Narrative Kunsttherapie: Identitätsarbeit durch Bild-Geschichten. Ein neuer Weg in der Psychotherapie [1. Aufl.] 9783839411957

Narrative Kunsttherapie stellt eine innovative therapeutische Variante dar, die über Bild-Geschichten Identitätsarbeit u

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German Pages 594 [592] Year 2015

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Narrative Kunsttherapie: Identitätsarbeit durch Bild-Geschichten. Ein neuer Weg in der Psychotherapie [1. Aufl.]
 9783839411957

Table of contents :
Inhalt
Vorwort
TEIL I: EINFÜHRUNG
1. Einleitung: Forscherbrille   
2. Forschungsplan: Expeditionsziel   
TEIL II: THEORETISCHEMODELLE UND DISKURSE
3. Identitätsdiskurs: In der Wildnis   
3.1. Differenzierungen zum Begriff ‚Identität‘
3.1.1 Definition und Kriterien von Identität
3.1.2 ‚Identität‘ im Verhältnis zu ähnlichen Begriffen
3.1.3 Entwicklung von Identität
3.1.4 Transfer zu Re-/Konstruktion des Selbst in der Therapie
3.2. Moderne und spätmoderne Modelle zur Identität
3.2.1 Modelle der Moderne: Stabilität oder Diffusion
3.2.2 Modelle der Spätmoderne: Identitätsarbeit und ‚mögliche Selbste‘
3.2.3 Diskussion: ‚Kohärenz‘ versus ‚Diffusion‘
4. Psychopathologie und Normalität: Verrückte Welten
4.1. Psychopathologische Krankheitsbilder und Parallelen ihre zur spätmodernen Identität
4.1.1 Krankheitsbilder psychischer Spaltungsmechanismen
4.1.2 Fazit: ‚Feine Unterschiede‘ zwischen ‚verrückten‘ und ‚spätmodernen Welten‘
4.2 Gesellschaft und Psychose
4.3 Diskussion: ‚Spätmodernes‘ und ‚dissoziiertes Selbst‘ – eine gesunde Störung?
5. Salutogenese und Identität: Ein neu entdeckter Archipel
5.1 Modell der Salutogenese
5.1.1 Paradigmenwechsel ‚Pathogenese‘-‚Salutogenese‘
5.1.2 Bausteine des Salutogenese-Modells
5.1.3 Entwicklung des Kohärenzgefühls
5.1.4 Diskussion: Kritik am Salutogenese-Modell
5.2 Identität, Stressbewältigung und Gesundheit
5.2.1 Identitätsrelevante Stressoren
5.2.2 Identitätsmanagement als Gesundheitsfaktor
5.2.3 Teilidentität Gesundheit und Gesundheitshandeln
5.3 Salutogenese und Identität in der Therapie
5.3.1 Therapeutische Förderung des Kohärenzgefühls
5.3.2 Subjekt- und Ressourcenperspektive in der Therapie
5.3.3 Erweitertes Modell der Salutogenese
TEIL III: KREATIVEWEGE IN DER PSYCHOTHERAPIE
6. Kreativität und Narration: Neue kulturelle Erfahrungen
6.1 Spielräume und Möglichkeitssinn
6.1.1 Der Möglichkeitssinn im Spiel
6.1.2 Der Möglichkeitssinn in Dialog und Kommunikation
6.1.3 Fazit: Spielräume für das Kohärenzgefühl
6.2 Kreativität und Kunsttherapie
6.2.1 Inflationsbegriff ‚Kreativität‘
6.2.2 Kreativität und Psychopathologie
6.2.3 Kreativer und kunsttherapeutischer Prozess
6.2.4 Kunsttherapie und Kohärenzgefühl: theoretische und methodische Ansätze
6.2.5 Fazit: das Kohärenzgefühl in der Kunsttherapie
6.3 Narration und Narrative Therapie
6.3.1 Narration und autobiografisches Erzählen
6.3.2 Kohärenzgefühl und Narrative Therapie: theoretische und methodische Ansätze
6.4 Fazit: Rekonstruktion und Konstruktion des Selbst in Bildern und Geschichten
6.4.1 Kunsttherapie und Narrative Therapie im Vergleich
6.4.2 Grenzen und Möglichkeiten der Therapieformen
6.4.3 Bild-Geschichten: Möglichkeiten Narrativer Therapie
7. Fazit: Resultate der Expedition
7.1 Zusammenfassung: das Kohärenzgefühl in Bild-Geschichten
7.2 Perspektiven einer Narrativen Kunsttherapie
8. Abspann: Eine exotische Bildgeschichte
TEIL IV: ANHANG
9. Literaturverzeichnis: Expeditionsgepäck
10. Abbildungsverzeichnis: Landkarten
11. Inhaltsverzeichnis II : Detaillierte Reiseroute

Citation preview

Birgit Schneider Narrative Kunsttherapie

R e f l e x i v e S o z i a l p s y c h o l o g i e | hrsg. von Heiner Keupp | Band 4

Birgit Schneider (Dr. phil.) arbeitet als Dozentin im Gesundheitswesen im Bereich Sozialwissenschaften und Kommunikation mit den zentralen Themen: Salutogenese, Identitätsbildung, Biografiearbeit, Kreativitätstraining und professionelle Gefühlsarbeit. Als klinische Kunsttherapeutin praktiziert sie derzeit im Feld der Pädagogik und Selbsterfahrung.

Birgit Schneider

Narrative Kunsttherapie Identitätsarbeit durch Bild-Geschichten. Ein neuer Weg in der Psychotherapie

Die vorliegende Studie wurde als Inaugural-Dissertation im Sommersemester 2008 an der Fakultät für Psychlogie und Pädagogik der Ludwig-Maximilians-Universität München unter der Leitung von Prof. Dr. Heiner Keupp angefertigt.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2009 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: © Birgit Schneider, München 2008: Identitätsarbeit mit Bild-Geschichten Lektorat & Satz: Birgit Schneider Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-1195-3 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

I N H AL T

Vorwort

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TEIL I: EINFÜHRUNG 1. Einleitung: Forscherbrille 







2. Forschungsplan: Expeditionsziel 





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TEIL II: THEORETISCHE MODELLE UND DISKURSE 3. Identitätsdiskurs: In der Wildnis 





3.1. Differenzierungen zum Begriff ‚Identität‘ 3.1.1 Definition und Kriterien von Identität 3.1.2 ‚Identität‘ im Verhältnis zu ähnlichen Begriffen 3.1.3 Entwicklung von Identität 3.1.4 Transfer zu Re-/Konstruktion des Selbst in der Therapie 3.2. Moderne und spätmoderne Modelle zur Identität 3.2.1 Modelle der Moderne: Stabilität oder Diffusion 3.2.2 Modelle der Spätmoderne: Identitätsarbeit und ‚mögliche Selbste‘ 3.2.3 Diskussion: ‚Kohärenz‘ versus ‚Diffusion‘

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4. Psychopathologie und Normalität: Verrückte Welten

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4.1. Psychopathologische Krankheitsbilder und Parallelen ihre zur spätmodernen Identität 4.1.1 Krankheitsbilder psychischer Spaltungsmechanismen 4.1.2 Fazit: ‚Feine Unterschiede‘ zwischen ‚verrückten‘ und ‚spätmodernen Welten‘ 4.2 Gesellschaft und Psychose 4.3 Diskussion: ‚Spätmodernes‘ und ‚dissoziiertes Selbst‘ – eine gesunde Störung?

