Mythos - Kerygma - Wahrheit: Gesammelte Aufsätze Zum Alten Testament in Seiner Umwelt Und Zur Biblischen Theologie [Reprint 2012 ed.] 3110128853, 9783110128857

In der Reihe Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft (BZAW) erscheinen Arbeiten zu sämtlichen Ge

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Mythos - Kerygma - Wahrheit: Gesammelte Aufsätze Zum Alten Testament in Seiner Umwelt Und Zur Biblischen Theologie [Reprint 2012 ed.]
 3110128853, 9783110128857

Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Quellenverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Altes Testament und Alter Orient Exegetische Beiträge
Mythische Elemente in der jahwistischen Schöpfungserzählung
Eine neue babylonische Menschenschöpfungserzählung im Licht keilschriftlicher und biblischer Parallelen – Zur Wirklichkeitsauffassung im Mythos
Erkenntnis und Verfehlung. Prototypen und Antitypen zu Gen 2–3 in der altorientalischen Literatur
Das Motiv für die Sintflut. Die hermeneutische Funktion des Mythos und seiner Analyse
Babylonischer und biblischer Mythos von Menschenschöpfung und Sintflut. Ein Paradigma zur Frage nach dem Recht mythischer Rede
Keilschriftliche Parallelen zum biblischen Hiobbuch Möglichkeit und Grenze des Vergleichs
Die lyrische Reproduktion des Mythischen im Hohenlied
Mythos und Transzendenz Beiträge zur Biblischen Theologie
Mythos, Ironie und der Standpunkt des Glaubens. Zur Phänomenologie biblischer Religion
Mythos und Kerygma. Anthropologische und theologische Aspekte
Segen im Alten Testament. Theologische Implikationen eines halb vergessenen Themas
Neue Aspekte der Anfragen Hiobs
Zur Wechselbeziehung von Wirklichkeitswahrnahme und Sprache
Register

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Hans-Peter Müller Mythos — Kerygma — Wahrheit

w DE

G

Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft Herausgegeben von Otto Kaiser

Band 200

Walter de Gruyter · Berlin · New York

1991

Hans-Peter Müller

Mythos — Kerygma — Wahrheit Gesammelte Aufsätze zum Alten Testament in seiner Umwelt und zur Biblischen Theologie

Walter de Gruyter · Berlin · New York 1991

® Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.

Die Deutsche Bibliothek



ClP-Einheitsaufnahme

Müller, Hans-Peter: Mythos — Kerygma — Wahrheit : gesammelte Aufsätze zum Alten Testament in seiner Umwelt und zur biblischen Theologie / Hans-Peter Müller. - Berlin ; New York : de Gruyter, 1991 (Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft ; Bd. 200) ISBN 3-11-012885-3 NE: Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft / Beihefte

ISSN 0934-2575 © Copyright 1991 by Walter de Gruyter 8C Co., Berlin 30 Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Satz und Druck: Arthur Collignon GmbH, Berlin 30 Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz und Bauer, Berlin 61

Vorwort Die aus der Entmythologisierungsdebatte geläufige Folgeordnung „Kerygma und M y t h o s " ist umzukehren: der Mythos ist nicht nur älter als das biblische Kerygma; er setzt sich auch mit einigen seiner wesentlichen Strukturmerkmale in das Kerygma hinein fort. Innerhalb des Alten Testaments finden wir ihn in der Urgeschichte, dem Buch Hiob, dem Hohenlied, aber auch andernorts in mannigfaltigen Abwandlungen vor. Schon darum bemüht sich die Alttestamentliche Wissenschaft wieder stärker, als es noch vor einer Generation der Fall war, um die altorientalischen Parallelen ihrer Texte, vor allem auch um die babylonischen Schöpfungsmythen. Wenn vollends der moderne Mensch den Mythos aufsucht, wo er noch unmittelbarer lebendig ist, erfährt er zwar zunächst die Ferne und Fremdheit eines archaischen Daseinsgefühls; er erkennt aber zugleich, was in unseren eigenen religiösen und säkularen Vorstellungen und Emotionen archaisch und also dem mythischen Verstehen und Empfinden ähnlich geblieben ist. Wenn schließlich das Kerygma von Christus den Mythos in dem bekannten doppelten Sinne, wie es G . W. F. Hegel in einer anderen, weiterreichenden Bedeutung gemeint hat, „aufhebt", so ist es nicht nur ein modisches Gemenge von Nostalgie und Anpassungsbeflissenheit, sondern ein neuer Begriff vom Zentrum der biblischen Botschaft, der nach der Wahrheit des Mythos zu fragen Anlaß gibt. Dem Leser wird nicht entgehen, daß mit einer solchen Fragestellung wie überhaupt mit der Aufgabe, zu einer Biblischen Theologie beizutragen, der Graben zwischen Exegese und Systematischer Theologie, wenn schon nicht zugeschüttet, so doch jedenfalls überbrückt werden kann; darüber hinaus ist es dem Verfasser ein Anliegen, nicht nur zwischen theologischen und philosophischen Vorgehensweisen, sondern — in dem bescheidenen Maße, wie es ihm möglich ist — auch zwischen Geistes- und Naturwissenschaften zu vermitteln. In der hier vorliegenden Sammlung werden elf bereits veröffentlichte Arbeiten in thematischer Anordnung wieder abgedruckt, Aufsätze, die zwar nicht alle ausdrücklich von der Wahrheit des Mythos und des Kerygmas handeln, aber an dieser zugleich theologischen und philosophischen Frage ihre gemeinsame Mitte haben. Die Artikel erscheinen in unveränderter Form, obwohl sie Spuren ihrer Entstehungszeit tragen und — in ihrer zeitlichen Abfolge — einen gewissen Wandel der Einsicht ihres Verfassers bezeugen. Lediglich einige Fehler wurden verbessert; sonst wurde durch Nachträge auf neue Gesichtspunkte hingewiesen, die

VI

Vorwort

sich seit der Erstveröffentlichung der betr. Arbeiten ergeben haben. Wie immer bei Aufsatzsammlungen ließen sich gelegentliche Wiederholungen nicht ganz vermeiden. Ein zwölfter, bislang unveröffentlichter Aufsatz berührt ein anderes Arbeitsgebiet des Verfassers: die historisch vergleichende Grammatik der semitischen Sprachen mit ihren linguistischen Konsequenzen. Gebundenheit und Freiheit des Denkens frühantiker Völker werden ja nicht erst durch die literarischen Gattungen bestimmt, die sie benutzen, sondern schon durch die Strukturen ihrer Sprachen, die zu den Möglichkeiten und Beschränkungen ihrer Wirklichkeitswahrnahme unbewußt zwar, gerade dadurch aber um so nachhaltiger beitragen. Von daher stellt sich die Wahrheitsfrage an das altorientalische Sprechen und Denken noch einmal; sie richtet sich freilich in dem gleichen Maße an jeden neuzeitlicheuropäischen Sprachbenutzer, nicht zuletzt auch an den Sprachwissenschaftler, der über die Denkkategorien (früh) antiker Sprachen mit den Instrumentarien einer modernen Sprache zu sprechen und zu schreiben genötigt ist. Dieser abschließende Artikel mutet dem Leser eine Reihe von Detailinformationen zu, ohne die die Reflexion über die in eine Sprache eingegangene „Weltansicht" (W. von Humboldt) nicht auskommt; er erhebt freilich auch den Anspruch, eine neue Theorie zur Semantik und Syntax des umstrittenen althebräischen Verbalsystems zu bieten und so zur alttestamentlichen Grundlagenforschung beizutragen. Herrn Kollegen Otto Kaiser danke ich für die Aufnahme des Buches unter die „Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft" sowie Herrn Dr. Diethard Römheld, Assistenten am Alttestamentlichen Seminar der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, für die Herstellung des Computersatzes des letzten Beitrages dieses Bandes, dessen sich der Verlag Walter de Gruyter &c Co. mit anerkennenswerter Sorgfalt angenommen hat. Abkürzungsverzeichnis und Register wurden von Herrn Volker Kluft zusammengestellt, dem dafür ebenfalls mein Dank gilt. Münster, den 15. April 1991

Hans-Peter Müller

Inhaltsverzeichnis Vorwort

V

Quellenverzeichnis

IX

Abkürzungsverzeichnis

XI

Altes Testament und Alter Orient Exegetische Beiträge 1. Mythische Elemente in der jahwistischen Schöpfungserzählung

3

2. Eine neue babylonische Menschenschöpfungserzählung im Licht keilschriftlicher und biblischer Parallelen — Zur Wirklichkeitsauffassung im Mythos 43 3. Erkenntnis und Verfehlung. Prototypen und Antitypen zu Gen 2 —3 in der altorientalischen Literatur

68

4. Das Motiv für die Sintflut. Die hermeneutische Funktion des Mythos und seiner Analyse

88

5. Babylonischer und biblischer Mythos von Menschenschöpfung und Sintflut. Ein Paradigma zur Frage nach dem Recht mythischer Rede 110 6. Keilschriftliche Parallelen zum biblischen Hiobbuch. Möglichkeit und Grenze des Vergleichs 136 7. Die lyrische Reproduktion des Mythischen im Hohenlied . . . 152

Mythos und Transzendenz Beiträge zur Biblischen Theologie 8. Mythos, Ironie und der Standpunkt des Glaubens. Zur Phänomenologie biblischer Religion 175 9. Mythos und Kerygma. Anthropologische und Aspekte

theologische 188

VIII

Inhaltsverzeichnis

10. Segen im Alten Testament. Theologische Implikationen eines halb vergessenen Themas 220 11. Neue Aspekte der Anfragen Hiobs 12. Zur Wechselbeziehung Sprache

von

Register 1. Sachbegriffe und Namen 2. Lexeme und Kontextformen 3. Belegstellen

Wirklichkeitswahrnahme

253 und 264 311 311 315 317

Quellenverzeichnis Mythische Elemente in der jahwistischen Schöpfungserzählung • zuerst in: Z T h K 69, 1972, 2 5 9 - 2 8 9 , hier wieder abgedruckt in der Fassung aus: H.-P. Müller (ed.), Babylonien und Israel (Wege der Forschung Band 633), 1991, 1 1 4 - 153; die ursprüngliche Paginierung ist im Text mit eckigen Klammern beigefügt.

Eine neue babylonische Menschenschöpfungserzählung im Licht keilschriftlicher und biblischer Parallelen — Zur Wirklichkeitsauffassung im Mythos • in: Or. 58, 1989, 6 1 - 8 5 .

Erkenntnis und Verfehlung. Prototypen und Antitypen zu Gen 2 —3 in der altorientalischen Literatur • in: T. Rendtorff (ed.), Glaube und Toleranz. Das theologische Erbe der Aufklärung, 1982, 1 9 1 - 2 1 0 .

Das Motiv für die Sintflut. Die hermeneutische Funktion des Mythos und seiner Analyse • in: ZAW 97, 1985, 2 9 5 - 3 1 6 .

Babylonischer und biblischer Mythos von Menschenschöpfung und Sintflut. Ein Paradigma zur Frage nach dem Recht mythischer Rede • in: W. Strolz (ed.), Vom alten zum neuen Adam. Urzeitmythos und Heilsgeschichte, 1986, 4 3 - 6 8 .

Keilschriftliche Parallelen zum biblischen Hiobbuch. Möglichkeit und Grenze des Vergleichs • in: Or. 47, 1978, 3 6 0 - 3 7 5 (Festfaszikel zum 70. Geburtstag Wolfram von Sodens), wieder abgedruckt in: Müller (ed.), Babylonien und Israel, 400 — 419.

Die lyrische Reproduktion des Mythischen im Hohenlied • in: Z T h K 73, 1976, 2 3 - 4 1 .

Mythos, Ironie und der Standpunkt des Glaubens. Zur Phänomenologie biblischer Religion • in: T h Z 31, 1975, 1 - 1 3 .

Mythos und Kerygma. Anthropologische und theologische Aspekte • in: Z T h K 83, 1986, 4 0 5 - 4 3 5 .

Segen im Alten Testament. Theologische Implikationen eines halb vergessenen Themas • in: Z T h K 87, 1990, 1 - 3 2 .

Neue Aspekte der Anfragen Hiobs • in: R. Albertz u. a. (edd.), Schöpfung und Befreiung. Für Claus Westermann zum 80. Geburtstag, 1989, 1 7 8 - 1 8 8 .

Abkürzungsverzeichnis bearbeitet von Volker Kluft AAMz

Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften und der Literatur,

ABZ

R.

Mainz Borger,

Assyrisch-babylonische

Zeichenliste

(AOAT

33),

Keve-

laer - Neukirchen-Vluyn 1978 AcOr

Acta Orientalia

AfO

Archiv für Orientforschung

ÄgAbh

Ägyptologische Abhandlungen, Wiesbaden

AHw

W. von Soden, Akkadisches Handwörterbuch, Wiesbaden I 1965 ( 2 1985),

ANEP

J . B. Pritchard, T h e Ancient Near East in Pictures relating to the Old

ANET

J . B. Pritchard, Ancient Near Eastern Texts relating to the Old Testa-

AnOr

Analecta Orientalia, Rom

II 1972, III 1981 Testament, Princeton 2 1969/74 ment, Princeton 3 1969 AnSt

Anatolian Studies, London

AO

Der Alte Orient

AO

nicht bibliographisch: Tafelsignatur des Musee du Louvre. Antiquites

AOAT

Alter Orient und Altes Testament. Veröffentlichungen zur Kultur und

orientales Geschichte des Alten Orients und des Alten Testaments, Kevelaer - Neukirchen-Vluyn AOS

American Oriental Series, New Haven

ARES

Archivi reali di Ebla. Studi, R o m

ARET

Archivi reali di Ebla. Testi, R o m

ArOr

Archiv Orientalni

AS

Assyriological Studies, Chicago

ATD

Das Alte Testament Deutsch, Göttingen

AUU

Acta Universitatis Upsaliensis

BaM

Baghdader Mitteilungen, Berlin

BASOR

Bulletin of the American Schools of Oriental Research

BHK

Biblia Hebraica, ed. R . Kittel, Stuttgart 3 1937

BHS

Biblia Hebraica Stuttgartensia, Stuttgart 1967/77

Bibl

Biblica

BiOr

Bibliotheca Orientalis

BK

Biblischer Kommentar, Neukirchen-Vluyn

BLA

Η. Bauer —P. Leander, Grammatik des Biblisch-Aramäischen, Halle 1927

BLe

H. B a u e r - P . Leander, Historische Grammatik der hebräischen Sprache

( = 1969) des Alten Testaments, Halle 1922 ( = 1962)

XII BM Bo BRL Brockelmann — Lex. Syr. - Synt. - VG BSOAS BWL BZ CAD CT CTA CTM DVfLG EdF EvTh GAG GKa HAL HAT HGr HK(AT) HKL HO HUCA Iraq IZBG IZBW JBL JCS JNES JSOT JSS KAI Kairos KAR ΚΑΤ

Abkiirzungsverzeichnis nicht bibliographisch: Tafelsignatur des British Museum nicht bibliographisch: Tafelsignatur der Boghazköj-Texte "K. Galling, Biblisches Reallexikon, Tübingen H937, 2 1977 C. Brockelmann, Lexicon Syriacum, Halle 2 1928 ( = 1966) C. Brockelmann, Hebräische Syntax, Neukirchen-Vluyn 1956 C. Brockelmann, Vergleichende Grammatik der semitischen Sprachen, Berlin I 1908, II 1913 ( = 1961, 1982) Bulletin of the School of Oriental and African Studies W. G. Lambert, Babylonian Wisdom Literature, Oxford 1960 ( = 1967, 1975) Biblische Zeitschrift The Assyrian Dictionary of the Oriental Institute of the University of Chicago, Chicago — Glückstadt 1956 ff. Cuneiform Texts from Babylonian Tablets in the British Museum, London 1896ff. A. Herdner, Corpus des tablettes en cuneiformes alphabetiques decouvertes a Ras-Shamra-Ugarit, Paris 1963 Calwer Theologische Monographien, Stuttgart Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte Erträge der Forschung, Darmstadt Evangelische Theologie W. von Soden, Grundriß der Akkadischen Grammatik (AnOr 33), Rom 1952; Ergänzungsheft (AnOr 47), Rom 1969 W. Gesenius —E. Kautzsch, Hebräische Grammatik, Leipzig 28 1909 L. Köhler - W. Baumgartner — J. J. Stamm u. a., Hebräisches und aramäisches Lexikon zum Alten Testament, Leiden 1967 ff. Handbuch zum Alten Testament, Tübingen mit Autorenname: Hebräische Grammatik H a n d k o m m e n t a r zum Alten Testament, Göttingen R. Borger, Handbuch der Keilschriftliteratur, Berlin I 1967, H/III 1975 Handbuch der Orientalistik, Leiden 1948 ff. Hebrew Union College Annual Iraq. British School of Archaeology in Iraq, London Internationale Zeitschriftenschau für Bibelwissenschaft und Grenzgebiete -> IZBG Journal of Biblical Literature Journal of Cuneiform Studies Journal of Near Eastern Studies Journal of the Study of the Old Testament Journal of Semitic Studies H. D o n n e r - W. Röllig, Kanaanäische und aramäische Inschriften I —III, Wiesbaden 3 1971 - 1 9 7 6 Kairos, Zeitschrift für Religionswissenschaft und Theologie E. Ebeling, Keilschrifttexte aus Assur religiösen Inhalts, Leipzig 1923 Kommentar zum Alten Testament, Gütersloh

Abkürzungsverzeichnis KBL KTU

KuD MAD MAOG MDOG MSL NTT NZSTh OA OLZ Or(NS) PLO QuadSem RA RB RLA SAHG SSA SVT Syria THAT ThSt ThWAT ThZ TMH UET UF UFBG UUA VAT VT WA WMANT WO WZKM ZA

XIII

L. Koehler — W. Baumgartner, Lexicon in Veteris Testamenti Libros, Leiden 2 1958 Die keilalphabetischen Texte aus Ugarit. Teil 1 Transkription von M . D i e t r i c h - O . L o r e t z - J . Sanmartin (AOAT24/1), K e v e l a e r - N e u k i r chen-Vluyn 1976 Kerygma und Dogma I. J. Gelb, Materials for the Assyrian Dictionary, Chicago 1952 ff. Mitteilungen der Altorientalischen Gesellschaft Mitteilungen der Deutschen Orient-Gesellschaft B. L a n d s b e r g e r - M . Civil u. a., Materialien zum sumerischen Lexikon, Rom 1937 ff. Norsk Teologisk Tidsskrift Neue Zeitschrift für systematische Theologie und Religionsphilosophie Oriens Antiquus Orientalistische Literaturzeitung Orientalia (Nova Series) Porta Linguarum Orientalium, Wiesbaden Quaderni di Semitistica, Florenz Revue d'Assyriologie et d'Archeologie Orientale Revue Biblique Reallexikon der Assyriologie, Berlin 1928 ff. A. Falkenstein - W. von Soden, Sumerische und akkadische Hymnen und Gebete, Zürich 1953 J. J. A. van Dijk, La Sagesse Sumero-Accadienne, Leiden 1953 Supplements to Vetus Testamentum, Leiden Syria Ε. Jenni —C. Westermann (edd.), Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament, München I 1971 ( 4 1984), II 1976 (31984) Theologische Studien, Zürich Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart 1970 ff. Theologische Zeitschrift Texte und Materialien der Frau Professor Hilprecht Collection im Eigentum der Universität Jena Ur Excavations. Texts Ugarit-Forschungen W. Mayer, Untersuchungen zur Formensprache der babylonischen „Gebetsbeschwörungen" (Studia Pohl. Series Maior 5), Rom 1976 Uppsala Universitets Arsskrift nicht bibliographisch: Tafelsignatur des Vorderasiatischen Museums Berlin Vetus Testamentum M. Luther, Werke. Kritische Gesamtausgabe („Weimarer Ausgabe"), 1883 ff. Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen Testament, Neukirchen-Vluyn Die Welt des Orients Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes Zeitschrift für Assyriologie und Vorderasiatische Archäologie

XIV ZAH ZAW ZBK ZDMG ZThK

Abkürzungsverzeichnis Zeitschrift für Althebraistik Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft Zürcher Bibel-Kommentar, Zürich Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft Zeitschrift für Theologie und Kirche

Altes Testament und Alter Orient Exegetische Beiträge

[114]

Mythische in d e r j a h w i s t i s c h e n

Elemente Schöpfungserzählung1

D i e f o l g e n d e n M a r g i n a l i e n z u r jahwistischen S c h ö p f u n g s e r z ä h lung u n t e r n e h m e n d e n Versuch, i m L i c h t ζ. T . neuen orientalischen Vergleichsmaterials

2

die m y t h i s c h e n E l e m e n t e dieses T e x t e s z u ana-

lysieren, seinen C h a r a k t e r als m y t h i s c h e E r z ä h l u n g z u definieren u n d d a s E r g e b n i s f ü r die I n t e r p r e t a t i o n a u s z u w e r t e n . Sie w o l l e n ein P a r a d i g m a liefern z u r F r a g e nach d e m R e c h t u n d der G r e n z e des

Die folgende Untersuchung ist ζ. T. im Zusammenhang mit einer interdisziplinären Übung entstanden, die ich im WS 1971/72 gemeinsam mit meinem Kollegen, Herrn Prof. Dr. J . Krecher vom Altorientalischen Seminar der Universität Münster, gehalten habe. 2 N e u hinzugekommen ist in letzter Zeit die Kenntnis einer altbabylonischen Fassung des Mythos von Atramhasls aus der Zeit König Ammi-saduqas, von der umfangreiche Fragmente im Britischen Museum aufgefunden wurden. Kopien von A. R. Miliard und W. G . Lambert in Cuneiform Texts 4 6 , 1 - 4 , 1965; Transkription und englische Ubersetzung des gesamten Materials zu Atramhasls einschließlich der sumerischen Sintfluterzählung C B S 10673 und eines Sintflutfragments aus Ugarit RS 22. 421 bei LambertMillard, Atra-HasTs. The Babylonian Story of the Flood, 1969. - G . Pettinato (Das altorientalische Menschenbild und die sumerischen und akkadischen Schöpfungsmythen, 1971) hat das Verdienst, eine größere Zahl wichtiger sumerischer und akkadischer Schöpfungserzählungen zusammengestellt und der theologischen Fragestellung zugeführt zu haben. Da der Verfasser dieses Artikels philologische Probleme sumerischer Texte mangels eigner Kompetenz nicht beurteilen möchte, übernimmt er zumeist die betreffenden Ubersetzungen Pettinatos, auch wo über Einzelheiten anders entschieden werden könnte. [Zu einer weiteren babylonischen Menschenschöpfungserzählung aus dem Vorderasiatischen Museum zu Berlin vgl. S. 43 — 67 dieses Bandes] 1

4

M y t h i s c h e Elemente in der jahwistischen Schöpfungserzählung

[115]

Mythischen3 gegenüber dem, was im Alten Testament Offenbarung ausmacht, nicht nur, um damit zur Entmythologisierungsdebatte beizutragen, sondern um zugleich in der gewiesenen Bescheidung eine theologische Perspektive für die Auseinandersetzung des gegenwärtigen Christentums mit der Welt der Religion(en) zu eröffnen. I

[260] Das Instrumentarium zur Bewältigung dieser Aufgabe ist zunächst das eigene Vorverständnis vom Mythischen, dessen Gemäßheit freilich erst der Text selbst erweisen kann 4 . Wir entfalten darum in einem ersten Absatz einen Begriff des Mythischen, und zwar von den Inhalten des Mythos her, wenn auch nicht ohne den Blick auf dessen soziale und psychologische Funktionen; die Wahl zwischen Inhalten und Funktionen als möglichen Ausgangspunkten der Begriffsbestimmung scheint uns, da sich beide in einem Zirkel bewegen, grundsätzlich gleichgültig zu sein. 1. Voraussetzung für das Aufkommen des Mythischen ist das Begegnen von Macht in hervorragenden Phänomenen der Natur und der Geschichte: Die belebte und die unbelebte Wirklichkeit, menschliche Gestalten und artifizielle Gegenstände5 erscheinen dem zugleich erschreckten und angezogenen Blick des angetroffenen Menschen als erhaben und überwältigend; so sucht er der in ihnen entgegentretenden Macht einerseits behutsam zu entsprechen 6 , 3

Wir sprechen im folgenden meist nicht vom M y t h o s als einer literari-

schen bzw. protoliterarischen Gattung, sondern vom „Mythischen" und meinen damit den Inbegriff der in der Gattung M y t h o s zur Geltung k o m menden Inhalte und Funktionen bzw. des ihnen entsprechenden Selbstund Wirklichkeitsverständnisses. 4

Woher dieses Vorverständnis gewonnen wird, ist nicht von prinzipieller

Bedeutung. H a t es an den O r t des Textes geführt, so wird es seinen Zweck erfüllt haben; ist es „weit hergeholt", mag der Weg von ihm zum Text um so eher verlohnt haben. 5

Eine umfassende Liste „heiliger Gegenstände" bietet F. Heiler, Erschei-

nungsformen und Wesen der Religion, 1961, 34 ff. 6

Zu griechisch-neugriechisch ευλάβεια „Behutsamkeit", dem lateinisch

[116]

M y t h i s c h e Elemente in der jahwistischen Schöpfungserzählung

5

will aber auch andererseits ihr nahetreten, sie empfangen, steigern, lenken oder abwehren. Dies geschieht im Bewußtsein prinzipieller eigener Teilhabe an der Macht, so daß den Wundern, welche ein urtümliches Staunen wahrnimmt, ein Wirken nach den Regeln magischer Kunst gegenübertritt, wenngleich die Erfahrung eigener Machtunterlegenheit das Staunen in das Gefühl einer beängstigenden Fremdheit verkehrt. Dabei wird die elementare Harmonie von außermenschlicher und humaner Wirklichkeit durch die Inpersonalität des Bloß-Mächtigen in Frage gestellt, an dem das erwachende Personbewußtsein kein Analogon seiner selbst findet, obwohl es dessen in der Einsamkeit und dem Hinter-sich-Zurückbleiben des Personseins bedürftig ist. Das Mächtige seiner Umwelt, dem der Mensch zu entsprechen bereit ist, müßte zuvor ihm selber entsprechend sein; andernfalls hätte er sich ihm gegenüber als einer inkommensurablen Daseinsform zu verselbständigen, was der Dämonisierung des Bloß-Mächtigen gleichkäme7. [261] 2. Hat die begegnende Macht für den angetroffenen Menschen etwas potentiell Fremdes an sich, so kommt das Mythische auf, wenn sie und der Mensch sich in einem Dritten finden, das die amorphe Macht zur organischen Gestalt, ihr bloßes Walten zum Willen 8 , ihre Anonymität zum Benanntsein und ihre Zufälligkeit zum dramatischen Schicksal steigert. Dies Dritte, das das Bloß-Mächtige seiner Umwelt mit dem Personsein des Menschen vermittelt, ist die mythische Gottheit, die Gestalt, Willen, Namen und Schicksal als Strukturelemente des Personseins mit dem Menschen gemein hat. Eine dem Menschen entsprechende Gestalt findet die Macht zunächst im kaum geformten, rohen Machtträger, im theriomorphen Numen oder im monströsen Götzenbild, die es alle noch nicht religio von religere als Gegensatz zu neglegere entspricht, vgl. K. Kerenyi, „Eulabeia" (Byzantinisch-neugriech. Jahrbücher 1931, 306-316). 7 Das Bloß-Mächtige von Gen 1 ist das Chaos (V. 2), dem Gott das Licht entgegenstellt und durch Trennung und Beschränkung eine Gestalt aufnötigt, wenn auch eine rein dinghafte. 8 Zu den Begriffen Macht, Wille und Gestalt als Voraussetzung und Strukturelementen des Mythischen vgl. G. van der Leeuw, Phänomenologie der Religion, 21956, 3ff., 77ff.

6

M y t h i s c h e E l e m e n t e in der jahwistischen Schöpfungserzählung

[117]

wagen, das die Welt Vermittelnde zu nahe beim Menschen anzusiedeln. Umgekehrt gelingt die Vermittlung endgültig in den subjektiveren, gleichsam lyrisch vollendeten Göttergestalten des alten Hellas: Die Spannung des Grauens, welche das Amorphe hervorruft, wird hier so gründlich gelöst, daß eine Weiterentwicklung als unmöglich erscheint. In allem Gestaltschaffen aber wird gegenüber den unendlichen Möglichkeiten des Virtuellen ein Stück Verzicht geleistet. Die definitorische Funktion der Gestalt beschwört einen Konflikt der Götter herauf, deren Partikularität und Pluralität den Menschen jeweils nur an einem Teil der Wirklichkeit in der Sonderung von anderen partizipieren läßt. Zwar bringt ein lebendiger Polytheismus immer neue Götter hervor, die das je noch nicht Erschlossene einbeziehen, und die vorhandenen Götter sind nach Art einer geordneten Menschengesellschaft familiär verbunden, durch Verträge verpflichtet, einander in Liebe zugetan oder durch einander im Kampf neutralisiert. Aber gerade dieser Ausgleich von Virtuellem und Definitivem hebt die Vermittlungsleistung, die von der Gestalt erwartet wird, im Grunde von vornherein auf, was spätestens daran deutlich wird, daß die Göttergestalten Raum und Zeit nicht nur unter sich aufteilen bzw. einander streitig machen, sondern sie grundsätzlich nach Sakralität und Profanität differenzieren. Name und Willen der Gottheit ermöglichen es, daß das Verhältnis des Menschen zu ihr statt eines dynamischen ein dialogisches ist; der Abschied der Religion von der Magie, dessen Prinzip damit bezeichnet ist, gelingt faktisch allerdings nie vollkommen. Zugleich bewahrt die Wirklichkeit in den durch Namen und Willen determinierten Göttergestalten eine Weise des Subjektseins gegenüber dem Menschen. Aber auch [262] diese Determination begrenzt den Menschen wie seine Gottheit, indem sie den Partnern nicht nur aufeinander zu hören gestattet, sondern ihnen zugleich die Möglichkeit gibt, sich einander zu entziehen oder miteinander einzurichten. Unterliegen die Götter schließlich einem Schicksal, so ist es möglich, von ihnen zu erzählen: In der „Göttergeschichte" 9 wird der Zur Definition des Mythos als „Göttergeschichte" s. H. Gunkel, Genesis, Nachdr. 1964, XIV. 9

[118]

Mythische Elemente in der jahwistischen Schöpfungserzählung

7

Konfliktstoff, den die Gestalthaftigkeit, die Benennung und die Willensbestimmtheit der Gottheiten implizieren, dramatisch ausgetragen; ihre Erzählung rationalisiert ihn in gewisserWeise zu einem kommunikablen Modell. N u n kann der Mensch sein eigenes Bewirkt- und Begrenztsein in das seiner Götter einzeichnen - bis hin zur Wirklichkeit seines Todes; das eigene Schicksal erscheint wie die Wiederholung eines prototypischen Geschehens, das die Weltund die Menschengeschichte in sich sammelt und normiert. Was dennoch sinnraubend und bedrohend bleibt, bannt der „Antimythos" als Inbegriff dessen, was nicht wiederholbar und insofern ein für allemal aufgehoben ist; hierhin gehört die Sintfluterzählung 1 0 . Die Dimension beider, des Mythos wie des Antimythos, ist dabei die Urzeit als Kategorie des primum actum, das alle folgenden acta begründet und in sich beschließt, so daß Vergangenes und Gegenwärtiges als Zitate jenes Urwortes, als Anamnesen jenes Urbildes erscheinen, ohne sie je zu überbieten n . Insofern stiftet der Mythos nicht nur Gemeinschaft, indem er das Tun der Individuen einer schlechthin verpflichtenden N o r m unterwirft 1 2 , sondern er inte10

124.

Zum Begriff „Antimythos" vgl. A. Jolles, Einfache Formen, 41968,

Daß dagegen das Eschatologische wenigstens in Israel nicht beim Mythischen seine Wurzeln hat, glaube ich in meinem Buch: Ursprünge und Strukturen alttestamentlicher Eschatologie, 1969, bes. 113ff., gezeigt zu haben. 12 Seine gemeinschaftstiftende Kraft bewährt der Mythos nicht nur dadurch, daß er einer Mehrzahl von Individuen an einem gemeinsamen Kultus bzw. Ritus teilzunehmen gestattet; vielmehr vergegenwärtigt er bereits als Erzählung bzw. erzählter Inhalt ein primum actum, in dem Gemeinschaft ihren Existenzgrund findet und den wirksam zu erhalten sie Institutionen schafft, welche nicht grundsätzlich und ausschließlich kultisch-ritueller Natur sind. Der Ritusbezug als Strukturmoment des Mythischen ist m. E. oft zu eng begriffen und überbetont worden. Die Bündelung mythischer Einzelmotive zur größeren, potentiell mythologischen Erzählung, vor allem aber deren literarische Bearbeitung setzt zumeist voraus, daß sich das Mythische aus einem Ritusbezug zu lösen beginnt. Vom Ritus lösen, ohne zugleich religiös bedeutungslos zu werden, kann sich das Mythische aber nur darum, weil es von vornherein mehr als die ätiologische Begleitmusik religiöser Praxis bzw. das ideologische Pendant der Sitte war; 11

8

M y t h i s c h e Elemente in der jahwistischen Schöpfungserzählung

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griert die Gemeinschaft [263] zugleich der Natur 1 3 , indem er beider Schicksal aus dem Götterschicksal entspringen läßt. Ohne die Begründung im Urzeitlichen müßte das Daseiende der Illegitimität, ja dem Nichtsein verfallen, von denen es tatsächlich ständig bedroht ist; entsprechend hat die von der Urzeit inaugurierte Zeit eine rhythmische Struktur: Aufhebung der Legitimität, ja des Seins des Daseienden und die Wiederholung des beide stiftenden Geschehens wechseln einander regelmäßig ab. Darin aber erschließt sich auch noch einmal die Problematik des Mythischen: Gerade wenn sich der Mensch vor den Spannungen seines eigenen natürlichen und geschichtlichen Lebens in einem sie umgreifenden Urzeitgeschehen birgt, bekommt er in ihm doch nur die tötende Gesetzmäßigkeit eines kosmischen Gefüges zu spüren, worin alles Fortschreiten nur Wiederherstellung, alle Gegenwart nur Wiederholung, alle Rationalisierung des Daseins nur Rückkehr, nicht spontaner Entwurf sein darf. Wie kann er sich dem Prototypischen anders als durch die Ironie entziehen? Tatsächlich scheint der mythischen Religion schon frühzeitig ihre Selbstaufhebung im Ästhetisch-Spielerischen, ja Spöttisch-Skeptischen innezuwohnen 14 . [264] entsprechend kann sich religiös bedeutsamer Mythos, wie es klassisch im Gnostizismus der Fall ist, sogar ganz ohne ein rituelles Pendant bilden. Der auch forschungsgeschichtlich sehr vielschichtigen Problematik kann hier nicht mit zureichender Ausführlichkeit nachgegangen werden; sie müßte zudem im Zusammenhang der Frage nach dem Verhältnis von Religion und Magie erörtert werden. Vgl. den Untertitel zu H . Frankfort, Kingship and the Gods, 1948: A Study of Ancient Near Eastern Religion as Integration of Society and Nature. 13

Ein bekanntes Beispiel für die spielerisch-spöttische Verwendung des Mythischen ist die Erzählung von Ares' Liebe zu Aphrodite im Haus des Hephaistos, der das Paar mit zauberhaften Banden fesselt und dem Gelächter der übrigen Götter preisgibt (Homer, Od. I X , 2 6 6 f f . ) . Andere Beispiele aus der klassischen Antike und in mittelalterlichen Mysterienspielen bei A . Lesky, Griechen lachen über ihre Götter (Wiener humanist. Blätter 1961, 3 0 - 4 0 ) . Im babylonischen Adapa-Mythos „ist der den Menschen sonst so ferne, oft unfreundliche Anu dem klugen Ea dadurch überlegen, daß er Sinn für Humor hat und bereit ist, Adapas Schuld nicht zu tragisch zu neh14

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Mythische Elemente in der jahwistischen Schöpfungser/.ϊΐιΐιιιιμ

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II Inwieweit nun hat die jahwistische Schöpfungserzählung am Mythischen im Sinne des soeben entfalteten Begriffes Anteil? Von H . G u n k e l 1 S , G . v. R a d 1 6 , W. H . Schmidt 1 7 , C . Westermann 1 8 u. a. übernehmen wir die Arbeitshypothese, daß die Erzählung von der Erschaffung des Menschen 1 9 Gen 2 , 4 b - 8 . (10-14.) 15bß. 18-24 mit der Erzählung vom verbotenen B a u m Gen 3 nicht ursprünglich zusammenhängt; vielmehr wurde der ursprüngliche Anfang der letzteren mit der ersteren erst durch 2 , 9 . 1 5 a b a . 16f. 25 nachträglich verbunden.

men. Adapas Unglück war es, daß er auf Eas Rat an diese Möglichkeit nicht dachte und daher Anus Geschenke ausschlug. In Enüma elis standen die älteren Götter vor der recht unverschämten Forderung des jungen Marduk, als Götterkönig anerkannt zu werden. Sie machten gute Miene zum bösen Spiel und taten das Unvermeidliche während eines Festmahls, bei dem dem süßen Met reichlich zugesprochen wurde. Die dem Marduk auferlegte Probe, einen lumäsu-Stern verschwinden zu lassen und wieder neu zu schaffen, werden die Hörer auch mit einigem Schmunzeln vernommen haben". (W. v. Soden in einem Referat auf der Rencontre assyriologique zu Straßburg 1965, dessen Manuskript mir der Verfasser dankenswerterweise zur Verfügung stellte.) J . Huizinga ( H o m o ludens. Versuch einer Bestimmung des Spielelements der Kultur, 1939, 208) fragt entsprechend seiner Konzeption von der kulturschaffenden Funktion des Spiels, „ o b nicht auch für den Wilden von Anfang an mit seinem Glauben an seine heiligsten Mythen ein gewisses Element von humoristischer Auffassung verbunden ist. Gemeinsam mit der Dichtung entspringt der Mythos in der Sphäre des Spiels, und der Glaube des Wilden liegt wie sein ganzes Leben mehr als zur Hälfte in dieser Sphäre". Zur Auseinandersetzung mit Huizinga vgl. Α. E. Jensen, Mythos und Kult bei Naturvölkern, 1951, bes. 5 3 - 7 9 . 1 5 A . a . O . , 27f. 1 6 D a s 1. Buch Mose, 7 1964, 79ff. 1 7 D i e Schöpfungsgeschichte der Priesterschrift, 2 1967, 194 ff. 1 8 Genesis, 1966ff., 259ff. 1 9 V. Maag (Sumerische und babylonische Mythen von der Erschaffung des Menschen [Asiatische Studien 8, 1954, 85-106], bes. 102) und Westermann ( a . a . O . , 32ff. u. ö.) trennen Weltschöpfungsmythos und Menschenschöpfungsmythos als zwei grundsätzlich voneinander verschiedene Themenbereiche.

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Im jetzigen Erzählzusammenhang fällt nämlich das dublettenhafte Nebeneinander der Verse 8a und 9 sowie 8b und 15aba auf, von denen 8 der Schöpfungserzählung, 9 und 15aba dagegen der Erzählung vom verbotenen Baum angehören; V. 25 leitet mit einer nachträglichen Angabe, die in der Schöpfungserzählung nicht motiviert ist, zu Gen 3 über. Insbesondere aber trägt das Gebot 2,16f. zum Fortgang der Schöpfungserzählung, vor allem zur Eingliederung der unmittelbar folgenden Szene 2,18-24 nichts bei, sondern schafft eine Exposition zu der in Gen 3 berichteten Übertretung der ersten Menschen, obwohl das Gebot infolge seiner sekundären Eingliederung in Gen 2 nur dem Mann zu gelten scheint. Dazu kommen eine Reihe gewichtiger Strukturunterschiede beider Erzählungen. Der der Ernährung des Menschen dienende Garten der Schöpfungserzählung (2,8. 15bß) ist ein anderer als der Paradiesgarten von 2,15a ba. 16f.; 3, Iff. mit seinen verführerischen Zauberbäumen. Hätte Gen 3 die Schöpfungserzählung schon ursprünglich vorausgesetzt, müßte sein Verfasser erklärt haben, warum der Mensch auch noch nach der Vertreibung aus dem Paradiese Tiere um sich hat. Vor allem aber spielt der Mensch gegenüber Jahwe in beiden Erzählungen eine sehr verschiedene Rolle: Dem passiven Objekt göttlichen Schöpferhandelns tritt in Gen 3 ein beinahe gefährlicher Konkurrent der Gottheit gegenüber; die Gehilfin des Menschen von Gen 2 wird in Gen 3 zu seiner verhängnisvollen Verführerin. Dementsprechend steht die dramatische Spannung und Geschlossenheit von Gen 3 zu der eher nur aufzählenden Darstellungsweise von Gen 2 im Widerspruch. Der Stimmungsgehalt von Gen 2 schließlich ist lebensfroh und unproblematisch; Gen 3 dagegen nimmt sich düster aus und ist vom Anliegen der Rechtfertigung Gottes angesichts des Übels dieser Welt charakterisiert; insbe-[265]sondere die Ätiologie der Landarbeit in 2,15bß widerspricht derjenigen von 3,17-19, ohne daß sich letztere als Korrektur der ersteren zu erkennen gäbe 2 0 . Daß beide Geschichten zueinanderfanden, war äußerlich durch das gemeinsame Motiv vom Garten (in) Eden ermöglicht, vor allem aber durch ihren Charakter als Urzeiterzählungen; die Auszeichnung des Menschen (Gen 2) trat zu seiner prototypischen Verschuldung und Bestrafung (Gen 3) in ein komplementäres Verhältnis, wie es in anderer Weise auch zwischen den Erzählungen von Schöpfung und Flut waltet 21 . So wurde der Griff nach dem verbotenen Baum freilich zum „Fall" schlechthin; die übrigen Dagegen knüpft 3,19aßb an 2,7 an - wohl eine bewußte Gestaltung des Jahwisten (Schmidt, a. a. O., 227; vgl. 195 Anm. 1). 2 1 Dazu Westermann, a. a. O., 69f. 20

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Erzählungen von urzeitlicher Schuld und Strafe büßten, weil sie innerhalb des jahwistischen Werkes schlechter piaziert waren, ihre ursprünglich gleichwertige Bedeutung ein. 1. Schon die Einleitung der Erzählung mit ÖV3 2 , 4 b , dem in akkadischen Schöpfungserzählungen inüma, . . . -a entspricht

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im Sumerischen U4-

, und die folgenden verneinten Sätze von V. 5,

die in mesopotamischen 2 3 wie in biblischen 2 4 Parallelen ebenfalls Gegenstücke haben, zeigen die Gemeinsamkeit der Ebene, auf der sich altorientalische wie biblische Schöpfungserzählungen gemeinsam mit den Entsprechungen aus aller W e l t 2 5 bewegen. In V. 5a haben die Präformativkonjugationen (sonst sog. Imperfekte) iTTP und ΠΏΧ\ denen die Subjekte ΓΠϋ>Π PW und n w n aiTi?"^ wie im zusammengesetzten Nominalsatz 2 6 vorangehen, offenbar eine ähnliche Funktion wie das (bei Zustandsverben ingressive) Präsens (= Durativ) bzw. der präfigierende Stativ im Akkadischen 27 . Entsprechend werden die Verbalsätze von 5a in der anschließenden Begründung 5b u. a. durch einen Nominalsatz (nachgestellten Zustandssatz) 5bß aufgenommen. Der (ingressive) Durativ bzw. präfigierende Stativ und der Nominalsatz bezeichnen gemeinsam den sich erstreckenden Zustand vor [266] dem Beginn des Schöpferhandelns Jahwes 2 8 . Voranstellung des Subjekts und durative Funktion der Präformativkon-

Zu sumerisch u 4 -ri-a „an jenem Tage", gi6-ri-a „in jener Nacht" und mu-rf-a „in jenem Jahre" vgl. J . van Dijk, Le motif cosmique dans la pensee sumerienne (AcOr[H] 28, 1964/65, 1-59), bes. 16ff., 34; vgl. R. D. Biggs, JCS 20, 1966, 81. 2 3 Etwa in der mythischen Einleitung zu dem sumerischen Streitgespräch zwischen Mutterschaf und Getreide Z. 3ff. (Pettinato, a. a. O . , 86ff.) und dem ebenfalls sumerischen Mythos Lugal-e VIII,5ff. (ebd., 91 ff.) sowie in den bekannten ersten Zeilen des babylonischen Enüma elis. 2 4 Spr 8 , 2 4 - 2 6 ; Ps 90,2a. 2 5 Beispiele bei Westermann, a. a. O . , 59ff. 2 6 Zum zusammengesetzten Nominalsatz vgl. G. Beer-R. Meyer, Hebräische Grammatik II, 1955, § 92,4. 2 7 W. v. Soden, Grundriß der akkadischen Grammatik, 1952, § 78. Ist ΓΡΓΡ ingressiv, hätte man zu übersetzen: „als das Gesträuch des Gefildes noch nicht auf Erden dazusein begonnen hatte . . ." Vgl. C. Brockelmann, Hebräische Syntax, 1956, § 42a. 2 8 In Enüma elis 1,1 ff. verwenden die entsprechenden verneinten Sätze 22

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jugation kennzeichnen ebenso V. 6 a 2 9 . Auch hier soll der Urbestand dessen dargestellt werden, woraus einmal die Welt des Menschen geworden ist. Der die vorangestellten Temporalbestimmungen 4b (5 f.) ablösende Hauptsatz beginnt erst mit dem imperfectum consecutivum "1 in V. 7 3 0 . Was sagen die Verse 4 b - 6 inhaltlich aus? Noch nicht vorhanden ist die Vegetation des freien Geländes (5a) 3 1 , weil es noch keinen Regen (5ba) und keinen Menschen (5bß) gibt. Ersterer Mangel fällt freilich nicht schwer ins Gewicht und wird dementsprechend durch die folgende Schöpfung auch nicht ausdrücklich behoben; denn: „ein Urstrom ( ? ) 3 2 stieg auf vom Lande und tränkte die ganze Erdoberfläche" (V. 6). Der eigentliche Mangel ist vielmehr das Fehlen des Menschen, der das Land bebauen könnte; die auf den Menschen angewiesene Kulturvegetation steht hier für den Pflanzenwuchs überhaupt, der anthropozentrischen Struktur der Erzählung entsprechend 3 3 . So ist eine Exposition gegeben, die die Erschaffung des Menschen erwarten läßt, wie sie in V. 7 erzählt wird.

Stative (la na-bu-ύ 1, la zak-rat 2; vgl. Z. 6 - 8 ) ; i-hi-qu-u-ma Z. 5 scheint Präsens (Durativ) zu sein. 2 9 V. 6 fällt also nicht aus der Konstruktion heraus (so neben anderen Westermann, a. a. O . , 273); neu gegenüber 5 ist nur das Fehlen der Negation. 3 0 Zum impf. es. nach Zeitangaben vgl. die Beispiele bei W. GeseniusE. Kautzsch, Hebräische Grammatik, 28 1909, § 111b. Dem hebr. impf. es. entspricht in Enüma elis 1,9 des Präteritum ib-ba-nu-ü-ma. 3 1 Daß rPti* den Wildwuchs, die Kulturpflanzen meine, scheint mir nicht überzeugend: die beiden Nomina in gleicher Weise beigegebenen attributiven Ortsbestimmungen fHBfll („freies Gelände", wohl im Gegensatz zum folgenden P ; so A . Dillmann, Die Genesis, 1892, 55) sprechen gegen eine solche Differenzierung; 3tVV meint eher das Kraut im Gegensatz zum Baum, wie Gen 1,11 schön zeigt (vgl. K B L ad vocem). Hier ist das Nebeneinander von l"Ptt> und wohl zunächst einfach pleonastisch nach Art eines synonymen Parallelismus. Die Bedeutung von IN ist durch die Versionen ( L X X : πηγή, Aquila: έπφλυσμός, Vulg. fons) einigermaßen gesichert. Die von Hi 36,27 her naheliegende Übersetzung „Nebel, Wolke" - so Targum - widerspricht der hier vorliegenden Verbsequenz: ΓΛίΓ - ΠΡΙΡΓΠ: der Nebel „tränkt" das Land, wenn er fällt, nicht wenn er „aufsteigt". Soll aber Η01Κη· , 3β" ι ?3 tränken bzw. sich nach V. 10 in einen Fluß ergießen, müssen wir an eine starke Quelle denken. Die Herleitung von "IN ist nach wie vor ganz unsicher. 32

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Nach dem sumerisch-akkadischen Mythos K A R 4 Z. 39/40 scheint es

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Damit stellt sich die Frage nach der Funktion der Temporalbestimmung V. 4 b - 6 im Ganzen der Erzählung. C. Westermann nennt Sätze dieser Art eine „erzählende Definition . . . der Urzeit" 3 4 ; sie geben zu erkennen, durch welche Ausgangssituation sich die Urzeit von jeder anderen Zeit unterscheidet. Ihre Eigentümlichkeit besteht darin, daß in ihr die [267] Bedingungen der Möglichkeit dessen, was in jeder anderen Zeit selbstverständlich ist, nicht vorausgesetzt, sondern allererst geschaffen werden. Die Verse 4 b - 6 definieren dann zugleich die folgende Erzählung der Verse 7ff. als mythisch, insofern das in ihr berichtete Geschehen den gegenwärtigen Bestand des Menschen in seiner Welt bedingt und begründet. Gen 2 spricht von einem primum actum, das die Befindlichkeiten des menschlichen Daseins prototypisch sammelt und normiert und so deren jeweilige Vergegenwärtigung gewissermaßen als einen Akt der „Nachfolge" erscheinen läßt; damit ist der Bogen von V. 4 b - 6 zum Abschluß der Erzählung in V. 24 gespannt. 2. Die Erschaffung des Menschen geschieht dann nach V. 7 in zwei Akten: a) er wird „aus Staub von der Erde" geformt; b) ihm wird der Lebensodem eingeblasen. a) Daß Jahwe den Menschen aus Staub von der Erde formt, bezeichnet in gewisser Weise den Abschluß einer langen mythischen Motivgeschichte, die wir im folgenden kurz skizzieren. (1) J . van D i j k 3 5 und in seiner Nachfolge G . Pettinato 36 haben auf eine Reihe sumerischer Texte aufmerksam gemacht, die von einem pflanzenhaften Hervorsprießen (emersio) des Menschen aus der Erde sprechen. Die erzählende Einleitung eines Hymnus auf den Enki-Tempel E-engurra in Eridu beginnt mit den Versen (Z. 1 - 3 ) : Als allem Gezeugten das Schicksal bestimmt wurde, als in einem Jahr des Uberflusses, das An geschaffen, die Menschen wie Pflanzen die Erde durchbrochen hatten . . , 3 7 . zur Bestimmung des Menschen zu gehören, „Pflanzen jeder Art gedeihen zu lassen" (Pettinato, a. a. O., 78). 3 4 A. a. O., 63. 3 5 A. a. O., 23. 3 6 A. a. O., 30ff. 3 7 Pettinato, a. a. O., 49f. - Daß auch Götter pflanzenhaft hervorsprie-

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Daß zu solchem Hervorsprießen ein Schöpfer nicht eigentlich nötig ist, so daß man statt von Schöpfung besser von einem Entstehen spräche 38 , geht aus dem Mythos K A R 4 hervor: nach Z. 25f. beschließen die Anunna vor Enlil, die Lamga-Götter zu schlachten, um - dem akkadischen Text zufolge - aus ihrem Blut die Menschheit zu schaffen 39 ; dagegen denkt der [268] sumerische Text offenbar an ein unmittelbares Hervorsprießen der Menschheit aus dem Blut der getöteten Götter 4 0 . Vollends heißt es in Z. 6 0 - 6 2 : Daß Erfahrene auf Erfahrene, Unerfahrene auf Unerfahrene von sich aus (sie!)41 wie Gerste aus der Erde hervorsprießen, ist eine Sache, die nicht geändert werden wird . . . 42 . Demgegenüber wird im Hymnus auf die Spitzhacke beim Hervorsprießen der Menschen aus der Erde dem Gotte Enlil eine Funktion zuteil; in Z. 3 - 7 heißt es: Enlil, damit der Same des Landes aus der Erde hervorgehe, beeilte sich wahrlich, den Himmel von der Erde zu entfernen, beeilte sich wahrlich, die Erde vom Himmel zu entfernen. Damit Uzumua die ersten (Menschen) hervorsprießen lasse, brachte er am (Boden von) Duranki eine Spalte an. Z. 18-21 scheinen dann vor das Hervorsprießen der Menschen einen Vorgang des Pflanzens seitens Enlils zu setzen:

ßen, zeigen die Belege ebd., 52f. - In Ζ. 10 der sumerischen Erzählung >Gilgamesch, Enkidu und die Unterwelt^ die van Dijk (a. a. O., 19, Anm. 44) und Pettinato (a. a. O., 30, Anm. 85) in diesem Zusammenhang anführen, ist statt numun nam-lu-u x -lu „Samen der Menschheit" wohl doch mu nam-lu-ux-lu „Name der Menschheit" zu lesen (vgl. A. Shaffer, Sumerian Sources of Tablet XII of the Epic of Gilgamesh [Diss. phil. Univ. of Pennsylvania], Philadelphia 1963, 48); freundlicher Hinweis von J. Krecher. 38 Zur Unterscheidung der Motive Schöpfung und Entstehung vgl. Westermann, a. a. Ο., 34ff. 39 i-na da-me-su-nu i ni-ib-na-a a-mi-lu-ta „damit wir aus ihrem Blut (plur.) die Menschheit schaffen". 40 So Pettinato, a. a. O., 50f., 78, 80. 41 Sum.: ni-bi-ne, akkad.: a-na (ra-)ma-ni-su. 42 Pettinato, a. a. O., 31 f., 50f., 74ff.

