Nach dem Turnverbot: "Turnvater" Jahn zwischen 1819 und 1852
 9783412214050, 9783412207342

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Hans-Joachim Bartmuß | Josef Ulfkotte

Nach dem Turnverbot »Turnvater« Jahn zwischen 1819 und 1852

2011 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung des Landessportbundes Sachsen-Anhalt e.V., der Wiesbadener Turnerschaft e. V. und ihres Vorsitzenden Robert Reininger sowie der Friedrich-Ludwig-Jahn-Gesellschaft e. V.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Umschlagabbildung: F.L. Jahn als Abgeordneter der Nationalversammlung 1848/49. Quelle: Jahnmuseum Freyburg a.d. Unstrut.

© 2011 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Druck und Bindung: xPrint s.r.o., CZ-Příbram Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in the Czech Republic ISBN 978-3-412-20734-2

Inhalt Vorwort ...................................................................................................................

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Einleitung................................................................................................................

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1. Antisemitismus und Nationalismus im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert ................................................................................................ 1.1 Fragestellung .......................................................................................... 1.2 Antijudaismus und Antisemitismus .................................................. 1.3 Der Antisemitismus-Vorwurf gegen Jahn ........................................ 1.4 Xenophobie im Kontext des deutschen Frühnationalismus.........

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2. Jahns Verhaftung und Verbannung .............................................................. 2.1 Verhaftung .............................................................................................. 2.2 Verbannung nach Kolberg...................................................................

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3. „im Abseits“...................................................................................................... 3.1 „Zähmung des Demagogen“ ............................................................... 3.2 „in existentiellen Nöten“ .....................................................................

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4. „der Vergangenheit verhaftet“ ....................................................................... 4.1. „Elsterspatzen“ und „Lerchenstößer“ – Jahn als Kritiker des „Jungen Deutschland“ ......................................................................... 4.2 Schriftsteller des „Jungen Deutschland“ über Jahn ........................ 4.3 Robert Blum über Jahn: „ein Fremder in unserer Zeit“ ................ 4.4 Karl Leberecht Immermann über Jahn: „der reformatorische Sonderling par excellence“ ...................................................................

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5. „Die Hasenheide will ich nie wieder betreten“.......................................... 5.1 Jahn und die Entwicklung des Turnens bis 1842 ............................ 5.2 Verbindungen zu (ehemaligen) Turnern und Turnfreunden ....... 5.3 Turn- und Deutschlehrer an der Harvard-Universität? ................ 5.4 Freundschaft: Jahn und der Berliner Turnlehrer Wilhelm Lübeck . 5.5 Neuauflage der „Deutschen Turnkunst“ .......................................... 5.6 „Turnvater“ Jahn – gefeiert und geehrt.............................................

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78 84 91 98

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Inhalt

6. „engagiert und respektiert“ – Jahn als Freyburger Bürger nach seiner Begnadigung ......................................................................................... 6.1 Jahn im Spiegel der Freyburger Stadtchronik.................................. 6.2 Engagement für die Gustav-Adolph-Stiftung.................................. 6.3 Sympathie für die „Lichtfreunde“ ..................................................... 7. „Ein Roter werde ich nicht“ – Jahn als Abgeordneter in der Frankfurter Nationalversammlung 1848/49 ............................................. 7.1 Vor der Abreise nach Frankfurt am Main (März 1848) ................ 7.2 Vorparlament und 1. Turntag in Hanau ........................................... 7.3 Wahl zum Abgeordneten – erste Auftritte im Parlament ............. 7.4 2. Turntag in Hanau – Spaltung der Turnvereinsbewegung ......... 7.5 Vom Befürworter zum Gegner der Revolution .............................. 7.6 Trauerfeiern für Robert Blum ............................................................ 7.7 Parteigänger der „Erbkaiserlichen“.................................................... 7.8 „lautloser Abschied“ aus Frankfurt.................................................... 7.9 Gotha ...................................................................................................... 7.10 Zur Bedeutung von Jahns Abgeordnetentätigkeit in der Paulskirche ......................................................................................

141 142 144 147 151 152 154 164 170 174 187 197 200 203 212

8. Lebensabend in Freyburg............................................................................... 8.1 Überwachung der Vereine in der Saale-Unstrut-Region ............... 8.2 Jahns Verhältnis zum Freyburger Turnerverein und zu den „Lichtfreunden“ nach 1849 ................................................................ 8.3 Resignation seit Frankfurt und Gotha..............................................

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9. Epilog.................................................................................................................

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Verzeichnis der Abkürzungen .............................................................................

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Quellen- und Literaturverzeichnis.....................................................................

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Personenregister.....................................................................................................

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Vorwort Ursprünglich wollte die Friedrich-Ludwig-Jahn-Gesellschaft anlässlich des 80. Geburtstages ihres Ehrenpräsidenten Prof. Dr. Hans-Joachim Bartmuß ein Buch mit einer Auswahl der von ihm publizierten Beiträge zum Leben und Wirken Friedrich Ludwig Jahns und seiner Nachwirkung herausgeben. Dazu kam es nicht, weil der Jubilar den Wunsch äußerte, stattdessen gemeinsam mit Dr. Josef Ulfkotte ein neues Projekt zur Jahnbiographie zu realisieren. So legen die Autoren im Anschluss an die im Jahre 2008 im Böhlau Verlag erschienene Dokumentation „,Turnvater‘ Jahn und sein patriotisches Umfeld. Briefe und Dokumente 1806–1812“ hiermit diese Arbeit vor, die schlaglichtartig die zweite Lebenshälfte Jahns nach dem Turnverbot und seiner Verhaftung im Jahre 1819 bis zu seinem Tod im Oktober 1852 beleuchtet. Jahn ist ein umstrittener Deutscher. Die Geschichte der Jahn-Rezeption zeigt dies nur allzu deutlich. Initiativen, die heute die Umbenennung einer JahnSchule oder einer Jahn-Straße anstreben, begründen ihr Anliegen durchweg mit Vorwürfen gegen Jahn, den sie pauschal als Antisemiten, Chauvinisten oder Rassisten bezeichnen. Um eine differenziertere Auseinandersetzung mit diesen Vorwürfen zu ermöglichen, haben Bartmuß/Ulfkotte ihrer Analyse das Kapitel „Antisemitismus und Nationalismus im 18. und 19. Jahrhundert“ vorangestellt. Ich hoffe, dass die vorliegende Publikation dazu beiträgt, die vermeintlich „ungeschichtlichen“ Jahre Jahns zu erhellen, den nach dem Tode Jahns sich allmählich herausbildenden Jahnkult von seinen gesellschaftlichen Ursachen und den politischen Entwicklungen nach 1848/49 her zu erklären und damit den Aufstieg Jahns zu einem bürgerlichen deutschen Nationalhelden genauer in den Blick zu nehmen. Dem Böhlau Verlag danke ich dafür, dass er diese Publikation ermöglicht und in sein Verlagsprogramm aufgenommen hat. Hansgeorg Kling Präsident der Friedrich-Ludwig-Jahn-Gesellschaft

Einleitung In seinen zehn Berliner Jahren von 1809 bis 1819, der wirkungsmächtigsten Zeitspanne seines Lebens, hatte Jahn im Blickpunkt des öffentlichen Lebens gestanden. Seine Verhaftung im Juli 1819 setzte seiner politisch-pädagogischen „Turnarbeit“ ein jähes Ende. Zwar wurde Jahn im Mai 1820 aus der Haft entlassen, doch musste er sich bis zum Abschluss der Untersuchungen in der Festung Kolberg/Pommern aufhalten. Während seiner Inhaftierung starben zwei seiner Kinder und 1823 seine Ehefrau Helene. Nach jahrelangem Freiheitsentzug wurde Jahn schließlich wegen „frecher Äußerungen gegen Staat und Verfassung“ zu einer zweijährigen Festungsstrafe verurteilt. Gegen dieses Urteil legte er umgehend Berufung ein und erarbeitete mit dem Kolberger Stadtsyndikus Haenisch eine Verteidigungsschrift, die 1825 seinen endgültigen Freispruch durch das Oberlandesgericht Frankfurt a/O. bewirkte. Dennoch war es ihm bei Androhung der Streichung seiner Ehrenpension in Höhe von immerhin 1.000 Talern pro Jahr (neben der er keinerlei Einkünfte hatte) verboten, seinen Wohnsitz in Berlin und seiner näheren Umgebung oder in einer Stadt mit einer Universität oder auch nur einem Gymnasium zu nehmen. Im Juni 1825 ließ er sich mit seiner zweiten Ehefrau Emilie, geb. Hentsch, einer Freundin seiner ersten Ehefrau, in Freyburg a. d. Unstrut nieder. Nach Berlin wollte er nicht mehr zurückkehren. Die bis dahin in der preußischen Metropole lebende Mutter nahm er zu sich, ebenso eine Tante und die Schwiegermutter. Später kamen noch ein Dienstmädchen und zeitweilig ein Hauslehrer hinzu. Hier verbrachte Jahn, abgesehen von einem fast achtjährigen Zwangsaufenthalt in Kölleda (1828–1836), den er einer Denunziation verdankte, den Rest seines Lebens. Auf die Aufhebung der über ihn verhängten Polizeiaufsicht musste Jahn bis zur Thronbesteigung Friedrich Wilhelms IV. (1840) warten. Wenige Jahre vor seinem Tod trat Jahn als Siebzigjähriger noch einmal in das Rampenlicht der Öffentlichkeit, als er 1848 zum Abgeordneten des 16. Wahlbezirks der preußischen Provinz Sachsen in die Frankfurter Nationalversammlung gewählt wurde. Als einer der Ältesten gehörte er der Nationalversammlung bis zur Auflösung im Frühjahr 1849 an. Nach dem Scheitern der Nationalversammlung zog er sich enttäuscht nach Freyburg zurück, wo er nach achtwöchiger Krankheit am 15. Oktober 1852 starb. Er hinterließ seine zweite Ehefrau Emilie mit der gemeinsamen Tochter Emma Sieglinde, die mit etwa 22 Jahren 1847 Friedrich Wilhelm Quehl (1824–1893), Lehrer und Kantor in Freyburg, geheiratet hatte. Mit Arnold Siegfried, seinem ältesten Sohn aus erster Ehe, hatte sich Jahn am Ende vollständig überworfen, so dass dieser kurz vor seinem Tod in die USA emigrierte, wo er 1891 verstarb.

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Einleitung

Bis heute hat sich die Geschichtsschreibung vornehmlich auf die Berliner Jahre Jahns konzentriert. Seine vermeintlich „ungeschichtliche“ zweite Lebenshälfte, die er hauptsächlich in der beschaulichen und zugleich abgeschiedenen Umgebung von Freyburg verbrachte, hat die Forschung nicht sonderlich interessiert.1 Der vorliegenden Arbeit gingen mehrere Untersuchungen zu den „ungeschichtlichen Jahren“ Jahns voraus, die wir in den letzten Jahren an verschiedenen Orten veröffentlicht und im Literaturverzeichnis aufgeführt haben. Für die vorliegende Publikation haben wir unsere früheren Untersuchungen überarbeitet und um neue Aspekte erweitert. Unser Ziel bestand nicht darin, eine umfassende Biographie über Jahns zweite Lebenshälfte vorzulegen. Vielmehr haben wir uns einmal die Frage gestellt, warum Jahn nach seiner Verhaftung und einer zwei Jahrzehnte andauernden Polizeiaufsicht am Ende seines Lebens als Abgeordneter in die Frankfurter Nationalversammlung gewählt wurde. War dies sein Verdienst? Durch welche Umstände wurde ihm, der doch im bürgerlichen Leben gescheitert war, der Sprung in das „Professorenparlament“ geebnet? Dann hat uns die Frage beschäftigt, wie Jahn seine Aufgaben als Mitglied des Paulskirchenparlaments verstanden und wahrgenommen hat. Die „Schwanenrede“, die Jahn im Kontext des Frankfurter Septemberaufstandes 1848 verfasste, beschloss er mit dem viel zitierten politischen Credo: „Deutschlands Einheit war der Traum meines erwachenden Lebens, das Morgenrot meiner Jugend, der Sonnenschein der Manneskraft, und ist jetzt der Abendstern, der mir zur ewigen Ruhe winkt.“2 Inwieweit hat sich Jahn in der Nationalversammlung tatsächlich für seine politischen Grundüberzeugungen und Ideale eingesetzt? Wir haben unsere Darstellung in acht Kapitel gegliedert. In der jüngeren Vergangenheit gab es gelegentlich Diskussionen über den gegenwärtigen Stellenwert Jahns in der Erinnerungskultur der Deutschen. Verschiedentlich bildeten sich Initiativen zur Ablegung des Namens „Friedrich Ludwig Jahn“, der ihrer Ansicht nach nicht nur durch den Nationalsozialismus diskreditiert wurde; vielmehr sahen sie in Jahn selbst einen frühen Vorläufer des Nationalsozialismus, einen Antisemiten, Chauvinisten und Militaristen, der heute als Namensgeber für Straßen, Plätze, Schulen etc. untragbar sei. Wir haben unsere Analyse mit einem Kapitel über „Nationalismus und Antisemitismus im 18. und frühen 19. Jahrhundert“ eingeleitet, um Jahns Äußerungen gegen die Juden und Franzosen aus ihrer Zeit heraus zu erklären und zu bewerten. In dem sich anschließenden zweiten Kapitel beleuchten wir Jahns Verhaftung und die Jahre seiner Verbannung in Kolberg. Im ersten Teil beschäftigen 1 2

Vgl. Braun (1992). Zit. nach EJW 2.2, S. 1059.

Einleitung

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wir uns mit der Frage, wie die Öffentlichkeit auf Jahns Verhaftung reagiert hat. Formierte sich gar Widerstand gegen die Festsetzung des weithin bekannten „Erfinders“ des Turnens? Am Beispiel seines Nekrologs für den als Verteidiger Kolbergs bekannt gewordenen Kolberger Bürger Nettelbeck zeigen wir dann, dass sich Jahn als Festungs-Verbannter keineswegs still verhielt und sich für die Aufgabe gewinnen ließ, dem Patrioten ein literarisches Denkmal zu setzen. Um zu verdeutlichen, wie die Polizei ihrer Verpflichtung nachgekommen ist, die gegen Jahn verhängte Polizeiaufsicht durchzuführen, haben wir im 3. Kapitel die überlieferten Polizeiberichte dokumentiert und analysiert. Im 4. Kapitel präsentieren wir Jahn als Kritiker des „Jungen Deutschland“. Gleichzeitig lassen wir auch seine Kritiker zu Wort kommen, die, indem sie Jahn mit Hohn und Spott übergossen, dazu beigetragen haben, dass sein Name in bildungsbürgerlichen Kreisen nicht vergessen wurde. In dem sich daran anschließenden 5. Kapitel untersuchen wir Jahns Beziehungen zu ehemaligen Turnschülern, Turnfreunden und der nach 1840 aufkommenden Männerturnvereinsbewegung. Dabei erweist sich Jahn als guter „Netzwerker“, der es verstand, alte Verbindungen zu reaktivieren und neue Kontakte zu knüpfen, wenn die Umstände dies erforderten. Er gefiel sich sichtlich in der ihm von den Männerturnvereinen zugedachten Rolle als „Turnvater“, die ihm eine zunehmend größere Popularität einbrachte. Im Mittelpunkt des 6. Kapitels steht der Freyburger Bürger Jahn nach seiner 1840 erfolgten Begnadigung durch den König. Die Eintragungen in der Freyburger Stadtchronik machen deutlich, dass er in seiner Wahlheimat als angesehener Bürger galt, der sich im „Gustav-Adolph-Verein“ und in der „Lichtfreunde“Bewegung engagierte. Jahns soziales Netzwerk erhielt dadurch neue Ankerpunkte. In dem umfangreichen 7. Kapitel zeichnen wir Jahns Tätigkeit in den Revolutionsjahren 1848/49 nach. Das gilt für seine Abgeordnetentätigkeit in der Frankfurter Nationalversammlung ebenso wie für sein Verhältnis zu den Turnvereinen, von denen er sich nach dem 2. Hanauer Turntag distanzierte. Schließlich werfen wir noch einen Blick auf Jahns Verhältnis zu den „Gothaern“, bevor wir seine Abgeordnetentätigkeit bewerten. Im letzten Kapitel kommen wir nach Auswertung der wenigen überlieferten Quellen zu dem Ergebnis, dass Jahn nach seiner Rückkehr aus Frankfurt und Gotha resignierte und sich aus dem öffentlichen Leben zurückzog. Offen bleibt die Frage, ob er sich in seinen letzten Lebensjahren im Stillen noch für die „Lichtfreunde“-Bewegung einsetzte. Im Epilog schließlich wird in gebotener Kürze der Aufstieg Jahns zum bürgerlichen Nationalhelden nachgezeichnet.

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Einleitung

Wir danken allen, die das Zustandekommen dieser Publikation unterstützt haben, namentlich Susanne Ulfkotte für die Durchsicht des Manuskripts und der „Friedrich-Ludwig-Jahn-Gesellschaft“, die die Finanzierung der Arbeit sichergestellt hat. Prof. Dr. Hans-Joachim Bartmuß Halle/Dorsten, 10. Januar 2011

Dr. Josef Ulfkotte

1. Antisemitismus und Nationalismus im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert

Im Jahre 1991 erschien im Aufbau-Verlag Berlin/Weimar eine 3-teilige Kassette, die neben einem Nachdruck der von Friedrich Ludwig Jahn 1810 veröffentlichten Schrift „Deutsches Volksthum“ und vier Flugschriften des jüdischen Schriftstellers Saul Ascher auch eine kleine Schrift des Schriftstellers Peter Hacks enthielt, der er den Titel „Ascher gegen Jahn. Ein Freiheitskrieg“1 gegeben hatte. Der Titel ließ aufhorchen, doch welchen „Freiheitskrieg“ wollte Hacks entdeckt haben? Nach der mit Spannung erwarteten Lektüre stellte sich leider große Ernüchterung ein, denn eine plausible Antwort auf diese Frage blieb der Autor schuldig. Als scharfsinniger Schriftsteller und Kritiker ist Hacks hinlänglich bekannt, wenn er es – zumindest in dieser Schrift – mit den historischen Fakten auch nicht so genau nimmt. Er räumt selbst ein, dass er eine negative Personencharakteristik nur „vom Hörensagen habe, er gebe das hier [in der Schrift] nur weiter.“2 Unter dem Gesichtspunkt „künstlerischer Freiheit“ mag seine Vorgehensweise verständlich sein, doch wäre es wünschenswert gewesen, wenn sich Hacks wenigstens bei der Schilderung historischer Sachverhalte um eine präzise und differenzierte Darstellung bemüht hätte, bei der er den „Schutzmantel“ des Poeten verlässt und sich dem Streben nach Wahrhaftigkeit verpflichtet fühlt. Doch davon kann keine Rede sein. Was das allerhöchste Misstrauen gegen seine Darstellung erweckt, ist die Tatsache, dass in allen bisher veröffentlichten Schriften und Briefen Jahns nicht ein einziges Mal der Name Ascher auftaucht. Vielmehr muss Hacks selbst einräumen, dass vieles von dem, was er erzählt, bei Ascher nicht nachzulesen ist3 und dass seiner Ansicht nach Ascher Jahn sogar noch verharmlost habe.4 Ohne Zweifel war Saul Ascher ein ehrenwerter Mann von hoher Intelligenz, der sich in einer Zeit „nationaler Mythos-Euphorie“ in Preußen mutig für die Ideale der Französischen Revolution und Napoleon einsetzte, scharfsinnig die jahrzehntelang andauernde Diskussion zur Judenemanzipation um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert beurteilte und in seinen vor allem gegen Fichte, Arndt und Rühs gerichteten Schriften vor der Gefahr einer

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Hacks (1991). Hacks (1991), S. 186. Hacks (1991), S. 118. Hacks (1991), S. 119.

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Antisemitismus und Nationalismus im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert

militanten Intoleranz warnte.5 Wir haben auch den von Hacks im Buchtitel postulierten „Freiheitskrieg“ nicht „entdecken“ können und fragen uns ernsthaft, ob der nach Hacks’ Meinung zwischen Ascher und Jahn geführte Widerstreit wirklich existiert hat. Vielleicht ging es Hacks auch nur darum, einen kleinen Beitrag dazu zu leisten, Jahn und das Jahnsche Turnen lächerlich zu machen? Das wäre jedoch sehr erstaunlich, ist doch diese Schrift vor einigen Jahren sogar von einem Sporthistoriker bzw. Sportsoziologen als „beeindruckend genaue Studie“ bezeichnet worden.6

1.1 Fragestellung Uns geht es in den folgenden Ausführungen nicht darum, die von Jahn geäußerten Vorbehalte gegenüber den Juden und gegenüber Frankreich zu leugnen, das wäre auch gar nicht möglich. Die Absicht besteht lediglich darin, nachzuweisen, dass die von Hacks und vielen anderen gegen Jahn erhobenen Anschuldigungen, 5

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Seine eigene Intoleranz übersieht er dabei jedoch geflissentlich. Jörg Echternkamp (2001, S. 165) zählt Saul Ascher zu den schärfsten Kritikern der Verquickung von christlicher Religion und deutscher Nation. Der Protestantismus, nationalistisch gebrochen, habe nach Aschers Ansicht den „Weltbürgersinn“ des Christentums in Frage gestellt, den Hass gegen alle Ausländer zur „ersten Tugend eines Deutschen“ erhoben und die Intoleranz gegen jeden Fremden im Land hervorgerufen. Vgl. Echternkamp (2001), S. 166. – Nach Volkov (1994, S. 24) überschritt Ascher „die Grenzen des aufgeklärten Rationalismus, indem er bereit und gewillt war, die jüdischen Gebote als solche aufzuheben, denn durch ihre bloße Beschaffenheit müssten sie den Weg der Menschen zu Selbsterfüllung und persönlicher Autonomie behindern.“ Aschers Schriften tragen zum größten Teil den Charakter von Streitschriften – und zwar nach jeder Richtung hin, ob gegen deutschen Nationalismus, gegen die Romantiker oder gegen jüdische Rabbiner –, Streitschriften, in denen er sehr eigenwillig und scharf seine persönlichen, von ihm als alleinige Wahrheit ausgegebenen Ansichten vertritt. Für Peter Hacks (1991, S. 10) ist Ascher allerdings ein „objektiver Zeitzeuge“: „Daß er die Wahrheit spricht, ist ohnehin außer Zweifel.“ Wenn Hacks (1991, S. 14) schreibt, dass seit Aschers Tod „sechs Geschlechterfolgen von Literaturwissenschaftlern, Geschichtsschreibern und Philosophen in fachübergreifender Zusammenarbeit an seiner (d. h. Aschers) Auslöschung sich mühten“, so ist das zweifellos weit übertrieben. Jahn jedenfalls hat auf Aschers Anwürfe, soweit wir wissen, nicht ein einziges Mal reagiert und damit möglicherweise deutlich machen wollen, dass er ihn gar nicht ernst nahm. So der Sporthistoriker und -soziologe Sven Güldenpfennig in einem im Juni 2003 in Lanz veranstalteten Streitgespräch mit Eberhard Kunze über die historische Bedeutung Jahns. Für uns ist eine solche Wertung der Hackschen Schrift unbegreiflich. Schreibt doch Hacks (1991) z. B., der Landsturm sei „aus Jahnschen Turnern und schlesischen Wilddieben“ (S. 141) zusammengesetzt gewesen. Turnlehrer und Religionslehrer ist für ihn ein „gefährlicher Beruf “ (S. 57). Zeugen, die E. T. A. Hoffmann im Prozess gegen Jahn 1819/20 geladen hatte, stuft er als „halbidiotische Turner“ (S. 181) ein. Ferner behauptet er: „Körperübungen und Gesundheit stehen in überhaupt keinem Zusammenhang“ (S. 47).

Fragestellung

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insbesondere die, dass er der größte Antisemit und Franzosenhasser gewesen sei, was ihn auch zum historischen Vorbild für die Nationalsozialisten prädestiniert habe, einer wissenschaftlichen Betrachtung nicht standhalten können. Der hoch angesehene, von der Gestapo 1944 als Resistance-Kämpfer erschossene französische Historiker, Geschichtsphilosoph und Schriftsteller Marc Bloch, hat sich in seiner „Apologie der Geschichte“ über den Beruf (im Sinne von „Berufung“) des Historikers sehr präzise geäußert.7 Er geht davon aus, dass die Geschichtswissenschaft die „Wissenschaft von den Menschen“ ist, aber er präzisiert: „von den Menschen in der Zeit.“8 Er kommt so zu der Schlussfolgerung: „Mit einem Wort, ein historisches Phänomen kann nicht befriedigend erklärt werden, ohne daß auch die Zeit untersucht wird, in der es aufgetreten ist.“ Das gelte für alle Entwicklungsphasen, „für die, in der wir selbst leben, wie auch für alle anderen. Ein altes arabisches Sprichwort lautet: ‚Die Menschen sehen ihrer Zeit ähnlicher als ihren Vätern‘. Die Erforschung der Vergangenheit ist bisweilen in Verruf geraten, weil sie es versäumt hat, über diese orientalische Weisheit nachzudenken.“9 Diesem von Marc Bloch in kurze und präzise Worte über Sinn und Gegenstand von Geschichte geäußerten Standpunkt schließen wir uns an, weshalb wir in den folgenden Darlegungen zum Thema vor allem die Frage nach dem damals in Preußen herrschenden Zeitgeist in den Mittelpunkt rücken müssen, wenn wir im Ergebnis dieser Untersuchung zu einer ausgewogenen Beurteilung der persönlichen Motivation Friedrich Ludwig Jahns gelangen wollen. 7 8 9

Bloch (1997). Bloch (1997), S. 32.

Bloch (1997), S. 40. – Dies ist für eine historische Analyse tatsächlich die entscheidende Voraussetzung. Wenn Peter Hacks – um nur eine einzige seiner fern von jeglichem geschichtswissenschaftlichen Anspruch liegenden Wertungen zu zitieren – in seinem Buch (S. 117) schreibt: „An irgendetwas muß liegen, daß während der Lektüre des Jahn mir hundert Mal der Hitler einfällt, der mir sonst nie einfällt“, dann ist dies alles andere als eine „beeindruckend genaue“ historische Analyse, was Hacks, dem Schriftsteller, natürlich niemand übel nehmen kann. Anders sieht das aus, wenn ein Historiker eine solche Aussage billigt oder sich gar damit identifiziert. Die zahlreichen, den Fakten widersprechenden Aussagen in Hacks’ Buch dürften ebenso wenig Beispiele für eine „beeindruckend genaue“ Recherche sein. Uns scheint, dass die Verfälschung Jahns und seiner historischen Wirkung durch die Nationalsozialisten die alleinige Grundlage für die Meinungsbildung derjenigen ist, die Jahn fast ausschließlich negativ, als Antisemiten und Fremdenhasser, sehen wollen. Eines von vielen weiteren Beispielen für eine Rezeption auf der Grundlage nazistischer Verfälschung ist Christian Dietrich Grabbe, der bei zahlreichen Wissenschaftlern deshalb zu Unrecht als Vorkämpfer der nationalsozialistischen Ideologie und der Rassenlehre gilt. Darüber ausführlich Ehrlich (1987).

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Antisemitismus und Nationalismus im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert

1.2 Antijudaismus und Antisemitismus In den letzten Jahrzehnten ist aus sehr verständlichen Gründen im Zusammenhang mit der Aufarbeitung der schrecklichen Vorgänge in Hitlers „Drittem Reich“ und den Versuchen, die Anfänge bzw. Ursachen der nationalsozialistischen „Endlösung“ der Judenfrage, des „Holocaust“, zu ergründen, eine fast unübersehbare Flut von historischen, soziologischen und anderen Untersuchungen sowohl nichtjüdischer als auch jüdischer Wissenschaftler im internationalen Rahmen publiziert worden. In den beiden letzten Jahrzehnten ist dabei u. a. Shulamit Volkov, Professorin an der School of Histories, Tel Aviv University in Israel, besonders hervorgetreten. Sie hat zahlreiche grundlegende Bücher bzw. kleinere Arbeiten zum Antisemitismus veröffentlicht sowie Kolloquien zu diesen Fragen organisiert. Die Beiträge bedeutender Wissenschaftler aus vielen Ländern hat sie in Sammelbänden der wissenschaftlichen Öffentlichkeit zugänglich gemacht. In ihren eigenen im Verlaufe des letzten Jahrzehnts publizierten Untersuchungen hat sie sich in besonderem Maße auch der wissenschaftlichen Periodisierung des Antisemitismus in Deutschland auf der Grundlage eigener Forschungsergebnisse wie auch der Forschungen der internationalen Fachkolleginnen und Fachkollegen zugewandt. Das Hauptproblem war, wie bei jedem Periodisierungsversuch, die Frage nach Kontinuität und Wandel, das Verhältnis zwischen Dauerndem und Neuem sowie das Problem der Gewichtung. Dabei stellte sie fest, dass vor allem „die weitgehende Ausblendung des Neuen und die Überbewertung der Kontinuitätskräfte zu oft wichtige Fragen verstellt hat“10, dass auf diese Weise die Forschungen in „vorgefaßte Denkmuster“ gepresst worden sind, „wodurch vieles vom Wesen der Entwicklungen [...] übersehen wurde.“11 Für Volkov zeichnet sich im Ergebnis ihrer Forschungen deutlich ab, dass es eine Zäsur gibt in der

10 Volkov (2000), S. 54. 11 Volkov (2000), S. 54. – Der Begriff „Antisemitismus“ wurde 1879 von deutschen Judengegnern um den Journalisten Wilhelm Marr geprägt, „um die Form einer sich wissenschaftlich verstehenden und säkular begründeten Ablehnung von Juden von der alten, nur emotionalen und religiösen Antipathie abzuheben“ (Bergmann, 2004, S. 6). Bergmann tritt damit der These einer Minderheit von Wissenschaftlern, die einen „ewigen Antisemitismus“ seit der Antike bis heute behaupten, entgegen. Zimmermann (2005) schreibt ausführlich über das Aufkommen des Begriffs „Antisemitismus“ und zahlreiche Probleme im Zusammenhang mit Entwicklung und Wirkung des Antisemitismus und Antizionismus bis zur Gegenwart. In Abschnitt I 2 (S. 25–39) seines Buches behandelt er die Thematik „Aufkommen und Diskreditierung des Begriffs ‚Antisemitismus’“. Er geht ebenfalls davon aus, dass um 1878/79 die „Geburtsstunde“ des von dem Journalisten Wilhelm Marr geprägten Begriffs gewesen ist (S. 28–29). Für Bergmann/ Sieg (2009, S. 7) ist die Zeit zwischen 1870 und 1930 der Zeitabschnitt, „als der Antisemitismus zu einer ideologischen Großmacht“ wurde.

Antijudaismus und Antisemitismus

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Stellung der Gesellschaft zur Judenfrage zwischen dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert und der Zeit davor. „Die Einzigartigkeit des Antisemitismus des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts liegt weder in seinen politischen Organisationsformen noch in seinen ideologischen Charakteristika. Die neuen Elemente des Antisemitismus dieser Zeit lassen sich nur ableiten aus den besonderen Bedürfnissen und Schwierigkeiten der Zeit. Der entscheidend neue Aspekt dieses Antisemitismus waren die Rollen, die ihm innerhalb der sozialen, politischen und kulturellen Systeme des kaiserlichen Deutschland zugewachsen waren. Seine Funktionen entwickelten sich als Antwort auf die zentralen Probleme Deutschlands im ausgehenden 19. Jahrhundert, waren spezifisch für diese Zeit und können nur erklärt werden durch die Analyse des Kontexts, in dem sie entstanden sind.“12 12 Volkov (2000), S. 62. – Shulamit Volkov hat in ihrem Buch über „Die Juden in Deutschland 1780–1918“ in einem kurzen Überblick über den modernen Antisemitismus (Volkov, 1994, S. 117–121) auch Fragen seiner Periodisierung aufgeworfen. Sie stellt dabei fest: „Die meisten Arbeiten über den Antisemitismus in Deutschland betrachten die späten 1870er Jahre, ein entscheidender Wendepunkt in der Geschichte des Bismarck-Reiches, als den Beginn des sogenannten modernen Antisemitismus. Das Entstehen antisemitischer politischer Parteien einerseits und die neuen rassischen Argumente gegen die Juden andererseits werden als Kennzeichen einer neuen Phase gesehen“ (S. 118). Anschließend zitiert sie die Meinungen anderer Autoren, die im Gegensatz dazu die Kontinuitätsmomente in der Geschichte des Antisemitismus betonen, die jedoch keine allgemeine Akzeptanz gefunden haben (S. 118–119). Im Anschluss daran legt sie ihre eigene, auf intensiven Forschungen beruhende Ansicht dar: „Die Neuheit des Antisemitismus im späten 19. Jahrhundert läßt sich auch in seiner veränderten sozialen, politischen und kulturellen Funktion sehen. [...] Antisemitismus mag sich als unabhängiger politischer Machtfaktor innerhalb der Grenzen des deutschen Rechtsstaates als schwach erwiesen haben, in der Zwischenzeit wurde er jedoch zu einem entscheidenden Verbindungsglied in der allgemeinen Ideologie der Rechten jener Zeit. Er kann sogar als ein ‚kultureller Code’,[ ...] einer rechtsbürgerlichen Subkultur gesehen werden, als Kürzel für ein ganzes Syndrom, das die wahren kulturellen Fronten des Kaiserreichs definieren half “ (S. 120). In einem ihrer Essays hat Volkov (2000) diese Gedanken am ausführlichsten begründet. Sie übersieht dabei nicht, dass „rassische oder zumindest ethnische, nationalistische Untertöne“ sich „bereits lange vor 1870 im ideologischen Arsenal der antijüdischen Polemik entdecken“ lassen und auch der Antisemitismus der Zeit seit den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts „nie ganz frei von religiösen Untertönen“ gewesen ist (S. 119). – Mit den Fragen von Kontinuität und Diskontinuität des Antisemitismus in Deutschland befassen sich u. a. auch Strauss und Kampe in der Einleitung zu ihrem 1985 erschienenen Sammelband „Antisemitismus“ (Strauß/Kampe 1985). Sie formulieren darin u. a.: „Die wissenschaftliche Diskussion der Kontinuitäten und der Kontinuitätsbrüche in Form, Inhalt und gesamtgesellschaftlichem Stellenwert des Antisemitismus im 19. und 20. Jahrhundert ist noch keineswegs abgeschlossen. Weder die Behauptung einer durchgehenden Linie von der Judenfeindschaft der Kirchenväter über Luthers Haßtiraden bis zum Vernichtungswillen Hitlers, noch die Darstellung des Rassenantisemitismus als eines völlig neuartigen Phänomens, das mit der traditionellen christlich-abendländischen Judenfeindschaft kaum mehr als den Namen oder die Gruppe der Opfer gemeinsam habe, entspricht der komplexen historischen Entwicklung“ (S. 23). Mit dieser Einleitung wollen Strauss und Kampe die Plattform dafür schaffen, „dem Element der Kontinuität bei allen radikalen inhaltlichen

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Antisemitismus und Nationalismus im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert

Diese Erkenntnisse, die die Existenz einer scharfen Zäsur, nämlich derjenigen, die einen bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts typischen sog. „Antijudaismus“ von dem „modernen Antisemitismus“ des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts trennt,13 sind für die Einordnung der Bemerkungen Jahns zu den Juden u. E. außerordentlich wichtig. Warum? Herbert A. Strauß und Norbert Kampe, die Herausgeber eines Sammelbandes mit dem Titel „Antisemitismus. Von der Judenfeindschaft zum Holocaust“, 1985 in Frankfurt/M. und New York erschienen, veröffentlichen darin Beiträge namhafter Historiker über die Judenfrage in den einzelnen Perioden der deutschen Geschichte vom Mittelalter bis zum Zeitalter des modernen Nationalismus. In der gemeinsam verfassten Einleitung zu diesem Band schreiben sie, dass in der Forschung z. B. Übereinstimmung in der Frage besteht, dass Judenfeindschaft ein mehr oder weniger latenter Bestandteil der christlich-abendländischen Kultur war und – so fügen sie hinzu – wohl in Resten noch ist.14 Diese latente Judenfeindschaft, für die sie wie andere Forscher auch die Bezeichnung „Antijudaismus“ verwenden, ist religiösen Ursprungs und durch die Kultur vermittelt. Der Kern dieses bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts vorherrschenden, vornehmlich auf religiöser Basis beruhenden Antijudaismus ist der Anspruch der katholischen wie auch der protestantischen Theologie, die allein seligmachende Wahrheit zu besitzen.15 Frantisek Graus betont diesen Aspekt in seiner Studie zum Mittelalter und hebt hervor, dass die Abgrenzung der Christen von den Juden und umgekehrt im Alltagsleben recht bald von den „geistlichen Autoritäten“ beider Seiten gefordert worden ist. Die herrschenden Kräfte beider Lager, Christen wie Juden, waren daran interessiert, die Beziehungen zu den Andersgläubigen „auf ein Minimum einzuschränken.“16 „Seit der Patristik, der Auslegung der Lehren der Kirchenväter, waren Theologen und später auch Ju-

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und formalen Umbrüchen den ihm zukommenden Platz in der Analyse einzuräumen“ (ebd.). – Unseres Erachtens wird Volkov jedoch der „komplexen historischen Entwicklung“ am ehesten gerecht, weil sie ihrer Periodisierung der Geschichte des Antisemitismus sehr konsequent die – in den verschiedenen historischen Entwicklungsetappen unterschiedlichen – Funktionen des Antisemitismus in sozialer, politischer und kultureller Hinsicht als entscheidende Kriterien zugrunde legt. Diese Ansicht vertreten die meisten Wissenschaftler, die sich mit der Periodisierung der „Judenfeindschaft“ beschäftigt haben. So schreibt Christoph Nonn (2008, S. 13) über den Zeitpunkt, „wann sich der Prozess der Transformation von religiös zu rassisch motiviertem Judenhaß vollzogen hat“, von „einem mehr oder weniger klaren Bruch im 19. Jahrhundert“, wenn dieser Auffassung auch „empirische Befunde entgegengehalten worden“ sind, „die auf rassistische Elemente in judenfeindlichem Denken schon weit vor dem 19. Jahrhundert hindeuten.“ Vgl. Strauß/Kampe (1985), S. 15. Vgl. Strauß/Kampe (1985), S. 16. Graus (1985), S. 31.

Antijudaismus und Antisemitismus

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risten bemüht, die Begegnungen der Christen mit Juden auf ein Mindestmaß zu reduzieren. Die Rabbiner ihrerseits errichteten mit demselben Eifer einen ‚Zaun‘ nach dem anderen, um das Gesetz zu schützen, ersannen immer neue Abgrenzungsmöglichkeiten, die dann letztlich zur völligen Erstarrung führten.“17 Für in unserem Zusammenhang noch wesentlicher, vor allem hinsichtlich seiner Wirkung auf Friedrich Ludwig Jahn, den bibelfesten Pfarrersohn aus dem Dorf Lanz in der brandenburgischen Prignitz, halten wir das, was Ernst Ludwig Ehrlich in seiner Studie über „Luther und die Juden“ bemerkt. Ehrlich führt aus, Martin Luther habe in jüngeren Jahren zwar den Grundsatz vertreten, dass „die Juden allezeit die größten Feinde Christi“ gewesen seien, doch sollten sie nicht so unfreundlich behandelt werden, „denn es sind noch zukünftige Christen unter ihnen und werden (es) noch täglich.“18 Doch später, als Luther allmählich zu einem „Dogmenwächter geworden“ war19 und vermutlich auch unter dem Eindruck seines – trotz wohlwollender Haltung gegenüber den jüdischen Menschen – nur äußerst dürftigen Erfolgs bei der Judenbekehrung, ist bei Luther eine Verschärfung des Tons gegenüber den Juden klar erkennbar. 1537 verfasste er den Brief „Wider die Sabbather an einen guten Freund“, gerichtet an einen Grafen aus Nordböhmen, der ihm über angebliche Erfolge jüdischer Propaganda im böhmisch-mährischen Raum berichtet hatte. In diesem Brief formuliert Luther sehr schroff seine Überzeugung von der „Ursünde der Juden“, die darin bestehe, dass sie vor damals 1 ½ Jahrtausenden „Jesus Christus, in dem der von Jeremias verheißene Gnadenbund erfüllt worden sei, nicht erkannt und damit auch diesen Gnadenbund nicht angenommen hätten, und daß sie durch ihren Unglauben Gott Lügen straften.“ Den Brief beendet Luther mit der den Grafen tröstenden Aussage: „Kann er die Juden nicht bekehren, so mag er sich trösten mit dem Gedenken an die Propheten, die ebenso wenig ausgerichtet hatten. Da das Elend die Juden nicht gedemütigt, noch das Bewußtsein, daß Gott sie verlassen hat, so mag man mit gutem Gewissen an ihnen verzweifeln.“20 Schließlich erschien 1543 Luthers berüchtigte antijüdische Schrift „Von den Juden und ihren Lügen.“ Nun sprach Luther offen aus, was er fühlte: die Juden bleiben was sie sind, sie setzen sich theologisch auch noch zur Wehr und bestreiten damit seinen Wahrheitsanspruch. Deshalb gibt Luther die Bekehrung der Juden endgültig auf und schreibt in diesem Sinne, „daß ich die Juden bekehren wollte; denn das ist unmöglich.“21 Luther versucht nicht mehr exegetisch zu argumentieren, sondern er erhebt gegen die Juden die fürchterlichsten Anschuldigungen, wobei er nahtlos an die 17 18 19 20 21

Graus (1985), S. 31. Ehrlich (1985), S. 49. Ehrlich (1985), S. 57. Zit. nach Ehrlich (1985), S. 56. Zit. nach Ehrlich (1985), S. 58.

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mittelalterliche Judenfeindschaft anknüpft, die christliche Nachsicht gegenüber den Juden in sehr scharfer Form rügt und den Christen auferlegt, sie müssten „mit Gebet und Gottesfurcht eine scharfe Barmherzigkeit üben, ob wir doch etliche aus den Flammen und Glut erretten könnten.“22 Worin aber besteht Luthers „scharfe Barmherzigkeit“? Luther erklärt das in dieser Schrift selbst: Die Christen werden aufgefordert, die Synagogen zu verbrennen, die Häuser der Juden zu zerstören, ihnen ihre Gebetbücher, den Talmud und die Bibel wegzunehmen, den Rabbinern bei Todesstrafe zu verbieten, Unterricht zu erteilen, ihnen das Geleit und das Recht, die Straßen des Reichs zu befahren aufzukündigen, ihnen den räuberischen Wucher zu untersagen und sie mit Handwerkszeugen auszustatten, damit sie im Schweiße ihres Angesichts ihr Brot verdienen müssen.23 Auch von katholischer Seite wurden die Juden im 16. Jahrhundert diskriminiert, was sich nicht zuletzt darin äußerte, dass Papst Paul IV., der die Gegenreformation einleitete, in einer Bulle aus dem Jahre 1555 kodifizierte, dass die Juden „von Gott wegen ihrer Schuld zu ewiger Sklaverei verdammt“ seien und es deshalb auch absurd sei, dass sie sich „unserer christlichen Liebe und Duldsamkeit erfreuen.“24 Deshalb erneuerte Papst Paul IV. eine Reihe konkreter, tief demütigender Begrenzungen der Tätigkeit der Juden und ihrer Wohnfreiheit, indem er von neuem den Zwang, im Ghetto zu leben, und das Tragen des gelben Judenhutes verordnete. Der Emanzipationsprozess der Juden in den Ländern des Hl. Römischen Reiches begann im 18. Jahrhundert. Anfang dieses Jahrhunderts war noch ein zweibändiges judenfeindliches Werk von Johann Andreas Eisenmenger, Professor für orientalische Sprachen in Heidelberg, unter dem Titel „Entdecktes Judentum“ erschienen, in dem die mittelalterlichen Legenden von Ritualmorden und Hostienschändungen sowie antichristliche Talmudzitate zusammengestellt waren. Im Zeitalter der Aufklärung begannen aber dann die Debatten um die bürgerliche Gleichstellung der Juden. Ende 1781/Anfang 1782 hatte Kaiser Joseph II., wenn auch zögerlich, mit seinen Toleranzpatenten den ersten konkreten Schritt zu einer neuen rechtlichen Stellung der Juden getan.25 Etwa zur gleichen Zeit, 1781 und 1783, erschienen die beiden Bände des preußischen Beamten Christian Wilhelm Dohm mit dem Titel „Über die bürgerliche Verbesserung der Juden.“ Dieses auf die Praxis ausgerichtete Werk widerspiegelte „eine typische Mischung aus den Ideen der Aufklärung und der Modernisierungskampagne der preußischen Bürokratie.“26 Dohm war wie viele seiner Zeitgenossen 22 23 24 25 26

Zit. nach Ehrlich (1985), S. 59. Ehrlich (1985), S. 59–60. Strauß (1985), S. 68. Vgl. Volkov (1994), S. 18. Volkov (1994), S. 18.

Fragestellung

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davon überzeugt, dass man die den Juden schon im Mittelalter nachgesagten abstoßenden Merkmale und Eigenschaften, die der Deutsche angeblich nicht habe – Unterwürfigkeit, Verstellung, Raffgier, Unreinlichkeit, Faulheit27, auch Hässlichkeit, Fehlen von Harmonie und Schamlosigkeit28 –, aus ihrem historischen Werdegang und aus den rechtlichen und sozialen Bedingungen, unter denen zu leben sie gezwungen waren, verstehen müsse. In einem aufgeklärten Staat, so Dohm, könnten die Juden, „gelenkt von der Bürokratie, ‚normale‘, ‚produktive‘ Bürger werden.“29 Dohm glaubte also, dass eine entsprechende Erziehung der Juden zu ihrer völligen Assimilation an die nichtjüdische Gesellschaft führen werde, was allerdings die Aufgabe ihrer traditionellen jüdischen Identität voraussetze.30 Der gesellschaftliche Diskurs über diese Dohmschen Vorschläge und die von Dohm dargelegten Argumente war außergewöhnlich heftig. Neben positiven Stimmen gab es auch viele negative, beide in zahlreichen Zeitschriften und Buchpublikationen vorgetragen und sowohl von Nichtjuden als auch von Juden sehr leidenschaftlich geführt. Allein aus dem Jahre 1803 sind mindestens 60 Schriften bekannt, die sich mit positivem oder negativem Ergebnis mit der Frage der jüdischen Emanzipation befassten.31 Die Autoren waren fast durchweg sog. „Bildungsbürger“, ein relativ kleiner Kreis von Gebildeten und Gelehrten aus den Städten, die dabei auch nationale Vorstellungen entwickelten. Die heftigen Debatten um die Judenemanzipation verwoben sich geradezu mit ebenso heftigen Debatten um die deutsche „Nation“, die allgemein als christliche Nation definiert wurde. Vieles von dem, was Jahn in seinem 1810 erschienenen „Deutschen Volksthum“ in diesem Zusammenhang geschrieben hat, haben die Gegner der Dohmschen Vorschläge vorweg genommen, wobei sie ihre ablehnende Haltung teilweise in ganz besonderer Schärfe formuliert haben. So argumentierte z. B. der Göttinger Orientalist und evangelische Theologe Johann David Michaelis, Begründer einer bibelkritischen hebräischen Altertumswissenschaft , nachdem er zuvor seine in vielen Punkten mit Dohm übereinstimmende Position betont hatte: „daß die Juden lasterhafter sind als [...] wir Deutschen, zeiget sich am stärksten aus den Diebes-Inquisitions-Acten.“32 Michaelis behauptete, die Juden seien „25 oder noch mehr mal lasterhafter [...]“ als andere Einwohner Deutschlands, und er betonte gleichzeitig die Unveränderbarkeit des jüdischen „Nationalcharakters“, der sich in ihren Religionsgesetzen ausdrücke. Weil Dohm u. a. auch davon ausgeht, 27 28 29 30 31 32

Vgl. Best (2001), S. 176. Vgl. Mosse (1996), S. 18. Volkov (1994), S. 18. Best (2001), S. 176–177. Best (2001), S. 172. Zit. nach Best (2001), S. 177.

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dass für Juden nach einer gewissen Erprobungszeit auch der Militärdienst Pflicht werde, führte Michaelis wegen des durchschnittlich kleineren Körperbaus der Juden das sog. „Soldatenmaß“ als Gesichtspunkt für die Nichttauglichkeit der Juden für den Militärdienst ein. Michaelis erklärt das kleinere Körpermaß der Juden folgendermaßen: „Vielleicht ist es die Folge der sehr frühen Ehen, vielleicht der ungemischten Race eines südlichern Volks: aber es komme, woher es wolle, so ist doch klar, dass unter den Juden wenig wohlgewachsene Männer sind.“33 Hier taucht ein Rassebegriff auf, aber – und das ist auch für die Analyse der Jahnschen Schriften wichtig – nicht im Sinne der von Gobineau in den Jahren 1853/1855 entwickelten neuen Rassenlehre. Die sog. „Rassenunterschiede“ werden im Zeitalter der Aufklärung bis in die 50er Jahre des 19. Jahrhunderts hinein ausschließlich bezogen auf klimatisch-geographische Verhältnisse. Deutlich wird das auch in der 4. Abhandlung im 2. Band des Dohmschen Werkes aus dem Jahre 1783, der von dem Prediger Schwager stammt. Schwager nennt hier die physiognomischen Merkmale der Juden und betont genau in diesem Sinne die „rassenmäßigen Unterschiede“, allerdings noch dadurch gesteigert, dass ihm zufolge diese „Rassendifferenzen“ auch dann bestehen bleiben würden, wenn der unterschiedliche Lebensraum, ihr Ursprung, entfalle.34 Einen weiteren Gesichtspunkt für solche Vorbehalte gegenüber den Dohmschen Vorschlägen hebt Karl Wilhelm Friedrich Grattenauer, Rechtskommissar am Berliner Kammergericht, hervor, indem er, gestützt auf Eisenmengers „Entdecktes Judentum“, in seinem 1791 anonym veröffentlichten Buch „Über die 33 Zit. nach Best (2001), S. 178. 34 Schon in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts war der Ausdruck „Rasse“ üblich, jedoch in seinem die Abstammung betreffenden Sinne. Die Herkunft dieses Wortes ist nach Poliakov „ungewiss; in Europa taucht es seit dem XVI. Jahrhundert vor allem in der französischen Umgangssprache auf und hat die Bedeutung von ‚Nachkommenschaft’ oder ‚Abstammung‘. Bereits ganz vom Anfang an schließt dieser Ausdruck ein Werturteil in sich: ‚die adelige Rasse‘ stellt sich der ‚bürgerlichen Rasse‘ entgegen, und so die gute der schlechten Rasse“ (Poliakov, 1983, S. 146). Auch Nipperdey/Rürup (1976, S. 116–117) betonen die ausschließliche Anwendung dieses Begriffes im Sinne der Abstammungsgemeinschaft. Voltaire gebrauchte diesen Begriff, indem er „mit Nachdruck die rassische Überlegenheit der Europäer“ feststellte, die seiner Ansicht nach „offenkundig den Negern überlegen erscheinen, wie dies die Neger gegenüber den Affen und die Affen gegenüber den Austern sind ...“ (zit. nach Poliakov, 1983, S. 147). Dieser „Rassebegriff “, wie er in der Zeit der Aufklärung bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein gebraucht wurde, hatte also anthropologische Grundlagen. So ordnete man die Juden, denen man fast allgemein einen gemeinsamen Ursprung zuschrieb, in der Aufklärungszeit „unter die Völker und nicht unter die Rassen“ ein (Poliakov, 1983, S. 158). U. E. verbietet es sich deshalb, aus der Verwendung des „Rassebegriffs“ seit dem 16. Jahrhundert bis in die 50er Jahre des 19. Jahrhunderts, als Gobineau mit seinem „Versuch über die Ungleichheit der Menschenrassen“ (1853–1855) den rassistisch motivierten Judenhass ermöglichte, von „Antisemitismus“ im Sinne des ausgehenden 19. und des 20. Jahrhunderts zu sprechen.

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physische und moralische Verfassung der heutigen Juden“ die angeblich unveränderliche jüdische Mentalität betont. Deshalb plädiert er für die Vertreibung der Juden oder ihre Rückführung in Ghettos.35 Johann Gottlieb Fichte36 nimmt 1793 in seiner zunächst anonym erschienenen Schrift „Beitrag zur Berichtigung der Urteile des Publikums über die französische Revolution“, mit der sich Saul Ascher in seiner Flugschrift „Eisenmenger II.“ auseinandersetzte, zur Judenfrage Stellung und charakterisiert die Juden als einen „mächtigen, feindlich gesinnten Staat, der sich fast durch alle Länder von Europa verbreitet.“37 Fichte unterscheidet in Erwiderung der Argumente der Vertreter des Emanzipationsgedankens zwischen Menschen- und Bürgerrechten und äußert dazu seinen Standpunkt: „Menschenrechte müssen sie haben, ob sie gleich uns dieselben nicht zugestehen. [...] Aber ihnen die bürgerlichen Rechte zu geben, dazu sehe ich wenigstens kein Mittel, als das, in einer Nacht ihnen allen die Köpfe abzuschneiden und andere aufzusetzen, in denen auch nicht eine jüdische Idee sei. Um uns vor ihnen zu schützen, dazu sehe ich wieder kein anderes Mittel, als ihnen ihr gelobtes Land zu erobern und sie Alle dahin zu schicken.“38 Fichte erntete für diese Aussagen sehr viel Zustimmung.

1.3 Der Antisemitismus-Vorwurf gegen Jahn Vor dem Hintergrund dieses gesellschaftlichen Diskurses über die Berechtigung oder Nichtberechtigung von Vorschlägen zur Judenemanzipation stellt sich u. E. folgerichtig die Frage: Ist es berechtigt, Friedrich Ludwig Jahn als besonders stark wirksamen Antisemiten zu bezeichnen, wie das die Nationalsozialisten behaupteten und viele Leute noch heute glauben? Das „Deutsche Volkstum“, das Jahn erst 1810 veröffentlichte, nachdem auch schon andere Nationalerziehungspläne, z. B. die von Fichte und Schleiermacher, erschienen waren, ist ein Konglomerat aus vielen langen Zitaten aus Druckschriften, die in den vorausgegangenen drei Jahrzehnten erschienenen waren, vor allem aus Streitschriften, die im Zusammenhang mit den Vorschlägen zur Judenemanzipation standen, aus der Bibel sowie historischen, landes- und volkskundlichen Berichten und Vorschlägen für Verwaltungs-, Heeres- und Agrarreformen. Wir haben nach der Lektüre zahlreicher wissenschaftlicher Arbeiten zur 35 Vgl. Best (2001), S. 191. 36 Siehe auch die Ausführungen von Poliakow (1983) über die deutsche Philosophie und die Juden (S. 199–213), in denen er nachweist, wie u. a. Kant, Fichte und Hegel noch weit stärker als etwa Goethe oder Herder gegen die Juden „eiferten“ (S. 201–208). 37 Zit. nach Best (2001), S. 196. 38 Zit. nach Best (2001), S. 196–197.

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Judenfrage Jahns „Volkstum“, seine Berliner Vorträge von 1817, seine „Neuen Runenblätter“ und seine „Merke zum Deutschen Volkstum“ sehr gezielt durchgesehen und dabei außer den Vorschlägen für Reformen nichts gefunden, was nicht schon in den Jahrzehnten vor 1810 von anderen Autoren geäußert worden war.39 Friedrich Ludwig Jahn als „Antisemiten“ mit lang dauernder Wirkung zu bezeichnen, ist nicht allein angesichts des historischen Ortes des „modernen Antisemitismus“, der erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein gesellschaftliches Phänomen wurde, unvertretbar. Vielmehr sind die gelegentlichen, fast stereotypen Äußerungen Jahns über die Juden lediglich als Ausdruck einer „Judenfeindlichkeit“ zu deuten, die sich von der Judaephobie der vergangenen Jahrhunderte, die hauptsächlich auf religiöser Basis beruhte, überhaupt nicht unterschied.40 Von Anfang an war das Problem der Judenemanzipation mit der deutschen nationalen Frage geradezu verwoben. Schon 1782 verwandte Michaelis nicht mehr, wie das bis dahin der Fall war, die Antinomie „Juden – Christen“, sondern „Juden – Deutsche.“41 Damit wandelte sich die „religiöse Argumentation in der bisherigen Diskussion gegen die Integration der Juden“ um „in eine nationale“, 39 Schon Hartmut Becker (1978) hat sich mit dieser Frage gründlich auseinandergesetzt und das Klischee von Jahns „Antisemitismus“ widerlegt. Es kann nicht abgestritten werden, dass Jahn im „Deutschen Volksthum“ gelegentlich von „Schacherjuden (EJW 1, S. 156), von „weltflüchtigen Zigeuner(n) und Juden“ (EJW 1, S. 160) und von „jüdischem Wucher“ spricht. Jahn legt auch seine Meinung (oder besser: die seiner ungewöhnlich oft zitierten Gewährsleute) dar, dass sich der „äußere Staatsverband der Juden und Zigeuner zu einer Weltflüchtigkeit verirrt“ habe (EJW 1, S. 234), und er vertritt diese Ansicht auch in den „Merke [...]“ (EJW 2.2, S. 514–515), wo er die Juden als eine „gens“, eine „natio“ bezeichnet, nicht aber als einen „populus“, was er auf der Grundlage der wissenschaftlichen Diskussionen dieser Zeit auch zu begründen versucht. – Diese Beispiele für derartige Ausdrücke Jahns bei gelegentlichen Erwähnungen des Judentums, die allgemeiner Sprachgebrauch in der breiten Diskussion jener Zeit über Probleme der Judenemanzipation geworden waren, ließen sich beliebig fortsetzen. Sogar der intime „Jahn-Feind“ Heinrich von Treitschke schreibt im Zusammenhang mit der Wirkung der Schriften Saul Aschers auf seine Gegner, dass gegenüber einem solchen „Hochmut“ Aschers auch in dem „anderen Lager ungerechte und gehässige Worte nicht ausbleiben“ konnten. Zit. nach Becker (1978), S. 125, Anm. 15. – In diesem Sinne hat unstreitig auch Jahn solche Worte gelegentlich gebraucht. Als in den 1840er Jahren eine erneute Debatte über die Judenemanzipation aufkam – allein 1843/44 sollen dazu über 80 Aufsätze und Druckschriften erschienen sein (vgl. Nipperdey, 1983, S. 23) – hat sich Jahn zu diesen Problemen weder schriftlich noch mündlich geäußert. Er hat, soweit wir wissen, auch nicht in die 1848/49 in der Frankfurter Paulskirche geführten Debatten um Probleme der Judenemanzipation eingegriffen. 40 Insofern ist es auch kein Zufall, dass Jahns Haltung zu Juden und Judentum in seriösen Darstellungen der letzten drei Jahrzehnte über die Geschichte der Juden und insbesondere zur Judenemanzipation überhaupt nicht erwähnt wird. S. u. a. Poliakov (1983), Herzig (1997) und Volkov (2000). 41 Best (2001), S. 176.

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und indem Michaelis die jüdische Religion als eine Art jüdische Nationalverfassung betrachtet, werden die antijüdischen Vorurteile erstmals politisch begründet. Denn während Dohm den sog. Jüdischen Nationalcharakter aus der historischen Tradition, der Behandlung der Juden durch die Christen seit der Zeit der Kirchenväter und über das Mittelalter und die frühe Neuzeit hinweg erklärt und sie damit für veränderbar hält, sieht Michaelis die Verhaltensweisen der Juden als Ergebnis ihrer religiösen Gesetze, die Christen allezeit dazu veranlassten, Juden zu verfolgen und zu unterdrücken.42 Renate Best schreibt in ihrer Studie über „Juden und Judenbilder in der gesellschaftlichen Konstruktion einer deutschen Nation“ – sie beschränkt ihre Untersuchung auf den Zeitraum von 1781 bis 1804 –, dass die Schriften zur Judenemanzipation nach der Jahrhundertwende einen aggressiveren Ton entwickelten. Statt kosmopolitisch-humanitärer Gesichtspunkte stellten die Emanzipationsgegner jetzt zunehmend national-kulturelle Eigenheiten, die den verschiedenen Völkern eigen seien, in den Vordergrund,43 womit der traditionelle Antijudaismus nun durch anthropologische, aber nicht rassistische44 Vorstellungen ergänzt wurde.

1.4 Xenophobie im Kontext des deutschen Frühnationalismus In der gegenwärtigen wissenschaftlichen Diskussion wird auch die Rolle der Xenophobie bei der Genese des frühen Nationalismus erörtert. Die Debatte um die „deutsche Nation“ war um die Jahrhundertwende schon in vollem Gange; das zeigte sich vor allem auch in den Streitschriften um die Judenemanzipation. Volkov betont, „daß der Nationalismus mit verschiedenen politischen Strömungen kombiniert und einer Reihe kultureller Milieus angepaßt werden konnte.“45 Der Nationalismus war auch „immer bereit – keineswegs allein in Deutschland -, verschiedene Formen von Fremdenfeindlichkeit zu übernehmen. George L. Mosse wirft in seiner Studie über „Die Juden im Zeitalter des modernen Nationalismus“ die Frage auf, ob der Nationalismus ohne Feinde überhaupt existieren und seine Dynamik behaupten könne.46 Nach Volkov hatte Fremdenfeindlichkeit eine Funktion sowohl im kognitiven Prozess, die Nation zu definieren, als auch bei der Integration der verschiedenen und häufig entgegengesetzten sozia42 43 44 45 46

Best (2001), S. 180. Best (2001), S. 210. Siehe Mosse (1999), S. 20. Volkov (1999), S. 266. Mosse (1999), S. 23.

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len Elemente der Gesellschaft. Nationalismus war demzufolge auch mit Judaephobie bzw. Antisemitismus verknüpft. „Doch das werde oft – viel zu oft – von der Geschichtswissenschaft vergessen.“47 47 Volkov (1999), S. 166. – In gleicher Weise ist Nationalismus, vor allem in seiner Frühphase, verknüpft mit Xenophobie gegenüber anderen „Fremdstämmigen“. Zu diesem Problem verweisen wir auch auf neuere Gesamtdarstellungen deutscher Historiker. So ist die antifranzösische Prägung der Frühphase des deutschen Nationalismus für Thomas Nipperdey (1983) nichts Außergewöhnliches. Er schreibt wörtlich (S. 304): „Es gibt die antiwelschen, antilateinischen, antirömischen Töne, nicht nur bei dem Teutomanen Jahn; den Rückgriff auf die alte germanische Freiheit (gegen alle Weltherrschaft und allen Despotismus); es gibt die Elemente eines Sendungsglaubens und einer nationalen Hybris; es gibt – zumal bei Stein und Arndt – den Haß gegen Fürsten und Partikularherrschaft, sie sind Verbündete des Despoten und Feinde der Nation. Die Nationalbewegung ist, durch die Situation ihrer Geburtsstunde geprägt, von vornherein auf ein Doppelziel gerichtet: Befreiung von Fremdherrschaft und Selbstbestimmung der Nation im Inneren, äußere und innere Freiheit; beides ist legitim, und beides ist, wie wir wissen, nicht identisch; die Last dieses Doppelproblems und seiner Spannungen hat die Geschichte und die Tragik der deutschen Nationalbewegung über mehr als ein Jahrhundert geprägt.“ Nipperdey fährt fort (S. 305): „Nation wird zum Schlüssel für das Verständnis von Kultur und Geschichte der eigenen Lebenswelt, der Identität. Und aus der Feststellung wird die Forderung: was national ist, soll erhalten und gepflegt, erinnert, entwickelt, befreit, gesteigert werden; man muß dem nationalen Charakter treu sein. Die Tradition soll vergegenwärtigt werden in Büchern, Editionen, Reihenwerken und Sammlungen, und in Kunstwerken, Historienbildern, restaurierten Bauwerken und – jahrhunderttypisch – in Denkmälern für die Großen der Nation.“ – Hans-Ulrich Wehler (1989) urteilt (S. 516–517): „In die Einheitspostulate des frühen deutschen Nationalismus floß von Anfang an ein stark ausgeprägtes, gleichwohl diffuses Sendungsbewußtsein ein, wie das der Vergleich als Regelfall der modernen Nationalismen enthüllt. Nationalstaatliche Verengung und kosmopolitische Menschheitsmission gingen darin eine durchaus typische Mischung ein. Sie waren besonders dazu geeignet, weit über das rationale politische Planen hinaus die Kräfte des Gemüts, der Emotion und Phantasie zu beflügeln. Die entmutigenden Erfahrungen der unmittelbaren Gegenwart konnten durch die faszinierende Utopie eines weltweit geltenden nationalen Auftrags wenigstens teilweise kompensiert werden.“ Wehler weiter (S. 520): „Sowohl der deutsche Kulturnationalismus als auch der über ihn hinaustreibende Staatsnationalismus bedienten sich unentwegt des Rückgriffs auf die Geschichte, um eine neue nationale Identität zu schaffen, ihr Halt zu geben oder um nationale politische Energien freizusetzen. Auch das ist ein allgemeines Phänomen moderner Nationalbewegungen, das in Deutschland durch die bedeutende Rolle, welche die moderne Geschichtsschreibung seit der Blüte der Göttinger Schule im ausgehenden 18. Jahrhundert und seit der Entfaltung der frühen Politischen Romantik zu spielen begann, besonders nachhaltig befördert wurde.“ – Speziell zum Gebrauch von Geschichte und Volkskunde durch Jahn schreibt Wehler (S. 521): „Die von ihm begründete Turnerbewegung, die Studentenvereinigungen und die Soldaten des künftigen Volksheers mußten ein historisches Bewußtsein jahrhundertealter deutscher Größe vermittelt bekommen, während eine bizarre altdeutsche Kleidungsmode, nationale Feiern, Festtage und Denkmäler die Erinnerung symbolisch wachzuhalten hatten.“ – Auch in internationalen historischen Abhandlungen wird die Rolle von Geschichte und Landschaft bei der Nationsbildung als bedeutsam gewertet; vgl. Mosse (1999), S. 18.

Xenophobie im Kontext des deutschen Frühnationalismus

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Zum Prozess der Ausbildung des frühen Nationalismus in Deutschland liegen zahlreiche Arbeiten vor, die die verschiedensten Gesichtspunkte betonen, von denen hier nur einige wenige, die für unser Thema besonders wichtig erscheinen, angeführt werden. Bereits um die Jahrhundertwende hatten führende Vertreter des preußischen Staates erkannt, dass der Staat modernisiert werden müsse. Nach der vernichtenden Niederlage Preußens gegen die Truppen Napoleons in der Schlacht bei Jena und Auerstedt (1806) und dem demütigenden Frieden von Tilsit (1807) erhielten die Reformkräfte einen großen Auftrieb. Unter der Führung des Freiherrn vom und zum Stein formierte sich eine patriotische Bewegung mit dem Ziel, den preußischen Staat so umzugestalten und zu modernisieren, dass er in absehbarer Zeit wieder eine beachtliche Rolle unter den führenden Staaten Europas spielen könnte. Dazu waren „durchgreifende Reformen der Agrar- und Gewerbeverhältnisse, des Finanzwesens, der öffentlichen Verwaltung, des Städtewesens, Schulsystems und nicht zuletzt auch des Heeres“48 notwendig. Diese patriotische Reformbewegung wurde getragen von einer Minderheit, insbesondere aus der bildungsbürgerlichen Schicht in den Städten. Die Reformer wandten sich „an Dichter, Schriftsteller und Gelehrte, die ihnen politisch nahe standen, und baten sie um Unterstützung bei der Neugestaltung des Staatswesens. [...] Die Angesprochenen sollten [...] so auf die Öffentlichkeit einwirken, dass bei der Bevölkerung dauerhaft bestimmte Denkweisen, Einstellungen und Emotionen erzeugt würden.“49 Das ist der Hintergrund für die Formierung einer nationalpatriotischen und antinapoleonischen Front, für die auch Jahn gewonnen wurde. Nach Nipperdey stellte sie gegenüber der weitgehend schweigenden Masse nur eine Minderheit dar, die sich aber über Stein und die Beamten und Offiziere der Reformpartei in Preußen großen politischen Einfluss zu verschaffen wusste und angesichts der zunehmenden Diskreditierung des napoleonischen Systems für einige Zeit, mit dem Höhepunkt bei Beginn der Kriege von 1813/15, zum Führer der öffentlichen Meinung werden konnte.50 Was die konkreten Ziele bezüglich der staatlichen Neugestaltung betrifft, so vertraten die Angehörigen dieser patriotischen Bewegung durchaus nicht einheitliche Meinungen, z.  B. zu der Frage, ob ein Nationalstaat unter preußischer Führung oder die Erneuerung des alten Reichs mit einem habsburgischen Kaiser das Ziel sein solle. Diese Unterschiede waren für die Maßnahmen der Reformer zunächst nicht relevant. Von erheblicherer Wirkung waren die konzentrierten Bemühungen der Reformer um die Entwicklung eines deutschen Nationalgefühls im Volke. Dazu war 48 Vgl. Eisenberg (1999), S. 106. 49 Eisenberg (1999), S. 106. 50 Nipperdey (1983), S. 30–31.

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Antisemitismus und Nationalismus im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert

es notwendig, ihren Hass auf die französische Fremdherrschaft in Deutschland und Napoleon auf die Masse des Volkes zu übertragen. Gab es doch im letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts noch zahlreiche Stimmen der Anerkennung für die Leistungen der französischen Revolution und Napoleons, auch unter den Reformern.51 Hier sind vor allem Hegel und unter den Militärs Scharnhorst, Gneisenau, Clausewitz und Boyen zu nennen. In der Hallenser und Jenenser „Allgemeinen Litteraturzeitung“ machten sich sogar noch bis 1813 frankophile Tendenzen bemerkbar. Hatte doch sogar Ernst Moritz Arndt 1799 Napoleon noch hymnisch gefeiert, ehe für ihn seit 1807 Napoleon als „der Erbfeind“ galt, ein Stereotyp, das nicht Jahn kreiert hat, sondern das von dem klassischen Philologen Friedrich Jacobs in Weimar-Gotha vom Katheder aus und in Publikationen eingeführt worden ist, womit Jacobs auch dafür gesorgt hat, dass dieses Wort vom „Erbfeind“ haften blieb.52 Um ein deutsches Nationalgefühl zu entwickeln, haben die preußischen Patrioten alle ihnen zur Verfügung stehenden Mittel genutzt. Sie taten das umso erfolgreicher, je länger die französische Hegemonie in Europa andauerte. Je stärker die drückende Last der Fremdherrschaft und des Krieges empfunden wurde, desto entschiedener wurde die schroffe Ablehnung der französischen Vorherrschaft. Die anfänglichen Sympathien schlugen um in erbitterte Antipathien. Napoleon wurde für Stein der Tyrann voller Gemeinheit und Feigheit, und solche Urteile wurden bis 1813 immer schriller.53 Napoleon wurde nun bezeichnet als „furchtbarer Bonaparte“, als Gepräge eines erhabenen Ungeheuers, und in Schuncks „Schand- und Schimpfode“ wird er sogar als „Abschaum der Menschheit“ bezeichnet. Die Verachtung gegenüber dem despotischen Korsen setzte sich schließlich in der deutschen Öffentlichkeit durch. Die Grundlage zur Meisterung aller Schwierigkeiten sahen die Patrioten in einem deutschen Nationalstaat, gleichgültig, ob klein- oder großdeutscher Prägung. Wie in der Genese der meisten Nationalismen spielte die Beschwörung der Geschichte und der Volkskunde eine wichtige Rolle.54 Die Hervorhebung einer glorreichen Vergangenheit sollte die Entwicklung eines deutschen Nationalbewusstseins fördern bzw. ein echtes Nationalgefühl entwickeln helfen. In diesem Zusammenhang spielte auch die literarische Frühromantik Schlegels, Novalis’ u. a. eine große Rolle. Vor allem Gemüt, Emotion und Phantasie wurden dadurch erregt.55 Das wurde allerdings bald so übersteigert, dass auf der einen Seite die Xenophobie, insbesondere der Hass auf Frankreich, die Empörung 51 52 53 54 55

Dazu und zum Folgenden Nipperdey (1983), S. 523–524. Vgl. Nipperdey (1983), S. 522. Vgl. Nipperdey (1983), S. 524. Vgl. Nipperdey (1983), S. 521, 545. Vgl. Nipperdey (1983), S. 516.

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über die französische Fremdherrschaft und der Hass auf Napoleon sich ins Unermessliche steigerten, auf der anderen Seite dieses entwickelte Nationalgefühl Dimensionen erreichte, die verstandesmäßig nicht mehr zu fassen sind. Der erste Gesichtspunkt, die Steigerung der Xenophobie, wird deutlich an den erstaunlich ungehemmten Ausbrüchen blanken Hasses und offenen Vernichtungswillens. So rief Friedrich Schlegel zum heiligen Krieg, zu einem „gänzlichen Vernichtungskrieg“ gegen die „durch und durch verderbte Nation“ im Westen auf, Kleist verwies auf den Sieg des Cheruskerfürsten Arminius (Hermann) im Jahre 9 im Teutoburger Wald und forderte die Deutschen auf, sich dieser Vorväter würdig zu erweisen: „Schlagt ihn tot! Das Weltgericht fragt Euch nach den Gründen nicht.“ Der Berliner Historiker Rühs wollte aller Jugend die „eingeteufelte Verworfenheit“ der Franzosen einprägen lassen, und Arndt rief in zahllosen Schriften, Gedichten und Pamphleten dazu auf, „das Franzosenungeziefer als Scheusal zu vertilgen.“ Gegen Kritiken an solchen Aussagen wandte er ein: „Verflucht aber sei die Humanität und der Kosmopolitismus, [...] jener allweltliche Judensinn, den ihr uns preist.“56 Der zweite Gesichtspunkt wird deutlich an den grenzenlosen Ausmaßen, die die Propagierung des Nationalgefühls annahm. Wehler bezeichnet den Rückgriff auf die Geschichte des Volkes, auf Landschaft und Heimat als legitime Mittel, um eine neue nationale Identität zu schaffen, nationale politische Energien freizusetzen, und sieht darin ein allgemeines Phänomen moderner Nationalbewegungen. Beispiel Arndt: Er setzte auf überströmendes Gefühl, auf Ekstase, und er erhob den Nationalismus gewissermaßen zum Religionsersatz.57 Aber nicht nur Arndt, auch andere legten ein emotional propagiertes Sendungsbewusstsein an den Tag. Friedrich Schlegel dichtete bereits um 1800: „Europas Geist erlosch, in Deutschland fließt der Quell der neuen Zeit, die aus ihm tranken, sind wahrhaft deutsch; die Heldenschar ergießt sich überall.“58 Friedrich Schiller schrieb: „Jedes Volk hat seinen Tag in der Geschichte, doch während der Brite nach Schätzen und der Franke nach Glanz lüstern späht, ist den Deutschen das Höchste bestimmt: der Tag der Deutschen ist die Ernte der ganzen Zeit.“59. Für Schleiermacher ist das deutsche Volk „ein auserwähltes Werkzeug und Volk Gottes.“60 Dieses Sendungsbewusstsein entsprang dem überzogenen Selbstbewusstsein eines neuhumanistischen Bildungsbürgertums, für das die Nation kein Endziel war, und das fest daran glaubte, dass der deutschen Nation die kulturelle 56 57 58 59 60

Zit. nach Nipperdey (1983), S. 522–523. Vgl. Wehler (1987), S. 520. Zit. nach Wehler (1987), S. 517. Zit. nach Wehler (1987), S. 517. Zit. nach Wehler (1987), S. 517.

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Veredelung der menschlichen Gattung aufgetragen sei.61 Wie insbesondere das Erlebnis des Aufbruchs von 1813 „als fast rauschhafte Erfahrung, als Solidarität und Gemeinschaft“ stilisiert wurde,62 das erkennen wir sehr deutlich an den patriotischen Liedern und Kriegsliedern, die um 1813/14 in sehr großer Zahl entstanden und deren Texte überzogenes Sendungsbewusstsein der Nation und nationale Arroganz ebenso wie die religiöse Überhöhung des preußischen Patriotismus63 deutlich erkennen ließen. George L. Mosse weist darauf hin, dass die Gleichzeitigkeit von Judenemanzipation – 1812 wurde den Juden vom preußischen König erstmals rechtliche Gleichstellung formal gewährt – und Nationalismus den Philosemitismus und den Antisemitismus (in seiner frühen Form als Judenfeindschaft, als Judaephobie), die Emanzipation und die Assimilation der Juden weitgehend bestimmt hat. Das aufkommende Nationalgefühl hat bei alledem eine wichtige historische Rolle gespielt, und Mosse stellt davon ausgehend das Problem heraus: Ob das Nationalgefühl die Juden mit einschloss oder als Fremde behandelt, immer war von der Beziehung der Juden zur Nation die Rede und davon, wie z. B. die „Nation der Juden“, wie es im 18. Jahrhundert meistens hieß, „in der deutschen Nation aufgehen“ könnte.64 Die Kriege gegen das napoleonische Frankreich geben dafür – aber auch nur für diese wenigen Jahre – die Antwort. Besuchten doch am ersten Jahrestag der Völkerschlacht bei Leipzig viele Christen die Synagogen und viele Juden die christlichen Kirchen, standen doch viele Hunderte von Juden in diesen Kriegen als Freiwillige im Felde ihren Mann, darunter auch im Lützower Freikorps, und befanden sich doch damals auch Juden in den Reihen der Turner.65 61 Vgl. Wehler (1987), S. 518. 62 Nipperdey (1983), S. 305. 63 Wehler (1987, S. 518) nennt ausdrücklich das „überzogene Selbstbewusstsein eines neuhumanistischen Bildungsbürgertums, das in der geradezu herbeigeflehten Nation dennoch kein Endziel erblickte, sondern sie auch und vor allem in den Dienst einer kulturellen Veredlung der gesamten menschlichen Gattung stellen wollte.“ 64 Mosse (1999), S. 45. 65 Auf die Tatsache, dass sich unter den Turnern in Berlin während des zweiten Jahrzehnts des 19. Jahrhunderts – der Jahnschen „Hoch-Zeit“- auch Juden befanden, haben wir bereits mehrfach in anderem Zusammenhang hingewiesen. Hier einige Belege: Unter den Teilnehmern am Berliner Winterturnen 1817/18 befand sich laut überlieferter Teilnehmerliste mit dem 18-jährigen Schüler Salomon auch der Sohn eines Rabbiners. Mit dem 1792 geborenen Dr. Salomon Friedrich Stiebel hat Jahn wahrscheinlich zeitlebens Verbindung gehabt, ließ er sich doch während seines Aufenthalts 1848/49 in Frankfurt von ihm, einem bekannten Mediziner, der auch wissenschaftliche Arbeiten publizierte, behandeln (M2, S. 474). Salomon Stiebel war Feldwebel bei den Lützowern und in dieser Einheit, wie Jahn schreibt, unter dem Namen „Bär“ bekannt. Stiebel war auch bei weitem nicht der einzige Jude, der als Kriegsfreiwilliger gedient hat. In der „Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums, hrsg. v. Dr. M. Brann, 50. Jg.,

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Nach erfolgreichem Abschluss der antinapoleonischen Kriege 1815 ebbte die Intensität des Nationalismus der Aufklärungsphase, charakterisiert durch Franzosen- und Despotenhass, Sendungsglauben und Sakralisierung, Prophetenton und Teutomanie, entschieden ab.66 Die Mehrzahl der Patrioten schwenkte allmählich auf den neuen Regierungskurs ein. Damit geriet auch der Prozess der Judenemanzipation ins Stocken; er war 1812/15 bereits auf dem Stand, dass den Juden die rechtliche, aber noch nicht die soziale Gleichheit gewährt war.67 Doch erst in der 2. Hälfte des 19 Jahrhunderts, im Norddeutschen Bund 1869 und im deutschen Kaiserreich 1872, fand er mit der Gewährung sozialer Gleichheit seinen Abschluss. Äußerungen Jahns über Frankreich und die Franzosen werden bis heute von vielen Wissenschaftlern und inzwischen auch in breiten Bevölkerungskreisen als Ausdruck von Xenophobie, speziell eines besonders aggressiven Franzosenhasses, gewertet. Nicht zuletzt angesichts der gesellschaftlichen Diskussion um die Schaffung eines deutschen Nationalmythos ist das jedoch nicht gerechtfertigt. Jahn war einer derjenigen, die von den Reformern um den Freiherrn vom und zum Stein für die Mitarbeit an dem patriotischen Reformwerk gewonnen wurNF 14. Jg., Breslau 1906“ bezifferte Martin Philippson in seiner Abhandlung zum Thema „Der Anteil der jüdischen Freiwilligen an dem Befreiungskriege 1813 und 1814“ diesen Anteil allein im preußischen Heere im Jahre 1815 auf mindestens 731 (S. 19); in dieser Abhandlung veröffentlichte Philippson auch eine Liste der ihm bekannten jüdischen Kriegsfreiwilligen in den Jahren 1813/14, in der u. a. Name, Stand, Heimat und Truppenteil aufgeführt sind, ergänzt mit detaillierten Informationen über Tod im Kriege, Verwundungen, Beförderungen und Auszeichnungen. 66 Vgl. Nipperdey (1983), S. 305. 67 Möglicherweise ist dieses „Stocken“ der Judenemanzipation auch darauf zurückzuführen, dass nach dem Wiener Kongreß „die Reformer zunächst ihre Bestrebungen zur Gleichstellung der Juden“ aufgaben, „da sie sich einem breiten Widerstand konfrontiert sahen, der vom Adel über die Kaufmannschaft und das kleinbürgerliche Handwerk bis zu den Bauern, von den Kirchen bis zu Teilen eines national gestimmten, gebildeten Bürgertums reichte. Für sie alle wurde die jüdische Minderheit zum Symbol der Schattenseiten des gesellschaftlichen und technischen Umbruchs. Diese heterogene ‚Koalition‘ mit durchaus widerstreitenden Interessen fand einen gemeinsamen Nenner in dem im Kampf gegen Napoleon erwachten Nationalbewusstsein, so dass bereits hier ein nationaler Gegensatz von Juden (als ein ‚fremder Stamm’) und Deutschen konstruiert wurde, was manche als ‚Germanomanie‘ (Saul Ascher) und ‚Deutschtümelei’ verspotteten.“ (Bergmann, 2004, S. 27). Über den preußisch-deutschen Weg der Judenemanzipation siehe Grab (1996), S. 140–164. Grab (1996, S. 164) sieht und begründet den prinzipiellen Unterschied zwischen dem Weg der preußisch-deutschen Judenemanzipation und dem in den Ländern des Westens, den Niederlanden, England und Frankreich, wo eine siegreiche bürgerliche Revolution stattgefunden hatte. Den entscheidenden Unterschied sieht er darin, dass die Emanzipation in Preußen/Deutschland „ohne die Mitwirkung und Mitbestimmung der Bevölkerungsmehrheit, ohne Demokratisierung der Gesellschaft, ohne Einschränkung der Normen und Werte der alten Sozialelite erfolgte.“

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den.68 Er war in Reformerkreisen als glühender preußischer Patriot genügend bekannt und hatte noch vor seiner Übersiedlung nach Berlin, auch während seiner konspirativen Kurierdienste für die von Gruner geleitete Geheime Preußische Staatspolizei und für den von Friesen und ihm selbst geleiteten, 1810 gegründeten Deutschen Bund zahlreiche Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und hochrangige Militärs kennen gelernt. Ihm wurden im Rahmen der patriotischen Reformbewegung, so Christiane Eisenberg mit durchaus einleuchtenden Argumenten, zwei wichtige Aufgaben übertragen, und zwar die Mitwirkung bei der Entfaltung nationaler Gefühle in weiteren Bevölkerungskreisen, eine Aufgabe, die er 1810 mit der Publikation des „Deutschen Volksthums“ erfüllte, und die Initiierung körperlicher Bildung, was zur größten und bleibenden Lebensleistung Jahns, zur Initiierung des öffentlichen Turnens, führte. Was die im „Deutschen Volkstum“ besonders auffällig in Erscheinung tretende Xenophobie, insbesondere die Frankophobie Jahns betrifft, so gilt auch hier: Jahn nimmt in seinen Schriften lediglich das auf, was im gesellschaftlichen Diskurs von anderen bereits vorweggenommen war, dabei sogar eher in gemilderter Form und fast ausschließlich im nationalstaatlichen Zusammenhang. Aber: Während ein großer Teil der führenden Patrioten in der Zeit nach 1815 auf den Kurs des Deutschen Bundes unter Führung Metternichs einschwenkte, hielt Jahn – seinem Charakter entsprechend69 – an den Vorstellungen aus der Zeit des nationalen Aufbruchs fest. Seine „Volkstumsideen“ hatte er so verinnerlicht, dass sie ihn auf den Weg der „Deutschtümelei“ führten. Dies war einer der Gründe dafür, dass er seit den späten 40er Jahren des 19. Jahrhunderts die demokratisch gesinnten Turner nicht mehr verstand. „Meine Zeit ist gewesen, und das verlöschende Licht meines Lebens mag still verglimmen“, schrieb Jahn am 21. Juli 1848 von Frankfurt aus an die Turngemeinde zu Limburg an der Lahn.70 Darin drückt sich die Tragik dieses Mannes aus, der das öffentliche Turnen kreiert hatte und an dessen Lebenswerk noch heute wesentliche Traditionen geknüpft sind. Jahns Misstrauen gegenüber Frankreich, nicht gegenüber den Franzosen und seinem Freund Lortet, wachte nur ab und zu wieder auf, so nach der Juli-Revolution 1830 oder wenn die französischen Regierungen den Gedanken an den Rhein als einer natürlichen Grenze gegenüber den deutschen Staaten zu realisieren drohten. Aus der geschichtlichen Entwicklung glaubte Jahn schlussfolgern zu müssen, dass das größte Hindernis auf dem Weg zu einer deutschen Nation 68 Vgl. Eisenberg (1999), S. 106–107. 69 Vgl. Bartmuß (1998), Abschnitt „Friedrich Ludwig Jahn – Persönlichkeit und ‚engeres Umfeld’.“ 70 Zit. nach M1, S. 539.

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seit Jahrhunderten Frankreich und die französische Politik gewesen sei, und darin schien ihn nicht zuletzt auch die Eroberungspolitik Napoleons zu bestärken. Ähnlich verhält es sich mit Jahns Haltung zu Juden und Judentum. Hören wir doch von Jahn zur Frage der Judenemanzipation auch in späteren Jahren so gut wie nichts, obwohl dieses Problem gerade vor und während der deutschen Revolution von 1848/49, als Jahn als Abgeordneter im Frankfurter Parlament saß, wieder brandaktuell wurde. An den Diskussionen um das in Frankfurt verabschiedete Emanzipationsdokument beteiligte er sich nicht.71 Als er in Frankfurt im April 1849 kurze Zeit erkrankt war, ließ er sich nicht von irgendeinem Arzt, sondern von dem Frankfurter Arzt Salomon Stiebel, einem Juden, den er im Freiwilligenverband der Lützower während der Befreiungskriege 1813 kennen gelernt hatte, behandeln. Es bleibt im Ergebnis festzustellen: Der von Peter Hacks (1991) so benannte „Freiheitskrieg“ hat in Wirklichkeit gar nicht stattgefunden, bereits der Titel dieses Buches ist künstlich konstruiert. Deshalb wäre Hacks ganz sicher besser beraten gewesen, wenn er sich an Aschers Zurückhaltung gegenüber Jahn, die er selbst zu bemerken für wichtig hält,72 ein Beispiel genommen hätte.

71 In der Frankfurter Nationalversammlung wurde im Zusammenhang mit der Diskussion über die Grundrechte, speziell über das künftige Verhältnis zwischen Kirche und Staat, auch eine Debatte über die Judenemanzipation geführt. Im Ergebnis dieser Debatte, an der sich Jahn nicht beteiligt hat, nahm die Versammlung „gegen alle redaktionellen Änderungsvorschläge“ den vom zuständigen Ausschuss vorgeschlagenen Wortlaut „Durch das religiöse Bekenntnis wird der Genuß der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte weder bedingt noch beschränkt“ an. Zusätzlich wurde auch noch die Ablösung des Eides von einem bestimmten religiösen Bekenntnis beschlossen; s. Strauss (1946), S. 112–115. 72 Hacks (1991), S. 108.

2. Jahns Verhaftung und Verbannung Die Ermordung des populären Lustspieldichters August v. Kotzebue durch den Theologiestudenten, Burschenschafter und Turner Carl Ludwig Sand im März 1819 bot den restaurativen Kräften den Anlass, nun entschieden gegen die längst als Bedrohung für die staatliche Ordnung eingestuften Burschenschaften und öffentlichen Turnplätze vorzugehen. Nachdem sich die Staatskanzler Österreichs und Preußens, Metternich und Hardenberg, auf eine gemeinsame österreichischpreußische Bundespolitik gegen die „revolutionären Umtriebe“ geeinigt und sich der Zustimmung weiterer „zuverlässiger“ Staaten des „Deutschen Bundes“ versichert hatten, setzten sie die „Karlsbader Beschlüsse“ durch, die im September 1819 in Kraft traten. Die Einschränkung der Pressefreiheit, die polizeiliche Überwachung der Universitäten, das Verbot der Burschenschaften und die Einsetzung einer „Zentral-Untersuchungskommission“ zur Verfolgung staatsfeindlicher Vergehen waren Bestandteil dieses Gesetzes, das bis 1848 in Kraft blieb. In Preußen gewannen die mit der Untersuchung gegen einzelne Burschenschafter beauftragten staatlichen Stellen sehr schnell den Eindruck, dass viele Burschenschafter zugleich Turner waren, denen Jahn die „höchst gefährliche Lehre“ von der Einheit Deutschlands gepredigt hatte. Turner und Burschenschafter galten gleichermaßen als „Aufrührer“ und „Staatsfeinde“, die sich nun der Verfolgung durch die Polizei ausgesetzt sahen. Bereits Anfang November 1819 wurde das gesamte Turnwesen unter polizeiliche Aufsicht gestellt und durch ministerielle Verordnung am 2. Januar 1820 verboten. Schließlich ordnete Staatskanzler v. Hardenberg am 16. März desselben Jahres die Fortschaffung aller Turngeräte ohne Rücksicht auf den- oder diejenigen an, die die Kosten zur Herstellung der Geräte aufgebracht hatten. „Mit dieser Verbotspolitik versetzte die preußische Regierung der nationalen Turnbewegung nicht nur deshalb den Todesstoß, weil durch sie ca. Zweidrittel aller deutschen Turngemeinden aufgehoben wurden; durch diesen Verbotsakt verlor die Turnbewegung auch endgültig ihre Urgemeinde, ihr Aktionszentrum, ihre unbestrittene Steuerungszentrale: die Berliner Turngesellschaft. An der Tatsache, daß die frühe Turnbewegung 1820 so gut wie ausgelöscht war, daran vermochte auch nichts der Fortbestand von Turngesellschaften in einigen wenigen deutschen Staaten über die Jahre 1819/20 hinaus zu ändern.“1 Das Verbot des öffentlich organisierten, freien Turnens hob erst der Nachfolger König Friedrich Wilhelms III. im Jahre 1842 auf. 1

Düding (1984), S. 134.

Verhaftung

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2.1 Verhaftung Jahn war noch vor Beginn der Karlsbader Konferenzen Anfang August bereits in der Nacht vom 13. zum 14. Juli 1819 wegen „demagogischer Umtriebe“ verhaftet und auf die Festung Spandau gebracht worden. Wie haben seine Anhänger darauf reagiert? Die Berliner „Haude- und Spenersche Zeitung“ gab in der Ausgabe vom 15. Juli 1819 die Verhaftung Jahns bekannt, die damit begründet wurde, dass dieser auf den Turnplätzen demagogische Politik betrieben und unentwegt versucht habe, die Jugend gegen die bestehende Regierung einzunehmen und zu revolutionären Aktionen zu verführen, die auch den Meuchelmord erlaube. Die Redaktion der „Bremer Zeitung“ wunderte sich darüber, dass diese Nachricht nicht zeitgleich in der „Staatszeitung“ bzw. in anderen Berliner Zeitungen veröffentlicht worden war und stellte deshalb die Frage: „Ob etwa bei der Haude-Sp. Z. der Einfluß eines Einzelnen vorwaltet?“2 Angesichts dieser als eigenmächtig empfundenen Vorgehensweise der „Haude- und Spenerschen Zeitung“ hatte die Redaktion der „Bremer Zeitung“ umso weniger Bedenken, eine eingesandte Erklärung zur Verteidigung Jahns zu publizieren, die von 53 Personen unterzeichnet war. Vehement wiesen sie die in der „Haude- und Spenerschen Zeitung“ als Begründung für Jahns Verhaftung erhobenen Vorwürfe zurück. „Unterzeichnete, welche theils den Berliner Turnplatz häufig besucht und auch sonst Umgang mit Jahn gehabt, theils ohne den Turnplatz zu besuchen, ihn genauer kennen gelernt haben, erklären hierdurch der Wahrheit gemäß, daß sie niemals dergleichen von ihm gehört haben, ihn nach ihrer Ueberzeugung dessen auch nicht für fähig halten. Sie sind freilich nicht auf Turnplätzen, sondern nur auf dem einen, hiesigen, großen Turnplatz in der Hasenheide gewesen; ihres Wissens aber ist Jahn auch auf keinem andern gewesen, es sei denn im Vorbeigehen, und sie verstehen nicht, wie es mit dem Ausdruck Turnplätze eigentlich gemeint sein mag. Wenn übrigens noch, wie es scheint, der Verfasser der genannten Anzeige auch auf den Umstand, daß bei Jahn zwei Dolche gefunden sind, ein Gewicht legt, und ihn vielleicht gar als Beweis seiner Billigung des bedingten Meuchelmordes ansieht; so muß dem wenigstens Unkenntniß zum Grunde liegen. Jahn machte 1813 und 1814 den Feldzug mit unter Lützow. Bekanntlich trugen fast alle Lützower Dolche, und Jahn hat den einen als Andenken von Theodor Körner erhalten, den zweiten hat er sich verfertigen lassen, als er 1815 nach Paris gerufen wurde. Nach dieser Zeit hat er den einen als Zuckermesser gebraucht, den andern hat er zu kleinen Handarbeiten benutzt, und beide der Polizei selbst übergeben. Berlin, den 21. Juli 1819. 2

Bremer Zeitung, No. 213 vom 1. August 1819.

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Jahns Verhaftung und Verbannung

C. Albrecht, W. Anstatt, C. Bauer, C.C. Beck, F.J. Beckmann, F.J Bernau, Bohm, Breyer, A. Calix, L. Cauer, F.W. Clasen, G. Escher, A. Fedders, F. Förster, Geibel, G.A. Hake, F.C. Heine, C. Hennig, H. Hintze, C. Hofbauer, F.W. Hoffmann, Ludwig Jonas, Keibel, F.H. Kellner, H. Kisting, Klenze, H.F. Krüger, W.K. Lange. G. Lieber, C. Lindenberg, Th. Maßmann, L. Mayerhof, H. Nicolovius. Pito, L. v. Plehwe, Graf zu Rantzau, F. Rettschlag, J.F. Rost, F.H. Schmidt, B. Schlott, C.E. Schulz, F.W. Sommer,

Silberarbeiter. königl. preuß. Litograph. Inspektor am Joachimsthale. d. GG. Befl. königl. preuß. Litograph. Lieut., dem 4. Kürassierreg. aggr. Rendant. Dr. Instrumentenmacher. Vorsteher einer Erziehungsanstalt, Namens seiner und der Theilnehmer seiner Anstalt. Juwelier. Stud. phil. Tischler. Dr. philosoph. Stud. theol. d. GG. Bef. Maler. Schreiblehrer. Maler. Gouverneur in der königl. Kadettenanstalt. Goldarbeiter. Gouv. in der k. Kadettenanstalt. Kaufmann u. Ritter des eisernen Kreuzes. Schullehrer. königl. Hofinstrumentenmacher. Dr. juris. Maler. d. Heilkunde Befl. Stud. juris. Kompagniechirurgus. d. GG. Befl. Ciseleur. Lieut. im 15. Infanteriereg. Stud. jur. Lehrer und Erzieher. d. GG. Befl. d. GG. Befl. Hofinstrumentenmacher. d. GG. Befl. Seidenknopfmacher.

Verhaftung

G. Spanner, A. Ullrich, W. Völker, K. v. Widekind, v. Weiher, v. Weiher, A. Wiegand, Winkler, F. Zelle. C. Zimmermann, E.H. Zober,

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Maler. Buchdrucker. Maler. Referendarius. Lieut. im 5. Husarenreg. Lieut. im 21. Infanteriereg. . Gouverneur in der königl. Kadettenanstalt. Gouverneur in der königl. Kadettenanstalt Maler. d. GG. Befl.“3

Offiziere, Lehrer und andere „Staatsdiener“ sowie Studenten und Handwerker stellen mehrheitlich die Gruppe der Unterzeichner dar. Das kleinbürgerliche Element tritt hier weniger in Erscheinung als bei den Unterzeichnern einer Eingabe an die Regierung vom 26. März 1819 auf Wiedereröffnung des Turnplatzes in Berlin. Zu zwei Dritteln gehörten diesem Kreis Goldarbeiter, Riemer, Schuhmacher, Schlosser, Maler, Diener, Gesellen und andere Angehörige des Kleinbürgertums an.4 Die öffentliche Erklärung der Jahnfreunde erschien auch in anderen Tageszeitungen, die den Text aus der „Bremer Zeitung“ nachdruckten.5 Als „Ehrenrettung der Freundschaft“ wertete die „National-Zeitung“ die Tatsache, dass 53 ehrenwerte Männer in Berlin „öffentlich, mit ihrer Namensunterschrift, eine verdiente Rüge der verläumderischen Nachricht erlassen, welche über den Dr. Fr. L. Jahn vor kurzem in der berl. Ztg. enthalten war, und im 29. St. d. Nat.Ztg. S. 556, ohne weitere Bemerkung, nur mit ausgezeichneter Schrift abgedruckt wurde, weil solche Ausscheidung vor der Hand genug schien. Die Ehrenrettung der Freundschaft verdiente aber schon jetzt eine dankbare Erwähnung, ehe noch die Anschuldigungen, welche man dem Dr. Jahn gemacht, und die Ergebnisse der Untersuchung, die gegen ihn verhängt worden, ganz der Oeffentlichkeit vorliegen, zu deren Erwartung nicht er allein, sondern das ganze deutsche Volk berechtigt ist, das man mit dem Lärmgeschrey des Hochverraths zu beunruhigen sich bemüht hat.“

Die Redaktion ließ dieser Einleitung einige Passagen aus dem in der „Bremer Zeitung“ veröffentlichten Protestschreiben folgen und schloss den Artikel mit der Bemerkung, dass die in Frankfurt initiierte Geldsammlung für Jahn und seine Familie bereits einen „ansehnlichen Erfolg“ gehabt habe.6 Tatsächlich 3 4 5 6

Bremer Zeitung, No. 213 vom 1. August 1819. Vgl. Langenfeld (1978), S. 28. Vgl. z.B. Oppositions-Blatt oder Weimarische Zeitung, Beilage zu Nro. 76, Mittwoch, 4. August 1819, S. 619–621. National-Zeitung, 32. Stück, 11. August 1819, S. 609–610.

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Jahns Verhaftung und Verbannung

fand der Spendenaufruf des Justizrates Dr. Hoffmann an vielen Orten Gehör und Unterstützung. In Darmstadt, Gießen und in mehreren Städten am Rhein wurden ebenso Spendengelder gesammelt wie in Freiburg, Tübingen, Bückeburg und Bremen. Von Pfarrer Dräsecke aus Bremen erhielt Jahns Ehefrau Helene die beachtliche Spende von 274 Talern.7 Aus der preußischen Staatszeitung übernahm die Allgemeine Zeitung einen Artikel, der sich gegen die Behauptung der Jahn-Freunde richtete, dass dieser, als er 1815 nach Paris gerufen worden sei, „einen Dolch [habe] verfertigen lassen. Da es befremdend seyn möchte, daß Hr. Dr. Jahn, indem er nach Paris gerufen worden, zum Behuf dieser Reise sich einen Dolch habe machen lassen, so halten wir uns verpflichtet, hierüber eine Aufklärung dahin zu geben, daß Hr. Dr. Jahn nicht nach Paris gerufen worden ist. Er ward, statt eines Feldjägers, als Kourier gebraucht, um die gewöhnlichen Depeschen, welche während des Aufenthalts Sr. Majestät und des Fürsten Staatskanzlers Durchl. in Paris wöchentlich dahin befördert wurden, von Berlin zu überbringen. Daß er sich übrigens zu dieser Reise und für seinen Aufenthalt in Paris auch mit einem Dolche vorgesehen, wird auf seine eigene und glaubwürdiger Männer Versicherung Niemand bezweifeln, und scheint sehr gleichgültig.“8

Von dieser Entgegnung einmal abgesehen hat die zuerst in der „Bremer Zeitung“ abgedruckte öffentliche Parteinahme für Jahn keine weiteren Kreise gezogen. Nach den Auseinandersetzungen um das Für und Wider des Turnens in der Berliner und in der Breslauer „Turnfehde“ (1816/17 bzw. 1818/19), die dem gebildeten Bürgertum noch in guter Erinnerung waren, hatte Jahn bereits realisieren müssen, dass sein Stern in der Gunst der öffentlichen Meinung gesunken war. Jetzt, nach der Verhaftung des vermeintlich gefährlichen Demagogen, musste jeder, der sich für Jahn verwandte, damit rechnen, dafür von der Polizei belangt zu werden. Eine größere öffentliche Parteinahme für Jahn blieb aus. Die 53 Personen, die sich angesichts der Schwere der gegen Jahn erhobenen Vorwürfe mutig, aber erfolglos für ihn eingesetzt hatten, gerieten sehr schnell in das Visier der Polizei. In der Presse erschien Anfang September 1819 die Meldung, dass der König „eine eigene, aus einer Justiz- und einer Militairperson (Kammergerichtsrat Czierschke und Obrist v. Myron) bestehende Kommission zur Untersuchung gegen die 53 Individuen ernannt [habe,] […] die darunter befindlichen fremden Offiziere, welche die hiesige Kriegsschule besuchen, [sollen] wieder zu ihren Regimentern zurückgeschickt werden; mit den, im ähnlichen Falle sich befindenden, Gouverneurs an der hiesigen königlichen Kadettenanstalt dürfte auch eine Veränderung vorgehen.“9 Die Offiziere Plehwe und Ber7 8 9

Vgl. Braun/Kunze/Langenfeld (1998), S. 225–227. Allgemeine Zeitung, Nr. 233, Samstag, 21. August 1819, S. 932. Allgemeine Zeitung, Nr. 253, Freitag, 10. September 1819, S. 1012.

Verhaftung

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nau mussten ihren Dienst bereits wenig später in Münster fortsetzen, einer der Brüder Weihe wurde nach Koblenz, der andere nach Pommern geschickt. Dem Referendar Wiedekind kostete seine Unterschrift eine Beförderung, die mit dem Verlust einer Zahlung von 127 Talern pro Jahr verbunden war. Pito wollte seinen Militärdienst bei den Pionieren ableisten, wurde aber nicht angenommen. Der frühere Lützower Friedrich Förster, der bereits 1817 wegen seiner politischpatriotischen Haltung aus dem Staatsdienst entlassen worden war, geriet erneut in Schwierigkeiten.10 Angesichts des rigiden Vorgehens der Behörden erstaunt es nicht, dass die Gruppe der Jahn-Verteidiger bald den Kontakt zu ihrem Idol verlor. Nur wenige persönliche Verbindungen überdauerten Jahns Jahre von 1819 bis 1825; hierzu zählen etwa die Kontakte zu Friedrich Zelle, Friedrich Förster und Ernst Heinrich Zober, die in den späteren Briefen Jahns noch mehrfach erwähnt werden. Der „erste Rheinische Liberale“, der Physiker und Publizist Johann Friedrich Benzenberg, ist heute nahezu vergessen. Er gab 1817/18 in Hamburg den „Deutschen Beobachter“ heraus, für andere Zeitschriften lieferte er zahlreiche Beiträge, die ihn als kritischen, den Ideen der Aufklärung verpflichteten Kommentator der Ereignisse und Vorgänge seiner Zeit ausweisen. Dem „Rheinisch-Westfälischen Anzeiger“ übersandte er Ende Juli 1819 den Beitrag „Ueber die große Studentenverschwörung“, der in der Ausgabe vom 7.  August 1819 (Sp. 1232 ff.) erschien. Der Lichtenberg-Schüler Benzenberg äußert darin die Überzeugung, dass sich die als ernsthafte Bedrohung für die staatliche Ordnung stilisierte „Studentenverschwörung“ letztlich als Phantom erweisen und Jahn zu Unrecht als Demagoge und Revolutionär gebrandmarkt wird: „Mit der Oeffentlichkeit lassen sich viele Dinge kuriren, ohne daß man nöthig hat, andere und künstlichere Heilmittel anzuwenden, – und ich denke, die Studentenverschwörung nebst der Furcht vor dieser gräulichen Verschwörung gehören mit zu den Dingen, die sich auf diese Weise ganz einfach kuriren lassen. Ich bitte deswegen, daß Sie im Anzeiger drüber drucken lassen, was Sie darüber erfahren, – was ich erfahre, will ich Ihnen jeden Posttag mittheilen. Dr. Follenius ist vorgestern von Elberfeld nach Berlin abgeführt worden. Die Polizeikommissäre haben sich, wie man allgemein versichert, mit Anstand und Würde und ohne alle Härte betragen. Man hat ihn wahrscheinlich deswegen nach Berlin abgeführt, damit die Untersuchung schneller gehe, und früher zu einem Ziele gelange, als dieses bei der großen Entfernung durch schriftliche Instruktionen möglich gewesen wäre. – Ich habe ein Billet gesehen, so er aus seinem Arreste an einen Freund geschrieben, in dem er ruhig und gefaßt war – und das viel besser geschrieben war, als seine polemischen Aufsätze, so er gegen Göthe im Anzeiger hatte abdrucken lassen. 10 Vgl. Braun/Kunze/Langenfeld (1998), S. 224–225.

