Musik gemeinsam erfinden: Musikalische Erwachsenenbildung in Jazz und Popularmusik 9783839464878

Wie kann musikalische Erwachsenenbildung im Bereich von Jazz und Popularmusik gelingen? Ausgehend von einer kritischen A

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Musik gemeinsam erfinden: Musikalische Erwachsenenbildung in Jazz und Popularmusik
 9783839464878

Table of contents :
Inhalt
Vorwort
1. Einleitung
2. Erwachsenenbildung und Musik
3. Dimensionen musikalischer Erwachsenenbildung
4. Action Research in der musikalischen Erwachsenenbildung
5. Action Research Based Education in Music
6. Musik gemeinsam erfinden
Abbildungsverzeichnis
Unterrichtsmaterialien
Literaturverzeichnis

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Eva Maria Stöckler Musik gemeinsam erfinden

Studien zur Popularmusik

Eva Maria Stöckler (Dr. phil., Mag. phil., MA-ME), Musikpädagogin, Erwachsenenbildnerin und Musikwissenschaftlerin, leitet das Department für Kunst- und Kulturwissenschaften sowie das Zentrum für Angewandte Musikforschung der Universität für Weiterbildung Krems. Darüber hinaus leitet sie Seminare und Workshops zum gemeinsamen Musizieren und Musik gemeinsam erfinden mit unterschiedlichen Gruppen.

Eva Maria Stöckler

Musik gemeinsam erfinden Musikalische Erwachsenenbildung in Jazz und Popularmusik

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2023 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Jan Gerbach, Bielefeld Umschlagabbildung: iStock/thegoodphoto Lektorat: Eva Maria Stöckler Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar https://doi.org/10.14361/9783839464878 Print-ISBN 978-3-8376-6487-4 PDF-ISBN 978-3-8394-6487-8 Buchreihen-ISSN: 2747-3066 Buchreihen-eISSN: 2747-3074 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschaudownload

Inhalt

Vorwort ..................................................................... 7 1. Einleitung .............................................................. 9 2. Erwachsenenbildung und Musik ..................................... 13 2.1 Kulturelle Erwachsenenbildung........................................... 13 2.2 Musiklernen von Erwachsenen ........................................... 19 2.3 Musikpädagogische Ansätze in der Erwachsenenbildung .................. 21

3. Dimensionen musikalischer Erwachsenenbildung .................27 3.1 Musikalisch-ästhetische Dimension: Jazz und Popularmusik als pädagogisch-künstlerisches Handlungsfeld .......................... 30 3.2 (Lern-)Biographische Dimension: Besonderheiten des Lernens von Erwachsenen .......................... 35 3.3 Sozioökonomische Dimension: Musizieren von Non-Professionals ........................................ 41 3.4 Soziodemographische Dimension: Herausforderungen einer sich verändernden Gesellschaft................ 46 3.5 Gesellschaftlich-kulturelle Dimension: Partizipation an künstlerisch-kulturellen Prozessen....................... 51 3.6 Räumlich-institutionelle Dimension: Die Verortung von musikalischer Erwachsenenbildung ....................57 3.7 Pädagogisch-didaktische Dimension: Handlungs- und prozessorientierte Zugänge ............................. 65

4. Action Research in der musikalischen Erwachsenenbildung .....73 4.1 Action Research ........................................................ 73 4.2 Action Research in der musikpädagogischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen .......................................... 84 4.3 Musik gemeinsam erfinden – Projekte ....................................87

5. Action Research Based Education in Music .......................103 5.1 5.2 5.3 5.4 5.5

Rhythmus als Grundlage des gemeinsamen Musizierens..................104 Assoziative Spielregeln als Ausgangspunkt für Improvisation ............ 113 Formale Spielregeln: Reduktion von musikalischer Komplexität .......... 117 Mit Musik Geschichten erzählen ......................................... 122 Zu Bildern Musik erfinden ...............................................126

6. Musik gemeinsam erfinden ........................................135 Abbildungsverzeichnis ..................................................139 Unterrichtsmaterialien .................................................. 141 Literaturverzeichnis.....................................................143

Vorwort

»Musik gemeinsam erfinden« ist das Ergebnis meiner langjährigen Auseinandersetzung mit musikalischer Erwachsenenbildung, die sich in unterschiedlichen Tätigkeiten, Konstellationen und Rahmenbedingungen realisiert hat: Musikalische Erwachsenenbildung hat mich als Erwachsenenbildnerin, Wissenschaftlerin und Musikpädagogin begleitet, als Musikgruppenleiterin und Musikgruppenmitglied und selbst als musikalische Non-Professional, für die das Musizieren immer ein wichtiger Teil des Lebens war und ist – auch ohne die Absicht, Musik als künstlerischen Beruf ausüben zu wollen. Trotzdem war es mir immer wichtig, dass Menschen, die gerne musizieren, mit eigenen künstlerischen Vorstellungen und Ideen wahrgenommen und respektiert werden – auch, wenn instrumentales und technisches Können nicht perfekt sind und wenig kompositorische und improvisatorische Erfahrung gemacht werden konnten. Für diese Form des musikalischen Umgangs miteinander gibt es jedoch kaum Räume, wenige pädagogische Konzepte und damit auch wenig pädagogische Erfahrung von Musikpädagog*innen. Musizierende Erwachsene findet man in Blasmusikkapellen, Amateurensembles klassischer Musik und in Chören – hier jedoch mit der Aufgabe, Repertoire zu erarbeiten und wiederzugeben, meist nach bestimmten Vorstellungen, Regeln und Traditionen. Sich selbst durch Musik auszudrücken, Musik zu erfinden und Musik zu improvisieren findet dort meist keinen Platz. »Musik gemeinsam erfinden« ist der Versuch, methodisch fundiert und eingebettet in übergreifende Überlegungen zur musikalischen

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Musik gemeinsam erfinden

Erwachsenenbildung, Zugänge zum handlungs- und prozessorientierten gemeinsamen Improvisieren und Komponieren von Jazz und Popularmusik aufzuzeigen, um erwachsenen Non-Professionals die Möglichkeit zu geben, ihre musikalischen Vorstellungen und Ideen realisieren und sich selbst künstlerisch angemessen und musikalisch spielerisch ausdrücken zu können. Eva Maria Stöckler Krems an der Donau, Dezember 2022

1. Einleitung

Musikalisch schöpferisches Tun beginnt häufig in der Kindheit, begleitet Menschen oft ein Leben lang und kann vielfältige Formen und Ausprägungen annehmen. Jene, die die Absicht haben, Musik zu ihrem Beruf zu wählen, begleitet meist seit der Kindheit eine strukturierte und standardisierte Ausbildung, die in einem universitären Abschluss und in einem hohen Professionalisierungsgrad der künstlerischen und/oder pädagogischen Tätigkeit mündet. Die Möglichkeit, jenseits standardisierter Curricula mit festgelegten Ausbildungszielen auch im Erwachsenenalter im Bereich von Jazz und Popularmusik musikalisch tätig zu werden oder zu bleiben, ist hingegen begrenzt: Musikschulen mit qualifiziertem Lehrpersonal stehen Erwachsenen nur eingeschränkt zur Verfügung, den zahlreichen frei organisierten Kursen und Workshops fehlen meist Qualitätsstandards, und in der Volkshochschule als anerkannter Erwachsenenbildungsinstitution zählt Musik nicht zu den besonders forcierten Angeboten. Allen gemeinsam ist, dass es kaum adäquate methodisch-didaktische Grundlagen und entsprechendes Repertoire in der musikalischen Bildung Erwachsener gibt. Dabei wird der hohe Wert des Musikerfindens im musikpädagogischen Diskurs besonders betont. Komponieren und Improvisieren sind zentrale Kompetenzbereiche des Musizierens, spielen aber gerade im Unterricht eine untergeordnete Rolle und werden oftmals an außer-

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Musik gemeinsam erfinden

schulische Institutionen ausgelagert.1 Die Situation für Erwachsene stellt sich ähnlich dar, obwohl für Erwachsene eine sinnstiftende Tätigkeit, das Erleben von Musik in der Gruppe, das eigene Engagement und die Möglichkeit, aufgrund der vielfältigen Lebenserfahrungen und Kompetenzen, eigene Vorstellung in das musikalische Tun einzubringen, besonders wichtig ist, zumal sie dadurch an kulturell-künstlerischen Entwicklungen aktiv auf eine Weise partizipieren können, wie es durch einen passiven »Musikkonsum« nicht möglich wäre. Durch demographische, soziale und gesellschaftliche Entwicklungen entstehen gegen Ende der Erwerbsbiographie und zu Beginn der erwerbsfreien Zeit zeitliche und persönliche Ressourcen für eine aktive musikalische Betätigung. Dafür sind adäquate methodische und didaktische Konzepte notwendig. Pädagogisches Handeln in der musikalischen Bildung Erwachsener im Bereich von Jazz und Popularmusik hat sich an den spezifischen Lebens- und Lernvoraussetzungen Erwachsener zu orientieren. Dieses Handeln kann dabei in hohem Maße an bestehende Kompetenzen, an Wissen, Erfahrungen und künstlerische Vorstellungen der Erwachsenen anknüpfen. Wichtig sind die Schaffung einer positiven anregenden Lernumgebung, das Ermöglichen von Wissens- und Kompetenztransfers sowie die Schaffung eines handlungsorientierten Zugangs zu Musik. Dabei stellt sich die Frage, welchen pädagogischen Grundsätzen ein derartiges Modell einer musikalischen Erwachsenenbildung im Bereich von Jazz und Popularmusik folgen muss, um die Besonderheiten von Erwachsenen als Musiklernende und Musikschaffende berücksichtigen zu können. Welche Methoden ermöglichen gemeinsames Musizieren? Wie gelingt Improvisieren und Komponieren in der Gruppe? In diesem Band wird ein auf der Methodik von Action Research basierendes handlungs- und prozessorientiertes methodisch-didaktisches Modell einer musikalischen Erwachsenenbildung im Bereich

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Siehe auch den 2020 erschienenen Band von Ulrike Kranefeld und Johannnes Voit (Hg.): Musikunterricht im Modus des Musik-Erfindens. Fallanalytische Perspektiven. Münster, New York: Waxmann 2020.

1. Einleitung

von Jazz und Popularmusik dargestellt, in der das selbsttätige, musikalisch-schöpferische Moment, Komposition und Improvisation, im Vordergrund stehen und das sich an den Besonderheiten des Lernens von Erwachsenen orientiert.2 Ausgehend von bestehenden musikpädagogischen Konzepten und der bisherigen Forschung zu kultureller und musischer Erwachsenenbildung werden sieben Dimensionen musikalischer Erwachsenenbildung erarbeitet und in einen musikalischen und pädagogischen Kontext gestellt. Diese Dimensionen musikalischer Erwachsenenbildung dienen als Grundlage für konkrete pädagogisch-künstlerische Überlegungen, bei denen auch bestehende Konzepte elementaren Musizierens und der Kompositionspädagogik für Kinder und Jugendliche sowie musikpädagogische und elementar-musikalische Konzepte, die sich nicht auf Jazz und Popularmusik konzentrieren, eine kritische Berücksichtigung finden. Daraus werden im Musizieren mit verschiedenen Gruppen von erwachsenen musikalischen Non-Professionals Grundlagen des handlungs- und prozessorientierten Musizierens im Bereich von Jazz und Popularmusik entwickelt und am Beispiel von ausgewählten Spielen exemplarisch dargestellt.

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Dieses Modell wurde im Rahmen eines Artistic Research Master-Projektes der Autorin an der JAM Music Lab Private University Wien in den Jahren 2019–2021 entwickelt und mit zwei Ensembles umgesetzt.

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2. Erwachsenenbildung und Musik

2.1 Kulturelle Erwachsenenbildung Bereits im Jahr 1956 hat sich die Deutsche UNESCO Kommission der musischen Erwachsenenbildung gewidmet und ein Grundsatzpapier veröffentlicht, in dem sie einer umfassenden musischen Erwachsenenbildung besondere Bedeutung beimisst, »weil die von den Mechanisierungstendenzen des technischen Zeitalters bedrohten eigenen Gestaltungskräfte des Menschen durch das Medium der Kunst frei gemacht und in lebendige Beziehung zur Umwelt gesetzt werden.« Und weiter: »Das eigene Singen und das instrumentale Musizieren ist ein hervorragender Weg zur ganzheitlichen Bildung der Persönlichkeit und zugleich wesentlichster Zugang zur Kunst.«1 50 Jahre später sind die Herausforderungen nicht weniger geworden, die Mechanisierungstendenzen wurden von der Digitalisierung nicht nur abgelöst, sondern weit übertroffen. 2007 richtete der Deutsche Musikrat in der »Wiesbadener Erklärung« einen Appell an Politik und Gesellschaft, musikalischer Erwachsenenbildung verstärkt Aufmerksamkeit zu schenken: »Mit dem Bild einer human orientierten Gesellschaft verbindet sich die Überzeugung, dass die Erfahrung mit Musik um ihrer selbst willen als elementarer Bestandteil in jedem Lebensalter ermöglicht werden muss.«2 Der

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UNESCO-SEMINAR: Grundsatzfragen musischer Erwachsenenbildung, S. 484f. http ://library.fes.de/gmh/main/pdf-files/gmh/1956/1956-08-a-484.pdf (10.8.2022). Deutscher Musikrat: Wiesbadener Erklärung. Musizieren 50+ – im Alter mit Musik aktiv. 12 Forderungen an Politik und Gesellschaft. Wiesbaden, Mainz: 2007, S. 1.

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Ausschluss breiter Bevölkerungsschichten von der kulturellen Teilhabe soll nicht weiter akzeptiert werden. Heute ist kulturelle Erwachsenenbildung und mit ihr auch die musikalische Erwachsenenbildung mit der Forderung nach Demokratisierung und Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen und der kritischen Hinterfragung von Machtdiskursen verbunden: Sie beschäftigt sich mit (Kunst)Werken und Praktiken in verschiedenen Kulturfeldern und klammert dabei Popular- und Alltagskultur nicht (mehr) aus. Die stark von Ökonomisierung dominierte Gesellschaft, eine Ökonomisierung, die auch vor der Ästhetik nicht Halt macht, stellt Inszenierung vor den Inhalt, Kreativität wird – neoliberal vereinnahmt – zu einem Vehikel der Ökonomie, Bedürfnisse werden zu Begierden3 und schließlich in Konsum umgeleitet. Dass dieses Gesellschaftsmodell eine ökonomische aber auch eine menschliche Gratwanderung ist, die keine Nachhaltigkeit zulässt, zeigte sich ganz besonders in den Verwerfungen rund um die Covid-19-Pandemie seit 2020, als mit einem Schlag die globale Ökonomie zum Stillstand gebracht wurde und das bis dahin herrschende Gesellschaftsmodell auch im Kontext von Klimawandel und dessen Folgen, einer grundlegenden Kritik unterzogen wurde (und noch wird). Der Krieg in der Ukraine seit dem Einmarsch Russlands im Februar 2022 hat die Situation noch einmal verschärft. Die Künste, allen voran die darstellenden Künste und Musik gehören dabei zu jenen Bereichen, die einerseits als nicht systemrelevant sehr rasch und nachhaltig von den pandemiebedingten Einschränkungen betroffen waren, andererseits sind sie zentrale identitätsstiftende Kommunikationsformen, die auch in kriegerischen Auseinandersetzungen eine wichtige Rolle spielen – sowohl als Möglichkeit eines Austausches über Grenzen hinweg aber auch durch Vereinnahmung und missbräuchliche Verwendung. Kulturelle Erwachsenenbildung kann hier einen Ausgleich schaffen und erweiterte Wahrnehmungs-, Verstehens- und Kommunikations3

Marion Fleige, Wiltrud Gieseke, Steffi Robak (Hg.): Kulturelle Erwachsenenbildung. Strukturen – Partizipationsformen – Domänen. Deutsches Institut für Erwachsenenbildung. Bielefeld: Bertelsmann Verlag 2015, S. 87.

2. Erwachsenenbildung und Musik

räume eröffnen, die die Möglichkeit geben, sich mit diesen Entwicklungen kritisch auseinanderzusetzen. Aber auch dieses Angebot ist zunehmend Marktmechanismen unterworfen und findet sich etwa in kulturellen Institutionen, die über keine Weiterbildungskompetenz verfügen. Viele Kulturinstitutionen sind im Rahmen eines öffentlichen Auftrags als Fördernehmer aber auch aus ökonomischen Gründen mit der Herausforderung konfrontiert, neue Aufgabenfelder zu finden, um ihr Angebot und ihren Kund*innenkreis auszuweiten. Audience Development Programme und Kulturvermittlung sind mittlerweile fester Bestandteil zahlreicher kultureller Einrichtungen.4 Im Bereich von Musik gibt es dafür großes Potential. 84 % der Bevölkerung in Deutschland interessieren sich für Musik. 15,7 % (= 10,8 Mio) der Bevölkerung in Deutschland über 16 Jahren musizieren, bei Kindern und Jugendlichen zwischen 6 und 15 Jahren sind es 48,4 % (= 3,5 Mio). Insgesamt musizieren 18,8 % (= 14,3 Mio) der Bevölkerung über 6 Jahren, 80 % davon spielen ein Instrument.5 Allerdings gibt es große Unterschiede im Hinblick auf Alter, soziale Schicht und Geschlecht. Der Kreis derer, die in ihrer Freizeit Musik machen, verringert sich vor allem beim Übergang von der Schule zur beruflichen oder akademischen Ausbildung gravierend. Über die gesamte Lebensspanne hinweg hat sich hingegen der Anteil der Freizeitmusizierenden in den letzten 20 Jahren kaum verändert. Nimmt man soziodemographische Merkmale wie Bildungsgrad, Berufsausbildung und Nettoeinkommen, zeigt sich ein etwas anderes Bild mit signifikanten Veränderungen innerhalb der letzten Jahre: Der Anteil derjenigen mit hohem Bildungsgrad, Hochschulabschluss und hohem Nettoeinkommen, die ein Musikinstrument spielen, steigt seit 2008 kontinuierlich. Menschen aus Mittel- und Unterschicht musizieren signifikant weniger, Mädchen bis 16 Jahren häufiger als Buben,

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Ebd., S. 16. Deutscher Musikrat, Deutsches Musikinformationszentrum in Kooperation mit dem Institut für Demoskopie Allensbach (Hg.): Amateurmusizieren in Deutschland. Ergebnisse einer Repräsentativbefragung in der Bevölkerung ab 6 Jahre. Bonn: 2021, S. 4f.

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wobei diese Unterschiede im Erwachsenenalter verschwinden.6 Dabei ist ein Tasteninstrument (Klavier, Keyboard) noch vor der Gitarre das beliebteste Instrument. Dem steigenden Bedarf an entsprechend ausgebildeten Musikpädagoginnen und Musikpädagogen für das Musizieren mit Amateur*innen kommen in Deutschland verschiedene Institutionen nach, die Ausund Weiterbildung (neben Musikhochschulen und Musikuniversitäten) anbieten, unter anderen: •



• •

die Bundesakademie für musikalische Jugendbildung in Trossingen, die sich in besonderer Weise u.a. Community Music, Ehrenamt, Inklusion und Partizipation widmet, die Akademie der Kulturellen Bildung des Bundes und des Landes Nordrhein-Westfalen in Remscheid, die ein umfangreiches Weiterbildungsprogramm und zahlreiche Projekte im Bereich der kulturellen Bildung anbietet, ähnlich wie die Bundesakademie für Kulturelle Bildung Wolfenbüttel und die die Musikakademie Reinsberg mit einer Spezialisierung auf Musik.

Eine ähnlich spezialisierte Aus- und Weiterbildungseinrichtung für kulturelle bzw. musikalische Erwachsenenbildung und Amateurmusizieren fehlt in Österreich, zumal im Bereich von Jazz und Popularmusik. Dagegen liegt ein Schwerpunkt musikalischer Bildung in Österreich im Bereich der Musikamateur*innen in der Ausbildung des Nachwuchses für die zahlreichen Blasmusikkapellen und Chöre. Mit 2.185 Blaskapellen, 1.040 Jugendorchestern und 94 verbandsübergreifenden Jugendorchestern sowie 182 Musikschulorchestern im Jahr 2021 gehört der Österreichische Blasmusikverband zu einer der größten Ehrenamtsorganisationen des Landes. Insgesamt waren im Jahr 2021 111.685 Musikerinnen und Musiker in Blasmusikkapellen aktiv, darunter 30.478 in Ausbildung stehende.7 Dazu kommen etwa 3.500 Chöre mit etwa 115.000 Sängerinnen 6 7

Ebd., S. 7f. Österreichischer Blasmusikverband, Österreichische Blasmusikjugend (Hg.): ÖBV Jahresbericht 2019, Spittal/Drau: 2020, S. 8 und S. 10.

2. Erwachsenenbildung und Musik

und Sängern, die im Österreichischen Chorverband organisiert sind,8 sowie 211.600 Musikschülerinnen und Musikschüler in 368 Musikschulen im Schuljahr 2019/2020.9 Darüber hinaus sind Menschen in verschiedenen Kulturvereinen und privaten Gruppen engagiert. Durch die technischen Produktions-, Distributions- und Rezeptionsmöglichkeiten ist die nötige technische Infrastruktur für Amateur*innen verfügbar, die Möglichkeit hoher Spezialisierung und Professionalisierung in Nischen auch für Amateur*innen hat zugenommen, die sich ganz wesentlich aus nichtkommerzieller Tätigkeit speist, die einen entsprechenden Raum für Individualität, Originalität und Kreativität bietet.10 Deshalb hat das Amateur- bzw. Laienmusizieren einen sehr hohen gesellschaftlichen Stellenwert. »Gemeinsam Musik machen aber ist ein kultureller Akt, es ist kreativschöpferisch, sinnstiftend und fördert den sozialen Zusammenhalt einer Gemeinschaft«,11 so der Landesmusikrat Rheinland-Pfalz in seinem 2013 publizierten »Zukunftskonzept Laienmusik«.

Kulturelle Bildung im Wandel der Zeit Musikalische Erwachsenenbildung steht in enger Verbindung mit Strömungen der Kunstpädagogik und deren signifikanten Wandel in der Nachkriegszeit, der im Wesentlichen als »Erziehung zur Kunst statt

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Österreichischer Chorverband: https://www.chorverband.at (10.8.2022). Statistik Austria: Musikschulen in Österreich: https://www.statistik.at/statistike n/bevoelkerung-und-soziales/kultur/ausbildung-weiterbildung-im-bildungsf eld-kuenste (10.8.2022). Astrid Reimers: »Amateurmusizieren«. In: Deutscher Musikrat, Deutsches Musikinformationszentrum (Hg.): Musikleben in Deutschland. Bonn: 2019, S. 185f. Landesmusikrat Rheinland-Pfalz e.V. (Hg.): Zukunftskonzept Laienmusik Rheinland-Pfalz. Mainz: 2013.

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Erziehung durch Kunst«12 bezeichnet werden kann. Anstatt nach der Bildung einer »harmonischen Persönlichkeit« zu trachten, sollte ab den 1960er Jahren die Erziehung durch Kunst die Teilnahme am sich rasant entwickelnden Kunstleben möglich machen. Kunst sollte durch Vermittlung an die Lebenswelt der Menschen angebunden werden. Gleichzeitig mit dieser vermehrten Verankerung der Kunst im Alltag der Menschen entwickelte sich mit der Entstehung neuer Medien das breite Feld der Medienpädagogik und Medienkritik. In den 1970er Jahren wurde ästhetische Erziehung – die systematische Ausbildung und Sensibilisierung der gesamten Wahrnehmungsmöglichkeiten – als unentbehrlich für das Verständnis der Welt und für die Ausbildung eines politischen Bewusstseins betrachtet. In den späten 1980er Jahren, als auch musikalische Erwachsenenbildung in den Fokus der Musikpädagogik rückte, löste der Bildungsbegriff den Erziehungsbegriff ab: Ästhetische Bildung wurde »biografisch verankert und die Erfahrung der eigenen ästhetisch-künstlerischen Produktion als wesentlich erachtet«.13 Anstatt der Idee einer gemeinsamen Realität, wurde die einzelne Person mit ihrer Biographie, ihren Konstruktionen und Wahrnehmungen der Wirklichkeit, die in der je eigenen ästhetisch-künstlerischen Produktion einen Ausdruck finden sollte, zum bildungspolitischen und kunstpädagogischen Bezugspunkt.14 Daran schließen heute kunstpädagogische und kunstphilosophische Konzepte an, die die ästhetische Erfahrung in den Mittelpunkt stellen, wie jene des Kunstphilosophen Martin Seel oder der Kunstpädagogin Andrea Sabisch.15 Ästhetische Erfahrung wird als grundlegende Form der Weltbegegnung betrachtet, bei der es um das Annehmen 12

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Edith Draxl, Andrea Fischer: »Die Welt ein wenig zugänglicher machen. Ästhetische Bildungsprozesse und Differenzerfahrung im Kunstlabor Graz«. In: Magazin Erwachsenenbildung: »Ästhetische Erziehung« im Digitalzeitalter. Ausgabe 22 (2014), S. 3. https://www.pedocs.de/volltexte/2014/9183/pdf/Erwachsenenbild ung_22_2014_Draxl_Fischer_Die_Welt_ein_wenig.pdf (10.8.2022). Ebd., S. 3. Ebd., S. 4. Vgl. Andrea Sabisch: »Aufzeichnungen und ästhetische Erfahrung«. In: Karl-Josef Pazzini, Andrea Sabisch, Wolfgang Legler, Torsten Meyer (Hg.): Kunstpädago-

2. Erwachsenenbildung und Musik

und Bewältigen von Differenzerfahrungen geht. Diese Differenzerfahrungen werden auch in modernen musikpädagogischen Ansätzen als wesentlich erachtet. Sie entstehen immer dort, wo die Aufmerksamkeit liegt, weshalb Lehrende diesen Aufmerksamkeitsfokus besonders aufnehmen sollten.16 Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist die Position des Musikers und Künstlers Pierangelo Maset, der die Formulierung von Zielen im (ästhetischen) Lernprozess generell ablehnt, weil man nicht im Vorhinein wissen könne, wohin der künstlerische Prozess führt.17

2.2 Musiklernen von Erwachsenen Nach einer frühen Fallstudie über das Klavierlernen von Erwachsenen aus dem Jahr 1954 setzt in den 1980er Jahren die wissenschaftliche Beschäftigung mit musikalischer Erwachsenenbildung ein, die in den frühen 1980er Jahren noch als »Erziehung« bezeichnet wird. Jedoch werden auch da schon lebensgeschichtliche Determinanten und motivationale Aspekte des Musiklernens in den Vordergrund gerückt und im Kontext der Erwachsenenbildungsforschung auch der Begriff des lebenslangen Lernens verwendet. Mit dem Sammelband »Musikalische Erwachsenenbildung« von Gert Holtmeyer 1989 wird ein breiter Diskurs zur Theoriebildung aber auch zu praktischen Umsetzungen ausgelöst, der in Folge zu zahlreichen qualitativen und quantitativen Untersuchungen zum Musiklernen von Erwachsenen führt.18 Dem folgen Arbeiten von Heiner Gembris, der psychologische und biopsychosoziale Grundlagen in

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gische Positionen 20/2009. Hamburg: University Press 2009, sowie Martin Seel: Ästhetik des Erscheinens. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2003. Albert Kaul, Jürgen Terhag: Improvisation. Elementare Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Mainz: Schott 2013, S. 10. Edith Draxl, Andrea Fischer: »Die Welt ein wenig zugänglicher machen«. 2014, S. 4. https://www.pedocs.de/volltexte/2014/9183/pdf/Erwachsenenbildung_22 _2014_Draxl_Fischer_Die_Welt_ein_wenig.pdf (10.8.2022). Gert Holtmeyer (Hg.): Musikalische Erwachsenenbildung. Grundzüge – Entwicklungen – Perspektiven. Regensburg: Verlag Bosse 1989.

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den Vordergrund stellt, individuelle Prädispositionen und Determinanten aufarbeitet und entwicklungspsychologische Aspekte auf die gesamte Lebensspanne umlegt. Daran schließt eine Reihe von Einzelstudien aus den Bereichen der Entwicklungs- und Lernpsychologie (Transferlernen, Anwendung eines Baukastensystems, Bedeutung des Singens im Alter), aber auch der Soziologie (Musikpräferenzen im Erwachsenenalter) und Pädagogik (Lernstrategien) an, die einen differenzierten Blick auf die Leistungsfähigkeit im Alter und das Neu-Lernen im Erwachsenenalter werfen. Dazu kommen einige wenige praxisorientiere Lehrwerke, die spezifisch für den Instrumentalunterricht im Erwachsenenalter gedacht sind. Vielfach wird jedoch mit Unterrichtsmaterial für den Kinder- und Jugendunterricht gearbeitet, mit Improvisations- und Musikvermittlungskonzepten sowie Methoden der elementaren Musikpädagogik, die mehr oder weniger gut für den Unterricht mit Erwachsenen adaptiert werden. Im Bereich des Musizierens mit Menschen in Pflegesituationen bzw. mit dementiell Erkrankten19 liegen Arbeiten zu Wohlbefinden und Zufriedenheit vor, sowie zu den – durchwegs positiven – Auswirkungen des aktiven Musizierens im Alter. Diese Thematik reicht jedoch weit in die Musiktherapie und Musikgeragogik hinein.20 In den 2000er Jahren entstehen zahlreiche Projekte und praktische Konzepte für das Musizieren mit Erwachsenen, sei es im für Erwachsene traditionsreichen Chorwesen oder den Blasmusiken, aber auch an Musikschulen, die nach und nach Angebote für Erwachsene entwickeln, an den Volkshochschulen und anderen Weiterbildungsinstitutionen. Allen ist gemein, dass diese Angebote entweder auf das Lernen eines Mu-

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Peter Alheit, Kate Page, Rineke Smilde: Musik und Demenz. Das Modellprojekt »Music for Life« als innovativer Ansatz der Arbeit mit Demenzkranken. Übersetzung aus dem Englischen von Peter Alheit. Gießen: Psychosozialverlag 2015. Vgl. die Übersicht der Forschungsarbeiten bis 2014 bei Marc Brand: Musikalisch aktiv bis ins Alter. Eine Untersuchung zum Musikunterricht mit älteren Menschen. Forschungsbericht der Hochschule Luzern – Musik 10. Luzern: 2014, S. 4ff. https:// zenodo.org/record/31344#.Yv3m0S35y1s (10.8.2022).

2. Erwachsenenbildung und Musik

sikinstrumentes als Grundlage für das Musizieren in einem meist klassischen Ensemble fokussieren, oder im Bereich elementarer Musikpädagogik angesiedelt sind und sich eher an ältere Erwachsene richten und selten auf improvisatorischen, schöpferischen Zugängen basieren. Selbsttätig Musik zu machen, Musik zu erfinden, improvisieren, komponieren kommt in all diesen Konzepten und Projekten kaum vor, da es dafür kaum Methoden gibt, denn die bisherige Form der musikalischen Erwachsenenbildung hat sich stark am Repertoire und den instrumentalen Fertigkeiten der »klassischen« Musik orientiert. Komponieren und Improvisieren standen dabei im Hintergrund. Erst in den letzten Jahren ist die wissenschaftliche und musikpraktische Auseinandersetzung mit Kompositionspädagogik, wenn auch vorwiegend mit Kindern und Jugendlichen, in den Fokus gerückt.21 Das gemeinsame Erfinden von Musik, Improvisation und »handelnder Umgang mit musikalischem Material«22 wirkt sich positiv auf musikalisch-kreatives Denken aus. Improvisation ermöglicht eigene ästhetische Erfahrungen und voraussetzungsloses produktives musikalisches Handeln, da es kein musiktheoretisches Wissen oder instrumentale Fertigkeiten erfordert, sondern vielmehr aufmerksames Zuhören, Spielen nach Gehör und musikalisches Problemlösen fördert.23

2.3 Musikpädagogische Ansätze in der Erwachsenenbildung Musikpädagogische, vor allem elementare musikpädagogische Ansätze und Projekte gibt es bereits seit vielen Jahren, vor allem in der Arbeit

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Kompäd: Handreichungen zur Kompositionspädagogik. https://www.kompaed.de (10.8.2022). Djürko Züchner, Sven Düerkop, Stefan Lothwesen: »Förderung musikalischkreativen Denkens durch Improvisation? Eine Replikationsstudie zu Angeboten im schulischen Musikunterricht«. In: Bernd Clausen, Susanne Dreßler (Hg.): Soziale Aspekte des Musiklernens. Musikpädagogische Forschung Band 39, Münster: Waxmann 2018, S. 59. Vgl. ebd., S. 72f.

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mit Kindern und Jugendlichen in der Hinführung zum Instrumentalunterricht. Auch im Bereich der Arbeit mit älteren und gesundheitlich beeinträchtigten Menschen, in der Pflege und in der Geragogik wird mit elementarmusikalischen Konzepten zur Aktivierung und zur Hebung der Lebensqualität gearbeitet. Musizieren hat auch in nicht-therapeutischen Kontexten positive Wirkung auf Gesundheit und Wohlbefinden. Schon am Beginn des elementaren Musizierens, in der 1924 von Dorothee Günter und Carl Orff in München gegründeten »Güntherschule«, richtete sich das Angebot explizit an Erwachsene. Ausgangspunkt war der Gedanke einer Synthese von Musik, Sprache und Bewegung sowie der grundlegenden Elemente von Musik: Tempo, Rhythmus, Dynamik usw. Diese musikalischen »Elemente«, als Teile eines komplexen Gebildes verstanden, werden durch explorierendes improvisierendes Handeln erschlossen.24 »Elementar« kann dabei als ungekünstelte Direktheit und Unmittelbarkeit, als grundlegende Kenntnisse oder »sich in seinem Element zu befinden«, motiviert, engagiert in Bewegung zu sein, in einer »gesunden, seelisch-geistig regenerativen und dennoch produktiven Daseinsform«25 , verstanden werden. Ziele des elementaren Musizierens mit Erwachsenen sind individuell, auf Selbsterfüllung und Selbstfindung gerichtet, kommunikativ als Interaktion und Reaktion oder musikalisch auf den Erwerb von Fähigkeiten und Kenntnissen fokussiert. Das »gemeinschaftlich erarbeitete, erfundene oder ausgestaltete Musik- oder Bewegungs-›Stück‹« steht im Zentrum des gemeinsamen Musizierens.26 Darüber hinaus sind sehr öffentlichkeitswirksame und erfolgreiche professionelle Musikprojekte entstanden, die auf elementar-musikalischen Elementen beruhen, etwa die Gruppe »Stomp«, die mit Alltagsgegenständen komplexe rhythmische Muster entwickelt, aber auch

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Charlotte Fröhlich: »Elementare Musik mit Erwachsenen«, In: Charlotte Fröhlich (Hg.): KlangKörper ZeitRäume. Elementare Musik mit Erwachsenen. Regensburg: Con Brio 2009, S. 31f. Ebd., S. 26. Ebd., S. 85.

