag der Eröffnung des Verfahrens aufzustellende Vermögensverzeichnis bilden das Masseverzeichnis (§ 151 InsO) und das Gläubigerverzeichnis (§ 152 InsO), nicht jedoch die Handelsbilanz des Schuldners mit den dort angeführten Buchwerten.179) Das Vermögensverzeichnis ist ein Bestandteil der internen Rechnungslegung180) 390 und der Ausgangspunkt für die spätere Prüfung der Schlussrechnung durch die Gläubiger und das Insolvenzgericht.181) In der Insolvenz der Genossenschaft stellt die Vermögensübersicht die Grund- 391 lage der vollstreckbaren Nachschussberechnung nach § 106 Abs. 3 GenG dar.182) Die Gegenüberstellung soll nach dem Willen des Gesetzgebers „ähnlich einer 392 Bilanz“ gestaltet sein.183) Eine strukturelle Orientierung an dem Aufbau der Handelsbilanz unter Einbindung der insolvenzrechtlichen Besonderheiten (§ 266 HGB) ist daher naheliegend, angesichts des Informationsgehalts für betriebswirtschaftlich orientierte Gläubiger zu empfehlen und auch den Forderungen nach Standardisierung genügend.184) Abhängig vom Verfahrensverlauf und dessen Zielsetzung empfiehlt sich aus 393 Gründen der Übersichtlichkeit eine eigene „Liquidationsbilanz“ sowie ggf. eine „Fortführungsbilanz“. ___________ 178) KPB/Wipperfürth, InsO, § 153 Rn. 1, HK-InsO/Jarchow, § 153 Rn. 1. 179) Begründung RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 172; FK-InsO/Wegener, § 153 Rn. 1; BGH, Beschl. v. 21.10.2010 – IX ZB 24/10, ZIP 2010, 2306 = ZVI 2010, 467. 180) KPB/Wipperfürth, InsO, § 153 Rn. 2, HK-InsO/Jarchow, § 153 Rn. 1. 181) KPB/Wipperfürth, InsO, § 153 Rn. 2, HK-InsO/Jarchow, § 153 Rn. 2; Zimmer, Insolvenzbuchhaltung, Rn. 178. 182) AG Wuppertal, Beschl. v. 14.2.2014 – 145 IN 450/10, ZInsO 2014, 1397; KPB/ Wipperfürth, InsO, § 153 Rn. 2; FK-InsO/Wegener, § 153 Rn. 2. 183) Begründung RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 172. 184) KPB/Wipperfürth, InsO, § 153 Rn. 16; Zimmer, Insolvenzbuchhaltung, Rn. 105.

99

C. Das eröffnete Insolvenzverfahren

394 Ein Beispiel für den Aufbau einer Bilanz soll nachfolgende Abbildung geben:185) Aktiva Masseverzeichnis (§ 151 InsO)

Passiva Gläubigerverzeichnis (§ 152 InsO)

Unterdeckung Bilanzsumme

Bilanzsumme

395 Die Gliederung des Masseverzeichnisses (§ 151 InsO) wird zur Übernahme empfohlen. Verzichtet werden kann auf Angaben der einzelnen Vermögenswerte sowie auf die Mengenangaben.186) Die Gliederung des Gläubigerverzeichnisses kann auf der Passivseite übernommen werden, wobei die Angaben zur Anschrift, zu einem eventuellen Bevollmächtigten sowie zum Forderungsgrund und zum Absonderungsgut entfallen sollten.187) 396 Die gesetzlichen Vertreter des Schuldnerunternehmens sind auf Antrag des Insolvenzverwalters gehalten, sämtliche Informationen zu erteilen, die Vollständigkeit der Vermögensübersicht an Eides statt zu versichern.188) Die eidesstattliche Versicherung bezieht sich nur auf das insolvenzbefangene Vermögen.189) Von der Möglichkeit der Versicherung der Vollständigkeit der Übersicht an Eides statt durch Erklärung des Schuldners (§ 153 Abs. 2 InsO) kann nur in Fällen Gebrauch gemacht werden, wenn erheblich Zweifel an den Angaben des Schuldners, die mit die Grundlage zur Erstellung der Übersicht bilden, bestehen.190) Bei juristischen Personen trifft die Pflicht den organschaftlichen Vertreter, bei Personengesellschaften die vertretungsberechtigten, persönlich haftenden Gesellschafter, bei der GmbH & Co. KG die Geschäftsführer der Komplementär-GmbH (§§ 153 Abs. 2 Satz 2, 101 Abs. 1 InsO).191) Angestellte des Schuldners sind nicht zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung verpflichtet.192)

___________ 185) Gliederung entspricht KPB/Wipperfürth, InsO, § 1523 Rn. 21, so auch Zimmer, Insolvenzbuchhaltung, Rn. 174. 186) Vgl. zur Gliederung KPB/Wipperfürth, InsO, § 151 Rn. 47 ff. 187) KPB/Wipperfürth, InsO, § 153 Rn. 22 ff. 188) KPB/Wipperfürth, InsO, § 153 Rn. 23; zur eidesstattlichen Versicherung nach den Vorschriften des Zivilprozessrechts nach Verfahrenseröffnung vgl. Viertelhausen, DGVZ 2001, 36, 37; für das Eröffnungsverfahren AG Rostock, Beschl. v. 10.1.2000 – 64 M 6512/99, NZI 2000, 142. 189) KPB/Wipperfürth, InsO, § 153 Rn. 23; FK-InsO/Wegener, § 153 Rn. 8. 190) HK-InsO/Jarchow, § 153 Rn. 20. 191) KPB/Wipperfürth, InsO, § 153 Rn. 35 ff.; MünchKomm-InsO/Füchsl/Weishäupl/Jaffé, § 153 Rn. 28; FK-InsO/Wegener, § 153 Rn. 15. 192) KPB/Wipperfürth, InsO, § 153 Rn. 35 ff.; MünchKomm-InsO/Füchsl/Weishäupl/Jaffé, § 153 Rn. 28; FK-InsO/Wegener, § 153 Rn. 15.

100

III. Die Wirkungen der Eröffnung

dd) Besonderheit bei Eigenverwaltung Ist Eigenverwaltung angeordnet, ist die Erstellung der Verzeichnisse gemäß 397 § 151, 152 InsO und der Vermögensübersicht des § 153 InsO Aufgabe des Schuldners (§ 281 Abs. 1 Satz 1 InsO). Den Sachwalter trifft eine Prüfungspflicht. Er ist berechtigt, Einwendung gegen 398 die Verzeichnisse und die Übersicht zu erheben (§ 281 Abs. 1 Satz 2 InsO). ee) Frist Die Vermögensübersicht gemäß § 153 InsO ist spätestens eine Woche vor 399 dem Berichtstermin beim Insolvenzgericht zur Einsicht der Beteiligten niederzulegen (§ 154 InsO). Da die Verzeichnisse gemäß §§ 151, 152 InsO die Grundlage für die Übersicht bilden, lässt sich hieraus ableiten, dass auch diese Verzeichnisse entsprechend erstellt werden müssen. Je nach Umfang des Verfahrens ist zu empfehlen, mit einer dem bürointernen Prozessablauf angepassten Vorfrist zu arbeiten. c) Verwertung der Insolvenzmasse Zu den originären Pflichten des Insolvenzverwalters gehört die Verwertung 400 der Insolvenzmasse. Zur Insolvenzmasse gehören die zum Zeitpunkt der Eröffnung im Schuldnervermögen vorhandenen Vermögenswerte sowie der während des Insolvenzverfahrens erlangte Neuerwerb (§ 35 Abs. 1 InsO). Die Einzelheiten und Besonderheiten der Verwaltung und Verwertung sind in gesonderten Abschnitten dargestellt (ĺ Rn. 422 ff.). Der Insolvenzverwalter hat die Gegenstände der Insolvenzmasse grundsätz- 401 lich unverzüglich nach dem Berichtstermin und bestmöglich zu verwerten, soweit die Beschlüsse der Gläubigerversammlung nicht entgegenstehen (§ 159 InsO). Besonders bedeutsame Rechtshandlungen bedürfen der Zustimmung des Gläubigerausschusses bzw. der Gläubigerversammlung (§ 160 InsO). Vor dem Berichtstermin und der Beschlussfassung durch die Gläubiger über den Fortgang des Verfahrens (§ 157 InsO) ist die Verwertung von Massegegenständen zulässig im Rahmen der Verwaltung (nicht im engeren Sinne der Liquidation). Die Entscheidung, ob der Insolvenzverwalter bereits vor der ersten Gläubigerversammlung Verwertungshandlungen einleitet bzw. durchführt, trifft er nach pflichtgemäßem Ermessen. Angezeigt sein wird dies immer dann, wenn leicht verderbliche Waren zu verwerten sind oder Gefahr bzw. ein Schaden für die Masse drohen (kontaminiertes Grundstück o. Ä.). Die Verwertung vor der Beschlussfassung birgt allerdings auch Haftungspotential, falls zum Nachteil der Gläubiger verwertet wird (z. B. Veräußerung unter Wert). Soweit der Insolvenzverwalter den Forderungseinzug und die Verwertung 402 von Erzeugnissen und Waren (Umlaufvermögen) im Rahmen einer Betriebsfortführung vornimmt, sind diese Handlungen der Verwaltung zuzuordnen

101

C. Das eröffnete Insolvenzverfahren

und bereits vor dem Berichtstermin angezeigt und zulässig.193) Die Verwertung von Anlagevermögen ist – abgesehen von den vorerwähnten Ausnahmen – regelmäßig erst nach dem Berichtstermin vorgesehen. 403 Auch eine übertragende Sanierung ist eine Form der Verwertung194) und demnach grundsätzlich erst nach dem Berichtstermin möglich. Bei der übertragenden Sanierung (sog. Asset Deal) werden sämtliche Vermögenswerte an einen Erwerber (Investor, ehem. Konkurrenten, neu gegründetes Unternehmen o. Ä.) übertragen. Vorgesehen sind die Zustimmung des Gläubigerausschusses bzw. der Gläubigerversammlung (§ 160 Abs. 2 Satz 1 InsO) sowie unter den besonderen Voraussetzungen auch weiterer Zustimmungen gemäß § 162, 163 InsO. Arbeitsrechtlich ist i. d. R. § 613a BGB zwingend zu beachten, wonach der „neue Arbeitgeber“ in die Rechtsstellung des „alten Arbeitgebers“ eintritt. Die Zahlungsverbindlichkeiten des Schuldnerunternehmens werden im Insolvenzverfahren abgewickelt. Auch hierbei wird, ist es im Einzelfall angezeigt, eine Notveräußerung bereits vor dem Berichtstermin als zulässig erachtet. 404 Der Grundsatz der bestmöglichen Verwertung geht neben dem Ziel der lukrativsten Veräußerung einher mit einer masseschonenden Verwaltung und Verwertung. Im Rahmen dessen muss der Insolvenzverwalter darauf achten, die Masse mit möglichst geringem Kostenaufwand zu verwalten und zu verwerten. 405 Bei Insolvenzverkäufen sind die Bestimmungen des Wettbewerbsrechts (§§ 3, 4, 5 UWG) zu beachten. Erfolgt der als solcher beworbene Insolvenzverkauf durch einen Verwerter ist darauf zu achten, dass nur Massegegenstände verwertet werden und nicht weitere, eigens für die Verwertung angeschaffte, verkaufsfördernde zusätzliche „Schmankerl“ (vgl. § 4 Nr. 4 UWG). 406 Delegiert der Insolvenzverwalter Verwertungstätigkeiten, die zu seinen originären Aufgaben gehören, kann dies ggf. zu Abschlägen bei der Vergütungsfestsetzung führen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Umstände des Verfahrens die Verwertung durch einen Dritten nicht rechtfertigen (z. B. wegen der bei der Versteigerung bestehenden Möglichkeit des Gewährleistungsausschlusses, einem Spezialmarkt oder bei größeren Massen).195) 2. Konsequenzen für das Schuldnerunternehmen 407 Die vertretungsbefugten Personen des Schuldnerunternehmen verlieren ihre Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis hinsichtlich der Massegegenstände im gleichen Umfang, wie diese auf den Insolvenzverwalter übergeht (§ 80 Abs. 1 ___________ 193) Vgl. BGH, Urt. v. 20.2.2003 – IX ZR 81/02, ZIP 2003, 632, dazu EWiR 2003, 425 (Schumacher). 194) Wellensiek, NZI 2002, 233. 195) FK-InsO/Wegener, § 159 Rn. 11.

102

III. Die Wirkungen der Eröffnung

InsO). Die Verfügungen des Insolvenzverwalters sowie die Ausübung von Gestaltungsrechten (Kündigungen, Widerrufen, Anfechtungen gemäß §§ 142 ff. BGB, Rücktritte §§ 349 ff. BGB, Aufrechnung gemäß §§ 389 ff. BGB) wirken unmittelbar für und gegen das Schuldnerunternehmen. Der gesetzliche Vertreter (Geschäftsführer, Vorstand etc.) kann die Unternehmung indes nach Insolvenzeröffnung nicht mehr rechtswirksam ver- oder entpflichten. Auch die Entscheidungen, die den operativen Geschäftsbetrieb oder Abwicklungsfragen betreffen, sind nicht mehr von dem/den Organvertreter/n zu treffen. Der gesetzliche Vertreter geht insoweit seiner Kompetenzen verlustig. Praxistipp: Zu empfehlen ist eine transparente Kommunikation hinsichtlich der Kompetenzfelder der Geschäftsleitung bzw. des Insolvenzverwalters. Die „Übernahme des Ruders“ durch den Insolvenzverwalter wird nicht von jedem gesetzlichen Vertreter sogleich protestfrei akzeptiert. Die Transparenz in der Kommunikation und die klare Verteilung der Kompetenzen sind daher umso wichtiger. Gleichzeitig entbindet der Übergang der Entscheidungsbefugnisse den gesetzlichen Vertreter nicht von seiner Mitwirkungs- und Auskunftsverpflichtung. Dies gilt selbst dann, wernn ein etwaig vorhandener Anstellungsvertrag (arbeitsrechtlich) bereits gekündigt wurde. Die Kündigung betrifft nicht die Stellung als Organ einer Gesellschaft. Die Praxiserfahrung zeigt, dass auch dies im Rahmen eines klärenden Gesprächs gut vermittelt werden kann und sollte.

Eine Ausnahme zum Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis 408 bildet die Eröffnung des Insolvenzverfahrens unter Eigenverwaltung (§ 270 InsO); die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis verbleibt bei dieser besonderen Art des Insolvenzverfahrens auch hinsichtlich der Massegegenstände beim Schuldner. Der gerichtlich bestellte Sachwalter übt eine Art Controlling aus, ist aber nicht mit dem umfassenden Aufgabenfeld eines Insolvenzverwalters betraut. (ĺ Rn. 365 ff.). 3. Verfügungen, Leistungen und Rechtserwerb nach Eröffnung (§§ 81, 82, 91 InsO) Verfügt der gesetzliche Vertreter trotz der insoweit alleinigen Kompetenz 409 des Insolvenzverwalters nach Insolvenzeröffnung dennoch über Gegenstände der Masse, wird diese über §§ 81, 82, 91 InsO geschützt. Als logische Konsequenz aus dem Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis (§ 80 Abs. 1 InsO) bestimmt § 81 Abs. 1 Satz 1 InsO die absolute Unwirksamkeit von Verfügungen des Schuldners über Massegegenstände nach Eröffnung. Der Begriff der Verfügung ist weit zu verstehen und umfasst neben Rechts- 410 übertragungen, Rechtsänderungen, Rechtsbelastungen, Aufhebungen, nach ganz überwiegender Meinung auch rechtsgeschäfts- und verfügungsähnliche Handlungen, insbesondere Zahlungen, Lastschriftbuchungsgenehmigungen, Mitteilungen und Anzeigen (§§ 149, 171, 409 Abs. 1, 415 Abs. 1 Satz 2, 416 Abs. 1 Satz 1, 478 Abs. 1 BGB, § 377 HGB), Fristsetzungen, Aufforderungen

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C. Das eröffnete Insolvenzverfahren

nach §§ 108 Abs. 2, 177 Abs. 2 BGB oder Androhungen nach §§ 384 Abs. 1, 1220 Abs. 1 Satz 1 BGB.196) Merke: § 81 InsO umfasst nur Verfügungen, nicht aber Verpflichtungsgeschäfte (Abstraktionsprinzip beachten)! 411 Ein vom gesetzlichen Vertreter abgeschlossenes Verpflichtungsgeschäft ist hinsichtlich der Insolvenzmasse nach den Regelungen der Stellvertretung (§§ 164 ff. BGB) zu beurteilen. Der Handelnde agiert ohne Vertretungsmacht und kann daher die Masse nicht rechtswirksam verpflichten, sofern der Insolvenzverwalter keine Genehmigung (§ 177 BGB) erteilt.197) 412 Hat der Erwerbende im Rahmen eines mehraktigen Rechtserwerbs z. Zt. der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits ein sog. Anwartschaftsrecht erworben, ist diese Rechtsposition geschützt. Ein insolvenzbeständiges Anwartschaftsrecht liegt vor, wenn von einem mehraktigen Erwerbsvorgang schon so viele Teile vorgenommen worden sind, dass der endgültige Eintritt des Erwerbs einseitig vom Veräußerer nicht mehr verhindert werden kann. Beispiel: Der Geschäftsführer hat vor Insolvenzantragstellung ein Garagengrundstück rechtswirksam an einen Erwerber übertragen. Der Antrag auf Eigentumsumschreibung beim Grundbuchamt ist ebenfalls vor Insolvenzeröffnung eingegangen. Die Veräußerung von Grundstücken ist ein mehraktiges Verfügungsgeschäft (dingliche Einigung zwischen Verkäufer und Erwerber [Auflassung] und Eintragung im Grundbuch), §§ 873, 925 BGB. Der Rechtserwerb (Eigentumsübergang) findet erst mit Eintragung im Grundbuch statt. Da die dingliche Einigung im Beispiel vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgte und der Antrag auf Eigentumsumschreibung z. Zt. der Eröffnung beim Grundbuchamt vorliegt, ist bei diesem mehraktigen Rechtserwerb nicht auf den Zeitpunkt der Grundbucheintragung (nach Insolvenzeröffnung) abzustellen, sondern vielmehr auf den Eingang des rangwahrenden Antrages im Grundbuchamt (§ 878 BGB).198) Achtung: § 81 InsO findet im vorläufigen Insolvenzverfahren entsprechend Anwendung (§ 24 Abs. 1 InsO)!

___________ 196) Zum Streitstand und m. w. N. siehe HK-InsO/Kuleisa, § 81 Rn. 6. 197) Ries, ZInsO 2005, 298 (300). 198) Siehe dazu BGH, Urt. v. 26.4.2012 – IX ZR 136/11, ZIP 2012, 1256 = ZfIR 2012, 547 (m. Anm. Kesseler, S. 549).

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III. Die Wirkungen der Eröffnung

Ist der Erwerber bei der jeweiligen Antragstellung auf Eintragung in seiner 413 Rechtsposition ob einer bindenden Einigung gesichert und ist der Antrag auf Eintragung der Rechtsänderung beim Grundbuchamt gestellt, kann er das Recht gemäß § 81 Abs. 1 Satz 2 InsO i. V. m. §§ 878, 892 BGB gutgläubig erwerben, wenn die dingliche Einigung dem Eintragungsantrag zeitlich vorausgeht und der Erwerber bei Stellung des Antrages beim Grundbuchamt hinsichtlich der fehlenden (bzw. beschränkten) Verfügungsbefugnis auch gutgläubig war (Gutglaubenserwerb der Anwartschaft). Ein gutgläubiger Erwerb kann regelmäßig durch einen zuvor bereits eingetragenen (vorläufigen) Insolvenzsperrvermerk verhindert werden (§ 32 InsO, ggf. i V. m. § 23 Abs. 3 InsO). Ist eine Leistung an den Schuldner zu bewirken, kann diese nach Insolvenz- 414 eröffnung schuldbefreiend nur noch an den Insolvenzverwalter erbracht werden (§ 82 InsO), sofern die Verbindlichkeit zur Insolvenzmasse zu erfüllen war und der Leistende die Eröffnung kannte. Wird die Leistung an die Schuldnerunternehmung bewirkt, ist dies nur dann schuldbefreiend, wenn der Leistende z. Zt. der Leistungserbringung hinsichtlich der Eröffnung des Verfahrens in Unkenntnis war. In der Insolvenz unter Eigenverwaltung sind §§ 81, 82 InsO nicht unmittel- 415 bar anwendbar. Bestimmt das Insolvenzgericht, dass die Wirksamkeit bestimmter Rechtsgeschäfte von der Zustimmung des Sachwalters abhängt, gelten sie entsprechend. Liegt keine Verfügung des Schuldners (und keine Zwangsvollstreckungs- 416 maßnahme vor, vgl. auch §§ 88, 89 InsO ĺ Rn. 875 ff.), schützt § 91 InsO die Insolvenzmasse vor masseschmälernden Abflüssen aufgrund sonstigen Rechtserwerbs. § 91 InsO ist als Auffangtatbestand zu sehen für die Fälle, die nicht bereits über die §§ 81, 82, 88, 89, 90 InsO gegriffen werden. Verfügt der Schuldner über wiederkehrende Bezüge, kann er die Forderun- 417 gen unter bestimmten Voraussetzungen zugunsten eines Dritten abtreten, soweit die Forderungen noch nicht durch Zahlung erloschen sind (§ 362 BGB) oder auch künftig erst entstehen (§ 398 BGB). Die Abtretung einer Forderung durch den Schuldner nach Insolvenzeröffnung ist über § 81 Abs. 1 InsO unwirksam. Bei der Abtretung künftiger Forderungen, der sog. Vorausabtretung,199) liegt 418 eine Verfügung des Schuldners zugrunde; die Wirkungen des Abtretungsvertrags treten jedoch erst mit Entstehen der Forderung – damit ggf. nach Insolvenzeröffnung – ein. Da die Verfügung (Abtretung) vor Insolvenzeröffnung lag, verfängt § 81 InsO nicht. Stattdessen ist bei einer Vorausabtretung § 91 InsO zu beachten. Nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens können Rechte an den Gegenständen der Insolvenzmasse nicht wirksam erworben ___________ 199) Siehe zum Bestimmtheitsgrundsatz BGH, Urt. v. 24.11.1975 – III ZR 81/73, WM 1976, 151.

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C. Das eröffnete Insolvenzverfahren

werden, auch wenn keine Verfügung des Schuldners und keine Zwangsvollstreckung für einen Insolvenzgläubiger zugrunde liegt. Bei der Vorausabtretung ist die Verfügung des Schuldners bereits mit Abschluss des Abtretungsvertrags vor Eröffnung des Verfahrens beendet. Die Wirkungen der Abtretung (Forderungsübergang) treten erst mit dem jeweiligen Entstehen der abgetretenen Forderung ein. Dem Erwerb einer nach Eröffnung entstandenen Forderung steht § 91 Abs. 1 InsO entgegen. 419 Eine Ausnahme besteht lediglich in den Fällen, in denen der Zessionar (neue Gläubiger) bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine gesicherte Rechtsposition hinsichtlich der abgetretenen Forderung erlangt hat. Können der Zedent (Abtretende) und der Forderungsschuldner die Rechtsposition ohne Mitwirkung des Neugläubigers einseitig nicht mehr zerstören, ist diese Rechtsposition gesichert.200) In diesem Fall ist die Abtretung insolvenzfest.201) Ist das Entstehen der Forderung jedoch von einer Leistungserbringung des Abtretenden abhängig, kann dieser das Entstehen beeinflussen, indem er entscheidet, ob er die Leistung erbringt oder dies unterlässt. In dem Fall ist die Abtretung nicht insolvenzfest, da die Rechtsposition des Neugläubigers nicht sicher ist. 420 Erfolgte ein Kauf unter Eigentumsvorbehalt, kann § 91 InsO anwendbar sein. Zahlt der Vorbehaltskäufer den (Rest)Kaufpreises, steht dem Eigentumserwerb jedoch auch nach der Eröffnung nichts entgegen, da dieser nur noch einseitig von der Zahlung des Käufers abhängt, nicht jedoch von einer Leistung des Abtretenden (Schuldnerunternehmens). Merke: Eine Forderung kann grundsätzlich nicht gutgläubig erworben werden (Ausn. §§ 2366 f., 405 BGB). 421 Ist der Rechtserwerb auch unter Beachtung von §§ 81, 91 InsO wirksam und insolvenzbeständig, ist in einem weiteren Schritt zu prüfen, ob eine/mehrere Rechtshandlung(en) nicht anfechtbar sind. §§ 81, 91 InsO präkludieren nicht die Insolvenzanfechtung (§§ 129 ff. InsO). Sind eine oder mehrere Rechtshandlung(en) anfechtbar, tritt nicht „automatisch“ Unwirksamkeit ein; vielmehr muss der Insolvenzverwalter den mit Eröffnung des Verfahrens entstandenen Anfechtungsanspruch (Anspruchsgrundlage des § 143 Abs. 1 InsO) geltend machen.

___________ 200) BGH, Urt. v. 26.1.2012, a. a. O. 201) BGH, Urt. v. 26.1.2012 – IX ZR 191/10, ZIP 2012, 638 = ZVI 2012, 268 = WM 2012, 549, dazu EWiR 2012, 491 (Weiß, R./Müller, P.); BGH, Urt. v. 20.9.2012 – IX ZR 208/11, WM 2012, 2292.

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IV. Umfang, Verwaltung und Verwertung der Insolvenzmasse

IV. Umfang, Verwaltung und Verwertung der Insolvenzmasse 1. Insolvenzmasse Zum Begriff der Insolvenzmasse findet sich in § 35 Abs. 1 InsO eine Legal- 422 definition. § 35 Abs. 1 InsO Das Insolvenzverfahren erfasst das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt (Insolvenzmasse).

Unter Insolvenzbeschlag stehen hiernach die sog. Soll-Masse zum Eröff- 423 nungsstichtag sowie der sog. Neuerwerb. Das Universalitätsprinzip rechnet auch im Ausland befindliches Schuldnervermögen der Insolvenzmasse zu.202) Das vom Insolvenzverwalter vorgefundene Vermögen (Ist-Vermögen) ist je- 424 doch regelmäßig nicht identisch mit der Soll-Masse. Vielmehr befinden sich u. a. auszusondernde Gegenstände (Fremdvermögen) im Besitz des Schuldnerunternehmens oder es existieren verheimlichte Vermögensgegenstände, sodass die tatsächlich vorgefundene Masse i. a. R. umfassender oder geringer ist als die Ist-Masse. Auch Schadensersatzansprüche für beschädigte Massegegenstände und aus 425 Massemitteln erworbene Vermögenswerte unterliegen dem Insolvenzbeschlag (Surrogate).203) Gleiches gilt für Früchte und Nutzungen.204) 2. Verwaltung und Verwertung Unabhängig von der Frage der Fortführungsfähigkeit und -würdigkeit eines 426 Unternehmens hat der Insolvenzverwalter die vorhandene Insolvenzmasse zu verwalten und bestmöglich zu verwerten. Beides zielt ab auf die bestmögliche und gleichmäßige Befriedigung (par conditio creditorum). 3. Freigabe einzelner Gegenstände aus dem Massebeschlag Die Insolvenzmasse ist einen der Haftung für die Gläubigergesamtheit ver- 427 schriebene Sondermasse. Befinden sich in diesem Bestand „Insolvenzvermögen“ Gegenstände, deren bei der Verwertung zu erwartende Erlös die Kosten der Verwertung nicht übersteigen wird, wirkt sich die weitere Verwaltung und Verwertung dieser Gegenstände u. U. und insbesondere angesichts der im Rahmen dessen anfallenden Kosten (für Unterhaltung, Instandsetzung, Un-

___________ 202) BGH, Urt. v. 11.7.1985 – IX ZR 178/84, ZIP 1985, 944, dazu EWiR 1985, 605 (Merz). 203) Anerkannt in Anlehnung an § 2041 BGB bzw. §§ 285, 1247 BGB. 204) BGH, Urt. v. 30.5.1958 – V ZR 295/56, NJW 1958, 1286.

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C. Das eröffnete Insolvenzverfahren

terstellung, Lagerung etc.) masseschädigend und damit die Befriedigungsaussichten der Gläubiger beeinträchtigend aus.205) Beispiele: Die Valuta grundpfandrechtlich gesicherter Forderungen übersteigt oftmals den aus der Verwertung eines Grundstücks zu erwartenden Erlös (wertausschöpfende/wertübersteigende Belastung). Die laufenden öffentlichen Lasten und Unterhaltungskosten des Grundstücks sind grundsätzlich Masseverbindlichkeiten. Ein PKW verfügt nur noch über Schrottwert, ein Verwertungserlös ist nicht zu erwarten. Die laufenden Unterhaltungskosten (Versicherung, Steuern etc.) sind aus der Masse zu bestreiten. Auch dies führt zu einer Masseschmälerung. 428 Zeichnet sich ab, dass die Verwertung eines einzelnen Gegenstandes nicht zu einer Massemehrung, sondern vielmehr zu einer Masseschmälerung führt, besteht ein Bedürfnis für ein Ausscheiden des Gegenstands aus der Insolvenzmasse mittels der sog. Freigabe. 429 Die Möglichkeit der Freigabe einzelner Gegenstände aus der Insolvenzmasse ist gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt, lässt sich jedoch aus § 32 Abs. 3 InsO herleiten und ist jedoch allgemein anerkannt.206) 430 Die Befugnis zur Abgabe einer Freigabeerklärung liegt ausschließlich beim Insolvenzverwalter. 431 Voraussetzung für eine Freigabe ist der mit Eröffnung zunächst begründete Insolvenzbeschlag des Gegenstandes. Eine Freigabe kann daher hinsichtlich auszusondernder Gegenstände mangels Insolvenzbeschlag erklärt werden. 432 Die Freigabe im Insolvenzverfahren über das Vermögen einer natürlichen Person ist unumstritten möglich. Mit Wirksamwerden der Freigabe erlangt der Schuldner die Verfügungsbefugnis zurück; der Vermögenswert ist nunmehr der insolvenzfreien Vermögensmasse zuzurechnen. Ob eine Freigabe bei Gesellschaftsinsolvenzen rechtlich überhaupt möglich ist, ist nicht abschließend geklärt. Problematisch ist, dass bei Gesellschaften grundsätzlich keine insolvenzfreie Masse existiert. In der Paxis beobachtet man oftmals eine Freigabe zugunsten des Geschäftsführers oder Gesellschafters. Dies ist nach hiesigem Dafürhalten jedoch keine Freigabe im insolvenzrechtlichen Sinne, denn Geschäftsführer und Gesellschafter sind von der Gesellschaft abweichende Rechtssubjekte. Die Freigabe zugunsten eines Gesellschafters oder Geschäftsführers geht indes immer einher mit einer Änderung der zivilrechtlichen Rechtsträgerschaft. Die Freigabe ist demnach nicht „lediglich“ das Wiedererlangen der Verfügungsbefugnis durch den Rechtsträger (Schuldner), sondern vielmehr ein Übertragungsakt mit Rechtsträgerwechsel (Ge___________ 205) Vgl. bei der Mobiliarvollstreckung § 803 Abs. 2 ZPO. 206) Vgl. exemplarisch BGH, Urt. v. 21.4.2005 – IX ZR 281/03, ZInsO 2005, 594 ff.; Marotzke, ZVI 2003, 309, 313 ff.

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sellschafter/Geschäftsführer). Demnach handelt sich nach hiesiger Auffassung nicht um eine insolvenzrechtliche Freigabe aus dem Insolvenzbeschlag, sondern um eine Form der (wohl unentgeltlichen) Verwertung. 4. Aus- und Absonderungsrechte a) Überblick Aus- und Absonderung Nicht alle im Besitz der Schuldnerunternehmung befindlichen Vermögenswer- 433 te stehen auch in deren Eigentum. Der Insolvenzverwalter ist gehalten, unverzüglich nach Insolvenzeröffnung Rechte Dritter an den Gegenständen festzustellen – sofern dies nicht bereits im Eröffnungsverfahren durch den Sachverständigen abschließend erfolgen konnte. Rechte zugunsten Dritter versetzen den Berechtigten in die Lage, den Gegenstand entweder vom Insolvenzverwalter herauszuverlangen (Aussonderung) bzw. der Verwertung des Gegenstands bevorzugte Befriedigung zu verlangen (Absonderung). Diese jeweils besondere Stellung ist vom Insolvenzverwalter zwingend zu beachten. Welche Rechte in Gesellschaftsinsolvenzen zur Aussonderung bzw. abgesonderten Befriedigung berechtigen können, wird im Folgenden näher dargestellt. b) Aussonderungsrechte aa) Grundlagen Auf ein Aussonderungsrecht können sich die Beteiligten berufen, die bean- 434 spruchen, dass ein Gegenstand nachweislich nicht zur Insolvenzmasse gehört (§ 47 InsO). § 47 InsO Wer auf Grund eines dinglichen oder persönlichen Rechts geltend machen kann, dass ein Gegenstand nicht zur Insolvenzmasse gehört, ist kein Insolvenzgläubiger. Sein Anspruch auf Aussonderung des Gegenstands bestimmt sich nach den Gesetzen, die außerhalb des Insolvenzverfahrens gelten.

Der Aussonderungsanspruch kann vom Berechtigten gegenüber dem Insol- 435 venzverwalter formlos geltend gemacht werden. Die Erfüllung des Aussonderungsanspruchs erfolgt regelmäßig durch Bereitstellung des Gegenstandes zur Abholung. Das Aussonderungsgut muss individuell bestimmbar sein. Der Aussonderungsberechtigte ist nicht Insolvenzgläubiger i. S. d. § 38 InsO, 436 soweit sein Herausgabeverlangen erfüllt wird. Ist das Aussonderungsgut infolge einer unberechtigten Veräußerung vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch den Schuldner bzw. nach Eröffnung durch den Insolvenzverwalter nicht mehr vorhanden, hat der Berechtigte unter den Voraussetzungen des § 48 InsO einen Anspruch auf Ersatzaussonderung. Anstelle des Aussonderungsgutes kann er die Abtretung des Rechts auf die Gegenleistung, soweit diese noch aussteht, bzw. die Gegenleistung herausverlangen, sofern diese noch unterscheidbar in der Masse vorhanden ist. 109

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437 Soweit der Aussonderungsberechtigte keine Befriedigung seines Herausgabeanspruchs erfährt, kann er eventuelle Schadensersatzansprüche zur Insolvenztabelle anmelden (Insolvenzforderung i. S. d. § 38 InsO). 438 Aussonderungsgut unterliegt nicht der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters, da es nicht Bestandteil der Insolvenzmasse ist (vgl. § 35 Abs. 1 InsO). Auch ein Verwertungsrecht genießt der Insolvenzverwalter insoweit nicht. Verwertet er dennoch Gegenstände, die der Aussonderung unterliegen, greift zwar § 48 InsO (Ersatzaussonderung). Dieser Anspruch auf Ersatzaussonderung erlischt jedoch, wenn der Verwertungserlös infolge der Gutschrift auf dem Sonderkonto eine Vermischung erfährt. Der Insolvenzverwalter selbst sieht sich bei Verwertung unter Nichtbeachtung des Aussonderungsrechts eventuellen Regressansprüchen ausgesetzt. Daher sollte er, ist noch nicht abschließend geklärt, ob an einem Gegenstand ein Aussonderungsrecht besteht, den Verwertungserlös von der Insolvenzmasse separieren (z. B. auf einem eigens dafür eingerichteten Konto). 439 Durfte der vorläufige Insolvenzverwalter aufgrund einer gerichtlichen Anordnung gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO das Aussonderungsgut im Eröffnungsverfahren im Rahmen einer Betriebsfortführung weiterhin nutzen, besteht für den Aussonderungsberechtigten ein Anspruch auf Nutzungsentschädigung und ggf. Wertersatz als Masseforderung (§§ 21 Abs. 1 Nr. 5, 169 Satz 2 InsO).207) 440 Zur Aussonderung berechtigten im Wesentlichen folgende Rechte: bb) Eigentum (§§ 903, 985 BGB) 441 Eigentum berechtigt zur Aussonderung. Der Eigentümer eines Gegenstandes, kann seinen Herausgabeanspruch (§ 985 BGB) gegen den Insolvenzverwalter geltend machen (z. B. Dritteigentum, Leasing). cc) Einfacher Eigentumsvorbehalt (§ 449 BGB) 442 Die Lieferung von Waren erfolgt oftmals unter Vereinbarung des Eigentumsvorbehalts. Herausgebildet haben sich verschiedene Arten, das Eigentum vorzubehalten. Die in der Praxis am häufigsten anzutreffenden Varianten sind der einfache, der verlängerte oder der erweiterte Eigentumsvorbehalt (bzw. Mischformen). Die Vereinbarung einer Variante schließt die anderen Optionen nicht aus; vielfach existieren für eine Geschäftsbeziehung zwei oder auch drei Arten des Eigentumsvorbehalts nebeneinander. 443 Im Insolvenzverfahren räumt der Eigentumsvorbehalt dem Berechtigten je nach Ausgestaltung unterschiedliche Sonderrechte ein. Für den Insolvenzverwalter ist es daher bedeutsam, die Varianten bestimmen und unterscheiden ___________ 207) BGH, Beschl. v. 8.3.2012 – IX ZR 78/11, ZIP 2012, 779 = ZInsO 2012, 701.

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zu können. Zur Aussonderung von gelieferten Waren berechtigt grundsätzlich nur der einfache Eigentumsvorbehalt. Hierbei wird die Übereignung des Kaufgegenstandes von der aufschiebenden Bedingung der vollständigen Kaufpreiszahlung abhängig gemacht (§§ 929, 158 Abs. 1 BGB). Beispiel: Der Käufer behält sich das Eigentum an dem Kaufgegenstand bis zur vollständigen Bezahlung des Kaufpreises vor. Die Vertragsparteien sind sich darüber einig, dass das Eigentum mit der Bezahlung der letzten Kaufpreisrate (oder des vollständigen Kaufpreises) automatisch auf den Käufer übergeht. Der Käufer erlangt bereits zuvor den Besitz an dem Gegenstand. Durch die 444 Vereinbarung des einfachen Eigentumsvorbehalts bleibt der Verkäufer bis zur vollständigen Zahlung Eigentümer. Aufgrund dessen kann er in der Insolvenz des Käufers den Gegenstand zur Aussonderung verlangen, sofern der Eigentumsvorbehalt nicht bereits durch Verzicht, Verbindung, Vermischung und Verarbeitung, eines gutgläubigen Dritterwerbs oder der erlaubten Weiterveräußerung erloschen ist. Praxistipp: Ersatzaussonderung (§ 48 InsO) Der Verkäufer ist in der Insolvenz des Vorbehaltskäufers auch in den Fällen geschützt, in denen der Schuldner vor Insolvenzeröffnung bzw. der Insolvenzverwalter nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens unberechtigt über den Gegenstand verfügt. Steht die Gegenleistung (z. B. die Kaufpreiszahlung aus dem Weiterkauf) noch aus, kann der Vorbehaltsverkäufer die Abtretung dieses Rechts (z. B. Zahlungsanspruch) verlangen. Ist der Gegenwert bereits der Masse zugeflossen, kann der Berechtigte dessen Aussonderung verlangen, sofern sich der Gegenwert noch unterscheidbar in der Masse befindet.

dd) Nießbrauch (§§ 1030 ff. BGB) Steht im Eigentum des insolventen Unternehmens ein Grundstück, an dem 445 zugunsten eines Dritten ein Nießbrauchrecht eingeräumt ist, ist das Recht auf Ausübung des Nießbrauchs (Nutzungsüberlassung, Furchtziehung) gemäß § 47 InsO aussonderungsfähig. Der Nießbrauchberechtigte hat gegen den Insolvenzverwalter einen Anspruch auf Nutzungsüberlassung und Fruchtziehung. ee) Grunddienstbarkeit (§§ 1018 ff. BGB) Durch Grunddienstbarkeit grundbuchrechtlich gesicherte Nutzungsrechte 446 räumen hinsichtlich der Ausübung des Rechts im Insolvenzfall Aussonderungsrechte ein. ff) Beschränkt persönliche Dienstbarkeiten (§§ 1090 ff. BGB) Beschränkt persönliche Dienstbarkeiten, die dem Berechtigten, dinglich gesi- 447 chert, die Befugnis einräumen, das belastete Grundstück in einzelnen Bezie-

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hungen zu nutzen. Auch insoweit besteht ein Anspruch auf Aussonderung gg) Mietkaution 448 Der Anspruch auf Herausgabe der Mietkaution unterliegt nur dann der Aussonderung, wenn der Vermieter (Schuldner) sie von seinem Vermögen getrennt angelegt hat; anderenfalls ist der Rückforderungsanspruch lediglich eine Insolvenzforderung.208) hh) Factoring 449 Im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Kunden ist der Factor berechtigt, die abgetretenen Forderungen beim echten Factoring auszusondern. Der Factoringvertrag ist mit Eröffnung regelmäßig gemäß § 116 Abs. 1 InsO erloschen. ii) Leasing 450 Der Leasinggeber ist im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Leasingnehmers grundsätzlich zur Aussonderung des in seinem Eigentum stehenden Vermögensgegenstandes berechtigt. c) Absonderungsrechte aa) Grundlegendes 451 Ein Recht auf abgesonderte Befriedigung genießt ein Berechtigter, wenn er sich auf eine dingliche Sicherheit i. S. d. §§ 49 ff. InsO an einem Vermögenswert der Insolvenzmasse berufen kann. Der besicherte Vermögenswert ist Bestandteil der Insolvenzmasse. Aus dem dinglichen Sicherungsrecht zugunsten des Gläubigers folgt jedoch ein Recht auf bevorzugte Befriedigung aus der Verwertung dieses Vermögenswertes. 452 Meldet der Berechtigte Ansprüche auf bevorzugte Befriedigung aus dem Verwertungserlös des Absonderungsgutes an, hat der Insolvenzverwalter zunächst zu prüfen, ob ein nach den allgemeinen Regeln wirksames insolvenzrechtlich nicht anfechtbares (§§ 129 ff. InsO) Absonderungsrecht begründet wurde. 453 Der Insolvenzverwalter ist zur Verwertung eines beweglichen Absonderungsgegenstandes aus originärem Recht berechtigt, wenn er hieran zur Zeit der Insolvenzeröffnung Besitz begründet hat (§ 166 Abs. 1 InsO). Vor der Verwertung hat er dem absonderungsberechtigten Gläubiger mitzuteilen, auf welche Weise und zu welchen Konditionen der Gegenstand veräußert werden soll (§ 168 Abs. 1 InsO). Dem Absonderungsberechtigten ist so die Möglichkeit einzuräumen, binnen einer Woche auf eine andere, für ihn güns___________ 208) BGH, Urt. v. 20.12.2007 – IX ZB 132/06, ZIP 2008, 469.

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tigere Möglichkeit der Verwertung des Gegenstands hinzuweisen. Einem rechtzeitigen Hinweis muss der Verwalter nachgehen und entsprechende Verwertungsinitiativen einleiten. Auch die Verwertung eines Absonderungsgutes ist grundsätzlich unverzüg- 454 lich nach dem Berichtstermin einzuleiten (§ 159 InsO). Bis zur Verwertung hat der Absonderungsberechtigte einen Anspruch auf Zahlung der laufenden Zinsen aus der Insolvenzmasse ab dem Berichtstermin (§ 169 InsO). Daneben besteht, wurde der Gegenstand aufgrund einer gerichtlichen Anordnung gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 5 InsO weiter genutzt, ggf. ein Anspruch Wertersatz oder Nutzungsentschädigung. Nach der Verwertung des Sicherungsgutes ist das Absonderungsrecht gemäß 455 den §§ 170, 171 InsO abzugelten. Der Erlös ist unverzüglich unter Abzug der Bewertungs- und ggf. Verwertungskosten zugunsten der Masse an den Berechtigten auszukehren. Hat der Verwalter das Absonderungsgut als solches festgestellt und geprüft bzw. Kollisionslagen mit Aus- und/oder anderen Absonderungsrechten identifiziert, kann er zugunsten der Masse einen Bewertungskostenbeitrag in Höhe von pauschal 4 % vom Bruttoerlös einbehalten (§§ 170, 171 Abs. 1 InsO). Eine einem eventuellen Mehr- oder Minderaufwand entsprechende Anpassung ist nicht vorgesehen.209) Bei einer Verwertung des Absonderungsgutes durch den Insolvenzverwalter 456 (vgl. § 166 InsO), steht der Masse zudem ein Anspruch auf Erstattung der Verwertungskosten in Höhe der tatsächlichen Kosten bzw. einer Pauschalabgeltung in Höhe von 5 % zu. Zudem ist die Umsatzsteuerpflicht aus der Masse zu erfüllen, sofern nicht ausnahmsweise Umsatzsteuerfreiheit besteht (§ 171 Abs. 2 Satz 2 InsO, ĺ siehe hierzu ausführlich Rn. 751 ff.). Der Insolvenzverwalter kann dem Sicherungsgläubiger das Recht zu Verwer- 457 tung überlassen (vgl. § 170 Abs. 2 InsO). Ein Ausscheiden aus dem Insolvenzbeschlag (im Sinne einer Freigabe) ist damit nicht verbunden. Das Sicherungsgut ist nach wie vor Bestandteil der Insolvenzmasse. Diese kann lediglich die Bewertungskostenpauschale (4 %) sowie etwaige Umsatzsteuer für sich beanspruchen. Soweit das Besitzrecht zur Zeit der Insolvenzeröffnung beim Sicherungsgläubi- 458 ger liegt, ist dieser unmittelbar zur Verwertung berechtigt (§ 173 Abs. 1 InsO). Der Vermögenswert ist gleichwohl noch Bestandteil der Insolvenzmasse, „lediglich“ das Recht zur Verwertung liegt beim Gläubiger. Verwertet der Sicherungsgläubiger nach der Insolvenzeröffnung, steht der Masse ein etwaiger Anspruch aus Auskehr der Umsatzsteuer (§ 171 Abs. 2 InsO) zu. Bei der Verwertung von unbeweglichem Absonderungsgut gelten die §§ 170, 459 171 InsO bei der Erlösverteilung nicht unmittelbar. Unbewegliches Sicherungsgut kann nach Maßgabe des § 165 InsO im Wege einer vom Insolvenz___________ 209) BGH, Urt. v. 11.7.2002 – IX ZR 262/01, ZIP 2002, 1630.

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verwalter beantragten Zwangsversteigerung verwertet werden. Dadurch ist aber auch nicht ausgeschlossen, dass der unbewegliche Gegenstand durch eine verwalterinitiierte freihändige Veräußerung verwertet wird. Außerdem besteht für den Absonderungsberechtigten die Möglichkeit, die Zwangsversteigerung oder Zwangsverwaltung zu betreiben (vgl. § 49 InsO, ĺ Rn. 461 ff.). Verwertet der Insolvenzverwalter unbewegliches Absonderungsgut, kann eine Massebeteiligung lediglich in Höhe eines zwischen dem Insolvenzverwalter und dem absonderungsberechtigten Gläubiger vereinbarten sog. Massekostenbeitrags erzielt werden. Denkbar ist auch ein Massezufluss in Höhe eines eventuellen Übererlöses nach Abgeltung der Absonderungsrechte. Der Massekostenbeitrag ist frei verhandelbar und beträgt durchschnittlich zwischen 1 – 7 % des Verkaufserlöses. Zudem sind noch eventuelle steuerrechtliche Vorschriften zu beachten (ĺ ausführlich hierzu Rn. 855 ff., 751 ff.). 460 Zur abgesonderten Befriedigung berechtigt sind insbesondere: bb) Immobiliarsicherheiten (§ 49 InsO) 461 Gläubiger, denen ein Absonderungsrecht an unbeweglichem Vermögen (Grundstücke, Schiffe, Flugzeuge) zusteht, können Befriedigung aus dem Vermögenswert nach den Regeln des ZVG (Zwangsversteigerungsgesetz) erlangen. Die Durchführung eines von einem Grundpfandrechtsgläubiger parallel zum eröffneten Insolvenzverfahren eingeleiteten Zwangsversteigerungoder Zwangsverwaltungsverfahrens ist demnach zulässig. Soll ein solches Verfahren nach Eröffnung beantragt/eingeleitet werden, ist eine Titelumschreibung auf den Insolvenzverwalter erforderlich (vgl. § 727 InsO analog). Wurde bereits vor Insolvenzeröffnung ein Verfahren eingeleitet, wird dieses nicht gemäß § 240 InsO unterbrochen, sondern ohne Umschreibung des Vollstreckungstitels fortgeführt. 462 Aus Miet- und Pachtforderungen (§ 1123 Abs. 1 BGB, vgl. zum dem Hypothekenhaftungsverband §§ 1120 ff. BGB), kann nach Eröffnung nur abgesonderte Befriedigung erlangt werden, wenn diese im Wege des Zwangsverwaltungsverfahrens beschlagnahmt werden (§§ 148 Abs. 1, 21 Abs. 2 ZVG).210) Bis zum Zeitpunkt der Beschlagnahme im Wege der Zwangsverwaltung durch den betreibenden Grundpfandrechtsgläubiger besteht ein Einzugsrecht des Insolvenzverwalters (vgl. §§ 146 Abs. 1, 20 Abs. 1, 2, 148 Abs. 1 Satz 1 ZVG).211) ___________ 210) BGH, Beschl. v. 13.7.2006 – IX ZB 301/04, ZIP 2006, 1554 = ZVI 2006, 448 = ZfIR 2007, 206 (m. Anm. Eckert, S. 208) = ZInsO 2006, 872, dazu EWiR 2007, 281 (Freudenberg). 211) Vgl. BGH, Urt. v. 9.11.2006 – IX ZR 133/05, ZIP 2007, 35 (m. Bespr. Mitlehner, S. 804) = ZfIR 2007, 465 (m. Anm. Zipperer, S. 466) = ZInsO 2006, 1321 f., dazu EWiR 2007, 83 (Neußner); BGH, Beschl. v. 13.7.2006 – IX ZB 301/04, ZIP 2006, 1554 = ZVI 2006, 448 = ZfIR 2007, 206 (m. Anm. Eckert, S. 208) = ZInsO 2006, 872.; BGH, Urt. v. 17.9.2009 – IX ZR 106/08, ZIP 2010, 38 = ZVI 2010, 58 = ZfIR 2010, 114 (LS) = ZInsO 2010, 43, dazu EWiR 2010, 191 (Eckardt).

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Eine Zwangssicherungshypothek kann, wurde sie innerhalb eines Monats vor 463 dem Insolvenzantrag bzw. nach diesem Antrag ins Grundbuch eingetragen, der Rückschlagsperre des § 88 InsO unterliegen. Die dadurch erlangte Sicherung wird mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens kraft Gesetzes (schwebend) unwirksam.212) Es wird jedoch nicht als rechtsmissbräuchlich angesehen, wenn der Zwangssicherungshypothekengläubiger eine „Lästigkeitsentschädigung“ für die Erteilung der Löschungsbewilligung verlangt, da ein Anspruch auf Grundbuchberichtigung gemäß § 894 BGB nach Auffassung des BGH nicht besteht.213) cc) Pfandrechte (§ 50 InsO) Ein rechtsgeschäftliches bzw. gesetzliches Pfandrecht und ein im Wege der 464 Zwangsvollstreckung erlangtes Pfändungspfandrecht berechtigen ebenfalls zur abgesonderten Befriedigung. Rechtsgeschäftliche Pfandrechte entstehen regelmäßig durch Verpfändung 465 eines Gegenstandes oder einer Forderung oder eines sonstigen Rechts (§§ 90, 1204 ff., 1273 ff., 1279 ff. BGB). Ein nicht übertragbares Recht kann nicht Gegenstand eines Pfandrechts sein (§ 1274 Abs. 2 BGB). Gesetzliche Pfandrechte bestehen insbesondere in Form des Vermieter- 466 pfandrechts (§§ 559, 581, 592 BGB), des Speditionspfandrechts (§§ 410, 411 HGB) oder zugunsten des Pächters bei Mitverpachtung von Inventar (§ 583 BGB), des Gastwirts bei Beherbergungsverträgen (§ 704 BGB), des Sicherungsberechtigten aus der Hinterlegung (§ 233 BGB), des Frachtführers am Frachtgut (§ 440 HGB)214) und des Werkunternehmers für seine Werklohnforderung an den in seinem Betrieb befindlichen hergestellten oder reparierten Gegenständen (§ 647 BGB). Das Vermieterpfandrecht berechtigt nur wegen der im letzten Jahr vor In- 467 solvenzeröffnung begründeten Mietrückstände zur abgesonderten Befriedigung (§ 50 Abs. 2 InsO). Bei Veräußerung des Grundstücks ist hinsichtlich der Frage, ob und zu welchem Zeitpunkt ein Vermieterpfandrecht zugunsten des Erwerbers entstanden ist, auf den Zeitpunkt der Einbringung der Sache in die Mieträume abzustellen.215) Eine Sicherungsübereignung der Sache im Zeitraum nach der Einbringung in die Mieträume und vor einem Vermieterwechsel verhindert nicht, dass das Vermieterpfandrecht des Erwerbers die ___________ 212) Vgl. auch zur Frage des Wiederauflebens nach Freigabe des Grundstücks aus dem Insolvenzbeschlag BGH, Urt. v. 19.1.2006 – IX ZR 232/04, ZIP 2006, 479 (m. Bespr. Keller, S. 1174) = ZVI 2006, 210 = ZfIR 2006, 437 (m. Anm. Volmer, S. 441); BGH, Beschl. v. 12.7.2012 – V ZB 219/11, ZIP 2012, 1767 = ZVI 2012, 419 = ZfIR 2012, 759 (LS) = ZIP 2011, 1876, dazu EWiR 2012, 631 (Eckardt). 213) BGH, Urt. v. 30.4.2015 – IX ZR 301/13, WM 2015, 1067. 214) Vgl. hierzu BGH, Urt. v. 18.4.2002 – IX ZR 219/01, ZIP 2002, 1204. 215) BGH, Urt. v. 15.10.2014 – XII ZR 163/12, ZIP 2015, 378.

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C. Das eröffnete Insolvenzverfahren

Sache erfasst.216) Neben dem Vermieterpfandrecht des Veräußerers entsteht ein eigenständiges, gleichrangiges und dieselben Sachen erfassendes Vermieterpfandrecht des Erwerbers.217) 468 Ein im Wege der Zwangsvollstreckung erlangtes Pfändungspfandrecht (§§ 803 ff., 928 ff. ZPO) gibt ein Recht auf abgesonderte Befriedigung aus dem gepfändeten Vermögenswert, sofern die Sicherung nicht angesichts der Rückschlagsperre (§ 88 InsO) unwirksam wird bzw. in anfechtbarer Weise erlangt wurde (regelmäßig § 131 InsO). dd) Sicherungsrechte (§ 51 Nr. 1 InsO) 469 Zur abgesonderten Befriedigung berechtigen weiterhin die Sicherungsrechte des § 51 Nr. 1 InsO, daher insbesondere: (1) Sicherungsabtretung 470 Soweit einzelne Forderungen oder Forderungsgruppen (Globalzession) zur Sicherung einer Forderung abgetreten wurden (§§ 398 ff. InsO), ergibt sich diese Zweckbestimmung (Sicherung) aus der Sicherungsabrede. Nicht übertragbare Forderungen können nicht abgetreten werden (§§ 399, 400 BGB). 471 Werden künftig entstehende Forderungen abgetreten, ist der Bestimmtheitsgrundsatz zu beachten, d. h., dass die mit der Entstehung auf den Gläubiger übergehenden Forderungen hinreichend bestimmbar sein müssen. Dies gilt auch dann, wenn Globalzessionen vereinbart wurden. Dem Insolvenzverwalter ist zu empfehlen, die Sicherungsabrede sowie die Abtretung im Hinblick auf die Wirksamkeit der Sicherungsabtretung insoweit einer genauen Prüfung zu unterziehen. Die Abtretung einer künftigen Forderung genügt dem Bestimmtheitsgrundsatz, „wenn durch diese Vorausabtretung die einzelne Forderung individuell so genügend bestimmt ist, dass es nur noch ihrer Entstehung bedarf, um die Übertragung mit der Entstehung ohne weiteres und zweifelsfrei wirksam werden zu lassen […]. Das gilt insbesondere auch für die als Sicherungsmittel des Warenkreditgläubigers anerkannte Vorausabtretung im Rahmen eines verlängerten Eigentumsvorbehalts […].“218) 472 Soweit Steuererstattungsansprüche abgetreten werden, ist dies der zuständigen Finanzbehörde auf dem amtlich vorgeschriebenen Vordruck anzuzeigen (§ 46 Abs. 3 AO).

___________ 216) BGH, Urt. v. 15.10.2014 – XII ZR 163/12, ZIP 2015, 378 zugleich Fortführung von BGH, Urt. v. 14.12.2006 – IX ZR 102/03, ZIP 2007, 191 (m. Bespr. Mitlehner, S. 804) = ZVI 2007, 72 = ZfIR 2008, 210 (m. Anm. Hawelka, S. 213), dazu EWiR 2007, 185 (Gundlach/Frenzel) und BGH, Urt. v. 20.3.1986 IX ZR 42/85, NJW 1986, 2426. 217) BGH, Urt. v. 15.10.2014 – XII ZR 163/12, ZIP 2015, 378. 218) BGH, Urt. v. 7.12.1977 – VIII ZR 164/76, BGHZ 70, 86.

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(2) Sicherungsübereignung Bei der Übereignung bestimmter Gegenstände zwecks Sicherung von Gläu- 473 bigerforderungen bedarf es materiell-rechtlich der Einigung über den Eigentumsübergang und der Übergabe (§ 929 BGB, ggf. unter einem Besitzmittlungsverhältnis, § 930 BGB oder durch Abtretung des Herausgabeanspruchs, § 931 BGB). Die Sicherungsübereignung muss dem Spezialitäten- und Bestimmtheits- 474 grundsatz entsprechen.219) Die Gegenstände müssen zum Zeitpunkt der Einigung so hinreichend bestimmt sein, dass jeder, der die Vereinbarungen der Vertragsparteien kennt, die übereigneten Sachen ohne Schwierigkeiten von anderen unterscheiden kann; soll nur ein Teil einer größeren Menge übereignet werden, so bedarf es einer eindeutigen Abgrenzung gegenüber dem nicht übereigneten Teil. Nicht ausreichend ist eine mengen- oder wertmäßige Bezeichnung unter Bezugnahme auf Teile einer Sachgesamtheit (z. B. die Hälfte der EDV-Ausstattung).220) Werden Gegenstände eines Warenlagers mit wechselndem Bestand siche- 475 rungsübereignet, muss hinsichtlich der später hinzutretenden Waren durch ein einfaches, nach außen erkennbares Geschehen im Zeitpunkt des Eigentumsüberganges für jeden, der die Parteiabreden kennt, ohne Weiteres erkennbar sein, welche konkreten Gegenstände sicherungsübereignet wurden. Ein solches Merkmal ist z. B. die genaue Beschreibung eines Raumes, in den die neuen Waren verbracht werden, die als Sicherungsgut dienen sollen (Raumsicherungsvertrag). (3) Verlängerter Eigentumsvorbehalt Die unterschiedlichen Varianten der Vereinbarung eines Eigentumsvorbehalts 476 wurden bereits unter dem Themenkreis der Aussonderungsrechte besprochen (ĺ Rn. 442 ff.). Der einfache Eigentumsvorbehalt berechtigt zu Aussonderung, erlischt jedoch mit der Weiterverarbeitung oder Weiterveräußerung des Gegenstandes. Die Kaufpreisforderung des Verkäufers und Lieferanten ist nur bis zu diesem Zeitpunkt abgesichert. Zur Sicherung der Kaufpreisforderung des Vorbehaltsverkäufers über den Zeitpunkt der Weiterverarbeitung oder Weiterveräußerung hinaus kann vereinbart werden, dass an die Stelle der Sicherheit am gelieferten Gegenstand eine Sicherheit am „wirtschaftlichen Surrogat“ entsteht (Vorausabtretungs- und Weiterverarbeitungsklauseln). Der Eigentumsvorbehalt wird in diesem Fall vertikal ausgedehnt. Die Vorausabtretungsklausel ist eine Kombination aus einfachem Eigen- 477 tumsvorbehalt und einer Zession der (künftigen) Forderung des Käufers ge___________ 219) Exempl. BGH, Urt. v. 3.7.2000 – II ZR 314/98, ZIP 2000, 1895, dazu EWiR 2000, 1047 (Medicus). 220) BGH, Urt. v. 24.11.1975 – III ZR 81/73, WM 1976, 151.