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Der Prokureur-Substitut Mühlenfels, so in Köln arretirt wurde, soll noch in der sogenannten Blechen-Bux sitzen. – Auch ist das Gerücht im Umlauf, daß der Herausgeber des Rh. Westf. Anzeigers sey arretirt worden. – Wahrscheinlich wird sich das Publikum damit amüsiren, alle Zeitungsschreiber zu arretiren, und ich bin froh, daß ich nicht mehr zu dieser gefährlichen Gesellschaft gehöre. Uebrigens bleibe ich noch immer bei meiner in Nro. 59. des Anzeigers geäußerten Meinung, daß die gräuliche Studentenverschwörung sich als etwas sehr unbedeutendes ausweisen wird, und daß die gerichtlichen Untersuchungen den ganzen tragischen Effekt zerstören und das Epos zu Grunde richten werden. Das, was die Staatszeitung darüber gesagt hat, bestätigt mich in dieser Meinung. – Die Grundsätze, die man bekannt gemacht, das sind alten Sachen, so man längst wußte, und wegen deren man die Leute schon vor 3 Jahren hätte arretiren können. Als ich am Ende des Jahres 1816 nach Berlin kam, und solche und ähnliche Reden von Todtschlagen und Blutvergießen hörte, so kann ich nicht leugnen, daß diese einen sehr unangenehmen Eindruck auf mich machten, weil ich wirklich die naive Meinung hatte, daß solches den Leuten Ernst sey. – Nachdem ich aber eine Zeitlang in Berlin gewesen, so sah ich, daß das lange so bös nicht gemeint sey, und daß viele Berliner solche tapfere Reden zu ihrer eigenen Gemüthsergötzung führten, um als herzhafte Leute zu passiren. Die Berliner hören sich, so wie alle Residenzstädter, ungemein gern reden; – jeder will sich gern in Gesellschaft hören machen, und wenn 20 beisammen sind, so sprechen diese so laut, daß keiner den andern versteht. – Allerdings können 20 Personen zu gleicher Zeit reden – nur müssen diese sich vorher darüber einigen, daß jeder ganz leise spricht. In diesem Falle versteht der Nachbar den Nachbar. – Die Berliner haben es aber in der Akustik bei Weitem noch nicht so weit gebracht, um dieses einzusehen, und ich erinnere mich nicht, in irgend einer Stadt gewesen zu seyn, in der in Gesellschaften so laut gesprochen wird, und man darf fast sagen ‚geschrien’, als eben in Berlin. Selbst die bessern Berliner Gesellschaften sind nicht frei davon, und eine, so die Gesetzlose hieß, hieß auch die schreiende. Jahn hat auch eine tüchtige Portion von diesem Berliner Schnupfen weg, und Brentano sagte nicht mit Unrecht: daß Jahn an einer rhetorischen Diaröe leide – daß er es nicht halten könne. – Wahr ist es, am Sprechen und am Schreien läßt er es nicht fehlen – allein ebenfalls ist es wahr, daß das, was er sagt, viel interessanter ist, als was die übrigen Berliner sagen. – Denn er thut in eigenen Artikeln und nicht bloß in Speditionsgeschäften. Ich habe ihn immer gern reden gehört, denn es ließ sich aus seinem Gespräche stets was lernen, besonders in geschichtlicher und volksthümlicher Hinsicht, was sonst bei der flachen Residenzsippschaft eben nicht immer der Fall ist. Ich hörte einmal, daß der Fürst Wittgenstein sagte: Er gäbe keinen Groschen dafür aus, um das zu erfahren, was man in den Berliner Weinhäusern über die Regierung rede. – Einige Tage nachher war ich in dem sogenannten Jahnthum (einer Weinschenke in der Taubenstraße, wo Jahn damals viel hinkam, als er seine Vorlesungen übers Deutschthum hielt, – und ein halbes Dutzend Berliner Schauspieler, Doktoren, Referendarien…. ergötzten sich an einem Glase Wein, so ihnen Hr. Spaltholz brachte, und an ungemein tapfern Reden über die Regierung. – Als sie recht im Zuge und auf der Höhe der Begei-

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sterung waren, so sagte ich ihnen: daß alle diese Reden zu nichts führten, so erhaben sie auch wären, und daß der Polizeiminister gesagt: daß er keinen Groschen dafür ausgebe, um sie zu erfahren. Dieses nahmen sie übel und sie zogen murmurirend von dannen, um ihre Redeübungen wo anders wieder aufzuschlagen. Nirgend wird so viel über die Regierung räsonnirt, als in Berlin, und nirgend ist dieses so unschädlich, da die Berliner in einer eben so großen Hörigkeit leben, wie die Pariser, – welche Hörigkeit aus dem Heuerwesen hervorgegangen, das hier eine so große Ausdehnung erhalten hat. – Deswegen ist mir auch das Jahnsche Räsonniren später als leer und wenig gefährlich erschienen, und ich habe mich nur in so ferne darüber geärgert, als es mich verdroß, daß Jahn ebenfalls an dem allgemeinen Berliner Schnupfen litt, da ich ihn für etwas Besseres werth gehalten hatte. Alles, was die Staatszeitung angeführt, das ist bloß Berliner Schnupfen, und der grassirte schon vor 3 Jahren, und man hätte, wenn man die Leute deswegen arretiren wollte, sie schon damals arretiren können.“

Der „Rheinisch-Westfälische Anzeiger“ berichtete auch, daß „selbst die Konstitutionellen in Berlin die Sache [=die Ermordung Kotzebues] anfangs für viel tragischer gehalten, als sie ist, das geht aus einem Briefe hervor, der am 17. Juli geschrieben wurde, und der von einem Manne herrührte, der sehr gut unterrichtet ist.11 In diesem heißt es: ‚Man sagt hier, Görres sey auch unter denen, die von der durch den Drang der Umstände gebotenen Maaßregel betroffen werden. Daß Arndt sich unter den Verhafteten befindet, werden Sie wissen. Hier ist Jahn verhaftet. Daß eine politische Verbindung existire, scheint keinem Zweifel zu unterliegen. Nach der öffentlichen Bekanntmachung der Regierung müssen wir es billig glauben. Ob sie aber einen so gehäßigen Zweck habe, als die Bekanntmachung nicht bloß andeutet, sondern aus aufgefangenen Briefen und in Beschlag genommenen Papieren bestimmt folgert, ist mir zur Zeit sehr bedenklich. Doch muß man allerdings abwarten und die Maaßregeln billigen, die die Regierung zur Vermeidung größern Unglücks genommen hat. Sollte die Untersuchung hingegen kein Resultat haben, so würde die Regierung die schon an sich sehr schlimme Gesinnung sehr verschlimmern. Eben dieser Besorgnisse halber, deren ich mich nicht erwähren kann, hätte ich gewünscht, 1) daß nicht Hr. von Kamptz die Untersuchung leitete, weil er die öffentliche Meinung gegen sich hat, und für Partei gehalten wird, ob man gleich viel zu weit gegen ihn geht, wie es aber in solchen Parteisachen niemals anders ist; 2) daß die Untersuchung nicht von einer besondern Kommission, sondern von den Gerichten selber möge geführt werden. Die Kommissarien mögen gute Leute seyn (einer ist ein sehr tüchtiger Inquirent), aber sie sind ganz unbekannt. Bei so ganz schwerer Sache muß man schweres Geschütz aufführen.’“ Am Ende des Briefes findet sich noch die Bemerkung von Benzenberg, daß die Familie Jahn arm sei. „Das geringe Vermögen, so seine Frau hatte, ist verzehrt, da er sich nie auf den Erwerb verstanden. In Frankfurt ist eine Subscription für ihn eröffnet worden. Ich denke, daß wir diesem Beispiele folgen.

11 Es handelt sich um Dr. Benzenberg.

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Da Sie mit ganz Westfalen in Verkehr stehen, so übernehmen Sie wohl die Mühe des Sammelns. Ich übersende Ihnen zu diesem Zwecke Einen Louisdor.“12

Wie die „Allgemeine Zeitung“ im Oktober 1819 mitteilte, berichteten öffentliche Blätter in Berlin, „daß die Maaßregel, welche die mecklenburgische Regierung wegen der Geldsammlung für die Familie Jahn, in Bezug auf die dort bestehenden Verordnungen […] ergriffen hat, auch von Seiten der preußischen Regierung eintreten werde. Jahn hat übrigens, wie man erzählt, seiner Frau untersagt, den von einem Franzosen herrührenden Geldbeitrag anzunehmen, da solches mit seiner Deutschheit unverträglich sey.“ Außerdem teilte die Zeitung mit, daß „Herr de Wette, der Doktor Förster und einige andere Staatsdiener […] verabschiedet [sind]; der Erstere wegen eines Briefes an Sands Mutter, und wegen der Schrift: Sünde wider den heiligen Geist; die Andern wegen des ausgestellten, in einigen Zeitungen abgedruckten Attests, daß Jahn nicht der Verbrecher seyn könne, wozu man ihn machen wolle. Es sollen einige Unterschriften darunter gewesen sein, wovon die angeblichen Schreiber nichts gewusst.“13 Die „Allgemeine Zeitung“ druckte unter dem 26. August 1819 eine Meldung aus Berlin über das öffentliche Interesse an den „polizeilichen Untersuchungen gegen demagogische Umtriebe“ ab. Die Meinung der Berliner über den Fortgang des Verfahrens war gespalten. Die „Juristenkaste“ war der Auffassung, dass die Gerichte sich mit der Angelegenheit beschäftigen sollten, andere glaubten, da sich die Regierung nicht weiter dazu äußerte, dass die Verdächtigungen im Grundsatz unhaltbar seien. „Die besonnenen ruhigen Beobachter der Erscheinungen, welche die Zeit bringt, meynen, es sey auf keinen Fall zu läugnen, daß es eine Faktion, einen Gesinnungs-, Meinungsoder Ideenbund schon seit 1807 in Deutschland gebe, der sich auch hie und da durch eigene Gesetze, Formeln, Eide und Zusicherung, zusammengethan, um ein neues deutsches Reich, nach demokratischen Formen, gewaltsam, und besonders durch Erziehung der Jugend, zu konstitutioniren. […] Sie meynen, es sey besser gewesen wenn die Regierung alle polizeiliche und juristische Untersuchung unterlassen, und den ihr sehr wohlbekannten Faktionisten andere Stellungen angewiesen hätte, wie in Bureaux, auf dem Katheder und der Kanzel, indem eine Meynung und politischer Glaube niemals durch positive Strafen auszurotten sey, sondern nur durch eine bessere Meynung. Verhaftet sind nur die Doctoren Jahn, Jung, Bader und der Referendar v. Henning. Der Erstere gibt am mehrsten zu reden, und dürfte vielleicht bei einer genauen Untersuchung seiner militärischen und civilistischen Laufbahn von 1806 bis 1819 dem Strafgesetz am Wenigsten entrinnen. Seine Runenblätter, seine öffentlichen Reden, die 1812 gefundenen Akten über geheime Ver12 Rheinisch-Westfälischer Anzeiger, Nro. 71, Hamm, Sonnabend, den 4ten September 1819, Sp. 1377–1378, Sp. 1381. 13 Allgemeine Zeitung, Nr. 291, Montag, 18. Oktober 1819, S. 1164.

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bindungen, worin er schon damals thätig gewesen, könnten wohl eben so viele Zeugnisse für seine demagogischen Umtriebe ablegen. Das Sicherste ist, die Resultate der verordneten Untersuchungen abzuwarten, ehe man urtheilt.“14

In dieser Ausgabe der „Allgemeinen Zeitung“ erfuhren die Leser außerdem, dass Jahn von Spandau nach Küstrin gebracht worden war. „Als Jahn noch in Spandau saß, wanderten mehrere Personen täglich dahin. Dies war vielleicht die Ursache, warum die Regierung ihn nach Küstrin bringen ließ, wo er sich noch gegenwärtig befindet. In einem vor Kurzem an seine Frau geschriebenen Briefe, spricht sich eine sehr ruhige, ja lakonische Gemüthsstimmung aus. Er sagt darin unter Andern: daß er in einem Thurme oberhalb gesessen habe; ‚daß sehr häufig viele Küstriner versammelt gewesen wären, um ihn am Fenster zu sehen; und daß, wenn es länger so gedauert hätte, der Thurm am Ende von allem Betrachten eingestürzt wäre. Gegenwärtig – fügt er hinzu – sey er nach einem Blockhause gebracht, um ihn den Augen der Neugierigen ebenfalls zu entziehen.‘“ 15

Etwa zwei Wochen später informierte die „Allgemeine Zeitung“ ihre Leser darüber, dass die polizeilichen Untersuchungen immer noch kein Resultat ergeben hätten. Jahn habe viele Freunde und ebenso viele Feinde. Während seine Freunde öffentlich bezeugten, „daß er etwas nicht gesagt oder gethan, welche Beweisführungen nach römischen, preußischen und allen Rechten stets für zu unzulässig gehalten ward, schildern seine Feinde ihn als einen verkehrten politischen Luther, und fangen seine Biographie von 1806 an, wo er in Halle studierte, gehen dann seine politische und militärische, turnerische und volksthümliche Laufbahn bis auf den heutigen Tag durch, und finden darin manche Data zu einer jezigen Untersuchung. Der Unbefangene sieht in ihm allerdings eine kräftige Originalität, die stets nach einem großen Ziel: deutsche Einheit, strebte, aber nicht selten durch verkehrte Mittel. Ein brennender Ehrgeiz hat ihn oft auf Abwege geführt, und eine große Heftigkeit hat unbezweifelt oft Reden führen lassen, die er wohl nie niedergeschrieben haben würde, wogegen er überhaupt große Scheu hatte. Deshalb werden dann auch seine Papiere nicht gegen ihn zeugen. Zum Jugendlehrer hat er wegen seiner Eigenthümlichkeit nie gepasst; in einem Generalstab, in der geographisch-statistischgeschichtlichen Abtheilung, auch bei Legationen, würde er ganz an seiner Stelle seyn. Unglücklich wird er durch seine Verhaftung nicht werden, vielleicht soll sie ihm nur zur Warnung dienen. Aber wir besorgen, sie wird es nicht, sondern er wird sich selbst als einen politischen Märtyrer ansehen, und noch lebhafter den Beruf fühlen, Deutschland politisch zu reformiren und der Zeit um 50 Jahre vorauszueilen.“16

14 Allgemeine Zeitung, Nr. 238, Donnerstag, 26. August 1819, S. 952. 15 Allgemeine Zeitung, Nr. 238, Donnerstag, 26. August 1819, S. 952. 16 Allgemeine Zeitung, Nr. 250, Dienstag, 7. September 1819, S. 1000.

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Drei Tage später hieß es in der „Allgemeinen Zeitung“, dass alle unter dem Verdacht geheimer Umtriebe verhafteten Personen mit ziemlicher Sicherheit freigesprochen werden dürften, „da die Papiere, die man von ihnen in Händen hält, nicht hinreichen, einen vollständig festgesetzten Thatbestand (corpus delicti), wie ihn der Jurist fordert, den Gerichten vorzulegen. […] Jener Meynungsbund ist nichts Geheimes, nichts gesetzlich Straffälliges, aber gut ist er wahrlich nicht, und wer ihn in unserer Zeit abläugnet, ist wohl mit Blindheit geschlagen; die Erscheinungen auf der Wartburg, in Mannheim, Wiesbaden, die Judenverfolgungen an mehreren Orten und so vieles Andere beweisen doch offenbar einen unbändigen Gährungsstoff, den man ableiten muß, damit er das Gesäß nicht zersprenge. Verfassungen sind dazu allerdings das Hauptmittel, wenn sie, worauf Alles ankommt, zwekmäßig sind.“

Daneben enthielt diese Ausgabe die Meldung, dass Jahn in Küstrin von einem seiner Freunde einen Brief, der mit einer lateinischen Adresse versehen war, mit einem Wechsel von 200 Talern erhalten habe. Da ein Gefangener keine Summe in dieser Höhe bei sich führen dürfe, sei das Geld seiner Frau überwiesen worden. „Alle Tage darf Jahn drei Stunden lang im Freien herumgehen, jedoch in Begleitung zweier Soldaten mit geladenen Gewehren.“17 Die „Bremer Zeitung“ veröffentlichte im August 1819 zwei Briefe Jahns an seine Frau. Der erste bezog sich auf die Nachricht vom Tod seiner Tochter. Im zweiten Brief, der u.a. auch im „Oppositions-Blatt“18 und in der Allgemeinen Zeitung publiziert wurde, schrieb Jahn: „Ich flehe noch immer um Gehör und Verhör. Eine schöne Zeit des Sommers habe ich nun im Bauer verlebt, und gerade die, wo ich alljährlich gewohnt war, meiner Gesundheit wegen zu wandern. Das schmerzt. Wenn dieses Opfer dem Vaterlande nützt! So ist auch dieses willig gebracht. Nur bin ich zu schwach die Gründe einzusehn. Was mögen die denken, so mich haben verhaften lassen, und als einen überwiesenen Erzbösewicht festhalten? Ich bin Sohn, Gatte, Vater, und liebe herzlich die Meinen. Und die sollte ich freiwillig im Stiche lassen? Ich habe vom Staate 1000 Thaler Gehalt! Und die sollte ich verlaufen? Und zu einer Zeit, wo ich mich angelegentlichst um Erhöhung bemüht habe? Ich entlassener preußischer Offizier! Wo dürfte ich ohne königliche Erlaubniß bleiben? Und mein Name ist doch auch etwas werth. Eine Untersuchung ist mir recht erwünscht. Wenn sie bald nur schnell erfolgt, so will ich meine heimlichen Anschwärzer für meine redlichsten Freunde anerkennen. Bei der Untersuchung muß ich doch pflichtmäßig von meinem Lebenswerk, von meinen Verdiensten ums Vaterland reden, was ich bis jetzt aus Bescheidenheit nicht thun wollte. Ich glaube, das mir Schaden gethan. Mag seyn. Wie

17 Allgemeine Zeitung, Nr. 253, Freitag, 10. September 1819, S. 1012. 18 Oppositions-Blatt, Nr. 210, Samstag, 4. September 1819, Sp. 1675–1676.

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wirst du’s zum Winter machen? Kannst du dich mit Holz versorgen? Wie geht’s mit dem Gesinde? Den 14 Aug. 1819. Friedrich Ludwig Jahn.“19

Auszugsweise erschien in der von dem liberalen Publizisten Ludwig Börne20 herausgegebenen Zeitung „Die Waage“ 1820 dieses Spottgedicht des Dichters Heinrich Döring: „Doch welch ein dreifach jammernd weh Vernimmt mein Ohr? Es schallt vom Uferstrand der Spree? Ihr, edle Turner seid’s! was ist geschehen, redet! ,O fragt uns nicht! Ihr sehts, der Turnplatz steht verödet, Wo sonst das Leben ach! So frisch und fröhlich war!‘ So jammert tief betrübt die kindlich fromme Schaar. Welch neuer Unglücksschlag! Nein, das muß Steine rühren, Den theuren Meister gar nach Spandau abzuführen? Du großer, edler, nie genug gepries’ner Mann, Wer hat so viel, wie du, für’s Vaterland gethan! „Gethan? ich bitt’ euch, was?“ – So fragt ein Einfaltspinsel! Der Korse säß’ fürwahr, anstatt auf seiner Insel, Noch jetzt auf Frankreich’s Thron – doch mächtig fachte Jahn Den letzten Funken fast erlosch’ner Deutschheit an! Wer das nicht fühlen will, – doch gönnt mir abzubrechen, Es läßt mich mein empört Gefühl nicht weiter sprechen.“

Diese abfälligen Verse wollte Börne, der sich selbst der Verfolgung durch den Staat21 ausgesetzt sah, nicht kommentarlos hinnehmen: „Es ist schändlich, eines gefangenen unglücklichen Mannes so zu spotten – unglücklich, wenn er schuldlos, unglücklicher, wenn er schuldig ist. Das hätte Hr. Döring, dem freien Jahn nicht gesagt; aber es ist die Art feiger Nachzügler, daß sie die Toten auf dem Schlachtfelde ausplündern.“22 In seiner „Monographie der deutschen Postschnecke“ (1821) ironisierte Börne die Ideologie und das äußere Erscheinungsbild der Turner in der Gestalt des reisenden „Turnpepineristen“, kritisierte aber zugleich die Mentalität ihrer Verfolger.23 19 Zit. nach Allgemeine Zeitung, Nr. 157, Dienstag, 14. September 1819. 20 S. auch Kap. 4.2. 21 Als Untersuchungshäftling bat Börne im März 1820 um die Genehmigung eines täglichen Spazierganges: „Selbst Jahn, diese große Dampfmaschine, die alle demagogischen Umtriebe in Bewegung gesetzt haben soll, dieser Primaner unter den Terzianern, hat die Erlaubnis, täglich 3 Stunden lang, von einem Polizeibeamten begleitet, spazierenzugehen.“ Zit. nach Börne, Bd. 5, S. 902. 22 Die Wage, Heft 1, 1820, S. 17. 23 Vgl. Börne, Sämtliche Schriften, Bd. 1, S. 644–665. – Zur politisch-publizistischen Bedeutung Börnes im Vormärz vgl. Rippmann (2004).

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An Ernst Bernau, einen Freund und Anhänger Jahns, schreibt Helene Jahn am 30. Dezember diesen Brief, indem sie aus ihrer Sicht zur Inhaftierung ihres Mannes Stellung nimmt: „Ihr Trostruf an Deutschlands Abend verkündet mir auch den frohlichen Morgenschimmer, dem ich schon so lange vergeblich entgegen harre. Immer eine Botschaft nach der andern ist gekommen: ‚Nun wird Jahn bald frei sein‘! Gewiß nächstens! Nur noch ein Verhör! Er muß losgelassen werden! Es kann nicht lange mehr währen!‘ So hat mir mit zahllosen Täuschungen die Hoffnung […] gegaukelt. Auch ich meinte: die Leidenszeit sollte vergessen, und allen Verfolgern vergeben sein – wenn mein Mann doch nur zu Weihnachten seine Freiheit erhielte, wo doch die ganze Christenwelt sich des Erlösungsfestes erfreut. Nun muß ich meine Hoffnung wieder in die ferne Zukunft blicken lassen; doch vielleicht bringt Neujahr – ein neu Jahr. Zeit wäre es. Lange genug hat es gedauert, das frühere Verfahren hat die Sache verschleppt: denn Stadt und Land sprechen davon, daß anfangs Kamptz alle Schriften und Verhandlungen durchstöbert und die Entscheidung verzögert hat. – Seitdem die Untersuchung von lauter Kammergerichts-Gliedern geführt wird, vertraue ich ganz sicher auf die Gesetze und die Gerichtsordnung; dafür bürgt die anerkannte Redlichkeit der Richter, und meines Mannes Unschuld. Das Kammergericht hat meines Mannes Klage gegen Kamptz wegen der Verunglimpfung in beiden Berliner Zeitungen vom 15ten Julius angenommen. Doch ist erst am 19ten Januar die erste Verhandlung. Der Sachwalt hat drauf angetragen daß Kamptzens Zeitungsgeschmähe für ein Pasquill24 erklärt, und von Henkers Hand verbrannt werden. Zwar macht sich Kamptz sehr breit: ‚Er könne das bald niederschlagen lassen.‘ – Doch bezweifeln alle Unbefangene solche Übermacht. Der Hofrath Janke, der einen vormahligen Bund vaterländisch gesinnter Männer für hochverrätherisch ausgiebt, ist in allgemeiner Verachtung versunken. Eins ist mir dabei unbegreiflich, daß Janke der sich selbst als Mitschuldiger verräth, um ehrliche Leute belügen zu dürfen, frei umher geht und von allen vormaligen Bundesmitgliedern kein einziger eingezogen worden. Warum muß Jahn allein sitzen? ‚Ja‘ – heißt es dann – ‚er saß nun einmahl.‘ Das Gericht scheint so gewiß wie jeder Biedermensch von Jankens Lugund Trug-Gewebe überzeugt, daß nicht mahl von den hier und in der Nähe lebenden vormahligen Verbundenen, alle verhört worden sind. Stark, Turte und Grashof haben den Janke gut Bescheid gesagt. Nun ist auch Jahn mit Stark ausgesöhnt. Sagen Sie doch das Herrn und Frau von Lützow, Beide waren ja Freunde vom Bunde, wenngleich nicht Mitglieder. Der Bund war ja nur Geheimniß für die Franzosen, und deren Kundschafter und Verräther. Was wird Frau von Lützow dazu sagen, daß man anfangs Blombergs Schwerdtfeger-Lied Jahn andichten wollte; daß ich selbst bin verhört worden: ‚Ob Jahn Verse gedichtet, und ob ich sie kenne? Und was […] war, Jahn hat mir manches innige Liebeswort geschrieben, was unvergeßlich in meinem Gedächtniß lebt, aber immer Alles in ungebundener Feder [?] Und doch sind meine Vierzehnjährigen Verhältnisse mit Jahn so fein und […] und wunderbar gewoben; daß, wer nicht die würklichen Erlebnisse 24 =anonyme Schmähschrift.

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kennt, das Ganze für einen dichterischen Himmelstraum halten würde. Aber in Versen hat er sich nicht ausgesprochen. Er pflegt zu sagen: ,Schlechte Worte sind dichterischer, als schlechte Gedichte.‘ Die Papierwalten haben sich gewaltig über Jahns viele Handschriften gewundert, und noch mehr, daß nichts Staatswiedriges herauszulesen war. Lange konnten sie nicht spitz kriegen; daß sie keine Briefe vorfanden. Aber Jahn hat einmahl den Grundsatz: ‚Brief ist geschrieben Sprechen‘, und hält es für sündlich Briefe aufzubewahren. Das ist mir oft sehr nahe gegangen, wenn die trefflichen Briefe im Feuer verloderten. ‚Es ist nur ihr irdischer Leib‘ tröstete Jahn – und fügte hinzu: ‚Der muß zur Ruhe!‘ So hat er auch kein Blatt von einem Stammbuch, ob er sich gleich in viele Tausend schreiben mußte. ‚Ich bin kein Baum, in dessen Rinde man Namen schneidet‘ gab er wohl auf solche Nachfrage zur Antwort. Was machen Strack und Kohlrausch. Den ersten kennt Jahn nicht von Ansehn. Der schrieb uns mahl, ,wenn wir uns sehen, dann wollen wir versuchen, wer den andern am Besten ans Herz drücken kann.‘ Sagen Sie ihm doch mit herzlichem Gruße. Ich hatte in meiner Heimath im Mecklenburgischen einige Jahre zu Besewitz gewohnt, was mit Diskau? Feld an Feld gränzt. Da habe ich meinen Jahn kennen gelernt. Kohlrausch und sein Haus grüßen Sie herzlich. Erzählen Sie ihm doch, daß sich Jahn im Kerker angelegentlich mit der Geschichte des dreißigjährigen Krieges beschäftiget, die er von Jugend auf unverrückt im Auge behalten. Dazu ist ihm Ihr Geschenk mit Chemnitz Schwedenkrieg sehr willkommen gewesen, weil er seine nicht ganz unbeträchtliche Sammlung vollständiger machen half. Auch hatte er dem Buche lange nachgetrachtet, ohne es doch zu eigen zu kriegen. Ihr Bruder hat ihm die gedruckte Beschreibung des Perleberger Denktages angeschafft. Dürr[e] hat ihm aus Frankfurth a/O viele alte Sachen geschickt, gedruckte und ungedruckte. Unter den letzten sind sogar Einquartirungs-Sachen, woraus man sieht, daß die Franzosen ihre Vorgänger hatten. Mein Brief ist länger geworden, als ich selbst glaubte. Daß ich ihn meinem Neffen in die Feder sage, und ihn nur unterzeichne, müssen Sie mir nicht übel nehmen. Sie wissen ja selbst, wie viel ich ohne dies jetzt schreiben muß. Und so sage ich Ihnen herzlich Dank als einen Biedermann; der sich in der schlimmsten Zeit beim ganz frischen Unglück, als theilnehmender Freund und Verfechter meines unschuldigen und doch beispiellos verfolgten Mannes bewährt hat. Diese treue Anhänglichkeit ist mir um so schätzbarer, da Sie ganz nahe aus meines Mannes Heimath gebürtig sind, und seine Verwandten und Bekannten kennen mit denen er aufgewachsen. Jetzt kenne ich meines Mannes Lebensgeschichte vollständiger wie sonst, daß wenn es Noth thäte, sie keiner besser beschreiben sollte. Was er mir aus Bescheidenheit verschwiegen, habe ich nun von Andern Spreemännern [erfahren]. Und um Lügen zu strafen, habe ich mich aus Pflicht darum bekümmert. Nun liegt Jahns ganzer Lebenslauf vor mir, wie eine aufgeschlagene […] Ach Sie glauben nicht, was es mir lieb ist, daß ich im Sommer 1818 mit Muttern nach Jahns Heimath gewesen und seine Schwester, und andere Verwandten kennen gelernt, denen man in jeder Miene das offene Gepräge der Biederkeit ansieht. Welche Freude hatte ich nur in seinem Geburtsdorf, wo mir Mutter und alle Leute von seiner Kindheit und Jugend erzählen

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mussten. In meinem Arnold Siegfried sah ich ihn, und diesen wieder in meinem Mann. Und als er nun vollends selbst kam, mit mir seine alten Lieblingsplätze aufsuchte, die Haine uralter Eichen, die schöne Hügelkette an den Gärten wo munter die vielen Quellen sprudeln und darauf den Hügel hinanstieg, wo man über ein garten- Wiesen- und ..thal ..über die Elbe schaut und die Schiffe vorbeisegeln sieht – und mir da seine Jugendbegeisterung erzählte, die nur mit dem letzten Hauche seines Lebens verschwinden wird – – – Gott erhalte Sie, und führe Sie gesund wieder nach Berlin. Mein Mann läßt Sie und alle Freunde jenseits der Weser herzlich grüßen.“25

Helene Jahn konnte zu diesem Zeitpunkt nicht ahnen, dass ihrem Ehemann eine fünfjährige Verbannungszeit bevorstand, die ihm jede Möglichkeit einer öffentlichen Wirksamkeit nahm.

2.2 Verbannung nach Kolberg Nach seiner Verhaftung im Juli 1819 wurde Jahn zuerst nach Spandau und von dort nach Küstrin gebracht. Schließlich wurde er am 25. Oktober in das Berliner Hausvogtei-Gefängnis eingeliefert. Mit dem „Fall Jahn“ hatte sich die am 16. September 1819 gebildete „Immediat-Untersuchungs-Kommission“ zu befassen, die den Kammergerichtsrat E.T.A. Hoffmann mit den Ermittlungen beauftragte. Nach einer Bearbeitungszeit von etwa vier Monaten legte Hoffmann der Kommission seinen Bericht vor. Als Dezernent stellte der auch als Dichter und Musiker hervorgetretene Hoffmann fest, „daß den Jahn in keinem Fall eine Strafe treffen kan, die seine Haft während der Untersuchung rechtlich begründen könte“ und plädierte für seine Haftentlassung.26 Das Ministerium schloss sich dem Plädoyer von Hoffmann nicht an. Schließlich erließ der preußische König am 31. Mai 1820 die Kabinettsordre, dass Jahn aus der Haft zu entlassen sei und sich bis auf weiteres in Kolberg aufzuhalten habe. Den Kolberger Stadtkommandanten wies Friedrich Wilhelm III. an, streng darauf zu achten, dass Jahn in seiner neuen Umgebung keine Gelegenheit gegeben werde, sich einen Anhang zu verschaffen oder gar demagogische Lehren zu verbreiten. Da sein Antrag auf völlige Freilassung ebenso abgelehnt wurde wie mehrere Bittgesuche seiner Mutter, blieb Jahn keine andere Wahl, als seinen Wohnsitz von Berlin in die abgelegene Festung an der Ostsee zu verlegen, deren Namen Kolberg er bald in „Quälberg“27 umwandelte. In dieser Stadt, die er 1822 als „Vereinigung 25 GStA PK I. HA Rep. 92 NL Jahn AI Lit. B, Bl. 4–5. 26 Zit. nach Schnapp (1973), S. 381. Zum Verhalten Hoffmanns im Ermittlungsverfahren gegen Jahn s. auch Safranski (1984), S. 465–471. 27 Vgl. Jahns Brief an Mützell vom 28.2.1821 (M2, S. 208).

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von Irrhaus und Zuchthaus“28 bezeichnete, lebte er von Ende Juni 1820 bis Juni 1825. Es ist auffällig, dass Jahn während seines fünfjährigen Zwangsaufenthaltes in Kolberg seinen Briefwechsel mit Verwandten, Freunden und Bekannten nahezu eingestellt hat. Haft und Polizeiaufsicht scheinen in dieser Hinsicht ihre Wirkung nicht verfehlt zu haben. Andererseits konnte er sich mit seiner Familie in der pommerschen Stadt vergleichsweise frei bewegen und gesellschaftliche Kontakte knüpfen. Mit der Taubenzucht und dem Schachspiel vertrieb er sich die Zeit. Der Tod des Patrioten Joachim Nettelbeck, der sich bei der Belagerung der Festung durch die Franzosen 1806/07 große Verdienste um seine Vaterstadt erworben hatte, riss Jahn aus seiner Lethargie. Er veröffentlichte im „Hamburgischen Unpartheyischen Correspondenten“ (Freitag, 6. Februar 1824) anonym den nachfolgenden Nekrolog, der in Kolberg für einige Aufregung sorgte: „Schreiben aus Colberg, vom 31. Jan. Vorgestern entschlief hier in seiner Vaterstadt Joachim Christian Nettelbeck, geboren den 20sten Sept. 1738. Sein Name erinnert noch aus der neusten Geschichte an die glanzvollen Zeiten des Deutschen Bürgerthums. Im Jahr 1777 gelang es ihm, mit der waglichsten Kühnheit das vom Blitz entzündete Feuer im Thurme der Marien-Kirche zu löschen, jener Kirche, welche die vorbeysegelnden Schiffe auf 7 Meilen erblicken und in deren Riesendach ein Eichenwald verbaut ist. Die Belagerung von 1806 bis 1807 verjüngte den Greis zum jugendlichen Wehrman. Dafür ward ihm Ruhm in aller Welt und Anerkenntnis seines Verdienstes von seinem gerechten Könige. Nur seine Stadtleute, für die er so viel gethan und die er zu Ruhm und Sieg und reichlichem Lohn gezwungen, schienen das am wenigsten zu schätzen. Denn mehr wissen wollen, mehr würken als Zunftverwandte und Umwohner wandelt, sonst getreue, Nachbaren in Neider, und Abgunst aus gekränkter Eigenliebe und dem Dünkel der Vornehmigkeit führt dann zum Splitterrichten. Darauf zielt der 85jährige Held mit seiner Sarg-Inschrift: ‚Mich hat auf meinen Wegen, manch harter Sturm erschreckt; Blitz, Donner, Wind und Regen hat mir manch Angst erweckt; Verfolgung, Haß und Neiden, ob ich’s gleich nicht verschuld’t, hab’ ich doch müssen leiden und tragen mit Geduld.‘ Nettelbeck’s Leben ist vom Superintendenten Haken zu Treptow an der Rega herausgegeben, und der dritte Theil enthält die Geschichte der ruhmvollen Belagerung Colbergs. Sein Bildnis wird nächstens in Steindruck erscheinen, nach der vortrefflichen Zeichnung von F.C. Heine, und an die Gesichter von Trop. und Ruyter erinnern.“29

Jahns erster Biograph, Heinrich Pröhle, nahm an, dass es sich bei diesem Nekrolog um eine Auftragsarbeit handelte.30 Es ist nicht belegt, aber wahrscheinlich, dass Jahn und Nettelbeck in Kolberg miteinander verkehrt haben. Beide fühlten 28 Brief an die Mutter vom 21.12.1822 (M1, S. 256). 29 Zit. nach L/U, S. 84. 30 Pröhle (2/1872), S. 187.

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sich um ihre Verdienste für das Vaterland betrogen, die sie sich – aus ihrer Sicht – u.a. als Widerstandskämpfer gegen die napoleonische Fremdherrschaft erworben hatten. In Kolberg erfreute sich Nettelbeck in seinen letzten Lebensjahren offenkundig keiner großen Wertschätzung, sodass sich Jahn zur Abfassung dieses Nekrologs entschied. Dabei übersah er allerdings, dass sich Nettelbeck in Kolberg deshalb unbeliebt gemacht hatte, weil er immer seinen Willen durchsetzen wollte, sich stets im Recht fühlte und in eine Märtyrerstimmung verfiel, wenn er unterlag. Einen vorbildlichen Bürger vermochten viele auch deshalb nicht in ihm zu sehen, weil er ein eher ungeordnetes Privatleben führte und auch beruflich nicht sonderlich erfolgreich war.31 Zu dem Kreis der Kolberger, die sich durch diesen Nekrolog angegriffen fühlten, gehörte der Kaufmann Gölkel, der deshalb daran interessiert war, von der Redaktion der damals viel gelesenen Hamburger Zeitung zu erfahren, wer den Nekrolog für Nettelbeck verfasst hatte. Jahn konnte zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht daran gelegen sein, dass sein Name in einer öffentlichen Auseinandersetzung genannt wurde; schließlich wartete er seit mehr als drei Jahren auf seinen Freispruch, der sich durch eine erneute polizeiliche Untersuchung noch weiter hinaus zögern könnte. Deshalb bat er den Redakteur des „Correspondenten“, seinen Namen als Verfasser des Nekrologs für Nettelbeck nicht vorschnell preiszugeben.32 Die Aufregung unter den Kolbergern legte sich aber schon nach kurzer Zeit und blieb auch für Jahn ohne Folgen. Das Oberlandesgericht in Breslau hatte am 13. Januar 1824 geurteilt, „daß der Dr. der Philosophie und Turnlehrer Friedrich Ludwig Jahn wegen wiederholter, unehrerbietiger und frecher Aeußerungen über die bestehenden Verfassungen und Einrichtungen im State, ohne Rücksicht auf den früher erlittenen Arrest und die bisherige polizeiliche Oberservation zu Kolberg, mit zweijährigem Festungsarrest zu belegen sei.“33 Gegen dieses Urteil legte er sogleich Berufung ein und erarbeitete mit dem Kolberger Stadtsyndikus Haenisch eine „Selbstvertheidigung“, die er am 9. Oktober abschloss und den Behörden übergab. Am 15.  März 1825 sprach ihn das zuständige Frankfurter Oberlandesgericht von allen Anklagepunkten frei. Rechtswirksam wurde der Freispruch am 28. April 1825. In der Erwartung dieses Tages suchte Jahn wieder die Verbindung mit alten Freunden wie seinem Turnschüler und Waffenbruder im Freikorps Lützow, Ernst Ferdinand August (1795–1870), dem er am 11. April 1825 schrieb: „In der Zeit, wo ich alle Tage die öffentliche Kundmachung des Freispruches zu erwarten berechtiget bin, wage ich aufs Neue Briefwechsel mit Freunden anzuknüpfen. Sonst 31 Vgl. Klaje (1936), S. 13 ff. 32 Brief an den Redakteur Dr. Hartmann vom 18. Februar 1824 (L/U, S. 84–85). 33 Zit nach Euler (1881), S. 582.

Verbannung nach Kolberg

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mußte ich freilich fürchten; daß jene mir unholde Geh. Ober. Reg. Würklichkeit [= Polizeidirektor v. Kamptz], dadurch unschuldige Leute in Verlegenheit bringen möchte. Älter, aber nicht kälter bin ich geworden: Das ist Alles, was ich von mir zu rühmen weiß.“34

Auch nach seinem Freispruch war Jahn nicht wirklich frei. Der König verfügte am 3. Mai 1825, „daß ihm sein Aufenthalt weder in Berlin und einem Umkreise von zehn Meilen, noch in einer Universitäts- oder Gymnasialstadt erlaubt werde, und daß er da, wo er seinen Wohnsitz künftig wähle, unter polizeilicher Aufsicht verbleibe;“35 nur wenn Jahn diese Bedingungen erfülle und sich tadellos verhalte, werde ihm die jährliche Pension von 1.000 Talern belassen. Er suchte in der nächsten Zeit Trost und Zuspruch bei dem Jenaer Philosophieprofessor Jakob Fries (1773–1843), der 1819 als Sympathisant der Burschenschaften zwangsemeritiert worden war: „Außer einem ähnlichen Schicksal, haben wir auch gemeinschaftliche Freunde. Es soll mir zu einem großen Trost gereichen, wenn Sie sich auf einige Stunden herausbemühen wollen.“36 Von seiner Verhaftung im Juli 1819 bis zu seinem Freispruch im März 1825 veränderten sich die familiären Verhältnisse Jahns grundlegend. Mit seiner Ehefrau Helene, geb. Kollhof, die er nach neunjähriger Verlobungszeit 1814 heiratete, hatte Jahn drei Kinder: Arnold Siegfried, Waldemar und Sieglinde. Als er verhaftet wurde, starb sein zweiter Sohn Waldemar, seine Tochter Sieglinde verstarb Anfang August 1819. Der Tod ihrer beiden Kinder und die Verhaftung ihres Mannes zehrten an der Gesundheit von Helene Jahn, die am 8. September 1823 in Kolberg starb und an der Seite ihrer Kinder auf dem alten hallischen Kirchhof in Berlin beigesetzt wurde. An ihrer Beerdigung durfte Jahn nicht teilnehmen. Helene wurde etwa 43 Jahre alt. Es fällt auf, dass Jahn Helenes Tod in seinen Briefen nie erwähnt hat und sich ihrer auch später nicht mehr erinnert. Fast hat es den Anschein, als wollte er sie aus seinem weiteren Leben verdrängen. In mehreren Briefen an die „Immediat-Untersuchungs-Kommission“ thematisierte Jahn den angegriffenen Gesundheitszustand seiner Frau. Am 10. November 1819 schrieb er: „Meine Frau ist äußerst unwohl, und wünscht mich sehnlich zu besuchen. Warum wird ihr das verweigert? Schon jetzt ist sie gemüthskrank! Solls noch weiter kommen? Ein Kind habe ich während meiner Haft durch den Tod verloren, was gewiß sonst lebte! Soll ich meine Frau noch dazu einbüßen? Und sie in einem unendlichen Jammer untergehen sehen? Ich bitte um den Besuch meiner Frau.“37

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Zit. nach L/U, S. 87. Zit. nach Euler (1881), S. 582. Zit. nach L/U, S. 88. Zit. nach Schnapp (1973), S. 175–166.

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Jahns Verhaftung und Verbannung

Der Gesundheitszustand von Helene verschlechterte sich in den nächsten Wochen zunehmend, sodass sich Jahn zu einer erneuten Eingabe an die „Immediat-Untersuchungs-Kommission“ gezwungen sah: „Der Zustand meiner Frau hat sich seit Kurzem so sehr verschlimmert, daß ihr Lebensende wohl sehr nahe bevorsteht. Ich ersuche also die Comission um eine vorläufige Verfügung: ‚daß wenn es mit meiner Frau noch schlimmer wird, ich sie zu guter Letzt noch im Hause besuchen darf. Ich will mir recht gern alle und jede für nöthig erachtete Sicherheitsanstalt gefallen lassen.‘ Die sonstigen Besuche wird meine Frau wohl nunmehr gänzlich einstellen müssen. Der Hergang greift sie so sehr an, daß sie sich von der Anstrengung in der kurzen Zeit der Besuchsstunde nicht zu erhohlen vermag, und ganz erschöpft den Rückweg antreten muß.“38

Helene Jahn stand zu ihrem Mann, allen kritischen Äußerungen zum Trotz, die in Jahn einen schlechten Ehemann, Vater und Sohn sehen wollten. Unmissverständlich ließ sie die Untersuchungskommission wissen: „Ich liebe, achte und schätze Jahn über alles. Und dies Gefühl wird auch fortdauernd bleiben, selbst wenn ihm seine Feinde noch ärger mitspielten. Ich ziere mich nicht, um in der Rolle einer treuen Gattin zu glänzen. Es ist kein eitel Gethue, sondern Kummer und Gram, was mit namenlosem Schmerz diese meine Klage hervorpreßt. Ein arges Stadtgeschwätz beunruhigt mich gar sehr. Da stecken die Leute die Köpfe zusammen und munkeln: ‚Die Kommission will darum Jahn nicht losgeben, weil bei ihr die Anzeige gemacht worden, daß Jahn doch nur ein schlechter Gatte, Vater und Sohn ist, und die Seinigen nichts an ihm verlieren, ja noch als eine Wohlthat ansehen müssen, wenn ich von solchem verworfenen Bösewicht von Gerichtswegen befreit werde.‘ Sollte wirklich solche abgeschmackte Verleumdung ausgedacht und bei der Kommission angebracht sein, und das ungerechte Ränkespiel dieser Verlästerung nur im Augenblick den mindesten Einfluss auf Jahns längere Haft haben, so muß ich sehr bitten, daß die Kommission sich herablasse, meine Freundinnen, Nachbarn, Wirtsleute, Hausgenossen und meine sonstigen Dienstmädchen zu verhören. – Von Jahns Außenseite haben viele Menschen etwas abgekuckt; sein Herz kennen wenige. Die es aber nur etwas wenig kennen, sind auch dafür ihm schon mit unendlicher Liebe zugethan. Was sollte ich es nicht sein?“39

Ihrer Rolle als treue Gattin wollte Helene sicher auch in Kolberg gerecht werden. Inwieweit sie ihre diesbezüglichen Vorstellungen aufgrund ihrer angegriffenen Gesundheit tatsächlich noch realisieren konnte, ist nicht bekannt. Aus einem Schriftwechsel, der im Stadtarchiv Kölleda aufbewahrt wird, geht hervor, dass Jahn in Kolberg eine außereheliche Beziehung hatte, die seiner Ehefrau Helene in ihrer ohnehin schwierigen Lage jeden Lebensmut genommen haben könnte. Der „Oberbürgermeister, Bürgermeister und Rath hiesiger Chur 38 Zit. nach Schnapp (1973), S. 384–385. 39 Zit. nach EJW 2.1, S. 262.

Verbannung nach Kolberg

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und Hauptstadt“ Brandenburg schrieb am 7. September 1829 an den Rat der Stadt Kölleda: „Der dort wohnhafte Professor Jahn hat in dem uns mittelst geehrten Schreibens vom 15 Augt. übersandten Schreiben vom 14 [?] an die Frau Chirurgus Wredow sich bereit erklärt, die derselben schuldige Alimente für ihrer Tochtersohn pro 1 Jan. 1822 bis 10. July 1827 á 36 Thaler pro anno mit in Summa 198 Thaler auf seine Forderung in Mecklenburg Schwerin ad 400 Thaler anzuweisen. Die p. Wredow will diese Anweisung vorläufig acceptieren und hat uns gebeten, desfalls das Weitere zu veranlassen.“40

Nähere Einzelheiten über Jahns folgenschweren „Seitensprung“ ließen sich nicht ermitteln. In Kolberg lernten die Jahns die Familie des Galanteriewarenhändlers Hentsch kennen. Ihre Tochter Emilie freundete sich bald mit Helene Jahn an und war ihr im Haushalt behilflich. Noch vor seinem Freispruch im März 1825 informierte Jahn Professor Bucher in Köslin über die bevorstehende Hochzeit mit Emilie Hentsch: „Meine Sache steht gut. Nächstens erwarte ich mein völlig freisprechendes Erkenntniß. Da habe ich denn gewagt, mich gestern mit meiner Braut, Emilie Hentsch, des J. C. Hentsch Brudertochter, zum ersten Mahle aufbieten zu lassen, welche die beste Freundin meiner verstorbenen Gattin war, und seit deren Tode bis jetzt meinem Hauswesen vorgestanden hat, auch meiner Mutter schon vor 4 ½ Jahre lieb geworden. Mein Sohn bedarf einer Mutter, meine Mutter sehnt sich nach einer Tochter; und ich, der ich in der Welt einsiedlern muß, bin wohl verpflichtet ein Band zu knüpfen, was sich um die Menschheit schlingt.“41

Um Jahns zweite Ehe entspannen sich schnell allerlei Gerüchte, die bis nach Berlin drangen und den „Demagogenverfolger“ von Kamptz veranlassten, von der Kolberger Polizei nähere Auskünfte einzuholen. Mitte Mai 1825 konnte das Kolberger Polizeidirektorium von Kamptz einen Bericht vorlegen, in dem es u.a. hieß: „Die Gerüchte von einem unter besonderen Umständen aufgelösten Eheversprechen des Jahn mit einem anderen Mädchen sind wohl daher entstanden, daß hier jedermann, und selbst die nächsten Verwandten seiner gegenwärtigen Ehefrau, bis zu dem der Ehe vorangegangenen Aufgebot in der Meinung standen, er würde die jüngere Schwester, Helene, heiraten, die Heirath aber doch bis zur Entscheidung seiner Sache aufschieben. Man fand ziemlich allgemein die Heirath mit der älteren Schwester auffallend, weil diese, bei einem sehr anspruchslosen Äußeren und einem kränklichen Körper, auf den Ehestand so ganz verzichtet zu haben schien, daß sie, bald nach dem Tode der ersten Frau, geb. Kollhof, im 40 Stadtarchiv Kölleda. 41 M1, S. 274.

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Jahns Verhaftung und Verbannung

September 1823 ohne Anstoß allein zu Jahn ins Haus ziehen und die Wirtschaftsführung und Pflege seines oft kranken Sohnes bei ihm übernehmen konnte.“42

Am 15. Februar 1825 fand die Hochzeit statt. Jahn war damals etwa 46 ½ Jahre alt, seine zweite Ehefrau Emilie gerade einmal 21 ½. Ein halbes Jahr nach der Eheschließung gebar Emilie Jahn eine Tochter, die den Namen Sieglinde erhielt. Damit waren alle Spekulationen über die unvermutete Heirat beendet. Welchen Einfluss konnte Emilie wirklich noch auf Jahns ältesten Sohn Arnold Siegfried nehmen, der inzwischen auch schon zehn Jahre alt war? Um dessen schulische Bildung hatte sich Jahn bis dahin wenig gekümmert, wie er denn überhaupt in der Kolberger Zeit kein sonderliches Interesse an einem geordneten Unterricht für seinen Sohn zeigte. „Der erste Unterricht seines einzigen Sohnes war in den Händen eines zwölfjährigen Knaben während einer, höchstens zwei Stunden des Tages und mit vielen Unterbrechungen, da der Knabe schwächlich zu sein schien.“43 Um den physischen Zustand von Arnold Siegfried zu verbessern, ließ Jahn in einem gemieteten Garten Reck und Barren aufstellen. Ein nicht bekannter Autor schrieb 1847, dass in Kolberg noch manche leben, „die als Schüler damals mit Jahn Turnspiele getrieben; noch erinnern sich hiesige Frauen aus ihrer Mädchenzeit, wie Jahn’s Nichte, die in Kolberg eingesegnet wurde, sich sehr anständig an Reck und Barren zu üben wusste.“44 Emilie Meffert, der Kolberger Freundin seiner 2. Ehefrau Emilie, schrieb Jahn im Januar 1847: „Die Mönchsgüter auf Rügen teilen das gesamte Menschengeschlecht in zwei Teile: in Kolben und Poken. So mache ich auch unter alten Leuten in Beziehung auf mich nur den doppelten Unterschied: in die, so was von mir hielten, und in die, so noch von mir halten, da ich nichts mehr bin. Wundern Sie sich also nicht, wenn Ihnen ‚Der Turner, Zeitschrift gegen geistige und leibliche Verkrüppelung‘, Dresden bei Gottschalk, II. Jahrgang, jährlicher Preis ein Taler, zu Gesichte kommt, und Sie in dem Aufsatz: ‚Das Turnen zu Kolberg‘ manche Ihrer Worte und Wendungen wieder finden. Sonst ist bei der Mitteilung das Kolberger Wochenblatt benutzt und noch manches hineingeflickt, was selbst die ältesten Kolberger nicht wissen können.“45

42 Zit. nach Neuendorff, o.J., Bd. II, S. 96. 43 Pröhle (2/1872), S. 185. 44 Zit. nach „Der Turner“ 2(1847)2, S. 15–16. Das Zitat entstammt dem Beitrag: „Das Turnen in Kolberg“ (ebda., S. 14–16). 45 Zit. nach Gorkow (1988), S. 31.

3. „im Abseits“ Mit seiner zweiten Ehefrau, der Kolbergerin Emilie, geb. Hentsch, der Freundin seiner ersten Ehefrau Helene, die er am 15. Februar 1825 geheiratet hatte, zog Jahn im Juli 1825 in seine Wahlheimat Freyburg an der Unstrut. Mit 47 Jahren führte er hier das Leben eines Pensionärs, allerdings mit den Einschränkungen, die ihm die Behörden auferlegt hatten. Die Verbindungen zu seinen Freunden in Kolberg rissen auch in den nächsten Jahrzehnten nicht ab. In den überlieferten Briefen wird beispielsweise Fräulein Hafemann erwähnt oder Vanselow, bei dem Jahn gewohnt hat; ferner Devantier, der Spielmann und Rektor Stumpf, dessen Sohn ein beliebter Prediger in Kolberg war, außerdem die Familie Meffert, mit der Jahn bis an sein Lebensende korrespondiert hat.1 Wie die Polizei „vor Ort“ ihrer Aufgabe nachkam, Jahn unter Kontrolle zu halten, lässt sich zumindest in Umrissen den überlieferten Polizeiakten entnehmen.

3.1 „Zähmung des Demagaogen“ Anfang Juni 1825 erhält die „Wohllöbliche Polizei Behörde zu Freiburg an der Unstruth“ ein auf den 2. Juni 1825 datiertes Schreiben aus Kolberg, das vom „Königlich Preußischen Polizei Directorium“ verfasst wurde. Darin heißt es u.a.: „Der seit 5 Jahren hier anwesend gewesene Doctor der Phylosophie Friedrich Ludwig Jahn hat heute den nachgesuchten Reisepaß zur Reise nach dem dortigen Orte über Treptow a/O, Stargard, Koenigsberg a/m, Cüstrin und Friedland, auf 8 Wochen gültig, für sich und seine Familie erhalten, weil er sich dort aufzuhalten wünscht. Euer Wohllöblichen PolizeiBehörde verfehle ich nicht, davon Nachricht zu geben, weil der p. Jahn nach der Allerhöchsten KabinettsOrder vom 3. April unter polizeilicher Aufsicht bleiben soll, weshalb ich von der dieserhalb mir zugegangenen Bestimmung in dem Schreiben der hiesigen Königl. Commandantur vom 12. d. M. Abschrift ganz ergebenst beifüge. Von dem Eintreffen des p. Jahn bitte ich sowohl mich gefälligst zu benachrichtigen, als auch dem Herrn Minister des Innern und der Polizei von Schuckmann Excellenz die nöthige Anzeige davon zu machen. Sollte er aber binnen der im Paß bemerkten Reisefrist von 8 Wochen dort nicht eintreffen, so sehe ich ebenfalls einer gefälligen Benachrichtigung entgegen“ (pag. 1).

1

Vgl. Gorkow (1988).

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„im Abseits“

Die Abschrift des erwähnten und beigefügten Schreibens der „Commandantur von Colberg“ vom 12. Mai 1825, an die Kolberger Polizeibehörde gerichtet und von einem „GeneralMajor und Commandant von Funck“ unterschrieben, sagt aus: „Des Herrn Ministers des Innern und der Polizei von Schuckmann Excellenz haben mich mittels [...] Schreibens vom 4/II d. Mts. zur weiteren Veranlassung davon in Kenntniß gesetzt: dass dem Dr. Jahn, dessen FreisprechungsUrtheil schon früher hier eingegangen und ihm bereits am 29. v. M. publiciert worden, nach der Allerhöchst erlassenen CabinetsOrdre vom 3. [...] künftig sein Aufenthalt weder in Berlin und in einem Umkreise von 10 Meilen, noch in einer Universitäts- und Gymnasial Stadt erlaubt werde, auch derselbe da, wo er seinen Wohnsitz wähle, unter polizeilicher Aufsicht bleibe, ihm dagegen, so lange er diese Bedingungen hinsichtlich seines Aufenthalts pünktlich erfülle, und so lange sein Betragen tadellos bleibe, die Pension von Eintausend Thalern, die er bis jetzt bezieht, belassen werden solle. Diese Allerhöchste Bestimmung ist dem p. Jahn unterm gestrigen Tage zum Protokoll eröffnet und von ihm zu selbigem bemerkt worden: dass er vorläufig hier in Colberg zu verbleiben und sich aufzuhalten gedenke, von einer etwaigen demnächstigen andern Wahl aber sofort Anzeige machen werde.“

Er (v. Funck) sähe sich gegenüber dem „Königl. Wohllöbl. Polizei Directorium veranlasst, hiervon, um wegen der fernern hinsichtlich des p. Jahn verbleibenden polizeilichen Aufsicht jedem Zweifel möglichst zu begegnen, dienstergebenst zu benachrichtigen“ (pag. 2). Bereits mit Datum vom 13. Juni 1825 konnte der Freyburger Polizeirat dem Kolberger Polizeidirektorium, dem Innen- und Polizeiminister von Schuckmann und dem Landrat des Querfurter Kreises, Frh. von Danckelmann, mitteilen, dass der Doctor der Philosophie Friedrich Ludwig Jahn mit seiner Familie in Freyburg eingetroffen sei. In allen diesen Schreiben wird betont, dass Jahn sofort unter polizeiliche Aufsicht gestellt worden sei bzw. unter polizeilicher Aufsicht bleibe (pag. 3). Bemerkenswert ist auch das nächste in der Akte Jahn befindliche Dokument, das Schreiben des Querfurter Landrates Freiherrn von Danckelmann vom 4. Juli 1825, in dem er präzisiert, was unter „Polizeiaufsicht“ zu verstehen sei: „Die polizeiliche Aufsicht welche über den D. Philosophiae F. L. Jahn gehalten werden soll, darf auch nicht so weit ausgedehnt werden, daß die Ortsbehörde jeden seiner Schritte wahrnimmt, sondern es genügt, wenn er im Allgemeinen beobachtet und darauf die Aufmerksamkeit gerichtet wird, mit wem er im öffentlichen Verkehr steht? und ob namentlich junge Leute, Studirende, Lehrer oder Zöglinge von nahen gelehrten Anstalten sich häufig bei ihm einfinden? – In Gemäßheit vorstehender hoher Anordnung wird E. Wohllöbl. Stadtmagistrat in Freiburg hierdurch veranlasst, von dem Treiben des p. Jahn und seinem Betragen wenn er nicht Anlaß giebt, sofort speziell zu berichten, quartaliter, jedesmal sint [?] den 1sten Octbr., 1. Janr, 1. Apr. und 1. Juli bis auf weitere Anordnung

„Zähmung des Demagogen“

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Anzeige zu machen, und im Fall er einen anderen Aufenthalt wählt, mir sogleich davon Nachricht zu ertheilen.“2

Der nächste Brief an den Stadtmagistrat in Freyburg stammt wiederum vom Landrat und ist auf den 15. August 1825 datiert: „In Gemäßheit hoher Verordnung vom 5ten dises Monats wird E. Wohllöbl. Stadtmagistrat in Freiburg hierdurch angewiesen, auf den D. Philosophiae F. L. Jahn in Freiburg, für den Fall wenn er nach Rossleben reisen sollte, besonders aufmerksam zu seyn und demselben keinen längeren als den behufs der Reise dahin nothwendigen Aufenthalt zu gestatten, auch dasjenige was darüber man kennen wird, sofort näher anzuzeigen“ (pag. 7).

Der erste in der Akte verzeichnete Bericht aus Freyburg über Jahns Verhalten stammt vom 1. Oktober und wurde am 22. Oktober 1825 zur Post gegeben; er bezieht sich unmittelbar auf den Landratsbrief vom 4. Juli. Darin wird angezeigt, „dass der sich gegenwärtig hier aufhaltende Doctor der Philosophie, F. L. Jahn sich nicht nur sehr eingezogen und ruhig verhält und unseres Wissens mit Niemand in öffentlichen Verkehr stehet, sondern dass auch bei ihm sich keine [...] Leute, Studierende, Lehrer oder Zöglinge von gelehrten Anstalten bei ihm einfinden“ (pag. 8).

Offensichtlich versäumte dann der Freyburger Stadtmagistrat zum nächst fälligen Termin, dem 1. Januar, Bericht über Jahn zu erstatten. Deshalb schreibt am 6. März 1826 der Landrat von Danckelmann an die Freyburger Oberen: „Von Einem Wohllöblichen Stadtmagistrate ist der für den 1. Januar dieses Jahres fällig gewesene Bericht über das Treiben und Betragen des Dr. Jahn nicht eingegangen. Wohlderselbe wird daher hierdurch [...], die nach der Verfügung vom 4. Juli vorigen Jahres über den p. Jahn vierteljährig zu erstattenden Anzeigen bei Vermeidung Fünf Thaler Ordnungsstrafe [...] pünktlich einzureichen“(pag. 9). Der Bericht wird daraufhin sehr rasch, bereits am 10. März, eingereicht mit der Formulierung: „Von dem Treiben und Betragen des Dr. Jahn alhier vermögen wir nichts Nachtheiliges zu berichten indem derselbe bei einer eingezogenen [?] Lebensart sich fortwährend ruhig und [...] wohl verhält“(pag. 9, Rückseite).

Es folgt dann in der Jahnschen Polizeiakte ein Brief des Freyburger Stadtrates an den Landrat vom 1. April mit einem bemerkenswerten Antrag: „Da der Professor Dr. Jahn alhier, über dessen Betragen wir [...] unterm 10ten vorigen Monats berichtet haben, in seinem ruhigen und unverdächtigen Verhalten fortfährt, so fragen wir gehorsamst an, ob es nicht genügen möchte, jährlich, oder halbjährlich und, wenn es Veranlassung dazu giebt, davon sofort speciell zu berichten?“ (pag. 9, Rückseite, u. pag. 10) Am 12. April 1826 schreibt daraufhin die Abtei2

pag. 6; pag. 4 fehlt in der Akte, pag. 5 ist der Beleg mit der aufgestempelten Gebühr in Höhe von „Acht G. Groschen“ und dem Siegel des Polizeisekretariats für den am 2. Juni 1825 für „den Doctor der Philosophie Herrn Friedr. Ludw. und deßen Begleitung ausgegebenen Reisepaß.“

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„im Abseits“

lung des Innern der „Königl. Preuß. Regierung“ in Merseburg [d. i. das spätere Regierungspräsidium] an den Landrat des Querfurter Kreises: „Da nach dem anbei zurückerfolgenden Berichte des Stadtraths zu Freiburg der Professor Dr. Jahn in seinem ruhigen und unverdächtigen Betragen [...], so mögen die angeordneten QuartalsAnzeigen hierüber bis auf weiteres [...], und wollen wir nachgeben, dass für die Folge nur jederzeit am Schlusse des Jahres Bericht deshalb erstattet werde, es wäre denn, dass der Professor Dr. Jahn sein Benehmen änderte und sich in dieser Hinsicht als verdächtig und unruhig bewiese, in welchem Falle unverzüglich unter specieller Anführung der Umstände vom Stadtrathe zu Freiburg Bericht zu erstatten ist“(pag. 11).

Der ausdrücklichen Aufforderung, das Weitere zu verfügen, kam der Landrat am 20. April nach, indem er eine Abschrift dieses Schreibens an den Stadtmagistrat in Freyburg sandte und ihm die Weisung erteilte, den jährlichen Bericht am 15. Decbr. jeden Jahres zu erstatten (pag. 11, Rückseite). An diesem Tage des Jahres 1826 ging eine kurze Mitteilung des Freyburger Stadtrats an den Landrat, wonach „der Professor Dr. Jahn hier in seinem ruhigen und unverdächtigen Verhalten fortfährt“(pag. 12). Auch der Bericht vom 29. Dezember 1827 an den Landrat sagt nichts Neues aus und lautet sehr lakonisch: „Infolge der hohen RegierungsVerordnung vom 12. April v. J. berichten [...] gehorsamst, dass uns von dem Professor Dr. Jahn hier etwas Nachtheiliges nicht bekannt geworden ist und derselbe sich fortwährend tadellos verhält“(pag. 12, Rückseite).

Der Landrat hatte bereits am 24. Dezember an den Freyburger Stadtmagistrat geschrieben – dieses Schreiben traf allerdings erst am 30. Dezember in Freyburg ein –, um ihn zu veranlassen, „ungewöhnliche Anzeige über das Verhalten des Dr. Jahn sofort [...] einzusenden, und diese Eingabe künftig bei Vermeidung [...] Ordnungsstrafe, jedesmal den 1.n Decbr. zu bewerkstelligen“ (pag. 13). Ende Oktober1828 änderte Jahn plötzlich seinen Wohnsitz und wählte Kölleda als seinen neuen Aufenthaltsort, ohne dass aus den Freiburger Polizeiakten hervorginge, worin der eigentliche Grund für diesen Ortswechsel bestand. Hierüber geben nur die Regierungsakten Aufschluss, denen zu entnehmen ist, dass am 15. September 1828 beim Berliner Innen- und Polizeiministerium eine Anzeige vom Unterrichtsministerium eingegangen war. Demnach sei Jahn häufiger in Merseburg gewesen und sei dort, ebenso wie in Freyburg, mit Gymnasiasten zusammengetroffen, deren Vorsatz zu turnen er gebilligt habe.3 Ein Schreiben der Abteilung des Innern der „Königl. Regierung zu Merseburg“ an den Querfurter Landrat, datiert auf den 24. Oktober 1828, enthält nur folgende Mitteilung: 3

Vgl. M1, S. 314.

„Zähmung des Demagogen“

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„Durch ein Rescript des Königl. Ministeriums des Innern und der Polizei vom 19. v. Mts ist angeordnet worden, daß der Dr. Jahn zu Freiburg, diesen Wohnort verlassen und einen andern von Universitäten und Gymnasien gehörig entfernten Aufenthalt wählen soll. Der p. Jahn hat vom 1. November d. J. ab mit unserer Genehmigung die Stadt Cölleda zu seinem Wohnorte gewählt und wird im Laufe dieses Monats dahin abgehen. – Indem wir Euer Hochwohlgeboren hiervon benachrichtigen, tragen wir Ihnen auf, von der Zeit an, von der p. Jahn Freiburg verlassen hat, die polizeiliche Aufsicht über ihn aufzuheben“ (pag. 15).

Jahn konnte sich aber sicher sein, dass ihn die Polizei auch in seiner neuen Umgebung nicht aus den Augen verlieren würde. Die „Abschrift zur Nachricht und Achtung“ ist vom Landrat erst am 31. Oktober ausgefertigt worden und schließlich am 10. November 1828 in Freiburg eingetroffen (pag. 15, Rückseite). Das erklärt, warum der Freyburger Stadtrat von der Abreise Jahns nach Kölleda überrascht war und die Gründe dafür zumindest am 1. November 1828 auch noch nicht kannte. Das Schreiben des Stadtrats vom 1. November 1828 an Landrat von Danckelmann lautet wörtlich: „Da nach der uns zugekommenen öffentlichen Kunde dem bisher hier wohnhaft gewesenen Professor der Philos. Dr. Friedrich Ludwig Jahn die hohe Verfügung zugekommen sein soll, den hiesigen Ort bis zum Schlusse des Monats Octbr. d. J. bei Verlust seiner bisher genossenen Pension zu verlassen, derselbe auch am 29sten v. Mts. wirklich von hier abgereißet ist und sich nach Cölleda als seinen künftig gewählten Aufenthaltsort begeben haben soll, so stehen wir nicht an, Euch hiervon so oft als dass die von uns bisher über Selbigen geführte sowohl specielle als policeyliche Aufsicht hierdurch ihre Endschaft [?] erreicht hat, sofort gehorsamste Anzeige zu machen. Seine übrige Familie befindet sich [...] hier, soll aber im Begriffe stehen, demselben ebenfalls nachzufolgen und nächstens von hier abzureisen“(pag. 14).

Die Regierung in Merseburg setzte den Landrat des Eckartsbergaer Kreises, v. Helmolt, am 24 Oktober 1828 davon in Kenntnis, dass Jahn durch ein „Rescript des Königl. Ministeriums des Innern und der Polizei vom 19. v. M.“ angewiesen worden sei, seinen Wohnort Freyburg zu verlassen und „einen andern von Universitäten und Gymnasien gehörig entfernten Aufenthalt“ wählen solle. „Der p. Jahn hat von 1ten Nov. des Jahres ab, mit unserer Genehmigung die Stadt Cölleda zu seinem Wohnorte gewählt, und wird im Laufe dieses Monats dahin abgehen. Indem wir Ew. Hochwohlgeboren hiervon in Kenntnis setzen, tragen wir Ihnen auf, den p. Jahn unter gehörige polizeiliche Aufsicht stellen zu lassen und vierteljährig über sein Betragen uns Anzeige zu erstatten.“4 Am 10. Dezember 1828 ließ die Regierung in Merseburg Landrat v. Helmolt wissen, dass Jahn aufgrund einer Verfügung des Innenministeriums und des Polizeiministeriums 4

Stadtmuseum Halle – Eckartsbergaer Kreis. Acta Die polizeiliche Aufsicht über den D. Jahn allhier, p. 1.

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„im Abseits“

vom 22. November auch nicht vorübergehend seinen Aufenthalt in einer Gymnasialstadt nehmen dürfe. Die Regierung in Merseburg trug dem Landrat auf, eine mögliche Reise Jahns in eine Gymnasialstadt grundsätzlich zu genehmigen und der Regierung darüber Bericht zu erstatten.5 Jahn gegenüber ging die Regierung in Merseburg noch weiter, indem sie anordnete, „jedes Mal wenn Sie eine Reise unternehmen, den Landrat Helmolt vor deren Antritt anzuzeigen, wohin sie reisen wollen, und nicht eher diese Reise anzutreten, als bis Sie dessen Erlaubniß dazu erhalten haben.“6 Jahn fühlte sich von den Behörden ungerecht behandelt und wandte sich mit einer Beschwerdeschrift an den Sächsischen Provinziallandtag. Darin verdächtigte er den Innenminister und die Merseburger Provinzialregierung der Denunziation.7 Daraufhin leitete die Regierung in Merseburg ein Gerichtsverfahren gegen Jahn ein, der schließlich wegen Beleidigung des Ministers und der Regierung zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt wurde. Gegen dieses Urteil legte Jahn Berufung ein mit dem Ergebnis, dass seine Haft auf sechs Wochen verkürzt wurde, die er 1831 in Erfurt absaß. Da das Ministerium des Innern und der Polizei in Berlin längere Zeit keine Mitteilung über Jahn – „sein Thun und Treiben und sein Benehmen“ – erhalten hatte, erging von der Provinzialregierung in Merseburg an Landrat Helmolt und den Superintendenten angesichts der revolutionären Vorgänge in Frankreich mit Schreiben vom 26. Oktober 1830 die Aufforderung, umgehend Bericht zu erstatten. „Ich muß Sie ersuchen, unter den gegenwärtigen Verhältnissen dem Dr. Jahn um so größere Aufmerksamkeit zu widmen und bemerke, wie nach der ausdrücklichen Ordre Seiner Majestät den Dr. Jahn auch nicht vorübergehend der Aufenthalt in einer GymnasialStadt nachgegeben werden soll und Se. Majestät es nicht gebilligt haben, daß ihm früher einmal auf eine kurze Zeit die Anwesenheit in Merseburg gestattet worden ist. Es würde hiernach den Allerhöchsten Absichten auch nicht entsprochen, wenn dem Dr. Jahn, wie mir angezeigt worden, ein öfterer Besuch der umliegenden Städte und ein Aufenthalt in Erfurt erlaubt worden sein sollte.“8

Der Landrat schrieb: „Bei seinem vielfachen Wissen und sehr guten Gedächtnisse, verbunden mit immerwährender Aufregung, muß man es in hohem Grade bedauern, daß er in voller Untätigkeit 5 6 7 8

Stadtmuseum Halle – Eckartsbergaer Kreis. Acta Die polizeiliche Aufsicht über den D. Jahn allhier, p. 2. Stadtmuseum Halle – Eckartsbergaer Kreis. Acta Die polizeiliche Aufsicht über den D. Jahn allhier, p. 3. Die Beschwerdeschrift ist mitgeteilt bei L/U, S. 95–96. Stadtmuseum Halle – Eckartsbergaer Kreis. Acta Die polizeiliche Aufsicht über den D. Jahn allhier, p. 7.

„Zähmung des Demagogen“

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dahinlebt, wodurch er sowohl zur Schriftstellerei, wenn von einem gediegenen Werke geredet wird, als auch zu jeder anhaltenden Verrichtung unbrauchbar erscheint. Sein hoher Grad von Neugierde, welcher durch sein geschäftiges Nichtstun immer verstärkt wird, erforscht alles, was in dieser kleinen Stadt vorgeht und was Reisende ihm zubringen.“9

Der Superintendent charakterisiert Jahn als einen leidenschaftlichen, widerspenstigen und eingebildeten Menschen, der sich in Kölleda anfänglich in den „besseren Kreisen“ bewegt, deren Achtung er allerdings bald wegen seiner Lebensführung verloren habe. „Ausgeschlossen aus allen Familien und geselligen Kreisen, selbst von den gewöhnlichen Bürgern völlig abgeschieden, ist der p. Jahn im eigentlichen Sinn des Wortes gegenwärtig auf sich selbst beschränkt, und sein ganzes Tun und Treiben besteht lediglich darin: daß er vom Morgen bis Abend spazieren läuft, auf den Straßen und im Felde sich herumtummelt oder in den gemeinsten Häusern der untersten Volksklassen sich aufhält und Staatsoder Stadtneuigkeiten bringt und holt. Einer ernsten Beschäftigung erscheint er gar nicht mehr fähig; und sein eigener Hauslehrer, ein stiller glaubhafter Mann, in dessen Aussage ich keine Zweifel setze, hat mir wiederholt und erst vor einigen Tagen die bestimmte Versicherung gegeben, daß der p. Jahn, die politischen Zeitungen ausgenommen, nie etwas lese und daß oft Wochen und Monate vergingen, ehe er ein Buch oder eine Feder in die Hand nehme.“

In einem späteren Bericht schrieb derselbe Superintendent: „Er hat sich, seine Zeit, sein Wirken und seinen Ruf überlebt. – Seine ganze Tätigkeit in Kölleda beschränkt sich gegenwärtig darauf: daß er Stadtneuigkeiten holt und austrägt, im Felde oder auf den Bergen herumschweift, an seinem Taubenschlage baut und mit seinen Tauben spielt, auf der Post die Zeitungen liest, und – was jedoch selten geschieht – die dasige geschlossene Gesellschaft besucht und Schach spielt.“10

Geradezu empört meldete der Geistliche, dass Jahn nie die Kirche besuche und nicht einmal bei der Konfirmation seines Sohnes Arnold Siegfried anwesend war, „sondern sich auf den Straßen während der kirchlichen Feier herumgetrieben“ habe. Dies drücke ihm „den Stempel eines rohen Menschen vollständig auf, und kann man von einem solchen Menschen alles, nur nichts Edles erwarten.“11 Die Regierung in Merseburg äußerte sich lobend über den Bericht des Superintendenten: „Die Aufmerksamkeit, welche Ew. Hochwohlgeboren dem Treiben des Dr. Jahn in Kölleda widmen, ist mir recht angenehm, und ich ersuche Sie, damit fortzufahren.“12 9 10 11 12

Zit. nach Neuendorff o.J., Bd. 2, S. 106. Zit. nach Neuendorff o.J., Bd. 2, S. 106. Zit. nach Neuendorff o.J., Bd. 2, S. 106–107. Zit. nach Neuendorff o.J., Bd. 2, S. 107.

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„im Abseits“

Keinen Einwand erhob der Landrat gegen Jahns pflichtmäßige Anzeige vom 8. Mai 1833, eine Fußreise von acht Tagen zu den Schlachtfeldern von Roßbach, Kaufberg, Lützen und Groß-Görschen zu unternehmen.13 Das eintönige Leben in dem Ackerstädtchen Kölleda veranlasste Jahn, der sich als „Eingebannter“ und „Geächteter“ fühlte, im August 1834 zu einer Eingabe an den Landrat, um einen Umzug in eine andere Stadt zu erwirken. „Ich bedarf zu meinem geistigen Wohlsein der Nähe einer öffentlichen Bibliothek, und um meine Forschungen in der Geschichte, Sprachwissenschaft und Alterthumskunde nützlich und wohlgeordnet zu gestalten, der Rücksprache mit Gelehrten. Frau und Tochter bedürfen ärztlicher Hülfe und Heilmittel, wie sie der beste, theilnehmendste Arzt eines kleinen Landstädtchens nicht gewähren kann.“

Außerdem habe er für eine angemessene Erziehung und Ausbildung seiner Kinder zu sorgen, wozu in Kölleda die Voraussetzungen fehlten.14 Die Provinzialregierung antwortete Landrat Helmolt auf dessen Bericht vom 25. August 1834 am 28. März 1835, dass der Minister des Innern und der Polizei inzwischen entschieden habe, Jahn „zur Angabe des gewählten anderweiten Domicils“ aufzufordern.15 Daraufhin entschied sich Jahn zur Rückkehr nach Freyburg. Nachdem Jahn den Behörden seinen Entschluss mitgeteilt hatte, erhielt die Freyburger Polizei am 17. September 1835 genaue Anweisungen darüber, wie die Polizeiaufsicht über Jahn konkret auszusehen habe, sobald dieser von Kölleda nach Freyburg zurückgekehrt sei. Das Datum dieses nachstehend zitierten Schreibens ist insofern interessant, weil Jahn erst fast genau ein halbes Jahr später wieder in Freyburg eingezogen ist, d.h., dass die Vorkehrungen der Regierung, die „Sicherheit“ der Bevölkerung gegenüber dem „Demagogen“ F. L. Jahn betreffend, in diesem Falle außerordentlich zeitig einsetzten. Bei dem Schreiben vom 17. September 1835 handelt es sich nämlich um die an die Königl. Regierung zu Merseburg gerichtete Abschrift eines Briefes „in Vertretung des Herrn Geheimen Staatsministers v. Rochow, vermöge Allerhöchsten Auftrags des Justiz Ministers“ von einem Mitarbeiter – Mühler – unterschrieben. Es lautet: „Unter den in dem Berichte der Königl. Regierung vom 9. d. M. [...] angezeigten Verhältnissen ist dem Dr. Jahn in Cölleda der von ihm nach der hierneben wieder zurückgebenden Vorstellung vom 3. d. M. beabsichtigte Umzug nach Freiburg zu gestatten. Die Königl. Regierung hat dies dem p. Jahn zu eröffnen und wegen seiner polizeilichen Beaufsichtigung in Freiburg das Nöthige zu verfügen“ (pag. 16). 13 Stadtmuseum Halle – Eckartsbergaer Kreis. Acta Die polizeiliche Aufsicht über den D. Jahn allhier, p. 9. 14 L/U, S. 104. 15 Zit. nach GStA PK B Rep. 92 NL Jahn C–XXI.

„Zähmung des Demagogen“

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Von Merseburg wurde eine Abschrift dieses Briefes an den Querfurter Landrat v. Helldorf zu Bedra gesandt und ihm folgende Weisung erteilt: „Abschrift zur Nachachtung und um außer der über Dr. Jahn zu führenden speciellen Beaufsichtigung insonders auch darauf zu achten, ob und welche Personen genauere oder auffallende Verbindung mit ihm anknüpfen, wie auch ob und mit wem er in vorzugsweiser [Verbin] dung steht. Von periodischer Berichtserstattung über diese Gegenstände absehend haben Sie dabei den leisesten sich ergebenden Verdachtsgründen, welcher Art sie auch sein mögen, uns ungesäumt Anzeige zu machen und zu gleichem Verfahren, jedoch ohne dass der Dr. Jahn durch solches unnöthig belästigt oder sonst einiges Aufsehen erregt werde, die Ortsbehörde anzuweisen. Insbesondere wird dabei der etwaige Umgang des p. Dr. Jahn mit jungen Leuten aus der Klasse der Schüler und Studenten im Auge zu behalten, und event. werden die erforderlichen Maßregeln zu treffen seyn, um einen solchen zu verhindern, insofern die bekannten Uebelstände daraus zu besorgen sein möchten. Bey der Nähe mehrerer gelehrten Schulen und auch Universitäten haben Sie auf die Freiburg besuchenden Schüler und Studenten ganz vorzüglich Acht zu geben, ob selbige in irgend eine Communikation mit dem Dr. Jahn treten. Bey dem geringen Umfange von Freiburg und der gewöhnlich sehr [...] Handlungsweise des p. Jahn wird es nicht schwer halten, alle seine Schritte ohne große Veranstaltungen gehörig zu beobachten und jeden nachtheiligen Einfluß, den derselbe ausüben möchte, sofort zu bemerken. Euer Wohlgeboren haben mir regelmäßig vierteljährlich über das Verhalten des p. Jahn zu berichten, wobey die von Königl. Hochlöbl. Regierung besonders ausgehobenen Punkte, als: 1. ob und welche Personen eine genaue und auffallende Verbindung mit dem p. Jahn anknüpfen? 2. ob und mit wem er vorzugsweise in Correspondenz stehe? 3. ob junge Leute aus der Klasse der Schüler und Studenten, wie es bei früherer Anwesenheit des Jahn der Fall war, jetzt wieder mehr Freiburg besuchen und solche mit Jahn in Berührung kommen, so wie auch 4. ob der p. Jahn an öffentlichen Orten, wie er es früher, sogar mit Leuten geringen Standes ... gethan, über Verfassung und Politik spreche? Und 5. Womit er sich im Allgemeinen beschäftige? vorzugsweise im Auge zu halten sind. Ueberdem erwarte ich auch sofortige Anzeige bey jedem besondern Vorfall oder ... Verdacht“ (pag. 17, Vorder- und Rückseite).

Am 20. März 1836 zeigt dann der Bürgermeister von Freyburg dem Landrat „ergebenst an, dass der Dr. philos. Jahn hier eingetroffen ist“ (pag. 18). Der erste, zum 1. Juli 1836 fällige Bericht über das Verhalten Jahns hält sich genau an die fünf Vorgaben vom 10. Oktober 1835, auf die er auch ausdrücklich Bezug nimmt. Er schreibt dann, „dass der Dr. philos. Jahn seit seinem Aufenthalte hier ruhig und still gelebt und sich ohne Tadel geführet hat. Uebrigens hat ad 1.; Niemand ... auffallende Verbindung mit ihm geknüpft;

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„im Abseits“

ad 2., Seine Korrespondenz beschränkt sich, eingegangener Erkundigung nach, blos auf Verwandte [?] und einige Bekannte in Berlin und Stettin. ad 3., Schüler und Studenten haben sich nicht in vermehrter Anzahl, seit dem der p. Jahn sich hier aufhält, eingefunden, und eben so wenig ist derselbe mit solchen in eine nähere Berührung gekommen. ad 4., Aeußerungen über Politik und Verfassung, namentlich an öffentlichen Orten gegen Leute geringeren Standes sind mir nicht bekannt geworden und scheint sich derselbe ad 5., größten Theils mit Lektüre und schriftstellerischen Arbeiten zu beschäftigen. Seine Lebhaftigkeit und die ihm eigene Unruhe hat, seit er hier entfernt gewesen, sich bedeutend vermindert“(pag. 18).

Im folgenden Bericht vom 1.10.1836 beschränken sich dann die Auskünfte des Bürgermeisters darauf, „daß der Dr. philos. Jahn auch in dem letztverflossenen Vierteljahre seine ruhige Lebensart fortgesetzt und sich ohne Tadel geführet hat. – Hinsichtlich der speciell auszuführenden Punkte habe ich lediglich das in meinem Berichte vom 1. Juli Gesagte zu wiederholen“ (pag. 18 f.). Die weiteren, in der Polizeiakte Jahn enthaltenen Berichte vom 31.12.1836, 1.4. und 30.9.1837, 19.1., 31.3., 1.10. und 31.12.1838, 2.4. und 31.12.1839 sagen nichts anderes aus (pag. 19 bis 21 fehlen). Sie beziehen sich ohne Ausnahme auf die Verordnung vom 10. Oktober 1835, bezeugen Jahn die Beibehaltung seiner „ruhigen Lebensweise“ und bestätigen jeweils den Bericht vom 1. Juli 1836. Lediglich im Bericht vom 19.1.1838 wird Zusätzliches berichtet: Bei Jahn hätten sich Leute aufgehalten, „aber von mir nicht haben ausgemittelt werden können“ (pag. 21). Der Bericht vom 2. April 1839 ist danach offenbar im gleichen Wortlaut am 2.7., 1.10. und 31.12.1839 sowie am 2.1., 2.4. und 10.7.1840 wiederholt und deshalb in die Akte nicht im Wortlaut aufgenommen worden; lediglich die Postausgangsdaten sind neben dem Wortlaut des Berichts vom 2.4.1839 festgehalten (pag. 21, Rückseite). Die Beendigung der Polizeiaufsicht über Jahn wird mit dem Brief des Freyburger Bürgermeisters an den Landrat, datiert auf den 19.8.1840, eingeleitet. Darin verweist er darauf, dass der preußische König Friedrich Wilhelm IV., der die Nachfolge seines am 7.6.1840 verstorbenen Vaters, Friedrich Wilhelms III., angetreten hatte, „alle diejenigen welche sich während der Regierung des hochseligen [?] früheren Königs des Hochveraths, des Landesverraths, der Majestätsbeleidigung, der Theilname an unerlaubten Verbindungen und Erregung von Mißvergnügen gegen die Regierung schuldig gemacht haben, [...] vollkommen und ohne alle Einschränkung zu begnadigen geruht. In Folge dessen dürfte nach meinem [...] Dafürhalten auch die polizeiliche Aufsicht welche ich über den Dr. phil. Ludwig Jahn hier zu führen habe, jetzt ohne weiteres aufzuheben sein“ (pag. 22).

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Abschließend bittet der Bürgermeister den Landrat um Unterstützung seiner Bitte, die polizeiliche Aufsicht über Jahn aufzuheben. Jahn hatte, wie aus seinem Mahnschreiben vom 30.10.1840 hervorgeht, am 23. August ein entsprechendes Gesuch mit der Bezeichnung „zu eigenen Händen“ an den Innen- und Polizeiminister v. Rochow gerichtet.16 Mit dem nächsten in die Akte Jahn aufgenommenen Dokument, dem Brief des preußischen Ministers des Innern und der Polizei von Rochow vom 31.10.1840 an die „Königl. Regierung zu Merseburg“, wird dann der erste Schritt zur Aufhebung der Polizeiaufsicht vollzogen: „Der Königl. Regierung wird hierdurch zur Kenntnißnahme und weiteren Veranlassung bekannt gemacht, dass des Königs Majestät die durch die Allerhöchste Kabinettsorder vom 3ten Mai 1825 gegen den Doctor F. L. Jahn angeordneten polizeilichen Beschränkungen, welche der Königl. Regierung am 6ten Juni 1825 eröffnet worden sind, auf meinen Antrag unterm 23.n d. Mts. wieder aufzuheben geruhet haben, und dass der p. Jahn heute davon in Kenntniß gesetzt wird“ (pag. 22, Rückseite). Am 12. November 1840 sendet die Merseburger Regierung eine Abschrift dieses Schreibens an den Querfurter Landrat, der seinerseits dem Freyburger Bürgermeister am 23.11.1840 dieses wichtige Schreiben überstellt, die der Freyburger Magistrat am 26. November 1840 an das Landratsamt zu Querfurt zurückschickt (pag. 22 f.).

3.2 „in existentiellen Nöten“ Zwei Jahre vor seiner Begnadigung geriet Jahn mit seiner Familie in arge Bedrängnis. Während er sich mit seiner Frau Emilie und seiner Tochter Sieglinde zu einem Besuch bei Bekannten in Bilzingsleben aufhielt, brannte in der Nacht vom 4./5. August 1838 das Haus ab, das er in Freyburg zur Miete bewohnte. Es stellte sich bald heraus, dass das Feuer durch Nachlässigkeit ausgebrochen war. Dreizehn Familien verloren dabei ihre Wohnung. Weil er nicht versichert war, verlor Jahn bei diesem Hausbrand seinen ganzen Besitz. Im Alter von 60 Jahren stand er noch einmal vor dem Nichts. Mit der Wohnungseinrichtung verlor er zugleich alle Aufzeichnungen, Quellen und Dokumente, die er für eine geplante Geschichte des Dreißigjährigen Krieges und eine Arbeit über das Germanentum in vorchristlicher Zeit in jahrelanger Arbeit – und mit nicht unerheblichen finanziellen Mitteln –zusammengetragen hatte. Zur Linderung der größten Not schickte ihm der Innenminister 100 Taler. Mehrere Freunde riefen in der Leipziger Allgemeinen Zeitung zu einer Geldspende für Jahn auf. Auch in anderen 16 M1, S. 463–464.

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Zeitungen17 wurde dieser Spendenaufruf veröffentlicht. Die Anregung zu dieser öffentlichen Sammlung hatte Jahns Duzfreund Dr. Espe in Leipzig gegeben.18 Spendenaufruf: An Jahn’s Freunde und Bekannte Der alte Jahn in Freiburg a. d. Unstrut ist in der Nacht vom 4. auf dem 5. August, während der Abwesenheit mit Frau und Kind, durch eine plötzlich um sich greifende Feuersbrunst aller seiner fahrenden Habe, seiner Bücher und wichtigen handschriftlichen Sammlungen verlustig worden. In Folge dieses Unglücksfalls von mehreren Seiten angeregt, fordern wir Jahn’s zahlreiche Freunde und Bekannte zu einer allgemeinen Sammlung für den alten Mann mit weißem Haar, aber jugendlichem Herzen auf, die ihm ein Zeichen sei, daß Deutschland seine Bestrebungen nicht verkannt und ihn, den alten Freiheitskämpfer von 1813 nicht aus dem Auge verloren habe, indem wir hoffen, daß diese Sammlung in ganz Deutschland Anklang finden werde. Zur Annahme der Beiträge hat die Redaction der Leipziger Allgem. Zeitung ihre Bereitwilligkeit erklärt, die Redactionen anderer Zeitungen und Zeitschriften ersuchen wir aber, durch die ihnen zu Gebote stehenden Organe diesen Aufruf weiter zu verbreiten und der Annahme von Beiträgen sich gefälligst zu unterziehen, deren Einsendung unter der Adresse der obigen Zeitungsredaction erbeten wird. Leipzig, 23. August 1838. Mehrere Freunde Jahn’s. Um auch von unsrer Seite dem alten verehrungswürdigen Professor Jahn in seiner gewiß bedrängten Lage zu helfen, so weit es uns möglich ist, machen wir seine Freunde und Bekannte auf die in unserm Verlage herausgekommenen zwei Schriften aufmerksam: 1) Merke zum deutschen Volksthum, Ladenpreis 1 1/3 Thlr. Preuß. 2) Denknisse eines Deutschen, oder Fahrten des Alten im Bart, Ladenpreis 1 Thlr. Von den Ladenpreisen aller Exemplare, welche von nun an bestellt werden, lassen wir die Hälfte des Betrages an Hrn. Jahn durch die Redaction der allgemeinen Leipziger Zeitung zugehen und es sind auf portofreie Bestellungen, genannte Werke durch jede Buchhandlung Deutschlands und der Schweiz zu beziehen. Die Hauptexpedition hat die löbl. Dyk’sche Buchhandlung in Leipzig zu übernehmen die Güte gehabt und es haben sich alle Sortimentsbuchhandlungen an diese zu wenden. Schleusingen, 26. August1838. Die Buchhandlung von Conrad Glaser.19

An diesen Spendenaufruf mag Jahn große Hoffnungen geknüpft haben, die allerdings in eine Enttäuschung umschlugen, als feststand, dass lediglich 196 17 Etwa im Allg. Anzeiger der Deutschen, 1838, Nr. 238, Sp. 3026 oder in der Mitternachtszeitung, 1838, Nr. 149 (17.9.), Sp. 1191–1192. 18 M1, S. 433. 19 Mitternachtszeitung 1838, Nr. 149 (17.9.), Sp. 1191–1192.

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Taler zusammengekommen waren.20 Seinem Freund, dem früheren Burschenschafter und Turner Ernst Heinrich Zober, schrieb er Weihnachten 1838, dass nur zwei ehemalige Lützower, Ernst Ferdinand August, der 1811 als Primaner des Berliner Gymnasiums zum Grauen Kloster das erste Turnlied „Deutsch zu denken, Deutsch zu handeln“ gedichtet hatte und Dr. Gutike aus Halle an ihn gedacht hatten. Während August bei dieser Gelegenheit eine fünfjährige Schuld von fünf Dukaten abtrug, schickte ihm Dr. Gutike Leinwand zur Fertigung von Hemden. Ernst Eiselen hatte nach Jahns Ansicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft, auch dessen Schüler Wilhelm Lübeck, der Jahn mit zwei Geldsendungen unterstützte. Die Lehrer Fickert, Gruber, Roller und Steinhart aus Schulpforta halfen der Familie Jahn mit Hausgerät. „Nun weißt Du Alles; aber Du mußt wissen, daß der allgemeine Glaube herrscht: Die Brockhäuser Sammlung wäre sehr reich und reichlich ausgefallen. Und das Schlimmste ist, man darf der guten Sache wegen nicht widersprechen, um nicht den Herrn von Bleibe und Rückwärts Oberwasser zu geben, und für Zeiten der Noth, künftige Freiwillige zu entmuthigen.“ Jahn hielt es für aussichtslos, potentielle Spender über die Zeitungen zu erreichen und suchte Zober für eine andere Strategie zu gewinnen: „Man muß sich an Orte wenden, wo ein Stämmlein alter Lützower: Turner, und Burschenschafter hauset, z.B. Mekl. Friedland, Ratzeburg und dergleichen Orte, die Dir gewiß besser einfallen als mir. Deutschland ist groß, und Kamptz reicht nicht weit.“21 Im Umfeld seiner früheren Freunde vermutete Jahn also einen bis dahin kaum aktivierten Kreis von bereitwilligen Spendern, um die er sich in der folgenden Zeit bemühte. Seinem ehemaligen Waffengefährten im Lützowschen Freikorps, Carl Friedrich Wolf Feuerstein, schrieb Jahn am 1. Januar 1839: „Viele meiner Freunde in der Ferne glauben sicherlich, ich säße dem Glücke zunächst in einer Rosenlaube. Dieses Nebelgebild ist aus Zeitungsdünsten entstanden. Das Irrlicht der Leipziger Allgemeinen (Brockhäuser) Zeitung ist durch viele Blätter geirrwischt. Vom Erfolg weiß ich nichts, als daß ein jüngerer Freund aus L[eipzig] an einen älteren geschrieben: ‚Brockhaus schämt sich, das winzig Eingekommene an Jahn zu übersenden.‘ Warum macht er es denn nicht, wie unbekannte Freunde in Bremen, die gleich nach dem Brande, ohne alle Namensunterschrift, sich hilfreich erwiesen. Die fünf Siegel enthielten die Anfangsbuchstaben des Wasserzeichens: ‚Heinrich Leupold.‘“

Von dem „wirkungslosen Leipziger Aufruf “ sollte nichts öffentlich verlauten. Es würde nur den „Herrn von Bleibe und Rückwärts“ Oberwasser geben und manchen entmutigen, der sonst wohl Beruf zum Vorkämpferamt fühlt. Die „Umkehrsüchtigen“ würden daraus den Schluss ziehen, dass mit ruhiger Entwicklung 20 M1, S. 433. 21 L/U, S. 114.

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nichts geschafft werde.22 Auch dem früheren Turner und Burschenschafter Ulrich schilderte Jahn seine Lage und erkundigte sich nach dem Verbleib alter Vertrauter, die er um Unterstützung bitten könnte: „In Reupzig bei Köthen (aber im Dessauischen) wohnt mein Freund Lippold als Prediger, ein alter Burschenschafter und Schnellwanderer. Ob er noch lebt? Wo steckt Wangenheim? Von Schlesiern weiß ich gar nichts. Von Mecklenburgern auch nichts. Überhaupt scheint die Welt für mich ausgestorben zu sein, und ich schreite wie Eckart vor dem wütenden Heer als Warner.“23 Die Hilferufe, die Jahn an seine früheren Weggefährten erließ, dürften in manchen Fällen erfolgreich gewesen sein. Der größte Teil seiner ehemaligen Freunde hielt sich allerdings aus Angst vor einem möglichen Konflikt mit den Behörden zurück, denn solange Jahn noch unter Polizeiaufsicht stand, war es nicht ungefährlich, sich öffentlich zu dem politisch diskreditierten Begründer des Turnens zu bekennen. Noch im Winter 1838 hatten die Behörden Jahn die Teilnahme am 25jährigen Treffen der Lützower in Halle ausdrücklich verboten, obwohl er selbst gar nicht daran gedachte hatte, diese Veranstaltung zu besuchen. Jahn schätzte seine Lage also durchaus richtig ein, wenn er Anfang 1839 schrieb: „Ich spuke noch immer in den Köpfen der Herrn von Bleibe und von Rückwärts – […]“24 Während sich seine Landsleute noch merklich zurückhielten, erhielt Jahn eine durchaus ansehnliche Geldspende aus der Schweiz. Nachdem die Neue Zürcher Zeitung am 13. August 1838 von Jahns Unglück berichtet hatte, eröffnete der Turnverein Basel eine Geldsammlung. Von den damals 73 eingeschriebenen Vereinsmitgliedern, darunter der später als Kultur- und Kunsthistoriker bekannt gewordene Jacob Burckhardt, spendeten 36 den Gesamtbetrag von 94.50 Fr. Ein Spendenaufruf an die „Ehemaligen“ des Turnvereins erbrachte weitere 70 Fr. Die Bittbriefe, die von Basel an andere Turnvereine in der Schweiz ergingen, fanden eine unterschiedliche Resonanz. Aus Chur kamen noch 14. 20 Fr. ein, aus Schaffhausen 32 Fr. und aus Bern 63.85 Fr. Bis zum Ende der Spendenaktion, die schließlich die Summe von 274.55 Fr. erbrachte, lehnten die Turner aus Zürich jede Beteiligung an der Hilfsaktion ab. Die Gründe dafür sind nicht bekannt, doch deutet sich in dem Verhalten der Zürcher Turner an, dass Jahn bei den Turnern in der Schweiz nicht nur Freunde hatte, die bereit waren, ihm mit einer Spende unter die Arme zu greifen. Im Februar 1839 schickte der Turnverein Basel per Post 200 Fr. an Jahn. Dem Brief war folgendes Begleitschreiben beigefügt:

22 M1, S. 435–437. 23 M1, S. 439. 24 Brief an Ulrich vom 18.1.1839 (M1, S. 437).

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„Mit großer Theilnahme vernahmen wir, welch Unglück Sie letzten Sommer betroffen. Wir ergreifen aber freudig die Gelegenheit, unsre dankbaren Gesinnungen gegen Sie an den Tag zu legen. Was Sie in ihrem Vaterland mit der aufopferndsten Begeisterung angestrebt durchs Turnen den Grund zu einem kräftigen Volksthum zu legen, hat in der Schweiz kräftige Wurzeln geschlagen, ist aufgegangen und trägt schöne Früchte. Vor 20 Jahren bildeten sich auf Anstoss von Deutschland her hie und da in der Schweiz wo Akademische Anstalten waren Turnvereine. Vor 8 Jahren verbanden sich mehrere von diesen zu einem schweizerischen Turnvereine, der bereits den größern Theil der Schweiz umfasst. Jährliche allgemeine Turnfeste, die abwechselnd in den verschiedenen Orten gefeiert werden und auch von Seite des Publicums sich der wärmsten Theilnahme erfreuen, zeigen, wenn irgend etwas, was man von Turnern hoffen kann, die Ausbildung eines für Freundschaft und Vaterlandsliebe kräftigen gesunden Sinnes bei dem aufwachsenden Geschlecht. Was wir an diesem unserm schönsten, auf den einzelnen wie auf die Gesamtheit so wohlthätig nachwirkenden Jugendfrieden, Ihnen verdanken, haben wir nie verkannt und freuen uns es Ihnen einmal aussprechen zu können. Empfangen Sie daher dieß, wenn auch geringes Zeichen unsrer Anerkennung etc.“25

Augenscheinlich hat sich Jahn für die Unterstützung aus dem Nachbarland nicht einmal bedankt.26 Ein Grund dafür ist vielleicht seine große Abneigung gegen die Schweiz, die er in mehreren Briefen aus seiner Berliner Zeit zum Ausdruck gebracht hat.27 Jahn mag es seinen alten und neuen Freunden in Deutschland sehr verübelt haben, dass sie nicht den Mut hatten, sich wie die Turner aus dem Nachbarland öffentlich zu ihm zu bekennen. Bei dieser Gelegenheit wurde er allerdings auch nachdrücklich daran erinnert, dass sich die turnerische Entwicklung in der Schweiz nach 1819/20 ungehindert entwickeln konnte, während in Deutschland die „Turnsperre“ fortbestand und er selbst seit beinahe 20 Jahren an jeder öffentlichen Wirksamkeit gehindert war. Bis sich Jahn entschloss, trotz seiner angespannten finanziellen Lage für 160 Taler eine wüste Baustelle in Freyburg zu erwerben, die er schon zwölf Jahre vorher hatte kaufen wollen, lebte er mit seiner Familie in einer Notwohnung. Nach dem Baubeginn im Frühjahr 1839 war der Neubau im darauf folgenden Jahr bezugsfertig. Jetzt geriet Jahn in weitere Schwierigkeiten, weil er die Rechnungen für die Handwerker ebenso wenig bezahlen konnte wie die Hypothekenzinsen, von den erforderlichen Einrichtungsgegenständen ganz zu schweigen. Dem Minister des Innern und der Polizei, v. Rochow, schrieb er am 28.11.1840: „Wenn ich alles vorher gewusst, so hätte ich mir nicht die Last eines Hauses aufgeladen, worunter ich jetzt fast erdrückt werde. An sich ist es eine unbedeutende

25 Zit. nach Develey (1982), S. 72. 26 Develey (1982), S. 73. 27 Pieth (1978), S. 296–298.

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Sache, nur für mich doch zu viel. Mit einem Worte: ich habe mich verbaut!“28 Gemessen an seinen finanziellen Möglichkeiten hatte Jahn ein viel zu großes Haus gebaut, das bei manchen Freyburgern kritische Stimmen provoziert haben dürfte. Nach seiner Begnadigung im Oktober 1840 nutzte er jede Gelegenheit, um sich neue Geldquellen zu erschließen. Jahn konnte sich nun endlich wieder frei bewegen, Kontakte knüpfen und seine Meinung in Wort und Schrift frei äußern. Umgekehrt konnten sich ehemalige Turnschüler, Burschenschafter und Angehörige des Lützowschen Freikorps mit ihm in Verbindung setzen ohne Gefahr zu laufen, mit der Polizei aneinander zu geraten. Zunächst verfolgte Jahn den Plan, sein Werk „Mittelgard“ neu aufzulegen, doch fanden sich nur wenige Subskribenten, so dass die Drucklegung unterbleiben musste. Als er davon hörte, dass in der Kasse des Leipziger Vereins zur Unterstützung der 1837 von der Universität Göttingen verwiesenen sieben Professoren („Göttinger Sieben“) – Albrecht, Dahlmann, Ewald, Gervinus, Jakob und Wilhelm Grimm, Weber – noch ein Überschuss vorhanden war, reagierte Jahn sofort. Er wollte das Geld bis zur Entscheidung über den endgültigen Verwendungszweck zur Tilgung seiner Hypothek leihen. Jakob Grimm hatte dafür überhaupt kein Verständnis: „Ihm [ Jahn] das übrige Geld auf eine zweite Hypothek seines Hauses zu leihen hieße ungefähr ihm damit ein Geschenk machen, wozu ich keinen Grund sehe, er empfängt seit langer Zeit 1.000 Thaler des Jahres, schwätzt und thut nichts.“29 Heinrich Heine bezeichnete Jahn gar als „groben Bettler.“30 Der Leipziger Verein zur Unterstützung der „Göttinger Sieben“ überwies den Überschuss schließlich an die Familie des Professors Jordan in Marburg.31 Auch wenn ihn immer noch große finanzielle Schwierigkeiten plagten, verbesserte sich die allgemeine Lage Jahns in den nächsten beiden Jahren nach seiner Begnadigung. Im Juni 1841 erhielt er das ihm lange vorenthaltene Eiserne Kreuz, am 18. September 1842 wurde ihm als Allerhöchster Gnadenerweis die Summe von 1.500 Talern, die er einst in den Ausbau des Hasenheide-Turnplatzes investiert hatte, erstattet. Damit entging er einem möglichen Rechtsstreit mit seinem Sohn Arnold Siegfried, mit dem er sich ohnehin nicht gut verstand, denn das Geld gehörte seinem Sohn, der es von seiner Mutter geerbt hatte. Nach der offiziellen Aufhebung des Turnverbots durch die oft zitierte Kabinettsordre Friedrich Wilhelms IV. im Juni 1842 bildeten sich in schneller 28 29 30 31

M1, S. 464. Brief von Jakob Grimm an Dahlmann, 3. März 1843; zit nach L/U, S. 128. Zit. nach Braun (1993), S. 114. L/U, S. 130.