2. Erwachsenenbildung und Musik

der Chor der schreienden finnischen Männer »Mieskuoro Huutajat« sowie Body Percussion Konzepte etwa von Doug Goodkin. Filme wie »Damen und Herren ab 65« dokumentieren eine Tanzperformance von Pina Bausch mit Laien (Senioren und Seniorinnen) oder »Rhythm is it!« die Erarbeitung einer Tanzperformance zu Igor Strawinskys »Le sacre du printemps« mit Jugendlichen aus Berliner sogenannten »Problembezirken«.27 Adelheid Geck dokumentiert 1987 methodische Ansätze musikalischer Erwachsenenbildung aus ihrer eigenen pädagogischen Praxis als Referentin für Musik an der katholischen Erwachsenenbildungsstätte der Diözese Hildesheim.28 Ähnliches unternimmt 1993 auch Alexander Winzen für Erwachsene in musikbezogenen Weiterbildungen der Volkshochschule Köln.29 Initiativen der sozialpädagogischen Musikausübung sind nach wie vor von den Forderungen des Musikpädagogen und Kulturpolitikers Leo Kestenbergs (1882–1962) nach umfassender musikalischer Bildung für alle sozialen Schichten geprägt. Wichtiger Aspekt dabei ist das generationenübergreifende Musizieren in den sogenannten »Familienmusizierfreizeiten«, in denen Familien über mehrere Tage hinweg gemeinsam musizieren, nicht selten auch an einem bestimmten umfangreicheren Stück arbeiten. Diese Form der »Familienfreizeiten« hat vor allem in deutschen konfessionellen Bildungseinrichtungen eine große Tradition. In Österreich veranstalten regionale Heimat- und Bildungswerke sowie Volksliedwerke gemeinsame Volksmusik- und Singwochen, wie die Musikantenwoche Hollenstein mit der Erarbeitung von alpenländischer Volksmusik30 , oder die sogenannte »Musikfabrik 27 28

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Ebd., S. 35ff. Vgl. Adelheid Geck: Musikalische Erwachsenenbildung. Musikpädagogische Bibliothek Band 35. 2. Auflage, Wilhelmshaven: Florian Noetzel 1990, S. 22 sowie S. 42f. Alexander Winzen: »Musiklernen im Erwachsenenalter – Bericht über eine Untersuchung an der VHS Köln.« In: Maria Luise Schulten (Hg.): Musikvermittlung als Beruf. Essen: Die Blaue Eule 1993, S. 185–194. Musikantenwoche Hollenstein: https://www.volkskulturnoe.at/aktuelles-semi nare/seminare/musikantenwoche (10.8.2022).

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Edelhof« (Niederösterreich) in der Erarbeitung von Barockmusik in Form von generationenübergreifenden Musizierwochen.31 Die Familiensingwoche des BHW (»Bildung hat Wert«) Niederösterreich gibt Familien die Möglichkeit, eine Woche gemeinsam zu singen: zum einen dem jeweiligen Alter entsprechend, andererseits generationenübergreifend miteinander nicht nur zu musizieren, sondern sich vielfältig kreativ zu betätigen.32 Musische Bildung ist hier in einen ganzheitlichen Kontext eingebunden. »Die Kinder lernen von der Jugend, die Jugend von den Erwachsenen, die Erwachsenen von den SeniorInnen und die SeniorInnen von den Kleinsten.«33 Grundprinzip ist auch dort: »Alle Lernenden müssen abgeholt werden. […] Erstens das Material dort hinbringen, wo sich die Leute aufhalten; zweitens sie aktivieren, sich mit dem Material auseinanderzusetzen und drittens sie selber entscheiden lassen, welche Inhalte sie bearbeiten wollen.«34 Um Zugangshemmnisse zum selbsttätigen Musizieren – in diesem Fall dem Singen – abzubauen, wurde im Jahr 2011 vom Dirigenten und Musikpädagogen Michael Betzner-Brandt an der Urania Berlin der »Ichkann-nicht-singen-Chor« gegründet, der bereits im Titel jenes häufig vorgebrachte Vorurteil vieler Menschen trägt, wonach das Nicht-können einem Gerne-tun im Wege stünde.35 Eingeladen mitzusingen sind alle, die meinen nicht singen zu können. Der Chor ist eine didaktische Kunstform, »die kulturelle Bildung mit Elementen kultureller Praxis verschränkt«36 . Mit dem einfachsten Einstiegsniveau (»Ich kann nicht singen«) werden Menschen erreicht, die sonst nicht singen würden, und können behutsam an das Singen im Chor herangeführt werden, ohne 31 32

33 34 35 36

Musikfabrik Edelhof: http://musikfabrik-edelhof.at (10.8.2022). Verein CONEDU (Hg.): »Kunst & Kultur in der Erwachsenenbildung«. In: Erwachsenenbildung.at 2016. https://erwachsenenbildung.at/downloads/aktuell/ serien/seriekunstkultur2015.pdf (10.8.2022). Ebd., S. 28. Ebd., S. 32. Michael Betzner-Brandt: »Ich-kann-nicht-Singen« Chor Berlin www.chorcreativ.d e (10.8.2022). Marion Fleige, Wiltrud Gieseke, Steffi Robak (Hg.): Kulturelle Erwachsenenbildung, S. 160.

2. Erwachsenenbildung und Musik

dass sie von Richtig und Falsch frustriert sind. Der Berliner Chor hat 2014 den 2. Platz des Innovationspreises des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung erhalten.37 Mittlerweile haben sich regionale Ableger in zahlreichen deutschen und österreichischen Städten gebildet, die nach ähnlichen Prinzipien arbeiten.38 Zunächst war es das Ziel von musikalischer Erwachsenenbildung, Menschen an die musikalische Hochkultur heranzuführen. Musizieren war in erster Linie gemeinsames Singen und das instrumentale Wiedergeben von meistens für diese Zwecke bearbeitetem (klassischem) Repertoire. Auch wenn Geck das Eigenschöpferische als das höchste Ziel betrachtet39 , versteht sie darunter das aktive Musizieren am Instrument und die Wiedergabe von Notentext. Schöpferisch-kompositorische Auseinandersetzung mit Musik ist in diesen Aktivitäten nicht vorgesehen. Eckart-Bäcker fordert 1990 entsprechendes forschungs- und theoriegeleitetes, praxisorientiertes Lehren, um diesem Defizit zu begegnen. So sollen (pädagogisch-wissenschaftliche) Praktiker*innen ihre »Praxis zum Gegenstand ihrer methodisch kontrollierten Wahrnehmung und Reflexion« machen. In dieser Form von Forschung sollen »Alltagsprobleme beleuchtet und im Rahmen der institutionellen Möglichkeiten Lösungen erarbeitet werden«40 , die in der methodischdidaktischen Praxis eingesetzt werden können. Dieser methodische Zugang zu einer kooperativen Forschung, die pädagogische Praxis und wissenschaftliche Theoriebildung gleichermaßen in den Blick nimmt, nennt als Voraussetzung für das didaktische Handeln in der Erwachsenenbildung das »Relationsbewusstsein«, das sich in Aspekten wie Alltagsorientierung, Gruppenbeziehungen, Handlungsorientierung, Beachtung von Lernbiographie, Lernerfahrungen

37 38 39 40

Ebd., S. 159. So gibt es in Salzburg oder auch Wien entsprechende Initiativen: https://www .laienchor.at (10.8.2022). Adelheid Geck: Musikalische Erwachsenenbildung, S. 69. Ursula Eckart-Bäcker: »Musikpädagogik in der Erwachsenenbildung – eine gesellschaftliche und pädagogische Notwendigkeit. Einführung in die Problematik«. In: Werner Pütz (Hg.): Musik und Körper. Essen: Die Blaue Eule 1990, S. 249f.

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Musik gemeinsam erfinden

und spezifischen musikalischen Lernvoraussetzungen und Teilnehmer*innenerwartungen zeigen.41 Der Weg von der »musikalischen Früherziehung« zur »musikalischen Späterziehung« erfordert Pädagoginnen und Pädagogen, die in schriftlosen Musikkulturen kompetent sind, also einen Zugang zu Musik haben, wie er in Jazz und in der Popularmusik vorherrscht. Fröhlich fordert darüber hinaus eine kulturelle Vernetzung im Umfeld des Kursortes,42 sowie die Berücksichtigung von sozialen und familiären Rahmenbedingungen (berufstätige Erwachsene benötigen andere Kursformen und didaktische Modelle als junge Erwachsene), des vorherrschenden Bildungsbegriffes (Bildung als Voraussetzung und Produkt einer beruflichen Karriere oder Bildung als Selbstermächtigung für ein verantwortliches Leben), der Bildungsmotive (sozial-differenzierend als Verbesserung von Fertigkeiten oder personal-differenzierend und entwicklungs- und prozessorientiert). Daraus ergeben sich Bewegung und Rhythmus als Ausgangspunkt des musikalischen Arbeitens, eine Schwerpunktsetzung auf oral tradierte Musik, Improvisation und spontanes Musizieren, die ganzheitliche Verknüpfung unterschiedlicher Lehr-/Lernmethoden und eine Betonung der sozialen, kreativen und kommunikativen Aspekte des Musikerlebens.43 Das gemeinsame Musizieren sollte nicht das Ziel einer langen Übephase am Instrument sein, sondern der Beginn des Musizierens.44

41 42 43 44

Ebd., S. 252. Vgl. Charlotte Fröhlich: »Elementare Musik mit Erwachsenen«, S. 46. Vgl. ebd., S. 63. Werner Beidinger: »Musikunterricht im Erwachsenenalter. Bedarf und Perspektiven aus der Sicht der Elementaren Musikpädagogik«. In: Charlotte Fröhlich (Hg.): KlangKörper ZeitRäume. Elementare Musik mit Erwachsenen. Regensburg: ConBrio 2009, S. 289.

3. Dimensionen musikalischer Erwachsenenbildung

Musikalische Erwachsenenbildung als spezifische Ausprägung von Erwachsenenbildung lässt – auch wenn das Feld, in dem sie stattfindet, ein künstlerisches ist – nicht nur verschiedene Bezüge zu theoretischen Ansätzen in der Erwachsenenbildung zu, sondern kann für einige dieser Ansätze als besonders beispielhaft gewertet werden. Auch musikalische Erwachsenenbildung orientiert sich an Prinzipien der Zielgruppenorientierung, Lebensweltorientierung, Alltagsorientierung und Problemorientierung. Dabei stellen spezifische Problemlagen und Fälle sowie die Integration von Medien wichtige Bausteine dar.1 Insbesondere problemorientierte Zugänge zum Lernen – als Integration von kognitivistischen und situierten Ansätzen – eignen sich in besonderer Weise für musikalische Erwachsenenbildung, denn hier wird »der Lernprozess als eigenaktiv und konstruktiv angesehen, der jedoch durch geeignete Unterstützung durch den Lehrenden angeregt, gefördert und verbessert werden kann.«2 Dabei ist jedoch nicht ein Lernziel im Zentrum des gemeinsamen Musizierens, sondern das gemeinsame Erarbeiten, Erfinden eines Musikstückes mit den vorhandenen Gruppenmitgliedern, Instrumenten,

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Vgl. Heinz Mandl, Birgitta Kopp, Susanne Dvorak: Aktuelle theoretische Ansätze und empirische Befunde im Bereich der Lehr-Lern-Forschung – Schwerpunkt Erwachsenenbildung. Deutsches Institut für Erwachsenenbildung 2004, S. 4f. www.diebonn.de/publikationen/online-texte/index.asp (10.8.2022). Ebd., S. 26.

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Musik gemeinsam erfinden

Voraussetzungen hat einen Lernprozess zur Folge, der durch bestimmte Rahmenbedingungen stattfinden kann und gefördert wird. Dazu gehören authentische Problemstellungen und konkrete Anwendungsmöglichkeiten des eigenen musikalischen Könnens, die Möglichkeit, verschiedene Kontexte erleben und unterschiedliche Perspektiven einnehmen zu können, Gruppenarrangements zu treffen, die einen sozialen, kooperativen Austausch ermöglichen und eine Unterstützung durch die Gruppenleitung, die nur so weit geht, wie es für den jeweiligen Prozessschritt notwendig ist.3 Dabei sind bestimmte metakognitive Kompetenzen bei den Gruppenmitgliedern wie unter anderem ein gewisses Maß an Selbststeuerungs- und Kooperationskompetenzen und die Fähigkeit kompetent zu kommunizieren für den gesamten Gruppenprozess hilfreich. Dieser Gruppenprozess ist eingebunden in vielschichtige Kontexte, die sich auf handlungs- und prozessorientiertes Musizierens auswirken. So ist es notwendig, einen Blick auf die biographischen Voraussetzungen von Erwachsenen in demographischen Kontexten zu werfen und auf die Besonderheiten des Lernens von Erwachsenen insbesondere im musikalisch-künstlerischen Kontext. Lernen – das gemeinsame Musizieren – findet in Räumen und Institutionen statt, ermöglicht aufgrund sozioökonomischer Rahmenbedingungen mehr oder weniger Partizipation an künstlerisch-kulturellen Prozessen und erfordert nicht zuletzt deshalb spezifische pädagogische Herangehensweisen und didaktische Konzepte. Vor allem aber heißt es, das künstlerisch-pädagogische Handlungsfeld »Jazz und Popularmusik« zu begründen. Jazz und Popularmusik werden hier als jene Musikformen verstanden, die in Abgrenzung zur »klassischen« Musik bzw. »Concert Stage Music« Berührungspunkte und Überlappungsbereiche im Hinblick auf Produktions- und Rezeptionsbedingungen, Medien, Musikindustrie, auf die Abgrenzung zwischen westlichen und nicht westlichen Kulturen und im Hinblick auf ihre Publika aufweisen. Jedoch: so wenig oder so vielschichtig wie »Klassische Musik« definiert werden kann, ist auch 3

Vgl. ebd., S. 27f.

3. Dimensionen musikalischer Erwachsenenbildung

Jazz eine Zusammenfassung einer Reihe von verschiedenen Stilen, Genres, Formen, die ihre eigene Geschichte, ihre eigenen Sprachen, und ihre zum Teil selbstreflexiven Rezeptionsweisen ausgebildet hat. Jazz ist zudem ein Begriff der Musikökonomie, der Musikvermittlung, der Musikpädagogik. Ähnlich schwierig ist der Begriff »Popularmusik« bzw. »populäre Musik« zu definieren. Eine davon ist die Eingrenzung über ökonomische Faktoren: Populäre Musik ist ein »Ensemble sehr verschiedenartiger Genres und Gattungen der Musik, denen gemeinsam ist, dass sie massenhaft produziert, verbreitet und angeeignet werden, im Alltag wohl fast aller Menschen, wenn auch im Einzelnen auf unterschiedliche Weise, eine bedeutende Rolle spielen.«4 Da sich die Zusammensetzung dieser verschiedenen musikalischen Genres und Gattungen ständig verändern, lässt sich populäre Musik »als Kategorie daher nicht auf einen Katalog von Merkmalskomplexen festlegen, sondern ist vielmehr als Resultat eines komplexen sozial-kulturellen Prozesses anzusehen.«5 Popularmusik ist eine Übersetzung des englischen Begriffs »Popular Music«, der als Fachbegriff im Terminus »Jazz und Popularmusik« für entsprechende Studienangebote aber auch für die Forschung, etwa an der Kunstuniversität Graz oder an den Musikhochschulen Hamburg, Mannheim oder Leipzig verwendet wird. Mit der JAM Music Lab Private University in Wien (für »Jazz und Popularmusik«) und der University of Popular Music and Music Business in Mannheim existieren im deutschen Sprachraum zwei auf Jazz und Popularmusik spezialisierte Universitäten.

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Peter Wicke, Wieland Ziegenrücker, Kai-Erik Ziegenrücker: Handbuch der populären Musik. Geschichte, Stile, Praxis, Industrie. Mainz: Schott 2007, S. 544. Ebd., S. 544.

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3.1 Musikalisch-ästhetische Dimension: Jazz und Popularmusik als pädagogisch-künstlerisches Handlungsfeld Musikalische Sozialisation (besonders in deutschsprachigen Ländern) ist nach wie vor stark von der abendländisch klassischen Musik mit einem hohen Anspruchsniveau und technischer Perfektion geprägt. Die dazu notwendigen instrumentalen Fertigkeiten sind für Erwachsene kaum erreichbar, kompositorische Kompetenzen scheinen überhaupt unzugänglich zu sein. Der aristokratischen und später der an dieser sich orientierenden bürgerlichen musikalischen Bildung galt die Reproduktion »großer Meisterwerke« der Musikgeschichte als Ziel, dem sich auch die im 19. Jahrhundert entstehenden (bürgerlichen) Musiklehranstalten verpflichtet haben. Auch Weiterbildung, zumal die kulturelle Erwachsenenbildung, hat ihre Wurzeln in der bürgerlichen Hochkultur mit ihren Idealen aus der Aufklärung und dem Wunsch nach Partizipation und Selbstermächtigung. Diese erstarrten im Laufe der Zeit immer mehr zu Besitz- und Wissensbeständen, an denen nur das Bürgertum in Übernahme von Verhaltens- und Distinktionsweisen des Adels partizipieren konnte. Hochkultur wurde zu einem sozialen Distinktionsmerkmal mit hohen Zugangshürden, das »zur Abgrenzung gegen sozial weniger bevorzugte Schichten und Klassen«6 diente. Jazz und Popularmusik leben (in unterschiedlichem Ausmaß) ihre innovative Kraft aus einer nicht standardisierten Produktions- und Rezeptionshaltung heraus, besitzen die ästhetische Offenheit, Einflüsse von den musikalischen »Rändern« zuzulassen und aufzunehmen, sodass aufgrund dieser musikimmanenten Voraussetzungen die zu erwartende Diversität im Bereich der musikalischen Erwachsenenbildung

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Helga Stock: »Soziale Differenz – verdeckte Botschaften einer Programmanalyse«. In: Wiltrud Gieseke, Karin Opelt, Helga Stock, Inga Börjesson (Hg.): Kulturelle Erwachsenenbildung in Deutschland. Exemplarische Analyse Berlin/ Brandenburg. Münster: Waxmann Verlag 2005, S. 337 und S. 339.

3. Dimensionen musikalischer Erwachsenenbildung

keine ästhetische Einschränkung, sondern eine besondere Qualität ist, zumal sie auf die transkulturelle Realität der Gegenwart Bezug nimmt. Populäre Musik wird als eine Musik verstanden, die weniger durch historische Bedingungen und Zusammenhänge der Produktion definiert wird, sondern durch die Rezeption und dem, was Menschen an einem Musikstil mögen. Sie ist eine Form der kulturellen Praxis. Populäre Musik stellt »Erfahrungen und Handlungsmöglichkeiten bereit, die von den Hörern mehr oder weniger bewusst reflektiert genutzt werden […].« Sie bietet einen ästhetischen Rahmen für Ressourcen der Identitäts- und Biographiearbeit und stellt Hörer*innen Möglichkeiten bereit, »sie aktiv in den Lebensalltag einzugliedern und ihr bei der Lebensgestaltung eine wichtige Rolle zu(zu)weisen.«7 Musikalische Erwachsenenbildung ist Identitätsarbeit, vermittelt kulturelles Wissen und schafft kommunikative Räume. Sie verhilft zur Teilhabe an einer komplexer werdenden digitalisierten und globalisierten Welt, in der kulturelle Globalisierung und der Rückbezug auf lokale Traditionen in einem nur scheinbaren Widerspruch stehen.8 Dieser beständige Austausch zwischen dem Eigenen und dem anderen, die Fähigkeit, Neues in Bestehendes zu integrieren ist ein wesentliches Kennzeichen von populärer Musik und Jazz, die sich damit besonders als künstlerisch-pädagogisches Handlungsfeld eignen. Ein wesentlicher Aspekt bei den Prozessen der Aneignung von populärer Musik und Jazz ist Rhythmus, weil er »die körperliche als auch die mentale Einbindung der Hörer in das Klanggeschehen erleichtert«9 und Identitätsfindung und Partizipation ermöglicht. Das Wechselspiel von rhythmischer Einfachheit und Komplexität »[…] ermöglicht eine ästhetische Erfahrung, die einen hohen Grad an Vertrautheit und Erwartungs-

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Martin Pfleiderer: Rhythmus. Psychologische, theoretische und stilanalytische Aspekte populärer Musik. Bielefeld: transcript 2006, S. 20 und S. 22. Ulrike Zimmermann: »Interkulturalität als Vielfalt oder neue Gemeinsamkeit«. In: Wiltrud Gieseke, Karin Opelt, Helga Stock, Inga Börjesson (Hg.): Kulturelle Erwachsenenbildung in Deutschland. Exemplarische Analyse Berlin/Brandenburg. Münster: Waxmann Verlag 2005, S. 359. Martin Pfleiderer: Rhythmus, S. 21.

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sicherheit mit Abwechslung und Überraschung verbindet.«10 Einprägsames und regelmäßiges Klanggeschehen und Wiederholungen verbinden sich mit Variationen, Überlagerungen und Mehrdeutigkeiten. Die ästhetischen Kriterien von Jazz und Popularmusik befinden sich in permanenter Veränderung und haben im Laufe der Zeit oft teils weit auseinander liegende Positionen ausgebildet. Die Gestaltung musikalischer Zeit, die offene Form als beständiges Austarieren von Komposition und Improvisation und die Musizierhaltung selbst, die von einem Spannungsfeld zwischen Individualität und Kollektiv geprägt ist, die Bedeutung der Individualität der Musiker*innen, sind Charakteristika, die eine inklusive Wirkung haben.11 Im Jazz ist nicht das standardisierte Musizieren das ästhetische Maß, sondern Innovation und Individualität. Das gilt zwar für populäre Musik im engeren Sinne weniger, weil hier Mechanismen von Kommerzialisierung und ästhetischer Standardisierung in höherem Maße wirksam sind, dennoch sind die Aneignungsprozesse, die Bedeutung von Rhythmus und zeitlicher Gestaltung und die Möglichkeit, individuelle Vorstellungen in das Musizieren einzubringen, in ähnlicher Weise vorhanden. Hier unterscheiden sich die Aneignungsprozesse im Jazz von denen der klassischen Musik, die vorwiegend auf musikalischer Schriftkultur basiert. Im Jazz und in der Popularmusik herrschen – mit Ausnahme von ausgeschriebenen Ensemble- oder Bigband Kompositionen – Leadsheets als Verschriftlichung der musikalischen »Kernbotschaften« Rhythmus, Melodie und Harmonie, sowie klangschriftliche Aufzeichnungen (Aufnahmen) vor. Damit bekommt das Hören und die Aneignung über das Hören eine besondere Bedeutung. Hören ist ein umfassender aktiver Rezeptionsprozess, der sich nicht auf die rein sensorische Wahrnehmung (Perzeption) beschränkt, »sondern das Hören mit all seinen affektiven (Gefühle, Befindlichkeiten), kognitiven (Gedanken, Assoziationen, Bewertungen) und konativen

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Ebd., S. 7. Peter Wicke, Wieland Ziegenrücker, Kai-Erik Ziegenrücker: Handbuch der populären Musik., S. 347.

3. Dimensionen musikalischer Erwachsenenbildung

(psychophysischer Mitvollzug, außermusikalische Tätigkeiten) Begleiterscheinungen in einem bestimmten situativen Kontext«12 meint. Im aktiven (hörenden und spielenden) Mitvollzug von Musik – vor allem der rhythmischen Ebene – reagiert der Körper mit physiologischen Reaktionen und kognitiv-sensorisch-emotionalem Erleben.13 Da diese Aspekte von Rhythmuserfahrung grundlegend für die Rezeption und die Wirkung von Musik sind, stehen sie auch bei methodisch-didaktischen Überlegungen im Bereich der musikalischen Erwachsenenbildung im Vordergrund. Rhythmuswahrnehmung basiert auf der Fähigkeit, Klangfolgen als Ganzheiten wahrzunehmen und zu gliedern, Akzentuierung von Klangfolgen, die größeres Gewicht im Vergleich zur Umgebung haben, zu unterscheiden und Regelmäßigkeiten der zeitlichen Struktur sowie psychologische Gegenwart zu identifizieren. Die psychologische Gegenwart bezeichnet dabei jenen Zeitraum, in der alle Bewusstseinsinhalte direkt verfügbar sind, »sodass keinerlei Erinnerungsleistungen erforderlich sind.« Diese Zeit umfasst 1,5 bis max. 3 Sekunden.14 Westafrikanische Rhythmustheorien bieten dafür ein didaktisch adaptierbares Modell, das auf einer ganzheitlichen Musikwahrnehmung beruht. Rhythmus steht darin in engem Zusammenhang mit Klangfarben und Tonhöhen und ist in den Kontext Sprache, Lied und Tanz eingebunden. Das mehrstufige Modell des rhythmischen Ausdrucks von Kofi Agawu bildet den Zusammenhang von Gesten, Sprache, Vokalmusik, Instrumentalmusik und Tanz bei den westafrikanischen Ewe ab.15

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Andreas C. Lehmann: »Habituelle und situative Rezeptionsweisen beim Musikhören oder: Versuchen wir, immer gleich zu hören!« In: Maria Luise Schulten (Hg.): Musikvermittlung als Beruf. Essen: Die Blaue Eule 1993, S. 78. Martin Pfleiderer: Rhythmus, S. 50. Martin Pfleiderer: Rhythmus, S. 62. Pfleiderer hält sich hier an die Ausführungen von Alf Gabrielsson: »The Complexities of Rhythm«. In: Thomas J. Tighe, Jay W. Dwoling (Hg.): Psychology and Music. Understanding of Melody and Rhythm, Hillsdale, 1993, S. 94–120. Kofi Agawu: African Rhythm. A Northern Ewe Perspective. Cambridge: 1995.

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Abbildung 1: Modell des rhythmischen Ausdrucks nach Kofi Agawu

Ausgangspunkt ist die Geste, der unmittelbare körperliche Ausdruck und das körperliche, emotionale Erleben, aus dem heraus sich sprachliche Gestalten entwickeln. Übertragen in den Kontext musikalischer Erwachsenenbildung wären dies etwa Lebens- und Erfahrungswelten der Erwachsenen oder ihre momentane Stimmung. Daraus entstehen sprachliche Gestalten, eine Erzählung, eine Geschichte. Diese kann in freien oder stilisierten Rhythmen vorgetragen werden, die von Instrumenten (Perkussionsinstrumenten) übernommen werden können. Diese folgen der Sprache oder bilden eigene (Tanz)Gestalten aus, die wiederum zu einem stilisierten Tanz und zur Geste führen. Da westafrikanische Rhythmen auf Pattern, einer ganzheitlichen klanglichen Gestalt, die durch Lautstärkebetonungen, Klangfarbe sowie Klangdauern

3. Dimensionen musikalischer Erwachsenenbildung

charakterisiert wird, basieren, lassen sich komplexe polyrhythmische Überlagerungen erzeugen.16 Die Orientierung an Pattern und Riffs und die grundsätzliche Offenheit gegenüber Rhythmen, die auch von außerhalb des Jazz und der populären Musik kommen, machen diese zu einem bevorzugten pädagogisch-künstlerischen Handlungsfeld der musikalischen Erwachsenenbildung. Zudem bilden das soziale Gefüge, das Einbringen der eigenen musikalischen Persönlichkeit, der eigenen Kreativität und Ausdruckskraft, die soziale Anerkennung, das Spielen in der Gruppe, auch das Erleben und die Ausweitung des eigenen Körpergefühls und das Flow-Erleben wichtige Motive für musikalische Betätigung im Bereich von Jazz und Popularmusik.17

3.2 (Lern-)Biographische Dimension: Besonderheiten des Lernens von Erwachsenen Lernen von Erwachsenen spielt sich in einem vieldimensionalen Spannungsfeld zwischen Lebenslauf und Bildungsbiographie, Vermittlung und Aneignung, Pädagogisierung der Lebensführung und lebenslangem Lernen sowie diesseits und jenseits von Erwachsenenbildungsinstitutionen ab.18 Anregungen von außen führen zu immer neuen Erfahrungen und diese zu vielfältigen Lernprozessen. Erwachsene lernen, weil sie dadurch an gesellschaftlichen Entwicklungen teilhaben können, weil sie sich an wirtschaftliche, technische und soziale Entwicklungen anpassen wollen oder müssen, weil sie

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Martin Pfleiderer: Rhythmus, S. 141. Michael Clemens: »Rockmusik- und Jazzamateure unter soziologischen und psychologischen Aspekten«. In: Gert Holtmeyer (Hg.): Musikalische Erwachsenenbildung. Grundzüge – Entwicklungen – Perspektiven. Regensburg: Verlag Bosse 1989, S. 156ff. Jochen Kade, Dieter Nittel, Wolfgang Seitter: Einführung in die Erwachsenenbildung/Weiterbildung, unter Mitarbeit von Birte Egloff. 2., überarbeitete Auflage. Stuttgart: Kohlhammer 2007, S. 23.

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Möglichkeiten der Entfaltung ihrer Persönlichkeit, der Teilhabe am kulturellen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, sozialen und politischen Leben suchen, Defizite ausgleichen oder Bildungsmöglichkeiten nachholen und ihre persönliche Zukunft bewältigen wollen. Partizipation, Autonomie, Integration und Antizipation sind wichtige Auslöser von Bildungswünschen,19 die häufig aus einer Krisen- oder Veränderungserfahrung heraus entstehen und der Sinnstiftung, Identitätsfindung und -weiterentwicklung dienen. Der biographische Kontext, die lebensweltlichen Erfahrungen der Erwachsenen und der damit verbundene Transfer zwischen Professionals und Non-Professionals sind dabei wichtige Aspekte, die auch für die musikalische Gruppenerfahrung relevant sind. Die Einteilung des Lebens nach bestimmten Lebensabschnitten, wie etwa die Einteilung in primäre und sekundäre Sozialisation, oder im Hinblick auf die psychosoziale Entwicklung,20 wurde zugunsten des Modells der »Lebensspanne« aufgegeben. »Lebensspanne« trennt nicht in unterschiedliche Phasen, sondern beschreibt die Entwicklung über die gesamte Lebenszeit.21 Diese lebenslange Entwicklung beruht auf Faktoren, die mit dem biologischen Alter zu tun haben (»age-graded influences«), Faktoren, die mit dem gesellschaftlich-kulturellen Umfeld zu tun haben (»history-graded influences«) und Faktoren, die unvorhersehbare Ereignisse beschreiben (»non-normative influences«).22 All diese Faktoren beschreiben Lernen als »erfahrungsreflexive, auf den Lernenden sich

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Sigrid Nolda: Einführung in die Theorie der Erwachsenenbildung. 3., aktualisierte Auflage. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2015, S. 26ff. Ebd., S. 68f. Horst Siebert: Lernen und Bildung Erwachsener. 2. aktualisierte und überarbeitete Auflage. Stuttgart: W. Bertelsmann 2012, S. 16. Paul Baltes, Ulman Lindenberger, Ursula Staudinger: »Lifespan theory in developmental psychology«. In: Richard M. Lerner (Hg.): Handbook of child psychology vol. 1: Theoretical models of human development. 5. Ed. New York: 1998, S. 1079–1143.

3. Dimensionen musikalischer Erwachsenenbildung

auswirkende Gewinnung von spezifischem Wissen und Können«.23 Erwachsene lernen anders aber nicht zwangsläufig schlechter als jüngere Menschen, sie brauchen in der Regel mehr Zeit bei der Lösung der gestellten Aufgabe, sind aber in der Ausführung meist genauer als jüngere. Da Menschen ihre Identität aus ihren Erfahrungen, ihren Biographien entwickeln, hat die lebensgeschichtliche Orientierung in der Erwachsenenbildung einen hohen Stellenwert.24 Während der gesamten Lebensspanne wird Identität etabliert, immer wieder ausbalanciert und im Rahmen der »Darstellung des eigenen Lebensverlaufs und der dieser zugrunde liegenden Sinnkonstruktionen«25 angepasst. Biographizität, die ständige Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben im Rahmen der Gesellschaft, ist damit ein wesentliches Merkmal des Erwachsenseins. Die Lernfähigkeit selbst bleibt über die gesamte Lebensspanne erhalten, wobei jene Fähigkeiten, die im Alltag oder im Berufsleben benötigt werden, sich weiterentwickeln können, diejenigen Fähigkeiten, die nicht benötigt werden – und damit auch nicht trainiert werden -»schlafen« ein. Allerdings lassen sich beim kreativen, schöpferischen Tun kaum Unterschiede zu Jüngeren feststellen. Die Kapazität der Aufmerksamkeit verringert sich zwar im Laufe des Lebens, wobei die visuelle Wahrnehmung stärker betroffen ist als die akustische, auch die verbale Gedächtnisspanne nimmt ab und Reaktions- und Antizipationszeiten werden länger. Diese verlangsamte Informationsverarbeitung kann aber durch Training signifikant verbessert werden. Lernen im Alter beruht damit nicht in erster Linie auf Verlangsamung, denn ein breites Wissen, die Fülle an Erfahrungen und die größere Fähigkeit, Einzelereignisse einzuordnen, machen diese Ver-

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Michael Göhlich, Jörg Zirfas: Lernen. Ein pädagogischer Grundbegriff. Stuttgart: 2007. Vgl. Horst Siebert: Lernen und Bildung Erwachsener, S. 72. Sigrid Nolda: Einführung in die Theorie der Erwachsenenbildung, S. 70.