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5 Salutogenese und Identität: Ein neu entdeckter Archipel

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5.1 Modell der Salutogenese 5.1.1 Paradigmenwechsel ‚Pathogenese‘-‚Salutogenese‘ 5.1.2 Bausteine des Salutogenese-Modells 5.1.3 Entwicklung des Kohärenzgefühls 5.1.4 Diskussion: Kritik am Salutogenese-Modell 5.2 Identität, Stressbewältigung und Gesundheit 5.2.1 Identitätsrelevante Stressoren 5.2.2 Identitätsmanagement als Gesundheitsfaktor 5.2.3 Teilidentität Gesundheit und Gesundheitshandeln 5.3 Salutogenese und Identität in der Therapie 5.3.1 Therapeutische Förderung des Kohärenzgefühls 5.3.2 Subjekt- und Ressourcenperspektive in der Therapie 5.3.3 Erweitertes Modell der Salutogenese

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TEIL III: KREATIVE WEGE IN DER PSYCHOTHERAPIE 6

Kreativität und Narration: Neue kulturelle Erfahrungen

6.1 Spielräume und Möglichkeitssinn 6.1.1 Der Möglichkeitssinn im Spiel 6.1.2 Der Möglichkeitssinn in Dialog und Kommunikation 6.1.3 Fazit: Spielräume für das Kohärenzgefühl 6.2 Kreativität und Kunsttherapie 6.2.1 Inflationsbegriff ‚Kreativität‘ 6.2.2 Kreativität und Psychopathologie 6.2.3 Kreativer und kunsttherapeutischer Prozess 6.2.4 Kunsttherapie und Kohärenzgefühl: theoretische und methodische Ansätze 6.2.5 Fazit: das Kohärenzgefühl in der Kunsttherapie 6.3 Narration und Narrative Therapie 6.3.1 Narration und autobiografisches Erzählen 6.3.2 Kohärenzgefühl und Narrative Therapie: theoretische und methodische Ansätze 6.4 Fazit: Rekonstruktion und Konstruktion des Selbst in Bildern und Geschichten 6.4.1 Kunsttherapie und Narrative Therapie im Vergleich 6.4.2 Grenzen und Möglichkeiten der Therapieformen 6.4.3 Bild-Geschichten: Möglichkeiten Narrativer Therapie

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7 Fazit: Resultate der Expedition

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7.1 Zusammenfassung: das Kohärenzgefühl in Bild-Geschichten 7.2 Perspektiven einer Narrativen Kunsttherapie

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8 Abspann: Eine exotische Bildgeschichte

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TEIL IV: ANHANG 9 Literaturverzeichnis: Expeditionsgepäck

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10 Abbildungsverzeichnis: Landkarten

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11 Inhaltsverzeichnis II : Detaillierte Reiseroute

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VORWORT

Hier liegt ein Buch vor uns, in dem die Autorin Erfahrungsfragmente aus unterschiedlichen Szenen aus dem weiten Feld ihrer beruflichen Sozialisation zusammengefügt hat. Nach einer kunstpädagogischen Universitätsausbildung und der Ausformung einer eigenen künstlerischen „Handschrift“ gab es für Birgit Schneider eine berufliche Etappe in einer kunsttherapeutisch ausgerichteten Tagesstätte für Frauen mit Psychiatrieerfahrung. Daran schloss sich eine Ausbildung als Kunsttherapeutin an und vielfältige Erfahrungen als Dozentin und Trainerin. Schließlich arbeitete Birgit Schneider auch in Ausbildungsgängen der Kranken- und Altenpflege und begegnete dort in den neuen Lehrplänen dem Thema Salutogenese, das bereits in der kunsttherapeutischen Tätigkeit einen hohen Stellenwert hat. Wie bekommt man all diese unterschiedlichen Themen und Erfahrungen unter einen Hut? In der postmodernen Welt lässt man sie als Fragmente in relativer Unverbundenheit nebeneinander stehen. Das aber war nicht der Weg von Birgit Schneider: Sie nutzt ihre Untersuchung, um sich zwischen den unterschiedlichen Themen und Erfahrungszusammenhängen einen kohärenten Zusammenhang zu erarbeiten. Und auf dem Hintergrund ist es alles andere als erstaunlich, dass das „Kohärenzgefühl“ im doppelten Sinne zum Leitthema dieser Untersuchung wurde: Es schafft die Verbindung zwischen der Identitäts- und Gesundheitsforschung und steht zugleich im Zentrum auch des Narrationsparadigmas, andererseits bildet es für die Autorin selbst den Anknüpfungspunkt zur Integration heterogener Berufspfade und Interessen. Birgit Schneider rahmt ihr Gesamtprojekt metaphernreich ein. Insgesamt wählt sie das Bild einer „Expeditionsreise“, die sie bei „flexibler

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NARRATIVE KUNSTTHERAPIE

Routenplanung“ auf verschiedenen „Wegen“ und „Pfaden“ in verschiedene „Kontinente“ führt. Sie muss sich durch die „Wildnis“ schlagen, ihr begegnen dabei „verrückte Welten“ und sie entdeckt für sich einen neuen „Archipel“. Ganz ohne „Expeditionsgepäck“ im Sinne von Karten und Reiseführern (sprich Fachliteratur) kommt sie nicht aus. Und schließlich und endlich mit Matthias Claudius: „Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen“. Bei einer Künstlerin und Kunsttherapeutin sind das natürlich „Bild-Geschichten“. Die Lesereise führt durch eine Reihe von Kontinenten, die Birgit Schneider sorgfältig kartographiert. Einige sind schon gut erschlossen und es existieren Fährverbindungen. Bei einigen Verbindungen nimmt die Autorin als Reiseführerin ihre LeserInnen an der Hand und erklärt ihnen ausführlich und eingängig, warum sie ihr mit Gewinn folgen sollten. Ihr innovativstes Angebot bildet zweifellos die Verknüpfung von Kunsttherapie und Narrativer Therapie, die über „Bild-Geschichten“ hergestellt werden soll. Doch bevor dieser Syntheseversuch zu inspizieren ist, sind eine Reihe von Reisetappen zu absolvieren. Mit einer eindrucksvollen Ausstattung von Literaturbezügen vermittelt die Autorin ihren LeserInnen das Gefühl verlässlicher Kompetenz. Den Ausgangspunkt für die Suche nach einer theoretischen Integration disparater Diskurse bildet für Birgit Schneider die Debatte um ein verändertes Identitätsverständnis als Folge spätmoderner Gesellschaftsveränderungen. Die einfach-moderne Vorstellung eines linearen Weges zu einer gesicherten Identitätsplattform geriet seit den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts immer mehr in die Kritik. Es entwickelte sich eine offene Diskursarena, in der postmoderne Ideen von einer bunten Palette beliebig gestaltbarer Identitätsmuster sich ebenso zu Worte meldeten wie auch die poststrukturalistischen Provokationen vom „Tod des Subjekts“ zu vernehmen waren. Die ernsthafte sozialwissenschaftliche Forschung hat diese Anstöße durchaus ernst genommen und hat sich um ein zeitgerechtes Identitätsmodell bemüht, in dessen Zentrum ein prozesshaftes Grundverständnis alltäglicher Identitätsarbeit gerückt wurde, das von Basisprinzipien wie Kohärenz und Authentizität gesteuert wird. Wie Birgit Schneider zu Recht aufzeigt, war parallel zu den Identitätsdiskursen auch eine Debatte um psychische Störungsbilder entstanden. Es wurden nicht mehr nur das „medizinische Krankheitsmodell“ in Frage gestellt, sondern auch die Grenzziehungen zwischen Normalität und Abweichung generell. Der postmoderne Philosoph Wolfgang Welsch etwa stellte die Frage, ob sich nicht prinzipiell die Normalitätsfrage postmodern erledigen würde, weil ja nun die unterschiedlichsten psychischen Erlebniswelten das gleiche Recht aus Existenz hätten. In 10