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Folge Turnvereine, die Jahn – wenngleich in unterschiedlicher Ausprägung – als „Turnvater“ verehrten und dessen persönliches Lebensschicksal ihnen deshalb auch nicht gleichgültig war. Im Vertrauen auf die veränderte politische Situation nach 1840, die den Beginn einer neuen liberalen Ära signalisierte, legten frühere Anhänger und neuere Sympathisanten Jahns ihre Zurückhaltung ab und organisierten eine neue Spendenaktion zur Unterstützung des „Alten im Barte.“ Zwei alte Freunde – Karl von Wangenheim (Neu-Kobitz bei Dramburg) und Ludwig Schallehn32 (Blumberg bei Stargard) – riefen Anfang 1844 in der Haude und Spenerschen Zeitung zu einer Geldsammlung auf, um den drohenden Zwangsverkauf von Jahns Haus abzuwenden. Heinrich Ludwig Karl von Wangenheim (1797–1853) beteiligte sich 1817/18 an den Turnübungen auf der Hasenheide und gehörte 1818 zu den Mitbegründern der Berliner Burschenschaft. Als Jurist arbeitete er zunächst als Richter in Berlin, stieg zum Oberlandesgerichtsrat auf, wurde durch Heirat und Erbschaft vermögend und einflussreicher Gutsbesitzer in Pommern.33 Wangenheim fand in Ludwig von Mühlenfels, Oberlandesgerichtsrat in Naumburg, einen engagierten Mitstreiter. Der auf dem Gut Groß-Cordshagen in Schwedisch-Pommern gebürtige von Mühlenfels (1793–1861) wurde als Lützower Jäger bei Kitzen schwer verwundet und gehörte mit Wangenheim 1817 zu den Teilnehmern des Wartburgfestes.34 Unter dem 8. August 1844 konnten v. Mühlenfels und Lobedan ihren Abschlussbericht vorlegen. Das Ergebnis dieser Sammlung übertraf mit 3.956 Talern und 9 Sgr.35 alle Erwartungen. Dieser Summe standen Ausgaben in Höhe von 3.883 Talern, 26 Silbergroschen und 8 Pfennigen gegenüber. Jahn konnte mit den Spendengeldern also seine Schulden tilgen und endlich wieder unbeschwerter leben. Diese breit angelegte und gut organisierte Spendenaktion alter und neuer Freunde aus dem Umfeld der (ehemaligen) Turner, Burschenschafter und Lützower hat Jahn zweifellos beflügelt und zu erneuter Popularität nahezu in ganz Deutschland und dem benachbarten Ausland verholfen. So gingen bei ihm selbst Geldbeträge aus Bitterfeld, Breslau, Detmold, Königsberg, Mainz, Meiningen, Neu-Strelitz, Nürnberg, Pforzheim, Posen und Stuttgart ein. Einzelne Organisatoren erhielten „Ehrengaben“, d.h., Geldbeträge, z.B. aus Berlin, Bremen, Frankfurt, Hannover, Halberstadt, Heidelberg, Kreuznach und Magdeburg, die sie dann an Jahn weiterleiteten. In Bremen betrieb der ehemalige Lützower 32 Vielleicht handelt es sich um einen Bruder des Hasenheideturners Johann Albert Eduard Schallehn (1797–1891), der nach 1840 maßgeblich für die Wiedereinführung des Turnens in Stettin wirkte; vgl. Ulfkotte (1979), S. 99. 33 Ulfkotte (1979), S. 120. 34 Schnapp (1973), S. 573–574; Qu, S. 166, Anm. 475. 35 Pröhle (1872), S. 317. – Hinzu kamen noch 80 Taler, die bereits vor dem Spendenaufruf bei Jahn eingegangen waren; vgl. Pröhle (1872), S. 319.

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Heinrich Leupold die Sammlung, die insgesamt 460 Taler, 16 Silbergroschen erbrachte.36 Größere Spenden kamen noch durch den Turnlehrer August Ravenstein (605 Taler, 9 Silbergroschen), der in Frankfurt eine Privatturnanstalt unterhielt, und durch die Sammelaktion der Vossischen Zeitungsexpedition in Berlin (681 Taler) zusammen. Der Turnverein in Königsberg, den Jahns Freund Ulrich gegründet hatte, war der erste Turnverein, der für Jahn sammelte, weitere Vereine schlossen sich diesem Vorbild an. Die Spendenaktion für Jahn führte in vielen Fällen auch zu einer intensiveren Kommunikation zwischen den sich daran beteiligenden Turnvereinen einer bestimmten Region. Im Frankfurter „Nachrichtsblatt für Deutschlands Turnanstalten und Turngemeinden“ ist im Februar 1847 zu lesen: „Die seit der für Turnvater Jahn’s Haus veranstalteten Sammlung jährlich im Januar stattfindende, der Erinnerung dieses erfreulichen Vorfalles, Besprechung gemeinsamer Angelegenheiten und freundschaftlicher Geselligkeit gewidmete Zusammenkunft der Turner aus Hessen und Rheinland fand diesesmal am 17. Januar in Bergen statt. Sie war zahlreicher besucht, als alle früheren, und es hatten sich zu derselben Turner von Frankfurt, Hanau, Gelnhausen, Offenbach, Darmstadt, Mainz, Bingen, Homburg und Friedberg eingefunden. Sogar ein Mannheimer war, jedoch nur zufällig, erschienen. Die Zahl der Anwesenden mag 200 überschritten haben. Nachdem in einer kurzen Ansprache den jüngeren und fremden Turnern die Bedeutung der Zusammenkunft dargelegt und dem Gründer des deutschen Turnwesens das übliche ‚Gutheil‘ gebracht worden war, verbrachten die Versammelten in heiterem Verkehr unter Lust und unter Gesang einige herzliche Stunden. Einzelne Turner trugen Gedichte ernsten und launigen Inhalts vor, und der Sängerchor der Hanauer Turngemeinde erfreute die Versammlung durch einige sehr brav vorgetragene vierstimmige Lieder[…].“37

Durch den Magdeburger Schulrat Dr. Grubitz erreichte der Spendenaufruf auch viele Schüler an den Gymnasien, die sich nach den Vorstellungen der preußischen Regierung seit 1844 regelmäßig am Schulturnen beteiligen sollten. Auf diese Weise wurde „Turnvater Jahn“ auch bei Teilen der deutschen Schuljugend zu einem Begriff.

36 Schon 1819 wurde in Bremen – wahrscheinlich auch von ehemaligen Lützowern – eine Geldsammlung für die Familie Jahns durchgeführt. Am Ende des Jahres übermittelte Pfarrer Dräsecke Jahns Ehefrau Helene den Betrag von 274 Talern; vgl. Braun (1999), S. 70. – Als Bischof von Magdeburg hielt Dräsecke 1837 die Ansprache zur Einweihung des Gustav-Adolf-Denkmals in Lützen (vgl. Kap. 4.3). – Die Spendenfreudigkeit der Bremer Bürger mag zu einem Teil darauf zurückzuführen sein, dass die Lützower in der Zeit der Befreiungskriege die französischen Besatzer zumindest vorübergehend aus der Stadt verdrängen konnten; vgl. Pröhle (1872), S. 115–120. 37 Nachrichtsblatt für Deutschlands Turnanstalten und Turngemeinden 2(1847)4, S. 31.

„in existentiellen Nöten“

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Auch aus dem Ausland – u.a. aus Livland, der Schweiz und Frankreich – trafen Geldspenden ein. Die aus Frankreich an Jahn gelangte Spende in Höhe von 41 Talern hat der französische Arzt Pierre Lortet in der deutschen Kolonie in Lyon gesammelt. Lortet hatte 1825 Jahns Hauptwerk „Deutsches Volkstum“ ins Französische38 übersetzt und mit einer Einführung versehen.39 Lortet besuchte Jahn 1826 und 1844 in Freyburg, 1848 trafen sich beide in Frankfurt wieder. Das Bindeglied zwischen Jahn und Lortet stellte Dürre dar – neben Maßmann Jahns wichtigster Vorturner auf der Hasenheide –, der von 1829 bis 1848 als Lehrer der deutschen Sprache und des Turnens am Königlichen Kolleg in Lyon arbeitete. Durch Dürre wurde das Jahnsche Turnen also auch nach Frankreich verpflanzt. Es ist auffällig, dass sich Jahns „Musterschüler“ Hans-Ferdinand Maßmann, den die preußische Regierung 1843 mit der Leitung des Turnwesens in der Monarchie beauftragt hatte, nicht an exponierter Stelle an der Sammlung für den „Turnvater“ beteiligte. Er schickte wohl im Januar 1844 eine Korrespondenz an die Allgemeine Zeitung,40 in der er die schwierige Lage Jahns schilderte, doch blieb der Text offenbar unveröffentlicht. Tatsächlich hatte sich das Verhältnis zwischen Jahn und Maßmann bis dahin deutlich abgekühlt. Maßmann sprach zwar immer sehr freundlich über Jahn – anders als Jahn über Maßmann –, behandelte ihn im Übrigen aber wie eine lebende Legende, an dem die Zeit vorbei gegangen war. Jetzt musste sich Jahn gar damit abfinden, dass sein ehemaliger Schüler an seiner einstigen Wirkungsstätte in Berlin in seine Fußstapfen getreten war.41 Nach Berlin wollte er nicht mehr zurückkehren. Dorthin schrieb er im Dezember 1842: „Endlich: zu welchem Zwecke sollte ich mich in der Hauptstadt aufhalten? Die ich lieb und wert halte, trage ich im Herzen. Ewig können wir nicht zusammenbleiben. Warum durch Abschied das Leben noch einmal schwer machen? Soll ich als Trümmergestalt die Grabstätte meines Wirkens besuchen? […] Ich weiß in der Hauptstadt keinen Wirkens- und Lebenskreis, und zum Bummler halte ich mich zu gut.“42 Wieder war es Jahns jüngerer Freund Wilhelm Lübeck, der in der preußischen Hauptstadt die Spendenaktion für 38 Der französische Titel lautet: „Recherches sur la nationalité, l’esprit des peuples allemands et les institutions qui seraient en harmonie avec leurs moeurs et leur caractère“. Paris 1825. Die französische Übersetzung ist vollständig nachlesbar im Internet unter der Adresse http://gallica. bnf.fr 39 Jahns ehemaliger Vorturner Eduard Dürre schrieb 1870: „Mich überkommt dabei das traurige Gefühl, daß der Franzose Lortet die Lebensaufgabe dieses Mannes [=Jahn] besser verstanden hat, als Hunderte von dessen Nachtretern, die nicht gestehen wollen, Epigonen zu sein.“ Dürre (1870), S. 98. – Lortets Einführung hat Dürre (ebda.) auszugsweise mitgeteilt. 40 Berlin, am 6. Januar [1844]. Abgedruckt bei L/U, S. 131–133. 41 Richter (1992), S. 351–352. 42 Brief an Dr. Dieffenbach vom 17.12.1842 (M1, S. 476).

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„im Abseits“

seinen „Übervater“ in Gang setzte und am Ende 84 Taler zusammen bekam.43 „Vom Pregel bis zum Rhein rauschen die Blätter für den alten Jahn“,44 schrieb Pierre Lortet Anfang 1844 in der Leipziger Zeitung. Dieser Umstand war vor allem ein Ergebnis dieser letzten großen Spendensammlung, die 1848 dazu beigetragen hat, die „Heidelberger Sieben“ dazu anzuregen, Jahn – das Opfer der Demagogenverfolgung – zum Frankfurter Vorparlament einzuladen. Sein neues Haus in Freyburg zierte das Motto: „Frisch, Frei, Fröhlich, Fromm“, das bereits auf der Hasenheide gebräuchlich war und den Turnern jetzt als Orientierung dienen sollte. In seinem Dankschreiben an die Erhalter seines Hauses erläuterte Jahn den sittlich-moralischen Gehalt dieser Adjektive, die in knapper Form seine politischen und moralischen Grundsätze spiegeln: „frisch nach dem Rechten und Erreichbaren streben, das Gute thun, das Bessere bedenken und das Beste wählen; frei sich halten von der Leidenschaft Drang, von des Vorurteils Druck und des Daseins Aengsten; fröhlich die Gaben des Lebens genießen, nicht in Trauer vergehen über das Unvermeidliche, nicht in Schmerz erstarren, wenn die Schuldigkeit gethan, und den höchsten Muth fassen, sich selbst über das Mißlingen der besten Sache zu erheben und ermannen; fromm die Pflichten des Menschen, Bürgers und Deutschen erfüllen und zuletzt die letzte, den Heimgang.“45

Das bereits in der 1816 erschienenen „Deutschen Turnkunst“ vorfindbare Motto „frisch, frei, fröhlich, fromm“, das später in „frisch, fromm, fröhlich, frei“ abgewandelt wurde, war mit Jahn und den Anfängen des Turnens auf der Hasenheide untrennbar verbunden. Am Vorabend der Revolution von 1848/49 haben sich die Turner dieses Motto zu Eigen gemacht und Jahns legendären Ruf als „Turnvater“ und Vorkämpfer für die Einheit und Freiheit des deutschen Volkes mitbegründet.

43 Pröhle (1872), S. 317. 44 wiederholt im Brief Jahns an Dürre vom 3.2.1844 (M1, S. 497–498). 45 Dankwort an die Erhalter seines Hauses vom 11. August 1844, zit. nach EJW 2.2, S. 908–909.

4. „der Vergangenheit verhaftet“ Fünfzehn Jahre nach dem endgültigen Scheitern Napoleons und der Neuordnung Europas auf dem Wiener Kongress erschütterte 1830 die Juli-Revolution in Frankreich den Kontinent. Der Sturz der Bourbonen und die Einsetzung eines Bürgerkönigs in Frankreich, die revolutionäre Begründung des belgischen Staates, der Freiheitskampf der Polen gegen die Oberherrschaft des Zaren, die Aufstandsbewegungen in Italien und nicht zuletzt die sozialen und politischen Unruhen in England stellten das „System Metternich“ auf eine harte Probe. Auch in den Staaten des Deutschen Bundes blieb die Juli-Revolution nicht ohne Folgen.1 Neben einigen thüringischen Kleinstaaten waren das Königreich Sachsen, das Herzogtum Braunschweig, das Kurfürstentum Hessen und das Königreich Hannover am stärksten von Aufständen und Unruhen betroffen. Die Jahre 1831 und 1832 standen unter dem Vorzeichen einer zunehmenden Politisierung, die von vielen Zeitgenossen als Aufbruch in eine neue Zeit gedeutet wurde. Vor allem im Südwesten – in Baden, in der bayerischen Rheinpfalz und in Rheinhessen – aber auch in Franken, Hessen-Kassel und Thüringen – wurden 1832 politische Feste organisiert, deren Teilnehmer sich zu nationalen, liberalen und demokratischen Zielen bekannten. Die von den Liberalen erhobene Forderung nach politischer Mitbestimmung („Freiheit“) und einem deutschen Nationalstaat („Einheit“) fand zunehmend mehr Anhänger. Zu den beredtesten Anwälten der Auffassung, dass die Verwirklichung dieser Forderungen nur vom deutschen Volk selbst zu erwarten war, gehörten die politischen Schriftsteller Philipp Jacob Siebenpfeiffer und Johann August Wirth, die Anfang 1832 den Deutschen Preß- und Vaterlandsverein gründeten. Dieser Verein prägte auch die bis dahin größte Kundgebung deutscher Freiheits- und Vaterlandsfreunde, die Ende Mai 1832 in der Ruine des Hambacher Schlosses zusammenkamen. Unter schwarz-rot-goldenen Fahnen begeisterten sich etwa 20.000 bis 30.000 Teilnehmer an den Reden von Siebenpfeiffer und Wirth, die sich für ein einheitliches und demokratisches Deutschland aussprachen, das sie gegen den Willen der Fürsten als Republik errichten wollten. Die Sympathie der Demonstranten galt Frankreich und Polen ebenso wie allen anderen freiheitsliebenden Völkern. Konkrete Beschlüsse verabschiedeten die Hambacher allerdings nicht, und es blieb bis zuletzt völlig unklar, auf welchem Wege und mit welchen Mitteln die nationalen und demokratischen Ziele erreicht werden sollten. So folgten den eindrucksvollen Reden letztlich keine revolutionären Taten. Als erste nationale 1

Vgl. Hahn/Berding (2010), S. 417–466.

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„der Vergangenheit verhaftet“

und demokratische Massendemonstration in der neueren deutschen Geschichte hatte das Hambacher Fest dennoch eine bleibende Bedeutung. Das Nationalgefühl der Hambacher unterschied sich von dem der Preußenfreunde Arndt, Fichte und Jahn erheblich. Von Wirth abgesehen ließ keiner der Festredner eine kritische Haltung gegenüber Frankreich erkennen. Der von ihnen und ihren Freunden gewünschte deutsche Nationalstaat sollte nicht gegen den Nachbarstaat im Westen und nicht gegen Europa entstehen, sondern als Teil eines europäischen Völkerbundes. Etwa ein Jahr später, im April 1833, scheiterte in Frankfurt a.M. der Versuch, durch einen Putsch gegen den Sitz der Bundesversammlung eine nationale Aufstandsbewegung auszulösen, weil die studentische Verschwörung in der Bevölkerung keine Unterstützung fand. Sozialrevolutionäre Züge trugen 1834/35 die demokratischen Bestrebungen Weidigs2 und Büchners in Hessen-Darmstadt. Unmissverständlich forderte 1834 der „Hessische Landbote“: „Friede den Hütten! Krieg den Palästen!“ Anfang 1834 gründeten deutsche Emigranten, größtenteils Akademiker und Handwerker, in der Schweiz den Geheimbund „Junges Deutschland“, der sich wenig später dem „Jungen Europa“ anschloss, einer ebenfalls in dieser Zeit in der Schweiz von dem Italiener Giuseppe Mazzini gegründeten revolutionären Internationale. Zwar bildete sich zwischen dem Schwarzwald und dem Odenwald bald ein lockeres Netzwerk von Sympathisanten, diese waren jedoch zu einer revolutionären Umgestaltung der Verhältnisse in Deutschland nicht im Stande. Mit dem Geheimbund „Junges Deutschland“ nicht zu verwechseln ist die gleichnamige literarische Bewegung junger, liberal gesinnter Dichter, die ab 1830 mit ihren Werken an die Öffentlichkeit traten. Zwischen ihren maßgeblichen Vertretern Heinrich Heine,3 Karl Gutzkow, Gustav Kühne, Ludwig Börne, Heinrich Laube, Theodor Mundt sowie Ludwig Wienbarg und dem Geheimbund bestanden keine Verbindungen. Beflügelt von der Juli-Revolution traten die Schriftsteller für demokratische Freiheitsrechte, soziale Gerechtigkeit und die Überwindung überkommener religiöser und moralischer Prinzipien ein. In nationalpolitischer Hinsicht wünschten sie die Einheit Deutschlands in der Form einer Republik. Das „System Metternich“ lehnten sie als bedrückend und reaktionär ab, ebenso den Idealismus der Klassik und Romantik, der ihrem Literaturverständnis zuwiderlief. Ihrer Ansicht nach hatten sich diese beiden Richtungen als weltfremd und lebensfern überlebt. Sie plädierten stattdessen für eine Politisierung der Literatur, deren Aufgabe maßgeblich darin bestehen sollte, auf aktuelle politische und gesellschaftliche Miss2 3

Vgl. Braun (1983). Vgl. Höhn (2004).

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stände aufmerksam zu machen und zu ihrer Beseitigung anzuregen. Sie wollten nicht für eine Elite schreiben, sondern mit ihrem literarischen Feldzug gegen Orthodoxie, Konvention und Fürstenherrschaft sowie für die Meinungsfreiheit, die Emanzipation der Frau und der Juden, für Verfassung, Demokratie und eine weltbürgerlich orientierte Kultur- und Lebensanschauung eine breite Öffentlichkeit erreichen. Ihrer Intention entsprechend traten die politische Lyrik, der kritische Essay und der Zeit- und Gesellschaftsroman in den Vordergrund ihres Schaffens. Der Schriftsteller Ludwig Börne, der seine radikal-oppositionelle Kritik nach den Karlsbader Beschlüssen 1819/20 hinter Ironie, Humor und poetischen Fiktionen verborgen hatte, emigrierte wie Heinrich Heine nach der Juli-Revolution nach Frankreich, um von Paris aus die Verhältnisse in Deutschland zu geißeln. Als Gast beim Hambacher Fest wurde Börne 1832 stürmisch gefeiert; ihm zu Ehren veranstalteten die Organisatoren gar einen Fackelzug. Auf die oppositionellen Bewegungen in Deutschland seit 1830 reagierte der Deutsche Bund mit neuen Verboten und Unterdrückungsmaßnahmen. Die Maßnahmen zur Wiederherstellung von „Ruhe und Ordnung“ – Verbot politischer Vereine und politischer Reden in der Öffentlichkeit, das Tragen von Fahnen und politischen Abzeichen, die Errichtung von „Freiheitsbäumen“, Verstärkung der Polizeiaufsicht, Verschärfung der Zensurbestimmungen – wurden 1833/34 ergänzt durch die Einsetzung einer neuen Zentralbehörde zur Bekämpfung der politischen Opposition. Die neue Behörde führte gegen mehr als 2.000 Personen eingehende Untersuchungen durch, viele Verdächtige entzogen sich dem polizeilichen Zugriff durch die Emigration. Im Dezember 1835 wurden die Schriften des „Jungen Deutschland“ mit der Begründung verboten, dass sie gegen christliche Grundsätze verstießen und der Sittenlosigkeit Vorschub leisteten. Den Anlass für das Verbot gab Karl Gutzkow, dessen 1835 veröffentlichter Roman „Wally, die Zweiflerin“ von dessen ehemaligem Förderer und späterem Kontrahenten, dem einflussreichen Literaturkritiker Wolfgang Menzel, der sich als Schüler in Breslau für Jahns Ideen begeistert4 hatte, als Pornographie und Blasphemie denunziert wurde. Die neuen Repressalien trafen Autoren, Verleger und Buchhändler gleichermaßen, doch die große Zahl der deutschen Staaten erlaubte es nicht, die Verbote flächendeckend durchzusetzen. Die Zensurbestimmungen konnten immer wieder unterlaufen werden. Andererseits steigerten die 4

Vgl. Söhn (1991), S. 72. Im Juni 1836 bilanzierte Menzel: „Ende des jungen Deutschland. Die Religion, die Sittlichkeit, die Ehe sind, wenigstens in der nächsten Zukunft, vor den weiteren Angriffen dieser Partei sichergestellt. Mehr habe ich nicht gewollt. Es ist kein Zweifel, daß die Lektion, die ich den jungen Leuten gegeben, stark genug war, diesen Zweck zu erreichen“ (zit. nach Söhn, 1991, S. 83).

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Verbote aber auch das Interesse an den Schriften des „Jungen Deutschland“, die sich bei den Oppositionellen großer Beliebtheit erfreuten.

4.1 „Elsterspatzen“ und „Lerchenstößer“ – Jahn als Kritiker des „Jungen Deutschland“ Als die Juli-Revolution Europa erschütterte, lebte Jahn in seinem Verbannungsort Kölleda, „wo die Düngerhaufen die Musenberge bilden […], 6 Stunden von Weimar, 7 Stunden von Erfurt. Mir kann es nur erwünscht sein, mich hier im Nichtstun um die Zeit zu betrügen[.]“5 Tatsächlich lebte er in dem abgeschiedenen Dorf, das er spöttisch „Kuhköln“ nannte, gezwungenermaßen mehr oder weniger in den Tag hinein. Er ging spazieren, beschäftigte sich mit seinen Tauben und beteiligte sich rege an den „Dorfgesprächen.“ Gelegentlich ging er zur Post, um sich in den dort ausliegenden Zeitungen über aktuelle Entwicklungen in der „großen Welt“ zu informieren. Sein besonderes Interesse galt den politischen Ereignissen. Völlig unbegründet waren die Befürchtungen der Behörden, dass sich Jahn – durch die Vorgänge in Frankreich animiert – trotz der gegen ihn verhängten Maßregeln an die Öffentlichkeit wenden würde, um seine alten Forderungen nach Einheit und Freiheit zu propagieren, denn sehr schnell ließ er durchblicken, dass er gegenüber der Juli-Revolution nur Ekel und Abscheu empfand. Vorläufig machte er seinem Ärger nur in seinen Briefen Luft. Es ist bezeichnend, dass er den einzigen Brief, der sich aus dem Jahre 1830 erhalten hat, im September, also nach den Ereignissen in Frankreich, an Dr. Feuerstein gerichtet hat, der mit ihm 1813 im Freikorps Lützow gedient hatte und der jetzt als Oberarzt im 25. Linien-Infanterie-Regiment in Koblenz Dienst tat. Unmissverständlich stellte er klar, dass er jetzt wie vor 17 Jahren keine Pike mehr schwingen werde, weil er für den Landsturm inzwischen zu alt sei, „aber ehe ich dreifarbige Gäste in mein Haus nehme, [will ich] mich mit Weib und Kind lieber lebendig verbrennen.“6 Große Sorgen bereitete dem preußischen Patrioten die Zukunft seines Landes, die er nicht nur durch die Veränderungen in Frankreich, sondern auch durch den polnischen Aufstand und die Staatswerdung Belgiens bedroht sah: „Die preußische Politik scheint immer mehr von ihrer Unabhängigkeit zu verlieren und Lehnsträgerin aller Nachbarn zu werden“, schrieb er im September 1831 und fuhr fort: „Ein Franzose kann mit seiner ‚Dreifarbe‘ überall frei die offenbare Kriegserklärung gegen alle Völker umhertragen; aber für Deutschland darf nichts geschehen. Man hat die Uni5 6

M1, S. 331. M1, S. 327.

Jahn als Kritiker des „Jungen Deutschland“

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versitäten so verundeutscht, daß in der schandbaren Göttinger Proklamation7 die Worte ‚Fluch dem Jahre 1813‘ vorkommen. Hätte die Polizei nicht die Leipziger Siegesfeuer ausgelöscht, so wäre so etwas unmöglich. Jetzt sind Universitäten und Gymnasien: polnisch, wallonisch, italienisch und belgisch. […] Man hat geflissentlich die Jugend verweichlicht, sie träge und feige gemacht, unterrichtet sie nach Schulplänen der Cicerofresser8 […] Nur so viel Mut, als ein kranker Landsturm von 1813, und es würde gehen.“9

Er trug sich zeitweilig mit dem Gedanken, eine Zeitschrift herauszugeben, der er den programmatischen Titel „Der Warner“ geben wollte, ließ dann aber von einer Realisierung ab, „um nicht Stempelpapier und Postgeld umsonst auszugeben.“ Bitter beklagte er sich über die „französischen Sendlinge“, d.h. die jetzt in Frankreich lebenden deutschen Emigranten, deren Schriften in Frankreich gedruckt und in den Dorfschänken zu finden seien und kritisierte die Verschärfung der Zensurbestimmungen: „Mit lächerlichen Bücherverboten richtet man weiter nichts aus, als dass die Sachen erst recht gekauft werden.“10 Mit der liberalen Presse, die den polnischen Aufstand ebenso begrüßte wie die Vorgänge in Belgien, ging er hart ins Gericht. Ihm waren insbesondere die Leipziger „Elsterspatzen“ und „Lerchenstößer“, allen voran Spatzier, der ein umfangreiches Werk über den polnischen Aufstand geschrieben hatte, ein Dorn im Auge, ebenso der Publizist Gleich, der den „Eremiten“ herausgab und Herloßsohn, der „böhmische Kesselflicker“, der den „Kometen“ redigierte, ferner Ortlepp und der Straßburger Hundt-Radomsky; sie galten Jahn als Undeutsche, Meindeutsche und Freunde der Ausländerei und waren seiner Ansicht nach „übereseldumm.“11 Vom „Kuhkölnischen Schweinemarkt“ schrieb er 1832: „Jeden deutschen Michel sollte man aber gleich auf 10 Jahre dem ersten besten Masurenjunker in Leibeigenschaft geben, sobald er die Polen hochleben läßt; eine Mameluckenhorde, eine Zwingherrn- und Sklavenbande, die einst von Attila in die germanischen 7 Nach der Juli-Revolution in Frankreich kam es im Winter 1830/31 in Südhannover zu Unruhen und Aufständen, die sich nicht gegen den König in London richteten, sondern gegen das altständisch-feudale System und gegen den leitenden Minister Graf Münster. Im Januar übernahmen in Göttingen die von drei Privatdozenten angeführten Aufständischen, die in einer Proklamation ihre Ziele formulierten und darin erklärten, die Rückkehr zu altständischen Verhältnissen verhindern zu wollen, die Macht, ehe der Aufruhr niedergeschlagen wurde. Nach dem Rücktritt Münsters wurde 1833 eine Verfassung eingeführt. 8 Unter diesem Titel veröffentlichte Jahn 1830 im „Eremiten“ einen Aufsatz (gedruckt in EJW 2.2, S. 979–982), in dem er die Bestrebungen des mit ihm befreundeten Münchener Altphilologen Friedrich Thiersch heftig kritisierte, in den bayrischen Lateinschulen, den Gymnasien und auf der Universität der Bildung und dem Unterricht in den klassischen Sprachen eine größere Bedeutung beizumessen als dem Unterricht in der Muttersprache. 9 M1, S. 333. 10 M1, S. 334. 11 M1, S. 335.

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Marken hineingeprescht, erst nach den Hohenstaufen bedeutend geworden. Der Spatzier, dieser polnische Kundschafter und Lobhudler, findet das freilich löblich und recht: daß die Polen soviel von Deutschland und Polen nehmen können, als ihnen beliebt. Die Deutschen sind größtenteils entmannte Esel, wären sie alte Weiber, so könnten sie doch, wenn nicht lieben – doch hassen. Ein Deutscher, der wie der Landesverräther Gleich, den Franzosen den Rhein, und der Landesverräter Spatzier den Polen die Marienburg geben will, sollte eines neunfachen Schandlebens sterben.“12

Mehrfach bekräftigte er seinen Grundsatz: „Schande, Elend, Fluch, Verderben und Tod über jeden Deutschen, der vom Ausland den Heiland erwartet.“13 Seinem Berliner Freund Mützell gestand er ein, in vaterländischen Angelegenheiten ein „Wiederkäuer“ zu sein, dem die „Dreieinigkeit von Unwissenheit, Wälschsucht und Meindeutschheit“, die er bei vielen Zeitschriftstellern ausgemacht haben wollte, zuwider war, und er gestand offen ein, dass er sich mit einem jungen Menschen, der zwischen 1805 und 1813 geboren wurde, gar nicht unterhalten wolle, „weil ich dieses vatermörderische Geschlecht für Bastardgezücht halte.“14 Aus „Kuhköln“ schrieb er im Oktober 1832, dass er sich wie ein Doppelgänger vorkomme, „wie einer, den der Tod in der Sterbensliste vergessen, wie der letzte eines ausgestorbenen Volkes […] Doch will ich mich meinen Feinden möglichst gesund erhalten, und wenn die erste Schlacht für uns verloren, gegen die Anhänger Frankreichs zu Felde ziehen, auf eine solche Art und Weise, wovon die Geschichte bis jetzt noch kein Beispiel hat.“15 Obwohl er sich eingestand, dass seine „Schreiberei“ schlecht und er im „Federschneiden“ nie ein „Held“ war, griff er in dieser unruhigen Zeit doch zur Feder, um seine „Merke zum Deutschen Volksthum“ zu Papier zu bringen, die er den „Nachkommen der Leute von 1813, 1814 und 1815“ widmete. Im Grundsatz wiederholte bzw. variierte er in dieser Schrift seine bereits 1810 im Deutschen Volkstum formulierten und 1817 in seinen Berliner Vorlesungen ausgeführten Gedanken. Er verstand seine Schrift als „Notschrei“ eines alten Patrioten gegen die „verhambacherte Jugend“, die „undeutschen“, „wälschsüchtigen“ Schriftsteller und Publizisten, insbesondere gegen die Vertreter des „Jungen Deutschland.“ Mit der Resonanz seiner Schrift, die wie ein „Wetterstein in die große Lache des neuen großartigen radikalen Liberalismus“ gefallen sei, zeigte er sich durchaus zufrieden. Unerklärlich war ihm zu Beginn des Jahres 1834 allerdings, warum die „gelehrten Zeitungen“ bis dahin die Gelegenheit nicht genutzt hätten, „über das Treiben der deutschwidrigen Wälschsucht ein mannhaftes Wort zu sprechen. 12 13 14 15

M1, S. 336–337. M1, S 340–341. M1, S. 341. M1, S. 343.

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Wollen denn die Gelehrten von Fach nur immer und ewig sich vom Volke und Vaterland unseitig entfernt stellen? Wollen sie denn ruhig ihre Hörsäle öffnen und schließen, bis die neue Sündflut hereinbricht und sie alle verschlingt? Muß denn Frankreich erst wieder ein Ungeheuer gebären, giftiger wie das erlegte?“16 Auch in seinen „Briefe[n] an Auswanderer“, die vom 1. November 1833 ab im „Weißensee’r allgemeinen Unterhaltungsblatt“ in neun Folgen erschienen,17 rechnete Jahn mit den „Jungdeutschen“ und ihrem Weltbürgertum ab. Wenn man sich frage, schrieb er im Februar 1834 an Mützell, „wo denn vor der Hundswoche18 das heutige Schreibervolk steckte, so wird man in schlechte Kneipen verwiesen. Solcher ist auch Laube (ein Schlesinger, der mit Stock in Halle war); früher der Gottesgelahrtheit Beflissener, durch die Prüfung Geplumpter und jetzt Federschneider bei Heine. Letzterer hat in Paris den Spatzier abgewiesen, Börne macht den Rotteck schlecht. Früher blies Ortlepp mit Laube in ein Horn, jetzt reißt Laube ihn herunter. In seinem jungen Europa macht er das Turnen schlecht, erzählt, wie Heine schon früher getan, Sächelchen, die erstunken und erlogen sind. Habe ich nun wohl unrecht, wenn ich dieß Federgeschmeiß im 8. Brief,19 den ich erst heute Abend erhalte, den ‚Abhub der Wissenschaft und die Hefe der Kunst‘ nenne?“20

Weihnachten 1834 ließ er Mützell wissen: „Leicht kann ich die Stechäpfel dulden, so Heinrich Laube (der von Leipzig fortgewiesen, jetzt in Berlin die Brunnenkur gebrauchen soll) in seinem Reisegelüge zigeunerisch an meinem Lebenspfade aussäet, und damit die Zeit für das Wälschtum einzuschläfern und die entschlummerte zu meuchelmorden.“ Laube habe mit „Läufling [Deserteur] Heine“ in regelmäßigem Briefkontakt gestanden, der, obzwar ein deutschgeborener Jude21 mit voller Zurechnungsfähigkeit, sich durch seine Angriffe auf Deutschland doch selbst so „gehundsfottert“ habe, 16 17 18 19 20 21

M1, S. 358. Druck: EJW 2.2, S. 725–774. Jahns Bezeichnung für die Juli-Revolution in Frankreich. Druck: EJW 2.2, S. 759–764. M1, S. 360. Seine Nähe zur nationalsozialistischen Weltanschauung dokumentiert Neuendorff (o.J., Bd. 3, S. 205), wenn er den jüdischen Einfluss auf das „Junge Deutschland“ beschreibt: „Die literarische Jugend sammelte sich im Jungen Deutschland, und Dramen wie Büchners ‚Dantons Tod‘, Romane wie Gutzkows ‚Wally‘ mit all ihrem Materialismus und ihrer Unsauberkeit wurden Fahnenträger des neuen Geistes. Ganz besonders zersetzend und aufwühlend wirkte der jüdische Einfluß, der in dieser Zeit immer stärker in das Schrifttum eindrang und sich vor allem in der Presse breit machte. Die Juden Heine und Börne beherrschten durch ihre frechen, aber geistreichen Schmähschriften und ihre alles begeifernden, aber unterhaltsamen Feuilletons die geistige Welt und sorgten dafür, daß alles Festhalten am Alten, auch am guten Alten als Charakterschwäche und Rückständigkeit galt.“

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„der Vergangenheit verhaftet“

„daß kein polnischer Bauernköter, der doch anders in der Sprachlehre gebeuget wird, als der Rüde des Junkers und der Bracke des Freiherrn, von ihm ein Stück Brot annähme. Vorigen Winter, als Heine von Paris nach Havre ausgerissen war, unterschrieb er seine Briefe an Laube: ‚Gegeben aus dem Bette meiner Freundin.‘ Und einen solchen ergötzen die Hundswochenkinder als einen Schöpfer einer neuen und ewigen Zeit. Das ist der Schurkensommer unserer Meindeutschen. Es mochte noch hingehn, wenn manche Schwache, denen mit Recht nicht alles nach 1815 recht war, um sich zu reiben und zu rächen, den Helden von St. Helena priesen; aber die Erhebung des Volks im Jahre 1813, Körner pp. niederträchtig machen – das können nur wandelnde Weltpranger wie Heine und Laube. Übrigens bezweifele ich, daß Laube in Freyburg gewesen. Ich kann mich seines Namens nicht entsinnen.“22

Es erstaunt nicht weiter, dass Jahn das Verbot des „Jungen Deutschland“ Ende 1835 begrüßte. Seine unbändige Wut und grenzenlose Verachtung gegenüber ihren Vertretern, kommt in einer Schmähschrift zum Ausdruck, die offensichtlich nach dem Verbot der Schriften des „Jungen Deutschland“ entstand und im Nachlass Gutzkows gefunden wurde: „Die Jungenschaft Deutschlands kriegt jetzt die Schippe und da mag man, daß die Spukgeister nicht wiederkehren, eine Schaufel glühender Kohlen nachwerfen und einen Eimer mit Wasser nachgießen. Gutzkow, Wienbarg und Laube sollen in ihren Streitschriften jeden Fischmarkt überschimpft haben. Ich habe mich in den Streit nicht mischen mögen, so lange die Schwefelbande mit Menzel in Fehde war. Der zuerst den Göthe angebellt, wie der feige Hund den Mond, auch er hat den Giftheine als Ölgötzen aufgestellt und mit dem Börne heraufgeleiert. Nun fangen bei ihm an die Zähne wackelig zu werden, da erbost er sich noch einmal, über das Rudel jüngerer Nachkläffer, die er selbst als Schooßköder großgezogen. Unwißler und Unerfahrene zugleich wollen sie durch Dickthun der Unverschämtheit, durch Lüge und Aberwitz sich ein Ansehen erbellen und erbeißen. Sie können nicht erröthen, nur, wie die Mohren erbläuen. Aus der faulen Jauche neuerlicher Kunstlüderlichkeit sind diese Täuschner, Trügner, Verleiter und Verführer emporgewudelt. Als Rotte von Schreiberbuben haben sie sich zusammengethan, ein nachzügelnder Troß aus den Zeiten ausländischer Fremdherrschaft, die Ohnehosen und Nacktärsche und buhlichten Verkehrs und aller Unsitten des Auslandes haben sie eine Fehm für den Lesepöbel zusammengeschworen, sich mancher Blätter bemächtigt und da die Bücherseller es bequem finden sich mit den Stegreiffedern der Büchermeuchler abzufinden, so ist es ihnen leicht geworden, eine Lobhudelgasse zu bilden. Wie der Ziehstein das Eisen angreift, so hängt sich Koth und Schmutz und verfehltes Streben an Verworfenheit. Alles Recht mit Füßen treten, rühmen sie als Fortschreiten mit der Zeit. Das Verwerfen aller Sitte und Zucht ist ihnen die rechte Freiheit. Und ihr Held und Heiliger, wer sich am schamlosesten öffentlich preis zu geben versteht. Jedem Namen, der nicht mit in dieser Wolfsschlucht heult, setzen sie Eselsköpfe hinzu, bald mit feinern, bald mit gröbern Strichen. Diese Störer, Feuerheizer und Gassenmeister meuchelsüchtigen Gesindels rühmen 22 M1, S. 374–375.

Jahn als Kritiker des „Jungen Deutschland“

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sich (Magdeburger Zeitung. Nr. 271. 183523) allen ihren Gegnern an Talent überlegen zu sein. Darin mögen sie recht haben. Ist aber auch kein Lob, an Schick (Talent) zum Niederträchtigen, Gemeinen, Unedlen, Unmenschlichen und Teuflischen, Feilheit keine Ehre, sondern die schadenvolle Kraft eines Giftthieres und tollen Hundes. Vielleicht gründe ich noch ein Bücherblatt, wo dann unbarmherzig auf „Deutschlands Jungen“ lospauken wird, ohne grade für W. Menzel eine Lanze zu brechen. Der mag für mich erfrieren oder als Blasebalg platzen oder als Püstrich schmelzen, es ist mir gleich, und der Hund, das Schwein, oder der Schweinehund beißen. Tut der Geck alles so altklug, als hätte er schon im Mutterleib Reck und Barren verstanden. War der Dunkrich in Breslau (als Elisabeths Schüler)24 mit der erste Feuerheizer. Schrieb der Vermessene damals an seine Lehrer, Etzler und [Karl Adolf ] Menzel (der die deutsche Geschichte in 4blatt mit der Hungerhacke gestoppelt) in der Undeutschheit des neuen Deutschen von 4blatt Menzel, dem Turnfeinde […].“25

23 Die „Magdeburger Zeitung“ (271. Stück, Donnerstag, 19. November 1835) berichtete unter der Überschrift „Wissenschaftliche Nachrichten“: „Bekanntlich hatten sich hier seit einiger Zeit einige Literaten zusammengefunden, welche man als die hauptsächlichsten Repräsentanten des sogenannten jungen Deutschland, oder der jungen deutschen Literatur betrachtete. Von ihren Gegnern, an deren Spitze Wolfgang Menzel, wird diesen Literaten in ihren Bestrebungen ein Zweck untergeschoben, der, wenn er wirklich erzielt würde, allerdings die Aufmerksamkeit der Regierungen in hohem Grade auf sich ziehen müßte. Gutzkow und Wienbarg sind die hervorragendsten unter den Mitgliedern des jungen Deutschland und großes Talent wird beyden nicht abgesprochen werden können. Sie beabsichtigen die Herausgabe einer neuen kritischen Zeitschrift, ‚Deutsche Revue‘ genannt, welche in der Löwenthal’schen Verlagshandlung zu Mannheim erscheinen, hier aber gedruckt werden sollte. Das erste Heft ist bereits gedruckt und wie man hört, so enthält es ganz vorzügliche Arbeiten. Die Angriffe Menzels auf das junge Deutschland haben einige Unordnungen in die Vorbereitungen zur Herausgabe der ‚Deutschen Revue’ gebracht, denn mehrere Autoren, die mitarbeiten wollten, fanden sich, ihrer öffentlichen Stellung wegen, veranlaßt, ihre Zusage zurückzunehmen. Politisch verdächtig wurde die junge Deutsche Literatur oder das junge Deutschland, und man will wissen, die Deutsche Bundesversammlung habe sich vor Kurzem mit diesem Gegenstand beschäftigt. Gestern kam nun noch die Anzeige von Mannheim, daß die Großherzogliche Badische Regierung das Verlagsrecht der Löwenthal’schen Buchhandlung genommen habe, oder da es dieselbe noch nicht besaß, sondern nur vorläufig von der Badischen Regierung zum Buchverlag autorisirt war, ihr die Concession zum fernern Bücherverlag nicht ertheilte. Die ‚Deutsche Revue‘ ist also vorläufig sistirt, denn es wird sich so leicht kein Verleger dazu finden. Mehreren dieser jungen Literaten ist der fernere hiesige Aufenthalt von der Polizey untersagt (Gutzkow befindet sich nicht darunter, da er hier Bürger zu werden hofft), und es dürfte mithin anzunehmen seyn, daß man überall den Wirkungen der jungen deutschen Literatur entgegenarbeiten wird. So viel ist aber richtig, daß die Gegner der jungen deutschen Literatur, so weit sie bis heute öffentlich bekannt, ihr an Talent weit nachstehen.“ 24 Vgl. Söhn (2004). 25 Estermann (1972), S. 610–611, zit. nach L/U, S. 105–106.

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In seiner 1837 veröffentlichten Streitschrift „Leuwagen für Dr. Heinrich Leo“ zog Jahn wiederholt gegen das „Junge Deutschland“ zu Felde und warnte vor Zuchtlosigkeit und Sittenverfall. „Ohnedies erwächst jetzt in den Haupt- und Großstädten eine Nebenbevölkerung zuchtlosen Gesindels, was mit einer noch furchtbareren Nachzucht droht, seitdem Bilderläden und Bühnen sich wetteifernd bemühen, einen Pöbelgemeinsinn, einen Pöbelgeist, ja ein absonderliches Pöbeltum zu erschaffen. Wenn Land und Hauptstadt erst ganz davon durchdrungen sind und die Verbuhltheit unter der von Wienbarg aus welchen Beiseiteflecken gestichelten Fahne: ‚Junges Deutschland‘ volksfaßlicher verführen lernt, mag endlich wieder ein Lastermeister aufducken wie Catilina, der nach Sallustius (Kap. 14): ‚Scharen von Verbrechern und Bösewichtern‘ um sich gleichsam als Garde hatte.“26

Für die Schriftsteller des „Jungen Deutschland“ war Jahn eine Reizfigur, das wusste er selbst nur zu genau.27 Geradezu idealtypisch verkörperte er die „alte Zeit“, in deren Gedankenwelt er fest verwurzelt war und die er gegenüber allen Anfeindungen auch in seiner zweiten Lebenshälfte beharrlich verteidigte. Hier prallten die Vorstellungen zweier Generationen aufeinander, die angesichts der gewandelten Verhältnisse und dem Fortschreiten des Modernisierungsprozesses nicht mehr zu vereinbaren waren.

4.2 Schriftsteller des „Jungen Deutschland“ über Jahn Die von Jahn so heftig attackierten Vertreter des „Jungen Deutschland“ ignorierten die Ausfälle des „Alten im Barte“ nicht und reagierten auf dessen Schriften „Merke zum deutschen Volkstum“ (1833) und „Denknisse eines Deutschen“ (1835) mit vernichtenden Rezensionen. So trugen die Schriftsteller des „Jungen Deutschland“, das als geschlossene Gruppe nie existiert hatte, mit dazu bei, dass der Name Jahn in bildungsbürgerlichen Kreisen nicht in Vergessenheit geriet, eine Einschätzung, die bereits Heine teilte (s.u.). Karl Gutzkow, Ludwig Börne, Theodor Mundt, Heinrich Laube und Heinrich Heine, die zu den engeren Vertretern des „Jungen Deutschland“ gerechnet werden, setzten sich in ihren Schriften kritisch mit dem Patriotismus der „Altdeutschen“28 auseinander, den Jahn ihrer Ansicht nach sinnfällig verkörperte. 26 EJW 2.2, S. 813–814. 27 „Da ich die Zeitschriftler gereizt und diese also nicht anstehen werden, die ‚Merke‘ schlecht zu machen, so möchten alle diese bevorstehenden Verunglimpfungen ebensoviele Ableiter sein, wenn die Schmeißfliegen früh genug zu Stuhle kommen“ (M1, S. 353, Brief an Mützell vom 11.5.1833). 28 Vgl. Richter (1992).

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Der Dichter und Publizist Karl Gutzkow wurde im März 1811 in Berlin geboren. Etwa drei Monate später eröffnete Jahn den Turnplatz in der Hasenheide. Gern hätte sich Gutzkow als Kind an den Turnübungen beteiligt, doch stieß er mit seinem Wunsch auf den entschiedenen Widerstand seines Vaters, der Jahn ebenso ablehnte wie die altdeutsche Tracht, die langen Haare der Turner und das seiner Ansicht nach närrische Treiben auf dem Turnplatz. Die grauen Kittel und Hosen der Turner verglich er mit den Zwillichkitteln der Festungssträflinge. Einige abfällige Äußerungen seines Vaters, den er als „Zuchtprediger“ bezeichnete, hielt Gutzkow in seinen Jugenderinnerungen fest, z.B. Jahn „sollte sich der Sünden schämen, so niederträchtige Narrenstreiche mit den Kindern aufzuführen“ oder ein einziger „Bauernjunge aus Klempenow oder Löcknitz bräche diesen Taugenichtsen in der Hasenhaide alle Rippen.“ Gutzkow fuhr fort: „Und als dann Kotzebue von einem solchen Turner, von einem solchen Studenten in altdeutschem Rock und langen ‚Lichtstecken‘ wirklich ermordet wurde, da ‚hatte man die Bescherung‘. Die Hasenheide wurde geschlossen, Jahn gefänglich eingezogen, die Turnerei als staatsgefährlich für lange Jahre verbannt.“29 Die kritische Haltung seines Vaters gegenüber dem Turnen scheint auch Gutzkows Haltung gegenüber Jahn beeinflusst zu haben. Geradezu vernichtend fiel das Urteil des Literaturkritikers über Jahns 1835 veröffentlichten „Denknisse eines Deutschen oder Fahrten des Alten im Bart“ aus: „Die neuerlich erschienenen Denknisse eines Deutschen könnten auch Memoiren eines Ungeleckten heißen, oder eines Bären, oder Memoiren eines Vierschröters. Kurz es sind Anekdoten oder Läuschchen aus dem Leben des alten Gymnasten und ewigen Gymnasiasten Jahn. Er kann nicht Ruhe halten, der Alte. Er will noch immer mitmachen. Verdient er es? Nein, er ist sich selbst untreu geworden und seinen Grundsätzen inconsequent. Denn hör’ es Deutschland, Jahn, der Mann der Natur, des Urwalds, der Eichelkost, Jahn, der Teutone, Jahn, der Langobarde – schnupft, schnupft Tabak; recht was man Tabakschnupfen nennt! Jahn selbst fühlt, wie gewissenlos dies gehandelt ist, und sein erstes Wort an die jungen Hallischen Studenten, welche ihn besuchen, pflegt zu sein: ‚Stoße Dich, Jüngling, nicht an meiner verfluchten Nase! Die ist das einzige Glied meines Körpers, das sich dem Dienste des Vaterlandes entzogen hat. Diese Nase ist für die deutsche Freiheit verloren; denn höre, du Wackerer, ich schnupfe. Warum? Warum? O, ich Jämmerlicher; aber vergib mir, sonst bin ich immer noch der Alte.‘ Jahn ist ein Mann, der keinen Trost darin findet, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Er muß immer Menschen um sich haben, die ihm beipflichten, die über ihn lachen und seine Muskeln bewundern. So hat er denn auch in seinem Asyl am Harz eine kleine Gemeinde um sich, die den Alten gern schwadroniren hört bei einem Glase Merseburger Biers, des ächten schwarzen Meths der Urzeit; und bei dieser Gelegenheit, an der Wirthstafel, umdampft von den Tabakswolken der Philister, war es denn auch, wo er sich das meindeutsche, 29 Gutzkow (1852), S. 200.

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fremdländische Schnupfen, die einzige Inconsequenz seines charakteristischen Lebens angewöhnte. Endlich entstanden bei dieser Gelegenheit auch die Geschichten, welche im vorliegenden Buche mitgetheilt sind. Denn er ist voll von Mährchen und Geschwätz aus Schill’s und Dörnberg’s Zeit, der alte Ulysses, und spricht davon, daß den Phäaken um ihn her die Pfeifen ausgehen. Die drei Fahrten dieses Buches sind nun an sich ohne alles Interesse. Niemand anders dürfte sie nacherzählen; denn sie kommen auf gar nichts heraus, als daß sich Jahn im bloßen Halse, mit dem schwarzen Rock der wilden Jagd und seinem unvergesslichen viereckten Gesicht (das man leicht nachahmen kann, wenn man sich an den Spiegel stellt und die beiden Backen mit der Hand herzhaft herunterzieht), hier oder dort sehen ließ: was da gewispert wurde und gestichelt, und wie er dann grob gewesen, den Leuten auf den Fuß getreten hätte, ohne um Entschuldigung zu bitten wie er in Harnisch gekommen wäre, wenn Einer, um sich mit einer Spanierin zu verständigen, französisch gesprochen hätte, und dergleichen eitles Zeug mehr. Und doch liest man diese Sachen leicht, ihrer Lebhaftigkeit wegen, ihres Ausdrucks und der ganzen barocken Persönlichkeit, die sich darin prostituirt. Merkwürdig ist die Wichtigkeit, die er auf seine Person legt: er behauptet, daß es Napoleon ganz besonders auf ihn abgesehen hätte. Er schildert eine Reise, die er von Perleberg in’s Hannöversche mit einem Engländer im Jahr 1809 gemacht hat, wobei er sich das Ansehen gibt, als wäre dies eine Reise mitten durch das feindliche Lager, eine Reise, die ihm und dem Engländer das Leben hätte kosten können. Dies ist eine Wichtigthuerei, die im Leben unausstehlich sein müßte, hier aber in der Erzählung nur lächerlich ist. Alle Augenblicke steigt er aus dem Wagen heraus, horcht und lauscht, legt sich auf die Erde, lenkt in Seitenwege ein, streut tausend Lügen auf den Stationen aus, mitten in der Nacht springt er aus dem Fenster des Gasthauses, und läuft drei Meilen weit, um einen Paß zu holen, der gar nicht nöthig war, und kommt schweißtriefend zurück, schläft nicht, kurz diese unsinnigen Faxen machen das gefahrlose Abentheuer spaßhaft. Kein Mensch ist da, und Jahn summt immer das Körner-sche Lied: ‚Feinde ringsum!’ Wer Jahn gekannt hat, muß gestehen, daß er in den kleinen Details der Existenz ungemein bewandert war. Er war voller Listen und Schliche, um Aepfel aus einem Garten zu stehlen, über verbotene Zäune zu springen und Reißaus zu nehmen, wenn sich der Gärtner zeigte. Jahn kannte das Einzelwesen der Wirthschaft. Er hatte die Hunde belauscht, wie sie es machen, wenn sie Knochen benagen, oder in Butterschnitte einbeißen. Er wusste wie Kanarienvögel aufgezogen werden, wie man sie behandelt, wenn sie die Darre haben, und wie Hecken einzurichten sind zwischen Hänflingen und Grasmücken. Er kannte alle die technischen Ausdrücke von Küche, Keller, Handwerken, und war ein Meister in der Nachahmung und im Probiren. Es liegt etwas vom Muttersöhnchen und, wie man bei mir sagt, vom Topfkieker in all dem Vandalismus, mit welchem sich Jahn brüstete. So war er in der ideellsten Sphäre ordinär, kleinmeisterlich, schülerhaft und eigensinnig. Er zog Alles in’s Handwerk herunter. Er wollte bei großen Dingen entsprechen, und legte Werth auf Kleinigkeiten, auf einen Ausdruck, der ihm dabei nicht der rechte schien; auf die Stellung der Hand, des Fußes, des Kopfes, die der Andre hatte; auf Miene und Grimassen. Da verfehlte man es bald, wie man sich auszog, bald wie man sich anzog, wie man stand, wie man ging, es war eine ewige Mäkelei und ein schulmeisterlicher Pedantismus mit seinem Formwesen, daß es immer Zank und bissige Redensarten

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gab. Für einen genialen und festen Charakter war auch gar kein Auskommen mit ihm. Dies ewige Halloh! und Besserwissenwollen, dieser abscheuliche formelle Dünkel, dies Lauern, ob man sich nicht auf einer Sünde gegen die Affektion der Turnschule ertappen ließ, und dieser Spektakel, wenn man originell und selbstständig sein wollte, konnten Jeden aus der Haut bringen. Und ich frage alle Die, welche mit Jahn zu thun hatten, und eigenen, festen Willens waren, ob sie nicht oft mit ihm Scenen erlebt haben, wo sie im Begriff waren, dem alten Markomannen etwas Handgreifliches anzubieten. Dies war wenigstens die Art, wie man ihn behandeln mußte. Dann schwieg er still, sah Einen groß an, reichte die Hand und rief aus: ,Du bist doch ein ganzer Kerl!‘ Und doch muß man sagen – vergeben konnte er Nichts. Er hatte ein arges Herz.“30

In seinen „Briefen aus Paris“ (74. Brief vom 7. Februar 1832) erinnerte Ludwig Börne an die Pferde, „die einst die Franzosen schmachvoll nach Paris geführt, die wir aber glorreich wieder zurückgebracht; hier unter diesen Pferden, wo Jahn einem Turnjungen Ohrfeigen gegeben, weil auf die Frage: was er denke, der Junge geantwortet: er denke gar nichts; worauf Jahn gesagt, er solle daran denken, wie man die Pferde wieder schaffe; hier unter diesen Pferden denke ich […].“31 Am Schicksal Jahns, „der endlich freigekommen“, nahm der liberale Publizist von Paris aus durchaus Anteil: „Er schweigt, er darf nicht reden! An einer langen Kette hält man ihn fest – das ist seine Freiheit.“32 Dem Literaturkritiker Wolfgang Menzel, der den Anstoß zum Verbot der Schriften des „Jungen Deutschland“ gegeben hatte, gab er auf, sich daran zu erinnern, „auf welche Weise Jahn, Arndt, Görres und die andern Ober-Hof-Franzosenfeinde für ihren Patriotismus belohnt worden“ und mahnte ihn in seiner Schrift „Menzel der Franzosenfresser“ (1837), mit seiner Kritik zurückhaltender zu ein, wenn er nicht „einst ein gleiches Schicksal erfahren“33 wolle. Der Schriftsteller Theodor Mundt gab 1835 in Leipzig die Zeitschrift „Literarischer Zodiacus“ heraus. In einem Beitrag unternahm er den Versuch, Jahns „Denknisse eines Deutschen“ für den zeitgenössischen Leser in eine verständliche Sprache zu „übersetzen“: „Der ‚Alte im Barte‘ hat seine Fahrten beschrieben. Das heutige Deutschland wird diese Mittheilung nicht mehr verstehen, deshalb übersetzen wir dieselbe in unsere geläufige Sprache: Jahn hat seine Memoiren herausgegeben (Schleusingen bei Glaser, 1835). Da ist uns freilich ein verpöntes ‚Mangdeutsch‘ entfahren, und wir hätten recht gut ‚Denkwürdigkeiten‘ sagen können; allein auch dies Wort gefiel dem alten Wortkrämer nicht, es ist ihm zu vielsagend, zu inhaltsschwer, zu stolz für sein ‚Geschreibsel’, deshalb setzte 30 Karl Gutzkow: Beiträge zur Geschichte der neuesten Literatur, 2. Band, Stuttgart 1836, S. 104–114; zit. nach L/U, S. 107–109. 31 Börne, Bd. 3, S. 536. 32 Börne, Bd. 3, S. 555. 33 Börne, Bd. 3, S. 896.

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er ‚Denknisse eines Deutschen‘ auf die ‚Nenne‘, i.e. auf den Titel seines Werkes. Diese ‚Nenne‘ nennt aber auch seinen Namen nicht, das Buch ist von Karl Schöppach, einem Freunde und Schüler Jahns, herausgegeben und bevorwortet. Warum verschweigt man den Verfasser der Schrift, da er doch aus jeder Zeile herausguckt? Warum schickt Jahn durch einen seiner ‚Möglichmacher‘ i.e. Commissionaire seine Denknisse in das Publikum? Weshalb werden die Namen der Orter, Gegenden und Personen (wiederum Mangdeutsch!) entstellt, verstümmelt? Jahn braucht doch heutzutage (?) keine ‚Nahderer‘ i.e. Delatoren, Angeber, mehr zu fürchten, oder gar die ‚Schriftschau‘ i.e. Censur zu scheuen! Wozu also diese ‚Quertreibereien‘ i.e. Mystifikationen? Jahn hat sein Spiel längst ausgespielt und verspielt, deshalb hat er nichts mehr nöthig zu verblümen, all diese Verblümerei mit der deutschen Freiheitsepoche kann das Publikum nur ‚Vermißquemen‘ i.e. ennüvieren. Man kann, wie diese wenigen Zeilen ergeben, nicht mehr Jahns Sprache ohne Lexikon verstehen, das ganze Gethue und Gehabe des ‚Alten im Barte‘ kann nur noch lächerlich erscheinen. Zu erzählen aber hat er genug aus der Zeit, deren Mann er sich dünkte, und der Herausgeber seiner ‚Denknisse‘, Schöppach, der seinen Meister den ‚getreuen Eckhart des Freithums‘ nennt, lebt noch ganz in dem alten Wahn, Jahn (welcher Wortklang, den der Zufall anstimmt) sei ein wichtiges Individuum, ein wichtiges Einzelwesen damals gewesen, und selbst der Korse, der ‚Mordleute‘ (so wie Mordkerl), habe ihn, wie aus dem Moniteur und aus Äußerungen von Männern in dessen nächster Umgebung hervorgegangen, für seinen hartnäckigsten und gefährlichsten Gegner angesehen. Nach Aussagen Anderer war Jahns Deutschthum in jener Zeit, als er die ‚Wehrquaste‘ trug, keineswegs eben sehr ‚werklich i.e. practisch. Wie dem aber auch sein mag, Jahn hat seine Zeit gehabt, und es ist nur zu bedauern, daß die Zeit ihn nicht hatte, so daß mit ihr fortzuschreiten und die unfruchtbare Deutsch- und Deutschthümelei in eine fruchtbringende zu verwandeln ihm nicht vergönnt blieb. Jahn ist längst eine Ruine, i.e. altes Mauerwerk, und nach der alten Weise immer noch husten, schnupfen und schnacken, kann nur dem Spotte der Kinder dieser Zeit anheim fallen, selbst wenn dieselben zu ‚Lauscherz‘, ‚Schalksernst‘, ‚Hechelscherz‘ ‚Scheinunwissenheit‘ und ‚Spottlob‘ i.e. zu Humor und Ironie, weniger als es wirklich der Fall ist, aufgelegt wären. Hübsche Charakterzüge kann Jahn noch immer aus seiner Zeit uns mittheilen, allein die Sprachreinigung sollte er längst aufgegeben haben. Hübsche ‚Läuschchen‘ i.e. Anekdoten, aus der deutschen Selbstbefreiungsgeschichte mag er vortragen, allein seine Wortkrämerei bringt es zu weiter nichts als faden ‚Kinkerlitzchen‘, weil er sie noch immer in allem Ernste treibt. Auch der ‚Alte im Bart‘ muß heutzutage ein Humorist, ein ‚Hechelscherzer‘ werden, das stände ihm wirklich gut und machte seinem Verstande Ehre. Duldet sein ehrsam steifes Herz das nicht, so sollte er schweigen, seine Polemik gegen unsere Zeit ist so vereinzelt, so trostlos ärmlich, daß sie erst recht dazu beigetragen hat, eine heilige Freiheitssache ihres Glorienscheins zu entkleiden. Seine Polemik gegen die Zustände der Gegenwart geht auch fast auf Theatermisèren (das Wort ist gar nicht zu entbehren) und allerlei Kleinigkeiten des Tagesklatsches. Er spricht von Rührspielen, die ‚durch aberwitziges Gethue und weinerliches Gequängel uns zermarkeln.‘ Er schimpft auf Schnellposten und Dampfwagen und nennt derlei Schnellfahrten bloße ‚Reisehetzen‘ durchs Land. Er giebt auf das ‚Deutschschofel in Paris‘ einen knotigen Seitenhieb, und tadelt den ‚Läufling‘ Heine, daß

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er unter der ‚Nenne‘: Schwatzsal’ i.e. Salon, eine ‚meindeutsche Verunglimpfungsschrift‘ verfasst habe, u.d.gl. Die Denknisse zerfallen in drei Erzählungsstücke. Jahn tritt in denselben als ‚Geleiter‘, als ‚Schwarzer‘ und als ‚Sendner‘ auf.“34

Auch der Schriftsteller und Publizist Heinrich Laube, der als ehemaliger Burschenschafter ein Opfer der Demagogenverfolgung war, „übersah“ Jahn nicht. Rückblickend schrieb er in seinen „Lebenserinnerungen“: „Dort [in Freyburg] wohnte der alte Jahn, der Turner ‚im Ausgeding‘, ein überlebter Demagoge, der immer noch einherging, wie er vor dreißig Jahren einhergegangen war, im altdeutschen schwarzen Rocke, ohne Weste und Halstuch und in leinenen Hosen. Ich hatte ihn schon vor neun Jahren als Student von Halle aus dort in Freiburg besucht, und als ich ihn jetzt hier wiedersah – er kam zuweilen Sonntags nach Kösen – da erkannte ich, daß ich ihn auswendig wusste. Er hielt Haus mit zwei oder drei Gedanken, ein guter Wirth. Diese zwei oder drei Gedanken, Natürlichkeit und Einfachheit lehrend im Staatsleben, waren werthvoll, werthvoller als der Eigenthümer derselben, welcher absolut außer Stande schien, etwas dazu zu lernen, und welcher deßhalb wie eine übergangene alte Jungfer keifte und schalt auf die Gedankenmischung in der neuesten Zeit. Sein kräftiges Bauerngesicht mit guten Augen und grauem Vollbart sah ärgerlich drein, daß auch Frankreich genannt werden könnte in Betreff freier Staatsformen und geistreicher Schriftsteller; der ‚Franzmann‘ blieb bei ihm angeschrieben, wie er Anno 13 als Unterdrücker unseres Vaterlandes mit Recht angeschrieben gewesen war, und die jungen Schriftsteller, welche man ‚junges Deutschland‘ zu nennen anfing, waren ihm ein Gräuel. Wir zankten uns einmal an der Kösener Wirthstafel zum Schrecken der Badegäste – vorzugsweise weiblichen Geschlechts – daß die Splitter flogen, und sahen uns doch unter der Versicherung wieder: ‚Darum keine Feindschaft nicht!‘ Wir gehörten eben zu zwei aufeinander folgenden und doch verschiedenen Zeitgeschlechtern. Da gibt es Verbindungsfäden, aber auch starke Abweichungen. Der Baum sieht eben anders aus, wenn er gewachsen ist und seine Zweige ausgebreitet hat, als da er eine Gerte war. Man will dem alten Murrkopf, der unterdessen längst gestorben, ein Denkmal setzen in der Hasenhaide bei Berlin,35 wo er die Turnerei in der Entstehungszeit eingeübt. Man thut wohl daran. Die systematische Kräftigung des Körpers ist unserer Jugend zum Segen, und der standhafte Gründer des Systems verdient ein Denkmal.“36

Für Heinrich Heine, der im April 1831 als Korrespondent der „Allgemeinen Zeitung“ (Augsburg) nach Paris ging, wo er, abgesehen von zwei Reisen nach Deutschland (1843 und 1844) bis zu seinem Tod (1856) lebte, war Jahn der 34 „Literarischer Zodiacus“, Jg. 1835, S. 249–251. 35 Die Turner gedachten bereits 1861 der historischen Bedeutung der Hasenheide und legten in diesem Jahr den Grundstein zu einem Denkmal für Jahn. Die Kosten dafür trugen in erster Linie die Turnvereine, während sich der Berliner Magistrat nur mit einem kleinen Zuschuss beteiligte. Das Denkmal wurde 1872 eingeweiht (vgl. Steins, 1986, S. 5–6). 36 Laube (1875), S. 292–293.

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Repräsentant eines engstirnigen Nationalismus und galt ihm als Symbolfigur eines rückwärtsgewandten altdeutschen Patriotismus. Außerdem sah er in Jahn und dessen früherem Schüler Hans Ferdinand Maßmann, der es inzwischen zum Professor an der Universität München gebracht hatte, den Vertreter eines „modernen Grobianismus“, den er immer wieder angriff und der Lächerlichkeit preiszugeben versuchte. In seiner Vorrede zum ersten Salonband vom 17. Oktober 1833 bekannte Heine, dass ihm seit längerer Zeit alles fatal sei, „was den Namen Patriotismus trägt. Ja, es konnte mir einst die Sache selber einigermaßen verleidet werden, als ich den Mummenschanz jener schwarzen Narren erblickte, die aus dem Patriotismus ordentlich ihr Handwerk gemacht, und sich auch eine angemessene Handwerkstracht zugelegt, und sich wirklich in Meister, Gesellen und Lehrlinge eingetheilt, und ihre Zunftgrüße hatten, womit sie im Lande fechten gingen. Ich sagte Fechten im schmutzigsten Knotensinne; denn das eigentliche Fechten mit dem Schwert gehörte nicht zu ihren Handwerksgebräuchen. Vater Jahn, der Heerbergsvater Jahn, war im Kriege, wie männiglich bekannt, eben so feige wie albern. Gleich dem Meister, waren auch die meisten Gesellen nur gemeine Naturen, schmierige Heuchler, deren Grobheit nicht einmal ächt war. Sie wußten sehr gut, daß deutsche Einfalt noch immer die Grobheit für ein Kennzeichen des Muthes und der Ehrlichkeit ansieht, obgleich ein Blick in unsere Zuchthäuser hinlänglich belehrt, daß es auch grobe Schurken und grobe Memmen giebt. In Frankreich ist der Muth höflich und gesittet, und die Ehrlichkeit trägt Handschuh und zieht den Huth ab. In Frankreich besteht auch der Patriotismus in der Liebe für ein Geburtsland, welches auch zugleich die Heimath der Civilisation und des humanen Fortschritt. Obgedachter deutscher Patriotismus bestand in einem Hasse gegen die Franzosen, in einem Hasse gegen Civilisation und Liberalismus. Nicht wahr, ich bin kein Patriot, denn ich lobe Frankreich?“37

In „Die Romantische Schule“ (1836) erscheint Jahn als Antiaufklärer, als Vertreter eines dunklen 19. Jahrhunderts, der die kosmopolitischen Errungenschaften des 18. Jahrhunderts verdrängt habe.38 Im „Lutezia-Bericht“ vom 30. Mai 1840 vergleicht Heine den „groben“ Jahn mit dem Franzosen Chateaubriand: „Es wäre ergötzlich, wenn man, das Feine durch das Rohe parodirend, neben jenen französischen Excerpten eben so viele Parallelstellen setzte von deutschen Autoren aus der grobtümlichen Periode. Der ‚Vater Jahn‘ führte eine Mistgabel, womit er auf den Corsen weit wüthender zustach, als so ein Chateaubriand mit seinem leichten und funkelnden Galanteriedegen. Chateaubriand und Vater Jahn! Welche Contraste und doch welche Aehnlichkeit.“39 37 Heine, Werke, Bd. 5, S. 373. 38 Heine, Werke, 8/I, S. 141. 39 Heine, Werke, Bd. 13/I, S. 55.

Robert Blum über Jahn: „ein Fremder in unserer Zeit“

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In „Deutschland. Ein Wintermärchen“ (Caput XI) verspottet Heine die „Altdeutschen“ Jahn und Maßmann in einem Atemzug, wenn er darüber nachdenkt, was geschehen wäre, wenn der Cheruskerfürst Hermann, „der edle Recke“, die Schlacht im Teutoburger Wald mit „seinen blonden Horden“ nicht gewonnen hätte: „Der grobe Bettler, Vater Jahn, Der hieße jetzt Grobianus. Me hercule! Maßmann spräche Latein, Der Marcus Tullius Maßmanus!“40

Laube besuchte den erkrankten Heine 1847 in Paris. Die Sprache kam dabei auch auf Jahn und Maßmann wie Laube überliefert: „Armer Heine! Und doch dauert das Klagen nur einige Minuten! Der Geist ist unberührt, das Naturell ist unbetroffen, über die sentimentale Träne hinweg flogen bald wieder die listigen Pfeile, welche er jetzt gegen den eigenen jämmerlichen Körper abschnellt, wie er sie nur jemals gegen Jahn oder Maßmann, oder sonst einen stereotypischen Gegenstand des Spottes geschnellt hat. ‚Es wäre ja undankbar von mir‘, sagte der Bösewicht auf meinen Vorwurf gegenüber solcher Stereotypie, ‚es wäre ja undankbar, wenn ich diese armen Leute im Alter verlassen sollte, nachdem sie mir solange gedient! Wer spräche denn noch von ihnen!‘“41

4.3 Robert Blum über Jahn: „ein Fremder in unserer Zeit“ Einer der zahlreichen Gäste bei der Einweihung des Lützener Gustav-AdolfDenkmals war der „Visionär, Demokrat und Revolutionär“ Robert Blum.42 Er wurde 1807 in dem damals französischen Köln als Sohn des Faßbinders Engelbert Blum geboren und war somit etwa 30 Jahre jünger als der Pfarrersohn Jahn. Blum war im Juli 1832 mit dem neuen Direktor des Stadttheaters Friedrich Sebald Ringelhardt, für den er schon in Köln am Theater gearbeitet hatte, als Theatersekretär, Bibliothekar der Theaterbibliothek und Kassenassistent nach Leipzig gekommen. Für den damals 25jährigen Autodidakten, der in ärmlichen Verhältnissen aufwuchs, war der Umzug in die Mittelstadt, die um 1830 ca. 40.000 Einwohner hatte, geradezu ein Glücksfall, denn hier, in der Stadt des Buchwesens, der Wissenschaften und der Musik konnte er seine schriftstellerischen und politischen Ambitionen entwickeln. Leipzig galt damals in den Staaten des Deutschen Bundes als Zentrum des Liberalismus. Nach den einschnei40 Heine, Werke, Bd. 4, S. 461. 41 Zit. nach Rösch (1990), S. 10. 42 Vgl. Jesse/Michalka (2006), Reichel (2007), Zerback (2007).

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denden Bestimmungen der Karlsbader Beschlüsse erlebte die Presse hier einen enormen Aufschwung. Heinrich Laube redigierte bis 1834 die „Zeitung für die elegante Welt“, das Sprachrohr des „Jungen Deutschland.“ Im Vormärz entwickelte sich Leipzig zum Zentrum der deutschen Presse, die oppositionelle Strömungen in ganz Deutschland unterstützte und beflügelte. Hier erschienen 1845 zwölf liberale politische Zeitungen bzw. Zeitschriften. In zahlreichen geselligen Vereinen wurden tagespolitische Ereignisse diskutiert. Neben seiner Tätigkeit am Leipziger Theater schrieb Blum Beiträge für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften, die sich durch eine erstaunliche Vielfalt auszeichneten. So veröffentlichte die „Zeitung für die elegante Welt“ ab Oktober 1835 seine „Bücherschau“, in der Blum literarische Neuerscheinungen vom Roman bis zur Reisebeschreibung vorstellte. In dieser Zeitung veröffentlichte Blum im November 1837 einen ausführlichen Bericht über die Einweihung des Lützener Gustav-Adolf-Denkmals, der den Zeitgenossen den Namen des „ExDemagogen“ Jahn nachdrücklich in Erinnerung hielt. In Jahn sah der liberal-demokratische Publizist Robert Blum den Repräsentanten einer längst vergangenen Zeit, den die vorwärts drängende politische Entwicklung förmlich überrollt hatte. Jahn deshalb zu kritisieren hielt er für unangebracht, denn als „lebende Ruine“ konnte er die weitere Gestaltung der politischen Verhältnisse in Deutschland ohnehin nicht mehr beeinflussen. Blum schätzte aber die Tatkraft und Überzeugungstreue Jahns, die alle benötigten, die den tatsächlichen Gegebenheiten zum Trotz eine Veränderung der politischen Verhältnisse im Sinne einer liberal-demokratischen Umgestaltung anstrebten. Anschaulich schilderte Blum den Ablauf des Tages in dem Landstädtchen Lützen, um am Ende seines Artikels noch ausdrücklich festzustellen: „es fand durchaus keine Ruhestörung statt“. Blum schrieb: „So ist er denn glücklich vorüber der feierliche Tag, der die Völker zweier Nachbarländer in eine ungewöhnliche Bewegung setzte und im ganzen norddeutschen Vaterlande einen freudigen Anklang fand, oder doch finden sollte. Himmel und Erde schienen sich verschworen zu haben, das Fest zu stören; in Leipzig stürzte am Abend vorher die Brücke zusammen, über welche die ganze Karavane der Theilnehmer ziehen mußte, und am Morgen regnete der Himmel unbarmherzig herab auf den langen Zug der Fahrenden und Gehenden und machte ein so tristes, unfreundlich-graues Gesicht, daß man glauben mußte, er wolle allein trauern an diesem Tage. – Aber es war nur Verstellung; der Himmel hatte uns eine Überraschung vorbehalten und gab ohne Subscription und königliche Beisteuer eine Darstellung des 6. November 1632 aus eigenen Mitteln, denn die Geschichte erzählt uns ja, daß an diesem Tage der Himmel in einen grauen Nebelmantel gehüllt war, bis gegen Mittag, und dann erst Licht herabsandte auf die kampfdürstenden Scharen, daß sie sich erkennen und erfassen konnten. –

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Ob der Tag wirklich recht feierlich schön, ob er ein Fest im eigentlichen Sinne des Wortes gewesen? Diese Frage kann ich nur bedingt bejahen. Es war eine imposante Menschenmenge versammelt, und aus ihr bildete sich ein Zug, der in nomineller Beziehung sehr bedeutend genannt werden kann. Die Anordnung war nicht unzweckmäßig, aber auch nicht musterhaft. Die Beschränktheit der Localitäten trat dem guten Willen und den unverkennbaren Bemühungen der Anordner hemmend entgegen und störte die Entwickelung der großartigen Erscheinung, die sich aus dieser Masse hätte bilden lassen. Die Stadt Lützen hatte für den äußern Glanz des Festes wenig, fast gar nichts gethan, und den herbeiströmenden Fremden fast allein die Sorge dieserhalb überlassen. Hätte die studirende Jugend von Leipzig und Halle am Nachmittage nicht einige Heiterkeit in das Gewühl gebracht, der Fremde würde im Zweifel gewesen sein, ob ein Feuer, eine Hinrichtung, oder eine freudige Begebenheit diese Menge versammelt habe. Unterliegt das Äußerliche und Formelle des Festes diesen Ausstellungen, so läßt sich die geistige Existenz des Festes – nicht läugnen – aber doch in Frage stellen. Es war ein buntes Drängen und Treiben, scheinbar ohne Zweck und Ziel. Neugier ist freilich immer bei allen öffentlichen Festen die hervorstechende Leidenschaft. Viele mochten den Sinn der Feier fühlen, für den Gedanken der Religionsfreiheit, der sich an den Schwedenkönig knüpft, begeistert sein; allein an den Ausspruch einer Begeisterung ist die deutsche Menge noch nicht gewöhnt. Hier und da blickte aus dem Trubel ein Auge gen Himmel oder ins nebelhafte Weite und suchte nach einem Gustav Adolph, wie er der Gegenwart Noth thut. Doch folgen wir dem Gange der Tagesbegebenheiten. Mit dem frühesten Morgen bewegte sich ein großer Zug von Wagen aus den Thoren von Leipzig, und wälzte sich, wie eine schwarze Riesenschlange, gegen Lützen fort. – In der Nacht bereits waren Scharen von Fußgängern vorangezogen, und das ‚Gaudeamus‘ klang als fröhlicher Morgengesang hinauf zu dem schwarzen Himmel, ihn flehend, daß er nicht so unbarmherzig losregnen möge auf die wandernden Musensöhne. Alles verfolgte ein Ziel auf demselben Wege, und diese glückliche Einigkeit wurde nur gestört durch die Milchweiber mit ihren Kannen und Hunden, die als Antipoden der allgemeinen Volksbewegung den entgegengesetzten Weg, nach der Stadt, verfolgten. – Bei Markranstädt, welches bereits lebendig geworden war und in seltener Munterkeit und Beweglichkeit prangte, ereilte der Zug der Wagen die Fußgänger, und vereint wallten nun beide dem nahen Ziele entgegen. – Bald zeigte sich die Stelle des Schwedensteines, und das Denkmal, die Farbe des Tages tragend, erhob sich als graue Masse in der Ferne; schwedische und preußische Fahnen umflatterten dasselbe, insofern die Last des Regens ihnen das Flattern noch gestattete. Gegenüber stand eine zierlich geschmückte Bude, in welcher ein Leipziger […] theils am vorigen Abend, theils am frühen Morgen angelangt; auf den Straßen war das lebendigste Getümmel, Menschen und Pferde trabten durcheinander in dem gehäuften Schmuze und suchten vergebens ein Obdach; preußische Gendarmen wiesen die Wagen auf einen freien Platz am Amthause, aber den Passagieren wussten sie kein Unterkommen anzuweisen. Ziel- und zwecklos schlenderten wir durch die Straßen, der Dinge harrend, die da kommen sollten. Aber auf dem Markte war plötzlich ein graues Denkmal zu erblicken, ein wanderndes, ein verwittertes Monument vergangener Zeit: der alte, biedere, vielverketzerte, vielge-

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kränkte, aber gewiß ehrwürdige Jahn. Seine Erscheinung erregte Aufsehen und sammelte einen Kreis von Menschen um sich, die ihn mit neugierigen Blicken, wie einen Fremden aus ferner unbekannter Welt anstaunten. Und er ist ein Fremder in unserer Zeit; seine historische Bedeutung, seine öffentliche Existenz knüpft sich an einen Himmelsstrich der Weltgeschichte, der dem unsrigen sehr fern liegt, und dessen Dasein unsere Enkel gar nicht mehr begreifen werden. Jahn ist das Monument des Teutschthums von 1812 u. 1813. Mochte dieses Teutschthum abstoßend sein in einigen Formen, unfreundlich in seiner äußern Schroffheit, es war eine Zeiterscheinung voll Kraft und Hoffnung, voll Mark und volksthümlichen Lebens, voll schöner Keime und mächtig schwellender Fruchtknospen; es war begreiflich, daß ein Mann sich dieser Richtung ganz hingab und den geistigen Kern der Sache zur Anschauung brachte durch seine Bestrebungen. Jahn hat das gethan, mit Liebe und Eifer gethan, und seine ganze Individualität daran gesetzt. Das eben ist sein Unglück, daß sein geistiges Sein aufging in diesen Bestrebungen; denn als die Gestalt der Dinge sehr bald sich änderte, als man ihn von sich stieß, er aber auf der eingeschlagenen Bahn beharrte, da verstand ihn bald die Welt nicht mehr und er ward zur Caricatur seiner selber. Das alte Lied vom Franzosenhaß klang inmitten neuer Lebensfluthen wie ein altes Zauberlied in Ossianischer Sprache, das ein grauer Barde vom einsamen Felsen singt, um die Fluth zu beschwören; aber die Fluth will sich nicht mehr bannen lassen und die Schiffer, die mit neuen Wimpeln segeln, lachen über die alte seltsame Weise. So stand Jahn vereinsamt da im wechselvollen Leben und tappte blindlings umher, um die neuen Zustände zu erfassen, die ihm entschlüpften, weil die Speculation an die Stelle der That getreten war. Da wurde er Greis aus Verzweiflung, und als eine Ruine vergangenen Lebens wandelte er gespenstisch durch die Gegenwart. So steht er noch da; seine Gestalt, seine männliche Haltung und der kräftige Ausdruck seines Gesichtes repräsentiren die Kraft der That und den eisernen Muth der Hoffnung, indessen sein schneeweißes Haar an den Verfall seiner Epoche gemahnt. Sein silberweißes Bart- und Haupthaar flattert zerstreut im Winde, wie die Hoffnungen und Entwürfe von 1813 spielend verweht wurden von dem Zugwinde wankender Menschentreue. Lacht nicht über diese Ruine, Zeitgenossen! Ehrt sie und denkt an unser eigenes Schicksal! Unsere Zeit ist ganz geeignet, das männlich schlagende Herz zu beruhigen in harmlosem Wahnsinn. Wer weiß, ob nicht auch wir stereotyp werden mit unsern Träumen künftiger Weltgestaltungen, ob wir nicht fortphantasiren und an der Speculation hangen bleiben, wenn das Leben erwacht ist zur That. Man soll uns dann nicht verlachen! Es war ja das heiße Herzblut, die schöne Kraft der Jugend und die goldene Hoffnung der Zukunft, womit wir diese Träume gepflegt und genährt. Während wir Jahn betrachteten, wurde das Städtchen lebendig und die Trommel rief die Theilnehmer des Zuges zusammen auf den Marktplatz. Lützen hatte das Fest am Vorabende mit Glockengeläute begrüßt und am Morgen mit einem Liede vom Thurme herab begonnen; jetzt ertönten die […] der Zug an Regelmäßigkeit und imposanter Ausbreitung viel gewonnne haben; jetzt ballte sich ein dichter Menschenknäuel auf dem engen Raume zusammen, der sich nachher nur insofern entwirren konnte als die umgebenden Volksmassen es gestatteten. Nach Absingung einer Motette durch den Pauliner- und Thomaner Chor und des Liedes: ‚Eine feste Burg etc.‘ bewegte sich der Zug langsam nach dem Schwedensteine. Während

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die Theilnehmer des Zuges mehr und mehr sich zusammendrängten und die Enthüllungsfeierlichkeiten vorbereitet wurden, erfreute ein schönes Intermezzo die Versammlung. Aus dem Volksgewühl, welches außerhalb einer leicht gezimmerten Planke wellenförmig sich bewegte, tauchte – den Leipziger Studenten zunächst – plötzlich Jahn’s alte, eisenfeste Gestalt auf. Sein Name lief schnell durch die Reihen; da erhob sich plötzlich das Geschrei: ‚Jahn hoch! Jahn in den Kreis! Jahn zu uns!‘ Und während er dankend den Hut abnahm und sein weißes Haar aufflatterte, drängten sich einige Chargirte zu ihm hindurch, halfen ihm die leichte Scheidewand übersteigen und führten ihn in die Reihen der Jugend, wo ein lautes ‚Hoch!‘ ihn willkommen hieß. Der Bischof Dräsecke aus Magdeburg hatte jetzt die geschmückte Kanzel bestiegen und die Seminaristen von Weißenfels sangen eine Motette, worauf der Bischof das Gebet sprach. Dann ward ein von Würkert gedichtetes Festlied gesungen. Der Bischof hielt nun die Weihrede, die, wenn auch nicht das beste Product dieses genialen Kanzelredners, ganz der Feier angemessen, voll erhabener schöner Gedanken, geistreicher Wendungen und tiefer Empfindung war. Historische Erinnerungen und eine treffliche Anwendung der Bibelstellen auf das Denkmal bildeten den Inhalt. Mit wahrhaft begeisternden Worten bereitete der Redner die Enthüllung des Denkmals vor, die auf seinen Wink erfolgte; die Hülle wollte nicht herab, das Monument des edlen königlichen Helden und einer thatkräftigen, lebensrüstigen Zeit hielt sein graues Gewand fest, um nicht enthüllt zu erscheinen vor einer blos denkenden, thatenunlustigen Gegenwart. Und der Bischof war der einzige, der es feierlich und freudig begrüßte; die fernen Instrumente schmetterten ex officio einen obligaten Jubel, und die Kanonen riefen ein dumpfes ‚Willkommen!‘ Man hatte das Pulver gespart, oder beim Laden Rücksicht genommen auf das zarte Geschlecht; sie knallten wie eine Windklapper, die ein Knabe sich von Papier faltet. Nicht ein Ruf der Freude, nicht ein Zeichen des Beifalls, der Theilnahme und Erhebung gab sich kund bei der versammelten Menge. Begeisterung und Enthusiasmus standen nicht in der Festordnung, und der Deutsche hält fest am Vorgeschriebenen. Nur eine Lerche flog trillernd über das Monument hin und schmetterte die Jubelhymne der Freiheit durch den weiten Himmelsraum; sie verschwand im unendlichen Dome, wie der Lichtgedanke der That, den Himmel suchend, verschwindet. – Auch die Sonne trat heraus aus ihrem grauen Morgenanzuge und grüßte hellstrahlend das Denkmal eines leuchtenden Menschengestirns; aber sie zog den Schleier bald wieder zu, als sie die kalten Menschenherzen erblickte, die es umstanden. – Das Denkmal besteht aus einem gotischen Tempel mit Eisenguß; die mit vier Spitzen und einem Kreuze in der Mitte verzierte, sterndurchbrochene Wölbung wird von vier Säulen getragen, die in einem drei Stufen hohen Piedestal von Sandstein ruhen; auf der Vorderseite steht die Inschrift: Hier fiel Gustav Adolph am 6. November 1632, rechts die Bibelstelle: Er führte des Herrn Krieg, links: Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat, und auf der Hinterseite: Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft, der Liebe und der Zucht. Das Ganze umschließt den bekannten Schwedenstein, der in seiner altergrauen Ehrwürdigkeit erhalten zu werden verdiente. Unmittelbar um das Denkmal standen die Festordner, die Deputirten von Leipzig und andern Städten, die Geistlichkeit von Lützen, der Abgeordnete von Schweden, Oberst

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Erichson (Nach anderem Verlauten hat Schweden keinen Abgeordneten gesendet, und war der schwedische Lieutnant Ehrenheim, der aus Carlsbad zurückkehrte, zufällig oder aus eigenem Antrieb zugegen), der Magistrat von Lützen, einige Bürgermilizen, mehrere preuß. und sächsische Offiziere und der alte Invalide, dem die Bewahrung des Monumentes vertraut ist. Der letztere trug einen grünen Kranz gleich einer Schärpe über die Schulter; es war die Hoffnung, womit man noch einmal gewaltsam den Krieger von 1813 geschmückt hatte; aber der Kranz löste sich und drohte zu fallen bei der geringsten Bewegung des Trägers. Dieser aber stand fest in militairischer Haltung, trotz seinem verlorenem Beine. Wenn man doch dem Zeitgeiste diese Subordination beibringen könnte, daß er stille stände bis zum Commandowort ‚Rührt Euch!‘ – Eine Dame aus Naumburg hatte auch dem Schwedensteine die fromme Liebesgabe eines Kranzes dargebracht; Lützens Frauen und Jungfrauen scheinen keine Zeit gehabt zu haben zu ähnlicher Huldigung, sie mußten für ihre zahlreichen Gäste sorgen. Nach der Enthüllung wurden die beiden letzten Verse des Würkert’schen Festliedes gesungen und der Bischof ertheilte den Segen; hierauf sollte sich der Zug nach der Stadt zurück begeben, aber an einen Zug war jetzt nicht mehr zu denken; die Menschenfluth bewegte sich einen Augenblick unsicher und regellos, wie der in seinem Laufe gehemmte Strom, dann aber brach sie gewaltsam ihre Dämme und strömte auf selbst gewählten Bahnen dem Ziele zu: die geschlagenen Schaaren Wallenstein’s konnten nicht mehr in Unordnung sein auf ihrem Rückzuge als dieser Festzug. Ob in der Stadt das Lied: ‚Lob, Ehr und Preis‘ noch gesungen worden ist, wie es im Programme angegeben ward, das weiß ich nicht. Eine bunte Menge trieb sich nach der Feierlichkeit um das Monument herum, dasselbe bewundernd, erklärend und kritisirend; andere verloren sich auf den mannichfachen Dorfwegen, indessen sich ein langer Wiegenzug zur Rückkehr nach Leipzig in Bewegung setzte. Die weite Ebene war bunt bewegt und glich in ihrer wirren Lebendigkeit einem aufgescheuchten Bienenschwarme. Ich hatte mich an den alten Invaliden gedrängt, der freudestrahlenden Blickes dastand in der Volksmenge und mühsam sich aufrecht zu erhalten suchte im wilden Gedränge. Er war sehr glücklich, der gute Alte, über seine Versorgung, die ihm monatlich 8 Thlr., freie Wohnung und freies Holz bringt. Es war Zeit, daß dem Alten ein Ruheplätzchen angewiesen wurde für den Abend seines Lebens, denn seit 24 Jahren ist er Krüppel und hat nicht wie andere Menschen das Glück, eine Zeit lang mit einem Fuß im Grabe stehen zu können, ehe der andere nachfolgt; wenn bei ihm der eine einrückt in das ewige Winterquartier, so ist es aus mit der ganzen Garnison. Hier kann er träumen von Schlachten und Siegen, kann die Gespenster ziehen sehen nachts über die Todesebene, bis der Tod ihn zur Ruhe ruft mit dem letzten Zapfenstreiche. Der Alte war besonders sehr glücklich, daß der hochwürdige Bischof auch ihn erwähnt habe in seiner Rede und gesagt: ‚er solle in der Bewachung des Monuments seine letzte Erdenwache verrichten;‘ es war noch Ehrgeiz in seiner Brust, denn er that sich viel darauf zu Gute, daß er der Einzige sei von allen Wächtern, der dieses Fest erlebte. Ich fragte ihn, wo er sein Bein verloren habe? Er zeigte nach Leipzig und sagte mit selbstgenügsamem Witz: ‚dort habe ich’s gesäet, damit es keime und wachse und ich mir neue Beine holen kann, wenn dies eine alt und schwach wird. Ist’s nicht aufgegangen, lieber Herr?‘ Armer Mann! Begrabe

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deine Hoffnung, scharre deinen zerrissenen Kranz ein zu deinem Beine; du hast in ein unfruchtbares Feld gesäet, Leipzigs Auen geben die Saaten nicht vervielfältigt zurück, die man ihnen vertraute, sie liegen wie ein Lebendigbegrabener in der faulen Erde und ringen ununterbrochen den furchtbaren Kampf zwischen Tod und Leben. Wenn man einsam dahinwandert über die blutgedüngten Felder, so hört man ihre verzweifeltes Ächzen und das Blut stockt im warmen Herzen, die Nerven durchzuckt es fieberisch, und man möchte die Erstickenden befreien mit Aufopferung des eigenen Lebens. Aber ein böser Zauber hält sie gefangen, und noch ist der Glückliche nicht erschienen, der ihn zu lösen vermag. Gustav Adolph der neuen Zeit, wo weilst Du? In Lützen rang man indessen mit Lebensgefahr nach einem Mittagessen, und glücklich mußte sich der preisen, der in den überfüllten, Erstickung drohenden Stuben der Gasthäuser ein Plätzchen und dort nach Stunden langem Warten irgend einen Imbiß erlangt hatte; viele bivoukirten auf der Straße und begnügten sich mit Dem, was dort feilgeboten wurde. Im Schützenhause waren die Festredner, die bedeutendsten Gäste und andere Autoritäten zum Mittagsessen versammelt. Im Städtchen war indeß ein todtes, leeres, mechanisches Menschengewühl. Die Studirenden hatten die Tische und Bänke der Schulen zusammengeschleppt und auf dem offenen Markte ein friedliches Feldlager aufgeschlagen, trinkend und singend saßen sie dort in froher Gemüthlichkeit und zeigten der ungeheuern Zuschauermasse ein heiteres erfreuliches Lebensbild welches von dem Pinsel eines Tenier verewigt zu werden verdiente. Irgend eine Autorität sandte das Musikcorps der Stadtmiliz ihnen zu, ihre frohen Lieder zu accompagniren, und mit diesem Corps zogen sie bald nachher durch die Stadt, dem Bürgermeister, dem Bischofe, dem alten Jahn und einigen Andern ein donnerndes ‚Hoch!‘ bringend. War diese Jugend nicht in Lützen, die Stadt hätte höchstens das Bild eines Jahrmarktes geliefert. Der Abend sank nun allmählig herab und auf dem Markte ordnete sich der Fackelzug, der vierhundert Personen stark, langsam und feierlich sich nach dem Denkmal bewegte. Auch dieser Fackelzug bestand lediglich aus Leipziger Studenten; Lützens Bürger hatten viel Theilnahme verheißen, aber es erschien Niemand. Am Monumente wurde noch manches Vivat gebracht, wie es die Gelegenheit und der Augenblick eingab und um die Lohe der aufgehäuften Pechfackeln erschallte brausend das frohe ‚Gaudeamus‘ als Schlußgesang zu dem lichten Nachthimmel empor. Während desselben stiegen in der Ferne zwei Raketen auf, wahrscheinlich eine Ueberraschung, die die Stadt Lützen ihren Gästen bereitet hatte! Die Menge verlief sich, nur der Invalide blieb einsam an dem stillen Denkmal, welches zu wachsen schien in der dunkeln Nacht, als ob es emporsteigen wolle zu den Sternen. ‚Wir bedürfen großer Mahlzeichen, sagte der Bischof Dräseke, an denen wir ausruhen von großen Thaten und uns ihrer erinnern.‘ Dort standen zwei Mahlzeichen vergangenen kräftiger Epochen nebeneinander; das eine erhob sich siegend in der Gegenwart, obschon es zwei Jahrhunderte trug; das andere stand nur gespenstig noch aufrecht und wankte, mit nur 24 Jahren belastet, der Vergessenheit zu. Wie verschieden die Ergebnisse der Weltgeschichte sind. Der Himmel lag licht und sternenklar ausgebreitet über der Ebene und der Mond erhellte sie mit freundlichem Lichte; Sternschnuppen flogen durch die stille

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Nacht und berührten wie tröstende Gottesgedanken das schmerzlich zuckende Herz, tief im Innern neue Hoffnung und Zuversicht erweckend, und in die Seele tönte es wie Engelchöre, welche sangen: Eine feste Burg ist unser Gott, Ein gute Wehr und Waffen; Er hilft uns frei aus aller Noth, Die uns itzt hat betroffen. Wir wollen ihm vertrauen, dem Gotte, der im Himmel trohnt und in der reinen Brust des Menschen, die nach Licht und Freiheit dürstet. Ehre sei Leipzigs Bürgerschaft und Universität! Sie waren es, die dem Feste den Glanz verliehen, worin es prangte. Robert Blum. P.S. Ich habe das Wichtigste vergessen: es fand durchaus keine Ruhestörung statt.“43

Jahn und Blum sind sich in Lützen offenkundig nicht begegnet, denn Jahn schrieb im Dezember 1837 an Lübeck: „Wer Robert Blum ist /Elegante Zeitung/ werde ich nächstens erfahren. Er hat mit unserm Burgemeister, der auch in Jena bei Luden Politik gehört, und s[chwarz] r[oth] g[old] getragen studiert.“44 Vermutlich hat Jahn im Gespräch mit dem Bürgermeister von Freyburg die Information erhalten, dass dieser mit Blum in Jena studiert hat, allerdings kann es sich dabei nicht um Robert Blum gehandelt haben, der nur ein Semester an der Universität Berlin verbrachte (WS 1829/30). Zum Beitrag von Blum hat er sich an keiner Stelle geäußert; überhaupt hat Jahn ihn in seinen Briefen bis zu ihrer gemeinsamen Zeit in der Frankfurter Nationalversammlung nicht mehr erwähnt. Als eine „Ruine vergangenen Lebens“ scheint sich auch Blum nach Lützen nicht mehr für Jahn interessiert zu haben.

4.4 Karl Leberecht Immermann über Jahn: „der reformatorische Sonderling par excellence“ Freundschaftliche Kontakte mit einigen Vertretern des „Jungen Deutschland“ pflegte der Erzähler, Dramatiker, Lyriker, Essayist und Kritiker Karl Leberecht Immermann (1796–1840).45 Der Sohn eines Kriegs- und Domänenrats war von Beruf Jurist und arbeitete nach seinem Studium in Halle zunächst in Magdeburg und Münster (1818–1827) und seit 1827 als Landgerichtsrat in Düsseldorf. Mit 43 Zeitung für die elegante Welt 1837, Nr. 222, S. 887–888; Nr. 223, S. 891–892; Nr. 224, S. 895– 896. 44 U, S. 62. 45 Vgl. Peter Hasubek: Immermann. In: Killy (1999), Bd. 6, S. 37–39.

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der gegen die Hallenser Burschenschaft „Teutonia“ gerichteten Streitschrift „Ein Wort zur Beherzigung“, die 1817 in Jena erschien und bei der Bücherverbrennung auf dem Wartburgfest ein Opfer der Flammen wurde, trat Immermann erstmals publizistisch an die Öffentlichkeit. Immermanns Abneigung gegen die Burschenschaft färbte auch auf Heinrich Heine ab, den er zu Beginn der 1820er Jahre kennen lernte.46 In Düsseldorf gründete Immermann das Stadttheater und entwickelte diese Bühne in den Jahren 1834 bis 1837 zu einer Mustereinrichtung, die in allen Teilen Deutschlands Bewunderung und Anerkennung fand. Seine zeitkritischen Romane Die Epigonen (1836) und Münchhausen. Eine Geschichte in Arabesken (1838/39) weisen Immermann als guten Beobachter und scharfen Analytiker der ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts aus. Jahn hatte keine persönliche Beziehung zu ihm und kannte auch Immermanns Romane nicht. In einem Brief an Direktor Niemeyer in Halle vom 13. August 1846 äußerte er die Vermutung, dass Immermann in seinen „Epigonen“ das Turnen für ein Kinderspiel erklärt haben soll.47 Tatsächlich widmete Immermann dem Turnen und seinem Erfinder Friedrich Ludwig Jahn in seinen „Memorabilien“ (erschienen 1840–1844) ein eigenes Kapitel. Jahn ist für ihn ein Sonderling, eine komische Figur, die längst in der Versenkung verschwunden wäre, wenn man ihn nicht bei der Einweihung des Schwedensteins unweit von Lützen erkannt und – so wäre zu ergänzen –, wenn die Presse – namentlich Robert Blum – darüber nicht berichtet hätte. Wie schon Schleiermacher in seinem Gutachten über Jahns Lehramtsprüfung im April 181048, kritisiert Immermann Jahns unzureichende Bildung und kommt zu dem Schluss, dass er eigentlich nichts anderes im Kopf trug, als „sein Ideal eichelfressender Germanen, versetzt mit etwas starrem Protestantismus, und dann eine Theorie des Drauf- und Dreinhauens.“ Ebenso wie Jahns „Deutsches Volksthum“ kritisiert Immermann die Art und Weise wie Jahn mit dem Turnen verfuhr: „Er aber verdarb auch diesen Stoff, wie den des Volkstums.“ Letztlich sei Jahn seiner Eitelkeit und Herrschsucht erlegen: „Dem guten Jahn spielte seine Eitelkeit und Herrschsucht einen Streich. Er gehörte zu den liberalen Despoten, die immer das Wort der Freiheit im Munde führen und wenn sie das Heft in die Hand bekommen, ebenso sind, wie die anderen. Es genügte ihm nicht am Werke, das Werk sollte auch schillern und glänzen. Im großen zu herrschen war ihm versagt, so wollte er sich denn ein kleines Reich gründen, dessen Patriarch oder Alter vom Berge er hätte werden mögen.“

46 Vgl. Galley (1972), S. 74–75; Euler (1881), S. 528. 47 M1, S. 511. 48 Gedruckt in: Bartmuß/Kunze/Ulfkotte (2008), S. 192–195.

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Wie konnte „ein gar nicht gewöhnlich begabter Mensch ein so abschmeckendes Original“ werden? Immermann beantwortete diese Frage mit weiteren kritischen Seitenhieben gegen Jahn: „[…] Der deutsche Sonderlingsgeist nistet sich am liebsten unter den Gelehrten ein und zeigt sich meistens immer reformatorisch. Unsere Sonderlinge sind Apostel ihrer Launen und möchten alle Heiden zu ihnen bekehren. Weil nun aber das Leben an vielen Punkten ein gar harter und widerstehender Block ist, so werden die weichsten Stellen ausgesucht, an denen die Bearbeitung noch am ehesten gelingen mag. Diese sind Erziehung, Sprache, Schreibung, allenfalls Gebräuche. Basedow oder ein Basedowianer buk die Wissenschaften den Kindern in Semmelteig und ließ die Kenntnisse aufessen. Der andere schrieb fon statt: von. Ein dritter spricht und schreibt plötzlich, als sei die Sprache seine Magd, die sich alles von ihm gefallen lassen müsse. Ein vierter findet Titulaturen lästig und fordert jedermann auf, ihn und jeden beim Namen zu nennen; das andere sei von Übel. Auch das Geschlecht der Sonderlinge ist im Absterben, wie das der komischen Figuren. Einer unserer größten war Jahn. Er hatte sich nicht bloß auf Erziehung und Sprache versessen, sondern wollte die Welt überhaupt in die Gestalt bringen, wie sie etwa ein gescheiter altmärkischer Bauer, der zugleich zufällig zehn Jahre lang studiert hat, erblicken mag. Ich habe gesagt, er war. Man muß von ihm in der vergangenen Zeit reden. Er verscholl. Ohne die Nachricht, daß bei der Einweihung des Schwedensteins unweit Lützen plötzlich auf dem Weißenfelser Markte ein Alter im weißen Bart erschienen sei, wäre wohl kaum noch von ihm einmal die Rede gewesen. Jahn war der reformatorische Sonderling par excellence; er wollte alles umkehren. Berlin lag ihm nicht an der rechten Stelle, an der Elbe sollte ein Preußenheim erstehen. Eine Volkstracht empfahl er an, worin jeder bei allen öffentlichen Gelegenheiten zu erscheinen habe, der Frack war ihm eine Todsünde, Volksfeste begehrte er mit dreiabendlichen Feuern, an Tagen, deren Gedächtnis erst durch die Gelehrten im Volke hätte wieder erschaffen werden müssen. Handarbeiten müsse jeder lernen, der Sinn für das Schöne sei zu wecken, nur solle nichts NacktGriechisches öffentlich aufgestellt werden. Selbst den Mädchen legte er Leibesübungen auf, und sogar schießen sollten sie lernen, ‚um nicht kunstgerecht wehrlos zu sein, und beim Knall des Gewehres zusammenzufahren, wie Gänse beim Donner.‘ – Über den Staat müsse jeder unterrichtet sein. Niemand solle Staatsbürger werden, der nicht vorher ein Examen über Pflichten und Rechte des Staatsbürgers bestanden habe. Die eigentlichen volkstümlichen Bücher müßten noch erst geschrieben werden, provisorisch mögen einige Stücke von Schiller dafür gelten. Insbesondere verlangt er nach einer ‚Alruna‘ einem ‚Faust‘ und ‚Eulenspiegel‘, nach einem ‚Denkbuch für Deutsche‘, er verlangt das alles wie der Bauer, der in dem bekannten Liede bei dem Maler das Bild bestellt. Goethes ‚Faust’ läßt er zwar Gerechtigkeit widerfahren, indessen genügt er ihm doch nicht, denn er will einen zweiten haben. ‚Für diesen zweiten‘, sagt er, ‚wünsche ich eine Geistervereinigung: Knigges Alle-Schulen-mit-durchgemacht-Haben; Lichtenbergs Niefehlen; Richters Unerschöpflichkeit; Wielands Honigbereitungskunst; Meyerns hohen Volkssinn und Kaiserbergs und Luthers lebendige Rede.‘

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Zwischen solchen Grillen, welche die deutsche Gelehrtenstubenluft nicht verleugnen können, obgleich ihr Fänge viel im Freien verweilte und rüstig wanderte, finden sich im ‚Volksthum‘ helle Blicke über Regierungseinrichtungen, allgemeine Bewaffnung, Assoziationen. Jahns Stärke ist altmärkischer derber Bauerverstand. Mit diesem Bauerverstand trifft er, soweit ein solcher reicht, nicht selten den Nagel auf den Kopf. Die Anschauung eines nächsten, eines Details ist sehr klar; auch zwei nahe Punkte weiß er mit rascher Vergleichung und hausbacknem Witz in Einigung zu setzen; Sprichwörter sind nach Volksmanier seine Beweisstellen. Charakteristisch ist auch der Ortssinn, mit dem er in weiten Landgebieten sich so orientiert zeigt, wie ein tüchtiger Bauer in der Feldmark seines Dorfes. Das Streichen der Berge, die Wendung der Wälder, das Stromnetz, die Lage der Städte – alles dieses lebt von ihm in handgreiflichen Bildern. Aber darüber hinaus geht es auch nicht bei ihm. Die schadhaften Verhältnisse sieht er sehr richtig ein. Aber will er sie besser gestalten, so läuft es immer auf eine Verbauerung hinaus. In den ‚Merken zum Volksthum‘ wirft er an einer Stelle einen Seitenblick auf Preußens wehrlose Lage zwischen Frankreich und Russland. Sie ist unstreitig, so wie die Sache jetzt steht, bis dem Staate die Geschicke bescheren, eine wahrhaft nationale Hegemonie über Nord- und Mitteldeutschland zu gewinnen, dessen größtes Unglück; sie erhält ihn in einer beständigen nervösen Spannung, die ihn nicht zu Atem kommen läßt und treibt ihn oft ohne Schuld eines einzelnen zu antigermanischen Sympathien hin. Aber nur ein Weltverhängnis kann den Fehler bessern. Würde man ihn bessern dadurch, daß man, wie Jahn andeutet, Hammen – Grenz- und Schirmwälder – in Rheinpreußen und Litauen anlegte und dies mit Grenzen besetzte? Wie soll man im Westen die Pflänzlinge zu dem halbwilden Geschlechte unter den Fabrikarbeitern finden, und würde im Osten der Wald eher, als der Feind im Lande stehen? Von diesen und mehreren dergleichen Vorschlägen muß es heißen, wie in dem Vaudeville: Es ginge wohl, aber es geht nicht. – Etwas ist für Jahn nie vorhanden gewesen: das Gefühl von der Kultur der Gegenwart und dem Kontakte, in dem die europäischen Völker stehen und immer stehen werden. Wie ist es nun gekommen, daß ein gar nicht gewöhnlich begabter Mensch ein so abschmeckendes Original hat werden können? Denn so nenne ich ihn mit vollem Rechte, weil seine Ideen nichts Organisches haben, weil seine Tugend eine geistlose ist und nur die Erzeugung einer unsterblichen Langeweile ihr Endziel sein werde. – Zuvörderst war es sein Unglück, daß er neben dem Mutterwitze auch Gedächtnis von weiter Kapazität und bleierne Zähigkeit erhalten hatte, dadurch aber die Anlage zum Wissen und zur Gelehrsamkeit. Die feine Aura seminalis,49 welche im echten Gelehrten erst die Kraft hervorbringt, lebendige Früchte der Intelligenz zu zeugen, fehlte jedoch, oder wurde von dem plumpen Bestandteil seines Wesens überwuchert, es kam daher nur zu Windeiern und Missgeburten, weil er zu praktisch war, es bei kahlen Notizen bewenden zu lassen. Er hat unendlich viel zusammengelesen, aber alles wird roh in die dürftigste Gesichtsweite geschoben. Fichte bricht auch, wie wir gesehen haben, Geschichte und die Phänomene des Geistes nach seinen Zwecken um, aber es geschieht mit großem Sinn und mannigfacher Bildung. Jahn trägt eigentlich nichts im Kopfe als sein Ideal eichelfressen49 „Samenhauch“, „erzeugender Schimmer“ im Sinne von Kreativität.