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langsamung meist wett.26 »Älterwerden ist somit kein Abbauprozess, sondern ein lebenslang fortschreitender Informationsverarbeitungsprozess, der durch andauernde Lernvorgänge und Methodenerweiterungen gefördert wird.«27 Das biologische Alter ist dabei weit weniger einflussreich als soziokulturelle und biographische Rahmenbedingungen.28 Lernen und Leben, Erkennen und Handeln, Wahrnehmen und Interpretieren sind untrennbar miteinander verknüpft. Erwachsene lernen entsprechend ihrer Lerngeschichte und nach ihren Lerngewohnheiten, die sie sich aufgrund ihres psychosozialen Verhaltens und ihrer kognitiven und emotionalen Muster angeeignet haben. Lernen kann durch die Konstruktion von Lernkontexten angeregt und unterstützt, nicht aber verordnet werden, ist selbst- und nicht fremdgesteuert.29 Erfahrungs- und Anschlusslernen sind für Erwachsene besonders wichtig. Das können praktische Erfahrungen sein, gedankliche Beobachtungen, abstraktes Begreifen oder aktives Probieren.30 Da sich Lernen vorwiegend nicht in Bildungsinstitutionen vollzieht, haben Menschen vielfältige Strategien der Aneignung entwickelt, die sie für ihre Lebensführung benötigen. Diese Form des informellen Lernens passiert im Alltag, am Arbeitsplatz und hat im Gegensatz zum formalen und nicht-formalen Lernen keine Struktur.31 Daher ist auf einen Praxisbezug, der nicht zwangsläufig ein beruflicher sein muss,

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Martin Gellrich: »Psychologische Aspekte des Musiklernens Erwachsener«. In: Gert Holtmeyer (Hg.): Musikalische Erwachsenenbildung. Grundzüge – Entwicklungen – Perspektiven. Regensburg: Verlag Bosse 1989, S. 91. Jonathan Bennett: Mach dich schlau am Instrument. Instrumentalunterricht 50plus. Möglichkeiten, Zielsetzungen und Motive. Institut Alter und Hochschule der Künste Bern: 2016, S. 8. Horst Siebert: Lernen und Bildung Erwachsener, S. 20. Vgl. Horst Siebert: »Konstruktivistische Ansätze einer Ermöglichungsdidaktik«. In: Rolf Arnold, Ingeborg Schüssler (Hg.): Ermöglichungsdidaktik. Erwachsenenpädagogische Grundlagen und Erfahrungen. Baltmannsweiler: 2003, S. 45. Vgl. Sigrid Nolda: Einführung in die Theorie der Erwachsenenbildung, S. 88f. Vgl. ebd., S. 91.

3. Dimensionen musikalischer Erwachsenenbildung

ebenso zu achten wie auf die Kompensation möglicherweise fehlender Lerntechniken und Gewohnheiten. Erwachsene lernen in großen Zusammenhängen, konzentrieren sich auf sinnvolle und als sinnvoll markierte Lerninhalte. Sie erwarten eine ausreichende Erklärung von Sachverhalten und Zusammenhängen. Auch wenn abstrakte Begriffe und Theorien mit zunehmendem Alter besser gelernt werden können, steht das Anwendungswissen im Vordergrund. Daher ist es sinnvoll, von konkreten Problemlagen auszugehen und diese in Zusammenhänge einzubinden. Erwachsene wollen wissen, was sie lernen, sie wollen eigene Entscheidungen treffen und ihr Lernen selbst steuern. Diese Selbststeuerung kann sich sowohl auf Ziele, Inhalte, die gesamte Lernorganisation (wann, wo, wie lange), Methoden und Sozialformen aber auch auf die Erfolgsmessung beziehen. Diese »Selbstwirksamkeitsüberzeugung«32 ist wesentlich: je größer das Selbstvertrauen und je realistischer die Selbstevaluation, desto größer ist die Lernleistung. Eine übersichtliche Gliederung von Lernthemen mit Visualisierungen, eine handlungs- und prozessorientierte Methodik, eine anregende Lernumgebung und eine vertrauensvolle Atmosphäre gehören ebenso dazu. Ähnliche Motive sind für das Musizieren von Erwachsenen festzustellen: Nachträgliches Ausleben von Kind-Sein und emanzipatorische Zugänge bzw. die Befreiung von Zwängen gehören ebenso dazu wie das Überwinden lebensgeschichtlicher Determinanten und die Bearbeitung von Entbehrungen aus einer früheren Zeit, die Kompensation eigener Entwicklungsunmöglichkeiten und die Auflösung der Diskrepanz zwischen Selbstbild und Selbsterfahrung.33 Dabei spielt die eigene Biographie die größte Rolle: sie »erschiene ohne das oftmals nach längeren Unterbrüchen wieder aufgenommene Musizieren als unvollständig.« Wichtiger Antrieb ist die kreative Auseinandersetzung

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Horst Siebert: Lernen und Bildung Erwachsener, S. 27. Frauke Grimmer: »Lebensgeschichtliche Determinanten als Herausforderungen einer Instrumentalpädagogik für Erwachsene«. In: Gert Holtmeyer (Hg.): Musikalische Erwachsenenbildung. Grundzüge – Entwicklungen – Perspektiven. Regensburg: Verlag Bosse 1989, S. 123–132.

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mit und das Überwinden von Herausforderungen und Widerständen aller Art, das »ein wesentlicher Bedeutungsgehalt des Musiklernens und der psychophysischen Funktion des Musizierens«34 ist. Oft setzt die Aufnahme von Musikunterricht im Alter an eine internal gelebte Musikbiographie und an abgebrochene Versuche des Musiklernens aus dem Kindes- und Jugendalter an. Gerade dann, wenn das Musiklernen in der Herkunftsfamilie einen geringen Stellenwert hatte und das Kind sich das erkämpfen musste, erhält es im Laufe des Lebens einen hohen Stellenwert.35 Ein wesentlicher Aspekt von Sozialisation und Entwicklung ist die »Bildung von Handlungskompetenzen«36 . Bezogen auf die musikalische Sozialisation ist es die Erlangung musikalischer Kompetenzen in der Verarbeitung äußerer sowie innerer Realitäten des Menschen37 sowie die Aneignung musikalischer Fähigkeiten, die sich über die gesamte Lebensspanne vollziehen können, auch wenn sich grundsätzliche musikalische Verhaltensparameter in frühen Entwicklungsstadien von Menschen vollziehen. Wer regelmäßig musikalisch tätig ist, kann zudem koordinative Fähigkeiten im Alter sehr gut behalten und empfindet altersbedingte körperliche Einschränkungen als weniger störend.38 Erwachsene sind stark intrinsisch motiviert, verfügen über eine hohe Lernbereitschaft und den Anspruch auf eine gute Leistung und haben ein oft über die jeweiligen Inhalte hinausgehendes Interesse. Viele Erwachsene investieren viel in ihre musikalische Bildung, was wiederum den hohen persönlichen Wert des Musizierens zeigt.39 Allerdings divergieren Fremd- und Selbsteinschätzung mitunter, was zu Frustration 34 35 36

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Mac Brand: Musikalisch aktiv bis ins Alter, S. 9. https://zenodo.org/record/31344# .Yv3m0S35y1s (10.8.2022). Ebd., S. 12. Dietmar Pickert: »Musikalische Werdegänge von Amateurmusikern im Bereich der klassischen und populären Musik. Ein Forschungsprojekt«. In: Günter Olias (Hg.): Musiklernen: Aneignung des Unbekannten. Essen: Die Blaue Eule 1994, S. 70. Ebd., S. 71f. Jonathan Bennett: Mach dich schlau am Instrument, S. 21. Mac Brand: Musikalisch aktiv bis ins Alter, S. 23. https://zenodo.org/record/31344 #.Yv3m0S35y1s (10.8.2022).

3. Dimensionen musikalischer Erwachsenenbildung

und Krisen bis hin zum Abbruch des Musizierens führen kann.40 Gleichzeitig sind der Prozess, das Finden eigener Lösungswege und der Austausch in der Gruppe wichtiger, als konkrete, überprüfbare Ergebnisse. Lernen heißt nicht, Vorgegebenes abzubilden, sondern Eigenes zu gestalten. Darauf aufbauend stehen in der musikalischen Erwachsenenbildung handlungs- und prozessorientierte Methoden, Teilnehmer*innenorientierung, Selbstreflexivität und Selbststeuerung im Zentrum. Hier nehmen die Lehrenden (Gruppenleiter*innen) die Funktion des Moderators, der Moderatorin ein, der/die den Lernprozess begleitet und nach einer Vereinbarung über das gesamte Setting in der Steuerung und Ergebnissicherung den Teilnehmer*innen überlässt. Lernen ist damit ein weitgehend selbstorganisiert ablaufender Aneignungsprozess, bei dem die Lehrenden Differenzerfahrungen ermöglichen und ein der »Ermöglichungsdidaktik«41 entsprechendes methodischdidaktisches Lehr-Lern-Arrangement treffen, aber das Lernen selbst nicht erzeugen können. Denn: gelernt wird, was Menschen für sich und ihren lebensweltlichen Kontext als relevant erachten.

3.3 Sozioökonomische Dimension: Musizieren von Non-Professionals Betrachtet man die Voraussetzungen, unter denen sich Erwachsene der Musik zuwenden, findet man Menschen, die seit der Kindheit ohne Unterbrechung musiziert haben und viel Erfahrung mitbringen, Erwachsene, die nach längerer Unterbrechung wieder mit dem Musizieren – auf dem einmal gelernten oder einem neuen Instrument – anfangen und entsprechend (hohe) Erwartungen an sich selbst stellen, und Menschen, die noch nie musikalisch aktiv waren. Sie alle sind als musikalische Amateure zu bezeichnen. Amateure sind Musiker*innen, »die ein Instrument spielen, in Ensembles musizieren und ihre instrumentalspezifischen Aktivitäten 40 41

Ebd., S. 12. Horst Siebert: Lernen und Bildung Erwachsener, S. 28.

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Musik gemeinsam erfinden

nicht professionell ausüben. Ihre instrumentalen Tätigkeiten dienen nicht als Grunderwerb für den Lebensunterhalt, sondern sind wesentliches Moment der Freizeitaktivitäten.«42 Der musikalische Amateur bzw. Dilettant hatte historisch gesehen einen hohen Stellenwert, zumal noch im 18. Jahrhundert das Musizieren mit Berufsabsicht einen schlechten Ruf hatte. Hingegen war Musizieren ohne Berufsabsicht meist nur (gut ausgebildeten) Mitgliedern des Adels vorbehalten und diente der eigenen Freude und Rekreation. Als Amateur (bzw. »Dilettant«) müsse man Kenner mit einem hoch ausgebildeten Geschmack sein.43 Das Bürgertum mit seinen Strategien der Selbstrepräsentation hat diese Vorstellungen zunächst übernommen und sie in den im Laufe des 19. Jahrhunderts entstehenden Ausbildungsstätten kodifiziert. Das Spielen eines Instruments wurde damit auch Ausdruck eines (oft vererbten) Bildungskapitals, vor allem, wenn es sich um Instrumente wie Klavier oder Geige handelte.44 Heute werden Amateurmusiker*innen als Personen betrachtet »die im Gegensatz zu Berufsmusikern ihre Tätigkeit aus Liebhaberei (lat. amator = Liebhaber) und ohne Berufsabsicht ausüben. Sie durchlaufen meist keine oder keine vollständige formalisierte Ausbildung, erreichen jedoch vereinzelt eine hohe künstlerische Kompetenz, die ihnen einen Einstieg in eine professionelle Musikausübung ermöglicht. Eine abgeschlossene Ausbildung entscheidet nicht über den Status des Amateuroder Berufsmusikers.«45 Ein Großteil der Amateurmusiker*innen ist in Vereinen organisiert und betreibt das Musizieren freiwillig und in der Freizeit. Allein in Deutschland machen etwa 14 Millionen Menschen in ihrer Freizeit Musik. Amateurmusizieren ist »eine der größten Bewegungen des

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Dietmar Pickert: »Musikalische Werdegänge von Amateurmusikern«, S. 76. Günter Kleinen: »Soziologie der Musikamateure«. In: Gert Holtmeyer (Hg.): Musikalische Erwachsenenbildung. Grundzüge – Entwicklungen – Perspektiven. Regensburg: Verlag Bosse 1989, S. 134f. Ebd., S. 138. Eva Maria Stöckler: »Amateurmusiker«. In: Martin Lücke (Hg.): Lexikon der Musikberufe. Geschichte – Tätigkeitsfelder – Ausbildung. Laaber: Laaber 2021, S. 41.

3. Dimensionen musikalischer Erwachsenenbildung

bürgerschaftlichen Engagements in Deutschland und damit wesentlicher Bestandteil der Zivilgesellschaft,«46 im Jahr 2017 mit 60.000 bei der GEMA gemeldeten Musikveranstaltungen. Ca. 19 % der deutschen Bevölkerung ab 6 Jahren musizieren in ihrer Freizeit und bezeichnen sich selbst als Hobby-, Amateur- oder Freizeitmusizierende. 48 % der Kinder und Jugendlichen im Alter von 6 bis 15 Jahren musizieren in ihrer Freizeit regelmäßig oder zumindest selten, in der Bevölkerung ab 16 Jahre sind es knapp 16 %.47 25 % der Personen ab 16 Jahre mit einem höheren sozioökonomischen Status zählen sich zu den Freizeit- und Hobbymusiker*innen, aber nur 12 % der Personen aus den unteren und 14 % der Personen aus den mittleren Sozialschichten. Auch regional gibt es Unterschiede: Im Süden Deutschlands wird weit überdurchschnittlich oft musiziert, im Osten liegt der Anteil jedoch deutlich unter dem Bundesdurchschnitt. Bemerkenswert ist, dass der Anteil der Hobbymusizierenden unter den Personen mit Migrationshintergrund überproportional hoch ist. Während Frauen vor allem in Chören singen (56 % der Frauen ab 16 Jahren, die musizieren), sind die Instrumentalisten vorwiegend unter Männern und Jüngeren zu finden. Auch bei der Instrumentenwahl gibt es deutliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern: Männer interessieren sich für elektronische Musikinstrumente, 18 % der Amateurmusiker spielen E-Gitarre oder E-Bass, bei den Amateurmusikerinnen liegt der Anteil unterhalb von 0,5 %. Elektronische Tasteninstrumente wie Keyboard oder Synthesizer spielen 26 % der musizierenden Männer, aber nur 8 % der Frauen. Auch Blechblasinstrumente und Saxophon werden deutlich häufiger von Männern gespielt als von Frauen. Umgekehrt spielen 33 % der Frauen ab 16 Jahre regelmäßig oder gelegentlich Klavier, von den Männern nur 22 %. 22 % der Frauen unter den Amateurmusizierenden spielen Blockflöte, aber lediglich 3 % der Männer. Auch

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Astrid Reimers: »Amateurmusizieren«. In: Musikleben in Deutschland, S. 162f. Deutscher Musikrat, Deutsches Musikinformationszentrum in Kooperation mit dem Institut für Demoskopie Allensbach (Hg.): Amateurmusizieren in Deutschland, S. 4.

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Musik gemeinsam erfinden

Querflöte, Klarinette, und Violine bzw. Geige zählen zu den Musikinstrumenten, die Frauen häufiger spielen als Männer. Singen hingegen ist stark altersabhängig: 40 % der Amateurmusizierenden singen, bei den über 60-Jährigen sind es etwa 50 %, bei den 30- bis 40-Jährigen hingegen nur 25 %.48 Zunehmend rückt dieses Potenzial auch stärker in den Fokus von Politik und Wissenschaft: »Community Music« sorgt dafür, dass »die musikalisch-ästhetische Praxis mit sozialem und gesellschaftspolitischem Anspruch, mit Partizipation, Integration und Inklusion«49 verbunden wird. Diese Konzepte werden auch auf die sogenannte »klassische« Musik, etwa in Laiensinfonieorchester, übertragen oder finden durch mobile Probenräume Anschluss an die Bedürfnisse von Jugendlichen. Amateurmusizieren, initiiert durch Familie, Elternhaus, oft auch Freunde, bleibt ein Leben lang in unterschiedlicher Ausprägung erhalten und wird als selbstverständlicher Teil der eigenen Identität gesehen, der dazu beiträgt, »dass nicht nur materielle, sondern auch soziale Werte anerkannt werden.«50 Wie groß die Bedeutung des Amateurmusizierens ist, zeigt die 2017 erfolgte Aufnahme des »Instrumentalen Laien- und Amateurmusizierens« in das bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes in Deutschland.51 Jazz und Popularmusik zeichnet sich insbesondere im Zugang zur Musik und im Lernprozess durch Aneignungsstrategien aus, die dem Amateurmusizieren sehr nahe liegen, denn die Vorbereitung auf den Beruf der Jazzmusiker*innen war von Anfang an nicht institutionalisiert. Erst mit dem Einzug des Jazz in die Curricula von Musikuniversitäten und Musikhochschulen hat sich ein neuer Typ des Jazzmusikers, der Jazzmusikerin etabliert, »zu dessen hervorstechendsten Charakteristika eine beeindruckende technische Kompetenz und ein (sic!)

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Vgl. ebd., S. 7f. Astrid Reimers: »Amateurmusizieren«, S. 163. Ebd., S. 164. Deutsche UNESCO Kommission: Bundesweites Verzeichnis Immaterielles Kulturerbe. https://www.unesco.de/kultur-und-natur/immaterielles-kulturerbe/imm aterielles-kulturerbe-deutschland/amateurmusizieren (10.8.2022).

3. Dimensionen musikalischer Erwachsenenbildung

auffallend konservative stilistische Orientierung gehören,«52 formuliert Ekkehard Jost zugespitzt. Zunächst aber vollzogen sich die Aneignung der Ausdrucksmittel des Jazz, die Fähigkeit zu improvisieren, die Herausbildung einer stilistischen Identität außerhalb von Institutionen musikalischer Bildung, in und durch die Familie, durch Imitation, durch trial-and-error, meist schon in früher Kindheit. Da in der westlichen, eurozentristischen Sichtweise Lernen mit (institutionalisierter) Ausbildung gleichgesetzt wird, werden Lernprozesse, die außerhalb von etablierten Bildungsinstitutionen stattfinden, oft nicht zur Kenntnis genommen. Ein Umstand, der sich erst in den letzten Jahren durch die Anerkennung von informell erworbenen Fähigkeiten und Kenntnissen auch im akademischen Bereich verändert. Eine Folge der informellen Lernprozesse im Jazz und der Popularmusik ist, dass der Einstieg in die professionelle – berufliche – Sphäre fließend ist, wohingegen in der Klassik »der Abschluß der akademischen Berufsausbildung in der Regel zugleich den Einstieg in die professionelle Laufbahn markiert.«53 Das Lernen in der Gruppe, Cliquen, Peer-Groups, die Bedeutung von Schlüsselfiguren der Jazz- oder Rock/ Pop-Szene und ein oft über Umwege verschlungener Weg kennzeichnen den Übergang vom Amateur zum semi-professionellen und professionellen Status. Die Aneignungsprozesse finden im Musizieren statt, bis etwa in die frühen 1970er Jahre mit der »Jam Session« als zentraler Initiationsinstanz und »Filter für den Einstieg in die professionelle Szene.«54 Durch die hohe – notwendige – Mobilität der Jazzmusiker*innen, der großen Bedeutung, die das Spielen in unterschiedlichen Formationen hat und den stark transitorischen Charakter des Jazz, bleiben diese fließenden Übergänge zwischen Professional und Non-Professional bis

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Ekkehard Jost: »Jazzmusiker: Tendenzen der Professionalisierung im historischen Wandel.« In: Christian Kaden, Volker Kalisch (Hg.): Professionalismus in der Musik. Arbeitstagung in Verbindung mit dem Heinrich-Schütz-Haus Bad Köstritz vom 22. bis 25. August 1996. Essen: Die Blaue Eule 1999, S. 230. Ebd., S. 224. Ebd., S. 226.

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heute – wenn auch etwas eingeschränkt – bestehen und stellen sich als Zonen des kreativen Austausches und stilistischer Innovation dar. Dabei ist allerdings festzustellen, dass mit der zunehmenden Akademisierung der Jazzausbildung auch in diesem Bereich ein Studienabschluss zunehmend die Eintrittskarte in die professionelle Musikausübung wird, wohingegen in der Popmusik der Einstieg in die Profikarriere nicht in diesem Ausmaß an einen Studienabschluss gebunden ist. Die Aneignung von Fertigkeiten und Kompetenzen in der Rock- bzw. Popmusik basiert weitgehend auf oralen Traditionen und informellen, außerinstitutionellen Lernprozessen, die vor allem für Jugendliche mit den »Möglichkeiten im Umgang mit Sound, Rhythmus, Phrasierung und mit der aus der europäischen Hochkultur verbannten Körperlichkeit«55 anschlussfähig ist. Die Aneignungsstrategien selbst, der Umgang mit Popmusik, Kommunikation, Performanz u.a. gehören zum »primären genuinen Kern populärer Musik allgemein.«56

3.4 Soziodemographische Dimension: Herausforderungen einer sich verändernden Gesellschaft Die Menschen werden älter, und sie werden – vor allem in der industrialisierten westlichen Welt – gesünder älter. Immer mehr ältere Menschen stehen jedoch einer immer kleiner werdenden Zahl junger Menschen gegenüber – mit zahlreichen Folgen für Politik, Wirtschaft, Gesundheit, Bildung und Kultur. Im Jahre 2021 betrug der Anteil der Kinder unter 15 Jahren in Österreich 14,4 %, der Anteil der Personen im Erwerbsalter von 15 bis 59 betrug 59,8 % und der Anteil der Menschen über 60 Jahre betrug 25,8 %.57 2021 ist der Anteil der über 60-Jährigen höher als der der Kinder und Jugendlichen, deren Bevölkerungsanteil im Jahr 2025 bei 19,3 % liegen

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Dirk Zuther: Popmusik aneignen. Selbstbestimmter Erwerb musikalischer Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern. Bielefeld: transcript 2019, S. 13. Ebd., S. 28. Statistik Austria (Hg.): Demographisches Jahrbuch. Wien: 2022, S. 22f.

3. Dimensionen musikalischer Erwachsenenbildung

wird, derjenige der über 65-Jährigen bei 20,8 %. Nach Prognosen der Statistik Austria bleibt der Anteil der Bevölkerung, die unter 20 Jahre alt sind, mit ca. 19,3 % relativ gleich, hingegen jener über 65 Jahre wird auf 27,7 % im Jahr 2050 ansteigen und weiter steigen.58 Ein ähnliches Bild zeigen die Daten in Deutschland. So lag der Anteil der unter 20-Jährigen 1970 in Westdeutschland noch bei 29,7 %, 2018 war er in Deutschland nur mehr bei 18,4 %. Gleichzeitig stieg der Anteil der Menschen über 67 Jahre zwischen 1970 und 2018 von 11,1 auf 19,2 %.59 Die Menschen in unserer Gesellschaft werden gesünder älter, auch wenn sie zunehmend mit körperlichen Beeinträchtigungen leben müssen. Der Umgang mit diesen Beeinträchtigungen ist eine der großen Herausforderungen der nächsten Jahre, zumal Inklusion und die Umsetzung von Barrierefreiheit ein wichtiges Fundament einer demokratischen Gesellschaft darstellt und nicht nur gesetzlich sowohl in der Österreichischen Verfassung als auch in der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen verankert ist. »Barrierefreiheit ist mehr als rollstuhlgerecht«,60 Barrierefreiheit meint vor allem Zugang zu Information und Mitbestimmung. Im Alter einer sinnstiftenden Tätigkeit nachzugehen, gehört zu den wichtigsten Faktoren für Gesundheit und Wohlbefinden.61 Ältere Menschen verfügen über viel implizites Wissen und Lebenserfahrung, das sie in bürgerschaftliches Engagement, Ehrenamt und die Unterstützung von Jüngeren einbringen können. Speziell in stark von persönlichem und ehrenamtlichem Engagement getragenen Aktivitäten werden Ältere zunehmend aktiver, wie im Engagement für 58

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Statistik Austria: Bevölkerungsstruktur. https://www.statistik.at/statistiken/bev oelkerung-und-soziales/bevoelkerung/demographische-prognosen/bevoelke rungsprognosen-fuer-oesterreich-und-die-bundeslaender (10.8.2022). Statista: Demographischer Wandel, https://de.statista.com/themen/653/demogr afischer-wandel/ (10.8.2022). Verein CONEDU (Hg.): »Kunst & Kultur in der Erwachsenenbildung«. Dokumentation der Serie von Artikeln aus dem Jahr 2015. In: Erwachsenenbildung.at. 2016, S. 41. https://erwachsenenbildung.at/downloads/aktuell/serien/seriekun stkultur2015.pdf (10.8.2022). Horst Siebert: Lernen und Bildung Erwachsener, S. 178.

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Kultur-, Kunst- und Sportvereine. Dabei sollte jedoch nicht vergessen werden, dass bezahlte Erwerbsarbeit einen hohen Stellenwert hat, alle unbezahlten, nicht minder wichtigen Tätigkeiten – Erziehung, Pflege (überwiegend von Frauen verrichtet), – hingegen wenig Wertschätzung erfahren. Das hoch geschätzte außerhäusliche Engagement hingegen – Feuerwehr, Sportverein usw. – wird als »Ehrenamt« immer noch weitgehend Männern zugestanden. Oft nimmt gesellschaftliche Teilhabe mit der Pensionierung ab, da sich die sogenannte »Leistungsgesellschaft« stark über Erwerbsarbeit definiert. Das führt zu einem Verlust der Selbstwirksamkeit. Daher ist ein Identifikationsfeld als »Äquivalens zur Würde des arbeitenden Menschen« zu schaffen,62 das etwa im aktiven Musizieren realisiert werden kann: es hat eine Ausgleichsfunktion im Alltag und eröffnet gesellschaftliche Teilhabe, es verhindert Folgen des Alters wie abnehmende Motivation für die Eigenfürsorge und Nachlässigkeit in Alltagsdingen, Depression, Vereinsamung und Einsamkeit, emotionale Notlagen und abnehmende Lebensqualität durch zunehmende Gesundheitsbeschwerden.63 Musische Bildung, verstanden als Begegnung mit der Welt und der »Fähigkeit, sein Leben verantwortlich, aufgaben- und sinnbezogen zu führen« spielt dabei eine wesentliche Rolle, denn sie führt zu Offenheit gegenüber neuen Situationen und zu mehr Zufriedenheit im Alter.64 Die Beschäftigung mit Musik hat einen sehr hohen individuellen Wert und schafft nicht nur eine intensivere soziale Bindung, sondern auch eine Stärkung des Selbstbewusstseins.65

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Mac Brand: Musikalisch aktiv bis ins Alter, S. 2. https://zenodo.org/record/31344# .Yv3m0S35y1s (10.8.2022). Vgl. John Habron, Felicity Butterly, Imogen Gordon, Annette Roebuck: »Being well, being musical: music composition as a resource and occupation for older people«. In: British Journal of Occupational Therapy 76/7 (2013), p. 309 (2). Diethard Wucher (Hg.): Musik selber machen. Eine Chance für Jüngere und Ältere an Musikschulen. Regensburg: ConBrio Verlagsgesellschaft 1999, S. 47. John Habron, Felicity Butterly, Imogen Gordon, Annette Roebuck: »Being well, being musical«. 2013, p. 309 (2), sowie Gembris, Heiner; Gerhard Nübel: »Musik in Altenheimen. Künftige Arbeitsfelder der Musikpädagogik«. In: Niels Knolle

3. Dimensionen musikalischer Erwachsenenbildung

2013 veröffentlichten John Habron, Felicity Butterly, Imogen Gordon und Annette Roebuck im British Journal of Occupational Therapy66 einen Artikel über das im Jahr 2010 in Manchester durchgeführte Projekt »Quartet Inventions«, in dem es um gemeinschaftliches Musikschaffen mit älteren Menschen in Zusammenarbeit mit der Manchester Camerata und einem Seniorenheim ging, bei dem Bewohner*innen die Möglichkeit gegeben wurde, individuelle Werke zusammen mit Profimusiker*innen mit der Methodik von »Action Research« zu erarbeiten. Ergebnis des gesamten Projekts, in dem Aspekte von Gesundheit und Wohlbefinden im Vordergrund standen, war eine Gruppenkomposition. Als wichtigstes Ergebnis des Projekts konnte die erfolgreiche Nutzung von kompositorischen Methoden und »art-based research« als Methodik der Komposition für ältere Menschen erzielt werden. Dazu kommen positive Effekte der musikalischen Tätigkeit für Gesundheit und Wohlbefinden. Der Schwerpunkt lag unter dem Titel »Community Music« dabei auf dem gemeinsamen Musikschaffen. Ausgangspunkt für die Gruppenkomposition mit einem Streichquartett der Manchester Camerata und einem Komponisten waren die Biographien der Teilnehmer*innen, die durch verschiedene Medien (Erzählungen, Gedichte, Bilder, …) unterstützt von Wissenschaftler*innen vermittelt wurden, und aus denen ein »storyboard« entwickelt wurde, das als Ausgangspunkt für Improvisationen des Streichquartetts diente. Diese Improvisationen wurden von einem Komponisten in einer Partitur niedergeschrieben. Beide Prozesse wurden von den Teilnehmer*innen evaluiert und kommentiert, um die Verbindung zur eigenen Biographie sicherzustellen, was wiederum in den Notentext eingeflossen ist. Diese so entstandene Komposition wurde von der Man-

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(Hg.): Lehr- und Lernforschung in der Musikpädagogik. Essen: Die Blaue Eule 2006, S. 289ff. John Habron, Felicity Butterly, Imogen Gordon und Annette Roebuck: »Being well, being musical«, p. 308–316.

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chester Camerata schließlich aufgeführt und schriftlich und filmisch dokumentiert.67 Die konkreten Ergebnisse dieser Studie zeigten vielfältige Ansatzpunkte für weitere Projekte: Musik rief starke Emotionen hervor und konnte dadurch die Erinnerung an die eigene Vergangenheit unterstützen, was zu einer tieferen Verbindung zu eigenen früheren Identität und zu einer Stärkung der gegenwärtigen Identität geführt hat. Durch das musikalische Tun konnte die eigene Biographie reflektiert und eine Vorstellung der Zukunft entwickelt werden. Das führte zu einer Verringerung von Zukunftsängsten, weil durch die Beschäftigung mit etwas so Ungewohntem wie Komponieren diese Ängste bewältigt werden konnten. Verschüttete Kompetenzen traten wieder auf, die eigene Kreativität wurde von den Teilnehmer*innen mit einem intensiven emotionalen Engagement erlebt und die Wahrnehmung für die eigene Urheberschaft geschärft. Die Bewältigung der musikalischen Unsicherheiten, Unwägbarkeiten, Unbestimmtheiten, die während des gesamten Prozesses entstanden sind, hatte einen positiven Einfluss auf die Bewältigung alltäglicher Herausforderungen im Leben der älteren Menschen. Nicht zuletzt eröffnete Musik ein soziales Interaktionsfeld, das von den älteren Menschen sehr geschätzt wurde.68 Eine besondere Herausforderung für die Musikpädagogik ist die große Heterogenität von Erwachsenen in Bezug auf ihre Voraussetzungen, ihre musikalische Ausbildung, ihre lebensgeschichtlichen Erfahrungen, ihre Gesundheit und spezifischen Bedürfnisse.69 Drei Schwerpunkte haben sich dabei als besonders wichtig herauskristallisiert: gemeinsames Musizieren, das »Sinngebende des Musizierens im biografischen 67

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John Habron, Felicity Butterly, Imogen Gordon, Annette Roebuck: https://man chestercamerata.co.uk/files/pdf/manchester_camerata_paths_to_peace_proj ect_report_plain_english_version_for_participants.pdf (10.8.2022). John Habron, Felicity Butterly, Imogen Gordon, Annette Roebuck: »Being well, being musical«, p. 312 (5)ff. Heiner Gembris, Gerhard Nübel: »Musik in Altenheimen. Künftige Arbeitsfelder der Musikpädagogik«. In: Niels Knolle (Hg.): Lehr- und Lernforschung in der Musikpädagogik. Essen: Die Blaue Eule 2006, S. 285.

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Kontext sowie die kreative, gestalterische Auseinandersetzung mit Musik und Instrument oder Stimme.«70 Daher ist es notwendig, dass die Musikpädagogik Erwachsene und Ältere als eine an Zahl und Bedeutung wachsende Zielgruppe erkennt, entsprechende methodische Konzepte entwickelt und ihre eigene Funktion vor diesem Hintergrund im Hinblick auf neue Aufgaben reflektiert.71 Musikbildungs- und Musikausbildungsinstitutionen sind gefordert, auf diese Veränderungen zu reagieren, und Curricula der Musikpädagog*innen für diese Zielgruppe zu entwickeln, damit Menschen die Möglichkeit einer sinnstiftenden musikalischen Tätigkeit haben, ihre vorhandenen künstlerischen Kompetenzen und Fähigkeiten nutzen können und an gesellschaftlichen und kulturellen Prozessen teilhaben können.

3.5 Gesellschaftlich-kulturelle Dimension: Partizipation an künstlerisch-kulturellen Prozessen Kultur ist gelebte Alltagspraxis. Menschen an dieser zu beteiligen, erscheint damit naheliegend. »Der Zugang zu Kunst und Kultur sowie die Ermöglichung der Produktion von Kunst und Kultur stellen Grundrechte demokratischer Gesellschaften dar.«72 Menschen an gesellschaftlichen Entscheidungen und Planungsprozessen, von denen sie betroffen sind, direkt zu beteiligen, führt zu einer hohen Verantwortlichkeit der Menschen für ihr Tun und zu einer Stärkung des

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Brand, Marc: Musikalisch aktiv bis ins Alter, S. 14. https://zenodo.org/record/3134 4#.Yv3m0S35y1s (10.8.2022). Vgl. Heiner Gembris, Gerhard Nübel: »Musik in Altenheimen«, S. 295. Elke Zobl: »Perspektivenwechsel gefragt: Hin zu einer selbstreflexiven und kritischen kulturellen Teilhabe«. In: OPEN UP! Ein- und Ausschlüsse in Kunst & Kultur. p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten. Hg. vom Schwerpunkt Wissenschaft und Kunst, Universität Salzburg in Kooperation mit der Universität Mozarteum, Oktober 2018, S. 9. https://www.p-art-icipate.net/perspektivenwechsel-gefragt-h in-zu-einer-selbstreflexiven-und-kritischen-kulturellen-teilhabe/ (10.8.2022).