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C. Das eröffnete Insolvenzverfahren

gen den Zweitkäufer (vgl. § 398 BGB).221) Anstelle der Kaufsache tritt die Kaufpreisforderung des Käufers gegen den Zweitkäufer. Die Vorausabtretung hat den Charakter einer Sicherungsabtretung und genügt mit dem BGH222) dem sachenrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz, „[…] wenn durch diese Vorausabtretung die einzelne Forderung individuell so genügend bestimmt ist, dass es nur noch ihrer Entstehung bedarf, um die Übertragung mit der Entstehung ohne weiteres und zweifelsfrei wirksam werden zu lassen (vgl. dazu Weber in BGB-RGRK 12. Aufl. § 398 Rn. 68f m. w. N). Das gilt insbesondere auch für die als Sicherungsmittel des Warenkreditgläubigers anerkannte Vorausabtretung im Rahmen eines verlängerten Eigentumsvorbehalts (vgl. etwa Senatsurteil vom 3. April 1974 – VIII ZR 235/72 = WM 1974, 451 = NJW 1974, 1130).“

478 Bei der Weiterverarbeitungsklausel wird der Käufer zur Verarbeitung (Verbindung, Vermischung gemäß §§ 947, 948 BGB), die mit Zustimmung des Verkäufers (§ 183 BGB) geschieht, ermächtigt. Die Vereinbarung stellt eine Kombination aus einfachem Eigentumsvorbehalt und Sicherungsübereignung dar. Der Eigentumsvorbehalt geht nicht unter, sondern setzt sich an dem neu entstandenen Produkt fort. In der verlängerten Form erlischt er erst durch Zahlung des Kaufpreises oder durch Verzichtserklärung des Verkäufers. Beispiel: Die Ware bleibt bis zur vollständigen Bezahlung Eigentum des Verkäufers. Der Käufer ist berechtigt, den Kaufgegenstand im ordnungsgemäßen Geschäftsverkehr zu verarbeiten und zu veräußern. Die aus dem Weiterverkauf bzw. der Weiterverarbeitung resultierenden Forderungen tritt der Käufer bereits jetzt sicherheitshalber an den Verkäufer im vollen Umfang ab. Der Verkäufer ermächtigt den Käufer hiermit widerruflich, diese Forderungen einzuziehen. (4) Erweiterter Eigentumsvorbehalt 479 Bei einem erweiterten Eigentumsvorbehalt vereinbaren der Verkäufer und der Käufer, dass der Eigentumsvorbehalt nicht durch Zahlung gerade der geschuldeten Kaufpreiszahlung für die mit dem Eigentumsvorbehalt belastete Ware erlischt, sondern das Erlöschen vielmehr erst dann eintritt, wenn der Käufer alle Forderungen (Kontokorrentvorbehalt) oder jedenfalls einen bestimmten Teil der Forderungen (dispositiver Umfang) aus der bestehenden Geschäftsbeziehung beglichen hat (horizontale Ausdehnung). Der Eigentumserwerb des Käufers ist aufschiebend bedingt, dadurch dass das Eigentum erst dann übergeht (Vollrechtserwerb), wenn alle oder ein Teil der Forderungen des Verkäufers vollständig erfüllt sind (§§ 929, 158 Abs. 1 BGB).

___________ 221) Beachte ein evtl. Abtretungsverbot gemäß § 399 BGB, z. B. aus § 354a HGB. 222) BGH, Urt. v. 7.12.1977 – VIII ZR 164/76, BGHZ 70, 86.

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IV. Umfang, Verwaltung und Verwertung der Insolvenzmasse

Beispiel: Der Kaufgegenstand bleibt bis zur Erfüllung aller Forderungen – einschließlich sämtlicher dem Verkäufer aus Kontokorrentkrediten zustehender Saldoforderungen –, die dem Verkäufer aus jedem Rechtsgrund gegen den Käufer jetzt oder in der Zukunft zustehen, im Sicherungseigentum des Verkäufers. ee) Zurückbehaltungsrechte (§ 51 Nr. 2, 3, InsO) Zurückbehaltungsrechte wegen nützlicher Verwendungen an beweglichen Sa- 480 chen gewähren, soweit deren Besitz vor Eröffnung des Verfahrens erlangt wurde, nur insoweit ein Absonderungsrecht, als der Wert der Sache durch die Verwendung erhöht wurde und die Werterhöhung im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung noch vorhanden war. Daneben gewährleisten kaufmännische Zurückbehaltungsrechte eine bevorzugte Befriedigungsmöglichkeit (vgl. § 369 HGB). ff) Fiskalabsonderungsrechte (§ 51 Nr. 4 InsO) Zugunsten der in § 51 Nr. 4 InsO genannten öffentlich-rechtlichen Gläubiger 481 besteht ein Absonderungsrecht wegen der auf Massegegenständen lastenden Zölle und Steuern, soweit sich die Gegenstände in der Verfügungsgewalt der Behörden befinden oder diese zu deren Gunsten beschlagnahmt sind. d) Kollisionslagen Das Zusammentreffen mehrerer Absonderungsrechte an demselben/denselben 482 Gegenstand/Gegenständen bereitet in der Praxis regelmäßig Schwierigkeiten. Bei Kollisionslagen dieser Art gilt zunächst der Prioritätsgrundsatz: Das zeit- 483 lich rechtsgeschäftlich zuerst begründete Absonderungsrecht hat Vorrang. Abzustellen ist auf den Zeitpunkt des Abschlusses der Sicherungsvereinba- 484 rung. Dies gilt auch dann, wenn das Sicherungsrecht für künftige Forderungen bestellt ist (vgl. § 1209 BGB). Bei Kollision mehrerer Pfändungspfandrechte gilt ebenfalls das Prioritäts- 485 prinzip. Dies ergibt sich aus § 804 Abs. 3 ZPO. § 804 Abs. 3 ZPO (3) Das durch eine frühere Pfändung begründete Pfandrecht geht demjenigen vor, das durch eine spätere Pfändung begründet wird.

Der Prioritätsgrundsatz ist ebenfalls anzuwenden auf Kollisionslagen zwischen 486 dem AGB-Pfandrecht eines Kreditinstituts und einem Pfändungspfandrecht eines Gläubigers aus einer Kontenpfändung: Das AGB-Pfandrecht der Bank/Sparkasse geht dem Pfändungspfandrecht des Vollstreckungsgläubigers vor. Die gilt nicht für die nach Zustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses eingehenden Zahlungen. Hinsichtlich der mit Gutschrift auf dem Geschäftskonto entstehenden Auszahlungsansprüche des Schuldnerunter-

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C. Das eröffnete Insolvenzverfahren

nehmens gegen das Kreditinstitut genießt das Pfändungspfandrecht des Gläubigers Vorrang. Andernfalls bestünde die Gefahr, dass das Pfändungspfandrecht durch das AGB-Pfandrecht ausgehöhlt würde. 487 Liegen mehreren Abtretungen vor, entfaltet das Prioritätsprinzip gleichermaßen Gültigkeit. Abzustellen ist auf das Ausstellungs-/Erklärungsdatum der Abtretung selbst. Eine zeitlich früher erklärte Abtretung geht einer später erklärten im Rang vor, auch wenn die frühere später beim Drittschuldner eingeht. 488 Kollidieren Sicherungsübereignung und Vermieterpfandrecht, gilt ebenfalls der Prioritätsgrundsatz. Dabei bezieht sich das Vermieterpfandrecht nur auf im Schuldnereigentum stehende Gegenstände (§ 562 Abs. 1 BGB). Wurde ein Gegenstand bereits vor Einbringung in die Mietsache sicherungsübereignet, geht die Sicherungsübereignung vor. Bei einer nach Verbringung in die Mietsache erklärten Sicherungsübereignung geht das Vermieterpfandrecht vor. Dies gilt auch dann, wenn zum Zeitpunkt der Sicherungsübereignung noch keine Mietrückstände bestehen, da das Vermieterpfandrecht auch erst künftig entstehende Forderungen aus dem Mietverhältnis sichert.223) 489 Besteht eine Kollisionslage zwischen Sicherungseigentum, Vermieterpfandrecht und Eigentumsvorbehalt, ergibt sich folgende Wertung: Werden unbezahlte, unter einfachem Eigentumsvorbehalt erworbene Gegenstände in die Räumlichkeiten eingebracht, gilt zunächst der Vorrang des Eigentumsvorbehalts, da bis zur vollständigen Zahlung kein Eigentumsrecht des Schuldners begründet wird. Werden die Gegenstände vollständig bezahlt, wird zur Vermeidung einer wirtschaftlichen Aushöhlung des Vermieterpfandrechts dessen Vorrang vor dem Sicherungseigentum angenommen.224) 490 Ist ein Warenlager mit wechselndem Bestand angemietet, entsteht bei einer gleichzeitigen Raumsicherungsübereignung an nachträglich eingebrachten Waren das Vermieterpfandrecht erstrangig und erst im Nachrang das Absonderungsrecht des Sicherungseigentümers.225) 491 Durchbrochen wird der Prioritätsgrundsatz zugunsten der fiskalischen Absonderungsrechte (§ 51 Nr. 4 InsO) gegenüber einem Vermieterpfandrecht.226) 492 Können Sicherungsrechte aufgrund einer Vermengung o. Ä. nicht mehr voneinander abgegrenzt oder identifiziert werden, besteht die Möglichkeit, die Sicherungsgläubiger in einem sog. Pool zusammenzuschließen. Solche Pools werden nicht selten auch bereits vorinsolvenzlich durch die Gläubiger eigeninitiiert gegründet (der Rechtsform nach ist dies meist ein Zusammen___________ 223) BGH, Urt. v. 14.12.2006 – IX ZR 102/03, ZIP 2007, 191 (m. Bespr. Mitlehner, S. 804) = ZVI 2007, 72 = ZfIR 2008, 210 (m. Anm. Hawelka, S. 213). 224) FK-InsO/Imberger, § 51 Rn. 20 m. w. N. 225) BGH, Urt. v. 12.2.1992 – XII ZR 7/91, ZIP 1992, 390 = NJW 1992, 1156, dazu EWiR 1992, 443 (Köndgen). 226) FK-InsO/Imberger, § 51 Rn. 85.

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V. Fortführung oder Liquidation?

schluss in Form einer GbR). Die aus der Verwertung der besicherten Vermögenswerte erzielten Erlöse werden nach dem Abschluss des Verwertungsverfahrens gemäß den Vereinbarungen des Pool-Vertrages unter den Berechtigten aufgeteilt. e) Ausfall Soweit der Berechtigte keine bevorzugte Befriedigung aus der Verwertung 493 des Absonderungsgutes erfahren hat, kann er die persönliche, nunmehr ungesicherte Forderung in Höhe des Ausfalls zur Insolvenztabelle anmelden (§ 52 InsO). Mit der nach der abgesonderten Befriedigung noch bestehenden, ungesicherten Restforderung nimmt er nach Feststellung der Forderung an einer eventuellen Schlussverteilung teil. V. Fortführung oder Liquidation? 1. Richtungsweisende Entscheidung Ist der Geschäftsbetrieb des Unternehmens bereits vor Insolvenzeröffnung 494 eingestellt oder faktisch auch während des Eröffnungsverfahrens (z. B. wegen fehlender Auftragsauslastung) nicht mehr fortführungsfähig/-würdig, ist eine Entscheidung über die Fortführung tatsachenbasiert obsolet wegen faktischer Unmöglichkeit. Die Einstellung des Geschäftsbetriebs ist unumgänglich, wenn diese nicht mit dem Ziel der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung vereinbar ist und eine Liquidation nebst der sich anschließenden Verwertung die bessere Befriedigungsmöglichkeit darstellt. Besteht die Möglichkeit der Fortführung des Unternehmens bzw. kann der operative Geschäftsbetrieb zeitnah (z. B. nach einem kurzen Produktionsstopp) wieder aufgenommen werden, ist der Insolvenzverwalter nach dem Willen des Gesetzgebers grundsätzlich gehalten, den Geschäftsbetrieb bis zur ersten Gläubigerversammlung fortzuführen. Die Entscheidung über die Fortführung des Geschäftsbetriebs obliegt der Gläubigerversammlung (§ 157 InsO). Grundlage für diese Entscheidung ist regelmäßig der vom Insolvenzverwalter zu erstattende Bericht (§ 156 InsO). Der Insolvenzverwalter hat alle Ermittlungsergebnisse, die für diese Entscheidung essenziell sind, im Bericht darzustellen, darf jedoch die Entscheidung selbst nicht vorwegnehmen. Er kann den Gläubigern jedoch eine Empfehlung aussprechen. Die Entscheidung über die Fortführung oder Einstellung des Geschäftsbe- 495 triebs ist für das insolvente Unternehmen und dessen Gläubiger richtungsweisend. Die Entscheidung erfolgt unter der Prämisse, das beste Befriedigungsergebnis für die Gläubiger zu erzielen. Andernfalls werden die Gläubiger sich gegen eine Fortführung und für eine Liquidation entscheiden. Im Berichtstermin stellt der Insolvenzverwalter die Befriedigungsaussichten sowohl unter Fortführungs- als auch unter Liquidationsgesichtspunkten dar. Diese Entscheidungsgrundlage gibt den Gläubigern die Möglichkeit, sich ein

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C. Das eröffnete Insolvenzverfahren

umfassendes Bild zu machen, um sodann über die Fortführung oder Einstellung zu beschließen. 2. Fortführung 496 In Anbetracht der Zielsetzung des Gesamtwerkes können die Rahmenbedingungen einer Fortführung nur im Überblick dargestellt werden. 497 Kann über die Erträge, die das Unternehmen erzielt, über die notwendigen Betriebsausgaben und steuerlichen Verpflichtungen hinaus ein Überschuss dargestellt werden, führt der Insolvenzverwalter den Geschäftsbetrieb fort. Die Fortführung ist gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt. Sie dient der Vorbereitung der Sanierung des Unternehmens, das unter insolvenzrechtlichen Bestimmungen im Wege des Insolvenzplans (ĺ Rn. 940 ff.) erreicht werden kann. Eine übertragende Sanierung ist ebenfalls denkbar, wobei diese nicht als Sanierung des Rechtsträgers zu verstehen ist, da die Aktiva regelmäßig an einen neuen/anderen Rechtsträger veräußert werden und der insolvente Rechtsträgerim Insolvenzverfahren abgewickelt wird (ĺ Rn. 506 ff.). Die Fortführung kann unterschiedlicher Ausrichtung sein. Bei der übertragenden Sanierung bleibt der Rechtsträger erhalten und wird abgewickelt, während das Unternehmen auf einen neuen Rechtsträger übertragen wird. Auch möglich ist die dauerhafte Fortführung des Unternehmens unter Erhalt und Reorganisation des vorhandenen (insolventen) Unternehmensträgers.227) Die Fortführung kann bis dahin im regulären Verfahren durch den Insolvenzverwalter selbst oder unter bestimmten Voraussetzungen unter Eigenverwaltung (ĺ Rn. 1006 ff.) realisiert werden. Meist mündet dies in einer Insolvenzplanlösung. Die Wahl des im Einzelfall geeigneten Sanierungsmodells wird aufgrund einer Analyse der Finanzierungsmodelle, der Marktsituation, der Geschäftsstruktur und des Geschäftsmodells des Schuldners getroffen. 498 In einem ersten Schritt ist eine Analyse der Krisenursachen zu empfehlen. In einer Vielzahl der Verfahren zeichnen sich nach einer kritischen Betrachtung der jüngsten Vergangenheit bereits Tendenzen ab, ob ein Unternehmen fortgeführt werden kann. Hat sich beispielsweise die Marktsituation gravierend verändert, ohne dass das Unternehmen entsprechende Anpassungsmaßnahmen getroffen hat, ist zu prüfen, ob diese im Insolvenzverfahren umgesetzt werden können. Ist dies nicht der Fall, scheidet in der Regel eine Fortführung bereits aus diesen Gründen aus. Ähnlich ist die Ausgangslage zu beurteilen, wenn die Krise in einem Rückgang der Auftragslage begründet ist. Verfügt das Unternehmen aber auch für die nähere Zukunft über eine realistisch gute Auftragslage und ist die Insolvenz auf einen merklichen Forderungsausfall in der Vergangenheit zurückzuführen, der nicht mehr kompensierbar war, ist die Ausgangslage für eine Fortführung unter diesem Gesichtspunkt zunächst einmal positiv. ___________ 227) Hess, Sanierungshandbuch, Kap. 14, Rn. 28.

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V. Fortführung oder Liquidation?

Eines der größten Probleme bei der Fortführung ist die Finanzierung. Im 499 Eröffnungsverfahren kann über einen Zeitraum von maximal drei Monaten durch die Möglichkeit des Insolvenzgeldes mittelbar Liquidität durch Einsparung gewonnen werden. Das staatliche (vor)finanzierte Insolvenzgeld (ĺ Rn. 289 ff.) verhilft dem Unternehmen zu Einsparungen, da die gesamten Personalkosten insoweit von der Agentur für Arbeit übernommen werden, die Agentur aber hinsichtlich der „Rückzahlung“ angesichts der Einstufung als Insolvenzgläubiger (vgl. § 55 Abs. 3 InsO) auf die Quotenzahlung verwiesen wird. Weitere Finanzierungsmöglichkeiten resultieren neben den tatsächlichen Einnahmen aus der Fortführung im Wesentlichen aus der Verwertung nicht betriebsnotwendigen Vermögens (Teilliquidierung), öffentlichen Finanzierungshilfen oder einem Sanierungskredit. Unerlässlich für diese Entscheidungsfindung ist eine möglichst genaue Fi- 500 nanz- und Liquiditätsplanung, die der Insolvenzverwalter in Zusammenarbeit mit dem Unternehmen aufstellt. Diese bildet über einen branchenspezifisch angepassten Zeitraum prognostisch die Entwicklung des Geschäftsbetriebs ab. Eine Fortführung ist nur dann darstellbar, wenn der Insolvenzverwalter diesen Prozess engmaschig begleitet durch ständige und kontinuierliche Kontrolle der betriebswirtschaftlichen Auswertungen. Die Fortführung eines Unternehmens im Insolvenzverfahren erfordert neben den besonderen juristischen Kenntnissen des Insolvenzrechts insbesondere auch solche der Betriebswirtschaft sowie strategische Planungskompetenzen. Sind Spezialkenntnisse erforderlich, kann der Insolvenzverwalter insoweit auch weitere Experten zu Rate ziehen, deren Honorar aus der Masse beglichen wird. Zu den strategischen Maßnahmen zählen u. a. im Einzelfall angezeigte per- 501 sonelle Umstrukturierungen, Veränderung von Arbeits- und Prozessabläufen oder Outsourcing228) einzelner Bereiche, Verkleinerung der Betriebsstätte, Schließung von Filialen etc. Voraussetzung einer Fortführung ist die Mitwirkungsbereitschaft im Unter- 502 nehmen selbst. Dies gilt nicht nur für die Ebene der Geschäftsleitung, sondern auch für die Belegschaft selbst. Eine erfolgreiche Fortführung gelingt nur bei einer professionellen und adäquaten Krisenkommunikation. Die innerbetriebliche Krisenkommunikation sollte darauf ausgerichtet sein, die regelmäßig mit der Insolvenz einhergehenden Vertrauensverluste und Existenzängste innerhalb des Mitarbeiterstammes auszugleichen und die Motivation durch Fakten, rechtliche Informationen und vertrauensbildende Maßnahmen professionell aufzubauen und zu stärken. Auch die externe Kommunikation mit den Geschäftspartnern des Schuld- 503 nerunternehmens ist von höchster Wichtigkeit. Diese begegnen einer Fort___________ 228) Auslagern bestimmter Arbeitsfelder, die meist nicht Kernkompetenz sind (z. B. statt Herstellung von Pralinen in Eigenmanufaktur kauft der Bäckermeister die Pralinen fortan ein).

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C. Das eröffnete Insolvenzverfahren

führung des Betriebs zumeist ebenfalls mit Skepsis und Vorbehalten. An der Stelle gilt es, dass der Insolvenzverwalter das verlorene Vertrauen wieder aufbaut, die Geschäftsbeziehung nachhaltig stärkt und nicht zuletzt durch ein in der Sache sowohl strategisch als auch betriebswirtschaftlich überzeugendes Sanierungskonzept kommuniziert. 504 Sämtliche aus der Fortführung erzielten Einnahmen sind Neuerwerb und damit Insolvenzmasse. Korrespondierend stellen sich alle Betriebsausgaben inkl. der Steuerverbindlichkeiten nach Eröffnung als Masseverbindlichkeiten dar (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO). Der Verwalter ist vor der Entscheidung zur Fortführung des Schuldnerunternehmens u. a. zu einer realistischen Einschätzung der Werthaltigkeit bestehender und künftig zu begründender Masseforderungen verpflichtet. Welche Überprüfungen der Verwalter im Einzelnen anstellen muss, ist eine Frage des Einzelfalls, die verallgemeinernden Rechtssätzen nicht zugänglich ist.229) Der gesamte Zahlungsverkehr wird durch den Insolvenzverwalter abgewickelt. Bei der Fortführung des Unternehmens ist gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 4 Satz 2 b) InsVV nur der Überschuss (Einnahmen ./. Ausgaben) bei der Bestimmung der vergütungsrechtlichen Berechnungsmasse berücksichtigungsfähig. Praxistipp: Wird ein Unternehmen fortgeführt, setzt sich die vergütungsrechtliche Berechnungsmasse aus dem aus der Fortführung erzielten Überschuss sowie den aus der Abwicklung erzielten Einnahmen zusammen.

505 Daneben ist auch für die Gläubiger und das Schuldnerunternehmen von Interesse, das vom Insolvenzverwalter erzielte Ergebnis aus der Betriebsfortführung leicht und ohne größeren Aufwand nachvollziehen zu können. Daher kann es empfehlenswert sein, zusätzlich zu dem Abwicklungsanderkonto ein weiteres als Sonderkonto geführtes Konto einzurichten, auf welchem ausschließlich die Einnahmen und Ausgaben der Fortführung gebucht werden; zwingend ist dies nicht. Alternativ kann es ausreichen, wenn die Buchungen über ein einziges Konto abgewickelt werden, wobei allerdings Voraussetzung sein muss, dass der Kontenplan eine Trennung zwischen den Einnahmen und Ausgaben der Abwicklung und den Einnahmen und Ausgaben der Fortführung vorsieht und alle Zahlungsvorgänge auch korrekt einem Sachkonto zugeschlüsselt und verbucht werden.230) 3. Übertragende Sanierung/Asset Deal 506 Eine Möglichkeit der Sanierung ist die sog. übertragende Sanierung („Asset Deal“). Beim Asset Deal handelt es sich um einen Unternehmenskauf- und -übertragungsvertrag, durch den einzelne Wirtschaftsgüter ohne den Rechts___________ 229) BGH, Urt. v. 6.10.2011 – IX ZR 105/09, ZInsO 2012, 137. 230) Hierzu ausführlich Zimmer, Insolvenzbuchhaltung, Rn. 284 ff.

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V. Fortführung oder Liquidation?

träger auf einen neuen Rechtsträger übertragen werden. Der „ursprüngliche“ Unternehmensträger (die insolvente Gesellschaft) wird anschließend regulär im Rahmen des Insolvenzverfahrens abgewickelt. Hiervon abzugrenzen ist der „Share Deal“, bei dem ein Unternehmen durch 507 Übertragung seines Rechtsträgers (zum Beispiel durch Abtretung aller Geschäftsanteile) vom Erwerber übernommen wird. Bei einem Share Deal gehen auf den Erwerber ebenfalls alle Verbindlichkeiten des Unternehmens über, sodass diese Form der Übertragung im Insolvenzverfahren eher die Ausnahme darstellt. Gegenstand des Kaufvertrages ist das Aktivvermögen des Schuldnerunter- 508 nehmens (Assets). Die Verbindlichkeiten gehen nicht mit über; vielmehr werden diese im Insolvenzverfahren abgewickelt. Eine übertragende Sanierung sollte im Insolvenzverfahren zwingend erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens vollzogen werden. Wird vor der Eröffnung des Verfahrens ein zahlungsunfähiges Unternehmen erworben, trifft den Erwerber die Haftung gemäß § 25 Abs. 1 HGB. Hiernach haftet der Erwerber für die Verbindlichkeiten des Unternehmens, wenn er diese in seinem wesentlichen Bestand unverändert unter der alten Firmenbezeichnung fortführt. Der Erwerb und die Fortführung des Handelsgeschäftes in seinem wesentlichen Bestand oder Kern sind für die Haftungsbegründung bereits ausreichend.231) § 25 Abs. 1 HGB unterscheidet zwar dem Wortlaut nach nicht zwischen einer Übertragung außerhalb oder während eines Insolvenzverfahrens. Allgemein anerkannt ist, dass die Haftung des Erwerbers gemäß § 25 Abs. 1 HGB auf Unternehmensveräußerungen durch den Insolvenzverwalter nicht anwendbar ist, da andernfalls mögliche Verwertungsoptionen in Anbetracht der potenziellen Haftung des Erwerbers für die Schulden des bisherigen Unternehmensträgers erschwert würden.232) Eine steuerliche Haftung des Erwerbers für Steuern und Abgabepflichten 509 aus dem übertragenen Unternehmen wird bei einer Übertragung durch den Insolvenzverwalter ebenfalls ausgeschlossen (§ 75 Abs. 2 AO). Die übertragende Sanierung wird nach allgemeinen zivilrechtlichen Bestim- 510 mungen vollzogen (§§ 433 ff., 929 ff., 873 ff., 398 ff. BGB), ggf. unter Berücksichtigung besonderer Formvorschriften (z. B. notarielle Beurkundung bei Einbeziehung von Immobilien §§ 311b, 925 BGB). Bei der Veräußerung des Unternehmens oder eines Betriebs im Ganzen ist 511 gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1 InsO die Zustimmung des Gläubigerausschusses bzw. der Gläubigerversammlung einzuholen. Bei einer Veräußerung des Unternehmens vor dem Berichtstermin ist die Zustimmung des Gläubigerausschusses einzuholen, wenn ein solcher bestellt ist (§ 158 InsO). § 158 InsO geht in diesem Fall als lex specialis vor; einer Heranziehung von § 160 ___________ 231) St. Rspr., zuletzt BGH, Urt. v. 7.12.2009 – II ZR 229/08, ZIP 2010, 83. 232) St. Rspr., zuletzt BGH, Beschl. v. 9.11.2006 – IX ZA 27/06, openJur 2011, 9705.

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C. Das eröffnete Insolvenzverfahren

Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1 InsO bedarf es dann nicht mehr. Liegt die Zustimmung nicht vor, berührt dies materiell-rechtlich die Wirksamkeit der Verträge nicht. Das Haftungsrisiko für den Insolvenzverwalter ist ohne Zustimmung unlängst größer, wenn er ein Unternehmen unter Wert veräußert. 512 Die übertragende Sanierung erfolgt zu Fortführungswerten (ĺ Rn. 330), die sich an den Unternehmenszahlen der Vergangenheit sowie der prognostischen Erwartungen unter Einbeziehung der Sanierungsstrategie und ggf. Neuausrichtung orientieren können, dabei aber die Grenze der Liquidationswerte nicht unterschreiten dürfen. In Anbetracht der Unkenntnis der künftigen Entwicklung des Unternehmens ist der Erwerb für den Käufer stets mit einem Risiko verbunden. 513 Auf jeden Fall ist zu empfehlen, eine Verschwiegenheitserklärung unterzeichnen zu lassen, werden dem Erwerber sensible Unternehmensdaten eröffnet. Denkbar sind darüber hinaus Vorverträge oder Absichtserklärungen (LOI – Letter of Intent). 514 Bei einer übertragenden Sanierung genießen die Arbeitsverhältnisse der Belegschaft über § 613a BGB einen besonderen Schutz. Der Erwerber tritt als neuer Rechtsträger hinsichtlich der Arbeitgeberposition umfänglich in die Position des „alten“ Arbeitgebers und in alle zum Zeitpunkt der Übernahme bestehenden Arbeitsverhältnisse – und damit alle Rechte und Pflichten aus den Arbeitsverhältnissen – ein. 515 Der Erwerber haftet nicht für die Abwicklung von Insolvenzforderungen, wenn der Betriebsübergang in der Insolvenz stattgefunden hat.233) 516 Eine Haftung des Erwerbers besteht jedoch, wenn der Betrieb vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens übernommen wird, eine Haftungsbeschränkung tritt in diesem Fall nicht ein.234) 517 Hinsichtlich der Haftung für Betriebsrentenansprüche trifft diese nur den Erwerber, soweit die Ansprüche nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind.235) 518 Die Haftungsbeschränkung ist nicht auf Urlaubsansprüche der Belegschaft anzuwenden, da gemäß § 108 Abs. 1 InsO Arbeitsverhältnisse bestehen bleiben, sodass Urlaubsansprüche nicht zu den Insolvenzforderungen zählen. Die Ansprüche können nicht von einer Arbeitsleistung im Kalenderjahr abhängig sein und nicht monatlich verdient werden, sodass eine Zuordnung zu einem bestimmten Zeitraum vor oder nach Verfahrenseröffnung mithin nicht möglich ist.236) ___________ 233) LAG Köln, Urt. v. 31.1.2011 – 5 Sa 1224/10, ZIP 2011, 970, dazu EWiR 2011, 527 (Mückl). 234) Staufenbiel/Brill ZInsO 2015, 173. 235) BAG, Urt. v. 19.5.2005 – 3 AZR 649/03, ZIP 2005, 1706, dazu EWiR 2005, 855 (Richter). 236) BAG, Urt. v. 18.11.2003 – 9 AZR 347/03, ZIP 2004, 1011, dazu EWiR 2004, 793 (Schnitker/Grau).

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VI. Ausgewählte Verwertungsfragen

Soweit die Sanierung einen Stellenabbau vorsieht, ist die Gründung einer 519 Transfergesellschaft gängige Praxis, über die alle gekündigten Arbeitnehmer weiter beschäftigt und damit nicht vom Erwerber übernommen werden. Geht ein Arbeitsverhältnis auf eine Transfergesellschaft über, wird das Arbeitsverhältnis mit dem bisherigen Arbeitgeber in aller Regel durch einen Aufhebungsvertrag beendet. Der Arbeitnehmer wird lückenlos in eine zeitlich befristete Anstellung in der eigens für diesen Zweck gegründeten Transfergesellschaft aufgenommen. Dem Erwerber gereicht dies insoweit zum Vorteil, als dass er keine Kündigungen aussprechen muss und somit das Risiko von Kündigungsschutzprozessen vermeidet. Die in die Transfergesellschaft übernommenen Arbeitnehmer können den Eintritt in die Arbeitslosigkeit vermeiden und beziehen für einen zuvor bestimmten Zeitraum weiterhin das Arbeitslosengeldsatz übersteigende Entgelt. 4. Liquidation Die Abwicklung des schuldnerischen Unternehmens ist der vom Gesetzge- 520 ber angenommene Regelfall. Die Liquidation geht einher mit der Verwertung der einzelnen Vermögensgegenstände durch den Insolvenzverwalter. Denkbar ist auch eine Mischform, bei der neben der Sanierung Teile des Unternehmens zerschlagen und einzelne Vermögensverwerte verwertet werden. Ausgewählte Verwertungsfragen im Rahmen von Gesellschaftsinsolvenzen werden im nachfolgenden Kapitel näher beleuchtet. VI. Ausgewählte Verwertungsfragen 1. Allgemeines Die Verwertung durch den Insolvenzverwalter richtet sich nach den zivil- 521 rechtlichen Bestimmungen zum Verkauf (§ 433 ff. BGB) und der dinglichen Einigung nebst erforderlichenfalls der Besitzverschaffung (§§ 929 ff., 873 ff., 398 ff. InsO). Anstelle des gesetzlichen Vertreters des Unternehmens ist nur noch der Insolvenzverwalter verfügungsbefugt. Besondere Formvorschriften hat er im Einzelfall zu beachten. 2. Grundsätze der Verwertung Der Insolvenzverwalter hat mit der Verwertung der Insolvenzmasse unver- 522 züglich nach dem Berichtstermin zu beginnen (§ 159 InsO). Die Verwertung gehört zu den originären Hauptaufgaben des Insolvenzver- 523 walters. Er kann sich eines spezialisierten Verwerters/Industriesachverständigen bedienen, sofern die Verwertung mit rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten verbunden ist oder die Verwertung durch den Sachverständigen einen besseren Erlös verspricht. Oftmals sind die Verwertungschancen eines branchenspezialisierten Sachverständigen weitaus besser als die des Insolvenzverwalters selbst, da der Speziallist in der Branche besser und tiefer vernetzt

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C. Das eröffnete Insolvenzverfahren

ist und über die für eine optimale Verwertung notwendigen Kontakte verfügt. Gleiches gilt für die Realisierung von Forderungen durch Fachanwälte, wenn besondere Kenntnisse erforderlich sind, die den regulären Umfang der Verwertung, gemessen an einem Normalverfahren, überschreiten (vgl. auch § 4 Abs. 1 Satz 3 InsVV).237) Soweit die Verwertungsaufgaben delegiert werden, empfiehlt sich, die daraus für die Befriedigung der Gläubiger resultierenden Vorteile tatsächlicher und wirtschaftlicher Natur zu argumentieren, da der Insolvenzverwalter sonst Gefahr läuft, dass die Kosten, die mit der Verwertung durch einen Dritten entstanden sind, auf die Verwaltervergütung angerechnet werden und die Vergütung eine Kürzung erfährt. Begründet wird dies mit der Abweichung vom Regelfall, da der Verwalter insoweit originäre Aufgaben, die mit der Regelvergütung abgegolten werden, delegiert und die Leistung nicht selbst erbracht hat. 524 Das Führen einer Verwertungsliste empfiehlt sich insbesondere bei umfangreichen Vermögensmassen, da hierdurch der aktuelle Stand der Verwertungsaktivität wiedergegeben werden kann. Zudem hat eine solche Liste den Vorteil, dass der Insolvenzverwalter selbst stets auf dem aktuellen Stand der Verwertungstätigkeit ist und die nächsten Schritte entsprechend einleiten kann. Sofern dem Beispiel des fortgeschriebenen Berichtswesens (ForStaB)238) gefolgt wird, kann auch die Vermögensübersicht die Grundlage einer solchen Verwertungsliste bilden. Entsprechende Unterstützungsprozesse hält auch die eine oder andere Insolvenzverwaltungssoftware vor. 3. Ausgewählte Verwertungsfragen 525 Nachfolgende Ausführungen geben einen Überblick über Besonderheiten der Verwertung der Insolvenzmasse in Gesellschaftsinsolvenzen. Zielsetzung ist, Sicherheit in der Bearbeitung von Insolvenzverfahren zu vermitteln, einen Gesamtüberblick über mögliche Vermögenswerte zu vermitteln und Problembewusstsein zu entwickeln. Soweit darüber hinaus tiefergehendes Spezialwissen erforderlich ist, sei hinsichtlich des Ausbaus der Kenntnisse auf die themenkonzentrierte Fachliteratur verwiesen. In der praktischen Fallbearbeitung dürfte dies regelmäßig die Schnittstelle sein, an der die Expertise der jeweiligen Fachanwaltschaft/Spezialisten gefordert sein wird. a) Immaterielle Vermögensgegenstände 526 Gewerbliche Schutzrechte, Patente, Lizenzen und ähnliche Rechte sowie der Geschäfts-/Firmenwert gehören zum immateriellen Anlagevermögen. Die ___________ 237) Vgl. hierzu BGH, Beschl. v. 20.7.2004 IX ZB 161/03, InsbürO 2004, 317; BGH, Beschl. v. 14.11.2013 – IX ZB 161/11, ZIP 2013, 2413 = ZVI 2014, 38 = NZI 2014, 21, dazu EWiR 2014, 87 (Ries); BGH, Beschl. v. 13.3.2014 – IX ZB 204/11, JurionRS 2014, 13397. 238) Zurückgehend auf die vom Amtsgericht Aachen entwickelten Grundsätze des „Fortgeschriebenen Standardisierten Berichtswesens (ForStab)“ siehe Langer/Bausch, ZInsO 2011, 1287.

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VI. Ausgewählte Verwertungsfragen

Realisierbarkeit dieser Werte ist im Fortführungsfall weitaus wahrscheinlicher und ertragsreicher als bei einer Liquidation. Im Liquidationsfall ist der Vermögenswert in der Regel nur dann verwertbar, wenn er auch losgelöst vom schuldnerischen Betrieb von einem Dritten genutzt werden kann (z. B. Gebrauchs- oder Geschmacksmuster, gewerbliche Schutzrechte, Urheberrechte, Lizenzen etc.).239) Spätestens nach Stilllegung des Geschäftsbetriebs orientieren sich Kunden und Klienten ohnehin neu am Markt oder folgen dem Know-how, das maßgebliche Mitarbeiter im Zuge der Beendigung des Arbeitsverhältnisses „mitnehmen“, sodass der Geschäfts- oder Firmenwert im Liquidationsfall weitestgehend wertlos ist. Die Verwertung richtet sich nach den jeweiligen Bestimmungen des Rechts 527 und bedarf wie schon die zuvor vorzunehmende Bewertung regelmäßig der Hinzuziehung eines Sachverständigen.240) Für Spezialfragen empfiehlt sich die Konsultation von Fachleuten (Patenanwälte o. Ä.).241) b) Grundstücke/grundstücksgleiche Rechte Eigentümer eines Grundstücks oder Inhaber grundstücksgleicher Rechte 528 können auch Gesellschaften sein. Für juristische Personen ergibt sich dies aus der eigenen Rechtsfähigkeit, für die OHG aus § 124 Abs. 1 HGB, entsprechend für die KG aus § 161 Abs. 2, 124 Abs. 1 HGB. Auch die GbR kann Alleineigentum an einem Grundstück erwerben und ist damit grundbuchfähig.242) Die Eigentumsverhältnisse ergeben sich aus Abteilung I des Grundbuchs. 529 Die Einsichtnahme in einen aktuellen Grundbuchauszug ist daher für den Insolvenzverwalter unerlässlich. Zwecks Sicherung der Insolvenzmasse und Vermeidung eines zwischenzeit- 530 lichen gutgläubigen Erwerbs wird im Grundbuch auf Ersuchen des Insolvenzgerichts oder auf Antrag des (vorläufigen) Insolvenzverwalters in Abteilung II des Grundbuchs der (vorläufige) Insolvenzsperrvermerk eingetragen (vgl. ___________ 239) KPB/Wipperfürth, InsO, § 151 Rn. 32; MünchKomm-InsO/Füchsl/Weishäupl/Jaffé, § 151 Rn. 16. 240) KPB/Wipperfürth, InsO, § 151 Rn. 33; FK-InsO/Wegener, § 151 Rn. 24. 241) Vgl. zum Lizenzvertragswesen BGH, Urt. v. 19.7.2012 – I ZR 70/10, ZIP 2012, 1561 (m. Bespr. Raeschke-Kessler/Christopeit, ZIP 2013, 345), dazu EWiR 2012, 637 (Vosberg/ Klawa) ZInsO 2012, 1611 und BGH, Urt. v. 19.7.2012 – I ZR 24/11, ZIP 2012, 1671 (m. Bespr. Raeschke-Kessler/Christopeit, ZIP 2013, 345) = ZInsO 2012, 1611, dazu EWiR 2012, 639 (Lutz). 242) BGH, Beschl. v. 4.12.2008 – V ZB 74/08, ZIP 2009, 66 = ZfIR 2009, 93 (m. Anm. Volmer, S. 97); Beschl. v. 2.12.2010 – V ZB 84/10, ZIP 2011, 119 = ZfIR 2011, 147 (m. Bespr. Bestelmeyer, S. 117), dazu EWiR 2011, 99 (Demharter); Beschl. v. 28.4.2011 – V ZB 194/10, ZIP 2011, 1003 (m. Bespr. Bestelmeyer, S. 1389, Ulmer, S. 1689 u. Altmeppen, S. 1937) = ZfIR 2011, 487 (m. Bespr. Böttcher, S. 461) = DB 2011, 1323, dazu EWiR 2011, 347 (Heckschen); Beschl. v. 16.5.2013 – V ZB 198/12, ZIP 2013, 1763 = ZfIR 2013, 734 (m. Anm. M. Becker, S. 738), dazu EWiR 2014, 39 (Kesseler).

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C. Das eröffnete Insolvenzverfahren

§ 32 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 InsO ggf. i. V. m. § 23 Abs. 3 InsO). Der Insolvenzsperrvermerk hat lediglich deklaratorische Bedeutung.243) Der Insolvenzbeschlag besteht bereits mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens. 531 Die Verwertung des Grundstückseigentums durch den Insolvenzverwalter kann durch die sog. Verwalterversteigerung (Verwertung im Wege der Zwangsversteigerung, § 165 InsO) erfolgen. Ertragreicher ist meist die freihändige Veräußerung, sodass die Verwalterversteigerung in der Praxis eher ein Schattendasein fristet. Die freihändige Verwertung vollzieht sich unter Beachtung der Formerfordernisse zum schuldrechtlichen Kaufvertrag (notarielle Beurkundung, § 311b Abs. 1 BGB) und der dinglichen Einigung, der sog. Auflassung (notarielle Beurkundung, §§ 873, 925 BGB). Der Eigentümerwechsel (Rechtserwerb des Erwerbers) bedarf der Eintragung des Erwerbers im Grundbuch. Grundbuchrechtlich ist zudem die Bewilligung zur Eigentumsumschreibung gemäß § 19 GBO erforderlich, die in der Form des § 29 GBO vorliegen muss (notarielle Beglaubigung oder Beurkundung). Zu Legitimationszwecken muss der Insolvenzverwalter regelmäßig die Bestallungsurkunde im Original beim Notar vorlegen, wenn er die Auflassung erklärt und die Eintragung bewilligt. Der Notar fertigt eine notariell beglaubigte Abschrift der Urkunde und legt diese mit dem Antrag auf Eigentumsumschreibung beim Grundbuchamt vor. Hierdurch ist die Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters hinreichend nachgewiesen. Praxistipp: Betreibt ein absonderungsberechtigter Gläubiger bereits die Verwertung eines Grundstücks durch Zwangsverwaltung oder Zwangsversteigerung (§ 49 InsO), wird die Insolvenzmasse bei wertausschöpfender Belastung in aller Regel nicht am Erlös partizipieren. Soweit ein Zwangsversteigerungsverfahren anhängig ist, kann der Insolvenzverwalter unter Darlegung der Voraussetzungen des § 30d ZVG die einstweilige Einstellung des Verfahrens beim Zwangsversteigerungsgericht beantragen. Dies gilt insbesondere in den Fällen, in denen das Grundstück für eine Betriebsfortführung zwingend erforderlich ist (vgl. § 30d Abs. 1 Nr. 2 ZVG) oder die Befriedigung der Gläubiger durch das Zwangsversteigerungsverfahren wesentlich erschwert oder beeinträchtigt würde (vgl. §§ 30d Abs. 1 Nr. 3, 4 ZVG).

532 Ist das Grundstück grundpfandrechtlich belastet, bedarf die Verwertung der Abstimmung mit den dinglich gesicherten Gläubigern. Da der Erwerber regelmäßig an einer lastenfreien Übertragung interessiert ist, ist darauf hinzuwirken, dass die absonderungsberechtigten Gläubiger eine Löschungsbewilligung erteilen. Das Absonderungsrecht wird aus dem erzielten Erlös abgegolten. Zugunsten der Insolvenzmasse wird regelmäßig ein Massekostenbeitrag verhandelt, der sich auf ca. 1 – 7 % des Erlöses beläuft. Die §§ 170, 171 InsO gelten bei der Verwertung von unbeweglichem Absonderungsgut nicht unmit___________ 243) Vgl. u. a. BGH, Urt. v. 1.2.2007 – IX ZR 178/05, ZInsO 2007, 545.

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VI. Ausgewählte Verwertungsfragen

telbar. Der ausgehandelte Massenkostenbeitrag kann der Umsatzsteuer unterliegen.244) Die Erlösverteilung an die absonderungsberechtigten Gläubiger folgt i. a. R. der 533 Rangfolge der §§ 10 – 14, 155 ZVG (vgl. § 49 InsO), es sei denn, eine abweichende Reihenfolge wurde verhandelt. Der Absonderungsberechtigte kann, soweit er aus der Verwertung des Grundstücks keine Befriedigung erlangt hat, in Höhe des Ausfalls als Insolvenzgläubiger (§ 38 InsO) am Verfahren teilnehmen und seine Forderung zur Tabelle geltend machen (§ 52 InsO). Wird die Forderung festgestellt, partizipiert der Gläubiger an einer eventuellen Quotenausschüttung im Rahmen der Schlussverteilung. Exkurs: Gesellschaftergrundstücke Steht das Grundstück nicht im Eigentum der insolventen Gesellschaft, unterliegt es nicht dem Insolvenzbeschlag. Ist als Eigentümer (einer) der Gesellschafter der Schuldnerin eingetragen, hat er das Grundstück i. a. R. an die Schuldnerin vermietet oder dieser zur Nutzung überlassen. Vor Inkrafttreten des MoMiG245) wurde dies als sog. „eigenkapitalersetzende Nutzungsüberlassung“ angesehen (vgl. § 32a GmbHG a. F.246)). Die der Gesellschaft vom Gesellschafter zur Verfügung gestellten Mittel wurden bei Eintritt der Krise wie Eigenkapital behandelt und durften demnach nicht der Haftungsmasse entzogen werden (z. B. durch Rückzahlung eines Gesellschafterdarlehens). Die Nutzungsüberlassung einer Immobilie wurde wie ein eigenkapitalersetzendes Darlehen behandelt.247) Dies hatte zur Folge, dass der Insolvenzverwalter die Immobilie während der üblichen/vertraglichen Nutzungsdauer unentgeltlich nutzen konnte.248) Darüber hinaus konnte er die im letzten Jahr vor dem Insolvenzantrag gezahlten Mieten/Nutzungsentgelte vom Gesellschafter zurückzufordern (§ 32b GmbHG a. F.249)). Seit Inkrafttreten des MoMiG zum 1.11.2008 existiert der Eigenkapitalersatz in der bis dahin geltenden Form nicht mehr (§ 32a GmbHG a. F., § 172a HGB a. F.). Unverändert ist jedoch, dass die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft das Mietvertragsverhältnis mit dem Gesellschafter nicht berührt (§ 108 Abs. 1 InsO). Der Vertrag besteht mit Wirkung für die Insolvenzmasse fort mit der Folge, dass die nach Insolvenzeröffnung entstehenden Mietforderungen bei Weiternutzung Masseverbindlichkeiten gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO darstellen. Der Mietvertrag kann unabhängig von der

___________ 244) Vgl. BFH, Urt. v. 18.8.2005 – V R 31/04; BMF-Schreiben v. 30.4.2014, IV D 2 – S 71 00/07/10037 DOK 2014/0332437, NZI I2 1014, 600. 245) Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen v. 23.10.2008, BGBl. I, 2026. 246) § 32a GmbHG in der bis zum 1.11.2008 geltenden Fassung. 247) Fischer/Knees, ZInsO 2009, 745 ff. 248) BGH, Urt. v. 16.10.1989 – II ZR 307/88, ZIP 1989, 1542 (m. Bespr. K. Schmidt, ZIP 1990, 69 u. Büscher/Klusmann, ZIP 1991, 10), dazu EWiR 1990, 371 (Fabritius); BGH, Urt. v. 11.7.1994 – II ZR 146/92, ZIP 1994, 1261, dazu EWiR 1994, 1201 (Timm); BGH, Urt. v. 28.2.2005 – II ZR 103/02, ZIP 2005, 660 = ZfIR 2005, 435 (LS). 249) § 32b GmbHG in der bis zum 1.11.2008 geltenden Fassung.

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C. Das eröffnete Insolvenzverfahren vertraglichen Laufzeit mit einer Frist von drei Monaten zum Monatsende vom Insolvenzverwalter gekündigt werden (§ 109 Abs. 1 Satz 1 InsO). Der seit dem 1.11.2008 neu eingeführte § 135 Abs. 3 InsO versetzt den Insolvenzverwalter in die Lage, nach Beendigung des Mietverhältnisses die gemietete Immobilie weiter nutzen zu können, wenn diese für die Betriebsfortführung von erheblicher Bedeutung ist. § 135 Abs. 3 InsO begründet einen Anspruch der Insolvenzmasse auf Nutzungsüberlassung gegen den Gesellschafter auch über den Zeitpunkt des Eintritts der Kündigungswirkung hinaus. Die Ausübung des aufgrund des Eigentumsrechts des Gesellschafters bestehenden Aussonderungsrechts ist für die Dauer von höchstens einem Jahr ab der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zudem untersagt. Für die Weiternutzung ist dem Gesellschafter allerdings ein Nutzungsentgelt zu zahlen, welches sich der Höhe nach an den Durchschnitt der im letzten Jahr vor Verfahrenseröffnung geleisteten Vergütung anlehnt. Bei kürzerer Dauer der Überlassung ist der Durchschnitt während dieses Zeitraums maßgebend (§ 135 Abs. 3 Satz 2 InsO). Es besteht kein Anspruch des Insolvenzverwalters auf unentgeltliche Nutzung von Betriebsanlagen, die der Gesellschafter seiner Gesellschaft vermietet hat.250) § 135 Abs. 3 InsO kann nicht durch im Vorfeld der Insolvenz vereinbarte vertragliche Lösungsklauseln, die die Beendigung des Vertragsverhältnisses im Insolvenzfall zum Gegenstand haben, umgangen werden kann.251)

c) Bewegliches Sachanlagenvermögen 534 Das bewegliche Sachanlagevermögen einer Gesellschaft besteht – je nach Unternehmenszweck – insbesondere aus technischen Anlagen und Maschinen, Gegenständen der Betriebs- und Geschäftsausstattung und anderen Anlagen. Soweit es sich um Spezialanlagen handelt, wird eine Delegation der Verwertungstätigkeit an Dritte für gängig und zulässig erachtet. 535 Besondere Aufmerksamkeit ist vor der Verwertung der sorgfältigen Feststellung der Drittrechtsbelastungen zu widmen. Der Insolvenzverwalter sollte Ausund Absonderungsrechte inklusive eventueller Kollisionslagen (ĺ Rn. 482 ff.) vor der Verwertung bestenfalls abschließend klären. 536 Aussonderungsgut (ĺ Rn. 434 ff.) darf der Insolvenzverwalter mangels Massezugehörigkeit nicht verwerten. Vielfach sind Maschinen oder der Fuhrpark eines Unternehmens geleast. Das Eigentumsrecht des Leasinggebers begründet ein Aussonderungsrecht gemäß § 47 InsO. Praxistipp: Eine Fremdfinanzierung von Maschinen oder den Fahrzeugen des Fuhrparks beinhaltet regelmäßig eine zugunsten des Kreditinstituts vereinbarte Sicherungsübereignung, die nicht zur Aussonderung, sondern zur abgesonderten Befriedigung berechtigt (§ 51 Nr. 1 InsO).

___________ 250) BGH, Urt. v. 29.1.2015 – IX ZR 279/13, ZIP 2015, 589. 251) Siehe zur Unabdingbarkeit Marotzke, ZInsO 2008, 1281 ff.; Ahrens/Gehrlein/RingstmeierGehrlein, InsO, § 135 Rn. 21.

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VI. Ausgewählte Verwertungsfragen

Gegenstände, die mit einem Absonderungsrecht belastet sind, dürfen vom 537 Insolvenzverwalter aus originärem Recht verwertet werden, sofern er die Gegenstände in seinem Besitz hat (§ 166 Abs. 1 InsO). Aus dem Verwertungserlös sind die Absonderungsrechte der Gläubiger entsprechend der §§ 170, 171 InsO abzugelten. Der Insolvenzmasse steht im Fall der Verwertung durch den Verwalter neben der 4 %igen Feststellungspauschale auch eine 5 %ige Verwertungspauschale bzw. ein Anspruch auf Ersatz der tatsächlich entstandenen Verwertungskosten sowie die Umsatzsteuer (§ 170 Abs. 2 InsO) zu. Diese sind – wie auch die an das Finanzamt abzuführende Umsatzsteuer – vor der unverzüglichen (!) Auskehr des Verwertungserlöses an die Absonderungsberechtigten zur Masse zu vereinnahmen. Bei Übernahme des Absonderungsgutes durch den Absonderungsberechtig- 538 ten (§ 168 Abs. 3 InsO), steht der Masse ebenfalls der Verwertungs- und der Feststellungskostenbeitrag sowie die Umsatzsteuer aus dem Veräußerungsgeschäft zu.252) Bei Überlassung des Gegenstands zur Verwertung (§ 170 Abs. 2 InsO) sind 539 der Feststellungskostenbeitrag und die Umsatzsteuer zur Masse zu ziehen, nicht aber der Verwertungsbeitrag. Die Umsatzsteuerpflicht der Masse (§ 13a Abs. 1 Nr. 1 UStG, § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO) resultiert aus dem angenommenen Doppelumsatz (Lieferung Sicherungsgeber an Sicherungsnehmer und Lieferung Sicherungsnehmer an Erwerber).253) Bemessungsgröße ist das um die Massebeiträge geminderte Entgelt, also der Betrag, um den die Verbindlichkeiten aus dem Erlös getilgt werden.254) § 13b UStG greift in dem Fall nicht. Hat der Insolvenzverwalter keinen Besitz begründet, steht das originäre 540 Verwertungsrecht dem Absonderungsberechtigten zu (§ 173 InsO). Der Masse steht Umsatzsteuer zu. Die Masse haftet aus den beschriebenen Gründen für die Umsatzsteuer; ein Fall von § 13b UStG liegt auch hier nicht vor.255) In beiden Fällen besteht ein Anspruch der Masse analog § 13b Abs. 1 Nr. 2 541 UStG, §§ 170 Abs. 2, 171 Abs. 2 Satz 3 InsO auf Herausgabe der vom Gläubiger vereinnahmten Umsatzsteuer.256) Der BFH hat in seiner Entscheidung vom 28.7.2011 in einem obiter dictum 542 zur Frage der Steuerbarkeit der Massebeiträge ausgeführt.257) Der Senat nimmt an, dass es sich bei dem gesetzlichen Feststellungskostenbeitrag um ___________ 252) BGH, Urt. v. 3.11.2005 – IX ZR 181/04, ZIP 2005, 2214. 253) Vgl. Abschn. 1.2 Abs. 1 Satz 2 UStAE; hierzu instruktiv Busch/Winkens/Büker, Insolvenzrecht und Steuern visuell, S. 289 f. 254) BGH, Urt. v. 29.3.2007 – IX ZR 27/06, ZIP 2007, 1126. 255) BFH, Urt. v. 19.7.2007 – V B 222/06, ZIP 2007, 1998 = BStBl. II 2008, 163; BFH, Urt. v. 1.3.2010 – XI B 34/09, NZI 2010, 451 = BFH/NV 2010, 1142. 256) BGH, Urt. v. 29.3.2007 – IX ZR 27/06, ZIP 2007, 1126, dazu EWiR 2007, 537 (Flitsch). 257) BFH, Urt. v. 28.7.2011 – V R 28/09, ZIP 2011, 1923 (m. Bespr. d` Avoine, ZIP 2012, S. 58) = ZfIR 2012, 28 (m. Bespr. Depré/Lambert, S. 1) = ZInsO 2011, 1904 = BStBl. II 2014, 406, dazu EWiR 2011, 673 (Mitlehner).

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C. Das eröffnete Insolvenzverfahren

eine nicht steuerbare Schadensersatzleistung handele. Die Verwertung durch den Insolvenzverwalter (§ 166 InsO) stelle einen sog. Dreifachumsatz dar; sie erfolge aufgrund eines fiktiven Geschäftsbesorgungsvertrags zwischen Sicherungsnehmer und Insolvenzverwalter, wobei der Insolvenzverwalter die Lieferung an den Erwerber wie ein Kommissionär für die Rechnung des Sicherungsnehmers erbringe. Aus dem angenommenen Dreifachumsatz auf fiktiver Geschäftsbesorgungsvertragsbasis folge, dass der gesetzliche Verwertungskostenbeitrag als Gegenleistung zu verstehen und damit steuerbar sei. Nicht erklärt hat sich der BFH indes zu der Frage, ob diese Gegenleistung den Grundsätzen des Kommissionsgeschäfts folgend, in der Verwertung aufgeht. 543 Teilweise im Widerspruch hierzu hat das Bundesfinanzministerium in seinem Schreiben vom 30.4.2014258) ausgeführt, dass es sich bei der Verwertung des Insolvenzverwalters im Namen des Sicherungsnehmers von beweglichem Absonderungsgut um einen Doppelumsatz (Lieferung Masse an Gläubiger, Lieferung Gläubiger an Erwerber) handele. Die Feststellungskostenpauschale sei nicht steuerbar. Auf die tatsächlichen Verwertungskosten bzw. die Verwertungskostenpauschale wird Umsatzsteuer erhoben. Der Insolvenzverwalter muss eine Rechnung an Sicherungsnehmer über den Verwertungskostenbeitrag ausstellen und im Übrigen die entsprechenden Auskehrungen vornehmen. 544 Erfolgt die Verwertung durch den Insolvenzverwalter im Namen der Masse (§ 166 InsO), handelt es sich um einen Dreifachumsatz nach den Grundsätzen des Kommissionsgeschäfts (Lieferung Masse an Sicherungsnehmer, Lieferung Sicherungsnehmer an Masse, Lieferung Masse an Erwerber).259) Umsatzsteuer auf den Verwertungskostenbeitrag ist in dem Fall nicht zu entrichten (vgl. ausführlich hier ĺ Rn. 754 ff.). 545 Die vorstehenden Grundsätze sind anzuwenden auf alle offenen Fälle. Es werde jedoch nicht beanstandet, wenn für die vor dem 1.7.2014 ausgeführten Umsätze noch nicht so vorgegangen wurde.260) d) Vorräte 546 Dem Vorratsbestand kommt bei einer Betriebsfortführung eine wesentliche Wertgröße zu, da hieraus oftmals ein großer Teil der laufenden Einnahmen generiert werden kann. Bei der Liquidation hingegen können gerade halbfertige Erzeugnisse und Waren nur dann verwertet werden, wenn als Interessent ein anderer Unternehmer vorhanden ist, der eine Fertigstellung oder Weiterverar-

___________ 258) BMF-Schreiben v. 30.4.2014, IV D 2 – S 7100/07/10037 DOK 2014/0332437, NZI 2014, 600. 259) Statt bisher Einfachumsatz (Masse an Erwerber); vgl. Busch/Winkens/Büker, Insolvenzrecht und Steuern visuell, S. 289 f. 260) BMF-Schreiben v. 30.4.2014, IV D 2 – S 7100/07/10037 DOK 2014/0332437, NZI 2014, 600 a. E.

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VI. Ausgewählte Verwertungsfragen

beitung gewährleisten kann.261) Der Massezufluss ist in aller Regel wesentlich geringer, bisweilen lässt sich allenfalls der Schrottwert (Materialwert) realisieren. Auch hinsichtlich des Vorratsbestandes bestehen oft Drittrechte, nicht selten 547 auch Kollisionslagen verschiedener Sicherungsrechte (Eigentumsvorbehalt, Vermieterpfandrecht, Raumsicherungsübereignung). Eine zeitnahe Klärung empfiehlt sich. e) Forderungen aus Lieferungen und Leistungen Der Insolvenzverwalter ist verpflichtet, sämtliche Forderungen aus Lieferungen 548 und Leistungen einzuziehen und diese ggf. aus eigener Prozessstandschaft klageweise durchzusetzen. Dies gilt für alle Forderungen, die vor Insolvenzeröffnung und die nach Insolvenzeröffnung (im Rahmen einer Betriebsfortführung) begründet wurden/werden, sowie für die bereits vor Insolvenzeröffnung sicherungsabgetretenen Forderungen (vgl. § 166 Abs. 2 InsO), nicht aber für gepfändete oder verpfändete Forderungen. Sind die Ansprüche zugunsten des Schuldnerunternehmens tituliert, ist der 549 Insolvenzverwalter nach Umschreibung des Titels befugt, die Forderung im Wege der Zwangsvollstreckung beizutreiben. Beim Forderungseinzug ist sowohl eine rechtliche, als auch eine betriebswirt- 550 schaftliche Betrachtung erforderlich, will der Insolvenzverwalter die wahrscheinlichen Massezuflüsse, die aus dem Forderungszug zu erwarten sind, bestimmen. Die Forderungen sind nur insoweit massemehrend, als sie rechtlich bestehen und tatsächlich einbringlich sind. Uneinbringliche Forderungen sind auszubuchen. Eine Forderung ist uneinbringlich, wenn feststeht, dass ein Einzug nicht realisiert werden kann und insoweit ein Forderungsausfall eintritt (vgl. § 253 Abs. 3 Satz 3 HGB). Im Unterscheid dazu sind Forderungen zweifelhaft, wenn ein teilweiser Forderungsausfall zu erwarten ist, der Verlust bei Bilanzierung aber noch nicht endgültig feststeht. Es muss eine Abschreibung auf den zu erwartenden Massezufluss (Nennwert) erfolgen. Hinsichtlich der Forderungen, die vor Anordnung des vorläufigen Insol- 551 venzverfahrens und Forderungen, die im Zusammenhang mit der Betriebsfortführung im vorläufigen Insolvenzverfahren sowie den Forderungen, die im Zusammenhang mit der Betriebsfortführung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet sind, ist streng zu differenzieren, da die fortführungsbedingten Einnahmen in eine Überschussermittlung (also abzüglich der fortführungsbedingten Ausgaben im jeweiligen Verfahrensabschnitt) einfließen. Abgestellt auf den jeweiligen Verfahrensabschnitt (vorläufiges Insolvenzverfahren und eröffnetes Insolvenzverfahren), fließt jeweils der Überschuss aus der Betriebsfortführung in die Schlussrechnung und damit auch in die Berechnungsgrundlage zur Vergütung ein. ___________ 261) MünchKomm-InsO/Füchsl/Weishäupl/Jaffé, § 151 Rn. 26.