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der Germanen, versetzt mit etwas starrem Protestantismus, und dann eine Theorie des Drauf- und Dreinhauens, und auf diese Leisten schlägt er Kaiser und Könige, Schulen und Universitäten, Sitte, Gesetz, Jesuiten und Hussiten. Über die höheren Regionen des Menschenlebens: Kirche und Literatur, bringt er daher immer nur das Trivialste bei. Eine Ausnahme macht jedoch seine Betrachtung des Dreißigjährigen Krieges, in welcher er für diesen merkwürdigen Kampf die verschiedenartigsten und freiesten Augenpunkte genommen hat. Mit jener Periode hatte er sich am nachhaltigsten beschäftigt; es ist daher zu beklagen, wenn ihm das letzte Unglück, das er erlitten, die Mittel geraubt hätte, ihre Geschichte zu schreiben. Die Zeit war schlaff geworden, die Bildung krankte. Eine Erscheinung war daher indiziert, ähnlich dem, was die Franzosen fünfzig Jahre früher in Rousseau empfangen hatten. Wir waren kaum noch ein Volk, wollten wieder eines werden, nicht ein theoretischkonstruiertes, sondern ein historisches auf unseren Wurzeln; dieser Punkt wurde so tief von allen gefühlt, wie die Zeitgenossen Rousseaus den Haß gegen das abgelebte Feudalwesen, die Anmaßungen eines heuchlerischen Klerus, die Schwätzereien der Sophisten und die spanischen Stiefeln einer zur Zeremonie gewordenen Sitte fühlten. Jahn traf den Punkt des Gemeingefühls, wie Rousseau ihn getroffen hatte. Wie kam es, daß Rousseau im ‚Contrat social‘ den Kodex der Revolution zustande brachte, und in der ‚Neuen Héloise‘, in der Schrift über den Ursprung der Ungleichheit unter den Menschen, im ‚Emile‘, in der Abhandlung über den verderblichen Einfluß der Bildung die Zerstörung aller geltenden Begriffe vorbereiten konnte, während Jahn nur eine Handvoll junger Menschen eine Zeitlang beherrschte, dann vom Schauplatze abtrat gleich einem Kapuziner, von dessen Rede nichts nachbleibt, als das Gellen im Ohr? – Wenn man antworten wollte: Eben weil dieser nicht jener war, so täte man unserem Landsmann unrecht. Denn auch Rousseau hat keine Tiefe der Ideen, keinen umfassenden Geist, er weiß auch nur zu deklamieren, gewagte Sätze durcheinanderzuwerfen, es fehlt auch ihm jede gründliche Spekulation oder geschichtliche Anschauung, seine Prospekte sind ebenfalls nichts weiter als brillant beleuchtete Theaterdekorationen. Die Begabung beider möchte daher nicht so verschieden sein. Und die Sache, die der Deutsche verficht, war besser, denn er hatte etwas Reelles im Sinne, während der Genfer nur auf Zerstörung und nihilistische Träume ausging. Der Grund liegt darin, weil bei den Franzosen selbst das Falsche in einem allverbreiteten Fluidum schwebt, wodurch es eine Zeitlang Gemeingut werden kann. Dieses Fluidum, mag man es Geist der Nation, öffentliche Meinung, gesellschaftliche Bildung oder wie sonst nennen, umspült jeden Franzosen oder Französierten. Auch Rousseau wurde davon in seiner Einsamkeit, unter seinen Kräutern und Notenblättern angeweht. Mochte er sich in seine Dachstube, nach Savoyen oder Motiers Travers zurückziehen, die Luft folgte ihm, in der alles, was er sagte, so klingen mußte, als habe er nur Millionen aus ihrem Herzen gesprochen. Die Zeiten der heuschrecken- und honigessenden Prediger sind längst vorüber; in der modernen Welt muß selbst der Hypochondrist, der Reformator in einer gewissen wilden Eleganz auftreten, die ihn den eleganten Geistern annähert. Es ist damit wie mit dem Naturzustande in den alten Schäferspielen, der auch nur der verkleidete Zustand der Ducs und Duchessen war. Jene wilde Eleganz besaß Rousseau, er mochte

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sich noch so sehr anstellen, als sei das Gehen auf allen vieren nach seiner Meinung das Normalziel der Menschheit. Dagegen ist in Deutschland selbst die Wahrheit einsiedlerisch. Es fehlt die Luft für rasch sich fortleitende Schallstrahlen. Die Deutschen sind maulfaul, oder es herrscht unter ihnen eine Nachgiebigkeit gegen das gesprochene Wort, welche die freie Verhandlung selten zuläßt. Daher treten die Meinungen, wenn sie nicht aus dem Schachte des tiefsten Geistes entspringen, ohne Schliff hervor, bekommen leicht den Rost barocker Geschmacklosigkeit. Jahn brachte es mit allem guten Willen für eine gute Sache nur bis zu Sätzen und Vorschlägen, welche den gebildeten Teil des Volks nicht affizieren konnten, weil das Gepräge der Bildung ihnen fehlte, jenen Teil wohl gar anwiderten, obgleich dessen Interessen mit denen des Redners sympathisierten. Das Gefühl des Missstandes, welches aus solcher Entfernung ensteht, bleibt aber dem, der sich vor der übrigen Welt in den altdeutschen Rock einhüllt, und dieses sucht er sich zu verbergen dadurch, daß er sich immer mehr in seiner Manier versteift. Jahn pflegte zu sagen, daß um auf die Menschen zu wirken, man nicht aufhören dürfe zu reden. In seinen Schriften wiederholt er wenigstens unaufhörlich dieselben Gedanken. Und, als sei er auch in dieser Verschanzung noch nicht sicher, so schafft er sich eine Sprache ähnlich dem Gürtelpanzer des Armadills, in welcher Alliterationen, der Numerus gleichklingender Worte, Parallelismen und neualte Schallungeheuer die einzelnen Schilder und Schuppen darstellen. Man begreift sonst nicht, wie, wer die Menschen überreden wollte, nicht die Töne wählte, an die ihr Ohr gewöhnt war. Fichte hatte in einer seiner Reden auf einen geschlossenen Jugendstaat hingewiesen, als auf eines der Mittel, wodurch die Erziehung des zukünftigen Geschlechts möglich werden könne. Jahn, der sich häufig wie der unbewußte Affe Fichtes gebärdet, machte diesen phantastischen Staat eine Zeitlang wirklich. In demselben herrschte eine Aristokratie des Ringens, Schwingens, Rennens und Reckens. Die Turnkunst ist ein Musterbeispiel, wie man eine ganz einfache Sache verderben und konfus machen kann. Jahn sagt, er sei 1809 nach Berlin gekommen, schon 1810 haben die Anfänge der Turnkunst sich gezeigt, aus einfachen Jugendspielen habe sich die Sache entwickelt, 1811 sei der erste Turnplatz eingerichtet gewesen. Gemeinsam entstanden nennt er den Komplex der Übungen durch Lehren und Lernen der Lernenden und Lehrenden. – Sieht man das einzelne durch, so erblickt man eine zweckmäßige Steigerung vom Leichten zum Schweren, vom Einfachen zum Zusammengesetzten. Was konnte planer sein? Was lag näher, als den Körper des Menschen auch einmal ins Auge zu fassen, nachdem so viele an Leib und Seele dadurch vermüfft worden waren, daß sie nie erfahren hatten, sie besäßen Arme, Füße, Schenkel, Muskeln, Sehnen? Hatten die Alten nicht recht gehabt mit ihrer Gymnastik, und war das nicht längst von allen Gescheiten eingesehen worden? Wieder also lag vor Jahn eine Aufgabe, vorbereitet, überschaulich, greifbar, schon hin und her von Basedow, Guthsmuths, Salzmann und andern gewendet. Sein guter Stern wollte, daß der Stoff ihm appretiert genug und doch auch noch roh genug unter die derb zugreifende Faust geriet. Er hätte daraus viel machen können. Er aber verdarb auch diesen Stoff, wie den des Volkstums. Daß er das Ganze zu einem System abzurunden suchte, war gut, daß er Kampfspiele anreihte, ging aus dem Drange

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der Zeit hervor, welche in den Knaben ihre Kämpfer vorzuüben hatte. Auch das mag hingehen, daß er seine Turner Lieder singen ließ, Feste unter ihnen stiftete, daß er ihnen vorsprach von dem hohen Werte des Lebens unter ihresgleichen, und davon, daß die Turnkunst die verlorene Gleichmäßigkeit der menschlichen Bildung wiederherstellen solle; wenn es gleich besser gewesen wäre, solche Gedanken nicht als stolze Reflexion in der Jugend wachsen zu machen, sondern abzuwarten, daß dergleichen sich als unausgesprochenes Gefühl zeitigte und an dem nachherigen Leben der Zöglinge zum Blühen kam. Warum nun aber den unverständlichen Jargon der Schule stiften, durch den seine Schar gewöhnt wurde, sich in ihren leinenen Jacken schon für etwas Apartes anzusehen? Warum dem jungen Stolze Dinge sagen, aus denen unreife Menschen abnehmen mussten, sie würden zwischen Kletterbaum und Springpferd Kerle von ganz besonderem Korn und Schrot, aus denen sie die Einbildung schöpften, nur an Ger und Reck werde die echte Selbstständigkeit herangepflegt? Wie läßt sich endlich das siebente Turngesetz50 entschuldigen, welches den Fanatismus zum Verteidiger des Instituts aufrief ? Die Sache konnte nicht anspruchslos genug angefaßt werden, wenn sie heilsame Dauer erlangen sollte. Aber zu so einer anspruchslosen Behandlung war Jahn der Mann nicht. Er mußte immer rumoren; der Exzeß, die Verwirrung war recht eigentlich sein Element, darin waltete er auch, wie Augenzeugen versichert haben, später während des Krieges. Er machte aus einem harmlosen Tummeln in der Hasenheide, dem nachher schon von selbst Mut, Zuversicht, Gesundheit der Seele im Leben gefolgt wären, eine Propaganda, einen Staat im Staate. In etwas freilich müssen ihn die damaligen Umstände entschuldigen. Die Lage war so kritisch, daß das verzweifelnde Gefühl nach jedem Strohhalme griff. Die Alten waren mannigfach verwickelt und geplagt, sie konnten allzumal Sünder heißen und hatten in einem Atem zu zweien Götzen gebetet. Auf der unbeschriebenen Tafel der Jugend war eher noch Platz für ein starkes Wort zu finden. Dennoch würde sich reiner und klarer Geist anders zu fassen gewußt haben. Dem guten Jahn spielte seine Eitelkeit und Herrschsucht einen Streich. Er gehörte zu den liberalen Despoten, die immer das Wort der Freiheit im Munde führen und wenn sie das Heft in die Hand bekommen, ebenso sind, wie die anderen. Es genügte ihm nicht am Werke, das Werk sollte auch schillern und glänzen. Im großen zu herrschen war ihm versagt, so wollte er sich denn ein kleines Reich gründen, dessen Patriarch oder Alter vom Berge er hätte werden mögen. Nicht, daß er dergleichen sich absichtlich vorgesetzt hätte. Er war überhaupt kein Held der Absicht, er war, wenn er wirken wollte, ein von dunklen Anstößen Getriebener. Eine innere Geschichte der Turnkunst würde interessant sein, besonders in der Beziehung, 50 Jahn und Eiselen hatten in ihrem 1816 erschienenen Lehrbuch „Die deutsche Turnkunst“ auch „Turngesetze“ formuliert. Das siebte Turngesetz stieß bei den Gegnern des Turnens auf heftige Kritik: „Welcher Turner irgend etwas erfährt, was für und wider die Turnkunst und unsre Übung derselben Freund oder Feind sprechen, schreiben und wirken: muß davon sogleich Anzeige machen, damit zu seiner Zeit und an seinem Orte aller solcher Kunden – mit Glimpf oder Schimpf – könne gedacht werden“ (zit. nach EJW 2.1, S. 124).

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um zu erkennen, wann sie ihre Naivität verlor, in der sie gut war, und zum bewussten Eifermute überging, der sie zu etwas Bedenklichem machte und ihren Untergang herbeiführte. Dieser hat abermals eine Lücke im Dasein der Jugend gerissen. Manche hohle Einbildung, manche leere Aufspannung wäre gewiß unterblieben, welche nun während der Unruhe des Friedens jene Lücke hat ausfüllen sollen.“51

51 Immermann, Memorabilien, S. 152–160.

5. „Die Hasenheide will ich nie wieder betreten“ Vergeblich hatte sich Jahn im März 1819 gegen die Schließung des Turnplatzes auf der Hasenheide gewehrt und seine Befürchtungen hinsichtlich eines generellen Verbots des öffentlichen Turnens geäußert: „Denn es ist gar nicht abzusehen, welches Auffallen eine hiesige Turnsperre erregen würde, nicht allein vor ganz Deutschland, sondern auch vor dem ganzen christlichen Europa und der gesammten gebildeten Welt. Wäre das Turnwesen eine Berlinische Ortssache, so könnte ich mich dabei beruhigen. Aber es gehört dem Vaterlande und der Menschheit.“1 Zu Beginn seiner Haft sah sich Jahn gleichsam als „Märtyrer“ des Turnens, seiner „Erfindung“ also, die bis zu ihrem Verbot eine große Anziehungskraft auf die männliche Jugend ausgeübt hatte. An seine Frau schrieb er am 22. August 1819: „Jede gute Sache muß ihren Dulder und Kreuzträger haben, wie jeder Bau seinen Grundstein und jeder Sieg seinen Opferheld. – Einer Sache für die kein Unschuldiger ausleidet und ausringt fehlt die höchste Weihe. Nun hat mein Leben durch die Einkerkerung erst die höchste Bedeutung.“2 Nur noch einmal äußerte er sich vorläufig zum Turnen. In einem Brief an den preußischen König vom 3. September 1819 wies er alle Vorwürfe und Beschuldigungen, die ihm im Zusammenhang mit dem Turnen zur Last gelegt wurden, als ungerechtfertigt zurück.3 Noch vor seinem Freispruch schrieb Jahn an seinen Berliner Gewährsmann Alexander August Mützell4, mit dem ihn ein jahrelanger Briefkontakt verband: „[…] Wenn ich meine Freiheit erhalte, was soll ich mit ihr anfangen? Wird mich Kamptz5 künftig zufrieden lassen? Wo soll ich hinziehen? An der Flundersee6 kann ich wegen meiner Gesundheit nicht bleiben! Wo ich mich wissenschaftlich beschäftigen kann, müssen öffentliche Bibliotheken sein, und wo die aufgestellt sind, hausen Studenten. Da käme ich wohl gleich wieder in den demagogischen Verruf. Eine Anstellung will ich nicht: es 1 2 3 4

5 6

Zit. nach L/U, S. 80. M1, S. 138. M1, S. 140–146. Mützell (geb. 1795 in Warschau) erhielt 1809 eine Anstellung im Berliner Polizeiministerium, dem Justus Gruner vorstand. 1811 wurde er in das Büro des Staatskanzlers von Hardenberg versetzt und 1813 als Legationssekretär nach Frankfurt geschickt. An den Feldzügen 1813/14 beteiligte er sich als Voluntäroffizier im Lützowschen Freikorps (Gelehrtes Berlin im Jahre 1825. 1826). Als Direktor des Polizeiministeriums war der Jurist Karl Albert von Kamptz (1769–1849) maßgeblich an der nach 1819 einsetzenden Demagogenverfolgung beteiligt. Kamptz wurde 1824 Direktor im Justizministerium und war von 1832 bis 1842 preußischer Justizminister. =Ostsee.

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sei denn bei einer Gesandtschaft in Frankfurt, Kassel, München, Dresden, Stockholm. Da könnte ich in Muße meinen 30jährigen Krieg bearbeiten. Tun will ich nichts, am wenigsten Altflickerei. Turnen will ich auch nicht, wenn es nicht am Alpheus, Kephissus und Eurotas7 sein kann. Die Hasenheide will ich nie wieder betreten! Zu dem Wildbret der Hasen und Hirsche gehöre ich nicht, die dort am liebsten wechseln, wo sie am mehrsten gehetzt werden. In Berlin will ich meinen Wohnsitz nicht wieder aufschlagen. […]“8

Die preußische Metropole hatte Jahn allerdings schon vor seiner Verhaftung verlassen wollen, weil er sich sicher war, dass nicht das Turnen, sondern nur seine Person angefeindet werde. Bereits im Oktober 1818 schrieb er an Dr. Schweitzer in Weimar: „Das Leben in Berlin habe ich sehr dick. Ich halte es bloß für eine Pflicht. Es ist eine Schildwache auf dem verlorenen Posten. Jede geistige Wirksamkeit ist mir gehemmt. Mein Lehrstuhl ist die Gasse, Vorlesungen werden mir nicht erlaubt.“9 Jahn hatte das Kapitel Berlin also innerlich längst abgeschlossen, als ihm der König die Rückkehr an seine frühere Wirkungsstätte untersagte. Die preußische Metropole hat Jahn bis zum Ende seines Lebens gemieden. Für die Herrichtung des Turnplatzes hatte er nicht nur einen beträchtlichen Teil seines Einkommens ausgegeben, sondern auch den Erbteil mütterlicherseits seines Sohnes Arnold Siegfried, der sich immerhin auf 1.500 Taler belief. Nach der behördlichen Schließung des Turnplatzes waren die von Jahn angeschafften und finanzierten Geräte abgebaut und ohne Entschädigung fortgeschafft worden; der Platz selbst verödete, auch wenn sich hier in der nächsten Zeit noch gelegentlich Jugendliche bzw. junge Erwachsene zu körperlichen Übungen und Spielen trafen. Bald wurde das ehemalige Turngelände vom Garde-Schützenbataillon als Schießplatz genutzt, der nach dem damaligen Kommandeur des Gardecorps, dem Prinzen Karl v. Mecklenburg, den Namen Karlsgarten erhielt. Als Arnold Siegfried seinen Vater 1841 dazu drängte, das ihm zustehende Erbe auszuzahlen, wandte sich Jahn an das preußische Staatsministerium mit der Bitte, ihm die Summe von 1.500 Talern als (späte) Entschädigung für seine Auslagen in der Hasenheide zu bewilligen. Der preußische König gewährte ihm 1842 diese Summe als „Gnadengeschenk“, sodass Jahn die finanziellen Forderungen seines Sohnes erfüllen konnte. Damit war für Jahn das Kapitel „Hasenheide“ endgültig abgeschlossen. Seinem „wohlmeinenden Gönner“ v. Holtzendorff-Vietmannsdorff erläuterte Jahn im August 1846, aus welchen Gründen er sich nicht in der Lage sah, nach Berlin zurückzukehren. Er verspüre durchaus keine Lust, den Magistrat von Berlin um die Erlaubnis zu bitten, sich den Turnplatz vor dem Schlesischen Tor 7 8 9

Gemeint sind Olympia, Athen und Sparta. M1, S. 276. M1, S. 99.

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ansehen zu dürfen oder auf die Gunst des Gymnasialdirektors Ranke (FriedrichWilhelm-Gymnasium) angewiesen zu sein, wenn er die Hasenheide betreten wolle, die überdies von einer Stätte vaterländischen Geistes zu einem Tummelplatz „wälscher Mietlinge“ herabgesunken sei. Eine Rückkehr nach Berlin würde notwendigerweise zu Schwierigkeiten und Auseinandersetzungen führen, denn er könne nicht so tun, als ging ihn die Sache nichts mehr an: „Wie sollte ich mich stellen? Mich gar nicht um die Entwicklung der Turnkunst kümmern? So tun als hätten Jahn und Turnkunst niemals zusammengehört?“10 Jahn verstand also seine Zurückhaltung als eine von den Verhältnissen erzwungene, die er durchaus nicht mit Resignation oder Desinteresse verwechselt wissen wollte.

5.1 Jahn und die Entwicklung des Turnens bis 1842 Es dauerte allerdings nicht lange, bis sich Jahn nach seiner Freilassung und Übersiedlung nach Freyburg wieder für die körperlichen Übungen interessierte. Bereits im Oktober 1825 schrieb er an Bucher in Köslin, er habe davon gehört, dass auf Veranlassung des Ministeriums in Schulpforta gymnastische Übungen eingerichtet worden seien.11 Auch als Jahn 1827 wieder brieflichen Kontakt mit seinem früheren Mitarbeiter Ernst Eiselen aufnahm, beschäftigte ihn die Einführung von Leibesübungen an den Schulen und Universitäten, um der Erschlaffung unter den Studenten entgegenzuwirken. Konkret fragte er an, ob denn nicht wenigstens für die Universität in Halle in dieser Hinsicht etwas geschehen könne. Außerdem erkundigte er sich nach seinen ehemaligen Turnschülern Franz Lieber, Eduard Dürre, Philipp Wackernagel und Albert Baur. Bekannt war ihm, dass Hans Ferdinand Maßmann eine Anstellung an der Universität München gefunden hatte und dort am Königlichen Kadettenkorps den Turnunterricht leitete.12 Blieben Turnen und körperliche Übungen bis dahin dem männlichen Geschlecht vorbehalten, so beschäftigten sich Ende der zwanziger und Anfang der dreißiger Jahre Clias, Werner, Spieß und Eiselen in Theorie und Praxis mit den körperlichen Übungen für Mädchen. Jahn scheint diesen Bestrebungen zunächst keine weitere Beachtung geschenkt zu haben. Erst als ihm 1835 bewusst wurde, dass der Haltungsfehler seiner Tochter Sieglinde durch eine entsprechende Gymnastik behoben werden könnte, bat er Eiselen, ihm den „Lehrgang bei den Turnerinnen“ zu schicken. Jahns Freunde Heinze und Marschall waren beauftragt, Eiselens Übungsprogramm abzuschreiben; Schulvorsteher Marschall 10 M1, S. 513. 11 M1, S. 288. 12 M1, S. 301–302.

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sollte sich darüber hinaus den Betrieb in Eiselens Mädchenturnanstalt genauer ansehen.13 Für das Mädchenturnen zeigte sich Jahn seitdem zugänglicher. An Lübeck schrieb er 1837. „Zu Pretsch auf dem linken Elbufer, zwischen Wittenberg und Torgau, wohin seit einigen Jahren, in das schöne Witwenschloß der Churfürstinnen von Sachsen, die Waisenmägdchen der Soldaten von Potsdam verlegt worden, werden regelmäßige Turnstunden (in eigenen Kleidungen) gehalten.14 Etwa zehn Jahre später kritisierte Jahn den Autor eines „Turnbuches“, der sich gegen das Turnen der Mädchen an Reck und Barren ausgesprochen hatte: „Wer etwas kann, der lernt; wer etwas nicht besser zu machen versteht, darf sich nicht als Tadler […] aufthun; wer weise werden will, lerne hören, sehen, leben, schweigen. Das Schreiben ist das Letzte, soll niemals das Erste sein.‘ Solche Regeln gelten auf dem Urturnplatz. Heut zu Tage wird anders verfahren. Wer ein bischen geturnt hat, wird ein Buchwerker. So wird viel Verkehrtes in das Turnen hineingepfuschert, am Allerverkehrtesten über Mägdchenturnen. Darüber zu schreiben sollte sich jeder Unverheirathete entblöden, falls er nicht Arzt, und besonders Geburtshelfer ist. Er mag sonst als Turner noch so geschickt sein, in diesem Falle ist jede Hebamme klüger. Sehr verhauen hat sich Bräuer Seite 50, in seinem Turnbuche. Er verwirft für die Mägdchen, Barren und Reck. Lasse er sich vom Hofrath Jörg in Leipzig belehren, der Barren und Reck in seiner Anstalt aufgestellt hat, und diese Geräte hoch hielt. Frage er nach wo des Hofraths Jörg Töchter – Luise und Theresa – jetzt verheirathete Frauen leben. Beide haben an Reck und Barren geturnt. Wandere er doch nach Pretsch an der Elbe und besehe den Turnplatz des Mägdchen-Waisenhauses.“15

Diese Aussage widerspricht der immer wieder rekapitulierten Behauptung, Jahn habe insbesondere mit dem Turnen an Reck und Barren ausschließlich das Männerturnen im Auge gehabt und habe das Frauenturnen – zumindest an diesen Geräten – abgelehnt. Im Dezember 1835 ermunterte er Eiselen, nur bald seine angekündigten „Turntafeln“ erscheinen zu lassen, „und dann etwa noch ein Büchlein über Anfertigung alles turnerischen Gezeuges und Geräts. Das andere aber widerrate ich, es vereinzelt zu sehr, und so schätzbar die einzelne Ausführung auch sein mag, so geht der Gesamteindruck der Turnkunst im Anschauen der Einzelheiten verloren.“ Außerdem schlug Jahn gelegentliche Besprechungen in Wittenberg vor, ferner wollte er sich künftig wieder intensiver mit dem Turnen befassen, „im Sinnen und stillen Betrieb.“16 Was er damit konkret meinte, ließ er Eiselen im März 1837 wissen: 13 14 15 16

M1, S. 378. U, S. 52. Zit. nach Bartmuß (2003), S. 16. M1, S. 386.

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„Aber wenn ich irgendeine Furcht kenne, so ist es die, Freunden durch äußeres Mitleben zu schaden. Darum halte ich mich von allen Turnplätzen entfernt, ohne doch im Schmollwinkel zu kauzen. Auf die Turnlehrer, die sich mir nähern, suche ich, wie es die Würde des Berufs erfordert, zu wirken und freue mich herzlich jedes redlichen Gelingens. Wo es gilt, bin ich mit Zunge und Feder gleich bereit und halte es auch in meinem sechzigsten Jahre nicht für schimpflich, Arme und Beine zu rühren.“17

Jahn mischte sich auch nicht in den Lorinserschen Schulstreit18 ein, erst Weihnachten 1837 wollte er mit dem Turnlehrer Johann Heusinger, den er zum Fest zu sich nach Freyburg eingeladen hatte, darüber sprechen, wie man die Argumente Lorinsers mit einer Schrift untermauern könnte.19 Heftig kritisierte Jahn die von Johann Adolf Ludwig Werner20 vertretene Richtung der „Gymnastik“. Insbesondere an den von Werner propagierten „Anstandsbewegungen“ ließ er kein gutes Haar. In Briefen an Lübeck aus den Jahren 1837 und 1839 bezeichnete er Werner als „Großmaul“ und nannte ihn den „behandschuhten und behandkrauseten“.21 Werners Berufung nach Dessau im Jahre 1839 kommentierte er gegenüber seinem Freund Lippold mit den Worten: „Manschettenturner, der Nacketei-Werner, wird also in Dessau seinen Unfug zur Unschule ausbilden. – Laß Dir in Halle von Dieter, Turnlehrer am Pädagogium, den gymnastischen Geck schildern.“22 Jahn wies in seinen Briefen wiederholt darauf hin, dass er der weiteren Entwicklung des Turnens nicht durch sein persönliches Eingreifen schaden wolle und hielt es daher für angebracht, mehr im Hintergrund für die Sache zu wirken.23 Diese Haltung gab er nach seiner Begnadigung 1840 und der Aufhebung der „Turnsperre“ 1842 zumindest zeitweilig auf, etwa als er Eiselen im Frühjahr 1843 seine Bereitschaft zur Mitarbeit an einer Neuauflage der „Deutschen Turnkunst“ signalisierte.24

17 M1, S. 416. 18 Die von dem Mediziner Dr. Karl Ignaz Lorinser (1796–1850) im Jahre 1836 in der medizinischen Zeitung des Vereins für Heilkunde in Preußen veröffentlichte Schrift „Zum Schutz der Gesundheit in den Schulen“ rief den sog. Lorinser’schen Schulstreit hervor, der das Bewusstsein für eine allgemeine Einführung der körperlichen Übungen an den Schulen stärkte. 19 U, S. 62. 20 Lehrer der Gymnastik in Leipzig, Dresden und Dessau. Vgl. Thomas (2001). 21 M1, S. 27, 52. 22 M1, S. 440–441. 23 M1, S. 465, 477. 24 M1, S. 479.

Verbindungen zu (ehemaligen) Turnern und Turnfreunden

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5.2 Verbindungen zu (ehemaligen) Turnern und Turnfreunden Mit Aufmerksamkeit und Interesse verfolgte Jahn nach 1825 den Lebensweg seiner ehemaligen Turnschüler in der neuen Welt. Das galt insbesondere für Franz Lieber, in dessen „Goldsprüchlein aus Vater Jahns Munde“ die Demagogenjäger ein Indiz für Jahns staatsverräterische Umtriebe zu erkennen geglaubt hatten. 1827 erkundigte sich Jahn bei Eiselen: „Von Franz Lieber soll neuerdings etwas in den Zeitungen (vermutlich den Berlinern, die ich nicht lese) gestanden haben? Was ist das? Bitte um Nachricht.“25 Zwölf Jahre später schrieb er nach Königsberg: „Von Franz Lieber weiß ich nur, dass er aus dem freien Neu-England nach dem amerikanischen Polen zu den Sklavenhaltern gezogen, wo doch über kurz oder lang die Weißen vertilgt werden. Weißt Du mehr, anderes oder besser, so teile es mir mit.“26 An Dr. Flügel in Leipzig schrieb er im Februar 1844: „Hätte ich nur ahnen können, daß Herr Lieber meine beiläufigen und gelegentlichen Worte könnte für ‚Goldsprüchlein‘ nehmen, so würde ich sie zuvor auf die Goldwage gelegt haben. Späterhin habe ich ihm ein gutes Zeugnis nach England gesandt. […] Meine Frau ist übrigens eine nahe Base (Cousine) von Lieber. Meine Schwiegermutter ist Franzens Muhme (Tante).“27 Die Verbindungen zu den Turnschülern, die ihm auf der Hasenheide besonders nahe gestanden hatten, rissen offenbar auch nach Jahns Freilassung nicht ab. Durch Dürre und Maßmann konnte er neue turnerische Kontakte knüpfen (Lortet, Pagon), die nach Frankreich und Griechenland reichten. Die nach den Karlsbader Beschlüssen einsetzende Demagogenverfolgung trug allerdings entscheidend dazu bei, dass viele Verbindungen aus der Zeit vor 1819 Jahns sechsjährige Haft und Verbannung nicht überdauerten. Das galt etwa auch für den Personenkreis, der 1819 in einer öffentlichen Erklärung gegen die Verhaftung Jahns protestiert hatte.28 Die „National-Zeitung“ bewertete diese Erklärung der „ehrenwerthe[n] Männer in Berlin“ als „Ehrenrettung der Freundschaft.“29 Der Kreis dieser Jahn-Getreuen – vorwiegend Handwerker und Studenten, die sich trotz des Turnverbots an den Sonntagen zu privaten Turnübungen auf der Hasenheide und in der Pfuel’schen Schwimmanstalt trafen – fiel nach 1820 auseinander. Nur in wenigen Fällen bestanden die alten Kontakte weiter. Das gilt z.B. für die ehemaligen Turner und Burschenschafter Gustav Lieber, Friedrich Zelle 25 26 27 28

M1, S. 302. M1, S. 438. M1, S. 500. Bremer Zeitung Nr. 213 vom 1. August 1819; Oppositionsblattt oder Weimarische Zeitung: Beilage zu Nr. 76 vom 4. August 1819, Sp. 619–621. 29 National-Zeitung, 32. Stück, 11. August 1819, Sp. 609–610.

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und Ernst Heinrich Zober, mit denen Jahn in den 1830er und 1840er Jahren brieflich oder persönlich verkehrte.30 Der französische Arzt Pierre Lortet31 aus Lyon, der 1825 das „Deutsche Volkstum“ ins Französische übersetzt hatte und bestrebt war, das Turnen auch in Frankreich einzuführen, besuchte Jahn 1826 in Freyburg. Nach Eulers übertriebener Einschätzung soll Lortet der einzige Franzose gewesen sein, den Jahn schätzte.32 1840 schrieb Jahn seinem Freund in Frankreich einen längeren Brief, in dem er seine Vorbehalte gegenüber dem Nachbarland mit drastischen Worten zum Ausdruck brachte.33 Augenscheinlich ist die Freundschaft zwischen Jahn und Lortet daran nicht zerbrochen, denn 1844 erhielt Jahn ein zweites Mal Besuch von Lortet, der von seinem Sohn begleitet wurde. 1848 trafen sie sich in Frankfurt. Jahn äußerte sich in Anwesenheit zahlreicher Abgeordneter über seinen Tischnachbarn Lortet: „Sie sagen, ich sei ein Franzosenfresser. Sehen Sie, dieser Freund ist ein Franzose, und ich habe ihn noch nicht gefressen.“34 Das Bindeglied zwischen Jahn und Lortet stellte Jahns ehemaliger Turnschüler Dürre dar, der von 1829 bis 1848 als Lehrer der deutschen Sprache und des Turnens am Königlichen Kolleg in Lyon unterrichtete. Christian Eduard Leopold Dürre (1796–1879) gehörte mit Hans Ferdinand Maßmann (1797–1874) zu den Turnschülern, die Jahn in seinen Berliner Jahren am nächsten gestanden hatten. Sie vertraten ihn bei seiner Abwesenheit auf dem Wiener Kongress und gründeten 1816 einen Turnplatz in Jena. Beide waren maßgeblich am Wartburgfest beteiligt, wobei sich Maßmann als Initiator der Bücherverbrennung unrühmlich hervortat. Maßmann hielt sich in der Zeit der Demagogenverfolgung vorübergehend auch in Frankreich auf, um sich dem Zugriff der preußischen Polizei zu entziehen. Dabei machte er die Bekanntschaft mit Lortet, dem er seinen Freund Dürre als Turn- und Sprachlehrer in Lyon empfahl, nachdem feststand, dass der von den Demagogenjägern als politisch unzuverlässig eingeschätzte Lehrer keine feste Anstellung in Preußen erhalten würde. Jahns Kontakt zu Dürre brach auch während seiner Inhaftierung nicht ab. Dürre besorgte ihm aus Frankfurt einige Bücher zur Geschichte des 30jährigen Krieges, die Jahn jetzt erforschen wollte. Umgekehrt bemühte sich Jahn, seinem ehemaligen Schüler eine Lehrerstelle zu vermitteln. Aus Kolberg schrieb er ihm im Januar 1822, dass dort die Konrektorstelle zu besetzen sei. „Der Magistrat 30 Lieber: M1, S. 351, 500, U, S. 42; Qu, S. 44, 74. – Zelle: M1, S. 472; M2, S. 294, 310; Qu S. 91; L/U, S. 135; U, S. 98, 104, 171, 172. – Zober: M1, S. 309; Qu, S. 65; L/U, S. 113–120; U, S. 76, 77, 78. 31 Vgl. Dürre (1870); Pröhle (2/1872), S. 198–200. 32 EJW 2.2, S. XLIII. 33 Vgl. EJW 2.2, S. 965–974. 34 Zit. nach EJW 2.2, S. XLIV.

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hat sie zu vergeben. Sie trägt 450 Tlr., freie Wohnung und Holz.“35 Noch zweiundzwanzig Jahre später schlug Jahn den ihm freundschaftlich verbundenen Dürre zum Nachfolger des verstorbenen Turnlehrers Roller in Schulpforta vor. Nach der Juli-Revolution in Frankreich hatte Jahn einige Jahre keinen Kontakt mehr zu Dürre in Lyon. Im März 1837 schrieb er: „[…]Von Dürre weiß ich seit der großen Hundswoche nichts, als dass er glücklich mit dem Leben und seinen Verhältnissen durchgekommen, überhaupt habe ich seit dem Pariser Spuk allen Briefwechsel ins Ausland aufgegeben.“36 Waren die Beziehungen zwischen Jahn und Dürre auch nach 1820 noch sehr eng, kühlte sich das Verhältnis Jahns zu Maßmann mit den Jahren zunehmend ab. Maßmann war sehr enttäuscht darüber, dass sein Jugendidol nach seiner Freilassung 1825 konsequent von seinen früheren turnerischen Aktivitäten abließ. Jahn war darüber sehr verärgert. Der Turnplatz habe vor allem bewirkt, „dass er nicht ärger geworden“, schrieb er 1828 an Eiselen in Berlin.37 Als bekannt wurde, dass Maßmann zum Leiter des Turnwesens in Preußen berufen werden sollte, äußerte Jahn die Überzeugung, „daß nicht viel daraus wird. Er wird erst breitspurig tun, nachher sich fügen, um die Isar mit der Spree zu vertauschen. Er hat einen schlimmen Stand […].“38 Tatsächlich endete Maßmanns Versuch, der neue „Turnvater“ Preußens zu werden, schon nach wenigen Jahren mit einem Debakel.39 Seit 1826 kannte Jahn zumindest den Namen des Griechen Georgios Th. Pagon, der ihm im April 1827 einen Besuch abstattete. Dem Griechen stellte Jahn in diesem Monat ein Empfehlungsschreiben für den in München wirkenden Altphilologen Friedrich Wilhelm Thiersch aus, der seine 1819 erschienene PindarÜbersetzung Jahn gewidmet hatte. Thiersch hatte in München Kontakt zu Maßmann, der auf seine Empfehlung am 8. Februar 1827 mit der Organisation und Leitung der Turnübungen des Kadettenkorps beauftragt wurde. An Maßmanns Turnanstalt in der bayerischen Metropole mag Pagon einen Eindruck von der Praxis des deutschen Turnens bekommen haben. 1837 verfasste er das erste neugriechische Lehrbuch der Leibesübungen, das für die Studenten des Volksschullehrerseminars in Athen bestimmt war.40 Die Verbindung zwischen Jahn und Thiersch, die sich seit 1815 kannten, hielt dagegen bis in die 1840er Jahre an. Durch Thiersch, der in den 1820er Jahren zu den Häuptern des europäischen Philhellenismus zählte, wurde die Griechen35 36 37 38 39 40

M1, S. 252. M1, S. 417. M1, S. 312. M1, S. 482–483. Vgl. Richter (1992), Kap. VI, S. 312–389. Vgl. Ulfkotte (1987).

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begeisterung Jahns zweifellos gestärkt. Noch 1848 äußerte er den Wunsch, sich „nicht eher unter den Hügel betten zu lassen, bis ich zum Feierabend zu Wasser und Land eine große Turnfahrt mit deutschen Turnern nach Griechenland vollendet und dort auf den Wettfeldern des Altertums mit Dank und Vergeltung Turnfeste gefeiert.“41 Diesen Wunsch hat Jahn bis zu seinem Tod im Oktober 1852 aber nicht mehr verwirklicht. Hocherfreut dürfte Jahn über den Besuch des westfälischen Oberpräsidenten Ludwig Freiherr Vincke gewesen sein, der in der Reformära zu den Mitarbeitern des Freiherrn vom Stein gehört hatte. Jahn selbst hat über diesen Besuch kein Wort verloren, weil er sich zu diesem Zeitpunkt in Kölleda aufhielt – „Kuhköln“ nannte er spöttisch den Ort seiner Verbannung – , um Vincke und sich selbst nicht in (weitere) Schwierigkeiten zu bringen. Seine Ehefrau Emilie hatte im Dezember 1838, also etwa zwei Jahre nach dem Ende des Zwangsaufenthaltes, offenkundig keine Bedenken, diesen Besuch weiterhin zu verschweigen. Dem Berliner Turnlehrer Wilhelm Lübeck, der den Eheleuten Jahn seit einiger Zeit freundschaftlich verbunden war, schrieb sie im Dezember 1838: „J[ahn] hat ihn [Vincke] zum erstenmahl 1809 in Hamburg gesehen, wo er mit ihm u Nibur zum Grafen Grothe gebeten war. Von dieser Zeit an ist Vin[c]ke immer J[ahns] Gönner geblieben wenn er auch für ihn bei seiner entfernten Stellung nichts hat thun können. Als wir in Kölleda wohnten hat Vin[c]ke auf eine[r] Rückreise von Berlin nach Münster um J[ahn] zu besuchen einen Umweg u Abstecher über Kölleda gemacht. Bei der Gelegenheit sagte er noch zu J[ahn] er solle doch nach Westpfahlen ziehe[n], da könne er in seine Provinz ziehen, u dort ohne Alle Anfechtung leben.“42

Anstatt dem Angebot des couragierten westfälischen Oberpräsidenten zu folgen und nach Westfalen zu ziehen, um dort unter dem Schutz Vinckes „ohne alle Anfechtung“ zu leben, ging Jahn zurück nach Freyburg. Offenkundig wollte bzw. konnte sich der bald 60-Jährige nicht mehr umorientieren. In Freyburg fühlte er sich heimisch, im entfernten Westfalen hätte er mit seiner Familie ein völlig neues Leben beginnen müssen. In den Tagebüchern Vinckes, die den Zeitraum von 1804 bis 1810 einschließen,43 wird Jahn nicht erwähnt. Ebenso wenig hat Vincke eine Zusammenkunft im Jahre 1809 mit dem preußischen Gesandten in Hamburg, August Otto Graf v. Grote (1747–1835), in seinem Tagebuch festgehalten. Vielleicht handelte es sich bei dem von Emilie Jahn genannten Treffen um eine geheime Mission zur Organisation des antinapoleonischen Widerstandes, die Vincke 41 Jahn (1848), S. 2. 42 Zit. nach U, S. 70. 43 Vgl. Behr (2009, b).

Turn- und Deutschlehrer an der Harvard-Universität?

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nicht dokumentieren wollte, um den Geheimagenten Jahn44 vor den französischen Spitzeln zu schützen. Als erster Oberpräsident der 1815 neu geschaffenen preußischen Provinz Westfalen besuchte Vincke bei Dienstreisen nach Berlin in den Jahren 1816 und 1817 auch den Turnplatz in der Hasenheide und sah den Übungen der zumeist jugendlichen Turner mit Begeisterung zu. In seiner Provinz förderte er das Turnen45 und sorgte u.a. dafür, dass die höheren Schulen ein Exemplar des Jahn/ Eiselenschen Turnlehrbuches „Die deutsche Turnkunst“ erhielten. Die 1819 von der Regierung in Berlin verfügte Schließung aller öffentlichen Turnplätze hinderte ihn nicht daran, für seine Kinder und deren Spielgefährten hinter seinem Amtssitz in der Provinzialhauptstadt Münster einen kleinen Privat-Turnplatz anzulegen, und er hatte auch nichts dagegen, dass sich am altehrwürdigen Gymnasium Paulinum ein Schülerturnverein bildete, der den beargwöhnten Jahnschen Idealen nacheiferte. Während sich der Freiherr vom Stein 1819 von Jahn abwandte, hielt Vincke zu ihm und bot ihm auch in der Verbannung seine Unterstützung an. Auch wenn Jahn bis zu seiner Begnadigung durch König Friedrich Wilhelm IV. im Jahre 1840 jede öffentliche Tätigkeit versagt blieb, entwickelte sich sein Haus unterhalb der Neuenburg am Schlossberg in Freyburg zu einem gern aufgesuchten Ort des Gedankenaustausches über gesellschaftspolitische und turnerische Fragen. Alle Bemühungen der preußischen Regierung, Jahn nach seiner Inhaftierung 1819 aus dem Bewusstsein der Öffentlichkeit zu verbannen und den vermeintlichen Demagogen vollständig zu isolieren, sind gescheitert; Vinckes Besuch in Kölleda ist dafür ein Beweis.

5.3 Turn- und Deutschlehrer an der Harvard-Universität? Jahns Turnschüler Beck, Follen und Lieber flohen nach 1819/20 aus Deutschland und fanden in den USA eine neue Heimat.46 Sie sind als „Turnpioniere“ in die amerikanische Sportgeschichte eingegangen, denn sie haben in den USA die ersten Turnplätze nach deutschem Vorbild gegründet und damit den Grundstein für die Ausbreitung des Turnens gelegt, die in zahlreichen Vereinsgründungen auf dem amerikanischen Kontinent ihren Niederschlag fand.47 Jahn selbst 44 Vgl. Bartmuß/Kunze/Ulfkotte (2008), S. 205–233. 45 Vgl. Langenfeld/Prange (2002), S. 46–54. 46 Vgl. Geldbach (1975). Siehe auch Klenke (2007), S. 38–39 (Beck), S. 61 (Follen) und S. 91–92 (Lieber). 47 Vgl. Hofmann (2001), S. 99–107.

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war sogar zeitweilig als Lehrer für Turnen und deutsche Sprache an der HarvardUniversität im Gespräch. Die Universitätsleitung bemühte sich um 1825, den Deutschunterricht einem Lehrer zu übertragen, der zugleich über eine Qualifikation zur Leitung der Turnübungen verfügte. Für diese Aufgabe kam nach Ansicht des Universitätspräsidenten Kirkland Jahn in Frage. Er wies deshalb den Professor für Anatomie und Chirurgie, John C. Warren, im Oktober 1825 an, über den in Deutschland studierenden Harvard-Absolventen William Amory und den Berliner Verleger Georg Reimer den Aufenthaltsort Jahns herauszufinden und ihn zu fragen, unter welchen Bedingungen er bereit sei, die Lehrerstelle anzutreten: „I ask you to request of Mr. Amory to inquire of George Reimer-Berlin where Mr. Frederich Ludwig Jahn – the founder of the gymnastic art lives + on what terms he may be obtained for us to teach gymnastics + German“.48 Warren schrieb an Amory, der Kontakt zu Reimer und Jahn aufnahm. Das Ergebnis seiner Erkundigungen fasste er in einem Bericht zusammen, den er am 22.1.1826 an Warren sandte. Diesem Bericht ist zu entnehmen, dass Reimer für Jahn ein Jahresgehalt von mindestens 2.000 Talern ins Gespräch brachte. Jahn hatte angegeben, dass er von der Regierung eine jährliche Pension von 1.000 Talern beziehe, die er nach Einschätzung von Amory als Entschädigung für die lange Gefangenschaft betrachte. Diese Summe würde allerdings nur gezahlt, wenn er seine frühere Tätigkeit nicht wieder aufnähme. Durch seine sechsjährige Gefangenschaft habe sich seine finanzielle Situation derart verschlechtert, dass er noch Jahre benötige, um seine Schulden zu begleichen. Für den Fall seines Ablebens würde seine Ehefrau Emilie eine Jahresrente in Höhe von 300 Talern erhalten, die aber entfiele, wenn er nach Amerika ginge. Vielleicht wollte Jahn die Harvard-Universität mit seinen Argumenten unter Druck setzen, mit dem Ziel, die Verantwortlichen zur Zahlung des von Reimer geforderten Jahresgehalts von 2.000 Talern zu bewegen. Er hätte mit diesem Gehalt seine Ehefrau absichern und seine Schulden leichter begleichen können. Dass Jahn durchaus bereit war, das Angebot aus den USA anzunehmen, lassen seine weiteren Forderungen erkennen, die er gegenüber Amory geltend machte. Um einen erfolgreichen Deutschunterricht an der Harvard-Universität durchzuführen, sei die Einrichtung einer Bibliothek erforderlich, für deren Minimalausstattung 3.000 Taler zu veranschlagen seien; diese Bibliothek müsse ihm zu seiner ständigen Verfügung stehen. Um die Einführung des Turnens nachhaltig zu fördern, müsse es ihm ferner erlaubt sein, vier Assistenten, die entsprechend ihrer wissenschaftlichen Qualifikation vergütet werden müssten, aus Deutschland mitzubringen. Im Falle seines Todes sei so die Fortsetzung des Turnens durch seine jungen Schüler garantiert. Der Harvard-Absolvent 48 Zit. nach Geldbach (1975), S. 344.

Turn- und Deutschlehrer an der Harvard-Universität?

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Amory bewertete Jahns Vorstellungen als „exorbitant demands“ und äußerte die Befürchtung, dass die Verhandlungen mit Jahn nicht zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht werden könnten. Das bedauerte er, weil Jahn als „ausgezeichneter und intelligenter“ Mann allgemein in hohem Ansehen stehe. Wenn die Verhandlungen mit Jahn scheitern sollten, wäre dieser dennoch bereit, bei der Stellenbesetzung beratend mitzuwirken.49 An einer Fortsetzung der Verhandlungen war die Universität inzwischen nicht mehr interessiert. Vorausgesetzt, dass der Bericht Amorys etwa sechs Wochen benötigte, um sein Ziel jenseits des Atlantiks zu erreichen, war die Universitätsleitung Anfang März 1826 über die „exorbitanten“ Forderungen Jahns informiert. Seit Jahresanfang war Karl Follen in Harvard, der bereits im Februar mit einigen Studenten Turnübungen trieb, die sich bald großer Beliebtheit erfreuten. Nach der Einrichtung eines Turnplatzes beteiligte sich nahezu die gesamte Studentenschaft an den Turn- und Laufübungen, sodass die Universität Follen rückwirkend für das Jahr 1826 und für das nachfolgende Jahr mit einem Jahresgehalt von 100 Dollar als Turnwart („Superintendent of the Gymnasium“) anstellte.50 Nach der großen Resonanz, die das Turnen an der Harvard-Universität gefunden hatte, bestand auch in Boston der Wunsch, einen Turnplatz einzurichten. Der Medizinprofessor Warren unternahm nun einen weiteren Versuch, Jahn nach Amerika zu locken. Wiederum nutzte er seine Verbindung zu Amory nach Göttingen, um mit Jahn in Verbindung zu treten. Warrens diesbezüglichen Brief vom 17. Juni 1826 beantwortete Amory allerdings erst am 4. Januar 1827. Entweder war Amory in dieser Zeit außerordentlich beschäftigt oder er hatte nach seiner ersten Kontaktnahme mit Jahn nicht mehr ein allzu großes Interesse daran, Jahns Meinung zu dem erneuten Angebot aus Amerika einzuholen. Erst nach einem Vierteljahr bat Amory seinen Landsmann Cunningham, der in Halle studierte, Jahn in Freyburg zu besuchen und ihn um eine Stellungnahme zu bitten. Jahn nannte schließlich vier Gründe, die ihn veranlassten, das erneute Angebot auszuschlagen: 1. sei seine Mutter alt und krank; 2. betrachte er sich mit 48 Jahren als zu alt, um den Anforderungen gewachsen zu sein; 3. wolle er der Freiheit dienen, wo er sich gerade aufhalte und 4. sei er noch kein völlig freier Mann. Gegenüber Warren machte Amory deutlich, dass er zu dem von Jahn genannten vierten Hinderungsgrund keine weiteren Informationen besitze und deshalb die Sachlage nicht genauer beschreiben könne. Im Übrigen sei Jahn von einer realen Selbsteinschätzung gegenwärtig weit entfernt. Er sehe sich als „Bollwerk der Freiheit“, „Licht der Menschheit“ und glaube, dass die Zukunft Europas auf seinen Schultern ruhe. Er betrachte sich als Idealisten und Bewun49 Vgl. Geldbach(1975), S. 344–346. 50 Vgl. Geldbach (1975), S. 349–350.

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derer Amerikas, das er zukünftig zu besuchen hoffe. Gegenwärtig gelte seine besondere Aufmerksamkeit den Griechen. Die verbotene Burschentracht würde er nicht ablegen, um zu dokumentieren, dass er seine frühere Meinung nicht geändert habe. Als Cunningham Jahn in Freyburg besucht habe, seien zwei Studenten der Universität Jena bei ihm gewesen, um ihm Tribut zu zollen. Er nehme für sich in Anspruch, die Menschen genau zu kennen und sei in der Lage, sich jedem anzupassen, vom Prinzen bis zum Bauern. „He recommanded very highly a Mr. Liebe51 who he supposes already in America. This Mr. L. has been twice in Prison and escaped from Germany to avoid the trial – is one of the Prof.’s firmest adherents & as an Instructor in the Turnkunst extraordinarily well qualified“.52 Amory beschloss seinen Brief an Warren mit der Nachricht, dass der preußische König 32 Studenten freilassen werde, die wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer verbotenen Gesellschaft gefangen genommen wurden und mutmaßte, dass ein großer Teil von ihnen nach Amerika auswandern würde „& supply the country with Turn-Teachers […] the more German Instructors we have in America the better“.53 Jahn stand also zu Beginn seiner Freyburger Jahre nicht im Abseits, wenn man ihm als “the founder of the gymnastic art“ eine Lehrerstelle in Amerika anbot. Seine Reaktionen auf die wiederholte Anfrage des Medizinprofessors Warren lassen erkennen, dass er zunächst nicht abgeneigt war, nach Amerika zu gehen. Allerdings wusste er zu genau, dass seine persönliche Lage diese Veränderung überhaupt nicht zuließ, sodass er – gewissermaßen um seinen „Marktwert“ zu testen – Bedingungen stellte, die von der Harvard-Universität kaum zu erfüllen waren.

5.4 Freundschaft: Jahn und der Berliner Turnlehrer Wilhelm Lübeck Nach seiner Haftentlassung erhielt Jahn den Kontakt zu seinem früheren Mitarbeiter Ernst Eiselen und zu Alexander August Mützell in Berlin aufrecht. Daneben trat in den 1830er Jahren die neue Verbindung zu Wilhelm Lübeck, den Eiselen zum Turnlehrer ausgebildet und später mit der Leitung einer Turnanstalt betraut hat. Lübeck war ein begeisterter Anhänger des Jahnschen Turnens und setzte in Berlin die Tradition der Turnfahrten fort,54 die Jahn eingeführt 51 Gemeint ist Franz Lieber, der schon 1811, also im Gründungsjahr des Turnplatzes auf der Hasenheide, zum engsten Umfeld Jahns gehörte. 52 Zit. nach Geldbach (1975), S. 357. 53 Zit. nach Geldbach (1975), S. 357. 54 In der Göritz-Lübeck-Stiftung der Berliner Zentral– und Landesbibliothek finden sich darüber zahlreiche Dokumente. Vgl. Rohrlach/Thiele (1978), S. 49–50.

Freunde: Jahn und der Berliner Turnlehrer Wilhelm Lübeck

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hatte. Eine seiner zahlreichen Turnfahrten mag Lübeck um 1835 zu Jahn nach Freyburg unternommen haben und dabei zum ersten Mal mit dem „Turnvater“ zusammengetroffen sein. Sehr schnell entwickelte sich aus der ersten Begegnung eine enge Freundschaft, die bis zum Tode Jahns im Jahre 1852 anhielt. Lässt der erste bekannte Brief Jahns an Lübeck vom 30.11.1835 noch eine gewisse Distanz erkennen,55 wählte Jahn in dem nächsten Schreiben vom 6.6.1836 bereits die Anrede „Lieber Freund“,56 den er einige Monate später bat, die Verbreitung seiner Streitschrift gegen Heinrich Leo in der preußischen Hauptstadt tatkräftig zu fördern.57 Von Lübeck, der aus kleinbürgerlichen Verhältnissen stammte, erhoffte sich Jahn ein positives Signal für seinen Sohn Arnold Siegfried, dessen berufliche Zukunft ihm große Sorgen bereitete. Bei der Lösung dieses Konflikts konnte ihm der 31 Jahre jüngere Lübeck allerdings nicht behilflich sein, weil Jahns Sohn wochenlang verschollen blieb und schließlich bei der reitenden Artillerie in Mühlberg a./E. eintrat. Als 1838 die Wohnung seines väterlichen Freundes durch einen Brand zerstört wurde, setzte sich Lübeck mit großem Eifer für die von einigen ehemaligen Hasenheideturnern initiierte Geldsammlung zum Bau eines neuen Hauses ein; er selbst sammelte Spendengelder in Höhe von 84 Thalern.58 Lübeck unterstützte die Familie Jahn auch in der Zukunft. Dafür waren ihm Jahn und seine Frau sehr dankbar. „Wie soll ich Ihnen aber danken, mein guter Lübeck, meine Worte sind zu schwach; möge Gott es Ihnen vergelten, ich vermag es nicht. Ich war ganz sprachlos vor Verwunderung, als ich Ihren Brief las, ich konnte mein Glück gar nicht fassen. Sie haben eine drückende Sorge von mir genommen“, schrieb Emilie Jahn am 29.4.1839 an Lübeck.59 So sehr Lübeck den „Turnvater“ auch verehrte, so sehr missbilligte er dessen Freigebigkeit und mahnte ihn gelegentlich, aus seinem Gastzimmer keine Schenke und aus seinem Haus keinen Taubenschlag zu machen.60 Vielleicht hätte es Jahn tatsächlich gern gesehen, wenn Lübeck seine Tochter Sieglinde geheiratet hätte und so sein Schwiegersohn geworden wäre, wie Neuendorff61 annimmt, doch blieb Lübeck zeit seines Lebens unverheiratet. Wie eng die freundschaftlichen Bande zwischen Jahn und Lübeck am Ende der 30er Jahre waren, ließ Jahn im Februar 1840 seinen Freund Meffert in Kolberg wissen: „Wilhelm Lübeck (Berlin, Blumenstraße No.  3) ist einer der zuverlässigsten jungen Männer, so weit der Himmel über 55 56 57 58 59 60 61

U, S. 41–42. U, S. 42–43. U, S. 43–44. Vgl. Pröhle (2/1872), S. 316. Zit. nach Göritz (1879), S. 348. Vgl. Qu, S. 136, Anm. 176. Vgl. Neuendorff (o. J.), Band III, S. 24.

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Deutschland blauet, und der allerthätigste und rath- und thatkräftigste meiner Freunde. Er ist eigentlich: Kopf, Herz, Hand und Fuß des Turnens und besucht mich wenigstens alle Jahr ein Mahl.“62 Jahn respektierte Lübeck als Fachmann auf dem Gebiet des Turnens und bestärkte ihn nach der Aufhebung der „Turnsperre“ (1842) zur Herausgabe eines Turnlehrbuches, das 1843 unter dem Titel „Lehr- und Handbuch der deutschen Turnkunst“ erschien. Maßmann verwarf die Neuerscheinung als Plagiat und trat – inzwischen zum Leiter des Turnwesens in Preußen avanciert – ganz entschieden für eine Neuauflage des 1816 von Jahn und Eiselen veröffentlichten Lehrbuches „ Die Deutsche Turnkunst“ ein. Da sich Jahn gegen diesen Plan stellte, musste Maßmann ihn schließlich aufgeben. Die Turnhistoriker haben Lübecks Turnbuch als eine der wichtigsten Veröffentlichungen der Jahn-Eiselenschen Schule gewürdigt.63 Jahn selbst war davon sehr angetan, wie aus seinem Brief an Kloss vom 30.1.1844 hervorgeht: „Als 1818 auf den Zeitungsbericht der Regierung zu Liegnitz vom Monat August erst die Turnplätze zu Breslau und Liegnitz geschlossen wurden, welche Turnsperre sich 1819 auf den ganzen preußischen Staat ausdehnte, vergingen 84 öffentliche Turnanstalten. Die Turnkunst musste sich in die Säle und Gärten von Sonderanstalten zurückziehen, von wo sie dann in eigene geduldete Lehranstalten hervortrat, wie zuerst die von Eiselen in Berlin und dann die von Lübeck ebendaselbst. Mithin könnte Lübecks Lehr- und Handbuch sehr gut den Namen: ‚Berliner Turnschule‘ führen. Denn das enthält es gar gründlich. Mit einer weisen Auslassung alles dessen, was leicht zum erneuerten Streit führen könnte,64 stellt er nur die Turnübungen rein hin, wie auch gar viele wollen, die deswegen der Öffentlichkeit gram und dem Gesang und den Turnfahrten abhold sind. So ausgestattet, kann das Buch nirgends Anstoß erregen. Und es wird Nutzen stiften, weil es sehr brauchbar ist und sich auf vieljährige Erfahrung stützt. Man darf aber nicht glauben, daß darum L. den Turner für eine kopf- und herzlose Gliederpuppe halte – Widerlegung genug liefert S. 156–57, der Abdruck von dem, was Jahn einst über Turnspiele gesagt hat. Daß L. die Zeit mit ihren Bedürfnissen wohl erkannt hat, belehrt sein Büchlein: ‚Lieder für Deutschlands turnende Jugend‘ Brandenburg 1842. Und von allen Turnlehrern hat er immer alljährlich die weitesten Turnfahrten gemacht, so daß er vielleicht von den jüngeren Turnlehrern der am meisten bekannte ist. Dabei wird jeder, der 62 Qu, S. 72. 63 Vgl. Neuendorff (o.J.), Bd. III, S. 26, 468; Wildt (1935), S. 14–16. 64 Jahn meint damit z.B. nähere Ausführungen über die Ziele, die Organisation und den Geist des Turnens, die den Behörden 1819/20 Anlass gegeben haben, die öffentlichen Turnplätze zu schließen. – In ihrem Bericht über das Turnwesen hat die Mainzer „Central-UntersuchungsCommission“ zur Aufdeckung staatsgefährdender Bestrebungen einige Stellen aus der „Deutschen Turnkunst“ angeführt, die den Verdacht nährten, dass von den Turnplätzen eine Gefahr für den Bestand der staatlichen Ordnung ausgehe. Vgl. Braun/Kunze/Langenfeld (1998), S. 20–25.

Neuauflage der „Deutschen Turnkunst“

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seine Anstalt besuchte und sich Rats bei ihm erholte, seine Uneigennützigkeit rühmend anerkennen. Aus allem ist zu entnehmen, wie L. an dem Wehrhaften der deutschen Turnkunst festhält...“65

Spiegelt die „Deutsche Turnkunst“ den Übungsstoff und die Lehrweise des Jahnschen Turnens in seiner ursprünglichen Form, so ist Lübecks Turnbuch Ausdruck der neuen Entwicklung, die das Turnen in Berlin während der „Turnsperre“ genommen hat. Wildt hat diesen Abschnitt als „formale Ausgestaltung des Turnstoffes durch Eiselen und die Berliner Schule“ charakterisiert, die – bedingt durch die räumliche Enge in den Turnanstalten – den Grundsatz der „Übungsmöglichkeit“ zum gestaltenden Prinzip des Turnens erhob, so dass immer neue „künstliche“ Übungen erfunden wurden, die dem späteren Kunstturnen den Weg geebnet haben.66 Jahn hat diese Veränderungen, die sich in einer erheblichen Vermehrung der Gerätübungen und der Einführung neuer Geräte (Rundlauf, Streckschaukel/Schaukelringe, Bock, Turnstäbe, Hantel) ablesen lässt, deutlich gesehen und wohl auch deshalb vorgeschlagen, diesem Turnbuch den seiner Ansicht nach treffenderen Titel „Berliner Turnschule“ zu geben. Die intensiven turnerischen Kontakte nach Berlin lassen sich um weitere turnerische Verbindungen ergänzen, die Jahn seit dem Ende der 1830er Jahre mit Turnlehrern, Leitern von Turnanstalten und Turnvereinen unterhielt. So war er mit dem Eiselen-Schüler Karl Euler67 ebenso bekannt wie mit dem Begründer des Turnwesens in Sachsen, Otto Leonhard Heubner, dem Turnlehrer Gustav Preuß in Hannover, August Ravenstein in Frankfurt oder Eduard Lehmann in Dresden.

5.5 Neuauflage der „Deutschen Turnkunst“ Jahns ehemaliger Turnschüler und Vorturner Hans Ferdinand Maßmann wusste sehr wohl, dass an eine Neuauflage der „Deutschen Turnkunst“ ohne die Einwilligung Jahns nicht zu denken war.68 Gegenüber Moritz Kloss formulierte Jahn 1844 seinen Standpunkt: 65 66 67 68

M1, S. 495. Wildt (1935), S. 8–17. Nicht zu verwechseln mit dem Jahn-Forscher Carl Euler. Jahn antwortete Maßmann auf eine entsprechende Anfrage am 3.8.1843: „Du forderst auf zum Schreiben in Turnangelegenheiten. Geh’ zu Marggraff und laß Dir meinen letzten Brief zum Lesen geben. Ich glaube, der Zensor in Berlin streicht schon meinen Namen. Und wenn er ihn nicht striche, so tut es gewiß Schaden, wenn die Leute sehen, daß ich dem Turnen nicht abgelebt bin. Und endlich: Wird Eiselen sich gefallen lassen, wenn ich erkläre, der Turner Eiselen sei nicht der Lützower Eiselen, der die Lützower meuchlings über-

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„Für mich will sich die Turnschriftstellerei nicht schicken. Deshalb muß die Deutsche Turnkunst unaufgelegt bleiben. Bei diesem Buch sind Eiselen und Jahn aneinandergewachsene Zwillinge. Sie können ohne Scheidung die Gütergemeinschaft nicht aufheben. Aber dieser buchlichen Ehe ist es wie mancher eingesegneten Verbindung ergangen. Eiselens Bruder, der Professor in Halle, hat die bekannte Schmähschrift: ‚Geschichte des Lützowschen Freikorps‘ geschrieben und wird, da er wohl keinen großen Namen hat, mit dem Turneiselen verwechselt. Das hat viel Zorn und Grimm erregt. E. M. Arndt hat sich sehr stark ausgedrückt. Kämen nun bei einer neuen Auflage der D. Turnkunst Eiselen und Jahn auf ein Blatt, so würden viele brave Leute irre, dächten wohl gar: ‚Pack schlägt sich, Pack verträgt sich.‘ Wiederum kann man doch nicht füglich dem Berliner Eiselen zumuten, sich öffentlich von seinem Hallischen Bruder loszusagen. So unterbleibt die Herausgabe. Noch lässt sich die Frage aufwerfen: Würden die beiden früheren Herausgeber jetzt noch einig bleiben? Es ist sehr zu bezweifeln! Eiselen würde allerdings seine Berliner Turnschule darstellen können, wie es W. Lübeck getan. Dagegen hätte Jahn gar nichts einzuwenden. Aber wie überall, gibt’s auch im Turnwesen grundsätzliche Fragen. Die dürfte Jahn nicht übergehen, wenn er als Turnschriftsteller auftreten wollte. Wenn er nun aber jetzt Stillschweigen für seine Pflicht halten sollte, um nicht vorlaut das Staatswerk zu stören, an dessen Schwungrad Eichhorn jetzt Maßmann gestellt hat – so ist Schweigen auch eine Tat.“69

Kloss mag für Jahns Gedankengänge durchaus Verständnis aufgebracht haben, doch muss dem „Turnvater“ klar gewesen sein, dass genau diejenigen Abschnitte der „Deutschen Turnkunst“, die maßgeblich aus seiner Feder stammten und von den Behörden seinerzeit als anstößig empfunden wurden, auch nach der Aufhebung des Turnverbots nicht von der Zensur genehmigt werden würden, so dass er auch aus diesem Grund nicht an einer Neuauflage interessiert war. Eine Neuauflage der „Deutschen Turnkunst“, die den neuen Erfordernissen ohnehin nicht mehr genügt hätte, wäre Jahn in seinem Bemühen, sich als verehrungswürdiger „Turnvater“ in bleibender Erinnerung zu behalten, sicher nicht nützlich gewesen, so dass er davon Abstand nahm.

fallen? Und das müßte ich doch; sonst dächten die Leute: ‚Pack schlägt sich, Pack verträgt sich.‘ Vor einem Halbmandel Jahren hat Eiselen – der Hallische Eiselen – in Halle gesagt: ‚Jahns Verdienste beim Turnen seien geringe und unbedeutend, das Meiste und Beste habe sein Bruder gemacht.‘ Darüber wurde mein Sohn so unwillig, daß er nicht nach Berlin zum Turnen wollte. Bezeugen kann das ein wackerer Arzt in Preußen, der auch Predigten – eines anderen Predigers herausgegeben. Aber wiederum leide ich nicht, daß Eiselen ‚Die deutsche Turnkunst‘ allein auflegt. Melde mir, wenn das Ganze gefertigt, und ob ich als ehrlicher Mann, ohne zum Schuft zu sinken, dabei sein kann. Eiselen hat auf meine Antwort nicht geantwortet; so weiß ich ja nicht, ob nicht ein alter Turner abgebildet werden soll, den die Polizei schindludert“ (zit. nach Kurth, 1929, S. 34). 69 M1, S. 493.

Neuauflage der „Deutschen Turnkunst“

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Dennoch erschien 1847 im Verlag des alten Turn-Sympathisanten G. Reimer der erste Teil einer überarbeiteten Auflage der „Deutschen Turnkunst“, allerdings unter dem veränderten Titel „Friedrich Ludwig Jahn’s Deutsche Turnkunst. Zum zweiten Male und sehr vermehrt herausgegeben. Mit 7 Kupfertafeln (Erste Hälfte des Werkes.).“ Wer die Herausgabe des Buches besorgt hat, ist aus dem Werk selbst nicht zu ersehen,70 doch kommt dafür wohl nur Maßmann in Frage, wahrscheinlich unterstützt von Eiselen, Feddern, Ballot und Wassmannsdorff.71 Im Vorwort erklären „Die vereinten Herausgeber“, dass diesem umfangreichen ersten Teil, in dem alle nur erdenklichen Turnübungen zusammengestellt und beschrieben werden, ein zweiter didaktisch-methodischer Teil folgen sollte, der allerdings nie erschien. „Bis zum Schlusse des Ganzen bitten wir demnach nochmals das Endurtheil offen zu halten und lieber des Buches frisch und fröhlich zur Förderung der Sache selbst zu gebrauchen, als etwa über ‚physiologisch-psychologischen‘ Vorzug dieser oder jener ‚Methode‘, dieses oder jenes ‚Systemes‘ zu streiten oder den Stab zu brechen und inzwischen die Angelegenheit selbst immer mehr in die Hände unlauterer Geschäftemacher, unruhiger Wirrköpfe oder wenig unterrichteter Bureauarbeiter gerathen zu lassen.“72

Deutlicher konnten die Herausgeber ihre Vorbehalte gegen neuere Vorstellungen über Ziele, Inhalte und Methoden des Turnens nicht zum Ausdruck bringen. „In diesem Festhalten an der Fülle der ursprünglichen erzieherischen Auffassung und Verwirklichung der Sache im Dienste eines leiblich-geistig-sittlich kernhaften Jugendlebens“ wollten sie sich lieber „die Alten schelten“ lassen.73 70 Das Vorwort (S. X) haben die namentlich nicht genannten „vereinten Herausgeber“ unterzeichnet, die sich als „ältere und jüngere Freunde der Sache von den verschiedensten Lebensverhältnissen und Bildungsstufen“ (Vorwort, S. VIII) bezeichnen. 71 Dies geht aus einem Brief Maßmanns hervor, den er am 6. Februar 1845 an Eduard Dürre schrieb, mit dem er 1816 nach Jena gegangen war, um dort einen Turnplatz anzulegen. Der Brief ist zugleich ein Beispiel dafür, wie überheblich bzw. herablassend Maßmann selbst seine engsten Mitarbeiter charakterisierte. Am Ende des Briefes heißt es: „Wir sitzen jetzt mittwochs und sonntags eifrig über dem Turnbuche. Schreib uns Deine Gedanken, setz uns Flöhe ins Ohr und Warntafeln in den Weg. Ich habe Eiselen, der die Sache pachten wollte (daher Lübecks Buch, wohinter Jahn steckt, dessen Schwiegersohn jener wohl werden wird), endlich drangekriegt. Dazu kommen noch der alte ehrliche Feddern (ein sinniger alter Knabe und Erfinder), Böttcher (Eiselens guter Hammel), Wassmannsdorff (ein Kandidat, sehr geschickter Turner Spiess’scher Freiübungen und guter Logiker), dessen aufpassende Gegenwart mir sehr lieb ist [...].“ Zit. nach Worst (1949/50), S. 33–34. 72 Friedrich Ludwig Jahn’s Deutsche Turnkunst 1847, S. VI. 73 Friedrich Ludwig Jahn’s Deutsche Turnkunst 1847, S. VIII. – Ganz dem Geiste Jahns verpflichtet ist das turnerische Credo der Herausgeber: „Wir wollen vereint eine frische allseitige Handhabung der großen Angelegenheit, nicht nur als Leibeskunst, sondern auch als Seelenförderung, als Lebens- und Staatsangelegenheit. Die Turnkunst ist uns etwa nicht bloß Technik, auch nicht bloß Gymnastik, noch weniger Athletik; sie ist uns aber auch nicht etwa ein einzel-

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Lübeck hat an der Neuauflage der „Deutschen Turnkunst“ sicher nicht mitgearbeitet, weil er bereits selbst ein Turnbuch veröffentlicht hatte, das Maßmann wohl als Konkurrenzunternehmen ansah und vielleicht deshalb so massiv kritisiert hatte. Außerdem wusste er inzwischen, dass Jahn eine Neuauflage der „Deutschen Turnkunst“ entschieden missbilligte. Anfang August 1847 überbrachte Lübeck einen Brief des „Turnvaters“ an den in Rechtsfragen versierten Schriftsteller Julius Eduard Hitzig, in dem er um Auskunft darüber bat, wie er sich zu verhalten habe, nachdem das Buch ohne seine Einwilligung nun nur unter seinem Namen erschienen sei. Er trug sich sogar mit dem Gedanken, im Buchhandelsblatt gegen das Erscheinen des Turnbuches zu protestieren.74 Diesen Gedanken mag Jahn nur in seiner ersten Erregung geäußert und schnell wieder verworfen haben, jedenfalls hat ihn das Erscheinen des „dicke[n] Wälzer[s]75, der unter meinem Namen umhervälgert“76, sehr geärgert. Im Übrigen hat ihn diese Angelegenheit offenbar nicht weiter beschäftigt. ner Unterrichtsgegenstand und Lernstoff für die Geistesschule mehr, sondern die belebende Ergänzung von Schule und Haus, die Erfüllung des bisher immer wieder oder minder einseitig angegriffenen Jugendlebens, eine Reinigung und eine Rüstigung des äußeren, eine Erquickung und Erhebung des inneren Menschen. Wohl ist es uns im Dienste solcher geistigen Bedeutung und Behandlung der Sache wahrlich von je her auch um eine gründliche Schule der leiblichen oder Kunst-Fertigkeit zu thun gewesen; ja ohne scharfe saubere Leistung im Einzelnsten ist auch hier ein Fortschritt im Ganzen, ohne allseitige Ausbildung in allen wesentlichen Übungen bis zum ritterlichen Schwingen und Fechten keine wahre turnerische oder männliche Rüstigkeit an Leib und Seele denkbar; aber eben diese Fülle ganzer Männlichkeit bedingt zugleich ein jugendgemäßes Strebeziel für sittlichgeistiges Erringen, eine Wettbahn für Anstrengung, Ausdauer und Enthaltsamkeit, eine Schule nicht nur der Muskel-, sondern auch der Willenskraft, eine bleibende Stätte zur Bildung frischer geselliger Tugenden, zur Entfaltung des Gemeinsinnes, des Sinnes für Sitte und Gesetz, für freudigen Gehorsam auch in freierer Bewegung und bei froherer Selbstbestimmung. Aus wichtigen Gesundheitsgründen sind wir auf den Turnplätzen entschiedene Gegner des Abtheilens nach Schulklassen (statt des Alters), sowie des Turnens und Tummelns auf engen, ungesunden und gefährlichen Schulhöfen allein; aus sittlich-erzieherischen Gründen aber eben so sehr und noch mehr erklärte Feinde, wie der wilden Unordnung, so auch falsch bemessener s.g. militärischer Zucht oder Form und Abzeichen (der Quelle unturnerischer Eitelkeit und Überhebens), nicht minder des rohen Klassengeistes, des sinnlosen Gymnasialstolzes (der übrigens auch in Bürgerschulen aufpilzen kann) an der Stelle einer wahrhaft veredelnden Bildung; desto unbestechlichere Freunde aber und Förderer wie Forderer einer reinen keuschen Jugendgewöhnung und Jugendgesinnung, vor Allem einer unverkümmerten Liebe unter einander und unverbrüchlichen Treue gegen König und Vaterland“ (Friedrich Ludwig Jahn’s Deutsche Turnkunst 1847, S. VI–VIII). 74 Vgl. U, S. 154–155. 75 Das Buch hatte 432 Seiten. 76 U, S. 156 (Brief an Lübeck vom 31.10.1847) – „umhervälgert“ = eigenwillige Wortschöpfung Jahns, meint wohl im negativen Sinne „kursiert.“

„Turnvater“ Jahn – gefeiert und geehrt

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5.6 „Turnvater“ Jahn – gefeiert und geehrt Nach der Aufhebung des Turnverbots in Preußen im Jahre 1842 entstanden vor allem in Baden, Württemberg, Hessen und Sachsen zahlreiche Turnvereine, deren Mitglieder aber nicht wie die früheren Jahnschen Turngemeinden vorwiegend Schüler und Studenten waren, sondern Handwerker, Gewerbetreibende und Arbeiter. Als Teil der bürgerlichen Vereinsbewegung waren die Turnvereine der „zweiten“ Generation eine Domäne der Männer.77 Am Vorabend der Revolution von 1848/49 bestanden in Deutschland nach Düding etwa 300 Turnvereine, die zusammen etwa 80.000–90.000 Mitglieder hatten, sodass jeder Verein im Durchschnitt ca. 250 Mitglieder zählte.78 Die Vereine waren in der Regel demokratisch organisiert und tendenziell darum bemüht, sich im nationalen Rahmen zusammenzuschließen. Insofern stellten sie ein revolutionäres Potential, eine Gefahr für die Fürstenherrschaft in den Staaten des Deutschen Bundes dar und wurden deshalb von den Behörden argwöhnisch beobachtet. Mit der öffentlichen Männerturnvereinsbewegung der 1840er Jahre erhielten die liberalen und nationalen Kräfte in Deutschland, die zuletzt beim Hambacher Fest im Jahre 1832 eindrucksvoll für Einheit und Freiheit demonstriert hatten, neuen Auftrieb. Die Turnvereine, die am Vorabend der 1848er Revolution immer stärker in den Sog politischer Bestrebungen79 gerieten, verehrten Jahn als Vorkämpfer für nationale Einheit und Freiheit. Jahns erster Biograf, Heinrich Pröhle, hat behauptet, dass Jahn von Freyburg aus bis zum Beginn seiner Abgeordnetentätigkeit in Frankfurt „durch persönlichen und schriftlichen Verkehr über die Turnplätze eine Art Oberaufsicht geführt“ habe.80 Entspricht diese Einschätzung der Realität? Nach seiner Begnadigung durch Friedrich Wilhelm IV. hat sich Jahn in der Öffentlichkeit, anders als in den Jahren bis zu seiner Verhaftung 1819, zunächst nur mit größter Vorsicht bewegt und geäußert.81 In seinem Brief vom 28. November 1840 an den zuständigen Minister v. Rochow drückte er seinen „innigsten Dank“ für diesen eigentlich schon längst überfälligen Schritt des preußischen Staates aus und versprach, „diese hohe Vergünstigung“ nicht etwa durch Erregung unnötigen Aufsehens“ zu missbrauchen.82 Die Zeit der gesellschaftlichen „Verbannung“ hatte bei Jahn tiefe Spuren hinterlassen. In einem Brief schrieb er noch um 1840: „Es ist keine Kleinigkeit, sich 21 Jahre um die Zeit zu betrügen 77 78 79 80 81 82

Vgl. Grone (1998), S. 27; Krüger (2005), S. 86–111. Vgl. Düding (1984), S. 233. Vgl. Schweigard (2005), S. 59. Pröhle (2/1872), S. 229. Vgl. Bartmuß (2004). M1, S. 464.

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und zu einsiedlern.“83 Und auch nach der Aufhebung der Polizeiaufsicht war sich Jahn nicht sicher, wie er sich in der Gesellschaft bewegen solle und könne. Minister v. Rochow teilte er mit: „Wer sich wie ich, als Maulwurf in die Grüfte unseres Altertums begraben, blinzelt beim Sonnenlichte der Gegenwart. Auch bin ich in den 21 Jahren so aus der Welt gekommen, daß ich mir wie ein erwachter Siebenschläfer erscheine.“84 Jahn hat das dem Minister v. Rochow gegebene Versprechen in den nächsten Jahren streng eingehalten. Es fiel ihm nicht schwer, sich in seinem Umfeld in und um Freyburg zu bewegen, war er doch hier ein angesehener Mann, der sich im Gustav-Adolf-Verein, in der Naumburger Liedertafel85 und im Rahmen der örtlichen Honoratioren als aktiver Mensch darstellte.86 Doch was das Turnen betrifft, hielt er sich sehr zurück. Im Dezember 1842 schrieb er: „Darum muß ich auch an allem, was auf die Turnkunst Bezug hat, meine Teilnahme zurückhalten, und Vorschreiern nur verschreibe ich zuweilen einen Maulstopfer. Wie ich in meiner Einsiedelei darüber denke, habe ich unter dem 30. März 1842 an den Hohen Herrn also bekannt: ‚Seit 23 Jahren, wo das Ministerium Altenstein in einem Rundschreiben an die Oberpräsidenten den großen Gedanken aussprach, das Turnen der gesamten Volkserziehung anzuschließen, habe ich auf die Wirklichmachung geharrt wie das Kind auf den heiligen Christ. Darum habe ich vom Turnen mich freigehalten und fern, um nicht durch Dazwischenkunft jene wohltätige Entwicklung zu stören. Auch den Schein habe ich vermieden von jeglicher Einmischung und deshalb die deutsche Turnkunst unaufgelegt gelassen, obschon sie längst vergriffen ist.‘“87

Und in einem Brief an Dürre, mit dem er engen Kontakt hielt, bemerkte er: „Nur durch Stillsitzen und Stillschweigen kann ich dem Turnen nützen. Reden und Briefe gelten nun als Reck und Barren.“88 Erst von 1844 an und endgültig seit 1846 hat Jahn seine Scheu vor einer persönlichen Kontaktnahme mit den Turnvereinen abgelegt. Gern folgte er 1844 einer Einladung des Gymnasiums in Salzwedel zur Teilnahme an der „Jahrhundertfeier“ der Schule, die er in jungen Jahren selbst als Schüler besucht hatte. Die ganze Schulgemeinde feierte ihn begeistert als Begründer des Turnens.89 Der damalige Leiter der Schule, Johann Friedrich Danneil, der 1791 gemeinsam mit dem fünf Jahre älteren Jahn seine Schullaufbahn in Salzwedel begonnen 83 84 85 86 87 88 89

M1, S. 469. Brief vom 28.11.1840 (M1, S. 465). Siehe u.a. L/U, S. 143–144 und M1, S. 504. Vgl. Bartmuß (2004), S. 90–92. Brief vom 17.12.1842 (M1, S. 477–478). Brief vom 8.1.1844 (M1, S. 492). Vgl. Bartmuß (2005), S. 45.

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hatte, schätzte Jahn wegen seiner Verdienste um die Begründung des Turnens offensichtlich sehr, denn als er im Album des Gymnasiums unter dem Jahr 1791 den Eintrag las, dass am 8. Oktober des Jahres „Johannes Fridericus Ludovicus Christophorus Jahn“, Sohn des Pastors der Kirche zu Lanz, im 14. Lebensjahr in Classe II aufgenommen worden ist, hat er dazu am Rand vermerkt: „der berühmte Turner.“90 Das 1816 erschienene Lehrbuch der Turnkunst von Jahn und Eiselen war seiner Ansicht nach das Beste, was in dieser Hinsicht bis zur Einführung der Leibesübungen in Salzwedel zu Beginn der 1830er Jahre geschrieben wurde. Das Schulprogramm von 1832 erweiterte Danneil um eine „Beilage, enthaltend einige Bemerkungen über Körperbildung durch Gymnastik.“ Nicht nur Danneil, auch andere Mitschüler und Freunde, erinnerten sich noch im Alter an die gemeinsame Schulzeit mit Jahn in Salzwedel. Einer brieflichen Mitteilung des Pfarrers Landmann zufolge hat Jahn im Salzwedeler Gymnasium mit vielen Lehrern auf sehr gutem Fuße gestanden; einige Lehrer jedoch, die er nicht selten durch Fragen und Bemerkungen in Verlegenheit brachte und die ihn deshalb auch als Störer der Schulordnung und als einen Schüler bezeichneten, der sich nicht unterordnen könne oder gar wolle, waren ihm zuwider. Von den einen sprach Jahn später mit großer Hochachtung, über die anderen machte er sich auch noch in seinen späteren Lebensjahren lustig. Sein Zerwürfnis mit diesen Lehrern war wahrscheinlich auch der Grund, weshalb er den Rat eines wohlwollenden Mannes beherzigte, das Salzwedeler Gymnasium zu verlassen. Bekanntlich setzte Jahn seinen Schulbesuch am Gymnasium zum Grauen Kloster in Berlin fort, wo er dem Unterricht jedoch nach kurzer Zeit eigenmächtig fern blieb. Die Einladung Jahns zur 100-Jahrfeier des Gymnasiums im Jahre 1844 erfolgte auf der Grundlage des Verzeichnisses der seit 1786 vom Gymnasium zur Universität abgegangenen ehemaligen Schüler. Der 344 Namen umfassenden Liste waren am Ende die Namen von sieben Schülern hinzugefügt worden, die „nicht unmittelbar von hier zur Universität abgegangen sind, aber doch in Prima gesessen haben“, darunter „Jahn, Prof. in Freiburg a.U.“91 In Salzwedel wurde Jahn wie ein Ehrengast behandelt. Pastor Heinzelmann brachte beim Festmahl einen Trinkspruch auf Jahn aus: „Der Mann, der eisenfest und stark Emporwuchs in der alten Mark, Er, dessen Herz Im Vorwärts Beständig stand auf dem Punkt des Siedens, 90 Zit. nach Bartmuß (2002), S. 44. 91 Vgl. Bartmuß (2002), S. 45.

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Dem Blücher des Friedens, Dem vielumwetterten deutschen Turnmeister, Doktor Friedrich Ludwig Jahn heißt er, Der lebe hoch! hoch!“92

In seiner kurzen Rede auf dem Turnplatz gab Jahn seiner Freude über die Verbreitung des Turnens Ausdruck, die er mit einem Hoch auf den preußischen König schloß: „Das Turnen, aus kleiner Quelle entsprungen, wallt jetzt als freudiger Strom durch Deutschlands Gauen. Es wird künftig eine verbindende See werden, ein gewaltiges Meer, was schirmend die heilige Grenzmark des Vaterlandes umwogt.“93 Im Rahmen der Jubiläumsveranstaltung verteilte Jahn ein faksimiliertes Stammbuchblatt, das er u.a. auch dem Turnverein in Borna als Geschenk zukommen ließ. Um seine Verbundenheit mit der Schule zu unterstreichen, schrieb er am Ende: „Salzwedel beim Jahrhundertfeste der Schule, wo ich drei Jahre gewesen und gerade fünfzig Jahre abgegangen – den 11. Sept. 1844.“94 Nach seiner Rückkehr bedankte sich Jahn für seine freundliche Aufnahme in Salzwedel mit einem Geschenk für die Bibliothek des Gymnasiums, das zehn Bücher umfasste, darunter vier Schriften von Ernst Moritz Arndt und das gerade erschienene „Turnbuch“ von Wilhelm Lübeck. Zu den Initiatoren des 1844 in Borna gegründeten Turnvereins gehörte der aus Leipzig stammende „Oeconomie-Commissar“ Richard Glaß, der auch zum ersten Vorsitzenden des neuen Turnvereins gewählt wurde. Mit dem Leipziger Theatersekretär Robert Blum verband ihn eine enge Freundschaft. Blum nahm damals die Einladung seines Freundes zur Teilnahme an der Einweihungsfeier des Bornaer Turnplatzes am 28. Mai 1844 an und erklärte sich auch bereit, eine Rede zu halten. Er brachte schließlich den Trinkspruch aus: „Möge auf Barren und Reck bald ein Geschlecht erstehen, das stark, frei und treu ist; dieses kann und wird die schmachvolle Fessel des Geistes nicht tragen und sie zersprengen; das ganze Volk wird dann einen Turnverein bilden, auch den Geist zu befreien, und in diesem Sinne rufen wir: Es lebe die Turnerei!“95 Nach der Eröffnung des Turnplatzes entschloss sich der Vorstand in der Turnratssitzung vom 16. Mai 1844, Jahn zu seinem Ehrenmitglied zu ernennen und ihn zum bevorstehenden Turnfest einzuladen. Als Vorsitzender des Turnvereins schrieb Richard Glaß am 17. Mai 1845 an Jahn:

92 93 94 95

EJW 2.2, S. 913–914, Anm. 2. Zit. nach Pröhle (2/1872), S. 261; EJW 2.2, S. 913. EJW 2.2, S. 1007. Meinel (1928), S. 127.

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„Der Mann, der das deutsche Volksthum lehrte und zu erkämpfen so furchtlos strebte, der die bey den Alten so wohlthätig gewesene Gymnastik auf Deutschlands Boden verpflanzte, dessen Haar ob seiner Besorgnis für Deutschland und das Gelingen seiner Wünsche ergraut ist, der trotz so mannigfacher Umfeindung in seinem Alter gerechtfertigt dasteht und die Freude genießt, daß für ihn tausende und abertausende Seelen fühlen und ihrer Gefühle auf alle Weise zu bethätigen suchen, dieser Mann verdient es wohl mit Recht, daß ihm ein Zeichen der ihm gebührenden Ehre und Hochachtung gegeben werde. Aus diesem Grunde erachtet es der in hiesiger Stadt im gegenwärtigen Jahre entstandene Turnverein für Schuldigkeit, Ihnen, verehrtester Herr Professor, die Ehrenmitgliedschaft zu ertheilen. Der Verein gibt sich daher die Ehre, Ihnen beygehend das ausgefertigte Diplom sowie das Grundgesetz nebst Turnordnung ehrfurchtsvoll und bescheiden zu überreichen mit der Bitte, dieses als ein Zeichen seiner Gesinnung und seines Strebens nach möglichster Erreichung des Zweckes der von Ihnen begründeten Turnerey wohlwollend anzunehmen. Dabey erlaubt sich der Verein, Ihnen zugleich kund zu machen, daß die Einweihung des hiesigen Turnplatzes den acht und 20. dieses Monats von Vormittags 11 Uhr an festlich begangen werden soll und spricht die bescheidene Bitte aus, daß es Ihnen gefällig und möglich sein möchte, dieses Fest durch Ihre wertheste Gegenwart zu verherrlichen. Wenn Dieselben dieser Bitte Gehör zu schenken die Gewogenheit haben, so würde der Verein dieses mit dem innigsten Gefühl der Dankbarkeit anerkennen und gleichsam als Vorbedeutung des Segens unserer Anstalt betrachten. Wir hoffen diese Gunst und bitten um die Genehmigung unserer Ehrfurcht und Hochachtung.“96

Vorläufig ließ Jahn jedoch nichts von sich hören. An Lübeck schrieb er im Juni 1844: „Kommst Du durch Borna; so besuche und begrüße den dortigen Turnverein. Der Vorsteher heißt Richard Glaß. Ich bin den Leuten Besuch und Antwort schuldig. Tröste Sie.“97 Erst im Oktober antwortete Jahn dem Turnverein in Borna: „Mit dem Sprichwort: ‚Gut Ding will Weile haben‘ will ich meine verzögerte Antwort zwar nicht bemänteln, aber doch wenigstens andeuten, daß es mir damals nicht möglich war, Eurem Feste beizuwohnen. Es geschieht aber im nächsten Jahre, wenn nicht ein höherer Ruf mich in Walhalla einstellt. Viele Briefe, die ich schreiben mußte, eine Reise, die ich der Schule von Salzwedel schuldig war – haben auch diese Zeilen verspätet. Die Ehrenmitgliedschaft nehme ich dankbar an.“98

Allerdings warteten die Turner in Borna auch 1845 vergeblich auf einen Besuch Jahns. Am 1. Januar 1847 schrieb Jahn der Turngemeinde einen ausführlicheren

96 Zit. nach Neubert (o.J.), S. 21–22. 97 Brief vom 28.6.1844 (U, S. 135). 98 Brief vom 4.10.1844 (EJW 2.2, S. 928).

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Brief, in dem er seine Freude darüber Ausdruck verleiht, dass er inzwischen auch von anderen Turnvereinen geehrt wurde: „Glück zum neuen Jahre dem Turnvereine zu Borna, so wie allen richtigen Turngemeinden und Turnern, und dem lieben Gesammtvaterlande. Uns Allen wünsche ich: bei festem Beharren an Licht und Recht, der Leutseligkeit Tarnkraft: daß die Nichtturner sich von uns angezogen, nicht abgestoßen fühlen; daß jeder Turner ein Leuthold sei, doch keiner jemals ein Herrenhold und Heuchler werde. Dem Vaterlande wünsch’ ich: steten Fortgang auf des Fortschrittes Ehrenbahn, segensreiche Ärnte ohne Mißwachs und Mißverständniß, Abnahme der Seuche des Aberwitzes und Aberglaubens, Lösung verwirrter Zeiträthsel, Einigkeit der Staaten, Eintracht zwischen Häuptern und Gliedern, sichere Gränzmarken, und Achtung gebietende Stellung, wider landgierige Zugreifer – vor Allem aber das Eine – was Noth thut! Nun habe ich Euch Manches zu melden, und wenn ich Euch das melde, so liegt darin der augenscheinlichste Beweis, daß ich auf die Ehrenmitgliedschaft in Eurem Verein Werth setze. Ihr müßt Euch denken, ich wäre mitten unter Euch; so würdet Ihr das Alles mündlich erfahren haben, was jetzt diese Brieftaube zubringt. Euch nachgefolgt ist die Turngemeinde von Darmstadt, und hat mir zu Weihnachten eine Urkunde meiner Ehrenmitgliedschaft bei ihr, zugesandt. Karlsruhe hat silberne Kreuze geschickt, die vier F. nach Felsings Zusammenordnung. Hanau, die Beschreibung ihrer Fahnenweihe, und ein Fäßchen Hambacher Rheinwein. Die Hanauer Turngemeinde hat den Brauch, sich Weihnachts heiligen Abend zu bescheeren. Da wollten sie um 9 Uhr meine Gesundheit trinken. Und da habe ich denn auch mit den Meinigen und guten Freunden um den Lichterbaum, den Hanauern[,] Bornaern, Darmstädtern, und allen Turnern, die frisch, frei, fröhlich, fromm, das neue Vaterland aufbauen, mein Gut! Heil! gebracht. Nun aber thut mir den Gefallen, und verlautet von diesen vertraulichen Mittheilungen nichts in öffentliche Blätter. Ein so großer Freund der Öffentlichkeit ich auch bin; so muß ich doch des Herzens Still-Leben heilig halten, wie der Häuslichkeit inneres Gemach. Und leicht könnten unsere Feinde, die nicht, wie die Klapperschlangen, nur zuweilen, blind sind, es als Aufthuerei, Prahlsucht, und plumpes Winken nach Ähnlichen verschwärzen. Lügen- und Läster-Blätter haben sie genug, und denn noch die Schriftschau / Censur / als Währwolf. Meinen lieben Bornaern habe ich in Waldenburg so gut ich es vermogte zu beweisen gesucht; wie ich sie in meinem Gedächtniß trage. Sehr gern hätte ich einen Abstecher auf der Rückreise zu Euch gemacht; aber ich mußte den Abend schon in Naumburg sein, wo am andern Tage der Hauptverein der G. A. Stiftung des Pr. Sachsen, was 32 Zweigvereine zählt, Versammlung hatte. Es waren vier Vertreter zur Allgemeinen Versammlung zu wählen, und die Wahl gelang gut. Aber die vertrauliche Besprechung, so einer berathenden und entscheidenden Versammlung vorgeht – was die Nordamerikaner – Caucus – nennen, ist die Seele. In ihr liegt der Ort, und der Hebel der Bewegung.

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Wir tranken aus dem Waldenburger Ehrenbecher wohl sechs Mahle herum, und Jeder mußte dazu einen Spruch sagen. Nur Ulrich, Weißenborn, Schwarz, Schwetschke u.a.m. brachten Gediegenes. Gut Heil“99

Eine engere Verbindung zwischen Richard Glaß, dem Vorsitzenden des Turnvereins Borna, und Jahn scheint allerdings nie bestanden zu haben, auch wenn Jahn seinem jüngeren Freund Wilhelm Lübeck noch Ende 1847 empfahl, Glaß – „einen fertigen Redner und glücklichen Turnliederdichter“100 – in Borna aufzusuchen. Von Glaß ist bekannt, dass er 1846 gerichtlich belangt wurde, weil er sich in der am 31. Dezember 1845 erschienenen Ausgabe des „Wochenblattes für die Stadt Borna und Umgegend“ kritisch zum amtlichen Verbot der maßgeblich von Robert Blum geprägten „Sächsischen Vaterlandsblätter“ geäußert hatte. Die ab Winter 1840/41 in Leipzig erscheinende Zeitung war von Anfang an ein Organ der linksbürgerlichen Opposition,101 zu deren eifrigen Lesern wohl auch Glaß gehörte. Das Gericht verurteilte ihn schließlich wegen seiner kritischen Äußerungen zu einer 14tägigen Gefängnisstrafe, die Glaß am 26. November 1846 antrat.102 Seit 1843 erschien das von Robert Blum und Friedrich Steger herausgegebene Jahrbuch „Vorwärts! Volkstaschenbuch“ für politische Aufklärung und Bildung. Zahlreiche prominente freisinnige Schriftsteller und Politiker unterstützten die Herausgeber mit ihren Beiträgen, auch Richard Glaß, der 1847 einen umfangreichen Beitrag beisteuerte, den er als „Turnrede an das deutsche Volk“ verstanden wissen wollte. Er betonte darin die politisch-emanzipatorische Bedeutung des Turnens, das Jahn zu „nationaler Bedeutung“ erhoben habe. „Emporgewachsen am Stamme der Zeit und hocherglüht für die Freiheit des geliebten Vaterlandes, eröffnete er seine Turnstatt in der Hasenhaide; suchte durch Wort und That mit dem Volksgeiste auch die Volkskraft und mit der Erweckung eines Nationalgefühles auch zugleich die Stärke des Willens und der Gesinnung zu kräftigen. Er erfaßte mit Begeisterung den Gedanken der Wiederherstellung eines urdeutschen Nationalcharakters und wenn auch von oben herab das schöne Kraftgefühl, das in der Zeit der Gefahr sich freudig verbürgt und geopfert hatte, mit Mißtrauen und unerfüllten Verheißungen erwiedert und der Vater deutscher Turnerei geächtet und der Braut seiner Seele, der Freiheit beraubt wurde, so ist doch die von ihm in’s Leben geführte Idee der Wiederkräftigung des Volkes Mark und Blut in den Herzen seiner Söhne geworden und die Sonne seines Jugendwerkes von Neuem groß und schön über dem schneeigen Scheitel des würdigen Greises aufgegangen.“ 99 100 101 102

Zit. nach Ortschronik des Museums der Stadt Borna. Brief an Lübeck vom 23.11.1847 (U, S. 157) Vgl. Reichel (2007), S. 45–53; Zerback (2007), S. 129–150. Zu Glaß vgl. Ketzer (2003), S. 60–66.

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Durch die Turnvereine habe das Turnen eine nationale Bedeutung, einen volkstümlichen Charakter und eine gemeinsame Grundlage in der bürgerlichen Gesellschaft erhalten. „Nichts hat dem verderblichen Kastengeiste mehr entgegen gearbeitet, als die Turnvereine. Durch sie fängt die traurige Abgeschlossenheit der Stände und die Abstufung der herrschenden und dienenden Klassen an sich auszugleichen und durch sie werden Gesang und Körperbildung vereinigt zu einem längst entbehrten Bande der NationalEinheit erhoben werden. […] Die Turnvereine haben sich in der Gegenwart frei von politischen Einmischungen erhalten und doch werden hier und da schon Aeußerungen der Furcht und Stimmen laut, welche die Beförderung des Turnens, aber die Unterdrückung der Turnvereine für wünschenswerth erachten. Dem Systeme des Vielregierens und der ‚Denunciationsmaxime‘ ist nichts unmöglich, aber es können auch Zeiten kommen, wo sich die Völker nicht mehr dressiren lassen und wo der jetzt so schmählich unterdrückte Geist der Vergesellschaft das einzige Mittel zur Zähmung des Volkes bietet. Treten nicht jetzt dieselben friedlichen Bürger, denen man vor kurzer Zeit sich zu gemeinsamer Besprechung zu versammeln verbot, zusammen, um sich über die Beseitigung der Noth der arbeitenden Klassen zu berathen? Kann es für das Bedürfniß der Volksfreude reinere Genüsse geben als Turnfahrten und Turnfeste und einen bessern Schutz für den Thron, als die Wehrhaftigkeit des Volkes? […] Die Turnerei ist eine Wiege der Kraft, ein Feld der Ehre, eine Schule des Gehorsams und ein Grab des Zopf- und Spießbürgerthums.“

Seine „deutschen Turn-Brüder“ forderte er auf, sich an den großen Ideen der Französischen Revolution – Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – zu orientieren. Geradezu missionarisch drängte er die Turnvereine: „lasset die jungen Kräfte wachsen am Barren des Geistes und die Verknöcherungen unserer innern Zustände absprengen und heilen am Reck der Vernunft; lasset uns auf dem Schwebebaume der Lebensinteressen das ewige Gesetz der Gleichheit und die große Kunst erlernen, weder rechts noch links zu schwanken; lasset uns unablässig den Ger der Gesinnung nach den Köpfen der Philister werfen und mit sicherem Sprunge die Gräben des Vorurtheils überspringen und freudig hinaufklimmen am Mastbaume der Freiheit und von dort mit freudigem Herzen hinunter jauchzen in die vaterländischen Gauen, wo über den Gräbern der Römer ein starkes, freies, großes und glückliches Geschlecht im Schatten der Eichen wandelt und den Ruhm Germaniens den Völkern aller Zungen und Zeiten verkündet! Reicht euch die starke Hand zur Kette der Einheit, ohne welche kein Sieg; stimmt eure Lieder zum Chore der Freiheit, ohne welche kein Heil; weiht eure Kräfte dem Dienste der Wahrheit; ohne welche kein Licht, und eure Geister dem ewigen Rechte, ohne welche kein Trost, kein Glück und keine Zuversicht! Amen!“103

103 Glaß (1847), S. 168–172.

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In den Turnvereinen sah Glaß also ein wichtiges Instrument zur Beseitigung sozialer Ungleichheit und zur Durchsetzung demokratischer Verhältnisse. In dieser Hinsicht sah er in Jahn ein Vorbild. Am 10. August 1846 fand in Waldenburg das erste große „Landes-Turnfest“ im Königreich Sachsen statt, an dem sich die Turngemeinden aus Borna, Burgstädt, Frankenberg, Glauchau, Hohenstein, Lichtenstein mit Callenberg, Limbach, Lunzenau, Penig, Stollberg, Waldenburg, Zwickau sowie Turner aus Dresden, Leipzig, Kohren, Remse und anderen Orten beteiligten. Als Nachfolger von Advokat Scharf bekleidete Dr. med. Ernst Friedrich Wilhelm Streit in diesem Jahr das Amt des 1. Vorsitzenden im Turnverein Waldenburg, der 1844 gegründet worden war. Die bei der Vorbereitung des Turnfestes aufgekommene Idee, Jahn zu diesem Turnfest einzuladen, unterstützte Streit umso lieber, weil er während seiner Studienzeit in Jena wie Jahn Mitglied des Geheimordens der Unitisten war.104 Seinem früheren Ordensbruder Streit wollte Jahn die Einladung zum Turnfest nicht abschlagen: „Ich kann kommen, und werde kommen, wenn Ihr es wünscht. Nur bitte ich – macht vorher kein Gerede davon. Laßt es vor der großen Welt lieber als ungefähres Eintreffen erscheinen. Das schadet wenigstens der guten Sache nicht, die ich um alles in der Welt nicht gefährden möchte. […] Es gereicht mir zur großen Beruhigung, daß, als durch den Zeitungsbericht der Regierung zu Liegnitz vom August 1818, die Turnplätze von Liegnitz und Breslau geschlossen wurden, meine Anstalt noch unverboten blieb und erst 1819 mit der allgemeinen Turnsperre ihre Endschaft erreichte. Mündlich mehr. Frage nur! Meine Tarnkappe – ist Offenheit und Öffentlichkeit.[…].“105

Gemeinsam mit seiner Tochter Sieglinde wanderte er von Freyburg über Naumburg, Zeitz, Meuselwitz und Altenburg ins Muldental nach Waldenburg, wo er am 8. August eintraf. Hier bereiteten ihm die Turner und die Bürger der Stadt einen begeisternden Empfang: „Mitten unter den Turnern sah man schon an diesem Tage einen rüstigen Mann mit langem grauen Bart in einfach blauem Schurenrocke, das graue Haupt mit einem kleinen schwarzen Sammtmützchen bedeckt, umherwandeln, überall freudig begrüßt und angesprochen von Jung und Alt. Es war Vater Jahn, der der Einladung des Comite Folge leistend, von Freiburg hergekommen war, um als Greis an dem Erntefeste Theil zu nehmen, zu dem er in seinen rüstigen Jugendjahren den Samen ausgestreut hatte.“106

104 Vgl. Neubert (o.J.), S. 32; Bartmuß/Kunze/Ulfkotte (2008), S. 108. 105 Jahn an Streit, Brief vom 29.7.1846, zit. nach L/U, S. 141–142. 106 Der Turner 1(1846)17, S. 209.