VORWORT

den klinisch-therapeutischen Kontexten folgte man dieser Empfehlung nicht, auch wenn man die Existenz veränderter Störungsbilder mit eher dissoziativen Merkmalen wahrnimmt und diskutiert sowie auch deren Zunahme durchaus mit veränderten gesellschaftlichen Lebensbedingungen in Verbindung bringt. Gegenüber postmodern-philosophischen Spekulationen zwingt allerdings das Leid der Menschen danach zu fragen, was die differentia specifica zwischen dezentrierten, offenen Identitätsentwürfen einerseits und dissoziativen Subjekterfahrungen ausmacht, die in aller Regel auf massive traumatische Erfahrungen zurückzuführen sind. Die Unterscheidung zwischen multiplen Identitäten und multipler Persönlichkeit ist hier wichtig. Und bei dieser Unterscheidung spielt die Gewinnung eines kohärenten Lebensgefühls eine große Rolle. Die Kohärenzannahme liefert eine Steilvorlage für die nächste Theoriebaustelle, die Birgit Schneider betritt und aus der sie für die eigene Konzeption wichtige Anregungen bezieht: Es geht um die Aneignung einer salutogenetischen Perspektive, in deren Zentrum einerseits die Frage nach den gesundheitsförderlichen Widerstandsressourcen gestellt wird und andererseits hat Antonovsky mit dem Konstrukt des „Sense of coherence“ den bislang differenzierteste Zugang zum Kohärenzthema entwickelt. Mit der Annahme eines Gesundheits-Krankheits-Kontinuums hat Antonovsky auch einen furchtbaren Beitrag zur Überwindung der Normalitäts-Krankheits-Polarität geliefert. Der Kohärenzsinn bildet zugleich auch eine solide Brücke zwischen den Identitäts- und Gesundheitsdiskursen und nicht zuletzt auch für die Psychotherapie, welcher Art auch immer, eröffnet sich hier eine fruchtbare Perspektive. Wenn man den von Aaron Antonovsky aufgestellten und durchaus fragwürdigen Grenzzaun überwindet, der in der Annahme impliziert ist, dass das Kohärenzgefühl nach abgeschlossener Adoleszenz relativ unveränderlich ist, dann eröffnet sich für psychotherapeutische Handlungsansätze ein weites Anwendungsfeld. In ihrer nächsten Etappe testet Birgit Schneider zwei psychotherapeutische Ansätze genau unter der Frage, ob und wie sie durch ihre jeweiligen Vorgehensweisen einen Beitrag zur Kohärenzförderung leisten können. Die Kunsttherapie, in der die Autorin eine spezielle Kompetenzverortung hat, wird vor allem unter der Perspektive thematisiert, wie sie Kreativitätspotentiale fördern kann, die ihrerseits zur Aktivierung und Anerkennung von „possible selves“ führen können oder zu Erfahrungen im individuellen Möglichkeitsraum. Hier wird die schöne Musilsche Wortschöpfung vom „Möglichkeitssinn“ aufgegriffen, der die Chancen benennt, innere Selbste zu aktivieren oder auch neu zu konstruieren, die in der Lage sind, aktuelle „Identitätsgefängnisse“ zu überschreiten und neue Handlungsperspektiven zu eröffnen. Dies ist ja der 11

NARRATIVE KUNSTTHERAPIE

Anspruch jeder Therapie und die Kunsttherapie schafft hier über den Weg nicht-sprachlicher Entäußerungsmöglichkeiten neue Möglichkeiten. Im Anschluss an diese Einordnung der Kunsttherapie in eine salutogenetische Perspektive geht Birgit Schneider noch ihren letzten Schritt, der die Verknüpfung von Kunst- und Narrativer Therapie leisten soll. Voraussetzung für eine gelingende Synthese ist zunächst eine genaue Bestandsaufnahme von grundlegenden Gemeinsamkeit und Unterschieden und die theoretische Formulierung der „Schnittmenge“. Neben vielen differenziert herausgearbeiteten Gemeinsamkeiten und Differenzen stellt die Autorin in einer zusammenfassenden Bemerkung lapidar fest, dass Kunst- und Narrative Therapie von einem Therapieverständnis gekennzeichnet sind, das ressourcen-, lösung- und zukunftsorientiert ausgerichtet ist. Die „Schnittmenge“ entsteht für Birgit Schneider durch das Konstrukt der „Bild-Geschichten“. Insgesamt hat Birgit Schneider eine eindrucksvolle Untersuchung vorgelegt, die für die weitere Forschung und auch für psychotherapeutisches Handeln eine Vielzahl origineller und weiterführender Ideen generiert hat. Sie hat eine Untersuchung vorgelegt, die ein hohes Niveau erreicht und die sowohl in der kunsttherapeutischen als auch in der sich international zunehmend formierenden narrationstherapeutischen Szene Beachtung verdient und auch bekommen wird.

Im März 2009

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Heiner Keupp

T EIL I: E INFÜHRUNG

1 EINLEITUNG: FORSCHERBRILLE

NARRATIVE KUNSTTHERAPIE. IDENTITÄTSARBEIT DURCH BILD-GESCHICHTEN – EIN NEUER WEG IN DER PSYCHOTHERAPIE ist das Ergebnis einer langen Expeditionsreise durch Gebiete der Sozial- und Gesundheitswissenschaften, Diskurse der Moderne und Spätmoderne und Landschaften kreativer Psychotherapie. ‚Der Weg als Ziel‘ betrachtet, ergab sich während des Reisens über die Begegnung und Auseinandersetzung mit einander zunächst fremden Aspekten. Erforderlich war eine flexible Routenplanung, die bei der Vielfalt der Eindrücke und Möglichkeiten, sowie etappenweiser Wildnis in den Diskursen den Forschungsfokus im Auge behielt. Hilfreich war hier die Erstellung von graphischen Landkarten, die die Konzeptionen zusammenfassend veranschaulichen. Als Leitmotiv für die Forschungsarbeit, bei der Bekanntes auf Unbekanntes trifft, Wege und Prozesse als weiterführende Ergebnisse und Ziele fungieren, habe ich die Reise-Metapher gewählt. Metaphern sind eine Verbindung von Sprache und Bild. Bild-Geschichten entstehen über Bilder, die erzählen und über Worte, die ein Bild vermitteln. Auf der Suche nach dem Identitäts- und Salutogenese-relevanten Kohärenzgefühl in Kunst- und Narrativer Therapie könnten Bild-Geschichten zum verbindenden Element werden. Der Begriff ‚Bild‘ steht für den Prozess und das Ergebnis des kreativ gestalterischen Parts, der Begriff ‚Geschichten‘ für den Prozess und das Ergebnis des narrativen Parts bei der Re-/Konstruktion von Identität. ‚Sich ein Bild von sich machen‘ kann verbal über das Erzählen geschehen oder/und über gestalterische Prozesse. Damit verbunden sind Gestaltungspotentiale, die eine Veränderung der autobiografischen Muster und prospektive Selbst- und Projekt-Entwürfe ermöglichen.

