Mundus ecce nutat et labitur: Weltuntergangskonzepte in der griechischen und lateinischen Literatur [1 ed.] 9783666302213, 9783525302217

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Mundus ecce nutat et labitur: Weltuntergangskonzepte in der griechischen und lateinischen Literatur [1 ed.]
 9783666302213, 9783525302217

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Dominic Bärsch

Mundus ecce nutat et labitur Weltuntergangskonzepte in der griechischen und lateinischen Literatur

Pausch_Zeitmontagen.indb 1

22.03.2023 09:54:09

Hypomnemata Untersuchungen zur Antike und zu ihrem Nachleben

Herausgegeben von Friedemann Buddensiek, Sabine Föllinger, Hans-Joachim Gehrke, Karla Pollmann, Christiane Reitz, Christoph Riedweg, Tanja Scheer, Benedikt Strobel Band 218

Vandenhoeck & Ruprecht

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22.03.2023 09:54:09

Dominic Bärsch

Mundus ecce nutat et labitur Weltuntergangskonzepte in der griechischen und lateinischen Literatur

Vandenhoeck & Ruprecht

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22.03.2023 09:54:09

Verantwortliche Herausgeberin: Sabine Föllinger Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2023 Vandenhoeck & Ruprecht, Robert-Bosch-Breite 10, D-37079 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, V&R unipress und Wageningen Academic. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Das Ende der Welt in Wasser und Feuer. Creative ML OpenRAIL-M Satz: le-tex publishing services, Leipzig Umschlaggestaltung: SchwabScantechnik, Göttingen

Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2197-3407 ISBN 978-3-666-30221-3

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22.03.2023 09:54:09

Inhalt

Danksagung .........................................................................................

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1. Einleitung ........................................................................................ 9 1.1 Forschungsstand ......................................................................... 10 1.2 Ziel und Aufbau der Arbeit .......................................................... 12 2. Theorie und Methode ....................................................................... 2.1 Konstruktionen kulturellen Wissens .............................................. 2.2 Konzepte und Konzeptualisierung ................................................ 2.3 Konzeptuelle Metaphern .............................................................. 2.4 Darstellungsmodi und Vermittlungsstrategien ................................ 3. Die große Flut als Element erinnerter Vergangenheit in der griechischen Literatur ...................................................................... 3.1 Die Erinnerung an den Untergang – Der Kataklysmos im Rahmen der griechischen Vergangenheitsdiskurse .......................... 3.2 Hybride zwischen Orient und Okzident – Vorderorientalische Flutnarrative in griechischer Sprache ................ 3.3 Konzeptuelle Synthese .................................................................

15 16 18 21 23

27 27 55 80

4. Konzepte von Untergang und Neukonsolidierung der Welt in der griechischen Naturphilosophie ................................................ 4.1 ›Vorsokratische‹ Konzepte von Untergang und Neuformierung der Welt .............................................................. 4.2 Ewigkeit und Endlichkeit der Welt im Corpus Platonicum ................ 4.3 Ewigkeit und Endlichkeit der Welt im Corpus Aristotelicum.............. 4.4 Konzeptuelle Synthese .................................................................

83 94 121 138

5. Rezeption und Transformation in Rom – Weltuntergangskonzepte in der spätrepublikanischen Literatur .......... 5.1 Weltuntergangskonzepte in Lukrez’ De rerum natura ....................... 5.2 Weltuntergangskonzepte im Corpus Ciceronianum .......................... 5.3 Konzeptuelle Synthese .................................................................

141 142 177 193

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Inhalt

6. Goldenes Zeitalter oder kosmische Katastrophe – Konzepte von Auflösung in der augusteischen und frühkaiserzeitlichen Literatur ............................................................ 6.1 Roma aeterna und imperium sine fine – Ewigkeitskonzepte in der augusteischen Literatur....................................................... 6.2 Omnia pontus erant – Flutkonzepte in der augusteischen und frühkaiserzeitlichen Literatur ................................................. 6.3 Conflagratio mundi – Weltenbrandkonzepte in der augusteischen und frühkaiserzeitlichen Literatur ............................ 6.4 Nox aeterna und chaos antiquum – Finsternis- und Chaoskonzepte in der augusteischen und frühkaiserzeitlichen Literatur ....................................................... 6.5 Konzeptuelle Synthese ................................................................ 7. Weltuntergangskonzepte in der jüdischen und christlichen Literatur ... 7.1 Zwischen Ewigkeit und Endlichkeit – Weltuntergangskonzepte in der jüdischen Apokalyptik .................... 7.2 Weltuntergangskonzepte im Neuen Testament ................................ 7.3 Flutkonzepte in der frühchristlichen Literatur ................................ 7.4 Weltenbrandkonzepte in der frühchristlichen Literatur .................... 7.5 Alterungs- und Alterskonzepte der Welt in der frühchristlichen Literatur ............................................................. 7.6 Konzeptuelle Synthese .................................................................

199 200 214 256

271 282 289 290 294 299 314 330 334

8. Zusammenstellung der Ergebnisse ................................................... 339 Abkürzungen ........................................................................................ 345 Antike Autoren und Werke................................................................. 345 Hilfsmittel und Sammelwerke............................................................. 352 Bibliografie........................................................................................... 353 Editionen, Übersetzungen und Kommentare ........................................ 353 Sekundärliteratur .............................................................................. 364 Register ............................................................................................... 393

Danksagung

Die vorliegende Arbeit ist eine leicht überarbeite Version meiner Dissertation, die im Wintersemester 2021 am Fachbereich 07 der Johannes Gutenberg-Universität Mainz eingereicht wurde. Das Prüfungskolloquium fand am 29.07.2022 statt. Mein herzlicher Dank gilt in erster Linie meiner Doktormutter Prof. Dr. Marion Gindhart sowie Prof. Dr. Jochen Althoff, der die Zweitbetreuung meines Promotionsprojektes übernommen hat. Beide haben mich während meiner Promotionszeit hervorragend betreut und gefördert, mir viele wertvolle Anregungen für meine Arbeit geliefert und mich nicht nur fachlich während dieses Lebensabschnitts begleitet. Darüber hinaus möchte ich Prof. Dr. Thomas Baier für die Erstellung des Drittgutachtens meiner Dissertation danken. Zudem sei Prof. Dr. Annemarie Ambühl herzlich gedankt, die neben Frau Gindhart und Herrn Althoff als weitere Prüferin am Prüfungskolloquium teilnahm. Meine Dissertation ist im Rahmen des DFGgeförderten Graduiertenkollegs 1876 »Frühe Konzepte von Mensch und Natur: Universalität, Spezifität, Tradierung« entstanden. Von dem anregenden interdisziplinären Austausch habe ich persönlich sehr profitiert. Deshalb sei allen daran beteiligten Professorinnen und Professoren des Trägerkreises, den Koordinatorinnen und vor allem meinen Mitdoktorandinnen und -doktoranden herzlich gedankt. Nur durch die zahlreichen stimulierenden Gespräche, die Einblicke in andere (Fach-)Kulturen und die selbstverständliche Unterstützung bei diversen Problemen konnte diese Arbeit in der vorliegenden Form entstehen. Den Herausgeberinnen und Herausgebern der Reihe »Hypomnemata«, besonders aber Frau Prof. Dr. Sabine Föllinger danke ich für die Aufnahme in die Reihe und ihre hilfreichen Anmerkungen. Gedankt sei auch Herrn Kai Pätzke für die Betreuung beim Verlag. Für die Hilfe bei der Korrektur danke ich Dominik Berrens, Katharina Hillenbrand und Carrie Schidlo. Eventuell verbliebene Fehler sind natürlich nur mir zuzurechnen. Gewidmet sei diese Arbeit meinen Eltern, die mich schon früh in meiner Liebe zur Antike bestärkt haben und ohne deren ideelle und materielle Überstützung diese Arbeit niemals möglich gewesen wäre.

1. Einleitung

mundus ecce nutat et labitur et ruinam sui non iam senectute rerum sed fine testatur. Sieh nun, die ganze Welt wankt und stürzt zusammen; sie bezeugt ihren Untergang nicht mehr allein durch das hohe Alter, sondern durch das Ende aller Dinge. Cyprian von Karthago, De mortalitate 25

Mit der Bemerkung »Die Weltuntergänge mehren sich. Sie haben Konjunktur« konstatieren die Herausgeber des Sammelbandes Aktualität des Apokalyptischen die zunehmende, multimediale Aufmerksamkeit, die dem Themenkomplex im Verlauf der letzten Jahre zukam.1 Die derzeitige Faszination am Kuriosum Weltuntergang ist offenkundig, da es innerhalb vielfältiger Diskurse deutlich vertreten ist. Jedoch sollte dabei nicht außer Acht gelassen werden, dass es sich bei der Erwartung oder der Erinnerung eines Weltuntergangs um ein kulturübergreifendes und diachrones Phänomen handelt. Bei aller kulturspezifischen Verschiedenheit in den konkreten Ausprägungen deuten diese Imaginationen auf eine tief verankerte Universalie hin, die eng mit dem Kontingenzbewusstsein menschlicher Existenz verknüpft ist. So lassen sich Konzeptionen von Weltuntergängen global und zeitübergreifend nachweisen, etwa in den Kulturen des Alten Orients, des Alten Ägyptens, des präkolumbianischen Amerikas, des europäischen Nordens und des vedischen Indiens, um nur wenige Beispiele zu nennen.2 Unter der analytischen Kategorie »Weltuntergang« wird in diesem Kontext eine Bandbreite von Konzepten subsumiert: Kulturell erinnerte Katastrophen, die in der Vergangenheit stattgefunden und bestehende Ordnungen ausgelöscht oder korrigiert haben, zyklisch eintretende, die einen ewigen Wechsel zwischen Auflösung und Konsolidierung bedingen, oder auch eine finale, in der Zukunft angesetzte, die den materiellen Kosmos vernichten wird. Dabei lohnt es, eine Untersuchung nicht ausschließlich auf solche Untergangsszenarien zu beschränken, die als globale Ereignisse imaginiert worden sind, sondern auch paradigmatisch jene zu berücksichtigen, die partielle Untergänge fokussieren. So lässt sich deutlich zeigen, dass

1 Briese/Faber/Podewski (2015) 7. 2 Vgl. Witzel (2012) 177–183. Siehe zudem die Beiträge von C. Wilcke, E. Blumenthal, B. Kölver, H. Seiwert in Jones (1999) zu Vorstellungen von Weltuntergängen und Endzeiten in den genannten Kulturen.

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Einleitung

ein enger Konnex zwischen globalen und regional begrenzten Vorstellungen besteht, dass sich diese gegenseitig beeinflussen und ihre Darstellungen durch die jeweils andere Perspektive geprägt sind, dass zur Imagination partieller Untergänge Elemente globaler Vernichtung herangezogen werden und umgekehrt. Derartige Konzeptvarianten sind in vielfachen Formen und verschiedenen Zusammenhängen in Texten der griechischen und römischen Antike tradiert, auf die sich die vorliegende Untersuchung konzentrieren wird. Im Zentrum stehen dabei die Fragen, wie ein Weltuntergang in welchem Kontext wann von wem imaginiert und literarisch inszeniert wird und wie diese Konzeptionen rezipiert und transformiert oder auch vollständig negiert werden. Bevor jedoch auf das dafür verwendete methodische und theoretische Gerüst eingegangen werden kann, soll im Folgenden der bisherige Forschungsstand konturiert werden, um davon ausgehend auf die Zielsetzung dieser Arbeit überzuleiten.

1.1 Forschungsstand Noch bis ins 20. Jahrhundert fokussierten sich umfangreichere Forschungsarbeiten zum Thema »Weltuntergang« darauf, Zeugnisse aus verschiedenen kulturellen Kontexten zu kompilieren und dadurch Gemeinsamkeiten sowie Unterschiede herauszustellen. Die Studien von K. Ziegler und S. Oppenheim Weltuntergang in Sage und Wissenschaft (1921) sowie von J. Riem Die Sintflut in Sage und Wissenschaft (1925) können paradigmatisch für diesen Zugang stehen. In ihnen werden die kulturspezifischen Eigenheiten sowie die literarische Faktur der Textsorten, in denen die Konzepte tradiert werden, vollständig ausgeblendet.3 Einen ähnlich kompilierenden Charakter besitzt auch die Bonner Dissertation Quid Epicurei et Stoici de interitu mundi docuerint (1954) von C. Keller, die jedoch insofern einen wichtigen Ausgangspunkt darstellt, als dass sie zahlreiche antike Zeugnisse zu Weltuntergangskonzeptionen bündelt. Dabei zielt sie weniger auf eine systematische Darstellung von Konzepten ab, sondern widmet sich ausschließlich der Frage, in welchen Diskussionspunkten Stoa und Epikureismus übereingestimmt und in welchen die beiden Philosophenschulen verschiedene Meinungen vertreten haben. Die Arbeit Antike Sintflutsagen (1986) von G. A. Caduff stellt zunächst eine umfangreiche Sammlung von griechischen und lateinischen Texten in deutscher Übersetzung zusammen, die mehr oder weniger mit dem Motiv »Sintflut« in Verbindung stehen, und erweist sich deshalb ebenfalls als wichtiger Zugang zu den relevanten Quellen. In ihrem analytischen Teil widmet sie sich dann insbesondere

3 Eine aktuelle Kompilation finde sich in Witzel (2012), der sich auf den Seiten 177–183 knapp mit Weltuntergangsvorstellungen befasst.

Forschungsstand

der Figur des Flutheros und den mit ihr verbundenen, anthropozentrischen Erzählungen. Auf die außerdem wichtigen philosophischen Systeme geht Caduff in diesem Kontext nur knapp ein. Einen Fokus legt er hingegen auf die fragmentarisch erhaltenen Darstellungen der griechischen Historiker, wobei es deren bruchstückhafter Zustand und die oft sekundäre Überlieferung in neuen Kontexten meines Erachtens kaum erlauben, konkrete (und exklusive) Schlussfolgerungen zu ziehen, etwa wie viele Fluten »die Griechen« kulturell erinnerten und auf welche genauen »Lokaltraditionen« die spezifischen Überlieferungen zurückgehen. Einen gewinnbringenden Beitrag leistet die Untersuchung The Stars Will Fall from Heaven. Cosmic Catastrophe and the World’s End in the New Testament and Its World (2007) von E. Adams, die sich zwar dezidiert mit Texten des Neuen Testaments auseinandersetzt, dabei jedoch auch pagane Konzeptionen in den Blick nimmt und sie einander gegenüberstellt. Dieser Vergleich bereichert seine Analysen maßgeblich und erlaubt wichtige Einsichten in die Formierung biblischer wie auch außerbiblischer Konzeptionen. Als erste Untersuchung, die sich dezidiert mit dem Themenkomplex der Weltuntergänge in der griechischen und lateinischen Literatur auseinandersetzt, ist im Dezember 2021 – als das Manuskript der vorliegenden Arbeit bereits abgeschlossen war – Chr. Stars Apocalypse and Golden Age. The End of the World in Greek and Roman Thought erschienen. Der Autor beschäftigt sich darin mit einem Zeitraum, der sich von der frühgriechischen Epik bis zur kaiserzeitlichen Literatur erstreckt. Einen klaren Fokus legt er dabei auf die römische Literatur. Star gelangt gerade in seiner Analyse der augusteischen Literatur zu wertvollen Einsichten, die zum Teil auch in der vorliegenden Untersuchung begegnen, widmet sich jedoch nicht der konzeptionellen Entwicklung der Weltuntergangsvorstellungen. So sind die von ihm deduzierten Ergebnisse durchaus gewinnbringend und geben einen informativen ersten Einblick in dieses lange vernachlässigte Forschungsgebiet. Einen Schwachpunkt der Studie formuliert J. Gerbasi wie folgt: »[…] the takeaway turns out to be simply that the ancients thought about the end of the world, not what they thought. But more should – and certainly can – be said.«4 Trotzdem sei diese Untersuchung, die einen konzisen Querschnitt zu antiken Weltuntergangsvorstellungen bietet, als ergänzende Lektüre empfohlen. Sammelbände, die sich dezidiert mit Vorstellungen des Weltuntergangs beschäftigen und nicht-christlichen Konzeptionen der griechischen und römischen Antike Raum geben, sind immer noch selten. Der Fokus liegt bevorzugt auf jüdischen und christlichen Paradigmen, zu denen eine geradezu unüberschaubare Fülle an Beiträgen publiziert worden ist. Ausnahmen bilden etwa The Encyclopedia of Apocalypticism. Volume 1 (1999), in welchem der umfangreiche Beitrag »The End of

4 Gerbasi (2022), verfügbar unter https://bmcr.brynmawr.edu/2022/2022.09.22/.

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Einleitung

the World, of History, and of the Individual in Greek and Roman Antiquity« von H. Cancik enthalten ist, sowie der von M. Gindhart und T. Pommerening herausgegebene Sammelband Anfang & Ende. Vormoderne Szenarien von Weltentstehung und Weltuntergang (2016). Dieses Desiderat haben auch H. Marlow, K. Pollmann und H. Van Noorden als Herausgeber des vor kurzem erschienen Werkes Eschatology in Antiquity. Forms and Functions (2021) erkannt, das sich mit der antiken Eschatologie im weitesten Sinn und aus interkultureller Perspektive beschäftigt, und dafür ebenfalls wertvolle Beiträge zu antiken Weltuntergangsvorstellungen zusammenstellt. Durch die noch vergleichsweise neue Aufmerksamkeit der Forschung für den Themenkomplex der griechischen und römischen Weltuntergangsvorstellungen ist es wenig überraschend, dass auch J. Frieds Dies Irae. Eine Geschichte des Weltuntergangs (2016) diesen Bereich nur knapp erwähnt. Zusätzlich zu den erwähnten Studien gibt es selbstverständlich zu den spezifischen griechischen und lateinischen Werken, in denen Weltuntergangskonzepte präsentiert werden, zum Teil umfangreiche Untersuchungen, die in den thematischen Kapiteln dieser Untersuchung angeführt werden.

1.2 Ziel und Aufbau der Arbeit Die Untersuchung antiker Weltuntergangskonzepte erweist sich aus verschiedenen Perspektiven als gewinnbringend: Aus dem close reading der einzelnen Passagen, der Analyse narrativer Strukturen sowie des intertextuellen Gefüges können philologisch-kulturwissenschaftliche Erkenntnisse über die Faktur der Texte generiert werden. Die einerseits chronologische andererseits systematische Gliederung der Arbeit soll dabei eine umfassende Analyse der griechischen und lateinischen Testimonien vorlegen, ohne den Anspruch erheben zu wollen, jede verfügbare Textpassage aufzulisten. Vielmehr sollen prominente Konzepttypen aus den relevanten Zeugnissen extrahiert werden, um zu zeigen, welche Konzeptionen in welchen Textsorten zu welchen Zeiten dargestellt werden. Daneben soll die Studie jedoch ebenfalls einen Beitrag zur Erforschung menschlicher Konzeptualisierungsprozesse und insbesondere zu denen abstrakter Entitäten leisten. Indem sie Möglichkeiten aufzeigt, Ansätze der kognitiven Linguistik sowie der Wissensgeschichte und -soziologie für die Altertumswissenschaften fruchtbar zu machen, soll sie als Diskussionsbeitrag verstanden werden, wie moderne Theorien und Methoden auf antike Texte angewandt werden können und welcher Mehrwert daraus resultieren kann. Des Weiteren sollen die gewonnenen Ergebnisse als Vergleichspunkte für weiterführende, interdisziplinäre Studien dienen, sodass Vertreter anderer Fachdisziplinen die von ihnen extrapolierten Konzepte in einen kulturübergreifenden Kontext

Ziel und Aufbau der Arbeit

setzen können, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den jeweiligen Kulturen zu erkennen. Somit möchte die Untersuchung einen grundlegenden Beitrag zur Erforschung der Spezifität und Universalität von Weltuntergangskonzepten leisten. Aus diesen Zielsetzungen ergibt sich die Gliederung der Arbeit: Zunächst sollen theoretische und methodische Überlegungen in die drei Bereiche »kulturelles Wissen«, »Konzepte und Konzeptualisierungsprozesse«, sowie »Darstellungsmodi und Vermittlungsstrategien« einführen. Im Anschluss daran folgt das erste inhaltliche Kapitel, in dem der Fokus auf griechische Zeugnisse gerichtet wird, die einen vergangenen und/oder zukünftigen Untergang der Welt(ordnung) imaginieren. Ein Schwerpunkt wird auf den verschiedenen Konzepten von (globalen) Fluten liegen, die als Teil eines imaginierten Vergangenheitshorizonts tradiert worden sind. Daran anschließend werden Konzeptionen der griechischen Naturphilosophie ins Zentrum gerückt, deren vielfache Variationen bis zu dem aristotelischen Konzept einer ewigen Welt thematisiert werden. In einem nächsten Untersuchungsschritt werden römische Konzepte der späten Republik analysiert, wie sie bei Lukrez und Cicero exemplarisch präsentiert werden. Das Augenmerk liegt dabei besonders auf deren Rezeption und Transformation hellenistischer, aber auch ›vorsokratischer‹, platonischer und aristotelischer Konzepte. Im Anschluss daran werden exemplarisch Konzepte von Ewigkeit und Endlichkeit der Welt in der augusteischen und frühkaiserzeitlichen Literatur untersucht. Ausgehend vom tradierten Material hat es sich dabei als zielführend erwiesen, eine Untergliederung des Kapitels nach den in den Texten dargestellten Konzepten vorzunehmen, sodass sich dadurch eine Aufteilung in Ewigkeits-, Flut-, Weltenbrandsowie Finternis- und Chaoskonzepte ergibt. Eine solche konzeptorientierte Gruppierung wird ebenfalls für das letzte Inhaltskapitel gewählt, das sich mit jüdisch-hellenistischen und frühchristlichen Konzepten des Weltuntergangs auseinandersetzt. So stehen in diesem besonders Fragen nach Rezeptions-, Aktualisierungs- und Transformationsprozessen, aber auch nach Darstellung und Autorisierung der präsentierten Konzepte im Fokus. Abschließend werden die Ergebnisse der einzelnen Kapitel mit Blick auf die zu Beginn aufgeworfenen Fragestellungen zusammengefasst.

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2. Theorie und Methode

Die ersten Anzeichen ausgeprägter menschlicher Kulturen lassen sich mit dem Auftreten des Homo sapiens sapiens vor etwa 200.000 Jahren nachweisen.1 Aus evolutionsbiologischer Perspektive zeichnet sich dieser im Vergleich zu anderen Arten der Gattung Homo besonders durch die sogenannte kollektive Intentionalität aus. Darunter wird die Kompetenz verstanden, auf der Grundlage von kooperativem Denken gruppenorientiertes Wissen wie etwa soziale Normen, Institutionen und Konzepte zu etablieren und dieses generationsübergreifend zu tradieren.2 Im Gegensatz zu anderen Lebewesen verfügt der moderne Mensch zudem über die Fähigkeit, mentale »Zeitreisen« zu unternehmen und somit komplexe Szenarien vergangener und zukünftiger Ereignisse zu imaginieren.3 Solche mentalen Konfigurationen sind jedoch nicht auf persönliche Vergangenheits- und Zukunftsentwürfe limitiert, sondern sind, wie T. Suddendorf betont, auch im kulturellen Makrokontext evident: »With theory of mind and language we are able to wire our scenario-building minds into much larger networks. We teach each other and copy each other, allowing us to pass on what we have experienced, abstracted, innovated, or learned from another. Thus are populations able to socially maintain and accumulate knowledge […].«4

Solche mentalen Netzwerke erlauben es einer Gruppe letztlich, identitätsstiftende Vergangenheitsentwürfe sowie kollektive Zukunftserwartungen zu konzipieren und mit diesen verbundene kulturelle Praktiken zu etablieren, wodurch das kulturelle Gedächtnis einer Gemeinschaft entsteht.5 Derartige Entwürfe werden durch zwischenmenschliche Kommunikation generiert, sie sind soziale Konstruktionen.6 Dadurch sind sie auch keineswegs statisch, sondern in einem stetigen Aushandlungsprozess begriffen. Nur mithilfe von iterativen Prozessen werden identitätsstiftende Ereignisse einer verbindenden Vergangenheit tradiert und bilden dadurch

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Vgl. Tomasello (2014) 84. Vgl. ebd. 80. Vgl. Suddendorf (2013) 156. Ebd. 158. Siehe dazu Assmann (1988) 9, der darunter einen »Sammelbegriff für alles Wissen [versteht], das im spezifischen Interaktionsrahmen einer Gesellschaft Handeln und Erleben steuert und von Generation zu Generation zur wiederholten Einübung und Einweisung ansteht.« 6 Vgl. Keller (3 2011) 42.

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Theorie und Methode

das kulturelle Gedächtnis einer Gruppe, das wiederum deren gegenwärtiges Selbstverständnis bestimmt. Analog formen sich gemeinsame Spekulationen über eine bevorstehende Zukunft zu komplexen Eschatologien, die sowohl das individuelle wie auch das kollektive Schicksal thematisieren. Dabei sind solche mentalen Szenarien nicht auf die Vergangenheit und Zukunft einer Gemeinschaft begrenzt, sondern können universelle Dimensionen annehmen und auf den gesamten Kosmos ausgeweitet werden. Dies zeigt sich einerseits in differenzierten Kosmogonien und Kosmologien, die etwa mythisch-religiös oder naturphilosophisch die Entstehung und Beschaffenheit der gegenwärtigen Welt zu erklären suchen, andererseits an Vorstellungen, die das Ende der gegenwärtigen Weltordnung imaginieren. Bemerkenswert ist dabei, dass derartige Konzeptionen nicht ausschließlich einen bevorstehenden Untergang der Welt thematisieren, sondern auch solche Szenarien kulturell erinnert werden, die in der Vergangenheit eingetreten sind und analog als »Weltuntergang« kategorisiert werden. Konzepte von Vergangenheit und Zukunft nehmen somit ein dichotomes Verhältnis zum kulturellen Wissen einer Gruppe ein: Einerseits sind sie aus Bausteinen eben dieses Wissens konstruiert, andererseits bilden sie zugleich neben anderen dessen konstituierende Elemente. Im Folgenden soll genauer auf den Begriff des kulturellen Wissens und dessen kommunikativ-diskursive Konstruktion eingegangen werden, bevor im Anschluss der dieser Arbeit zugrundeliegende Konzeptbegriff extrapoliert wird. Da dieser in wesentlichen Punkten auf Anregungen der konzeptuellen Metaphern-Theorie zurückgreift, werden deren Maximen in einem weiteren Abschnitt präsentiert. Abschließend soll thematisiert werden, mit welchen analytischen Instrumenten literarische Darstellungen von Weltuntergangskonzepten untersucht werden.

2.1 Konstruktionen kulturellen Wissens Im populären Sprachgebrauch erscheint »Wissen« geradezu als absolute Größe, als Konnex wahrer, unveränderlicher Erkenntnisse, die der Mensch entdecken oder erfassen könne und die als metaphysische Entität der sinnlich wahrnehmbaren Welt zugrunde liegen. Die wissenssoziologische bzw. -geschichtliche Forschung zeigt hingegen, dass es sich bei »Wissen« stets um ein soziales Konstrukt handelt, das eine Gesellschaft »zur Bewältigung ihrer jeweiligen Realitäten«7 ausbildet. So konstatiert A. Landwehr, dass

7 Landwehr (2007) 801.

Konstruktionen kulturellen Wissens

»Wissen und Wirklichkeit Ergebnisse sozialer Konstruktionsprozesse [sind], das heißt Gesellschaften statten ihre Umwelt mit bestimmten Bedeutungsmustern aus, erkennen bestimmte Sichtweisen auf diese Umwelt als Wissen an (während andere als Aberglaube oder Unsinn abqualifiziert werden) und objektivieren Elemente zu einer Wirklichkeit, der man nicht mehr ansehen kann, dass sie historisch entstanden und alles andere als naturnotwendig ist.«8

Folglich können unterschiedliche Kulturen zu verschiedenen Zeiten spezifische Wissensbestände produzieren, die sodann als kulturelles Wissen in der betreffenden Gesellschaft zirkulieren. Unter diesem wird »die Gesamtmenge der Propositionen [verstanden], die die Mitglieder der Kultur für wahr halten bzw. die eine hinreichende Anzahl von Texten der Kultur als wahr setzt.«9 Dabei entsteht jedoch kein statisches Archiv unverrückbarer Annahmen, sondern dieses Wissen wird permanent reflektiert, evaluiert und im Bedarfsfall adaptiert.10 Im Zuge dieses Prozesses können bestimmte Bestandteile entweder bekräftigt oder aber verworfen werden, sobald ihnen keine Geltung mehr zugeschrieben wird. Somit ist das bzw. sind die Wissen »unausweichlich der Historizität ausgeliefert«.11 Da Wissen wiederum aus gesellschaftlichen Kommunikationshandlungen resultiert, kann von einer kommunikativen Konstruktion von sozialer Wirklichkeit und Wissensbeständen gesprochen werden.12 Dabei steht es, wie B. Neumann im Anschluss an M. Foucault betont, in einem produktiven Wechselverhältnis zu Strategien der Macht: »Die Produktivität von Macht besteht darin, kulturell integrative Auswirkungen zu haben und soziale Wirklichkeit durch Normierung und Normalisierung von Wissen überhaupt erst zu schaffen. Kulturelles Wissen ist Effekt und zugleich Voraussetzung von Macht. Es gibt kein Wissen vor allen Machtbeziehungen. Ebenso wenig indes ist die Vorstellung einer Macht vor dem kulturellen Wissen richtig: Macht ist an kulturelles Wissen gebunden. Der Wille zum Wissen ist stets auch ein Wille zur Macht.«13

Machtstrukturen regulieren, welche Wissensbestände für einen bestimmten Zeitraum als normativ etablierte Referenzpunkte dessen festgelegt werden, was als wahr, richtig oder angemessen gedacht werden kann. Dadurch werden wiederum regelmäßig auftauchende und wiederholte Aussagen produziert, die sich aus etischer 8 9 10 11 12 13

Landwehr (2 2009) 18. Titzmann (1989) 48. Vgl. Assmann (1988) 13. Landwehr (2007) 802. Vgl. Knoblauch (2017) 179–183. Neumann (2006) 32f.

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Theorie und Methode

Perspektive in »Diskurse« gruppieren lassen.14 Unter diesen sind »strukturierte und zusammenhängende (Sprach-)Praktiken [zu verstehen], die Gegenstände und gesellschaftliche Wissensverhältnisse konstituieren.«15 Innerhalb spezifischer Diskurse werden dabei bestimmte Überzeugungen wesentlich regelmäßiger und präferierter artikuliert als andere, was zu einer »Menge von Aussagen [führt], die einem gleichen Formationssystem zugehören.«16 Somit ist es jeweils diskursabhängig, welche spezifischen Äußerungen in welchem Zusammenhang als korrekt angenommen werden. Bei der Erklärung von Flutereignissen etwa könnten einerseits christliche Apologeten im Rahmen eines straftheologischen Diskurses für diese Katastrophe den Zorn Gottes verantwortlich machen, der damit auf die Verfehlungen seiner Kultgemeinde reagiert. Andererseits könnte im Rahmen eines naturkundlichen Diskurses eine übermäßige Wasserbildung proklamiert werden, die den Pegel über das Normalmaß gesteigert hat. Die spezifische Erklärung und Deutung des Ereignisses sind demnach von der »Strukturierung des diskursiven Feldes«17 abhängig. Somit kann also nicht nur von einer kommunikativen, sondern insbesondere von einer diskursiven Konstruktion von Wirklichkeit und Wissensbeständen gesprochen werden.18 Dabei gibt es »keine Möglichkeit […], um hinter die Diskurse zu gelangen. Wirklichkeit ist nie an sich erfahrbar, sondern immer nur für uns.«19 Kategorisieren Akteure innerhalb einer sozialen Gruppe die sinnlich wahrnehmbare Welt und die sich in ihr ereignenden Vorgänge und versehen sie dabei mit Bedeutung, verknüpfen sie Wissenselemente aus einem oder mehreren diskursiven Feldern miteinander, wodurch Konzepte von variierender Komplexität herausgebildet werden.

2.2 Konzepte und Konzeptualisierung Um die Welt und die sich in ihr befindlichen Gegebenheiten zu erfassen und zu deuten, entwickelt der moderne Mensch Konzepte bzw. Konzeptionen.20 Die Ko-

14 Vgl. Landwehr (2 2009) 71 mit Bezug auf Foucault (8 1997) 41f. 15 Keller (3 2011) 186. Siehe dazu jedoch auch Keller (2006) 59: »Der Begriff ›Diskurs‹ bezeichnet dann kein innerweltliches ontologisches ›Objekt‹, sondern einen zu Forschungszwecken hypothetisch unterstellten Strukturierungszusammenhang, der verstreuten Aussageereignissen zugrunde liegt.« 16 Foucault (8 1997) 156. 17 Laclau/Mouffe (2 2000) 144. 18 Vgl. Keller (3 2011) 190. 19 Landwehr (2 2009) 91. 20 Im Folgenden werden Konzept und Konzeption nahezu gleichbedeutend verwendet, wobei unter Konzeption stärker der eigentliche Akt der Konzeptformation verstanden wird.

Konzepte und Konzeptualisierung

gnitionswissenschaft, bzw. die kognitive Linguistik, an der sich der Konzeptbegriff dieser Arbeit orientiert, geht davon aus, dass diese als »mentale Organisationseinheiten [dienen], die die Funktion haben, Wissen über die Welt zu speichern.«21 Im vorliegenden Zusammenhang stellt sich vor allem die Frage, auf welche Weise Konzepte erworben bzw. formiert werden und wie sie strukturiert sind.22 Eine entscheidende Rolle spielt dabei die Fähigkeit, Gemeinsamkeiten trotz offensichtlicher Unterschiede auszumachen und zu abstrahieren.23 So werden mentale Repräsentationen abgespeichert und zu einem Wissensbündel zusammengeschnürt, das als Protokonzept bezeichnet und unter einem bestimmten ›Stichwort‹ abgerufen werden kann. Ein solches Protokonzept bietet ein Gerüst aus wesentlichen Elementen, das dann durch eine Varianz von fakultativen ergänzenden Eigenschaften angereichert wird. Ausschlaggebend sind dabei ebenfalls sprachliche Aspekte wie Affirmation und Negation, durch die bestehende Konzepte von außen entweder bestätigt oder korrigiert werden können.24 Solche Adaptionen werden jedoch lediglich dann akzeptiert, wenn der Akteur dem Gegenüber entsprechende Autorität zuschreibt, was besonders für Kinder in der frühkindlichen Phase gilt: Diesen vermitteln ihre Bezugspersonen zudem die entsprechenden sprachlichen Begriffe, um Konzepte zu artikulieren.25 Bereits anhand dieser Ausführungen wird deutlich, dass der Sprache bzw. der Kommunikation essenzielle Bedeutung zukommt.26 Dies gilt umso mehr für abstrakte Konzepte wie den Weltuntergang, die keine materiellen, sinnlich wahrnehmbaren Repräsentationen besitzen, sondern stets imaginativ sind.27 Solche Konzeptionen werden ausschließlich durch kommunikative Akte konstituiert,28 die auf das kulturelle Wissen einer sozialen Gruppe rekurrieren.29 Dabei ist jedoch der dichotome Charakter solcher Konzepte zu beachten: Einerseits sind sie aus Wissenselementen formiert, andererseits erweisen sie sich ebenfalls als Bestandteile

21 Schwarz (3 2008) 108. Einen ähnlichen Konzeptbegriff legt auch Dominik Berrens seiner Studie zu sozialen Insekten in der Antike zugrunde, die ebenfalls im Kontext des Graduiertenkollegs 1876 »Frühe Konzepte von Mensch und Natur. Universalität – Spezifität – Tradierung« entstanden ist. Er greift dabei zudem auf Aspekte der Prototypentheorie zurück, die sich aber für die vorliegende Untersuchung nicht als zielführend erwiesen haben; vgl. Berrens (2018) 11–14. 22 Für eine Zusammenstellung der relevanten Ansätze siehe Rothmayr (2016) 128f. 23 Vgl. Tillas (2016) 174f. 24 Vgl. Margolis/Laurence (2011) 519f. 25 Vgl. Tillas (2016) 171f. 26 Siehe dazu auch Tillas (2015). 27 Grundsätzlich zur mentalen Repräsentation abstrakter Konzepte siehe Barsalou (1999) 599–601. 28 Vgl. Prinz (2002) 180. 29 Vgl. Margolis/Laurence (2011) 536f.

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Theorie und Methode

Abb. 1 Konzept aus Protokonzept und Varianz möglicher Eigenschaften.

des dichten Gefüges kulturellen Wissens. Genau wie dieses werden sie stets reflektiert und adaptiert, sodass abgesehen vom wesentlichen Gerüst des Protokonzeptes die sonstigen Bestandteile besonders flexibel sein und bei Bedarf ersetzt werden können.30 So kann ein abstraktes Konzept möglicherweise mit dem gleichen sprachlichen Begriff bezeichnet werden, jedoch in unterschiedlichen Kontexten, in denen es verwendet wird, in verschiedenen Regionen oder Zeiträumen mit variierenden Wissensbausteinen ausgestattet sein. Einen besonderen Stellenwert bei der Konstruktion abstrakter Konzepte nehmen konzeptuelle Metaphern ein, die im Folgenden näher erläutert werden sollen.

30 Vgl. Tillas (2016) 190f.

Konzeptuelle Metaphern

2.3 Konzeptuelle Metaphern Schon in der antiken Rhetorik wird der Metapher eine besondere Stellung unter den semantischen Figuren zugeschrieben, wenn Quintilian von ihr als dem »sowohl häufigsten als auch bei weitem schönsten«31 Tropus spricht. So definiert sie bereits Aristoteles in seiner Poetik als »die Übertragung eines anderen Wortes, und zwar entweder von der Gattung auf die Art oder von der Art auf die Gattung oder von einer Art auf eine andere, oder nach den Regeln der Analogie.«32 Er hält damit fest, dass ein Wort, das grundsätzlich etwas anderes bezeichnet bzw. in einem anderen sprachlichen Kontext verwendet wird, übertragen wird, um in einem fremden sprachlichen Kontext gebraucht zu werden.33 Jedoch betont er in seiner Rhetorik, dass es sich bei Metaphern nicht etwa um sprachliche Besonderheiten handelt, sondern dass sie von allen Menschen in alltäglichen Gesprächen verwendet werden.34 So können sie zwar einerseits in poetisch-artifiziellen Kontexten als stilistische Schmuckmittel auftreten, bilden aber andererseits eine grundsätzliche Komponente menschlicher Kommunikation. Diesem zweitgenannten Aspekt widmet sich M. Black in seinen Schriften Metaphor (1954) und More about Metaphor (1977), in denen er die epistemische Relevanz von Metaphern hervorhebt.35 Die an ihn anschließende Forschung postuliert, dass Metaphern »weit mehr als nur rhetorische und poetische Sprachbilder oder banale Sprachblüten alltäglicher Konversation [sind] – sie sind ein kognitives Phänomen und grundlegend für das Denken.«36 Auf diesen epistemologischen Prämissen basiert die konzeptuelle Metapherntheorie nach G. Lakoff und M. Johnson.37 Unter einer konzeptuellen Metapher verstehen sie eine systematische Verbindung zwischen zwei konzeptuellen Domänen, von denen die eine als Zielbereich (target domain) und die andere als Ursprungsbereich (source domain) der metaphorischen Übertragung (metaphorical mapping) fungiert. Dabei werden bestimmte, jedoch keinesfalls alle Eigenschaften bzw. Aspekte des Ursprungsbereiches auf den Zielbereich übertragen. Metaphern erfüllen dabei die Funktion von mentalen Werkzeugen, indem zumeist abstrakte und komplexe Zielbereiche durch den metaphorischen Rückgriff auf konkretere, 31 Quint. inst. 8,6,4: cum frequentissimus est tum longe pulcherrimus [tropus], tralatione dico, quae metaphora Graece vocatur. 32 Aristot. poet. 21, 1457 b 7–9: μεταφορὰ δέ ἐστιν ὀνόματος ἀλλοτρίου ἐπιφορὰ ἢ ἀπὸ τοῦ γένους ἐπὶ εἶδος ἢ ἀπὸ τοῦ εἴδους ἐπὶ τὸ γένος ἢ ἀπὸ τοῦ εἴδους ἐπὶ εἶδος ἢ κατὰ τὸ ἀνάλογον. 33 Dass es sich bei der aristotelischen Definition der Metapher nicht etwa um eine Substitutionstheorie, sondern vielmehr um eine Vergleichstheorie mit kognitiver und erkenntnistheoretischer Fundierung handelt, stellt Eggs (2001) 1103-1107 heraus. 34 Aristot. rhet. III 6, 1404 b 34. 35 Dabei greift er im Wesentlichen auf Thesen von Richards (1936) zurück. 36 Huber/Zhou (2006) 68. 37 Grundgelegt in Lakoff/Johnson (1980).

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Abb. 2 Konzeptuelle Metapher mit exemplarischen Lexemmetaphern.

einfach strukturierte und meist sinnlich erfahrbare Ursprungsbereiche begreifbar gemacht werden.38 Konzise fasst dies auch R. Schmitt zusammen, indem er konstatiert, dass »[w]ir […] vorzugsweise komplexe, schwierig zu erfassende Phänomene in Bildern [denken], die einfacher gestalteten und älteren Erfahrungen entspringen. Die Analyse von Metaphern gibt daher eine Antwort auf die Frage, wie wir die Welt aus altbekannten Mustern konstruieren.«39 Anders als Black, der in seinen Schriften eine Interaktionstheorie postuliert, nehmen Lakoff und Johnson bei dem beschriebenen metaphorischen Wissenstransfer keine konzeptuelle Rückkopplung vom Ziel- auf den Herkunftsbereich an, sondern setzen voraus, dass die Projektion unidirektional verläuft.40 Spezifische

38 Siehe dazu Lakoff/Núñez (2000) 39: »Abstract concepts are typically understood, via metaphor, in terms of more concrete concepts.« 39 Schmitt (2011) 47. 40 Vgl. Lakoff/Turner (1989) 131f.

Darstellungsmodi und Vermittlungsstrategien

Eigenschaften werden somit nur von einem Bereich auf den anderen übertragen, ohne dass zugleich Aspekte des Zielbereichs auf den Ursprungsbereich abgebildet würden. Einen wichtigen Beitrag für die terminologische Schärfung der konzeptuellen Metapherntheorie hat P. Drewer geleistet, indem sie zwischen gedanklichem und sprachlichem Bereich differenziert. So bezeichnet sie die sprachlich artikulierten Komponenten der Metapher als Lexemmetaphern, die kognitiven Komponenten hingegen als konzeptuelle Metaphern.41 Ein anschauliches Beispiel bietet sie durch die im Deutschen nachgewiesene konzeptuelle Metapher Theorien sind Gebäude42 , die anhand alltäglich verwendeter Lexemmetaphern nachvollzogen werden kann.43 In verschiedenen Lexemmetaphern werden Eigenschaften, die aus dem semantischen Ursprungsbereich Gebäude stammen, auf den semantischen Zielbereich Theorien übertragen. Obwohl dabei klar ist, dass Theorien keine Gebäude im tatsächlichen Sinn sind, wird dennoch unser Verständnis von Theorien von einer solchen Übertragung geprägt: Wir »entwickeln, beurteilen und verstehen bestimmte Aspekte von Theorien in den Strukturen, in der Begrifflichkeit von Gebäuden (›in terms of‹, wie Lakoff und Johnson sagen).«44 Für die Konzeptualisierung der Welt und insbesondere für die Formierung abstrakter, nicht sinnlich greifbarer Konzepte erfüllen Metaphern also die Funktion »(metaphorisch ausgedrückt) geistige[r] Brücken für den menschlichen Verstand, sie bringen den menschlichen Geist dazu, eine Verbindung zwischen den involvierten, scheinbar unvereinbaren Konzept-Entitäten zu konstruieren.«45

2.4 Darstellungsmodi und Vermittlungsstrategien Konzepte des Weltuntergangs sind in verschiedenen Textsorten der griechischrömischen Antike überliefert und in diverse Kontexte eingebettet. Die Faktur eines spezifischen Textes bedingt somit unmittelbar den Darstellungsmodus, in dem ein konkretes Konzept präsentiert wird. Dieser ist durch sogenannte Vertextungsstrategien gekennzeichnet, unter denen »idealtypische Muster«46 sprachlicher Darstel-

41 Siehe dazu Drewer (2003). 42 In Arbeiten zur konzeptuellen Metapherntheorie hat es sich etabliert, die konzeptuellen Metaphern in Großbuchstaben zu setzen, um sie deutlich von den Lexemmetaphern abzuheben. 43 Das Beispiel orientiert sich an Drewer (2003) 7f. 44 Ebd. 9. 45 Schwarz (3 2008) 69. 46 Eroms (2 2014) 83.

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lung zu verstehen sind. Prominente »Grundformen für die Textbildung«47 sind das Erzählen, das Beschreiben, das Erklären und das Argumentieren,48 die zumeist nicht in ›Reinform‹ auftreten, sondern zu einem Textgefüge kombiniert werden. Da die überlieferten antiken Zeugnisse zeigen, dass Konfigurationen des Weltuntergangs sowohl in narrativen als auch deskriptiven, in explikativen wie auch argumentativen Textpassagen auftreten können, müssen diese mit einem entsprechend angepassten, literaturwissenschaftlich ausdifferenzierten Untersuchungsinstrumentarium analysiert werden.49 Trotz ihres scheinbar archivierenden Charakters handelt es sich bei solchen Texten dennoch stets um Kommunikationsmittel, durch die Inhalte tradiert werden und die sich dabei bestimmter Vermittlungsstrategien bedienen, »welche das Geschilderte den Rezipienten plausibel machen sollen.«50 Dafür können einerseits detailreiche Narrative entworfen werden, die den Rezipienten die erzählte Welt so plastisch vor Augen stellen, dass sie sich in die geschilderte Szenerie versetzt fühlen: »By ›seeing‹ and ›hearing‹ the events, the listener becomes deeply involved in the narrative, as the distance to the narrative world seems to be reduced to zero: the events appear to take place in front of the listener […]. Such effects will often result not only in cognitive but also in emotional involvement of the audience.«51

Zusätzlich zur ausführlichen Darstellung können die Adressaten als ›Augenzeugen‹ des Geschehens inszeniert werden. Dafür richtet sich die Autor-persona direkt an sie und fordert sie etwa dazu auf, das Geschilderte mitzuerleben, mitzustaunen oder mitzuleiden. Die durch solche narrativen Strategien erzielte Immersion vermittelt den Rezipienten den Eindruck, Teil des Geschehens zu sein und die evozierte Gefahr hautnah mitzuerleben.52 Andererseits bedienen sich einige Texte persuasiv-rhetorischer Strategien, um ein evoziertes Konzept zu legitimieren und zu autorisieren. So kann die Vermittlungs47 Ebd. 48 Siehe ausführlich zu diesen »Grundformen thematischer Entfaltung« Brinker/Cölfen/Pappert (9 2018) 56–76. 49 Wichtige Anregungen hierzu stammen aus den Bereichen der Narratologie, des sogenannten New Criticism, der Intertextualitätstheorien und der historischen Diskursanalyse. Die in der folgenden Untersuchung verwendete narratologische Terminologie orientiert sich an Martínez/Scheffel (9 2012). Für das zentrale Prinzip des New Criticism, das close reading, siehe Wenzel (2004). Wichtige Beiträge zu Intertextualität und kulturellem Wissen stellen Gymnich/Neumann/Nünning (2006) zusammen. 50 Landwehr (2 2009) 114. 51 Allan/de Jong/de Jonge (2017) 36. In der antiken Literaturkritik wird diese Wirkung zumeist mit den Begriffen enargeia (ἐνάργεια), ekstasis (ἔκστασις) oder enagōnios (ἐναγώνιος) beschrieben. 52 Vgl. de Jonge (2012) 280f. Siehe dazu etwa auch Long. sublim. 26,1.

Darstellungsmodi und Vermittlungsstrategien

instanz etwa an die sinnliche Alltagserfahrung der Rezipienten appellieren, um eine Argumentationskette zu bekräftigen. Der Rekurs auf anerkannte Autoritäten stellt ebenfalls ein probates Mittel dar, um die Glaubwürdigkeit einer präsentierten Konzeption zu betonen. Zu diesem Zweck können intertextuelle Verweise in den Text eingefügt werden, indem direkt aus dem Werk einer autoritätsstiftenden Instanz zitiert, deren Position paraphrasiert oder nur indirekt auf deren Meinung angespielt wird.53 Darüber hinaus können auch (semi)mythische personae wie Götter, Empfänger göttlicher Offenbarungen und kulturstiftende Heroen angeführt werden, denen besondere Einsichten in ansonsten unzugängliche Wissensbestände zugeschrieben werden. Durch solche Legitimierungsstrategien wird eine metatextuelle Ebene eröffnet, auf der den Rezipienten suggeriert wird, dass nicht nur die textinterne Vermittlungsinstanz die präsentierten Wissensbausteine vertritt, sondern diese auch durch die Kompetenz verschiedener anderer Referenzen gestützt werden. Einerseits ist also davon auszugehen, »dass die Menschen, die die Texte […] produziert haben […], mit der Produktion dieser Texte Ziele verfolgen, also durchaus eine Rezeptionssituation vor Augen und Vorstellungen darüber haben, was die Rezipienten mit dem Text anfangen sollen (z. B. welche Wissensänderungen, welche Handlungen auf die Rezeption folgen sollen).«54 Andererseits steht einer solchen »Autor-Intention« die individuelle Interpretation der Rezipienten gegenüber, die auch als reader-response bezeichnet wird.55 Besonders der wirkungstheoretische Zweig der Rezeptionsästhetik, der maßgeblich durch W. Iser innerhalb der »Konstanzer Schule« ausgeformt wurde, fokussiert diese Perspektive und postuliert zugleich, dass in Texten bestimmte Leerstellen enthalten sind.56 Diese müssen von den Rezipienten mit Wissensbausteinen ergänzt werden, die einerseits dem kulturellen Wissen, andererseits ihrem individuellen Erfahrungswissen entstammen, um einen präsentierten Inhalt kognitiv zu komplementieren. Demnach wird ihnen eine »aktive, konstituierende Rolle«57 zuerkannt, die maßgeblich zur individuellen Sinnkonstruktion beiträgt. Wird in einem Text also ein Konzept evoziert, ist auch dieses notwendigerweise mit einer variierenden Anzahl von Leerstellen versehen. Diese müssen wiederum von den Rezipienten ausgefüllt werden, damit sich eine für sie kohärente Konzeption ergeben kann. Weltuntergangskonzepte werden in der vorliegenden Untersuchung demnach als mentale Konfigurationen verstanden, die aus Elementen kulturellen Wissens zusammengefügt sind und ihrerseits kulturelles Wissen konstituieren. Aufgrund ihres 53 54 55 56 57

Siehe dazu etwa Tischer (2010). Busse (2014) 39. Vgl. Davis/Womack (2002) bes. 51–53. Siehe dazu etwa Iser (4 1994) 284–301. Köppe/Winko (2 2013) 87.

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abstrakten Charakters sind die einzelnen Konfigurationsmöglichkeiten ausgesprochen dynamisch und können in verschiedenen Kontexten flexibel variiert werden. Um spezifische Charakteristiken herauszuarbeiten und Konzeptbestandteile zu extrahieren, werden zunächst diachron Texte, in denen Konzepte des Weltuntergangs dargestellt werden, einem close reading unterzogen. Des Weiteren wird danach zu fragen sein, mit welchen narrativen, intertextuellen und rhetorisch-persuasiven Strategien das jeweilige Konzept präsentiert, vermittelt und autorisiert wird und welche Leerstellen dabei von den Rezipienten zu füllen sind. In diesem Kontext soll ebenfalls ermittelt werden, welche konzeptuellen Metaphern verwendet werden, um abstrakte Phänomene durch den Rückgriff auf konkretere, einfach strukturierte konzeptuelle Domänen begreifbar zu machen. »Konzeptuelle Synthesen« sollen im Anschluss an die Einzeluntersuchung pointiert aufzeigen, welche Wissenselemente für welche Zeiträume prominent auftreten, welche Konzepte für welche Kontexte funktionalisiert werden und welche Entwicklungen sich bei der Formierung der Konzepte nachvollziehen lassen.

3. Die große Flut als Element erinnerter Vergangenheit in der griechischen Literatur

Konzepte vom Untergang der Welt werden in der vorchristlichen griechischen Literatur vor allem innerhalb von zwei Diskursarten – den Vergangenheits- und den naturphilosophischen Diskursen – verhandelt und deshalb in Textsorten repräsentiert, die für diese Diskurse spezifisch sind. Daraus ergibt sich die Gliederung der folgenden Kapitel: Zunächst soll – nach einem kurzen Exkurs zur Sintflut in der altorientalischen Literatur – die Flutkatastrophe im Rahmen der griechischen Vergangenheitsdiskurse untersucht werden. Hier begegnen Konzepte zurückliegender Flutereignisse, die oftmals als Korrektur einer früheren, defizitären Welt imaginiert werden und die Gegenwart der Autoren begründen. Wie sich zeigen wird, sind die Grenzen zwischen Mythos und konstruiertem Vergangenheitshorizont dabei fließend. Der darauffolgende Untersuchungsschritt befasst sich mit zyklischen Konzepten von Vergehen und Neukonsolidierung der Welt in der vorsokratischen Naturphilosophie sowie deren Rezeption und Transformation in den Werken von Platon und Aristoteles. Dabei muss vorausgeschickt werden, dass gerade die Konzeptionen der sogenannten Vorsokratiker aufgrund der sekundären und fragmentarischen Überlieferung lediglich umrissen werden können. Deshalb wird der Fokus vor allem auf der Frage liegen, wie ihre Lehren rezipiert und adaptiert worden sind, um im neuen Kontext verwendet werden zu können. Dennoch sollen zum Zweck der Einordnung und Kontextualisierung einige Grundannahmen ihrer philosophischen Systeme skizziert werden, da diese für das Verständnis der platonischen und aristotelischen Darstellungen unerlässlich sind.

3.1 Die Erinnerung an den Untergang – Der Kataklysmos im Rahmen der griechischen Vergangenheitsdiskurse In der Forschung zu universellen und spezifischen Konzepten sind Flutvorstellungen verschiedener Größenordnungen – variierend von der Imagination einzelner Flutereignisse, die Teile der Welt zerstören, bis hin zu Überschwemmungen globalen Ausmaßes – intensiv behandelt. Dieses umfassende Interesse an biblischen wie auch außerbiblischen Zeugnissen für Kataklysmen wurde maßgeblich durch einen Vortrag des britischen Assyriologen George Smith am 3. Dezember 1872 initiiert: Smith präsentierte dabei erstmalig ein übersetztes Fragment der elften Tafel

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Die große Flut als Element erinnerter Vergangenheit in der griechischen Literatur

des Gilgameš-Epos,1 das von einer globalen Flut berichtet. Durch die Entdeckung dieser Erzählung, die offenkundig älter als die hebräisch-biblische Darstellung der Sintflut Noahs war, wurde deutlich, dass es sich bei der jüdischen Variante um eine literarische Neuinterpretation des mesopotamischen Flutmythos handeln musste.2 Zugleich entstanden seit dem Ende des 19. Jahrhunderts zahlreiche Anthologien von weltweit verbreiteten Fluterzählungen, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede solcher Vorstellungen in verschiedenen Kulturen zusammengestellt haben. Solche Kompilationen verfolgten vor allem den Anspruch, möglichst viele Zivilisationen verschiedener Epochen zu berücksichtigen, um das geradezu universelle Auftreten von Flutvorstellungen nachzuweisen.3 Einige Forscher sahen in diesen weltweit verbreiteten Flutberichten zunächst einen Beleg für die traditionelle Diluvial-Theorie, die besagt, dass die gesamte Erde in der Vergangenheit tatsächlich überflutet worden sei und sich dadurch die gegenwärtige Erscheinung der Welt ausgeprägt habe.4 Dieser Ansatz konnte sich jedoch in der Geologie nicht erneut durchsetzen, da sich das Paradigma um Glaziale und Interglaziale als alternatives Erklärungsmodell bereits seit der Mitte des 19. Jahrhunderts zu etablieren begann.5 Um die globale Verbreitung von Flutnarrativen zu erklären, wurden verschiedene kulturanthropologische, psychoanalytische und naturwissenschaftliche Ansätze beigezogen. Solche Zugänge hat zuletzt M. Witzel in seinem 2012 erschienen Werk The Origins of the World’s Mythologies abgelehnt, in dem er selbst eine ausgesprochen kontrovers diskutierte These6 vertritt: Witzel wendet »die kladistischen Modelle biologischer Taxonomien auf den Mythos an«,7 und führt die Parallelen in den Mythologien scheinbar voneinander unabhängiger Kulturen darauf zurück, dass bestimmte mythische »archetypes« bereits von den Vorfahren dieser Völker mündlich tradiert und in der Welt verteilt worden seien, wobei er diese in »Gondwana and Laurasian mythologies« – nach der geologischen Bezeichnung urzeitlicher Landmassen – untergliedert.8 Da das Flutmotiv jedoch global verbreitet sei, müsse

1 Der Vortrag wurde publiziert als Smith, George, The Chaldean Account of the Deluge, in: Transactions of the Society of Biblical Archaeology 2 (1873) 213–234. 2 Vgl. Kratz (2013) 179–186. Für eine umfangreiche Einordnung der Noah-Erzählung in den Kontext mesopotamischer Fluterzählungen vgl. etwa Noort (1999). 3 Erste Sammlungen des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts geben neben anderen Andree (1891); Winternitz (1901); Dähnhardt (1907) I 257–294; Frazer (1918) I 104–361. Riem (1925) stellt über 320 Erzählvarianten zusammen und veranschaulicht deren globale Verbreitung durch Kennzeichnung auf einer Weltkarte. Eine Zusammenstellung und Beschreibung der Sammlungen hat Lang (1985) erarbeitet. 4 Zur Geschichte der Diluvial-Theorie vgl. Kempe (2003) bes. 30–72; 136–140. 5 Vgl. Müller-Beck (2 2009) 13–17. 6 Vgl. zur Kontroverse etwa die Rezensionen von Thompson (2013), Smith (2013) und Allen (2014). 7 George (2016) 7. 8 Vgl. Witzel (2012) 8–20.

Die Erinnerung an den Untergang – Der Kataklysmos im Rahmen der griechischen Vergangenheitsdiskurse

die Entstehung dieses Mythos sogar noch früher datiert werden.9 Tatsächlich hat sich gezeigt, dass einerseits naturwissenschaftliche Ansätze, die eine reale Katastrophe – etwa die Überflutung des Schwarzen Meeres – hinter den im Mittelmeerraum aufgetretenen Erzählungen nachzuweisen versucht haben, keine überzeugenden Resultate vorweisen konnten10 und andererseits auch einige psychoanalytische Erklärungsversuche nicht plausibel sind.11 Im Gegenzug kann der Ansatz Witzels jedoch bestenfalls als spekulativ bezeichnet werden, da das von ihm angeführte Quellenmaterial keine eindeutigen Rückschlüsse erlaubt.12 Zudem konnotiert Witzel die von ihm konstruierten Kategorien von »Gondwana and Laurasian mythologies« mit eindeutigen Wertungen, nach welchen die Gondwana-Mythologie der Laurasia-Mythologie defizitär gegenüberstünde. Diese These wird von T. Thompson treffend kritisiert: »The book’s main claim is explicitly racist. I define ›racist‹ here simply as any argument that seeks to categorize large groups of people utilizing a bio-cultural argument (›race‹), and that further describes one such group as essentially better, more developed, less ›deficient,‹ than the other(s). The book claims that there are two races in the world, revealed by both myth and biology: the dark-skinned ›Gondwana‹ are characterized by ›lacks‹ and ›deficiencies‹ (e. g., xi, 5, 15, 20, 88, 100, 105, 131, 279, 280, 289, 290, 313, 321 315, 410, 430, 455) and are labeled ›primitive‹ (28) at a ›lower stage of development‹ (28, 29, 410), while the noble ›Laurasian‹ myths are ›our first novel,‹ the only ›true‹ creation stories, and the first ›complex story‹ (e. g., 6, 54, 80, 105, 321, 372, 418, 421, 430), which the Gondwana never achieved.«13

Insofern kann The Origins of the World’s Mythologies als umfangreiche Sammlung weltweit verbreiteter Mythen, jedoch nicht als theoretisches Grundlagenwerk anerkannt werden.

9 Ebd. 179: »[…] The flood motif is so widespread and universal that is must be very old and must have been taken over from the original tales of the ›African Eve‹.« 10 Die von Ryan u. a. (1997) vertretene Theorie einer abrupten Flutung des Schwarzen Meeres, die zur Herausbildung von Flutmythen geführt habe, wurde seitdem durch verschiedene geologische und paläologische Untersuchungen entkräftet. Vgl. dazu etwa Yanko-Hombach u. a. (2007) und Giosan u. a. (2009). 11 Witzel (2012) 179 verweist als Extremfall auf »psychological explanations as that of A. Dundes connecting men’s wish to give birth and the salty floods with a nightly vesical dream.« Zur Verbindung von Flut und männlichem Wunsch nach Gebärfähigkeit vgl. Dundes (1988) und zur Verbindung von Flut und Enuresis nocturna vgl. Róheim (1952). 12 Siehe dazu Thompson (2013): »The ›theory‹ (I would say hypothesis) is implausible (in terms of data, scholarship, logic, internal plausibility, etc.), even more so than quasi-academic concepts, like Nostratic, which it relies on as proven fact.« 13 Thompson (2013).

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Die große Flut als Element erinnerter Vergangenheit in der griechischen Literatur

Ein alternativer Ansatz, der bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts prominent von J. G. Frazer vertreten wurde, versucht die Mythen um Flutkatastrophen als Produkte realer Erfahrungen mit Wasser in Form von anhaltenden Regengüssen sowie mit Gewässer- und Flussüberschwemmungen abzuleiten.14 Auf den ersten Blick gleicht diese These zwar dem naturwissenschaftlichen Ansatz, konkrete Katastrophen als Auslöser auszumachen, birgt jedoch lohnende Anregungen für weiterführende Gedankengänge: Negative Erfahrungen, die regionale Überschwemmungskatastrophen erzeugt haben könnten, könnten zu einer bestimmten kulturellen Semantik des Wassers geführt haben. In seiner dichotomen Bedeutung – einerseits als Grundlage des Lebens und Mittel zur Reinigung, andererseits als Zerstörer menschlicher sowie natürlicher Strukturen – ist das Wasser geradezu prädestiniert als Element der Auflösung und Neukonsolidierung zu fungieren. So wird etwa die purgative Qualität des Salzwassers in der homerischen Ilias hervorgehoben, wenn Odysseus und Diomedes von ihrer nächtlichen Mission ins Lager der Griechen zurückkehren und sich zunächst in den Fluten des Meeres baden.15 An einer späteren Stelle desselben Werkes wird zudem die Semantik des Wassers als göttliches Bestrafungsmittel im Rahmen eines Gleichnisses aufgerufen, das die Lautstärke der schnaubenden troischen Rosse hervorheben soll: ὡς δ’ ὑπὸ λαίλαπι πᾶσα κελαινὴ βέβριθε χθὼν ἤματ’ ὀπωρινῷ, ὅτε λαβρότατον χέει ὕδωρ

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Ζεύς, ὅτε δή ῥ’ ἄνδρεσσι κοτεσσάμενος χαλεπήνῃ, οἳ βίῃ εἰν ἀγορῇ σκολιὰς κρίνωσι θέμιστας, ἐκ δὲ δίκην ἐλάσωσι, θεῶν ὄπιν οὐκ ἀλέγοντες τῶν δέ τε πάντες μὲν ποταμοὶ πλήθουσι ῥέοντες, πολλὰς δὲ κλιτῦς τότ’ ἀποτμήγουσι χαράδραι

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ἐς δ’ ἅλα πορφυρέην μεγάλα στενἀχουσι ῥέουσαι ἐξ ὀρέων ἐπὶ κάρ, μινύθει δέ τε ἔργ’ ἀνθρώπων· ὣς ἵπποι Τρῷαι μεγάλα στενάχοντο θέουσαι.16

Wie aber die ganze schwarze Erde von einem wirbelnden Sturm schwer belastet daliegt an einem Herbsttag, wenn Zeus überaus ungestümes Wasser strömen lässt, da er nämlich über die Männer zürnend hineinbricht, die in der Versammlung verdrehte Gesetze mit

14 Vgl. Frazer (1918) I 342–361. 15 Hom. Il. 10,572–576. 16 Hom. Il. 16,384–393. Einen ausführlichen Kommentar zur Stelle mit weiterer Literatur bietet Brügger (2016) 172–178, der jedoch keine Verbindung zu einem Kataklysmos zieht.

Die Erinnerung an den Untergang – Der Kataklysmos im Rahmen der griechischen Vergangenheitsdiskurse

Gewalt entscheiden und das Recht vertreiben, wobei sie die drohende Rache17 der Götter missachten: Deren (scil. der Männer) fließende Flüsse füllen sich alle an, und Ströme durchpflügen auf einmal Berghänge und brausen laut, wobei sie ins große, anschwellende Meer fließen, kopfüber von den Bergen, und die Werke der Menschen schwinden: So schnaubten laut die troischen Rosse, während sie rannten.

Mit Blick auf das Motiv einer globalen Flut, die im griechischen Raum erst nach den homerischen Epen literarisch bezeugt ist,18 ist dieses Wettergleichnis besonders interessant, da es eine Verbindung zwischen menschlichem Fehlverhalten und göttlicher Vergeltung konstruiert: Gewisse Männer handeln mit Gewalt gegen das Recht (δίκη)19 und werden dafür von Zeus durch übertretende Flüsse und die mit ihnen einhergehende Zerstörung gestraft.20 Gerade das evozierte Bild der Bergflüsse, die auf ihrem Weg zum Meer alles mit sich reißen, unterstreicht den Prozess der Zerstörung bzw. Auflösung menschengemachter (landwirtschaftlicher21 ) Strukturen (ἔργα ἀνθρώπων). Der angedeutete literarische Raum wird von oben mit dem Entspringen des Bergflusses nach unten zum Meer hin mit allem, was sich dazwischen befindet, aufgelöst. Bereits an diesem Beispiel lässt sich deutlich erkennen, dass die Semantik des zerstörenden Wassers in der griechischen Literatur zu einer Zeit nachweisbar ist, in der der Mythos einer globalen Überschwemmung noch nicht schriftlich überliefert wurde. Auf Elemente dieser poetischen Schilderungen, wie sie etwa in der homerischen Ilias auftreten, konnten spätere Autoren wiederum rekurrieren, um ihre Sintflutkonzepte literarisch auszugestalten. In der Forschung des 20. und 21. Jahrhunderts, die sich dezidiert mit den Flutnarrativen in der griechischen Literatur beschäftigt, sind vor allem zwei Themenkomplexe ausführlich behandelt worden: Zum einen die Frage, ab wann und in welchen geographischen Gebieten die Vorstellung einer globalen Flut im griechischen Raum verbreitet gewesen ist, und zum anderen, in welchem Abhängigkeitsverhältnis der

17 θεῶν ὄπις meint den Blick der Götter, der jedoch die Strafe bei einem Vergehen impliziert; vgl. dazu ebd. 176 mit weiterer Literatur zu ähnlichen Konzepten des göttlichen Blickes in orientalischen Kulturen. 18 Scodel (1982) 40–50 sowie West (1997) 377–380 postulieren Anklänge an den Flutmythos in Hom. Il. 12,3–35, da diese Verse ankündigen, dass der Wall der Achaier durch Flüsse und Regengüsse zerstört werden wird. Siehe dazu auch Fenno (2005). 19 Zum Konzept der δίκη bei Homer und Hesiod vgl. Dickie (1978) bes. 98. 20 Vgl. Brügger (2016) 177, der auf weitere Hochwassermotive in Hom. Il. 4,452; 5,87f.; 11,492f.; sowie Hom. Od. 19,207 verweist. 21 Janko (1992) 367 deutet die ἔργα ἀνθρώπων als »›fields‹, especially the laboriously constructed terraces so ubiquitous in Greece.«

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Die große Flut als Element erinnerter Vergangenheit in der griechischen Literatur

Mythos um den Überlebenden der Flut Deukalion und dessen Frau Pyrrha zu den früher bezeugten mesopotamischen Flutsagen steht.22 Beide Fragestellungen sehen sich mit der grundsätzlichen Problematik der Überlieferungslage konfrontiert, da umfangreiche Darstellungen des Mythos in Form von ausgestalteten Erzählungen im griechisch-römischen Bereich erst in den Metamorphosen Ovids und in der Bibliotheke Pseudo-Apollodors tradiert sind.23 Ältere griechische und lateinische Zeugnisse bieten ausschließlich fragmentierte Anspielungen, die im jeweiligen Werkkontext eine textsortenorientierte Absicht verfolgen, und deshalb nur Auszüge der Erzähltradition des Mythos enthalten. Dennoch ist davon auszugehen, dass solche Allusionen auf das kulturelle Wissen der Rezipienten rekurrieren, um ihre Aussagewirkung entfalten zu können, und dass diese Rezipienten somit die narrativen Leerstellen im Sinne einer reader-response24 ausgefüllt haben. Im Gegensatz zu diesen spärlichen Zeugnissen lassen sich im vorderorientalischen Raum bereits im 2. Jt. v. Chr. umfangreiche Narrative nachweisen, die ein globales Flutgeschehen thematisieren. Den frühesten altorientalischen Beleg für die Vorstellung einer globalen Flut, die in der Vergangenheit stattgefunden hat, bietet die sumerische Königsliste,25 deren ältester derzeit bekannter Textzeuge in der Regierungszeit des Šulgi (ca. 2094–2047 v. Chr.) verfasst wurde.26 Diese chronologische Herrscherfolge bietet in einigen Fassungen die Unterscheidung von Königen vor der Flut und nach der Flut, wobei diese als einschneidendes Ereignis erscheint, da die Lebenszeit der postdiluvialen Könige größtenteils »auf das Normalmaß von Sterblichen«27 reduziert ist. Eine nur noch fragmentarisch erhaltene sumerische Erzählung des Flutgeschehens in der sogenannten Eridu Genesis28 enthält den Beschluss der Götter, besonders des Himmelsgottes An und des höchsten Gottes Enlil, die Menschheit durch eine globale Flut zu vernichten. In der Funktion

22 Den ausführlichsten Versuch, diesen Fragen nachzugehen, bietet die Monografie von Caduff (1986) bes. 121–132. Seine Untersuchung kommt jedoch lediglich zu dem Schluss, dass es wahrscheinlich sei, »daß das Vorkommen von Flutsagen im selben Gebiet, in dem parallele Traditionen zu den nach Griechenland übertragenen hethitischen Mythen zu belegen sind, mit den anderen Indizien zusammen auf orientalischen Einfluß in der Deukalionsage hinweist« (131). 23 Siehe unten Kap. 6.2. 24 Siehe oben Kap. 2.4. 25 TUAT I/4 328–337. Wilcke (1999) 66 verweist zudem auf den sogar noch früheren Gebrauch der sumerischen und akkadischen Termini für die Flut in anderen Kontexten und schließt daraus, dass die Flutsage »im Bewusstsein der Bevölkerung sehr gegenwärtig« war. 26 Vgl. Steinkeller (2003). 27 Kratz (2013) 173. 28 TUAT III/3, 448–458. Jacobsen (1981) 513 datiert die Tafel auf etwa 1600 v. Chr.

Die Erinnerung an den Untergang – Der Kataklysmos im Rahmen der griechischen Vergangenheitsdiskurse

eines »Tricksters«29 tritt der Weisheitsgott Enki auf, der einem frommen König namens Ziusudra (»Leben-ferner-Tage«30 ) heimlich die Pläne der Götter enthüllt und ihm nahelegt, ein Schiff zu erbauen, um sich, seine Familie und die Tierwelt zu retten. Nachdem die Flut sieben Tage und Nächte gewütet hat, kehrt der Sonnengott Utu zurück und die Wassermassen weichen. Ziusudra beweist erneut seine Frömmigkeit durch zahlreiche Ochsen- und Schafopfer sowie dadurch, dass er sich vor Utu, Enlil und An niederwirft, woraufhin ihm die Unsterblichkeit gewährt und er in das paradiesische Land Dilmun entrückt wird. Die Erzählung ist aufgrund ihrer fragmentarischen Überlieferung mit zahlreichen Lücken durchzogen, die Fragen etwa nach der Begründung der Flut oder der Wiederbevölkerung der Welt unbeantwortet lassen. Auf der bereits erwähnten elften Tafel des Gilgameš-Epos31 berichtet der Überlebende der Sintflut, der hier den Namen Uta-napišti (»Ich-fand-Leben«32 ) trägt, als intradiegetisch-homodiegetischer Erzähler von dem Untergangsereignis, das er als »Geheimnis der Götter« (V. 10) bezeichnet, nachdem Gilgameš gefragt hatte, wie Uta-napišti die Unsterblichkeit erlangt hat. Eine Begründung, warum die Götter beschlossen haben, die Menschheit zu vernichten, wird auch hier nicht gegeben.33 Bemerkenswert ist jedoch die Drastik, mit der die Flut beschrieben wird: »Kaum daß die Morgenröte zu leuchten begann, stieg aus dem Fundament des Himmels eine schwarze Wolke empor. Tief aus ihr brüllte Adad ohne Unterlaß, und es gehen ihm Schullat und Hanisch voran, die ›Thronträger‹ gehen einher über Berg und Land. Errakal reißt die Pflöcke heraus, es geht Ninurta einher. Die Wehre ließ er überquellen. Die Unterweltsgötter erhoben Fackeln, und mit ihrem Feuerglanz setzen sie das Land in Flammen. Adads Totenstille fuhr am Himmel entlang. Dann kehrte alles, das Licht war, zur Finsternis zurück. Er trampelte nieder das Land wie ein Ochse, wie einen Tontopf zerschmetterte er’s. Einen ersten Tag walzte der Sturm das Land nieder. Rasend brauste er einher. Dann aber brachte der Ostwind die Sintflut. Wie ein Schlachtengemetzel ging die Wucht der Flut über die Menschen hinweg. Der Bruder kann seinen Bruder nicht sehen, noch erkennen die Menschen einander in der Vernichtung. Selbst die Götter packte da vor der Sintflut die Angst! Sie wichen zurück, sie hoben sich fort in den Himmel des

29 Zur Figur des »Tricksters« in kulturvergleichender Perspektive vgl. Burkert (1982) 70 mit weiterer Literatur. 30 Vgl. Wilcke (1999) 67. 31 Eine kritische Edition der Keilschriftzeugnisse bietet George (2003) und deren Neuübersetzung Maul (5 2012). George (2003) 18 datiert die endgültige Fassung des Epos auf das späte 2. Jt. v. Chr. 32 Vgl. Wilcke (1999) 67, der darauf hinweist, dass der Name mit der Suche des Gilgameš nach ewigem Leben korrespondiert. 33 Jedoch wird das Wissen über die Begründung der Flut wohl bei den impliziten Rezipienten vorausgesetzt.

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Anum. Da kauern die Götter im Freien, eingerollt in sich selbst so wie Hunde. Laut schreit die Göttin auf […]: ›Wahrlich, jener (uranfängliche) Tag ist deshalb wieder zu Lehm geworden, weil ich in der Götterversammlung Böses sprach! Wie konnte ich nur in der Götterversammlung Böses sprechen und, um meine Menschen auszurotten, Krieg erklären? […] Wie Fische im Schwarm füllen sie (jetzt) das Meer!‹ […] Sechs Tage und sieben Nächte lang gehen Wind und Wetter, Sturm und Sintflut brausend einher. Doch als der siebente Tag anbrach, da begann der Sturm sich aufzuhellen, die Sintflut nahm ein Ende.«34

Das Untergangsszenario ruft zunächst auf visueller Eben eine tiefe Dunkelheit auf, die durch die schwarze Wolke ausgelöst wird. Zugleich wird der akustische Aspekt des Donnerns durch das Brüllen des Wettergottes Adad unterstrichen, dem seine göttlichen Diener Schullat und Hanisch als Vorboten des Sturmes vorangehen. Als weiterer Akteur tritt der Gott Errakal hinzu, der durch das Entfernen der Pflöcke die kosmischen Wasser freisetzt, die im Himmel und unter der Erde verborgen sind.35 Illuminiert wird diese Finsternis anschließend durch die drohenden Unterweltsgötter, die das Land in Brand setzen. Die Erzählung pausiert, indem die Totenstille Adads genannt wird, die die Ruhe vor dem gewaltigen Sturm umschreibt, um dann jedoch zur Finsternis und der Gewalt des Unwetters zurückzukehren, die im Bild des trampelnden Ochsen und des zerschmetterten Tontopfes verdeutlicht wird. In klimaktischer Steigerung werden die Bedrohlichkeit des Sturms und der eintretenden Flut durch einen Kriegsvergleich illustriert. Dabei findet ein Fokalisierungswechsel statt, indem von der Nullfokalisierung des auktorialen Erzählers36 zur multiplen internen Fokalisierung von Menschen und Göttern gewechselt wird, um deren angsterfüllte Reaktion auf die Schrecken der Flut zu verdeutlichen, wobei für die Götter in ihrer Furcht sogar verängstigte Hunde als Vergleichsobjekte herangezogen werden. Dadurch wird deutlich, dass den Göttern, die diese Zerstörung im Götterrat beschlossen haben, die unmittelbaren Folgen bzw. deren Einfluss auf sie selbst nicht bewusst gewesen sind.37 Dies wird in der folgenden metadiegetischen Rede der Muttergöttin offensichtlich, die ihre Entscheidung zutiefst bereut.

34 Gilgameš-Epos, Tafel 11,96–131. Übersetzung nach Maul (5 2012) 143f. 35 Vgl. ebd. 187. 36 Obwohl es sich um eine homodiegetische Erzählung handelt, wird das Flutszenario aus der Perspektive eines auktorialen Erzählers berichtet, was möglicherweise unterstreicht, dass Uta-napišti mehr Gott als Mensch ist. 37 Auch hieran zeigt sich, wie stark die Götter in den altorientalischen Epen anthropomorphisiert sind. Gerade für diese mythische Vorzeit werden sie als Teil der irdischen Welt gedacht und sind dadurch auch von solchen katastrophalen Ereignissen betroffen.

Die Erinnerung an den Untergang – Der Kataklysmos im Rahmen der griechischen Vergangenheitsdiskurse

Ihr abschließendes Gleichnis unterstreicht das verheerende Ergebnis der Überschwemmung und die Umkehr der natürlichen Verhältnisse: Ein Lebensraum, der eigentlich Fische beheimatet, wird nun zu einem Todesraum für die Menschheit. Nach diesem ausgestalteten Untergangsszenario werden die folgenden Tage stark gerafft erzählt, um zum Ende der Sintflut überzuleiten, welches darin resultiert, dass die Dunkelheit vom Licht abgelöst wird. Eine Begründung dafür, warum der größte Teil der Menschheit vernichtet wird, bietet das altbabylonische Atram-ḫasīs-Epos, das in seiner am ausführlichsten erhaltenen Variante von der Hand des Ipiq-Aja stammt und auf das Jahr 1636/1635 v. Chr. datiert wird.38 Um diese verstehen zu können, ist es jedoch zunächst wichtig, nachzuvollziehen, welche Ausgangssituation im Epos für die Erschaffung der Menschheit vorliegt: Die irdischen Götter (Igigi) rebellieren gegen die höheren Götter (Anunna) und gegen den Götterfürsten Enlil,39 indem sie sich weigern weiterhin die auf ihnen lastende harte Arbeit zu verrichten, die vor allem darin besteht das Land für die Ernährung aller Götter nutzbar zu machen.40 Infolge dieses Aufstandes werden auf den Rat des Weisheitsgottes Ea/Enki die Menschen von der Muttergöttin Beletili aus dem Blut und Fleisch des geschlachteten Anführers der Aufständischen sowie aus Lehm und dem Speichel der höheren Götter geschaffen, um die mühsamen Dienste zu erledigen.41 Diese Schöpfung erweist sich jedoch als problematisch, da sich die Menschen unkontrolliert vermehren und

38 Vgl. Wilcke (1999) 68f. Eine Edition des Epos bieten Lambert/Millard (1969). Siehe dazu auch Gindhart (2016). 39 Den Höhepunkt des Aufstandes bildet die Belagerung des Palastes von Enlil, der sich vor den Aufständischen fürchtet (Atram-ḫasīs-Epos, Tafel 1,80–96) und sogar seine Herrschaft an den Aufstandsführer zu übergeben gedenkt (Atram-ḫasīs-Epos, Tafel 1,170–173). 40 Die Herausforderungen, die reichen Wasservorkommen des Zweistromlandes nutzbar zu machen, um die Bevölkerung versorgen zu können, stellt Maul (2007) 170 heraus: »Im semiariden Klima des südlichen Zweistromlandes ist Regenfeldbau nicht mehr möglich. So ist Ackerbau dort auf das Wasser von Euphrat und Tigris angewiesen. Aber anders als in Ägypten, wo der Nil die fruchtbaren Wasserfluten zur rechten Zeit vor der Feldbestellung bringt, ist im südlichen Mesopotamien das Wasser dann besonders knapp, wenn es benötigt wird. Viel zu spät, erst wenn die Zeit der Ernte gekommen ist, bringen die langsam fliessenden Ströme Euphrat und Tigris die reichlichen Schmelzwasser aus den Gebirgen Anatoliens und Irans heran. Dann aber droht die Wasserflut zur Unzeit die Ernte zu ertränken und das Land zu überschwemmen. Der Wasserreichtum des Landes kann daher nur gewinnbringend genutzt werden, wenn eine überregionale Führungsmacht dauerhaft sicherstellt, dass durch die harte, disziplinierte und koordinierte Arbeit von vielen Tausenden das Land von einem ausgeklügelten Kanalsystem durchzogen wird.« 41 Atram-ḫasīs-Epos, Tafel 1,181–187; 200–203; 208–215; 231–234. Kratz (2013) 175 liest diese Schöpfungsepisode als »zweifache Ätiologie: für die Entwicklung der menschlichen Zivilisation und für den Opferkult.«

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einen Lärmpegel erzeugen,42 der Enlils heilige Ruhe stört.43 Um diesen Missstand zu beheben, ordnet der Herrscher der Götter mehrere Plagen zur Dezimierung der Menschheit an (Kältefieber, Dürre, Hungersnot), die jedoch abgewendet werden können, indem Ea/Enki dem Helden Atram-ḫasīs (»Überaus-weise«44 ) rät, dass die Menschen allein demjenigen Gott opfern sollten, der das Unglück verursache, um diesen sowohl gegenüber den Menschen als auch den anderen Göttern zu beschämen.45 Nachdem diese Sanktionen also keinen Erfolg hatten und die Krise weiter besteht, verkündet Enlil im Rat der Götter den Plan, die gesamte Menschheit durch eine Sintflut zu vernichten, dem die Versammlung mit Ausnahme von Ea/Enki zustimmt. Diesem wird außerdem verboten, die Menschen erneut vor der Vernichtung zu warnen, was ihn jedoch nicht davon abhält, sich eines Kunstgriffes zu bedienen: »Er lässt Atramchasis träumen, Ea rede mit einer aus Rohr geflochtenen Wand, hinter der Atramchasis schläft,«46 und befiehlt ihm dadurch ein rettendes Schiff zu erbauen, ohne die Pläne der Götter weiter zu enthüllen. Wie im bereits erwähnten Gilgameš-Epos bedenken die Götter keineswegs die Spätfolgen der Vernichtung, nämlich dass sie diejenigen ausrotten wollen, die ihre Nahrungsversorgung gewährleisten, sodass auch sie unter der Zerstörung durch die Sintflut leiden.47 Um einer erneuten Krise dieses Ausmaßes zuvorzukommen, unterbreitet Ea/Enki den anderen Göttern den Vorschlag, die Lebenszeit der Menschen drastisch zu verkürzen, natürliche Bedrohungen in der Welt zu installieren48 und diejenigen mit einem frühzeitigen Tod zu bestrafen, die ihn verdient haben: »(Nur) dem, der selbst eine Sünde beging, laste seine Schulden an!«49

42 Möglicherweise lediglich durch ihre bloße Existenz und die damit einhergehenden Geräusche; vgl. Wilcke (1999) 86f. 43 Atram-ḫasīs-Epos, Tafel 1,358f: »Unerträglich ist mir das Geschrei der Menschen. In ihrem lauten Getriebe komme ich nicht mehr zum Schlaf.« Übersetzung nach Maul (2006) 176. Diese Krisensituation spiegelt geradezu den Aufstand der Igigi, der auch dazu geführt hatte, dass Enlils heilige Ruhe gestört wurde. 44 Vgl. Wilcke (1999) 68. 45 Vgl. Maul (2006) 176f. 46 Ebd. 178. 47 Die Schilderung der Sintflut verläuft weitestgehend parallel zur bereits behandelten Passage im Gilgameš-Epos und ist dort besser überliefert. Die ausgehungerten Götter fallen schließlich, nachdem die Flut zurückgegangen ist, wie die Fliegen über das Opfer her, das ihnen bereitet wird (GilgamešEpos, Tafel 11,161–163). 48 Etwa wilde Tiere, Hungersnöte und Seuchen (Gilgameš-Epos, Tafel 11,181–195). 49 Gilgameš-Epos, Tafel 11,183. Übersetzung nach Maul (2006) 181.

Die Erinnerung an den Untergang – Der Kataklysmos im Rahmen der griechischen Vergangenheitsdiskurse

Die Erzählung bietet unter anderem50 also eine Ätiologie der menschlichen Kontingenz, die in Form eines Mythos um Schöpfung, Konflikt und Korrektur eingekleidet ist. Die Flut erfüllt dabei die Funktion des einschneidenden Ereignisses, das die Jetzt-Zeit von der mythischen Vorzeit trennt. Prägnant fasst dies R. G. Kratz zusammen: »Im Mythos wird die Erfahrung der Beeinträchtigung und Begrenzung des Lebens durch natürliche Faktoren wie Sterblichkeit, Kinderlosigkeit, Fehlgeburten, wilde Tiere, Hungersnöte, schlimme Krankheiten und drohende Naturkatastrophen […] auf ein einmaliges, göttliches Gründungsgeschehen am Anfang der Welt zurückgeführt. Schöpfung und Flut gehören wie zwei Seiten einer Medaille zusammen und bilden gemeinsam den Ist-Zustand in seiner Genese ab.«51

Angesichts solcher ausgearbeiteter Mythennarrative, die im gesamten Vorderen Orient verbreitet waren, liegt die Vermutung nahe, dass zu einer Zeit, in der intensive kulturelle Kontakte zwischen dem griechischen und mesopotamischen Raum nachgewiesen werden können, ein kreatives Milieu bestanden hat, in dem bestimmte Erzähltraditionen rezipiert und verarbeitet werden konnten.52 Die Bedeutung einer oral tradition für die Frage nach der Rezeption und Adaptation bestimmter Erzählmotive hebt W. Henkelman hervor: »Greek texts rarely are a direct reflection of Akkadian, Sumerian or Aramaic literary texts, but should rather be seen as solidified samples taken from a broad stream of tales that were subject to constant adaption, variation and contamination and that circulated within an ancient cultural continuum stretching from the Aegean to Iran and beyond.«53

Dass also das Konzept einer globalen Flut in der Vergangenheit, das etwa mythisch geformt in den behandelten mesopotamischen Epen überliefert ist, gewandert ist, erscheint innerhalb eines solchen cultural continuum, in dem bestimmte Wissensbausteine je nach den Bedingungen der Rezipienten übernommen oder ausgetauscht werden können, plausibel. Die genauen Abläufe solcher Kulturkontakte

50 Vgl. zur Frage, inwieweit das Atram-ḫasīs-Epos zudem eine Reflexion über den idealen Herrscher darstellt, Wilcke (1999) 99–105. 51 Kratz (2013) 178. 52 Dazu Rollinger (2004) 91: »Die Nähe zum levantinischen Raum ermöglichte die unbegrenzte Aufnahme orientalischer Kulturgüter und Denkformen, die gleichzeitige Ferne und politische Unabhängigkeit von diesem Raum garantierte den freien Umgang mit diesen Gütern und die Transformation zu etwas Neuem.« 53 Henkelman (2010) 323f.

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müssen aufgrund der Überlieferungslage jedoch offen bleiben; lohnender ist es hingegen, die (möglicherweise transferierten) Konzeptbausteine im (neuen) Kontext der griechischen Zeugnisse zu untersuchen.54 Konzentriert man sich nun auf diese griechischen Texte, muss zunächst noch auf die Frage eingegangen werden, ab welchem Zeitpunkt konkrete Sintflut-Konzepte für den griechischen Kulturraum angenommen werden können. Erste zweifelsfreie Zeugnisse dafür bietet der Lyriker Pindar in der Neunten Olympischen Ode und im fragmentarisch erhaltenen Neunten Paian, wobei in der Forschung auch angenommen wird, dass Erzählungen über eine globale Flut bereits zuvor in der griechischen Literatur verbreitet gewesen sind.55 Etwa zur selben Zeit wie die pindarischen Dichtungen entstand wohl auch die sizilianische Komödie des Epicharm, die in der späteren Überlieferung den Titel Πύρρα καὶ Προμαθεύς sive Δευκαλίων vel Λευκαρίων trägt, deren Inhalt jedoch aufgrund ihres fragmentierten Zustandes nicht rekonstruierbar ist. Zwar scheint sie, wie die mehrmalige Erwähnung eines Bootes (λάρναξ) und der Name Pyrrha vermuten lassen,56 das Flutereignis thematisiert zu haben; allerdings ist unklar, welche Akteure und welcher Plot damit verbunden gewesen sind. M. L. West vertritt in seiner Untersuchung zu westasiatischen Einflüssen in griechischer Poesie und Mythologie die These, dass die Erzählstoffe um Deukalion und Pyrrha als Kulturstifter einerseits und um die Flut als Auflösungsszenario andererseits erst in der Zeit Pindars miteinander zu einem Mythos verbunden wurden.57 Tatsächlich ist zu konstatieren, dass Deukalion und Pyrrha zwar in (vermutlich) älteren griechischen Werken, wie etwa den Fragmenten des hesiodeischen Frauenkatalogs,58 genannt werden. Dabei treten sie jedoch ohne definitive Verbindung zu einem Flutnarrativ, sondern vielmehr in ihrer Funktion als Stammeltern der Hellenen auf.59 Damit erweist sich Pindars Neunte Olympische Ode als erster (erhaltener) Text der griechischen Literatur, in dem die Sintflut eindeutig als mythisch geformtes Zerstörungsszenario der geordneten Welt dargestellt wird.60

54 Vgl. Lang (2008) 112. 55 Caduff (1986) 100f. geht etwa davon aus, dass bereits im hesiodeischen Frauenkataklog Deukalion und Pyrrha mit dem Flutmotiv verbunden gewesen sind. West (1999) 493 vermutet hingegen die Existenz eines Flutnarratives in einer Titanomachie, die Teil des kyklischen Sagenkreises gewesen, jedoch nicht überliefert ist. 56 Λάρναξ: CGFP 85 = fr. 113,2; 6; 9 PCG. Πύρρα: CGFP 85 = fr. 113,15 PCG. 57 Vgl. West (1999) 493. 58 Fragmenta Hesiodea fr. 234 ed. Merkelbach/West (3 1990). 59 So auch Griffin (1992) 39: »Hesiod is the first to mention Deucalion’s association with the metamorphosis of stones into human beings. But there is no reference in the Hesiodic fragment to a flood and no evidence that Hesiod associated Deucalion’s stone people with the aftermath of a flood.« 60 Zudem ist wohl nach Hubbard (2004) 80 zu konstatieren, dass ab dem Ende des sechsten Jahrhunderts eine literarische Buchkultur angenommen werden kann, wodurch sich dieser Zeitraum als

Die Erinnerung an den Untergang – Der Kataklysmos im Rahmen der griechischen Vergangenheitsdiskurse

Verfasst wurde die Ode zu Ehren des Epharmostos von Opus, der bei den olympischen Spielen im Jahre 468 v. Chr. den Sieg im Ringen davongetragen hatte und damit zu einem περιοδονίκης geworden war, einem »victor in the four crown festivals, Olympic, Pythian, Isthmian and Nemean.«61 Um diesen und dessen Heimatstadt zu glorifizieren,62 ruft die Dichter-persona der Olympischen Ode ab dem 41. Vers mythische Erzählungen auf, die in Verbindung mit Epharmostos oder »Protogeneias Stadt« (ἄστυ Πρωτογενείας)63 stehen, wie die Erzählinstanz das lokrische Opus metonymisch bezeichnet. Einerseits heben solche in der mythischen Vergangenheit angesiedelten Ereignisse Tugenden hervor, die Epharmostos in sich vereint.64 Andererseits veranschaulichen sie aber auch die Bedeutung der Stadt, die den Athleten hervorgebracht hat, und rufen – besonders mit der zu analysierenden Passage – einen Vergangenheitshorizont auf, der Opus als die erste Stadt stilisiert, die nach der deukalionischen Flut gegründet worden sein soll.65 Die Dichter-persona leitet die für die Untersuchung relevante Passage ein, indem sie den Götterkampf des Herakles zunächst als ungebührlichen Stoff für die panegyrische Gattung der Siegesode einstuft.66 Stattdessen soll die Stadt Opus in den Fokus des Enkomions gerückt und deren mythische Gründungsgeschichte ausgeführt werden: […] φέροις δὲ Πρωτογενείας ἄστει γλῶσσαν, ἵν’ αἰολοβρέντα Διὸς αἴσᾳ Πύρρα Δευκαλίων τε Παρνασσοῦ καταβάντε δόμον ἔθεντο πρῶτον, ἄτερ δ’ εὐνᾶς ὁμόδαμον

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Ausgangspunkt für eine Untersuchung anbietet, die sich mit den materiellen Hinterlassenschaften einer solchen literary culture beschäftigt. Gerber (2002) 11. Pind. O. 9,14: […] αἰνήσαις ἓ (scil. Opus) καὶ υἱὸν […]. Pind. O. 9,41f. So wird etwa in Pind. O. 9,28–35 die Vorstellung, dass Tapferkeit und Mut, die der Athlet besitzt, von den Göttern verliehen werden, mit einer Anspielung auf den Kampf des Herakles gegen Poseidon, Apollo und Hades illustriert. Eine Diskussion dieses mythischen Verweises bietet Pavlou (2008) 545–554. Die Verbindung des Epharmostos zu seiner Heimatstadt wird in der Ode auch dadurch besonders herausgestellt, dass weder der Name des Vaters noch die Familienzugehörigkeit des Siegers genannt werden, wie es typisch für eine solche Siegesode gewesen wäre. Siehe dazu Miller (1993) 113: »As a result, the only ›facts of identity‹ included in the ode are those pertaining to ethnos and polis: Epharmostos is a Lokrian, and a citizen of Opous.« Pind. O. 9,35–41: […] ἀπό μοι λόγον // τοῦτον, στόμα ῥῖψον· // ἐπεὶ τό γε λοιδορῆσαι θεούς // ἐχθρὰ σοφία, καὶ τὸ καυχᾶσθαι παρὰ καιρόν // μανίαισιν ὑποκρέκει. // μὴ νῦν λαλάγει τὰ τοιαῦτ’· ἔα πόλεμον μάχαν τε πᾶσαν // χωρὶς ἀθανάτων […]. Pavlou (2008) 554 macht plausibel, dass die Absage an den Herakles-Stoff als epischer Topos par excellence von der textsortenorientierten Intention der Siegesode abgeleitet werden kann.

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κτισσάσθαν λίθινον γόνον·

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λαοὶ δ’ ὀνύμασθεν.67

Bring auf Protogeneias Stadt die Rede, wo nach des blitzeschimmernden Zeus Anordnung Pyrrha und Deukalion, vom Parnass herabgestiegen, sich das erste Haus errichteten und ohne eheliches Bett begründeten ein stammverwandtes steinernes Geschlecht; Laoi (i. e. Völker)68 wurden sie benannt.

Die Verse fokussieren die Stadt Opus, die hier als »Protogeneias Stadt« bezeichnet wird sowie den nahe gelegenen Parnass und definieren diese als den imaginierten Raum, in dem sich die dargestellte Szene ereignet. Die Akteure sind einmal Deukalion und Pyrrha als Begründer der Stadt wie auch eines neuen Geschlechtes, das jedoch nicht aus einem sexuellen Zeugungsakt entstanden ist, was der Verweis »ohne Bett« (ἄτερ δ’ εὐνᾶς) andeutet. Zusätzlich wird diese Nachkommenschaft als »stammverwandt« und »steinern« charakterisiert, was auf den bereits im hesiodeischen Frauenkatalog überlieferten Ursprungsmythos verweist, dass die Leleger dem Deukalion aus Steinen entstanden seien.69 Dadurch konstruiert der Dichter eine genealogische Dichotomie: Auf der einen Seite stehen die leiblichen Nachfahren von Deukalion und Pyrrha, die von deren natürlich geborener Tochter Protogeneia abstammen. An diese werden die Rezipienten erinnert, indem der Name der Tochter gemeinsam mit der Stadt genannt wird. Auf der anderen Seite existiert das steinerne Geschlecht, das auf übernatürliche Weise geschaffen wurde. Diese Unterscheidung liefert wohl eine ätiologische Begründung dafür, dass verschiedene soziale Klassen bestehen.70 So wird die Königsdynastie im späteren Verlauf der Ode folglich auch auf eine Verbindung zwischen der leiblichen Tochter Protogeneia und Zeus zurückgeführt.71

67 Pind. O. 9,41b–46. 68 Die lautliche Ähnlichkeit von λαός (Volk) und λᾶας (Stein) soll offenbar die Geschichte, dass dieses Volk aus Steinen enstanden sei, unterstreichen. 69 Fragmenta Hesiodea fr. 234 ed. Merkelbach/West (3 1990): ἤτοι γὰρ Λοκρὸς Λελέγων ἡγήσατο λαῶν, // τοὺς ῥά ποτε Κρονίδες Ζεὺς ἄφθιτα μήδεα εἰδώς // λεκτοὺς ἐκ γαίης λαοὺς πόρε Δευκαλίωνι. 70 Vgl. Caduff (1986) 83 mit weiteren Beispielen aus dem griechischen und römischen Kulturraum für die Legitimierung verschiedener sozialer Klassen aufgrund von Autochthonie. 71 Pind. O. 9,53–57. Vermutlich in der Absicht, zwei als Lokaltraditionen überlieferte genealogische Stränge miteinander zu kombinieren, fügt die Autor-persona eine weitere Episode (Vv. 58–66) ein, in der eine nicht namentlich genannte Tochter – in der späteren Überlieferung als Kambyse bezeichnet – des elischen Königs Opus von Zeus geschwängert und daraufhin die Frau von Lokros, einem Nachfahren Protogeneias, wird. Da dieser keine eigenen Kinder hat, nimmt er das Kind als sein eigenes an, benennt es nach dem Großvater Opus und überträgt ihm später die Herrschaft über das lokrische Volk. Vgl. hierzu Gerber (2003) 49–52 mit weiterer Literatur.

Die Erinnerung an den Untergang – Der Kataklysmos im Rahmen der griechischen Vergangenheitsdiskurse

Als weiterer Akteur tritt der »blitzeschimmernde« Zeus (αἰολοβρόντης Ζεύς) in die Szene, auf dessen Weisung (αἶσα)72 hin Deukalion und Pyrrha vom Parnass herabsteigen.73 Jener fungiert in dieser Mythenvariante als diejenige Instanz, die die Begründung der folgenden Kultur – Gründung der Stadt und Population – initiiert. Eine Erklärung, warum es überhaupt nötig gewesen ist, dass Deukalion und Pyrrha den Parnass bestiegen haben, wird in dieser Passage noch nicht geboten, dafür jedoch in den Versen 49-53 angefügt. Diesen Versen wird aber ein metapoetischer Einschub vorgeschaltet: ἔγειρ’ ἐπέων σφιν οἶμον λιγύν, αἴνει δὲ παλαιὸν μὲν οἶνον, ἄνθεα δ’ ὕμνων νεωτέρων. λέγοντι μάν χθόνα μὲν κατακλύσαι μέλαιναν

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ὕδατος σθένος, ἀλλὰ Ζηνὸς τέχναις ἀνάπωτιν ἐξαίφνας ἄντλον ἑλεῖν.74

Weck ihnen den klingenden Pfad der Worte, lobe einerseits den alten Wein, andererseits die Blüten der neueren Hymnen. Man erzählt wahrlich, den schwarzen Erdboden habe die Kraft des Wassers überflutet, aber durch die Künste des Zeus habe Ebbe plötzlich die Wasserflut erfasst.