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C. Das eröffnete Insolvenzverfahren

552 Steuerlich sind beim Forderungseinzug durch den Insolvenzverwalter Besonderheiten zu beachten. 553 Wurde die Leistung nach Anordnung der „starken“ vorläufigen Insolvenzverwaltung bis zur Eröffnung erbracht, ist die Umsatzsteuerforderung eine Masseverbindlichkeit gemäß § 55 Abs. 2 InsO. 554 Wurden die Forderungen mit Zustimmung des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters begründet, stellen die Umsatzsteuerforderungen Masseverbindlichkeiten i. S. d. § 55 Abs. 4 InsO dar.262) Für die Frage, ob Masseverbindlichkeiten gemäß § 55 Abs. 4 InsO begründet werden, ist auf die Vereinnahmung durch den vorläufigen Insolvenzverwalter abzustellen, nicht auf die Leistungserbringung.263) 555 Hinsichtlich der noch ausstehenden Entgelte für die Zeit vor Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung tritt mit Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters, dem die Einzugsermächtigung (§ 23 Abs. 1 Satz 3 InsO) erteilt wurde, Uneinbringlichkeit ein. Dies hat eine 1. Berichtigung der Umsatzsteuermeldung zur Folge (§ 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 UStG). 556 Bei Vereinnahmung der noch ausstehenden Entgelte für die Zeit vor Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung durch den vorläufigen Insolvenzverwalter wird mit Eröffnung des Verfahrens eine Masseverbindlichkeit gemäß § 55 Abs. 4 InsO begründet. Hieraus folgt die Notwendigkeit einer 2. Berichtigung der Meldung (§ 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2, Abs. 1 Satz 1 UStG). 557 Vereinnahmt indes der Insolvenzverwalter die Entgelte nach Eröffnung, begründet dies Masseverbindlichkeit gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, woraus sich ebenfalls die Notwendigkeit der 2. Berichtigung (§ 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2, Abs. 1 Satz 1 UStG) ableitet. 558 Bei einer Leistungserbringung vor Verfahrenseröffnung und vor Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung tritt hinsichtlich der daraus resultierenden Forderungen mit Eröffnung Uneinbringlichkeit ein, wenn diese zuvor nicht vereinnahmt werden konnten.264) Zieht der Insolvenzverwalter diese Forderungen nach Insolvenzeröffnung ein, werden sie wieder einbringlich; die darauf entfallenden Umsatzsteuer ist eine Masseverbindlichkeit gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO.265) ___________ 262) Mit Geltung für alle Verfahren mit Antragstellung ab dem 1.1.2011 siehe BMFSchreiben v. 17.1.2012 – IV A 3 S 0550/10/10020-05/2012/0042691, BStBl. I, 83. 263) BFH, Urt. v. 24.9.2014 – V R 48/13, ZIP 2014, 2451 (m. Bespr. Kahlert, ZIP 2015, 11) = DB 2014, 2870, dazu EWiR 2015, 19 (Schmittmann). 264) BFH, Urt. v. 9.12.2010 – V R 22/10, ZIP 2011, 782 (m. Bespr. Schmittmann, S. 1125 u. Welte/Friedrich-Vache, S. 1595) = BStBl. II 2011, 996. 265) BFH, Urt. v. 9.12.2010 – V R 22/10, ZIP 2011, 782 (m. Bespr. Schmittmann, S. 1125 u. Welte/Friedrich-Vache, S. 1595) = BStBl. II 2011, 996, gilt für alle Verfahren mit Eröffnung ab dem 1.1.2012.

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VI. Ausgewählte Verwertungsfragen

f) Miet-/Pachtforderungen Ist die Schuldnerunternehmung Vermieterin oder Verpächterin, werden Miet- 559 oder Pachtverhältnisse in ihrer Wirksamkeit und dem Fortbestand durch die Insolvenzeröffnung nicht berührt (§ 108 Abs. 1 InsO). Die zum Zeitpunkt der Eröffnung ggf. noch offenen sowie die nach Insolvenzeröffnung fällig werdenden Forderungen sind vom Insolvenzverwalter einzuziehen. Zugunsten eines nach § 49 InsO absonderungsberechtigten Grundpfand- 560 rechtsgläubiger kann nur die Anordnung der Zwangsverwaltung den Insolvenzbeschlag durchbrechen und eine bevorzugte Befriedigung aus den Mietansprüchen sicherstellen (§§ 146, 20 ZVG, 1123, 1124 BGB).266) Bis zur Beschlagnahme im Zwangsverwaltungsverfahren besteht das Einzugsrecht des Insolvenzverwalters fort.267) Soweit Mietforderungen abgetreten oder gepfändet sind, ist diese Verfügung 561 nur wirksam, soweit sie sich auf die Miete für den zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens laufenden Kalendermonat bezieht bzw. auch für den folgenden Kalendermonat, wenn die Eröffnung nach dem fünfzehnten Tag des Monats erfolgt ist, (§ 110 Abs. 1, Abs. 2 InsO).268) In der Folgezeit steht der Entstehung des Pfandrechts oder Pfändungspfandrechts § 91 InsO entgegen. g) Einlagehaftung GmbH aa) Grundlegendes Die Stammeinlage ist die Beteiligung eines Gesellschafters an dem Stamm- 562 kapital einer GmbH. Gemäß § 14 GmbHG besteht eine Einlagepflicht der Gesellschafter. Die Höhe der zu leistenden Einlage richtet sich nach dem bei der Errichtung der Gesellschaft im Gesellschaftsvertrag festgesetzten Nennbetrag des Geschäftsanteils. Das Stammkapital ist die den Gesellschaftsgläubigern zur Verfügung stehende Grundhaftungsmasse, da bei juristischen Personen keine natürliche Person uneingeschränkt unmittelbar für Gesellschaftsverbindlichkeiten haftet. ___________ 266) Vgl. BGH, Urt. v. 9.11.2006 – IX ZR 133/05, ZIP 2007, 35 (m. Bespr. Mitlehner, S. 804) = ZfIR 2007, 465 (m. Anm. Zipperer, S. 466) = ZInsO 2006, 1321; BGH, Beschl. v. 13.7.2006 – IX ZB 301/04, ZIP 2006, 1554 = ZVI 2006, 448 = ZfIR 2007, 206 (m. Anm. Eckert, S. 208) = ZInsO 2006, 872; BGH, Urt. v. 17.9.2009 – IX ZR 106/08, ZIP 2010, 38 = ZVI 2010, 58 = ZfIR 2010, 114 (LS) = ZInsO 2010, 43. 267) Vgl. BGH, Urt. v. 9.11.2006 – IX ZR 133/05, ZIP 2007, 35 (m. Bespr. Mitlehner, S. 804) = ZfIR 2007, 465 (m. Anm. Zipperer, S. 466) = ZInsO 2006, 1321; BGH, Beschl. v. 13.7.2006 – IX ZB 301/04, ZIP 2006, 1554 = ZVI 2006, 448 = ZfIR 2007, 206 (m. Anm. Eckert, S. 208) = ZInsO 2006, 872; BGH, Urt. v. 17.9.2009 – IX ZR 106/08, ZIP 2010, 38 = ZVI 2010, 58 = ZfIR 2010, 114 (LS) = ZInsO 2010, 43. 268) Vgl. BGH, Urt. v. 9.11.2006 – IX ZR 133/05, ZIP 2007, 35 (m. Bespr. Mitlehner, S. 804) = ZfIR 2007, 465 (m. Anm. Zipperer, S. 466) = ZInsO 2006, 1321; BGH, Beschl. v. 13.7.2006 – IX ZB 301/04, ZIP 2006, 1554 = ZVI 2006, 448 = ZfIR 2007, 206 (m. Anm. Eckert, S. 208) = ZInsO 2006, 872; BGH, Urt. v. 17.9.2009 – IX ZR 106/08, ZIP 2010, 38 = ZVI 2010, 58 = ZfIR 2010, 114 (LS) = ZInsO 2010, 43.

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C. Das eröffnete Insolvenzverfahren

Merke: Das Stammkapital einer GmbH muss mindestens 25.000 € betragen (§ 5 Abs. 1 GmbHG). Wird die Gesellschaft mit einem geringeren Stammkapital gegründet, handelt es sich um eine haftungsbeschränkte Unternehmergesellschaft (UG). Die Gesellschaft muss in dem Fall die Bezeichnung „Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt)“ oder „UG (haftungsbeschränkt)“ führen (§ 5a Abs. 1 GmbHG). Übersteigt das Stammkapital bei späteren Erhöhungen den Betrag von 25.000 €, kann die Firma beibehalten werden. 563 Bei der Gründung einer GmbH kann jeder Gesellschafter mehrere Geschäftsanteile übernehmen. Die Stammeinlage eines Gesellschafters ist die Summe der Nennbeträge seiner Geschäftsanteile. Die Summe aller Stammeinlagen ergibt das Stammkapital. Praxistipp: Die Höhe des Stammkapitals sowie die Nennbeträge der Geschäftsanteile der Gesellschafter ergeben sich aus dem Gesellschaftsvertrag (§ 3 Abs. 1 Nr. 3, 4 GmbHG). Das Stammkapital kann erhöht oder herabgesetzt werden. Hierzu bedarf es eines Gesellschafterbeschlusses, der Übernahme der zu leistenden Stammeinlage der Gesellschafter und der Eintragung ins Handelsregister.

564 Die Stammeinlage kann als Bareinlage, als (sofort zu leistende) Sacheinlage oder eine Mischform (Bar- und Sacheinlage) geleistet werden. Bevor nicht mindestens 25 % auf jeden Geschäftsanteil und insgesamt mindestens 50 % des Gesamtkapitals geleistet wurden, kann die Gesellschaft nicht zur Eintragung ins Handelsregister angemeldet werden (§ 7 Abs. 2 GmbHG). Praxistipp: Bei einer UG (haftungsbeschränkt) muss die Einlage sofort voll eingezahlt werden. Die Zahlung ist zwingende Voraussetzung für die Anmeldung zur Eintragung im Handelsregister (§ 5a Abs. 2 GmbHG). Sacheinlagen sind ausgeschlossen (§ 5a Abs. 2 Satz 2 GmbHG). Erreicht die UG bei einer späteren Kapitalerhöhung allerdings den Kapitalwert von 25.000 €, entfällt das Verbot der Sacheinlagenerbringung.269)

565 Die Einzahlungen auf die Geschäftsanteile sind nach dem Verhältnis der Geldeinlagen zu leisten (§ 19 Abs. 1 GmbHG). Von der Verpflichtung zur Leistung der Einlagen können die Gesellschafter nicht befreit werden (§ 19 Abs. 2 Satz 1 GmbHG). 566 Soweit die Einlage noch nicht geleistet wurde, bestimmt entweder der Gesellschaftsvertrag die Fälligkeit der noch zu zahlenden Resteinlage. Möglich

___________ 269) BGH, Urt. v. 19.4.2011 – II ZB 25/10, ZIP 2011, 955, dazu EWiR 2011, 349 (Berninger).

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VI. Ausgewählte Verwertungsfragen

ist auch, die Fälligkeit der Forderung erst durch einen späteren Gesellschafterbeschluss herbeizuführen (§ 46 Ziff. 2 GmbHG). Werden Gesellschaftsanteile übertragen, haftet der frühere Gesellschafter als 567 Rechtsvorgänger gemäß § 22 Abs. 1 GmbHG nach der Einziehung des Geschäftsanteils.270) Die Haftung des Rechtsvorgängers ist gemäß § 22 Abs. 3 GmbHG auf die Einlageforderung beschränkt, die innerhalb einer Frist von fünf Jahren seit dem Zeitpunkt, ab dem der Rechtsnachfolger im Verhältnis zur Gesellschaft als Inhaber des Geschäftsanteils gilt, eingefordert worden ist. Maßgeblich ist dabei die Einforderung gegenüber dem Rechtsnachfolger. Die Frist beginnt mit dem Tag, ab welchem der Rechtsnachfolger im Verhältnis zur Gesellschaft als Inhaber des Geschäftsanteils gilt (§ 22 Abs. 3 Satz 2 GmbHG). In aller Regel wird die Einlage auf das Geschäftskonto der GmbH eingezahlt/ 568 überwiesen. Damit stehen die Gelder der Gesellschaft zur Verwendung zur Verfügung. Die Mittel dürfen innerhalb der Grenzen der ordnungsgemäßen Kapitalerhaltung (vgl. §§ 30 ff. GmbHG, ĺ Rn. 598 ff.) auch verwendet werden (z. B. für Mietzahlungen, Lohn- und Gehaltszahlungen etc.271)). Wurde vor der Gründung der GmbH eine Zahlung auf ein Konto geleistet, 569 ist diese schuldbefreiend, da es noch kein Konto der Vor-GmbH geben kann.272) Soweit der Habensaldo später in die gegründete Gesellschaft eingebracht wird, ist dies eine Sacheinlage.273) Sollen Sacheinlagen geleistet werden, so müssen der Gegenstand der Sacheinlage und der Nennbetrag des Geschäftsanteils, auf den sich die Sacheinlage bezieht, jedoch ausdrücklich im Gesellschaftsvertrag festgesetzt werden (§ 5 Abs. 4 Satz 1 GmbHG). Wird der Habensaldo eingebracht und ist im Gesellschaftsvertrag eine Geldeinlage vereinbart, kann dies zugunsten des Gesellschafters als verdeckte Sacheinlage gewertet werden (§ 19 Abs. 4 GmbHG). § 19 Abs. 4 GmbHG Ist eine Geldeinlage eines Gesellschafters bei wirtschaftlicher Betrachtung und aufgrund einer im Zusammenhang mit der Übernahme der Geldeinlage getroffenen Abrede vollständig oder teilweise als Sacheinlage zu bewerten (verdeckte Sacheinlage), so befreit dies den Gesellschafter nicht von seiner Einlageverpflichtung. Jedoch sind die Verträge über die Sacheinlage und die Rechtshandlungen zu ihrer Ausführung nicht unwirksam. Auf die fortbestehende Geldeinlagepflicht des Gesellschafters wird der Wert des Vermögensgegenstandes im Zeitpunkt der Anmeldung der Gesellschaft zur Eintragung in das Handelsregister oder im Zeitpunkt seiner Überlassung an die Gesellschaft, falls diese später erfolgt, angerechnet. Die Anrechnung erfolgt nicht vor Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister. Die Beweislast für die Werthaltigkeit des Vermögensgegenstandes trägt der Gesellschafter.

___________ 270) 271) 272) 273)

LG Osnabrück, Urt. v. 30.4.2010 – 15 O 420/12, ZInsO2010, 1846. Hierzu Priebe, InsbürO 2013, 261. Bauer, ZInsO 2011, 1273 (1274). Bauer, ZInsO 2011, 1273 (1274).

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C. Das eröffnete Insolvenzverfahren

570 Die Einbringung der Sacheinlage befreit den Gesellschafter demnach grundsätzlich nicht von der Erbringung der (Geld)Einlageschuld, kann jedoch nach Eintragung ins Handelsregister auf die Schuld angerechnet werden. Exkurs: Praktische Beispiele für eine verdeckte Sacheinlage i. S. v. § 19 Abs. 4 GmbHG (Rechtsprechung): x Bezahlung von Warenlieferungen;274) x Erfüllung einer Geldeinlageverpflichtung i. R. e. Kapitalerhöhung durch Forderungsverzicht;275) x Tilgung einer Forderung im Zeitraum von weniger als einer Woche nach Einzahlung der Bareinlage zur Vermeidung einer förmlichen Auf- oder Verrechnung.276)

571 Nur unter engen Voraussetzungen wird eine Voreinzahlung im Rahmen einer Kapitalerhöhung in Sanierungsfällen ausnahmsweise als wirksame Einlagenerbringung anerkannt.277) Dies setzt voraus, dass sich der Betrag im Zeitpunkt der Entstehung der Einlageverpflichtung noch im Vermögen der Gesellschaft befindet (also keine Zahlung auf debitorisches Konto), die Zahlung in einem akuten Sanierungsfall mit Sanierungswillen zur Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit geleistet wurde, die Gesellschaft nach pflichtgemäßer Einschätzung eines objektiven Dritten aus der ex-ante-Sicht sanierungsfähig und die Voreinzahlung objektiv auch zur Sanierung geeignet ist, andere Maßnahmen nicht zielführend sind und die Beschlussfassung über die Kapitalerhöhung und die Übernahme der Einlage zum Zahlungszeitpunkt bereits in die Wege geleitet war und zeitnah nachgeholt wird.278) Praxistipp: Unterbilanzhaftung bei der Vor-GmbH In der Gründungsphase einer GmbH ist eine erweiterte (Innen-)Haftung der Gesellschafter anzunehmen. Bei der rechtlichen Gründung einer GmbH haften die Gesellschafter der vor der Eintragung ins Handelsregister bestehenden VorGmbH für Gesellschaftsverbindlichkeiten der Höhe nach unbeschränkt.279) Nach dem vom II. Senat entwickelten Haftungsmodell besteht eine Verlustdeckungshaftung und einer an die Eintragung geknüpften Unterbilanzhaftung.280) Kommt es zur Eintragung, haften die Gesellschafter für die Verbindlichkeiten aus der mit ihrer Zustimmung vor der Eintragung aufgenommenen

___________ 274) OLG Köln, Urt. v. 2.2.1999 – 22 U 116/98, ZIP 1999, 399. 275) BGH, Urt. v. 18.2.1991 – II ZR 104/90, ZIP 1991, 511 (m. Bespr. Crezelius, S. 499 u. Sernetz, ZIP 1993, 1685) = ZBB 1991, 168 (m. Bespr. Rümker, S. 176), dazu EWiR 1991, 1213 (Frey). 276) OLG Celle, Urt. v. 28.5.2003 – 9 U 5/03, ZInsO 2004, 93. 277) BGH, Urt. v. 15.3.2004 – II ZR 210/01, ZIP 2004, 849, dazu EWiR 2004, 851 (Priester). 278) Hierzu ausführlich Bauer, ZInsO 2011, 1273. 279) BGH, Urt. v. 6.3.2012 – II ZR 56/10, ZIP 2012, 817 (m. Bespr. Ulmer, S. 1265), dazu EWiR 2012, 347 (Bayer). 280) BGH, Urt. v. 27.1.1997 – II ZR 123/94, ZIP 1997, 679, dazu EWiR 1997, 463 (Fleischer).

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VI. Ausgewählte Verwertungsfragen Geschäftstätigkeit für die Differenz zwischen dem Stammkapital abzüglich des satzungsmäßig festgelegten Gründungsaufwands und dem Wert des Gesellschaftsvermögens im Zeitpunkt der Eintragung.281) Im Fall der Nichteintragung der GmbH haften die Gesellschafter unbeschränkt für die durch das Gesellschaftsvermögen nicht gedeckten Verluste, wobei es im Gegensatz zur Unterbilanzhaftung keiner Auffüllung des Stammkapitals bedarf.282)

Bei Einzahlungen auf ein debitorisch geführtes Konto ist Vorsicht geboten. 572 Die Zahlung wirkt in diesen Fällen nicht schuldbefreiend, wenn z. Zt. der Zahlung eine Kontensperre eingerichtet ist,283) die Bank das Guthaben nach einer Kreditkündigung/Kontoüberziehung unverzüglich verrechnen kann284) oder nach der Einzahlung keine neuen Verfügungen zulässt und damit die Überweisung nur der Schuldentilgung dient, ohne der Gesellschaft ein neues Kreditvolumen zu erschließen285) bzw. das Kreditinstitut der Gesellschaft mit Rücksicht auf eine Kapitalerhöhung auf einem anderen Konto keinen Kredit zur Verfügung stellt, der den Einlagenbetrag erreichen oder übersteigen könnte.286) In der Praxis kommt es nicht selten vor, dass die Stammeinlage eingezahlt wird, 573 um sodann unmittelbar anschließend wieder an den Gesellschafter – meist in Form eines Darlehens – zurückzufließen („Hin- und Herzahlen“). Ob die Stammeinlage in diesen Fällen wirksam erbracht ist, richtet sich seit Inkrafttreten des MoMiG287) nach § 19 Abs. 5 GmbHG. In den Verfahren, die ab dem 1.1.2008 eröffnet wurden (vgl. Art. 103d InsO) ist die Einlagenleistung auch beim sog. Hin- und Herzahlen dann wirksam erbracht, wenn dieser ein vollwertiger, jederzeit fälliger oder durch fristlose Kündigung der sofortigen Fälligkeit zugänglicher Rückgewähranspruch gegenübersteht. Praxistipp: Wissen Den zur Einlageleistung Verpflichteten bezeichnet man als Inferent.

Die bis zum 1.11.2008 eröffneten Insolvenzverfahren sind nach „altem Recht“ 574 zu beurteilen (vgl. Art. 103d EGInsO): Eine Tilgung der Einlageschuld tritt dann nicht ein, wenn der Gesellschafter zwar den festgelegten Geschäftsanteil einzahle, dieser Betrag aber absprachegemäß umgehend als Darlehen an ihn oder an ein mit ihm verbundenes Unternehmen zurückerstattet werde.288) Auch die dem Inferenten im Zusammenhang mit einer Kapitalerhöhung als ___________ 281) BGH, Urt. v. 6.3.2012 – II ZR 56/10, ZIP 2012, 817 Rn. 15 m. w. N. (m. Bespr. Ulmer, S. 1265). 282) BGH, Urt. v. 27.1.1997 – II ZR 123/94, ZIP 1997, 679. 283) BGH, Urt. v. 2.4.1962 – II ZR 169/61, DB 1962, 800. 284) BGH, Urt. v. 3.12.1990 – II ZR 215/89, ZIP 1991, 445. 285) OLG Hamm, Urt. v. 14.1.2004 – 8 U 32/03), ZInsO 2005, 442 = ZIP 2004, 1427, dazu EWiR 2005, 23 (Höpfner). 286) BGH, Urt. v. 18.3.2002 – II ZR 363/00, ZIP 2002, 799. 287) Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen v. 23.10.2008, BGBl. I, 2026. 288) BGH, Urt. v. 2.12.2002 – II ZR 101/02, ZIP 2003, 211, dazu EWiR 2003, 223 (Blöse).

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C. Das eröffnete Insolvenzverfahren

„Darlehen“ oder in sonstiger Weise überlassenen Gesellschaftsmittel stehen wirtschaftlich einer verbotenen Befreiung von der Einlageschuld i. S. v § 19 Abs. 2 GmbHG gleich.289) In einem solchen Fall der sog. verdeckten Finanzierung leistet der Inferent bei dem „Her- und Hinzahlen“ (nicht anders als in der spiegelbildlichen Konstellation des sog. Hin- und Herzahlens) unter dem Gesichtspunkt der Kapitalaufbringung nichts; die im Zusammenhang mit der „Herzahlung“ getroffene „Darlehensabrede“ ist unwirksam.290) Erst mit einer späteren Zahlung auf die vermeintliche „Darlehensschuld“ erfüllt der Inferent die offene Einlageverbindlichkeit.291) Keine Zusammenhangsvermutung bestand mehr bei einem Zeitabstand von mehr als acht Monaten zwischen Ein- und Auszahlung.292) bb) Prüfungsumfang des Insolvenzverwalters 575 Gemäß § 46 Ziff. 2 GmbHG unterliegt die Einforderung der Stammeinlagen der Bestimmung der Gesellschafter. Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht diese Kompetenz auf den Insolvenzverwalter über; eines Gesellschafterbeschlusses bedarf es dann nicht mehr.293) Der Insolvenzverwalter hat demnach zunächst zu ermitteln, welche ausstehenden Einlagen bei dem/den Gesellschafter/n noch einzufordern sind. Praxistipp: Prüfungsansatz x Sichtung und Auswertung des Gesellschaftervertrages sowie sämtlicher Gesellschafterbeschlüsse (lückenlose Vorlage erforderlich!). x Auflistung aller Gesellschafter seit Gründung der Gesellschaft (Liste vom Geschäftsführer erstellen lassen und diese prüfen oder anhand eigener Auswertungen des Vertragswerkes sowie der Gesellschafterbeschlüsse erstellen!).

576 In dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH tragen die Gesellschafter die Beweislast für die wirksame Erbringung der Stammeinlage.294) Kann der betreffende Gesellschafter den Nachweis nicht (mehr) erbringen bzw. ist die Stammeinlage nicht erbracht, kann der Insolvenzverwalter den Anspruch auf Einlagenleistung (§ 19 GmbHG) erforderlichenfalls gerichtlich geltend machen. 577 Doch wie wird die wirksame Erbringung der Stammeinlage nachgewiesen und vom Insolvenzverwalter geprüft?

___________ 289) 290) 291) 292) 293) 294)

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BGH, Urt. v. 12.6.2006 – II ZR 334/04, ZIP 2006, 1633. BGH, Urt. v. 12.6.2006 – II ZR 334/04, ZIP 2006, 1633. BGH, Urt. v. 12.6.2006 – II ZR 334/04, ZIP 2006, 1633. Bauer, ZInsO 2011, 1273 m. w. N. BGH, Urt. v. 15.10.2007 – II ZR 216/06, ZIP 2007, 2416. OLG Jena, Urt. v. 14.8.2009 – 6 U 833/08, ZIP 2009, 1759, dazu EWiR 2009, 771 (Möller); OLG Brandenburg, Urt. v. 5.4.2006 – 4 U 156/05, ZIP 2006, 1343.

VI. Ausgewählte Verwertungsfragen

Der II. Senat hat die grundsätzliche Darlegungs- und Beweislast des Gesellschafters bejaht, den Nachweis aufgrund einer tatrichterlichen Würdigung der Gesamtbeurteilung unstreitiger oder erwiesener Indiztatsachen als geführt anzusehen, wenn nicht gegenteilige Indizien durch den Insolvenzverwalter dargelegt oder ersichtlich seien oder der Verwalter nicht seinerseits Gegenbeweis anbiete.295) Ausreichend sei daher, wenn der Gesellschafter mehrere Umstände ("Indizienkette") darlegt, die den Schluss auf die Erfüllung der Stammeinlagenverpflichtung zuließen. Es empfiehlt sich, entsprechend dieser Grundsätze auch in der Praxis vorzugehen: Kann der Gesellschafter anhand von mehreren Indizien belegen, dass die Stammeinlage erbracht ist und ergeben sich i. Ü. keine gegenteiligen Anhaltspunkte, ist von der wirksamen Erbringung der Einlagenleistung auszugehen. Ein Indiz für sich allein dürfte dagegen nicht ausreichen. Für die Praxis können die nachfolgenden Indizien die Stammeinlageleistung 578 belegen: x

Die Vorlage von Jahresabschlüssen und Bilanzen, die die Stammeinlagen als vollständig erbracht ausweisen, genügt für eine substantiierte Darlegung alleine nicht, wenn sie nicht erkennen lassen, ob und in welcher Art und Weise sich die mit der Erstellung befassten Wirtschaftsprüfer bzw. Steuerberater von der tatsächlichen Erbringung der Stammeinlagen überzeugt haben.296) Ergibt sich die Einzahlung des Stammkapitals aus dem Jahresabschluss, der mit einem Prüfvermerk des Steuerberaters „aufgestellt anhand der vorgelegten Buch- und Inventurunterlagen“ versehen ist, muss der Steuerberater als Zeuge gehört werden, wurde er als solcher benannt.297)

x

Bei Insolvenzeröffnung ab dem 1.11.2008 (infolge MoMiG) ist die strafbewehrte Versicherung gemäß § 8 Abs. 2 Satz 1 GmbHG ausreichend (§ 82 Abs. 1 Nr. 1 GmbHG); Beibringung von Nachweisen nur noch bei erheblichen Zweifeln an der Richtigkeit der Versicherung; bei Verfahrenseröffnung vor dem 1.11.2008 können zusätzlich auch Einzahlungsbelege gefordert werden.

x

Zeugenaussagen298)

x

Kassenquittungen, die den Empfang bestätigen reichen für sich genommen regelmäßig nicht aus; rein deklaratorisch und ohne Beweiskraft dafür, dass tatsächlich eingezahlt wurde.

___________ 295) BGH, Beschl. v. 9.7.2007 – II ZR 222/06, ZIP 2007, 1755, dazu EWiR 2007, 687 (Wagner). 296) OLG Jena, Urt. v. 9.4.2013 – 2 U 905/12, ZIP 2013, 1378, dazu EWiR 2013, 651 (Möller), zugleich Bestätigung von OLG Jena, Urt. v. 14.8.2009 – 6 U 833/08, ZIP 2009, 1759. 297) BGH, Urt. v. 13.9.2004 – II ZR 137/02, ZIP 2005, 28. 298) OLG Zweibrücken, Urt. v. 6.10.2005 – 4 U 273/04, DB 2006, 206.

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C. Das eröffnete Insolvenzverfahren

x

Einzahlungsbelege ohne Zweckbestimmung sind ausreichend, wenn aus der objektiven Sicht des Geschäftsführers die Zahlung unzweideutig als Zahlung auf die Einlagenschuld zugeordnet werden kann.299)

cc) Kaduzierung 579 Überträgt ein Gesellschafter seinen Anteil an einen Dritten mit dem Ziel, seiner Einlagepflicht zu entgehen, kann der Anteilserwerber zwangsweise aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden. Kaduzierung bedeutet demnach den Ausschluss eines Gesellschafters einer GmbH (oder einer AG; vgl. hierzu §§ 63 ff. AktG), der mit seinen Einlagenleistungen im Verzug ist. Der Gesellschafter wird zwangsweise ausgeschlossen und hat keinen Anspruch auf Ersatz bereits gezahlter Einlagenleistungen. Hinsichtlich der noch nicht erbrachten Einlage besteht die Haftung fort. Nach dem Ausschluss des „neuen“ Gesellschafters kann der „alte“ Gesellschafter auf die fehlende Einlageleistung in Anspruch genommen werden. 580 Kann dieser ebenfalls nicht leisten, besteht die Möglichkeit, den Anteil durch öffentliche Versteigerung zu verwerten (§§ 22, 23 GmbHG). Zudem besteht eine hilfsweise Haftung (Ausfallhaftung) des ausgeschlossenen Gesellschafters (§ 21 Abs. 3 GmbHG) sowie der Mitgesellschafter (§ 24 GmbHG). 581 Das Kaduzierungsverfahren bedarf zunächst der Fälligstellung der Einlagenleistungen gegenüber dem „neuen“ Gesellschafter durch ein einfaches Aufforderungsschreiben des Insolvenzverwalters. Bei Nichtleistung folgt eine erneute Zahlungsaufforderung zur Zahlung unter Androhung des Ausschlusses unter einer Nachfristsetzung von einem Monat (Einschreiben, § 21 Abs. 1 Satz 1 GmbHG). Nach fruchtlosem Fristablauf kann der Gesellschafter ausgeschlossen werden (Kaduzierung mittels Einschreiben, § 21 Abs. 2 Satz 2 GmbHG). Nach erfolgreicher Kaduzierung kann der „alte“ Gesellschafter ebenfalls in Anspruch genommen werden. dd) Verjährung 582 Der Anspruch der Gesellschaft auf Leistung der Einlagen verjährt in zehn Jahren von seiner Entstehung an (§ 19 Abs. 6 Satz 1 GmbHG). 583 Bis zum 31.12.2001 trat Verjährung nach Ablauf der seinerzeit regelmäßigen Verjährungsfrist von 30 Jahren ein (§ 195 BGB a. F.). Mit Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes am 1.1.2002 verkürzte sich die regelmäßige Verjährungsfrist gemäß § 195 BGB auf drei Jahre. Die 3-jährige Verjährungsfrist findet jedoch nach feststehender Rechtsprechung keine Anwen-

___________ 299) BGH, Urt. v. 22.6.1992 – II ZR 30/91, ZIP 1992, 1303 = NJW 1992, 2698, dazu EWiR 1992, 997 (Fleck), OLG Köln, Urt. v. 17.5.2001 – 18 U 17/01, ZIP 2001, 1243, dazu EWiR 2001, 1093 (von Gerkan).

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VI. Ausgewählte Verwertungsfragen

dung.300) Die 10-jährige Verjährungsfrist ist in allen Fällen ab dem 1.1.2002 gültig.301) Führt diese zu einer Verlängerung der Verjährung um mehr als 30 Jahre, gilt die alte 30-jährige Verjährungsfrist; führt sie hingegen zu einer kürzeren Verjährungsfrist, gilt die neue 10-jährige Verjährungsfrist nach § 19 Abs. 6 GmbHG.302) Wird das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft eröffnet, 584 so tritt die Verjährung nicht vor Ablauf von sechs Monaten ab Insolvenzeröffnung ein (§ 16 Abs. 6 Satz 2 GmbHG). h) Einlagehaftung AG Der Mindestnennbetrag des Grundkapitals einer AG beträgt 50.000 € (§ 7 585 AktG). Mit der Übernahme aller Aktien durch die Gründer (§ 28 AktG) ist die Gesellschaft errichtet (§ 29 AktG). Bis zur Eintragung müssen Bareinlagen mindestens 25 % des geringsten Aus- 586 gabebetrags und bei Ausgabe der Aktien für einen höheren als diesen auch den Mehrbetrag umfassen (§ 36a Abs. 1 AktG). Sacheinlagen sind vollständig zu leisten (§ 36a Abs. 2 AktG). Die Fälligkeit der Einlagen i. Ü. wird in der Satzung festgelegt. Die Pflicht der Einlagenleistung der Aktionäre ergibt sich aus § 54 AktG. 587 Die Leistungspflicht wird durch den Ausgabebetrag der Aktien begrenzt (§ 54 Abs. 1 AktG). Haben Aktionäre ihre Einlage nicht ordnungsgemäß geleistet, ist der Insolvenzverwalter berechtigt, diese Ansprüche geltend zu machen.303) Auch im Aktiengesellschaftsrecht besteht die Möglichkeit der Kaduzierung 588 (vgl. § 64 AktG, zum Verfahren ĺ Rn. 579). Unter den Voraussetzungen des § 65 AktG besteht eine Leistungspflicht des vormaligen Gesellschafters (Vormann). Der Anspruch der Gesellschaft auf Leistung der Einlagen verjährt in zehn 589 Jahren von seiner Entstehung an (§ 54 Abs. 4 Satz 1 AktG). Wird das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft eröffnet, 590 so tritt die Verjährung nicht vor Ablauf von sechs Monaten ab dem Zeitpunkt der Eröffnung ein (§ 54 Abs. 4 Satz 2 AktG). ___________ 300) BGH, Urt. v. 11.2.2008 – II ZR 171/06, ZIP 2008, 643, dazu EWiR 2008, 247 (Hauptmann); BGH, Beschl. v. 2.6.2008 – II ZA 1/07, ZIP 2008, 1379. 301) BGH, Urt. v. 11.2.2008 – II ZR 171/06, ZIP 2008, 643; BGH, Beschl. v. 2.6.2008 – II ZA 1/07, ZIP 2008, 1379. 302) BGH, Urt. v. 11.2.2008 – II ZR 171/06, ZIP 2008, 643; BGH, Beschl. v. 2.6.2008 – II ZA 1/07, ZIP 2008, 1379. 303) OLG Düsseldorf, Urt. v. 15.11.1990 – 6 U 175/89, ZIP 1991, 161, dazu EWiR 1991, 105 (Joost).

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C. Das eröffnete Insolvenzverfahren

i) Einlagehaftung Genossenschaft 591 Bei der Genossenschaft existiert kein gesetzlich festgeschriebener Mindestkapitalbetrag. Die Genossen sind verpflichtet, 10 % des übernommenen Geschäftsanteils einzuzahlen (§ 7 Nr. 1 GenG). 592 Im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Genossenschaft besteht gemäß §§ 105 ff. GenG eine Nachschusspflicht der Genossen. Ob überhaupt bzw. in welcher Höhe eine solche Nachschusspflicht besteht, ergibt sich als zwingender Inhalt aus der Satzung (§ 6 Nr. 3 GenG). Zulässig ist die Festlegung einer unbeschränkten, auf eine bestimmte Haftsumme beschränkten oder der gänzliche Ausschluss einer Nachschusspflicht. Wurde eine Nachschusspflicht festgelegt, entsteht der Anspruch mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens und ist vom Insolvenzverwalter geltend zu machen.304) Unverzüglich nach der Niederlegung der Vermögensübersicht (§ 153 InsO) ist der Insolvenzverwalter gehalten, von den Genossen Vorschüsse anzufordern (§ 106 GenG). j) Einlagenhaftung Kommanditgesellschaft 593 Der Kommanditist einer KG haftet den Gläubigern der Kommanditgesellschaft gegenüber persönlich mit seinem gesamten Vermögen, betragsmäßig jedoch aber beschränkt auf die Höhe der vereinbarten Einlagenleistung (§ 171 Abs. 1 HGB). Soweit er die Einlage geleistet hat, wird er von der Haftung frei (§ 171 Abs. 1 Halbs. 2 HGB). 594 Die Einlage kann als Bar- oder Sacheinlage vereinbart und erbracht werden; Letzte ist unmittelbar vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der KG nur mit dem Wert ihres Verwertungserlöses anzusetzen.305) 595 Nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen der KG ist der Insolvenzverwalter gemäß § 171 Abs. 2 HGB berechtigt und verpflichtet, die Einlagenhaftungsansprüche gegen die Kommanditisten geltend zu machen.306) 596 Soweit die Einlage zurückgezahlt wurde, lebt die Haftung gegenüber den Gläubigern (bis zur Höhe der Gesamthaftsumme) wieder auf (§ 172 Abs. 4 InsO). Ist die KG noch nicht im Handelsregister eingetragen, haftet der Kommanditist in unbeschränkter Höhe (vgl. § 176 Abs. 1 HGB; der Insolvenzverwalter ist befugt, die Haftung für bis dahin begründete Verbindlichkeiten für die Altgläubiger durchzusetzen (Sondermasse gemäß § 93 InsO).307) ___________ 304) BGH, Urt. v. 3.2.1964 – II ZB 6/63, BGHZ 41, 71, 78; Urt. v. 13.10.2008 – II ZR 229/07, ZIP 2008, 2261. 305) BGH, Urt. v. 9.5.1963 – II ZR 124/61, NJW 1963, 1873. 306) BGH, Urt. v. 13.7.1977 – VIII ZR 243/75, WM 1977, 1169; siehe zum Meinungsstreit im Hinblick auf § 93 InsO ausführlich KPB/Lüke, InsO, § 93 Rn. 119 ff. (Stand 2.2014). 307) KPB/Lüke InsO, § 93 Rn. 120 ff. (Stand 2.2014).

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VI. Ausgewählte Verwertungsfragen

Eine Aufrechnung des Kommanditisten mit einem Erstattungsanspruch wegen 597 der Inanspruchnahme als Mitschuldner oder Bürge durch einen Gläubiger der Kommanditgesellschaft ist nach Insolvenzeröffnung wegen § 95 Abs. 1 Satz 3 InsO unzulässig. k) Ansprüche gegen Gesellschafter aa) Verstoß gegen den Kapitalerhaltungsgrundsatz (§§ 30, 31 Abs. 1 GmbHG) Das zur Erhaltung des Stammkapitals erforderliche Vermögen darf nicht an 598 den Gesellschafter ausgezahlt werden (Kapitalerhaltungsgrundsatz, § 30 Abs. 1 Satz 1 GmbHG). Bei einem Verstoß gegen das Ausschüttungsverbot besteht ein Erstattungsanspruch gegen den Gesellschafter gemäß §§ 31 Abs. 1, 30 Abs. 1 Satz 1 GmbHG. Für den Fall, dass dieser Anspruch von dem Empfänger nicht zu erlangen ist, haften für den zu erstattenden Betrag, soweit er zur Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger erforderlich ist, die übrigen Gesellschafter solidarisch nach dem Verhältnis ihrer Geschäftsanteile (§ 31 Abs. 3 GmbHG, vgl. zur Haftung des Geschäftsführers ĺ Rn. 622 ff.). Die Haftung besteht nicht nur im Fall von Geldabflüssen sondern betrifft 599 Vermögensabflüsse aller Art, die das Gesellschaftsvermögen schmälern. Die Bewertung folgt einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise.308) Die Haftung begründen z. B.:

600

x

die Weggabe eines Vermögensgegenstands,309)

x

Gehaltszahlungen an den Gesellschafter-Geschäftsführer bei Vorliegen einer Unterbilanz, wenn die Gehaltshöhe einem Fremdvergleich nicht standhält,310)

x

die kostenlose oder zu preisgünstige Überlassung von Nutzungen oder die Erbringung von Werkleistungen, sofern das Geschäft nicht aus betrieblichen Gründen gerechtfertigt ist und einem Fremdvergleich nicht standhält;311)

x

die Erbringung von Leistungen zu nicht marktüblichen Preisen.312)

Beschließt der Alleingesellschafter einer GmbH einen festgestellten Gewinn 601 auf neue Rechnung vorzutragen, kann der aus einem später gefassten, auf Ausschüttung des Gewinnvortrags gerichteten Gewinnverwendungsbeschluss folgende Zahlungsanspruch eine wirtschaftlich einem Darlehen entsprechende Forderung darstellen.313) Eine Behandlung als wirtschaftlich einem Darlehen ___________ 308) 309) 310) 311) 312) 313)

OLG Dresden, Urt. v. 6.6.2002 – 7 U 2325/01, GmbHR 2003, 356. BGH, Urt. v. 17.3.2008 – II ZR 24/07, ZIP 2008, 922, dazu EWiR 2008, 495 (Westermann). Bauer, ZInsO 2011, 1335. OLG Hamburg, Beschl. v. 31.8.2005 – 11 U 55/04, ZIP 2005, 1968. BGH, Urt. v. 15.10.2007 – II ZR 243/06, ZIP 2007, 2364 (LS). BGH, Urt. v. 22.7.2021 – IX ZR 195/20, ZIP 2021, 1822.

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C. Das eröffnete Insolvenzverfahren

entsprechende Forderung scheidet aus, wenn bereits zum Zeitpunkt des ersten, auf einen Vortrag des Gewinns auf neue Rechnung gerichteten Gesellschafterbeschlusses eine Gewinnausschüttung nicht vorgenommen werden durfte, weil und soweit die Auszahlung zu diesem Zeitpunkt eine Unterbilanz herbeigeführt oder vertieft hätte. 602 Die Erstattungsansprüche gegen den Gesellschafter nach § 31 Abs. 1 GmbHG verjähren in zehn Jahren. Gemäß § 31 Abs. 5 Satz 3 GmbHG i. V. m. § 19 Abs. 6 Satz 2 GmbHG besteht bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine besondere Ablaufhemmung von sechs Monaten. 603 Der Ausfallanspruch gegen die Mitgesellschafter (§ 31 Abs. 3 GmbHG) verjährt in fünf Jahren. 604 Die Verjährungsfrist beginnt gemäß § 31 Abs. 5 Satz 2 mit Ablauf des Tages, an welchem die verbotswidrige Auszahlung geleistet wird. bb) Haftung der Aktionäre (§§ 57, 62 AktG) 605 Im Aktiengesellschaftsrecht besteht gemäß § 57 AktG der Grundsatz der Vermögensbindung, der durch seine Bindung des gesamten Gesellschaftsvermögens über eine bloße Kapitalerhaltung (wie bei der GmbH) hinausgeht.314) 606 § 57 Abs. 1 Satz 1 AktG beschreibt das Verbot der Einlagenrückgewähr. Damit ist über den Wortlaut hinaus jede Beeinträchtigung des Gesellschaftsvermögens wertmäßiger Art zu verstehen.315) Das Verbot erfasst nicht die Leistungen, denen eine vollwertige Gegenleistungs- oder ein ebensolcher Rückgewähranspruch gegen den Aktionär gegenübersteht.316) Soweit ein Verstoß gegen § 57 AktG vorliegt, ist der daraus resultierende Rückgewähranspruch nach der speziellen Bestimmung des § 62 AktG gegen den Aktionär geltend zu machen. Insoweit besteht ein Gleichlauf mit dem GmbH-Recht.317) 607 Beispiele für die Aktionärshaftung: x

Darlehensgewährung an den Aktionär ohne vollwertigen Rückzahlungsanspruch.

x

Rückzahlung eines noch nicht fälligen Darlehens durch die AG, wodurch der bürgende Aktionär vorzeitig von seiner Bürgenhaftung befreit wird.318)

x

Übernahme von Bauleistungen zu offenkundig nicht kostendeckenden Preisen.319)

___________ 314) 315) 316) 317) 318) 319)

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BGH, Urt. v. 12.3.2013 – II ZR 179/12, ZIP 2013, 819. Schwerdtfeger/Paschke/Politis, § 57 AktG Rn. 6. Schwerdtfeger/Paschke/Politis, § 57 AktG Rn. 26. BGH, Urt. v. 12.3.2013 – II ZR 179/12, ZIP 2013, 819. KG, Urt. v. 24.7.1998 – 14 U 2121/97, NZG 1999, 161. BGH, Urt. v. 1.12.1986 – II ZR 306/85, ZIP 1987, 575 = NJW 1987, 1194, dazu EWiR 1987, 255 (Westermann).

VI. Ausgewählte Verwertungsfragen

Die Ansprüche nach diesen Vorschriften verjähren in zehn Jahren seit dem 608 Empfang der Leistung. cc) Existenzvernichtungshaftung (§ 826 BGB Schadensersatz wegen eines existenzvernichtenden Eingriffs) Die Haftung für Gesellschaftsverbindlichkeiten ist bei Kapitalgesellschaften 609 grundsätzlich auf das Gesellschaftsvermögen beschränkt; die Haftung vom Gesellschaftsvermögen und vom Vermögen der Gesellschafter ist getrennt. Liegen hingegen missbräuchliche, zur Insolvenz der GmbH führende oder diese vertiefende kompensationslose Eingriffe in das der Zweckbindung zur vorrangigen Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger dienende Gesellschaftsvermögen der Gesellschafter vor, sind die Gesellschafter hierfür haftbar zu machen.320) Die Existenzvernichtungshaftung verlängert damit das Schutzsystem der §§ 30, 31 GmbHG auf der Ebene des Deliktrechts.321) Die Gesellschaft darf nicht durch Eingriffe eines oder mehrerer Gesellschafter(s) in die Lage versetzt werden, ihre Verbindlichkeiten nicht mehr bedienen zu können. Daher sind missbräuchliche, zur Insolvenzreife der Gesellschaft führende oder diese vertiefende kompensationslose Eingriffe des Gesellschafters in das zur vorrangigen Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger zweckgebundene Gesellschaftsvermögen und die damit einhergehende fehlende Rücksichtnahme des Gesellschafters auf die Zweckbindung des Gesellschaftsvermögens zu sanktionieren.322) Der BGH nimmt eine Existenzvernichtung an, „wenn der Gesellschafter auf die Zweckbindung des Gesellschaftsvermögens keine angemessene Rücksicht nimmt, indem er der Gesellschaft durch offene oder verdeckte Entnahmen ohne angemessenen Ausgleich Vermögenswerte entzieht, die sie zur Erfüllung ihrer Verbindlichkeiten benötigt, und sie dadurch in die Insolvenz führt oder eine bereits bestehende Insolvenz vertieft.“323) Voraussetzung für einen begründeten Schadensersatzanspruch (§ 826 BGB) 610 ist das Vorliegen eines Schadens. Zudem muss zwischen dem Eingriff des Gesellschafters und dem Ausfall des Gläubigers Kausalität bestehen. Kausalität liegt vor, wenn der Eingriff den Gläubigerausfall vergrößert oder die Überschuldung vertieft.324) Die Haftung definiert sich mit dem BGH als eine Innenhaftung gegenüber der Gesellschaft i. S. d. § 826 BGB.325) Im Insolvenz-

___________ 320) Siehe hierzu „Trihotel-Urteil“, BGH, Urt. v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, ZIP 2007, 1552 (m. Bespr. Weller, S. 1681), dazu EWiR 2007, 557 (Wilhelm). 321) BGH, Urt. v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, ZIP 2007, 1552 (m. Bespr. Weller, S. 1681). 322) BGH, Urt. v. 13.1.2005 – IX ZR 457/00, ZIP 2005, 585; BGH, Urt. v. 7.1.2008 – II ZR 314/05, ZIP 2008, 308; BGH, Urt. v. 28.4.2008 – II ZR 264/06, ZIP 2008, 1232. 323) Zuletzt BGH, Urt. v. 21.2.2013 – IX ZR 52/10, ZIP 2013, 894, dazu EWiR 2013, 555 (Hölzle). 324) OLG Jena, Urt. v. 18.4.2007 – 6 U 734/06, ZIP 2007, 1758. 325) BGH, Urt. v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, ZIP 2007, 1552 (m. Bespr. Weller, S. 1681).

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C. Das eröffnete Insolvenzverfahren

verfahren ist sie daher vom Insolvenzverwalter ob seiner Stellung als solcher (§ 80 Abs. 1 InsO) geltend zu machen.326) 611 Die Existenzvernichtungshaftung richtet sich im Wesentlichen gegen Gesellschafter einer GmbH, nicht aber gegen Aktionäre einer AG, da bereits der Vermögenserhaltungsgrundsatz weitreichender ist als bei der GmbH.327) Als Haftende kommen neben dem unmittelbaren Gesellschafter der GmbH auch mittelbare Gesellschafter (Gesellschafter-Gesellschafter) sowie Mittäter, Anstifter und Gehilfen in Betracht.328) 612 Der Anspruch verjährt in drei Jahren ab dem Ende des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger, also die Gesellschaft bzw. der Insolvenzverwalter, Kenntnis von den den Anspruch begründenden Umständen erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen können, §§ 195, 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB.329) 613 Beispiele für existenzvernichtende Eingriffe sind x

der planmäßige Entzug von Gesellschaftsvermögen durch Vereinnahmung von der Gesellschaft zustehenden Forderungen durch den (Allein-)Gesellschafter,330)

x

das Entziehen einer gegen den Alleingesellschafter-Geschäftsführer gerichteten Forderung der Gesellschaft durch Erwirken eines klageabweisenden Versäumnisurteils.331)

dd) Gesellschafterhaftung bei Personengesellschaften (akzessorische Außenhaftung) 614 Bei Personengesellschaften haften die Gesellschafter einer OHG und die Komplementäre einer KG persönlich für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft (akzessorische Außenhaftung332) gemäß § 128 HGB333) bzw. §§ 161 Abs. 2, 128 HGB334)).

___________ 326) Vgl. zur nicht mehr gültigen Außenhaftung „Bremer Vulkan-Urteil“, BGH, Urt v. 17.9.2001 – II ZR 178/99, ZIP 2001, 1874 (m. Bespr. Altmeppen, S. 1837). 327) HK-InsO/A. Schmidt, Anh. zu § 35, Kap. F, Rn. 8. 328) BGH, Urt. v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, ZIP 2007, 1552 (m. Bespr. Weller, S. 1681). 329) BGH, Urt. v. 24.7.2012 – II ZR 177/11, ZIP 2012, 1804, dazu EWiR 2012, 757 (Beck). 330) BGH, Urt. v. 7.1.2008 – II ZR 314/05, ZIP 2008, 308, dazu EWiR 2008, 135 (Westermann). 331) OLG Celle, Urt. v. 28.10.2009 – 9 U 125/06, GmbHR 2010, 87. 332) BGH, Urt. v. 4.7.2002 – IX ZR 265/01, ZIP 2002, 1492. 333) Bzw. § 126 HGB i. d. F. v. 1.1.2024 – Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts – MoPeG v. 10.8.2021, BGBl. I, 436. 334) Bzw. § 126 HGB i. d. F. v. 1.1.2024 – Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts – MoPeG v. 10.8.2021, BGBl. I, 436.

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VI. Ausgewählte Verwertungsfragen Praxistipp: Neu eingetretene Gesellschafter haften gemäß § 130 Abs. 1 HGB335) auch für die vor ihrem Eintritt begründeten Verbindlichkeiten der Gesellschaft. Ein ausgeschiedener Gesellschafter haftet nach Maßgabe des § 160 Abs. 1 HGB für die bis zu seinem Ausscheiden begründeten Verbindlichkeiten, wenn sie vor Ablauf von fünf Jahren nach dem Ausscheiden fällig werden. Dies gilt entsprechend bei einem Wechsel in die Rolle des Kommanditisten (§ 160 Abs. 3 HGB). Durch das Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (MoPeG)336) bestimmt sich die Haftung des ausgeschiedenen Gesellschafters nach §§ 136, 137 HGB n. F. Danach haftet der ausgeschiedene Gesellschafter, wenn das Gesellschaftsvermögen zur Deckung der Gesellschaftsverbindlichkeiten nicht ausreicht, für den Fehlbetrag nach dem Verhältnis seines Anteils am Gewinn und Verlust (§ 136 HGB n. F.). Die Haftung gemäß § 160 Abs. 3 HGB greift sodann § 137 HGB auf.

Während der Dauer des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesell- 615 schaft kann die persönliche Haftung der Gesellschafter nur von Insolvenzverwalter geltend gemacht werden (§ 93 InsO).337) § 93 InsO Ist das Insolvenzverfahren über das Vermögen einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit oder einer Kommanditgesellschaft auf Aktien eröffnet, so kann die persönliche Haftung eines Gesellschafters für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft während der Dauer des Insolvenzverfahrens nur vom Insolvenzverwalter geltend gemacht werden.

§ 93 InsO gilt nur hinsichtlich der Ansprüche aus der akzessorischen Außen- 616 haftung, nicht jedoch hinsichtlich solcher Ansprüche, die die Innenhaftung betreffen (z. B. wegen noch ausstehender Einlagenleistungen). Die Haftung bezieht sich auf alle Forderungen, deren Rechtsgrund vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gelegt wurde, nicht hingegen auf die Kosten des Insolvenzverfahrens.338) Die Regelungen des § 128 HGB sind analog auf die Gesellschafter einer GbR 617 anzuwenden.339) ___________ 335) Bzw. § 127 HGB i. d. F. v. 1.1.2024 – Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts – MoPeG v. 10.8.2021, BGBl. I, 436. 336) Bzw. § 126 HGB i. d. F. v. 1.1.2024 – Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts – MoPeG v. 10.8.2021, BGBl. I, 436. 337) BGH, Urt. v. 4.7.2002 – IX ZR 265/01, ZIP 2002, 1492. 338) BGH, Teilurt. v. 24.9.2009 – IX ZR 234/07, ZIP 2009, 2204, dazu EWiR 2009, 775 (Berger). 339) Siehe BGH, Urt. v. 27.9.1999 – II ZR 371/98, ZIP 1999, 1755 (m. Anm. Altmeppen, S. 1758), dazu EWiR 1999, 1053 (Keil); BGH, Urt. v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, ZIP 2001, 330 (m. Bespr. Ulmer, S. 585); BGH, Urt. v. 24.2.2003 – II ZR 385/99, ZIP 2003, 664 = ZfIR 2003, 745 (LS); BGH, Urt. v. 7.4.2003 – II ZR 56/02, ZIP 2003, 899 = ZVI 2003, 273, dazu EWiR 2003, 513 (Westermann).

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C. Das eröffnete Insolvenzverfahren

618 Für die KGaA sind wegen § 278 Abs. 2 AktG die §§ 128 f. HGB entsprechend anzuwenden.340) Bei einer GmbH & Co. KG gilt § 93 InsO für die GmbH für die Geltendmachung von Forderungen durch den Insolvenzverwalter im Verfahren über das Vermögen der KG.341) 619 Die persönliche Haftung des Kommanditisten besteht bei Insolvenz der Gesellschaft jedenfalls für solche Gesellschaftsverbindlichkeiten, die bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet worden sind. Auf die insolvenzrechtliche Einordnung dieser Verbindlichkeiten kommt es dabei nicht an.342) 620 Bei der Partnerschaftsgesellschaft findet sich der Wortlaut des § 128 Satz 1 HGB in § 8 Abs. 1 Satz 1 PartGG. l) Ansprüche gegen organschaftliche Vertreter aa) Ansprüche gegen Geschäftsführer (§ 64 GmbHG i. d. F. bis zum 31.12.2020 bzw. § 15b InsO i. d. F. ab dem 1.1.2021) (1) Ansprüche gegen Geschäftsführer (§ 64 GmbHG i. d. F. bis zum 31.12.2020) § 64 GmbHG i. d. F. bis zum 31.12.2020 Haftung für Zahlungen nach Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung 1 Die Geschäftsführer sind der Gesellschaft zum Ersatz von Zahlungen verpflichtet, die nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft oder nach Feststellung ihrer Überschuldung geleistet werden. 2Dies gilt nicht von Zahlungen, die auch nach diesem Zeitpunkt mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar sind. 3Die gleiche Verpflichtung trifft die Geschäftsführer für Zahlungen an Gesellschafter, soweit diese zur Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft führen mussten, es sei denn, dies war auch bei Beachtung der in Satz 2 bezeichneten Sorgfalt nicht erkennbar. 4Auf den Ersatzanspruch finden die Bestimmungen in § 43 Abs. 3 und 4 entsprechende Anwendung.

621 § 64 GmbHG ist auf Zahlungen, die vor dem 1.1.2021 vorgenommen worden sind, anzuwenden (Art. 103m Satz 3 EGInsO). Die Vorschrift wird für alle Zahlungen, die ab dem 1.1.2021 vorgenommen worden sind, (rechtsformunabhängig) ersetzt durch § 15b InsO. 622 Mit § 64 GmbHG findet sich außerhalb der Insolvenzordnung eine Norm, die Ausfluss des Gläubigergleichbehandlungsgrundsatzes ist. Sinn und Zweck ist der Erhalt der Haftungsmasse mit dem Ziel der gleichmäßigen Befriedigung der Gläubigergesamtheit. 623 Gemäß § 64 Satz 1 GmbHG sind vom Geschäftsführer Zahlungen, die nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Feststellung der Überschuldung vorge___________ 340) KPB/Lüke, InsO, § 93 Rn. 113 (Stand 2.2014). 341) KPB/Lüke, InsO, § 93 Rn. 113 (Stand 2.2014). 342) BGH, Urt. v. 15.12.2020 – II ZR 108/19, ZIP 2021, 255; siehe zur Haftung im KGKonzern BGH, Urt. v. 3.8.2021 – II ZR 123/20, ZIP 2021, 1806.