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Die Festordnung sah drei Festlieder vor, wobei das letzte, auf den Text von Caspar Friedrich Lossius zurückgehende Lied, Jahn als Begründer der Turnkunst feierte: „Erhebt die Hand zum Dank und Gruß, Dankt unserm Meister Jahn! Hoch leb’ der edle deutsche Mann, der kühn das Werk mit Gott begann Und brach der Turnkunst Bahn. Was graue Vorzeit Großes schuf, Hat hell sein Geist durchschaut; Was Noth dem deutschen Volke thut, Zur Dauerkraft, zum kühnen Mut, Das hat er aufgebaut. Heut’ feiern festlich wir mit Dank Der Turnkunst Weihetag. Hoch leb’ der Meister! Preis und Ehr’ Sei seinen Schülern ringsumher, Wir eifern ihnen nach. Ja! feierlich geloben wir Dem Meister Ernst und Treu’, Zu turnen stets mit Lust und Fleiß, Nicht ahnend Mühe, Schmerz und Schweiß, Von Furcht und Schwindel frei. In Turnkunst und in deutschem Sinn Steckt’ er das Ziel uns auf. Wohlan! wir wollen alle kühn Es zu erreichen uns bemühn; Mit Gott beginn der Lauf.“107

Am Festtagsmorgen wurde der am Marktplatz wohnende Jahn mit lautem „Hurrah“ begrüßt und im Festzug zum Turnplatz geleitet. Hier hielt er noch eine Rede, bevor er nach Freyburg zurückkehrte. Als bekannt wurde, dass Jahn am nächsten Tag seinen 68. Geburtstag feierte, sammelten die Turnfestteilnehmer Geld für einen silbernen Ehrenbecher, der Jahn von einer Deputation nach Freyburg überbracht wurde.108 Seine Tochter Sieglinde war offenkundig beein107 Zit. nach Neubert (o.J.), S. 39–40. 108 Der Turner 1(1846)17, S. 210.

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druckt von dem Anblick, „gegen 900 Turner in ihrer einfachen Kleidung, das Ger im Arme, nach dem Schalle der Musik mit wehenden Fahnen und Fähnlein in schönster Ordnung durch die Straßen der Stadt ziehen zu sehen.“109 Ihrem Vater gegenüber erklärte Sieglinde, das „ganze Jahr nicht auf einen Ball gehen zu wollen, wenn sie alle Jahr ein solch Turnfest erlebt.“110 Am 11. August kehrte Jahn mit seiner Tochter nach Freyburg zurück, um am darauf folgenden Tag an einer Versammlung des Gustav-Adolph-Vereins in Naumburg teilzunehmen.111 Mehrere Zeitungen berichteten z. T. ausführlich über das Waldenburger Turnfest.112 In der „Allgemeinen Schulzeitung“ war zu lesen, dass Jahns Erscheinen den eigentlichen Höhepunkt des Festes darstellte. Er „erschien in seinem langen grauen Barte, in dem alten deutschen Rocke mit dem übergelegten weißen Kragen, in dem schwarzen Käppchen auf dem Haupte wie eine interessante Ruine aus der Vergangenheit, die sich durch die Tendenzen der Gegenwart verjüngt sieht.“113 Jahn selbst bewertete das Waldenburger Turnfest in der Rückschau als „ergreifend“ und „angreifend.“ Er habe lange Zeit „nicht so viel zu reden gehabt“. „12 Turngemeinden kamen nacheinander vor meine Herberge (Rath Dr. Streit, Leibarzt des Fürsten), bei einem Freund, den ich seit 40 Jahren nicht gesehen, mit ihren Fahnen. Rede, Gesang, Lebe Hoch! Ich mußte doch etwas antworten, und das tat ich jedes Mal anders.“114 Das Turnfest in Waldenburg hatte den Wunsch vieler Turnvereine nach einem regionalen Zusammenschluss verstärkt, sodass am 31. Oktober und 1. November 1846 in Dresden der erste sächsische Turntag stattfand.115 Unterdessen förderte Jahn in der unmittelbaren Nachbarschaft Freyburgs das Turnen. Im Rahmen einer Bürgerversammlung in Naumburg Ende 1845 meldete er sich mit dem Vorschlag zu Wort, im künftigen Jahr über das Turnwesen zu sprechen. Die Versammlung bestimmte dazu den 7. Februar 1846.116 Seinem Freund Lübeck schrieb Jahn im Januar 1846 nach Berlin, dass er sich angeboten habe, in Naumburg als Anwalt des Turnens aufzutreten. „Alle vormaligen Turner in und um Naumburg werden nicht fehlen.“117 Unter der Überschrift: „Der 109 110 111 112 113 114 115 116 117

Der Turner 1(1847)17, S. 210. Jahn an Unbekannt; Brief vom 24.8.1846, zit. nach L/U, S. 142. Vgl. Neubert (o.J.), S. 52. Vgl. Neubert (o.J.), S. 61–64. Allgemeine Schulzeitung 23(1846), 1. Band, Januar bis Juni, S. 1091–1093; zit. nach Neubert (o.J.), S. 74. Aus einem Brief an seinen Freund, Kreisphysikus Dr. Schwabe in Kölleda, zit. nach Neubert (o.J.), S. 55. Vgl. Neubert (o.J.), S. 79. Vgl. Brief Jahns an Lübeck, 23.12.1845 (U, S. 143). Zit nach U, S. 144.

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alte Löwe schüttelt seine Mähne wieder!“ veröffentlichte „Der Turner“ im März 1846 die Nachricht, dass Jahn bei einer Bürgerversammlung in Naumburg vor mehr als 900 Zuhörern eine begeisternde Rede für das Turnen gehalten habe, die den Stadtrat dazu veranlasste, die Gründung eines Turnplatzes zu beschließen. Auch habe sich eine Bürgerinitiative zur Förderung des Turnens gebildet, an deren Spitze Jahn stehe.118 Im April 1846 wies „Der Turner“ seine Leser auf einen Beitrag der Dresdener Abendzeitung über Jahns Auftreten in Naumburg hin. Darin hieß es u.a., dass der „Alte“ fleißig an seinen „Denknissen“119 arbeite und noch in seinem 69. Lebensjahr „äußerst lebendig und geistig und körperlich kräftig ist.“120 Wilhelm Lübeck gegenüber verschwieg Jahn nicht, dass es in Naumburg „mancherlei Zwiste wegen des Turnens […] sogar harte Kämpfe“ gegeben habe.121 Insofern schätzte Jahn die Situation durchaus richtig ein, wenn er etwa eine Woche vor der Turnplatzeröffnung an Dr. Niemeyer in Halle schrieb, „daß der Anfang mit Anstand geschieht und würdiges Beginnen die Weihe verleiht. […] Wären aber von Halle etwa 10 bis 12 Vorturner gegenwärtig, so bekäme die Sache gleich einen Halt […] Wollten diese Hallischen Vorturner am Sonntag aufbrechen und nach Freyburg kommen, so würden sie in meinem Hause Herberge finden. Ich würde dann mit ihnen am andern Tage nach Naumburg (1 ½ Std.) wandern.“122

Eine Zeitlang scheint sich Jahns früherer Schüler Hans Ferdinand Maßmann mit dem Gedanken getragen zu haben, als Turnlehrer in Naumburg zu arbeiten, allerdings zerschlugen sich diese Pläne, weil die Naumburger – wie Jahn gehört haben will – das von Maßmann geforderte Gehalt in Höhe von 600 Talern nicht aufbringen konnten. Die Turnlehrerstelle wurde stattdessen dem Justiz-Referendar Kinderling aus Teltow übertragen, der bei Lübeck und Eiselen geturnt hatte und sich in Naumburg auf die Assessor-Prüfung vorbereitete.123 Jahn war also über die Turnplatzgründung in der Nachbarstadt Naumburg genau informiert. Der von der Stadt großzügig ausgestattete Turnplatz wurde am 17. August 1846 mit einem Fest eingeweiht, an dem auch Jahn teilnahm. Den Naumburger Turnern überreichte er aus diesem Anlass eine Fahne, die seine Tochter Sieg118 Der Turner 1(1846)5, S. 47; s. auch Jahns Briefe an Lübeck vom 23.12.1845 und vom 19. Januar 1846 (U, S. 142–144). 119 Jahns „Denknisse eines Deutschen oder Fahrten des Alten im Bart“ hatte Karl Schöppach 1835 im Verlag von Conrad Glaser (Schleusingen) herausgegeben (Druck: EJW 1, S. 425– 544). Weitere „Denknisse“ hat Jahn allerdings nicht verfasst. 120 Der Turner 2(1847)8, S. 72. 121 Brief Jahns an Lübeck vom 4.4.1846 (U, S. 144–145). 122 Brief vom 13.8.1846 (M1, S. 511). 123 Brief Jahns an Lübeck vom 4.4.1846 (U, S. 145).

„Turnvater“ Jahn – gefeiert und geehrt

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linde gestickt hatte. Die Rede, die Jahn bei der Fahnenweihe hielt,124 fand in der Presse weithin Beachtung. Ganz besonders erfreut zeigte sich Jahn darüber, dass der Naumburger Turnplatz ohne irgendeine Unterstützung von Maßmann entstanden war, dem der preußische Staat doch die Aufgabe zugewiesen hatte, amtlicherseits das Turnen zu fördern. „Es geht gewissermaßen daraus seine Überflüssigkeit hervor, wenigstens seine nicht ganz ziehmliche Stellung, zur älteren Zeit.“125 Den 1846 in Heilbronn zum 1. Deutschen Turnfest versammelten Turnern schrieb Jahn einen Brief, der im Rahmen des allgemeinen Turntages am 2. August 1846 vor etwa 1.000 Teilnehmern verlesen, aber nicht weiter besprochen wurde.126 Die Versammlung hätte von der Möglichkeit Gebrauch machen können, ihre Zuneigung zu Jahn durch eine Grußadresse zu bekunden, doch darauf hat sie offenkundig verzichtet. Ein Mannheimer Turner rief vielmehr dazu auf, insbesondere der Turner zu gedenken, denen die Teilnahme am Turnfest verwehrt war, weil sie – wie das Vorstandsmitglied des Mannheimer Turnvereins und der spätere Revolutionsführer Gustav Struve127 – aus politischen Gründen verhaftet worden waren.128 Das Jahr 1847 stellte den Höhepunkt und zugleich den Wendepunkt der Jahnverehrung im Vormärz dar. Den 69. Geburtstag Jahns nahmen viele Turnvereine zum Anlass, Jahn als „Turnvater“ und Vorkämpfer für die Einheit und Freiheit Deutschlands zu ehren. Jahns einstiger Intimus, der „Wartburg-Brenner“ HansFerdinand Maßmann, der sich in den 1840er Jahren vergeblich um die „Wiederbelebung“ des Hasenheide-Turnplatzes bemühte, hielt bei der „Abendtafel“ in der Hasenheide die Festrede zu Jahns Geburtstag am 11. August 1847 und veröffentlichte sie 1849 in seiner Heftfolge „Altes und Neues vom Turnen“.129 Darin hob er die besonderen Verdienste des „Alten“ während der antinapoleonischen Erhebung hervor und entwarf das Bild eines „ganzen, mannhaften Erziehers voll thatkräftiger Liebe.“ Er schätzte an ihm, dass er keine „Bitterkeit in sich nach oder auf der Zunge trug“ darüber, „was er für seine besten und reinsten Absichten im befreiten Vaterlande leiden mußte.“ In tiefer Verehrung und Ergebenheit fasste Maßmann zusammen: „Diese Treue, diesen Adel der Gesinnung, diese ungetrübte Hingebung an die Hoffnung und das Heil des Vaterlandes halte ich für die Herrlichkeit seines Lebens, für den 124 125 126 127 128 129

Gedruckt in EJW 2.2, S. 915–918. Brief von Jahn an Lübeck, 3.9.1846 (U, S. 146). Turn-Zeitung 1(1846), S. 139. Vgl. Reiß (2004). Vgl. Krüger (2005), S. 100. Altes und Neues vom Turnen (1849), S. 95–99.

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schönsten Eichenkranz auf seinem greisen Haupte, wie für das Höchste im Menschen-, Volks- und Staatenleben überhaupt. Davor verschwindet jede menschliche Schwäche, von der Keiner frei ist und warum Keiner auf Erden den Stein aufheben oder richten und verdammen darf.“ 130

In der Turnpresse erschienen 1847 einige Glückwunsch-Adressen, die zeigen, dass Jahn von den Turnern in allen Teilen Deutschlands als „Turnvater“ verehrt und als Patriot gefeiert wurde. Das Frankfurter „Nachrichtsblatt für Deutschlands Turnanstalten und Turngemeinden“ veröffentlichte die Glückwunschschreiben der schwäbischen Turngemeinden und der Hanauer Turngemeinde.131 Der Turnwart der Hanauer Turngemeinde, August Schärttner, erinnerte an die Verdienste des „von uns so herzlich geliebten und treuverehrten Vater[s] […] um die deutsche Volkssache und die deutsche Jugend.“ Jahn versprach er: „wir wollen sein und walten in dem Geiste, den Du uns eingehaucht; wir wollen Dir nachfolgen als treue und dankbare Jünger; wir wollen Dir zu lohnen suchen, indem wir so denken und handeln, wie es Dir lieb ist; wir wollen Dein Werk und Dein Andenken ehren, indem wir der Welt zeigen, daß Du uns den wahren, den rechten Weg geführt hast; wir wollen uns fortbilden als ächte Turner, als richtige Erfasser unserer Zeit, als muthige Wahrer unserer und unserer Brüder Rechte, als unerschrockene Abwehrer der Tyrannei und des Unrechts, als heldenmüthige Vertheidiger der deutschen Sitte und des deutschen Bodens. – Ja, dieses Versprechen geben wir Dir, guter Vater Jahn, wir schulden es Dir, und werden es mit ächtem deutschem Biedersinne zu halten wissen.“132

An dieses Versprechen fühlten sich die Hanauer Turner noch eine Zeitlang gebunden. Als sie jedoch ein Jahr später erkannten, dass Jahn ihre demokratische Grundhaltung nicht teilte, wandten sie sich enttäuscht von ihm ab.133 Diese Grußadressen und die zahlreichen Glückwünsche, die Jahn anlässlich seines 69. Geburtstages in Freyburg erreichten, konnten allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass der „Turnvater“ bereits am Vorabend der Revolution in demokratisch-republikanischen Turnerkreisen nicht mehr unumstritten war. Das zeigte sich beim 2. Deutschen Turnfest in Frankfurt (31.7.–2.8.1847), das Jahn nach der Begeisterung, die ihm beim Waldenburger Turnfest entgegengeschlagen war, zunächst auch besuchen wollte. Bereits im Dezember 1846 sagte er der Hanauer Turngemeinde seine Teilnahme zu,134 löste sein Versprechen allerdings nicht ein. 130 Altes und Neues vom Turnen (1849), S. 99. 131 Nachrichtsblatt für Deutschlands Turnanstalten und Turngemeinden 2(1847), Nr. 18, S. 143–144. 132 Nachrichtsblatt für Deutschlands Turnanstalten und Turngemeinden 2(1847), Nr. 18, S. 144. 133 Nähere Einzelheiten in Kap. 7. 134 M1, S. 518–519.

„Turnvater“ Jahn – gefeiert und geehrt

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Die Turnfest-Teilnehmer hatten sich ursprünglich darauf geeinigt, Jahn einen Geburtstagsgruß zu übermitteln. Über den Entwurf gerieten die Abgeordneten der Turnvereine aber in einen heftigen Streit. Wie der Polizeibericht vermerkt, entzündete sich die Debatte an der Formulierung: „Durch die Gnade Gottes haben Sie heute ihr 70tes Lebensjahr erreicht!“ Der demokratisch-republikanisch eingestellte Mainzer Turner Germain Metternich kommentierte diese Formulierung mit den Worten: „Solch tolles und einfältiges Zeug soll ich doch nicht unterschreiben? Und da wir ja alle, jedenfalls ich bin von dem größten Theil von Euch überzeugt, Atheisten sind, so glaube ich an keine Gnade Gottes! Die Gnade Gottes muss aus der Adresse.“ Mit der Formulierung: „Wie vor dreißig Jahren bilden sämmtliche Turnvereine (heute) eine freie Gemeinde“ war Metternich ebenfalls nicht einverstanden und forderte, dass an dieser Stelle in die Adresse eingefügt werden müsse: „die besser weiß, was sie will und soll, als die auf der Wartburg versammelte. Unser Ziel ist das Vaterland von den Ketten der Zwingherrschaft zu befreien und wir sind mächtig genug, Deutschland frei zu machen, wie wir jetzt schon frei sind.“ Gegen diese von vielen Turntags-Abgeordneten begrüßte Ergänzung protestierten andere Delegierte. Der Hamburger Bartels sah durchaus, dass in allen Teilen Deutschlands der Ruf nach Freiheit zunehmend lauter werde, doch sei der geeignete Zeitpunkt zum offenen Widerstand noch nicht gekommen, „wo ich mein Blut zur Erkämpfung eines einigen freien Deutschlands verspritzen kann!“ Der Vereinsvertreter Schiele stimmte dem Änderungsvorschlag Metternichs nicht zu, weil er darin eine „offenbare Beleidigung des Jahn“ zu entdecken glaubte: „Was Jahn vor dreißig Jahren war, ist er dieß nicht heute noch? Weil er aber vor 30 Jahren schon Deutschland frei machen wollte, musste er bis heute in Schmach und Elend leben und ohne sein erhabenes Vorbild wären wir nie zu einer freien Gemeinde herangewachsen, die mit jedem Augenblicke stärker und mächtiger wird.“135 Die bis 1 Uhr nachts andauernde Redeschlacht endete ergebnislos, eine Adresse an Jahn kam nicht zustande; ihre Abfassung sollte während der Turnfahrt nach Königstein erfolgen. Mit dieser Aufgabe wurde Imandt, der Sprecher des Krefelder Turnvereins, betraut. Dessen Entwurf wurde noch auf dem Königstein verlesen, einstimmig angenommen und von 25 Personen, vornehmlich aus der Umgebung Frankfurts, unterzeichnet. Diese Adresse war ein Kompromiss zwischen den Turnern der beiden politischen Lager, des liberalen und des demokratischen, deren Aufspaltung auf diesem Frankfurter Turntag bereits deutlich erkennbar war. Die Grußadresse an Jahn lautete nunmehr: „Vater Jahn! Auf Königstein waren wir heute, gedachten Dein, und so warst Du bei uns, Deinen Söhnen. Wir riefen Deine ‚vier Worte‘ tief gefühlt, hinüber in die schönen Gauen, die vor uns lagen, und 135 Alle Zitate nach Neese (2002), S. 483–484.

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gelobten, in Deinem Geiste zu sein was Du wolltest: gute Söhne des deutschen Vaterlandes. – Gut Heil Dir zu Deinem 70jährigen Geburtstage von den deutschen Turnern.“136 Die vormärzliche Turnpresse formte durch die Veröffentlichung einiger biographischer Artikel ein idealisiertes bzw. romantisiertes Bild von „Turnvater“ Jahn bzw. vom „Alten im Barte“, das nach der Reichsgründung in Turnerkreisen vorherrschend wurde. Der Frankfurter Turnlehrer und Herausgeber des „Nachrichtsblattes“, August Ravenstein, erinnerte in seinem Beitrag137 insbesondere an den „jungen Jahn“, während der von Ernst Steglich im Dresdener „Turner“ publizierte Artikel138 ein Bild von Jahn entwirft, dem seine früheren Überzeugungen und Ansichten nur noch wenig gelten und der im beschaulichen Freyburg im Kreise seiner Familie und Freunde einen ruhigen Lebensabend verbringt.

136 Rheinische Turnhalle 1847, Nr. 6, 1. September 1847, S. 94–95. Neben Imandt, dem Sprecher für Krefeld, unterzeichneten diese Adresse: Georgii (Turnwart in Calw), Ruhrberg (Sprecher in Rheydt), Schirmer (Abgeordneter aus Duisburg), Burger (Turner aus Frankfurt a.M.), Pfeffer (Turner aus Oberwesel), Martel (Turner aus Darmstadt), Keuchen (Turner aus Darmstadt), Valentin (Turner aus Biberich), Altmann (Turner aus Rawiez), Mahr (Turner aus Eltville), Starklow (Turner aus Wiesbaden), Bartels (Turner aus Hamburg), Theobald (Turner aus Frankfurt a.M.), Stauch (Turner aus Wiesbaden), Meyer (Turner aus Elberfeld), Branneck (Turner aus Wetzlar), Friedrichs (Turner aus Cochem), Krick (Turner aus Ulm), Calm (Turner aus Frankfurt a.M.), Hinkel (Turner aus Wetzlar), Leopold und Johann Rupp (Turner aus Frankfurt), Heß (Sprecher für Siegen), Fr. Becke (Turner aus Prag). 137 Nachrichtsblatt für Deutschlands Turnanstalten und Turngemeinden 2(1847) Nr. 7, S. 49– 50; Nr. 8, S. 57–58. 138 Der Turner 3(1848)38, 315–316; Nr. 39, S. 323–324; Nr. 40, S. 331; Nr. 41, S. 339–340; Nr. 43, S. 358; Nr. 46, S. 381–382; Nr. 47, S. 389–390; Nr. 48, S. 397–398. – Vorbemerkung der Redaktion: „Wir entlehnen dieses höchst anziehende Bruchstück einem unter der Ueberschrift ‚Aus der Mark nach Thüringen’ im Morgenblatte 1847. (Nr. 91 92.) erschienenen Aufsatze.“

6. „engagiert und respektiert“ – Jahn als Freyburger Bürger nach seiner Begnadigung Auch nach Aufhebung der Polizeiaufsicht, die mit königlicher Ordre vom 23. Oktober 1840 erfolgte, hat Jahn, eingedenk der bitteren Erfahrungen, die er während seiner Haft und Verbannung nach Kolberg sowie eines mehr als zwanzigjährigen Lebens unter strenger Polizeiaufsicht gemacht hatte, nur mit größter Vorsicht geredet und gehandelt. In diesem Sinne schrieb er am 28.11.1840 an den Minister von Rochow: „Ew. Exzellenz statte ich meinen innigsten Dank ab für Ihre glückliche Mitteilung. Die Kgl. Kabinettsorder vom 23. Oktober öffnet mir wieder mein Vaterland, wo ich eigentlich mein Selbstgefangener war. Künftig darf ich gegen unsere Feinde eher ein Wort reden und brauche nicht zu fürchten, in doppelten Verruf als Heuchler und Schmeichler zu geraten. Übrigens können Ew. Exz. überzeugt sein, daß ich die hohe Vergünstigung nicht mißbrauchen werde, um mich an Orten zur Schau zu stellen und unnötiges Aufsehen zu erleben.“1

Jahn hat sich nach 1840 in seinem öffentlichen Umgang streng an dieses dem Minister gegebene Versprechen gehalten. Er nutzte jede Gelegenheit, die sich ihm bot, König und Vaterland hochleben zu lassen,2 mied aber auch den Besuch jeder öffentlichen Veranstaltung, aus der für ihn Probleme erwachsen könnten. So sagt er z.B. seine Teilnahme an einer Feier alter Kameraden von der Lützower Freischar in Naumburg am 3. Februar 1842, am Jahrestag vom Aufruf der Freiwilligen von 1813, ab mit der Begründung, er „fühle sich schwach für die Beschwerden großer Gesellschaften, langer Mahlzeiten und häufiger Trinksprüche.“3 An Dürre schreibt er an diesem 3. Februar einen Brief, in dem er als Grund für sein Fernbleiben von solchen Erinnerungsfesten angibt, dass solche Feste „eine Selbstbespiegelung, ein Eigenlob geworden“ seien, „da die Teilnehmer den jüngeren Nachwuchs nicht zulassen.“4 Er hat nach 21 für ihn sehr 1 2

3 4

M1, S. 464. Ein Beispiel dafür ist der von Euler (EJW 2.2, S. 963–964) im Wortlaut überlieferte Trinkspruch Jahns auf der Freyburger Feier aus Anlaß des Geburtstages König Friedrich Wilhelms IV. – des ersten Geburtstages, den dieser als König feiern konnte – am 15. Oktober 1840. Zu diesem Zeitpunkt war die Polizeiaufsicht über Jahn noch gar nicht aufgehoben worden, wie Jahns wiederholte, an den preußischen Minister des Innern und der Polizei v. Rochow gerichtete Gesuche beweisen; vgl. M1, S. 463–464. Zit. nach EJW 2.2, S. 961. Brief vom 3.2.1844 (M1, S. 497).

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„engagiert und respektiert“ – Jahn als Freyburger Bürger nach seiner Begnadigung

schlimmen Jahren resigniert. „Vom Manne der Tat“, schreibt er am 13. Januar 1844 an Dürre, „bin ich längst nur noch zum Raten zu brauchen, da ich, aus höherer Pflicht, die schwere Kunst übe, mich um die Zeit zu betrügen, weil man der Zeit auch Zeit lassen muß.“5 Jahn hat nun aber in seinen Freyburger Jahren durchaus nicht nur, wie man aus diesen Worten schließen könnte, den Rest seines Lebens untätig verbracht. Er war vielmehr sehr aktiv im gesellschaftlichen Leben der Städte Freyburg und Naumburg.

6.1 Jahn im Spiegel der Freyburger Stadtchronik In der Freyburger Stadtchronik ist Jahn seit 1838 mehrfach und ausführlich erwähnt.6 Unter dem 4. August 1838 z.B. wird im Zusammenhang mit dem verheerenden Brand dreier beieinander liegender Wohnhäuser – in einem von ihnen lag Jahns Wohnung – geschrieben, dass besondere Erwähnung verdiene, „daß auch die „reichhaltige Bibliothek des Herrn Professors Dr. Jahn ein Raub der Flammen wurde“. Über die Feier des Geburtstages König Friedrich Wilhelms IV. von Preußen am 15. Oktober 1840 – in der Stadtchronik ist dies irrtümlich im Jahresbericht 1839 vermerkt –, zu der auch Jahn offiziell eingeladen war, wird sehr ausführlich Jahns „Hoch für König und Vaterland“ erwähnt, und in diesem Zusammenhang wird er als „Prem. Lieut. und Ritter Doctor und Prof. Jahn“ bezeichnet, der „früher als Turnlehrer in Berlin Jünglinge zum FreiheitsKampfe für das Vaterland entflammte und dann selbst das Schwert ergriff, jetzt aber sich einen festen Wohnsitz in Freyburg erbaut hat [...].“ Unter dem 2. November 1844 wird – nachdem zum Reformationstag am 31. Oktober der Zweigverein Freyburg des Gustav-Adolph-Vereins „auf dem Rathaussaal“ gegründet worden war – die Wahl der Vorsteher verzeichnet. Als Mitglieder dieses Vorstandes werden sechs Personen genannt, darunter neben drei Geistlichen, dem Freyburger Bürgermeister und einem Tuchfabrikanten auch „Professor Jahn“. Am 8. Februar 1846, so die Stadtchronik, fand anlässlich des 300. Todestages Martin Luthers in der Freyburger Kirche eine Gedächtnisfeier statt. Das Programm dieser Feier enthielt drei Vorträge: den eines Superintendenten über Luthers letzte Lebenstage, den eines Diakons über Luthers häusliches Leben und den unmittelbar vor dem abschließenden Gesang platzierten Vortrag von „Doctor Jahn“ über „Luthers Verdienst um die deutsche Sprache, besonders durch seine Bibelübersetzung“. Unter dem Datum 11. August 1847, dem 69. Geburts5 6

M1, S. 496. Dieses sowie die folgenden Zitate sind dem Original der Freyburger Stadtchronik entnommen.

Jahn im Spiegel der Freyburger Stadtchronik

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tag Friedrich Ludwig Jahns – „Doctor der Philosophie, Premier Lieutn. A. D., vormahls Führer des 3. Bataillons im Lützowschen Corps, Ritter des St. Wladimir-Ordens 4. Kl., welcher auch oft der Professor, der alte Jahn, der Mann mit dem Barte, der Turnvater, genannt wird“ – wird ein kurzer Lebenslauf Jahns in die Stadtchronik aufgenommen, dabei vor allem betont, dass dieser Tag „durch den Vertrag zu Verdun (843) auch der Geburtstag Deutschlands war“, dass er „die männliche Jugend zum Turnen angefeuert, 1813 den Freiheitskrieg mitgemacht und 1815 dem Einzug in Paris beigewohnt“ habe. Ausdrücklich erwähnt wird auch sein Freyburger Haus, „an dessen Giebel die inhaltsreichen Worte stehen: Frisch. Frei. Fröhlich. Fromm.“ In einer relativ kurzen Eintragung über ein Festmahl für den Freyburger Bürgermeister am 3. Juli 1847, zu dem 100 Bürger eingeladen waren, wird festgehalten, dass Jahn dabei ein Gedenkwort auf die „großen Heimgegangenen“ gesprochen und dabei namentlich genannt habe: Stein, Scharnhorst, Hardenberg, vor allem aber „den hohen Herrn, dem jene dienten, Friedrich Wilhelm III.“ Zum 7. November 1847 wird die Vermählung der „einzigen Tochter“ des „Doctors der Philosophie und Prem. Lieutn. a. D. Jahn“ angezeigt, und zum 1. Mai 1848 wird mit einer längeren Eintragung über die Wahl der Wahlmänner in Freyburg sowie die Ergebnisse der Wahlen für die Frankfurter Nationalversammlung und die „vereinbarende Versammlung in Berlin“ am 8. Mai in Querfurt und am 10. Mai in Merseburg berichtet. U. a. finden wir in dieser Eintragung die Informationen, dass im 1. Wahlbezirk Freyburgs Bürgermeister Schier und im 2. Wahlbezirk Dr. Jahn als Wahl-Commissarii amtierten, dass im 2. Freyburger Wahlbezirk Dr. Jahn und Eduard Arnold als Wahlmänner, und am 10. Mai in Merseburg „der Dr. Jahn von hier“ als Deputierter für Frankfurt gewählt wurden. Unter dem 18. September 1848 stoßen wir in der Stadtchronik auf einen Bericht über den „Aufruhr“ in Frankfurt, u.a. mit folgender Information: „Auch unser Deputierter, der alte Jahn, den man namentlich suchte, wäre nicht mit dem Leben davon gekommen, hätte man ihn erwischen können; er hatte aber sein Zimmer verrammelt und so das Eindringen seiner Verfolger verzögert, bis ihn endlich die unterstützende Schutzwehr sicherte.“ Zum 19. Mai 1849 wird die Rückkehr des Abgeordneten Dr. Jahn gemeldet. Die letzten, relativ ausführlichen Eintragungen zur Person Jahns sind die Angaben über seinen Tod am 15. Oktober 1852 mit dem Hinweis auf die schwere Erkrankung, die am 22. August begonnen hatte, und das Begräbnis am 19. Oktober: „Sein Begräbniß am 19. war ganz einfach – er hatte es so bestellt –; das Einzige kann man als Auszeichnung ansehen, daß ihn Viele zur Ruhe begleiteten [...].“ Diese Auszüge aus der zeitgenössischen Freyburger Stadtchronik sind ein sehr deutlicher Beweis dafür, dass Jahn nicht nur zwischen 1809 und 1819 und dann wieder 1848/49 im Blickpunkt des öffentlichen Interesses gestanden hat, sondern Zeit seines Lebens. Dies galt für die Zeit nach 1825 ganz besonders in

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der Unstrut-Saale-Region, die zu seiner neuen Heimat geworden war. Die Eintragungen in der Freyburger Stadtchronik über Jahn, seine Familie, seine Aktivitäten und Verdienste zeugen von dem hohen Ansehen, das er hier genoss. Ohne Zweifel hatten die Menschen dabei nicht allein seine früher erworbenen Verdienste im Blick, sondern vor allem auch seine gesellschaftliche Rolle in diesem für ihn neuen Umfeld. Worin bestand diese Rolle? Jahn hat sich nach Aufhebung der Polizeiaufsicht getreu seinem Vorsatz, sich zwecks Vermeidung jeglicher weiterer Anschuldigungen nicht mehr „an Orten zur Schau zu stellen und unnötiges Aufsehen zu verursachen“ in der Öffentlichkeit anders als früher relativ ruhig verhalten.7 Er fürchtete offensichtlich, sich bei zu starkem Engagement für das Turnen wieder gefährlichen Angriffen auszusetzen. Im August 1846 schrieb er in einem Brief: „Noch immer lastet die Verfemung auf dem früheren Turnen.“8 Kultusminister Eichhorn hatte nämlich Maßmann, nicht Jahn als Berater für den Aufbau des staatlichen Turnens berufen, sodass Jahn folgerte, damit werde „der Schein verbreitet, als wäre das Turnen schon gut, seitdem der Erwecker beseitigt.“9 So beschränkte er sich darauf, auf ausdrückliche Einladung ausgewählte Vereine und Turnfeste zu besuchen, dabei auch Trink- und Lobsprüche auf das Turnen sowie auf König und Vaterland auszubringen. Er ließ sich bei diesen Gelegenheiten auch feiern, beließ es aber dabei, als Berater tätig zu sein.10

6.2 Engagement für die Gustav-Adolph-Stiftung Jahn hat sich in dieser Zeit stärker religiösen und sozialen Fragen und damit verbundener aktiver Tätigkeit in örtlichen und regionalen Vereinen zugewandt. Er griff ein in die Auseinandersetzungen zu Fragen der Religion und des Glaubens. Es war kein Zufall, dass außer zwei Geistlichen auch er im Rahmen der Feier aus Anlass des 300. Todestages von Martin Luther in der Freyburger Kirche einen

7 Das hatte Jahn übrigens dem Minister von Rochow in seinem Dankbrief für dessen Vermittlung in der Frage der Aufhebung der Polizeiaufsicht über ihn versprochen (vgl. M1, S. 464). In einem späteren Brief an v. Rochow (M1, S. 470) schreibt er: „Die Zeit gleicht alles aus. Ich aber mag weder den einen zur Lust, den andern zur Last sein und keinem zur Schau.“ 8 Brief vom 31.8.1846 (M1, S. 513). 9 Brief vom 31.8.1846 (M1, S. 513). 10 Jahn hat diesen Vorsatz u. a. im Brief an v. Holtzendorff-Vietmannsdorf vom 31.8.1846 (M1, S. 513–515) sehr klar ausgesprochen. Darin erklärte er ausdrücklich, freiwillig nie wieder nach Berlin zurückzukehren.

Engagement für die Gustav-Adolph-Stiftung

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Vortrag (über Luthers Verdienste um die deutsche Sprache im Lichte seiner Bibelübersetzung) gehalten hat.11 Jahns intensiver Einsatz in den zeitgenössischen Auseinandersetzungen um religiöse und soziale Fragen begann noch in der Zeit, als er unter Polizeiaufsicht stand. Die Verbindung des evangelisch-protestantischen Christen Friedrich Ludwig Jahn zu Fragen der Religion und des Glaubens resultierte zum einen aus seiner Herkunft aus einem evangelischen Pfarrhaus, zum anderen aber auch aus seinem wissenschaftlichen Interesse am Dreißigjährigen Krieg. Ihn faszinierte insbesondere der schwedische König Gustav Adolph, der in der Schlacht bei Lützen gegen Wallenstein am 6. November 1632 gefallen war. In Gustav Adolph sahen nicht nur Jahn, sondern viele evangelische Christen einen großen Feldherrn, der beispielhaft für die evangelisch-protestantische Sache in Deutschland gekämpft und dafür sein Leben geopfert habe. 1831 hatten 5.000 Menschen an der Einweihungsfeier für einen Denkstein zur Würdigung Gustav Adolphs auf dem Schlachtfeld bei Lützen teilgenommen. Als für den 6. November 1832 aus Anlass seines 200. Todestages vom Merseburger Regierungspräsidenten und vom Lützner Stadtrat ein Volksfest angeregt wurde, auf dem hohe kirchliche Würdenträger sprechen sollten, wurde zugleich die erste Sammlung für das nunmehr geplante Denkmal durchgeführt und der Vorschlag gemacht, eine GustavAdolph-Stiftung ins Leben zu rufen.12 Ein sofort gebildeter Ausschuss sollte einen Vorschlag für die sinnvolle Verwendung der erwarteten Spenden ausarbeiten. Bereits im Dezember 1832 verbreitete dieses Gremium einen Spendenaufruf für eine Stiftung, deren Ziele die Errichtung eines würdigen Denkmals für Gustav Adolph auf dem Lützener Schlachtfeld, die finanzielle Unterstützung bedrängter und unterdrückter Glaubensgenossen in aller Welt, vor allem von sog. Märtyrervereinen, auf denen seit Ende des Reformationszeitalters der Druck der Verfolgung laste, sowie der Aus- und Aufbau von Kirchen und Schulen sein sollten. Den evangelisch-gläubigen Pfarrersohn Jahn interessierte dies brennend. Am 8. Mai 1833, noch in Kölleda unter strengster Polizeiaufsicht stehend, teilte er dem Landrat mit: „Ew. Hochwohlgeboren verfehle ich nicht hierdurch pflichtgemäß anzuzeigen, wie ich eine Fußreise von 8 Tagen über die Schlachtfelder von Roßbach, Keuschberg, Lützen und Groß-Görschen zu machen gedenke.“13 Weder eine positive noch eine negative Reaktion ist auf diese Mitteilung Jahns aus den Akten zu ersehen. 11 Siehe Stadtchronik Freyburg unter dem 8.2.1846. 12 Dieser Vorgang ist in zahlreichen zeitgenössischen Schriften und Vorträgen sehr ausführlich geschildert worden, u. a. in einer Schrift aus dem Jahre 1853 zum Thema „Der evangelische Verein der Gustav-Adolf-Stiftung. Seine Entstehung, sein Fortgang, seine Wirkung und seine gegenwärtige Lage“, sowie in dem 1851 gehaltenen Vortrag von P. L Kalb; s. Kalb (1851). 13 Acta Eckardtsberga, S. 9.

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Bei der Einweihung des Lützner Denkmals am 6. November 1837, einer großartigen Feier, auf der Bischof Draesecke die Hauptansprache hielt,14 war Jahn persönlich anwesend und auch zum Festmahl eingeladen. Hier sprach er in Erwiderung des Trinkspruchs eines Leipziger Gastes auf ihn und seine früheren Verdienste u. a. die Worte, dass die gute, im Trinkspruch ausgedrückte Meinung ihn „mit unangenehmen Erinnerungen schmerzlich berührt“15 habe. Jahn war also schon im damals entstehenden Verein der Gustav-Adolph-Stiftung fest integriert. In den folgenden Jahren entstand noch ein zweiter Verein zum gleichen Zweck, sodass zunächst zwei gleichartige Vereine bestanden. Im Jahre 1842 schlossen sich die beiden Hauptvereine mit Sitz in Leipzig/Dresden und Darmstadt zu einem Gesamtverein mit dem Namen „Evangelischer Verein der Gustav-Adolph-Stiftung“ zusammen. Sie beschlossen auf ihrer zweiten Generalversammlung eine Satzung, auf Grund derer u.a. eine Gliederung in Orts-, Zweig- und Hauptvereine festgelegt wurde. Wie eng Jahn in die Arbeit des Gustav-Adolph-Vereins eingebunden war, zeigen seine vielfachen Erwähnungen dieses Vereins in seinen Briefen, in denen er sehr stolz und nachdrücklich über dessen Arbeit berichtete. Jahn gehörte zunächst dem Naumburger Verein an. Seiner Initiative war es zu verdanken, dass zum Reformationstag 1844 auch in Freyburg ein Zweigverein ins Leben gerufen wurde.16 Dem entsprechenden Aufruf an die Bürger Freyburgs und seiner Umgebung, unterschrieben von dem Superintendenten Burkhard und dem Freyburger Bürgermeister Schier, leisteten 123 Freyburger Bürger und 13 Schullehrer aus der Umgebung Folge. Jahn wurde auf der konstituierenden Sitzung als Schriftführer in den fünfköpfigen Vorstand gewählt, dem Bürgermeister Schier als „Ordner“ vorstand. In Freyburg hatte sich bis zur Mitte der 1840er Jahre offensichtlich so etwas wie ein Netzwerk etabliert, in dem Jahn einen sehr bedeutenden Platz einnahm. Die erwähnte Feierlichkeit zum 300. Todestag Martin Luthers, die Bildung des Freyburger Zweigvereins des Evangelischen Vereins der Gustav-Adolph-Stiftung, die unter persönlicher Leitung des Bürgermeisters stand, und die besondere Auf14 Darüber ausführlich in: LHSA, Abt. MER, Rep. C 48, I b, Nr. 683. Über Jahns Teilnahme an dieser Gedächtnisfeier und seine dortigen Erlebnisse berichtet Pröhle (1859), insbesondere S. 18–19. 15 EJW 2.2., S. 955. 16 Darüber berichtet Max Lutze in einem Artikel über „Friedrich Ludwig Jahn und der GustavAdolf-Verein“ auf der Grundlage „vergilbter Blätter“, die zu seiner Zeit noch im Freyburger Jahnmuseum lagerten, später aber leider verloren gegangen sind (während des Zweiten Weltkrieges oder in den Jahren danach, als das Museumsgut ausgelagert war bzw. vorübergehend Umsiedler im Jahnhaus wohnten). In: Naumburger Heimat, Beilage Nr. 20 v. 01. 06. 1932 zur Ausgabe Nr. 126 des „Naumburger Tageblatt“ sowie der „Bad Kösener Allg. Zeitung“.

Sympathie für die „Lichtfreunde“

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merksamkeit für Jahn, die in der Freyburger Ortschronik sehr deutlich spürbar ist, sprechen jedenfalls dafür. Wahrscheinlich ist dieses lokal und regional verankerte Beziehungsgeflecht für Jahn in den Jahren nach Haft und Polizeiaufsicht sehr viel wichtiger gewesen als die alten Verbindungen, die z. T. daneben noch weiter funktionierten.

6.3 Sympathie für die „Lichtfreunde“ Vornehmlich im mitteldeutschen Raum, besonders in der preußischen Provinz Sachsen, erlangte die Bewegung der „Protestantischen Freunde“, im Volksmund auch als „Lichtfreunde“ bezeichnet, großen Einfluss auf die Gustav-AdolphVereine. Diese Bewegung17 erwuchs aus dem bereits jahrzehntelang spürbaren Unmut aufgeklärter protestantischer Pastoren und anderer Gläubiger mit dem damaligen Zustand der evangelischen Kirche, insbesondere über die Herrschaft der neupietistisch-orthodoxen Richtung in ihr, die sich mit dem „Berliner politischen Wochenblatt“ – unterstützt vom Kronprinzen und herausgegeben u. a. von den engen Vertrauten Metternichs Jarcke und Radowitz – ein wirkungsvolles Sprachrohr geschaffen hatte. Der Konflikt zwischen neupietistischer und rationalistischer Richtung unter den evangelischen Geistlichen eskalierte 1840 im Zusammenhang mit dem Sintenisschen Bilderstreit.18 Zusammen mit 15 gleichgesinnten Amtsbrüdern gründete der Prediger Leberecht Uhlich, der Anfang der 20er Jahre bei aufgeklärten Theologieprofessoren der Halleschen Universität studiert hatte, im Juni 1841 in Gnadau in der Nähe von Schönebeck die „Vereinigung der protestantischen Freunde“, deshalb als „ Lichtfreunde“ bezeichnet, weil sie sich bei ihrer Auseinandersetzung mit den aus ihrer Sicht „finsteren“ Auffassungen der orthodoxen Neupietisten oft der Metapher „Licht“ bedienten. Das Hauptanliegen der Lichtfreunde und ihr oberster Grundsatz war es, das Reich Jesu im Geiste der protestantischen Kirche, im Lichte der Gegenwart und mit allen Mitteln fortgeschrittener Wissenschaft zu erklären und weiterzubilden.19 Sehr rasch wuchs die Vereinigung, die sich im folgenden Jahre auch 17 Über die Geschichte der „Lichtfreunde“-Bewegung in der preußischen Provinz Sachsen s. die im Literaturverzeichnis aufgeführten Arbeiten von Brederlow (1976) und Breywisch (1926). Neuere Arbeiten zur politischen Rolle der „Lichtfreunde“ sind vor allem die von Breitenborn (1995), Peters (1998) und Raubaum (1987) sowie die Arbeit von Hattenhorst (2001), der speziell die Rolle der „Lichtfreunde“ im religionssoziologischen Zusammenhang untersucht hat. 18 Vgl. Brederlow (1976), S. 26. 19 In aller Ausführlichkeit sind die Grundsätze der „Protestantischen Freunde“ in den zeitgenössischen Druckschriften dargelegt. Siehe die Arbeiten von Findeis (1844), König (1844/45), Wislicenus (1845), Uhlich (1846) und Pröhle (1859).

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„engagiert und respektiert“ – Jahn als Freyburger Bürger nach seiner Begnadigung

für Laien öffnete, zu einer wahren Massenbewegung an. Sie strebte in erster Linie die Modernisierung der evangelischen Kirche an, womit notwendigerweise auch die Forderung nach Modernisierung des Staates verbunden war. Hatte der 1840 verstorbene preußische König Friedrich Wilhelm III. sein 1815 gegebenes Verfassungsversprechen doch niemals eingelöst und offensichtlich auch nicht einlösen wollen. Sein Sohn und Nachfolger Friedrich Wilhelm IV. erklärte bald sogar den religiösen Konservatismus zur offiziellen Staatsdoktrin, indem er seinen festen Willen bekundete, die evangelische Landeskirche im pietistischorthodoxen Sinne zu reorganisieren und sie zur tragenden Säule des von König und Adel propagierten „christlichen Ständestaats“ zu entwickeln. Jahn war ein entschiedener Anhänger der „protestantischen Freunde“ und ihrer rationalistischen, liberalen Programmatik. So berichtete Georg Fein, ehemals Burschenschafter und später ein radikaler Politiker, mit dem Jahn seit langem in wissenschaftlichem Austausch stand, über einen Besuch bei Jahn im Jahre 1827 u.a. Folgendes: „Besonders hart, zu hart war er [ Jahn] gegen manche religiöse Richtungen der Zeit, den sog. Mystizismus und Pietismus.“20 Fein berichtete weiter, er habe bei diesem Besuch einen Brief Jahns an Maßmann zu Gesicht bekommen, in dem Jahn geschrieben habe, daß er mit Harnisch, damals Direktor des Weißenfelser Seminars, „ganz auseinander“ sei; die Ursache hierfür sehen Langenfeld/Ulfkotte in den unterschiedlichen religiösen Anschauungen Jahns und Harnischs. Offensichtlich war der Freyburger Gustav-Adolph-Zweigverein mit Friedrich Ludwig Jahn wie viele Zweigvereine in der Provinz Sachsen ganz auf der Linie der „Protestantischen Freunde“.21 Als sich unmittelbar vor der 48er-Revolution die Lichtfreunde-Bewegung in liberale und demokratische Richtungen differenzierte und zunehmend rationale Pastoren, u.a. Rupp in Königsberg bereits 1845 und Uhlich in Magdeburg 1847, aus ihren kirchlichen Ämtern entfernt wurden, kam es in wachsendem Maße zur Gründung von „Freien Gemeinden“, deren größte die von Leberecht Uhlich betreute Magdeburger Freie Gemeinde war, die 1847 5.000 bis 8.000 Mitglieder gehabt haben soll.22 Die Lichtfreunde wurden mit diesen Freien Gemeinden und ihrer Wirksamkeit zu einer starken politischen Kraft, die sich vor allem sehr ernsthaft mit sozialen Fragen unter dem Gesichtspunkt des christlicher Denkweise ent20 Zit. nach L/U, S. 92. 21 Jahn hat in vielen Briefen, vor allem in denen, die er zwischen 1844 und 1847 geschrieben hat, seinen mit den Grundsätzen der „Protestantischen Freunde“ übereinstimmenden Standpunkt deutlich gemacht. Vgl. M1, Einleitung zu Kap. XI, S. 460. 22 Die Zahl der Mitglieder der Magdeburger Freien Gemeinde wird in der Literatur unterschiedlich hoch beziffert. Die Angaben schwanken zwischen 5.000 und 7.000 bis 8.000 Mitgliedern für die Zeit um 1847.

Sympathie für die „Lichtfreunde“

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springenden Gebots der Versöhnung sozialer Gegensätze auseinandersetzten. Es ist sehr wahrscheinlich, dass diese Lichtfreunde-Bewegung auch in Freyburg im Zusammenhang mit dem Gustav-Adolph-Zweigverein eine sehr kräftige Basis besessen hat.23 Für Jahns starke gesellschaftliche Stellung in Freyburg, die er sich nicht zuletzt durch seine Vereinsarbeit erworben hatte, sprechen zudem die Vorgänge im Zusammenhang mit der Wahl der Wahlmänner im Jahr 1848. War Bürgermeister Schier der Commissarius im 1. Wahlbezirk Freyburgs, so wurde Jahn nicht nur zum Commissarius im 2. Wahlbezirk berufen, sondern er errang am 1.  Mai 1848 zusammen mit seinem engen Freund Eduard Arnold, Sohn des Freyburger „Bärenwirts“24 und Mitbegründer des 1845 entstandenen Freyburger Turnvereins,25 bei den Wahlen in diesem Bezirk beide Wahlmänner-Mandate für die Wahl der Deputierten für die deutsche Nationalversammlung in Frankfurt und für die Wahl der Deputierten für die preußische Nationalversammlung. Was ist nahe liegender als die Vermutung, dass dies in erster Linie ein Ergebnis des aktiven gesellschaftlichen Auftretens von Jahn gewesen ist? Neben einigen bekannten Führern der Lichtfreunde-Bewegung (Uhlich, Wislicenus, Baltzer) war er von den Initiatoren des Frankfurter Vorparlaments, das die deutsche Nationalversammlung vorbereiten sollte, schon für die Teilnahme an ihren Beratungen für den 31. März bis 2. April 1848 eingeladen worden.26 Wie sehr die gesellschaftlichen Aktivitäten Jahns auch die politischen Köpfe in der gesamten Saale-Unstrut-Region beeinflussten, zeigt nicht zuletzt die Tatsache, dass Jahn 23 Darüber gibt die Akte in: LHSA, Abt. MER, Rep. C 5ß, Querfurt A/B, Nr. 387 (betreffend „die Wahl der Wahlmänner Behufs Ausführung der Allerhöchsten Verordnung über die Wahl der preußischen Abgeordneten zur Deutschen Nationalversammlung vom 11. April 1848) zuverlässig Auskunft. 24 Hildebrandt-Strehlen (1899) berichtete in seinem Büchlein (S. 10 ff.) über solche Begebenheiten aus den ersten Freyburger Jahren Jahns, an die sich die Bewohner der Stadt gegen Ende des 19. Jahrhunderts noch erinnern konnten. Dazu zählt etwa Jahns Verhältnis zur Familie Arnold, die zu dieser Zeit den Gasthof zum „Schwarzen Bären“ am Holzmarkt bewirtschaftete, wo Jahn mit seiner Familie eine Zeitlang wohnte. 25 Die Schlussfolgerung ergibt sich aus der Tatsache, dass der Freyburger Turnverein am 22. Juni 1850 gemeinsam mit den Turnvereinen von Naumburg, Laucha und Apolda sein Jubiläumsfest feiern wollte, was ihnen vom Landrat nach Rücksprache mit dem Regierungspräsidium in Merseburg verboten wurde (LHA, Abt. MER, Rep. C 50, Querfurt A/B, Acta Nr. 360). 26 Eduard Baltzer, der selbst zur Teilnahme am „Vorparlament“ eingeladen war, berichtete in seinen „Erinnerungen“, dass Heidelberger Professoren, die sog. „Siebener-Kommission“, die für diese vom 31. März bis 4. April anberaumte Tagung, die die „Deutsche Nationalversammlung“ vorbereiten sollte, die Teilnehmer – sämtlich in der Öffentlichkeit bekannte Persönlichkeiten, darunter führende Vertreter der „Protestantischen Freunde“ („Lichtfreunde“) wie Uhlich und Wislicenus – ausgewählt habe.

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im 46. Wahlbezirk Preußens in Merseburg am 10. Mai 1848 bereits im zweiten Wahlgang mit deutlicher Mehrheit zum Abgeordneten der deutschen Nationalversammlung in Frankfurt gewählt worden ist.

7. „Ein Roter werde ich nicht“ – Jahn als Abgeordneter in der Frankfurter Nationalversammlung 1848/49 Am 24. Februar 1848 brach in Frankreich mit dem Sturz des französischen Königs Louis Philippe und der Ausrufung der Republik die Revolution aus, die sich als auslösender Funke für die revolutionären Vorgänge in Deutschland erweisen sollte. Drei Tage später fand in der badischen Handels- und Industriemetropole Mannheim eine Volksversammlung mit 2.500 teilnehmenden Demokraten und Liberalen statt, auf der die Entsendung einer Petition nach Karlsruhe mit Forderungen nach Pressefreiheit, Volksbewaffnung, Schwurgerichten und nach der Bildung einer deutschen Nationalversammlung beschlossen wurde.1 Wie in Baden, so wurden in den meisten großen Städten der südwestdeutschen Region einschließlich Württembergs und der hessischen Kleinstaaten diese Forderungen erhoben, u. a. in Heidelberg, Stuttgart und Hanau. Die Folge war, dass in den meisten dieser Staaten von ihren Herrschern liberale Ministerien berufen wurden, betraut mit der Aufgabe, die „Märzforderungen“ zu realisieren,2 einschließlich der Verabschiedung konstitutioneller Verfassungen in den Einzelstaaten. Bereits am 5. März 1848 trafen sich in Heidelberg 51 führende Männer demokratischer und liberaler Strömungen des Südwestens, die in einer Resolution die deutschen Regierungen aufforderten, Wahlen für ein „unaufschiebbares Nationalparlament“ auszuschreiben.3 Sie beauftragten einen aus ihren Reihen ausgewählten „Siebenerausschuss“, „Männer des Vertrauens“, zu einem Vorparlament nach Frankfurt einzuladen, um ein solches Nationalparlament vorzubereiten.4 Diese Einladungen an die ausgewählten Persönlichkeiten erfolgten am 14. März, also noch vor dem Ausbruch der Revolution in Preußen. Die Eingeladenen waren sowohl Abgeordnete schon bestehender Landtage als auch Männer, die in den vergangenen Jahrzehnten unter den Bedingungen der Restaurationszeit und der „Demagogenverfolgung“ schwer hatten leiden müssen. Da etwa zur gleichen Zeit, am 13. und 18. März, die Revolution auch die größten Länder des Deutschen Bundes, Österreich und Preußen, erreichte, war für den Siebenerausschuss der Weg frei, auch Persönlichkeiten aus diesen Ländern bei der Aus1 2 3 4

Vgl. Wollstein (1977), S. 12–13. Vgl. Wollstein (1977), S. 18. Zur Heidelberger Versammlung vom 5. März 1848 vgl. Engehausen/Hepp (1998). Vgl. Wollstein (1977), S. 56.

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wahl zu berücksichtigen. Der „Turnvater“ Jahn galt allenthalben als einer derjenigen, die nach unrechtmäßig verbüßter Haft und zwei Jahrzehnten erduldeter Polizeiaufsicht mit rigorosen Auflagen und Reisebeschränkungen am stärksten unter der repressiven Politik des Deutschen Bundes nach 1819/20 hatte leiden müssen. Deshalb wurde auch er, fast 70 Jahre alt, zum Vorparlament eingeladen.

7.1 Vor der Abreise nach Frankfurt am Main (März 1848) Jahn hat in den März- und Apriltagen des Jahres 1848 die Revolution freudig begrüßt. Er erhoffte sich viel von der Tätigkeit im Vorparlament im Sinne der Einheit und Freiheit seines deutschen Vaterlandes und seiner Bürger. Jetzt sah er die Zeit für eine gründliche Verbesserung der gesellschaftlichen Verhältnisse und die Einlösung des Verfassungsversprechens durch König Friedrich Wilhelm IV. gekommen. Zeitgenossen, enge Freunde ebenso wie Bewunderer, haben Jahns Haltung und seine Aktivitäten während dieser Tage sehr lebhaft beschrieben. Eduard Arnold, der Sohn des Gastwirts Friedrich Arnold in Freyburg, der Jahn und seine Familie in den beiden ersten Monaten ihres Aufenthalts in Freyburg 1825 im „Schwarzen Bären“ beherbergt hatte, ist einer derjenigen, denen wir recht genaue Kenntnisse darüber verdanken. Arnold, der auf der Grundlage gleicher Interessen ein großer Bewunderer Jahns war und in ihm sein Vorbild sah, begleitete sein Idol während dieser Zeit auf Schritt und Tritt. Noch Jahrzehnte später erinnerte sich Arnold: „Nach dem fortschrittlichen Vorgehen regten sich auch die Republikaner; sie drangen in alle Gesellschaften ein, namentlich auch in die Gesangvereine. So kamen auch von Hanau zwei Republikaner und suchten den Verein dazu zu bewegen, sich für die Republik zu bewaffnen. Die Rede fand Anklang. [...] Die Hanauer hatten zwei Sensen mitgebracht als Muster für die Waffen; sie blieben in Freyburg, die eine erhielt ich von Jahn als eine Waffe, die namentlich gegen die Reiterei gebraucht werden könnte. [...] [ Jahn] nahm mich mit zu allen Volksversammlungen.“5

In dem in einem Familienarchiv6 aufgefundenen Brief eines Bürgers aus Laucha ist zu lesen: „Im Revolutionsjahr 1848, den 24. April, und zwar am zweiten Osterfeiertage, sah ich Jahn als Redner in einer Volksversammlung auf dem Marktplatz zu Laucha. Er hielt hier eine lebhafte und mit donnerndem Beifall begleitete Rede. Mit Entschiedenheit verlangte er die Abschaffung der Feudallasten und Frohnden, die der Adel und die Kirche 5 6

Arnold (1898), S. 79. Archiv des Jahnmuseums in Freyburg a.d. Unstrut.

Vor der Abreise nach Frankfurt am Main (März 1848)

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vielfach noch hatten, die Abschaffung der glänzenden Uniformen der Militärs, sowie Änderung des Gerichtswesens. Er war dabei anscheinend sehr erregt und trat mit Schroffheit für seine Forderungen ein, ohne sich an der weiteren Debatte zu beteiligen, die der Einberufer der Versammlung, der Dr. Neuhaus und der Diakonus Gerstner aus Laucha sowie der Pastor Rühlmann aus Kirchscheidungen, weiterführten.“7

Der Turnhistoriker Carl Euler berichtete, Jahn habe sich mit dem Vetter von Eduard Arnold im Jahre 1848 entzweit, „da dieser nicht an die Spitze eines in Naumburg 1848 gegründeten sehr radikalen Turnvereins treten wollte. Er ( Jahn) verbot ihm sein Haus, gestattete sogar nicht, dass er auf einer Turnfahrt nach Freyburg die Fahne in gewohnter Weise bei ihm unterstellte. Später, als Jahn so trübe Erfahrungen gemacht hatte, gestand er Arnold, den er einmal im Freyburger Ratskeller traf, dass dieser damals doch recht gehandelt habe. Er gab ihm seine ‚Schwanenrede‘ und reichte ihm die Hand.“8

Natürlich versuchte Euler im Jahre 1898, als sich die Jahn-Verehrung längst Bahn gebrochen hatte, Jahns Haltung zu relativieren. Deshalb fügte er hinzu: „Mit solchen oder ähnlichen Anschauungen stand Jahn damals aber nicht allein. Auch in Preußen wurde Klage geführt über den vermeintlichen Hochmut der Offiziere und die Volksfeindlichkeit der Armee. Man verlangte von gewissen Seiten, dass außer in Reih und Glied die Offiziere keine Uniform, die Soldaten keine Waffen tragen, und außer Dienst vollkommene Gleichheit bestehen solle. Das ganze Heerwesen sei ein leeres Spiel, das durch Bürgerwehren oder Milizen ersetzt werden müsste.“9

Die Vorwürfe, die Jahn später von einem republikanischen Turner als Entgegnung auf seine „Schwanenrede“ gemacht worden sind,10 waren also, ungeachtet der Eulerschen Rechtfertigungsversuche, zweifellos sehr berechtigt. Ist doch auch in schriftlichen Äußerungen Jahns aus den ersten „Revolutionswochen“ seine revolutionäre Haltung deutlich erkennbar. So setzte er beispielsweise einem auf den 23.3.1848 datierten Albumblatt für Franz v. Holtzendorff-Vietmannsdorf, einen Gutsbesitzer, der sich 1843 für die Einführung einer reichsständischen Verfassung eingesetzt hatte, den Hinweis auf einen Bibelvers voran „Jesaias 66, v. 8“, ins Deutsche übersetzt: „Wer hat solches je gehört und wer je solches gesehen? Wird ein Land an einem Tag zur Welt gebracht? Wird denn ein Volk auf einmal geboren? Kaum ist Zion in Wehen, hat er seine Kinder schon geboren.“11 Jahns folgender Eintrag auf dem Albumblatt lautete: 7 8 9 10 11

Zit. nach dem Original aus dem Archiv des Jahnmuseums in Freyburg a.d. Unstrut. Vgl. Euler (1898), S. 1018. Vgl. Euler (1898), S. 1019. Vgl. Der Turner 3(1848)42, S. 343–344. L/U, S. 145.

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„Nie hat bis jetzt ein Volk eine Verfassung auf trockenem Wege bekommen; sondern allemahl auf dem nassen, nicht aber auf dem nassen der Tinte und Thränen; sondern des Schweißes. So muss jede Verfassung erstrebt und erlebt werden. Obige Worte sind zuerst gesprochen am Jahresfeste Scharnhorsts zu Berlin 1816, von dem Niederschreiber dieser Zeilen. Die geschichtliche Wahrheit hat sich neuerdings glanzvoll bestätigt, als das Volk in Berlin sich am 18ten März 1848, selbst für das Vaterland aufrief.“12

Dies stellt ebenso eine Bestätigung dafür dar, dass Jahn in den März- und Apriltagen des Jahres 1848 die Revolution freudig begrüßt hat. Er erhoffte sich viel von der Tätigkeit im Vorparlament im Sinne der Herstellung der Einheit des deutschen Vaterlandes und der Freiheit für seine Bürger. Dabei muss jedoch ausdrücklich betont werden, dass Jahn bei aller Kritik, die er an den Zuständen in Preußen und anderen deutschen Staaten mit z. T. sehr harten Worten übte, niemals den preußischen König in diese Kritik einbezogen hat und auch niemals auf der Seite derer gestanden hat, die demokratisch-republikanische Verhältnisse herbeiwünschten.

7.2 Vorparlament und 1. Turntag in Hanau In der letzten Märzdekade erhielt Jahn die Einladung zum Frankfurter Vorparlament für den 31.März/1. April. Fast zur gleichen Zeit muss ihm auch die Einladung der Generalversammlung der Turngemeinde zu Hanau zugegangen sein, als Alterspräsident13 an einer Zusammenkunft aller „Turngemeinden Deutschlands“ am 2.4.1848 in Hanau teilzunehmen. In der letzten Ausgabe der „Rheinischen Turnhalle“14, dem Presseorgan der rheinischen und bergischen Turnvereine, erschien im März 1848 der Beitrag „Jahn und seine Stellung zur deutschen Gymnastik“.15 Dabei handelte es sich um die Wiedergabe einer bereits drei Jahre zuvor erschienenen Streitschrift des Publizisten Franz v. Florencourt (1803–1886),16 der seit 1845 die Bestrebungen der „Lichtfreunde“ heftig bekämpfte.17 12 13 14 15 16 17

L/U, S. 145. Vgl. Best/Weege (1996), S. 191. Weitere Einzelheiten bei Schnitzler (1993), S. 211–224. Rheinische Turnhalle, herausgegeben von C. Imandt, 2. Jahrgang, Nr. 3, März 1848, S. 39–46. Vgl. ADB 48(1904), S. 594–600. Als der Prediger Uhlich aus Magdeburg, Mitbegründer der „Lichtfreunde“, am 8. Juli 1845 im Rahmen einer Volksversammlung in Naumburg „über das Wesen und Streben der protestantischen Freunde“ sprach, hielt Florencourt eine Gegenrede. Jahn, der mit den „Lichtfreunden“ sympathisierte, hörte ihm vom Fenster einer Gaststätte zu. Nachdem Florencourt seine Rede beendet hatte, fragte Uhlich die Anwesenden, ob er dem Redner antworten solle. Jahn ermun-

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Als Herausgeber der in Krefeld erscheinenden Turnzeitung verfolgte Caspar terte ihn dazu mit der Bemerkung: „Auf diese Rede paßt am besten eine Antwort mit dem Knüppel aus dem Holzlande“ (Zit. nach EJW 2.2, S. 916). Diese derben Worte verfehlten ihre Wirkung bei Florencourt nicht, der Jahn wenige Wochen später mit seiner Streitschrift: ‚Über Nazionalbelohnungen, mit besonderer Beziehung auf den Professor Jahn‘ heftig angriff. Am Ende des Jahres informierte Jahn seinen Berliner Freund Lübeck über diesen Vorgang: „Der Schriftsteller Franz von Florencourt, gebürtig aus Braunschweig, von den Schwarz-Roth-Goldenen weiland ‚der Wanzenjäger‘ genannt, seit einigen Jahren ansäßiger Bürger zu Naumburg, wo er im Scherz Ritter Kurt heißt, und der Just. Commiss. Bromme sein Knappe – Nun dieser Schriftennachsteller hat eine Schmähschrift wider mich ergehen lassen. Sie heißt: ‚Über Nazionalbelohnungen, mit besonderer Beziehung auf den Professor Jahn‘, und steht in des Leipzigers: Dr. Biedermann Deutscher Monatsschrift. Sept. u. – October-Heft. Schwerlich wirst Du diesen Giftköcher zu Gesicht bekommen, denn Biedermanns Herold und Deutsche Monatsschrift sind wegen früherer Auslassungen von Florencourt, dem Todtengräber der Zeitschriften, seit dem 18. Sept. in Preußen gar strenge verboten, und sollen: ‚Nicht eingeführt, durchgeführt, ausgegeben, feilgeboten, verkauft, an öffentlichen Orten ausgelegt, oder sonst verbreitet werden‘. Das wußte Florencourt, und dachte sich dort in einem sichern Versteck und Schlupf, um seine Federn zu mausern, und das Gewölle von sich zu geben. Es ist mir aber gelungen: auf rechtlichem Weg, und rechtlicher Weise die fraglichen Hefte in die Hände zu bekommen, mit der Verpflichtung solche nach dem Gebrauch zurückzuliefern. So habe ich bereits wider Florencourt beim Ober-Landesgerichte zu Naumburg die Klage angemeldet, und verlangt; daß mein Verunglimpfer zur fiskalischen Untersuchung gezogen werde. Der Justizrath Müller, auch als Humorist bekannt führt meine Sache“ (zit. nach U, S. 142, Brief vom 23.12.1845). – August Ravenstein hatte den Inhalt der Florencourtschen Streitschrift im „Nachrichtsblatt“ 1846 mit den Worten kommentiert: „Der Angriff, welchen Herr von Florencourt auf Jahn gemacht hat, ist ein dreifacher, indem er zuerst Handlungen und Absichten desselben einer scharfen und persönlich verletzenden Kritik unterwirft, ein Verfahren, welches bei den Gerichten ohne Zweifel gebührend gewürdiget werden wird. Sodann wird ferner über Jahns Werke und Thaten, das Volksthum nämlich und die Begründung des Turnwesens unerbittlich der Stab gebrochen. Ersteres ist für Herrn von Florencourt eine unzusammenhängende Reihe von Ideen und Gedanken, die anderweit längst besser ausgesprochen worden seyen; letzteres, das Turnwesen, habe lange vor Jahn bestanden und – sonderbare Behauptung – gerade Jahn habe durch schiefe Behandlung der Sache und durch Aufstellung eines ungenügenden, zum Theil verkehrten Systems der Turnkunst das durchgreifende Aufkommen der Leibesübungen wesentlich behindert. Ohne das ‚Volksthum‘ in Hinsicht seiner äußeren Form und inneren Anlage gegen den geschehenen Angriff förmlich in Schutz nehmen zu wollen, wozu hier der Ort nicht ist, genügt die Bemerkung, daß viele der darin ausgesprochenen Gedanken und Ideen seitdem zu schöner Wirklichkeit geworden sind, und daß es Wahrheiten gibt, die, ungeachtet sie schon vor grauen Zeiten Einzelne durchdrungen haben, doch nicht oft und eindringlich genug wiederholt und verkündigt werden können, bis endlich der rechte Zeitpunkt damit getroffen wird. Jahn hat nun, um nicht geradezu zu sagen, das Verdienst (was ihm ja eben bestritten wird), doch mindestens das Glück gehabt, die Zustände unseres Volkslebens gerade im günstigen Augenblicke und gerade in der eindringlichsten Weise besprochen zu haben. Daher der Eindruck seines Volksthums, der noch immer fortwirkt und so lange fortwirken wird, bis auch die letzte der darin niedergelegten Ideen entweder als unbrauchbar bei Seite gelegt sein, oder als beachtenswerth ihre praktische Geltung erhalten haben wird. – Das ‚System der Turnkunst‘, wie es von Jahn aufgestellt, kann nur durch Mißverstand oder üble Anwendung für sich allein

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Imandt18 mit dem Wiederabdruck dieses Artikels offenkundig das Ziel, die Turner zu motivieren, den Nimbus Jahns kritisch zu hinterfragen: „Vielleicht gibt es unter den heutigen Turnern nur wenige, welche uns nicht als Heiligthumschänder betrachten werden, wenn wir es wagen, den Nymbus anzutasten, von welchem ihnen bisher der Name ‚Jahn‘ umstrahlt erschien. Wie oft und wie herrlich hat dieser Mann nicht geprangt, bei den Festen unsrer Jugend, wie mancher schöne Toast hat ihm geklungen ja, Jahn, der Vater Jahn ist ein Vermächtniß unsrer Altvordern, welches wir verehren, ohne auch nur im Entferntesten zu fragen, ob denn das Idol unsrer Verehrung nicht etwa ein Götze sein möchte, den die Anschauungsweise einer andern Zeit schonungslos von dem Piedestal stoßen müßte. Ich weiß, es gibt nur wenige Sterbliche, denen das schöne Loos zu Theil geworden, ohne Kampf und Streit, ohne Feinde und Widersacher durch dieses Erdenleben zu wandern, und so kann es nicht befremden, wenn wir finden, daß auch Jahn in seinen Bestrebungen, in seinen Kämpfen für die deutsche Nation anders beurtheilt wurde, als es die jungen Turner der neuern Zeit zu thun pflegen. Eine solche Beurtheilung theilen wir den Lesern dieser Blätter nachstehend mit, auf daß die deutschen Turner veranlaßt werden möchten, selbst das Wirken und Streben eines Mannes zu prüfen, der ihnen, ich möchte sagen blos traditionel bekannt ist.“19

Die sich beim 2. Deutschen Turnfest in Frankfurt 1847 bereits andeutende Distanzierung einiger Turner von Jahn findet in dieser Stellungnahme im Vorfeld des 1. Hanauer Turntages ihre Fortsetzung. Die „Hanauer“ begründeten die Notwendigkeit des Turntages in einem öffentlichen, auf den 19. März datierten Aufruf mit dem „Umschwung der Dinge schuld sein, daß hier und da die Leibesübungen kurz nach ihrer Einführung wieder in Verfall geriethen. Weit mehr wurde der guten Sache, deren Gedeihen rein auf der freien Regung eines besseren Volksgeistes beruht, durch allzu ängstliche Ueberwachung und Bevormundung von oben geschadet. Ueberall, wo derlei Einflüsse nicht bestehen, oder wo ihnen durch die eingetretene Mündigkeit des Volkes die Wage gehalten wird, blüht das Turnwesen (Schweiz, Schwaben, Mainland, Sachsen, Königsberg) in Schulen und Turnvereinen zum unberechenbaren Nutzen unseres Vaterlandes herrlich auf. Daß dies wirklich der Fall ist, und daß es mit dem Turnwesen so schlimm nicht steht, als Hr. v. Florencourt voraussetzt, davon zeugen die zahlreichen Schriften, welche sämmtlich (und sollten ihre Verfasser auch geradezu das Gegentheil zu behaupten suchen) in ihrem Kerne Jahn’schen Geist bergen. Allerdings werden denkende und begabte Turnlehrer auf selbstthätige Fortbildung des Systems der Leibesübungen nicht verzichten. Erst neuerdings hat das Bedürfniß zu desfallsiger Verständigung nicht weniger als drei Zeitschriften auf einmal hervor gerufen, welche mehr als viele Worte den Beleg liefern, daß für die körperliche Ausbildung der Jugend ein wirkliches Interesse besteht, und daß das Turnwesen im Geiste Jahn’s wenn auch langsam, doch eben darum desto sicherer seiner allgemeinen Anerkennung entgegen geht“ (Nachrichtsblatt für Deutschlands Turnanstalten und Turngemeinden, Nr. 3, März 1846, S. 21–22). 18 Vgl. Schnitzler (1993), S. 144. 19 Rheinische Turnhalle (2(1848) Nr. 3, März 1848, S. 39.

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in unserm deutschen Vaterlande“, der „dem deutschen Turnwesen neuerdings die Bahn geöffnet (habe), ihren Beruf, Entwickelung und Kräftigung eines echten deutschen Volksthums’ frei zu verfolgen“. Deshalb sei es, so heißt es weiter, um „diesem Berufe mit sicherer Aussicht auf Erfolg leben zu können, [...] nöthig, daß alle Turngemeinden Deutschlands sich zu diesem einen Ziele vereinigen und nach einem Plane gemeinschaftlich handeln.“20 Auch diese Einladung hat Jahn trotz der teilweisen Terminüberschneidung beider Veranstaltungen sehr gern entgegen genommen. Dies ist in Bezug auf Jahns Haltung zu Beginn der Revolution ebenfalls sehr aufschlussreich. Denn in Hanau, der zweitgrößten Stadt im Kurfürstentum Hessen-Kassel, spielten die Turner, deren Verein im Januar 1848 vom Fürsten verboten worden war, unter der großenteils demokratisch gesinnten Bevölkerung eine bedeutende Rolle. Bereits am 29. Februar 1848 wurde auf einer Massenversammlung in Hanau der Sturz der kurfürstlichen Regierung gefordert. Den daraufhin gegen die Stadt anrückenden Truppen des Kurfürsten stellten die Stadtbewohner eine Bürgerwehr und ein Freikorps mit insgesamt ca. 1.700 Bewaffneten, verstärkt noch durch weitere Bewaffnete aus anderen Städten Kurhessens, zur Verteidigung der Stadt entgegen. Deputationen kurhessischer Städte unter Hanaus Führung erzwangen zwar am 6. März einige Zugeständnisse des Landesherrn, diese reichten den Revolutionären aber nicht aus. Die auf einer Volksversammlung am 8. März von den Hanauer Bürgern gewählte 24-köpfige „Volkskommission“ erzwang schließlich nach zähen Verhandlungen mit dem Kurfürsten eine „landesherrliche Verkündung“, die u.a. die Amnestie für alle politischen Vergehen, die Abschaffung der Zensur und die Berufung eines neuen Ministeriums versprach, in das auch Vertreter der Demokraten berufen wurden. Die Generalversammlung der Hanauer Turngemeinde unter Leitung des in Hanau einflussreichen Demokraten August Schärttner, die umgehend für den 17. März einberufen worden war, konnte deshalb – ohne Schwierigkeiten befürchten zu müssen – diese Einladung an alle deutschen Turnvereine aussprechen. So fuhr Jahn Ende März hoffnungsfroh nach Frankfurt und anschließend von dort aus nach Hanau. Die Beratungen des Vorparlaments sollten am 31. März und 1. April von morgens 9 bis nachmittags 4 Uhr stattfinden.21 Jahn nahm sich für die Reise nach Frankfurt, die er wenige Tage nach Eingang dieser Einladungen angetreten haben muss, genügend Zeit für zahlreiche Besuche bei den Turnern in Ha20 Vgl. Braun (1996), S. 6 und S. 11. 21 So in § 3 der vom Ausschuss der Heidelberger Versammlung vorgeschlagenen Geschäftsordnung für diese Tagung (siehe Offizieller Bericht, Nr. 1, 1848), während der Hanauer Turntag für den 2./3. April mit Anreise am 1. April anberaumt war (siehe Aufruf der Turngemeinde zu Hanau vom 19. März 1848 in Braun, 1996, S. 6).

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nau, Offenbach, Mainz, Biberich, Bingen, Eltville, Wiesbaden und Frankfurt.22 In seinen Ansprachen auf den Turnplätzen soll sich Jahn wie ein Republikaner gebärdet und große Begeisterung für die Zukunft Deutschlands geweckt haben: „Er trat gegen die Privilegien der Junkerkaste auf, er wetterte gegen die Geheimpolizei und gegen die Militärbürokratie, und er äußerte sich im Sinne der Forderungen der demokratischen Hanauer Turner.“23 Am 31. März 1848 wurde das Vorparlament in der Frankfurter Paulskirche feierlich eröffnet. Pünktlich um 9.30 Uhr zogen die 574 Deputierten unter Glockengeläut und Geschützdonner durch Spaliere der Bürgergarde und Turner feierlich in die Tagungsstätte ein, nachdem ihnen die vom Ausschuss der Heidelberger Versammlung vorbereiteten Dokumente, das Programm für die Beratungen der Versammlung im Kaisersaal des Römers sowie der Vorschlag einer Geschäftsordnung ausgehändigt worden waren. Die Turner traten in den nächsten Tagen als Schutz- und Ordnungsmacht für die Parlamentarier auf. Der Präsident des Fünfziger-Ausschusses Alexander von Soiron bedankte sich dafür bei ihnen ebenso wie der Präsident des Vorparlaments Karl Mittermaier, der an die Rolle der Sänger- und Turnvereine im Vormärz erinnerte: „Die Sänger- und Turnvereine haben den Gedanken an Deutschlands Freiheit und Einheit in trüben Tagen warm im Busen getragen. Jetzt ist der Augenblick da, mit aller Kraft und mit freier Besonnenheit den Grund zum Bau der deutschen Nation zu legen.“24 Das sehr weit gefasste Programm, das u. a. die Beratungen über ein Bundesoberhaupt mit verantwortlichen Ministern, einen Senat der Einzelstaaten, ein aus Urwahlen hervorzugehendes Haus des Volkes, weiterhin den Verzicht der Einzelstaaten auf eine Reihe von Rechten zu Gunsten der Zentralgewalt und auch die Forderungen nach einem Heer, nach einer Vertretung gegenüber dem Ausland, nach einer einheitlichen Zivil- und Strafgesetzgebung und des Gerichtsverfahrens, nach einem Bundesgericht und nach Verbürgung der nationalen Freiheitsrechte vorsah,25 konnte jedoch angesichts der scharfen und langwierigen Diskussionen zwischen den führenden Liberalen und Demokraten bei weitem nicht bewältigt werden. Im Gegenteil, im Ergebnis der langen und grundsätzlichen Auseinandersetzungen zwischen den führenden Republikanern und den führenden Liberalen im Vorparlament wurde dessen von der Heidelberger Commission vorgesehene Funktion erheblich beschnitten.26 So liefen diese Verhandlungen im Wesentlichen darauf hinaus, den Modus für die Wahlen zur Nationalversamm22 Brief vom 12. Mai1848 (M1, S. 537). 23 Vgl. Hönig (1953), S. 306; Wollstein (1977), S. 31–32. 24 Freie Blätter aus Göttingen, Nr. 9, 5. April 1848; Nr. 11, 12. April 1848; zit. nach Wieser (2000), S. 148. 25 Offizieller Bericht, Nr. 1, 1848. 26 Vgl. Wollstein (1977), S. 61.

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lung festzulegen und das Verhältnis zu den Fürsten und zum Deutschen Bund zu klären. Nicht einmal dafür reichte die für die Tagung vorgesehene Zeit, sie musste um zwei Tage, bis zum 3. April, verlängert werden. Jahn, für dessen im Jahre 1848 wieder sehr hohen Bekanntheitsgrad die Tatsache spricht, dass er in der überlieferten Liste der Deputierten im Gegensatz zu den meisten nur mit Familiennamen, ohne Herkunftsort, Titel und Beruf bzw. Tätigkeit aufgeführt ist, spielte im Gegensatz zu Robert Blum aus Leipzig, Vizepräsident der Tagung und einer der Wortführer der Demokraten, nur eine unbedeutende Rolle. Robert Blum ergriff nicht weniger als fünfmal als Deputierter und außerdem noch mehrmals als amtierender Präsident dieser Tagung das Wort. Struve aus Baden konfrontierte die Versammlung unablässig mit seinen revolutionären Forderungen, so dass er von den führenden Liberalen, die erstaunlich geschlossen auftraten, immer wieder gestoppt werden musste. Jahn dagegen meldete sich nur ein einziges Mal zu Wort und zwar zur Frage des Wahlrechts. In einem sehr kurzen Diskussionsbeitrag äußerte er sich am 31. März mit Bezug auf das „alte Sachsenrecht“ zugunsten des Antrags des sächsischen Deputierten Schaffrath, das Wahlrecht auf 21 Jahre festzulegen. Dafür hatte Jahn folgende Begründung parat: „Das alte Sachsenrecht hat das 21ste Jahr festgesetzt, sind wir mit allen unseren Universitäten und Schulen seit der Zeit dümmer geworden, als wir damals waren? Einzelne sagen, die Leute können in Norddeutschland nicht zusammen kommen. Ich weiß aber, dass die Leute in Schleswig-Holstein zu den Jahrmärkten gehen auf die Lüneburger Haide, und wenn es auch weit ist, so sollen sie jetzt die Beine rühren. Es ist ein alter Spruch: Wo wir nicht mitrathen, wollen wir auch nicht mitthaten.“27

Sicherlich war diese Bemerkung eigentlich allzu populistisch und bei weitem keine Meisterleistung, aber dadurch, dass auch Wigard, ein führender Demokrat aus Baden, und Benedey aus Dresden die gleiche Meinung äußerten, wurde schließlich per Beschluss festgelegt, dass jeder volljährige (21 Jahre alte) Staatsangehörige wahlberechtigt sein solle und jeder Mann ab 25 gewählt werden könne, dass aber die genauere Festlegung des Wahlmodus, ob direkte oder indirekte Wahl, den einzelnen Staaten überlassen bleiben solle.28 Jahn hat das Vorparlament spätestens am 1. April nachmittags vorzeitig verlassen, um zum Turntag nach Hanau, der am 2. April eröffnet wurde, zu fahren. Die dort anwesenden Turnvereine wählten den Schwaben Theodor Georgii zum Leiter der Versammlung. In dessen mehr als 40 Jahre später erschienenen Bericht über die „Bewegungsjahre 1848/49“ schilderte er die Vorgänge in Hanau folgendermaßen: 27 Offizieller Bericht, Nr. 7, S. 27. 28 Offizieller Bericht, S. 29–30.

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„Es kam sofort der erste Punkt der Tagesordnung zur Beratung. Es ist klar, dass es sich hierbei nur um zwei Fragen handeln konnte, Republik oder konstitutionelle Monarchie, ein deutscher Reichstag ohne Fürsten und erbliches Oberhaupt oder mit denselben […] sollen die Fürsten, die Schlusssteine der alten Form abtreten, soll, wenn dies nicht freiwillig geschieht, Gewalt angewendet werden? […] Die Anträge der republikanischen Seite gingen mehr oder minder dahin: die Turngemeinden sollen sich verbindlich machen, für die Einführung der Republik zu handeln. Ein Antrag ging nämlich dahin, an Hecker und Struve eine Erklärung abzugeben, dass man bereit sei, ihre Pläne auch mit der Tat zu unterstützen; eine andere dahin, die Turngemeinden mögen mit Gut und Blut für die Republik einstehen.“29

Nachdem die radikal-demokratischen Turner erkannten, dass ihre Anträge keine Mehrheit fanden, verließen sie den Turntag. Bestärkt wurden sie in ihrer Haltung auch durch die Nachricht, dass die Demokraten unter der Führung Heckers30 das Vorparlament verlassen hätten. Die übrig gebliebenen Abgeordneten setzten ihre Beratungen am nächsten Tag fort und gründeten nach der hitzigen Debatte des Vortages in einer vergleichsweise entspannten Atmosphäre im Beisein Jahns den „Deutschen Turnerbund“, der nach Georgii allerdings nur auf dem Papier bestand. Die Statuten dieser ersten gesamtdeutschen Turnorganisation bezeichneten in § 2 als Zweck des Bundes, „für die Einheit des deutschen Volkes thätig zu sein, den Brudersinn und die körperliche und geistige Kraft des Volkes zu heben.“ Ein direkter Bezug zur damaligen revolutionären Situation in Deutschland ergab sich aus § 12: „Die Tagsatzung befiehlt den Bundesgliedern, sich, soweit es möglich ist, zu bewaffnen. Die einzelnen Vereine sind gehalten, von ihrer Bewaffnung dem Vorort Nachricht zu geben.“31 August Schärttner wurde zum Vorsitzenden des Bundes gewählt, Hanau zum Vorort bestimmt.32 Jahn hat sich nach diesem ersten Hanauer Turntag noch mehrere Tage in der dortigen Gegend aufgehalten. Am 3. April schrieb er in Wilhelmsbad bei Hanau eine Notiz für Haas von Dillenburg,33 und am 12. April teilte er seinem jungen Berliner Freund Lübeck aus Hanau brieflich mit: 29 Zit. nach Krüger(2005), S. 103. 30 Hecker rief am 12. April 1848 in Konstanz die Republik aus und forderte alle waffenfähigen Männer zum Kampf gegen die Fürstenherrschaft auf. Der sechstägige Zug seiner Freischar in Richtung Karlsruhe sollte zu einer Massenbewegung anwachsen. Für das Scheitern dieser Erhebung, an der sich auch Turner aus Hanau beteiligten, war die Tatsache verantwortlich, dass die meisten Bewohner der Dörfer, die mit der Freischar in Kontakt kamen, erst einen „ordentlichen“ Befehl abwarten wollten, der sie zum Mitmachen aufforderte. Vgl. Freitag (1998 a), S. 119–121. 31 Vgl. Braun (1996), S. 8–9. 32 Vgl. Neumann (1968), S. 26. 33 M1, S. 535.

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„Bis jetzt bin ich mit meiner Reise zufrieden, und ich hoffe, was Nützliches geschafft zu haben. Manches haben die öffentlichen Blätter mitgetheilt, das Meiste ist in den örtlichen Zeitschriften verstreut. – Bei allen öffentlichen Reden, und ich bin wohl an 30 Mahl aufgetreten, hat mir der Beifall nicht gefehlt; selbst die Gegner meiner Ansicht haben mir die Achtung nicht versagt [...]. Acht Turngemeinden: Hanau, Mainz, Bibrich, Bingen, Eltville, Wiesbaden, Frankfurth, Offenbach, habe ich an Ort und Stelle besucht, und in voller Versammlung. Außerdem habe ich Turner, und Abgeordnete von mehr, als 60 Gemeinden kennen gelernt. [...] Ich bin jetzt auf der Rückreise – und fliege vielleicht bald bei Dir durch, um in Pommern, gegen die neue Vendee34 zu würken.35

Jahn hatte diese nur wenige Tage dauernde „Rheinreise“ zu den mittelrheinischen Turngemeinden, die zwischen dem 4. und 11. April stattfand, gern auf sich genommen, weil er sich einerseits durch die Einladungen geehrt und anerkannt fühlte, andererseits aber damit auch die Gelegenheit erhielt, sich mit den seit 1847 deutlich wahrnehmbaren Radikalisierungstendenzen in einigen dieser Turnvereine, die er beim vorausgegangenen Hanauer Turntag auch erlebt hatte, auseinanderzusetzen, um diese Turnvereine vor einem weiteren Abgleiten in das republikanische Lager abzuhalten. In Mainz, wo er freundlich empfangen wurde, geriet Jahn sehr rasch in einen Disput mit einem der anwesenden Turner.36 Dessen Ansicht, nur einer deutschen Republik stünde das schwarz-rot-goldene Banner gut zu Gesicht, veranlasste Jahn zu einer heftigen Gegenreaktion, die wiederum dem Republikaner nicht behagte. Jedenfalls reiste Jahn vorzeitig ab, übernachtete in Biebrich und reiste weiter nach Bingen, wo er bei seiner Abreise die Turner noch ermahnte, ihre Vereine nicht mit politischen und religiösen Fragen zu behelligen. Weitergereist nach Eltville, wurde Jahn am Rheinufer von den Turnern am 5. April mit Böllerschüssen und Musik begrüßt und anschließend im „Triumphzug“ zu dem festlich hergerichteten „Gasthof zum Hirsch“ geleitet, in dem sich bald „Männer aus allen Ständen“ einfanden, um den Abend bis „spät in die Nacht“ mit dem „wackeren Vorkämpfer der deutschen Freiheit“ zu verbringen. In dieser Runde der örtlichen Turner, die offensichtlich eher dem gemäßigten politischen Lager zuneigten, ging es sehr lebhaft her: „Lieder erschallten, Toaste wurden ausgebracht und kräftige Worte gesprochen. Eine längere Rede Jahn’s, mit der Begeisterung eines Jünglings vorgetragen, überzeugte jeden von der tüchtigen, lauteren Gesinnung dieses Mannes, dem wir denn auch verdan34 = westfranzösisches Département am Atlantischen Ozean südlich der Loiremündung; als Vendée wird auch der Aufstand bezeichnet, den die konservative, royalistisch gesinnte Bevölkerung dieses Gebiets in den Jahren von 1793 bis 1796 gegen die Französische Revolution führte und der nach der Hinrichtung König Ludwigs XVI. 1793 die Revolution in ernsthafte Gefahr brachte. 35 U, S. 159–160. 36 Dabei handelte es sich vermutlich um Germain Metternich.

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ken, dass sich der Gesangverein, dessen Mitglieder seither durch Einige unter ihnen irre geführt waren, mit den Turnern aussöhnte.“37 Jahns anschließender Besuch Wiesbadens war den Zeitungsberichten zufolge ein im großen Rahmen zelebriertes gesellschaftliches Ereignis. Die „Freie Zeitung“ berichtete: „Gestern Abend hatten unsere Turner einen Festtag. Der Gründer des Turnwesens, der alte ehrwürdige Vater Jahn, besuchte dieselben auf seiner Rückreise von Hanau. Morgens in der Frühe schon waren unsere Turner versammelt, und zogen, die Fahne voraustragend zur Eisenbahn, um ihren Meister in Empfang zu nehmen. Mittags 2 Uhr war in dem Saale der vier Jahreszeiten Versammlung. Die Jungfrauen Wiesbadens, welche den Turnern früher eine Fahne stickten, waren zugegen und bekränzten den würdigen Greis mit Blumenspenden, sowie der Sitz, den Vater Jahn einnahm, mit einer Blumenguirlande von Schleifen, mit Schwarz-Roth-Gold gehalten, umwunden war. Der ehrwürdige Greis begrüßte die Versammlung in einer herzlichen Anrede, worauf mehrere kräftige Reden von einzelnen Turnern gehalten wurden, von welchen wir besonders die eines Offenbacher Turners und eines hiesigen als die hervorragendsten erwähnen. Zum Schluss nahm Vater Jahn von den Versammelten Abschied und führte den Schlusssatz seiner Verteidigungsschrift an, die er nach seiner Befreiung aus dem Kerker, der Oeffentlichkeit übergeben hat. – Den Abend brachte derselbe im trauten Kreise seiner jungen Freunde zu, welchem sich auch die Jungfrauen Wiesbadens anschlossen. Jahn hob in einigen Worten hervor, daß wir der jetzt grassirenden französischen Mode (nicht) huldigen sollen und daß auch er sich gegen eine Republik erkläre. Seine versöhnenden Worte beruhigten sehr und brachten einen günstigen Eindruck auf einige exaltirte Köpfe hervor.“38

Die liberale Frankfurter „Didaskalia“ bemerkte zu Jahns „herzlicher Anrede“: „Ich flehe zu Gott Morgens und Abends, daß er Deutschland einen guten Krieg geben möge, denn nur ein guter Krieg kann dem Vaterlande seine Einheit geben!“, und fügte kritisch an, ob es erforderlich sei, „den Himmel um Hagelwetter (zu) bitten.“39 Die zumeist spärlichen Informationen über den Inhalt der von ihm auf seiner „Rheinreise“ gehaltenen Reden lassen im Grunde nur erahnen, mit welchen Argumenten er seine Zuhörer davon zu überzeugen suchte, die weitere Politisierung der Turnbewegung zu unterbinden. Allerdings verließ er sich wohl auf eine „Standardrede“, die er – wie er in seiner „Schwanenrede“ ausführte40 – den Turnern in den genannten Orten „ähnlich“ vortrug. Er wetterte darin gegen die radikaldemokratische Linke und ihre maßgeblichen Vertreter Hecker, Metternich und Struve, die er mit Vorwürfen überhäufte. Er geißelte ihren „Freiheitswahnsinn“, der zum Bürgerkrieg führe, kritisierte ihre Auffassungen, die 37 Disdaskalia. Zeitschrift für Geist, Gemüth und Publicität, Nr. 103, 12. April 1848, zit. nach Neese (2002), S. 229. 38 Freie Zeitung Nr. 37, 9. April 1848; zit. nach Neese (2002), S. 102. 39 Didaskalia, Nr. 112, 21. April 1848; zit. nach Neese (2002), S. 102. 40 Vgl. EJW 2.2, S. 1058.

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nicht der Eigenart des deutschen Volkes entsprächen, sondern aus dem Ausland, insbesondere aus Frankreich, importiert seien und diffamierte die führenden Persönlichkeiten der Linken als Personen von zweifelhaftem, zwielichtigem und egoistischem Charakter. Dass Jahn mit seinen Reden bei den mittelrheinischen Turnvereinen auch Widerspruch provozierte, musste er zumindest in Mainz und in Wiesbaden erfahren. Mit Hecker und Struve jedenfalls, die er „durch Reden in Volksversammlungen“ während dieser Reise „in und um Frankfurt überwunden“ haben will, „worauf sie in den badischen Seekreis entwichen“ sein sollen,41 ist er auf dieser Reise nicht zusammengetroffen; diese Mitteilung hat er sich wahrscheinlich selbst erdacht. Auf der Rückreise nach Freyburg hat Jahn auch noch die Turngemeinden in Gelnhausen, Schlüchtern und Fulda besucht,42 wo er vermutlich ähnliche Reden gehalten hat. Während Jahns Aufenthalt in Hanau hatte das Vorparlament mit großer Mehrheit beschlossen, die genauere Festsetzung des Wahlmodus – direkte oder indirekte Wahl – den einzelnen Staaten zu überlassen. Wichtig war auch die Festlegung, dass ein Gewählter durchweg nicht dem Staat angehören musste, in dem er gewählt wurde. Als Sitz der Nationalversammlung wurde die Paulskirche in Frankfurt am Main bestimmt. Zuvor war die Gefahr, dass das Vorparlament scheitern könnte, gerade noch beseitigt worden. Hatten doch gegen Ende der Sitzung am 2. April viele Demokraten die Versammlung unter Protest verlassen, weil sich die Bundesversammlung noch nicht von den „verfassungswidrigen Ausnahmebeschlüssen“ – den Karlsbader Beschlüssen von 1819 – losgesagt hatte und noch immer Männer in ihrem Dienst vermutet wurden, „die zur Ausführung und Hervorrufung derselben beigetragen haben.“43 Auf einen entsprechenden Antrag des Deputierten Bassermann, der am 2. April beschlossen und der Bundesversammlung zugeleitet wurde, reagierte deren Präsident am 3. April mit der Mitteilung, dass die Karlsbader Beschlüsse unter veränderten Umständen „allenthalben außer Wirksamkeit getreten seien und Personen, die beteiligt waren, ihre Entlassung bereits eingereicht hätten.“ Darauf kehrten diejenigen, die die Versammlung unter Protest verlassen hatten, zurück, so dass die Tagung fortgesetzt werden konnte.44 Das Vorparlament hat bei weitem nicht das Ergebnis gebracht, was der Ausschuss des Heidelberger Komitees in dem von ihm verfassten Programm vorgegeben hatte. Mit der Wahl des Fünfziger-Ausschusses und der Festlegung, dass das Vorparlament am 3. oder 4. Mai wieder in Aktion treten solle, wenn die Nationalversammlung nicht innerhalb von vier Wochen 41 42 43 44

Brief vom 3. 5. 48 (M1, S. 536). M1, S. 537. Offizieller Bericht 1848, S. 60. Offizieller Bericht 1848, Tagesaufzeichnungen zum 3. April.

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zusammentrete,45 waren die Weichen für sofortige Wahlen zu einer deutschen Nationalversammlung gestellt. Die von den Demokraten angestrebte Permanenz des Vorparlaments jedoch wurde von den Deputierten mit großer Mehrheit abgelehnt.46 Stattdessen erhielt der Fünfziger-Ausschuß den Auftrag, „den Bundestag bei der Wahrung der Interessen der Nation und bei der Verwaltung der Bundesangelegenheiten bis zum nahen Zusammentritt der konstituierenden Versammlung selbständig zu beraten.“ Im „Falle einer Gefahr für das Vaterland“ sei „die gegenwärtige Versammlung sogleich wieder einzuberufen.“47

7.3 Wahl zum Abgeordneten – erste Auftritte im Parlament Auf der Grundlage der Beschlüsse des Vorparlaments wurden in allen deutschen Staaten die Wahlen für die deutsche Nationalversammlung vorbereitet. Die preußische Regierung entschied sich dabei für indirekte Wahlen. Im Vorfeld der anstehenden Wahlen erläuterte Jahn seine politischen Vorstellungen, so am 26. April auf einer stark besuchten und sehr stürmisch verlaufenden Kundgebung der Lehrer in Merseburg, wo er den bekannten Pädagogen Diesterweg, der verhindert war, vertrat.48 Im 16. Wahlbezirk der Provinz Sachsen, dessen Vorort die Stadt Merseburg war und zu dem neben Schkeuditz und anderen Orten der Umgebung auch die Osthälfte der Stadt Freyburg gehörte,49 wurden am 3. Mai die Wahlmänner und am 10. Mai die Abgeordneten sowie ihre Stellvertreter gewählt. Jahn hat bei der Wahl der Wahlmänner im 2. Wahlbezirk Freyburgs, der Osthälfte der Stadt, als Commisarius fungiert und erhielt, wie auch Eduard Arnold, ein Wahlmänner-Mandat. Eine Woche später, am 10. Mai, wurde Jahn schließlich in Merseburg im zweiten Wahlgang zum Deputierten (Abgeordneten) für die Nationalversammlung gewählt.50 Näheren Aufschluss über die Hintergründe dieser Wahl gibt ein Brief, den Jahn am 3. Mai 1848 an einen unbekannten Empfänger in Merseburg richtete. Darin teilte er mit, dass er als Wahlmann gewählt worden sei und fuhr fort: „Da wird aber Raum, Zeit und Gesetz verhindern, sich selbst zum Abgeordneten zu empfehlen, und Königsmittel will 45 Programm in Laube (1848), Nr. 1, 1848, Punkt VI. 46 Die Ablehnung erfolgte am 2. April mit 368 gegen 148 Stimmen, s. Offizieller Bericht, 1848, S. 43. 47 Offizieller Bericht 1848, S. 43. 48 Schmiedecke (1947), S. 9. 49 M1, S. 535. 50 Vgl. Bartmuß (2004), S. 96.

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ich nicht anwenden.“51 Er begründet auch, warum er sich nicht im Naumburger Wahlkreis nach Frankfurt wählen lassen will: Sein Gewissen verbiete ihm, gegen seinen „alten Waffen- und Unglücksgefährten“ Mühlenfels anzutreten. In Merseburg, so betont er danach, „ist das was anders“. Und großmundig schließt er: „So mag denn der Wahlkampf beginnen. Zwei Sachen habe ich außerdem, was Sie längst wissen, voraus: Mitglied der vorberatenden Versammlung gewesen zu sein und durch Reden in Volksversammlungen Hecker und Struve (Mund gegen Mund) in und um Frankfurt überwunden zu haben, worauf sie in den badischen Seekreis entwichen.52 Mehr wüsste ich für heute nicht. Ich empfehle mich Ihrer alten Gewogenheit.“53 Bei dem unbekannten Briefempfänger muss es sich um eine einflussreiche Person gehandelt haben, denn offensichtlich erhoffte sich Jahn von ihr seine Nominierung als Kandidat für die Merseburger Wahl am 10. Mai. Augenscheinlich war nach seiner Teilnahme am Vorparlament und seiner Tätigkeit beim Hanauer Turntag und in den Wochen danach sein Ehrgeiz wieder erwacht, und er fühlte sich nach diesen Erlebnissen für berufen, eine wichtige Rolle in der Nationalversammlung zu spielen. Es ist denkbar, dass der unbekannte Briefpartner Jahns Kandidatur für die bevorstehende Wahl vermittelt hat, denn wahrscheinlich ist er identisch mit dem Adressaten, dem Jahn drei Tage später eine wichtige Mitteilung machte: Vor den Wahlmännern des Querfurter Kreises musste er sich rechtfertigen, weil wahrscheinlich sein Hauptgegner, der Finanzrat Hesse, ihn der Denunziation bezichtigte, nachdem er Hesse, früher im Berliner Polizeidienst, freiheitsfeindliches Wirken vorgeworfen hatte.54 Euler vermutet, dass Hesse seinen Kontrahenten Jahn wegen seines Vorgehens gegen Janke, den Hauptzeugen in seinem Prozeß wegen demagogischer Umtriebe, der Denunziation bezichtigt und deshalb als unwürdig für eine Wahlbewerbung erklärt hatte.55 Mit sichtlicher Erleichterung lässt er den wahrscheinlichen Empfänger dieses Schreibens in Merseburg wissen, dass den Wahlmännern seine Rechtfertigung genügt habe und sie ihn nicht haben „fallen lassen“. Diese Episode beweist, wie hart dieser Wahlkampf gewesen sein muss, zeigt aber zugleich, dass solche Fürsprachen sehr wichtig und oft sogar entscheidend waren. Dass prominente Fürsprecher bei der Zulassung von Kandidaten eine wichtige Rolle spielten, beweist auch der Be51 M1, S. 535. 52 Das weicht von der Darstellung, die er mit seinem Brief vom 12. April W. Lübeck offeriert hat, erheblich ab und nährt den Verdacht, dass hier Jahns Hang zum Eigenlob vorgeherrscht hat. 53 M1, S. 535–536. 54 M1, S. 532. 55 Vgl. die Briefe Jahns aus den Jahren 1833 (M1, S. 350) und 1835 (M1, S. 380–382), die er wahrscheinlich an Mützell, einem seiner Vertrauten, Geheimsekretär im preußischen Ministerium des Innern in Berlin, gerichtet hat.