Die in den Mythos eingefügte Passage beginnt mit einer Selbstapostrophe (ἔγειρε)75 und dem poetologischen Bild des »klingenden Pfads der Worte« (ἐπέων οἶμος λιγύς),76 das für die folgenden lyrischen Verse des Dichters steht und »innovation and a new approach«77 ankündigt.78 Unterstrichen wird diese angezeigte Innovation durch die Bilder vom »alten Wein« (παλαιὸς οἶνος) einerseits und von den »Blüten der neueren Gesänge« (ἄνθεα ὕμνων νεωτέρων) andererseits, wobei explizit betont wird, dass sowohl das Alte als auch das Neue zu würdigen ist. Der Wein und die Blü-

72 Zur αἶσα bei Pindar vgl. Pfeijffer (1999) 626–630. 73 Das Epitheton könnte an dieser Stelle implizieren, dass die Weisung durch einen Blitz am Himmel geschehen sei; vgl. dazu Gerber (2003) 43. 74 Pind. O. 9,47–53a. 75 Vgl. Nünlist (1998) 296. 76 In der homerischen Odyssee wird der »Weg« (οἴμη) an einigen Stellen als Metapher für Dichtung verwendet, etwa Hom. Od. 8,481: οἴμας Μοῦσ’ ἐδίδαξε, φίλησε δὲ φῦλον ἀοιδῶν. 77 Pavlou (2008) 556. 78 Der Bezug von σφιν ist an dieser Stelle nicht eindeutig, da sowohl das steinerne Geschlecht als auch Deukalion und Pyrrha sowie deren Nachkommenschaft gemeint sein könnten. Vgl. dazu Gerber (2003) 44.

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Die große Flut als Element erinnerter Vergangenheit in der griechischen Literatur

ten werden allgemein als Verweise auf neue und alte Dichtung gedeutet, besonders auch auf den Inhalt dieser Dichtungen.79 Worin genau die Neuerung besteht, die von der Dichter-persona angekündigt wird, ist jedoch umstritten.80 Zudem bemerkt D. E. Gerber treffend: »it is also unclear whether Pindar is actually innovating or simply presenting a version which was less widely known.« Geht man von letzterer Möglichkeit aus, könnte auch die direkt folgende Passage als innovative Neuerung des Mythos gedeutet werden. Zwar verwendet Pindar offenbar Konstruktionen wie λέγοντι μάν, um auf bekannte Erzähltradition hinzuweisen,81 allerdings könnten auch mündlich tradierte Mythennarrative in einen solchen Traditionsbegriff einbezogen sein, vor allem, da Pindar auf keinen spezifischen Autor verweist, der diesen Mythos zuvor verarbeitet hat. Die Formulierung λέγοντι μάν könnte dabei einen affirmativen Charakter besitzen und die neue Zusammenfügung des Mythos legitimieren. Die metapoetische Aussage läge dann darin, einen neuen Mythos, bestehend aus alten und neuen Elementen anzubieten, dessen innovativer Anteil durch mündlich verbreitete Narrative gestützt wird. Folgt man diesem Gedankengang, wäre es sinnvoll, die direkt angeschlossene mythische Passage über die Überschwemmung der Erde durch Wasser und den Rückgang der Flut durch Zeus’ Eingriff als die von der Autor-persona angekündigte Neuerung zu deuten.82 Die nachgeschobene Passage, die erst erklärt, warum Deukalion und Pyrrha überhaupt auf den Parnass steigen mussten, kennzeichnet die Verse 41–46 des mythischen Narratives als Hysteron-Proteron: Der Mythos um die Flut und deren Folgen wird vom Ende des Plots her geschildert. Erst durch die begründende

79 Vgl. Pavlou (2008) 556 mit weiterer Literatur. 80 Ausführliche Diskussionen dazu etwa bei Caduff (1986) 80–83; Molyneux (1992) 259–263; Gerber (2002) 45–47; Pavlou (2008) 556–561. Letztere bezieht die Verse weniger auf den Inhalt, sondern eher auf die von Pindar gewählte Form des Epinikions gegenüber der genealogischen Dichtung, wie sie etwa im hesiodeischen Frauenkatalog vorliegt: »Consequently, I would suggest that the adjective νεωτέρων, which Pindar ascribes to his hymns, refers not only to the ›new‹ in his poetry but also to the epinician genre in general. Unlike catalogue poetry with its long lists of equally valorized elements and often unflattering stories, epinician poetry has the power to create ›usable pasts‹ and cover with glory a city and its citizens. The myth of Opus exemplifies this encomiastic and panegyric nature of the epinician in the most eloquent way« (560). 81 Vgl. dies. 534f.: »Attributions to tradition are introduced by the verbs φασί and λέγεται (both in the singular and plural), and phrases such as λόγος ἐστί, φάτις ἐστί, λεγόμενόν ἐστι. These statements are normally general and unattributed, but occasionally poetic predecessors are evoked with verbal reminiscences or by name, as is the case with Homer, Hesiod, and Archilochus.« 82 Diese Deutung stellt jedoch lediglich eine Möglichkeit dar. Verbreiteter hingegen ist die Interpretation, dass die angeschlossene Genealogie der Tochter des Königs Opus von Elis und des Zeus eine Erfindung Pindars sei und damit die Innovation darstelle; vgl. dazu etwa Caduff (1986) 83. Fraglich ist m. E. dann jedoch, warum Pindar den metapoetischen Einschub mitten in das Narrativ von Deukalion und Pyrrha gesetzt hat, wenn die eigentliche Neuerung, die er anzubieten gedenkt, erst an deutlich späterer Stelle folgt.

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Ergänzung in den Versen 50–53 wird das Aition für die Besteigung des Parnass nachgeliefert und die Passage erschließt sich dem Rezipienten vollständig. Auffällig ist, dass eine Begründung, weshalb die Erde eigentlich überschwemmt wurde, vollkommen fehlt. Anstelle dessen hebt die Dichter-persona hervor, dass nur »die Künste des Zeus« (Ζηνὸς τέχναι) dafür gesorgt haben, dass die Flut zurückgegangen ist. Im Gegensatz zu späteren Varianten des Mythos, in denen Zeus als Verursacher der Flut auftritt,83 wird der Göttervater bei Pindar ausgesprochen positiv charakterisiert: So lässt er nicht nur die Ebbe eintreten, sondern offenbart Deukalion und Pyrrha auch, dass diese den Parnass wieder verlassen können. Interessant ist dies vor allem vor dem Hintergrund des bereits zitierten Gleichnisses aus der Ilias Homers (16,384-393), in dem Zeus als strafender Gott auftritt, der den Regen und die dadurch entstehenden reißenden Flüsse als Mittel der Vergeltung einsetzt. Für Pindars programmatische Absicht, ein panegyrisches Gedicht auf Epharmostos und dessen Heimatstadt Opus zu präsentieren, das nicht auf göttliche Gewalt eingeht,84 wird Zeus ausschließlich als wohlwollender Akteur angeführt, der durch seine »Künste« und »Weisung« die Gründung der Stadt ermöglicht und sogar zweifach in der opuntischen Königsgenealogie auftaucht. Das Konzept einer globalen Flut wird in der vorliegenden Ode also mit einer bestimmten Intention aufgerufen, für die eine ausführliche narrative Ausgestaltung des eigentlichen Flutgeschehens nicht erforderlich ist: Die Überflutung85 wird als fundierender Fixpunkt in der Vergangenheit – und damit als Teil des kulturellen Gedächtnisses der Rezipienten – imaginiert, von dem ausgehend sich eine genealogische Abstammungslinie in der neu gegründeten Stadt Opus herleitet. Die positiven Funktionen, die sowohl die Flut als auch Zeus in dieser Vergangenheitskonstruktion erfüllen, würden durch die Beschreibung der vorangehenden Zerstörung sogar eher herausgefordert und hätten eine innere Konfliktsituation erzeugt, die dazu führen könnte, das intendierte Lob anzuzweifeln. Ein solcher erinnerter Vergangenheitshorizont erweist sich – mit den Worten J. Assmanns – als »eine soziale Konstruktion, deren Beschaffenheit sich aus den Sinnbedürfnissen und Bezugnahmen der jeweiligen Gegenwart her ergibt,«86 wodurch nachvollziehbar wird, weswegen die negativen Aspekte der erinnerten Sintflut ausgeblendet werden. Da es sich bei dem Mythos, wie er in der pindarischen Ode präsentiert wird, um eine »fundierende Geschichte« handelt, erfüllt er die Funktion, die »Ge-

83 Etwa in der Darstellung Ovids, siehe unten Kap. 6.2. 84 Pind. O. 9,40f. 85 Interessant ist, dass Pindar nicht den Terminus κατακλυσμός, sondern den Infinitiv Aorist κατακλύσαι verwendet. Wortformen von κατακλύζειν nutzt sonst auch Herodot, um speziell die Überschwemmung des Nil zu beschreiben, vgl. etwa Hdt. 2,13; 99. 86 Assmann (7 2013) 48.

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genwart (der intendierten Rezipienten) vom Ursprung her zu erhellen.«87 Somit ist festzuhalten, dass »der Unterschied zwischen Mythos und Geschichte […] hier hinfällig [wird]. Für das kulturelle Gedächtnis zählt nicht faktische, sondern nur erinnerte Geschichte.«88 Dass Pindar eine globale Flut nicht nur als Ereignis in der Vergangenheit, sondern außerdem auch als potenzielle Katastrophe in der Zukunft imaginieren konnte, zeigen die Fragmente seines Neunten Paians. Dieses Kultlied für Apollon wurde wohl als Reaktion auf die am 30. April 463 v. Chr. Eingetretene totale Sonnenfinsternis verfasst und sollte dazu dienen »sich die Gunst der Götter wieder zu sichern und dadurch eventuelle unheilvolle Implikationen der Sonnenfinsternis abzuwenden,«89 die im Paian imaginiert werden. Dabei richtet sich die pindarische Dichter-persona zunächst in einer Apostrophe an die verdunkelte Sonne.90 Mit drei Fragen verdeutlicht sie die grundsätzlichen Sorgen, die in Folge des als übernatürlich inszenierten Vorganges auftreten: Wer ist der Urheber der Finsternis, warum wird den Menschen der Anblick der Sonne verwehrt und handelt es sich um eine dauerhafte Änderung?91 Anstatt jedoch Antworten darauf zu präsentieren, wendet sich der Sprecher mit einem Gebet erneut direkt an die Sonne, wobei er sich auf Zeus als göttlichen Vermittler beruft.92 Die Sonne möge die negativen Ereignisse, die sie den Thebanern anzeige, für die der kultische Text verfasst worden ist,93 abwenden. Nach einer kurzen Lacuna führt die pindarische persona an, welche Katastrophen kleineren und größeren Ausmaßes die Finsternis anzeigen könnte: […] πολέμοιο δὲ σᾶμα φέρεις τινὸς, ἢ καρποῦ φθίσιν, ἢ νιφετοῦ σθένος ὑπέρφατον, ἢ στάσιν οὐλομέναν

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ἢ πόντου κενεώσιας ἂμ πέδον, ἢ παγετὸν χθονός, ἢ νότιον θέρος ὕδατι ζακότῳ ῥέον, ἢ γαῖαν κατακλύσαισα θήσεις

87 88 89 90 91

Ebd. 54. Ebd. Most (2000) 150. Pind. paian. 9,1–12. Zum letzten Punkt siehe Rutherford (2001) 194: »The sun may have adopted an entirely new course, which would presumably imply a permanent disruption of the previous order of things.« 92 Pind. paian. 9,7f.: ἀλλά σε πρὸς Διός, ἱπποσόα θοάς, // ἱκετεύω […]. 93 Vgl. Ruhterford (2001) 192.

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ἀνδρῶν νέον ἐξ ἀρχᾶς γένος;

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ὀλοφύδέν, ὅ τι πάντων μέτα πείσομαι.94

[…] Gibst du ein Zeichen für Krieg oder Verdorren der Frucht oder eines Schneesturms unsägliche Gewalt oder verderblichen Aufruhr oder des Meeres Ausleerung über das Festland oder des Erdreichs Frost oder einen verregneten Sommer, überfließend von grimmigem Wasser, oder verschlingst du mit einer Überschwemmung das Land, um ein neues Menschengeschlecht zu gründen von Beginn an? Nichts beklage ich, was ich mit allen gemeinsam erleiden werde.

Den aufgerufenen Zerstörungen scheint eine dezidierte Gliederung zugrunde zu liegen95 und es fällt besonders auf, dass das Wasser bei den meisten angeführten Szenarien eine zentrale Rolle spielt, sodass jede Erscheinungsform dieses Elementes – vom vollständigen Ausbleiben bei der Dürre bis zum Übermaß bei der Flut als klimaktischem Höhepunkt – repräsentiert ist. Gerade der letzte Punkt, dass die Sonnenfinsternis auch einen erneuten Kataklysmos ankündigen könne, ist insofern interessant, da er voraussetzt, dass Pindars Rezipienten mit dem Konzept einer globalen Flutkatastrophe vertraut sind, die nicht nur einmalig als Ereignis der weit entfernten Vergangenheit eingetreten ist, sondern sich potenziell erneut ereignen könnte. Dieses Ereignis würde es dann wiederum erforderlich machen, dass das Menschengeschlecht neu geschaffen wird, was auf einen globalen Charakter des Kataklysmos schließen lässt. Dass die Flut ein solches weltweites Ausmaß erreichen soll, ist auch dadurch offensichtlich, dass zuvor als alternatives Katastrophenszenario eine partielle Überschwemmung des Landes (V.16) in Erwägung gezogen wird. Zusätzlich stützt der letzte Halbvers der zitierten Passage diese These: ὅ τι πάντων μέτα πείσομαι, was bedeutet, dass alle Menschen von der befürchteten Sintflut betroffen würden. In der Aufzählung fungiert der Kataklysmos offensichtlich als das abschließende Nonplusultra, da dieses Szenario die völlige Vernichtung des Menschen und der menschengemachten Strukturen darstellt. Insofern war es für Pindar naheliegend, diesen Modus der Zerstörung auszuwählen, wenn er die

94 Pind. paian. 9,13–21. 95 Siehe Most (2000) 156: »[Die Darstellung] folgt einer erstaunlich kunstvollen Anordnung: acht Möglichkeiten, in zwei Vierergruppen zerteilt; jede Vierergruppe um ein Innenpaar herum durch ein Außenpaar umrahmt: erst Krieg, dann Fruchtverdorren, dann Schneesturm, dann schließlich Aufruhr (also zwei widrige Naturphänomene aus verschiedenen Jahreszeiten, von zwei politischen Katastrophen umrahmt); danach erst Überschwemmung, dann Frost, dann Sommerregen, dann schließlich Sintflut (also zwei Meereszustände, die übrigens häufig metaphorisch auf politische Unruhen angewandt werden und die zwei widrige Naturphänomene aus verschiedenen Jahreszeiten umrahmen).« Dagegen Ruhterford (2001) 195: »These catastrophes are not arranged in any obvious order; human and natural disasters are woven together […].«

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potenziell bedrohlichen Folgen der als übernatürlich bewerteten Sonnenfinsternis auf ein übersteigertes Niveau heben wollte. Richtet man den Blick wieder auf die Flut als Fixpunkt in der erinnerten Vergangenheit, so tritt sie nicht ausschließlich in der Ode Pindars in dieser Funktion auf. Vielmehr lässt sie sich auch innerhalb von unterschiedlichen Lokaltraditionen feststellen, wenn es auch aufgrund der Quellenlage nicht eindeutig rekonstruierbar ist, zu welchem Zeitpunkt in welchem geographischen Raum eine globale Flut als Vergangenheitshorizont imaginiert wurde. Einen ausführlichen Versuch, diese Traditionen fassbar zu machen, unternahm G. A. Caduff, wobei dieser sich besonders darauf konzentriert hat, die regionale Verbreitung von Mythen zu überlieferten Flutheroen anhand einer breiten Quellenbasis zu veranschaulichen. Dabei zeigt sich vor allem in Deukalions Fall,96 dass einerseits verschiedene regionale Genealogien, wie es etwa bei Opus deutlich ist, an diesen als Stammvater und Überlebenden der Flut angeknüpft wurden. Andererseits entwickelte sich aber auch die Tendenz, den Heros Hellen – als Stammvater der Äoler, Dorier und Ionier – als Deukalions Sohn zu bezeichnen, woraus sich ein Stemma ergibt, das die bedeutenden griechischen Adelsgeschlechter von einem gemeinsamen Ursprung herleitet.97 So funktionalisierten wohl auch die Orakelstätten von Delphi und Dodona die Erinnerung an eine deukalionische Flut,98 um von ihrem jeweiligen Alter einen autoritativen Anspruch abzuleiten: Im Fall von Delphi führte das Priestergeschlecht der Hosioi ihre Abstammung nach Plutarch direkt auf Deukalion zurück,99 wohingegen man in Dodona die Gründung des Heiligtumes Deukalion und Pyrrha zuschrieb.100 Weitere Zeugnisse verdeutlichen außerdem die dynamische Anpassungsfähigkeit der Konzepte, von denen offenbar spezifische Bestandteile ausgetauscht werden konnten, um diese Konzepte für einen neuen Kontext nutzbar zu machen. So merkt etwa ein Scholion zur besprochenen Ode Pindars an, dass Hellanikos nicht den Parnass, sondern die Othys zum Berg der Errettung gemacht hat, von dem Deukalion nach der Flut herabkomme.101 Damit tauschte dieser das Element der Lokalisierung aus und verlagerte die Flut wie auch die anschließende Kulturentstehung nach

96 97 98 99

Vgl. Caduff (1986) 73–122. Vgl. ebd. bes. 120–122. Vgl. Halliday (1975) 57f. Plut. quaes. Gr. 9: πέντε δ’ εἰσὶν Ὅσιοι διὰ βίου, καὶ τὰ πολλὰ μετὰ τῶν προφητῶν δρῶσιν οὗτοι καὶ συνιερουργοῦσιν, ἅτε γεγονέναι δοκοῦντες ἀπὸ Δευκαλίωνος. 100 Plut. Pyrrh. 1: […] ἔνιοι δὲ Δευκαλίωνα καὶ Πύρραν εἱσαμένους τὸ περὶ Δωδώνην ἱερὸν αὐτόθι κατοικεῖν ἐν Μολοσσοῖς. 101 Schol. Pind. O. 9,62b. Die Othys ist ansonsten als Schauplatz der Titanomachie bekannt (etwa Hes. theog. 624).

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Thessalien, um einer Lokalüberlieferung zu folgen, die Deukalion als König über dieses Gebiet erinnerte.102 Auch am Beispiel der attischen Erinnerungskultur zeigt sich, wie das Konzept einer großen Flut als Fixpunkt in der Vergangenheit adaptiert wurde, um es in bereits bestehende chronologische Strukturen einbetten zu können. So führt die Chronologie des Mamor Parium103 an, dass Deukalion 1310 Jahre vor der Entstehung der Inschrift104 König von Lykoreia geworden sei, als Kekrops in Athen geherrscht habe.105 45 Jahre später habe sich eine Flut (κατακλυσμὸς ἐπὶ Δευκαλίωνος) aufgrund von starken Regenfällen (ὄμβροι)106 ereignet, woraufhin Deukalion von Lykoreia nach Athen zum amtierenden König Kranaos geflohen sei, dort dem Zeus ein Heiligtum gegründet und aus Dank für seine Rettung geopfert habe.107 Zunächst wird die Flut, also als ein regional begrenztes Ereignis, imaginiert, von dem Athen als Zuflucht nicht betroffen gewesen ist. In dieser Funktion ersetzt die Polis den Parnass, den Pindar als den rettenden Berg fokussiert hatte. Der Modus der Zerstörung, der in der pindarischen Version offen geblieben ist, wird hier durch den Zusatz genauer bestimmt, dass die Flut von starkem Regen hervorgerufen wurde. Diese historiographisch bzw. atthidographisch geformte Konzeptvariante lässt durch die Definierung der Flut als Ereignis lokalen Ausmaßes eine offensichtliche Schnittmenge mit den im naturphilosophischen Diskurs verhandelten Konzepten von partiellen, zyklisch eintretenden Flut- und Feuerkatastrophen erkennen.108 Ebenso fällt auf, dass Zeus sowohl bei Pindar als auch im Marmor Parium ganz klar positiv inszeniert wird. In der pindarischen Ode fungiert er aktiv als derjenige, der die Flut beendet und den Überlebenden verkündet hat, dass sie die Sicherheit des Parnass verlassen können. In der Königsliste wird ihm aus Dankbarkeit ein Heiligtum errichtet, was impliziert, dass der Gott an der Rettung Deukalions maßgeblich beteiligt war. In beiden Fällen werden Möglichkeiten der negativen Konnotation übergangen: Die Siegesode thematisiert keine Ursache der Flut und das Marmor Parium beschränkt sich in dieser Hinsicht lediglich auf die Aussage,

102 Vgl. Caduff (1986) 88f. Siehe auch Halliday (1975) 58, der davon ausgeht, dass die Geschichte um Deukalion und die Flut zweifellos ursprünglich aus Thessalien stammt, ohne jedoch Argumente dafür anzuführen. 103 FGrHist 239 A 2–4. Ediert, übersetzt und kommentiert in Jacoby (1904). Das Mamor Parium ist zudem Teil des Editionsprojektes »Digital Fragmenta Historicorum Graecorum« (https://www. dfhg-project.org/, letzter Zugriff: 18.02.2023). 104 Zur Datierung Jacoby (1904) V: »allein den buchstabenformen nach würde man die inschrift kaum so früh ansetzen, wie es der inhalt verlangt (264/3 a. Chr.); eher 50 jahre später.« 105 FGrHist 239 A 2. 106 Der Terminus steht zwar oft mit Zeus als Urheber des Regens in Verbindung (vgl. LSJ s.v. »ὄμβρος«), jedoch wird dieser im Marmor Parium nicht explizit als Auslöser der Flut benannt. 107 FGrHist 239 A 4. 108 Siehe dazu vor allem die in den Kapiteln 4.2. und 4.3. vorgestellten Konzepte.

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dass Niederschlag zur Flut geführt habe. Dies könnte darauf hindeuten, dass die Flut hier als natürliches Ereignis interpretiert wird, das ohne bestimmte Ursache eingetreten ist, worin erneut Überschneidungen mit den philosophischen Konzepten zyklischer Katastrophen zu konstatieren wären. Neben der schriftlichen Fixierung sind zwei weitere Praktiken zur Pflege der kulturellen Erinnerung an den Kataklysmos in Athen zu konstatieren: Zum einen das Zelebrieren von Festen, bei denen die Erinnerung an die Flut eine Rolle spielt, und zum anderen die Etablierung von Erinnerungsorten wie dem Grab Deukalions und dem von ihm gestifteten Zeusheiligtum. 109 Festen kommt nach J. Assmann dabei unter anderem die Funktion »der Vergegenwärtigung fundierender Vergangenheit«110 zu. Durch den iterativen Vollzug der Festivitäten versichert sich die Gruppe ihrer eigenen Vergangenheit, sichert das Wissen um diese und gibt es sogleich weiter an die nachfolgende Generation, die durch die Teilhabe am ritualisierten Feiern die kulturellen Praktiken erlernt und einübt, womit sie sich in die kulturelle Identität der Gruppe einfügt.111 So wurden in Athen am dritten Tag der dem Dionysos geweihten Anthesterien die sogenannten Chytren (χύτροι) begangen, die dem Gedenken an die Toten gewidmet waren.112 Während dieses Tages wurde in Töpfen (χύτραι) eine Panspermie, ein Gericht aus verschiedenen Arten von Samen, gekocht, das an die Überlebenden der deukalionischen Flut erinnern sollte.113 Diese hätten nach ihrer Flucht eine derartige Speise gekocht und davon dem chthonischen Hermes geopfert, um ihn für die Umgekommenen günstig zu stimmen.114 Mit dieser Praxis war wohl auch ein weiterer Ritus verbunden,115 bei dem Wasserspenden in den Spalt (χάσμα) im Heiligtum des Zeus, von dem man

109 Paus. 1,18,8: τοῦ δὲ Ὀλυμπίου Διὸς Δευκαλίωνα οἰκοδομῆσαι λεγουσι τὸ ἀρχαῖον ἱερόν, σημεῖον ἀποφαίνοντες ὡς Δευκαλίων Ἀθήνῃσιν ᾤκησε τάφον τοῦ ναοῦ τοῦ νῦν οὐ πολὺ ἀφεστηκότα. 110 Assmann (7 2013) 55. 111 Dazu ebd. 57: »Feste und Riten sorgen im Regelmaß ihrer Wiederkehr für die Vermittlung und Weitergabe des identitätssichernden Wissens und damit für die Reproduktion der kulturellen Identität.« 112 Vgl. Deubner (1932) 112. 113 Vgl. Burkert (1977) 363. 114 Vgl. Schol. Rav. Aristoph. Ach. 1076: Χύτρους· Θεόπομπος τοὺς διασωθέντας ἐκ τοῦ κατακλυσμοῦ ἑψῆσαι φησι χύτρας πανσπερμίας· ὅθεν οὕτω κληθῆναι τὴν ἑορτήν. καὶ θύειν τοῖς χουσι Ἑρμῇ χθονίῳ. τῆς δὲ χύτρας οὐδένα γεύσασθαι· τοῦτο δὲ ποιῆσαι τοὺς περισωθέντας ἱλασκομένους τὸν Ἑρμῆν ὑπὲρ τῶν ἀποθανόντων. Siehe dazu auch Schol. Aristoph. Ran. 218: Θεόπομπος ἐκτίθεται, μετὰ τὸ σωθῆναι τοὺς ἐν τῷ κατακλυσμῷ πεφευγότας ἀνθρώπους, ᾗ ἡμέρᾳ πρώτως ἐθράρρησαν, χύτραν τῷ πυρὶ ἐπιστῆσαι καὶ ἐν αὐτῇ ἀφεψῆσαι τὰ ἐμβληθέντα. 115 Vgl. Deubner (1932) 113. Dagegen gehen Burkert (1977) 125 und Caduff (1986) 241 davon aus, dass es sich dabei um ein eigenes Ritual außerhalb der Anthesterien handelt, das Hydrophoria genannt wurde.

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glaubte, dass dort die Wasser der Flut versickert seien, gegossen und Honigkuchen hinabgeworfen wurden.116 An diesen Erinnerungspraktiken zeigt sich, dass auch bei ihnen verschiedene Elemente ausgetauscht werden konnten, um die hinter den Praktiken stehenden Konzepte für den jeweils neuen Kontext zu aktualisieren.117 So scheint man die Flutheroen im Kontext der Chytren etwa nicht als einzige Überlebende der Flut erinnert zu haben, sondern erweitert die Gruppe der Überlebenden. Auch wird im Gegensatz zum Marmor Parium nicht angenommen, dass Athen von der Flut verschont geblieben ist, wenn sich das Wasser der Flut im Heiligtum des Zeus verlaufen haben soll. Der fundierende Mythos der Flut erfährt also selbst im kulturellen Gedächtnis einer Gruppe bestimmte Anpassungen, um für die jeweilige Gegenwart seine Gültigkeit beizubehalten. Ein weiterer Aspekt der Konzeptadaptierung betrifft die Gestalt des zentralen Überlebenden: Zwar identifizierten die Mehrzahl der griechischen und römischen Texte diesen als Deukalion, jedoch gibt es davon auch Abweichungen, die etwa den Zeussohn Dardanos oder den mythischen König Ogygos als wesentlichen Überlebenden einer Flutkatastrophe bezeichnen.118 Für ersteren kann etwa eine Passage aus der Alexandra (Pseudo-)Lykophrons, die in hellenistischer Zeit entstanden

116 Paus. 1,18,7: ἐνταῦθα (im Heiligtum des Zeus Olympios) ὅσον ἐς πῆχυν ἔδαφος διέστηκε, καὶ λέγουσι μετὰ τὴν ἐπομβρίαν τὴν ἐπὶ Δευκαλίωνος συμβᾶσαν ὑπορρυῆναι ταύτῃ τὸ ὕδωρ, ἐσβάλλουσί, τε ἐς αὐτὸ ἀνὰ πᾶν ἔτος ἄλφιτα πυρῶν μέλιτι μίξαντες. Vgl. dazu den Hinweis bei Caduff (1986) 243, dass nicht eindeutig ersichtlich sei, ob das Hinabwerfen des Honigkuchens tatsächlich mit dem Ritual der Libation verbunden ist. Eine ähnliche Verbindung aus rituellem Vollzug und kultureller Erinnerung an die Flut findet sich auch in (Pseudo-)Lukians De Syria Dea 12f. Dort berichteten die Kultdiener, dass Deukalion ihren Tempel an der Stelle errichtet habe, an der die Wasser der Flut in einem Spalt (χάσμα) versickert seien. Explizit wird dort auch der rituelle Vollzug beschrieben: δὶς ἑκάστου ἔτεος ἐκ θαλάσσης ὕδωρ ἐς τὸν νηὸν ἀπικνέεται. φέρουσι δὲ οὐκ ἱρέες μοῦνον, ἀλλὰ πᾶσα Συρίη καὶ Ἀραβίη, καὶ πέρηθεν τοῦ Εὐφρήτεω πολλοὶ ἄνθρωποι ἐς θάλασσαν ἔρχονται καὶ πάντες ὕδωρ φέρουσιν, τὸ πρῶτα μὲν ἐν τῷ νηῷ ἐκχέουσι, μετὰ δὲ ἐς τὸ χάσμα κατέρχεται, καὶ δέκεται τὸ χάσμα μικρὸν ἐὸν ὕδατος χρῆμα πολλόν. τὰ δὲ ποιέοντες Δευκαλίωνα ἐν τῷ ἱρῷ τόνδε νόμον θέσθαι λέγουσιν συμφορῆς τε καὶ εὐεργεσίης μνῆμα ἔμμεναι. Siehe dazu Lightfoot (2003) 350f. 117 Für weitere rituelle Praktiken, für die die Imagination einer Flut als Aition möglicherweise herangezogen wurde, vgl. Caduff (1986) 239–258. 118 Gerade zu Ogygos muss angemerkt werden, dass dieser lediglich von Varro (rust. 3,1,2f. sowie Zitate bei Censor. 21,1 sowie Aug. civ. 18,8) und einigen spätantiken Autoren als Überlebender einer gewaltigen Flutkatastrophe bezeichnet wird. Dabei werden stets mehrere Flutkatastrophen angesetzt, wobei Ogygos in deren chronologischer Abfolge an erster Stelle steht, gefolgt von Deukalion. Solche chronologischen Abfolgen mehrerer Fluten entstammen wohl dem Bestreben, verschiedene Flutnarrative in einen systematisierten Zusammenhang zu bringen, wodurch sich die Imagination mehrerer gewaltiger Fluten entwickelt hat. Unterstützt wurde dies zudem durch die spätestens seit Platon im philosophischen Diskurs auftretenden Vorstellungen von regional begrenzten Fluten, die periodisch eintreten. Zur Diskussion um Ogygos vgl. Caduff (1986) 159–186, bes. 180–186. In

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ist,119 herangezogen werden. Der Textauszug ist Teil der prophetischen Rede der Seherin Kassandra, die in diesem Werk Alexandra genannt wird: στένω σε, πάτρα, καὶ τάφους Ἀτλαντίδος δύπτου κέλωρος, ὅς ποτ’ ἐν ῥαπτῷ κύτει ὁποῖα πορκὸς Ἰστριεὺς τετρασκελὴς ἀσκῷ μονήρης ἀμφελυτρώσας δέμας

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Ῥειθυμνιάτης κέπφος ὣς ἐνήξατο, Ζήρυνθον ἄντρον τῆς κυνοσφάγου θεᾶς λιπών, ἐρυμνὸν κτίσμα Κυρβάντων Σάον, ὅτ’ ἠμάθυνε πᾶσαν ὀμβρήσας χθόνα Ζηνὸς καχλάζων νασμός. Οἱ δὲ πρὸς πέδῳ

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πύργοι κατηρείποντο, τοὶ δὲ λοισθίαν νήχοντο μοῖραν προὐμμάτων δεδορκότες. φηγὸν δὲ καὶ δρύκαρπα καὶ γλυκὺν βότρυν φάλλαι τε καὶ δελφῖνες, αἵ τ’ ἐπ’ ἀρσένων φέρβοντο φῶκαι λέκτρα θουρῶσαι βροτῶν.120

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Ich seufze über dich, mein Vaterland, und für das Grab des Sohnes der Atlastochter, des Tauchers, der einst auf einem genähten Fellfloss wie ein vierfüßiger istrischer Porkos,121 den Körper in einem Ledersack eingehüllt, einsam schwamm wie eine Sturmschwalbe von Rhithymnon, nachdem er Zerynthos, die Höhle der hundefressenden Göttin, verlassen hat, als Saos, die befestigte Siedlung der Kyrbanten, die rauschende Flut des Zeus zerstört hat, nachdem sie auf die ganze Erde geregnet ist. Die Türme stürzten zu Grunde, und diejenigen, die das letzte Schicksal vor ihren Augen sahen, schwammen. Eichel und Eichenfrucht und süße Traubenfrucht fressen sowohl Wale als auch Delphine und die Robben, die sich leidenschaftlich auf die Betten sterblicher Menschen stürzen.

Kassandras Apostrophe an ihre Heimat (πάτρα), worunter Troja zu verstehen ist, spricht im gleichen Atemzug auch das Grab des Dardanos (hier als Sohn der Atlastochter Elektra genealogisch benannt) an, das als Ort der Erinnerung evoziert wird und die mit ihm verbundene Erinnerung imaginiert. In direktem Anschluss wird die Flutkatastrophe aufgerufen, der Dardanos als einziger Überlebender (μονήρης)

den Dionysiaca des Nonnos werden sogar alle drei Fluten (mit Ogygos, Deukalion und Dardanos) in eine chronologische Abfolge gestellt. 119 Vgl. Hornblower (2015) 36–41 zur Datierung um 190 v. Chr. und zum Autor der Alexandra. 120 Lykoph. Alex. 72–85. 121 Es ist nicht klar, welches Tier unter πορκός zu verstehen ist, wobei Hornblower (2015) 140 eine im Donauraum heimische Art von Ottern für wahrscheinlich hält. Der LSJ gibt ansonsten die Bedeutung »fish-trap« an, was in diesem Kontext jedoch kaum Sinn ergibt.

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entkommen sei. Dabei wird seine Flucht auf einem Floß – illustriert durch einige gelehrte Anspielungen – aus Samothrake in den Fokus gerückt. Kassandra bzw. Alexandra fokussiert zudem die Zerstörung, die über die Insel hereinbricht.122 Der Modus dieser Zerstörung, der νασμός Ζηνὸς, identifiziert eindeutig Zeus als Urheber der Flut, wobei die Passage auch konkretisiert, dass die Überschwemmung durch Regengüsse auf der ganzen Erde (πᾶσαν ὀμβρήσας χθόνα) entstanden ist. Von Menschen geschaffene Strukturen (πύργοι) fallen in sich zusammen, wodurch die Umkehrung der vorherigen Verhältnisse voranschreitet, was auch durch das Bild der in der Wassermasse schwimmenden Menschen verdeutlicht wird. Diese Momentaufnahme wird sogleich resultativ fortgesetzt, indem Kassandra dem Leser eine Szenerie im Stil eines Adynaton vor Augen stellt, das den Topos einer »verkehrten Welt« aufruft.123 Die Szene zeichnet sich durch ihre Absurdität aus, die in der Umwendung der gewohnten Verhältnisse begründet liegt.124 Konkret meint dies zum einen, dass Wale und Delphine außerhalb des Meeres wachsende Nahrung verspeisen, die unter anderen Umständen nicht für sie in Frage käme. Zum anderen, dass Robben nun Sphären des menschlichen Alltages einnehmen, symbolisiert durch die Betten (λέκτρα), was eine geradezu komische Situation erzeugt, die in Spannung zur zerstörerischen Imagination zuvor steht.125 Als dominanter Bestandteil des im Narrativ transportierten Konzeptes der Flut tritt also die Auflösung bzw. Umkehrung der natürlichen Verhältnisse hervor, wobei in diesem Fall zwar Zeus als auslösender Akteur der Katastrophe genannt, jedoch eine Ursache ausgelassen wird. Dies kann dadurch erklärt werden, dass Kassandra nur schlaglichtartig einige Szenen der Geschichte Trojas evoziert und somit zahlreiche Aspekte ausgeblendet werden, die von den Rezipienten gedanklich ergänzt werden müssen. Die Überflutung Samothrakes wird ebenfalls im fünften Buch der Bibliotheca historica Diodors thematisiert, wo von einer Fluterzählung berichtet wird, die im kulturellen Gedächtnis der Insel verankert sei. Diese handelt von einer gewaltigen

122 Im Text als »Saos« bezeichnet; dazu Hornblower (2015) 141: »Saos is Samos, the Homeric name for Samothrace. […] Saos is linguistically distinct from ›Samos‹ and is either the name of the central mountain of the island […] or the older name for the whole island […], or both.« 123 Ähnlich ist auch ein Adynaton bei Archilochos frg. 122 ed. West (1989) gestaltet, das im Kontext einer Sonnenfinsternis Delphine in Wäldern und Waldtiere im Meer imaginiert. Vgl. dazu Schmitz (2000) 140–143 mit weiteren Beispielen aus der griechischen und lateinischen Literatur. Zum Adynaton als rhetorischem Mittel vgl. Rowe (1965); zum Topos der »verkehrten Welt« vgl. Nisbet/ Hubbard (1970) 341f. 124 Schmitzer (2000) 141: »Da ein Ereignis (in diesem Fall die Flut) die Naturgesetze außer Kraft gesetzt zu haben scheint, ist nunmehr damit zu rechnen, daß die Welt insgesamt aus den Fugen gerät und Unmögliches wahr wird.« 125 Eine solche Spannung zwischen Ernst und Komik findet sich ebenso in der späteren Darstellung der deukalionischen Flut in Ovids Metamorphosen. Siehe dazu unten 200.

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Überschwemmung des Großteils der Insel, die zeitlich vor den Kataklysmen zu datieren sei, welche andere Völker heimgesucht haben.126 Dabei handelt es sich offensichtlich um eine als partiell imaginierte Katastrophe, deren Einzelaspekte jedoch eine Schnittmenge mit den Konzepten um global gedachte Fluten bilden. Der Flutbericht fungiert dabei vor allem als Aition, um die Beschaffenheit der Jetzt-Zeit zu erklären, wie es auch bei bereits angeführten Varianten von globalen Flutnarrativen konstatiert werden konnte: τὸ γὰρ ἐν τῷ Πόντῳ πέλαγος λίμνης ἔχον τάξιν μέχρι τοσούτου πεπληρῶσθαι διὰ τῶν εἰσρεόντων ποταμῶν, μέχρι ὅτου διὰ τὸ πλῆθος παρεκχυθὲν τὸ ῥεῦμα λάβρως ἐξέπεσεν εἰς τὸν Ἑλλήσποντον καὶ πολλὴν μὲν τῆς Ἀσίας τῆς παρὰ θἀλασσαν ἐπέκλυσεν, οὐκ ὀλίγην δὲ καὶ τῆς ἐπιπέδου γῆς ἐν τῇ Σαμοθρᾴκῃ θάλασσαν ἐποίησε· καὶ διὰ τοῦτ’ ἐν τοῖς μεταγενεστέροις καιροῖς ἐνίους τῶν ἁλιέων ἀνεσπακέναι τοῖς δικτύοις λίθινα κιονόκρανα, ὡς καὶ πόλεων κατακεκλυσμένων.127

Der Pontos, damals noch in Gestalt eines Binnensees, sei nämlich durch die einmündenden Ströme derart angeschwollen, dass sich infolge der riesigen eingeflossenen Wassermenge die Flut reißend in den Hellespontos ergoss und einen Großteil des Küstenlandes von Asien überschwemmte; damals verwandelte sie auch ein nicht geringes Stück des samothrakischen Flachlandes in ein Meer: So kam es, dass einige Fischer in späteren Zeiten mit ihren Netzen steinerne Kapitelle ans Licht emporgezogen haben sollen, so wie wenn selbst Städte von den Fluten überdeckt worden seien.128

Die beschriebene Flut wird in der Passage also dadurch erklärt, dass das Wasserlevel des Schwarzen Meeres angestiegen sei, was wiederum zu einer Überflutung des Hellespont, der heutigen Dardanellen, geführt habe. Dies soll sich direkt auf die Küsten Asiens sowie auf Samothrake ausgewirkt und dafür gesorgt haben, dass weite Teile der Insel überschwemmt worden seien. Das Ereignis wird durch die Feststellung belegt, dass Fischer auch heute noch Überreste der überschwemmten Gebäude zu Tage förderten. Nach Diodor suchten die Überlebenden Schutz auf den Bergen, die noch von den Fluten verschont geblieben waren, und flehten dort die Götter um Errettung an, als

126 Diod. 5,47,3: οἱ δὲ Σαμόθρᾳκες ἱστοροῦσι πρὸ τῶν παρὰ τοῖς ἄλλοις γενομένων κατακλυσμῶν ἕτερον ἐκεῖ μέγαν γενέσθαι, τὸ μὲν πρῶτον τοῦ περὶ τὰς Κυανέας στόματος ῥαγέντος, μετὰ δὲ ταῦτα τοῦ Ἑλλησπόντου. Interessant ist hier auch, dass von mehreren Überschwemmungen ausge-

gangen wird. Dies könnte einerseits als die Ausprägungen einer Flut in verschiedenen Teilen der Welt interpretiert werden, andererseits auch als mehrere chronologisch hintereinander liegende Ereignisse. Vgl. dazu Casevitz/Jacquemin (2015) 248. 127 Diod. 5,47,4. 128 Übersetzung nach Nothers/Veh (1993) 477.

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der Wasserpegel weiter anstieg. Zwar wird an dieser Stelle nicht beschrieben, dass die Götter aktiv in diese Bedrohung eingegriffen und die um Beistand Bittenden bewahrt hätten, jedoch wird dies suggeriert: Nachdem die Flut zurückgegangen sei – so Diodor – hätten die Überlebenden Grenzsteine aufgestellt, durch die der höchste eingetretene Wasserpegel markiert wurde, sowie Altäre als Dank für die Götter errichtet, was impliziert, dass diesen ein Errettungshandeln zugeschrieben wurde.129 Diese installierten Erinnerungsorte dienen somit als sichtbare Repräsentanten eines kulturellen Gedächtnisses, durch die sich die Inselbewohner an eine Katastrophe erinnern, die mit einem entsprechenden Flutnarrativ verbunden ist. Dieses Narrativ enthält wiederum eine identitätsstiftende Komponente, da die Inselbewohner von diesem ableiten, dass die Insel bereits vor der Flutkatastrophe von Autochthonen bewohnt gewesen sei, von denen sie selbst als nachfolgende Generationen abstammen.130 Die Darstellung Diodors bildet das Beispiel par excellence für die Transformation von Flutkonzepten eines globalen Kataklysmos, wie sie etwa von Pindar und (Pseudo-)Lykophron imaginiert werden, hin zur Konzeption periodisch eintretender, partieller Zerstörungen, wie sie spätestens bei Platon ausformuliert ist.131 In der von Diodor geschilderten Variation wird die Überschwemmung zudem geradezu naturwissenschaftlich plausibel gemacht: Der kontinuierlich ansteigende Wasserpegel des Schwarzen Meeres wird als Ursache für die Flutkatastrophe angeführt, wohingegen besonders im mythographischen Kontext zumeist die moralische Verkommenheit der Menschen für die Zerstörung verantwortlich gemacht wird.132 Auch werden keine Einflussnahmen einer göttlichen Instanz thematisiert, sondern nur, dass die Menschen für ihre Errettung Altäre errichten, was lediglich impliziert, dass die Überlebenden ihr Bestehen den Göttern zuschrieben.133 In einer weiteren Passage der Bibliotheca historica wird die Überschwemmung der Insel Rhodos beschrieben. Diese Katastrophe wurde gemäß Diodor von den auf der Insel lebenden Telchinen vorhergesehen, die im Bereich der Wetterprognose

129 Diod. 5,47,5: τοὺς δὲ περιληφθέντας προσαναδραμεῖν εἰς τοὺς ὑψηλοτέρους τῆς νήσου τόπους· τῆς δὲ θαλάσσης ἀναβαινούσης ἀεὶ μᾶλλον, εὔξασθαι τοῖς θεοῖς τοὺς ἐγχωρίους. 130 Diod. 5,47,5. 131 Siehe unten Kap. 4.2. 132 Die Dichter-persona in den Argonautica des Apollonios von Rhodos etwa beschreibt zunächst das pervertierte Volk der Mossynoiken (2,1015–1029) und berichtet kurz darauf, wie diese im Zuge eines Seesturms von gewaltigen Regengüssen überflutet werden; Apoll. Rhod. 2,1115–1117: αὐτίκα δ’ ἐρράγη ὄμβρος ἀθέσφατος, ὗε δὲ πόντον // καὶ νῆσον καὶ πᾶσαν, ὅσην κατεναντία νήσου // χώρην Μοσσύνοικοι ὑπέρβιοι ἀμφενέμοντο. Zu solchen mythischen Narrativen merkt Mulsow (2006) 132 an, dass in diesen »Komplexe von Schuld und Sühne, von Neuanfang und Kulturentstehung in einer Flut- und Wassersymbolik verarbeitet worden sind.« 133 Zu kultischen Ätiologien, die in Verbindung mit Flutkatastrophen stehen, vgl. Caduff (1986) 239–258.

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besonders talentiert gewesen sein sollen, wodurch sie dem Untergang entgehen konnten.134 Im Gegensatz zur Überflutung Samothrakes sollen auf Rhodos außerordentliche Regengüsse zum Ansteigen des Wasserpegels geführt haben. Ein verbindendes Element ist jedoch darin zu finden, dass die Überlebenden auch hier in die höher gelegenen Regionen fliehen.135 Für die anschließende Restaurierung der Insel präsentiert Diodor zwei Erklärungsmodelle, die er einander gegenüberstellt. Das erste basiert auf dem Mythos (κατὰ τὸν μῦθον), dass der Gott Helios aus Liebe zu einer gewissen Rhodos, nach der die Insel benannt worden sei, die Überschwemmung versiegen haben lasse. Das zweite hingegen, die er als Wahrheit (ὁ ἀληθὴς λόγος) bezeichnet, führt das mit der Schöpfung in Kraft getretene Naturgesetz an, dass übermäßiges Wasser unter der Hitze der Sonne verdunste und aus diesem Vorgang wiederum neue Lebewesen entstünden, wodurch auch die sogenannten Heliaden und andere Autochthone auf Rhodos hervorgegangen seien.136 Mit diesen Heliaden ist zudem ein weiterer Komplex verbunden, der im Kontext von Flutszenarien – besonders auch im Timaios – thematisiert wird, nämlich die Frage, ob und auf welche Weise prädiluviales Wissen bewahrt wird.137 In diesem Zusammenhang schildert Diodor die Geschichte der Verbannung der Heliaden und besonders des Aktis: Wie seine Brüder sei dieser in der Sternenkunde außerordentlich erfahren gewesen (μάλιστ’ ἐν ἀστρολογίᾳ).138 Sein Exil führte ihn nach Ägypten, wo er die Stadt Heliopolis gegründet und die Ägypter in seiner Wissenschaft unterrichtet habe, sodass gewissermaßen ein Wissenstransfer von den griechischen Gebieten hin nach Ägypten stattgefunden habe.139 Da Rhodos von einem Kataklysmos betroffen gewesen sei, sei die Erinnerung an diese Episode in Griechenland verlorengegangen. Von dieser Gedächtniskatastrophe seien die Ägypter jedoch verschont geblieben. Dass sich deren Land als ein Hort des kulturellen Wissens erweist, tritt als Vorstellung auch im platonischen Timaios auf, wenn ein ägyptischer Priester davon berichtet, dass seine Heimat von periodisch eintretenden Zerstörungen nicht bedroht werde. Resultativ stellt Diodor dann fest, dass sowohl die meisten Griechen als auch alle schriftliche Überlieferung und Schriftsysteme in Griechenland vernichtet worden

134 Zur Fähigkeit der Telchinen, das Wetter vorherzusagen: Diod. 5,55,3. Zur Prognose der Flut: Diod. 5,56,1: χρόνῳ δ’ ὕστερον προαισθομένους τοὺς Τελχῖνας τὸν μέλλοντα γίνεσθαι κατακλυσμὸν ἐκλιπεῖν τὴν νῆσον καὶ διασπαρῆναι. 135 Diod. 5,56,2: […] τῆς δὲ νήσου διὰ τὴν ἐπομβρίαν ἐπιπολασάντων τῶν ὑγρῶν λιμνάσαι τοὺς ἐπιπέδους τόπους, ὀλίγους δ’ εἰς τὰ μετέωρα τῆς νήσου συμφυγόντας διασωθῆναι. 136 Diod. 5,56,3. 137 Auf diesen Aspekt gehen etwa auch Flavius Josephus und Ammianus Marcellinus ein; vgl. dazu Assmann (2006b). 138 Diod. 5,57,1. 139 Diod. 5,57,2.

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seien, wodurch die Ägypter das erworbene astrologische Wissen als eigene Erfindung darstellen konnten.140 Durch diese Darstellung bemüht sich Diodor die in der griechischen Literatur prominent vertretene Auffassung zu korrigieren, dass viele Wissensbestände von Ägypten nach Griechenland gewandert seien.141 Die Vorstellung eines solchen Transferprozesses wird besonders daran deutlich, dass Doxo- bzw. Biographen geradezu topisch behaupten, dass griechische Gelehrte gezielt Forschungsreisen dorthin unternommen hätten, um ägyptisches Expertenwissen nach Griechenland importieren zu können. Thales von Milet soll etwa Reisen nach Ägypten unternommen haben, um von den dortigen Gelehrten zu lernen.142 Die partiell gedachte Flut erfüllt in diesem Kontext somit die Funktion eines einschneidenden Ereignisses, das nicht nur Menschen und menschengemachte Strukturen zerstört, sondern auch eine Auslöschung des kulturellen Gedächtnisses verursacht hat. Obwohl es auch Überlebende in Griechenland gegeben haben soll – nur die meisten Menschen, nicht alle seien in der Flut umgekommen – konnte das prädiluviale Wissen doch nur in den Regionen erhalten bleiben, die von der Katastrophe nicht betroffen waren. Die Einwohner der griechischen Gebiete wiederum seien in einen Status des Unwissens zurückgefallen und mussten ihre verlorenen Wissensbestände erneuern, wobei ihnen nicht einmal bewusst gewesen sei, dass sie zuvor bereits über diese verfügt hatten.143

3.2 Hybride zwischen Orient und Okzident – Vorderorientalische Flutnarrative in griechischer Sprache Neben den bereits behandelten Narrativen, die verschiedene Variationen des Kataklysmos-Konzeptes repräsentieren, wird im Folgenden einer Erzähltradition nachgegangen, die vorderorientalische Wissenselemente unmittelbar rezipiert und adaptiert. Diese wird in einem Flutbericht evident, den der im späten 4. bzw. frühen 3. Jahrhundert v. Chr. lebende Bēl-Marduk-Priester Berossos144 in seinen Babylo-

140 Diod. 5,57,3f.: ὕστερον δὲ παρὰ τοῖς Ἕλλησι γενομένου κατακλυσμοῦ, καὶ διὰ τὴν ἐπομβρίαν τῶν πλείστων ἀνθρώπων ἀπολομένων, ὁμοίως τούτοις καὶ τὰ διὰ τῶν γραμμάτων ὑπομνήματα συνέβη φθαρῆναι· δι’ ἥν αἰτίαν οἱ Αἰγύπτιοι καιρὸν εὔθετον λαβόντες ἐξιδιοποιήσαντο τὰ περὶ τῆς ἀστρολογίας, καὶ τῶν Ἑλλήνων διὰ τὴν ἄγνοιαν μηκέτι τῶν γραμμάτων ἀντιποιουμένων ἐνίσχυσεν, ὡς αὐτοὶ πρῶτοι τὴν τῶν ἄστρων εὕρεσιν ἐποιήσαντο.

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So etwa in Herodots Historien (etwa 2,44f.). Siehe etwa Diog. Laert. 1,27. Diod. 5,57,5 gibt als Beispiel dafür die Wiedererlangung der Schrift an. Zum Namen siehe De Breucker (2013) 15: »›Berossos‹ is the Greek rendering of the Akkadian name Bel-re’u-shunu, which can be translated as ›Bel (›the Lord‹) is their shepherd‹.«

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niaca, einem Werk über die babylonische Geschichte, verfasst hat.145 Durch die Verbindung von keilschriftlicher Literatur und griechischer Geschichtsschreibung erweist sich Berossos’ historiographisches Œuvre als ein Beispiel par excellence für die kulturelle Hybridität, die im östlichen Mittelmeerraum seit der Eroberung Alexanders des Großen in Erscheinung getreten ist.146 Zwar lässt sich, wie bereits erwähnt, schon für frühere Epochen ein zusammenhängender Kulturraum, in dem vor allem Erzähltraditionen kreativ verhandelt worden sind konstatieren, der sich von der Ägäis bis zum Iran erstreckt hat,147 jedoch erweist sich eine solche Übersetzung von babylonischer Geschichte für ein griechisches Publikum als eine gezielte Hybridbildung, die wohl mit spezifischen Absichten verbunden gewesen ist.148 Da die drei Bücher der Babyloniaca nur noch fragmentarisch durch sekundäre Überlieferung über Exzerpte und Zitate bei späteren Autoren erhalten sind, muss eine Zusammenfassung des Flutnarratives herangezogen werden, die der byzantinische Geschichtsschreiber Georgios Synkellos in seiner Ecloga chronographica eingefügt hat.149 Dabei soll nun nicht etwa der Versuch unternommen werden, Berossos’ fragmentierte Narration zu rekonstruieren, sondern lediglich zu untersuchen, welche Konzeptaspekte in diesen Fragmenten noch erkennbar und wie diese im Verhältnis zu sonstigen, in griechischen und mesopotamischen Narrativen tradierten Wissensbausteinen zu positionieren sind. Das Exzerpt zum Flutbericht im zweiten Buch der Babyloniaca, das die Geschichte ab den vorsintflutlichen Königen bis hin zu Nabonassar im 8. Jahrhundert v. Chr. zum Gegenstand hat, wird zunächst durch ein direktes Zitat eingeleitet: »Nachdem aber Ardates gestorben war, habe sein Sohn Xisuthros für achtzehn Saroi geherrscht; zu dessen Zeit habe sich die große Flut ereignet.«150 Der Name des Überlebenden, Xisuthros, ist offensichtlich von dem des sumerischen Königs Ziusudra abgeleitet,151 der auch in der bereits erwähnten Eridu Genesis als Überlebender der Flut auftritt. Kronos, der als griechisches Gegenstück zum Weisheitsgott

145 Neuere Forschung zu Berossos stellen sowohl der Kommentar von De Breucker (2012) als auch der Sammelband von Haubold u. a. (2013) bereit, in dem die Beiträge von M. Lang, S. Dalley und Ch. Tuplin für die vorliegende Untersuchung besonders ertragreich sind. 146 Vgl. Haubold (2013) 5 mit weiteren Beispielen für diese literarische Hybridbildung. 147 Vgl. Henkelmann (2010) 323f. 148 Zur politischen Absicht der Babyloniaca, die dem Seleukiden Antiochos I. gewidmet sind, vgl. De Breucker (2013) 17. 149 Im Fall von Berossos’ Flutnarrativ handelt es sich sogar um eine tertiäre Überlieferung, da Synkellos (Synk. 53) angibt, er habe sein Wissen über Berossos aus der Darstellung des Alexander Polyhistor bezogen, der wiederum Berossos für seine Abhandlungen benutzt hat. 150 Synk. 54: ᾽Αρδάτου δὲ τελευτήσαντος, τὸν υἱὸν αὐτοῦ Ξίσουθρον βασιλεῦσαι σάρους ὀκτωκαίδεκα· ἐπὶ τούτου μέγαν κατακλυσμὸν γενέσθαι. 151 Vgl. Kraeling (1947) 178.

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Ea/Enki eingeführt wird,152 sei Xisuthros im Schlaf erschienen und habe ihm die an einem festgelegten Termin – dem 15. Daisios, dem zweiten Monat des makedonischen Kalenders – eintretende Flut vorhersagt.153 In der keilschriftlichen Überlieferung hingegen wird als Offenbarungsmodus stets das Sprechen durch eine Schilfwand angeführt. In beiden Fällen, wenn auch mit unterschiedlicher medialer Inszenierung, kommuniziert die göttliche Instanz mit dem späteren Überlebenden der Flut also indirekt. Auch gibt es keinen Beleg in sumerischen oder akkadischen Zeugnissen über einen genauen Zeitpunkt, an dem die Katastrophe eingetreten sein soll.154 Eine Ursache, weswegen eine globale Überschwemmung vorgesehen ist, liefert das Exzerpt des Georgios Synkellos nicht. Dies kann entweder darauf zurückgeführt werden, dass es auch im Narrativ der Babyloniaca keine Begründung für den Kataklysmos gegeben hat – wie es etwa im Gilgameš-Epos der Fall ist –, oder darauf, dass dieser Aspekt im Zuge der Überlieferung verloren gegangen ist.155 M. Lang stellt zudem die spekulative These auf, dass Berossos sich von der traditionellen babylonischen Idee, ein Gott habe die Flut ausgelöst, distanziert haben könnte. So könnte er ein Modell zyklischer Zerstörungen präferiert haben, wie es etwa im Kontext der griechischen Naturphilosophie vertreten worden ist.156 In Anbetracht der Tatsache, dass die Echtheit der Fragmente, die solche Schlüsse nahelegen und Berossos zugeschrieben werden, vielfach bezweifelt worden ist,157 kann dies lediglich eine Hypothese bleiben. Im Exzerpt folgt nach der Ankündigung die Vorbereitung des Xisuthros auf die Flut: Zunächst erfüllt er den Auftrag des Kronos und vergräbt Tafeln, die das prädiluviale Wissen konservieren sollen, in Sippar, der Stadt der Sonne.158 Diese 152 Vgl. De Breucker (2012) 379; Kronos wird wohl weniger in seiner Funktion als Weisheitsgott aufgerufen worden sein, sondern eher als Vater des Zeus, da Ea/Enki diese Position auch für Bēl-Marduk im babylonischen Kontext einnimmt. 153 Synk. 54: τὸν Κρόνον αὐτῷ κατὰ τὸν ὕπνον ἐπιστάντα φάναι μηνὸς Δαισίου πέμπτῃ καὶ δεκάτῃ τοὺς ἀνθρώπους ὑπὸ κατακλυσμοῦ διαφθαρήσεσθαι. 154 Dabei muss jedoch angeführt werden, dass es im Flutnarrativ der biblischen Genesis (Gen. 7,11) der siebzehnte Tag des zweiten Monats ist, an dem die Flut eintritt. Es könnte sich daher um eine jüngere Tradition im vorderasiatischen Raum handeln, die Flut auf ein festes Datum zu terminieren. Vgl. dazu De Breucker (2012) 380f. 155 Siehe zur Diskussion Lang (2013) 52, der anmerkt: »Perhaps, Berossos did originally give a reason for the Flood and the Christian historiographers ignored it because they themselves knew the reason for the deluge from the Old Testament and took knowledge of it for granted among their readership.« 156 Vgl. Lang (2013) 52. Seine Argumentation stützt er dabei auf eine astronomisch-astrologische Darstellung in Senecas Naturales quaestiones, die dort Berossos zugeschrieben wird. 157 Vgl. die Zusammenschau der Forschungsgeschichte bei Steele (2013). 158 Synk. 54: κελεῦσαι οὖν διὰ γραμμάτων πάντων ἀρχὰς καὶ μέσα καὶ τελευτὰς ὀρύξαντα θεῖναι ἐν πόλει ῾Ηλίου Σισπάροις […]. Interessant ist, dass der Sonnengott, wie in der zuvor behandel-

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sollen dann später von den Überlebenden der Flut wiedergefunden werden, damit jene das archaische Wissen erneut nutzen können – anders als es etwa Diodor und Platon für die griechische Gesellschaft feststellen, die nach den zyklischen Katastrophen immer wieder von Neuem beginnen muss. Auf die Sicherung des Wissens folgt der Bau des Schiffes nach genau vorgegebenen Maßen,159 das neben der Familie des Xisuthros und dessen engsten Freunden (συγγενεῖς καὶ ἀναγκαῖοι φίλοι) Proviant (βρώματα καὶ πόματα) und Tiere verschiedener Arten (ζῶα πτηνὰ καὶ τετράποδα) beherbergen soll, um diese vor der Vernichtung zu bewahren und damit den Fortbestand der Lebewesen zu sichern, die die Welt nach der Katastrophe bewohnen sollen.160 Dass auch die Tierarten vor dem Kataklysmos gerettet werden, ist ein Konzeptbaustein, der zwar in keilschriftlichen Texten und in der späteren jüdisch-christlichen Tradition stets präsent ist, für die frühen griechischen Autoren – wie auch später für Ovid und Seneca – hingegen keinen expliziten Teil des Konzeptes bildet. Das eigentliche Flutgeschehen ist im Folgenden auf einen Genitivus absolutus beschränkt, der zusammenfasst, dass der Kataklysmos eingetreten ist und wieder zurückgeht.161 Im ursprünglichen Narrativ wird die Flut vermutlich – mit Blick etwa auf die angeführte Beschreibung im Gilgameš-Epos – ausführlicher geschildert worden sein, jedoch schien die Überlieferungstradition kein umfangreicheres Interesse an den genauen Modi der Zerstörung gehabt zu haben. Mehr Bedeutung ist offenbar der anschließenden Entrückung zugemessen worden: Nachdem das Schiff auf einem Berg in Armenien gelandet war – wie im Narrativ der biblischen Genesis lässt Xisuthros Vögel fliegen, um herauszufinden, ob diese zurückkehren oder die Welt wieder bewohnbar ist –, betreten Xisuthros, dessen Frau und Tochter, sowie der Steuermann das Land, errichten einen Altar für die Götter und opfern diesen.162 Daraufhin verschwinden sie (γενέσθαι ἀφανῆ), wonach eine Stimme aus der Luft (φωνὴ ἐκ τοῦ ἀέρος) – vermutlich handelt es sich hier erneut um eine Offenbarung des Kronos – den anderen Überlebenden verkündet, dass jene ent-

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ten Passage Diodors zur Überschwemmung auf Rhodos, eine Rolle im Zusammenhang mit der Überlieferung des prädiluvialen Wissens einnimmt. Bei Diodor war es der Heliade Aktis, der astrologische Wissensbestände in die neu gegründete ägyptische Stadt Heliopolis brachte, die von der Flut verschont geblieben ist, bei Berossos wird das prädiluviale Wissen ebenfalls in eine »Heliopolis« transportiert, um dort von der Flut verschont zu bleiben. Die Unversehrtheit Sippars wird auch im babylonischen Erra-Epos (Übersetzung nach Cagni [1977] 52) betont: »As for Sippar, the primeval city, through which the Lord of the countries did not let the deluge pass because she was the darling of his eyes.« Die vorgegebenen Maße des Schiffes sind so etwa auch im Gilgameš-Epos, Tafel 11,23–96 überliefert. Synk. 54. Synk. 54: γενομένου δὲ τοῦ κατακλυσμοῦ καὶ εὐθέως λήξαντος […]. Synk. 55.

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rückt worden sind und fortan mit den Göttern lebten.163 Diese himmlische Stimme erteilt den übrigen Menschen auch weitere Anweisungen, die diese anschließend umsetzen: Einerseits sollen sie die verborgenen Tafeln heben, um das prädiluviale Wissen wiedererlangen zu können, andererseits die Städte, und besonders Babylon, wiedererrichten.164 Ebenfalls in hellenistischer Zeit entstand die griechische Fassung der hebräischaramäischen Bibel, die gemäß dem pseudepigraphischen Aristeasbrief von zweiundsiebzig Übersetzern aus Jerusalem im Auftrag des Ptolemaios II. Philadelphos angefertigt worden sei und deshalb als Septuaginta bezeichnet wird.165 Die Entstehung dieser griechischen Version des jüdischen Tanach wird aufgrund der Erwähnung der übersetzten Schriften »im Prolog von Ben Sira (Prolog 7) wie auch [von] Funden von Septuaginta-Manuskripten aus dem 2. Jh. v. Chr.«166 auf die Mitte des 3. Jahrhunderts v. Chr. datiert. Die Frage wiederum, welche konkreten Umstände es erforderlich gemacht haben, dass eine solche Übersetzung angefertigt wurde, wird in der neuzeitlichen Forschung nach wie vor diskutiert.167 So wurde besonders im 20. Jahrhundert die strikte These vertreten, dass das Übersetzungsprojekt, anders als es der Aristeasbrief behauptet, nicht auf die Veranlassung des Ptolemaios hin, sondern aus dem Bedürfnis der ägyptisch-jüdischen Gemeinde entstanden sei.168 Neuere Ansätze vertreten hingegen eine differenziertere Ansicht, die von einer Multikausalität – etwa pädagogischen, legislativen, exegetischen, theologischen und missionarischen Intentionen169 – ausgeht, die eine solche Übertragung der Schriften in die griechische Sprache bedingt hat, und zudem den kulturpolitischen Kontext des 3. Jahrhunderts v. Chr. berücksichtigt: So vertritt etwa S. Kreuzer die Hypothese, dass die Septuaginta zwar möglicherweise zunächst im Kontext des alexandrinischen Judentums aus intrinsischer Notwendigkeit entstanden sei, dass

163 Synk. 55: καὶ γὰρ αὐτὸν διὰ τὴν εὐσέβειαν πορεύεσθαι μετὰ τῶν θεῶν οἰκήσοντα· τῆς δὲ αὐτῆς τιμῆς καὶ τὴν γυναῖκα αὐτοῦ καὶ τὴν θυγατέρα καὶ τὸν κυβερνήτην μετεσχηκέναι. 164 Synk. 55f. 165 Vgl. Kreuzer (2016b) 39. 166 Ebd. 41. 167 Für eine übersichtliche Darstellung der Forschungsgeschichte vgl. Rösel (2016) bes. 100f. 168 Repräsentativ für diese Forschungsmeinung steht Würthwein (1952) 40: »Aber schon das, was der Aristeasbrief selbst berichtet, ist in vielem unglaubwürdig. Nicht ein Heide, wie er vorgibt, hat ihn geschrieben, sondern ein Jude, der die Weisheit und das Gesetz seines Volkes durch den Mund eines heidnischen Königs verherrlicht. Dieser Verfasser hat nicht zur Zeit des Ptolemaios Philadelphos gelebt, sondern mehr als hundert Jahre später. Ferner wurde das Gesetz nicht deshalb übersetzt, weil es ein königlicher Förderer der Wissenschaften so wünschte, sondern weil die ägyptischen Juden, die das Hebräische nicht mehr verstanden, ohne eine solche Übersetzung nicht mehr auskamen. Und schließlich geht diese Übersetzung nicht auf palästinische Juden zurück, sondern auf Glieder der alexandrinischen Diaspora, denen Griechisch die Sprache ihres Alltagslebens war.« 169 Vgl. Dines (2004) 61.

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jedoch die hellenistische Kulturpolitik und deren Interesse an der Geschichte der verschiedenen Völker und Kulturen des Reiches, das sich etwa auch in der Entstehung von Manethos Aegyptiaca und Berossos Babyloniaca zeigt,170 im Gegenzug dafür gesorgt habe, dass die jüdische Gemeinde darauf bedacht war, ihre eigene Ursprungsgeschichte bekannt zu machen.171 Teil dieser Ursprungsgeschichte ist auch das in der Genesis tradierte Sintflutnarrativ um den Flutheroen Noah und seine Familie, dessen narrative Bestandteile in der Fassung der Septuaginta im Folgenden näher untersucht werden sollen. Zunächst muss dabei erwähnt werden, dass bereits die hebräische Ausgangsversion des Textes aus verschiedenen Erzählungen zusammengesetzt ist, woraus sich an manchen Stellen eine parallele Darstellung mehrerer Erzählvarianten ergibt.172 Dies führt dazu, dass sich Elemente der Erzählung teils wiederholen, teils widersprechen oder aus unterschiedlichen Perspektiven berichtet werden,173 was auch in der griechischen Übersetzung des Textes deutlich wird. Dadurch ergibt sich, dass der Gesamttext unterschiedlich akzentuierte Konzepte in einem Narrativ verarbeitet hat, in dem deshalb teilweise konkurrierende Wissensbausteine gleichberechtigt nebeneinander stehen. Der Plot der Erzählung beginnt, indem ein auktorialer Erzähler die Genealogie Noahs berichtet, der zu diesem Zeitpunkt bereits fünfhundert Jahre alt ist und drei Söhne (Sem, Cham und Japheth) gezeugt hat. Zudem siedelt er die Narration in einer Zeit an, in der die Menschen dem göttlichen Gebot »Wachset und vermehret euch« (αὐξάνεσθε καὶ πληθύνεσθε)174 bereits nachgekommen sind: »Und es geschah, als die Menschen anfingen, viele zu werden, und es wurden ihnen Töchter geboren.«175 Die Schönheit der menschlichen Frauen habe dazu geführt, dass sich die Söhne Gottes (οἱ υἱοὶ τοῦ θεοῦ) zu jenen begaben und mit ihnen Nachkom-

170 Vgl. Rösel (2016) 102. 171 Vgl. Kreuzer (2004). 172 Eine klassische Unterteilung des Textes in jüngere Priesterschrift (P) und älteren Jahwist (J) bietet sich zur Vereinfachung der Textgeschichte für die vorliegende Untersuchung an. Jedoch sollte angemerkt werden, dass in der neueren Forschung zur historisch-kritischen Exegese des Alten Testaments vermehrt von einer Unterscheidung in Priesterschrift und vor- oder nicht-priesterliche Texte ausgegangen wird; vgl. dazu etwa Zenger (7 2008) 50–54. Zur Aufteilung des Textes siehe Soggin (1997) 125: »›J‹ werden gewöhnlich folgende Abschnitte zugeteilt: 6,6–8 (mit Elementen aus ›P‹ in V.7); 7,1–5.7–10.12.16b.17a (und b?).22–23; 8,2b–3a.6–12.13b. (?).18 (?).20–22; der Quelle ›P‹ werden folgende Abschnitte zugeschrieben: 6,9–12[sic!]; 7,6.11.13–16a.18–21.24; 8,1-2a.3b5.13a.14–17.18 (?). 19. Diese Trennung zwischen den beiden Quellen ist ziemlich eindeutig und läßt nur wenige Verse übrig, bei denen eine klare Entscheidung nicht möglich ist.« Die Verse 6,13–22 werden ebenfalls »P« zugeschrieben, vgl. ebd. 129f. 173 Vgl. Brayford (2007) 263. 174 LXX Gen. 1,28. 175 LXX Gen. 6,1: καὶ ἐγένετο ἡνίκα ἤρξαντο οἱ ἄνθρωποι πολλοὶ γίνεσθαι ἐπὶ τῆς γῆς, καὶ θυγατέρες ἐγενήθησαν αὐτοῖς.

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men zeugten, denen Gott jedoch eine maximale Lebensspanne von 120 Jahren festsetzt.176 Daraus ergibt sich ein Akt der Transgression zwischen der göttlichen Sphäre und der menschlichen Welt. Die Vermischung dieser beiden Bereiche wird von Gott klar abgewertet, indem die »Gottessöhne« deren Unsterblichkeit nicht auf ihre Kinder übertragen können. Unterstrichen wird der Aspekt der Transgression auch, indem die Nachkommen von Menschen und göttlichen Wesen als »Giganten« (οἱ γίγαντες) und als die »berühmten Menschen« (οἱ ἄνθρωποι οἱ ὀνομαστοί) bezeichnet werden.177 Obwohl diese damit klar der menschlichen Ebene zugeordnet werden, ist dennoch hervorzuheben, dass mit dem griechischen Terminus γίγαντες für die Rezipienten der Septuaginta bestimmte Assoziationen verbunden gewesen sein müssen, die P. Prestel und S. Schorch treffend zusammenfassen: »Diese [scil. die γίγαντες] sind bei Homer ein urzeitliches Volk, in Körperstärke und Menschenmaß hinausragend (Od. 10,120), durch frevelhaften Übermut und Wildheit selbst ihren Untergang verursachend (Od. 7,59f.), in einem nicht näher bezeichneten Nahverhältnis zu den olympischen Göttern stehend, die sich vor ihnen nicht verbergen (Od. 7,206). Bei Hesiod sind sie in die Göttergenealogie eingetragen und damit selbst göttliche Urwesen: Gaia (›Erde‹) nimmt die Blutstropfen ihres vom gemeinsamen Sohn Kronos entmannten Gemahls Uranos (›Himmel‹) auf und gebiert daraus die waffentragenden Giganten (theog. 183ff.; antike Etymologie: γηγενεῖς, ›Erdgeborene ‹), die sich dann als Chaosmächte gegen die von Zeus repräsentierte Ordnung in der sog. Gigantomachie erheben und von diesem durch Blitzschlag besiegt werden […]. Durch das Evozieren dieses Mythos wird das Geschehen in V. 4 negativ als Element einer urzeitlichen Unordnung konnotiert, die im Widerspruch zur göttlichen Ordnung steht.«178

Indem also die Nachfahren der υἱοὶ τοῦ θεοῦ mit dem Terminus γίγαντες bezeichnet werden, suggeriert der Text implizit, dass eine zuvor existente Ordnung – vermutlich die eindeutige Trennung zwischen menschlicher und göttlicher Ebene – aufgelöst worden und somit ein zu korrigierender, chaotischer Zustand eingetreten ist.

176 LXX Gen. 6,2f. Die wissenschaftliche Diskussion um die Identität dieser υἱοὶ τοῦ θεοῦ fasst Brayford (2007) 260f. prägnant zusammen: Es wurde behauptet »that the phrase refers to humans; that the phrase refers to angels as a type of semi-divine being; that the phrase refers to a degraded or lesser type of angel; and that the phrase refers to beings in the divine realm who are associates of God and members of the divine council addressed by God in Chapter 1. In his opinion [scil. Westermann (1984) 371f.], the last explanation is the one most accepted, while the ›angel explanation‹ is no longer considered valid.« 177 LXX Gen. 6,4. 178 Prestel/Schorch (2011) 167.

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Daraufhin findet ein Wechsel von der Nullfokalisierung des auktorialen Erzählers zur internen Fokalisierung Gottes statt, sodass der Rezipient von dessen Blick auf und Gedanken über die Menschheit erfährt: Gott sieht (ἰδών) zunächst auf einer äußerlichen Ebene die »schlechten Taten der Menschen« (αἱ κακίαι τῶν ἀνθρώπων), die die ganze Erde geradezu wie eine Plage heimsuchen. Durch diese und den anschließenden Einblick in das menschliche Herz realisiert er dann, dass die gesamte Menschheit von Grund auf moralisch depraviert ist und in vollem Bewusstsein böse Taten vollbringt, was durch den Ausdruck »jeder einzelne ist in seinem Herzen jeden Tag sorgfältig auf das Böse bedacht« 179 veranschaulicht wird. Der Rezipient durchläuft diese Erkenntnisschritte quasi parallel mit der göttlichen persona und hat im Folgenden, wie bereits erwähnt, auch Einsicht in die mentalen Prozesse Gottes: Dieser empfindet in seinem Herzen Ärger über seine Schöpfung (ἐνεθυμήθη),180 der dann einen Denkprozess (διενοήθη)181 parallel zu dem der Menschen (διανοεῖται) auslöst, woraufhin er die Entscheidung verkündet, die Menschheit sowie alle Land- und Himmelstiere zu vernichten.182 Dabei hebt Gott noch einmal ausdrücklich hervor, dass es der Ärger (ἐθυμώθην) ist, der ihn zu dieser Entscheidung geführt hat. S. Brayford postuliert, dass in dieser Passage einerseits die Vorstellung entworfen wird, dass sich im Herzen Gottes rechtschaffener Zorn befinde, und andererseits imaginiert wird, dass Schlechtigkeit die menschlichen Herzen einnimmt.183 Dass die übrigen Lebewesen ebenfalls zum Untergang bestimmt werden, erscheint dabei eher als Ausdruck dieses Zornes, der in seinem Ausmaß über die eigentlich Schuldigen hinausgeht.184 Obwohl zugunsten der dramaturgischen Gestaltung der Passage zuvor die gesamte Menschheit als verkommen dargestellt und zur Vernichtung bestimmt worden ist, wird in V. 8 schließlich betont, dass es eine Ausnahme, nämlich Noah, gab, der »vor Gott Gnade gefunden hat.«185 In diesem Bericht der Ausgangssituation, der auf älteren nicht-priesterschriftlichen Texten beruht, wurde bislang weder eine Angabe über die Gründe gemacht, weswegen Noah errettet wurde, noch darüber, ob Noah ebenfalls einer der moralisch depravierten Menschen ist. Diese Wissenslücke wird jedoch im folgenden Vers, mit dem eine Passage beginnt, die wohl aus der jüngeren

179 LXX Gen. 6,5: […] πᾶς τις διανοεῖται ἐν τῇ καρδίᾳ αὐτοῦ ἐπιμελῶς ἐπὶ τὰ πονηρὰ πάσας τὰς ἡμέρας […].

180 LXX Gen. 6,6. Vgl. LSJ s.v. »ἐνθυμέομαι«; Siehe Prestel/Schorch (2011) 168: »Wahrscheinlich gezielt vermieden wurde die Aussage, Gott bereue die Schöpfung […],« wie es in der hebräischen Version der Fall ist. 181 LXX Gen. 6,6. 182 LXX Gen. 6,6. 183 Vgl. Brayford (2007) 262. 184 Vgl. ebd. 185 LXX Gen. 6,8: Νωε δὲ εὗρεν χάριν ἐναντίον κυρίου τοῦ θεοῦ.

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Priesterschrift stammt, sogleich ausgefüllt: Durch einen erneuten Wechsel zurück zur Nullfokalisierung des auktorialen Erzählers wird Noah als »gerechter Mensch« (ἄνθρωπος δίκαιος) und »vollkommener in seiner Generation« (τέλειος ἐν τῇ γενεᾷ αὐτοῦ) charakterisiert,186 was ihn zu einer Ausnahme von der Regel stilisiert. In den folgenden Versen wiederholt der Erzähler dann die Genealogie Noahs und entwirft erneut eine Ausgangssituation zum Flutnarrativ, die in ihren Details von der zuvor untersuchten geringfügig abweicht: Der Fokalisierungswechsel findet von der Nullfokalisierung zur externen Fokalisierung statt, sodass der Rezipient zwar von außen auf Gott schauen kann, jedoch keinen Zugang zu dessen Gedanken erhält. Resultativ stellt der Erzähler fest, dass die Erde verdorben ist (ἐφθάρη δὲ ἡ γῆ) und beschreibt, dass auch Gott diese Verderbnis konstatiert, wobei ebenfalls feststeht, dass sie von »jedem Fleisch« (πᾶσα σάρξ) ausgeht.187 Anders als in der ersten Ausgangspassage scheint dadurch zunächst die Depravation nicht nur auf die Menschheit beschränkt, sondern auf alle Lebewesen ausgeweitet zu sein, die sogar die Erde mit ihrer Verdorbenheit infizieren.188 Die unspezifische Bedeutung von πᾶσα σάρξ wird dann jedoch eingeschränkt, indem Gott Noah anspricht und diesen von seinem Vernichtungsbeschluss in Kenntnis setzt, da in dieser Figurenrede, anders als im hebräischen Ausgangstext, allein den Menschen die Schuld für die Verderbnis zugeschrieben wird.189 Im Folgenden instruiert Gott dann Noah zunächst in Form einer zukunftsgewissen Prolepse190 – verdeutlicht durch einen Imperativ und folgende futurische Verbformen –, wie sich dieser auf die kommende Vernichtung vorzubereiten habe: Er werde einen großen Kasten (κιβωτός191 ) nach genauen Maßen – 300 Ellen lang, 50 Ellen breit und 30 Ellen hoch – errichten.192 Erst nachdem Gott die genauen Bau186 LXX Gen. 6,9. 187 LXX Gen. 6,11f. 188 Siehe dazu Brayford (2007) 263: »Priestly thought sees human behavior, in a sense, as contagious so that the earth catches human corruption; thus, like humans, it must be punished and purified.« 189 LXX Gen. 6,13: καὶ εἶπεν ὁ θεὸς πρὸς Νωε Καιρὸς παντὸς ἀνθρώπου ἥκει ἐναντίον μου, ὅτι ἐπλήσθη ἡ γῆ ἀδικίας ἀπ᾽ αὐτῶν, καὶ ἰδοὺ ἐγὼ καταφθείρω αὐτοὺς καὶ τὴν γῆν.

190 Vgl. Martínez/Scheffel (9 2012) 39. 191 Der Terminus κιβωτός wird zur Übersetzung des hebräischen ‫( ֵתָבה‬tēvā) benutzt, wobei beide Substantive in ihrer Grundbedeutung einen Kasten oder eine Kiste beschreiben; vgl. Brayford (2007) 265. Wird der hebräische Terminus in anderem Kontext herangezogen, um den Korb zu bezeichnen, in dem Moses ausgesetzt wurde (Ex. 2,3), wird κιβωτός in der Septuaginta hingegen auch als Begriff für die »ark of the covenant« verwendet; siehe Harl (2 1994) 131. Wenn es um das errettende Schiff geht, konkurriert der Terminus besonders in der christlichen Literatur mit der bei nicht-jüdischen und nicht-christlichen Texten meist verwendeten Bezeichnung λάρναξ; siehe dazu unten Kap. 7.3. 192 LXX Gen. 6,14–16: ποίησον οὖν σεαυτῷ κιβωτὸν ἐκ ξύλων τετραγώνων· νοσσιὰς ποιήσεις τὴν κιβωτὸν καὶ ἀσφαλτώσεις αὐτὴν ἔσωθεν καὶ ἔξωθεν τῇ ἀσφάλτῳ. καὶ οὕτως ποιήσεις τὴν κιβωτόν· τριακοσίων πήχεων τὸ μῆκος τῆς κιβωτοῦ καὶ πεντήκοντα πήχεων τὸ πλάτος καὶ τριάκοντα

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details mittgeteilt hat, offenbart er Noah, dass er die Flut als Modus der Zerstörung ausgewählt hat, um die Welt zu überschwemmen: ἐγὼ δὲ ἰδοὺ ἐπάγω τὸν κατακλυσμὸν ὕδωρ ἐπὶ τὴν γῆν καταφθεῖραι πᾶσαν σάρκα, ἐν ᾗ ἐστιν πνεῦμα ζωῆς, ὑποκάτω τοῦ οὐρανοῦ· καὶ ὅσα ἐὰν ᾖ ἐπὶ τῆς γῆς, τελευτήσει.193

Ich aber, siehe, ich bringe das Flutwasser194 auf die Erde, um jedes Fleisch zu verderben, in dem der Hauch des Lebens ist, unter dem Himmel: Und alles, sofern es auf der Erde ist, wird sterben.

Dass es sich dabei um ein festgelegtes Schicksal handelt, wurde bereits durch die futurischen Verbformen deutlich, die Noah nicht etwa eine potenzielle Handlungsoption eröffnen, sondern ihn über seine bevorstehende Zukunft in Kenntnis setzen. Noch offensichtlicher wird dies durch V. 18, in dem Gott betont, dass er eine Verfügung (διαθήκη) für Noah erlassen habe.195 In dieser determinierten Folgezeit ist es Noahs Aufgabe, seine Familie, je einen männlichen und einen weiblichen Vertreter aller Tierarten sowie Verpflegung in den Kasten zu bringen, der sie vor der Flutkatastrophe bewahren wird.196 Im Narrativ folgt nun ein repetitives Element, in dem Gott diesmal in direkter Kommunikation mit Noah betont, dass er diesen aufgrund seiner Gerechtigkeit erretten werde. Erneut ordnet er an, dass jener seine Familie sowie die Tiere in den Kasten führen solle, wobei in dieser Variante zwischen reinen und unreinen Lebewesen differenziert wird: Von ersteren solle Noah je sieben aufnehmen, von letzteren nur je zwei. Zudem betont Gott ausdrücklich,

πήχεων τὸ ὕψος αὐτῆς· ἐπισυνάγων ποιήσεις τὴν κιβωτὸν καὶ εἰς πῆχυν συντελέσεις αὐτὴν ἄνωθεν· τὴν δὲ θύραν τῆς κιβωτοῦ ποιήσεις ἐκ πλαγίων· κατάγαια, διώροφα καὶ τριώροφα ποιήσεις αὐτήν. 193 LXX Gen. 6,17. 194 Zu τὸν κατακλυσμὸν ὕδωρ siehe die Bemerkung bei Soggin (1999) 132 zum hebräischen Pendant: »Das zweite Wort scheint eine Erklärung des ersten, nicht mehr geläufigen Wortes zu sein. mabbûl wird geläufig mit ›Sintflut‹ übersetzt; in Wirklichkeit bezeichnet es den ›kosmischen Ozean‹, oberhalb dessen JHWH thront, vgl. Ps 29,10. LXX übersetzt κατακλυσμὸν ὕδωρ, was den massoretischen [sic!] Text voraussetzt.« 195 Siehe dazu Prestel/Schorch (2011) 170: »In der Übs. der Genesis in das Griechische findet sich die älteste greifbare Bezeugung der Verwendung des Wortes διαθήκη ›Verfügung‹ für hebr. ‫› ברית‬Bund‹. Dabei hat die LXX einen Terminus gewählt, der in der Sprache des griech. Rechts die letztwillige Verfügung meint. Demgegenüber wurden die eine zweiseitige Erklärung implizierenden Lexeme συνθήκη ›Bund, Vertrag‹ oder σπονδή ›geheiligter Vertrag‹ kaum je in der LXX verwendet. […] Diese spezifische Akzentuierung zeigt sich auch an der Synt.: Wo Gott eine Verfügung trifft, ist er immer Subj., der Adressat erscheint als Obj. So wird in Gen 6,18 der Bund nicht ›mit‹ (‫ )תא‬Noah errichtet, sondern die Verfügung wird für ihn ausgerichtet.« 196 LXX Gen. 6,18–21.

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dass diese Maßnahme dazu diene, die Welt nach der Zerstörung wieder mit Leben zu bevölkern.197 Die Ursache, die eine solche Rettungsmaßnahme überhaupt notwendig macht, wird auch hier erst nach der konkreten Anweisung verkündet: ἔτι γὰρ ἡμερῶν ἑπτὰ ἐγὼ ἐπάγω ὑετὸν ἐπὶ τὴν γῆν τεσσαράκοντα ἡμέρας καὶ τεσσαράκοντα νύκτας καὶ ἐξαλείψω πᾶσαν τὴν ἐξανάστασιν, ἣν ἐποίησα, ἀπὸ προσώπου τῆς γῆς.198

Denn noch sieben Tage, (dann) bringe ich Regengüsse auf die Erde vierzig Tage und vierzig Nächte lang und werde die ganze Aufrichtung, die ich erschaffen habe, vom Angesicht der Erde auslöschen.

Die genauen Einzelheiten der vorhergesagten Flut werden also zunehmend konkretisiert, womit zugleich die Handlung sukzessiv dramatisiert wird: Die zuvor noch recht unbestimmte Zerstörung erhält nach und nach genauere Konturen, indem Gott offenbart, wann der Kataklysmos eintreten, was diesen erzeugen wird und wie lange der Regen andauern werde. Gemäß dieser Vorhersage tritt die Wasserflut (ὁ κατακλυσμὸς ὕδατος) dann auch ein und Noah erfüllt alle Verfügungen, die Gott für ihn erlassen hat.199 Wenn die Entstehung des Kataklysmos letztlich beschrieben wird, konkurrieren die separaten Wissensstränge der priesterschriftlichen und nicht-priesterschriftlichen Quellen miteinander. Nach der priesterschriftlichen Konzeption wird zunächst ein konkretes Datum genannt, an dem die Überflutung einsetzt, nämlich der 27. Tag des zweiten Monats.200 Zudem werden explizit kosmographische Aspekte hervorgehoben: »An diesem Tag brachen alle Quellen der Tiefe hervor und die Wasserfälle/ Falltüren des Himmels wurden geöffnet.«201 Der eintretende Auflösungsprozess geschieht geradezu von zwei Seiten, indem einerseits aus der Tiefe die Wasser hervorbrechen und andererseits die Schleusen202 des Himmels geöffnet werden, aus denen sich die Fluten ergießen.203 Dadurch wird die Vorstellung aufgerufen, wie 197 198 199 200 201

LXX Gen. 7,1–3. LXX Gen. 7,4. LXX Gen. 7,6–10. LXX Gen. 7,11a. LXX Gen. 7,11b: τῇ ἡμέρᾳ ταύτῃ ἐρράγησαν πᾶσαι αἱ πηγαὶ τῆς ἀβύσσου, καὶ οἱ καταρράκται τοῦ οὐρανοῦ ἠνεῴχθησαν. 202 Siehe LSJ s.v. »καταρράκτης«, die als Standardbedeutungen »waterfall, cataract« angeben, für diese Stelle jedoch »trap-door« vorschlagen. 203 Soggin (1999) 132 nimmt mit Blick auf Ps. 29,10 an, dass dabei die Vorstellung zugrunde gelegen habe, Gott throne über einem kosmischen Ozean, dessen Inhalt sich durch die Öffnung des Himmels auf die Erde ergieße. Die Existenz eines solchen kosmischen Ozeans wird auch in der Schöpfungsgeschichte des Himmels impliziert: LXX Gen. 1,6-8a: καὶ εἶπεν ὁ θεός γενηθήτω

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sich die Strukturen der geordneten Welt regelrecht in den chaotischen Zustand des primordialen Ozeans auflösen, der vor dem Schöpfungshandeln Gottes bestanden hatte.204 Demgegenüber steht eine kurze, eher nüchtern gehaltene Anmerkung, die wohl aus der nicht-priesterschriftlichen Quelle stammt, dass Regen (ὁ ὑετός) aufgekommen sei, der vierzig Tage und Nächte angehalten habe.205 Zwar übersteigt ein solches Ausmaß an Niederschlag natürliche Zustände um ein vielfaches, jedoch fehlt in dieser Variante die geradezu dramatische Poetik, die durch eine eher rationale Erklärung ersetzt wird. Diese Narrationslinie setzt sich dann auch in V. 17 fort, wenn die auktoriale Erzählinstanz berichtet, dass die Erde durch die anhaltenden Regenfälle kontinuierlich überschwemmt und dadurch die κιβωτός mit all ihren Insassen emporgehoben wird. In den nachfolgenden Versen wird dann ein immer schärfer werdendes Bild der Untergangssituation konstruiert: καὶ ἐπεκράτει τὸ ὕδωρ καὶ ἐπληθύνετο σφόδρα ἐπὶ τῆς γῆς, καὶ ἐπεφέρετο ἡ κιβωτὸς ἐπάνω τοῦ ὕδατος. τὸ δὲ ὕδωρ ἐπεκράτει σφόδρα σφοδρῶς ἐπὶ τῆς γῆς καὶ ἐπεκάλυψεν πάντα τὰ ὄρη τὰ ὑψηλά, ἃ ἦν ὑποκάτω τοῦ οὐρανοῦ· δέκα πέντε πήχεις ἐπάνω ὑψώθη τὸ ὕδωρ καὶ ἐπεκάλυψεν πάντα τὰ ὄρη τὰ ὑψηλά. καὶ ἀπέθανεν πᾶσα σὰρξ κινουμένη ἐπὶ τῆς γῆς τῶν πετεινῶν καὶ τῶν κτηνῶν καὶ τῶν θηρίων καὶ πᾶν ἑρπετὸν κινούμενον ἐπὶ τῆς γῆς καὶ πᾶς ἄνθρωπος. καὶ πάντα, ὅσα ἔχει πνοὴν ζωῆς, καὶ πᾶς, ὃς ἦν ἐπὶ τῆς ξηρᾶς, ἀπέθανεν. καὶ ἐξήλειψεν πᾶν τὸ ἀνάστημα, ὃ ἦν ἐπὶ προσώπου πάσης τῆς γῆς, ἀπὸ ἀνθρώπου ἕως κτήνους καὶ ἑρπετῶν καὶ τῶν πετεινῶν τοῦ οὐρανοῦ, καὶ ἐξηλείφθησαν ἀπὸ τῆς γῆς· καὶ κατελείφθη μόνος Νωε καὶ οἱ μετ᾽ αὐτοῦ ἐν τῇ κιβωτῷ.206

Und das Wasser nahm überhand und wurde auf der Erde überaus viel und der Kasten trieb auf dem Wasser. Das Wasser herrschte über alle Maßen auf der Erde und bedeckte alle hohen Berge, die unter dem Himmel waren. Fünfzehn Ellen hoch stieg das Wasser und es bedeckte alle hohen Berge.207 Und es starb jedes der Flugtiere und der Nutztiere und der Wildtiere, das sich auf der Erde bewegte, und jedes Kriechtier, das sich auf der Erde bewegte, und jeder Mensch. Und alles, was Lebensatem hat, und jeder, der auf dem trockenen Land war, starb. Und es löschte die ganze Aufstellung aus, die auf dem Angesicht der ganzen Erde war, vom Mensch bis zum Nutztier und den Kriechtieren und

στερέωμα ἐν μέσῳ τοῦ ὕδατος καὶ ἔστω διαχωρίζον ἀνὰ μέσον ὕδατος καὶ ὕδατος. καὶ ἐγένετο οὕτως. καὶ ἐποίησεν ὁ θεὸς τὸ στερέωμα, καὶ διεχώρισεν ὁ θεὸς ἀνὰ μέσον τοῦ ὕδατος, ὃ ἦν ὑποκάτω τοῦ στερεώματος, καὶ ἀνὰ μέσον τοῦ ὕδατος τοῦ ἐπάνω τοῦ στερεώματος. καὶ ἐκάλεσεν ὁ θεὸς τὸ στερέωμα οὐρανόν.

204 205 206 207

Vgl. Brayford (2007) 266f. LXX Gen. 7,12: καὶ ἐγένετο ὁ ὑετὸς ἐπὶ τῆς γῆς τεσσαράκοντα ἡμέρας καὶ τεσσαράκοντα νύκτας. LXX Gen. 7,18–23. Dabei handelt es sich vermutlich um die Angabe, dass das Wasser noch fünfzehn Ellen höher als die höchsten Berge gestiegen sein soll.

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den Flugtieren des Himmels, und sie wurden ausgelöscht von der Erde; und als Einziger blieb Noah und die, die mit ihm im Kasten waren, am Leben.

In starker Raffung wird berichtet, dass die gesamte Welt zu einem homogenen Todesraum geworden ist.208 Dieses Bild wird aufgerufen, indem einerseits resultativ die eingetretene Herrschaft des Wassers konstatiert und dessen anhaltende Zunahme geschildert, andererseits in zweimaliger Repetition von deren Folgen berichtet wird: Die Berge als höchste gottgeschaffene Strukturen der Welt sind von den Fluten bedeckt, sodass außer der Arche keine Überlebensmöglichkeit verbleibt. So wird dann auch die universale Dimension der Katastrophe durch die mehrfach wiederholte Feststellung betont,209 dass jegliches Leben auf der Erde ausgelöscht wird: – »alles Fleisch« (πᾱσα σάρξ) wird durch die folgenden Genitive auf drei Tiergruppen eingeschränkt, es folgen dann alle Landkriechtiere und alle Menschen. Es liegt also eine kategoriale Staffelung vor, auf die dann (zunächst) »alles, was Lebensatem hat« folgt und – natürlicherweise – auf der Erde lebt. Diese Verbindung von resultativen und repetitiven Erzählelementen evoziert die eindrückliche Vorstellung einer unentrinnbaren, ubiquitären Vernichtung. Kontrastiv wird diesem Todesraum der »Kasten« (κιβωτός) gegenübergestellt, in dem jegliches verbleibende Leben konserviert ist und der damit einen Kosmos en miniature bildet. Das Ende der Flut wird schließlich eingeleitet, indem durch eine interne Fokalisierung die Gedanken Gottes wiedergegeben werden: »Und Gott erinnerte sich an Noah und an alle Wildtiere und an alle Haustiere und an alle Flugtiere und an alle Kriechtiere, die mit ihm im Kasten waren.«210 Dieser sendet nun seinen Hauch (πνεῦμα) über die Erde aus, was einen intratextuellen Verweis auf das primordiale Schöpfungshandeln darstellt.211 Damit wird dem Rezipienten suggeriert, dass es sich bei dieser Situation geradezu um eine zweite Schöpfung handelt,212 in deren Folge sich erneut aus dem ursprünglichen Zustand des allumfassenden Wassers die Strukturen der differenzierten Welt herausbilden.213 Dies zeigt sich in den folgenden Versen dann auch, indem der auktoriale Erzähler berichtet, dass die beiden konkurrierenden Modi der Zerstörung – einerseits die hervorbrechenden Wasser-

208 An späterer Stelle (LXX Gen. 7,24) wird deutlich, dass es sich dabei um eine geraffte Erzählung von 150 Tagen handelt. 209 So auch Brayford (2007) 267. 210 LXX Gen. 8,1a: καὶ ἐμνήσθη ὁ θεὸς τοῦ Νωε καὶ πάντων τῶν θηρίων καὶ πάντων τῶν κτηνῶν καὶ πάντων τῶν πετεινῶν καὶ πάντων τῶν ἑρπετῶν, ὅσα ἦν μετ᾽ αὐτοῦ ἐν τῇ κιβωτῷ. 211 LXX Gen. 1,2: […] καὶ πνεῦμα θεοῦ ἐπεφέρετο ἐπάνω τοῦ ὕδατος. 212 Vgl. Barr (1992) 77. 213 Zur spiegelnden Motivik der Passage vgl. Brodie (2001) 170.

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massen aus der Tiefe und dem Himmel,214 andererseits der anhaltende Regen215  – durch das πνεῦμα aufgehalten werden und das Wasser allmählich von der Erde zurückweicht.216 Im Zuge dieses Rückgangs tritt dann auch der Gipfel des Berges Ararat wieder hervor, an dem die κιβωτός am 27. Tag des siebten Monats landet.217 Durch die zeitliche Raffung mehrerer Monate innerhalb eines Verses entsteht dann auch der Eindruck, dass die Ausmaße der Flut rasant abnehmen, bis schließlich am ersten Tag des elften Monats die Gipfel aller Berge wieder zu sehen sind.218 Der direkte Blick auf die weiteren Geschehnisse wird den Rezipienten des Narratives jedoch dann durch eine interne Fokalisierung Noahs entzogen, der selbst von seiner Position auf dem Berg Ararat aus nicht sehen kann, wie weit der Pegel bereits gesunken ist. Dadurch wird die weitere Entwicklung der Flut in den folgenden Versen lediglich indirekt vermittelt, woraus eine gewisse Spannung entsteht. Noah schickt zunächst einen Raben aus, der jedoch erst zu ihm zurückkehrt, als die Flut vollständig zurückgegangen ist, was zu diesem Zeitpunkt offensichtlich noch nicht der Fall war.219 Ob des ausbleibenden Raben sendet Noah in einem zweiten Anlauf eine Taube aus, um herauszufinden, ob diese eine bereits trockene Stelle finden kann oder direkt zu ihm zurückfliegen wird.220 Dass die Taube letztlich wieder in der κιβωτός ankommt, wird dann als Zeichen eines nach wie vor hohen Flutpegels gedeutet. Bei weiteren Versuchen im Abstand von jeweils einer Woche – auch hier wird die Zeit wieder gerafft dargestellt, um die Erzählung zu beschleunigen – fliegt die Taube zunächst mit dem trockenen Blatt eines Ölbaums (φύλλον ἐλαίας κάρφος) und schließlich gar nicht mehr zu ihm zurück.221 Durch die interne Fokalisierung Noahs erleben auch die Rezipienten die Rekonsolidierung der Welt aus dessen Perspektive und erfahren so mit der Figur indirekt von der schrittweisen Rückkehr der natürlichen Ordnung. Erst wenn Noah dann das Dach des »Kastens« öffnet und auf die unter ihm liegende Welt schaut,222 eröffnet sich dieser Anblick auch den Rezipienten.

214 LXX Gen. 8,2a: καὶ ἐπεκαλύφθησαν αἱ πηγαὶ τῆς ἀβύσσου καὶ οἱ καταρράκται τοῦ οὐρανοῦ. 215 LXX Gen. 8,2b: καὶ συνεσχέθη ὁ ὑετὸς ἀπὸ τοῦ οὐρανοῦ. 216 LXX Gen. 8,3. Wohin genau das Wasser weicht, wird nicht genauer ausgeführt, wobei die Vorstellung vorausgesetzt werden könnte, dass es wiederum in die Quellen der unterirdischen Tiefe aufgenommen wird, aus der es teilweise hervorgetreten ist. 217 LXX Gen. 8,4. 218 LXX Gen. 8,5. 219 Dazu Brayford (2007) 268f.: »The raven’s role, assumed in the MT but explicitly stated in LXX-G, was to see if the water had abated. Unlike its MT counterpart that went back and forth, the LXX-G raven does not return until it can positively report that the earth had dried out.« 220 LXX Gen. 8,7–9. 221 LXX Gen. 8,10–12. 222 LXX Gen. 8,13.