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VI. Ausgewählte Verwertungsfragen

nommen wurden, zu ersetzen. Die Haftung kann nicht durch eine Amtsniederlegung vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgeschlossen werden. Ein Haftungsausschluss wird auch nicht dadurch bewirkt, dass der Geschäftsführer Zahlungen aufgrund eines Beschlusses der Gesellschafter vorgenommen hat (vgl. § 64 Satz 4 GmbHG i. V. m. § 43 Abs. 3 Satz 3 GmbHG). Auch der faktische Geschäftsführer ist geeigneter Anspruchsgegner.343)

624

Die Norm erfasst alle Zahlungen, die nach Eintritt der Zahlungsunfähig- 625 keit (ĺ Rn. 169 ff.) oder der Überschuldung (ĺ Rn. 184 ff.) vorgenommen wurden. Der Geschäftsführer ist verpflichtet, sich über die Liquiditätslage des Unternehmens stets einen Überblick zu verschaffen. Auf fehlende eigene Sachkunde kann er sich grundsätzlich nicht berufen. Er handelt nur dann nicht schuldhaft, „wenn er bei fehlender eigener Sachkunde zur Klärung des Bestehens der Insolvenzreife der Gesellschaft den Rat eines unabhängigen, fachlich qualifizierten Berufsträgers einholt, diesen über sämtliche für die Beurteilung erheblichen Umstände ordnungsgemäß informiert und nach eigener Plausibilitätskontrolle der ihm daraufhin erteilten Antwort dem Rat folgt und von der Stellung eines Insolvenzantrags absieht.“344) Das Verschulden eines Geschäftsführers wird vermutet, wenn er trotz objek- 626 tiv bestehender Insolvenzreife Zahlungen leistet.345) Insoweit genügt einfache Fahrlässigkeit.346) Daher scheidet ein Rückgriff auf die Grundsätze des innerbetrieblichen Schadensausgleichs, die gerade eine zumindest teilweise Haftungsfreistellung bei leichter und mittlerer Fahrlässigkeit vorsehen, schon begrifflich aus.347) Davon abgesehen kann sich ein Geschäftsführer auch nicht teilweise mit der Behauptung entlasten, tatsächlich Arbeitnehmer der Schuldnerin und bloß verlängerter, weisungsgebundener Arm des Beirats gewesen zu sein.348) Auch eine Sanierungsabsicht allein entschuldigt Zahlungen nach Insolvenzreife nicht.349) Der Begriff der Zahlung i. S. v. § 64 GmbHG ist weit zu verstehen. Er um- 627 fasst Bargeldleistungen, Buchgeldzahlungen von einem Habenkonto, Zahlungseingänge auf einem Debetkonto,350) die Hergabe von Gegenständen, die ___________ 343) St. Rspr., vgl. u. a. BGH, Urt. v. 18.12.2014 – 4 StR 323/14 und 4 StR 324/14, ZIP 2015, 218. 344) BGH, Urt. v. 14.5.2007 – II ZR 48/06, ZIP 2007, 1265 (m. Bespr. Wilhelm, S. 1781), 1265, dazu EWiR 2007, 495 (Henkel/Mock). 345) BGH, Urt. v. 24.9.2019 – II ZR 248/17, ZIP 2020, 1239. 346) BGH, Urt. v. 24.9.2019 – II ZR 248/17, ZIP 2020, 1239. 347) BGH, Urt. v. 24.9.2019 – II ZR 248/17, ZIP 2020, 1239. 348) BGH, Urt. v. 24.9.2019 – II ZR 248/17, ZIP 2020, 1239. 349) BGH, Urt. v. 24.9.2019 – II ZR 248/17, ZIP 2020, 1239. 350) Vgl. hierzu auch BGH, Urt. v. 11.2.2020 – II ZR 427/18, ZIP 2020, 666, sowie zum Freiwerden einer Sicherheit durch die Zahlungen BGH, Urt. v. 27.10.2020 – II ZR 355/18, ZIP 2020, 245, und zur „Saldentheorie bei Insolvenzanfechtung BGH, Urt. v. 15.6.2021 – II ZR 146/20.

153

C. Das eröffnete Insolvenzverfahren

Übertragung von Forderungen und Rechten, ebenfalls die Hingabe von Schecks oder Wechseln.351) Abzustellen ist auf den tatsächlichen Vermögensabfluss. Daher stellt ein bloßer Aktivtausch (z. B. Zahlung von der Barkasse auf das Guthabenkonto oder umgekehrt) keine Zahlung i. S. v. § 64 GmbHG dar. Unerheblich ist auch zunächst, ob eine wertentsprechende Gegenleistung in das Gesellschaftsvermögen geflossen ist. Ob dieses Argument den Geschäftsführer i. R. v. § 64 Satz 2 GmbHG exkulpiert, hat der BGH offengelassen.352) Da die Norm dem Sinn & Zweck nach auf den Erhalt der Haftungsmasse abstellt und gleichzeitig Masseschmälerungen sanktioniert, ist nach Auffassung der Verfasserin richtigerweise eine Kürzung vorzunehmen.353) Zumindest dürfte es als Vorbringen i. S. v. § 24 Satz 2 GmbHG berücksichtigungsfähig sein; die Darlegungs- und Beweislast obliegt dem Geschäftsführer. 628 Der Anspruch aus § 64 Satz 1 GmbHG ist vom Geschäftsführer ungekürzt zu erstatten.354) 629 Bei Geldtransfervorgängen auf dem Geschäftskonto der Gesellschaft ist zu unterscheiden zwischen einem kreditorisch und einem debitorisch geführten Konto. 630 Geldabflüsse von einem kreditorisch geführten Konto stellen Zahlungen i. S. d. § 64 Satz 1 GmbHG dar. Dies gilt auch, wenn es der Geschäftsführer unterlässt, Lastschriften im Einziehungsermächtigungsverfahren zu widerrufen.355) Zahlungseingänge auf das kreditorische Konto sind i. R. v. § 64 Satz 1 GmbHG haftungsneutral. Beispiel: Geschäftskonto Stand

+9.000,00 €

1. Geldeingang Kundenforderung

+2.800,00 €

2. Geldabfluss Lieferantenzahlung Altverbindlichkeit

–1.200,00 €

3. Geldabfluss Lieferantenzahlung Altverbindlichkeit

–1.000,00 €

Die Geldabflüsse 2 und 3 stellen Zahlungen i. S. v. § 64 Satz 1 GmbHG dar. 631 Geldeingänge aus der Einziehung von Schecks356) oder durch Entgegennahme von Überweisungen357) auf einem debitorisch geführten Konto stellen hingegen Zahlungen i. S. d. § 64 Satz 1 GmbHG dar. Die Bank kann dadurch die ___________ 351) BGH, Urt. v. 11.9.2000 – II ZR 370/99, ZIP 2000, 1896, dazu EWiR 2000, 1159 (Keil). 352) BGH, Urt. v. 31.3.2003 – II ZR 150/02, ZIP 2003, 1005, dazu EWiR 2003, 635 (Blöse). 353) OLB Brandenburg, Urt. v. 10.4.2002 – 7 U 147/01, OLGR Köln 2003, 12; HK-InsO/ A. Schmidt, Anh. Zu § 35, Kap. H, Rn. 24 m. w. N. 354) BGH, BGH 11.7.2005 – II ZR 235/03, ZIP 2005, 1550. 355) HK-InsO/A. Schmidt, Anh. zu § 35, Kap. H, Rn. 11. 356) BGH, Urt. v. 29.11.1999 – II ZR 273/98, ZIP 2000, 184, dazu EWiR 2000, 295 (Noack). 357) BGH, Urt. v. 26.3.2007 – II ZR 310/05, ZIP 2007, 1006 (m. Bespr. K. Schmidt, ZIP 2008, 1401).

154

VI. Ausgewählte Verwertungsfragen

Geldeingänge mit dem Anspruch auf Rückführung des eingeräumten Kredits verrechnen. Dem Geschäftsführer obliegt, will er die Haftung vermeiden, ein neues, nur im Haben geführtes Konto zu eröffnen, die Drittschuldner über den Wechsel der Bankverbindung zu informieren und die Zahlungseingänge auf dieses Konto umzuleiten. Zahlungen, die auf dem debitorischen Konto eingehen, sind i. S. v. § 64 Satz 1 GmbHG haftungsneutral. Beispiel: Geschäftskonto Stand 1. Geldeingang Kundenforderung

–9.000,00 € +2.800,00 €

2. Geldabfluss Lieferantenzahlung Altverbindlichkeit

–1.200,00 €

3. Geldabfluss Lieferantenzahlung Altverbindlichkeit

–1.000,00 €

Der Geldeingang 1 stellt eine Zahlung i. S. v. § 64 Satz 1 GmbHG dar, da die Bank diesen mit dem Anspruch auf Saldorückführung verrechnen kann. Die Erstattungspflicht des Geschäftsführers kann sich in Anbetracht von Sicherungsrechten oder der Insolvenzanfechtung reduzieren.358) Die Haftung des Geschäftsführers ist ausgeschlossen, soweit die Zahlung mit 632 der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes vereinbar sind (§ 64 Satz 2 GmbHG). Die Darlegungs- und Beweislast obliegt insoweit dem Geschäftsführer. Mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes sind insbesondere folgende Zahlungen vereinbar: x

Herausgabe von Aussonderungsgegenständen (§ 47 InsO),

x

Befriedigungen absonderungsberechtigter Gläubiger bis zur Höhe des Wertes eines insolvenzfesten Sicherungsgutes,

x

Abführung von Arbeitnehmeranteilen an die Sozialversicherung, da deren Nichterbringung strafbewehrt ist (§ 266a StGB),359)

x

Abführung von Lohnsteuern,360)

x

Verwendung von Treuhandgeldern, die von anderen Konzerngesellschaften auf das Geschäftskonto der Gesellschaft gezahlt worden sind, auf die Begleichung von Verbindlichkeiten dieser Konzerngesellschaften, da die nicht weisungsgemäße Verwendung strafbewehrt ist (vgl. § 266 StGB),361)

___________ 358) Siehe zum Freiwerden einer Sicherheit durch die Zahlungen BGH, Urt. v. 27.10.2020 – II ZR 355/18, ZIP 2020, 2453 und zur „Saldentheorie bei Insolvenzanfechtung BGH, Urt. v. 15.6.2021 – II ZR 146/20. 359) BGH, Urt. v. 2.6.2008 – II ZR 27/07, ZIP 2008, 1275. 360) BGH, Urt. v. 14.5.2007 – II ZR 48/06, ZIP 2007, 1265 (m. Bespr. Wilhelm, S. 1781). 361) BGH, Urt. v. 5.5.2008 – II ZR 38/07, ZIP 2008, 1229, dazu EWiR 2008, 557 (Schulz, D./ Schröder, H.).

155

C. Das eröffnete Insolvenzverfahren

x

Zahlungen, durch die größere Nachteile für die Insolvenzmasse abgewendet werden, insbesondere Zahlungen zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs (z. B. Zahlungen für Strom, Wasser, Heizung),362) Zahlungen von Mieten, Leasingraten und Löhnen zur Aufrechterhaltung der Möglichkeit eventueller Sanierungsmaßnahmen).

633 Der Anspruch gegen den Geschäftsführer und Anfechtungsansprüche gegen begünstigte Gläubiger/Dritte stehen nebeneinander; der Insolvenzverwalter hat ein (mehrfaches) Wahlrecht.363) Nimmt der Insolvenzverwalter zunächst den Gläubiger der anfechtbaren Rechtshandlung erfolgreich in Anspruch, fehlt es für einen Ersatzanspruch gegen den Geschäftsführer aus § 64 Satz 1 GmbHG am Rechtschutzbedürfnis. Nimmt der Insolvenzverwalter zunächst den Geschäftsführer erfolgreich in Anspruch, kann dieser wegen § 255 BGB die Abtretung des Anfechtungsanspruchs verlangen.364) 634 Mit § 64 Satz 3 GmbHG beinhaltet die Norm eine weitere Anspruchsgrundlage, aufgrund derer der Geschäftsführer für Zahlungen an Gesellschafter, durch welche die Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft herbeigeführt wurde, haftbar gemacht werden kann. Der Begriff der Zahlungen ist gleichermaßen weit zu verstehen wie bei § 64 Satz 1 GmbHG, betrifft aber solche Zahlungen, die vor Eintritt der Zahlungsunfähigkeit die an die Gesellschafter geleistet wurden und die die Zahlungsunfähigkeit herbeigeführt haben. Erfasst sind also nur solche Zahlungen, die für den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit kausal sind. 635 Die Ansprüche verjähren in fünf Jahren ab der unzulässigen Zahlung (§ 64 Satz 4 GmbHG i. V. m. § 43 Abs. 4 GmbHG). 636 Der BGH hat im Jahr 2020 entschieden, dass Ersatzansprüche aus § 64 Satz 1 GmbHG grundsätzlich den gesetzlichen Haftpflichtansprüchen auf Schadensersatz der allgemeinen D&O-Versicherungsbedingungen unterfallen können.365) Ob ein Ersatzanspruch aus § 64 Satz 1 GmbHG von den allgemeinen Bedingungen einer D&O-Versicherung umfasst wird, ist abhängig von den jeweiligen Versicherungsbedingungen. Diese sind u. U. sachverhaltsbezogen auszulegen. Insbesondere sei der im Wortlaut der Versicherungsbedingungen verwendete Begriff „Schadensersatz“ nicht rechtsdogmatisch, sonders als allgemeine Beschreibung eines Nachteilsausgleichs zu verstehen.366) Als Begründung führt der BGH dagegen an, dass solche komplexen, juristischen Überlegungen von einem durchschnittlichen Versicherungsnehmer nicht erwartet werden können.367) Überdies begründet der BGH seine Auf___________ 362) BGH, Beschl. v. 5.11.2007 – II ZR 262/06, ZIP 2008, 72 = ZVI 2008, 55. 363) OLG Oldenburg, Urt. v. 10.5.2004 – 15 U 13/04, ZIP 2005, 317 (LS) = ZInsO 2004, 984. 364) BGH, Urt. v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, ZIP 2001, 235 (m. Anm. Altmeppen, S. 240), dazu EWiR 2001, 329 (Priester). 365) BGH, Urt. v. 18.11.2020 – IV ZR 217/19, BGHZ 227, 279 = ZIP 2020, 2510. 366) BGH, Urt. v. 18.11.2020 – IV ZR 217/19, BGHZ 227, 279 = ZIP 2020, 2510. 367) BGH, Urt. v. 18.11.2020 – IV ZR 217/19, BGHZ 227, 279 = ZIP 2020, 2510.

156

VI. Ausgewählte Verwertungsfragen

fassung damit, dass die Einbeziehung von Ansprüchen aus § 64 Satz 1 GmbHG dem erkennbaren Zweck des Versicherungsvertrags entsprechen können, da der durchschnittliche Versicherte erwarte, dass er keine Vermögenseinbußen infolge von gegen ihn gerichteten Schadensersatzforderungen erleide.368) Es sei daher nicht ersichtlich, warum das bedeutsame Haftpflichtrisiko des § 64 GmbHG ausgenommen werden solle.369) (2) Ansprüche gegen Geschäftsleiter (§ 15b InsO i. d. F. ab dem 1.1.2021) § 15b InsO (i. d. F. ab dem 1.1.2021)

637

Zahlungen bei Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung; Verjährung (1) 1Die nach § 15a Absatz 1 Satz 1 antragspflichtigen Mitglieder des Vertretungsorgans und Abwickler einer juristischen Person dürfen nach dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung der juristischen Person keine Zahlungen mehr für diese vornehmen. 2Dies gilt nicht für Zahlungen, die mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar sind. (2) 1Zahlungen, die im ordnungsgemäßen Geschäftsgang erfolgen, insbesondere solche Zahlungen, die der Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs dienen, gelten vorbehaltlich des Absatzes 3 als mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar. 2Im Rahmen des für eine rechtzeitige Antragstellung maßgeblichen Zeitraums nach § 15a Absatz 1 Satz 1 und 2 gilt dies nur, solange die Antragspflichtigen Maßnahmen zur nachhaltigen Beseitigung der Insolvenzreife oder zur Vorbereitung eines Insolvenzantrags mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters betreiben. 3 Zahlungen, die im Zeitraum zwischen der Stellung des Antrags und der Eröffnung des Verfahrens geleistet werden, gelten auch dann als mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar, wenn diese mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters vorgenommen wurden. (3) Ist der nach § 15a Absatz 1 Satz 1 und 2 für eine rechtzeitige Antragstellung maßgebliche Zeitpunkt verstrichen und hat der Antragspflichtige keinen Antrag gestellt, sind Zahlungen in der Regel nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar. (4) 1Werden entgegen Absatz 1 Zahlungen geleistet, sind die Antragspflichtigen der juristischen Person zur Erstattung verpflichtet. 2Ist der Gläubigerschaft der juristischen Person ein geringerer Schaden entstanden, beschränkt sich die Ersatzpflicht auf den Ausgleich dieses Schadens. 3Soweit die Erstattung oder der Ersatz zur Befriedigung der Gläubiger der juristischen Person erforderlich ist, wird die Pflicht nicht dadurch ausgeschlossen, dass dieselben in Befolgung eines Beschlusses eines Organs der juristischen Person gehandelt haben. 4Ein Verzicht der juristischen Person auf Erstattungs- oder Ersatzansprüche oder ein Vergleich der juristischen Person über diese Ansprüche ist unwirksam. 5Dies gilt nicht, wenn der Erstattungs- oder Ersatzpflichtige zahlungsunfähig ist und sich zur Abwendung des Insolvenzverfahrens mit seinen Gläubigern vergleicht, wenn die Erstattungs- oder Ersatzpflicht in einem Insolvenzplan geregelt wird oder wenn ein Insolvenzverwalter für die juristische Person handelt.

___________ 368) BGH, Urt. v. 18.11.2020 – IV ZR 217/19, BGHZ 227, 279 = ZIP 2020, 2510. 369) BGH, Urt. v. 18.11.2020 – IV ZR 217/19, BGHZ 227, 279 = ZIP 2020, 2510.

157

C. Das eröffnete Insolvenzverfahren (5) 1Absatz 1 Satz 1 und Absatz 4 gelten auch für Zahlungen an Personen, die an der juristischen Person beteiligt sind, soweit diese zur Zahlungsunfähigkeit der juristischen Person führen mussten, es sei denn, dies war auch bei Beachtung der in Absatz 1 Satz 2 bezeichneten Sorgfalt nicht erkennbar. 2Satz 1 ist auf Genossenschaften nicht anwendbar. (6) Die Absätze 1 bis 5 gelten auch für die nach § 15a Absatz 1 Satz 3 und Absatz 2 zur Stellung des Antrags verpflichteten organschaftlichen Vertreter der zur Vertretung der Gesellschaft ermächtigten Gesellschafter. (7) 1Die Ansprüche aufgrund der vorstehenden Bestimmungen verjähren in fünf Jahren. 2Besteht zum Zeitpunkt der Pflichtverletzung eine Börsennotierung, verjähren die Ansprüche in zehn Jahren. (8) 1Eine Verletzung steuerrechtlicher Zahlungspflichten liegt nicht vor, wenn zwischen dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit nach § 17 oder der Überschuldung nach § 19 und der Entscheidung des Insolvenzgerichts über den Insolvenzantrag Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nicht oder nicht rechtzeitig erfüllt werden, sofern die Antragspflichtigen ihren Verpflichtungen nach § 15a nachkommen. 2Wird entgegen der Verpflichtung nach § 15a ein Insolvenzantrag verspätet gestellt, gilt dies nur für die nach Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters oder Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung fällig werdenden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis. 3Wird das Insolvenzverfahren nicht eröffnet und ist dies auf eine Pflichtverletzung der Antragspflichtigen zurückzuführen, gelten die Sätze 1 und 2 nicht.

638 § 15b InsO in der Fassung des SanInsFoG370) ist erstmals auf Zahlungen anzuwenden, die nach dem 31.12.2020 vorgenommen worden sind (Art. 103m Satz 2 EGInsO). 639 Durch die Etablierung von § 15b InsO wurden die gesellschaftsrechtlichen Einzelvorschriften (§ 64 GmbHG, §§ 2 Abs. 2, 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG, § 99 GenG, § 130a HGB) rechtsformneutral ersetzt, da diese primär von insolvenzrechtlicher Qualifikation sind.371) Überdies werden in § 15b Abs. 2, 3 InsO Details zu den privilegierten Zahlungen geregelt (Zahlungen im ordnungsgemäßen Geschäftsgang im Fall der rechtzeitigen Antragstellung, vgl. § 15a InsO) sowie in § 15b Abs. 4 InsO der Umfang der Erstattungspflicht auf die Höhe des Schadens begrenzt. 640 In § 15b Abs. 8 InsO ist das Verhältnis der Masseerhaltung und dem Steuerrecht geregelt. Nach der bis dahin gültigen Rechtslage sind Zahlungen auf Steuerverbindlichkeiten mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters grundsätzlich vereinbar, da der Geschäftsleiter ansonsten eine Ordnungswidrigkeit nach § 26b UStG oder § 380 AO i. V. m. §§ 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 38 Abs. 3 Satz 1 EStG begeht.372) ___________ 370) Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG v. 22.12.2020, BGBl. I, 3256. 371) BT-Drucks. 19/24181, S. 193. 372) Rechtslage zu §§ 64 Satz 2 GmbHG, § 92 Abs. 2 Satz 2 AktG, § 130a Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 177a Satz 1 HGB, § 99 Abs. 2 GenG a. F.; vgl. BGH, Urt. v. 25.1.2011 – II ZR 196/09, ZIP 2011, 422 ff. Rn. 12; BFH, Beschl. v. 4.7.2007 – VII B 268/06, BFH/NV 2007, 2059 f. Rn. 6; BFH, Beschl. v. 27.2.2007 – VII R 67/05, BFHE 216, 491 f. Rn. 20.

158

VI. Ausgewählte Verwertungsfragen

Gemäß § 15b Abs. 8 InsO ist keine Verletzung steuerrechtlicher Zahlungs- 641 pflichten anzunehmen, wenn zwischen einer rechtzeitigen Antragstellung und der Entscheidung des Insolvenzgerichts über den Eröffnungsantrag keine oder eine nicht rechtzeitige Erfüllung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis vorliegt, allerdings nur unter der Voraussetzung der rechtzeitigen Antragstellung i. S. v. § 15a InsO. Wurde der Eröffnungsantrag nicht rechtzeitig gestellt, liegt keine Verletzung vor hinsichtlich der nach Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters oder Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung fällig werdender Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis. Wird das Insolvenzverfahren nicht eröffnet und ist dies auf eine Pflichtverletzung der Antragspflichtigen zurückzuführen, ist eine Verletzung der steuerrechtlichen Zahlungspflichten in jedem Fall anzunehmen. Die Verjährungsfrist ist mit § 15b Abs. 7 InsO grundsätzlich auf fünf Jahre 642 festgeschrieben; besteht zum Zeitpunkt der Pflichtverletzung eine Börsennotierung, verjähren die Ansprüche in zehn Jahren. (3) COVID-19-Pandemie und Haftungsansprüche Infolge der COVID-19-Pandemie wurde vorübergehend auch das Haftungs- 643 recht „entschärft“.373) Unter der Voraussetzung, dass gemäß § 1 COVInsAG die Insolvenzantrags- 644 pflicht ausgesetzt war, gelten Zahlungen, die im ordnungsgemäßen Geschäftsgang erfolgen – insbesondere solche Zahlungen, die der Aufrechterhaltung oder Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebes oder der Umsetzung eines Sanierungskonzepts dienen – als mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters i. S. d. § 64 Satz 2 GmbHG, § 92 Abs. 2 Satz 2 AktG, § 130a Abs. 1 Satz 2 HGB, auch i. V. m. § 177a Satz 1 HGB und des GenG bzw. § 15b InsO i. d. F. v. 1.1.2021 vereinbar. bb) Ansprüche gegen Geschäftsführer (§ 43 Abs. 2 GmbHG) Obliegenheitspflichtverletzungen von Geschäftsführern begründen eine so- 645 lidarische Haftung für den entstandenen Schaden gegenüber der Gesellschaft gemäß § 43 Abs. 2 GmbHG. § 43 Abs. 2 GmbHG ist eine Schutznorm für die Gesellschafter, nicht die Gesellschaftsgläubiger.374) Aus diesem Grunde führt ein im Einverständnis der Gesellschafter gezeigtes Verhalten nicht zu einem Schadensersatzanspruch.375) Die Verpflichtung des Geschäftsführers einer GmbH aus § 43 Abs. 1 GmbHG dafür zu sorgen, dass sich die Gesellschaft rechtmäßig verhält und ihren gesetzlichen Verpflichtungen nachkommt, ___________ 373) COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz – COVInsAG v. 27.3.2021, BGBl. I, 569, zuletzt geändert durch am 15.2.2021, siehe BGBl. I, 237. 374) Bitter, ZInsO 2010, 1505. 375) BGH, Urt. v. 31.1.2000 – II ZR 189/99, ZIP 2000, 493.

159

C. Das eröffnete Insolvenzverfahren

besteht grundsätzlich nur gegenüber der Gesellschaft, nicht hingegen im Verhältnis zu außenstehenden Dritten.376) 646 Das Verhalten des Geschäftsführers muss zu einem dadurch eingetretenen Schaden i. S. e. Vermögensminderungen zulasten der Gesellschafter geführt haben (Kausalität). Ein Vermögensschaden liegt vor, wenn der tatsächliche Wert des Gesellschaftsvermögens geringer ist als der Wert, den das Gesellschaftsvermögen ohne die pflichtwidrige Rechtshandlung haben würde.377) Der Geschäftsführer handelt dann nicht pflichtwidrig, wenn er vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Informationen zum Wohl der Gesellschaft zu handeln.378) Der Geschäftsführer muss in der konkreten Entscheidungssituation alle verfügbaren Informationsquellen tatsächlicher und rechtlicher Art ausschöpfen, auf dieser Grundlage die Vorund Nachteile der bestehenden Handlungsoptionen sorgfältig abwägen und den erkennbaren Risiken Rechnung tragen. Nur wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist Raum für die Zubilligung unternehmerischen Ermessens.379) 647 Folgende Handlungen können eine Haftung gemäß § 43 Abs. 2 GmbHG begründen: x

Errichtung schwarzer Kassen,380)

x

Entnahme von Vergütungen ohne vertragliche Grundlage,381)

x

Unterlassen von Gehaltsreduzierung in der Krise,382)

x

Unterlassen der Geltendmachung von Ansprüchen,383)

x

kaufmännisch fehlerhaft kalkulierte Angebotspreise (BGH, Beschl. v. 18.2.2008 – II ZR 62/07, ZIP 2008, 736),

x

Abschluss eines Beratervertrages zu überhöhten Vergütungsbedingungen,384)

x

Veräußerung von Gesellschaftsvermögen ohne Gesellschafterbeschluss.385)

___________ 376) BGH, Urt. v. 7.5.2019 – VI ZR 512/17, ZIP 2019, 1325, zugleich Bestätigung BGH, Urt. v. 10.7.2012 – VI ZR 341/10, BGHZ 194, 26 Rn. 22 f. sowie BGH, Urt. v. 18.6.2014 – I ZR 242/12, BGHZ 201, 344 Rn. 23. 377) BGH, Urt. v. 31.5.1994 – VI ZR 12/94, ZIP 1994, 1098, dazu EWiR 1994, 863 (Canaris). 378) BGH, Urt. v. 15.1.2013 – II ZR 90/11, ZIP 2013, 455, dazu EWiR 2013, 261 (Vetter). 379) BGH, Urt. v. 14.7.2008 – II ZR 202/07, ZIP 2008, 1675; BGH, Urt. v. 18.6.2013 – II ZR 86/11, ZIP 2013, 1712, dazu EWiR 2013, 775 (Weipert). 380) BGH, Urt. v. 27.8.2010 – 2 StR 111/09, ZIP 2010, 1892 = NJW 2010, 3458, dazu EWiR 2010, 797 (Wessing). 381) BGH, Urt. v. 24.9.2001 – II ZR 90/00, DStR 2002, 227. 382) OLG Köln, Urt. v. 22.1.2009 – 18 U 142/07, openJur 2011, 63352. 383) OLG Koblenz, Urt. v. 12.5.1999 – 1 U 1649/97, GmbHG 1999, 1201. 384) BGH, Urt. v. 18.6.2013 – II ZR 86/11, ZIP 2013, 1712. 385) BGH, Beschl. v. 2.6.2008 – II ZR 67/07, ZIP 2008, 1431 (LS).

160

VI. Ausgewählte Verwertungsfragen

Bei einer GmbH & Co. KG gilt die Besonderheit, dass sich der Schutzbe- 648 reich auch auf die Kommanditgesellschaft erstreckt, wenn sich der Geschäftszweck der Komplementär-GmbH auf die Führung der Geschäfte der Kommanditgesellschaft beschränkt.386) Die Ansprüche verjähren in fünf Jahren ab der Anspruchsentstehung (§ 43 649 Abs. 4 GmbHG). cc) Ansprüche gegen Geschäftsführer (§§ 43 Abs. 3, Abs. 2, 30 Abs. 1 GmbHG) Das Kapital der GmbH ist als Haftungsmasse zu erhalten. Verstöße gegen 650 den Kapitalerhaltungsgrundsatz begründen Haftungsansprüche gegen den Geschäftsführer gemäß § 43 Abs. 3 GmbHG i. V. m. § 30 GmbHG bzw. § 43 Abs. 3 GmbHG i. V. m. § 33 GmbHG. Im Verhältnis zu § 43 Abs. 2 GmbHG ist § 43 Abs. 3 GmbHG lex specialis und normiert eine verschärfte Haftung für Zahlung aus dem zur Erhaltung des Stammkapitals erforderlichen Vermögen an die Gesellschafter bzw. den Erwerb eigener Anteile durch die Gesellschafter (§ 33 GmbHG). Die Schadensersatzpflicht der Geschäftsführer wird nicht dadurch aufgehoben, dass diese einen Gesellschafterbeschluss befolgt haben, soweit der Ersatz zur Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger erforderlich ist (§ 43 Abs. 3 Satz 3 GmbHG). Die Beurteilung einer eventuellen Einlagenrückgewähr folgt stets unter wirt- 651 schaftlichen Gesichtspunkten. Ein Angriff auf das Stammkapital ist anzunehmen bei Vermögensabflüssen, die zu einer sog. Unterbilanz führen oder eine bestehende solche vergrößern. Eine Unterbilanz liegt vor, wenn das Nettoreinvermögen rechnerisch geringer ist als der Wert des Stammkapitals. Eine Unterbilanz errechnet sich nach den allgemeinen Bilanzierungsgrundsätzen (vgl. § 42 GmbHG) und ist nicht identisch mit der Überschuldungsbilanz. Praxistipp: Ermittlung einer Unterbilanz Gezeichnetes Stammkapital (unabhängig von der Frage der tatsächlichen Einzahlung)

Aktiva ./. Passiva = Nettoreinvermögen

Stammkapital

< Nettoreinvermögen ĺ Ausschüttungsverbot

Beispiel: Ein Dienstwagen, Buchwert 20.000 €, wird zu einem Preis von 16.000 € an einen Gesellschafter veräußert. Bilanziell wird das Gesellschaftsvermögen um 4.000 € verringert. Wird durch diese Veräußerung das Stammkapital angegriffen, liegt ein Verstoß gegen den Kapitalerhaltungsgrundsatz vor. ___________ 386) BGH, Urt. v. 25.2.2002 – II ZR 36/00, ZIP 2002, 984; BGH, Urt. v. 18.6.2013 – II ZR 86/11, ZIP 2013, 1712.

161

C. Das eröffnete Insolvenzverfahren Praxistipp: Ist die Gesellschaft bilanziell überschuldet, liegt i. a. R. offensichtlich eine Unterbilanz vor. Erkennbar ist dies an dem in der Bilanz ausgewiesenen Posten „Nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag“ (§ 268 Abs. 3 HGB).

652 Die Ansprüche verjähren in fünf Jahren ab der Anspruchsentstehung (§ 43 Abs. 4 GmbHG). dd) Ansprüche gegen Vorstandsmitglieder (§ 92 Abs. 2 AktG) § 92 Abs. 2 AktG

653

Nachdem die Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft eingetreten ist oder sich ihre Überschuldung ergeben hat, darf der Vorstand keine Zahlungen leisten. Dies gilt nicht von Zahlungen, die auch nach diesem Zeitpunkt mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar sind. Die gleiche Verpflichtung trifft den Vorstand für Zahlungen an Aktionäre, soweit diese zur Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft führen mussten, es sei denn, dies war auch bei Beachtung der in § 93 Abs. 1 Satz 1 bezeichneten Sorgfalt nicht erkennbar.

654 Die Haftungsnorm für die Geltendmachung von Ansprüchen gegen Vorstandsmitglieder einer AG entspricht den Parallelvorschriften des GmbHG (§ 64 GmbHG); die anzulegenden Maßstäbe sind identisch (ĺ Rn. 622 ff.) Für Zahlungen, die ab dem 1.1.2021 vorgenommen wurden, tritt an die Stelle des § 92 Abs. 2 AktG die Regelung des § 15b InsO. ee) Ansprüche gegen Vorstandsmitglieder (§ 93 Abs. 2 AktG) 655 § 93 AktG normiert die Sorgfaltspflichten der Vorstandsmitglieder der AG. Der Pflichtenkreis ergibt sich im Wesentlichen aus § 76 AktG. Insbesondere hat sich der Vorstand, der selbst nicht über die erforderliche Sachkunde verfügt, unter umfassender Darstellung der Verhältnisse der Gesellschaft und Offenlegung der erforderlichen Unterlagen von einem unabhängigen, für die zu klärende Frage fachlich qualifizierten Berufsträger beraten zu lassen; er hat überdies die erteilte Rechtsauskunft einer sorgfältigen Plausibilitätskontrolle zu unterziehen.387) Zur Haftungsnorm bildet § 43 GmbHG eine Parallelvorschrift.388) Die anzulegenden Maßstäbe sind identisch (ĺ Rn. 645 ff.). ff) Ansprüche gegen gesetzliche Vertreter (OHG, KG; §§ 130a Abs. 3 Satz 1, 177a HGB) 656 Für Personengesellschaften, bei denen kein Gesellschafter eine natürliche Person ist, gelten die §§ 130a Abs. 3 Satz 1, 177a HGB. Die Haftung aus

___________ 387) BGH, Urt. v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, ZIP 2011, 2097, dazu EWiR 2011, 793 (Vetter). 388) Schwerdtfeger/Paschke/Politis, § 93 AktG Rn. 1.

162

VI. Ausgewählte Verwertungsfragen

§ 130a Abs. 3 Satz 1 HGB entspricht derjenigen des § 64 Satz 1 GmbHG.389) Für Zahlungen, die ab dem 1.1.2021 vorgenommen wurden, tritt an die Stelle des § 130a HGB die Regelung des § 15b InsO. gg) Ansprüche gegen Vorstandsmitglieder (§§ 98, 99 GenG) Die Haftung für Vorstandsmitglieder einer Genossenschaft für Zahlungen 657 nach Eintritt der Insolvenzreife ergibt sich aus §§ 98, 99 GenG, die derjenigen des § 64 Satz 1 GmbHG entspricht.390) Für Zahlungen, die ab dem 1.1.2021 vorgenommen wurden, tritt an die Stelle des § 99 BGB die Regelung des § 15b InsO. hh) Insolvenzverschleppungshaftung § 15a InsO (i. d. F. bis zum 31.12.2020)

658

(1) Wird eine juristische Person zahlungsunfähig oder überschuldet, haben die Mitglieder des Vertretungsorgans oder die Abwickler ohne schuldhaftes Zögern, spätestens aber drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, einen Eröffnungsantrag zu stellen. Das Gleiche gilt für die organschaftlichen Vertreter der zur Vertretung der Gesellschaft ermächtigten Gesellschafter oder die Abwickler bei einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit, bei der kein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist; dies gilt nicht, wenn zu den persönlich haftenden Gesellschaftern eine andere Gesellschaft gehört, bei der ein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist. (2) Bei einer Gesellschaft im Sinne des Absatzes 1 Satz 2 gilt Absatz 1 sinngemäß, wenn die organschaftlichen Vertreter der zur Vertretung der Gesellschaft ermächtigten Gesellschafter ihrerseits Gesellschaften sind, bei denen kein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist, oder sich die Verbindung von Gesellschaften in dieser Art fortsetzt. (3) Im Fall der Führungslosigkeit einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung ist auch jeder Gesellschafter, im Fall der Führungslosigkeit einer Aktiengesellschaft oder einer Genossenschaft ist auch jedes Mitglied des Aufsichtsrats zur Stellung des Antrags verpflichtet, es sei denn, diese Person hat von der Zahlungsunfähigkeit und der Überschuldung oder der Führungslosigkeit keine Kenntnis. (4) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer entgegen Absatz 1 Satz 1, auch in Verbindung mit Satz 2 oder Absatz 2 oder Absatz 3, einen Eröffnungsantrag nicht, nicht richtig oder nicht rechtzeitig stellt. (5) Handelt der Täter in den Fällen des Absatzes 4 fahrlässig, ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe. (6) Auf Vereine und Stiftungen, für die § 42 Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs gilt, sind die Absätze 1 bis 5 nicht anzuwenden.

___________ 389) BGH, Urt. v. 26.3.2007 – II ZR 310/05, ZIP 2007, 1006 (m. Bespr. K. Schmidt, ZIP 2008, 1401). 390) Vgl. für die Genossenschaft BGH, Urt. v. 26.10.2000 – IX ZR 289/99, ZIP 2001, 33.

163

C. Das eröffnete Insolvenzverfahren § 15a InsO (i. d. F. ab dem 1.1.2021) (1) Wird eine juristische Person zahlungsunfähig oder überschuldet, haben die Mitglieder des Vertretungsorgans oder die Abwickler ohne schuldhaftes Zögern einen Eröffnungsantrag zu stellen. Der Antrag ist spätestens drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit und sechs Wochen nach Eintritt der Überschuldung zu stellen. Das Gleiche gilt für die organschaftlichen Vertreter der zur Vertretung der Gesellschaft ermächtigten Gesellschafter oder die Abwickler bei einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit,391) bei der kein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist; dies gilt nicht, wenn zu den persönlich haftenden Gesellschaftern eine andere Gesellschaft gehört, bei der ein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist. (2) Bei einer Gesellschaft im Sinne des Absatzes 1 Satz 3 gilt Absatz 1 sinngemäß, wenn die organschaftlichen Vertreter der zur Vertretung der Gesellschaft ermächtigten Gesellschafter ihrerseits Gesellschaften sind, bei denen kein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist, oder sich die Verbindung von Gesellschaften in dieser Art fortsetzt. (3) Im Fall der Führungslosigkeit einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung ist auch jeder Gesellschafter, im Fall der Führungslosigkeit einer Aktiengesellschaft oder einer Genossenschaft ist auch jedes Mitglied des Aufsichtsrats zur Stellung des Antrags verpflichtet, es sei denn, diese Person hat von der Zahlungsunfähigkeit und der Überschuldung oder der Führungslosigkeit keine Kenntnis. (4) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer entgegen Absatz 1 Satz 1 und 2, auch in Verbindung mit Satz 3 oder Absatz 2 oder Absatz 3, einen Eröffnungsantrag nicht, nicht richtig oder nicht rechtzeitig stellt.

659 Die Organvertreter juristischer Personen und von Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit, bei denen keine natürliche Person unbeschränkt haftet, besteht bei Eintritt der Zahlungsunfähigkeit (ĺ Rn. 169 ff.) oder Überschuldung (ĺ Rn. 184 ff.) die Pflicht, unverzüglich, spätestens jedoch drei Wochen nach Eintritt der Insolvenzreife, einen Insolvenzantrag zu stellen (originäre Antragspflicht § 15a Abs. 1 InsO).392) 660 Wurde der Antrag ab dem 1.1.2021 gestellt, beträgt die Maximalfrist drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit und sechs Wochen nach Eintritt der Überschuldung.393) 661 Eine Antragspflicht gemäß § 15a InsO besteht bei der GmbH, der UG (haftungsbeschränkt), der AG, der Genossenschaft, der KGaA sowie der OHG und KG, bei der jeweils keiner der persönlich haftenden Gesellschafter eine natürliche Person ist. 662 Das Ausscheiden als Vertretungsorgan entbindet nicht von der Antragspflicht. ___________ 391) Bzw. rechtsfähigen Personengesellschaft – Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts – MoPeG v. 10.8.2021, BGBl. I, 436. 392) Antragstellung bis zum 31.12.2020. 393) Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz) – SanInsFoG v. 22.12.2020, BGBl. I, 3256.

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VI. Ausgewählte Verwertungsfragen

Merke: Führungslosigkeit Bei einer führungslosen GmbH, AG oder Genossenschaft sind die Gesellschafter/Aufsichtsratsmitglieder zur Antragstellung verpflichtet (subsidiäre Antragspflicht gemäß § 15a Abs. 3 InsO). Die in § 15a Abs. 1 InsO genannte Frist gilt als Maximalfrist; die Pflicht zur 663 Antragstellung besteht bereits ab dem Zeitpunkt der Erkennbarkeit der Insolvenzreife. Die Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a Abs. 1 InsO besteht bei fahrlässigem Handeln des Vertretungsorgans und ist verschuldensabhängig.394) Die Insolvenzverschleppungshaftung begründet für die Gläubiger, deren Forde- 664 rung bereits vor Eintritt der Insolvenzreife begründet worden ist (Altgläubiger), einen Anspruch auf Ersatz des sog. Quotenschadens, für die Insolvenzgläubiger, die erst nach Entstehen der Antragspflicht einen Vertragsschluss mit der Gesellschaft getätigt haben (Neugläubiger), einen Anspruch auf ihren vollen Vertrauensschaden (negatives Interesse).395) Der Quotenschaden definiert sich als die Differenz zwischen der tatsächlichen 665 und der bei rechtzeitiger Antragstellung fiktiv ursprünglich erzielbaren Insolvenzquote (Gesamtschaden i. S. v. § 92 InsO).396) In der Praxis bereitet die Durchsetzung des Anspruchs regelmäßig Schwierigkeiten, da neben der Bestimmung des konkreten Eintritts der Insolvenzreife insbesondere die Berechnung des Quotenschadens aufgrund der Notwendigkeit, rückblickend eine fiktive Masse nebst den zu berücksichtigenden Insolvenzforderungen sowie Aus- und Absonderungsrechten397) zu bestimmen nahezu unmöglich ist. Der den Neugläubigern zustehende Anspruch auf Ersatz des Vertrauens- 666 schadens ist als Individualschaden auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens von den Neugläubigern selbst zu verfolgen. Die Verjährung richtet sich nach den allgemeinen Vorschriften und beträgt 667 drei Jahre zum Ende des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist (§§ 195, 199 BGB). Die Strafbarkeit einer Insolvenzverschleppung gemäß § 15a Abs. 4, Abs. 5 668 InsO prüft regelmäßig die Ermittlungsbehörde (Staatsanwaltschaft). Dies ist nicht Aufgabe des Insolvenzverwalters. Auf die gesetzlichen Vertreter von Vereinen und Stiftungen ist § 15a InsO 669 nicht entsprechend anwendbar. Diese haften gemäß § 42 Abs. 2 BGB. ___________ 394) BGH, Urt. v. 29.11.1999 – II ZR 273/98, ZIP 2000, 184. 395) BGH, Urt. v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, ZIP 1994, 1103, dazu EWiR 1994, 791 (Wilhelm); instruktiv BGH, Urt. v. 25.7.2005 – II ZR 390/03, ZIP 2005, 1734. 396) BGH, Urt. v. 30.3.1998 – II ZR 146/96, ZIP 1998, 776. 397) BGH, Urt. v. 30.3.1998 – II ZR 146/96, ZIP 1998, 776.

165

C. Das eröffnete Insolvenzverfahren

m) Beraterhaftung 670 Die Frage der Inanspruchnahme von Beratern des Schuldnerunternehmens, insbesondere Steuerberatern und Sanierungsberatern, rückt im Hinblick auf Schadensersatzleistungen bzw. deliktischer Ansprüche wegen unterlassener Beratung bei Insolvenzreife, weiterer Beratung nach Eintritt der Insolvenzreife sowie wegen eines eventuellen Verstoßes gegen Hinweispflichten immer mehr in den Fokus.398) 671 Bis zum Jahr 2017 hatte der BGH hierzu diverse Rechtsgrundsätze aufgestellt: Eine Beraterhaftung aus Verletzung vertraglicher Pflichten (§ 280 BGB) scheidet jedenfalls dann aus, wenn der Steuerberater Leistungen innerhalb des erteilten Mandats erbringt (Fertigung betriebswirtschaftlicher Auswertungen, Jahresabschlüsse und Bilanzen) und darüber hinaus keine Belehrung hinsichtlich eventueller Insolvenzantragspflichten erteilt.399) Innerhalb eines solchen Mandats besteht lediglich die Pflicht, steuerliche Fragen zu klären und entsprechende Hinweise zu erteilen. Eine Hinweispflicht auf eine mögliche Insolvenzreife besteht nicht.400) 672 Ein Anspruch auf Schadensersatz besteht dann, wenn ein ausdrücklicher Auftrag zur Prüfung der Insolvenzreife erteilt wurde (Erstellung eines Bilanzberichts mit Bewertung der bilanziellen Überschuldung oder einer Überschuldungsbilanz)401) oder wenn der (nur) mit der Erstellung der Steuerbilanz beauftragte Steuerberater das Nichtvorliegen der insolvenzrechtlichen Überschuldung feststellt und konkret eine etwaige Insolvenzreife erörtert.402) Tritt der Steuerberater bei einem rein steuerrechtlichen Mandat in konkrete Erörterungen über eine etwaige Insolvenzreife der von ihm beratenen Gesellschaft ein, ohne die Frage nach dem Insolvenzgrund zu beantworten, hat er das Vertretungsorgan darauf hinzuweisen, dass eine verbindliche Klärung nur erreicht werden kann, indem ihm oder einem fachlich geeigneten Dritten ein entsprechender Prüfauftrag erteilt wird.403) 673 Der gerade in der Krise speziell mandatierte Sanierungsberater ist in jedem Fall zur Beratung verpflichtet, da die Prüfung der Sanierungsmöglichkeiten sowie der eventuellen Insolvenzantragspflicht gerade Inhalt des erteilten Mandats ist. ___________ 398) Zu Insolvenzanfechtung: §§ 143 Abs. 1, 130, 131, 133 InsO sowie zu strafrechtlichen Aspekten: Beihilfe (§ 27 StGB), Mittäterschaft (§ 25 Abs. 2 StGB). 399) BGH, Urt. v. 7.3.2013 – IX ZR 64/12, ZIP 2013, 829 = DB 2013, 928, dazu EWiR 2013, 477 (Baumert); BGH, Urt. v. 6.6.2013 – IX ZR 204/12, ZIP 2013, 1332 = DStR 2013, 2081, dazu EWiR 2013, 573 (Gräfe). 400) BGH, Urt. v. 7.3.2013 – IX ZR 64/12, ZIP 2013, 829 = DB 2013, 928; BGH, Urt. v. 6.6.2013 – IX ZR 204/12, ZIP 2013, 1332 = DStR 2013, 2081. 401) BGH, Urt. v. 7.3.2013 – IX ZR 64/12, ZIP 2013, 829 = DB 2013, 928; BGH, Urt. v. 6.6.2013 – IX ZR 204/12, ZIP 2013, 1332 = DStR 2013, 2081. 402) BGH, Urt. v. 6.2.2014 – IX ZR 53/13, ZIP 2014, 583 = DStR 2014, 975, dazu EWiR 2014, 385 (Zilkens). 403) BGH, Urt. v. 6.2.2014 – IX ZR 53/13, ZIP 2014, 583 = DStR 2014, 975.

166

VI. Ausgewählte Verwertungsfragen

Eventuelle vertraglich vereinbarte Haftungsbeschränkung (vgl. § 67a StBerG, 674 § 51a BRAO) können u. U. auch dem Insolvenzverwalter entgegengehalten werden. Soweit eine Haftung des Beraters gegeben ist, ist dieser zum Ersatz des Scha- 675 dens verpflichtet, der zwischen dem Beginn der Beratungs- bzw. Hinweispflicht wegen Insolvenzreife und der tatsächlichen Insolvenzantragstellung durch Minderung der Aktiva und/oder Erhöhung der Passiva eingetreten ist.404) Zusammenfassung (Historie bis 2017) der bisherigen Rechtsprechung zu 676 den Warn- und Hinweispflichten des Steuerberaters bei Vorliegen der Insolvenzreife: x

Keine besonderen Pflichten des Steuerberaters im Hinblick auf Antragspflicht nach Rechtsprechung bis 2014 im Rahmen eines rein steuerrechtlichen allgemeinen Mandats auch bei Bilanzerstellung etc.;

x

Hinweis- und Warnpflichten erst bei tatsächlicher Erörterung einer Insolvenzreife der beratenen Gesellschaft im Rahmen des rein steuerrechtlichen allgemeinen Mandats;

x

Uneingeschränkte vertragliche Haftung des Steuerberaters für etwaige Fehlleistungen bei ausdrücklichem oder schlüssig erteiltem Auftrag zur Prüfung der Insolvenzreife eines Unternehmens;

x

Die Frage nach einer Haftung aufgrund von fehlerhafter Going-ConcernAnnahme war bis dahin in der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht thematisiert worden.

x

Im Januar 2017 konstatierte der Senat des BGH in seiner Entscheidung vom 26.1.2017 ausdrücklich, dass er an dieser Rechtsprechung nicht uneingeschränkt festhalte.405)

Bereits den amtlichen Leitsätzen lässt sich eine verschärfte Haftung entnehmen: 677 „1. Besteht für eine Kapitalgesellschaft ein Insolvenzgrund, scheidet eine Bilanzierung nach Fortführungswerten aus, wenn innerhalb des Prognosezeitraums damit zu rechnen ist, dass das Unternehmen noch vor dem Insolvenzantrag, im Eröffnungsverfahren oder alsbald nach Insolvenzeröffnung stillgelegt werden wird. 2a) Der mit der Erstellung eines Jahresabschlusses für eine GmbH beauftragte Steuerberater ist verpflichtet zu prüfen, ob sich auf der Grundlage der ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen und der ihm sonst bekannten Umstände tatsächliche oder

___________ 404) BGH, Urt. v. 6.6.2013 – IX ZR 204/12, ZIP 2013, 1332 = DStR 2013, 2081; vgl. zur Haftung des Beraters gegenüber dem Organvertreter insbesondere BGH v. 14.6.2012 – IX ZR 145/11, ZIP 2012, 1353 = DStR 2012, 1559, dazu EWiR 2012, 509 (Westermann). 405) BGH, Urt. v. 26.1.2017 – IX ZR 285/14, ZIP 2017, 15 = ZInsO 2017, 432 = WM 2017, 383 = DB 2017, 418; siehe hierzu auch BStBK, Hinweise zur Verlautbarung der Bundessteuerberaterkammer zu den Grundsätzen für die Erstellung von Jahresabschlüssen in Bezug auf Gegebenheiten, die der Annahme der Unternehmensführung entgegenstehen, vom 13./14.3.2018 in der Fassung vom 9.9.2021.

167

C. Das eröffnete Insolvenzverfahren rechtliche Gegebenheiten ergeben, die einer Fortführung der Unternehmenstätigkeit entgegenstehen können. Hingegen ist er nicht verpflichtet, von sich aus eine Fortführungsprognose zu erstellen und die hierfür erheblichen Tatsachen zu ermitteln (Ergänzung zu BGH, Urteil vom 7. März 2013, IX ZR 64/12, WM 2013, 802 und BGH, Urteil vom 6. Juni 2013, IX ZR 204/12, WM 2013, 1323). 2b) Eine Haftung des Steuerberaters setzt voraus, dass der Jahresabschluss angesichts einer bestehenden Insolvenzreife der Gesellschaft objektiv zu Unrecht von Fortführungswerten ausgeht. 3. Der mit der Erstellung eines Jahresabschlusses für eine GmbH beauftragte Steuerberater hat die Mandantin auf einen möglichen Insolvenzgrund und die daran anknüpfende Prüfungspflicht ihres Geschäftsführers hinzuweisen, wenn entsprechende Anhaltspunkte offenkundig sind und er annehmen muss, dass die mögliche Insolvenzreife der Mandantin nicht bewusst ist (teilweise Aufgabe von BGH, Urteil vom 7. März 2013, IX ZR 64/12, WM 2013, 802).“

678 Die Entscheidung des Senats vom 26.1.2017406) beschreibt zum einen eine Haftung wegen ungerechtfertigter Going-concern-Bilanzierung: Besteht für eine Kapitalgesellschaft ein Insolvenzgrund, scheidet eine Bilanzierung nach Fortführungswerten aus, wenn innerhalb des Prognosezeitraums damit zu rechnen ist, dass das Unternehmen noch vor dem Insolvenzantrag, im Eröffnungsverfahren oder alsbald nach Insolvenzeröffnung stillgelegt werden wird.

679 Der mit der Erstellung eines Jahresabschlusses für eine GmbH beauftragte Steuerberater ist danach verpflichtet zu prüfen, ob sich auf der Grundlage der ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen und der ihm sonst bekannten Umstände tatsächliche oder rechtliche Gegebenheiten ergeben, die einer Fortführung der Unternehmenstätigkeit entgegenstehen können. Hingegen ist er nicht verpflichtet, von sich aus eine Fortführungsprognose zu erstellen und die hierfür erheblichen Tatsachen zu ermitteln.407) 680 Eine Haftung des Steuerberaters (§§ 280 Abs. 1, 634 Nr. 4, 675 Abs. 1 BGB) setzt voraus, dass der Jahresabschluss angesichts einer bestehenden Insolvenzreife der Gesellschaft objektiv zu Unrecht von Fortführungswerten ausgeht. 681 Eine weitere, in der Entscheidung des BGH vom 26.1.2017408) konstatierte Haftungsgefahr beschreibt sich aus der Verletzung von Warn- und Hinweispflichten wie folgt: Der mit der Erstellung eines Jahresabschlusses für eine GmbH beauftragte Steuerberater hat die Mandantin auf einen möglichen Insolvenzgrund und die daran anknüpfende Prüfungspflicht ihres Geschäftsführers hinzuweisen, wenn

___________ 406) BGH, Urt. v. 26.1.2017 – IX ZR 285/14, ZIP 2017, 15 = ZInsO 2017, 432 = NWB 2017, 1039 = WM 2017, 383 = DB 2017, 418. 407) Ergänzung zu BGH ZIP 2013, 829 = ZInsO 2013, 826 und BGH ZIP 2013, 1332 = ZInsO 2013, 1409. 408) BGH, Urt. v. 26.1.2017 – IX ZR 285/14, ZIP 2017, 15 = ZInsO 2017, 432 = NWB 2017, 1039 = WM 2017, 383 = DB 2017, 418.

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VI. Ausgewählte Verwertungsfragen entsprechende Anhaltspunkte offenkundig sind und er annehmen muss, dass die mögliche Insolvenzreife der Mandantin nicht bewusst ist.409)

Die vorbeschriebene Haftung aus §§ 280 Abs. 1, 675 Abs. 1 BGB wegen Ver- 682 letzung einer Hinweis- und Warnpflicht besteht gegenüber der Gesellschaft auch bei mangelfreiem Jahresabschluss. Bei einer Nichterfüllung der Warn- und Hinweispflichten haftet der Steuer- 683 berater für den Insolvenzverschleppungsschaden, wenn die Gesellschaft bei ordnungsgemäßer Hinweiserteilung früher Insolvenz angemeldet hätte. Die Möglichkeit der Haftungsansprüche ist vom Insolvenzverwalter zu prüfen. 684 Nicht selten scheitert die Geltendmachung der Ansprüche an rechtlichen Gegebenheiten, da den Insolvenzverwalter bzgl. eines Schadensersatzanspruchs auch die Beweislast dafür trifft, darzulegen, dass das Handeln des Beraters kausal war für den dadurch eingetretenen Schaden. Dies wird in vielen Fällen nicht so einfach gelingen. n) Bankguthaben Die hinsichtlich der Geschäftskonten bestehenden Kotenverträge erlöschen 685 mit Eröffnung kraft Gesetzes gemäß §§ 115, 116 InsO. Ein Anspruch auf Auszahlung des Guthabens unterliegt dem Insolvenzbeschlag und ist zur Masse zu vereinnahmen. Praxistipp: Die Kontoauszüge sind im Insolvenzverfahren – unabhängig davon, ob die Geschäftskonten im Debet oder im Haben geführt wurden – von höchstem Interesse und in jedem Fall hinsichtlich möglicher Haftungsansprüche gegen Geschäftsführer und Anfechtungsansprüche auszuwerten (ĺ Rn. 622 ff., 687 ff.).

o) Kassenbestand Wird im Unternehmen eine Barkasse geführt, ist der Barkassenbestand Insol- 686 venzmasse. Bei einer Fortführung des Unternehmens ist zur Abwicklung des täglichen Zahlungsverkehrs ein angemessener Wechselgeldbestand in der Kasse zu belassen und i. Ü. die Einzahlung der Tageseinnahmen zum Sonderkonto zu veranlassen. p) Anfechtungsansprüche aa) Grundlegendes Das Anfechtungsrecht ist Ausfluss des Gläubigergleichbehandlungsgrundsatzes 687 (par conditio creditorum) und zielt darauf ab, die Haftungsmasse nach Eintritt der Insolvenzreife zur Befriedigung der Gläubigergesamtheit zusammen___________ 409) Teilweise Aufgabe von BGH, Urt. v. 7.3.2013 – IX ZR 64/12, ZIP 2013, 829.

169

C. Das eröffnete Insolvenzverfahren

zuhalten. Durch das Anfechtungsrecht wird der Insolvenzverwalter in die Lage versetzt, Vermögensabflüsse zugunsten Dritter bzw. einzelner Gläubiger rückabzuwickeln. Mit § 143 Abs. 1 InsO findet sich eine in der Insolvenzordnung festgeschriebene eigene Anspruchsgrundlage, dass in anfechtbarer Weise aus der Aktivmasse ausgeschiedene Vermögen zur Insolvenzmasse zurückzuerstatten ist. bb) Systematik und Konzentration 688 Sind in § 129 InsO die allgemeinen Voraussetzungen der Anfechtung geregelt, ergeben sich die einzelnen Insolvenzanfechtungstatbestände aus den §§ 130 ff. InsO. Von einer erschöpfenden Besprechung des Anfechtungsrechts wird im Hinblick auf die Zielsetzung des Werkes abgesehen. Der Schwerpunkt der Betrachtung konzentriert sich daher insbesondere auf die ausschließlich im Gesellschaftsrecht anwendbare Norm des § 135 InsO und deren Besonderheiten.410) cc) Allgemeine Voraussetzungen der Anfechtung 689 Als allgemeine Tatbestandsvoraussetzung ist i. R. v. § 129 Abs. 1 InsO zu prüfen, ob eine objektive Gläubigerbenachteiligung vorliegt. Die Gläubiger sind objektiv benachteiligt, wenn die anfechtbare Rechtshandlung – wirtschaftlich betrachtet – zu einer Schmälerung der Insolvenzmasse und damit Verkürzung des Haftvermögens geführt hat.411) Eine solche ist beispielsweise anzunehmen bei der Entstehung eines Pfändungspfandrechts nach Eintritt der Insolvenzreife, da in der wirtschaftlichen Krise aus §§ 803 ff. ZPO kein Recht auf Befriedigung im Wege der Einzelzwangsvollstreckung mit staatlichen Mitteln hergeleitet werden kann,412) bei Begleichung einer Verbindlichkeit durch das Schuldnerunternehmen, obwohl Einwendungen hätten entgegenhalten werden können,413) oder bei Veräußerung eines Sicherungsgutes unter Wert.414) Bei der Zahlung über ein Geschäftskonto liegt eine objektive Benachteiligung i. S. d. § 129 Abs. 1 InsO nur dann vor, wenn die Zahlung aus einem Guthaben oder im Rahmen einer eingeräumten Kreditlinie erbracht worden ist.415) 690 Erbringt der Leistungsempfänger eine gleichwertige Gegenleistung, fehlt es i. a. R. an der objektiven Gläubigerbenachteiligung. Gleiches gilt bei der Be___________ 410) Vgl. zu den weiteren Anfechtungstatbeständen Wipperfürth, 2014, Rn. 810 ff. 411) St. Rspr., vgl. exempl. BGH, Urt. v. 27.5.2003 – IX ZR 169/02, ZIP 2003, 1506 = ZVI 2003, 410, dazu EWiR 2003, 1097 (Hölzle). 412) BGH, Urt. v. 9.9.1997 – IX ZR 14/97, ZIP 1997, 1929, dazu EWiR 1998, 37 (Gerhardt). 413) BGH, Urt. v. 6.4.1995 – IX ZR 61/94, ZIP 1995, 1021, dazu EWiR 1995, 781 (Henckel). 414) BGH, Urt. v. 9.1.1997 – IX ZR 1/96, ZIP 1997, 367, dazu EWiR 1997, 899 (Henckel). 415) BGH, Beschl. v. 1.2.2007 – IX ZB 248/05, ZIP 2007, 601 = ZVI 2007, 423, dazu EWiR 2007, 439 (Göb).