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gesellschaftlichen Zusammenhalts, eine besondere Notwendigkeit in einer digitalisierten, globalisierten Gesellschaft, in der Krisen (Covid-19Pandemie, Klimawandel, Krieg) zu großen gesellschaftlichen Verwerfungen geführt haben. Dazu benötigt es Handlungsoptionen, die eine »kompetente Teilhabe an den kulturellen Ressourcen der Gesellschaft vor dem Hintergrund ungleicher Machtverhältnisse« ermöglichen.73 Die Forderung von Kunst und Kultur für alle ist eng mit Demokratisierung verbunden und hängt in besonderer Weise vom Zugang zu und den Möglichkeiten von Bildung und Weiterbildung ab. Dabei sollen Menschen der Zugang zu kulturellen Angeboten ermöglicht werden, von denen sie sonst nicht profitieren würden, zumal das Feld der Künste als sehr exklusiv empfunden wird. Betrachtet man hingegen Kunst und Kultur als gelebte Praxis, wären derartige Barrieren weniger wirksam.74 Statt von einer Kultur FÜR alle wäre damit besser von einer Kultur VON allen zu sprechen. Diese müsste allerdings – und das ist bislang noch zu wenig in den Blick genommen – auch die Arbeit mit Erwachsenen einschließen.75 Prozesse kultureller Mitbestimmung, die gesellschaftlichen Wandel intendieren, werden oft von künstlerischen Interventionen im öffentlichen Raum initiiert. Diese bleiben jedoch meist Künstlerinnen und 73

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Elke Zobl, Siglinde Lang: »P/ART/ICIPATE – The Matrix of Cultural Production. Künstlerische Interventionen im Spannungsfeld von zeitgenössischer Kunst, partizipativer Kulturproduktion und kulturellen Managementprozessen. Ein Werkstattbericht über ein Forschungsprojekt«. In: kommunikation.medien 1 (April 2012), S. 5. https://eplus.uni-salzburg.at/download/pdf/2025535 (10.8.2022). Vgl. Siglinde Lang, Elke Zobl: »Über kollaborative Wissensproduktion und partizipative Lernprozesse zu zivilgesellschaftlicher Mitbestimmung. Das Lehrprojekt »I am a Cultural Producer« und seine Relevanz für die Erwachsenenbildung«. In: Magazin Erwachsenenbildung 19 (2013), S. 11. https://erwachsenenbil dung.at/magazin/13-19/07_lang_zobl.pdf (10.8.2022). Max Fuchs: »Kultur für alle: Wozu?« In: OPEN UP! Ein- und Ausschlüsse in Kunst & Kultur. p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten. Hg. vom Schwerpunkt Wissenschaft und Kunst, Universität Salzburg in Kooperation mit der Universität Mozarteum, Oktober 2018, S. 24–33. https://www.p-art-icipate.net/kultur-fuer-alle-wo zu/ (10.8.2022).

3. Dimensionen musikalischer Erwachsenenbildung

Künstlern vorbehalten, die damit über den kulturellen Lebensraum von vielen Menschen bestimmen. Da das zunehmend als widersprüchlich und problematisch erlebt wird, bekommen »community education«, Bürger*innenbeteiligungen und Gemeinwesenarbeit im künstlerischen Kontext eine höhere Aufmerksamkeit. »Ziel dieser oft unmittelbaren Eingriffe am Ort des Geschehens ist, die eigene Umgebung mitzugestalten und somit (mit) zu definieren, was unseren Wohn- und Lebensraum auszeichnet.«76 Das wird auch durch die UNESCO Definition von Kultur gestützt: »Die Kultur kann in ihrem weitesten Sinne als die Gesamtheit der einzigartigen geistigen, materiellen, intellektuellen und emotionalen Aspekte angesehen werden, die eine Gesellschaft oder eine soziale Gruppe kennzeichnen. Dies schliesst nicht nur Kunst und Literatur ein, sondern auch Lebensformen, die Grundrechte des Menschen, Wertsysteme, Traditionen und Glaubensrichtungen.«77 Elke Zobl und Siglinde Lang entwickelten an der Universität Salzburg und der Universität Mozarteum mit »I am a Cultural Producer« im Zeitraum von Oktober 2011 bis Mai 2012 ein Konzept künstlerischer Interventionen in Stadt und Land Salzburg, dessen Schwerpunkt auf einer kritischen kulturellen Teilhabe, »der auf einer selbstreflexiven und institutionenkritischen Haltung beruht, in Theorie und Praxis gesellschaftliche Machtverhältnisse in den Blick nimmt und eine Transformation der bestehenden Verhältnisse und Institutionen zum Ziel hat.«78 Eine Forderung, die insbesondere in einer Stadt mit starken traditionellen Kulturinstitutionen wie Salzburg eine besondere Herausforderung ist. Bei diesem Projekt ging es um »gleichberechtigte Teilhabe an Ressourcen, Selbstermächtigung zu Eigenaktivität und die Ermögli76

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Siglinde Lang, Elke Zobl: »Über kollaborative Wissensproduktion und partizipative Lernprozesse zu zivilgesellschaftlicher Mitbestimmung«, S. 2. https://er wachsenenbildung.at/magazin/13-19/07_lang_zobl.pdf (10.8.2022). UNESCO Definition Kultur: https://www.bak.admin.ch/bak/de/home/themen/ kulturdefinition-unesco.html (10.8.2022). Elke Zobl: »Perspektivenwechsel gefragt«, S. 10 https://www.p-art-icipate.net/ perspektivenwechsel-gefragt-hin-zu-einer-selbstreflexiven-und-kritischen-k ulturellen-teilhabe/ (10.8.2022).

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chung eines Aushandlungsprozesses dessen, was als Kultur gelebt und praktiziert wird«. Zentrale Vorgaben waren Selbstorganisation und kollaborative Wissensproduktion der Teilnehmer*innen, Interventionen im Stadtraum und die Förderung öffentlicher Teilhabe. Methodische Grundlage war »circuit of culture«, bei der Kultur als Prozess aufgefasst wird, »indem Sichtweisen und Einstellungen erzeugt, aufgenommen und in einem öffentlichen Zirkulationsprozess distribuiert werden«,79 wo sie weiter reproduziert und immer wieder neu verhandelt werden. Dadurch wurde versucht, die kulturelle Realität als einen iterativen Prozess darzustellen, dessen Bedeutungsgeflecht einer permanenten gesellschaftlichen Neuaushandlung unterzogen ist, an dem Gesellschaften, Gruppen und Einzelpersonen gleichermaßen beteiligt sind. Nach dem Etablieren einer kollektiven Perspektive fand der Transfer des Wissens über die produktive Gestaltung kultureller Formen statt, die den Kommunikations- und Handlungsraum der Teilnehmer*innen sukzessive erweiterten.80 Der diskursive Charakter und die Ausrichtung auf ein gemeinsames Ziel förderten dabei die kollektive Perspektive, zumal alle Projektbeteiligten für das Gelingen verantwortlich waren und dies im Diskurs innerhalb eines dynamischen Gruppenprozesses immer wieder neu aushandeln mussten. Derartige anwendungsorientierte Konzepte des Wissenstransfers können die Eigenaktivität, den schöpferischen und handlungsorientierten Zugang vertieften, sodass ein Verständnis für die Wirksamkeit des eigenen kulturellen Handelns entsteht. Auf diese Art und Weise konnte Expert*innenwissen aufgebrochen und Barrieren hinsichtlich Alter, sozioökonomischem Status und Bildung überwunden werden, da im Lernsetting partizipatorisch gearbeitet wurde, wenngleich auch deutlich wurde, wie sehr der Zugang zu aktiver Kulturproduktion nach wie vor eng an Bildung, Klasse und

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Siglinde Lang, Elke Zobl: Ȇber kollaborative Wissensproduktion und partizipative Lernprozesse., S. 2f. https://erwachsenenbildung.at/magazin/13-19/07_l ang_zobl.pdf (10.8.2022). Ebd., S. 5ff.

3. Dimensionen musikalischer Erwachsenenbildung

Alter gekoppelt ist.81 Durch die Heterogenität von Erwachsenengruppen muss auf diese Ausschlussfaktoren geachtet werden, um nicht Rahmenbedingungen voller sozialer, struktureller und diskursiver Ungleichheiten herzustellen. Dies betrifft in besonderer Weise Gendersensibilität aber auch Migration.82 Ein Beispiel in der Musik ist die stereotype Zuschreibung im Hinblick auf Komposition und Instrumentenwahl. So wird die Fähigkeit zu komponieren und zu improvisieren bis heute vorwiegend Männern zugeschrieben. Frauen haben dabei mit hermetischen Rollenerwartungen zu kämpfen, da oft schon die Instrumentenwahl in der Kindheit geschlechtstypisch vorgenommen wird und ein einseitiger Musikunterricht diese Stereotype festschreibt. Im Jazz und in der Popularmusik sind Frauen – vor allem als Instrumentalistinnen – weniger repräsentiert als in der »klassischen« Musik und stärker mit sexualisierten Bildern konfrontiert.83 Mädchen werden früher einer schriftlichen (»klassischen«) Musik-Sozialisation unterzogen, Buben gründen hingegen schon früh eigene Bands, eignen sich dort Musik autodidaktisch an und sind daher an Kompositionsprozessen eher beteiligt. »Wer stark von musikpädagogischen Institutionen geprägt wurde – und das ist besonders bei Mädchen der Fall – lernt in der Regel lieber schriftorientiert.«84 Der Anspruch auf Information, Raum als Raum für individuelle Erfahrungen und das Einbringen individuellen Wissens sind wichtig,

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Ebd., S. 7. An dieser Stelle sei besonders auf das »Music and Minorities Research Center« der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien verwiesen. https://w ww.musicandminorities.org (10.8.2022). Ilka Siedenburg: »Lesende Frauen, hörende Männer?« Geschlechtstypische Aspekte im Lernfeld Improvisation. Ergebnisse einer Befragung von Lehramtsstudierenden«. In: Niels Knolle (Hg.): Lehr- und Lernforschung in der Musikpädagogik. Essen: Die Blaue Eule 2006, S. 16. Ebd., S. 37.

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um an kulturellen Ressourcen einer Gesellschaft teilhaben zu können.85 Ein Grundproblem für die fehlende Partizipation bzw. eine wesentliche Barriere ist der fehlende Zugang zu sozialen, kulturellen, bildungsbezogenen und materiellen Ressourcen sowie die dafür erforderliche Zeit. Daher wird die Frage nach struktureller Benachteiligung zu stellen sein, um das Potenzial, das in partizipativen kulturellen Produktionen steckt, zu nutzen. Der wichtige Schritt liegt dabei weg vom Kulturkonsum bzw. Musikkonsum hin zum eigenen schöpferischen Tun, das zur Mitbestimmung führt.86 Formen dieser Partizipation werden auch in dem Projekt »p/art/icipate« von Elke Zobl und Siglinde Lang verwirklicht. »Teilhaben und teilnehmen zu können an der Kultur eines Landes, einer Region, einer Stadt, diese mitzuprägen und zu gestalten, ist nicht nur eine wesentliche Voraussetzung für das gesellschaftliche Zusammenleben, sondern auch zentral für die Identitätsbildung und das Selbstwertgefühl von Menschen.«87 Zyklisch angelegte künstlerische Interventionen stellen etablierte Sichtweisen in Frage und geben Impulse zu einer »Neuverhandlung kultureller Bedeutungen«.88 Diese führen zu partizipativem und kollaborativem kulturellem Engagement, wie die Autorin selbst in dem partizipativen Projekt »Der Musikimpuls« in der Region Dunkelsteinerwald, eine Region zwischen St. Pölten und der Wachau, in den Jahren 2019 und 2020 an der Universität für Weiterbildung Krems umgesetzt hat.89 »Wichtigste Ele-

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87 88 89

Siglinde Lang, Elke Zobl: »Über kollaborative Wissensproduktion und partizipative Lernprozesse«, S. 7. https://erwachsenenbildung.at/magazin/13-19/07_l ang_zobl.pdf (10.8.2022). Vgl. Henry Jenkins, Ravi Puroshotma, Katherine Clinton, Margaret Weigel, Alice J. Robinson: Confronting the Challenges of Participatory Culture: Media Education for the 21st Century. 2006. https://www.macfound.org/media/article_pdfs/JENKIN S_WHITE_PAPER.PDF (10.8.2022). p/art/icipate: https://www.p-art-icipate.net (10.8.2022). Elke Zobl, Siglinde Lang: »P/ART/ICIPATE – The Matrix of Cultural Production«, S. 9. https://eplus.uni-salzburg.at/download/pdf/2025535 (10.8.2022). Universität für Weiterbildung Krems, Der Musikimpuls https://www.donau-u ni.ac.at/de/universitaet/fakultaeten/bildung-kunst-architektur/departments/

3. Dimensionen musikalischer Erwachsenenbildung

mente des gesamten Projektes sind eine umfassende Partizipation der Bevölkerung, eine dezidierte Bottom-up-Struktur in der Konzeption und Umsetzung sowie Vernetzung und gemeindeübergreifendes und regional-identitätsstiftendes Agieren.«90 Dreh- und Angelpunkt war die Bevölkerung selbst: Ideen kommen aus der Bevölkerung, Veranstaltungen werden für die Bevölkerung organisiert und Musik mit der Bevölkerung geschaffen, sodass der gesamte künstlerisch-kulturelle Prozess in den Händen der Menschen liegt, die in dieser Region leben. In moderierten Workshops wurden Themengebiete mit der interessierten Bevölkerung erarbeitet, die sie weiterentwickeln und umsetzen wollten. Zu diesen Projekten gehörte eine Konzertreihe im Kloster Stift Göttweig (das in der Region Dunkelsteinerwald liegt), die Beauftragung einer Komposition, die als Hymne dieser Region von den regionalen Blasmusikkapellen aufgeführt werden konnte, die Aufführung von (Orgel)Musik inklusive einer Einführung in die architektonischen Gegebenheiten von besonderen Sakralräumen, da die Region über eine Reihe von kleinen historischen Kirchen und Kapellen, zum Teil aus dem 13. und 14. Jahrhundert verfügt, oder ein Online-Lexikon von in dieser Region lebenden Komponistinnen und Komponisten.91 Nach der ersten Gründungsphase, in der die Kommunen stark involviert waren, konnte das Projekt im Jahr 2022 den Menschen der Region in einer Form von »Selbstverwaltung« übergeben werden.

3.6 Räumlich-institutionelle Dimension: Die Verortung von musikalischer Erwachsenenbildung Die Professionalisierung und Akademisierung in der Musikausbildung führen zu einem hohen Grad an Perfektion, die jedoch alles, was nicht

90 91

kunst-kulturwissenschaften/zentren/angewandte-musikforschung/projekte/ musikimpuls.html (10.8.2022). Der Musikimpuls: https://www.musikimpuls.at/info/ueber-den-musikimpuls (10.8.2022). Der Musikimpuls: https://www.musikimpuls.at/info/blickpunkte (10.8.2022).

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diesen Grad erreicht, außer Acht lässt. Musik machen und Musik erfinden wird zu einer Tätigkeit für Spezialist*innen, aus der erwachsene Non-Professionals ausgeschlossen sind. Dieser Ausschluss führt dazu, dass erwachsene Musikamateure an künstlerisch-kulturellen Prozessen als selbst schöpferisch Tätige nicht teilhaben können. Traditionelle Musikausbildungsinstitutionen reagieren auf diese Prozesse nicht, zumal deren Aufgabe die Ausbildung für spezialisierte Musikberufe ist. Sie behalten damit aber auch die Deutungshoheit über künstlerische Prozesse und die Verfügungsmöglichkeit über den musikalischen Raum. Mit musikalischem Raum ist die Institution, der Ort, an dem musikalische Erwachsenenbildung stattfindet, der konkrete Raum wie auch Gestaltungs- und Spielräume im übertragenen Sinne, eine wichtige Dimension musikalischer Erwachsenenbildung, gemeint. Ein Raum ist »Gestaltungs-Spiel-Raum«92 und Ort der Begegnung. Die Entscheidung für einen bestimmten Raum ist immer auch Ausdruck einer bestimmten Lernkultur, die Erfahrungen und Erlebnisse ermöglicht. Dieser Raum kann ein Raum in einer Weiterbildungsinstitution oder ein öffentlicher Raum sein. Raum schafft eine Rahmung, die sich an den Orten für Bildung zeigt, insbesondere, wenn es sich um Orte mit hoher gesellschaftlicher Symbolkraft handelt. Bei den Orten des Musizierens gibt es die auch schon bei der Instrumentenwahl beobachtete Differenz zwischen Männern und Frauen. Der private Rahmen ist zwar für beide gleichermaßen der am häufigsten für das Musizieren genutzte Ort, Frauen musizieren jedoch häufiger in Chören und in der Kirche, Männer hingegen in Bands, Vereinen oder Blaskapellen. Auch der Zugang zur Musik bildet diese Unterschiede ab: Frauen nehmen organisierte Angebote wie Chor, Orchester, Schule sehr viel häufiger in Anspruch als Männer, die durch Freunde, Familie oder autodidaktisch den Weg zur Musik finden. Auch das Alter ist ein wich-

92

Wiltrud Gieseke, Karin Opelt: »Orte und Räume kultureller Bildung.« In: Wiltrud Gieseke, Karin Opelt, Helga Stock, Inga Börjesson (Hg.): Kulturelle Erwachsenenbildung in Deutschland. Exemplarische Analyse Berlin/Brandenburg. Münster: Waxmann Verlag 2005, S. 377.

3. Dimensionen musikalischer Erwachsenenbildung

tiger Faktor: je niedriger das Einstiegsalter, desto intensiver und nachhaltiger ist das Musizieren.93 Dass dabei Jazz und Popularmusik viel weniger als die »klassische Hochkultur« mit bestimmten Orten, bestimmen Räumen, bestimmten Institutionen verbunden ist, erleichtert die Arbeit im Bereich von Jazz und Popularmusik. Waren kulturelle Bildungsangebote bis in die 1970er Jahre vor allem im Bereich der »Hochkultur« angesiedelt, ging es ab den 1980er und 1990er Jahren darum, »soziales Lernen über kulturelle Aktivitäten und Praktiken zu erreichen«,94 sodass auch Räume außerhalb von Hoch- und Elitenkultur erschlossen werden konnten. In den letzten Jahren kam es zu einer räumlichen Entgrenzung von kultureller Bildung. Sie findet dort statt, wo die Menschen leben. Kunst wird als Möglichkeit der Entgrenzung und Möglichkeit der Erschließung neuer Räume – auch von Hörräumen – betrachtet. Dabei ist – sofern es sich um öffentliche Orte handelt – sensibel mit der Frage der Zugänglichkeit dieser Orte umzugehen: Sind diese Orte »barrierefrei« für Menschen mit Beeinträchtigungen? Sind diese Orte diskriminierungsfrei? Viele öffentliche Räume sind männlich konnotiert, nehmen auf Frauen, Migrant*innen, Menschen mit Beeinträchtigungen oder ältere Menschen wenig Rücksicht. Bildungsorte sollten überall sein können und sich durch Vielfalt auszeichnen. Institutionen für Erwachsenenbildung versuchen auch in ihren Strukturen diese neuen Orte bereitzustellen. Denn: »Alternde Gesellschaften können ihren offenen Status nur behalten, wenn sie den lebensbegleitenden Lernprozess von Erwachsenen neu institutionalisieren und vernetzen und zu einem wesentlichen Mittelpunkt ihrer Politik machen.«95

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Deutscher Musikrat, Deutsches Musikinformationszentrum in Kooperation mit dem Institut für Demoskopie Allensbach (Hg.): Amateurmusizieren in Deutschland, S. 18f. Wiltrud Gieseke: »Transformation der Kultur ohne Bildung? – Situation der kulturellen Bildung«. In: Wiltrud Gieseke, Karin Opelt, Helga Stock, Inga Börjesson (Hg.): Kulturelle Erwachsenenbildung in Deutschland. Exemplarische Analyse Berlin/ Brandenburg. Münster: Waxmann Verlag 2005, S. 21. Wiltrud Gieseke, Karin Opelt: »Orte und Räume kultureller Bildung«, S. 380.

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Musikalisches Lernen ist ein komplexes informelles Lernfeld, das eine Reihe von Möglichkeiten bietet, sich musikalisch zu betätigen. Insbesondere das Musizieren in Ensembles mit Jazz und Popularmusik bietet eine leicht zugängliche Möglichkeit des gemeinsamen Musizierens. Angebote musikalischer Erwachsenenbildung finden sich in sehr unterschiedlich strukturierten Institutionen und Organisationen: •









in Institutionen der Erwachsenenbildung (wie in den Bundesakademien für kulturelle Bildung Remscheid und Wolfenbüttel in Deutschland, dem Bundesinstitut für Erwachsenenbildung in Strobl/Österreich, in Volkshochschulen und konfessionellen Bildungsinstitutionen), beigeordnet in Kulturinstitutionen, als Workshops, die von Konzertveranstaltern oder Kultur-Fördereinrichtungen begleitend veranstaltet werden (Jazzkurse von BJazz Burghausen, Bayern oder die Jazzakademie Zeillern, veranstaltet von der Musikfabrik, einer Einrichtung des Landes Niederösterreich zur Förderung zeitgenössischer Musik), als spartenbezogene Bildungsangebote wie Jazzworkshops in Schönbach und Tulln, Niederösterreich bzw. Gleisdorf, Steiermark von vorwiegend privaten Trägern, in Musikschulen, die sich für diese Herausforderungen neu orientieren müssen, da die Nachfrage nach Angeboten für Erwachsenen steigt, außerhalb von Institutionen in pädagogisch freien Räumen, wie dies im Bereich von Jazz und Popularmusik häufig ist.

Seit Anfang der 1990er Jahre werden Projekte für Erwachsene auch an Musikschulen umgesetzt und Modelle für – vor allem – eine Instrumentaldidaktik für Erwachsene entwickelt. Musikschulen beginnen, für Erwachsene ein differenziertes und qualifiziertes Angebot über die gesamte Lebensspanne bereitzustellen, biographische Rahmenbedingungen zu berücksichtigen, den Schwerpunkt auf eine affektive und kognitive Auseinandersetzung mit Musik zu legen und Anschlusslernen

3. Dimensionen musikalischer Erwachsenenbildung

zu forcieren.96 Das erfordert Pädagog*innen mit entsprechender pädagogischer, künstlerischer, sozialer und kommunikativer Kompetenz. In den Jahren 1990 bis 1992 wurde vom Verband deutscher Musikschulen (VdM) das Projekt »Musikalische Erwachsenenbildung« ins Leben gerufen, das – ausgehend vom dem von der damaligen Bundesregierung ausgerufenen »Altenplan« – Empfehlungen für die Aufnahme von Erwachsenen in das Musikschulsystem aussprach und entsprechende fachbezogene Handreichungen entwickelte, die sich jedoch vorwiegend instrumentalen Wiedereinsteiger*innen und Anfänger*innen widmeten.97 Deutlich geworden ist dabei auch, dass schon die ursprüngliche Konzeption von Musikschule als »Jugend- und Volksmusikschule« Erwachsene explizit mitdachte, da man unter »Volk« im Gegensatz zu »Jugend« die Erwachsenen verstand.98 Auch nach dem 2. Weltkrieg wurden Musikschulen als »Bildungseinrichtungen für Kinder, Jugendliche und Erwachsene« vom Verband deutscher Musikschulen errichtet.99 Jedoch spielen Erwachsene als Schüler*innen an Musikschulen heute kaum eine Rolle. In Österreich, wo das Musikschulsystem wie in Deutschland in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich strukturiert ist, werden die vorhandenen Ressourcen überwiegend für Kinder und Jugendliche eingesetzt.100 Unterricht für Erwachsene wird auf den Webseiten der österreichischen Musikschulen nicht explizit ausgewiesen, allerdings sind in den KOMU (Konferenz Österreichischer Musikschulen) Lehrplänen Erwachsene als Zielgruppe

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Andreas Niessen: »Instrumentalunterricht an Musikschulen«. In: Maria Luise Schulten (Hg.): Musikvermittlung als Beruf. Essen: Die Blaue Eule 1993, S. 117. 97 Diethard Wucher (Hg.): Musik selber machen. Eine Chance für Jüngere und Ältere an Musikschulen. Regensburg: Con Brio Verlag 1999. 98 Ebd., S. 26. 99 Werner Beidinger: »Musikunterricht im Erwachsenenalter. Bedarf und Perspektiven aus der Sicht der Elementaren Musikpädagogik«. In: Charlotte Fröhlich (Hg.): KlangKörper ZeitRäume. Elementare Musik mit Erwachsenen. Regensburg: ConBrio 2009, S. 287. 100 Vgl. Karl Heinrich Ehrenforth: Geschichte der musikalischen Bildung. Eine Kultur-, Sozial- und Ideengeschichte. Main: Schott, 2005, S. 396ff.

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aufgeführt. So werden im Lehrplan für Elementare Musikpädagogik (EMP) Erwachsene mehrfach adressiert: •





als Zielgruppe für Bildungsangebote: »Alle Grundsätze der EMP gelten unabhängig von Alter oder Vorbildung gleichermaßen für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Elementares Musizieren ist für jeden erleb- und erlernbar.«101 als Eltern, die ergänzend in die Arbeit mit Kindern einbezogen werden sollten. »Regelmäßige Kontakte mit den Erwachsenen in Form von Informationsabenden und persönlichen Gesprächen ergänzen den Unterricht.«102 und im gemeinsamen Musizieren von Kindern und Erwachsenen in Eltern-Kind-Gruppen.103

Der Unterricht wird als Alternative und Ausgleich zum stark kognitiven Alltag von Erwachsenen gesehen, wobei Improvisation und Komposition einen hohen Stellenwert haben, und das gemeinsame Spielen und freie kreative Prozesse im Vordergrund stehen. Lehrende werden dabei als Partner*innen für einen selbstständig gestalteten Prozess gesehen.104 Neben didaktischen Überlegungen zur Arbeit mit Erwachsenen gibt es explizit Hinweise für die Arbeit mit Senioren und Seniorinnen, bei der nicht »Lernziele im klassischen Sinne«, sondern »Freude und Interesse an neuen Erfahrungen und am gemeinsamen Tun in einer Gruppe«105 im Vordergrund stehen. Insgesamt widmet sich der Lehrplan für Elementare Musikpädagogik vergleichsweise ausführlich der Arbeit mit Erwachsenen.

101 102 103 104 105

Konferenz der Österreichischen Musikschulwerke (Hg.): Lehrplan für Musikschulen. Fachspezifischer Teil. Elementare Musikpädagogik. o.O.: 2007, S. 2. Ebd., S. 11. Ebd., S. 23. Ebd., S. 33f. Ebd., S. 35.

3. Dimensionen musikalischer Erwachsenenbildung

In anderen Lehrplänen – hier exemplarisch für Komposition durchgesehen – sind Erwachsene (aber auch Menschen mit Behinderung und Senior*innen) als Schüler*innen nur sehr eingeschränkt adressiert. Im Lehrplan für Komposition werden nur an einer einzigen Stelle »Besondere Hinweise zum frühen Kompositionsunterricht und zum Unterricht mit erwachsenen Anfängern« gegeben, wo Methoden der Elementaren Musikpädagogik »für Menschen jeden Alters und Könnens« empfohlen werden.106 Neben den Musikschulen sind es die Volkshochschulen, die entsprechende Musikangebote an Erwachsene entwickelt haben, zumal die Gründung der Volkshochschulen eng mit Musik verbunden war. 1921 hat Leo Kestenberg die Volkshochschulen in sein Konzept einer Neuordnung und Neugestaltung der Musikpädagogik ausdrücklich mit einbezogen.107 Heute kommt Musik in den Volkshochschulen jedoch eher wenig vor, in Österreich vorwiegend in den sehr umfangreich ausgebauten Volkshochschulen der Stadt Wien, in denen es zahlreiche Musikangebote für Erwachsene, sowohl im Bereich der »klassischen« Musik als auch im Bereich von Jazz und Popularmusik gibt. So listen die Wiener Volkshochschulen für das Wintersemester 2022 Kurse in Chor, Musiktheorie, Ensemble & Band, Gesang, Streichinstrumente, Tasteninstrumente, Zupfinstrumente, Schlaginstrumente, Blasinstrumente und elementares Musizieren.108 Das größte Angebot findet sich im Bereich des Instrumentalunterrichts sowie Chor. Daneben gibt es eine Reihe von Jazz Workshops und Kursen, die entweder von Kulturinstitutionen getragen werden, deren Hauptaktivität üblicherweise nicht in der Weiterbildung liegt, oder in privater oder öffentlich geförderter Trägerschaft sind. Hier sind es vor allem die Referent*innen – vielfach bekannte Musiker*innen – die das Interesse von erwachsenen Amateur*innen wecken und ihnen die Möglichkeit geben,

106 Konferenz der Österreichischen Musikschulwerke (Hg.): Lehrplan für Musikschulen. Fachspezifischer Teil. Komposition. o.O.: 2017, S. 9. 107 Werner Beidinger: »Musikunterricht im Erwachsenenalter«, S. 285. 108 Volkshochschule Wien, https://www.vhs.at/de/k/kunst-kreativitat-und-handw erk (10.8.2022).

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einmal mit »Profis« zu musizieren. Diese Workshops und Kurse richten sich stark an den Bedürfnissen der Teilnehmer*innen aus, zumal viele sich selbst finanzieren müssen und die Zufriedenheit der Teilnehmer*innen ein wichtiges Kriterium darstellt. Da viele Jazzmusiker*innen neben ihrer künstlerischen Tätigkeit auch unterrichten, verfügen diese über pädagogische Erfahrung – vorwiegend jedoch in der Arbeit mit Jugendlichen oder Studierenden.109 Zu diesen Workshops zählen in Österreich Jazzworkshops in Gleisdorf, Mattighofen, Mistelbach, Poysdorf, Schönbach, Tulln, Zeillern, Bigband Workshops in Zeillern und Bad Goisern sowie Musikworkshops, in denen Jazz ein Teil des Programms ist. Jazz Workshops mit unterschiedlichen Schwerpunkten gibt es in Deutschland in Burghausen, Stade, Burg Fürsteneck, Ochsenhausen, Ettingen, Coesfeld, Erfurt, Salzgitter, Erlangen, Sulzbach, Aachen, Hildesheim, Kloster Irsee, Fürth und in anderen Orten. Eine Liste von Workshops europaweit listet die Webseite jazzlink.net.110 Diese Workshops finden meist an einem attraktiven Ort mit entsprechender Gastronomie und Nächtigungsmöglichkeiten (Schloss Zeillern als Veranstaltungsort sowie Gastronomie und Beherbergungsbetrieb, Burghausen mit der Burg und dem Flair der Altstadt, Lunz am See inmitten der Alpen) und mit wenigen Ausnahmen im Sommer statt. Die Bigband Workshops von Zeillern und Bad Goisern finden in der Adventszeit (um den 8. Dezember, in Österreich ein Feiertag) bzw. in der Karwoche statt, Burghausen am Ende der Weihnachtsferien, also überwiegend in der Ferien- bzw. Urlaubszeit. Hauptzielgruppe sind Erwachsene, wenngleich sowohl die Jazz Akademie Zeillern als auch der Bigband Workshop Bad Goisern zum Weiterbildungsprogramm des niederösterreichischen bzw. oberösterreichischen Jugendjazzorchesters gehören und so sehr heterogene auch altersdurchmischte Ensembles entstehen. Die zunehmende Nachfrage nach diesen Workshops in den letzten 20 Jahren zeigt den großen Bedarf an Angeboten 109 Sofern es sich nicht um Sängerinnen handelt, bilden Referentinnen als Instrumentalpädagoginnen die Ausnahme im Jazz/Rock/Pop Bereich. 110 Jazzlink: https://jazzlink.net (10.8.2022).

3. Dimensionen musikalischer Erwachsenenbildung

für Erwachsene im Bereich von Jazz und Popularmusik. Offenbar wird auch die Organisationsform (Workshops konzentriert innerhalb einer Woche) als vereinbar mit der Berufstätigkeit erlebt, sodass diese Workshops gut angenommen werden und viele Teilnehmer*innen dies in ihren Jahresablauf integrieren und jährlich wiederkommen.111

3.7 Pädagogisch-didaktische Dimension: Handlungs- und prozessorientierte Zugänge Musikalische Erwachsenenbildung bedeutet Musikbildung, bei der die Möglichkeit, das musikalische Tun in kulturelle Zusammenhänge einzubinden, im Vordergrund steht. Der transitorische Charakter von Musik stellt eine besondere Herausforderung für die Didaktik dar: die erklingende Musik ist unsichtbar und flüchtig, was durch verschiedene Realisierungsstadien wie innere Vorstellung, schriftliche Ausführung, Aufführung, Aufnahme, Wiedergabe der Aufnahme, Nachschrift und Wahrnehmung kompensiert werden muss, damit Musik als Diskursgegenstand fassbar wird.112 Für die musikalische Erwachsenenbildung gilt,113 •



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dass sich ausgewählte Methoden an die Rahmenbedingungen des Gruppensettings anzupassen haben. Action Research als handlungsund prozessorientierte Zugangsweise bietet dazu ideale Voraussetzungen. Die Lebenserfahrung und Kompetenzen der Erwachsenen sind Ausgangspunkt und Leitlinie für das gemeinsame Musizieren.

Diese Einschätzung beruht auf Gesprächen der Autorin mit Workshopteilnehmer*innen verschiedener Jazzworkshops und Bigband Seminaren seit etwa 2106. Bislang ist die Bedeutung von Jazzworkshops für die Weiterbildung bzw. Erwachsenenbildung im Jazz nicht erforscht. Vgl. Alfred Litschauer: Grundlagen des Musikunterrichts. Eine Einführung in die Musikdidaktik. Wien: Haupt 1998, S. 45f. Horst Siebert: Lernen und Bildung Erwachsener, S. 52, sowie Jonathan Bennett: Mach dich schlau am Instrument, S. 16f.

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• •



Individualisierte Zielsetzungen, Lehrvereinbarungen, schrittweises Vorgehen, Anknüpfen an bestehendes Wissen und flexible Inhalte entsprechen den Erfahrungen von Erwachsenen. Bisher gemachte musikalische Erfahrungen und Blockaden können die Gruppensituation befördern oder hemmen. Metakognitive Übungen wie Gedächtnishilfen abseits traditioneller Notenschrift können dabei helfen. Sensibilität in Bezug auf Unter- und Überforderung ist essentiell für eine gelingende Gruppenerfahrung, denn Erwachsene möchten gefordert werden, haben aber Angst davor Fehler zu machen oder sich zu blamieren. Selbstreflexion, Feedback und Selbstkritik (besonders positive Kritik) sind als methodische Schritte – wie in Action Research vorgesehen – einzusetzen. Aufkommende negative Emotionen sollten berücksichtigt und thematisiert werden, denn sie können zu Hindernissen werden. Transferübungen, die Übertragung von Bekanntem auf andere Kontexte und in die Lebensrealität der Erwachsenen, Strukturierung, Visualisierung und narrative Konkretisierung – auch unter Zuhilfenahme neuer Medien – fördern das gemeinsame Tun. Bevorzugte Interaktionsform ist die Gruppe, wobei der persönliche Kontakt und das Feedback der Gruppenleitung für Erwachsene wichtig sind.