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Der auktoriale Erzähler schließt diese Episode mit der Bemerkung ab, dass die Erde am 27. Tag des zweiten Monats wieder trocken sei, also genau ein Jahr nach dem Eintreten der Flut,223 wodurch eine formale Rahmung des Flutberichtes konstruiert wird. In deutlicher Spiegelung zum Schöpfungsbericht erteilt Gott in einer direkten Rede Noah und allen überlebenden Wesen den Auftrag, sich zu vermehren und die Welt zu bevölkern,224 was die Deutung einer zweiten Schöpfung wiederum unterstreicht. Es folgt daraufhin eine Szene, die sowohl für griechische als auch orientalische Flutnarrative charakteristisch ist, nämlich dass die Überlebenden der Flut einen Altar, einen Tempel oder eine Opferstätte errichten, um für die eigene Errettung zu danken. So opfert Noah im biblischen Narrativ von den aus biblischer Perspektive »reinen« Tieren, die mit ihm vor der Flut bewahrt worden sind,225 was – parallel zu anderen mesopotamischen Narrativen, wie etwa dem zuvor angeführten Gilgameš-Epos – von der göttlichen Instanz wohlwollend wahrgenommen wird.226 Dies leitet zu dem ebenfalls für mesopotamische Konzepte prominenten Bestandteil über, dass die göttliche Instanz versichert, dass es sich bei dem Kataklysmos um ein einmaliges Ereignis gehandelt hat, was im Narrativ in einer direkten Rede Gottes ausgesagt wird: […] οὐ προσθήσω ἔτι τοῦ καταράσασθαι τὴν γῆν διὰ τὰ ἔργα τῶν ἀνθρώπων, ὅτι ἔγκειται ἡ διάνοια τοῦ ἀνθρώπου ἐπιμελῶς ἐπὶ τὰ πονηρὰ ἐκ νεότητος· οὐ προσθήσω οὖν ἔτι πατάξαι πᾶσαν σάρκα ζῶσαν, καθὼς ἐποίησα. πάσας τὰς ἡμέρας τῆς γῆς σπέρμα καὶ θερισμός, ψῦχος καὶ καῦμα, θέρος καὶ ἔαρ ἡμέραν καὶ νύκτα οὐ καταπαύσουσιν.227

[…] Ich werde nicht noch einmal die Erde verfluchen wegen der Taten der Menschen, weil das Denken des Menschen ganz versessen auf das Böse ist, von Kindheit an: Ich werde nicht noch einmal jedes lebende Fleisch töten, wie ich es gemacht habe. Für alle Tage der Erde werden Aussaat und Ernte, Kälte und Hitze, Sommer und Frühling bei Tag und bei Nacht nicht aufhören.

Diese in erster Linie positive Vorausdeutung, dass Gott die Erde nicht noch einmal zerstören wird, ist zugleich durchsetzt mit einer pessimistischen Anthropologie:

223 224 225 226

LXX Gen. 8,14. LXX Gen. 8,17: […] καὶ αὐξάνεσθε καὶ πληθύνεσθε ἐπὶ τῆς γῆς. LXX Gen. 8,20. LXX Gen. 8,21a: καὶ ὠσφράνθη κύριος ὁ θεὸς ὀσμὴν εὐωδίας […]. Zu bemerken ist jedoch, dass das Gottesbild hierbei stark variiert: Scharen sich die ausgehungerten Götter im Atram-ḫasīs-Epos um das Opfer wie die Fliegen, wäre ein solcher Vergleich für die Theologie der Genesis unangebracht; siehe Brayford (2007) 271: »God is not portrayed like the Mesopotamian gods who are dependent on humans for food.« 227 LXX Gen. 8,21f.

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Die Beschaffenheit des Menschen als Mängelwesen, das zum Bösen neigt (ἐπιμελῶς ἐπὶ τὰ πονηρὰ ἐκ νεότητος), wurde durch die gesandte Flut nicht korrigiert, wobei gerade dieser menschliche Wesenszug doch als Auslöser für die göttliche Zerstörungshandlung genannt worden war.228 Vielmehr ist es hier die göttliche Instanz, nicht der Mensch, die sich in ihrer Grundhaltung geändert hat, sodass sie die Neigung zum Bösen als Teil der conditio humana akzeptiert und »in Zukunft auf [ihr] Recht, zu bestrafen, [verzichtet],«229 zumindest auf globaler Ebene. Dagegen wurde der zweite Missstand, der in dieser direkten Rede nicht explizit erwähnt wird, nämlich die Vermischung von menschlicher und göttlicher Sphäre durch die Ehen zwischen Gottessöhnen und Menschenfrauen, korrigiert, indem die daraus entstandene Generation ausgelöscht wurde und keine weitere Vermischung zustande kommen wird. Dies erscheint auch indirekt durch die versprochene, klar strukturierte Ordnung gewährleistet, die Gott am Ende seiner Prophezeiung garantiert: Keine weitere kosmische Katastrophe wird die geschaffene Aufstellung der Erde noch einmal gefährden.230 Zwar wurde die Septuaginta und damit auch die in ihr enthaltenen Narrative von den überlieferten paganen Autoren nur selten rezipiert,231 jedoch übte sie auf die weitere Literatur des hellenistischen Judentums bedeutenden Einfluss aus und bildete neben der hebräischen eine griechische Textgrundlage für hellenistisch-jüdische Schriftsteller, die sich mit biblischen Inhalten beschäftigten.232 Als später Repräsentant eines solchen hellenistisch (und römisch) geprägten Judentums schrieb Flavius Josephus im ersten nachchristlichen Jahrhundert neben anderen Werken seine Antiquitates Iudaicae, eine Schilderung der jüdischen Geschichte in griechischer Sprache, die sowohl für jüdische als auch nicht-jüdische Rezipienten verfasst worden ist.233 Für diese historiographische Aufstellung formulierte Josephus in seinen methodischen Vorbemerkungen den Anspruch, die Details der biblischen Erzählungen in angebrachter Ordnung (κατὰ τὴν οἰκείαν τάξιν) präzise darzustellen und zugleich weder etwas hinzuzufügen, noch auszulassen.234 Beim Vergleich von biblischen Episoden mit deren Renarrationen zeigt sich jedoch, dass Josephus’ angewandte Methodik diesen Prolegomena geradezu zu widersprechen scheint, 228 LXX Gen. 6,5. Zur ähnlich pessimistischen Anthropologie Senecas und dessen Schlussfolgerung zyklischer Zerstörungen siehe unten Kap. 6.2. 229 Soggins (1999) 148. 230 Vgl. Alter (1996) 37. 231 Siehe dazu etwa Lightfoot (2003) 339–342, die auffallende Ähnlichkeiten zwischen dem biblischen Flutnarrativ und (Pseudo-)Lukians De dea Syria 12 diskutiert. 232 Vgl. Dorival (2014). 233 Vgl. Müller (2010) 651–654. 234 Ios. ant. Iud. 1,17: τὰ μὲν οὖν ἀκριβῆ τῶν ἐν ταῖς ἀναγραφαῖς προϊὼν ὁ λόγος κατὰ τὴν οἰκείαν τάξιν σημανεῖ· τοῦτο γὰρ διὰ ταύτης ποιήσειν τῆς πραγματείας ἐπηγγειλάμην οὐδὲν προσθεὶς οὐδ’ αὖ παραλιπών.

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da er die biblischen Passagen neu arrangiert und teilweise Elemente aus außerbiblischen Traditionen ergänzt.235 Für dieses Vorgehen konstatiert L. Feldman: »[Josephus had not] a single model for his work but rather combined elements from various sources with which he was acquainted, and that in retelling the biblical narrative, he applied the critical method he had learned from the Greek historians, notably from Thucydides.«236 Im Folgenden soll nun herausgearbeitet werden, welche Elemente der biblischen Sintflut Flavius Josephus für seine eigene Darstellung im ersten Buch der Antiquitates Iudaicae rezipiert bzw. adaptiert hat. Zunächst leitet er das Flutnarrativ mit einem Präludium ein, das die Geschichte des Adamssohnes Seth und dessen Nachfahren thematisiert und als Verbindungsstück zwischen der Adamsgeschichte und dem Flutbericht fungiert.237 In dieser Episode wird eindrücklich betont, dass Seths Nachkommenschaft sich einerseits durch eine tugendhafte Lebensführung, andererseits jedoch auch durch die Entdeckung und Weiterentwicklung spezifischer Wissensgebiete – besonders der Astronomie – hervorgetan hat.238 Zugleich tritt wiederum Adam in den Vordergrund, der hier die Funktion eines Propheten erfüllt: Es wird konstatiert, dass dieser – vermutlich durch die Frucht vom Baum der Erkenntnis – einen Status übermenschlicher Weisheit erlangt hat, wodurch er nun die Zukunft der Menschheit und der Welt kenne.239 Dadurch wisse er, dass es eine Zerstörung aller Dinge geben werde (ἀφανισμὸς τῶν ὅλων), wobei diese durch Wasser oder auch durch Feuer eintreten könne,240 weswegen die Nachkommen Seths zwei Säulen – eine aus Ziegeln, eine aus Stein – errichten, auf denen ihr gesamtes Wissen festgehalten wird, um dieses vor dem prophezeiten Untergang zu bewahren.241 Die Vernichtung entweder durch Wasser oder Feuer und der damit einhergehende Verlust des kulturellen Gedächtnisses bilden eine deutliche Schnittmenge mit der platonischen Konzeption periodischer Zerstörungen Griechenlands durch Flut- und Brandkatastrophen, wenn es sich bei Josephus auch – im Gegensatz zur platonischen Vorstellung – um ein einmaliges Ereignis handelt. Nimmt man besonders den Aspekt in den Fokus, dass es nicht ganz sicher ist, ob Feuer oder 235 Vgl. Feldman (2006) 361–364. Siehe auch die aufgestellten Lösungsansätze zu diesem scheinbaren Widerspruch bei Feldman/Mason (2000) 7f. Anm. 22. 236 Feldman (1998) 23. 237 Ios. ant. Iud. 1,68. 238 Ios. ant. Iud. 1,69: […] σοφιάν τε τὴν περὶ τὰ οὐράνια καὶ τὴν τούτων διακόσμησιν ἐπενόησαν. 239 Siehe zur rabbinischen Tradition dieses Motives Feldman/Mason (2000) 24 Anm. 165. 240 Die Formulierung in der Passage könnte auch darauf verweisen, dass es einmal eine Zerstörung durch Feuer und einmal durch Wasser geben wird: […] τὸν μὲν κατ’ ἰσχὺν πυρὸς τὸν ἕτερον δὲ κατὰ βίαν καὶ πλῆθος ὕδατος […]. Bei dieser Interpretation käme jedoch die Frage auf, warum zuvor dann nur von einer Zerstörung (ἀφανισμὸς τῶν ὅλων) gesprochen wurde. 241 Ios. ant. Iud. 1,70.

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Wasser den Untergang einleiten sollen, lässt sich darin auch eine Parallele zum Präludium der deukalionischen Flut in Ovids Metamorphosen feststellen, wenn Jupiter darüber nachdenkt, welches Element er einsetzen soll, um die Menschheit auszulöschen.242 Da der Gott schließlich eine Überschwemmung als Modus der Zerstörung wählt, erweist sich dies ebenfalls als offensichtliche Gemeinsamkeit. Dass jedoch mit Blick auf die vorhergesagte Katastrophe das vorsintflutliche Wissen konserviert wird, bildet eine auffallende Überschneidung mit anderen Kataklysmos-Konzepten, die bereits in diesem Kapitel thematisiert wurden, etwa dass nach der Darstellung des Berossos das prädiluviale Wissen auf Steintafeln bewahrt wurde und man diese in Sippar vergrub.243 Auf einer typologischen Ebene trifft sich diese Variante der Wissenskonservierung jedoch auch mit solchen des Wissenstransfers. So wird etwa bei Diodor das astronomische Wissen der Heliaden ins ägyptische Heliopolis übertragen und bleibt dadurch von der Vernichtung verschont. In einem weiter gefassten Sinne träfe dies sogar auf jedes Flutnarrativ zu, in dem ein Überlebender als Kulturstifter der neuen Zivilisation fungiert, wenn auch der konkrete Aspekt des tradierten Wissens dabei nicht speziell hervorgehoben wird und eine eher untergeordnete Rolle einnimmt. Josephus gibt zudem an, dass diejenige Säule aus Stein, die errichtet wurde, um eine potenzielle Flutkatastrophe zu überstehen, immer noch in Seiris vorzufinden sei.244 Dies demonstriert dessen argumentative Strategie, bestimmte Aspekte seiner Darstellung mit dem Hinweis auf materielle Artefakte zu autorisieren.245 Zugleich betont diese Aussage, dass es keine zweite Katastrophe in der Vergangenheit gegeben hat und das Feuer somit nicht als Modus der Zerstörung fungierte. Anschließend fährt die Darstellung mit den Aspekten fort, die den Beginn des Flutnarrativs in der Septuaginta konstituieren, nämlich den Gründen, die einen allumfassenden Kataklysmos erforderlich gemacht haben. Dabei wird zunächst die moralische Depravation der Menschheit angeführt, die bei Josephus umso mehr hervorsticht, da sie als konkreter Gegensatz zur vorherigen Tugend der Nachkom-

242 Ov. met. 1,253-61. 243 Für weitere Parallelen, in denen Wissen auf materiellen Gegenständen fixiert wird, um es zu erhalten, siehe Feldman/Mason (2000) 24f. Anm. 166. Für weitere, besonders mittelalterliche und frühneuzeitliche Texte, die das Motiv des archivierten Wissens thematisieren, siehe Assmann (2006b). 244 Ios. ant. Iud. 1,71. Welches Land oder Gebiet damit gemeint ist, konnte nicht eindeutig identifiziert werden. Zu Vorschlägen siehe Feldman/Mason (2000) 26 Anm. 168 245 Vergleichbare Verweise zieht er auch in 1,92 (Überreste der Arche Noahs), 1,151 (Abrahams Grab) sowie 10,264f. (Daniels Festung). Siehe zur erwähnten Steinsäule auch Assmann (2006b) 292: »Offenbar handelt es sich um eine Legende, die sich an ein mit unlesbaren Schriftzeichen, vermutlich ägyptischen oder hethitischen Hieroglyphen, bedecktes Monument geknüpft hat.«

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men Seths bezeichnet wird.246 Zudem wird noch eindrücklicher als im Narrativ der Genesis betont, dass die Menschen ihr Verhalten bewusst geändert und die Frevel vor Gott damit absichtlich begangen haben. Auch den zweiten Auslöser, die Vermischung zwischen menschlicher und göttlicher Sphäre, thematisiert Josephus,247 wobei explizit das griechische Konzept der Hybris aufgerufen wird, um herauszustellen, dass die Strafe, die für die Kinder dieser Vereinigung eintreten wird, selbstverschuldet ist: πολλοί γὰρ ἄγγελοι θεοῦ γυναιξὶ συνιόντες ὑβριστὰς ἐγέννησαν παῖδας καὶ παντὸς ὑπερόπτας καλοῦ διὰ τὴν ἐπὶ τῇ δυνάμει πεποίθησιν· ὅμοια γὰρ τοῖς ὑπὸ γιγάντων τετολμῆσθαι λεγομένοις ὑφ’ Ἑλλήνων καὶ οὗτοι δράσαι παραδίδονται.248

Denn viele Engel Gottes hatten Verkehr mit Frauen und zeugten Kinder, die Frevler waren und Verächter alles Guten wegen ihres Vertrauens auf ihre Kraft; auch von diesen nämlich wird überliefert, dass sie ähnliche Dinge getan hätten, wie diejenigen (Taten), die von den Griechen erzählt werden, dass sie von den Giganten verübt worden seien.

Dabei stellt er zudem ausdrücklich die Verbindung mit den Giganten der griechischen Mythologie her und betont die Assoziation mit diesen, die bereits in der Septuaginta durch die Wahl der Übersetzung vom hebräischen Nephilim als γίγαντες markiert wird. In den Antiquitates Iudaicae wird dadurch eine direkte Auflehnung der Nephilim gegen Gott proklamiert, auf die letzterer mit einer Bestrafung reagieren muss.249 Der Figur des Noah wird, im Gegensatz zum biblischen Narrativ, in dem er lediglich der passive Empfänger der göttlichen Verfügung ist, eine aktivere Rolle zugestanden, indem ihm zunächst einmal eine Reaktion auf die menschliche Verkommenheit zugeschrieben wird. Er versucht, quasi in der Funktion eines Predigers,250 seine Mitmenschen auf die Boshaftigkeit ihrer Taten hinzuweisen und sie zum Besseren zu bewegen.251 Die Umerziehung gelingt ihm zwar nicht, jedoch

246 Ios. ant. Iud. 1,72: […] ἀλλ’ ἣν πρότερον εἶχον τῆς ἀρετῆς ζήλωσιν διπλασίονα τῆς κακίας τότ’ ἐπιδεικνύμενοι δι’ ὧν ἔπραττον· ἔνθεν ἑαυτοῖς τὸν θεὸν ἐξεπολέμωσαν. 247 Die Antiquitates Iudaicae sprechen von ἄγγελοι θεοῦ anstelle von υἱοὶ θεοῦ, was als alternative Lesart auch für den Text der Septuaginta belegt und in der jüdisch-hellenistischen Exegese des biblischen Textes verbreitet ist; vgl. dazu Feldman/Mason (2000) 26 Anm. 172. Dies bestärkt zwar den dominierenden Monotheismus, ändert jedoch den Grundgedanken der Vermischung zwischen göttlicher und menschlicher Sphäre an dieser Stelle nicht. 248 Ios. ant. Iud. 1,73. 249 Vgl. Bloch (2011) 207. 250 Vgl. Feldman/Mason (2000) 27f. Anm. 178. 251 Ios. ant. Iud. 1,74.

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bietet dieses Vorgehen einen Ausgangspunkt für Josephus, um zu betonen, dass Gott Gefallen an der Einstellung Noahs und vor allem an dessen Rechtschaffenheit gefunden hat.252 Diese zeigt ihm jedoch nur umso deutlicher, dass die übrige Menschheit und die Kinder der Engel unrettbar verdorben sind: […] κατεδίκαζε δ’ οὐκ ἐκείνων μόνων τῆς κακίας, ἀλλὰ καὶ πᾶν ὅσον ἦν ἀνθρώπινον τότε δόξαν αὐτῷ διαφθεῖραι καὶ ποιῆσαι γένος ἕτερον πονηρίας καθαρόν, […].253 […] aber er (scil. Gott) verurteilte nicht jene allein wegen ihrer Bösartigkeit, sondern auch alles, was menschlich war, da es ihm damals gut erschien, sie zu vernichten und ein anderes Geschlecht frei von Bosheit zu erschaffen […].

Mit der Aussicht darauf, dass Gott ein zweites, verbessertes Menschengeschlecht zu erschaffen gedenkt, fügt Josephus ein Element ein, der weder im biblischen Narrativ noch in der jüdischen Auslegungsgeschichte Parallelen besitzt.254 Allerdings ist dieser Schöpfungsplan ein Aspekt, der prominent in Ovids Metamorphosen zur Geltung kommt, als Jupiter im Zuge seines Vernichtungsbeschlusses den übrigen Göttern verspricht, dass es nach der Flut ein neues Menschengeschlecht geben wird.255 Im Gegensatz zu den Metamorphosen, in denen nach der Flut eine neue Menschheit aus geworfenen Steinen entsteht,256 kommt es in den Antiquitates Iudaicae jedoch zu keinem konkreten zweiten Schöpfungsakt Gottes, obwohl dieser angekündigt worden ist, und es obliegt wie im biblischen Narrativ Noah und dessen Familie, die Erde mit neuen Menschen zu bevölkern. Daraufhin folgen die Anweisungen Gottes, wie Noah das rettende Schiff zu gestalten habe, das von Josephus als λάρναξ und nicht – wie in der Septuaginta und der sonstigen jüdisch-christlichen Tradition – als κιβωτός bezeichnet wird.257 Wie zuvor bereits beschrieben, ist der Terminus λάρναξ im Kontext von Flutnarrativen eng mit der Figur Deukalions verbunden, weswegen sich besonders frühchristliche Apologeten von diesem Begriff distanzierten und postulierten, dass das Wort κιβωτός angebrachter sei, um vom rettenden Kasten zu sprechen. Dies ist insofern von besonderer Relevanz, da es erneut die Vermutung bestätigt, dass Josephus nicht nur jüdische Auslegungstraditionen, sondern ebenfalls pagane Vorstellungen über den Kataklysmos herangezogen und produktiv verarbeitet hat. 252 253 254 255

Ios. ant. Iud. 1,75. Ios. ant. Iud. 1,75. Vgl. Feldman/Mason (2000) 29 Anm. 182. Ov. met. 1,250-252: talia quaerentes sibi enim fore cetera curae // rex superum trepidare vetat subolemque priori // dissimilem populo promittit origine mira. 256 Siehe unten Kap. 7.3. 257 Ios. ant. Iud. 1,77.

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Nach einer anschließenden, umfangreichen Digression zur Genealogie Noahs,258 beginnt die Darstellung des eigentlichen Flutereignisses: ἐπισημήναντος δὲ τοῦ θεοῦ καὶ ὕειν ἀρξαμένου τὸ ὕδωρ ἡμέραις τεσσαράκοντα ὅλαις κατεφέρετο, ὡς ἐπὶ πήχεις πεντεκαίδεκα τὴν γῆν ὑπερέχειν. καὶ τοῦτο ἦν τὸ αἴτιον τοῦ μὴ διασωθῆναι πλείονας φυγῆς ἀφορμὴν οὐκ ἔχοντας. παυσαμένου δὲ τοῦ ὑετοῦ μόλις ἤρξατο ὑποβαίνειν τὸ ὕδωρ ἐφ’ ἡμέρας ἑκατὸν και πεντήκοντα, ὡς μηνὶ ἑβδόμῳ, ἱσταμένου δὲ ἦν ἑβδόμη, κατ’ ὀλίγον ὑπονοστεῖν ἀπολήγοντος.259

Als Gott aber das Zeichen gegeben und es zu regnen begonnen hatte, fiel das Wasser ganze vierzig Tage lang herab, sodass es etwa fünfzehn Ellen über der Erde stand. Und dies war der Grund dafür, dass die meisten nicht gerettet werden konnten, weil sie keine Möglichkeit zur Flucht hatten. Nachdem aber der Regen aufgehört hatte, begann das Wasser nur langsam abzusinken hundertfünfzig Tage lang, sodass es im siebten Monat, am siebten Tag des beginnenden Monats, nach und nach zurückging (bis) zum Ende (des Monats).260

Der anhaltende Regen (ὁ ὑετός) tritt hier als einziges vernichtendes Mittel auf, womit Josephus der nicht-priesterlichen Variante des Flutberichtes sogar bis hin zur Terminologie folgt und die priesterliche, geradezu kosmische Auslegung – unterirdische und himmlische Wasserspeicher, deren Zugänge geöffnet werden – für seine Darstellung ausklammert.261 Er entscheidet sich damit einerseits für diejenige Möglichkeit, die näher an der konkreten Alltagserfahrung seiner Rezipienten angesiedelt ist, und die andererseits auch dominant im griechisch-römischen Vergangenheitsdiskurs auftritt, da es dort ebenfalls Dauerregen (ὁ ὄμβρος) ist, der einen Kataklysmos hervorruft.262 Gerade an diesem Beispiel lässt sich erkennen, dass Josephus durchaus selektierend mit der biblischen Vorlage arbeitet und mit Blick auf ein stimmiges Gesamtbild seiner Darstellung nicht nur Ergänzungen, sondern auch harmonisierende Entscheidungen zwischen verschiedenen Varianten vornimmt.

258 Ios. ant. Iud. 1,79–88. 259 Ios. ant. Iud. 1,89f. 260 Zur Problematik, dass die Zahlenangaben nicht mit der genannten Datierung übereinstimmen, siehe Feldman/Mason (2000) 32f. Anm. 226. 261 Anders etwa als Pseudo-Philon, der im Liber Antiquitatum Biblicarum 3,4f. gerade die kosmische Variante hervorhebt; vgl. Lewis (1978) 75. Für Erwähnungen zur Entstehung der Flut bei Philon von Alexandria siehe ebd. 48. 262 Im philosophischen Diskurs kann auch eine Metabole der Elemente zur Auflösung der Welt in Wasser führen; siehe Kap. 6.2.

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Parallel zum biblischen Narrativ wird im Folgenden geschildert, wie der Kasten an einem Berg in Armenien landet und Noah nacheinander den Raben und die Taube aussendet, um festzustellen, wie tief der Wasserpegel bereits steht.263 Die Taube kehrt schließlich nach längerer Absenz mit einem Olivenzweig zurück, woraus Noah erkennt, dass er die Erde wieder betreten kann, woraufhin alle geretteten Insassen den Kasten verlassen und ein Opfer für Gott vorbereitet wird.264 Um die Gültigkeit der von ihm präsentierten Darstellung zu unterstreichen, bedient sich Josephus im Folgenden zweier Autorisierungsstrategien, indem er erst einmal darauf verweist, dass sich aus dem Landungsort (ἀποβατήριος τόπος) der λάρναξ in Armenien ein Erinnerungsort entwickelt habe und dort noch immer deren Überreste gezeigt würden.265 Damit argumentiert er zunächst mit der ungebrochenen Erinnerung an diese Begebenheit, die in seiner eigenen Zeit immer noch aktuell sei. Seine zweite Strategie zielt sodann darauf ab, außerbiblische Autoritäten heranzuziehen, um deren Schilderungen einer urzeitlichen Flutkatastrophe und besonders der immer noch sichtbaren Artefakte dieses Ereignisses als Beweise für seine eigene Darstellung zu verwenden. Zu diesem Zweck wählt er Historiographen aus, die ebenfalls in griechischer Sprache über nicht-griechische Geschichte geschrieben haben (οἱ τὰς βαρβαρικὰς ἱστορίας ἀναγεγραφότες), wobei er als ersten Berossos (Βηρωσὸς ὁ Χαλδαῖος) anführt. Aus dessen Babyloniaca führt er nun ein direktes Zitat an, das irgendwo (που) in Berossos´ Werk so zu finden sei und sich ebenfalls auf den Landungsort des Kastens bezieht.266 Als zwei weitere, autoritätsstiftende Autoren benennt er Hieronymus den Ägypter, der eine Geschichte Phöniziens geschrieben habe, sowie Mnaseas, der wohl ebenfalls Werke über die jüdische Geschichte verfasst hat,267 wobei er sich bei diesen damit begnügt, lediglich ihre Namen anzugeben und darauf zu verweisen, dass es noch unzählige andere gebe, die über den Kataklysmos geschrieben haben. Abschließend erwähnt er, dass zudem Nikolaos von Damaskus im 96. Buch seiner Weltchronik über die Flut berichtet, wobei er diesen wiederum direkt zitiert:

263 Ios. ant. Iud. 1,90f. Auch hier passt Josephus die Darstellung an, indem er Noah nur einmal die Taube aussenden lässt. 264 Ios. ant. Iud. 1,92. Feldman/Mason (2000) 33 Anm. 228 bemerkt, dass die Taube bei Josephus von Schlamm beschmutzt ist. Dies ist ein Detail, das nicht im biblischen Narrativ auftritt, jedoch in den überlieferten Fragmenten des Berossos (Synk. 53-56) erwähnt wird. 265 Ios. ant. Iud. 1,92. 266 Ios. ant. Iud. 1,93: λέγεται δὲ καὶ τοῦ πλοίου ἐν τῇ Ἀρμενίᾳ πρὸς τῷ ὄρει τῶν Κορδυαίων ἔτι μέρος τι εἶναι καὶ κομίζειν τινὰς τῆς ἀσφάλτου ἀφαιροῦντας· χρῶνται δ’ οἱ ἄνθρωποι τῷ κομιζομένῳ πρὸς τοὺς ἀποτροπιασμοὺς.

267 Für nähere Informationen zum Autor siehe Feldman/Mason (2000) 34 Anm. 239.

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ἔστιν ὑπὲρ τὴν Μινυάδα μέγα ὄρος κατὰ τὴν Ἀρμενίαν Βάρις λεγόμενον, εἰς ὅ πολλοὺς συμφυγόντας ἐπὶ τοῦ κατακλυσμοῦ λόγος ἔχει περισωθῆναι καί τινα ἐπὶ λάρνακος ὀχούμενον ἐπὶ τὴν ἀκρώρειαν ὀκεῖλαι καὶ τὰ λείψανα τῶν ξύλων ἐπὶ πολὺ σωθῆναι. γένοιτο δ’ ἄν οὗτος, ὅντινα καὶ Μωυσῆς ἀνέγραψεν ὁ Ἰουδαίων νομοθέτης.268

Es gibt oberhalb der Minyas-Gegend einen großen Berg in Armenien mit Namen Baris, zu welchem – sagt man – sich viele während der Flut flüchteten und überlebten und einer soll, indem er auf einem Kasten fuhr, auf die Bergspitze aufgelaufen sein und die Reste der Hölzer sollen sich dort für eine lange Zeit gehalten haben. Dieser dürfte es wohl auch sein, von dem Moses, der Gesetzbringer der Juden, geschrieben hat.

Dieses direkte Zitat ist nun insofern problematisch, als es herausstellt, dass – im Gegensatz zur Aussage des biblischen Narratives und zu Josephus’ eigener Darstellung – viele Menschen (πολλοί) den Kataklysmos überlebt haben und dass die Rettung in der λάρναξ nur eine Möglichkeit neben anderen gewesen ist, der Überflutung zu entkommen. Diesen Aspekt des Zitats blendet Josephus offenbar vollständig aus, indem er nicht näher darauf eingeht und die Aussage unkommentiert stehen lässt. Für ihn scheint es bei der Textstelle von größerer Bedeutung zu sein, dass auf die Verbindung zwischen Flutgeschehen und biblischem Bericht sowie auf die Lokalisierung der Überreste in Armenien hingewiesen wird. Die von Josephus gewählte Argumentationspraxis ermöglicht ihm, seine vorhergehende archäologische Autorisierungsstrategie durch eine weitere Ebene der Legitimierung zu unterstützen, indem er anführt, dass es auch andere, unabhängige Historiographen gibt, die auf die von ihm ausgewählten Beweise eingehen, was deren (scil. der Beweise) Glaubwürdigkeit bekräftigt. Dass gerade Nikolaos von Damaskus als letzter in dieser Reihe historiographischer Autoritäten und zudem noch mit konkreter Angabe des zitierten Buches angeführt wird, legt die Vermutung nahe, dass Josephus die vorhergehenden Hinweise auf Autoren – zumindest diejenigen, auf die er nur eingeht, ohne sie direkt zu zitieren – aus dessen 144 Bücher umfassender Universalchronik übernommen haben könnte, die vermutlich einen kompilierenden Charakter besessen und ihm für zahlreiche Passage als Bezugspunkt gedient hat.269 Jedoch erfüllt es auch eine systematische Funktion, Nikolaos zuletzt anzuführen, da er auf die Figur Noahs eingeht und damit eine passende Überleitung zur folgenden Passage bietet, die nicht mehr als Autorisierung des Vorherigen fungiert, sondern das eigentliche Narrativ weiterführt.

268 Ios. ant. Iud. 1,95. 269 Zur generellen Nutzung der Universalchronik des Nikolaos von Damaskus in den Antiquitates Iudaicae siehe Wacholder (1962) 11; 60–64; 76.

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In diesem wird nun eine interne Fokalisierung Noahs angefügt, die den Rezipienten dessen Furcht vor Augen führt, Gott könne, da er zuvor ja proklamiert hatte, die Menschheit vollständig zu vernichten,270 nach dieser ersten Flutkatastrophe jährlich (καθ’ ἕκαστον ἔτος) neue Kataklysmen schicken,271 um seine Ankündigung vollständig zu erfüllen.272 Diese Sorge veranlasst ihn, Gott das bereits erwähnte Brandopfer darzubringen, das im biblischen Sintflutnarrativ ohne zwingende Notwendigkeit vollzogen wurde und wohl ein übernommener Erzählbaustein mesopotamischer Narrative ist, in denen das Opfer zur Nahrung der Götter gedient und für diese damit essentielle Bedeutung besessen hatte. Im biblischen Kontext tritt es dagegen als Zeichen der Frömmigkeit und des Dankes auf, dass Noah und dessen Familie vor der Zerstörung bewahrt wurden. Bei Josephus erfüllt das Opfer jedoch den konkreten Zweck, einen direkten Kontakt zwischen Noah und Gott herzustellen, und erweist sich dadurch als Kommunikationsmedium, das Noah die Handlungsmacht einräumt, ein Gespräch mit der überlegenen Gottheit zu führen. Dabei tritt er Gott nun geradezu als Advokat der überlebenden Menschen gegenüber, der versucht jenen argumentativ davon zu überzeugen, seinen Vernichtungsbeschluss nicht in die Tat umzusetzen, da dies für die Erretteten, die den Schrecken des Kataklysmos aus nächster Nähe erlebt haben, ein noch grausameres Schicksal sei als dasjenige, das den Frevlern zuvor beschieden gewesen ist.273 Diese rhetorische Strategie verschiebt – gerade mit Blick auf die Passivität Noahs im biblischen Narrativ, in dem dieser stets die Verfügungen Gottes erfüllt – das Machtgefüge, indem sie jenem zumindest die Möglichkeit einräumt, Gott darum zu bitten, die Menschheit in Zukunft zu verschonen. Schließlich ersucht Noah Gott darum, das Opfer anzunehmen und damit ausdrücklich die Übereinkunft zu demonstrieren, keine weitere Flut mehr über die Menschheit kommen zu lassen.274 Zugleich verweist Noahs Bitte auch auf die Vorstellung, dass nur diejenigen für ihre Frevel bestraft werden, die sie auch begangen haben, was parallel zu dem Anliegen Eas/Enkis an Enlil im Gilgameš-Epos gesehen werden kann, die Menschen nach der Flut als Individuen für ihre Taten zu bestrafen.275 In den Antiquitates Iudaicae stimmt Gott Noahs Bitte zu, weist ihn aber 270 Ios. ant. Iud. 1,75. 271 Auch hier wird auf das Modell zyklischer Zerstörung durch Flutkatastrophen Bezug genommen, das in der griechischen Philosophie spätestens nach Platons Timaios prominent vertreten war, obgleich es sich bei der Erwähnung jährlicher Kataklysmen um eine Überspitzung handelt, die das traumatisierende Ausmaß der gerade erst beendeten Vernichtung veranschaulicht. 272 Ios. ant. Iud. 1,96. 273 Ios. ant. Iud. 1,97. 274 Ios. ant. Iud. 1,98: εὐμενῶς τε οὖν αὐτὸν προσδέχεσθαι τὴν θυσίαν παρεκάλει καὶ μηδεμίαν ὀργὴν ἐπὶ τὴν γῆν ὁμοίαν λαβεῖν […]. Diese Darstellung folgt stärker als die Septuaginta dem hebräische Konzept des Bundes (berīt). 275 Gilgameš-Epos, Tafel 11,183.

Hybride zwischen Orient und Okzident – Vorderorientalische Flutnarrative in griechischer Sprache

außerdem darauf hin, dass der Tun-Ergehen-Zusammenhang, den jener erbeten hatte, grundsätzlich bereits bestünde und er durch die Hybris der Menschen dazu gezwungen gewesen sei, seine Rache zu vollstrecken,276 was dem Konzept der Nemesis der Götter in der griechischen Mythologie gleichkommt.277 Ebenso betont er ausdrücklich, dass der Wunsch Noahs dazu beigetragen hat, dass er die Menschheit in Zukunft nicht noch einmal mit einer solchen Katastrophe heimsuchen wird. Auch darin zeigt sich ein deutlicher Unterschied zur biblischen Begründung, in der Gott verkündet, nicht noch einmal einen Kataklysmos über die Welt kommen zu lassen: Auch dort führt die pessimistische Feststellung Gottes, dass der Mensch grundsätzlich zum Bösen neigt und sich nicht ändern lässt, dazu, eine erneute Zerstörung auszuschließen.278 Die menschliche Handlungsmacht, die in der Person Noahs konzentriert ist, spielt in der Darstellung der Antiquitates Iudaicae also insgesamt eine bedeutendere Rolle als im biblischen Narrativ. In diesem ist die Passivität des frommen Noah ausgesprochen auffällig, da er lediglich die Verfügungen Gottes erfüllt. Im Gegensatz dazu sticht die aktive Rolle, die er bei Flavius Josephus einnimmt, klar hervor, da er gleich mehrere Funktionen (Prediger, Vollzieher des Opfers und Advokat der Menschheit) einnimmt.279 Dieses Beispiel zeigt, dass selbst Konzepte, die in einem autoritativ aufgeladenen Medium wie dem biblischen Flutnarrativ tradiert werden, innerhalb einer kulturellen Auslegungstradition durchaus transformiert und dadurch für die jeweilige Gegenwart aktualisiert werden können. Diese Transformationsprozesse zeichnen sich zwar bereits im Zuge eines Übersetzungsprogrammes wie der Septuaginta ab, sind jedoch umso deutlicher in der produktiven Umformung der transportierten Wissensbausteine und deren Anreicherung mit Elementen kultureller Paratexte in Werken wie den Antiquitates Iudaicae zu erkennen. Vor diesem Hintergrund ist etwa die Behauptung von J. P. Lewis, bei Josephus’ Darstellung handle es sich lediglich um eine Paraphrase der Septuaginta, in der wenig Auseinandersetzung mit rabbinischen und griechischen Vorstellungen deutlich würde, unhaltbar.280

276 Ios. ant. Iud. 1,100: […] ἀλλ’ οἷς ἐξύβριζον εἰς τὴν ἐμὴν εὐσέβειαν καὶ ἀρετήν, τούτοις ἐξεβιάσαντό με ταύτην αὐτοῖς ἐπιθεῖναι τὴν δίκην.

277 Vgl. Feldman/Mason (2000) 36 Anm. 253. 278 LXX Gen. 8,21f. 279 Eine solche Transformation der Figur Noahs könnte als Bestrebung gelesen werden, dem Menschen im Angesicht der Katastrophe zumindest eine gewisse Handlungsmöglichkeit einzuräumen und ihn nicht in stiller Akzeptanz vor dem Schrecken des Untergangs verweilen zu lassen. Dies drückt Josephus’ Noah in seiner Bitte an Gott implizit auch selbst aus (Ios. ant. Iud. 1,97), indem er vom Schrecken der Überlebenden spricht, den er mit seinen Handlungen zu kompensieren versucht. 280 Vgl. Lewis (1978) 77–81.

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3.3 Konzeptuelle Synthese Vor allem in den historiographischen und mythographischen Textzeugnissen ist eine doppelte Semantik des Wassers, einerseits als destruktives, andererseits als (re)kreatives Element hervorgetreten. Eine imaginierte Flutkatastrophe zeigt sich so für gewöhnlich mit dem Motiv einer anschließenden Rekonsolidierung verbunden. Die Flut kann dabei als Korrektiv fungieren, mit der eine Gottheit die Menschheit entsühnt bzw. die moralisch depravierten Menschen für ihre Verfehlungen bestraft und dadurch eine bessere Weltordnung institutionalisiert. Sie kann aber auch aus natürlichen Gesetzmäßigkeiten resultieren, die notwendigerweise zu einer solchen Katastrophe führen. Zugleich kann die Flut als Aition für die Gründung einer Stadt, die Installation eines Heiligtums oder Altars, die Etablierung eines Rituals oder Brauches sowie für die Existenz eines spezifischen Erinnerungsortes funktionalisiert werden. Das Ausmaß der Katastrophe kann dabei variieren: In einigen Darstellungen betrifft der Kataklysmos die gesamte Welt, in anderen wird er als auf bestimmte Gebiete begrenztes Ereignis imaginiert. Die zeitliche Verortung ist ebenfalls flexibel: Erscheint er in bestimmten Kontexten als einmaliges Ereignis in der Vergangenheit, werden in anderen Zusammenhängen verschiedene Flutereignisse postuliert, die bereits eingetreten sein sollen. Eine solche vage Periodizität ermöglicht es sodann auch, eine oder mehrere potenzielle Flutkatastrophen in der Zukunft zu verorten. Als ebenfalls variabler Konzeptbaustein erweist sich die Frage, wie genau der Kataklysmos entsteht. In den vorgestellten Textzeugnissen werden anhaltende Regenfälle, übertretende Flüsse, Güsse aus einem himmlischen Ozean und/oder aus dem Erdinneren hervorbrechende Wassermassen als physikalische Ursachen verantwortlich gemacht. Dabei müssen sich diese Wissensbausteine nicht gegenseitig ausschließen, sondern können auch im Verbund angeführt werden, um die umfassende Gewalt des Auflösungsszenarios zu unterstreichen. Selbst in denjenigen Sintflutkonzepten, die ein globales Ausmaß der Katastrophe postulieren, bleiben dennoch spezielle Gebiete und Überlebende unbeschadet, die wiederum als Träger prädiluvialen Wissens fungieren. Zumeist wird dabei ein aus den Wassermassen ragender Berg angenommen, auf den sich die überlebenden Menschen und Tiere flüchten können oder an dem das rettende Schiff der Erwählten landen kann. Bei Konzepten, in denen eine regionale Begrenzung der Katastrophe postuliert wird, werden besonders Ägypten oder Athen als Wissenshorte inszeniert, die das kulturelle Vergessen überdauern. Ebenso kann angenommen werden, dass überlebende Gelehrte in diese unversehrten Gebiete emigriert sind oder Artefakte (robuste Säulen oder Steintafeln) hergestellt wurden, die gelehrtes Wissen enthielten und von den Fluten nicht zerstört werden konnten. In dieser grundsätzlichen Konzeptstruktur können dann auch je nach kulturellem Hintergrund verschiedene Überlebende erinnert werden, die prinzipiell im

Konzeptuelle Synthese

Anschluss an die Katastrophe als Kulturstifter fungieren und die restaurierte Welt erneut bevölkern. Im mythographischen Diskurs wird dabei einerseits eine sexuelle Fortpflanzung angenommen, andererseits können jedoch auch übernatürliche Elemente eingefügt werden, etwa dass für Deukalion und Pyrrha aus Steinen ein neues Menschengeschlecht entstanden sei.

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Abb. 3 Flutkonzepte in der griechischen Literatur.

4. Konzepte von Untergang und Neukonsolidierung der Welt in der griechischen Naturphilosophie

Für die sogenannte vorsokratische Naturphilosophie ergibt sich eine ähnliche Problemstellung, wie sie bereits im Kontext der Vergangenheitsdiskurse evident geworden ist: Die originalen Werke, die philosophisch-naturkundliche Theorien über Weltentstehung und zumindest implizit auch über Weltuntergänge enthalten haben, sind im Zuge der Überlieferung bis auf wenige dekontextualisierte Fragmente und doxographische Zusammenfassungen verloren gegangen. Aus solchen, oft nur wenige Worte umfassenden Zitaten oder paraphrasierenden Exzerpten lassen sich die ursprünglich transportierten Konzepte nicht zweifelsfrei rekonstruieren. Auch die argumentativen und narrativen Vermittlungsstrategien sind aus dieser Überlieferungslage kaum zu eruieren. Dennoch soll an dieser Stelle versucht werden, die tradierten Grundgedanken früher Naturphilosophen zu eruieren und zu skizzieren. Diese Bestandsaufnahme bietet wiederum die Grundlage, um in einem nächsten Schritt beurteilen zu können, wie Platon und Aristoteles Konzeptbausteine ihrer Vorgänger rezipiert, bewertet und in ihren eigenen Werken zu neuen Konzepten transformiert haben.

4.1 ›Vorsokratische‹ Konzepte von Untergang und Neuformierung der Welt Aristoteles stellt in seiner Metaphysik die Behauptung auf, dass die meisten Philosophen vor seiner Zeit davon ausgegangen seien, dass alles aus bestimmten Urstoffen entstünde und letztlich wieder zu diesen verginge: τῶν δὴ πρώτων φιλοσοφησάντων οἱ πλεῖστοι τὰς ἐν ὕλης εἴδει μόνας ᾠήθησαν ἀρχὰς εἶναι πάντων· ἐξ οὗ γὰρ ἔστιν ἅπαντα τὰ ὄντα καὶ ἐξ οὗ γίγνεται πρώτου καὶ εἰς ὃ φθείρεται τελευταῖον, τῆς μὲν οὐσίας ὑπομενούσης τοῖς δὲ πάθεσι μεταβαλλούσης, τοῦτο στοιχεῖον καὶ ταύτην ἀρχήν φασιν εἶναι τῶν ὄντων, καὶ διὰ τοῦτο οὔτε γίγνεσθαι οὐθὲν οἴονται οὔτε ἀπόλλυσθαι, ὡς τῆς τοιαύτης φύσεως ἀεὶ σῳζομένης […].1

Die meisten derjenigen also, die als Erste philosophierten, meinten, dass die Ursachen in Form eines Stoffes2 die einzigen (Ursachen) aller Dinge seien: Woraus nämlich alle

1 Aristot. metaph. I 3, 983b6–13. 2 Zur aristotelischen Definition der ὕλη siehe Aristot. phys. I 9, 192a29–34: εἴτε γὰρ ἐγίγνετο, ὑποκεῖσθαί τι δεῖ πρῶτον ἐξ οὗ ἐνυπάρχοντος· τοῦτο δ’ ἐστὶν αὐτὴ ἡ φύσις, ὥστ’ ἔσται πρὶν γενέσθαι

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existierenden Dinge bestehen und woraus sie zuerst entstehen und worin sie zuletzt vergehen, wobei die Substanz bestehen bleibt, während sie sich in diesen Zuständen verändert, das, sagen sie, ist Element und Ursache der seienden Dinge und daher glauben sie, dass weder etwas (wirklich)3 entsteht noch vergeht, da ja diese Wesenshaftigkeit immer bewahrt wird […].

Daraufhin führt Aristoteles Thales von Milet, der als einer der sogenannten »sieben Weisen« gilt,4 als ältesten Vertreter eines solchen materiellen Monismus an und schreibt diesem zu, Wasser als Urstoff alles Seienden angenommen zu haben.5 Diese Theorie habe jener möglicherweise (ἴσως) aus Naturbeobachtungen entwickelt, die bestätigten, dass jegliche Nahrung sowie der Same jeden Lebewesens feucht seien.6 Eine grundsätzliche Problematik, die Komponenten seiner Lehre zu erschließen, ergibt sich daraus, dass Thales vermutlich keine Schriften verfasst, sondern seine Thesen mündlich an seine Schüler vermittelt hat.7 Folglich lassen sich keine eindeutigen Details darüber gewinnen, ob oder in welcher Weise das physikalische Gedankenmodell des Thales tatsächlich eine Auflösung der Welt in Wasser impliziert hat.

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(λέγω γὰρ ὕλην τὸ πρῶτον ὑποκείμενον ἑκάστῳ, ἐξ οὗ γίγνεταί τι ἐνυπάρχοντος μὴ κατὰ συμβεβηκός) εἴτε φθείρεται, εἰς τοῦτο ἀφίξεται ἔσχατον, ὥστε ἐφθαρμένη ἔσται πρὶν φθαρῆναι. Vgl. dazu Gregory (2007) 163f. Aristoteles scheint hier lediglich betonen zu wollen, dass die angesprochenen Vorsokratiker kein tatsächliches Entstehen und Vergehen, sondern lediglich eine Veränderung zwischen den verschiedenen Zuständen des jeweiligen Urstoffes angenommen hätten. Vgl. Mansfeld/Primavesi (4 2012) 37–39. Aristot. metaph. I 3, 983b20–27. Dass Thales bis in die christliche Zeit mit dieser Lehre assoziiert worden ist, zeigt die Darstellung seiner Lehre in Hippol. haer. 1,1: λέγεται Θαλῆν τὸν Μιλήσιον ἕνα τῶν ἑπτὰ σοφῶν πρῶτον ἐπικεχειρηκέναι φιλοσοφίαν φυσικήν. οὗτος ἔφη ἀρχὴν τοῦ παντὸς εἶναι καὶ τέλος τὸ ὕδωρ. Zur Rezeption des Thales in der christlichen Literatur siehe Schwab (2012). Vgl. dazu Gregory (2007) 28, der die Verbindungen zu mythischen Kosmogonien aus Wasser aufzeigt, die im östlichen Mittelmeerraum weit verbreitet gewesen sind, und die These vertritt, dass Thales eine »Rationalisierung« solcher Konzepte unternommen haben könnte, indem er das Wasser als multipotente Ausgangsbasis bestimmt habe. Eine solche Semantik des Wassers als Quelle der Dinge findet sich zudem im epischen Kontext bereits in der homerischen Ilias, wenn »Okeanos als Ursprung von allem« (Od. Il. 14,246: Ὠκεανοῦ, ὅς περ γένεσις πάντεσσι τέτυκται) bezeichnet wird. Siehe dazu auch O’Grady (2002) 64f., die die argumentativen Vorteile von Wasser als Basisstoff hervorhebt. Vgl. Dührsen (2013a) 239. Gerade aufgrund dieses Umstandes sind Diskussionen um die genauen Inhalte der Kosmologie des Thales, wie sie etwa Gregory (2007) 29f. in Auseinandersetzung mit West (1963) bietet, meines Erachtens Spekulationen, die nicht entschieden werden können. Die dominierende Forschungsmeinung zur Wasserlehre des Thales fasst Dührsen (2013a) 254 zusammen: »Offenbar unter dem Einfluss orientalischer Wasserkosmogonien hat Thales das Wasser als eine Art Urmeer oder Grundfeuchte angesetzt, die den anfänglichen Zustand der Welt und den Ausgangspunkt aller weiteren kosmogonischen Prozesse darstellt. Doch auch in den späteren Stadien der Weltbildung wirkt das Wasser weiter in generierender und regenerierender Funktion.«

›Vorsokratische‹ Konzepte von Untergang und Neuformierung der Welt

Für Anaximander von Milet, der wohl um 610 v. Chr. geboren wurde und dem die doxographische Tradition zuschreibt, ein Schüler des Thales gewesen zu sein, ist ebenfalls eine monistische Lehre überliefert. Nach dieser habe sich alles aus einer abstrakten Ursubstanz, die er als »das Unbegrenzte/Unbestimmte« (τὸ ἄπειρον) bezeichnet haben soll,8 herausentwickelt: […] Ἀναξίμανδρος μὲν Πραξιάδου Μιλήσιος Θαλοῦ γενόμενος διάδοχος καὶ μαθητὴς ἀρχήν τε καὶ στοιχεῖον εἴρηκε τῶν ὄντων τὸ ἄπειρον, πρῶτος τοῦτο τοὔνομα κομίσας τῆς ἀρχῆς. λέγει δ’ αὐτὴν μήτε ὕδωρ μήτε ἄλλο τι τῶν καλουμένων εἶναι στοιχείων, ἀλλ’ ἑτέραν τινὰ φύσιν ἄπειρον, ἐξ ἧς ἅπαντας γίνεσθαι τοὺς οὐρανοὺς καὶ τοὺς ἐν αὐτοῖς κόσμους· ἐξ ὧν δὲ ἡ γένεσίς ἐστι τοῖς οὖσι, καὶ τὴν φθορὰν εἰς ταῦτα γίνεσθαι κατὰ τὸ χρεών. διδόναι γὰρ αὐτὰ δίκην καὶ τίσιν ἀλλήλοις τῆς ἀδικίας κατὰ τὴν τοῦ χρόνου τάξιν, ποιητικωτέροις οὕτως ὀνόμασιν αὐτὰ λέγων.9

[…] Anaximander, des Praxiades Sohn, aus Milet, Nachfolger und Schüler des Thales, behauptete, Prinzip und Element der seienden Dinge sei das Unbegrenzte/Unbestimmte, wobei er als erster das Prinzip mit diesem Namen bezeichnete. Als solches nennt er weder das Wasser, noch ein anderes der üblichen Elemente, sondern eine andere, unbegrenzte/ unbestimmte Wesenheit, aus der sämtliche Universen sowie die in ihnen enthaltenen Welten entstehen: ›Aus welchen (Dingen) die seienden Dinge ihr Entstehen haben, in diese findet auch ihr Vergehen statt, wie es sein muss, denn sie leisten einander Recht und Strafe für das Unrecht, gemäß der zeitlichen Ordnung,‹ wobei er darüber in diesen eher poetischen Worten sprach.10

8 Was er genau unter dem Terminus verstanden hat, wird vielfach diskutiert; siehe etwa Kirk/Raven/ Schofield (2001) 121: »Entweder bedeutete τὸ ἄπειρον ›das räumlich Unbegrenzte‹, und dabei war impliziert, daß es der Art nach unbestimmt war, weil es nicht förmlich als Feuer, Luft, Wasser oder Erde identifiziert war […]; oder Anaximander wollte dem Ausdruck in erster Linie die Bedeutung geben ›das, was der Art nach unbestimmt ist‹; aber dabei nahm er dann natürlich an, daß es auch von unbegrenzter Ausdehnung und Dauer ist […].« Dagegen postuliert Dührsen (2013b) 298, »dass es sich bei dem Apeiron um etwas Stoffliches handelt, das etwa der ›rudis indigestaque moles‹ in den ›Metarmorphosen‹ (1,5–20) Ovids vergleichbar ist: eine riesige, unermesslich weit ausgedehnte, einheitlich-homogene, aber eben auch rohe und ungeschiedene Urmasse, die am Anfang der Weltbildung das Erste und Einzige ist, das existiert, und aus der durch den […] Vorgang der Aussonderung weitere Wesen und letztlich das ganze Weltall entstehen.« Zusätzlich (299–301) führt er eine lexikalische Zusammenstellung zur Verwendung von ἄπειρος sowie weiterer stammverwandter Adjektive in der archaischen Literatur an, die plausibel macht, dass der Terminus auch »undurchdringlich« bedeuten konnte. 9 Simpl. in phys. 24,13–21. Daneben schreiben auch Hippolyt von Rom (haer. 1,6,1f.) und PseudoPlutarch (strom. 2) Anaximander das substantivierte Adjektiv zu. 10 Angepasste Übersetzung von Mansfeld/Primavesi (4 2012) 17.

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Es ist wahrscheinlich, dass Anaximander mit der Definition einer solchen »unbegrenzten«, »unbestimmten« oder wohl besser »undurchdringlichen Wesenheit« (φύσις ἄπειρος) an »Hesiods Chaos und an die im Orient verbreitete Vorstellung eines düsteren Abgrunds von der Art des ›Abyssos‹ der biblischen Genesis anknüpfte.«11 Wie in Hesiods mythologischer Darstellung gehen die größeren Strukturen der Welt nach Anaximanders kosmologischem Modell wohl ebenfalls aus einer solchen indifferenten Urmasse hervor, der der milesische Philosoph offenbar die Qualitäten zugeschrieben hat – im Gegensatz zu den entstandenen Strukturen der differenzierten Welt – »unsterblich« (ἀθάνατος) und »unzerstörbar« (ἀνώλεθρος) zu sein.12 Wie das wahrscheinlich einzige überlieferte Direktzitat aus dem Werk Anaximanders betont,13 muss notwendigerweise auch ein Vergehen derjenigen Gefüge eintreten, aus denen die Welt zusammengesetzt worden ist.14 Die Modi dieser kosmischen Auflösungsprozesse sind jedoch weitgehend unklar: So ist etwa nicht einmal eindeutig, ob Anaximander davon ausging, dass – nach einem zyklischen Modell – eine einzige Welt immer wieder entsteht, vergeht und sich neu aus dem ἄπειρον herausbildet oder ob unendlich viele Welten simultan existieren können, die nach gewissen Zeitabständen wieder vergehen.15 Daher könnte es zwar plausibel sein, dass Anaximander behauptet hat, durch die andauernde Verdunstung des Feuchten, der in seinem kosmologischen System eine gewichtige Rolle zugekommen zu sein scheint, werde »das Feuer alles verbrennen, bis es, mangels weiterer Nahrung, erlischt, so dass der kosmologische Prozess

11 Dührsen (2013b) 301; vgl. auch Hölscher (1953). 12 Aristot. phys. III 4, 203b13f. Die Kombination beider Adjektiven könnte suggerieren, dass das ἄπειρον weder aus innerer Notwendigkeit vergehen (άθάνατος) noch von außen zerstört werden kann (ἀνώλεθρος). 13 Siehe die zuvor aus Simpl. in phys. 24,13–21 zitierte Passage (ἐξ ὧν δὲ ἡ γένεσίς ἐστι τοῖς οὖσι, καὶ τὴν φθορὰν εἰς ταῦτα γίνεσθαι κατὰ τὸ χρεών. Διδόναι γὰρ αὐτα δίκην καὶ τίσιν ἀλλήλοις τῆς ἀδικίας κατὰ τὴν τοῦ χρόνου τάξιν). In der Forschung wird jedoch kontrovers diskutiert, welche Teile des Zitats als authentisch angesehen werden können; vgl. Dührsen (2013b) 287–294. 14 Zu genaueren Details, welchen Aufbau der Welt Anaximander wahrscheinlich gelehrt hat, vgl. ebd., 302f, wo die Darstellungen der doxographischen Tradition, besonders [Plut.] strom. 2, zur Kosmogonie diskutiert wird. Nach dieser lehrte Anaximander wohl eine sukzessive, auf selbstregulierenden Naturprozessen beruhende Weltentstehung, während der zunächst ein »Samen« (τὸ γόνιμον) entstanden sei, welcher die Qualitäten des »Warmen und Kalten« (θερμὸς καὶ ψυχρός) enthält. Darauf folge eine Phase der Absonderung, in der sich kalte und warme Materie voneinander trennen; siehe ebd., 303: »Nachdem zunächst eine riesige ›Flammenkugel um den rings um die Erde lagernden Nebeldunst herumgewachsen war wie Rinde um einen Baum‹ (φλογὸς σφαῖραν περιφυῆναι τῷ περὶ τὴν γῆν ἀέρι ὡς τῷ δένδρῳ φλοιόν [= DK A 10]), wird sie plötzlich ›abgerissen‹ (ἀπορραγείσης [= DK A 10]) und in kreisförmige Feuerringe zerteilt, die ihrerseits wieder von Nebeldunst umschlossen werden […]. Anscheinend ist die Erde, während sich die Flammenkugel rings um den Nebeldunst bildet, schon irgendwie existent.« 15 Vgl. Gregory (2016) 16.

›Vorsokratische‹ Konzepte von Untergang und Neuformierung der Welt

schließlich gewissermaßen in umgekehrter Richtung verlaufen wird.«16 Es fehlen jedoch konkrete Belege, die eine solche These verifizieren könnten. Zudem steht zur Debatte, ob dann nicht in unbeabsichtigter Anachronizität Elemente einer späteren Ekpyrosis-Lehre, wie sie analog in den Modi von Verdunstung, fehlender Nahrung und folgender Entzündung der Welt etwa in Ciceros De natura deorum bestimmten Stoikern zugeschrieben wird,17 auf dieses ältere Konzept des Weltuntergangs übertragen werden. Daher sollte festgehalten werden, dass durchaus die Möglichkeit besteht, dass Anaximander aus der Prämisse, alles Entstandene müsse wieder zurück zur Urmasse vergehen, einen Untergang der Welt in Feuer gelehrt haben könnte, was bedeuten würde, dass ein solches Konzept bereits im 6. Jahrhundert v. Chr. aufgetreten wäre. Jedoch kann diese These aufgrund der fragmentierten Quellenlage nicht zweifelsfrei bewiesen werden. Anaximenes, der in der Überlieferung als dritter milesischer Naturphilosoph angeführt wird, soll in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts v. Chr. gelebt haben und ein Schüler des Anaximander gewesen sein.18 Ihm wird ebenfalls eine monistische Lehre zugeschrieben, die jedoch wieder ein konkretes Element, nämlich die Luft, als Ursubstanz in den Fokus rückt.19 Deren Elementarqualität verändert sich durch Verdünnung oder Verdichtung: καὶ ἀραιούμενον μὲν πύρ γίνεσθαι, πυκνούμενον δὲ ἄνεμον, εἶτα νέφος, ἔτι δὲ μᾶλλον ὕδωρ, εἶτα γῆν, εἶτα λίθους, τὰ δὲ ἄλλα ἐκ τούτων.20 Im Kontext dieser Wandlungsprozesse ist jedoch kein explizites

Weltuntergangskonzept überliefert, weswegen hier nicht weiter auf dessen Lehre eingegangen werden soll.21 Anders verhält es sich mit dem etwa zur selben Zeit lebenden und wirkenden Xenophanes von Kolophon,22 der bei späteren Doxographen vor allem dafür hervorgehoben wurde, dass er die homerischen und hesiodeischen Götterbilder kritisiert und eine henologische Theologie entwickelt habe.23 Denn neben diesen Lehren wird ihm außerdem eine Elementtheorie zugeschrieben, die prinzipiell zwei Grundstoffe annimmt: Wasser und Erde bildeten die konstitutiven Bestandteile von allem, was entstanden ist, seien es andere Elemente wie etwa der Wind, Strukturen Mansfeld/Primavesi (4 2012) 60. Siehe unten Kap. 5.2. Vgl. Mansfeld/Primavesi (4 2012) 80f. Vgl. Dührsen (2013c) 322–325. Simpl. in phys. 24,29–31: »Und durch Verdünnung (der Luft) entstehe Feuer, durch Verdichtung Wind, danach Gewölk, bei noch mehr (Verdichtung) dann Wasser, danach Erde, danach Steine; die übrigen Dinge seien aus diesen.« 21 Siehe Gregory (2016) 17: »With Anaximenes there is a […] debate about the number of cosmoi and their fate. Possible interpretations include multiple co-existent cosmoi, a single recurring cosmos, and a unique everlasting cosmos.« 22 Vgl. Kirk/Raven/Schofield (2001) 179. 23 Vgl. Schirren (2013) 349–355. 16 17 18 19 20

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der Welt oder Lebewesen wie der Mensch.24 Bei der Darstellung dieser Theorie behauptet Hippolyt von Rom in seiner Refutatio omnium haeresium außerdem, Xenophanes habe das Konzept einer periodischen Auflösung der Welt gelehrt: ὁ δὲ Ξενοφάνης μίξιν τῆς γῆς πρὸς τὴν θάλασσαν γίνεσθαι δοκεῖ καὶ τῷ χρόνῳ ὑπὸ τοῦ ὑγροῦ λύεσθαι, φάσκων τοιαύτας ἔχειν ἀποδείξεις, ὅτι ἐν μέσῃ γῇ καὶ ὄρεσιν εὑρίσκονται κόγχαι, καὶ ἐν Συρακούσαις δὲ ἐν ταῖς λατομίαις λέγει εὑρῆσθαι τύπον ἰχθύος καὶ φωκῶν, ἐν δὲ Πάρῳ τύπον δάφης ἐν τῷ βάθει τοῦ λίθου, ἐν δὲ Μελίτῃ πλάκας συμπάντων τῶν θαλασσίων. ταῦτα δέ φησι γενέσθαι ὅτε πάντα ἐπηλώθησαν πάλαι, τὸν δὲ τύπον ἐν τῷ πηλῷ ξηρανθῆναι. ἀναιρεῖσθαι δὲ τοὺς ἀνθρώπους πάντας ὅταν ἡ γῆ κατενεχθεῖσα εἰς τὴν θάλασσαν πηλὸς γένηται, εἶτα πάλιν ἄρχεσθαι τῆς γενέσεως, καὶ ταύτην πᾶσι τοῖς κόσμοις γίνεσθαι μεταβολήν.25

Xenophanes ist aber der Meinung, es finde eine Mischung der Erde mit dem Meer statt und sie werde mit der Zeit von der Feuchtigkeit aufgelöst, wobei er behauptet, die folgenden Beweise zu haben, dass im Landesinneren und im Gebirge Muscheln gefunden werden, und in Syrakus in den Steinbrüchen, sagt er, finde man den Abdruck von Fisch und von Robben, in Paros tief im Gestein den Abdruck von Lorbeer, auf Malta flache Formen aller Meereslebewesen zusammen. Diese (Abdrücke), sagt er, seien entstanden, als alles vor langer Zeit verschlammt gewesen, (und) der Abdruck im Schlamm eingetrocknet sei. Alle Menschen würden dabei jedes Mal umkommen, wenn die Erde ins Meer geschwemmt und zu Schlamm werde; danach beginne sie wiederum mit der Entstehung und dieser Wandel geschehe in allen Welten.

Dieses Testimonium thematisiert zunächst, dass Xenophanes die sogenannte Tekmerien-Methode angewandt habe, um die aufgestellte Hypothese, dass Vermischungen von Meer und Land (ἡ μίξις τῆς γῆς πρὸς τὴν θάλασσαν) periodisch eintreten, zu autorisieren.26 Bei diesem Vorgehen handelt es sich um eine Beweisführung, für die konkrete, anschauliche Phänomene herangezogen werden, um verborgene Muster und Prozesse sichtbar und dadurch nachvollziehbar zu machen.27 Dazu können mit Bedeutung aufgeladene Objekte, wie in diesem Fall

24 Siehe etwa DK 21 B 29 (= Simpl. in phys. 188,32): γῆ καὶ ὕδωρ πάντ’ ἔστ’ ὅσα γίνοντ’ ἠδὲ φύονται. Vgl. auch DK 21 B 27. 25 Hippol. haer. 1,14,5f. 26 Vgl. Schäfer (1996) 131f. 27 Vgl. grundlegend Diller (1932) zur Methode der ὄψις ἀδήλων τὰ φαινόμενα und ihrer Anwendung in verschiedenen Kontexten. Dieser konstatiert einen Unterschied zur Methode der Analogiebildung, der darin besteht, dass »jenes [Analogon] eine ausgeführte Parallele gibt, die das Sosein eines unbekannten Vorgangs oder Zustandes an einem sichtbaren klarmacht, während das Zeichen das Dasein eines unbekannten Vorgangs oder Zustandes anzeigt (›indiziert‹)« (20).

›Vorsokratische‹ Konzepte von Untergang und Neuformierung der Welt

die erwähnten Abdrücke, angeführt werden, von denen man in einem nächsten Schritt bestimmte Rückschlüsse zieht. Gemäß dem Testimonium habe Xenophanes nun gefolgert, dass bereits in der Vergangenheit mindestens eine Vermischung von Meer und Land eingetreten sein muss, die dazu geführt hat, dass die genannten Fossilienfunde zu seiner eigenen Zeit vorliegen. Die Annahmen, dass es sich bei einem solchen Untergang um ein periodisch eintretendes Ereignis handelt,28 und dieses von globalem Ausmaß ist, deuten dabei auf die systematische Absicht hin, prinzipielle Naturgesetze aufzustellen, die nicht nur auf einen Einzelfall, sondern mustergültig auf die kosmischen Vorgänge übertragen werden können.29 Zwar ist wegen der überlieferungsgeschichtlichen Situation des Testimoniums unsicher, ob darin tatsächlich eine Lehre wiedergegeben wird, die ursprünglich von Xenophanes so vertreten wurde.30 Jedoch ist die Frage, wer der Urheber des dargestellten Konzeptes gewesen ist, für die vorliegende Untersuchung von untergeordneter Wichtigkeit. Viel entscheidender ist, dass darin ein Kataklysmos-Konzept präsentiert wird, das durch den naturphilosophischen Diskurs geformt ist und dadurch Wissensbestandteile enthält, die entsprechend an diesen Diskurs angepasst sind. So ist zunächst die enge Verknüpfung mit der Diskussion über bestimmte Urstoffe zu nennen, in die sich die entstandenen Strukturen auflösen. Zugleich werden aber Aspekte thematisiert, die auch in den zuvor behandelten Vergangenheitsdiskursen von Bedeutung gewesen sind, wie etwa die Frage, ob es sich um eine globale oder regional begrenzte Flut gehandelt hat und ob eine solche erneut eintreten wird. Zusätzlich wird das Schicksal der betroffenen Menschheit angedeutet, die nach der Vermischung von Erde und Meer ebenfalls neu entstehen muss, wobei nicht weiter konkretisiert wird, wie sich ein solcher Regenerationsprozess genau ereignen soll. Zudem wird auch in diesem Kontext, wie es in verschiedenen historiographisch-mythographischen Texten ebenso der Fall war,31 auf materielle Relikte eines Flutgeschehens hingewiesen, die dazu dienen, die aufgestellte Hypothese zu beglaubigen.32 Auffällig ist außerdem, dass auch in diesem naturphilosophischen Kontext implizit die Vorstellung einer »verkehrten Welt« aufgerufen wird, in der Meereswesen 28 Deutlich wird dies durch ὄταν mit Konjunktiv, womit eine regelmäßige Wiederholung impliziert wird. 29 Vgl. Schäfer (1996) 132. 30 Vgl. die Diskussion zur Authentizität der Paraphrase bei Schirren (2013) 359f. 31 Vgl. etwa die noch sichtbaren Rückstände der Arche bei Flavius Josephus (siehe Kap. 3.2.) oder die Ruinen im Wasser und Grenzmarkierungen bei Diodor (siehe Kap. 3.1.). 32 Ähnliche Autorisierungsstrategien, bei denen man Fossilien heranzieht, um eine vergangene Überschwemmung der Welt zu beweisen, werden gerade in der christlichen Argumentation, etwa bei dem frühchristlichen Apologeten Tertullian (pall. 2), mit Unterbrechungen bis ins 18. Jahrhundert in zahlreichen Debatten zur Diluvialtheorie vorgenommen; siehe dazu Walliser (2005) 146–152 sowie Kempe (2006) bes. 110–149.

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in Regionen vorgefunden werden können, in denen man sie gewöhnlich nicht vermuten würde. In der Alexandra etwa wurden die Adynata imaginiert, dass Wale und Delphine in Wäldern ihre Nahrung finden und Robben sich auf den Betten der Menschen wälzen,33 um die absolute Umkehr der geordneten Verhältnisse zu illustrieren. Demgegenüber wird das Bild einer »verkehrten Welt« im XenophanesTestimonium evoziert, indem die Überreste gerade dieser vertauschten Verhältnisse benannt und als Argumente genutzt werden, um eine solche absolute Wende plausibel zu machen und zu autorisieren. Insofern dienen beide Darstellungsweisen dazu, einer zunächst schwer vorstellbaren Situation konkrete Anschaulichkeit zu verleihen, wobei im ersten Fall eine eindrückliche Dramatik erzeugt, im zweiten die Glaubwürdigkeit der vorangestellten Hypothese untermauert werden soll. Bestimmte Ursubstanzen legt auch Empedokles von Akragas der naturphilosophischen Lehre zugrunde, die eine textimmanente Dichter-persona dem Schüler Pausanias in den Physika vermittelt.34 Dabei postuliert die Lehrinstanz, dass vier sogenannte »Wurzeln« (ῥιζώματα) oder »Glieder« (γυῖα)35 in verschiedenen Mischverhältnissen alle Strukturen und Lebewesen der differenzierten Welt bilden: Τέσσαρα γὰρ πάντων ῥιζώματα πρῶτον ἄκουε· Ζεὺς ἀργὴς Ἥρη τε φερέσβιος ἠδ’ Ἀιδωνεύς Νῆστίς θ’, ἣ δακρύοις τέγγει κρούνωμα βρότειον.36

Die vier Wurzelwerke aller Dinge höre zuerst: leuchtend-heller Zeus und lebensspendende Hera und Aïdoneus und Nestis, die mit ihren Tränen die sterbliche Quelle tränkt.37

Dass die vier Elemente Feuer, Luft, Erde und Wasser dabei mit den Namen griechischer Gottheiten bezeichnet werden,38 hebt den göttlichen, unvergänglichen und ungeschaffenen Status hervor, den diese als Grundstoffe im naturphilosophischen System des Empedokles einnehmen.39 Eine zentrale Stellung in diesem kommt außerdem den beiden ebenfalls ewigen Wirkkräften Liebe (Φιλότης) und Streit

33 Lykoph. Alex. 83–85. 34 Siehe zur unterschiedlichen Gestaltung der Dichterpersonen in den Werken des Empedokles Primavesi (2013) 687f. 35 DK 31 B 20,3. 36 DK 31 B 6 (= Sext. Emp. adv. math. 10,315 und Aet. 1,3,20). 37 Angepasste Übersetzung nach Mansfeld/Primavesi (4 2012) 448. 38 Siehe Nethercut (2017) 89 zu den unterschiedlichen antiken Auslegungen, die unter den genannten Gottheiten verschiedene Elemente verstehen. Vgl. für eine alternative Interpretation der Götternamen Gemelli Marciano (2013) 149f. 39 Vgl. Primavesi (2013) 668.

›Vorsokratische‹ Konzepte von Untergang und Neuformierung der Welt

(Νεῖκος) zu, unter deren Einfluss sich die genannten Urstoffe in einem anhaltenden kosmischen Zyklus befinden: δίπλ’ ἐρέω· τοτὲ μὲν γὰρ ἓν ηὐξήθη μόνον εἶναι ἐκ πλεόνων, τοτὲ δ’ αὖ διέφυ πλέον’ ἐξ ἑνὸς εἶναι. δοιὴ δὲ θνητῶν γένεσις, δοιὴ δ’ ἀπόλειψις· τὴν μὲν γὰρ πάντων ξύνοδος τίκτει τ’ ὀλέκει τε,

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ἡ δὲ πάλιν διαφυομένων θρεφθεῖσα διέπτη. καὶ ταῦτ’ ἀλλάσσοντα διαμπερὲς οὐδαμὰ λήγει, ἄλλοτε μὲν Φιλότητι συνερχόμεν’ εἰς ἓν ἅπαντα, ἄλλοτε δ’ αὖ δίχ’ ἕκαστα φορεύμενα Νείκεος ἔχθει.

240

ἠδὲ πάλιν διαφύοντος ἑνὸς πλέον’ ἐκτελέθουσι, τῆι μὲν γίγνονταί τε καὶ οὔ σφισιν ἔμπεδος αἰών· ἧι δὲ διαλλάσσοντα διαμπερὲς οὐδαμὰ λήγει, ταύτηι δ’ αἰέν ἔασιν ἀκίνητοι κατὰ κύκλον.40

Zweifaches werde ich sagen: Denn einmal erwächst Eines, um ein Einziges zu sein aus Mehreren, ein andermal sprießt es wieder auseinander, um Mehreres aus Einem zu sein. Doppelt ist die Entstehung sterblicher Wesen, doppelt auch ihr Verschwinden. Denn die erste (Entstehung) wird durch die Vereinigung Aller gezeugt und zerstört, die zweite wird, während sie wieder auseinandersprießen, zunächst genährt, um dann zu zerstieben. Und diese lassen niemals ab vom beständigen Wechsel, indem sie bald durch die Liebe insgesamt zum Einen zusammenkommen, bald auch wieder jedes für sich bewegt wird durch die Zwietracht des Streites. Sofern es also gelernt hat, Eines aus Mehreren zu bilden, und aus dem einen, wenn es wieder auseinanderspross, Mehreres entspringt, insofern werden sie und haben keine beständige Lebenszeit; sofern sie aber vom beständigen Wechsel niemals ablassen, insofern sind sie stets unveränderlich im Kreislauf.41

Die Extremzustände des kosmischen Zyklus zeichnen sich also dadurch aus, dass die Elemente unter dem überwiegenden Einfluss des Streites als homogene Massen zunächst voneinander separiert sind und in diesem Zustand als »die Mehreren« bezeichnet werden.42 Unter dem überwiegenden Einfluss der Liebe wiederum fügen

40 Emp. Phys. 1,232–244. Die Verszählung folgt der Edition von Primavesi (2008). 41 Angepasste Übersetzung von Mansfeld/Primavesi (4 2012) 463. 42 Diese Interpretation des kosmischen Zyklus gibt die derzeitige communis opinio wieder (vgl. etwa Primavesi [2013]). Davon abweichend postuliert Ferella (2021), dass sich im kosmischen Zyklus der Sphairos und die Welt mit ausdifferenzierten Lebewesen konträr gegenüberstünden und dass ein Weltuntergang in derjenigen Phase eintrete, in der alles in die perfekte Einheit des Sphairos, also unter dem absoluten Einfluss der Liebe, übergehe.

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sich die Elemente im oppositionell gelegenen Teil des Zyklus zum kugelförmigen Einheitsgott, den Empedokles als Sphairos bezeichnet,43 zusammen.44 Nach einer Phase der Ruhe nimmt die Kraft des Streites wieder zu und beginnt damit, jenen erneut in die getrennten Elementmassen aufzulösen, sodass aus »dem Einzigen« wieder »die Mehreren« werden.45 Lediglich während dieser beiden Übergangsphasen setzt die Dichter-persona die Entstehung sogenannter θνητά an,46 unter denen er wohl »kurzlebige heterogene Elementverbindungen«47 verstanden hat. Diese umfassen zum einen die Strukturen der in diesen Zwischenphasen entstandenen Welten, zum anderen auch die in ihnen befindlichen Lebewesen. Innerhalb eines Kreislaufes ereignen sich dadurch zwei Weltentstehungen und -untergänge,48 wobei die empedokleische Dichterinstanz eindeutig betont, dass die Termini von Entstehung und Untergang in diesem System unangebracht seien, da es sich dabei vielmehr um Vorgänge von Mischung und Auflösung handele.49 In seiner grundlegenden Abhandlung, die den Gedankengang des ersten Buches der Physika zu rekonstruieren versucht, postuliert O. Primavesi, dass sich in derjenigen Phase des komischen Zyklus, in der sich der Sphairos unter dem zunehmenden Einfluss des Streites auflöst, die Elemente schrittweise voneinander trennen und dadurch auch größere Verbindungen homogener Massen entstün-

43 DK 31 B 29 (= Hippol. haer. 7,29,13): οὐ γὰρ ἀπὸ νώτοιο δύο κλάδοι ἀΐσσονται, // οὐ πόδες, οὐ θοὰ γοῦν’, οὐ μήδεα γεννήεντα, // ἀλλὰ Σφαῖρος ἔην καὶ ἶσος αυτῶι. 44 Vgl. Primavesi (2008) 12, der konstatiert, dass »der Zyklus in der periodisch wiederkehrenden Alternation von kosmischer Vereinigungsbewegung von den Vieren zum Einen und kosmischer Trennungsbewegung vom Einen zu den Vieren (besteht).« 45 Ein kosmischer Zyklus bestand nach Primavesi aus vier Etappen mit festgelegter zeitlicher Dauer: (I.) Vollendete Vierheit = Lebenszeit der vier reinen Elementmassen: 40 Zeiteinheiten (= 4000 Jahre), (II.) Liebesherrschaft = Übergang von der Vierheit zur Einheit: 60 Zeiteinheiten (= 6000 Jahre), (III.) Vollendete Einheit = Lebenszeit des Einzigen/Sphairos: 40 Zeiteinheiten (= 4000 Jahre), (IV.) Streitherrschaft = Übergang von der Einheit zur Vierheit: 60 Zeiteinheiten (= 6000 Jahre); vgl. zur Rekonstruktion dieser zeitlichen Abfolge ebd. 18f. 46 DK 31 B 22,1–3: ἄρθμια μὲν γὰρ αῦτα ἑαυτῶν πάντα μέρεσσιν, // ἠλέκτωρ τε χθών τε καὶ οὐρανὸς ἠδὲ θάλασσα, // ὅσσα φιν ἐν θνητοῖσιν ἀποπλαγχθέντα πέφυκεν. 47 Primavesi (2008) 15. 48 Siehe dazu ebd. 59–61: Primavesi vermutet einen (jedoch nur noch spärlich erhaltenen) »apokalyptischen Diskurs« als Teil des Gedichtes, in dem die Auflösung der Welt unter dem weiter zunehmenden Einfluss des Streits geschildert würde. Bemerkenswert ist, dass im Kontext dieses Fragmentes das Motiv des einen »unheilbringenden Tages« (νηλεὲς ἦμαρ) aufgerufen wird, das auch in späteren Kontexten (etwa in Lukrezens De rerum natura 5,95) in Form der una dies verwendet wird, um die Dramatik des Untergangs zu betonen; siehe unten Kap. 5.1. 49 DK 31 B 8: ἄλλο δέ τοι ἐρέω· φύσις οὐδενός ἐστιν ἁπάντων // θνητῶν, οὐδέ τις οὐλομένου θανάτοιο τελευτή, // ἀλλὰ μόνον μίξις τε διάλλαξίς τε μιγέντων // ἔστι, φύσις δ’ ἐπὶ τοῖς ὀνομάζεται ἀνθρώποισιν.

›Vorsokratische‹ Konzepte von Untergang und Neuformierung der Welt

den.50 In der Beschreibung dieser Phase könnte, wie er an anderer Stelle vermutet,51 auch eine Passage enthalten gewesen sein, die von solchen Auflösungsprozessen spricht, wie sie der byzantinische Gelehrte Johannes Tzetzes dem empedokleischen Werk attestiert: κατὰ γὰρ Ἐμπεδοκλέα τὸν φυσικὸν καὶ μετὰ τὸ γῆν φανῆναι καὶ θάλασσαν ἀτάκτως ἔτι τὰ στοιχεῖα κεκίνητο, ποτὲ μὲν τοῦ πυρὸς ὑπερνικῶντος και καταφλέγοντος, ὁτὲ δὲ τῆς ὑδατώδους ὑπερβλυζούσης καὶ κατακλυζούσης ἐπιρροῆς.52

Gemäß dem Naturphilosophen Empedokles nämlich hätten sich auch nach dem Sichtbarwerden von Erde und Meer die Elemente noch ungeordnet bewegt, indem einmal das Feuer den Sieg errang und (alles) niederbrannte, und das andere Mal das wässrige Element übersprudelte und der Zufluss (alles) überflutete.

Dazu tritt die Information, dass die Dichter-persona ihre eigene Lebenszeit in die vierte zoogonische Stufe des Zyklus verortet,53 in der die Strukturen der wahrnehmbaren Welt unter dem zunehmenden Einfluss des Streites zu separierten Elementarmassen aufgeteilt werden. Damit ließe sich die von Tzetzes geschilderte Epoche wohl der dritten zoogonischen Stufe zuweisen, in der der Sphairos sich bereits aufgelöst hat und sich die Elemente zu größeren homogenen Verbindungen wie Erde und Meer zusammengefunden haben.54 Die dennoch »chaotische Bewegung« und die aus ihr resultierende Vorherrschaft von Feuer und Wasser, die aus der Perspektive der Dichter-persona und der Rezipienten in der Vergangenheit liegen, deuten auf eine ähnliche Konzeption von zurückliegenden, möglicherweise globalen Katastrophen hin, wie sie auch im historiographischen Diskurs – wenn auch mit kontextabhängiger Variation – für den Kataklysmos verhandelt werden.55 Zwar ist damit, wie es zuvor auch für das Xenophanes-Testimonium thematisiert wurde, nicht eindeutig belegt, dass Empedokles tatsächlich eine solche Passage in sein naturphilosophisches Lehrgedicht eingearbeitet hat. Denn diese Zuschreibung könnte ebenfalls später, etwa im doxographischen Kontext erfolgt sein, um möglicherweise einer jüngeren Lehre durch den konkreten Bezug auf eine ältere

50 51 52 53 54 55

Primavesi (2008) 60–63. Mansfeld/Primavesi (4 2012) 481. Tzetz. Exeg. in Iliad. 63,18. DK 31 A 72. Vgl. Primavesi (2013) 711–713. Dass der Bericht über solche Katastrophen, die nach der Auflösung des Sphairos erfolgen, Bestandteil des Gedichtes gewesen ist, wird zusätzlich durch eine Paraphrase im Werk des Rhetors Prokopios (um 500 n. Chr.) bestärkt, die Amato (2011–2012) 57f. erschlossen hat.

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Glaubwürdigkeit zu verleihen.56 Es kann jedoch festgestellt werden, dass genau dieser Wissensbaustein später in der lateinischen Darstellung eines Weltuntergangskonzeptes bei dem römischen Epikureer Lukrez aufgerufen wird, der evidente Bezüge zur empedokleischen Lehre herstellt.57 Dadurch wird es wahrscheinlich, dass zumindest für eine nicht näher zu bestimmende Zeit dieser Wissensbaustein Teil der Empedokles-Rezeption gewesen ist und für die Darstellung späterer Weltuntergangskonzepte genutzt wurde, selbst wenn er im ursprünglichen Lehrgedicht nicht enthalten gewesen oder nicht in einem derartigen Zusammenhang thematisiert worden sein sollte. Es konnte bisher gezeigt werden, dass zumindest einige vorsokratische Naturphilosophen Vorstellungen zyklischer Auflösung in ihre kosmologischen Systeme eingebaut haben,58 auch wenn diese Aspekte offensichtlich nicht der Schwerpunkt ihrer jeweiligen Abhandlungen gewesen sind. Anschließend an diesen Befund wird im folgenden Kapitel darauf eingegangen, wie solche Konzepte von zyklischer Zerstörung in den Werken von Platon und Aristoteles behandelt und transformiert wurden, um in deren Kosmologien integriert werden zu können.

4.2 Ewigkeit und Endlichkeit der Welt im Corpus Platonicum Der griechische Philosoph Platon (428/427–348/347 v. Chr.) unterscheidet sich in vielfacher Hinsicht von den sogenannten Vorsokratikern, unter anderem bereits dadurch, dass er nach dieser Terminologie als Schüler des Sokrates geradezu als Sokratiker zu bezeichnen wäre.59 Viel entscheidender ist jedoch der Befund, dass die Schriften Platons – im Gegensatz zu denen der bisher erwähnten Naturphilosophen – höchstwahrscheinlich vollständig tradiert worden sind. Auf der Basis dieser Überlieferungslage bietet es sich daher an, ausführlicher zu untersuchen, ob und in welchen Kontexten Konzepte von Auflösung in den platonischen Dialogen thematisiert werden, welche Funktion deren Behandlung in der jeweiligen Passage erfüllt und mit welchen narrativen und argumentativen Strategien Platon solche Konzepte verhandelt. Um diesen Fragen nachzugehen, werden einschlägige Passagen aus drei platonischen Werken herangezogen, nämlich aus dem Timaios, den Nomoi sowie dem

56 Vgl. zu antiken Autorisierungsstrategien etwa den interdisziplinären Beitrag von Asper u. a. (2016). 57 Siehe Kap. 5.1. 58 Weitere frühgriechische Naturphilosophen wie etwa Heraklit von Ephesos (Siehe Kap. 4.3.) sowie Leukipp und Demokrit (siehe Kap. 5.1.) werden an späterer Stelle im konkreten Kontext ihrer Rezeption und Transformation angeführt werden. 59 Zur Problematik des Begriffes »Vorsokratiker« vgl. etwa Lebedev (2009).

Ewigkeit und Endlichkeit der Welt im Corpus Platonicum

Politikos, welche vermutlich alle Platons Spätwerk entstammen.60 Da es sich bei diesen philosophischen Schriften um literarische Dialoge handelt,61 muss jeweils berücksichtigt werden, welche (fiktiven) Figuren als Sprecher auftreten und wie sie selbst oder andere ihre Ausführungen bewerten. Aufgrund dieser Einschätzung ist in einem nächsten Schritt zu evaluieren, ob die Sprecher als zuverlässig beziehungsweise glaubwürdig eingestuft werden, da von diesem Faktor auch der epistemische Gehalt der präsentierten Aussage abhängig ist. Dabei fällt zunächst auf, dass Sokrates in keiner dieser kosmologischen Partien als exponierter Sprecher auftritt, um eine dezidiert naturphilosophische Lehre zu vermitteln.62 Auf diesen Umstand wird sogar innerhalb der platonischen Schriften explizit hingewiesen, wenn Sokrates in der Apologie des Sokrates betont, dass er entgegen seiner Charakterisierung in Aristophanes’ Wolken keinen Anteil an diesem Wissensgebiet besitze.63 Andererseits scheint er durchaus an kosmologischen Gesprächsthemen interessiert gewesen zu sein, sofern diese teleologisch auf ethische Kernfragen verweisen, wie etwa dass die Welt nach guten, moralischen Prämissen geordnet ist, deren Studium wiederum dazu anhält, eine solche makrokosmische Ordnung im alltäglichen Mikrokosmos nachzuahmen.64 Eine empirische Naturbetrachtung, die ohne eine solche moralische Aufladung operiert, lehnt Platons Sokrates jedoch ab, da die sinnlich wahrnehmbare Welt für ihn nicht als Quelle echten Wissens (ἐπιστήμη) gelten kann, sondern lediglich Meinungen bzw. Vorstellungen (δόξαι) hervorzubringen vermag, die dem Wissen defizitär gegenüberstehen.65 Für den Timaios lässt sich wiederum feststellen, dass die vier Gesprächsteilnehmer – Sokrates, der Pythagoreer Timaios von Lokroi, der syrakusische Feldherr und Politiker Hermokrates sowie Platons Urgroßonkel Kritias – zunächst noch

60 Vgl. Kahn (2002) 93–97. 61 Zur Genese der Gattung des philosophischen Dialoges und dessen Bedeutung vgl. Kahn (1996) 1–35. 62 Siehe dazu Johansen (2004) 3: »Yet it is not entirely clear, […] whether Socrates’ lack of interest relates to natural philosophy as such or to how it has commonly been practised.« 63 Plat. apol. 19c1–8: τοιαύτη τίς ἐστιν· ταῦτα γὰρ ἑωρᾶτε καὶ αὐτοὶ ἐν τῇ Ἀριστοφάνους κωμῳδίᾳ, Σωκράτη τινὰ ἐκεῖ περιφερόμενον, φασκοντά τε ἀεροβατεῖν καὶ ἄλλην πολλὴν φλυαρίαν φλυαροῦντα, ὧν ἐγὼ οὐδὲν οὔτε μέγα οὔτε μικρὸν πέρι ἐπαΐω. καὶ οὐχ ὡς ἀτιμάζων λέγω τὴν τοιαύτην ἐπιστήμην, εἴ τις περὶ τῶν τοιούτων σοφός ἐστιν […] ἀλλὰ γὰρ ἐμοὶ τούτων, ὦ ἄνδρες Ἀθηναῖοι, οὐδὲν μέτεστιν.

64 Vgl. Johansen (2004) 3f. 65 Evident wird diese Auffassung etwa in epistemologischen Passagen der Politeia (V 476c–480a) und des Menon (81e–86a). Dass Wahrnehmung und Vorstellung nicht etwa Vorstufen für Wissen seien, betont Sokrates außerdem gegen Ende des Theaitetos (210a9–b2): […] οὔτε ἄρα αἴσθησις, ὦ Θεαίτητε, οὔτε δόξα ἀληθὴς οὔτε μετ’ ἀληθοῦς δόξης λόγος προσγιγνόμενος ἐπιστήμη ἂν εἴη. Vgl. dazu auch Erler (2007) 354–375.

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einmal die Diskussion des Vortags über den idealen Staat rekapitulieren.66 Für die Rezipienten wird dadurch signalisiert, dass Platon den Dialog in der inneren Chronologie seiner Schriften nach der Politeia datiert. Dies meint nicht zwangsläufig, dass der Timaios in direktem Anschluss an die Politeia verfasst worden ist, sondern lediglich, dass die intradiegetische Zeitlogik das Gespräch am Folgetag stattfinden lässt. Im Anschluss an die wiederholten Kerngedanken zum idealen Staat bittet Sokrates die Anwesenden darum, ihrerseits mit den vorbereiteten Reden zu beginnen.67 Als erster präsentiert Kritias seinen Zuhörern eine Geschichte (λόγος), deren epistemischen Status er durch folgende Aussage kennzeichnet: ἄκουε δή, ὦ Σώκρατες, λόγου μάλα μὲν ἀτόπου, παντάπασί γε μὴν ἀληθοῦς, ὡς ὁ τῶν ἑπτὰ σοφώτατος Σόλων ποτ’ ἔφη.68

Höre also, o Sokrates, eine sehr ungewöhnliche, (aber) tatsächlich völlig wahre Geschichte, wie der Weiseste der sieben (Weisen), Solon, einmal gesagt hat.

Die Erzählung, die auf diese Aussage folgt, ist also insofern problematisch, als Kritias einerseits vorausschickt, dass ihr Inhalt durchaus ungewöhnlich erscheint (ἄτοπος λόγος), und andererseits einräumt, nur indirekt von der Geschichte erfahren zu haben. So wird im weiteren Verlauf deutlich, dass er von diesem Bericht Solons selbst nur durch seinen eigenen Großvater, der ebenfalls den Namen Kritias trägt, erfahren hat. Im Gegenzug führt er jedoch Solon als autoritätsstiftenden Gewährsmann an, den er mit dem Epitheton »Weisester der Sieben« (ὁ τῶν ἑπτὰ σοφώτατος)69 versieht, um diese Problematik abzuschwächen und der unwahrscheinlichen Geschichte Glaubwürdigkeit zu verleihen.70 Dennoch bleibt es in dieser Situation den Rezipienten überlassen, ob sie die autoritätsstiftende Strategie

66 Plat. Tim. 17c1–3: ΣΩ. […] χθές που τῶν ὑπ’ ἐμοῦ ῥηθέντων λόγων περὶ πολιτείας ἦν τὸ κεφάλαιον οἵα τε καὶ ἐξ οἵων ἀνδρῶν ἀρίστη κατεφαίνετ’ ἄν μοι γενέσθαι. 67 Plat. Tim. 20b7–c3. 68 Plat. Tim. 20d7–e1. 69 In Platons Protagoras (343a) werden die Sieben Weisen als Thales von Milet, Pittakos von Mytilene, Bias von Priene, Solon von Athen, Kleobulos von Lindos, Myson von Chenai und Chilon von Sparta identifiziert. Neben dieser Aufzählung existierten weitere, die vor allem Kleobulos, Myson und Chilon durch andere Persönlichkeiten ersetzen. Eine Zusammenstellung der Zeugnisse mit Übersetzungen und Kommentaren bieten Althoff/Zeller (2006). 70 Zur Charakterisierung Solons in Platons Werken siehe Morgan (2015). Siehe auch Chiasson (2016), der auf die Figur Solons in den Historien Herodots eingeht, die vermutlich Platon wiederum herangezogen hat, um die vorliegende Passage zu gestalten.

Ewigkeit und Endlichkeit der Welt im Corpus Platonicum

akzeptieren, ob sie nur bestimmte Elemente der Erzählung als wahr annehmen oder ob für sie die Unwahrscheinlichkeit der Geschichte gänzlich überwiegt.71 Dass dem Rezipienten eine aktive Rolle innerhalb des gesamten Dialoges zukommt, stellt W. H. F. Altman heraus: Platon lasse den Timaios deshalb mit Sokrates’ Bemerkung beginnen, dass ein erwarteter, vierter Gesprächsteilnehmer fehle, um den impliziten Leser die Position dieser Leerstelle ausfüllen zu lassen.72 Der Dialog sei demnach als pädagogisches Lehrstück komponiert, in dem der Rezipient als dialektisch geübter Schüler diejenigen Inhalte zu evaluieren habe, die ihm die anderen Gesprächsteilnehmer präsentieren.73 Dieser Ansatz erweist sich in mehrfacher Hinsicht als überaus ergiebig: Zunächst erklärt er, weswegen Platon solche mehrdeutigen Gesprächssituationen geschaffen hat, in denen die Rezipienten entscheiden müssen, ob sie sich auf die Darstellung zweifelhafter Erzähler verlassen können,74 wie es bei der erwähnten Anfangspartie des Kritias der Fall ist. Zudem begründet Altmans Vorschlag, weshalb etwa innerhalb der an späterer Stelle zu untersuchenden Rede des Timaios inhärente Logikfehler auftreten.75 An derartigen Signalen macht er zusätzlich einen wichtigen Aspekt deutlich, nämlich die Inkongruenz des Autors Platon mit der Figur des Timaios: Those who are familiar with the literature on Plato’s Timaeus are aware that the implicit premise of most of it is that Timaeus speaks for Plato, and its dominant trope is to explain away and thereby make coherent all of the most obvious inconsistencies in his discourse; the goal is to defend the consistency of Plato, not to expose the myriad mistakes he has deliberately sown into his character’s discourse.76

71 Zur reader-response theory siehe Kap. 2.4. 72 Plat. Tim. 17a1–3. Vgl. Altmann (2013) 15. 73 Siehe ebd.: »Plato has deliberately posed to everyone who tries to understand this dialogue: it is a puzzle deliberately constructed for a pedagogical purpose.« 74 Gerade für die Figur des Kritias lassen sich einige Signale in dessen Gesprächsteil festmachen, durch die der Wahrheitsgehalt seiner Erzählung fragwürdig erscheint. Für eine narratologische Textanalyse kann dabei die nicht unumstrittene Theorie des unzuverlässigen Erzählens fruchtbar gemacht werden; siehe grundsätzlich zu dieser Martínez/Scheffel (9 2012) 103–110. Möglichkeiten und Grenzen der Theorie zeigt etwa Nünning (2015) auf. Jacke (2017) stellt in Auseinandersetzung mit aktuellen narratologischen Zugängen die exponierte Stellung der Rezipienten heraus, die letztlich die textuellen Signale interpretieren und über die Zuverlässigkeit der Erzählfigur entscheiden müssen: »What a narrator utters can be taken directly from the textual surface. Determining what a narrator thinks, on the other hand, is always heavily based on the reader’s inferences and requires some extratextual knowledge: the narrator’s actions and utterances can merely be seen as (sometimes rather weak) indicators for his thoughts – and even direct statements about his own thoughts should not generally be taken at face value because the narrator may lie about them« (252). 75 Ein Beispiel für einen solchen Logikfehler gibt auch Broadie (2011) 180. 76 Altman (2013) 18.

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Diese kritische Haltung gegenüber den Gesprächspartien führt zurück zur als zweifelhaft gekennzeichneten Erzählung des Kritias, der von einem konkreten Beispiel berichten sollte, in dem die Grundsätze des idealen Staates, wie Sokrates sie in der Politeia formuliert hatte, angewandt werden. Bereits die Prämisse, ein tatsächliches Beispiel für die Umsetzung idealer Kategorien zu finden und darzustellen, erweist sich als textuelles Signal, das die Aufmerksamkeit der Rezipienten provozieren sollte.77 Den Eindruck einer zweifelhaften Erzählung verstärkt Kritias umso mehr, wenn er auf die Rahmenbedingungen zu sprechen kommt, unter denen er selbst von der Geschichte erfahren hat: ἐγὼ φράσω, παλαιὸν ἀκηκοὼς λόγον οὐ νέου ἀνδρός. ἦν μὲν γὰρ δὴ τότε Κριτίας, ὡς ἔφη, σχεδὸν ἐγγὺς ἤδη τῶν ἐνενήκοντα ἐτῶν, ἐγὼ δέ πῃ μάλιστα δεκέτης· ἡ δὲ Κουρεῶτις ἡμῖν οὖσα ἐτύγχανεν Ἀπατουρίων.78

Ich möchte eine alte Geschichte erzählen, die ich von einem nicht jungen Mann gehört habe. Denn damals war Kritias,79 wie er sagte, nahezu schon neunzig Jahre alt, ich aber um die zehn; es war gerade die Kureotis der Apaturien.80

Festzuhalten ist also, dass der jüngere Kritias im Alter von zehn Jahren eine Geschichte hörte, die sein neunzigjähriger Großvater berichtet hat. Diese Aussage kann gewiss auf verschiedene Weise interpretiert werden: Zum einen könnte sich die Erinnerung an diese Situation so tief in das Gedächtnis des jüngeren Kritias eingeprägt haben, dass er jeden Aspekt anschaulich verinnerlicht hat und dadurch die genauen Begebenheiten des Festtages, den er im Anschluss auch ausführlich beschreibt,81 jederzeit abrufen kann.82 Genau gegensätzlich kann die Anmerkung jedoch als weiteres Signal gelesen werden, dass die Rezipienten die folgenden Einzelheiten auf ihre Wahrscheinlichkeit hin überdenken sollten, da der jüngere Kritias in der vermeintlich erinnerten Szene nicht einmal eine aktive Rolle einnimmt, son-

77 Vgl. dazu auch Erler (1997). 78 Plat. Tim. 21a7–b2. 79 Dass es sich bei diesem um einen gleichnamigen Großvater handelt, wird an früherer Stelle (20e3) deutlich. 80 Der dritte Tag des Apaturienfestes, des ionisch-attischen Geschlechterfestes, das in Attika im Monat Pyanopsion gefeiert wurde; vgl. dazu Deubner (1932) 232–234. 81 Plat. Tim. 20b2–d8. 82 Diese Erklärung führt Kritias an späterer Stelle (26b) auch an, nachdem er seine Erzählung beendet hat und sich offenbar in der Situation sieht, zu rechtfertigen, weswegen er sich an die zahlreichen Details der Geschichte erinnern kann. Dass Kritias diese Rechtfertigung anführt, ist m. E. jedoch nur ein weiterer Hinweis darauf, dass dem Leser die zweifelhafte Glaubwürdigkeit des Erzählers vor Augen geführt werden soll.