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E r (seil. Enlil) brachte die Spitzhacke in Uzuea hinein, er legte die Erstlinge der Menschheit in die Spalte, (und) während sein Land (= die Menschen) vor Enlil die Erde durchbrach, schaute Enlil wohlwollend auf seine Schwarzköpfigen 43 . D i e A n s c h a u u n g v o n einer Affinität z w i s c h e n M e n s c h e n u n d Pflanzen ist in d e r R e l i g i o n s p h ä n o m e n o l o g i e m e h r f a c h registriert w o r d e n 4 4 : D e r M e n s c h sucht A n s c h l u ß an die Vitalitätskräfte, die die Pflanze der E r d e e n t n i m m t , u n d an ihre schier unerschöpfliche Regenerationsfähigkeit45;

so stellt er sich seinen pflanzenhaften

U r s p r u n g im E n t s t e h u n g s m y t h o s wie ein unverlierbares E r b e v o r Augen. [269] ( 2 ) A u f einer zweiten Stufe, die Pettinato nicht v e r z e i c h n e t 4 6 , tritt an die Stelle der E r d e die m ü t t e r l i c h e G ö t t i n , aus deren S c h o ß der M e n s c h g e b o r e n w i r d . I n d e m der bloße M a c h t t r ä g e r E r d e v o n der göttlichen Gestalt abgelöst w i r d , ist hier das M y t h i s c h e im Sinne unseres Begriffes erreicht. So erzählt d e r M y t h o s v o n A t r a m 4 3 Pettinato, a. a. O . , 31, 53, 64, 82ff.; entsprechende aretalogische Wendungen in bezug auf Anu bei van Dijk, a. a. O . , 34f. Belege für ζ. T. groteske Spätformen der Vorstellung vom pflanzenhaften Emporwachsen der Menschen aus der Erde in der klassischen Antike bei K. Kerenyi, Urmensch und Mysterium (in: Niobe, 1949, 5 3 - 8 6 ) , 60f., 68ff. - Nach Gen 1,24 sind es die Landtiere, die auf das Schöpferwort Gottes hin aus der Erde hervorgehen sollen (ΓΡΠtt>ÖJΡ Κ Π ΝΧΊΠ), so wie es V. 12 im Blick auf die Pflanzen sagt.

G. van der Leeuw, a. a. O . , 43ff., 91; Jensen, a. a. O . , 32ff.; K. Goldammer, Formenwelt des Religiösen, 1960, 71 f.; G. Widengren (Religionsphänomenologie, 1969, 161) erinnert u. a. an den iranischen Mythos von Masyak und Masyänak, den ersten Menschen, die in Form einer Rhabarberstaude aus der Erde gewachsen sind. Verwandte phrygische, indianische und germanische Vorstellungen bei W. Mannhardt, Wald- und Feldkulte I, 1904, 7f. 4 5 Hi 14,7ff. zeigt eine Kehrseite: Während der abgeschlagene Baum auch noch aus seinem Stumpf Triebe wachsen läßt, ist der Tod des Menschen endgültig; das Motiv von der Verwandtschaft des Menschen mit der Pflanze liegt weit hinter dem Verfasser. 44

Vgl. aber J. van Dijk, Sumerische Religion (in: Handbuch der Religionsgeschichte I, 1971, 4 3 1 - 4 9 6 ) , bes. 489. 46

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hasls, daß die versammelten Götter Nintu, „die Hebamme der Götter, die weise Mami", zugleich als Mutterleib anreden (1,193—195) 47 : Du bist der Mutterleib, die Schöpferin der Menschheit, erschaffe den (Ur-?)Menschen . . .

Nach I, 277ff. geht die Menschheit, während eine Mehrzahl göttlicher „Mutterleiber" versammelt ist, im 10. Monat, also nach neunmonatiger Schwangerschaft, aus einem mit Hilfe der Geburtszange 48 geöffneten Leibe hervor, wobei Nintu/Mami die Arbeit der Hebamme leistet. Die anschließenden Zeilen (1,290ff.) enthalten Anweisungen für ein Geburtsritual, durch das offenbar jede menschliche Geburt nach dem Vorbild der urzeitlichen Menschenschöpfung zu gestalten ist 4 9 . Stärker im vormythischen Vorstellungskreis beharren zwei Anspielungen auf die Geburt des Menschen aus der Erde in der biblischen Weisheitsliteratur: die „Mutter Erde" ist hier noch nicht durch eine eigentliche Göttergestalt abgelöst. Ps 139,13 sucht der Betende seinen Ursprung "|Ö33 „im Leibe meiner Mutter", um ihn dann in V. 15 1J1D3 „im Verborgenen" bzw. f I K ΓΤΡΓΊΠΓΟ „im Innern der Erde" zu lokalisieren. Nach Hi 1,21 geht der Mensch "•DK „aus dem Schoß meiner Mutter" hervor, um beim Tode wieder in ihn (fitttiM), d. h. in den Schoß der Erde, zurückzukehren (vgl. Sir 4 0 , 1 b ) 5 0 . (3) Der eigenen Gestalthaftigkeit der Schöpfergöttin entspricht es, daß ihr Schaffen ein willentliches Gestalten und nicht nur ein Verszählung nach Lambert-Millard. Der Anfang von Z. 282 ist wohl mit W. v. Soden (Or 38, 1969, 425, Anm. 2; 39, 1970, 314; 40, 1971, 100) [i\q-\t\u-up pa-le-e „sie schälte Stangen", nämlich für die Geburtszange, zu lesen; anders Lambert-Millard, a. a. O., 154; Lambert, Or 38, 1969, 537; 40, 1971, 97. 4 9 Eine ähnliche Ritualanweisung findet sich in dem neuassyrischen Fragment S Obv III, 15ff. (Lambert-Millard, a. a. O., 62f.). Zum Verhältnis von Mythos und Ritus im Blick auf Atramhasls vgl. W. G. Lambert, JSS 13, 1968, 104-112. 5 0 Zu Spätformen der Vorstellung aus der klassischen Antike vgl. wieder Kerenyi, a. a. O., 57 (Lukrez V,821 ff.), 67 (u. a. Piaton, Protagoras 320d; Polit. 414e) und 70f. (Piaton, Menexenos 237d). 47

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organisches [270] Gebären ist; van Dijk 51 und Pettinato 52 nennen diesen Vorgang formatio. So formt die Göttin den Menschen aus Ton, also einem Material, das seine Herkunft von der Erde noch handgreiflich macht. Daß diesem Material selbst kreative Kraft innewohnt, geht daraus hervor, daß der Ton nach einigen Belegen aus dem abzu (akkad. apsü), der Ozeantiefe, „abgekniffen" wird, was von fern dem Ursprung des Menschen im Innern der Erde entspricht. Darum wohl ist an dessen Erschaffung neben einer Göttin zumeist auch der chthonische Enki/Ea beteiligt: er nämlich herrscht über den abzu 53 ; freilich mag ihn für diese Rolle zugleich seine (magische) Weisheit prädisponiert haben. Alle diese Motive sind beieinander im sumerischen Streitgespräch zwischen Enki und Ninmah, wo es nach der Ubersetzung von C. Benito in Z. 2 9 - 3 2 heißt: He (seil. Enki) says to his mother Nammu: "My mother, . . . When you have kneaded the heart of the clay that is over the abzu, The Sigensigdu will nip off the clay, you bring the form into existence..."54.

Nach Atramhasls 1,201-203 traut sich Nintu/Mami, nachdem sie den Auftrag der Götter empfangen hat, die Menschenschöpfung doch nicht allein zu; denn: Le motif cosmique, 30. A. a. O., 39ff. 5 3 Die Vermutung, daß Enki/Ea wegen seiner Herrschaft über den abzu an der Erschaffung des Menschen beteiligt wird, stammt von J. Krecher. Allein ist mit der formatio des Menschen, hier des Enkidu, die Göttin Aruru Gilg 1 11,33-35 befaßt; allerdings ist Z. 33 von einem zik-ru sa Aanim „Befehl des Anu" (A. Schott-W. v. Soden, Das Gilgamesch-Epos, 2 1970, 19) bzw. „Bild des Anu" (CAD 21, 1961, 116) die Rede, nach dem Aruru Enkidu formt. 51

52

>Enki and Ninmah< and >Enki and the World-Order< (Diss. phil. Univ. of Pennsylvania), Philadelphia 1969, 36f. Die rätselhaften sig7-en-sig7-duI0 wurden zuvor (Z. 26) von Enki ins Dasein gerufen. Die von Benito (ebd., 24, 55) verwendete jüngere Überlieferung der unveröffentlichten Tafel Κ 4932 hat sä-tur (= sä-tür) „Mutterleib" - sind auch die sig7-en-sig7-duio dahin zu interpretieren? Anders Pettinato, a. a. O . , 40, 69ff. 54

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das Werk liegt bei Enki, nur er reinigt alles; er möge mir den Ton geben, damit ich (es) tue 55 . Ahnlich ist die Arbeitsteilung in Z. 276-280 der „babylonischen Theodizee", wo neben Mami zwei Götter genannt werden, Narru (Epithet für EnIii) und Zulummar (Epithet für Enki/Ea); letzterer empfängt das Attribut: „der ihren (seil, den für die Erschaffung der Menschen nötigen) Lehm abgekniffen hat", [271] Mami gilt als die, „die sie (seil, die Menschen) geformt hat" 56 . Weniger spezifisch verteilen sich die Aufgaben zwischen Marduk und der Göttin Aruru in der „Mundwaschungs"-Beschwörung CT XIII, 36,20 f.: (Marduk) schuf die Menschheit, Aruru ließ zusammen mit dem Gott den Samen der Menschheit wachsen 57 . In der Schöpfungserzählung, die nach einem akkadischen Ritual zur Tempelwiederherstellung rezitiert wird, heißt es, daß Ea im apsü Ton abkneift, freilich nicht, um ihn einer Göttin zu übergeben, auch nicht unmittelbar, um daraus den Menschen zu schaffen 58 . Nach einem aretalogischen Nebensatz in dem Beschwörungstext Surpu IV, 91 formt Ea den Menschen mit der Hand, ohne daß von der Beteiligung einer Göttin die Rede wäre 59 ; alleiniger Schöpfer des Menschen ist Ea auch in Enüma elis VI, 33-35. Die formatio scheint hier in dem Maße auf den männlichen Schöpfergott übergegangen zu sein, wie der Ursprung des Menschen nicht mehr im Tellurischen gesucht wurde. (4) In Gen 2 schließlich wird die Anschauung vom Menschen nicht nur insofern dem Mythischen entzogen, als selbstverständlich 55

Z. 202 scheint bereits die Schlachtung des Gottes dPI-e im Auge zu haben (Z. 208, 223 f.), die für die Menschenschöpfung die Voraussetzung bildet; vgl. W. L. Moran, BASOR 200, 1970, 48ff. 56 G. W. Lambert, Babylonian Wisdom Literature, 1960, 63ff., bes. 88f.; Pettinato, a. a. O., 41 f. 57 So Pettinatos Ubersetzung des sumerischen Textes (a. a. O., 32); an die Stelle des pflanzenhaften Wachsens tritt im akkadischen Text das Geschaffen-Werden durch Aruru: „Aruru schuf (ibtanu) zusammen mit ihm den Samen der Menschheit" (Pettinato, a. a. O., 41, 50f.). 58 Ε Thureau-Dangin, Le rituel du Kalü, 1921, 46ff.; Pettinato, a. a. O., 41, 65. 59 E. Reiner, Surpu, 1958, 28; Pettinato, a. a. O., 42.

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auch hier die Schöpfergöttin ganz entfällt; in V. 7 a a ist darüber hinaus die suggestive Wortfolge ttttlKrfp . . . DINH, die durch die entsprechende Sequenz in V. 5bß so gut vorbereitet ist, von einem dazwischengeschalteten I S y gesprengt: Der materiale Ursprung des Menschen ist nicht die Erde als Grund kreativer Kräfte, sondern ihr „Staub" 6 0 - ein Motiv, das der Jahwist in der Erzählung vom verbotenen Baum 3,19 als Ätiologie des Todes verwendet 61 . Wird aber der Mensch im Tode zu Staub, so ist er auch media vita nichts als „Staub und Asche" Gen 18,27 J (vgl. Ps 103,14). Weder die Vitalitäts- bzw. Regenerationskräfte der Pflanzen noch die [272] schöpferische Macht der Mutter Erde oder des abzu sind dem Menschen von seinem Ursprung her verbunden; seine materiale Herkunft ist vielmehr von einer geradezu banalen Unsakralität, die seine Integration in den Kosmos ausschließt 62 . Das mag ihm einerseits existentielle Freiheit von einem Totalitätsbezug verschaffen, den er als Fessel zu empfinden beginnt; es setzt ihn aber andererseits auch ungeschützter seinem existentialen Elend aus. b) Daß Jahwe dem Menschen D^H nöttfJ einbläst, hat den Zweck,

Darum läßt sich das Formen ("Ιϊ>) durch Jahwe, anders als das durch die mesopotamischen Göttinnen und Götter, nicht nach Analogie der kunsthandwerklichen Tonfigurinenindustrie verstehen (gegen S. G. F. Brandon, Creation Legends of the Ancient Near East, 1963, 123); diese hat es ebensowenig wie das Töpferhandwerk mit "iDy zu tun. Im Unterschied zu Gen 2,37 denkt Hi 33,6 ganz wie die vorgenannnten mesopotamischen Belege an das Abkneifen (f Ii? = akkad. karasu[m]) des Tons durch Gott. 61 Ebenso bringt Hi 4,19 f. den Ton als Material und den Staub als Fundament des menschlichen „Hauses" (seil. Leibes) mit der Vergänglichkeit von dessen Bewohner in einen (Folge-Zusammenhang; vgl. die weitere Nachwirkung dieses Motivs in der pessimistischen Weisheitsliteratur Ps 90,3; Pred 3,20; 12,7. Dagegen scheint Hi 10,9 vorauszusetzen, daß die Formung des Menschen „wie Ton" etwas Günstigeres erwarten läßt als die Rückkehr „zum Staub". 62 VÖK3 D,,H (nn)-natM Ϊ2 ist Gen 7,22 J Bezeichnung für alle Lebewesen; in 2,19 wendet ein Glossator den Begriff ΓΡΠ CDJ auch auf die Tiere an. Daß vom Einblasen des Lebensodems bei der folgenden Erschaffung der Tiere nicht noch einmal berichtet wird, fällt nicht ins Gewicht; das Motiv fehlt auch bei der Erschaffung der Frau. 60

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M y t h i s c h e E l e m e n t e in der j a h w i s t i s c h e n S c h ö p f u n g s e r z ä h l u n g

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das bislang tote Staubgebilde zu einem „Lebewesen" (ΙΤΠ IPSJ) zu machen. Das bedeutet negativ, daß die Handlung weder eine mythische Definition des proprium humanum im Gegensatz zur tierischen Existenz hergeben soll noch eine Verwandtschaft des Menschen mit der Gottheit inauguriert, wie es doch wohl das Motiv von der göttlichen Blutspende an den Menschen in mesopotamischen Mythen im Blick hat 6 3 . Die fltttyj ist keine göttliche Substanz; will man im Menschen etwas „Göttliches" finden, dann bestenfalls in seiner Lebendigkeit als solcher, die er mit den Tieren gemein hat 6 4 . Seiner Funktion nach entspricht der Vorgang dem aus Mesopotamien und Ägypten bekannten Mundöffnungsritual, durch das vor allem Götterbilder nach ihrer handwerklich-künstlerischen Herstellung mit Leben erfüllt werden. Nach dem mesopotamischen Ritualtext IV R 2 5 , 6 4 b f f . (PBS 12 1 , 6 , 1 - 4 ) 6 5 riecht das Bild [273] „ohne Mundöffnung keinen Weihrauch, ißt kein Brot und trinkt

6 3 K A R 4 Z. 25f.; Atramhasls 1,208ff.; Enüma elis VI, 13ff. - Zum Motiv der göttlichen Blutspende als „Ausdruck für die Wesensentsprechung von Gott und Mensch" vgl. Maag, a. a. O . , 99 (W. v. Soden, O r 38, 1969, 424f.), mit irrtümlicher Bezugnahme auf Gen 2 , 7 V. Maag, Alttestamentliche Anthropogonie in ihrem Verhältnis zur altorientalischen Mythologie (Asiatische Studien 9, 1955, 1 5 - 4 4 ) , 15 f. Anders wird die Funktion des göttlichen Blutes von Pettinato ( a . a . O . , 44 — 46) gedeutet (vgl. Moran, a. a. O., 52). Im Vergleich zu Gen 2,7 scheint Gen 1 Ρ der Vorstellung von einer Verwandtschaft des Menschen mit seinem Schöpfer relativ näher zu stehen, wenn wir nämlich UöVsa und limaiD 1,26 im Sinne von Gen 5,3 Ρ von der Anschauung einer Zeugung her deuten dürfen: der Mensch wäre dann Gott ähnlich wie der Sohn seinem Vater. Freilich zeigt gerade 5,3 als Parallele zu 1,26, daß 13mD7D Uö'jsa Adverbialbestimmung zur Spezifikation der Weise des Schaffens Gottes ist (Westermann, a. a. O., 201 f., 214f.); doch wird der Ausdruck in 9,6 Ρ zur Wesensbestimmung des Menschen.

In die Richtung auf die „Göttlichkeit" des menschlichen Lebens weist ΤΠ1 Gen 6,3 J mit seinem auf Jahwe bezogenen Suffix; Oppositum: DPII"! Ps 104,29. 6 5 E. Ebeling, Tod und Leben nach der Vorstellung der Babylonier, 1931, 120 Z. l f . ; vorher H . Zimmern, D a s vermutliche babylonische Vorbild des Pehtä und Mambühä der Mandäer (Festschr. Th. N ö l d e k e II, 1906, 959-67), bes. 961. 64

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kein Wasser". In Ägypten wird der Ritus auch an Bildern von Toten und seit dem Neuen Reich sogar an Leichen vollzogen 6 6 . Von besonderem Interesse scheint mir eine polemische N o t i z des Muslim Ibn al-Kalbi in seinem >Götzenbuch< zu sein, mit der er die Unmöglichkeit erweisen will, Götzenbilder mit Leben zu erfüllen. Er überliefert die Rede eines Kunsthandwerkers, der sich anbietet, Idole für den Ahnenkult herzustellen: „Soll ich euch fünf Götzen anfertigen nach ihrem (seil, der Toten) Bilde? N u r kann ich ihnen natürlich keinen Lebensodem ('arwah an , plur. von rüh) einhauchen" ( 3 2 , 3 ) 6 7 .

Was die Gestalt des Vorgangs anbetrifft, so ist der Befehl an den „ G e i s t " von E z 3 7 , 9 zu vergleichen, „diese Erschlagenen", d. h. die das exilierte J u d a symbolisierenden Totengebeine, anzublasen (3 + nSJ), „damit sie lebendig werden" 6 8 ; des weiteren wäre an den Kontaktzauber zu denken, mit dem Elisa 2Kön 4,34 einen Knaben erweckt. In jedem Fall verschafft auch die Angabe von V. 7 aß b dem Ursprung des Menschen keinen eigentlichen numinosen Glanz, wie er etwa dem Urmenschen von E z 28,12f. eignet 6 9 : sie eröffnet keinen Bereich wesensmäßiger Kontinuität zwischen Gottheit und Menschheit. Freilich sind die Mittel, mit denen die Entmythisierung des Menschenbildes vollzogen wird, selbst noch mythischer Art: Der Gott, der den Menschen formt und ihm Leben einhaucht, hat Menschengestalt und magische Macht; insofern bleibt er ein mythischer Gott, wie auch der Fortgang der Erzählung zeigen wird. 3. Die Erschaffung des Menschen zu einem lebenden Wesen beH . Bonnet, Reallexikon der ägyptischen Religionsgeschichte, 1952, 487 ff. 6 7 R . Klinke-Rosenberger, D a s Götzenbuch Kitäb al-asnäm des Ibn al-Kalbi (Diss. phil. Zürich), 1942, 57. - Auch der Q u r ' ä n (15,29; 38,72) verwendet NPH + Objekt rüh für die Animation des Menschen bei seiner Schöpfung. 6 8 D a ß (magisches) Anblasen (3 + HSJ), selbst wenn es von seiten Jahwes geschieht, auch schädigende Wirkungen zeitigen kann, scheint H a g 1,9 vorauszusetzen (J. Wellhausen, Die kleinen Propheten, Nachdr. 1963, 174); vgl. 3 +ΠΙΟ Ps 10,5. 6 9 Vgl. Westermann, a. a. O . , 335. 66

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dingt die Notwendigkeit seiner Versorgung mit Nahrung (vgl. Gen 1,29; 9,3 P), die Jahwe durch das Pflanzen eines Gartens gewährleistet ( 2 , 8 ) 7 0 . Der konkreteren Ortsangabe p y 3 fügt der Erzähler das unbestimmte EHptt hinzu, wodurch der mythische Ort ins Märchenhafte transponiert wird: "py liegt nun in einem fernen östlichen Wunderland, dem Uberall und Nirgends des Märchens 7 1 . [274] Das Motiv von der Versorgung des Menschen hat sich in drei sumerischen Texten zu einer eigenen Erzählung entfaltet. (1) In der mythischen Einleitung zu einem Streitgespräch zwischen dem Mutterschaf und dem Getreide Z. 20 ff. wird erzählt, daß die Menschen der Urzeit weder Brot noch Kleider kannten, auf Händen und Füßen gingen, wie Schafe Gras fraßen und Wasser aus den Gräben tranken; ein eigentlich menschliches Dasein wird ihnen erst ermöglicht, als die Götter das Mutterschaf und die Getreidegöttin „hervorsprießen" (Z. 27) und „vom Heiligen Hügel zur Erde hinuntergehen" ließen (Z. 40) 7 2 . (2) Die mythische Erzählung >Wie das Getreide nach Sumer kam< setzt ebenfalls voraus, daß die Menschen ursprünglich „wie Schafe Gras aßen". Als Anu vom Himmel Getreide, Gerste und Bohnen sandte, will Enlil diese Güter den Menschen zuerst vorenthalten; Gerste und Getreide (?) speichert und verschließt er auf dem „Berg der Gewürzkräuter und der Zeder". Die Götter Ninazu und Ninmada beschließen dann, beides nach Sumer zu bringen. Wohl weil sie sich gegenüber 7 0 Anders als V. 9, der zur Exposition der Erzählung vom verbotenen Baum gehört, meint 8 a weder einen Gottesgarten noch das verlorene Paradies; vgl. Westermann, a . a . O . , 283f., zu 1,29 ebd. 223ff. mit religionsgeschichtlichen Parallelen. 7 1 f i y ist doch wohl am ehesten wie VW 2 Kön 19,12; Jes 37,12; E z 27,23 und A m 1,5 mit bit Adini, der bekannten Landschaft zu beiden Seiten des oberen Euphrat, gleichzusetzen; für diese Identifikation scheint mir neben dem philologischen Befund vor allem die Tatsache zu sprechen, daß der Garten von V. 8 gemäß V. 5 f. doch offenbar als Oase in der Wüste zu denken ist (vgl. bes. Maag, Alttestamentliche Anthropogonie [s. Anm. 63], 23, wenn auch mit Vorbehalt gegenüber der Einzelbegründung), wozu an die Flußoasen des Euphrat und Ballh in bit Adini zu denken wäre. Ausführliches Referat von Thesen und Diskussion bei Westermann, a. a. O., 284 — 287. — Zur Örtlichkeit des Märchens s. Jolles, a. a. O., 224; anders, insbesondere zum orientalischen Märchen, K. Ranke, Studium Generale 11, 1958, 6 4 7 - 6 6 4 , bes. 650. 72

Pettinato, a. a. O., 86 ff.

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Enlil schuldig zu machen fürchten, gehen sie zum Sonnengott Utu - hier bricht der Text a b 7 3 . (3) Spezialisiert ist das Motiv im obengenannten Streitgespräch zwischen Enki und Ninmah. Als die Götter die Erschaffung der Menschen fröhlich feierten, formt Ninmah, die bei der eigentlichen Menschenschöpfung nur eine Gehilfenrolle spielte, vom Bier ermuntert und zugleich indisponiert, aus dem Abzu-Ton allerlei Mißgestalten (Z. 58ff.); Enki muß dann für jeden dieser Behinderten einen Platz in der Gesellschaft oder sonst eine Versorgung schaffen. Das Geschehen wiederholt sich Z. 82ff. unter Vertauschung der Götterrollen, ohne daß Ninmah für die mißratenen Kreaturen Enkis in ebenbürtiger Weise Vorkehrungen treffen zu können scheint. Das Motiv hat hier eine soziale Färbung angenommen 7 4 . 4 . Keine der m e s o p o t a m i s c h e n S c h ö p f u n g s e r z ä h l u n g e n vergißt, eine A n g a b e ü b e r die B e s t i m m u n g des z u erschaffenden M e n s c h e n z u m a c h e n ; innerhalb v o n G e n 2 findet sich eine entsprechende N o t i z in den Infinitiven mtttT 1 ?! m a y 1 ? V. 15 bß, deren Suffixe sich auf p y " [ J b e z i e h e n 7 5 . [275] V. 15 a b a gehört zur Erzählung vom verbotenen Baum; V. 15bß dagegen hat nicht in dieser, sondern nur in der Schöpfungserzählung eine sinnvolle Funktion. So gehört 15 bß sachlich und wohl auch traditionsgeschichtlich zu V. 8, wofür Westermann noch andere plausible Gründe anführt 7 6 . Inhaltlich geschieht mit der A n g a b e über die B e s t i m m u n g des M e n s c h e n 15 bß ein weiterer Schritt in R i c h t u n g auf die E n t m y t h i sierung des Menschenbildes. N a c h den m e s o p o t a m i s c h e n Paralleltexten sind die G ö t t e r geradezu auf den M e n s c h e n angewiesen: „dieser versorgt d u r c h seine harte A r b e i t die G ö t t e r m i t Speise u n d 7 3 Text und Ubersetzung bei I. Bernhard, Mythen, Epen, Weisheitsliteratur und andere Literaturgattungen (in: S. N . Kramer [Hrsg.], Sumerische literarische Texte aus Nippur I [Texte und Materialien der Frau-ProfessorHilprecht-Sammlung . . . Jena, N F III], 1961, 10f. [Nr. 5]). 7 4 Transkription und Übersetzung bei Benito, a. a. O . (s. Anm. 54). 7 5 Zu den Femininsuffixen vgl. C . Brockelmann (Hebräische Syntax, 1956, § 16g): „Das masc. ρ ist in Verbindung mit dem als Landesnamen femininen "py in p y ρ Gen 2,15 fem." (worin noch eine kleine Bestätigung unserer in Anm. 71 vorgetragenen Vermutung liegt). 7 6 A . a. O . , 299f.

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Trank" 7 7 . Ganz im Anfang, „als die Götter (auch noch) Mensch waren" 7 8 , hatte die Göttergruppe der Anunnaku die harte Arbeit auf die Igigu abgewälzt, die darunter nach ihren eigenen Worten beinahe gestorben wären (Atramhasls 1,149. 162); da findet Ea den Ausweg, den Menschen erschaffen zu lassen, damit er „das Joch trage" (1,195 f . ) 7 9 . Nach Enüma elis VII, 27ff. hat Marduk die Menschen speziell aus Mitleid mit den nach ihrer Niederlage gebundenen Göttern hervorgebracht: da er so das seinen Feinden auferlegte Joch von ihnen nimmt, dient die Erschaffung des Menschen zu deren Verschonung (a-na pa-di-su-nu); die Menschen scheinen den besiegten Göttern also geradezu eine Art Sühnefron abzunehmen 8 0 . Ganz anders in Gen 2: hier bearbeitet und bewahrt der Mensch nur noch den seiner eigenen Versorgung dienenden Garten; seine Arbeit behebt nicht eine Zwangslage der Götter, sondern sichert die Subsidien seiner eigenen Existenz. Was er nach V. 7 an numinosem Glanz einbüßte, gewinnt er nach V. 15 bß an einer geradezu spielerisch anmutenden Freiheit: Seine Bestimmung erschöpft sich in einem heiteren Sein-Dürfen, das sich seiner Berechtigung beinahe nicht mehr zu vergewissern braucht 8 1 . Dient das [276] mythische primum actum allgemein der Begründung des Daseienden, so behauptet es hier speziell die Legitimation der menschlichen Existenz; die Rechtfertigung menschlichen Daseins hat dabei die Struktur eines sola gratia angenommen. Pettinato, a. a. O . , 22. So Atramhasls 1,1 nach der Übersetzung W. v. Sodens ( O r 58, 1969, 416f.; 39, 1970, 312f.); anders W. G. Lambert (Lambert-Millard, a. a. O . , 146; Lambert, O r 38, 1969, 535f.; 40, 1971, 95f.) und Pettinato, Oriens Antiquus 9, 1970, 76, wo auch noch andere Auffassungen referiert werden. 77

78

Wie sehr die Götter auf die Menschen angewiesen sind, zeigt ihre Hilflosigkeit, als die Sintflut die Menschen vernichtet hatte (Atramhasls III V 34ff.; Gilg 11,159ff.). 79

Ähnlich P. Garelli-M. Leibovici in: M. Eliade (Hrsg.), Die Schöpfungsmythen, 1964, 129 f. 8 1 Vielleicht kann man schon in der letztlich tautologischen Bestimmung des menschlichen Existenzzwecks die Andeutung eines proprium humanum erkennen: Für die Tiere weiß der Text durchaus einen handgreiflichen Existenzzweck anzugeben, freilich einen solchen, den sie nicht (voll) erfüllen. 80

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5. Daß V. 10-14 den Kontext stören, ist oft beobachtet worden: zunächst scheint die „kleine Geographie" weder zur Schöpfungserzählung noch zu der vom verbotenen Baum zu passen. Gen 2 ist anthropozentrisch orientiert, hat die Struktur einer Erzählung und enthält sonst keine kosmologischen Elemente; zwischen der Lokalisierung des Gartens in Eden (V. 8) und der Angabe von V. 10, wonach der Strom aus Eden in den Garten fließt, besteht außerdem eine Differenz. Mit einem Gottesgarten bzw. Paradies, wie es Gen 3 voraussetzt, ließen sich die vier Weltströme dagegen nur verbinden, wenn sich Eden wie in Ez 28,13 f. als Gottes^erg vorstellen ließe, worauf im Text nichts hindeutet; die Gottesgarten- bzw. Paradiesvorstellung hat als solche kein kosmologisches Implikat. Allerdings knüpft der Erzähler mit V. 10 an V. 6 an; die Entsprechung von 6 und 10a ist weitgehend: nö'iKrrjs-'rs-nK •μπ-ηκ

np»m mptyn1?

ηκπ-ρ py'a

n^y sr

nsi inn

Dabei hat die durativ gebrauchte Präformativkonjugation (Imperfekt) f l ^ y (V. 6) in dem Partizip des Nominalsatzes 10 a a ihr Pendant; Nominalsätze beherrschen dann auch V. 11-14 8 2 .

Die gewisse Künstlichkeit der Anknüpfung von 10 a an 6 zeigt zwar, daß der Erzähler mit 10b-14 eine offenbar eigenständige Tradition zu integrieren hat. Trotzdem aber wird man urteilen dürfen, daß 10b—14 in den weiteren Themenbereich der Menschenschöpfung gehört; das Stück bildet sozusagen ein mythisches Pendant zu den von M. Eliade beschriebenen Orientierungsriten 83 : Seine Funktion ist es, den bislang homogenen und daher der Orientierung widerstrebenden Raum zu differenzieren und so für den Menschen überschaubar zu machen 8 4 . Dabei scheint mit der Teilung des O b zwischen der Satzstruktur Subjekt + durative Präformativkonjugation (Imperfekt) und dem Nominalsatz eine Bedeutungsdifferenz besteht, wäre zu fragen. 8 3 Kosmogonische Mythen und Orientierungsriten (in: Die Schöpfungsmythen [s. Anm. 80], 1 5 - 2 0 ) . 82

8 4 Erschöpfte sich die Funktion der Ströme in der Bewässerung der Erde, wären die Verse 10-14 neben V. 6 im jetzigen Text nur Dubletten. Um

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Stroms in vier Arme letztlich dasselbe Raummodell zugrunde gelegt, das die mesopotamische Einteilung des Welt-[277]ganzen in „vier Ufer" (akkadisch kibrätum arba'um u. ä.) und die biblische Vorstellung von den „vier Winden" 8 5 oder den „vier Himmelsekken" 8 6 im Auge haben. Freilich streben die vier Arme des Urstroms nicht nach Art des Achsenkreuzes unserer Himmelsrichtungen auseinander; mythische Kosmographie ist nicht im mathematischen Sinne geometrisch. Die Namen der Ströme werden gegenüber ihrer Vierzahl sekundär sein. Das hapax legomenon "pti^Ö und vielleicht auch "prPJ können als Phantasienamen gelten 8 7 ; dagegen verraten die Namen Tigris und Euphrat, die Ländernamen Hawila und Kusch sowie die Bezeichnung A s s u r 8 8 das gleiche Interesse des Mythos am konkreten Raum, das bereits hinter der Lokalisierung des Gartens „in Eden" stand: Der Mythos will die gegenständliche Welt erschließen 8 9 . Wo Mythisches somit der Orientierung im Raum

Eden zu lokalisieren (so Gunkel, a. a. O . , 8f.), ist der Aufwand von 10-14 entschieden zu groß. 8 5 Jer 49,36; Ez 37,9; 42,20; Dan 7,2 u. ö.; vgl. akkadisch särü erbettum. 8 6 Jer 49,36. Zur Vierzahl als geometrischem Orientierungsprinzip vgl. S. Mowinckel, De fire Paradieselvene (NTT 39, 1938, 47-64), bes. 54f.; Westermann, a. a. O . , 295, aber auch G. Hölscher, Drei Erdkarten, 1949, 53, Anm. 1. 8 7 Die Wurzel BHS „springen, stampfen" (von Tieren) will allerdings zu einem Fluß oder auch nur zu einer Quelle nicht recht passen. 8 8 Ob die noch unter Salmanassar III. (858-824) und Sanherib (704-681) baulich bereicherte Stadt „Assur" (Gunkel, a. a. O . , 9; Westermann, a. a. O . , 298) oder das gleichnamige Land (Hölscher, a. a. O . , 37f.) gemeint ist, tut hier nichts zur Sache; der Vergangenheit hat auch die Stadt Assur ζ. Z. des Jahwisten noch nicht angehört (vgl. W. Andrae, Das wiedererstandene Assur, 1938), so daß man etwa aus ihrer Erwähnung ein besonders hohes Alter der Tradition zu Gen 2,10b-14 ablesen könnte. 8 9 In Atramhasls 1,25 wird im Zusammenhang mit der den Igigu auferlegten Arbeit an den Kanälen Mesopotamiens der Tigris genannt; das spätassyrische Fragment S 1,7 erwähnt in ähnlichem Zusammenhang den Euphrat.

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d i e n t 9 0 , ist es z w a r nicht m i t primitiver Wissenschaft identisch, w o h l aber als einer ihrer E r m ö g l i c h u n g s g r ü n d e w i r k s a m 9 1 . [ 2 7 8 ] 6 . D i e Verse 1 8 - 2 4 bilden innerhalb d e r jahwistischen S c h ö p fungserzählung die einzige längere Szene; n u r hier findet sich das d r a m a t i s c h e E l e m e n t einer gewissen inneren Spannung. Z w e c k der Szene ist es, d u r c h ein typisch m y t h i s c h e s Mittel das p r o p r i u m h u m a n u m z u b e z e i c h n e n : D i e S c h ö p f u n g des M e n s c h e n geschieht in m e h r e r e n Phasen, deren zweite bzw. dritte den M e n s c h e n erst wahrhaft menschlich macht. Eine bezeichnende mesopotamische Parallele ist die obengenannte mythische Einleitung zum Streitgespräch zwischen dem Mutterschaf und dem Getreide; danach besteht das proprium humanum im Erwerb der durch 9 0 Westermann (a. a. O . , 294) findet in 2 , 1 0 - 1 4 „eine räumliche Parallele zu der zeitlichen Struktur,. . . daß alles Geschehen von einem Urgeschehen . . . hergeleitet wird". Vielleicht ist eine noch genauere Entsprechung zu dem räumlichen Orientierungsmythos von Gen 2 , 1 0 - 1 4 in Gen 1 , 3 - 5 zu sehen: Gott setzt durch die Trennung von Licht und Finsternis, Tag und Nacht die Zeitstruktur als Voraussetzung des Daseins (Westermann, a. a. O . , 155), die für P, sofern sie auf den Sabbat zielt, zugleich von sakralem Belang ist.

Wer die moderne Wissenschaft vorwiegend durch die den Mythos sprengenden Kräfte des Judentums und des Christentums ermöglicht sieht, schätzt m. E . die Motive, die den Hellenen seit den jonischen Naturphilosophen eine wissenschaftliche Objektivation der Wirklichkeit erschlossen haben, falsch ein; Judentum und modernes Christentum sind in der gleichen Richtung auch nur wirksam geworden, wo sie von der Renaissance (und Aufklärung) berührt waren. Der Beitrag, den umgekehrt das Mythische auf seinen verschiedenen Stufen für eine Rationalisierung der Weltbewältigung zu leisten vermag, bedürfte einer umfassenden und unvoreingenommenen phänomenologischen Darstellung. Vorerst scheint mir das Urteil Eliades (a. a. O . [s. Anm. 83], 19) über den kosmogonischen Mythos erwägenswert: „Dank diesem Mythos wird auch der Mensch zu einem Schöpfer. Auf den ersten Blick wiederholt er nur immer wieder die gleiche archetypische Geste, in Wirklichkeit aber erobert er unermüdlich die Welt, er organisiert sie, er wandelt die natürliche Landschaft in einen kulturellen Lebensraum um. Hierin ruht das große Geheimnis des kosmogonischen Mythos: er treibt den Menschen dazu zu erschaffen, er eröffnet seinem schöpferischen Geist ständig neue Perspektiven, auch wenn der Mythos 91

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Schafzucht und Getreideanbau ermöglichten Zivilisation, welche dem Menschen erst in einem zweiten anthropogonischen Akt zuteil wird; ähnlich verhält es sich in der mythischen Erzählung, „wie das Getreide nach Sumer k a m " 9 2 . Beispiele aus der hellenischen Welt finden sich bei K. Kerenyi 9 3 , eines aus dem Bereich primitiver Religion bei Westermann 94 .

N o c h „nicht gut" ist nach der ersten Phase der Erschaffung des Menschen durch Jahwe, „daß der Mensch allein ist". Was ihm fehlt, ist nicht nur „Hilfe" (*1Ti?) bei der ihm aufgetragenen Arbeit, sondern vor allem ein ihm entsprechendes „Gegenüber" (1TI33), das seinem Alleinsein abhilft. Ist der Mensch dem schöpferischen Grund der Erde und damit der Integration in den Kosmos entzogen, infolgedessen sein Ursprung des numinosen Glanzes entbehrt, so zeigt die spielerische Freiheit des bloßen Dasein-Dürfens nun sogleich ihre Kehrseite. Daß das Alleinsein [279] in der von Jahwe geschaffenen Welt als negativer Modus des proprium humanum empfunden wird, ist ein Element nachmythischen Daseinsgefühls. Nach dem (wieder) stärker im Mythischen verhafteten Satz Gen 1,26 f. nimmt die Stelle des Gegenübers des Menschen Gott selber ein: D a er den Menschen ja nach seinem Bilde schafft, ist das dem Menschen gemäße Gegenüber diesem in Gott selbst immer schon vorgegeben 9 5 .

dadurch, daß er sich als unerreichbares Vorbild darbietet, scheinbar die menschliche Initiative lähmt." 9 2 Vgl. W. v. Soden, O r 38, 1969, 418; Pettinato, a. a. O . , 31 ff. - Auch in dem lullü, den Marduk gemäß seiner Ankündigung an Ea Enüma elis V I , 6 f . schaffen will, bzw. den Aruru und Nintu/Mami nach Gilg 1 IV,6 und Atramhasls 1,195 formen, sieht v. Soden (demnächst in der Festschrift für F. M. Th. de Liagre Böhl) den noch unvollkommenen Urmenschen (vgl. AHw); er findet diese Auffasung für den lullü von Atramhasls 1,195 durch das W I - d i - i m - m u des Textes Ε zu 1,215. 217 bzw. e-di-im-mu (Text Α zu 215. 217. 228. 230) als dessen Namen bestätigt, den er als Lehnwort aus sumerisch idim „einfältig, schwerfällig" erklärt: „der Urmensch Edimmu wäre also eine Art Wildling" (anders W. G. Lambert, JSS 12, 1967, 105; Lambert-Millard, a. a. O . , 152). A. a. O . (s. Anm. 43), 53ff. A. a. O . , 307f. 9 5 Zum Menschen von Gen 1,26 f. als Gegenüber Gottes vgl. Westermann, a. a. O . , 217. 93 94

[140]

M y t h i s c h e E l e m e n t e in der jahwistischen Schöpfungserzählung

29

Nach dem jahwistischen Bericht dagegen findet der Mensch das seiner eigenen Gestalt, seinem eigenen Willen und Schicksal Entsprechende nicht mit der gleichen Selbstverständlichkeit vor. Jahwe läßt ihn vielmehr in einem zweiten mißlungenen Versuch, die Humanität des Menschen zu vollenden, die „ihm entsprechende Hilfe" bei den Tieren suchen, die mit der Gestalt des Menschen immerhin das Organische gemein haben. Ein Nebeneffekt dieses Versuchs ist die Benennung der Tiere. Jahwe führt seine Geschöpfe dem Menschen vor und will sehen, was er zu ihnen sagen wird. Es zeigt sich, daß die menschliche Sprache auf das neue göttliche Experiment die Probe liefert: wie der Mensch die Tiere benennt, so heißen sie. Damit soll nicht so sehr ein Herrschaftsakt bezeichnet werden, der am Ende das Gespür für die widerstrebende Faktizität des Benannten vermissen ließe; vielmehr ist von einem Gelingen menschlicher. Sprache die Rede, die das Begegnende in seiner Eigen-Art erkennt, der humanen Existenz „assimiliert" und dann wieder-gibt. Was freilich auf diese Weise wiedergegeben wird, ist das bloße Nicht-Entsprechen. Und so wird durch das Benennen seitens des Menschen Jahwe zugleich bei einem weiteren Fehlschlag seines Schaffens behaftet: Das Nachschaffen der Geschöpfe in der Sprache 96 läßt das proprium humanum vorläufig nur an einer neuen Spannung mit der Wirklichkeit und ihrem Schöpfer fühlbar werden. Eben dies proprium humanum besteht dann positiv im Angewiesensein des Menschen auf ein menschliches Gegenüber. Dagegen kann man im Sinne des Erzählers nicht einwenden, daß doch auch das Tier auf Geschlechtsgemeinschaft angelegt ist. Denn die Beziehung des Mannes zur Frau ist zwar auch als Geschlechtsgemeinschaft gedacht, aber bezeichnenderweise nicht in der Nötigung zur Fortpflanzung begründet 97 , [280] sondern in einer Einsamkeit, die G. v. Rad, a. a. O . Dagegen fällt für P, die das Gegenüber von *DT und PDpJ 27b auf die Fortpflanzung zielen läßt, wie es 28 a expliziert, die Beziehung von Mann und Frau für die Konstitution der Humanität nicht sehr ins Gewicht: Das proprium humanum wird hier in der Herrschaft über die Tiere gesucht, worin der über dem Menschen gesprochene Segen 28 b denjenigen über die Tiere 22 hinter sich läßt. 96

97

30

Mythische Elemente in der jahwistischen Schöpfungserzählung

[141]

die Problematik seines Daseins spiegelt. Insofern diese Problematik aber ganz seine eigene ist, wiederholt sich die Freiheit seines Daseins von einem außerhalb seiner selbst liegenden Existenzzweck in der entsprechenden Freiheit des menschlichen Miteinanders; auch dieses Miteinander empfängt nur aus der Beschaffenheit der menschlichen Existenz seine Bestimmung. D a s unterscheidet G e n 2 , 1 8 - 2 4 auch v o n der bekannten Szene zwischen E n k i d u u n d der D i r n e im G i l g a m e s c h e p o s . Z w a r verhilft die D i r n e d e m halb tierischen u n d d a r u m in Tiergemeinschaft lebenden S t e p p e n b e w o h n e r E n k i d u d a z u , z u einem M e n s c h e n i m Vollsinne zu werden. A b e r die „ H o m i n i s a t i o n " erfolgt nicht durch die B e g e g n u n g als solche, sondern durch etw a s , das E n k i d u dadurch als Mittel zu einem anderen Z w e c k e gewinnt: Zwar entfremdet ihn das Zusammensein mit der Dirne den Tieren und reduziert seine gewaltigen Körperkräfte (1 I V , 2 2 - 2 8 ) ; dafür aber erwirbt er die Voraussetzungen eines zivilisierten Daseins. „ E r aber wuchs (?), ward weiten S i n n e s " 9 8 , u n d voller B e w u n d e r u n g redet ihn die D i r n e an: „Weise (?) bist d u , E n k i d u , bist wie ein G o t t " (1 IV, 29. 3 4 ) " . D a n a c h bekleidet sie ihn ( 2 , 6 7 f . 106), lehrt ihn B r o t z u essen u n d R a u s c h t r a n k zu trinken, s o daß er am E n d e „ z u einem M e n s c h e n w a r d " , „ w i e ein M a n n i s t " (105. 107). A b e r letztlich vermittelt die D i r n e ihm H u m a n i t ä t , indem sie ihn G i l g a m e s c h z u führt: „die B e g e g n u n g mit der F r a u bleibt E p i s o d e ; das Ziel ist die F r e u n d schaft mit G i l g a m e s c h "

10

° . Von einer E i g e n b e d e u t u n g der B e g e g n u n g , die

als solche den M e n s c h e n zu sich selbst brächte, kann nicht die R e d e sein.

Daß der Gewinn der vollen Humanität nach Gen 2 wirklich in der Begegnung des Mannes mit der Frau gefunden wird, zeigt die Bewillkommnung in V. 23, die die in V. 18b bezeichnete, in V. 20 bestätigte Existenzproblematik des Menschen behoben sein läßt. 98

U SH-U i-SI-i[h-ma

U-r]a-pa-as

HA-si-sa; R . C . T h o m p s o n , T h e E p i c of

G i l g a m e s h , 1930, 14. Verszählung im folgenden nach Schott-v. S o d e n , a. a. O . (s. A n m . 53). 99

In Sinnentsprechung zu Z . 2 9 ist vielleicht mit Ε . A . Speiser ( A N E T

75 A n m . 29) [en]-qa-ta

d

E N . K I . D U ki-ma

son (a. a. O . , 14) hatte \darri\-qa-ta

ili tab-ba-si

zu lesen; T h o m p -

„ s c h ö n bist d u " . [ D e r jüngst in B o g a z -

k ö y gefundene akkadische Gilgameschtext B o . 83/625 hat mit d e m

dam-

qd-ta die L e s u n g T h o m p s o n s bestätigt; vgl. G . Wilhelm, N e u e akkadische G i l g a m e s - F r a g m e n t e aus H a t t u s a , Z A 78, 1988, 99-121, bes. 104.] 100

Westermann, a. a. O . , 308.

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31

Wie zuvor die Tiere, so führt Jahwe nun auch die Frau dem Menschen vor (22b). Da erkennt der Mensch an ihr - endlich (DiiSH) ein Stück seiner selbst, „Glieder von der Art der eigenen Glieder und Fleisch von der Art des eigenen Fleisches"; zugleich aber begrüßt er in dem anderen Selbst die ihm entsprechende Gestalt 1 0 1 , die sich in der außermenschlichen Wirk-[281]lichkeit, insbesondere aber in der Tierwelt, nicht wiederholt. Darum auch empfängt sie anders als die Tiere den seinem eigenen entsprechenden Namen. Allerdings kann der Mann, da die Frau einmal von ihm „genommen ist", nicht mehr identifikativ mit ihr eins werden; noch weniger sublimieren sich beide, wie es etwa in einem hinduistischen Hochzeitsspruch geschieht 1 0 2 , zu polaren kosmischen Größen, indem sie den Kosmos in sich Gestalt gewinnen lassen und alsdann durch die Geschlechtsgemeinschaft die mythische Integration des Menschen verwirklichen. Aber gerade so hüten sie umgekehrt die eigene Gestalt vor der Fremdheit und Feindschaft des Kosmischen: Die zwischen Mann und Frau waltende schöpferische Spannung ist nicht länger wie im mythischen Verständnis ein Paradigma des die ganze Wirklichkeit umgreifenden Relationszusammenhanges, sondern lediglich Realisierung des proprium humanum, das Mann und Frau anEineiVerwandtschaftsformel findet hier mit Recht W. Reiser, ThZ 16, 1960, 1 - 4 ; vgl. schon Gunkel, a. a. O . , 13. Dazu wäre die Bruder-Schwester-Anrede in ägyptischen Liebesliedern (A. Hermann, Altägyptische Liebesdichtung, 1959, bes. 76) und des Hohenliedes ( 4 , 9 f . 12; 5 , 1 ; ferner Gen 12,13. 19; 2 6 , 7 ) zu vergleichen; die Wahl der Liebe läßt im Gewählten das Verwandte finden. Dementsprechend tritt für den Mann die natürliche Verwandtschaft gegenüber solcher „Wahlverwandtschaft" zurück. Auch wenn die Übersetzung von O . Loretz (Schöpfung und Mythos, 1968, 115) „Das ist nun endlich Gestalt von meiner Gestalt" zu weit geht (Ο. H . Steck, Die Paradieserzählung, 1970, 94, Anm. 204), trifft sie doch das Gemeinte: der DXi? von seinen D,ö5iy, das Fleisch von seinem Fleisch ist für den Menschen H J J 3 Ity, weil „dies Lebewesen zum ersten Mal einen Gliederbau zeigt, der im ganzen seinem eigenen entspricht" (L. Delekat, V T 14, 1964, [ 7 - 6 6 ] 50f., der einen Sprachgebrauch D,ÖSy „Glieder" von niöSi? „Knochen, Gebein" unterscheidet). 101

1 0 2 „Hier bin ich, da bist du; da bist du, hier bin ich; ich bin der Himmel, du bist die Erde" (van der Leeuw, a. a. Ο . , 220).

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[143]

einander erkennen. Die Mittel freilich, mit denen die Erzählung eine solche Entmythisierung des menschlichen Daseinsgefühls zur Sprache bringt, sind wiederum mythisch: nach Menschenart formt Jahwe die Tiere und bringt sie zum Menschen; wie ein gigantischer Magier läßt er einen Zauberschlaf auf den Menschen fallen und „baut" 1 0 3 die Frau aus der Rippe des Mannes. Der Struktur mythischen Redens entspricht es dann auch, daß Gen 2 vom Menschen der Urzeit redet und darum alles, was der Mensch in Vergangenheit und Gegenwart erleidet und leistet, von der Norm des Urgeschehens bedingt und begründet sein läßt. Der ätiologische Schlußsatz V. 24 verleiht der Szene 18-23 in gleicher Weise eine mythische Funktion, wie es die einleitende Temporalbestimmung V. 4 b - 6 für die ganze Erzählung t u t 1 0 4 : er macht für die Zeit von der Urzeit Gebrauch. Auch die Begegnung von Mann und Frau, sosehr sie in actu immer wie-[282]der als neu und einmalig erfahren wird, erscheint im Licht von V. 24 als Geschehen in einer „Nachfolge"; im Individuellen der Begegnung wird paradoxerweise die Wiederholung eines Prototyps gesehen. Das rechte Verhalten diesem gegenüber ist ein Sich-Einfügen, freilich nicht in das bloßGegebene jeweiliger Gegenwart, sondern in das mythische primum actum, dem gegenüber eigentliche „Originalität" hybrider Dünkel wäre. Die dem Alleinsein ausgesetzte Existenz des Menschen kann sich freilich zugleich in einem Geschehen bergen, das ihrer eigenen Dramatik nicht nur immer voraus ist, sondern sie zugleich souverän umgreift. Das Element des Mythischen, das durch V. 24 wieder eingebracht wird, weist gegenüber den Verstiegenheiten des je Besonderen auf die Identität menschlicher Daseinsverfassung, deren Grenze keine Veränderung überschreitet. Worin solche dünkelhafte Originalität, solche Verstiegenheit des je Besonderen bestehen kann, zeigt der vorliegende Text an der Erzählung vom

Im Akkadischen wie im Ugaritischen dient die Wurzel B N l als term, techn. für das göttliche Schaffen. 1 0 4 Daß V. 24 aus der Situation der Erzählung heraustritt (Westermann, a. a. O . , 317), geschieht in Ubereinstimmung mit dem Wesen mythischer Erzählung, die „das Menschsein des Menschen, wie es heute ist", aus seinem Ursprung vergegenwärtigt. 103

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verbotenen Baum Gen 3. Der Wunderbaum öffnet dem Menschen die Augen und macht ihn zu einem Gottwesen, das Gutes und Böses versteht (2,9. 17; 3 , 5 . 7), welchen Effekt auch Jahwe am Ende bestätigt (3,22). Dabei halte ich es mit J. Wellhausen für möglich, „daß das den Menschen versagte Wissen . . . ursprünglich als Zauber und Zaubermacht aufgefaßt i s t " 1 0 5 . In der Tat bezeichnet die Magie für das Bewußtsein des antiken Menschen eine versucherische Möglichkeit, die durch das primum actum der Urzeit inaugurierte Ordnung zu durchbrechen und „Originalität" in Konkurrenz und Gegensatz zum Schöpfer zu entfalten; zugleich haftet der Magie die Tendenz zum Exorbitant-Verstiegenen, aller kosmischen Harmonie Spottenden an. Daß die Schlange als ursprünglich chthonisches Numen archaischer Art und niederen Ranges den Mächten des Magischen nahesteht, obwohl sie jetzt zu den „Tieren des Gefildes" gehört, „die Jahwe Elohim gemacht hat" (3,1), ist eine wahrscheinliche Vermutung. - Vor allem weist die Terminologie von 3 , 5 , wie uns scheint, unmißverständlich in diese Richtung. Die Augen werden dem Magier geöffnet wie Bileam, dem DTU (Num 2 4 , 4 . 16 J), den Balak bestellt, daß er wie ein Magier Flüche spreche; speziell fpS ist Gen 21,19; 2Kön 6 , 2 0 vom wunderbaren Sehen gebraucht. Zu ΟΓΡΤΙΙ DTlbiO wäre darauf zu verweisen, daß der wundertätige Mose DTt^K für Aaron (Ex 4 , 1 6 E ) wie für Pharao (7,1 P) ist; als Naeman irrtümlich durch den König Israels von seinem Aussatz geheilt werden will, fragt dieser empört 0·'Π,?ΚΠ (2Kön 5 , 7 ) . 1 Sam 28,13 heißt der über die der Magie verwandte Wahrsagerkunst verfügende Totengeist D,rt'?S. Zeitweilig wurde der Magier Β,ΠΙ78(ΓΤ) „Mann von göttlichen Kräften" genannt 1 0 6 . Endlich gehört zur magischen Macht das übernatürliche „Wissen": der Magier ist Uli 310 tH\ O y T „der Wissende" heißt entsprechend der Totengeist. y n 3ΊΒ in diesem Sinne bedeutet das Heilsame und das Schädliche 107 , die guten und die bösen Kräfte: so wird l H e n 69 unser Text verstanden, wo an die Stelle des Sündenfalls Adams derjenige von Gen 6 , 1 - 4 tritt; [283] von dem gefallenen Engel Penemue heißt es V. 9, daß er den Menschen „das (Unterscheiden von) Bitter und Süß gezeigt und ihnen alle Geheimnisse ihrer (seil, magisch-mantischen) Weisheit kundgetan" habe 1 0 8 . Zur Komplementärerzählung für Gen 2 eignet sich Gen 3 zuletzt auch dadurch, daß das Motiv vom Griff nach der magischen Macht weitgehend

los Prolegomena zur Geschichte Israels, 5 1899, 307, Anm. 1. 1 0 6 Zu diesem Ausdruck H.-P. Müller, Ugarit-Forschungen, Intern. Jahrbuch für die Altertumskunde Syrien-Palästinas 1, 1969 ( 7 9 - 9 4 ) 90. 1 0 7 Wellhausen, a. a. O . , 306; vgl. Westermann, a. a. O . , 331. 1 0 8 Übersetzung G. Beer bei Kautzsch, A P II, Nachdr. 1962, 275.