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NARRATIVE KUNSTTHERAPIE

Angefangen von der Grundidee, Salutogenese, Identität und Therapie in ihrem Wirkungszusammenhang über das Kohärenzgefühl zu untersuchen, werden relevante Aspekte und Teilziele in Expeditionen auf unterschiedlichen wissenschaftlichen Kontinenten erforscht. Die ursprüngliche Fassung hat dabei über die Jahre durch den Forschungsprozess, persönliche Erfahrungen und erweiterte Berufspfade kontinuierlich eine Passungsarbeit erfahren, die mit dem Prozess der „Identitätsarbeit heute“ (Keupp/Höfer 1997) vergleichbar ist. Die Thematik wird für Forschung und Praxis, sowie für mich persönlich weiterhin eine Reise bleiben; denn eine fundierte Integration der aktuellen, theoretischen Modelle von Identität und Salutogenese in die therapeutische Praxis scheint noch einen weiten Weg vor sich zu haben. Identität bildet sich in einem permanenten Prozess, Gesundheit ist ein Weg, der entsteht, indem man ihn lebt – dies gilt ebenso für den Transfer von theoretischen Entwürfen in die Praxis und dessen Evaluation. Entwicklungsprozesse entstehen, wenn Modellkonzepte in die Praxis umgesetzt, empirisch erfasst und überprüft werden und rückwirkend die Modelle beeinflussen. In dieser Arbeit wird der Versuch unternommen auf theoretischer Ebene über die Erfahrungswelten von Kreativität, ästhetischer Gestaltung und Narration eine Verbindung zwischen Salutogenese, Identität und Therapie herzustellen. Damit werden Perspektiven für die therapeutische Arbeit erweitert und als innovative Variante der Weg zu einer Narrativen Kunsttherapie ersichtlich. Nach Angus und McLeod erfassen narrative Prozesse das Leben als eine Reise, in der Handlungen und Ereignisse vorkommen bevor, nach und während zur selben Zeit andere Aktionen und Ereignisse passieren (vgl. Angus/McLeod 2004, S. 368). Die bildnerische Form hält dementsprechend das Leben in einer Dokumentation fest, die im jeweiligen Bild das Ich, bzw. die ‚möglichen Selbste‘ des Gestalters ausdrückt. Bilder wie Erzählungen spiegeln dabei sowohl das Gewesene, das Gegenwärtige wie das Zukünftige wider. In beiden Formen wird das biografische Element des Erzählers, bzw. Kreators über die veräußerten Selbstbilder zur Kernaussage. Das gestalterische Potential der Veränderung, das in diesen Prozessen liegt, äußert sich durch Kreativität und Narration und erfährt über den Musilschen Möglichkeitssinn anregende Impulse. Im Kontext spätmoderner Lebenswelten ermöglicht dieses Gestaltungspotential hilfreiche Optionen für die erforderliche Kohärenzleistung der Subjekte. Der Weg salutogeneseorientierter Identitätsarbeit kann als Unterwegssein auf einer lebenslangen Reise verstanden werden. Die Reiseroute orientiert sich an der grundsätzlichen Frage, wie in der Praxis von kunsttherapeutischen und narrativ therapeutischen Prozessen die Re-/Konstruktion des Selbst hergestellt werden kann. Voraus16

EINLEITUNG: FORSCHERBRILLE

setzung dafür ist die Untersuchung des Kohärenzgefühls, das in den Modellen zur Identität und Salutogenese gleichermaßen das Kernelement darstellt. Die auf der Expedition untersuchte Annahme ist, dass über BildGeschichten, bzw. über Bilder und Geschichten retrospektiv und prospektiv Identität und Salutogenese gefördert werden können. Das theoretische Fundament soll eine neue Perspektive in der Praxis der Psychotherapie eröffnen, die es ermöglicht, mit kreativer gestalterischer und narrativer Methodik gezielt Identitätsarbeit und Salutogenese umzusetzen. Die Integration narrativtherapeutischer Elemente in der Kunsttherapie, die sich an diesen aktuellen Modellen orientiert, ist Grundlage für die innovative Konzeption einer Narrativen Kunsttherapie. Vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Veränderungsprozesse in spätmodernen Lebenswelten ergeben sich Umbruchserfahrungen, die für die Subjekt Risiken und Chancen bedeuten. Komplexität und Pluralität ermöglichen einerseits erweiterte Spielräume für neue Entwicklungen und erfordern andererseits bestimmte Kompetenzen und individuelle Bewältigungsstrategien. Die damit verbundene Herausforderung kann ebenso zur Überforderung werden. Der theoretische Diskurs der Postmoderne führt zur Auseinandersetzung mit spezifischen Persönlichkeitsstrukturen, die in der Dichotomie von Psychopathologie und Normalität diskutiert werden. Das Modell der Salutogenese von Antonovsky regt zu einer kontroversen Diskussion von Gesundheits- und Krankheitsparadigmen an. Der Faktor des Kohärenzgefühls, der für Gesundheit und Identität gleichermaßen von Bedeutung ist, führt zur Frage möglicher therapeutischer Förderung. Eine pathogenetische bzw. salutogenetische Orientierung, sowie die Berücksichtigung aktueller Lebenskontexte und Selbstkonzepte können therapeutische Konzeptionen und Methodik entscheidend beeinflussen. Jeder Forscher und jede Forscherin besitzt bei der Forschungsarbeit eine ‚Brille‘, die seinen Blick auf die Thematik subjektiv prägt. Dazu gehören Motivation, Ausgangsfragen, Rahmenbedingungen und Herangehensweisen, die, werden sie transparent, zur Objektivität beitragen. Meine ‚Brille‘ setzt sich aus Forschungsmotiv, -motivation und -weg zusammen, die von verschiedenen beruflichen Kontexten geprägt sind. In einer ersten sozialpsychologischen Forschungsarbeit beschäftigte ich mich mit dem Zusammenhang von Reisen und Identität und untersuchte das Phänomen des ‚Bildermachens auf Reisen‘. Identitäts-Bildung ist inzwischen zu einem Grund-Motiv geworden, das ich thematisch verfolge und mir kontinuierlich begegnet. Als praktizierende Kunsterzieherin und Künstlerin interessierte mich damals von Seiten der Psychologie, 17