Ewigkeit und Endlichkeit der Welt im Corpus Platonicum

dern lediglich als unbeteiligter Zuhörer involviert ist. Denn nicht er, sondern ein jüngerer Teilnehmer namens Amynandros fordert den älteren Kritias dazu auf, von einer Geschichte zu berichten, die dieser wiederum von Solon erfahren habe. Bei jener handelt es sich also um eine metadiegetisch-heterodiegetische Erzählung,83 in der auf einer dritten Erzählebene bestimmte Ereignisse wiedergegeben werden, die der Erzähler (der ältere Kritias) selbst gar nicht erlebt hat. Kern der Erzählung soll sein, dass Solon von dem vergangenen Ruhm eines urtümlichen Athens im Kampf gegen Atlantis erfahren hat,84 der jedoch »wegen der Zeit und dem Untergang derjenigen, die ihn erworben haben,«85 in Vergessenheit geraten ist. Bemerkenswert ist hierbei, dass die Erzählung des älteren Kritias mehrere Kriterien erfüllt, die G. Most für die Kategorisierung platonischer Mythen formuliert hat.86 Obwohl also die Erzählung von der Figur des jüngeren Kritias explizit als wahrer Logos proklamiert wird,87 machen zahlreiche, von Platon eingesetzte Signale deutlich, dass eine eindeutige Abgrenzung zum Mythos, beziehungsweise zur »edlen Lüge«,88 wie Platons Sokrates die pädagogisch und ethisch wertvolle Version des Mythos in der Politeia bezeichnet,89 von den Rezipienten hinterfragt

83 Dadurch ergibt sich, dass die zu erzählende Geschichte immer weiter von der primären Erzählfigur distanziert wird. Siehe dazu auch Murray (1999) 256: »The effect of this kind of strategy, and particularly the practice of attributing the myth to a source other than the narrator, is to distance the protagonist (Socrates, Critias, or whoever) from the story he is telling and to mark off the myths from the dialogues in which they are embedded in such a way as to draw attention to their problematic status, particularly through the playing around with the notions of muthos and logos.« 84 Über die Frage, ob es sich bei der Atlantis-Erzählung um reine Fiktion handelt, wird seit der Antike kontrovers diskutiert, wodurch ein nicht zu überblickendes Corpus an Sekundärliteratur entstanden ist; umfassend wird die Thematik von Gill (2017) dargestellt. 85 Plat. Tim. 21d5f.: […] διὰ δὲ χρόνον και φθορὰν τῶν ἐργασαμένων […]. 86 Vgl. Most (2 2014) 12–15. Dazu zählen die monologisch-beschreibende Struktur, dass ein älterer Redner einem jüngeren Zuhörer einen nicht nachprüfbaren Plot erzählt, der explizite Verweis auf ältere mündliche Quellen einer autorisierenden Traditionslinie (Erzählung des ägyptischen Priesters) sowie die intendiert-psychagogische Funktion der Geschichte. 87 Plat. Tim. 21d6. Siehe dazu Nesselrath (2 2014) 341: »Doch darf nicht vergessen werden, dass dabei nicht Platon in eigener Person spricht, sondern diese ganze Darstellung dem Kritias in den Mund legt.« 88 Zum Verhältnis zwischen Mythos und »edler Lüge« siehe Murray (1999). 89 Plat. rep. III 414b8: τίς ἂν οὖν ἡμῖν, ἦν δ’ ἐγώ, μηχανὴ γένοιτο τῶν ψευδῶν τῶν ἐν δέοντι γιγνομένων, ὧν δὴ νῦν ἐλέγομεν, γενναῖόν τι ἓν ψευδομένους πεῖσαι μάλιστα μὲν καὶ αὐτοὺς τοὺς ἄρχοντας, εἰ δὲ μή, τὴν ἄλλην πόλιν.

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werden kann.90 Eine mögliche Interpretation bestünde also darin,91 eine hinter den bemühten Autorisierungsstrategien des jüngeren Kritias verborgene MetaKommunikation zu erkennen, die den aufmerksamen Rezipienten vermitteln soll, dass die nachfolgende Darstellung keinesfalls in vollem Sinne als zweifellos wahr zu verstehen sei.92 Die Kerngeschichte vom prähistorischen Kampf zwischen Atlantis und Ur-Athen ist demnach in den Worten H.-G. Nesselraths als ein »Nachweis [zu verstehen], dass der von Sokrates konzipierte Idealstaat tatsächlich [im Sinne eines durchexerzierten Gedankenexperimentes] funktioniert,«93 ohne als historisches Ereignis stattgefunden haben zu müssen. Mit Blick auf diese Rahmenbedingungen soll eine Episode der Geschichte Solons näher in den Blick genommen werden: Diese beschäftigt sich mit dem bereits erwähnten Umstand, dass die Erinnerung an die Vergangenheit durch einen »Untergang« (φθορά) ausgelöscht worden sei. Hierfür berichtet der Erzähler Kritias zunächst davon, wie Solon in die ägyptische Stadt Sais gereist und mit den dortigen Priestern ins Gespräch über vergangene Ereignisse gekommen sei94 : καί ποτε προαγαγεῖν βουληθεὶς αὐτοὺς περὶ τῶν ἀρχαίων εἰς λόγους, τῶν τῇδε τὰ ἀρχαιότατα λέγειν ἐπιχειρεῖν, περὶ Φορωνέως τε τοῦ πρώτου λεχθέντος καὶ Νιόβης, καὶ

90 An späterer Stelle (Plat. Tim. 26e4f.) scheint Sokrates zunächst die Abgrenzung von Kritias’ Darstellung zum Mythos zu bestätigen: […] τό τε μὴ πλασθέντα μῦθον ἀλλ’ ἀληθινὸν λόγον εἶναι πάμμεγά που. Hierzu hat Nesselrath (2 2014) 342 jedoch zurecht angemerkt, dass die Infinitivkonstruktion »[den] Inhalt auch als rein gedachte Möglichkeit erscheinen lassen kann; […] Damit aber würde sich Sokrates keineswegs völlig auf Kritias’ Beurteilung seiner eigenen Geschichte einlassen, sondern lediglich hervorheben, dass es außerordentlich bemerkenswert wäre (pammega pou), wenn es sich bei Kritias’ Erzählung um eine historisch wahre Geschichte handeln sollte.« 91 Zu den verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten der Erzählung vgl. Gill (1977). 92 Siehe dazu Martínez/Scheffel (9 2012) 104: »Der unzuverlässige Erzähler lässt sich am besten mit dem Begriff der Ironie erklären. Ironische Kommunikation verdoppelt das Kommunikat zwischen zwei Gesprächspartnern in eine explizite und eine implizite Botschaft. Die implizite Botschaft widerspricht der expliziten und soll vom Hörer als die ›eigentlich gemeinte‹ aufgefasst werden. Der Sprecher gibt dem Hörer den uneigentlichen Status seiner expliziten Botschaft durch Ironiesignale zu erkennen. […] Die besonderen Möglichkeiten fiktionaler Texte werden jedoch erst dann genutzt, wenn die doppelte Botschaft der Ironie auf zwei verschiedene Sender verteilt ist. In diesem Fall kommuniziert der unzuverlässige Erzähler eine explizite Botschaft, während der Autor dem Leser implizit, sozusagen am Erzähler vorbei, eine andere, den Erzählerbehauptungen widersprechende Botschaft vermittelt.« 93 Nesselrath (2 2014) 352. 94 Platon könnte für diese Gesprächssituation Episoden aus den Historien Herodots (etwa 2,44f. und 2,142–146) herangezogen haben. In diesen schildert Herodot seine Begegnungen mit Priestern in Ägypten, die ihn ebenfalls über die weit zurückreichende Geschichte Ägyptens belehren und seine mythischen Vergangenheitskonstruktionen zerstreuen. Zur Bedeutung Ägyptens für die griechische Vergangenheitskonstruktion siehe Kap. 3.1.

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μετὰ τὸν κατακλυσμὸν αὖ περὶ Δευκαλίωνος καὶ Πύρρας ὡς διεγένοντο μυθολογεῖν, καὶ τοὺς ἐξ αὐτῶν γενεαλογεῖν, καὶ τὰ τῶν ἐτῶν ὅσα ἦν οἷς ἔλεγεν πειρᾶσθαι διαμνημονεύων τοὺς χρόνους ἀριθμεῖν.95

Einst habe er sich mit der Absicht, sie zu Erzählungen über die alten Zeiten zu veranlassen, daran gemacht, über die ältesten der hiesigen Ereignisse zu berichten, über Phoroneus, der als der erste Mensch bezeichnet wird, und Niobe und außerdem habe er die Geschichte von Deukalion und Pyrrha erzählt, wie sie nach der Flut überlebten, habe dann die Abstammungslinie ihrer Nachkommen nachgezeichnet und versucht, die Zeit zu berechnen, indem er sich die Anzahl der Jahre seit den erwähnten Ereignissen vergegenwärtigte.

Um also die ägyptischen Priester dazu anzuregen, über ihre eigenen Geschichtstraditionen zu sprechen, erwähnt Solon drei Mythentraditionen, die illustrieren sollen, dass bestimmte griechische Gruppierungen und Individuen – die Solon an dieser Stelle selbst verkörpert – ihren identitätsstiftenden Vergangenheitshorizont produzieren, indem sie sich genealogisch auf Figuren mythischer Erzählungen berufen.96 Dabei beschreibt der Infinitiv »berichten« (λέγειν) eine Handlung, die auf den anderen beiden Ausdrücken »in Form eines Mythos erzählen« (μυθολογεῖν)97 und »eine Abstammungslinie nachzeichnen« (γενεαλογεῖν) aufbaut. Diese Unterkategorien erweisen sich als eine gängige Praxis antiker griechischer Identitätskonstruktion, wie sie S. Jahn präzise zusammenfasst: […] [D]ie mythische Vergangenheit insgesamt [wurde zur] Grundlage der politischen Argumentation und Legitimation […], da die einzelnen griechischen Volksgruppen und Städte sich bemühten, ihre Identität und den eigenen Status durch den Anschluss an mythische Gestalten in Form einer Genealogie [= γενεαλογεῖν] oder Gründungssage [= μυθολογεῖν] in der mythischen Frühzeit zu verankern.98

95 Plat. Tim. 22a4–b4. 96 Clemens von Alexandria gibt in seinen Stromateis (1,21,102,5–103,1) an, dass Platon sich an dieser Stelle auf Akusilaos von Argos bezogen habe, der Phoroneus ebenfalls als ersten Menschen bezeichnet haben soll. Vgl. dazu Wyrwa (1983) 75f. 97 An dieser Stelle ist es jedoch nicht eindeutig, worin sich das »in Form eines Mythos Erzählen« vom einfachen »Berichten« eines ebenfalls mythologischen Inhalts unterscheidet. Möglicherweise könnte der wertende Charakter des μυθολογεῖν auch auf die Gesamtheit der zitierten Passage zu beziehen sein und ein Signal an den Rezipienten senden, dem vermittelt werden soll, dass es sich hierbei um das Erzählen von Geschichten mit zweifelhaftem Wahrheitsgehalt handeln soll (vgl. LSJ s.v. »μυθολογέω«). 98 Jahn (2007) 34.

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Dabei erwähnt Solon den Kataklysmos sowie die Geschichte von Deukalion und Pyrrha als offenbar wichtige Elemente im Kontext griechischer Vergangenheitskonstruktion.99 Diese Praxis des mythischen Vergangenheitsbezuges wird durch die autoritativ aufgeladene persona des altersweisen ägyptischen Priesters100 wie folgt bewertet: ὦ Σόλων, Σόλων, Ἕλληνες ἀεὶ παῖδές ἐστε, γέρων δὲ Ἕλλην οὐκ ἔστιν. […] νέοι ἐστέ, εἰπεῖν, τὰς ψυχὰς πάντες· οὐδεμίαν γὰρ ἐν αὐταῖς ἔχετε δι’ ἀρχαίαν ἀκοὴν παλαιὰν δόξαν οὐδὲ μάθημα χρόνῳ πολιὸν οὐδέν. τὸ δὲ τούτων αἴτιον τόδε. πολλαὶ κατὰ πολλὰ φθοραὶ γεγόνασιν ἀνθρώπων καὶ ἔσονται, πυρὶ μὲν καὶ ὕδατι μέγισται, μυρίοις δὲ ἄλλοις ἕτεραι βραχύτεραι.101

Ach Solon, Solon, ihr Griechen werdet immer Kinder sein, kein Grieche aber ist ein alter Mann. […] Ihr alle seid jung, habe er gesagt, im Hinblick auf eure Seelen; denn ihr habt in ihnen keine durch ursprüngliche Kunde alte Meinung und keine mit der Zeit ergraute Kenntnis. Die Ursache davon ist folgende. Viele Untergänge der Menschen sind auf vielfältige Arten geschehen und werden geschehen, die größten zwar durch Feuer und Wasser, andere geringere aber auf unzählige andere Arten.

Der ägyptische Priester betont also zunächst, dass alle Griechen aufgrund ihrer Seelenbeschaffenheit Kinder seien, was einerseits im Hinblick auf ihren kurzen Erfahrungshorizont als Kultur insgesamt verstanden werden kann. Dabei schwingt jedoch eine weitere Verständnisebene mit, für die bei den Rezipienten die Kenntnis von Platons pädagogischem Programm102 vorausgesetzt wird: Dieses besagt unter anderem, dass man Kindern zugunsten ihrer Erziehung durchaus bestimmte Mythen erzählen könne, da diese in der Lage seien, lebenspraktische Lehren zu vermitteln.103 Da die Griechen durch äußere Umstände, nämlich katastrophale Ereignisse, dazu gezwungen seien, ihre Abstammung immer aus mythischen Erzählungen abzuleiten, könnten sich ihre Seelen im Gegenzug nicht über das Kindesalter hinaus entwickeln. Daraus ergibt sich ein ewiger Kreislauf, in dem die immer jungen Griechen sich selbst stets Mythen ausdenken müssen, um ein Vergangenheitsbewusstsein zu konstruieren, wodurch sie sich jedoch eigenständig kein »gereiftes Wissen« aneignen können.

99 Dieser Befund wurde bereits im vorangehenden Kapitel zum griechischen Vergangenheitsdiskurs deutlich. 100 Zur ambivalenten Bewertung nicht-griechischer Traditionen im Platonismus siehe etwa Baltes (2005) sowie Erler (2011). 101 Plat. Tim. 22b4–c3. 102 Vgl. grundsätzlich dazu Erler (2007) 506–510. 103 Vgl. dazu die Ausführungen von Murray (1999) bes. 260f. und von Most (2 2014) bes. 14f.

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Diese »Untergänge« oder »Vernichtungen« (φθοραί) werden dann auch näher bestimmt, indem der Priester einerseits betont, dass es sich bei ihnen sowohl um vergangene als auch zukünftige Ereignisse handelt, was eine vage Periodizität der Katastrophen suggeriert. Andererseits thematisiert er auch die Modi der Zerstörung, indem er Wasser und Feuer zu den dominanten auslöschenden Agenten erklärt, andere Varianten für geringer skalierte Ereignisse aber nicht ausschließt. Jedoch ist zu erwähnen, dass selbst die größeren Zerstörungen durch Wasser und Feuer jeweils nur einen Mikrokosmos (also bestimmte Kulturen/Gebiete), nicht den Makrokosmos (die gesamte Welt/den Kosmos) betreffen, da der Priester explizit von der griechischen Kultur spricht und die ägyptische offensichtlich von derartigen φθοραί verschont geblieben ist und bleiben wird, wie sich auch im weiteren Verlauf der Rede zeigt. Er verdeutlicht seine Behauptung im Folgenden durch das konkrete Beispiel einer solchen φθορά, die im kulturellen Gedächtnis der Griechen zu einem Mythos transformiert und als solcher überliefert worden sei: τὸ γὰρ οὖν καὶ παρ’ ὑμῖν λεγόμενον, ὥς ποτε Φαέθων Ἡλίου παῖς τὸ τοῦ πατρὸς ἅρμα ζεύξας διὰ τὸ μὴ δυνατὸς εἶναι κατὰ τὴν τοῦ πατρὸς ὁδὸν ἐλαύνειν τά τ’ ἐπὶ γῆς συνέκαυσεν καὶ αὐτὸς κεραυνωθεὶς διεφθάρη, τοῦτο μύθου μὲν σχῆμα ἔχον λέγεται, τὸ δὲ ἀληθές ἐστι τῶν περὶ γῆν κατ’ οὐρανὸν ἰόντων παράλλαξις καὶ διὰ μακρῶν χρόνων γιγνομένη τῶν ἐπὶ γῆς πυρὶ πολλῷ φθορά. Τότε οὖν ὅσοι κατ’ ὄρη καὶ ἐν ὑψηλοῖς τόποις καὶ ἐν ξηροῖς οἰκοῦσιν μᾶλλον διόλλυνται τῶν ποταμοῖς καὶ θαλάττῃ προσοικούντων· ἡμῖν δὲ ὁ Νεῖλος εἴς τε τἆλλα σωτὴρ καὶ τότε ἐκ ταύτης τῆς ἀπορίας σῴζει λυόμενος.104

Denn auch bei euch erzählt man, dass einst Phaethon, der Sohn des Helios, nachdem er den Sonnenwagen seines Vaters angeschirrt hatte, alle Dinge auf der Welt in Brand setzte, weil er nicht fähig war, gemäß dem Kurs seines Vaters zu fahren, und selbst vom Blitz getroffen zugrunde ging. Dies erzählt man zwar in der Form eines Mythos, wahr aber daran ist, dass es die Abweichung der um die Erde im Himmel Kreisenden gibt und im Laufe langer Zeiträume Zerstörung aller Dinge auf der Welt durch viel Feuer geschieht. Dann gehen diejenigen, die in den Bergen und an hochgelegenen und trockenen Orten wohnen, eher zugrunde als diejenigen, die in der Nähe von Flüssen und Meer leben: Uns aber rettet dann der Nil, der uns auch in anderen Situationen ein Retter ist, aus dieser Not, indem er sich (aus seinem Bett) befreit.

Zunächst wird also der Plot des Phaethon-Mythos paraphrasiert, in dem sich ein mythisch geformtes Konzept erkennen lässt. Als Ursache für die Zerstörung wird die Hybris Phaethons genannt, der als Halbgott nicht dazu in der Lage gewesen ist,

104 Plat. Tim. 22c3–d6.

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den Sonnenwagen zu lenken, und folglich einen partiellen oder globalen Brand verursacht hat.105 Diese Konzeptbausteine werden durch den Priester dementiert, da sie dem mythologischen Diskurs entstammen (τοῦτο μύθου μὲν σχῆμα ἔχον λέγεται), und gegenüber Elementen eines naturphilosophischen Diskurses abgewogen. Dabei bleibt der Konzeptrahmen einer partiellen Vernichtung durch Feuer erhalten. Deren Ursache wird jedoch durch ein naturphilosophisches Element ersetzt: Es komme vor, dass im Verlauf längerer Abstände die Gestirne von ihrer gewohnten Bahn abweichen und sich dadurch jedes Mal eine Feuerkatastrophe ereigne.106 Das mythologisch geformte Konzept einer einmaligen Zerstörung in der Vergangenheit wird durch die Ausführungen des Priesters also zu einem naturphilosophischen Konzept periodischer Zerstörungen transformiert. Die partielle Dimension der Katastrophe wird noch einmal durch die anschließende Erläuterung unterstrichen, dass besonders diejenigen Gebiete betroffen seien, die ohnehin schon hoch gelegen oder besonders trocken sind. Diese Schlussfolgerung erlaubt es der Figur des Priesters dann auch den besonderen Status Ägyptens hervorzuheben, das nur deshalb als Hort der Erinnerung und des Wissens fungieren kann, da es durch die einzigartigen Eigenschaften des Nils von derartigen Katastrophen ausgenommen bleibt. Im Folgenden betont der Priester, dass nicht nur durch Feuer, sondern auch durch Wasser bestimmte Erdteile periodisch zerstört werden, wobei im letzteren Fall nicht abweichende Himmelskörper zur Katastrophe führen. Vielmehr sind es die Götter, die die Erde regelmäßig überschwemmen, um sie zu reinigen (αὖ θεοὶ τὴν γὴν ὕδασιν καθαίροντες κατακλύζωσιν).107 Wie im Konzept der periodischen Brandkatastrophen bleiben auch hier bestimmte Menschengruppen von der Vernichtung verschont, nämlich die Schafhirten in den Bergen, zu denen die Flut nicht gelangt, und die Ägypter, die wiederum durch ihre klimatisch günstige Lage geschützt werden.108 Im vorliegenden Flut-Konzept ist also einerseits derjenige Wissensbaustein, der den Auslöser der Zerstörung thematisiert,

105 Die Formulierung τά τ’ ἐπὶ γῆς συνέκαυσεν lässt offen, ob tatsächlich alle Erdbereiche betroffen gewesen sind, was bereits dadurch ausgeschlossen wird, dass Ägypten verschont geblieben sein soll; vgl. dazu die umfangreichste erhaltene Fassung des Mythos in Ovids Metamorphosen (1,747–2,400), in der eine partielle Katastrophe geschildert wird. Klar ist jedoch, dass das Feuer nicht die Erde selbst zerstört, da ἐπὶ γῆς explizit die Vernichtung auf der Erde bezeichnet; vgl. zum PhaethonMythos als Gegenstand kosmologischer Spekulationen Hillgruber (1995). Eine Materialsammlung zum Mythos bietet Cuppo Csaki (1995). 106 Die beiden Ereignisse (Abweichung der Gestirne und Feuerkatastrophen) stehen zwar lediglich parataktisch nebeneinander, jedoch scheint m. E. die Feuerkatastrophe damit als Resultat der Abweichung impliziert zu sein. 107 Plat. Tim. 22d7. 108 Plat. Tim. 22d7–e5. Der Priester behauptet, dass in Ägypten niemals genug Niederschlag für eine solche Katastrophe auftreten könne und das dort vorhandene Wasser direkt aus dem Boden komme.

Ewigkeit und Endlichkeit der Welt im Corpus Platonicum

klar von dem des Feuer-Konzepts unterschieden. Andererseits erfüllen die Fluten zudem den konkreten Zweck, eine nicht näher spezifizierte Reinigung der Erde zu vollziehen,109 wohingegen die Brandkatastrophen keine explizite Funktion besitzen, sondern sich aufgrund astronomischer Phänomene ereignen. Das FlutKonzept erscheint deshalb durch die Kombination der genannten Bausteine, die aus einem mythologisch-theologischen Diskurs stammen, in auffälligem Gegensatz zum präsentierten Feuer-Konzept, dessen spezifische Einzelelemente einem naturphilosophisch-astronomischen Diskurs – unter ausdrücklicher Ablehnung mythologischer Komponenten – entnommen sind. Ersteres erinnert auffällig an die bereits ausführlich dargestellten KataklysmosKonzepte der Vergangenheitsdiskurse,110 wohingegen letzteres durch seine geradezu naturwissenschaftliche bzw. -philosophische Gestaltung an solche Untergangskonzepte angelehnt ist, wie sie in der frühgriechischen Naturphilosophie vertreten werden.111 Geht man nun davon aus, dass der Timaios als pädagogisches Lehrstück konzipiert ist, könnte eine derartig offensichtliche Spannung erneut als textuelles Signal für die dialektisch geschulten Rezipienten verstanden werden, die wiederum evaluieren müssten, ob sie die Darstellung des Priesters überzeugt. Dabei kämen sie möglicherweise zu der Einsicht, dass sich das präsentierte Kataklysmos-Konzept im Rahmen des traditionellen Vergangenheitsdiskurses bewegt – wie ihn zuvor Solon präsentiert hat –, bei dem die Grenzen zwischen mythischer und faktischer Geschichtsdarstellung fließend sind. Im Zuge dessen könnten sie auch jene mythologisch-theologischen Bestandteile des Konzepts durch solche ersetzen, die ihnen aus einem naturphilosophischen Kontext bekannt sind und ihnen plausibel erscheinen. Damit würden sie sich selbst mit der Figur des Priesters identifizieren, der einen rationalisierenden und gelehrten Standpunkt vertretend die »kindliche« Meinung Solons modifiziert und zu »wahrem Wissen« transformiert, oder diesen sogar übertreffen, indem sie nicht nur das mythologische Phaethon-Konzept korrigieren, sondern auch das Flut-Konzept entsprechend adaptieren. Im direkten Vergleich ist bemerkenswert, dass in Platons Nomoi das Konzept kulturvernichtender Fluten losgelöst von einer theologisch-mythologischen Moti-

109 Dabei könnte unterschwellig das vielfach in historio- und mythographischen Kontexten belegte Motiv einer moralisch depravierten Menschheit mitschwingen, die aufgrund ihrer conditio einer göttlichen Intervention bedarf; siehe dazu die in Kapitel 3.1. vorgestellten Konzepte. 110 Siehe oben Kapitel 3.1. 111 Siehe oben Kapitel 4.1. Siehe dazu auch das dem Pythagoreer Philolaos zugeschriebene Fragment (DK 44 A 18 = Aet. 2,5,3), das von der Zerstörung des Kosmos durch Wasser und Feuer spricht: Φιλόλαος διττὴν εἶναι τὴν φθορὰν τοῦ κόσμου, τὸ μὲν ἐξ οὐρανοῦ πυρὸς ῥυέντος, τὸ δὲ ἐξ ὕδατος σεληνιακοῦ, περιστροφῇ τοῦ ἀέρος ἀποχυθέντος· καὶ τούτων εἶναι τὰς ἀναθυμιάσεις τροφὰς τοῦ κόσμου.

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vation auftaucht. Zu Beginn des dritten Buches stellen zwei Gesprächsteilnehmer (der Kreter Kleinias und ein namenloser Athener) dar, dass es in der Vergangenheit bereits unvorstellbar viele Arten von Staatsverfassungen und Kulturen gegeben habe, die jeweils entstanden und wieder vergangen seien.112 Um die Ursache für diesen Wechsel von kulturellem Aufstieg und Niedergang zu ermitteln, wendet sich der namenlose Athener den überlieferten Geschichten zu: ΑΘ. ἆρ’ οὖν ὑμῖν οἱ παλαιοὶ λόγοι ἀλήθειαν ἔχειν τινὰ δοκοῦσιν; ΚΛ. ποῖοι δή; ΑΘ. τὸ πολλὰς ἀνθρώπων φθορὰς γεγονέναι κατακλυσμοῖς τε καὶ νόσοις καὶ ἄλλοις πολλοῖς, ἐν οἷς βραχύ τι τῶν ἀνθρώπων λείπεσθαι γένος. ΚΛ. πάνυ μὲν οὖν πιθανὸν τὸ τοιοῦτον πᾶν παντί.113

ATH. Scheint es euch, dass die alten Geschichten nun irgendeine Wahrheit besitzen? KL. Welche denn? ATH. Dass viele Vernichtungen der Menschen durch Überschwemmungen, durch Krankheiten und durch vieles andere geschehen seien, bei denen das Geschlecht der Menschen nur als kleiner Teil übrig blieb. KL. Dies alles ist gewiss jedem völlig glaubhaft.

Wie im Timaios wirft also auch in den Nomoi ein Gesprächsteilnehmer die Frage auf, ob es in der Überlieferung (παλαιοὶ λόγοι) wahre Elemente gibt, auch wenn diese in Form von Mythen tradiert sind.114 Dabei werden bezeugte Erinnerungen an Untergangsszenarien, bei denen jeweils nur ein kleiner Teil der Menschheit überlebt, durch die Figur des Kleinias als glaubhaft (πιθανός) gekennzeichnet, indem sie darauf verweist, dass es sich bei diesen um allgemeines Wissensgut handele. Im Folgenden wählt der Athener den Kataklysmos als geradezu prototypisches Beispiel für solche periodisch eintretenden Vernichtungen aus.115 Anhand dessen erläutert er, dass es – wie auch im Timaios geschildert – bestimmte Menschengruppen gibt (auch hier die Berghirten, die weit vom Wasser entfernt leben), die durch die Katastrophe weniger betroffen sind als andere.116 Dies führt zwangsläufig dazu, dass das Wissen um kulturelle und technische Errungenschaften sowie um die Staatskunst durch solche Katastrophen ausgelöscht werde, um dann später wieder neu entdeckt

112 Plat. leg. III 676b9–c10. 113 Plat. leg. III 677a1–7. 114 Wobei auch hier explizit der Begriff λόγος gewählt wird, was wiederum zeigt, dass Platon Verweise auf seine Mythen nicht zwangsläufig durch terminologische Differenzierung (μύθος – λόγος) kennzeichnet. Vgl. dazu auch Murray (1999) 256f. 115 Plat. leg. III 677a8f. 116 Plat. leg. III 677b1-3.

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werden zu können.117 Konzepte um periodische Zerstörungen werden in diesem Kontext also herangezogen, um zu begründen, warum es überhaupt möglich ist, technische oder kulturelle Innovationen trotz der Ewigkeit der Welt zu erlangen. Denn die eigentliche Prämisse, die der unbekannte Athener aufgestellt hatte, besagt, dass die Welt und die auf ihr lebende Menschheit bereits seit unendlicher (oder zumindest unüberschaubarer) Zeit bestehe und damit jede potentielle Neuentdeckung in der Vergangenheit schon einmal stattgefunden haben müsste.118 Somit fungieren die Katastrophen als Gliederungsmarker, zwischen denen Kulturen jeweils neu entstehen, entdecken und sich entwickeln können, um dann wieder durch einen Einschnitt zugrunde zu gehen, wobei die Welt als ganze bestehen bleibt. Bei dieser Darstellung, die G. Most als »dialektische Analyse eines vorausgesetzten und hier gerade nicht erzählten Mythos«119 bezeichnet, fällt besonders im Vergleich zur Rede des Priesters im Timaios auf, dass der mythologisch-theologische Auslöser dieses Kataklysmos-Konzepts keine direkte Entsprechung in den Nomoi findet: Die erinnerungslöschenden Katastrophen werden weder durch göttliches Wirken noch durch eine besondere Stellung der Gestirne verursacht. Der periodische Charakter könnte höchstens implizit auf ein zugrundeliegendes Naturgesetz verweisen, das jedoch nicht explizit genannt wird und dadurch von den Rezipienten gedanklich ergänzt werden müsste. Als verbindendes Charakteristikum erweist sich hingegen, dass die Konzepte von periodischen Zerstörungen spezielle Funktionen im Gesamtkontext beider Werke erfüllen.120 Erweist sich diese in den Nomoi als Begründung, weswegen technische oder kulturelle Innovationen trotz der bereits unüberschaubaren vergangenen Zeit immer noch errungen werden können, besteht sie im Timaios darin zu zeigen, weswegen die Erinnerungskultur Ägyptens bedeutend weiter in die Vergangenheit reicht als diejenige der Griechen und das aus Ägypten stammende Wissen über vergangene Ereignisse deshalb als zuverlässiger zu bewerten ist. Denn durch die vernichtenden Katastrophen, die offenbar alle Gebiete außer der Nilregion heimsuchen, befänden sich die Ägypter – der Begründung des Priesters zufolge – in der privilegierten Position, eine ununterbrochene Tradition der kulturellen Erinnerung zu besitzen. Diesen Gegensatz betont der Priester dann erneut, indem er berichtet, dass in Ägypten nicht nur die Erinnerungen an eigene Verdienste und Fortschritte, sondern auch an die Errungenschaften anderer Völker konserviert werden:

117 Plat. leg. III 677c4–9. Dieser Gedankengang wird später durch Strabon (geogr. 13,1,25) aufgegriffen, der Platon explizit als Autorität für eine Kulturentstehungslehre nach Kataklysmen erwähnt. 118 Plat. leg. III 676a8–b8. 119 Most (2 2014) 13. 120 Zu den kontextabhängigen Funktionen von Katastrophen in beiden Werken siehe Zuolo (2012) bes. 90–98.

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ὅσα δὲ ἢ παρ’ ὑμῖν ἢ τῇδε ἢ καὶ κατ’ ἄλλον τόπον ὧν ἀκοῇ ἴσμεν, εἴ πού τι καλὸν ἢ μέγα γέγονεν ἢ καί τινα διαφορὰν ἄλλην ἔχον, πάντα γεγραμμένα ἐκ παλαιοῦ τῇδ’ ἐστὶν ἐν τοῖς ἱεροῖς καὶ σεσωσμένα· τὰ δὲ παρ’ ὑμῖν καὶ τοῖς ἄλλοις ἄρτι κατεσκευασμένα ἑκάστοτε τυγχάνει γράμμασι καὶ ἅπασιν ὁπόσων πόλεις δέονται, καὶ πάλιν δι’ εἰωθότων ἐτῶν ὥσπερ νόσημα ἥκει φερόμενον αὐτοῖς ῥεῦμα οὐράνιον καὶ τοὺς ἀγραμμάτους τε καὶ ἀμουσους ἔλιπεν ὑμῶν, ὥστε πάλιν ἐξ ἀρχῆς οἷοιν νέοι γίγνεσθε, οὐδὲν εἰδότες οὔτε τῶν τῇδε οὔτε τῶν παρ’ ὑμῖν, ὅσα ἦν ἐν τοῖς παλαιοῖς χρόνοις.121

Was aber entweder hier (geschah) oder bei euch oder an einem anderen Ort, von dem wir durch Kunde wissen, wenn irgendwo etwas Schönes oder Bedeutendes entstanden ist oder sich irgendetwas anderes Herausragendes ereignet hat, ist alles von jeher hier in diesen Tempeln aufgeschrieben und bewahrt: Bei euch und den anderen wird jedes Mal erneut alles mit Schrift und allem, was Städte benötigen, eingerichtet und nach einer gewohnten Anzahl von Jahren kommt wieder wie eine Krankheit ein Strom vom Himmel, der sie mit sich trägt und (nur) die Ungebildeten und Unkultivierten von euch zurücklässt, sodass ihr wieder von neuem wie jung seid, wobei ihr nichts wisst, weder über die Dinge hier, noch über die bei euch, welche in alten Zeiten waren.

Die Tempel Ägyptens werden also als die bewahrenden Horte kultureller Erinnerung inszeniert, von denen sich nicht nur Wissen über die lokale, sondern auch über die globale Vergangenheit gewinnen lässt. Diesen so aufwendig eingeführten und autorisierten Wissensspeicher nutzt dann die Kritias-persona in seinem nachfolgenden Gesprächsteil, um zu begründen, woher das außergewöhnliche Wissen Solons über einen in der Vergangenheit liegenden Krieg zwischen Ur-Athen und Atlantis stammt.122 Bemerkenswert ist außerdem, dass in der zitierten Passage die Flut, die vom Himmel ausgeht, (ῥεῦμα οὐράνιον) mit einer Krankheit (νόσημα) verglichen wird, da hier die Menschen als Leidtragende fokussiert werden. Dagegen bezeichnete der Priester, der besonders die Götter als Auslöser in den Blick gerückt hatte, den Vorgang noch als Reinigung der Welt (22d7). Wird zunächst also die kathartische Dimension der Katastrophe betont, evoziert der Krankheitsvergleich die Vorstellung einer sich schnell ausbreitenden Seuche, die die Mehrheit der Menschen und ihre Errungenschaften auslöscht, sich aber nicht auf den physischen Naturraum auswirkt. Zurück bleibt nur eine ihrer kulturellen Erinnerung beraubte Minderheit sowie Ägypten als kulturgeschichtliches Archiv.

121 Plat. Tim. 22a1–b3. 122 Auf logische Brüche innerhalb der Kritias- und besonders der Priester-Rede verweist auch Nesselrath (2 2014) 351.

Ewigkeit und Endlichkeit der Welt im Corpus Platonicum

Im Folgenden soll der Gesprächsteil des pythagoreischen Philosophen Timaios von Lokroi, der einen Großteil des Dialoges ausmacht (27c–92c), in den Fokus genommen werden. Während dieses monologischen Vortrages wird eine ausführliche und ausgesprochen anspruchsvolle Kosmologie entworfen, die weitreichende Einflüsse auf die nachplatonische Naturphilosophie genommen hat.123 Dabei klassifiziert die Timaios-persona ihren kosmologischen Entwurf als »wahrscheinlichen Mythos« (εἰκὼς μῦθος)124 oder »wahrscheinliche Lehre« (εἰκὼς λόγος)125 , was wiederum den epistemologischen Status der Erzählung problematisiert: Da Timaios den Kosmos als Teil des »immer Werdenden« (τὸ γιγνόμενον ἀεί) und nicht als Teil des »immer Seienden« (τὸ ὂν ἀεί) einstuft,126 können auch keine unzweifelhaft wahren Aussagen über dessen Entstehung getroffen werden, sondern nur solche, die versuchen sich der Wahrheit anzunähern, aber durch ihren Modellcharakter fehlerbehaftet sein können.127 J. Althoff fasst prägnant zusammen, dass [d]er Kosmos […] zu den gewordenen und daher auch vergänglichen Dingen [gehört], da er aus Materie besteht. Er ist das Ergebnis einer Schöpfung durch einen Baumeister (dēmiourgos), der sich dabei an den ewigen Ideen orientiert hat. Da eine Darstellung vergänglicher Dinge keine absoluten Wahrheiten beinhalten kann, hat auch die folgende Kosmogonie nur einen wahrscheinlichen Charakter, sie ist nur eine ›wahrscheinliche Erzählung‹ (29 D 2: εἰκὼς μῦθος).128

Eine logische Spannung ergibt sich daraus, dass Timaios den Kosmos einerseits als prinzipiell vergänglich, andererseits aber als unvergänglich bezeichnet:

123 Die Forschungsliteratur zur Kosmologie des Timaios, wie sie in der Rede des Timaios dargestellt wird, und deren Rezeption hat gewaltige Ausmaße angenommen. Einen Überblick bietet Erler (2007) bes. 262–272; 449–463. An neueren Monografien zur Kosmologie und Kosmogonie sind etwa Miller (2003), Karfík (2004), Johansen (2004), Schäfer (2005), Broadie (2011) sowie Schmidt (2012) zu nennen. Gesammelte Aufsätze zur Thematik stellen etwa Calvo/Brisson (1997), Natali/ Maso (2003), Napolitano Valditara (2007) sowie Mohr/Sattler (2010) bereit. Die spätere Rezeption behandeln etwa Baltes (1976–1978), Reydam-Schils (1999), Neschke-Hentschke (2000), Sharples/ Sheppard (2003), Leinkauf/Steel (2005) sowie Köckert (2009). 124 Etwa Plat. Tim. 29d2. 125 Etwa Plat. Tim. 30b7. Insgesamt treten Formen von ἔοικα einunddreißigmal in der Timaios-Rede auf. 126 Plat. Tim. 28b2–c3. 127 Zur ausgesprochen schwierigen und kontroversen Diskussion über den Status des εἰκὼς μῦθος/ λόγος vgl. etwa Johansen (2004) 48–68, Erler (2007) 266, Burnyeat (2009), Brisson (2012), Grasso (2012), Altman (2013) 12–19, sowie Mesch (2 2014). 128 Althoff (2016) 62.

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Konzepte von Untergang und Neukonsolidierung der Welt in der griechischen Naturphilosophie

οὕτω δὴ πυρός τε καὶ γῆς ὕδωρ ἀέρα τε ὁ θεὸς ἐν μέσῳ θείς, καὶ πρὸς ἄλληλα καθ’ ὅσον ἦν δυνατὸν ἀνὰ τὸν αὐτὸν λόγον ἀπεργασάμενος, ὅτιπερ πῦρ πρὸς ἀέρα, τοῦτο ἀέρα πρὸς ὕδωρ, καὶ ὅτι ἀὴρ πρὸς ὕδωρ, ὕδωρ πρὸς γῆν, συνέδησεν καὶ συνεστήσατο οὐρανὸν ὁρατὸν καὶ ἁπτόν. καὶ διὰ ταῦτα ἔκ τε δὴ τούτων τοιούτων καὶ τὸν ἀριθμὸν τεττάρων τὸ τοῦ κόσμου σῶμα ἐγεννήθη δι’ ἀναλογίας ὁμολογῆσαν, φιλίαν τε ἔσχεν ἐκ τούτων, ὥστε εἰς ταὐτὸν αὑτῷ συνελθὸν ἄλυτον ὑπό του ἄλλου πλὴν ὑπὸ τοῦ συνδήσαντος γενέσθαι. τῶν δὲ δὴ τεττάρων ἓν ὅλον ἕκαστον εἴληφεν ἡ τοῦ κόσμου σύστασις. ἐκ γὰρ πυρὸς παντὸς ὕδατός τε καὶ ἀέρος καὶ γῆς συνέστησεν αὐτὸν ὁ συνιστάς, μέρος οὐδὲν οὐδενὸς οὐδὲ δύναμιν ἔξωθεν ὑπολιπών, τάδε διανοηθείς, πρῶτον μὲν ἵνα ὅλον ὅτι μάλιστα ζῷον τέλεον ἐκ τελέων τῶν μερῶν εἴη, πρὸς δὲ τούτοις ἕν, ἅτε οὐχ ὑπολελειμμένων ἐξ ὧν ἄλλο τοιοῦτον γένοιτ’ ἄν, ἔτι δὲ ἵν’ ἀγήρων καὶ ἄνοσον ᾖ, κατανοῶν ὡς συστάτῳ σώματι θερμὰ καὶ ψυχρὰ καὶ πάνθ’ ὅσα δυνάμεις ἰσχυρὰς ἔχει περιιστάμενα ἔξωθεν καὶ προσπίπτοντα ἀκαίρως λύει καὶ νόσους γῆράς τε ἐπάγοντα φθίνειν ποιεῖ.129

Nachdem so der Gott Wasser und Luft in die Mitte zwischen Feuer und Erde gesetzt und er sie, soweit es möglich war, in Beziehung zueinander in demselben Verhältnis vollendet hat, nämlich wie Feuer zu Luft, so Luft zu Wasser und wie Luft zu Wasser, so Wasser zu Erde, verband er sie und fügte sich eine sichtbare und greifbare Welt zusammen. Und deswegen wurde aus diesen so beschaffenen Elementen, vier an der Zahl, der Körper des Kosmos durch Proportion übereinstimmend erzeugt und erhielt daraus eine Liebe, so dass er, mit sich selbst in Einklang gekommen, unauflösbar wurde durch einen anderen außer durch den, der ihn zusammenfügte. Die Zusammensetzung des Kosmos hat nun jedes einzelne der vier Elemente vollständig aufgenommen. Denn aus dem ganzen Feuer und Wasser und der Luft und der Erde fügte der Zusammenfügende ihn zusammen, wobei er nicht einen Teil und nicht eine Qualität von keinem außerhalb übrig ließ, weil er (scil. der Demiurg) damit bezweckte, dass er (scil. der Kosmos) zunächst einmal gänzlich ein möglichst vollkommenes Lebewesen aus vollkommenen Teilen sei und außerdem ein einziges, da keine (Elemente) übrig gelassen wurden, aus denen ein anderes derartiges (Lebewesen) entstehen könnte, und schließlich noch, dass er frei von Alter und Krankheit sei, weil er verstand, dass Warmes und Kaltes und alles andere, was starke Kräfte besitzt, wenn es einen zusammengesetzten Körper von außen bedroht und ungünstig angreift, auflöst und wenn es Krankheiten und Alter herbeiführt, allmählich dahinschwinden lässt.

In der zitierten Passage zeigt sich also, dass der Kosmos grundsätzlich aus den vier Elementen in perfekter Proportion zueinander konstruiert worden ist, prinzipiell jedoch wieder vergänglich sein sollte, da jedes Gebilde im Allgemeinen nur von vorübergehender Dauer sein kann. Jedoch wird diese Grundprämisse durch den Demiurgen aufgehoben, indem er sämtliche Faktoren beseitigt, die zu einer

129 Plat. Tim. 32b3–33a6.

Ewigkeit und Endlichkeit der Welt im Corpus Platonicum

unbeabsichtigten Zerstörung seiner geschaffenen Ordnung führen könnten: Er eliminiert einerseits jegliche Gefahren, die von außen auf den Kosmos stoßen könnten, indem er sämtliche Materie für die Erschaffung desselben aufwendet und damit nichts außerhalb dessen existiert. Andererseits verhindert er, dass der Kosmos als Lebewesen aus innerer Notwendigkeit vergeht, indem er ihn frei von Alter und Krankheit (ἀγήρως καὶ ἄνοσος) macht. Jedoch ist es selbst ihm nicht möglich, den Kosmos als ein grundsätzlich ewiges Lebewesen (ζῷον ἀΐδιον ὄν) zu formieren, da diese Eigenschaft lediglich derjenigen Idee zukommt, deren Abbild der Kosmos ist.130 Dessen ungeachtet gibt es nach der kosmologischen Logik des Timaios keine Einflüsse außer dem Willen des Demiurgen, die dafür sorgen könnten, dass der Kosmos letztlich aufgelöst wird. Dieses Konzept wird noch einmal verdeutlicht, wenn der Demiurg in einer direkten Rede zu den von ihm geschaffenen Göttern spricht und ihnen die gleichen Eigenschaften zuschreibt: […] δι’ ἐμοῦ γενόμενα ἄλυτα ἐμοῦ γε μὴ ἐθέλοντος. τὸ μὲν οὖν δὴ δεθὲν πᾶν λυτόν, τό γε μὴν καλῶς ἁρμοσθὲν καὶ ἔχον εὖ λύειν ἐθέλειν κακοῦ· δι’ ἃ καὶ ἐπείπερ γεγένησθε, ἀθάνατοι μὲν οὐκ ἐστὲ οὐδ’ ἄλυτοι τὸ πάμπαν, οὔτι μὲν δὴ λυθήσεσθέ γε οὐδὲ τεύξεσθε θανάτου μοίρας […].131

[…] Was durch mich entstanden ist, ist unauflöslich, außer wenn ich es will. Alles, was verbunden wurde, ist zwar auflösbar, doch das schön Zusammengesetzte und das sich gut Erweisende auflösen zu wollen, ist von schlechter Art. Deshalb seid auch ihr, weil ihr entstanden seid, zwar nicht unsterblich und nicht völlig unauflösbar, doch werdet ihr nicht aufgelöst werden und das Schicksal des Todes nicht erleiden […].

An dieser Stelle wird also noch einmal die essenzielle Verbindung von »entstanden« (γενόμενος) und »auflösbar« (λυτός) hervorgehoben, was umso stärker betont, dass der Kosmos nicht prinzipiell ewig ist, sondern nur durch den Willen des Demiurgen bestehen bleibt. Zwar beteuert dieser, dass es grundsätzlich schlecht sei (κακός), den gut gefügten Kosmos aufzulösen. Dennoch bleibt die theoretische Möglichkeit bestehen, dass er ihn in den chaotischen Urzustand zurückführen könnte.132

130 Plat. Tim. 37d1–4. 131 Plat. Tim. 41a7–b4. 132 Grundsätzlich erinnert das Konzept an den ersten jüdischen Schöpfungsbericht (LXX Gen. 1,1–2,4a), bei dem der Schöpfergott ebenfalls feststellt, dass seine Schöpfung gut sei (καὶ εἶδεν ὁ θεὸς ὅτι καλόν), auch wenn sie dann im Nachhinein korrigierender Eingriffe bedarf. Neben anderen bedeutenden Unterschieden ist besonders hervorzuheben, dass es sich im biblischen Kontext um eine creatio ex nihilo handelt, wohingegen der Demiurg im Timaios auf bereits existierende Materie zurückgreift. Für einen detaillierten Vergleich zwischen der Kosmogonie im Timaios

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Konzepte von Untergang und Neukonsolidierung der Welt in der griechischen Naturphilosophie

In den untersuchten Reden des Timaios werden also verschiedene Arten von Untergangskonzepten präsentiert, die entweder den Mikro- oder den Makrokosmos betreffen: In der Rede des Kritias wird zunächst das Konzept von periodischen Feuerkatastrophen eingeführt, die durch die Bahnabweichung der Himmelskörper ausgelöst werden und einen großen Teil der Menschheit auslöschen. Es lässt sich deutlich erkennen, dass der Priester die mythologischen Bausteine des Ausgangskonzeptes (Phaethons Sturz) durch Elemente aus dem naturphilosophischastronomischen Diskurs ersetzt. An zweiter Stelle wird dann ein KataklysmosKonzept angeführt, bei dem periodisch eintretende Fluten ebenfalls einen Großteil der Menschheit vernichten. Ausgelöst werden diese jedoch von den Göttern, um die Welt zu reinigen. Ihnen wird also eine explizite Funktion zugewiesen, die deutliche Verbindungen zu Flutkonzepten des mythologisch-historiographischen Vergangenheitsdiskurses herstellt, denn auch diese verknüpfen oftmals einen purgativen Aspekt mit den Zerstörungen. In den Nomoi wird dieses Konzept ebenfalls aufgerufen, wobei dort vollständig ausgeblendet wird, wer oder was die Fluten auslöst, da dies für den Kontext offenbar nicht relevant ist und von den Rezipienten ergänzt werden kann. Drittens wird dann in der Rede des Timaios das Konzept einer potenziellen Auflösung des gesamten Kosmos angeführt, die zwar unwahrscheinlich ist, da nur der Demiurg dazu in der Lage sei, diesen wieder zu zerstören, aber dennoch prinzipiell möglich. Zuletzt soll nun eine Passage aus Platons Politikos auf Konzepte des Untergangs untersucht werden. In diesem Dialog wird das fiktionale Gespräch zwischen einem Fremden (ξένος) aus Elea und Sokrates dem Jüngeren, der nicht mit dem Lehrer Platons identisch ist, dargestellt, wobei der ältere Sokrates und ein gewisser Theodoros ebenfalls anwesend sind, jedoch kaum Gesprächsanteile besitzen. Die Redesituation zeichnet sich zunächst dadurch aus, dass der Fremde mithilfe der Dihairesis-Methode 133 die »politikē technē, also [die] ›Politikerkompetenz‹ oder [die] spezifischen Fähigkeiten des Staatsmanns«134 zu definieren versucht und Sokrates der Jüngere auf dessen Ausführungen knapp antwortet. Im zweiten Teil der Konversation135 kündigt der Fremde an, ein Spiel (παιδιά) in das Gespräch einzufügen, das daraus bestehe, einen Ausschnitt aus einem großen Mythos (μέρος

und dem biblischen Schöpfungsbericht siehe Rösel (1994) 73–87. Siehe auch Köckert (2009) zur frühchristlichen Exegese des biblischen Schöpfungsberichts vor dem Hintergrund kaiserzeitlicher Timaios-Interpretationen. 133 Zur Methode siehe Schramm (2007). 134 Schäfer (2 2014) 203. 135 Der Übergang zum zweiten Teil wird dadurch deutlich, dass der Fremde sein methodisches Vorgehen ändert: Im Folgenden beabsichtigt er mithilfe eines Mythos die Schwächen der vorhergegangenen Untersuchung aufzudecken; Plat. polit. 268d5f.: πάλιν τοίνυν ἐξ ἄλλης ἀρχῆς δεῖ καθ’ ἑτέραν ὁδὸν πορευθῆναί τινα.

Ewigkeit und Endlichkeit der Welt im Corpus Platonicum

μεγάλου μύθου) zu erzählen. An späterer Stelle betont er sodann, dass diese Er-

zählung eine korrigierende Funktion gegenüber der vorangegangen dihairetischen Untersuchung zu erfüllen vermag, denn durch diese könne man die Schwachstellen der zuvor aufgestellten Definition erkennen.136 Auf inhaltlicher Ebene macht er zunächst auf drei allgemein bekannte, mythische Erzählungen aufmerksam, die jedoch für gewöhnlich nicht miteinander in Verbindung gebracht werden: Den Mythos über Atreus und Thyestes, in dem Zeus die kosmische Ordnung vom Aufgang und Untergang der Sonne geändert habe,137 denjenigen über die Herrschaft des Kronos138 und schließlich denjenigen über die erdgeborenen Menschen139 . Daraufhin behauptet er, dass diese und andere Erzählungen von einem weit in der Vergangenheit liegenden und deshalb zum Großteil vergessenen Ereignis zeugen würden. Einzelaspekte dieses ursächlichen Phänomens (σύμπαντα ἐκ ταὐτοῦ πάθους) seien gegenwärtig in Form von ausformulierten und erweiterten Erzählvarianten im Umlauf.140 Ihm komme nun als erstem die Aufgabe zu – quasi in Form einer rekonstruierenden Mythen-Archäologie – die essenziellen Einzelelemente der jeweiligen Erzählungen zu identifizieren, zu isolieren und auf ihre gemeinsame Ursache zurückzuführen. Als Ergebnis präsentiert der Fremde ein kosmologisches Narrativ, in dem behauptet wird, dass die Welt von einer Schöpfergottheit (θεός oder δημιουργός)141 als Lebewesen geschaffen worden ist. Durch diese Beschaffenheit kommt der Welt ein veränderlicher Körper zu, der notwendigerweise zwei Phasen der Bewegung durchlebe: Zunächst die Phase der Fremdbewegung, in der die Welt von der Gottheit geleitet werde, und darauf die Phase der Eigenbewegung, in der sich die Welt in die entgegengesetzte Richtung bewege.142 Bei den jeweiligen Übergängen zwischen diesen beiden Phasen ereigneten sich fürchterliche Katastrophen, von denen der Großteil aller Lebewesen und besonders der Menschen betroffen sei:

136 Plat. polit. 274e1–4. Der Staatsmann wurde bis dahin als ein Menschenhirte definiert. 137 Plat. polit.268e8–269a5. Der Mythos wird etwa auch in Euripides Orestes (982–1012) und Elektra (699–746) thematisiert sowie im senecanischen Thyestes (siehe Kap. 6.4.). 138 Plat. polit. 269a7f. Nach Hesiod (Werke und Tage 109–119) steht die Herrschaft des Kronos synonym für das Goldene Zeitalter. Konzepte des Goldenen Zeitalters in der antiken Literatur behandeln etwa Gatz (1967), Kubusch (1986) und Evans (2008). 139 Plat. polit. 269b2f. Dass dieses Motiv mehrfach in Platons Schriften auftritt, stellt Ruíz Yamuza (1986) 132 fest. Zum damit oft verbundenen Konzept der Autochthonie in der griechischen Historiographie siehe Blok (2009). 140 Plat. polit. 269b5–c1. 141 Plat. polit. 270a1–5. 142 Plat. polit. 269c4–d2: τὸ γὰρ πᾶν τόδε τοτὲ μὲν αὐτὸς ὁ θεὸς συμποδηγεῖ πορευόμενον καὶ συγκυκλεῖ, τοτὲ δὲ ἀνῆκεν, ὅταν αἱ περίοδοι τοῦ προσήκοντος αὐτῷ μέτρον εἰλήφωσιν ἤδη χρόνου, τὸ δὲ πάλιν αὐτόματον εἰς τἀναντία περιάγεται, ζῷον ὂν καὶ φρόνησιν εἰληχὸς ἐκ τοῦ συναρμόσαντος αὐτὸ κατ’ ἀρχάς.

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φθοραὶ τοίνυν ἐξ ἀνάγκης τότε μέγισται συμβαίνουσι τῶν τε ἄλλων ζῴων, καὶ δὴ καὶ τὸ τῶν ἀνθρώπων γένος ὀλίγον τι περιλείπεται· περὶ δὲ τούτους ἄλλα τε παθήματα πολλὰ καὶ θαυμαστὰ καὶ καινὰ συμπίπτει, μέγιστον δὲ τόδε καὶ συνεπόμενον τῇ τοῦ παντὸς ἀνειλίξει τότε, ὅταν ἡ τῆς νῦν καθεστηκυίας ἐναντία γίγνηται τροπή.143

Aus Notwendigkeit ereignen sich dann sehr große Zerstörungen anderer Lebewesen und auch vom Geschlecht der Menschen bleibt nur ein kleiner Teil übrig; über diese aber brechen viele andere wunderliche und neue Veränderungen144 herein, die größte aber ist folgende, die die Umkehr des Alls dann begleitet, wenn die Wende erfolgt, die der jetzt bestehenden entgegengesetzt ist.

Auch in diesem Erzählkontext wird also ein Konzept periodischer Untergänge präsentiert, die sich besonders auf die jeweiligen Zivilisationen auswirken. Anders als im Timaios und in den Nomoi werden jedoch weder Fluten noch Brände als Modi der Auflösung angeführt, sondern zunächst lediglich »sehr große Zerstörungen« (φθοραὶ μέγισται) genannt. Dadurch spart der eleatische Fremde vorerst weitere Informationen zum spezifischen Ablauf der Untergangsszenarien aus. Stattdessen beschreibt er, welche Veränderungen (παθήματα) in derjenigen Phase auftreten, in der die Schöpfergottheit den Kosmos führt. Dabei entwirft er das Bild einer »verkehrten Welt« ,145 in der zahlreiche Verhältnisse vollständig umgekehrt sind. Die größte Veränderung ist dadurch gegeben, dass die Lebewesen ab dem Zeitpunkt, in dem der Demiurg die Führung übernimmt, nicht mehr altern, sondern im Gegenteil jünger werden, also ein Verjüngungsprozess anstelle eines Alterungsprozesses tritt. Dieser Wechsel wird durch eindrückliche Beschreibungen von alten Männern veranschaulicht, deren Haut sich nun wieder glättet und deren Körper und Seelen allmählich denjenigen von Kleinkindern ähneln.146 Das natürliche Todesszenario für diese Menschen besteht offenbar darin, dass sie dahinschwinden und schließlich ganz vergehen.147 Zudem werden die Menschen in dieser Phase nicht durch geschlechtliche Fortpflanzung geboren, sondern aus der Erde hervorgebracht.148 Die Erinnerung an diese Erdgeborenen sei, so behauptet der Eleate, der Ursprung für die zahlreichen Mythenvarianten von aus der Erde entsprungenen Menschen, die noch zu seiner Zeit vielfach vertreten werden.149 Tatsächlich taucht dieses Motiv ebenfalls im mythologisch-historiographischen Vergangenheitsdiskurs auf,

143 144 145 146 147 148 149

Plat. polit. 270c11–d4. Vgl. LSJ s.v. »πᾶθημα« III 2. Zum literarischen Topos der »verkehrten Welt« vgl. Nisbet/Hubbard (1970) 341f. Plat. polit. 270d6–e8. Plat. polit. 270e8f.: τὸ δ’ ἐντεῦθεν ἤδη μαραινόμενα κομιδῇ τὸ πάμπαν ἐξηφανίζετο. Plat. polit. 271a5–8. Plat. polit. 271a8–b4.

Ewigkeit und Endlichkeit der Welt im Corpus Platonicum

wenn etwa Pindar davon berichtet, dass Deukalion und Pyrrha die Erde wiederbevölkerten, indem sie Steine warfen, aus denen dann Menschen entstanden.150 Zusätzlich zur Erinnerung der Vorfahren führt der eleatische Fremde an, dass es nur logisch sei, anzunehmen, dass die Menschen in dieser Phase lediglich aus der Erde entstehen könnten, in welcher in der gegenläufige Phase Menschen bestattet wurden: ἑπόμενον γάρ ἐστι τῷ τοὺς πρεσβύτας ἐπὶ τὴν τοῦ παιδὸς ἰέναι φύσιν, ἐκ τῶν τετελευτηκότων αὖ, κειμένων δὲ ἐν γῇ, πάλιν ἐκεῖ συνισταμένους καὶ ἀναβιωσκομένους, ἕπεσθαι τῇ τροπῇ συνανακυκλουμένης εἰς τἀναντία τῆς γενέσεως […].151

Denn daraus, dass die Greise zur Natur des Kindes zurückkehren, folgt, dass aus den Verstorbenen, die in der Erde liegen, sich wieder Menschen zusammensetzen und aufleben; sie folgen der Wende, bei der das Entstehen sich in das Entgegengesetzte umdrehte […].

Die beiden konstitutiven Autorisierungsstrategien bestehen also zum einen aus dem Verweis auf die tradierte Erinnerung der Vorfahren und zum anderen aus einem Argument der inhärenten Erzähllogik. Nach dieser Veränderung, die C. Horn als anthropologische Folgewirkung bezeichnet,152 wird ein weiterer Wechsel angesprochen, der sich ebenfalls eindrücklich auf die menschliche Gesellschaft auswirkt. Diese Phase könne nämlich auch als das Zeitalter des Kronos identifiziert werden,153 für dessen Beschreibung zahlreiche Topoi des Goldenen Zeitalters herangezogen werden: Es gibt weder Krieg noch Aufruhr unter Menschen und Tieren, niemand muss sich um Nahrung bemühen, da alles im Überfluss von der Natur bereitgestellt wird, es existieren weder staatliche Verfassungen noch Besitzansprüche und göttliche Dämonen (θεῖοι δαίμονες) umsorgen ihre Herden, die in Menschen und andere Lebewesen unterteilt sind.154 Nachdem die drei angekündigten Mythenbausteine (Umkehrung der kosmischen Ordnung, Erdgeborene und das Zeitalter des Kronos) zu einem Narrativ mit gemeinsamer Ursache zusammengefügt wurden, widmet sich der Eleate dem Ende dieser Phase, das – wie er behauptet – notwendigerweise eintreten müsse:

150 151 152 153 154

Siehe Kap 3.1. Plat.polit. 271b4–8. Horn (2 2014) 226. Zu Platons Umgang mit dem Mythos des Goldenen Zeitalters siehe Vidal-Naquet (1978). Gerade das letzte Motiv der göttlichen Hirten verleiht der Szenerie unterschwellige Züge einer Dystopie, die im Folgenden (272b8–d4) dadurch verstärkt werden, dass der Fremde die Frage aufwirft, ob die Menschen im Zeitalter des Kronos wohl glücklicher waren oder nicht. Diese Frage zu beantworten, überlässt er aber ausdrücklich den Rezipienten.

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ἐπειδὴ γὰρ πάντων τούτων χρόνος ἐτελεώθη καὶ μεταβολὴν ἔδει γίγνεσθαι καὶ δὴ καὶ τὸ γήινον ἤδη πᾶν ἀνήλωτο γένος, πάσας ἑκάστης τῆς ψυχῆς τὰς γενέσεις ἀποδεδωκυίας, ὅσα ἦν ἑκάστῃ προσταχθὲν τοσαῦτα εἰς γῆν σπέρματα πεσούσης, τότε δὴ τοῦ παντὸς ὁ μὲν κυβερνήτης, οἷον πηδαλίων οἴακος ἀφέμενος, εἰς τὴν αὑτοῦ περιωπὴν ἀπέστη, τὸν δὲ δὴ κόσμον πάλιν ἀνέστρεφεν εἱμαρμένη τε καὶ σύμφυτος ἐπιθυμία.155

Denn als die Zeit von all diesem endete und eine Veränderung geschehen musste und nunmehr auch das aus der Erde stammende Geschlecht schon gänzlich verbraucht war, nachdem jede Seele alle Entstehungen geleistet hatte, weil sie so oft als Samen in die Erde gefallen war, wie es einer jeden bestimmt war, damals nun ging der Steuermann des Alls, gleichsam die Stange der Steuerruder loslassend, weg zu seinem Ausguck, die zugeteilte und eingeborene Begierde drehte die Welt aber wieder in umgekehrter Richtung.

Dass diese Phase, in der die Welt vom Demiurgen geleitet wird, endet, erscheint als eine Art eingeschriebenes Naturgesetz, da auf makrokosmischer Ebene zunächst nur konstatiert wird, dass es einen Zwang zur Veränderung gibt (μεταβολὴν ἔδει γίγνεσθαι). Auf mikrokosmischer Ebene wird der ausschlaggebende Grund nachvollziehbarer hervorgehoben, da jeder Seele in dieser Phase (»Herrschaft des Kronos«) offenbar nur eine gewisse Anzahl von Leben zur Verfügung steht. Durch die Metapher der Samen, die schon zu oft in die Erde gefallen sind, um noch etwas ergiebig hervorbringen zu können, wird das Bild von degenerierten Seelen evoziert, deren Potenzial erschöpft ist und wieder aufgeladen werden muss.156 Diese mikrokosmische Notwendigkeit scheint dann auch das Handeln der Schöpfergottheit zu beeinflussen, was durch die konzeptuelle Metapher Der Demiurg ist ein Steuermann unterstrichen wird. Durch den vor allem in nautischen Kontexten gebrauchten Begriff κυβερνήτης157 wird die Vorstellung aufgerufen, dass der Kosmos ein Schiff sei, das der Demiurg navigiere, bevor er sich dann als passiver Beobachter in den Ausguck (περιωπή) zurückzieht.158 Nachdem sich der Schöpfergott und mit ihm die göttlichen Dämonen aus der Welt zurückgezogen haben, dreht sich jene entgegengesetzt zur vorherigen Bewe-

155 Plat. polit. 272d6–e6. 156 Interessanterweise erinnert diese Vorstellung an spätere Darstellungen der erschöpften Erde, die in ihrem bereits vorangeschrittenen Alter nicht mehr in der Lage ist, große Lebewesen hervorzubringen (siehe Kapitel 5.1.). In beiden Fällen wird signalisiert, dass ein kosmischer Umbruch stattfinden wird, der diese Situation verändert. Als Kontrast dazu finden sich in De aeternitate mundi Philos von Alexandria Argumente des Peripatetikers Kritolaos (55–69), der sich gegen die Vorstellungen von Erdgeborenen sowie einer alternden Welt ausspricht; dagegen behauptet er (61,3), dass die Welt »in ewiger Jugend immer gleich bleibt« (ἐν ὁμοίῳ μένει νεάζουσα ἀεί). 157 Vgl LSJ s.v. »κυβερνήτης«. 158 Vgl. Brisson (1995) 357f.

Ewigkeit und Endlichkeit der Welt im Corpus Platonicum

gungsrichtung,159 wodurch eine gewaltige innere Erschütterung (σεισμὸς πολύς ἐν ἑαυτῷ) erzeugt wird, die einige Zeit anzuhalten scheint.160 Diese verursacht, wie der eleatische Fremde bereits zuvor angedeutet hatte (270c11–d4), eine erneute Vernichtung (ἄλλη αὖ φθορά) von Lebewesen aller Arten.161 Dieses Konzept von periodischen Zerstörungen, die sich auf die gesamte Menschheit auswirken und dadurch auch das kulturelle Gedächtnis einschränken, weist offensichtliche Gemeinsamkeiten mit anderen Konzepten von periodischer Auflösung eines Mikrokosmos auf, wie sie bereits in den platonischen Dialogen begegnet sind und untersucht wurden. Bemerkenswert ist, dass der Modus der Zerstörung in diesem Fall weder Feuer noch Wasser, sondern ein länger anhaltendes Erdbeben ist, wodurch deutlich wird, dass auch dieser Konzeptbaustein durchaus austauschbar ist.162 An diesen Umbruch schließt sich dann diejenige kosmische Phase an, in der zahlreiche Aspekte konträr zur vorherigen verlaufen: Menschen entstehen durch geschlechtliche Zeugung und altern, Nahrung muss unter Anstrengungen erarbeitet werden, da sie nicht mehr im Überfluss vorhanden ist, und Gemeinschaftsformen müssen herausgebildet werden, um den Wegfall der göttlichen Hirten-Dämonen zu kompensieren. In der narrativen Gestaltung der folgenden Passage fällt auf, dass die Welt in die Rolle des aktiv Handelnden versetzt und die Vorstellung eines Lehrer-Schüler-Verhältnisses zwischen Demiurg und Welt evoziert wird: […] ἐπιμέλειαν καὶ κράτος ἔχων αὐτὸς τῶν ἐν αὑτῷ τε καὶ ἑαυτοῦ, τὴν τοῦ δημιουργοῦ καὶ πατρὸς ἀπομνημονεύων διδαχὴν εἰς δύναμιν. κατ’ ἀρχὰς μὲν οὖν ἀκριβέστερον ἀπετέλει, τελευτῶν δὲ ἀμβλύτερον.163

159 Schäfter (2 2014) 208 schlägt vor sich die Bewegung des Kosmos »wie das Aufziehen und die losgelassen im Gegensinn ablaufende Drehbewegung eines Uhrwerks« vorzustellen, wobei er mit Verweis auf Brisson (1995) 357f. und Scodel (1987) 75 vor einer allzu mechanistischen Deutung warnt, da der Kosmos ausdrücklich als Lebewesen dargestellt werde. 160 Plat. polit. 273a3. Dass dabei nicht ein einziges punktuelles Beben imaginiert, sondern eine längere Dauer impliziert wird, wird im Folgenden deutlich, da der Fremde von mehreren Beben und deren allmählichem Abklingen erzählt: μετὰ δὲ ταῦτα προελθόντος ἱκανοῦ χρόνου, θορύβων τε καὶ ταραχῆς ἤδη παυόμενος καὶ τῶν σεισμῶν γαλήνης ἐπιλαβόμενος […]. Bemerkenswert ist zudem, dass auch hier mit γαλήνη ein Terminus verwendet wird, der besonders im nautischen Kontext (als »die stille See«) auftritt; vgl. LSJ s.v. »γαλήνη«. 161 Plat. polit. 273a3f.: […] σεισμὸν πολὺν ἐν ἑαυτῷ ποιῶν ἄλλην αὖ φθορὰν ζῴων παντοίων ἀπηργάσατο. 162 Auch wenn Platon an anderer Stelle (leg. III 677a1–7) einräumt, dass es durchaus verschiedene Arten von Auflösungsmodi in periodischen Zerstörungen des Mikrokosmos gibt, wird sonst die Flut als Beispiel par excellence für diese genannt. 163 Plat. polit. 273a7–b4.

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Konzepte von Untergang und Neukonsolidierung der Welt in der griechischen Naturphilosophie

[…] Sie (scil. die Welt) hatte selbst Fürsorge und Gewalt über die Dinge in ihr und über sich selbst, (und) gedachte nach Kräften der Lehre des Schöpfers und Vaters. Zu Beginn befolgte sie diese zwar noch ziemlich genau, zum Ende hin aber recht abgestumpft.

Dieses Passage betont einerseits, dass die Welt im Narrativ des Fremden tatsächlich als ein Lebewesen begriffen wird, das ohne die Führung durch den Schöpfer über eigene Handlungs-und Entscheidungsmacht verfügt, dass jedoch andererseits eine übergeordnete Planhaftigkeit besteht – hier als die Lehre (διδαχή) bezeichnet –, nach der sich jene richten sollte. Dass sie dies nicht tut, indem sie von der Lehre abrückt und damit die ideale Planhaftigkeit immer weiter in Vergessenheit (λήθη) gerät, führt schließlich dazu, dass sie sich von ihrer durch den Demiurgen gegebenen Ordnung entfernt und sich damit dem Zustand ihrer ursprünglichen Uneinigkeit (παλαιὰ ἀναρμοστία) nähert.164 Diese Vorstellung beruht auf der kosmogonischen Prämisse, die an die Weltschöpfung des Timaios erinnert, dass der Demiurg den Kosmos hervorgebracht habe, indem er die Urstoffe, die sich zuvor in chaotischer Unordnung befanden, zu einer nahezu perfekten Ordnung zusammengefügt habe.165 Durch diesen Status der Körperlichkeit (σωματοειδές) ist die Welt, wie jedes andere geschaffene Wesen auch, gefährdet, zu vergehen (διαφθορά) und zu ihrem chaotischen Urzustand zurückzukehren.166 In einer solchen Situation trete dann jedoch wieder der Schöpfergott, ähnlich einem Deus ex machina in dramatischen Textsorten, in Erscheinung, um die Gefahr abzuwenden: διὸ δὴ καὶ τότ’ ἤδη θεὸς ὁ κοσμήσας αὐτόν, καθορῶν ἐν ἀπορίαις ὄντα, κηδόμενος ἵνα μὴ χειμασθεὶς ὑπὸ ταραχῆς διαλυθεὶς εἰς τὸν τῆς ἀνομοιότητος ἄπειρον ὄντα πόντον δύῃ, πάλιν ἔφεδρος αὐτοῦ τῶν πηδαλίων γιγνόμενος, τὰ νοσήσαντα καὶ λυθέντα ἐν τῇ καθ’ ἑαυτὸν προτέρᾳ περιόδῳ στρέψας, κοσμεῖ τε καὶ ἐπανορθῶν ἀθάνατον αὐτὸν καὶ ἀγήρων ἀπεργάζεται.167

Und deshalb ordnet sie (scil. die Welt) dann auch der Gott, der sie (zuvor) geordnet hat, wenn er sieht, dass sie in Not ist, weil er sich sorgt, dass sie von der Unordnung heimgesucht und aufgelöst in das unbegrenzte168 Meer der Unähnlichkeit versinken könne, indem er wieder den Platz an seinen Steuerrudern einnimmt, das Erkrankte und

164 Plat. polit. 273c6–d2. Platon verwendet den Terminus ansonsten, um eine (akustische) Disharmonie zu bezeichnen; vgl. LSJ s.v. »ἀναρμοστία«. 165 Plat. polit. 273b4–7: τούτων δὲ αὐτῷ τὸ σωματοειδὲς τῆς συγκράσεως αἴτιον, τὸ τῆς πάλαι ποτὲ φύσεως σύντροφον, ὅτι πολλῆς ἦν μετέχον ἀταξίας πρὶν εἰς τὸν νῦν κόσμον ἀφικέσθαι. 166 Plat. polit. 273d2–4. 167 Plat. polit. 273d4–e4. 168 Wie bereits erläutert wurde (siehe Kap. 4.1.), schwingen bei ἄπειρος im naturphilosophischen Diskurs die Bedeutungen »unbestimmt« und »undurchdringlich« mit.

Ewigkeit und Endlichkeit der Welt im Corpus Platonicum

Aufgelöste in dem selbst entsprechenden früheren Kreislauf dreht, und indem er sie wiederherstellt, macht er sie unsterblich und nicht alternd.

Zunächst einmal ändert sich also erneut die Verfügungsgewalt, indem der Demiurg seinen passiven Beobachterstatus ablegt und aktiv eingreift, was durch die verschiedenen Verbalhandlungen betont wird. Dadurch wird die Welt wiederum als Objekt dieser Handlung inszeniert und in ihre passiv-geleitete Rolle zurückversetzt. Die imaginierte Gefahr ihrer vollständigen Auflösung ist interessanterweise mit Konzeptbestandteilen angereichert, die auf naturphilosophische Vorstellungen rekurrieren, wodurch diese vorplatonischen Konzepte als Bildspender und Vorstellungsressourcen für die Darstellung des potenziellen Untergangs aufgerufen werden. Die Anspielungen beruhen zwar lediglich auf der Nennung weniger Begriffe, die jedoch so spezifisch mit den naturphilosophischen Lehren der Vorsokratiker verbunden sind, dass diese Reminiszenzen bereits ausreichen, um verhandelte Prätexte zu erkennen: Die zuvor genannte »Uneinigkeit« (ἀναρμοστία) und die »Unordnung« (ταραχή) erinnern eindrücklich an die empedokleische Konzeption der absoluten Herrschaft des Streits. Diese Anlehnung an Empedokles wird auch durch die Vorstellung eines kosmischen Zyklus unterstrichen, der die unterschiedlichen Extremzustände durchläuft.169 Gleichzeitig wird das Resultat dieser vollständigen Auflösung als das »unbegrenzte/unbestimmte/ undurchdringliche Meer« (ἄπειρος πόντος170 ) bezeichnet, wodurch einerseits die nautische Metapher aufrechterhalten wird, in der die Welt als Schiff vom Schöpfergott als Steuermann durch das stürmische Meer171 geleitet wird. Andererseits verweist zunächst ἄπειρος auf die Lehre Anaximanders, nach der sich alles aus einem undifferenzierten Urzustand herausgebildet habe und auch wieder in diesen vergehe.172 Der πόντος dagegen weckt Anklänge an solche kosmogonischen Vorstellungen, gemäß derer alles aus einem Urozean entstanden sei und letztlich (möglicherweise) wieder in diesen zu-

169 Bei Empedokles sind dies die Extremzustände von absoluter Separation der Elemente in Reinmassen und ihrer perfekten Vereinigung im Sphairos. Im Politikos postuliert der Fremde, dass sich die Welt zwischen der Gefahr ihrer absoluten Auflösung und ihrer Unfähigkeit, neue Lebewesen hervorzubringen, bewege bzw. bewegt werde. Vgl. zu den empedokleischen Reminiszenzen im Politikos Hladký (2015) 82–93. 170 In den Handschriften, bei Plutarch, Plotin und Eusebius findet sich τόπον, wohingegen Proklos und Simplikios πόντον bezeugen. In der Überlieferung sind also offensichtlich beide Varianten vertreten worden, wobei πόντον gerade wegen der zuvor verwendeten nautischen Metaphern konsistent erscheint; vgl. Ricken (2008) 30. 171 Der Sturmaspekt wird besonders auch dadurch ausgedrückt, dass die Welt durch die Unruhe »heimgesucht« oder »umstürmt« (χειμασθείς) wird. 172 Siehe Kap. 4.1.

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rückkehre, wie etwa Thales gelehrt haben könnte.173 Der Fremde präsentiert damit also verschiedene naturphilosophische Wissenselemente, die er neu arrangiert, zu einem kohärenten Ganzen zusammenfügt und so das Konzept eines potentiellen Untergangs der Welt produziert. Zugleich greift er jedoch auch Elemente aus der kosmologischen Rede des Timaios auf, in der behauptet wird, dass der Demiurg den Kosmos frei von Alter und Krankheit (ἀγήρως καὶ ἄνοσος) geschaffen habe. Im Politikos wird dieses Begriffspaar zwar leicht variiert (ἀθάνατος καὶ ἀγήρως174 ), doch zuvor konstatiert der Eleate, dass die Bestandteile der Welt bereits erkrankt seien (νοσήσαντα), was durch den Eingriff des Demiurgen korrigiert wird. Es wird jedoch – noch deutlicher als im Timaios – evident, dass die Attribute »unsterblich« und »alterslos« keine endgültigen Qualitäten der Welt beschreiben, da sie nur so lange gültig sind, wie der Demiurg die Welt führt, bzw. bis die Lehre (διδαχή) des Demiurgen in Vergessenheit gerät und jene erneut gefährdet ist, sich vollständig aufzulösen. Für die platonischen Werke hat sich also gezeigt, dass in unterschiedlichen Kontexten von verschiedenen Sprechern Auflösungskonzepte präsentiert werden, die in markanten Punkten voneinander abweichen können. Grundsätzlich lässt sich zwischen Konzepten zyklischer Auflösung des Mikrokosmos und Konzepten potenzieller Auflösung des Makrokosmos unterscheiden, wobei von letzteren behauptet wird, dass die Schöpfergottheit ein solches Endszenario de facto verhindern würde. Die Konzepte zyklischer Auflösung beinhalten als Modi der Zerstörung Flut- und Brandkatastrophen, sowie im Fall des Politikos Erdbeben. Bei diesen überleben jedoch stets genug Menschen, um eine Form von Erinnerung überliefern zu können, sodass ein Bruchteil des kulturellen Gedächtnisses überdauert, selbst wenn diverse zivilisatorische Errungenschaften neu entdeckt werden müssen. Insgesamt werden alle untersuchten kosmologischen Konzepte von Sprechern dargestellt, die entweder ausdrücklich betonen, dass sie einen »Mythos«, eine »wahrscheinliche Lehre« (εἰκὼς λόγος) oder ein »Spiel« (παιδιά) präsentieren, oder deren absolute Zuverlässigkeit von den Rezipienten angezweifelt werden kann, wie die narratologischen Analysen zur Rede des Kritias gezeigt haben. Diese Ergebnisse erweisen sich jedoch als durchaus vereinbar mit der platonischen Lehre, dass echtes Wissen (ἐπιστήμη) über die phänomenale Welt nicht möglich ist, da diese lediglich Abbildcharakter besitzt und der ständigen Veränderung unterworfen ist. Konzepte über Vorgänge in dieser sinnlich wahrnehmbaren Welt können deshalb lediglich

173 Diese kosmogonische Vorstellung wird bereits in Homers Ilias angedeutet, wenn Okeanos als der »Ursprung der Götter« (θεῶν γένεσις [14,201]) und »Ursprung für alle« (γένεσις πάντεσσι [14,246]) bezeichnet wird. Sicher sind solche Konzepte für den ägyptischen Kulturraum zu konstatieren; vgl. dazu etwa Verhoeven-van Elsbergen (2016). 174 Eine alliterative Junktur, die bereits in Homers Ilias (8,539) und Odyssee (5,218) verwendet wird, um einen Zustand der Alterslosigkeit zu beschreiben; vgl. LSJ s.v. »ἀγήραος«.

Ewigkeit und Endlichkeit der Welt im Corpus Aristotelicum

den Status von Meinungen bzw. Vorstellungen (δόξαι) erreichen, weswegen sie auch kontextabhängig angepasst werden können.175 Den Rezipienten der Dialoge kommt es durch diese Bandbreite an verschiedenen Konzeptvarianten zu, diese zu evaluieren und im Sinne einer reader-response diejenigen Bestandteile, die ihnen glaubhaft erscheinen, in ihre eigene Konzeptualisierung der Welt aufzunehmen.

4.3 Ewigkeit und Endlichkeit der Welt im Corpus Aristotelicum Das Konzept der Ewigkeit der Welt begegnet auch in den Schriften des Platonschülers Aristoteles (384–322 v. Chr.), der jedoch zudem ausdrücklich die Ungeschaffenheit und Ungewordenheit des Kosmos postuliert.176 Um diese Annahme argumentativ zu untermauern, entwirft er in seiner Schrift De caelo eine doxographische Kategorisierung der bisherigen Philosophen, die sich mit kosmologischen Fragen auseinandergesetzt haben.177 Dabei stellt er zuerst deren Positionen vor, um dann schrittweise gegen diese zu argumentieren: γενόμενον μὲν οὖν ἅπαντες εἶναί φασιν, ἀλλὰ γενόμενον οἱ μὲν ἀΐδιον, οἱ δὲ φθαρτὸν ὥσπερ ὁτιοῦν ἄλλο τῶν συνισταμένων, οἱ δ’ ἐναλλὰξ ὁτὲ μὲν οὕτως ὁτὲ δὲ ἄλλως ἔχειν φθειρόμενον, καὶ τοῦτο αἰεὶ διατελεῖν οὕτως, ὥσπερ Ἐμπεδοκλῆς ὁ Ἀκραγαντῖνος καὶ Ἡράκλειτος ὁ Ἐφέσιος.178

Es sagen nun alle, dass (die Welt) entstanden sei, allerdings betrachten die einen diese entstandene (Welt) als ewig, die anderen hingegen als ebenso vergänglich wie alles andere, was zusammengesetzt worden ist, und wieder andere meinen, dass sie sich abwechselnd bald in diesem, bald in jenem Zustand befinde, wenn sie vergeht, und dies (scil. der Wechsel) sich für immer so fortsetze, wie Empedokles von Akragas und Heraklit von Ephesos.

175 Vgl. dazu auch Johansen (2004) 160–176. 176 Aristot. cael. II 1, 283 b 26–29: ὅτι μὲν οὖν οὔτε γέγονεν ὁ πᾶς οὐρανὸς οὔτ’ ἐνδέχεται φθαρῆναι, καθάπερ τινές φασιν αὐτόν, ἀλλ’ ἔστιν εἷς καὶ ἀΐδιος, ἀρχὴν μὲν καὶ τελευτὴν οὐκ ἔχων τοῦ παντὸς αἰῶνος, ἔχων δὲ καὶ περιέχων ἐν αὑτῷ τὸν ἄπειρον χρόνον […]. 177 Flashar (2006) 144 macht darauf aufmerksam, dass diese Argumentationspraxis an ein dialogisches Modell erinnere, in dem die oppositionellen Positionen zunächst angehört werden, um sie anschließend zu widerlegen. 178 Aristot. cael. I 10, 279 b 12–16.

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Aristoteles definiert zunächst also drei philosophische Gruppierungen, die unterschiedliche Theorien zum Entstehen und Vergehen der Welt179 entwickelten: Zur ersten gehören diejenigen, die annehmen, dass die Welt entstanden, aber dennoch unvergänglich sei. Unter diesen könnte er, wie auch sein spätantiker Kommentator Simplikios mit Bezug auf Alexander von Aphrodisias vermutet,180 unter anderem Hesiods theogonische Konzeption, die zwar verschiedene Weltzeitalter, jedoch keine endgültige Auflösung der Welt thematisiert, orphische Kosmogonien181 sowie das Konzept der Weltschöpfung durch einen Demiurgen in Platons Schriften verstehen.182 Gerade Platonisten, gegen deren Auslegung des Timaios Aristoteles sich an späterer Stelle wendet,183 sind wohl primär die Philosophen, die er in diese Kategorie einordnet. Als zweite Gruppe nennt er diejenigen, die die Meinung vertreten, dass die Welt aus Materie zusammengesetzt worden sei und – wie alles Geschaffene – letztlich wieder vergehen müsse. Damit adressiert Aristoteles offenbar die Atomisten, besonders Demokrit,184 mit dessen Lehre er sich intensiv auseinandergesetzt hatte.185 In einer zusammenfassenden Passage, die der spätantike Neuplatoniker Simplikios in seinem De caelo-Kommentar zitiert,186 erläutert Aristoteles die Grundzüge der atomistischen Theorie: Unendlich viele kleine Teilchen (μικραὶ οὐσίαι πλῆθος ἄπειροι), die als einzelne von unserer sinnlichen Wahrnehmung nicht erfasst wer-

179 Aristoteles verwendet zwar den Terminus οὐρανός, der hier jedoch als pars pro toto für den Kosmos zu verstehen ist, bzw. als alles, was durch den οὐρανός umschlossen wird; vgl. LSJ s.v. »οὐρανός« I 4. Siehe dazu Marcovich (1966) 47: »[…] ὁ οὐρανός at de caelo A 10, p. 279 b 12 clearly mean[s] ›the whole sum of things‹[…].« 180 Simpl. in de cael. 293,13–15: τῶν δὲ γεγονέναι λεγόντων αὐτὸν οἱ μὲν ἀίδιον λέγουσιν, ὥσπερ Ὀρφεὺς καὶ Ἡσίοδος καὶ μετ’ αὐτοὺς ὁ Πλάτων, ὥς φησιν Ἀλέξανδρος. Aristoteles ordnet die im Timaios dargestellte Kosmogonie an späterer Stelle (I 10, 280 a 28–32) auch ausdrücklich in diese Gruppe ein. 181 Zu diesen nur fragmentarisch überlieferten Vorstellungen siehe Gregory (2007) 21f. 182 Siehe Kap. 4.2. 183 Siehe etwa Aristot. cael. I 10, 279 b 32–280 a 11. 184 Dessen ursprünglich umfangreiches Oeuvre ist – wie das seines Lehrers Leukipp – nur noch in Fragmenten überliefert. Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede die Theorien der beiden Atomisten aufgewiesen haben, ist deswegen nicht mehr nachvollziehbar. Siehe dazu auch Gregory (2007) 117: »It is unclear what, if any, differences there were between the two on the issue of cosmogony.« Bailey (1928) hat versucht, solche Differenzen herauszuarbeiten, die aufgrund der Überlieferungslage jedoch größtenteils spekulativ erscheinen. Vgl. dazu auch Rechenauer (2013) bes. 833. 185 Diogenes Laertios überliefert in seiner doxo-biographischen Schrift Leben und Lehre der Philosophen für Aristoteles ein Werkverzeichnis mit beinahe 400 Schriften (5,22–27), unter anderen zwei Bücher mit dem Titel Demokrit-Probleme (Προβλήματα ἐκ τῶν Δημοκρίτου). 186 Simpl. in de cael. 295,1–22.

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den können,187 bewegten sich in einem Raum unendlicher Ausdehnung (τόπος ἄπειρος τῷ μεγέθει). Durch Zusammenstöße, bei denen sie abhängig von ihrer spezifischen Formung aneinander haften bleiben oder voneinander abprallen,188 bildeten sich sichtbare Masseanhäufungen (ὀφθαλμοφανεῖς καὶ αἰσθητοὶ ὄγκοι), aus denen dann schließlich komplexere Strukturen resultierten. Eine Auflösung der so entstandenen Zusammensetzungen sei in diesem Modell folgendermaßen zu denken: ἐπὶ τοσοῦτον οὖν χρόνον σφῶν αὐτῶν ἀντέχεσθαι νομίζει καὶ συμμένειν, ἕως ἰσχυροτέρα τις ἐκ τοῦ περιέχοντος ἀνάγκη παραγενομένη διασείσῃ καὶ χωρὶς αὐτὰς διασπείρῃ. λέγει δὲ τὴν γένεσιν καὶ τὴν ἐναντίαν αὐτῇ διάκρισιν οὐ μόνον περὶ ζῴων, ἀλλὰ καὶ περὶ φυτῶν καὶ περὶ κόσμων καὶ συλλήβδην περὶ τῶν αἰσθητῶν σωμάτων ἁπάντων.189

Er (scil. Demokrit) meint nun, dass sie so lange Zeit untereinander zusammenhalten und zusammenhängen, bis irgendeine stärkere Notwendigkeit, die aus der Umgebung kommt, sie gewaltsam erschüttert und auseinandertreibt. Er spricht von der Entstehung und von der Auflösung, die ihr entgegengesetzt ist, nicht nur in Bezug auf Lebewesen, sondern auch in Bezug auf Pflanzen und Welten und generell in Bezug auf alle wahrnehmbaren Körper.

Dass sich eine Auflösung (διάκρισις) komplexer Strukturen ereignet, wird also einer externen Ursache zugeschrieben, die als »Notwendigkeit« (ἀνάγκη) bezeichnet wird.190 Pseudo-Plutarch überliefert, dass Demokrit unter ἀνάγκη Aspekte des notwendigen Verhaltens der Atome verstanden habe,191 nämlich ihren Widerstand (ἀντιτυπία), ihre Bewegung (φορά) und ihren Stoß bzw. Aufprall (πληγή).192 Unter einer externen ἀνάγκη könnte daher der Aufprall von Atomen auf bereits bestehende Strukturen verstanden werden, der dazu führt, dass die vorhandene

187 Simpl. in de cael. 295,5f.: νομίζει δὲ εἶναι οὕτω μικρὰς τὰς οὐσίας ὥστε ἐκφυγεῖν τὰς ἡμετέρας αἰσθήσεις […].

188 Simpl. in de cael. 295,14–18: τοῦ δὲ συμμένειν τὰς οὐσίας μετ’ ἀλλήλων μέχρι τινὸς αἰτιᾶται τὰς ἐπαλλαγὰς καὶ τὰς ἀντιλήψεις τῶν σωμάτων· τὰ μὲν γὰρ αὐτῶν εἶναι σκαληνά, τὰ δὲ ἀγκιστρώδη, τὰ δὲ κοῖλα, τὰ δὲ κυρτά, τὰ δὲ ἄλλας ἀναρίθμους ἔχοντα διαφοράς.

189 Simpl. in de cael. 295,18–22. 190 Diogenes Laertios (9,35) gibt an, dass eine solche ἀνάγκη ebenfalls im atomistischen System Leukipps von Bedeutung gewesen sei, ohne dass dieser näher darauf eingegangen wäre, was unter ihr zu verstehen sei: εἶναί τε ὥσπερ γενέσεις κόσμου, οὕτω καὶ αὐξήσεις καὶ φθίσεις καὶ φθοράς, κατά τινα ἀνάγκην, ἣν ὁποία ἐστὶν οὐ διασαφεῖ. Vgl. zur Bedeutung von ἀνάγκη und τύχη bei den frühen Atomisten Edmunds (1972). Generell zum Begriff siehe Schreckenberg (1964). 191 Vgl. Gregory (2013) 467. 192 [Plut.] plac. 1,26: περὶ οὐσίας ἀνάγκης […] Δημόκριτος τὴν ἀντιτυπίαν καὶ φορὰν καὶ πληγὴν τῆς ὕλης.

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Atomverbindung aufgesprengt wird.193 Zwar behauptet Hippolyt von Rom, dass sich die frühen Atomisten die Zerstörung einer Welt (κόσμος) so vorgestellt hätten, dass zwei Welten miteinander kollidieren,194 jedoch scheint dies m. E. lediglich eine überspitzte Folgerung aus der gerade vorgestellten Grundprämisse zu sein.195 Dass es aber nach dieser Konzeption von unendlicher Leere und unendlicher Materie ebenfalls eine unbegrenzte Anzahl von gleichzeitig und nacheinander existierenden Welten (κόσμοι) geben muss, betont auch Aristoteles in De caelo. Diese Prämisse bewertet er jedoch eindeutig als Negativargument und kündigt an, sich an spätere Stelle damit auseinanderzusetzen, weshalb die Annahme unendlich vieler Welten unmöglich sei.196 An dritter Stelle, nach den Platonikern und Atomisten, führt Aristoteles Philosophen an, die einen ewigen Wechsel von Entstehen und Vergehen der Welt postulieren, wobei er als prototypische Vertreter einer solchen Lehre Empedokles von Akragas und Heraklit von Ephesos nennt. Diese sollen erklärt haben, dass ein ewiger Kreislauf existiere, in dem die Elemente zusammentreten (συνιστάναι) und sich wieder voneinander lösen (διαλύειν).197 Darunter könne jedoch kein Entstehen und Vergehen der Welt im eigentlichen Sinn verstanden werden, da es sich lediglich um einen Wechsel verschiedener Zustände (διαθέσεις) handele und die eigentliche Welt(ordnung) (κόσμος) dadurch erhalten bleibe, dass der Kreislauf in Ewigkeit bestehe.198 Diese Konzeption versucht Aristoteles im Folgenden durch eine Analogie ad absurdum zu führen, indem er dieses Modell auf den Menschen überträgt: Genauso wenig, wie es für diesen denkbar sei, zunächst vom Kind zum Mann zu altern und sich dann wieder von einem Mann zu einem Kind zu verjün-

193 Eine ausführlichere Darstellung, wie der Aufprall von Atomen zur Auflösung einer Welt führt, findet sich am Ende des zweiten Buches (1105–1174) von Lukrezens De rerum natura; siehe Kap. 5.1. 194 Hippol. haer. 1,13,3: εἶναι δὲ τῶν κόσμων ἄνισα τὰ διαστήματα, καὶ τῇ μὲν πλείους, τῇ δὲ ἐλάττους, καὶ τοὺς μὲν αὔξεσθαι, τοὺς δὲ ἀκμάζειν, τοὺς δὲ φθίνειν, καὶ τῇ μὲν γίνεσθαι, τῇ δὲ λείπειν· φθείρεσθαι δὲ αὐτοὺς ὑπ’ ἀλλήλων προσπίπτοντας. 195 Da Aristoteles angibt, dass Demokrit dieses Konzept der externen ἀνάγκη auch auf die διάκρισις von Lebewesen und Pflanzen angewendet habe, ergibt es wenig Sinn, sie als die Kollision gleichartiger Verbindungen zu verstehen, da Pflanzen und Tiere nur selten zugrunde gehen, indem sie miteinander kollidieren. 196 Aristot. cael. I 10, 280 a 26–28: ἀπείρων δ’ ὄντων ἐνδέχεται μᾶλλον. οὐ μὴν ἀλλὰ καὶ τοῦτο πότερον ἀδύνατον ἢ δυνατόν, ἔσται δῆλον ἐκ τῶν ὕστερον. Eine solche Auseinandersetzung ist jedoch nicht überliefert. 197 Aristot. cael. I 10, 280 a 11–23. 198 Vgl. Gregory (2007) 167f.

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gen,199 seien solche zyklischen Gestaltveränderungen (μεταβάλλοντα τὴν μορφήν) der Welt vertretbar. Dass er eine solche Lehre Empedokles zuschreibt, scheint, wie die einführende Darstellung vorsokratischer Philosophie gezeigt hat,200 durchaus gerechtfertigt zu sein, da dieser offenbar einen ewigen Kreislauf von Mischung und Separation der vier »Wurzeln« (ῥιζώματα) gelehrt hat, innerhalb dessen die sinnlich wahrnehmbare Welt immer wieder zusammengefügt und aufgelöst wird.201 Jedoch scheint es nach derzeitigem Wissensstand fragwürdig, Heraklit von Ephesos ebenfalls eine Kreislauftheorie zuzuschreiben, die einen entsprechenden Zyklus beinhaltet. Dabei sollte jedoch betont werden, dass sich eine Rekonstruktion der Lehre Heraklits ausgesprochen schwierig gestaltet. Dies liegt zum einen darin begründet, dass lediglich kryptische Aphorismen Heraklits überliefert sind, derentwegen er bereits in der Antike als »der Dunkle« (ὁ Σκοτεινός) bezeichnet wurde.202 Zum anderen steht die moderne Heraklit-Forschung vor der Herausforderung, zwischen dem ursprünglichen Sinngehalt der Sentenzen und der ihnen im Verlauf der Rezeptionsgeschichte zugeschriebenen Bedeutungen zu differenzieren. So stellt K. Reinhardt heraus, dass gerade Heraklits kosmologische Lehre in unterschiedlichen antiken Rezeptionskontexten diverse Interpretationen erfahren und sich dadurch geradezu das Bild verschiedener Heraklit-Persönlichkeiten ausgeprägt hat.203 Um nachvollziehen zu können, weshalb ihm die Theorie eines kosmischen Zyklus zugeschrieben wurde, der dem des Empedokles ähnlich sein soll, sollen drei seiner zentralen »kosmischen«204 Fragmente und Aspekte ihrer Rezeption vorgestellt werden: (1) κόσμον τόνδε, τὸν αὐτὸν ἁπάντων, οὔτε τις θεῶν οὔτε ἀνθρώπων ἐποίησεν, ἀλλ’ ἦν ἀεὶ καὶ ἔστιν καὶ ἔσται, πῦρ ἀείζωον, ἁπτόμενον μέτρα καὶ ἀποσβεννύμενον μέτρα.205

199 Aristot. cael. I 10, 280 a 14f. Interessanterweise erinnert dieser Gedanke von sich abwechselnder Alterung und Verjüngung in verschiedenen Zyklen an den Mythos des Politikos, in dem die Menschen im Zeitalter des Kronos immer jünger werden statt zu altern; siehe Kap. 4.2. 200 Siehe Kap. 4.1. 201 Siehe dazu auch Simpl. in de cael. 293,18–294,3. 202 Etwa Cic. fin. 2,5,15: […] ut Heraclitus, cognomen qui Σκοτεινός perhibetur, quia de natura nimis obscure memoravit, aut cum rerum obscuritas, non verborum, facit […]. 203 Vgl. Reinhardt (1942) bes. 2. 204 Die Bezeichnung »kosmisch« orientiert sich an der Edition »Heraclitus. The Cosmic Fragments« von Kirk (1954). Der Text der Fragmente folgt der Ausgabe von Laks/Most (2016). 205 Her. D85 ed. Laks/Most (2016) = DK 22 B 30.

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(1) Diese Welt(ordnung)206 , dieselbe in allen (Dingen/Lebewesen), hat weder einer der Götter noch der Menschen geschaffen, sondern sie war immer und ist und wird sein: ewiglebendes Feuer, nach Maßen entflammend und nach Maßen erlöschend. (2) πυρός τε ἀνταμοιβὴ τὰ πάντα καὶ πῦρ ἁπάντων ὅκωσπερ χρυσοῦ χρήματα καὶ χρημάτων χρυσός.207 (2) Alles ist austauschbar gegen Feuer und Feuer gegen alles, wie Waren gegen Gold und Gold gegen Waren. (3) πυρὸς τροπαί, πρῶτον θάλασσα, θαλάσσης δὲ τὸ μὲν ἥμισυ γῆ, τὸ δὲ ἥμισυ πρηστήρ. […] θάλασσα διαχέεται καὶ μετρέεται εἰς τὸν αὐτὸν λόγον, ὁκοῖος πρόσθεν ἦν ἢ γενέσθαι γῆν.208 (3) Wendungen des Feuers, zuerst Meer, von Meer aber einerseits Erde, andererseits Gewittersturm209 . […] Meer wird zerteilt und zugemessen nach demselben Verhältnis, das galt, bevor Erde bestand.

Bereits auf den ersten Blick fällt auf, dass das Feuer offenbar eine zentrale Stellung innerhalb der kosmologischen Konzeption Heraklits einnimmt. Aufgrund dessen ordnet Aristoteles und nach ihm vermutlich auch sein Schüler Theophrast Heraklit in die Kategorie der monistischen Naturphilosophen ein, die ein einziges Urelement (ἀρχή) annehmen, aus dem wiederum alles entsteht und in das es letztlich auch wieder vergeht.210 Besonders der Stoa, in der das Konzept des Weltenbrandes (ἐκπύρωσις) prominent vertreten wurde,211 schreibt die spätere doxographische Tradition zu, in Heraklit einen prominenten Vorgänger gesehen zu haben, auf den

206 Vgl. Gregory (2007) 57–59 zur Frage, wie der im Fragment verwendete Ausdruck »κόσμος« interpretiert werden kann und wie sich dies auf die Deutung der Kosmologie Heraklits auswirkt. Graham (2015) 170 fasst den Terminus an dieser Stelle als ersten Beleg für »something like ›world‹« auf. Siehe dazu auch die etymologischen Untersuchungen von Kerschensteiner (1962) bes. 97 und Finkelberg (1998a). 207 Her. D87 ed. Laks/Most (2016) = DK 22 B 90. 208 Her. D86 ed. Laks/Most (2016) = DK 22 B 31. 209 Vgl. LSJ s.v. »πρηστήρ«, der dafür »hurricane or waterspout attended with lightning« vorschlägt. 210 Vgl. Dilcher (1995) 163–175. Im Corpus Aristotelicum wird dies etwa in De caelo III 1, 298b25–33 deutlich. In Platons Sophistes (242d–e) wird hingegen behauptet, Heraklit habe monistische und pluralistische Ansätze kombiniert, da er prinzipiell eine Einheit der Gegensätze gelehrt habe; vgl. zu dieser grundsätzlich authentischen Lehre Heraklits Guthrie (1962) 442–446 sowie Bremer/Dilcher (2013) 610–615 mit Diskussion der aktuellen Forschungsliteratur. In der lateinischen Literatur wiederum wird Heraklit oftmals eine rein monistische Lehre zugeschrieben, etwa in Lukrezens De rerum natura (1,635–640) und Ciceros De natura deorum (3,35), wobei letzterer betont, dass nicht jeder Heraklit in gleicher Weise interpretiert. 211 Siehe Kap. 5.2.