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sublimierbar ist. Es befriedigt den schlichten Geschmack, der an Hexerei und wunderbare Mächte denkt; es kann aber auch zugleich Paradigma für die dem Menschen naheliegende Sehnsucht sein, die Grenzen seiner Natur zu überschreiten, „das Geheimnis der Dinge, das Geheimnis der Welt zu ergründen, Gott gleichsam in die Karten zu gucken, wie er es bei seinem lebendigen Wirken anfängt, um es etwa ihm abzusehen und nachzumachen". In diesem Sinne besteht die Schuld des Menschen von Gen 3 darin, daß er es verschmäht habe, „in Vertrauen und Ehrfurcht zu resigniren" 1 0 9 .

7. Wir fassen zusammen. Menschenbild und Daseinsgefühl der jahwistischen Schöpfungserzählung verlassen tendenziell den Bereich des Mythischen. Von seinem Ursprung her ist der Mensch den Vitalitäts- und Regenerationskräften des naturhaften Daseins, ja der schöpferischen Macht der Erde und damit der Integration in den Kosmos entzogen. Er ist kein Verwandter der Götter, dafür aber auch nicht ihr Arbeitssklave, sein Dasein hat vielmehr etwas Selbstzweckhaftes in spielerischer Freiheit. Dem existentialen Elend seines Alleinseins in der von Jahwe geschaffenen Welt hilft die Zuwendung zum Mitmenschen ab. Dagegen sind die der Erzählung zugrunde liegenden Vorstellungen von Jahwe weiterhin mythisch. Jahwe hat Gestalt und wirkt gestaltend wie der Mensch, nur in übermenschlichen Dimensionen: er formt ( i r 7.19) und pflanzt (PBJ 8), baut (Π33 22) und bewegt (ΧΌΠ 19.22); er spricht zu sich selbst (18) und unterliegt dem Schicksal möglichen Ungenügens seiner Werke (18.20). Wie ein Magier haucht er Leben ein (7) und läßt einen Zauberschlaf auf seine Kreatur fallen (21). - Eine Art Orientierungsmythos ist in V. 10b-14 als Ermöglichungsgrund primitiver Wissenschaft wirksam. Schließlich ist die Funktion der Erzählung, wie sie aus der einleitenden Temporalbestimmung V. 4 b - 6 und für 18-23 aus dem Schlußsatz 24 erhellt, durchaus eine mythische: Sie ruft den Menschen und seine „Welt" gleichsam zurück in ihren Ursprung, um ihren vergangenen und gegenwärtigen Bestand durch diesen zu begründen und zu legitimieren 110 . 109 110

Wellhausen, a. a. O., 301. Steck (a. a. O. [s. Anm. 101], 72) rechnet Gen 2 , 4 b - 3 , 2 4 in den Be-

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[284] Die übrigen Teile der jahwistischen Urgeschichte (Gen 3 - 1 1 *) bestätigen den Charakter von Gen 2 als mythischer Erzählung durch ihren eigenen mythischen Gehalt. Der Gestalt Jahwes und seinem Willen treten geradezu ebenbürtige Größen gegenüber. Zunächst ist der Mensch, der im Griff nach der magischen Macht gottgleich werden möchte oder einen Turm bis an den Himmel baut, ein für Jahwe geradezu gefährlicher Partner, der ihm beinahe ein Schicksal aufnötigt. Unter den Gestalten und Willensträgern, die Jahwes Alleinanspruch in Frage stellen, sind die Β^Π'ΓΚΠ ^33 6, 2 - 4 seiner eigenen Sphäre zugehörig; in gewisser Weise gilt das auch von der Schlange, die Jahwes Gedanken kennt, seine Motive durchschaut und sie dem Menschen verrät, zugleich aber auch dessen Verlockungen exteriorisiert. In der Sintfluterzählung schließlich, die Gen 2 komplementär zugeordnet ist, überwindet Jahwe seinen eigenen Zerstörerwillen, der durch die „Bosheit des Menschen" in 6 , 5 nur ganz pauschal und notdürftig gerechtfertigt ist 1 1 1 .

reich der „Sage"; aber diese Gattung gehört der vorstaatlichen Frühgeschichte, nicht der Urgeschichte zu - in ihrem Mittelpunkt stehen Helden aus der Zeit der Landnahme und Volkwerdung wie Josua, Gideon und Jephtha, nicht Prototypen des übernationalen Menschseins. Einen, wie mir scheint, unglücklichen Versuch, die Sintflut des mesopotamischen Mythos im Sinne einer göttlichen Gerechtigkeit zu legitimieren, hat G. Pettinato ( O r 3 7 , 1 9 6 8 , 1 6 5 - 2 0 0 ) unternommen; danach hat das Lärmen der Menschen (hubürum und rigmum Atramhasls 1,355 ff.), das Enlil im Schlaf stört, empörerischen Charakter und entspricht dem Versuch, die von den Göttern bestimmte Ordnung umzustoßen. Aber die Begriffe geben das schwerlich her (vgl. Lambert-Millard, a. a. Ο . , VI). Was die Begründung der Sintflut in der biblischen Erzählung anbetrifft, so braucht man die blasse Pauschalverurteilung der Menschen in Gen 6 , 5 f. 13 J nur mit der Benennung konkreter Einzelvergehen in den Erzählungen von urzeitlicher Schuld und Strafe zu vergleichen (Gen 3 , 6 ; 4 , 8 ; 6 , 1 f.; 9 , 2 2 ; 11,4), um zu erkennen, daß dem Verfasser offenbar keine Tradition über eine besondere Verschuldung der von der Sintflut betroffenen Menschen vorlag (vgl. C . Westermann, Arten der Erzählung in der Genesis [in: Ders., Forschung am AT, 1964, 9 - 9 1 ] , bes. 47ff.). Auch die Erzählung Gen 6 , 1 - 4 bietet für die in 6 , 5 f. 13 mangelnde Motivation der Sintflut keinen Ersatz: die 6 , 1 f. bezeichnete Schuld ist bereits durch die Strafe von V. 3 gesühnt; die Verbindung von 6 , 1 - 4 und 6 , 5 ff. zeigt also nur die Verlegenheit, die J in bezug auf die Begründung der Sintflut empfand. Die Sintfluterzäh111

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[285] Trotz ihrer thematischen Eigenständigkeit 1 1 2 ist allerdings die Urgeschichte doch nur Teil des jahwistischen Gesamtwerks, das die „Heilsgeschichte" Israels erzählt und als Zielpunkt die davidische Staatsgründung ins Auge f a ß t 1 1 3 : Sie ist innerhalb dieses Werkes der universale Rahmen einer partikularen Geschichtsdarstellung. Die Definition des Mythischen in der Urgeschichte hängt somit auch von der Verhältnisbestimmung von Urgeschichte und Heilsgeschichte innerhalb des jahwistischen Werkes ab. Die Urzeit einerseits und die geschichtliche Vergangenheit und Gegenwart andererseits sind nicht nur durch einen direkten Brückenschlag lung ist danach am besten gar nicht zu den Erzählungen von Schuld und Strafe zu rechnen (vgl. das vorsichtige Urteil Westermanns, Genesis, 66 und vor allem 71). Willkürlich wie der Unheilsbeschluß ist auch die Begnadigung Noahs 6,8 J , der sich von der massa perditionis ebensowenig wie die babylonischen Sintfluthelden Atramhasls und Utnapistim abhebt; sein Gehorsam gegenüber dem Befehl, die Arche zu bauen, erfolgt erst danach. Am Schluß begründet der Erzähler den Entschluß Jahwes, die Sintflut nicht zu wiederholen, mit dem gleichen Urteil, das am Anfang das Eintreten für die Sintflut rechtfertigen sollte: „Das Dichten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf" (8,21 J; vgl. 6,5). Wie wenig die Rettung aus der Sintflut auch nach der vorbiblischen Tradition im Verhalten des Menschen begründet sein muß, zeigt besonders bezeichnend eine Anspielung in der sumerischen Erzählung von Enmerkar Z. 573-577, wo der Herr von Aratta an Enmerkar folgendes mitteilt: Sie (seil, die Leute von Aratta) sind es, die im [. . .] der Sintflut standen. Als die Sintflut darüber hingegangen war, hat Inanna, die Herrin aller Fremdländer, in ihrer großen Liebe zu Dumuzi sie um seinetwillen mit dem Wasser des Lebens besprengt. . . (Ubers, bei C. Wilcke, Das Lugalbandaepos, 1969, 72) Sind Vernichtung und Rettung der Menschen in den mesopotamischen Schöpfungserzählungen weitgehend im Gegenüber und Streit verschiedener Götter und den daraus folgenden Willkürentscheidungen begründet, so ist dieser Streit bei J im Negativen wie im Positiven in Jahwe hineinverlegt. 1 1 2 Dazu Westermann, a. a. O . , 2f. 1 1 3 H.-R Müller, Ursprünge und Strukturen alttestamentlicher Eschatologie, 1969, 50 ff.

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wie Gen 2,24 miteinander verbunden 114 , sondern zugleich durch lineare Zeit und die sie erfüllenden Ereignisse, was innerhalb der Urgeschichte bereits die Genealogien eindrücklich zeigen 1 1 5 : Sollen die geschichtliche Vergangenheit und Gegenwart aus einem Ursprung begründet werden, so darf die lineare Zeit, die vom Ursprung trennt, nicht durch einen einfachen regressus ad initium im Sinne des ungebrochenen Mythos gelöscht werden. Vor allem aber hat die geschichtliche Vergangenheit gegenüber der Gegenwart selbst stiftenden Charakter: Gerade in ihr hat der segnende und rettende Gott alle anderen Mächte und Gestalten beiseite geschoben und eine Wirklichkeitsvermittlung an den Menschen ermöglicht, die jede Partikularität - letztlich auch die des Sakralen gegenüber dem Profanen - ausschließt; sein Name und Wille haben hier eine solche Dynamik und Aktivität bewährt, daß [286] das passive Moment eines ihm nach Art der mythischen Götter widerfahrenen Schicksals beinahe gar nicht aufkommt. - Und trotzdem tragen die mythische Urzeit und die Geschichte des Handelns Jahwes Vergangenheit und Gegenwart je auf ihre Weise: Das Bekenntnis vom Heil in der Geschichte begründet nicht nur das Reden von Gottes urzeitlichem Handeln als dessen universalen Rahmen; es wird vielmehr auch seinerseits von diesem begründet, insofern die Schöpfung des Menschen und ihre Sicherung gegen die Möglichkeit einer neuen Sintflut Gen 8 , 2 0 - 2 2 J doch zugleich die Bedingung der Möglichkeit von Geschichte darstellt. Das Mythische, welches Zeit als Rhythmus ständiger Selbstaufhebung und Wiederholung versteht,

114

Ein direkter Brückenschlag von der Urzeit zur Gegenwart geschieht,

wenn n a c h einem akkadischen Ritual z u r Tempelwiederherstellung der Schöpfungsmythos rezitiert wird (vgl. oben S. 129 [hier S. 18] und Anm. 58). Beschwörungen mit kosmogonischen Einleitungen sind bei R. Labat u. a., Les religions du Proche-Orient Asiatique, 1970, 7 4 ff., zusammengestellt (freundlicher Hinweis von J. Krecher). M . Eliade (Kosmogonische Mythen und magische Heilungen [Paideuma 6, 1956, 194 — 204]) gibt Beispiele aus polynesischen Religionen, nach denen der Kranke bei der rituellen Heilung symbolisch in die Zeit der Weltschöpfung versetzt wird, um sich von den Kräften durchdringen zu lassen, die die Schöpfung ermöglichten. 115

Vgl. Westermann, a. a. O., 8 ff.

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und die Botschaft vom zeitdurchbrechenden Kommen und Eingreifen Jahwes in die Geschichte sind als Träger geschichtlichen Daseins interdependent. III Nach C. Westermann ist die Urgeschichte „derjenige Teil der Bibel, der am tiefsten in die Geschichte der Religionen der Menschheit hineinragt" 1 1 6 ; speziell zu den Schöpfungserzählungen stellt Westermann die Frage, „ob es nicht eine positive Bedeutung für unser heutiges Verstehen dieser Texte haben könnte, daß das biblische Wort in dieser besonderen Aussage nicht primär anderen entgegen, sondern mit anderen zusammen s t e h t " 1 1 7 . Bereits die Einsicht in den Charakter der Urgeschichte des Jahwisten, insbesondere aber seiner Schöpfungsgeschichte als mythischer Erzählung macht u. E . eben diese Frage dringend, wenn überhaupt wir es beim Mythos mit einer universalen Grundform religiösen Redens bzw. beim Mythischen im Sinne unseres Begriffs mit einem universalen Inhalt und einer universalen Funktion der religiösen Wirklichkeit zu tun haben 1 1 8 . [287] Führt nämlich die Botschaft 116

A . a . O . , 5.

A. a. O . , 27; speziell zu dieser Problematik vgl. auch Westermann, Das Verhältnis des Jahweglaubens zu den außerisraelitischen Religionen (in: Forschung [s. Anm. 111], 189-218). 1 1 8 Zwar erkennt man an den Extrempunkten einer Typologie des M y thos einerseits und der Religion andererseits Phänomene (etwa: mythenlose Religion oder nichtreligiösen Mythos), die es geraten erscheinen lassen, Mythos und Religion unabhängig voneinander zu definieren (so C . Colpe, Mythische und religiöse Aussage außerhalb und innerhalb des Christentums [in: Beiträge zur Theorie des neuzeitlichen Christentums. Festschr. W. Trillhaas, 1968, 1 6 - 3 6 ] ) . Doch stellt die Koinzidenz von Mythos und Religion einen Häufigkeitsbefund dar, den man bei der Definition beider nicht unterbewerten darf, wenn man die Begriffe nicht unerlaubt formalisieren will. Colpe entgeht dieser Gefahr, indem er mit einer stark differenzierten Typologie des Mythos arbeitet (Das Phänomen der nachchristlichen Religion in Mythos und Messianismus [ N Z S T h 9 , 1967, 4 2 - 8 7 ] ; vgl. K. Rudolph, Der Beitrag der Religionswissenschaft zum Problem der sog. Entmythologisierung [Kairos 12, 1970, 1 8 3 - 2 0 7 ] ) . 117

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vom geschichtlichen Kommen und Eingreifen Jahwes im Horizont umgreifenden Fragens ein spezifisches Menschenbild bzw. Daseinsgefühl herauf, die ein entsprechendes Selbst- und Wirklichkeitsverständnis als ihre existential-ontologische Reflexionsgestalt vorwegnehmen, so begegnet das Ergebnis dieses Prozesses mythischen Inhalten, die ein wenigstens kommensurables Selbst- und Wirklichkeitsverständnis intendieren. Mag das Gen 2 zugrunde liegende Menschenbild bzw. Daseinsgefühl auch den Bereich mythischer Inhalte verlassen, so erweist es seine Kommensurabilität mit dem Mythischen doch immer noch darin, daß es in einer Erzählung mit mythischer Funktion zur Sprache kommt 1 1 9 , wobei solche Funktion, obwohl sie sich zunächst im Sozialen und Psychologischen geltend macht, zugleich die transzendentale Thematik berührt. Die Inhalte des Mythischen mit ihren Strukturelementen Gestalt, Name, Wille und Schicksal entsprechen Nötigungen des Personseins, das der Mensch in der Gegenstandswelt nicht ohne eine solche Begründung und Rechtfertigung zu behaupten vermag. Die Kommensurabilität des Menschenbildes bzw. Daseinsgefühls von Gen 2 mit außerbiblischen Mytheninhalten gründet dann in der Identität einer - allgemeingültig freilich nicht darstellbaren - Existenzproblematik, im Blick auf die jenes Menschenbild bzw. Daseinsgefühl und diese Inhalte eine analoge Funktion erfüllen. Existenzproblematik und mythische Funktion haben es entgegen aller Differenzen jeweiliger historischer Lebensbedingungen mit dem proprium humanum zu tun 1 2 0 ; diese Affinität ist es, die die theologische Möglichkeit einer Auseinandersetzung gegenwärtigen ChriZur Fortdauer mythischer Funktionen bei gleichzeitiger Ablösung mythischer Inhalte vgl. Colpe (Das Phänomen, 78), der dazu E . Cassirer zitiert. 119

1 2 0 Zur „Mythologisierbarkeit der Existenzialien" vgl. Colpe, a. a. O . , 8 0 - 8 2 , und zwar mit dem Ergebnis, daß „die Existenzialien . . . nicht nur aus dem Mythos, sondern aus jeder symbolisierenden Form- und Sinngebung" herausführen (82). Demgegenüber stellt Colpe (80) u. E . zu Recht die Suggestivfrage, ob das Leben in der Anaklisis, der Hinneigung aus einer Gegenwart zu einem Uranfang, dem Aufstützen auf den Uranfang zur Bestimmung der Gegenwart, nicht unserer geistig-menschlichen Konstitution zugehöre.

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stentums mit der Welt der Religion(en) eröffnet. Ohne das Ergebnis dieser Auseinandersetzung vorwegnehmen zu wollen, können wir jetzt schon vermuten, daß sich in bezug auf die Funktion des Mythischen und das von seinen Inhalten intendierte Selbst- und Wirklichkeitsverständnis Strukturanalogien zwischen bibli-[288]schen und außerbiblischen Religionen nachweisen lassen 121 ; bei aller religionsgeschichtlichen Würdigung der Differenzen mythischer Funktion wird man im Sinne der Religionsphänomenologie von einem typischen und konstanten Selbst- und Wirklichkeitsverständnis im Bereich des Mythischen sprechen dürfen, an dem auch die biblischen Inhalte nicht ohne Anteil sind. Die Integration mythischer Elemente erweist ihre Notwendigkeit freilich erst aus der Interdependenz des Mythischen und des Kerygmatischen in der Begründung geschichtlichen Daseins 122 durch die Bibel selbst. Auf der Ebene der Funktion des Mythischen und des von seinen Inhalten intendierten Selbst- und Wirklichkeitsverständnisses darf ja noch nicht das Spezifikum biblischer Religion gesucht werden; dies ist vielmehr erst da gegenwärtig, wo im mythischen Kontext die Botschaft vom Kommen und Eingreifen Gottes in die Geschichte gehört wird, genauer: wo der Text dieser Botschaft in dem von ihm selbst geführten Gespräch mit dem Kontext des Mythischen zum Träger geschichtlichen Daseins wird. Das Kommen und Eingreifen Gottes zugunsten des Menschen geschieht ja in der Gegenstandswelt, die Gott gar keine andere Möglichkeit läßt, als ώς μή eine gegenständliche Gestalt anzunehmen, sich durch Namen und Willen zu determinieren und sich schließlich einem Schicksal zu unterwerfen - bis zum Tode am Kreuz. Will der kom1 2 1 Dazu ist immer noch eindrucksvoll F. Heiler, Die Religionsgeschichte als Wegbereiterin für die Zusammenarbeit der Religionen (in: M. Eliade-J. M. Kitagawa [Hrsg.], Grundfragen der Religionswissenschaft, 1963, 4 0 - 7 4 ) .

Die diastatische Behandlung von Mythos und Geschichte etwa bei R. Bultmann übersieht, daß der Mythos erzählte Geschichte zum primum actum allen Daseins erhebt; der babylonische Mythos von Atramhasls ist dazu ebenso wie die biblische Urgeschichte in eminenter Weise prototypische Menschengeschichte. Die Diastase wird jetzt auch von Colpe (Mythische und religiöse Aussage, 23) problematisiert. 122

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mende und eingreifende Gott in der Welt für den Menschen präsent sein, so muß er ώς μή ein mythischer Gott werden, sich auf das Gespräch mit dem Mythischen festlegen, wenn er der Nötigung des Menschen, in der Gegenstandswelt sein Personsein zu behaupten, wirklich helfend und rettend genügen will. Nur indem er sich in der Welt von der Welt unterscheidet, vermittelt er die Wirklichkeit ungeteilt an den Menschen, ohne nun gar selber dessen Personsein dem unheilvollen Zwang zur Verdinglichung auszusetzen; so übernimmt und überbietet er die Leistung des Mythischen, dessen Vermittlung in der Partikularität und Pluralität gefangen bleibt. Sosehr also die transzendente /ferkunft seines Kommens und Eingreifens das mythische Reden von Gestalt, Namen, Willen und Schicksal des Kommenden und Eingreifenden sprengt, so sehr legitimiert [289] zugleich seine gegenstandsbezogene Ankunft in dialektischer Vermittlung eben dieses mythische Reden, auch auf die Gefahr hin, daß in Verkennung solcher Dialektik die platte Gegenständlichkeit sich der transzendenten Herkunft positiv oder negativ bemächtigt und sie dadurch auslöscht 1 2 3 . Wird die Interdependenz des Mythischen und des Kerygmatischen, in der sich die gleichzeitige Bindung und Freiheit göttlicher Transzendenz und menschlichen Personseins gegenüber welthaftem Dasein spiegelt, somit auch vom Akt der Offenbarung her begründet, so impliziert sie ώς μή die Dependenz des Offenbarungstextes von dessen mythischem Kontext, 1 2 3 Ein buddhistischer Religionsphilosoph wie der Japaner Keiji Nishitani (Der Buddhismus und das Christentum [Nachrichten der Gesellschaft für Natur- und Völkerkunde Ostasiens 88, 1960, 5 - 3 1 ] ) sieht in der Bindung des Kerygmas an ein geschichtlich-gegenständliches εφάπαξ dessen Schwäche im Blick auf die Möglichkeit seiner Entmyth(olog)isierung. „Im Unterschied zum Buddhismus, in dem alle Wesen mit Buddhaheit ausgestattet sind, ist die Gottheit im Christentum nur Jesus eigen . . . Die Frage aber, ob bei einer solchen Sicht der Dinge die Jungfrauengeburt und die Inkarnation endgültig ,entmythologisiert' werden können, läßt sich jetzt nicht länger unterdrücken . . . Wie sehr eine solche Ausnahme auch immer in ihrer absoluten Transzendenz aus dem Rahmen des Allgemeinen herausfällt: das solcherart absolut Transzendente bleibt und verhält sich doch relativ zu dem von ihm Transzendierten und ist insofern noch nicht im wahren Sinne absolut transzendent" ( 2 2 - 2 4 ) .

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was die Auseinandersetzung gegenwärtigen Christentums mit der Welt der Religion(en) geradezu unerläßlich macht. Solche Auseinandersetzung wäre nämlich bloß das präsentische Pendant zu dem für den Historiker indispensablen Geschäft, die Kunde vom Kommen und Eingreifen Jahwes in ihrem geschichtlichen - auch religionsgeschichtlichen - Zusammenhang zu erörtern; denn der Kontext gegenwartsmächtiger Interpretation dieser Kunde ist neben anderem die Wirklichkeit rezenter Religion(en) und ihrer Daseinsexplikation(en), deren transzendentale Ungültigkeit, wenn sie sich deduzieren ließe, auch die Möglichkeit jener Interpretation eines wesentlichen Aspekts ihrer Begründung beraubte, desjenigen nämlich, der im Sinne der Interdependenz dem Offenbarungsanspruch des Kerygmas die Waage hält.

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Eine neue babylonische Menschenschöpfungserzählung im Licht keilschriftlicher und biblischer Parallelen — Zur Wirklichkeitsauffassung im Mythos — Unter dem Titel "Ein Mythos von der Erschaffung des Menschen und des Königs" hat Werner R. Mayer in Or 56 (1987) 55-68 der Öffentlichkeit einen neuen akkadischen Text aus dem Vorderasiatischen Museum zu Berlin bekannt gemacht: es handelt sich um die im neubabylonischen Schrifttyp beschriebene Tafel VAT 17019 (BE 13383), die Mayer in Transkription und deutscher Übersetzung, dazu mit einem vorwiegend philologischen Kommentar vorlegt; die Kopie des zu ungefähr drei Vierteln erhaltenen, 42 mehr oder weniger lesbare Zeilen umfassenden Textes ist von J. van Dijk in " Vorderasiatische Schriftdenkmäler der Staatlichen Museen zu Berlin" 24 (Berlin 1987) Nr. 92 publiziert worden. Nicht zuletzt wegen seiner Anklänge an den ersten Teil des babylonischen Menschenschöpfungs- und Sintflutmythos von Atramhasls (= Atr) 1 ist das Stück vor allem mit der Menschenschöpfungserzählung Gen 2, aber auch mit der Weltschöpfungserzählung Gen 1 2 vergleichbar. — Wir tragen in dem folgenden Artikel einige vorläufige Beobachtungen zusammen, die sich aus einem Vergleich von VAT 17019 mit anderen babylonischen Schöpfungsmythen, insbesondere mit Atr, aber auch mit Gen 1-2 ergeben. Die Bekanntschaft mit einem neuen Menschenschöpfungsmythos gibt zugleich Gelegenheit,

1 Text und englische Übersetzung, auch der jüngeren Stücke, mit Paralleltexten und philologischen Kommentaren: W. G. Lambert - A. R. Millard, Atra-f)asls — The Babylonian Story of the Flood (Oxford 1969). Neubearbeitung der 1. Tafel mit deutscher Übersetzung und einem vorwiegend philologischen Kommentar: W. von Soden, "Die erste Tafel des altbabylonischen Atramhasls-Mythus. 'Haupttext' und Parallel V e r s i o n e n Z A 68 (1978) 50-94 (hieraus die Zitate); vgl. ders., "Konflikte und ihre Bewältigung in babylonischen Schöpfungs- und Fluterzählungen. Mit einer Teilübersetzung des AtramhaslsMythos", Mitteilungen der Deutschen Orient-Gesellschaft zu Berlin 111 (1979) 1-33. 2 Zum Nebeneinander der Themenkreise Menschen- und Weltschöpfung vgl. C. Westermann, Genesis: I. Gen 1-11 (BK I 1; Neukirchen 1974) 32-34; R. Albertz, Weltschöpfung und Menschenschöpfung untersucht bei Deuterojesaja, Hiob und in den Psalmen (Stuttgart 1974); M.-J. Seux, " L a creation du monde et de l'homme dans la litterature sumero-akkadienne", in: P. Beauchamp u.a., La creation dans l'Orient ancien (Lectio divina 127; Paris 1987) 41-78, bes. 51ff.

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auf einige andere babylonisch-biblische Zusammenhänge im Themenkreis von Menschen- und Weltschöpfung und in bezug auf die Funktion der betr. Mythen zurückzukommen; diese Zusammenhänge sind insofern auch von allgemeinem philosophisch-theologischem Interesse, als sie mit der Frage nach der Wirklichkeitsauffassung im Mythos das Problem der Stellung des Menschen im Kosmos auch für gegenwärtiges Bewußtsein berühren.

I.

1. Wie in der Exposition des sumerischen Mythos vom Wettstreit zwischen Enki und Ninmah Z. 8ff.3, in der sumerisch-akkadischen Bilingue KAR 4:27ff.4 und im ersten Teil des Atr u. ö. ist die Ausgangssituation auch in VAT 17019 durch die auf den Göttern liegende Arbeitslast gekennzeichnet (Z. 2'); die Klage darüber und der Gedanke, die Menschen zu schaffen, wird der Göttin Belet-ilT in den Mund gelegt (3'-9')· Die Leiden der Götter sind dabei durch Gebärden veranschaulicht: durch das Abgewandt-Sein ihres Antlitzes (T, vgl. vielleicht die Textspuren in 2') und, falls Mayer die reichlich zerstörte Zeile richtig ergänzt, durch ihr Schweigen (3'). Der in ähnlichen Zusammenhängen oft erwähnte "Tragkorb der Götter" (sä DINGIR.MES L t u p - s i k - k u J 5 ' ) als Gegenstandssymbol ihrer Fronarbeit deutet wie die parallele "Spitzhacke" 5 an, daß die Arbeit wie in Atr I 21 f. u. ö. der Schöpfung und Aufrechterhaltung des babylonischen Fluß- und Bewässerungssystems6, mithin einer Zivilisation dient, für die die Menschen im Zusammenhang auch unserer Erzählung allerdings noch fehlen. — Der Ausgangskonflikt des Mythos spiegelt also die Angst seiner Träger um die komplexe, störanfällige Welt einer Hochkultur; die archaische Daseinsangst älterer und jüngerer Frühkulturen um den Bestand

' C . A . B e n i t o , "Enki and Ninmah" and "Enki and the World Order" (Diss. phil. Univ. of Pennsylvania 1969) 9-76 (danach Verszählung und Zitate); vgl. ferner G. Pettinato, Das aliorientalische Menschenbild und die sumerischen und akkadischen Schöpfungsmythen (Abhandlungen der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Kl., Jahrgang 1971, 1. Abteilung; Heidelberg 1971) bes. 69-73. 4 Textnachweise und Lit. bei Pettinato, aaO. (Anm. 3) 74(-81), danach Η KL II, 55; vgl. Seux, aaO. (Anm. 2) 50-51. 5 Z u m "Tragkorb" vgl. 'Enki und N i n m a h ' Z. 9.23 (sum.), Atr I 2f.34.36.149.191.197 (akkad.); zur "Spitzhacke" Ee VI 59; zu "Spitzhacke" und "Tragkorb" vgl. die Bilingue KAR 4:30 und aus sumerischen Texten U E T 6/1 118 IV 26f. (A. Falkenstein, AS 16 [1965] 132b; K. Oberhuber, ArOr 35 [1967] 265), Lugal-e 337 (J. van Dijk, LUGAL UD ME-LAM-bi NIR-ÖÄL: I. Introduction, texte composite, traduction [Leiden 1983] 93), ferner ohne Bezug auf die Fronarbeit v o n Göttern den 'Mythos (?) von der Erschaffung der Spitzhacke' 10 (Pettinato, aaO. [Anm. 3] 83, dazu unsere Anm. 51). 6 Vgl. 'Enki und N i n m a h ' Z. 10; ferner zu supsikkum Atr I 3 v o n Soden, ZA 68, 76: " D a fur den Kanalbau nur Erdarbeiten nötig waren, ist hier wohl eher der Erd-Tragkorb als der Ziegel-Tragrahmen gemeint".

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der natürlichen Umwelt wiederholt sich, nun nach unserem Verständnis besser motiviert, auf einer höheren Integrationsebene. In den einfacheren Sozial- und Wirtschaftsverhältnissen Syrien-Palästinas7 gibt es für die speziell hochkulturelle Angst um eine ständig gefährdete Zivilisationswelt umgekehrt keine Entsprechung. Anders als vielleicht 'Enki und Ninmah' Z. 9 8 und vor allem Atr I 5.19f., wo jeweils die Widersprüche einer instabilen Wirklichkeit und einer konflikthaften Zivilisationsgesellschaft in das Pantheon projiziert sind, kennt VAT 17019 kein Spannungsverhältnis zwischen Göttergruppen wie den Anunnaku und den Igigu, zwischen denen die Arbeit in Atr so ungleich verteilt ist. Allerdings deutet Ζ. Τ etwas von einer ausgebrochenen "Feindseligkeit" (nu-kür-tu4) an 9 ; ein Abstraktbegriff ersetzt dabei in einer offenbar bereits abgestorbenen mündlichen Erzählkultur die narrative Entfaltung der vorausgesetzten Spannung. 2. Die Göttin Belet-ill 10 will nach Z. 8' den Menschen als eine "Lehmfigur" (sa-lam (i-it-(i) schaffen": vielleicht soll das kunsthand-

7 Will man unbedingt eine Leidensfahigkeit J H W H s vergleichen, wie sie in der jahwistischen Urgeschichte, nämlich Gen 3,22; 6,3; 11,6 gerade noch hindurchschimmert, so ergibt sich diese umgekehrt aus J H W H s Konflikt mit dem zu mannigfaltiger Hybris neigenden Menschen. 8 Benito, aaO. (Anm. 3) 35, übersetzt die Doppelzeile:

" T h e great gods ( d i n g i r - s ä r - s ä r ) stood at their tasks, the younger gods ( d i n g i r - t u r - t u r ) carried the v a t s " ; vgl. die interpretierende Übersetzung Pettinatos, aaO. (Anm. 3)70 (dagegen 115): " D i e oberen Götter be[auf]sichtigten die Arbeit, die jüngeren [Gött]er trugen den Tragkorb." O b die beiden Halbzeilen wirklich einen Gegensatz bezeichnen, ist nicht sicher zu entscheiden; vgl. H . M . K ü m m e l in seiner ausführlichen Besprechung zu Pettinatos Arbeit: WO 7 (1973/4) 25-38, bes. 29.34. 9 Von Soden, Μ DOG (Anm. 1) 8-10, wollte hinter der Feindschaft von Anunnaku und Igigu in Atr einen ethnischen und sozialen Gegensatz sehen. Zeigt dagegen die beiläufige Erwähnung von "Feindseligkeit" in VAT 17019:7', daß der Götterkonflikt zur Topik der babylonischen Menschenschöpfungsmythen, unabhängig von den Zeitumständen der Einzeltexte, gehört? 10 Diese Gottesbezeichnung ist wegen der Benennung der Göttin Mami als be-le-[et ka-la i-lil] Atr I 247f. wohl auch hinter dem Textrest d 6 [ e - , . . in Atr I 189 zu vermuten. Zur Rolle der Belet-ill = Mami bei der Menschenschöpfung vgl. deren Bezeichnung als " d e r Mutterleib, der die Menschheit erschafft" Atr I 194, dazu " N i n t u , der Mutterleib" mit der Variante "Belet-ill" im Ε-Text zu Z. 295, ferner den Textrest ...-s]ü-ru "[Mutter]leib" 189 sowie K. 6634:lf. (Lambert-Millard, aaO. [Anm. 1] 56f., entsprechende Ergänzung in BM 78257 II 8 das. 54f.). Danach wurde die Menschenschöpfung — im Gegensatz zum Kontext Atr I 210f.225f.231 — als Geburt des Menschen aus dem Leib der Muttergöttin vorgestellt (dazu Anm. 16); vgl. auch die "Mutterleiber" Z. 277 und die mit einer Rolle als Gebärerin freilich noch einmal inkompatible Funktion Belet-ills als " H e b a m m e der G ö t t e r " 193, dazu 281 f. " Z u r Isoglosse akkad. falmu(m) — hebr. fäläm und zur Bedeutung von säläm Gen 1,26f.; 5,3; 9,6 vgl. S. 70 mit Anm. 40.

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werklich hergestellte Gebilde wie in Gen 2,7a zunächst als leblos gedacht werden; anders als in Gen 2,7b aber erfolgt danach kein eigener Akt einer Belebung. — Die Wendung ni-ib-ni-ma sa-lam ti-it-ü "wir wollen eine Lehmfigur schaffen" im Munde Belet-ilis VAT 17019:8' erinnert darüber hinaus an na'"sa 'ädäm frfalmenü... "wir wollen den Menschen nach unserem B i l d e . . . machen" im Munde Gottes Gen 1,26. Der dreimalige Kohortativ Plural mit der Kurzform der Präformativkonjugation12, nämlich ni-ib-ni "wir wollen schaffen", nP-mi-i[d{-su)... "wir wollen (ihr, d. h. der Lehmfigur)... auferlegen" Z. 8' und nu-ypai-äs-si-ih "wir wollen ausruhen lassen" 9', bringt eine Selbstaufforderung zum Ausdruck, in der sich Belet-ili mit anderen Göttern verbindet; der Kohortativ ist in na'"sä Gen 1,26 zum Ausdruck eines Entschlusses des einen Gottes der Priesterschrift geworden13. Speziell der Kohortativ Plural dürfte zum konventionellen Formelschatz des Motivs Menschenschöpfung in hochkulturellen, polytheistischen Mythen gehören14; die Formel hat aber in Gen 1,26 die neue, mit dem Monotheismus vereinbare Funktion des Ausdrucks eines Entschlusses erhalten15. 3. Die Formung (formatio)16 des Menschen aus Lehm, die in den weithin zerstörten Zeilen VAT 17019:14'ff. anschaulich geschildert worden sein muß, ist bekanntlich eine in Babylonien und sonst 17 weit verbreitete Vorstellung. Insbesondere wenn dem Material, aus dem die Gottheit den

12

Zum Fehlen des i beim Kohortativ vgl. Mayer, Or 56, 58.67. " Z u na'"sä als Ausdruck des Entschlusses Gottes vgl. Westermann, aaO. (Anm. 2) 50-51, vor allem 199-201, der darum nach dem Vorgang anderer mit Recht an pluralis deliberationis denkt, was wiederum einen Bezug auf mehrere göttliche Wesen zu na'"sä wie zu den Pluralsuffixen in tffalmenü kidmütenü ausschließt (gegen H. Gunkel, Genesis [Göttingen 51922 = 1964] 111). 14 Vgl. die akkad. Fassung in KAR 4:16f.l9f.25f. und die mythische Einleitung innerhalb des sum. Streitgesprächs zwischen Mutterschaft-) und Getreide(gottheit) Z. 40 (Textnachweise und Lit. bei Pettinato, aaO. [Anm. 3] 86[-90]; danach ΗKL II, 11) sowie Atr I 214. 15 So m.E. mit Recht Westermann, aaO. (Anm. 2) 199; geht die Selbstaufforderung in der 1. P. pl. der Präformativkonjugation auf eine im Polytheismus wurzelnde Konvention zurück, so handelt es sich bei ihr, auch wenn sie nun monotheistisch zum Ausdruck des Entschlusses Gottes geworden ist, allerdings schwerlich zugleich um eine " Prägung.. d i e . . . auf die Besonderheit menschlicher Existenz weist". 16 J. van Dijk ("Le motif cosmique dans la pensee sumerienne", AcOr [Havniae] 28 [1964/5] 1-59) wollte lediglich, was die mythische Vorstellung von der Entstehung bzw. Schöpfung des Menschen angeht, emersio (d. h. ein pflanzenhaftes Hervorsprießen aus der Erde) von formatio (einem willentlichen Gestalten durch die Gottheit) unterscheiden; ihm sind Pettinato, aaO. (Anm. 3) 30ff.39ff., und Seux, aaO. (Anm. 2) 56fT., gefolgt. Doch ist u. E. eine genauere Differenzierung nötig, die u. a. die eigenständige Vorstellung einer Schöpfung als Geburt aus dem Leibe der Muttergöttin einbezieht (vgl. Anm. 10); dazu Vf., "Mythische Motive in der jahwistischen Schöpfungserzählung", ZThK 69 (1972) 259289, bes. 267-273. 17 Vgl. etwa H. Baumann, Schöpfung und Urzeit des Menschen im Mythus der afrikanischen Völker (Berlin 1936) 203-205.

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Menschen formt, eine numinos-schöpferische Qualität zugesprochen wird, ist die Wesensauszeichnung des Menschen nicht erst in seiner Beziehung zu der ihn schaffenden Gottheit, sondern schon in seinem substantiellen Ursprung gegeben, der gleichsam einen tellurischen Adel empfangt. V o n einer numinos-schöpferischen

Qualität

verwendeten L e h m s spricht V A T

des

bei der

Menschenschöpfung

17019 freilich nicht eigens; wohl aber

geschieht es, wenn etwa nach 'Enki und N i n m a h ' Z. 31f.58 der Lehm, aus dem

der

Mensch

geformt

wird,

von

oberhalb

des

Abzu

abgekniffen

wird 1 8 . Ähnlich werden nach Atr I 231-235, während die Igigu auf den Lehm speien, aus dem der Mensch geformt werden sollte, die Anunna herbeigerufen; so wird das Material der Menschenschöpfung noch einmal numinos ausgezeichnet, nachdem der Lehm schon mit Fleisch und Blut eines geschlachteten Gottes überschüttet (?) worden war (s. u.). Noch größeres Gewicht fallt auf die numinos-schöpferische Kraft der Erde, wenn die Menschen — im Sinne der von van Dijk u. a. der formatio gegenübergestellten emersio 19 — pflanzenhaft als aus der Erde hervorsprießend gedacht werden 20 . Wir hätten dann nicht einmal eigentlich an die Schöpfung durch eine Gottheit zu denken; die Wesensauszeichnung des Menschen beruhte ganz auf dessen substantiellem Ursprung. Obwohl das Alte Testament v o n Israel als kahömär

ifjad

hajjöser

"gleichsam Lehm in der H a n d ( J H W H s als) des Töpfers" spricht (Jer 18,4.6 u. ä. ö.), redet G e n 2,19 zwar v o n einer Erschaffung der Tiere hä'"dämä

" v o n der Erde"; G e n 2,7a aber hat lediglich eine Formung des

Menschen ' ä p ä r min-hä'"dämä

18

min-

"aus 2 1 Staub v o n der Erde" im Auge. D i e

Benito, aaO. (Anm. 3) 24.37, liest bzw. übersetzt Z. 31f.: sä-im-ugu-abzu-ka ü-mu-e-ni-in-Sär s i g 7 - e n - s i g 7 - d u i o (// s ä - t u r ) i m mu-e-kir-kir-re-ne "When you have kneaded the heart of the clay that is over the absu, The S. (// mother-womb) will nip off the clay." Z. 58 (S. 26.39): d nin-ma^-e im-ugu-abzu-a su-ne mu-ni-in-ti "Ninmah took clay that is over the absu." Vgl. eventuell das Gewoben-Werden des Menschen tftahtijjöt 'äräf "im (aus dem?) Inneren der Erde" Ps 139,15. "Vgl. Anm. 16. 20 Vgl. Vf., ZThK 69 (Anm. 16) 267f. Auch noch nach Gen 1 entbindet Gottes Schöpferwort die numinos-schöpferische Kraft, gleichsam eine autogene Kreativität, die der Erde selbst eigen ist: tadse' hä'äräf "die Erde lasse sprießen"; entsprechend folgt wattöfe' hä'äräf "die Erde ließ hervorkommen", beides in bezug auf die Pflanzen V. 11 f. Die gleiche Vorstellung steht hinter töfe' hä'äräf "die Erde lasse hervorkommen" in bezug auf die Landtiere 24; vgl. die ähnlichen Formulierungen Jes 11,1 (10) in bezug auf den König als "Sproß" bzw. "Trieb", der aus einer "Wurzel" hervorwächst. Weil diese Kraft der Erde offenbar dem Chaos entstammt, aus dem die Erde und das Meer durch die Trennung in Gen l,9f. hervorgeht, ist eine ähnliche numinos-schöpferische Kraft dem Meer eigen, so daß wiederum Gottes Schöpferwort sie nur zu entbinden braucht: j i s f f ü hammajim "es wimmle das Meer" V. 20. 21 Zur Materialangabe ohne Präposition vgl. etwa 'ammüdäw äsä käsäp "seine Säulen machte er aus Silber" Hld 3,10, ferner zum sog. Akkusativ des Stoffes C. Brockel-

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Materialangabe 'äpär "Staub" soll dem substantiellen Ursprung des Menschen offenbar einen Rest numinos-schöpferischer Heiligkeit nehmen, wie er an hä'adämä eben gerade noch haftete — entsprechend dem Bedürfnis einer Entmythisierung, das im Blick auf das Tier nicht bestand; die Wesensauszeichnung des Menschen liegt also nach Gen 2 ausschließlich in dessen Beziehung zu JHWH als seinem Schöpfer. Die vielleicht überkommene Assonanzfigur hä'ädäm. .. min-hä'"dämä wird durch das Stich wort 'äpär sicher nicht zufällig regelrecht auseinandergerissen: der Jahwist, der 'äpär Gen 3,19 für die Todesätiologie und 18,27 wiederum in der Assonanzfigur 'äpär wä'epär "Staub und Asche" verwendet, weiß das Stichwort auf diese Weise höchst wirkungsvoll einzuführen22. Die U n m i t t e l b a r k e i t des Schöpfers gegenüber seinem Geschöpf, das in ihr seine Wesensauszeichnung empfangt, u n d zugleich die Freiheit G o t t e s gegenüber d e m M a terial, aus d e m er schafft, ist in der Weltschöpfungserzählung G e n 1 noch ein ganzes Stück weitergetrieben. Einerseits wird in d e r Einleitung V. 1, bei der Schaffung der Seetiere 21 u n d bei der M e n s c h e n s c h ö p f u n g 1,27; 5,1 f. (6,7) für G o t t e s Schaffen die Vokabel br' gewählt, die nicht m i t einer Angabe des Materials v e r b u n d e n werden kann, aus d e m geschaffen wird 2 3 . Andererseits f u h r t die Vorstellung v o n einer Schöpfung d u r c h das W o r t a u f eine creatio ex nihilo hin, o h n e doch zu einiger K o n s e q u e n z zu gelangen: nicht n u r geht die C h a o s m a t e r i e v o n 1,2 d u r c h eine Reihe v o n T r e n n u n g e n u n d Integrationen in die geordnete S c h ö p f u n g ein; eine autogene Kreativität der Erde u n d des irdischen Wassers, die G o t t d u r c h sein Schöpferwort lediglich entbindet, d a m i t Gestalten a u s ihr hervorgehen (1,11.20.24) 2 4 , weist sogar a u f d e n U r s p r u n g v o n Erde u n d Wasser eben in d e r C h a o s m a t e r i e zurück. In eigentlicher K o n s e q u e n z durchgeführt wird eine creatio ex nihilo, genauer: eine Schöpfung, bei d e r G o t t in keiner Weise auf ein Material zurückgreift oder die kreativen K r ä f t e anderer Instanzen entbindet, n u r bei der Schöpfung des M e n s c h e n ; d a h e r finden wir eine gehäufte V e r w e n d u n g v o n br' gerade im Z u s a m m e n h a n g der M e n s c h e n s c h ö p f u n g (1,27 [dreimal]; 5,1 f.; 6,7).

Offenbar eine konventionelle Formulierung steht auch hinter dBe-letDINGIR.MES ik-te-ri-is ti-ta-a-sü "Belet-ili kniff seinen (d. h. den für die Schaffung des Menschen bestimmten) 25 Lehm ab" VAT 17019:14'. Einer-

mann, Hebräische Syntax (Neukirchen 1956) § 9 0 d ; R.Meyer, Hebräische Grammatik III (Berlin/New York 1972) § 105,3a.5a; 107,2b. 22 Zum Menschen als Schöpfung kahömär " w i e L e h m " , die 'äl-'äpär " z u m Staub" zurückkehrt, vgl. Ijob 10,9. Dazu und überhaupt zum Wortfeld hömär / 'äpär vgl. H. Ringgren, Art. hmr, in: G. J. Botterweck - H. Ringgren, Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament III (Stuttgart 1982) 1-4, bes. 3. Die hebr. Isoglosse zu akkad. tid/tu(m) u. ä., nämlich (i(, wird zwar Jes 41,25; Nah 3,14 für Töpferlehm gebraucht, erscheint aber nicht im Zusammenhang mit der Menschenschöpfung. 23 Vgl. W . H . S c h m i d t , Art. br', in: E. Jenni - C. Westermann (edd.), Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament I (München 1971) Sp. 336-339, bes. 338. Umgekehrt steht wajjibrä' im " T a t b e r i c h t " Gen 1,21 zu einer Entbindung autogener Kreativität des Wassers, wie sie der " W o r t b e r i c h t " in V. 20 vorsieht (vgl. Anm. 20), in einem tendentiellen Widerspruch. 24 Vgl. noch einmal Anm 20. 25 Zur Problematik der Übersetzung vgl. Mayer, Or 56, 59, aber auch die ähnlichen

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seits hat die Wendung eine Reihe akkadischer Parallelen, so etwa an 14 ki-[ir]-si täk-ri-i$ "14 St[ük]ke kniff sie ab" in dem jüngeren Atr-Fragment K. 3399+3934+10097 iii 526, ferner an [äA-]ru-ru... (i-ta ik-ta-riis "[A]ruru... kniff Lehm ab" Gilg I ii 34 oder an ka-ri-is ti-i(-ta-si-na "(Ea), der ihren Lehm abkniff" 'Babylonische Theodizee' Z. 27721. Andererseits hat VAT 17019:14' auch an mehömär qöra$ti gam-'äni "von Lehm wurde auch ich abgekniffen" Ijob 33,6 eine weitgehende Entsprechung28. Zur Verbindung von hmr "Lehm" und qrs "abkneifen" mit 'pr "Staub" ist noch 1 QS 11,21 f.; 1 QH 10,3f.(fragmentarisch) vergleichbar29: in 1 Q S 11,21 f. h e i ß t es v o m M e n s c h e n : whw'h

" und er, sich) sein Herkunft hebt; in Gen 3,19

msjrwq

hmr

wl'pr

tswqtw

v o m . . ? .. des Lehms. ist er abgekniffen, und auf Staub (richtet Streben", wobei die Todesätiologie nicht wie in Gen 3,19 auf die des Menschen aus "Staub", sondern auf die aus "Lehm" ab1 QH 10,4 ist tswqtw "sein Streben" im engeren Anschluß an durch tswbtw "seine Rückkehr" ersetzt.

Die Wendung ik-ki-il nik-la-a-tu4 "sie handelte kunstfertig" VAT 17019:15' entspricht sachlich wajjisär JHWH '"löhim "JHWH Elohim formte" Gen 2,7a, worin JHWH wie ein kunsthandwerklicher Töpfer vorgestellt ist, der eine Keramikfigur bildet. 4. Die nächste Handlung Belet-ilis, die VAT 17019 in Z. 16' erkennen läßt, bezeichnen die Worte ib-ta-lal (i-(a-a-sü "mischte seinen Lehm". Dasselbe Lexem balälu(m) im D-Stamm, vielleicht in der Bedeutung "überschütten" 30 , begegnet ebenfalls mit dem Subjekt einer Schöpfergöttin und dem gleichen Objekt in der Wendung

d

Nin-tu

ü-[b]a-li-il

ti-it-ta

"Nintu überschüttete den Lehm" Atr I 226; dieselbe Lexemfolge findet

Wendungen in 'Babylonische Theodizee' Z. 277, die wir sogleich zitieren werden, wo das pl. Suffix nur auf den Menschen beziehbar ist. 26 Lambert-Millard, aaO. (Anm. 1) XII, 60-61. Weiteres bei Mayer, Or 56, 59; Herr Kollege W. Mayer, dem ich auch für eine ganze Reihe anderer wertvoller Hinweise danke, macht mich noch auf die Anrede Belet-ilis an Ea ina te-e-ka ib-ba-ni a-me-lu-tü / tus-tas-ni-ma i-na άί-rat ap-si-i (i((a-si-na tak-ri-if "mankind was created by your spell, / next you nipped off their clay from the roof of the Apsu" (W. G. Lambert, "Fire Incantations", AfO 23 [1970] 39-45, bes. 43:25f.) aufmerksam; vgl. dazu insbesondere die in Anm. 18 zitierten sumerischen Zeilen, die auch Lambert, daselbst Anm. zu Z. 25-27, anfuhrt. 27 BWL 88-89, dazu unsere S. 71. 28 Vgl. die Kombination von Gen 3,19 und Ijob 33,6 in 1 QH 12,24: w'nj m'pr lq[htj wmhmr qw]rftj "und ich bin vom Staub genom[men und aus Lehm gefo]rmt"; dazu 31 f. 29 Vgl. E. Lohse, Die Texte aus Qumran (München 1964), zu den zitierten Stellen. 30 Zur Problematik der Übersetzung des D- und Dt-Stamms von balälu(m), wo statt der Bedeutung "überschütten, beschmieren" auch "vermischen" zur Diskussion steht, vgl. außer CAD Β s. v. und AHw s. v. auch von Soden, ZA 68, 80. Die semantische Differenz von "mischen" und "überschütten" ist freilich gering.