NARRATIVE KUNSTTHERAPIE

warum Menschen Bilder machen. ‚Reisebilder‘ können auch im therapeutischen Kontext zum Thema werden, wenn Reisen als Metapher für den Lebensweg verstanden wird. Möglichkeiten ergeben sich z.B. über eine retrospektive Darstellung „mein Weg hierher“ oder prospektiv als „mein Weg hin zu…“. Im Verlauf meiner Ausbildung im Forum für analytische Kunsttherapie in München (A.K.T.) arbeitete ich als klinische Kunsttherapeutin in einer Tagesstätte für psychisch kranke Frauen, in der sowohl Psychiatrieerfahrene als auch junge Mädchen mit Ersterfahrung betreut wurden. Immer wieder war z.B. die Integration des Krankheitsbildes in das eigene Lebens- und Selbstkonzept ein zentrales Thema. In diesem Kontext konnte ich wesentliche Erfahrungen zum Thema Identitäts-Bildung über kreative Prozesse bei Menschen mit Spaltungsmechanismen und anderen psychischen Störungen sammeln. In dem als niederschwellig ausgeschriebenen Therapieauftrag der Tagesstätte wurden über ein kunsttherapeutisches und sozialpädagogisches Angebot in Einzel- und Gruppenarbeit Ich-Stabilisierung, Selbst-Aktivierung und Strukturierung, sowie die Reflexions-, Kommunikations- und Handlungsfähigkeit der Klientinnen gefördert. Das Thema Identität war jedoch in der therapeutischen Arbeit derzeit kein explizit benanntes Ziel. Diese spezielle Funktion begann ich erst später reflexiv zuzuordnen, tatsächlich ausgelöst durch die Frage eines Kursteilnehmers aus der Krankenpflege: „Haben denn Schizophrene dann überhaupt eine Identität, wissen sie wer sie sind?“ Eine gute Frage, die zu einer kritischen Auseinandersetzung mit dem aktuellen Identitätsdiskurs führt. Da die Debatte über das Thema Identität vor allem im soziologischen und sozialpsychologischen Bereich der Humanwissenschaften stattfindet, mag die Idee ungewöhnlich erscheinen, diesen Aspekt in den klinischen, bzw. therapeutischen Bereich zu übertragen. Dabei wird nicht die Identität der Kunsttherapeuten beleuchtet, sondern die Identitätsbildung des Klienten während des kunsttherapeutischen bzw. narrativen Prozesses. Zum Aspekt der Narration für die Identitätskonstruktion führte mich schließlich die theoretische Auseinandersetzung mit Identitätsmodellen und dem Diskurs über ‚mögliche Selbste‘. Sehr konkret erlebte ich in meiner kunsttherapeutischen Arbeit die dichotomisierende Konzeption von ‚gesund‘ und ‚krank‘, vor allem über das subjektive Erleben und Selbstverständnis der Frauen und ihren Erfahrungen im sozialen Kontext. Zudem wurde die Polarisierung im therapeutischen Umgang mit den Diagnosen, die die Frauen in die Tagesstätte mitbrachten, zum Thema. Es kamen dabei sowohl die offiziellen psychiatrischen Gutachten zum Tragen, wie auch die persönliche biografische Darstellung der Frauen selbst. Auch im Team ergaben sich individuelle Unterschiede im Rollenverständnis und in der Positionierung zu 18

EINLEITUNG: FORSCHERBRILLE

einem krankheits-, bzw. gesundheitsorientierten Blick auf die Frauen. Die Spannbreite der gesellschaftlichen Reaktionen wurde konkret spürbar während selbstorganisierter Ausstellungen von Werken der Frauen oder bei öffentlichen Ausstellungsbesuchen, die ich regelmäßig mit ihnen unternahm. Eine theoretische Vernetzung dieser Erfahrungen findet sich vorwiegend im Kapitel 4 Verrückte Welten. Da ich leider keinen Zugang mehr zum Bildmaterial aus dieser Zeit habe, habe ich mich in dieser Forschung für eine theoretische Untersuchung entschieden. Mit dem Thema Salutogenese beschäftigte ich mich erstmals in meiner Abschlussarbeit der Kunsttherapie-Ausbildung und analysierte kunsttherapeutische Methoden nach ihrer salutogenen Funktion. Meine derzeitige kunsttherapeutische Tätigkeit bezieht sich auf Selbsterfahrungsseminare und pädagogische Kunsttherapie als Dozentin und Trainerin im Gesundheitswesen. In diesem Feld vermittle ich in verschiedenen Einrichtungen die Thematik Salutogenese, die in den neuen Lehrplänen der Ausbildung in der Kranken- und Altenpflege verankert ist, und erarbeite mit den Teilnehmern einen Transfer in ihre Pflegepraxis. Zunehmend sind auch soziale Institutionen und Kliniken am Thema Salutogenese als interne Fortbildung interessiert. Auch Biografiearbeit und Gesundheitsberatung sind Themenbereiche, die Identitätsarbeit und Salutogenese-Förderung beinhalten, und zudem eng mit der Praxis der Narration verknüpft sind. Insofern beschäftige ich mich mit Narration im gesundheitspsychologischen Bereich, ohne selbst konkret narrative Therapie zu praktizieren. Kreativität ist ein aktiver Teil meines Berufslebens durch meine eigene künstlerische Arbeit, sowie die Leitung von Kunst- und Kunsttherapie-Gruppen in einem Gemeinschaftsatelier. Zudem führe ich Mitarbeiterschulungen mit kreativitätszentrierten Methoden in klinischen Einrichtungen durch und Kreativitätstrainings in Form von Workshops für Fachhochschul-Studiengänge, die unter dem Lernziel Handlungskompetenz stehen. In Seminaren gibt es immer wieder interessante Situationen, die die theoretische Basis mit konkreten Praxisfeldern in Kontakt und oft auch in konflikthafte Reibung bringen. Mein beruflicher Hintergrund unterbrach zwar häufig meine Forschungsarbeit, lieferte mir aber stets auch inspirierende Erfahrungen. Im Sinne von Unterbrechungen als Krise und Chance für Identitätsprozesse und einem Kohärenzgefühl, das nicht von permanenter einheitlicher Kontinuität abhängig ist, entstand die vorliegende Forschungsarbeit. Als ersten Überblick eine kurze Skizze zur Reiseroute:

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NARRATIVE KUNSTTHERAPIE

Zu Beginn werden Expeditionen in die Wildnis des Identitätsdiskurses (Kapitel 3) und in die Verrückten Welten der Psychopathologie und Normalität (Kapitel 4) unternommen, um Standorte und Diskurse zu klären. Dann erfolgt der Aufbruch zum neu entdeckten Archipel der Salutogenese und Identität (Kapitel 5). Hier steht das beide Modelle verbindende Kohärenzgefühls im Mittelpunkt, zu dem gesundheitsrelevante und therapeutische Ansatzmöglichkeiten untersucht werden. Auf Basis dieser theoretischen Landkarte wird der Blick auf die neuen kulturellen Erfahrungen (Kapitel 6) gerichtet, die auf der gemeinsamen Basis von Spiel und Dialog Spielräume und Möglichkeitssinn für das Kohärenzgefühl eröffnen. Kreativität und Narration werden als konkrete Anwendungsfelder der Therapie vorgestellt, verglichen und in Bezug auf die Förderung des Kohärenzgefühls überprüft. Das Resultat der Expedition (Kapitel 7) ermöglicht schließlich den Entwurf einer Narrativen Kunsttherapie. Als Abspann ist am Ende eine exotische Bild-Geschichte (Kapitel 8) angefügt, die mir in der letzten Etappe der weiten Reise auf der anderen Hälfte der Weltkugel begegnete. In der vorliegenden theoretischen Auseinandersetzung, die zwischenzeitlich durchaus mit krisenhaften Situationen verbunden war, in denen ich fürchtete, nie ans Ziel zu kommen und mich im Dschungel der multiplen Theorien zu verlieren, half mir Antonovskys Leitbild zur Salutogenese, mich als guter Schwimmer im Fluss des Lebens zu bewegen. Die salutogene Wirkung eines unterstützenden Netzwerkes als Expeditionsteam im Hintergrund war eine sehr positive Begleiterfahrung. Oft gaben auch Gespräche mit anderen Reisenden und Menschen, die mir unterwegs begegneten, hilfreiche Anregungen, um weiter auf meinem Weg zu bleiben oder eine andere Richtung einzuschlagen. Ihnen sei an dieser Stelle herzlich gedankt! Freunden und Kollegen für ihre Toleranz und Unterstützung während meiner expeditionsbedingten Abwesenheit, Hannelore Schwaiger für die inspirative Begleitung und Umsorgung während meiner Klausuren auf dem Bauernhof, Andrea Dohrn für ihre gesundheitliche Betreuung während der Endphase, Elke Schneider für ihre Unterstützung bei Übersetzungen und Korrekturen über ‚den großen Teich‘ hinweg, Claudia Schneider-Michl und Joachim Hohl für ihre gründliche Textüberprüfung, Bernd Schneider und Wolfram Tiletzek für ihre professionelle computertechnische Unterstützung, Margit Knerich und Peter Siegmund für ihre spontanen Hilfseinsätze. Insbesondere bedanke ich mich für die kontinuierliche und geduldige, stets konstruktive und hilfreiche Begleitung bei meinem Doktorvater Heiner Keupp.