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sich Befürworter der Ekpyrosis berufen und dessen Schriften sie als autoritativen Beleg für ihre Lehre anführen konnten.212 Paradigmatisch für die spätere Deutung, dass Heraklit einen periodischen Untergang der Welt in Feuer gelehrt habe, kann eine Stelle aus dem Werk des Diogenes Laertios angesehen werden.213 Diese steht für eine Interpretationslinie Heraklits, welche ebenfalls im frühen Christentum aufgenommen wurde214 : ἐδόκει δ’ αὐτῷ καθολικῶς μὲν τάδε· ἐκ πυρὸς τὰ πάντα συνεστάναι καὶ εἰς τοῦτο ἀναλύεσθαι. […] πῦρ εἶναι στοιχεῖον καὶ πυρὸς ἀμοιβὴν τὰ πάντα, ἀραιώσει καὶ πυκνώσει γινόμενα. σαφῶς δ’ οὐδὲν ἐκτίθεται. […] πεπεράνθαι τε τὸ πᾶν καὶ ἕνα εἶναι κόσμον· γεννᾶσθαί τε αὐτὸν ἐκ πυρὸς καὶ πάλιν ἐκπυροῦσθαι κατά τινας περιόδους ἐναλλὰξ τὸν σύμπαντα αἰῶνα· τοῦτο δὲ γίνεσθαι καθ’ εἱμαρμένην.215

Diese (Lehren) schienen ihm wesentlich zu sein: Die Gesamtheit aller Dinge sei aus Feuer zusammengesetzt und löse sich darin auf. […] Das Feuer sei das Element, und die Gesamtheit aller Dinge Wandlung des Feuers, entstanden durch Verdünnung und Verdichtung. Nichts aber hat er eindeutig dargelegt. […] Begrenzt sei das All, und es gebe einen einzigen Kosmos: er entstehe aus Feuer und entzünde sich auch wieder im Verlauf bestimmter Perioden, abwechselnd bis in alle Ewigkeit. Dies geschehe schicksalsgemäß.

Bemerkenswert ist zunächst, dass dem Feuer gemäß dieser Heraklit-Deutung dieselbe Funktion zugestanden wird wie der Luft in Anaximenes’ System,216 wobei sogar die Terminologie, die im Hinblick auf die Veränderung der ἀρχή gebraucht wird, übereinstimmt: Durch Verdünnung (ἀραίωσις) und Verdichtung (πύκνωσις) des Urstoffs entsteht die Gesamtheit aller Dinge (τὰ πάντα). Aus dieser Übertragung der anaximenischen Theorie auf die Lehre Heraklits ergibt sich jedoch das Problem, dass zur Zeit Heraklits das Feuer weithin bereits als der dünnste Stoff aufgefasst

212 Dass das tatsächliche Verhältnis zwischen Heraklit und der Stoa nur bedingt rekonstruierbar ist, stellt Long (1975–1976) heraus. Gerade über die Frage, ob Heraklit das Konzept des Weltenbrandes als Teil eines kosmischen Zyklus vertreten habe, wird nach wie vor diskutiert. So wendet sich Finkelberg (1998b) gegen die derzeitige communis opinio, die davon ausgeht, dass dieses Konzept kein Teil der ursprünglichen Lehre Heraklits gewesen ist. Die moderne Forschungsgeschichte wird ausführlich dargestellt von Bremer/Dilcher (2013) 616–619, die jedoch nicht auf die Kritikpunkte von Finkelberg (1998b) eingehen. 213 Bremer/Dilcher (2013) 637f. verweisen darauf, dass diese Darstellung dem Werk Theophrasts entnommen sei. 214 Siehe Kap. 7.4. zur Nutzung der Fragmente Heraklits durch Clemens von Alexandria, der mit diesen das Konzept des Weltenbrandes zu autorisieren beabsichtigt. 215 Diog. Laert. 9,7f. 216 Siehe Kap. 4.1.

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wird.217 Soll dieser wiederum weiter verdünnt werden, um einen noch dünneren Stoff zu bilden, würde sich ein logischer Widerspruch ergeben.218 Vermutlich ist diese Zuschreibung von Diogenes oder seiner Quelle deshalb vorgenommen worden, um die eigentliche Lehre Heraklits vom Wandel der Elemente, wie sie etwa in (3) angedeutet wird, anschaulicher und nachvollziehbarer zu machen, da dieser – wie Diogenes Laertios in direktem Anschluss an den Verdünnungs-VerdichtungsZusatz anmerkt – gerade keine eindeutigen und einfach verständlichen Details zu seiner Konzeption formuliert hat (σαφῶς δ’ οὐδὲν ἐκτίθεται).219 Wenn er im Anschluss daran berichtet, Heraklit habe ein Weltenbrand-Konzept (ἐκπύρωσις) vertreten,220 folgt er zwar der Deutung des Aristoteles,221 gebraucht aber dafür einen Terminus, mit dem das Konzept im Corpus Aristotelicum noch nicht bezeichnet wird.222 Dabei fällt auf, dass in beiden Fällen die in (1) geäußerte Theorie, dass das Feuer nach Maßen verlösche und entflamme, so interpretiert wird, dass es sich um ein zyklisches Ereignis handele, in dem die Gesamtheit aller Dinge (τὰ πάντα) simultan in Feuer übergehe: Aristoteles fasst dies eher vage in seiner Physik durch ποτε (»irgendwann einmal«),223 Diogenes Laertios dagegen konkreter durch κατά τινας περιόδους (»im Laufe bestimmter Perioden«).224 Im Gegensatz dazu gehen die meisten Heraklit-Forscher derzeit davon aus, dass dieser einen kontinuierlichen Fluss aller Dinge gelehrt habe, so dass nichts konstant 217 Vgl. Guthrie (1962) 466f. 218 Vgl. dazu Reeve (1982) 302f. So auch Schofield (2003) 60: »This [= (3)] sounds like an attempt to characterize physical processes in terms of transformation of energy rather than of the expansion or compression of gases.« Simplikios schreibt die Verdünnung und Verdichtung von Feuer zwar ebenfalls der Lehre Heraklits zu (in phys. 24,1–4), greift dafür aber vermutlich ebenfalls auf Theophrasts Darstellung zurück; vgl. Kirk (1954) 327f., der ἀραίωσις und πύκνωσις als Interpretation des διαχεῖσθαι in (3) annimmt. 219 Möglicherweise könnte dabei – selbst wenn dies nicht eindeutig aus der Textgestalt hervorgeht – bereits der »Weg zurück« von den dichteren Elementen zum Feuer, also eine διαβολή in zwei Richtungen, impliziert sein. 220 Diog. Laert. 9,8. 221 Aristot. phys. III 5, 205 a 2–4: […] ἀδύνατον τὸ πᾶν, κἂν ᾖ πεπερασμένον, ἢ εἶναι ἢ γίγνεσθαι ἕν τι αὐτῶν, ὥσπερ Ἡράκλειτός φησιν ἅπαντα γίγνεσθαί ποτε πῦρ […]. 222 In diesem finden sich zwar auch flektierte Formen von ἐκπύρωσις und ἐκπυροῦσθαι, etwa in De caelo II 7, 289 a 21–29. Jedoch bezeichnen sie dort die durch Bewegung entstehende Entzündung der Luft. 223 Aristot. phys. III 5, 205 a 4. Jedoch muss es sich in diesem Kontext nicht notwendigerweise um die Vorstellung eines simultanen Übergangs in Feuer handeln, da auch gemeint sein könnte, dass jedes einzelne Ding früher oder später in Feuer übergehen wird; vgl. Kirk (1954) 321f. und Guthrie (1962) 456. 224 Die Kombination der beiden Ausdrücke mit direktem Verweis auf (1) findet sich bei Simpl. in de cael. 294,4–6: καὶ Ἡράκλειτος δὲ ποτὲ μὲν ἐκπυροῦσθαι λέγει τὸν κόσμον, ποτὲ δὲ ἐκ τοῦ πυρὸς συνίστασθαι πάλιν αὐτὸν κατά τινας χρόνων περιόδους, ἐν οἷς φησι· μέτρα ἁπτόμενος καὶ μέτρα σβεννύμενος.

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sei, sondern stetig in Veränderung begriffen.225 Dies werde etwa auch in Heraklits Fluss-Fragment (»Es ist immer anderes Wasser, das denjenigen zufließt, die in dieselben Flüsse steigen«)226 betont, da darin ausgedrückt werde, dass trotz der gleichbleibenden Bezeichnung eine dauerhafte Umgestaltung bestehe.227 Demnach seien die vorgestellten Fragmente als Belege dafür aufzufassen, dass Heraklit eine ewige Welt ohne Kosmogonie und Ekpyrosis angenommen habe, in der jedoch alles dem anhaltenden Wandel unterworfen sei, was C. D. C. Reeve anschaulich zusammenfasst: For the educated eye sees that days, seasons, animals and men are none of them permanent and unchanging. What is permanent is the law-governed, or measured, cycle of their changing: the seasons pass away but the cycle of the seasons remains; men pass away but the cycle of human ›births‹ and ›deaths‹ remains (B 20). Theory, inherited but critically transformed, reveals all these cycles as instances of the cycle of opposite transformation, a cycle that is itself neither more nor less than the measured ›turning of fire‹ (B 31).228

Besonders deutlich werde dies auch durch die in (2) entworfene Analogie zwischen Feuer und Gold, die den Austauschcharakter betone, da in der Metapher das Gold eben nicht gänzlich in Waren übergeht, sondern sich lediglich die Besitzverhältnisse ändern, sodass letztlich das gleiche Verhältnis an Gold zu Waren bestehen bleibt. Durch den Analogieschluss gehe das Feuer dann zwar in andere Dinge über (die »Wendungen des Feuers« (πυρὸς τροπαί) werden in (3) dargestellt), andere Dinge

225 Siehe Bremer/Dilcher (2013) 616f: »Die Sonderstellung des Feuers [in Heraklits Lehre] wurde in der Forschung lange Zeit an der Frage diskutiert, ob die Entflammung des Feuers als periodisch wiederkehrender Weltbrand (Ekpyrosis) zu verstehen sei. Diese bekannte stoische Lehre wird Heraklit in vielen antiken Berichten zugeschrieben, und sie wurde in den modernen Interpretationen ebenso oft von dort übernommen […] wie bestritten […]. Nach der gründlichen Zerstörung der vermeintlichen Textbasis durch Reinhardt [= Reinhardt (1942)] scheint die Frage nunmehr geklärt.« Dagegen wendet sich jedoch Finkelberg (2017) 41–66, bes. 46: »Reinhardt tried hard to establish the theory of cosmic stability, against the opposition of upholders of the traditional interpretation [d. h. der Ekpyrosis]; since his theory won the day his followers feel at liberty not to subscribe to arguments on which it crucially depends.« 226 Her. D65b ed. Laks/Most (2016) = DK 22 B 12: ποταμοῖσι τοῖσιν αὐτοῖσιν ἐμβαίνουσιν ἕτερα καὶ ἕτερα ὕδατα ἐπιρρεῖ. 227 Vgl. Guthrie (1962) 450–452. 228 Reeve (1982) 304. Ein Beispiel dafür, wie verschieden die Auffassungen bei der Interpretation Heraklits in der modernen Forschung sind, stellt Gemelli Marciano (2013) 137–139 dar, die (1) als Beschreibung des Auf- und Untergangs der Sonne deutet.

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dafür wiederum aber auch in Feuer, wodurch das ewige Gleichgewicht erhalten bleibe.229 Bei der hier vorgestellten Interpretation handelt es sich jedoch, wie bereits erwähnt, um eine moderne Deutung der heraklitischen Fragmente, die neben denjenigen der antiken Autoren (und derjenigen A. Finkelbergs) steht und sich weitgehend von dem entfernt, was die Testimonien als die Lehre Heraklits identifizieren. Gerade die Maxime, dass das Feuer die einzige ἀρχή sei, aus der alles entstanden ist und letztlich wieder vergehen wird, die Aristoteles Heraklit zugeschrieben hat, ist zweifelsfrei überaus einflussreich für dessen spätere Rezeption geworden, selbst wenn diese möglicherweise nicht die eigentliche Intention des Vorsokratikers widerspiegeln sollte. Vor diesem rezeptionsgeschichtlichen Hintergrund ist nachvollziehbar, weshalb Aristoteles Heraklit und Empedokles als Vertreter ähnlicher Konzeptionen aufruft, wie bereits auch Platon deren kosmologische Lehren kontrastiv nebeneinandergestellt hat.230 Somit kategorisiert Aristoteles die »zyklischen Konzepte«, indem er zwei divergierende Vertreter desselben Spektrums als pars pro toto für die diversen Ausprägungen solcher Konzepte ansetzt. Dabei ging es ihm wahrscheinlich weniger um die Details der spezifischen Lehren, als vielmehr darum, die Überkategorie von Philosophen zu repräsentieren, die (nach seiner Interpretation) zyklische Modelle von kosmischer Einheit und Differenz vertreten haben. Nachdem er diese naturphilosophischen Konzeptionen präsentiert hat, geht Aristoteles dazu über, sein eigenes Konzept zu beschreiben und zu autorisieren. Dafür erklärt er zunächst, was allgemein unter »unentstandenen und entstandenen Dingen« (ἀγένητα καὶ γενητά) sowie unter »vergänglichen und unvergänglichen Dingen« (φθαρτὰ καὶ ἄφθαρτα) verstanden werden kann.231 Nach diesen geradezu lexikographischen Ausführungen wird außerdem die Zeit als entscheidende Größe für die Argumentation definiert: ὥστ’ εἴ τι ἄπειρον χρόνον ὂν φθαρτόν ἐστι, δύναμιν ἔχοι ἂν τοῦ μὴ εἶναι. εἰ δὴ ἄπειρον χρόνον, ἔστω ὑπάρχον ὃ δύναται. ἅμα ἄρ’ ἔσται τε καὶ οὐκ ἔσται κατ’ ἐνέργειαν. ψεῦδος μὲν οὖν συμβαίνοι ἄν, ὅτι ψεῦδος ἐτέθη. […] ἅπαν ἄρα τὸ ἀεὶ ὂν ἁπλῶς ἄφθαρτον.232

Wenn also etwas, das für eine unbegrenzte Zeit existiert, vergänglich ist, dürfte es wohl über die Möglichkeit verfügen, nicht zu sein. Wenn die Zeit nun unbegrenzt ist, muss das, was möglich ist, eintreten. Zugleich wird es in Wirklichkeit also existieren und nicht

229 Vgl. Kirk (1954) 345–348. Siehe dazu Graham (1997) 45f. und Gregory (2007) 63f., die ebenfalls den Aspekt des gleichbleibenden Verhältnisses als Hauptaussage des Fragmentes verstehen. 230 Etwa im Sophistes (242d–243a). 231 Aristot. cael. I 11, 280 b 1–281 a 1. 232 Aristot. cael. I 12, 281 b 20–25.

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existieren. Es dürfte wohl also ein Irrtum folgen, weil ein Irrtum zur Grundlage gemacht wurde. […] Somit ist generell alles, das ewig existiert, unvergänglich.

Aristoteles macht also an dieser Stelle deutlich, dass ein logischer Widerspruch vorliegt, wenn eine Entität zugleich die Eigenschaften »ewig seiend« und »vergänglich« besitzen soll: Es sei unschlüssig anzunehmen, dass etwas Entstandenes unvergänglich werden oder etwas Unentstandenes vergehen könne.233 In einem nächsten Schritt überträgt Aristoteles schließlich seine definitorischen und argumentativen Schlussfolgerungen auf den Kosmos und formuliert dadurch die wesentlichen Bestandteile seines Konzeptes aus: ὅτι μὲν οὖν οὔτε γέγονεν ὁ πᾶς οὐρανὸς οὔτ’ ἐνδέχεται φθαρῆναι, καθάπερ τινές φασιν αὐτόν, ἀλλ’ ἔστιν εἷς καὶ ἀΐδιος, ἀρχὴν μὲν καὶ τελευτὴν οὐκ ἔχων τοῦ παντὸς αἰῶνος, ἔχων δὲ καὶ περιέχων ἐν αὑτῷ τὸν ἄπειρον χρόνον ἔκ τε τῶν εἰρημένων ἔξεστι λαμβάνειν τὴν πίστιν, καὶ διὰ τῆς δόξης τῆς παρὰ τῶν ἄλλως λεγόντων καὶ γεννώντων αὐτόν.234

Dass also der gesamte Himmel (d. h. der Kosmos) weder entstanden ist noch vergehen kann, wie es einige behaupten, sondern ein einziger und ewig ist, wobei er keinen Anfang und kein Ende der gesamten Lebensspanne, sondern die unbegrenzte Zeit besitzt und in sich einschließt, darüber kann man aus dem bisher Gesagten Gewissheit gewinnen, und auch durch die Meinung derjenigen, die anderes behaupten und ihn entstanden sein lassen.

Zusammengefasst nimmt das aristotelische Modell also nur einen einzigen unvergänglichen Kosmos an, der weder entstanden ist noch zerstört werden wird.235 Was Aristoteles jedoch in keiner Weise zu widerlegen versucht, ist die Annahme, dass es innerhalb dieses Kosmos durchaus drastische Veränderungen gibt, von denen aber ausschließlich der sublunare Bereich der Welt betroffen ist.236 Solchen Prozessen widmet er sich ausführlich in der Meteorologie, wenn er Wandlungen im Naturraum untersucht, die sich innerhalb von großen zeitlichen Abständen ereignen. Konkret stellt er fest, dass nun bestehende Meere und Länder nicht etwa unvergänglich

233 Aristot. cael. I 12, 283 a 4–7. Dazu auch prägnant cael. I 12, 283 a 27–29: φθείρεται ἄρα ποτὲ τὸ φθαρτόν. καὶ εἰ γενητόν, γέγονεν· δυνατὸν γὰρ γεγονέναι, καὶ μὴ ἀεὶ ἄρα εἶναι. 234 Aristot. cael. II 1, 283 b 26–31. 235 Siehe dazu auch Brunotte (2010) 264: »Damit begründet er, dass im Kosmos immer alles so war, wie es ist. Es hat nicht einen chaotischen Zustand, eine reine Möglichkeit vor aller Wirklichkeit, gegeben, aus der der Kosmos zustandegekommen ist. Vielmehr ist der Kosmos ewig, es besteht immer dasselbe (ταὐτὰ ἀεί).« 236 Diese charakterisiert er jedoch ausdrücklich nicht als Prozesse von Werden und Vergehen.

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seien, sondern dass, indem Gewässer von Zeit zu Zeit entstehen oder versiegen, ein ewiger Wechsel von feuchten und trockenen Gebieten vonstattengehe: »[…] Meer entsteht, wo jetzt Festland ist, und wo sich jetzt Meer befindet, dort bildet sich wieder Land.«237 Diese Veränderungen geschehen jedoch nicht etwa willkürlich, sondern ihnen liegt eine Ordnung (τάξις) zugrunde und sie ereignen sich in festgelegten zeitlichen Abständen (περίοδος).238 Die prinzipielle Ursache (ἀρχὴ καὶ αἴτιον) für diese regelhaften Vorgänge sei darin zu finden, dass einzelne Teile der Erde – »wie die Körper von Tieren und Pflanzen« (ὥσπερ τὰ σώματα τῶν φυτῶν καὶ ζῴων) – ebenfalls eine »Lebensblüte« (ἀκμή) und ein »Greisenalter« (γήρας) besäßen.239 Durch diese konzeptuellen Metaphern überträgt er bestimmte Eigenschaften von Lebewesen auf die Welt und ihre Bestandteile, um die beschriebenen Vorgänge durch die Referenz auf alltägliche Alterungserfahrungen begreifbar zu machen.240 Aristoteles zieht hier also eine »organische Analogie [heran], um terrestrische Phänomene zu erklären«241 , wodurch für die Rezipienten offensichtlich wird, dass der Makrokosmos als ganzer zwar ewig besteht, einzelne Bestandteile der Welt auf mikrokosmischer Ebene aber demselben Wandel unterworfen sind, den auch Lebewesen erfahren.242 T. Brunotte fasst dazu treffend zusammen, dass im aristotelischen System unter den »bewegten, aber ewigen und unvergänglichen Dingen […] die Himmelskörper, Sterne und Planeten [verstanden werden], [unter den] vergänglichen der gesamte sublunare Bereich, die Lebewesen, Tiere, Pflanzen und Elemente, die alle dem Werden unterliegen.«243 Ausgelöst würden diese landschaftlichen Veränderungen durch den regelhaften Umlauf der Sonne (διὰ τὸν ἥλιον καὶ τὴν περιφοράν),244 weswegen dann auf mikrokosmischer Ebene auch die beständige τάξις solcher Wandlungsprozesse postuliert werden kann.245 Der zeitliche Rahmen, in dem sich diese ereignen, sei jedoch so immens, dass einzelne Völker gar nicht so lange existierten, als dass der

237 Aristot. meteor. I 14, 351 a 23–25: […] γίγνεται θάλαττα μὲν ὅπου χέρσος, ἔνθα δὲ νῦν θάλαττα, πάλιν ἐνταῦθα γῆ. 238 Aristot. meteor. I 14, 351 a 25f. 239 Aristot. meteor. I 14, 351 a 26–31. Aristoteles betont ausdrücklich, dass es sich bei den zum Vergleich herangezogenen Pflanzen und Tieren um Alterungsprozesse des Gesamtkörpers handele, wohingegen der Erdkörper nur in einzelnen Bestandteilen altere. 240 Vgl. Taub (2010) 69f. Siehe auch Wilson (2013) 175: »His language – he calls it the ἀρχή and αἴτιον (351 a 26) – suggests that he is committed to the principle that the earth is in some sense ›alive‹.« 241 Althoff (1997) 110. 242 Siehe dazu auch Taub (2012) 52f.: »The use of everyday examples provides, by analogy, an empirical basis for Aristotle’s explanations of phenomena which are too distant or difficult to be investigated directly.« 243 Brunotte (2010) 18f. 244 Aristot. meteor. I 14, 351 a 32. 245 Vgl. Solmsen (1960) 421.

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Anfang und das Ende solcher Vorgänge überliefert werden könnte.246 Dass diese Ereignisse aufgrund ihrer langen Periodizität dem kulturellen Gedächtnis enthoben sind, erinnert – wenn auch nur vage – an die im Timaios präsentierten Konzepte zyklischer Katastrophen durch Wasser und Feuer,247 da auch diese nur in mythischer Formung und nicht über lange dokumentierte Erfahrung in der kollektiven Erinnerung verankert sind. Aristoteles wiederum sieht sich mit der Frage konfrontiert, weshalb das kulturelle Gedächtnis nur bis zu einem bestimmten Punkt in die Vergangenheit zurückreicht, der gemessen an der postulierten Ewigkeit der Welt nicht besonders weit entfernt liegt. Seine Theorie, dass sich in den Weltgegenden ein ewig anhaltender klimatischer Wandel ereigne, der wiederum dazu führe, dass die in den spezifischen Regionen lebenden Menschen entweder emigrieren oder ausgelöscht werden, bietet eine an meteorologische Ursachen geknüpfte Erläuterung, die zudem an den griechischen Vergangenheitsdiskurs anknüpft und diesen in die Argumentation einbindet.248 Mit diesen Ausführungen zu den partiellen Wandlungsprozessen wendet Aristoteles sich vor allem gegen diejenigen, die hinter solchen landschaftlichen Veränderungen eine generelle Wandlungsfähigkeit des Alls (ἡ τοῦ ὅλου μεταβολὴ) zu erkennen glauben, wobei er jenen unterstellt, dass sie die eigentlichen Implikationen dieser Annahme nicht überblicken (βλέποντες ἐπὶ μικρόν).249 Als spezifisches Beispiel wählt er die Ansicht, dass sämtliche Gewässer allmählich austrockneten, was dadurch erkannt werden könnte, dass das Meer an bestimmten Stellen bereits zurückgegangen sei.250 Damit könnte er sich etwa auf die Lehre Anaximanders bezogen haben, dem in der doxographischen Tradition gelegentlich eine derartige Theorie zugeschrieben wird.251 Diese durch Autopsie erlangte Erkenntnis führe jedoch lediglich zu einer Teilwahrheit, da bestimmte Bereiche des Meeres zwar verlanden, andere Teile der Erde dafür aber in Wasser übergingen, wodurch ein ewiges Gleichgewicht erhalten bleibe.252 Solche mikrokosmischen Prozesse von – gemessen an der Unendlichkeit der Zeit und der Größe des Gesamtkosmos im Verhältnis zur Erde – geradezu unbedeutender Dauer und minimalem Umfang als

246 Aristot. meteor. I 14, 351 b 10–13: καὶ πρότερον ὅλων τῶν ἐθνῶν ἀπώλειαι γίγνονται καὶ φθοραὶ πρὶν μνημονευθῆναι τὴν τούτων μεταβολὴν ἐξ ἀρχῆς εἰς τέλος. 247 S. o. 86f. 248 Vgl. Wilson (2013) 177. Möglicherweise könnte sich Aristoteles hier ebenfalls auf das für Xenophanes überlieferte Kataklysmos-Konzept beziehen; siehe dazu Kap. 4.1. 249 Aristot. meteor. I 14, 352 a 17–19. Strohm (1984) 165 nimmt an, dass Aristoteles sich damit etwa auf Anaximander, Empedokles und Demokrit beziehen könnte. Prinzipiell wird er darunter wohl all diejenigen verstanden haben, die er in De caelo mithilfe der drei Kategorien charakterisiert hat. 250 Aristot. meteor. I 14, 352 a 19–21. 251 Siehe Kap. 4.1. Vgl. auch Solmsen (1960) 420. 252 Aristot. meteor. I 14, 352 a 22f.

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Argument für die Wandelbarkeit des Makrokosmos anzuführen, sei geradezu lächerlich (γελοῖον).253 Wie bereits in De caelo führt Aristoteles auch an dieser Stelle also zunächst die Ansicht eines fiktiven Interlokutors an, der eine These vertritt, deren Grundannahmen er zu entkräften versucht, wodurch die Schlussfolgerung – also die Geschaffenheit und letztliche Auflösbarkeit des Kosmos – demontiert wird. In einem nächsten Schritt geht Aristoteles dann dazu über, seine eigene Theorie als alternatives Erklärungsmodell zu präsentieren, was er durch die Überleitung ἀλλά kennzeichnet: So postuliert er, dass das im Verdunstungsprozess aufgestiegene Wasser nicht etwa gänzlich verschwinden werde, sondern dass die Feuchtigkeit zur Erde zurückkehre, indem sich zu festgelegten Zeiten (διὰ χρόνων εἱμαρμένων) ein »großer Winter« (μέγας χειμών) ereigne, während dessen ein »Übermaß an Regen« (ὑπερβολὴ ὄμβρων) auf ein spezifisches Gebiet niedergehe und es überflute.254 Dass Aristoteles dieses Ereignis als μέγας χειμών bezeichnet, leitet sich systematisch zum einen davon ab, dass der »Hochwinter« wie auch der Jahreslauf der Sonne und die Jahreszeiten ein zyklisches Phänomen darstellen.255 Zum anderen lässt sich im griechischen Raum vor allem in den Wintermonaten ein gesteigertes Niederschlagsniveau konstatieren,256 weshalb es durchaus sinnvoll ist, ein postuliertes Übermaß an Regen in diese Jahreszeit einzuordnen. Um seine Theorie schließlich zu autorisieren, verweist Aristoteles auf die kulturelle Erinnerung an die Deukalionische Flut (ὁ καλούμενος ἐπὶ Δευκαλίωνος κατακλυσμός), die sich vor Urzeiten im griechischen Raum (περὶ τὴν Ἑλλάδα τὴν ἀρχαίαν) ereignet habe.257 Er nutzt also ein den Rezipienten vertrautes Element aus dem griechischen Vergangenheitsdiskurs, um seine naturphilosophischen Spekulationen nachvollziehbar zu machen, indem er betont, dass sich das Resultat seiner meteorologischen Konzeption in der Vergangenheit bereits ereignet habe und allgemein erinnert wird.258 Ähnlich wie im platonischen Timaios wird also ein Mythos herangezogen, um im naturphilosophischen Diskurs als autoritätsstiftendes Argument zu fungieren.259

253 Aristot. meteor. I 14, 352 a 25–28. 254 Aristot. meteor. I 14, 352 a 28–31. Strohm (1984) 162 macht dabei auf Ähnlichkeiten zu dem unter Xenophanes’ Namen überlieferten Testimonium (Kap. 4.1.) aufmerksam. 255 Vgl. Solmsen (1960) 426. 256 Vgl. Crouch (1993) 78f. 257 Aristot. meteor. I 14, 352 a 29–34. 258 Vgl. auch Wilson (2013) 177: »The methodological concerns that led to the introduction of social memory allow Aristotle now to find among remnants of tradition his only instance of secular moistening and to provide an account of land-sea exchange that extends beyond the shores of the sea.« 259 Aristoteles betreibt damit eine Form der Mythenrationalisierung, die an diejenige des Palaiphatos erinnert, der vermutlich im späten 4. oder frühen 3. Jh. v. Chr. ebenfalls mythische Erzählungen auf historische Ereignisse und Personen zurückzuführen versucht hat und jenem möglicherweise

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In diesem theoretischen Kontext bleibt es jedoch unklar, ob Aristoteles unter einer »großen Periode« (περίοδός τις μεγάλη) ein spezifisches kosmologisches Konzept verstanden hat, das über die bloße Bezeichnung eines größer skalierten zeitlichen Rahmens hinausgeht. Denn eine solche Vorstellung findet sich etwa in einer Passage des lateinischen Werkes De die natali, die der römische Grammatiker Censorinus 238 n. Chr. mit angeblich direktem Bezug auf Aristoteles verfasst hat: est praeterea annus, quem Aristoteles maximum potius quam magnum appellat, quem solis et lunae vagarumque quinque stellarum orbes conficiunt, cum ad idem signum, ubi quondam simul fuerunt, una referuntur. cuius anni hiemps summa est cataclysmos, quam nostri diluvionem vocant, aestas autem ecpyrosis, quod est mundi incendium; nam his alternis temporibus mundus tum exignescere tum exaquescere videtur.260 Es gibt außerdem ein Jahr, das Aristoteles eher ein sehr großes als ein großes [Jahr] genannt hat, welches die Bahnen der Sonne und des Mondes sowie der fünf umherwandernden Sterne (d. h. der Planeten) vollenden, wenn sie (scil. die Gestirne) sich gemeinsam in dasselbe Zeichen zurückbegeben, wo sie einmal zugleich gewesen sind. Der Hochwinter dieses Jahres ist ein Kataklysmos, den die unseren diluvio nennen, der (Hoch-)Sommer aber eine ecpyrosis, also ein Weltenbrand; denn die Welt scheint in diesen abwechselnden Zeiträumen einmal zu entbrennen [und] dann zu Wasser zu werden.

In der modernen Forschung wurde dieses Testimonium zumeist einer der verlorenen exoterischen Schriften des Aristoteles zugeschrieben, etwa De philosophia oder dem Protreptikos, wobei umstritten ist, welche Aussagen tatsächlich als aristotelisch gelten können.261 Dabei wird vor allem die Terminologie des »sehr großen Jahres« (maximus annus) als authentisch eingestuft und zugleich postuliert, dass Aristoteles ein astronomisches System gelehrt habe, nach dem periodische Flutereignisse geschähen, sobald eine bestimmte Gestirnskonstellation eintrete.262 Eine solche Katastrophentheorie wird dann auch mit der aristotelischen Kulturentstehungslehre in Verbindung gebracht, da nach jeder Zerstörung ein zivilisatorischer Neuanfang impliziert wird.263 Gegen diese Thesen wendet sich jedoch A. Verlinsky mit

260 261 262

263

persönlich bekannt war. Generell zu Aristoteles’ Verhältnis zum Mythos siehe Johansen (1999) bes. 287–291. Cens. 18,11. Vgl. die Diskussion bei Effe (1970) 64–68. Vgl. Chroust (1973) 115f. Diejenigen Teile, die auf eine Ekpyrosis verweisen, betrachtet er – wie auch Effe – als nachträgliche Zusätze, die nicht mit der aristotelischen Lehre in Verbindung gebracht werden können. Vgl. etwa Natali (1977) 409. Jedoch lehnt dieser ab, dass die periodisch eintretenden Fluten von der Planetenkonstellation hervorgebracht würden (417 n. 4).

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m. E. überzeugenden Argumenten:264 Zunächst einmal widerspreche eine auf der Vorstellung des »großen Jahres« basierende Katastrophentheorie der in der Meteorologie präsentierten Vorstellung, dass die Fluten vom jährlichen Sonnenumlauf ausgelöst werden. In dieser mache Aristoteles zudem auch explizit deutlich, dass die auftretende Katastrophe nur einen Mikrokosmos betreffe und nicht, wie bei Censorinus, die gesamte Welt zugleich. Zu Recht merkt er außerdem an, dass die Vorstellung von periodischen Flut- und Feuerkatastrophen, die von bestimmten Planetenkonstellationen ausgelöst würden, erst in Senecas Naturales quaestiones belegt sei, der diese dem Berossos zuschreibt.265 Wie er auch anhand des bei Censorinus verwendeten Vokabulars zeigen kann,266 handelt es sich hier vor allem um stoische Konzeptbausteine, die nur geringe Ähnlichkeiten zu den in der Meteorologie ausgearbeiteten Lehren aufweisen. Dennoch werden jene in De die natali dem Aristoteles zugeschrieben, dessen Name offenbar autoritätsstiftendes Potential besessen hat. Dabei lässt sich jedoch nicht abschließend entscheiden, ob Censorinus selbst aristotelisches und stoisches Gedankengut miteinander kombiniert hat oder ob diese Verbindung bereits in seiner Quelle vorgelegen hatte. Dass Abhandlungen, die platonische, aristotelische und stoische Lehren miteinander zu verschmelzen versuchten, in hellenistischer Zeit durchaus verbreitet waren, zeigt etwa die pseudoaristotelische Schrift De mundo. In dieser werden ebenfalls peripatetische Wissensbausteine mit denjenigen anderer philosophischer Schulen verknüpft, wodurch hybride Konzepte entstehen. So wird Aristoteles’ meteorologisch begründetes Flutkonzept auf zusätzliche, die Erde betreffende Naturkatastrophen ausgeweitet, wenn der Verfasser die Wandelbarkeit der sublunaren Welt im Gegensatz zu den Himmelskörpern betont: σεισμοί τε γὰρ ἤδη βίαιοι πολλὰ μέρη τῆς γῆς ἀνέρρηξαν, ὄμβροι τε κατέκλυσαν ἐξαίσιοι καταρραγέντες, ἐπιδρομαί τε κυμάτων καὶ ἀναχωρήσεις πολλάκις καὶ ἠπείρους ἐθαλάττωσαν καὶ θάλαττας ἠπείρωσαν, βιαί τε πνευμάτων καὶ τυφώνων ἔστιν ὅτε πόλεις ὅλας ἀνέτρεψαν, πυρκαϊαί τε καὶ φλόγες αἱ μὲν ἐξ οὐρανοῦ γενόμεναι πρότερον, ὥσπερ φασίν, ἐπὶ Φαέθοντος τὰ πρὸς ἕω μέρη κατέφλεξαν, αἱ δὲ πρὸς ἑσπέραν ἐκ γῆς ἀναβλύσασαι καὶ ἐκφυσήσασαι, καθάπερ τῶν ἐν Αἴτνῃ κρατήρων ἀναρραγέντων καὶ ἀνὰ τὴν γῆν φερομένων χειμάρρου δίκην.267

264 Vgl. zum Folgenden Verlinsky (2006) 56–58. 265 Vgl. ebd. 57. 266 Siehe ebd. 58 Anm. 19: »As for the Stoic flavour, both ›exignescere‹ and ›exaquescere‹ in Censorinus are exact translations of Stoic technical ἐκπυροῦσθαι and ἐξυγραίνεσθαι (for the later, rarer one see Cleanthus, SVF I. 497). Even the expression ›the Greatest Year‹ was used by the Stoics, see Arius Didymus, SVF II. 599.« 267 [Aristot.] mund. 6, 400 a 25–34.

Ewigkeit und Endlichkeit der Welt im Corpus Aristotelicum

Heftige Erdbeben haben nämlich schon viele Teile der Erde aufgerissen, ungeheure Regengüsse haben sie herabstürzend überschwemmt, Anstürme und Rückzüge der Wellen haben oftmals sowohl Festland zu Meer als auch Meere zu Festland gemacht, die Gewalt von Winden und Wirbelstürmen hat mitunter ganze Städte zerstört, Brände und Flammen haben zum einen, indem sie vom Himmel kamen, früher, wie man sagt, zur Zeit Phaethons die (Erd-)Teile im Osten verbrannt, zum anderen (die Erdteile) im Westen, indem sie aus der Erde hervorquollen und herausströmten, wie (damals) als die Krater im Ätna ausgebrochen sind und sich nach Art eines Sturzbaches über die Erde ergossen.

Die Naturkatastrophen werden hier ausschließlich als exempla aufgerufen, die die vorangestellte Behauptung dramatisch unterstreichen sollen. Es geht nicht darum, deren Ursachen auszumachen, wie es Aristoteles in der Meteorologie tut, sondern den Rezipienten die gewaltigen Ausmaße der Zerstörungen vor Augen zu führen. Obwohl dabei der partiell begrenzte Charakter der Vernichtungen ausgedrückt wird (etwa durch Formulierungen wie πολλὰ μέρη τῆς γῆς), wird dennoch eine geradezu universale Verteilung der Katastrophen imaginiert. Dies erreicht der Verfasser von De mundo einerseits dadurch, dass er die verschiedenen Katastrophentypen direkt aneinanderreiht und in eine unscharfe Vergangenheit verlagert, sodass die Vorstellung aufgerufen wird, dass in verschiedenen Bereichen der Welt zu früheren Zeitpunkten mannigfache Zerstörungen gewütet haben.268 Andererseits stellt er den Rezipienten durch die verschiedenen Modi des Untergangs das Bild vor Augen, dass sämtliche Elemente in die Verwüstung einzelner Bereiche der Welt eingebunden sind, die in der Summe annähernd globale Ausmaße annimmt, was den stoischen Einfluss auf De mundo deutlich hervorhebt.269 Für die Werke des Aristoteles hat sich also insgesamt gezeigt, dass das Konzept der Ewigkeit und Ungeschaffenheit der Welt eine feste Prämisse darstellt, die dem gesamten Corpus Aristotelicum zugrunde liegt. Diese wird zunächst autorisiert, indem er sich in De caelo direkt mit den Konzepten früherer Naturphilosophen auseinandersetzt und diese dann schrittweise dekonstruiert, um davon ausgehend seine eigene Konzeption als wahrscheinliche Alternative zu implementieren. Um

268 Besonders deutlich wird dies m. E. durch die Gegenüberstellung der Brandkatastrophen in Ost und West, wobei das Feuer zum einen von oben aus dem Himmel, zum anderen von unten aus der Erde kommt. Dabei wird zwar durch die Erwähnung des Phaethon eine bestimmte Periode in der mythischen Vergangenheit aufgerufen, die aber im selben Satz durch die Gleichzeitigkeit der Verben mit Ausbrüchen des Ätna verknüpft wird. 269 Siehe generell zu den stoischen Einflüssen Strohm (1984) 263–269. Dass sich De mundo »bis heute einer exakten philosophischen Einordnung und Datierung entzieht«, hebt Kullmann (2010) 83 hervor. Dass die Schrift auch für ein lateinsprachiges Publikum von Interesse gewesen ist, zeigt Apuleius’ Übersetzung im 2. Jh. n. Chr. Siehe generell dazu Müller (1939), Regen (1971) 23–83 und Harrison (2000) 174–195.

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Konzepte von Untergang und Neukonsolidierung der Welt in der griechischen Naturphilosophie

jedoch dem Einwand entgegenzuwirken, dass mikrokosmische Veränderungen das Werden und Vergehen des Makrokosmos anzeigen würden, stellt er in der Meteorologie eine planvolle Erklärung vor, wie die Einzelbestandteile der Welt einen Alterungs- und Verjüngungsprozess durchlaufen, von dem jedoch nicht der Gesamtkosmos betroffen ist. Damit gelingt es ihm, ein System zu entwerfen, das auch die offensichtlichen Wandlungsprozesse innerhalb der sublunaren Welt zu erklären vermag, ohne dafür auf sein Konzept der Ewigkeit der Welt verzichten zu müssen.270 Gleichzeitig knüpft er auch an die im Vergangenheitsdiskurs verhandelten Konzepte von erinnerten Flutkatastrophen der mythischen Urzeit an und transformiert diese zu rational nachvollziehbaren Ereignissen mikrokosmischen Ausmaßes.

4.4 Konzeptuelle Synthese In der frühgriechischen Naturphilosophie ist die grundlegende Prämisse zu konstatieren, dass die Strukturen der differenzierten Welt aus einem oder mehreren Urelementen entstanden sind bzw. sich aus einem Urzustand herausgebildet haben und notwendigerweise wieder zu diesen ursprünglichen Elementen bzw. Zuständen zurückkehren müssen. Dieses Naturgesetz gilt sowohl für mikrokosmische Zusammensetzungen als auch für den gesamten Makrokosmos. Dabei wird zumeist ein stetiger Zyklus aus Entstehen und Vergehen angenommen, sodass auch der Kosmos in andauerndem Wandel begriffen wird. Diese Vorstellungen werden einerseits durch kosmogonische Theorien untermauert, andererseits durch konkrete Naturbeobachtungen autorisiert. Die platonischen und aristotelischen Konzeptionen nutzen diese frühen naturphilosophischen Wissensbausteine offensichtlich, ergänzen und transformieren sie, um neue Konzepte zu entwickeln, die wiederum ihren spezifischen Prämissen gerecht werden. Daraus resultieren letztlich verschiedene Konzeptvarianten, die zyklische bzw. periodische Auflösungsszenarien postulieren. Zumeist betreffen diese einen Mikrokosmos, also spezifische Gebiete, Kulturen oder Personengruppen. Der Makrokosmos erscheint bei Platon hingegen prinzipiell nur durch den Willen des Demiurgen vergänglich, für Aristoteles kann es kein Vergehen des Kosmos geben. Der Modus der Zerstörung erweist sich als ausgesprochen flexibel (Feuer- und Flutkatastrophen, Erdbeben und ›unzählige andere Arten‹), sodass diese Konzepte

270 So bemerkt auch schon Solmsen (1960) 431: »In fact, one may ask whether the scheme was meant to counteract and replace the Presocratic theories about progressive changes and a final destruction of the Cosmos.«

Konzeptuelle Synthese

Abb. 4 Untergangskonzepte in der frühgriechischen Naturphilosophie.

im jeweiligen Kontext ausgesprochen anpassungsfähig sind. Ebenso sind auch die auslösenden Ursachen dieser Katastrophen variabel: Götter, Gestirne oder Naturgesetzlichkeit können für sie verantwortlich gemacht werden. Um diese Untergangsszenarien plausibel zu machen, wird zuweilen auf das kulturelle Gedächtnis und auf die tradierten Mythen verwiesen. Dafür wird eine Mythenarchäologie betrieben, durch die Kernpunkte der Erzählungen extrahiert und als Belege für reale Katastrophen verwendet werden. Zusätzlich zu dieser Autorisierungsstrategie kann auf Naturbeobachtungen verwiesen werden, die eine Katastrophentheorie mit alltäglichen Erfahrungen stützen sollen.

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Konzepte von Untergang und Neukonsolidierung der Welt in der griechischen Naturphilosophie

Abb. 5 Untergangskonzepte bei Platon und Aristoteles

5. Rezeption und Transformation in Rom – Weltuntergangskonzepte in der spätrepublikanischen Literatur

Mit der Verbreitung der griechischen Philosophie, Kultur und Literatur im römischen Reich wurden auch Untergangskonzepte, die in deren Kontexten verhandelt wurden, rezipiert und für ein entsprechendes Zielpublikum adaptiert.1 Neben den naturphilosophischen Vorstellungen bereits behandelter Autoren2 sind in diesem Zusammenhang besonders die Konzepte zweier hellenistisch-philosophischer Ausrichtungen zu nennen, die weitreichenden Einfluss auf die römische Gesellschaft und deren Literaturprodukte genommen haben: Auf der einen Seite steht dabei die Stoa, die um 300 v. Chr. von Zenon von Kition gegründet wurde und deren Anhänger mehrheitlich die prominente Lehre der Ekpyrosis vertreten haben. In seiner stoischen Ausformung besagt dieses Konzept, dass in periodischen Abständen alle Strukturen der differenzierten Welt simultan in den bestmöglichen Zustand des Feuers zurückkehren, aus dem wiederum alles erneut hervorgeht.3 Auf der anderen Seite befindet sich der sogenannte Kepos oder Epikureismus, dessen Gründer Epikur (ca. 341–271/270 v. Chr.) in enger Anlehnung an Demokrit und Leukipp einen Atomismus vertreten hat, nach dem die gesamte Welt aus kleinsten, unteilbaren Teilchen besteht, die sich zu temporären Verbindungen zusammenfinden und dadurch die Strukturen der sinnlich wahrnehmbaren Welt bilden. So wie diese kurzlebigen Verknüpfungen dem Vergehen unterworfen sind, werde sich auch die gesamte Welt letztlich auflösen.4 Da die Schriften, die die Gründer dieser philosophischen Schulen verfasst haben, lediglich fragmentarisch und durch spätere Testimonien überliefert sind,5 werden die in ihnen verhandelten Konzepte im spezifischen Kontext ihrer lateinischen Rezeption und Transformation untersucht. Dafür wird zunächst analysiert, wie der spätrepublikanische Autor Lukrez in seinem Werk De rerum natura verschiedene

1 Der ausgesprochen komplexe und ambivalente Prozess der Hellenisierung römischer Kultur wird in dieser Untersuchung nur angeschnitten und lediglich mit Blick auf die Rezeption und Transformation von Untergangskonzepten behandelt. Einen übersichtlichen Zugang zur Philosophie in Rom und ihrer bildungsgeschichtlichen Bedeutung mit aktueller Literatur bieten Müller/Zini (2018) bes. 1-13. Zum Einfluss griechischer Kunst auf die römische siehe etwa Zanker (2 2015) 9–34. 2 Siehe zu diesen Kap. 4. 3 Siehe Kap. 5.2. 4 Siehe Kap. 5.1. 5 Zur Überlieferungslage vgl. Mansfeld (1999) 3–16.

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Rezeption und Transformation in Rom – Weltuntergangskonzepte in der spätrepublikanischen Literatur

Konzepte des Weltuntergangs thematisiert, mit welchen narrativen und argumentativen Strategien er diese zu autorisieren versucht und welche diskursiv geformten Wissensbausteine er dafür rezipiert und neu arrangiert, um eigene Konzeptionen auszuformen. In einem zweiten Schritt werden die Werke Ciceros in den Fokus genommen. Als überaus produktiver Autor verschiedener Textsorten hat sich dieser umfangreich mit der griechischen Philosophie auseinandergesetzt und sie für ein römisches Zielpublikum adaptiert. Für die vorliegende Untersuchung sind dabei vor allem Passagen aus den Dialogen De natura deorum, De divinatione und De re publica von Relevanz, da in diesen epikureische, stoische sowie platonische Untergangsvorstellungen thematisiert und diskutiert werden. Diese sollen zunächst vor dem Hintergrund der jeweiligen philosophischen Prätexte kontextualisiert werden, um herauszuarbeiten, welche spezifischen Konzeptbausteine Cicero ausgewählt hat und in welcher Form er diese präsentiert.

5.1 Weltuntergangskonzepte in Lukrez’ De rerum natura In seinem Werk De rerum natura verfolgt Lukrez das erklärte Ziel, die Lehren des hellenistischen Philosophen Epikur einem gebildeten römischen Zielpublikum zu vermitteln.6 Um diese pädagogische Absicht zu erreichen, bedient er sich der Textsorte des Lehrgedichtes,7 obgleich Epikur selbst Vorbehalte gegenüber der Dichtung zugeschrieben wurden.8 Warum Lukrez sich nun seinerseits für die poetische Form entschieden hat, erklärt er mithilfe des berühmten Honigbecher-Gleichnisses (1,936–50): Wie Kindern bittere Medizin dadurch schmackhaft gemacht werde, dass man den Rand des Bechers mit Honig bestreiche, so kleide er die ›allzu herben‹ Erkenntnisse Epikurs in die angenehme dichterische Form ein, um sie für seine potentiellen Rezipienten ›genießbar‹ zu machen.9

6 Lucr. 1,136–145. 7 Allgemein zur Geschichte des Lehrgedichtes siehe Fuhrer/Juckel (2008). Zur Entwicklung und zum Selbstverständnis der römischen Lehrdichtung bis Manilius siehe Volk (2002). Den Versuch, typologische Grundformen der Lehrdichtung festzulegen, hat Effe (1997) unternommen und ders. (2005) verteidigt. Die Schwächen dieses Zuganges zeigt Gindhart (2017) 69–72 auf und schlägt vor, »Lehrgedichte als Bestandteile einer Literarischen Reihe zu betrachten, in die sie sich einordnen und die sie in einer sich selbst fortschreibenden Bezugnahme bilden – etwa durch verbindende, aber durchaus variable Merkmalsbündel oder andere intertextuelle Bezüge« (71). 8 Zumindest schreiben Diogenes Laertios (10,121) und der Homerallegorist Heraklit (4,2) ihm generell eine negative Einstellung gegenüber der Dichtung zu; vgl. Asmis (1995) 21 und Volk (2002) 94f. 9 Zum Gleichnis siehe ausführlich Schindler (2000a) 132–137.

Weltuntergangskonzepte in Lukrez’ De rerum natura

Da dieses Unterfangen angeblich, wie er selbst betont, eine Neuheit in der lateinischen Literatur dargestellt habe,10 musste er für die griechische Terminologie der epikureischen Philosophie, die mit einer spezifischen Bedeutung aufgeladen ist, lateinische Pendants bereitstellen, die er mir derselben Bedeutung versehen konnte.11 Dafür wählte er entweder bereits existierende lateinische Begriffe aus, die er dann mit einer spezifisch epikureischen Semantik verwendet, oder schuf Neologismen, um griechische Bezeichnungen zu übersetzen, die in der lateinischen Sprache bislang keine Entsprechung hatten (egestas linguae).12 Die Grundthesen der »bitteren« (tristis) epikureischen Naturphilosophie sind im Brief an Herodot zusammengefasst, der bei Diogenes Laertios unter dem Namen Epikurs überliefert ist. Darin wird die grundsätzliche Theorie formuliert, dass das All aus Körpern (σώματα) und Leere (κενόν) bestehe.13 Diese Körper seien wiederum entweder kleine, unteilbare Teilchen (ἄτομα) oder größere Zusammensetzungen (συγκρίσεις) aus jenen.14 Dass sich Atome miteinander verbinden und komplexere Strukturen herausbilden, geschehe durch ihre zufällige Bewegung im leeren Raum. Dabei muss vermutlich die bereits von Demokrit vertretene Prämisse ergänzt werden, dass jedes Atom aufgrund seiner spezifischen Oberflächenbeschaffenheit an bestimmten anderen Atomen haften bleiben kann und dadurch sinnlich wahrnehmbare Objekte entstehen. Mehratomige Verkettungen werden jedoch lediglich für eine bestimmte Dauer gebildet und vergehen schließlich wieder, wenn sich die Verknüpfungen auftrennen.15 Dadurch, dass sowohl die Anzahl der unteilbaren Teilchen als auch die Ausbreitung der Leere unendlich seien,16 existierten unzählig viele Welten simultan, die sich teilweise gerade erst formierten, sich teilweise bereits wieder auflösten.17 Diese epikureischen Konzepte sind offensichtlich stark durch den bereits von Leukipp und Demokrit vertretenen Atomismus beeinflusst,18 in dem – späteren Doxogra-

10 Lucr. 5,336f.: […] hanc primus cum primis ipse repertus // nunc ego sum in patrias qui possim vertere voces. 11 Vgl. Warren (2007) 22. 12 Lucr. 1,136–139: nec me animi fallit Graiorum obscura reperta // difficile inlustrare Latinis versibus esse, // multa novis verbis praesertim cum sit agendum // propter egestatem linguae et rerum novitatem. Vgl. dazu Sedley (1998) 35–42. 13 Epik. Her. 39: ἀλλὰ μὴν καὶ τὸ πᾶν ἐστι σώματα καὶ κενόν. Siehe zum epikureischen Atomismus etwa Morel (2009) 65–83. 14 Epik. Her. 40f.: καὶ μὴν καὶ τῶν σωμάτων τὰ μέν ἐστι συγκρίσεις τὰ δ’ ἐξ ὧν αἱ συγκρίσεις πεποίηνται· ταῦτα δέ ἐστιν ἄτομα καὶ ἀμετάβλητα […]. 15 Diog. Laert. 10,89. 16 Epik. Her. 41: καὶ μὴν καὶ τῷ πλήθει τῶν σωμάτων ἄπειρόν ἐστι τὸ πᾶν καὶ τῷ μεγέθει τοῦ κενοῦ. 17 Cic. nat. deor. 1,53; 67. Dies hebt auch Lukrez im zweiten Buch (1067–1089) hervor. 18 Siehe dazu auch Cic. nat. deor. 1,73: […] quid est in physicis Epicuri non a Democrito? Nam etsi quaedam commutavit, ut quod paulo ante de inclinatione atomorum dixi, tamen pleraque dicit eadem,

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phen zufolge – die gleichen Grundannahmen zur Zusammensetzung aller Körper aus kleinen, unteilbaren Teilchen postuliert wurde.19 Durch die Wahl seiner poetischen Vermittlungsweise reiht sich Lukrez – wie bereits im Proömium des ersten Buches und erneut an späterer Stelle (1,714–741) deutlich wird – in eine literarische Tradition ein, als deren Begründer er Empedokles von Akragas identifiziert,20 was M. Garani pointiert zusammenfasst: »[…] Lucretius’ reference to Empedocles’ carmina suggests his acknowledgement of a profound debt to a predecessor whom he considers as the father of the genre of philosophical didactic epos and whom he follows in his rendering of Epicurus’ philosophical writings into Latin, so as to make his principles easily absorbed by a Roman audience.«21

Ausgehend von diesem direkten Bezug auf Empedokles wurde spätestens seit der Untersuchung F. Jobsts diskutiert,22 ob dessen Dichtungen Lukrezens De rerum natura lediglich auf formaler Ebene geprägt haben oder ob auch inhaltliche Einflüsse auf seine philosophischen Konzeptionen festgestellt werden können. Während sich etwa D. Sedley noch klar für eine vor allem strukturelle Vorbildfunktion ausspricht,23 postulieren D. J. Furley, M. Gale und M. Garani hingegen, dass Lukrez Einzelaspekte von Empedokles’ naturphilosophischem System anerkenne, die sich mit der Lehre Epikurs vereinbaren ließen;24 wenn Empedokles durch intertextuelle Signale als autoritative Instanz aufgerufen wird, seien gleichzeitig auch Komponenten seiner Konzepte in bestimmten Argumentationsketten deutlich erkennbar.25 Solche argumentativen Beweisführungen werden gerade dann von der in De rerum natura auftretenden Lehrinstanz genutzt, wenn ein natürliches Phänomen, dessen Genese nicht zweifelsfrei erklärt werden kann, vor einer übernatürlichen Deutung bewahrt werden soll, indem ein Spektrum möglicher natürlicher Ursa-

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atomos inane, imagines infinitatem locorum innumerabilitatemque mundorum, eorum ortus interitus, omnia fere quibus naturae ratio continetur. Vgl. etwa Green (1942) 51 sowie Morel (2009) 69. Siehe grundsätzlich zu den empedokleischen Reminiszenzen im Proömium Furley (1970) und Sedley (1998) 16–32. Garani (2007) 3. Vgl. Jobst (1907). Vgl. Sedley (1998) bes. 16–34. Teilweise revidiert er diese Ansicht in ders. (2003). Vgl. Furley (1970) 55–64, Gale (1994) 59–75 und Garani (2007). Einen konzisen Forschungsüberblick bietet Nethercut (2017) 85–87. Siehe etwa Garani (2007) 16: »Specific philosophical principles that Epicurus has in common with Empedocles make the latter’s poetical means especially convenient for Lucretius to employ as the conduit of similar concepts.«

Weltuntergangskonzepte in Lukrez’ De rerum natura

chen angeführt wird, die das jeweilige Phänomen erzeugt haben könnten.26 Diese Methode wird besonders durch ein Beispiel deutlich, das Lukrez27 dem expliziten Adressaten seiner Schrift Memmius28 vor Augen stellt: sunt aliquot quoque res quarum unam dicere causam non satis est, verum pluris unde una tamen sit; corpus ut exanimum siquod procul ipse iacere conspicias hominis, fit ut omnis dicere causas conveniat leti, dicatur ut illius una; nam que eum ferro nec frigore vincere possis interiisse neque a morbo neque forte veneno, verum aliquid genere esse ex hoc quod contigit ei scimus. item in multis hoc rebus dicere habemus.29

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Es gibt auch etliche Dinge, für die es nicht ausreicht, eine einzige Ursache zu nennen, sondern mehrere, von denen dann immerhin eine zutrifft. Wie man es macht, wenn man selbst weit weg den leblosen Körper eines Menschen liegen sieht, dass man für gewöhnlich alle (möglichen) Todesursachen anführt, um die eine (zutreffende) zu nennen. Denn du dürftest nicht beweisen können, dass er durch ein Schwert oder durch die Kälte gestorben ist oder an einer Krankheit oder an Gift, aber wir wissen, dass es irgendetwas von dieser Art ist, was ihm zugestoßen ist. Dies können wir ebenso in vielen (anderen) Situationen sagen.

Dass Lukrez in seinem Werk »mit einer Fülle von alternativen Erklärungen für ein natürliches Phänomen oder mit ganzen Ketten von Argumenten für eine These«30 operiert, leitet sich also – wie anhand des Leichnam-Beispiels ersichtlich wird – von einer erkenntnistheoretischen Prämisse ab: Der Beobachter eines Phänomens ist in der ein oder anderen Weise weit von diesem entfernt (procul), weswegen er

26 Zu dieser Methode der vielfachen Ursachennennung siehe Hardie (2009) 231–234, Hankinson (2013) und Erler (2018) bes. 177–180. 27 Die auktoriale Lehrinstanz wird im Folgenden als Lukrez bezeichnet, was zugunsten der Lesbarkeit getan wird und nicht etwa eine Gleichsetzung der historischen Persönlichkeit mit der in De rerum natura auftretenden persona implizieren soll; siehe zur poetologischen Selbstdarstellung dieser persona Beer (2010). Dass diese Unterscheidung durchaus getroffen werden sollte, zeigt sich an dem spätantiken Beispiel des Hieronymus, der behauptet hatte, dass der historische Lukrez wahnsinnig geworden sei, nachdem er einen Liebestrank getrunken habe, was er vermutlich aus einer Episode aus De rerum natura konstruiert hat; vgl. dazu Erler (1994) 383–385. 28 Zur Figur des Memmius siehe etwa Volk (2002) 73–83, die auch die Frage der impliziten Rezipienten ausführlich diskutiert. 29 Lucr. 6,703–711. 30 Erler (2018) 177.

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keine absolute Sicherheit darüber erlangen kann, was dessen definitive Ursache ist. Es kann sich dabei einerseits um eine räumliche oder zeitliche Distanz handeln, andererseits aber auch um die eingeschränkte menschliche Erkenntnisfähigkeit, die bestimmte Vorgänge nicht vollständig zu erfassen vermag.31 Entscheidend ist, dass dieser Strategie eine »persuasive und therapeutische Aufgabe«32 zukommt, da sie den Rezipienten einen Erklärungspool für natürliche Phänomene – wie etwa für Blitz und Donner33 oder Erdbeben34 – zur Verfügung stellen soll, aus denen dann die jeweils plausibelste Begründung ausgewählt werden kann. Ein derartiges pädagogisches Vorgehen, mit dem der gelehrige epikureische Schüler auch dazu erzogen werden soll, selbstständig Ursachen für natürliche Phänomene auszumachen, zielt wiederum auf das übergeordnete Ziel ab, »mit ruhigem Verstand alle Dinge sehen zu können« (pacata posse omnia mente tueri)35 , was wiederum der »unerschütterlichen Gemütsruhe« (ἀταραξία) entspricht, die von Epikur zum Bestzustand menschlichen Seins erklärt wurde.36 Der erste Schritt auf dem Weg zu dieser unerschütterlichen Betrachtung der Welt liege darin zu erkennen, dass jedes Phänomen natürlich erklärbar ist, da es grundsätzlich durch die epikureische Physik nachvollzogen werden kann: Alles bestehe aus kleinsten Teilchen, die sich im leeren Raum bewegen und dadurch, dass sie aneinander haften blieben, komplexere Strukturen bis hin zu ausdifferenzierten Körpern bilden. Diese können jedoch als solche nur für eine gewisse Zeit bestehen, bis sich die atomaren Verbindungen wieder auftrennen, weswegen nicht nur Menschen und andere Lebewesen, sondern auch alle entstandenen Welten letztlich wieder vergehen werden. Wie A. Schiesaro anhand der Anfänge, Hauptthemen und Enden der einzelnen Bücher von De rerum natura deutlich machen kann,37 erweist sich der ewige Wechsel zwischen Zusammensetzung und Auflösung makrowie mikrokosmischer Körper auch als eines der grundsätzlichen Strukturelemente des Werkes: »Book follows book, life and pleasure follow death and desolation, and

31 Mit der eingeschränkten menschlichen Wahrnehmung und Notwendigkeit multikausaler Erklärungen setzt sich auch Epikur im Brief an Pythokles (87; 97) auseinander. 32 Erler (2018) 179. 33 Lucr. 6,96–422. 34 Lucr. 6,535–607. 35 Lucr. 5,1203. 36 Ausführlicher wird dieses Ideal der Gemütsruhe auch zu Beginn des zweiten Buches (2,1–13) beschrieben. Dort wird der Zustand auch als »angenehm/süß« (suave) bezeichnet, was darauf rekurriert, dass das höchste epikureische Gut, die »Lust« (voluptas/ἡδονή), nur in diesem Zustand erreicht werden kann; vgl. Volk (2002) 98f. Generell zur epikureischen Ataraxie siehe Taub (2009) 111. 37 Vgl. Schiesaro (1994) 90–96 bes. 91: »The pattern of formation, growth, decay and destruction that can be observed at the macroscopic level is perceivable also within smaller segments of time.«

Weltuntergangskonzepte in Lukrez’ De rerum natura

even a whole second half of the work starts again after the dark conclusion of the first.«38 Dabei arbeitet Lukrez verschiedene Untergangskonzepte, die einzelne Bereiche oder auch die gesamte Welt betreffen können, in seine Schrift ein und gestaltet diese narrativ aus, wodurch der Rezipient permanent mit Auflösungsszenarien konfrontiert ist. Als Beispiel für solche drastischen narrativen Episoden in De rerum natura, die einen limitierten Teil der Welt betreffen, kann die prominente Endsequenz des sechsten Buches (6,1138-1286) gelten,39 in der die Folgen der Attischen Seuche ausgesprochen anschaulich dargestellt werden.40 Im Folgenden sollen nun jedoch solche Passagen in den Blick genommen werden, in denen Lukrez verschiedene Konzepte potenzieller globaler Weltuntergänge präsentiert. Dabei wird herausgearbeitet, in welchen Kontexten welche Konzepte aufgerufen und mit welchen argumentativen Strategien autorisiert werden. In diesem Zusammenhang soll zudem gezeigt werden, wie Lukrez die Konzeptionen früherer Autoren verhandelt. Nachdem er in die Grundlagen der epikureischen Physik eingeführt hat, verteidigt er im ersten Buch (1,958–997) erneut die These, dass sowohl die Leere als auch die Menge der Atome unbegrenzt seien. In diesem Kontext ermahnt er seinen expliziten Adressaten Memmius – und damit auch seine impliziten Rezipienten –, sich von Weltmodellen zu distanzieren, die postulieren, dass lediglich eine einzige zentrale Welt in der unendlichen Leere existiere und sich alles um die Mitte dieser Welt, die Erde, lagere. Jedoch seien es allein die Anstöße der unablässig von außen auf die Welt einströmenden Atome (ictus externi), die die Welt zusammenhielten.41 Diesen Vorstellungen hält er außerdem entgegen, dass in einem unendlichen Universum kein Zentrum existieren könne, auf dessen Mitte sich alles zubewege.42 Besonders inkonsequent sei es, in diesem Zusammenhang anzunehmen, dass sich die Elemente Erde und Wasser zur Mitte hin orientierten, wohingegen Luft und

38 ebd. 96. Ähnlich auch Gale (2004) 53f. 39 Zur Diskussion, ob Lukrez tatsächlich beabsichtigt hat De rerum natura mit diesem Narrativ zu beenden, siehe Volk (2002) 81–83. 40 Zur Darstellung der Seuche siehe etwa Commager (1957), Bright (1971), Segal (1990) 228–237, Penwill (1996) und Rosa (2007). Galzerano (2017) 47 liest das Werkende darüber hinaus als »representation of the last day of the world.« 41 Lucr. 1,1052–1056.: illud in his rebus longe fuge credere, Memmi, // in medium summae quod dicunt omnia niti // atque ideo mundi naturam stare sine ullis // ictibus externis neque quoquam posse resolvi // summa atque ima, quod in medium sint omnia nixa, // ipsum si quicquam posse in se sistere credis […]. Verschiedene Philosophen (etwa Akademiker, Peripatetiker und Stoiker) vertraten Konzepte einer zentralen Welt im leeren Raum, was Lukrez durch das allgemein gehaltene dicunt ausdrückt; dass Lukrez an dieser Stelle eine spezifische philosophische Schule impliziert, widerlegt Furley (1966) 16–23. 42 Lucr. 1,1070–1082. Vgl. dazu auch die Erläuterungen von Bailey (1947) II 781–783; 785.

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Feuer sich vom Zentrum der Welt entfernten.43 Den daran anschließenden Gedankengang zweifelsfrei zu rekonstruieren, erweist sich nun als problematisch, da eine lacuna von etwa acht Versen überliefert ist.44 Geht man jedoch davon aus, dass die darauf folgenden Verse an die zuvor angegriffene Vorstellung anknüpfen, dass sich die leichten Elemente von der Mitte der Welt wegbewegen, könnte eine Wendung wie »Bei dieser Theorie wäre zu befürchten« an das Ende der lacuna konjiziert werden, die dann auch das direkt nach der Lücke überlieferte ne erklären würde. Die an die lacuna anschließenden Verse könnten somit eine Schlussfolgerung darstellen, die Lukrez aus der Vorstellung einer zentrifugalen Bewegung von Luft und Feuer ableitet: ne volucri ritu flammarum moenia mundi diffugiant subito magnum per inane soluta et ne cetera consimili ratione sequantur neve ruant caeli tonitralia templa superne terraque se pedibus raptim subducat et omnis inter permixtas rerum caelique ruinas corpora solventes abeat per inane profundum, temporis ut puncto nihil extet reliquiarum desertum praeter spatium et primordia caeca. nam qua cumque prius de parti corpora desse constitues, haec rebus erit pars ianua leti, hac se turba foras dabit omnis materiai.45

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dass die Mauern der Welt auf die flüchtige Art der Flammen in die große Leere entfliehen, nachdem sie plötzlich aufgelöst worden sind, und dass (ihnen) das Übrige in ähnlicher Weise folgt und die von Donner dröhnenden Bezirke des Himmels nach oben stürzen und sich die Erde rasch den Füßen entzieht und gänzlich in die tiefe Leere übergeht, während der Untergang von Erde46 und Himmel zugleich die Körper auflösen, sodass in einem Augenblick keine Überreste mehr zu finden sind außer verlassener Raum und unsichtbare Urteilchen. Denn aus welchem Teil auch immer nach deiner Überlegung zuerst Körper fehlen werden: dieser wird für die zusammengesetzten Dinge das Tor zum Tod sein, durch das sich die gesamte Vermengung der Materie hinausbegeben wird.

43 Lucr. 1,1083–1093. Der Gedankengang schließt nicht mit V. 1093, wird jedoch durch die anschließende lacuna unterbrochen. 44 Versuche, den Inhalt dieser Verse zu rekonstruieren, diskutiert Bailey (1947) II 790f. 45 Lucr. 1,1102–1113. 46 Rerum muss in diesem Kontext als Gegenstück zu caeli gelesen werden und damit die Erde, bzw. die zusammengesetzten Teile, die sich auf ihr befinden, meinen.

Weltuntergangskonzepte in Lukrez’ De rerum natura

In diesem Auflösungsszenario wird also zunächst imaginiert, wie sich der äußerste, aus Feuer bestehende Bereich der Welt in den leeren Raum auflöst.47 So betont Lukrez mit der Verwendung von ritus volucris flammarum, dass die moenia mundi, die dem Rezipienten als Metapher grundsätzlich eine solide Beschaffenheit suggerieren, nach diesem Modell gerade keine feste Struktur bilden könnten, wenn um sie herum Leere besteht, da das Feuer dann immer weiter in den leeren Raum aufsteigen müsste. Indem er dabei die moenia mundi als flüchtige Flammen imaginiert, rekurriert er direkt auf die Erfahrungswelt der Rezipienten: Diese können durch Inferenz ableiten, dass es sich in den kritisierten Modellen bei den Mauern der Welt nicht um beständige Entitäten, sondern um sich schnell auflösende Erscheinungen handeln müsse, was durch das verwendete subito zusätzlich hervorgehoben wird. Ist dieser äußerste Bereich der Welt erst einmal verschwunden, müsste dann auch sogleich – wie in einer Kettenreaktion – die nächstgelegene Himmelsgegend in die Leere vergehen, wobei durch das Paradoxon »nach oben stürzen« (ruere superne) geradezu das Bild einer verkehrten Welt impliziert wird, die der wahrnehmbaren Realität der Rezipienten entgegensteht. Dadurch wird der zuvor angegriffenen Vorstellung eine absurde Komponente zugeschrieben, die ihre Glaubwürdigkeit weiter untergraben soll. Als nächstes werde sich dann auch die Erde in diesen Auflösungsprozess einreihen, was die Rezipienten mit der unmittelbaren Gefahr konfrontiert, dass ihnen buchstäblich der Boden unter den Füßen entzogen werden würde. Indem Lukrez hier auf eine konkrete körperliche bzw. existentielle Bedrohung rekurriert, wird auch der Rezipient näher an die dramatische Darstellung herangerückt. Dadurch bleibt dieser nicht distanzierter Beobachter, sondern wird als unmittelbar Betroffener in die narrative Episode miteinbezogen. Um ihn herum ereignen sich die imaginierten permixtae ruinae, die letztlich zur Auflösung aller übrigen Strukturen (corpora) führen, zu denen auch die Menschen gehören. Als Resultat dieses Auflösungsszenarios – und damit auch der kritisierten Theorie – blieben dann nur noch die Grundprinzipien der atomistischen Lehre, nämlich der leere Raum (desertum spatium) und die unsichtbaren Teilchen (primordia caeca) übrig. Die Konsequenz, die Lukrez aus diesem Gedankenexperiment zieht, formuliert er abschließend in einem allgemeingültigen Lehrsatz, der einerseits naturphilosophische, andererseits methodische Implikationen besitzt: Die Metapher der ianua leti korrespondiert mit den moenia mundi, wodurch das Bild eines ungewollten Ausgangs durch die Mauern evoziert wird, aus dem dann die ganze Materie (turba omnis materiai) hinausströmen wird, wodurch alle temporär zusammengesetzten

47 Dass diese aus Feuer bestehen, wird bereits an früherer Stelle (1,73) deutlich, wenn Lukrez sie als flammantia moenia mundi bezeichnet.

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Strukturen vergehen werden. Auf einer metapoetischen Ebene kann diese Pointe auch auf den methodischen Umgang mit philosophischen Theorien appliziert werden, so wie Lukrez ihn in der untersuchten Passage angewandt hat: Wenn sich für solche Theorien ein fundamentaler Teil ausmachen lasse, der widerlegt und damit der Argumentationskette entnommen werden könne, falle zugleich die gesamte Theorie in sich zusammen, was die ianua leti für die philosophischen moenia darstelle. Ein weiteres Weltuntergangskonzept formuliert Lukrez am Ende des zweiten Buches (2,1105–1174). In diesen Versen skizziert er zunächst die regulär eintretenden Phasen eines Weltzyklus: Sobald der Zeitpunkt gekommen ist, der metaphorisch als Geburtsstunde einer Welt bezeichnet wird (post mundi tempus genitale), existieren das Meer, das Festland und die Sonne als erste größere Strukturen.48 Von außen (extrinsecus) drängen dann stetig weitere Atome (corpora/semina)49 in diese sich formierende Welt ein.50 In einer solchen Wachstumsphase vergrößern sich die Weltbereiche, also das Meer, die Erdteile und auch der Himmel, indem die stetig von außen zuströmenden Teilchen sich an diese anfügen.51 Dabei verdeutlicht ein poetisches Bild die Ausdehnung des Himmels: Wie ein Haus richte sich jener immer weiter in die Höhe und erhebe seine Dächer weit entfernt von den Erdteilen,52 woraufhin sich der entstandene Zwischenraum mit Luft anfülle.53 Dabei betont Lukrez explizit, dass sich die Atome (corpora) – je nach ihrer spezifischen Beschaffenheit – an kompatible Strukturen anfügen,54 was durch deren ständiges Aufeinanderstoßen

48 Lucr. 2,1105f. 49 Corpora stellt die Übersetzung der griechischen σώματα dar und kann somit sowohl als Atomzusammensetzungen, als auch als einzelne Atome verstanden werden. Die Metapher der Samen (semina) verwendet Lukrez synonym, wenn er die Einzelatome bezeichnet, aus denen sich etwas herausbildet. Die konzeptuelle Metapher Atome sind Samen hebt jedoch besonders das generative Potential der kleinsten Bausteine hervor: Indem er das Bild des Saatkorns verwendet, evoziert Lukrez die Vorstellung eines Keimlings, der zu einer größeren Pflanze heranwächst, und überträgt diese auf die Formierungsphase der Welt. 50 Lucr. 2,1107f.: multa post mundi tempus genitale diemque // primigenum maris et terrae solisque coortum // addita corpora sunt extrinsecus […]. 51 Lucr. 2,1109–1111. 52 Hierbei setzt Lukrez erneut Lexemmetaphern ein, die bei den Rezipienten deutliche Bilder aufrufen sollen, um diesen Vorgang zu veranschaulichen und dadurch nachvollziehbar zu machen; vgl. dazu Rumpf (2003) 164f. 53 Lucr. 2,1110f.: appareret spatium caeli domus altaque tecta // tolleret a terris procul et consurget aër. 54 Dabei greift Lukrez wohl auf das Konzept der unterschiedlichen Oberflächenbeschaffenheit der Atome zurück, sodass Atome nur an jeweils passenden Gegenstücken haften bleiben können und sich daraus dann komplexere Strukturen – wie in diesem Fall die Elemente – bilden.

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und voneinander Abprallen (plagae) bewirkt wird.55 Diesen Vorgang beschreibt er folgendermaßen: […] et ad sua saecla recedunt, umor ad umorem, terreno corpore terra crescit et ignem ignes procudunt aetheraque .56 […] und zu ihren Ursprungsgeschlechtern gehen sie zurück, Feuchtigkeit zu Feuchtigkeit, die Erde wächst durch irdene Körper [i. e. durch Erdatome] und die Feuer(atome) bringen das Feuer hervor, und die Luft(atome) .

Dass sich die Elemente auf diese Weise zueinander bewegen, begegnet als Ordnungsprinzip ebenfalls in der Naturphilosophie bestimmter Vorsokratiker, besonders in der Lehre des Empedokles.57 Von diesem überliefert Aristoteles folgenden Vers, der das Wachstum von Erde und Luft thematisiert: αὔξει δὲ χθὼν μὲν σφέτερον δέμας, αἰθέρα δ’ αἰθήρ.58 Lukrez könnte diesen Grundsatz, der bei Empedokles in verschiedenen Kontexten auftaucht,59 in seine Darstellung eingefügt haben, um die deterministische Grundprämisse, dass sich bestimmte Atome aufgrund ihrer Oberflächenbeschaffenheit notwendigerweise an passende Gegenstücke anfügen, in vereinfachter Form wiederzugeben und dabei auf ein prominentes naturphilosophisches Prinzip zu rekurrieren. Dass diese Elementarmassen im empedokleischen System als unvergängliche und unteilbare Grundbausteine verstanden werden, wohingegen sie für Lukrez Gebilde zweiter Ordnung darstellen, die sich notwendigerweise wieder

55 Lucr. 2,1112f.: […] omnia plagis // corpora distribuuntur […]. 56 Lucr. 2,1112–1114. 57 Aristot. eth. Eud. VII 1, 1235 a 9–12: οἱ δὲ φυσιολόγοι καὶ τὴν ὅλην φύσιν διακοσμοῦσιν ἀρχὴν λαβόντες τὸ τὸ ὅμοιον ἰέναι πρὸς τὸ ὅμοιον, διὸ Ἐμπεδοκλῆς καὶ τὴν κύνα ἔφη καθῆσθαι ἐπὶ τῆς κεραμῖδος διὰ τὸ ἔχειν πλεῖστον ὅμοιον. Eine andere Version derselben Anekdote begegnet in den

Magna moralia (ΙΙ 11, 1208 b 11–15): φασὶν δὲ καὶ κυνός ποτε ἀεὶ καθευδούσης ἐπὶ τῆς αὐτῆς κεραμῖδος, ἐρωτηθέντα τὸν Ἐμπεδοκλέα, διὰ τί ποτε ἡ κύων ἐπὶ τῆς αὐτῆς κεραμῖδος καθεύδει, εἰπεῖν ὅτι ἔχει τι τῇ κεραμῖδι ὅμοιον ἡ κύων, ὡς διὰ τὸ ὅμοιον τὴν κύνα φοιτῶσαν. Siehe dazu

Burnet (1892) 263, der zeigt, dass hinter dieser Anekdote wohl die Vorstellung steht, dass in beiden – Hündin und Ziegelstein – eine große Menge des gleichen Elementes vorhanden sei und sie sich deshalb anzögen; vgl. etwa auch Araiza (2009) 63–72, der das Zitat im Kontext der aristotelischen Ethik bespricht. Müller (1965) 166 Anm. 44 interpretiert Aristoteles’ Darstellung hingegen als Verspottung der empedokleischen Freundschaftstheorie. 58 Aristot. gen. corr. II 3, 333 b 1–2: »Aber einerseits vergrößert die Erde ihren Körper, die Luft andererseits die Luft.« Siehe auch DK 31 B 37: πυρὶ δ’ αὐξάνεται πῦρ, δὲ χθὼν μὲν σφέτερον δέμας, αἰθέρα δ’ αἰθήρ. 59 Siehe Kap. 4.1.

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auflösen werden, ist in diesem spezifischen Zusammenhang für die Argumentation nicht von Relevanz und wird deshalb von der auktorialen Instanz verschwiegen. Wie die lukrezische Lehrinstanz in direktem Anschluss betont, ist diesem Zuwachs jedoch auch ein Endpunkt gesetzt: donique ad extremam60 crescendi perfica finem omnia perduxit rerum natura creatrix.61 bis schließlich die Natur als Vollenderin alles zur äußersten Grenze des Wachsens gebracht hat, sie, die Schöpferin der Dinge.

Die natura wird an dieser Stelle sowohl in ihrer Funktion als Schöpferin (creatrix) wie auch als Vollenderin (perfica) aller Dinge angesprochen. Dabei verwendet Lukrez den Begriff ›natura‹ hier offenbar dazu, eine Art von »Gesetzmäßigkeit« auszudrücken, auf die dieser Wachstumsprozess zurückgeführt werden kann. Wie K. Sallmann betont, »handelt [es] sich dabei [jedoch] nicht um Naturgesetze, die in einem bestimmten Kanon faßbar wären und die Natur systematisch beherrschen. Sie werden individuell verstanden und sind jedem Ding immanent. Vermöge der Atomstruktur hat jedes Ding suam naturam und daher auch sein ›Naturgesetz‹ in sich selbst.«62

Wenn Lukrez dieses immanente »Naturgesetz« evoziert, indem er die natura als aktiv handelnde Entität auftreten lässt, impliziert er damit wohl zugleich, dass mit der von ihr bewirkten Vollendung der Dinge auch ihr unausweichlicher Untergang anklingt.63 Im Folgenden entwirft die lukrezische Lehrinstanz eine umfangreiche, mit metaphorischer Sprache aufgeladene Analogie, in der sie Wachstum und Verfall der Welt parallel zum biologischen Alterungsprozess beschreibt. Strukturell beginnt diese Analogiebildung (parabole) in V. 1118 mit dem bildspendenden Ursprungsbereich (similitudo), die durch ut fit (wie es geschieht) eingeleitet wird. Diesem folgt dann ab V. 1144 der durch sic igitur (auf diese Weise also) gekennzeichnete Zielbereich, auf den die zuvor präsentierten Merkmale projiziert werden sollen.64 60 61 62 63

Nach Deufert (2018) 39f. extremam statt extremum. Lucr. 2,1116f. Sallmann (1962) 181. Vgl. Clay (1983) 250. Kurz darauf (2,1121) wird die natura als »Naturgesetzlichkeit« auch explizit dafür verantwortlich gemacht, dass das Wachstum eines Lebewesens eingedämmt wird. 64 Siehe zu dieser Art der Analogienutzung etwa Coenen (2002) 133f. Aus der Perspektive der klassischen Rhetorik erläutert auch Quintilian diesen parabole-Gebrauch; inst. 8,3,77: in omni autem

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Den zu übertragenden Source-Bereich leitet Lukrez wie folgt ein: »Wie es geschieht, sobald nicht mehr in die lebensspendenden Adern gegeben wird als das, was herausfließt und weggeht.«65 Im Gegenzug bedeutet dies, dass ein Lebewesen nur dann anwachsen kann, wenn stetig »Nahrung«66 in die »lebensspendenden Adern« zugeführt wird.67 Dies geschieht solange, bis ein Gleichgewicht zwischen Zufuhr und Abfluss besteht und dadurch der Wachstumsprozess beendet wird. Der Grund dafür sei wiederum in der immanenten Naturgesetzlichkeit (natura) zu finden, der jede zusammengesetzte Atomverbindung unterliegt.68 Dieses zugrundeliegende Prinzip könne Memmius, der explizit durch vides (du siehst) angesprochen wird und dabei stellvertretend auch für die impliziten Rezipienten steht, alltäglich aus empirischer Anschauung nachvollziehen, wann immer er etwas wachsen bzw. ein Lebewesen – metaphorisch gesprochen – »die Stufen des erwachsenen Alters erklimmen« (gradus aetatis adultae scandere) sehe.69 Dabei wird deutlich, dass Wachstum und Alterungsprozess in diesem Modell nicht absolut gleichzusetzen sind, sondern lediglich die erste Phase der Alterung mit dem Wachstum identifiziert wird, nämlich bis zu dem Punkt, an dem ein Wesen seinen Zenit erreicht hat.70 An diesem Punkt, an dem der jeweilige Körper seine größtmögliche Ausbreitung (alescendi summum cacumen) erreicht habe,71 stelle sich dann jedoch diejenige Phase ein, in der die Verbindung nach und nach (minutatim) wieder aufgelöst werde:

65 66 67

68 69 70 71

parabole aut praecedit similitudo, res sequitur, aut praecedit res et similitudo sequitur. sed interim libera et separata est, interim, quod longe optimum est, cum re, cuius est imago, conectitur, conlatione invicem respondente, quod facit redditio contraria, quae ἀνταπόδοσις dicitur. Lucr. 2,1118f.: ut fit ubi nihilo iam plus est quod datur intra // vitalis venas quam quod fluit atque recedit. Dass es sich dabei um »Nahrung« (cibus) handelt, betont Lukrez explizit V. 1125. Dazu Bailey (1947) II 977: »Here Lucr. is talking of the ›veins‹ of mundi; this is not, as Giussani points out, a metaphor or an analogy; he wishes to insist that the processes are identical, both mundus and corpus being atomic compounds.« Einerseits muss Bailey insofern zugestimmt werden, dass Lukrez grundsätzlich dieselben Mechanismen für das Entstehen und Vergehen aller Dinge aus bzw. in atomare(n) Teilchen annimmt und es sich bei dieser Darstellung nicht um eine literarische Metapher handelt. Dass er andererseits aber, um seinen Rezipienten diese Überzeugung zu vermitteln, auf fundamentaler Ebene metaphorische Sprache gebraucht und anhand einer großangelegten similitudo Merkmale des alltäglich wahrnehmbaren Alterungsprozesses von Lebewesen auf die Welt überträgt, schließt das dahinterstehende Konzept der Welt als Lebewesen jedoch nicht aus. Dieses Vorgehen zeigt vielmehr, wie durch im Text verwendete Lexemmetaphern auf konzeptuelle Metaphern zugegriffen werden kann, um abstrakte Konzeptionen imaginieren und dadurch auch vermitteln zu können. Lucr. 2,1120f. Lucr. 2,1122f. Vgl. Rumpf (2003) 165f. Lucr. 2,1130.

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inde minutatim vires et robur adultum frangit et in partem peiorem liquitur aetas.72 Von da an zerbricht das Alter nach und nach die Kräfte und die erwachsene Stärke und schwindet dahin zu einem immer schwächer werdenden Zustand.

Auffällig ist, dass der Alterungsprozess insgesamt als eine Treppe imaginiert wird, da jedes Wesen zunächst die »Stufen« (gradus) nach oben steigt, um dann am »obersten Punkt« (cacumen) anzukommen, dessen Höhepunkt jedoch nur punktuell existiert. Auf diesen Zenit folgt dann sogleich der »immer schwächer werdende Zustand« (peior pars), während dessen die angewachsene Stärke schrittweise vergeht. Dies sei darauf zurückzuführen, dass Lebewesen ab einer bestimmten Größe mehr Teilchen abgäben (a se corpora mittere), als durch den Zustrom aufgenommen würden, da die »Nahrungsaufnahme« auch nicht mehr so mühelos (nec facile) möglich sei.73 Lukrez unterstreicht diesen Gedankengang dann erneut durch die als figura etymologica gestaltete Aussage, dass ein gealtertes Wesen »umfangreiche Ausströmungen ausströmen lasse« (largos exaestuat aestus), die die eingeschränkte Zufuhr nicht kompensieren könne.74 Aus diesem Ungleichgewicht folge dann schließlich auch ein entsprechendes »Todesszenario«: iure igitur pereunt, cum rarefacta fluendo sunt et cum externis succumbunt omnia plagis, quando quidem grandi cibus aevo denique defit, nec tuditantia rem cessant extrinsecus ullam corpora conficere et plagis infesta domare.75

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Also gehen mit Recht alle Dinge [i. e. alle auf Zeit bestehenden Atomverbindungen] zugrunde, wenn sie durch den Abfluss (der Teilchen) ausgedünnt worden sind und wenn sie den Stößen von außen unterliegen, da schließlich dem hohen Alter ja unbestreitbar die Nahrung fehlt und die von außen heftig stoßenden Körper [i. e. Atome] nicht zögern, irgendeine Sache zu vernichten und feindselig mit Stößen zu bezwingen.

72 Lucr. 2,1131f. 73 Lucr. 2,1134–1136. Dass dieses Szenario letztendlich alle zusammengesetzten Körper betreffen werde, klingt bereits in 2,1125–1127 an. 74 Lucr. 2,1137f. 75 Lucr. 2,1139–1143.

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Zunächst betont Lukrez durch iure (mit Recht) erneut die immanente Gesetzmäßigkeit, der auch dieses Auflösungsszenario folge: Da immer mehr Atome nach außen abgegeben werden, werde der zusammengesetzte Körper insgesamt ausgedünnt (rarefactum esse), sodass letztendlich die Struktur nicht mehr stabil genug sei, um den von außen auf sie stoßenden Teilchen widerstehen zu können. Die zuvor von ihm aufgestellte Behauptung, dass im hohen Alter nur noch beschränkt Nahrung aufgenommen werden könne, wird dabei mit quidem (unbestreitbar) als bereits implementierte Tatsache angeführt, um seine aktuelle These als deren notwendige Schlussfolgerung zu inszenieren. Auffällig ist auch, dass Lukrez auf deutliche Kriegs- bzw. Kampfesmetaphorik zurückgreift, wenn er von der feindlichen, bewusst auf Zerstörung gerichteten Aggression der Atome schreibt, die von außen auf den Körper stoßen und diesen damit letztlich auflösen. Damit ruft er eindrücklich Semantiken von Gewalt und Vernichtung auf und erreicht damit eine starke Emotionalisierung des Vorgangs, die auf einer Anthropomorphisierung der Atome gründet. Durch diese bietet er seinen Rezipienten wiederum eine Gelegenheit, die von ihm propagierte Gemütsruhe einzuüben.76 Auch die folgenden Verse rekurrieren auf die konzeptuelle Metapher Auflösung ist Kampf und übertragen zugleich diejenigen Merkmale, die zuvor dem Alterungsprozess eines Lebewesens zugeschrieben worden sind, auf die Welt77 : sic igitur magni quoque circum moenia mundi expugnata dabunt labem putrisque ruinas; omnia debet enim cibus integrare novando et fulcire cibus, omnia sustentare, ne quiquam, quoniam nec venae perpetiuntur quod satis est, neque quantum opus est natura ministrat.78

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So werden also auch die erstürmten Mauern der großen Welt ringsum einstürzen und morsch zerfallen. Denn alles muss die Nahrung durch Erneuerung wiederherstellen und Nahrung muss (alles) stützen, alles muss aufrechterhalten, vergeblich, da ja weder die Adern fassen können, was genug ist, noch die Natur so viel bietet, wie nötig ist.

Die moenia mundi, die bereits im vorherigen Auflösungsszenario (1,1102) in Erscheinung getreten waren und den äußersten Bereich der Welt bezeichnet hatten,

76 Dazu auch Klingler (1952) 20: Lukrez halte »wie vor dem letzten Hauptteil des ersten Buches inne, bereitet auf Befremdendes vor und läßt darauf den Hörer bestürzende Enthüllungen erleben, am Ende den nahenden Weltuntergang nicht nur erschließen, sondern spüren.« 77 Zu dieser Art von metaphorischer Übertragung (metaphorical mapping) siehe etwa Jäkel (1997) 21. 78 Lucr. 2,1144–1149.

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stehen hier als pars pro toto für deren Gesamtheit, da durch die aufgelösten moenia ebenfalls der Untergang des mundus bewirkt würde. Zugleich wird durch die Metapher der erstürmten Mauern weiterhin die Vorstellung eines brutalen Untergangs evoziert, der unmittelbar an die Erfahrungswelt der impliziten Rezipienten anknüpft: Ein Begriff, der eigentlich mit Schutz und Sicherheit konnotiert ist, wird dadurch umcodiert und vermittelt den Eindruck von Gefährdung und Verfall. Das präsentierte Weltuntergangsszenario wird dabei durch die Verwendung der futurischen Verbform dabunt zwar in die Zukunft verlagert, wodurch es gewissermaßen von den Rezipienten weggerückt wird, erweist sich aber nichtsdestotrotz als ein unabwendbarer Vorgang, der in der Form einer zukunftssicheren Vorausdeutung formuliert ist.79 Aus der dargestellten Analogie wird deutlich, dass Lukrez die Welt deswegen als Lebewesen begreift, weil die Beschaffenheit von Makrokosmos ›Welt‹ und Mikrokosmos ›Mensch/Tier‹ grundsätzlich vergleichbar ist: Auf struktureller Ebene sind diese als zusammengesetzte Atomverbindungen zu betrachten und damit derselben natura unterworfen.80 Dieser Grundsatz erlaubt es ihm wiederum, Spezifika der Lebewesen wie die venae und die nötige Zufuhr von Nahrung analog auf den mundus zu übertragen, der als notwendige Folge auch die gleichen Alterungsstufen wie ein Lebewesen durchlaufe und letztlich aus den gleichen Gründen und auf die gleiche Weise vergehe. Auch für Epikur ist bezeugt, dass er gelehrt habe, die Welt könne »wie ein Lebewesen, eine Pflanze und auf viele (andere) Arten« vergehen,81 weshalb es keineswegs überraschen kann, dass Lukrez den natürlichen Alterungsprozess der Welt als ein potenzielles Untergangsszenario formuliert. Ersterem attestiert jedoch der christliche Apologet Laktanz, sich nicht explizit dazu geäußert zu haben, aus welchem spezifischen Grund und zu welchem exakten Zeitpunkt diese Welt untergehen werde: unus igitur Epicurus auctore Democrito veridicus in hac re fuit, qui ait et ortum aliquando et aliquando esse periturum. nec tamen rationem reddere ullam potuit aut quibus de causis tantum hoc opus aut quo tempore resolvatur.82

79 Vgl. Martínez/Scheffel (9 2012) 39. 80 Garani (2007) 71 geht sogar so weit, die Welt als ein »supernatural human being, a Makranthropos« zu bezeichnen, was meines Erachtens jedoch eine größere Identität zwischen ›Mensch‹ und ›Welt‹ voraussetzen würde, als Lukrez durch die Analogie postuliert. Denn er überträgt lediglich bestimmte Merkmale von dem einen auf den anderen, ohne die Welt in allen Details als einen makrokosmischen Menschen zu identifizieren. 81 Frg. 305 ed. Usener (1887) (= Aet. 2,4,10): Ἐπίκουρος πλείστοις τρόποις τὸν κόσμον φθείρεσθαι, καὶ γὰρ ὡς ζῷον καὶ ὡς φυτὸν καὶ πολλαχῶς. 82 Lact. inst. 7,1,10. Siehe dazu auch die ähnlichen Zuschreibungen bei Cic. nat. 1,73 und fin. 1,21.

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Als einziger hat also Epikur in Nachfolge Demokrits in dieser Angelegenheit die Wahrheit gesagt, wenn er behauptet, dass sie [scil. die Welt] irgendwann entstanden sei und irgendwann vergehen werde. Dennoch konnte er keinerlei Aufschluss darüber geben, aus welchen Gründen oder zu welchem Zeitpunkt dieses Werk [i. e. die Welt] aufgelöst wird.

Lukrez hingegen konfrontiert seine Rezipienten damit, dass ihre Welt bereits ihren Zenit überschritten habe (aetas fracta est), was daran zu erkennen sei, dass die generative Kraft der Erde (tellus) lediglich noch dazu ausreiche, kleine Lebewesen (parva animalia) hervorzubringen.83 Unter diesen versteht er wohl Würmer, die aus dem Erdboden emporkommen, da er auf jene bereits an früherer Stelle aufmerksam gemacht hat.84 Selbst dieser geringfügige produktive Akt gelinge der Erde jedoch nur noch mit Mühe (vix), wohingegen sie früher alle Arten von Lebewesen (cuncta saecla) und vor allem auch wilde Tiere mit gewaltigen Körpern (ingentia corpora ferarum) hervorgebracht habe.85 Hinter dieser Aussage verbirgt sich einerseits die Vorstellung, dass die Welt in ihrer Wachstumsphase so fruchtbar gewesen sei, dass aus ihr die Vorfahren der jetzigen Lebewesen durch Spontangenese entstanden seien, die sich dann wiederum durch geschlechtliche Fortpflanzung vermehrt haben.86 Andererseits wird die empirische Erfahrung der Rezipienten, dass Würmer bei Regen aus dem feuchten Boden hervorkommen, genutzt, um einen Kontrast zwischen der derzeitigen und der früheren »Gebärfähigkeit« der Erde zu evozieren, wodurch das zuvor präsentierte Modell der verschiedenen Altersstufen der Welt unterstützt werden soll.87 Zugleich wendet sich Lukrez gegen alternative Erklärungsmodelle, die postulieren, dass Lebewesen entweder durch göttliche Fügung88 oder durch das Wasser als Ursprungselement entstanden seien.89 Die fruchtbare Wachstumsphase der Welt verbindet Lukrez daraufhin mit zwei Topoi des Goldenen Zeitalters, indem er hervorhebt, dass die Erde in dieser frühen

83 Lucr. 2,1150f. 84 Lucr. 2,871–873. Hier identifiziert er die Würmer als Produkt einer Spontangenese, die geschieht, sobald es regnet und die Erde feucht wird. Vgl. dazu auch Klingler (1952) 6f. 85 Lucr. 2,1151f. 86 Diesem Gedankengang widmet sich Lukrez ausführlicher in 5,805–827; siehe dazu Campbell (2003) 74–90. 87 Insgesamt wird in diesen Versen das zuvor präsentierte Konzept der Welt als Lebewesen durch die konzeptuelle Metapher Die Erde ist eine Mutter suggestiv autorisiert. 88 Mit der ironischen Aussage, dass er nicht daran glaube, dass die mortalia saecla durch ein goldenes Seil auf die Erde herabgekommen seien, polemisiert Lukrez gegen mythologische Genealogien, für die Bailey (1947) II 981 Homer als prototypischen Vertreter identifiziert: »The idea of the ›golden‹ rope is undoubtedly derived from Homer, Il. viii. 19, where the gods propose to haul down Zeus from heaven to earth σειρὴν χρυσείην ἐξ οὐρανόθεν κρεμάσαντες.« 89 Lucr. 2,1153–1156. Mit letzterer Polemik könnte Lukrez sich gegen solche kosmogonischen Konzepte wenden, wie sie etwa Thales von Milet zugeschrieben worden sind; siehe Kap 4.1.

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Urzeit den Menschen noch von selbst (sponte sua) Feldfrüchte und Weintrauben bereitgestellt habe, sodass diese völlig mühelos geerntet werden konnten.90 Dadurch überträgt er Imaginationen dieses vergangenen Zeitalters in sein philosophisches System und nutzt die Vertrautheit seiner Rezipienten mit der mythologischen Weltalterlehre, um seine eigene Konzeption zu legitimieren. Im Gegensatz zu dieser idealisierten Vorzeit müssen die derzeitigen Menschen verschiedene Hilfsmittel heranziehen, um überhaupt einen Ertrag aus dem Boden gewinnen zu können. Dass Lukrez dabei das Eisen (ferrum) als Metonymie für eiserne Agrargerätschaften verwendet, evoziert zugleich die Vorstellung des Eisernen Zeitalters, in dem sich wiederum seine Rezipienten befänden, da sie ebenfalls diese Hilfsmittel nutzen müssen, um die Äcker zu bestellen. In den folgenden Versen rückt Lukrez seine Darstellung noch näher an die Leser heran, indem er die Perspektive auf zwei zeitgenössische Figuren lenkt: Zuerst auf einen Pflüger (arator), der seine eigene Zeit mit der seiner Vorfahren vergleicht, wobei er zu dem Schluss kommt, dass deren Los (fortuna) in jeglicher Hinsicht besser gewesen sei.91 Dabei vergegenwärtigt die detaillierte Darstellung der Mühe, mit welcher der alte Mann nur noch karge Erträge gewinnen kann, dem Rezipienten, dass es sich nicht um irgendeine Welt handelt, die schon im Zerfall begriffen ist, sondern um seine eigene und dass die Zeit ihres Untergangs nicht mehr in allzu weiter Ferne liegen kann.92 An zweiter Stelle konzentriert sich Lukrez dann auf einen Winzer (vitis sator), der ähnlich wie der Pflüger eine Diskrepanz zwischen seiner Gegenwart und der Vergangenheit feststellt, diese aber zum Anlass nimmt, die pietas seiner Vorfahren derjenigen seiner Zeitgenossen kontrastiv gegenüberzustellen.93 L. Rumpf sieht darin den elementaren Unterschied der beiden Perspektiven: »Lukrez setzt diejenige der beiden Figuren an die zweite Stelle, die den ›falscheren‹ Blick hat[,] und schafft so eine Gegenposition, von der er selbst sich klar distanzieren kann: eine Borniertheit, die keinen unbefangenen Blick auf die Dinge richten kann.«94

Auf den Winzer verweist Lukrez dann auch, um ihn paradigmatisch die Gruppe derjenigen repräsentieren zu lassen, die sich den überall wahrnehmbaren Realitäten verschließen, bzw. falsche Schlussfolgerungen aus diesen ableiten: »Aber er hat nicht verstanden, dass alles allmählich vergeht und erschöpft von der langen

90 91 92 93 94

Lucr. 2,1157–1159. Lucr. 2,1164–1167. Vgl. Clay (1983) 248. Lucr. 2,1168–1172. Rumpf (2003) 168. Vgl. alternativ dazu auch Clay (1983) 248.