170

VI. Ausgewählte Verwertungsfragen

stellung einer angemessenen Sicherheit gegen Darlehensgewährung oder der Ablösung einer vollwertigen, selbst insolvenzbeständigen Sicherheit.416) Vorliegen muss zudem eine Rechtshandlung.417) Der BGH definiert eine 691 Rechtshandlung als „jede bewusste Willensbetätigung, die eine rechtliche Wirkung auslöst und das Vermögen des Schuldners zum Nachteil der Insolvenzgläubiger verändern kann“.418) Rechtshandlungen sind jedes Tun und Unterlassen (§ 129 Abs. 1, Abs. 2 InsO). Zu den Rechtshandlungen zählen neben rechtsgeschäftlichen Willenserklärungen und rechtsgeschäftsähnlichen Handlungen auch Realakte, Prozesshandlungen sowie hoheitliche Vollstreckungsakte. Einzelne Anfechtungstatbestände schränken den Begriff der Rechtshandlung ein. In den Anwendungsbereich von § 135 InsO fallen nur Rechtshandlungen, die für die Forderung eines Gesellschafters auf Rückgewähr eines Darlehens oder für eine gleichgestellte Forderung eine Sicherung oder Befriedigung gewährt. dd) Die Anfechtungstatbestände des § 135 Abs. 1, 2 InsO (1) Grundlegendes Liegen die allgemeinen Voraussetzungen der Insolvenzanfechtung i. S. d. 692 § 129 InsO vor, sind die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 135 InsO zu prüfen. § 135 InsO Gesellschafterdarlehen (1) Anfechtbar ist eine Rechtshandlung, die für die Forderung eines Gesellschafters auf Rückgewähr eines Darlehens im Sinne des § 39 Abs. 1 Nr. 5 oder für eine gleichgestellte Forderung 1.

Sicherung gewährt hat, wenn die Handlung in den letzten zehn Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag vorgenommen worden ist, oder

2.

Befriedigung gewährt hat, wenn die Handlung im letzten Jahr vor dem Eröffnungsantrag oder nach diesem Antrag vorgenommen worden ist.

(2) Anfechtbar ist eine Rechtshandlung, mit der eine Gesellschaft einem Dritten für eine Forderung auf Rückgewähr eines Darlehens innerhalb der in Abs. 1 Nr. 2 genannten Fristen Befriedigung gewährt hat, wenn ein Gesellschafter für die Forderung eine Sicherheit bestellt hatte oder als Bürge haftete; dies gilt sinngemäß für Leistungen auf Forderungen, die einem Darlehen wirtschaftlich entsprechen. (3) […] (4) […]

___________ 416) BGH, Urt. v. 21.3.2000 – IX ZR 138/99, ZIP 2000, 898, dazu EWiR 2000, 687 (Huber). 417) Vgl. BGH, Urt. v. 15.10.1975 – VIII ZR 62/74, DB 1976, 673. 418) BGH, Beschl. v. 5.2.2004 – IX ZR 473/00, ZIP 2004, 917 (m. Bespr. Henckel, S. 1671), dazu EWiR 2004, 771 (Höpfner), ZInsO, 2004, 499.

171

C. Das eröffnete Insolvenzverfahren

10 Jahre vor Antrag

1 Jahr vor Antrag

1 Jahr vor Antrag

Erfasster Zeitraum

Eröffnung

(§ 135 Abs. 1 Nr. 1)

Erfasster Zeitraum

Eröffnung

(§ 135 Abs. 1 Nr. 2)

Erfasster Zeitraum

Eröffnung

(§ 135 Abs. 2)

693 In den Anwendungsbereich von § 135 InsO fallen alle Gesellschaften, die weder eine natürliche Person noch eine Gesellschaft als persönlich haftenden Gesellschafter haben, bei der ein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist (GmbH, UG [haftungsbeschränkt], AG, KGaA sowie GbR, OHG und KG als Personengesellschaften, soweit kein Vollhafter eine natürliche Person ist). Der Anwendungsbereich ist bei Genossenschaften auf solche begrenzt, bei denen keine unbeschränkte Nachschusspflicht der Genossen besteht (vgl. §§ 6 Nr. 3, 105 Abs. 1 GenG).419) Der Anwendungsbereich erstreckt sich mangels einer vermögensmäßigen Beteiligung am „Kapital“ nicht auf Vereine und Stiftungen.420) 694 § 135 InsO erfasst in Absatz 1 und Absatz 2 Rechtshandlungen, denen im Ursprung Zahlungen eines Gesellschafters an die Gesellschaft zugrunde liegen. Erfasst sind nicht die Leistungen auf das statuarische Eigenkapital, sondern Geldmittel, die ein Gesellschafter dem Unternehmen darlehensweise oder in ähnlich wirtschaftlich gelagerter Form zur Verfügung gestellt hat. Die Forderungen des Gesellschafters auf Rückgewähr eines solchen Darlehens (bzw. Forderungen aus Rechtshandlungen, die einem solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen) kann der Gesellschafter im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft nur im Nachrang geltend machen (vgl. § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO, Geltendmachung nach Maßgabe des § 39 Abs. 4, Abs. 5 InsO). 695 § 135 InsO beinhaltet insgesamt drei Anfechtungstatbestände, wobei Adressat des Anspruchs (Anfechtungsgegner) i. S. v. § 143 Abs. 1, 3 InsO stets der Gesellschafter ist. In § 135 Abs. 1 InsO sind die Voraussetzungen der Anfecht___________ 419) Haarmeyer/Huber/Schmittmann-Schmittmann, § 135 Rn. 16. 420) Haarmeyer/Huber/Schmittmann-Schmittmann, § 135 Rn. 17 m. w. N.

172

VI. Ausgewählte Verwertungsfragen

barkeit von Rechtshandlungen geregelt, die zu einer Sicherung (§ 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO) oder Befriedigung (§ 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO) der Ansprüche des Gesellschafters gegen die Gesellschaft geführt haben. Gemäß § 135 Abs. 2 InsO sind Zahlungen an einen Gesellschaftsgläubiger gegenüber dem Gesellschafter, welcher für diese Forderung eine Sicherheit bestellt hatte, anfechtbar. Praxistipp: § 135 Abs. 3 InsO § 135 Abs. 3 InsO regelt keinen Anfechtungstatbestand, sondern eine zeitlich begrenzte Aussonderungssperre!

(2) Anfechtungstatbestand nach § 135 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 InsO Nach § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist eine Rechtshandlung anfechtbar, die für die 696 Forderung eines Gesellschafters auf Rückgewähr eines Darlehens i. S. d. § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO oder für eine gleichgestellte Forderung eine Sicherung oder Befriedigung gewährt hat, wenn die Handlung in den letzten zehn Jahren (Sicherung) bzw. im letzten Jahr (Befriedigung) vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag vorgenommen worden ist. Der Prüfungsumfang umfasst demnach zunächst die Frage, ob ein Gesell- 697 schafterdarlehen oder eine diesem wirtschaftlich gleichgestellte Forderung zugrunde lag. Abzustellen ist auf die Gesellschafterstellung im Zeitpunkt der Sicherung oder Befriedigung.421) Endet die Gesellschafterstellung innerhalb der maßgeblichen Anfechtungsfrist, ist § 135 Abs. 1 InsO anwendbar, endet sie außerhalb kommt nur eine Anfechtung nach den weiteren Tatbeständen gegen den Empfänger als Dritten in Betracht.422) Erfasst sind „reine“ Darlehen (i. S. v. §§ 488, 607 BGB). „Gleichgestellte Forde- 698 rung“ können sein: x

Darlehensforderungen von Unternehmen, die mit dem Gesellschafter horizontal oder vertikal verbunden sind,423)

x

Forderungen aus Warenlieferungen,424)

x

Stehenlassen einer Forderung oder einer Gehaltsforderung,425)

x

nicht ausgeschüttete Gewinne.426)

___________ 421) Bork, ZIP 2012, 2277, 2278. 422) Haarmeyer/Huber/Schmittmann-Schmittmann, § 135 Rn. 20 m. w. N. 423) BGH, Urt. v. 21.2.2013 – IX ZR 32/12, ZIP 2013, 582 (m. Bespr. Preuß, S. 1145 u. Reinhard/Schützler, S. 1898), dazu EWiR 2013, 217 (Bork). 424) BGH, Urt. v. 13.7.1981 – II ZR 256/79, BGHZ 81, 252 = ZIP 1981, 974. 425) BGH, Urt. v. 26.11.1979 – II ZR 104/77, BGHZ 75, 334 = ZIP 1980, 115 (m. Anm. Klasmeyer, S. 117); BGH, Urt. v. 24.3.1980 – II ZR 213/77, BGHZ 76, 326 = ZIP 1980, 361. 426) BGH, Urt. v. 26.11.1979 – II ZR 104/77, BGHZ 75, 334 = ZIP 1980, 115 (m. Anm. Klasmeyer, S. 117).

173

C. Das eröffnete Insolvenzverfahren

699 Von der Gesellschaft an den Gesellschafter vor Insolvenzantragstellung geleisteten Mietzahlungen für die Überlassung eines Gegenstands stellen keine „gleichgestellten Forderungen“ i. S. d. § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO dar, wenn die Mietzahlungen pünktlich erfolgt sind. Eine Anfechtbarkeit nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO wird in diesem Fall verneint.427) Zu prüfen wäre in diesem Fall die Anfechtbarkeit unter den Voraussetzungen der §§ 130, 131, 133 InsO. 700 Die Gleichstellung kann neben der vorerwähnten sachlichen auch persönlicher Natur sein, wenn eine Person mit gesellschaftergleichem Vermögensinteresse oder eine Mittelsperson auf Rechnung des Gesellschafters oder mit Mitteln des Gesellschafters der Gesellschaft Kredit gewährt.428) 701 Als Sicherung i. S. v. § 135 InsO kommt jede Sicherheitenbestellung, demnach insbesondere Sicherungsübereignungen, Sicherungszessionen sowie Bestellung von Pfandrechten an beweglichen und unbeweglichen Gegenständen in Betracht. 702 Eine Befriedigung i. S. v. § 135 InsO ist jede Form des Erlöschens. Der sog. „Bargeschäftseinwand“ ist dem Gesellschafter auch für die pünktliche Rückzahlung fälliger Darlehensraten verwehrt.429) (3) Anfechtungstatbestand nach § 135 Abs. 2 InsO 703 In den Anwendungsbereich von § 135 Abs. 2 InsO fallen Darlehensforderungen oder gleichgestellte Forderungen eines Dritten, dessen Forderungen durch einen Gesellschafter oder einen diesem gleichgestellten Dritten abgesichert worden sind.430) Wird über das Vermögen der Gesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet, kann der Dritte nur insoweit Befriedigung aus der Insolvenzmasse verlangen, wie er bei der Inanspruchnahme der Sicherheit oder des Bürgen ausgefallen ist (gemäß § 44a InsO).431) 704 Der Anfechtungsgrund i. S. v. § 135 Abs. 2 InsO liegt im Freiwerden des Gesellschafters aus der von ihm gestellten Sicherheit durch die Leistung der Gesellschaft. Sicherheiten i. S. d. § 135 Abs. 2 InsO sind neben der Bürgschaft auch Grundpfandrechte,432) Mobiliarsicherheiten und sonstige Personalsicherheiten (insbesondere „harte“ Patronatserklärung,433) Schuldbeitritt434)). ___________ 427) So OLG Schleswig, Urt. v. 13.1.2012 – 4 U 57/11, ZIP 2012, 885 = ZInsO 2012, 1678, dazu EWiR 2012, 321 (Lutz). 428) Haarmeyer/Huber/Schmittmann-Schmittmann, § 135 Rn. 26 f. m. w. N. 429) So OLG Celle, Beschl. v. 8.10.2012 – 13 U 95/12, ZIP 2012, 2114 = ZInsO 2012, 2050. 430) Haarmeyer/Huber/Schmittmann- Schmittmann, § 135 Rn. 32. 431) OLG Stuttgart, Urt. v. 26.9.2012 – 9 U 65/12, ZInsO 2012, 2051. 432) BGH, Urt. v. 27.11.1989 – II ZR 310/88, ZIP 1990, 95, dazu EWiR 1990, 61 (Kort). 433) OLG Celle, Urt. v. 18.6.2008 – 9 U 14/08, ZIP 2008, 2416. 434) OLG München, Urt. v. 22.3.2006 – 7 U 5152/05, ZIP 2006, 1350 (LS) = GmbHR 2006, 814.

174

VI. Ausgewählte Verwertungsfragen

Anfechtungsgegner ist in Anbetracht des Anfechtungsgrundes der Befreiung 705 von der Sicherheit der Gesellschafter. Der Anfechtungsanspruch besteht gemäß §§ 135 Abs. 2, 143 Abs. 1, 3 InsO in der Höhe, in der die Befreiung von der Sicherheit durch die Rückzahlung der Gesellschaftsschuld herbeigeführt wird. Wird die am Gesellschaftsvermögen und am Vermögen eines Gesellschafters 706 gesicherte Forderung eines Darlehensgläubigers nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft durch Verwertung der Gesellschaftssicherheit befriedigt, ist der Gesellschafter zur Erstattung des an den Gläubiger ausgekehrten Betrages zur Insolvenzmasse verpflichtet. Im Sonderfall der Doppelbesicherung eines Darlehensgläubigers durch das 707 Gesellschaftsvermögen (z. B. Sicherungsübereignung) und durch das Gesellschaftervermögen (z. B. Bürgschaft) ist der Gesellschafter zur Erstattung des an den Gläubiger ausgekehrten Betrages zur Insolvenzmasse verpflichtet, wenn der Darlehensgläubiger nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft durch Verwertung der Gesellschaftssicherheit befriedigt wird.435) Die Erstattungspflicht ergibt sich aus § 143 Abs. 1, 3 InsO analog, auch wenn der Anfechtungstatbestand (Freiwerden) entgegen dem Wortlaut der Norm erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft durch Verwertung der Gesellschaftssicherheit erfüllt wird. (4) COVID-19-Pandemie und Anfechtungsrecht Infolge der COVID-19-Pandemie wurde vorübergehend auch das Anfech- 708 tungsrecht „entschärft“.436) Unter der Voraussetzung, dass gemäß § 1 COVInsAG die Insolvenzantrags- 709 pflicht ausgesetzt war, gelten die bis zum 31.3.2022 erfolgten Zahlungen auf Forderungen aufgrund von bis zum 28.2.2021 gewährten Stundungen als nicht gläubigerbenachteiligend, sofern über das Vermögen des Schuldners ein Insolvenzverfahren bis zum Ablauf des 18.2.2021 noch nicht eröffnet worden ist (§ 2 Abs. 1 Nr. 5 COVInsAG). Überdies sind gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG kongruente Rechtshandlungen in einem späteren Insolvenzverfahren nicht anfechtbar; dies gilt nicht, wenn dem anderen Teil bekannt war, dass die Sanierungs- und Finanzierungsbemühungen des Schuldners nicht zur Beseitigung einer eingetretenen Zahlungsunfähigkeit geeignet gewesen sind. Entsprechendes gilt für Leistungen an Erfüllungs statt oder erfüllungshalber, Zahlungen durch einen Dritten auf Anweisung des Schuldners die Bestellung einer anderen als der ursprünglich vereinbarten Sicherheit, wenn diese nicht werthaltiger ist und die Verkürzung von Zahlungszielen. ___________ 435) BGH, Urt. v. 1.12.2011 – IX ZR 11/11, ZIP 2011, 2417. 436) COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz – COVInsAG v. 27.3.2021, BGBl. I, 569, zuletzt geändert am 15.2.2021, siehe BGBl. I, 237.

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C. Das eröffnete Insolvenzverfahren

VII. Verfahrenskosten, sonstige Masseverbindlichkeiten und die Folgen von Massearmut und Masseunzulänglichkeit 1. Verfahrenskosten (§§ 53, 54 InsO) 710 Die Kosten des Insolvenzverfahrens sind vorab aus der Masse zu befriedigen (§ 53 InsO). Stellt sich bereits im Eröffnungsverfahren heraus, dass eine verfahrenskostendeckende Masse nicht vorhanden ist, wird der Eröffnungsantrag mangels Masse abgewiesen (§ 26 InsO). Stellt der Insolvenzverwalter nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens fest, dass die zunächst (als kostendeckend) prognostizierten Verwertungserlöse wider Erwarten nicht erzielt werden können und reicht die erzielbare Insolvenzmasse nicht aus, um die Verfahrenskosten zu decken, muss das Verfahren gemäß § 207 InsO mangels Masse eingestellt werden. 711 Neben den Verfahrenskosten sind auch die sonstigen Masseverbindlichkeiten (§ 55 InsO, ĺ Rn. 751 ff.) zu bedienen. Reicht die Masse zwar zur Kostendeckung, jedoch darüber hinaus nicht aus, um auch die sonstigen Masseverbindlichkeiten zu decken, liegt Masseunzulänglichkeit vor. In diesem Fall sind – entsprechend der Rangfolge des § 209 InsO – vorrangig die Verfahrenskosten zu befriedigen. 712 Zu den Verfahrenskosten zählen gemäß § 54 Nr. 1 InsO die Gerichtskosten (ĺ Rn. 714 ff.). Diese werden vom Insolvenzgericht berechnet und erhoben. Der Insolvenzverwalter muss während der gesamten Verfahrensabwicklung jedoch stets die Frage der Verfahrenskostendeckung prüfen, um ggf. zeitnah Masseunzulänglichkeit anzeigen bzw. eine Einstellung des Verfahrens gemäß § 207 InsO anregen zu können. Daher muss auch der Insolvenzverwalter die Berechnung der Gerichtskosten beherrschen. 713 Neben den Gerichtskosten zählen auch die Vergütung und Auslagen des vorläufigen Verwalters (ĺ Rn. 724 ff.), des Insolvenzverwalters (ĺ Rn. 735 ff.), des Sachwalters (ĺ Rn. 741 ff.) und der Mitglieder des Gläubigerausschusses (ĺ Rn. 750 ff.) zu den Verfahrenskosten (§ 54 Nr. 2 InsO). a) Gerichtskosten 714 Zu den Verfahrenskosten zählen zunächst die Gerichtskosten (§ 1 Abs. 1 GKG): x

Gebühren für das Verfahren über den Eröffnungsantrag (Nr. 2310, 2311 GKG KV)

715 Im Antragsverfahren entsteht eine halbe Gebühr (Eigenantrag Nr. 2310 KV, Fremdantrag Nr. 2311 KV). Die Berechnung erfolgt nach dem Wert der Insolvenzmasse im Zeitpunkt der Beendigung des Antragsverfahrens ohne Berücksichtigung von Absonderungsrechten. Die Berechnungsgrundlage bei einem Fremdantrag beträgt höchstens den Nominalwert der vom Gläubiger verfolgten Forderung, mindestens jedoch 198 € (Nr. 2311 KV). 176

VII. Verfahrenskosten, sonstige Masseverbindlichkeiten und die Folgen von Massearmut

Mehrere Insolvenzanträge über das Vermögen ein und derselben Gesellschaft 716 werden als jeweils selbständige Antragsverfahren geführt, die jeweils eigenständig die Verfahrensgebühren auslösen. Mit Eröffnung erfolgt regelmäßig die Verbindung aller zulässigen Anträge (§ 4 InsO i. V. m. § 147 ZPO). Zu den Verfahrenskosten zählt nur die Gebühr, die durch den zur Eröffnung führenden Antrag ausgelöst wurde. x

Gebühren für die Durchführung des Verfahrens (Nr. 2320 ff., 2330 ff. GKG KV)

Für die Durchführung des Insolvenzverfahrens fallen bei einem Schuldnerantrag 717 Gerichtskosten in Höhe von 2,5 Gebühren (Nr. 2320 KV) und bei einem Gläubigerantrag 3 Gebühren (Nr. 2330 KV) an. Eine Anrechnung der Gebühren des Antragsverfahrens erfolgt nicht. Die Berechnungsgrundlage für die Gerichtskosten ist der Wert der Insol- 718 venzmasse zur Zeit der Beendigung des Verfahrens (inkl. des Neuerwerbs), jedoch ohne Berücksichtigung von Absonderungsrechten (§ 58 Abs. 1 GKG). Wird das Unternehmen des Schuldners fortgeführt, so ist von den bei der Fortführung erzielten Einnahmen nur der Überschuss zu berücksichtigen, der sich nach Abzug der Ausgaben ergibt. Dies gilt auch, wenn nur Teile des Unternehmens fortgeführt werden (§ 58 Abs. 1 Satz 3 GKG).437) Bei einer vorzeitigen Beendigung des Verfahrens reduzieren sich die Gebühren 719 in Abhängigkeit vom Zeitpunkt der Beendigung in unterschiedlicher Höhe. Meldet ein Gläubiger seine Forderung(en) verspätet an, hat er für einen nach- 720 träglichen Prüfungstermin einen Kostenaufwand in Höhe von derzeit 20 € in Kauf zu nehmen (Nr. 2340 GKG KV). Diese Kosten sind nicht Bestandteil der Verfahrenskosten und werden gegenüber dem jeweiligen Anmeldenden erhoben. x

Auslagen des Gerichts (Nr. 9000 ff. GKG KV)

Zu Auslagen zählen insbesondere die Zustellungs- und Bekanntmachungs- 721 kosten (Nr. 9002, 9004 KV), die Kosten einer Vorführung des Schuldnervertreters (Nr. 9006 KV) und die Kosten des Sachverständigen (Nr. 9005 KV). b) Vergütung des Sachverständigen Der im Antragsverfahren mit der Gutachtenerstellung beauftragte Sachver- 722 ständige ist gesondert nach dem JVEG zu entschädigen. Die Höhe des Stun-

___________ 437) Gesetz zur Änderung des Justizkosten- und des Rechtsanwaltsvergütungsrechts und zur Änderung des Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht (Kostenrechtsänderungsgesetz 2021 – KostRÄG 2021) vom 21.12.2020, BGBl. I, 3229.

177

C. Das eröffnete Insolvenzverfahren

densatzes bemisst sich nach § 9 Abs. 4 JVEG auf 120 € (isolierter Sachverständiger) bzw. 95 € (Parallelität zur Tätigkeit als vorläufiger Insolvenzverwalter/vorläufiger Sachwalter).438) 723 Wird der Sachverständige im Eröffnungsverfahren parallel auch zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt, sind beide Tätigkeiten gesondert zu vergüten. c) Die Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters 724 Der vorläufige Insolvenzverwalter hat gemäß § 63 Abs. 3 InsO, § 11 InsVV einen eigenständigen Vergütungsanspruch. Dieser Anspruch besteht ungeachtet einer eventuellen Personenidentität mit dem nach Eröffnung des Verfahrens bestellten Insolvenzverwalter.439) 725 Der Anspruch wird mit Beendigung der Tätigkeit als vorläufiger Insolvenzverwalter fällig, demnach mit der Verfahrenseröffnung, der Ablehnung der Eröffnung, der Verfahrensaufhebung, der Entlassung des vorläufigen Insolvenzverwalters und mit dessen Tod. 726 Nicht festgesetzte Ansprüche verjähren in drei Jahren (§ 195 BGB). Die Verjährungsfrist beginnt mit dem Ende des Jahres, in dem der Anspruch auf Vergütung entstanden ist (§ 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB). Die Verjährung des Vergütungsanspruchs des vorläufigen Insolvenzverwalters ist gehemmt bis zum Abschluss des eröffneten Insolvenzverfahrens.440) Rechtskräftig festgesetzte Vergütungsansprüche unterliegen der 30-jährigen Verjährung (§ 197 Abs. 1 Nr. 3 BGB). 727 Der vorläufige Insolvenzverwalter erhält in der Regel 25 % der Vergütung des Insolvenzverwalters bezogen auf das Vermögen, auf das sich seine Tätigkeit während des Eröffnungsverfahrens erstreckt (§ 63 Abs. 3 Satz 2 InsO). Maßgebend für die Wertermittlung ist der Zeitpunkt der Beendigung der vorläufigen Verwaltung oder der Zeitpunkt, ab dem der Gegenstand nicht mehr der vorläufigen Verwaltung unterliegt. Die Regelvergütung ergibt sich daher aus der Staffelvergütung des § 2 InsVV, die wiederum auf der Basis der Berechnungsgrundlage des § 1 InsVV ermittelt wird. § 2 Abs. 1 InsVV i. d. F. bis zum 31.12.2020 (1) Der Insolvenzverwalter erhält in der Regel 1.

von den ersten 25.000 Euro der Insolvenzmasse 40 vom Hundert,

2.

von dem Mehrbetrag bis zu 50.000 Euro 25 vom Hundert,

___________ 438) Gesetz zur Änderung des Justizkosten- und des Rechtsanwaltsvergütungsrechts und zur Änderung des Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht (Kostenrechtsänderungsgesetz 2021 – KostRÄG 2021) vom 21.12.2020, BGBl. I, 3229. 439) BGH, Beschl. v. 14.12.2000 – IX ZB 105/00, ZIP 2001, 296 (m. Bespr. Keller, S. 1749). 440) BGH, Beschl. v. 22.9.2010 – IX ZB 195/09, ZIP 2010, 2160 = ZVI 2011, 66 = NZI 2010, 977, dazu EWiR 2011, 25 (Blersch).

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VII. Verfahrenskosten, sonstige Masseverbindlichkeiten und die Folgen von Massearmut 3.

von dem Mehrbetrag bis zu 250.000 Euro 7 vom Hundert,

4.

von dem Mehrbetrag bis zu 500.000 Euro 3 vom Hundert,

5.

von dem Mehrbetrag bis zu 25.000.000 Euro 2 vom Hundert,

6.

von dem Mehrbetrag bis zu 50.000.000 Euro 1 vom Hundert,

7.

von dem darüber hinausgehenden Betrag 0,5 vom Hundert.

§ 2 Abs. 1 InsVV i. d. F. ab dem 1.1.2021441) (1) Der Insolvenzverwalter erhält in der Regel 1.

von den ersten 35 000 Euro der Insolvenzmasse 40 Prozent,

2.

von dem Mehrbetrag bis zu 70 000 Euro 26 Prozent,

3.

von dem Mehrbetrag bis zu 350 000 Euro 7,5 Prozent,

4.

von dem Mehrbetrag bis zu 700 000 Euro 3,3 Prozent,

5.

von dem Mehrbetrag bis zu 35 000 000 Euro 2,2 Prozent,

6.

von dem Mehrbetrag bis zu 70 000 000 Euro 1,1 Prozent,

7.

von dem Mehrbetrag bis zu 350 000 000 Euro 0,5 Prozent,

8.

von dem Mehrbetrag bis zu 700 000 000 Euro 0,4 Prozent,

9.

von dem darüber hinausgehenden Betrag 0,2 Prozent.

Absonderungsrechte sind bei Ermittlung der Berechnungsgrundlage nur zu 728 berücksichtigen, wenn sich der vorläufige Verwalter in erheblichem Umfang, d. h. über das übliche Maß hinaus mit ihnen befasst hat (§ 11 Abs. 1 Satz 2 InsVV). Die Befassung in erheblichem Umfang ist fallbezogen in dem Vergütungsantrag darzulegen. Bestenfalls finden sich die dortigen Ausführungen inhaltlich auch im Berichtswesen wieder. Die Vergütung des vorläufigen Verwalters ist zu- und abschlagsfähig (§ 10 729 InsVV i. V. m. § 3 InsVV). Zuschläge erhöhen den Regelbruchteil (25 %) um den Prozentsatz, der als Zuschlag gewährt wird.442) Der zuzuschlagende Prozentsatz ist dabei ebenfalls ausgehend von der fiktiven Mindestvergütung des endgültigen Verwalters zu bestimmen.443) Soweit in § 3 InsVV Zuschlagstatbestände angeführt sind, sind diese nicht 730 abschließend. Zahlreiche weitere Kriterien wurden durch die Rechtsprechung entwickelt, die sich in sog. „Faustregeltabellen“ als „Zusammenfassung“ finden. Diese Tabellen können in der Praxis der Vergütungsfestsetzung allenfalls als Anhaltspunkte herangezogen werden, um sodann eine individualisierte Ver___________ 441) Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz) – SanInsFoG v. 22.12.2020, BGBl. I, 3256. 442) BGH, Beschl. v. 12.1.2006 – IX ZB 127/04, ZIP 2006, 672 (m. Anm. Prasser, S. 675) = ZVI 2006, 165. 443) BGH, Beschl. v. 27.9.2012 – IX ZB 243/11, ZInsO 2013, 840.

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C. Das eröffnete Insolvenzverfahren

gütungsfestsetzung zu erarbeiten. Eine schematische Betrachtung verbietet sich.444) 731 Jedenfalls ist die Zuschlagsfähigkeit vom Verwalter einzelfallbezogen und konkret vorzutragen. 732 Die Mindestvergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters beträgt in Abhängigkeit von der Gläubigeranzahl mindestens 1.000 € bzw. 1.400 €445) und erhöht sich von 11 bis zu 30 Gläubigern für je angefangene 5 Gläubiger um 150 € bzw. 210 €446) und ab 31 Gläubiger je angefangene 5 Gläubiger um 100 € bzw. 140 €.447) Hinsichtlich der Vergütung des vorläufigen Verwalters sind alle Gläubiger, denen nach den Unterlagen des Schuldners die Forderung zusteht und mit deren Anmeldung zu rechnen ist, da Anmeldegläubiger in dem Verfahrensabschnitt noch nicht existieren.448) 733 Der vorläufige Verwalter hat Anspruch auf Ersatz angemessener Auslagen (§ 10 InsVV i. V. m. § 8 Abs. 3 InsVV). Bei Übertragung des Zustellwesens sind diese Auslagen besonders zu erstatten.449) 734 Für den Fall der Abweisung oder Rücknahme eines Antrags ist zu beachten, dass die Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters nicht zu den Verfahrenskosten zählt, also nicht vom Antragsteller zu tragen ist.450) d) Die Vergütung des Insolvenzverwalters 735 Der Insolvenzverwalter hat gemäß § 63 Abs. 1 InsO Anspruch auf eine angemessene Vergütung, die durch das Insolvenzgericht auf Antrag festgesetzt wird (§ 64 InsO). 736 Die sog. „Regelvergütung mit dem Maßstab eines durchschnittlichen Insolvenzverfahrens ist eine vom Wert der Insolvenzmasse abhängige Vergütung. Diese ist als degressive Staffelvergütung ausgestaltet (§ 2 InsVV). Mit stei-

___________ 444) BGH, Beschl. v. 24.7.2003 – IX ZB 607/02, ZIP 2003, 1757 = NZI 2003, 603, dazu EWiR 2003, 1043 (Rendels). 445) Verfahren mit Antragstellung ab dem 1.1.2021; Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz) – SanInsFoG v. 22.12.2020, BGBl. I, 3256. 446) Verfahren mit Antragstellung ab dem 1.1.2021; Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz) – SanInsFoG v. 22.12.2020, BGBl. I, 3256. 447) Verfahren mit Antragstellung ab dem 1.1.2021; Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz) – SanInsFoG v. 22.12.2020, BGBl. I, 3256. 448) BGH, Beschl. v. 4.2.2010 – IX ZB 129/08, ZIP 2010, 486 = ZVI 2010, 357 = ZInsO 2010, 493, dazu EWiR 2010, 399 (Blersch). 449) BGH, Beschl. v. 21.12.2006 – IX ZB 129/05, NZI 2007, 244. 450) BGH, Beschl. v. 26.1.2006 – IX ZB 231/04, ZIP 2006, 431 = NZI 2006, 239.

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VII. Verfahrenskosten, sonstige Masseverbindlichkeiten und die Folgen von Massearmut

gender Höhe der Insolvenzmasse verringert sich der prozentual bemessene Vergütungsanteil von 40 % bis auf 0,5 % bzw. 0,2 %.451) Als Berechnungsgrundlage ist die Insolvenzmasse heranzuziehen, die sich 737 aus der Schlussrechnung des Verwalters ergibt (§ 1 InsVV). Aus- und Absonderungsrechte werden in Höhe des Wertes einbezogen, mit dem sie abgefunden wurden, und vom Sachwert der Gegenstände abgezogen, auf die sich diese Rechte erstreckten (§ 1 Abs. 2 Nr. 2 InsVV). Soweit Massegegenstände mit Absonderungsrechten belastet sind, werden diese gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 1 InsVV berücksichtigt, wenn sie durch den Verwalter verwertet werden. Der Mehrbetrag der Vergütung, der auf diese Gegenstände entfällt, darf jedoch 50 % des Betrages nicht übersteigen, der für die Kosten ihrer Feststellung in die Masse geflossen ist. Im Übrigen werden die mit Absonderungsrechten belasteten Gegenstände nur insoweit berücksichtigt, als aus ihnen der Masse ein Überschuss zusteht. In Abhängigkeit vom Umfang der entfalteten Tätigkeit kann – stets einzel- 738 fallbezogen individualisiert – Zu- oder Abschlag gewährt werden (§ 3 InsVV). Neben den in § 3 InsVV aufgeführten Kriterien wurden zahlreiche weitere im Wege der Rechtsfortbildung definiert, die bei der Beantragung der Vergütungsfestsetzung als Anhaltspunkte herangezogen werden können. Eine verfahrensspezifische Argumentation ist in jedem Fall vorzunehmen. Hinsichtlich der Besonderheiten darf auf die einschlägige Fachliteratur zum Thema „Vergütung“ verwiesen werden. Bei einem nur geringen Umfang der verwalteten Masse, kann der Insolvenz- 739 verwalter eine Mindestvergütung beantragen, die sich nach der Kopfzahl der anmeldenden Gläubiger (§ 2 Abs. 2 InsVV) richtet. In Abhängigkeit von der Anzahl der Anmeldenden beträgt die Mindestvergütung 1000 € bzw. 1.400 €452) und erhöht sich von 11 bis zu 30 Gläubigern für je angefangene 5 Gläubiger um 150 € bzw. 210 €453) und ab 31 Gläubiger je angefangene 5 Gläubiger um 100 € bzw. 140 €.454) Die Zahl der angemeldeten Forderungen ist insoweit unerheblich. Ist dem Insolvenzverwalter das Zustellwesen übertragen (vgl. § 8 Abs. 3 InsO), 740 können die hierfür entstandenen Auslagen zusätzlich zu den Auslagen/der ___________ 451) Verfahren mit Antragstellung ab dem 1.1.2021; Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz) – SanInsFoG v. 22.12.2020, BGBl. I, 3256. 452) Verfahren mit Antragstellung ab dem 1.1.2021; Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz) – SanInsFoG v. 22.12.2020, BGBl. I, 3256. 453) Verfahren mit Antragstellung ab dem 1.1.2021; Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz) – SanInsFoG v. 22.12.2020, BGBl. I, 3256. 454) Verfahren mit Antragstellung ab dem 1.1.2021; Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz) – SanInsFoG v. 22.12.2020, BGBl. I, 3256.

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C. Das eröffnete Insolvenzverfahren

Auslagenpauschale (§ 8 InsVV) in Ansatz gebracht werden; hierfürgilt KV 9002 des Kostenverzeichnisses des GKG entsprechend; vgl. § 4 Abs. 2 Satz 2 InsVV.455) e) Die Vergütung des vorläufigen Sachwalters und des Sachwalters aa) Vergütung des Sachwalters 741 Die Vergütung des Sachwalters im eröffneten Verfahren beträgt in der Regel 60 % der Vergütung des Insolvenzverwalters (§ 12 Abs. 1 InsVV, § 2 Abs. 1 InsVV). 742 Die Vergütung bestimmt sich demnach nach dem Wert der Insolvenzmasse z. Zt. der Schlussrechnung (Berechnungsgrundlage). §§ 10 Abs. 1, 1 Abs. 2 InsVV ist dagegen nicht anwendbar, da die Verwertung nicht zu den Aufgaben eines Sachwalters gehört.456) 743 Unter den Voraussetzungen des § 12 Abs. 2 InsVV, demnach wenn das Insolvenzgericht gemäß § 277 Abs. 1 InsO angeordnet hat, dass bestimmte Rechtsgeschäfte des Schuldners nur mit Zustimmung des Sachwalters wirksam sind, ist die Vergütung insbesondere eines Zuschlags fähig. Zuschläge gemäß §§ 10 Abs. 1, 3 InsVV sind dagegen nur bei einer Tätigkeitsentfaltung möglich, die in massiv erhöhtem Ausmaß anfällt.457) Minderungs- oder Erhöhungstatbestände sind so zu berechnen, dass sie den Regelsatz von 60 % unmittelbar erhöhen oder mindern.458) bb) Vergütung des vorläufigen Sachwalters 744 Die Vergütung des vorläufigen Sachwalters war bis zum 31.12.2020 gesetzlich weder in der Insolvenzordnung (InsO) noch in der insolvenzrechtlichen Vergütungsordnung (InsVV) geregelt. 745 Der BGH gab in zwei Grundsatzentscheidungen vom 21.7.2016459) und vom 22.9.2016460) Leitlinien vor, die der zum Teil widersprüchlicher Rechtspre___________ 455) Verfahren mit Antragstellung ab dem 1.1.2021; Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz) – SanInsFoG v. 22.12.2020, BGBl. I, 3256; in den vor dem 1.1.2021 beantragten Insolvenzverfahren, für die § 4 Abs. 2 Satz 2 nicht gilt, kann ein Insolvenzverwalter einen besonderen Auslagenersatz in Höhe von für die bei ihm entstandenen sachlichen Kosten verlangen, die ihm durch die Übertragung der Zustellungen nach § 8 Abs. 3 InsO entstanden sind. 456) Haarmeyer/Mock, Insolvenzrechtliche Vergütung (InsVV), § 12 Rn. 5. 457) Haarmeyer/Mock, Insolvenzrechtliche Vergütung (InsVV), § 12 Rn. 8. 458) BGH, Beschl. v. 21.7.2016 – IX ZB 70/14, ZIP 2016, 1592 = ZVI 2016, 497; BGH, Beschl. v. 27.9.2012 – IX ZB 243/11, ZInsO 2013, 840; U. Keller, Vergütung, S. 452, Rn. 22. 459) BGH, Beschl. v. 21.7.2016 – IX ZB 70/14, ZIP 2016, 1592 = ZVI 2016, 497 = NZI 2016, 796. 460) BGH, Beschl. v. 22.9.2016 – IX ZB 71/14, ZIP 2016, 1981 = NZI 2016, 963 = ZInsO 2016, 2077.

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VII. Verfahrenskosten, sonstige Masseverbindlichkeiten und die Folgen von Massearmut

chung der Instanzgerichte begegneten, jedoch nicht umfassend Zuspruch fanden. Nach Auffassung des BGH hat der vorläufige Sachwalter dem Grunde nach keinen eigenen Vergütungsanspruch. Seine Tätigkeit soll vielmehr mit einem Prozentsatz von 25 % der Vergütung des Insolvenzverwalters als abgegolten angesehen werden, wobei diese als Zuschlag auf die Vergütung des Sachwalters festzusetzen sei. Daher sei ein Vergütungsanspruch vor Beendigung des (eröffneten) Insolvenzverfahrens nicht gegeben, ein Vorschuss auf die Vergütung allerdings möglich. Die Berechnungsgrundlage der Vergütung des vorläufigen Sachwalters sei identisch mit der Berechnungsgrundlage der Vergütung des Sachwalters; damit richtet sich die Berechnungsgrundlage für ein Amt im vorläufigen Insolvenzverfahren nach einer erst im eröffneten Insolvenzverfahren generierten Masse aus. Diese Argumentationskette wird zu Recht kritisiert.461) Durch das SanInsFoG vom 22.12.2020462) wurde durch § 12a InsVV mit Wir- 746 kung zum 1.1.2021 eine Vorschrift für die Vergütung des vorläufigen Sachwalters etabliert. § 12a InsVV Vergütung des vorläufigen Sachwalters (1) 1Die Tätigkeit des vorläufigen Sachwalters wird gesondert vergütet. 2Er erhält in der Regel 25 Prozent der Vergütung des Sachwalters bezogen auf das Vermögen, auf das sich seine Tätigkeit während des Eröffnungsverfahrens erstreckt. 3Maßgebend für die Wertermittlung ist der Zeitpunkt der Beendigung der vorläufigen Eigenverwaltung oder der Zeitpunkt, ab dem der Gegenstand nicht mehr der Verfügungsbefugnis des eigenverwaltenden Schuldners unterliegt. 4Vermögensgegenstände, an denen bei Verfahrenseröffnung Aus- oder Absonderungsrechte bestehen, werden dem Vermögen nach Satz 2 hinzugerechnet, sofern sich der vorläufige Sachwalter in erheblichem Umfang mit ihnen befasst. 5Sie bleiben unberücksichtigt, sofern der Schuldner die Gegenstände lediglich aufgrund eines Besitzüberlassungsvertrages in Besitz hat. (2) Wird die Festsetzung der Vergütung beantragt, bevor die von Absatz 1 Satz 2 erfassten Gegenstände veräußert wurden, ist das Insolvenzgericht spätestens mit Vorlage der Schlussrechnung auf eine Abweichung des tatsächlichen Werts von dem der Vergütung zugrunde liegenden Wert hinzuweisen, sofern die Wertdifferenz 20 Prozent bezogen auf die Gesamtheit dieser Gegenstände übersteigt. (3) Art, Dauer und Umfang der Tätigkeit des vorläufigen Sachwalters sind bei der Festsetzung der Vergütung zu berücksichtigen. (4) Hat das Insolvenzgericht den vorläufigen Sachwalter als Sachverständigen gesondert beauftragt zu prüfen, ob ein Eröffnungsgrund vorliegt und welche Aussichten für eine Fortführung des Unternehmens des Schuldners bestehen, so erhält er gesondert eine Vergütung nach dem Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz. (5) § 12 Absatz 3 gilt entsprechend.

___________ 461) Siehe u. a. U. Keller, NZI 2016, 753; Hackenberg, ZInsO 2017, 205. 462) Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG), v. 22.12.2020, BGBl. I 2020, 3256.

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C. Das eröffnete Insolvenzverfahren

747 Grundlage für die Berechnung der Vergütung des vorläufigen Sachwalters ist – abweichend von § 1 Satz 1, aber in Anlehnung an § 11 Abs. 1 Satz 1 – der Wert des Vermögens, auf das sich seine Tätigkeit während des Eröffnungsverfahrens erstreckt (§ 12a Abs. 1 Satz 2). Maßgeblich ist der (objektive) Wert des Vermögens des Schuldners im Zeitpunkt der Beendigung der vorläufigen Eigenverwaltung (in aller Regel die Eröffnungsentscheidung) bzw. der Zeitpunkt, ab dem der Gegenstand nicht mehr der Verfügungsbefugnis des eigenverwaltenden Schuldners unterliegt (§ 12a Abs. 1 Satz 3). Demnach fließen Vermögensgegenstände, die zwar vor dem Ende der vorläufigen Eigenverwaltung ausgeschieden sind, jedoch zuvor dem Tätigkeitsfeld des vorläufigen Sachwalters unterlagen, mit in die Berechnungsgrundlage ein. 748 Problematisch wird die Bestimmung des Vermögensbegriffs i. S. v. § 12a generell sein, da der vorläufige Sachwalter nur einen mittelbaren Vermögenszugang hat. Die Aufgabe des vorläufigen Sachwalters ist die Prüfung der wirtschaftlichen Lage des Insolvenzschuldners, die Überwachung der Geschäftsführung sowie die Ausgaben für die Lebensführung (§§ 270b Abs. 1 Satz 1, 274 Abs. 2 InsO) und zu erwartende Nachteile für die Gläubiger anzuzeigen (§§ 270b Abs. 1 Satz 1, 274 Abs. 3 InsO).463) 749 Die Regelvergütung des vorläufigen Sachwalters beträgt 25 % der Vergütung des Sachwalters (Abs. 1 Satz 2). Rechnerisch betrachtet beläuft sich die Regelvergütung des vorläufigen Sachwalters damit auf effektiv 15 % der Regelvergütung des Insolvenzverwalters.464) f) Die Vergütung der Mitglieder des Gläubigerausschusses 750 Die Mitglieder des Gläubigerausschusses erhalten für ihre Tätigkeit eine Vergütung (§ 73 InsO, §§ 17, 18 InsVV). Die Honorierung des Zeitaufwands und des Tätigkeitsumfangs erfolgt in Form von Stundensätzen in Höhe von regelmäßig zwischen 35 € bzw. 50 €465) und 95 € bzw. 300 €466) je Stunde. Dies ___________ 463) Siehe weitergehend auch Graf-Schlicker/Wipperfürth, InsO, § 12a. 464) So bereits judiziert für die Rechtslage bis zum 31.12.2020: AG Münster, Beschl. v. 18.1.2016 – 74 IN 65/14, ZInsO 2016, 719; LG Freiburg, Beschl. v. 30.10.2015 – 3 T 194/15, ZInsO 2016, 185; LG Dessau-Roßlau, Beschl. v. 29.1.2015 – 8 T 94/14, NZI 2015, 570 = ZInsO 2015, 1234; AG Ludwigshafen a. R., Beschl. v. 22.7.2015 – 3 b IN 414/14 Lu, ZInsO 2015, 1639; AG Wuppertal, Beschl. v. 23.3.2015 – 145 IN 458/14; LG Bonn, Beschl. v. 11.10.2013 – 6 T 184/13, NZI 2014, 123 = ZInsO 2013, 2341; AG Essen, Beschl. v. 9.7.2015 – 163 IN 170/14, ZInsO 2015, 1582 = ZIP 2015, 1796; AG Essen, Beschl. v. 27.3.2015 – 163 IN 170/14, ZInsO 2015, 1582 = ZIP 2015, 1796; AG Essen, Beschl. v. 3.11.2014 – 166 IN 155/13, ZInsO 2014, 2398 = ZIP 2015, 538; AG Wuppertal, Beschl. v. 26.5.2014 – 145 IN 751/13, ZIP 2015, 541; AG Essen, Beschl. v. 17.1.2015 – 164 IN 135/13, NZI 2014, 271 = ZInsO 2014, 464; AG Köln, Beschl. v. 13.11.2012 – 71 IN 109/12, ZIP 2013, 426 = NZI 2013, 97 = ZInsO 2013, 741. 465) Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG), v. 22.12.2020, BGBl. I 2020, 3256. 466) Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG), v. 22.12.2020, BGBl. I 2020, 3256.

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VII. Verfahrenskosten, sonstige Masseverbindlichkeiten und die Folgen von Massearmut

gilt über § 21 Abs. 2 Ziff. 1a InsO auch für Mitglieder im vorläufigen Gläubigerausschuss. 2. Sonstige Masseverbindlichkeiten Zu den sonstigen Masseverbindlichkeiten zählen neben den in § 55 InsO an- 751 geführten Positionen auch folgende, aus der Masse zu regulierende Forderungen: x

Unterhaltsansprüche (§§ 100, 101 InsO),

x

Notgeschäftsführung (§§ 115, 118 InsO),

x

Verbindlichkeiten aus einem Sozialplan (§ 123 Abs. 2 Satz 1 InsO),

x

Kosten des Antragstellers bei Betriebsveräußerung unter Wert (§ 163 Abs. 2 InsO),

x

Zinsansprüche absonderungsberechtigter Gläubiger (§ 169 InsO),

x

Ausgleichsansprüche der Gesellschafter (§ 135 Abs. 3 Satz 2 InsO),

x

Wertverlustausgleichsanspruch bei der Weiternutzung von Absonderungsgut (§ 172 InsO),

x

Kosten eines Feststellungsrechtsstreits (§ 183 Abs. 3 InsO),

x

Verschiedene Ansprüche bei Nachlassinsolvenzen (§ 324 InsO).

Masseverbindlichkeiten resultieren aus nach Eröffnung vorgenommenen Hand- 752 lungen des Insolvenzverwalters (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 InsO) sowie die in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung begründeten Masseverbindlichkeiten (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 InsO), insbesondere solche Verbindlichkeiten, die aufgrund gesetzlicher Regelungen zulasten der Masse werden (oktroyierte Verbindlichkeiten). Zu beachten ist beim Einzug von Forderungen durch den Insolvenzverwalter 753 für vor Insolvenzeröffnung erbrachte Leistungen, dass die Entgeltvereinnahmung nicht nur bei der Ist-, sondern auch bei der Sollbesteuerung eine Masseverbindlichkeit (Umsatzsteuerforderung) begründet.467) Die BFHRechtsprechung vom 9.12.2010 erhebt damit eine grundsätzlich als Insolvenzforderung einzuordnende Insolvenzforderung in den Rang einer Masseverbindlichkeit (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO). Bei der Verwertung eines Grundstücks erhält der Verwalter statt der Kosten- 754 pauschale (§§ 170, 171 InsO sind nicht anwendbar) regelmäßig einen frei ausgehandelten Kostenbeitrag. Die Verwertung erfolgt – folgt man dem BFH und dem BMF – aufgrund einer Geschäftsbesorgungsvereinbarung zwischen ___________ 467) BFH, Urt. v. 9.12.2010 – V R 22/10, ZIP 2011, 782 (m. Bespr. Schmittmann, S. 1125 u. Welte/Friedrich-Vache, S. 1595), BStBl. II 2011, 996 sowie hierzu BMF-Schreiben v. 9.12.2011 – IV D 2 – S 7330/09/10001 :001.

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C. Das eröffnete Insolvenzverfahren

dem Insolvenzverwalter und dem absonderungsberechtigten Grundpfandrechtsgläubiger. Der Insolvenzverwalter erbringt damit eine steuerbare Leistung mit der Folge, dass auf die Massekostenbeiträge Umsatzsteuer zu erheben und im Rang einer Masseverbindlichkeit abzuführen ist.468) Gleiches gilt für die Durchführung der „kalten“ Zwangsverwaltung; auch hier ist der Kostenbeitrag steuerbar.469) 755 Verwertet der Verwalter bewegliches Absonderungsgut im Namen der Masse, nimmt das BMF einen sog. „Dreifachumsatz“ an. 756 Der Dreifachumsatz470) lässt sich wie folgt darstellen: x

Lieferung Masse an Sicherungsnehmer

x

Lieferung Sicherungsnehmer an Masse

x

Lieferung Masse an Erwerber

757 Erforderlich sind daher die Ausstellung einer Rechnung der Masse an den Absonderungsberechtigten sowie eine gleichlautende Gutschrift. Beispiel: Abrechnung gegenüber dem Absonderungsberechtigten471) 23.800,00

Brutto-Verwertungserlös

./. 3.800,00

an die Masse zu zahlende Umsatzsteuer gemäß § 171 Abs. 2 Satz 3 InsO

./. 952,00

4 % Feststellungskostenbeitrag

./. 1.000,00

tatsächliche Verwertungskosten

= 18.048,00

Schuldentilgung bei Sicherungsnehmer

3.429,12

19 % USt.

21.477,12

Brutto-Entgelt

758 Der Sicherungsnehmer erhält also denselben Betrag wie vorher, nur, dass eine zusätzliche Rechnung plus eine Gutschrift erforderlich werden (Papierkram).

___________ 468) UStAE Abschn. 1.2 Abs. 4 Satz 2, 3 n. F. = BFH, Urt. v. 18.8.2005, V R 31/04, ZIP 2005, 2119 = BStBl. II 2007, 183; BMF-Schreiben v. 30.4.2014, IV D 2 – S 7100/ 07/10037 DOK 2014/0332437, NZI 2014, 600. 469) UStAE Abschn. 1.2 Abs. 4 Satz 4 n. F.) = BFH, Urt. v. 28.7.2011, V R 28/09. ZInsO 2011, 1904 = BStBl. II 2014, 406; BMF-Schreiben v. 30.4.2014, IV D 2 – S 7100/ 07/10037 DOK 2014/0332437, NZI 2014, 600. 470) Statt bisher Einfachumsatz: Masse an Erwerber. 471) Beispiel entnommen aus BMF-Schreiben v. 30.4.2014, IV D 2 – S 7100/07/10037 DOK 2014/0332437, NZI 2014, 600.

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VII. Verfahrenskosten, sonstige Masseverbindlichkeiten und die Folgen von Massearmut

In dem Fall wird also vom BMF keine (isolierte) Erhebung von Umsatzsteuer (nur) auf den gesetzlichen Verwertungskostenbeitrag angenommen.472) Masseverbindlichkeiten ergeben sich auch aus gegenseitigen Verträgen (§ 55 759 Abs. 1 Nr. 2 InsO). Wählt der Insolvenzverwalter die Erfüllung gegenseitiger Verträge (§§ 103 ff. InsO) oder ist gesetzlich vorgeschrieben, dass Verträge nach Eröffnung (ggf. für eine bestimmte Zeit) bestehen bleiben (vgl. z. B. zum Mietverhältnis § 109 Abs. 1 InsO), sind die daraus resultierenden Verpflichtungen aus der Masse zu erfüllen. Auch Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung (§§ 812 ff. BGB) sind 760 aus der Masse zu begleichen (§ 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO) Verbindlichkeiten, die der starke vorläufige Verwalter im Antragsverfahren 761 begründet, werden mit Eröffnung gesetzlich zu einer Masseverbindlichkeit aufgewertet (§ 55 Abs. 2 InsO). Wurde ein schwacher vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt, können durch ihn nur Masseverbindlichkeiten begründet werden, wenn das Gericht eine dahingehende einzelfallbezogene Einzelermächtigung ausgesprochen hat (Ausn. § 55 Abs. 4 InsO). Das Insolvenzgericht kann den vorläufigen Insolvenzverwalter ohne begleitendes allgemeines Verfügungsverbot ermächtigen, einzelne, im Voraus genau festgelegte Verpflichtungen zulasten der späteren Insolvenzmasse einzugehen.473) In § 55 Abs. 4 InsO gelten Verbindlichkeiten des Insolvenzverwalters aus dem 762 Steuerschuldverhältnis, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter oder vom Schuldner mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters begründet worden sind, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeit. Dies gilt für Verfahren, die ab dem 1.1.2011 beantragt wurden/werden.474) Nach einer ersten, hierzu ergangenen obergerichtlichen Entscheidung ist für die Frage, ob Masseverbindlichkeiten i. S. d. § 55 Abs. 4 InsO begründet wurden, auf die Entgeltvereinnahmung durch den vorläufigen Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt, nicht auf die Leistungserbringung (im vorläufigen Verfahren) abzustellen sei.475) Voraussetzung sei ein vorläufiger Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt (vorläufiger „schwacher“ Insolvenzverwalter), dem die Einzugsermächtigung (vgl. § 23 Abs. 1 Satz 3 InsO) erteilt wurde. Es erfolgt eine Trennung zwischen Leistungserbringung (Schuldner) und Entgeltvereinnahmung (vorläufiger Insolvenzverwalter) mit der Folge, dass noch ausstehende Entgelte für die Zeit vor Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung mit Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters uneinbringlich werden (ĺ 1. Berichtigung gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 UStG). Bei der Verein___________ 472) Entgegen BFH, Urt. v. 28.7.2011, V R 28/09, ZInsO 2011, 1904 = BStBl. II 2014, 406 (ergänzendes obiter dictum). 473) BGH, Beschl. v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, ZIP 2002, 1625 (m. Bespr. Prütting/ Stickelbrock, S. 1608) = ZVI 2002, 250. 474) BMF-Schreiben v. 20.5.2015 – IV A 3 – S 0550/10/10020-05 (2015/0416027), z. Zt. des Redaktionsschlusses noch keine Veröffentlichung im BStBl. 475) BFH, Urt. v. 24.9.2014 – V R 48/13, DB 2014, 2870.

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C. Das eröffnete Insolvenzverfahren

nahmung noch ausstehender Entgelte für die Zeit vor Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung durch den vorläufigen Insolvenzverwalter wird (mit Eröffnung) Masseverbindlichkeit gemäß § 55 Abs. 4 InsO begründet (ĺ 2. Berichtigung gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2, Abs. 1 Satz 1 UStG). Vereinnahmt nicht der vorläufige Insolvenzverwalter, sondern der Insolvenzverwalter nach Eröffnung die Forderung, begründet diese Vereinnahmung Masseverbindlichkeit gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO (ĺ 2. Berichtigung gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2, Abs. 1 Satz 1 UStG).476) 763 Bei Vereinnahmung von Entgelten für Leistungen, die während des vorläufigen Insolvenzverfahrens erbracht wurden, wird durch den vorläufigen Insolvenzverwalter (mit Eröffnung) eine Masseverbindlichkeit gemäß § 55 Abs. 4 InsO begründet (ĺ keine Berichtigung). Vereinnahmt indes erst der Insolvenzverwalter nach Eröffnung diese Entgelte, tritt mit Eröffnung zunächst Uneinbringlichkeit (ĺ 1. Berichtigung gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 UStG) und mit Vereinnahmung durch den Insolvenzverwalter wieder Einbringlichkeit ein, sodass eine Masseverbindlichkeit gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO begründet wird (ĺ 2. Berichtigung gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2, Abs. 1 Satz 1 UStG). 764 Mit Wirkung zum 1.1.2021477) gilt die auch für den Fall der Bestellung eines vorläufigen Sachwalters, jedoch insgesamt nur noch für ausgewählte Steuerund Abgabenforderungen: § 55 Abs. 4 InsO i. d. F. v. 1.1.2021 (4) 1Umsatzsteuerverbindlichkeiten des Insolvenzschuldners, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter oder vom Schuldner mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters oder vom Schuldner nach Bestellung eines vorläufigen Sachwalters begründet worden sind, gelten nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeit. 2Den Umsatzsteuerverbindlichkeiten stehen die folgenden Verbindlichkeiten gleich: 5. sonstige Ein- und Ausfuhrabgaben 6. bundesgesetzlich geregelte Verbrauchsteuern 7. die Luftverkehr- und Kraftfahrzeugsteuer 8. die Lohnsteuer.

3. Massearmut 765 Eine Eröffnung eines Insolvenzverfahrens erfolgt nur bei Deckung der Verfahrenskosten. Stellt sich nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens heraus, dass die Insolvenzmasse nicht ausreicht, um diese Kosten des Verfahrens zu ___________ 476) BFH, Urt. v. 9.12.2010 – V R 22/10, ZIP 2011, 782 (m. Bespr. Schmittmann, S. 1125 u. Welte/Friedrich-Vache, S. 1595), BStBl II 2011, 996 sowie hierzu BMF-Schreiben v. 9.12.2011 – IV D 2 – S 7330/09/10001 :001. 477) Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG), v. 22.12.2020, BGBl. I 2020, 3256.

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VII. Verfahrenskosten, sonstige Masseverbindlichkeiten und die Folgen von Massearmut

decken, ist Massearmut eingetreten. Das Insolvenzgericht stellt das Verfahren nach § 207 InsO ein. Die Einstellung des Insolvenzverfahrens wegen Massearmut erfolgt von Amts wegen durch das Insolvenzgericht, das die Ausführungen des Verwalters zur Massearmut überprüft. Das Tätigwerden von Amts wegen macht eine Schlussrechnungslegung des Insolvenzverwalters nicht obsolet. In der Praxis erfährt das Gericht erst durch die regelmäßigen Berichte des Insolvenzverwalters vom Liquiditätsstand im jeweiligen Verfahren. Das Insolvenzgericht wird daher meist aufgrund einer entsprechenden Berichterstattung durch den Insolvenzverwalter (inkl. Rechnungslegung) tätig, der die Situation naturgemäß früher erkennt und im Rahmen des Berichts i. a. R. eine Einstellung gemäß § 207 InsO anregen wird. 4. Masseunzulänglichkeit In Abgrenzung zur Massearmut liegt Masseunzulänglichkeit vor, wenn zwar 766 die Kosten des Verfahrens, nicht aber die fälligen sonstigen Masseverbindlichkeiten gedeckt sind (§ 208 InsO). Das Vorliegen der Masseunzulänglichkeit muss der Insolvenzverwalter gegenüber dem Insolvenzgericht anzeigen. Die Beurteilung, ob eine Masseunzulänglichkeit bereits eingetreten ist oder einzutreten droht, obliegt dem Insolvenzverwalter. Je nach Verfahrensstadium basiert die Feststellung der (drohenden) Masse- 767 unzulänglichkeit auf prognostischen Werten über die noch zu realisierende freie Masse, die zusammen mit der bereits erlösten Masse höher sein muss als die gesamten Massekosten zzgl. der sonstigen Masseverbindlichkeiten. Ist die Masse kleiner, liegt Masseunzulänglichkeit vor. Absonderungsrechte sind selbstverständlich zuvor in Abzug zu bringen bzw. abzugelten. Praxistipp: Masseunzulänglichkeit Masseunzulänglichkeit = (Erlöste Masse + zu realisierende freie Masse) < (Massekosten + sonstige Masseverbindlichkeiten)

Das Insolvenzgericht hat die Anzeige der Masseunzulänglichkeit öffentlich 768 bekanntzumachen (§ 208 Abs. 2 InsO). Die Anzeige ist darüber hinaus sämtlichen Massegläubigern gemäß § 208 Abs. 2 Satz 2 InsO gesondert zuzustellen. Die Zustellung wird in der Regel dem Insolvenzverwalter übertragen. Dadurch erhalten die Gläubiger frühzeitig Informationen darüber, dass die Masseverbindlichkeiten nicht vollständig beglichen werden können. In Anbetracht der Befriedigungsreihenfolge bei Masseunzulänglichkeit können die Gläubiger nach dem aktuellen Stand des Verfahrens sodann nicht mit einer Befriedigung der zur Insolvenztabelle angemeldeten Insolvenzforderungen rechnen. Praxistipp: Befriedigungsreihenfolge § 209 InsO 1. Kosten des Insolvenzverfahrens. 2. Masseverbindlichkeiten, die nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit begründet worden sind (Neumasseverbindlichkeiten), ohne zu den Kosten des Verfahrens zu gehören.