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2 F O R S C H U N G S P L AN : E X P E D I T I O N S Z I E L

Der Plan zum Forschungsvorhaben gibt einen Überblick über Ziel und Inhalt der Expedition und stellt einen ersten Theorieentwurf vor, der die gedanklichen Leitmotive beinhaltet. Die Forschungsmethode der theoretischen Untersuchung besteht aus einer breitgefächerten Literaturrecherche und –analyse, die unterschiedliche wissenschaftliche Disziplinen einbezieht. Die Thematik erfordert einen interdisziplinären Vergleich und Transfer verschiedener sozialund gesundheitswissenschaftlicher Theorien, Diskurse sowie therapeutischer Ansätze. Der theoretische Inhalt wird auf die Fragestellung und den Theorieentwurf bezogen und kritisch reflektiert. Die jeweiligen Ergebnisse erfahren kapitelübergreifend eine Vernetzung und dienen als Basis für weiterführende Überlegungen und den Entwurf innovativer Konzeptionen. Die Annäherung an das Reiseziel erfolgt zunächst durch eine Themensammlung, die verschiedene für die Forschung relevante Aspekte und Faktoren einbezieht. Folgende wissenschaftlichen Perspektiven sind Grundlage für den theoretischen Entwurf zu NARRATIVE KUNSTTHERAPIE – IDENTITÄTSARBEIT DURCH BILD-GESCHICHTEN. EIN NEUER WEG IN DER PSYCHO-THERAPIE: • Identitätstheorien der Moderne und der aktuelle Identitäts-Diskurs der Spät-/ Postmoderne, die tiefenpsychologische und sozialpsychologische, sowie konstruktivistische und philosophische Argumentationen aufzeigen; • Konzepte zu ‚Ich‘, das ‚Selbst‘ und Persönlichkeitsstörungen aus tiefenpsychologischer und sozialpsychologischer Sicht;

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NARRATIVE KUNSTTHERAPIE

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Das Kohärenzgefühl in sozialwissenschaftlichen Theorien zur Identität und Salutogenese; Identität und Salutogenese in Bezug zu Gesundheit und Krankheit aus sozialpsychologischer, medizinsoziologischer und therapeutischer Sicht; Identität und Salutogenese in Bezug zu Kreativität und Narration aus verschiedenen therapeutischen und psychologischen Perspektiven, konstruktivistisch-systemischer, (kultur-)soziologischer und sozialpsychologischer Sicht; unter Einbeziehung der Faktoren Spiel und Dialog;

Übergeordnetes Ziel ist es, einen Transfer von aktuellen sozial- und gesundheitswissenschaftlichen Modellen zur therapeutischen Praxis herzustellen. Auf dieser Basis kann das in therapeutischen Kreisen in der Regel pathologisch orientierte Krankheits-Gesundheitsverständnis und ‚Patientenbild‘ eine gesundheitsorientierte Ergänzung erfahren. Das theoretische Fundament liefert Grundinformationen zu aktuellen Modellen und Diskursen und soll eine neue Perspektive in der Praxis der Kunsttherapie und Narrativen Therapie eröffnen, die es ermöglicht Identitätsarbeit und Salutogenese in die Praxis umzusetzen. Ziel ist letztlich, einen Weg für ein innovatives, integratives Modell einer Narrativen Kunsttherapie aufzuzeigen, die mit Bild-Geschichten arbeitet. Auch jenseits des therapeutischen Kontextes lassen sich für wissenschaftliche Forschung und Berufspraxis in Bereichen der Pädagogik, Sozialpädagogik und des Gesundheitswesens Anregungen finden. Die Arbeit kann – entsprechend einem Patchworking – auch in einzelnen Kapiteln gelesen und je nach Interesse mit Thematiken der anderen Kontinente vernetzt werden. Zur Orientierung erfolgen deswegen immer wieder Querverweise zu themenrelevanten anderen Kapiteln. Im theoretischen Entwurf zum Forschungsvorhaben gehe ich von folgenden hypothetischen Annahmen aus:



In Prozessen der Kunsttherapie und Narrativen Therapie wird Identität und Salutogenese gefördert. In Bildern und Geschichten erfolgt eine Re-/Konstruktion des Kohärenzgefühls, das Identität und Salutogenese fördert. In der Therapie wird Kreativität auf verbaler und nonverbaler Ebene als konstruktiver Faktor wirksam. Er zeigt sich in der individuellen Motivation, Gestaltungs- und Ausdrucksmöglichkeit des Klienten und wird über das jeweilige Medium in der Therapie angeregt. Kunsttherapie arbeitet mit ästhetisch gestalterischen Methoden, Narrative Therapie mit Erzählung. Der Klient wird im therapeutischen Prozess zum ‚Kreator‘ und ‚Autor‘ seiner Le22

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bensgeschichte. Über Spiel und Dialog (Schiffer 2001), die den Möglichkeitssinn (Musil 2007) aktivieren und intermediäre Spielräume (Winnicott 1997) eröffnen, erfolgt im Sinne eines Empowerment-Prozesses (Stark 1996) eine Ressourcenförderung. Über Kreativität, ästhetische Gestaltung und Narration kommt das Selbst in möglichen Varianten zum Ausdruck und stabilisiert das Kohärenzgefühl. In jedem Bild und jeder Geschichte positioniert sich das Ich in seinem Verhältnis zur Lebenswelt und zum aktuellen Thema. Im therapeutischen Prozess als explorativer Spielraum können sich dann retrospektiv und prospektiv mögliche ‚andere Selbste‘ entfalten, und somit über das Kohärenzgefühl Identität und Salutogenese unterstützen.