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Lebenszeit zu Grabe geht.«95 Die Rezipienten hingegen, die seiner Darstellung bis zu diesem Punkt gefolgt sind, können diese zukunftsgewisse Vorausdeutung ohne Schwierigkeiten nachvollziehen, da ihnen die verschiedenen Altersstufen der Welt und die damit einhergehenden generativen Möglichkeiten der Erde bereits präsentiert wurden. Damit ist ihnen auch das Rüstzeug an die Hand gegeben worden, die überall wahrnehmbaren Anzeichen für den Verfall adäquat zu deuten.96 Die bedrohliche Feststellung, dass sich die Welt gemäß dem vorgestellten Modell bereits in einer Phase der Auflösung befinde, rückt die Rezipienten selbst näher an den imaginierten Untergang. Lediglich dadurch, dass kein genauer Zeitpunkt genannt wird, zu dem die Welt untergehen werde, ergibt sich eine gewisse Distanz zum Auflösungsszenario. Jedoch ist dieses zweite Weltuntergangskonzept bereits wesentlich näher an die Lebenswirklichkeit der impliziten Rezipienten gerückt, als das im ersten Buch präsentierte, das auf einem hypothetischen und schließlich widerlegten Gedankenexperiment beruhte. In einem nächsten Schritt werden im Folgenden umfangreichere Passagen des fünften Buches (5,91–113; 235–415) untersucht, in denen Konzepte des Weltuntergangs verhandelt werden. Lukrez kündigt hier an, sich einem längst überfälligen Thema ausführlich widmen zu wollen: quod super est, ne te in promissis plura moremur, principio maria ac terras caelumque tuere; quorum naturam triplicem, tria corpora, Memmi, tris species tam dissimilis, tria talia texta, una dies dabit exitio, multosque per annos sustentata ruet moles et machina mundi.97

95

Schließlich (was noch übrig ist), damit wir dich nicht weiter in Versprechungen verweilen lassen, betrachte zunächst die Meere und die Erdteile und den Himmel; deren dreifache Natur, drei Körper, Memmius, drei so verschiedene Gestalten, drei derartige Gewebe wird ein einziger Tag dem Untergang anheimgeben, und die durch viele Jahre hindurch aufrechterhaltene Masse und das Gerüst der Welt werden einstürzen.

Durch die Aneinanderreihung von Tautologien werden dem Rezipienten, vertreten durch den expliziten Adressaten des Lehrgedichtes, Memmius, zunächst die Bestandteile der Welt vor Augen geführt. Dabei wird durch wiederholte Betonung

95 Lucr. 2,1173f.: nec tenet omnia paulatim tabescere et ire // ad capulum spatio aetatis defessa vetusto. Zur Verteidigung der Wendung ad capulum ire siehe Galzerano (2017) 46 Anm. 13. 96 Vgl. Klingler (1952) 22. 97 Lucr. 5,91–96.

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ihrer Dreifachheit evoziert, dass es sich bei der physischen Gestalt der Welt um ein ausdifferenziertes Konstrukt handelt. Im Kontrast dazu sei es nur ein einziger Zeitpunkt (una dies), der diesen Dreien ein gemeinsames Ende geben wird. Auf die Ordnung folgt das Chaos: Die als Gewebe verbildlichten Weltteile werden in einem Halbvers aufgetrennt, während die letzten eineinhalb Verse das Bild eines Weltgerüstes (machina mundi) aufrufen, dessen Einsturz bevorstehe (ruere). Besonders wirkungsvoll wird die Vorstellung dadurch, dass eine drastische Polarität konstruiert wird: Die Welt hatte für so lange Zeit Bestand (per multos annos) und geht dann in einem geradezu punktuellen Akt der Auflösung zugrunde.98 Nach diesem Auftakt betont Lukrez, dass die Lehre vom zukünftigen Untergang der Welt (exitium caeli terraeque futurum) seinen Rezipienten neu und erstaunlich (res nova et mira menti) erscheinen dürfte.99 Zwar ist es ein prominenter Topos der antiken Lehrdichtung, die novitas einer Lehre zu proklamieren, selbst wenn dies nicht zwangsläufig den Fakten entsprechen muss.100 Jedoch handelt es sich bei De rerum natura wohl tatsächlich um das erste (epikureische) Lehrgedicht in lateinischer Sprache, das sich mit Konzepten des Weltuntergangs auseinandersetzt, weswegen die Behauptung einer »neuen und erstaunlichen Sache« durchaus berechtigt zu sein scheint. Prinzipiell sei es auch schwierig, die Rezipienten durch Worte von einer solchen Lehre zu überzeugen,101 was Lukrez im Folgenden durch eine Analogie verdeutlicht, die erneut durch ut fit (wie es geschieht)102 eingeleitet wird: ut fit ubi insolitam rem adportes auribus ante nec tamen hanc possis oculorum subdere visu nec iacere indu manus, via qua munita fidei proxima fert humanum in pectus templaque mentis.103

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98 Ovid zitiert in seinen Amores (1,15,23f) explizit das Bild der una dies, um dieses zugleich zu parodieren: carmina sublimis tunc sunt peritura Lucreti, // exitio terras cum dabit una dies. Die Popularität dieses Motives wird durch die spätere Rezeption – besonders in anderen Weltuntergangsdarstellungen – deutlich; siehe dazu unten 248. Bemerkenswert ist auch, dass das Motiv möglicherweise Teil des »apokalyptischen Diskurses« in Empedokles’ Physika (siehe Kap. 4.1.) gewesen ist, von dem es Lukrez rezipiert haben könnte. 99 Lucr. 5,97f. Zwar hat Lukrez bereits im zweiten Buch eine Weltuntergangstheorie dargestellt, jedoch könnte die Neuheit der Lehre sich auch auf die spezifische Konzeption beziehen, die er im Anschluss schildern wird, die zuvor gerade nicht im Kontext der epikureischen Philosophie vertreten worden ist. 100 Vgl. Volk (2002) 88. 101 Lucr. 5,99. 102 ut fit ubi erscheint wie bereits in Lucr. 2,1118 als auffälliger textueller Marker, der den Beginn einer Analogiebildung signalisiert. 103 Lucr. 5,100–103.

Weltuntergangskonzepte in Lukrez’ De rerum natura

Wie es geschieht, sobald du eine zuvor unbekannte Sache zu Gehör bringst, und diese aber weder dem vor Augen führen noch in die Hände legen kannst, wodurch der befestigte Weg der Überzeugung direkt in das menschliche Herz und in die Gefilde des Geistes führt.

Die aufgestellte These besagt also, dass die Menschen dazu neigen, prinzipiell eher auf das zu vertrauen, was sie mit eigenen Augen sehen oder mit ihren Händen fassen können, da sie diesen empirisch-sinnlichen Erfahrungen mehr Glaubwürdigkeit einräumen als einem Bericht.104 Dieser Gedankengang findet sich auch in einem der überlieferten Empedokles-Fragmente. Auf dessen Verse verweist Lukrez offenbar intertextuell, indem er sie sinngemäß ins Lateinische übersetzt und an den spezifischen Kontext anpasst: οὐκ ἔστιν πελάσασθαι ἐν ὀφθαλμοῖσιν ἐφικτόν ἡμετέροις ἤ χερσὶ λαβεῖν ᾗπέρ τε μεγίστη πειθοῦς ἀνθρώποισιν ἁμαξιτὸς εἰς φρένα πίπτει.105

Es ist nicht möglich sich ihr [scil. der Gottheit] mit unseren Augen anzunähern oder sie mit (unseren) Händen zu greifen, wodurch für die Menschen der größte Hauptweg der Überzeugung in den Verstand führt.

Fokussiert sich Empedokles an dieser Stelle wahrscheinlich darauf, dass die Gotteserkenntnis einem Menschen nicht durch optische oder haptische Erfahrungen zugänglich ist,106 verändert Lukrez das Erkenntnisobjekt: Ihm geht es um die epistemologische Feststellung, dass etwas Unbekanntes (res insolita), das der sinnlichen Wahrnehmung nicht zugänglich ist, schwerer zu akzeptieren sei, als wenn es durch körperliche Eindrücke wahrnehmbar wäre. Durch das Analogiebindeglied ut fit wird dieser generelle Befund auf die konkrete Lehre vom Untergang der Welt übertragen, wobei der ursprüngliche empedokleische Kontext – die Erkenntnis der Gottheit – weiterhin mitschwingt. Das neue Wahrnehmungsobjekt, also der Untergang der Welt, gehört zu einer der Kernlehren Epikurs (die prinzipielle Auflösung aller zusammengesetzten Strukturen), dem Lukrez aufgrund seiner Einsichten noch wenige Verse zuvor im Proömium des fünften Buches geradezu gottgleichen Status 104 Für eine detaillierte Diskussion der Verse siehe Castner (1987). 105 Emp. D9 ed. Laks/Most (2016) = DK 31 B 133. 106 Siehe Ferella (2018) 65: »The idea of sensory pores as roads through which sensation and also persuasion can find passage, hence a pathway into the body, suggests the image of travelling objects of perception and knowledge entering the body. In fact, according to Empedocles, some elementary streams of these objects do travel from them through space and may reach the inside of the body, where the controlling and knowing organ lies.«

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zugeschrieben hatte.107 Mit dieser intertextuellen Strategie suggeriert Lukrez also, dass seine Abhandlung in einer Reihe mit den divina reperta Epikurs stehe und somit ebenfalls als göttliche Lehre zu verstehen sei. Dennoch erklärt Lukrez, dass er trotz des Defizits, seine Thesen nicht mit direkt ersichtlicher oder berührbarer Evidenz belegen zu können, seine Konzepte darlegen wird, wobei er auf deren inhärente Überzeugungskraft setzt: […] dictis dabit ipsa fidem res forsitan et graviter terrarum motibus ortis omnia conquassari in parvo tempore cernes. quod procul a nobis flectat fortuna gubernans, et ratio potius quam res persuadeat ipsa succidere horrisono posse omnia victa fragore.108

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[…] Die Sache selbst wird den Worten vielleicht Glaubwürdigkeit verleihen und du wirst in kurzer Zeit erkennen, dass alles [i. e. die Gesamtheit aller Dinge] durch gewaltig auftretende Erdbeben erschüttert wird. Möge der regierende Zufall dies von uns abwenden und die argumentative Belehrung eher als das Ereignis selbst (dich) überzeugen, dass alles besiegt in schrecklich tönendem Krachen einstürzen kann.

In dieser Konzeption werden Erdbeben (motus terrarum), die alle zusammengesetzten Strukturen erschüttern (conquassare), als Modus der Auflösung benannt. Dabei rekurriert das Untergangskonzept deutlich auf die im zweiten Buch verwendeten Präsentationsmodi. Dies zeigt sich vor allem in V. 109, in dem ebenfalls auf Kampfesmetaphorik zurückgegriffen wird (omnia victa). Zugleich zielt Lukrez direkt auf die Lebenswirklichkeit der Rezipienten ab, indem er das Konzept einer Naturkatastrophe und deren Konzeptbestandteile evoziert, um sie auf den Untergang der Welt zu übertragen. Zu diesem Zweck imaginiert er außerdem das Geräusch, das etwa ein einstürzendes Haus oder ein zerspringendes Tongefäß erzeugt (fragor),109 und appliziert es auf sein Auflösungskonzept. Darauf, dass die Konzepte von Erdbeben und Weltuntergang direkt miteinander verknüpft seien, verweist Lukrez an späterer Stelle ausdrücklich im Kontext seiner Erdbebentheorie. Dort behauptet er, dass das Naturphänomen einen anschaulichen Beweis dafür liefere, dass die Welt irgendwann einmal untergehen werde.110

107 So etwa über Epikur in Lucr. 5,8: […] deus ille fuit, deus […]. An späterer Stelle (6,8) wird der göttliche Status der epikureischen Lehren vorausgesetzt. 108 Lucr. 5,104–109. 109 Vgl. Bailey (1947) III 1337. 110 Lucr. 6,565–567: et metuunt magni naturam credere mundi // exitiale aliquod tempus clademque manere, // cum videant tantam terrarum incumbere molem!

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Bemerkenswert ist zudem, dass Lukrez das epikureische Prinzip des regierenden Zufalls (gubernans fortuna) einen solchen Weltuntergang auslösen lässt.111 Ob die Rezipienten mit einer solchen Katastrophe konfrontiert werden, ist also gewissermaßen unabsehbar, was diesen suggeriert, dass sie jederzeit auf deren Eintritt gefasst sein sollten. Daran lässt sich erneut die in De rerum natura verfolgte didaktische Prämisse ablesen, die impliziten Adressaten zum Ideal der Gemütsruhe im Angesicht der Katastrophe zu erziehen: Schrittweise verdeutlicht Lukrez ihnen, dass solche einschneidenden, kosmischen Katastrophen alltäglich geschehen könnten. Sich diesen Umstand bewusst zu machen, kann den Schüler wiederum darauf vorbereiten, vor niedriger skalierten, alltäglichen Erschütterungen gewappnet zu sein und diesen unerschrocken entgegenzutreten. In den folgenden Versen wird dann deutlich, dass sich Lukrez für seine epistemologischen Überlegungen nicht nur an die Metaphorik des Empedokles anlehnt, sondern dass er sich explizit in dessen Nachfolge stellt: qua prius adgrediar quam de re fundere fata sanctius et multo certa ratione magis quam Pythia quae tripode a Phoebi lauroque profatur, multa tibi expediam doctis solacia dictis.112

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Noch bevor ich mich daran mache, über diese Angelegenheit die Weissagungen auszusprechen, zuverlässiger und um vieles sicherer als die Pythia, die auf dem Dreifuß und mit dem Lorbeer des Phoebus prophezeit, werde ich dir viel Trost durch gelehrte Worte geben.

An dieser Stelle platziert Lukrez offenbar ein bewusstes Selbstzitat (5,111f. = 1,738f.),113 um auf den im ersten Buch präsentierten Lobpreis des Empedokles zurückzuverweisen, dessen Theorien er dort als »ausgezeichnete Entdeckungen« (praeclara reperta) bezeichnet hatte.114 Einerseits zielt die Passage also deutlich darauf ab, die religiös konnotierten Weissagungen der Pythia ironisch zu diskreditieren und naturphilosophische Herangehensweisen als zuverlässiger zu inszenieren.115 Andererseits fungiert sie ebenso als textueller Marker, der den Rezipienten deutlich machen soll, dass die folgenden, inhaltlich mit ihr verbundenen Ausführungen dezidiert die Konzepte des Empedokles rezipieren und für den epikureischen Kontext des Werkes adaptieren. Bevor Lukrez jedoch zu diesen Inhalten übergeht, 111 112 113 114 115

Siehe dazu Gale (2009) 120. Lucr. 5,110–114. Vgl. Green (1942) 51. Vgl. Garani (2007) 4. Vgl. Bailey (1947) III 1340.

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widmet er sich zunächst dem angekündigten »Trost« (solacium): In Form eines umfangreichen theologischen Exkurses beabsichtigt er dabei zu widerlegen, dass die Gestirne göttlichen Status besäßen oder durch göttlichen Antrieb bewegt würden.116 Die logische Beweisführung, dass die Welt in letzter Instanz untergehen müsse, wird dann ab Vers 235 fortgesetzt, wobei das verwendete principio (zuerst) geradezu lückenlos an die angekündigten »Weissagungen« (fata) anschließt.117 Dabei bedient sich Lukrez zunächst eines Argumentes, das direkt gegen die aristotelische Konzeption einer ewigen Welt mit vergänglichen Einzelteilen gerichtet zu sein scheint: Jeder einzelne Bereich des Kosmos sei aus entstandenen und letztlich vergänglichen Strukturen zusammengesetzt (omnia nativo ac mortali corpore constant), wodurch abgeleitet werden könne, dass diese Eigenschaften – entstanden und vergänglich – auf die gesamte Welt (natura mundi) zu übertragen sind.118 Diese fundamentalen Strukturen bezeichnet Lukrez metaphorisch als die »größten Glieder der Welt« (maxima mundi membra),119 womit er offensichtlich auf die Terminologie des Empedokles zurückgreift, der seine vier Elementarmassen unter anderem als »Glieder« (γυῖα) bezeichnet hat.120 Wie Empedokles versteht Lukrez unter diesen »Gliedern« die vier Elemente Erde, Wasser, Luft und Feuer, schreibt diesen jedoch keinen ewigen und unvergänglichen Status zu, sondern versteht sie als Konglomerate, die aus Atomen entstehen und sich schließlich wieder aufspalten.121 Um seine prinzipiellen Thesen nachzuweisen, verlagert Lukrez seine Argumentation sodann in die unmittelbare Wahrnehmungssphäre der Rezipienten. Er konfrontiert diese damit, dass sie den stetigen Verfall selbst der massiven Strukturen der Welt in ihrer eigenen täglichen Alltagserfahrung erkennen könnten. Dabei formuliert er ex negativo rhetorische Fragen, wobei er zunächst den expliziten Adressaten Memmius mit Verben in der zweiten Person Singular direkt anspricht und mit Vers 310 dazu übergeht, eine gemeinsame Wahrnehmung zu evozieren, indem er mit videmus (wir sehen) eine konstatierende Handlung beschreibt:

116 Siehe zu dieser Diskussion etwa Furley (1966) 27–30 und Sedley (1998) 75–78. 117 Siehe dazu die bei Bailey (1947) III 1337–1339 zusammengefassten Diskussionen, ob es sich bei den Versen dazwischen um eine von Lukrez nachträglich eingefügte Episode handeln könne, die eine zuvor bestehende Einheit spalte. 118 Lucr. 5,235–243. Zum Konzept im Corpus Aristotelicum siehe Kap. 4.3. 119 Wie im zweiten Buch greift Lukrez auch hier wieder auf die konzeptuelle Metapher Die Welt ist ein Lebewesen zurück, um die Eigenschaften eines vergänglichen Körpers zu evozieren. 120 Vgl. Garani (2007) 74. Zur empedokleischen Terminologie siehe Kap. 4.1. 121 Die einzelnen Argumentationsstränge, auf welche Art welches Element entsteht bzw. sich auflöst (Erde 247–305; Wasser 261–272; Luft 273–280; Feuer 281–305), sind im Kontext dieser Untersuchung von untergeordneter Bedeutung.

Weltuntergangskonzepte in Lukrez’ De rerum natura

denique non lapides quoque vinci cernis ab aevo, non altas turris ruere et putrescere saxa, non delubra deum simulacraque fessa fatisci nec sanctum numen fati protollere finis posse neque adversus naturae foedera niti? denique non monimenta virum dilapsa videmus †quae fore perpetuo numquamque† senescere credas,122 non ruere avolsos silices a montibus altis nec validas aevi vires perferre patique finiti? neque enim caderent avolsa repente, ex infinito quae tempore pertolerassent omnia tormenta aetatis, privata fragore.123

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Erkennst du schließlich nicht, dass auch Steine von der Zeit bezwungen werden, nicht, dass hohe Türme einstürzen und Felsen verwittern, nicht, dass die Heiligtümer und Abbilder der Götter ermattet zerfallen, und dass der göttliche Wille weder die Grenzen der zugestandenen Zeitspanne124 vergrößern noch sich den Gesetzen der Natur widersetzen kann? Sehen wir schließlich nicht, dass Denkmäler von (berühmten) Männern verfallen, von denen du glauben magst, dass sie ewig bestehen und niemals altern, nicht, dass Felsbrocken abgespalten von hohen Bergen herabstürzen und nicht die starken Kräfte einer begrenzten Zeitspanne ertragen und aushalten? Es würde nämlich nicht plötzlich etwas abgespalten fallen, was seit unbegrenzter Zeit alle Marter der Zeit ertragen hatte, ohne mit Getöse abgebrochen zu sein.

Für den Argumentationsaufbau werden also solche Verfallserscheinungen thematisiert, die den Rezipienten davon überzeugen sollen, dass die gesamte Welt von stetigem Verfall betroffen ist; selbst diejenigen Formationen, die für gewöhnlich aus verschiedenen Gründen als besonders stabil oder auch unvergänglich verstanden werden, sind der stetigen Auflösung nicht enthoben: Massive Gebäude wie etwa Türme (turres) brechen zusammen, was auf das zuvor evozierte Bild rekurriert, dass alles einmal zusammenstürzen muss (5,109), und selbst Felsen als Metonymie für die dichtesten Strukturen der differenzierten Welt lassen Zerfallsspuren erkennen. Materielle Symbole, die göttliche Macht repräsentieren (delubra deum simulacraque) und die menschliche pietas gegenüber den Göttern demonstrieren

122 Diese Version des Verses folgt dem Rekonstruktionsvorschlag von Watt (1990) 124, der m. E. trotz der textkritischen Probleme den besten Sinn ergibt. Zur komplexen Überlieferungsgeschichte siehe Deufert (2018) 293–296. 123 Lucr. 5,306–317. 124 Für diese Übersetzung von fatum siehe Gale (2009) 131f.

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sollen, bestehen nicht in Ewigkeit, sondern sind ebenfalls der allgemeinen Endlichkeit unterworfen. Bereits durch diese Feststellung wird suggeriert, dass die Götter nicht einmal auf solche kultischen Artefakte und auf die ihnen geweihten Gebäude Einfluss nehmen können, obwohl diese direkt mit ihnen verbunden sein sollten.125 Explizit macht Lukrez dies dann auch in den Versen 309f. deutlich, wenn er Memmius fragt, ob dieser denn nicht erkennen könne, dass der göttliche Wille (sanctum numen) der inhärenten Naturgesetzlichkeit (foedera naturae) vom Werden und notwendigen Vergehen der zusammengesetzten Strukturen untergeordnet ist.126 Auffällig ist jedoch, dass es sich hierbei um eine rhetorische Überzeugungsstrategie handelt,127 da diese Unterordnung gerade nicht tatsächlich sinnlich wahrnehmbar ist, sondern lediglich als Schlussfolgerung der zuvor präsentierten Beobachtung gezogen werden kann. Dadurch soll dem Rezipienten suggeriert werden, dass diese These durch persönliche Autopsie und Empirie verifizierbar sei. Diese persuasive Strategie wird zusätzlich dadurch verstärkt, dass erneut Beweise auf visueller Ebene (videre) angeschlossen werden, indem Lukrez auf den sichtbaren Verfall von Denkmälern und Bergen verweist. Daraus konstatiert er schließlich, dass keine Struktur, die bereits innerhalb einer begrenzten Zeitspanne sichtlich zu vergehen beginne, ewig bestehen könne, womit er sich offensichtlich gegen platonische und aristotelische Konzeptionen richtet.128 Weiterhin lenkt Lukrez dann den Fokus auf den Himmel, indem er den Rezipienten durch tuere (betrachte) dazu auffordert, nach oben zu blicken.129 In diesem Zusammenhang evoziert er ein kosmogonisches Konzept, in dem der Himmel als der Ursprung aller Dinge identifiziert wird (procreare ex se omnia), wobei letztlich alles Entstandene wieder in diesen vergehe (recipere perempta).130 Als logische Folge dieses Konzeptes ergebe es sich jedoch, dass auch der Himmel als sterblich anzusehen sei (totum nativo ac mortali corpore constat), da er offenbar seine Masse im kreativen Modus vermindern und im absorbierenden vergrößern müsste.131 Dieses Prinzip rekurriert erneut auf die aufgestellte Prämisse, dass eine potenziell

125 Zu antiken Konzepten göttlicher agency siehe etwa Bremmer (2013). 126 Grundsätzlich zu den foedera naturae bei Lukrez siehe Sallmann (1962) 174–192. Dieser bemerkt auch (180 Anm. 56), dass »foedera naturae […] auf die ὅρκοι des Empedokles (fr. Β 30,3 u. 115,2 Diels) zurückgehen« könnten. 127 Siehe grundsätzlich zu dieser Methode Diller (1932). 128 Siehe zu diesen Kap. 4.2 und 4.3. 129 Lucr. 5,318. 130 Lucr. 5,319f. Gale (2009) 132f. macht in diesem Kontext darauf aufmerksam, dass die Verse eng an ein Fragment aus den Tragödien des Pacuvius (Frg. 86) angelehnt sind: »The speaker in the tragic fragment appears to be advancing an allegorical interpretation of the ›sacred marriage‹ myth [i. e. zwischen Gaia und Uranos] that – far from being divine – the aether is in fact perishable.« 131 Lucr. 5,321–323.

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ewige Entität eine unveränderbare und dadurch stabile Masse besitzen müsste, was jedes Anzeichen von Zuwachs oder Abnahme dementiere.132 Die zweite grundsätzliche Argumentationslinie, dass die ganze Welt prinzipiell vergänglich sei, eröffnet Lukrez durch praeterea (außerdem),133 das an principio (zuerst) anschließt, mit dem die gesamte Beweisführung in Vers 235 begonnen hatte.134 Für diese problematisiert er Elemente des Vergangenheitsdiskurses, indem er die Frage aufwirft, weswegen niemand über historische Begebenheiten vor dem thebanischen und trojanischen Krieg gedichtet (canere)135 bzw. Denkmäler (aeterna famae monimenta), die an jene vorherigen Ereignisse erinnerten, errichtet haben sollte, wenn doch eine ewige Weltgeschichte ohne Anfangs- und Endpunkt angenommen werde und somit auch eine weit zurückreichende Überlieferung vorliegen müsste.136 Dabei parallelisiert er auf phonetischer Ebene non cecinere (sie haben nicht gesungen) mit dem cecidere (sie sind gefallen), um zu suggerieren, dass diejenigen Errungenschaften (facta), die nicht schriftlich fixiert und tradiert werden, letztlich vergehen werden.137 Die daraus resultierende poetologische Folgerung formuliert M. Gale: »This implication, and the contrast with 5.306-17, in which the poet has just reminded us of the perishability of all physical objects (including monumenta virum), suggests that poetry is the only way of preserving anything for ever.«138

Viel wahrscheinlicher sei es hingegen, dass die Welt erst seit kurzer Zeit existiere, was auch dadurch belegt werde, dass bestimmte Künste, wie die nautischen und musikalischen, gerade erst professionell ausgeformt werden.139 Als klimaktischen 132 Den Status ewiger Entitäten können daher im philosophischen System, wie es in De rerum natura dargelegt ist, lediglich die Atome und der leere Raum besitzen. 133 Lucr. 5,324. Siehe zu dieser Gliederung der Argumentation auch Bailey (1947) III 1356. 134 Siehe zu diesem »additiven Strukturprinzip« auch Erler (2018) 179: »Wichtig ist nicht das eine schlagende philosophische Argument, sondern die Fülle von Beweisen, die oftmals als Zugabe wirken und gemeint sind und eine persuasive und therapeutische Aufgabe haben.« 135 Der eigentliche Punkt besteht darin, dass Lukrez die Frage aufwirft, weswegen keine Zeugnisse von memoria aus einer Zeit vor dem trojanischen Krieg erhalten geblieben sind. Canere ist dabei als Handlung zu verstehen, die solche Kulturartefakte hervorgebracht haben müsste. 136 Lucr. 5,324–329. Mit dem trojanischen und thebanischen Krieg wählt er prototypische mythische Stoffe, die in der Antike aus zahlreichen epischen Dichtungen bekannt sind. Prominent stehen dabei Homers Ilias und Odyssee für den trojanischen Sagenkreis sowie die heute verlorene Thebais eines anonymen, frühgriechischen Dichters; siehe dazu Gale (2009) 133. 137 Vgl. Schrijvers (1970) 81. Für ähnliche poetologische Reflexionen, die den Dichter als Erinnerungsbewahrer inszenieren, siehe Bailey (1947) III 1370. 138 Gale (1994) 151. 139 Lucr. 5,333–337. Siehe dazu Sedley (1998) 169f., der behauptet, dass sich dieses Argument dezidiert gegen Theophrast richtet, wobei er dessen Thesen aus dem Traktat De aeternitate mundi Philos

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Höhepunkt dieser kulturellen Entwicklung führt Lukrez an, dass »diese Natur und Lehre der Dinge erst kürzlich entdeckt worden ist«,140 womit er einerseits prinzipiell die epikureische Philosophie, andererseits aber auch konkret sein eigenes poetisches Werk meint, das deren grundsätzliche Thesen (und möglicherweise ihre Weiterentwicklung) erstmals in lateinischer Sprache didaktisch aufbereitet und ästhetisch ansprechend vermittelt.141 Dabei konstruiert Lukrez eine paradoxe Spannung innerhalb seines Gesamtwerkes: Hatte er noch im zweiten Buch emphatisch dafür argumentiert, dass man der Welt ihr Greisenalter und dadurch ihren bevorstehenden Untergang ansehen könne, behauptet er nun im fünften Buch, dass die Welt noch nicht lange existiere, weswegen sich kulturelle Errungenschaften gerade erst abzeichneten.142 Wie sich jedoch zeigt, handelt es sich bei dieser Jugend-These lediglich um ein provisorisches Argument, mit dem Lukrez beabsichtigt, eine bestimmte (Gegen-)Position zu provozieren. Seine Intention scheint darin zu bestehen, das vielfach innerhalb des Vergangenheitsdiskurses diskutierte Szenario zu problematisieren, dass zyklisch eintretende Katastrophen ganze Kulturen und deren Errungenschaften auslöschen,143 weswegen in regelmäßigen Abständen alles neu erfunden werden müsse: quod si forte fuisse ante hac eadem omnia credis, sed perisse hominum torrenti saecla vapore, aut cecidisse urbis magno vexamine mundi, aut ex imbribus adsidue exisse rapaces per terras amnes atque oppida coperuisse. tanto quique magis victus fateare necessest exitium quoque terrarum caelique futurum; nam cum res tantis morbis tantisque periclis temptarentur, ibi si tristior incubuisset causa, darent late cladem magnasque ruinas.144

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von Alexandria zu rekonstruieren versucht. Jedoch lassen sich Grundzüge einer »Evolution der Kunst« bereits etwa in Aristoteles’ Poetik (4, 1448 b 4–5; 1149 b 20) feststellen. Lucr. 5,335f.: […] natura haec rerum ratioque repertast // nuper […]. Lucr. 5,336f.: […] et hanc primus cum primis ipse repertus // nunc ego sum in patrias qui possim vertere voces. Zum Novitätstopos vgl. Volk (2002) 88. Siehe auch die Bemerkung bei Bailey (1947) III 1371, der darauf aufmerksam macht, dass es möglicherweise bereits lateinische Darstellungen des Epikureismus gegeben habe, deren Umfang und Bekanntheitsgrad jedoch unbekannt sind. Diese Diskrepanz erkennt etwa auch Rumpf (2003) 166 Anm. 131, der sie als »sehr merkwürdig« einstuft, jedoch keine überzeugende Erklärung für diesen »sachlichen Widerspruch« bieten kann; vgl. dazu auch 179f. Anm. 170. Siehe dazu Kap. 4.2 Lucr. 5,338–347.

Weltuntergangskonzepte in Lukrez’ De rerum natura

Wenn du nun vielleicht glaubst, dass dies alles zuvor schon gewesen ist [scil. die zivilisatorischen Errungenschaften], die Geschlechter der Menschen aber durch eine brennende Hitze zugrunde gegangen sind oder die Städte durch eine große Erschütterung der Welt eingestürzt sind oder sich wegen anhaltender Regenfälle reißende Flüsse über die Erdteile hinweg ergossen und auch die Städte gänzlich bedeckt haben. (Dann) ist es umso notwendiger, dass du besiegt eingestehst, dass sich auch ein Untergang von Erde und Himmel ereignen wird. Da nämlich die Welt von so vielen ›Krankheiten‹ und so vielen Gefahren angegriffen wurde, wäre sie völlig eingestürzt und ganz zerfallen, falls an deren Stelle [scil. der Krankheiten/Gefahren] eine unheilvollere Ursache eingetreten wäre.

Lukrez identifiziert an dieser Stelle drei Modi der Auflösung: Brandkatastrophen, Erdbeben und Überflutungen, die zu Untergängen in der Vergangenheit geführt hätten. Dabei erwähnt er nicht explizit, ob es sich um partielle oder globale Vernichtungen gehandelt hat, wobei letztere Möglichkeit dadurch impliziert wird, dass er von den »Geschlechtern der Menschen« (saecla hominum) spricht und dabei kein spezifisches Volk oder eine spezielle Personengruppe von der Zerstörung ausschließt. Diese Unschärfe nützt ihm jedoch insofern, als dass der Rezipient, der ein globales Ausmaß der Katastrophe annehmen könnte, umso leichter davon überzeugt werden kann, dass bei einem solchen Szenario auch der Untergang der gesamten Welt – nicht nur ihrer Bewohner – geschehen könne. Bemerkenswert ist an dieser Stelle, dass Lukrez sich einer suggestiven Strategie bedient, indem er von Katastrophen, die ausschließlich die Erde und die Lebewesen betreffen, darauf schließt, dass auch der Himmel als Teil der gesamten Welt untergehen könne (exitium terrarum caelique futurum), obwohl er für diesen kein entsprechendes Szenario imaginiert hatte. Diejenigen Elemente, die Lukrez in diesen Versen aufruft und für seine Argumentation nutzbar macht, sind offensichtlich den Konzepten des Corpus Platonicum entnommen, besonders Platons Timaios, in dem periodische Flut- und Brandkatastrophen sowie Erdbeben dafür verantwortlich gemacht werden, dass das kulturelle Gedächtnis der Griechen immer wieder ausgelöscht werde.145 Umso deutlicher wird dieser Konnex durch die Verwendung des Terminus »Krankheiten« (morbi), mit dem Lukrez die Modi der Auflösung bezeichnet, da auch im Timaios und in den Nomoi das griechische Äquivalent νόσοι für diese verwendet wird. Lukrez kann diese Terminologie wiederum nutzen, um vor dem Hintergrund seiner Konzeption, dass es sich bei der Welt auf struktureller Ebene um ein gewaltiges Lebewesen handele, eine Krankheitsanalogie zum menschlichen Körper zu konstruieren: Die Menschen begriffen, dass sie sterblich seien (mortales esse), indem sie erkennen, dass

145 Siehe zu diesen Kap. 4.2.

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einige durch bestimmte Krankheiten sterben, von denen grundsätzlich jeder betroffen sein kann.146 Die Schlussfolgerung, die er seinen Rezipienten an dieser Stelle überlässt, wäre, dass diejenigen »Krankheiten« , unter denen die Welt regelmäßig leide, Indizien für ihre Sterblichkeit lieferten.147 An diesem Argumentationsstrang wird deutlich, wie der Autor Lukrez Vorstellungen seiner philosophischen Gegner rezipiert und für seine eigene Darstellung nutzbar macht. So formt er prominente Wissenskonstellationen für das epikureische Konzept der Vergänglichkeit der Welt um, obwohl gerade im platonischen Timaios eine annähernd unendliche Dauer der geschaffenen Welt proklamiert wird. Im Folgenden verweist die lukrezische Lehrinstanz erneut darauf, dass im philosophischen System, wie es in De rerum natura dargelegt ist, lediglich drei fundamentale Prinzipien den Status ewiger, unvergänglicher Entitäten für sich beanspruchen können: Erstens die Atome als kleinste unteilbare Körper,148 zweitens der leere Raum,149 in dem sich diese Körper bewegen, und drittens die Gesamtheit des Universums (summa summarum), außerhalb derer nichts existiere, was zu ihrer Zerstörung führen könnte.150 Da die Welt jedoch keines dieser Kriterien besitze, sondern eine Mischung aus Leere und Atomen darstelle (admixtum in rebus inane), und von außen genug Atome vorhanden seien, um ihre endgültige Zerstörung zu bewirken,151 rekurriert Lukrez erneut auf die konzeptuellen Metaphern Der Tod ist ein Tor und Der Tod ist ein Schlund, die den unvermeidbaren Untergang illustrieren: haut igitur leti praeclusa est ianua caelo nec soli terraeque neque altis aequoris undis, sed patet immani et vasto respectat hiatu.152

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Das Tor zum Tod ist also für den Himmel und für die Sonne und die Erde und für die hohen Wellen des Meeres nicht verschlossen, sondern steht offen und wartet mit gewaltigem und unermesslichem Schlund.

Die Unausweichlichkeit, dass die Bestandteile der Welt – hier Himmel, Sonne, Erde und Meer als größte Anhäufungen der Elemente – ebenfalls vergehen werden, steht

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Lucr. 5,348–350. Vgl. Gale (2009) 135f. Lucr. 5,351–355. Lucr. 5,356–358. Lucr. 5,359–363. Lucr. 5,364–372. Lucr, 5,373–375.

Weltuntergangskonzepte in Lukrez’ De rerum natura

dem Rezipienten im bedrohlichen Bild eines klaffenden Schlundes vor Augen.153 Schlussfolgernd fügt Lukrez hinzu, dass die Welt weder auf Ewigkeit hin bestehen könne, noch dass es möglich sei, dass sie bereits seit jeher bestünde,154 was sich offensichtlich gegen die aristotelische Konzeption richtet.155 Um seine Argumentationsführung, dass die Welt untergehen werde, abzuschließen, widmet sich Lukrez in einem finalen Schritt dem »Kampf« der maxima membra. Bereits an früherer Stelle ist deutlich geworden, dass er – in Anlehnung an Empedokles – unter diesen »größten Gliedern« die vier Elemente Erde, Wasser, Luft und Feuer versteht, die gemäß seinem philosophischen System aus Atomen zusammengesetzt sind:156 denique tantopere inter se cum maxima mundi pugnent membra, pio nequaquam concita bello, nonne vides aliquam longi certaminis ollis posse dari finem, vel cum sol et vapor omnis omnibus epotis umoribus exsuperarint? quod facere intendunt, neque adhuc conata patrantur; tantum suppeditant amnes ultraque minantur omnia diluviare ex alto gurgite ponti: ne quiquam, quoniam verrentes aequora venti deminuunt radiisque retexens aeterius sol, et siccare prius confidunt omnia posse quam liquor incepti possit contingere finem.157

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Weil schließlich die größten Glieder der Welt so sehr untereinander kämpfen, angestachelt in einem keineswegs frommen Krieg: siehst du etwa nicht, dass ihr langer Kampf ein Ende finden kann, wenn zum Beispiel die Sonne und die ganze Hitze, nachdem alles Flüssige aufgezehrt worden ist, gesiegt haben werden? Dies versuchen sie, doch noch

153 Hierzu bemerkt Gale (2009) 136f.: »The vivid metaphor of death as a yawning gateway […] can be traced back to Homer (Iliad 5.646, 23.71; Odyssey 14.156 etc.); for the latter, however, Hades is an anthropomorphic deity who keeps the dead within his ›halls‹. L. rejects any such notion with typical scorn in 6.762–8.« Möglicherweise könnte der hiatus auch auf die Vorstellung des hesiodeischen Chaos verweisen, das sich etymologisch vermutlich von χάσκειν (»den Mund aufsperren«) ableitet und »die ursprüngliche Vorstellung eines Welttieres, das durch den Akt des Mundöffnens überhaupt erst den Raum schafft, in den hinein die Dinge entstehen können« (Althoff [2016] 42) bezeichnet. Diese Reminiszenz könnte dann wiederum als eine umgekehrte Kosmogonie verstanden werden, während der alles in diesen offenen Schlund zurückkehrt. 154 Lucr. 5,376–379. 155 Siehe zu diesen Kap. 4.3. 156 Siehe Kap. 4.1. 157 Lucr. 5,380–391.

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nicht werden die Versuche erfolgreich zu Ende geführt: So viel (Wasser) stellen die Flüsse zur Verfügung und drohen darüber hinaus, alles aus dem tiefen Schlund des Meeres zu überfluten; vergeblich, da ja die fegenden Winde Meeresflächen vermindern und (ebenso auch) die himmlische Sonne, die sie mit (ihren) Strahlen wieder auflöst, und sie vertrauen darauf, dass sie eher alles austrocknen können, als dass das Wasser ein Ende des Vorhabens erreichen kann.

Lukrez nutzt an dieser Stelle erneut Metaphern aus dem Ursprungsbereich »Krieg/ Kampf« und überträgt diese auf den Zielbereich »Elemente«, um zu veranschaulichen, dass sie sich in einer ständigen Auseinandersetzung befinden. Dass er diese als »keineswegs frommen Krieg« (bellum nequaquam pium) bezeichnet, könnte darauf zurückzuführen sein, dass die jeweiligen Kontrahenten versuchen, ihre Antagonisten vollständig auszulöschen, anstatt ein Gleichgewicht wiederherzustellen, durch das »Frieden« (scil. das Äquilibrium der Elemente) erreicht werden könnte.158 Als Hauptagenten dieser andauernden »Schlacht« nennt er die Sonne (sol) bzw. Hitze (vapor) und die Flüsse (amnes) mit dem Meer (pontus) als Verbündeten. Diese versuchen jeweils, die Überhand zu gewinnen, indem die Sonne einerseits jegliche Flüssigkeiten aufzuzehren (siccare) versucht, wohingegen sich die Flüsse darum bemühen, alles zu überfluten (diluviare).159 Einen zusätzlichen Aspekt, der für das Verständnis dieser Passage nutzbar gemacht werden kann, bietet M. Gale, die sie vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Homer-Allegorese liest: »[…] L. may also be alluding to a controversial episode in book 20 of the Iliad, in which the gods descend from Olympus and join battle with each other: the story was often attacked by ancient critics for its impious irreverence, while others claimed that it was to be interpreted as an allegory of the ›war‹ of the elements.«160

Sollten die Rezipienten ebenfalls in der Lage gewesen sein, eine Verbindung zu dieser Auslegungstradition herzustellen, kann die Passage ein gewaltiges, imaginatives Potential entfalten, da sie über den Kampf der Elemente zurück auf den in der Ilias dargestellten Streit der Götter und dessen epische Schlachtszenen verweisen, wodurch eindrückliche Bilder evoziert werden können. Diese dienen wiederum

158 Bailey (1947) III 1376 interpretiert die Bezeichnung wenig gewinnbringend als Allusion auf den römischen Bürgerkrieg; siehe dazu auch Garani (2007) 67. Zu Theorien des »gerechten Kriegs« in der republikanischen Zeit siehe Keller (2012). 159 Lukrez führt an, dass die Winde (venti) ebenfalls dazu beitragen, die Versuche des Wassers einzuschränken, die Erde vollständig zu überschwemmen. Dennoch scheinen Erde und Winde ansonsten eher ausgeblendet zu werden, was dadurch erklärt werden kann, dass diese nicht mit den an späterer Stelle allegorisch ausgelegten Mythen von Phaethon und Deukalion verknüpft werden können. 160 Gale (2009) 138.

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Lukrez dafür, seiner Darstellung eine gesteigerte Drastik und Anschaulichkeit zu verleihen. Das von Lukrez dargestellte Flutkonzept enthält interessanterweise nicht den Bestandteil, dass heftige Regengüsse die Überschwemmung auslösen werden, wie es mehrheitlich in den zuvor untersuchten Konzeptionen der Fall ist.161 Stattdessen werden hier Flüsse und Meer, die eine Allianz bilden, als Agenten der Flut eingesetzt. Für das Brandkonzept wird hingegen die Sonne als Himmelskörper herangezogen, die durch ihre Strahlen (radii) dafür sorgt, dass die Flüssigkeiten verdunsten und dadurch alles austrocknet. Gerade dieser letzte Konzeptbaustein erinnert an denjenigen Auflösungsmodus, den die doxographische Tradition Anaximander zugeschrieben hatte, wobei nicht eindeutig ist, ob dieser damit tatsächlich auch eine Weltuntergangsvorstellung verband.162 Sollte dies jedoch der Fall gewesen sein, könnte Lukrez diesen Wissensbaustein rezipiert und in seine Konzeption aufgenommen haben, was jedoch nicht zwingend notwendig ist, da ebenfalls zu beobachtende Kondensationsprozesse zu dieser Idee geführt haben können.163 Dass Lukrez an dieser Stelle aber offensichtlich die empedokleische Lehre der miteinander streitenden Elemente für sein Konzept eines potenziellen Weltuntergangs rezipiert, und damit einen Wissensbaustein präsentiert, den Epikur selbst vermutlich nicht verwendet hat,164 konstatiert auch M. Garani: »The soldiers now are no longer the atoms, but Empedocles’ primary elements, which Lucretius considers as forming the level above his atomic societies on the scale from the microcosm upwards. Very much in Empedocles’ way (e. g. κρατέουσι, B17.29), the war of the roots may one day cease with the victory of one, a tyranny resulting in the destruction of the ›social‹ coherence.«165

In den folgenden Versen wird dann ausgeführt, dass im Laufe dieses Kampfes einmal das Feuer und einmal das Wasser die Oberhand gehabt haben soll, was der Erzähler jedoch durch die Phrase ut fama est (wie die Sage besagt) relativiert. Damit verlagert er die anschließenden Ausführungen in den Bereich des Mythos.166 Gerade der Gedankengang, dass jedes der Elemente beim Kampf einmal überwogen haben

161 Siehe dazu besonders Kap. 3.1. 162 Siehe Kap. 4.1. 163 M. E. ist dies wahrscheinlicher, als dass Lukrez in diesem Kontext einen Bestandteil stoischer Philosophie rezipiert hat. 164 Vgl. Green (1942) 55. 165 Garani (2007) 68. 166 Lucr. 5,394f.: cum semel interea fuerit superantior ignis // et semel, ut fama est, umor regnarit in arvis.

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soll, findet sich ebenfalls in einer Empedokles-Paraphrase, die im Ilias-Kommentar des byzantinischen Gelehrten Johannes Tzetzes überliefert ist: κατὰ γὰρ Ἐμπεδοκλέα τὸν φυσικὸν καὶ μετὰ τὸ γῆν φανῆναι καὶ θάλασσαν ἀτάκτως ἔτι τὰ στοιχεῖα κεκίνητο, ποτὲ μὲν τοῦ πυρὸς ὑπερνικῶντος καὶ καταφλέγοντος, ὁτὲ δὲ τῆς ὑδατώδους ὑπερβλυζούσης καὶ κατακλυζούσης ἐπιρροῆς.167

Gemäß dem Naturphilosophen Empedokles nämlich hätten sich auch nach dem Sichtbarwerden von Erde und Meer die Elemente noch ungeordnet bewegt, indem einmal das Feuer den Sieg errang und (das Übrige) niederbrannte, und das andere Mal das wässrige Element übersprudelte und der Zufluss (alles) überflutete.

Dass derartige Empedokles-Reminiszenzen von einem spätrepublikanischen Zielpublikum als solche erkannt werden konnten, legt ein Brief Ciceros an seinen Bruder Quintus nahe.168 In diesem führt Cicero an, dass es Empedoclea eines gewissen Sallustius gebe, welche wohl entweder Nachdichtungen oder Übersetzungen gewesen sind.169 Dies deutet darauf hin, dass diese wie auch immer gestalteten Empedokles-Dichtungen Lukrezens Rezipientenkreis bekannt und bei diesem möglicherweise auch beliebt waren.170 Wie bereits angedeutet, führt Lukrez die überlieferten, sagenhaften Siege der beiden Elemente weiter aus, indem er zunächst auf den Mythos des Helios-Sohn Phaethon hinweist: ignis enim superavit et ambiens multa perussit, avia cum Phaethonta rapax vis solis equorum aethere raptavit toto terrasque per omnis. at pater omnipotens ira tum percitus acri magnanimum Phaethonta repenti fulminis ictu deturbavit equis in terram, Solque cadenti obvius aeternam succepit lampada mundi disiectosque redegit equos iunxitque trementis, inde suum per iter recreavit cuncta gubernans, scilicet ut veteres Graium cecinere poetae.171

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Tzetz. Exeg. in Iliad. 63,18. Cic. Q. fr. 2,9,4: […] si Sallustii Empedoclea legeris […]. Vgl. Sedley (1998) 1f. Zu den Empedoclea siehe Cowan (2013). Lucr. 5,396–405.

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Das Feuer hat nämlich gesiegt und hat, als es umherging, vieles entflammt, als die reißende, auf Abwege geratene Kraft der Sonnenpferde den Phaethon im ganzen Äther fortriss und über alle Erdteile hinweg. Aber der allmächtige Vater hat damals in heftigem Zorn den wagemutigen Phaethon durch das schnelle Schleudern eines Blitzes herabgeworfen von den Pferden auf die Erde, und Sol hat dem Fallenden entgegeneilend das ewige Licht der Welt aufgefangen und die zerstreuten Pferde zurückgetrieben und die zitternden (wieder) eingespannt, woraufhin er auf seinem Weg steuernd alles wieder hergestellt hat, wie es freilich die alten Dichter der Griechen gesungen haben.

Die Passage erweist sich geradezu als epischer Einschub, was durch die Ausgestaltung des mythologischen Plots und die Verwendung etwa des epischen HeldenEpithetons (magnanimus) deutlich wird. Dabei scheinen im Kontext der epikureischen Philosophie »hints of irony in non-Epicurean features such as Jupiter’s anger and especially the description of the sun as aeternus«172 sowie Jupiters als pater omnipotens durch. Gerade aeternus ist offensichtlich ironisch gebraucht, da es im Rahmen einer Diskussion verwendet wird, die darauf abzielt, zu beweisen, dass keine zusammengesetzte Struktur ewig sein könne.173 Die mit ut fama est eingeleitete Passage wird dann auch durch die einschränkende Phrase scilicet ut veteres Graium cecinere poetae abgeschlossen, wodurch der mythischen Partie ein festgelegter Rahmen gesteckt ist, über den hinaus sie nicht fortgesetzt wird.174 Über diese mythologische Ätiologie für natürliche Vorgänge urteilt Lukrez im folgenden Vers, dass sie »allzu weit von der wahren Lehre entfernt ist«.175 Den für ihn einzig zulässigen Erklärungsansatz stellt die atomistische Physik dar, da sich aus dieser ableiten lässt, dass das Feuer tatsächlich die Überhand im Kampf der Elemente gewinnen kann, unter der Voraussetzung, dass sich eine übermäßige Anzahl an Atomen zu diesem Elementarstoff vereinen und diese Atomverbindung sich nicht aus irgendeinem Grund (aliqua re) wieder auflöse.176 Den gleichen Argumentationsgang führt Lukrez im Folgenden noch einmal für das Wasser durch: Auch dieses besitze das Potential, einen Untergang der Welt herbeizuführen, sofern die Atomverbindungen genug an Wassermasse bilden.177 Ein zweites ut fama est (V. 412) signalisiert, dass er dabei erneut mythische Erzählungen zu evozieren beabsichtigt, die dieses Zerstörungsszenario beschreiben. Da es, wie

172 Gale (1994) 33. 173 Vgl. ebd. 174 Zwar ist bekannt, dass es zum Phaethon-Mythos auch Dramen von Euripides und Aischylos gegeben hat, jedoch ist hier nicht zwangsläufig nur auf diese verwiesen, da der Plot wohl auch außerhalb dieser Stücke oft behandelt wurde. 175 Lucr. 5,406: quod procul a vera nimis est ratione repulsum. 176 Lucr. 5,407–410. 177 Lucr. 5,411–415.

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bereits gezeigt,178 verschiedene mythologische Ausformungen gegeben hat, deren prominenteste die deukalionische Flut gewesen ist, standen dem zeitgenössischen Rezipienten mehrere Möglichkeiten zur Verfügung, diese Allusion einzuordnen und einen passenden Mythos zu identifizieren. In der Weise, wie Lukrez den Phaethon-Mythos heranzieht, um dessen Potential für seine Argumentation zu nutzen, lassen sich deutlich methodische Ähnlichkeiten zu derjenigen Strategie erkennen, derer sich der ägyptische Priester in Platons Timaios bedient hat, um die mythisch geformten Konzepte Solons zu naturphilosophisch legitimierten umzudeuten.179 Wird diese Adaptationsweise im Timaios genutzt, um mithilfe des mythisch-historischen Vergangenheitsdiskurses neue Konzepte von zyklisch eintretenden Katastrophen zu autorisieren, verwendet sie Lukrez analog dazu, um sein Konzept von möglichen Weltuntergängen zu beglaubigen. Dadurch demonstriert er seinen Rezipienten, dass er unter Rückgriff auf die gleiche Ressource (den Phaethon-Mythos) zu einer nachvollziehbaren Alternativdeutung kommen kann, die auch eine andere Schlussfolgerung bedingt: Dass die im kulturellen Gedächtnis bewahrten Katastrophen zwar regional begrenzt gewesen seien, jedoch prinzipiell bewiesen, dass es letztlich zu einer vollständigen Zerstörung der Welt durch Wasser oder Feuer kommen könne. Insgesamt zeigt sich, dass die verschiedenen Konzepte des Weltuntergangs, die Lukrez in De rerum natura präsentiert, den Rezipienten mit verschiedenen potentiellen Szenarien konfrontieren, die durch ihre spezifischen Eigenarten näher oder ferner zu deren Lebenswirklichkeit stehen: Im ersten Buch stellt Lukrez seinen Lesern ein Gedankenexperiment vor Augen, das sie grundsätzlich mit der Idee vertraut macht, dass die Welt vergänglich ist, selbst wenn dieses Gedankenspiel lediglich dazu dient, ein von ihm abgelehntes kosmologisches Modell zu demontieren. Einen Schritt weiter geht die Darstellung am Ende des zweiten Buches, da der Untergang einer Welt hier als unausweichliche Tatsache implementiert wird. Selbst wenn kein genauer Zeitpunkt festgelegt wird, zu dem die Welt untergehen soll, lässt die Schilderung doch keinen Zweifel daran, dass der Verfall bereits eingesetzt hat und sich die Welt bereits ihrer Auflösung nähert, was die Rezipienten durch Autopsie und Empirie verifizieren können. Im fünften Buch wiederum geht Lukrez noch einen Schritt weiter, indem er versucht, seine Rezipienten mit dem Gedanken vertraut zu machen, dass die Welt jederzeit untergehen könnte und sie auf ein solches Szenario vorbereitet sein sollten.180 Anhand dieser schrittweisen Konkretisierung des Weltuntergangs lässt sich das didaktische Programm nachvollziehen, das Lukrez verfolgt: Kontinuierlich soll

178 Siehe Kap 3.1. 179 Siehe Kap. 4.2. 180 Zu dieser schrittweisen Einbeziehung der Rezipienten siehe ähnlich auch Galzerano (2017) 49.

Weltuntergangskonzepte im Corpus Ciceronianum

der Rezipient näher an das bedrückende Ereignis herangerückt werden und so die Möglichkeit erhalten, seine innere Einstellung entsprechend anzupassen. Dabei soll letztlich eine Gemütsruhe (mens pacata) erreicht werden, mit der der Leser sogar die Vorstellung, dass jeden Tag die Welt untergehen könnte, bewältigen kann. Mit einer solchen inneren Disposition wiederum könnte der gelehrige epikureische Schüler dann auch niedriger skalierten, alltäglichen Verlusterfahrungen mit Gelassenheit entgegentreten, ohne unter diesen zu leiden.

5.2 Weltuntergangskonzepte im Corpus Ciceronianum Zu Beginn seiner Tusculanae disputationes gibt Cicero an den expliziten Adressaten Brutus gerichtete Einblicke, welches Selbstverständnis hinter seiner Beschäftigung mit der Philosophie steht: cum defensionum laboribus senatoriisque muneribus aut omnino aut magna ex parte essem aliquando liberatus, rettuli me, Brute, te hortante maxime ad ea studia quae retenta animo, remissa temporibus, longo intervallo intermissa revocavi, et cum omnium artium, quae ad rectam vivendi viam pertinerent, ratio et disciplina studio sapientiae quae philosophia dicitur contineretur, hoc mihi Latinis litteris inlustrandum putavi, non quia philosophia Graecis et litteris et doctoribus percipi non posset, sed meum semper iudicium fuit omnia nostros aut invenisse per se sapientius quam Graecos aut accepta ab illis fecisse meliora, quae quidem digna statuissent in quibus elaborarent.181 Als ich endlich von meiner Arbeit als Verteidiger (vor Gericht) und meinen senatorischen Pflichten gänzlich oder zumindest großteils befreit war, habe ich mich wieder, vor allem auf deine Mahnung hin, Brutus, denjenigen Studien zugewandt, die ich, nachdem ich sie im Geiste (zwar) festgehalten, unter dem Zwang der Umstände (aber) zurückgestellt (und) für eine lange Zeit unterbrochen hatte, erneut aufgenommen. Und da nun der Sinn und die Lehre aller Wissenschaften, die den rechten Weg des Lebens betreffen, im Studium der Weisheit, die man Philosophie nennt, enthalten sind, glaubte ich, dass es mir zukomme, dieses in lateinischen Schriften zu erläutern, nicht weil die Philosophie aus griechischen Büchern und bei griechischen Lehrern nicht gelernt werden könnte, sondern weil es immer meine Überzeugung gewesen ist, dass die Unseren [scil. die Römer] alles entweder von selbst aus verständiger als die Griechen erfunden oder (alles) verbessert hatten, was von jenen übernommen worden ist, jedenfalls was sie als der Beschäftigung würdig angesehen hatten.

181 Cic. Tusc. 1,1.

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Aus dieser programmatischen Einleitung wird deutlich, dass sich die Römer aus Ciceros Perspektive nicht etwa mit einer Rolle als passive Rezipienten begnügen, sondern einerseits genuine Eigenleistungen vorzuweisen haben (nostros invenisse per se), andererseits jegliches kulturelle Wissen (omnia), das aus anderen Ländern importiert worden ist, produktiv adaptieren. Anhand des konkreten Beispiels der Philosophie verneint er dabei nicht, dass es sich bei dieser um eine originär griechische Kulturleistung handelt, die nach Rom transferiert wird, inszeniert diese Rezeption jedoch als einen selektiven Vorgang, bei dem die Römer Elemente der Philosophie vor dem Hintergrund ihres eigenen kulturellen Wissens auswählen und gegebenenfalls – mit Verbesserungen – modifizieren, um sie an spezifisch römische Bedürfnisse anzupassen.182 Damit charakterisiert Cicero seine eigene Auseinandersetzung mit der Philosophie also »als aktiven Beitrag zu deren Weiterentwicklung, welcher die an der zeitgenössischen philosophischen Praxis in Griechenland [seiner] Meinung nach wahrzunehmenden Defizite kompensiert.«183 Vor diesem Hintergrund sollen im Folgenden Passagen aus dem Corpus Ciceronianum untersucht werden, in denen Weltuntergangskonzepte expliziert werden, um deutlich zu machen, für welche Kontexte Cicero welche philosophischen Konzeptbausteine evoziert und argumentativ vermittelt. In seinem Dialog De natura deorum lässt Cicero Figuren auftreten, die jeweils als prototypische Vertreter des Kepos, der Stoa und der Akademie verstanden werden können.184 Wie bereits aus dem Titel des Werkes hervorgeht, diskutieren die Gesprächspartner – der Epikureer Gaius Velleius, der Stoiker Quintus Lucilius Balbus und der akademische Skeptiker Gaius Aurelius Cotta – über ihre jeweiligen Anschauungen zum Wesen der Götter. Die ebenfalls anwesende Figur des ungefähr dreißig Jahre alten Cicero fungiert dabei hauptsächlich als Zuhörer, nachdem sie zu Beginn des ersten Buches als auktoriale Erzählinstanz noch die Motivation geschildert hat, aus der heraus das Werk verfasst worden sei. Daraufhin beginnt Velleius damit, die epikureische Position zu erläutern,185 wobei er sich zunächst in einem

182 Siehe zum ciceronianischen Selbstverständnis auch Müller (2015), der eine ausführliche Diskussion weiterer methodologischer Passagen bietet. 183 Müller/Zini (2018) 9. 184 Zumindest für Vellius und Balbus trifft Cicero diese Aussage auch explizit; Cic. nat. deor. 1,15: quod cum saepe alias tum maxime animadverti cum apud C. Cottam familiarem meum accurate sane et diligenter de dis inmortalibus disputatum est. nam cum feriis Latinis ad eum ipsius rogatu arcessituque venissem, offendi eum sedentem in exedra et cum C. Velleio senatore disputantem, ad quem tum Epicurei primas ex nostris hominibus deferebant. aderat etiam Q. Lucilius Balbus, qui tantos progressus habebat in Stoicis, ut cum excellentibus in eo genere Graecis compararetur. Vgl. zu diesem Figurentypus auch Wildberger (2006) I XIII: Diese seien »bestens qualifiziert, sich auf höchstem Niveau aktiv und kritisch an der Diskussion zu beteiligen […].« 185 Wie bereits Diels (1879) 529–550 gezeigt hat, hat Cicero wohl auf Philodems De pietate zurückgegriffen, um diese epikureische Position zu konstruieren; siehe dazu ebenfalls Obbink (1994)

Weltuntergangskonzepte im Corpus Ciceronianum

geradezu doxographischen Exkurs daran macht, die Theorien anderer Philosophen zu diskreditieren. Besonders die platonische Lehre eines Schöpfergottes, der ein Weltgefüge geschaffen habe, das ewig existiere, sei absurd, da alles Geschaffene letztlich wieder aufgelöst werden müsse.186 Demgegenüber habe Epikur, den Velleius zu einer geradezu prophetischen Gestalt stilisiert, die wahren Erkenntnisse darüber verkündet, wie die Welt – bzw. die Welten – entstanden sind und entstehen werden: docuit enim nos idem qui cetera, natura effectum esse mundum, nihil opus fuisse fabrica, tamque eam rem esse facilem, quam vos effici negetis sine divina posse sollertia, ut innumerabiles natura mundos effectura sit efficiat effecerit.187 Derselbe [scil. Epikur], der die übrigen Dinge (gelehrt hat), hat uns gelehrt, dass die Welt durch die Natur(gesetzlichkeit) hervorgebracht worden war, (und) dass es gar nicht nötig gewesen war, (sie) durch Handwerkskunst (zu erschaffen), und dass diese Genese, die ihr nicht ohne göttliche Kunstfertigkeit geschehen lassen wollt, so einfach sei, dass die Natur(gesetzlichkeit) unzählig viele Welten erschaffen wird, erschafft (und) erschaffen hat.

Vor dem Hintergrund der atomistischen Lehre sei es also absurd, sowohl einen einzigartigen Schöpfungsakt anzunehmen als auch eine bestimmte göttliche persona, von der dieser ausgegangen sein sollte. Implizit scheint an dieser Stelle durch, dass die entstandenen Welten letztlich als zusammengesetzte Strukturen auch wieder vergehen müssen, auch wenn Velleius dies nicht explizit erwähnt. Cotta jedoch, der in direktem Anschluss ausführlich gegen die vorgebrachten epikureischen Thesen argumentiert, spricht dieses Faktum an, bringt ihm aber nur insofern größeres Interesse entgegen, als dass er behauptet, die Götter könnten gemäß der Konzeption Epikurs nicht als ewig angesehen werden, da dies seinen eigenen philosophischen Prämissen widerspreche.188

203–225. Eine andere Forschungsposition geht wiederum davon aus, dass es sich eher um eine gemeinsame epikureische Vorlage gehandelt haben könnte, auf die sowohl Cicero als auch Philodem zurückgegriffen haben könnten; siehe dazu Erler (1994) 328. 186 Cic. nat. deor. 1,20. Diese Kritik taucht in allen Kontexten auf, in denen gegen die platonischen Konzeptionen, wie sie im Timaios dargestellt sind, polemisiert wird; siehe etwa oben Kap. 4.3. 187 Cic. nat. deor. 1,53. 188 Cic. nat. deor. 1,114: nec tamen video quo modo non vereatur iste deus beatus ne intereat, cum sine ulla intermissione pulsetur agiteturque atomorum incursione sempiterna, cumque ex ipso imagines semper afluant. ita nec beatus est vester deus nec aeternus. Schäublin (1990) 97 macht darauf aufmerksam, dass Cotta keine tatsächlichen Argumente gegen die atomistischen Grundthesen anführt, sondern lediglich betont, dass diese unwahrscheinlich seien. Siehe dazu auch Coleman (1960).

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Nach diesen platonischen Gegenargumenten kommt es anschließend Balbus zu, den kosmologischen Gesamtentwurf der Stoa darzustellen, von dem ausgehend sich das Wesen der Götter bestimmen lasse: Prinzipiell sei davon auszugehen, dass die gesamte Welt (mundus) durch einen einzigen göttlichen und alldurchdringenden Geist (unus divinus et continuatus spiritus) zusammengehalten werde.189 Dieser sorge im Wesentlichen dafür, dass alle regelmäßigen Vorgänge, wie etwa die Bewegung der Gestirne, kontinuierlich abliefen, und beweise, dass eine Welt, die eine solche göttliche Vernunft besitze, auch als Gottheit begriffen werden müsse.190 In einem späteren Schritt überträgt Balbus diese Eigenschaft auf ebendiese Gestirne, indem er sie als göttlich charakterisiert.191 Bemerkenswert ist, dass er in diesem Kontext sowohl der Welt als auch den Gestirnen das Attribut »ewig« (aeternus) zuweist. Dabei behauptet er vor allem, dass die wahrnehmbaren Bewegungsabläufe der Gestirne bereits seit unbegrenzter Zeit bestünden und weiterhin bestehen werden,192 wodurch terminologische Anklänge an Aristoteles’ Konzept einer ewig existenten Welt deutlich werden.193 Um diese Ewigkeitsattribute einordnen zu können, muss zunächst vorangestellt werden, dass in der stoischen Physik das »Universum (πᾶν) […] aus dem kugelförmigen Kosmos (ὅλον oder κόσμος/uniuersum oder mundus), und dem Vakuum (κενόν), einer grenzenlosen Leere außerhalb dieser Weltkugel«194 , besteht. Dieser Kosmos wiederum durchläuft verschiedene Zustände, deren Anordnung (διακόσμησις oder διάταξις) als vergänglich angesehen wird, wobei die Gesamtheit sowie die Abläufe als ewig bezeichnet werden,195 da der Kosmos einerseits nicht zu nichts vergeht und sich andererseits alles in einer immerwährenden Abfolge gleicher Ereignisse wiederholt.196 Charakterisiert Balbus in seiner

189 Darunter wird im philosophischen System der Stoa das aktive Prinzip (τὸ ποιοῦν) verstanden, welches als Gott (θεός/deus) bezeichnet wird, im Gegensatz zum passiven Prinzip (τὸ πάσχον) der qualitätslosen Materie; vgl. Wildberger (2006) I 3f. Noch genauer könnte man wohl sagen, dass Ciceros spiritus auf Chrysipps πνεῦμα verweist, eine Kombination aus Luft und »schöpferischem Feuer« (πῦρ τεχνικόν), das »god or reason’s immediate vehicle for controlling the world’s constitution and behavior« (Cooper [2009] 103) darstellt. Zu Chrysipps πνεῦμα siehe etwa Alex. Aphr. mixt. 216,14–17: ἡνῶσθαι μὲν ὑποτίθεται [scil. Chrysipp] τὴν σύμπασαν οὐσίαν, πνεύματός τινος διὰ πάσης αὐτῆς διήκοντος, ὑφ’ οὗ συνέχεταί τε καὶ συμμένει καὶ σύμπαθές ἐστιν αὑτῷ τὸ πᾶν […]. 190 Cic. nat. deor. 2,19. 191 Cic. nat. deor. 2,39. 192 Cic. nat. deor. 2,15. 193 Siehe zu diesem oben Kap. 4.3. Dass die Stoiker auf die Konzeptionen Platons und Aristoteles’ reagiert und ihre Thesen in Auseinandersetzung mit deren Schriften verfasst haben, diskutieren etwa Hahm (1977) 185–195, Mansfeld (1979) 138–144 sowie Long (1985) 16–20. 194 Wildberger (2006) I 3. 195 Vgl. Hahm (1977) 193. 196 Wildberger (2006) I 50 veranschaulicht dies mithilfe eines eindrücklichen, an SVF 2,625 angelehnten Bildes: »Weil Gott sich nur auf eine einzige Weise, nämlich vollkommen, bewegen kann und will […], ereignet sich alles immer wieder exakt so, wie es schon in der letzten Weltperiode geschah.

Weltuntergangskonzepte im Corpus Ciceronianum

Argumentation also etwas als ewig, bezieht er sich offenbar auf den Gesamtkosmos sowie auf die zyklischen Abläufe, die sich in diesem ereignen,197 wohingegen er die einzelnen Strukturen der differenzierten Welt als entstandene Entitäten und damit als letztlich vergänglich kategorisiert.198 Die Umstände, die dazu führen, dass eine ausdifferenzierte Weltanordnung schließlich aufgelöst wird, beschreibt Balbus wie folgt: sunt autem stellae natura flammeae; quocirca terrae maris aquarum vaporibus aluntur is qui a sole ex agris tepefactis et ex aquis excitantur; quibus altae renovataeque stellae atque omnis aether effundunt eadem et rursum trahunt indidem, nihil ut fere intereat aut admodum paululum, quod astrorum ignis et aetheris flamma consumat. ex quo eventurum nostri putant id de quo Panaetium addubitare dicebant, ut ad extremum omnis mundus ignesceret, cum umore consumpto neque terra ali posset nec remearet aer, cuius ortus aqua omni exhausta esse non posset: ita relinqui nihil praeter ignem, a quo rursum animante ac deo renovatio mundi fieret atque idem ornatus oreretur.199 Die Gestirne sind aber von Natur aus feurig. Deshalb werden sie auch durch die Dünste der Erde, des Meeres und der übrigen Gewässer ernährt, die von der Sonne aus den erwärmten Böden und den Gewässern erzeugt werden. Die hohen und erneuerten Gestirne und der ganze Äther ergießen dasselbe auf diese und ziehen es wieder von dort nach oben, sodass beinahe nichts verloren geht oder gerade nur das Wenige, was das Feuer der Himmelskörper und die Flamme des Äthers verbrauchen. Deshalb glauben die Unseren [i. e. die Stoiker], dass dies geschehen werde, was, wie sie sagten, Panaitios bezweifelte, dass am Ende der ganze Kosmos zu Feuer werde, weil, nachdem die Feuchtigkeit völlig aufgezehrt worden ist, die Erde dann weder ernährt werden noch die Luft in die Höhe emporsteigen könnte, deren Entstehung nicht möglich wäre, wenn alles Wasser aufgebraucht worden ist: So bliebe schließlich nichts übrig außer Feuer, von dem wiederum – lebendig und göttlich – die Erneuerung der Welt ausginge und derselbe Kosmos entstünde.

Unendliche Male wird Sokrates den Schierlingsbecher leeren, und wieder und wieder werden Sie diese Seite lesen. Was immer das Leben schafft, läßt es zerfallen, und was es hat zerfallen lassen, setzt es wieder zusammen« (Kursivierungen im Original). Siehe ebd. II 557f. sowie Gourinat (2002) für weitere Literatur zur Frage, inwieweit eine absolute Identität von Individuen in den einzelnen Weltperioden angenommen worden ist. 197 So etwa auch Cic. nat. deor. 2,15: […] multo magis in tantis motionibus tantisque vicissitudinibus, tam multarum rerum atque tantarum ordinibus, in quibus nihil umquam inmensa et infinita vetustas mentita sit, statuat necesse est ab aliqua mente tantos naturae motus gubernari. 198 Für stoische Testimonien zum ewigen Ablauf von Entstehen und Vergehen der differenzierten Welt siehe etwa SVF 2,526-528, 590, 620. 199 Cic. nat. deor. 2,118.

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Die an dieser Stelle präsentierte Theorie wird zunächst einmal keinem spezifischen Stoiker explizit zugeordnet,200 sondern als Konsens inszeniert. Die Erklärung folgt dabei einer Logik, die darauf aufbaut, dass die Gestirne grundsätzlich aus Feuer bestünden (stellae natura flammeae) und deshalb Brennstoff benötigten, um stetig existieren zu können. Die Natur dieses Feuers expliziert Balbus bereits zuvor, indem er den Standpunkt des Kleanthes zu diesem Thema rezitiert. Insgesamt gebe es zwei Arten von Feuer, das zerstörerische, das den Menschen im Alltag geläufig sei, und das er als »Vernichter und Verzehrer aller Dinge« (confector et consumptor omnium) tituliert, sowie die den Lebewesen innewohnende Wärme, die dazu dient, die Körperfunktionen aufrecht zu erhalten und in der stoischen Philosophie auch als das »schöpferische Feuer« (πῦρ τεχνικόν)201 bezeichnet wird.202 Da aus dieser Unterscheidung abgeleitet wird, dass die Gestirne aus der prokreativen Art von Feuer bestünden, ergibt sich mit Blick auf die zuvor angeführte Passage ein Paradoxon: »If the sun indeed consists in πῦρ τεχνικόν, how can it be said to ›consume‹ the other elements?«203 R. Salles unterbreitet dafür den Lösungsvorschlag, dass selbst das »schöpferische Feuer« nicht gänzlich die Natur dieses Elements ablegen könne und deshalb darauf angewiesen sei, mit Brennmaterial versorgt zu werden, welches wiederum durch den stetigen Prozess der aufsteigenden Dämpfe zur Verfügung gestellt werde.204 Der notwendige Nebeneffekt, der durch den langsamen, aber stetigen Verbrauch des Brennmaterials entstehe, könne wegen der grundsätzlichen Beschaffenheit des passiven Prinzips (Materie) auch nicht durch das aktive Prinzip (Gott) verhindert werden. Bei dieser Weltanordnung, die letztlich zu ihrer eigenen Auflösung in Feuer führe, handele es sich demnach nach stoischer Auffassung dennoch um die bestmögliche conditio, die aufgrund der vorliegenden Prämissen erreicht werden könne und deshalb so bestehe. Zugleich betont Balbus jedoch ausdrücklich, dass auch innerhalb der Stoa über dieses Szenario keine einheitliche Meinung bestanden habe. Er führt dafür Panaitios als skeptischen Stoiker an, der wiederum – so die doxographische Tradition – keine Auflösung der Weltanordnung, sondern deren ewige Existenz vertreten habe.205 Dass es auch innerhalb der stoischen Philosophie, die in der modernen 200 Salles (2005) 57 Anm. 4 spricht sich zwar dafür aus, dass Cicero an dieser Stelle die Position des Kleanthes wiedergibt, da an vorheriger Stelle dessen Theorie zur Beschaffenheit der Gestirne zitiert wird. Jedoch ist diese exklusive Zuordnung m. E. nicht zwingend. 201 Dieses kreative Feuer beschreibt Long (1985) 22 treffend als »the manifestation or form of god’s activity in matter.« 202 Cic. nat deor. 2,40f. 203 Siehe Lapidge (1973) 272f. 204 Vgl. Salles (2005) bes. 69f. Diese Konzeption richtet sich offensichtlich auch gegen die von Aristoteles in der Meteorologie vertretene Vorstellung, dass alle Verdunstungen als Niederschlag wieder zur Erde zurückkämen, wenn auch an anderen Stellen; siehe Kap. 4.3. 205 Für dessen Ansicht siehe die Fragmente 64–66; 68 ed. van Straaten (3 1962).

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Forschung lange Zeit besonders vor dem Hintergrund doxographischer Testimonien als streng orthodoxe Institution angesehen wurde, voneinander abweichende Positionen gegeben hat, deren einzelne Vertreter sich dennoch mit dem Sammelbegriff »Stoiker« bezeichnet haben, hat bereits I. Ludlam zeigen können.206 Vor dem Hintergrund dieser These soll im Folgenden zunächst dargestellt werden, welche verschiedenen Positionen und Variationen einer stoischen Ekpyrosis-Lehre anhand der fragmentarischen Überlieferungssituation nachgezeichnet werden können, um zu rekonstruieren, welche philosophischen Wissensbausteine Cicero für Balbus’ Konzept eines stoischen Weltenbrandes miteinander kombiniert hat. In den Darstellungen späterer Doxographen wird zunächst einmal postuliert, dass die drei Hauptvertreter der frühen Stoa eine grundsätzliche Annahme geteilt hätten: »Zenon, Kleanthes und Chrysipp vertreten die Meinung, dass sich die Substanz in Feuer – wie in einen Samen – verwandelt und dass sich aus diesem wieder genau dieselbe Weltanordnung entwickelt, wie sie zuvor war.« 207 Prinzipiell sind diese Stoiker demnach wohl davon ausgegangen, dass ein ewiger Kreislauf zwischen der ausdifferenzierten Weltordnung und dem Zustand des Feuers besteht, aus dem sich wiederum dieselben Strukturen herausbilden, die vor der Ekpyrosis bestanden haben. Die konzeptuelle Metapher des Samens, mit der dieser Zustand nach der Auflösung veranschaulicht wird, betont die konstruktive Disposition, die das Feuer in dieser Phase einnimmt, da aus diesem »Samen« die differenzierte Welt erneut entsteht. Dementsprechend behaupten spätere Doxographen auch, dass bereits Zenon eine zweifache Semantik des Feuers gelehrt habe, da er diesem einerseits prokreative, andererseits destruktive Eigenschaften beigemessen haben soll.208 In diesem Kontext habe Zenon das Feuer dann auch mit »Gott« (etwa SVF I 157) und »Natur« (etwa SVF I 171) identifiziert.209 Dass derartigen doxographischen

206 Siehe Ludlam (2003). Die zentrale These seiner Abhandlung lautet, dass die Stoa – anders als die übrigen bedeutenden Philosophenschulen des Hellenismus – weder eine institutionalisierte Schule mit eigenem Besitz gewesen sei noch einzelne Schuloberhäupter besessen habe. Er vermutet hingegen, dass es sich eher um »successive circles of master and pupils – schools in the older and more usual sense« (54) gehandelt habe. Daraus resultiere wiederum, dass sich diese Philosophen auf die Lehren Zenons von Kition als verbindendes und autoritätsstiftendes Element berufen konnten, wobei sie diese zugleich in stark voneinander abweichender Weise auszulegen vermochten (vgl. ebd. 55). 207 Stob. ecl. 1, p. 171,2–5 ed. Wachsmuth (1884) (= SVF II 596): Ζήνωνι καὶ Κλεάνθει καὶ Χρυσίππῳ ἀρέσκει τὴν οὐσίαν μεταβάλλειν οἷον εἰς σπέρμα τὸ πῦρ, καὶ πάλιν ἐκ τούτου τοιαύτην ἀποτελεῖσθαι τὴν διακόσμησιν οἷα πρότερον ἦν. 208 Stob. ecl. 1, p. 213,15–20 ed. Wachsmuth (1884) (= SVF I 120): Ζήνων τὸν ἥλιόν φησι καὶ τὴν σελήνην καὶ τῶν ἄλλων ἄστρων ἕκαστον εἶναι νοερὸν καὶ φρόνιμον, πύρινον πυρὸς τεχνικοῦ. δύο γὰρ γένη πυρός, τὸ μὲν ἄτεχνον καὶ μεταβάλλον εἰς ἑαυτὸ τὴν τροφήν, τὸ δὲ τεχνικόν, αὐξητικόν τε καὶ τηρητικόν, οἷον ἐν τοῖς φυτοῖς ἐστι καὶ ζῴοις, ὃ δὴ φύσις ἐστὶ καὶ ψυχή […]. 209 Vgl. Mansfeld (1979) 151.

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Zuschreibungen jedoch mit Vorsicht begegnet werden sollte, hat K. Algra in einer instruktiven Studie deutlich gemacht: »Most of the relevant sources are rather late and do not hesitate to report what in their own days was considered to be accepted Stoic doctrine under the name label ›Zeno‹ or ›Zeno and his school‹.«210 Mit Bezug auf dessen Untersuchung bemerkt auch J. Wildberger, dass das, »was Zenon bezeugtermaßen zur Physik geschrieben hat, […] auch im Umfang zu wenig [ist], als daß er darin eine detailliert ausgearbeitete, umfassende Theorie hätte vorlegen können.«211 Welche spezifischen Komponenten die kosmologischen Konzepte Zenons also besessen haben, kann lediglich vermutet werden. Eines der wenigen direkten Zitate, das ihm eindeutig zugeordnet werden kann,212 ist bei dem Neuplatoniker Alexander von Lykopolis überliefert und fasst zumindest die Grundannahme zu Zenons Ekpyrosis-Konzept in prägnanter Form zusammen: καλῶς γὰρ δὴ πρὸς τὸν Ζήνωνος τοῦ Κιτιέως εἴρηται λογον, ὃς ›τὸ πᾶν ἐκπυρωθήσεται‹ λέγων ›πᾶν τὸ καῖον ἔχον 213 καύσῃ ὅλον καύσει, καὶ ὁ ἥλιος πῦρ ἐστιν καὶ ὃ ἔχει οὐ καύσει;‹ ἐξ οὗ συνήγετο, ὡς ᾤετο, τὸ πᾶν ἐκπυρωθήσεσθαι.214

Es wurde nämlich gut gegen die Lehre Zenons von Kition argumentiert, der sagte: »Das All wird verbrannt werden. Alles, was verbrennt, wird es gänzlich verbrennen, wenn es zur Verfügung hat, was es verbrennt. Und die Sonne ist Feuer und wird sie (das), was sie zur Verfügung hat, nicht verbrennen?« Daraus ergebe sich, wie er meinte, dass das All verbrannt werden werde.

Ausgehend von den Prämissen, dass einerseits Feuer das ihm zur Verfügung stehende Brennmaterial vollständig aufbrauche und andererseits die Sonne mit Feuer gleichzusetzen sei, stellt Zenon also die Schlussfolgerung auf, dass das All – verstanden als die Strukturen der differenzierten Welt bzw. der Weltanordnung215 – der Sonne als Brennstoff diene und deshalb letztlich verbrennen werde. Daraus ergibt sich schließlich der Zustand, der im zuvor angeführten doxographischen Bericht als »Samen« (σπέρμα) bezeichnet wird.216 Deutlich ist, dass der Sonne in diesem

210 Algra (2003) 10f. 211 Wildberger (2006) II 449. 212 Vgl. Mansfeld (1979) 148: »This must come from Zeno’s work On the Whole, i. e. the Universe (Περὶ τοῦ ὅλου), in which he treated the genesis and destruction of the universe.« 213 Zur Konjektur vgl. van der Horst/Mansfeld (1974) 74 Anm. 293. 214 Alex. Lykop. 12, p. 19,2–6 ed. Brinkmann (1895). 215 Vgl. Mansfeld (1979) 149 Anm. 58. 216 In diesem Zusammenhang diskutiert die moderne Forschung, inwieweit von einem »bestmöglichen Zustand des Feuers« gesprochen werden kann; siehe dazu Long (1985) 24f. Überzeugend erscheint m. E. dazu die Position von Wildberger (2006) II 556: »Sicherlich zutreffend ist dagegen, daß der

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Fragment die Rolle des zentralen Akteurs zukommt; sie wird nicht lediglich durch die aufsteigenden Dämpfe ernährt, sondern verbrennt aktiv die ihr zur Verfügung stehende Substanz. Die bereits thematisierte elementare Doppelsemantik wird spätestens von Kleanthes mit der Terminologie von schöpferischem und nicht-schöpferischem Feuer kategorisiert.217 Im Zuge der auch für ihn bezeugten Ekpyrosis-Vorstellung scheint er angenommen zu haben, dass die Gestirne, die aus reinem πῦρ τεχνικόν bestünden, von der Sonne assimiliert werden, sodass diese gewissermaßen zu einer allumfassenden Wesenheit ausgeweitet wird.218 Für diesen Zustand des reinen Feuers verwendet Kleanthes den Terminus φλόξ,219 der zumeist als »Flamme« übersetzt wird, jedoch ebenfalls die Bedeutung »Wärme« besitzen kann.220 Eine solche mehrdeutige Semantik wird auch der doppelten Natur des Feuers gerecht, das gerade im Moment der Ekpyrosis auflösende, wie auch schaffende Qualität besitzt, da aus ihm erneut die Strukturen der differenzierten Welt hervorgehen.221 Für Chrysipp wiederum ist bezeugt, dass er die Ekpyrosis nicht nur als notwendig eintretendes, sondern auch als vollkommen positives Ereignis verstanden haben soll: So habe er explizit betont, dass nicht etwa von einem »Tod des Kosmos« gesprochen werden dürfe (οὐ ῥητέον ἀποθνήσκειν τὸν κόσμον), wenn die Weltordnung aufgelöst werde, da »Tod« letztlich bedeute, dass die Seele vom Körper getrennt werde.222 In dieser Form bestehe jedoch vielmehr eine vollkommene Identität von

Kosmos beim Weltenbrand nicht schlechter ist als die differenzierte Welt […]. Präziser wäre es allerdings zu sagen, daß der Kosmos in jedem Augenblick jeweils in dem dann jeweils bestmöglichen qualitativen Zustand ist und die gesamte Ereignisfolge eines jeden Weltzyklus die beste aller denkbaren Folgen.« 217 Vgl. auch Mansfeld (1979) 151. 218 Plut. comm. not. 1075D (= SVF I 510): ἔτι τοίνυν ἐπαγωνιζόμενος ὁ Κλεάνθης τῇ ἐκπυρώσει λέγει τὴν σελήνην καὶ τὰ λοιπὰ ἄστρα τὸν ἥλιον ἐξομοιώσειν πάντα ἑαυτῷ καὶ μεταβαλεῖν εἰς ἑαυτόν. ἀλλ’ ὅτι οἱ ἀστέρες, θεοὶ ὄντες, πρὸς τὴν ἑαυτῶν φθορὰν συνεργοῦσι τῷ ἡλίῳ, συνεργοῦντες τι πρὸς τὴν ἐκπύρωσιν. 219 Phil. incorr. mund. 90 (= SVF I 511). Siehe auch SVF I 497 für die dem Kleanthes zugeschriebene Phrase ἐκφλογίσθεντος τοῦ πάντος. 220 Siehe etwa Mansfeld (1979) 155. Für Zeugnisse, in denen der Terminus »Wärme« speziell der Sonne bedeutet, siehe LSJ s.v. »φλόξ« I 3. Überraschend ist, dass Salles (2005) 65 Anm. 13 diese Nebenbedeutung konstatiert, aber eine doppeldeutige Lesart nicht in Betracht zieht. 221 Der von Salles (2009) konstruierte scharfe Kontrast zwischen Kleanthes und Chrysipp ist daher m. E. überspitzt, da nicht klar ist, ob in Kleanthes’ originalen Abhandlungen tatsächlich die Zerstörung (φθορά) der Weltanordnung postuliert wurde oder ob dies lediglich eine polemische Zuschreibung späterer Gegner ist. Zusätzlich spräche eine solche negative Komponente der Ekpyrosis gegen die von Mansfeld (1979) 174 wahrscheinlich gemachte These, dass die Vereinigung der Gestirne durch die Sonne als kosmische Apotheose gelesen werden könne. 222 Plut. Stoic. repugn. 1052C (= SVF II 604).

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»Zeus« und der zu Äther gewordenen Materie,223 die jener gänzlich in sich absorbiert hat,224 um den »Samen« für eine neue Weltordnung zu bilden. Anders als Kleanthes soll Chrysipp dieses Resultat der Ekpyrosis nicht etwa als φλόξ, sondern als αὐγή (»Lichtschein«, speziell auch »Sonnenstrahl«) bezeichnet haben.225 Diese terminologische Neukodierung eliminiert eine potenziell destruktive Semantik, die Kleanthes’ »Flamme« bei den Rezipienten evoziert haben könnte, und unterstreicht, dass diese Phase absoluten Lichtes vollkommen positiv konnotiert ist. Nach dem Zustand der undifferenzierten Materie, die Zenon als Feuer, Kleanthes als Flamme und Chrysipp als Licht bezeichnet hat, folgt der kosmogonische Prozess, aus dem die Strukturen der differenzierten Weltanordnung resultieren.226 Dass diese stoischen Konzepte bestimmte Wissenselemente aus der frühgriechischen Naturphilosophie rezipiert und adaptiert haben, wird in der modernen Forschung weithin akzeptiert.227 So sind etwa Verbindungen zwischen der bereits dem Anaximander zugeschriebenen ἀναθυμίασις-Lehre, nach der eine schrittweise Austrocknung der Welt erfolge,228 und der stoischen Konzeption, dass die Gestirne durch die von Erde und Meer aufsteigenden Dämpfe ernährt werden,229 offenkundig. Ebenso evident ist es, dass stoische Philosophen ebenfalls die Feuer-Lehre Heraklits zur Autorisierung ihrer eigenen Konzeption vom Feuer als Urelement par excellence nutzbar gemacht haben und unter anderem aufgrund dieser interpretatio Stoica die originäre Vorstellung Heraklits nur noch eingeschränkt rekonstruierbar

223 Plut. comm. not. 1077E (= SVF II 1064): λέγει γοῦν Χρύσιππος ἐοικέναι τῷ μὲν ἀνθρώπῳ τὸν Δία καὶ τὸν κόσμον, τῇ δὲ ψυχῇ τὴν πρόνοιαν· ὅταν οὖν ἐκπύρωσις γένηται, μόνον ἄφθαρτον ὄντα τὸν Δία τῶν θεῶν, ἀναχωρεῖν ἐπὶ τὴν πρόνοιαν, εἶτα ὁμοῦ γενομένους ἐπὶ μιᾶς τῆς τοῦ αἰθέρος οὐσίας διατελεῖν ἀμφοτέρους. 224 Plut. comm. not. 1065B: […] ὅταν ὁ Ζεὺς εἰς ἑαυτὸν ἀναλύσας τὴν ὕλην ἅπασαν εἷς γένηται καὶ τὰς ἄλλας ἀνέλῃ διαφοράς […]. 225 Phil. incorr. mund. 90 (= SVF I 511). Die Wahl des »Sonnenlichtes« könnte andeuten, dass die Sonne in Chrysipps Ekpyrosis-Konzept immer noch eine zentrale Rolle eingenommen haben könnte, was jedoch aus den Testimonien nicht explizit hervorgeht. 226 Zu diesem generativen Prozess, dessen einzelne Stationen in der Forschung kontrovers diskutiert werden, siehe etwa Long (1985) 22f., Cooper (2009) bes. 96, Salles (2009) 127–129, ders. (2015). 227 So etwa Furley (1999) 435: »It is as if the Stoics deliberately combined numerous elements from earlier theories. The emphasis on fire recalls Heraclitus, although there is much disagreement among scholars about the nature of Heraclitus’ own doctrines (some of the important testimonia about Heraclitus actually come from Stoic sources, so that it is difficult to separate what is genuinely Heraclitean from Stoic interpretation). The cosmogonic role of a transcendental divine intelligence recalls Anaxagoras, as well as Plato, and the embryological model of the seed goes back at least so far, if not even to Thales and Anaximander themselves, the founders of the Greek cosmological tradition.« 228 Siehe Kap. 4.1. 229 Ähnlich wie in De rerum natura wird den Stoikern auch in Alex. Aphr. in meteor. 61,34–62 (= SVF II 594) diese Lehre – angeblich im Anschluss an Heraklit – zugeschrieben.

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ist.230 Doch auch die Konzeption eines kosmischen Zyklus, den Empedokles gelehrt hat, scheint systematische Schnittstellen mit den Konzepten der Stoa aufzuweisen, was auch M. van Straaten hervorhebt:231 In Empedokles’ System führen die beiden ewigen Wirkkräfte Liebe (Φιλότης) und Streit (Νεῖκος) dazu, dass die vier Grundelemente – Feuer, Luft, Wasser und Erde –, die als »Wurzeln« (ῥιζώματα) oder »Glieder« (γυῖα) bezeichnet werden, zwischen den Zuständen vollständiger Separation und perfekter Verbindung im kugelförmigen, göttlichen Sphairos alternieren.232 Während dieses kosmischen Zyklus ereignet sich mindestens eine Weltentstehung, während der sich die Strukturen der differenzierten Welt herausbilden, welche letztlich wieder vergehen. Im stoischen System – so van Straaten – entspreche auf systematischer Ebene der Zustand des reinen Feuers dem empedokleischen Sphairos, da in beiden Fällen ein geradezu perfekter Status erreicht sei. Gerade mit Blick auf den von C. Ferella vertretenen Standpunkt, nach dem sich bei Empedokles die differenzierte Welt und der Sphairos oppositionell gegenüberstünden, wäre diese systematische Ähnlichkeit noch evidenter, da auch in den stoischen Konzepten ein positiv konnotierter Untergang der Welt erfolgt, aus dem wiederum ein göttlicher Status des Kosmos resultiert. Nach Ferellas Ansatz folgt auf den Sphairos außerdem keine zweite Weltentstehung, sondern direkt die Ausformung der voneinander separierten Elementarmassen als Vorstufe einer erneuten Weltentstehung, was formal ebenfalls mit den stoischen Theorien korrespondiert, da auch in diesen die Elemente direkt aus dem Zustand absoluten Feuers hervorgehen. Dass es auf inhaltlicher Ebene zwischen den Systemen grundlegende Differenzen gibt, ist offensichtlich. Dennoch könnte gerade diese Systematik eines kosmischen Zyklus als ein potenzielles Grundgerüst der stoischen Kosmogonieund Ekpyrosislehre in Betracht gezogen werden, das dann wiederum im Hinblick auf divergierende Grundprämissen adaptiert und dadurch transformiert worden ist.233 Vor dem Hintergrund dieser frühstoischen Kosmologie erscheint die Ekpyrosislehre, die Cicero in De natura deorum dargestellt hat, in mehrfacher Hinsicht auffällig: Um eine orthodoxe Position zu evozieren, die von den Stoikern (nostri) angeblich nahezu einheitlich vertreten worden ist, verzichtet die Balbus-persona in der vorliegenden Darstellung auf komplexe Details bzw. terminologische Differenzen,

230 Siehe dazu oben Kap. 4.3. Auf dieses Abhängigkeitsverhältnis verweist auch die Figur des Cotta an späterer Stelle (3,35), indem sie behauptet, dass die Stoiker ihre Feuerlehre direkt von Heraklit bezogen hätten. 231 Vgl. van Straaten (1969) 27. 232 Siehe dazu Kap. 4.1. 233 Zu den Unterschieden und Gemeinsamkeiten der philosophischen Systeme siehe Mansfeld (1979) 170–173. Gerade in Hinblick auf den Ansatz Ferellas steht eine Evaluation dieses potenziellen Abhängigkeitsverhältnisses jedoch noch aus.

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die von bedeutenden Vertretern der Stoa gelehrt wurden. So entwirft sie eine kohärente naturwissenschaftliche Theorie, gemäß der die notwendige Ernährung der Gestirne zur Entflammung der Welt führt. Das Resultat der Ekpyrosis bezeichnet er dann geradezu trivial als »Feuer« (ignis), was dem grundsätzlichen Verständnis Zenons eher entspricht als den später entwickelten Konzepten von »Flamme/Hitze« (φλόξ) oder »Lichtschein« (αὐγή), die von Kleanthes und Chrysipp vertreten worden sind. Diese Methode der Reduktion auf grundlegende Überschneidungen wird jedoch nahezu konterkariert, indem Balbus in einem Nebensatz erwähnt, dass Panaitios von dieser »orthodoxen« Meinung abgewichen sei. Diese rhetorische Strategie wiederum evoziert bei den Rezipienten den Eindruck zweier, sich oppositionell gegenüberstehender Positionen innerhalb der Stoa, einerseits derjenigen, die das von Balbus vorgestellte Konzept der Ekpyrosis vertreten, andererseits der des Panaitios, der von dieser Vorstellung abgewichen sei. Der Nutzen, den Balbus aus dieser Darstellungsweise gewinnen kann, besteht darin, dass die Konzeptionen der Ekpyrosis, die im Detail vermutlich ausgesprochen komplex gewesen sind und kontrovers diskutiert wurden, auf ein leicht verständliches, auf naturphilosophischen Grundsätzen basierendes Modell kondensiert werden können. Diese konzise, aus wenigen homogenen Wissensbausteinen konstruierte Konzeption erscheint wiederum passend für den Gesamtkontext des Dialoges. Denn dessen Grundthematik besteht letztlich nicht etwa darin, die verschiedenen Positionen der stoischen Kosmologie aufzuarbeiten, sondern theologische Fragestellungen auszudiskutieren, die zwar im konkreten Fall der Stoa eng an deren kosmologische Lehren anknüpfen, jedoch in diesem Kontext durch vereinfachte Zusammenfassungen ausreichend bedient werden. Ein weiteres Beispiel dafür, wie Weltuntergangskonzepte im Corpus Ciceronianum verarbeitet werden, begegnet im ersten Buch der Schrift De divinatione, in dem Cicero seinen Bruder Quintus verschiedene divinatorische Praktiken vorstellen lässt. Dabei berichtet die Quintus-persona von einer speziellen Art (genus) von Menschen, die durch die Beobachtung natürlicher Vorgänge dazu in der Lage sei, bestimmte zukünftige Ereignisse zu prognostizieren, wobei explizit betont wird, dass es sich bei dieser Fähigkeit nicht um göttliche Eingebung, sondern um menschliche Kombinationsgabe handelt:234 nam et natura futura praesentiunt, ut aquarum eluviones et deflagrationem futuram aliquando caeli atque terrarum […].235

234 Cic. div. 1,111: […] horum sunt auguria non divini impetus, sed rationis humanae. 235 Cic. div. 1,111.

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Sie ahnen nämlich auch die zukünftigen Dinge mithilfe der Natur(gesetzlichkeit) voraus, wie die Überschwemmungen der Gewässer und den zukünftigen Brand, in den der Himmel und die Erdteile eines Tages aufgehen werden.

Zwar wird an dieser Stelle nicht ausdrücklich gesagt, was diese Szenarien der Auflösung verursacht, jedoch muss allein durch die inhärente Logik, dass sich diese zukünftigen Ereignisse durch in der Natur vorkommende Phänomene vorausahnen lassen, angenommen werden, dass es sich um einen naturgesetzlichen Vorgang handelt, der durch Beobachtung erkennbar ist. Zu denken wäre dabei etwa an die in De natura deorum vorgestellte Theorie einer allmählichen Austrocknung der Welt, was zumindest als Ursache für die vollständige Auflösung von Himmel und Erde in Feuer (futura deflagratio caeli atque terrarum) angenommen werden könnte. Die Flutkatastrophen (aquarum eluviones), die im Gegensatz zum zukünftigen Brandszenario ausdrücklich im Plural angeführt werden, verweisen wohl darauf, dass verschiedene Gewässer simultan über die Ufer treten. Beide Auflösungsszenarien werden parallel nebeneinander positioniert und explizit als zukünftige Ereignisse geschildert, die sich wiederum aus der Erkenntnis einer festgelegten Naturgesetzlichkeit (natura) ableiten lasse. Auf diese wird zwar nicht weiter eingegangen, jedoch scheint dabei die Theorie im Hintergrund zu stehen, dass sich aus den alltäglichen Naturbeobachtungen, wie Verdunstung, Kondensation und Niederschlag solche zukünftigen Naturkatastrophen ableiten lassen. Neben diesen in De natura deorum und in De divinatione aufgerufenen Konzeptionen finden sich in den Schriften Ciceros zudem Konzepte zyklischer Auflösung, die in der Tradition des platonischen Timaios stehen. Paradigmatisch kann hierfür eine Episode aus dem sogenannten Somnium Scipionis gelten, das als Traumbericht einen Teil der staatsphilosophischen Schrift De re publica bildet. Hier berichtet die Figur des Scipio, wie ihr im Traum kosmologisch-eschatologische Erkenntnisse von ihrem berühmten Großvater Publius Cornelius Scipio Africanus Maior sowie von ihrem Vater Paullus offenbart wurden.236 Das allmähliche Erkennen tieferer Wahrheiten dürfte, wie G. Wojaczek zeigt, an die schrittweise Initiation in einen Mysterienkult angelehnt sein und ist mit mystagogischer Terminologie narrativ ausgestaltet.237 In einer Episode des Traumes, von der Scipio berichtet, offenbart der Großvater Africanus, dass es nutzlos sei, individuellen Ruhm zu erlangen, wofür er dann verschiedene Gründe anführt, um seine These zu stützen. Im Kontext der vorliegenden Untersuchung ist vor allem eines dieser Argumente bedeutsam:

236 Norden (4 1957) 47 bezeichnet das Somnium Scipionis deshalb als »apokalyptische Schrift«. 237 Siehe dazu ausführlich Wojaczek (1983) bes. 124f.

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quin etiam si cupiat proles illa futurorum hominum deinceps laudes unius cuiusque nostrum a patribus acceptas posteris prodere, tamen propter eluviones exustionesque terrarum, quas accidere tempore certo necesse est, non modo non aeternam, sed ne diuturnam quidem gloriam assequi possumus.238 Ja sogar, wenn jene Nachkommenschaft künftiger Menschen kontinuierlich die Ruhmestaten eines jeden von uns, die sie von den Vätern erfahren hat, ihren Nachkommen überliefern wollte, könnten wir trotzdem wegen der Überschwemmungen und Verbrennungen der Erdteile, die sich notwendigerweise zu einer festgesetzten Zeit ereignen, nicht nur keinen ewigen, sondern nicht einmal einen lange währenden Ruhm erlangen.