Musik erfinden – Improvisieren und Komponieren Handlungs- und prozessorientierte Ansätze in der Musikpädagogik haben vor allem in den letzten Jahren eine besondere Aufmerksamkeit erfahren und wurden auch von Forschungsprojekten begleitet.114 Insofern ist es nicht verwunderlich, dass Musik zu erfinden in verschiedenen

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Vgl. die kritische Auseinandersetzung mit Musik-Erfinden im Kontext des Kreativitätsdiskurses bei Malte Sachsse: »Musik-Erfinden im Zeichen des Kreativitätsdispositivs. Grundzüge einer sozialkritischen Lesart aktueller Begründungsdiskurse«. In: Ulrike Kranefeld, Johannnes Voit (Hg.): Musikunterricht im

3. Dimensionen musikalischer Erwachsenenbildung

Begründungszusammenhängen vorkommt. Musik zu erfinden fördert emotionale Bindungen, soziale Interaktion und erprobt verschiedene Lebenshaltungen. Dadurch kann »neuer sozialer Sinn kommunikativ und interaktiv hervorgebracht, für den Improvisierenden selbst und für andere als wertvoll erfahrbar werden.«115 Musik zu erfinden kann musikalische Identitäten ausprägen und inszenieren, ist Ausdruck menschlicher Kommunikation und Interaktion, entwickelt und nutzt Kreativität und kann dazu beitragen, nicht nur Schlüsselqualifikationen des musikalischen Lernens anzubieten, sondern auch einen Zugang zu verschiedenen Musikkulturen zu eröffnen. Im Kontext von Jazz und Popularmusik kann es zu einer Relativierung des Begriffs des autonomen Künstler-Individuums der Romantik führen: »Die Beobachtung kollaborativer kreativer Praxen in populärer Musik trägt dazu bei, den allein schaffenden Künstler als Gegenbild des kulturell Intendierten zu entwerfen:«116 Musik zu erfinden kann die Fähigkeit, Probleme zu entdecken und zu lösen, befördern und erlaubt ästhetische Erfahrung.117 Musik zu erfinden kann als spontane musikalische Aktivität, »bei der die Erfindung, klangliche Realisierung und Wahrnehmung von Musik zeitlich untrennbar zusammenfallen«118 betrachtet werden und wird oft dem Begriff des »Komponierens« entgegengesetzt, wobei Improvisieren stärker auf den Prozess des Entstehens fokussiert und eine schriftlose Praxis darstellt, Komponieren hingegen stärker auf das Ergebnis des Prozesses abzielt und bis heute eine die eigene, Jahrhunderte alte Begriffsgeschichte als Hemmnis mit sich trägt. Improvisieren hingegen ermöglicht eine Reihe von musikalischen und außermusikalischen Lernerfahrungen, die insbesondere im Musizieren mit Erwachsenen wesentlich ist. Dazu gehört das Explorieren von Instrumenten, Alltagsgegen-

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Modus des Musik-Erfindens. Fallanalytische Perspektiven. Münster, New York: Waxmann 2020, S. 11. Ebd., S. 20. Ebd., S. 29. Ebd., S. 11–42. Oliver Krämer: »Improvisation als didaktisches Handlungsfeld.« In: Michael Dartsch u.a. (Hg.): Handbuch Musikpädagogik. Grundlagen – Forschung – Diskurse. Münster, New York: Waxmann 2018, S. 319.

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ständen und des eigenen Körpers, das Differenzieren von musikalischen Parametern, die Fähigkeit, ästhetische Entscheidungen zu treffen, das Experimentieren mit verschiedenen Arten des musikalischen Agierens, der Formgebung und der Gestaltung. Dazu kommen außermusikalische Lernerfahrungen wie die Erfahrung von Spannungsverläufen, von Urheberschaft oder Sinn und Bedeutung.119 Zu den methodischen Grundformen des Improvisierens gehören Explorationsaufgaben, die auf Klangsensibilisierung und Klangdifferenzierung abzielen; Improvisationsspiele, bei denen die musikalische Kommunikation und Interaktion im Mittelpunkt steht und Gestaltungsaufgaben, die meist von außermusikalischen Impulsen ausgehen.120 Auch im Kontext von Kompositionspädagogik werden ähnliche methodische Zugänge gewählt: Komponieren als erfinden von Musik, als Gestaltungs- und Produktions»arbeit«.121 Allerdings wird im Kontext von Jazz und Popularmusik selten von Komposition gesprochen: Songwriting, Arrangement sind hier die adäquaten Begriffe.

Ziele Bei einer handlungs- und prozessorientierten Vorgangsweise, wie sie in dieser Arbeit vorgestellt wird, treten direktive Vorstellungen und die Realisierung von Zielen, insbesondere auf der Ebene der Grob- und Feinziele, die von den Lehrenden (Gruppenleiter*in) bestimmt werden, in den Hintergrund. Leitziele hingegen – Persönlichkeitsentfaltung der Erwachsenen, Möglichkeit der aktiven Teilhabe an der Musikkultur – sind wichtiger.122 Auch die Verhaltensdimensionen, die in die Zieldefinition einfließen, sind spezifisch auf die Arbeit mit Erwachsenen auszurichten: so 119 Vgl. ebd., S. 322. 120 Vgl. ebd., S. 324f. 121 Vgl. Matthias Schlothfeld: »Komposition als didaktisches Handlungsfeld.« In: Michael Dartsch u.a. (Hg.): Handbuch Musikpädagogik. Grundlagen – Forschung – Diskurse. Münster, New York: Waxmann 2018, S. 326–333. 122 Vgl. Anselm Ernst: Lehren und Lernen im Instrumentalunterricht. Ein pädagogisches Handbuch für die Praxis. Mainz: Schott 2012, S. 25f.

3. Dimensionen musikalischer Erwachsenenbildung

werden motorische Ziele insbesondere bei älteren Erwachsenen eher in den Hintergrund treten, hingegen emotionale, soziale und kognitive sowie Ziele, die die Entfaltung der eigenen Persönlichkeit unterstützen, wichtiger sein.123 Ein wesentlicher Faktor in jedem sozialen Gefüge ist der kommunikative Austausch, der auf Vertrauen und Wertschätzung beruhen muss, und unter anderem auch dazu da ist, eine für Erwachsene sichere Atmosphäre zu schaffen. Erwachsene verbinden mit dem gemeinsamen Musizieren meist kein professionelles Ziel oder eine bestimmte Ausbildung, es müssen auch keine institutionellen Curricula erfüllt werden, sodass weitergehende Informationen dort einfließen, wo sie sinnvoll für die weitere Arbeit oder von den Erwachsenen gewünscht sind. Erwachsene sind oft an Hintergrundinformationen interessiert und wollen das, was sie tun, in einen größeren Kontext einbinden.

Gruppe als Interaktionsfeld Das Musizieren in der Gruppe ist wesentlicher Aspekt in der musikalischen Erwachsenenbildung, trägt zur Motivation bei, bietet Möglichkeiten des Modelllernens und die Musik selbst wird zur wichtigsten Kommunikationsform.124 Von einer Gruppe (hier vor allem Kleingruppe) spricht man bei zwei oder mehr Menschen, die miteinander interagieren, voneinander abhängig sind, von den Gruppenmitgliedern und Außenstehenden als Gruppe wahrgenommen werden, gemeinsame Normen und Rollen ausbilden, gemeinsam gegenseitige Bedürfnisse befriedigen und gemeinsame Ziele anstreben.125 Das pädagogische Handeln ist dabei abhängig davon, ob es sich um eine permanente oder temporäre, um selbst- oder fremdgesteuerte Gruppen, um Gruppen mit konstanten oder wechselnden Mitgliedern oder um eine Gruppe mit stabilen oder wechselnden Aufgaben

123 Vgl. ebd., S. 27f. 124 Vgl. ebd., S. 167ff. 125 Willy Christian Kriz, Brigitta Nöbauer: Teamkompetenz. Konzepte, Trainingsmethoden, Praxis. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2008, S. 18f.

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handelt.126 Im musikpädagogischen Kontext wird vor allem mit Lerngruppen gearbeitet, die als »dynamische, emergente, selbstorganisierende ›Systeme‹, die nicht ›mechanisch‹ verlaufen, sondern voller Überraschungen und ›kritischer Ereignisse‹ sind,«127 betrachtet werden können. Dabei sind selbstorientierte Rollen innerhalb der Gruppe von aufgabenorientierten Rollen zu trennen. Innerhalb der Gruppe entspinnt sich ein gruppendynamischer Raum, der sich nach Zugehörigkeit, Macht, Einfluss (Wer steht in der Hierarchie wo? Welche Normen gelten?) und Intimität (Wie nahe können die Gruppenmitglieder einander kommen?) auffächert.128 Gruppen bewirken immer eine Aktualisierung von lebensgeschichtlichen Erfahrungen, die im Gruppenprozess bearbeitet werden müssen, Normen werden herausgebildet und Rollen festgelegt.129 Gruppenprozesse sind dynamisch und mitunter voller Spannungen, die jedoch wichtig für die Entwicklung einer Gruppe sind. »Eine zentrale Kompetenz für die Leitung von Gruppen besteht im produktiven Umgang mit solchen Spannungen,«130 denn nur ein kleiner Teil des Gruppenagierens – die Sachebene – ist sichtbar. Die soziodynamische Ebene, die Beziehungsebene, die sich in einer länger bestehenden Gruppe etabliert, die psychodynamische Ebene grundlegender Wünsche und Ängste und die Kernkonflikte einer Gruppe sind nicht sichtbar, entstehen aber daraus und prägen sie.131 Gruppendynamik geht wie auch Action Research auf die Arbeiten von Kurt Lewin zurück. In beiden Modellen lassen sich gruppendynamische Arbeitsprinzipien benennen, die Möglichkeitsräume für Erwachsene im prozess- und handlungsorientierten Umgang mit Musik eröffnen. Etwa lassen sich durch das Infragestellen von Alltagskommunikation,

126 127 128 129 130 131

Ebd., S. 25ff. Horst Siebert: Lernen und Bildung Erwachsener. 2012, S. 100. Oliver König, Karl Schattenhofer: Einführung in die Gruppendynamik, S. 34ff. Ebd., S. 53. Ebd., S. 59. Ebd., S. 26ff.

3. Dimensionen musikalischer Erwachsenenbildung

durch initiale Verunsicherung besondere Lernräume eröffnen,132 die für das gemeinsame Improvisieren und Komponieren notwendig sind und musikalische Prozesse in der Gruppe anstoßen können. Lernen, insbesondere auch Musiklernen in Gruppen bedeutet, diese Unsicherheiten aufzulösen, Überforderung von einzelnen (wenn die Wahrscheinlichkeit, eine Aufgabe zu erfüllen subjektiv nicht gegeben ist) und Unterforderung (wenn das eigene Vorankommen nicht gewährleistet ist) zu verhindern und die Heterogenität einer Gruppe produktiv für alle einzusetzen, indem individuelle Differenzierung, das gegenseitige Motivieren, gemeinsame Erfolgserlebnisse und gegenseitiges positives Feedback gefördert werden.

Gruppenleitung Die Gruppenleitung hat dabei die Aufgabe, Lernprozesse in adäquater Weise zu initiieren, eine gleichberechtigte Partizipation aller am Gruppengeschehen sicherzustellen und eine erwachsenengerechte, dialogische Atmosphäre zu schaffen.133 Dazu braucht es Authentizität, Wertschätzung und Empathie.134 Insbesondere Authentizität ist Voraussetzung für eine gelingende Gruppenbeziehung und schließt das Wissen um die eigenen Kompetenzen und Fähigkeiten, aber auch das Wissen der Gruppenleitung um die eigenen Grenzen sowie die Fähigkeit zur Selbstkritik und Diskussionsbereitschaft mit ein. Dazu gehören nicht-wertendes Verstehen und die Fähigkeit, die Welt aus der Sicht der erwachsenen Lernenden zu sehen.135 Hier kann Humor ein gutes Mittel sein, denn »Humor ironisiert dogmatische Wahrheitsansprüche und Besserwisserei, Humor macht die menschlichen Schwächen und Unzulänglichkeiten, die 132 133

134 135

Ebd., S. 78. Ursula Boelhauve: »Möglichkeiten der indirekten Planung von erwachsenengerechten Lernprozessen am Beispiel »Musiktheorie für Anfänger«. In: Hermann Kaiser (Hg.): Musikpädagogische Forschung in Deutschland. Dimensionen und Strategien. Essen: Die Blaue Eule 1992, S. 211. Ebd., S. 216ff. Ebd., S. 221.

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Widersprüchlichkeiten und Paradoxien unserer Welt sichtbar.«136 Das ist insbesondere in der von zahlreichen Barrieren und Unsicherheiten durchzogenen musikalischen Erwachsenenbildung besonders wichtig!

136

Horst Siebert: Lernen und Bildung Erwachsener, S. 107.

4. Action Research in der musikalischen Erwachsenenbildung

4.1 Action Research Für die Entwicklung von Lernsettings im Bereich der musikalischen Erwachsenenbildung eignet sich der Ansatz von »Action Research« in besonderer Weise.1 Ursprünglich für den pädagogischen Kontext vorwiegend im Schulbereich entwickelt, um individuell-pädagogische, gemeinschaftlich-kollaborative, schulische und außerschulische, schulbezogene Fragestellungen und Problemlagen zu bewältigen, wird dieses Konzept hier auf das gemeinsame Musizieren von Non-Professionals im Bereich von Jazz und Popularmusik übertragen. Die Einbeziehung aller am Gruppengeschehen Beteiligter nach ihren individuellen Möglichkeiten gewährleistet, dass im handlungs- und prozessorientierten Musizieren Erwachsene Musizierprozesse selbst gestalten und steuern können und nicht die Aneignung instrumentaler Kompetenzen, sondern Musik selbst (gemeinsam) zu erfinden im Mittelpunkt steht.

1

Eileen Ferrance: Action Research. Northeast and Islands Regional Educational Laboratory at Brown University: 2000, S. 7. Siehe auch: Kurt Lewin: »Group Decision and Social Change«. In: T. M. Newcomb & E.E. Hartley (Hg.): Readings in Social Psychology. New York: Holt 1952, S. 459–473.

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Musik gemeinsam erfinden

Was ist Action Research? Action Research ist ein Prozess, bei dem Gruppenteilnehmer*innen ihre eigene pädagogische (hier musikalische) Praxis steuern und dabei auf verschiedene Techniken aus der Forschung zurückgreifen können.2 Grundgedanke dahinter ist, dass Lehrende und Lernende dann die höchste Problemlösungskompetenz entwickeln, wenn sie an selbst identifizierten Problemlagen arbeiten und den gesamten Problemlösungsweg selbst steuern können. Kooperation und gegenseitige Hilfe unterstützen diesen Prozess, der wesentlich auf dem Gedanken der Partizipation aller am Gruppengeschehen Beteiligter beruht. Dabei wird nach einem zyklischen Modell vorgegangen, das nach jedem Durchgang neue Fragen und Problemstellungen bzw. musikalische Herausforderungen erzeugt.3

Action Research als Forschungsmethode Action Research wird nicht nur in der pädagogischen Praxis, sondern auch in der pädagogischen Forschung verwendet, da sie im Gegensatz zu empirisch-analytischen Wissenschaftstheorien auf der Einflussnahme aller Beteiligter mit dem Ziel der Veränderung einer Situation beruht. Sie ist »teilnehmende, an den Binnenstrukturen von sozialen Gruppen interessierte Forschung.«4 Die zu untersuchende, zu bewältigende Problemstellung resultiert aus konkreten Problemlagen einer Gruppe, die dann auf der praktischen Handlungsebene verändert werden soll und nicht primär aus wissenschaftlichem Erkenntnisinteresse. Diese Problemlagen werden als sozialer Prozess gesehen, aus dem einzelne Prozessschritte

2 3 4

Eileen Ferrance: Action Research, S. 1. Ebd., S. 2. Martin Eibach, Thomas Münch, Niels Knolle: »MusiklehrerInnen als Lernende. Überlegungen zu Strategien der Fortbildung im Fach Musik«. In: Niels Knolle (Hg.): Lehr- und Lernforschung in der Musikpädagogik. Essen: Die Blaue Eule 2006, S. 54.

4. Action Research in der musikalischen Erwachsenenbildung

nicht isoliert herausgehoben werden können. Die Distanz zwischen Forscher*innen und Forschungsobjekt wird aufgegeben, alle Gruppenmitglieder beteiligen sich aktiv an Zieldiskussion, Datenerhebung und Auswertung. Der gesamte »Forschungs«prozess wird längerfristig in einem zyklischen Vorgehen geplant, Aktion und Reflexion werden zueinander in Beziehung gesetzt und der emanzipatorische Charakter der Forschung besonders hervorgehoben. Action Research ist eine »vergleichende Forschung der Bedingungen und Wirkungen verschiedener Formen des sozialen Handelns« und wird als »hypothesengenerierende Praxisforschung«5 verstanden. Action Research Projekte finden sich in universitären und pädagogischen Kontexten vorwiegend im anglo-amerikanischen Raum, noch selten in deutschsprachigen Ländern und werden vielfach auch in der Gemeinwesenarbeit, bei Bürgerbeteiligungsprozessen und in der Arbeit mit benachteiligten Gruppen erfolgreich eingesetzt.

Design-Based Research Anfang der 1990 Jahre wurde basierend auf dem Ansatz von »Design Experiment« »Design-Based Research« entwickelt, um nachhaltige Innovation und die Bewältigung von Problemen in der Bildungspraxis umzusetzen und gleichzeitig Theorien für den Erkenntnisgewinn in der pädagogischen Praxis zu entwickeln.6 Sowohl der Austausch zwischen Theorie und Praxis als auch das iterative Vorgehen mit dem Ziel der Verbesserung der pädagogischen Praxis verbindet Design-Based Research mit Action Research, als dessen wissenschaftliche Weiterentwicklung

5 6

Ebd., S. 54f. Iwan Pasuchin: »Gestaltung als Forschung«. In: Take partP! Ein- und Ausschlüsse in Kunst & Kultur. p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten, hg. vom Schwerpunkt Wissenschaft und Kunst, Universität Salzburg in Kooperation mit der Universität Mozarteum. 7. Ausgabe Oktober 2016, S. 69. https://www.p-art-icipate.net/ges taltung-als-forschung/ (10.8.2022).

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bzw. Adaptierung sie sich darstellt. Auch dabei ist der experimentelle Zugang, die »Exploration«, ein grundlegender Weg des Vorgehens.7 An der Universität Bremen wurde dieser Ansatz in einem Projekt zur Weiterentwicklung der musikdidaktischen Praxis mit dem Ziel der Entwicklung von optimierten Lehr-Lern-Arrangements gewählt8 . Dabei wurde der Kontext des Bildungssettings mit in das Forschungsdesign aufgenommen, zumal gerade für den Schulbereich gesellschaftliche und politische Rahmenbedingungen essentiell sind. Da ästhetische Bildung immer an Erfahrung gebunden ist, wurden dort nicht nur Kompetenzziele und Unterrichtsinhalte definiert, sondern Bildungssettings als Erfahrungsräume inszeniert und in die Konzeptionierung des Lehr-Lern-Arrangements aufgenommen. Dieses »Bremer Modell« nimmt für sich in Anspruch, sowohl die Interessen der Lehrenden für einen gelingenden Unterricht als auch die Interessen der Forscher*innen für Unterrichtsevaluation zu berücksichtigen,9 bleibt jedoch stark von Seiten der Forschung determiniert. So nahe Design-Based Research und Action Research einander sind, ein wichtiger Unterschied besteht darin, »dass in die Erschließungs- und Entwicklungsprozesse einbezogene PraktikerInnen im Design-Based Research (im Gegensatz zu Action Research) nicht primär als Forschende betrachtet, sondern eher als ExpertInnen im gemeinsam bearbeiteten Feld angesehen werden, die ihre Kenntnisse und Erfahrungen in die Kooperation einbringen«10 .

7

8

9 10

Vgl. Gabi Reinmann: »Innovation ohne Forschung? Ein Plädoyer für den DesignBased Research-Ansatz in der Lehr-Lernforschung«. In: Unterrichtswissenschaft, 33/1 (2005), S. 52–69. Vgl. Andreas Lehmann-Wermser, Ute Konrad: »Design-Based Research als eine der Praxis verpflichtete, theoretisch fundierte Methode der Unterrichtsforschung und –entwicklung. Methodologische Grundlagen, dargestellt am Beispiel eines Forschungsprojektes im Bandklassen-Unterricht«. In: Jens Knigge, Anne Nissen (Hg.): Musikpädagogik und Erziehungswissenschaft. New York: Münster 2016, S. 265–280. Andreas Lehmann-Wermser, Ute Konrad: »Design-Based Research«, S. 274. Iwan Pasuchin: »Gestaltung als Forschung«, S. 70f. https://www.p-art-icipate.n et/gestaltung-als-forschung/ (10.8.2022).

4. Action Research in der musikalischen Erwachsenenbildung

Action Research als pädagogisches Modell Der Ablauf von Action Research kann als Zyklus beschrieben werden, der auf den Grundsätzen Stärkung und Ermächtigung der Teilnehmer*innen, Zusammenarbeit durch Teilhabe, Erwerb von Wissen und sozialer Wandel basiert.11

Abbildung 2: Action Research Cycle nach Eileen Ferrance

Dieser Zyklus bildet das Rückgrat einer jeden pädagogischen Einheit. Grundsätzlich werden so viele Prozessschritte als möglich den Gruppenmitgliedern überlassen und von diesen festgelegt. Die Funktion der Gruppenleitung liegt in der detaillierten Vorbereitung des

11

Eileen Ferrance: Action Research, S. 9f.

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Musik gemeinsam erfinden

Action Research Settings, in der Bereitstellung von notwendigen Materialien und Ressourcen und der Überwachung und Steuerung des mit den Gruppenmitgliedern gemeinsam festgelegten Prozesses. Das Ende einer jeden Einheit ist ein konkretes pädagogisch-künstlerisches Ergebnis, das dokumentiert bzw. in irgendeiner Form gesichert wird, sowie Überlegungen zu weiteren Prozessschritten. Wie dies im Detail für das Konzept einer musikalischen Erwachsenenbildung im Bereich von Jazz und Popularmusik genutzt werden kann, soll im Folgenden dargestellt werden.

1. Identification of problem area = Ziel: Was wollen wir gemeinsam erreichen? Dieser Prozessschritt wird von der Gruppenleitung vorbereitet und hängt mit dem jeweiligen didaktischen Ziel der betreffenden Einheit zusammen. Je gewohnter die Gruppenmitglieder im Umgang mit Action Research Settings sind, je erfahrener sie im musikalischen Handeln sind, desto mehr an Zielsetzung kann der Gruppe übertragen werden. Diese Planungsphase sollte sehr sorgfältig durchgeführt werden, sodass der weitere Lern- und Musizierprozess effektiv und für die Gruppenmitglieder realisierbar ist, und weder Unter- noch Überforderung entsteht. Das gemeinsam geplante Ziel sollte •







nicht zu einfach aber bewältigbar sein: Das verhindert, dass die Aufmerksamkeit der Gruppenmitglieder nachlässt. Sie sind und bleiben gefordert und können an einer konkreten Aufgabe arbeiten. verständlich und strukturiert kommuniziert werden: Es ist für viele ungewohnt, sich über musikalische Phänomene verbal auszutauschen, sodass eine verständliche und klare Kommunikation essentiell ist. präzise beschreibbar sein: Dies ermöglicht es, eine klare Vorstellung von der zu bearbeitenden Aufgabe zu bekommen und sie selbstständig bewältigen zu können. sinnvoll und bedeutsam sein: Erwachsene knüpfen neue Lernerfahrung an ihre eigenen Lebenserfahrungen und Kompetenzen an. Die

4. Action Research in der musikalischen Erwachsenenbildung



Frage nach Sinn und Bedeutung des eigenen Tuns ist zentral für einen gelingenden Lern- und Entwicklungsprozess. noch keine eindeutige Lösung haben: Die Aufgaben sollten musikalische Räume eröffnen und verschiedene Realisierungsmöglichkeiten haben, sodass die Gruppenmitglieder selbst schöpferisch tätig werden zu können.

Das gemeinsame musikalische Ziel kann eine einfache akustische Wahrnehmungsübung sein, aber auch die Erarbeitung eines umfangreichen Arrangements. Da es sich bei Action Research um ein zyklisches Modell handelt, lässt sich nach jeder Einheit an die folgende anschließen und damit der nächste Schritt setzen, sodass entsprechend den Möglichkeiten der Gruppenmitglieder in jedem Durchgang Erfolge erzielt werden können.

2. Collection and organization of data = Ressourcen: Was brauchen wir dafür? Für das gemeinsam definierte Ziel werden die für die Bewältigung notwendigen Ressourcen identifiziert und gemeinsam daran gearbeitet, diese bereitzustellen. Diese Ressourcen können sehr vielfältig sein: Dazu gehören Objekte wie Instrumente, Papier und Stifte, Bilder, Geschichten als Ausgangspunkt für Improvisationen, technisches Equipment, Videos, Audioaufnahmen, Beispiele anderer Arbeiten und Musikstücke aber auch Wissen und Kompetenzen wie Erfahrung im Jazz, in der Jazztheorie, instrumentale Fertigkeiten, sowie ganz allgemeine Ressourcen wie Räume mit der notwendigen Ausstattung oder eine Gruppenleitung mit zeitlichen Ressourcen. Nach der Identifikation und Bereitstellung von Ressourcen sind diese gemeinschaftlich zu organisieren und im Hinblick auf das konkrete Vorhaben nutzbar zu machen. Auch dieser Prozessschritt wird von der Gruppenleitung gemeinsam mit den Gruppenmitgliedern vorbereitet und umgesetzt. Die Vorgabe durch die Gruppenleitung kann mit zunehmender Erfahrung der Gruppenmitglieder verringert werden. Die Feststellung, was für ein konkretes Vorhaben notwendig ist, setzt die Fähigkeit voraus, das Vorhaben

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analysieren zu können. Damit schult dieser Prozessschritt die Analysefähigkeit der Gruppenmitglieder und fördert gleichzeitig deren Flexibilität, wenn etwa bestimmte Instrumente nicht vorhanden sind und diese durch andere Instrumente oder Klangerzeuger ersetzt werden müssen. Dann kann es zu einer Neudefinition des Vorhabens kommen oder zu einer Improvisation hinsichtlich der vorhandenen Ressourcen.

3. Interpretation of data = Prozess: Wie wollen wir vorgehen? Nach der Bereitstellung von Ressourcen legen die Gruppenmitglieder die weiteren Schritte fest. Wie soll das Ergebnis aussehen? Welche Schritte sind dafür nötig? Gibt es Unterstützung durch die Gruppenleitung? Diese Vorgangsweise stellt sicher, • • •

dass sich Ergebnis und Prozess an den Vorkenntnissen und Kompetenzen der Gruppenmitglieder orientieren, dass die lebensweltlichen Erfahrungen der Gruppenmitglieder einen Platz im musikalischen Tun haben, dass die Gruppenmitglieder weder über- noch unterfordert sind.

Die Rolle der Gruppenleitung ist auch hier die der Prozessbegleitung, die dann eingreift, wenn der von den Gruppenmitgliedern selbst definierte Prozess vom Weg abkommt. Die Gruppenleitung gibt Hilfestellung, bis ein nächster Prozessschritt gemacht werden kann. Da es sich bei Action Research um eine offene Methodik handelt, ist auch in dieser Phase jede Gewichtung des Engagements der Gruppenmitglieder und der Gruppenleitung möglich, sodass zwar die Gruppenmitglieder große Freiheit und Selbständigkeit in ihrem Tun haben, sie aber immer auf die Gruppenleitung zurückgreifen können. Die kontinuierliche Adaptierung von Prozess und Ziel ist wesentlich für das Gelingen des Gruppensettings. Dies setzt ein hohes Maß an emotionaler und sozialer Wahrnehmungskompetenz der Gruppenleitung voraus.

4. Action based on data/Act on Evidence = Performance In diesem Prozessschritt wird die geplante pädagogisch-künstlerische Aktivität durchgeführt. Diese bildet das unmittelbare Ergebnis der

4. Action Research in der musikalischen Erwachsenenbildung

zuvor stattgefundenen Prozessschritte. Dabei geht es nicht darum, dass nach jeder Lerneinheit bzw. nach jedem Action Research Zyklus ein bühnenreifes Stück erarbeitet wird, sondern darum, dass auch kleine Übungen umgesetzt und gefestigt werden und diese nicht nur in einem Übe- bzw. Experimentierstadium bleiben, sondern als Ergebnis (einander oder anderen) präsentiert werden. Gleichzeitig ist diese Darstellung/Performance in geeigneter Weise zu dokumentieren, als Video, schriftlicher Reflexionsbericht, Regiebuch, Notentext, Audiomitschnitt oder einfach »nur« in einer verbalen Reflexionsrunde. Mitunter hängt die Art der Dokumentation auch von den nächsten Schritten ab, vor allem dann, wenn es sich um ein umfangreiches mehrteiliges Projekt handelt, wie die Erarbeitung eines Arrangements oder eines Konzerts. Die Ergebnissicherung macht den Prozess nachvollziehbar und wiederholbar. Darüber hinaus gibt das den Gruppenmitgliedern das Gefühl, etwas Konkretes geschaffen zu haben, über das sie dann (musikalisch, technisch, haptisch usw.) verfügen können.

5. Evaluation of results = Evaluierung Wichtiger Teil des gesamten musikalischen Prozesses sind Reflexion und Evaluierung, die nicht nur das Ergebnis, sondern den gesamten Prozess umfassen sollten. Um positiv und konkret evaluieren und reflektieren zu können, sollten im Laufe mehrerer Einheiten entsprechende Regeln vermittelt und verschiedene Arten des Evaluierens vorgestellt werden. So sollte Feedback sachlich und nicht persönlich formuliert und in Ich-Botschaften geantwortet werden, Feedback kann kurz in einer »Blitzlichtrunde« (jeder, jede formuliert seine, ihre Rückmeldung in einem Satz) oder umfassender gegeben werden. Feedback kann auch rein musikalisch sein. In der Arbeit mit Erwachsenen ist diesem Aspekt der positiven Rückmeldung und Wertschätzung besondere Aufmerksamkeit zu widmen, da verschiedene frühere Lernerfahrungen negative Erinnerungen und Blockaden auslösen können.12 12

Siehe auch: Albert Kaul, Jürgen Terhag: Improvisation. Elementare Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Mainz: Schott 2013, S. 41f.

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6. Next steps = Nächste Schritte Aus der Vorbereitung und Planung, Darstellung, Performance, Aufführung, Dokumentation und Reflexion ergeben sich neue Vorhaben und Ideen, die bereits zu diesem Zeitpunkt von den Gruppenmitgliedern definiert werden können und so als Klammer zur nächsten Einheit dienen. Auch hier ist es eine Frage der Vorerfahrungen der Gruppenmitglieder, wie stark dieser Prozessschritt von den Gruppenmitgliedern oder von der Gruppenleiterin gesteuert werden kann. Wichtig sind eine abschließende Wertschätzung sowohl des gemeinsamen Prozesses als auch des Ergebnisses und eine Perspektive für die Weiterarbeit. Aus den vorangegangenen Ausführungen ergibt sich ein adaptierter Action Research Zyklus:

Abbildung 3: Action Research Cycle im musikpädagogischen Kontext

4. Action Research in der musikalischen Erwachsenenbildung

Diese Vorgangsweise hat folgende positive Konsequenzen für die musikalische Erwachsenenbildung: •







• •

Alle am Gruppengeschehen Beteiligten – also auch die Gruppenleitung – sind in den pädagogisch-künstlerischen Prozess eingebunden. Sie übernehmen Verantwortung sowohl für den Prozess als auch für das Ergebnis. Die Gruppenmitglieder können die pädagogisch-künstlerischen Prozesse an eigene Kompetenzen und Erfahrungen anpassen und damit eine Verbindung zu eigenen lebensweltlichen Erfahrungen herstellen. Es herrscht eine positive, anregende und wertschätzende Atmosphäre, in der vielfältige soziale und musikalische Interaktionen möglich sind. Der Schwerpunkt der musikalischen Tätigkeit liegt auf handlungsorientierten (Improvisation, Komposition) Aspekten des Musizierens. Dadurch besteht die Möglichkeit, die eigene pädagogisch-künstlerische Praxis im Laufe der Zeit zu verbessern und zu diversifizieren. Die Reflexionsfähigkeit und die Kommunikation innerhalb und außerhalb der Gruppe können verbessert werden.13

Innerhalb dieses Zyklus gibt es ein unterschiedliches Ausmaß an Steuerung durch die Gruppenleitung, vom fast vollständig kontrollierten Laborexperiment bis hin zum von den Beteiligten bestimmten Ablauf ohne jegliche Vorgabe ist eine große Bandbreite möglich. Letztlich muss im Einzelfall eine methodisch begründete Entscheidung getroffen werden, welche distanzierende Trennung von Gruppenleitung und Gruppenmitgliedern sinnvoll und notwendig ist, denn prinzipiell ist auch die Gruppenleitung aktiv musizierendes Mitglied der Gruppe. Auch wenn manche bestehenden musikdidaktische Ansätze in der Erwachsenenbildung Action Research Grundsätzen folgen, ist diese Methodik in der Musikpädagogik noch wenig etabliert und erst in den letz13

Siehe auch Eileen Ferrance: Action Research, S. 13ff.

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ten Jahrzehnten auch in den deutschsprachigen Ländern bekannt geworden.

4.2 Action Research in der musikpädagogischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen Action Research wird als methodische Grundlage auch für Musikprojekte für Kinder und Jugendliche genutzt, wobei jedoch nur selten kompositorisches oder improvisatorisches Handeln im Vordergrund stehen. Im Folgenden werden ausgewählte Projekte mit Kindern und Jugendlichen vorgestellt und im Anschluss daran das Projekt »Musik gemeinsam erfinden« der Autorin. Dieses war Grundlage der Entwicklung von fünf Metathemen als Anregung für die musikpädagogische Arbeit: »Action Research Based Education in Music«. Graciano Lorenzi arbeitete 2009 Action Research based mit älteren Jugendlichen an der Staatlichen Universität Rio Grande do Sul, Porto Alegre in Brasilien bei der Komposition und Aufnahme von Musik, um herauszufinden, wie die Nutzung von Musikaufnahmen den gemeinschaftlichen Kompositionsprozess beeinflusst, welche Implikationen das Komponieren und Aufnehmen von Musik mit älteren Jugendlichen hat und wie sich der Kompositionsprozess gestaltet, wenn der Fokus auf der Aufnahme von Musik liegt.14 Lorenzi nutzte dabei neben Action Research bzw. der Modifikation »Integral Action Research« nach Andre Morin15 unterschiedliche Methoden zur Umsetzung des Projektes, dessen Schwerpunkt auf dem interaktiven Prozess lag. Dabei stellte sich heraus, dass sowohl das Komponieren als auch das Aufnehmen von Musik vor allem eine soziale und kom-

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Graciano Lorenzi: »Composing and Recording Music with Adolescents in Public School: An Action Research«. In: Visions of Research in Music Education 13 (2009). http://www-usr.rider.edu/~vrme/v13n1/Vision/Lorenzi.final.01.14.09.p df (10.8.2022). Ebd., S. 3.