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sich schon in der entsprechenden vorangehenden Aufforderung Enkis Λ Νιηtu li-ba{-at)-li-il {i-if-ta "Nintu möge den Lehm überschütten" Atr I 211 / Ε 25, worauf in Z. 212 vermutlich die Dt-Form li-[ib-ta-al-li-lu] "mögen überschüttet werden" folgt. Das in Atr I 210.226 (vgl. Ε 24) mit den zitierten Wendungen verbundene Adverbial i-na si-ri-su ü da-mi-su "mit seinem (d. h. des zu tötenden bzw. getöteten Gottes) Fleisch und seinem Blut" hat aber in VAT 17019:16' keine Entsprechung. Eine Gottesschlachtung, wie sie nach vielen babylonischen Schöpfungsmythen für die Menschenschöpfung nötig scheint, wird durch das Verb balälu(m) allenfalls angedeutet, nicht aber ausdrücklich dargestellt, weil der Text ohnehin alles Göttliche auf die später hervorgebrachte Spezies des "mälikuMenschen" (Z. 30'ff.), d. h. auf den König, konzentriert. Die Schlachtung eines Gottes hat in einer Reihe anderer babylonischer Schöpfungsmythen die Funktion, dem Menschen eine unmittelbar göttliche Qualität beizugeben. Zu seiner substantiellen Wesensauszeichnung durch einen tellurischen Ursprung tritt das Motiv damit freilich in Konkurrenz: mit dem oft selbst schon numinos-schöpferischen Material Lehm werden nun noch Fleisch und Blut des getöteten Gottes vermischt bzw. überschüttet. Wie immer der nach Atr I 223 für das Opfer ausersehene Gott d Pi-e zu lesen und etwa zu identifizieren ist 31 — die seinem Namen beigegebene Wendung i-la sa i-su-ύ te^-e-ma "den Gott, der Verstand hat" zeigt ebenso wie eine spätere Bemerkung, wonach der Gott qä-du le^-mi-su "mit seinem Verstände" geschlachtet wurde Z. 239, daß der zu Zivilisationsleistungen befähigende "Verstand" als das Göttliche im Menschen angesehen wurde. Was es sodann um den e/pi.di.im.mu ist, den Atr I 215.228 mit dem Fleisch des getöteten Gottes in einen Zusammenhang bringt, und wie dieser sich zum Menschen verhält, bleibt freilich unklar32.

" " K e i n e zwingende Notwendigkeit, in d e m . . . Vers die Nennung des Namens des geopferten Gottes zu s u c h e n . . . , zumal wir den Namen dieses Gottes anderweitig (En.el. VI 29-33), nämlich Kingu, kennen", findet K. Oberhuber ("Ein Versuch zum Verständnis von Atra-hasis I 223 und I 1", in: G. van Driel u. a. [edd.], ZIKIR SUMIM. Assyriological Studies Presented to F. R. Kraus [Leiden 1982] 279-281). Sein Lesungsvorschlag ilam aw-e-i-la sa i-Su-ύ (et-e-ma... "einen Gott, der (oder: daß er) Mensch sei, der Verstand besitzt, (schlachteten sie in ihrer Versammlung)" muß die angenommene ungewöhnliche Schreibung aw-e-i-la als "eine Art 'Krypto'-graphie zum Zwecke einer 'Aitio'-logie" verstehen (280). Auf S. 279 zählt Oberhuber die diskutierten Lesungen und

Interpretationen zu d Pi-e auf.

32 Gegen eine Interpretation der durch den Textzeugen Ε bezeugten Lesung PI.Di.im.mu als wi-di-im-mu mit einer auf den lullü bezogenen Bedeutung "noch nicht voll entwickelt", fur die W. von Soden ("Der Mensch bescheidet sich nicht. Überlegungen zu Schöpfungserzählungen in Babylonien und Israel" [1973], jetzt in: ders., Bibel und Alter Orient [Berlin/New York 1985] 165-173, bes. 166f.; vgl. die etwas zurückhaltendere Äußerung ZA 68, 80) auf "die in jungbab. lexikalischen L i s t e n . . . fünfmal belegbare Gleichung d i m = sak/sa-ak-lu 'einfältig, schwerfällig'" verweist, wobei aber das betr. sum. Lexem i d i m III nur durch alt- und jungbab. lexikalische Listen bezeugt ist,

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— Fraglich ist auch, warum es nach dem späten Menschenschöpfungsmythos KAR 4:25f. die mit dem vieldeutigen D N A G A R . D N A G A R bezeichneten Götter sind33, die geschlachtet werden. Soll man an eine Bedeutung entsprechend ( l ü ) nagar = nagäru "Zimmermann" 34 denken? Zimmermannsgötter, vielleicht aus der Bezeichnung eines Menschenschöpfers gewonnen35, könnten für das Opfer gewählt sein, damit ihre Fähigkeiten an die Menschen übertragen werden, weil diese nachher Arbeiten nicht nur an Grenzgräben (KAR 4:29.36) und Deich (Z. 37), sondern auch am Tempel (32) ausführen sollen. Ist der verständige D PI-e am Ende überhaupt eine entsprechende ältere ad-hoc-Konstruktion? In beiden Fällen diente dann die Schlachtung eines Gottes der Vermittlung speziell zivilisatorischer Fertigkeiten. — Noch nach den Babyloniaka des Berossos werden die Menschen durch das Selbstopfer des Gottes Belos, dessen herabfließendes Blut die anderen Götter aufgefangen und mit Erde verknetet haben, um aus dem Gemisch Menschen zu bilden, "weise und göttlichen Verstandes teilhaftig" ( . . . δι ö νοερούς τε είναι και φρονησεως θείας μετέχει ν) 36 ; auch hier liegt also beim Verstand das Göttliche im Menschen. Umgekehrt hat die Schlachtung des zur Gruppe der Chaosgötter um Tiämat gehörigen Kingu in Enüma elis VI 29ff. offenbar zur bösen Folge, daß in den Adern des Menschen das Blut der einstigen Feinde des Welt-

spricht schon, daß für die Schöpfung des lullü ein Gott mit " V e r s t a n d " geschlachtet wird Atr I 223.239; von Sodens Übersetzung von (emu mit "Planungsfähigkeit", so daß (emu den Menschen zunächst lediglich in den Stand setzt, den Göttem die Arbeit abzunehmen, behebt die Schwierigkeit nicht, weil ein nur vordergründig "(planender) Verstand" zu der von von Soden selbst zitierten Bezeichnung Anus als be-el (et(-e)-mi Atr III iii 51; ν 39f. nicht paßt. Dazu kommt, daß sak/sa-ak-lu fur sum. i d i m III nur eine von vielen und verschiedenartigen Wiedergaben in lexikalischen Listen ist und die Variante PI.DI.IM.MU möglicherweise, als EX-DI.IM.MU zu lesen, überhaupt nur graphischer Art ist; vgl. J. Bottero, " La creation de l'homme et sa nature dans le poeme d'AtrahasIs", in: Societies and Languages of the Ancient Near East. Studies in Honour of I. M. Diakonojf (Warminster 1982) 24-32, bes. 26f., dazu Seux, aaO. (Anm. 2) 70-72, und J. Tropper, " ' S e e l e ' oder 'Totengeist'? Erwägungen zum Begriff efemmu in Atramhasis I 215.217", VF 19 (1988) 301-308. 33 Pettinato (aaO. [Anm. 3] 75 u. ö.) liest, einer Konvention folgend, d l a m g a d l a m g a ; W . G . L a m b e r t (BSOAS 32 [1969] 595) wollte " A l i a lesen, äußerte sich aber in der Rezension zu Pettinatos soeben wieder genannter Arbeit BSOAS 35 (1972) 134f. zurückhaltender: " T h e ancient lists and commentaries give five possible values to the sign NAGAR, when used for a god's name, and Lamga is the least probable in this text." »ABZ, Nr. 560; vgl. MSL 3, 127:350, femer AHw s. v. nagäru(m) I, CAD N, s. v. naggäru. 35 Vgl. d n a g a r - n a m - l ü -GISGAL- 1 u = be-let i-li bei A. Deimel, Pantheon Babylonicum (Rom 1914) 162 (Nr. 1825); ders., SL IV 1: Pantheon Babylonicum (Rom 1950) 118 (Nr. 925); K. L. Tallqvist, Akkadische Götterepitheta (Helsinki 1938 = Hildesheim 1974) 347. — Als n a g a r - g a l " H a u p t z i m m e r m a n n " wird der Gott Nin-ildu bezeichnet; Belege CAD Ν ι s. v. nagargallu. 36 F. Jacobi, Die Fragmente der griechischen Historiker III C (Leiden 1958) 372; die von Jacobi als "jüdische bearbeitung B.s" auf S. 373 zitierte "interpolation im excerpt aus Polyhistor" enthält die hier wörtlich wiedergegebene Wendung nicht.

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schöpfers Marduk fließt. Etwas Göttliches, allerdings von elementarerer Art ist auch der "Lebensodem" ( n i s m a t hajjim), den JHWH dem Menschen nach Gen 2,7aßb einbläst, wodurch dieser — wie nach einer Glosse zu V. 19b37 auch die Tiere — zum Lebewesen ( n ä p ä s hajjä) wird; eine Gottesschlachtung muß natürlich entfallen, wo nur ein einziger Gott agiert. — In Gen l,26f. vollends liegt das Göttliche im Menschen, das zugleich dessen Eigenart im Unterschied von den Tieren ausmacht, in seiner Gottabbildlichkeit, die noch am ehesten das alte Motiv einer Blutsverwandtschaft mit der Gottheit anklingen läßt. Sie hat man sich nämlich, wie m. E. in Gen 5,3 die Zeugung eines Sohnes38 durch Adam bidmütö tesalmö "in seiner Ähnlichkeit, nach seinem Abbild" zeigt, einerseits nach Analogie der leiblichen Ähnlichkeit zwischen Vater und Sohn vorzustellen39; andererseits erinnert fäläm an die akkadische Isoglosse salmu(m) "Statue, Figur, Bild" — auch in der Wendung sa-lam ti-it-ti "Lehmfigur", die nach VAT 17019:8' der Mensch ist —, meint also in Gen l,26f. wie in 1 Sam 6,5.11; Hes 16,17; 23,14 u. ö. zugleich das gestalthaft-plastische "Abbild", das hier zur Metapher für die Ähnlichkeit des Sohns gegenüber dem blutsverwandten Vater und des Menschen gegenüber einem anthropomorphen Gott wird40. Auf die mythische Reminiszenz einer gottmenschlichen •ß/ttisverwandtschaft ist die Vorstellung vom Menschen als säläm 'älöhim auch in Gen 9,6b Ρ bezogen, wenn die Warnung vor dem Vergießen von Menschenb/wZ (V. 5.6a) mit ihr begründet wird. Die Z e i l e n r e s t e . . . i-te-li-ih

{x| zu-mur-sü

" (Belet-ill)... schmückte

seinen Leib" VAT 17019:17', die einen ästhetischen Aspekt enthalten, und gi-mir la-^-nij-sü " . . . seine ganze Gestalt" Z. 18'b legen es nahe, in den folgenden Z. 19'-21', die jeweils mit is-ku-un "setzte er/sie" enden, die Einzelausstattung eben seiner leiblichen Gestalt erzählt zu finden.

5. Wie in den meisten babylonischen Schöpfungsmythen sind an der Erschaffung des Menschen mehrere Götter beteiligt. Anders aber als Enki

37

Die Wendung ist syntaktisch nicht einzuordnen; vgl. zur Streichung u. a. BHK und

BHS.

38

Hinter wajjöläd ist ben einzufügen; vgl. u. a. BHK und BHS. Vgl. Gunkel, aaO. (Anm. 13) 112. Gen 5,3 und l,26f. werden wohl schon von Luk 3,38 kombiniert, wo Adam genealogisch mit Gott verbunden wird, d. h. als sein Sohn gilt. 40 Zum mesopotamischen und ägyptischen König als Bild eines Gottes vgl. W. Groß, "Die Gottebenbildlichkeit des Menschen im Kontext der Priesterschrift", Theologische Quartalschrift 161 (1981) 244-264, bes. 247-250; speziell zur Gottabbildlichkeit des Menschen und des Königs in Ägypten außerdem B. Ockinga, Die Gottebenbildlichkeit im Alten Ägypten und im Alten Testament (Ägypten und Altes Testament 7; Wiesbaden 1984). 39

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in 'Enki und N i n m a h ' , ähnlich jedoch wie der Enki v o n Atr I 202ff. 4 1 und wie der Ea in Enüma elis, der, v o n Marduk verdrängt, nur noch in VI (3)35-38 eine fossile Erwähnung findet 4 2 , ist der Ea v o n V A T 17019 auf eine sehr bescheidene Funktion reduziert: in Z. 4'-9' ist er, wie in Enüma elis VI 3 gegenüber Marduk, Adressat der v o n Belet-ilT artikulierten Selbstaufforderung im Kohortativ Plural, die wir oben besprachen; umgekehrt wird Belet-ilT nach Z. 10'-13' und dann noch einmal nach 30'-35' auf Eas Befehl hin tätig 43 . Der Plan, den Menschen zu schaffen, geht so auf einen Dialog zwischen Göttin und Gott zurück. Eigenartig ist in V A T 17019 die wegen der Textlücken allerdings unsichere Rolle Ellils bei der Menschenschöpfung, des Gottes also, v o n d e m in Atr II i 5ff. und Gilg XI 39-41.167-173.179ff. die Initiative zur Vernichtung der Menschen in der Sintflut ausgeht 4 4 ; möglicherweise ist die Rolle Ellils aus der Topik der Weltschöpfung in die der Menschenschöpfung übergegangen 45 . Ein Zusammenwirken von Narru (offenbar = Ellil) ba-nu-ύ a-pa-a-t[um] "der die Umwölkten (d. i. die Menschheit) schür' und Zulummars (offenbar = Ea) ka-riif ;i-i(-(a-si-na "der ihren Lehm abkniff" mit der Muttergöttin Mami pa-ti-iqta-si-na "die sie bildete" scheint allerdings auch eine beiläufige Anspielung auf den Menschenschöpfungsmythos in 'Babylonische Theodizee' Z. 276-278 vorzusehen 46 .

41 Nach Z. 202f. muß Enki zunächst nur darum bei der Menschenschöpfung an die Seite Nintus treten, weil er ü[-u]l-la-al ka-la-ma "alles reinigt"; er soll der Göttin den — offenbar durch Magie — gereinigten Lehm geben, aus dem sie den Menschen formt. Enkis Handlungen beschränken sich im übrigen darauf, "den großen Göttern" (205), d. h. den Anunna (219f.; vgl. 224), die Gottesschlachtung anzubefehlen und dabei einen dreimal im Monat zu wiederholenden Reinigungsritus (teliltum, rimku) einzusetzen 204ff., um ihn sodann erstmalig durchzuführen 221 f. Wozu Enki schließlich die schon zur Schlachtungen des Gottes versammelten Anunna nach 231 f. noch einmal herbeiruft, ist unklar. 42 Zum Nebeneinander Marduks und Arurus bei der Menschenschöpfung vgl. die Bilingue CT 13, 35-38:17-21; R. Labat u. a., Les religions du Proche-Orient asiatique (Paris 1970) 74-76 (Lit.). Die Rollenteilung zwischen dem auf Ea folgenden Marduk und der Muttergöttin besteht hier noch fort. 43 Nach Mayers Verständnis von VAT 17019:16' ist auch das "Reinigen" (zakü[m] D-Stamm), das in Atr I 202 — freilich mit einem anderen Verb, nämlich elelu(m) D, bezeichnet — noch das Vorrecht Enkis war (vgl. Anm. 41), an Belet-ill übergegangen; vgl. dazu Gilg I ii 34, wonach Aruru sich die Hände wäscht, bevor sie den fur die Erschaffung Enkidus nötigen Lehm abkneift. 44 Die mit seiner Menschenfeindlichkeit zusammenhängende Deaktivierung Ellils zum Hochgott Atr I 168-170, die sich in dessen Schlafbedürfnis äußert, welches zuerst, angesichts des Aufruhrs der Igigu, zur Erschaffung der Menschen, sodann aber zum Sintflutbeschluß beiträgt, hat in dem erzählerisch ohnehin so viel dürftigeren Text VAT 17019 keine Entsprechung. — Die betr. Schläferrolle spielt in 'Enki und Ninmah' Z. 14ff. der unterirdische Enki. 45 Nach dem 'Mythos von der Erschaffung der Spitzhacke' (vgl. Anm. 51) geht auf Ellil die grundlegende Trennung von Himmel und Erde zurück (Ζ. 3ff.). Ellils Rollenwechsel von der Welt- zur Menschenschöpfung ist in KAR 4:(15a)23 dadurch angezeigt, daß er die herausfordernde Frage stellt, durch die sich die Anunna-Götter zur Schöpfung des Menschen auffordern lassen. 46 BWL 88/9, dazu 310; zur Identifikation von Narru und Zulummar auch Tallqvist, aaO. (Anm. 35) 485.

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Eine neue babylonische Menschenschöpfungserzählung

[72]

Eher um Symmetrie zwischen den komplementären Mythen von Menschenschöpfung und Sintflut, zwischen Mythos und Antimythos mithin 47 , bemüht sich die sumerische Erzählung von Ziusudra 48 , wenn es nach ihr dieselben Götter An 49 , Ellil, Enki und die letztlich wohl mit der Nintu von Z. 39.140 identische Muttergöttin Ninhursag sind, die einerseits die Menschen schaffen (Z. 47f.), andererseits die Sintflut verantworten (143f. 159), obwohl ein entsprechender Vemichtungswille weder zu Enki noch wohl zu Ninhursag paßt. Welche ist nun Ellils Rolle bei der v o n V A T 17019 erzählten Menschenschöpfung? Einerseits drückt Ellils Strahlen (Z. 24') 5 0 seine Zustimmung zum Werk Belet-ills aus; der Funktion nach ist es mit d e m Lob der Götter für den Menschenschöpfer Enki in 'Enki und N i n m a h ' Z. 48-51, dem Lob für den "Weltschöpfer Marduk in Enüma elis VI 45ff. und mit der Billigungsformel ki~(öb bzw. hinne-töb me'öd G e n 1,4 u. ö. bzw. 31 vergleichbar, schließlich auch mit d e m Selbstlob, das Ellil im Mythos von der Erschaffung der Spitzhacke 5 1 auf diese als auf sein eigenes Werk ausbringt (Z. 11), so daß ihm ein wenig später wegen desselben Werks die Anunna-Götter mit Gebeten huldigen (24). D a s Daseiende als gut zu legitimieren, ist ja nicht nur eine Funktion der Menschenschöpfungserzählung Gen 1, sondern des Mythos überhaupt 5 2 . Andererseits legt Ellil nach V A T 17019:26' offenbar letzte Hand an die Menschenschöpfung 5 3 , verwirklicht also eine Art zweiter Phase dieses Werks, worauf wir zurückkommen werden. D e m menschenfeindlichen Charakter Ellils in Atr und in Gilg XI ent-

47 Zur Komplementarität von (Menschen-)Schöpfung und Sintflut als Mythos und Antimythos vgl. Vf., "Das Motiv für die Sintflut", ZAW 97 (1985) 295-316. 48 CBS 10673; Text und englische Übersetzung von M. Civil in: Lambert-Millard, aaO. (Anm. 1) 138-145.167-172; vgl. Th. Jacobsen, "The Eridu Genesis", JBL 100 (1981) 513-529. 49 Zur Rolle Anus bei einer Menschenschöpfung vgl. die beiläufig auf die Muttergöttin Aruru bezogene Wendung; zik-ru sä AA-nim ib-ta-ni ina libbi-sä "den Befehl des Anu (d. h. was Anu befahl) schuf sie in ihrem Herzen" Gilg I ii 33 (vgl. 31). 50 Mayer, Or 56, 59 ergänzt das Ende von Z. 24' nach Atr I 283, sieht in dem Strahlen der Nintu also eine unmittelbare Parallele. 51 Textnachweise und Lit. bei Pettinato, aaO. (Anm. 3) 82(-85); vgl. C. Wilcke, RLA 4 (Berlin 1972-1975) 36-38. Der Text endet zudem mit einer kurzen Doxologie auf die Hacke selbst und auf Nisaba, "die die Hacke gepriesen hat". — Vgl. auch das Selbstlob Gottes Ijob 38ff. "Vgl. Vf., "Mythos - Anpassung - Wahrheit", ZThK 80 (1983) 1-25, bes. 9-13; ders., "Mythos und Kerygma", ZThK 83 (1986) 405-435, bes. 417-421; zu den oppositiven Funktionen von Legitimation und Delegitimation im Mythos von der Schöpfung bzw. im komplementären Antimythos von der Flut Vf., ZA W 97 (Anm. 47). Dem Anliegen einer Legitimation der Welt dient Gen 1 auch dadurch, daß hier die Schaffung des Lichts an den Anfang gerückt und dadurch von der der Himmelskörper getrennt wird: so wird die legitimierende Güte der Welt, indem die Welt ins Licht gestellt wird, gleichsam vor der Welt selbst geschaffen; das Licht als Orientierungsmacht und der Wechsel von Tag und Nacht als Ordnungsstruktur löschen von vornherein das chaotische Sinndefizit, von dem die Wirklichkeit nach V. 2 ausgeht. 53 Vgl. hierzu und zum Folgenden Mayer, Or 56, 62-63; ob Ellil in Z. 26' wie in 28'f. Subjekt ist, läßt der fragmentierte Text allerdings nicht eindeutig erkennen.

[73]

Eine neue babylonische Menschenschöpfungserzählung

55

spricht es, wenn er schließlich für die untere Menschenklasse eine demütigende Bestimmung festlegt: "[den Trag]korb (d. h. die Fronarbeit) der Götter ihm aufzuerlegen befahl er" (Z. 29'); freilich war diese Entscheidung schon durch die Worte Belet-ills nP-mi-i[d(-su) tup-sik-ku] "wir wollen [ihr (d. h. der menschlichen Lehmfigur) den Tragkorb] auferlegen" (Z. 8') vorbereitet. Beides erinnert an die Bestimmung der Menschen Atr I 338f., wonach diese große Kanaldeiche schufen "für die Hungerstillung der Menschen, die Nahrung [der Götter]" — mit vielen Parallelen in anderen babylonischen Schöpfungsmythen. Nach Enüma elis VII 27ff. vollends, innerhalb des Weltschöpfungsmythos allerdings ein sekundäres Stück54, hätte Marduk die Menschen geradezu aus Mitleid mit den unterlegenen Göttern der Tiämatgruppe geschaffen: a-na pa-di-su-nu ib-nu-ύ a-me-lu-tu "zu ihrer Verschonung schuf er die Menschheit" (Z. 29), als nähme diese den betr. Göttern eine Art Sühnefron ab55. Dagegen erschöpft sich die Bestimmung des Menschen nach Gen 2,15bß darin, den Garten, der nur seine eigene Nahrungsquelle darstellt und erst in der von Gen 2 ursprünglich unabhängigen Geschichte vom verbotenen Baum Gen 3 zum Gottesgarten wird56, "zu bauen und zu bewahren". Der Mensch soll weder der Gottheit die Arbeitslast abnehmen oder ihr Sündenbock sein, noch durch Opfer für die Nahrung der Götter sorgen; das Dasein des Menschen hat nach Gen 2,15bß keinen außerhalb seiner selbst liegenden Zweck und gewinnt in solcher Selbstzweckhaftigkeit eine geradezu spielerische Freiheit. 6. Auf die Schöpfung scheint in VAT 17019:28' eine Benennung zu folgen, was an Gen 1,5.8.10 (5,2) erinnert: das erste Geschöpf Belet-ills wird, offenbar wieder von Ellil, [LÜ.ÜLU1U a-me-l\u "lullü-Mensch" d. h. "der ursprüngliche Mensch, Urmensch" genannt, wie Mayer entsprechend Z. 32' ergänzt57, lullü heißt auch das erste (?) Ergebnis göttlicher Menschenschöpfung in Atr I 195; in Enüma elis VI 6f. ist es allerdings umgekehrt der lullü, der amelu "Mensch" genannt wird, wonach lullü-amelu eine mythische Bezeichnung für den Menschen überhaupt wird. Die Bezeichnung lul-la-a amelu begegnet Gilg I iv 6 (vgl. 13.19), ohne daß der

54

W. von Soden hat schon 1931, bei derzeit noch vorausgesetzter Frühdatierung von Enüma eli§ in altbabylonische Zeit, darauf aufmerksam gemacht, daß bestimmte Spracherscheinungen des von ihm sog. hymnisch-epischen Dialekts auf Tafel VII nicht belegbar sind ("Der hymnisch-epische Dialekt des Akkadischen", ZA 40 [1931] 163-227; ZA 41 [1932] 90-183, bes. 40, 169), ohne freilich daraus literarkritische Folgerungen zu ziehen; vgl. aber ders., Einführung in die Altorientalistik (Darmstadt 1985) 20313: "Es ist möglich, daß die Tafel VII des Epos nicht zum ursprünglichen Bestand gehört". "Vgl. Pettinato, aaO. (Anm. 3) 45 mit Anm. 165 (Lit.). 56 Zur überlieferungsgeschichtlichen Unabhängigkeit der beiden Erzählungen voneinander vgl. Vf., ZThK 69 (Anm. 16) 264f. "Vgl. aber auch dessen zurückhaltendere Äußerung Or 56, 60.

56

Eine neue babylonische Menschenschöpfungserzählung

[74]

Akt einer Benennung vorläge, für Enkidu, das wilde, unzivilisierte Geschöpf der Aruru58. Die Funktion der Benennung liegt in VAT 17019:28' bei der Unterscheidung einer ersten Menschenschöpfung, die lediglich den "ursprünglichen Menschen" zeitigt, der noch heute als misera contribuens plebs existiert, von der in Z. 30'ff. erzählten zweiten, die auf den mälikuMenschen zielt — anders als in Gen 1,5 u. ö., wo die Benennung offenbar die Beanspruchung eines Eigentumsrechts Gottes auch über das NichtGeschaffene, die in den Kosmos integrierten Chaosreste, beinhaltet59. Darum auch folgt auf die Benennung VAT 17019:28' die Bestimmung, die nur für den lullü-Menschen, nicht für den md/z/cw-Menschen gilt: er soll die Arbeit der Götter tun.

II.

1. Nach einigen babylonischen Schöpfungserzählungen gelingt den Göttern der Mensch noch nicht beim ersten Entwurf; erst ein folgender Versuch, mag er von Göttern oder Menschen ausgehen, vermittelt dem Menschen das proprium humanum, das zu bezeichnen der Erzähler so Gelegenheit nimmt 60 . Auch nach Gen 2 führt Gottes erster Schöpfungsakt nur zu der Feststellung, daß etwas am Menschen "nicht gut" ist (V. 18).

58 Von Soden (ZA 68, 65) übersetzt lullü Atr I 195 mit " U r m e n s c h " ; vgl. AHw s. v. Anders W.G.Lambert (JSS 12 [1967] 105; vgl. Lambert-Millard, aaO. [Anm. 1] 152, ferner CAD L [1973] s. v.): " I n Gilgames Enkidu is indeed savage, but primaeval man in Atra-hasls and the Epic of Creation is not". In Atr I 194f. folgt in der Tat auf die Partizipialwendung ba-ni-at a-wi-lu-ti "die die Menschheit schafft" die Aufforderung bi-nima lu-ul-la-a "erschaffe den lullü", wodurch der Eindruck einer Synonymie von awjlütu und lullü entsteht. Gleichwohl hängt die Entscheidung auch davon ab, ob, wie es uns erwägenswert scheint, in der Textlücke I 307ff. die Vervollkommnung des lullü zum awilum (Z. 328), dem Vollmenschen, erzählt wurde, zumal das Lexem lullü danach nicht mehr verwendet wird. Jedenfalls muß man dem ersten Glied einer Verbindung zweier Substantive wie lullü-amelu auch sonst attributive Funktion zuschreiben (vgl. J. H. Tigay, The Evolution of the Gilgamish Epic [Philadelphia 1982] 1031.20215; Mayer, Or 56, 6413), da Adjektive in allen semitischen Sprachen rar sind. 59 Vgl. Westermann, aaO. (Anm. 2) 159. 60 Nach * Mutterschaf und Getreide' Z. 20ff. (vgl. Anm. 14) vermochten die Menschen der Urzeit noch kein Brot zu essen oder sich zu bekleiden; sie fraßen wie Schafe Gras und tranken Wasser aus den Gräben. Die Erschaffung von Mutterschaf und Getreide bedeutet also — wie die Erschaffung der Tiere und der Frau in Gen 2,18-24 — zugleich eine Vervollkommnung des Menschen. Ob auch die Erschaffung des lullü Atr I 195 nur eine erste Phase der Menschenschöpfung bezeichnet, hängt von der Interpretation dieses Begriffs wie von der Deutung des E/PI.DI.IM.MU Z. 215.228 ab; vgl. Anm. 32 und 58. Im Fall der Erschaffung des Enkidu durch Aruru Gilg I ii 18ff. erfolgt gleichsam deren zweite Phase, die Akkulturation, durch einen Menschen, die Tempeldirne iii 46ff. Wegen Materials zu ersten mißglückten Versuchen einer Menschenschöpfung bei primitiven Völkern vgl. Westermann, aaO. (Anm. 2) 307, im Alten Orient ferner I. M. Kikawada, " T h e Double Creation of Mankind in Enki and Ninmah, Atrahasis I 1-351, and Genesis 1-2", Iraq 45 (1983) 43-45.

[75]

Eine neue babylonische M e n s c h e n s c h ö p f u n g s e r z ä h l u n g

57

Die Eigenart des Menschen ist danach einerseits die sprachlich-geistige Herrschaft über die Tiere (19f.) als Paradigma menschlicher Wirklichkeitsaneignung überhaupt, andererseits die Gemeinschaft mit der Frau (21-24), wobei die Geschlechtsgemeinschaft wiederum Paradigma menschlicher communio im allgemeinen ist. Schon in dem Motiv von VAT 17019:26', wonach Ellil offenbar letzte Hand an den /«//«-Menschen legt, wirkt das Schema einer Schöpfung in zwei Phasen nach: die Eigenart des Menschen läge dann in seiner von Ellil vollendeten "Leibesform" (nab-nit-su) 61 , wie wir denn die Gottabbildlichkeit, die nach Gen l,26f. das proprium humanum ausmacht, am elementarsten in seiner leiblichen Gestalt verwirklicht fanden62. Neben eine zweite Phase bei der Erschaffung des gleichen Menschen tritt, gleichsam als Überbietung dieses offenbar traditionellen Motivs, in VAT 17019:30'ff. die Erschaffung einer zweiten Menschenspezies63. Der lullü-Mensch von Z. (28')32' stellt darum auch nicht — wie vermutlich der lullü von Atr I 195, sicher der noch wilde, unzivilisierte Enkidu von Gilg I iv 6 (13.19) — erst die vorläufige Verwirklichung des Vollmenschen, einen heute nicht mehr existenten, noch halbwegs mißlungenen Versuch der Gottheit dar, sondern eine gegenwärtig bestehende Klasse neben dem "König (als) mGeschichte von Schuld und StrafeSchlechtigkeit< (;raat

haädäm)

bzw. >Gewalttat< ( h ä m ä s ) G e n 6 , 5 — 8 J u n d 1 1 — 1 3 Ρ p a u -

schal, geradezu willkürlich-doktrinär, wie denn umgekehrt die durch sie gerechtfertigte Strafe unbegrenzt ist. Die Willkür des göttlichen Urteils über den Menschen bei J wird auch daran deutlich, daß dasselbe Urteil in Gen 8 , 2 0 - 2 2 das Ausbleiben einer Wiederholung der Flut begründet 9 , als müßte Jahwe angesichts des Unabänderlichen resignieren. Man kann gegen die Feststellung eines Motivationsdefizits für die Flut bei J auch nicht auf die vorangehende Kurzerzählung von den »Engelehen« 6,1—4 hinweisen, so daß die Flut Jahwes Antwort auf eine letzte und weitestgehende Hybrisäußerung des Menschen darstellte: denn abgesehen von der Frage, ob Gen 6,1—4 überhaupt zu J gehört 1 0 , ist der Hybrischarakter des menschlichen Handlungsanteils an dem erzählten Geschehen wenig plausibel; dazu enthält die Erzählung selbst in v. 4 schon eine Bestrafung, der gegenüber die Flut wiederum nur eine schlecht motivierte Doppelung wäre. Allenfalls könnte man in den vorangehenden, sowie in den eventuell folgenden Schuld-Strafe-Erzählungen im ganzen eine Veranschaulichung der rä'at haädäm 6,5 finden 11 , ohne daß etwa an Gen 3 die Verquickung von Schuld und Tragik zu übersehen wäre 1 2 . 7

Zum Begriff Westermann, a . a . O . , 66—77

8

R. Rendtorff (Genesis 8,21 und die Urgeschichte des Jahwisten, KuD 7, 1 9 6 1 , 6 9 - 7 8 )

u. ö.

wollte vordem freilich in 8 , 2 1 das Ende der jahwistischen Urgeschichte sehen. Ähnlich jetzt mit anderer Argumentation E. Zenger (Beobachtungen zu Komposition und Theologie der jahwistischen Urgeschichte, in: Dynamik im Wort. FS aus Anlaß des 50jährigen Bestehens des Kath. Bibelwerks in Deutschland, 1 9 8 3 , 3 5 - 5 4 , bes. 4 5 f . ) : »die theologischen Unterschiede zwischen Gen 3 ; 4 und Gen 9 , 2 0 - 2 7 ; 11,1—9 sind so gravierend, daß ihre immer wieder betonte strukturelle G l e i c h h e i t . . . einfach dem Textgefüge widerspricht«; der Blick der Flutgeschichte gehe nicht nach Gen 9 , 2 0 - 2 7 ; 11, sondern nach Gen 2 - 4 . — Das Problem berührt den von uns besprochenen Sachzusammenhang nicht. 9

Diese Beobachtungen waren oft Anlaß exegetischer Erörterungen, zuletzt bei V. Fritz, »Solange die Erde steht« — Vom Sinn der jahwistischen Fluterzählung in Gen 6—8, Z A W 9 4 , 1 9 8 2 , 5 9 9 - 6 1 4 , bes. 5 9 9 f . . 6 0 9 f . ( L i t . ) .

10

Dies schien schon M. Noth fraglich (Uberlieferungsgeschichte des Pentateuch, 1 9 4 8 , 2 9 8 3 ) ;

11

Vgl. Ο. H. Steck, Gen 1 2 , 1 - 3 und die Urgeschichte des Jahwisten, FS G. von Rad, 1 9 7 1 ,

Gegenstimmen bei Fritz, a . a . O . , 6 1 0 2 2 . 5 2 5 - 5 4 , bes. 5 4 7 / 8 ; zuletzt Fritz, a . a . O . , 6 0 9 . 6 1 1 , der nach dem Vorgang u. a. von F. Crüsemann (Autonomie und Sünde. Gen 4 , 7 und die »jahwistische« Urgeschichte, in: W. Schottroff — W . Stegemann [ed.], Traditionen der Befreiung 1 , 1 9 8 0 , 60—77) auf das Vorkommen des Begriffs battat 12

»Sünde« 4 , 7 hinweist.

Vgl. Vf., Erkenntnis und Verfehlung. Prototypen und Antitypen zu Gen 2—3 in der altorientalischen Literatur, in: T. Rendtorff (ed.), Glaube und Toleranz. Das theologische Erbe der Aufklärung, 1 9 8 2 , 1 9 1 - 2 1 0 , bes. 1 9 7 . 2 0 7 . 2 0 9 .

[298]

D a s M o t i v für die Sintflut

91

Vollends ist bei P, die die Welt und den Menschen als >gut< und >sehr gut< bezeichnet und keine einzige Schuld-Strafe-Erzählung enthält 13 , die Behauptung von Verderbtheit und >Gewalttat< Gen 6 , 1 1 - 1 3 sogar überraschend, obwohl der Bezug dieser Prädikationen auf >die Erde< (haäräs, 11) und >alles Fleisch< (kol-bäsär 1 2 ; vgl. zu beidem 13) zu plausibilisieren sucht, warum die Flut nicht nur die Menschen vernichtet. 2 . Aber nicht nur die Schuld der massa perditionis, auch die Gerechtigkeit des einen Geretteten ist erzählerisch unzureichend verwirklicht. Von Noah sagt J begründungslos, er habe >Gnade vor Jahwe gefunden< (6,8), und trägt dann in einer Gottesrede nach, daß Jahwe ihn auch als gerecht vor sich selbst angesehen habe, und zwar als einzigen >in dieser Generation (7,1); das Tatsymbol für diese Gerechtigkeit, der vollkommene Gehorsam, erfolgt erst hinterher (v. 5). - Ähnlich thetisch setzt die Sintfluterzählung der Ρ zwar mit einer Feststellung der Gerechtigkeit und Rechtschaffenheit Noahs ein, so daß seine Bewahrung als angemessene Retribution erscheinen kann (6,9); der Tatbeweis dafür aber wird wieder erst später, durch den Gehorsam Noahs gegenüber den Rettungsanweisungen Gottes, geliefert (22). II. Die Motivationsschwäche der biblischen Sintfluterzählung hat ihren Grund zunächst in der inhaltlichen und funktionellen Komplementarität von Menschenschöpfung und Flut: auch die Menschenschöpfung ist ja nicht in einer antizipierten Güte des Menschen begründet. Im einzelnen erklärt sich diese Motivationsschwäche aber (1.) aus der Überlieferungsgeschichte der Fluterzählung und (2.) aus ihrer gattungsspezifischen Funktion als Antimythos. 1. Zur

Überlieferungsgeschichte

Die biblische Sintfluterzählung ist, offenbar als ursprünglich mündliche Literatur, von mesopotamischen Vorbildern abhängig: diese liegen außer in den bereits erwähnten Texten von Atramhasls und Ziusudra in Gilg X I 9 — 1 9 6 , beim jüngeren Berossos 1 4 sowie in einer Reihe von Anspielungen 13

Die Beobachtung wäre freilich gegenstandslos, wenn es sich bei Ρ um die Bearbeitungsschicht eines vorpriesterlichen Geschichtswerks aus J und Ε handeln sollte (F. M . Cross, The Priestly W o r k , in: Canaanite Myth and Hebrew Epic, 1 9 7 3 , 2 9 3 - 3 2 5 ; S. Tengström, Die Toledotformel und die literarische Struktur der priesterlichen Erweiterungsschicht im Pentateuch, 1 9 8 1 ; Ο. Kaiser, Einleitung in das AT, 5 1 9 8 4 , 1 1 1 - 1 2 2 ) : Ρ hätte dann auf die Schuld-Strafe-Erzählung seiner Vorlage zurückgegriffen. Aber warum sollte Ρ die SchuldStrafe-Erzählungen in einer übernommenen Fassung belassen haben, während sie im Fall der Fluterzählung den J-Faden mit der eigenen Darstellung verschlungen hätte? Vgl. E. Zenger, Gottes Bogen in den Wolken. Untersuchungen zu Komposition und Theologie der priesterschriftlichen Urgeschichte, 1 9 8 3 , 3 2 — 3 6 (Lit.).

14

Lambert-Millard, a.a.O.,

134-7.

92

[299]

D a s M o t i v für die Sintflut

vor, etwa der Sumerischen Königsliste, I 4 0 f . 1 5 , und dem Text B M 2 3 1 0 3 , Z. l f . 1 6 , allenfalls auch in der teilweisen sumerisch-akkadischen Bilingue »Lugal-e«, bes. Z . 3 3 4 — 7 1 7 , und in dem Text B M 1 2 0 0 1 1 , wo in Z. 2 f . freilich Sintflut und Sintbrand ineinander überzugehen scheinen 18 ; als überlieferungsgeschichtliches Zwischenglied ist bekanntlich ein akkadisches Atramhasis-Fragment aus Ugarit belegt 19 . Die mesopotamischen Vorbilder des biblischen Antimythos lassen nun aber durchaus eine erzählerisch zureichende Motivation der Katastrophe erkennen, obwohl es zum Stil älteren orientalischen Erzählens gehören kann, das Geschehen nur nach seinem äußeren Erscheinungsbild, gleichsam aus der Sicht eines Kameraauges darzustellen 20 . Das Motiv für die Flut liegt hier, im hochkulturell-polytheistischen Milieu 21 , bei zwischengöttlichen Konflikten: nur als unwillentliche Konfliktauslöser sind die Menschen, die ihr Verderben insoweit tragischerweise mit herbeiführen, an der Katastrophe beteiligt; der Grund für die Flut aber ist der gleiche Götterkonflikt, der schon in der Menschenschöpfung eine Lösung suchte. Allenfalls nachträglich und beiläufig werden die Götter durch ein Fehlverhalten der Menschen vom Alleinverschulden an der Sintflut entlastet. Eine solche Motivation für die Sintflut und erst recht für die Menschenschöpfung aber mußte einen israelitischen Erzähler in Verlegenheit bringen: weder konnte er den Götterkonflikt mit seiner frühkulturell-monolatrischen Religion vereinbaren; noch war ein Alleinverschulden insbesondere an der Flut einfach Jahwe als dem einzigen göttlichen Handlungsträger anzulasten. So mußte er die gesamte Verantwortungslast dem Menschen zuschreiben, auch wenn der überlieferte Erzählstoff dafür keine Handhabe bot; menschliche »Verantwortung für das eigene Geschick« konnte er auf diese Weise aber nur ganz oberflächlich realisieren 22 .

15

Th. Jacobsen, The Sumerian King List, AS 11, 1 9 3 9 ; vgl. H K L 1 , 2 0 1 ; 2 , 1 1 5 ; Schmökel

16

E. Sollberger, The Rulers of Lagas, JCS 2 1 , 1 9 6 7 , 2 7 9 - 2 9 1 , bes. 2 8 0 / 1 ; ' v g l . H K L 2 , 2 6 8 .

17

J. van Dijk, LUGAL UD ME-LÄM-bi NIR-GÄL. Le recit epique et didactique des T r a v a u x de

bei Beyerlin, a . a . O . , 1 1 3 / 4 .

Ninurta, du Deluge et de la Nouvelle Creation, Bd. 1 + 2 , 1 9 8 3 , bes. 1, 3 1 - 3 4 . 9 3 . Die Sintflut ( a - m a - r u ) ist in der Gesamterzählung freilich eine Waffe Ninurtas im Kampf gegen den dämonischen Asakku, was sie mit den konventionell sog. Sintfluterzählungen schwerer vergleichbar macht; in der Sintfluterwähnung von Z . 3 3 4 — 7 scheint diese Funktion der Katastrophe allerdings keine Rolle zu spielen. 18

S. N . Kramer, Inanna and the n u m u n - p l a n t : Α New Sumerian Myth, FS C. H . Gordon,

19

RS 2 2 . 4 2 1 ; Ugaritica V, 1 9 6 8 , 3 0 0 - 4 ; L a m b e r t - M i l l a r d , a . a . O . ,

20

Vgl. Vf., Mythos als Gattung archaischen Erzählens und die Geschichte von Adapa, AfO

21

Z u m hochkulturellen Mythos im Gegensatz zum frühkulturellen Mythos vgl. C. Wester-

22

Gegen Fritz, a . a . O . , 6 0 9 .

1 9 8 0 , 8 7 - 9 7 ; vgl. van Dijk, a . a . O . , 1, 3 2 . 131-34.

2 9 / 3 0 , 1 9 8 3 , 7 5 - 8 9 , bes. 7 8 b. mann, Genesis II, 1 9 8 1 , 4 5 .

[300]

Das Motiv für die Sintflut

93

a) Der altbabylonische Atramhasis-Mythos ist die ausführlichste Fassung des mesopotamischen Menschenschöpfungs- und Sintflutstoffes; da die vom Dichter oder eher Schreiber Nür-Ajja auf das 1 2 . / 1 1 . Jahr Ammisaduqas ( 1 5 7 0 vor Chr. nach der kürzeren Chronologie) datierten Tafeln zweifellos auf einer älteren Überlieferung beruhen, ist nicht ausgeschlossen, daß es sich auch um die älteste Verschriftung handelt. Als Grund für die Sintflut und eine Reihe ihr vorangehender Plagen, die nur die AtramhasTsFassung kennt, wird von Enlil in I 3 5 8 und II 1 : 7 ri-gi-im a-wi-lu-ti >das Geschrei der Menschen< namhaft gemacht, was die jeweils folgende Zeile durch i-na hu-bu-ri-si-na w e g e n ihres Lärmens< aufnimmt; dieselben Ursachen sind vom Erzähler in I 3 5 5 f. und II 4 f . jeweils schon einmal erwähnt worden (vgl. Rs. IV 2 f . 7 f . 4 0 f . der assyrischen Fassung K. 3 3 9 9 + 3 9 3 4 und Rs. 1 2 f. aus B E 3 9 0 9 9 2 3 ) . Enlil fühlt sich durch dieses Lärmen beunruhigt I 3 5 5 ; II 1 : 4 u. ö. und entbehrt des Schlafs I 3 5 9 ; II 1:8. Dabei scheint weder an einen aufrührerischen Charakter des Geschreis gedacht zu sein 2 4 , noch taten die Menschen bei ihren Arbeiten, welche den Lärm zumindest mit verursachten, mehr, als die Götter ihnen zugestanden 25 . Denn abgesehen von der Frage, ob die Semantik von rigmum und hubürum wirklich ein Element des Aufrührerischen enthält und an dieser Stelle verwirklicht, hätte der Erzähler, wenn an Aufruhr gedacht wäre, ihn nach Analogie der vor der Menschenschöpfung ausgebrochenen Revolte der Igigu 26 zweifellos anschaulich geschildert. Der Verdacht eines falschen Eifers widerspricht wohl auch der demütigen Rolle der Menschen in ihrem Verhältnis zu den Göttern: nehmen sie den Igigu die diesen ursprünglich allein aufgehalste Arbeit ab, um einen Konflikt in der Göttergesellschaft zu lösen, so gibt diese Bestimmung ihrer Existenz keine Gelegenheit oder gar Anlaß, des Guten zu viel zu tun. Vielmehr deutet das Schlafbedürfnis des Enlil, der offenbar Anu als deus otiosus abzulösen sich anschickt, auf ein Zurückstreben der älteren Götter zu einer vorkosmisch-chaotischen, ungegliederten Einheit, wie sie vor jener Serie von Differenzierungen und Integrationen bestand, die in Mesopotamien und Israel die Schöpfungen ausmacht 2 7 . Insbesondere Enlil 23

Lambert-Millard, a.a.O.,

24

G. Pettinato, Die Bestrafung des Menschengeschlechts durch die Sintflut, Or. 3 7 , 1 9 6 8 ,

106ff.ll6.

25

So W . von Soden, Der Mensch bescheidet sich nicht. Überlegungen zu Schöpfungserzählun-

165-200. gen in Babylonien und Israel, FS F. M . Th. de Liagre-Böhl, 1 9 7 3 , 3 4 9 - 5 8 ; vgl. Fritz, a.a.O., 60616. 26

An die Igigu, nicht an die Menschen ergeht die abschließende Aufforderung, dem Mythos die Großtaten Enlils zu entnehmen (III 8 : 1 4 — 1 9 ) : sollen sie also vor einer neuen Rebellion gewarnt werden?

27

Auch nach dem babyl. Weltschöpfungsmythos Enüma elis I 2 5 . 3 8 — 4 0 . 5 0 wird der Konflikt zwischen den älteren, am Chaos orientierten Göttern mit Tiämat an der Spitze und den jüngeren, kosmosbezogenen Göttern durch den >Lärm< (rigmu) der letzteren ausgelöst, der die ersteren beim Schlaf stört. Auch dieser Lärm hat im Sinne des Erzählers nichts Tadeins-

94

Das Motiv für die Sintflut

[301]

ist die Individuation des Kosmos zuwider28: schon der Aufruhr der Igigu stand zu seinem Schlafbedürfnis im Gegensatz (I 72 ff.); sein Interesse richtet sich letztlich rückwärts auf den Zustand, >als die Götter (auch noch) Mensch waren< (11), d. h. die Rolle der Menschen noch nicht aus sich entlassen hatten29. Auch sonst spielen Anu und Enlil im mesopotamischen Mythos einen menschenfeindlichen Part; ihre Funktion als dei otiosi repräsentiert geradezu einen beharrenden, lebens- und kulturantagonistischen Aspekt der Wirklichkeit. Wie wenig souverän die Götter insgesamt über ihren Handlungsraum verfügen, zeigt ihr Entsetzen darüber, daß sie durch die Vernichtung der Menschen die eigene Versorgung verlieren (III 3 :25 ff.;

28

29

wert-Aufrührerisches (gegen Pettinato, a.a.O., 185), geht doch auf ihn die gegenwärtige Weltordnung zurück. — Daß ein Gott, der auf dem Wege ist, deus otiosus zu werden, sein Verhalten dem von Chaosmächten angleicht, ist nicht ungewöhnlich: man vergleiche nur die Vorliebe des ugaritischen El für Jamm zum Nachteil Ba'ls im AB-Mythos. Da der Mythos nur das Schlafbedürfnis Enlils als Motiv für die Sintflut angibt (vgl. Fritz, a.a.O., 608), ist es doch wohl eine zu rationalistische Funktionalisierung, wenn A. Draffkorn Kilmer (The Mesopotamian Concept of Overpopulation and Its Solution as Reflected in the Mythology, Or. 41, 1972, 1 6 0 - 1 7 7 ) in der Sintflut hauptsächlich eine Maßnahme göttlicher »Bevölkerungspolitik« sieht; vgl. R. Albertz, Die Kulturarbeit im AtramhaslsEpos im Vergleich zur biblischen Urgeschichte, FS C. Westermann, 1980, 3 8 - 5 7 , bes. 51; Fritz, a.a.O., bes. 605. W. von Soden (a.a.O. 358) betont dagegen mit Recht, »daß man eine Beschäftigung mit dem Problem der Übervölkerung doch vor allem in den Omendeutungen erwarten sollte«. Natürlich wird die Differenzierung und Integration, die das Wesen des Kosmos im Gegensatz zum Chaos ausmacht, durch die Vermehrung der Menschen (K. 3 3 9 9 + 3 9 3 4 Rs. IV 39; Lambert-Millard, a.a.O., 109) vorangetrieben; umgekehrt muß eine intendierte Rückkehr zum Chaotischen, wie sie als Katastrophendrohung über der Welt des Menschen schwebt, bei einer Verminderung der Menschen ansetzen. Aber Vermehrung und Verminderung der Menschen sind erzählerische Mittel zur Darstellung einer tieferen, kosmologischen Problematik, die man nicht durch Beschränkung des Interesses auf etwas, das allenfalls Problemanlaß oder Problemverstärker war, banalisieren darf. — Der Gewinn einer sozio-ökonomischen Reduktion für die Interpretation eines Textes ist, wie auf ihre Weise Draffkorn Kilmer zeigt, so lange gering, als nicht zugleich erfaßt wird, wie die sozio-ökonomischen Bedingungen von den Betroffenen erlebt worden sind: diese haben sie einem mythischen Bedeutungshorizont eingeordnet, der für das Verständnis der Lebensbedingungen selbst die Voraussetzungen bot. Mythisch gedeutete Lebensbedingungen aber werden mythenkonform wirksam, worin man, wenn man mag, zwar eine Selbsttäuschung sehen kann; Interpretation aber sollte vor allem die Selbstinterpretation der Stoffe in den Texten nachzuvollziehen suchen. Die Vorstellung, »daß die Welt anfangs noch ganz undifferenziert war«, geht nach W. von Soden (»Als die Götter [auch noch] Mensch waren«, Or. 38, 1969, 1 4 5 - 3 2 , bes. 418; Mottoverse zu Beginn babylonischer und antiker Epen, Mottosätze in der Bibel, UF 14, 1982, 2 3 5 - 9 , bes. 235 2 ) auf die Sumerer zurück; von Soden bezieht sich dazu auch auf die mythische Einleitung zum Streitgespräch zwischen der Schaf- und der Getreidegottheit, Lahar und Asnan, wonach die Menschen sich ursprünglich auch von den Tieren noch nicht unterschieden hätten.

[302]

Das Motiv für die Sintflut

95

4 : 1 5 ff.) 3 0 , und ihre Erleichterung, als sie sie dank Enkis, der die übrigen Götter mit der Errettung des Atramhasis hintergeht, glücklich wiedergewinnen (III 5 : 3 4 ff.). Ist insofern an ein die Welt des Menschen treffendes Katastrophengeschick gedacht, so liegt dessen literarische Bewältigung zunächst allein in der Rationalität einer erzählerischen Abfolgeordnung, wie sie jeder Mythos vorsieht. Nur im Rückblick klingt beiläufig eine Konnotation menschlichen Verschuldens an: nach dem Ende der Flut mahnt Enki einen anderen Gott, Anu oder Enlil, Vergebung zu üben oder doch nur dem Schuldigen seine Strafe aufzuerlegen (III 6 : 2 4 f . ) ; offenbar wurde die Willkür des göttlichen Sintflutbeschlusses nun doch an einem Tun-Ergehens-Zusammenhang gemessen 31 und darum als problematisch empfunden. So wie die Flut durch keinerlei einsichtiges Verschulden der Menschen motiviert ist, findet auch die Rettung des Atramhasis in dessen Frömmigkeit oder Gerechtigkeit keinen erkennbaren Grund: dieser liegt allein in einer Parteinahme Enkis für ihn; Enki kann als Schöpfer der Menschen an deren Vernichtung ebensowenig mitwirken, wie Enlil sich mit deren Schöpfung abfinden kann (II 7 : 4 2 ff.). Auf einen Konflikt Enkis mit Enlil verweist Atramhasis darum ironischerweise auch zur Rechtfertigung seines Schiffbaus vor den Ältesten der Stadt (III 1 : 4 2 — 5 0 ) : was Atramhasis dabei als eigenen Nachteil hinstellt, macht tatsächlich das Ende seiner Gesprächspartner aus; umgekehrt wird das Schiff, mittels dessen er angeblich den eigenen Nachteil akzeptiert, zum Werkzeug einer ihm allein vorbehaltenen Rettung. Zuvor schon hatte Enki seinen Gegensatz zu Enlil auf den Befehl an Atramhasis zugespitzt, das Leben am Leben zu erhalten (na-pi-is-ta buul-li-it III 1 : 2 4 ) . Daß im Verhältnis der Götter zueinander das die Handlung motivierende Konfliktelement liegt, infolgedessen die Götter wie die von der Flut betroffenen Menschen letztlich einem Schicksal unterworfen sind, wird insbesondere sichtbar, wenn die Menschenschöpferin Nintu über ihre im >Fluß< treibenden Kreaturen klagt ( 4 : 4 f f . ) ; am Ende erhebt auch Enlil, sozusagen in reziproker Betroffenheit, die vorwurfsvolle Frage an die Götter, wie das Leben davonkommen und insbesondere der Mensch die Flut überstehen konnte ( 6 : 9 f . ) . Was Atramhasis zum Retter der Menschheit disponiert, ist allenfalls sein Geschick, mit dem er die Götter zu beschämen und gegeneinander auszuspielen weiß 3 2 , wobei ihm zugute kommt, daß er (ebenso wie Adapa) der Vertraute des menschenfreundlichen, weisen Enki 3 3 , Enki also sein persönlicher Gott ist 34 , der ihm mit Rat30

Vgl. Lugal-e Z . 3 3 5 , wonach die Götter wegen der Sintflut mit Hacke und Korb offenbar

31

Gegen Fritz, a . a . O . ,

32

Vgl. Fritz, a . a . O . , 6 0 6 .