Identität und Salutogenese sind für Menschen mit psychopathologischen Spaltungsmechanismen ein relevantes therapeutisches Thema. Auf den ersten Blick wird bei Patienten mit Persönlichkeitsstörungen dieser Art ein chronisch gestörtes Kohärenzgefühl angenommen. Interessanterweise zeigen die klinischen Krankheitsbilder Parallelen zu den in den Sozialwissenschaften formulierten spätmodernen Identitätsstrukturen auf. Somit wird die Dichotomie von Krankheit oder Gesundheit, die Unterscheidung von ‚Gesunden‘ und ‚Kranken‘ in unserer heutigen Gesellschaft fragwürdig. Es stellt sich die provokante Frage, ob die spätmodernen gesellschaftlichen Veränderungen nicht ein ‚dissoziiertes Selbst‘ oder ‚multiple Selbste‘ für die Bewältigung der Herausforderungen, die damit verbunden sind, erforderlich machen. Identität und Salutogenese werden aufgrund gesellschaftlicher Umwandlungsprozesse zu konkreten alltagsrelevanten Themen der Lebensbewältigung. Sie existieren also nicht nur in post-/spätmodernen philosophischen, soziologischen und psychologischen Theorien. Damit betreffen die Aufgaben von Identitätsarbeit und Salutogenese ohne Unterscheidung ‚Gesunde‘ und ‚Kranke‘, im Besonderen die stigmatisierte Gruppe der psychisch Kranken. Psychische Persönlichkeitsstörungen, die mit Spaltungsphänomenen verbunden sind, bedeuten durch die ‚Fremdheit der Selbste‘ auch eine Herausforderung für Therapeuten. Konstruktive Ansätze ergeben sich über die Förderung des Kohärenzgefühls im Sinne der aktuellen Konzepte und die Berücksichtigung des kreativen Potentials ‚multipler‘ und ‚möglicher Selbste‘. Der folgende Überblick gibt kurze Erläuterungen zum Aufbau der vorliegenden Arbeit: TEIL I beinhaltet die EINFÜHRUNG zum Forschungsvorhaben: KAPITEL 1 beleuchtet als Einleitung Forschungshintergrund und die persönliche Forscherbrille. 23

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KAPITEL 2 beschreibt das Expeditionsziel und gibt eine erste Orientierung über Forschungsplan und Theorieentwurf. TEIL II stellt THEORETISCHE MODELLE UND DISKURSE zu Identität, Psychopathologie und Salutogenese vor: KAPITEL 3 bewegt sich in der Wildnis des Identitätsdiskurses und versucht zunächst einen Pfad durch den Dschungel der Begrifflichkeiten ‚Identität‘, ‚Selbst‘, ‚Ich‘ und ‚Persönlichkeit‘ zu schlagen. Es wird der Frage der Entstehung von Identität nachgegangen und ein erster Transfer zur Re-/Konstruktion des Selbst in der Therapie hergestellt (Kapitel 3.1). Der zweite Teil beschäftigt sich mit den diversen Perspektiven, die moderne und post-/spätmoderner Modelle zur Identität präsentieren. Während der klassische Diskurs über Identität um die Polaritäten Stabilität und Diffusion kreist, stellt der aktuelle Diskurs Identität als alltägliche Passungsarbeit dar, die mit Widersprüchen und Ambiguität verknüpft ist. Es entsteht ein ‚Spektrum spätmoderner Selbste‘, die auf die Anforderungen des sich verändernden gesellschaftlichen Lebenskontextes reagieren. In der abschließenden Diskussion werden die Aspekte Kohärenz und Diffusion im Identitätsdiskurs gegenübergestellt (Kapitel 3.2). KAPITEL 4 befasst sich mit Verrückten Welten, die sich im Spannungsfeld von Psychopathologie und Normalität befinden. Es werden pathologische Krankheitsbilder aufgezeigt, die als Persönlichkeitsstörungen von Spaltungsmechanismen charakterisiert sind (Kapitel 4.1), und in Vergleich zu spätmodernen Identitäts-Konstrukten gesetzt. Nach einem Blick auf das xenophobisch1 besetzte Verhältnis von Gesellschaft und Psychose (Kapitel 4.2), befasst sich die abschließende Diskussion kritisch mit der ‚exotischen‘ Idee, ob spätmoderne und dissoziierte Selbste eine gesunde Störung darstellen könnten (Kapitel 4.3). KAPITEL 5 untersucht den neu entdeckten Archipel, in dem Salutogenese und Identität neue Perspektiven für Gesundheit ermöglichen. Zunächst wird ein ‚Faltplan‘ zum Modell der Salutogenese nach Antonovsky entworfen, der die wesentlichen Bausteine, sowie Gesundheits- und Krankheitsparadigmen vorstellt. Eine kritische Diskussion der ursprünglichen Konzeption ergibt Ansatzpunkte für eine Weiterentwicklung des Modells (Kapitel 5.1). In diesem Sinne versucht der zweite Teil über das Kohärenzgefühl eine Verbindung zwischen Identität, Salutogenese und Gesundheit herzustellen. Dies führt zu weiteren Konzeptionen, die die Wirkung von 1

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Xenophobie bedeutet: die Angst vor Fremdem; Xenos (griech.): der Fremde; Phobie: die Furcht, auch krankhafte Angst (Müller et al. 1982, S. 803).

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Stressoren auf Selbstkonzepte, Identitätsarbeit als Belastungs-Bewältigungshandeln und stressorenunabhängiges Gesundheitsbewusstsein und –handeln reflektieren. (Kapitel 5.2). Im dritten Teil erfolgt der Transfer zu einem erweiterten Modell der Salutogenese, das eine erste Annäherung an den Bereich der Therapie ermöglicht. An dieser Stelle wird die prinzipielle Frage nach der therapeutischen Beeinflussung des Kohärenzgefühls aufgegriffen und Möglichkeiten von Ressourcenförderung, Empowerment und Selbstgestaltungspotentialen aufgezeigt (Kapitel 5.3). TEIL III stellt für Narrative Kunsttherapie relevante KREATIVE WEGE IN DER PSYCHOTHERAPIE vor: Im KAPITEL 6 begegnen wir auf der Expedition im Archipel neuen kulturellen Erfahrungen, die für die therapeutische Förderung des Kohärenzgefühls konkrete Optionen über Spiel und Dialog, Kreativität und Narration vorstellen. Im ersten Teil werden Spielräume und die Rolle des Möglichkeitssinns für das Kohärenzgefühl beleuchtet, das im Kontext der aktuellen gesellschaftlichen Veränderungen hohen Anforderungen ausgesetzt ist. Der Möglichkeitssinn in Spiel und Dialog kann eine optionsreiche Strategie im Umgang mit Chancen und Risiken der Lebenswelten bedeuten. Kulturhistorische und tiefenpsychologische Aspekte zu Spiel und Dialog ergeben weitere konstruktive Ansatzpunkte für die Identitätsarbeit (Kapitel 6.1). Im zweiten und dritten Teil werden Kreativität und Kunsttherapie (Kapitel 6.2) sowie Narration und Narrative Therapie (Kapitel 6.3) in ihren theoretischen Konzeptionen, Charakteristika, Prozessverläufen und exemplarisch ausgewählten Ansätzen und Methoden vorgestellt. Abschließend erfolgt jeweils ein Fazit zur therapeutischen Beeinflussung des Kohärenzgefühls und der Funktion für das ‚kreative‘ und ‚narrative Selbst‘. Der therapeutische Umgang mit ‚fremden und ver-rückten Selbsten‘ wird in der Kunsttherapie als spezifisches Thema reflektiert. Der vierte Teil beinhaltet den Vergleich der therapeutischen Varianten unter besonderer Berücksichtigung der Re-/Konstruktion des Selbst in Bild-Geschichten. Darüber ergibt sich ein Blick auf relevante Unterschiede und/oder Gemeinsamkeiten zwischen Kunst- und Narrativer Therapie, die sich an Ansätzen, Methodenspektrum und Klientel festmachen. Die Spielräume für beide Therapievarianten werden in ihren Möglichkeiten und Grenzen ausgeleuchtet. Abschließend lassen sich einzelne exemplarische Varianten kunsttherapeutischer Bild-Geschichten aufzeigen (Kapitel 6.4).