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richt des damals erst 26 Jahre alten Rudolf Haym, der als Anhänger der Lichtfreunde-Bewegung von Maximilian Duncker, dem einflussreichsten Liberalen in Halle, als Kandidat für die Wahl in die Nationalversammlung vorgeschlagen worden war, nachdem sich der Mansfelder See- und Gebirgskreis um einen Kandidatenvorschlag an ihn gewandt hatte. Haym berichtet sogar, dass er bei seinen Wahlfahrten mit einem Wahlprogramm aufgetreten sei, das an das von Duncker „angelehnt“ gewesen sei. Auf gleiche Weise seien auch Schwetschke für Sangerhausen und Schwarz für Torgau „in Aussicht genommen“ worden.56 In einem an den Turnlehrer Wilhelm Lübeck gerichteten Brief vom 11.5.1848 hat Jahn voller Freude mitgeteilt, dass er am Vortag „im 16ten Wahlbezirk des Preußischen Sachsen“ im zweiten Wahlgang von 89 der insgesamt 148 Wahlmänner – davon 106 aus dem Merseburger Raum und 42 aus der Osthälfte des Querfurter Kreises – für Frankfurt gewählt worden sei, die Wahl angenommen habe und „dieser Tage“ nach Frankfurt abreisen werde, wohin er ihm unter der Adresse der Turnanstalt Ravensteins schreiben könne.57 Auch seine persönlichen Erwartungen an die Frankfurter Nationalversammlung hat er in diesem Brief formuliert: „Es ist gewiss eine schwere und harte Arbeit in Frft, ein Gang durch Distel und Dornen. Nach Möglichkeit will ich zur Verständigung und Einigung beitragen, und den glimmenden innern Krieg zu verlöschen suchen, der alle Augenblicke auszubrechen droht, falls der Adel nicht entsagt.“58 Am nächsten Tag schrieb er dann an die Turngemeinde zu Stettin. Auch in diesem Brief gibt er sich als Gegner des Adels: „Ist es denn wahr, was man von Pommern behauptet? Es sei der Herd der rückgängigen Bewegung? Waffnet Euch dagegen mit aller Kraft des Leibes und Geistes. Wer plattdeutsch spricht, suche die Bauern zu belehren, dass sie nicht in des Adels Fänge geraten.“59 Diese Aussage ähnelt der, die er einen reichlichen Monat vorher gegenüber den Turnern in und um Hanau gemacht hat60 und wonach er sogar für einen Demokraten hätte gehalten werden können. Doch unmittelbar im Anschluss an diese Aussage relativiert er sie als „politisch Suchender“ und schreibt: „Überhaupt wünschte ich zu erfahren: Wie wohl die Männer gesinnt sind, so nach Frankfurt als Abgeordnete kommen. Ich selbst werde in wenigen Tagen dorthin reisen. Am 10. bin ich nämlich im 16. Wahlbezirk der Provinz Sachsen zu Merseburg zum Abgeordneten gewählt worden- --- Da habe ich von 148 Stimmen 89 gehabt und erklärt: ‚Ich gehe mit keiner vorgefassten Meinung hin, will nicht Parteiführer sein, aber mich bestreben, die Parteien niederzuhalten und die Einheit des Volkes nach außen, die Einigung im in56 57 58 59 60

Vgl. Haym (1848), S. 184. U, S. 160–161. U, S. 160–161. M1, S. 538; s. auch Jahns Brief an Haas von Dillenburg vom 3.4.1848 (M1, S. 535). Wortlaut unten S. 184–185.

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nern durch eine Staatengemeinde zu fördern.‘ Schreibt mir nach Frankfurt. (An Ravenstein in der Turnanstalt.)“61

Welche Rolle spielte Jahn, gemessen an seinen Erwartungen, wenige Tage später in der Nationalversammlung tatsächlich? Für die Beurteilung des „alten Jahn“ ist diese Frage vor allem deshalb so wichtig, weil die nationalistische Geschichtsschreibung in der „Kaiserzeit“ bei ihrem Versuch, Jahn als bürgerlichen Nationalhelden aufzubauen62 geradezu gezwungen war, auch die Rolle Jahns in der Nationalversammlung überaus hoch zu veranschlagen, um ihn postum als „Freiheitsapostel“, als „edlen Vorkämpfer des deutschen Volkes“ und „mächtigen Sprecher der deutschen Einheitsidee“, ja geradezu als Wegbereiter der deutschen Einheit im zweiten deutschen Kaiserreich, als „Vordenker“ Bismarcks, erscheinen zu lassen. In bürgerlichen Turnerkreisen ist diese Wertung Jahns nicht nur wohlwollend, sondern begeistert aufgenommen worden, und die Deutsche Turnerschaft (DT) hat diese Sicht auf den hochverehrten „Turnvater“ entsprechend gepflegt und dargestellt.63 Es stellt sich die Frage, inwieweit Jahns Auftreten und seine Wirksamkeit in der Revolutionszeit 1848/49, insbesondere in der Frankfurter Nationalversammlung, diesem von der Geschichtsschreibung im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts gezeichneten Bild von Jahn entspricht oder ob in diesem Zusammenhang eine sehr einschneidende, aber auch maßlos übertriebene „Umschreibung von Geschichte“64 stattgefunden hat. Am 17. Mai 1848 versammelten sich die ersten 300 von den 585 gewählten Abgeordneten65 im Kaisersaal des Römers und beschlossen, die Eröffnung der Nationalversammlung am nächsten Tag vorzunehmen. Diese Eröffnung am 18. Mai erfolgte ebenso wie die des Vorparlaments sehr feierlich; unter Glockengeläut und Kanonendonner zogen die Abgeordneten in feierlicher Prozession durch das Spalier der Bürgergarde zur Paulskirche.66 Verfolgen wir zunächst in kurzen Zügen Jahns Auftreten im Plenum der Deutschen Nationalversammlung auf der Grundlage seiner Diskussionsbeiträge, seiner Interpellationen, seiner Anträge, seines Abstimmungsverhaltens und sei61 62 63 64 65

M1, S. 538. Vgl. Eckardt (1924), S. 389 ff.

Siehe Wiltberger (1908), S. 204–205.

Über das Umschreiben von Geschichte s. Koselleck (2000), S. 53–67. Außer den 585 Abgeordneten waren noch 245 Stellvertreter gewählt worden, die im Falle des Ausscheidens des Abgeordneten ihres Wahlkreises nachrücken konnten; siehe Wollstein (1977), S. 68–69. – Wollstein rechnet von diesen insgesamt 830 Männern 570 zu den akademisch Gebildeten, davon waren über 90 Professoren von Universitäten und Gymnasien und mehr als 310 Staats- und Gemeindediener. 66 Vgl. EJW 2.2, S. 1013.

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ner Wirkung auf die übrigen Abgeordneten der verschiedenen Clubs (Parteien) in der Nationalversammlung. Zeitgenossen Jahns, die wie er Abgeordnete der Nationalversammlung waren und ihre Erinnerungen niedergeschrieben und publiziert haben, haben sein Auftreten registriert und z. T. auch bewertet. Turnhistoriker wie Carl Euler und Otto Wiltberger67 haben Jahns Auftreten in der Paulskirche erst ca. ein halbes Jahrhundert später unter den Bedingungen der deutschnationalen Euphorie der Deutschen Turnerschaft im Bismarckreich rekonstruiert. Jahn wählte sich „einen Platz (Nr. 512) der Rednertribüne gegenüber, etwas abgesondert, schon dadurch die Unklarheit seiner politischen Parteistellung bezeichnend.“68 Von seinem Platz meldete sich Jahn einige Male zu Wort.69 In der zweiten Sitzung der Nationalversammlung am 19. Mai trat er erstmals mit einem Redebeitrag in Erscheinung. Der inzwischen 78-jährige Abgeordnete Ernst Moritz Arndt, sein einstiger akademischer Lehrer in Greifswald, der sich selbst als „ein gutes altes deutsches Gewissen“ bezeichnete,70 hielt an diesem Tage eine „Grundsatzrede“, die zunächst von zwei Zwischenbemerkungen anderer Abgeordneter unterbrochen wurde. Jahn, der Dritte, der Arndt unterbrach, bezog sich in seiner etwas längeren Bemerkung auf Arndts Lieder und bat Arndt darum, seinem bekannten, von Jahn als „Schwanengesang“ bezeichneten Lied „Was ist des Deutschen Vaterland?“ einen weiteren Vers hinzuzufügen. Im Grunde war das weiter nichts als ein (zweifellos gelungener) Versuch Jahns, die Aufmerksamkeit der Abgeordneten nebenbei auf sich selbst zu lenken, was er überdies gleichfalls mit seiner Kleidung – er trug wie in seinen jungen Jahren die altdeutsche Tracht – bezweckte. In seinen „Denkwürdigkeiten aus der Paulskirche“ erinnerte sich der Abgeordnete Wichmann, welcher der Casino-Fraktion angehörte, noch vier Jahrzehnte später: „Jahn und Arndt galten als die Patriarchen des einigen Deutschland, stellten sich auch in ihrer äußeren Erscheinung als solche dar, vorzugsweise Jahn.“71 Der Turnhistoriker Otto Wiltberger bezog sich noch 1908 auf einen Augenzeugen, der Jahn bei seinem Auftreten in der Nationalversammlung „mit seiner schwarzen Kutte, dem breiten Hemdkragen und dem langen, weißen Bart“ erlebte.72 Jahns Biograf Carl Euler schrieb, dass es „Herr Friedrich Ludwig Jahn aus Freyburg nicht allein“ war, „der sich durch absonderliche Erscheinung verkündet, im weißen wallenden Barte, zugeknöpften 67 68 69 70 71 72

Vgl. Euler (1898) und Wiltberger (1908). Euler (1898), S. 1041. Vgl. EJW 2.2, S. 1011–1043. EJW 2.2, S. 1014. Wichmann (1888), S. 45. Wiltberger (1908), S. 195.

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Graurock mit übergeschlagenem Hemdkragen und ohne alles Bedürfnis einer Hutbedeckung.“73 In der 14. Sitzung der Nationalversammlung am 6. Juni 1848 kam Jahn zum zweiten Mal zu Wort. In dieser Sitzung ging es um die Frage, wie man auf Störungen der parlamentarischen Beratungen von außen reagieren könne. Der Abgeordnete v. Radowitz formulierte dazu einen Antrag und bemerkte in seiner Erläuterung, dass, „wie vor zwanzig Jahren jeder ‚Demagog’ genannt worden sei, der irgendeinen Fortschritt im nationalen Leben für notwendig hielt, so jetzt der ein ‚Reaktionär’ heiße, der das rechtlich Bestehende nicht eher vernichtet wissen wolle, als bis er von dessen Unverträglichkeit mit den höheren Bedürfnissen der Nation sich überzeugt habe.“74 Jahn reagierte spontan mit einer – aus seiner Sicht – witzigen Bemerkung. Indem er hervorhob, dass er „einer derjenigen sei, welcher am weitesten im Volke herumgekommen“ , trug er nichts weiter als eine von Gelächter begleitete Anekdote vor: „Es gingen einmal eines Morgens zwei Frauen aus, es war noch Zwielicht, wie der Franzose sagt: entre chien et loup, sie blieben ängstlich stehen, bis es hell war und rannten dann fluchend auseinander; diese beiden Frauen kann man heutzutage Reaktion und Revolution nennen.“75 Für den rechtsliberalen Abgeordneten aus der Altmark, Wilhelm Wichmann, war dieser Auftritt Jahns eine herbe Enttäuschung: „In den vorbereithenden Abendveranstaltungen hatte Jahn häufig geredet, aber stets nur kurz, mit Kraftund Schlagworten. So geschah es auch jetzt im Plenum, wo man eigentlich eine Europäische Rede von ihm erwartete. Statt derselben erzählte er eine Anekdote. [...] Das war seine ganze Staats-Weisheit, mit welcher er die Tagesordnung erledigte.“76 Die Turnhistoriker, die sich im Kaiserreich mit allen Mitteln darum bemühten, auch den „alten Jahn“ in bestem Lichte erscheinen zu lassen, mussten diesen Eindruck bestätigen. Otto Wiltberger zitiert einen Augenzeugen, der Jahn „mit seiner schwarzen Kutte, dem breiten Hemdkragen und dem langen weißen Bart“ beschreibt, dem aber das „lebhaftere, antreibende und gährende süddeutsche Element [...] fast vollständig“ fehlte.77 Kritische, ablehnende Reaktionen auf manche der rednerischen Eingriffe Jahns im Plenum versuchte Euler mit Jahnschen Eigenheiten zu erklären: „Diese Redeturniere in der Paulskirche, ausgefochten von Männern wie Radowitz, Vincke, Dahlmann, Raveaux, Welcker, Beseler, Lichnowski, aber auch von Vogt, Zitz, Arnold Ruge, Robert Blum und so vielen anderen, drängten zwar Jahns zumeist kurze Reden 73 74 75 76 77

Euler (1898), S. 1041, mit Beleg in der ergänzenden Anmerkung 12. Euler (1898), S. 1041 und EJW 2.2, S. 1015. EJW 2.2, S. 1015. Wichmann (1888), S. 45. Wiltberger (1908), S. 95.

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bescheiden in den Hintergrund zurück, aber daß sie nur Gelächter erregt hätten, ist nicht wahr. Allerdings liebte es Jahn, drollige witzige Bemerkungen, Anekdoten, die Heiterkeit erregten, einzustreuen, aber man würdigte auch den ernsten Inhalt mancher Reden, und sie fanden aufrichtige Zustimmung, und zwar – es ist dies bezeichnend für Jahn – sowohl von der Rechten als von der gemäßigten Linken. Nur die äußerste Linke begleitete die gegen sie gerichteten Reden Jahns mit höhnischem Lachen und ironischem Beifall.“78

Diesen beiden Auftritten Jahns im Frankfurter Parlament am 19. Mai und am 8. Juni 1848 folgten 20 weitere Auftritte, die Euler auf der Grundlage der stenografischen Aufzeichnungen vollständig veröffentlicht hat. In der 17. Sitzung am 17. Juni 1848 ging es u. a. um diplomatische Vertretungen für den Verkehr zwischen den einzelnen deutschen Staaten. Die Aussprache darüber nahm Jahn zum Anlass, um mit einer sehr kurzen Bemerkung die Ausweisung des dänischen Gesandten aus Innsbruck, wo sich die österreichische Regierung zu dieser Zeit befand, zu verlangen, da er dort „nichts zu tun“ habe, weil mit Dänemark Krieg herrsche. Da Jahn dazu keinen förmlichen Antrag einbrachte, blieb diese doch etwas peinliche Angelegenheit ohne Nachhall.79

7.4 2. Turntag in Hanau – Spaltung der Turnvereinsbewegung Der erste Hanauer Turntag Anfang April 1848 hatte Jahns ernsthafte Bedenken bezüglich der weiteren Entwicklung des Turnens unter dem Einfluss der politischen Einwirkungen verstärkt und auch seine „Rheinreise“ veranlasst. Die Vorgänge in Hanau während der folgenden Wochen bestätigten diese Bedenken voll und ganz. Auf einer Volksversammlung am 7. Juni 1848 verlas August Schärttner einen mit großem Beifall aufgenommenen Brief des „Bürgers“ Hecker, Mitglied des Mannheimer Turnvereins. Daraufhin bildete sich ein „demokratischer Verein“, der für die Schaffung einer Republik eintrat und Hecker und Struve zu seinen Ehrenmitgliedern ernannte. Diesem Verein traten fast alle Hanauer Turner bei. Jahn, der am 11. Juni nach Hanau kam und das „Lamboyfest“ besuchte, reiste bereits am 12. Juni wieder ab, weil ihn die Turner sehr abweisend behandelten. Dennoch besuchte er gemeinsam mit anderen Abgeordneten der Nationalversammlung wie dem Dresdener Wigard den für den 2. und 3. Juli 1848 einberufenen 2. Hanauer Turntag. Bereits bei der Wahl des Vorsitzenden deutete sich eine Veränderung zugunsten der republikanischen Richtung an. Vorsitzender wurde der Mainzer Journalist Ludwig Bamberger, der als aktives Mitglied des Mainzer demokratischen Vereins Mitglied des Mainzer Turnvereins geworden 78 Vgl. Euler (1898), S. 1041. 79 EJW 2.2, S. 1015.

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war, um auch im Kreis der Turner seine politischen Überzeugungen zu propagieren. Jahn bezeichnete Bamberger in einem Brief an die Limburger Turngemeinde als den „roten Bamberger“,80 der in seinen „Erinnerungen“ festhielt, dass er beim 2. Hanauer Turntag „einen heftigen Wortkampf mit dem Altmeister Jahn, der sich vergeblich gegen unseren revolutionären Geist auflehnte“, gehabt habe.81 Der liberale schwäbische Delegierte Theodor Georgii, der dem ersten Hanauer Turntag vorgestanden hatte, wurde stellvertretender Vorsitzender. Auf diesem Turntag kam es zu einem harten Schlagabtausch zwischen den demokratischen und den bürgerlichen Turnern. Schon auf dem 1. Hanauer Turntag Anfang April 1848 war von den demokratischen Turnern der Antrag gestellt worden, die Turngemeinden sollten sich für die republikanische Staatsform entscheiden, was mit Jahns Hilfe und zum Leidwesen einer Vielzahl der teilnehmenden Turner verhindert worden war. Deshalb fand der Antrag des Dresdener Delegierten Wigard, der als Abgeordneter der Nationalversammlung der Fraktion „Deutscher Hof “ angehörte, Zustimmung, dass Turner und andere Personen, die nicht von Turngemeinden delegiert waren, also alle Gäste, auch nicht mit beraten dürften. Euler bemerkte dazu, dieser Beschluss habe wohl hauptsächlich Jahn gegolten,82 Wigard dagegen versicherte noch im gleichen Jahr, dass sein Antrag Jahn „nicht im Auge hatte.“83 Jedenfalls fühlte sich Jahn durch Wigards Antrag ausgeschlossen und verließ die Tagung. Das „Wetterauer Volksblatt“ schrieb dazu: „Ueberhaupt schien ihm der Geist, der die Versammelten durchwehte, nicht ganz der rechte! Er verlässt die Versammlung und erklärt in einem Absagebrief, ‚dass die Jugend das Alter überflügelt habe, dass er mit Liebe und ohne Groll scheide, dass er ihrem Vorhaben Gedeihen wünsche und Gut Heil! Euer Vater Jahn.‘“84 Nach langen Verhandlungen lehnte der Turntag den Antrag der demokratischen Richtung mit 91 gegen 81 Stimmen ab, die Republik als einzig vernunftgemäße Regierungsform anzuerkennen. Viele, die den Antrag abgelehnt hatten, waren durchaus der Auffassung, dass sich auch die Turner mit den aktuellen politischen Fragen beschäftigen sollten, jedoch sollten sie das außerhalb des Turnvereins tun. Die Politik sollte aus den Turnvereinen herausgehalten werden. Die enttäuschte demokratische Minderheit zog aus dieser Abstimmung ihre Konsequenzen, trat aus dem Deutschen Turnerbund aus und gründete den „Demokratischen Turnerbund“, dessen Vorort Hanau wurde. Zum Vorort des Deutschen Turnerbundes wurde Leipzig gewählt, vorläufig leitete jedoch Marburg 80 81 82 83 84

M1, S. 539. Ludwig Bamberger: Erinnerungen, Berlin 1899, zit. nach Neumann (1968), S. 27. Euler (1898), S. 1042. Der Turner 3(1848)29, S. 232. Wetterauer Volksblatt vom 8.7.1848, zit. nach Neese (2002), S. 510.

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die Geschäfte. Die politische Zielsetzung der neuen Turnorganisation wurde im „Zweckparagraphen“ der Statuten festgelegt: „Der Zweck des Turnerbundes ist: durch geistige und körperliche Ausbildung und Verbrüderung aller Deutschen hinzuwirken auf ein freies und einiges Vaterland, welches in dem volksthümlichen Freistaat – der demokratischen Republik – seine entsprechende Form findet.“85 Die Tatsache, dass in kurzer Zeit immer mehr Turngemeinden dem revolutionären „Demokratischen Turnerbund“ beitraten, war für Jahn der Anlass, sich fortan bei jeder Gelegenheit von den „Roten“ zu distanzieren und sie, wo und wann er nur konnte, zu diskreditieren und mit derben Worten zu beschimpfen. Jahn musste nun auf Grund der Vorgänge in Hanau erkennen, dass er sich nur noch bei einem Teil der Turner Gehör verschaffen konnte, während sich viele offen von ihm distanzierten. Sein Verhalten gegenüber der Turngemeinde in Limburg an der Lahn ist geprägt von großer Enttäuschung und zeugt von einem aufkommenden Misstrauen gegen die Turnvereine im Allgemeinen. Die Limburger Turngemeinde hatte nach dem 1. Hanauer Turntag die Aufgabe übernommen, die Organisation eines alle nassauischen Turnvereine umfassenden Bezirksverbandes vorzubereiten, was sie mit der Gründung des „Bezirksvereins für Taunus und Westerwald“ Anfang Mai 1848 auch getan hatte. Die Spaltung der deutschen Turnbewegung auf dem 2. Hanauer Turntag machte die Einberufung des 2. nassauischen Turntages erforderlich, der am 23. Juli in Limburg stattfand. Unter dem Einfluss des aus Frankfurt angereisten (unpolitischen) „Nur-Turners“ Ravenstein entschieden sich die Vereinsvertreter gegen die Aufnahme eines politischen „Glaubensbekenntnisses“ in die Statuten des „Bezirksvereins“. Der Limburger Vorstand setzte sich das ehrgeizige Ziel, als „dritte Kraft“ zwischen den zerstrittenen Turnerbünden, dem „Allgemeinen Deutschen Turnerbund“ (Vorort Leipzig) und dem „Demokratischen Turnerbund“ (Vorort Hanau), einen entscheidenden Beitrag zu leisten und zwar mit der Schaffung eines nationalen Dachverbandes aller Turner. Der „Bezirksverein“ hatte auch Jahn zum Turntag nach Limburg eingeladen. Noch bevor er diese Einladung in Händen hielt, richtete Jahn ein Schreiben an die „Turngemeinde Limburg“. Das Schriftstück wurde drei Tage vor der Limburger Turnerversammlung durch die Indiskretion einiger Vereinsmitglieder und ohne Rücksprache mit dem Vorsitzenden Carl Thewalt im konservativen „Nassauischen Zuschauer“ veröffentlicht. In seinem Brief hatte Jahn den nassauischen Turnern unterstellt, durch „maulheldische Putschmeister“ verführt, „communistisch“ geworden zu sein. Er diffamierte die führenden Demokraten als Versager, bezeichnete sie als zweifelhafte Persönlichkeiten und rückte sie in die Nähe von Kriminellen. Schließ85 Zit. nach Braun (1996), S. 12.

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lich verstieg er sich noch zu der Behauptung, dass die deutsche Turnbewegung vom Ausland gesteuert werde.86 Die Veröffentlichung dieses Schreibens löste bei den Turnern des „Bezirksvereins“ heftige Diskussionen aus und veranlasste den Limburger Juristen Thewalt als Vorsitzenden der Turngemeinde zu einer Gegendarstellung in der liberalen „Freien Zeitung“, in der er nicht nur die Frage des „politischen Glaubensbekenntnisses“ thematisierte, sondern auch Jahn mit folgenden Worten in seine Schranken wies: „Haben wir oben den Jahnschen Brief eine Anerkennung für uns genannt, so gestehen wir damit noch lange nicht dem alten Turnvater das Recht zu über alle Bestrebungen der Gegenwart, welche sich in den Turnvereinen offenbaren, vielleicht im Bewußtsein seiner Bedeutung in den Heldentagen der Freiheitskriege, in nächster Instanz zu entscheiden resp. den Stab zu brechen. Jahn hat seine Zeit gehabt und er mag wohl mit Verdruß auf eine Jugend herabsehen, die in ihren Plänen viel weiter geht als er es je vermuthen konnte; dafür leben wir auch im Jahre 1848 und nicht mehr anno 1813 und 14. Das ist, was man historische Berechtigung nennt; seine Bedeutung für Deutschland bleibt nichts desto weniger ungeschmälert und daraus fließt auch die Nachsicht, die man mit ihm hat, wenn er alle demokratisch-republikanischen Bestrebungen nur Landläufern und Landbetrügern, Rottenstiftern, Dummhüten und Dubbern zuschreibt. Gekränkte Eitelkeit, weil er vielleicht selbst fühlt, daß es aus ist mit ihm! Das sind aber lauter Dinge, bei denen der Zuschauer sich erst gehörig umschauen sollte, bevor er seine Machtsprüche auskramt, wir wenigstens sind Turner seit lange und kannten schon Jahn zu einer Zeit, wo die Redaktoren des Nass. Zuschauers wohl noch keine Ahnung ihrer künftigen Größe, an die Spitze eines weltherrschenden Blattes zu stehen, haben konnten. Mögen die Leute ihr Gewicht einsehen und es nicht leichtsinnigen, indiscreten Leuten in die Hände geben; die Sache ist bekanntlich schwieriger als eine deutsche Grammatik nach Jakob Grimm oder französische Lehrbücher à la Mayer & Ahn zu fabriciren. ‚Ueber das Erste selbst demnächst mehr‘.“87 Der „Nassauische Zuschauer“ kommentierte diese Kritik an Jahns Schreiben mit der Bemerkung: „Möge unser alter Jahn auch ferner und namentlich im Parlamente beweisen, daß es noch nicht aus mit ihm ist!“88 Den Limburger Turntag am 23. Juli 1848 hat Jahn, der noch vor der Veröffentlichung des von Thewalt verfassten Briefes über die negativen Reaktionen, die die Veröffentlichung seines „Wutbriefes“ vom 18. Juli hervorgerufen hatte, unterrichtet worden war, nicht besucht. Er hatte aber schon am 21. Juli 1848 an die Turngemeinde Limburg geschrieben und dabei die Anrede gewählt: „Der Turngemeinde, wenn sie noch nicht rot ist, 86 Nassauischer Zuschauer, Nr. 17 v. 20.7.1848, zit. nach Neese (2002), S. 525. 87 Freie Zeitung, Nr. 141 v. 27.7.1848, zit. nach Neese (2002), S. 525–526. 88 Nassauischer Zuschauer, Nr. 27 v. 1.8.1848, zit. nach Neese (2002), S. 527.

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zu Limburg an der Lahn.“ In diesem Schreiben versucht er sich zu rechtfertigen gegenüber dem Vorwurf der Geltungssucht: „Meine Zeit ist gewesen, und das verlöschende Licht meines Lebens mag still verglimmen. Ich dringe mich nicht auf und habe mich nie aufgedrungen, ja gehe selbst jeder unschuldigen Volksfreude seit Jahren aus dem Wege, um nicht in den Verdacht zu kommen: ‚Ich wollte was gelten und bedeuten‘ [...].“89 Schließlich schildert er, wie schlecht man ihn in Hanau behandelt hat und schreibt die folgenschweren Sätze: „Ich nehme in diesen Zeilen Abschied von Euch. Nehmt an, ich sei gestorben. Unsere Briefe haben sich begegnet. Ihr habt auf mein Schreiben nicht geantwortet. Es war Euch also nicht recht. Ich kann aber nicht anders werden. Ich bin zur Veränderung zu alt und zu fest. – Ein Roter werde ich nicht. Meine Gesinnung gebe ich nicht auf – aber, um niemandem hinderlich zu sein, allen Verkehr mit den Turngemeinden. Die gebe ich verloren. Es wird aber aus den Kindern ein ander Geschlecht erblühen, was nicht den Ränken des Auslandes frönen wird, was Deutschlands Ehre heilig halten wird und nicht erst nachplappern wird, was das Ausland ihm vorschwatzt.“90

Damit hatte Jahn den Bruch mit den Turnvereinen vollzogen, die in ihm kein Vorbild mehr erkennen konnten.

7.5 Vom Befürworter zum Gegner der Revolution Vom 3. Juli bis zur ersten Lesung am 12. Oktober befasste sich die Nationalversammlung vorzugsweise mit den „Grundrechten des deutschen Volkes“. Der nächste Auftritt Jahns im Plenum erfolgte in der 40. Sitzung am 17. Juli 1848. In dieser Sitzung wurde u. a. über Artikel I, § 3 des Entwurfs für die „Grundrechte“ verhandelt. Den Wortlaut dieses Paragrafen, die Aufnahme in das Staatsbürgertum, dürfe keinem „unbescholtenen Deutschen“ verweigert werden, nahm Jahn zum Anlass, einen Verbesserungsantrag einzubringen. Er begründete ihn auf heitere Art in längeren, von lachendem Beifall der Abgeordneten begleiteten Ausführungen, indem er über das nach seiner Ansicht zweideutige Wort „Bescholtenheit“ reflektierte, wobei er indirekt eigene, ganz persönliche Erfahrungen zu verarbeiten suchte. Die Quintessenz seiner Bemerkungen bestand im Grunde nur in den Forderungen: „Wer seine Strafe ausgehalten hat, der muss als ehrlich gelten“, und der Vorschlag, das Wort „unbescholten“ fallen zu lassen.91 Für

89 Brief vom 21.7.1848 (M1, S. 539). 90 M1, S. 540. 91 EJW 2.2, S. 1015–1017; Euler (1898), S. 1042; Wiltberger (1908), S. 198.

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Wilhelm Wichmann war dies „die einzige humoristische Rede, welche die sonst trockenen, in didaktischem Tone gehaltenen Kathedervorträge unterbrach.“92 Wenige Tage später, am 22. Juli 1848, wurde im Parlament über die von Russland her drohende Gefahr diskutiert, veranlasst durch massive russische Truppenkonzentrationen an den östlichen Grenzen des Deutschen Bundes. Der zuständige Ausschuss hatte den Antrag gestellt, die Nationalversammlung möge beschließen, die deutschen Streitkräfte an der östlichen Grenze so zu verstärken, dass sie den russischen gewachsen seien. Der linke Abgeordnete aus Österreich, Franz Schuselka, Mitglied des Ausschusses für völkerrechtliche und internationale Fragen, stellte in der Diskussion den ergänzenden Antrag, dass die Regierungen von Österreich und Preußen zuvor eine Erklärung von der russischen Regierung über die Kriegsrüstungen verlangen müssten. Zu diesem Antrag Schuselkas meldete sich Jahn zu Wort, betonte von der Tribüne aus sein Vertrauen bezüglich einer entsprechenden Vorsorge der Reichsgewalt, erklärte sich „ganz und gar“ gegen das „Sondergutachten des Herrn Schuselka“, mahnte für den Fall der Annahme dieses Antrags die Verpflichtung der anderen deutschen Staaten an, sich an der Zusammenstellung eines „Reichsheeres“ zu beteiligen, und stellte dann den Antrag: „Der hohe Reichstag wolle den Beschluss fassen und an das Reichsministerium zur Ausführung gelangen lassen: Die Festungen Thorn, Posen, Glogau und Kosel treten in die Reihe der Bundesfestungen, und es werden bei Breslau und Bromberg verschanzte Lager gebildet, deren Besatzungen Reichstruppen sind.“ Jahns Antrag fand im Parlament allerdings keine Unterstützung.93 Als am 27. Juli die Generaldebatte über die Aufnahme des Großherzogtums Posen in den Deutschen Bund geführt wurde, ergriff Jahn abermals das Wort. Das Posener Großherzogtum war ein gemischtsprachiges Gebiet, in dem neben ca. 800.000 Polen und 80.000 Juden bis zu 400.000 Deutsche ansässig waren. Im Zusammenhang mit dem Ausbruch der Revolution in Berlin brach hier ein Aufstand der Polen aus mit dem Ziel, die Freiheit und Unabhängigkeit des zwischen Preußen, Russland und Österreich in drei Teilungen (1772, 1793, 1795) zerschlagenen polnischen Staates wiederherzustellen. Preußische Truppen hatten diesen Aufstand bis Ende April/Anfang Mai 1848 schließlich unterdrückt. Schon während der ersten Tage des polnischen Aufstands war im Vorparlament die „polnische Frage“ aufgeworfen worden; eine Mehrheit hatte dabei die 3. Teilung Polens, womit der polnische Staat liquidiert wurde, zum „schmachvollen Unrecht“ und die Mitwirkung an der Wiederherstellung Polens zur „heiligen

92 Wichmann (1888), S. 172 f. 93 EJW 2.2, S. 1017–1018.

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Pflicht des deutschen Volkes“ erklärt.94 Am 24. Juli 1848 hatten in der Nationalversammlung 16 Abgeordnete der Linken mit Bezug auf diese Erklärungen des Vorparlaments den Antrag eingebracht, die „Provinz“ Posen als außerhalb des Deutschen Bundes stehend zu erklären und deshalb die zwölf in dieser Provinz gewählten Abgeordneten aus dem Parlament auszuschließen.95 Mit einer sehr aggressiven, chauvinistischen Rede hatte der Abgeordnete Jordan diesen Antrag zurückgewiesen. Die Mehrheit der Abgeordneten erklärte sich jedoch weder für den Antrag noch für die Meinung Jordans, sondern trat für die Trennung von Deutschen und Polen ein entsprechend der Demarkationslinie, welche die preußische Regierung wenige Wochen nach der Niederwerfung des polnischen Aufstands in dieser Provinz am 4. Juni gezogen hatte. Diese Maßnahme der preußischen Regierung ermöglichte es ihr, zwei Drittel des Gebiets der Provinz Posen zu „Deutsch-Posen“ zu erklären. Dieses Unrecht wäre noch weit übertroffen worden, hätte die Nationalversammlung den von Jahn in der Sitzung am 27. Juli in der Generaldebatte über die territoriale Zugehörigkeit des Großherzogtums Posen unterbreiteten Vorschlag angenommen, das ganze Großherzogtum in das deutsche Reich aufzunehmen und Stadt und Festung Posen zur „Reichsfestung“ zu erklären. Zwar verband Jahn diesen Antrag mit dem Vorschlag, auch allen polnischen Bewohnern dieser Provinz die jedem Deutschen zustehenden Rechte zu gewähren und sie in den „Reichsschutz“ zu nehmen mit der Garantie des ungestörten Gebrauchs ihrer Muttersprache bei allen Amtshandlungen sowohl in Kirche und Schule als auch vor Gericht. Dieser auf die Fortsetzung der Unterdrückung nationaler Selbstständigkeitsbestrebungen der Polen abzielende „Verbesserungsantrag“ Jahns wurde im Parlament abermals nicht hinreichend unterstützt, so dass sich eine Abstimmung erübrigte.96 Unbedingt erwähnt werden muss jedoch, dass anschließend über den Antrag abgestimmt wurde, ob – wie im Vorparlament bereits mehrheitlich bejaht – die Nationalversammlung die Teilungen Polens für ein schmachvolles Unrecht erkläre und die heilige Pflicht des deutschen Volkes anerkenne, an der Wiederherstellung eines selbstständigen polnischen Staates mitzuwirken. Wilhelm Wichmann schreibt in seinen „Denkwürdigkeiten aus der Paulskirche“, dass dieser vom Abgeordneten Schaffrath eingebrachte Zusatzantrag von den anwesenden Abgeordneten mit 131 : 101 Stimmen verworfen worden sei.97 Auch Jahn stimmte mit „nein“ und erklärte zugleich: „Es geziemt dem deutschen Reichstage nicht, über geschichtliche Begebnisse sich ein Urtel anzumaßen und sich zu einem geschichtlichen Schöppen94 95 96 97

Siemann (1985), S. 149 mit Quellenangabe auf S. 243, III 6, Anm. 3. Siemann (1985), S. 149–150. EJW 2.2, S. 1018. Wichmann (1888), S. 156–157.

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stuhl zu verzerren, da die Vergangenheit der Notwendigkeit gehört und nur die Zukunft der Freiheit“;98 wahrlich ein seltsames Produkt Jahnscher Gedankengänge, die offenbar allein auf die Rechtfertigung preußischer Großmachtpolitik hinausliefen. Bestätigt wird dieser Eindruck bereits einen halben Monat später, in der 60. Sitzung am 12. August 1848, als ein Antrag eingebracht wurde, der die Vereinigung Istriens mit dem Deutschen Bund zum Gegenstand hatte. Als Jahn dazu das Wort ergriff, erhob sich von vielen Seiten gleich zu Beginn seiner Ausführungen der Ruf: „Schluss! Schluss!“ Jahn sprach dessen ungeachtet weiter und versuchte, dem Plenum seinen Standpunkt zu erläutern, dass die Begründung einer deutschen Seemacht im Mittelmeer eines Hafens bedürfe, der geeigneter sei als Triest. Der einzige geeignete Hafen dafür sei Pola auf Istrien. Nach weit ausholenden Belehrungen über die Geschichte und die Zusammensetzung der Bevölkerung Istriens landete er schließlich bei der Frage, ob der Italiener das Recht habe zu bestimmen, wohin das hinter Pola gelegene Land gehöre. Diese Frage blieb unbeantwortet,99 bestätigte aber, dass aus dem „revolutionären“ Jahn der März- und Apriltage 1848 innerhalb eines Vierteljahres ein gehorsamer Anhänger preußischer Politik und aktiver Verfechter preußisch-deutscher Großmachtpolitik geworden war. In der 63. Sitzung am 21. August 1848 wurde über Möglichkeiten diskutiert, die seit dem 3. Juli andauernden Beratungen über die Grundrechte des deutschen Volkes zu beschleunigen und die Reihenfolge der zur Beratung vorliegenden Grundrechtsartikel abzuändern. Jahn unterstützte den entsprechenden Antrag des Abgeordneten Friedrich Theodor Vischer vom linken Zentrum und begründete die besonders dringliche Behandlung des Vereins- und Vereinigungsrechts. Was Kirche und Schule betreffe, so führte er aus, gäbe es keine große Veränderung. Es ginge vielmehr um die Vereinigungen, die kraft des von der Nationalversammlung erteilten Rechts entstanden waren und nun willkürlich handelten. Müssten doch, so Jahn, die Befugnisse der Vereine und Vereinigungen zuerst festgestellt werden, schon allein deshalb, weil Vereine entstanden seien, die „außer sich nichts anerkennen, von denen wir jeden Augenblick erwarten können, dass sie uns den Krieg erklären, welche die Nationalversammlung durch Maueranschläge verunglimpfen, welche sagen, wir besäßen nicht das Vertrauen des Volkes, und wir sollten darum von hier weichen. Wenn wir daher das Vereinsrecht nicht bald und andern Beratungen zuvor feststellen, so können wir nur erwarten, dass nächster Tage vor unser Haus die Köpfmaschine hingestellt werde.“100 98 EJW 2.2, S. 1019. 99 EJW 2.2, S. 1019–1020. 100 EJW 2.2, S. 1020–1021.

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Damit wurde endgültig klar, dass Jahn unter dem Eindruck des 2. Hanauer Turntags und der z. T. sehr scharfen Auseinandersetzungen mit der äußersten Linken im Parlament die „neutrale Position“, die er vor Beginn der Arbeit der Nationalversammlung noch erstrebte, endgültig aufgegeben hatte, nunmehr zu einem entschiedenen Gegner der äußersten Linken geworden war, die er jetzt nur noch als die „Roten“ bezeichnete. Diese attackierte er seit Juli/August 1848 ständig mit unflätigen Beschimpfungen, was einer fruchtbaren parlamentarischen Zusammenarbeit im Interesse der deutschen Nation nur abträglich sein konnte. Ebenso aggressiv trat Jahn in der 66. Sitzung des Parlaments am 25. August 1848 auf. Reichsminister v. Schmerling musste eine Interpellation Jahns beantworten, die im Plenum, vor allem bei den Linken, große Heiterkeit erregte. Jahn stellte die Anfrage, „ob die Reichsgewalt keine entscheidenden Schritte gegen das wühlerische Treiben der kommunistischen Vereine der sogenannten Radikal-Demokraten thun will, die eine Verschwörung gegen Ordnung, Recht und Freiheit bilden und es auf einen blutigen Bürgerkrieg anlegen.“101 Reichsminister Schmerling beantwortete sie mit Hinweis auf die Grundsätze der Reichsregierung in Sicherheitsfragen und auf die Verantwortung einer jeden einzelnen Regierung im Deutschen Bund. Als er Jahn fragte, ob er einen Antrag stellen wolle, fing dieser an, in seiner gewohnt weit ausholenden, langatmigen Weise zu sprechen, wurde jedoch vom Präsidenten der Nationalversammlung unterbrochen mit der Bemerkung, „Herr Jahn, nur ein Antrag, keine Rede.“ Daraufhin stellte Jahn den Antrag, die Nationalversammlung möge einen Sicherheitsausschuss berufen, „um zu prüfen und zu beraten, wie dem Treiben dieser Vereine, die es darauf angelegt haben, den Friedenszustand in Deutschland zu verhindern, und welche auf einen blutigen Bürgerkrieg ausgehen, entgegen zu treten wäre; das ist mein Antrag.“ Als der Präsident des Parlaments fragte, ob Jahns Antrag unterstützt werde, erhob sich wiederum nicht die erforderliche Anzahl von Abgeordneten. Jahn konnte daraufhin nur noch sagen: „Dann brauche ich meinen Antrag auch nicht schriftlich einzureichen.102 Am 4. September ging es im Plenum der Paulskirche um die Frage, ob der von Preußen mit Dänemark ohne Rücksprache mit Frankfurt am 26. August abgeschlossene Waffenstillstand bestätigt werden solle. Die Mehrheit der Abgeordneten widersetzte sich der Bestätigung, Jahn aber stimmte mit der Minderheit. In der 73. Sitzung am 7. September standen nun die beiden Fragen zur Abstimmung, ob über die Sistierung (das Stoppen) des Waffenstillstands erst dann abgestimmt werden solle, wenn über den Waffenstillstand selbst Beschluss gefasst 101 EJW 2.2, S. 1021. 102 EJW 2.2, S. 1022.

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wird – was nur von einer Minderheit, darunter Jahn, bejaht wurde – und ob die Nationalversammlung die Sistierung der militärischen und sonstigen Maßregeln beschließen wolle – dazu stimmte die Mehrheit mit ja, eine Minderheit mit Jahn aber mit nein. Als der Abgeordnete Mittermaier mit Bezug auf den Beschluss vom 4. September sagte, „wir wussten, was wir thaten“, rief Jahn spontan „nein“, wofür ihn der Präsident, Heinrich v. Gagern, wegen der damit ausgedrückten Beschuldigung, die Majorität der Abgeordneten habe nicht mit Einsicht gehandelt, zur Ordnung rief.103 In der 77. Sitzung am 14. September 1848 stellte Jahn einen Antrag, der im Zusammenhang mit den folgenden Ereignissen in Frankfurt wahrscheinlich nicht mehr beraten worden ist, aber hier doch vorgestellt werden muss, weil er wohl einer der Gründe dafür war, dass Jahn für die Demokraten zu einem der bestgehassten Abgeordneten des Frankfurter Parlaments wurde. Jahn beantragte nämlich, den Waffenstillstand mit Dänemark als Vertrag zu genehmigen, die Zentralgewalt aber gleichzeitig zu ermächtigen, „sich über diejenigen Sätze, deren Ausführung in Schleswig-Holstein bereits unmöglich geworden, mit Seiner Majestät dem Könige von Dänemark als Herzog von Schleswig-Holstein baldigst zu einigen und zugleich das Friedenswerk zwischen den beiden Nachbarn und Brüdervölkern zu beiderseitigem Heile zu vollenden.“104 Dieser Antrag entsprang der gleichen Grundhaltung, wie sie Ernst-Moritz Arndt mit seinen „deutschtümelnden Selbstüberhebungen“105 etwa in der Weise ausdrückte, dass er Preußen zum „Kernland und Kernvolk des mächtigen europäischen Volkes der Mitte dieses Reiches“ erhob und darauf aufbauend als Grundsatz der praktischen Politik vorschlug, das um Preußen zentrierte Deutschland solle die Herrschaft in den Nordmeeren erlangen, mit Schweden und Polen zusammengehen und die Dänen und Russen in Schach halten.106 Mit seinem Antrag fiel Jahn jedenfalls denen, die aus allen Teilen Deutschlands als Freiwillige zu den gegen die Dänen kämpfenden Bundestruppen gestoßen waren, in den Rücken, darunter sehr vielen Turnern, die sich im Kampfe bewährt, aber dabei auch schmerzliche Verluste erlitten hatten. Dafür erntete Jahn aber hohes Lob von den Rechten. Euler schreibt 1898 im Hochgefühl der Bismarckschen „Reichseinigung von oben“: „Damals (am 14. September) kam Fürst Lichnowsky auf ihn zu und sagte: ‚Ich bewundere Ihren moralischen Mut.‘“107 Euler betont in diesem Zusammenhang auch, dass Arndt zunächst gegen den Waffenstillstand gestimmt, in der Sitzung am 14. September aber erklärt habe, „er sei von seiner Meinung zurückgekom103 104 105 106 107

EJW 2.2, S. 1022–1023. EJW 2.2, S. 1023. Valentin (1919), S. 101–102. Wollstein (1977), S. 128. Euler (1898), S. 1043.

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men und sprach nun dafür. Die Linke zischte ihn dafür aus.“108 Als die Linke, offenbar durch die Nichtbehandlung oder vielleicht auch Ablehnung des zwei Tage zuvor eingebrachten Jahnschen Antrags ermutigt, am 16. September den Gegenantrag einbrachte, nämlich den Waffenstillstand nicht zu genehmigen, sondern den Krieg mit Dänemark fortzusetzen, erlitt sie eine empfindliche, unerwartete Niederlage. Denn nur 234 Abgeordnete stimmten für diesen Antrag, 258 aber dagegen, darunter auch Jahn, der sich damit in „rechter Gesellschaft“, u.a. mit General Auerswald, Fürst v. Lichnowsky, Freiherrn v. Vincke und dem Rittergutsbesitzer Lette befand. Nachdem das Ergebnis der Abstimmung vom 16. September über den Malmöer Waffenstillstandsvertrag zwischen Preußen und Dänemark bekannt geworden war, organisierten der Demokratische und der Arbeiterverein der Stadt Frankfurt eine Volksversammlung, an der sich auch Abgeordnete der Linken beteiligten und auf der alle diejenigen Abgeordneten, die für die Annahme des Waffenstillstandes gestimmt hatten, für „Verräter des deutschen Volks, der deutschen Freiheit und Ehre“ erklärt wurden.109 Bei den nun ausbrechenden Kämpfen wurden die Abgeordneten Fürst Lichnowsky und General v. Auerswald gefangen genommen und ermordet. Auch Jahn geriet in diese Auseinandersetzungen. Über den genauen Hergang gibt es verschiedene Versionen, eine davon hat Jahn selbst mit seiner „Schwanenrede“, die er danach im Versteck verfasst hat, in Umlauf gebracht: „Mit Meuchelmord ist die rote Fahne geweiht, und zum eigenen schimpflichen Untergang. Die versteckten Häuptlinge meinten es zwar anders. Da sollten Frevelthaten geübt werden, daß keine Umkehr möglich. Darum ward die unverständige Menge gegen Männer gehetzt, die stets zum Volke gestanden. Mein Tod sollte der Anfang des Trauerspiels sein. Schon am 16. Abends umlauerten und umschlichen mich Mordgesellen, die von Wohlgekleideten geleitet wurden. Kundschafter schlichen an alle Orte, wo ich zuweilen verkehre. Und als sie mich endlich fanden, besetzten sie das Haus und mahnten die wilde Jagd auf. Gegenwart des Geistes und Entschlossenheit haben mich gerettet. Doch habe ich vernommen, daß man mir den Tod, und was für einen, zugedacht. Es sollte mir ergehen, wie man einst an Cortes auf dem Tempel von Mexiko versuchte. Vom Balkon eines hohen Hauses, eines befriedeten Hauses, weil es die Abgeordneten zur ausschließlichen Benutzung gemietet haben, wollte man mich hinabstürzen. Das habe ich mit eigenen Ohren vernommen. Nun, ich bin mit dem Leben davon gekommen, mit voller Gesundheit. Es war ein festlicher Abend, es war Erinnerung an das Treffen bei der Göhrde, wo ich vor 35 Jahren dabei gewesen.“110

108 Euler (1898), S. 1043. 109 Vgl. Siemann (1985), S. 162. 110 EJW 2.2, S. 1058.

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Jahn schildert den Vorgang also sehr dramatisch, und der Hinweis auf die Schlacht an der Göhrde 1813 sollte sein „Heldentum“ offensichtlich noch unterstreichen, auch deshalb, weil nicht nur der Hallesche Professor Eiselen, sondern ebenso Varnhagen van Ense ihm bei seinem militärischen Einsatz 1813 jeglichen Mut abgesprochen hatten.111 Von der Turngeschichtsschreibung und in der späteren regionalen Überlieferung ist diese von Jahn selbst verfasste Darstellung der Vorgänge von Mitte September 1848 sehr unkritisch übernommen worden. Schon in der Freyburger Stadtchronik wurde unter dem 18. September 1848 aufgezeichnet: „In Frankfurt am Main entstand wegen des Waffenstillstandes mit den Dänen ein Aufruhr, eine Pöbelrotte wolle in die National-Versammlung eindringen, was jedoch verhindert wurde. [...]. Einen grässlichen Schandflecken haben Deutschland angehängt die Schandbuben aus dem Pöbelhaufen, welche die beiden Ehrenmänner, den Fürsten Lichnowsky und den Obersten von Auerswald an diesem Tage meuchelmörderisch hinmarterten. Auch unser Deputierter, der alte Jahn, den man namentlich suchte, wäre nicht mit dem Leben davongekommen, hätte man ihn erwischen können; er hatte aber sein Zimmer verrammelt und so das Eindringen seiner Verfolger verzögert, bis ihn endlich die unterstützende Schutzwehr sicherte.“

Günther Jahn schreibt in seiner 1992 veröffentlichten Jahn-Biographie: „Im Krieg gegen Dänemark hatten sich Turnerkompanien im Sommer 1848 verlustreich bewährt. Die roten Turner waren daher über Jahn aufgebracht, als er dem Waffenstillstand zwischen Preußen und Dänemark mit der Mehrheit der Abgeordneten zugestimmt hatte. Als die Aufständischen sich Jahns Quartier in Frankfurt näherten, hörte er Rufe, ihn vom Balkon zu stürzen. Er wurde gerettet, weil ein Kellner ihn in einem oberen Bodenraum versteckte.“112

Günther Jahn fügt also sogar Einzelheiten hinzu, für die jedoch keine gesicherten Belege vorliegen. Carl Euler, der Jahn persönlich nie begegnet ist,113 zieht aus der Jahnschen Darstellung den Schluss: „Jahn traf besonders der Haß und die Wut der Umsturzpartei. Sein Tod war überlegt und beschlossen, nicht die Ermordung 111 M1, S. 460–461.; 472–473; 483, 493. 112 Jahn (1992), S. 73. 113 „Lebhaft erinnere ich mich der Spannung, mit der wir die Ereignisse in Frankfurt verfolgten, der Empörung über den Straßenkampf mit seinen Greueln, der Ermordung des Generals v. Auerswald und des Fürsten Lichnowsky. Die Gefährdung Jahns berührte uns nicht so sehr. Die Zeitungen hatten auch bei uns Stimmung gegen ihn gemacht. Auch die Karikaturen verleideten mir, die persönliche Bekanntschaft des früher von mir, dem leidenschaftlichen Turner, so sehr verehrten Turnvaters zu suchen, was ja von Kreuznach aus gar nicht schwer war. So habe ich, der Jahnforscher, Jahn gar nicht persönlich kennen gelernt! Es war vielleicht besser so!“ (Euler, 1898, S. 1044).

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Auerswalds und Lichnowsky’s.“114 Dann malt Euler die vermutete Lebensgefahr für Jahn noch weiter aus, indem er schreibt, „am 18. September war Jahn wieder in Gefahr. Gewarnt, hielt er sich verborgen und am 21. September konnte der Präsident der Nationalversammlung mitteilen, dass Herr Jahn, obgleich großer Gefahr ausgesetzt gewesen, jetzt wohl behalten sei.“115 Diese allgemeine Mitteilung sollte aus der Sicht Eulers als Bestätigung der Jahnschen Darstellung dienen. Wenn man jedoch die Briefe Jahns vom 19. und 24. September an General v. Radowitz von der äußersten Rechten des Parlaments, Berater des preußischen Königs und damals Vorsitzender des Katholischen Clubs in Frankfurt a. M.,116 unvoreingenommen liest und interpretiert, dann bestätigt sich die Vermutung, dass tatsächlich Jahn selbst die Situation, in der er sich nach dem 16. September befand, zu einer sensationell anmutenden Legende zugespitzt hat. Euler hat sie 1898, als der „Turnvater“ von der Deutschen Turnerschaft schon längst zur „Kultfigur“ erhoben worden war, gegen alle Abstriche verteidigt, und er hat selbst Nachreden wie etwa die, dass Jahns Verstecken Ausdruck von Feigheit gewesen sei, kategorisch zurückgewiesen: „Suchten nicht auch General Auerswald und Fürst Lichnowsky durch die Flucht und sich verstecken sich zu retten?“ schreibt Euler, und er fährt fort: „Ich erkläre das Gerede von Jahns Feigheit 1848 ebenso für unwahr und für eine Verleumdung, wie ich es im Leben Jahns117 betreffs derselben Anschuldigung im Jahr 1818 gethan habe.“118 Schließlich versucht Euler auch noch mit dem Hinweis auf „Treuebeweise“ einzelner Turngemeinden die Abkehr der Mehrheit der Turner von Jahn zu bagatellisieren, nämlich derer, die den demokratisch-republikanischen Turngemeinden angehörten: „Die blutigen Ereignisse in Frankfurt, an denen leider ja auch Turner beteiligt waren, erregten doch auch in turnerischen Kreisen große Entrüstung. Auch Jahn erhielt mannigfache Beweise der Teilnahme. So wurde ihm am 2. Oktober 1848 aus Strehlen geschrieben, er möge doch ja nicht aus der Nationalversammlung ausscheiden; nur er und Arndt könnten der Linken noch begreiflich machen, was unter Deutschlands Einheit zu verstehen sei.119 Wahrscheinlich kommt das, was Wilhelm Wichmann als Augenzeuge, wenn auch 40 Jahre später, sehr nüchtern über diese Ereignisse schreibt, der Wahrheit am nächsten: Am Abend des 16. August 1848 hätten sich nur noch er selbst und Jahn im Lesezimmer der Westendhall aufgehalten. Nachdem er das Lese114 115 116 117

Euler (1898), S. 1044. Euler (1898), S. 1044. L/U, S. 145–147. Euler (1881, S. 353 ff.) verteidigte Jahn gegen den Vorwurf der Feigheit in den Gefechten des Lützower Freikorps im Jahre 1813. 118 Euler (1898), S. 1044. 119 Euler (1898), S. 1044 mit Hinweis auf Pröhles Jahn-Biographie von 1855, S. 272.

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zimmer verlassen hatte und Jahn sich nur noch allein darin aufgehalten habe, habe Jahn sich beim Herannahen der Aufständischen in ein abgelegenes Zimmer zurückgezogen und alle Möbel zwischen Wand und Tür zusammengerückt. Die Gruppe der Aufständischen habe gegen die Tür gedonnert sowie Schloss und Riegel zerbrochen, hätten aber nichts ausrichten können. Da Jahn sich mäuschenstill verhalten habe, hätten sie ihre Wut nur noch an Einrichtungen und Geräten auslassen können, bevor sie sich in die Stadt zurückzogen.120 Ein weiterer Abgeordneter des Parlaments, Friedrich Daniel Bassermann vom rechten Zentrum (Casino-Club), der von Mai bis Anfang August 1848 Vorsitzender des Ausschusses für den Entwurf der Reichsverfassung und anschließend bis Mai 1849 Unterstaatssekretär im Reichsministerium des Innern war,121 berichtete in seinen „Denkwürdigkeiten“ ausführlich über die Beerdigung von Fürst Lichnowsky und General Auerswald, die von den Aufständischen ermordet worden waren, und über die Misshandlungen, denen der Abgeordnete Heckscher ausgesetzt war; die Bedrohung Jahns erwähnt er aber nur beiläufig: „Wie Jahn einer ähnlichen Gefahr entgangen, ward (während des Mittagessens im ‚Bürgerverein’) von einem anderen Anwesenden erzählt, wie sich überhaupt, nachdem die erste Betäubung vorüber, die einzelnen Teile zu einem Gesamtbilde zusammentrugen, dessen Anblick in jedem Beschauenden das Gelöbnis erzeugen musste, die Partei, welche im Namen der Freiheit die Moral der Banditen predigt, auf Leben und Tod zu bekämpfen.“122 Und Rudolf Haym, Abgeordneter aus der preußischen Provinz Sachsen und Chronist der Nationalversammlung, erwähnt vor allem die Verfolgung Heckschers in Höchst und schreibt, dieser sei „nur mit Mühe den Verfolgungen des Pöbels entronnen, welcher stürmisch seine Auslieferung gefordert hatte“, und fügt lediglich an, „noch andere hatten in ähnlicher Gefahr geschwebt, Proscriptionslisten sollen circulirt und die Führer der Majorität der Rache des irregeleiteten Volks signalisiert haben“,123 erwähnt jedoch Jahn in diesem Zusammenhang überhaupt nicht. Die wütende Reaktion eines Turners auf Jahns „Schwanenrede“, die in der Turnzeitung „Der Turner“ vom 19. Oktober 1848 ohne Kommentar veröffentlicht wurde, erwähnt Euler nicht! Als Herausgeber des „Turner“ konnte Ernst Steglich „nur staunen ob solcher Anklage und würde Alles für eitel Verläumdung halten, wenn uns die Wahrheit nicht […] von einem unter den Turnern allgemein geachteten Manne bezeugt worden ist.“ Die anonyme Anklageschrift, die zuerst in der Hanauer Zeitung vom 10. Oktober 1848 erschien und mögli120 121 122 123

Wichmann (1888), S. 243. Vgl. Best/Weege (1996), S. 90. Vgl. Bassermann (1926), S. 223–224. Haym (1848), S. 142–143.

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cherweise von August Schärttner verfasst wurde, macht nur allzu deutlich, dass die Kluft zwischen Jahn und den demokratisch gesinnten Turnern nicht mehr zu überbrücken war: „An Friedrich Ludwig Jahn, Mitglied der Nationalversammlung zu Frankfurt a.M. Hanau, den 8. October. Deine Schwanenrede und dein Antrag in der Nationalversammlung: die ganze Linke in Anklagestand zu versetzen etc. veranlaßt mich, der ich früher dich hochschätzte, einige Worte dir zuzurufen. Deine Zuschrift nennst Du Schwanenrede und schickst sie hinaus in die Welt in dem Glauben, dadurch deinen Verrath zu bemänteln, und daß Keiner der Lüge dich zeihe. Es lohnt sich freilich nicht der Mühe, einen alten abgestumpften Mann, der mit dem einen Fuße bereits im Grabe steht, vor das strenge Gericht der öffentlichen Meinung zu ziehen, aber dein Auftreten in der s. g. Schwanenrede trägt das Gepräge des Verraths und des blinden Parteihasses. Und Mancher im deutschen Vaterlande, der dein Schwanenmachwerk liest und dich selbst nicht kennt, möchte im Herzen dir Recht geben. Daher will ich dir die Maske abnehmen, Vater Jahn, eine Maske, hinter welcher nicht die von dir zu erwarten gewesene Ehrlichkeit hervorleuchten dürfte. Abgesehen von dem radebrechenden Style deiner Schwanenrede ist dir vorzuwerfen 1) doppelter Verrath, und 2) Verläumdung und gemeines Schimpfen gegen eine Partei, der du selbst noch vor wenigen Monaten wenigstens scheinbar angehört hast. Vorerst gereicht es dir nicht zur Ehre, gegen einen deutschen Biedermann unter der Bezeichnung: ‚Reinecke Fuchs‘ loszuziehen. Itzstein ist ein reiner unbefleckter politischer Charakter, dem du in deiner jetzigen Gestalt die Schuhriemen zu lösen nicht würdig bist; und einen solchen Mann beschuldigst du der Jakobinerschaft; gegen ihn und seine politischen Freunde spielst du den Verräther eines angeblichen geheimen Planes, den du erfahren haben willst, wie man verlorene Sachen findet. – Das sind die Wege aller Spione, Verräther und heimlicher Angeber. Dein größter Verrath aber liegt darin, daß du noch vor wenigen Monaten zum Sturze aller Regierungen, ja sogar zu Verschwörungen in dem ‚rothschwärmenden’ Hanau aufgefordert und animirt hast, und jetzt einen Spießträger der bekanntlichen öffentlichen Ruhe und Ordnung abgiebst. – Ich will dir, Alter, deine Worte in das Gedächtniß zurückrufen, welche du vor nicht langer Zeit in einer Volksversammlung zu Langenselbold zu anwesenden Rekruten (des 3. kurhessischen Infanterie-Regiments) aus einem Fenster herab gehalten hast: ‚Ihr Rekruten, geht nicht in den Dienst; sagt Eurem Kurfürsten, Ihr ginget nicht mehr in den Dienst. Die stehenden Heere müssen vor allen Dingen aufgelöst, und dem Volke die Waffen in die Hand gegeben werden. Die Offiziere taugen nicht, die haben noch immer ihre Kasten-Ehre und glauben etwas Besseres zu sein, als wir. Wir müssen dies alles umwerfen.‘ Hast du vergessen, was du in dem ‚rothschwärmenden‘ Hanau im dortigen Schauspielhause vor einer großen Volksmenge, Hanau lobhudelnd, ausposauntest? Ich will es dir sagen, Vater Jahn:

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‚die erste und edelste Stadt in Deutschland ist Euer Hanau! Die constituirende Reichsversammlung gehört nach Hanau und nicht nach Frankfurt, wo die Geldsäcke hausen. Wenn Hanau für die Parlamentsmitglieder nicht genug Logis hat, so muß sich jeder Hanauer einschränken, seine beste Wohnung hergeben; und wenn auch diese nicht ausreichen, so habt Ihr zwei unbewohnte (kurfürstliche) Schlösser, die müssen zu Wohnungen für die Parlamentsmitglieder hergegeben werden; da wird nicht viel gefragt; wer viel fragt, geht viel um. – Vor allen Dingen muß sich das Volk bewaffnen, Büchse und Sense sind die besten Waffen. – Die Soldaten werden nicht gegen Euch, sondern mit Euch gegen die Fürsten ziehen. Es lebe Hanau, das die glorreiche Revolution begonnen hat.‘ Weißt du, Alter, auch davon nichts mehr, daß du die Hanauer Turner aufgefordert hast, mit allen Turnern in Deutschland sich für die Freiheit des Vaterlandes zu verschwören? Ist es dir entfallen, daß du den Turnern einen Plan mitgetheilt hast, die Bundesfestung Mainz zu nehmen? Und daß du dabei bemerktest, diesen Plan von einem höheren preußischen Offizier erhalten zu haben? Du bist schwach geworden, dein Gedächtniß hat dich verlassen wenigstens in den Punkten, die ein schlechtes Licht auf dich werfen. Wo wären unsere Turner, wenn sie deinem unsinnigen Rathe gefolgt? Du würdest sie aber wahrscheinlich selbst denunzirt haben, damit dein Verdienst um die bekannte öffentliche Ruhe und Ordnung desto größer, und dein Lob und Lohn vielleicht desto hellklingender geworden wäre. Vervollständige, Alter, hiernach deine Schwanenrede; füge bei, was ich dir hier in das Gedächtniß zurückrufe, und dann ist es für Niemand schwer, deinen jetzigen Werth zu schätzen. Du bist erbost, daß dich ein Haufe wüthenden Volkes in ein Dachkämmerlein gejagt hat, und daß du eine Nacht in Todesangst dich hast versteckt halten müssen; aber lieber Alter, wer hat denn Schuld daran? Der Reinecke Fuchs nicht; dessen Freunde auch nicht; die Linke auch nicht. Ich meine, du selbst müßtest die Schuld des Hasses und der Verachtung tragen, die dir jetzt im Volke zu Theil werden. Denn der Verräther am Volke kann keine ruhige Stunde mehr haben. Und hiernach kannst du dir deine Grabschrift umändern und diese meine Worte als deine Leichenrede betrachten.“124

Die Wormser Turngemeinde schloss sich der Kritik aus Hanau an und bezichtigte Jahn in einem Brief, der am 10. November in der „Mannheimer Abendzeitung“ veröffentlicht wurde, die Turnsache verraten zu haben: „Die Turngemeinde Worms an den ehemaligen Turnvater Jahn. Die Turnerschaft von Worms hätte Ihnen eigentlich nichts mehr zu sagen, da Sie sich durch Ihr ganzes seitheriges Verhalten von der Bahn losgerissen, die Sie ihr ganzes Leben lang verfolgt. Allein noch heißen Sie der Turnvater Jahn; Sie führen diesen Namen, obgleich Sie desselben nicht mehr würdig sind. Dieser Name ist die einzige Ursache, weshalb wir Ihnen gegenüber eine Meinung aussprechen und Ihnen erklären, daß wir Sie fortan nicht mehr als den Unsrigen anerkennen. – Das deutsche Volk hat Sie gehalten und gestützt, als Sie 124 Der Turner 3(1848)42, S. 343–344.

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verfolgt waren von Denen, in deren Sold Sie jetzt stehen, es hat treu bei Ihnen gestanden zur Zeit des Sturms – und als die Sonne schien, verließen Sie es. Der Sturm wird wieder kommen, dann suchen Sie Hülfe bei Denen, deren Brod Sie jetzt essen, die Turnerschaft kennt Sie nicht mehr, Sie sind fortan gestrichen aus unserem Gedächtnisse, es gibt keinen Turnvater Jahn mehr. – Im Namen der aus mehr als 200 Mitgliedern bestehenden Turngemeinde.“125

Die Redaktion der „Mannheimer Abendzeitung“ leitete den Abdruck dieses Briefes mit einem kritischen Kommentar ein: „Die leibes- und geistig-kräftige Jugend der Turngemeinde von Worms, die nicht in dem verkrüppelten Jahnhagelthum einer abgekommenen Deutsch Eigenthümelei stehen blieb, hat ihrem ehemaligen Patrone eine herrliche Epistel geschickt. In offener Sprache legt sie an den Tag, daß man höher schwören müsse, als beim heiligen Bart des Vaters Jahn, der aus einem ehemaligen freien deutschen Mann ein schwacher, weinerlicher Lobredner der verjährten konstitutionellen Monarchie geworden ist, ja mit den ungünstigsten Gegenfüßlern der Neuzeit auf gleicher Linie steht, und auf seinem eigenen Roßinante veraltknabter Deutsch-Ritterlichkeit herumreitet, bis er vollenents matt zur Erde sinkt.“126

Von diesen Tagen, dem 16. bis 18. September 1848, an, war Jahns Wut auf die Republikaner und die republikanischen Turner nicht mehr zu stoppen.127 Von jetzt an schloss er sich enger an die Abgeordneten der äußersten Rechten an. Deutlicher Ausdruck dieser Haltung sind seine beiden Briefe an General v. Radowitz. Am 19. September beantwortete er die Nachfrage des Abgeordneten v. Radowitz – einem der wichtigsten Sprecher der äußersten Rechten im Parlament (Fraktion Café Milani) – nach seinem Befinden mit den Worten: „Ich war äußerst unwohl, krank am Vorgefühl der letzten Ereignisse, ergrimmt über die Kurzsicht. Jetzt bin ich wieder frisch. Der Tod, schrecklichster von allen Ausgängen des Erdenlebens, im Pöbelkrawall zu erliegen, hat mich gesucht und nicht gefunden. [...].“128 Fünf Tage später übersendet er v. Radowitz 30 Exemplare seiner „Schwanenrede“ und schreibt im Begleitbrief u.a.: „Gestern ist durch aufreizenden Maueranschlag in Städten und Dörfern der Umgegend zur Leichenfeier der Aufständner aufgefordert worden, mit dem Beifügen; daß die Linke sich dabei betheiligen und Zimmermann von Stuttgart die Denkreden halten würde. Solch Wagnis beim Belagerungszustand ist heller lichter Aufruhr. [...] Noch wenige Tage, und die freche Verwegenheit beherrscht die Versammlung, die stillen Friedlinge lassen

125 126 127 128

Mannheimer Abendzeitung, Freitag, 10.11.1848, No. 269, zit. nach Braun (1986), S. 169. Mannheimer Abendzeitung, Freitag, 10.11.1848, No. 269, zit. nach Braun (1986), S. 169. So auch Wiltberger (1908), S. 196–197. L/U, S. 146.

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jetzt schon viel über sich ergehen, und werden durch Unentschlossenheit die Zeit verpassen, bis sie im Strick und Garn stecken.“129

Gegenüber v. Radowitz, dem Vertrauten des preußischen Königs, gab sich Jahn als entschiedener Revolutionsgegner zu erkennen. Er billigte damit im Voraus die Rache der Herrschenden an den Aufständischen, die in den demokratisch gesinnten Turnern einen Rückhalt hatten. Die Folge war, dass viele Turnvereine – insbesondere in Südwestdeutschland, aber auch in Preußen und anderen deutschen Staaten – nach dem Scheitern der Revolution polizeilich überwacht oder verboten wurden. Viele Turner, die sich in Turnerkorps oder Bürgerwehren aktiv an den Aufständen beteiligt hatten, sahen sich zur Emigration in die USA gezwungen, um sich dem Zugriff der Behörden zu entziehen und hohen Haftstrafen zu entgehen. In ihrer neuen Heimat gründeten die Achtundvierziger zahlreiche Turnvereine nach deutschem Vorbild, die sich im Zuge der Masseneinwanderung aus Deutschland ab den 1850er Jahren bald in allen Teilen der USA bildeten und sich zu einem Mittelpunkt deutsch-amerikanischen Lebens entwickelten.130 Die demokratisch-republikanisch gesinnten Begründer der deutsch-amerikanischen Turnvereinsbewegung standen Jahn kritisch gegenüber. Ihnen galt er als „veralteter Ahne“, der „Nationalschwindel“ begangen habe, weil er für die konstitutionelle Monarchie eingetreten war. So wurde Jahn in den ersten drei Jahrzehnten – der Aufbauphase der amerikanischen Turnbewegung – kaum erwähnt. Erst in den 1880er Jahren ging der Journalist, Turner und Freidenker C. Hermann Boppe in verschiedenen Beiträgen – wahrscheinlich beeinflusst von der Jahnverehrung in Deutschland – wiederholt auf Jahn ein und verteidigte dessen Haltung während der 48er-Revolution. Der Turnvater sei zwar in seiner früheren Zeit verwurzelt geblieben, dennoch könne er als „meistergültiges Vorbild“ der politischen Turner angesehen werden.131

7.6 Trauerfeiern für Robert Blum Wieweit sich Jahn im Zusammenhang mit seiner hasserfüllten Gegnerschaft zu den „Roten“ von seiner ursprünglichen Begeisterung für die Revolution entfernt hatte und stattdessen zu einem entschiedenen Revolutionsgegner geworden war, wird besonders deutlich an seinem Verhältnis zu dem demokratischen sächsi129 L/U, S. 147. 130 Vgl. Neumann (1968), Ueberhorst (1978), Hofmann (2001), Hofmann/Krüger (2004). 131 Vgl. Hofmann (2001), S. 109, Anm. 170.

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schen Abgeordneten Robert Blum, dessen Ermordung bei vielen Deutschen und besonders bei den demokratisch gesinnten Turnern tiefe Trauer hervorrief. Blum war auf Beschluss der demokratischen Fraktionen „Deutscher Hof “ und „Donnersberg“ im Oktober 1848 mit drei weiteren Abgeordneten der Linken nach Wien gereist, um den dortigen Revolutionären eine Sympathieadresse zu überbringen in der Hoffnung, damit der revolutionären Entwicklung insgesamt einen neuen Schwung zu verleihen. Nach der Besetzung der Stadt durch die kaiserlichen Truppen am 1. November wurde Blum verhaftet und unter Missachtung der kurz zuvor von der Nationalversammlung beschlossenen Abgeordneten-Immunität am 9. November 1848 in der Wiener Brigittenau standrechtlich erschossen. Im Rahmen der Totenfeier am 26. November in der Leipziger Thomaskirche würdigte Dr. M.A. Zille den populären Politiker: „Freiheit war sein Tag- und Nachtgedanke; Freiheit war der Grundton seiner Seele, der sich in jedem seiner Worte, in jeder seiner Thaten aussprach. Er war ein freier Mann, als das Vaterland noch unter der Last der drückendsten Fesseln schmachtete; er war ein freier Mann, als die rohe Gewalt ihn in Kerkermauern einschloß. Ächt war seine Freiheitsliebe; daher wollte er nicht nur für sich Freiheit, er wollte Freiheit für Alle. Freiheit überall! Freiheit für Alle! Dies war das Loosungswort seines Lebens, dies das Ziel seines Wirkens!“132

Als „Märtyrer der Revolution“ wurde Blum schon bald nach seinem Tod wie ein Heiliger verehrt. Wie in Leipzig – an der Trauerfeier am 19. November beteiligten sich etwa 10.000 Menschen – wurden auch in vielen anderen Städten Trauerfeiern und Gedenkveranstaltungen organisiert,133 die nicht selten den Charakter politischer Demonstrationen annahmen. Die Robert-Blum-Gedenkfeier in der Bundesfestung Rastatt, an der auch der örtliche Turnverein134 beteiligt war, „war zwar selbst kein revolutionärer Akt, legte aber den Keim für die revolutionäre Entwicklung im Frühjahr 1849.“135 Zahlreiche Zeitungen berichteten über die 132 Rede, gehalten von Dr. M.A. Zille, bei der Todtenfeier Blums am 26. November in der Thomaskirche, in: Vaterlandsblätter Nr. 128, Mittwoch, den 29. November 1848, S. 915–917, hier S. 915. 133 Allein für das Großherzogtum Baden sind über 25 Robert-Blum-Gedenkfeiern belegt, an denen jeweils zwischen 200 und 2000 Personen teilnahmen. Die erste Gedenkfeier fand am 15. November 1848 in Wertheim statt, weitere Gedenkveranstaltungen folgten am 19. November in Karlsruhe und Mannheim. Am darauf folgenden Tag wurden Gedenkfeiern in Heidelberg und Rastatt abgehalten, die letzten drei Gedenkveranstaltungen fanden am 3. Dezember in Gernsbach, Engen und Konstanz statt. Vgl. Hank (2006), S. 166. 134 Zur politischen Geschichte des Rastatter Turnvereins im Vormärz und in der Revolution von 1848/49 vgl. Hank (1997). 135 Hank (2006), S. 168.

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Hinrichtung Blums und veröffentlichten einen Nachruf. In den Burschenschaften, denen Blum zeitweilig nahe gestanden hatte, etablierte sich ein Blum-Kult, der erst um 1860 wieder abflaute.136 Auch bei den Turnern in Sachsen und Nassau war Blum als Vaterlandsfreund und Freiheitskämpfer geachtet und respektiert. Im Herzogtum Nassau waren Turnvereine führend an der Durchführung von Gedenkfeiern beteiligt. Die Anteilnahme am Schicksal Blums verdeutlicht beispielhaft das Verhalten des Limburger Turnvereins. Wohl mit Rücksicht auf die angespannte Situation in der Stadt verzichtete der Verein auf eine Gedächtnisfeier und führte stattdessen eine Spendensammlung durch, die den bemerkenswert hohen Betrag von 45 Gulden erbrachte. Als Vorort des „Bezirksvereins für Taunus und Westerwald“ überwies der Turnverein eine weitere namhafte Summe an die Hinterbliebenen Blums und bat die angeschlossenen Turnvereine nachträglich um eine Bestätigung dieser Entscheidung.137 Der Herausgeber des Dresdener „Turner“, Ernst Steglich, der sonst sehr darum bemüht war, Politik und Turnen voneinander zu trennen, empörte sich über die Ermordung Blums, die er als „Schandtat“ bezeichnete. Steglichs „großdeutsche“ Grundhaltung, die er in seinem Nachruf zum Ausdruck brachte, dürfte bei den Zeitgenossen einige Irritationen ausgelöst haben ebenso wie seine Erwartung, dass nur eine vom „Geist des Turnens“ geprägte deutsche Jugend in der Lage sei, die bestehenden politischen Schwierigkeiten zu lösen: „Robert Blum. Wieder hat Deutschland eine tiefe Schmach erfahren! Wie man unlängst in Frankfurt mit dem Blute Lichnowskys und Auerswalds sich besudelte, so hat man jetzt in Wien die Schandthat zu begehen gewagt, den Abgeordneten der deutschen Reichsversammlung, Robert Blum, umzubringen. Am 9. November fiel er in der Brigittenau, von 3 Kugeln durchbohrt. Was gilt es, ob wir mit den Worten des entschiedenen, festen, unerschütterlichen Volksfreundes überall und immer zufrieden gewesen oder nicht, ob wir gebilligt haben oder nicht, was Blum sprach und that? – Hier ist Robert Blum ein deutscher Freiheitskämpfer, ein deutscher Reichstagsabgeordneter, ein unverletzlicher Vertreter des deutschen Volks! Und daß ein solcher auf Befehl eines österreichischen Soldaten ermordet werden konnte, daß Wehrmänner eines deutschen Volksstammes sich über einen solchen zu Gericht setzen, einen solchen verurtheilen konnte: das ist ein Hohn, der jeden deutschen Mann em136 Vgl. Lönnecker (2006), S. 118. – Zur Ikonisierung Blums vgl. Hachtmann (2006). – Der 9.  November gilt in der jüngeren deutschen Geschichte als „schwieriger Erinnerungstag“. Bisher galt die Aufmerksamkeit vornehmlich dem 9. November des 20. Jahrhunderts (1918, 1923, 1938, 1989). Neuerdings hat sich Merlio dafür ausgesprochen, die symbolische Kette in die Vergangenheit zu verlängern und den 9. November 1848 in die Reihe dieser Erinnerungstage aufzunehmen. Vgl. Merlio (2010), S. 223–224. 137 Vgl. Neese (2002), S. 64–66, 305.

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pört, das ist eine Schande, die kaum zu ertragen ist und die Brust jedes deutschen Mannes mit der tiefsten Entrüstung und mit der tiefsten Wehmuth zugleich erfüllen muß. So tief ist also das Rechtsgefühl deutscher Wehrmänner gesunken, so kläglich steht es um die Liebe zur Freiheit, so jammervoll verkümmert ist das Gefühl der Menschen- und Manneswürde im deutschen Heere! – Deutsche Soldaten verurtheilen einen Vorkämpfer deutscher Freiheit und tödten ihn, weil es die Herren wollen, deren Sklaven sie sind! – Wann wird es anders, wann besser werden im deutschen Lande? Wir wissen es nicht ob morgen, ob bald – aber das wissen wir, sicherlich wird’s anders dann, wenn Deutschlands ganze Jugend turnen wird, wenn der Geist der Turnerei, welcher kein Geist des blinden, stummen und dummen Gehorsams und der Sklaverei, sondern der Geist der Freiheit und des selbstbewussten Thuns ist, eingewachsen sein wird in die Herzen der Knaben, großgewachsen in den Herzen der Jünglinge, fruchttragend geworden sein wird in den Herzen der Männer. Diese Zeit bald herbeizuführen, dahin lasset uns alle wirken im lieben, schwerbeleidigten Vaterlande; in diesem Streben stehet zusammen, Ihr Turner und Turnfreunde aller deutschen Gauen.“ 138

Steglich rühmte den Ermordeten als „Vorkämpfer deutscher Freiheit“, deren Vollendung er sich von Deutschlands Turnjugend erhoffte. Wie aber reagierte Jahn auf die traurige Nachricht von der Ermordung dieses bedeutenden Politikers der Linken, der von einem Großteil der Turner so hoch verehrt wurde? Als „Fremder in der neuen Zeit“ hatte Jahn für den Demokraten Robert Blum, der von einem arbeitslosen Handwerksgesellen zu einem der einflussreichsten Politiker der Revolution von 1848 aufgestiegen war, kein Verständnis; zu weit lagen ihre politischen Zielvorstellungen auseinander. Als Abgeordneter der Frankfurter Nationalversammlung hatte Jahn am 26. Oktober 1848 eine Interpellation an den Reichsminister der Justiz gerichtet, die sich eindeutig auf Blum bezog, allerdings dessen Namen nicht erwähnte: „Gelten für Reichstagsabgeordnete, die ohne Urlaub die Versammlung verlassen, seltsame Geschäftsreisen unternehmen, als Wühler Gastrollen geben, Meutereien stiften, und bei Aufruhrvereinen den Vorsitz führen, – auch noch die zum Schutze der Abgeordneten gegebenen Gesetze? Dürfen Reichstagsabgeordnete, bei einem innerlichen Zwist, ferne vom Reichstag in eine bewaffnete Schaar treten? Sind Abgeordnete, die ohne Urlaub die Versammlung verlassen, nicht als Ausgetretene zu betrachten?“139

Jahn hatte mit dieser Zwischenfrage allerdings keinen Erfolg, denn Reichsminister v. Schmerling verweigerte mit der Zustimmung des Parlaments eine Beantwortung und stellte Jahn damit bloß.

138 Der Turner 3(1848)47, S. 383–384. 139 Zit. nach L/U, S. 149.

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Anders als Ernst Steglich hatte Jahn für den „Wühler“ und „Aufrührer“ Blum nach dessen Hinrichtung nur eine sehr abfällige Bemerkung übrig. Im Dezember 1849 schrieb er rückblickend: „‚In Köln geboren, In Leipzig erkoren, In Frankfurt verschworen, In Wien verloren.‘ Robert Blum. Nun zur Abwechselung eine Grabschrift auf R. Blum: ‚Gestorben, seinen Freunden zu spät, seinen Feinden zu früh, seinem Ruhme zur höchsten Zeit, zum Glück für Frau und Kinder.‘ Darin ist gemeint, daß R.B. am Ende seiner Rolle war, seine Freunde ihn satt hatten, hatte doch Ruge geäußert: ‚Man müßte versuchen, ob er sich radikalisieren ließe.‘ Ich kann auf Frankfurt ohne Selbstvorwürfe zurückblicken, und die dort verlebte Zeit ist nicht das schlechteste Jahr meines Lebens.“140

Jahn dürfte sich über die Aufmerksamkeit, die Steglich dem populären sächsischen Reichstagsabgeordneten in seiner Turnzeitung entgegengebracht hat, nicht sonderlich gefreut haben. Als Beleg dafür, dass sich das Verhältnis zwischen Jahn und Steglich in der nächsten Zeit merklich abkühlte, dürfte wohl gelten, dass der Name Jahn im Namenverzeichnis des „Turner“ 1849 nur einmal, 1850 überhaupt nicht und auch 1851 nur einmal genannt ist. Jahns Tod im Oktober 1852 veranlasste Steglich lediglich zu einer kurzen Würdigung seiner Verdienste um das Turnen. Allerdings vergaß er nicht – ganz im Sinne der bereits einige Jahre zuvor im „Turner“ vertretenen Auffassung von Adolf Spieß141 – im Kontext auch den „Turn-Großvater“ GutsMuths zu erwähnen: „Wenn zwar schon lange vor dem Jahre 1810 einzelne den Turnplätzen ähnliche Anstalten bestanden haben und füglich unser GutsMuths als der Turn-Großvater seine Bedeutung hat, so müssen wir doch Jahn als den Begründer des freien, öffentlichen, volksthümlichen Turnens betrachten. Mit klarem Blicke erkannte Jahn als das hohe Ziel des Turnens jene männliche Rüstigkeit sowohl in Bezug auf die leibliche Gesundheit, Kraft und Ausdauer des Einzelnen, als namentlich auch mit Rücksicht auf mannhafte Gesinnung und volksthümliche Wehrhaftigkeit des Ganzen.“142

Vom Frankfurter Septemberaufstand an kennt Jahn im Parlament offenbar nur ein Ziel: die linken, von ihm als „die Roten“ bezeichneten Abgeordneten rück140 M1, S. 558–559. 141 Der Turner 2(1847)10, S. 29–30. 142 Der Turner 2(1847)10, S. 29–30.

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sichtslos zu bekämpfen. In der 89. Sitzung am 2. Oktober 1848 bringt Jahn – unter Gelächter der Linken – eine Interpellation ein: „Ob die Gesellschaft des deutschen Hofes (des zahlenmäßig größten Klubs der Linken) vor dem Ausbruch des Aufruhrs pflichtgemäß angezeigt, dass die Empörer und Hochverräter mit ihr in Unterhandlungen gestanden und ihr Anträge gemacht? Warum der Belagerungszustand nicht gebührend gehandhabt wird? Wozu namentlich das Einschreiten gegen die zügellose Presse gehört, die, wie die Reichstagszeitung, den letzten Aufruhr in Schutz nimmt.“

Und dann, unter Beifall der Rechten: „Ich behalte mir vor, nach Beantwortung derselben einen besonderen Antrag zu stellen.“ Nachdem Reichsminister v. Schmerling geantwortet hatte, stellte Jahn den Antrag: „Die sämtlichen Mitglieder der sogenannten Linken zur Untersuchung ziehen zu lassen, sie bis zur ausgemachten Sache143 aus der Versammlung zu entfernen und ihre Stellvertreter einzuberufen. – Ich nehme und gebe keine Gnade!“ Da dieser Antrag von Jahn nicht als „dringlich“ bezeichnet war, wurde er an den Petitions- und Prioritätsausschuss verwiesen.144 Der Petitionsausschuss beschloss nicht nur, diesen Antrag abzulehnen, sondern stellte in der Sitzung vom 1. November selbst folgenden Antrag: „Die hohe Versammlung wolle beschließen, dass über den Antrag des Abgeordneten Jahn in betracht dessen Unschlüssigkeit und Unstatthaftigkeit, sowie dessen Ungehörigkeit nach Form und Inhalt zur motivierten Tagesordnung überzugehen sei.“ Daraufhin zog Jahn diesen Antrag schriftlich zurück.145 In der 96. Sitzung am 13. Oktober stellte Jahn an das Reichsministerium sieben Fragen, u.a., ob ihm bekannt sei, „dass eine große Verschwörung der berüchtigsten Wühler wider den Verfassungs-Reichstag eingeleitet und in vollem Gange ist“, ob es weiß, dass die Wühler Ende des Monats in Berlin eine „große Meuterer-Versammlung anberaumt haben, woraus überall der helle lichterlohe Aufruhr hervorgehen soll“ und was die Reichsregierung dagegen zu unternehmen gedenke.146 Am 17. Oktober beantwortete v. Schmerling diese Jahnsche Interpellation mit der Auskunft, dass die auf den 26. Oktober in Berlin anberaumte Versammlung u. a. vom Zentralausschuss des demokratischen Deutschlands in einem Aufruf an das deutsche Volk angekündigt worden sei, das Reichsministerium am 15. Oktober die preußische Regierung in einer Zuschrift auf diesen Kongress aufmerksam gemacht und seine Erwartung ausgedrückt habe, dass diese Zusammenkunft genau überwacht und jeder Ungesetzlichkeit 143 144 145 146

Jahn meint die bewusste Unterstützung des Aufruhrs durch die Linken. EJW 2.2, S.1023–1025. EJW 2.2, S.1025, Anm. 1. EJW 2.2, S. 1025.

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vorgebeugt werde.147 Es ist sehr auffällig, dass seit Anfang Oktober Jahnsche Anträge und Interpellationen im Plenum mehr und mehr von Heiterkeit und Gelächter begleitet werden, eine Folge nicht nur seines ungeschickten, von Wut gegen die Linken erfüllten und die Würde des Parlaments missachtenden Verhaltens, sondern auch seiner dementsprechenden Antragsformulierungen. Für seinen Antrag, das Reichsland Mähren gegen die Ungarn zu schützen und die Regierungen von Preußen und Sachsen zum Beistand von Mähren aufzufordern sowie auch die Truppen von Anhalt und den thüringischen Staaten aufzubieten, den Jahn in der 99. Sitzung am 19. Oktober 1848 stellte, wagte er schon nicht mehr die Frage nach der Dringlichkeit dieses Antrags zu bejahen, so dass diese Angelegenheit offensichtlich im Sande verlief.148 Am 24. Oktober 1848, in der 102. Sitzung der Nationalversammlung, brachte Jahn wiederum eine Interpellation ein. Diesmal versuchte er, die Aufmerksamkeit auf die ungenehmigten Reisen der „linken“ Abgeordneten Robert Blum und Julius Fröbel nach Wien zu den aufständischen Österreichern zu lenken. Sich ahnungslos gebend und angeblich nur auf „glaubhafte Zeitungsnachrichten“ gestützt, beteuerte Jahn seine Sorge um diese Abgeordneten, die er aber nicht einmal beim Namen nannte. Er wolle wissen, was für Sicherheitsmaßregeln das Reichsministerium für diese Abgeordneten zu treffen gedenke, ob diese Abgeordneten mit „giltigen Aufträgen“ nach Wien gereist seien und ob sie „nach erlangtem Urlaub“ mit einem Reichspasse versehen worden seien. Diese Anfrage Jahns wurde zu recht als Denunziation aufgefasst. Reichsminister v. Schmerling reagierte darauf in entsprechender Weise und verweigerte unter Zustimmung des Plenums in der Sitzung am 30. Oktober die Beantwortung.149 Inzwischen hatten seit dem 19. Oktober in der Nationalversammlung die ausführlichen Beratungen über die Verfassungsorganisation des Reiches begonnen. Dabei wurde vom Parlament der am 26. April 1848, also noch mehrere Wochen vor der Eröffnung der Nationalversammlung, vorgelegte Verfassungsentwurf des Siebzehnerausschusses des Bundestags, der streng bundesstaatlich ausgerichtet war und eine monarchische Spitze sowie eine nationale Vertretung in 2 Häusern vorsah,150 überhaupt nicht berücksichtigt, so dass sich die im Oktober eröffneten Diskussionen über mehr als fünf Monate hinzogen. Am 4. Dezember 1848, in der 128. Sitzung, meldete sich Jahn erstmals mit einer Verfassungsfrage zu Wort. Es ging dabei um § 1 des Verfassungsentwurfs, der für den künftigen 147 148 149 150

EJW 2.2, S. 1026. EJW 2.2, S. 1026. EJW 2.2, S. 1027 und Anm. 1. Vgl. Hahn/Berding (2010), S. 622–623. Dieser Verfassungsentwurf stieß auf Ablehnung sowohl bei den wichtigsten einzelstaatlichen Regierungen als auch beim Großteil der Nationalversammlung.

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Reichstag zwei Häuser vorsah, nämlich ein Volkshaus und ein Staatenhaus. Jahn sprach sich dafür aus, dass beide Häuser notwendig seien.151 Rudolf Haym hat in seinem 1849 publizierten Bericht über „Die deutsche Nationalversammlung von den Septemberereignissen bis zur Kaiserwahl“ über diesen Diskussionsbeitrag Jahns geurteilt: „Es sprach dies (die Notwendigkeit zweier Häuser) in derber und schlagender Weise bündig und verständlich der alte Jahn aus.“152 In der 129. Sitzung, die einen Tag später stattfand, stellte Jahn den Antrag, die Aussage „Das Staatenhaus wird gebildet aus den Vertretern der einzelnen deutschen Staaten“ durch den Zusatz zu ergänzen: „und den Vertretern ihrer Staatsgewalt“. Der Parlamentspräsident äußerte dazu: „Da verstehe ich nicht, was damit will ausgedrückt werden.“ Daraufhin erläuterte Jahn den Grund für seinen Antrag: „Ich habe den Zusatz hier gemacht, weil ich glaube, es muß erst ausgesprochen werden, wie das Staatenhaus gebildet wird, und dann kommt erst die Zahl.“ Dafür erntete er nur Gelächter bei den Linken, und aus der Rechten riefen einige: „Nehmen Sie doch den Antrag zurück!“ Daraufhin zog Jahn diesen Antrag sofort zurück, bevor noch im Plenum darüber abgestimmt werden konnte, ob er unterstützt werde.153 In der 135. Sitzung am 14. Dezember 1848 stand der Antrag des Verfassungsausschusses (§ 19 des Entwurfs) zur Diskussion, der nach dem Willen der Rechten das absolute Veto im Falle der Nichtübereinstimmung der Maßnahmen der Reichsgewalt mit den Absichten des Reichstags vorsah. Dieser Antrag wurde von der Mehrheit (267 : 207), die ein suspensives Veto bevorzugte, abgelehnt.154 Jahn hatte, anders als die Abgeordneten des rechten Zentrums, mit der Mehrheit gestimmt und bat deshalb nach der Abstimmung darum, seine Beweggründe für die Ablehnung des absoluten Vetos in das Protokoll und die stenographischen Berichte aufzunehmen, was ihm auch gestattet wurde. In einer kurzen Erklärung fasste er die Gründe für sein Abstimmungsverhalten zusammen: „Um die Reichsgewalt nicht zum Schattenbilde herabzuwürdigen, sondern sie vielmehr zu stärken und mit nachhaltiger Wirkungskraft auszustatten, habe ich gegen das absolute Veto gestimmt und für ein suspensives, was hinlänglich genügt. [...] Ein absolutes Veto gleicht einem zweischneidigen scharfen Schwerte, mit dem der Inhaber ohne Scheide umgürtet ist, das daher seinen Träger, statt ihn zu schirmen, bei jeder Bewegung mit Verletzung bedroht.“155

151 152 153 154 155

EJW 2.2, S. 1027–1028. Haym (1849), S. 95. EJW 2.2, S. 1028- 1029. Euler (1898), S. 1044. EJW 2.2, S. 1029–1030.

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Am Schluss seiner Erklärung, der sechs weitere Abgeordnete beitraten,156 fasste er in seiner bekannten Art die Quintessenz in einem volkstümlichen Vergleich zusammen: „Absolutes und suspensives Veto verhalten sich zu einander, wie in der Fabel Wind und Sonne, die einen Wettkampf miteinander eingingen, was den Wanderer zur Abnahme des Mantels nötigen könne.“157 Um die Jahreswende 1848/49 hatten sich entscheidende Veränderungen in der politischen Konstellation vollzogen, die die Meinungsbildung um die künftige Gestaltung des deutschen Reiches sehr stark beeinflussten. Am 27. Oktober hatte sich die Nationalversammlung noch mit großer Mehrheit für die großdeutsche Lösung entschieden. Danach sollte „Deutsch-Österreich“ (die „reichszugehörigen Gebiete“) Teil des deutschen Reiches werden, und die nichtdeutschen Gebiete des Habsburgerreiches sollten lediglich in Personalunion mit dem „deutsch-österreichischen Kernland“ bleiben.158 Nach dem Sieg der Konterrevolution erklärte der neue starke Mann in Österreich, Schwarzenberg, am 27. November 1848 vor dem österreichischen Reichstag in Kremsier, Österreichs Fortbestand in staatlicher Einheit sei ein deutsches wie europäisches Bedürfnis. Daraufhin trat Reichsministerpräsident v. Schmerling, Verfechter des großdeutschen Programms, am 15. Dezember 1848 zurück.159 An seine Stelle trat der bisherige Präsident der Nationalversammlung, Heinrich von Gagern, und Parlamentspräsident wurde Eduard Simson.160 Heinrich v. Gagern verkündete nun sein auf Grund der Haltung Schwarzenbergs verändertes Programm: Danach sollte ein nationalstaatlich engerer Deutscher Bund unter Ausschluss Österreichs in Verbindung stehen mit einer weiteren staatenbündischen Vereinigung unter Führung Deutsch-Österreichs, und beide Staatenbünde sollten durch eine „Unionsakte“ miteinander in enge Verbindung treten.161 Doch Schwarzenberg wies diesen Plan am 28. Dezember entschieden zurück.162 Die Debatte über das Gagernsche Programm wurde am 11. Januar 1849 eröffnet.163 Die Abstimmung in alphabetischer Reihenfolge der Abgeordneten am 13. Januar hatte eine Zustimmung von 261 Abgeordneten bei 224 Gegenstimmen ergeben.164 156 157 158 159 160 161 162 163 164

EJW 2.2, S. 1029. EJW 2.2, S. 1030. Vgl. Siemann (1985), S. 193. Siemann (1985), S. 194. H. v. Gagern und E. Simson waren Angehörige der Fraktion Casino (vgl. Best/Weege, S. 148– 149, 321–322); beide waren auch ehemalige Burschenschafter (vgl. Kaupp, 1999, S. 44–46, 106–107). Vgl. Siemann (1985), S. 194; Wichmann (1888), S. 312. Vgl. Siemann (1985), S. 194. Vgl. Wichmann (1888), S. 314–316. Vgl. Wichmann (1888), S. 322.

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In der 152. Sitzung am 15. Januar kam Jahn bei der Beratung über § 2 des Verfassungsentwurfs zu Wort. Der Verfassungsausschuss hatte vorgeschlagen: „Das Reichsoberhaupt führt den Titel ,Kaiser der Deutschen‘.“ Während der Debatte hatte der österreichische Abgeordnete Maifeld beantragt, dass die Männer des deutschen Volkes darüber befragt werden sollten, ob an der Spitze des Bundesstaates ein Kaiser gewählt werden solle oder nicht.165 Das gab Jahn die Gelegenheit zu einem seiner besten Auftritte im Plenum. Seine Rede wich in ihrem Stil und ihrer Würde deutlich ab von seinen sonstigen Verlautbarungen im Plenum, weil Jahn diesmal auf jegliche, die anderen Abgeordneten langweilenden oder störenden Ausschweifungen verzichtete. Diese Rede brachte Jahn Beifall in den Zentren und bei den Rechten ein. Er beendete sie mit der Feststellung, dass der gemeinsame Wunsch, etwas „Neues, Tüchtiges, Kräftiges, Dauerndes“ zu schaffen, nur durch „eine tüchtige Einheit, durch eine Grundlage, die die Freiheit sichert“, zu erfüllen ist, und so wünsche er denn „einen erblichen Kaiser für Deutschland“.166 Der Abgeordnete Wichmann hat vor allem diese Rede Jahns als „Sensation“ bezeichnet: „Nur wenige Reden erregten denn auch, wie man zu sagen pflegt, ‚Sensation‘. Zuerst die des Turnvaters Jahn in seiner lebhaften Betonung der deutschen Einheit und Freiheit.“167 Jahns Ansichten, die er in dieser Rede vertrat, stimmten völlig überein mit einem im Verfassungsausschuss eingebrachten Minoritätserachten, das von neun Mitgliedern dieses Ausschusses unterzeichnet war, die sich sämtlich zum Rechten Zentrum bekannten (acht aus der Fraktion Casino, einer von Landsberg) und von denen fünf Mitglieder einer Burschenschaft waren.168 In § 1a dieses Minoritätserachten hieß es: „Diese Würde ist erblich im Hause des Fürsten, dem sie übertragen worden, sie vererbt im Mannesstamme nach dem Rechte der Erstgeburt.“169 Zweifellos war der Auftritt Jahns im Plenum der Nationalversammlung im Vergleich zu vielen anderen seiner Auftritte sehr gut gelungen, aber angesichts dieses Minoritätserachtens und der Bestrebungen des Reichsministerpräsidenten Heinrich von Gagern und seines Kabinetts, die genau in diese Richtung zielten, ist der sentimentale Kommentar von Euler, „Die Sitzung vom 15. Januar schien endlich Jahn volle Genugtuung für das im verflossenen Jahre Erlittene und seinen Herzenswünschen Erfüllung zu bringen“,170 sehr übertrieben. 165 166 167 168

Euler (1898), S. 1057; EJW 2.2, S. 1030. EJW 2.2, S. 1030–1032. Vgl. Wichmann (1888), S. 339–340. Best/Weege haben in ihren Kurzbiographien der einzelnen Abgeordneten auch die jeweilige Zugehörigkeit zu den Burschenschaften sorgfältig vermerkt; vgl. Best/Weege (1996) und Kaupp (1999) mit den Kurzbiographien der betreffenden Burschenschafter. 169 EJW 2.2, S. 1031, Anm. 2. 170 Euler (1898), S. 1058.

Parteigänger der „Erbkaiserlichen“

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7.7 Parteigänger der „Erbkaiserlichen“ In der Debatte über das Reichsoberhaupt, die vom 15. bis zum 23. Januar geführt wurde, formierte sich bereits der Kern der preußisch-erbkaiserlichen Partei.171 Wenn Jahn in seiner Rede am 15. Januar auch nicht namentlich benannt hat, wer in der Lage sei, das erbliche Kaisertum in Deutschland zu übernehmen, so kam doch dafür nach dem Ausscheiden der Habsburger-Dynastie nur noch das preußische Königshaus in Frage. Jahn hat seit diesem 15. Januar in der Nationalversammlung gegen alle Anträge gestimmt, die dem Ziel, ein erbliches Kaisertum für Deutschland einzuführen, entgegenstanden.172 Er wurde zum Anhänger der „erbkaiserlichen Partei“.173 Dazu muss allerdings ergänzt werden, dass auch Angehörige der gemäßigten Linken, z.B. aus dem Württemberger Hof, sich nach und nach diesem Zweckbündnis – dem sog. „Weidenbusch“ – angeschlossen haben,174 der sich von nun an formierte. Etwa zur gleichen Zeit schlossen sich die Linken im sog. „Märzverein“ und die Großdeutschen in der „Mainlust“ zusammen. Von nun an bestimmten diese Zweckbündnisse den weiteren Verlauf der Parlamentsarbeit. Jahns nächster Auftritt im Plenum am 15. Februar 1849 wurde wieder einmal zunächst von Heiterkeit, im Verlauf seiner Rede aber auf der Rechten von Widerspruch und auf der Linken von Beifall begleitet.175 Der Abgeordnete Künßberg – der, ursprünglich zur Casino-Fraktion gehörend, am 21. Dezember 1848 mit anderen großdeutsch orientierten Abgeordneten aus den Fraktionen der Rechten, Casino und Milani, die Fraktion „Pariser Hof “ begründet hatte – hatte beantragt, einen Ausschuss von 15 Personen zu wählen, der die bisher vorgelegten Abschnitte des Verfassungsentwurfs revidieren und dem Plenum bei der Vorlage des neuen, von ihm zu formulierenden Gesamtentwurfs Bericht erstatten sollte. Bis zu dieser Berichterstattung sollten die Beratungen im Plenum über den Verfassungsentwurf ausgesetzt werden. Der Prioritäts- und Petitionsausschuss hatte daraufhin beantragt, den Antrag von Künßberg abzulehnen. In diesem Sinne sprach nun Jahn gegen den Künßberg-Antrag. Er argumentierte, dass wegen des Streits über einzelne Punkte der bisher vorgelegten Teile auch keine Aussicht bestehe, die Verfassung in absehbarer Zeit vorzulegen. Deshalb schlage er vor:

171 Wichmann (1888), S. 337. 172 So auch Wiltberger (1908), S. 201. 173 Wichmann (1888) schreibt sinngemäß (S. 337), dass das rechte Zentrum seit Januar de facto die preußisch-erbkaiserliche Partei war. 174 Vgl. Biedermann (1849), S. 227. 175 EJW 2.2, S. 1033.

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„Wir alle fühlen, dass wir todesmatt sind, überreif, die ganze Zeit hat uns abgemattet; wir sind verbraucht. Jedermann sehnt sich nach Hause. Wir haben die erste Schlacht geliefert, jetzt muß auch der Rückhalt vortreten [...]. Wir haben allgemein [...] das Zutrauen von ganz Deutschland verloren. [...] Es bleibt uns nur ein einziges Mittel übrig, und das müssen wir anwenden! Wir beraten das Wahlgesetz, und wenn wir das Wahlgesetz beraten haben, beraten wir das Staatenhaus und berufen beide Versammlungen. Diesen überlassen wir dann die Frage über das Reichsoberhaupt und das übrige, denn wir kriegen’s nicht fertig!“176

Welche Motive Jahn zu diesem Auftritt veranlassten, hat er selbst in einem an unbekannte Empfänger gerichteten Schreiben vom 15. Februar 1849 zu erklären versucht: „Eben komme ich von der Bühne, und habe geschlossen ‚Wir kriegen die Verfassung nicht fertig‘. Ich bin auch zur Ordnung gerufen worden weil ich gesagt: ‚Die Versammlung habe das Vertrauen von ganz Deutschland verloren‘. Das schätze ich mir zur Ehre. Das habe ich gerade gewollt. Und das wird Anklang finden, überall, und die Ständeversammlungen und Regierungen nachgiebig machen.“177 Offenbar wollte Jahn seinen misslungenen Auftritt nachträglich in einen Sieg um- und dadurch sich selbst aufwerten. Jedenfalls sind weder Ständeversammlungen noch Regierungen durch seine Rede „nachgiebig“ gemacht worden. Schon zwei Tage später stand Jahn abermals auf der Rednertribüne. Gegenstand der Debatte war diesmal der vom Verfassungsausschuss vorgelegte Entwurf eines „Reichsgesetzes über die Wahl der Abgeordneten zum Volkshause.“ Der Verfassungsausschuss hatte in Übereinstimmung mit den Wahlrechtsvorschlägen des Casino178 in Artikel I, § 2 seiner Vorlage u.a. Dienstboten, Handwerksgehilfen und Fabrikarbeiter sowie Tagelöhner als nicht selbstständig erklärt, weshalb sie von der Berechtigung zu wählen ausgeschlossen werden sollten. Dazu hielt Jahn eine sehr bemerkenswerte Rede, die insbesondere seitens der Linken im Plenum mit anhaltendem Beifall aufgenommen wurde. Er stellte darin das Volk und seine Bedeutung in den Mittelpunkt: „Alles, was man hier ausschließen will, das ist die wahre Kraft des Volkes; das ist der Nachwuchs, aus dem alles hervorgeht, und wenn ich herumschaue in dieser Versammlung, so sehe ich eine Menge ehrenwerter Männer, und sie sind alle aus den Schichten der Gesellschaft, die man jetzt ausschließen will.“179 Das Wahlgesetz, rief er aus, „muss gebildet werden auf Tüchtigkeit und Tugend, auf Sittlichkeit und 176 177 178 179

EJW 2.2, S. 1032–1033. L/U, S. 151. Vgl. Siemann (1985), S. 199. Das sollte Jahn zufolge jedoch nicht für alle diejenigen gelten, die ihrer Wehrpflicht nicht genügt haben, d. h. diese Männer sollten nach Jahns Meinung tatsächlich kein Wahlrecht erhalten.