Ähnlich wie im platonischen Timaios wird also die Vorstellung aufgerufen, dass das kulturelle Gedächtnis durch Flut- und Brandkatastrophen ausgelöscht werde.239 Jedoch unterscheidet sich das hier präsentierte Konzept in spezifischen Einzelbestandteilen von den Konzeptionen, die in der Kritias-Rede des Timaios modelliert werden: Zum einen fokussiert Africanus mit dem »Ruhm« (gloria) ein spezielles Element der Erinnerung, das im Zuge der Katastrophen untergeht, wohingegen der ägyptische Priester in Kritias’ Erzählung die genealogische Vergangenheitskonstruktion der Griechen hinterfragt und ad absurdum geführt hatte. Da beiden Figuren die Funktion von Wissensvermittlern zukommt, die einem Zuhörer Erkenntnisse offenbaren, die dieser zuvor nicht besessen hat, scheinen sie bewusst als parallele Charaktere konstruiert zu sein. Zum anderen spart Africanus keinen spezifischen Bereich der Welt aus, der von den Katastrophen verschont bleibt und deshalb als Hort des kulturellen Wissens fungieren kann, wie dies der Priester für Ägypten postuliert hatte. Dies wäre für die Argumentation des Somnium Scipionis auch unzweckmäßig: Wenn es zumindest einen Teil der Welt gäbe, in dem die Erinnerung an die Ruhmestaten der Vorfahren erhalten bliebe, wäre es nicht vollständig sinnlos, diese anstreben zu wollen. Die Beweisführung kann nur dadurch aufrechterhalten werden, wenn es einen solchen Erinnerungsspeicher gerade nicht gibt und alle Erdteile von den Katastrophen gemeinsam heimgesucht werden. Dies wird auch durch die Formulierung bestärkt, dass die Vernichtungen zu einem festgesetzten Zeitpunkt (tempore certo) eintreten werden, wohingegen die Brand- und Flutkatastrophen des Timaios gerade nicht durch regelhafte Ereignisse erzeugt werden: Erstere treten dadurch ein, dass die Gestirne von ihrer eigentlich regelmäßigen Bahn abweichen, letztere, indem die Götter direkt eingreifen, wenn sie die Erde reinigen wollen. Außerdem erklärt der

238 Cic. rep. 6,27. 239 Siehe zum Timaios Kap. 4.2.

Weltuntergangskonzepte im Corpus Ciceronianum

ägyptische Priester, dass die Fluten und Brände lediglich als prototypische Szenarien zu verstehen seien, neben denen es jedoch noch zahlreiche andere, kleinere Vernichtungen (φθοραί) gebe. Eine solche Ausweitung wird hingegen im Somnium Scipionis nicht vorgenommen, da hier lediglich Feuer und Wasser als die beiden Agenten des Untergangs angeführt werden. Abschließend soll nun noch ein Konzept vorgestellt werden, auf das zwei Fragmente aus Ciceros De re publica rekurrieren und das vor allem für die Konzeptionen der augusteischen Literatur ein wichtiges Fundament bildet.240 In diesen proklamiert der Sprecher Laelius zunächst, dass ein Staat prinzipiell so beschaffen sein müsse, dass er ewig bestehen könne (debet enim constituta sic enim civitas, ut aeterna sit). Ein Staat könne deshalb auch nicht wie ein Lebewesens zugrunde gehen: itaque nullus interitus est rei publicae naturalis, ut hominis, in quo mors non modo necessaria est, verum etiam optanda persaepe; civitas autem cum tollitur, deletur, exstinguitur, similis quodammodo (ut parva magnis conferamus) ac si omnis hic mundus intereat et concidat.241 Deshalb gibt es für einen Staat keinen natürlichen Untergang wie für einen Menschen, bei dem der Tod nicht nur notwendig ist, sondern auch sehr oft wünschenswert; wenn aber eine Bürgerschaft beseitigt, vernichtet, ausgelöscht wird, ist es gewissermaßen ähnlich (um Kleines mit Großem zu vergleichen), wie wenn die ganze Welt hier unterginge und zusammenstürze.

Explizit vergleicht Laelius also das mikrokosmische Ereignis eines gescheiterten Staates, dessen Bürgerschaft aufgelöst wird, mit dem makrokosmischen Ereignis eines Weltuntergangs. Im Wahrnehmungshorizont derjenigen, die von einem Niedergang des Staates betroffen sind, seien beide Ereignisse geradezu identisch, wodurch Vorstellungsressourcen aus dem Bereich von Weltuntergangskonzepten auf den Zielbereich des Untergangs eines Staates übertragen werden: Entsprechend den jeweiligen Weltuntergangskonzepten, die die Rezipienten besitzen, können verschiedene Konzeptbestandteile von dieser Ursprungsdomäne auf die Zieldomäne übertragen werden. Das rudimentäre Untergangsbild ist also offen für verschiedene Supplemente, welche die Rezipienten durch Inferenz einfügen können. Diese Strategie ermöglicht es, eine denkbar große Anzahl an potenziellen Szenarien zuzulassen, ohne ein konkretes Bild des Untergangs vorzugeben, durch das wiederum spezifische Aspekte – wie etwa der Auflösungsmodus durch Wasser, Feuer, Krieg oder dergleichen – grundsätzlich ausgeschlossen würden. Unterstützt

240 Siehe dazu Kap. 6.1. 241 Cic. rep. 3,34.

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Rezeption und Transformation in Rom – Weltuntergangskonzepte in der spätrepublikanischen Literatur

wird diese Mehrdeutigkeit auch durch die Trias aus Verben, die die Auflösung des Staates beschreibt (tollere, delere, exstinguere). Auch diese gibt kein konkretes Untergangsszenario vor, sondern intensiviert die Vorstellung des Niedergangs lediglich. Im zweiten Fragment rekurriert Laelius dann erneut auf die Vorstellung des prinzipiell unsterblichen Staates (illa immortalitas rei publicae): Jener könne jedoch nur dann Bestand haben, wenn die Bürgerschaft gemäß den Sitten der Vorfahren lebe.242 An dieser Stelle wird offenbar der Topos einer moralischen Depravation, die die Lebensführung der Zeitgenossen kennzeichne, aufgerufen, wobei dieser das Potential zugeschrieben wird, die grundsätzlich ewig andauernde Entität von innen heraus zu Fall zu bringen.243 Die von alters her etablierten Sitten (patria instituta/patrii mores) bilden dabei das Fundament, auf dem die Unvergänglichkeit des Staates fußt. Dass es sich bei dem mos maiorum nicht etwa um ein klar definiertes, festgeschriebenes Archiv von eindeutigen sozialen Verhaltensnormen, sondern um eine eher vage gehaltene »kulturelle Konfiguration [handelt], auf die sich die römische Gesellschaft so stur und modellhaft stützt, [die] sich in Wahrheit [jedoch] nicht einförmig, sondern vielfältig darstellt«244 , erweist sich in diesem konkreten argumentativen Zusammenhang nicht als Problem. Denn im vorliegenden Kontext geht es vor allem darum, mit mores und instituta zwei Begriffe aufzurufen, die auf kulturell etablierte Konzepte verweisen, mit denen die spezifischen Rezipienten eine Vielzahl tradierter Verhaltensmuster assoziieren. Von diesen wiederum abzuweichen, wird in der Rede des Laelius fast schon als Krankheit imaginiert, auch wenn diese konkrete Metapher nicht explizit genannt, sondern lediglich angedeutet wird. Kombiniert man die Wissensbausteine, die in den beiden Fragmenten genannt werden, ergibt sich das Konzept, dass ein Staat als mikrokosmische Welt ewig bestehe, insofern das Kollektiv der in ihm lebenden Menschen die tradierten konstitutiven Werte praktiziert. Sollte dies jedoch nicht der Fall sein, wird der Mikrokosmos untergehen, was durch das offen gehaltene Szenario eines makrokosmischen Weltuntergangs en miniature imaginiert wird. Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass sich bereits an der geringen Quantität, in der Weltuntergangskonzepte im Corpus Ciceronianum auftreten, zeigt, dass

242 Cic. rep. 3,41: […] de illa immortalitate rei publicae sollicitor, quae poterat esse perpetua, si patriis viveretur institutis et moribus. 243 Umfassend beschäftigt sich Steenblock (2013) mit dem Vorstellungszusammenhang von politischer Stabilität und moralischer Normabweichungen in der späten Republik und frühen Kaiserzeit. Dabei konstatiert sie bereits zu Beginn, »dass sittliches, insbesondere sexualmoralisches und geschlechterspezifisches Verhalten und der Zustand des Staates im römischen Denken eng miteinander verknüpft sind« (2). 244 Bettini (2000) 325.

Konzeptuelle Synthese

diese in Ciceros philosophischem Werk eine untergeordnete Rolle einnehmen. Sie erweisen sich lediglich als Randthematik, die höchstens in anderen Kontexten angeschnitten und dabei in komprimierter Form dargestellt wird. So werden etwa epikureische und stoische Konzepte anzitiert, in ihrer Komplexität jedoch nicht ausführlicher behandelt. Auch werden mögliche innerschulische Adaptierungen dieser Konzepte an keiner Stelle angesprochen, sondern im Zuge einer reduzierenden Darstellung ausgespart. Daraus lässt sich folgern, dass Konzepte des Weltuntergangs bei Cicero stets einen argumentativen oder narrativen Zweck erfüllen, ohne jemals den primären Gegenstand einer Untersuchung zu bilden.

5.3 Konzeptuelle Synthese Lukrez legt seinen Weltuntergangskonzepten die Prämisse zugrunde, dass jedes Gebilde aus Atomen besteht und daher Analogieschlüsse zwischen Mikro- und Makrokosmos gezogen werden können. Er bedient sich dabei der konzeptuellen Metapher Die Welt ist ein Lebewesen, wobei fast schon eine Deckungsgleichheit von Ursprungs- und Zielbereich konstatiert werden kann. Denn die Welt ist für ihn ebenso eine aus Atomen zusammengesetzte Struktur wie Pflanzen und andere Lebewesen und analog zu diesen kann sie entweder durch Alter oder durch Krankheiten zugrunde gehen. Wird der natürliche Alterungsprozess als Untergangsmodus angesetzt, wird dieser mit der naturphilosophischen Prämisse begründet, dass alles Entstandene letztlich wieder vergehen muss. Diese Tatsache könne ebenfalls durch alltäglich erfahrbare Beobachtungen untermauert werden (eine schon in der griechischen Naturphilosophie beliebte Autorisierungsstrategie). Tatsächlich müsse angenommen werden, dass von außen auf die Strukturen aufprallende Atome für den voranschreitenden Auflösungsprozess verantwortlich seien. Diesen könne das zermürbte Gebilde dann irgendwann nicht mehr standhalten und zerfalle. Alternativ zu diesem ›natürlichen‹ Szenario setzt Lukrez außerdem die Möglichkeit an, dass die Welt wie jeder andere Organismus zufällig durch eine ›Krankheit sterben‹ könne. Darunter versteht er ein potenziell eintretendes Katastrophenszenario, das weltumfassende Ausmaße annimmt, und das durch eine übermäßige Konglomeration gleicher Atome entstehe. Durch diese Zusammenballungen könnten etwa globale Brände, Fluten oder Erdbeben auftreten, die letztlich zum Weltuntergang führen. Dieses Konzept autorisiert er einerseits durch alltägliche Naturbeobachtungen und naturphilosophische Prämissen, andererseits rekurriert er jedoch zusätzlich auf das kulturelle Gedächtnis der Rezipienten, indem er auf die Mythen um Phaethon und Deukalion verweist. Diese nutzt er als Belege dafür, dass schwächere Versionen solcher ›Krankheiten‹ bereits in der Vergangenheit aufgetreten seien und

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Rezeption und Transformation in Rom – Weltuntergangskonzepte in der spätrepublikanischen Literatur

erinnert werden. Somit sei es nur plausibel, anzunehmen, dass auch gravierendere Ausprägungen eintreten und zum Untergang der gesamten Welt führen können. Für die stoischen Philosophen werden in Details voneinander abweichende Weltenbrandkonzepte überliefert. Diesen ist jedoch allen gemeinsam, dass es sich um zyklische Ereignisse handelt, die aus innerer naturgesetzlicher Notwendigkeit heraus geschehen müssen. So wird ein ewig andauernder Wechsel zwischen dem Zustand reinen Feuers, in dem eine vollkommene Identität von Gottheit und Materie angenommen wird, und den Strukturen der differenzierten Welt postuliert. Dieser Zustand reinen Feuers kann je nach gewähltem Terminus unterschiedliche Semantiken besitzen. Zwar kann der Konzeptbaustein, der erläutert, wie genau sich dieser Wechsel von Materie zu Feuer ereignet, variieren, jedoch scheint den Gestirnen und dem Sonnenfeuer bzw. deren Ernährung durch aufsteigende Dämpfe eine dominante Rolle in diesem Prozess zugeschrieben worden zu sein. Dabei wurde wohl ein schrittweiser Wandel der Elemente bis hin zum Feuer angesetzt, das dann als letztes Element übrig bleibt. Aus diesem Zustand reinen Feuers, der dabei auch als ›Samen‹ bezeichnet werden kann, gehen dann wiederum die Elemente hervor, die sich nach und nach zu den Strukturen der differenzierten Welt ausbilden und eine erneute Weltanordnung formen. In Ciceros De re publica ist darüber hinaus das Konzept überliefert, dass zu einem festgesetzten Zeitpunkt (in der Vergangenheit, potenziell auch in der Zukunft) alle Erdteile bzw. Völker von Katastrophen heimgesucht werden, wodurch das kulturelle Gedächtnis ausgelöscht wird. Bei diesen Szenarien könne es sich um Brände und um Fluten handeln. Dabei scheint es sich um eine Variation des platonischen Konzeptes zu handeln, wobei in diesem Fall kein von den Katastrophen ausgenommener Raum angesetzt wird. Autorisiert wird dieses Konzept im Somnium Scipionis durch eine eschatologische Offenbarung, die den Rezipienten vor Augen führen soll, dass weltlicher Ruhm grundsätzlich vergänglich sei und die genannten Katastrophen eine anhaltende kulturelle Erinnerung an vergangene Großtaten ausschließen.

Konzeptuelle Synthese

Abb. 6 Weltuntergangskonzepte in De rerum natura.

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Rezeption und Transformation in Rom – Weltuntergangskonzepte in der spätrepublikanischen Literatur

Abb. 7 Stoische Weltenbrandkonzepte.

Konzeptuelle Synthese

Abb. 8 Konzept der Auslöschung kultureller Erinnerung in Ciceros De re publica.

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6. Goldenes Zeitalter oder kosmische Katastrophe – Konzepte von Auflösung in der augusteischen und frühkaiserzeitlichen Literatur

Nach dem Ende der römischen Bürgerkriege, die als kollektives Trauma noch Generationen später im kulturellen Gedächtnis verankert waren,1 wurde die römische Republik schrittweise zu einer kaiserlichen Alleinherrschaft, dem Prinzipat, umgeformt.2 Deren erster und prägender Vertreter war Gaius Octavius,3 der 27 v. Chr. den Beinamen Augustus erhielt. Als Teil seiner Herrschaftsagenda initiierte dieser ein politisch-ideologisches Programm, das als »augusteischer Friede« (Pax Augusta) bezeichnet wird – eine Phase reichsinterner Konsolidierung, die wiederum außenpolitisch von zahlreichen Expansionskriegen geprägt war.4 Ein essenzieller Kernpunkt dieser Ideologie bestand darin, innerhalb verschiedener Diskurse Konzepte zu etablieren, die eine zeitliche sowie geographische Ent-Grenzung des römischen Reiches propagierten (imperium sine fine). Mit der Imagination einer unendlichen Fortdauer Roms (Roma aeterna) wurde zugleich eine Ewigkeit der irdischen Welt impliziert. Gerade in der sogenannten Augusteischen Literatur und an von Augustus eigens inszenierten, rituellen Praktiken lässt sich deutlich erkennen, mit welchen narrativen und performativen Strategien die Vorstellung eines neuen Goldenen Zeitalters unter dem Princeps nach den katastrophalen Bürgerkriegen implementiert werden sollte.5 Im Folgenden sollen diese Strategien nachgezeichnet werden, um zu zeigen, in welchen spezifischen Punkten die augusteische Konzeption von früheren Imaginationen des Goldenen Zeitalters abweicht.

1 Vgl. Walde (2011) bes. 284–286. 2 Siehe zur Geschichte der Bürgerkriege Maschek (2018). 3 Nach dessen Adoption durch Caesar bezeichnete er sich selbst ebenfalls als C. Iulius Caesar. Der Name Octavian hingegen geht auf Cicero (Att. 14,12,2) zurück, nicht etwa auf C. Octavius oder dessen Anhänger; vgl. dazu von den Hoff/Stroh/Zimmermann (2014) 26f. 4 Siehe ausführlich zur Pax Augusta Cornwell (2017) 155–186 mit weiterer Literatur. 5 So resümiert etwa Schmidt (2003) 96: »[…] inmitten dieses vielstimmigen Zeugnisses von Dekadenzbewußtsein und Untergangsstimmung, tiefer Verzweiflung und geradezu der Überzeugung, das Gesetz der römischen Geschichte, ihr innerster Drang, treibe in die Selbstzerstörung, geschieht das Wunder: Heilserwartung, Hoffnung blüht auf, verbindet sich mit dem jungen Caesarerben und darf sich nach anderthalb Jahrzehnten immer neuer Verzweiflung und Ängste schließlich in der Beendigung der inneren Spannungen und in der Pax Augusta mit ihren Ordnungsleistungen bestätigt und erfüllt sehen.«

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Goldenes Zeitalter oder kosmische Katastrophe

In einem nächsten Schritt wird daraufhin gezeigt, wie vor allem frühkaiserzeitliche Autoren Konzepte des Weltuntergangs in ihre Werke integriert und narrativ ausgestaltet haben, wodurch Brüche in der Vorstellung der Roma aeterna bzw. des imperium sine fine deutlich werden. Die relevanten Textzeugnisse thematisieren dabei einen Zustand, in den die differenzierte Welt nach dem Untergangsereignis übergeht – etwa in Wasser, Feuer, ewige Nacht oder primordiales Chaos. Die Konzepte, die aus diesen Zeugnissen extrahiert werden können, werden deshalb entsprechend diesen Auflösungszuständen kategorisiert.

6.1 Roma aeterna und imperium sine fine – Ewigkeitskonzepte in der augusteischen Literatur Innerhalb des historiographischen Diskurses der späten Republik prägte sich zunehmend die Vorstellung eines moralischen Verfalls aus, der zu einem allmählichen Niedergang der staatlichen Ordnung geführt haben soll. So konstatiert etwa K. Bringmann: »Letztlich wurzelt die Dekadenzvorstellung der republikanischen Historiographie in dem kollektiven Trauma, das die vornehme Gesellschaft Roms in der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts erlitten hatte. Es war das Ergebnis der Erfahrung, daß die beispiellosen Erfolge der römischen Ostpolitik, die Ausweitung des politisch-militärischen Aktionsfeldes und die Konzentration von Geld und Luxusgütern in Rom die Werte und Verhaltensnormen, auf denen der innere Zusammenhalt der Aristokratie beruhte, römisch gesprochen: den mos maiorum, in ihren Grundfesten erschütterten. Hier lagen die Ansätze jener Gedankenverbindung, die das spätrepublikanische Geschichtsbild kennzeichnet: daß die Erringung der »Weltherrschaft« den Beginn des inneren Verfalls bedeutete.«6

Einschneidende historische Ereignisse, die als Beispiele solchen staatlichen Verfalls gewertet werden konnten, trugen in dieser Zeit dazu bei, dass sich eine latente Untergangsstimmung herausbildete.7 So wurde spätestens mit Caesars Überquerung des Rubikon eine Katastrophe geradezu kosmischen Ausmaßes erwartet, die durch zahlreiche Prodigien angekündigt worden sein soll. Als paradigmatisch für diese Katastrophenspekulation kann der umfangreiche, wenn auch literarisch überformte Prodigienkatalog (1,526–583) gelten, den Lucan in seinem Bellum civile

6 Bringmann (1977) 29. Siehe zu Denkmodellen von Aszendenz und Dekadenz in der antiken Historiographie auch Fuhrer (2014) 24–28. Umfassend mit den Dekadenzmodellen bei Cato, Sallust, Livius, Velleius Paterculus und Tacitus beschäftigt sich Biesinger (2016). 7 Vgl. Evans (2008) 5f.

Roma aeterna und imperium sine fine – Ewigkeitskonzepte in der augusteischen Literatur

anführt, wenn er jenes einschneidende Ereignis der römischen Geschichte thematisiert.8 Nach den eindrücklichen Schilderungen verschiedener Phänomene berichtet der Dichter davon, dass das durchaus »mehrdeutige Zeichensystem der Prodigien […] der Auslegung durch textinterne Interpreten wie den Haruspex Arruns (1.584–638) und den Astrologen Nigidius Figulus (639–672)«9 bedurfte, nachdem bereits alternative Interpretationen in der Bevölkerung kursierten.10 Zunächst einmal konzentriert sich der etruskische Divinationsexperte Arruns darauf, Strategien aufzuzeigen, mit denen die pax deorum wiederhergestellt werden soll.11 Nachdem diese Sühnepraktiken vollzogen worden sind, empfängt er jedoch ein weiteres, ausgesprochen ungünstiges Vorzeichen,12 weswegen ihm nur noch übrig bleibt, die Götter anzuflehen, dass sich die von ihnen angedeutete Katastrophe nicht ereignen möge.13 Nigidius Figulus widmet sich hingegen der Aufgabe, die den Römern bevorstehende Zukunft anhand der siderischen Konstellationen zu erschließen: at Figulus, cui cura deos secretaque caeli nosse fuit, quem non stellarum Aegyptia Memphis aequaret visu numerisque sequentibus astra, aut hic errat, ait, nulla cum lege per aevum mundus et incerto discurrunt sidera motu, aut, si fata movent, urbi generique paratur humano matura lues. terraene dehiscent

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8 Lucan wiederum schreibt sein Epos aus der Perspektive der Nachkriegsgeneration, weswegen die von ihm überlieferten Eindrücke stets kritisch reflektiert werden müssen; vgl. dazu etwa Gotter (2011) 57–61 und Walde (2011) 293. 9 Ambühl (2014) 74. Diese stellt zudem heraus, dass die Prodigien »durch ein weiteres Zeichensystem überlagert [werden], welches die Rezipienten mit Hilfe ihrer mythologischen und literarischen Kenntnisse entschlüsseln sollen« (ebd.). Siehe dazu ausführlicher auch Ambühl (2005) 262f. 10 So wird innerhalb des Prodigienkatalogs etwa davon gesprochen, dass im Volk bereits die düsteren Prophezeiungen der cumäischen Sybille (1,564f.) verbreitet wurden. 11 Zu diesem Konzept siehe Rosenberger (1998) 21: »Ein Prodigium zeigte nach römischem Verständnis an, daß die pax deorum gestört war. Der Begriff pax deorum, zum einen zu verstehen als ›Friedenszustand zwischen dem römischen Volk und den Göttern‹, deutet auf den […] pragmatischen Umgang mit den Göttern hin. Daneben zeigt der Wortgebrauch bei Plautus, daß bereits im 2. Jahrhundert v. Chr. pax auch als ›Gnade‹ oder ›Hilfe‹ aufgefaßt werden konnte. Pax deorum bezeichnete also auch die gnädige Hilfsbereitschaft der Götter, die man durch Opfer erflehte; in diesem Fall liegt die Betonung des Terminus pax deorum stärker auf der Rolle der Götter, von denen man Unterstützung erwartete.« 12 Die entblößten Eingeweide eines gerade geopferten Stieres sind unnatürlich verfault, was detailliert beschrieben wird. 13 Lucan. 1,614–638.

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Goldenes Zeitalter oder kosmische Katastrophe

subsidentque urbes, an tollet fervidus aer temperiem? segetes tellus infida negabit, omnis an infusis miscebitur unda venenis? quod cladis genus, o superi, qua peste paratis saevitiam? extremi multorum tempus in unum convenere dies. summo si frigida caelo stella nocens nigros Saturni accenderet ignis, Deucalioneos fudisset Aquarius imbris totaque diffuso latuisset in aequore tellus. si saevum radiis Nemeaeum, Phoebe, Leonem655 nunc premeres, toto fluerent incendia mundo succensusque tuis flagrasset curribus aether. hi cessant ignes.14

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Aber Figulus, der sich mit Sorgfalt darum bemühte, die Götter und die Geheimnisse des Himmels zu kennen, dem das ägyptische Memphis bei der Beobachtung der Sterne und bei den Berechnungen, die den Sternen folgen, nicht gleichkommen konnte, sagt: »Entweder irrt diese Welt schon ewig ohne Gesetzmäßigkeiten umher und die Gestirne laufen in unbestimmter Bewegung hin und her, oder es steht, wenn das Schicksal (sie) bewegt, der Stadt [scil. Rom] und dem Menschengeschlecht ein baldiges Verderben bevor. Wird sich die Erde auftun und werden die Städte versinken, oder wird vielleicht glühende Luft die gemäßigte Temperatur beseitigen? Wird die Erde treulos die Saaten verweigern oder wird sich jede Welle mit Giften vermischen, die in sie hineingeflößt worden sind? Welche Art des Untergangs, o Götter – mit welcher Seuche bereitet ihr die grausame Vernichtung vor? Das Lebensende vieler ist auf einen einzigen Zeitpunkt gefallen. Wenn im hohen Himmel der kalte, schädliche Stern Saturns sein dunkles Feuer entzünden würde, hätte der Wassermann die Regenmassen Deukalions ausgegossen und die ganze Erde wäre unter einer weiten Meeresfläche verborgen gewesen. Wenn du, Phoebus, den tobenden Nemeischen Löwen nun mit Strahlen bedrängen würdest, würden auf der ganzen Welt Brände auftreten und der von deinem Wagen entzündete Äther hätte gelodert. Diese Feuer sind jedoch untätig.

Zunächst wird die Expertise des Gelehrten hervorgehoben, indem der Erzähler betont, dass Figulus sogar die Ägypter mit seinen Kenntnissen übertreffe.15 Diese erscheinen in griechischen Quellen, wie ein Zeugnis Diodors zeigt, spätestens seit dem 1. Jhd. v. Chr. als ausgewiesene astrologische Spezialisten, die anhand 14 Lucan. 1,639–658a. 15 Figulus’ Gelehrsamkeit wird etwa auch von Cicero (fam. 4,13,3) und Aulus Gellius (etwa 4,9,1) gewürdigt. Die Entwicklung ägyptischer Astrologie in der Zeit des Hellenismus und deren Geltung erläutert Barton (1994) 23–29. Zur Inszenierung ägyptischen Wissens siehe Kap. 3.1.

Roma aeterna und imperium sine fine – Ewigkeitskonzepte in der augusteischen Literatur

der Gestirne unter anderem bevorstehende Katastrophen wie Missernten, Fluten und Erdbeben vorhersagen können.16 Seine anschließenden Ausführungen beginnt Figulus sodann damit, die einzige Möglichkeit zu nennen, die die von ihm gestellte Prognose demontieren könnte: Nur wenn die Gestirnsbewegungen keiner Gesetzmäßigkeit folgen (nulla cum lege), anhand derer sich zukunftsweisende Schlussfolgerungen ablesen ließen, sei seine Unglücksvorhersage unzutreffend. Sollte der Rezipient jedoch der von Figulus praktizierten Astrologie und ihrem auf siderischen Gesetzmäßigkeiten basierendem Regelwerk Glaubwürdigkeit zugestehen, müsse sich dieser vielmehr darauf gefasst machen, dass das prognostizierte universale Verhängnis (urbi generique paratur humano matura lues) eintreten werde. Als potenzielle Szenarien des Untergangs stellt er daraufhin erst einmal solche Katastrophen vor, die eher dafür geeignet erscheinen, einen begrenzten Bereich der Welt zu verwüsten: Erdbeben, Klimaveränderungen, Ernteausfälle und die Kontamination von Gewässern. Dass bei diesen Katastrophen eher partielle Untergangsvorstellungen in den Fokus genommen werden, wird durch die Aussage unterstrichen, dass für viele – aber eben nicht für alle – zu einem einzigen Zeitpunkt die letzten Tage gekommen seien (extremi multorum tempus in unum convenere dies). Dabei handelt es sich offenbar um eine Variation des von Lukrez in De rerum natura (5,95) verwendeten Motives, dass sich an einem einzigen Tag der Untergang der ganzen Welt ereignen werde.17 Auch diese Variante erzeugt eine drastische Polarität: Zahlreiche Menschen, die eine unbestimmte, vielschichtige Menge bilden, werden durch ein punktuelles Ereignis zugrunde gehen. In den daran anschließenden Konditionalsätzen beschäftigt sich Figulus sodann mit astrologischen Eventualitäten,18 unter denen zwei kosmische Auflösungsszenarien hätten eintreten können: Hätte Saturn, dem im astrologischen Kontext schädliche Eigenschaften zugeschrieben werden,19 in seinem Taghaus, dem wässrigen Zeichen Wassermann, gestanden und wäre entsprechend mächtig gewesen, hätte dies eine globale Flutkatastrophe angekündigt. Indem Figulus in diesem Zusammenhang auf die deukalionische Flut (Deucalionei imbres) hinweist, werden bei den Rezipienten bekannte Prätexte aufgerufen, die die in der mythologischen 16 Siehe dazu Diod. 1,81,4f.: ἐπιμελοῦς γὰρ, εἰ καὶ παρά τισιν ἄλλοις, καὶ παρ’ Αἰγυπτίοις παρατηρήσεως τυγχάνουσιν αἱ τῶν ἄστρων τάξεις τε καὶ κινήσεις· […] καὶ πολλάκις μὲν τοῖς ἀνθρώποις τῶν αὐτοῖς μελλόντων ἀπαντήσεσθαι κατὰ τὸν βίον προλέγοντες ἐπιτυγχάνουσιν, οὐκ ὀλιγάκις δὲ καρπῶν φθορὰς ἢ τοὐναντίον πολυκαρπίας, ἔτι δὲ νόσους κοινὰς ἀνθρώποις ἢ βοσκήμασιν ἐσομένας προσημαίνουσι, σεισμούς τε καὶ κατακλυσμοὺς καὶ κομητῶν ἀστέρων ἐπιτολὰς καὶ πάντα τὰ τοῖς πολλοῖς ἀδύνατον ἔχειν δοκοῦντα τὴν ἐπίγνωσιν, ἐκ πολλοῦ χρόνου παρατη ῥήσεως γεγενημένης, προγινώσκουσι. 17 Auf dieses Motiv greift Lucan bereits zu Beginn seines Werkes zurück; siehe dazu Kap. 6.4. 18 Die astronomisch-astrologischen Hintergründe dieser Passage diskutieren Getty (1941), Luisi (1993), Hannah (1996), Lewis (1998) sowie Heilen (2007). 19 Vgl. Hannah (1996) 179f.

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Vergangenheit liegende Überflutung der Welt detailreich erzählen, wie etwa die in Lucans Zeit prominenten Metamorphosen Ovids20 . Durch Inferenz können die Rezipienten sodann Einzelheiten, wie etwa die zerstörerischen Ausmaße der Flut, aufrufen, die eine solche zukünftige Katastrophe zur Folge gehabt hätte, wenn sie denn eingetreten wäre. Einer ähnlichen Strategie bedient sich die Figulus-persona im Anschluss daran erneut: So konstatiert sie zunächst, dass auch die Sonne (Phoebus) sich nicht in ihrem Haus, dem feurigen Zeichen Löwe, befindet, was, wie R. Hannah hervorhebt, zu der Jahreszeit, in der Figulus seine Prognose anstellt, auch gar nicht möglich gewesen wäre, da sie sich im Tierkreiszeichen Schütze befunden haben muss.21 Ansonsten hätte diese Konstellation bewirkt, dass auf der ganzen Welt Brände entstanden wären, die zu ihrer Vernichtung geführt hätten. Dass Lucan dabei nicht etwa den naheliegenden Mythos um Phaethon verwendet, um eine solche Brandkatastrophe zu imaginieren, kann darauf zurückgeführt werden, dass die Katastrophe im ovidischen Kontext,22 der den Rezipienten wohl am besten vertraut gewesen ist, keine globalen Ausmaße angenommen hat, sondern regional begrenzt geblieben ist. Nachdem er diese beiden Vernichtungsmöglichkeiten ausgeschlossen hat, verkündet Figulus sogleich, dass der unheilbringende Mars in seinem Nachthaus, dem Zeichen Skorpion, stehe:                             tu, qui flagrante minacem Scorpion incendis cauda chelasque peruris, quid tantum, Gradive, paras? nam mitis in alto Iuppiter occasu premitur, Venerisque salubre sidus hebet, motuque celer Cyllenius haeret, et caelum Mars solus habet.23

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Du, der du den Skorpion, der mit brennendem Stachel droht, entflammst und seine Scheren entzündest, was bereitest du, Gradivus [i. e. Mars], Schlimmes vor? Denn der sanfte Jupiter wird im Fall geschwächt [›Depression‹] und das heilbringende Gestirn der Venus ist untätig, und der schnelle Cyllenius [i. e. Merkur] stockt in der Bewegung, und Mars allein nimmt den Himmel ein.

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Zur deukalionischen Flut in Ovids Metamorphosen siehe Kap. 6.2. Vgl. Hannah (1996) 181. Zum Phaethon-Mythos in Ovids Metamorphosen siehe Kap. 6.3. Lucan. 1,658–663.

Roma aeterna und imperium sine fine – Ewigkeitskonzepte in der augusteischen Literatur

Figulus beschreibt also, dass Mars als einziger Planet am Himmel sichtbar ist und sich in seinem Nachthaus befindet, weshalb dieser besonders wirkmächtig ist. Die ›guten‹ Planeten können seinen Einfluss nicht abmildern, da sie (teilweise) unvorteilhaft stehen. Jupiter etwa ist »im Fall« (Iuppiter occasu premitur) und Merkur ist kurz vor seinem Stillstand und dem Eintritt in die retrograde Bewegung. Daher prognostiziert er, dass ein unheilvoller Krieg beginnen und für viele Jahre anhalten werde.24 Bei dieser Aneinanderreihung verschiedener potentieller Szenarien, bei denen Figulus zunächst von räumlich begrenzten zu globalen Ereignissen kommt, scheint das finale Ergebnis der astrologischen Deutungen – der bevorstehende, für einige Jahre anhaltende Krieg – auf den ersten Blick weniger drastisch als etwa die globalen Vernichtungen durch Wasser und Feuer.25 Jedoch wird meines Erachtens an dieser Stelle eine Klimax evoziert, an deren Ende der Bürgerkrieg steht. Dieser mag vielleicht nicht zur Auflösung des Kosmos führen, dafür jedoch zu einem ›Schrecken ohne Ende‹. So hat T. A. Joseph herausgearbeitet, wie in Lucans Bellum civile der Bürgerkrieg und insbesondere auch die Schlacht bei Pharsalos zu einer kulturellen Katastrophe stilisiert werden, mit der sich das römische Volk selbst in die Verdammnis getrieben habe und von deren schicksalhaften Folgen sich auch die nachfolgenden römischen Generationen nicht befreien können.26 Vor diesem Hintergrund erweist sich auch der von der Figulus-persona prognostizierte Krieg als eine geradezu – zumindest aus römischer Perspektive – kosmische Katastrophe, da selbst die Überlebenden zu einer Existenz in Schuld verdammt sind. Offenbar wird der bekannte Astrologe Nigidius Figulus hier eingeführt, um der Prognose eine größere Plastizität und Autorität zu verleihen.27 Inhaltlich handelt es sich bei den gebotenen Informationen freilich um astrologisches Grundlagenwissen, das Lucan nicht aus den originalen Werken des spätrepublikanischen Experten bezogen haben muss.28 Vielmehr scheint es, wie S. Heilen eindrucksvoll herausstellt,29 dass Lucan diese fiktive Konstellation mit Mars als dominierendem Planeten als Gegenentwurf zu dem Horoskop formuliert haben könnte, das der Astrologe Lucius Tarutius aus Firmum für Roms Gründungsdatum erstellt hatte. Dieser datierte den fiktiven dies natalis Roms auf den 4. Oktober 754 v. Chr., um eine

24 Lucan. 1,666–669a: imminet armorum rabies, ferrique potestas // confundet ius omne manu, scelerique nefando // nomen erit virtus, multosque exibit in annos // hic furor. 25 So etwa Hannah (1996) 180f. 26 Vgl. Jospeh (2017) bes. 136: »[T]he words ›our Pharsalia will live on‹ are also metapoetic. With this assertion Lucan promises that the story of the collective suffering on the day of Pharsalia, our story, will survive.« 27 Eine Zusammenfassung der Diskussion bietet Roche (2009) 361f. 28 Siehe dazu etwa die Untersuchung von Schwemmler (1916) 27–30, der für diese Passage intertextuelle Referenzen zu Manilius’ Lehrgedicht herausstellt. 29 Vgl. Heilen (2007).

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möglichst vorteilhafte Interpretation der siderischen Konstellationen ableiten zu können.30 Nach Tarutius’ Horoskop befand sich Mars an dem von ihm postulierten Gründungsdatum in seinem Nachthaus; seine Influenz wurde jedoch durch die ›Wohltäter‹ Saturn, Venus und Merkur abgemildert. Zusätzlich stand Jupiter als »beneficent astrological deity par excellence«31 in seinem Nachthaus Fische und damit in einem Trigon mit Mars, wodurch die mäßigenden Einflüsse der ›Wohltäter‹ verstärkt werden. Schließlich scheint sich Tarutius um ein Datum bemüht zu haben, an dem Mond und Sonne als ›Herrscher des Kosmos‹ (κοσμοκράτορες) im Tierkreiszeichen Waage standen, da diese kosmische Balance und Gerechtigkeit repräsentiert. Zusammengefasst ließe sich also auf eine durchweg positive Zukunft Roms schließen: »Altogether there is a high probability that Tarutius interpreted the alignment of 4 October 754 BCE as indicating the fate of Rome to permanently rule the world through the judicious employment of strong armies, and thereby to bring peace and justice to mankind.«32

Vor der Folie dieses Horoskops erweist sich Lucans ›Nigidius‹-Prognose – gerade mit ihrem Bezug auf Mars im Skorpion und dem fehlenden Einfluss der mäßigenden Planeten – als Konterkarierung von Tarutius’ Horoskop, das Roms ewigen Bestand als Garantin von Frieden und Gerechtigkeit prognostiziert hatte. Dieses iudicium ersetzt Lucan durch die Vorhersage, die eine Pervertierung von Frieden und Gerechtigkeit prognostiziert.33 Trotz des fiktionalen Charakters der vorangegangenen Textstelle verweist die Darstellung Lucans dennoch auf ein zugrundeliegendes Katastrophenbewusstsein und sicherlich auch auf eine existentielle Angst, die die letzten Jahre der römischen Republik charakterisiert und dadurch wiederum verschiedene Untergangsvorstellungen hervorgebracht haben.34 Dass astrale Phänomene jedoch nicht nur negativ ausgedeutet wurden, sondern durch ihre ›Ambiguität‹ eine Bandbreite von Deutungen zuließen, zeigt sich am prominenten Beispiel des sogenannten sidus Iulium bzw. astrum Caesaris.35 Dabei handelt es sich um einen Kometen, der während der Ludi Victoriae Caesaris

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Siehe zum Folgenden ebd. 55–59. Ebd. 57. Ebd. 59. Für hilfreiche Erläuterungen zu dieser Passage, besonders für Hinweise zu den astrologischen Details, danke ich M. Gindhart herzlich. 34 Siehe dazu auch Rosenberger (1998) 101, der konstatiert, dass »viele [dokumentierte] Prodigien Ängste vor Krieg, vor allem durch Schaden durch Krieg, ausdrücken.« 35 Siehe zu diesem auch die umfassende Analyse bei Bechtold (2011) 161–226.

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(20.–30. Juli)36 – einige Monate nach dem Tod Julius Caesars (15. März 44 v. Chr.) – erschien und den antiken Zeugnissen zufolge für mehrere Tage sichtbar am Himmel stand.37 Obwohl Kometen traditionell als unheilbringende omina interpretiert wurden,38 gelang es Augustus durch weitreichende ikonographisch-ideologische Inszenierungen, eine alternative, günstige Deutung zu kultivieren: Das siderische Phänomen solle den Römern offenbaren, dass der einige Monate zuvor Ermordete in den Kreis der Götter aufgenommen worden sei.39 Diese Auslegung, so berichtet etwa Plinius der Ältere, habe das Volk dann auch vertreten (vulgus credidit), wobei ebenfalls deutlich wird, dass Augustus eine dezidiert positive Lesart forcierte.40 Andererseits konnte dieses Ereignis offenbar als ein immanenter Epochenmarker verstanden werden, wie Servius in seinem Eklogenkommentar überliefert: sed Vulcatius aruspex in contione dixit cometen esse, qui significaret exitum noni saeculi et ingressum decimi; sed quod inuitis dis secreta rerum pronuntiaret, statim se esse moriturum: et nondum finita oratione in ipsa contione concidit. hoc etiam Augustus in libro secundo de memoria uitae suae complexus est.41

36 Julius Caesar hatte diese zwei Jahre zuvor initialisiert; vgl. Scullard (1981) 167. 37 Sueton (Iul. 88) gibt sieben Tage an, wohingegen Servius (Aen. 8,681) lediglich drei Tage ansetzt. 38 Vgl. Gindhart (2006) 3f. und Ramsey/Licht (1997) 135: »Ordinarily, comets were viewed in antiquity (and until fairly recent times) as baleful signs, omina dira, portending the outbreak of war, the demise of rulers, or famine, plague and countless related sufferings.« 39 Vgl. Weinstock (1971) 373–381. Der ikonographische und numismatische Befund zeigt, dass der Komet exzessiv für die Repräsentation des Divus Iulius verwendet wurde; siehe dazu auch Gurval (1997). 40 Plin. nat. 2,93f: cometes in uno totius orbis loco colitur in templo Romae, admodum faustus Divo Augusto iudicatus ab ipso, qui incipiente eo apparuit ludis, quos faciebat Veneri Genetrici non multo post obitum patris Caesaris in collegio ab eo instituto. namque his verbis in gaudium prodit is: ipsis ludorum meorum diebus sidus crinitum per septem dies in regione caeli sub septemtrionibus est conspectum. id oriebatur circa undecimam horam diei clarumque et omnibus e terris conspicuum fuit. eo sidere significari vulgus credidit Caesaris animam inter deorum inmortalium numina receptam, quo nomine id insigne simulacro capitis eius, quod mox in foro consecravimus, adiectum est. Siehe dazu auch Ramsey/Licht (1997) 136: »Significantly the common people are said to have arrived at this conclusion with encouragement from Octavian, and we must also bear in mind that the extant accounts of Caesar’s comet reflect primarily the view of the event that Octavian (Augustus) chose to present just over two decades later when he wrote his Memoirs.« 41 Serv. ecl. 9,46. Eine ähnliche Episode überliefert auch Appian (civ. 4,4), in der ein etruskischer Haruspex Prodigien, die im Jahre 43 v. Chr. aufgetreten sein sollen, ausdeutet und ankündigt, dass das alte saeculum zu Ende gegangen sei und er – als dessen ältester noch lebender Mensch – nun sterben müsse, damit ein neues anbrechen könne. Daraufhin soll er den Atem angehalten und tot zu Boden gegangen sein; siehe dazu etwa Fromentin (1996) 86.

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Aber der Haruspex Vulcatius sagte bei einer öffentlichen Versammlung, dass es ein Komet sei, der das Ende des neunten saeculum und den Beginn des zehnten anzeige; dass er aber, weil er gegen den Willen der Götter die Geheimnisse der Welt verkündet habe, sofort sterben werde: und noch war die Rede nicht beendet, da stürzte er in ebendieser Versammlung zu Boden. Dies hat auch Augustus im zweiten Buch über die Erinnerung(en) an sein Leben festgehalten.

In dieser Schilderung verweist der Haruspex auf die prominente saeculum-Lehre, ein zeitliches Ordnungsschema, das ursprünglich aus der etruskischen Kultur stammte und durch den Import der Divinationspraxis auch in Rom Bekanntheit erlangte.42 Gemäß dieser Vorstellung ist einer Stadt bei ihrer Gründung eine bestimmte Anzahl an saecula vorherbestimmt, also eine »Lebensspanne«, nach deren Ablauf diese Stadt untergehen werde. Das erste saeculum einer solchen Stadt endet, sobald der letzte Bürger, der am Tag der Stadtgründung geboren worden ist, stirbt,43 weswegen saeculum in diesem Kontext weniger ›Jahrhundert‹ als vielmehr ›Generation einer Gemeinschaft‹ bedeutet.44 Da sich die Menschen eines solchen Epochenwechsels nicht immer bewusst seien, gäbe es zudem von den Göttern gesandte Hinweise, die das Ende des alten und damit den Beginn eines neuen saeculum signalisierten.45 Solche Zeichen zu dekodieren läge wiederum in der Verantwortung der etruskischen Divinationsspezialisten,46 was auch in der von Servius überlieferten Anekdote deutlich wird. Unklar ist in dieser jedoch, weshalb der Seher »gegen den Willen der Götter die Geheimnisse der Welt« (inuitis dis secreta rerum) offenbart habe, wenn es doch gerade die Aufgabe der etruskischen Haruspices ist, die Bedeutung solcher Phänomene zu eruieren und die Menschen auf den Wechsel der saecula aufmerksam zu machen. Ganz offensichtlich konnte das kosmische Phänomen aber als Signal dafür angesehen werden, dass das zehnte saeculum angebrochen sei, mit dessen Abschluss zugleich auch das ›Ende des etruskischen Namens‹ (finis nominis Etrusci) kommen

42 Die folgenden Ausführungen zur saeculum-Lehre orientieren sich vor allem an den konzisen Untersuchungen von Feeney (2007) 145–148 und Santangelo (2013) 115–127. 43 Cens. 17,5: quo die urbes atque civitates constituerentur, de iis, qui eo die nati essent, eum, qui diutissime vixisset, die mortis suae primi saeculi modulum finire, eoque die qui essent reliqui in civitate, de his rursum eius mortem, qui longissimam egisset aetatem, finem esse saeculi secundi. 44 Vgl. Feeney (2007) 145. So unterscheidet Censorin in De die natali (17,1) auch zwischen dem ›natürlichen‹ saeculum (saeculum naturale = längste mögliche Lebensspanne eines Menschen) und dem standardisierten ›bürgerlichen‹ saeculum (saeculum civile = 100 Jahre). 45 Cens. 17,5f.: sed ea quod ignorarent homines, portenta mitti divinitus, quibus admonerentur unumquodque saeculum esse finitum. 46 Cens. 17,6: haec portenta Etrusci pro haruspicii disciplinaeque suae peritia diligenter observata in libros rettulerunt.

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werde.47 Obwohl diese Vorhersage ausschließlich das Schicksal der Etrusker betrifft, muss das bevorstehende Ende einer festgelegten saecula-Folge offenbar auch in Rom die bereits bestehende Untergangssorge intensiviert haben.48 Als Gegenentwurf einer solchen düsteren, zukunftsunsicheren Stimmung scheint Vergil seine Vierte Ekloge (40 v. Chr.) verfasst zu haben, in der er die Angst vor einem drohenden Untergang mit der Erwartung eines neuen Goldenen Zeitalters konterkariert: ultima Cumaei uenit iam carminis aetas, magnus ab integro saeclorum nascitur ordo. iam redit et Virgo, redeunt Saturnia regna, iam noua progenies caelo demittitur alto. tu modo nascenti puero, quo ferrea primum desinet ac toto surget gens aurea mundo, casta faue Lucina: tuus iam regnat Apollo.49

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Das letzte Zeitalter des cumäischen Liedes ist schon gekommen, von neuem wird die große Ordnung der saecula geboren. Und bald kehrt die Jungfrau zurück, (bald) kehrt das Reich Saturns zurück, bald wird ein neues Geschlecht aus dem hohen Himmel herabgeschickt. Sei du nur dem Jungen, der geboren wird, gnädig, makellose Lucina, mit dem zuerst das eiserne Geschlecht aufhören und sich das goldene auf der ganzen Welt erheben wird: Schon herrscht dein Apollo.

Die Verse spielen zunächst auf eine Sibyllenprophetie (carmen Cumaeum) an, deren genauer Inhalt zwar nicht überliefert ist,50 die jedoch offenbar ein zeitliches Ordnungsschema zum Thema gehabt haben muss, auf das mit ultima aetas verwiesen wird. Entscheidend ist jedoch, dass dieses »letzte Zeitalter« offensichtlich nicht etwa zu einem – wie auch immer gearteten – Untergang, sondern vielmehr zu einer ›Neuordnung‹ der saecula führt. Dies bricht das ursprünglich teleologische Zeitschema der saecula auf, indem ein konsolidierender Aspekt eingefügt wird, der die lineare Epochenfolge neu ausrichtet. Diese ultima aetas wird im Folgenden mit durchweg positiven Eigenschaften charakterisiert: So kehrt zunächst die Virgo zurück, die als die Göttin der Gerechtigkeit (Δίκη/Iustitia) identifiziert werden kann.51 Von dieser schreibt Arat in seinen Phainomena, dass sie die Menschen

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Cens. 17,6. Vgl. Santangelo (2013) 121f. Verg. ecl. 4,4–10. Vgl. Nisbet (1978) 59f. Auffällig ist, dass Lucans Erzählfigur im Bellum civile (1,564) davon spricht, dass die »düsteren Prophezeiungen« (dira carmina) der cumäischen Sibylle im Volk umhergingen, nachdem Caesar den Rubikon überschritten hatte. 51 Vgl. Jachmann (1953) 55.

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des Eisernen Zeitalters verlassen habe, um im Himmel zu leben, wo sie fortan als Tierkreiszeichen Jungfrau zu sehen sei.52 Mit ihrer Rückkehr wird also impliziert, dass eine Rechtsordnung wiederhergestellt wird, die zuvor unerreichbar gewesen ist, da sich der für sie zuständige göttliche Beistand in weiter Ferne befunden hat. Indem außerdem in Aussicht gestellt wird, dass das »Reich Saturns« (Saturnia regna) wiederkehre, wird eine Fülle assoziativer Raumvorstellungen aufgerufen: Da die Herrschaft Saturns im mythographischen Kontext mit dem Goldenen Zeitalter gleichgesetzt wird,53 werden auch die für diese Zeit imaginierten Vorstellungen einer perfekten Idylle evoziert, in der Friede geherrscht hat und die Menschen keinerlei Anstrengungen unternehmen mussten, um sich zu ernähren.54 In dieses Paradigma fügt sich dann auch die geradezu messianische Figur des Jungen ein, der als pars pro toto für das ganze Geschlecht derjenigen steht, die in diesem neuen Goldenen Zeitalter leben werden.55 Der klare Schnitt mit der vorhergehenden Epoche, die als Eisernes Zeitalter bezeichnet wird, wird besonders daran deutlich, dass das neue Geschlecht – wie auch schon bei Hesiod – nicht etwa vom vorherigen abstammt, sondern durch göttliche Fügung auf die Erde gelangen soll: Die vorangehende Krisenzeit, die durch Krieg und Untergangsstimmung gekennzeichnet war, wird durch eine idealisierte, mythische Vorzeit ersetzt, die gleichsam Hoffnung auf eine bessere Zukunft suggerieren soll. Dass dieses neue Goldene Zeitalter unter die Herrschaft Apollos gestellt wird, mag auf den ersten Blick verwundern, fügt sich jedoch nahtlos an eine für Nigidius Figulus überlieferte Passage, in der er verschiedene Epochenschemata erläutert haben soll: Nigidius de diis lib. IIII.: quidam deos et eorum genera temporibus et aetatibus , inter quos Orpheus: primum regnum Saturni, deinde Iovis, tum Neptunium, inde Plutonis; nonnulli etiam, ut magi, aiunt Apollinis fore regnum, in quo videndum est, ne ardorem, sive illa ecpyrosis adpellanda est, dicant.56

52 Arat. 133–137. In dessen Tradition stehen auch Verg. georg. 2,473f. und Ov. met. 1,149f. 53 Vgl. Clausen (1994) 120f. 54 Die älteste Darstellung der Abfolge der verschiedenen Geschlechter bietet bekanntermaßen Hesiod in seinen Werken und Tagen (106–201). Darauf, dass bereits in diesem Werk angedeutet wird, dass das Eiserne Zeitalter nicht in Ewigkeit bestehen, sondern auch diesem ein anderes – wahrscheinlich besseres – Geschlecht nachfolgen wird (173f.), hat mich J. Althoff aufmerksam gemacht, dem ich für diesen Hinweis herzlich danke. 55 Dazu siehe Clausen (1994) 121f.: »To contemporary readers the vexed question ›Who is the boy?‹ would not have occurred. They knew well enough who was meant: the expected son of Antony and Octavia and heir to Antony’s greatness – the son that never was; a daughter was born instead.« 56 fr. 67 ed. Swoboda (1964).

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Nigidius, Über die Götter, Buch 4: Einige unterscheiden die Götter und deren Geschlechter nach Zeiten und Zeitaltern, darunter Orpheus: Zuerst die Herrschaft Saturns, danach die des Jupiter, dann die neptunische, hierauf die des Pluto; einige, wie die Mager, sagen auch, dass eine Herrschaft Apollos kommen werde, in der man wohl nicht von einem Brand – oder wenn man jenen nun Ekpyrosis nennen soll – sprechen dürfe.

An dieser Stelle lässt sich eine Traditionslinie rekonstruieren, die ein Zeitalter postuliert, das gerade nicht auf einen Brand als finales Auflösungsszenario hinausläuft,57 sondern die einen solchen sogar explizit negiert und in direkter Verbindung mit dem Gott Apollo steht.58 An diese den magi zugeschriebene Vorstellung konnte Vergil seine prophetische Dichtung offensichtlich andocken und damit ein zukünftiges Zeitalter imaginieren, das mit den Topoi einer mythisch-idealisierten Vergangenheit aufgeladen ist. Verknüpft Vergil diese Zukunftsvision in seiner Vierten Ekloge noch deutlich mit der Person des Gaius Asinios Pollio,59 dem Konsul des Jahres 40 v. Chr., und damit auch mit dem von jenem mitausgehandelten Friedensabkommen zwischen Gaius Octavius und Antonius, verengt sich diese Vision in späterer Zeit deutlich auf Augustus, dem dann in Vergils Aeneis die Rolle des prophezeiten Retters zugesprochen wird: hic uir, hic est, tibi quem promitti saepius audis, Augustus Caesar, diui genus, aurea condet saecula qui rursus Latio regnata per arua Saturno quondam, super et Garamantas et Indos proferet imperium […].60

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Dieser ist der Mann, dieser ist es, von dem du oftmals hörst, dass er dir versprochen wird, Augustus Caesar, Nachkomme eines Gottes, der die goldenen saecula erneut in Latium auf den Feldern gründen wird, die einst von Saturn beherrscht worden sind, (und) er wird die Herrschaft sowohl über die Garamanten als auch über die Inder ausweiten […].

57 Bei der Parenthese könnte es sich durchaus um eine Glosse des Vergil-Kommentators Servius handeln, bei dem das Fragment überliefert ist. Deswegen ist nicht unbedingt klar, ob Nigidius Figulus tatsächlich den Terminus ecpyrosis verwendet hat oder ob Servius diesen Begriff benutzt hat, um das vorhergehende ardor zu spezifizieren. 58 Siehe dazu auch Mittal (2011) 140: »At some point during the second half of the first century B.C., Apollo had become the god most associated with eschatological prophecy at Rome.« 59 Verg. ecl. 4,11f.: teque adeo decus hoc aevi, te consule inibit, // Pollio, et incipient magni procedere menses. 60 Verg. Aen. 6,791–795.

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Auch in diesen Versen ist zu erkennen, dass ein zeitlicher Konnex konstruiert wird: Die hier sprechende Figur des Anchises prophezeit ihrem Sohn Aeneas, dass die in der Vergangenheit liegende Herrschaft Saturns aktualisiert wird, indem eine neue goldene Zeit kommen werde. Diese wird gleichsam in der Gegenwart der Rezipienten verortet, da diese bereits unter dem augusteischen Prinzipat leben. Hinzu kommt, dass in der Rede des Anchises durch proferet imperium intratextuell auf die Geschichtsprophetie Jupiters im ersten Buch der Aeneis angespielt wird. Hier offenbart jener der Göttin Venus, weshalb ihr Sohn Aeneas so viele Mühen zu durchleben habe, indem er als tieferen Sinn die Gründung Roms veranschlagt: hic iam ter centum totos regnabitur annos gente sub Hectorea, donec regina sacerdos Marte grauis geminam partu dabit Ilia prolem. inde lupae fuluo nutricis tegmine laetus Romulus excipiet gentem et Mauortia condet moenia Romanosque suo de nomine dicet. his ego nec metas rerum nec tempora pono: imperium sine fine dedi. quin aspera Iuno, quae mare nunc terrasque metu caelumque fatigat, consilia in melius referet mecumque fouebit Romanos, rerum dominos gentemque togatam.61

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Schon wird hier dreihundert Jahre unter dem Geschlecht Hektors geherrscht werden, bis die königliche Priesterin Ilia, schwanger von Mars, Zwillinge gebären wird. Dann wird Romulus, geschmückt mit dem bräunlichen Pelz der ernährenden Wölfin, das Geschlecht fortführen und die mavortischen Mauern gründen und die Römer nach seinem Namen benennen. Diesen setze ich weder räumliche noch zeitliche Grenzen: Herrschaft ohne Ende habe ich (ihnen) gegeben. Sogar die harsche Juno, die derzeit Meer, Länder und Himmel mit Furcht heimsucht, wird (ihre) Absichten zum Besseren wenden und mit mir die Römer begünstigen, die Beherrscher der Welt und das mit Togen bekleidete Volk.

Dass Jupiter den Römern grenzenlose Herrschaft verleiht (imperium sine fine), erscheint als ein resultativer Akt, der eine temporale Verbindung zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft konstruiert: Die Verbform dedi verweist auf eine abgeschlossene Handlung in der Vergangenheit, die die Gegenwart der impliziten Rezipienten beeinflusst und dadurch zudem Auswirkungen auf die Zukunft besitzt. Anders als zu erwarten wäre, wird das ›Geben‹ nicht etwa in die Zukunft verlagert, sodass Jupiter dem aus der textimmanenten Perspektive erst noch zu gründenden

61 Verg. Aen. 1,272–282.

Roma aeterna und imperium sine fine – Ewigkeitskonzepte in der augusteischen Literatur

Volk der Römer eine Herrschaft ohne zeitliche oder regionale Grenzen verleihen würde; vielmehr ist es bereits in einer nicht näher spezifizierten Vergangenheit geschehen und besitzt daher den Charakter einer zugrunde liegenden Gesetzmäßigkeit, die sich von göttlichem Recht ableitet: Roms Herrschaftsanspruch ist durch göttlichen Beschluss konstituiert und damit grundsätzlich für die Ewigkeit legitimiert. Darin zeigt sich ein ausdrucksstarkes Beispiel des Selbstverständnisses, das unter der Herrschaft des Augustus mithilfe verschiedener Repräsentationsformen zu erreichen versucht wurde.62 Dieses Selbstverständnis liegt dann auch der zwischen 19 und 17 v. Chr. entstandenen Elegie 2,5 Tibulls zugrunde,63 in der dieser explizit das »ewige Rom« (Roma aeterna) erwähnt: Romulus aeternae nondum formaverat urbis      moenia, consorti non habitanda Remo.64 Romulus hatte noch nicht die Mauern der ewigen Stadt erbaut, die von seinem Bruder Remus nicht bewohnt werden sollten.

Spätestens seit dieser Zeit etabliert sich das Konzept der »ewigen Stadt« in der augusteischen Literatur, sodass diese Wendung, aufgeladen mit dem Selbstverständnis territorialer und zeitlicher Grenzenlosigkeit, besonders in Erzählungen über die mythische Vergangenheit verwendet wird.65 Dabei scheint das offensichtliche, im philosophischen Diskurs so kontrovers diskutierte Problem, dass etwas prinzipiell nur ewigen Bestand haben könne, wenn es bereits schon immer existiert hat, übergangen zu werden.66 Besonders in Tibulls Elegie tritt dies geradezu paradox

62 Zur Selbstinszenierung des Augustus siehe etwa Eigler (2015). Zu dessen angestrebter Verbindung zum Gott Apoll besonders durch Bauprojekte siehe Mittal (2011) 143. Zur Inszenierung der ludi saeculares (17 v. Chr.) als performativen Akt, der das Bewusstsein eines neuen Goldenen Zeitalters untermauern sollte, siehe Sproll (2014) 363–365. Zum ikonographischen Programm der Ara Pacis Evans (2008) 21: »The abundant bounty associated with the Golden Age is inscribed on to the design of the surrounding wall of the Ara Pacis Augustae (dedicated 9 BCE) from copious foliage of its lower frieze to the gracefully sculpted goddess, seated with fruit and corn overflowing from her lap, holding twin babies who clutch at the food and her breast, and surrounded by grazing animals – all indicators of the opulence and fertility which connect the stability of the principate to the aurea aetas.« 63 Vgl. Schmidt (2003) 96. 64 Tib. 2,5,23f. 65 So etwa auch Liv. 4,4,4: quis dubitat quin in aeternum urbe condita, in immensum crescente nova imperia, sacerdotia, iura gentium hominumque instituatur? Siehe zur Verwendung von aeternitas und aeternus in der augusteischen Literatur auch die Untersuchung von Balbuza (2014). 66 Zu dieser Diskussion siehe oben Kap. 4.3.

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hervor, wenn eine als ewig bezeichnete Entität erst noch erbaut werden muss. Möglicherweise ist dieses Problem auch dadurch eingegrenzt worden, dass die Roma aeterna weniger die Ewigkeit der konkreten, physischen Stadt Rom verkörpert, als vielmehr den metaphysischen Identitätsanspruch eines Volkes, das aufgrund göttlichen Rechts dazu bestimmt sei, ewig zu herrschen. Zugleich unterliegt diese prinzipielle Ewigkeit auch einer Einschränkung, die bereits im Corpus Ciceronianum angedeutet wird: Ein Staat kann nur dann ewig bestehen, wenn ein entsprechender Sittenkodex dafür Sorge trägt, dass kein Untergang des Gesamtgefüges von innen heraus verursacht wird. Vor dieser Folie ließen sich dann auch Augustus’ intensive Bemühungen interpretieren, den »geschwundenen ›mos maiorum‹ im neuen Kontext des Prinzipats zu restaurieren, indem er verfallene Tempel reparierte, das Priesterwesen wieder zur Geltung brachte und die religiöse Literatur förderte, wie seine gesamte Gesetzgebung des ›iura dare‹ den altrepublikanischen Normenkodex wiederherstellen wollte, um die Größe Roms wieder auf ein ethisches Fundament zu stellen.«67

Dieses ›Restaurationsprogramm‹ könnte somit als Versuch verstanden werden, die ideologisch aufgeladene Erneuerung und innenpolitische Stabilisierung des Staates durch solche Handlungen zu untermauern, die das alte, als verloren imaginierte Ideal des mos maiorum wiederherstellen sollten.68 Dieses wiederum sollte als Fundament für die Konzepte der aurea aetas und der Roma aeterna herangezogen werden, um deren Geltungsanspruch auf möglichst vielen Ebenen zu etablieren. Vor diesem mentalitätsgeschichtlichen Hintergrund wird im Folgenden untersucht werden, in welchen Kontexten welche Konzepte des Weltuntergangs in der augusteischen und frühkaiserzeitlichen Literatur aufgerufen werden können und inwiefern diese mit den vorgestellten Ewigkeitskonzepten korrespondieren.

6.2 Omnia pontus erant – Flutkonzepte in der augusteischen und frühkaiserzeitlichen Literatur Gerade im historiographischen Diskurs werden Flutkonzepte oftmals mit der kulturellen Erinnerung an eine (mythische) Vergangenheitsstufe verknüpft, die der Katastrophe vorangegangen ist.69 Dabei wird bisweilen ein Narrativ von einstiger

67 Sproll (2014) 365. 68 Dass dies realiter auf zahlreiche Schwierigkeiten und auch Gegenreaktionen gestoßen ist, konstatiert Steenblock (2012) 257–260. 69 Siehe dazu oben Kap. 3.1.

Omnia pontus erant – Flutkonzepte in der augusteischen und frühkaiserzeitlichen Literatur

(moralischer) Depravation, göttlichem Zorn und korrigierendem Eingriff entworfen, das die gegenwärtigen Zustände aitiologisch begründet. Seltener wird, wie etwa in Pindars Neuntem Paian, eine solche Flutkatastrophe auch als konkret zu fürchtendes Ereignis der (nahen) Zukunft imaginiert. In diesem interpretiert die Dichter-persona eine beobachtete Sonnenfinsternis als negatives Omen und wirft sogleich die Frage auf, ob dieses Zeichen eine vernichtende Katastrophe ankündige – im schlimmsten Fall eine erneute Sintflut. Dieses Schreckensszenario, so fleht die persona, möge der Sonnengott Apollon abwenden. An diese Konzeptvariante knüpft der augusteische Dichter Horaz offenbar an, wenn er im zweiten carmen seines ersten Odenbuches eine ähnliche Darstellung entwirft: iam satis terris niuis atque dirae grandinis misit Pater et rubente dextera sacras iaculatus arces      terruit urbem, terruit gentis, graue ne rediret saeculum Pyrrhae noua monstra questae, omne cum Proteus pecus egit altos      uisere montis, piscium et summa genus haesit ulmo, nota quae sedes fuerat columbis, et superiecto pauidae natarunt      aequore dammae.70

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Der Vater [i. e. Jupiter] hat bereits genug Schnee und schrecklichen Hagel auf die Länder niedergehen lassen und die Stadt in Schrecken versetzt, indem er mit der rot strahlenden Rechten Blitze auf die heilige Burg geschleudert hat; die Völker hat er in Schrecken versetzt, dass Pyrrhas furchtbares Zeitalter zurückkehren könnte, in dem sie ungewöhnliche Erscheinungen zu beklagen hatte, als Proteus sein ganzes Vieh auf die hohen Berge getrieben hat und die Fische im Ulmenwipfel gehangen haben, den bekanntlich die Tauben bewohnt hatten, und die verängstigen Rehe im Meer geschwommen sind, das sie überflutet hat.

Die Verse vermitteln zunächst den Eindruck existentieller Bedrohung, die bereits in den einleitenden Worten iam satis greifbar ist, und können geradezu im Sinn einer adversativen exclamatio (»genug jetzt!«) verstanden werden.71 Mit Schnee,

70 Hor. carm. 1,2,1–12. 71 Vgl. Fraenkel (1957) 288.

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Hagel und Blitzschlag72 werden sodann drei meteorologische Naturphänomene angeführt, die aufgrund ihres unnatürlichen Übermaßes, ihrer Intensität bzw. des speziellen Ortes ihres Auftretens als furchterregende Omina zu verstehen sind und die der Menschheit göttliche Missbilligung vermitteln sollen.73 Universalen Charakter erhält diese Bedrohung dadurch, dass zwar zunächst die personifizierte urbs als durch diese Zeichen verängstigte Entität fokussiert wird und damit als pars pro toto für das römische Volk steht, dass dann die Furcht jedoch in einem zweiten Schritt auf die gesamte Menschheit (gentes) ausgeweitet wird. Auch in der Überlieferungsgeschichte dieser Passage sind die globalen Ausmaße der imaginierten Katastrophe deutlich erkannt worden, wie die alternative Lesart orbem statt urbem zeigt, die der codex Brodaei (16. Jahrhundert) bietet. Diese varia lectio, die in modernen Editionen nicht erwähnt wird,74 fokussiert bereits im ersten Schritt den gesamten Erdkreis anstelle der Stadt Rom,75 was die Klimax von mikro- zu makrokosmischer Ebene eliminiert. In den nachfolgenden Versen ruft Horaz dann auch die Vorstellung einer globalen Flut auf, ohne aber explizit zu erwähnen, wie die Welt eigentlich überflutet wird. Dies gelingt ihm, indem er zunächst auf das »Zeitalter der Pyrrha« (saeculum Pyrrhae) anspielt, die im mythologischen Vergangenheitsdiskurs als Gemahlin Deukalions die Flutkatastrophe überlebt.76 Dadurch, dass er die Rückkehr (redire) dieser einstigen Zeitstufe andeutet, ruft er zahlreiche Elemente des kulturellen Wissensspeichers auf, um die angedeutete Katastrophenvorstellung mit zusätzlichen Bausteinen – wie etwa der konkreten Überflutung – zu erweitern und damit ein kohärentes mentales Szenario zu entwerfen. Diese Imagination erweitert Horaz sodann um die »ungewöhnlichen Erscheinungen« (noua monstra), die während

72 Wie Waszink (1966) 114 bemerkt, ist die Formulierung rubente dextera […] iaculatus wohl »eine Anspielung auf das pindarische Δία φοινικοστερόπαν (Ol. 9,10), wobei allerdings nach echt horazischer Art das von ihm als dem lateinischen Idiom zuwider empfundene zusammengesetzte Adjektiv durch das Zusammenspiel von rubente und iaculatus adäquat ersetzt worden ist, was dann in rubente dextera ein wiederum horazischer Art voll entsprechendes, weil scharf umrissenes, Bild ergibt.« Bemerkenswert ist zudem, dass Horaz damit diejenige Ode Pindars aufruft, in der jener – als ältestes überliefertes Zeugnis – die deukalionische Flut thematisiert. 73 Zur besonderen Bedeutung des Blitzeinschlags im Kapitol vgl. Rosenberger (1998) 115–118. 74 So erwähnen etwa weder die ältere Teubneriana von Klingner (3 1959) noch die aktuelle von Shackleton Bailey (4 2008) diese Lesart. Im Vorwort zu Shackleton Baileys Edition (VI) wird deutlich, dass dies auf die überwältigende Masse an Textzeugnissen für das horazische Œuvre zurückzuführen ist. 75 Der orbis ist auch hier als Personifikation zu verstehen, der alle Bereiche der Welt und die dort lebenden Menschen repräsentiert. 76 In sonstigen Flut-Testimonien wird für gewöhnlich nicht exklusiv auf Pyrrha als Überlebende der Flut verwiesen. Wenn überhaupt tritt sie gemeinsam mit Deukalion auf. Ausschlaggebend könnte hier gewesen sein, dass der zweisilbige Name Pyrrha einfacher in die sapphischen Verse zu integrieren ist als die vier Silben Deucalion (bzw. sogar fünf der Genitivform Deucalionis).

Omnia pontus erant – Flutkonzepte in der augusteischen und frühkaiserzeitlichen Literatur

der vergangenen Flut aufgetreten seien und die er damit ebenfalls für die potenziell bevorstehende Katastrophe evoziert. Dabei bedient er sich zunächst eines weiteren Mythologems, indem er ausführt, dass »Proteus, der u. a. aus Homers Odyssee 4,384ff. bekannte Meeresgott, […] damals sein Vieh (gemeint sind Robben) auf die Berge hinauf«77 getrieben habe und nutzt dieses, um die Szenerie einer »verkehrten Welt« einzuleiten. Die von ihm angeführten Adynata – Fische in Bäumen und im Meer schwimmende Rehe – erinnern an die in Lykophrons Alexandra imaginierten Bilder (Delphine und Wale, die in Wäldern schwimmen sowie Robben auf menschlichen Betten), der diese ebenfalls im Kontext eines Flutnarratives aufruft.78 Horaz nutzt diesen entworfenen Raum wiederum dazu, die »Umkehr der natürlichen Verhältnisse«79 zu illustrieren, wodurch zugleich vermittelt wird, dass nicht nur strukturell-artifizielle, sondern auch naturgesetzliche Ordnungen aufgelöst werden.80 Die ausführlichste und wohl auch prominenteste Darstellung der deukalionischen Flut bietet Ovid in seinen Metamorphosen, die dieser im ersten Jahrzehnt des 1. Jhd. n. Chr. verfasst hat. In seinem Proömium kündigt die ovidische Erzählinstanz81 an, eine fortlaufende Dichtung (carmen perpetuum), vorzulegen, die vom Anbeginn der Welt bis zu ihren eigenen Tagen (ab origine mundi ad mea tempora) verlaufen soll.82 Dazu entwirft sie zunächst eine komplexe Kosmogonie (1,5–88),83 die eine kunstvolle Synthese zahlreicher naturphilosophischer Konzeptionen herstellt84 und zudem auf epische Vorgänger wie Homer und Apollonios von Rhodos verweist, die ebenfalls kosmogonische Partien in ihre Werke eingearbeitet haben.85 Auf diese Entstehungsgeschichte vom Chaos zum Kosmos folgt wiederum eine Schilderung der an sie anschließenden Weltzeitalter (1,89–150), die 77 Breuer (2008) 275. Zudem verweist Vergil in seinen Georgica (4,394f.) darauf, dass Proteus die Robben als seine »Herde« weidet. 78 Siehe dazu Kap. 3.1. 79 Breuer (2008) 276. 80 Erst an späterer Stelle wird deutlich, dass die Überflutung des Tiber als Prodigium verstanden wird, das den Zorn Jupiters gegenüber den Menschen zum Ausdruck bringt (1,2,29f: cui dabit partis scelus expiandi // Iuppiter?). Augustus kommt es als Erlösergestalt wiederum zu, entsprechende Entsühnung zu leisten, um eine potenziell gefährliche Situation abzuwenden; vgl. dazu Breuer (2008) 282–285. 81 Mit diesem Begriff wird im Folgenden der auktoriale Erzähler im Gegensatz zu den zahlreichen intradiegetischen Erzählern, die innerhalb der Metamorphosen auftreten, bezeichnet. 82 Ov. met. 1,1–4. Kontrovers beschäftigen sich etwa Fleischer (1957), von Albrecht (1961), Latacz (1979), Grewing (1993) und Harrauer (2001) mit stilistischen und programmatischen Aspekten des Proömiums. 83 Siehe zu dieser etwa Gindhart (2016) 73f. 84 Siehe zur Diskussion über mögliche Quellen Maurach (1979) 132–134; McKim (1985) 97–99, Spahlinger (1996) 213–229. 85 Vgl. Wheeler (2000) 13.

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mit dem harmonischen, von Überfluss geprägten Zusammenleben von Menschen und Tieren im Goldenen Zeitalter beginnt und sich bis zum Eisernen fortsetzt, das sich dezidiert durch Frevel (nefas, V. 129) auszeichnet. Dabei lässt sich feststellen, dass in der ovidischen Version dieses Mythos vor allem die moralische Degeneration der Menschen betont wird, wohingegen die Erde nach wie vor ausreichend Nahrung zur Verfügung stellt (humus diues, Vv. 137f.), jedoch von den habgierigen Menschen über Gebühr ausgebeutet wird.86 S. M. Wheeler bemerkt dazu treffend: »The antithesis between the races of gold and iron recalls the antithesis between chaos and cosmos. The difference is that the ideal pattern ›from chaos to order‹ is chiastically reversed to illustrate decline.«87 Dieses Narrativ von menschlicher Depravation wird zusätzlich durch eine HybrisErzählung erweitert (1,151–162): die Erzählinstanz berichtet, dass sich die Giganten gegen die Götter erhoben, um deren Herrschaft über die Welt an sich zu reißen, woran sie der Göttervater Jupiter jedoch hinderte, indem er sie mit seinem Blitz niederstreckte. Das Blut der besiegten Giganten sei auf die Erde gefallen und aus diesem Gemisch sei durch Spontangenese ein menschliches Geschlecht entstanden, das die Frevelhaftigkeit der Giganten mit dem Blut quasi aufgesogen hätte.88 Dadurch, dass die beiden Episoden über das genus ferreum und das genus sanguineum narrativ unmittelbar miteinander verknüpft sind, liegt es näher, eine Koexistenz der beiden Geschlechter anzunehmen,89 und die zweite nicht etwa als alternative Ätiologie der Anthropogenese zu verstehen.90 Somit kann trotz der Intervention Jupiters und der Bewahrung der himmlischen Herrschaft nicht etwa von einem Sieg der Ordnung über das Chaos gesprochen werden, sondern vielmehr von einer Intensivierung des nefas auf Erden. Dass auch der Göttervater selbst zu dieser Erkenntnis kommt, wird den Rezipienten durch einen Wechsel von der Nullfokalisierung des auktorialen Erzählers zur internen Fokalisierung Jupiters vermittelt: Diese erfahren, dass Jupiter sich an ein »grässliches Gelage« (foeda conuivia, V. 165) im Hause Lykaons erinnert und darüber retrospektiv erneut in Zorn gerät.91 Im Anschluss wird in geraffter Form berichtet, dass er eine Götterversammlung (concilium, V. 167) einberuft, zu der sich die geladenen Götter unverzüglich begeben. Anstatt dieses schnelle Erzähltempo beizubehalten, wird die Handlung jedoch durch einen ekphrastischen

86 Ov. met. 1,137–140. 87 Wheeler (2000) 24. 88 Siehe dazu Bömer (1969) I 71: »Das Motiv der Erschaffung von Lebewesen aus dem Blute ist weit verbreitet: Das Blut des von Kronos entmannten Uranos fällt auf die Erde; Gaia nimmt es auf und schafft daraus die Erinyen, Giganten und Melischen Nymphen […].« 89 Vgl. Bretzigheimer (1999) 26. 90 So etwa Wheeler (2000) 25f. 91 Ov. met. 1,163–166.

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Einschub angehalten, der in neun Versen eine detailreiche Topografie des Göttersitzes entwirft.92 In externer Fokalisierung wird anschließend berichtet, dass sich alle Götter zum Rat eingefunden haben und Jupiter die Versammlung mit einer Ansprache eröffnet, die sich als umfangreicher, in direkter Rede wiedergegebener Monolog erweist.93 Jupiter beginnt, indem er hyperbolisch hervorhebt, dass die Herrschaft über die Welt (regnum mundi) derzeit gefährdeter sei als einst beim Angriff der Giganten.94 Die dabei verwendete Litotes (non magis anxius fui) betont seine persönliche Betroffenheit und erzeugt damit ein Gefühl der Bedrohung bei seinen Zuhörern, auf das er im Anschluss aufbauen kann. Diese sieht er darin begründet, dass die Giganten zwar erbitterte Gegner gewesen seien (ferus hostis), dass es sich bei ihnen jedoch nur um eine einzige Gruppierung (unum corpus) gehandelt hatte, von der die Bedrohung ausging.95 Im aktuellen Fall nehme die Gefahr jedoch globale Ausmaße an (qua totum Nereus circumsonat orbem), da das ganze Menschengeschlecht zum Feind der Götter geworden sei und deshalb vernichtet werden müsse.96 Auffällig ist, dass bereits an dieser Stelle mit der Erwähnung des Nereus die Vorstellung aufgerufen wird, dass Wasser die Welt vollständig umgibt und sich eine Überflutung somit für ein globales Untergangsszenario anbietet. Dass nicht etwa über eine solche Vernichtung diskutiert wird, sondern Jupiter diese bereits unumstößlich beschlossen hat, signalisiert er durch einen Schwur bei dem Unterweltsfluss Styx.97 Seine Entscheidung veranschaulicht er durch eine medizinische Analogie: »Ein unheilbares Körperteil muss mit dem Schwert abgehauen werden, damit der gesunde Teil nicht befallen wird.«98 Unter dem »gesunden Teil« versteht Jupiter, wie in den folgenden Versen deutlich wird, die sogenannten semidei und rustica numina, also Nymphen, Faune, Satyrn und Silvane.99 Als Erdenbewohner seien diese unmittelbar von der moralischen Depravation, die von den Menschen wie eine Krankheit ausgeht, betroffen und müssten vor dieser

92 Ov. met. 1,168–176. Auf Ähnlichkeiten zwischen der Götterstadt und Rom, sowie zwischen dem concilium deorum und dem römischen Senat weist Anderson (1989) 93 hin: »At the summoning of the Council, Ovid seizes his opportunity to describe the meeting-place and the homes of the gods in a flagrantly un-epic, anachronistic manner that repeatedly invites his audience to imagine Jupiter as Augustus, the other gods as prominent Romans, and the Council as a session of Roman Senate hurriedly called on the Palatine Hill.« 93 Durch diesen ›dramatischen Modus‹ wird ein Höchstmaß an Unmittelbarkeit erzeugt; vgl. dazu Martínez/Scheffel [9 2012] 52f. 94 Ov. met. 1,182–184. 95 Ov. met. 1,185f. 96 Ov. met. 1,187f. 97 Ov. met. 1,188f. Bei diesem Schwur handelt es sich um einen epischen Topos, der bereits bei Homer (Il. 14,271–274) vorkommt. 98 Ov. met. 1,190f.: […] sed inmedicabile corpus // ense recidendum est, ne pars sincera trahatur. 99 Ov. met. 1,192–195.

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Bedrohung geschützt werden. Ironischerweise wird während des Flutnarratives nicht erwähnt, dass diese in irgendeiner Weise von der Vernichtung ausgenommen wären, was das Argument Jupiters ad absurdum führt. Es dient ihm jedoch in dieser Situation als Mittel zum Zweck: Einerseits kann er an die Fürsorgepflicht der Olympier appellieren, sodass diese eine entsprechende Maßnahme zum ›Schutz‹ der niederen Gottheiten für notwendig halten. Andererseits erlaubt es ihm, auf seine eigenen negativen Erfahrungen überzuleiten, die er – wie bereits zuvor angedeutet– im Hause des Lykaon gemacht hat. Diese Ereignisse schildert Jupiter sodann als intradiegetisch-homodiegetischer Erzähler. Als er sich »vor kurzem« (recens, V. 164) in menschlicher Gestalt auf der Erde befand, habe er erkannt, dass die Verdorbenheit der Menschen noch schlimmer als befürchtet sei.100 Dabei können einige Unstimmigkeiten in seiner Geschichte nachgewiesen werden,101 die diese zweifelhaft erscheinen lassen.102 So berichtet er etwa, dass die Arkadier sogleich anfingen zu beten, als er sich in ihrer Gegenwart als Gott zu erkennen gab, und er bezeichnet diese Gebete sogar als pia uota (V. 221). Dies widerspricht seiner zuvor so ausdrücklich vertretenen These, dass die gesamte Menschheit bereits dem nefas verfallen sei und diese Verdorbenheit sich geradezu epidemisch ausbreite. Indem Jupiter aber die Wahrheit berichtet – und damit explizit seine Behauptung entkräftet – inszeniert er den Herrscher als außerordentlich pervertiert:103 Nicht einmal in der Gegenwart eines Gottes sei dieser fähig, pietas zu zeigen, sondern mache sich einer grausamen Hybris schuldig, indem er jenen auf die Probe stellt. So versucht Lykaon zunächst, Jupiter im Schlaf zu ermorden. Als dies jedoch fehlschlägt, tötet er eine Geisel, die ihm von den Molossern anvertraut wurde, und setzt sie anschließend – teils gekocht, teils geröstet – Jupiter vor,104 der diese List sofort durchschaut und den Blitz auf Lykaons Haus niederfahren lässt. Dieser kann dem Einschlag zwar entgehen und sich in die Wildnis flüchten, verwandelt sich dort aber in einen Wolf, wodurch seine äußere Gestalt an sein Wesen angepasst und damit, wie A. Feldherr konstatiert, geradezu eine natürliche Ordnung wiederhergestellt wird: »He subsequently undergoes a transformation that seems at once to punish his attempt to take on the god’s role in the story and to express his own innate bestiality. […] Just as

100 Ov. met. 1,209–239. 101 Vgl. dazu ausführlich Anderson (1989) bes. 96–98. 102 Hierfür erweist sich erneut das narratologische Konzept des unzuverlässigen Erzählens (siehe dazu Martínez/Scheffel [9 2012] 103–110) als fruchtbar. 103 Vgl. Bretzigheimer (1999) 34. 104 Hinter dieser Episode steht offenbar eine religionsgeschichtliche Überlieferung, die von einem Menschenopfer an Zeus Lykaios auf dem Berg Lykaion in Arkadien handelt und sich in verschiedenen Varianten findet; siehe dazu Bömer (1969) I 94f.

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the creation of the world involved the separation of the lighter elements from water and earth, so here this wild beast who had somehow been grouped among men has finally been returned to his rightful category. The change that has taken place is merely one of form. And Lycaon’s new shape not only more clearly reveals his essence, it also manifests and enforces the cosmic hierarchies he has violated.«105

Obwohl somit auf individueller Ebene ein korrigierender Eingriff stattgefunden hat, der den Frevel Lykaons bestraft, besteht Jupiter in der conclusio seiner Rede darauf, dass die gesamte Menschheit Strafe verdiene, da sie sich unisono dazu entschieden hätte, Verbrechen zu begehen.106 Dadurch, dass er zuvor noch selbst die zur Schau gestellte Frömmigkeit der Arkadier hervorgehoben hatte, nimmt diese Schlussbemerkung fast schon paranoide Züge an.107 Dieser Eindruck erhärtet sich umso mehr, wenn Jupiter seine Ausführungen mit sic stat sententia beschließt, wodurch er eine nachfolgende Debatte mit den anderen Göttern unterbindet.108 Deren Einwände werden lediglich vom auktorialen Erzähler referiert: […] quae sit terrae mortalibus orbae forma futura, rogant, quis sit laturus in aras tura, ferisne paret populandas tradere terras.109 Sie fragen, wie die Welt zukünftig ohne Lebewesen aussehen werde, wer Weihrauch zu den Älteren bringe, (und) ob er bereit ist, die Erde den wilden Tieren zur Verwüstung zu überlassen.

Die grundsätzliche Sorge der Götter um die zukünftigen Verhältnisse teilt sich in zwei Aspekte: Einerseits beschäftigt sie die Frage, wer die kultischen Dienste übernehmen soll, wenn es keine Menschen mehr gibt. Darin zeigt sich die Vorstellung, dass die Sterblichen den Göttern nutzen, indem sie letztere anbeten. Hier klingt ein Motiv an, das sich explizit in altorientalischen Flutnarrativen findet: So sind die Götter im Atram-ḫasīs-Epos und im Gilgameš-Epos von den Opfern der Menschen abhängig, da sie sich von diesen ernähren und ohne sie hungern müs-

105 Feldherr (2002) 170. 106 Ov. met. 1,241–243: […] qua terra patet, fera regnat Erinys. // in facinus iurasse putes; dent ocius omnes // quas meruere pati, sic stat sententia, poenas. 107 In der irrationalen Wut Jupiters gegenüber der gesamten Menschheit sieht Griffin (1992) 42–44 – neben vielen anderen angeführten Gemeinsamkeiten – Ähnlichkeiten zur Charakterisierung Jahwes im Flutbericht der Genesis. 108 Vgl. Degl’Innocenti Pierini (1987) 144. 109 Ov. met. 1,247–249.

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sen.110 Die olympischen Götter sind dabei vergleichsweise bedacht, wenn sie Jupiter damit konfrontieren, dass bei einem Untergang der Menschheit die Kultpraktiken ausbleiben.111 Wenn sich die Götter andererseits darum sorgen, dass die Welt von wilden Tieren verwüstet würde, wird dabei der Gedanke artikuliert, dass die Menschen eine ordnende Funktion erfüllen. Indem sie die Erde bewirtschaften, Gemeinschaften bilden und Gebäude errichten, kultivieren sie die wilde Natur und etablieren eine entsprechende Ordnung. Ohne sie ginge diese wiederum verloren, was zu einem chaotischen Zustand der Welt führen würde. Diesen Bedenken setzt Jupiter jedoch das Versprechen entgegen, dass er nach der Vernichtung des derzeitigen Menschengeschlechts für ein neues von »wunderbarem Ursprung« (origine mira, V. 252) sorgen werde. Diese prophetische Verheißung ist – fast schon wie ein Orakelspruch – möglichst offengehalten, sodass sowohl die expliziten als auch die impliziten Zuhörer den weiteren Handlungsverlauf abwarten müssen, um mehr über die spezifische Genese zu erfahren. Das Motiv des concilium deorum bildet zwar einen prominenten Bestandteil zahlreicher Epen und begegnet auch meist parodistisch adaptiert in Komödien und Satiren, in denen die Götter ebenfalls über das Schicksal der Menschheit – besonders über deren Bestrafung bzw. Dezimierung – diskutieren.112 Jedoch wird stets eine alternative Lösung zur generellen Vernichtung der Menschheit angestrebt. Ovids Version unterscheidet sich von diesen besonders darin, dass er den Untergang der Menschheit – wie in altorientalischen Flutberichten – ohne nennenswerte Diskussion mit den anderen Göttern beschließt. Die Götterversammlung endet schließlich damit, dass der auktoriale Erzähler zu einer internen Fokalisierung Jupiters übergeht, durch die er »den Rezipient [erneut] an den Gedanken des Akteurs Jupiter teilhaben«113 lässt. Dieser erwägt zunächst, die Menschheit mit Blitzen auszulöschen, befürchtet dann jedoch, dass dieser Vernichtungsakt in einen Weltenbrand ausarten könnte.114 Dieser Gedanke weckt wiederum seine Erinnerung an einen Schicksalsbeschluss:

110 111 112 113

Siehe dazu Kap. 3.1. Vgl. Gindhart (2016) 74. Vgl. Bretzigheimer (1999) 26. Gindhart (2016) 76. Siehe insgesamt die narratologische Analyse zur Flut und deren Präludien ebd. 76–79. 114 Ov. met. 1,253–255: iamque erat in totas sparsurus fulmina terras; // sed timuit, ne forte sacer tot ab ignibus aether // conciperet flammas longusque ardesceret axis.

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esse quoque in fatis reminiscitur adfore tempus, quo mare, quo tellus correptaque regia caeli ardeat et mundi moles operosa laboret.115 Auch erinnert er sich daran, dass in den Schicksalssprüchen gesagt werde, es werde eine Zeit kommen, in der das Meer, in der die Erde und die (von Flammen) ergriffene Himmelsburg brennen und das Weltgebäude in mühevoller Not ist.

Dass Jupiter auf seine Erinnerung an gewisse fata zurückgreift, verweist auf eine theologische Konzeption, die erst gegen Ende der Metamorphosen (15,807-815) erläutert wird: Dort erklärt er seiner Tochter Venus, dass sich im Haus der Parzen ein unvorstellbar großes Archiv aus Erz und Eisen befinde, das die gesamte Weltgeschichte enthalte (ex aere et solido rerum tabularia ferro, V. 810). Dieses hat er (möglicherweise als einziger) vollständig gelesen, weshalb er sich an alle Einzelheiten des festgeschriebenen Zeitablaufes erinnern und anderen darüber berichten kann.116 Da diese tabularia offenbar seit der Erschaffung der Welt bestehen, repräsentieren sie eine grundsätzliche Vorstellung: Das Schicksal ist vollkommen unabänderlich, da es in unvergängliches und unzerstörbares Material eingeschrieben worden ist und von den Parzen sicher verwahrt wird. Dass sich selbst der Göttervater bei bedeutenden Entscheidungen, wie dem Modus zur Vernichtung der Menschheit, an diese festgeschriebenen fata erinnert und diese befolgt, unterstreicht diese Vorstellung umso mehr. Wie aus der Untersuchung von G. B. Conte hervorgeht, werden Verben des Erinnerns im Corpus Ovidianum oftmals als Signal dafür verwendet, dass an dieser Stelle auf einen konkreten Prätext angespielt wird.117 Im vorliegenden Fall bezieht sich die intertextuelle Referenz auf eine bereits behandelte Passage aus Lukrezens De rerum natura,118 in der die auktoriale Erzählinstanz verkündet, dass an einem einzigen zukünftigen Tag alle Strukturen der differenzierten Welt vernichtet werden. Dass Ovid dieses Konzept dezidiert mit Lukrezens Werk assoziiert hat, wird besonders in den Amores deutlich: »Dann wird auch die Dichtung des erhabenen Lukrez vernichtet sein, wenn ein einziger Tag die Erdteile dem Untergang anheimgeben wird.«119 Zwar erwähnt die lukrezische Erzählinstanz in den alludierten Versen nicht explizit, dass Feuer zum Untergang der Welt führen werde, jedoch wird an späterer Stelle deutlich, dass dieses als einer von mehreren möglichen 115 Ov. met. 1,256–258. 116 Ov. met. 8,814f.: […] legi ipse animoque notavi // et referam, ne sis [scil. Minvera] etiamnum ignara futuri. 117 Vgl. Conte (1986) 57–59. 118 Lucr. 5,91–96. Siehe dazu oben 138. Auf die Parallele verweist auch Bömer (1969) I 102f. 119 Ov. am. 1,15,23f.: carmina sublimis tunc sunt peritura Lucreti, // exitio terras cum dabit una dies.

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Auflösungsmodi erachtet wird. Indem Ovid diese Verse aufruft, konfrontiert er seine Rezipienten mit dem in De rerum natura dargestellten Konzept eines unvermeidlichen Weltuntergangs, formuliert seine Anspielung jedoch in einer solchen Weise, dass auch alternative Deutungen möglich sind. So besagt die von Jupiter erinnerte Passage des Schicksalsarchivs zwar explizit, dass die drei Weltzonen eines Tages in Brand (ardere) und die Welt insgesamt in Not (laborare) geraten wird, was jedoch offenlässt, ob dieses Szenario zu einem Untergang der Welt führen wird. Einerseits könnten die Rezipienten hier ihr kulturelles Wissen um potenzielle Weltuntergänge durch Feuer einfügen, um diese Verse als Ankündigung eines solchen finalen Szenarios zu verstehen, wie es auch die auktoriale Erzählinstanz in De rerum natura vorgetragen hat. Zudem könnten sie alternativ auf Wissensbausteine der stoischen Ekpyrosis-Konzepte zurückgreifen, um diese Verse als Hinweis auf eine Auflösung der Welt in Feuer mit anschließender Neukonsolidierung zu lesen.120 Andererseits könnte es sich bei dieser mehrdeutigen Stelle auch um einen intratextuellen Vorverweis handeln, der auf die spätere Phaethon-Episode anspielt.121 Wird dieser Mythos in Lukrezens Werk verwendet, um die Plausibilität einer globalen Vernichtung durch Feuer nachzuweisen, begegnet er in den Metamorphosen als Erzählung über die Hybris eines einzelnen Menschen, die fast zum Untergang der gesamten Welt geführt hätte, wenn der Göttervater nicht eingeschritten wäre.122 Dass die Narrative um Deukalions Flut und Phaethons Sturz in antiken Darstellungen miteinander assoziiert worden sind,123 hat sich bereits an mehreren Stellen – besonders bei Platon und bei Lukrez – gezeigt, wird aber außerdem in den Fasti (4,793f.) Ovids evident, wo dieser die beiden Ereignisse als potentielle Kultätiologie miteinander in Verbindung bringt.124 Nachdem Jupiter in den Metamorphosen also vom Feuer als Untergangsagenten abgekommen ist, wendet er sich dem entgegengesetzten Element, dem Wasser, zu:

120 Siehe dazu Kap. 5.2. 121 Siehe zu dieser Kap. 6.3. 122 Da in den Metamorphosen ebenfalls Anklänge an augusteische Unendlichkeitskonzeptionen auftauchen, wäre m. E. eine intratextuelle Referenz zu präferieren, wodurch das Weltuntergangskonzept auf eine globale Katastrophe, deren Extrem im letzten Moment verhindert werden konnte, begrenzt werden würde. 123 Siehe auch Otis (2 1970) 91: »These myths (Phaethon, Deucalion) had long been associated with the two great catastrophes or Doomsdays, the Fire and the Flood.« Bei Hygin (fab. 152) findet sich eine Mythenvariation, nach der Zeus den von Phaethon verursachten Brand als Vorwand herangezogen hat, um mit der deukalionischen Flut die Menschheit auszulöschen. 124 In enger Verbindung stehen diese auch bei Manilius, der in seinen Astronomica (4,828–837) eine knappe Zusammenfassung der Mythen bietet.

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poena placet diversa, genus mortale sub undis perdere et ex omni nimbos demittere caelo.125

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Die entgegengesetzte Strafe beschließt er, das sterbliche Geschlecht in den Wogen vergehen und aus dem ganzen Himmel Regengüsse niederfallen zu lassen.

Danach wechselt die Erzählung von der internen zur Nullfokalisierung, sodass aus der Innenwelt Jupiters herausgezoomt wird und sich die Perspektive der Rezipienten wieder auf die Gesamtszenerie ausweitet. Zudem steigert sich das Erzähltempo. In bemerkenswert kurzer Erzählzeit werden viele aufeinanderfolgende und gleichzeitig stattfindende Ereignisse geschildert: Zunächst schließt Jupiter den Nordwind (Aquilo) und alle anderen Winde, die aufziehende Wolken auseinandertreiben könnten, in die Höhle des Äolus ein, der ebenfalls in Vergils Aeneis als göttlicher Windwächter auftritt und für Juno die Winde befreit, um den fliehenden Trojanern zuzusetzen.126 An deren Stelle sendet der Göttervater sodann den Südwind (Notus) aus, der vor allem in den Wintermonaten für Regen und Stürme verantwortlich gemacht worden ist.127 Die Handlung pausiert sodann mit einer Ekphrase, die den schrecklichen Anblick des Windes und dessen Zug durch die Wolken visualisiert: […] madidis Notus evolat alis terribilem picea tectus caligine vultum: barba gravis nimbis, canis fluit unda capillis, fronte sedent nebulae, rorant pennaeque sinusque; utque manu late pendentia nubila pressit, fit fragor: hinc densi funduntur ab aethere nimbi.128

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Mit feuchten Flügeln fliegt der Notus, seine schreckliche Miene in pechschwarze Dunkelheit gehüllt: Der Bart ist schwer von Regen, die Woge fließt aus dem grauweißem Haar, Nebelschwaden sitzen auf der Stirn, Federn und Brust sind feucht; Und jedes Mal, wenn er mit der Hand die weithin hängenden Wolken gedrückt hat, entsteht ein Krachen: Daraufhin ergießt sich dichter Dauerregen aus dem Himmel.

In dieser ersten Phase des Flutszenarios, in der anhaltender Regen auf die Erde niedergeht, wird also der Südwind als Agent des Auflösungsprozesses eingesetzt. Dabei installiert Ovid zugleich eine anschauliche Beschreibung eines meteorologischen

125 126 127 128

Ov. met. 1,260f. Vgl. Hardie (1986) 92. Vgl. Hünemörder/Käppel (2000). Ov. met. 1,264–269.

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Vorganges,129 indem er die Begleiterscheinungen des heraufziehenden Sturms als physische Attribute der mythischen Figur Notus inszeniert. Dieses grundsätzlich harmlose Naturphänomen wird dann jedoch dadurch überhöht, dass die Gewitterwolken sich nicht etwa abregnen, sondern durch die Götterbotin Iris, die den personifizierten Regenbogen repräsentiert, ständig mit neuem Wasser versorgt werden.130 Die ersten Konsequenzen dieses schweren Dauerregens werden durch ein Zoom-In auf die von ihm betroffenen Bauern deutlich, die den Verlust einer Jahresernte beklagen, wobei ihnen zu diesem Zeitpunkt aber offensichtlich noch nicht bewusst ist, dass die Regengüsse nur die erste Stufe eines Untergangsszenarios darstellen.131 Geradezu kriegerische Ausmaße erhält die Szene, wenn im Folgenden Neptun als Verbündeter Jupiters eingeführt wird, der die aus dem Himmel kommenden Wassermassen mit »helfenden Wellen« (auxiliares undae) unterstützt.132 Wie ein Feldherr vor der Schlacht teilt der Meeresgott seinen Truppen – den Flüssen – seine Anweisungen mit, sich in keiner Weise zurückzuhalten und vielmehr zügellos zu wüten.133 Neptun selbst greift zu seinem charakteristischen Dreizack (tridens), um ein Erdbeben zu verursachen, das die unterirdischen Wasserreservoirs freisetzt, wodurch eine weitere Ent-Grenzung der Gewässer eingeleitet wird.134 Diese Gelegenheit nehmen die Flüsse schleunigst wahr, was durch das rasante Erzähltempo unterstrichen wird: exspatiata ruunt per apertos flumina campos cumque satis arbusta simul pecudesque virosque tectaque cumque suis rapiunt penetralia sacris. siqua domus mansit potuitque resistere tanto indeiecta malo, culmen tamen altior huius

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129 Eine meteorologische Erklärung für die Entstehung des Donners bietet etwa Aristot. meteor. II 9, 369 a 10–b 3. 130 Ov. met. 1,270f. Siehe dazu Gindhart (2016) 76: »Da der Regenbogen traditionell als Zeichen für verstärkten Regen gilt, ist Iris äußerst stimmig gewählt.« 131 Ov. met. 1,272f. Diese Bauern könnten auch als Anspielungen auf die beiden Bauern-Figuren, den Pflüger (arator) und den Winzer (vitis sator), am Ende des zweiten Buches von De rerum natura (2,1164–1174) zu verstehen sein, die ihr jeweiliges Schicksal aus verschiedenen Perspektiven beklagen, ohne jedoch die grundlegende Wahrheit zu verstehen, die hinter ihrer aktuellen Lage steht. Wie bei Lukrez sind es auch hier die Rezipienten, die die Situation durchschauen und die zugrundeliegenden Ursachen verstehen können. 132 Ov. met. 1,274f. 133 Ov. met. 1,276–282. Vgl. Gindhart (2016) 76: »Die Erde steht quasi im Fadenkreuz vertikaler wie horizontaler aquatischer Zerstörung.« 134 Ov. met. 1,283f. Zur klassischen Ikonographie Neptuns mit dem Dreizack siehe Bömer (1969) I 107.