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C. Das eröffnete Insolvenzverfahren 3. Die übrigen Masseverbindlichkeiten (Altmasseverbindlichkeiten), unter diesen zuletzt der nach den §§ 100, 101 Abs. 1 Satz 3 bewilligte Unterhalt.

VIII. Forderungsanmeldung und Insolvenztabelle 1. Insolvenzforderungen und Forderungsanmeldungen 769 Gläubiger, denen z. Zt. der Eröffnung ein Vermögensanspruch gegen den Insolvenzschuldner zusteht (Insolvenzgläubiger, § 38 InsO), können diese Forderung nur noch nach den insolvenzrechtlichen Bestimmungen geltend machen (§ 87 InsO). Eine Verfolgung des Anspruchsbegehrens im Wege der Einzelzwangsvollstreckung ist ab der Eröffnung unzulässig (§ 89 InsO). 770 Die Geltendmachung des Anspruchs erfolgt durch schriftliche Anmeldung der Forderung beim Insolvenzverwalter (§ 174 Abs. 1 Satz 1 InsO) binnen der gerichtlich bestimmten Anmeldefrist (§ 28 Abs. 1 InsO). Spätere Anmeldungen sind zulässig, da es sich nicht um eine Ausschlussfrist handelt. Die verspätetet angemeldeten Forderungen werden in einem für die Gläubiger kostenpflichten weiteren Termin geprüft (Nachprüfungstermin, § 177 InsO). 771 Die Tabellenführung und die Forderungsprüfung gehören zu den Pflichten des Insolvenzverwalters (§§ 174, 175 InsO), der den Gläubigern nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens den Eröffnungsbeschluss zustellt (vgl. § 8 Abs. 3 InsO) und sie gleichzeitig auffordert, ihre Forderungen zur Insolvenztabelle anzumelden. 772 Die Gläubiger sind gehalten, bei der Anmeldung den Betrag sowie den Grund der Forderung anzugeben und Unterlagen einzureichen, die geeignet sind, den Bestand der Forderung nachzuweisen (Vollstreckungstitel, Verträge, Rechnungen, Lieferscheine, Forderungsberechnung, Kostennachweise etc.). Die Forderungen sind in inländischer Währung geltend zu machen; ausländische Währungen sind nach dem Kurswert zur Zeit der Verfahrenseröffnung in inländische Währung umzurechnen (§ 45 InsO). Zinsansprüche können grundsätzlich nur für die Zeit bis zum Eröffnungsstichtag zur Insolvenztabelle geltend gemacht werden und sind unter Angabe von Zinssatz und Zeitraum auszurechnen; die Zinsberechnung ist nicht Aufgabe des Verwalters. 773 Absonderungsberechtigte sind Insolvenzgläubiger, soweit sie mit ihrer Forderung ausgefallen sind und ihnen der Schuldner auch persönlich haftet (§ 52 InsO). 774 Die Forderungsanmeldung kann auf amtlichen Vordrucken, die vom jeweiligen Landesministerium zum Download bereitgestellt werden, vorgenommen werden. Ein Vordruckzwang besteht jedoch nicht. Die Forderungsanmeldungen sind in zweifacher Ausfertigung einzureichen; eine Ausfertigung verbleibt in den Unterlagen des Insolvenzverwalters, eine Anmeldung ist zur Niederlegungsfrist (§ 175 Abs. 1 Satz 2 InsO) an das Insolvenzgericht zu senden und vom Gericht zur Einsichtnahme der Beteiligten niederzulegen. Die Niederlegungs- oder auch „Drittelfrist“ ist der Zeitraum zwischen dem Ablauf der

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VIII. Forderungsanmeldung und Insolvenztabelle

Anmeldefrist (§ 28 Abs. 1 InsO) und dem Prüfungstermin (§ 29 Abs. 1 Nr. 2 InsO) und wird im Zuge der Eröffnung gerichtlich festgeschrieben. Die Prüfung der Forderung erfolgt im Prüfungstermin. Die geprüfte Tabelle sollte ca. 3 – 7 Tage vor dem Prüfungstermin beim Insolvenzgericht vorliegen; eventuelle gerichtsspezifische Besonderheiten gilt es jedoch zu beachten. So kann es sein, dass in der Praxis die beiden Arbeitsschritte „Übersendung der ungeprüften Tabelle“ und „Übersendung der geprüften Tabelle“ in einem Schritt zusammengefasst werden und die geprüfte Tabelle gemeinsam mit den Unterlagen zu den Forderungsanmeldungen bereits zur Niederlegungsfrist an das Gericht übersandt wird. Entsprechend sind die Fristen inkl. der für die Bearbeitung erforderlichen Vorfristen im Verwalterbüro zu notieren. 2. Der Prüfungstermin Der Termin zur Prüfung der Forderungen der Insolvenzgläubiger (Prüfungs- 775 termin) kann mit dem Berichtstermin verbunden werden. Insbesondere in umfangreicheren Verfahren werden meist voneinander getrennte Termine bestimmt. Erst mit Abhaltung des Prüfungstermins ist die Forderung des Gläubigers 776 bestandskräftig geprüft. Die Prüfung der Forderung erfolgt in der Praxis vorbereitend zum Prüfungstermin. Als Prüfungsleitfaden empfiehlt sich folgendes Vorgehen: Praxistipp: Prüfungsleitfaden Tabelle 1. Vollständige Gläubigerbezeichnung – Name/korrekte Firma und Anschrift des Gläubigers – Ggf. gesetzlicher Vertreter (Geschäftsführer, Vorstand, Eltern, Betreuer etc.) – Aktenzeichen 2. Verfahrensbevollmächtigter (Rechtsanwalt, Inkasso, sonst. Dritte) Eine gesonderte Vollmacht ist bei einer Anmeldung durch einen Rechtsanwalt entbehrlich (vgl. § 4 InsO i. V. m. § 88 Abs. 2 ZPO), muss aber für die Quotenausschüttung als Geldempfangsvollmacht vorliegen. 3. Datum der Anmeldung Eingangsdatum (Eingangsstempel!) 4. Forderungsart (Warenlieferung, Dienstleistung, Arbeitsentgelt, Sozialversicherungsbeiträge, Steuern, Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung, …) 5. Belege – Belegen die der Anmeldung beigefügten Unterlagen die geltend gemachte Forderung?

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C. Das eröffnete Insolvenzverfahren – Schlüssigkeit (z. B. stimmen Rechnungsbeträge mit Anmeldeforderung überein?) – Namensidentität (Schuldner und Gläubiger)? – ggf. Forderungsberechnung (insbesondere, wenn Teilzahlungen erfolgt sind) – Vergleich mit Kreditorenliste des Schuldnerunternehmens 6. Mögliche Verjährung Die Einrede der Verjährung gemäß § 214 BGB muss durch den Insolvenzverwalter erhoben werden (Bestreiten der Forderung). 7. Zinsansprüche – Zeitraum der Zinsberechnung – Zinshöhe – Zinsbescheinigung – Verjährung der Zinsansprüche (§§ 195, 197 Abs. 2 BGB) 8. Nebenforderungen Belege für Nebenforderung (z. B. Mahngebühren, Kosten der Zwangsvollstreckung etc.) 9. Absonderungsrechte 10. Rechtsstreitigkeiten Ggf. ist zu prüfen, ob beim erkennenden Gericht die Unterbrechung des Rechtsstreites nach § 240 ZPO bereits beachtet wurde. 11. Vollstreckungstitel

777 Bei der Prüfung der Forderungen gibt es im Wesentlichen folgende Prüfungsergebnisse: x

(Uneingeschränkte) Feststellung der Forderung

778 Ist die Forderung des Gläubigers gegen den Schuldner in der angemeldeten Höhe begründet und durchsetzbar, wird diese insoweit zur Insolvenztabelle festgestellt. Nur festgestellte Forderungen nehmen an einer eventuellen Schlussverteilung (ĺ Rn. 935 ff.) teil. Die Eintragung in die Tabelle wirkt für die festgestellten Forderungen ihrem Betrag und ihrem Rang nach wie ein rechtskräftiges Urteil gegenüber dem Insolvenzverwalter und allen Insolvenzgläubigern (§ 178 Abs. 3 InsO). 779 Wird eine Forderung nicht oder nur vom Schuldner bestritten, gilt sie für das weitere Insolvenzverfahren entsprechend der Anmeldung als festgestellt (§ 178 InsO). Bei angeordneter Eigenverwaltung verhindert auch der Widerspruch des Schuldners die Feststellung der Forderung (§ 283 Abs. 1 Satz 2 InsO). x

Feststellung der Forderungen auf den Ausfall

780 Erhebt ein Absonderungsberechtigter auch persönliche Forderungen gegen den Schuldner, ist er zur anteilsmäßigen Befriedigung aus der Insolvenzmasse (Quote) nur berechtigt, soweit er auf eine abgesonderte Befriedigung ver192

VIII. Forderungsanmeldung und Insolvenztabelle

zichtet hat oder bei ihr ausgefallen ist (§ 52 InsO). Soweit der Absonderungsberechtigte noch keine Befriedigung aus der Verwertung des Absonderungsgutes erhalten hat, wird seine persönliche, zur Insolvenztabelle angemeldete Forderung „auf den Ausfall“ festgestellt. Eine uneingeschränkte Feststellung der Forderung erfolgt nach Abgeltung des Absonderungsrechts durch Erlösauskehr in Höhe der endgültigen, sodann ungesicherten Ausfallforderung. x

Bestreiten der Forderung

Ergibt die Prüfung, dass die Forderung in der angemeldeten Höhe oder in 781 dem Rang nicht besteht, die Forderung unbegründet oder verjährt oder auch nicht ausreichend belegt ist (z. B. keine Belege, Verjährung, Pauschalanmeldung, Zinsaufstellung fehlt, etc.), wird sie bestritten. Auch das Bestreiten nur eines Teilbetrags der Forderung ist möglich. Zum Bestreiten einer angemeldeten Forderung sind neben dem Insolvenz- 782 verwalter auch der Schuldner sowie jeder Insolvenzgläubiger berechtigt (jeweils selbstständiges Recht). Das Gericht informiert nach der Forderungsprüfung nur diejenigen Gläubigerinnen und Gläubiger, deren Forderungen ganz oder teilweise bestritten worden sind. Ihnen erteilt das Insolvenzgericht von Amts wegen einen Auszug aus der Insolvenztabelle, aus dem das Ergebnis der Prüfung hervorgeht. Das Insolvenzgericht beurkundet im Termin die abgegebenen Erklärungen. 783 Eine Entscheidung darüber, ob ein Widerspruch begründet ist, trifft es nicht. Nach einem Widerspruch des Schuldnervertreters kann der Gläubiger Klage auf Feststellung der Forderung gegen den Schuldner erheben. War zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein Rechtsstreit über die Forderung anhängig, so kann der Gläubiger diesen Rechtsstreit gegen den Schuldner aufnehmen (§ 184 Abs. 1 InsO). Liegt für die Forderung bereits ein vollstreckbarer Schuldtitel vor (z. B. Urteil, 784 notarielle Urkunde, unanfechtbarer Steuerbescheid u. Ä.), muss der Bestreitende den Widerspruch mit den allgemein zulässigen rechtlichen Mitteln weiterverfolgen. Ist die Forderung nicht tituliert, obliegt es dem Gläubiger, die Feststellung 785 der Forderung auf dem hierfür allgemein vorgesehenen Rechtsweg zu betreiben. Nach einem Widerspruch des Insolvenzverwalters hat ein Insolvenzgläubiger spätestens innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Wochen nach der öffentlichen Bekanntmachung gegenüber dem Insolvenzverwalter nachzuweisen, dass und für welchen Betrag die Feststellungsklage erhoben oder das Verfahren in dem früher anhängigen Rechtsstreit aufgenommen ist (§ 189 InsO). Wird der Nachweis rechtzeitig geführt, so wird der auf die Forderung entfallende Anteil bei der Verteilung zurückbehalten, solange der Rechtsstreit anhängig ist. Wird der Nachweis nicht rechtzeitig geführt, bleibt die Forderung bei der Verteilung unberücksichtigt.

193

C. Das eröffnete Insolvenzverfahren

3. Nachmeldungen und Nachprüfungstermin 786 Forderungen, die nach Ablauf der gerichtlichen Anmeldefrist angemeldet werden, können in einem auf Anregung des Insolvenzverwalters hin zu bestimmenden Nachprüfungstermin geprüft werden (§ 177 InsO). Nachmeldungen sind bis zur Aufhebung/Einstellung des Verfahrens grundsätzlich immer möglich. Eine Teilnahme an einer Schlussverteilung ist nur dann gewährleistet, wenn die Forderungen bis spätestens zur Niederlegung des Schlussverzeichnisses angemeldet und in einem Nachprüfungstermin festgestellt wurden.478) Die Kosten der der Nachprüfung erlegt das Gericht dem säumigen Anmeldegläubiger auf (§ 177 Abs. 1Satz 2 InsO). Diese belaufen sich derzeit auf 20 €. 4. Nachträgliche Änderungen der Prüfergebnisse 787 Eine nachträgliche Änderung der Prüfungsergebnisse ist grundsätzlich möglich, es sei denn, die Forderung ist bereits endgültig festgestellt. Eine nachträgliche Änderung kann in diesem Fall nur durch Rücknahme der Forderung durch den Gläubiger erklärt werden. 788 Eine zunächst auf den Ausfall festgestellte Forderung kann nach Verteilung des Erlöses aus der Verwertung des Absonderungsgutes in Höhe des endgültigen Ausfalls festgestellt werden; der gesicherte Gläubiger hat eine entsprechende Ausfallmitteilung zu erklären. Aufgrund des Ausfallnachweises wird die persönliche Forderung in Höhe des ungesicherten Teils nachträglich festgestellt. 789 Hat der Gläubiger einer zunächst bestrittenen Forderung einen Mangel (fehlende Belege, falsche Berechnung o. Ä.) behoben, kann auch diese Forderung nachträglich (ggf. in Teilhöhen) festgestellt werden. 790 Soweit ein Gläubiger anderweitig (z. B. durch Inanspruchnahme eines weiteren Gesamtschuldners oder durch zulässige Auf-/Verrechnungen) außerhalb des Insolvenzverfahrens Befriedigung erlangt hat, obliegt es ihm, insoweit die Rücknahme der Forderung zur Insolvenztabelle zu erklären. Auch die (teilweise) Rücknahme kann als nachträgliche Änderung des Prüfergebnisses in der Tabelle eingetragen werden. 791 Die nachträglichen Änderungen der Prüfergebnisse sind stets gegenüber dem Insolvenzgericht zu kommunizieren. 5. Nachrangige Forderungen § 39 Abs. 1 Satz 1 InsO Nachrangige Insolvenzgläubiger

792

(1) 1Im Rang nach den übrigen Forderungen der Insolvenzgläubiger werden in folgender Rangfolge, bei gleichem Rang nach dem Verhältnis ihrer Beträge, berichtigt:

___________ 478) BGH, Beschl. v. 22.3.2007 – IX ZB 8/05, ZIP 2007, 876 = ZVI 2007, 267, dazu EWiR 2007, 627 (Köster).

194

VIII. Forderungsanmeldung und Insolvenztabelle 1.

die seit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens laufenden Zinsen und Säumniszuschläge auf Forderungen der Insolvenzgläubiger;

2.

die Kosten, die den einzelnen Insolvenzgläubigern durch ihre Teilnahme am Verfahren erwachsen;

3.

Geldstrafen, Geldbußen, Ordnungsgelder und Zwangsgelder sowie solche Nebenfolgen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit, die zu einer Geldzahlung verpflichten;

4.

Forderungen auf eine unentgeltliche Leistung des Schuldners;

5.

nach Maßgabe der Absätze 4 und 5 Forderungen auf Rückgewähr eines Gesellschafterdarlehens oder Forderungen aus Rechtshandlungen, die einem solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen.

(2) Forderungen, für die zwischen Gläubiger und Schuldner der Nachrang im Insolvenzverfahren vereinbart worden ist, werden im Zweifel nach den in Absatz 1 bezeichneten Forderungen berichtigt. (3) Die Zinsen der Forderungen nachrangiger Insolvenzgläubiger und die Kosten, die diesen Gläubigern durch ihre Teilnahme am Verfahren entstehen, haben den gleichen Rang wie die Forderungen dieser Gläubiger. (4) 1Absatz 1 Nr. 5 gilt für Gesellschaften, die weder eine natürliche Person noch eine Gesellschaft als persönlich haftenden Gesellschafter haben, bei der ein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist. 2Erwirbt ein Gläubiger bei drohender oder eingetretener Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft oder bei Überschuldung Anteile zum Zweck ihrer Sanierung, führt dies bis zur nachhaltigen Sanierung nicht zur Anwendung von Absatz 1 Nr. 5 auf seine Forderungen aus bestehenden oder neu gewährten Darlehen oder auf Forderungen aus Rechtshandlungen, die einem solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen. (5) Absatz 1 Nr. 5 gilt nicht für den nicht geschäftsführenden Gesellschafter im Sinne des Absatzes 4 Satz 1, der mit zehn Prozent oder weniger am Haftkapital beteiligt ist.

Eine Anmeldung nachrangiger Forderungen ist nur aufgrund einer ausdrück- 793 lichen dahingehenden gerichtlichen Aufforderung möglich (§ 174 Abs. 3 InsO). Diese wird in der Praxis nur äußerst selten ausgesprochen, da eine Zuteilung von Geldern auf den Nachrang nur bei vollständiger Deckung der Verfahrenskosten, der sonstigen Masseverbindlichkeiten und einer 100 %-Quotenzahlung auf alle festgestellten Forderungen der Insolvenzgläubiger in Betracht kommt. In Gesellschaftsinsolvenzen spielt insbesondere § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO eine 794 Rolle. Danach fallen Forderungen auf die Rückgewähr von Gesellschafterdarlehen an haftungsbeschränkte Gesellschaften (§ 39 Abs. 4 Satz 1 InsO) in den Nachrang. Der Kreis der erfassten Forderungen wird ausgedehnt auf Forderungen, die einem Gesellschafterdarlehen wirtschaftlich entsprechen (Entsprechungsklausel in § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO). Eine Einschränkung hinsichtlich des erfassten Personenkreises ergibt sich 795 aus § 39 Abs. 5 InsO, der die Gesellschafter, die eine geschäftsführende Position innehaben und weniger als 10 % am Kapital beteiligt sind, mit ihren 195

C. Das eröffnete Insolvenzverfahren

Forderungen nicht auf die Nachrangstellung verweist (sog. Kleinbeteiligtenprivileg). 796 Gleiches gilt gemäß § 39 Abs. 4 Satz 2 InsO für den Gesellschafter, der dem Unternehmen finanzielle Mittel zu Sanierungszwecken zur Verfügung gestellt hat (sog. Sanierungsprivileg). Der Darlehensgeber muss in der Absicht der Sanierung gehandelt haben. Dies wird in der Regel vermutet; auf den – nur ex post festzustellenden – Sanierungserfolg kommt es nicht an.479) Voraussetzung ist jedoch, dass das Unternehmen objektiv sanierungsfähig ist und die Maßnahmen objektiv geeignet sind, den Sanierungserfolg in überschaubarer Zeit zu erreichen. Regelmäßig kann die insoweit vorzunehmende „ex ante“-Prognose nur auf der Grundlage eines dokumentierten Sanierungskonzepts erstellt werden, das zugleich den Nachweis für den subjektiven Sanierungszweck des Anteilserwerbs liefert.480) 797 Ergänzt wird diese untergeordnete Stellung von Gesellschafterdarlehensansprüchen durch § 135 Abs. 1 InsO, der die Erfüllung bzw. Besicherung solcher Forderungen der Anfechtung unterwirft. Zudem ist ein Drittdarlehensgeber gemäß § 44a InsO gehalten, Befriedigung zunächst aus der vom Gesellschafter gestellten Sicherheit zu suchen. Als Gläubiger kann der Darlehensgeber nur mit dem Betrag teilnehmen, mit dem er bei der Sicherheitenverwertung ausfällt. Der Regressanspruch des Gesellschafters ist als eine Forderung, die einer Darlehensforderung wirtschaftlich vergleichbar ist, in den Nachrang einzustufen.481) 798 Bei revolvierenden Krediten ist die Haftung des Gesellschafters auf den höchsten Zwischensaldo zu begrenzen.482) 799 Gebrauchsüberlassungen unterfielen unter altem Recht meist den Regelungen zum Eigenkapitalersatz (vgl. exemplarisch § 32a GmbHG a. F.). Der Insolvenzverwalter konnte diese überlassene Sache während des Verfahrens unentgeltlich für die Masse nutzen.483) Gebrauchsüberlassungen unterliegen nicht dem Nachrang nach § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO. Zwar kann der Insolvenzverwalter die Gegenstände nach wie vor zugunsten der Masse nutzen, hat jedoch im Rang einer Masseverbindlichkeit (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO) ein Nutzungsentgelt zu entrichten (§ 135 Abs. 3 InsO, der als Spezialgesetz zu §§ 103 ff. InsO zu verstehen ist und sich systemwidrig in den Reglungen zur Anfechtung findet). Die Nutzung ist nur für ein Jahr und nur dann zulässig, wenn dies für die Fort___________ 479) BGH, Urt. v. 21.11.2005 – II ZR 277/03, ZIP 2006, 279 (m. Bespr. Pentz, S. 1169), dazu EWiR 2006, 525 (Westpfahl/Janjuah). 480) BGH, Urt. v. 21.11.2005 – II ZR 277/03, ZIP 2006, 279 (m. Bespr. Pentz, S. 1169). 481) BGH, Urt. v. 4.7.2013 – IX ZR 229/12, ZIP 2013, 1629, dazu EWiR 2013, 657 (Plathner/Luttmann). 482) BGH, Urt. v. 7.3.2013 – IX ZR 7/12, ZIP 2013, 734, dazu EWiR 2013, 393 (Delaveaux), ZIP 2013. 483) BGH, Urt. v. 16.10.1989 – II ZR 307/88, ZIP 1989, 1542 (m. Bespr. K. Schmidt, ZIP 1990, 69 u. Büscher/Klusmann, ZIP 1991, 10).

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VIII. Forderungsanmeldung und Insolvenztabelle

führung des Unternehmens von erheblicher Bedeutung ist. Für den Zeitraum der Nutzung, längstens für ein Jahr, kann der Gesellschafter sein Aussonderungsrecht nicht gegen den Insolvenzverwalter geltend machen. Allerdings sind die Ansprüche der Gesellschafter auf Zahlung der zum Zeit- 800 punkt der Eröffnung noch nicht entrichteten Entgelte in den Nachrang des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO einzuordnen, wenn der Gesellschafter diese Entgelte nicht rechtzeitig eingefordert (d. h. „stehengelassen“) oder gar gestundet hat.484) Ab wann ein „Stehenlassen“ bei Überschreitung der vertraglich vereinbarten Fälligkeit anzunehmen ist, ist anhand der Umstände des Einzelfalls zu beurteilen.485) Darlehensforderungen eines ausgeschiedenen Gesellschafters sind Nachrang- 801 forderungen gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO, wenn der Gesellschafter im letzten Jahr vor der Stellung des Insolvenzantrags aus der Gesellschaft ausgetreten ist.486) Gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO sind solche Forderungen einer Forderung auf 802 Rückgewähr eines Gesellschafterdarlehens im Hinblick auf ihre Eigenschaft als nachrangige Insolvenzforderungen gleichgestellt, die einem solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen. In Betracht kommt hier z. B. eine Kreditgewährung in Form des unechten Factorings, wenn der Gesellschafter gegenüber der Gesellschaft die Rolle des Factors einnimmt, dem im Falle der Uneinbringlichkeit der fakturierten Forderungen die Möglichkeit einer Rückbelastung zusteht.487) Nicht selten ist, dass die Gesellschafter wegen Ihrer Darlehensforderungen 803 einen Rangrücktritt vereinbaren. Der Rangrücktritt ist ein sehr häufig gerade von Gesellschaftern eingesetztes Instrument, um in einer Krise ihrer Gesellschaft eine Überschuldung zu vermeiden. Wurde für die Forderungen auf Rückgewähr von Gesellschafterdarlehen oder aus Rechtshandlungen, die einem solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen, der Nachrang im Insolvenzverfahren hinter den in § 39 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 InsO vereinbart (vgl. § 39 Abs. 2 InsO), sind diese nicht im Überschuldungsstatus zur Feststellung, ob eine insolvenzrechtliche Überschuldung vorliegt, zu berücksichtigen (§ 19 Abs. 2 Satz 2 InsO). Das wird dadurch erreicht, dass sich der Gesellschafter mit der Befriedigung seiner Forderung erst nach den Forderungen aller anderen Gläubiger einverstanden erklärt. Rechtlich stellt die Rangrücktrittsvereinbarung einen zwischen einem Gesell- 804 schafter und der Gesellschaft geschlossenen Schuldänderungsvertrag nach ___________ 484) OLG Hamm, Urt. v. 21.11.2013 – 18 U 145/12, ZIP 2014, 186 = ZfIR 2014, 197 (m. Anm. Hawelka, S. 202), dazu EWiR 2014, 223 (Henkel). 485) BAG, Urt. v. 27.3.2014 – 6 AZR 204/12, ZIP 2014, 927, dazu EWiR 2014, 327 (Bork). 486) BGH, Beschl. v. 15.11.2011 – II ZR 6/11, ZIP 2012, 86, dazu EWiR 2012, 91 (Rendels). 487) OLG Köln, Urt. v. 25.7.1986 – 22 U 311/85, ZIP 1986, 1585, dazu EWiR 1986, 1213 (Roth).

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C. Das eröffnete Insolvenzverfahren

§ 311 Abs. 1 BGB dar, der eine aufschiebende Bedingung enthält. Zu unterscheiden ist zwischen einem relativen, einem einfachen und einem qualifizierten Rangrücktritt. 805 Der relative Rangrücktritt ist eine Vereinbarung zwischen einzelnen Gläubigern und dem Gesellschafter, die das Verhältnis von deren Forderungen zueinander definiert. Der zurücktretende Gläubiger (Gesellschafter) kann erst dann Befriedigung verlangen, wenn die Forderung des im Rang vorgehenden Gläubigers beglichen ist. 806 Die Unterscheidung zwischen dem einfachen und dem qualifizierten Rangrücktritt ist vom BGH und vom BMF identisch festgeschrieben.488) Mit dem einfachen Rangrücktritt vereinbaren Schuldner und Gläubiger, dass die Forderung des Gläubigers hinter die Forderungen aller übrigen Gläubiger zurücktritt (Rücktritt hinter das sonstige Fremdkapital). Die zurücktretende Forderung kann bereits dann wieder ganz oder teilweise bedient werden, wenn alle vorrangigen Forderungen ausgeglichen sind. Beim qualifizierten Rangrücktritt wird ein Rücktritt in den Rang des Eigenkapitals erklärt. Die zurücktretende Forderung darf nur aus dem frei verfügbaren Jahres-/Liquidationsüberschuss bzw. aus dem die sonstigen Verbindlichkeiten der Gesellschaft übersteigenden frei verfügbaren Vermögen und nur nach der Befriedigung sämtlicher Gesellschaftsgläubiger und – bis zur Abwendung der Krise – nicht vor, sondern zugleich mit den Einlagerückgewähransprüchen der Mitgesellschafter berücksichtigt werden.489) Eine Gleichstellung mit statuarischem Eigenkapital, wie noch vom BGH verlangt490), ist nach dem Wortlaut des § 19 Abs. 2 Satz 2 InsO jedoch nicht (mehr) erforderlich. Ein sog. „qualifizierter“ Rangrücktritt – wie noch vor Einführung des MoMiG – wird zivilrechtlich nun nicht mehr gefordert (vgl. § 19 Abs. 2 Satz 12 InsO). Merke: Da der Rangrücktritt nicht zum Erlöschen der Forderung führt, ist diese weiterhin als Verbindlichkeit in der Handelsbilanz zu passivieren (vgl. § 266 Abs. 3 HGB). Im insolvenzrechtlichen Überschuldungsstatus ist die Verbindlichkeit weder bei einem einfachen noch bei einem qualifizierten Rangrücktritt zu passivieren (vgl. § 19 Abs. 2 InsO).

___________ 488) BGH, Urt. v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, ZIP 2001, 235 (m. Anm. Altmeppen, S. 240); BMF v. 8.9.2006, BStBl 2006 I S. 497. 489) BGH, Urt. v. 5.3.2015 – IX ZR 133/14, ZIP 2015, 638 (m. Anm. Bitter/Heim, S. 644), dazu EWiR 2015, 219 (Bork). 490) BGH, Urt. v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, ZIP 2001, 235 (m. Anm. Altmeppen, S. 240); BMF v. 8.9.2006, BStBl 2006 I S. 497.

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VIII. Forderungsanmeldung und Insolvenztabelle

Steuerlich führt eine Rangrücktrittserklärung zur Anwendung des Passivie- 807 rungsverbotes des § 5 Abs. 2a EStG in der Steuerbilanz, wenn die Forderung aus „künftigen Gewinnen“ zu bedienen ist. § 5 Abs. 2a EStG […] (2a) Für Verpflichtungen, die nur zu erfüllen sind, soweit künftig Einnahmen oder Gewinne anfallen, sind Verbindlichkeiten oder Rückstellungen erst anzusetzen, wenn die Einnahmen oder Gewinne angefallen sind. […]

In der Steuerbilanz ist eine solche Verbindlichkeit ertragswirksam auszubu- 808 chen.491) Gemäß § 5 Abs. 2 a EStG darf in der Steuerbilanz also weder eine Verbindlichkeit angesetzt noch eine Rückstellung gebildet werden, wenn die Verpflichtung nur zu erfüllen ist, soweit künftig Einnahmen oder Gewinne anfallen. Auch ist der Ansatz einer verdeckten Einlage (bei einer Körperschaft), die die daraus resultierende Gewinnerhöhung zumindest teilweise kompensieren würde, nicht möglich. Dem Schuldnerunternehmen werde durch die Verpflichtung, im Fall künftiger Gewinnentstehung Tilgungsleistungen erbringen zu müssen, kein zusätzliches Eigenkapital zugeführt.492) Merke: Nur soweit Schuldner und Gläubiger eine Abhängigkeit zwischen Verbindlichkeit und Einnahmen oder Gewinnen vereinbart haben und die Tilgung auch aus sonstigem freien Vermögen ausgeschlossen ist, gilt das Passivierungsverbot des § 5 Abs. 2a EStG. In allen anderen Fällen ist die Verbindlichkeit auch steuerlich zu passivieren. Eine solche Rangrücktrittserklärung vermeidet zwar eine Insolvenz bzw. In- 809 solvenzantragspflicht, hätte aber zur Folge, dass die entsprechenden Darlehen steuerlich erfolgswirksam (gewinnerhöhend bzw. verlustvermindernd) auszubuchen sind. Aus der Sicht des BFH stellt die so getroffene Rangrücktrittsvereinbarung wirtschaftlich einen „Erlass gegen Besserungsabrede“ dar. Dies hat ertragssteuerliche Auswirkungen. Die gewinnabhängige Rangrücktrittserklärung führt bei der Kapitalgesellschaft zusätzlich zu einem steuerpflichtigen Gewinn. Exkurs: Insolvenzanfechtung, § 134 Abs. 1 InsO Eine trotz eines qualifizierten Rangrücktritts im Stadium der Insolvenzreife bewirkte Zahlung an den Gesellschafter kann als unentgeltliche Leistung (§ 134 Abs. 1 InsO) angefochten werden.493)

___________ 491) BFH, Urt. v. 30.11.2011 – I R 100/10, ZIP 2012, 570, dazu EWiR 2012, 453 (Naujok). 492) BFH, Urt. v. 30.11.2011 – I R 100/10, ZIP 2012, 570. 493) BGH, Urt. v. 5.3.2015 – IX ZR 133/14, ZIP 2015, 638 (m. Anm. Bitter/Heim, S. 644).

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C. Das eröffnete Insolvenzverfahren

IX. Gläubigerversammlung und Berichtstermin 1. Berichtstermin (Erste Gläubigerversammlung) 810 Im Berichtstermin (erste Gläubigerversammlung) berichtet der Insolvenzverwalter über die wirtschaftliche Lage des Schuldnerunternehmens und die Ursachen der Insolvenz, führt auf der Basis der Vermögensverzeichnisse und Übersichten (§§ 151 bis 153 InsO, ĺ Rn. 366 ff.) über die Vermögensverhältnisse des Schuldnerunternehmens aus, erläutert die Aussichten für eine Fortführung des Unternehmens sowie welche Möglichkeiten für einen Insolvenzplan bestehen und welche Auswirkungen dies für die Befriedigung der Gläubiger hat (§ 156 Abs. 1 InsO). 811 Der Berichtstermin ist für die Gläubiger Grundlage für eine Entscheidungsfindung über den Fortgang des Verfahrens (§ 157 InsO). Zusätzlich halten viele Verwalterbüros die Möglichkeit vor, dass Gläubiger sich auf elektronischem Wege über den aktuellen Verfahrensstand informieren können. Durch individuell zugeteilte Codes können Sie sich im Informationssystem des Verwalterbüros einloggen und das aktuelle Berichtswesen einsehen (z. B. GIS – Gläubigerinformationssystem).494) 812 Zum Berichtstermin fertigt der Insolvenzverwalter einen ausführlichen Bericht, in dem die allgemeinen Verfahrensdaten (Antragstellung, Eröffnung, etc.), die Unternehmensdaten, die Ursachen der Insolvenz sowie eine Erläuterung der Verzeichnisse und Übersichten (§§ 151 bis 153 InsO) inkl. der hierzu erforderlichen rechtlichen und tatsächlichen Hintergrundinformationen enthalten sind. 2. Berichtswesen im eröffneten Verfahren 813 Im eröffneten Verfahren hat der Insolvenzverwalter fortlaufend in regelmäßigen, vom Gericht vorgegebenen Abständen über den Fortgang Zwischenbericht zu erstatten. Die Berichtsfristen lassen sich der Niederschrift über den Berichts-/Prüfungstermin entnehmen. Diese betragen je nach Gericht i. d. R. 6 oder 12 Monate. 814 Die Zwischenberichte bauen inhaltlich und meist auch strukturell auf dem Bericht zur ersten Gläubigerversammlung auf und bilden die weitere Entwicklung und den Fortgang der Verwertung/Fortführung im letzten Berichtszeitraum ab. Soweit ein fortgeschriebenes Berichtswesen vom Gericht gefordert wird, sind die fortgeschriebenen Vermögensübersichten auf den aktuellen Stand der Verwertung anzupassen und textlich zu erläutern. Andernfalls sind die textlichen Erläuterungen über die Verwertungserfolge in Anlehnung an die Aktivseite der Vermögensübersicht ausreichend. Die Aus___________ 494) Siehe zur Pflicht in bestimmten, ab dem 1.1.2021 beantragten Verfahren § 5 Abs. 5 InsO i. d. F. des Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz) vom 22.12.2020 (BGBl. I, 3256).

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X. Vertragsverhältnisse

führungen sollten dem Maßstab gerecht werden, dass ein unbeteiligter Dritter den Verlauf des Verfahrens anhand des Berichtswesens ohne Schwierigkeiten nachvollziehen kann. Ein Katalog an Leitfragen kann sehr hilfreich sein. Praxistipp: Leitfragen Zwischenberichtswesen x Was wurde verwertet? x Wie hoch war der Verwertungserlös? x (Ggf.) Warum weicht der Erlös von der Prognose im Erstbericht/vorhergehenden Bericht ab (höher/niedriger)? x Welche Probleme/Besonderheiten haben sich bei der Verwertung ergeben? x Welche Vermögenswerte wurden ggf. neu entdeckt?

Das Zwischenberichtswesen ist bis zur Schlussrechnungslegung und Schluss- 815 berichterstattung (Verfahrensabschluss ĺ Rn. 883 ff.) kontinuierlich fortzuführen. Um sicherzustellen, dass die Berichte auch fristgerecht beim Gericht vorliegen, 816 sind die Berichtsfristen sorgfältig zu notieren. Gerade bei einer Vielzahl verwalteter Verfahren ist eine sorgfältige Fristenverwaltung unerlässlich. X. Vertragsverhältnisse 1. Überblick Die Auswirkungen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf bestehende, 817 bis zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung noch nicht vollständig abgewickelte Vertragsverhältnisse finden sich in §§ 103 ff. InsO. § 103 InsO bildet die Grundnorm für synallagmatische Vertragsverhältnisse; 818 in den §§ 104 ff. InsO sind Besonderheiten zu einzelnen Vertragsverhältnissen geregelt, die als „lex specialis“ § 103 InsO in der Anwendung verdrängen. 2. Wahlrecht (§ 103 InsO) Die Grundnorm § 103 InsO normiert das einseitige Wahlrecht des Insol- 819 venzverwalters. Soweit ein Vertragsverhältnis z. Zt. der Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch nicht vollständig abgewickelt ist, erlöschen die gegenseitigen Verpflichtungen nicht automatisch mit Eröffnung. Der Insolvenzverwalter hat vielmehr ein Wahlrecht, ob er den Vertrag erfüllen und vom anderen Teil Erfüllung verlangen möchte, wenn der Vertrag im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung von beiden Seiten nicht vollständig erfüllt ist, also die jeweils geschuldeten Leistungen noch nicht oder noch nicht vollständig erbracht sind.495) Fordert der Vertragspartner den Insolvenzverwalter zur Aus___________ 495) BGH, Beschl. v. 17.7.2003 – IX ZB 448/02, ZVI 2003, 468 = ZInsO 2003, 751.

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C. Das eröffnete Insolvenzverfahren

übung des Wahlrechts auf, hat dieser sich unverzüglich zu erklären (§ 103 Abs. 2 Satz 2 InsO). 820 Wählt der Insolvenzverwalter die Erfüllung, ist die schuldnerseitig zu erbringende Leistungspflicht eine Masseverbindlichkeit (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO).496) Der Insolvenzverwalter muss den Vertrag in der Form und mit dem Inhalt übernehmen, wie er ihn vorfindet, demnach auch mit allen Nebenpflichten, Gewährleistungsrechten und Rücktrittsrechten. Eine Aufrechnung mit Insolvenzforderung gegen die Masseforderung ist gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO unzulässig. 821 Lehnt der Insolvenzverwalter die Erfüllung ab, wird der Erfüllungsanspruch des Vertragspartners undurchsetzbar mit der Folge, dass dieser als Gläubiger einen Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung als Insolvenzforderung zur Insolvenztabelle anmelden kann (§ 103 Abs. 2 Satz 1 InsO). 822 Bei der Eigenverwaltung tritt der Schuldner an die Stelle des Insolvenzverwalters (§§ 270 ff. InsO). 3. Vormerkung (§ 106 InsO) 823 Befindet sich ein vor Eröffnung des Verfahrens verkauftes Grundstück im Schuldnervermögen, ohne dass der Erwerber als Eigentümer im Grundbuch eingetragen wurde, werden die Ansprüche des Käufers auf Eigentumsumschreibung regelmäßig durch eine im Grundbuch eingetragene Vormerkung gesichert (Abteilung II). Dadurch wird ein Berechtigter in die Lage versetzt, den schuldrechtlichen Anspruch auf Eigentumsübertragung dinglich zu sichern. Die Vormerkung ist geregelt in §§ 883 ff. BGB und kein dingliches Recht, sondern ein „Sicherungsmittel eigener Art“ (sui generis). Gemäß § 883 Abs. 2 BGB ist eine Verfügung, die nach der Eintragung der Vormerkung über das Grundstück oder das Recht getroffen wird, insoweit unwirksam, als sie den Anspruch vereiteln oder beeinträchtigen würde. Zudem kommt ihr eine rangwahrende Funktion zu (§ 883 Abs. 3 InsO). Die Vormerkung ist akzessorisch zu dem gesicherten schuldrechtlichen Anspruch.497) 824 Im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldnereigentümers schützt § 106 InsO den Vormerkungsberechtigten/Erwerber. Ist zum Zeitpunkt der Insolvenzantragstellung bereits eine Vormerkung zugunsten eines Dritten im Grundbuch eingetragen, kann der Berechtigte für seinen Anspruch Befriedigung aus der Insolvenzmasse verlangen (§ 106 Abs. 1 InsO). Der Insolvenzverwalter ist verpflichtet, den vormerkungsrechtlich gesicherten Anspruch zu erfüllen. Das in § 103 InsO normierte Wahlrecht ist entsprechend beschnitten. Der Berechtigte kann vom Insolvenzverwalter Erfüllung verlan___________ 496) BGH, Urt. v. 25.4.2002 – IX ZR 313/99, ZIP 2002, 1093 = ZInsO 2002, 577, dazu EWiR 2003, 125 (Tintelnot). 497) BGH, Urt. v. 7.3.2002 – IX ZR 457/99, ZIP 2002, 858 = ZfIR 2002, 539 (m. Anm. Volmer, S. 543) = ZInsO 2002, 487.

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X. Vertragsverhältnisse

gen, wie er sie – ohne das Insolvenzverfahren – vom Schuldner hätte verlangen können.498) Der Anspruch ist insolvenzfest499) und aus der Insolvenzmasse auszusondern,500) es sei denn, die Eintragung der Vormerkung unterliegt der insolvenzrechtlichen Anfechtung. Der gesicherte Anspruch ist durch Erklärung der Auflassung (§§ 873, 925 BGB) 825 und/oder der Eintragungs- bzw. Löschungsbewilligung (§ 19 GBO) zu erfüllen. 4. Eigentumsvorbehalt (§ 107 InsO) In § 107 InsO ist – in Abweichung zu § 103 InsO – geregelt, welche Auswir- 826 kungen die Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf Kaufverträge des Schuldnerunternehmens hat, in denen eine bewegliche Sache vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens verkauft und unter Eigentumsvorbehalt geliefert worden ist. Der Eigentumsvorbehalt ist eine Form einer Warenkreditsicherheit zugunsten 827 eines Lieferanten und bedeutsam für die Aufrechterhaltung eines reibungslosen Warenumschlagskreislaufs. Eigentumsvorbehaltsregelungen können unterschiedlicher Natur sein. Neben 828 dem in § 449 BGB normierten einfachen Eigentumsvorbehalt sind der verlängerte und der erweiterte Eigentumsvorbehalt von praktischer Relevanz. Der einfache Eigentumsvorbehalt ist unter dem Themenkreis „Aussonde- 829 rungsrecht“ ausführlich dargestellt (ĺ Rn. 442 ff.). Detaillierte Erläuterungen zum verlängerten und erweiterten Eigentums- 830 vorbehalt finden sich in den Darstellungen zum „Absonderungsrecht“ (ĺ Rn. 476 ff., 479 ff.). Im Fall der Verkäuferinsolvenz kann der Käufer die Erfüllung des Kaufver- 831 trages verlangen (§ 107 Abs. 1 InsO). Das geschützte Anwartschaftsrecht des Käufers kann nicht durch Ablehnung der Erfüllung des Kaufvertrags durch den Insolvenzverwalter zerstört werden. Lehnt der Insolvenzverwalter die Vertragserfüllung ab, ist der Rückgewähranspruch hinsichtlich bereits vom Käufer erbrachter Teilleistung als Masseverbindlichkeit (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO) zu erfüllen. In der Käuferinsolvenz verbleibt eine unter Eigentumsvorbehalt gelieferte 832 bewegliche Sache zunächst im Schuldnerbesitz (§ 107 Abs. 2 Satz 1 InsO). Der Insolvenzverwalter hat sich erst, dann aber unverzüglich nach dem Berichtstermin zur Erfüllungswahl zu erklären (§ 103 Abs. 2 Satz 2 InsO). Lehnt der Insolvenzverwalter die Erfüllung ab, kann der Verkäufer die Kauf___________ 498) BGH, Urt. v. 14.9.2001 – V ZR 231/00, ZIP 2001, 2008 = ZfIR 2001, 998 = ZInsO 2001, 1056. 499) BGH, Urt. v. 19.3.1998 – IX ZR 242/97, ZIP 1998, 836 = ZInsO 1998, 89. 500) BGH, Beschl. v. 13.3.2008 – IX ZB 39/05 = ZIP 2008, 1028 = ZInsO 2008, 558 = ZVI 2008, 257 = ZfIR 2008, 690 (LS), dazu EWiR 2008, 501 (Eckert).

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C. Das eröffnete Insolvenzverfahren

sache aussondern (§ 47 InsO). Entscheidet sich der Insolvenzverwalter für die Vertragserfüllung, ist der Kaufpreis aus der Masse zu entrichten (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO). 5. Mieterinsolvenz (§§ 109 Abs. 1 Satz 1, 112 InsO) 833 Vom Anwendungsbereich des § 109 InsO sind sämtliche Miet- und Pachtverhältnisse über vom Schuldner gemietete und gepachtete unbewegliche Gegenstände und Räume erfasst. § 109 Abs. 1 Satz 1 InsO gewährt dem Insolvenzverwalter ein einseitiges Sonderkündigungsrecht, wonach der Insolvenzverwalter gewerbliche Mietverhältnisse nach Eröffnung mit einer Frist von drei Monaten zum Monatsende kündigen kann, soweit nicht vertraglich kürzere Fristen vereinbart sind. Hierdurch werden die nach Eröffnung aus dem Mietverhältnis anfallenden Masseverbindlichkeiten auf einen überschaubaren Zeitraum begrenzt und die Entstehung von weiteren Masseverbindlichkeiten aus üblicherweise mit einer langen Laufzeit ausgestalteten Gewerbemietverträgen vermieden. § 109 Abs. 1 Satz 1 InsO schützt die Insolvenzmasse. 834 Steht bereits frühzeitig die Einstellung eines Geschäftsbetriebs fest, empfiehlt sich das gewerbliche Mietverhältnis alsbald zu kündigen. Der Insolvenzverwalter kann sich im eröffneten Verfahren zu jedem Zeitpunkt auf das Sonderkündigungsrecht berufen. 835 Die Kündigung des Mietverhältnisses bedarf der Schriftform (§ 568 Abs. 1 BGB). 836 Der Insolvenzverwalter ist mit Wirksamwerden der Kündigung zur Herausgabe der gemieteten Räume, nicht aber zur Räumung verpflichtet, wenn die Gegenstände vor Verfahrenseröffnung eingebracht wurden.501) 837 Soweit der Vermieter sich auf das Vermieterpfandrecht beruft, steht das originäre Verwertungsrecht dem Insolvenzverwalter zu, wenn er Besitz an den Gegenständen begründet hat. Eine Abrechnung des Absonderungsrechts nach der Verwertung folgt den §§ 170, 171 InsO. 838 Der Vermieter kann ein Miet- oder Pachtverhältnis, das der Schuldner als Mieter oder Pächter eingegangen war, nach dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht wegen eines Verzugs mit der Entrichtung der Miete oder Pacht, der in der Zeit vor dem Eröffnungsantrag eingetreten ist, oder wegen Verschlechterung der Vermögensverhältnisse kündigen (§ 112 InsO). Die Mietforderungen, die bis zum Ende der Vertragslaufzeit entstehen würden, aber durch die vorzeitige Beendigung des Mietvertrags durch den Insolvenzverwalter nicht mehr entstehen, kann der Vermieter als Schadensersatzforderung zur Insolvenztabelle geltend machen. ___________ 501) BGH, Urt. v. 5.7.2001 – IX ZR 327/99, ZIP 2001, 1469 = ZfIR 2001, 728 = ZInsO 2001, 751, dazu EWiR 2002, 395 (Flitsch/Herbst).

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X. Vertragsverhältnisse Praxistipp: Verzug während des Eröffnungsverfahrens Tritt während des Insolvenzeröffnungsverfahrens Verzug ein, wird das Kündigungsrecht des Vermieters durch § 112 InsO jedoch nicht gesperrt.502) Der Zahlungsverzug nach dem Eröffnungsantrag berechtigt bei Vorliegen der gesetzlichen oder vertraglichen Voraussetzungen zur Kündigung.503) Daher sind ausnahmsweise auch im Antragsverfahren fällig werdende Mieten zu zahlen, obwohl es sich um Insolvenzforderungen handelt, wenn die Zahlung dem allgemeinen Gläubigerinteresse dient, insbesondere dann, wenn der Bestand des Mietverhältnisses für den Erhalt des schuldnerischen Unternehmens erforderlich ist. In diesem Fall sollte der vorläufige Insolvenzverwalter dieser Verfügung zustimmen.504) Eine Anfechtung der im Antragsverfahren geleisteten laufenden Mietzahlungen scheitert regelmäßig am Bargeschäftseinwand (§ 142 InsO).

6. Vermieterinsolvenz (§ 110 InsO) Tritt die Schuldnerunternehmung als Vermieterin auf, ist der Insolvenzver- 839 walter berechtigt und verpflichtet, die Ansprüche aus den Mietverhältnissen gegen den jeweiligen Mieter zur Insolvenzmasse einzuziehen. Hat der Schuldnervertreter im Vorfeld der Insolvenz über Ansprüche aus 840 dem Mietverhältnis verfügt (Vorausverfügung), regelt § 110 InsO, dass diese Verfügung nur wirksam ist, soweit sie sich auf die Miete für den zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens laufenden Kalendermonat bezieht bzw. auch für den folgenden Kalendermonat, wenn die Eröffnung nach dem fünfzehnten Tag des Monats erfolgt ist, § 110 Abs. 1, Abs. 2 InsO.505) Dies gilt sowohl für rechtsgeschäftliche Verfügungen als auch für Verfügungen, die im Wege der Zwangsvollstreckung erfolgt sind (§ 110 Abs. 1, Abs. 2 InsO). In der Folgezeit kann ein Pfandrecht oder Pfändungspfandrecht wegen § 91 InsO nicht mehr insolvenzfest begründet werden. Im Insolvenzverfahren kann ein nach § 49 InsO absonderungsberechtigter 841 Grundpfandrechtsgläubiger nur durch einen Antrag auf Anordnung der Zwangsverwaltung eine bevorzugte Befriedigung aus den Mietansprüchen sicherstellen (§§ 146, 20 ZVG, 1123, 1124 BGB).506) Andernfalls ist der Insol___________ 502) BGH, Urt. v. 24.1.2008 – IX ZR 201/06, ZIP 2008, 608 = ZVI 2008, 208, dazu EWiR 2008, 309 (Eckert). 503) BGH, Urt. v. 9.3.2005 – VIII ZR 394/03, ZIP 2005, 1085 = ZfIR 2005, 708 (LS). 504) BGH, Urt. v. 9.3.2005 – VIII ZR 394/03, ZIP 2005, 1085 = ZfIR 2005, 708 (LS). 505) Vgl. BGH, Urt. v. 9.11.2006 – IX ZR 133/05, ZIP 2007, 35 (m. Bespr. Mitlehner, S. 804) = ZfIR 2007, 465 (m. Anm. Zipperer, S. 466) = ZInsO 2006, 1321; BGH, Beschl. v. 13.7.2006 – IX ZB 301/04, ZIP 2006, 1554 = ZVI 2006, 448 = ZfIR 2007, 206 (m. Anm. Eckert, S. 208) = ZInsO 2006, 872; BGH, Urt. v. 17.9.2009 – IX ZR 106/08, ZIP 2010, 38 = ZVI 2010, 58 = ZfIR 2010, 114 (LS) = ZInsO 2010, 43. 506) Vgl. BGH, Urt. v. 9.11.2006 – IX ZR 133/05, ZIP 2007, 35 (m. Bespr. Mitlehner, S. 804) = ZfIR 2007, 465 (m. Anm. Zipperer, S. 466) = ZInsO 2006, 1321; BGH, Beschl. v. 13.7.2006 – IX ZB 301/04, ZIP 2006, 1554 = ZVI 2006, 448 = ZfIR 2007, 206 (m. Anm. Eckert, S. 208) = ZInsO 2006, 872.; BGH, Urt. v. 17.9.2009 – IX ZR 106/08, ZIP 2010, 38 = ZVI 2010, 58 = ZfIR 2010, 114 (LS) = ZInsO 2010, 43.

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C. Das eröffnete Insolvenzverfahren

venzverwalter trotzt des bestehenden Hypothekenhaftungsverbandes zum Forderungseinzug zur Insolvenzmasse berechtigt, ohne, dass ein Absonderungsrecht zu berücksichtigen wäre. 7. Bankverträge, Mandatsverhältnisse, Beraterverträge (vgl. §§ 115, 116 InsO) 842 Ein z. Zt. der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestehender Girokontovertrag erlischt als Geschäftsbesorgungsvertrag „automatisch“ mit Eröffnung (§§ 115, 116 InsO). Ein eventuell noch vorhandener Auszahlungsanspruch ist vom Insolvenzverwalter zur Masse einzuziehen, sofern nicht insolvenzbeständige Sicherungsrechte des Kreditinstituts entgegenstehen (insbesondere AGB-Pfandrecht der Banken/Sparkassen). 843 Verträge mit einem Rechtsanwalt oder Patentanwalt sind grundsätzlich Geschäftsbesorgungsverträge, die gemäß §§ 115, 116 InsO mit Eröffnung erlöschen. Eventuelle Honorarrückstände sind Insolvenzforderung (§ 38 InsO). Soweit Vorschüsse geleistet wurden, sind sie vom Insolvenzverwalter zurückzufordern. Bei Erteilung eines neuen Mandats durch den Insolvenzverwalter verpflichtet dies die Insolvenzmasse zur Begleichung der Honorarforderungen (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO). 844 Auch Verträge mit einem Steuerberater sind grundsätzlich Geschäftsbesorgungsverträge, für die das Vorbeschriebene entsprechend gilt. Ein Zurückbehaltungsrecht an den Arbeitsergebnissen und Handakten (vgl. § 66 Abs. 4 Satz 1 StBerG) besteht nur hinsichtlich der eigenen Arbeitsergebnisse des Steuerberaters. Den Steuerberater trifft nach Beendigung des Mandats eine Herausgabepflicht hinsichtlich der Mandantenunterlagen und der Steuerbescheide; eine Zustimmung zur Datenübertragung gegenüber der DATEV besteht nur für von dem Schuldner eingegebene Daten, nicht jedoch für solche Daten, die unmittelbarer Bestandteil der Buchführung oder der „Jahresabschlussarbeiten“ sind.507) XI. Arbeitsverhältnisse im eröffneten Insolvenzverfahren 1. Arbeitsverhältnisse und deren Beendigung 845 Auf den Bestand von Arbeitsverhältnissen hat die Eröffnung keinen Einfluss.508) In der Insolvenz des Arbeitgebers tritt der Insolvenzverwalter mit Eröffnung infolge des Übergangs der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis (§ 80 Abs. 1 InsO) in die Arbeitgeberstellung ein. 846 Der Insolvenzverwalter ist – wie jeder angestellte Arbeitnehmer – berechtigt, ein Dienst-/Arbeitsverhältnis jederzeit ordentlich zu kündigen (§ 113 Satz 1 ___________ 507) BGH, Urt. v. 11.3.2004 – IX ZR 178/03, ZIP 2004, 1267, dazu EWiR 2004, 1121 (Gräfe). 508) BAG, Urt. v. 15.12.1987 – 3 AZR 420/87, ZIP 1988, 327, dazu EWiR 1988, 389 (Schaub).

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XI. Arbeitsverhältnisse im eröffneten Insolvenzverfahren

InsO). Die Kündigungsfrist beträgt sowohl für den Insolvenzverwalter, als auch für den Mitarbeiter des schuldnerischen Betriebs drei Monate zum Monatsende, wenn nicht eine kürzere Frist maßgeblich ist (§ 113 Satz 2 InsO). Der Anwendungsbereich des § 113 Satz 2 InsO umfasst alle Arbeitsverhältnisse, deren Kündigungsfristen länger sind als drei Monate. Gehen gesetzliche, tarifvertragliche oder einzelvertragliche Kündigungsfristen über den Dreimonatszeitraum hinaus, gibt § 113 Satz 2 InsO die Möglichkeit, diese auf die Höchstfrist von drei Monaten zu kappen.509) Die vorgenannten Fristen gelten für jede ordentliche Kündigung. Das Recht 847 zum Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung wird dadurch nicht berührt. Wird die ordentliche Kündigung unter Ausnutzung der kürzeren Kündi- 848 gungsfrist vom Insolvenzverwalter ausgesprochen, kann der Arbeitnehmer wegen der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses Schadensersatzforderungen zur Insolvenztabelle anmelden (§§ 113 Satz 3, 38, 174 ff. InsO). Soweit vertraglich oder nach dem Charakter des Dienstverhältnisses geschuldet, sind arbeitsrechtliche Zustimmungen (z. B. des Betriebsrates, nach dem Schwerbehindertengesetz) selbstverständlich auch in der Insolvenz zu beachten. 2. Entgeltansprüche der Arbeitnehmer Entgeltansprüche der Arbeitnehmer aus der Zeit vor Insolvenzeröffnung 849 sind grundsätzlich Insolvenzforderungen nach § 38 InsO und können zur Insolvenztabelle angemeldet werden (§§ 87, 38, 174 ff. InsO). Für einen Zeitraum von maximal drei Monaten besteht über das Insolvenzgeld 850 ein besonderer Schutz der Arbeitnehmer hinsichtlich der vor Eröffnung rückständigen Entgeltforderungen (ĺ hierzu ausführlich Rn. 289 ff.). Ansprüche auf Zahlung von Arbeitsentgelt für die Zeit ab Insolvenzeröff- 851 nung bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses sind Masseverbindlichkeiten gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 InsO. Dies gilt auch für den Fall, dass die Leistungen seitens des Arbeitnehmers nicht erbracht werden (z. B. wegen Freistellung oder Erkrankung). In den Fällen der Masseunzulänglichkeit wird der Rang nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit (§ 208 Abs. 1 InsO) von der Entscheidung bestimmt, ob der Insolvenzverwalter das Arbeitsverhältniss fortführt oder unverzüglich kündigt.510) Eine Neu-Masseverbindlichkeit (§ 209 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 InsO) stellt das Entgelt für die Zeit nach dem ersten Termin, zu dem der Insolvenzverwalter nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit kündigen kann. Neu-Masseverbindlichkeiten werden gemäß § 209 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 3 InsO auch dann begründet, wenn der Insolvenzverwalter die Gegenleistung nach Anzeige der Masseunzulänglich___________ 509) Vgl. LAG Schleswig-Holstein, Urt. v. 28.4.2004 – 3 Sa 551/03, NZI 2004, 638. 510) BAG, Urt. v. 31.3.2004 – 10 AZR 253/03, ZIP 2004, 1323, dazu EWiR 2004, 815 (Bork).