4. Action Research in der musikalischen Erwachsenenbildung

munikative Herausforderung für die Jugendlichen darstellte, die diese Art des Lernens in brasilianischen Schulen nicht nur nicht gewohnt waren, sondern in ihrem Jahrgang überhaupt keinen Musikunterricht hatten. So flossen in die CD-Aufnahmen nicht nur musikalische Entscheidungen ein, sondern auch eine Reihe von persönlichen Überlegungen zur eigenen Herkunft und Geschichte.16 Das Projekt führte bei den Jugendlichen dazu, dass sie ein verstärktes Bewusstsein für musikalische Prozesse, insbesondere der »recorded music« und für Strukturen der Musikwirtschaft entwickelten und dabei in einen Austausch untereinander traten. Komponieren von Musik stärkte die eigene Identität der Jugendlichen, sie entwickelten ein Bewusstsein für den Wert und die Urheberschaft von Musik, lernten bewusst zuzuhören und sich darüber auszutauschen. Viele haben zum ersten Mal erfahren, was es heißt, etwas Abstraktes (Musik) zu schaffen, das in ein konkretes Objekt (CD) transferiert wird, das man immer wieder anhören und auch verschenken konnte. Mit Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe II arbeitete das Projekt KLANGKÖRPER – KÖRPERKLANG von Katharina Anzengruber, das 2017 an einem Salzburger Gymnasium umgesetzt wurde, in dem die Vermittlung experimenteller Musik im Unterricht im Zentrum stand. Ihr Ausgangspunkt war der Befund, dass experimentelle Musik kaum in die Unterrichtspraxis Eingang findet, obwohl sie »den Lernenden eine Vielzahl an Möglichkeiten der selbsttätigen künstlerisch-kreativen Auseinandersetzung auf Basis unterschiedlicher Vorgaben […]«17 bietet. Darüber hinaus wurde auch dort eine Zusammenarbeit von »Non-Professio16 17

Ebd., S. 5. Katharina Anzengruber: »Schulische Experimentierräume im Spannungsfeld von Kunst und Wissenschaft«. In: Experiment! Experimentierraum Wissenschaft und Kunst. p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten. Hg. vom Program mbereich Zeitgenössische Kunst und Kulturproduktion in Kooperation mit dem Interuniversitären Doktoratskolleg »Die Künste und ihre öffentliche Wirkung: Konzepte – Transfer – Resonanz« am Schwerpunkt Wissenschaft und Kunst (Kooperation Paris Lodron Universität Salzburg und Universität Mozarteum) – Xenia Kopf, Anita Moser, Johanna Öttl. Oktober 2017,

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nals« (in Bezug auf Kunst: Schüler*innen, Lehrer*innen, Wissenschaftler*innen) mit »Professionals« (Künstler*innen) angestrebt. Pädagogisches Ziel des Projekts war die Entwicklung von Unterrichtskonzepten, um »Experimentierräume zu öffnen und eine qualitätsvolle Vermittlung experimenteller Musik zu ermöglichen.«18 Dabei wurde besonders jener Aspekt berücksichtigt, wonach der Inhalt des Unterrichts (experimentelle Musik) auch die Methodik bestimmt (experimenteller Zugang). Kulturvermittlung im Brennpunkt, ein Projekt, das Design-Based Research mit Artistic Research verknüpft, wurde im Projektzeitraum 2015 bis 2017 an einer Neuen Mittelschule in Salzburg-Lehen gemeinsam mit Medienkünstler*innen umgesetzt, dessen einziges seitens der Forscher*innen vorgegebenes Ziel es war, »dass es um kreative Gestaltung unter Zuhilfenahme medialer Mittel«19 gehen sollte. Ähnlich wie in Anzengrubers Projekt ging es auch dabei um die Vermittlung von experimenteller (Medien)kunst, an der Lehrer*innen, Forscher*innen, Schüler*innen und Künstler*innen beteiligt waren – an einer sozialen »Brennpunktschule« in Salzburg-Lehen. Was dieses Projekt so wertvoll macht, sind zahlreiche methodische Schwächen, die ausführlich im Projektbericht von Iwan Pasuchin reflektiert wurden. Dazu gehören etwa, dass das reine Erklären und Zeigen von Konzepten von Medienkunst bei den Schüler*innen noch kein Verständnis oder Interesse dafür herstellen konnte, und dass es zwischen Künstler*innen und Schüler*innen zu zwar erwarteten aber nicht bewältigbaren Kommunikationsproblemen kam.20 Die Reflexion dieser Probleme floss in die weiteren Prozessschritte ein, die dann weitaus erfolgreicher waren. Vor allem wurden die Schüler*innen zum selbsttätigen Experimentieren und eigenständigen Entdecken von Klängen

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S. 17. https://www.p-art-icipate.net/schulische-experimentierraume-im-spann ungsfeld-von-kunst-und-wissenschaft/ (10.8.2022). Ebd., S. 17. Iwan Pasuchin: »Gestaltung als Forschung«, S. 74f. https://www.p-art-icipate.n et/gestaltung-als-forschung/ (10.8.2022). Ebd., S. 76.

4. Action Research in der musikalischen Erwachsenenbildung

angeregt, sodass deren Motivation für eine Beteiligung stieg. Auch Probleme, die in der (geographisch) bedingten schwierigen persönlichen Kommunikation zwischen Schüler*innen und Künstler*innen begründet lagen, konnten während des Projektverlaufes gemeinsam gelöst werden. Hier zeigte sich, wie wichtig es ist, dass es nicht als Scheitern interpretiert wird, »wenn sich Vorannahmen bei ihrer Erprobung in der Realität als falsch erweisen. Vielmehr dienen daraus resultierende Erkenntnisse als Inspirationsquellen für die Entdeckung, wenn nicht sogar Erfindung von Neuem.«21

4.3 Musik gemeinsam erfinden – Projekte »Musik gemeinsam erfinden« ist das Ergebnis des Artistic Research Master-Projektes »citizen:artist. Creating Music with Non-Professionals«, das ich in den Jahren 2019 bis 2021 an der JAM Music Lab Private University in Wien entwickelt und umgesetzt habe. Action Research wurde dabei auf zwei Ebenen wirksam: Zunächst wurde diese Methodik angewandt, um herauszufinden, wie mit erwachsenen Non-Professionals im Bereich von Jazz und Popularmusik improvisiert und komponiert werden kann, wie sich handlungs- und prozessorientiertes Musizieren in einer Gruppe verwirklichen lässt. Die musikpädagogische Arbeit mit zwei sehr unterschiedlich strukturierten Ensembles wurde als Action Research Cycle abgebildet, indem nach jeder musikalischen Einheit verbales Feedback innerhalb der Gruppe gegeben und der Gruppenprozess schriftlich und audiovisuell dokumentiert wurde. Die weiteren Schritte konnten aus dem Feedback und dem Fortschritt der gesamten Gruppe abgeleitet werden. Diese Erfahrung schlägt sich – gemeinsam mit den verschiedenen Kontexten bzw. Dimensionen musikalischer Erwachsenenbildung – in unterschiedlichen Übungen und Spielen nieder, die in Folge dargestellt werden.

21

Ebd., S. 79.

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Darüber hinaus ist Action Research die methodische Basis von »Musik gemeinsam erfinden« und handlungsleitend bei der Umsetzung innerhalb der Gruppe. Jede Gruppenphase wurde entsprechend der Prozessschritte von Action Research angelegt und durchgeführt. Dabei wurde darauf Wert gelegt, dass die beiden Ensembles hinsichtlich ihrer Zusammensetzung, der biographischen, soziodemographischen, instrumentalen und beruflichen Voraussetzungen sehr unterschiedlich waren. Diese große Differenz zwischen den beiden Ensembles war deshalb wichtig, da die Arbeit mit mehr als zwei Gruppen während der Projektphase 2020 bis 2021 nicht möglich war, auch wenn die Arbeit mit der Gruppe »Beginner« über den Projektzeitraum hinaus weitergeführt werden konnte. Die Erfahrung mit nur zwei Gruppen ist zwar nicht generalisierbar, dennoch konnten signifikante Unterschiede und Gemeinsamkeit und nicht zuletzt Leitlinien für die Entwicklung der fünf musikpädagogischen Metathemen in Kapitel 5 entwickelt werden. Ensemble 1 (»Beginner«) war eine Gruppe von 5 bis 10 Personen, die in einer Einrichtung zur Integration sozial benachteiligter Menschen betreut werden und überwiegend über geringe instrumentale Fertigkeiten und wenig Erfahrung im gemeinsamen Musizieren verfügten. Die Teilnehmer*innen waren der Gruppenleiterin zuvor nicht bekannt. Das Musizieren mit dieser Gruppe wurde als langfristiges, regelmäßiges Workshop Angebot konzipiert. Von Oktober 2020 bis Juni 2022 wurde alle zwei Wochen zu je 1,5 Stunden am Standort dieser Einrichtung gemeinsam musiziert. Neben den Bewohner*innen der Sozialeinrichtung nahmen auch Mitarbeiter*innen an den Musikworkshops teil. Da nicht alle Teilnehmer*innen über Instrumente verfügten, wurden bei allen Terminen von der Gruppenleitung verschiedene Instrumente zur Verfügung gestellt u.a. akustische Gitarre, Cajon, Djembe, Keyboard, Kleinpercussion. Da ein Keyboard eines Teilnehmers zu leise war, stand auch ein Verstärker zur Verfügung. Instrumente der Teilnehmer*innen waren Akkordeon, Keyboard, Okarina, E-Gitarre, akustische Gitarre, Xylophon, Cajon und Regenrohr, wobei nicht immer alle an den Workshops teilnehmen konnten bzw. Teilnehmer*innen unterschiedliche Instrumente mitgebracht haben.

4. Action Research in der musikalischen Erwachsenenbildung

Aufgrund der heterogenen Zusammensetzung der Gruppe und der ständig wechselnden Gruppenmitglieder wurden zu Beginn einfache Rhythmen gewählt, die mit Bodypercussion und Kleinpercussion erarbeitet wurden, und die bei den folgenden Terminen wiederholt werden konnten. Diese wurden, ausgehend von der Zusammensetzung der Gruppe, den vorhandenen Instrumenten und der Konzentrationsfähigkeit der Teilnehmer*innen, sukzessive auf die Instrumente der Teilnehmer*innen, aber auch auf die Stimme übertragen, sodass Möglichkeiten für individuellen musikalischen Ausdruck eröffnet wurden. Innerhalb dessen konnten sich die Teilnehmer*innen improvisierend ausdrücken. Die Leitung der Workshops wurde von der Gruppenleitung überwiegend von Djembe oder Cajon aus realisiert, um ein gemeinsames Tempo sicherzustellen und Unterstützung beim Rhythmus zu gewährleisten. Es wurde zu Beginn sowohl der Leitung der Einrichtung als auch den Interessent*innen kommuniziert, dass es sich dabei um kein musiktherapeutisches Angebot handelt, sondern dass das Musizieren und die gemeinsame musikalische Weiterentwicklung im Vordergrund stehen. Die Workshops wurden als freiwilliges, ehrenamtliches Angebot innerhalb der Sozialeinrichtung umgesetzt. Die große Herausforderung für die Planung der Termine war die Nicht-Planbarkeit: Aufgrund der sehr spezifischen Rahmenbedingungen waren vor den Terminen weder Anzahl der Teilnehmer*innen, die Instrumente, die Erwartungen noch deren jeweilige Tagesverfassung bekannt. So konnte von der Gruppenleitung zwar eine Rahmenplanung vorgenommen werden (Um welches Thema könnte es gehen? Welchen Aspekt möchte ich an diesem Termin in den Vordergrund rücken?), nicht jedoch eine Detailplanung. Andererseits standen damit die Bedürfnisse der Gruppenmitglieder im Vordergrund, da das Musizieren sich sehr stark an den Teilnehmer*innen orientieren musste. So diente eine zufällig gespielte Phrase auf einem Keyboard als Basslinie für verschiedene Improvisationen, ein Lied, das eine Teilnehmer*in gesungen hat, wurde im Gruppenprozess so adaptiert, dass alle mitspielen konnten, ein Scheitern bei einer Rhythmusübung wurde zur Grundlage eines neuen Rhythmuspattern.

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Auch der gesamte Ablauf einer Workshop Einheit richtete sich nach den Teilnehmer*innen. So wurden regelmäßig Pausen eingelegt, wenn die Konzentrationsfähigkeit bei einer Übung nachließ, Vorschläge der Teilnehmer*innen, die im Laufe der Zeit und der regelmäßigen Arbeit häufiger wurden, wurden aufgenommen und in der Gruppe umgesetzt. Den Teilnehmer*innen, vor allem, wenn sie das erste Mal dabei waren, wurde freigestellt, zunächst nur zuzuhören, um sich in die Gruppe einzugewöhnen und etwas Sicherheit in ihrem Handeln gewinnen zu können. Unabhängig vom jeweiligen Gruppenprozess entstand am Ende jeder Einheit ein gemeinsam erfundenes Musikstück, bei dem alle mitspielen konnten. Zwar wurde in der Gruppe selbst nicht mit Noten gearbeitet, der gesamte Prozess sowie die gemeinsam erarbeiteten Stücke wurden jedoch von der Gruppenleitung dokumentiert. Einzelne Stücke eigneten sich für eine weitere Bearbeitung bzw. Wiederaufnahme an einem späteren Termin, sodass die Teilnehmer*innen sich mehr und mehr auch als »Komponist*innen« erleben konnten.22 Insgesamt konnte bei den Teilnehmer*innen eine große Begeisterung für das gemeinsame Musizieren festgestellt werden, die Kommunikation in der Gruppe – die Teilnehmer*innen haben einander zum Teil davor auch nicht gekannt – wurde als offen und wertschätzend erlebt, die Teilnehmer*innen unterstützten einander und gaben einander Raum für individuelle musikalische Ideen. Insbesondere das voraussetzungslose Musizieren, die Möglichkeit zu improvisieren und eigene musikalische Ideen einzubringen, aus denen gemeinsame Stücke entstanden, und das gemeinsame Musizieren von Bewohner*innen und Mitarbeiter*innen wurde von den Teilnehmer*innen als sehr positiv und stärkend empfunden, sodass im Laufe der Zeit immer wieder neue Teilnehmer*innen den Workshop besuchten. Ensemble 2 (»Advanced«) war eine Gruppe von 6 Personen mit fortgeschrittenen instrumentalen Fertigkeiten und langjähriger Erfahrung 22

Zum Teil bilden diese Stücke die Grundlage für die in Kapitel 5 vorgestellten Metathemen.

4. Action Research in der musikalischen Erwachsenenbildung

in einer Non-Professional Bigband und verschiedenen Ensembles. Die Teilnehmer*innen sowie die Gruppenleiterin (Autorin) kannten einander vor Beginn des Projekts, das als dreiteilige, in sich geschlossene Workshop Reihe konzipiert war, die 2020 und 2021 stattgefunden hat. Die Besetzung war Schlagzeug, Bassklarinette, zwei Klarinetten, Altsaxophon, Tenorsaxophon sowie E-Gitarre (Gruppenleitung). Die Besetzung blieb über die drei Termine gleich, beim zweiten Termin fehlte das Schlagzeug, sodass die Gruppenleiterin stattdessen Cajon spielte. Für die drei Einheiten zu je 3 Stunden wurden von der Gruppenleiterin drei aufeinander aufbauende Themen gewählt: Für den Einstieg waren assoziative Spielregeln vorgesehen23 , bei denen der kommunikative Aspekt im Vordergrund steht und nicht eine zu erreichende Norm. Es sollte etwas mitgeteilt und verstanden werden, über deren Gelingen oder Misslingen ein verbaler Austausch stattfinden konnte. Für die Gruppe, die es gewohnt war, komplexe Partituren in einer Bigband zu realisieren, sollte dies zunächst aus eingeübten musikalischen Routinen herausführen. Für die weitere Arbeit und den zweiten Termin sollten formale Spielregeln dazu anregen, sich auf einen bestimmen musikalischen Parameter zu konzentrieren, etwa das Musizieren mit ostinaten Figuren oder kurzen Pattern. Durch das begrenzte Material und die eingeschränkten musikalischen Möglichkeiten konnten die erfahrenen (und sehr spielfreudigen) Teilnehmer*innen neue musikalische Möglichkeiten entdecken. Um sowohl assoziative als auch formale Spielregeln integrieren zu können, wurde in der dritten Einheit ein selbst gewähltes, mitgebrachtes Bild vertont, bei dem ein außermusikalischer bildnerischer Impuls in eine Improvisation umgesetzt werden sollte. Diese Vorgangsweise sollte die Teilnehmer*innen dazu befähigen, sich musikalische Handlungsmöglichkeiten anzueignen, um komplexere Improvisationsaufgaben (Vertonen eines Bildes) in der Gruppe zu bewältigen. Bei dieser Gruppe war es möglich, drei Termine vorab zu pla23

Albert Kaul und Jürgen Terhag sprechen im Band Improvisation von »assoziativen und formalen Spielregeln« (vgl. S. 14).

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nen, da die Rahmenbedingungen weitgehend bekannt waren und sich kaum geändert haben. So wurde von der Gruppenleitung der Rahmen zwar sehr viel stärker als in der Gruppe der »Beginner« vorgegeben, innerhalb dessen lag es jedoch an den Teilnehmer*innen, diesen Rahmen mit ihren musikalischen Ideen zu füllen. Dabei lag die Herausforderung für die Teilnehmer*innen eher darin, sich von eingeübten Phrasen, gewohnten Rhythmen und Artikulationsweisen zunächst zu trennen, um sich neues musikalisches »Vokabular« aneignen zu können. Trotz oder gerade aufgrund der Erfahrung in einem Jazz Ensemble, bei dem die Teilnehmer*innen auch solistisch auftreten, blieb das Improvisieren abseits gewohnter Routinen für manche eine Herausforderung. Aufgrund von pandemiebedingten Einschränkungen musste der dritte Termin mit einer personell etwas anders zusammengesetzten Gruppe durchgeführt werden. Auch in diesem Ensemble wurde auf Noten verzichtet. Die erarbeiteten, erfundenen Stücke wurden ebenso wie der Prozessverlauf von der Gruppenleitung dokumentiert. Insgesamt wurden die Termine von den Teilnehmer*innen sehr positiv erlebt, der Teilnehmer*innen-zentrierte Zugang, die Möglichkeit eigene musikalische Ideen einzubringen und auf die Ideen der anderen Gruppenmitglieder reagieren zu können, musikalisch kommunizieren zu können, wurden als besonders positiv hervorgehoben. Für diese erfahrenere Gruppe war es insgesamt überraschend, dass mit wenigen Mitteln, ohne Noten und wenig Steuerung seitens der Gruppenleitung anspruchsvolle Stücke entstehen können, die nicht geplant und vorab »komponiert« wurden. Bei der Auswahl der Übungen und der Arbeit mit den beiden Ensembles bildeten die sieben Dimensionen musikalischer Erwachsenenbildung eine erste handlungsleitende Orientierung.

4. Action Research in der musikalischen Erwachsenenbildung

Musikalisch-ästhetische Dimension: Jazz und Popularmusik als pädagogisch-künstlerisches Handlungsfeld Es wird darauf Wert gelegt, dass sich die verschiedenen Spiele rhythmisch, harmonisch, melodisch sowie in Artikulation und Phrasierung an Traditionen von Jazz und Popularmusik orientieren. Die meisten Stücke basierten auf einem 4/4 Takt, etwa in der Gruppe »Beginner« auf einfachen Rhythmen, die die Teilnehmer*innen aus Popsongs kennen. In der Gruppe »Advanced« haben die Teilnehmer*innen aufgrund der eigenen musikalischen Erfahrung rasch die ihnen vertraute Swing Phrasierung gewählt. In der Gruppe »Beginner« wurden suzkessive pentatonische Pattern für die Melodieinstrumente bzw. die Singstimme eingeführt und über eine Bluesform improvisiert. Auch die Möglichkeit ohne Text auf Sprechsilben zu singen (»ScatGesang«) wurde vorgestellt und von einer Teilnehmerin gerne angenommen, da sie sich nicht viel Text merken konnte. In der Gruppe »Advanced« konnte aufgrund der musikalischen Vorerfahrung an spezifischen musikalischen Problemstellungen gearbeitet werden: genaues Timing, abwechslungsreiche Phrasenbildung, Experimentieren mit Klangfarben, Improvisieren über Changes.

(Lern-)Biographische Dimension: Besonderheiten des Lernens von Erwachsenen Die Auswahl der Spiele und die methodische Umsetzung nehmen auf die Besonderheiten des Lernens von Erwachsenen Rücksicht: Themen stammen aus dem unmittelbaren Erleben der Teilnehmer*innen, die Teilnehmer*innen haben in Warmups die Möglichkeit, sich musikalisch auszuprobieren, ihren Platz in der Gruppe zu finden und Gelerntes selbstständig musikalisch umzusetzen. So wurde für den Einstieg und zum Kennenlernen in der Gruppe »Beginner« eine Übung gewählt, bei der die Teilnehmer*innen ihren eigenen Namen in ein kurzes musikalisches Motiv transferieren sollten, die Gruppe »Advanced« sollte in der ersten Einheit ein selbst gewähltes

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Musik gemeinsam erfinden

Fahrzeug musikalisch darstellen. In beiden Fällen wurde aus den Motiven der Teilnehmer*innen ein Ensemblestück entwickelt, mit mehr (»Beginner«) oder weniger (»Advanced«) Steuerung durch die Gruppenleiterin. In der Gruppe »Beginner« wurde jede Einheit mit einem Warmup begonnen, um neuen Teilnehmer*innen die Möglichkeit zum Einstieg zu geben. Die Teilnehmer*innen konnten den Verlauf der Einheiten selbst bestimmen. Die Gruppe »Advanced« entschied sich dazu, das selbst gewählte Fahrzeugmotiv zunächst musikalisch vorzustellen, dann eine Straßenszene darzustellen, in der alle Fahrzeuge beteiligt sind und schließlich einen Weg musikalisch zu beschreiben. In beiden Ensembles wurde den Gruppenmitgliedern größtmögliche Prozessverantwortung übertragen, die Teilnehmer*innen hatten die Möglichkeit, ihre Ideen und Vorstellungen einzubringen und den Prozessverlauf mitzubestimmen.

Sozioökonomische Dimension: Musizieren von Non-Professionals Die Teilnehmer*innen haben die Möglichkeit, dieses Angebot kostenlos in Anspruch zu nehmen. Die dreiteilige Workshop Reihe »Advanced« war ein befristetes kostenloses Angebot im Rahmen des Artistic Research Projektes der Autorin an der JAM Music Lab Private University Wien, das von 2020 bis 2021 durchgeführt wurde. Das Musizieren mit der Gruppe »Beginner« wurde im Rahmen eines ehrenamtlichen Engagements der Autorin kostenlos angeboten. Neben der ökonomischen Barrierefreiheit wurde insbesondere bei dieser Gruppe darauf geachtet, dass die Information über das Workshop Angebot adäquat vermittelt und auf die besonderen Bedürfnisse der Teilnehmer*innen Rücksicht genommen wurde: die Termine waren auf kleinen Plakaten in den Werkstätten und Wohnhäusern ausgehängt, Interessent*innen wurden direkt von ihren Betreuer*innen zu den Terminen eingeladen und zum Teil auch dorthin begleitet und Teilnehmer*innen berichteten innerhalb der Einrichtung von den Erfahrungen in den Workshops, was wiederum weitere Interessent*innen zum Mitmachen animierte.

4. Action Research in der musikalischen Erwachsenenbildung

Soziodemographische Dimension: Herausforderungen einer sich verändernden Gesellschaft Die Teilnehmer*innen kamen aus unterschiedlichen beruflichen und sozialen Kontexten bzw. waren bereits im Ruhestand. Sie nahmen dieses Angebot als sinnvolle Freizeitgestaltung und als Ausgleich zum Alltag wahr. Die Gruppe »Advanced« bestand aus Teilnehmer*innen mit akademischer Bildung und beruflichen Hintergründen in Technik, Gastronomie, Medizin und Bildung, davon zwei Personen, die bereits im Ruhestand waren. Die Gruppe »Beginner« bestand aus Bewohnerinnen und Bewohnern einer Einrichtung zur Integration sozial benachteiligter Personen, Obdachlosen, Haftentlassenen und Menschen in Krisensituationen aber auch Verwaltungsmitarbeiter*innen. Zusätzlich zu den vorgegebenen Betätigungsfeldern innerhalb der Einrichtung konnten die Bewohner*innen ein freiwilliges Freizeitangebot in Anspruch nehmen, zu dem auch der Musik Workshop gehörte. Die Zusammensetzung dieser Gruppe war stark heterogen und änderte sich bei jedem Termin.

Gesellschaftlich-kulturelle Dimension: Partizipation an künstlerisch-kulturellen Prozessen Die Teilnehmer*innen erleben die Möglichkeit, durch verschiedene Spielregeln in die Welt der Improvisation einzutauchen, die nicht den »Profis« vorbehalten ist und damit als eigene künstlerische Ausdrucksform genutzt werden kann. Die Teilnehmer*innen der Gruppe »Beginner« erlebten sich durch die Möglichkeiten des gemeinsamen Musizierens als aktive Gestalter*innen ihrer Umwelt, was sich auch auf ihr außermusikalisches Leben positiv auswirkte. Sie konnten das, was sie sonst nur hören oder »konsumieren«, selbst umsetzen, erlebten die Herausforderungen des Musizierens und die Freude am Improvisieren. Das eigene Tun, das Musizieren und Improvisieren führte zu Gesprächen über musikalische Form, Musikproduktion, Musik, die im Radio gehört wird, aber auch zu einfachen Analysen mitgebrachter Songs. In der Gruppe »Ad-

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Musik gemeinsam erfinden

vanced« war das Erleben des eigenen Komponierens besonders stark: die Teilnehmer*innen waren erstaunt, wie schnell sie gemeinsam – ohne Notenvorgabe – ein Stück in der Gruppe erfinden konnten. In den Einheiten beider Gruppen wurden künstlerische Entscheidungen gemeinsam diskutiert und umgesetzt.

Räumlich-institutionelle Dimension: Die Verortung von musikalischer Erwachsenenbildung Den Teilnehmer*innen wurde die Möglichkeit gegeben, kostenlos in einem gut ausgestatteten Probenraum (»Advanced« an einer Musikuniversität) bzw. an einem vertrauten Ort ohne Zugangsbarrieren (»Beginner« an ihrem Betreuungsort) zu musizieren. Für die dreiteilige Workshop Reihe »Advanced« standen E-Piano, Bass- und Gitarrenverstärker, ein Drumset sowie Percussionsinstrumente zur Verfügung. Damit war es möglich, dass ein Schlagzeuger, ohne ein eigenes Instrument aufbauen zu müssen, an den Workshops teilnehmen konnte. Die Einheiten der Gruppe »Beginner« fanden am Ort, an dem die Teilnehmer*innen betreut werden bzw. wohnen und arbeiten statt. Mitarbeiter*innen der Einrichtung, die selbst auch mit der Gruppe musizierten, kümmerten sich darum, dass jene, die gerne dabei sein wollten, auch die Möglichkeit hatten, pünktlich da zu sein. Da die Sozialeinrichtung auf verschiedene Standorte verteilt ist, wurde ein Fahrtendienst eingerichtet, der Teilnehmer*innen aus weiter entfernten Standorten abholte. Für das Musizieren konnten je nach Verfügbarkeit ein moderner Seminarraum, ein akustisch sehr guter und für die Teilnehmer*innen einladender Andachtsraum oder im Sommer der Innenhof des Verwaltungsgebäudes genutzt werden.

Pädagogisch-didaktische Dimension: Handlungs- und prozessorientierte Zugänge Jede Aufgabe, jedes Spiel bestand aus Warmups, einer Verständigung in der Gruppe über Ziele, Ressourcen, Prozesse sowie das gemeinsame

4. Action Research in der musikalischen Erwachsenenbildung

Evaluieren der musikalischen Prozesse nach dem Modell von Action Research. Ziel Bei der Zieldefinition ist es wichtig, dass die Teilnehmer*innen ihre Vorstellungen einbringen können und an der Festlegung der Ziele beteiligt sind. Sie entscheiden, welche Rolle sie einnehmen, was sie musikalisch darstellen und was sie der Gruppe von sich preisgeben möchten. Ausgangspunkt ist die Erfahrungswelt der Teilnehmer*innen, ihr eigener Name, ein Fahrzeug, ein Bild, das die Teilnehmer*innen selbst für eine Improvisation auswählen. Für das Kennenlernen der »Beginner« wurde eine Übung gewählt, bei der die Teilnehmer*innen (zwei Akkordeons, zwei Gitarren, Okarina, Percussion, die Gruppenleiterin spielt Gitarre bzw. Cajon) einander mit einem musikalischen Motiv, das ihren eigenen Namen darstellen soll, vorstellen sollten. Dieses musikalische Motiv sollte in der Gruppe präsentiert werden. Auch mit dem Ensemble »Advanced« wurde als Einstieg eine assoziative Spielregel gewählt, die aus dem alltäglichen Erleben der Teilnehmer*innen stammt und diesen in der ungewohnten Situation Sicherheit gibt. Für die Gruppe mit Bassklarinette, Altsaxophon, Tenorsaxophon, Schlagzeug, 2 Klarinetten (die Gruppenleiterin spielte E-Gitarre) wurde das Thema »Straßenverkehr« gewählt. Ähnlich wie in der Arbeit mit dem Ensemble »Beginner« wurden zunächst verschiedene Fahrzeuge instrumental dargestellt, die daraus entstandenen Motive reihum imitiert und schließlich zu einem Ensemblestück zusammengestellt. Ressourcen Gemeinsam in der Gruppe wird festgestellt, ob alle notwendigen Ressourcen für das Erreichen des Ziels – ein gemeinsames Stück – vorhanden sind. Haben alle Teilnehmer*innen ein Motiv für ihren Namen? Steht für jede/n fest, welches Fahrzeug er/sie darstellen möchte? Ist die Gruppe in der Lage, einen gemeinsamen Rhythmus durchzuhalten? Müssen einzelne Elemente noch gefestigt und geübt werden? Welche

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Musik gemeinsam erfinden

Bilder haben die Teilnehmer*innen ausgewählt? Eignen sie sich für eine Improvisation? Welche Elemente können besonders gut musikalisch umgesetzt werden? Prozess Die Gruppe entscheidet über die Vorgangsweise bei der Umsetzung: Wie finden wir verschiedene Namensmotive? Wie erfolgt das Zusammenstellen (»Komponieren«) zu einem Ensemblestück? Welche Ereignisse im Straßenverkehr können musikalisch dargestellt werden und wie organisieren wir sie in der Gruppe? Die Gruppe »Beginner« einigte sich darauf, dass die Teilnehmer*innen reihum ihr Motiv vorspielen und den eigenen Namen nennen. Der jeweils linke Sitznachbar bzw. Sitznachbarin imitierte das vorangegangene Motiv und spielte das eigene Namensmotiv dazu. Der nächste übernahm und hängte sein eigenes dran. Die Gruppe »Advanced« legte den Ablauf ihres Ensemblestückes nach den Funktionen der Instrumente in einem Ensemble fest: Das Schlagzeug begann mit dem ausgewählten Fahrzeugmotiv, um ein gemeinsames Tempo und einen ersten Rhythmus festzulegen, die Bassklarinette ergänzte mit einem nur wenige Töne umfassenden Motiv in der Basslage, die Gitarre transponierte ihr Motiv in die Tonart, die von der Bassklarinette vorgegeben war, Saxophon und Klarinetten setzten hintereinander ein. Jeder, der einsetzte, sollte warten, bis sich der Groove der vor ihm beginnenden Teilnehmer*innen gut etabliert hat und sollte den Zeitpunkt seines Einsatzes selbst bestimmen. Dabei musste das eigene Motiv an Metrum und Rhythmus angepasst werden. Pädagogisch-künstlerische Umsetzung Jeder einzelnen Aktivität wird Zeit und Raum für eine Umsetzung gegeben, gemeinsam wird die Übung, wird das Spiel realisiert. Diese Umsetzung wurde während der Projektlaufzeit audiovisuell dokumentiert, über die weiteren Termine werden von der Gruppenleitung (Autorin) ausführliche schriftliche Dokumentationen über den gesamten Gruppenprozess angelegt.

4. Action Research in der musikalischen Erwachsenenbildung

Evaluierung Die gemeinsame Umsetzung bzw. Präsentation wird in der Gruppe evaluiert. Die Teilnehmer*innen werden eingeladen, Rückmeldung zu geben. Was hat mir gefallen? Wo habe ich mir schwer getan? Wie habe ich Prozess, Ergebnis erlebt? Was könnten wir beim nächsten Mal anders machen? Die Gruppe »Beginner« äußerte sich meist umfangreich und sehr detailreich zum musikalischen Prozess, die Rückmeldungen der Gruppe »Advanced« hingegen waren sehr kurz, aber auch sehr präzise. Für den eigenen Namen ein Motiv zu finden und mehr noch das Imitieren eines Motives der anderen Teilnehmer*innen bzw. eines anderen Instrumentes ist für Anfänger*innen und Personen, die lange nicht musiziert und wenig Erfahrung im gemeinsamen Musizieren haben (»Beginner«), eine große Herausforderung. Die Motive begannen meist auf der Takt 1, hatten kaum rhythmische Variabilität und wurden sehr leise vorgetragen. Die meisten Motive waren sehr lang, sodass sie kaum von den anderen zu imitieren waren. Durch diese Übung bekam die Gruppenleiterin jedoch Aufschluss über die instrumentalen Fertigkeiten und musikalischen Erfahrungen der ihr bis dahin unbekannten Teilnehmer*innen, sodass die nächsten Schritte für die Gruppe geplant werden konnten. Die Gruppe »Advanced« fand rasch zu einem gemeinsamen Groove, mit entsprechenden instrumentalen Fertigkeiten und musikalischer Erfahrung im Ensemblespiel bedeutete dies für die Teilnehmer*innen eine gut bewältigbare Aufgabe. Die meisten Teilnehmer*innen ließen allerdings das jeweils zuvor einsetzende Instrument nur kurz spielen, setzten selbst sehr früh ein. Die Gruppenleiterin hatte hier weniger eine leitende Aufgabe, sondern die Herausforderung, sich selbst musikalisch in das gemeinsame Stück zu integrieren und dabei aufmerksam für die Aktivitäten der Teilnehmer*innen zu bleiben.