33

Vgl. H. D. Galter, Der Gott Ea/Enki in der akkad. Uberlieferung. Eine Bestandsaufnahme

Deicharbeiten verrichten müssen; vgl. van Dijk, a . a . O . , 1, 3 4 . 608-612.

des vorhandenen Materials, Diss, der Karl-Franzens-Universität Graz 5 8 , 1 9 8 3 , 1 6 9 - 1 7 5 .

96

D a s M o t i v f ü r die Sintflut

[303]

schlagen zu Hilfe kommt 35 ; indem er die Menschen rettet, wird er aber zugleich zum Retter der Götter, die ohne ihn an ihrer Zerstrittenheit zugrunde gegangen wären. Gleichwohl aber spielen Leben und Menschsein auf der Ebene des Erzählten die weithin passive Rolle eines Spielballs im Götterkonflikt. b) Die in sumerischer Sprache abgefaßte Flutgeschichte um Ziusudra muß nicht älter sein als der Mythos von Atramhasls; ihre schriftliche Fassung entstammt ebenfalls der spätaltbabylonischen Zeit 36 . — Wir erfahren nicht, warum die Götter die Sintflut beschließen. Doch sind Nintu, Inanna und Enki mit dem Katastrophenbeschluß der übrigen Götter unzufrieden, deren Opfer wie im Atramhasls-Mythos zugleich als Geschöpfe Nintus gelten (140—2, vgl. 38 f.); insofern gibt es auch hier einen Götterkonflikt. Der Sintflutheld gilt als demütig-aufmerksamer Priesterkönig (145-7): eine ständige Bereitschaft für die Götter kommt ihm beim Erlauschen der Flutankündigung offenbar zustatten (148 ff.) 37 ; für die Erwählung des Geretteten ist damit eine Motivation gegeben. — Weil Ziusudra am Ende in ein göttliches Geheimnis eingeweiht ist, bleibt Anu und Enlil keine Wahl, als ihm wie einem Gott ewiges Leben zu geben 38 und ihn nach Dilmun zu versetzen (256—60) — eine Konsequenz, die dem altbabylonischen Atramhasls-Mythos noch unbekannt ist39, während sie den biblischen Erzählern nicht mehr akzeptabel scheint40. c) Ein Paradigma für die rein passive Rolle der Geretteten bietet eine bisher unbeachtete Anspielung auf die Sintflut in Z. 572—7 der sumerischen Sage von Enmerkar und dem Herrn von Aratta 41 : hier ist es nicht ein 34

Vgl. RS 2 2 . 4 2 1 : 7 ; Lambert-Millard, a . a . O . , 132/3.

35

Insofern enthält der Mythos »die Anweisung, wie man einen Gott herumkriegt«; darin »Muster und Garant alltäglicher Praxis« zu sein, wie sie etwa in Ritus und Magie geübt wird, macht seine Funktion aus (Burkert, a . a . O . , 72).

36

Vgl. Anm. 5; Verszählung nach Civil, a . a . O . , - Jacobsen (JBL 100, 513) datiert die Fragmente aus Nippur (CBS 10673; PBS V 1) und Ur (Publikation UET VI 61) »perhaps about 1600 B.C.«; vgl. Civil 1 3 8 f . , der das Thema »Flut« nicht zum Grundbestand der sumerischen Traditionen rechnet.

37

Die Ubersetzungen von Civil (a. a. O., 143) und Jacobsen (a. a. O., 522; vgl. 523) gehen hier freilich stark auseinander.

38

Vgl. das Angebot von Lebensspeise und Lebenswasser, das Anu aus einer ähnlichen Verlegenheit an Adapa richtet, dieser freilich, von Ea beraten, ausschlägt; S. A. Picchioni, II poemetto di Adapa, Budapest 1981; vgl. Vf., A f O 2 9 / 3 0 , bes. 8 4 b ff.

39

Vgl. dagegen RS 2 2 . 4 2 1 , Rs. 4; Lambert-Millard, a . a . O . , 1 3 2 / 3 .

40

Vgl. Fritz, a . a . O . , 610. — Eine Entrückung des Sintfluthelden wird dagegen auch von Berossos angedeutet; vgl. F. Jacoby, Die Fragmente der griech. Historiker III C 1, Nr. 6 8 0 F 4 (S. 380) und Nr. 685 F 3:5 (S. 402), ferner Lambert-Millard, a . a . O . , 136.

41

S. N . Kramer, Enmerkar and the Lord of Aratta, 1952; vgl. Η KL 1 , 2 4 6 ; 2 , 1 3 6 . Hier zitiert in Anlehnung an C. Wilcke, Das Lugalbandaepos, 1 9 6 9 , 7 2 ; neueste Bearbeitung S. Cohen, Enmerkar and the Lord of Aratta, Diss. University of Pennsylvania, 1973 (freundlicher Hinweis von J. Krecher - Münster); vgl. auch Schmökel bei Beyerlin, a . a . O . , 112 (Lit.).

[304]

Das Motiv für die Sintflut

97

Götterkonflikt, der Katastrophe und Rettung bestimmt; vielmehr beruht der Fortbestand des Daseins auf der Liebe der Göttin Inanna zu Dumuzi, in die die Menschen einbezogen werden. »Sie (die Leute von Aratta) sind es, die im [ . . . ] der Sintflut standen. Als die Sintflut darüber hinweggegangen war, hat Inanna, die Herrin der Fremdländer, in ihrer großen Liebe zu Dumuzi (sie) mit dem Wasser des Lebens besprengt, ihm das Land (Sumer) unterworfen.« Die Ambivalenz des Wassersymbols zeigt sich darin, daß Wasser als Sintflut tötet, aber als Lebenswasser vom Tode erweckt. So wird das Überleben der Flut hier nicht durch die Rettung eines einzelnen ermöglicht; die Besprengung mit dem Lebenswasser ist offenbar der Ausgangspunkt für die Vorstellung einer Neuschöpfung des Menschen (vgl. dazu B M 2 3 1 0 3 : 3—5), die in einem Teil der Überlieferung, wie wir sehen werden, neben der von der Rettung eines einzelnen besteht. Wie wenig das Geschehen am Menschenschicksal orientiert ist 4 2 , zeigt auch sein Ziel: die fiktive (?) Unterwerfung Sumers unter Aratta. d) Auch in Gilg X I 9 ff. liegt das Motiv für die Katastrophe keineswegs bei den Betroffenen: in der Exposition der Sintfluterzählung (Z. 11—4) heißt es hier: »Suruppak — eine Stadt, die du kennst, die am Ufer des Euphrat liegt - , diese Stadt war schon alt, und die Götter waren ihr nahe. Eine Sintflut zu machen, entbrannte das Herz den großen Göttern.« Im Mittelpunkt des Geschehens steht Suruppak: ist ursprünglich wie beim Bezug von Enmerkar 5 7 2 — 7 auf Aratta und in unserer Vinetasage an die Überschwemmung einer einzigen Ortschaft gedacht? Suruppak sind jedenfalls die Götter besonders bedrohlich nahe 4 3 . O b der Auszeichnung der Stadt ihr Alter (13a) widerspruchsvoll gegenübersteht, ist zu fragen: die Sintflut wäre dann zugleich Wirkung eines altersbedingten Verfalls 4 4 . Die 42

Zur Rolle des Menschen als passives Opfer der im Kampf der Götter eingesetzten Sintflut vgl. Lugal-e 2 1 1 — 2 4 ; eigenartigerweise erscheint Enlil, nicht Enki als der mitbetroffene Menschenschöpfer; dazu van Dijk, a . a . O . , 1, 3 3 . 7 7 — 9 .

43

Suruppak ist die letzte von fünf Städten, an die nach der Sumerischen Königsliste und Ziusudra Z . 9 3 — 7 das Königtum über Babylonien vor der Sintflut gelangt (vgl. A. Schott - W . von Soden, Das Gilgamesch-Epos, 3 1 9 8 2 , 9 3 2 ) . W a r sie also zu alt für die mit dieser Bürde verbundene Gegenwart der Götter?

44

Auch nach dem ägypt. Mythos von der Himmelskuh, Z . 4 ff., geht der jetzige unvollkommene Zustand der Welt mit der Trennung von Göttern und Menschen letztlich auf ein Altern des Gottes Re und offenbar mit ihm des Seienden zurück; vgl. E. Hornung, Der ägypt. Mythos von der Himmelskuh, 1 9 8 2 , bes. 3 7 . 7 6 .

98

[305]

Das Motiv für die Sintflut

vernichtende Leidenschaft der Götter (14) wirkt um so willkürlicher, als ihr Konflikthintergrund zunächst nicht mit aufscheint: da die Gilg-Fassung die Sintflut nicht mit der Schöpfung verbindet, kann sie den Antagonismus von Ea (hier statt Enki) und Enlil nicht erzählerisch aufbauen; er wird erst im Streit um die Rettung des Sintfluthelden eingeführt. Auch erst im Nachhinein klingt eine Konnotation menschlichen Verschuldens an: Ea sieht das Unbedachte an Enlils Sintflutbeschluß darin, daß er lediglich dem Sünder hätte seine Strafe auferlegen dürfen (180); der betr. Vorwurf ist aber nur wieder sinnvoll, weil die Flut nach den vorausgesetzten Weltordnungsbegriffen im Grund nur als Bestrafung denkbar erscheint. Gleichzeitig aber wird in der Rede Istars 122 f. die Sinnlosigkeit des Geschehens festgestellt45. Die Rettung Utnapistims ist offenbar wieder allein in der Zuwendung seines persönlichen Gottes begründet, obwohl Z. 32—4 seinen späteren Gehorsam gegenüber den Anweisungen Eas betonen. Seine Erhebung unter die unsterblichen Götter, die nach der einleitenden Frage Gilgamess (7) der Skopos der Erzählung ist, erweist sich insofern wieder als Ausweg aus einer Verlegenheit, als es der Menschenfeind Enlil ist, der ihn an seinen fernen Platz geleitet ( 1 8 9 - 9 6 ) . 2. Zwr gattungsspezifischen

Funktion der Fluterzählung als

Antimythos

a) Der Atramhasls-Mythos löst den nach der Rettung des Helden noch einmal entfachten Götterkonflikt durch einen Kompromiß. — Der Lapislazulischmuck, den die Menschenschöpferin Nintu anlegt, soll einerseits an die Sintflut erinnern, u. zw. offenbar um deren Wiederholung auszuschließen (III 5 : 4 6 - 6 : 4 ; vgl. Gilg XI 1 6 2 - 5 ) ; sie hätte dann eine ähnliche Funktion wie der >Bogen< bei P, der Gott an seinen Bund mit Noah denken läßt, >daß das Wasser nie wieder zur Sintflut werde, um alles Fleisch zu verderben< Gen 9,15 4 6 . Allerdings gestattet das frühantike Erzählen auch hier keinen sicheren Einblick in die inneren Motive des Handlungs- und Dialogablaufs. Enlil ist es sodann, der Nintu durch Enki beauftragen läßt, die Menschheit neu zu schaffen (6:41 — 8), obwohl es ja doch Gerettete gibt; auf das traditionelle Motiv der Neuschöpfung nach der Flut (vgl. oben zu Enmerkar 574—7) konnte nicht verzichtet werden47. Auffälligerweise wird die Neuschöpfung also gerade durch den Gott legitimiert, dem vorher 45

Vgl. Fritz, a . a . O . , 6 0 4 . 6 0 6 .

46

Zur

Vorstellung des >Bogens< Gen

9,15

vgl. jetzt Zenger,

Gottes Bogen,

11-14.

124-32.165.180f. 47

Eine Neuschöpfung der Menschheit nach der Flut setzt bekanntlich auch die Erzählung von Deukalion und Pyrrha bei Ovid Metam. 1 2 6 0 - 4 1 8 voraus: hier sind es freilich die geretteten Menschen, die auf Anweisung des Zeus, der ihnen damit eine Bitte erfüllt, Steine hinter sich werfen, aus denen neue Menschen hervorgehen; vgl. zu Lugal-e van Dijk, a . a . O . , 1, 37-44.

[306]

Das Motiv für die Sintflut

99

alles an der Vernichtung lag. Andererseits soll das Dasein der Menschen Beschränkungen unterliegen: ihre unmäßige Vermehrung, die einst das Lärmen des Landes verursacht hatte (I 353 f.), soll sich nicht wiederholen; offenbar wieder Enlil befiehlt geeignete Maßnahmen, um die Zahl der Menschen gering zu halten (III 7 : I f f . ) . So erzählt der Antimythos von der Flut, um — sei es um den Preis anderweitiger Daseinsminderung — deren Wiederholung zu verhindern. Ist er in seinem Vernichtungspathos komplementär zum Schöpfungsmythos, so läuft er ihm funktionell parallel: sein Ende ist eine endgültige Ordnung, die vor allem Enki als dem Ratgeber der Götter Ehre macht ( 8 : 9 ff.); der Sintflutmythos macht abschließend klar, warum der Mensch da sein darf 48 . Schließt die Sintfluterzählung gleichzeitig eine Wiederholung dessen aus, was nicht sein darf, so zielt der Mythos hier keinesfalls auf die ewige Wiederkehr des Gleichen49: zwar mag die Bedrohung durch Wasser eine jahreszeitliche Erfahrung repräsentieren; aber die mangelnde Macht-Balance, die im Mythos das Spiel der Kräfte in Bewegung setzt, soll ja gerade als für immer gebannt dargestellt werden 50 . Ist das Erzählen des Mythos auch ein wiederkehrendes kosmostatisches Ritual, so greift das Erzählte doch auf das urzeitliche Ein-für-allemal einer Neukonstitution der Welt zurück 51 . b) Die sumerische Sintfluterzählung um Ziusudra unterstreicht die Komplementarität von Schöpfung und Flut 52 noch dadurch, daß es diesel-

48

Mutatis mutandis beschäftigt sich der Mythos mit der von G. W. Leibniz und F. W. J. Schelling gestellten, bei M. Heidegger wieder aufgenommenen Frage, warum Seiendes ist und nicht vielmehr Nichts. Allerdings beantwortet er sie nicht ätiologisch oder (durch Aufweis zureichender Gründe) metaphysisch, sondern im Sinne der Legitimation; zur Daseinserklärung wird der Mythos erst, wenn die Frage nach der Oasemslegitimation mangels Radikalität erfahrener Fraglichkeit nicht mehr als so dringend empfunden wird. Dem Mythos geht es eher um denjenigen Sinn der Frage, in dem sie Heidegger zuletzt formuliert hat: »warum hat das Seiende den Vorrang?« (R. Wisser [ed.], Martin Heidegger im Gespräch, 1970, 75).

49

Vgl. zur jahwistischen Fluterzählung Steck, a.a.O., 547: »Der Sintflutabschnitt . . . schildert . . . nicht ein erstmaliges, sondern . . . ein streng einmaliges Geschehen«. Dies gilt aber schon für die altvorderorientalischen Vorbilder des J und ist im übrigen von der Frage nach einem erdgeschichtlichen Hintergrund des Sintflutmythos (vgl. dazu Erörterungen zu zwischeneiszeitlichen Überschwemmungen Mesopotamiens von W. Nützel, Kann die Naturwissenschaft der mesopotamischen Archäologie neue Impulse geben? ZA 66, 1976, 120—34) unabhängig, einer Frage, die durch Lugal-e Z. 334—7 neu aufgeworfen scheint (vgl. van Dijk, a.a.O., 1,33f.).

5U

Vgl. dazu W. L. Moran, Atrahasis: The Babylonian Story of the Flood, Bibl 52, 1971, 5 1 - 6 1 , bes. 58.61.

51

Dazu noch einmal Jolles, a.a.O., 124: »So wie der Unheilige sich zum Heiligen umwandeln kann, so kann der Mythos wiederum aus dem Chaos eine neue Welt bauen«.

52

Weder im Atramhasis-Mythos, noch in dem von Ziusudra bildet das Flutmotiv eine selbständige Erzählung (gegen Fritz, a.a.O., 603); in Gilg XI fehlt die Voranstellung der Men-

100

D a s M o t i v für die Sintflut

[307]

ben Götter Anu, Enlil, Enki und Ninhursag sind, die einerseits die Menschen schaffen (Z. 47f.) und andererseits die Sintflut verantworten ( 1 4 3 f . l 5 9 ) ; eine solche Symmetrie, die das Konfliktfeld des AtramhaslsMythos faktisch negiert, ist offenbar ein Zeichen späteren Systemwillens, zumal allenfalls Enki und Ninhursag traditionelle Menschenschöpferrollen spielen. Ninhursag tritt dabei für die in 38 ff.140 genannte Nintu ein. Nintu ist zugleich Kultur Spenderin: sie lehrt die Menschen, Städte und Heiligtümer zu erbauen (41 ff.); Seßhaftigkeit und Zivilisation scheinen vor der Flut in der Herabkunft des Königtums vom Himmel ihre erste Vollendung zu finden (88ff.) S 3 , was an die Sumerische Königsliste erinnert. Schöpfung und Flut haben erzählerisch etwa gleiches Gewicht. c) Der Schwerpunkt der jahwistischen Urgeschichte, die auf der Positivseite den stiftenden Mythos der Menschenschöpfung (Gen 2,4bff.), die Stammbäume Kains ( 4 , 1 7 - 2 4 [ - 2 6 ] ) , Noahs (5,28f.; 9,18f.) - vielleicht 54 mit dem J-Anteil der Völkertafel (10*) — sowie die Notizen von den Errungenschaften (3,7b; 4,2.17.20—22[.26] + 9,20; 1 0 , 8 - 1 2 ; 11,3) enthält, liegt offenbar bei den Elementen des Antimythos, also den Schuld-StrafeErzählungen (3; 4 , 1 - 1 6 ; 6,1—4[?] + 9 , 1 8 - 2 7 ; 1 1 , 1 - 9 ) und dem jahwistischen Part der Sintfluterzählung (6,5ff.*): dabei lassen die Schuld-StrafeErzählungen das gegenüber der Schöpfung oppositive (wachsende ?) Verhängnis zugleich aus dem Innern des Menschen emporsteigen 5 5 ; so kann, wie gesagt, die raat hä'ädäm von 6,5 doch noch anschaulich werden. Aber auch hier ist das Verhängnis das, was nicht sein darf und deshalb durch eine abschließende Bestandsgarantie für die Welt des Menschen (8,20—22) gebannt wird 5 6 : Frost, Winter und Nacht sollen durch den rhythmischen Wechsel mit Hitze, Sommer und T a g eine gegenseitige Domestikation erfahren; Saat und Ernte, d. h. der menschliche Lebensbedarf, sollen für immer gewährleistet sein. Durch die Festlegung des Weltlaufs auf den rhythmischen Wechsel des Polaren zeigt Jahwe gleichsam im Großen, daß auch er Differenzierungen und Integration will, nicht — wie Enlil - das Zurücksinken in das Unterschieds- und gestaltenlose Chaos. Dagegen hat J ebenso wie P, offenbar mit Rücksicht auf die Stofflogik, auf eine neue Menschenschöpfung nach Noahs Rettung verzichtet. — So wird durch eine etwas

s c h e n s c h ö p f u n g deshalb, weil nach Z . 7 lediglich eine Ätiologie für die Unsterblichkeit Utnapistims geboten werden soll. 53

J a c o b s e n , a . a . O . , bes. 5 1 6 f . , legt einen komplizierteren Rekonstruktionsversuch vor.

54

Vgl. Anm. 8.

55

D a z u u n d zu der entsprechenden Struktur bei Ρ auch R. Oberforcher, Die Flutprologe als

56

D a z u Fritz, a. a. O . , 6 1 0 - 2 . D i e Bestandsgarantie für die Welt geht aber nicht auf eine Er-

Kompositionsschlüssel der biblischen Urgeschichte, 1 9 8 1 . weiterung des überlieferten S t o f f s durch J zurück, wie denn auch nicht erst J » die Fluterzählung auf die S c h ö p f u n g b e z o g e n « hat; für beides sind der Atramhasls- bzw. Z i u s u d r a - M y thos Zeuge.

[308]

Das Motiv für die Sintflut

101

mehr dunkle als helle Folie die spätestens in 11,27 bzw. 12,1 einsetzende »Heilsgeschichte« hintermalt, ohne daß die Urgeschichte ihre Bedeutung in einer solchen Folienfunktion erschöpfte. d) Bei Ρ scheint die Komplementarität von Schöpfung und Flut insofern gestört, als hier die We/ischöpfung der Flut gegenübertritt; nahe lag diese Verbindung wegen der kosmischen Dimension der Katastrophe. Entsprechend verhalten sich Weltschöpfung und Flut auch in der Einzeldarstellung reziprok. Der Antimythos von der Flut liest sich in 7,11 wie die verhängnishafte Rücknahme jener Eindämmung der Chaosflut, auf der die Schöpfung beruht (vgl. 8,2). Vor allem wird gerade an der P-Fassung deutlich, daß Antimythos und Mythos mit verschiedenen Mitteln die gleiche Funktion verwirklichen: die Bestandsgarantie für die Welt wird zur ewig gültigen berit mit dem >Bogen< als Erinnerungszeichen Gen 9 , 8 - 1 7 ; d. h. es kommt zu einer >Vereinbarung< mit alleiniger Bindung des Höhergestellten, so daß deren Wirksamkeit vom Wohlverhalten der Betroffenen unabhängig ist57. Aufs Ganze gesehen ist die urgeschichtliche Folie der »Heilsgeschichte« bei P 58 lichter als bei J: die exilische Situation machte es, wie auf seine Weise auch Deuterojesaja zeigt, nötig, die zum Grund von Anfechtung herabgesunkene Geschichte durch kosmologischen Optimismus aufzuhellen. So erst wird deutlich, warum das priesterschriftliche Werk mit der Wertung von Welt und Mensch als >gut< und >sehr gut< beginnen mußte: darin verwirklicht gerade Ρ die Funktion des Mythos, Dasein zu legitimieren; der geschichtsbezogenen Offenbarungsreligion wird nach ihrem Scheitern an der Unheilsrealität geradezu durch den Mythos aufgeholfen. III. Die göttlichen Konfliktparteien des Atramhasls-Mythos, deren Funktion in den biblischen Sintfluterzählungen ein Konfliktfeld in Jahwe bzw. Elohim übernimmt, repräsentieren einen lebens- und menschenfeindlichen gegenüber einem lebens- und menschenfreundlichen Aspekt der Wirklichkeit. Welt wird im Mythos nicht so sehr als Ordnung erlebt wie vielmehr als Stätte einer Spannung, wobei sich die mangelnde Souveränität der Götter bzw. Gottes 59 gegenüber dem Handlungsraum in erzählerische Dramatik umsetzen läßt. 57

Dazu Vf., Ursprünge und Strukturen alttestamentlicher Eschatologie, 1969, 1 8 4 - 9 , bes.

58

Zu Gen 1 , 1 - 2 , 4 a + 6 - 9 * Ρ als Teil der priesterschriftlichen Geschichtsdarstellung vgl.

59

Daß Mythos nicht an eine Göttervielfalt gebunden ist, vielmehr vom hochkulturellen, po-

188 f. Zenger, Gottes Bogen, bes. 2 3 . 1 0 3 . lytheistischen Mythos ein frühkultureller Mythos zu unterscheiden bleibt, wobei in letzterem »gewöhnlich nur ein Gott oder überirdisches Wesen handelt, der andere Partner des

102

D a s Motiv für die Sintflut

[309]

Hinter dem so bekundeten ambivalenten Lebensgefühl steht der allbekannte biologische Tatbestand, daß die anorganische Welt das Leben, also auch das menschliche Dasein, einerseits einer ständigen Bedrohung aussetzt, andererseits aber nicht umhinkann, ihm eine »Nische« einzuräumen; umgekehrt kommt das anorganische Dasein ja auch erst im organischen zur vollen Entfaltung der in beiden schlummernden Möglichkeiten. Mythos und Antimythos also verschaffen dem Menschen — samt dem ihm stammesgeschichtlich vorauslaufenden Leben und den von ihm geschaffenen Kulturobjektivationen — eine zweideutige Beheimatung in der gemeinsamen Umwelt; ja, sie enthalten ein Plädoyer für das gestaltete Seiende gegen das ungegliederte Chaos, zu dem ein Gott wie Enlil zurückstrebt, das aber in allen besprochenen Fassungen des Antimythos von der Flut als das Ausgeschlossene erscheint. D a insofern schon die anorganischen Gestalten als solche positiv-wertig sind, widersteht die bleibende Geltung des Mythos bei der menschlichen Wirklichkeitsaneignung einer bedauerlicherweise dem Christentum nachgerühmten Desakralisierung des Kosmos 6 0 , deren Propagierung Mode wurde, als ihre katastrophalen ökologischen Folgen längst schon hätten spürbar sein müssen. Für das Chaotische aber, das dem kosmischen Seienden als ständige Drohung gegenübersteht, liefert insbesondere der biblische Antimythos von der Flut mit seinem — erst in der modernsten Welt eigentlich sinnvollen — Schuldvorwurf an den Menschen ein Theodizee-Motiv. Mythos und Antimythos rezipieren dabei aber nicht einfach das Vorhandene mittels assertorischer Behauptungen, sondern eignen die Ambivalenz einer zugleich lebensfeindlichen und lebensfreundlichen Wirklichkeit in kreatorischer Verwandlung an: ist doch die Konflikthaftigkeit der Götter· bzw. Gottesgeschichten, in die sie diese Ambivalenz aufgehen lassen, anthropomorph, d. h. menschgemäß; eine zur personhaften Konfliktwelt vermenschlichte Ambivalenz gewinnt etwas für den Menschen Heimatliches. Der vorbegrifflich-polyseme Charakter mythischer Gestaltungen ist bei der kreatorischen An Verwandlung des Realen ans Menschliche 6 1 von

Geschehens aber Menschen sind«, hat jüngst C. Westermann (Genesis II, 45), offenbar im Rückgriff auf W. Wundts Begriff des »Mythenmärchens« (Völkerpsychologie IV: Mythus und Religion III, 1915, 2 7 5 f.), mit Recht betont. 60

Kritisch dazu M . Eliade, Im Mittelpunkt. Bruchstücke eines Tagebuches, 1977, 194. Eine glückliche Ausnahme findet Eliade in der rumänischen wie überhaupt osteuropäischen Bauernfrömmigkeit, in derein »kosmisches Christentum« verwirklicht sei (das., 2 7 2 , ferner 275); vgl. auch J . M . Kitagawa, Eliade und Tillich, in: Η. P. Duerr (ed.), Die Mitte der Welt. Aufsätze zu Mircea Eliade, 1984, 2 5 7 - 7 2 , bes. 2 6 9 / 7 0 .

61

Vgl. zur Polysemie von Gen 2 f. die in Anm. 12 genannte Arbeit des Vfs. Auf die kreatorisch-verwandelnde Kraft der Sprache verweise ich - am Paradigma des semit. Verbalsystems — in: Assertorische und kreatorische Funktion im althebr. und semit. Verbalsystem, Aula Orientalis 3, Barcelona 1984, 1 1 3 - 1 2 5 .

[310]

Das Motiv für die Sintflut

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erheblichem Vorteil: die Flexibilität mythischer Bedeutungen, oft bei gleichbleibendem Text, gestattet es dem Mythos, sich einer seit je in stetem Wandel befindlichen Wirklichkeit authentischer anzupassen und dabei zugleich den Veränderungen im Bild des Menschlichen Rechnung zu tragen. So erweist sich der Mythenschöpfer nicht nur als angepaßtes Produkt seines Lebensraums, sondern zugleich als dessen Produzent, der die Ambivalenz in der biologischen Befindlichkeit des Menschen gleichsam auf höherer Ebene aufhebt. Das Mythenschaffen zeigt darin seinen ethologischen Wurzelboden: es entspricht einem Verhaltens- und Handlungssyndrom, das der Mensch mit anderen höheren Lebewesen, letztlich mit der ganzen organischen Welt teilt. Auch die außermenschliche organische Welt verhält sich gegenüber ihrer Umwelt nicht nur passiv angepaßt: allein die Interessiertheit der Anpassung bedingt einen Einbezug der Umwelt in die jeweilige Eigenweh der Gattung 62 , wie er im Grunde schon mit dem physiologischen Austausch, dem Stoffwechsel, gegeben ist und vor allem bei höheren Lebewesen zu immer komplexeren Systemen mit Rezeptoren und Effektoren, Sensibilität und Interaktion auswächst; in der gesamten organischen Welt, angefangen von den Funktionenmechanismen des Genoms bis zu tierischen »Intelligenzleistungen«, gibt es insofern final determinierte, also gleichsam zweckrationale Vorgänge. Seitens des Menschen aber geschieht die aktive Produktion des Lebensraums in unvergleichlich viel höherer kreatorischer Freiheit: seine Ausstattung determiniert ihn zu unvorhersehbaren, wenn man so will, akausalen Sprüngen, weil er bekanntlich seiner Umwelt nur mangelhaft angepaßt ist 63 ; zugleich befreit ihn das sprachlich vermittelte begriffliche Denken zu rascherer Wechselwirkung zwischen eigener Anpassung an die Wirklichkeit und deren Anpassung an ihn selber. Die vom Mythos gleichsam ersetzte, vorweggenommene und vorbereitete »Assimilation« von Wirklichkeit und Mensch in Wechselwirkung ist dabei nicht zufällig mit einer Metapher aus der Biochemie bezeichnet, obwohl der Ausdruck wegen der Qualität des Sprunges selbst von den höchsten tierischen Wesen zum Menschen eine bloße Metapher bleibt.

42

Der Begriff der »Eigenwelt« geht auf den Hamburger Vorläufer der Verhaltensforschung Jacob Freiherrn von Uexküll zurück: danach spannt sich über einer gemeinmenschlichen, schon äußerst komplexen Eigen weit, in der aus der objektiven »Umwelt«, dem Biotop des Menschen, bereits nur dasjenige Bedeutung gewinnt, was zur Erfüllung seines Lebensplans nötig ist, noch einmal ein Möglichkeitenfeld gesellschaftlich und individuell gewählter Eigenwelten; vgl. Gipper, Bausteine zur Sprachinhaltsforschung. Neuere Sprachbetrachtung im Austausch mit Geistes- und Naturwissenschaft, 1963, 371 ff. (Lit.). Es handelt sich um eine ethologische Modifikation der erkenntnistheoretischen Unterscheidung von Ding-ansich und einer in sich geschlossenen Erscheinungswelt, deren der Mensch als Gesellschaftswesen und Individuum ein Teil ist.

63

So bekanntlich A. Gehlen im weniger bekannten Rückgriff auf J. G. Herder; dazu H. Gipper, a.a.O., 390.

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Das Motiv für die Sintflut

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2. Wer aber ist das Subjekt einer solchen von Mythos und Antimythos vermittelten wechselseitigen Wirklichkeitsassimilation? In welcher Rolle ist der Mensch dieses Subjekt? Schwerlich als das seiner Ratio verpflichtete Individuum, das als res cogitans im Eifer des cogito-ergo-sum sich den Rest der Welt als bloße res extensa gegenüberstellt. Denn das mythische Erzählen ist keinesfalls nur ein rationaler und individueller Akt, obwohl es natürlich einzelne sind, die jeweils den Mythos als rationalen erzählerischen Diskurs produzieren bzw. reproduzieren und aufnehmen; deutlicher als jede andere Gattung ist vielmehr der Mythos zugleich aus einem Schatz irrationaler und kollektiver Erfahrungen und Gestaltungsmuster geboren. Sollte sein Wurzelboden darüber hinaus wirklich bei einem Verhaltens- und Handlungssyndrom auch der außermenschlichen organischen Welt liegen, so dehnt sich die Subjektrolle über die Grenze des Humanums hinweg aus. Geht es ferner bei diesem Verhaltens- und Handlungssyndrom des Organischen um das gespannte und doch wieder integrale Verhältnis, in dem sich das organische mit dem übrigen Seienden befindet, so redet das anorganische Seiende, schon indem es dem organischen die von diesem zu gestaltenden Bedingungen setzt, bei dessen Selbstbehauptung mit. Kann man also geradezu von einer gegenseitigen >Anpassung< des organischen und des anorganischen Seienden reden, so nimmt das Wechselverhältnis zwischen beiden sozusagen die mythische Wahrheit vorweg, sofern es sich nämlich auch in dieser nach der bekannten scholastischen Definition um adaequatio rei et intellectus handelt: der mythische intellectus ist gleichsam der Gipfel des Organischen in dessen Austausch mit dem Seienden, der res; die vorbegrifflich-polyseme Anschauung als spezifische Weise eines mythischen intellectus entspricht dessen vitaler Funktion gegenüber der res besonders unmittelbar. Im Menschen werden das Organische, ja das Seiende überhaupt ihrer selbst bewußt, indem sie sich an den Menschen mitteilen 6 4 : gleichsam als Exponent des Seienden, vermittelt durch das ganze Reich des Organischen, ist der Mensch Subjekt mythischer Daseinsassimilation; er gewinnt seine Erkenntnis aber als integraler Teil des Seienden bzw. Organischen, der seine Abspaltung von der Objektewelt insofern nicht duldet 6 5 .

64

A. Jolles stellt jedem »Versuch des Menschen, in die Welt hineinzudringen und sie von sich aus zu verstehen«, d. h. sie individuell-subjektbezogen wahrzunehmen, den Mythos als eine Se/fcsibekanntgabe der Welt und ihrer Erscheinungen gegenüber ( a . a . O . , 1 0 3 ) . Ähnliches setzt Jolles im Blick auf die »Einfachen Formen« überhaupt voraus, wenn er von diesen sagt, daß sie sich »sozusagen ohne Zutun eines Dichters in der Sprache selbst ereignen, aus der Sprache selbst erarbeiten« ( 1 0 ) ; der Dichter ist dabei nicht als schöpferische, sondern als vollziehende Kraft wirksam ( 2 3 5 ) . Wiederum hinter die Sprache zurück begibt sich Jolles mit der Formulierung, daß »sich alle diese Formen sowohl im Leben wie in der Sprache vollziehen, sowohl auf der Ebene des Seins wie auf der Ebene des Bewußtseins wahrgenommen werden« ( 2 6 2 ) .

65

C.-F. von Weizsäcker erklärt in Abwehr der cartesianischen Unterscheidung von res cogitans und res extensa lapidar: »Wenn sich aus Molekülen Menschen entwickeln, sind Mole-

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Geht die Subjekt-Objekt-Trennung, die eine (wie immer zu verstehende) Heterogenität des Erkennenden gegenüber dem Erkannten voraussetzt, am Ende auf einen Sprachzwang (contrainte) der erkenntnistheoretischen Begriffe zurück? Worin liegt dieser Sprachzwang? Bereits im begrifflichen Denken als solchem, soweit es mit der syntaktischen Struktur der Sprache gegeben ist? Oder unterläge ihm eine außereuropäische Erkenntnistheorie, die nicht mit der indogermanischen Syntax und Semantik arbeitete, nicht in gleicher Weise? Wie nähme sich eine Transzendentalphilosophie etwa in einer Ergativsprache aus, die nicht dem Subjektzwang unterliegt, sondern vom Objekt her, also in unserem Falle aus der Perspektive des Gedachten formuliert? — Oder ist die Subjekt-Objekt-Trennung überhaupt erst mit dem Ausgang des Menschen aus der vorbegrifflich-polysemen Mythenwelt gegeben, ganz gleich, ob seine Sprache am Subjekt oder am Objekt ausgesagter Handlungen orientiert ist?

3. Führt eine Reduktion des Mythos auf Daten biologischer Befindlichkeit notwendig in die Enttäuschung über seine Durchschaubarkeit? Wächst gar diese Enttäuschung, wenn Mythos mehr ist als ein beiläufiges Paradigma religiöser Rede, nämlich literarischer Prototyp zumindest für eine Religion der persönlichen Gottheit? Und steigert sich die Enttäuschung für den Christen nicht zum Unerträglichen, wenn Mythos als Prototyp einer Religion der persönlichen Gottheit zum hermeneutischen Horizont der Offenbarung Gottes in der Person Jesu Christi wird 6 6 ? Ein in seinem Funktionenzusammenhang durchschauter literarischer oder gesellschaftlicher »Mechanismus« pflegt seine Wirksamkeit einzubüßen, weil dem Durchschauenden offenbar die Energie ausgeht, die er vorher ohne Bewußtsein von dem, was er tut, für das Funktionieren dieses Mechanismus investiert hat; die Aufklärung über einen geistigen Funktionenzusammenhang scheint, gleichsam nach dem Entropiemodell, zu einem Schwinden der differenzierten Struktur zu führen, über die aufgeklärt wird, und dabei irreversibel zu einem Zustand größerer Wahrscheinlichkeit, d. h. zu geistiger Unordnung überzuleiten. Insbesondere die Analyse von literarischen Gattungsfunktionen raubt dem Aussagen und dem Ausgesagten ihre Zeichenkraft: ein als Mythos durchschauter Text deutet nichts mehr; ebenso wenig besagt diejenige Wirklichkeit noch etwas, der der mythische Text einmal Sprache verlieh. Führt das Mißtrauen des Reduktionisten, der nur profane Motive gelten läßt, also zu einer Stillegung von Mythos und Religion 67 ? Betreibt die Verwissenschaftlichung des Textumgangs das Geküle virtualiter cogitantia, der Möglichkeit nach bewußt. Aber die Vermittlung vom abstrakt Möglichen, das erst im Rückblick erkannt wird, zum aktual Möglichen braucht im realen Vollzug Milliarden Jahre« (Der Garten des Menschlichen, 2 1 9 8 0 , 436/7). 66

Vgl. dazu Vf., ZThK 80, 2 0 - 2 5 . Für ein integrales Verhältnis von Religionsgeschichte und »Heilsgeschichte« ist jüngst auch W. Pannenberg, Weltgeschichte und Heilsgeschichte, FS G. von Rad, 1971, 3 4 9 - 6 6 , bes. 362ff., eingetreten, wobei er römisch-katholische Entwürfe (K. Rahner, A. Darlapp) aufnimmt.

67

Auch eine ästhetische Wertung des Mythos wäre unter dem Diktat einer solchen Reduktion nicht möglich: das ästhetische Abbild der Wirklichkeit, das der Mythos als Dichtung allenfalls verwirklicht, verlöre jede Zeichenkraft für die Wirklichkeit selbst, konstituierte allen-

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D a s Motiv für die Sintflut

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schäft des Nihilismus, indem sie die Texte aus »Dialektik der Aufklärung« ihrer Deutungsfunktion beraubt 6 8 ? Oder ist die in Mythos und Religion investierte Energie von einer solchen Konstanz, daß ihre biologische Reduktion eher umgekehrt von der Unablösbarkeit des mythisch-religiösen Bedürfnisses zu überzeugen vermöchte? Auch das grammatische Verhalten des kompetenten Sprechers einer Sprache wird ja nicht außer Kraft gesetzt, sobald sich dieser von N. Chomsky darüber belehren läßt, daß das Programm für logisches Sprechen stammesgeschichtlich entstanden und erblich festgelegt ist 69 . Freilich geschieht grammatisches Verhalten, anders als religiöses, nicht aufgrund von dynamisierender Betroffenheit durch die betr. Inhalte. Kann aber die Betroffenheit durch mythisch-religiöse Inhalte — abgesehen von der Frage, ob biologisch bedingte religiöse Funktionen ablösbar sind — am Ende in einer zweiten, nachkritischen Naivität wiedergewonnen werden, die als den Grund staunender Betroffenheit neben den analysierten Inhalten zugleich das Analyseergebnis einbezieht, da es seinerseits eine quasi-religiöse Emotion weckt? Welche ist dann die hermeneutische Funktion der Mythenarcalyse? IV. 1. Wir bemerkten schon beiläufig, daß eine biologisch-anthropologische Reduktion mythisch-religiösen Erkennens zugleich ein allgemein-erkenntnistheoretisches Problem aufgibt: ist nicht auch außerreligiöse Wahrheit als adaequatio rei et intellectus aus der Angepaßtheit des Menschen an seine ökologischen Lebensumstände 7 0 bzw. aus der Anpassung der Lebensumstände an das menschliche Bedürfnis zu interpretieren? Hat nicht gerade das naturwissenschaftliche Denken in seiner Ausrichtung auf technische Weltveränderung das Idealziel einer gegenseitigen Integration von Mensch und Natur, wie groß dabei auch immer das Mißverständnis des eigenen Bedürfnisses, das Verfehlen des Menschgemäßen im Fabrizieren einer nur scheinbar menschgemäßen Eigenwelt sein mag? Und tritt der Mensch nicht

falls eine auf sich gestellte, von der Realität isolierte Sonderwelt, die in ihrem Funktionenzusammenhang sozusagen wie ein perpetuum mobile rotierte. 68

Freilich wirkt sich die Dialektik der Aufklärung auch am Metadenken des Wissenschaftstheoretikers aus: ist nicht die reduktive Disposition, die in den Nihilismus treibt, mit der »Eigenwelt« (vgl. Anm. 62) des Wissenschaftlers gegeben? Welcher ist der erkenntnistheoretische Ort einer Metasubjektivität, die das Wissenschaftsgeschäft des Subjekts entzaubert, indem sie es einer »höheren« Funktionalität überführt?

69

Vgl. etwa: Sprache und Geist, 1970; ferner Ε. H . Lenneberg, Biological Foundations of Language, N e w York 1 9 6 7 (deutsch: Biologische Grundlagen der Sprache, 1977), Κ. Lorenz, Die Rückseite des Spiegels. Versuch einer Naturgeschichte menschlichen Erkennens, 3

70

1 9 7 3 , 2 4 2 f f . , bes. 2 4 8 . 3 0 3 .

Vgl. von Weizsäcker, a . a . O . , 2 2 0 - 3 5 .

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D a s Motiv für die Sintflut

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auch im naturwissenschaftlich-technischen Integrationsprozeß als Glied in die Kette des Organischen zurück, sofern etwa, wie K. Lorenz es positivistisch formuliert hat, »das Prinzip von Versuch und Irrtum, das im stammesgeschichtlichen Werden die Form von Erbänderung und Selektion annimmt, . . . sich auf der höheren Integrationsebene des menschlichen Erkenntnisstrebens als Hypothesenbildung und Falsifikation« wiederfindet 7 1 ? Ob man den weitgehenden Thesen von Lorenz über den menschlichen Erkenntnisprozeß als Fortsetzung der Evolution bzw. seiner Interpretation der selektionsgünstigen Erbänderungen als Aufnahmen neuer Umweltinformationen in Organismen folgt oder nicht — auch im wissenschaftlichen Erkenntnisprozeß ist das Subjekt Mensch, das darin einen Ausgleich zwischen sich und der organischen wie anorganischen Natur sucht, zugleich Exponent des außermenschlichen Lebens und selbst des Seienden überhaupt, dem das Leben als dem Horizont seiner Bedingtheit gleichsam aufliegt. Das Erkennen nimmt eine transsubjektive Dimension an, wobei die Grenze eines transzendentalen Subjektivismus nicht nur über das denkende Individuum, sondern über das Humanum auszuweiten ist. Die Mythenanalyse und eine Theorie naturwissenschaftlichen Erkennens hätten nun geradezu die Funktion, einen individuellen oder auch nur human-rationalen Subjektivismus aufzulösen: die res cogitans ginge, da eine funktionale Erklärung sie als Instrument des Überlebenswillen deutet, in der res extensa auf; auch die res cogitans wäre Teil einer zumindest das Reich des Organischen durchwaltenden Selbstreproduktion, deren circulus vitiosus offenbar nicht einmal durch das Metawissen von der Funktionalität des Denkens verlassen würde. Dagegen läge in einem solchem Metawissen das Ende der abendländisch-aufklärerischen Transzendentalphilosophie. - Die Sintfluterzählung, als deren »wahrhaft existenzielle(s) Thema« für die AtramhaslsFassung W. Burkert das »Überleben im Verderben« benannt hat 7 2 , hätte insofern eine für den Mythos wie für das Erkennen überhaupt bedeutungsvolle Zeichenkraft: führt das Metawissen aus funktionaler Erkenntnistheorie nicht lediglich auf einen actus purus des Überlebenswillens und der Selbstreproduktion? 2. D a s faktische Gelingen der dem menschlichen Erkennen zugrundeliegenden Uberlebensstrategien und Reproduktionshandlungen — mögen die intellektuellen Mittel zur Anpassung an die Realität und zu deren Assimilation mythische oder wissenschaftliche sein - könnte auf einer Systemlogik beruhen, für deren Funktionieren der minimale Wirklichkeitsausschnitt einer jeweiligen Eigenwelt des »Subjekts« genügt, die für das außermenschliche Wirklichkeitsganze fast ohne Signifikanz wäre. Die hinter der Transzendentalphilosophie I. Kants

71

Die Vorstellung einer zweckgerichteten Weltordnung, in: I. Eibl-Eibesfeldt (ed.), Konrad Lorenz. D a s Wirkungsgefüge der Natur und das Schicksal des Menschen. Gesammelte Arbeiten, 1978, 2 4 - 3 5 , bes. 34.

72

a . a . O . , 72.

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Das Motiv für die Sintflut

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lauernde Skepsis ließe sich auch evolutionstheoretisch nicht widerlegen: die »Subjektivität« unserer stammesgeschichtlichen Vorfahren könnte selektionsgünstigen »Irrtümern« unterworfen sein. Die transsubjektiven Eigenwelten in ihrer Mannigfaltigkeit und ihrem wechselseitigen Widerspruch aber ständen dann für die Begrenztheit desjenigen Seienden, das mittels des Menschen gleichsam zum Bewußtsein seiner selbst kommt.

3. Die hermeneutische Funktion der Mythenanalyse ist es am Ende, aus der Transzendentalanalyse, die an sie anschließt, vor die Transzendenz zu führen. Werden aber Begriff und Anschauung Gottes — wenn wir den Blick vom naturwissenschaftlichen zum mythisch-religiösen Erkennen zurücklenken — unter den dargelegten Voraussetzungen nicht ebenfalls zum lebensphilosophischen Inbegriff von Überlebenswillen und organischer Selbstreproduktion bzw. einer sich darin meldenden Selbstverständigung des Seienden? Hätte aber ein solcher Inbegriff überhaupt noch theologische Relevanz, wenn man ihn an der mythischen Anschauung des personhaften Gottes mißt, wie sie in der jüdisch-christlichen Überlieferung fortlebt? Oder wird die christliche Theologie nur noch einmal in einem antiaufklärerischen Affekt bestärkt, der den »Gott der Philosophen« vom Gott der Bibel prinzipiell zu unterscheiden fordert — auch um den Preis eines immer größer werdenden Wirklichkeitsverlusts theologischer Positionen in einer vom naturwissenschaftlichen Denken bestimmten Geisteswelt?

Da sich ein transzendentaler Subjektivismus d. h. die einseitige Begründung der Möglichkeit von Erfahrung aus der Rationalität des individuellen Menschen — angesichts der Funktionalität des Erkennens bei der Selbstreproduktion des Organischen — offenbar nicht durchhalten läßt, wäre als das transzendente Subjekt einer Selbstverständigung des Seienden, von der die Selbstreproduktion des Organischen ein Teil ist, schließlich Gott zu benennen. Um ein transzendentes Subjekt, nicht um den bloßen Inbegriff einer immanenzbezogenen Begriffssetzung, handelt es sich dabei insofern, als das Seiende, eine immanente Es-Größe, in der Selbstverständigung jedenfalls sich selbst transzendiert. Da Verstehen nach den uns zugänglichen Vorstellungen einen personalen Träger voraussetzt, wird darüber hinaus einer mythischen Anschauungsstruktur Recht gegeben, die sich Gott als Subjekt einer Selbstverständigung des Seienden personhaft vorstellt; eine zweite, nachkritische Naivität mythischer Anschauung weiß freilich, daß eine solche Vorstellung der Personhaftigkeit Gottes lediglich metaphorisch ist. Natürlich kann in der Namhaftmachung Gottes als des Subjekts einer Selbstverständigung des Seienden nicht zugleich eine Garantie für die Wahrheit des vom einzelnen Menschen Erkannten liegen; vielmehr wird die Glaubenserkenntnis im ganzen, wenn sie aus nachkritischer Naivität erfolgt, sich des metaphorischen Charakters ihrer Inhalte bewußt sein müssen. Da aber die Selbstverständigung des Seienden, als deren transzendentpersonhaftes Subjekt wir Gott benennen, zugleich mittels des Menschen geschieht, ist einem christlich-theologischen Verständnis der Ansatzpunkt für eine christologische Dimension dieses Selbstverständigungsprozesses gege-

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ben 7 3 , ein Gesichtspunkt, für dessen weitere Entfaltung hier nicht der Ort ist. - Die alttestamentliche Wissenschaft kann jedenfalls, gerade wenn sie sich als theologische Disziplin versteht, durch Integration außerdisziplinärer, auch naturwissenschaftlicher Fragen in die auch ihr aufgegebene Theoriebildung nur an Sachgemäßheit und Relevanz gewinnen; Theologie hat es in jeder ihrer Einzeldisziplinen mit dem Ganzen der Wirklichkeit zu tun. Dem unzureichend motivierten Schuldvorwurf an den Menschen Gen 6,5 — 8 J und 11 - 1 3 Ρ entspricht es, daß schon die altbabylonischen Sintfluterzählungen sich als Antimythen zur Erzählung von der Menschenschöpfung begreifen lassen: lebensfreundlichen Göttern, die u. a. den Menschen schufen, stehen daseinsfeindliche gegenüber, die zum Chaotischen zurückstreben; nur zögernd wird menschliches Verschulden benannt, um für die Chaosdrohung ein Theodizee-Motiv zu finden. Für eine Theorie des Mythos folgt daraus, daß sich in Mythos und Antimythos die Zweideutigkeit widerspiegelt, der u. a. die Beheimatung des Menschen in seiner biologischen Umwelt unterliegt; trägt Mythos zur Produktion eines menschlichen Lebensraumes bei, so folgt er einem ethologischen Verhaltensmuster, dessen »Subjekt« den Bereich humaner Rationalität übergreift. Gott bringt sich mittels des Menschen als transzendentes Subjekt einer Selbstverständigung des Seienden zur Sprache, die dem Mythos bleibende, wenn auch gebrochene Geltung sichert.

73

Vgl. dazu vorläufig wieder Vf., ZThK 80, 2 0 - 2 5 . Ist Mythos als literarischer Prototyp für eine Religion des persönlichen Gottes der hermeneutische Horizont der Christologie, so wird aus der menschgemäßen Wirklichkeitsvermittlung, die der Mythos leistet, soteriologisch eine iustificatio mundi, die sich mit der iustificatio impii verbindet. Dieser im soteriologischen Denken des Westens weithin fehlende Topos hat in der osteuropäischen theologischen Lehrbildung, auch in der russischen Religionsphilosophie, etwa bei S. N. Bulgakow ( 1 8 7 1 - 1 9 4 4 ) , reichere Ausprägung gefunden; aber auch an P. Teilhard de Chardin sei erinnert.

NACHTRAG Zu Anm. 3 wäre jetzt auch auf meinen S. 188 - 219 wieder abgedruckten Artikel „Mythos und Kerygma. Anthropologische und theologische Aspekte" zu verweisen. - Die in Anm. 6 angekündigte Rezension ist in W Z K M 77, 1987, 179 - 1 8 2 , erschienen.

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Babylonischer und biblischer M y t h o s von Menschenschöpfung und Sintflut Ein Paradigma zur Frage nach dem Recht mythischer Rede

Als A. R. Miliard und W. G. Lambert im Jahre 1965 ihre Kopien zweier altbabylonischer Tafeln zum Mythos von AtramhasTs und der Sintflut veröffentlichten 1 , war seit langem bekannt, daß es außerhalb der Bibel, sowohl in Mesopotamien als auch in der übrigen Welt, Mythen von der Menschenschöpfung einerseits und gegenläufige Mythen von der Sintflut andererseits gab 2 ; ja, es existierte bereits eine umfangreiche Literatur zu der Frage, welche meteorologischen oder geophysikalischen Bedingungen zu einer Flut geführt haben könnten 3 , die beinahe auf der ganzen Welt, selbst in Hochregionen wie Mexiko, ihre erzählerischen Spuren hinterlassen hat. Was aber neu war und 1969 beim Erscheinen von Umschrift, Ubersetzung und Kommentierung aus der Feder der gleichen Autoren 4 sofort die Aufmerksamkeit von Alttestamentlern erregte, war die Tatsache, daß Menschenschöpfung und Sintflut, Mythos und Antimythos mithin, hier wie beim Jahwisten (J) - und, wenn man vom Ersatz der Menschenschöpfung durch die Weltschöpfung absieht, auch wie bei der Priesterschrift (P) - in einem komplementären Verhältnis, in einer Beziehung gegenseitiger Bedingung und Aufhebung stehen 5 . Menschenschöpfung und Sintflut bilden schon im altbabylonischen Mythos von AtramhasTs das Gerüst einer „Urgeschichte", die der Geschichte gegenübersteht - zwar nicht einer erzählten Heilsgeschichte wie bei J und P, wohl aber einer geschichtlichen Gegenwart, die von der Urgeschichte, wie sie der Mythos kennt, Begründung und N o r m erfährt; die Sumerische Königsliste vermittelt darüber hinaus, indem sie K ö n i g e vor der Flut von Königen nach der Flut unterscheidet 6 , Urgeschichte und Geschichte auch literarisch in ähnlicher Weise, wie es J und Ρ mit Hilfe von Genealogien und Völkertafeln tun.