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Im KAPITEL 7 werden die Resultate der Expedition reflektiert. Mit dem Ziel das Kohärenzgefühl in Bild-Geschichten zu erforschen, eröffnet sich ein neuer Weg in der Psychotherapie: das Modell einer Narrativen Kunsttherapie. In der Zusammenfassung der Ergebnisse zum Kohärenzgefühl in Bild-Geschichten erfolgt ein Resümee zu den einzelnen Kapiteln, das die Relevanz für die therapeutische Perspektive herausstellt. In Bezug auf die eingangs formulierten hypothetischen Annahmen wird zu den Fragen Stellung genommen: Ist eine Konstruktion und Rekonstruktion des Selbst in Kunst- bzw. narrativer Therapie möglich? Welche prinzipiellen Wirkfaktoren lassen sich für das Kohärenzgefühl im therapeutischen Prozess festhalten (Kapitel 7.1)? Darauf aufbauend lassen sich Perspektiven einer Narrativen Kunsttherapie entwerfen: Welche Merkmale können für eine innovative narrative Kunsttherapie bestimmend sein? Welche weiterführenden Forschungen sind notwendig (Kapitel 7.2)? In KAPITEL 8 wird als Abspann eine exotische Bildgeschichte in drei Episoden farbig und narrativ präsentiert, die mir während meiner Expeditionsphase auf der anderen Welthälfte begegnete. Sie stellt eine persönliche Bild-Geschichte eines Fremden dar, die zwar nicht in einem therapeutischen Kontext entstanden ist, doch kreative und narrative Selbstgestaltungspotentiale und deren konstruktive Auswirkungen auf Identität und Gesundheit aufzeigt. In TEIL IV befindet sich der ANHANG mit dem Expeditionsmaterial und ergänzenden Informationen: KAPITEL 9 beinhaltet das Reisegepäck der Expedition: den Literaturnachweis. KAPITEL 10 zeigt im Abbildungs- und Tabellenverzeichnis eine Übersicht der verwendeten Landkarten. In KAPITEL 11 lässt sich die detaillierte Reiseroute in einem zweiten Inhaltsverzeichnis mit differenzierter Untergliederung verfolgen. Die folgende Abbildung skizziert den Aufbau der Untersuchung und den geplanten Forschungsweg: Vom Kohärenzgefühl zur Narrativen Kunsttherapie. Zur Orientierung wird diese Graphik als Landkarte das jeweilige Kapitel mit dem bisherigen und dem neuen markierten Expeditionsverlauf einführen.

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NARRATIVE KUNSTTHERAPIE Identitätsarbeit durch BILD-GESCHICHTEN

Kohärenzgefühl Kap 3 Identität Definitionen – Diskurs – Modelle der Moderne und Postmoderne Stabile + diffuse Selbste Mögliche Selbste

Kap 5 Salutogenese Modell – Gesundheit + Identität – Therapeutische Ansätze

Kap 4 Psychopathologie und Normalität Persönlichkeitsstörungen – Gesellschaft und Psychose

Salutogenes Selbst

Dissoziiertes Selbst + Multiple Selbste

Kap 6.2. Kunsttherapie Kreativität – Prozess Methoden Transfer

Kreatives Selbst

Kap 6

Kap 6.1 Möglichkeitssinn Spiel + Dialog – Therapie Transfer

Kap 6.3 Narrative Therapie Narration – Prozess Methoden Transfer

Narratives Selbst

Spielerisches Selbst - Mögliche Selbste

Kap 7 Fazit: Narrative Kunsttherapie – Identitätsarbeit durch Bild-Geschichten

Abb. 1: Vom Kohärenzgefühl zur Narrativen Kunsttherapie

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T EIL II: T HEORETISCHE M ODELLE UND D ISKURSE

3 I D E N T I T ÄT S D I S K U R S : I N D E R W I L D N I S

Ich weiß nicht, wo ich bin, oder wie ich bin, oder worin dieses Gefühl, ich zu sein besteht… manchmal fühle ich es ganz sicher, dann wieder verfolgen mich Zweifel“ Felisberto Hernàndez (in „Rätsel des Ich“, 2005)

Identität als Begriff, als Thema, als Phänomen besitzt heute eine Aktualität, die sich aus gesellschaftlichen Entwicklungen erklärt und offenbar kein selbstverständlicher Bestandteil der individuellen Persönlichkeit mehr ist. Die Beschäftigung mit dem aktuellen Diskurs zur Identität führt in eine Wildnis, in der man Gefahr läuft, sich in einem verwirrenden System möglicher moderner und post- bzw. spätmoderner Modelle zu verlieren. Der sich präsentierende Begriffs-Dschungel erfährt im ersten Teil (Kapitel 3.1) über Definitionen und die Bestimmung von Kriterien eine Differenzierung. Zudem werden relevante Aspekte zur Entwicklung von Identität geklärt. Im Hinblick auf das Forschungsziel der Expedition versuche ich schließlich in einem ersten Entwurf einen Transfer zum therapeutischen Kontext herzustellen. Im zweiten Teil (Kapitel 3.2) werden verschiedene Perspektiven verfolgt, die in Identitäts-Modellen der Moderne der Spät- bzw. Postmoderne zu finden sind. Die abschließende Diskussion thematisiert das Spannungsfeld der Identitätskonzepte zwischen Kohärenz und Diffusion. Die verwirrende und uneinheitliche Begriffsverwendung von ‚Post‘bzw. ‚Spätmoderne‘ erfordert eingangs eine Klärung. Im Diskurs der Postmoderne wird sich häufig an Phänomenen der neueren Architektur,

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orientiert, die sich deutlich von Stilen der klassischen Moderne abgrenzt (vgl. Huyssen 1989, S. 14). Wolfgang Welsch verfolgt in seiner Schrift über Ästhetisches Denken „die Geburt der postmodernen Philosophie aus dem Geist der modernen Kunst“ (1990; S. 79-113). Doch selbst in der Kunst- und Kulturszene gilt ‚Postmoderne‘ als uneindeutige und fragwürdige Kategorie. ‚Postavantgardismus‘ z.B. scheint nach Huyssen (1989; S. 17-25) die Bewegungen der 70er, 80er Jahre treffender zu erfassen als ‚Postmoderne‘. Viele Identitätstheoretiker haben die Bezeichnung ‚postmodern‘ übernommen, wobei mir für Subjektentwürfe die Bezeichnung ‚spätmodern‘ zutreffender erscheint. Da sich Subjektstrukturen in längerfristigen Entwicklungs- und Veränderungsprozessen bewegen, die von Übergangsphasen und auch Ambivalenzen gekennzeichnet sind, kann man meines Erachtens noch nicht von einer Phase ‚nach der Moderne‘, sondern eher von einer ‚späteren Moderne‘ sprechen. Im Rahmen dieser Arbeit wird daher die Bezeichnung ‚spätmodern‘ verwendet. Bei konkreten Zitaten oder Hinweisen und Konzepten, die explizit die Bezeichnung ‚postmodern‘ tragen oder sich im Kontext darauf beziehen, wird dieser Begriff übernommen.

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IDENTITÄTSDISKURS: IN DER WILDNIS

NARRATIVE KUNSTTHERAPIE Identitätsarbeit durch BILD-GESCHICHTEN

Kohärenzgefühl Kap 3

Identität

Kap 5 

Definitionen – Diskurs – Modelle der Moderne und Spätmoderne Stabile + diffuse Selbste

Kap 4 



Mögliche Selbste 

Kap 6.2.Kunsttherapie

Kap 6