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C. Das eröffnete Insolvenzverfahren

keit für die Insolvenzmasse in Anspruch nimmt. Wenn die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit infolge einer Freistellung nicht in Anspruch genommen wird, stellen diese nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit Alt-Masseverbindlichkeiten dar. 852 Urlaubs- oder Urlaubsentgeltansprüche sind dem Zeitraum zuzuordnen, in dem der Anspruch auf Urlaub tatsächlich erfüllt wird.511) Wird das Arbeitsverhältnis nach Eröffnung des Verfahrens beendet, ist der auf den Zeitraum entfallende Urlaubsabgeltungsanspruch nach § 7 Abs. 4 BUrlG eine Masseverbindlichkeit gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 InsO. 3. Betriebsveräußerung in der Insolvenz 853 Im Fall einer übertragenden Sanierung (Betriebsveräußerung), sind die Arbeitsverhältnisse inhaltsgleich vom Erwerbers fortzusetzen (§ 613a BGB). § 613a BGB wird in st. Rspr. auch für den Betriebsübergang nach Insolvenzeröffnung angewandt.512) 854 Der Erwerber haftet jedoch nicht für Altverbindlichkeiten aus den Arbeitsverhältnissen.513) Diese sind über die Insolvenz des (ehemaligen) Arbeitgebers abzuwickeln. Mit §§ 123, 124 InsO besteht im Insolvenzverfahren ebenso die Möglichkeit, im Rahmen eines Sozialplans einen sachgerechten Ausgleich zwischen Arbeitnehmerschutz und dem Sinn und Zweck des Insolvenzverfahrens herzustellen. XII. Insolvenzsteuerrecht, steuerliche und buchhalterische Pflichten 1. Grundlegendes 855 Die handelsrechtlichen und steuerlichen Pflichten des Schuldners werden durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht berührt, gehen jedoch auf den Insolvenzverwalter über, soweit die Insolvenzverwaltung reicht (§ 155 InsO). 856 Diese Pflicht umfasst bei einem laufenden Geschäftsbetrieb auch die Pflicht, die laufende Buchhaltung des Schuldnerbetriebs zu führen. Diese ist neben der „Insolvenzverwalterbuchhaltung“, die die Grundlage der Rechnungslegung (§ 66 InsO) darstellt, zu fertigen. Auch sind für den Zeitraum des eröffneten Verfahrens bzw. für die Zeit vor Eröffnung, soweit diese noch ausstehen, Jahresabschlüsse zu fertigen. Mit Eröffnung beginnt gemäß § 155 Abs. 2 InsO grundsätzlich ein neues Geschäftsjahr. Bis zur Eröffnung des Verfahrens be___________ 511) BAG, Urt. v. 15.2.2005 – 9 AZR 78/04, ZIP 2005, 1653; BAG, Urt. v. 15.6.2004 – 9 AZR 431/03, ZIP 2004, 1660. 512) Vgl. BAG, Urt. v. 20.6.2002 – 8 AZR 459/01, ZIP 2003, 222; BAG, Urt. v. 26.3.1996 – 3 AZR 965/94, ZIP 1996, 1914, dazu EWiR 1997, 153 (Griebeling); BAG, Urt. v. 17.1.1980 – 3 AZR 160/79, ZIP 1980, 117. 513) Vgl. BAG, Urt. v. 20.6.2002 – 8 AZR 459/01, ZIP 2003, 222; BAG, Urt. v. 26.3.1996 – 3 AZR 965/94, ZIP 1996, 1914.

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XII. Insolvenzsteuerrecht, steuerliche und buchhalterische Pflichten

steht ein Rumpfgeschäftsjahr. Ab Eröffnung beginnt ein neuer, abweichender Geschäftsjahresrhythmus. Der Insolvenzverwalter ist jedoch befugt, das Geschäftsjahr so festzulegen, dass es dem ursprünglichen Geschäftsjahr entspricht.514) Im Steuerschuldverhältnis nimmt der Insolvenzverwalter gemäß § 34 AO die 857 Stellung als Vermögensverwalter ein, der die steuerlichen Pflichten der Eigentümer der Vermögen oder deren gesetzlicher Vertreter zu erfüllen hat. Damit einher geht die Pflicht des Insolvenzverwalters, dafür Sorge zu tragen, dass die Steuern aus den verwalteten Mitteln entrichtet werden (Haftungsschuldner). An der Eigenschaft als Steuerschuldner ändert sich nichts; dieser bleibt nach wie vor die insolvente Gesellschaft. Für den Insolvenzverwalter ergibt sich die Steuererklärungspflicht aus seiner 858 Rechtsstellung als Vermögensverwalter (§ 34 Abs. 3 AO). Nur er ist zur Abgabe von Steuererklärungen befugt (§ 58 Abs. 2 AO). Dies gilt sowohl hinsichtlich der Erklärungen, die auf den Veranlagungszeitraum im eröffneten Verfahren fallen als auch hinsichtlich der Erklärungen, die für die Zeit vor Verfahrenseröffnung noch ausstehen. Die Einordnung und Geltendmachung von Steuerforderungen als Insol- 859 venzforderung bzw. Masseverbindlichkeit richtet sich – mit Ausnahme der bereits dargelegten Maßgaben zu § 55 Abs. 4 InsO – nach der Systematik der InsO (§ 251 Abs. 2 Satz 1 AO; §§ 38, 55 InsO). Der dem Insolvenzschuldner zustehende Steuererstattungsanspruch (vgl. 860 § 37 Abs. 2 AO) aus zu viel gezahlter Lohn-, Einkommen-, Umsatz-, Gewerbesteuer und sonstigen Steuerarten ist pfändbar und gehört zur Insolvenzmasse. 2. Beauftragung eines Steuerberaters Die Fertigung von Steuererklärungen ist originäre Pflicht des Insolvenzver- 861 walters. Soweit die Fertigung der Erklärungen den üblichen Umfang überschreitet und/oder besondere steuerrechtliche Fachkenntnisse erforderlich sind, ist die Beauftragung eines Steuerberaters auf Kosten der Insolvenzmasse zulässig (§ 4 Abs. 1 Satz 3 InsVV).515)

___________ 514) BGH, Urt. v. 14.10.2014 – II ZB 20/13, ZIP 2015, 88, dazu EWiR 2015, 223 (Wachter). 515) Vgl. BGH, Beschl. v. 11.11.2004 – IX ZB 48/04, ZIP 2005, 36 = ZVI 2005, 152 = ZInsO 2004, 1348 ff., dazu EWiR 2005, 833 (Henssler/Deckenbrock) in Fortführung von BGHZ 139, 309 = ZIP 1998, 1793, dazu EWiR 1998, 1125 (Henssler) ff. zur Beauftragung eines Rechtsanwalts: Ein Insolvenzverwalter darf, auch wenn er selbst Volljurist ist, Aufgaben, die ein Insolvenzverwalter ohne volljuristische Ausbildung im Allgemeinen nicht lösen kann, auf einen Rechtsanwalt übertragen und die dadurch entstehenden Auslagen aus der Masse entnehmen.

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C. Das eröffnete Insolvenzverfahren

3. Besonderheiten bei einzelnen Steuerarten a) Körperschaftsteuer 862 Die unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtigen Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen (insbesondere Kapitalgesellschaften und Genossenschaften, vgl. § 1 KStG) bleiben auch nach Insolvenzeröffnung Steuerpflichtiger (§ 33 AO). Die Körperschaftsteuer ist eine Jahressteuer und bemisst sich nach dem zu versteuernden Einkommen (§ 7 Abs. 1, Abs. 3 KStG). Die Steuer beträgt 15 % des zu versteuernden Einkommens (Steuersatz, § 23 KStG). Bei der Körperschaftsteuer ist eine Zuordnung des steuerpflichtigen Gewinns auf einzelne Geschäftsvorfälle grundsätzlich nicht möglich (vgl. § 7 Abs. 3 Satz 2 KStG). Die Steuerschuld ist für die Zeiträume vor und nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach Maßgabe der in den einzelnen Abschnitten zu berücksichtigenden Besteuerungsmerkmale prozentual aufzuteilen. 863 Stellt sich bei der Jahresveranlagung heraus, dass die Körperschaftsteuerjahresschuld geringer ist, als die entrichteten Vorauszahlungen und Abzugsbeträge, so fällt der danach vom Finanzamt zu erstattende Betrag in die Insolvenzmasse. 864 Die Körperschaftsteuerpflicht endet – unabhängig von einer zivilrechtlichen Auflösung – nicht vor Einstellung der werbenden Tätigkeit und nicht bevor die anschließende Liquidation rechtswirksam abgeschlossen wurde. Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens beginnt nach § 155 Abs. 2 Satz 1 InsO ein neues Geschäftsjahr (regelmäßig 12 Monate, § 240 Abs. 2 Satz 2 HGB). Der Insolvenzverwalter ist befugt, den mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens neu beginnenden Geschäftsjahresrhythmus zu ändern. Das kann geschehen durch eine Anmeldung zur Eintragung im Handelsregister, aber auch durch eine sonstige Mitteilung an das Registergericht.516) 865 Bei der Liquidation tritt – abweichend vom Ermittlungszeitraum – der Abwicklungszeitraum, der regelmäßig mit der Auflösung, d. h. der rechtsgültigen Schlussverteilung beendet ist. Der Abwicklungszeitraum wird grundsätzlich zu einem Besteuerungszeitraum zusammengefasst, wobei die Höchstdauer drei Jahre nicht übersteigen soll (§ 11 Abs. 1 Satz 2 KStG). Beginn des verlängerten Besteuerungszeitraums ist im Insolvenzfall erst der Zeitpunkt der tatsächlichen Einstellung der werbenden Tätigkeit der Körperschaft. b) Lohnsteuerforderungen 866 Lohnsteuerforderungen in der Insolvenz des Arbeitgebers sind mit dem Zeitpunkt begründet, in dem der Lohn dem Arbeitnehmer zufließt (§§ 38 Abs. 2 Satz 2, 41 Abs. 1 EStG). Der Zufluss des Lohnes ist dann anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer die wirtschaftliche Verfügungsmacht darüber erhält. ___________ 516) BGH, Urt. v. 14.10.2014 – II ZB 20/13, ZIP 2015, 88.

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XII. Insolvenzsteuerrecht, steuerliche und buchhalterische Pflichten

Für die Frage des Begründetseins i. S. v. § 38 InsO ist nicht auf die Entstehung der Lohnforderung, sondern auf den Zeitpunkt der Zahlung abzustellen. An die Belegschaft geleistete Insolvenzgeldzahlungen (§§ 167 ff. SGB III) unter- 867 liegen weder der Einkommen- noch der Lohnsteuer (vgl. § 3 Nr. 2 lit. b) EStG). c) Gewerbesteuer Der Gewerbesteuer unterliegt jeder Gewerbebetrieb, soweit er im Inland be- 868 trieben wird (§ 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG). Die Gewerbesteuer ist eine Jahressteuer (direkte Ertragssteuer). Steuerschuldner ist das Unternehmen (§ 5 GewStG). Die Verwaltungshoheit liegt grundsätzlich bei den Landesfinanzbehörden (Art. 108 Abs. 2 GG); eine Übertragung auf die Gemeinden ist zulässig (Art. 108 Abs. 4 GG). Die Finanzämter sind für Festsetzung und Zerlegung der Steuermessbeträge zuständig, die Gemeinden für die Festsetzung des Gewerbesteuerbetrages, die Erhebung der Gewerbesteuer etc. Die für das Jahr der Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgrund eines ein- 869 heitlichen Messbetrags erhobene Gewerbesteuer ist aufzuteilen in eine Insolvenzforderung und in eine sonstige Masseverbindlichkeit i. S. d. § 55 InsO für den Zeitraum nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Bei Personengesellschaften endet die Gewerbesteuerpflicht, wenn die wer- 870 bende Tätigkeit (z. B. Produktion, Handeltreiben) endgültig eingestellt wird. Merke: Soweit zivilrechtlich die Auflösung der Personengesellschaft im Falle der Insolvenz vorgesehen ist, ist dies nicht relevant für die Steuerpflicht. Bei Personengesellschaften erfolgt gemäß § 35 EStG eine Anrechnung der 871 Steuerlast auf die Einkommensteuerschuld eines Einzelunternehmers oder eines Gesellschafters einer Personengesellschaft (seit 2008 i. H. d. 3,8-fachen des Gewerbesteuermessbetrages des Unternehmens, max. i. H. d. tatsächlich gezahlten Gewerbesteuer); die Anrechnung bezieht sich jedoch nur auf die anteilige Einkommensteuer, die auf Einkünfte aus Gewerbebetrieb zu entrichten ist. Bei Kapitalgesellschaften endet die Gewerbesteuerpflicht, wenn jede Art von 872 Tätigkeit beendet worden ist, insbesondere mit der Verwertung und Verteilung des gesamten Vermögens. Bei Kapitalgesellschaften gehört der Aufgabe-/Veräußerungsgewinn zum Gewerbeertrag. Diese Grundsätze gelten auch für die sachliche Gewerbesteuerpflicht in den Verfahren nach der InsO. d) Umsatzsteuer Beim Einzug von Forderungen durch den Insolvenzverwalter für vor Insol- 873 venzeröffnung erbrachte Leistungen wird durch die Entgeltvereinnahmung nicht nur bei der Ist-, sondern auch bei der Sollbesteuerung eine Masseverbind211

C. Das eröffnete Insolvenzverfahren

lichkeit (Umsatzsteuerforderung) begründet.517) Die BFH-Rechtsprechung vom 9.12.2010 erhebt damit eine grundsätzlich als Insolvenzforderung einzuordnende Insolvenzforderung in den Rang einer Masseverbindlichkeit (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO). 874 Daneben gelten gemäß § 55 Abs. 4 InsO Verbindlichkeiten des Insolvenzschuldners aus dem Steuerschuldverhältnis, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter oder vom Schuldner mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters begründet worden sind, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeit. Dies gilt für Verfahren, die ab dem 1.1.2011 beantragt wurden/werden.518) Abzustellen sei auf die Entgeltvereinnahmung durch den vorläufigen Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt, nicht auf die Leistungserbringung (im vorläufigen Verfahren), sofern diesem die Einzugsermächtigung (vgl. § 23 Abs. 1 Satz 3 InsO) erteilt wurde (siehe hierzu ausführlich ĺ Rn. 751 ff.).519) XIII. Vollstreckungsverbot und Rückschlagsperre 1. Vollstreckungsverbot (§ 89 InsO) § 89 Abs. 1 InsO Vollstreckungsverbot

875

(1) Zwangsvollstreckungen für einzelne Insolvenzgläubiger sind während der Dauer des Insolvenzverfahrens weder in die Insolvenzmasse noch in das sonstige Vermögen des Schuldners zulässig. […]

876 Das in § 89 Abs. 1 InsO normierte Vollstreckungsverbot gilt für alle Insolvenzgläubiger über die gesamte Dauer des eröffneten Verfahrens und bezieht sich sowohl auf Vollstreckungsmaßnahmen in Gegenstände der Masse, als auch in sonstiges (insolvenzfreies) Schuldnervermögen.520) Aus- und Absonderungsrechte bleiben von § 89 InsO unberührt. 877 Unzulässig sind der Beginn und auch die Fortsetzung einer bereits begonnenen Vollstreckungsmaßnahme, wobei § 89 Abs. 1 InsO keine Auswirkungen auf die materielle Wirksamkeit einer einmal erlangten öffentlich-rechtlichen Verstrickung hat. 878 Seinem Sinn und Zweck nach zielt § 89 Abs. 1 InsO auf den Erhalt der Haftungsmasse zur Befriedigung der Insolvenzgläubiger ab. Das Verbot gilt hin___________ 517) BFH, Urt. v. 9.12.2010 – V R 22/10, ZIP 2011, 782 (m. Bespr. Schmittmann, S. 1125 u. Welte/Friedrich-Vache, S. 1595), BStBl II 2011 S. 996 sowie hierzu BMF-Schreiben v. 20.5.2015 – GZ IV A 3 – S 0550/10/10020-05 – DOK 2015/0416027. 518) BMF-Schreiben v. 20.5.2015 – GZ IV A 3 – S 0550/10/10020-05 – DOK 2015/0416027, BStBl I S. 83. 519) BFH, 24.9.2014 – V R 48/13, DB 2014, 2870. 520) BGH, Beschl. v. 12.2.2009 – IX ZB 112/06), ZIP 2009, 818 = ZInsO 2009, 830, = ZVI 2009, 205 = ZfIR 2009, 482 (m. Kurzanm. Hawelka, S. 483).

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XIII. Vollstreckungsverbot und Rückschlagsperre

sichtlich der massebefangenen Gegenstände ebenfalls für Gläubiger, deren Forderungen nach der Verfahrenseröffnung begründet wurden (Neugläubiger). 2. Vollstreckungsverbot für Massegläubiger (§ 90 InsO) Massegläubiger, denen eine Forderung zusteht, die nicht durch Rechtshand- 879 lungen des Insolvenzverwalters begründet wurden, ist für die Dauer von sechs Monaten ab Eröffnung die Befriedigung im Wege der Zwangsvollstreckung untersagt (§ 90 Abs. 1 InsO). § 90 Abs. 1 InsO erfasst demnach die sog. oktroyierten Masseverbindlichkeiten, soweit nicht in § 90 Abs. 2 InsO Ausnahmen definiert sind. Im Übrigen besteht für Massegläubiger kein Vollstreckungsverbot. 3. Rückschlagsperre (§ 88 InsO) Im Wege der Zwangsvollstreckung an Massegegenständen erlangte Sicher- 880 heiten werden mit Insolvenzeröffnung unwirksam, soweit die Sicherheitenerlangung im letzten Monat vor bzw. nach dem Insolvenzantrag erfolgte (Rückschlagsperre, § 88 Abs. 1 InsO). Die Unwirksamkeit tritt mit Eröffnung des Verfahrens ohne weitere Erklärungen oder Handlungen des Insolvenzverwalters kraft Gesetzes (ipso iure) ein. Abzustellen ist auf den Zeitpunkt, in dem die Wirkungen des Pfändungspfandrechtes bzw. der Beschlagnahme eintreten (z. B. bei beweglichen Gegenständen die Inbesitznahme durch den Gerichtsvollzieher, § 808 Abs. 1, 2 ZPO, bei der Forderungspfändung die Zustellung an den Drittschuldner, §§ 829 Abs. 3, 846 ZPO). Bei der Pfändung künftig erst entstehender Forderungen entsteht das Pfandrecht erst in dem Moment des Entstehens der gepfändeten Forderung selbst.521) Die Fristberechnung folgt § 139 InsO. Die Rückschlagsperre bewirkt eine absolute, gegenüber jedermann wirkende, 881 jedoch zeitlich auf die Dauer des Insolvenzbeschlags beschränkte Unwirksamkeit (nach BGH „schwebende Unwirksamkeit“522)). Fällt eine Immobilie in die Insolvenzmasse, die nach Insolvenzeröffnung vom Insolvenzverwalter freigegeben wird, lebt eine Zwangssicherungshypothek im Moment der Freigabe unter Beibehaltung der bis dato nicht gelöschten, ggf. aber um einen Rangvermerk zu ergänzenden Grundbuchposition wieder auf.523) § 88 InsO ist Ausfluss des Gläubigergleichbehandlungsgrundsatzes und er- 882 gänzt das Anfechtungsrecht (ĺ Rn. 687 ff.). Soweit ein Insolvenzgläubiger aufgrund einer im maßgeblichen Zeitraum erlangten Sicherheit Befriedigung erfährt, ist die Vollstreckungsmaßnahme aufgrund der Rückschlagsperre kraft ___________ 521) BGH, Urt. v. 20.3.2003 – IX ZR 166/02), ZIP 2003, 808 = ZInsO 2003, 372, dazu EWiR 2003, 533 (Hölzle); BGH, Urt. v. 22.1.2004 – IX ZR 39/03, ZIP 2004, 513 = ZVI 2004, 188 = ZInsO 2004, 270; OLG Frankfurt, Urt. v. 22.1.2003 – 17 U 69/02, ZInsO 2003, 283. 522) BGH, Urt. v. 19.1.2006 – IX ZR 232/04, ZInsO 2006, 261. 523) BGH, Urt. v. 19.1.2006 – IX ZR 232/04, ZInsO 2006, 261.

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C. Das eröffnete Insolvenzverfahren

Gesetzes mit Eröffnung des Verfahrens unwirksam. Die Rückschlagsperre hat jedoch keinen Einfluss auf die erlangten Befriedigungen; diese sind durch Erklärung der Anfechtung über § 143 InsO zur Masse zurückzuverlangen. Befriedigungen, die im Wege der Zwangsvollstreckung erlangt wurden, sind i. d. R. inkongruente Deckungen i. S. v. § 131 InsO.524) XIV. Schlussrechnungslegung und Verfahrensabschluss 1. Grundlagen der Schlussrechnungslegung und der Schlussberichterstattung a) Rechnungslegung – eröffnetes Verfahren 883 Zielsetzung des Insolvenzverfahrens ist die gemeinschaftliche Gläubigerbefriedigung und, soweit darstellbar, die Sanierung des Schuldnerunternehmens. Das Insolvenzverfahren dient als gesetzliches Ordnungsverfahren der Haftungsverwirklichung und der Sanierung. Der Insolvenzverwalter agiert bei der Vermögensverwertung als Partei kraft Amtes und Fremdvermögensverwalter. Er ist bei Beendigung seines Amtes zur Rechnungslegung gegenüber der Gläubigerversammlung verpflichtet (§ 66 Abs. 1 Satz 1 InsO). Eine Prüfung der Schlussrechnung obliegt dem Insolvenzgericht im Rahmen der Aufsichtsführung (§§ 58, 66 Abs. 2 Satz 1 InsO). 884 Die Schlussrechnungslegung erfolgt i. d. R. durch Gegenüberstellung der Einnahmen und Ausgaben. Die Schlussrechnung baut auf der laufenden Rechnungslegung des Verwalters und den vorgelegten Berichten und Verzeichnissen auf. Die Rechnungslegung muss hinsichtlich der Buchungsvorgänge so beschaffen sein, dass sämtliche Geschäftsvorfälle richtig, vollständig, zeitnah und ordentlich aufgezeichnet worden sind. 885 Das Zahlenwerk Verwalterbuchhaltung wird regelmäßig und zum besseren Verständnis textlich erläutert im Schlussbericht, der den Verfahrensverlauf zusammengefasst und abschließend schildert. Insbesondere werden die Verwertungsergebnisse, eventuelle Schwierigkeiten oder Hindernisse, die sich im Zuge der Verwertung gezeigt haben sowie die Verwertungserfolge dargestellt. Die Verfahrensbeteiligten erhalten ein vollständiges Bild über die vom Insolvenzverwalter entfalteten Tätigkeiten und somit eine Grundlage für die Prüfung der Ordnungsmäßigkeit der Verwaltertätigkeit und Rechnungslegung. 886 Bestandteil eines jeden Schlussberichts ist zudem die Darlegung der Art und der Höhe der Abgeltung von Sicherheiten Einzelner. Den Gläubigern gereicht der Schlussbericht als Information über die voraussichtlich zu erwartende Befriedigung aus der Verwertung der Insolvenzmasse (Quotenprognose). ___________ 524) Vgl. zum aktuellen Stand der geplanten Gesetzesänderung im Bereich des Anfechtungsrechts Referentenentwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der Insolvenzordnung und nach dem Anfechtungsgesetz (RefE v. 16.3.2015, http://www.bmjv.de).

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XIV. Schlussrechnungslegung und Verfahrensabschluss

Um diesen umfassenden Rechnungslegungs- und Informationspflichten Ge- 887 nüge zu tun, bedarf es einer umfassenden Vorbereitung der Schlussrechnungslegung und des Schlussberichts. b) Rechnungslegung – Antragsverfahren Auch der vorläufige Insolvenzverwalter ist – unabhängig von der Unter- 888 scheidung „schwacher“ oder „starker“ vorläufiger Insolvenzverwalter – bei Beendigung seines Amtes zur Rechnungslegung verpflichtet (§ 21 Abs. 2 Satz. 1 Nr. 1 InsO i. V. m. § 66 InsO). Adressaten der Rechnungslegung sind das Insolvenzgericht und wohl auch der Schuldner (§§ 666, 259 BGB).525) Die Rechnungslegung folgt den Maßstäben, die auch für die Rechnungslegung des Insolvenzverwalters gelten. Praxistipp: Wird der vorläufige Insolvenzverwalter mit Eröffnung zum Insolvenzverwalter bestellt (Personenidentität), ist ob der Amtsverschiedenheit für beide Verfahrensabschnitte (vorläufiges Verfahren und eröffnetes Verfahren) gesondert Rechnung zu legen.

2. Vorbereitung des Verfahrensabschlusses und Einzelheiten zur Rechnungslegung und zum Schlussberichtswesen a) Vermögensverwertung Ein Insolvenzverfahren hat regelmäßig dann Abschlussreife erlangt, wenn die 889 Vermögensverwertung vollständig abgeschlossen ist. Stehen noch einzelne Vermögenswerte zur Verwertung aus, ist zu prüfen, ob absehbar eine Verwertung abgeschlossen werden kann. In diesem Fall sollte mit der Schlussrechnungslegung noch zugewartet werden. Andernfalls gilt es zu prüfen, ob hinsichtlich des Erlöses aus der Verwertung des Gegenstandes die Nachtragsverteilung (§ 203 InsO) angeordnet werden kann (ĺ Rn. 908 ff.). Im Schlussbericht ist zu jedem einzelnen Vermögenswert zu erläutern, aus 890 welchen Gründen das ausgewiesene Verwertungsergebnis erzielt wurde. Ausgangspunkt der Erläuterungen sind die Werte, die sich aus der auf den Stichtag der Eröffnung erstellten Vermögensübersicht (§ 153 InsO, ĺ Rn. 389 ff.) ergeben. Diese weist den voraussichtlich zu erwartenden Verwertungserlös aus (Prognosewert). Die bei der Verwertung des Gegenstandes erzielten Erlöse weichen einmal mehr, einmal weniger von diesem Prognosewert ab. Im Schlussbericht ist (spätestens!) zu erläutern, aus welchen Gründen ein vom prognostizierten Wert abweichender Erlös erzielt wurde und worauf eventuelle Verwertungsschwierigkeiten bzw. eine die Prognosewerte übersteigende Erlöserzielung zurückzuführen sind. ___________ 525) Hierzu Zimmer, Insolvenzbuchhaltung, Rn. 802 f.

215

C. Das eröffnete Insolvenzverfahren

891 Der Insolvenzverwalter hat im Verlauf des Insolvenzverfahrens fortlaufend Bericht über seine Tätigkeiten zu erstatten. Wurden diese Zwischenberichte sorgfältig geführt, kann der Schlussbericht auf der Basis des Berichts zur ersten Gläubigerversammlung sowie den nachfolgenden Zwischenberichten aufgebaut und die Verwertungshistorie nachvollzogen werden. Bei Bedarf sind zusätzliche Informationsquellen hinzuzuziehen (z. B. Handakten von Prozessen etc.). Wurde das Modell der fortgeschriebenen Berichterstattung gewählt (ĺ Rn. 389 ff.), bilden die tabellarischen, fortgeschriebenen Übersichten ebenfalls die Historie und das Ergebnis der Verwertung ab. b) Abgeltung von Sicherungsrechten 892 In Vorbereitung des Schlussberichts und der Schlussrechnungslegung ist ebenfalls zu prüfen, ob sämtliche Sicherungsrechte berücksichtigt und korrekt abgegolten wurden. Zu prüfen ist zudem, ob die verwaltete Masse um die auszusondernden Gegenstände bereinigt wurde. c) Forderungsprüfung und Schlussverzeichnis (Verteilungsverzeichnis) 893 Die Verteilung der Insolvenzmasse an die Gläubiger erfolgt auf der Basis eines Schlussverzeichnisses (§ 188 InsO) an die Gläubiger, deren Forderungen uneingeschränkt festgestellt sind, und ist vom Insolvenzverwalter vorzunehmen (§ 187 Abs. 3 Satz 1 InsO). 894 In umfangreicheren Verfahren werden Ausschüttungen auch bereits im Rahmen von Abschlagsverteilungen vor der Schlussverteilung vorgenommen, da sich die Verwertungstätigkeiten über einen längeren Abwicklungszeitraum hinziehen können. 895 Ein Insolvenzgläubiger, dessen Forderung nicht festgestellt ist und für dessen Forderung ein vollstreckbarer Titel oder ein Endurteil nicht vorliegt, muss den Widerspruch im Feststellungsprozess verfolgen. Er hat spätestens innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Wochen nach der öffentlichen Bekanntmachung des Schlussverzeichnisses dem Insolvenzverwalter nachzuweisen, dass und für welchen Betrag die Feststellungsklage erhoben oder das Verfahren in dem früher anhängigen Rechtsstreit aufgenommen ist (§ 189 Abs. 1 InsO). Wird der Nachweis rechtzeitig geführt, so wird der auf die Forderung entfallende Anteil für die Dauer des Rechtsstreits zurückgestellt (§ 289 Abs. 2 InsO); andernfalls wird die Forderung bei der Verteilung nicht berücksichtigt. Ein Gläubiger, der zur abgesonderten Befriedigung berechtigt ist, hat spätestens innerhalb der Ausschlussfrist (§ 189 Abs. 1 InsO) nachzuweisen, dass und für welchen Betrag er auf abgesonderte Befriedigung verzichtet hat oder bei ihr ausgefallen ist (§ 190 Abs. 1 InsO). Wird der „endgültigen Ausfallnachweis“ nicht rechtzeitig geführt, wird die Forderung bei der Verteilung nicht berücksichtigt.

216

XIV. Schlussrechnungslegung und Verfahrensabschluss Praxistipp: Werden einzelne Verfahrensabschnitte oder Bearbeitungsprozesse in unterschiedlicher Sachbearbeiterzuständigkeit bearbeitet, bedarf es eines optimierten Prozessablaufs, einer sorgfältigen Arbeitsdokumentation und einer reibungslosen und fortlaufenden Kommunikation an den Schnittstellen, da andernfalls effiziente und wirtschaftliche Verfahrensabwicklung nicht darstellbar ist.

Die Vorbereitung des Verfahrensabschlusses bedarf auch einer abschließen- 896 den Klärung der zur Insolvenztabelle angemeldeten Forderungen. Es ist darauf zu achten, dass keine ungeprüften Forderungen mehr vorliegen. Ggf. empfiehlt sich, vor Einreichung des Schlussberichtes und der Schlussrechnungslegung, gegenüber dem Insolvenzgericht anzuregen, einen Nachprüfungstermin (ĺ Rn. 786 ff.) anzuberaumen (§ 177 InsO). So ist gewährleistet, dass alle angemeldeten Forderungen geprüft sind. Forderungen, die nach Veröffentlichung und Niederlegung des Schlussverzeichnisses angemeldet werden, nehmen nicht mehr an einer Schlussverteilung teil.526) Es ist darauf hinzuwirken, dass alle angemeldeten Forderungen mit dem abschließenden Prüfergebnis in der Tabelle angetragen sind. Auf der Grundlage der „finalen Tabelle“ stellt der Insolvenzverwalter das Schlussverteilungsverzeichnis auf (§ 188 InsO), aus der die Summe der Forderungen und der für die Verteilung verfügbare Betrag hervorgehen. Beide Werte sind zudem öffentlich bekannt zu machen. Das Verzeichnis wird auf der Geschäftsstelle des Insolvenzgerichts zur Einsicht der Beteiligten niedergelegt. In das Verzeichnis sind folgende Forderungen aufzunehmen:

897

x

Festgestellte Forderungen (§§ 178 Abs. 1, 183 InsO);

x

vom Insolvenzverwalter bestrittene Forderungen, bei denen im Prüfungstermin ein vollstreckbarer Schuldtitel, ein Endurteil oder ein Vollstreckungsbefehl vorliegt (§ 179 Abs. 2 InsO);

x

nicht festgestellte Forderungen, wenn gegenüber dem Verwalter die Erhebung der Feststellungsklage oder die Aufnahme eines Rechtsstreits nachgewiesen ist (§ 189 InsO);

x

bedingte Forderungen, wenn bei der auflösend bedingten Forderung die Bedingung nicht eingetreten bzw. bei aufschiebend bedingten Forderungen die Anwartschaft nicht aussichtslos ist (§ 191 InsO);

x

Ausfallforderungen, wenn der absonderungsberechtigte Gläubiger nachweist, dass die Verwertung des Absonderungsguts betrieben wird und den Betrag des mutmaßlichen Ausfalls glaubhaft macht (§ 190 Abs. 2 InsO) bzw. wenn der Absonderungsberechtigte auf sein Absonderungsrecht verzichtet.

___________ 526) BGH, Beschl. v. 22.3.2007 – IX ZB 8/05, ZIP 2007, 876 = ZVI 2007, 267.

217

C. Das eröffnete Insolvenzverfahren

898 Der Insolvenzverwalter haftet für die Richtigkeit und Vollständigkeit des Verteilungsverzeichnisses.527) 899 Eine Änderung des Verteilungsverzeichnisses nach Ablauf der Ausschlussfrist des § 189 Abs. 1 InsO ist nur durch einen Beschluss des Insolvenzgerichts aufgrund der Einwendung eines Gläubigers, die nur mündlich im Schlusstermin selbst erhoben werden kann (§ 197 InsO), möglich. Eine Verteilung auf nicht in das Verzeichnis aufgenommene Forderungen ist nach Ablauf der Ausschlussfrist, innerhalb derer Gläubiger Einwendungen gegen das Verzeichnis erheben können (§§ 189, 194, 197 InsO), ausgeschlossen. 900 Im Fall der Eigenverwaltung wird das Verteilungsverzeichnis vom Schuldner erstellt und ist anschließend niederzulegen (§ 283 Abs. 2 InsO). d) Buchführung und Steuern 901 Bei Einleitung des Verfahrensabschlusses ist zu prüfen, ob die steuerlichen und buchhalterischen Pflichten i. S. d. § 155 InsO („Schuldnerbuchhaltung“, ĺ Rn. 855 ff.) erfüllt wurden. Im Schlussbericht sind zum Stand der Buchhaltung angesichts der Pflicht des Insolvenzverwalters (§ 155 InsO) Ausführungen zu machen. Diese Ausführungen betreffen ausschließlich die Schuldnerbuchhaltung und sind nicht identisch mit der auf die Insolvenzmasse bezogenen Verwalterbuchhaltung und Schlussrechnungslegung. e) Vertragsverhältnisse und Arbeitsverhältnisse 902 In Vorbereitung des Verfahrensabschlusses empfiehlt sich die Prüfung, ob alle Vertrags- und Arbeitsverhältnisse ordnungsgemäß beendet und in welchem Umfang eventuell aus der einstweiligen Fortsetzung resultierende Masseverbindlichkeiten bereits bedient wurden bzw. unter Beachtung der Verteilungsreihenfolge (vgl. insbesondere §§ 53, 209 InsO) noch zu begleichen sind. 903 Im Schlussbericht ist zu den Kündigungen, den Gründen für eine eventuelle Fortsetzung des Vertrags-/Arbeitsverhältnisses, zu Sozialplanregelungen, den Umständen eines Betriebsübergangs u. Ä. zu schildern. f) Insolvenzbuchhaltung 904 Die spezifische Insolvenzbuchhaltung wird in der ganz überwiegenden Zahl der Verwalterbüros in speziellen, auf den insolvenzspezifischen Bedarf ausgerichteten Softwareprogrammen geführt. Die Buchhaltung ist die Grundlage der Rechnungslegung. Wurde im Verfahren sorgfältig und richtig gebucht, kann die Schlussrechnung bei Verfahrensabschluss „auf Knopfdruck“ erstellt werden. ___________ 527) Vgl. OLG Hamm, Urt. v. 29.11.1982 – 5 U 232/81, ZIP 1983, 341.

218

XIV. Schlussrechnungslegung und Verfahrensabschluss

In Vorbereitung dessen ist die Buchhaltung einer Prüfung zu unterziehen, ob 905 alle Buchungen vollständig und richtig sind (d. h. buchhalterisch korrekt, das richtige Konto, keine „ungeklärten Einnahmen“, keine unbegründeten „durchlaufenden Posten“)? In der Verwalterpraxis problematisch ist regelmäßig der nicht einheitlich de- 906 finierte Kontenrahmen für Insolvenzverfahren. Einige Experten haben sich dem Ziel verschrieben, dieses Problem anzugehen und einen standardisierten Kontenplan auszuarbeiten. Die Verwaltertätigkeit stellt dabei hohe Anforderungen, da eine Harmonisierung von insolvenzspezifischen Besonderheiten, buchhalterischen Vorgaben sowie steuerlichen und handelsrechtlichen Aspekten angestrebt werden muss. Hinzu kommt, dass die Bestrebungen zur Vereinheitlichung eines fortgeschriebenen, standardisierten Berichtswesens ebenfalls eingearbeitet werden könnten und perspektivisch wohl auch sollten. g) Aufbauvorschlag eines Schlussberichts 907

Praxistipp: Roter Faden – Aufbau eines Schlussberichts I.

Allgemeines 1.

Verfahrensdaten

2.

Unternehmensdaten

II.

Situation bei Eröffnung des Verfahrens und ergriffene Maßnahmen im Eröffnungsverfahren

III.

Vertragsverhältnisse

IV.

Arbeitsverhältnisse

V.

Handels- und steuerrechtliche Rechnungslegung (§ 155 InsO)

VI.

Verwertungs- und Abwicklungsmaßnahmen

VII. Rechtsstreitigkeiten (Aktivprozesse/Passivprozesse) VIII. Noch nicht liquidiertes Vermögen und Nachtragsverteilung IX.

Insolvenztabelle

X.

Schlussrechnung

XI.

1.

Massebestand

2.

Verfahrenskosten

3.

Masseverbindlichkeiten

4.

Insolvenzforderungen

5.

Schlussverteilung und Quotenprognose

Verfahrensabschluss

219

C. Das eröffnete Insolvenzverfahren

h) Nachtragsverteilung § 203 Abs. 1, 2 InsO

908

(1) Auf Antrag des Insolvenzverwalters oder eines Insolvenzgläubigers oder von Amts wegen ordnet das Insolvenzgericht eine Nachtragsverteilung an, wenn nach dem Schlusstermin 1.

zurückbehaltene Beträge für die Verteilung frei werden,

2.

Beträge, die aus der Insolvenzmasse gezahlt sind, zurückfließen oder

3.

Gegenstände der Masse ermittelt werden.

(2) Die Aufhebung des Verfahrens steht der Anordnung einer Nachtragsverteilung nicht entgegen.

909 Kann mit der Verwertung eines Massegegenstandes bis zur Durchführung der Schlussverteilung nicht gerechnet werden oder wurde ein Vermögenswert erst nach Aufhebung des Verfahrens ermittelt und konnte infolge dessen bei der Schlussverteilung noch nicht berücksichtigt werden, ist dieser nicht „verloren“. Unter der Voraussetzung, dass der Gegenstand Bestandteil der Insolvenzmasse ist, kann eine Nachtragsverteilung angeordnet werden. 910 Der Insolvenzverwalter, dessen Verwaltungs- und Verfügungsberechtigung grundsätzlich mit Aufhebung des Verfahrens endet, kann den Gegenstand nach Anordnung der Nachtragsverteilung auch nach Aufhebung noch verwerten. Die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis hinsichtlich des der Nachtragsverteilung vorbehaltenen Gegenstandes dauert über den Zeitpunkt der Aufhebung des Verfahrens hinweg an. 911 § 203 InsO stellt sicher, dass nachträglich ermittelte Vermögenswerte den im Schlussverzeichnis (§ 188 InsO) aufgeführten Gläubigern noch zur Befriedigung zur Verfügung stehen. Beispiele hierfür sind insbesondere: x

Prozessbefangene Ansprüche, wobei der Ausgang des im eröffneten Verfahren anhängig gemachten Prozesses noch nicht absehbar ist.

x

Steuererstattungsansprüche, soweit diese aus dem in das eröffnete Verfahren fallenden Veranlagungszeitraum resultieren.528)

x

Versteckte Vermögensgegenstände, die der Schuldnervertreter verborgen gehalten oder über die er verbotswidrig verfügt hat.529)

912 Die Nachtragsverteilung kann auf gerichtlicher Anordnung hin nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens (§ 200 InsO) erfolgen (vgl. § 203 Abs. 2 InsO). Ebenfalls ist sie zulässig bei einer Einstellung des Verfahrens wegen Masse___________ 528) BFH, Urt. v. 28.2.2012 – VII R 36/11, BStBl II 12012, 451 = ZIP 2012, 933 = ZVI 2012, 276, dazu EWiR 2012, 463 (Sinz/Hiebert). 529) BGH, Beschl. v. 6.12.2007 – IX ZB 229/06, ZIP 2008, 322 = ZVI 2008, 23 = ZfIR 2008, 266 (LS).

220

XIV. Schlussrechnungslegung und Verfahrensabschluss

unzulänglichkeit (§ 211 Abs. 3 InsO i. V. m. §§ 203 ff. InsO) oder einer Einstellung des Verfahrens mangels Masse (§ 207 InsO). Ausgeschlossen ist die Anordnung der Nachtragsverteilung indes bei einer 913 Einstellung des Verfahrens wegen Wegfalls des Eröffnungsgrunds (§ 212 InsO) bzw. mit Zustimmung der Gläubiger (§ 213 InsO) oder aufgrund rechtskräftiger Bestätigung eines Insolvenzplans (§ 258 InsO). Nach Verwertung des Gegenstandes hat der Insolvenzverwalter den Verwer- 914 tungserlös auf der Grundlage des Schlussverzeichnisses zu verteilen und dem Insolvenzgericht gegenüber über die Verteilung Rechnung zu legen. 3. Arten des Verfahrensabschlusses a) Vorbemerkung Ein Insolvenzverfahren kann auf unterschiedliche Arten beendet werden. Sie 915 legen – in Abhängigkeit von der verwalteten Masse – die „Richtung“ fest, die das Verfahren hinsichtlich der Gläubigerbefriedigung nimmt. Unabhängig davon besteht die Pflicht des Insolvenzverwalters abschließend Rechnung zu legen und einen Schlussbericht einzureichen. In der Literatur teilweise umstritten ist, ob der Insolvenzverwalter vor einer 916 Verfahrensaufhebung nach rechtskräftiger Bestätigung eines Insolvenzplans gemäß § 258 InsO (ĺ Rn. 940 ff.) zur Schlussrechnungslegung gemäß § 66 InsO verpflichtet ist. Als Argument der Gegenauffassung wird angeführt, dass der Insolvenzplan bereits umfänglich die Verwaltungstätigkeiten und die Verwertungshandlungen abbilden muss. Da genau dies jedoch der Fall ist, ist es in der Praxis mit wenig Mehraufwand verbunden, eine „zusätzliche“ Schlussrechnung zu erstellen, da diese „auf Knopfdruck“ zur Verfügung steht. Umfassende textliche Erläuterungen (Schlussbericht) dürften angesichts der Ausführlichkeit der Darlegungen im Insolvenzplan indes obsolet sein. § 66 Abs. 4 InsO530) bietet den Raum für eine abweichende Regelung im In- 917 solvenzplan. Demnach könnte durch eine dort verankerte Regelung auf die Rechnungslegung verzichtet werde. Es dürfte zu klären sein, ob die auch gilt, insoweit der Insolvenzverwalter gegenüber dem Insolvenzgericht im Rahmen der Aufsichtsführung zur Rechnungslegung verpflichtet ist.

___________ 530) Fassung aufgrund des Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz) vom 22.12.2020 (BGBl. I, 3256).

221

C. Das eröffnete Insolvenzverfahren

Übersicht: Verfahrensbeendigung Verfahrensbeendigung Aufhebung

Norm/en § 200 InsO

Bemerkung Aufhebung nach Vollzug der Schlussverteilung durch Beschluss des Insolvenzgerichts

Aufhebung (Insolvenz- §§ 200, 258 InsO Aufhebung nach rechtskräftiger Bestätigung des Insolvenzplanes durch planverfahren) Beschluss des Insolvenzgerichts Einstellung mangels Masse

§ 207 InsO

Einstellung wegen einer die Verfahrenskosten nicht deckenden Insolvenzmasse nach Anhörung der Gläubigerversammlung, des Schuldners und des Insolvenzverwalters durch Beschluss des Insolvenzgerichts

Einstellung nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit

§ 211 InsO

Einstellung wegen der die sonstigen Masseverbindlichkeiten nicht deckenden verwalteten Masse nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit (§ 208 InsO) und Verteilung entspr. der Rangfolge des § 209 InsO durch Beschluss des Insolvenzgerichts; gesonderte Rechnungslegung für Tätigkeiten nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit (§ 211 Abs. 2 InsO)

Einstellung wegen Wegfalls des Eröffnungsgrunds

§ 212 InsO

Einstellung auf Antrag des Schuldners nach Glaubhaftmachung des Wegfalls durch Beschluss des Insolvenzgerichts (siehe zum Verfahren § 214 InsO)

Einstellung mit Zustimmung der Gläubiger

§ 213 InsO

Einstellung auf Antrag des Schuldners und mit Zustimmung aller Gläubiger durch Beschluss des Insolvenzgerichts (siehe zum Verfahren § 214 InsO)

b) Aufhebung (§ 200 InsO) 918 Das Verfahren wird nach Vollzug der Schlussverteilung (§ 196 InsO) durch Beschluss des Insolvenzgerichts aufgehoben (§ 200 Abs. 1 InsO). Mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens endet das Amt des Insolvenzverwalters und damit auch die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis (vgl. § 80 Abs. 1 InsO), soweit (überhaupt) noch Gegenstände der Insolvenzmasse vorhanden sein sollten; Letzteres ist angesichts der umfassenden Verwertungspflicht des Insolvenzverwalters regelmäßig nicht der Fall. Eine Ausnahme hierzu bildet lediglich das Vermögen, welches der Nachtragsverteilung vorbehalten ist (§§ 203 Abs. 2, 205 InsO, ĺ Rn. 908 ff.).

222

XIV. Schlussrechnungslegung und Verfahrensabschluss

c) Einstellung mangels Masse (§ 207 InsO) Das Verfahren wird mangels Masse eingestellt, wenn sich nach der Eröffnung 919 herausstellt, dass die Insolvenzmasse nicht ausreicht, um die Kosten des Verfahrens (§ 54 InsO) zu decken. Ein Insolvenzverfahren über das Vermögen von Gesellschaften wird nur dann 920 eröffnet, wenn eine kostendeckende Masse vorhanden ist (§ 26 InsO). Diese Verfahrenskostendeckung kann vor Eröffnung des Verfahrens nur anhand prognostischer Werte konstatiert werden. Stellt sich nach Insolvenzeröffnung im weiteren Verfahrensverlauf heraus, dass die Kostendeckung nicht mehr gewährleistet ist, ist das Verfahren (zwingend) gemäß § 207 Abs. 1 InsO einzustellen. Die Einstellung erfolgt (von Amts wegen) durch Beschluss des Insolvenzgerichts. Das Gericht erfährt jedoch regelmäßig erst durch die fortlaufende Berichterstattung des Insolvenzverwalters von der Tatsache, dass eine kostendeckende Masse nicht mehr vorhanden ist. Der Insolvenzverwalter regt daher regelmäßig die Einstellung des Verfahrens gemäß § 207 Abs. 1 InsO an, sobald er feststellt, dass die Massekosten nicht gedeckt sind. Vor der Einstellung gemäß § 207 Abs. 1 InsO hat das Insolvenzgericht eine 921 Gläubigerversammlung einzuberufen (§ 207 Abs. 2 InsO). Dem Insolvenzverwalter obliegt die Berichtigung der Verfahrenskosten (§ 207 Abs. 3 InsO). Sind diese nicht vollständig gedeckt, sind zunächst die Auslagen des Gerichts und des Insolvenzverwalters zu begleichen. Der sodann noch verbleibende Massebestand ist auf die Gerichtsgebühren und die Vergütung des Insolvenzverwalters im Verhältnis ihrer Beträge (quotal) zu verteilen. d) Einstellung nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit (§§ 208, 211 InsO) Sind die Verfahrenskosten gedeckt, reicht die Insolvenzmasse jedoch i. Ü. 922 nicht aus, um darüber hinaus die fälligen sonstigen Masseverbindlichkeiten (§ 55 InsO) zu erfüllen, liegt Masseunzulänglichkeit vor (§ 208 InsO). Dies ist vom Insolvenzverwalter gegenüber dem Insolvenzgericht anzuzeigen (§ 208 Abs. 1 Satz 1 InsO). Sobald der Insolvenzverwalter im Verlauf des Verfahrens absehen kann, dass 923 Masseunzulänglichkeit bereits eingetreten ist bzw. voraussichtlich eine solche Situation eintreten wird (drohende Masseunzulänglichkeit), ist dies dem Insolvenzgericht anzuzeigen (§ 208 Abs. 1 Satz 2 InsO). Das Insolvenzgericht hat die Anzeige der Masseunzulänglichkeit öffentlich be- 924 kannt zu machen (§ 208 Abs. 2 Satz 1 InsO). Den Massegläubigern ist die Anzeige der Masseunzulänglichkeit besonders zuzustellen (§ 208 Abs. 2 Satz 1 InsO). Der Insolvenzverwalter muss die Masse auch nach Anzeige der Masseunzu- 925 länglichkeit weiterhin verwerten und verwalten. Nach Abschluss der Verwertung reicht der Insolvenzverwalter die Schlussrechnung und den Schlussbericht ein.

223

C. Das eröffnete Insolvenzverfahren

926 Ist Eigenverwaltung angeordnet, obliegt die Anzeige dem Sachwalter (§ 285 InsO). 927 Nach Anberaumung eines Schlusstermins und Verteilung der Insolvenzmasse gemäß den Bestimmungen des § 209 InsO wird das Verfahren gemäß § 211 Abs. 1 InsO eingestellt. 928 Der Insolvenzverwalter muss für seine Tätigkeit nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit gesondert Rechnung legen (§ 211 Abs. 2 InsO). Praxistipp: Die Rechnungslegung bei vorliegender Masseunzulänglichkeit verteilt sich auf zwei Zeiträume: 1. Rechnungslegung für den Zeitraum vor der Anzeige der Masseunzulänglichkeit und 2. Rechnungslegung für den Zeitraum nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit.

e) Aufhebung nach rechtkräftiger Bestätigung des Insolvenzplans (§ 258 InsO) 929 Nach Durchführung eines Insolvenzplanverfahrens (siehe hierzu ausführlich ĺ Rn. 940 ff.) hebt das Insolvenzgericht das Verfahren nach Annahme des Plans durch die Gläubiger mit Zustimmung des Schuldners und rechtskräftiger Bestätigung des Plans (§§ 248, 252 InsO) das Insolvenzverfahren auf (§ 258 InsO). 930 Mit der Aufhebung erlischt das Amt des Verwalters und der Schuldner erhält das Recht zurück, über die Insolvenzmasse frei zu verfügen (§ 259 InsO). Einschränkungen ergeben sich ggf. hinsichtlich der Rechtshandlungen, die nach den Ausführungen des gestaltenden Teils unter den Zustimmungsvorbehalt des Planüberwachers gestellt werden (§ 263 InsO). f) Einstellung wegen Wegfalls des Eröffnungsgrundes (§ 212 InsO) 931 Fällt der Grund, der zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens geführt hat nach Eröffnung weg, kann das bereits eröffnete Verfahren vorzeitig beendet werden (§ 212 InsO). Eine Einstellung gemäß § 212 InsO kommt nur auf Antrag des Schuldners in Betracht. Voraussetzung ist, dass der Schuldner unter Nutzung aller zulässigen Beweismittel glaubhaft macht, dass weder gegenwärtig noch absehbar ein Eröffnungsgrund gegeben ist (§ 212 Satz 2 InsO). Eine vorzeitige Einstellung kommt nur dann in Betracht, wenn die Verfahrenskosten und alle Masseverbindlichkeiten gedeckt sind. Mit der Einstellung des Verfahrens erhält der Schuldner das Recht zurück, über die Insolvenzmasse frei zu verfügen. Bereits vorliegende Forderungsanmeldungen sind zu prüfen, da die Insolvenzgläubiger die Möglichkeit haben, einen vollstreckbaren Tabellenauszug zu beantragen.

224

XIV. Schlussrechnungslegung und Verfahrensabschluss

g) Einstellung mit Zustimmung der Gläubiger (§ 213 InsO) Auf Antrag des Schuldners stellt das Insolvenzgericht das Verfahren ein, wenn 932 dieser nach Ablauf der Anmeldefrist die Zustimmung aller Insolvenzgläubiger beibringt, die Forderungen angemeldet haben (§ 213 Abs. 1 Satz 1 InsO). Vor dem Ablauf der Anmeldefrist kann eine Einstellung erfolgen, wenn außer den Gläubigern, deren Zustimmung der Schuldner beibringt, andere Gläubiger nicht bekannt sind (§ 213 Abs. 2 InsO). Voraussetzung für die Einstellung ist die Deckung der Verfahrenskosten und sonstigen Masseverbindlichkeiten. Insbesondere in Verfahren mit wenigen Gläubigern oder in den Fällen, in denen Drittmittel zur Befriedigung der Gläubiger angeboten werden können, kann der Schuldner über § 213 InsO eine schnelle Beendigung des Verfahrens erzielen.531) Wurden Forderungen vom Schuldner oder vom Insolvenzverwalter bestrit- 933 ten, entscheidet das Insolvenzgericht nach freiem Ermessen, inwieweit es einer Zustimmung dieser Gläubiger oder einer Sicherheitsleistung ihnen gegenüber bedarf (§ 213 Abs. 1 Satz 2 InsO). Gleiches gilt für absonderungsberechtigte Gläubiger. 4. Schlusstermin Nach Prüfung der Schlussrechnung bestimmt das Insolvenzgericht von Amts 934 wegen den Schlusstermin (§ 197 InsO). Im Schlusstermin wird die Schlussrechnung des Insolvenzverwalters erörtert und über das Schicksal nicht verwerteter Gegenstände entschieden. Zudem haben die Gläubiger die Möglichkeit, Einwendungen gegen das Schlussverzeichnis zu erheben. 5. Schlussverteilung und Nachtragsverteilung Aus der Grundlage des Verteilungs-/Schlussverzeichnisses nimmt der Insol- 935 venzverwalter mit Zustimmung des Insolvenzgerichts die Schlussverteilung vor. Die Verteilung erfolgt nach dem Verhältnis der Forderungen, die im Schlussverzeichnis aufgenommen sind. Für noch nicht abschließend geklärte Forderungen ist eine Rückstellung zu bilden. Die Verteilungsreihenfolge beschreibt sich wie folgt:

936

Praxistipp: Verteilungsreihenfolge 1. Kosten des Insolvenzverfahrens (§ 54 InsO; vgl. ĺ Rn. 710 ff.) 2. Sonstige Masseverbindlichkeiten (§ 55 InsO; vgl. ĺ Rn. 751 ff.) 3. Ansprüche aus einem Sozialplan (§ 123 Abs. 2 InsO) Ansprüche aus einem Sozialplan sind unechte Masseverbindlichkeiten. Sind die sonstigen Masseverbindlichkeiten nicht vollständig gedeckt, erfolgt keine Zuteilung an die Sozialplangläubiger. Andernfalls ist der Überschuss zu 1/3 auf die Sozialplangläubiger und zu 2/3 auf die Insolvenzgläubiger auszukehren.

___________ 531) Vgl. dazu ausführlich Haarmeyer, ZInsO 2009, 556.

225

C. Das eröffnete Insolvenzverfahren Da die Sozialplanansprüche insgesamt nicht mehr als 1/3 des Verteilungsvolumens, das an die Insolvenzgläubiger ausgezahlt wird, ausmachen dürfen, sind ggf. anteilig Kürzungen vorzunehmen. 4. Insolvenzgläubiger (§ 38 InsO) im Verhältnis der Forderungen (Quote) Quotenberechnung: (verteilungsfähiger Betrag : festgestellte Forderungen) x 100 = X,XX % 5. Ggf. nachrangige Insolvenzgläubiger (§ 39 InsO) nur bei Aufforderung zur Anmeldung (ĺ Rn. 72) 6. Ggf. Überschuss an den Schuldner (§ 199 InsO)

937 Bei vorliegender Masseunzulänglichkeit ist die Verteilungsreihenfolge des § 209 InsO einzuhalten. Nach den Verfahrenskosten sind zunächst die Neu-Masseverbindlichkeiten (§§ 209 Abs. 1 Nr. 2, 55 InsO), erst nach vollständiger Befriedigung dieser die Alt-Masseverbindlichkeiten (§§ 209 Abs. 1 Nr. 3, 55 InsO) zu bedienen. Soweit § 209 Abs. 1 Nr. 1 InsO den Vorrang der Verfahrenskosten anordnet, ist dieser unabhängig vom Entstehungszeitpunkt dieser Kosten und genießt absoluten Vorrang vor dem Ausgleich der Neu-Masseverbindlichkeiten. Bei Masseunzulänglichkeit sind die Masseverbindlichkeiten nicht vollständig gedeckt, sodass eine Quotenzahlung an die Gläubiger nicht erfolgt. 6. Vergütung 938 Die Vergütung des Insolvenzverwalters wird in der Regel mit Einreichung des Schlussberichts inkl. der Schlussrechnungslegung zur Festsetzung beantragt (zur Vergütungsberechnung ĺ Rn. 722 ff.). 939 Die Vergütung kann nach Festsetzung durch das Insolvenzgericht und Rechtskraft des Beschlusses der Masse entnommen werden.

226

D. Insolvenzplanverfahren I. Insolvenzplan als Sanierungsmöglichkeit Mit dem Insolvenzplanverfahren (§§ 217 ff. InsO) bietet die InsO eine Op- 940 tion, eine von den gesetzlichen Regelungen abweichende Gläubigerbefriedigung darzustellen und eine Sanierungsmöglichkeit für das schuldnerische Unternehmen. Der Insolvenzplan ist ein insolvenzrechtliches, strukturiertes Sanierungskonzept mit dem Ziel der Entschuldung durch einen privatautonomen Austauschprozess. Die Beteiligten können die Befriedigung der absonderungsberechtigten Gläubiger und der Insolvenzgläubiger, die Verwertung der Insolvenzmasse und deren Verteilung sowie die Verfahrensabwicklung und die Haftung des Schuldners nach der Beendigung des Insolvenzverfahrens abweichend vom Regelinsolvenzverfahren regeln (§ 217 Abs. 1 Satz 1 InsO). Auch die Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte der am Schuldner beteiligten Personen können in den Plan einbezogen werden (§ 217 Abs. 1 Satz 2 InsO). Ausgangslage für die Einleitung von Sanierungs- und Restrukturierungsmaß- 941 nahmen ist stets eine positive Fortführungsprognose, die Ertragsfähigkeit sowie die Konkurrenzfähigkeit des Unternehmens. Soll eine Sanierung im Rahmen eines Insolvenzverfahrens durchgeführt werden, steht auch dies stets unter der Prämisse der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung. Alternative Handlungsmöglichkeiten und Sanierungsszenarien sind entsprechend einander gegenüberzustellen. Im Insolvenzplanverfahren können grundsätzlich alle rechtlich zulässigen 942 Wege beschritten werden. Ein Insolvenzplan kann neben dem Ziel der Fortführung eines Unternehmens auch als Liquidationsplan ausgestaltet sein oder eine übertragende Sanierung oder Mischformen (Teil-Liquidierung/-Übertragung unter Fortführung im Übrigen) vorsehen. Die Besserstellung der Gläubiger im Vergleich zum Regelverfahrensablauf ist jedoch Grundvoraussetzung eines Insolvenzplans. Die Praxis hat gezeigt, dass transparente und frühzeitige Information aller 943 Beteiligung in den meisten Fällen die Erfolgsaussichten eines Insolvenzplanverfahrens steigert, da ausreichend Zeit und Raum besteht, mögliche Bedenken bereits im Vorfeld zur bzw. in der Planungs- und Ausarbeitungsphase der Planlösung auszuräumen. Durch Transparenz und rechtzeitige Information wird ein fruchtbarer Boden für eine Vertrauensbildung gelegt, da auch die Signalwirkung nicht zu unterschätzen ist. Ein weiterer Vorteil der frühzeitigen und deutlichen Kommunikation ist die Unterbindung von Gerüchten, deren Ausräumung oftmals mehr Energie und Zeit bedarf als ein offensiver Umgang von Anfang an.