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B a b y l o n i s c h e r u n d biblischer M y t h o s

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Die Sintfluterzählung um Atramhasls hat weitgehende innermesopotamische Parallelen in dem etwa gleichzeitigen, vielleicht jüngeren sumerischen Sintflutmythos um Ziusudra, den M . Civil ebenfalls 1969, im gleichen Band zusammen mit Lambert und Miliard, neu bearbeitete 7 , und auf der 11. Tafel des um einige Jahrhunderte späteren Gilgamesch-Epos, hier als Erzählung des überlebenden Utnapischtim an den bekannten Sagenhelden 8 . Der sumerischen Fassung fehlt der Tafelanfang, so daß wir nur aus dem Zusammenhang erraten können, wie Menschenschöpfung und Flut auch hier komplementär zusammenhängen'; die sumerische und die Gilgamesch-Fassung fügen der Rettung des Sintfluthelden, anders als im Falle des Atramhasls, dessen Apotheose hinzu. In der Gilgamesch-Fassung dagegen fehlt jede Beziehung der Sintflut zur Menschenschöpfung, weil der gerettete Utnapischtim lediglich erklären will, wie er zu den Göttern erhöht, d. h. mit der Unsterblichkeit beschenkt wurde. - Neben den Sintfluterzählungen von Atramhasls, Ziusudra und Utnapischtim, die trotz der genannten Differenzen nicht nur untereinander weithin parallellaufen, sondern auch mit den Sintfluterzählungen bei J und Ρ bis in Einzelheiten vergleichbar sind, gibt es in Babylonien aber noch eine ganz anders gestaltete Sintflutüberlieferung, die - außer in einer beiläufigen Anspielung der sumerischen Sage von Enmerkar und dem Herrn von Aratta 1 0 und in kleineren Texten - in der 1983 von J. van Dijk bearbeiteten sumerisch-akkadischen Bilingue LUGAL UD M E . L Ä M - b i NIR.GÄL vorliegt 11 : hier setzt der kriegerische Gott Ninurta die Sintflut gegen den dämonischen Asakku ein; dazu wird wie in der Anspielung bei ,Enmerkar und der H e r r n von Aratta' der Fortbestand der Menschheit nach der Flut nicht durch die Rettung eines einzelnen, sondern durch eine Art Neuschöpfung bewirkt. D e r heutige Vortrag stellt sich die A u f g a b e , ( l a . 2 a ) d e n M y t h o s v o n Atramhasls z u interpretieren und ihn ( l b ) mit der M e n s c h e n s c h ö p f u n g s - u n d (2b) Sintfluterzählung G e n 1 f.; 6 - 9 , insbesondere mit d e n jahwistischen G e s c h i c h t e n v o n A d a m u n d N o a h , z u vergleichen. V o r allem g e h t es dabei (3) u m eine B e g r ü n d u n g des Rechts und der W a h r h e i t mythischer R e d e , w e l c h e r G a t t u n g s o w o h l die genannten b a b y l o n i s c h e n S i n t f l u t e r z ä h l u n g e n w i e die entsprechenden biblischen T e x t e angehören; diese B e g r ü n d u n g geschieht (a) in einem anthropol o g i s c h - n a t u r w i s s e n s c h a f t l i c h e n ( h u m a n b i o l o g i s c h e n ) H o r i z o n t , ins o f e r n mythische Wirklichkeitsassimilation einer auch biologisch u m s c h r i e b e n e n c o n d i t i o h u m a n a entsprechen m u ß , u n d (b) in einem t h e o l o g i s c h - h e i l s g e s c h i c h t l i c h e n H o r i z o n t , da M y t h o s nach der Bibel nur in der B r e c h u n g durch ein religiöses Geschichtsbewußtsein, vor allem aber in der A u f h e b u n g durch die e r l ö s e n d e Selbstoffenbarung G o t t e s in Christus a n g e e i g n e t w e r d e n kann.

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Babylonischer u n d biblischer M y t h o s

1. Die

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Menschenschöpfung

a) Nach dem altbabylonischen Mythos von Atramhasxs geschieht schon die Menschenschöpfung, um einen Konflikt zwischen den Göttern zu beheben: der Beschluß, den Menschen zu bilden, soll Spannungen neutralisieren, die sich aus der Differenzierung der Götterwelt bei gleichzeitigem Mangel an Souveränität auch der großen Götter ergeben; der Mythos legitimiert das Dasein des Menschen, indem er eine Lösung des Götterkonflikts, aus der dieses Dasein hervorging, erzählend wiederholt. Im einzelnen stellt sich das so dar: „Als die Götter (auch noch) Mensch waren" (I l) 12 , d . h . dessen spätere Rolle mit übernehmen mußten, waren die Arbeiten unter ihnen ungleich verteilt: die offenbar größere Göttergruppe der Anunnaku lastete den Igigu den Bau der Flüsse und Kanäle auf, die das Leben in Mesopotamien ermöglichten (5 f. 13 19 ff.), bis die Igigu sich gegen Enlil, das faktische Haupt des Pantheons, empörten (39ff.). Wie wenig selbst Enlil über den Handlungsraum verfügt, zeigt der köstliche Zug, daß nicht einmal das empörte „Geschrei" (rigma 77) der ausgebeuteten Götterkaste genügt, ihn aus einem Schlaf zu wecken, an den er auch in einer späteren Entscheidungsstunde mit verhängnisvoller Leidenschaft hingegeben ist; sein Minister Nusku muß den Ermüdeten wecken, nachdem ein anderer Gott das T o r verschlossen und Nusku selbst aus dem Schlaf gerissen hatte (74 ff.). Enlil gerät darauf in Furcht, wie sie gegenüber anderen Göttern als seinen Kindern unangemessen ist (93-96). Der Himmelsgott Anu und Enki, der weise König der Wassertiefe, werden gerufen, um mit den Anunnaku Ratsversammlung zu halten (97 ff.). Nusku wird hinaus zu den Rebellen geschickt, wo er sich auf eine Weise legitimiert, die wir auch sonst von den Emissären königlicher oder himmlischer Ratsversammlungen, von den durch Ea oder einen anderen großen Gott gegen einen Dämon ausgesandten Beschwörungspriestern und schließlich aus der Berufungserzählung des Propheten Jes 6,8 f. kennen (136 ff. 14 ). Nusku kann einen Kompromiß vermitteln, nachdem bei Enlil die Tränen flössen und er am Anfang einer leider abgebrochenen Textstelle die Absicht verlauten ließ, sich amtsmüde zu Anu in den Himmel zurückzuziehen, d. h. die Rolle eines deus otiosus anzunehmen (153 ff.): Belit-ili, „der Mutterleib", zugleich „die Hebamme der Götter, die weise Mami" - oder mit

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Babylonischer und biblischer M y t h o s

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älterem Namen: Nintu - (I 189.193.198) soll mit Hilfe Enkis einen Urmenschen schaffen, „ . . . daß er das J o c h auf sich nehme. Er nehme das J o c h auf sich, das Werk des Enlil, den T r a g k o r b des Gottes trage der M e n s c h " (195-197). D a z u freilich muß ein Gott geschlachtet werden, nämlich Gestu'e, „der Verstand (Planungsfähigkeit) hat", damit der Lehm, aus dem der Mensch werden soll, mit seinem Fleisch und Blut überschüttet werde; schließlich sollen die Igigu, Nutznießer der ganzen Aktion, auf den Lehm spucken (208-234). S o fordert nicht nur alles Außerordentliche sein Blutopfer: die Menschen werden auch zu Fleisch- und Blutsverwandten der Götter, speziell zu Nachfahren eines Gottes, dessen Planungsfähigkeit die zum Leben in einer Hochzivilisation nötige Intelligenz an den Menschen vermittelt. - Dennoch scheint der Mensch nicht auf den ersten Wurf hin zu gelingen; gerade um das proprium humanum zu entwickeln, bedarf es eines zweiten göttlichen Anlaufs. D e r von der Muttergöttin erschaffene Urmensch wird, obwohl aus dem Fleisch der Götter, zunächst nur ein edimmu, was offenbar „einfältig, schwerfällig" bedeutet (215.217.228.230) 1 5 ; wodurch der Urmensch (lullü) danach zum Vollmenschen (awilum) wird, bleibt freilich offen, da der T e x t Lücken aufweist 1 6 . Schließlich werden f ü r den Menschen neue Hacken und Spaten geschaffen (337), weil die früheren samt den T r a g k ö r b e n während des Aufruhrs der Igigu verbrannt worden waren. U n d das ist nun die Rolle des Menschen: „Große Kanaldeiche schufen sie f ü r die Hungerstillung der Menschen, die N a h r u n g [der Götter]" (338 f.). b) Obwohl der nacherzählte Mythos schon durch seinen bunt-monströsen, z . T . burlesken Handlungsablauf von Gen 2 , 4 b f f . absticht, lassen sich motivische Entsprechungen aufzeigen, die beide Menschenschöpfungserzählungen als Paradigmen der Gattung Mythos und vor allem als Früchte des gleichen altorientalischen Kulturbaums ausweisen. D e m Lehm, aus dem Nintu handwerklich-töpferhaft den Menschen zu formen scheint,.entspricht der „Staub von der Erde", aus dem J H W H den Menschen bildet (2,7); freilich ist Staub eine we-

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niger vornehme H e r k u n f t als Lehm, wenn er dazu noch mit Götterfleisch und -blut überschüttet wird. Hinzu kommt im AtramhaslsMythos die damit nicht ausgeglichene Vorstellung von der Schöpfung als primordialer Geburt im 10. M o n a t einer Schwangerschaft, bei der Nintu neben der Mutterrolle zugleich die einer H e b a m m e spielt (I 277 ff.), womit der Mythos eine Ätiologie konventioneller Geburtsverrichtungen liefert; die S c h ö p f u n g als Geburt ist Gen 2 fremd, fehlt aber im übrigen Alten Testament nicht völlig 1 7 . - Ist die Bestimmung des menschlichen Daseins nach Atramhasls I 339 die Versorgung von Menschen und Göttern, so entspricht dem in Gen 2 , 1 5 das Bauen und Bewahren des Gartens, von dem freilich allein die Menschen leben, in dem der Gott J H W H lediglich wohnt. - Auch nach Gen 2 , 1 8 - 2 4 gelingt der Vollmensch nicht beim ersten göttlichen Versuch: etwas ist an A d a m „nicht gut"; zum Gemeinschaftswesen, das sein proprium ausmacht, wird er erst nach der Begegnung mit den Tieren und vor allem - beim dritten Anlauf - nach der E r s c h a f f u n g der Frau, die A d a m höchst freudig als Gebein von seinem Gebein und Fleisch von seinem Fleische begrüßt. So legitimiert der Mythos an Adam, was endgültig gut ist und bleiben soll. Ahnlich wie im Falle des Enkidu aus dem Gilgamesch-Epos, der freilich nicht der erste Mensch ist 1 8 , wird dabei das proprium humanum in einer Sozialität gesucht, die auf dem Wege der Geschlechtlichkeit gefunden wird; anders als im Gilgamesch-Epos, ebenso wie im Mythos von Atramhasls ist ein erneutes göttliches Handeln nötig, um das proprium humanum zu verwirklichen. - Die N e u s c h a f f u n g von H a c k e und Spaten schließlich erinnert an die Notizen von den Errungenschaften, die die jahwistische Urgeschichte durchziehen ( 3 , 7 b ; 4,2.17.20-22[.26] + 9 , 2 0 ; 1 0 , 8 - 1 2 ; 11,3): hier ist es freilich der Mensch, der die Mittel von Zivilisation und Kultur erfindet, wobei die N ä h e dieser Notizen zu den SchuldStrafe-Erzählungen gleichwohl das gemeinantike Empfinden anzudeuten scheint, daß jedem zivilisatorisch-technischen Fortschritt etwas Frevelhaftes zugrunde liegt. Wichtiger freilich sind die Ubereinstimmungen im Erzählstil und in der für den altorientalischen Mythos typischen Weise der Wirklichkeitsauffassung. Die Welt, die es menschgemäß zu assimilieren gilt, ist vieldeutig und widersprüchlich: speziell die Nötigungen einer Hochzivilisation, f ü r die Kanäle, Spaten und T r a g k ö r b e z u m Symbol werden, führen zu einem Konflikt von Göttern, denen es auch in ih-

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ren Spitzenexemplaren an der vollen Herrschaft über den Handlungsraum fehlt; Gen 2 f. dagegen verlegt den Widerstreit in die Brust des einen und einzigen J H W H , der im Fortgang der Handlung dem Menschen die gottgleich machende Erkenntnis aus selbstbezogenen Erwägungen mißgönnt und ihn, als er sie dennoch erlangt, vom Gottesgarten verjagt, damit er nicht am Ende durch den Genuß des Lebensbaums noch gottgleicher werde. Auf der Ebene der mythischen Wirklichkeitsauffassungen liegt allerdings auch der wichtigste Unterschied zwischen AtramhasTs und Gen 2 f.: der Mensch wird hier nicht zur Ausgleichsinstanz, auf die ein Götterkonflikt abgewälzt wird; so fehlt dem alttestamentlichen Menschen wenigstens derjenige Leidenszug, den die Menschenschöpferin Nintu mit dem „Geschrei" kennzeichnet, das die Götter dem Menschen mit der Auferlegung gleichsam der Weltarbeit bescherten (Atr. I 2 4 0 - 2 4 2 ) . Der Mensch wird nicht dadurch überfordert, daß er gegenüber der Labilität von Götterkosmos und zivilisatorischer Umwelt der stabilere Faktor ist, an dem nun die Aufgabe des Stabilisierens seiner Welt hängenbleibt.

2. Die Sintflut a) Der Götterkonflikt, in dem sich Vieldeutigkeit und Widersprüchlichkeit der Welt spiegeln, ließ sich, so erzählt der Mythos von Atramhasls weiter, durch die Erschaffung des Menschen allenfalls hintanhalten, nicht aber lösen: nun ist es das Lärmen der Menschen, das Enlil in seinem tiefgenossenen Schlaf behelligt; der Notbehelf Mensch, durch den ein in sich gespaltener Götterkosmos stabilisiert werden sollte, schafft selbst einen neuen Konfliktstoff, der das Motiv für die Sintflut bildet. Der Text eröffnet die neue Situation recht einlässig: „[Nicht vergingen 12]00 (?) Jahre, [da wurde das Land immer weiter], die Menschen wurden immer zahlreicher. Das Land lärmt [wie Stiere]; durch [ihr lautes Tun] geriet der Gott in Unruhe. [Enlil hörte] ihr Geschrei;

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[er sprach] zu den großen Göttern: [,Zu lästig wurde mir] das Geschrei der Menschen; [infolge ihres lauten Tuns] entbehre ich den Schlaf'" (352-359)19. Man hat zwar weniger hinter dem akkadischen Allerweltswort rigmum, das in Z. 356.358 mit „Geschrei" übersetzt wird, wohl aber hinter dem seltenen und gewählteren Begriff hubürum, für den in Z. 355.359 „lautes Tun" eintritt, einen Hinweis auf den rebellischen Charakter des menschlichen Lärmens sehen wollen, als setzten die Menschen gleichsam den Aufstand der Igigu mit anderen Mitteln fort; W. von Soden spricht von einem schuldhaften Aspekt ihres „lauten Tuns" wenigstens in dem Sinne, daß die Menschen sich in ihrer Aktivität nicht bescheideten, sondern in falschem Eifer mehr taten, als die Götter ihnen jetzt schon zugestanden 20 . Für eine solche Deutung, die den altbabylonischen Sintflutmythos ähnlich wie dessen beide biblischen Fassungen zugleich als eine Erzählung von Schuld und Strafe erscheinen läßt, in der die Gottheit angesichts der Katastrophe Rechtfertigung findet, kann - im Blick auf den weiteren Zusammenhang - geltend gemacht werden, daß am Ende der Flut die Mahnung Enkis an einen anderen Gott (Enlil ?) ergeht, (hinfort) zu vergeben (III 6:24): „[Dem Schuldigen leg auf deine Strafe! [Auch] jedweder, der dein Wort beiseiteschieben will, [...]" (25f.). Auffällig ist freilich schon, daß die vorletzte Doppelzeile der Dichtung (8: 16/17) nur die Igigu mahnt, auf die „Großtaten" Enlils, die vorangehende Fluterzählung nämlich, zu hören, als ginge die darin liegende Mahnung gegen neuen Aufruhr nur sie21, nicht auch die Menschen etwas an. Der unmittelbare Zusammenhang läßt es vollends als unwahrscheinlich erscheinen, daß das Lärmen der Menschen etwas Aufrührerisches gehabt habe oder auch nur eine unbescheidene Überschreitung der Marge bedeutet hätte, innerhalb deren die Götter den Menschen Gabe und Aufgabe zugewiesen hätten. Der oben zitierte Kontext von rigmum und hubürum, I 352-359, bringt „Geschrei" und „lautes Tun" einerseits mit der Vermehrung der Menschen, die das Land „wie Stiere" lärmen läßt, andererseits mit dem gestörten Schlaf Enlils in Verbindung; beide Vorstellungen aber lassen keineswegs an eine schuldhafte Implikation des Lärmens denken. Die Vermehrung der Menschen führt nicht notwendig zu Aufruhr und hybridem Ubereifer. Für den gestörten Schlaf vollends ist es gleichgültig, welche Motive der Unruhe zugrunde liegen, zumal Enlil und Nusku durch das wirklich revolutionäre Lärmen der Igigu umgekehrt keineswegs um ihren Schlaf gebracht wurden. Zunächst mag mit rigmum und dem parallelen hubürum also einfach das Schreien und Lärmen gemeint sein, mit dem auch im heutigen Orient jede Arbeit begleitet wird. Wenn freilich das „Geschrei" (rigmum), welches die übri-

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gen Götter nach Nintus Beschwerde ihren Menschen mit Mühsal und Tragkorb auferlegt haben (242), eben das „Geschrei" (rigmum) und „laute Tun" {hubürum 358 f.) vorwegnimmt, das nun zu einem neuen Konflikt führt, so ist darüber hinaus allenfalls an eine Konnotation des X/a^egeschreis22 zu denken, womit Enlil belästigt würde. Wäre dagegen aufrührerisches Treiben gemeint - warum wird es dann nicht ähnlich anschaulich geschildert wie vorher der Aufstand der Igigu? Es ist schließlich wohl auch kein Zufall, daß das wirklich rebellische Lärmen der Igigu gerade durch das Allerweltswort rigmum, nicht durch das für eine aufrührerische Spezialbedeutung in Anspruch genommene hubürum bezeichnet wird 23 ; an der Semantik der betr.Vokabeln kann man einen rebellischen Charakter des Lärmens weder in dem einen noch in dem anderen Fall ablesen.

Die Annahme einer schuldhaften Verursachung der Sintflut durch die Menschen hat im Postulat der Gerechtigkeit der beteiligten Götter ihre Voraussetzung. Es ist aber unwahrscheinlich, daß man bei der Interpretation eines altsemitischen Mythos von ihm ausgehen darf. Zwar sind die Götternamen allermeist sumerisch; aber vor allem, wenn die altbabylonische Atramhasls-Fassung des Sintflutmythos stofflich, als mündliche Literatur älter ist als die neusumerische Ziusudra-Fassung 24 , wird man ein Urteil W. von Sodens gerade auf die Götter des Sintflutmythos anwenden dürfen, wonach „die ursprünglich nicht sehr zahlreichen Götter der Semiten . . . vor allem Machtwesen" waren, „mit einem sehr ausgeprägten persönlichen Willen, der sich durchaus nicht immer an ethischen Normen orientierte" 25 ; nur für die Sumerer habe, wie später in der weisheitlichen Gottesauffassung und im Götterbild Homers, über dem persönlichen Willen der einzelnen Gottheiten die unpersönliche Weltordnung gestanden. Ein nicht sittlich normierter Gotteswille aber kann um so eher zum Verderben-Bringenden ausschlagen. Das Problem in der Sintfluterzählung ist nicht das Verschulden des Menschen, sondern der verhängnishafte Mangel an Souveränität von Göttern, deren Willensverwirklichungen dadurch etwas Willkürliches annehmen: nicht beim Menschen liegt die Entfremdung; die von den Göttern repräsentierte Wirklichkeit spricht gegen den Menschen. Schließlich kann man sogar dem ein wenig spekulativen Gedanken nachhängen, daß das Lärmen der Menschen für deren bloßes Dasein steht, das zumindest f ü r einen Teil des Pantheons schon als solches so etwas wie einen schuldhaften Aspekt hat. Mag der Lärm nun als Arbeitsgeräusch oder als Klagegeschrei zu verstehen sein: er zeigt, daß

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der Mensch nur zu Lasten der Götter leben kann, d. h. auf Kosten einer naturhaften Wirklichkeit, die diese Naturgötter repräsentieren 26 , wie denn umgekehrt das Göttliche für den Menschen immer auch eine Last bedeutet. - Was aber ist der Wille dieser Götter, so daß die Menschen, womöglich die Schöpfung überhaupt, für sie zur Last werden können? Man wird beachten müssen, daß Enlil schon beim Aufstand der Igigu Neigung zeigt, zum deus otiosus zu werden. Diese Tendenz scheint nicht einmal auf den Sintflutmythos beschränkt: wenn Enlil bereits in vorsargonischer Zeit ebenso wie im gleichzeitigen Ebla „der Vater der Götter" heißt 27 , so paßt dieses zu einer Hochgottrolle, die allemal mit der des deus otiosus verbunden ist; entsprechend gelten die aufrührerischen Igigu als Enlils Kinder (I 96 u.ö). Hochgötter des semitischen Raums aber zeigen oft paradoxerweise einen schöpfungsfeindlichen Zug: Anu spielt wie Enlil im Mythos meist eine menschenfeindliche Rolle; geradezu von Chaosaffinität kann man sprechen, wenn der ugaritische deus otiosus El im AB-Mythos einer Vorliebe für den anarchischen Jamm zum Nachteile Ba'ls folgt 28 . Steht also hinter dem Schlafbedürfnis des Enlil, da ihm das Lärmen der zahlreich gewordenen Menschen unerträglich ist, das Zurückstreben eines deus otiosus zum Chaotischen, eine Schöpfungsfeindschaft, der die Gestaltenfülle, die Kette der Differenzierungen und Integrationen, welche die Schöpfung ausmacht, grundsätzlich zuwider ist? Tatsächlich hat der Konflikt zwischen göttlichem Schlafbedürfnis und Lärm im babylonischen Weltschöpfungs-Mythos Enüma eliS I 25.38-40.50 eine Parallele 29 : hier liegt das Schlafbedürfnis bei den älteren, eindeutig am Chaos orientierten Gottheiten mit Tiämat an der Spitze: der Lärm (rigmum) dagegen, der als zu den Schöpfungen führend im Sinne dieses Epos ganz und gar nichts T a delnswert-Aufrührerisches hat, geht auf die jüngeren, kosmosbezogenen Götter zurück, an deren Spitze der königliche Marduk treten wird. Zwar spielt Enlil nirgends eine Tiämat-Rolle; er scheint aber bei der Motivation der Flut einer regressiven Tendenz zu folgen, wie sie das Enüma elis in reinerer Ausprägung den chaosbezogenen Gottheiten nachsagt. Sein Schlafbedürfnis ist wie das der Tiämat-Gruppe Symbol für das Zurückstreben in die ungeteilte Einheit, die Traumwelt des Chaos; nicht das Geschrei und Lärmen, sondern der dadurch gestörte Schlaf ist das eigentlich verhängnishafte Symbol der Erzählung. Da im Sintflutmythos aber die Men$chenschöpiun% und die Flut

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komplementär sind, richtet sich Enlils schöpfungsfeindlicher Wille in erster Linie gegen die Menschen. Die Menschenfreundlichkeit Enkis dagegen, dessen List seinen Günstling vor dem Verderben rettet, ist von einer lediglich entgegengesetzten Willkür: Atrambasls ist um nichts besser oder gar weniger aufrührerisch als die anderen. - Noch einmal: die Sintflut ist nach babylonischer Auffassung keine Strafe, sondern ein Verhängnis. Sie geht von der Schöpfungsfeindschaft einzelner Götter aus, die darin einen lebensfeindlichen Aspekt der Wirklichkeit repräsentieren; die Sintflut materialisiert die dunkle Seite der naturhaften Welt, die gegen den Menschen spricht. b) Es erübrigt sich für unseren Zweck, auf weitere Einzelheiten oder auch nur den Fortgang der Atramhasls-Erzählung noch genauer einzugehen 30 . Daß diese die Sintflut durch einen Götterkonflikt motiviert, kann einen bislang kaum erkannten Zug der biblischen Sintfluterzählungen erklären: ihre mangelhafte Motivation als göttliche Strafe. Einerseits sind die biblischen Quellen von der Gerechtigkeit Gottes so durchdrungen, daß sie die Sintflut nur als Strafgericht auffassen können; andererseits fehlt ihnen für die Verschuldung des Menschen in den mesopotamischen Traditionen, von denen sie abhängig sind, eine plausible Stoffvorgabe. So nimmt sich die Schuldzuweisung an den Menschen sowohl bei J wie bei Ρ einigermaßen unanschaulich, ja doktrinär aus: die Erzähler dekretieren eine Bosheit des Menschen von Jugend auf (Gen 6,5-8 J) bzw. die Fülle von Schlechtigkeit und Gewalttat auf der Erde (V. 11-13 P), ohne die betr. Topoi, etwa nach Art der übrigen Erzählungen von Schuld und Strafe bei J, zu veranschaulichen. Entsprechend schlecht begründet ist auch hier die gegenläufige Errettung des einen Gerechten: wir erfahren nicht, worin vor dem Gericht über die vielen der Vorzug Noahs bestanden hätte. Die Verhängnisseite der Wirklichkeit ist nur ganz oberflächlich durch das Postulat göttlicher Gerechtigkeit überdeckt. Die wichtigste Ubereinstimmung zwischen babylonischer und biblischer Sintfluterzählung aber betrifft deren Funktion: hier und dort handelt es sich um Antimythen, die dem, was nicht sein darf, die Legitimation entziehen, d. h. die Wiederholung einer ähnlichen Vernichtung ausschließen - im komplementären Gegensatz zum Mythos von der Menschenschöpfung, der erzählt, was gut ist und daher für immer da sein darf; Atrambasls und sein Gott Enki sind denn auch inso-

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fern mythische Prototypen, als sie das Verhängnis von der Menschheit abzuwenden wissen 31 . Freilich scheinen die wenigen Geretteten durch den Konflikt der Götter, die Instabilität im Pantheon zunächst aufs neue gefährdet: als das Schiff auf einem hohen Berg gelandet und das erste Opfer dargebracht war, rochen die Götter den Duft und versammelten sich, der Versorgung durch Opfer so lange beraubt, wie Fliegen über der Nahrung (III 5: 34 ff.); Enlil dagegen, da er von der List des Enki, den Menschen zu retten, bislang nichts gewußt hat, gerät in Rage, als er die Arche erblickt (6: 5 ff.); Sintflutgegner und Sintflutverursacher unter den Göttern bedecken sich gegenseitig mit Vorwürfen. Danach aber wird die Menschenschöpfung - überflüssigerweise, da es doch Gerettete gibt - wiederholt 32 , obwohl einer unmäßigen Verehrung des Menschen durch Maßnahmen, wie sie Göttern geeignet scheinen 33 , gewehrt wird (6:41 ff.). - Auch auf Seiten des biblischen Gottes läßt die Souveränität zu wünschen übrig: zunächst reut es ihn, den Menschen gemacht zu haben (Gen 6 , 6 a J); dann führt die unveränderliche Bosheit des Menschen, vorher Motiv für die Sintflut, zu dem Entschluß, nie wieder eine Sintflut über die Erde zu bringen ( 8 , 2 0 - 2 2 J). Aber das letzte ist auch hier das Entscheidende. Bei Ρ dient der gleichen Daseinsgarantie der „Bogen in den Wolken" und ein regelrechter „Bund" oder Vertrag, den Gott für den Fortbestand seiner Welt eingeht ( 9 , 8 - 1 7 ) . Menschenschöpfung und Sintflut als komplementäre Erzählungen, Mythos und Antimythos, legitimieren den menschlichen Überlebenswillen in einer verhängniserfüllten Wirklichkeit und damit zugleich den der übrigen Kreaturen.

3. Das Recht mythischer Rede Vor nunmehr 35 Jahren hat E.Jünger, in einem Beitrag zur Festschrift für den 60. Geburtstag M. Heideggers, die Meinung geäußert, „ . . . daß sich die Theologie mitnichten in einem Stand befindet, der es mit dem Nihilismus aufnehmen kann. . . . Weit hoffnungsvoller ist es, daß die Einzelwissenschaften von sich aus zu Bildern vordringen, die einer theologischen Deutung fähig sind - vor allem die Astronomie, die Physik und die Biologie." 3 4 Etwas aggressiver hatte es derselbe Autor schon in seinem Zweiten Pariser Tagebuch formuliert: „Seit

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langem lebt unser Glaube ja f ü r jeden, der Kräfte sehen kann, viel stärker in der Biologie, der Chemie, der Paläontologie, der Astronomie als in den Kirchen" 3 5 ; oder: „Der Christ des 20. Jahrhunderts steht dem Physiker, dem Chemiker oder dem Biologen ersten Ranges näher als dem Christen des neunzehnten." 3 6 - Wäre es also geradezu die Aufgabe des Theologen, das Daseinsrecht von Religion, insbesondere der christlichen als einer f ü r ihn normativen Größe, anthropologisch - und das heißt heute vor allem: naturwissenschaftlich - zu begründen? Dem käme entgegen, daß klassische philosophisch-theologische Fragen und Positionen wie das Wissen um die Aktivität des Subjekts im Erkenntnisvorgang, die Einsicht in eine biologische Funktionalität erkannter Wahrheiten oder das Problem von Determination und Freiheit inzwischen zwar zu naturwissenschaftlichen Themen geworden sind, dort aber zugleich in ihrer philosophischen und theologischen Dignität gewürdigt werden. Hier vor allem auch liegt in einem naturwissenschaftlich orientierten Zeitalter die Ebene interreligiöser Kommunikation. Lassen sich also die Überhänge, die sich in jeder religiösen Aussage gegenüber einer bloßen Realitätsbeschreibung ergeben, fiktioneile Elemente wie die Erzählungen von gegenständlichen Wundern, lassen sie sich aus der Aktivität des Subjekts beim Erkenntnisvorgang begründen? Fügt das Subjekt zur „Wahrheit" einer bloß positivistischen Realadäquanz das Fiktionelle aus eigener Substanz als Paradigma des eigentlich Menschgemäßen hinzu? Läßt sich eine religiöse Wahrheit als Realitäts Verwandlung, als Assimilation des Wirklichen an das dem menschlichen Verstehen Zumutbare gar aus der biologischen Funktionalität erkannter Wahrheiten rechtfertigen, einer Funktionalität dabei, die auch theologisch akzeptabel wäre? Bewährt sich am Ende in der Funktionalität fiktioneller Elemente religiöser Rede die Freiheit des Menschen gegenüber einer naturgesetzlich determinierten Notwendigkeit und somit die Freiheit des Erkennenden gegenüber der bloßen Realität? a) Läßt sich das Recht mythischer Religion in einem anthropologisch-naturwissenschaftlichen Horizont begründen? Die mythische Animatisation der Wirklichkeit ist nämlich keineswegs nur eine beiläufige Funktion religiöser Rede, so daß sie, etwa im Verfolg eines Entmythologisierungsprogramms, durch andere Paradigmen ersetzt werden könnte. Mythische Gestalten erweisen vor allem dadurch ihr bleibendes Recht, daß sie, indem der Mythos seinen Göttern einen

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Willen und ein Schicksal nachsagt, zu der biblischen Zentralvorstellung der personhaften Gottheit beitragen. Sind also gerade sie geeignet, dem Menschen seine Umwelt zur heimatlichen Eigenwelt umzuformen? Entsprechen sie darin einer auch biologisch beschreibbaren conditio humana? So hängt viel, wenn nicht alles daran, ob die mythische Gestaltung der Wirklichkeit sich vor einer pragmatischen Ethik legitimieren läßt. Die Legitimation mythisch-religiöser Wahrheit ist auch ein eminent geisteswissenschaftliches Anliegen. - Aufgabe der Geisteswissenschaft ist es dabei zunächst, die Bedingungen dessen aufzuzeigen, was in der Geistesgeschichte u.a. als religiöse Wahrheit zum Bewußtsein kommt; mit der Naturwissenschaft verbindet es sie, wenn sie Regeln aufzeigt, die sich bei der Genese der Wahrheitsinhalte auswirken. Zwar sind die Bedingungen jeweiligen Wahrheitsbewußtseins zunächst historischer Art, wozu - in einem derzeit freilich oft überschätzten Maße - auch sozio-ökonomische Faktoren gehören; historische Ursachen aber werden mit ihren geistesgeschichtlichen Wirkungen ebenso wie geistesgeschichtliche Ursachen mit ihren sozioökonomischen Wirkungen nach einem relativ zeitunabhängigen Regelsystem vermittelt, das in den Bereich der biologischen Konstituenten des Mensch-Seins gehört 37 . Es geht im Grunde um zweierlei Wechselbeziehungen: um die geisteswissenschaftliche von außerreligiösen und religiösen Faktoren sowie um die Geistes- und Naturwissenschaft zugleich beschäftigende Wechselbeziehung von geschichtlichem Wandel und biologisch bedingter relativer Konstanz des Menschlichen. Gelingt es nun, die religiösen Faktoren innerhalb einer schöpferischen Wirklichkeitsinterpretation, wie sie sich jeweils ereignet, auf biologische Bedingungen des Mensch-Seins zu beziehen 38 , so mag sich zwar daraus oberflächlich ein Enttäuschungserlebnis ergeben: man versteht die Beziehung reduktiv, als sei, was an religiöser Wirklichkeitsinterpretation vor uns steht, nur Paradigma einer sprachlichen Verstellung zwecks besserer Naturbeherrschung 39 ; gerade eine solche Reduktion könnte auf jenen Nihilismus zutreiben, in dem uns die naturwissenschaftlich orientierten Entzauberungen des Humanums in der Tat zurückzulassen pflegen. - Zuletzt aber würde ein solches Enttäuschungerlebnis nur wirksam bleiben, wenn die biologischen Bedingungen des Mensch-Seins und die aus ihnen erwachsenden Bedürfnisse durch wissenschaftliche Objektivation um

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ihre Wirksamkeit gebracht werden könnten, so wie ephemere geschichtliche Autoritäten, politische Ideologien u.a., ihre Faszination verlieren, wenn der psychosoziale Funktionenmechanismus durchschaut wird, der ihre Suggestivkraft bewirkt. Biologische Bedürfnisse jedoch sind nicht wie geschichtlich-politische Ideen, die sich als Lebensstoffe ohnehin schnell verbrauchen, durch Einsicht in ihre Interessen einfach auflösbar; sie unterliegen keineswegs den Entscheidungen des einzelnen und werden auch von dessen Einsichten fast nicht beeinflußt. Insofern kann Geisteswissenschaft ihrem Anliegen, mythisch-religiöse Wahrheit zu legitimieren, gerade um so eher genügen, je stärker sie die biologischen Bedingungen des Geistes berücksichtigt. Eine anthropologisch-naturwissenschaftliche Begründung des Rechts von Mythos und Religion vollends würde, wenn sie gelingt, zugleich das einfühlende Verstehen in vergangene Wirklichkeitsinterpretationen rechtfertigen: die Konstanz eines biologischen Bedürfnisses würde über Kulturgrenzen und weite Zeitstrecken hinweg ein Verstehen religiöser Sinngebungen ermöglichen und dem einmal Gültigen bleibende Normativität sichern; entsprechend gelingt die Vergegenwärtigung elementarer mythischer Vorstellungen auch erfahrungsgemäß, wozu wahrscheinlich noch deren archetypische Wertbesetzung, die Dichte der Erfahrungssubstanz in gemeinmenschlichen Bildern40 beiträgt. Offenbar gibt es Bilder von humanbiologisch bedingter Verbindlichkeit, die der Mensch darum nur unter gleichzeitigem Verlust seiner Humanität einbüßt41. Sollte also in einer pragmatischen Auffassung religiöser Literatur, da sie ohnehin die heimliche Ideologie aller Formgeschichte ist, nicht ein eminent geisteswissenschaftlicher Gewinn liegen? Natürlich ist es nun das Hauptproblem, wie sich das Recht von Mythos und Religion anthropologisch-naturwissenschaftlich begründen läßt und ob für dieses universale Recht, wenn man es dann erweisen kann, die biblische Botschaft von Menschenschöpfung und Sintflut paradigmatisch ist. Für die gottheitlichen Gegner des Menschen im Mythos von Atramhasls ist schon das bloße menschliche Dasein ein Anstoß, weil Götter wie Enlil einen lebens- und menschenfeindlichen Aspekt der Wirklichkeit repräsentieren, der das organische Dasein nun einmal ständig bedroht und in die Leblosigkeit des anorganischen zurückziehen will; dies aber hat seinerseits zur Folge, daß die Individuationen

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des Lebens sich einen von allen erkämpften Lebensraum gegenseitig aufs rücksichtsloseste streitig machen. Der leblose Kosmos will insoweit zurück zum Schlaf des Chaotisch-Anarchischen und Ungestalteten, zur ungeteilten Einheit. Auch der Widerspruch in J H W H , wenn es ihn „gereut, daß er den Menschen auf der Erde gemacht hat" (Gen 6,6a), repräsentiert diese Ambivalenz der Wirklichkeit, die Leben will und auch wieder nicht will. Letztlich steht schon die Vielzahl und Mannigfaltigkeit der mythischen Götter, die doch die Dynamik mythischer Erzählungen ausmacht, für den Widerspruch einer Welt, die Leben und menschliches Dasein nur unter Spannungen in sich beheimatet. Was philosophisch als Theodizeeproblem artikuliert wird, das Sinnraubende an der Realität des Übels, wird von der Dialektik von Mythos und Antimythos, ja von der Spannung, auf der die mythische Erzählung schon als solche beruht, sogleich aufgefangen. Gleichwohl kann die Umwelt nicht umhin, dem Leben und Mensch-Sein, wie man modisch sagt, eine Nische einzuräumen; entsprechend dient selbst der Antimythos von der Flut, gleichsam mit zweimaligem Vorzeichenwechsel, derselben Daseinslegitimation wie der Mythos von der Menschenschöpfung. Die in ihrem Verhältnis zu Leben und Mensch-Sein ambivalente Wirklichkeit wird im menschlichen Lebensinteresse assimiliert. Im religiösen Mythos artikulieren sich unbewußt die Entschlüsse der menschlichen Gattung, die der moderne Interpret ins Bewußtsein erhebt und in ihrem Interesse durchschaut: der Mensch nämlich wird durch die mythisch-religiöse Daseinsinterpretation aus einem bloß angepaßten Produkt seines Lebensraums zumindest teilweise zu dessen Produzenten; schon insofern unterwirft er seinen Lebensraum den eigenen Bedürfnissen, macht er die Umwelt zu seiner Eigenwelt gemäß dem, was seinem Wesen als zumutbar erscheint. Im Grunde bildet der Mensch gegenüber anderen organischen Gestalten dabei nicht einmal eine Ausnahme: jedes Lebewesen paßt seine Umwelt sich selbst an, verwandelt sie in bescheidenem Maßstab nach einem ihm gemäßen Modell. Die biologische Kondition des Mensch-Seins bedingt also, daß der Mensch auf die Herausforderungen des Lebensfeindlichen, wie die gesamte organische Welt, schöpferisch reagiert. Gerade die mythische Religion aber bereitet die reale Verbesserung menschlicher Lebensbedingungen vor 42 und begleitet sie: der fiktioneile Mehrwert religiöser Wirklichkeitsverwandlung gegenüber einer bloß realitäts-

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adäquaten Beschreibung hat dabei sein Recht an einer vor allem dem Menschen zugemuteten Freiheit assimilatorischen Gestaltungswillens; um seine Umwelt zur Eigenwelt zu verbessern, bedarf er dabei gleichsam eines Uberangebots an Interpretamenten und affektiven Obertönen, mit denen eine weitaus ärmlichere Realität beladen wird 43 . Eine solche anthropologisch-naturwissenschaftliche Begründung des Rechts religiöser Rede verleiht einerseits der diesbezüglichen Erkenntnistheorie einen hohen Grad von Objektivität. Die Interpretation menschlicher Erkenntnishandlungen als Sonderfall organischer Selbstbehauptung stellt andererseits aber die Kategorie des Objektiven auch wieder in Frage: von einer Heterogenität des erkennenden Subjekts gegenüber einer objektiven Wirklichkeit kann nicht die Rede sein, wenn das Erkennen sich in fließendem Übergang aus einer erkennbaren Selbstbehauptung der sich evolutiv entfaltenden organischen Welt ergibt. Das Denken ertappt sich bei einer monistischen Inbrunst, die es ihm schließlich verbietet, sich vom Gedachten zu unterscheiden, weil nun in ganz unvorhergesehener Weise ein Denken, das zugleich beim Subjekt wie beim Objekt seinen Ort hat, zum Gedachten geworden ist. Kann sich die Heterogenität des Erkennenden gegenüber dem Gedachten, um einer Einordnung des Subjekts ins Objekt zu entgehen, auf ein Metadenken des Gedachten zurückziehen? 44 Verbindet sich ein einfühlendes Verstehen in die analysierten Primärwahrheiten mit einem Staunen über die bei der Analyse gefundene Metawahrheit, einem Staunen, das der Wahrheit über die Primärwahrheit wieder eine religiöse Tönung, dem Erkenntnis-„Subjekt" wieder eine Betroffenheit gestattet? Erweist sich der so Betroffene, wenn er auf sich selbst reflektiert, auf einer Metaebene wieder als Subjekt im Gegenüber zu einer Objektwelt, deren Teil freilich er selbst und sein Denken ist? So scheint die Schwäche des hier vorgetragenen Theorems zunächst darin zu liegen, daß es mit der für das abendländische Denken grundlegenden erkenntnistheoretischen Subjekt-Objekt-Trennung unvereinbar ist. Aber erstirbt das Ich nicht allenthalben zum bloßen Fall? Ist die Subjekt-Objekt-Trennung angesichts von Funktionalismus und biologischer Hinterfragung des Mensch-Seins einschließlich des menschlichen Denkens überhaupt noch aufrechtzuerhalten? Elementarer freilich scheint der Schmerz darüber zu sein, daß eine

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humanbiologische Rechtfertigung des Mythischen kein Kriterium zur Beurteilung seines Wahrheitsanspruchs liefert, wenn dieser sich auf eine spezifische Religion oder ihre einzelnen Vorstellungen beziehen soll. Im Gegenteil: entspricht eine einzelne Vorstellung - etwa im Sinne des syllogismus practicus der Scholastik - generell den funktionalen Erwartungen, die sich von der ökologischen Befindlichkeit des Menschen her an die lebensfördernde Kraft der Religion richtet, so verfällt die Unterscheidung von wahr und falsch im einzelnen einer Relativierung, wenn nicht gar der Irrelevanz. Das Erzeugen mythisch-religiöser Modelle verfährt gleichsam mit der Ziellosigkeit genetischer Mutationen, deren Zufälligkeit keine Rücksicht auf einen durch sie gewährten Selektionsvorteil im Auge hat: ob die Mutation ein „Treffer", d.h. im Sinne eines Selektionsvorteils „wahr" ist, entscheidet erst im nachhinein die Selektion selbst. An sich genommen, sind wahr und falsch für mutative Veränderungen wie für Wahrheitssetzungen, wenn beide einer biologischen Selbstbehauptung dienen, inadäquate Kriterien: ihr Wert ist dann nicht ihr Wahrheitsgehalt, sondern ihr Beitrag zum Erfolg im Existenzkampf. - Zeigt sich hier also das theologische Unzureichen einer humanbiologisch-pragmatischen Fragestellung? b) Auch wenn sich das Recht mythischer Religion anthropologisch-naturwissenschaftlich begründen läßt, so bedeutet dies doch noch nicht, daß es auch theologisch, etwa in einem heilsgeschichtlichen Horizont berechtigt wäre. Ist Religion vor einer soteriologisch orientierten Theologie überhaupt legitim? - Der wichtigste Unterschied schon zwischen dem Mythos von AtramhasTs und der jahwistischen Urgeschichte besteht, wie gesagt, darin, daß der zwielichtige, eher düstere Urzeitmythos bei J die Einleitung einer Vor- und Frühgeschichtserzählung, eines Heilsgeschichtsentwurfs ist, dessen Programme in den Ankündigungen an Abraham (Gen 1 2 , 1 - 3 ) und Mose (Ex 3,7 f.) gegeben sind. Christliche Theologie aber ist, sofern sie soteriologisch von Offenbarung redet, nicht oder doch nicht ausschließlich Anthropologie. Funktionalisierungen vollends, wenn sie zur Legitimation mythisch-religiöser Rede vorgenommen werden, stehen dem Anliegen einer Botschaft entgegen, die in Anspruch nimmt, einen Selbstwert schlechthin zu vertreten, der nicht für andere Werte instrumentalisiert werden kann; der heilvoll offenbare Gott ist nicht im Dienste menschlicher Interessen.

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Wäre ein biologisch funktionalisierter Gottesbegriff dagegen nicht lediglich Projektion des actus purus eines natürlichen Uberlebenswillens, Schopenhauers „Urwille" als Ding-an-sich, allenfalls mit positiverer Wertung - ganz abgesehen davon, daß auf diese Weise das Leben zum Zweig eines kosmischen Mechanismus degradiert würde? Leistet eine anthropologische Legitimation mythischer Religion also überhaupt einen offenbarungstheologischen Dienst? Das Problem geht möglicherweise auf eine Scheinfrage zurück. Sofern Theologie Wissenschaft ist, redet sie nämlich nicht von der Offenbarung als solcher, sondern lediglich von dem, was von ihr in der räumlich-zeitlichen Welt wahrnehmbar ist: sie spricht vom Bewußtsein des Menschen, Offenbarung empfangen zu haben; sie reflektiert die menschliche Antwort auf die heilvolle Offenbarung Gottes. Die Antwort des die Offenbarung empfangenden Bewußtseins aber ist wiederum eine religiöse; sie bedient sich der Vorstellungs- und Verhaltensmuster der altorientalischen, speziell der kanaanäischen Religionen, mit der sich die Offenbarungsreligion der Bibel auseinandersetzen mußte, um ihre Eigenarten auszubilden. Ist insoweit Religion das Organ auch zur Annahme von Offenbarung, so hat es Theologie, indem sie es mit Offenbarung zu tun hat, doch wieder mit Religion zu tun, allerdings mit einer als verbindlich angeeigneten Religion, die aber abgesehen von ihrer speziellen Organfunktion auch für die menschliche Religiosität im allgemeinen paradigmatisch ist. Auch eine Theologie der Offenbarung legitimiert sich insoweit aus einem anthropologischen Recht mythischer Religion, wie sie umgekehrt - etwa im Blick auf die Botschaft von der Personhaftigkeit des in Jesus Christus offenbaren Gottes - die Animatisationen einer mythischen Religiosität im nachhinein legitimieren mag. Es fragt sich nun freilich, worin sich eine Religion, die auf Offenbarung antwortet, Offenbarungsreligion also, von Religion überhaupt unterscheidet, genauer: ob dieser Unterschied aussagbar ist. Erschöpft sich nicht auch die Verkündigung Gottes in Christus, zumindest was ihren wissenschaftlich objektivierbaren Funktionswert angeht, in einer Vermittlung der Wirklichkeit mittels einer mythischen Gottesperson, die durch ihre Anthropomorphic den Menschen menschgemäß angeht und so das Wirklichkeitsverhältnis des Menschen nach dessen personalen Bedürfnissen einrichtet? Besteht also die Offenbarung in etwas anderem als der Botschaft, daß Gott den

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Versuchen mythischer Rede, die Welt als Heimat des Menschen anzueignen, letztgültig entspricht? Bringt die Offenbarungsreligion gegenüber dem Mythos mehr als eine Bestätigung von dessen eigenem letztgültigen Anliegen? Hat der offenbare Gott, wenn auch die Botschaft von der Personhaftigkeit Gottes in Christus nur wieder Paradigma eines religiösen Antwortens in mythischen Kategorien ist, eine andere Eigengestalt als die Gestaltlosigkeit eines punctum mathematicum, der da zu suchen ist, wo die Transzendenz Gottes unsere Gegenständlichkeit anrührt, so wie eine Tangente den Kreis berührt oder vielmehr nicht berührt? Schrumpft der in Christus offenbare Gott im gegenständlichen Raum nicht selber zum actus purus? Tritt er nicht günstigstenfalls, wenn die auf sein Kommen und Eingreifen, seine Offenbarung antwortende Religion ihr Recht aus einem biologischen Selbstbehauptungswillen empfängt, einem actus purus dieses biologischen Selbstbehauptungswillens gegenüber, um doch zugleich - aus einer mit seiner Gestaltlosigkeit gegebenen Qualitätslosigkeit mit ihm identisch zu werden? Kann also der Gott der Offenbarung mehr sein als „das unendliche Wissen, das das Seiende von sich selbst hat", wie es H.-G. Gadamer unlängst im Blick auf eine Theologie des späten Heidegger formuliert hat? 45 Dieses Wissen eben wäre mit einem Selbstbehauptungswillen von Leben und Mensch-Sein als höchsten Verwirklichung des Seienden identisch. Sind wir,also mit dem Hinweis auf das Seiende, das am vorläufigen (?) Ziel der Evolution im Menschen von sich selbst zu wissen lernt, zu einem naturwissenschaftlich begründeten Bilde vorgedrungen, das zugleich einer theologischen Deutung fähig ist? Sichert dieser Hinweis dem Leben, insbesondere dem Mensch-Sein die Freiheit gegenüber einer mechanistischen Notwendigkeit? Die zuletzt genannten Fragen sind metaphysischer Art und darum wissenschaftlich, auch philosophisch nicht anders als aporetisch zu beantworten. Ob Gott nur Symbol für einen bestimmten Aspekt der Wirklichkeit ist - auch „das Wissen des Seienden um sich selbst" ist nur eine mythische Metapher - oder ob umgekehrt der wissende Mensch eine zur Freiheit berufene, exemplarische Selbstverwirklichung Gottes ist, wird sich unserem Wissen, auch einem Metawissen immer entziehen. Ist vollends Christus, in dem Gott Mensch wurde, eine bloße Chiffre für den Menschen als diejenige Instanz, in der die Selbstverständigung des Seienden, der Akt, in dem Gott geschieht,

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immer wieder abläuft, oder ist umgekehrt der Mensch, wie es die Trinitäts- und Zwei-Naturen-Lehre zu verstehen gibt, die von Ewigkeit her vorgesehene Selbstprojektion Gottes aus dem Sein in einen Entäußerungsbereich bloßen Daseins? - Man kann die Aporie auch in der Terminologie einer Metatheorie des Erkennens fassen: ob das Denken des Gedachten, das Metadenken, das möglicherweise immer noch eine Heterogenität des Erkennenden gegenüber dem Gedachten impliziert, auf die Unvergleichlichkeit des Menschen oder die Unvergleichlichkeit Gottes in Christus führt, ist unbekannt und wird unbekannt bleiben. Wenn man vom actus purus Gottes oder des Seienden nicht reden kann, braucht man aber noch lange nicht seinetwegen zu schweigen; hier gilt vielmehr, allerdings auch nur hier: credo quia absurdum. Aber vielleicht ist über diesen aporetisch-skeptischen Satz hinaus doch noch ein kleiner theologischer Hinweis möglich: auch wenn sich Gottes Sein in dem unendlichen Wissen erschöpfte, das das Seiende von sich selbst hat, würde Gott das Seiende schon insofern transzendieren, als er das souveräne Subjekt dieses Wissens ist - im Gegensatz zu der (metaphysischen, nicht erkenntnistheoretischen) Objektposition, die das Seiende im Akt dieses Wissens zugleich einnimmt. Das Seiende nämlich, sofern es im Wissen um sich selbst gewußt wird, erscheint dabei in einer Begrenztheit, die es von seinem eigenen Sein als Wissen von sich selbst zu unterscheiden gestattet. Gott ist dann der Aktant bei der Selbstverständigung des Seienden; er bleibt so vom Seienden, das zugleich nur das Patiens dieser Verständigung ist, getrennt. Gott ist das Sein des Seienden als Wissen von sich selbst, und eine letztlich unablösbare mythische Metaphorik wird sich diesen Aktanten personhaft vorstellen. Da Gott nicht mit dem Seienden identisch ist, bleibt ein Pantheismus ausgeschlossen. Steht vollends Christus, der „neue Adam", für den Menschen als die Instanz, in der sich die Selbstverständigung des Seienden faktischgeschichtlich realisiert, so sind in ihm Gott und Mensch prototypisch beieinander - und zwar in einer Weise, die Geschichte und Natur, Schöpfung und Erlösung nicht auseinanderzureißen gestattet. Person und Werk Jesu Christi sind zugleich der Grund dafür, daß die zu erlösende Schöpfung, die in der Selbstverständigung des Seienden durch den Menschen geschichtlich wird, als solche sein darf, womit das Christusgeschehen die unablösliche Mythosfunktion im doppelten

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Sinne des Wortes außebt. So dient die Christologie einer iustificatio mundi, einer Kosmodizee, was wiederum die Christologie einer kosmologischen Orientierung, ja einer naturwissenschaftlichen Hinterfragung erschließt. Der Widerspruch, der darin liegt, daß etwas zu-Erlösendes gerechtfertigt wird, stellt das Problem Natur-undGnade in einen neuen Horizont: der natürliche Mensch ist als zu-Erlösender unter der Gnade; Christus wird als concreator mundi sein Legitimationsgrund. Mythos und Christologie beantworten somit die im letzten einzig ernste metaphysische Frage, warum Seiendes - und zugleich mit ihm der daseiende Mensch - ist und nicht vielmehr Nichts; sie legitimieren den Bestand des Wirklichen in seiner evolutiven Entfaltung.