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Musik gemeinsam erfinden

Nächste Schritte werden gemeinsam in der Gruppe geplant, indem die Teilnehmer*innen ihre Ideen einbringen können. Abschluss einer jeden Einheit bildet ein gemeinsamer musikalischer oder verbaler Schlusspunkt. In der Gruppe »Beginner« sollte im nächsten Schritt aus den vorhandenen Motiven (adaptiert und in ein 4/4 Metrum eingepasst) ein Ensemblestück entstehen, in der Gruppe »Advanced« sollten die Teilnehmer*innen sich Ereignisse im Straßenverkehr überlegen, die als kurze Soli in den gemeinsamen Groove gespielt werden sollten. Meist ergeben sich die nächsten Schritte aus dem vorangegangenen Prozess. Teilnehmer*innen haben Ideen, die sie gerne umsetzen möchten, sodass die Aufgabe der Gruppenleitung darin besteht, den Rahmen sicherzustellen und den Prozess, wo notwendig, zu steuern. Vor allem ist darauf zu achten, dass sich die Teilnehmer*innen nicht selbst überschätzen und ihre Vorschläge den jeweiligen Möglichkeiten angepasst werden. Anstatt einen bekannten Popsong komplett einzustudieren, was die Gruppe »Beginner« überfordert hätte, wurde eine geeignete Sequenz daraus genommen, die zur Grundlage für verschiedene Improvisationsmöglichkeiten wurde. Action Research als pädagogisches Modell ermöglicht es, mit unterschiedlichen Gruppen, unterschiedlichen instrumentalen und musikalischen Erfahrungen, mit Menschen aus verschiedenen Bereichen und Kontexten rasch ins gemeinsame Musizieren zu kommen. Durch den spielerisch improvisatorischen Zugang fallen Hürden, wie Notenlesen oder die Angst, sich mit seinem Instrument der Gruppe auszusetzen, weg. Die Teilnehmer*innen selbst bestimmen Ziel, Ressourcen und Prozess und setzen ihre musikalischen Ideen gemeinsam um. Die Funktion der Gruppenleitung besteht darin, den Rahmen sicherzustellen, und den Prozess – wo notwendig – zu steuern. Sie ist grundsätzlich Mitglied der musizierenden Gruppe. Die hier vorgestellte Methodik erfordert von der Gruppenleitung ein hohes Maß an Empathie, Flexibilität, eine schnelle Verfügbarkeit verschiedener Methoden und künstlerischer und pädagogischer

4. Action Research in der musikalischen Erwachsenenbildung

Handlungsmöglichkeiten, die auch die Möglichkeiten der Gruppe, das Gruppensetting, die vorhandenen Ressourcen und den Ort berücksichtigen. Aufgrund der starken Teilnehmer*innenzentrierung können die musikalischen Einheiten mitunter nur grob geplant werden. Für Musikpädagog*innen bedeutet dies, dass sie sich eine Fülle von Methoden und Übungen sowie künstlerische und pädagogische Kompetenzen aneignen müssen, die sie in der konkreten Situation abrufen können. Für diese handlungs- und prozessorientierte Arbeit mit erwachsenen Non-Professionals wird es daher wichtig sein, grundlegende Metathemen zu entwickeln, die individuell adaptiert werden können und aus denen dann konkrete Spiele und Übungen im Moment abgeleitet und umgesetzt werden können.

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5. Action Research Based Education in Music

Ausgehend von den methodisch-didaktischen Grundlagen des Musizierens mit Erwachsenen und den ausgearbeiteten Dimensionen musikalischer Erwachsenenbildung im Bereich von Jazz und Popularmusik werden hier fünf ausgewählte Metathemen bzw. musikalische Bausteine exemplarisch dargestellt, die es erlauben, mit unterschiedlichen Gruppen von Erwachsenen mit viel und wenig musikalischer Erfahrung, in unterschiedlichen Gruppensettings und Rahmenbedingungen gemeinsam handlungs- und prozessorientiert zu musizieren und dabei eigene Musik zu erfinden. In diese Metathemen fließen die Erfahrungen aus der praktischen Arbeit mit den beiden Ensembles ein, bei der verschiedene Spiele und Übungen mit Rhythmus, assoziative und formale Spielregeln, narrative Zugänge und die Übersetzung von visuellen Elementen in Musik in verschiedenen Varianten eingesetzt werden konnten. Ausgangspunkte des pädagogischen Handelns sind die individuellen Voraussetzungen der Teilnehmer*innen und das Anknüpfen an deren Lebenserfahrungen und Kompetenzen, sowie die Voraussetzungen, die die Gruppe als Gesamtheit mit ihren personellen und organisatorischen Rahmenbedingungen mitbringt. Grundsätzlich wird dabei ein Vorgehen angestrebt, das es der Gruppenleitung erlaubt, zu jedem Zeitpunkt individuell auf die einzelnen Teilnehmer*innen bzw. auf die Gruppe als gesamtes zu reagieren. Die Gruppenleitung moderiert, unterstützt und lenkt, ohne dabei direktiv vorzugehen und nimmt an den musikalischen Aktionen teil. Im Mittelpunkt steht selbst musikalisch schöpferisch tätig zu werden und gemeinsam zu improvisieren und zu komponieren.

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Musik gemeinsam erfinden

Das pädagogisch-künstlerische Handeln folgt dabei dem zyklischen Ablauf von Action Research, der für jede Einheit eine in sich geschlossene musikalische Aktion sowie die gemeinsame Planung der weiteren Schritte und Aktionen vorsieht. Durch die weitgehende Selbsttätigkeit und Selbststeuerung der Prozesse durch die Teilnehmer*innen können Über- bzw. Unterforderung vermieden und auf die Möglichkeiten und Erwartungen der Teilnehmer*innen Rücksicht genommen werden. Diese fünf Metathemen mit Vorschlägen für eine Umsetzung können je nach den Möglichkeiten der Teilnehmer*innen ausgewählt, kombiniert und adaptiert werden. Je mehr musikalische Erfahrung und Kompetenzen die Teilnehmer*innen mitbringen, desto mehr an Ideen und Vorschlägen wird von ihnen kommen, je weniger Erfahrung sie haben, desto mehr wird die Gruppenleitung zunächst vorgeben. Diese Übungen sind exemplarisch zu verstehen und sollen dazu motivieren, selbst weitere Übungen und Methoden, weitere Bausteine zu entwickeln. Darüber hinaus finden sich in musikpädagogischer Literatur eine Reihe von Übungen und Spielen, die einfach zu adaptieren sind.1

5.1 Rhythmus als Grundlage des gemeinsamen Musizierens Rhythmus ist essentieller Parameter von Musik. Eine gute Beherrschung von rhythmischen Mustern ist grundlegend für Jazz und Popularmusik. Rhythmus ist aber auch ein wichtiger Ausgangspunkt für Musiklernen, »weil er sowohl die körperliche als auch die mentale Einbindung der Hörer in das Klanggeschehen erleichtert.«2 Das Erlernen von Rhythmen sollte – ganz besonders bei Non-Professionals – von der Stimme und/oder vom Körper ausgehen und stufenweise auf Perkussionsinstrumente und erst dann auf Melodie- oder Harmonieinstrumente übertragen werden, denn im Köperausdruck lässt sich das »Wechselspiel von Einfachheit oder Kohärenz und Komplexität oder Divergenz

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Ausgewählte Unterrichtsmaterialien sind im Literaturverzeichnis angegeben. Martin Pfleiderer: Rhythmus, S. 330.

5. Action Research Based Education in Music

der zeitlichen Strukturen«3 am besten bewerkstelligen. Ein gutes Beispiel für den Aufbau eines Gruppensettings bietet das Modell des rhythmischen Ausdrucks nach Kofi Agawu,4 bei dem von Gesten ausgegangen wird. Diese Gesten werden zunächst auf gesprochene, dann auf gesungene Sprache übertragen, später auf Perkussions- und andere Instrumente und schließlich wird der ganze Körper am rhythmischen Gestalten beteiligt. Bei rhythmischen Übungen zeigen sich sehr rasch musikalische Erfahrung und Rhythmusgefühl der Teilnehmer*innen, sodass rhythmische Übungen ein idealer Einstieg zum gemeinsamen Musizieren sind. Die Gruppenleitung erhält rasch Aufschluss über die musikalischen Voraussetzungen der Gruppe und kann damit die weiteren Schritte planen. Ziel Ausgangspunkt des musikalischen Handelns bildet eine Szene aus der Lebenswelt der Teilnehmer*innen: ein Ausflug, ein Restaurantbesuch, ein Besuch im Zoo, eine Szene im Klassenzimmer oder eine Diskussionsrunde über ein Thema, das die Gruppe vereinbart. Musikalisch ungeübte Teilnehmer*innen wählen hier oft konkrete Situationen, mit musikalisch erfahreneren Teilnehmer*innen lassen sich auch bestimmte Rhythmen oder musikalische Stile realisieren. Ziel ist es, ausgehend von Sprache zunächst über Bodypercussion dann mittels Kleinpercussion rhythmische Muster auf die eigenen Instrumente zu übertragen und diese zu harmonisieren, um so zu einem gemeinsamen Musikstück zu gelangen. Dieses Musikstück kann später als Grundlage für verschiedene Improvisationen, Soli sowie für das Experimentieren mit Formmodelle dienen.

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Ebd., S. 330. Kofi Agawu: African Rhythm. A Northern Ewe Perspective. Cambridge: 1995.

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Musik gemeinsam erfinden

Ressourcen Folgende Ressourcen könnten für die Umsetzung notwendig sein:5 •

• • • • • • •

eine konkrete Szene oder Situation gegebenenfalls mit »handelnden« Personen (eine Familie unternimmt einen Ausflug, eine Feier in einem Restaurant, verschiedene Speisen in der Küche, eine Diskussion usw.) Worte, Sätze, die in dieser Szene vorkommen können, und die sich rhythmisch artikulieren lassen Bodypercussion Gesten, die mit den Worten und Sätzen synchronisiert werden können Rhythmusinstrumente (Kleinpercussion), auf die die Gesten übertragbar sind Instrumente der Teilnehmer*innen ein geeigneter Ort zum Musizieren zeitliche Ressourcen der Teilnehmer*innen und der Gruppenleitung Moderation und Anleitung des Erarbeitungsprozesses

Die Gruppenleitung sorgt dafür, dass diese Ressourcen zur Verfügung stehen. Das kann im Rahmen der Vorbereitung geschehen, indem die Teilnehmer*innen gebeten werden, ihre Instrumente mitzunehmen, oder indem während der einzelnen Prozessschritte notwendige Fertigkeiten – etwa Bodypercussion Gesten – gemeinsam erarbeitet werden: Die Teilnehmer*innen lassen sich Worte und Sätze einfallen, sie probieren Bodypercussion Gesten aus. Prozess Zunächst wird eine Szene gewählt und diese Szene in der Gruppe besprochen. Wer sind die handelnden Personen? Was könnte in dieser Szene passieren? Was sagen die Personen? Es werden rhythmisch artikulierbare Worte bzw. Sätze gefunden und gesprochen. Unterschiedli5

Hier sind – wie auch bei den folgenden Themen – Ressourcen nicht abschließend aufgezählt. Je nach Ausgestaltung eines Spiels können unterschiedliche Instrumente, Materialien, Kompetenzen usw. notwendig sein.

5. Action Research Based Education in Music

che rhythmische Muster werden von verschiedenen Teilnehmer*innen zuerst vokal (als rhythmisiertes Wort oder Satz) realisiert, dieser gesprochene Rhythmus auf Bodypercussion, dann auf Rhythmusinstrumente (Kleinpercussion) übertragen und zuletzt auf die Instrumente der Teilnehmer*innen. Dabei wird den Teilnehmer*innen der größtmögliche Raum der Selbstbestimmung gegeben: Die Teilnehmer*innen wählen die Szene, Worte oder Sätze, Rhythmen oder Bodypercussion Gesten aus. Die Gruppenleitung übernimmt Aufgaben nur, wenn diese zwar notwendig für den Prozess sind, sie von den Teilnehmer*innen aber nicht erfüllt werden können. Jede einzelne Erarbeitungsphase (vokale Rhythmisierung, Bodypercussion, Rhythmusinstrumente, Instrumente) wird im Action Research Zyklus durchgeführt, sodass der Prozess in kleinere, überschaubare und für die Teilnehmer*innen bewältigbare Schritte aufgeteilt werden kann. Die einzelnen Prozessschritte können auch für sich stehen, eine eigene Einheit bilden oder als Grundlage für ein anderes Stück dienen. Jeder Prozessschritt wird evaluiert und gemeinsam werden die nächsten Schritte, die nächsten Ziele, geplant. Pädagogisch-künstlerische Umsetzung Nachfolgend wird ein Beispiel eines rhythmischen Spiels für mehrere Spieler*innen (Rollen) dargestellt, bei dem eine Familie einen Ausflug plant. Vater und Mutter, Onkel und Tante und zwei Kinder haben unterschiedliche Vorstellungen von einem »Familienausflug«. Ein Kind fordert in Achtelketten einen Ausflug, ein anderes Kind möchte nicht spazieren gehen. Die Mutter spricht in durchlaufenden Vierteln, die Tante setzt mit ihrem Text ebenso wie der Onkel rhythmische Akzente, die Rolle des Vaters könnte darin bestehen, einen Break einzuleiten. Alle Teilnehmer*innen haben Texte zum Thema, rhythmische Muster für das Sprechen der Texte, Vorschläge für die Umsetzung als Bodypercussion und Kleinpercussion sowie Vorschläge zur Instrumentierung und Harmonisierung. Zusammengefasst werden diese Schritte in einer »Partitur«, die als Materialsammlung bzw. Vorbereitungsskizze betrachtet werden kann oder zur Dokumentation eines musikalischen

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Musik gemeinsam erfinden

Prozesses dienen kann. Die angegebene Instrumentation ist als Beispiel gedacht, das unterschiedliche Instrumentengruppen (in C, in Bb, in Eb) abbildet, um eine weitere Verwendung etwa im Jazz Ensemble oder einer Rockband zu ermöglichen. Reihenfolge der Spiele: 1. Festlegen der Szene: Im Gruppengespräch wird die Szene, die dargestellt werden soll, festgelegt. Worum geht es? Wer sind die Personen? Wie kann man sie charakterisieren? Was könnten diese sagen? Was könnte in dieser Szene passieren? 2. Erfinden der Sätze: Jeder Teilnehmer, jede Teilnehmerin wählt eine Person/ein Objekt aus und erfindet einen Satz/Wort, das die Person/das Objekt charakterisiert oder spricht. Dieses Wort wird rhythmisch gesprochen, zunächst im akustischen Schutz der Gruppe6 von allen gleichzeitig. Dann werden die Worte reihum vorgestellt: ein/e Teilnehmer*in spricht das Wort rhythmisch, die Gruppe wiederholt im selben Rhythmus. Als Metrum eignet sich ein langsamer 4/4 Takt. Um zu einem gemeinsamen Tempo zu gelangen, kann als Warmup Raumgehen vorgeschalten werden,7 in dem die Gruppe ankommen kann, die Konzentration und die Aufmerksamkeit fokussiert werden und ein gemeinsames Gehtempo gefunden werden kann. Beim bewussten Gehen im Raum können die Teilnehmer*innen zueinander in Kontakt treten, einander bewusst begegnen und langsam zu einem gemeinsamen Gruppentempo finden. 3. Rhythmisches Sprechen: Die einzelnen Worte werden sukzessive, ausgehend vom rhythmisch einfachsten »Motiv« zusammengestellt. Ein/e Teilnehmer*in spricht das Wort vier Mal, dann setzt

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Wenn alle Teilnehmer*innen gleichzeitig spielen, sind einzelne nicht mehr zu identifizieren, sodass zwar alle spielen können, sich aber nicht der Beobachtung durch andere aussetzen, sie stehen im »akustischen Schutz der Gruppe«. Jürgen Terhag: Warmups. Musikalische Übungen für Kinder, Jugendlich und Erwachsene. 3. Auflage. Mainz: Schott, 2012, S. 120 und S. 136. In diesem Band finden sich weitere Vorschläge und Spiele zum Ankommen und Einstimmen, die sich gut für die musikalische Gruppenarbeit eignen.

5. Action Research Based Education in Music

der/die nächste Teilnehmer*in mit dem Wort ein usw. bis sich ein gemeinsamer Groove einstellt. •





Mit diesem Groove lässt sich eine musikalische Form entwickeln, die nach Möglichkeit in vier, acht oder sechzehn Takten gruppiert werden soll. In Takt drei, sieben oder fünfzehn kann ein Break zwischengeschaltet werden, der ebenfalls von den Teilnehmer*innen bestimmt werden kann, etwa ein Wort auf jeder Achtel. In den Breaks können einzelne Teilnehmer*innen eine solistische Aktion setzen, etwa einen völlig außerhalb des Gruppenrhythmus stehenden Satz sagen, eine bestimmte Emotion zeigen oder auch nur eine Geste. Breaks eignen sich auch dafür, die Teilnehmer*innen an ein Solo heranzuführen. Eine weitere Möglichkeit ist das Sprechen der Worte/Sätze mit unterschiedlichen Emotionen, Lautstärken und Gesten, um auf das Musizieren mit Instrumenten vorzubereiten und verschiedene Artikulationsarten zu üben.

4. Übertragen des Rhythmus auf Bodypercussion: Die Teilnehmer*innen (oder die Gruppenleitung) finden für jeden Rhythmus bzw. für jedes Wort eine Bodypercussion Geste. Diese wird zunächst in der Gruppe ausprobiert und dann wie zuvor zu einem gemeinsamen Groove zusammengesetzt. Auch mit Bodypercussion sind verschiedene Formverläufe, Breaks und Soli, aber auch die Kombination mit Sprache, möglich.8 5. Übertragen von Bodypercussion auf Instrumente: Die einzelnen Rhythmen werden von den Teilnehmer*innen und der Gruppenleitung auf ihr jeweiliges Instrument übertragen. Dabei ist die Tonhöhe zunächst nicht wichtig. Die Reihenfolge der Übertragung auf die Instrumente kann in einem ersten Schritt wie zuvor passieren, da die Teilnehmer*innen diese Vorgehensweise bereits kennen. 8

Siehe auch Richard Filz, Ulrich Moritz: Body Groove. Mehrteilige Reihe, erschienen 2013 und 2014 im Helbling Verlag.

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Musik gemeinsam erfinden

Je nachdem, welches Instrument beginnt, wird sich ein Tonraum entsprechend der Grundtöne der Instrumente um Bb/Eb (Bläser) oder um E/A (Akkordinstrumente, Bass) ergeben. Da diese Tonräume einen Tritonus (Bb-E, Eb-A) auseinanderliegen, kann schon im ersten Durchgang eine reizvolle Klanglichkeit entstehen. Bereits in diesem Schritt können die Töne zu einem für die Gruppe gut klingenden Gesamtsound modifiziert werden, sodass der Übergang zum nächsten Schritt, 6. Harmonisierung der Rhythmen, fließend ist. Um zu einem Akkord zu gelangen, kann wiederum ein •



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Warmup vorgeschalten werden. Alle Teilnehmer*innen spielen ihren »Lieblingston«, bis die Gruppenleitung abwinkt. Beim nächsten Einsatz gibt die Gruppenleitung den Auftrag, bewusst aufeinander zu hören, um den Akkord konsonanter bzw. für die Gruppe passender zu gestalten (oder zu modifizieren). Nach einigen Durchgängen finden die Teilnehmer*innen einen Akkord, der ihnen gefällt.9 Ein Akkord kann auch gewürfelt oder von der Gruppenleitung vorgegeben werden.

Jürgen Terhag: Warmups, S. 64.

5. Action Research Based Education in Music

Abbildung 4: Partitur »Familienausflug«

In dieser »Partitur« bzw. Materialsammlung sind sämtliche Elemente für die verschiedenen Übungen und Spiele zusammengefasst: die verschiedenen Sprechrollen mit den Texten, die Rhythmen der Texte, Vorschläge für die Umsetzung mit Bodypercussion sowie mit Kleinpercussion, eine mögliche Harmonisierung sowie Instrumentierung. Im Gruppensetting wird dies meist nicht von der Gruppenleitung vorgegeben, sondern Rollen, Texte, Rhythmen, Instrumentation, Harmonisierung sind Ideen und Vorschläge der Teilnehmer*innen. Evaluierung Die Evaluierung findet als Gruppengespräch statt. Es ist sinnvoll, zuvor mit den Teilnehmer*innen Feedback- und Evaluierungsregeln zu be-

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sprechen, sodass eine wertschätzende und positive Atmosphäre gewahrt bleibt.10 Evaluierung kann auf verschiedene Arten stattfinden: • •



Die Teilnehmer*innen geben verbal ihre Eindrücke wieder. Es wird eine Blitzlichtrunde vereinbart: Die Teilnehmer*innen geben einen besonders positiven Aspekt in einem einzigen Wort oder einzigen Satz wieder. In einem fortgeschrittenen Gruppenprozess wäre auch nonverbales Feedback (mit Instrumenten, Gesten usw.) möglich. Ein/e Teilnehmer*in nennt (oder spielt) einen Aspekt, der einem Feedback unterzogen werden soll. Jede/r Teilnehmer*in improvisiert zu diesem Aspekt so, dass er/sie damit sein/ihr Feedback ausdrückt. Sobald sich der Gesamtklang der Gruppe nicht mehr ändert, steht das Ergebnis der Evaluierung fest.11

Nächste Schritte Nach jedem Zwischenschritt basierend auf dem vorangegangenen Prozess klärt die Gruppe (Gruppenleitung und Teilnehmer*innen) die weiteren Schritte. Das können etwa nach der vokalen Rhythmisierung die Art der Bodypercussion Gesten sein oder nach dem Erarbeiten der Ensemble Szene, diese mit anderen Rhythmen, anderer Harmonisierung usw. weiter zu bearbeiten. Basierend auf dieser Methodik lassen sich unterschiedliche Rhythmen, einfache, aber auch vielschichtige und komplexe Ensemblestücke erarbeiten und mit erwachsenen Musikamateuren umsetzen. Die einzelnen Schritte sind jeweils den Fähigkeiten und Kenntnisse der Teilnehmer*innen entsprechend anzupassen. Mit erfahrenen Gruppen lassen sich so komplexe Rhythmen und Stücke erarbeiten, die wiederum den Ausgangspunkt für weitergehende Arrangements darstellen können.12

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Zum Feedback geben in musikalischen Gruppen siehe auch Albert Kaul, Jürgen Terhag: Improvisation, S. 40f. sowie S. 63. Albert Kaul, Jürgen Terhag: Improvisation, S. 52. Vgl. Jürgen Terhag, Jörn Kalle Winter: Live Arrangement. Vom Pattern zur Performance. Mainz: Schott 2011.

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5.2 Assoziative Spielregeln als Ausgangspunkt für Improvisation Assoziative Spielregeln eignen sich für den Einstieg und zum Kennenlernen einer neuen Gruppe. Sie basieren auf außermusikalischen Impulsen und Assoziationsaufgaben. Der kommunikative Aspekt steht im Vordergrund. Es geht darum, dass etwas mitgeteilt wird, das verstanden werden soll. Assoziative Spielregeln sind eher sinnlich-emotional, werden dann erfolgreich umgesetzt, wenn sie subjektiv überzeugend sind und erweitern so den musikalischen Erfahrungsraum.13 Als Assoziationen eignen sich Themen aus dem alltäglichen Erleben und den Erfahrungen der Teilnehmer*innen. Das gibt den Teilnehmer*innen in einer ungewohnten Situation Sicherheit, gleichzeitig lässt es ihnen die Freiheit, sich und ihr Instrument (für sich und in der Gruppe) auszuprobieren. Die Gruppenleitung bekommt einen Überblick über die instrumentalen, rhythmischen und melodischen Fertigkeiten der Teilnehmer*innen. Ziel Ziel ist die gemeinsame Erfindung eines Ensemblestücks basierend auf von Teilnehmer*innen selbst gewählten Motiven. Die Gruppe (Gruppenleitung und Teilnehmer*innen) vereinbart vorab, um welchen Themenbereich es gehen soll. Das können etwa Tiere im Zoo, eine Sportveranstaltung, Straßenverkehr usw. sein. Damit ist sichergestellt, dass der Themenbereich aus der unmittelbaren Lebens- und/oder der Arbeitswelt der Teilnehmer*innen stammt. Zu diesem Themenbereich werden instrumentale Motive erfunden und diese zu einem Ensemblestück zusammengefügt. Dieses Stück kann seinerseits als Ausgangspunkt und Impuls für Improvisationen, Soli oder eine Weiterentwicklung sein.

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Albert Kaul, Jürgen Terhag: Improvisation, S. 14.

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Ressourcen Folgende Elemente könnten für die Umsetzung wichtig sein: • • • • • • • • • •

konkrete Szene oder Situation, die sich die Teilnehmer*innen einfallen lassen Pattern/Motive für die handelnden Personen, Tiere, Fahrzeuge, Objekte usw. ggf. Pinnwand, um Szene/Situation/Objekte zu notieren Instrumente der Teilnehmer*innen grundlegende instrumentale Fertigkeiten Einigung über den Ablauf Erfahrung im Zusammenspiel ein geeigneter Ort zum Musizieren zeitliche Ressourcen der Teilnehmer*innen und der Gruppenleitung Moderation und Anleitung des Erarbeitungsprozesses

Prozess Die Ensembleszene wird gemeinsam in der Gruppe in verschiedenen Stufen erarbeitet. Jede/r Teilnehmer*in lässt sich im akustischen Schutz der Gruppe ein Fahrzeug/Objekt/Tier einfallen und versucht es musikalisch darzustellen. Dieses wird danach von allen anderen imitiert (entweder wird die Zuordnung sofort aufgelöst oder erst nach der Imitation von den anderen Teilnehmer*innen erraten) und zu einem Ensemblestück zusammengesetzt, das als Grundlage und Ausgangspunkt für Solo- und Gruppenimprovisation dient und den Möglichkeiten der Gruppe entsprechend variiert und ausgebaut werden kann. So können die Soli ein bestimmtes Thema, eine bestimmte Handlung darstellen oder es wird mit Motiven eine musikalische Geschichte erzählt. Auch hier geht es darum, gemeinsam mit den Teilnehmer*innen musikalisches Material (Motive, Rhythmen) zu erarbeiten, mit dem »gespielt« wird und das verschiedenen Variationen unterzogen wird.

5. Action Research Based Education in Music

Pädagogisch-künstlerische Umsetzung 1. Musikalische Darstellung: Die Teilnehmer*innen und die Gruppenleitung vereinbaren eine bestimmte Szene und besprechen, was in dieser Szene vorkommt (Personen, Objekte usw.). Sie lassen sich im akustischen Schutz der Gruppe ein Objekt/Person/Tier einfallen und erfinden auf ihrem Instrument ein musikalisches Motiv, das dieses Objekt/Person/Tier darstellen soll. 2. Imitation und Objekt erraten: Die Teilnehmer*innen und die Gruppenleitung spielen ihr Motiv reihum vor, der/die jeweils nächste Teilnehmer*in imitiert es auf dem eigenen Instrument, wobei das Motiv meist adaptiert und angepasst werden muss, wenn etwa ein Schlagzeugmotiv vom Saxophon imitiert werden soll. Diese Adaptionsleistung kann herausfordernd sein, hilft aber den Teilnehmer*innen, ihr Instrument unter einem anderen Blickwinkel zu betrachten – insbesondere gilt das auch für erfahrene Musiker*innen. Danach wird in der Gruppe geraten, um welches Objekt/ Person/Tier es sich handelt. Damit lenken die Teilnehmer*innen die Aufmerksamkeit auf die Motive, müssen diese adaptieren und sich »aneignen«, wobei das Ergebnis dem eigenen Können und den eigenen Voraussetzungen angepasst bleibt, sodass es zwar zu einer Herausforderung aber nicht zu einer Überforderung kommt. 3. Ensemblestück: Die Teilnehmer*innen und die Gruppenleitung erarbeiten ein Ensemblestück. Dabei müssen sie ihr Pattern entsprechend variieren und dem Ensemblegroove anpassen. Die Reihenfolge des Aufbaus sollte von der Gruppe überlegt werden, hängt jedoch von den vorhandenen Motiven und Instrumenten ab. Sind Schlagzeug und/oder ein Bassinstrument vorhanden, bietet es sich an, das Ensemblestück vom Schlagzeug und Bass aus aufzubauen, an dem sich die anderen Instrumente orientieren können. Es ist sinnvoll, die Reihenfolge der jeweiligen Einsätze vorab mit der Gruppe zu klären. Eine gute Übung im Zuhören ist es, die Teilnehmer*innen selbst entscheiden zu lassen, wann sie mit ihren Einsätzen beginnen. Sie sollten dem bestehenden Groove Zeit geben, sich zu etablieren und ihr eigenes Motiv in den Gesamtklang sowohl rhythmisch als

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Musik gemeinsam erfinden

auch harmonisch einpassen. Wenn keine Drums oder Percussion vorhanden sind, wäre eine Alternative, wenn die Gruppenleitung ein Schlag- oder Perkussionsinstrument spielt, um ein stabiles rhythmisches Fundament zu geben. Das Ensemblestück wird so lange gespielt, bis sich alle in ihrem Motiv und mit dem gemeinsamen Groove wohlfühlen. • •

Bei erfahreneren Gruppen werden sich nach dem mehrmaligen Wiederholen rasch solistische Aktionen einstellen. Es sollte vorab vereinbart werden, wie das Stück endet. Bei kleineren Gruppen kann das Ende offen gelassen werden. Das Stück endet, wenn niemand mehr spielen möchte. Bei größeren Gruppen kann ein Zeichen vereinbart werden, das den Schluss einleitet. Das kann ein musikalisches Motiv sein, ein Break oder ein Fade out.

4. Improvisationsmöglichkeit: Basierend auf diesem Ensemble Groove können innerhalb des Stückes verschiedene solistische Aktionen gesetzt werden. Dabei wird vorab mit den Teilnehmer*innen vereinbart, worum sich diese Soli drehen: Wenn es sich bei der Ensemble Szene um einen Restaurantbesuch handelt, könnten die Soli die Bestellungen einzelner Speisen sein, im Straßenverkehr könnten Unfälle passieren, bei einer Diskussion könnten jeweils zwei Teilnehmer*innen beginnen miteinander zu diskutieren, zu streiten oder einander Recht zu geben. Dabei kann eine Reihenfolge der Soli vorgegeben oder der Gruppe überlassen werden. Die Semantisierung dieser solistischen Aktionen erleichtert den Teilnehmer*innen die Soli, sie können dabei nichts »falsch« machen, weil es darum geht, außermusikalische Inhalte umzusetzen, die von den anderen verstanden werden sollen. 5. Narration: Basierend auf dem erarbeiteten Groove mit den wiederkehrenden Motiven und den neu hinzugekommenen solistischen Aktionen kann die Gruppe versuchen, der Geschichte bzw. dem Musikstück einen Verlauf, eine Form zu geben. Mit den Teilnehmer*innen wird dieser Verlauf besprochen um einen groben Überblick

5. Action Research Based Education in Music

über die Form zu haben, etwa wie die Diskussion ablaufen soll (In welcher Reihenfolge wird soliert? Wer spielt mit wem zusammen?), oder welchen Weg die Fahrzeuge nehmen. Die Eckpunkte können zur Orientierung visuell, etwa auf einer Pinnwand, festgehalten werden. Die Teilnehmer*innen können auch spontan während des Spiels den Verlauf der Geschichte gestalten. Evaluierung Jeder Zwischenschritt wird in der Gruppe evaluiert und es wird Feedback gegeben. Durch die semantische Ebene entstehen Gespräche über musikalische Parameter, über das Erkennen von bestimmten Motiven, die verschiedenen Möglichkeiten der Umsetzung usw. Die Teilnehmer*innen erwerben dabei Kompetenzen im verbalen Austausch über musikalische Prozesse. Nächste Schritte Die Gruppe überlegt (auch nach jedem Zwischenschritt) die nächsten Schritte. Das kann nach Abschluss des Gesamtprozesses eine Weiterarbeit zum Thema Improvisation sein, eine umfangreichere Szene oder auch die Ausarbeitung von Details aus der Szene. Ausgehend davon kann an einzelnen musikalischen Parametern weitergearbeitet werden.

5.3 Formale Spielregeln: Reduktion von musikalischer Komplexität Formale Spielregeln begrenzen das musikalische Material und die musikalischen Möglichkeiten. Hier stehen die Grenzen des Spielraumes im Vordergrund und damit die Konzentration auf einen bestimmten musikalischen Aspekt. Sie eigenen sich gut für fortgeschrittene Spieler*innen und geübte Gruppen, da die Gefahr besteht, dass Regelübertretungen als Fehler wahrgenommen werden. Durch formale Spielregeln sind gezielt bestimmte Differenzierungserfahrungen möglich, sie sind eher rational und lenken die Aufmerksamkeit auf musikalische Möglichkeiten innerhalb von bestimmten Grenzen. »Diese Art

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Musik gemeinsam erfinden

von Regeln dient eher dazu, einen Raum zu schließen, um in dieser Begrenzung besonders konzentriert zu arbeiten […]«.14 Sie eignen sich auch dafür, die Aufmerksamkeit der Gruppe auf bestimmte musikalische Parameter zu legen und diese zu »trainieren« und eignen sich etwa dann ganz besonders, wenn die Gruppe bereits Erfahrung mit assoziativen Spielen gemacht hat. Ziel Ziel ist die Erarbeitung eines gemeinsamen Ensemblestückes ausgehend von einem musikalischen Parameter, etwa einem kurzen rhythmisch prägnanten ostinaten Pattern, einem Akkord, einer Artikulationsart. Das kann entweder aus einer selbst gewählten Szene stammen oder der eigene Name, Objekt oder eine Person wird als musikalisches Motiv dargestellt. Dieses Motiv wird – ähnlich wie bei assoziativen Spielregeln – verschiedenen Variationen, Veränderungen, Abwandlungen unterworfen. Die Konzentration auf nur wenige Töne, auf einen Akkord, einer Artikulationsart, auf einen bestimmten musikalischen Parameter oder auf einen kleinen Ausschnitt des vorhandenen musikalischen Materials ist herausfordernd und fordert viel Konzentration, sodass bei der Gestaltung der Aufgaben immer wieder Ruhepunkte einzuplanen sind. Die Verbindung mit außermusikalischen Inhalten oder Assoziationen, wie oben beschrieben, kann hier helfen. Ressourcen Folgende Elemente könnten für die Umsetzung wichtig sein: •

• • • 14

konkrete formale Spielregel (ggf. auch in Verbindung mit einem außermusikalischen Inhalt: jedes Pattern hat nur so viele Töne, wie der eigene Name Silben hat, eine Stimmung wird in einen Akkord übersetzt usw.) Pattern/Motiv/Akkord für diese Spielregel Instrumente der Teilnehmer*innen instrumentale Fertigkeiten Albert Kaul, Jürgen Terhag: Improvisation, S. 14.