227

D. Insolvenzplanverfahren

II. Voraussetzungen des Planverfahrens 1. Besserstellung der Gläubiger 944 Eine Insolvenzplanlösung muss die Zustimmung der Gläubiger finden (Annahme des Insolvenzplans, vgl. § 244 InsO). Im Insolvenzplan muss eine nachvollziehbare und transparente Gegenüberstellung der Alternativszenarien (Regelinsolvenzverfahren mit Liquidierung, übertragender Sanierung, Fortführung) erfolgen die geeignet ist, aufzuzeigen, dass das Insolvenzplanverfahren für die Gläubiger die beste Befriedigungsoption ist. 945 Die Besserstellung der Gläubiger im Vergleich zu einem Regelinsolvenzverfahren kann auch durch eine Drittmittelfinanzierung realisiert werden (Investorenplan). 946 Alternativ kann über den Zeitraum der Planerfüllungsphase mit variablen, von den erzielten Überschüssen abhängigen Quoten gearbeitet werden. Die Planerfüllung ist zu einem gewissen Teil ertragsabhängig (Ertragsplan). 947 Denkbar ist ebenfalls eine Mischform beider Alternativen, ggf. unter Ausweis von variablen Quoten (Besserungsoption). 2. Planvorlagerecht 948 Zur Vorlage eines Insolvenzplans sind der Insolvenzverwalter (ggf. im Auftrag der Gläubigerversammlung, § 157 Satz 2 InsO) oder der Schuldner selbst berechtigt (§ 218 Abs. 1 Satz 1 InsO). 3. Zeitpunkt der Planvorlage 949 Ein Insolvenzplan kann ab Eröffnung bis zum Schlusstermin vorgelegt werden (§ 218 Abs. 1 Satz 3 InsO, siehe aber § 116 GenG ĺ Rn. 1000 ff.). 950 Der Schuldner kann bereits vor Einreichung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens einen Plan ausarbeiten und diesen mit seinem Insolvenzeröffnungsantrag verbinden („prepackaged plan“, vgl. § 218 Abs. 1 Satz 2 InsO). 951 Soweit der Insolvenzplan vom Schuldner vorgelegt wird, bedarf dieser i. a. R. der Unterstützung durch einen Sanierungsberater (oftmals spezialisierte Rechtsanwälte, Steuerberater). Durch die Konsultation des Beraters nach Eintritt der Krise besteht hinsichtlich der Honorarzahlungen ein hohes Anfechtungspotential mit der Gefahr, dass der Sanierungsberater die erhaltenen Zahlungen nach Eröffnung zur Masse erstatten muss (§ 143 InsO). Die Zahlungen unterliegen nicht der Anfechtung, wenn sie im unmittelbaren Austausch für eine Gegenleistung erbracht wurden und ein realistisches Sanierungskonzept vorliegt. Können konkrete Sanierungsbemühungen oder ein Sanierungskonzept nachgewiesen werden, sind die Honorarzahlungen nicht gemäß § 133 Abs. 1 InsO anfechtbar, wenn der Austausch von Leistung (Sa-

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II. Voraussetzungen des Planverfahrens

nierungsberatung) und Gegenleistung (Zahlung) binnen 30 Tagen erfolgt.532) Die Anfechtbarkeit der gezahlten Honorare hat der Insolvenzverwalter nach Eröffnung zu prüfen. 4. Ablauf eines Insolvenzplanverfahrens a) Überblick Ablauf Die nachfolgende Darstellung gibt einen Überblick über das Insolvenzplan- 952 verfahren: Vorlage des Plans durch Schuldner/Insolvenzverwalter (§ 218 InsO)

Vorprüfung des Plans durch das Gericht, Stellungnahme und Niederlegung (§§ 231 ff. InsO)

Erörterungs- und Abstimmungstermin (nicht vor dem Prüfungstermin, Verbindung aber möglich) (§§ 235, 236 InsO)

Gerichtliches Bestätigungsverfahren (§§ 248 ff. InsO)

Planüberwachung und Aufhebung des Verfahrens (§§ 254 ff. InsO)

b) Die Besonderheiten des Verfahrensablaufs Der vorgelegte Insolvenzplan wird einer Vorprüfung hinsichtlich der Einhal- 953 tung der formalen Vorschriften und der inhaltlichen Ausgestaltung durch das Insolvenzgericht unterzogen (§ 231 InsO). Ein Schuldnerinsolvenzplan kann von Amts wegen zurückgewiesen werden, 954 wenn nach Auffassung des Gerichts keine Erfolgsaussichten auf Annahme durch die Gläubiger oder auf Bestätigung durch das Gericht bestehen. Gleiches gilt, wenn nach der Überzeugung des Gerichts feststeht, dass die in dem Insolvenzplan gemachten Zusagen offensichtlich nicht erfüllt werden können.533) ___________ 532) BGH, Beschl. v. 10.1.2013 – IX ZR 13/12, ZIP 2013, 174, dazu EWiR 2013, 123 (Römermann); BGH, Beschl. v. 6.12.2007 – IX ZR 113/06, ZIP 2008, 232, dazu EWiR 2008, 409 (Freudenberg). 533) BGH, Urt. v. 6.4.2006 – IX ZB 289/04), openJur 2011, 11100.

229

D. Insolvenzplanverfahren

955 Anschließend wird der Inolvenzplan dem Gläubigerausschuss, wenn ein solcher bestellt ist, dem Betriebsrat und dem Sprecherausschuss der leitenden Angestellten zur Stellungnahme weitergeleitet (§ 232 Abs. 1 Nr. 1 InsO). Einen vom Insolvenzverwalter vorgelegten Plan erhält zudem der Schuldner (§ 232 Abs. 1 Nr. 3 InsO), einen vom Schuldner erstellten Insolvenzplan der Insolvenzverwalter (§ 232 Abs. 1 Nr. 2 InsO) zur Stellungnahme. 956 Der Insolvenzplan wird mit seinen Anlagen und den eingegangenen Stellungnahmen in der Geschäftsstelle zur Einsicht der Beteiligten niedergelegt (§ 234 InsO). 957 In einem gerichtlich bestimmten Termin werden der Insolvenzplan und das Stimmrecht der Gläubiger erörtert, bevor anschließend über den Insolvenzplan abgestimmt wird (Erörterungs- und Abstimmungstermin, § 235 Abs. 1 Satz 1 InsO). Der Termin soll nicht später als einen Monat nach Vorlage des Insolvenzplans stattfinden und ist öffentlich bekannt zu machen (§ 235 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 InsO). Sofern der Umfang des Verfahrens dies gebietet, sind Termine zu trennen (vgl. § 241 InsO). 958 Abstimmungsberechtigt sind nur uneingeschränkte festgestellte Forderungen. Die Gläubiger sind in bestimmte Gruppen einzuteilen (ĺ Rn. 969 ff.). Jede Gruppe stimmt gesondert über den Plan ab, wobei jedem Gläubiger eine Stimme zusteht, unabhängig von der Anzahl und Höhe der angemeldeten Forderungen. 959 Voraussetzung für die Planannahme ist die Zustimmung aller Gruppen. Erteilt eine einzelne Gruppe keine Zustimmung, kann deren Zustimmung nach § 245 InsO ersetzt werden (Obstruktionsverbot). Werden die Angehörigen der Gruppe durch den Insolvenzplan voraussichtlich nicht schlechter gestellt als im Regelinsolvenzverfahren und hat die Mehrheit der abstimmenden Gruppen dem Plan mit den erforderlichen Mehrheiten zugestimmt, kann die Obstruktion dieser Gläubiger gegen eine mehrheitlich als sinnvoll angesehene wirtschaftliche Insolvenzplanlösung verhindert werden. 960 Nach Terminierung sind alle Insolvenzgläubiger, die eine Forderung angemeldet haben, die absonderungsberechtigten Gläubiger, der Schuldner, der Betriebsrat und Sprecherausschuss der leitenden Angestellten zu laden (§ 235 Abs. 3 InsO). Mit der Ladung wird ein Abdruck des Insolvenzplans oder eine Zusammenfassung seines wesentlichen Inhalts übersandt (§ 235 Abs. 3 InsO). Das Insolvenzgericht kann den Verwalter gemäß § 8 Abs. 3 InsO mit der Vornahme der Zustellungen beauftragen. 961 Nach der Planannahme wird der Insolvenzplan durch Beschluss des Gerichts bestätigt (§ 252 Abs. 1 Satz 1 InsO). Anschließend wird den Insolvenzgläubigern, die Forderungen angemeldet haben, und den absonderungsberechtigten Gläubigern unter Hinweis auf die Bestätigung der Insolvenzplan oder eine Zusammenfassung seines wesentlichen Inhalts übersandt (§ 252 Abs. 2 InsO).

230

II. Voraussetzungen des Planverfahrens

Diese Zusammenfassung wird regelmäßig vom Planersteller vorbereitet und bietet sich insbesondere in umfangreichen Plänen an. Nach Ablauf der Beschwerdefrist (§ 253 InsO) wird die Bestätigung des In- 962 solvenzplans rechtskräftig und das Gericht beschließt die Aufhebung des Insolvenzverfahrens (§ 258 Abs. 1 InsO), sobald der Verwalter die unstreitigen Masseverbindlichkeiten berichtigt und für die streitigen Sicherheit geleistet hat (§ 258 Abs. 2 InsO). In der Regel beinhaltet ein Insolvenzplan Regelungen zur Planüberwachung. 963 Die Planüberwachungsphase, die insbesondere bei Ertragsplänen meist 3 – 5 Jahre beträgt und bei Investorenplänen (Einmalzahlung) wesentlich kürzer sein kann, beginnt mit Aufhebung des Insolvenzverfahrens (§ 260 InsO). Die Aufhebung geht einher mit der Beendigung des eröffneten Verfahrens und des Amtes des Insolvenzverwalters mit Ausnahme der Aufgabe der Überwachung der Planerfüllung durch den (nunmehr vormaligen) Insolvenzverwalter (§ 261 Abs. 1 Satz 1 InsO). Der Planüberwacher hat jährlich über den jeweiligen Stand und die weiteren Aussichten der Erfüllung des Insolvenzplans zu berichten (§ 261 Abs. 2 Satz 1 InsO). 5. Inhalt des Insolvenzplans a) Vorbemerkung Inhaltlich kann der Insolvenzplan im Rahmen der Struktur der §§ 217 ff. InsO 964 frei gestaltet werden. Das Gesetz sieht für einen Insolvenzplan einige strukturelle und inhaltliche Vorgaben vor, auf die nachfolgend mit dem Ziel, ein Grundverständnis zu schaffen, näher eingegangen wird. b) Gliederungsstruktur Strukturell sollte der Insolvenzplan im Wesentlichen die nachfolgenden In- 965 halte abbilden, wobei sich je nach Einzelfall, Kanzlei- oder Gerichtsvorgaben geringfügige Abweichungen im Aufbau ergeben können: Praxistipp: Aufbauvorschlag Insolvenzplan A.

ALLGEMEINES

I.

Verfahrensdaten und Unternehmensdaten

II.

Auftrag zur Planerstellung

III. Gegenstand und Ziele des Insolvenzplans B.

DARSTELLENDER TEIL (§§ 219, 220 InsO)

I.

Entwicklung und wirtschaftliche Lage des Unternehmens 1.

Firmenhistorie

2.

Wirtschaftliche Entwicklung

231

D. Insolvenzplanverfahren 3.

II.

Vermögensübersicht a)

Aktiva

b)

Passiva

Krisen- und Ursachenanalyse

III. Bisherige Sanierungsbemühungen IV. Sanierungskonzept, Zielsetzung und Zukunftsprognose V.

Berechnung der Gläubigerbefriedigung 1.

Befriedigungsquote im Regelinsolvenzverfahren (ohne Insolvenzplan)

2.

Insolvenzdividende im Planverfahren und Gruppenbildung

3.

Gegenüberstellung Befriedigungsquote im Regelinsolvenzverfahren (ohne Insolvenzplan) und Insolvenzdividende im Planverfahren (Vergleichsrechnung)

C.

GESTALTENDER TEIL (§§ 219, 221 InsO)

I.

Änderung der Rechtsstellung der Beteiligten und Planregelungen für die einzelnen Gläubigergruppen

II.

Wirksamwerden des Plans

III. Planüberwachung IV. Anträge zum Abstimmungstermin D.

Plananlagen gemäß § 229 InsO

I.

Vermögensübersicht

II.

Plan-Liquiditätsrechnung

III. Gläubigerverzeichnis nach Gruppen

966 Gesetzlich zwingend vorgeschriebene Inhalte sind der darstellende Teil und der gestaltende Teil (§ 219 Satz 1 InsO). § 220 InsO Darstellender Teil (1) Im darstellenden Teil des Insolvenzplanes wird beschrieben, welche Maßnahmen nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens getroffen worden sind oder noch getroffen werden sollen, um die Grundlagen für die geplante Gestaltung der Rechte der Beteiligten zu schaffen. (2) 1Der darstellende Teil soll alle sonstigen Angaben und die Grundlagen und den Auswirkungen des Plans enthalten, die für die Entscheidung der Gläubiger über die Zustimmung zum Plan und für dessen gerichtliche Bestätigung erheblich sind. 2Er enthält insbesondere eine Vergleichsrechnung, in der die Auswirkungen des Plans auf die voraussichtliche Befriedigung der Gläubiger dargestellt werden. 3Sieht der Plan eine Fortführung des Unternehmens vor, ist für die Ermittlung der voraussichtlichen Befriedigung ohne Plan in der Regel zu unterstellen, dass das Unternehmen fortgeführt wird. Dies gilt nicht, wenn ein Verkauf des Unternehmens oder eine anderweitige Fortführung aussichtslos ist.

232

II. Voraussetzungen des Planverfahrens

Der darstellende Teil soll die Entscheidungsgrundlage für die abstimmenden 967 Gläubiger schaffen und daher die Ausgangssituation, die Krisenanalyse und die (bereits gescheiterten) bisherigen Sanierungsmaßnahmen enthalten. Die alternativen Befriedigungsaussichten werden durch eine Gegenüberstel- 968 lung der Gläubigerbefriedigungsaussichten mit und ohne Insolvenzplan aufgezeigt. Eine Abstimmung ist für Gläubiger nur dann möglich, wenn sie ihre Befriedigung auch ohne den Insolvenzplan einschätzen können. Zudem können ablehnende Gläubiger oder Gläubigergruppen nur dann überstimmt werden, wenn nachweisbar ist, dass sie durch den Insolvenzplan nicht schlechtergestellt werden, als sie ohne den Insolvenzplan stünden (§§ 245 Abs. 1 Nr. 1, 2 InsO). Je transparenter und belastbarer die Angaben und die Gegenüberstellung sind, umso größer ist die Überzeugungskraft des Sanierungskonzepts. Die Gruppenbildung erfolgt bereits im darstellenden Teil, in dem die ein- 969 zelnen Gläubigergruppen beschrieben und die Bildung und Zuordnung begründet werden. Soweit fakultativer Spielraum besteht, sind bei der Gruppenbildung Antizipation und taktisches Gespür gefragt. Ziel des Planvorlegers ist, die Gläubigergruppen so zu bilden, dass voraussichtlich die Mehrheit der gebildeten Gruppen dem Insolvenzplan zustimmen wird. Gemäß § 222 InsO sind folgende Gruppen zu bilden:

970

x

Absonderungsberechtigte, wenn durch den Plan in deren Rechte eingegriffen wird (§ 222 Abs. 1 Nr. 1 InsO),

x

nicht nachrangige Insolvenzgläubiger (§ 222 Abs. 1 Nr. 2 InsO),

x

nachrangige Insolvenzgläubiger, soweit deren Forderungen nicht nach § 225 InsO als erlassen gelten sollen (§ 222 Abs. 1 Nr. 3 InsO),

x

die am Schuldner beteiligten Personen, wenn deren Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte in den Plan einbezogen werden.

Die Bildung weiterer Gruppen ist fakultativ und angezeigt, wenn in ihnen 971 Gläubiger mit gleichartigen wirtschaftlichen Interessen zusammengefasst werden und die Abgrenzung „sachgerecht“ ist. Die Abgrenzungskriterien sind im Insolvenzplan zwingend darzulegen (§ 222 Abs. 2 InsO). In die Rechte der Absonderungsberechtigten kann durch den Plan eingriffen 972 werden (§ 223 InsO). Die Forderungen der Absonderungsberechtigten beinhalten meist einen dinglich gesicherten und einen ungesicherten Teil. Die Bildung einer Gruppe, die Gläubiger mit werthaltigen und nicht werthaltigen Absonderungsrechten enthält, ist unzulässig („Mischgruppenverbot“).534) In Höhe des Ausfallbetrags nach Abgeltung der Sicherungsrechte gehört der Gläubiger nicht in die Gruppe der Absonderungsberechtigten, sondern in eine der Gruppen der ungesicherten Insolvenzgläubiger. Um das Stimmrecht und die Gruppenzuteilung möglichst frühzeitig im Interesse aller bestimmen zu ___________ 534) Siehe hierzu BGH, Urt. v. 7.7.2005 – IX ZB 266/04, ZIP 2005, 1648.

233

D. Insolvenzplanverfahren

können, empfiehlt sich, den Wert der Sicherheit und den Ausfallbetrag frühzeitig mit den betroffenen Gläubigern abzustimmen. 973 Aus Gründen der Übersichtlichkeit hat sich die Aufstellung eines Sicherheitenspiegels mit dem Ziel der soliden Gruppenbildung und Quotenberechnung in der Praxis bewährt: Absonderungsberechtigter

Art des Sicherungsrechtes

enge/weite Zweckerklärung

Wert der

AusfallSicherheit prognose

Bemerkung

974 Soweit Aussonderungsrechte bestehen, ist zu beachten, dass durch den Insolvenzplan nicht in diese eingriffen werden kann (§ 223 InsO). Die Aussonderungsrechte sind daher rechtzeitig im Vorfeld zu klären. 975 Einen weiteren zwingenden Planinhalt bildet der gestaltende Teil (§ 221 InsO). § 221 Gestaltender Teil Im gestaltenden Teil des Insolvenzplans wird festgelegt, wie die Rechtsstellung der Beteiligten durch den Plan geändert werden soll. Der Insolvenzverwalter kann durch den Plan bevollmächtigt werden, die zur Umsetzung notwendigen Maßnahmen zu ergreifen und offensichtliche Fehler des Plans zu berichtigen.

976 Im gestaltenden Teil wird für jede einzelne Gläubigergruppe festgelegt, in welcher Art, in welcher Zeit und in welchem Umfang eine Befriedigung dieser Gläubiger erfolgen und inwieweit durch den Insolvenzplan in die Rechte der Gläubiger eingegriffen werden soll. Hinsichtlich des nicht befriedigten Teils der Forderungen wird regelmäßig ein Verzicht vereinbart. Ist dieser Verzicht im Insolvenzplan nicht ausdrücklich geregelt und auch keine anderweitige Regelung getroffen, wird der Schuldner nach Erfüllung des Insolvenzplans kraft Gesetzes von seinen restlichen Schulden befreit (§ 227 Abs. 1 InsO). 977 Einem Ertragsplan sind zwingend folgende Anlagen beizufügen: x

Vermögensübersicht

978 Dem Ertragsplan ist eine Vermögensübersicht beizufügen, in der die Vermögensgegenstände und die Verbindlichkeiten mit ihren Werten aufgeführt werden (§ 229 InsO). x

Finanzplan

979 Beizufügen ist zudem ein Finanzplan (Liquiditätsplan), in welchem die Einnahmen und Ausgaben des Unternehmens über die Planlaufzeit aufgelistet werden (§ 229 InsO). x

Ergebnisplan

980 Zudem ist dem Sanierungsplan ein Ergebnisplan (Gewinn- und Verlustrechnung) für den Zeitraum der Planlaufzeit beizufügen. x 234

Fortführungserklärung

III. Vergütungsrelevante Auswirkungen

Darüber hinaus ist je nach Planregelung empfehlenswert, ggf. notwendige 981 Stellungnahmen zum Insolvenzplan einzuholen. Die Praxis zeigt, dass die Vorbereitung einer Stimmliste (§ 239 InsO) – besten- 982 falls nach Gruppen geordnet – sehr zur erleichterten Handhabung beiträgt. Diese sollte auch dem Gericht zur Verfügung gestellt werden. In der Stimmliste können die Gläubiger nach den gebildeten Gruppen bereits geordnet werden. Sofern Gläubiger zwar bereit wären, dem Insolvenzplan zuzustimmen, jedoch aus Zeit- oder Kostengründen eine persönliche oder vertretene Teilnahme am Termin nicht gewährleisten können, kann die Erteilung einer Stimmrechtsvollmacht angezeigt sein, die im Vorfeld bei den Gläubigern einzuholen ist. Auch die gemäß § 252 Abs. 2 InsO ggf. beizufügende Zusammenfassung ist 983 dem Plan beizulegen, da dies den Verfahrensablauf weiter beschleunigen kann. Die Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte der am Schuldner beteiligten Per- 984 sonen bleiben vom Insolvenzplan unberührt, soweit der Plan keine abweichende Bestimmung enthält (§ 225a InsO). Im Plan kann grundsätzlich jede Regelung getroffen werden, die gesellschaftsrechtlich zulässig ist, insbesondere die Fortsetzung einer aufgelösten Gesellschaft oder die Übertragung von Anteils- oder Mitgliedschaftsrechten (§ 225a Abs. 3 InsO). Auch möglich ist, im gestaltenden Teil des Plans festzulegen, dass Forderun- 985 gen von Gläubigern in Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte am Schuldner umgewandelt werden (Debt-to-Equity-Swap). In diesem Zusammenhang kann insbesondere eine Kapitalherabsetzung oder -erhöhung, die Leistung von Sacheinlagen, den Ausschluss von Bezugsrechten oder die Zahlung von Abfindungen an ausscheidende Anteilsinhaber vorsehen (§ 225a Abs. 2 InsO). III. Vergütungsrelevante Auswirkungen Die Vergütung des Insolvenzverwalters sollte möglich genau im Insolvenz- 986 planverfahren beziffert werden, damit die Plandividende realistisch ausgewiesen werden kann. Eine rechtzeitige Einreichung des Vergütungsantrages (spätestens bis zum Abstimmungstermin) ist daher zu empfehlen. Die Ausarbeitung eines Insolvenzplans durch den Insolvenzverwalter recht- 987 fertigt gemäß § 3 Abs. 1 lit. e) InsVV einen Zuschlag zur Regelvergütung. Die Spanne des Zuschlags reicht von 10 % bis hin zum 3-stelligen Erhöhungsprozentsatz. Eine Begründung des Zuschlags ist einzelfallbezogen zu formulieren, wobei auf den Umfang des Insolvenzplans und die Anzahl der Beteiligten (z. B. Gläubigergruppen) als wichtige Kriterien zu achten ist. Die Vergütung des Insolvenzverwalters ist nicht plandispositiv.535) Soweit die Durchführung des Insolvenzplans davon abhängt, dass die noch festzusetzende Vergütung des Insolvenzverwalters einen bestimmten Betrag nicht übersteigt, steht es ihm frei, gegenüber allen am Insolvenzplanbeteiligten eine ___________ 535) BGH, Beschl. v. 16.2.2017 – IX ZB 103/15, ZIP 2017, 482.

235

D. Insolvenzplanverfahren

Erklärung i. S. d. § 230 Abs. 3 InsO abzugeben, wonach er sich verpflichtet, keine einen bestimmten Betrag übersteigende Vergütung zu beantragen.536) 988 Eine besondere Vergütung erhält der (ehemalige) Insolvenzverwalter für die Überwachung der Erfüllung eines Insolvenzplans unter Berücksichtigung des Umfangs der Tätigkeit nach billigem Ermessen (§ 6 Abs. 2 InsVV). Eine Festsetzung dieser Vergütung erfolgt erst nach Abschluss der Planüberwachung. Im Plan sind diese Kosten möglichst genau zu prognostizieren. IV. Schlussrechnungslegung 989 Im Insolvenzplanverfahren gibt es im Unterschied zum regulären Ablauf eines Insolvenzverfahrens keinen Schlusstermin, in dem die Schlussrechnung des Insolvenzverwalters erörtert wird. Die Pflicht zur Schlussrechnungslegung ist sehr umstritten und folgt in der Praxis einer unterschiedlichen Handhabung. § 66 Abs. 4 InsO537) bietet den Raum für eine abweichende Regelung im Insolvenzplan. Demnach könnte durch eine dort verankerte Regelung auf die Rechnungslegung verzichtet werde. Es dürfte zu klären sein, ob dies auch gilt, insoweit der Insolvenzverwalter gegenüber dem Insolvenzgericht im Rahmen der Aufsichtsführung zur Rechnungslegung verpflichtet ist. Es ist daher zu empfehlen, diese Frage mit dem zuständigen Gericht zu klären. V. Besonderheiten 1. Anfechtungsansprüche im Insolvenzplanverfahren 990 In der Literatur wurde über einen langen Zeitraum die Frage diskutiert, ob Anfechtungsansprüche plandispositiv sind. In der Praxis ist diese Diskussion verbunden mit konkreten Fragestellungen, insbesondere, ob der Insolvenzverwalter auf die Ermittlung von Anfechtungsansprüchen generell oder wenigstens auf deren Geltendmachung (teilweise?) verzichten darf und ob eine solche Regelung als Inhalt eines Insolvenzplans formuliert werden kann. 991 Nach Auffassung der Verfasserin ist eine Dispositionsfreiheit insoweit abzulehnen, als auf die Ermittlung von Anfechtungsansprüchen generell verzichtet werden kann. Auch dürfte die Gläubigerautonomie nicht so weit reichen, dass die Gläubigerversammlung dem Insolvenzverwalter dahingehende Weisungen erteilen kann. Den Insolvenzverwalter trifft die Pflicht zur umfassenden Ermittlung von Anfechtungsansprüchen. 992 Ein Ermessensspielraum bei der Frage der Durchsetzung hinsichtlich werthaltiger Ansprüche ist wohl nicht anzunehmen, es sei denn, die Vollstreckbarkeit ist ungewiss. ___________ 536) BGH v. 16.2.2017 – IX ZB 103/15, ZIP 2017, 482. 537) Fassung aufgrund des Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz) vom 22.12.2020 (BGBl. I, 3256).

236

V. Besonderheiten

Dispositionsfreiheit im Rahmen einer Planlösung dürfte jedoch insoweit be- 993 stehen, als die Maßstäbe zur Realisierung sich an denen zu Regelverfahren geltenden Grundsätzen zur Geltendmachung anlehnen. Insbesondere ist eine wirtschaftliche Betrachtungsweise gefordert: Ein bloßer Verzicht auf die Realisierung von Anfechtungsansprüchen ist, ohne dass eine adäquate Gegenleistung in die Masse fließt, problematisch. Leistet der Anfechtungsgegner indes einen, dem Maßstab der wirtschaftlichen Durchsetzbarkeit entsprechenden Beitrag zu Masse (auch als Abschlag oder Sanierungsbeitrag), wird Insolvenzzweckwidrigkeit nicht anzunehmen sein. Zu fordern ist die unbedingte, vollständige und transparente Darstellung der Anfechtungsrechte im Insolvenzplan dem Grund und der Höhe nach sowie Angaben zum ungefähren Erlös und den Anspruchs- und Durchsetzungsrisiken. Den Gläubigern muss auf der Basis der Ausführungen im Insolvenzplan durch Schaffung einer umfassenden Informationsgrundlage eine Willensbildung ermöglicht werden. In Anbetracht der tatbestandlichen Regelungsinhalte dürfte eine Disposition über Anfechtungsansprüche aus dem Bereich der Deckungsanfechtung eher denkbar sein als eine solche aus den Bereichen der § 133 Abs. 1 InsO bzw. § 134 InsO. Soweit Anfechtungsansprüche bereits prozessbefangen sind, kann ein An- 994 fechtungsprozesses durch Insolvenzverwalter nur fortgesetzt werden, wenn dies im gestaltenden Teil des Plans so vorgesehen ist und der Prozess bei Verfahrensaufhebung bereits rechtshängig ist (Der Begriff „anhängig“ i. S. v. § 259 Abs. 3 InsO sei als rechtshängig zu verstehen, so der BGH.).538) Die Befugnis kann auf bestimmte Anfechtungsklagen begrenzt werden.539) Mit einer diskutierten Entscheidung540) hat der BGH festgestellt, dass ein 995 durch den (ehemaligen) Insolvenzverwalter fortgeführter Anfechtungsprozess eine Unterbrechung erfahre, wenn nach der Aufhebung des ersten (durch einen Insolvenzplan beendetes) Insolvenzverfahrens ein zweites Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet wird. Die Aufnahme des Rechtsstreites habe der Insolvenzverwalter des zweiten Insolvenzverfahrens („Insolvenzverwalter-Neu“) zu erklären. Zudem bestünde Massezugehörigkeit des Anfechtungsanspruchs im zweiten, nicht im ersten Insolvenzverfahren („Insolvenzverfahren-Neu“). § 259 Abs. 3 InsO „bricht sich“ demnach an einer neuen Verfahrenseröffnung.541)

___________ 538) BGH, Beschl. v. 11.4.2013 – IX ZR 122/12, ZIP 2013, 998 = ZInsO 2013, 998, dazu EWiR 2013, 557 (Ruhe-Schweigel). 539) BGH, Beschl. v. 7.3.2013 – IX ZR 222/12, ZIP 2013, 738. 540) BGH, Beschl. v. 9.1.2014 – IX ZR 209/11, ZIP 2014, 330, dazu EWiR 2014, 117 (Madaus). 541) BGH, Beschl. v. 9.1.2014 – IX ZR 209/11, ZIP 2014, 330.

237

D. Insolvenzplanverfahren

2. Besonderheiten im Planinsolvenzverfahren über das Vermögen einer Genossenschaft 996 Ein Insolvenzplanverfahren kann grundsätzlich für alle insolvenzfähigen Rechtsformen durchgeführt werden. Ist das Schuldnerunternehmen eine Genossenschaft, sind §§ 105, 116 GenG von Bedeutung. § 105 Abs. 1 GenG (1) Soweit die Ansprüche der Massegläubiger oder die bei der Schlussverteilung nach § 196 der Insolvenzordnung berücksichtigten Forderungen der Insolvenzgläubiger aus dem vorhandenen Vermögen der Genossenschaft nicht berichtigt werden, sind die Mitglieder verpflichtet, Nachschüsse zur Insolvenzmasse zu leisten, es sei denn, dass die Nachschusspflicht durch die Satzung ausgeschlossen ist. Im Falle eines rechtskräftig bestätigten Insolvenzplans besteht die Nachschusspflicht insoweit, als sie im gestaltenden Teil des Plans vorgesehen ist. […]

997 Gemäß § 105 Abs. 1 GenG besteht eine nachrangige Haftung der Mitglieder der Genossenschaft. Reicht das Vermögen der Genossenschaft nicht zur vollständigen Gläubigerbefriedigung aus, trifft die Genossenschaftsmitglieder u. U. eine Nachschusspflicht. Es handelt sich um eine im Mitgliedschaftsverhältnis dem Grunde nach angelegte eigene Beitragspflicht des Mitglieds gegenüber der e. G.542), die mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entsteht, wenn x

die Satzung ausdrücklich eine Verpflichtung zur – auf eine Haftsumme beschränkten oder unbeschränkten – Nachschussleistung vorsieht,

x

entweder Masseunzulänglichkeit oder ein vollständiger oder teilweiser Ausfall von Insolvenzgläubigern bei der Schlussverteilung oder eine Aufnahme der Nachschusspflicht im gestaltenden Teil eines rechtskräftig bestätigten Insolvenzplans vorliegt,

x

der Anspruchsverpflichtete Mitglied der Genossenschaft ist bzw. sein Ausscheiden nicht länger als sechs Monate vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens datiert (§§ 101, 75 GenG).

998 Die Höhe der Haftung ist in der Satzung bestimmt als unbeschränkte oder auf eine Höchstsumme festgelegte Nachschusspflicht. Genossenschaftsmitglieder, die früher als 6 Monate vor der Eröffnung, aber längstens 18 Monate vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgeschieden sind, können nur subsidiär – wenn eine Befriedigung der Insolvenzgläubiger auch durch die Nachschüsse erfolgte – in Anspruch genommen werden (§§ 115b, 115c GenG). 999 Sie haben ggf. einen Erstattungsanspruch gegenüber den übrigen Mitgliedern (§ 115d Abs. 2 GenG). Mitglieder, die sowohl früher als 6 Monate vor Insol___________ 542) BGH, Urt. v. 3.2.1964 – II ZB 6/63, NJW 1964, 766.

238

V. Besonderheiten

venzeröffnung als auch früher als 18 Monate vor Insolvenzantrag ausgeschieden sind, trifft keine Nachschusspflicht. Im Insolvenzplanverfahren sind die Besonderheiten des § 116 GenG zu be- 1000 achten. § 116 GenG Die Vorschriften der Insolvenzordnung über den Insolvenzplan sind mit folgenden Abweichungen anzuwenden: 1.

Ein Plan wird berücksichtigt, wenn er vor der Beendigung des Nachschussverfahrens beim Insolvenzgericht eingeht;

2.

im darstellenden Teil des Plans ist anzugeben, in welcher Höhe die Mitglieder bereits Nachschüsse geleistet haben und zu welchen weiteren Nachschüssen sie nach der Satzung herangezogen werden könnten;

3.

bei der Bildung der Gruppen für die Festlegung der Rechte der Gläubiger im Plan kann zwischen den Gläubigern, die zugleich Mitglieder der Genossenschaft sind, und den übrigen Gläubigern unterschieden werden;

4.

vor dem Erörterungstermin hat das Insolvenzgericht den Prüfungsverband, dem die Genossenschaft angehört, darüber zu hören, ob der Plan mit den Interessen der Mitglieder vereinbar ist.

Ein Insolvenzplan kann auch nach dem Schlusstermin berücksichtigt werden, 1001 wenn er vor Beendigung des Nachschussverfahrens beim Insolvenzgericht eingeht. Im darstellenden Teil muss zusätzlich angegeben werden, in welcher Höhe Mitglieder bereits Nachschüsse erbracht haben und welche weiteren Nachschüsse von ihnen nach der Satzung noch zu erbringen sind. Bei der Gruppenbildung nach § 222 InsO kann zusätzlich danach differenziert werden, ob der Gläubiger zugleich Mitglied der Genossenschaft ist. Vor dem Erörterungstermin (§ 235 InsO) hat das Insolvenzgericht den zuständigen Prüfungsverband anzuhören und zu klären, ob der Insolvenzplan mit den Interessen der Mitglieder vereinbar ist. Bei einer unterlassenen Anhörung ist die Bestätigung des Insolvenzplans von Amts wegen zu versagen. 3. Vergessene Gläubiger Gemäß §§ 254, 254b InsO treten die Wirkungen des rechtskräftig bestätig- 1002 ten Insolvenzplans für und gegen alle Beteiligten ein. Sie gelten somit auch für nicht anmeldende Gläubiger. Auch der „vergessene“ Gläubiger kann nach der Planbestätigung die Planquote gegenüber dem Schuldner geltend machen. Dem Insolvenzplan kommt insoweit keine Ausschlusswirkung zu.543) Nach § 259b InsO gilt eine besondere Verjährungsfrist von einem Jahr für 1003 alle Forderungen der Insolvenzgläubiger, die nicht bis zum Abstimmungstermin angemeldet worden sind. Fristbeginn ist die Rechtskraft des Planbes___________ 543) Offen gelassen: BAG, Urt. v. 12.9.2013 – 6 AZR 907/11, ZIP 2013, 2268, dazu EWiR 2013, 783 (Rendels).

239

D. Insolvenzplanverfahren

tätigungsbeschlusses (§§ 259b Abs. 2 InsO). Für die Praxis empfiehlt sich, vorsichtshalber bis zum Fristablauf entsprechende Rückstellungen zu bilden, wenn eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass es solche vergessenen Gläubiger geben könnte. Ausschlussklauseln, die solche Gläubiger von der Teilhabe an den Plandividenden ausschließen, dürften nicht wirksam sein. 4. Besteuerung des Sanierungsgewinns 1004 Die Frage nach der Besteuerung eines Sanierungsgewinns war seinerzeit beantwortet durch das Bundesministerium für Finanzen – BMF –, das mit Schreiben vom 27.3.2003 einen dreistufigen Lösungsweg für die Behandlung eines Sanierungsgewinns im Sanierungsprozess aufgezeigte, der letztlich in einer Steuerfreiheit des Sanierungsgewinns mündete. Der Große Senat des BFH hat jedoch Ende 2016 entschieden, dass das BMF-Schreiben vom 27.3.2003544)gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verstoße.545) 1005 Nunmehr ist die Steuerfreiheit unter den Voraussetzungen der §§ 8 ff. KStG sowie § 7d GewStG i. V. m. jeweils §§ 3a, 3c Abs. 4 EStG gesetzlich geregelt.546)

___________ 544) IV A 6-S 2140-8/03 (BStBl I 2003, 240; ergänzt durch das BMF-Schreiben v. 22.12.2009 – IV C 6-S 2140/07/10001-01, BStBl I 2010, 18; sog. Sanierungserlass). 545) BFH, Beschl. v. 28.11.2016 – 1 GrS 1/15, ZIP 2017, 338. 546) Gesetz gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechteüberlassungen v. 27.6.2017, BGBl. I 2017, S. 2074, verkündet am 4.7.2017 sowie Gesetz zur Vermeidung von Umsatzsteuerausfällen beim Handel mit Waren im Internet und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften („Jahressteuergesetz 2018“), verkündet am 14.12.2018 (BGBl. 2018 Teil 1 Nr. 45 v. 14.12.2018, S. 2338).

240

E. Eigenverwaltung I. Vorbemerkung Zu den Besonderheiten, die im Verfahren der (vorläufigen) Eigenverwaltung zu 1006 beachten sind, wurde an den jeweils maßgeblichen Stellen bereits ausgeführt. Dennoch sei an der Stelle nochmals ein Überblick über das Eigenverwaltungsverfahren gegeben, der die abweichende Abwicklung in Gänze beschreibt. II. Ablauf des Eigenverwaltungsverfahrens Der Antrag des Insolvenzschuldners auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens 1007 kann verbunden werden mit dem Antrag, das Verfahren unter Eigenverwaltung durchzuführen (§§ 270 ff. InsO). Seit Inkrafttreten des ESUG547) zum 1.3.2012 besteht die Möglichkeit, bereits im Eröffnungsverfahren ein vorläufiges Eigenverwaltungsverfahren zu durchlaufen. Durch das Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz (SanInsFoG548) 1008 hat der Gesetzgeber das (vorläufige) Eigenverwaltungsverfahren neu und auch schärfer konturiert. Nach Insolvenzeröffnung wird der Schuldner durch ausdrückliche gerichtliche 1009 Anordnung unter die Aufsicht eines Sachwalters (§§ 270, 274 f. InsO) gestellt, kann jedoch weiterhin rechtswirksam über die Gegenstände der Insolvenzmasse verfügen. Eine Eigenverwaltung wird dann angeordnet, wenn nach den Umständen des Einzelfalles nicht zu erwarten ist, dass die Anordnung zu einer Verzögerung des Verfahrens oder zu sonstigen Nachteilen für die Gläubigerschaft führen wird. Der Aufsicht führende Sachwalter prüft die wirtschaftliche Lage des Schuld- 1010 ners und überwacht die Geschäftsführung sowie die Ausgaben für die Lebensführung. Stellt der Sachwalter Umstände fest, die erwarten lassen, dass die Fortsetzung 1011 der Eigenverwaltung zu Nachteilen für die Gläubigerschaft führen wird, hat er dies unverzüglich dem Insolvenzgericht und den Gläubigern anzuzeigen (Anzeigepflicht). Die Pflichten des Sachwalters im eröffneten Verfahren sind identisch mit denen des vorläufigen Sachwalters im Eröffnungsverfahren (§ 275 InsO). Unter Eigenverwaltung ist der Schuldner verpflichtet, das Verzeichnis der 1012 Massegegenstände, das Gläubigerverzeichnis und die Vermögensübersicht gemäß §§ 151 bis 153 InsO zu erstellen, im Berichtstermin einen Bericht zu erstatten, Rechnung zu legen und die Insolvenzmasse einschließlich des Ab___________ 547) Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen v. 7.12.2011 m. W. z. 1.3.2012, BGBl. I, 2582. 548) Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz (SanInsFoG) v. 22.12.2020, BGBl. I, 3256) m. W. v. 1.1.2021.

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E. Eigenverwaltung

sonderungsguts zu verwerten sowie anschließend die Erlöse unter den Gläubigern zu verteilen. 1013 Dem Sachwalter obliegt die Tabellenführung (§ 270 Abs. 3 InsO). III. Beendigung der Eigenverwaltung 1014 Mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens endet auch die Eigenverwaltung. 1015 Eine vorzeitige Aufhebung der Eigenverwaltung kann auf Antrag des Schuldners, der Gläubigerversammlung, eines absonderungsberechtigten Gläubigers oder eines Insolvenzgläubigers erklärt werden, auf Antrag der beiden Letztgenannten jedoch nur, wenn diese zusätzlich glaubhaft machen, dass die Beibehaltung der Eigenverwaltung zu einer Verzögerung des Verfahrens oder zu sonstigen Nachteilen für die Gläubigergesamtheit führen würde (§ 272 Abs. 1 Nr. 2 InsO).

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F. Überblick: Insolvenzstrafrecht I. Grundlegendes Neben der vermögensrechtlichen Haftung der Vertretungsorgane gehen mit 1016 einer Insolvenz nicht selten auch strafrechtliche Konsequenzen einher. Das vorliegende Kapitel ist für die Abwicklungspraxis im Insolvenzverwalterbüro nicht von primärer Bedeutung. Dennoch ist es wichtig, ein gewisses Grundverständnis für die strafrechtlichen Themenkreise, die im Zuge eines Insolvenzverfahrens auftreten können, zu entwickeln, da der Insolvenzverwalter in strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vielfach als Zeuge benannt wird. Insolvenzstrafrecht im engeren Sinne versteht sich als Teil eines Rechtsge- 1017 bietes, welches Delikte, die im Stadium einer existenzbedrohenden Lage begangen werden, umfasst. Insolvenzstrafrecht im weiteren Sinne beschreibt die Delikte, die nicht nur 1018 in einer Krise begangen werden können, die aber in der Kriminologie als häufig im Zusammenhang mit einer Krise auftretend beobachtet werden. II. Täterkreise Der potenzielle Täterkreis erstreckt sich auf den gesetzlichen Vertreter (§ 14 1019 Abs. 1 Nrn. 1, 2 StGB), den faktischen Geschäftsführer, den Strohmann und den Liquidator. Auch die beratenden Personen (Rechtsanwälte, Steuerberater) kommen bei einzelnen Tatbeständen als Täter (§ 25 Abs. 1 StGB), Mittäter (§ 25 Abs. 2 StGB), Anstifter (§ 26 StGB) oder im Zuge der Beihilfe (§ 27 StGB) in Betracht. III. Straftatbestände 1. Insolvenzstrafrecht im engeren Sinne a) Insolvenzverschleppung (§ 15a Abs. 4, 5 InsO) Die schuldhafte Verletzung der Insolvenzantragspflicht wird mit einem Straf- 1020 maß von einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe sanktioniert (§ 15a Abs. 4 InsO). Die Vorschrift ist rechtsformneutral und gilt für juristische Personen und Personengesellschaften, bei denen keine natürliche Person eine Vollhaftung übernommen hat. Jeder organschaftliche Vertreter bzw. Abwickler, der einen Eröffnungsantrag 1021 nicht, nicht richtig oder nicht rechtzeitig stellt, läuft Gefahr, sich der Insolvenzverschleppung strafbar zu machen. Der Tatbestand ist insbesondere dann erfüllt, wenn gegen die Antragspflicht des § 15a Abs. 1 InsO verstoßen wird (ĺ Rn. 144 ff.). Die Niederlegung des Amtes als organschaftlicher Vertreter lässt die Strafbarkeit nicht entfallen. Auch Weisungen der Gesellschafter oder Billigung durch alle Gläubiger be- 1022 seitigen die Strafbarkeit nicht.

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F. Überblick: Insolvenzstrafrecht

1023 Strafbar ist jeweils das vorsätzliche oder fahrlässige Unterlassen eines fristgerechten und gebotenen Insolvenzantrages. Fahrlässigkeit liegt i. d. R. dann vor, wenn dem Verpflichteten die Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit pflichtwidrig verborgen geblieben ist. Für die Fahrlässigkeit genügt die Erkennbarkeit der Antragspflicht. Fachliches oder tatsächliches Unvermögen exkulpiert insoweit nicht. Die Fahrlässigkeit kann auch darin bestehen, dass der Antragspflichtige keine Vorsorge getroffen hat, den Eintritt der Insolvenzreife rechtzeitig zu erkennen. b) Insolvenzstraftaten (§§ 283 ff. StGB) 1024 Die in §§ 283 ff. StGB normierten Insolvenzdelikte beschreiben spezielle, im Zuge eines Insolvenzverfahrens auftretende Straftaten. 1025 Wurde ein Insolvenzverfahren eröffnet bzw. der Eröffnungsantrag mangels Masse abgewiesen, sind strafbewehrte Bankrotthandlungen i. S. v. §§ 283, 283a StGB insbesondere nach Eintritt der Überschuldung oder der drohenden oder eingetretenen Zahlungsunfähigkeit: x

das Beiseiteschaffen, Verheimlichen, Zerstören, Beschädigen oder das Unbrauchbarmachen von Bestandteilen des Vermögens, die im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Insolvenzmasse gehören,

x

das Betreiben von Verlust- oder Spekulationsgeschäften oder Differenzgeschäften mit Waren oder Wertpapieren in einer den Anforderungen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft widersprechenden Weise,

x

das Vortäuschen von Rechten oder Anerkennen von erdichteten Rechten anderer,

x

pflichtwidriges Führen, Beiseiteschaffen, Verheimlichen, Zerstören oder Beschädigen von Handelsbüchern,

x

Bilanzfälschungen,

x

pflichtwidriges Verringern oder Verheimlichen bzw. Verschleiern von Vermögen,

x

das Herbeiführen der Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit.

1026 Weitere Delikte sind die Verletzung der Buchführungspflicht (§ 283b StGB) und die Gläubiger- sowie die Schuldnerbegünstigung (§§ 283c, 283d StGB). 2. Insolvenzstrafrecht im weiteren Sinne a) Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt (§ 266a StGB) 1027 Strafbewehrt und in der Praxis häufig verfolgt ist das Vorenthalten oder Veruntreuen von Arbeitsentgelt. Gemäß § 266a StGB macht sich derjenige strafbar, der als Arbeitgeber der Einzugsstelle Beiträge des Arbeitnehmers zur Sozialversicherung vorenthält. Dies gilt unabhängig davon, ob Arbeits244

IV. Beraterhaftung

entgelt tatsächlich gezahlt wird. Strafbar ist ebenfalls, gegenüber dem Sozialversicherungsträger unrichtige oder unvollständige Angaben über sozialversicherungsrechtlich erhebliche Tatsachen zu machen. b) Vermögensdelikte Weitere, im Zuge eines Insolvenzverfahrens oftmals auftretende Vermögens- 1028 delikte sind der Betrug (§ 263 StGB), der Kreditbetrug (§ 265b StGB), die Untreue (§ 266 StGB) und die Unterschlagung (§ 246 StGB). IV. Beraterhaftung Auch Berater insolvenzgefährdeter Unternehmen gehen u. U. Risiken ein, 1029 sich im Zuge der Beratung eines insolventen Unternehmens strafbar zu machen. In Betracht kommt z. B. eine etwaige Strafbarkeit wegen Beihilfe zur Insolvenzverschleppung oder wegen Betrugs bei Täuschung über die Sanierungsgrundlagen. Im Wesentlichen sieht sich ein Berater als Gehilfe (§ 27 StGB) mit Insol- 1030 venzstrafrecht konfrontiert. Danach wird bestraft, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe geleistet hat. Gehilfe kann allerdings nur derjenige sein, der den Haupttäter bei seiner rechtswidrigen Tat bewusst unterstützt. Gefährlich ist die Beratertätigkeit, da die Übergänge zwischen einem straflosen Beratungsgespräch und einer unterstützenden Handlung fließend sind. Eine psychische Beihilfe kann bereits vorliegen, wenn dem Täter durch einen Rat geholfen wird oder er sich durch das Verhalten des Beraters ermuntert fühlt, wobei die Erteilung eines zutreffenden und richtigen Rats strafrechtlich keinen Straftatbestand erfüllt. Der BGH hat in diesem Zusammenhang allerdings eine generelle Straflosigkeit sog. „neutraler“ oder „berufstypischer“ Handlungen abgelehnt.549) Stattdessen hat der Senat darauf abgestellt, ob der Rat des Gehilfen die Haupttat objektiv fördert und der Gehilfe in Kenntnis der wesentlichen Merkmale der Haupttat und in Förderungsbewusstsein handelt. Ein solches ist anzunehmen, wenn dem Berater die Kenntnis nachgewiesen wird (Solidarität mit dem Täter). Strafbare Beihilfe leistet ein Berater wohl auch dann, wenn das Krisenunterneh- 1031 men bereits überschuldet oder zahlungsunfähig ist und der Berater in diesem Wissen dennoch weiterhin versucht, das Unternehmen zu sanieren, oder wenn der Berater den bereits zur Insolvenzverschleppung entschlossenen Geschäftsführer bei einzelnen Maßnahmen (z. B. Übertragung von Vermögensgegenständen) unterstützt. Als Anstifter (§ 26 StGB) kann ein Berater bestraft werden, wenn er bewusst 1032 (z. B. durch einen Hinweis) in dem anderen die Entscheidung zu einer strafbaren Handlung hervorgerufen hat. Die alleinige Beratung durch das Aufzei___________ 549) BGH, Urt. v. 1.8.2000 – 5 StR 624/99, ZIP 2000, 1828, dazu EWiR 2000, 895 (Jahn).

245

F. Überblick: Insolvenzstrafrecht

gen von Handlungsalternativen ist grundsätzlich straflos, es sei denn sowohl dem Berater als auch dem Täter ist bekannt, dass das Unternehmen insolvent ist, der Berater weit über das Aufzeigen von Handlungsalternativen hinaus geht und durch das Beratungsgespräch der Tatentschluss zur Insolvenzverschleppung beim Täter hervorgerufen wurde. 1033 Auch im Rahmen der unterlassenen oder mangelhaften Buchführung bzw. der unterlassenen oder mangelhaften Bilanzerstellung kann die Übernahme von Buchführungs- und Bilanzierungspflichten zur Strafbarkeit des Beraters führen, wenn er aufgrund ausdrücklichen Auftrags diese Aufgaben eigenverantwortlich übernommen hat und diese nicht oder schlecht ausführt. Eine Strafbarkeit kommt jedoch nur dann in Betracht, wenn ihm die Pflichterfüllung objektiv möglich ist; dies ist gerade bei krisenbehafteten Unternehmen nicht der Fall, da der Mandant oftmals unvollständige oder ungeordnete Unterlagen einreicht oder das Honorar nicht zahlt. In diesem Fall ist eine Strafbarkeit des Beraters ausgeschlossen.

246

Stichwortverzeichnis

Ablauf – des Insolvenzverfahrens 13 ff. Absonderungsberechtigter 75 ff.; siehe auch Absonderungsrecht Absonderungsrecht 75 ff. – Abgeltung 892 ff. – Ausfall 493 ff. – einzelne Rechte 451 ff. AG (Aktiengesellschaft) 25 ff. Aktionär – Haftung 605 ff. Anfechtung 687 ff. Anfechtungsansprüche – Insolvenzplan 990 ff. Antrag – Eröffnung siehe Insolvenzantrag Antragshäufung 201 ff. Arbeitsverhältnisse – Entgeltansprüche 289 ff. – eröffnetes Verfahren 845 ff. – Eröffnungsverfahren 289 ff. – Insolvenzgeld 845 ff. – Kündigung im eröffneten Verfahren 845 ff. – Kündigung im Eröffnungsverfahren 305 ff. – Masseverbindlichkeiten 751 ff. Asset Deal 506 ff. Aufhebung des Verfahrens – nach rechtskräftiger Bestätigung des Insolvenzplans 929 ff. – nach/ohne Schlussverteilung 918 ff. Auskunftspflicht 60, 217 ff. Außenhaftung – akzessorische 614 Aussonderung – Ersatzaussonderung 84 Aussonderungsberechtigter 79 ff.; siehe auch Aussonderungsrecht

Aussonderungsrecht 79 ff. – einzelne Rechte 434 ff.

Bankguthaben

685 ff. Bankverträge 842 ff. Beraterhaftung 670, 1029 Beratervertrag 842 Bericht – eröffnetes Verfahren 810 ff. Berichtstermin 810 ff. Beschränkt persönliche Dienstbarkeit 447 ff. Betriebsübergang 853 ff., 1013 ff. Bewertung – Fortführungswerte 330 ff. – Grundlagen 319 ff. – Liquidationswerte 327 ff. Buchhalterische Pflichten 855 ff.

Dauerschuldverhältnisse

817 ff.; siehe auch Vertragsverhältnisse Debitoren siehe Forderung aus Lieferung und Leistung

Eigenantrag 133 ff. Eigentumsvorbehalt – einfacher 442 ff. – erweiterter 479 ff. – verlängerter 476 ff. Eigenverwaltung 1006 ff. – Ablauf 1007 ff. – Beendigung 1014 ff. – vorläufige 333 ff. – vorläufige, Schutzschirmverfahren 344 ff. Eingetragene Genossenschaft (e. G.) 30 ff. Eingetragener Verein (e. V.) 33 ff. Einlagehaftung 562 ff. Einstellung des Verfahrens – mangels Masse 919 ff.

247

Stichwortverzeichnis

– mit Zustimmung der Gläubiger 932 ff. – nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit 922 ff. – wegen Wegfalls des Eröffnungsgrundes 931 ff. Einzelermächtigung 245 Eröffnungsantrag 130 ff. Eröffnungsgrund 167 ff. Ersatzaussonderung 84; siehe auch Aussonderungsrecht Existenzvernichtungshaftung 609 ff.

Factoring – echtes 449 ff. Fiskalabsonderungsrechte 481 ff. Forderung aus Lieferung und Leistung 548 ff. Forderungsanmeldung 769 ff. – nachträgliche 786 ff. Forderungsprüfung 775 ff. Fortführung – eröffnetes Verfahren 494 ff. – Eröffnungsverfahren 273 ff. Fortführungswerte 330 ff. Freigabe – einzelner Gegenstände 427 ff. Fremdantrag 154 ff.

GbR (Gesellschaft bürgerlichen Rechts) 53 ff. Genossenschaft – eingetragene 30 ff. – Insolvenzplanverfahren 1000 ff. Gerichtskosten 714 ff. Geschäftsführer – Ansprüche gegen 622, 645, 650 Gesellschafter – Ansprüche gegen 598 ff. Gesetzliche Vertreter – Ansprüche gegen 656 Gewerbesteuer 868 Gläubigerausschuss 112 ff. – Vergütung 750 ff.

248

– vorläufiger 112 ff., 249 ff. Gläubigerversammlung 810 ff. Gläubigerverzeichnis 381 ff. GmbH (Gesellschaft mit beschränkter Haftung) 21 ff. Grundbesitz 528 ff.; siehe Grundstück Grunddienstbarkeit 446 ff. Grundpfandrechte 461 ff. Grundschuld 461 ff.; siehe Immobiliarsicherheiten Grundstück 528 ff. Grundstücksgleiche Rechte 528 ff. Gutachten – des Gutachters/Sachverständigen 310 ff. Gutachter 209; siehe auch Sachverständiger

Hypothek

siehe Immobiliarsicherheiten

Immaterieller Vermögenswert 526 ff. Immobiliarsicherheiten 461 ff. Immobilie siehe Grundstück Insolvenzanfechtung 687 ff. Insolvenzantrag 130 ff. Insolvenzantragspflicht 144 ff. Insolvenzeröffnung – Ablauf 359 ff. – Eröffnungsentscheidung 356 ff. – Wirkungen 365 ff. Insolvenzeröffnungsverfahren 130 ff. Insolvenzfähigkeit 15 ff. Insolvenzforderung 66 ff. Insolvenzgeld 289 – Anspruchsübergang 300 ff. – Antrag 296 ff. – Höhe 294 ff. – Vorfinanzierung 302 ff. – Zahlung 289 ff. – Zeitraum 290 ff.

Stichwortverzeichnis

Insolvenzgericht 356 ff. Insolvenzgläubiger 66 ff. Insolvenzmasse – Freigabe 427 ff. – Umfang 422 ff. – Verwaltung 426 ff. – Verwertung 426 ff. Insolvenzplan 940 ff. – Ablauf 952 ff. – Anfechtungsansprüche 990 ff. – Besserstellung 944 ff. – Besteuerung des Sanierungsgewinns 1004 ff. – Inhalt 964 ff. – Planvorlagerecht 948 ff. – vergessene Gläubiger 1002 ff. – Vergütung 986 ff. – Voraussetzungen 944 ff. Insolvenzschuldner 15 ff. – Konsequenzen Eigenverwaltung 353 ff. – Konsequenzen Eröffnungsverfahren und Sicherungsmaßnahmen 269 ff. – Konsequenzen Insolvenzeröffnung 407 ff. Insolvenzstrafrecht 1016 ff. Insolvenzstraftaten 1024 Insolvenztabelle 769 ff. – nachträgliche Änderungen 787 ff. – Prüfungsergebnisse 775 ff. Insolvenzverfahren – eröffnetes 356 ff. – eröffnetes, Ablauf 359 ff. Insolvenzverschleppung 1020 Insolvenzverschleppungshaftung 658 Insolvenzverwalter 100 ff. – Aufgaben 365 ff. – schwacher vorläufiger 260 ff. – starker vorläufiger 257 f. – Vergütung 735 ff. – vorläufiger 96 ff. – vorläufiger, Aufgaben 256 ff.

– vorläufiger, Maßnahmen im Verwalterbüro 272 – vorläufiger, Vergütung 271 ff.

Juristische Person

17 ff. Juristische Person des öffentlichen Rechts 40 ff.

Kaduzierung 579 ff. Kapitalerhaltungsgrundsatz 598 ff. Kassenbestand 686 KG (Kommanditgesellschaft) 49 ff. KGaA (Kommanditgesellschaft auf Aktien) 28 ff. Kollision – Sicherungsrechte 482 ff. Kollisionslagen 482 ff. Körperschaftssteuer 862 Leasing 450 ff. Liquidation 520 ff. Liquidationswerte 327 ff. Liquiditätsplanung 284 ff. Lohnsteuer 866 Massearmut 765 ff. Masseunzulänglichkeit 766 ff. Masseverbindlichkeiten – sonstige 751 ff. Masseverzeichnis 367 ff. Mietforderungen 559 ff. Mietkaution 448 ff. Nachmeldung

siehe Forderungsanmeldung, nachträgliche Nachprüfungstermin 786 ff. Nachranggläubiger 792 ff. Nachrangige Forderungen 792 ff. Nachtragsverteilung 935 ff. Nießbrauch 445 ff.

OHG (Offene Handelsgesellschaft) 46 ff.

Pachtforderungen 559 ff. Partnergesellschaft 58 ff. 249

Stichwortverzeichnis

Personengesellschaften 42 ff. Pfandrechte 464 ff. Postsperre 238 ff. Prüfungstermin 775 ff.

Rechnungslegung

Sicherungsübereignung 473 Stammeinlage 562 ff. Steuerberater – Beauftragung 861 – Haftung 670 – Mandatsvertrag 842 Steuerliche Pflichten 855 ff. Stiftung 38 ff.

Sachanlagevermögen

Überschuldung 184 ff. Umsatzsteuer 751 ff., 873 ff. – Absonderungsgut 892 ff.

Quotenberechnung

936 ff.

883 ff.; siehe auch Schlussrechnungslegung Rückschlagsperre 880 ff. 534 ff. Sachverständiger 88 ff. – Aufgaben 209 ff. – Bestellung 209 ff. – Maßnahmen im Verwalterbüro 228 f. – Vergütung 219 ff. Sachwalter 124 ff., 1006 ff. – Vergütung 741 ff. – vorläufiger 124 ff. – vorläufiger, Aufgaben 349 ff. – vorläufiger, Vergütung 355 ff. Sanierung – übertragende 506 ff. Sanierungsgewinn – Besteuerung des Sanierungsgewinns 1004 ff. Schlussbericht – Aufbauvorschlag 907 f. Schlussrechnungslegung – eröffnetes Verfahren 883 ff. – Eröffnungsverfahren 883 ff. – Insolvenzplan 989 f. Schlusstermin 934 Schlussverteilung 935 ff. Schlussverzeichnis 935 ff. Schutzschirmverfahren 344 ff. Sicherungsabtretung 470 ff. Sicherungsmaßnahmen – vorläufige 229 ff. Sicherungsrecht – Kollision 482 ff. Sicherungsrechte – Abgeltung 892 f.

250

Verein – eingetragener 33 ff. – nicht rechtsfähiger 36 ff. Verfahrensabschluss 883 ff. Verfahrenskosten 203 ff. Verfügungsverbot 252 ff. Vermögensdelikt 1028 Vermögensübersicht 389 ff. Verteilung – Nachtragsverteilung 935 ff. Verteilungsreihenfolge 935 ff. Vertragsverhältnisse 817 ff. – Bankverträge 842 ff. – Mietverhältnis 833 ff. – Wahlrecht 819 ff. Verwertung – Grundsätze 522 ff. Vollstreckungsverbot 875 ff. – für Massegläubiger 879 ff. Vormerkung 823 ff. Vorräte 546 ff. Vorstandsmitglied – Ansprüche gegen 654, 655

Zahlungsunfähigkeit

169 ff. – drohende 179 ff. Zielsetzung 2 ff. Zurückbehaltungsrechte 480 ff. Zustimmungsvorbehalt 253 ff. Zwangsvollstreckungsverbot siehe Vollstreckungsverbot