Anmerkungen 1

Cuneiform Texts f r o m Babylonian Tablets in the British Museum 46, Nr. 1, London 1965, enthielt die Tafeln BM 78941 und BM 78943, die seither sog. Haupttafel Α. Weiteres zur Publikationsgeschichte bei W. G. Lambert-A. R. Millard, Atra-Hasls. The Babylonian Story of the Flood, Oxford 1969, V seq., Iff.; Übersicht über den Textbestand zur Tafel 1 bei W. von Soden, Die erste Tafel des altbabylonischen AtramhasTsMythus. ,Haupttext' und Parallelversionen, in: Zeitschrift f ü r Assyriologie 68 (1978) 50-94, bes. 51 f. 2 Vgl. C. Westermann, Genesis I, Neukirchen 1974, 7.66-73.536-546. 3 Vgl. die bibliographischen Angaben bei Westermann, ebd. 522 (1972); dazu jetzt vor allem W. Nützet, Kann die Naturwissenschaft der mesopotamischen Archäologie neue Impulse geben?, in: Zeitschrift f ü r Assyriologie 66 (1976) 120-134. 4 Vgl. Anm. 1. Eine deutsche Teilübersetzung liegt jetzt von W. von Soden vor: Konflikte und ihre Bewältigung in babylonischen Schöpfungs- und Fluterzählungen. Mit einer Teil-Übersetzung des AtramhasTs-Mythos, in: Mitteilungen der Deutschen Orient-Gesellschaft zu Berlin 111 (1979) 18-32; daraus wird zitiert. 5 Westermann, a . a . O . (s. Anm. 2) 95-97 (1967); G. Fohrer, Geschichte der israelitischen Religion, Berlin 1969, 176; H.-P. Müller, Mythische Elemente in der jahwistischen Schöpfungserzählung, in: Z T h K 69 (1972) 259-289, z u r Flut 284. ' Sumerischer Text und englische Übersetzung bei Th. Jacobson, T h e Sumerian King List, Chicago 1939; vgl. W. Beyerlin (Hrsg.), Religionsgeschichtliches Textbuch zum Alten Testament, Göttingen 2 1985, 113 f. 7 Atra-Hasls, 138 - 145. 8 Akkadischer T e x t bei R. C. Thompson, T h e Epic of Gilgamish, O x f o r d 1930; deutsche Übersetzung: W. von Soden, Das Gilgamesch-Epos, Stuttgart 3 1982, 93 ff.; vgl. Beyerlin, a . a . O . (s. Anm. 6) 118-122. 9 Vgl. H.-P. Müller, Das Motiv f ü r die Sintflut. Die hermeneutische Funktion des Mythos und seiner Analyse, in: Z A W 97 (1985) 295-316. 10 Sumerischer Text und englische Übersetzung bei S. N. Kramer, Enmerkar and the

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Lord of Aratta, Philadelphia 1952; S. Cohen, Enmerkar and the Lord of Aratta, Diss, phil. University of Pennsylvania 1973; vgl. Beyerlin, a . a . O . (s. Anm. 6) 112. 11 Tome I, Leiden 1983. 12 W. von Soden, „Als die Götter (auch noch) Mensch waren". Einige Grundgedanken des altbabylonischen Atrambasls-Mythus, in: Orientalia 38 (1969) 415-432; auf die Kontroverse zwischen von Soden, Lambert, Jacobsen u.a. zur Ubersetzung von I 1 kann hier nicht eingegangen werden (vgl. von Soden, a . a . O . [s. Anm. 1] 76). 13 Zur Ubersetzung von I 5 vgl. zuletzt von Soden, ebd. 55: „Die großen Anunnaku wollten die (nur) sieben Igigu die Mühsal tragen lassen". Ahnlich ohne die Nennung der Siebenzahl Ζ. 19f.: „[Die Anunnaku] des Himmels [legjten [die Mühsal] auf die Igigu". 14 Zum Hintergrund vonjes 6,8 f. an königlichen bzw. gottköniglichen Beratungsszenen im Alten Orient vgl. H.-P. Müller, Glauben und Bleiben, in: Studies on Prophecy, SVT 26, Leiden 1974, 2 5 - 5 6 , bes. 2 9 - 3 2 ; zur Funktion der Beratungsszene in mündlicher Literatur Α. B. Lord, Der Sänger erzählt, München 1965, 107 ff. Zum Beschwörungspriester als einem von der Gottheit ausgesandten Emissär A. Falkenstein, Die Haupttypen der sumerischen Beschwörung literarisch untersucht, Leipzig 1931, 25.69.87. Auf die Ähnlichkeit zwischen Jes 6 , 8 f. und der Berufung eines Beschwörers in der assyrischen Beschwörungsserie Maqlü I 52 f. (G. Meier, Die assyrische Beschwörungssammlung Maqlü, Berlin 1937,9) hat bereits I. Engneil (The Call of Isaiah, U.U. A 1949: 4, 42) hingewiesen. 15 Zur Lesung und Übersetzung edimmu „einfältig, schwerfällig" vgl. W. von Soden, Der Mensch bescheidet sich nicht. Überlegungen zu Schöpfungserzählungen in Babylonien und Israel, in: Bibel und Alter Orient, Berlin - New York 1985, 165-173, bes. 166-169. " Vielleicht haben wir uns das endgültige Menschentum ähnlich dem des Enkidu aus dem Gilgamesch-Epos zu denken: Enkidu wird nach Gilg I 2:29 ff. durch die Muttergöttin Aruru erst einmal zu einem Wildling geschaffen, bis er durch den sexuellen Umgang mit einer Tempeldirne zur Sozialisation und Akkulturation gelangt; Menschentum scheint hier geradezu mit Urbanität gleichgesetzt. 17 Vgl. Ps 139,13.15; kosmologisch Ps 90,2.7. 18 Vgl. Anm. 16. - Der Unterschied zwischen der Erschaffung des ersten Menschen und der des Enkidu fällt darum nicht erheblich ins Gewicht, weil sich sogar in jeder Geburt die urzeitliche Menschenschöpfung wiederholt. " Der Text wird am Anfang der Tafel III, der gut erhalten ist, wiederholt; von daher kann I 352-359 ergänzt werden. 20 Bibel und Alter Orient (s. Anm. 15) 169; den., Mitteilungen (s. Anm. 4) 12 f. Von Soden unterstellt dem babylonischen Erzähler also eine Art heilsgeschichtlichen Denkens, als verleihe die Gottheit ihre Gaben in Raten. - An einen schuldhaften Charakter des menschlichen Lärms dachte auch G. Pettinato, Die Bestrafung des Menschengeschlechts durch die Sintflut. Die erste Tafel des Atramhasls-Epos eröffnet eine neue Einsicht in die Motivation dieser Strafe, in: Orientalia 37 (1968) 165-200. 21 Warum der Zorn Enlils, als er nach der Rettung des Atramhasls dessen Arche erblickt, sich nach III 6 : 6 gegen die Igigu richtet, wird nicht ganz klar: geraten sie in Verdacht des Verrats, weil der Schwur der Anunnaku 6 : 7 f . auch sie verpflichtet hatte? 22 Daß ta-as-ta-ah-da ri-ig-ma a-n[a] ^a-wi-lu^-ti nach Nintus Beschwerde in I 242 „ihr beschertet (Klage-)Geschrei der Menschheit" bedeutet, setzt auch von Soden (Orientalia 38 [s. Anm. 12] 425) voraus.

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An einen aufrührerischen „Tumult" ließe sich allenfalls zu hubüru(m) in der altbabylonischen „Kuthalegende" denken, w o es von einer Einwirkung Adads gegen Akkade heißt: hu-bu-ur-sa ik-ta-ba-äs (ei-em-sa is-pu-uh „ihren T u m u l t trat er nieder, ihren Verstand verwirrte er"; einige Zeilen später wird hubüru(m) „Tumult" nochmals als Objekt zu kabäsu(m) „niedertreten" gebraucht: hu-bur ma-t[imj ύ'-te'-eq-qi-ma ikta-ba-äs „den Tumult des Landes ..?.. und trat er nieder" (Text bei ].]. Finkelstein in: Journal of Cuneiform Studies 11 [1957] 86 IV 5.16). D o c h kann hubüru(m) „Tumult", dessen Gebrauch parallel zu (emu(m) „Verstand" (IV 5) über die Art des T u mults m. E. wenig besagt, auch metonymisch f ü r die Menge der „Städte, Ruinenhügel und Behausungen" von Z.6.15 stehen, die der Gott in willkürlicher W u t hinwegfegt: sollte der Text eines Herrschers von Akkade seinem zeitweise unterlegenen Land wirklich Verfehlungen nachsagen, die Adads gerechten Zorn hervorrufen, zumal die in III 10 ff. des gleichen Texts vorangehende Königsklage nichts von Bußstimmung erkennen läßt? - Auch in einem den Belegen aus dem Atramhasls-Mythos inhaltlich nahestehenden Satz eines sehr viel jüngeren Textes wie ina hu-bur-ri-si-n[a sjam-ra-a-ti a-a ir-bi-i-ka si-it-t[u] „wegen ihres ungestümen Lärms kommt kein Schlaf über dich" (Text W. von Soden, Die Unterweltsvision eines assyrischen Kronprinzen, in: Zeitschrift f ü r Assyriologie 43 [1936] 1-31, bes. 18:61) beweist das Attribut samru „heftig, ungestüm" bei hubüru(m) „Lärm" keineswegs dessen rebellischen Charakter: hier ist es ebenso gleichgültig, wodurch das schlafstörende Geräusch motiviert ist, und samru „heftig" betont einfach die Lautstärke (gegen von Soden, Bibel und Alter Orient [s. Anm. 15] 69). Auch der in dem ebenfalls späten Erra-Mythos viermal erwähnte „Lärm" der Menschen (I 41.73.82; IV 68; L. Cagni, L'epopea di Erra, Rom 1969; den., T h e Poem of Erra, Sources from the Ancient Near East 1,3, Malibu 1977) hat nichts eindeutig Aufrührerisches, zumal umgekehrt das Wüten des Dürre, Kämpfe und andere Übel erregenden Erra, wenn er dem „Lärm" ein Ende bereitet, eher noch willkürlicher scheint als die Sintflut; zu der W e n d u n g bu-bursi-na tu-ub-tal-li „du hast ausgelöscht ihren Lärm" IV 68 zeigt der Zusammenhang deutlich, daß hubüru(m) hier wieder metonymisch f ü r die Menschen (niiT me! 67) in ihrer Menge steht, die der Gott „wie Schaum auf den Wassern" (ki-i bu-bu-us pa-an m e m " 68a) behandelt. - Die Kontextevidenz des seltenen N o m e n s bubüru(m) f ü h r t also über eine ganz allgemeine Bedeutung „Lärm" nicht hinaus. 24 Die neusumerische Fassung zeichnet sich gegenüber der altbabylonischen durch Elemente einer symmetrischen Polarisierung aus, die einen späteren gelehrten Systemwillen verraten: so sind es dieselben Götter Anu, Enlil, Enki und Ninhursag, die einerseits die Menschen schaffen (Z. 47 f.) und andererseits die Sintflut verursachen (143 f. 159), obwohl ein Vernichtungswille zu Enki und der die Stelle der Muttergöttin Nintu einnehmenden Ninhursag nicht paßt. 25 Bibel und Alter Orient (s. Anm. 15) 61. 26 Dem würde es entsprechen, wenn bubüru(m) „Lärm" in der Anm. 23 zitierten Kuthalegende f ü r die Menge von „Städten, Ruinenhügeln und Behausungen" steht, die Adad im Zorn vernichtet. N u r in diesem allgemeinen Sinne ist „Überbevölkerung", wie R. Albertζ (Die Kulturarbeit im Atranihasls-Epos im Vergleich zur biblischen Urgeschichte [FS C. Westermann, Göttingen - Neukirchen 1980, 38-57]) im Anschlug an A. D. Kilmer will, das Problem des Atramhasls-Mythos: die Masse Mensch f ü h r t vor die Problematik der menschlichen Existenz überhaupt; ginge es dagegen um ein konkretes, geschichtliches Bevölkerungsproblem, das speziell in der babylonischen Kultur zum Bewußtsein gekommen wäre, so müßte man, wie von Soden (Bibel und Alter Orient [s. Anm. 15] 173) bemerkt, entsprechende Hinweise vor allem in den Omendeutungen erwarten. Je zahlreicher die Menschen werden, um so eher kann man auf den Gedanken

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kommen, daß die menschliche Gattung - neben den anderen Kreaturen, mit denen sie um den gleichen Lebensraum kämpft - ein Störfaktor in der Gesamtwirklichkeit ist. 17 Vgl. D. O. Edzard'm: H. W. Haussig (Hrsg.), Götter und Mythen im Vorderen Orient. Wörterbuch der Mythologie I, Stuttgart 1965, 60; zu Enlil in Ebla D. O. Edzard, Hymnen, Beschwörungen und Verwandtes, Rom 1984, 18 f. 28 Ugaritischer Text jetzt bei M. Dietrich - O. Loretz - J. Sanmartin, Die keilalphabetischen Texte aus Ugarit, Neukirchen 1976, 1.1 ff.; deutsche Übersetzung J. Aistleitner, D i e mythologischen und kultischen Texte aus Ras Schamra, Budapest 2 1964, 13-54; Beyerlin, a . a . O . (s. Anm. 6) 21 I f f . 29 Akkadischer Text und französische Übersetzung bei R. Labat, Le poeme babylonien de la creation, Paris 1935, 7 6 f f . ; vgl.. Beyerlin, a . a . O . (s. Anm. 6) 106-110. Auf ein kurzes Fragment mit einem Paralleltext, der ebenfalls hubüru(m) erwähnt, nämlich K. 11624 (Jacobsen, a. a. O . [s. Anm. 6] 59 f. 115 ), macht / . Laessee, T h e Atrabasls Epic: a Babylonian History of Mankind, in: Bibliotheca Orientalis 13 (1956) 90-102, bes. 91, aufmerksam. 30 Vgl. meinen Anm. 9 zitierten Artikel. 31 W. Burkert (Literarische Texte und funktionaler Mythos: zu IStar und Atrahasls, in: ]. Assmann - W, Burkert - F. Stolz, Funktionen und Leistungen des Mythos, Freiburg Göttingen 1982, 6 3 - 8 2 , bes. 72) sieht im Atramhasls-Mythos das Muster und den Garanten alltäglicher Praxis mit der „Anweisung, wie man einen Gott herumkriegt"; Überleben im Verderben sei „das wahrhaft existentielle Thema". 32 D a s Motiv Neuschöpfung geht offenbar auf Einfluß der andersartigen Sintflutüberlieferungen zurück, die uns durch die o. g. Anspielung in der sumerischen Sage ,Enmerkar u n d der H e r r v o n Aratta' u n d in LUGAL UD ME.LÄM- b i NIR.GAL (vgl. A n m . 10 u. 11)

vorliegt. Ich sehe darin ein Zeichen dafür, daß die beiden so verschiedenen Sintflutüberlieferungen - Atramhasls u. ä. einerseits, LUGAL UD u. ä. andererseits - als zusammenhängend angesehen wurden; das Motiv ,Neuschöpfung nach der Flut' wirkt bekanntlich u. a. in der Erzählung von Deukalion und Pyrrha nach. 33 D e r nicht voll verständliche Text Atr. III 7 : 1 - 9 , vor dem vier Zeilen fehlen, lautet in der Übersetzung von Sodens (Mitteilungen [s. Anm. 4] 31): „Darüber hinaus gebe es eine dritte unter den Menschen! Unter den Menschen werde, die geboren hat, eine Nichtgebärende! Unter den Menschen wirke ,die Tilgende' (d.h. Lamaschtu); Sie packe das Kind im Schoß der (Frau), die (es) gebar! Bestelle Priesterinnen, Oberpriesterinnen und . . . ! Sie seien Unberührbare, verwehre das Gebären!" 34 Über die Linie, in: Anteile. Martin Heidegger zum 60. Geburtstag, Frankfurt a . M . 1950, 2 4 5 - 2 8 3 , bes. 2 7 2 f . ; vgl. Sämtliche Werke, II. Abteilung, Band 7: Essays 1: Betrachtungen zur Zeit, Stuttgart 1980, 2 6 7 f . 35 Sämtliche Werke, I. Abt., Bd. 3: Tagebücher 3: Strahlungen 2, Stuttgart 1979, 104. 3 ' Ebd. 236. 37 Geisteswissenschaft hat also die Bedingtheit des Wirklichkeitsbewußtseins in ihrer Komplexität zu erkennen: an einfachen Reduktionen, die dem Komplexitätsdruck ihrer Problematik monokausalistisch ausweichen, kann ihr nicht liegen; insbesondere wird sie sich vor der Reduktion des Höherintegrierten, etwa des Geistigen, auf oberflächlich begriffene Triebstrukturen hüten, als dürfte Werthafteres nicht als Wirkliches gelten. Die Unfähigkeit, Werthaftes als Wirkliches aufzunehmen, ist im Grunde ein paranoider Befund. A m Ende entsprechender Reduktionsketten erscheint immer, was dem Menschen der betr. Zeit am unmittelbarsten plausibel ist, ζ. B. die spätbürgerliche

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Erotik im Falle S. Freuds; demgegenüber wäre die Vielfalt der Antriebe wiederzuentdecken. 38 Antireligiöse Aufklärung mag freilich umgekehrt versuchen, das Schwinden religiöser Orientierung in den gegenwärtigen Gesellschaften auf zerebrale Mutationen zurückzuführen; ein solcher Versuch ist beiläufig unternommen worden von E. Schröder, Die Aktualität Zinzendorfs. Eine Studie zur ökumenischen Diskussion über Grundfragen christlichen Glaubens angesichts des neuzeitlichen empirischen Bewußtseins, Diss, theol. Hamburg 1982, 14f. u . ö . " Vgl. die den biologischen Pragmatismus vorwegnehmende Abhandlung F. Nietzsches. Ueber Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne, Nietzsche Werke. Kritische Gesamtausgabe 3. Abt., 2. Bd., Berlin - N e w York 1973, 367-384, bes. 370: „Der Intellekt, als ein Mittel zur Erhaltung des Individuums, entfaltet seine Hauptkräfte in der Verstellung; denn diese ist das Mittel, durch das die schwächeren, weniger robusten Individuen sich erhalten, als welchen ein Kampf um die Existenz mit Hörnern und scharfem Raubthier-Gebiss zu führen versagt ist. Im Menschen kommt diese Verstellungskunst auf ihren Gipfel . . . , (so) dass fast nichts unbegreiflicher ist, als wie unter den Menschen ein ehrlicher und reiner Trieb zur Wahrheit aufkommen konnte." - Bei einer Wundererzählung würde man ζ. B. erkennen, daß sie auf der Ebene funktionierenden Erzählens gerade keine Gesetzmäßigkeit durchbricht, wie es auf der Ebene des Erzählten der Fall ist: das erzählte Wunder dient dem Erzählen dazu, Wirklichkeit regelmäßig in einer Weise zu interpretieren, daß die durch den Legendenhelden, den Heiligen, verkörperte Tugend als sinnvoll erscheint. 10 Eine anthropologisch-naturwissenschaftliche Begründung religiösen Vorstellens und Verhaltens, womöglich verbunden mit einschlägigen Erfahrungen der Analytischen Psychologie, würde auch die allgemeine Religionsphänomenologie auf eine solidere theoretische Basis stellen, sie vor allem gegenüber den Einreden der Religionsgeschicbte wie überhaupt der historischen Reduktionen in Schutz nehmen. Sind dem Menschen stammesgeschichtlich entstandene, erbkonditionierte Gestaltwahrnehmungen eigen, offene Programme gleichsam, die von den jeweiligen Kulturen in Einzelheiten ausgeführt werden? 41 Allerdings geschieht einfühlendes Verstehen nicht nur in vergangene religiöse Sinnentwürfe, sondern auch in deren Bedingungen, ohne freilich deren typologisch nicht reduzierbare Komplexität je voll erfassen zu können. Einfühlung in die Bedingtheit vergangener Sinnentwürfe führt einerseits zur Einsicht in deren objektive Fremdheit, die es verbietet, gegenwärtige Sinnkriterien zum Maßstab ihrer Wertung zu machen, andererseits zur Einsicht in die subjektive Beschränktheit des Verstehenden, die aufzubrechen ein Zweck des einfühlenden Verstehens überhaupt ist. 42 W e n n C. F. von Weizsäcker im Anschluß an M. Heidegger zu zeigen versucht, daß sich der platonische είδος-Begriff einer Leidenschaft des Herstellens verdankt, bei dem man freilich auf das Herstellungsunbedürftige stößt (Der Garten des Menschlichen, München 1977, 422 u. ö.), so sagt er damit über ihn etwas Positivwertiges, das mutatis mutandis schon von der mythisch-religiösen Gestaltung der Wirklichkeit gilt: sie nimmt reale Wirklichkeitsveränderung vorweg, weil sie „den schon erschlossenen Bereich von Herstellen und Vorhandenheit gleichsam gefahrlos im Rücken" hat (ebd. 427); so ist Mythos Ausdruck der Erschlossenheit der Wirklichkeit für das darin existierende Geschöpf. 43 C. Levi-Strauss (Strukturale Anthropologie, Frankfurt a. M. 1967, 199.210) hat eine solche Ausgleichsfunktion allein dem „magischen Denken" etwa des Schamanen in Analogie zu pathologischen Befunden nachgesagt - wohl zu Unrecht, da der besser so zu nennende Mythos der Schamanen weniger als etwa die legendäre Wundererzählung

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auf Definition des Göttlichen im Gegenständlich-Realen ausgerichtet sein dürfte. Im G r u n d e trifft R. Bultmanns berühmter Satz das Element ironischer Selbstaufhebung im Wesen des Mythos immer noch am besten: „Im Mythos selbst i s t . . . das Motiv zur Kritik . . . seiner objektivierenden Vorstellungen enthalten, insofern seine eigentliche Absicht, von einer jenseitigen Macht zu reden, welcher Welt und Mensch unterworfen sind, durch den objektivierenden Charakter seiner Aussagen gehemmt und verdeckt wird" (Neues Testament und Mythologie, in: H. W. Bartsch, Kerygma und Mythos [I], H a m b u r g 1951, 15-48, bes. 23). 44 M a n könnte natürlich die Gegenfrage stellen, welchem Interesse das Metadenken genügt und in welche, wenn nicht biologische Kategorien dieses Interesse zu fassen ist: es wird nicht lebenszerstörend sein wollen. Die N a t u r „warf", so Nietzsche in der Anm. 39 zitierten Abhandlung, „den Schlüssel weg: und wehe der verhängnisvollen Neubegier, die durch eine Spalte einmal aus dem Bewusstseinszimmer heraus und herab zu sehen vermöchte und die jetzt ahnte, dass auf dem Erbarmungslosen, dem Gierigen, dem Unersättlichen, dem Mörderischen der Mensch ruht, in der Gleichgültigkeit seines Nichtwissens, und gleichsam auf dem Rücken eines Tigers in T r ä u m e n hängend" (a. a. O . 371). H a t die N a t u r also durch Nietzsche und die biologische Pragmatik besagten Schlüssel wiedergefunden? O d e r sind beide nur Paradigmen einer „verhängnisvollen Neubegier", der die Gleichgültigkeit des Nichtwissens vorzuziehen wäre? Das Verhängnis wird aber schwerlich darin bestehen, daß das Metadenken die von Nietzsche „entlarvte" Verstellung a u f h ö b e ! 45

Heideggers Wege. Studien zum Spätwerk, Tübingen 1983, 63.

NACHTRAG Zu Anm. 38 wäre jetzt auf den sehr viel unvoreingenommeneren Versuch E. BrunnerTrauts hinzuweisen, hinter einem „aspektiven Verhalten" u. a. der Ägypter auf dem Gebiet der bildenden Kunst, aber auch in allen anderen Bereichen ihrer Kultur eine biologisch, insbesondere hirnphysiologisch determinierte Andersartigkeit der „Apperzeption" zu erkennen, wonach „die Alten die Erscheinungsformen schrittweise (additiv) erfaßt und sie nur bilateral in Beziehung gebracht haben"; den biologischen Hintergrund der die Wirklichkeitswahrnahme der Alten ablösenden ,Achsenzeit' sieht Frau Brunner-Traut „in der unterschiedlichen Hemisphärenpräferenz des Gehirns"; „die Fähigkeit von Hemisphären-Rechtspräferenz könnten ... kaum musterhafter dargestellt werden als durch die altägyptische Kultur" (Frühformen des Erkennens am Beispiel Altägyptens, 1990, bes. 2.159.164). Läßt sich von daher eine Verbindung zu meinen Untersuchungen über sprachliche, speziell syntaktische Fossile in semitischen Sprachen herstellen, etwa in: Die Konstruktionen mit hinne „siehe" und ihr sprachgeschichtlicher Hintergrund, Z A H 2, 1989, 4 5 - 7 6 ?

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Keilschriftliche Parallelen zum biblischen Hiobbuch Möglichkeit und Grenze des Vergleichs Unter den Arbeiten, mit denen der Jubilar die alttestamentliche Wissenschaft bereichert hat, ist der Aufsatz über "Das Fragen nach der Gerechtigkeit Gottes im Alten Orient" 1 nur eine von vielen. Den mittelbaren Beitrag, den der Grundriß der Akkadischen Grammatik und das Akkadische Handwörterbuch für das Verständnis des Alten Testaments leisten, wird man schwerlich zu hoch einschätzen können. Dennoch soll es in dem vorliegenden Aufsatz um die Erarbeitung einer Fragestellung gehen, mit der W. von Soden unmittelbar auf die Interpretation eines alttestamentlichen Buches eingewirkt hat: den Vergleich keilschriftlicher Dichtungen mit dem biblischen Hiobbuch, der sich zunächst phänomenologisch, nicht nur historisch versteht 2 ; ermöglicht wird dieser Vergleich durch die Konstanten einer gemeinsamen altorientalischen Geisteshaltung, die zwar in verschiedene Kulturen und Religionen differenziert ist, aber als universale Möglichkeit menschlicher Wirklichkeitsrezeption zugleich auch über sich hinausweist. Die hier mit dem Buch Hiob zu vergleichenden Texte sind (in der Reihenfolge ihres Bekannt-Werdens): 1. Ludlul bei nemeqi BWL 3 I f f . 3 ,

2. die Babylonische Theodizee BWL 69ff. 4 , 1 MDOG 96 (1965) 41-59. Diesem Aufsatz sind im folgenden größtenteils die Übersetzungen akkadischer Texte entnommen. 2 W. von Soden zählt in MDOG 96, 44f., typologische Voraussetzungen für das Aufkommen der "Frage nach der Gerechtigkeit Gottes in der Sicht des Buches Hiob" auf; daß ein Strukturvergleich unabhängig von dem historischen Problem einer literarischen Dependenz der verglichenen Texte sinnvoll ist, wird dort S.55 ausgeführt. s Vgl. HKL I 266, II 159. Dazu der BWL 343 zitierte Artikel E. Leichty, "Two New Fragments of Ludlul Bei Nemeqi", Or 28 (1959) 361-363, und J. Bottero, Annuaire 1965/6 licole Pratique des Hautes Etudes IVe section (Paris 1965) 105-111, wo S.105f. der Zweifel W. G. Lamberts ( B W L 24.30) an der Zugehörigkeit der 4.Tafel (vgl. R. Borger, JCS 18 [1964] 51) erneut aufgegriffen wird. Aber die Kommentarzitate BWL 56 q,r scheinen aus IV 13-16 zu stammen (gegen BWL 24); möglicherweise liegt ein Kommentar zu Tafel 4 jetzt in dem Text C. B. F. Walker, CT 51, 1972, Nr. 219 vor (HKL II 312). 4 Vgl. HKL daselbst. Dazu Bottero, Annuaire 1966/7 £cole IV' section (Paris 1967) 100-106.

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3. Louvre AO 4462 5, 4. die sumerisch-akkadische Bilingue PBS I2 135 ·, 5. l ü - l u 7 n a m - m a h - d i n g i r - r a - n a (im folgenden: "sumerischer Hiobtext") 7 , 6. R.S. 25.460 8 . Der "Pessimistische Dialog" BWL 143£f. ist in seinem Charakter so stark umstritten ·, daß er hier außer acht bleiben muß; das Motiv der Klage bzw. der Auseinandersetzung über das Leiden fehlt in jedem Fall. Möglichkeit und Grenze eines Vergleichs zwischen dem biblischen Hiobbuch und seinen keilschriftlichen Parallelen kann in einem kurzen Artikel freilich nur im Blick auf eine einzige Fragestellung erörtert werden, wenn auch eine solche, die für das Verständnis der Dichtungen aufschliessend ist. Unsere Frage lautet: Behandeln die keilschriftlichen Texte das Theodizeeproblem? Welches Licht kann von der Beantwortung dieser Frage auf das Buch Hiob und verwandte biblische Texte, etwa die Klagepsalmen des einzelnen 10 , fallen?

I

1. Die Beantwortung der Frage hängt davon ab, was man unter einer Problembehandlung, speziell zur Theodizee, versteht und welche alternativen Zuordnungen für die keilschriftlichen "Hiobdichtungen" und ihre biblischen Pendants als möglich erscheinen. Das Theodizeeproblem nimmt seinen Anlaß bei der Strittigkeit einer der Wirklichkeit zugrunde liegenden sittlichen Ordnung. Es wird von

5 J. Nougayrol, "Une version ancienne du 'Juste souilrant' ", RB 59 (1952) 239-250, HKL I 371, II 210; ferner J. J. A. van Dijk, La Sagesse Sumero-Accadicnne (= SS A) (Leiden 1953) 120. * Transkription, Übersetzung und Kommentar SS A 128-133; vgl. A. Kuschke, "Altbabylonische Texte zum Thema 'Der leidende Gerechte' ", ThLZ 81 (1956) 69-76, hier 71f., und Ε. I. Gordon, BiOr 17 (1960) 150. 7 Einführung, Transkription, Übersetzung und Kommentar S. N. Kramer, " 'Man and his God'. A Sumerian Variation of the 'Job' Motif", Supplements to Vetus Testamentum ( = SV Τ) 3 (Leiden 1955) 170-182; HKL I 251, II 147. 8 Einführung, Transkription, Übersetzung und Kommentar J. Nougayrol, "(Juste) Souffrant", Ugar. V (1968) 265-273 (Nr. 162), vgl. HKL II 211; ferner J. Gray, "The Book of Job in the Context of Near Eastern Religion", 7.AW 82 (1970) 251-269, liier 262f. 8 Dazu BWL 139-141. 142 (Lit.) und die Lit. in HKL II 160, aber auch schon C. Kühl, "Neuere Literarkritik des Buches Hiob", Theologische Rundschau 21 (1953) 163-205.267-317, hier 300: "eine humorvolle Darstellung des Kadavergehorsams". Vgl. unsere Anm. 71. 10 Zur Deutung des Buches Hiob von der Klage des einzelnen her C. Westermann, Der Aufbau des Buches Hiob2 (Stuttgart 1977); Westermann bestreitet, "daß der Gegenstand des Hiobbuches ein 'Problem' sei" (27).

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Menschen erörtert, die durch diese Strittigkeit betroffen sind; in institutionalisierter Form geschieht dies im Zusammenhang der Weisheitslehre. Religiös motiviert ist das Problem insofern, als die Gottheit, wenn sie als Garant einer sittlichen Weltordnung verstanden wird, der bezeichneten Strittigkeit mit unterliegt; deren Diskussion ist dann vom Zweifel an der Macht oder am Willen der Gottheit beherrscht, diese Ordnung aufrechtzuerhalten. Eine Lösung des Theodizeeproblems würde, wenn sie gelingt, im Bereich des Verstehens liegen, ganz gleich, ob sich an der Wirklichkeit etwas ändert oder nicht; ihre Bewährung wäre sogar gerade dann vollkommen, wenn das Übel, das sie erklärt, seinen Bestand behält. Alternativ dazu sind die Funktionen der Klage sowohl der babylonischen "Gebetsbeschwörungen" 11 als auch der biblischen Klagepsalmen 12: in ihnen wird die Unordnung der Wirklichkeit nicht zwischen den davon betroffenen Menschen erörtert; diese ist vielmehr Anlaß eines an die Gottheit gerichteten Appells. In institutionalisierter Form geschieht der Appell durch die kultische Bitthandlung 13, vielleicht speziell im Ritual von Primärgruppen wie Familien und Wohngemeinschaften 14 . Sein Ziel ist es nicht, Elemente der Unordnung in der Erfahrungswelt etwa einem weiter gefaßten Ordnungsbegriff einzuverleiben, sondern die Gottheit zur Beseitigung der vorfindlichen Unheilsfaktoren zu bewegen. Die Wende in einer Gebetsbeschwörung bzw. in einem Klagepsalm nimmt die Veränderung der Wirklichkeit vorweg, für deren Herbeiführung die Gottheit gewonnen wird; sie würde nachträglich Lügen gestraft, wenn das betreffende Übel weiterhin Bestand behielte. 2. Zumindest nicht primär mit dem Theodizeeproblem befaßt sind dann alle diejenigen Keilschrifttexte, die die Wende der Not, die Rettung des Leidenden bereits voraussetzen; sie berichten ja, wie die — meist weitläufig wiedergegebene — Klage auf die Gottheit eingewirkt, sie zum Eingreifen bewegt hat, wie also das durch die Unordnung in der Wirklichkeit gestörte Gottesverhältnis wiederhergestellt worden ist. Hierher gehören ludlul bei nemeqi 16, AO 4462, der sumerische H i o b t e x t 1 · und R.S. 25.460; 11 Dazu zuletzt W. Mayer, Untersuchungen zur Formensprache der babylonischen "Gebetsbeschwörungen" (Studia Pohl: series maior 5; R o m 1976). 12 5 Dazu C. Westermann, Lob und Klage in den Psalmen (Göttingen 1977) 125-164. 13 Zum rituellen Ort der Gebetsbeschwörung Mayer, Gebetsbeschwörungen

18-21.

14 Dazu E. Gerstenberger, Der bittende Mensch. Bittritual und Klage des Einzelnen im Alten Testament (masch. Habilitationsschrift Heidelberg 1971) mit weitreichender Berücksichtigung des keilschriftlichen Materials. 15 Schon A. Bentzen (Introduction to the Old Testament l a [Kopenhagen 1952] 182) bemerkt im Anschluß an J. Lindblom: "The Babylonian poem most nearly akin to Job, the poem of the sufferer and his salvation . . . Ί will serve the Lord of Wisdom' is in reality a psalm, a combined psalm of lamentation and of thanksgiving"; vgl. Westermann, Aufbau 351. 1β Dieser Text wird in den Schlußzeilen 141 f. er-sa-ne-sa,

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sie sind als "gewendete Klagen" mit biblischen Texten wie Ps 3; 6; 10; 13; 22; 27A; 28; 31; 54; 56; 64; Jes 38,10-20 u.a. 1 7 zu vergleichen. Da der Vergleich zwischen den vier genannten Keilschrifttexten und den aufgezählten Psalmen hier nicht in extenso ausgeführt werden kann, sollen parte pro toto die Formelemente von ludlul bei nemeqi und insbesondere Ps 22 einander gegenübergestellt werden. Die Ankündigung des Gotteslobs ludlul bei nemeqi . . . I 1, mit der die ersten Zeilen des sumerischen Hiobtextes zu vergleichen sind, nimmt das Lobversprechen auf, mit dem babylonische Gebetsbeschwörungen 19 und biblische Klagepsalmen 19 zu enden pflegen: für den (in biblischen Klagepsalmen oft bereits antizipierten) Fall der Errettung werden öffentliche Dankhandlungen gegenüber dem rettenden Gott gelobt; die Wiederaufnahme des Gelübdes am Anfang von Dankliedern (berichtenden Lobpsalmen 20) vergegenwärtigt dann, daß das einst gegebene Gelübde nunmehr erfüllt wird 21 . Wenn also in ludlul und etwa in dem Königspsalm 89,2 die gewendete Klage mit einer Ankündigung des Gotteslobs beginnt, so zeigt das, wie der Text vom Ende her, von der Rettung des Leidenden als einer geschehenshaften Konfliktlösung interpretiert werden muß. Der versöhnliche Ton schon der ersten Halbzeile wird durch die hymnischen Prädikationen vertieft, die in E. Leichty's Ergänzungsstück 22 an das Objekt bei nemeqi anschließen; sachlich handelt es sich dabei um eine einleitende Präfiguration des den folgenden Text beherrschenden Geschehens. Die Prädikationen erfolgen als appositioneile Substantivwendung ilu mus(?)-[ta—lum] "der umsichtige Gott" I 1/3, im Partizipialstil \mu\ίά-ziz (var. -zi-iz) mu-Si mu-pa-as-Er ur-pi "der die Nacht grimmig macht (und doch) das Gewölk zerstreut" I 2/4 oder in Form von Relativsätzen I 5ff. Alle Aussagen in Z.2/4 - 12 sind oppositiv formuliert: Marduk wird als derjenige gepriesen, der — im Schicksal des Betenden und über-

d i n g i r l ü - l u 7 - k a m "eine Klage zu dem (persönlichen) Gott eines Mannes" genannt; Gordon, BiOr 17, 150. 17 Westermann, Lob und Klage 59f. 18 Beispiele und Funktionsbestimmung Mayer, Gebetsbeschwörungen 310ff. 19 Zu den Klagen des einzelnen Westermann, Lob und Klage 56-59. 20 Terminologie der Psalmenanalyse nach H. Gunkel - J. Begrich, Einleitung in die Psalmen3 (Göttingen 1975) und (hier in Klammern) nach Westermann, Lob und Klage. 21 Zur einleitenden Ankündigung des Gotteslobs im Dankpsalm für das Babylonische Mayer, Gebetsbeschwörungen 31 lf., für das Alte Testament Westermann, Lob und Klage 76/78. 22 Vgl. Anm. 3. — Mit BWL 344f. und Leichtv (Or 28, 361-363) sind auch Lesungen und Deutungen von R. Borger (JCS 18, 51) zu vergleichen; die von den genannten Autoren abweichenden Lesungen gehen auf den Jubilar zurück, der mir die Ergebnisse seiner Kollationen bei anderer Gelegenheit freundlich zur Verfügung gestellt hat.

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haupt — Wendungen hervorruft, dessen Verhalten darum mit dem Sturm (ki-ma ut-mi me-he-e 5) wie mit dem sanften Morgenwind (ki-i ma-ni-ti se-ri 6) verglichen werden kann 2 3 ; ganz deutlich wird der Bezug auf das folgende Geschehen in Z.10/12: rit-tuS rab-bat ([sa ra]b-bat rit-ta-Sü 12) ύ-kaS-M (12 und var. 10: ύ-ka-dS-M) mi-tu (var. mi-i-ta) "dessen sanfte Hand die Todgeweihten (vom Tode) zurückhält" 24. — Eine entsprechende hymnische Prädikation findet sich auch am Anfang von Ps 22: w'attä qädos joseb t'hillöt jisrael "aber (?) du bist heilig, der du thronst über den Lobgesängen Israels" (V.4). Aus der Klage des Volkes sind die Partizipialwendungen nöheg kasson josep "der du Joseph wie Kleinvieh hütest" und joseb hakk'rubim "der du über den Keruben thronst" Ps 80,2 zu vergleichen 25 . Der in den dreigliedrigen biblischen Klagen 2 6 so wichtigen Anklage Gottes (etwa Ps 22,2f.) scheint in ludlul zunächst die Klage über das Versagen der persönlichen Schutzgötter (ilijilu, istarl I 43f.; I I 4f. 27 112f., vgl. zaqtqu I I 8), des sed dumqi und der lamassu des Betenden I 45f. 28 zu entsprechen; lediglich I 41f. könnte Anklage eines großen Gottes, etwa Enlils (42 ?), sein, und erst der Vorwurf I I I 1-4 scheint sich gegen Marduk selbst zu richten 2e. — Das Sich-Beklagen des Betenden, vorwiegend in der 1. Pers. sing. (Ps 22,7.15f.l8) hat in den stark ausgeweiteten Notschilderungen I 47-54.70-112, I I 1-4.10-22.48-52.60.72-107, I I I 5(?)-9 seinen Platz. — An die Stelle des biblischen Verklagens von Feinden (Ps 22,8f.12-14.17. 18b-19) tritt z.Tl. die Erwähnung von Krankheitsdämonen und des alü I I 53-59.61-71; daneben gibt es aber auch hier menschliche Feinde: der König und sein Hof I 55ff., ja die Allernächsten des Leidenden I 80ff. sind zu dessen Gegnern geworden. Ohne unmittelbares biblisches Pendant ist die Klage über das Versagen des bärü und des masmassu I I 6-9.108-111 (vgl. 82) 30.

23

Ähnlich die Opposition der Zeilen 7 und 8. Zur Bedeutung von mttu vgl. H. Hirsch, "Den Toten zu beleben", A/O 22 (1968/9) 39-58, bes. 50b, dazu ludlul IV 33: man-nu mi-tu-ta-ίύ ύ-ballit "Wer macht ihn in seiner Todverfallenheit lebendig?" Zu Lesung und Übersetzving von Z.10/12 CAD Κ 295b. 25 Zur Amplifikation des Gottesnamens durch Epitheta o.ä. vgl. für das Babylonische Mayer, Gebetsbeschwörungen 40ff.; die biblischen Psalmisten sind sonst darin eher zurückhaltend. 26 Zur Dreigliedrigkeit der biblischen Klage Westermann, Lob und Klage 24

128ff.

27

Mit ludlul II 4f. ist speziell Ps 22,3 zu vergleichen. Zu Udu und lamassu vgl. W. von Soden, "Die Schutzgenien Lamassu und Schedu in der babylonisch-assyrischen Literatur", BaM 3 (1964) 148-156, zu ihrem Verhältnis zur persönlichen Schutzgottheit daselbst 151. Auch Mayer, Gebetsbeschwörungen 93-98.105/6. 29 Treffend scheint mir die Bemerkung Lamberts: "The writer gives dark hints, but avoids openly using the name Marduk in this connection" (BWL 23). 30 Vgl. Mayer, Gebetsbeschwörungen 104-106. 28

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Anders auch als in allen biblischen Klagepsalmen fehlt die ausdrückliche Bitte (etwa Ps 22,12.20-22); die Schicksalswende folgt vielmehr in I I I 9 ganz unvermittelt auf die Klage. Sie wird dabei nicht, wie J . Beglich im Blick auf den Stimmungswechsel in den Klagepsalmen mit Recht vermutet hat 3 1 , durch ein Heilsorakel vermittelt, sondern, im Grunde freilich nicht ganz unähnlich, durch die Traumerscheinung von vier z.Tl. priesterlichen bzw. göttlichen Gestalten (III 9-47), die sich als Gesandte anderer priesterlicher bzw. göttlicher Autoritäten legitimieren (15.18.25f.42); den lösenden, zugleich magisch wirksamen Begnadigungsruf, a-hu-la-pi "das 'Genug!' für mich" spricht die dritte dieser Gestalten (34a.37a) 32 . Es folgt in I I I 48ff. IV 1-14 ein Bericht von der Errettung, der in den begründenden Sätzen des psalmistischen Lobgelübdes, dem kt gämal 'älaj von Ps 13,6b oder dem ki 'äsä von Ps 22,32b (vgl. V.25f.), seine Parallele hat; auch die biblische Klage nimmt darin ein Kernstück des Dankliedes (berichtenden Lobpsalms) vorweg 33 . Darüber hinaus aber hat ludlul mit der gewendeten Klage biblischer Psalmen, insbesondere mit Ps 22,23-32, gemein, daß an die Stelle eines bloßen Lobversprechens bereits das weitläufig ausgeführte Gotteslob selbst 34 tritt IV 76S.lfi. 3 5 , wie denn auch die erweiterte Ankündigung des Lobs Marduks I Iff. sogleich den Blick auf die Rettung des Leidenden lenkte 3 e . Die universale Ausweitung des einmal initiierten Gotteslobes 37 in Ps 22, wo nicht nur Israel (V.24) und "alle Enden der Erde" (28), sondern auch die Toten (30) und die kommenden Geschlechter (31) 38 einbezogen werden, hat an ludlul IV 37-41 eine kosmische Parallele, ehe mit Z.42 die Menschheit zum Lob Marduks aufgefordert wird. 3. Während also in ludlul bei nemeqi ein Weg von der Klage über die Schicksalswende zum Lob des rettenden Gottes abgeschritten wird, ge31 "Das priesterliehe Heilsorakel", Gesammelte Studien zum Alten Testament (München 1964) 217-231. 32 Vgl. Vf., "Die weisheitliche Lehrerzählung im Alten Testament und seiner Umwelt", WO IX/1 (1977) 77-98, liier 91f. 33 Westermann, Lob und Klage 59. 34 Babylonische Beispiele dafür bei Mayer, Gebetsbeschwörungen 350ff. 35 Die hier vorausgesetzte Umstellung der beiden Teüe von Tafel 4 hat W. von Soden, Μ DOG 96, 515, vorgeschlagen. 3β Zum einzelnen: Die Zeilen 76-90 schildern, wie der Gerettete durch alle Tore des Esagil einzieht. Es folgt der Bericht von einem Opfer (91 ff.), bei dem auch iedu und lamassu Erquickung finden (96). Mit dem Gastmahl für die '"näwtm Ps 22,27 sind [qi]-re-e-ti mär bäbili"die Gastmähler der Babylonier" Z.27 zu vergleichen, die im folgenden das Forum des Rettungshandelns Marduks und der Sarpänitum darstellen (vgl. die Rolle des qähäl Ps 22,23). 37 Dazu Vf., Ursprünge und Strukturen alttestamentlicher Eschatologie (Berlin 1969) 26-29. 38 Zur räumlichen Ausweitung des Gotteslobs in der Gebetsbeschwörung (etwa ana ηϋϊ rapSäti) Mayer 340-342, zur zeitlichen Ausweitung (etwa ana därati) daselbst 341-343.

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schieht in der Babylonischen Theodizee eine eigentliche Problembehandlung. Allein die dialogische Struktur dieses Textes, der darin der biblischen Hiobdichtung entspricht, zeigt sein Anliegen, das Postulat einer sittlichen Weltordnung angesichts ihrer Fraglichkeit zu erörtern. Dabei ist das Gegenüber der Fragen des Leidenden ausschließlich der " F r e u n d " : alle Anreden in den Partien des leidenden richten sich an ihn, keine an die Gottheit wie viele der Anklagen im Buche Hiob 3 *. Gerade wo das Ausbleiben einer retributiven Gerechtigkeit des Gottes (Z.70-75.251) und die Unordnung in der Lebenswirklichkeit des Leidenden (48-55.243-253.265-275) beklagt wird, geschieht dies durchaus nicht, um auf den sich entziehenden Gott einzuwirken; selbst mit der Drohung, fortan auf jede religiöse Observanz zu verzichten (135), soll allein der Freund herausgefordert werden. Alle werbenden (lfF.23f.45f. u.ö.), gelegentlich wohl auch ironisch übertreibenden (67f.) Anreden richten sich ebenso wie die wenigen Bitten des Leidenden (25f.265f.287f.) ausschließlich an den menschlichen Gesprächspartner. Für den problemorientierten Charakter der Trostversuche des Freundes, die spezifisch weisheitliche Art seiner Argumentation, ist es sodann bezeichnend, wenn dieser gleich zu Anfang, ganz wie in seiner letzten entscheidenden Antwort (276ff.), das individuelle Leidenslos seines Gegenübers in das allgemeine Menschenschicksal einordnet und als Auswirkung menschlicher Hinfälligkeit und Vergänglichkeit deutet (16f.): Hingegeben waren doch schon unsere Väter, gingen den Weg zum Tode; "Den Unterweltsfluß werde ich überschreiten", hieß es seit jeher Aber auch der Leidende geht auf die condicio humana ein, wenn er seinem persönlichen Schicksal das Glück des Frevlers gegenüberstellt (50-53.70f.); in diesem Kontrast wird das einmalige Leiden beispielhaft für das allgemeine Ordnungsdefizit in der Welt. Dem Charakter des Textes als einer Problemerörterung schließlich entspricht es, wenn die Babylonische Theodizee keine Wende im Schicksal des Leidenden vorsieht; vielmehr zielt von allen behandelten Keilschrifttexten allein dieser ausschließlich auf eine kognitive Lösung des durch den Leidenden aufgeworfenen Problems. Und so ist die Spannung der Dichtung aufgehoben, sobald der Freund seine letzte Belehrung erteilt hat. Der Ursprung des Bösen, für den die Unwahrhaftigkeit menschlicher Rede offenbar paradigmatisch ist, die Schuld vielleicht auch an den inter39 Etwa 7,12ff.; 9,28b.30f.; 10,3-7.13-19 (mit dem Kontrastmotiv in V. 8-12); 13,24-27; 14,1-3; 30,20-23. 4 0 Ähnliche Motive finden sich Z.58 (Übersetzung von Soden, MDOG 96, 52) 256f.264.

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essenbedingten Voreingenommenheiten

unserer

Erkenntnis 4 1

wird frei-

lich zuletzt doch bei den Göttern gesucht, genauer: bei denjenigen, die den Menschen schufen (279ff.): Sie haben der Menschheit geschenkt die unehrliche Rede; Lügen u n d Unwahrheiten schenkten sie ihr für immer. I n herausfordernder Art reden sie (die Menschen) nur Gutes über den Reichen E i n e m Dieb gleich machen sie den Kümmerlichen schlecht. Diese Lösung des Theodizeeproblems ist für den Polytheismus bezeichnend: er kann das Beklagenswerte an der condicio h u m a n a als ein Schicksal erklären, das ein Teil der Götter allen übrigen und der Menschheit auferlegt hat. D e m eigentlichen Bedürfnis einer Theodizee ist dabei allerdings insofern nicht entsprochen, als es nun wiederum Götter sind, die für ihren Anteil an der menschlichen Unwahrhaftigkeit belangt werden 4 2 ; die Gottheit ist nicht voll gerechtfertigt. Erst die letzten drei Zeilen des Gedichts (295-297) artikulieren nach Art der Klagepsalmen ein Bekenntnis der Zuversicht gegenüber den Göttern (?) 4 3 , der persönlichen Schutzgöttin {Ήί-tar) und dem König (?) ": 41 So paraphrasiert Bottero (Annuaire 1966/7 fccole IV' section, 105) die Stelle m i t den Worten: "Seuls done les dieux connaissent la verite, parce que seuls ils m e n e n t le monde, ä leur idee. Nous, nous ne savons rien, et nous aurions grand t o r t d'epüoguer et de theoriser avec notre courte experience et notre regard de t a u p e s " . 42 G. Buccellati ("Tre saggi sulla sapienza mesopotamica - I I I . La teodicea: Condanna dell'abulia politica", OA 11 [1972] 161-178) sieht in Z.276ff. vorwiegend ein K a p i t e l sozialer Kritik, zwar nicht an den Institutionen, wohl aber an der H a l t u n g des kollektiven Gewissens (S.165). Doch wird dabei wohl über die Z.279f., die Buccellati selbst die "rielaborazione teologica dello stesso t e m a " n e n n t (164), zu schnell hinweggegangen; ein Satz wie "Dio e assolto perchfe bisogna incriminare la societä" (164) wird weder den Worten des Freundes, noch denen des Leidenden voll gerecht. 43 Der Plural lii-ku-nu ilü (Z.295) ist im parallelismus m e m b r o r u m mit ä d e m Singular li-ir-ίά-α iS-tar (296) nicht kongruent; ein Singular in Z.295 würde zudem entsprechend ai$-tar 296 an den männlichen persönlichen Schutzg o t t denken lassen. Soll m a n also auch in Z.295 ursprünglichen Singular verm u t e n ? Vgl. B. Landsberger, ZA 43 (1936) 72/3. 44 D a ß re'um Z.297 den König meine, setzt n a c h Landsberger (a.a.O.) auch R . L a b a t (Labat u.a., Les religions du Proche-Orient asiatique [Paris 1970] e 327 ) voraus. Vgl. dazu die vorsichtigen Erwägungen Buccellatis, OA 11, 17813. Auch von Soden (MDOG 96, 55) übersetzt: " D e r Hirte, die Sonne der Menschen, möge sich wie der G o t t mir freund[lich zuwenden]!" Vgl. aber AHw 978b. Eine V e r t r a u e n s b e k u n d u n g gegenüber dem König gerade in der letzten Zeile w ü r d e auch zu dem Akrostichon des Textes passen: a-na-ku sa-ag-gi-il-ki[i-na-am-u]b-bi-ib ma-äi-ma-iu ka-ri-bu ία i-li ύ iar-ri "Ich, S., der Beschwörer, bin ein Verehrer von Gott u n d König".