5. Action Research Based Education in Music

• • • • •

musikalische Erfahrung, vor allem im Zusammenspiel sind hilfreich Einigung über den Ablauf ein geeigneter Ort zum Musizieren zeitliche Ressourcen der Teilnehmer*innen und der Gruppenleitung Moderation und Anleitung des Erarbeitungsprozesses

Prozess Das Ensemblestück wird – wie auch bei Assoziationen als Ausgangspunkt für ein Stück – in mehreren zyklischen Schritten erarbeitet. Jeder Teilnehmer, jede Teilnehmerin lässt sich im akustischen Schutz der Gruppe ein konkretes, rhythmisch prägnantes Motiv (so viele Töne wie der eigene Name Silben hat, nur drei Töne verwenden, ein bestimmtes Intervall usw.) einfallen. Hier wird die musikalische Bearbeitung eines kurzen Motivs exemplarisch dargestellt. Dieses Motiv kann von den anderen Teilnehmer*innen wiederholt werden, es kann um einen Ton verlängert, verkürzt werden, es kann lauter, leiser, langsamer, schneller gespielt werden und aus Ausgangspunkt einer Improvisation dienen. Wesentlich ist die Beibehaltung der Reduktion auf den vorab bestimmten musikalischen Parameter und die laufende Evaluierung des Prozesses. Pädagogisch-künstlerische Umsetzung 1. Formale Spielregel: Die Teilnehmer*innen und die Gruppenleitung lassen sich im akustischen Schutz der Gruppe im 4/4 Takt jede/r für sich ein Motiv einfallen, das als fortlaufendes Ostinato gespielt werden kann. In fortgeschrittenen Gruppen sind auch ungerade Metren möglich und sehr reizvoll.15 Ein Hinweis darauf, nicht alle Motive auf der ersten Viertel des Taktes einsetzen zu lassen, erhöht die rhythmische Variabilität. Hier ließe sich auch eine Übung zur rhythmischen Verschiebung der Motive innerhalb des Taktes vorschalten.

15

Vgl. Jürgen Terhag: Warmups, S. 69ff.

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Musik gemeinsam erfinden

2. Imitation: Der/die erste Teilnehmer*in spielt das Motiv zwei Mal vor, die Gruppe wiederholt das Motiv zwei Mal, das wird reihum gespielt, bis alle alle Motive gespielt haben. 3. Ensemblestück: Der/die erste Teilnehmer*in spielt das Motiv eine Weile, dann setzt der nächste mit seinem Motiv ein, reihum, bis alle zusammen spielen. Im Gegensatz zu den assoziativen Spielregeln geht es hier nun darum, das Motiv so wie es ist, beizubehalten und nicht zu verändern. 4. Variationen – Permutationen: Mit den vorhandenen Motiven sind verschiedene Variationen und Permutationen möglich:







Veränderungen in Artikulation, Dynamik, Ausdruck: Die Motive werden staccato, legato, laut, leise, crescendo oder decrescendo gespielt. Die Motive können mit Emotionen verbunden werden (ängstlich, wütend, fröhlich, traurig usw.) Veränderung des Motivs: Jedes Motiv wird um einen Ton erweitert oder verkürzt, das Motiv wird in ihrer Richtung umgekehrt, von hinten nach vorne gespielt (analog zu polyphonen Kompositionstechniken wie Krebs oder Umkehrung). Veränderung des Metrums: Die vorhandenen Motive können auch in ein anderes Metrum eingefasst werden, etwa in einen 5/4 Takt.

Bei all diesen Möglichkeiten kann es sinnvoll sein, ein Warmup als »Vorübung« vorzuschalten, etwa wenn ein neues Metrum etabliert werden soll oder wenn rhythmische Verschiebungen vorgesehen sind.16

16

Vgl. Jürgen Terhag: Warmups. Dort sind zahlreiche Ideen für Warmups, vor allem auch im rhythmisch-metrischen Bereich, zu finden.

5. Action Research Based Education in Music

Abbildung 5: Formale Spielregeln

Auch dieses Notenbeispiel ist nicht als Partitur zu lesen, sondern versammelt exemplarisch verschiedene Möglichkeiten des Umgangs mit ostinaten Pattern. Dargestellt sind ein ursprüngliches Motiv, die Erweiterung und Verkürzung um je einen Ton, die Umkehrung sowie die Veränderung der Artikulation und die Veränderung des Metrums. Auch hier stammen die Motive von Teilnehmer*innen, die von der Gruppenleitung festgehalten und auf diese Weise dokumentiert wurden. Damit kann diese Form der Materialsammlung auch zum Ausgangspunkt einer Umsetzung in einem Jazz Ensemble oder einer Rockband werden, je nachdem, welche Form der Weiterarbeit eine Gruppe vereinbart. Evaluierung Jeder Zwischenschritt wird in der Gruppe evaluiert und Feedback gegeben. Im Unterschied zu assoziativen Spielregeln kann es hier zu »Regelübertretungen« kommen, die als falsch empfunden werden. Daher ist es wichtig, im Feedback zunächst nur die Gesamtwirkung des Stücks in den Blick zu nehmen und dann erst die Details zu evaluieren. Sinnvoll ist es, die Feedbackrunde mit einer positiven Verstärkung zu eröffnen und darauf hinzuweisen, dass die Improvisation, die solistische Aktion in erster Linie musikalisch überzeugend sein sollte. Sollte es zu mehr Regelübertretungen gekommen sein, kann in der Evaluierung geklärt werden, woran das liegt: Haben alle die Regel richtig verstanden? Gab es mu-

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sikalische Gründe, warum es nicht geklappt hat? War das Motiv zu kompliziert? Die Evaluierung ist wichtig, um die Nächste Schritte gemeinsam mit der Gruppe zu planen. Das kann die Adaptierung der Regel an die eigenen Fähigkeiten und Bedürfnisse sein, aber auch Veränderung, Umkehrung oder Variation der Regel. »Wichtig bei der Arbeit mit formalen Spielregeln ist die Grunderfahrung, dass jede Regel nicht vom Himmel fällt, sondern gemacht ist:«17 ausgedacht und umgesetzt, wie im Action Research Modell vorgesehen, von der gesamten Gruppe.

5.4 Mit Musik Geschichten erzählen Ausgangspunkt des gemeinsamen Musizierens können Geschichten, Erzählungen, Gedichte, Theaterstücke, (Stumm-)Filme oder Texte sein. Diese Inspirationsquellen können von den Teilnehmer*innen selbst vorher gestaltet werden, von ihnen mitgebracht werden oder werden von der Gruppenleitung vorgeschlagen. Hier wird als Beispiel die Arbeit mit einem Comic bzw. Comic Film gezeigt, den viele Erwachsene aus ihrer Jugend kennen und der einen wichtigen Parameter des pädagogischen Handelns einbringt: Humor und heitere Gelassenheit. Passierschein A38 ist eine Szene aus dem Zeichentrick-Film »Asterix erobert Rom« von René Goscinny und Albert Uderzo aus dem Jahr 1976, in der Asterix und sein Freund Obelix völlig ziellos durch die römische Bürokratie gejagt werden, um ein Formular zu bekommen, das ihnen die Einreise ins Römische Reich ermöglicht. Den Passierschein kann man, wie im Film beschrieben, im »Haus, das Verrückte macht« beantragen, was nur eine »verwaltungstechnische Formalität« sei. Diese Szene dient als Ausgangspunkt für improvisatorische Übungen, dramatische Szenen und – sofern der Gruppenprozess das zulässt – auch als Ausgangspunkt für eine Vertonung. Die Komik der Szene soll dabei einen humorvollen Zugang zum Musizieren unterstützen. Die 17

Albert Kaul, Jürgen Terhag: Improvisation, S. 42f.

5. Action Research Based Education in Music

Rolle der Gruppenleitung ist dabei eine moderierende, steuernde, die an Gruppenprozessen teilnimmt, und die Raum für humorvolle Szenen in der Gruppe gibt. Ziel Erarbeitung einer musikalisch-dramatischen Szene nach einer außermusikalischen narrativen Vorlage mit den Instrumenten der Teilnehmer*innen bzw. vorhandener Kleinpercussion. Ressourcen • Idee für eine Vorlage: Text, Gedicht, Film usw. sowie die entsprechenden Texte, Dateien • Instrumente der Teilnehmer*innen, Perkussionsinstrumente, Kleinpercussion • Flipchart, Stifte, Projektionsmöglichkeit, Pinnwand • Notebook mit Videos, Bildern, Dateien – hier Filmszene sowie Bilder aus den Asterix Heften • weitere Materialien zur Gestaltung: Farben, Papier, Stifte • Erfahrung der Teilnehmer*innen im Umgang mit assoziativen und formalen Spielregeln sowie im gemeinsamen Musizieren sind hilfreich • Einigung über den Ablauf • ein geeigneter Ort zum Musizieren • zeitliche Ressourcen der Teilnehmer*innen und der Gruppenleitung • Moderation und Anleitung des Erarbeitungsprozesses Prozess Nachdem die entsprechende Szene im Film »Asterix erobert Rom«18 in der Gruppe angesehen wurde, erfindet jede/r Teilnehmer*in Motive für Figuren und Szenen, etwa auf- und absteigende Linien für das Treppensteigen, Akkorde für die Bediensteten in den verschiedenen Zimmern und ähnliches, die in weiteren Schritten in verschiedenen 18

Asterix erobert Rom, Szene aus dem Film: https://www.youtube.com/watch?v =NQV6PA6BOVE (10.8.2022).

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Musik gemeinsam erfinden

Varianten und Möglichkeiten kombiniert werden. Damit erarbeitet sich die Gruppe musikalisches Material für die Vertonung bzw. Darstellung verschiedener Sequenzen und Personen aus der Filmszene und kann gleichzeitig auf Erfahrungen im Improvisieren mit assoziativen und formalen Spielregeln zurückgreifen. Die Vertonung von Texten, Geschichten, Filmen ist eine komplexe Aufgabe, für die auch entsprechend Zeit eingeplant werden sollte. Sie lässt sich am besten in mehreren Terminen als Semesterprojekt umsetzen, bei dem in jedem Termin einzelne Aspekte vorbereitet und umgesetzt werden. Die hier beschriebene Vorgangsweise ist wiederum als exemplarische Darstellung zu verstehen. Zur Umsetzung können unterschiedliche Methoden der Erarbeitung zum Einsatz kommen, idealer Weise jene, mit denen die Gruppe bereits vertraut ist. Pädagogisch-künstlerische Umsetzung 1. Film: Die Teilnehmer*innen stellen sich vor, sie wären Asterix und Obelix, die gerade im Begriff sind, Rom zu besuchen, und betreten das »Haus, das Verrückte macht«. Sie sind auf der Suche nach dem Antrag für den Passierschein A38, der die Einreise nach Rom ermöglicht.19 Die Gruppe sieht sich gemeinsam die Videoszene an und die Teilnehmer*innen notieren sich jene Aspekte, Personen, Sequenzen, die sich ihrer Meinung nach für eine Vertonung eignen würden. Im Anschluss daran bespricht die Gruppe die Ergebnisse. Zu beachten ist, dass bei der Verwendung von Filmsequenzen die originale Filmmusik die Ideen der Teilnehmer*innen nicht über»tönt« und diese zu stark steuert. Daher ist es sinnvoll, die Filmmusik beim Ansehen des Films stumm zu schalten. Es kann spannend sein, erst nach der Erarbeitung der eigenen Vertonung der Gruppe, die originale Filmmusik als Vergleich anzuhören. 2. Treppen steigen: Die Teilnehmer*innen erfinden Motive für das die Szene dominierende Treppensteigen, Skalen, Glissandi, Geräuschhaftes, Rhythmisches. Diese Linien werden vielfältig kombiniert 19

Passierschein A38, https://www.comedix.de/lexikon/db/passierschein_a38.ph p (10.8.2022)

5. Action Research Based Education in Music

und variiert. Ein/e Teilnehmer*in beginnt mit einer Linie nach oben, der rechte Nachbar antwortet darauf mit einer nach unten. Die einzelnen Linien werden zu einem Kanon kombiniert, eine laute Passage wird von einer leisen beantwortet und umgekehrt. Die Skalen können unterschiedlich lange sein. Die Linien werden mit unterschiedlichen Emotionen verknüpft: traurig, verärgert, amüsiert usw. Die Teilnehmer*innen können/sollen damit in Interaktion treten und wie Asterix und Obelix die Stiegen rauf und runter »laufen«. Dabei ist darauf zu achten, dass diese Skalen über Dur und Moll hinausgehen: so können Töne ausgelassen werden, verdoppelt werden, große und kleine Intervalle gespielt werden. Für die einzelnen Figuren können Akkorde gefunden werden, die in ähnlicher Weise verschiedenen Permutationen unterzogen werden. Dieser Prozess Schritt würde sich auch dazu eignen, die Teilnehmer*innen mit den Grundlagen verschiedener Skalenmodellen vertraut zu machen (dur-moll-tonal, modal, Bluesskala usw.) 3. Szene vertonen: Die Teilnehmer*innen vertonen mit dem nun vorhandenen musikalischen Material bestimmte Sequenzen aus der Szene oder die komplette Szene. Je nach Gruppengröße können mehrere Kleingruppen gebildet werden. Bei der Vertonung können entweder verschiedene Rollen verteilt werden oder die Teilnehmer*innen suchen sich eine Sequenz aus. Akkorde und Skalen werden je nach Szene verbunden oder einander entgegengestellt. 4. Absurde Szenen: Gemeinsam wird erkundet, welche absurden, skurrilen Töne, Geräusche oder auch Gesten mit den Instrumenten erzeugt werden können, wie diese Geräusche verändert, verfremdet werden können. Die Teilnehmer*innen sind dazu aufgefordert, ihr Instrument aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten, sich ungewöhnliche Spielarten einfallen zu lassen oder auch die Instrumente untereinander zu tauschen. So entstehen mitunter interessante Klänge und humorvolle Situationen, wenn ein Saxophonist Klavier spielt oder eine Klarinettistin versucht, Gitarre zu spielen.

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Musik gemeinsam erfinden

Evaluierung Jeder Zwischenschritt wird in der Gruppe evaluiert und Feedback gegeben. Die Geschichte soll dabei immer als Folie und Inspirationsquelle dienen. In der Arbeit mit Geschichten kann auf vielfältige Weise auf bestehende musikalische Erfahrungen der Teilnehmer*innen zurückgegriffen werden. Nächste Schritte Die Gruppe überlegt jeweils (auch nach jedem Zwischenschritt) die nächsten Schritte und plant das weitere Vorgehen. Für weitere Vertonungen eignen sich eigene und fremde Geschichten, Gedichte, Märchen, Theaterstücke, alltägliche Szenen und anderes.

5.5 Zu Bildern Musik erfinden Eine weitere Möglichkeit, Musik gemeinsam zu erfinden, besteht in der Arbeit mit Bildern. Dies stellt einen »Sonderfall produktionsorientierter ästhetischer Praxis dar, der in besonderem Maße geeignet ist, ästhetische Erfahrungsräume zu eröffnen.«20 Bilder können dabei als Strukturvorlage bzw. »grafische Partitur« verwendet werden, bei der klingende Entsprechungen für abstrakte Formen gesucht werden, als Stimmungsimpuls, wobei es darum geht, musikalisch Emotionen wie in der Bildvorlage zu erzeugen, als Handlungsvorlage bzw. Klangvorlage, indem etwa eine Geräuschatmosphäre zu Bildern erzeugt wird.21 In Gruppenprozessen können verschiedene Aktionsformen und Spielregeln (formale, assoziative) miteinander verknüpft oder offene Musizierprozesse angestoßen werden. Je nach musikalischen Vorerfahrungen

20

21

Johannes Voit: »Komponieren zu Bildern. Kompositionspädagogische Überlegungen zu Bildender Kunst als Auslöser für Gruppenkompositionsprozesse.« In: Handreichungen zur Kompositionspädagogik 2018., S. 2. https://www.kompae d.de/fileadmin/files/Artikel/KOMPAED-Voit-Komp.-zu-Bildern_01.09.2020.p df (10.8.2022). Ebd., S. 1f.

5. Action Research Based Education in Music

können die Teilnehmer*innen selbst gewählte Transformationsstrategien verwirklichen. Dabei wird eine Verknüpfung zwischen dem Bild und dem, was es zeigt, dem/der Betrachter*in und dem, was er/sie im Bild sieht, hergestellt.22 Da es sich dabei um einen »individuellen Akt von Bedeutungszuweisung«23 handelt, ist es wichtig, die unterschiedlichen Zugänge und musikalischen Strategien der Teilnehmer*innen laufend zu reflektieren. Besonderes Augenmerk sollte auf der Auswahl von Bildern liegen sowie einer möglichst offenen Aufgabenstellung, die dennoch einen sicheren Rahmen geben soll. Sinnvoll ist es, bestimmte Gestaltungsaufgaben als Warmup vorzuschalten oder auf bereits umgesetzte Spielregeln aufzubauen, sodass sich das Vertonen von Bildern besonders gut für geübte Gruppen eignet, aber auch für Anfänger*innen reizvolle Spielmöglichkeiten eröffnet. Ziel Ziel ist die musikalische Transformation (»Vertonung«) eines Bildes. Das gesamte Ziel wird dabei in verschiedene Teilziele, entsprechend dem ausgewählten Bild – ähnlich wie in der Arbeit mit Geschichten und Filmen – zerlegt, um an kleineren Einheiten arbeiten zu können. Die Teilnehmer*innen nehmen ein Bild mit, das sie gerne zeigen möchten und worüber sie auch sprechen möchten. Ressourcen Folgende Elemente könnten für die Umsetzung notwendig sein: • • •

22

23

Bilder der Teilnehmer*innen Ideen für die Vertonung von Elementen, Stimmungen, Objekten, … des Bildes Instrumente der Teilnehmer*innen

Im Aufsatz von Johannes Voit werden verschiedene Transformationsstrategien beim Komponieren zu Bildern darstellt und theoretisch fundiert. Johannes Voit: »Komponieren zu Bildern«, S. 4ff. Ebd., S. 3f.

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Musik gemeinsam erfinden

• • • • • • •

eventuell weiterführende Informationen zu Bildern ggf. Erfahrung der Teilnehmer*innen im gemeinsamen Musizieren ggf. Erfahrung der Teilnehmer*innen mit assoziativen und formalen Spielregeln Einigung über den Ablauf ein geeigneter Ort zum Musizieren zeitliche Ressourcen der Teilnehmer*innen und der Gruppenleitung Moderation und Anleitung des Erarbeitungsprozesses

Prozess Zunächst werden die Bilder von den Teilnehmer*innen verbal oder musikalisch vorgestellt, dabei kann das eigene Bild vorgestellt werden oder ein Bild anderer Gruppenmitglieder. Danach wird ein Bild ausgewählt, das sich gut für eine Vertonung eignet. Die Vertonung kann in verschiedenen Stufen erarbeitet werden: Nach einer Bildanalyse (verbal, musikalisch, zeichnerisch, …), können musikalische Entsprechungen gesucht werden, die Teilnehmer*innen erfinden Sequenzen und stellen diese zu kurzen Ensemblestücken zusammen. Diese Stücke können auch Ausgangspunkt für schöpferisches musikalisches »Weitermalen« des Bildes sein. Umgekehrt lässt sich aus dem Ensemblestück wiederum ein Bild (in der Gruppe oder von den Teilnehmer*innen einzeln) malen oder ausgehend vom Bild eine (musikalische) Geschichte erzählen. Pädagogisch-künstlerische Umsetzung Johannes Voit stellt unterschiedliche Transformationsstrategien beim Komponieren zu Bildern dar, die sich auch für improvisatorische Zugänge eignen.24 Bild und Musik können als Zeichensystem begriffen werden, das sich jeweils ins andere übersetzen lässt, wie es etwa in dem Bild »Komposition 8« von Wassily Kandinsky (1866–1944) aus dem Jahr 1923 zum Tragen kommt.25

24 25

Ebd., S. 4f. Das Bild »Komposition 8« von Wassily Kandinsky hängt im Guggenheim Museum in New York. https://www.guggenheim.org/artwork/1924 (10.8.2022).

5. Action Research Based Education in Music

Bilder können als Vorlage für musikalische Großformen betrachtet werden, die verschiedene Transformationsstrategien zulassen oder unter zeitlichen Aspekten analysiert und vertont werden können. Denn auch das Betrachten eines Bildes benötigt, ebenso wie das Musizieren oder Hören von Musik, eine gewisse Zeit. Bilder können ganzheitlich aber auch nach einer »Leserichtung« betrachtet werden, Bildinhalte können zeitliche Aspekte beinhalten. All diese Strategien lassen sich bei der Vertonung von Bildern improvisatorisch umsetzen. 1. Vorstellung der Bilder: Die Teilnehmer*innen zeigen ihr Bild und stellen es musikalisch in einer freien Improvisation mit ihrem Instrument reihum dar. Eine andere Möglichkeit wäre, das Bild während der Improvisation nicht zu zeigen, die Gruppen raten zu lassen und danach erst aufzudecken oder das eigene Bild von einer/m anderen Teilnehmer*in musikalisch darstellen zu lassen. 2. Auswahl eines Bildes: Die Gruppe wählt ein Bild aus, das sie vertonen möchte. Dabei kann über Strukturaufbau, Bildinhalt, musikalische Entsprechungen, Titel des Bildes vorab gesprochen werden. Vor allem an dieser Stelle können Erwachsene viel von ihren Erfahrungen einbringen bzw. einmal einen anderen, analytischen Blick auf Bilder und Musik erleben. Einzelne Strukturelemente oder Ideen könnten auf Moderationskarten festgehalten werden, damit diese dann bei der weiteren Arbeit visuell verfügbar sind. Diese Karten können je nach Ergebnis auf einer Pinnwand nach Emotion, musikalischem Parameter, Farbe, Klang, Objekte, Personen etc. sortiert werden. Dabei können/sollen die Erfahrungen mit assoziativen, formalen Spielregeln, mit Narration einfließen. Eine andere Möglichkeit mit erfahreneren Teilnehmer*innen besteht in der direkten Interpretation der Bildinhalte ohne vorherige verbale Absprache. 3. Erfinden von musikalischen Elementen: Die Teilnehmer*innen und die Gruppenleitung erfinden abhängig von der Art der Vertonung musikalische Phrasen, Motive, Akkorde usw. für Bildelemente, Stimmungen, Objekte, Inhalte. Je nach Gruppengröße kann das in Kleingruppen organisiert werden oder jede/r Teilnehmer*in erfindet für sich eine musikalische Gestalt. Das hier vorgestellte

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Musik gemeinsam erfinden

Bild von Johannes Simetsberger26 lässt verschiedene Interpretationsmöglichkeiten zu. So lassen sich die verschiedenen Farben in Stimmungen übersetzen, die verschiedenen Strukturelemente könnten als unterschiedliche Instrumente, das gesamte Bild als grafische Partitur gelesen werden, die etwa auch in zwei kleinere Ensembles geteilt werden könnte. Abstrakte Bilder legen eine Lesart als »grafische Partitur« nahe. Der klare formale Aufbau, die Variationen innerhalb des Bildes, Farb- und Formgebung lassen sich gut mit einer Gruppe umsetzen. So eignen sich auch die Bilder von Paul Klee (1879–1940)27 oder Wassily Kandinsky besonders gut für eine musikalische Bearbeitung, zumal beide in enger Auseinandersetzung mit Musik gemalt haben. Insbesondere mit interessierten Erwachsenen entsteht nicht zuletzt darüber ein Diskurs über künstlerische Fragen, die Übersetzbarkeit und von bildender Kunst in Musik und musikalische Formen in bildender Kunst.

26 27

Johannes Simetsberger, http://johannessimetsberger.blogspot.com (10.08. 2022). Vgl. Hajo Düchting: »Rhythmische Strukturen im Werk von Paul Klee«. In: C hrista Brüstle, Nadia Ghattas, Clemens Risi, Sabine Schouten (Hg.): Aus dem Takt. Rhythmus in Kunst, Kultur und Natur. Bielefeld: transcript 2005, S. 307–309.

5. Action Research Based Education in Music

Abbildung 6: Johannes Simetsberger: Sonntagsbagatellen op. 171 (2019)

4. Vertonung des Bildes: Die Gruppe einigt sich über Ablauf und Form der Vertonung. Dabei könnend die Teilnehmer*innen zunächst ihre Motive bzw. musikalischen Gestalten vorstellen oder sie bringen diese spontan in den Ablauf ein.





Wenn das hier vorgestellte Bild als grafische Partitur gelesen wird, könnte das linke Quadrat der Basis Groove eines Schlagzeugs oder Perkussionsinstrumentes sein. Auch als Basslinie ließe sich dieses Element darstellen. Die daneben liegenden »Systeme« könnten als verschiedene Stimmen, Instrumente gelesen werden. Eine andere Möglichkeit wäre, das Bild von links oben nach rechts unten zu »lesen« und den verschiedenen Gestalten zu folgen, wobei für jede Gestalt ein Motiv erfunden wird, das entsprechend der Notierung variiert wird.

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Musik gemeinsam erfinden

• •

Das Bild wird als grober Formverlauf gelesen, innerhalb dessen die Teilnehmer*innen frei in der Gestaltung sind. Das Bild könnte als reines Perkussionsstück umgesetzt werden. Bei Bildern mit konkreten Bildinhalten (Landschaftsbild, Familienfoto etc.) entstehen in der Regel auch musikalische Ideen, die mit klaren Bedeutungen und Geschichten verbunden sind. Die Art der Vertonung – Bild als Strukturvorlage bzw. »grafische Partitur«, als Stimmungsimpuls, Handlungsvorlage bzw. Klangvorlage – kann vorab mit der Gruppe geklärt werden oder als Ergebnis eines der Prozessschritte erst entwickelt werden. Für Erwachsene kann es hilfreich sein, sich spontan und ohne vorherige Analyse mit einem Bild zu beschäftigen, zumal sie den analytischen Zugang zu Neuem, der mitunter zu einem Hemmnis im schöpferischen Tun wird, aus ihrem Alltag und der Berufstätigkeit oft gewohnt sind.

5. Was kann in dem Bild passieren? Basierend auf der erarbeiteten Vertonung, dem Ensemblestück, versucht die Gruppe eine Geschichte aus oder mit diesem Bild zu erzählen oder Elemente des Bildes umzudeuten. Das Bild kann als Ausgangspunkt weiterer musikalischer, aber auch literarischer oder bildnerischer Transformationen verwendet werden. Dies geht dann über das gemeinsame Erfinden von Musik hinaus und erlaubt einen ganzheitlichen Blick auf künstlerisches Schaffen.

Evaluierung Jeder Zwischenschritt wird in der Gruppe evaluiert und es wird einander Feedback gegeben. Durch die visuelle Ebene werden Gespräche über musikalische Parameter, das Erkennen von bestimmten Motiven und Entsprechungen möglich. Die Teilnehmer*innen erwerben Kompetenzen im verbalen Austausch über musikalische Prozesse, in der Bildanalyse und in der Gestaltübertragung.

5. Action Research Based Education in Music

Nächste Schritte Die Ensembleszene könnte in einem nächsten Schritt wieder zu einem Bild, aber auch zu einer Geschichte, einem Gedicht usw. werden. Die Teilnehmer*innen könnten Fotos aufnehmen, die die musikalische Szene reflektieren und eine Fotomontage erstellen oder selbst Bilder malen und gestalten. Hier sind in der Weiterarbeit und der Entwicklung von Ideen kaum Grenzen gesetzt.

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6. Musik gemeinsam erfinden

Action Research, elementare Ansätze in der Musikpädagogik, Musizieren mit Erwachsenen und Community Projekte, in denen Partizipation der Menschen an kulturellen Entwicklungen und künstlerischen Interventionen im Mittelpunkt stehen, haben in den letzten Jahren zugenommen und zeugen von einem veränderten Verständnis von künstlerischer Produktion und kulturellem Leben. Dies wird zunehmend auch gesellschaftspolitisch wahrgenommen und Projekte dieser Art öffentlich gefördert. Die begleitende Forschung zeigt dabei die Wichtigkeit und Notwendigkeit, Menschen an den sie betreffenden künstlerischen und kulturellen Prozessen zu beteiligen. Musik gemeinsam zu erfinden, kann dabei eine Möglichkeit der Identitätsstärkung, Emanzipation und letztlich auch ein Stück Demokratisierung bedeuten. Bei vielen dieser Projekte zeigt sich, dass vor allem die Beteiligung der Teilnehmer*innen an der Definition eines gemeinsam zu erreichenden Zieles, ein Konsens über die Vorgangsweise und die Anknüpfung an deren Lebenswelten wesentlich zum Gelingen des gemeinsamen Musizierens beitragen. Die musikpädagogische Arbeit mit Erwachsenen erfordert von den Gruppenleiter*innen ein sensibles Vorgehen hinsichtlich eigener Zuschreibungen, die Fähigkeit, Hemmnisse abzubauen und eine Atmosphäre des respektvollen Miteinanders zu schaffen sowie die generelle Zielsetzung, dass nicht ein perfektes musikalisches Ergebnis oberste Priorität hat, sondern das schöpferische Tätigwerden, das gemeinsame Erleben von Musik in der Gruppe und die Erfahrung, dass das eigene Musizieren als Non-Professional als wertvoll erlebt wird.

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Musik gemeinsam erfinden

Musik als »Kunst in der Zeit« vollzieht sich im Musizieren und nicht in der Anfertigung und/oder Wiedergabe von Notentext. Musik ist »Aktion«. Ein Action Research basiertes Vorgehen eignet sich in besonderer Weise für das gemeinsame handlungs- und prozessorientierte Musizieren mit erwachsenen Non-Professionals, da sie selbst für den gesamten Prozessverlauf verantwortlich sind, eigene Ziele definieren, die einzelnen Schritte steuern können und in jeder Sequenz in einer pädagogisch-künstlerischen Umsetzung ein (Zwischen–)Ergebnis präsentieren. Action Research basiertes Vorgehen erlaubt eine hohe Flexibilität im Umgang mit unterschiedlichsten auch sehr heterogenen Gruppensituationen und vermeidet durch regelmäßige Feedbackschleifen eine Unter- oder Überforderung der Erwachsenen. Die Gruppenleitung selbst ist zwar Teil der Gruppe, hat aber die Möglichkeit, je nach Voraussetzungen und Erfahrungen der Teilnehmer*innen und je nach Art des Gruppenprozesses mehr oder weniger an Rahmen vorzugeben, um so die gesamte Gruppe durch den gemeinsamen Prozess zu begleiten. Jazz und Popularmusik eignen sich besonders als pädagogischkünstlerisches Handlungsfeld, weil diese Musik stark von improvisatorischen, nicht schriftlichen Zugängen und einer ästhetischen Offenheit geprägt ist, die es erlaubt, Rhythmus als Grundlage des gemeinsamen Musizierens zu erleben, eigene schöpferische Ideen einzubringen und diese im Hinblick auf die eigene Identität individuell weiterzuentwickeln. Dabei stehen die Lebens- und Erfahrungswelt, die musikalischen und außermusikalischen Voraussetzungen der Erwachsenen im Vordergrund. Musizieren ist für viele Menschen bereichernd und ein wichtiger Aspekt ihres Lebens, dabei soll vor allem auch Non-Professionals der Zugang zu Bereichen in der Musik eröffnet werden, die oft nur Profis vorbehalten sind: Improvisieren und Komponieren. Angesichts gesellschaftlicher, ökonomischer, demographischer und kultureller Entwicklungen in den nächsten Jahren, die mehr und mehr krisenhafte Zustände annehmen, ist dies umso wichtiger, zumal hier Möglichkeiten geschaffen werden, bei denen Menschen musikalisch, sozial und kommunikativ interagieren können, wo sie sich wohl und gesund fühlen und gleichzeitig einer für sie sinnstiftenden Tätigkeit nachgehen können. Dafür sind entsprechende Orte zu finden oder zu etablieren

6. Musik gemeinsam erfinden

und pädagogische Konzepte basierend auf handlungs- und prozessorientierten Zugängen zu entwickeln. Musik gemeinsam erfinden, Action Research Based Education in Music kann eines dieser Konzepte sein und soll dazu anregen, noch viel mehr improvisatorisch, kompositorisch mit Erwachsenen zu musizieren!

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Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Abbildung 2: Abbildung 3: Abbildung 4: Abbildung 5: Abbildung 6:

Modell des rhythmischen Ausdrucks nach Kofi Agawu........... 34 Action Research Cycle nach Eileen Ferrance .................... 77 Action Research Cycle im musikpädagogischen Kontext ......... 82 Partitur »Familienausflug« ..................................... 111 Formale Spielregeln ............................................ 121 Johannes Simetsberger: Sonntagsbagatellen op. 171 (2019)....... 131

Unterrichtsmaterialien

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Musikwissenschaft LJ Müller

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Vera Grund, Nina Noeske (Hg.)

Gender und Neue Musik Von den 1950er Jahren bis in die Gegenwart 2021, 370 S., kart., 21 SW-Abbildungen, 8 Farbabbildungen 40,00 € (DE), 978-3-8376-4739-6 E-Book: PDF: 39,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4739-0

Sonja Heyer

Die Kunst der Dauer Transformative Erhabenheit in der zeitgenössischen Musik Oktober 2022, 280 S., kart., 21 SW-Abbildungen, 1 Farbabbildung 45,00 € (DE), 978-3-8376-6498-0 E-Book: PDF: 44,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-6498-4

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Musikwissenschaft Alexander Lederer

Die Narrativität der Musik im Film Audiovisuelles Erzählen als performatives Ereignis Dezember 2022, 306 S., kart., 3 SW-Abbildungen 49,00 € (DE), 978-3-8376-6392-1 E-Book: PDF: 48,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-6392-5

Martin Eybl

Sammler*innen Musikalische Öffentlichkeit und ständische Identität, Wien 1740–1810 September 2022, 590 S., kart., 25 Farbabbildungen, 5 SW-Abbildungen 59,00 € (DE), 978-3-8376-6267-2 E-Book: PDF: 58,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-6267-6

Frédéric Döhl

Zwischen Pastiche und Zitat Die Urheberrechtsreform 2021 und ihre Konsequenzen für die künstlerische Kreativität August 2022, 294 S., kart. 46,00 € (DE), 978-3-8376-6248-1 E-Book: PDF: 45,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-6248-5

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de