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Sitte.“ Und er schloss seine überlange Rede – die längste, die Jahn in der Nationalversammlung gehalten hat – mit den Worten: „Wir haben den Unterschied der Stände aufgehoben, machen Sie nicht, daß der Berliner Witz sich geltend mache: ‚Die Stände sind abgeschafft, aber drei Stände sind geblieben, der Belagerungsstand, der passive Widerstand und der Unverstand.’“ Dafür erntete Jahn auf der Linken und in einigen Teilen des Zentrums lebhaften Beifall, wie im stenographischen Bericht vermerkt ist.180 Euler bewertete die Rede als eine „wunderbare Mischung von Ernst und drolligen Bemerkungen, der Gesamteindruck lässt aber keinen Zweifel an Jahns warmem Gefühl für das kernhafte deutsche Volk.“181 Aber was den Einfluss dieser Rede betrifft, meint Euler, könne er ihn „nicht ersehen, es sei aber bemerkt, dass in der Nationalversammlung bei der Abstimmung das allgemeine Wahlrecht für jeden unbescholtenen Deutschen ab 25 Jahren beschlossen und auch die bisher übliche indirekte und öffentliche Wahlart verworfen und durch eine direkte Stimmabgabe mittels Stimmzettel ersetzt wurde.“182 Ergänzend dazu sei bemerkt, dass Artikel I des am 12. April 1849 von der Nationalversammlung beschlossenen „Reichsgesetzes über die Wahlen der Abgeordneten zum Volkshause“ den Ausschluss von Dienstboten, Tagelöhnern sowie Handwerksgesellen und Fabrikarbeitern tatsächlich nicht mehr vorsieht, dass aber entgegen der Jahnschen Intention Personen, die den Wehrdienst nicht abgeleistet hatten, dennoch wahlberechtigt bleiben. Und nach Artikel II dieses Wahlgesetzes werden auch Personen, die eine ihnen wegen politischer Verbrechen auferlegte Strafe verbüßt haben oder deren festgelegte Strafe durch Begnadigung aufgehoben wurde, von den Wahlen zum Volkshause nicht ausgeschlossen werden dürfen.183 Jahn selbst war auf diese Rede vom 17. Februar 1849 besonders stolz, weil er empfand, dass er damit den Nerv seiner Wähler im positiven Sinne getroffen hatte. Am 17. März 1848 schrieb er an eine Bekannte in Querfurt: „Ich schicke Ihnen einige Abdrücke meiner Rede für ein vernünftiges Wahlrecht. Auf Verlangen meiner Wähler und Urwähler (besonders aus der Schkeuditzer Pflege) mußte ich sie drucken lassen. Besorgen Sie gütigst einen Abdruck an Herrn Schmidt und bewirken Sie bei Herrn Heidrich, daß er die erhaltenen Abdrücke zweckmäßig verteilt. Unter zweckmäßig verteilen verstehe ich, daß sie an Männer geraten, die unter die Leute kommen, nicht bloß an Schweigsame und Stubensitzer, auch an Landleute wünsche ich.“184

180 181 182 183 184

Zit. nach EJW 2.2, S. 1033–1042. Euler (1898), S. 1058–1059. Euler (1898), S. 1065. Grab (1980), S. 263. M1, S. 546–547.

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Damit wird ganz offenkundig, dass Jahn in der „Heimat“ Stimmung für sich machen wollte, nachdem so Vieles bei seinem Auftreten in der Nationalversammlung schiefgelaufen war.

7.8 „lautloser Abschied“ aus Frankfurt Noch zweimal hat sich Jahn danach im Plenum zu Wort gemeldet: In der 180.  Sitzung am 2. März und in der 202. Sitzung am 17. April 1849. Am 2. März ging es noch um das Wahlgesetz. In dieser Sitzung lag u.a. eine Anlage A „Reichsmatrikel“ vor, in der Jahn zufolge „viel Ungehöriges zusammengeworfen“ war. Im einzelnen kritisierte er, dass man „Lichtenstein mit Österreich (bei künftigen Wahlen) zusammenlegen will, bei dessen Seelenzahl die Zusammenlegung gar nichts bedeutet, [...]. Das Allerschlimmste ist aber, daß Lübeck, die frühere Hauptstadt der Hansa, mit Mecklenburg-Schwerin, mit dem es gar nichts zu thun hat, zusammengeworfen werden soll.“ Offenbar waren diese Fragen bereits vorher geklärt worden, so dass seine Kritik überflüssig war. Auf Zurufe „Das gehört nicht hierher“ und die Bemerkung des Präsidenten „Das ist ja durch die Abstimmung zu § 9 erledigt, Herr Jahn“, sagte er nur noch „Da habe ich nichts mehr zu sagen. Meine Herren, Irren ist menschlich, [...]“, versäumte es aber nicht – durch die „Heiterkeit der Linken“ veranlasst – hinzuzufügen: „und ich wünsche, dass Sie sich immer nur in solchen Kleinigkeiten irren und nicht in großen Dingen, worin Deutschland zugrunde geht.“185 Am 17. April hielt Jahn seine letzte Rede im Paulskirchen-Parlament. Es ging an diesem Tag u. a. um das Begehren der Altonaer auf Zulassung von Kaperbriefen für das Aufbringen dänischer Schiffe, nachdem Dänemark am 6. März 1849 den mit Preußen vereinbarten Waffenstillstand gekündigt und die Kampfhandlungen wieder aufgenommen hatte. Die Äußerungen Jahns zu diesem Problem erschöpften sich in allgemeinen Feststellungen und Vorschlägen. „Nun aber ist der Däne auch jetzt wieder in seinem Kriege ein Seeräuber“, sagte er, „er fängt die armen Fischer von der Westküste fort; einzelne Beamte, Prediger und Schulmeister hat er weggeschleppt; wir müssen es ebenso machen. Was der Däne auf der See hat, wird genommen und gekapert, Handelsschiffe und Fischerfahrzeuge, alles muss fort. Er muß blokiert werden, da er uns blokiert.“ Jahn schloss seine Rede mit Bemerkungen, die wegen ihrer Brutalität zu denken geben: „Es muss der Krieg auf eine andre Art geführt werden. Die dänischen Gefangenen müssen tiefer ins Land gebracht werden [...]. Jeder Staat Deutschlands, der Truppenteile geschickt hat, muß Dänen zu sehen bekommen. Dann wird man in Kopenhagen begreifen, 185 EJW 2.2, S. 1042.

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und die Dänen werden sich’s merken, daß Deutschland ein großes Land ist. Überhaupt müßen wir den Krieg mit Dänemark auf eine ernste Art führen. Wir wollen dem Beispiele unseres früheren großen Gegners Napoleon folgen: Alles was als Däne in Deutschland lebt, in Gefangenschaft gesetzt!“186

Wie wenig ernst man Jahn im Parlament noch nahm, lässt der stenographische Bericht ahnen, der vermerkt, dass diese Rede stellenweise mit Heiterkeit quittiert worden ist. Was Jahn nach dem 17. April, dem Tag seines letzten Auftretens in der Nationalversammlung in Frankfurt, noch getan hat, entzieht sich genauerer Kenntnis. Euler, der die stenographischen Berichte über die Parlamentsdebatten sehr genau durchgesehen hat, berichtet, dass Jahn nach diesem Tag auch nicht mehr an namentlichen Abstimmungen teilgenommen habe, jedoch als „entschuldigt“ eingetragen worden sei. Selbst nach der Übersiedlung der Nationalversammlung nach Stuttgart am 4. Juni sei Jahn bei Abstimmungen zunächst noch als „entschuldigt“ vermerkt worden, und erst seit dem 8. Juni habe er den Abstimmungsprotokollen zufolge „ohne Entschuldigung“ gefehlt.187 Da Jahn bereits am 19. Mai wieder in Freyburg eingetroffen ist (Freyburger Stadtchronik, a. 1849), können diese Einträge nicht den Tatsachen entsprechen. Vielmehr ist Jahn wahrscheinlich den Anweisungen der preußischen Regierung gefolgt, die bereits Mitte Mai die preußischen Abgeordneten aus der Nationalversammlung abberufen hatte.188 Die österreichischen Abgeordneten waren bereits am 5. April zurück beordert worden.189 Welche Gründe Jahn veranlasst haben, nach dem 17. April den Plenarsitzungen fern zu bleiben, ist aus den Quellen nicht genauer zu ermitteln. Jahn selbst begründete seine Abwesenheit mit einer Krankheit. In der zweiten Aprilhälfte war er „einige Tage unwohl“, wie er in Briefen vom 27. und 30. April 1849 an Prof. Fickert (Schulpforta) und Pfarrer Kalb in Wechselburg mitteilt.190 Seiner Aussage zufolge litten zu dieser Zeit auch seine Mitabgeordneten fasst alle an demselben Übel, das sein Arzt die „Kaiserscheue“ (offensichtlich in Anspielung auf die Ablehnung der Kaiserwürde durch Friedrich Wilhelm IV.) und die „Mannteufel“ (M. war zu dieser Zeit preußischer Innenminister) nenne.191 Die 186 EJW 2.2, S. 1043. 187 EJW 2.2, S. 1045–1046. 188 Wiltberger (1908, S. 702) nennt als Zeitpunkt den 14. 5., Wichmann (1888, S. 418) – selbst Abgeordneter aus Preußen – den 12. 5. – Dunckers Mitteilungen zufolge haben die Männer des rechten Centrums, auch er und Haym, ihr Mandat erst am 20. Mai, also erst einen Tag nach der Ankunft Jahns in Freyburg, niedergelegt (vgl. Duncker, 1849, S. 132). 189 Wichmann (1888), S. 396. 190 M1, S. 550–552). 191 M1, S. 551.

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Zeit vertrieb er sich damit, mit seiner Ehefrau, die sich 13 Wochen bei ihm in Frankfurt aufhielt,192 das „Kaiserspiel“ zu betreiben, das in Frankfurt „Häkelspiel“ genannt werde. 193 Sein Unwohlsein, weshalb sein Arzt ihm „Ruhe geboten“ habe, führte Jahn auf die „Anstrengung der letzten Woche“ zurück.194 Den Brief mit dieser Mitteilung schrieb Jahn zwei Tage nach der endgültigen Ablehnung der Kaiserkrone durch Friedrich Wilhelm IV. Offenkundig ist Jahn von der Entscheidung des preußischen Königs derartig überrascht worden, dass er die „Lust am Parlamentstreiben“ völlig verloren hatte. In den Tagen zwischen dem 27. März und dem 2.  April 1848 hatte er noch voller Optimismus über die Vollendung der Verfassung und die Annahme des Wahlgesetzes gejubelt, nicht ohne auch diesmal die „Roten, Pfaffen und Schwarzgelben“ zu verspotten.195 Am 30. März war die 30-köpfige Delegation der Paulskirche nach Berlin gereist, um Friedrich Wilhelm IV. die Kaiserkrone anzubieten. Jahn war im Gegensatz zu Ernst Moritz Arndt nicht in diese Delegation gewählt worden. Er war aber fest davon überzeugt, dass der König die Kaiserkrone annehmen würde und dachte bereits über die publizistische „Ausschlachtung“ der vermeintlich unmittelbar bevorstehenden Kaiserkrönung nach: „Wir haben zwar bis zur Mittwoche keine Sitzung, aber wir (Zurückgebliebenen) legen darum nicht die Hände in den Schoß. Jetzt gilt es Beine, Zunge und Feder zu rühren. An Lustreisen denke ich nicht.“ Und wie immer seine eigene Bedeutung betonend fügt er an: „Ich betrachte mich als den alten Eckart vor dem Hör-Saal-Berge, der vor dem wütenden Heere warnt. Alle Abende halten wir Einheitsmännerversammlung.“196 Jahn versuchte, sich mit der neuen Situation abzufinden, indem er die Hoffnung beschwor, dass in Zukunft die Erfüllung der Hoffnungen der „Einheitsmänner“ nicht ausbleiben werde. Seine nach dem 3. April geschriebenen Briefe drücken diese Hoffnung deutlich aus. Er schreibt u. a.: „Nur der Satz aus der Geschichte wird sich wieder 192 In einem Brief aus Frankfurt vom 23. April 1849 (M1, S. 549) erwähnt Jahn noch die Anwesenheit von Emilie, und einem Brief Jahns aus Freyburg vom 5. Juli 1849 zufolge ist Emilie 13 Wochen lang bei ihm in Frankfurt gewesen (M1, S. 554). Da Emilie am 19. Mai 1849 mit ihm gemeinsam aus Frankfurt zurückgekehrt ist, wie aus einem späteren Brief von Emilie an Lübeck vom 20. Januar 1873 (U, S. 218–219) hervorgeht: „[...] wie Jahn aus Frankfurt kam brachten wir noch sehr viele Exemplare von der Schwanenrede mit [...]“ – Vielleicht hängt auch der Umzug Jahns aus der Allerheiligenstraße 30 in die Nr. 31 zu „Herrn Metallgießer Beyer“, wo er laut Wohnungsliste – siehe Wohnungsliste 1848/49 – dann etwa seit Februar 1849 wohnte, mit diesem längeren Besuch Emilies in Frankfurt zusammen. Übrigens muss auch sein Sohn Arnold Siegfried ihn kurzzeitig in Frankfurt besucht haben (vgl. L/U, S. 157). 193 M1, S. 549. 194 Brief vom 30. 4. 49 (M1, S. 552). 195 M1, S. 547. 196 Brief vom 30. 3. 49 an Unbekannt (M1, S. 547–548).

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bewahrheiten, dass die Weltordnung, um Großes und Bleibendes zu bewirken, zuvor Verkehrtheiten zulässet. Ein Tetzel muss allemal mit dem Zettelkram und Karren dem Luther vorausfahren. ‚Wir haben für den Begriff der Gesamtheit in der Fülle einer Reichsgemeinde, die nur durch alle samt und sonders voll wird, der alle nachstreben müssen, das Wort Volk.’ Dieses Wort soll unsere Losung bleiben, unser Gruß, und wenn es sein muß, unser Feldgeschrei. Bis dahin wollen wir an das Gebet denken. ‚Dein Reich komme!’“197 Oder: „Bald wird es hoffentlich in Deutschland nur zwei Lager geben, die auch schon das Mittelalter als Welfen und Waiblinger bezeichnete, oder heutzutage Männer der Einheit und Kläffer der Sonderheit. Da auf der einen Seite Gemeinsinn, auf der andern die Selbstsucht Bannerträger sind, so kann man, ohne Seher zu sein, wohl wahrschauen, wohin zuletzt der Sieg sich neigen muss. Wie Konstantin einst das Zeichen der Erniedrigung zum Siegesschmuck erhob, so geht es jetzt mit der lange bespöttelten, verfolgten, weggemaßregelten Sehnsucht nach Einheit.“198 In solchen Zukunftshoffnungen schwelgte Jahn, der die Nationalversammlung und die Stadt Frankfurt in aller Stille, ohne sich abzumelden verließ,199 anstatt mit seinen „Einheitsmännern“, die er einen Monat vorher noch als „festgeschlossene Schar“ bezeichnet hatte,200 im Parlament den Kampf weiterzuführen, bis seine Aussichtslosigkeit offenbar werden würde.

7.9 Gotha Im Parlament vollzog sich im Frühjahr 1849 ein deutlicher „Linksruck“. Rudolf Haym, der Chronist der Nationalversammlung, schreibt einleitend zu seinem 1850 veröffentlichten dritten Band seiner Darstellung „Die deutsche Nationalversammlung von der Kaiserwahl bis zu ihrem Untergange“: „Zwischen der Linken und den Centren herrscht zuerst ein aufrichtiges Einverständniß. Es wird sehr rasch durch die zweideutige Aufnahme der Kaiserbotschaft erschüttert.“201 Und weiter: „Die neugeschaffene Majorität ist eine Majorität der Linken. Der Widerstand der Regierungen hat den Organismus der Versammlung dergestalt geschwächt und zerrüttet, dass sie sich endlich auf die Seite der Anarchie stellt, 197 Brief vom 24. April 1849 (M1, S. 550). 198 Brief vom 27. April 1849 (M1, S. 551). 199 Vgl. EJW 2.2, S. 1045, Anmerkung von Carl Euler: „Die Sitzung vom 17. April 1849 war die letzte, in der, soviel ich ersehen kann, Jahn öffentlich in der National-Versammlung gesprochen. Ja ich finde auch nicht mehr, daß er mit abgestimmt hat, wenigstens nicht dann, wenn es sich um persönliche Abstimmung handelte. Er wird stets als ‚entschuldigt’ aufgeführt.“ 200 Brief vom 27. März 1849 (M1, S. 547). 201 Haym (1850), S. 6.

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der sie früher entgegengetreten. Während die reinen Bestandteile der Versammlung sich stückweise von ihr ablösen, geht der Rest einem raschen und nicht beklagten Ruine entgegen. – So ungefähr ist der Charakter und so der Gang der Ereignisse, welche wir darstellen.“202 Die „erbkaiserliche Partei“ („Weidenbusch“) zerfiel nach und nach in seine Bestandteile, die Abgeordneten vom Nürnberger Hof, Augsburger Hof und Neuwestendhall trennten sich in den folgenden Tagen von ihr.203 Außerdem verließen immer mehr Abgeordnete das Frankfurter Parlament. Bereits am 5. April hatte die österreichische Regierung die Deputierten Österreichs aus der Nationalversammlung abberufen. Infolgedessen verließen seit dem 13. April viele österreichische Abgeordnete die Paulskirche. Nur ein Teil der österreichischen Linken erklärte durch Giskra, „vom österreichischen Ministerium sei ihnen das Mandat zur Nationalversammlung nicht gegeben worden, sondern von ihren Wählern – das Ministerium könne ihnen daher auch rechtlich das Mandat nicht nehmen‘.“204 Inzwischen war nach Rückkehr aller Mitglieder der „Kaiserdeputation“ aus Berlin und der Wiederaufnahme der Parlamentsarbeit bereits am 11. April ein „Dreißigerausschuss zur Durchführung der Reichsverfassung“ gebildet worden. Dem hatte ein Antrag des Abgeordneten Zell vom Württemberger Hof zugrunde gelegen, der bezüglich der künftigen Strategie der Nationalversammlung nach der Ablehnung der Kaiserkrone durch den preußischen König besagte: „1. An der endgültig beschlossenen Verfassung und dem Wahlgesetz werde sie unter allen Umständen unwiderruflich festhalten, und 2) Es werde in den Abtheilungen ein Ausschuss von 30 Mitgliedern erwählt, welcher den Bericht der Deputation zu prüfen und die desfalls zu fassenden Beschlüsse zu begutachten, zugleich aber auch die Mittel zu berathen habe, welche zur Durchführung des Beschlusses ad 1) zu ergreifen seien.“205 An diesem 11. April hatten von den ursprünglich 565 Abgeordneten bereits 130 gefehlt. Durch das Ausscheiden österreichischer Abgeordneter und einer wachsenden Zahl von Abgeordneten anderer deutscher Staaten, die in der folgenden Zeit mit oder ohne Austrittserklärung Frankfurt verließen, schrumpfte die Versammlung von Tag zu Tag weiter. Um auf Seiten des rechten Zentrums noch zu retten was zu retten war, fasste „Casino“ am 18. April auch förmlich den Beschluss, „daß seine Gesellschaft fortbestehe.“206 „Im Grunde standen sich“, so schreibt Paul Wentzcke, „lediglich zwei Parteigruppen gegenüber: Während die Linke durch ihren Sprecher Karl Vogt die Revolution weiterführen, mit einem Reichsstatthalter die Republik begründen wollte, suchten die Erbkaiserlichen nach immer 202 203 204 205 206

Haym (1850), S. 7. Haym (1850), S. 189–190. Wichmann (1888), S. 419–420. Vgl. Jürgens (1857), S. 323. Haym (1850), S. 41.

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neuen Mitteln, die Reichsverfassung in Anlehnung an die bestehenden gesetzlichen Gewalten ins Werk zu setzen.“207 Am 3. Mai war der Termin abgelaufen, bis zu welchem die Regierungen, die die Verfassung noch nicht anerkannt hatten – es handelte sich dabei insbesondere um die deutschen Königreiche –, sich zu ihrer Haltung zu dieser Verfassung hätten erklären sollen. Auf Antrag des Dreißigerausschusses, vorgetragen von seinem Vorsitzenden, dem Abgeordneten Oskar Freiherr von Wydenbrugk vom Württemberger Hof, fasste die Nationalversammlung daraufhin mit äußerst knapper Mehrheit (190 : 188) den Beschluss, die Verfassung vom 28. März zur Anerkennung und Geltung zu bringen sowie am 15. Juli die Wahlen zum Volkshaus durchzuführen, so dass am 22. August 1849 der erste Reichstag hätte stattfinden können.208 Schließlich erlangten die Linken im Parlament ein eindeutiges Übergewicht. Sie verstanden die Absage Friedrich Wilhelms IV. als Aufruf zur Revolution, wie Heinrich Laube formulierte. „Die Einsichtigsten wußten alle“, schreibt Laube, „dass mit solchen Elementen209 ein Gelingen kaum möglich sei.“ Er fügt hinzu: „Mancher von ihnen schied schon jetzt aus, um nicht das unvermeidliche Todesringen des Parlaments in all seinen peinlichen Stadien persönlich erleben zu müssen.“210 Doch der „harte Kern“ der Erbkaiserlichen um Heinrich von Gagern, die meisten der einflussreichsten Männer des Casino, glaubten noch immer, ihren Führungsanspruch wieder durchsetzen zu können. In einer Besprechung v. Gagerns mit diesen Männern „wurde man sich dahin einig, ‚nur gemeinsam zu handeln, unseren Platz nicht voreilig zu verlassen: Solange wir noch in unserem Sinne die Versammlung leiten können, bleiben wir zusammen; geht das nicht mehr, erfolgt unser Austritt, und dann mögen die Extremen sich bekämpfen‘.“211 Dessen ungeachtet verließen immer mehr Abgeordnete Frankfurt, zumal die preußische Regierung am 12. bzw. 14. Mai (Wichmann und andere nennen den 12., Heinrich Laube und andere den 14. Mai) ihre Abgeordneten zurückrief und der Nationalversammlung jegliche rechtliche Existenz absprach.212 Als am 19. Mai auch noch ein Antrag der Linken, von Biedermann vorgetragen, einen Reichsstatthalter „wo möglich“ aus den Reihen der regierenden Fürsten zu wählen, mit 126 gegen 116 Stimmen angenommen worden war, wurde im Kreise der verbliebenen Erbkaiserlichen die Auseinandersetzung darüber geführt, ob man sich angesichts des desolaten Zustandes der Nationalversammlung gemeinsam aus ihr zurückziehen könne. Eine 207 Wentzcke (1959), S. 236. 208 Heinrich Laube (1850, S. 424) datiert diesen Beschluss fälschlicher Weise auf den 5. Mai; dazu ausführlich Jürgens (1857), S. 425–433. 209 Laube meint die Linken, die den Reichsministerpräsidenten im Plenum verlachten. 210 Laube (1850), S. 423. 211 Vgl. Wentzcke (1959), S. 237. 212 Wentzcke (1959), S. 251.

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Abstimmung im Kreise der noch verbliebenen „erbkaiserlichen“ Abgeordneten, insbesondere des Casino, ergab eine Mehrheit von 48 gegen 38 Stimmen für den Austritt, der in einer gemeinsamen Erklärung auch begründet wurde. Der nach einem schweren Zusammenbruch noch ans Bett gefesselte Heinrich von Gagern, der am 10. Mai als Reichsministerpräsident zurückgetreten war und die Amtsgeschäfte nur kommissarisch weitergeführt, sich zunächst aber für eine Vertagung der Nationalversammlung eingesetzt hatte,213 stimmte dem schließlich zu. Am 21. Mai, nachdem eine gemeinsame Erklärung im Plenum verlesen war,214 verließen die bis dahin noch verbliebenen „Erbkaiserlichen“ Frankfurt. An diesem Tage war Friedrich Ludwig Jahn mit seiner Frau schon seit zwei Tagen wieder in Freyburg an der Unstrut.215 Die Nationalversammlung schrumpfte danach in der letzten Dekade des Monats Mai immer mehr zusammen. Am 24. Mai musste sie ihre Beschlussfähigkeit auf 100 Abgeordnete reduzieren, und bevor sie am 30. Mai ihre Übersiedlung nach Stuttgart beschloss, war sie auf 130 Parlamentsmitglieder geschmolzen.216 Infolge der Abberufung weiterer Abgeordneter durch ihre Regierungen waren schließlich ganze Landschaften Deutschlands in der Nationalversammlung nicht mehr vertreten.217 Noch während die im Wesentlichen auf die Linken reduzierte und stark „zusammengeschmolzene“ Nationalversammlung in Frankfurt tagte, kündigte die preußische Regierung am 26. Mai ein „Dreikönigsbündnis“ mit Hannover und Sachsen an und legte auf Initiative von Radowitz am 28. Mai den Entwurf einer „Verfassung zu freier Vereinbarung zwischen den Fürsten und einem neuen Reichstage“ vor.218 Der herausragende Repräsentant der „Erbkaiserlichen“, Heinrich von Gagern,219 erklärte sich auf Drängen von neun führenden Vertretern der Erbkaiserlichen schließlich bereit, das ganz auf Norddeutschland eingestellte Dreikönigsbündnis zu unterstützen.220 Joseph Maria von Radowitz, enger Berater Friedrich Wilhelms  IV. und in Frankfurt Angehöriger der äußersten Rechten (Milani), hatte diesen Schritt der preußischen Regierung, den Weg zu einer kleindeutschen, preußisch-hegemonialen Einigungspolitik einzuschlagen, sorgfältig vorbereitet. Auf Einladung des preußischen Ministerpräsidenten von Brandenburg hatte am 17. Mai 1849 eine 213 214 215 216 217 218 219

Wentzcke (1959), S. 253–254. Laube (1850), S. 430. Freyburger Stadtchronik, Eintrag zum 19. Mai 1849. Laube (1850), S. 430–431. Wentzcke (1959), S. 255. Laube (1850), S. 442. Eine Studie zu der Persönlichkeit Heinrichs von Gagern, eines früheren aktiven Burschenschafters, verfasste A. Langguth (1898/99). 220 Wentzcke (1959), S.263.

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von ihm geleitete Versammlung von Bevollmächtigten der fünf deutschen Königreiche begonnen. Das Ergebnis dieser Beratungen war das am 26. Mai 1849 geschlossene „Dreikönigsbündnis“ zwischen Preußen, Hannover und Sachsen, während die Regierungen Bayerns und Württembergs nicht bereit waren, in ein Bündnis mit Preußen einzutreten.221 Der Entwurf der zwischen den Vertretern der drei verbündeten Länder vereinbarten und am 28. Mai publizierten Reichsverfassung ähnelte im Wortlaut sehr der von der Nationalversammlung am 28. März beschlossenen Verfassung, wies ihr gegenüber jedoch drei fundamentale Unterschiede auf:222 Sie sah zum einen ein sechsköpfiges Fürstenkollegium vor. Das entsprach in etwa dem vom rechten Zentrum, insbesondere vom „Casino“ für die Frankfurter Verfassung ursprünglich vorgesehenen „Reichsrat“, der infolge des Widerstands der Linken in der Nationalversammlung nicht hatte durchgesetzt werden können. Außerdem war das in der Frankfurter Verfassung vom 28. März 1849 vorgesehene „suspensive Veto“ durch ein „absolutes Veto“ des Reichsoberhaupts ersetzt worden.223 Die Frankfurter Verfassung sah ein direktes, gleiches Wahlrecht vor, ebenfalls ein demokratisches Element, das die Linken durch den „Simon-Gagern-Pakt“ den „Erbkaiserlichen“ abgerungen hatten. Im Verfassungsentwurf für die „Union“ trat an diese Stelle ein indirektes „Dreiklassen-Wahlrecht“. Das war eine deutliche Absage an alle demokratischen Bestrebungen. Dieser maßgeblich von v. Radowitz erarbeitete Verfassungsentwurf sollte nach vorheriger Beratung mit den „Erbkaiserlichen“ von Frankfurt auf einem in Aussicht gestellten „Reichstag“ der Union – er fand später am 20. März 1850 statt und nahm die vorgelegte Verfassung auch en bloc an224 – diskutiert und beschlossen werden. Die neun führenden Männer der erbkaiserlichen Partei, die Heinrich von Gagern für die Unterstützung der preußischen Initiative gewonnen hatten, unterzeichneten die Einladungen für eine Zusammenkunft in Gotha und versandten sie an 227 „Erbkaiserliche“. Der Einladung folgten 150 Personen, die sich am 25. Juni 1849 zu ihrer Konferenz in der thüringischen Stadt trafen.225 Auch die aus Frankfurt vorzeitig und z. T. sogar ohne Begründung abgereisten „Erbkaiserlichen“ waren zu dieser Zusammenkunft eingeladen worden, unter ihnen 221 Vgl. Siemann (1985), S. 218 -219. 222 Siemann (1985), S. 219. 223 Das „suspensive Veto“, ein demokratisches Element, war ein Zugeständnis der „Erbkaiserlichen“ an diejenigen Linken gewesen, die sich bereit gefunden hatten, mit ihnen am 28. März 1849 für die Annahme der Reichsverfassung zu stimmen (Simon-Gagern-Pakt). 224 Siemann (1985), S. 219. 225 Siemann (1985), S. 219.

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auch Jahn. Er nahm diese Einladung gern an, wie aus einem Schreiben, das er unmittelbar vor diesem Ereignis an Pfarrer Landmann absandte, hervorgeht: „Der Zusammenkunft in Gotha durfte ich mich nicht entziehen. Wir Gesinnungsgenossen (in der Hauptsache) in der Einheitsfrage nahmen voneinander Abschied, da uns die Umstände gewissermaßen zersprengt hatten. Wir werden uns stärken am Wiedersehen und aneinander ermutigen, und dann in seinem Kreise ein jeder wirken, solange uns das Licht leuchtet. Mögen uns die roten Halunken Rückwärtser nennen, das sind wir nicht, waren es nie und werden’s niemals. Wir vertrauen dem Weltgericht.“226

Jahn hebt hier seine Motive für die Reise nach Gotha, nämlich Abschied von den Gesinnungsgenossen in der Einheitsfrage nehmen zu wollen – was er in Frankfurt im Gegensatz zum Kern der Erbkaiserlichen versäumt hatte – und seine Verpflichtung gegenüber der Gemeinschaft der Erbkaiserlichen angesichts ihres grundsätzlichen Gegensatzes zu den Linken hervor, schränkt aber die von ihm benutzte Bezeichnung „Gesinnungsgenossen“ ein, indem er in Klammern hinzufügt: „in der Hauptsache“. Warum? Bei den Diskussionen um das Wahlgesetz hatte Jahn in zwei wesentlichen Fragen andere Meinungen vertreten als die Mehrzahl seiner „Gesinnungsgenossen in der Einheitsfrage“. Am 14. Dezember hatte er im Plenum gegen das absolute und für das suspensive Veto der Reichsgewalt gestimmt und auch noch seine Beweggründe für diese Entscheidung in das Protokoll und die stenographischen Berichte aufnehmen lassen.227 Damit hatte er in dieser Frage Forderungen der Linken vertreten, die von diesen erst mit dem „Simon-Gagern-Pakt“ durchgesetzt werden konnten. Und in seiner Parlamentsrede vom 17. Februar 1849 zum Wahlrecht war er sehr vehement gegen den von den Vertretern des „Casino“ initiierten Passus im Wahlgesetzentwurf aufgetreten, wonach den kleinen Leuten – Dienstboten, Tagelöhnern, Handwerksgehilfen und Fabrikarbeitern – überhaupt kein Wahlrecht eingeräumt werden sollte.228 Auf diese Rede vom 17. Februar 1849 war Jahn besonders stolz gewesen, und er hatte sie auf Verlangen seiner Wähler und Urwähler sogar drucken und verteilen lassen.229 Für Jahn erhielt diese seine ausführliche Meinungsäußerung zu diesem Thema später noch besonderes Gewicht, weil das Wahlgesetz, wie er schrieb, die „Brücke“ war, „so uns über den Zwiespalt half. Darauf gingen die besseren, verirrten Republikaner ein und trennten sich von den Roten, Pfaffen und Schwarzgelben.“230 Beide Festlegungen – sowohl das suspensive Veto der Reichsgewalt als auch das direkte, gleiche 226 227 228 229 230

Brief vom 23. 6. 1849 (M1, S. 552–553). EJW 2.2, S. 1029–1030. EJW 2.2, S. 1033–1042. Brief vom 15. 3. 1849 (M1, S. 546) und vom 17. 3. 1849 (M1, S. 546–547). Brief vom 27. 3. 1849 (M1, S. 547).

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Wahlrecht – galten für den preußischen König als „demokratische Elemente“ in der Verfassung vom 28. März und gehörten zu den wichtigsten Gründen, weshalb er nicht bereit war, die ihm angebotene Kaiserkrone anzunehmen. Bezüglich dieser Fragen – ob suspensives Votum und direktes, gleiches Wahlrecht in eine Verfassung des künftigen deutschen Reiches gehören oder nicht – unterschied sich Jahns in Parlamentsreden geäußerter und in den entsprechenden Abstimmungen klar zum Ausdruck gebrachter Standpunkt grundsätzlich von dem der allermeisten Erbkaiserlichen. Dennoch fuhr er nach Gotha. Mit dem Dreikönigsbündnis hatte Preußen einen anderen Weg der Einigung eröffnet, als er von den „Erbkaiserlichen“ in Frankfurt geplant war. Ziel der Aussprachen in Gotha war es nun, „ein möglichst übereinstimmendes Verhalten in der gegenwärtigen Lage des Vaterlandes, insbesondere gegenüber der obschwebenden Frage der Reichstagswahlen“ zu vereinbaren. Die in Gotha Versammelten sollten nach dem Willen der Veranstalter die Aufgabe übernehmen, das Volk und die Regierungen der kleineren Staaten zu überreden, den Verfassungsentwurf vom 28. Mai 1849 anstatt der Frankfurter Verfassung vom 28. März 1849 anzunehmen und an den vorgesehenen Reichstagswahlen teilzunehmen.231 Sie hatten keinerlei Recht, den vorgelegten Verfassungsentwurf zu diskutieren und Änderungen vorzuschlagen. Das geht sehr klar aus dem von Max von Gagern der Versammlung vorgelegten Antrag über das Parteiprogramm der „Gothaer“ hervor. Er stellt in diesem Antrag einleitend fest, dass „die 3 verbündeten Königshöfe von Preußen, Sachsen und Hannover die Annahme ihres Bündnisses so wie ihres Wahlgesetzentwurfs als unerläßliche Vorbedingung der Zulassung anderer Staaten zu dem von ihnen in Aussicht gestellten Reichstage verlangt haben, u. daß nach vertraulichen, aber glaubwürdigen Aussagen die 3 Regierungen auf die Meinungsäußerung der gegenwärtig hier Versammelten, falls dieselbe keine unbedingt beifällige wäre, keine Rücksicht nehmen können.“

Diese Tatsachen und weitere unbefriedigende Umstände, die Max von Gagern beschreibt, dass nämlich „die Bestimmungen des einstweilen zwischen den 3 Königshöfen abgeschlossenen Bündnisses in amtlicher Fassung nicht bekannt, die Verhandlungen mit Baiern und Oestreich sogar noch in der Schwebe sind; daß aber der mögliche Nutzen, welchen ein unbedingtes Vertrauensvotum der gegenwärtig Versammelten für die Förderung der Unterhandlungen haben könnte, in keinem Verhältniß steht zu der Gefahr, welcher sich die hier vertretene deutsche Einheitspartei ohne genügende Bürgschaft u. ohne hinreichend unterrichtet zu seyn, durch eine feierliche Erklärung in den Augen der Nation aussetzen würde, stellt der Unterzeichnete den Antrag: ‚Die hier Zusammengetretenen möchten das Ergebniß ihrer Beratungen in denjenigen Sätzen, über welche sie sich mit großer Mehrheit geeinigt 231 Kertesz (1995), S. 218.

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haben werden, in Form eines einfachen Protokolls, nicht aber in Form einer feierlichen Erklärung an das deutsche Volk, zusammenstellen lassen u. ihr Urtheil über den Entwurf der 3 Königshöfe u. deren Wahlgesetz nur in hypothetischer Fassung in das noch zu berathende und zu beschließende Programm einer Parteiorganisation einflechten.“232

Damit ist hinreichend die schwierige Lage umschrieben, in der sich die in Gotha versammelten Erbkaiserlichen befanden. Einer Mitteilung Eulers zufolge sollen sich in Gotha nur 130 von 148 Erbkaiserlichen für den von Radowitz eingebrachten Verfassungsentwurf vom 28. Mai erklärt haben.233 Das änderte jedoch nichts daran, dass sich die Versammlung deshalb auf die Diskussion von zwei Fragen beschränken musste: 1. In welcher Form sollte sich die Versammlung an das deutsche Volk und an die deutschen Regierungen wenden und 2.  Wie sollten sich die Erbkaiserlichen organisieren, um ihre Aufgabe am besten zu bewältigen?234 Der Antrag, den Max von Gagern zur Form gestellt hatte, wurde mehrheitlich angenommen. Zur künftigen Organisation der Erbkaiserlichen, die sie in die Lage versetzen könnte, ihre Aufgabe am besten zu bewältigen, sprach am 26. Juni Maximilian Duncker. Er stellte den Antrag, eine neunköpfige Kommission einzusetzen, die der Versammlung Vorschläge machen solle, „ob und auf welche Weise die Partei der Versammlung in allen Teilen Deutschlands zu organisieren und durch die Presse namentlich in Beziehung auf die künftige Wahlbewegung zu wirken sey.“ Anlass für diesen Antrag und Grundlage der Diskussion bildete eine „Denkschrift des vaterländischen Vereins zu Braunschweig über die Organisation der Partei an die Versammlung in Gotha“, durch die die in Gotha versammelten Erbkaiserlichen aufgefordert wurden, einen starken Zentralausschuss zu bestellen, der einen allgemeinen Kongress aller konstitutionellen Vereine zusammenrufen sollte. Die Vereine sollten in Kreis- und Landesverbänden organisiert werden und auch einen Zentralausschuss bilden, der mit dem Ausschuss der Frankfurter Parlamentarier eng zusammenarbeiten sollte. Die Aufgabe eines weiteren Ausschusses sollte die Beeinflussung der Presse sein, um sicher zu stellen, dass der „Partei überall entsprechende Presseorgane zur Verfügung stünden.“235 Die auf Antrag Dunckers eingesetzte Neunerkommission erstattete am 28. Juni Bericht und schlug vor, ein Komitè zu ernennen, das die Diskussion um die beabsichtigte Organisation leiten solle. Ihm gehörten dem Vorschlag entsprechend Heinrich und Max von Gagern, Mathy, Hergenhahn und Reh an. Ein von Jahn eingereichter kurzer Entwurf eines Organisationsplans für den „Deutschen Reichsverein“, der nach dem Muster des 232 233 234 235

Kertesz (1995), S. 235. Euler (1898), S 1065. Kertesz (1995), S. 219. Kertesz (1995), S. 222.

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Gustav-Adolph-Vereins Haupt- und Nebenvereine vorsah und in 16 Punkten die Richtlinien für ihre Tätigkeit formulierte, wurde diesem Komitè unterbreitet. Interessant darin ist der 2. Punkt, der wörtlich lautete: „Als Richtschnur und Regel dienen ihm alle Sätze, die in den Verfassungsentwürfen vom 28. März und 28. Mai dem Worte oder Sinne gemäß gleich sind.“236 Damit versuchte Jahn offensichtlich, die in drei Punkten zusammengefassten unterschiedlichen Festlegungen, die der Beseitigung der in der Frankfurter Verfassung vom 28. März enthaltenen demokratischen Elemente dienten, zunächst bis zum angekündigten „Reichstag“ auszuklammern, zumal er sich in der Paulskirche grundsätzlich in anderer Richtung festgelegt hatte. Außer dem Titel „Deutscher Reichsverein“ setzte sich dieser Jahnsche Entwurf nicht durch. Er war zwar noch einmal neben der genannten Braunschweiger Denkschrift Grundlage einer Diskussion von ca. 60 Teilnehmern am 29. Juni – die übrigen Teilnehmer waren wie geplant am 28. abgereist -, über das Ergebnis liegt allerdings kein Protokoll vor; darauf hatten sich die Teilnehmer zuvor verständigt. Kertesz nimmt an, dass der zuverlässigste Bericht über den Verlauf dieser Zusammenkunft in dem wahrscheinlich von Mathy verfassten Leitartikel der „Deutschen Zeitung“ vom 4. Juli 1849 zu sehen ist: „Man verständigte sich darüber, daß der durch die Gothaer Vereinigung von selbst entstandene deutsche Reichsverein nicht etwa durch neue Filialstiftungen die Zahl der vorhandenen Vereine vermehren solle, sondern fern von inhaltloser Geschäftigkeit seine Wirksamkeit auf den einen praktischen und gemeinsamen Zweck der Gesinnungsgenossen, die baldige Herbeiführung eines Reichstags [...] zu beschränken habe [...] Es liegt in der Natur der Dinge, daß für alle gemeinsamen deutschen Tagesfragen die Mitglieder des Gothaer Vereins an ihrem Wohnorte und ihrem Wirkungskreise als die natürlichen Vertreter [...] der Partei gelten. Der leitende Ausschuss wird sich bei vorkommenden neuen Anlässen an sie zu wenden haben; durch sie wiederum Auskunft erhalten und mit den Pressorganen sowie mit den localen Vereinen Verbindung unterhalten können. Zum Centralorgan ist die Deutsche Zeitung bestimmt.“237

Jahns Versuch, aktiv auf die Bildung einer streng gegliederten „Gothaer Partei“ Einfluss zu nehmen, war damit gescheitert. Trost fand er jedoch in der Aufmerksamkeit, die die Gothaer Bürger ihm zuteil werden ließen, wie er seiner Frau in einem Brief aus Gotha hochzufrieden mitteilen konnte: „Ich habe was zu zeigen, mich kennen die Leute, an mich wenden sie sich.“238 Allerdings musste er in diesem Zusammenhang auch eingestehen: „Die Hauptfragen sind immer nach Gagern und Simson.“239 Auf dem Gothaer Turnplatz fühlte er sich offenkundig 236 237 238 239

Zit. nach Kertesz (1995), S. 236. Zit. nach Kertesz (1995), S. 224. Brief vom 28. Juni 1849 (M1, S. 554). M1, S. 554.

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wohl: „Ich habe dort im versammelten Kreise gesprochen – eigentlich über des Turnens sittlichen Wert und des Turners Pflichten. ‚Famos‘, sagten die Leute. Ich kann mit dem Eindruck zufrieden sein.“ In Anspielung auf die demokratischrepublikanisch gesinnten Turner ließ er seine Frau wissen: „In dem Augenblick hätte wohl kein Kinziger, von Gelnhausen bis Saalmünster, sein Bleiben gehabt.“240 Reichlich spät, im Juli 1852, bedankte sich Jahn beim Initiator und Vorbereiter seines Treffens mit den Gothaer Turnern, Schuldirektor Dr. Looß, „für die tatsächliche Anerkenntnis meiner Bestrebungen.“241

7.10 Zur Bedeutung von Jahns Abgeordnetentätigkeit in der Paulskirche Um die Frage, wie hoch die Leistung Jahns in der Zeit seiner Zugehörigkeit zur Nationalversammlung eingeschätzt werden kann, einigermaßen realistisch beantworten zu können, genügt es nicht, allein den Inhalt seiner 22 Redebeiträge wohlwollend zu referieren, wie dies Carl Euler in der Ausgabe von Jahns Werken242 getan hat. Zu berücksichtigen sind auch die organisatorischen Rahmenbedingungen für die Parlamentsarbeit insgesamt. Ein wichtiger Gewährsmann dafür ist der ehemalige Burschenschafter Gottlieb Christian Schüler, Abgeordneter der Nationalversammlung aus Jena.243 Schüler war einer der bedeutendsten Abgeordneten, gehörte als Angehöriger der Fraktion „Deutscher Hof “ zum linken Zentrum, war u. a. Mitglied des Ausschusses für den Entwurf der Reichsverfassung und seit Januar 1849 Präsident des sog. „Märzvereins“, der Vereinigung der Linken in der Nationalversammlung. Schüler zufolge waren die Abgeordneten durch Los 16 Abteilungen zugeordnet, denen Präsidenten und Vizepräsidenten vorstanden. Jede Abteilung durfte in jeden der 15 Ausschüsse des Parlaments einen Abgeordneten und in die beiden wichtigsten Ausschüsse, den „Verfassungsausschuss“ und den „Ausschuss für volkswirtschaftliche Fragen“, zwei Abgeordnete wählen.244 Schüler selbst war in die 4. Abteilung gelost worden, der auch Jahn angehörte. Was die Reden zur Begründung von Anträgen, die im Plenum eingebracht werden sollten, betrifft, so berichtet Schüler, dass darüber zuvor auch in der Fraktion (Klubb) derer, die die Anträge einbringen wollten, beraten wurde. Schüler schreibt wörtlich: 240 241 242 243 244

M1, S. 553. Brief vom 21. Juli 1852 (M1, S. 568). EJW 2.2, S. 1013–1048. Vgl. Best/Weege (1996), S. 309–310. und Kaupp (1999), S. 98. Vgl. Schüler/Möller (2007), Anhang 7, S. 224, Anm. 27.

Zur Bedeutung von Jahns Abgeordnetentätigkeit in der Paulskirche

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„Zugleich haben die Klubbs festgelegt, dass, eilige Fälle ausgenommen, keins ihrer Mitglieder einen Antrag bei der Nationalversammlung stellen darf, ohne ihn erst dem Klubb vorzulegen und dessen Meinung darüber einzuholen; findet dann der Antrag bei der eignen Partei keine Unterstützung, oder wird man durch die dagegen vorgebrachten Gründe belehrt, dass der Antrag nicht gut ist, so bringt man ihn gar nicht in die Nationalversammlung. [...] Leider aber kann man dadurch die ‚Strandläufer‘245 „nicht davon abhalten, die Versammlung immer noch mit einer Sündfluth von nutzlosen Anträgen zu überschwemmen. Einer der Unermüdlichsten hierin ist der alte Grävell aus Frankfurt a. O. (der Reichsantragsteller genannt.) Sowie ein neuer Antrag von ihm verkündet wird, entsteht Heiterkeit in der Versammlung; er lässt sich nicht dadurch abhalten, dass noch niemals einer seiner zahllosen Anträge unterstützt worden ist.“

Was ist daraus bezüglich der Jahnschen Wortbeiträge im Plenum zu erschließen? Während seiner 22 Auftritte hat er vier Reden gehalten, zwei längere (am 15.1. und am 17.2.1849) und zwei kurze (am 4. und am 14.12.1848), die sämtlich ohne bemerkenswerte Zwischenfälle von der Versammlung entgegengenommen worden sind. Jahn hat außerdem fünf Anträge eingebracht und begründet, die allesamt im Plenum ohne Ergebnis blieben, weil sie gar nicht erst angenommen wurden: Der Antrag vom 22.7.1848 fand nicht die notwendige Unterstützung, am 19.10.1848 wurde die Dringlichkeit von Jahn selbst nicht bestätigt, am 2.10. und am 5.12.1848 wurden die Anträge von ihm selbst zurückgezogen, und ein Antrag wurde nicht behandelt (14.9.1848). Auch Jahns „Verbesserungsantrag“ vom 17.7.1848 wurde nicht hinreichend unterstützt. Von den Interpellationen Jahns war nur eine erfolgreich, und zwar die, die von mehreren Abgeordneten eingebracht worden war (13.10.1848). Von den drei weiteren war eine nicht erfolgreich (25.8.1848), eine wurde nicht hinreichend unterstützt (27.7.1848) und die Beantwortung der dritten vom 24.10.1848 wurde unter Zustimmung des Hauses vom Reichsministerpräsidenten verweigert. Bei den übrigen acht Auftritten im Plenum äußerte Jahn lediglich seine Meinung zu bestimmten Fragen (19.5., 8.6., 17.6., 12.8.1848 und 12.2. und 17.4.1849), am 2.3.1849 musste er peinlicherweise vom Versammlungsleiter darauf aufmerksam gemacht werden, dass die Diskussion zum Gegenstand seiner Meinungsäußerung bereits kraft Beschlusses erledigt war.246 245 Wichmann (1888), S. 126 bezeichnet diejenigen, ‚die sich zu keinem Club hielten, bald in dieser, bald in jener Section hospitierten, zu einem erheblichen Theile aber ganz isoliert blieben‘, auch als ‚Wilde‘. Was ihre Zahl angeht, schreibt Wichmann: ‚Es war reichlich der sechste Theil der Versammlung. Berühmte Namen befanden sich darunter: die beiden Patriarchen Arndt und Jahn, der Dichter Ludwig Uhland [...]‘. Zur Strenge der Fraktionsdisziplin siehe auch Mommsen (1998), S. 193. Schüler bezeichnet die „Unabhängigen“ auch als „Stegreifritter“ (Schüler/Möller, 2007, Anhang 7, S. 221). 246 EJW 2.2, S. 1042.

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Diese kurze, auf die Absichten und die Wirkung der Jahnschen Auftritte im Parlament bezogene Aufzählung macht bereits eines deutlich: Jahn war, wie auch Euler einräumt, „kein Politiker“. Euler zitiert aus dem Brief seines Freundes Kallenberg, der ihm aus Kairo schrieb, er wüsste zu Eulers Auffassung über Jahn nur zu ergänzen, dass er der Ansicht sei, „der hochverehrte Mann war in der Paulskirche durchaus nicht an seinem Platze.“ Euler bestätigt im Grunde Kallenbergs Meinung, weist aber den Wählern und dem deutschen Volk die Schuld zu, „in der Not jener aufgeregten Zeit so manchen Mißgriff in der Wahl seiner Vertreter“ begangen zu haben.247 Einer dieser „Mißgriff[e] in der Wahl“ war Jahn, darin waren sich Euler und Kallenberg augenscheinlich einig. Vor seiner Abreise nach Frankfurt hatte Jahn gegenüber der Turngemeinde Stettin erklärt: „Ich gehe mit keiner vorgefaßten Meinung hin, will nicht Parteiführer sein, aber mich bestreben, die Parteien niederzuhalten [...].“248 Hat er sich in Frankfurt an dieser Zielvorstellung orientiert? In einem Brief, den er am 24. 10. 1848 an seine Frau Emilie geschrieben hat, berichtet Jahn: „Wir haben zehn Klubb. Ich gehöre zu keinem, weil ich es für Sünde halte, wider Überzeugung zu stimmen, wenn der Klubb für eine Meinung nach Stimmenmehrheit entschieden hat. Das ist Betrug an der Wahrheit, Verleugnung des Gewissens und Meineid gegen das Volk.“249 Carl Biedermann, Schriftführer der Nationalversammlung und als Abgeordneter Anhänger des rechten Flügels des parlamentarisch-liberalen linken Zentrums,250 berichtet über die Versuche der Parteibildung bei den Linken in den ersten Wochen nach Eröffnung der Nationalversammlung. Dabei erwähnt er, dass u. a. auch Jahn an jenen „redeentflammten, thatendurstigen Zusammenkünften“ in den verschiedenen Lokalen Frankfurts teilgenommen habe und dass die linken Feuerköpfe „zuweilen in ihren Illusionen von der Unfehlbarkeit und allgemeinen Ueberzeugungskraft ihrer Lehren“ gestört worden seien „durch das kühne Wort eines Raveaux oder Jahn, die unerschrocken mitten in die hoffnungstrunkenen Träume der republikanischen Schwärmer besonnene Worte der Warnung und der Hindeutung auf die nüchterne Wirklichkeit hineinwarfen.“251 Über „Parteibildungen“ während dieser Phase berichtet Biedermann: „Die Linke zog sich bald in den Deutschen Hof zurück und consolidirte sich mehr und mehr zu einer wirklichen, in sich geschlossenen Partei. Dagegen begann im Holländischen Hof ein 247 248 249 250

Euler (1898), S. 1066. Brief vom 12. 05. 1848 (M1, S. 538). M1, S. 543. Nacheinander Württemberger, Augsburger und Nürnberger Hof; siehe Best/Weege (1996), S. 99 und 400–404 und Kaupp (1999), S. 24–25. 251 Vgl. Biedermann (1849), S. 2–3.

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Krystallisationsprozess zu einer neuen politischen Partei.“252 Hierbei hat Biedermann die gemäßigten Linken im Auge, um die Bildung derjenigen Klubs, die seit etwa Mitte Juni 1848 zum linken Zentrum zählten, wofür er selbst votierte. Er berichtet, dass dafür ein Programm vorlag, das zu dem „allertollsten Durcheinander von Meinungen“ führte, „wogegen die Reden mit fremden Zungen am Pfingstfest ein wahrer Spaß gewesen sein muss.“253 Dabei habe Ruge seine philosophisch-humanitären Ideen entwickelt, heftig bekämpft von einem ultramontanen Altbayern, „da hielt der Turnvater Jahn, als Fanatiker der Ordnung, antirepublikanische Strafpredigten, da lieferten sich die Polenfreunde und die Polenhasser heftige Schlachten – kurz, es war ein Tummelplatz pikanter Gegensätze und interessanter Debatten, aber von Parteibildung keine Spur.“254 Nicht besser, bemerkt er noch, sei es bei dem Versuch, ein rechtes Zentrum zu konstituieren, zugegangen. Bis Anfang Juni sei der Prozess der Parteibildung soweit vollendet gewesen, dass von fertigen, konstituierten Parteien die Rede sein konnte.255 Auch diese Berichte Biedermanns sprechen dafür, dass Jahn sich zwar mit seinen eigenen Meinungen und Vorstellungen überall einmischte, dabei aber unabhängig blieb und sich auch nicht von vornherein im rechten Zentrum etabliert hat. Das bestätigt Wilhelm Wichmann, der Jahn zusammen mit Arndt und Uhland zu dem Kreis von Abgeordneten, die von ihm als „Strandläufer“ oder „Wilde“ bezeichnet worden sind, die sich also keinem Klub anschlossen, gezählt hat.256 Etwas zurückhaltender äußerte sich in dieser Frage Carl Biedermann. Er schreibt, dass es in jeder der Parteien (Klubs) „neben den disziplinierten Truppen [...] ‚Freibeuter’ gab, die ohne Kommando mit dem Feinde anbinden und nur schwer in Reih und Glied zu halten sind.“ Und er fährt fort: „Solche Freibeuter, welche ziemlich grobes Geschütz auf Deck führten, waren im Casino die Herren Henkel und Jahn. Jeder von den Beiden hatte einen besonderen Gegner, auf den er Jagd zu machen liebte: Henkel die Oesterreicher, der alte Turnvater Jahn die Linke und ihren friedensstörerischen Anhang.“257 Das sollte offensichtlich die besondere, von keinem Fraktionszwang eingeschränkte Stellung Jahns als eines solchen „Freibeuters“ ausdrücken, spricht also keineswegs für, sondern vielmehr gegen eine feste Bindung Jahns an das „Casino“. Alle diese Äußerungen von Zeitgenossen, die ebenso wie Jahn Abgeordnete der Nationalversammlung waren, bestätigen, dass sich Jahn, ob als „Wilder“, als „Freibeuter“, „Stegreifritter“ oder als Sympathisant des „Casino“ niemals einer 252 253 254 255 256 257

Biedermann (1849), S. 7–8. Biedermann (1849), S. 9. Biedermann (1849), S. 9. Biedermann (1849), S. 11. Wichmann (1888), S. 126. Biedermann (1849), S. 275–276.

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Fraktionsdisziplin unterworfen hat. Der untrüglichste Beweis dafür sind nicht zuletzt auch seine – ganz offensichtlich ohne den Segen einer Partei gemachten – Äußerungen, Anträge und Interpellationen im Plenum der Nationalversammlung sowie sein Abstimmungsverhalten. Dabei ist etwa an seine Rede zur Wahlrechtsfrage vom 17. Februar 1849 zu denken, in der er vehement gegen den vom Verfassungsausschuss gebilligten Wahlrechtsvorschlag des Casino258 auftrat. Danach sollten u. a. Dienstboten, Tagelöhner, Handwerksgehilfen und Fabrikarbeiter vom Wahlrecht ausgeschlossen werden. Der Abgeordnete Georg Waitz hatte den vom Verfassungsausschuss gebilligten Wahlrechtsvorschlag damit begründet, dass keine „Staatsordnung [...] bestehen oder doch zu irgend welcher Stätigkeit gelangen“ könne, „wenn die Entscheidung aller politischen Fragen in die Hände der großen Masse, die sich nur zu oft willenlos leiten lässt und launenhaft Tag um Tag dem einen oder andern Führer folgt, gelegt“ werde.259 Mit seiner Rede zur Wahlrechtsfrage260 vertrat Jahn eindeutig die Positionen der Linken. Diese Stellung Jahns als „Freibeuter“ bzw. „Wilder“, dessen Anträge und Reden nicht von den Mitgliedern eines „Klubs“ vorher bestätigt werden mussten, ist sehr wahrscheinlich auch der Hauptgrund dafür, dass den meisten seiner Äußerungen und Anträgen die Zustimmung des Plenums versagt blieb. Erst nach dem für ihn so enttäuschenden zweiten Hanauer Turntag, als ihm bewusst wurde, dass viele Turner in Mittel- und Süddeutschland republikanisch-demokratisch gesinnt, in seinem Sprachgebrauch also „Rote“ waren und erst recht nach den Frankfurter Septemberereignissen schloss er sich fester dem rechten Zentrum an, ohne sich einer strikten Fraktionsdisziplin zu unterwerfen. Erst seit Januar 1849, als sich der Ausschluss Österreichs aus einem künftigen deutschen Staatenbund unter Führung Preußens abzeichnete, fügte sich Jahn voll in das nun entstehende Zweckbündnis, die erbkaiserliche Partei, den sog. „Weidenbusch“, ein.261 Aber auch an diesen Bund band ihn nur das erklärte gemeinsame Ziel, den preußischen König zum erbkaiserlichen Oberhaupt zu wählen – für Jahn in Anbetracht seiner Anhänglichkeit an die preußische Monarchie und seiner strikten Ablehnung der von den Linken erstrebten Republik die einzige Möglichkeit zur Herbeiführung der Einheit Deutschlands -, in allen anderen Fragen behauptete er seine Meinungsfreiheit, die er wie eingangs vermerkt, in seinem Brief an Emilie vom 24.10.1848 mit sehr klaren Worten auch begründet hat.262 258 Vgl. Siemann (1985), S. 199. 259 Mommsen (1998), S. 270, zit. nach Wigard, Stenographischer Bericht, Bd. 7, S. 5222. 260 EJW 2.2, S. 1033–1042; Euler (1898, S. 1058–1059) bemerkt, dass diese Rede „wegen ihres demokratischen Zuges in ihr besonders von der Linken beifällig aufgenommen“ worden sei. 261 Jahn bezeichnet in einem Brief vom 30.3.1849 die abendlichen Zusammenkünfte dieses Zweckbündnisses als „Einheitsmännerversammlung“ (vgl. M1, S. 548). 262 M1, S. 543.

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Welchen Einfluss hatte Jahn auf den Gang der Verhandlungen in der Paulskirche, mit anderen Worten: welche Bedeutung besaß er im Kreise der 585 Parlamentarier? Es fällt auf, dass Jahn in den später veröffentlichten Lebenserinnerungen vieler Abgeordneter allenfalls am Rande oder gar nicht erwähnt wird. Die im Dreikaiser-Jahr 1888 veröffentlichten Erinnerungen Wilhelm Wichmanns bilden eher die Ausnahme, denn darin wird Jahn mindestens vier Mal in Verbindung mit Auftritten in der Nationalversammlung angeführt, und zwar einmal mit der Mitteilung, dass Jahn in der 14. Sitzung zum ersten Mal auf der Tribüne erschien, wobei er allerdings auch seine Enttäuschung über Jahns Auftritt nicht zu verbergen vermochte,263 zweitens mit der Bemerkung, dass Jahns Äußerungen zum Begriff der „Bescholtenheit“ in der 40. Plenarsitzung vom 17. Juli 1848 „die einzige humoristische Rede“ gewesen sei, „welche die sonst trockenen, in didaktischem Tone gehaltenen Katheder-Vorträge unterbrach“264, drittens mit der Rede in der 49. Sitzung am 27. Juli 1848 zur Posener Frage265 und schließlich viertens mit der Bemerkung, Jahns Rede vom 15. Januar 1849 zur „Kaiserfrage“ habe „Sensation“ erregt.266 Der österreichische Abgeordnete Alfred von Arneth, der dem Paulskirchenparlament vom 11.  September 1848 bis zum 19.  März 1849 angehörte („Augsburger Hof “), berichtet in seinen Lebenserinnerungen von einem Billet, das ihm Jahn – „der gleich so Manchem Anderen zu den politischen Märtyrern zählte“ – während der Sitzung am 23.  Oktober 1848 zukommen ließ. Der Inhalt erfreute ihn „ganz besonders“, weil ihm Jahn mitteilte, dass er sich an einen Arneth erinnere, mit dem er einst „freundschaftlichst verkehrt habe.“ „Nach dem Empfange dieser Zeilen konnte ich, obgleich ich nicht das Mindeste davon gewußt hatte, keinen Augenblick daran zweifeln, daß Jahn meinen Vater im Jahre 1816 in Berlin kennen gelernt und ihn in freundlicher Erinnerung behalten habe. Also gleich eilte ich zu Jahn’s Platz, um ihm die Hand zu drücken und ihn meines Dankes und meiner Verehrung zu versichern.“267 Der dem „Lichtfreunde-Kreis“ in Halle an der Saale angehörende und von Prof. Max Duncker geförderte Rudolf Haym, mit Hilfe Dunckers in den beiden Mansfelder Kreisen als 26-Jähriger zum Abgeordneten gewählt, schreibt in seinen „Erinnerungen“ mit großem Respekt, welche Persönlichkeiten er in Frankfurt kennen gelernt hat. Er nennt in diesem Zusammenhang viele Namen, u.a. Heinrich Laube, Ludwig Uhland, Arnold Ruge, Friedrich Theodor Vischer, Johann Döllinger, Graf Auerswald und Graf Schwerin, und er betont offensichtlich mit Stolz, dass er durch Dunckers Vermittlung auch zu dem Professorenkreis Füh263 264 265 266 267

Wichmann (1888), S. 45. Wichmann (1888), S. 172–173. Wichmann (1888), S. 156–157. Wichmann (1888), S. 340. Arneth (1893), Bd. 1, S. 230.

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lung bekommen habe, u.a. zu Gervinus, Dahlmann, Droysen und Waitz, deren Wohlwollen ihm „unschätzbar“ gewesen sei. Jahn dagegen erwähnt er in diesem Zusammenhang überhaupt nicht.268 Lediglich die Rede Jahns zu § 1 des Verfassungsentwurfs in der 128. Sitzung des Plenums am 4. Dezember 1848 bedenkt er mit Lob,269 doch dafür übergeht er völlig seine längsten Reden vom 15. Januar („Kaiserrede“) und vom 17. Februar 1849 (Wahlrecht). In Max Dunckers 1849 erschienener „Geschichte der deutschen Reichsversammlung“270 sucht man den Namen Jahn sogar vergeblich. Dabei war Duncker ehemaliger Burschenschafter271 und einflussreichster Liberaler in Halle.272 Duncker war in den 40er Jahren in der nationalen und liberalen Bewegung in der preußischen Provinz Sachsen sehr aktiv und wurde deshalb im 11. Wahlbezirk für die Stadt Halle als Abgeordneter in die Nationalversammlung gewählt. Er war einer der einflussreichsten Abgeordneten in der Paulskirche. Im Juni 1849 war er sogar zweiter Präsident der Gothaer Versammlung der „Erbkaiserlichen.“273 Der Jenaer Abgeordnete Schüler vom linken Centrum erwähnt Jahn nur mit seiner Rede vom 26. Januar 1849.274 Und Carl Biedermann, selbst im linken Centrum platziert, schreibt voller Hochachtung, dass das Casino, Kern des rechten Centrums, unstreitig „den reichsten Katalog glänzender Namen, politische, wissenschaftliche und geschichtliche Berühmtheiten“ aufzuweisen hatte, erwähnt Jahn dagegen in eher geringschätziger Weise, indem er schreibt, zu dieser „fein zugespitzten Gelehrsamkeit und staatsmännischen Weisheit, die im Casino ihr Hauptlager aufgeschlagen hatte, trieb sich mitten darunter der Turnvater Jahn herum […].“275 Von diesem Standpunkt führt ein direkter Weg zum absoluten Negativurteil des Historikers Georg Gottfried Gervinus, der zur Casino-Partei gehörte, aber ähnlich wie der preußische „Hofhistoriker“ Heinrich von Treitschke Jahn eine 268 269 270 271 272

Haym (1902), S. 103–104. Haym (1849), S. 96. Vgl. Duncker (1849). Kaupp (1999), S. 35–36. Duncker gehörte auch dem Stab der Halleschen Bürgerwehr an, sein Rücktritt aus dieser Funktion erfolgte im Mai 1848, als er nach Frankfurt ging; vgl. Schmiedecke (1932), S. 177. 273 Best/Weege (1996), S. 129–130. – Duncker veröffentlichte seine Geschichte der deutschen Reichsversammlung im Jahre 1849. Dabei ging es ihm vorrangig nicht darum, Personen zu nennen, sondern sich für seinen ‚Eintritt in die zweite preußische Kammer‘ vom ‚Geruch des Revolutionärs‘ reinzuwaschen. Er wollte ‚zur Aufklärung über die Absichten und Beweggründe‘ beitragen, ‚von denen die Majorität, die kaiserliche Partei, von denen insbesondere die Fraction des rechten Centrums, welcher ich (Duncker) angehört habe, geleitet worden sind und die Anschauungen, welche in diesen Kreisen maßgebend waren in ein helleres Licht zu stellen.‘ Vgl. Duncker (1849), Vorwort, S. V. 274 Vgl. Schüler/Möller (2007), Anhang 15, S. 276. 275 Biedermann (1849), S. 236–238.

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eigenständige politische Denkfähigkeit absprach und die von Jahn begründete frühe Turnbewegung keiner wissenschaftlichen Forschung für wert erachtete.276 Diese wenigen Beispiele zeigen, dass Jahn in den Köpfen der Abgeordneten der Frankfurter Nationalversammlung keine bleibenden Spuren hinterließ. Selbst der Turnhistoriker Otto Wiltberger gibt zu, dass „Jahn innerhalb der Parteien keine bedeutende Stellung eingenommen“ hat,277 vielmehr sah man in ihm einen absonderlichen Greis, einen „Alten“, den man duldete. Schon mit seinem ersten selbstständigen Auftreten in der Nationalversammlung am 8. Juni 1848, als über die Sicherstellung der Versammlung vor äußeren Störungen beraten wurde, hatte sich Jahn vor dem gesamten Plenum als Mann „geoutet“, der für die Parlamentsarbeit untauglich war. Hatte er doch – seine Volksnähe besonders betonend – zu diesem für die Abgeordneten sehr wichtigen Thema lediglich eine von Gelächter begleitete Anekdote vorgetragen, was Wilhelm Wichmann zu der Bemerkung veranlasste, man habe von Jahn stattdessen eigentlich eine Europäische Rede erwartet, aber „das war seine ganze Staats-Weisheit, mit welcher er die Tagesordnung billigte.“278 Wichmann erwähnt in diesem Zusammenhang auch, dass Jahn in den „vorberathenden Abendversammlungen“ zwar häufig geredet habe, „aber stets nur kurz, mit Kraft- und Schlagworten.“279 Auch Turnhistoriker wie Carl Euler, die ansonsten versuchten, Jahns Rolle in der Nationalversammlung positiv darzustellen, müssen eingestehen, dass die „Redeturniere in der Paulskirche, ausgefochten von Männern wie Radowitz, Vincke,280 Dahlmann, Raveaux, Welcker, Beseler, Lichnowski, aber auch von Vogt, Zitz, Arnold Ruge, Robert Blum und so vielen anderen“ Jahns zumeist kurze Reden bescheiden in den Hintergrund gedrängt hätten. Euler bemerkt aber auch, gewissermaßen zur „Entschuldigung“ Jahns, dass es nicht wahr sei, dass Jahns Reden nur Gelächter erregt hätten und räumt ein: „Allerdings liebte es Jahn drollige, witzige Bemerkungen einzustreuen, aber man würdigte auch den ernsten Inhalt mancher Reden, und sie fanden aufrichtige Zustimmung, und zwar – es ist dies bezeichnend für Jahn – sowohl von der Rechten als von der gemäßigten Linken.“281 Das ist sicherlich richtig, doch liegen die Ursachen dafür nicht etwa an einer besonderen Gabe Jahns, überzeugende Reden halten zu können, sondern an seiner wechselnden Parteinahme für rechts oder links (mit Ausnahme der äußersten Linken) entsprechend seinem Status als „Wilder“ bzw. als „Strandläufer“. Auch Eulers Behauptung, die Reden Jahns am 17. Juli und 4. Dezember 1848 sowie die vom 276 277 278 279 280 281

Vgl. Braun (2002), S. 5–6. Vgl. Wiltberger (1908), S. 195. Wichmann (1888), S. 45. Wichmann (1888), S. 45. Vgl. Behr (2009). Euler (1898), S. 1041.

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15. Januar und 17. Februar 1849 seien „von entschiedenem Erfolg“ gewesen,282 muss infrage gestellt werden. Es stimmt zwar, dass zumindest drei dieser Auftritte fast die einzigen Reden Jahns waren, die als sachbezogene Reden einzustufen sind, doch mit keiner dieser Reden hat sich Jahn wirklich profilieren und der Debatte seinen Stempel aufdrücken können. Er scheint sich dieser Tatsache auch bewusst gewesen zu sein, auch wenn er sonst seine Verdienste und Erfolge gern hervorhob. Unmittelbar nach der Ablehnung der deutschen Kaiserkrone durch Friedrich Wilhelm IV. schrieb er aus Frankfurt an einen unbekannten Empfänger: „So gut ich es meinte mit dem Volk und der Menschheit, ich kann es nicht so herausbringen. Meine Gedanken sind offen und klar, gehen gerade heraus in Worten und selten fein und zart, mehr wie Befehlswörter des Krieges oder wie Zurufe an eine kämpfende Schar. Und wenn man in der wankenden, wogenden Menge steht, gewöhnt man sich so leicht an den Zustand eines Einsiedlers und Einzelkämpfers, und bleiben auch Sinn und Herz geborgen, die Äußerung der Gefühle, die Mitteilsamkeit der Empfindungen geht verloren.“283

Noch rund ein halbes Jahr nach seiner Rückkehr aus Frankfurt beschrieb er seine Frankfurter Zeit so: „Da war nun Frankfurt ein Garten voller Unkraut, und wer sich vor Dornen und Nesseln nicht scheute, konnte Arbeit finden. Mundfaul bin ich nicht gewesen. Die wenigen Worte auf der Rednertribüne rechne ich nicht, aber ich bin von Morgen bis Abend auf den Beinen gewesen, und habe Vornehm und Gering die Wahrheit gegeigt.“284 Das kann er aber, wie er selbst damit zugibt, nur im außerparlamentarischen Kreise getan haben und – nach Wichmann – „stets nur kurz, mit Kraft- und Schlagworten.“285 Für die These, dass Jahn auf den Gang der Verhandlungen in der Nationalversammlung so gut wie keinen Einfluss auszuüben vermochte, spricht auch die Tatsache, dass Jahn keinem einzigen der 24 Ausschüsse und fünf Kommissionen, die einzeln von den Abgeordneten jeder Abteilung gewählt wurden, angehört hat. Wurden doch in den Ausschüssen und Kommissionen die entscheidenden Anträge erarbeitet, die dem Plenum schließlich zur Diskussion und Beschlussfassung vorgelegt wurden.286 Immerhin waren von den 22 Abgeordneten aus der preußischen Provinz Sachsen 14 Abgeordnete in Ausschüssen bzw. Kommissionen vertreten, z. T. sogar mehrfach wie z. B.Wichmann, Duncker, Simon, Pla282 283 284 285 286

Euler (1898), S. 1041. M1, S. 548–549. M1, S. 558. Wichmann (1888), S. 45. Die Ausschüsse und Kommissionen mit den Namen der Abgeordneten, die ihnen angehörten, sind bei Best/Weege (1996), S. 404–407 im Einzelnen aufgelistet.

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thner und Deetz. Offensichtlich ist Jahn von der 4. Abteilung der Nationalversammlung in keinen der Ausschüsse oder Kommissionen gewählt worden, weil für diese Tätigkeit Fachwissen notwendig war, das Jahn nicht besaß, so dass ihm jegliche Voraussetzungen für eine fruchtbare Ausschussarbeit fehlten. Für unsere Einschätzung, dass Jahn keiner Fraktion (keinem Klub) in der Nationalversammlung angehört hat, spricht auch sein diffuses Abstimmungsverhalten. Bei der Wahl des Reichsverwesers stimmte er nicht für Erzherzog Johann, sondern mit einer vor allem aus Linken bestehenden Minderheit für Heinrich von Gagern.287 Mit der Mehrheit sprach er sich für die Aufhebung der Todesstrafe aus. Er stimmte gegen alle Anträge, die dem Ziele dienten, den Adel als Stand abzuschaffen und die Adelsvorrechte sowie die adligen Standesprivilegien aufzuheben. Er stimmte jedoch gegen die Beibehaltung der adligen Titel, wenn sie nicht mit einem Amte verbunden waren.288 Mit der Mehrheit stimmte er für die Abschaffung der patrimonialen Gerichtsbarkeit und der grundherrlichen Polizei. Mit einer Minderheit ist er für „Anträge eingetreten, nach denen niemand verpflichtet ist, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren oder sich irgend einer religiösen Genossenschaft anzuschließen.“289 Die Anträge auf Sistierung des Waffenstillstands Preußens mit Dänemark hat er von Anfang an jedes Mal abgelehnt. Jahn ist zusammen mit den Abgeordneten vom linken Zentrum von vornherein allen Anträgen der Rechten für die Aufnahme des absoluten Vetos in die Verfassung entgegengetreten und hat ausnahmslos gegen das absolute und für das suspensive Veto gestimmt, obwohl ihm sicherlich bekannt war, dass der preußische König Friedrich Wilhelm  IV. von der preußischen Nationalversammlung das absolute Veto für sich erwartete.290 Wahrscheinlich sah sich Jahn vor allem deshalb – denn nichts lag ihm ferner als eine Meinungsdifferenz zu seinem König – veranlasst, in diesem Falle die Beweggründe seiner Abstimmung in das Protokoll und in die stenographischen Berichte aufzunehmen. Sein Hauptargument war, dass das suspensive Veto hinlänglich schütze gegen „übereilte Beschlüsse und ratlose Bestürzung.“291 Manche Einzelheiten im Abstimmungsverhalten Jahns bleiben allerdings rätselhaft. Ist seine größte, vor allem von den Linken begeistert aufgenommene Rede vom 17. Februar gegen die Einschränkung des Wahlrechts für den Jahnkenner auch verständlich, einschließlich der von ihm geforderten Ausnahme, den für den Wehrdienst Untauglichen das Wahlrecht zu verweigern, so ist die Tatsache, dass er später mit 265 Abgeordneten (gegen 186 Abgeordnete) für den Antrag Schülers stimmte, die Unterstützungsempfänger, d. h. die287 288 289 290 291

Wiltberger (1908), S. 198. Wiltberger (1908), S. 198. Wiltberger (1908), S. 198. Vgl. Wollstein (1977), S. 44–45. Wiltberger (1908), S. 200; EJW 2.2, S. 1029–1030.

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jenigen, die im letzten Jahr vor einer Wahl Armenunterstützung bezogen haben, und damit die Ärmsten der Armen vom Wahlrecht auszuschließen, verwunderlich und inkonsequent.292 Zu der Frage der Aufnahme Österreichs in einen künftigen deutschen Staatenbund war Jahns Abstimmungsverhalten eindeutig: Er lehnte sowohl einen Anschluss Österreichs an Deutschland im Wege des völkerrechtlichen Bündnisses zwischen Reichsgewalt und österreichischer Regierung ab als auch den von der Mehrheit gebilligten Antrag, dass bei gleichem Staatsoberhaupt eines deutschen und eines nichtdeutschen Landes das Verhältnis nach Grundsätzen der reinen Personalunion zu ordnen seien. Am 13. Januar 1849 stimmte er schließlich mit der Mehrheit für die Abtrennung Österreichs von Deutschland.293 Kaum nachvollziehbar erscheint Jahns Haltung zur Posener Frage. Er, der für Deutschlands Einheit und Freiheit eintrat, wollte den Polen das Gleiche verwehren: Auf die Frage, ob die Nationalversammlung die Teilungen Polens für ein schmachvolles Unrecht halte und die Wiederherstellung Polens als heilige Pflicht des deutschen Volkes betrachte, stimmte er mit „nein“, und er begründete das mit der ungeheuerlichen Bemerkung, es gezieme dem deutschen Reichstag nicht, sich über geschichtliche Begebnisse ein Urteil anzumaßen, da die Vergangenheit der Notwendigkeit gehöre und nur die Zukunft der Freiheit.294 Er brachte sogar einen Antrag als „Verbesserungsvorschlag“ ein, der glücklicher Weise nicht hinreichend unterstützt worden ist und der beinhaltete, das ganze Großherzogtum Posen als „wesentlichen Teil Preußens“ in das deutsche Reich aufzunehmen, wenn auch mit Zugeständnissen an die dort lebenden Polen, die eindeutig die Mehrheit der dortigen Bewohner ausmachten.295 Bereits fünf Tage vorher hatte er vergeblich beantragt, die Festungen Thorn, Posen, Glogau und Kosel in die Reihe der Bundesfestungen treten zu lassen und bei Breslau und Bromberg verschanzte Lager zu bilden, deren Besatzungen Reichstruppen sind.296 Nach dem 15. Januar 1849, als er im Plenum zur Oberhauptsfrage gesprochen hatte, hat Jahn – so betont es der Turnhistoriker Otto Wiltberger ausdrücklich – „gegen alle Anträge gestimmt, die das Einheitswerk gefährden konnten.“297 Mit Vehemenz hat er sich zusammen mit den anderen im „Weidenbusch“ vereinigten „Erbkaiserlichen“ für die Wahl des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV. zum deutschen Kaiser eingesetzt. Der „Weidenbusch“ war, wie bereits erwähnt, keine Fraktion der Nationalversammlung wie Casino oder Milani, sondern le292 293 294 295 296 297

Schilfert (1952), S. 222. Wiltberger (1908), S. 199–200. EJW 2.2, S. 1019. EJW 2.2, S. 1018. EJW 2.2, S. 1018. Wiltberger (1908), S. 201.

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diglich eine Interessengemeinschaft, denen Abgeordnete verschiedener Fraktionen (Milani, Casino, Landsberg, Württemberger Hof und Neuwestendhall) zum Zweck der Schaffung eines Erbkaisertums der Hohenzollern angehörten. Ansonsten verfolgten die Fraktionen weiterhin ihre eigenen Ziele.298 Obwohl es einige Anzeichen dafür gab, dass Friedrich Wilhelm IV. der Frankfurter Nationalversammlung und ihrer Arbeit an einem Verfassungswerk sehr kritisch gegenüberstand,299 wurden von den „Erbkaiserlichen“ alle Hebel in Bewegung gesetzt, um ihr Ziel zu erreichen. Abgeordneten des linken Zentrums wurden erhebliche Zugeständnisse gemacht: In den Verfassungsentwurf wurde statt des absoluten Vetos das suspensive Veto aufgenommen und statt öffentlicher Wahlen, von denen weite Teile der Bevölkerung ausgeschlossen sein sollten, allgemeine und geheime Wahlen.300 Das ermöglichte ihnen, Stimmen aus dem Lager des linken Zentrums, schließlich auch die der vom Abgeordneten Simon geführten Linken, zu gewinnen (Simon-Gagern-Pakt). So konnte nach zwei vergeblichen Anläufen am 27. März 1849301 mit der knappen Mehrheit von vier Stimmen die Erblichkeit der Kaiserwürde beschlossen werden,302 wodurch schließlich nach der amtlichen Verkündung von Reichsverfassung und Reichswahlgesetz303 auch ermöglicht wurde, am 28. März 1848 mit 290 Stimmen gegen 248 Enthaltungen304 den preußischen König zum deutschen Kaiser zu wählen. Eine von der Nationalversammlung gewählte und vom Parlamentspräsidenten Eduard Simson geleitete Deputation von 32 Abgeordneten trug daraufhin am 2. April 1849 Friedrich Wilhelm IV. die deutsche Kaiserkrone an. Friedrich Ludwig Jahn war auch nicht in diese Abordnung des Parlaments gewählt worden. Er erwartete das Ergebnis verständlicherweise aber mit großer Spannung. Noch am 26. März hatte er Gefahren für die Einheit und Selbstständigkeit Deutschlands gefürchtet, „weil haberechtig an Lehren festgehalten wird, die keine Wesenheit erlangen können.“305 Seit dem 27. März, nachdem die Erblichkeit der Kaiserwürde beschlossen war, war er jedoch offensichtlich fest davon überzeugt, dass der Wunsch der „Erbkaiserlichen“ in Erfüllung gehen werde. Voller Euphorie schrieb er am 27. März nach Pößneck: „Gestern ist bekanntlich die ganze Verfassung vollendet, die Erblichkeit des Reichsoberhaupts mit dem Kaisernamen durchgesetzt, und das Wahlgesetz nach erster Lesung an298 299 300 301 302 303 304 305

Biedermann (1849), S. 227. Vgl. Siemann (1985), S. 201–202. Vgl. Siemann (1985), S. 197–200. Jahn datiert diesen Vorgang auf den 26. März (M1, S. 547). Vgl. Siemann (1985), S.197. Vgl. Valentin (1931), S. 701. Vgl. Siemann (1985), S. 203. L/U, S. 154.

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genommen worden. Um 11 Uhr haben die Freunde der Einheit, eine festgeschlossene Schar, Beratung, um 12 Uhr ist Sitzung und Kaiserwahl. Auf wen sie fällt, ist wohl kein Zweifel. Nur einer ist stark genug, die deutsche Krone zu tragen, jeden andern müßte sie in den Staub drücken und zermalmen.“306

In der „Deutschen Zeitung“ vom 22. März hatte er seinen Artikel über „Die Raben des Asenberges“, mit dem er in Erinnerung an die Kyffhäusersage für das erbliche Kaisertum geworben hatte, veröffentlicht.307 In einem auf den 30. März datierten Brief an einen Unbekannten schrieb er über die Absichten, die er mit diesem Artikel verfolgte: „Mit meinen Raben des Asenberges wollte ich den Professoren der Revolution, den Doktrinären der Anarchie den Mund stopfen. Darum das Hervorheben der Sage, die von Mund zu Mund und von Ohr zu Ohr weitergetragen, lebendig geblieben, alle Pariser Neuweisheit aufwiegt.“308 Umso größer war Jahns Enttäuschung, als am 3. April die Ablehnung der Kaiserwürde durch Friedrich Wilhelm IV. bekannt wurde. Am gleichen Tage schrieb er an einen Unbekannten: „Das ist der bittere Nachgeschmack des Hoffens und Harrens, das ist das Nachweh jener schrecklichen Kaiserlosen Bundestagszeit, wo ich die schwere Kunst üben musste, mich anständig um die Zeit zu betrügen. Da sind meine Tränen versteinert, beide, Zähren der Freude und der Trauer. Da bin ich ein Mann geworden, scheinlich von Eisen, die Sehnen von Stahl und das Herz von Demant.“309

Der Monat April 1849 muß für Jahn ein sehr bitterer Monat gewesen sein. Seine Frau war 13 Wochen lang, auch noch Ende dieses Monats, bei ihm in Frankfurt,310 er war krank und bei seinem Arzt, einem alten Lützower, in Behandlung, wie auch andere Abgeordnete erkrankt waren. Sein Arzt, so schreibt er, nannte diese Krankheit die „Kaiserscheue“ und – vielleicht in Anspielung auf den damaligen reaktionären preußischen Innenminister – die „Manteuffel“.311 Man könnte danach auch vermuten, dass Jahn wie schon 1810 eine Nervenkrankheit plagte, die von dieser riesigen Enttäuschung ausgelöst worden sein könnte. Denn wie groß die Enttäuschung Jahns auch schon vor der endgültigen Absage des preußischen Königs, die der Nationalversammlung per Depesche am 28. April zuging,312 gewesen ist, lässt diese Erkrankung ebenso ahnen wie seine Mitteilung an eine Freundin seiner Frau in Weißenfels vom 23. April: „Wir (d.h. 306 307 308 309 310 311 312

M1, S. 547. EJW 2.2, S. 1063–1065. M1, S. 548. M1, S. 548. M1, S. 554 und S. 549. Brief vom 27. 04. 1849 (M1, S. 551). Vgl. Siemann (1985), S. 204.

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Jahn und seine Ehefrau Emilie) spielen jetzt fleißig Kaiserspiel, was hier ‚Häkelspiel‘ heißt. Ich bringe eins mit für künftige langweilige Zeit.“313 Diese neuerliche Enttäuschung hat Jahn ebenso hart getroffen wie die Entfremdung zwischen ihm und den demokratischen Turnvereinen, sodass er sich in den letzten drei Jahren seines Lebens gänzlich aus der Öffentlichkeit zurückzog. Bis zu seiner Rückkehr aus Frankfurt am 19. Mai 1849314 hatte sich die politische Lage in der Saale-Unstrut-Region infolge der revolutionären Ereignisse erheblich verändert. Neben dem Berliner und Kölner Raum entwickelte sich diese Region im Zusammenhang mit den Diskussionen um den Waffenstillstand von Malmö im September 1848 zum dritten Schwerpunkt der Auseinandersetzungen zwischen Liberalen und Demokraten im Königreich Preußen.315 Gut besuchte „demokratische Verbrüderungsfeste“ Ende August in Merseburg und Naumburg förderten nachhaltig die demokratische Bewegung. Nach einer Großveranstaltung der Demokraten, die um den 7. September in Mücheln stattfand und an der Tausende von Menschen aus Halle, Merseburg, Leipzig, Weißenfels, Naumburg, dem Unstruttal, u. a. aus Freyburg, und sogar die Bürgerwehren aus Mücheln und Umgebung teilnahmen, fanden in der Provinz Sachsen noch über 30 politisch motivierte Volksversammlungen statt.316 In mehreren Orten, auch in Freyburg, entstanden demokratische Organisationen.317 In Naumburg fanden zwischen dem 10. und 15. September Tumulte statt, die am 15. September die Verhängung des Belagerungszustandes und des Standrechts über die Stadt zur Folge hatten.318 An dem von Jahn in der Paulskirche angezeigten Berliner Demokratenkongress Ende Oktober nahmen 28 Delegierte aus der Provinz Sachsen teil, sieben davon vertraten demokratische Vereine aus dem Saale-UnstrutGebiet.319 Als am 10. November General v. Wrangel mit 13.000 Soldaten in das Zentrum Berlins marschiert war und am Tag darauf die preußische Nationalversammlung auflöste, gingen der Berliner Regierung eine Flut von kritischen, empörten Stellungnahmen von Bürgerversammlungen aus Städten und Dorfgemeinden der Provinz zu. Der Hallesche Kreisausschuss der demokratischen Vereine erließ sogar einen Appell mit der Aufforderung, „die Freiheit [...] mit den Waffen in der Hand zu verteidigen.“ Die Hallesche demokratische Zei-

313 314 315 316 317 318 319

M1, S. 549. Dieses Datum nennt die Freyburger „Stadtchronik“ zum Jahre 1849. Vgl. Peters (2000), S. 217. Vgl. Peters (2000), S. 220–221. Vgl. Peters (2000), S. 225. Vgl. Peters (2000), S. 237–239. Vgl. Peters (2000), S. 262.

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tung320 forderte dazu auf, Berlin mit Geld und Waffen zu unterstützen.321 Der Aufruf zur Steuerverweigerung war eines der wichtigsten Kampfmittel der Demokratischen Vereine, koordiniert von gewählten „Sicherheitsausschüssen.“322 Als revolutionäre Vollzugsorgane wurden im Saale-Unstrut-Gebiet sog. „mobile Kolonnen“ organisiert, gegen die von der Merseburger Bezirksregierung am 22.  November Militär in Stärke von vier Kompanien, fünf Schwadronen und einer Batterie eingesetzt wurde, so dass sie sich, vergeblich auf Befehle von der Berliner Nationalversammlung wartend, auflösten. Nach mehreren Aktionen im Rahmen der sog. „Landwehrrevolte“ in Halle, Erfurt und mehreren anderen Städten der Provinz Sachsen kehrte um den 24. November auch in dieser Region „Ruhe“ ein.323 Am 30. November schrieb die „Hallesche Zeitung“: „Die rote Reaktion [...] ist vollkommen Siegerin in Erfurt; mit eiserner Hand waltet sie als solche, ohne Schonung [...]. Die Strenge des Belagerungszustandes überbietet bei weitem die des General Wrangel in Berlin.“324 Sicherlich war Friedrich Ludwig Jahn über diese ernsten politischen Auseinandersetzungen in seiner engeren Heimat durch Briefe und Zeitungen, die er regelmäßig las,325 gut informiert, und man kann nur ahnen, wie ihn als Sympathisanten der preußischen Monarchie die revolutionären Aktionen der demokratischen Vereine und Organisationen beschäftigten. Jahn hat vermutlich auch deshalb viel getan, um die Verbindung zu seinen Wählern nicht zu verlieren und diejenigen, die sich in linken Organisationen und Vereinen betätigten, von seinen eigenen Ansichten zu überzeugen. Aus seinen Briefen wird für uns zumindest ein Teil seiner Bemühungen erkennbar. So ließ er z. B. seine „Schwanenrede“, die er nach eigenem Bekenntnis im September 1848 während der Septemberunruhen in Frankfurt niedergeschrieben hat, in einer Auflage von mehreren Tausend Stück drucken, und er verteilte sie auch selbst. An Karl Andree, Redakteur der „Deutschen Reichszeitung“, schrieb er über den Zweck dieser Schrift und über seinen Verteilungsmodus: „Zunächst schrieb ich es nieder für Frau und Kinder; dann für die Wahlmänner meines Bezirks. Ich habe außer Freyburg, Laucha, 320 Das ist die „Hallesche Zeitung. Organ der Demokratie für die Provinz Sachsen“, d. h. eine Zeitung für die Region. Über die Rolle dieser Zeitung in der ‚Septemberkrise‘ Peters (2000), S. 218–219. Über die ‚Septemberkrise‘ s. auch Tullner (1998), S. 123–136. 321 Vgl. Peters (2000), S. 287. 322 Zur Steuerverweigerungskampagne und der Bildung von Sicherheitsausschüssen Peters (2000), S. 287–305. 323 Vgl. Peters (2000), S. 311–323. 324 Vgl. Peters (2000), S. 322–323. 325 In seinem Brief an Emilie vom 5. Juni 1848 beschreibt Jahn seinen Tagesablauf, dabei u. a. wörtlich: „Für uns Abgeordnete ist da (d. h. in der „Stadt Ulm“ in der Schiffergasse, wo er gewöhnlich zu Mittag isst) um 3 Uhr noch Mittagessen zu haben. Von hier geht es in Westendhall, um die Zeitungen zu lesen“ (M1, S. 538–539).

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Lauchstädt, Schkeuditz, Merseburg – Lützen (Mücheln, Gr. Görschen) Keuschberg, Roßbach zu vertreten. Um viel verteilen zu können, habe ich die Schwanenrede auf meine Kosten drucken lassen. Du erhältst vom ersten Tausend.“326 Er fügte der Übersendung oft auch Erklärungen und Anekdoten bei, nicht nur an Karl Andree, sondern auch an den rechten Abgeordneten und Berater des preußischen Königs v. Radowitz,327 an einen unbekannten Empfänger328 und an die Arnoldsche Buchhandlung zu Dresden.329 In seinem Begleitbrief an die Turngemeinde in Elberfeld äußert er die Bitte, „Vertheilt die Kleinigkeit an die anderen sechzehn Gemeinden, mit herzlichem Gruß von mir.“330 In gleicher Weise verteilte er seine Parlamentsrede, die er am 17. Februar 1848 gehalten hatte. Am 17. März 1848 schreibt er an einen unbekannten Empfänger: „Ich lege einige Abdrücke einer Rede bei. [...] Ich bitte vier Reden den Turnern zukommen zu lassen. Es haben neulich einige, doch ohne Namen, an mich geschrieben und sich demokratische Turner unterzeichnet. Sie wollen aber ein Erbkaisertum und den dummen Jungen von Olmütz zum Teufel jagen.“331 Nach Querfurt schreibt er am 17. März 1849: „Ich schicke Ihnen einige Abdrücke meiner Rede für ein vernünftiges Wahlrecht. Auf Verlangen meiner Wähler und Urwähler (besonders aus der Schkeuditzer Pflege) musste ich sie drucken lassen. Besorgen Sie gütigst einen Abdruck an Herrn Schmidt und bewirken Sie bei Herrn Heidrich, dass er die erhaltenen Abdrücke zweckmäßig verteilt. Unter zweckmäßig verteilen verstehe ich, dass sie an Männer geraten, die unter die Leute kommen, nicht bloß an Schweigsame und Stubensitzer, auch an Landleute wünsche ich.“332

Vor allem mit den letzten Zeilen wird Jahns dringendes Verlangen kenntlich, sich gegenüber seinen Wählern und politisch denkenden Mitbürgern als „ihr“ Abgeordneter zu profilieren. Seine Beiträge für Zeitungen, hauptsächlich für die „Deutsche Zeitung“ und das „Bremer Sonntagsblatt“,333 dienten dem gleichen Ziel, und er wies offensichtlich gute Bekannte auch darauf hin.334 Aber auch Abdrucke von wichtigen Dokumenten, die nicht seiner Feder entstammten, ver-

326 327 328 329 330 331 332 333 334

M1, S. 542. L/U, S. 146–147. Brief vom 10. 10. 1848 (M1, S. 540–541). M1, S. 542–543. Brief vom 13.10.1848 (L/U, S. 148). Brief vom 15.März 1849 (M1, S. 546). M1, S. 547. Vgl. EJW 2.2, S. 1060–1063. Brief vom 30. April 1849 an Pfarrer Kalb: „In der Deutschen Zeitung ... stehen Aufsätze von mir, mit meinem Namen, auch nicht unterzeichnet“ (M1, S. 552).

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breitete er, so u. a. „den Bericht des Ausschusses über Welckers Antrag“,335 den er „drucknass zur Post“ schickte,336 und auch die von der Nationalversammlung beschlossene Reichsverfassung.337 Ungeachtet dieser Bemühungen Jahns, seine Wähler über die Arbeit und die wichtigsten Beschlüsse der „Verfassunggebenden deutschen Reichsversammlung“338 durch die Zusendung einzelner Dokumente, darunter vor allem seiner eigenen Schriften, zu informieren, war diese Art und Weise der Verbindung zwischen Abgeordneten und ihren Wählern bei weitem nicht so eng wie die anderer Abgeordneter. Rudolf Haym z.B. schreibt von Berichten, „die ich pflichtgetreu an meine Wähler richtete und die in einem Lokalblatte veröffentlicht wurden.“339 Auch der Jenaer Linksliberale Christian Schüler, der wie Jahn der 4. Abteilung der Nationalversammlung angehörte, hat für seine Wähler Berichte geschrieben, die er z.B. als „Mittheilungen des Reichstags-Abgeordneten Schüler an seine Mitbürger und Wähler“ auch als „Extra-Blatt zu den Privilegirten Jenaischen Wochenblättern“ publizierte.340 Jahns Bemühungen um die Information seiner Mitbürger und Wähler über die Frankfurter Parlamentsarbeit waren dagegen nur sporadisch und vorrangig auf Dokumente bezogen, die mit seinen eigenen Wünschen übereinstimmten und mit denen er seine eigene Person und seine jeweiligen Bemühungen ins rechte Licht stellen konnte. Angesichts der revolutionären Vorgänge in seiner Heimat341 und der demokra335 Der Abgeordnete Carl Welcker vom „Pariser Hof “ hatte am 12. März 1849 den Antrag eingebracht, die von Verfassungsausschuss und Parlament erarbeitete Reichsverfassung en-bloc anzunehmen und auf die weitere Diskussion von Details zu verzichten. Das hatte es ermöglicht, nach weiteren diplomatischen Aktivitäten zwischen den Parteien die Reichsverfassung schon am 28. März zu verabschieden und dem Wunsch der „Erbkaiserlichen“, Friedrich Wilhelm IV. zum Kaiser der Deutschen zu wählen, nachzukommen. 336 M1, S. 546. 337 Brief vom 27. April 1849 (M1, S. 551). 338 Das war die offizielle Bezeichnung des Frankfurter Parlaments seit Oktober 1848, als die ersten Abschnitte der Verfassung, die über „Das Reich“ und „Die Reichsgewalt“ handelten, angenommen waren; s. Laube (1850), S. 3. 339 Haym (1902), S. 189. 340 Vgl. Schüler/Möller (2007), Anhang Nr. 7, S. 221–226. 341 Zu denken ist insbesondere an solche revolutionären Aktionen wie die Naumburger Bürgerversammlung am 28. August 1848, zwei Tage nach Abschluss des Malmöer Waffenstillstands zwischen Preußen und Dänemark, bei der die Redner ihre politischen Grundanliegen im Sinne der Lösung der Machtfrage zugunsten der demokratisch-republikanischen Bewegung sehr klar zum Ausdruck brachten; ferner ist hier die Großveranstaltung am 7. September 1848 in Mücheln zu erwähnen, die den Auftakt für die nachfolgenden über 30 Volksversammlungen mit gleicher Zielstellung in der preußischen Provinz Sachsen bildeten, in deren Ergebnis demokratische Vereine u. a. auch in Querfurt, Naumburg und Freyburg entstanden sind. Im November 1848 wurde von ihnen als Kampfmittel die Steuerverweigerung propagiert, mehrere Wochen mit Hilfe von Bürgerwehren und aus ihrer Mitte hervorgegangenen Freischaren auch erfolgreich angewandt. Über diese und weitere revolutionäre Aktionen in Jahns Heimat-

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tisch-republikanischen Einstellung vieler seiner Mitbürger wäre sicherlich eine regelmäßigere und umfassendere Information und sachliche Auseinandersetzung mit den Argumenten der Demokraten notwendig gewesen. Doch dazu war Jahn – auch wegen seiner Selbstherrlichkeit und seines Starrsinns – offenkundig nicht in der Lage. Schon 1837, bei der Einweihung des Lützener Gustav-Adolf-Denkmals, hatte Robert Blum den 59-jährigen Friedrich Ludwig Jahn als „lebende Ruine“ charakterisiert. Ebenso sah ihn auch Heinrich Laube, der 1848/49 wie Jahn als Abgeordneter in der Frankfurter Paulskirche saß. Laube hat Jahn in seiner 3-teiligen Darstellung des ‚ersten deutschen Parlaments‘ nicht mehr erwähnt.342 Dabei zollten diese in verschiedenen politischen Lagern stehenden Männer Jahn großen Respekt wegen seiner Verdienste, die er sich in jungen Jahren besonders mit der Entwicklung des Turnens erworben hatte. Seitdem war aber schon viel Zeit vergangen, als Jahn nach Frankfurt kam. Im Mai 1848 noch als einer der „Patriarchen des einigen Deutschland“ gepriesen, verlor er während der einjährigen Tagungsdauer mehr und mehr an Beachtung durch seine Kollegen. Die Linken, die er als „Verirrte“, als „Halunken“, als „Gelichter, Pöbel und Gesindel“ und mit vielen anderen Schmähwörtern bedachte, erwiderten seine permanenten, grobschlächtigen Angriffe schließlich nur noch mit Gelächter und nahmen ihn kaum noch ernst, und die Rechten nahmen nur gelegentlich von ihm Notiz, wenn er im Parlament für ihre eigenen Anliegen eintrat. Natürlich war Jahn mit seinen oft nicht ernst zu nehmenden Bemerkungen in der Paulskirche für die Karikaturenzeichner ein „dankbares Objekt“, und deshalb einer der meistkarikierten Männer in der Nationalversammlung, doch das besagt zunächst einmal nicht viel, gab es doch noch viele andere Abgeordnete aus rechten ebenso wie aus linken „Klubs“ oder aus den Reihen der „Wilden“, der „Stegreifritter“, die Objekte von Karikaturenzeichnern waren.343 Grundlage für die Arbeit der Zeichner waren jeweils Aussprüche dieser „Opfer“ im Parlament, die für deren Haltung und politischen Standpunkt charakteristisch, aber von ihnen so zugespitzt vorgetragen worden waren, dass sie von der jeweils anderen Seite des politischen Spektrums als unnormal empfunden werden mussten. In Jahns Reden und Äußerungen fanden sich denn auch besonders viele solcher provinz Sachsen ausführlich Peters (2000), Kapitel IV und V, S. 209–323 und Tullner (1998), S. 99–115, 123–161, 173–197. 342 Laube (1848/50). 343 Wilhelm Wichmann (1888) hat in seinem Buch im Nachtrag II den „Parlamentshumor aus der Paulskirche“ sehr genau dargestellt und die sehr zahlreichen „Opfer“ dieses Humors auch namentlich benannt. Die Vielfalt von Karikaturzeichnungen sowohl über rechte wie über linke Abgeordnete beleuchtet Wichmann im Nachtrag (S. 532–542). Die besten Jahn-Karikaturen sind im Freyburger Jahnmuseum zu sehen.

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Aussagen, die die Linken unter den Karikaturisten weidlich zu nutzen verstanden. Bereits eineinhalb Jahrzehnte vorher hatte Heinrich Heine Jahn als „Repräsentanten eines engstirnigen Nationalismus“, als “Symbolfigur eines rückwärts gewandten altdeutschen Patriotismus“ und als „Vertreter eines modernen Grobianismus“ charakterisiert. Jahn hat in Frankfurt dieses von Heine gezeichnete Charakterbild voll bestätigt. Verteidigte er doch, wie auch Ernst Moritz Arndt, grundsätzlich den Anspruch Deutschlands auf das ganze Gebiet des Deutschen Bundes, u.  a. in den Debatten und Abstimmungen der Nationalversammlung über Posen und Istrien, Gebieten, in denen z. T. nur eine verschwindende Minderheit von Deutschen lebte. Damit befand sich Jahn ebenso wie Arndt völlig auf der Linie der preußischen Regierung. Dem Denken Jahns und Arndts lag eine Art „Magnettheorie“ zugrunde, was bei beiden in der Diskussion über Posen und die „polnische Frage“ besonders deutlich wurde, wie Wollstein schreibt: „Die deutsche Nationalversammlung sollte einen deutschen Kernstaat schaffen, der infolge seiner in nationaler und konstitutioneller, bisweilen auch sozialer Hinsicht großen Attraktivität in angrenzenden Gebieten oder Staaten eine solche ‚Sehnsucht’ wecken würde, dass der besagte Kernstaat sie wie ein Magnet anziehen und später staatlich an sich binden könne. Damit der Kern genügend Kraft entfalten könne, sei es notwendig, dass die deutschsprachige Bevölkerung Posens zu Deutschland gehöre.344 Das war in der Tat der Ausdruck eines engstirnigen Nationalismus, der zwar gemeinsame Interessen und Eigenschaften zwischen Deutschen und ihren germanischen „Brudervölkern“345 einschloss, die Interessen anderer, nichtgermanischer Völker aber völlig ignorierte. Und was den „Grobianismus“ betrifft, so hat sich bei Jahn diese Eigenart seines Verhaltens schon seit seiner „Berliner Zeit“, besonders aber nach seiner Haftentlassung 1825 immer mehr verstärkt. Mit seinen ständigen Ausfällen gegen die Demokraten, die „Roten“, und die seit Juli 1848 im „Demokratischen Turnerbund“ organisierten Turnvereine erreichte der Jahnsche Grobianismus schließlich einen Stand, der nicht mehr zu überbieten war. Dabei war Jahn nicht von seiner Überzeugung abzubringen, dass er das „Recht“ stets und ohne Einschränkung auf seiner Seite habe. Den „Schwerpunkt“ seiner Aktivitäten in Frankfurt sieht er z. B. darin: „Die wenigen Worte auf der Rednertribüne rechne ich nicht, aber ich bin von Morgen bis Abend auf den Beinen gewesen, und habe Vornehm und Gering die Wahrheit gegeigt.“ Und er schließt dem gleich noch eine wahrscheinlich seiner Phantasie entsprungene Bemerkung über einen der prominentesten Linken an: „Ruge (der Verkehrtenschauer), so zu der Zeit meines unfreiwilligen Aufenthalts in Kolberg auf dem Lauenburger Tore saß, erklärte mal öffentlich 344 Wollstein (1977), S. 315. 345 Wollstein (1977), S. 319.

Zur Bedeutung von Jahns Abgeordnetentätigkeit in der Paulskirche

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auf einem Kaffeehause: ‚So grob wie Jahn könne er nicht werden, der überträfe ihn‘. Ich gab ihm das zu und erwiderte: ,Auch mit der Feder und Faust ist Ruge mir nicht gewachsen.‘ Man lachte.“346 Den Grund zu nennen, weshalb darüber gelacht wurde, bleibt Jahn verständlicher Weise schuldig. Für diese Selbstgefälligkeit Jahns, mit der er anerkannte und geistig hochstehende Persönlichkeiten zu beurteilen und dabei herabzuwürdigen wagte, ist eine seiner Äußerungen geradezu charakteristisch, die er im Oktober 1849 bei einem seiner Besuche in Kölleda gemacht haben will: „Die Leute wollten nicht glauben, dass der verstorbene Justiz-Kommissarius Reinhart eine bedeutendere Persönlichkeit gewesen als der badische Brentano, und Zitz von Mainz reicht nicht an Stockmann.“347 So verglich er linksorientierte Abgeordnete des Frankfurter Parlaments mit Honoratioren aus dem dörflichen Gebiet um Kölleda und wertete damit die Bedeutung führender linker Politiker radikal ab. Ein anderes Beispiel: Im Hochgefühl der – seiner festen Meinung nach unmittelbar bevorstehenden – Verabschiedung der Verfassung und im festen Vertrauen auf die danach folgende Annahme des Angebots durch Friedrich Wilhelm IV., Kaiser der Deutschen zu werden, schrieb er für die konservative Deutsche Zeitung den Artikel über „Die Raben des Asenberges“, dem die Kyffhäusersage zugrunde liegt und der am 22. September in dieser Zeitung veröffentlicht wurde.348 Über seine Motive für die Publikation dieses Artikels schrieb Jahn am 30. März, als die „Kaiserdelegation“ sich auf die Reise nach Potsdam begab, er habe mit diesem Artikel „den Professoren der Revolution“, den „Doktrinären der Anarchie“ den „Mund stopfen“ wollen.349 Welche Selbstherrlichkeit und grenzenlose Überschätzung seiner eigenen Einflussmöglichkeiten steckt hinter solchen großmündigen Worten eines früher, in seinen jungen Jahren so bedeutenden Mannes, der als Abgeordneter in der Frankfurter Nationalversammlung kaum Akzente setzen konnte. Aber Jahn sah das selbst natürlich ganz anders. Im Entwurf zu einem Briefe, den er allerdings, was sehr wahrscheinlich ist, schon vor 1848 geschrieben hat, heißt es: „Was Du bei mir findest: Zuerst frohe Gesichter an meinen Hausgenossen nachher bei mir Rechenschaft von dem was ich in den Jahren unsers von einanderlebens gethan gedacht habe – gelernt habe, und alles wo möglich wieder urkundlich belegt! Es ist Ausdauer und Beharrlicht Jahrelanges Arbeiten ohne Hoffnung Unsterblichkeit dafür zu erringen – Denn wer wollte den glücklichen Waghals einen Helden nennen, der sein Leben im Würfelspiel des Krieges einsetzt, und immer die Hoffnung hat / gro / kleinere und größere Loose des Nachruhms zu ziehen. Aber der verdient diesen Ehrennahmen der Großes Gutes bewürkt durch große gute Anstrengung und / Auf / Versagungen der Selbstsucht. 346 347 348 349

M1, S. 558. Brief vom 13. 10. 1849 (M1, S. 557). EJW 2.2, S. 1063–1065. Brief vom 30. März 1849 (M1, S. 548).