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die Götter mögen dem Leidenden "einen Helfer" stellen 46 ; vielleicht ist damit die Hoffnung auf einen 'ed // iähed. "Zeugen" Hi 16,19 bzw. einen go'el "Loskäufer" 19,25 und die Gestalt eines melts "Fürsprechers" Hi 33,23 zu vergleichen. Ein Fragment weisheitlicher Streitrede eines Leidenden gegen seinen Gefährten bzw. Freund (ib-ri... tap-pe-e Z.4) ist das schlecht erhaltene Stück VAT 9943 pl.25 {BWL 90f.); auf die dialogische Struktur des Textes weist die viermal wiederholte abwehrende Wendung at-ta la-a tu-kal-lam-an-ni (tu-ka-la-ma-an-ni) a-ja-ii "mich wirst du nicht (eines anderen) belehren" 11.13.15.17. 4. Daß nun aber umgekehrt auch die oben genannten monologischen Keilschrifttexte von einem Theodizeeproblem nicht einfach frei sind, zeigt vielleicht schon der einfache Umstand, daß auch in den meisten von ihnen die Gestalt eines Freundes begegnet, die Person also, mit der in der Babylonischen Theodizee die Problembehandlung geschieht. Freilich ist die Funktion dieses Freundes in den älteren Keilschrifttexten noch eine symptomatisch verschiedene. Wenig klar ist sie in PBS I 2 135: dort heißt es Z.7 a n - t a - m u e n i m - d i s - ä m e n m u ( ? ) - e (?) - d a ( ? ) - [ t a r r e - e η ] / tap-pi-e

a-wa-tam

ii-ti-a-at

a-sa-[a-al-ka]

"Mein Freund, eine

Sache will ich dich fragen" Nicht deutlich ist auch, wie das Handeln des in Z.4 des sumerischen Hiobtextes zweifach genannten Freundes 47 auf die Klage des Leidenden bezogen ist. Dagegen scheint nach Z.l von AO 4462 ein menschlicher Partner für den Leidenden als seinem "Freund" vor dem Gott zu intervenieren: et-lu-um

ru-i-is

a-na

i-li-su

i-ba-ak-ki

"ein Mann weint für den Freund 48 zu dessen Gott", was Z.2 im Parallelismus abwandelt; die Zeilen 3ff. vollends lassen dann offenbar den Fürbitter die Klagen des Leidenden stellvertretend artikulieren. Zwar nicht Freunde, wohl aber die Familie des Leidenden, deren ursprüngliche Trösterrolle in solchen Fällen auch noch Hi 42,11 hindurchschimmert 49 , sind in R.S. 25.460 Z.9-12 tätig: sie nehmen offenbar schon zu Lebzeiten des

45 Das Objekt re-sa "einen Helfer" Z.295 ist durch die Wendung re-sa u tuk-la-tum "einen Helfer und Hilfeleistungen" in der unmittelbar vorangehenden oppositiven Klage Z.290 vorbereitet. 46 Transkriptionen nach van Dijk, SS A 128; zur Rolle des Sprechenden daselbst S.131. 47 Kramer (SVT 3, 177) denkt an das Nebeneinander einer weiblichen und einer männlichen Tröstergestalt. Zum Versagen von Freund und Gefährten in der Trösterrolle sind vielleicht noch Z.35f.(61f.) zu vergleichen. 48 So für akkadisch ru-i-iS mit Nougayrol (RB 59, 243) und von Soden (MDOG 96, 47, und AHw 993b); anders van Dijk (SSA 12151) und Lambert (BWL 103, Or 40 [1971] 97: "like a friend"). 48 Zur ursprünglichen Trösterrolle der Verwandten und Bekannten von Hi 42,11 G. Fohrer, Das Buch Hiob (ΚΑΤ 16, Gütersloh 1963) 32.538, und Vf., Hiob und seine Freunde (Theologische Studien 103, Zürich 1970) 23-26.

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Leidenden die Vorbereitungen für dessen Beerdigung vorweg, worin freilich wenig Ermutigendes liegt 5 0 . — Offenbar also gehört die Figur eines Freundes zur konventionellen Topik solcher Texte: was wir vorfinden, sind Varianten einer Trösterrolle 51; in R.S. 25.460 ist diese Funktion — wie im Verlauf der biblischen Hiobdichtung, wenn auch in anderer Weise — in ihr Gegenteil umgekehrt. Die Babylonische Theodizee jedenfalls scheint die Trösterrolle des Freundes erst eigentlich versachlicht zu haben: hier wird sie geradezu ein literarisches Signal für die Präsenz des Theodizeeproblems und seine erörternde Behandlung. Es fragt sich dann, inwieweit diese Signalfunktion in der Rolle des Freundes von vornherein angelegt war. Sachlich ist die Voraussetzung für das Aufkommen des Theodizeeproblems schon dadurch gegeben, daß sich in allen genannten Texten die Auseinandersetzung an einer einzigen Gottheit .orientiert, die wohl zunächst mit dem persönlichen Schutzgott identisch ist, von dem der Leidende die Verwirklichung einer sittlichen Ordnung, insbesondere die Vergeltung des Guten in seinem Leben erwartet 62 ; noch die Babylonische Theodizee lenkt nach ihrer polytheistisch orientierten letzten Belehrung (Z.276ff.) das Vertrauen u.a. auf die persönliche Schutzgöttin [aiS-tar 296) zurück 63. Anders aber als besonders beim biblischen Hiob entzündet sich das vorwurfsvolle Rufen zu dem Gott in den älteren hier besprochenen Keilschrifttexten noch nicht am Bewußtsein eigener Unschuld. Im Gegenteil: der Leidende des sumerischen Hiobtextes gesteht, daß der Gott seine Sünden aufgedeckt habe (Z.111-113) M ; allerdings wird das individuelle Schuldbekenntnis — ähnlich wie Hi 4,12-21; 15,14-16; 25,4-6 im Munde der Freunde —• durch das Wort der "Weisen" von der allgemeinen menschlichen Sündhaftigkeit (101-103) schon vorher n e u t r a l i s i e r t A u c h in AO

50 So nach der Neubearbeitung von R.S. 25.460 durch W. von Soden, UF 1 (1969) 191f. 51 Auch Westermann (Aufbau 34ff.) erklärt im Anschluß an Bentzen (vgl. unsere Anm. 15) die Funktion der Freunde im Buch Hiob und somit dessen Dialogform aus einer Situation des Tröstens, wobei der Dialog des Tröstens freilich im Fortgang des Redewechsels zum Streitgespräch degeneriert; zur Rolle der Freunde als Tröster und zur Verwurzelung dieser Rolle in den Klagepsalmen schon Gunkel - Begrich, Einleitung 208. Die Gestalt des ibru, tappü u.a. ist auch der babylonischen Gebetsbeschwörung bekannt; vgl. Mayer 108111. 62 Dagegen ist in ludlul die Gottheit, mit der die Auseinandersetzung der Klage geschieht, von den persönlichen Schutzgöttern (I 43f.; II 4f.ll2f.) unterschieden. 53 Vgl, Anm. 43. 61 So kommt, wie von Soden (MDOG 96, 46) bemerkt, ein Zweifel an der Gerechtigkeit der Gottheit hier nicht auf. 55 Zum Motiv von der allgemeinen menschlichen Sündhaftigkeit verweist von Soden (S.48) auf die Klage an Marduk SA HG Β 43.

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4462 scheint die schlecht erhaltene Z.13 die Möglichkeit einer früheren Verfehlung des Leidenden zu erörtern 6 6 ; dem entspricht vielleicht die abschließende Mahnung des Gottes, auf die erfahrene Rettung nunmehr durch eine Observanz der Mitmenschlichkeit zu antworten (62-65) 57. — Der Grund für den Vorwurf gegen Gott 6 8 ist hier noch ganz elementar das Leiden als solches, nicht erst seine Unverrechenbarkeit mit einer an der Retributionstheorie orientierten theologischen Reflexion; das Rufen zu dem Gott ist eine in Sprache gefaßte Abwehrhandlung, eine Sprachgebärde des Lebens selbst, das das Feindselige in der Wirklichkeit, die Last auch des Göttlichen anders nicht erträgt. Erst von daher wird die Funktion des Freundes in den Texten voll verständlich. E r ist eine Mittlergestalt, die zwischen der Lebenswidrigkeit der Welt und dem Lebenswillen des Menschen ihren Platz hält; insbesondere nimmt sie den Leidenden gegen die Bedrohung in Schutz, die dessen Schicksal für die geistig-religiöse Wirklichkeitsrezeption allemal ausmacht. Sein FunktionenWechsel zwischen den älteren Texten und der Babylonischen Theodizee ist insoweit ein fließender: noch das versachlichte Gespräch der Freunde über das Problem einer Rechtfertigung der Gottheit angesichts des Ordnungsdefizits in der Welt stiftet ein Vitalpotential für die Aufrechterhaltung des geistigen Lebens, das sich gegen die nackte Zweckwidrigkeit der Welt reaktiv zur Wehr setzt. Die Mittlerfunktion des Freundes geht dabei allerdings, wie später überall in der philosophischen Theodizee, infolge geistiger Sublimierung schon des Bedrohenden vom lebendigen Menschen und seinen Sprechhandlungen an ein Stück Lehre, an ein Theorem über. 5. Auch in ludlul bei nemeqi, wo der Dialog und die Gestalt des Freundes fehlen, ist das Problem der Theodizee deshalb doch nicht einfach abwesend. Während die Unschuldsbeteuerung — nunmehr ebenso wie im Fall Hiobs — dem durch das Unheil gegebenen Anschein eigener Verschuldung widerspricht (II 12-32), hält sich der Betende die durch den Widerspruch von Unschuld und Unheil geforderten Trostgründe im Selbstgespräch vor: bei den Göttern gelten nun einmal andere Maßstäbe als bei

" ie-et i-pu-iu la i-d[i\ "die Sünde, (die) er tat, kennt er nicht"; Bottero, Annuaire 1964/5 £ cole IV' section, 129. Vgl. die vorsichtige Bemerkung Nougayrols: "De toute fagon, la version ancienne semble moins insister sur l'injustice subie que sur le carad^re soudain, 'miraculeux' de la gu£rison" (RB 59, 250). 67 Auf den möglichen Zusammenhang von Z.13 mit der abschließenden Mahnung zum Besseren 62-65 hat ebenfalls Bottero (a.a.O. 129f.) hingewiesen. " Dazu sumerischer Hiobtext Z.30.38.68.96-100. Besonders eindrücklich ist AO 4462 Ζ.26: \im-ma-f\i-ma la tu-[d]a-[m]i~qd-an-ni-ma "niemals tatest du mir etwas Gutes"; nach der Neubearbeitung des Textes durch von Soden, Or 26 (1957) 315-319, hier 316; vgl. MDOG 96, 47.

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einem Menschen (33-35); dieser muß sich darum nach den Grenzen seiner Erkenntnisfälligkeit fragen (36-38). Die Ähnlichkeit von Z.36-38 mit den Fragen der Freunde Hiobs Hi 11,7-10; 15,7-13 und den abschließenden Fragen Gottes 38,2ff. ist nicht zu übersehen. Was darauf in ludlul folgt, ist eine Vergänglichkeitsklage, die das demütigende Gebundensein des Menschen an wechselnde Situationen und ihre Stimmungen bespricht (39-47); weisheitlich reflektierend wird dabei vom Schicksal des Betenden zur condicio humana hinübergelenkt. Auch funktionell geschieht hier eben das, was eine Theodizee auszumachen pflegt: der Mensch verleugnet sein Normenbewußtsein und sein Anrecht an der Wirklichkeit, um damit das Recht der Gottheit gegen aufkommenden Zweifel in Schutz zu nehmen.

II Welches Licht fällt von diesen Ergebnissen auf das Buch Hiob und verwandte biblische Texte? Behandelt das biblische Hiobbuch das Theodizeeproblem? 1. Zunächst ist nicht zu übersehen, daß die Funktion der Reden Hiobs Hi 3,lfE. weithin mit derjenigen von Äußerungen des Leidenden in der Klage ü b e r e i n s t i m m t I n s o f e r n besteht der Vergleich des biblischen Hiobbuches mit ludlul bei nemeqi, AO 4462, dem sumerischen Hiobtext und R.S. 25.460 zu Recht — nur daß das tertium comparationis dabei die gemeinsame Teilhabe an der Gattung "Klage" und zunächst nicht eine Orientierung am Theodizeeproblem ist60. Mit dem gleichen oder mit größerem Recht wie zu der altorientalischen Auseinandersetzungsliteratur 61 kann darum das Buch Hiob zu den oben aufgezählten Psalmen einer gewendeten Klage gestellt werden. Das meiste von dem, was Hiob vorbringt, ist mittelbar oder unmittelbar ein an Gott gerichteter Appell. Auch seine bis an die Grenze des Blasphemischen reichenden Anklagen münden in Wünsche und Bitten aus, wenn auch die Hoffnung auf eine reale Beseitigung des quälenden Unheils immer mehr zurücktritt: wenn 1,9 Zur exegetischen Begründung des folgenden muß der Vf. auf frühere Arbeiten verweisen: die Titel in Anm. 32 und 49 und "Altes und Neues zum Buch Hiob", Evangelische Theologie 37 (1977) 284-304; zur Forschungsgeschichte Vf., Das Hiobproblem. Seine Stellung und Entstehung im Alten Orient und im Alten Testament (Darmstadt 1978). 80 Umgekehrt wollte J. J. Stamm (Das Leiden des Unschuldigen in Babylon und Israel [Zürich 1946] 80), als er den Zusammenhang von ludlul bei nemeqi mit den babylonischen Klage- und Dankpsalmen erkannte, gerade darin den Abstand dieses Textes vom biblischen Hiobbuch wahrnehmen. el Zu den dafür aus Ägypten in Frage kommenden Texten E. Otto, Der Vorwurf an Gott (Vorträge der orientalistischen Tagung in Marburg, Fachgruppe: Ägyptologie, 1950, 1951), "Weltanschauliche und politische Tendenzschriften", in: Ägyptologie - Literatur (HO I 1,2, Leiden 1952) 11-119.

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Gott den Leidenden schon nicht erretten will oder kann, dann soll er doch wenigstens von dessen Vernichtung ablassen, damit Hiob aufatmen und zu seiner Verteidigung reden kann (Hi 9,34f.; 13,21-28); ja, Hiob möchte zumindest gegen die von Gott verschuldete Rechtsverletzung einen Anwalt finden (16,18; 17,3; 19,23f.) oder selbst dem Gott, der ihm Unrecht tut, zu seiner eigenen Rechtfertigung gegenübertreten (13,3.14f.; 14,13-17; 23,3-7; 31) Dem Charakter der Reden Hiobs als Appell an Gott entspricht es denn auch am ehesten, daß sich Gott 38,Iff. zu einer Selbstofienbarung und zu einer Gegenrede bewegen läßt, die beide die Klageerhörung, die göttliche Zuwendung zu dem Leidenden, anzeigen: das Faktum des Erscheinens und Redens Gottes tritt so an die Stelle der Gottesantwort in den Klagepsalmen ,s . Darüber hinaus aber hat die Hiobdichtung durch Aufnahme des Prosaschlusses aus der älteren Hioberzählung (42,10-17) auch eine faktische Rettung des Leidenden, eine reale Beendigung des anfänglichen Unheilszustandes, vorgesehen. Insofern läßt sich das biblische Hiobbuch zusammen mit den monologischen Keilschrifttexten und analog zu den Psalmen einer gewendeten Klage als "Klageerhörungsparadigma" bezeichnen M. 2. Und doch ist damit nicht alles gesagt. Schon die dialogische Struktur stellt Hi (3)4 - 27(29-31) wie bereits erwähnt, zugleich an die Seite der Babylonischen Theodizee. Ähnlich wie im Gesprächsgang dieses Textes verhalten sich die Klagen Hiobs oppositiv gegenüber der Argumentation der Freunde, die die traditionelle Retributionstheorie vertreten. Beide Parteien, Hiob und seine Freunde, besprechen dabei nicht nur Hiobs konkreten Fall, sondern dessen Signifikanz für die condicio humana überhaupt: die Freunde etwa durch ihr Argument, kein Mensch sei gerecht vor Gott ··, womit sie, um Hiob entgegenzukommen, im Grunde ebenfalls die Retributionstheorie aufheben, Hiob dagegen in seiner Rede über

•2 Zu den Wünschen und Bitten Hiobs Westermann, Aufbau 81-84. • 3 Westermann, Aufbau 109. Gotteserscheinung und Gottesrede entsprechen tatsächlich nicht nur der den Dialogteil abschließenden Herausforderung Gottes durch Hiob (Hi 29,1 - 3 1 , 3 7 , bes. 31,35-37), sondern auch den vorangehenden Bekenntnissen der Zuversicht 16,19-21; 19,25-27, die Gott durch sein eigenes Kommen noch überbietet. Für das bevorstehende Erscheinen wird sowohl in 19,25 als auch in 31,14 das Verb QÜM "sich erheben" verwendet — wie auch sonst als Ruf an Gott in der Klage (dazu F. Schnutenhaus, "Das Kommen und Erscheinen Gottes im Alten Testament", ZA W 76 [1964] 1-22, hier 6f.). 44 Terminus nach H. Gese, Lehre und Wirklichkeit in der alten Weisheit. Studien zu den Sprüchen Salomos und zu dem Buche Hiob (Tübingen 1958). es Die sog. monologischen Stücke Kap.3 und 29-31 sind als Rahmen des Dialogs 4 - 2 7 * angeordnet. · · Hi 4,12-21; 15,14-16; 25,4-6.

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das Glück des Frevlers 21,5ff., die die vorangehenden Sentenzen der Freunde einfach umkehrt. Vor allem aber: beide beziehen sich in ihrer Weise auf das Postulat einer der Wirklichkeit zugrunde liegenden sittlichen Ordnung, die die Gottheit zu garantieren hat. Dies Postulat wird nicht nur von den Freunden unter Abblendung allbekannter Tatsachen behauptet; von ihm und seiner Wirklichkeitsfremdheit geht vielmehr auch Hiob aus, wenn er Gott wegen des Ausbleibens einer gerechten Retribution verklagt. Darum sind Hiobs Unschuldbeteuerungen Teil seines Streits mit den Freunden (6,28-30; 19,6; 27,2-6), ehe sie mit der wachsenden Abwendung Hiobs von einem unfruchtbar werdenden Disput immer klarer in einen Appell an Gottes Gerechtigkeit übergehen (9,21; 13,15f.; 23,10-12; 31)". So ist das Theodizeeproblem in dem Maße gegenwärtig, wie es bei der Anklage Gottes untrennbar um die Frage nach der Ordnung der Wirklichkeit, beim Ringen um das göttliche Gegenüber gleichzeitig um die Normenadäquanz der Welt geht. Entsprechend erschöpft sich die Antwort Gottes 38,Iff. keineswegs in so etwas wie einem actus purus. Der bloße Vorgang einer Gottesoffenbarung als Peripetie in der Geschichte des Leidenden wäre zudem im Buch Hiob nichts Neues: auch in AO 4462 wird die Heilung durch eine Gottesrede hervorgerufen (Z.48-67, bes. 66f.); in ludlul bei nemeqi sind es immerhin doch Erscheinungen (III 9-47) und ein zweimaliges lösendes Wort (34a. 37a), die die Schicksalswende bringen. Neu ist an der Gottesrede des Hiobbuchs dagegen, daß ihr Inhalt auf die Anklagen Hiobs und die darin aufgeworfenen Fragen nach der Wirklichkeit eine Antwort zu geben sucht; neu ist, mit anderen Worten, ihr impliziter Versuch, auf das Theodizeeproblem einzugehen. Tatsächlich enthält die Gottesrede denn auch nicht nur ein Selbstlob des Schöpfers, mit dem allenfalls die Überlegenheit göttlicher Macht im Vergleich mit menschlichem Aufruhr erwiesen wäre; vielmehr werben die dabei aufgenommenen hymnischen Motive 68 zugleich um die Zustimmung des Menschen zu der erschaffenen Welt. Das Sprachmittel, dessen der Dichter sich dafür bedient, sind Reminiszenzen des Weltschöpfungsmythos die er jedoch, da echter Mythos längst nicht mehr lebendig ist,

67

Westermann, Aufbau 104-106. Keilschriftliche Parallelen zum göttlichen und königlichen Selbsthymnus Vf., Evang.Theol. 37, 295f. 89 W a s die Gottesrede vor Hiob entwirft, ist ja zunächst nicht das Abbüd der vorgegebenen Realität, sondern die mythische Welt des ersten Tages, "als die Morgensterne allzumal frohlockten und alle Gottessöhne jubelten" (38,7). Aber auch die Gegenwartswelt nimmt in mythischer Rezeption eine menschgemäße Gestalt an, wenn das Meer als ein kleines Kind vorgestellt wird, das mit Windeln bekleidet, aber auch hinter Riegel und Türen verschlossen wird (38,8-11), wenn Tag und Frührot allmorgendlich den Befehl Gottes 68

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lediglich ästhetisch wiedererweckt: die Schönheit eines prototypischen Weltentwurfs soll die Lebensfeindlichkeit der vorfindlichen Welt 7 0 gleichsam neutralisieren. Voll entsprochen wird dem Bedürfnis einer Theodizee damit freilich wiederum nicht: eine nur noch ästhetisch gelingende Mythisierung der Wirklichkeit mißt der Welt einen Mehrwert bei, der das Vorfindliche gleichsam überlädt; ihre Heimatlichkeit verwirklicht sich nur in der Sprache, nicht mehr in der von ihr bezeichneten Realität. Nicht ohne Vorbilder dagegen ist die Hi 38,4ff. vorgenommene Verwandlung des göttlichen Selbstlobs in eine Reihe von Fragen an den Menschen, der dadurch als Ankläger Gottes ins Unrecht gesetzt wird. An den von uns herangezogenen Keilschrifttexten haben solche Fragen, wie wir sahen, schon im Selbstgespräch des Betenden ludlul II 33-35 ihre Entsprechung; dazu kommen die Zeilen 83f. des "Pessimistischen Dialogs" 71. W. G. Lambert hat Beispiele für den Topos u.a. aus keilschriftlichen Hymnentexten beigebracht 72 . Aus dem Alten Testament wären die ebenfalls hymnisch motivierten Fragen Jes 40,12-14.18.24f. zu vergleichen. Schließlich wurden wir darauf aufmerksam, daß auch die Freunde schon Fragen dieser Art an Hiob gerichtet hatten (Hi 11,7-10; 15,7-13). Das Eigentümliche in Hi 38,4ff. ist, daß die Fragen wie das Selbstlob Gottes aus dessen eigenem Munde ergehen 73 . Erfolgt die Bestreitung Hiobs also durch Gott selbst, so ist es doch eben der zugewandte, der gnädige Gott, in dessen Rede die Theodizee das Recht Gottes nicht länger gegen das Recht des Menschen ausspielt. Gott betätigt sein Recht vielmehr, indem er den Menschen annimmt, auch wenn er dessen Anklage zurückweist; entsprechend oszilliert Hiobs Antwort zwischen einer verhaltenen Dankbarkeit und offener Beschämung (42,5f.):

vernehmen, die Frevler von der Erde abzuschütteln (V. 12-15), oder wenn Jahwe, offenbar wie Marduk in Enütna elis IV 19-26, die Fesseln von Sternbildern zusammenfügt, um sie danach wieder zu lösen (V.31, vgl. R. Borger, "Das Wunder des Marduk", AfO 19 [1959/60] 113, und AHw s.v. lumäsu S.563). Zur Aufzählung weiterer Mythenmotive Vf., Evang.Theol. 77, 297f. 70 Die festliche Weltbejahung von Kap.38 wird in 39 um eine Nuance distanzierter: in den Tierschilderungen manifestiert sich ein anarchisch-chaotisches Element in der Welt, das doch der Herrschaft Jahwes unterliegt (O. Keel, Jahwes Entgegnung an Ijob. Eine Deutung von Ijob 38-41 vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Bildkunst [Göttingen 1978]) und von dessen urzeitlicher Stiftung und gegenwärtiger Bändigung umfangen bleibt. 71 J. Bottero ("Le 'Dialogue pessimiste' et la transcendance", Revue de thiologie et de philosophie 99 [1966] 7-24, bes.18-22) hält diese Stelle für den Schlüssel des ganzen Textes. 72 BWL 327. 73 Vgl. dazu lediglich die Fragen Eis Prov 30,4 und des Engels von 4 Esra 5,36f. - Prov 30,2f. führen V.4 als Rede Eis ein; in V.3a ist nämlich nach L X X (w)'el limmad 'öti "(und) El lehrte mich" zu lesen.

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Vom Hörensagen hatte ich von dir gehört, nun aber hat dich mein Auge gesehen. Darum widerrufe ich und bereue74 in Staub und Asche. 74 Der objektlose Gebrauch von M'S mag auf Anpassung an das folgende Ni. NHM beruhen; gegen D. Patrick, "The Translation of Job X L I I 6", Vetus

Testamentum

26 (1976) 369-371.

NACHTRAG Das Heft Orientalia N.S. 47/3, 1978, mit dem hier wieder abgedruckten Artikel wurde Wolfram Freiherrn von Soden zum 70. Geburtstag gewidmet. Zu Ludlul bei nemeqi, AO 4462, R.S. 25.460, der Babylonischen Theodizee und dem Pessimistischen Dialog liegen jetzt in: Texte aus der Umwelt des Alten Testaments III 1: Weisheitstexte I, 1990, 1 1 0 - 163, neue deutsche Übersetzungen W. von Sodens mit Einleitungen und kurzen Erläuterungen vor. Hier auch wird der Leser über den neueren Forschungsstand zu den Texten unterrichtet: eine Reihe von Lücken der 1. Tafel von Ludlul bei nemeqi konnte durch einen von D. J. Wiseman (Α New Text of the Babylonian Poem of the Righteous Sufferer, AnSt 30, 1980, 101 - 1 0 7 ) publizierten Text aus Kalhu (ND 5485) geschlossen werden; AO 4462 wurde von W. G. Lambert (A Further Attempt at the Babylonian ,Man and his God', in: F. RochbergHalton [ed.], Language, Literature and History. Philological and Historical Studies Presented to E.Reiner [AOS 67], 1987, 187-202) neu bearbeitet. Einen forschungsgeschichtlichen Überblick zu den altorientalischen Paralleltexten des Buches Hiob habe ich in: Das Hiobproblem. Seine Stellung und Entstehung im Alten Orient und im Alten Testament (Erträge der Forschung 84), 1978, unveränderte 2. Aufl. 1988, 46 - 49, gegeben - mit Hinweis auf mögliche andere antike Parallelen S. 6 9 - 7 2 . - Für exegetische Einzelfragen zu Hiob 38,1 ff. verweise ich auf meinen Aufsatz „Gottes Antwort an Ijob und das Recht religiöser Wahrheit", BZ 32, 1988, 210 — 231, worin sich auch weitere Berührungspunkte mit den hier angeschnittenen philosophisch-theologischen Problemen finden; vgl. ferner „Welt als ,Wiederholung'. Sören Kirkegaards Novelle als Beitrag zur Hiob-Interpretation", in: R. Albertz u. a. (edd.), Werden und Wirken des Alten Testaments. FS für C. Westermann zum 70. Geburtstag, 1980, 355 — 372, und „Die Straußenperikope in den Gottesreden des Hiobbuches", ZAW 100, 1988, 90 —106. — Die in Anm. 14 erwähnte Habilitationsschrift E. Gerstenbergers ist in der Reihe WMANT (51; Neukirchen 1980) unter dem gleichen Titel erschienen.

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Die lyrische Reproduktion des Mythischen im Hohenlied Die Auslegung des Hohenliedes scheint sich in einer Aporie zu bewegen. Wird ohne Nuancierung die gegenwärtig herrschende »natürliche Deutung« geübt, schwindet mit Hintergrund und Tiefe des Textes seine dichterische Atmosphäre: bloße Deskription oder diachrone Aufreihung von Phänomenen können nun einmal keine Lyrik schaffen. Herrscht dagegen die mythisch-kultische Deutung, so werden nicht nur zumeist die Konturen verzeichnet und die Farbtöne überzogen; die Exegese setzt auch noch eine Integrität paganer Vorstellungen und Verhaltensweisen voraus, wie sie besonders im Israel der nachexilischen Zeit unvorstellbar sind. Die Frage aber ist, ob es gegenüber den vergleichsweisen Extremen dieser beiden Interpretationsweisen nicht ein Drittes gibt. Die Sprache lyrischer Dichtung könnte nuancierende Untertöne des Mythischen enthalten — eds Erinnerung, die mitschwingt, ohne daß sich Natur und Mensch erneut vom Mythischen vereinnahmen ließen; speziell die Lyrik des Hohenliedes könnte das Mythische reproduzieren, wo sie das Naturerleben mit der ihren Ausdrucksformen eigenen Metaphorik ausspricht und so das Dasein des naturbezogenen Menschen einer punktuellen, dichterischen Sinngebung zuführt. Lyrisch nennen wir dabei ein Sprachgebilde, durch das sich die Spannung eines gefühlsbetonten Erlebens sinnlicher Wirklichkeit löst 1 und zugleich in äußerster Dichte vergegenständlicht. Wir verzichten bewußt nicht nur auf eine stärker limitierende Definition, sondern versagen es uns auch, das gegenseitige Verschwimmen von Subjekt und Objekt in einem Vorgang, der sich als »Verinnerung« bezeichnen ließe 8 , zu den Merkmalen des Lyrischen zu zählen: ein solcher Begriff würde der altorientalischen Kunst, der die Subjekt-Objekt-Spaltung als Voraussetzung 1

66.

Vgl. zur Formulierung A. HERMANN, Altägyptische Liebesdichtung, 1959,

a So W. KAYSER, Das sprachliche Kunstwerk. Eine Einführung in die Literaturwissenschaft, 1 9 7 3 " , 336, im Hinblick auf E. STAIGER, der von »Erinnerung« sprach.

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fremd ist, durchaus nicht entsprechen; sie ist Kunst des naiv-Gewußten, des Zeigens und des eher zeitfremden Benennens, in der auch die sprachliche Wiedergabe gefühlsbetonten Erlebens streng gegenstandsbezogen bleibt 3 . Die Vergegenständlichung in der Sprache macht dann auch nur damit ernst, daß sich der Mensch der Frühantike an die ihm vorgegebenen sinnlichen Dinge gewiesen weiß und diese auch in der dichterischen Intensivierung lediglich wiederzuentdecken meint.

I

In den sog. Beschreibungsliedern (Hhld 4, 1-7; 5, 9-16; 6, 4-7. 10; 7, 1-6 sowie δ, 6-8) wird das Mythische durch die theomorphe Steigerung des Menschen 4 reproduziert. Natürlich sind es Wesen von Fleisch und Blut, die hier beschrieben werden. Aber schon durch den Eingangssatz »Mein Geliebter ist weißglänzend und rot« haftet einer Schilderung wie der von Hhld 5, 9-16 etwas Statuarisches an. Es sind »idealisierende Züge« daxin, und so fragt es sich, woher diese ihre Norm beziehen. G. Gerlemans Hinweis auf imaginative Vorbilder in den Menschendarstellungen der ägyptischen Kleinplastik6 ist dabei hilfreich, ähnlich wie die Erwägung, daß helle bzw. rötliche Hautfarbe ein Zeichen aristokratischer, speziell städtischer Herkunft sein könnte®. Dennoch bleibt »im Bereich einer Körperbeschreibung ... >Gold< ebenso befremdlich wie die Glanz- und Farbenepitheta in (V.) 10« 7 ; zu den Mirabilia des goldenen Hauptes (10) und der goldenen Hände (14) fügt sich der Hinweis auf das goldene Postament, auf der die beschriebene Gestalt ihren Standort hat (15). Etwas weiter gehen 6, 4-7 und die versprengte Variation des Motivs

* Paradigmatische Beobachtungen dazu an der ägyptischen Skulptur und Sprache finden sich bei W. WOLF, Über die Gegenstandsbezogenheit des ägyptischen Denkens (in: Ägyptologische Studien. Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin: Institut für Orientforschung, Veröffentlichung Nr. 29, 1955, 403-410); vgl. G. GERLEMAN, Ruth. Das Hohelied (BK XVIII), 1965, 226f. 4 Vgl. zur Formulierung H. BLUMENBERG, Wirklichkeitsbegriff und Wirklichkeitspotential des Mythos (in: M. FUHRMANN [Hg.], Terror und Spiel. Probleme der Mythenrezeption, 1971, 11-66), bes. 13. « AaO 69, dagegenE. WÜRTHWEIN, in: Die fünf Megilloth (HAT I, 18), 1969, 58. • So der Hinweis auf einen Satz von K. CONTI-ROSSINI durch G.M. LEE, Song of Songs V 16, »My Beloved is White and Ruddy« (VT 21, 1971, 609). ' GERLEMAN, a a O 1 7 3 .

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Die lyrische Reproduktion des Mythischen im Hohenlied

von V. 4 in V. 10 8 . Die Opposition der Adjektive jäpä »schön« und näwä »lieblich« bzw. bärä »rein« einerseits und 'ajummä »furchtbar« andrerseits (4. 10) ist dabei ähnlich verwirrend wie die Einführung von Thirza und Jerusalem, ja von Morgenröte, Mond, Sonne und den offenbar ebenfalls astralen nidgälot als Vergleichsgegenständen für die Geliebte (daselbst). Zu den Vergleichen mit Morgenröte, Mond und Sonne paßt dann auch, daß die bewunderte Dame majestätisch »herabblickt« (mi zot hannüqäpä, 10) wie die zyprische »Aphrodite parakyptusa«, die göttliche Frau im Fenster, hinter welcher interpretatio Graeca niemand anders als die syrisch-phönizische Astarte steht 9 . Das verhalten Numinose an diesen Nominalbegriffen spiegelt sich noch in dem Verb hirhibünt »sie haben mich beben gemacht« (5a), das den Eindruck ihrer Augen auf den Betrachter bezeichnet. Wenn freilich auch sonst das Erschrecken zu den Wirkungen des Schönen zählt 10 , so liegt darin nur ein Hinweis darauf, daß das Schöne als eine Gleichnisgestalt, oft als Nachfolgephänomen des Heiligen aufkommt. Speziell ein die syrisch-phönizische Astarte mag es erinnern, wenn die nidgälot von V. (4). 10, von der Wurzel DGL »(mit Bewunderung) sehen« hergeleitet 11 , die »(weithin strahlend) Sichtbaren (Gestirne)« sind 12 , etwa in Erinnerung ein • Die i n V. 4 u n d V. 10 b e g e g n e n d e W e n d u n g '"jummä kannidgälöt ist allerdings e h e r i m Z u s a m m e n h a n g des plerophorischen Verses 10 u r s p r ü n g l i c h (gegen WÜRTHWEIN, aaO 59), wo nidgälot nach sahar, l'bänä und hammä die Klimax der Vergleichsgegenstände bezeichnet, w ä h r e n d m a n i n V. 4 a m ehesten e i n e n w e i t e r e n O r t s n a m e n e r w a r t e t , weis nidgäXät doch wohl n i c h t ist. • Literarisches u n d archäologisches Material z u r Aphrodite parakyptusa bei W . FAUTH, Aphrodite Parakyptusa. U n t e r s u c h u n g e n z u m Erscheinungsbild der vorderasiatischen D e a Prospiciens (AAMz 1966, Nr. 6), 1967; z u m A T ebd. 4 5 54. Das besonders aus Elfenbeinschnitzereien b e k a n n t e Bild der F r a u i m Fenster w i r d freilich von W . HELCK ( B e t r a c h t u n g e n z u r G r o ß e n Göttin u n d d e n i h r verb u n d e n e n G o t t h e i t e n , 1971, 226 f ) auf das Hathorkapitell z u r ü c k g e f ü h r t , das als S c h m u c k m o t i v seinen m y t h i s c h e n Sinn verloren h a b e ; danach h ä t t e n w i r es m i t einer Transposition des M y t h i s c h e n ins bloß-Ästhetische zu t u n . 10 W . SCHADEWALDT (Sappho. W e l t u n d D i c h t u n g . Dasein i n der Liebe, 1950,

103) stellt Hhld 6, 4f zu Sapphos Gedicht Φαίνεταιμοι χήνος ίσος &έοισιν (fr. 2 D) u n d zu e i n e r R e i h e a n d e r e r Zeugnisse aus der a n t i k e n u n d der abendländischen L i t e r a t u r ; vgl. 0 . LORETZ, Das althebräische Liebeslied (Alter Orient u n d A T 14/1), 1971, 40 A n m . 13. 11 E n t s p r e c h e n d akkadisch dagälu(m) »schauen, blicken, a n s e h e n « (AHw) und syrisch degal I »zielen, prüfen« (BROCKELMANN, Lex. Syr.); vgl. HAL, GERLEMAN, aaO 183, auch R. GORDIS, The Root V r in the Song of Songs (JBL 88, 1969, 203 f ) . " An eine S t e r n e n g r u p p e dachten n a c h dem Vorgang von H . WINCKLER zuletzt auch W . RUDOLPH (Das Buch R u t h . Das H o h e Lied. Die Klagelieder [ΚΑΤ X V I I , 1 - 3 ] , 1962, 162, m i t Hinweis auf parallele F e m i n i n b i l d u n g e n ! ) , S . D . GOITEIN (JSS 10, 1 9 6 5 , 2 2 0 f ) u n d LORETZ ( a a O

39f).

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Die lyrische R e p r o d u k t i o n des Mythischen im Hohenlied

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eine Sternrosette, wie sie der Göttin als »Himmelskönigin« 13 oder als Aphrodite Urania 14 eignet 15 . - Man tut freilich gut daran, zu betonen, daß solche Theomorphie der Besungenen hier lediglich einem augenblicklichen Ausschweifen der Phantasie entspringt, das die Sprache nur wie im Verschweben erfaßt; ein konsistentes Menschenbild oder auch nur ein bewußteres Selbstverständnis ist nicht dahinter zu erkennen. Einem lyrischen Götterspiel der Liebenden entspricht die Königstravestie, in der die Imagination den übermenschlichen Glanz des Herrscherpaares dazu herhalten läßt, die Fesseln der eigenen gesellschaftlichen Stellung für Augenblicke zu lösen 18 . Die Tänzerin von Hhld 7, 1-6, deren Beschreibung anschaulicherweise bei den Füßen beginnt, heißt anspielungsvoll sülammtt (l) 1 7 und ist eine Fürstentochter (2). Ihr Hals wird in V. 5 mit dem Elfenbeinturm, offenbar einem bekannten Luxusbauwerk, verglichen, was an den waffenbehängten Davidsturm von 4, 4 erinnert. Der, dessen Sinne sie gefangen nimmt, ist selber ein König (6). Altertümelnd wird ihr Tanz mit dem ältesten Wirkungsfeld des Königtums, dem Kriegslager, in Verbindung gebracht (lb): wenn der »König« ein Held ist, tanzt seine Braut einen kriegerischen Tanz 18 ; es ist ohnehin schwer vorstellbar, daß die kühnen Andeutungen eines Nackttanzes cinders denn mit archaischrituellen Zügen umkleidet in ein Gedicht einzugehen vermochten 19 . » J e r 7, 1 8 ; 44, 1 7 f f . 14 H e r o d o t I, 105 i n b e z u g a u f das H e i l i g t u m i n Askalon. 15 Z u r S t e r n r o s e t t e als E m b l e m d e r A s t a r t e vgl. FAUTH, aaO 8 2 A n m . 9, f e r n e r die A s t a r t e w a g e n m i t S o n n e u n d M o n d als M i t t e l p u n k t des T i e r k r e i s e s a u f M ü n z e n ( G . F . HILL, C a t a l o g u e of t h e G r e e k Coins of P h o e n i c i a , 1910, T a f e l 24, 1 0 ; Η.

GESE i n : H .

G E S E - M . HÖFNER-K. RUDOLPH, D i e R e l i g i o n e n Altsyriens, Alt-

a r a b i e n s u n d d e r M a n d ä e r , 1970, 191). " Z u r Königsrolle vgl. 1, 4. 12 sowie 8, 11 f , w o die T r a v e s t i e f r e i l i c h a u f g e h o b e n w i r d : d e m S p r e c h e r g e h t es besser als Salomo, da sein » W e i n b e r g « i h m e i n Vielfaches gilt. D i e B e z u g n a h m e n a u f d e n K ö n i g s a m t u n d sonders z u streic h e n , g e h t doch w o h l n i c h t a n ( g e g e n LORETZ, aaO 61 f ) ; ganz u n b e z w e i f e l b a r ist e t w a e i n so f a r b i g e s M o t i v w i e das königliche B e k r ä n z e n des B r ä u t i g a m s d u r c h s e i n e M u t t e r i n 3, 11, vgl. Jes 61, 1 0 ; Sota 49a. " Vgl. e t w a a u c h die h e r o i s c h - g ö t t l i c h e n N a m e n i n Vergils Bucolica: Phyllis, G a l a t e a , A m a r y l l i s u s w . — Solche A n s p i e l u n g e n m ö g e n einerseits k o n v e n t i o n e l l , a n d r e r s e i t s b e w u ß t v i e l d e u t i g g e w e s e n sein, so d a ß m a n a u f e i n e b e s t i m m t e Festl e g u n g des Sülammlt besser v e r z i c h t e t . 18 Z u e n t s p r e c h e n d e n S i t t e n i n a r a b i s c h e r Folklore vgl. J. G . WETZSTEIN, Z D M G 22, 1868, 1 0 6 ; G . DALMAN, P a l ä s t i n i s c h e r D i w a n , 1901, 2 9 6 ; A. MUSIL, A r a b i a P e t r a e a 5, 1908, 187 ( B e s c h r e i b u n g s l i e d ! ) . 1 9 7 f . " D i e SöSannim v o n V. 3b/3 lassen a n die S c h a m h a a r e d e n k e n (RUDOLPH, aaO 107), w a s n i c h t a u s s c h l i e ß t , d a ß es sich zugleich u m e i n e »lyrische Ü b e r h ö h u n g i m R a h m e n des D e k o r a t i v - G e f ä l l i g e n « h a n d e l t (GERLEMAN, aaO 1 9 8 ) ; die K o n k r e t i o n b l e i b t i n j e d e m Fall m e t a p h o r i s c h v e r h ü l l t .

156

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Die lyrische Reproduktion des Mythischen im Hohenlied

Voller Königstravestie ist auch das freilich in vielem dunkle Stück 3, 6-8, wonach die Heraufkunft der Braut »aus der Wüste« visionär »wie (in) Säulen von Rauch« vorgestellt wird 2 0 . Warum »aus der Wüste«, ein Motiv, das in 8, 5a noch einmal begegnet 2 1 ? Was sollen die Rauchzeichen 22 , welcher Ausdruck sonst nur noch Jo 3, 3 eins der Schreckenszeichen der Endzeit benennt? Aber als hätte sich der Dichter ein Stückchen zu weit vorgewagt, lenkt er sogleich zurück zum festlich Vorstellbaren : so ist die Herankommende »durchduftet von Myrrhe und Weihrauch, von allen Würzen des Händlers« (6b). Dann scheint sich die Anschauung endlich einzupendeln beim Bild von der Braut eines Heldenkönigs : sechzig Helden sind um sie her, wobei der Name Israel fällt, das einzige Mal innerhalb des Hohenliedes (7a/Jb). Kaum aber hat der Dichter den Sinn seiner Hörer aufs Gegenständliche gelenkt, befremdet er sie wieder: der Kriegszug geht »gegen das Schrecknis zur Nachtzeit« (8b), ein Ausdruck, der das Gemeinte vielleicht aus abergläubischer Furcht nicht allzu genau benennt 23 . - Merkwürdig ist auch, daß die einschließende Beschreibung des »Tragsessels Salomos« (V. 9 0 und des bekränzten »Salomo« selbst (11) viel nüchterner, ja bescheidener anmutet: die numinosen Reminiszenzen haften in 3, 6-8 wie in 6, 4 f. 10 eher an der Braut als der lyrischen Platzhalterin einer Göttin denn an ihrem männlichen Partner 2 4 . V. 7 a a wird m i t den meisten als Glosse zu 'appirjön (V. 9) zu streichen sein. D a ß » h i e r die allegorische D e u t u n g a u f den E i n z u g Israels in K a n a a n aus der W ü s t e . . . eingewirkt u n d den u r s p r ü n g l i c h e n Ausdruck v e r d r ä n g t h a t « , ist eine V e r l e g e n h e i t s a u s k u n f t RUDOLPHS (aaO 1+2), der sich auch zu 8, 5 m i t einer K o n j e k t u r hilft (179). L i e g t ein mythischer A n k l a n g v o r ? N a c h C T A 1 2 : 1 gibt II einer Reihe von Göttinnen den Auftrag, btk.mdbr »in der Steppe« (21), 'pr.'zm » a u f bloßer E r d e « (24) L i e b e zu g e w ä h r e n : ist g e r a d e in der Wildnis e i n m a l der bevorzugte Ort eines Hieros G a m o s g e w e s e n ? " G . DALMAN (Arbeit u n d Sitte in Palästina I, 1928, 639) dachte daran, daß » d i e bösen Geister vor W e i h r a u c h f l i e h e n . . . D a ß m a n h e u t e g e g e n den bösen Blick b e i m Z u g e des B r ä u t i g a m s R a u c h w e r k a n w e n d e t u n d die B r a u t das bloße Schwert vor ihr umschleiertes Gesicht hält, b e r u h t a u f e i n e m v e r w a n d t e n Aberg l a u b e n . « Jüdisches Folklore-Material zur magisch-dämonischen B e d r o h u n g der B r a u t n a c h t bzw. der Hochzeiter bei S . KRAUSS, D e r richtige S i n n von » S c h r e k 20

81

k e n d e r N a c h t « H L I I I . 8 ( i n : B . SCHINDLER-Α. MARMORSTEIN [ H g . ] ,

Gaster

Anniversary V o l u m e , L o n d o n 1 9 3 6 , 3 2 3 - 3 3 0 ) . 23

Z u mippahad

ballelöt

ist m i t RUDOLPH ( a a O 1 4 2 ) mippahad

lailä

Ps 91, 5 zu

vergleichen, wo auch i m K o n t e x t n u r a n d e u t e n d von den dämonischen W e s e n die R e d e ist. Z u r Sache auch G e n 32, 2 4 ; E x 4, 2 4 ; 12, 2 3 ; H i 2 4 , 17. 2 1 Nicht eigentlich vergleichbar ist die Königsfiktion P r e d 1, 1 2 - 2 , 1 1 : sie hat belehrende, j a satirische Funktion, insofern sie a u f das U n g e n ü g e n von M a c h t u n d R e i c h t u m w e i s t ; vgl. R . BRAUN, Kohelet u n d die frühhellenistische Popularphilosophie, 1973, 163.

[28]

Die lyrische Reproduktion des Mythischen im Hohenlied Es

war

bereits e i n m a l von

den

157

Vergleichsgegenständen

die

Rede.

G e r l e m a n h a t sie, soweit sie d i n g l i c h e r N a t u r sind, s y s t e m a t i s c h e r f a ß t : danach begegnen Landschaftsbezeichnungen neben Begriffen der Architektur sowie F a c h a u s d r ü c k e aus der Juwelier- u n d

Kunsthandwerkstatt

n e b e n T e r m i n i einer einfachen Zoologie u n d Botanik26. Einerseits m u ß u n s die Präzision u n d Detailliertheit des Vergleich ens

wundernehmen,

die F i x i e r u n g b e i m Sinnlich-Sichtbaren, das die U n v e r b r a u c h t h e i t früher lyrischer Sprache i m Gegensatz z u m Verfließen der in

epigonaler L y r i k kennzeichnet26.

Konkretion

setzt

Benennungen nicht

nur

die

Phantasie in B e w e g u n g , sondern schützt auch vor der G e f a h r einer auf e i n m a l w i e d e r u n g e b r o c h e n e n M y t h i s i e r u n g des N a t ü r l i c h e n .

Andrer-

seits a b e r ist die D i n g l i c h k e i t a u c h i n dieser F u n k t i o n n i c h t e i n d e u t i g : u n t e r d e n z u m V e r g l e i c h hereingezogenen T i e r e n f i n d e n sich w i e d e r h o l t die Begleiter weiblicher Götter, der » H e r r i n n e n

der T i e r e « ;

g e h ö r t d i e T a u b e ( 1 , 1 5 ; 4 , 1 ; 5 , 1 2 , v g l . d i e A n r e d e jonäti 6 , 9 ) 2 7 , d i e G a z e l l e (seM

2 , 9 . 1 7 ; 8 , 1 4 2 8 , v g l . d i e sebä'6t

hierher

2, 1 4 ; 5, 2 ; und

'ajHot

» AaO 6 6 f . * · Vgl. GERLEMAN, aaO 2 2 5 : »WEIS wir finden, sind nicht flüchtig aufkling e n d e S t i m m u n g e n , sondern fest u m r i s s e n e u n d m i t konkreten Einzelheiten gefüllte Z e i c h n u n g e n . M e n s c h e n u n d G e g e n s t ä n d e w e r d e n m i t scharfen K o n t u r e n dargestellt.« " Ps 68, 14 e r w ä h n t , nach d e m Z u s a m m e n h a n g m i t V. 13 u n t e r Beutestükken, » d i e F l ü g e l einer T a u b e , m i t Silber überzogen u n d ihre F e d e r n m i t g r ü n e m G o l d e « - offenbar das K u l t e m b l e m einer kanaanäischen L i e b e s g ö t t i n . D e u t l i c h wird die V e r b i n d u n g der weiblichen Göttin m i t der T a u b e aus F u n d e n von Idalion u n d Kition, beides a u f Z y p e r n , wo u . a . ein tönernes T e m p e l m o d e l l des 8. J h . s v. Chr. einen menschenköpfigen Vogel hinter e i n e m Fenster zeigt (offenb a r der P a r a k y p t u s a - T y p ! ) u n d ein gleichzeitiges R ä u c h e r g e f ä ß den T a u b e n t u r m der syrisch-phönizischen Astarte als T a u b e n h e r r i n darstellt; a u f e i n e m phönizischen T e m p e l m o d e l l des 9./8. J h . s schaut die T a u b e aus einer Nische ü b e r d e m E i n g a n g . Fenster, T a u b e u n d T a u b e n f l u g l o c h finden sich auch a u f Münzabbild u n g e n des T e m p e l s von Paphos (FAUTH, aaO 2 7 - 2 9 ) . M i t der T a u b e v e r b u n d e n scheint insbesondere die Stadtgöttin von Askalon g e w e s e n zu, die Herodot (I, 105) Aphrodite Urania n e n n t : von Derketo, offenbar einer N a c h f a h r i n der Anat als b'lt.drkt » H e r r i n der H e r r s c h e r g e w a l t « (Ugaritica V I I I 2, 6/7), berichtet Diodor Siculus (II, 4. 20), sie h a b e sich aus S c h a m in den hl. See von Askalon gestürzt, n a c h d e m sie von e i n e m j u n g e n M a n n e die Tochter S e m i r a m i s e m p f a n g e n u n d diese g e b o r e n hatte, die w i e d e r u m eine N a c h f a h r i n Anats als b'lt.&mm.rmm » H e r rin des hohen H i m m e l s « (Z. 7) zu sein scheint; n a c h d e m ihre M u t t e r sie in der W ü s t e ausgesetzt hatte, sei S e m i r a m i s von T a u b e n g e w ä r m t u n d e r n ä h r t worden. N a c h einer g e g e n sie gerichteten Palastrevolution h a b e sich die spätere Königin, so erzähle m a n , in eine T a u b e v e r w a n d e l t u n d sei m i t den Vögeln davongeflogen (vgl. GESE, aaO 2 1 5 f ) . A n a t heißt ü b r i g e n s nach Z. 8/9 des o b e n g e n a n n t e n u g a ritischen T e x t e s di.dit.rhpt/['l 's]rm » d i e Fliegerin der F l i e g e r i n n e n , die [über den Vög]eln s c h w e b e n « (etwas andere E r g ä n z u n g bei J . C. DE MOOR, Ugarit-

158

D i e lyrische R e p r o d u k t i o n d e s M y t h i s c h e n i m H o h e n l i e d

[29]

hassädä in der lyrischen B e s c h w ö r u n g s f o r m e l 2, 7; 3 , 5 2 9 ), sicher auch das Gazellenkitz {'öpär 4, 5 ; 7, 4, vgl. 'öpär hä'ajjälim 2, 9. 17; 8, 14), sowie u n t e r den Pflanzen so beziehungsreiche w i e die D a t t e l p a l m e (7, 8 f ) 3 0 u n d süsan die » L i l i e « bzw. »Lotosblume« (4, 5 ; 5, 13; 7, 3, v g l . 2 , l f . 16; 6, 2 f ) 3 1 . D i e s e f ü r u n s eher ernüchternde Exaktheit der B e z e i c h n u n g bindet die verzaubernde Reminiszenz ins D e t a i l u n d m a c h t so die mythisierende Atmosphäre ein den e i n z e l n e n sinnlichen D i n g e n fest: der Rest n u m i n o s e n Glanzes h a f t e t in j e d e m Fall an der Wirklichkeit selbst, nicht an den A u g e n des Betrachters. Zur t h e o m o r p h e n S t e i g e r u n g des M e n s c h e n scheint das Beschreibungslied bei d e m allen durch seine H e r k u n f t v o n der kultischen Bes c h r e i b u n g s h y m n e prädisponiert, die, offenbar a m Modell ihres Bildes, die Schönheit einer Gottheit preist; mesopotamische u n d ägyptische Beispiele dafür hat W . H e r r m a n n a u f g e w i e s e n 3 2 . W i e dies Modell v o m Forschungen 1, 1969, 175. 178). — Weibliche Idole mit vogelförmigen Köpfen aus Sam'al finden sich unter Nr. S 6576 und 1005 im Vorderasiatischen Museum zu (Ost-)Berlin. Ferner E. WERTH, Der heilige Vogel der großen Göttin (in: Sitzungsberichte der Gesellschaft Naturforschender Freunde zu Berlin 1935, 2 7 3 - 2 8 2 ) u n d HELCK, a a O (s. A n m . 9) 2 2 5 .

" Zu Hirsch und Gazelle als Tieren der Liebesgöttin vgl. M. BALABÄN, Mysterium läsky. Exegese Pis 2, 7 (Theologickä priloha Krestanske revue 35/4, 1968, 76-83); IZBW 16, 1969/70, Nr. 595. " Eine Beschwörung bei Inanna und Isljara findet sich am Ende des altakkadischen Liebeszaubers MAD 5, Nr. 8: »Ich beschwöre dich bei Inanna und Ishara, bevor sich sein Hals und dein Hals nicht aneinandergelegt haben, sollst du (fem.) keinen Frieden haben«; J.M. SASSON, A Further Cuneiform Parallel to the Song of Songs (ZAW 85, 1973, 359f), zur Übersetzung W. v. SODEN, ZA 62, 1972, 274. Vgl. den Klagenamen 'itämär Ex 6, 23, der sich mit theomorphen Bildungen wie 'izäbäl »Wo ist der Fürst (Baal)?«, 'ikäböd »Wo ist die Herrlichkeit (der Gottheit)?« lSam 4, 21 u.ö., ugaritisch ijb'l »Wo ist Baal?«, ijtr »Wo ist >der Stier