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/ ohne da / wenn er gleich / von / überzeugt ist dass die Zeitgenossen von seinem Mühen nichts wissen, die Nachkommen nichts erfahren.“350

Diese Zeilen sind, so auch der Herausgeber, Ausdruck seiner Lebensanschauung, die seinen heimlichen Anspruch auf „Heldenehren“ ausdrücken, da er durch große gute Anstrengung Großes Gutes bewirkt und sich Selbstsucht versagt habe. Jahn hat das mit der kurzen Formel, „die Nachwelt setzt jeden in sein Ehrenrecht“, klar und deutlich ausgesprochen.351 Dass Jahn in Frankfurt nichts bewirken konnte, haben selbst Turnhistoriker in der „Wilhelminischen Zeit“, nachdem Jahn zum „Propheten des deutschen Nationalstaates unter einem Hohenzollernkaiser“352 umgedeutet worden war, nicht geleugnet und auch nicht leugnen können. Carl Euler, der sich 1898 in der „Deutschen Turn-Zeitung“ über „Jahn in der Frankfurter Nationalversammlung“ äußerte,353 versuchte zwar, die peinlichen Auftritte Jahns im Parlament mit Hinweisen darauf, dass Jahn den großen Rednern im Parlament nicht gewachsen gewesen sei, aber zumeist auch nur kurze Reden gehalten habe, dass Jahn es geliebt habe, drollige, witzige Bemerkungen, Anekdoten, die Heiterkeit erregten, in seine Reden einzustreuen, und dass eigentlich nur die „äußerste Linke“ die gegen sie gerichteten Reden Jahns „mit höhnischem Lachen und ironischem Beifall“ begleitet hätten, zu überspielen. Zur Ehrenrettung Jahns verweist er auf vier Reden, die „von entschiedenem Erfolg“ gewesen seien.354 Trotzdem musste Euler schließlich eingestehen, dass Jahn „kein Politiker“ gewesen sei. Und er zitierte, ohne dagegen Widerspruch anzumelden, eine Äußerung seines Briefpartners Kallenberg aus Kairo, der ihm geschrieben habe, er wisse über seine (Eulers) Auffassung über Jahn nur zu ergänzen, „als ich der Ansicht bin, der hochverehrte Mann war in der Paulskirche durchaus nicht an seinem Platze.“ Euler fügte diesem Zitat als seine eigene Ansicht über die Ursachen für dieses „Scheitern“ Jahns in Frankfurt an, es sei die Schuld der Wähler und des deutschen Volkes gewesen, „das nur von dem Gedanken geleitet, seinen verdienstvollen Männern patriotische Dankespflicht zu bezeugen, in der Not jener aufgeregten Zeit so manchen Missgriff in der Wahl seiner Vertreter beging.“355 Damit waren nach Eulers Ansicht die eigentlichen „Ursachen“ dafür gefunden, dass Jahn in Frankfurt tatsächlich nicht erfolgreich gewesen ist.

350 351 352 353 354 355

Hüller (1926), S. 49. Jahn, Schwanenrede (EJW 2.2, S. 1055). Sprenger (1985), S. 96. Euler (1898)). Euler (1898), S. 1041. Euler (1898), S. 1066.

Zur Bedeutung von Jahns Abgeordnetentätigkeit in der Paulskirche

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Zehn Jahre später äußerte sich Otto Wiltberger zum gleichen Thema in der „Monatsschrift für das Turnwesen“ unter dem Titel „Friedrich Ludwig Jahn und die deutsche Nationalversammlung 1848/49“. Auch er stellte am Anfang seines Beitrags fest, dass Jahn zwar keine „bedeutende Stellung“ innerhalb der Frankfurter Parteien eingenommen hat, sich aber innerlich dem sog. ‚Kasino‘ angeschlossen habe. Wiltberger zufolge sah das Kasino seine Hauptaufgabe darin, „die Revolution zu bekämpfen“, dabei jedoch ihre berechtigten Forderungen „in der Form gesetzlicher Rechtszustände durch die Verfassung zu sichern. Das war eine Losung, der Jahn bereitwillig folgte.“356 Mit anderen Worten und zu dem von Wiltberger beabsichtigten Sinn dieser Sätze: Das Kasino verhinderte bewusst den Erfolg der Revolution, und Jahn ist damit vom Stigma des „Revolutionärs“ und „schwätzerischem Alten in der Paulskirche“ befreit und wird zu Recht als „Prophet des deutschen Nationalstaats unter einem Hohenzollernkaiser“ geehrt. Auf diese Weise wurde Jahn „gesellschaftsfähig“ gemacht und der Boden zu grenzenloser Verehrung bereitet, die er in der Zeit der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus genoss.357 Der in der „Wilhelminischen Zeit“ zum „Vordenker Bismarcks“ hochstilisierte Friedrich Ludwig Jahn wurde dann für Autoren wie Fritz Eckardt358 und Edmund Neuendorff 359 zur geeigneten „historischen“ Figur, die als Vorbild für die nationalistische Hysterie in der Weimarer Zeit geeignet war und die auch von den Nationalsozialisten benutzt und missbraucht werden konnte. In der Wilhelminischen Zeit ging es zunächst darum, Jahns unbedingte Treue zu Preußen herauszuheben. Deshalb betonte Wiltberger auch ganz besonders diejenigen Handlungen Jahns, die er im Sinne preußischer Interessen ausführte. So schreibt er z. B. im Zusammenhang mit den Diskussionen und Abstimmungen in der Nationalversammlung zum Malmöer Waffenstillstand zwischen Preußen und Dänemark: „Jahn war von Anfang an für die Anerkennung des von der preußischen Regierung herbeigeführten Zustandes eingetreten und hat in den erneuten Verhandlungen Mitte September einen dahinzielenden Antrag gestellt. Jahn scheint demnach sofort richtig erkannt zu haben, dass das Parlament gegen den ausgesprochenen Willen der preußischen Krone nichts ausrichten könne, dass sie ihr Werk selbst gefährden werde, wenn sie sich jener entgegenstelle.“360

356 Wiltberger (1908), S. 195. 357 Zur Jahnrezeption zwischen 1871 und 1933 siehe Sprenger (1985); zur Jahnrezeption zwischen 1933 und 1990 Wellner (2008). 358 Vgl. Eckardt (1924). 359 Vgl. Neuendorff (1928). 360 Wiltberger (1908), S. 203.

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Jahn als Abgeordneter in der Frankfurter Nationalversammlung 1848/49

Zu innerpreußischen Vorgängen und den auf sie bezogenen Reaktionen der Nationalversammlung schreibt er: „Ähnlich hat Jahn sich im Dezember verhalten, als Preußen den Sitz seiner Nationalversammlung von Berlin nach Brandenburg verlegt hatte, um sie dem unverantwortlichen Einfluß des Berliner Straßenpöbels zu entziehen. Er stimmte für den Antrag des zur Prüfung der Angelegenheit eingesetzten Ausschusses, der von der preußischen Regierung die Zurücknahme ihrer Anordnungen verlangte, sobald solche Maßregeln getroffen sind, welche ausreichend erscheinen, um die Würde und Freiheit der Beratungen in Berlin sicher zu stellen; der weiterhin verlangte, dass ein Ministerium von der Krone ernannt würde, das das Vertrauen des Landes genießt und Besorgnisse vor reaktionären Bestrebungen und Beeinträchtigungen der Volksfreiheit zu beseitigen geeignet ist. Dass mit der zweiten Forderung die deutsche Nationalversammlung in die freien Entschließungen des Königs eingriff, ihre Überordnung über die preußische Regierung zum Ausdruck brachte, hat eben so wenig wie Jahn die für den ganzen Antrag eintretende Mehrheit beachtet.“361

Dass Jahn die Sitzungen der Nationalversammlung seit Mai 1849 nicht mehr besucht und sich an den wichtigen Abstimmungen nicht mehr beteiligt hat, womit er seine „festgeschlossene Schar“ der „Erbkaiserlichen“ ohne sich abzumelden im Stich ließ, entschuldigt Wiltberger damit, dass Jahn wohl gesehen habe, dass jede weitere Arbeit umsonst war und dass das Parlament mehr und mehr das frühere Ansehen im Volke verloren hatte. Deshalb habe Jahn (der früher immerhin für die Souveränität des Parlaments gestimmt hatte!) die Kaiserwahl den Parlamenten des neuen Reiches überlassen wollen. „Das, wäre er angenommen worden“, sei sein glücklichster Vorschlag gewesen. Dann hätte, so Wiltberger, Friedrich Wilhelm IV. die Kaiserkrone auch nicht abgelehnt. „Für Jahns Wesen waren die stets radikaler werdenden Beratungen nicht geschaffen; er hat sich an ihnen nicht mehr beteiligt!“362 Wiltberger hält für das Wesentlichste bei Jahn den Einheits- und Freiheitsgedanken:363 „Es ist nach unserer Ansicht Jahns größtes Verdienst in der Nationalversammlung, diesen Zusammenhang erkannt und – unter stärkerer Betonung der Einheit – auch zum Ausdruck gebracht zu haben. Die Geschichte hat ihm Recht gegeben.“ Damit knüpft Wilberger einen Zusammenhang mit 1871 und dem von Bismarck geschaffenen deutschen Nationalstaat. Deshalb schreibt er, dass das neue deutsche Reich ohne das Jahr 1848 nicht möglich gewesen wäre, denn „die Mitgift, die dem geeinten Deutschland auf den Lebensweg gegeben wurde, stammt zum größten Teil aus den reichen Schätzen der Paulskirche. Und hier hat Jahn redlich mit erwerben helfen.“364 Damit hatte 361 Wiltberger (1908), S. 203–204. 362 Wiltberger (1908), S. 204. 363 Diesen Gedanken vertraten natürlich auch andere Abgeordnete des Parlaments, z. B. Heinrich von Gagern; vgl. Langguth (1898/99). 364 Wiltberger (1908), S. 204–205.

Zur Bedeutung von Jahns Abgeordnetentätigkeit in der Paulskirche

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Wiltberger für Jahn eine historische Position verteidigt, die ihn als Wegbereiter Bismarcks auswies. Auf diese Weise war Jahn schon seit den siebziger Jahren zum „Architekten“ des deutschen Nationalstaats und zum bürgerlichen Nationalhelden „aufgebaut“ worden.365

365 Am Beispiel von Jahn und Uhland beschreibt Langewiesche (2004) das Scheitern bürgerlicher Nationalhelden.

8. Lebensabend in Freyburg Nach seiner Rückkehr aus Frankfurt und Gotha hat Jahn die politische Entwicklung in Freyburg und im Saale-Unstrut-Gebiet nicht mehr beeinflussen können, im Gegenteil, er musste sich fortan im Interesse der eigenen Sicherheit sehr ruhig verhalten. Während des schon unmittelbar vor der Revolution immer deutlicher zutage tretenden Differenzierungsprozesses der „Lichtfreunde“-Bewegung in eine republikanisch-demokratische und eine liberal-konstitutionelle Richtung hatte er sich deutlich für die liberal-konstitutionelle Richtung entschieden,1 doch in der preußischen Provinz Sachsen, insbesondere auch im Saale-UnstrutGebiet, war der Einfluss der demokratischen Kräfte immer mehr angewachsen, und Jahn hatte sich in den ersten Revolutionswochen auch auf diese Konstellation eingestellt. Diese Entwicklung hin zu demokratischen Vorstellungen und Wünschen und die Reaktionen des preußischen Staates auf diese Entwicklung sind außerordentlich interessant. In den Landratsakten dieser Zeit spiegelt sich vor allem die Repressionspolitik der königlichen Regierungen sehr deutlich wider. Sie zielte eindeutig darauf, die Opposition zahlreicher Bürger und insbesondere der niederen Volksschichten zu unterdrücken und ihre Organisationen zu zerschlagen. Informationen darüber, von Landräten wie Bürgermeistern auf Anforderung der königlichen Regierungen erteilt, sind aus den Landratsakten im Detail und in großer Zahl zu erhalten. Was ihren Inhalt betrifft, sind sie sehr weit gestreut. Die Akten des Querfurter Landratsamts z. B. enthalten eine Vielzahl königlicher Rescripte und daraus abgeleiteter Verfügungen vom Oberpräsidenten der Provinz Sachsen über den Regierungspräsidenten in Merseburg bis zu den Landräten, auf deren Grundlage die Bürgermeister ihre Berichte erstatten mussten. Darunter befinden sich Akten „betreffend die öffentliche Ordnung, Sicherheit und Sitten, politische und öffentliche Vereine, öffentliche Versammlungen und Aufzüge, die Redefreiheit und die Presse“,2 „betreffend Beobachtung von 1

2

Brederlow (1976, S. 85) beschreibt diese Entwicklung als Spaltung der Märzbewegung 1848 in eine gemäßigte und eine radikale Richtung. – Beide, Uhlich wie Jahn, unterstützten in ihren Versammlungen in Berlin (Uhlich) und in Frankfurt am Main ( Jahn) überwiegend die gemäßigten, die liberal-konstitutionellen Kräfte. Beide übten zwar Kritik an den herrschenden gesellschaftlichen Zuständen, blieben aber stets der Monarchie verbunden. Im Falle Jahns wird das sehr deutlich im Zusammenhang mit den Diskussionen in der Deutschen Nationalversammlung in Frankfurt um die Schaffung eines erblichen Kaisertums, denn in seiner Rede am 15. Januar 1849 sprach er sich klar für ein künftiges Kaisertum aus, das dem preußischen König angetragen werden sollte. Jahns Rede vom 15.01.1849 ist gedruckt in EJW 2.2, S. 1030–1032. LHSA, Abt. MER, Rep. C 50 Querfurt A/B, Nr. 283.

Überwachung der Vereine in der Saale-Unstrut-Region

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Kundgebungen der öffentlichen Stimmung sowie Maßnahmen der Missleitung derselben auf dem Gebiete der Politik“,3 „betreffend die politischen Ereignisse und Exesse in den Jahren 1848/49“,4 sowie „betreffend Zeitungsberichte der Magistrate“5, wobei unter „Zeitungsberichten“ die regelmäßig eingeforderten Berichte der Bürgermeister zu 22 aufgelisteten Fragen gemeint sind. Daneben finden sich Berichte über die Witterung, über die öffentliche Stimmung, über den Einfluss der Gesetzgebung, über Polizei und Militärverhältnisse sowie über sonstige allgemein wichtige und merkwürdige Nachrichten, weiterhin Akten „betreffend die Wahl der Wahlmänner Behufs Ausführung der Allerhöchsten Verordnung vom 11. April 1848 über die Wahl der preußischen Abgeordneten zur deutschen National-Versammlung“6 und auch eine Akte, „betreffend die in Angelegenheiten der deutschen Kaiserfrage im hiesigen Regierungsbezirk hervorgerufene Stimmung“.7 Aus den Berichten von Bürgermeistern und Landrat können wir daraus so interessante Informationen gewinnen wie diejenige über die Wahl der Wahlmänner in den beiden Freyburger Wahlbezirken und die Zahl der Wähler,8 über die 1848 besonders rasch fortschreitende und schließlich fast allgemeine Verarmung der „hiesigen Ortsbewohner“ und ihre wirklichen oder vermeintlichen Ursachen, über die „in höchstem Grade aufgeregte Öffentliche Stimmung“ und über den „almäligen Ruin der städtischen Gemeindekaßen“ aufgrund der „von Tage zu Tage sich mehrenden Ansprüche auf Unterstützungen“.9

8.1 Überwachung der Vereine in der Saale-Unstrut-Region In einer dieser umfangreichen Aktensammlungen sind die Aktivitäten von „Lichtfreunden“ verzeichnet. Es geht darin um die Nichtbefolgung der königlichen Anordnung betreffend das Verbot der Konstituierung geschlossener Gesellschaften der Lichtfreunde, die „nicht ferner zu dulden“ und notfalls durch „exekutive polizeiliche Strafen von der Wiederholung abzuhalten“ seien. Um entsprechende Maßnahmen kontrollieren zu können, hatte der Oberpräsident der Provinz Sachsen am 16. August 1848 verfügt, „über jeden auf die Versammlungen der sog. Protestantischen Freunde oder Lichtfreunde bezüglichen Vorgang“ so3 4 5 6 7 8 9

LHSA, Abt. MER, Rep. C 50 Querfurt A/B, Nr. 281. LHSA, Abt. MER, Rep. C 50 Querfurt A/B, Nr. 290/91. LHSA, Abt. MER, Rep. C 50 Querfurt A/B, Nr. 72. LHSA, Abt. MER, Rep. C 50 Querfurt A/B, Nr. 387. LHSA, Abt. MER, Rep. C 48 Ia, Nr. 211. LHSA, Abt. MER, Rep. C 50, Nr. 387. Sämtlich LHSA, Abt. MER, Rep. C 50, Nr. 42.

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Lebensabend in Freyburg

fortige Anzeige zu erstatten.10 Des Weiteren enthalten diese Landratsakten Anordnungen zur Einschärfung der Vorschriften vom 18. Oktober 1819 für Buchdrucker, Buchhändler und Antiquare, Vorschriften, die diesem Kreis „warnend in Erinnerung gebracht“ werden sollten. Die örtlichen Obrigkeiten sollten besonders beachten, dass beispielsweise im Falle der Neubildung von „Bürger-Gesellschaften“ (Vereinen) „zum Zwecke der Unordnung oder Partei-Bestrebungen“ Anzeige erstattet und ihre Auflösung betrieben werden soll, dass „Versammlungen unter freiem Himmel, welche für die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefahrbringend sind“, zu verhindern und dass sämtliche „Versammlungen und Vereine, welche sich selbst zu verbrecherischen und ungesetzlichen Bestrebungen bekennen, nicht zu dulden“ sind. Allen diesen Bestrebungen sei „durch geeignete Belehrung“ entgegenzuwirken. Nöthigenfalls sei mit Nachdruck und Strenge unter Anwendung der gesetzlichen Exekutivmittel dagegen einzuschreiten. Darüber hinaus sollten in „jede Versammlung, die öffentliche Angelegenheiten erörtert und berät“, ein oder zwei Polizeibeamte und ein oder zwei andere Personen gesandt werden. Die Herausgeber von Zeitungen und Zeitschriften wurden angewiesen, „sobald die Austheilung oder Versendung beginnt, ein mit seiner Unterschrift versehenes Exemplar bei der Ortpolizeibehörde [zu] hinterlegen.“11 Aufschlussreich sind auch die Stimmungsberichte im Zusammenhang mit der Kaiserfrage. Die königliche Regierung fürchtete nämlich, dass sich wegen der Ablehnung der Kaiserwürde durch Friedrich Wilhelm IV. von Preußen Unruhen ausbreiten könnten. Deshalb forderte sie über die Oberpräsidenten der Provinzen am 11. April 1849 auf, binnen vier Tagen Sofortberichte darüber zu erstatten, wie sich „in der dortigen Gegend die [...] Stimmung über die Entscheidung des Königs zu der von der Frankfurter Versammlung ihm angetragenen Oberhauptwürde gestaltet hat.“ In der Mehrzahl der daraufhin erstatteten Berichte wurde eine differenzierende Einschätzung gegeben. Der Querfurter Landrat v. Helldorf berichtete z. B., dass diese Ablehnung der Kaiserwürde „bei der Maße der Bevölkerung mit Ausnahme der republikanischen Parthei, welche sich sehr vorsichtig bewegt, bis jetzt ganz theilnahmslos aufgenommen worden ist. Dagegen sind in der gebildeten Klaße die Ansichten hierüber gespalten, der eine Theil findet die Antwort Sr. Majestät in Ordnung, wogegen der Andere“ meint, dass das Angebot aus Frankfurt „im Interessse der deutschen Einheit nicht habe zurückgewiesen werden dürfen.“12 Die persönliche Haltung Jahns und auch vieler seiner Zeitgenossen entsprach bekanntlich gerade in dieser Frage nicht der Haltung des Königs. Um alle „Missverständnisse“ bezüglich der Haltung des 10 LHSA, Abt. MER, Rep. C 50, Nr. 290/91. 11 Sämtlich LHSA, Abt. MER, Rep. C 50, Nr. 283. 12 Sämtlich LHSA, Abt. MER, Rep. C 48, 1a, Nr. 211.

Überwachung der Vereine in der Saale-Unstrut-Region

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Königs zu beseitigen, wurde von der Berliner Zentrale angeordnet, in allen Zeitungen Preußens nach den den Landräten von der königlichen Regierung erteilten Weisungen die Haltung des Königs ausführlich zu begründen. Für das Verständnis der Beweggründe für die Haltung Jahns nach seiner Rückkehr aus Frankfurt besonders wichtig sind die Akten „betreffend die sog. Freien Gemeinden“13 sowie die Akten „betreffend Turnvereine.“14 Was sagen diese Akten darüber aus, wie sich Jahns Lage nach seiner Rückkehr von Frankfurt gestaltete, insbesondere aber darüber, was aus den beiden großen Projekten wurde, die in Jahns zweiter Lebenshälfte die Hauptrolle gespielt haben, dem Turnwesen sowie der Lichtfreunde-Bewegung. Verfolgen wir anhand der diesbezüglichen Akten des Querfurter Landrats, dessen Kreis auch Freyburg und andere Gemeinden an der Unstrut einschloss, die Entwicklung der „Turnervereine“, wie sie damals genannt wurden, und der Freien Gemeinden nach der Revolution. Unstreitig ist die Tatsache, dass Jahn nach seiner Rückkehr 1849 keine aktive gesellschaftliche Rolle in der Öffentlichkeit mehr hat spielen können oder wollen. Möglicherweise hängt dies nicht zuletzt auch mit seinem politischen Standort, seiner liberal-konstitutionellen Haltung zusammen, die zu der republikanisch-demokratischen Richtung, die in der Lichtfreunde-Bewegung der SaaleUnstrut-Region während der Revolution vorherrschend wurde,15 im Gegensatz stand. Seine tiefe Resignation, die vielleicht auch darin ihren Ursprung hatte, wird aus einem seiner letzten Briefe, den er einen Monat vor seiner schweren Erkrankung und knapp drei Monate vor seinem Tod an den Schuldirektor Dr. Looß in Gotha geschrieben hat, sehr deutlich: „Seit meiner letzten Anwesenheit in Gotha habe ich ein völliges Einsiedlerleben geführt und bin, bergmännisch zu reden, weder von Feder noch Leder gewesen. Der erbärmliche Parteikampf in Preußen war mir so gleichgültig, als ob der Hund das Schwein oder das Schwein den Hund beißt.“16 Aus den umfangreichen Aktenbeständen des Querfurter Landratsamtes gewinnt man den Eindruck, dass Jahn aufgrund seines großen Ansehens bei den Honoratioren der Stadt Freyburg und in der Region für den Preis seines Schweigens in der Öffentlichkeit sogar den Schutz des Freyburger Magistrats und des Landratsamtes habe genießen können. In der Ende August 1850 Bürgermeister und Landrat vorgelegten, 17 Personen umfassenden Liste des Freyburger Turnvereins,17 dessen Mitglieder ausschließlich gebürtige Frey13 LHSA, Abt. MER, Rep. C 50, Nr. 294. 14 LHSA, Abt. MER, Rep. C 50, Nr. 360. 15 Wahrscheinlich war während dieser Zeit auch in Freyburg ein „Demokratischer Verein“ entstanden. Vgl. Peters (1998), S. 61. 16 M1, S. 568. 17 Der Freyburger Turnverein, dem die Jubiläumsfeier zum 22.6.1850 verboten worden war, reichte im September 1850 weisungsgemäß u. a. seine Satzung, die Namen der Vorstandsmit-

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Lebensabend in Freyburg

burger waren und in dem sein „Ziehsohn“ Eduard Arnold in dem dreiköpfigen Vorstand als „Turnwart“ die entscheidende Rolle spielte, taucht Jahns Name überhaupt nicht auf. Am 20. Juni 1850 zeigt der Freyburger Bürgermeister Weidlich dem Querfurter Landrat von Helldorf pflichtgemäß an,18 dass der Freyburger Turnerverein, der vermutlich fünf Jahre zuvor gegründet worden war, für den 23. Juni ein Stiftungsfest mit öffentlichem Aufzug begehen wolle, zu dem auch die Turnervereine aus Laucha, Naumburg und Apolda eingeladen worden seien. Bürgermeister Weidlich betont in dieser Mitteilung, dass er sich nur wegen einer tags zuvor eingetroffenen Verfügung19 zu dieser Anzeige veranlasst sähe, zumal durch dieses Turnerfest „nicht im entferntesten Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung zu befürchten“ sei und „daher die Genehmigung nicht zu versagen ist.“ Falls der Landrat Bedenken habe, möge er es ihn wissen lassen. Bereits einen Tag später schreibt v. Helldorf an Bürgermeister Weidlich – nachdem er sich offensichtlich mit dem Regierungspräsidium in Merseburg verständigt hatte –, er vermöge wegen der an ihn ergangenen Weisungen über den Antrag des Freyburger Bürgermeisters nicht zu entscheiden. Er gedenke jedoch, dass zumindest die eingeladenen Turnervereine von diesem Fest auszuschließen seien. Im Übrigen werde er sich sofort nach Merseburg begeben, um die Angelegenheit zu klären. Zwei Monate danach, am 24. August, verfügt der Landrat, dass die beiden Turnervereine in Freyburg und Laucha die „Gesetze“ ihrer Gemeinschaften nebst Angaben über ihren jetzigen Vorsteher, über ihre Turnzeiten und über ihre Versammlungslokale und nicht zuletzt auch ihre Mitgliederlisten, ergänzt durch die Angaben, aus welchen „Volksklaßen“ die einzelnen Mitglieder stammen und ob im Verein politische Tendenzen verfolgt würden, über ihre Bürgermeister bei ihm einzureichen hätten. Auch jetzt steht Bürgermeister Weidlich in Freyburg dem dortigen Turnervereine bei, indem er in seinem Anschreiben vom 30. August vermerkt, dass er „die Persönlichkeit der wenigen Mitglieder“ schätze und „daher denn die im Gesetz vom 11. März vorgeschriebene Ueberwachung derselben gar nicht nothwendig gewesen ist.“ Den entscheidenden Ansatzpunkt für den mit aller Macht angestrebten schärferen Umgang mit den Turnervereinen im Unstrutgebiet fand die königliche Regierung in Merseburg dann schließlich im Bericht des Lauchaer Bürgerglieder sowie eine namentliche Aufstellung der 17 Vereinsmitglieder beim Landratsamt ein. Der Name Friedrich Ludwig Jahn ist in keiner dieser Listen verzeichnet. S. LHSA, Abt. MER, Querfurt A/B, Rep. C 50, Nr. 360, Blatt 5. 18 Der nachfolgend geschilderte Vorgang in: LHSA, Abt. MER, Querfurt A/B, Nr. 360. 19 Vielleicht handelt sich hierbei um ein Circular des Innenministers Manteuffel vom 7.4.1850, mit dem den preußischen Beamten angesichts der schwierigen nachrevolutionären Situation ihre „Pflichten“ eingeschärft wurden und das auf dem langen Dienstweg erst im Juni die Kommunalbehörden erreicht haben könnte.

Überwachung der Vereine in der Saale-Unstrut-Region

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meisters über den dortigen, 20 Mitglieder zählenden Turnerverein.20 Auch der Lauchaer Vereinsvorstand betonte, dass er den Zweck der Gemeinschaft nicht darin sähe, auf öffentliche Angelegenheiten einzuwirken, sondern lediglich die Absicht der körperlichen Kräftigung verfolge. Auch gäbe es keine Vereinigung mit anderen Turnervereinen. Zum Anschluss an die Turnervereine zu Jena, Weimar, Apolda, Erfurt, Freiburg, Naumburg und Eisenberg sei der Verein 1849 zwar aufgefordert worden, doch die hiesige Turner-Versammlung habe dies abgelehnt. In den eingereichten Statuten fanden sich jedoch die Begriffe „Turnpaß“ und „Turnkarte“. Der Landrat erstattete auf der Grundlage dieser Unterlagen dem Regierungspräsidium Bericht. Bereits am 7. Oktober 1850 erfolgte die Reaktion der Abt. Inneres, die dem Landrat die eingereichten Unterlagen zurückschickte mit dem Bemerken, „daß, wiewohl diese Vereine z. Z. sich nicht mit politischen Gegenständen beschäftigen, sie doch einer angemeßenen Ueberwachung unterworfen werden müssen.“ Anschließend wurde die Frage gestellt, welchen Zweck die im Lauchaer Bericht erwähnten Turnpässe und Turnkarten hätten, ob sie etwa als Verbindungs- und Erkennungsmittel mit anderen Vereinen benutzt würden. Diesen Fragen sollte der Landrat nachgehen. Dieser wies daraufhin die Bürgermeister von Freyburg und Laucha an, „Thun und Treiben der Turnervereine auf geeignete Weise zu controllieren“ und das „Vereinsgesetz vom 11. März“ gegebenenfalls „zur Anwendung zu bringen.“ Binnen 14 Tagen erwarte er Bericht über den Zweck der Turnpässe und Turnkarten. Der Lauchaer Magistrat erteilte dem Landrat die gewünschte Auskunft mit detaillierter Beschreibung des Zwecks der beiden Ausweise, der Freyburger Bürgermeister dagegen teilte mit, daß „nach eingezogener Erkundigung Turnpäße oder Aufnahme-Atteste beim hiesigen Turnervereine nicht üblich sind.“ Landrat v. Helldorf gab diese Informationen nach Merseburg weiter, allerdings mit dem Hinweis, daß seiner Ansicht nach diese Sache „mit großer Aufmerksamkeit behandelt werden“ müsste und er als Landrat, „gehorsamst anheim stelle, ob nicht die Auflösung dieser Vereine hiermit und dadurch zu erwägen sein wird.“ Anfang Dezember 1850 stimmt die Abteilung Inneres in Merseburg dem Landrat zwar zu, dass diese Angelegenheit mit großer Aufmerksamkeit zu behandeln sei, eine Auflösung der Vereine aber z. Z. noch nicht gerechtfertigt erscheine, da es keine Hinweise auf eine politische Tätigkeit der Vereine gäbe und noch keine diesbezügliche Anzeige von Polizeibehörden eingegangen sei. Der Landrat gab nun die Empfehlung zur politischen Überwachung der Turnervereine an die Magistrate beider Orte weiter.

20 Die folgenden Aktivitäten und Vorgänge sind entnommen: LHSA, Abt. MER, Querfurt A/B, Rep. C 50, Nr. 294.

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Lebensabend in Freyburg

Am 11. Juni 1851 holte der Merseburger Regierungspräsident zum großen, entscheidenden Schlag gegen die Turnervereine aus. Er schreibt an diesem Tag an Landrat v. Helldorf, der anschließend sofort die Magistrate von Freyburg und Laucha davon in Kenntnis setzt, dass Turnervereine Tendenzen in kommunistischem und sozialistischem Sinne verfolgten und zur Erreichung dieser Zwecke in Verbindung stünden. Er verweist auf Thüringer Vereine, die beschlossen hätten, sich dem deutschen Turn-Verband in Hannover anzuschließen, die Statuten dieses Verbandes seien am 14. Mai festgestellt worden. Arnstadt sei für ein Jahr als Vorort dieses Verbandes bestimmt, als Verbands-Präsident sei ein Ruhlaer Lehrer gewählt worden. Der Regierungspräsident ordnete deshalb an, bei den führenden Leuten in den Turnervereinen Haussuchungen durchführen zu lassen und – falls die erwarteten Beweise gefunden würden – sofort die polizeiliche Schließung vorzunehmen. Die Bürgermeister müssten jedoch innerhalb von 48 Stunden Anzeige bei der Staatsanwaltschaft erstatten, er selbst erwarte binnen zehn Tagen einen Bericht über die Ergebnisse der Ermittlungen. Was geschah daraufhin in Freyburg? Den Landratsakten ist zu entnehmen, dass sich Bürgermeister Weidlich am 26.  Juli mit Magistratsmitgliedern beraten hat. Dabei wurde festgestellt, dass „der Turnerverein in Freyburg eigentlich nicht mehr existiere, weshalb Haussuchungen nicht erforderlich“ waren. Oppositionelle politische Aktivitäten wären in Freyburg nicht existent, mehrere verdächtige Personen hätten die Stadt verlassen.

8.2 Jahns Verhältnis zum Freyburger Turnerverein und zu den Lichtfreunden nach 1849 Der Name Jahn fehlte in der vom Freyburger Turnerverein im September 1850 weisungsgemäß bei dem Landratsamt eingereichten Liste seiner Mitglieder. Ob er noch als Berater in turnerischen Fragen fungierte, sei dahingestellt, jedenfalls spielte er für die Öffentlichkeit im örtlichen Turnbetrieb keine Rolle mehr. Was seine Aktivitäten in der Lichtfreunde-Bewegung betrifft, ist weder nachzuweisen, dass er sie noch weitergeführt, noch dass er diese gänzlich unterlassen hätte. Wahrscheinlich ist, dass Jahn seinen Standpunkt zu religiösen und innerkirchlichen Fragen nicht geändert, den engen Kontakt zu den Lichtfreunden aber aufgegeben hat. Jahn schreibt ein reichliches Jahr vor seinem Tod, am 6. August 1851, an Rektor Stumpf in Kolberg, es käme in kirchlichen Dingen, anders als bei staatlichen Angelegenheiten, auf Entschiedenheit an. „Wenn überhaupt die Kirche unter evangelischen Leuten gefährdet werden kann, so droht die Gefahr von

Jahns Verhältnis zum Freyburger Turnerverein und zu den Lichtfreunden nach 1849

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den Überchristlichen, die christlicher sein wollen als der Herr und Meister.“21 Jahn hatte seine negative Meinung über die neupietistisch-orthodoxe Richtung in der preußischen Landeskirche, die von König Friedrich Wilhelm IV. weiterhin mit großem Nachdruck unterstützt wurde, demzufolge überhaupt nicht geändert, er verhielt sich jedoch allem Anschein nach sehr still, um alle persönlichen Risiken zu vermeiden. Dieser Eindruck wird dadurch verstärkt, dass auch in der umfangreichen Akte des Querfurter Landrats über die sog. Freien Gemeinden der Name Jahn nirgends auftaucht. Großen Raum nehmen in dieser Akte hingegen Materialien über die im Juni 1851 gegründete Nemsdorfer Freie Gemeinde ein. Berichtet wird über ihre Aktivitäten sowie über die Unterstützung, die sie durch führende Persönlichkeiten wie Leberecht Uhlich, Eduard Baltzer und Gustav Adolf Wislicenus erfuhr, die als Prediger in ihren eigenen freikirchlichen Gemeinden tätig waren. Auskunft gibt diese Akte aber auch über die Unterdrückungspraktiken der preußischen Regierung und ihrer Beamten. Ferner finden sich darin Informationen über die freireligiöse Gemeinde in Barnstedt, die von 1864 bis Anfang 1867 existierte, sowie über Bestrebungen zur Bildung freier Gemeinden in anderen Orten. Über die Verhältnisse in Freyburg wird vermerkt: In einem mit Datum vom 19. Oktober 1848 vom Regierungspräsidium Merseburg, Abt. Inneres angeforderten Bericht darüber, welche politischen Vereine im Kreis existieren,22 werden vom Querfurter Landrat Demokratische Vereine, die man bezüglich ihrer Stellung zum Staat als die gefährlichsten einstufte, in Mücheln, Obereichstädt, Oberwünsch, Obhausen, Nemsdorf, Roßleben, Markröhlitz und Laucha genannt, dazu zwei „constitutionelle“ Clubs bzw. Vereine in Bedra und Nebra. In Freyburg, berichtet der Landrat, gäbe es einen Verein, dessen Tendenz ihm unbekannt sei. In allen diesen Vereinen, die beiden constitutionellen ausgenommen, sollen „aufregende Tendenzen“ vorherrschend sein. Demnach bleibt offen, ob in Freyburg im Oktober 1848 ein aus der Bewegung der Lichtfreunde hervorgegangener Verein bestanden hat. Am 10. November 1850 wird ein Brief vom Regierungspräsidium Merseburg, Abt. Inneres, an Landrat v. Helldorf übersandt, in dem es heißt: „Das stets deutlicher hervortretende Treiben der sog. Freien Gemeinden, welche schon längst für die höchsten Staatsbehörden ein Gegenstand der ernstlichsten Erwägung gewesen, muß immer mehr die Ueberzeugung befestigen, daß jene Vereinigungen nicht sowohl, wie sie sich den Anschein geben, als Gesellschaften, welche religiöse Interessen verfolgen, angesehen werden können, sondern daß sie thatsächlich politische, der beste-

21 M1, S. 562. 22 Zum Folgenden LHSA, Abt. MER, C 50, Querfurt A/B, Nr. 290.

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Lebensabend in Freyburg

henden socialen und staatsbürgerlichen Ordnung feindlich gegenüberstehende Klubs bilden.“

Der Brief endet mit der Aufforderung zur Meldung aller Freien Gemeinden im Kreis. Interessant ist nun die Antwort v. Helldorfs vom 18. November, in der steht, nur in Nemsdorf bestehe eine Freie Gemeinde, und dann wörtlich: „In Freyburg und Laucha hat es zwar Regungen zur Bildung freier Gemeinden […] gegeben, [...] es ist aber bis jetzt nicht dazu gekommen, wie mittelst des Berichts vom 15. d. Mts. angezeigt.“23 Im Zusammenhang mit seinem Tod im Oktober 1852 fand der Name Jahn dann doch noch Eingang in die Akten. Der Freyburger Bürgermeister Weidlich übersandte nämlich am 19. Oktober 1852 dem Landrat einen Eilbericht folgenden Inhalts: „Soeben erfahre ich, daß der Prediger Uhlich aus Magdeburg mit noch 3 fremden Männern in hiesiger Stadt eingetroffen ist, zu welchem Zweck ist mir bis jetzt noch nicht bekannt, doch habe ich bereits derselben strengste Beobachtung angeordnet; wie verlautet will er von hier nach Laucha. Da mir Gendarm Kolbe angezeigt hat, daß das Königliche Landrathsamt von dem Eintreffen des Uhlich sofort Nachricht zu haben befohlen habe, so ermangele ich nicht, das Königliche LandrathsAmt hiervon ergebenst zu benachrichtigen mit dem Anheim stellen, wenn dies Eintreffen etwa mit dem heute Nachmittags 4  Uhr stattfindenden Begräbniß des Dr. Jahn hier im Zusammenhang stehe, die (Entsendung) noch eines oder zweien Gendarmen hierher, resp. nach Laucha zu veranlaßen.“

Landrat v. Helldorf schrieb sofort an den Briefrand: „Die Gendarmen Wolf und ... (unleserlich) sind sofort nach Freyburg beordert worden, um dem Magistrat daselbst zu assistieren und unter keiner Bedingung eine Versammlung von dem Uhlich abhalten zu lassen.“ Dem schließen sich Berichte der Ortspolizeibehörde und des Bürgermeisters von Laucha unter dem 19. und 20. Oktober an, in denen vom Eintreffen Uhlichs in Laucha am Abend des 19. bis zu seiner Abreise am 20. Oktober nachmittags, über seinen dortigen eintägigen Aufenthalt genauestens berichtet wird.24 Hat Jahn bis zu seinem Lebensende mit führenden Predigern der großen freien Gemeinden, insbesondere seinem Gesinnungsgenossen Leberecht Uhlich, Kontakte gepflegt? Sollte er bis zu seinem Tod in aller Stille, aber gedeckt durch den Freyburger Magistrat, für seine politischen Überzeugungen gewirkt haben? Vielleicht lassen sich diese Fragen durch weitere Untersuchungen klären.

23 LHSA, Abt. MER, C 50, Querfurt A/B, Nr. 294. 24 LHSA, Abt. MER, C 50, Querfurt A/B, Nr. 294.

Resignation seit Frankfurt und Gotha

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Bei dem derzeitigen Stand der Forschung ist mit Sicherheit anzunehmen, dass Jahn nach seiner Rückkehr aus Frankfurt zumindest noch in einem Verein Mitglied war, sich also nicht gänzlich aus dem gesellschaftlichen Leben der Stadt Freyburg zurückgezogen hat. Dieser Verein war die sog. „Gemeinschaft Erholung“, die 1847 in Freyburg gegründet wurde.25 Ihr gehörten alle Honoratioren der Stadt einschließlich der beiden unmittelbar nacheinander amtierenden Bürgermeister Schier und Weidlich an, ebenso Pastoren, Doktoren und Magister. In der Unterschriftsliste zum Wahlprotokoll dieser Gemeinschaft vom 13. Dezember 1849 ist jedenfalls auch Jahns eigenhändige Unterschrift zu sehen. Dies ist ein Beleg dafür, dass Jahn tatsächlich bis zu seinem Tode in das öffentliche Leben Freyburgs eingebunden war. Zwar hat er sich still verhalten und jedes Aufsehen vermieden, doch war er unter den Bedingungen der preußischen Reaktionspolitik offenkundig gut abgesichert durch seine lokalen Verbindungen, einer Art Netzwerk mit maßgeblicher Beteiligung der Bürgermeister sowie der gebildeten Schicht der Stadt, das ihn bis zuletzt, auch in den ihm nach der 48er Revolution verbliebenen drei Lebensjahren, zuverlässig schützte und abschirmte.

8.3 Resignation seit Frankfurt und Gotha Nach seiner Rückkehr aus Gotha zog sich Jahn somit fast vollständig aus der Öffentlichkeit zurück. Die Gründe hierfür hängen zweifelsohne mit der 1849/50 einsetzenden Reaktion und der dadurch verursachten angespannten politischen Situation auch im Saale-Unstrut-Gebiet26 zusammen. Wahrscheinlich sind sie aber zudem auf die Enttäuschungen zurückzuführen, die er in Frankfurt und vor allem in Gotha erfahren musste. Jahn hat dies selbst festgestellt. „Es gehört zu meiner Märzerrungenschaft, daß ich mutterseelenallein zu stehen bleibe. [...] Seit meiner Rückkehr von Frankfurt habe ich mich von aller Welt zurückgezogen. Schon der alte Reim lehrt, dass man in gewissem Alter der Kinder Spott wird“, schreibt er Anfang Januar 1852 an den Lehrer Künstler in Naumburg.27 Mit Gotha verband er eine besonders bittere Erfahrung, die er drei Monate vor seinem Tod – scheinbar als Randbemerkung – in einem Brief an Dr. Rauschenblatt benennt: „Nun ich schreibe jetzt, ich Einsiedler seit meiner Reise nach Gotha, wo ich erfahren, dass ich nicht zu denen gehöre, die man Gothaer nennt.“28 25 Aus dem Archiv des Jahnmuseums: Protokoll über die Wahl des Vorstands der Gesellschaft Erholung am 13ten December 1849. 26 Belege zur angespannten politischen Situation an Saale und Unstrut bei Bartmuß (2004), S. 99–103. 27 Brief vom 5.1.1852 (M1, S. 565). 28 M1, S. 569.

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Lebensabend in Freyburg

Ob ihm diese Erkenntnis von Teilnehmern an der Gothaer Zusammenkunft der Erbkaiserlichen direkt vermittelt worden ist oder ob Jahn das nur selbst so gefühlt hat, wird nicht mehr zu ergründen sein, doch gibt es zumindest zwei Gründe, Jahns Hinweis nachzuvollziehen: zum einen die vorgelegte Verfassung vom 28. Mai, die den Jahnschen Intentionen in der Veto- ebenso wie in der Wahlrechtsfrage nicht entsprach, und überdies auch nicht zur Diskussion gestellt wurde, sondern von den „Gothaern“ in der von der preußischen Regierung durch Radowitz vorgelegten Fassung lediglich propagiert und durchgesetzt werden sollte – vielleicht war Jahn auch einer der 18 Erbkaiserlichen, die sich in der Gothaer Versammlung gegen diese Verfassung erklärt haben29 –, und zum anderen die Nichtachtung gegenüber dem von ihm eingebrachten Organisationsplan für den „Deutschen Reichsverein“, der nach dem ursprünglichen Plan der führenden Männer der „Erbkaiserlichen“ in Gotha gegründet werden sollte. Zwei Jahre vor seinem Tod fühlte sich Jahn sehr einsam, von allen verlassen. Seit Gotha war er im Zweifel, ob er sich überhaupt noch zu den Erbkaiserlichen rechnen könne. Diese Frage verlor jedoch mehr und mehr an Bedeutung, zumal seit den 1850er Jahren die Erbkaiserlichen selbst, zumindest in Preußen, zu den „Verdächtigen“ zählten. Gerade in Preußen schlug die Reaktion besonders hart zu.30 Beispielsweise war es für einen Erbkaiserlichen in den fünfziger Jahren nicht leicht, im Staatsdienst auf der „Karriereleiter“ nach oben zu steigen, wie das der spätere Universitätsprofessor Rudolf Haym in seinen Erinnerungen am eigenen Beispiel detailliert geschildert hat.31 Als Pensionär hatte Jahn in dieser Hinsicht nichts mehr zu fürchten. Sein Schwiegersohn, der Lehrer Friedrich Quehl in Freyburg, schrieb am 25. September 1852, knapp drei Wochen vor Jahns Tod, an den Turnlehrer Wilhelm Lübeck in Berlin, den Freund der Familie Jahn: „Seit fast 5 Wochen ist mein Schwiegervater sehr krank. Nachdem es mit dem schleichenden Nervenfieber, an welchem er zuerst krank lag, schon wieder zur Besserung ging, fing vor ungefähr 10 Tagen die Brustwassersucht sich zu entwickeln an. Seine Kräfte haben durch das lange Krankenlager sehr abgenommen, so dass er sich im Bett nicht mehr allein in die Höhe richten kann. Wie es mir scheint, ist in den letzten Tagen wohl auch ihm die Hoffnung auf Genesung verschwunden. Denn heute früh äußerte er gegen meine Frau den Wunsch, dass ich Sie in einem Briefe von seinem Kranksein benachrichtigen möge.“32

29 Nach Euler (1898), S. 1065 haben sich in Gotha nur 130 von 148 „Erbkaiserlichen“ für diese Verfassung erklärt. 30 Vgl. Bartmuß (2004). 31 Haym (1902). 32 Zit. nach U, S. 187.

Resignation seit Frankfurt und Gotha

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Am 16. Oktober 1852 bat Quehl den Berliner Turnlehrer, die Todesanzeige „in eine der gelesensten Berliner Zeitungen“ einrücken zu lassen: „Am 15. d. Mts. Abends 7 ½ Uhr entschlief sanft zu einem bessern Leben nach fast achtwöchentlichem Krankenlager in Folge eines Lungenleidens an Entkräftung Herr Dr. philos. Friedrich Ludwig Jahn im Alter von 74 Jahren 2 Monaten 4 Tagen. Indem Freunden und Bekannten wir diese Todesnachricht nur auf diesem Wege ergebenst mittheilen, bitten (wir) um stille Theilnahme.“33

33 Zit. nach U, S. 232.

9. Epilog Ein Nationaldenkmal für Friedrich Ludwig Jahn: Der postmortale „Aufstieg“ Jahns zu einem bürgerlichen Nationalhelden Angesichts noch ausstehender Untersuchungen wäre es zu früh, auf der Grundlage der in diesem Band vorgelegten, thematisch eingegrenzten Einzeluntersuchungen zur zweiten Lebenshälfte Friedrich Ludwig Jahns abschließende Wertungen vorzunehmen. Dennoch wollen wir versuchen, nachzuzeichnen, wie Jahn, der in der Zeit von seiner Verhaftung 1819 bis zu seinem Tode 1852 durchaus nicht unumstritten war und der sich während der Revolution 1848/49 selbst zum bevorzugten Gegenstand der Karikaturenzeichner gemacht hatte, die ihren Spott über ihn ausschütteten, und von dem sich die große Zahl der demokratisch orientierten Turner und Turnervereine tief enttäuscht abgewendet hatten, zum Gegenstand eines Kultes wurde, der ihn allmählich zu einem gefeierten bürgerlichen Nationalhelden aufsteigen ließ, der schließlich gar mißbräuchlich als „Vorläufer und Lehrer des Nationalsozialismus“1 in Anspruch genommen werden konnte. Fünf Jahre nach seinem Tod im Oktober 1852 regten Studenten der Universität Jena an, dem „Erwecker der Turnkunst“ in Freyburg ein Denkmal zu setzen. Der Turnverein von Weimar griff diesen Gedanken zuerst auf, weitere Turnvereine unterstützten die Realisierung dieser Idee. In Leipzig bildete sich bald ein Denkmalausschuss, der die Koordinierung der erforderlichen Maßnahmen übernahm. Spendengelder der Turnvereine stellten die Finanzierung des Vorhabens sicher, sodass die Enthüllung des Denkmals am Grabe Jahns auf dem Friedhof in Freyburg – eine von dem Bildhauer Schilling in Bronze gegossene Büste auf granitenem Sockel – bereits am 16. Oktober 1859 erfolgen konnte. Mit dem für Freyburg geplanten Grabdenkmal wollten sich die Turner in der preußischen Metropole nicht begnügen. Parallel zu der Freyburger Denkmalinitiative riefen in Berlin der Eiselen’sche Turnverein und der Turnverein „Gut Heil“ am 27. April 1857 zur Errichtung eines „großartigen öffentlichen“ Jahndenkmals in der Hasenheide auf, dem „ersten und ältesten öffentlichen Turnplatze in Deutschland.“ Die Berliner Initiatoren nahmen mit Sicherheit an, dass sich neben den deutschen Turnern auch die Turner aus den USA sowie viele Sympathisanten außerhalb der Turnerszene an der Finanzierung des Denk1

So Fritz Eckardt 1937 in einem Nachtrag zu seinen Forschungen, zit. nach Sprenger 1985, S. 192.

Epilog

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mals beteiligen würden. Die in der „Deutschen Turn-Zeitung“ veröffentlichte Erklärung der beiden Berliner Turnvereine fand große Beachtung und vielfache Zustimmung. Jahns frühere Musterschüler Eduard Dürre und Hans-Ferdinand Maßmann unterstützten den Denkmalplan in der Hasenheide nachhaltig. Dürre betonte, dass Jahn seine „große Bedeutung“ nicht nur als „Erwecker des Turnwesens“, sondern auch als „Herold des deutschen Volksthums, der Volkseinheit“ habe, dem auch der „Gedanke des Lützow’schen Corps“ und die „Idee der deutschen Burschenschaft“ zu verdanken sei. Insofern habe ein Jahndenkmal in der Hasenheide auch die Funktion, angesichts der nicht existierenden staatlichen Einheit „mindestens [an die] geistige Einheit Deutschlands“ zu erinnern. Der Berliner Turnrat schloss sich in seiner Sitzung vom 24. November 1858 einstimmig dem von vielen Seiten geäußerten Wunsch an, zumal sich inzwischen etwa 100 ältere Turner, ehemalige Jahn-Schüler und Turnfreunde, die im bürgerlichen Leben einflussreiche Positionen bekleideten und als angesehene Bürger galten, für den Denkmalplan ausgesprochen hatten. Nachdem die Finanzierung des Freyburger Grabdenkmals für Jahn gesichert war, richtete der Berliner Turnrat an die deutschen Turnvereine die Anfrage, ob sie sich der Meinung anschließen könnten, dem „Turnvater“ in der Hasenheide ein „bedeutungsvolles Denkmal“ zu errichten und zu diesem Zweck Geldsammlungen durchzuführen. Den Aufruf des Berliner Turnrats beantworteten 108 Vereine, davon befürworteten 85 den angestrebten Denkmalbau. Diese Vereine waren zugleich bereit, Geldsammlungen durchzuführen. Zehn Vereine erklärten sich gegen ein Denkmal aus Spendensammlungen. Nachdem sich die Turnvereine mehrheitlich für ein Jahndenkmal in der Hasenheide entschieden hatten, wählte der Berliner Turnrat aus seinem Kreis einen Denkmal-Ausschuss, dem Dr. Angerstein, Prof. Maßmann, Referendar Rakow, Buchhändler Siegemund und Dr. F. Voigt angehörten. Dieser Fünfer-Ausschuss wurde im Mai 1860 um sieben weitere Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens ergänzt. Nachdem 1860 in Coburg das erste deutsche Turn- und Jugendfest gefeiert worden war, fand das 2. deutsche Turnfest anlässlich der Eröffnung des Turnplatzes in der Hasenheide vor 50 Jahren und der Grundsteinlegung des Jahndenkmals im August 1861 in Berlin statt. Die offizielle Einweihung des Denkmals erfolgte 11 Jahre später, im August 1872, also etwa ein Jahr nach der „Reichseinigung von oben“ durch Otto v. Bismarck, der Gründung des deutschen Nationalstaates. Im Rahmen der Einweihungsfeier wurde erstmals die Erhebung Jahns zum bürgerlichen Nationalhelden deutlich. Im Gedenken an Jahn, der nunmehr dem Kreis der Reichsgründer zugerechnet wurde, „feierte sich die bürgerliche Nation und bekundete, diesen Nationalstaat von Beginn an, früher als sonst jemand, erdacht und gewollt und schließlich auch ermöglicht zu haben. Die Bürgernation erhob in Jahn gegen die Fürsten und ihre Regierungen den

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Epilog

Anspruch auf das Erstgeburtsrecht an der deutschen Nation und ihrem Staat.“2 Den Unterbau des vier Meter hohen Standbildes säumten etwa 150 Steine, die Turnvereine aus der ganzen Welt mit ihrem Vereinsnamen versehen nach Berlin geschickt hatten. „Es war eine Manifestation der deutschen Kulturnation, die auch außerhalb der Grenzen des jungen Nationalstaates dessen Gründung feierte und Jahn als seinen Schöpfer ehrte.“3 Nicht den „Turnvater“ sollte die Statue darstellen, sondern den „Vorkämpfer des deutschen Volkes“ für Einheit und Freiheit. Von dem Gewinner des Wettbewerbs um die Gestaltung des Denkmals, dem Bildhauer Erdmann Encke, der sich als Schöpfer preußischer Fürsten- und Königsstatuen einen Namen gemacht hatte, erwartete der Denkmal-Ausschuss die künstlerische Umsetzung dieser Vision. In Turnerkreisen war man mit der Ausführung offenkundig zufrieden: „[…]ehern ist die ganze Gestalt, fest und gewaltig, groß und selbstbewusst, in vorschreitender Stellung, die geballte Rechte auf einen knorrigen Eichstamm gelegt, die Linke auf die Hüfte gestützt, den Kopf mit dem wallenden Bart, den mächtigen kahlen Schädel hoch aufgerichtet. So steht der Mann da; sein Blick geht drohend in die Ferne, als wittere er Gefahr, als wolle er herabsteigen, um die ahnungslos um ihn spielende und turnende Jugend gegen Unheil zu schützen.“4

Die neue nationale Wallfahrtsstätte in der Hasenheide symbolisierte nicht nur die politischen Zielvorstellungen des Bürgertums, sondern sollte auch dazu beitragen, allen Deutschen zu verdeutlichen, dass Berlin nicht mehr nur der Mittelpunkt Preußens sei, sondern inzwischen zur Hauptstadt des Deutschen Reiches aufgestiegen war. Das Berliner Jahndenkmal stellte insofern auch ein „Markenzeichen“ der Reichshauptstadt dar. Überheblich und zugleich prophetisch hieß es in der Deutschen Turn-Zeitung: „Seit dem 10. August 1872 besitzt Berlin ein Denkmal, so ureinzig in seiner Art, daß ein auch nur annähernd ähnliches nirgends mehr besteht, wohl auch kaum mehr geschaffen werden wird.“5 Die Stilisierung Jahns zum bürgerlichen Nationalhelden hatte zur Folge, dass in den nächsten Jahrzehnten weltweit – insbesondere in Deutschland und Österreich – zahlreiche Denkmäler6 für den Nationalheroen errichtet wurden, der auf dem Höhepunkt des „Jahnkults“ 1928 in die Walhalla, die Ruhmeshalle der „Großen Deutschen“, aufgenommen wurde. Tatsächlich fielen alle weiteren Jahndenkmäler gegenüber dem Berliner Prototyp deutlich bescheidener aus, als einzige Sta-

2 3 4 5 6

Langewiesche (2004), S. 392. Langewiesche (2004), S. 395. DTZ 18(1873), Beilage zu Nr. 6, S. 1. DTZ 18(1873), Beilage zu Nr. 6, S. 1. Vgl. Schnitzler (2002); für Österreich Atzmanninger/Nebenführ (2008).

Epilog

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tue, die den ganzen Körper in einer Höhe von vier Metern darstellte, blieb das Hasenheide-Denkmal unerreicht. Die Forschung ist bisher noch nicht der Frage nachgegangen, ob die engere Umgebung Jahns, allen voran seine Witwe, die im Jahre 1876 starb, die Errichtung des Jahndenkmals ebenso befürwortet hat wie die überwiegende Zahl der Turnvereine. Die jüngst edierten „Briefe von Friedrich Ludwig und Emilie Jahn an Wilhelm Lübeck (1835–1876)“7 vermitteln ein ganz anderes Bild: Die einzige Verbindung nach Berlin, die Jahn in den letzten beiden Jahrzehnten seines Lebens in Freyburg aufrechterhalten hat, war die zu Wilhelm Lübeck.8 Der Turn- und Fechtlehrer, ein Schüler von Jahns früherem Hasenheide-Mitarbeiter Ernst Eiselen, betrieb in der preußischen Hauptstadt als Kleinunternehmer eine private Turnanstalt und machte sich auch als Turnbuchautor einen Namen. Jahn und Lübeck tauschten sich nicht nur über turnerische, sondern sehr bald auch über private Angelegenheiten aus, sodass sich eine freundschaftliche Beziehung zwischen den Eheleuten Jahn und Lübeck entwickelte, die bis zum Tod von Emilie Jahn im Jahre 1876 anhielt. Nur auf den ersten Blick erscheint es verwunderlich, dass Lübeck als enger Vertrauter der Eheleute Jahn nicht zu dem Kreis der Personen gehörte, die am 10. Februar 1861 „endgültig“ in den „Ausschuß zur Errichtung eines Denkmals für F.L. Jahn in der Hasenhaide in Berlin“ unter dem Vorsitz von General der Infanterie a. D. v. Pfuel gewählt wurden.9 Lübeck wußte nur zu genau, dass Jahn nach den Auseinandersetzungen um das Für und Wider des Turnens (1817/18) und dem sich daran anschließenden „Turnverbot“ (1819/20) der preußischen Regierung nicht mehr nach Berlin zurückkehren und die Hasenheide „nie wieder“ betreten wollte. Dass Jahn jetzt als Denkmal nach Berlin zurückkehren und in der Hasenheide einen „bleibenden Wohnsitz“ erhalten sollte, erschien Lübeck offenkundig problematisch. Emilie Jahn machte gegenüber Lübeck aus ihrer Abneigung gegen den Berliner Denkmalbau keinen Hehl, wenn sie ihm am 1. Juli 1862 schrieb:

7 8 9

Vgl. Ulfkotte (2010)a Vgl. Ulfkotte (2007). Dem Gremium gehörten außerdem an: Kerst (Geh. Reg.-Rat, Stellv. des Vorsitzenden), Dr. Angerstein (prakt. Arzt, Schriftführer), Busse (Privatgelehrter, Stellv. des Schriftführers), Heyl der Ältere (Stadtverordneter, Schatzmeister), G. Keibel (Kaufmann, Stellv. des Schatzmeisters), Dr. August (Gymnasial-Direktor), Engelbach (Maler), Prof. A. Fischer (Bildhauer), Haussmann (Cand. Med., Vorsitzender des akademischen Turnvereins), Kluge (Vorsteher einer Turnanstalt), Knoblauch (Baurat), Kochhann (Stadtverordneter), Marggraff (Schulvorsteher, Stadtverordneter), Maßmann (Prof. Dr.), Möller (Bildhauer), Schultze (Stadtrat), Dr. Voigt (Realschullehrer), Dr. Zabel (Redakteur der National-Zeitung); vgl. DTZ 18(1873), Beilage zu Nr. 6, S. 4–5.

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Epilog

„Mit dem Denkmahl in Berlin ist der schrecklichste Unsinn, u wenn ich es den Leuten nur so recht sagen könnte, Jahn würde es gewiß nie gebilligt haben irgend etwas in Berlin dieser Art zu thun, da er es mir förmlich verboten hatte ihn nicht in unser Begräbniß, wo die erste Frau liegt, hin schaffen zu lassen er wollte hier begraben werden; ich glaube aber es liegt in der Zeit das die Leute auf lauter Dummheiten Studieren, oder ich werde so alt das ich mich nun bald in gar nichts mehr finden kann.“10

Ob der Berliner Denkmalausschuss überhaupt daran gedacht hat, die Meinung von Emilie Jahn über das Denkmalprojekt in der Hasenheide einzuholen? Vermutlich hat die „Männerrunde“ darauf keinen Gedanken verschwendet, weil sie ihre Aufgabe darin sah, den mehrheitlichen Wunsch der Turnvereine zu verwirklichen und Jahn als „nationalen Heros“ auf den „Sockel zu heben“. Die ablehnende Meinung einer Person, auch wenn es sich dabei um die Witwe Jahns handelte, war in diesem Fall nicht von Bedeutung. Gegenüber ihrem Berliner Vertrauten Wilhelm Lübeck hielt Emilie mit ihrer Meinung dennoch nicht zurück. Im Zusammenhang mit der ungesicherten Zukunft ihres ehemaligen Wohnhauses in Freyburg, das sie bald nach Jahns Tod aus finanziellen Gründen aufgeben musste, schrieb Emilie am 28. April 1864 an Lübeck: „Nun wird mein ehemaliges Haus zu Johannis auch wieder leer, der jetzige Mieter ist versetzt; ich bin neugierig wer es nun bewohnen wird, oder ob es leer stehn bleiben wird, wüsste ich das es nicht verkauft würde, dann würde ich mir so viel miethen, doch ist es in der Art schlimm wird es hernach verkauft dann muß ich doch wieder heraus, dürfte ich den semtlichen Turnrath ein guthen Rath geben so sollten sie das Haus für das Geld was fürs Denkmahl da ist kaufen, ich weiß es u Sie sind gewiß auch meiner Meinung das das meinem lieben Jahn lieber wäre wie Alle Denkmähler. Es kann aber nicht seyn u so muß ich mich fügen.“11

Auch wenn Emilie klar war, dass Lübeck keinen entscheidenden Einfluss auf die Pläne des Berliner Turnrates nehmen konnte und nunmehr die Errichtung des Denkmals billigend in Kauf nahm, reichten die Steine der Turnvereine, die inzwischen zum „Malhügel“ gebracht worden waren, als Denkmal völlig aus. Unmissverständlich schrieb sie am 28. Januar 1865 an Lübeck: „Gestern las ich in der neusten Turn-Zeitung von Alle den Steinen die zu Jahns Denkmahl zum Mahlhügel angekommen waren, das hat mich sehr gefreut, sind die Menschen aber nicht dumm das ist ja schon das schönste Denkmahl ein anderes ist ja ganz unnöthig u ganz u gar in Jahns sinn, nur ein einfaches Kreuz mit einer Inschrift des Geburts u Todes-

10 U, S. 184–185. 11 U, S. 190.

Epilog

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tages dann ist Alles gemacht, das denke ich mir zu schön, u die Tausende können erspaart u besser angewandt werden; es muß aber jetzt alles in der Welt übertrieben werden.“12

Vier Jahre später machte sich Emilie lustig darüber, dass ein Stein aus Freyburg zum Denkmal nach Berlin geschafft werden solle. Ihrem Berliner Vertrauten Wilhelm Lübeck teilte sie am 28. Juli 1869 mit: „Gestern habe ich auch den Stein gesehen der nach Berlin abgehen soll, es wurde mir gesagt er wäre noch vom Bau unsers Hauses liegen geblieben, der Unsinn ist aber doch zu schrecklich, darauf kann man doch nichts antworten.“13 Bis zur offiziellen Eröffnung des Jahnstandbildes im August 1872 scheint sich Emilies Abneigung gegen den Denkmalbau gelegt zu haben, vielleicht auch deshalb, weil Lübeck seine Zurückhaltung in dieser Frage inzwischen aufgegeben hatte und für ein verstorbenes Mitglied des Denkmalausschusses in das Gremium gewählt worden war.14 Dennoch musste Lübeck ihre Kritik an der Gestaltung der Statue zur Kenntnis nehmen. Am 7. Oktober schrieb sie ihm: „Aber sagen Sie in aller Welt wie sind die Leute nur darauf gekommen den Rock von meinem Mann offe[n] stehn zu lassen, das sieht meiner Ansicht nach recht dumm aus, da er doch nie den Rock offen getragen hat.“15 Für die Entwicklung und Verfestigung des „Jahnkults“ sind diese Äußerungen der Witwe Jahns natürlich unerheblich, ist dieser Kult doch hervorgegangen aus gesellschaftlichen und politischen Bedürfnissen des deutschen Bürgertums, das nach einem eigenen Nationalhelden suchte, als der sich Jahn anbot. Dabei spielte die eigentliche Bedeutung Jahns während seiner zweiten Lebenshälfte keine Rolle. Das in der Revolution von 1848/49 unterlegene Bürgertum machte die „Primärerfahrung, dass alles anders gekommen ist als geplant und erhofft.“ Die bürgerliche „Elite“ geriet damit „in eine größere Beweisnot, um zu erklären, warum etwas anders und nicht so gekommen ist wie gedacht.“16 Daraus entsprang für sie die Möglichkeit, „die gesamte Geschichte rückwirkend neu zu deuten, um „die Bedingungen der neuzeitlichen Eigenerfahrung aufzuklären.“17 Das zog nach sich, die von ihnen zu ihrem Idol erhobene Persönlichkeit durch Neuinterpretation seiner hinterlassenen schriftlichen Zeugnisse sowie seines 12 U, S. 195. 13 U, S. 209. 14 DTZ 18(1873), Beilage zu Nr. 6, S. 5: „In den 11 ½ Jahren seines Bestehens verlor der Ausschuß durch den Tod die Mitglieder: General von Pfuel, Baurath Knoblauch, Professor Fischer, Stadtrath Schultze, Director August, Stadtverordneter Heyl. An ihre Stelle traten ein die Herren: Professor Bleibtreu, Turnlehrer Goldammer, Turnlehrer Lübeck, Professor W. Wolff, Director Dr. Ranke, Lehrer Kawerau.“ 15 U, S. 217. 16 Koselleck (2000), S. 60. 17 Koselleck (2000), S. 64.

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Epilog

aktiven Handelns und seiner erlittenen Leiden, ungeachtet des zu seinen Lebzeiten von ihm selbst Angestrebten, unter den veränderten gesellschaftlichen und politischen Erfahrungen neu zu sehen und damit seine Lebensgeschichte „umzuschreiben“.18 Daraus erklärt sich die Möglichkeit, Jahn zur „Kultfigur“ zu erheben. Warum aber wurde ausgerechnet Jahn seit der Zeit der Reichsgründung zum „historischen Symbol“ hochstilisiert, womit, mit welchen „Verdiensten“ Jahns, wurde das begründet? Schon in der Vorphase der Bismarckschen Reichsgründung besannen sich die meisten Vertreter der allgemeinen deutschen Historiographie – mit wenigen Ausnahmen wie z. B. Heinrich Treitschke – auf Jahn. „Jahns kämpferischer Einsatz für ‚deutsche Einheit‘ soll als im Kaiserreich erfüllt begriffen werden“, schreibt Reinhard K. Sprenger in seiner grundlegenden Studie zur Jahnrezeption in Deutschland zwischen 1871 und 1933.19 Hinzuzufügen ist, dass viele Politiker in den Jahren 1848/49 mit der „erbkaiserlichen Partei“ unter Führung Heinrichs von Gagern für ein Kaiserreich unter Preußens Führung eingetreten waren, die, wie die Gothaer Versammlung der „Erbkaiserlichen“ im Juni 1849 belegt, als Politiker viel bedeutender waren als Jahn. In den Biographien des „Turnvaters“, so stellte Sprenger fest, dominierte schon in den 1870er Jahren die Panegyrik. In den 1880er Jahren setzte sich dann die „Turnvaterschaft“ Jahns durch, Jahn wurde zum Mythos erhoben. Daraus resultierten in den 1890er Jahren die verstärkten Bemühungen, ein „makelloses“ Jahnbild zu zeichnen. In diesem Kontext wurde Jahn zum Propheten hochstilisiert, nicht nur in Bezug auf die Reichsgründung und die „preußische Sendung“, sondern auch bezüglich der „Turnkunst als Pädagogik“, er wurde geradezu vergöttlicht als Prophet, Seher, Meister, Vorkämpfer und Märtyrer.20 Besondere Bedeutung hatte in dieser Hinsicht das von Eduard Dürre, Jahns ehemaligem Vorturner und persönlichem Freund, aus Anlass von Jahns 100. Geburtstag vorgeschlagene „Jahnjahr 1878“, in dem weniger die turngeschichtliche Bedeutung Jahns als vielmehr seine „Verdienste als politischer Vorkämpfer“ für die von Bismarck hergestellte Einheit Deutschlands betont wurden, womit vor allem vermeintliche Verdienste Jahns, die er in seiner zweiten Lebenshälfte, insbesondere in der Frankfurter Paulskirche 1848/49 erworben haben soll, gewürdigt wurden. In diesem Zusammenhang wurde erstmals auch das politische Wirken des „jungen Jahn“ in den beiden ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts von der Führung der sich zunehmend national orientierenden „Deutschen Turnerschaft“ (DT) 18 Zur Frage des Neulesens und –interpretierens von Zeugnissen aus der Vergangenheit als dritter Möglichkeit, „die ein Umschreiben hervorrufen können“, siehe Koselleck (2000), S. 60–61. 19 Sprenger (1985), S. 45. 20 Sprenger (1985), S. 27–38, 45–46.

Epilog

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als leuchtendes Beispiel für ihre Anhänger hervorgehoben. Während der 1893 entstandene „Arbeiter-Turner-Bund“ (ATB) bei seiner Würdigung Jahns den Hauptakzent auf Jahns frühe turnerisch-praktische Phase legte, ließ die „Deutsche Turnerschaft“ damit das turnerische Element weitgehend außer Acht und betonte vorrangig das „Einheitsstreben“ Jahns und die Spätphase seines Lebens.21 Spätestens seit 1902, dem 50. Todesjahr Jahns, entwickelte sich diese Erhöhung des „Turnvaters Jahn“ in der DT zu einem Jahn-Kult, die Jahn-Konjunktur der 1880er Jahre erhielt jetzt mythische Züge. In welcher Weise die politische Vergangenheit des Bürgertums ebenso wie die der höchsten Vertreter der preußischen Staatsgewalt in dieser Zeit „umgeschrieben“ wurde, um sie mit dem „Zeitgeist“ in Übereinstimmung zu bringen, hat Rudolf Haym, 1848/49 einer der bedeutenderen bürgerlich-liberalen Abgeordneten in der Frankfurter Nationalversammlung, dem von der preußischen Reaktion nach der Revolution in den 1850er Jahren sogar ein Lehrstuhl auf einer preußischen Universität verwehrt worden war, in seiner „Rede bei der Gedächtnisfeier des Fürsten Bismarck in der Aula der königlichen vereinigten Friedrichs-Universität Halle-Wittenberg am 2. November 1898“ (veröffentlicht Halle a. S. 1898) sehr deutlich gemacht. Zur Bedeutung der1848/49er Revolution und des zu dieser Zeit härtesten Revolutionsgegners Otto v. Bismarck22 führte er in dieser Rede aus: „Unser gebildetes Volk, die Masse des Mittelstandes, dürstete nach Freiheit und Einheit und stand in grollender Opposition dem alten Beamten-, Polizei- und Militärstaat und dem Diplomatenstaate des Bundestages gegenüber. Allein wie berechtigt diese Opposition war: unfähig, uns durch eigene Kraft und in eigener Weise zu constituieren, waren wir gewohnt, uns unsere politischen Muster von unserem westlichen Nachbarn zu holen. Noch immer standen wir unter dem fortwirkenden Zauber derselben französischen Revolution, gegen deren Haupt wir uns ehedem, um die vaterländische Erde zu schützen, erhoben hatten. Eingezwängt in staatliche Formen, die unserem reichen Lebensinhalt nicht mehr genügten, ließen wir uns von der aus Frankreich herüberrollenden Sturmwoge tragen. Die Revolution des Jahres 1848 hatte die bisherige Ordnung der Dinge umgestürzt. Sie hatte Preußen – ein unschätzbares Gut! – eine constitutionelle Verfassung gebracht, aber der Versuch, die deutsche Einheit zu gründen, war gescheitert und hatte dem zur Führung berufenen Staate die schmachvollste moralische Niederlage eingetragen. – Unberührt nun von den Anschauungen des liberalen Bürgertums, trat Bismarck in die Bewegung ein. In nichts anderem nun [...] besteht die politische Bedeutung und das historische Verdienst Bismarcks, als darin, dass er, derselbe und dennoch ein andrer, dass der zum Staatsmann gewordene Parteimann das unzweifelhafte Recht des alten Staates mit dem gleich unzweifelhaften Rechte der neuen Ideen zu versöhnen verstanden hat, dass er vom 21 Vgl. Sprenger (1985), S. 107–108. 22 Bismarck sah sich selbst in der Rolle eines entschiedenen Revolutionsgegners (vgl. Bismarck, 2000, Bd. 1, S. 19–35).

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Epilog

Boden des Conservatismus aus den liberalen Anschauungen zum Siege verholfen, dass er die Macht in den Dienst der Freiheit, die preußische Macht und das preußische Königtum in den Dienst des nationalen Einheitsgedankens gestellt hat. – In der nämlichen Richtung, wenn auch von entgegengesetzten Ausgangspunkten aus, hatten sich bereits die Bestrebungen jener großen parlamentarischen Versammlung bewegt, die seit dem Mai des Jahres 1848 in Frankfurt tagte. Wohl war diese Versammlung aus der Revolution hervorgegangen, aber revolutionär war ihre Mehrheit nicht. Männer des Umsturzes waren die Dahlmann und Gagern und ihre Genossen nicht. Vom ersten Augenblick, wo die Fluth hereinbrach, waren sie bedacht gewesen, sie in ein geordnetes Bett zu leiten und sie gegen weitergehende republikanische Strömungen abzudämmen. Auch diese Männer hatten begriffen, welchen Schatz Deutschland in den monarchischen Ueberlieferungen und der monarchischen Gesinnung der preußischen Bevölkerung, in der Zucht des preußischen Beamtenthums und in den Erinnerungen des preußischen Heeres besitze.“23

Zu Bismarcks Intentionen sagte Haym dann: „Ganz selbständig, ganz auf seinem eigenen Wege erfasste er dieselbe Notwendigkeit der Dinge, aus der die erbkaiserliche Partei der Paulskirche ihr Programm geschöpft hatte.“24 Und in Ekstase geraten sprach Haym in seiner Rede dann den Satz aus: „Die Wiederherstellung des ehemaligen deutschen Reichs in ungeahnter Macht und Herrlichkeit ist das Staunen und der Neid der Welt.“25 Dieser ungezügelte Hochmut, den Haym hier pflegte, führte Deutschland in den ersten Weltkrieg und damit in eine der schwersten Niederlagen seiner Geschichte. Nach dem „Friedensvertrag“ von Versailles wurde der „bürgerliche Nationalheld“ Jahn unmittelbar und direkt mit den politischen Folgen dieser Niederlage in Verbindung gebracht: Jahn wurde nunmehr in der Historiographie der Turnbewegung unverhohlen gegenwartsbezogen in Anspruch genommen, indem eine historische Analogie zwischen den beiden ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts – mit der napoleonischen Fremdherrschaft und den Befreiungskriegen –und dem Zustand Deutschlands nach dem Friedensdiktat von Versailles hergestellt wurde. Bereits 1919 schrieb Fritz Eckardt in der DTZ: „Gerade jetzt, wo die Einheit des Reiches zusammenzubrechen droht, ist Jahns Volkstum, das Hohelied der deutschen Einheit, das richtige Buch, und jetzt, wo der deutsche Geist so geschmäht wird, müssen wir lesen, was Jahn über das Deutschtum sagt. Seine Sätze über Küstenbesitz und Meeresgeltung waren nie wichtiger als jetzt.“26 Eckardt nahm 1931 an, dass mit dem Erscheinen seiner Jahnbiographie von 1924 nach der bis dahin vorherrschenden „Missachtung“ Jahns vor allem in den „gebildeten Kreisen“ eine allgemein günstigere Würdi23 24 25 26

Haym (1898), S. 5–6. Haym (1898), S. 8. Haym (1898), S. 9. Eckardt 1919, zit. nach Sprenger (1985), S. 191.

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gung Jahns eingesetzt habe, die spätestens 1928 mit der Aufstellung der Büste Jahns in der Walhalla – Eckardts Jahnbiographie war dem Antrag der DT an das bayerische Kultusministerium, Jahn in die Walhalla aufzunehmen, als Beleg für das volkstümliche Wirken Jahns beigelegt worden – in die „endliche Einsetzung Jahns in sein Ehrenrecht“ umgeschlagen sei.27 Besonders intensiv hat sich neben Eckardt, der, wie bemerkt, Jahn 1937 als „Vorläufer und Lehrer des Nationalsozialismus“ bezeichnete, der damalige Jugendwart der DT, Edmund Neuendorff mit vielen Veröffentlichungen, darunter seiner Jahn-Biographie von 1928, um die Vereinnahmung Jahns durch den Nationalsozialismus bemüht.28 Bereits 1930 erscheint Jahn in einer der in der DTZ publizierten Arbeiten Neuendorffs anekdotenhaft als „unser Turnvater, der bekannte Nationalsozialist“.29 Auf diese Weise haben Eckardt und Neuendorff, die die Jahn-Rezeption der „Weimarer Zeit“ dominierten, geholfen, die Vereinnahmung Jahns durch die Nationalsozialisten unmittelbar vorzubereiten. Dass die Deutsche Turnerschaft (DT) und ihre Propagandisten seit der „Reichsgründungsära“ die zweite Lebenshälfte Jahns mit ihrem vermeintlichen Höhepunkt, seinem Wirken als Abgeordneter in der Frankfurter Nationalversammlung, so stark in den Vordergrund gestellt und dabei gleichzeitig so „umgeschrieben“ haben, dass Jahn unter den verschiedenen, sich wandelnden gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen stets als herausragender „Nationalheros“ erscheinen konnte, ist sicherlich mit ein Grund dafür, dass Jahn auch heute noch Gegenstand kontroverser Diskussionen ist.

27 So in der 2. Aufl. von Eckardts Jahnbiographie 1931, zit. nach Sprenger (1985), S. 192 mit Anmerkungen. 28 Vgl. Sprenger (1985), S. 192–196. 29 Zit. nach Sprenger (1985), S. 196.

Verzeichnis der Abkürzungen ADB Allgemeine Deutsche Biographie. EJW Euler, Carl (Hrsg.): Friedrich Ludwig Jahns Werke, Bd. 1, Bd. 2.1 und Bd. 2.2, Hof 1884–1887. DTZ Deutsche Turn-Zeitung L/U

Langenfeld, Hans/Ulfkotte, Josef (Hrsg.): Unbekannte Briefe von Friedrich Ludwig Jahn und Hugo Rothstein, Oberwerries 1990.

M1

Meyer, Wolfgang (Hrsg.): Die Briefe Friedrich Ludwig Jahns, Leipzig 1913.

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Meyer, Wolfgang (Hrsg.): Die Briefe F.L. Jahns (=Quellenbücher der Leibesübungen Bd. 5), Dresden o.J. 1930.

Qu

Quehl, Friedrich (Hrsg.): Briefe von Friedrich Ludwig Jahn. Band  1, Hamburg 1918.

U

Ulfkotte, Josef (Hrsg.): Briefe von Friedrich Ludwig und Emilie Jahn an Wilhelm Lübeck. 1835–1876, Zentral- und Landesbibliothek Berlin 2010.

ZLB

Zentral- und Landesbibliothek Berlin.

Quellen- und Literaturverzeichnis 1. Archivalien 1.1 Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Abt. Merseburg – LHSA, Abt. MER, Rep. C 48 Ia, Nr. 211: Die in Angelegenheiten der deutschen Kaiserfrage im hiesigen Regierungsbezirk hervorgerufene Stimmung (1849). – LHSA, Abt. MER, Rep. C 48 Ib, Nr. 683: Acta betreffend die Gedächtnis-Feier des Gustav Adolphs bei Lützen und die Errichtung eines Denkmal’s. – LHSA, Abt. MER, Rep. C 50, Querfurt A/B, Nr. 42, Bd. 3: Zeitungsberichte des Magistrats von Freiburg vom 27. November 1848 für Oktober und November. – LHSA, Abt. MER, Rep. C 50, Querfurt A/B, Nr. 281: Acta spez. des Königlich Preußischen Landraths Querfurter Kreises betreffend: Beobachtung von Kundgebungen, der öffentlichen Stimmung sowie Maßnahmen gegen Missleitung derselben auf dem Gebiete der Politik. – LHSA, Abt. MER, Rep. C 50, Querfurt A/B, Nr. 283: die öffentliche Ordnung, Sicherheit und Sitte, politische und öffentliche Vereine, öffentliche Versammlungen und Aufzüge, die Redefreiheit und die Presse. – LHSA, Abt. MER, Rep. C 50, Querfurt A/B, Nr. 290/91: Acta des Landraths betreffend: die politischen Ereignisse und Exesse in den Jahren 1848/49. – LHSA, Abt. MER, Rep. C 50, Querfurt A/B, Nr. 294: Die sogenannten freien Gemeinden 1850/70. – LHSA, Abt. MER, Rep. C 50, Querfurt A/B, Nr. 359: Acta spez. des Königlich Preußischen Landraths Querfurter Kreises betreffend: Sängervereine. – LHSA, Abt. MER, Rep. C 50, Querfurt A/B, Nr. 360: Acta spez des Königlich Preußischen Landraths Querfurter Kreises betreffend: Turnvereine. – LHSA, Abt. MER, Rep. C 50, Querfurt A/B, Nr. 387: Acta des Königlich Preußischen Landraths Querfurter Kreises betreffend: die Wahl der Wahlmänner Behufs Ausführung der Allerhöchsten Verordnung über die Wahl der preußischen Abgeordneten zur Deutschen Nationalversammlung vom 11. April 1848.

1.2 Archiv des Jahnmuseums Freyburg an der Unstrut – Protokoll über die Wahl des Vorstandes der Gesellschaft Erholung am 13ten December 1849. – Aufforderung zum Beitritt zur Erholung.

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Quellen- und Literaturverzeichnis

1.3 Archiv der Stadt Freyburg an der Unstrut – Stadtchronik . – Acta des Magistrats zu Freyburg betreffend die Polizei-Aufsicht über den Dr. Friedrich Ludwig Jahn (zitiert: Acta Freyburg).

1.4 Stadtmuseum Halle /S. – Eckardtsbergaer Kreis. Acta: Die polizeiliche Aufsicht über den D. Jahn allhier (zitiert: Acta Eckardtsberga).

2. Zeitungen 2.1 allgemeine Tageszeitungen Allgemeine Zeitung, 1819. Bremer Zeitung, 1819. National-Zeitung, 1819. Oppositions-Blatt oder Weimarische Zeitung, 1819. Rheinisch-Westfälischer Anzeiger, 1819. Die Wage, 1820

2.2 Turnzeitungen Altes und Neues vom Turnen. Freie Hefte, hrsg. von H.F. Maßmann, Berlin, 1849. Deutsche Turn-Zeitung. Für die Angelegenheiten des gesamten Turnwesens. Blätter der Deutschen Turnerschaft, 1856 ff. Die Deutsche Turnhalle. Eine Wochenschrift für Turnerei und turnerische Interessen. Organ des mittelrheinischen Turnbezirks-Verbandes. Redaktion: S. Heinemann, Mainz, 1849–1850. Jahrbücher der deutschen Turnkunst, hrsg. von Karl Euler, Danzig (1843), Solingen (1844). Mainzer Turn-Zeitung, hrsg. von Eduard Müller, Mainz, 1846. Nachrichtsblatt für Deutschlands Turnanstalten und Turngemeinden, hrsg. von A. Ravenstein und Mülot, Frankfurt a.M., 1846–1847. Rheinische Turnhalle. Zeitschrift für Gymnastik, hrsg. von C. Imandt, Krefeld, 1847–1848. Der Turner. Zeitschrift gegen geistige und leibliche Verkrüppelung, hrsg. von Ernst Steglich, Dresden, 1846–1852. Turn-Zeitung, hrsg. von Karl Euler und Dr. Lamey, Karlsruhe 1846–1847.

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Personenregister Albrecht, Wilhelm Eduard 70 Altenstein, Karl Sigmund Franz Fhr. v. 126 Amory, William 116–118 Andree, Karl 226, 227 Angerstein , Eduard 249, 251 Arminius (Hermann) 29, 91 Arndt, Ernst Moritz 13, 26, 28, 29, 41, 76, 87, 122, 128, 168, 179, 182, 202, 213, 215, 230 Arneth, Alfred v. 217 Arnold (Familie) 149 Arnold, Eduard 143, 149. 152, 153, 164, 240 Arnold, Friedrich 152 Ascher, Saul 13, 14, 23, 31 Attila (Etzel) 79 Auerswald, Hans Adolph Erdmann v. 180–183, 217 August, Ernst Ferdinand 50, 67, 251, 253 Ballot, Wilhelm 123 Baltzer, Eduard 149, 243 Bamberger, Ludwig 170, 171 Bartels 139, 140 Basedow, Johannes Bernhard 100, 103 Bassermann, Friedrich Daniel 163, 183 Baur, Albert 108 Beck, C. 115 Beck, Karl 36 Benedey 159 Benzenberg, Johann Friedrich 39, 41 Bernau, Ernst 46 Beseler, Carl Georg Christoph 169, 219 Biedermann, Friedrich Carl 155, 197, 205, 215, 218, 223 Bismarck, Otto v. 17, 234, 249, 254, 255 Bleibtreu 253

Blomberg, Karl Alexander Fhr. v. 46 Blum, Engelbert 91 Blum, Robert 91–93, 95, 97–99, 128, 131, 159, 169, 187–191, 193, 195, 219, 229 Börne, Ludwig 45, 76, 77, 81, 82, 84, 87 Böttcher, Moritz 123 Boppe, C. Hermann 187 Boyen, Hermann v. 28 Bräuer 109 Brandenburg v. 206 Brentano, Clemens 40 Brentano, Lorenz Peter Carl 231 Bucher, August Leopold 53, 108 Büchner, Georg 76 Burckhard, Jacob 68 Burkhard 146 Catilina 84 Chateaubriand, Francois René Vicomte de 90 Clausewitz, Carl v. 28 Clias, Phokion Heinrich 108 Cortés, Cortez, Hernando 180 Cunningham 117, 118 Czierschke 38 Dahlmann, Friedrich Christoph 70, 169, 218, 219, 256 Danckelmann, Frh. v. 56, 57, 59 Danneil, Johann Friedrich 126, 127 Deetz, Albert August Wilhelm 221 Devantier 55 De Wette, Wilhelm Martin Leberecht 42 Dieffenbach, Johann Friedrich 73 Diesterweg, Friedrich Adolf Wilhelm 164 Dieter, H. Eduard 110 Dillenburg, Haas v. 160, 166 Döllinger, Johann Josef Ignaz 217

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Personenregister

Döring, Heinrich 45 Dohm, Wilhelm 20, 21, 25 Dörnberg, Wilhelm Caspar Ferdinand Fhr. v. 86 Dräsecke, Johann Heinrich Bernhard 38, 72, 95 Droysen, Johann Gustav Bernhard 218 Dürre, Christian Eduard Leopold 73, 74, 108, 111- 113, 123, 126, 141, 142, 249, 254 Duncker, Maximilian Wolfgang Theodor Julius 166, 201, 210, 217, 218, 220 Ehrenheim 96 Eichhorn, Johann Albrecht Friedrich 122, 144 Eiselen, Ernst Wilhelm Bernhard 67, 104, 108–111, 113, 118, 120–123, 127, 136, 251 Eiselen, Johann Friedrich Gottfried 121, 122, 181 Eisenmenger, Johann Andreas 20, 22 Encke, Erdmann 250 Engelbach, Georg 251 Erichson 96 Espe 66 Etzler 83 Euler, Carl 50,51, 99, 121, 141, 153, 165, 168, 174, 179–183, 194, 196, 199, 201, 203, 210, 212, 214, 216, 219, 220, 232, 246 Euler, Karl 121 Ewald, H. 70 Feddern, Philipp August 123 Fein, Georg 148 Feuerstein, Carl Friedrich Wolf 67, 78 Fichte, Johann Gottlieb 13, 23, 76, 101, 103 Fickert 67, 201 Fischer, A. 251, 253 Florencourt, Franz v. 154–156 Flügel 111

Förster, Friedrich Christoph 36, 39, 42 Follen (Follenius), Karl 39, 115, 117 Friedrich Wilhelm III. 48, 148 Friedrich Wilhelm IV. 115, 125, 148, 152, 202, 220–224, 228, 234, 238, 243 Fries, Jakob 51 Friesen, Karl Friedrich 32 Funck, v. 56 Gagern, Heinrich Wilhelm August Frh. v. 179, 195, 196, 205–211, 221, 223, 234, 254, 256 Gagern, Maximilian Joseph Ludwig Frh. v. 209, 210 Georgii, Theodor 140, 159, 160, 171 Gerstner 153 Gervinus, Georg Gottfried 70, 218 Giskra, Carl 204 Glaser, Conrad 66, 87, 136 Glaß, Richard 128, 129, 131–133 Gleich, Friedrich 79, 80 Gneisenau, August Graf Neidhardt v. 28 Gobineau, Joseph Arthur Graf de 22 Goethe (Göthe), Johann Wolfgang v. 23, 39, 82 Gölkel 50 Görres, Jakob Joseph v. 41, 87 Goldammer 253 Grabbe, Christian Dietrich 15 Grävell, Maximilian Carl Friedrich Wilhelm 213 Gras(ß)hof, Joachim Ludwig 46 Grattenauer, Karl Wilhelm Friedrich 22 Grimm, Jacob Ludwig Carl 70, 122, 173 Grimm, Wilhelm 70 Grothe, August Otto Graf v. 114 Gruber 67 Grubitz 72 Gruner, Karl Justus v. 28, 32, 102, 106 Gustav Adolph 93, 95, 97, 145 GuthsMuths (GutsMuths), Johann Christoph Friedrich 103, 191

Personenregister

Gutike 67 Gutzkow, Karl 76, 77, 82–85, 87 Haenisch 9, 50 Hafemann 55 Haken 49 Hardenberg, Friedrich Fhr. v. (s. Novalis) 28 Hardenberg, Karl August Fürst v. 34, 106, 143 Harnisch, Christian Wilhelm 148 Hartmann 50 Haussmann 251 Haym, Rudolf 166, 183, 194, 201, 203, 204, 217, 218, 228, 246, 255, 256 Hecker, Friedrich 160, 162, 163, 165, 170 Heckscher, Johann Gustav Wilhelm Moritz 183 Heidrich 199, 227 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 23, 28 Heine, F. C. 36, 49 Heine, Heinrich 70, 76, 77, 81, 82, 84, 88–91, 99, 230 Heinze 108 Heinzelmann 127 Helldorf, v. 63, 238, 240–244 Helmolt, v. 59, 60, 62 Henkel, Heinrich Ludwig Michael 215 Hentsch (Familie) 53 Herder, Johann Gottfried v. 23 Hergenhahn, August 210 Herloßsohn, Georg Karl Reginald 79 Hesse 165 Heubner, Otto Leonhard 121 Heusinger, Johann Friedrich Wilhelm 110 Heyl d. Ältere 251, 253 Hitzig, Julius Eduard 124 Hoffmann, Ernst Theodor Amadeus (E.T.A.) 14, 48 Hoffmann 38

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Holtzendorff-Vietmannsdorff , Franz v. 107, 153 Hund-Radomsky 79 Imandt, Caspar 139, 140, 154 Immermann, Karl Leberecht 98–101, 103, 105 Itzstein, Johann Adam v. 184 Jacobs, Friedrich 28 Jahn, Arnold Siegfried 9, 48, 51, 54, 61, 70, 107, 119, 202 Jahn, Emilie geb. Hentsch 9, 53–55, 65, 114, 116, 119, 202, 214, 216, 225, 226, 251–253 Jahn, Emma Sieglinde 9, 51, 54, 65, 109, 119, 133–135 Jahn, Friedrich Ludwig 5–7, 9–15, 19, 21, 23, 24, 26–28, 30–35, 37–74, 76, 78, 79, 81–95, 97–129, 131, 133–188, 190–194, 196–204, 206–208, 210– 226, 228–236, 239, 240, 242–257 Jahn, Helene geb. Kollhof 9, 38, 46, 48, 51–53, 55, 72 Jahn, Sieglinde 51 Jahn, Waldemar 51 Janke, Johann Ernst Theodor 46, 165 Jarcke, Karl Ernst 147 Jörg, Luise und Theresa 109 Johann (Erzherzog) 217 Jordan, Karl 70, 176 Joseph III. 20 Kaiserberg 100 Kalb, Philipp Leonhard 145 Kalb 201, 227 Kallenberg 214, 232 Kamptz, Karl Albert v. 41, 46, 51, 53, 67, 106 Kant, Immanuel 23 Karl v. Mecklenburg 107 Kawerau 253 Keibel, G. 36, 251

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Personenregister

Kerst 251 Kinderling, Heinrich 136 Kirkland 116 Kleist, Heinrich v. 29 Kloss, Moritz 120–122 Kluge 251 Knoblauch 251, 253 Kochhann 251 Körner, Theodor 35, 82, 86 Kohlrausch, Heinrich Friedrich Theodor 47 Kolbe 244 Konstantin I. (der Große) 203 Kotzebue, August v. 34, 85 Kühne, Gustav 76 Künßberg, Heinrich 197 Künstler 245 Landmann 127, 208 Laube, Heinrich Rudolf Constanz 76, 81, 82, 84, 89, 91, 92, 164, 205, 206, 217, 228, 229 Lehmann, Eduard 121 Leo, Heinrich 84, 119 Lette, Wilhelm Adolph 180 Leupold, Heinrich 67, 72 Lichnowsky. Felix Maria Vincenz, Andreas, Fürst v. 169, 179–183, 219 Lichtenberg, Georg Christoph 39 Lieber, Franz 108, 111, 112, 115, 118 Lieber, Gustav 36, 111 Lippold 68, 110 Lobedan 71 Looß 212, 239 Lorinser, Karl Ignaz 110 Lortet, Pierre 32, 73, 74, 111, 112 Lossius, Caspar Friedrich 134 Louis Philippe 151 Luden, Heinrich 98 Lübeck, Wilhelm 5, 67, 73, 98, 109, 110, 114, 118–120, 122, 124, 128, 129, 131, 135–137, 155, 160, 165, 166, 200, 202, 246, 251, 253

Lützow, Ludwig Adolf Wilhelm Frh. v. 35, 46 Ludwig XVI. 161 Luther, Martin 17, 19, 20, 43, 100, 142, 144–146, 203 Maifeld 196 Marggraff, Franz Eberhard 121, 251 Marr, Wilhelm 16 Marschall 108 Maßmann, Hans Ferdinand 73, 90, 91, 108, 111–113, 120–124, 136, 137, 144, 148, 249, 251 Maßmann, Th. 36 Mathy, Carl Friedrich Wilhelm 210, 211 Mazzini, Giuseppe 76 Meffert (Familie) 54, 55, 119 Menzel, Wolfgang 77, 82, 83, 87 Metternich, Germain 139, 161, 162 Metternich, Klemens Wenzel Lothar Fürst v. 32, 34, 75, 76, 147 Meyern, Wilhelm Friedrich v. 100 Michaelis, David 21, 22, 24, 25 Mittermaier, Carl Joseph Anton 158, 179 Möller 251 Mühlenfels, Ludwig v. 40, 71, 165 Mühler 62 Müller 155 Münster, Ernst Herbert Friedrich Graf zu 79 Mützell, Alexander August 48, 80, 81, 84, 106, 118 Mundt, Theodor 76, 84, 87 Myron, v. 38 Napoleon Bonaparte 13, 28, 29, 31, 86, 201 Nettelbeck, Joachim Christian 11, 49, 50 Neuhaus 153 Nibur (s. Niebuhr) 114 Niebuhr, Barthold Georg 114

Personenregister

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Niemeyer, August Hermann 99, 136 Novalis 28

Rupp, Julius 148 Rupp, Leopold und Johann 140

Ortlepp, Ernst 79, 81

Sand, Carl Ludwig 34 Sallust 84 Salzmann, Christian Gotthelf 103 Schärttner, August 138, 157, 160, 170, 184 Schaffrath, Wilhelm Michael 159, 176 Schallehn, Johann Albert Eduard 71 Schallehn, Ludwig 71 Scharf 133 Scharnhorst, Johann Gerhard David v. 28, 143, 154 Schiele 139 Schier 143, 146, 149, 245 Schill, Ferdinand v. 86 Schiller, Friedrich 29, 100 Schilling 248 Schlegel, Friedrich 28 Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst 23, 29, 99 Schmerling, Anton Ritter v. 178, 190, 192, 193, 195 Schmidt 199, 227 Schöppach, Karl 88, 136 Schuckmann, Friedrich v. 55, 56 Schüler, Gottlieb Christian 212, 213, 218, 228 Schultze 251, 253 Schuselka, Franz 175 Schwager 22 Schwarz, Carl Heinrich Wilhelm 131, 166 Schwarzenberg, Felix Fürst zu 195 Schweitzer 107 Schwerin-Putzar, Maximilian Heinrich Carl Anton Curt, Graf v. 217 Schwetschke, Carl Gustav 131, 166 Siegemund 249 Siebenpfeifer, Philipp Jacob 75 Simon, August Heinrich 207, 208, 220, 223

Pagon, Georgius Th. 111, 113 Paul, Jean (s. Friedrich Richter) 100 Pfuel, Ernst v. 251, 253 Pito 36, 39 Plathner, Otto Heinrich Leopold 220 Plehwe, L. v. 36, 38 Preuß, Gustav 121 Pröhle, Heinrich 49, 54, 71, 72, 74, 112, 119, 125, 128, 146, 147 Quehl, Friedrich Wilhelm 9, 246, 247 Radowitz, Joseph Maria Ernst Christian Wilhelm v. 147, 169, 182, 186, 187, 206, 207, 210, 219, 227, 228 Rakow 249 Ranke, Heinrich 108, 253 Rauschenblatt (s. Rauscheplat) 245 Rauscheplat, Johann Ernst Arminius v. 245 Raveaux, Franz 169, 214 Ravenstein, August 72, 121, 140, 155, 167, 172 Reh¸ Jacob Ludwig Theodor 210 Reimer, Georg Andreas 116, 123 Reinhar(d)t, H. 231 Richter, Friedrich (= Jean Paul) 100 Ringelhardt, Friedrich Sebald 91 Rochow, Gustav Adolf Rochus v. 62, 65, 69, 125, 126, 141, 144 Roller, Franz Anton 67, 113 Rotteck, Karl v. 81 Rousseau, Jean-Jacques 102 Rühlmann 153 Rühs, Christian Friedrich 13, 29 Ruge, Arnold 169, 191, 215, 217, 219, 230, 231

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Personenregister

Simson, Martin Eduard Sigismund 195. 211. 223 Soiron, Johann Georg Alexander Frh. v. 158 Spaltholz 40 Spatzier, Richard Otto 79–81 Spieß, Adolf 108, 191 Star(c)k, Carl 46 Steger, Friedrich 131 Steglich, Ernst 140, 183, 189–191 Stein, Reichsfreiherr vom und zum 26–28, 31, 114, 115, 139, 143, 253 Steinhart, Karl Heinrich August 67 Stiebel, Dr. Salomon Friedrich 30, 33 Stockmann 231 Strack, Christian Friedrich Leberecht 47 Streit, Ernst Friedrich Wilhelm 133 Struve, Gustav 137, 159, 160, 162, 163, 165, 170 Stumpf 55, 243 Tetzel, Johann 203 Thewalt, Carl 172, 173 Thiersch, Friedrich Wilhelm 79, 113 Treitschke, Heinrich v. 24, 218, 254 Turte, Carl 46 Uhland, Johann Ludwig 213, 215, 217, 235 Uhlich, Leberecht 147–149, 154, 236, 243, 244 Ulrich, Karl 68, 72, 131 Vanselow 55 Varnhagen von Ense, Karl August 181 Vincke, Georg Ernst Friedrich Frh. v. 114, 115, 169, 180, 219 Vischer, Friedrich Theodor 177, 217 Vogt, August Christow Carl 169, 204, 219 Voigt, F. 249, 251 Voltaire (eigtl. Francois-Marie Arouet) 22

Wackernagel, Philipp Karl Eduard 108 Waitz, Georg 216, 218 Wallenstein, Albrecht Eusebius Wenzel v. 145 Wangenheim, Heinrich Ludwig Karl v. 68, 71 Warren, John C. 116–118 Wassmannsdorf, Karl Wilhelm Friedrich 123 Weber, Wilhelm Eduard 70 Weidig, Friedrich Ludwig 76 Weidlich 240, 242, 244, 245 Weiher, v. (Brüder, Offiziere) 37 Weißenborn, Karl Heinrich 131 Welcker, Carl Theodor Georg Philipp 169, 219, 228 Werner, Johann Adolf Ludwig 108, 110 Wichmann, Wilhelm Joseph 168, 169, 175, 176, 182, 183, 195–197, 201, 204, 205, 213, 215, 217, 219, 220, 229 Widekind (Wiedekind), Karl v. 37, 39 Wieland, Christoph Martin 100 Wienbarg, Ludolf 76, 82–84 Wigard, Franz Jacob 159, 170, 171, 216 Wirth, Johann Georg August 75, 76 Wislicenus, Gustav Adolf 147, 149, 243 Wittgenstein, Wilhelm Ludwig Georg Fürst zu 40 Wolf 244 Wolff, W. 253 Wrangel, v. 225, 226 Wredow 53 Würkert 95, 96 Wydenbrugk, Oskar Wilhelm Eberhard Frh. v. 205 Zabel 251 Zell, Friedrich Joseph 204 Zelle, Friedrich 37, 39, 111, 112

Personenregister

Zille, M. A. 188 Zimmermann, Balthasar Friedrich Wilhelm 186

Zitz, Franz Heinrich 169, 219, 231 Zober, Ernst Heinrich 37, 67, 112

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HANS-JOACHIM BARTMUSS EBERHARD KUNZE JOSEF ULFKOTTE (HG.)

»TURNVATER« JAHN UND SEIN PATRIOTISCHES UMFELD BRIEFE UND DOKUMENTE 1806–1812

Wie ein Blick in vorhandene Biografien zeigt, sind einzelne Lebensphasen des als »Turnvater Jahn« bekannten Pädagogen Friedrich Ludwig Jahn (1778– 1852) von der Forschung bisher kaum beachtet worden. Dazu zählen auch die Jahre zwischen dem erfolglosen Ende seiner Studienzeit in Göttingen und seinen Anfangsjahren in Berlin. Diese eher »dunklen Lebenjahre« will nun die vorliegende Quellensammlung erhellen, indem sie bisher weitgehend unveröffentlichte Primärquellen vereinigt, die nähere Aufschlüsse über Jahn und sein personelles Umfeld ermöglichen. Neben persönlichen Briefen und Dokumenten versammelt die Edition ebenso zeitgenössische Porträts über ihn wie zu Lebzeiten erschienene Rezensionen seines Hauptwerkes »Deutsches Volksthum«. 2009. 276 S. 18 S/W-ABB. AUF 15 TAF. GB. 155 X 230 MM. ISBN 978-3-412-20190-6

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Veit Veltzke (Hg.)

Für die FreiHeit – gegen napoleon Ferdinand Von ScHill , preuSSen und die deutScHe nation

Ferdinand von Schill ist ein gesamtdeutsches Thema. Spuren des preußischen Husarenmajors (1776–1809) und seiner Truppen finden sich bis heute an den Stationen ihres Zuges von 1809 in Stralsund, Dömitz und Dodendorf sowie an den Hinrichtungsstätten der Soldaten in Wesel und Braunschweig. Der verzweifelte Versuch des Reiterführers scheiterte, mit seinem Regiment einen Krieg gegen Napoleon auf eigene Faust zu führen und einen Volksaufstand zu entfachen. Im Gedächtnis blieb er als erster preußischer Versuch, die französische Herrschaft abzuschütteln und den Imperator zu stürzen. Für die Romantik, die das deutsche Nationaldenken entscheidend prägte, war Ferdinand von Schill ein Held mit dem Mut zum Unbedingten, der selbst das Gebot des Gehorsams gegenüber seinem König brach, um der nationalen Idee zu dienen. Als tragischer Held wurde er zum Sujet zahlreicher romantischer Dichtungen. Das opulent ausgestattete Buch erzählt die Geschichte Ferdinand von Schills im Zusammenhang der europäischen Freiheitsbewegungen zwischen 1808 und 1815 und verfolgt seinen langen Ritt bis in die Gegenwart hinein. 2009. VIII, 440 S. MIt 107 S/w- u. 242 farb. abb. Gb. 210 x 275 MM. ISbN 978-3-412-20340-5

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