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unda tegit, pressaeque latent sub gurgite turres; iamque mare et tellus nullum discrimen habebant: omnia pontus erant, deerant quoque litora ponto.135

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Die entgrenzten Fluten stürzen durch die leicht zugänglichen Felder und reißen zugleich mit den Saaten Gebüsch und Vieh und Männer und Gebäude und Heiligtümer mit ihren Götterbildern mit sich. Und wenn ein Haus erhalten blieb und so großem Übel unbeschadet widerstehen konnte, wird dessen Dach trotzdem von einer höheren Welle bedeckt und tief begraben unter dem Strudel sind die Türme verborgen; und schon gab es keinen Unterschied mehr zwischen Meer und Erde: Alles war Meer und dem Meer fehlten sogar die Küsten.

Innerhalb weniger Verse werden die aufwendig geschaffenen Strukturen – menschengemachte wie natürliche, sogar den Göttern geweihte Artefakte – von den Wassermassen aufgelöst bzw. unsichtbar gemacht und die Trennung der Elemente eliminiert, sodass die hyperbolische Aussage136 »alles war Meer« (omnia pontus erant) das Bild einer homogenen Masse evoziert, die an den zu Beginn der Kosmogonie geschilderten chaotischen Urzustand erinnert.137 Daran schließt sich eine ekphrastische Schilderung an, in welcher der heterodiegetische Erzähler den eingetretenen Status ausgiebig schildern kann.138 Dabei erinnern die von Wasser bedeckten Türme an das in Lykophrons Alexandra aufgerufene Bild einer »verkehrten Welt« ,139 das auch mit den anschließenden Topoi (1,293-305a) umfangreich illustriert wird: Überlebende rudern auf Feldern, die sie zuvor bestellt haben, und senken die Anker ihrer Boote in Weingärten, Fische schwimmen in Baumkronen, Robben bevölkern Gegenden, auf denen zuvor Ziegen gelebt haben, die Nereiden bewundern unter Wasser die ehemaligen Bauten der Menschen, Delphine schwimmen durch Wälder. Schließlich wird sogar der Eindruck vermittelt, es herrsche ein Tierfrieden vor – geradezu ein wiederhergestellter Zustand des Goldenen Zeitalters –, wenn der Erzähler betont, dass der Wolf mitten unter den Schafen schwimmt. Dabei ist jedoch ein anderer Subtext dieses Bildes besonders aussagekräftig: Vielfach ist darauf aufmerksam gemacht worden, dass der Wolf in diesem Kontext auf

135 Ov. met. 1,285–292. 136 Da der Parnass von der Überschwemmung ausgenommen wurde und Deukalion und Pyrrha im Anschluss als sicherer Zufluchtsort dient, ist omnia (V. 292) eine bewusst eingesetzte Zuspitzung, die den Rezipienten an dieser Stelle noch nicht offenbaren soll, dass zwei Menschen die Katastrophe überlebt haben. 137 Siehe Wheeler (2000) 29: »The repetition of -que and the listing of items carried away in the flood conveys the confusion that is characteristic of chaos.« 138 Vgl. Solodow (1988) 124f. 139 Siehe Kap. 3.1.

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Lykaon verweist, der zwar dem Blitzschlag entgehen und in den Wald entkommen konnte, aber dann dennoch durch die Flut umkommt.140 Neben diesem trifft die Strafe jedoch auch die Schafe, die stellvertretend für alle Unschuldigen gelesen werden können,141 was erneut hervorhebt, dass das von Jupiter beschlossene Strafmaß jegliche Relation überschreitet. Gerade Ovids paradoxe Szenen einer »verkehrten Welt« erinnern an die bei Horaz aufgerufenen Adynata, dass während der Flut Fische in Ulmenwipfeln und Rehe unter der Meeresoberfläche geschwommen seien (Hor. carm. 1,2,9–12). Diese Szenerie, die durch ihre Absurdität und Häufung der Bilder gewissermaßen komisch wirken kann,142 wechselt dann jedoch in stark geraffter Form zur Schilderung eines Todesraumes:         […] nec vires fulminis apro, crura nec ablato prosunt velocia cervo, quaesitisque diu terris, ubi sistere possit, in mare lassatis volucris vaga decidit alis. obruerat tumulos inmensa licentia ponti, pulsabantque novi montana cacumina fluctus. maxima pars unda rapitur: quibus unda pepercit, illos longa domant inopi ieiunia victu.143

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[…] Weder nützt dem Eber die blitzesgleiche Kraft, noch nützen dem Hirsch, weggetragen (von der Flut), die schnellen Schenkel, und nachdem er lange Zeit nach Land gesucht hat, auf dem er landen kann, fällt der umherirrende Vogel mit erschöpften Flügeln ins Meer. Die unermessliche Zügellosigkeit des Meeres hatte die Hügel bedeckt und neue Fluten schlugen immer wieder an die Berggipfel. Der größte Teil (der Lebewesen) wird von der Welle davongerissen: jene, die die Welle verschont hat, streckt der Hunger nieder, der aus Mangel an Nahrung andauert.

War die Szenerie durch den scheinbar vorherrschenden Tierfrieden zunächst noch geradezu spielerisch gestaltet, bricht sie nun zu ›bitterem Ernst‹ um, wodurch die Drastik exponentiell gesteigert wird: Alles außermaritime Leben stirbt ab und auf der Meeresfläche treiben Leichen umher. Diese Imagination eines mit Wasser gefüllten Todesraumes wird sodann durch einen Zoom-In auf den Parnass aufge-

140 Vgl. Wheeler (2000) 31f. 141 So geht etwa aus einer Fabel des Phaedrus (1,1) hervor, dass Schafe – besonders Lämmer – als Sinnbilder der Unschuldigen (innocentes) verstanden werden können. 142 Siehe etwa Herter (1981) 336f. 143 Ov. met. 1,305–312.

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brochen, dessen beide Gipfel als einzige noch aus den Wassermassen aufragen.144 Die Blickführung verengt sich erneut, indem Deukalion und Pyrrha als einzige Überlebende der Flut in den Fokus gerückt werden: Diese konnten sich auf einem kleinen Floß (parva ratis, V. 319) auf den sicheren Berg retten. Im selben Atemzug betont die Erzählinstanz, dass sich diese beiden besonders durch Anstand und Frömmigkeit auszeichnen,145 sodass die Rettung implizit mit den Charaktereigenschaften der Akteure verbunden ist.146 Denn aufgrund ihrer pietas machen sie sich auch sogleich daran, zu den ansässigen Berggottheiten (numina montis), den corycischen Nymphen (Corycidae nymphae) sowie zur Göttin Themis zu beten, um ein Orakel von dieser zu erbitten.147 Daraufhin schwenkt die Perspektive unmittelbar zu Jupiter, durch dessen Augen die Rezipienten panoptisch auf die unter ihm liegende Meeresfläche blicken.148 Dieser erkennt, dass sein Vernichtungsplan erfolgreich gewesen ist, wobei eben nicht die gesamte Menschheit, sondern nur deren größter Teil ausgelöscht wurde.149 Um die beiden gottesfürchtigen und schuldlosen Überlebenden abzusichern, lässt er den zuvor eingekerkerten Nordwind nun doch frei, um die Wolken zu zerstreuen und die Regengüsse zu beenden.150 In einem nächsten Schritt Neptun wird fokalisiert, dessen Wut sich ebenfalls gelegt hat und der das zuvor aufgewühlte Meer (also sich selbst) besänftigt.151 Dabei verwendet die Erzählinstanz erneut Bilder aus dem Bereich des Militärwesens, wenn Neptun den Meeresgott Triton im Folgenden wie einen Hornbläser der Legion (cornicen) zu sich befiehlt, damit dieser die entgrenzten Flüsse mit seiner »tönenden Muschel« (sonans concha) zum

144 Ov. met. 1,316f. 145 Dies kulminiert in Ov. met. 1,322f.: non illo melior quisquam nec amantior aequi // vir fuit aut illa metuentior ulla deorum. 146 Vgl. Caduff (1986) 212: »[…] es ist doch wohl letztlich das Eingeständnis der eigenen Niederlage, das hinter dem Entschluß Iuppiters steht, die Erde wieder sichtbar werden zu lassen. Der Hinweis auf die moralischen Qualitäten von Deukalion und Pyrrha kaschiert diesen Sachverhalt nur notdürftig; es bleibt doch eigentlich merkwürdig, daß Iuppiter erst nach der Flut auf das fromme Wesen der beiden aufmerksam wird, zumal ihr Gebet gar nicht ihm gilt.« Kritisch zu dieser Ansicht äußert sich etwa Spahlinger (1996) 83 Anm. 3: »Damit wird Caduff kaum der Absicht Ovids gerecht, dem es nicht um die Machtlosigkeit der Götter geht, die sich so erwiese, sondern vielmehr im Gegenteil um die Macht der Götter und das Gebot der Ehrfurcht vor ihnen.« 147 Ov. met. 1,320f. 148 Siehe dazu Bömer (1969) I 116: »Die völlige Herrschaft des Wassers wird hier gleich durch drei ›flüssige‹ Wörter [liquidis stagnare paludibus] zum Ausdruck gebracht.« 149 Ov. met. 1,325f.: et superesse virum de tot modo milibus unum // et superesse videt de tot modo milibus unam. 150 Ov. met. 1,327f.: innocuos ambo, cultores numinis ambo, nubila disiecit nimbisque aquilone remotis. 151 Ov. met. 1,330–332a.

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Rückzug ruft.152 Stark gerafft wird daraufhin von der Restrukturierung der Erde berichtet: tunc quoque, ut ora dei madida rorantia barba contigit et cecinit iussos inflata receptus, omnibus audita est telluris et aequoris undis et, quibus est undis audita, coercuit omnes. iam mare litus habet, plenos capit alveus amnes, flumina subsidunt collesque exire videntur, surgit humus, crescunt loca decrescentibus undis, postque diem longam nudata cacumina silvae ostendunt limumque tenent in fronde relictum.153

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Damals ist sie [i. e. die Muschel] auch, sobald sie den Mund des Gottes, der feucht war vom nassen Bart, berührt und mit ihrem Ton den befohlenen Rückzug verkündet hat, von allen Fluten der Erde und des Meeres gehört worden und hat alle Fluten, von denen sie gehört worden ist, zur Ordnung gerufen. Schon hat das Meer (wieder) eine Küste, das Flussbett fasst die wasserreichen Ströme, die Fluten sinken und die Hügel scheinen emporzusteigen, der Erdboden erhebt sich, die Landfläche nimmt zu, während die Fluten abnehmen, und nach einer langen Zeitspanne zeigen die Wälder entblößte Wipfel und tragen übrig gebliebenen Schlamm im Laub.

In rasantem Erzähltempo wird geschildert, wie die Gewässer sich vom Land zurückziehen und dadurch die Strukturen, die während der Kosmogonie entstanden sind, wieder auftauchen. Die personifizierten Fluten erscheinen als die Truppen, die auf den Befehl ihres Anführers das Schlachtfeld verlassen, was durch die Epanalepse in chiastischer Stellung audita est (…) undis – est undis audita verdeutlicht wird. Indem das Wasser damit erneut seinen vorgesehenen Bereich einnimmt, unterstrichen durch die Antithese crescunt loca – decrescentibus undis, wird die Welt wieder in einen geordneten Zustand gebracht, von dem eine zweite Schöpfung ausgehen kann. Dass die Ereignisse hier im Modus des summarischen Erzählens dargestellt werden, vermittelt zunächst den Eindruck, als hätten sich diese innerhalb kürzester Zeit ereignet, was jedoch durch die Feststellung korrigiert wird, dass es eine längere Zeit gedauert habe (post diem longam), bis die Baumwipfel wieder aus den Fluten hervorragen konnten. In zeitraffendem Erzählen spiegelt das vermeintlich schnelle Tempo, mit dem die Fluten zurückgegangen sind, die rasante Geschwindigkeit, mit der die Gewässer zuvor ihre angestammten Bahnen verlassen haben.

152 Ov. met. 1,332b–338. 153 Ov. met. 1,339–347.

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Dabei präsentiert die Erzählinstanz die Vorstellung, dass ein Ungleichgewicht der Elemente, hier etwa ein Übermaß an Wasser, zu globalen Katastrophen führt. Dies erinnert wiederum in auffälliger Weise an eine Konzeption in Lukrezens De rerum natura, nach der sich jederzeit aus den Atomen ein Übermaß an Wasserkonglomeraten zusammensetzen und sich dadurch eine globale Überflutung ereignen könne, wie dies bereits in der Vergangenheit einmal stattgefunden habe.154 Auf ein solches Ungleichgewicht der Elemente baut dann auch Ovids Flutbericht auf, an dessen Ende das elementare Äquilibrium wiederhergestellt wird, um die geordnete Welt erneut zu installieren. Dafür operiert die Erzählinstanz bewusst mit begrenzenden Formulierungen (etwa V. 343: iam mare litus habet, plenos capit alveus amnes), anhand derer ein narrativer Raum im Prozess vor den Augen der Rezipienten formiert wird. Dass die zuvor bestehende strukturelle Ordnung wiedereingesetzt worden ist, wird dann auch am Ende dieses Flutberichtes mit der resultativen Feststellung »der Erdkreis war wiederhergestellt worden« (redditus orbis erat) abgeschlossen.155 Sogleich wird dem Rezipienten jedoch durch einen Zoom-In auf Deukalion bewusst gemacht, dass diese ›neue‹ Welt der alten in gewisser Weise defizitär gegenübersteht, da außer ihm und seiner Frau Pyrrha keine anderen Lebewesen mehr existieren. Prägnant fasst M. Gindhart diesen Eindruck zusammen: »Die Erde ist eine verwaiste, verschlammte Ödnis, von tiefster Stille durchdrungen und damit auf das Stadium vor der Schöpfung der Kreaturen zurückgeworfen.«156 In einem Monolog Deukalions an seine Frau wird dann deutlich, dass ihn ihr Schicksal als letzte Vertreter der Menschheit belastet und dass er sich nichts sehnlicher wünscht, als die Fähigkeiten seines Vaters Prometheus zu besitzen, um aus Lehm neue Menschen formen zu können (1,363f.: o utinam possim populos reparare paternis // artibus atque animas formatae infundere terrae).157 Da beide in dieser posttraumatischen Situation offenbar nicht wissen, was sie nun tun sollen, erhoffen sie sich göttliche Führung und machen sich daher zu einem naheliegenden Orakelheiligtum der Themis auf. Um der göttlichen Weisung würdig zu sein, unterziehen sie sich jedoch zunächst einer rituellen Reinigung, wodurch erneut ihre Frömmigkeit hervorgehoben wird, da sie die angemessenen Ritualvorschriften selbst im Angesicht ihrer existentiellen Krise befolgen. Dieser Aspekt wird ebenfalls in den an Themis gerichteten Gebeten deutlich, in denen sie demütig eine göttliche Eingebung erbitten, auf welche Weise die Erde erneut

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Lucr. 5,380–391. Siehe dazu Kap. 5.1. Ov. met. 1,348a. Gindhart (2016) 77. Ov. met. 1,351–366.

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bevölkert werden könne (1,363f.: […] qua generis damnum reparabile nostri // arte sit […]).158 Dass der Kommunikationsakt zwischen den beiden Sterblichen und der Göttin erfolgreich gewesen ist, wird durch das erteilte Orakel deutlich: »Geht weg vom Tempel und verhüllt euer Haupt, entgürtet eure Gewänder und werft die Knochen der großen Mutter hinter euch.«159 Im Gegensatz zu Pyrrha, die befürchtet, sich mit der Erfüllung des Spruches des nefas schuldig zu machen, gelingt es Deukalion, die wahre Bedeutung der Verse zu entschlüsseln160 : Als »große Mutter« (magna parens) identifiziert er die Erde und deren »Knochen« (ossa) als die am Boden liegenden Steine.161 Die exakte Erfüllung dieser Handlungsanweisung erfasst L. Spahlinger konzise: »Bis in die Details des Vollzuges unterwerfen sich Deucalion und Pyrrha dem göttlichen Spruch, ihre fromme Ehrfurcht vor den Göttern ist vollkommen. Ihre pietas macht den erneuten Schöpfungsakt erst möglich: Deucalion und Pyrrha sind nicht aus eigener Kraft in der Lage, das Menschengeschlecht wiederherzustellen, obschon durch ihre Trauer und ihr Mitleid deutlich wird, daß dies ihr erster Impuls ist. Sie bedürfen jedoch beide göttlicher Sanktionierung.«162

Aus den Steinen, die beide hinter sich werfen, entsteht sodann das neue Menschengeschlecht, dessen Abkömmlinge die Erzählinstanz als direkte Vorfahren seiner expliziten Rezipienten identifiziert: »Deshalb sind wir ein hartes Geschlecht und sind erfahren in Mühsalen und geben Zeugnis darüber, woher wir stammen.«163 Alle übrigen Lebewesen entstehen im Anschluss durch Spontangenese aus dem »Gärschlamm«164 , der aus einer prokreativen Verbindung von Wasser, Erde und

158 Ov. met. 1,375–380. Die Verbindung von künstlerischem Akt (ars) und Frömmigkeit (pietas) untersucht ausführlich Spahlinger (1996) 81–86, der auch Gemeinsamkeiten zur späteren PygmalionEpisode herausarbeitet. 159 Ov. met. 1,381–383: […] discedite templo // et uelate caput cinctasque resoluite uestes // ossaque post tergum magnae iactate parentis. 160 Doblhofer (1968) 99 sieht im Verhalten Deukalions und Pyrrhas einen direkten Bezug zu ihren jeweiligen Vätern Prometheus und Epimetheus: »Pyrrha redet zuerst und denkt hinterher nach; Deukalion überlegt vorher und spricht erst dann.« 161 Ov. met. 1,391–394. 162 Spahlinger (1996) 85. 163 Ov. met. 1,414f.: inde genus durum sumus experiensque laborum // et documenta damus, qua simus origine nati. 164 Gindhart (2016) 79.

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Feuer besteht.165 Diesen Vorgang vergleicht der Erzähler mit der Nilschwemme, sodass durch deren Anblick der damalige Vorgang mit eigenen Augen nachvollzogen werden könne.166 Der mythographische Flutbericht der Metamorphosen schließt also damit, dass eine neue Welt aus den Fluten hervorgegangen ist, die von einer neuen Menschheit bevölkert wird. Deren Schöpfung ist allein durch göttliche Offenbarung möglich gewesen, aber gleichzeitig auch notwendigerweise geschehen, da Jupiter diese Entstehung bereits vor dem Zerstörungsakt angekündigt hatte. Ovid bewegt sich bei seiner Darstellung innerhalb der traditionellen Parameter von Flutbeschreibungen. Die Darstellung wirft jedoch im Besonderen die Frage nach der Theodizee auf. So wird zu Beginn der Episode ein Bild vollständiger moralischer Depravation entworfen; Die auktoriale Erzählinstanz konstatiert, dass die Menschen des Eisernen Zeitalters und die Abkömmlinge des Gigantenblutes sich durch Verbrechen und generelles nefas auszeichnen. Dennoch wird aus Jupiters Rede vor den Göttern deutlich, dass im Grunde nur ein Mensch, Lykaon, sich direkt gegen ihn versündigt hat, wohingegen sich dessen Volk ihm gegenüber respektvoll erwies. Nach diesem Eingeständnis fällt es schwer, das Argument zu akzeptieren, dass notwendigerweise die gesamte Menschheit ausgelöscht werden müsse, anstatt einen Mechanismus einzuführen, der einzelne Vergehen bestraft. Obwohl die Moral der Menschheit sich im direkten Vergleich zum Goldenen Zeitalter eindrücklich verschlechtert hat, bleibt die Frage im Raum stehen, ob es notwendigerweise einer vollständigen Vernichtung bedurfte, wenn es zumindest einzelne gab, die sich angemessen verhielten. Ovids Jupiter scheint jedoch in seiner Wut über Lykaon eine Kollektivstrafe als gerechtfertigt zu sehen. Der Aspekt der Bestrafung (poena) tritt also in dieser Darstellung eindeutig in den Vordergrund, wohingegen der purgative Aspekt der Flut durch Vernichtung und Neuschöpfung zwar vorhanden ist, jedoch eine untergeordnete Rolle einnimmt. Ein Vergleich der horazischen Ode mit dem ovidischen Flutbericht auf konzeptueller Ebene zeigt, dass beide Autoren auf Wissensbausteine des historiographischmythographischen Vergangenheitsdiskurses zurückgreifen und diese in poetischer Faktur präsentieren. In den Metamorphosen entwirft Ovid so ein umfangreiches Narrativ der in der Vergangenheit verorteten Flut, wohingegen Horaz ein (historisch konstruiertes) Angstszenario der durch Omina beunruhigten Menschen aufruft, die wiederum eine Klimax der Ereignisse weiterdenken.

165 Ov. met. 1,416–421. Zur Veranschaulichung zieht Ovid außerdem die Metapher des Mutterleibes (aluus matris) heran, durch die das Heranwachsen neuen Lebens im Verborgenen illustriert werden soll. 166 Ov. met. 1,422–424. Dass während dieser Genese auch noch »unvollendete Lebewesen« (imperfecta) aus dem feuchten Land ausgegraben werden können, denen bestimmte Gliedmaßen fehlen (1,425–433), erinnert an die kosmogonischen Ausführungen des Empedokles; siehe dazu Kap. 4.1.

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Dieser Aspekt findet sich ebenfalls in Senecas naturkundlichem Traktat Naturales quaestiones, wenn er seinen Rezipienten in der abschließenden Passage des – nach traditioneller Zählung167 – dritten Buches ausführlich darlegt, dass der Welt der »Schicksalstag der Sintflut« (fatalis dies diluuii) bevorstünde.168 Um diese Flutdarstellung angemessen einordnen zu können, soll zunächst der unmittelbare Werkkontext der Passage in den Blick genommen werden. So konfrontiert Seneca seine Rezipienten direkt im Vorwort dieses Buches, das möglicherweise auch die Naturales quaestiones insgesamt eröffnet hat, mit der gattungskritischen These, dass die Historiographie im Hinblick auf die materia der naturwissenschaftlichen Abhandlung defizitär gegenüberstünde: quanto potius deorum opera celebrare quam Philippi aut Alexandri latrocinia, ceterorumque qui exitio gentium clari non minores fuere pestes mortalium quam inundatio qua planum omne perfusum est, quam conflagratio qua magna pars animantium exarsit.169 Um wieviel besser ist es, die Werke der Götter zu preisen als die Raubzüge Philipps oder Alexanders und der übrigen, die berühmt durch die Vernichtung von Völkern nicht weniger verderblich für die Sterblichen gewesen sind als eine Überflutung, durch die das ganze flache Land überschwemmt worden ist, (oder) als eine Feuersbrunst, durch die ein großer Teil der Lebewesen verbrannt wurde.

Die von Geschichtsschreibern als ruhmreich inszenierten Taten hätten letztlich genauso viele Todesfälle gefordert, wie Flut- und Brandkatastrophen, die in der Vergangenheit geschehen seien. Für diese verwendet Seneca zwar die Termini inundatio und conflagratio, verdeutlicht jedoch durch die angefügten Spezifizierungen, dass er darunter keine globalen Auflösungsszenarien, sondern regional begrenzte Zerstörungen versteht.170 Historiographen wiederum glorifizierten solche acta, die lediglich den ewigen Wechsel des Schicksals (fortuna) verdeutlichten, ohne den Menschen aufzuzeigen, wie sie in ihrem eigenen Leben mit Alternationen der 167 Seit den kompositorischen Untersuchungen von Codoñer (1989) sowie Hine (1981) wird die ursprüngliche Anordnung der Bücher kontrovers diskutiert. Dabei schließen sich neuere Untersuchungen zumeist der folgenden Bücherreihenfolge an: 3, 4a, 4b, 5, 6, 7, 1, 2. Siehe zur Diskussion Limburg (2007) 10–12. 168 Sen. nat. 3,27,1. Wichtige Beiträge zu dieser Endpassage mit Verweisen auf die ältere Forschung bieten besonders Waiblinger (1977) 38–53, Hutchinson (1993) 128–131, Berno (2003) 93–102, Gauly (2004) 235–267, Wildberger (2006) I 57, Limburg (2007) 149–182 und Williams (2012) 110–116; 124–132. 169 Sen. nat. 3, praef. 5. 170 Dabei könnte Seneca auf solche periodisch eintretenden, bestimmte Kulturräume betreffenden Katastrophen anspielen, wie sie sowohl im griechischen Vergangenheits- als auch im naturphilosophischen Diskurs spätestens seit Platon verhandelt wurden; siehe dazu Kap. 4.2.

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fortuna umgehen können.171 Dies wiederum könnten jedoch die auf die göttlichen Werke (opera deorum) gerichteten Naturforscher leisten,172 die den Menschen lehren könnten, jeglichen Erschütterungen zu trotzen: quid praecipuum in rebus humanis est? […] animo omne uidisse et, qua maior nulla uictoria est, uitia domuisse. […] quid est praecipuum? erigere animum supra minas et promissa fortunae, nil dignum putare quod speres. […] quid est praecipuum? posse laeto animo aduersa tolerare, quidquid acciderit sic ferre quasi uolueris tibi accidere. […] quid est praecipuum? animus contra calamitates fortis et contumax, luxuriae non auersus tantum sed infestus, nec auidus periculi nec fugax, qui sciat fortunam non expectare sed facere, et aduersus utramque intrepidus inconfususque prodire, nec illius tumultu nec huius fulgore percussus. […] quid est praecipuum? in primis labris animam habere. haec res efficit non e iure Quiritium liberum sed e iure naturae.173 Was ist wesentlich in menschlichen Dingen? […] Mit dem Geist alles betrachtet und – es gibt keinen größeren Sieg als diesen – die Laster in die Schranken gewiesen zu haben. […] Was ist wesentlich? Den Geist über die Drohungen und Versprechungen des Schicksals zu erheben, nichts als deiner Hoffnung wert zu erachten. […] Was ist wesentlich? Mit heiterem Geist Ungünstiges zu ertragen und, was auch immer passiert, dies so anzunehmen, als ob du gewollt hättest, dass es dir passiert. […] Was ist wesentlich? Ein Geist, der dem Unheil entschlossen und hartnäckig entgegensteht, der sich nicht nur von der Genusssucht abgewendet hat, sondern sie verachtet, der weder die Gefahr sucht noch vor ihr flieht, der es versteht, das Schicksal nicht zu erwarten, sondern es zu gestalten, und beiden Formen [i. e. Glück und Unglück] unerschrocken und unbeirrt entgegenzutreten, und weder durch den Schrecken des einen noch durch den Glanz des anderen tangiert zu werden. […] Was ist wesentlich? Die Seele ganz vorne auf den Lippen zu tragen [i. e. jederzeit bereit zu sein, zu sterben]. Dieser Umstand macht frei, nicht nach römischem Gesetz, sondern nach dem Gesetz der Natur.

Dem potenziellen Schüler werden also auf die wesentliche Frage unterschiedliche Aspekte präsentiert, die als zu memorierende Lehrsätze gestaltet sind. So wird das fundamentale Ideal des »heiteren Geistes« (animus laetus) eingeführt, den zu erreichen das oberste Ziel für Seneca darstellt.174 Die Forderung, den Widrigkeiten von

171 Sen. nat. 3, praef. 7: quanto satius est quid faciendum sit quam quid factum quaerere, ac docere eos qui sua permisere fortunae nihil stabile esse ab illa datum, munus eius omne aura fluere mobilius. 172 Explizit formuliert Seneca dies in nat. 3, praef. 18: ad hoc proderit nobis inspicere rerum naturam. 173 Sen. nat. 3, praef. 10–17. 174 Ähnlich arbeitet dies auch Berno (2019) bes. 78 heraus, die zeigt, dass in Senecas Werken das Ideal des stoischen Weisen glorifiziert wird, der sogar den Untergang unerschütterlich erlebe: »Philosophy gives us the strength to calmly contemplate any event. The sage, detached from any

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Schicksalsschlägen gleichmütig entgegenzutreten, erinnert an wesentliche Punkte des pädagogischen Entwurfes, der in Lukrezens De rerum natura begegnet. Dort soll der gelehrige, epikureische Schüler ebenfalls den Zustand des »beruhigten Geistes« (mens pacata) erreichen, um auf alle Eventualitäten des Zufalls vorbereitet zu sein.175 So verfolgen Lukrez und Seneca zwar beide die Absicht, ihre Rezipienten zu einem »glückseligen Leben« (uita beata) durch Ataraxie zu befähigen.176 Dabei vertreten die beiden Autoren jedoch dezidiert unterschiedliche Vorstellungen darüber, wie die Welt aufgebaut und organisiert ist, vertreten also unterschiedliche naturphilosophische Standpunkte, die sie den expliziten und impliziten Lesern ihrer Werke zu vermitteln suchen. Um dieses Ziel erreichen zu können, konfrontiert Lukrez seine Rezipienten mit verschiedenen Szenarien, die diese Schritt für Schritt mit dem Gedanken vertraut machen, dass sich der Untergang der Welt jederzeit ereignen könnte. Wenn jene bereit sind, diese herbe Erkenntnis zu akzeptieren, sind sie ebenfalls in der Lage, alltägliche Schicksalsschläge auf persönlicher Ebene zu bewältigen, da diese im Vergleich zur kosmischen Auflösung unbedeutend erscheinen. Senecas scheint einer ähnlichen Strategie zu folgen, indem er seinen Rezipienten ein detailliert ausgearbeitetes Sintflutszenario vor Augen stellt. Anders als die Ekpyrosis, die in der stoischen Philosophie spätestens mit Chrysipp ausgesprochen positiv konnotiert ist,177 kann eine globale Flut im stoischen Diskurs mit genuinen Emotionen angereichert werden, wie ein close reading der Passage zeigen wird. Neben diesen Aspekten wird im Folgenden auf die narrativen und argumentativen Strategien eingegangen, mit denen Seneca seine Darstellung an die Lebenswelt seiner Rezipienten heranrückt und seine pädagogischen Absichten umsetzt. Nach umfangreichen Passagen über den entarteten Tischluxus seiner Zeitgenossen (3,17,2-18,7), die in deutlichem Gegensatz zu der zuvor propagierten Abkehr von Genusssucht stehen, formuliert Seneca die These, dass es im Wesen sowohl fließender als auch stehender Gewässer liege, sich kontinuierlich zu reinigen, wo-

kind of trouble, including the end of the world, appears as a sort of hyperbolic version of the Lucretian one, as portrayed in the famous incipit of book 2: Suave mari magno … (›Pleasant it is, when over a great sea…‹): defended by the solid wall of philosophy, the philosopher can look with contempt upon human life and its struggles.« Siehe dazu auch die wichtigen Bemerkungen bei Wildberger (2006) I 287–292. 175 Siehe dazu Kap. 5.1. 176 Vgl. Wagoner (2014) 248: »Knowledge for its own sake is not something that Seneca endorses as a legitimate pursuit. Instead, auditionem philosophorum lectionemque ad propositum beatae vitae trahendam (›what one hears from philosophers and what one reads must be applied to the goal of a happy life,‹ [ep.] 108.35).« 177 Siehe dazu Kap 5.2. Zu Senecas Ekyprosis-Konzept siehe Kap. 6.3.

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bei dies bei fließenden ›automatisch‹ geschieht.178 Genau dieser Zusammenhang, so Seneca, sei es, der ihn erläutern lasse, »wie, wenn der schicksalshafte Tag der Sintflut gekommen sein wird, ein großer Teil der Erde von den Wogen begraben wird.«179 Bereits durch diese Kontextualisierung impliziert Seneca, dass er den im Anschluss geschilderten Vorgang als einen Reinigungsprozess versteht, was er dann auch an späterer Stelle explizit formuliert. Darin zeigt sich bereits ein wesentlicher Unterschied zur stoischen Konzeption der Ekpyrosis, da dieser keineswegs eine purgative Motivation zugeschrieben wird, sondern – so betont auch Seneca – sie sich notwendigerweise durch die natürliche Ordnung des Kosmos ereigne.180 Aus dieser einleitenden Bemerkung geht ebenfalls hervor, dass die imaginierte Flut ausdrücklich in der Zukunft geschehen soll, also nicht als einmaliges Ereignis einer mythischen Vergangenheit gedacht ist, wie sie etwa in Ovids Metamorphosen beschrieben wird. Trotz ihres globalen Ausmaßes betont Seneca außerdem, dass nur ein großer Teil der Erde (magna pars terrarum, 3,27,1) überflutet sein wird. Damit ist – wie aus der folgenden Darstellung evident wird – jedoch nicht angedeutet, dass wie etwa in Platons Timaios nur bestimmte Länder von der Flut betroffen sein werden, sondern dass sich das Element Erde nicht vollständig zu Wasser umwandelt.181 Eine solche vollständige Transformation wird lediglich für die Ekpyrosis angesetzt, wenn alle Elemente in den Zustand reinen Feuers übergehen. Zunächst diskutiert Seneca die Frage, auf welche Weise (quemadmodum) sich die Flut ereignen werde und stellt dafür verschiedene Möglichkeiten vor,182 die zur Katastrophe führen könnten: utrum oceani uiribus fiat, et externum in nos pelagus exsurgat, an crebri sine intermissione imbres et elisa aestate hiems pertinax inmensam uim aquarum ruptis nubibus deiciat, an flumina tellus largius fundat aperiatque fontes nouos, an non sit una tanto malo causa, sed

178 Sen. nat. 3,26,8: […] omnis aquarum stantium clausarumque natura se purgat. nam in his, quibus cursus est, non possunt uitia consistere, quae secunda uis defert et exportat; illae, quae non emittunt quicquid insedit, magis minusue aestuant. 179 Sen. nat. 3,27,1: […] cum fatalis dies diluuii uenerit quemadmodum magna pars terrarum undis obruatur. 180 Auch die Vertreter der Alten Stoa haben der Ekpyrosis wohl keine reinigende Funktion zugeschrieben; siehe dazu oben Kap. 5.2. Vgl. auch Mader (1983) 62: »The early Stoa seems to have regarded the conflagration primarily as a physical process […]. There is no evidence that the ἐκπύρωσις was thought of as a divinely inflicted punishment for man’s moral degeneracy.« 181 Bereits zuvor greift Seneca auf die stoische Metabole-Lehre zurück, nach der sich alle Elemente in ständigem »Austausch« befinden und ihr Verhältnis dadurch ausgeglichen bleibt; nat. 3,10,3: omnium elementorum alterni recursus sunt. quidquid alteri perit in alterum transit, et natura partes suas uelut in ponderibus constitutas examinat, ne portionum aequitate turbata mundus praeponderet. Vgl. dazu auch Wildberger (2006) I 57. 182 Zu diesem modus operandi siehe auch Hine (2006) 56f.

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omnis ratio consentiat, et simul imbres cadant, flumina increscant, maria sedibus suis excita procurrant, et omnia uno agmine ad exitium humani generis incumbant.183 Ob sie [i. e. die Flut] sich durch die Gewalt des Ozeans ereignet und sich das Meer von außen gegen uns erhebt, oder ob anhaltende Regenfälle ohne Unterlass und unablässiger Winter, nachdem der Sommer vertrieben worden ist, die unermessliche Gewalt des Wassers aus aufgerissenen Wolken herabregnen lässt, oder ob die Erde reichlicher Flüsse ausströmen lässt und neue Quellen öffnet, oder ob es nicht nur einen Grund für so großes Unheil gibt, sondern jede Begründung zutrifft und zugleich die Regenfälle niedergehen, die Flüsse anwachsen, die Meere aus ihrem Sitz vertrieben [gegen die Küsten] vorrücken, und sich alles in einem vereinten Heereszug auf die Vernichtung des Menschengeschlechtes stürzt.

Mit dieser Ursachenanalyse evoziert Seneca zugleich einen literarischen Raum, den er mit einer bedrohlichen Stimmung auflädt.184 Indem er sämtliche Richtungen – von oben, von außen, von unten – als mögliche Ausgangspunkte der Gefahr identifiziert, vermittelt er den Rezipienten, dass das Unheil von allen Seiten droht und sie ihm im Ernstfall nicht entkommen können. Diese Bedrohlichkeit wird zusätzlich durch die konzeptuelle Metapher Die Gewässer sind ein Heereszug gesteigert, durch die die verschiedenen Wasservorkommen wie eine zusammengeführte Armee erscheinen, die in voller Offensive gegen die Menschheit kämpft, um diese gnadenlos zu vernichten.185 Die Annahme einer ubiquitären Gefahr bestätigt Seneca sogleich (ita est) und weist darauf hin, dass »nichts schwierig für die natura ist, besonders, sobald sie auf ihr Ende zueilt.«186 Dabei geht er grundsätzlich von der natura eines jeden Lebewesens oder komplexen Struktur aus, die diese zunächst in zeitintensiven Entwicklungsschritten aufbaut, um sie dann unvermittelt zu vernichten.187 Um diese These zu plausibilisieren, verwendet er drei Analogien, die seinen Gedankengang illustrieren: Ein Lebewesen werde zunächst mühevoll aufgezogen, könne

183 Sen. nat. 3,27,1. 184 Siehe Hutchinson (1993) 128: »Seneca is contending, typically, for a plurality of causes to the flood; but while developing the causes in the order of their occurrence he generates a terrific narrative sequence.« Winter (2016) zeigt überzeugend, wie Seneca in seinen Tragödien narrative Räume entwirft, die er mit spezifischen Stimmungen auflädt. 185 Zur konzeptuellen Metapherntheorie siehe Kap 2.3. Inwood (2005) 170 beschreibt dies als die »anthropocentric nature of the deluge«. 186 Sen. nat. 3,27,2: nihil difficile naturae est, utique ubi in finem sui properat. Zur natura von Lebewesen und Strukturen vgl. Kreuzwieser (2016) 96–101. 187 Sen. nat. 3,27,2: ad originem rerum parce utitur uiribus dispensatque se incrementis fallentibus. subito ad ruinam toto impetu uenit.

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jedoch jederzeit sterben, eine Stadt werde über Jahre hinweg errichtet, stürze dann jedoch in einem Augenblick ein und ein Wald benötige ganze Generationen, um heranzuwachsen, zerfalle bei einem Brand aber in einem Moment zu Asche. Die unmittelbare Nachvollziehbarkeit dieser Ereignisse überträgt Seneca somit auf seine Flutkonzeption, um dieses rein imaginative Zukunftskonstrukt zu autorisieren, indem er bei seinen Rezipienten den Eindruck hervorruft, dass ihre eigene Erfahrung seine These bestätigt. Ein Nebeneffekt dieser Autorisierungsstrategie ist zudem, dass die Bedrohung erneut an die Rezipienten herangerückt wird, da sie einen Bezug zu ihrer eigenen Lebenswirklichkeit hergestellt haben. In einem nächsten Schritt schildert Seneca einen Flutverlauf, wobei er sich auf bestimmte ›Schlaglichter‹ fokussiert, die konkret zeigen, wie sich das Vernichtungsszenario entfaltet.188 Auffällig ist, dass er dabei einen ähnlichen Ereignisablauf wiedergibt, den auch der Erzähler in Ovids Metamorphosen verfolgt. Seneca bedient sich an dieser Stelle der rhetorischen Konzepte von imitatio und aemulatio, um Ovids Darstellung auf einer anders gelagerten literarischen Ebene nachzueifern und letztlich zu übertreffen.189 So beschreibt er zunächst, dass unermessliche Regenmassen (immodici imbres) aus dem Himmel fallen, der durch Wolken und dichten Nebel in Finsternis (caligo) gehüllt ist.190 Möglich ist diese feuchte Dunkelheit nur durch die Abwesenheit trockener Winde, die das Klima ansonsten ausgleichen könnten (numquam exsiccantibus uentis). Warum diese fehlen, erklärt Seneca nicht, bietet durch den Hinweis auf die Winde jedoch eine Reminiszenz auf den ovidischen Prätext, in dem der Erzähler betont, dass Jupiter den Nordwind (Aquilo) und alle anderen Winde, die aufziehende Wolken auseinandertreiben könnten, in die Höhle des Äolus einschließt. Diese intertextuelle Referenz könnte darauf verweisen, dass auch in Senecas Kontext die göttliche persona, die in der Stoa mit der natura identifiziert wird,191 für die Abwesenheit der Winde verantwortlich gemacht wird. Den Effekt des anhaltenden Niederschlags veranschaulicht er sodann, indem er einen narrativen Raum entwirft, der sich durch seine Instabilität auszeichnet. Alle zuvor festen Strukturen lösen sich auf, sodass die evozierte Welt geradezu zerfließt:192 Nutzpflanzen verderben und werden von Sumpfgewächsen ersetzt, die menschengemachte Ordnung wird also aufgelöst und weicht dem Wildwuchs. Bäume und Sträucher können sich nicht mehr im aufgeweichten Boden (solum

188 Vgl. Waiblinger (1977) 45. 189 Siehe etwa de Vivo (1995) 47: »Il filosofo si muove nell’ambito della tradizione declamatoria e si cimenta nell’imitazione di Ovidio, al fine di costruire una narrazione che prenda spunto da quella delle Metamorfosi e entri in competizione con essa […].« Vgl. auch Trinacty (2018) 383f. 190 Sen. nat. 3,27,4. 191 Vgl. Kreuzwieser (2016) 32. 192 Sen. nat. 3,27,4–6.

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molle fluidumque) halten. Die zersetzten Strukturen führen zugleich zu einem zivilisatorischen Rückschritt, da die Menschen sich nicht nun eben mehr mit angebauten Lebensmitteln ernähren können, sondern auf urzeitliche Nahrung (alimenta antiqua) angewiesen sind.193 Auch erbaute Rückzugsorte bieten keinen Schutz mehr, da selbst die Häuser auf dem durchnässten Boden ins Wanken geraten. Damit wird ein weiterer Sicherheitsaspekt eliminiert, subsumiert durch die düstere Feststellung nihil stabile est. Insgesamt wird also in diesem ersten Schritt ein gestimmter Raum entworfen, der das Gefühl existentieller Bedrohung transportiert und in dem sämtliche Strukturen, die mit Stabilität und Sicherheit assoziiert werden können, destruiert werden. Auf diese erste Phase der Auflösung folgt die Entwicklung reißender Gebirgsströme, die aus den schmelzenden Schneemassen (congestae saeculis tabuerunt niues) gespeist werden.194 Mit diesem Bild rekurriert Seneca erneut auf die von ihm zuvor angeführten Analogien und suggeriert, dass sich in kürzester Zeit alles auflöst, was über Jahre angewachsen ist, um sein soeben entworfenes Szenario zu plausibilisieren. Als Resultat präsentiert Seneca einen narrativen Raum, der schrittweise von oben nach unten durch die Wassermassen aufgelöst wird: […] deuolutus torrens altissimis montibus rapit siluas male haerentis, et saxa resolutis remissa compagibus rotat, abluit uillas et intermixtos dominis greges deuehit, uulsisque minoribus tectis, quae in transitu abduxit, tandem in maiora uiolentius aberrat, urbes et implicitos trahit moenibus suis populos, ruinam an naufragium querantur incertos; adeo simul et quod opprimeret et quod mergeret uenit. auctus deinde processu aliis quo in se torrentibus raptis, passim plana populatur. nouissime in maria gentium clade onustus effunditur.195 […] herabwälzend von den höchsten Bergen reißt der Gebirgsstrom die kaum noch eingewurzelten Wälder mit sich und rollt lose Felsen herab, die aus ihren Formationen gelockert worden sind, spült Landhäuser fort und trägt Herden, vermischt mit ihren Herren, davon und nachdem die kleineren Häuser fortgerissen worden sind, die er im Vorbeifließen mit sich genommen hat, dringt er schließlich umso gewaltvoller zu größeren Gebäuden vor, ergreift Städte und in ihre Mauern eingeschlossene Völker, die unsicher sind, ob sie Einsturz oder Schiffbruch beklagen sollen; so sehr kommt zugleich, was sie erdrückte und was sie versenkte. Dann vergrößert er sich im Fortgang, indem er auch

193 Seneca rekurriert hier offenbar auf die lukrezische Kulturentstehungslehre, nach der der Menschheit in ihrer ersten Entwicklungsphase lediglich frugale Ernährung sine arte zur Verfügung stand (5,925–987), um den zivilisatorischen Rückschritt zu verdeutlichen. 194 Sen. nat. 3,27,7. 195 Sen. nat. 3,27,7.

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andere Gebirgsströme in sich hineingerissen hat, und verwüstet die Ebenen nach allen Seiten. Letztlich ergießt er sich ins Meer, beladen mit dem Untergang der Völker.

Die zerstörerische Gewalt des hier beschriebenen Gebirgsstroms wird durch die dichte Folge von Verben des Reißens unterstrichen, womit ein rasches Aufeinanderfolgen der Ereignisse impliziert wird. Vor den Augen der Rezipienten werden verschiedene Bereiche von Natur und Kultur gestaffelt vernichtet, zuerst die Wälder als natürliche Strukturen, daraufhin die Landhäuser und Herden als Symbole der menschengemachten Ordnung. Die eingeschlagene Schneise der Zerstörung weitet sich sodann in rasantem Tempo aus und intensiviert sich immer weiter, sodass die reißende Naturgewalt nun in größere Städte vordringt. Dabei verwandeln sich die zum Schutz errichteten Mauern nun zu einem Gefängnis für die in ihnen eingeschlossenen Menschen, wodurch ein zuvor sicherer Zufluchtsort zu einem Todesraum umkodiert wird. Strukturell erinnert die Passage auffallend an ein in Homers Ilias verwendetes Gleichnis, in dem die Schnelligkeit der trojanischen Pferde mit einem reißenden Gebirgsstrom gleichgesetzt wird. Besonders die folgenden homerischen Verse evozieren die gewaltige Kraft des Wassers, das ebenfalls die menschengemachten Strukturen auflöst und mit sich ins Meer reißt: τῶν δέ τε πάντες μὲν ποταμοὶ πλήθουσι ῥέοντες, πολλὰς δὲ κλιτῦς τότ’ ἀποτμήγουσι χαράδραι

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ἐς δ’ ἅλα πορφυρέην μεγάλα στενἀχουσι ῥέουσαι ἐξ ὀρέων ἐπὶ κάρ, μινύθει δέ τε ἔργ’ ἀνθρώπων·196

Deren fließende Flüsse füllen sich alle an, und Ströme durchpflügen auf einmal Berghänge und brausen laut, wobei sie ins große, anschwellende Meer fließen, kopfüber von den Bergen, und die Werke der Menschen schwinden.

Dieses Motiv scheint Seneca bewusst aufgegriffen und narrativ ausgestaltet zu haben, sodass nicht nur die Metamorphosen Ovids, sondern auch die Ilias Homers als Metatexte dieser Passage gelesen werden können.197 Indem in Senecas Darstellung alle menschlichen Rückzugsorte eliminiert, Natur und Kultur miteinander vermengt werden, stellt sie den Rezipienten ein Bild des reinen Chaos vor Augen, das der Mensch nicht zu zähmen vermag. Das Grauen wird außerdem durch den paradoxen Umstand verdeutlicht, dass die betroffenen Figuren nicht nur mit 196 Hom. Il. 16,389–392. 197 Treffend konstatiert auch Trinacty (2018) 384 mit Blick auf das gesamte Ende des dritten Buches: »Seneca’s great flood engages with literary material from a number of sources, much like the various sources of waters of the flood themselves, in order to act as a hyper-generic force of destruction and renewal.«

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einer, sondern mit zwei lebensgefährlichen Situationen konfrontiert werden, da sie sowohl vom Einsturz der Gebäude (ruina) als auch von sie verschlingenden Wassermassen, also gewissermaßen einem Schiffbruch (naufragium), betroffen sind. Mit dieser Vorstellung evoziert Seneca eine eigene Art von »verkehrter Welt«, mit der er versucht, die ovidische Flutdarstellung zu übertreffen. In einem nächsten Schritt rekurriert Seneca auf das kulturelle Wissen seiner Rezipienten, indem er diese dazu auffordert, sich einige namhafte Flüsse vorzustellen, die durch ihre reißenden Strömungen berüchtigt sind, und zu bedenken, welches destruktive Potential diese bei einem solchen Unwetter entfalten können.198 Prototypisch nennt er dafür die Rhone, den Rhein und die Donau, die einerseits vertraut sind, andererseits durch ihre Lokalisierung außerhalb Italiens einen fremdartigen Aspekt besitzen.199 Zudem bilden diese drei Flüsse eine vage aquatische Grenze im Nordwesten, Norden und Nordosten zum italienischen Zentralland, sodass ihre Überflutung – zusätzlich zu der anschließend beschriebenen des Meeres, das Italien von Osten, Süden und Westen umgibt – die nächste Stufe der ubiquitären Gefahr erfüllt: Nachdem der Untergang durch Regen und Gebirgsströme bereits von oben droht, dringen die imaginierten Wassermassen nun auch von außen auf die römischen Rezipienten ein. Senecas deskriptiver Modus wechselt dabei vom Präsens zum Perfekt, wodurch eine scheinbare Faktizität der geschilderten Ereignisse erzeugt wird: Den Rezipienten wird vermittelt, dass die Flüsse im narrativen Kontext bereits übergetreten sind und ihre zerstörerische Wirkung deutlich zu Tage getreten ist.200 Zugleich verwischt Seneca die temporalen Grenzen, sodass nicht unmittelbar ersichtlich wird, ob seine Darstellung weiterhin eine potentiell eintretende oder eine bereits stattgefundene Flut beschreibt. 198 Sen. nat. 3,27,8: f lumina uero suapte natura uasta et sine tempestatibus rapida alueos reliquerunt. quid tu esse Rhodanum, quid putas Rhenum atque Danuuium, quibus torrens etiam in canali suo cursus est, cum superfusi nouas sibi fecere ripas ac scissa humo simul excessere alueo? 199 In diesem Zusammenhang wurde in der Forschung die Frage aufgeworfen, weshalb Seneca nicht auch den Tiber anführe, da die Römer unter dessen regelmäßigen Überschwemmungen zahlreiche Schäden und Todesfälle erlebten; so zuletzt Berno (2019) 88–90, bes. 90: »It is as if Seneca is here geographically removing the event of the flood from Rome and Italy, even though he knows perfectly well how present it was in his readers’ thoughts. It is a fact that for a Roman reader a flood was not a legendary scenario, a remote event which only literary imagination could trigger; rather it was something which most people could actually remember in its horrific details, and everyone concretely feared as something which was fated to happen again.« Aldrete (2006) 230f. diskutiert jedoch, ob solche periodisch eintretenden Überflutungen auch für Senecas elitäre Rezipienten ausschließlich negativ besetzt gewesen sind, da durchaus auch ›positive‹ Interpretationen denkbar wären: »From the perspective of some of Rome’s elites, the destruction caused by the floods […] could perhaps even have been perceived as a beneficial phenomenon. By literally washing away undesirable people and establishments, floods might have been viewed as constituting a crude but effective form of urban renewal.« 200 Vgl. Mazzoli (2005) 175.

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Der literarische Schreckensraum wird erweitert, indem Seneca das Konzept der Nacht aufruft und diese als konzeptuelle Metapher nutzt,201 um den Eindruck vollkommener Finsternis zu erzeugen, die gelegentlich von bedrohlichen Blitzen durchbrochen wird: quod olim fuerat nubilum nox est, et quidem horrida ac terribilis intercursu luminis diri. crebra enim micant fulmina, procellaeque quatiunt mare, tunc primum auctum fluminum accessu et sibi angustum.202 Was einmal Gewölk gewesen war, ist (nun) Nacht, und zwar furchterregende und schreckliche [Nacht] durch das Aufflackern grausigen Lichtes. Häufig zucken nämlich Blitze und Sturmwinde peitschen das Meer, das erst jetzt durch den Zulauf der Flüsse angewachsen und sich selbst zu eng ist.

Die finstere, furchterregende Nacht, die auch im Kontext prominenter Seesturmschilderungen aufgerufen wird,203 trägt an dieser Stelle wesentlich zur Visualisierung der Szenerie bei, da die Rezipienten realweltliche Erfahrungen inferieren können. Indem diese über die angeführten Signalwörter eigene Erinnerungen abrufen, werden die angedeuteten Leerstellen mit Bausteinen angereichert, die abhängig von den individuell abgespeicherten Informationen divergieren können. In diesem Kontext lenkt Seneca sodann den Fokus auf das Meer, das nun als nächste Stufe der allumfassenden Gefahr auf die Küsten eindrängt und schließlich einen Zustand globaler Überflutung herbeiführt. Dieser wird resultativ zusammengefasst: »Wohin man blicken kann, wird alles von Wasser besetzt. Jeder Hügel verbirgt sich im Abgrund und die Tiefe ist überall unermesslich.«204 Diese Formulierung erinnert bereits eindrücklich an das von Ovid verwendete omnia pontus erant, auf das Seneca an dieser Stelle sicherlich intertextuell anspielt, um das eindrucksvolle Narrativ der Metamorphosen aufzurufen. Diese Vermutung wird dadurch unterstützt, dass der narrative Modus nun erneut zur Vergangenheit wechselt, wenn Seneca die Überlebenden der Flutkatastrophe fokussiert. Nur die höchsten Gipfel sind noch von der Flut verschont geblieben, sodass die letzten Menschen sich dort versammeln, während sie zugleich in Schock (stupor) und Erstaunen (mirantes) auf die überschwemmte Welt hinabblicken. Bemerkenswert ist, dass sie gerade dieser

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Siehe dazu Kap 2.3. Sen. nat. 3,27,10. Etwa Lucan. 5,627. Sen. nat. 3,27,11: iam omnia qua prospici potest aquis obsidentur. omnis tumulus in profundo latet, et inmensa ubique altitudo est.

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schreckliche Anblick dazu befähigt, einen Zustand einzunehmen, der mit dem von Seneca postulierten Ideal stoischer Wesensruhe vergleichbar ist: non uacabat timere mirantibus; ne dolor quidem habebat locum, quippe uim suam perdit in eo qui ultra sensum mali miser est.205 Die Staunenden hatten keine Zeit, sich zu fürchten; nicht einmal für den Schmerz war Raum, da er ja seine Macht bei demjenigen verliert, dem über sein Wahrnehmungsvermögen hinaus Schlimmes widerfährt.

Der erzwungene Bewältigungsmechanismus befreit die überlebenden Menschen also vom Gefühl des Schmerzes, da ein Übermaß an malum keinen Raum mehr lässt, in dem sich dolor ausbreiten könnte. Die Überlebenden werden somit zu Exempeln stilisiert, die im Angesicht der Katastrophe lediglich in geschockter Ehrfurcht auf das Untergangsszenario blicken können. Dies erweist sich dabei als ein ›erhabener Moment‹, der die überwältigende Macht der natura vergegenwärtigt, die sich dem menschlichen Begreifen entzieht, und damit ihre Göttlichkeit offenbart. Sich mit Katastrophenschilderungen, die entsprechend gestimmte Räume konstruieren, zu beschäftigen, kann also gemäß Senecas pädagogischem Programm dazu verhelfen, sich einem Zustand dieser Ehrfurcht anzunähern, ohne sich dabei echter Gefahr auszusetzen und dennoch die Erhabenheit der natura bewundern zu können. In einem nächsten Schritt geht Seneca sodann zu einem literaturkritischen Exkurs über, in dem er sich poetologisch mit den Metamorphosen Ovids auseinandersetzt:206 ergo insularum modo eminent ›montes et sparsas Cycladas augent‹, ut ait ille poetarum ingeniosissimus egregie, sicut illud pro magnitudine rei dixit, ›omnia pontus erat, deerant quoque litora ponto‹, ni tantum impetum ingenii et materiae ad pueriles ineptias reduxisset: ›nat lupus inter oues, fuluos uehit unda leones‹. non est res satis sobria lasciuire deuorato orbe terrarum. dixit ingentia et tantae confusionis imaginem cepit cum dixit: ›exspatiata ruunt per apertos flumina campos, cumque satis arbusta simul pecudesque uirosque tectaque cumque suis rapiunt penetralia templis. si qua domus mansit, culmen tamen altior huius unda tegit, pressaeque labant sub gurgite turres.‹ magnifice haec, si non curauerit quid oues et lupi faciant.207

205 Sen. nat. 3,27,12. Vgl. Williams (2012) 113. 206 Wichtige Aspekte zu dieser Auseinandersetzung präsentieren Degl’ Innocenti Pierini (1984), de Vivo (1995) 46–48, sowie Berno (2012) 61–65. 207 Sen. nat. 3,27,13f.

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Empor ragen also nach Art von Inseln ›die Berge und vermehren die zerstreuten Kykladen‹ [Ov. met. 2,264], wie jener geistreichste aller Dichter hervorragend sagte, so wie er auch jenes der Bedeutung des Gegenstandes angemessen gesagt hat: ›Alles war Meer und dem Meer fehlten sogar die Küsten‹ [Ov. met. 1,292], wenn er doch nur nicht das Potential seiner Begabung und des Stoffes auf kindische Albernheiten herabgesetzt hätte: ›Der Wolf schwimmt zwischen den Schafen, die Welle trägt gelbliche Löwen‹ [Ov. met. 1,304]. Es ist nicht sehr besonnen, übermütig zu scherzen, wenn der Erdkreis verschlungen worden ist. Erhabenes hat er gesagt und das Bild so großer Verwirrung eingefangen, wenn er gesagt hat: ›Die entgrenzten Fluten stürzen durch die leicht zugänglichen Felder und reißen zugleich mit den Saaten Gebüsch und Vieh und Männer und Gebäude und Heiligtümer mit ihren Götterbildern mit sich. Und wenn ein Haus erhalten blieb, wird dessen Dach trotzdem von einer höheren Welle bedeckt und tief begraben unter dem Strudel sind die Türme verborgen.‹ [Ov. met. 1,285-288a; 289b-290] Großartig wäre das, wenn er sich nur nicht darum gekümmert hätte, was Schafe und Wölfe machen.

Die Momentaufnahme der überschwemmten Welt nutzt Seneca zunächst, um einen ovidischen Vers zu zitieren, der die Szenerie hervorragend (egregie) illustriere und die dichterische Begabung (ingenium) des Autors beweise. Obwohl dieser Vers nicht aus Ovids Darstellung der deukalionischen Flut, sondern aus der des phaethonischen Sturzes stammt,208 fügt er sich dennoch in Senecas poetologische Kriterien, sodass er »[a]us dem Zusammenhang genommen und neu kontextualisiert […] im Senecatext als ein kongeniales Bild für das Flutgeschehen [fungiert]: Nur noch die Gipfel der Berge ragen aus dem Wasser, so dass sie sich scheinbar in Inseln verwandelt haben.«209 Auch anhand des zweiten Zitates zeige Ovid, dass er prinzipiell dazu im Stande ist, seine Dichtung dem Gegenstand angemessen (pro magnitudine rei) zu gestalten. Zudem wird deutlich, dass Seneca den Formulierungen des Dichters einen epistemischen Status zuschreibt, den J. Wildberger konzise zusammenfasst: »[N]ach Senecas Darstellung [kommt es] auch vor, daß an den Worten von Dichtern etwas Wahres ist, z. B. wenn sie ein tatsächlich zu beobachtendes Naturphänomen beschreiben, wenn sie anschauliche Gleichnisse, Allegorien oder Personifikationen psychischer Phänomene gestalten oder wenn sie das Wissen, die (richtigen) Begriffe, die alle Menschen

208 Siehe dazu Williams (2012) 129: »In their original context in the Phaethon episode, the Ovidian words in fact refer to the effects when the sea is dried up after Phaethon crashes his father’s solar chariot upon the earth. Given Seneca’s cataclysmic theme, the Ovidian presence appears incongruous at first sign, and arguably a lapse of memory on Seneca’s part – unless he invokes the Ovidian conflagration scene partly with irony, partly as subtle means of signaling that the cataclysm and conflagration are parallel agents of destruction.« 209 Gindhart (2016) 82.

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von Natur aus haben, in einprägsame Worte kleiden und ihnen so besonderes Gewicht gegenüber irrigen Konzepten verleihen, welche den richtigen Begriffen widersprechen.«210

Wie G. Williams im Anschluss an A. Setaioli betont, zeigt sich jedoch auch, dass Senecas Wertung in der Tradition antiker Literaturkritik steht, nach der ein der literarischen Gattung angemessener Stil einzuhalten ist: »In particular, the classical doctrines of τὸ πρέπον and conuenientia (cf. scies quid deceat, 3.27.15) are transgressed in Ovid’s unlikely portrayal of any animal surviving long enough to swim amid the deluge.«211 Senecas Missbilligung gilt dabei ausdrücklich den »kindischen Albernheiten« (pueriles ineptiae), die Ovid in seine Dichtung einbaue, indem er »übermütig scherze« (lasciuire). In welchem poetologischen Kontext diese Kritik steht, zeigt eine grundlegende Bemerkung aus dem dichtungstheoretischen Werk Über das Erhabene Pseudo-Longins: »Das Kindische ist genau das Gegenteil von Größe.«212 Einerseits wird die ovidische Darstellung in Senecas Urteil also der Erhabenheit des Gegenstandes nicht gerecht, da dieser die Göttlichkeit der natura veranschaulicht. Andererseits hat R. Degl’ Innocenti Pierini herausarbeiten können, dass Seneca ebenfalls einen stilistischen Bruch Ovids kritisiert haben könnte, wenn er diesem unterstellt, in seiner epischen Dichtung »übermütig zu scherzen« (lasciuire).213 So zeigt sie anhand eines kaiserzeitlichen Kommentars des Pomponius Porphyrio zu Horazens Flut-Ode (1,2,9–12), in welchen Gattungen welche Darstellungsweisen akzeptiert oder kritisiert wurden: »Leichtfertig erinnert er [scil. Horaz] sich bei einem so grässlichen Gegenstand an Fische und Tauben, auch wenn diese Ausschweifungen den Lyrikern zugestanden werden.«214 Ovid wiederum wird ebenfalls in Quintilians Institutio oratoria dafür getadelt, selbst in seinen hexametrischen Dichtungen zu übermütig (lasciuius) zu scherzen,215 was offenbar im literaturkritischen Diskurs bei lyrischen Dichtungen akzeptiert, bei epischen jedoch bemängelt wurde.216 Es zeigt sich also, dass Seneca dem ovidischen Text an dieser Stelle ambivalent gegenübersteht: Zum einen stimmt er konzeptuellen

210 Wildberger (2006) I 33. Vgl. auch Trinacty (2018) 372. 211 Williams (2012) 131f. Zur Terminologie siehe auch Cic. orat. 70: πρέπον appellant hoc Graeci, nos dicamus sane decorum. […] huius ignoratione non modo in vita sed saepissime et in poematis et in oratione peccatur. 212 Long. sublim. 3,4: τὸ δὲ μειρακιῶδες ἄντικρυς ὑπεναντίον τοῖς μεγέθεσι. 213 Siehe zum Folgenden Degl’ Innocenti Pierini (1984) 149f. 214 Porph. Hor. c. 1,2,9: leuiter in re tam atroci et piscium et palumborum meminit, nisi quod hi[i] excessus lyricis concessi sunt. 215 Quint. inst. 10,1,88: lasciuus quidem in herois quoque Ovidius et nimium amator ingenii sui, laudandus tamen partibus. 216 Bemerkenswert ist, dass Quintilians Urteil über Seneca (inst. 10,1,130) ähnlich missfällig ausfällt, wie dessen über Ovid: uelles eum suo ingenio dixisse, alieno iudicio: nam si aliqua contempsisset, si parua non concupisset, si non omnia sua amasset, si rerum pondera minutissimis sententiis non fre-

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Bestandteilen zu, die Ovid in seiner Darstellung treffend ausgearbeitet habe, zum anderen lehnt er bestimmte Aspekte ab, mit denen sich Ovid gegen die Erhabenheit des Gegenstandes sowie gegen genretypische Charakteristika stelle. Im Anschluss an diesen Exkurs geht Seneca knapp auf naturphilosophische Theorien ein, die proklamieren, dass anhaltender Regen und übertretende Flüsse letztlich nicht zu einer globalen Flutkatastrophe führen könnten, um diesen jedoch eine direkte Absage zu erteilen: ubi instat illa pernicies, mutarique humanum genus placuit, fluere adsiduos imbres et non esse pluuiis modum concesserim […].217 Sobald jenes Verderben droht und beschlossen worden ist, dass das Menschengeschlecht ausgetauscht wird, dürfte ich wohl einräumen, dass anhaltende Regengüsse herabfließen und der Regen kein Maß hat […].

Seneca macht an dieser Stelle deutlich, dass die Flut und der mit ihr einhergehende Austausch des Menschengeschlechts von einer Entität bewusst bewirkt werden. Als zentralen Auslöser identifiziert er kurz daraufhin das fatum, das für die Stoiker einen Aspekt der Gottheit beschreibt:218 »Diese [Wassermassen] werden vom Schicksal bewegt, nicht von den Gezeiten (denn die Gezeiten stehen nur im Dienst des Schicksals).«219 Die Kausalität der globalen Überflutung wird also direkt auf das Schicksal zurückgeführt, das als ursächlicher Akteur fungiert.220 Die Gezeiten wiederum, die er für das reguläre Ansteigen des Meeres verantwortlich macht, werden dem Schicksal untergeordnet. Daran anschließend kann Seneca erneut an die Erfahrungswelt seiner Rezipienten anknüpfen, indem er darauf verweist, dass an den Äquinoktien ebenfalls ein besonders hohes Ansteigen des Meeres beobachtet werden kann. Die globale Flutkatastrophe, die nicht von den »Untergebenen«, sondern vom Schicksal selbst verursacht werde, übersteige auch dieses erkennbare Maß um ein Vielfaches und gehe erst wieder zurück, wenn selbst die höchsten Berggipfel überschwemmt sind.221 Seine Ursachenanalyse mündet in der Frage, welche ratio hinter dieser globalen Flut stehe. Diese identifiziert er sogleich als dieselbe, die auch dem Weltenbrand zugrunde liege:

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gisset, consensu potius eruditorum quam puerorum amore comprobaretur. Siehe dazu auch Williams (2012) 131f. Sen. nat, 3,28,2. Vgl. Fischer (2008) 179–182. Sen. nat. 3,28,4: haec fatis mota, non aestu (nam aestus fati ministerium est) […]. Vgl. Inwood (2005) 171. Sen. nat. 3,28,6.

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[…] utrumque fit cum deo uisum est ordiri meliora, uetera finiri. aqua et ignis terrenis dominantur; ex his ortus, ex his interitus est. ergo quandoque placuere res nouae mundo, sic in nos mare inmittitur desuper, ut feruor ignisque, cum aliud genus exiti placuit.222 […] beides geschieht, sobald die Gottheit beschlossen hat, Besseres zu beginnen, Altes zu beenden. Wasser und Feuer beherrschen die Erde; von diesen kommt Entstehung, von diesen kommt Untergang. Wann immer also neue Umstände für die Welt beschlossen worden sind, wird das Meer ebenso von oben auf uns losgelassen, wie Hitze und Feuer, wenn eine andere Vernichtungsart beschlossen worden ist.

Sintflut und Weltenbrand werden an dieser Stelle also als zwei Szenarien des Untergangs verstanden, deren Ziel es ist, die bestehenden Verhältnisse enden und solche beginnen zu lassen, die im Vergleich zu den derzeitigen besser sind.223 Feuer und Wasser werden dabei als die primären Ausgangsstoffe inszeniert, aus denen sowohl Entstehen als auch Vergehen resultieren. Damit artikuliert Seneca die doppelte Semantik beider Elemente als lebensspendend, aber auch vernichtend, die in zahlreichen antiken Texten bezeugt wird und universellen Charakter besitzen könnte.224 Vor dem Hintergrund dieser Doppelbedeutung erscheint es konsequent, sowohl Wasser als auch Feuer als Modi der Auflösung einzusetzen, wie dies etwa auch Lukrez in De rerum natura postuliert. Entscheidend ist jedoch, dass Seneca sowohl für die Sintflut als auch für den Weltenbrand eine zugrundeliegende Gesetzmäßigkeit annimmt und ihnen den konkreten Zweck zuschreibt, die derzeitige Weltordnung zu ändern. Für diese Strategie werden die spezifischen Details zunächst ausgeblendet, um eine prinzipielle Vergleichbarkeit der beiden Konzepte zu konstruieren. Die dahinterstehende Absicht scheint darin zu bestehen, den Rezipienten, die einen Untergang der Welt in Feuer akzeptieren, einen ebensolchen in Wasser plausibel zu machen und das präsentierte Konzept dadurch zu autorisieren. In diesem autoritätsstiftenden Kontext verbleibt Seneca sodann, wenn er sich darauf beruft, dass manche (quidam) behaupteten, dass während der Sintflut auch der Boden aufbreche und aus diesem ebenfalls Wasser hervorströme.225 Damit

222 Sen. nat. 3,28,7. 223 Dabei ist es wichtig zu differenzieren, dass gerade die neue Weltordnung nach der Ekpyrosis nicht prinzipiell besser als es die vorhergehende ist, da aus dem Zustand reinen Feuers letztlich wieder dieselbe Weltanordnung hervorgeht. Lediglich die moralischen Verhältnisse werden mit der Rekreation der Menschen dann wieder auf ›null‹ gesetzt, woraufhin eine erneute Degeneration folgt, bis sich wiederum eine Ekpyrosis ereignet. 224 Siehe zur doppelten Semantik des Wassers Kap. 3.1.; zur Stellung des Feuers in der stoischen Philosophie siehe Kap. 4.2. 225 Sen. nat. 3,29,1.

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erreicht er die letzte Stufe der Bedrängnis, da die Rezipienten nun mit der Vorstellung konfrontiert werden, dass die Wassermassen nicht nur von oben und außen, sondern auch von unten aus dem Erdinneren drohen. Paradigmatisch für diese Ansicht führt er Berossos an,226 der diesen Umstand auf den Lauf der Gestirne (cursus siderum) zurückgeführt habe: arsura enim terrena contendit quandoque omnia sidera quae nunc diuersos agunt cursus in Cancrum conuenerint, sic sub eodem posita uestigio ut recta linea exire per orbes omnium possit; inundationem futuram cum eadem siderum turba in Capricornum conuenerit. illic solstitium, hic bruma conficitur, magnae potentiae signa, quando maxima in ipsa mutatione anni momenta sunt.227 Er behauptet nämlich, dass die Erde brennen wird, wann immer alle Gestirne, die nun auf verschiedenen Bahnen laufen, im Krebs zusammenkommen, so in einer Reihe gelagert, dass eine gerade Linie durch die Kreisbahnen aller verlaufen kann; eine Überschwemmung werde erfolgen, wenn dieselbe Gestirnansammlung im Steinbock zusammengekommen sein wird. Dort [i. e. im Tierkreiszeichen Krebs] vollendet sich die Sommersonnenwende, hier [i. e. im Tierkreiszeichen Steinbock] die Wintersonnenwende, Sternbilder von großer Macht, weil sie von größter Bedeutung beim Wechsel des Jahres selbst sind.

In ähnlicher Weise wie auch Lucan in seinem Bellum civile astrologische Wissensbestandteile nutzt, um Weltuntergangskonzepte durch Feuer und Wasser zu belegen,228 wird die Konjunktion aller Planeten in den Zodiakalzeichen Krebs bzw. Steinbock dafür verantwortlich gemacht, dass spezifische globale Katastrophen eintreten werden. Dabei wird eine Relation zum beobachtbaren Verlauf eines Normaljahres konstruiert, anhand derer der jeweilige feucht-kalte oder feurig-warme Charakter des Untergangszenarios abgeleitet werden könne.229 Ohne dezidiert auf den Inhalt dieses Testimoniums einzugehen, gibt Seneca schlicht an, die vorgestellten astrologisch-astronomischen Ausführungen zu akzep226 Ob dieses Testimonium tatsächlich von Berossos selbst stammt, wurde in der Forschung kontrovers diskutiert, kann letztendlich jedoch aufgrund des fragmentarischen Zustandes seiner Werke nicht entschieden werden; siehe dazu etwa Steele (2013) bes. 101–103 für eine Diskussion des Materials. Für den vorliegenden Kontext ist diese Frage jedoch von untergeordneter Bedeutung. Wichtiger ist die Feststellung, dass Seneca seine Argumentation mit Wissen supplementiert, das er für die Darstellung offenbar als zweckdienlich empfunden hat, und dass er die Abhandlung des (Pseudo)Berossos als eine autoritätsstiftende Quelle angesehen hat. 227 Sen. nat. 3,29,1. 228 Siehe dazu Kap. 6.1. 229 Unter anderem mit Bezug auf diese Textstelle wurde in der Forschung die Theorie eines großen Jahres (annus magnus) entworfen, die in ihren Details jedoch ausgesprochen spekulativ und forciert ist; vgl. besonders van der Waerden (1952) und van der Sluijs (2006).

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tieren (istas ego receperim causas), da letztlich eine Vielzahl verschiedener Gründe zum Untergang der Welt führen werde.230 Wichtig scheint ihm in erster Linie die essentielle Aussage zu sein, dass derartige Vorgänge einer inneren Gesetzmäßigkeit folgen, die nach stoischem Verhältnis ab initio in einem jeden Wesen verankert ist.231 Diesen Prädestinationsaspekt verdeutlicht Seneca mithilfe einer konzeptuellen Metapher: ut in semine omnis futuri hominis ratio comprensa est, et legem barbae canorumque nondum natus infans habet (totius enim corporis et sequentis auctus in paruo occultoque lineamenta sunt), sic origo mundi non minus solem et lunam et uices siderum et animalium ortus quam quibus mutarentur terrena continuit. in his fuit inundatio, quae non secus quam hiems, quam aestas lege mundi uenit.232 Wie im Samen eines jeden zukünftigen Menschen ein Plan eingeschlossen worden ist und ein noch nicht geborenes Kind bereits die Gesetzmäßigkeit des Bart- und Haarwuchses besitzt (die Grundzüge des gesamten Körpers und des anschließenden Wachstums sind nämlich bereits in dem Kleinen und Verborgenen), so hat der Ursprung der Welt nicht weniger die Sonne und den Mond und den Wechsel der Gestirne und den Ursprung der Lebewesen als das, wodurch die Erde sich verändert, enthalten. Dazu hat auch die Flut gezählt, die nicht anders als der Winter [oder] als der Sommer nach der Gesetzmäßigkeit der Welt eintritt.

Durch diese Analogiebildung überträgt Seneca also Aspekte aus dem Ursprungsbereich »Mensch« auf den Zielbereich »Welt«, was ebenfalls dazu beitragen soll, seinen Gedankengang zu plausibilisieren. Indem er die nachvollziehbare These, dass allen Menschen schon vor der Geburt bestimmte Entwicklungsschritte ›eingeboren‹ seien, auf die Beschaffenheit der Welt überträgt, stellt er eine Relation zwischen Mikrokosmos Lebewesen und Makrokosmos Welt her, die im philosophischen Diskurs der Antike vielfach genutzt worden ist.233 Die Sintflut wird somit als ein fester Bestandteil der kosmischen Regelhaftigkeit inszeniert und auf eine Stufe mit den iterativen Jahreszeiten gestellt, wodurch nicht nur ihr Eintreten garantiert, sondern auch eine gewisse Periodizität impliziert wird. Davon ausgehend präsentiert Seneca seine weiteren Ausführungen nun auch im Futur, sodass »die Erklärung der Ursachen […] unmerklich in eine prophetische

230 Sen. nat. 3,29,2. 231 Sen. nat. 3,29,2: […] siue corpus natura gubernabile ut arbores ut sata, ab initio eius usque ad exitum quidquid facere quidquid pati debeat inclusum est. Vgl. Inwood (2005) 173. 232 Sen. nat. 3,29,3. 233 Siehe Kap. 5.1.

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Schilderung der Überschwemmung über[geht]. […] Die Katastrophe erscheint nun unmittelbar als bevorstehende Wirklichkeit.«234 Damit intensiviert sich zugleich die den Rezipienten suggerierte Bedrohung, wenn Seneca ihnen noch einmal eindrücklich vor Augen stellt, dass die Welt derzeit lediglich durch ein fragiles Gleichgewicht der Elemente besteht, was sich jedoch jeder Zeit ändern könne, sobald sich die Erde zu Wasser umwandeln werde: quemadmodum in morbum transeunt sana et ulceri uicina consentiunt, ut quaeque proxima terris fluentibus fuerint, ipsa soluentur stillabuntque, deinde decurrent, et hiante pluribus locis saxo per fretum salient et inter se maria component.235 Wie gesunde (Körperregionen) krank werden und sich nahe an einem Geschwür gelegene infizieren, so wird sich alles, was der flüssig werdenden Erde am nächsten ist, auch selbst auflösen und Wassertropfen bilden, anschließend ganz zerfließen und, während sich an vielen Orten der Fels spaltet, unter Brausen hervorspringen und miteinander zu einem Meer verbinden.

Erneut nutzt Seneca also eine konzeptuelle Metapher, um das bevorstehende Ereignis zu veranschaulichen. Wie eine Krankheit greife die elementare Umwandlung auf die »gesunden« Landteile über und transformiere sie in Wasser. Diese ›Infektion‹ der Erde schreitet schließlich analog zu einem Krankheitsverlauf allmählich voran, bis sich schließlich aus den neu entstandenen Wassermassen ein gewaltiges Meer formiert. In dieser Situation werden sich dann auch die meteorologischen Umstände an den Plan der Gottheit anpassen, sodass sich der Winter bis auf die Sommermonate erstreckt und die Gestirne, die unter anderen Umständen zu einer allmählichen Austrocknung der Gewässer führen, ihre Wirkung nicht mehr entfalten.236 Dass diese Naturgesetzlichkeiten letztlich aufgehoben werden, führt schließlich dazu, dass »jeglicher Unterschied vergehen wird« (peribit omne discrimen, 3,29,8): Der imaginierte Raum erweist sich nun als eine homogene Wassermasse, in die sich die Strukturen der differenzierten Welt aufgelöst haben. Zusammenfassend bemerkt Seneca dazu, dass »ein einziger Tag die Menschheit begraben werden« (unus humanum genus condet dies, 3,29,9). Damit spielt er erneut auf den lukrezischen Prätext an, in dem ebenfalls ein Weltuntergangsszenario entworfen und mit der Aussage eingeleitet wird, dass alle Strukturen, die so lange Zeit bestand hatten, an

234 Waiblinger (1977) 47. 235 Sen. nat. 3,29,7. 236 Sen. nat. 3,29,8. Zur Vorstellung, dass die Gestirne eine allmähliche Austrocknung der Gewässer bewirken, siehe auch Kap. 4.3.

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einem Tag aufgelöst werden.237 Die Vorstellung des einen Tages, an dem sich der Untergang ereignet, scheint sich – möglicherweise bereits seit Empedokles – zu einem Topos in der Darstellung von Weltuntergangskonzepten entwickelt zu haben, da die vergleichsweise kurze Zeitspanne eines Tages Drastik und Unmittelbarkeit des Ereignisses suggerieren. Um seinen Rezipienten zu vermitteln, dass dieses Ereignis jedoch keineswegs in ferner Zukunft liegt, betont Seneca zunächst seine Prädestinationsprämisse, dass bereits von Anbeginn der Welt festgelegt sei, wann diese im Wasser untergehen werde, und dass die Meere deshalb stetig angestiegen seien.238 So könnten die Rezipienten mit eigenen Augen erkennen, wie die Wellen bereits bedrohlich an die Ufer schlagen. Diesen Vorgang inszeniert Seneca durch die konzeptuelle Metapher Die Wellen sind eine Armee als einen Kampf um die Vorherrschaft zwischen dem Land und den Wassermassen. Dieselbe Autorisierungsstrategie, bei der durch wiederholten Einsatz von »siehst du nicht?« (non uides) die visuellen Erfahrungen der Rezipienten abgerufen und für den Argumentationsgang instrumentalisiert werden, verwendet ebenfalls Lukrez für seine Beweisführung, wenn er seine Thesen durch empirische Beobachtungen bekräftigt.239 Dabei zielt Seneca darauf ab, seine Rezipienten mit der existentiellen Bedrohung zu konfrontieren, dass die aquatische Katastrophe unmittelbar bevorsteht (nec longa erit mora exitii).240 Diesen bietet sich also lediglich noch die Möglichkeit, sich mental auf den drohenden Untergang vorzubereiten und die im Proömium des Buches postulierte Geisteshaltung einzunehmen, gleichmütig in die katastrophale Zukunft zu blicken. Vereinzelt finden sich in Senecas Darstellung Anklänge, dass die geschilderte Flut als eine Katharsis der Welt zu verstehen ist, durch die das moralisch depravierte Menschengeschlecht ausgelöscht und durch ein neues ersetzt wird – dem jedoch wiederum eine Neigung zur Dekadenz (nequitia) anhaftet.241 Dass etwa B. M. Gauly diese ›Reinigung‹ als (göttliche) Strafe liest,242 erscheint jedoch forciert, da Seneca diesen Vorgang ausdrücklich als eine naturgesetzliche Notwendigkeit inszeniert, gemäß der sich die Erde unter bestimmten Umständen reinigen muss – wie es etwa auch der menschliche Körper tut.243 Das neue, postdiluviale Menschen237 Lukr. 5,91-96. 238 Sen. nat. 3,30,1: iam autem a primo die mundi, cum in hunc habitum ex informi unitate discederet, quando mergerentur terrena decretum est. et ne sit quandoque uelut in nouo opere dura molitio, olim ad hoc maria se exercent. 239 Siehe Kap. 5.1. 240 Sen. nat. 3,30,5. 241 Sen. nat. 3,30,8: omne ex integro animal generabitur, dabiturque terris homo inscius scelerum et melioribus auspiciis natus. sed illis quoque innocentia non durabit, nisi dum noui sunt. cito nequitia subrepit […]. Siehe dazu auch Waiblinger (1977) 45f. und Williams (2012) 25. 242 So die Interpretation bei Gauly (2004) 247-253, Limburg (2007) 372 sowie Mader (1981) 66. 243 Explizit wird dieser Vergleich in Sen. nat. 3,30,4 hergestellt.

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geschlecht entsteht zwar unter einer pessimistischen Prämisse, bietet jedoch ein gewisses Potential, das dem derzeitigen nicht mehr zur Verfügung steht: Aktuell befindet sich die Welt bereits in der Vorbereitungsphase für eine globale Flut. Die novi homines sind jedoch »ohne Wissen von Verbrechen und unter besseren Vorzeichen geboren« (inscius scelerum et melioribus auspiciis natus).244 Zwar neigen auch diese zum Laster,245 jedoch kann die richtige Erziehung zu einer Besserung führen. So konstatiert J. Wildberger, dass der prinzipiellen Schlechtigkeit in Senecas Konzeptionen eine besondere Rolle zukommt, da nur durch diese ein Bewusstsein für das Gute ausgeprägt und praktiziert werden kann.246 Durch seine Darstellung etabliert Seneca nicht etwa eine Alternative zum Weltenbrand.247 Die stoische Ekpyrosis, wie sie auch von Seneca vertreten wird,248 ist nicht an eine moralische, sondern an die physikalische Notwendigkeit geknüpft, dass sich die differenzierte Welt (διακόσμησις) periodisch in reines Feuer auflösen muss.249 Ob sich eine Sintflut oder ein Weltenbrand ereignet, wird für Seneca durch die jeweilige Situation bedingt.250 Eine Überflutung der Welt betrifft zwar auch die Strukturen der differenzierten Welt, die sich in Wasser auflösen, verschont aber einerseits die Bereiche des Himmels und konzentriert sich andererseits explizit auf die Vernichtung der moralisch depravierten Menschheit. Eine solche purgative Funktion fehlt den stoischen Ekpyrosis-Konzepten vollkommen. Sobald jedoch die spezifische physikalische Notwendigkeit eintritt, muss sich ein Weltenbrand ereignen. Neben den bereits untersuchten Darstellungen, in denen zum Teil umfangreiche Konzepte von einmaligen oder periodisch eintretenden Fluten entworfen werden, findet sich in epischen Textsorten zudem eine produktive Wechselwirkung zwischen Flutnarrativen und Seesturmschilderungen. Paradigmatisch zeigt sich dieser kreative Aushandlungsprozess, bei dem die zerstörerische Semantik des Wassers eine gemeinsame Grundlage bietet, in einer Episode aus Lucans Bellum civile. Die betreffende Passage steht im größeren Kontext des fünften Buches und thematisiert

244 Sen. nat. 3,30,8: […] inscius scelerum et melioribus auspiciis natus. 245 Sen. nat. 3,30,8: […] uirtus difficilis inuentu est, rectorem ducemque desiderat; etiam sine magistro uitia discuntur. 246 Vgl. Wildberger (2006) I 301–308. 247 So etwa Berno (2019), die politische Motivationen hinter Senecas Wahl der Flut als Auflösungsszenario vermutet. Eine solche biographische Lesart scheint der Passage m. E. jedoch nicht gerecht zu werden. 248 Siehe dazu Kap. 6.3. 249 Siehe zu früheren Ekpyrosis-Konzeptionen Kap. 5.2. 250 Ähnlich auch Waiblinger (1977) 44, der jedoch der Ansicht ist, dass Seneca Kataklysmos und Ekpyrosis »gleichsetzt.« Gerade dies ist jedoch nicht der Fall: Seneca betont zwar, dass er in beiden Ereignissen dieselbe Planhaftigkeit (ratio) sieht – eine Verbesserung der gegenwärtigen Umstände. Dies setzt beide Szenarien jedoch nicht gleich, da sie einem jeweils eigenen Telos unterliegen.

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die gescheiterte Überfahrt Caesars von Dyrrachium nach Italien. Nachdem bei dieser Seereise ein episches Gewitter251 inszeniert wurde, nimmt der Seesturm ab V. 615 unvermittelt die Gestalt einer Berge und Länder überschwemmenden Flutkatastrophe an.252 Indem der auktoriale Erzähler explizit auf die deukalionische Flut verweist, wird hyperbolisch die Vorstellung einer globalen Überschwemmung evoziert, wodurch die Drastik der Episode gesteigert wird: […] sic rector Olympi cuspide fraterna lassatum in saecula fulmen adiuvit, regnoque accessit terra secundo, cum mare convolvit gentes, cum litora Tethys noluit ulla pati caelo contenta teneri.253

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So hat der Herrscher über den Olymp mit dem brüderlichen Dreizack den Blitz, der sich an der Menschheit abgenutzt hat, unterstützt und die Erde hat sich dem zweiten Herrschaftsbereich [i. e. dem Meer Neptuns] genähert, als das Meer die Völker verschlungen hat, als Tethys sich geweigert hat, irgendwelche Küsten hinzunehmen und sich nur durch den Himmel beschränken lassen wollte.

Durch die Anspielung auf den Deukalion-Prätext wird ein literarischer Raum konstruiert, der die Gefahr des globalen Untergangs anklingen lässt. Im Folgenden tritt – wie auch in den Sintflutdarstellungen – eine unnatürliche Nacht ein, die alles mit Finsternis überzieht254 und die bedrohliche Situation klimaktisch steigert, bis die Gefahr für das gesamte Weltgefüge (conpages, V. 633) den Rezipienten deutlich vor Augen steht: extimuit natura chaos; rupisse videntur concordes elementa moras, rursusque redire nox manes mixtura deis: spes una salutis, quod tanta mundi nondum periere ruina.255

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Die natura hat das Chaos befürchtet; die Elemente scheinen ihr einträchtiges Verweilen unterbrochen zu haben, und die Nacht scheint wieder zurückzukehren, die die Manen

251 Zum Motiv des Seesturms in der epischen Dichtung vgl. Matthews (2008) 23–25. 252 Lucan. 5,615f.: a quotiens frustra pulsatos aequore montes // obruit ille dies […]. Auch an dieser Stelle klingt das Motiv des einen Tages an, das die Drastik der Situation hervorhebt; siehe dazu Kap. 6.4. 253 Lucan. 5,620–624. 254 Lucan. 5,627: non caeli nox illa fuit […]. 255 Lucan. 5,634–637.

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mit den Göttern vermischen wird: Es gibt eine einzige Hoffnung auf Rettung (für die Götter), dass sie bislang noch nicht in einem so großen Untergang der Welt zugrunde gegangen sind.

Die natürliche Ordnung droht eliminiert zu werden, wodurch die Welt in einen chaotischen Urzustand zurückgleiten würde, der als eine allumfassende Nacht verstanden wird.256 In dieser werden sogar Götter und Manen, die Ober- und Unterwelt repräsentieren, miteinander vermengt.257 Dadurch wird eine homogenisierte Masse imaginiert, in der keinerlei strukturelle Differenzierung vorhanden ist. Das mikrokosmische Ereignis, der Seesturm, ist hier also mit Bausteinen einer imaginierten Flutkatastrophe aufgeladen, die mit den Konzepten von ewiger Nacht und primordialem Chaos verknüpft ist. Auf die Frage, worin die Intention solch einer übersteigerten Inszenierung liegt, ließe sich anführen, dass Lucan auf einer poetologischen Ebene seine epischen Vorgänger, besonders Vergil, zu überbieten beabsichtigt, indem er die Imagination kosmischer Auflösung in seine Dichtung stärker einbindet, als dies etwa bei Vergils epischem Seesturm der Fall ist, wodurch zugleich deren Drastik übertroffen wird.258 Kurz vor der Schlacht von Pharsalos setzt die lucanische Erzählinstanz letztlich die Schrecken einer kosmischen Katastrophe mit denen des Bürgerkrieges auf eine Stufe: Die Panik im Angesicht beider Bedrohungen wird parallelisiert indem die Angst der Soldaten geschildert wird, als sähen sie den Untergang der Welt vor sich: […] sua quisque pericula nescit attonitus maiore metu. quis litora ponto obruta, quis summis cernens in montibus aequor aetheraque in terras deiecto sole cadentem, tot rerum finem, timeat sibi?259

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Keiner kennt die eigene Gefahr, erschüttert durch eine größere Furcht. Wer soll für sich selbst fürchten, wenn er sieht, dass die Küsten vom Meer bedeckt worden sind, wer (wenn er sieht), dass die Meeresfläche sich auf den Bergspitzen befindet und der Himmel mit herabgestürzter Sonne auf die Erde fällt, (wenn er) das Ende so vieler Dinge (sieht)?

256 Siehe zu dieser Konzeption Kap. 6.4. 257 Vgl. Matthews (2008) 211. 258 Mit diesem Vorgehen entspräche er den Standards der zeitgenössischen Literaturästhetik; vgl. dazu Schindler (2000b) 142. Die These, dass Lucan an dieser Stelle die grundsätzliche Bedrohung einer Naturgewalt beschreibe, vertritt Tarrant (2002) 359. 259 Lucan. 7,133–137a.

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In diesem Gleichnis sind nun Überschwemmungen sowie der Sturz des Himmels mitsamt seiner Gestirne die Modi der Zerstörung. Durch diese Variation wird deutlich, dass die imaginierten Auflösungsszenarien ausgetauscht werden können, um den Rezipienten mit einer großen Bandbreite an möglichen Katastrophen zu konfrontieren und sie je nach poetischem Bedarf zu formen und zu nutzen. Dagegen sieht C. Wiener in einem solchen Vorgehen den Ansatz der stoischen Psychotherapie verwirklicht: Lucan entrücke die Rezipienten in die Rolle distanzierter Beobachter, die sich anhand der Schreckensszenarien das Naturgesetz von zyklischem Entstehen und Vergehen vergegenwärtigen und aufbauend auf dieser Erkenntnis in ihrem eigenen Leben von keiner Notsituation erschüttert werden können.260

6.3 Conflagratio mundi – Weltenbrandkonzepte in der augusteischen und frühkaiserzeitlichen Literatur Der Mythos um Phaethon, den sterblichen Sohn des Sonnengottes, verknüpft eindrücklich das Motiv menschlicher Hybris mit einer aus dieser resultierenden Brandkatastrophe kosmischen Ausmaßes.261 Am ausführlichsten ist dieser in Ovids Metamorphosen (1,751–2,400) überliefert, innerhalb derer er zugleich die umfangreichste Einzelgeschichte des Werkes bildet.262 Um einen Beweis für seine göttliche Abstammung einzufordern, begibt sich Phaethon zu seinem Vater Sol/Phoebus, der ihn als geliebten Sohn in seinem Sonnenpalast263 willkommen heißt und ihm freistellt, sich etwas als Beweis der väterlichen Gunst zu wünschen. Diese unbedachte Freigiebigkeit erweist sich jedoch sogleich als schwerwiegender Fehler, da Phaethon darum bittet, den Sonnenwagen für einen Tag lenken zu dürfen. Trotz der Beteuerung des Vaters, dass dieses Anliegen die Kräfte des Sohnes übersteigen werde, da Menschen nicht dafür geschaffen seien, göttliche Vorgänge zu kontrollie-

260 Vgl. Wiener (2010) 163. Ein solches Vorgehen weist ebenfalls Ähnlichkeiten zu Lukrezens therapeutischem Programm auf; siehe dazu Kap. 5.1. 261 Das zusammengestellte Material zum Mythos bietet Cuppo Csaki (1995). Zu den konstituierenden Elementen des Mythos vgl. Hillgruber (1995) 494. Auf spätere Variationen des Stoffes geht Habermehl (2009) ein. 262 Vgl. Wheeler (2000) 37. Schiesaro (2014) präsentiert eine metapoetische Interpretation der Passage: Nach dieser setze sich Ovid in der Episode dezidiert mit Lukrez als dichterischem Vorgänger und dessen poetischem und philosophischem Programm auseinander. 263 Siehe dazu Wheeler (2000) 40: »Ovid makes this transition [scil. zur Kosmologie] through the description of the palace of Phoebus. There is no indication that Phaethon sees the harmonious imago mundi represented on the doors; on the contrary, this description is form of communication between Ovid and his audience. It triggers the memory of both cosmogony and flood.«

Conflagratio mundi – Weltenbrandkonzepte in der augusteischen und frühkaiserzeitlichen Literatur

ren,264 beharrt er auf seinem Vorhaben.265 Erwartungsgemäß wird Phaethon am höchsten Punkt der Reise (ab summo aethere) von Panik erfasst, da ihm die eigene Unzulänglichkeit bewusst wird.266 In dieser Situation verliert er das Bewusstsein und damit die Kontrolle über die Sonnenpferde, die daraufhin den Sonnenwagen aus seiner gewohnten Bahn ziehen.267 Auf dieses Präludium folgt ein detailreich ausgestaltetes Zerstörungsnarrativ, in dem sich der Sonnenwagen nun stetig der Erde annähert und somit eine allmähliche Auflösung der Welt in Gang setzt. In einem ersten Schritt greift das Sonnenfeuer die Berge als höchstgelegene Gebiete an und dörrt deren Vegetation vollständig aus, sodass natürliche wie auch menschengemachte Strukturen vernichtet werden: »Futterkräuter werden grau, mit seinen Blättern wird der Baum verbrannt und das trockene Saatfeld bietet den Stoff für sein eigenes Verderben.«268 Aus der Nullfokalisierung richtet der ovidische Erzähler im Anschluss den Blick auf verschiedene Bereiche der Welt, die unter den Flammen leiden: […] magnae pereunt cum moenibus urbes, cumque suis totas populis incendia gentes in cinerem vertunt; silvae cum montibus ardent, ardet Athos Taurusque Cilix et Tmolus et Oete et tum sicca, prius creberrima fontibus, Ide virgineusque Helicon et nondum Oeagrius Haemus. ardet in inmensum geminatis ignibus Aetna Parnasusque biceps et Eryx et Cynthus et Othrys et tandem nivibus Rhodope caritura Mimasque Dindymaque et Mycale natusque ad sacra Cithaeron. nec prosunt Scythiae sua frigora: Caucasus ardet Ossaque cum Pindo maiorque ambobus Olympus aeriaeque Alpes et nubifer Appenninus.269

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[…] große Städte gehen mit den Mauern zugrunde und Brände verwandeln ganze Nationen mit ihren Völkern zu Asche; die Wälder brennen mit den Bergen, es brennt der Athos und der kilikische Taurus und der Tmolus und die Oete, und der nun ausgetrocknete,

264 Ov. met. 2,56: sors tua mortalis: non est mortale quod optas. 265 Die an dramatische Textsorten angelehnte Gestaltung der Episode untersucht Seng (2007) umfassend. 266 Ov. met. 2,178–181. 267 Ov. met. 2,200–209. 268 Ov. met. 2,212f.: pabula canescunt, cum frondibus uritur arbor, // materiamque suo praebet seges arida damno. 269 Ov. met. 2,214–226.

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früher äußerst quellreiche Ida, und der jungfräuliche Helikon [i. e. der Musen] und der damals noch nicht dem Oeagrus gehörige Haemus. Bis ins Unermessliche brennt der Ätna durch zweifaches Feuer und (es brennt) der doppelgipflige Parnass, der Eryx, der Cynthus, der Othrys, die Rhodope, die schließlich frei sein wird von Schneemassen, und Mimas, Dindyma, Mycale und der für heilige Kulte geschaffene Cithaeron. Und nichts nützt Scythien seine Kälte: der Kaukasus brennt und der Ossa mit dem Pindus und der Olymp, der größer als beide ist, die luftigen Alpen und der wolkentragende Apennin.

Die Erzählinstanz entwirft also eine Topografie der Vernichtung, indem sie prominente Berge Griechenlands und Skythiens zu einem epischen Katalog verknüpft.270 Dabei fokussiert sie geographische Spezifika, die der Sonnenwagen entweder verstärkt, wie etwa den nun extern und intern brennenden Ätna, oder gänzlich eliminiert – so die ganzjährig beschneite Rhodope. Somit verdeutlicht sie eindrücklich, wie die eintretende Katastrophe die natürlichen Grenzen und Gesetzmäßigkeiten potenziert oder auch vollständig annihiliert. Aus seiner Bewusstlosigkeit wieder erwacht, offenbart die interne Fokalisierung Phaethons nun, dass er die Katastrophe mit allen Sinnen erfährt: Zunächst sieht er, dass die Erde von allen Seiten (cunctis e partibus) in Flammen steht, er schmeckt die brennend heiße Luft und spürt die von der Erde ausgehende Hitze auf seinen Wangen, bis seine Sicht schließlich vom aufsteigenden Rauch vollständig verschleiert wird.271 Aus Phaethons multisensorischer Perspektive erlebt der Rezipient somit nicht nur die Auflösung immanenter Strukturen, sondern auch die unmittelbare existentielle Bedrohung, die sich für die betroffenen Individuen ergibt. Deren langanhaltende, für die Rezipienten der Gegenwart immer noch ersichtliche Folgen werden zudem durch eine Ätiologie unterstrichen, gemäß der die Aithioper ihre dunkle Hautfarbe durch dieses Ereignis erhalten hätten.272 Eine zweite, ebenfalls als epischer Katalog gestaltete Passage erläutert die Zerstörungsfolgen anschließend eine Stufe »tiefer«: Die Flammen bedrängen nun nach den höheren Lagen ebenfalls die Gewässer und hinterlassen sichtbare Spuren an diesen. Diese erneute Topografie der Vernichtung fokussiert noch ausführlicher als die erste, wie die betroffenen Quellen samt deren Nymphen, die Gewässer und Flüsse sowie die Meeresgottheiten der Hitze weichen und sich dadurch das Erschei-

270 Erläuterungen zu diesen mythologisch aufgeladenen Orten bietet Bömer (1969) I 296–299. 271 Ov. met. 2,227–234. 272 Zur Tradition dieser Ätiologie siehe Bömer (1969) I 300: »Daß die Hautfarbe der Aithioper wegen der Nähe der Sonne verbrannt ist, ist ein alter Topos […]. Die Version von der Entstehung der Hautfarbe durch den Phaethon-Brand ist vor Ovid nicht überliefert, möglicherweise […] aber schon hellenistisch […].«

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nungsbild der Erdoberfläche vollständig wandelt.273 Diese Transformation wird schließlich wieder in Nullfokalisierung subsumiert: et mare contrahitur, siccaeque est campus harenae, quod modo pontus erat, quosque altum texerat aequor, exsistunt montes et sparsas Cycladas augent. ima petunt pisces, nec se super aequora curvi tollere consuetas audent delphines in auras; corpora phocarum summo resupina profundo exanimata natant.274

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Und das Meer zieht sich zusammen, und (schon) ist eine Fläche trockenen Sandes, was eben noch Meeresflut war, und Berge, die die tiefe Meeresfläche bedeckt hatte, treten hervor und vermehren die zerstreuten Kykladen. Die Fische suchen die Tiefe auf und die gekrümmten Delphine wagen es nicht sich über die Meeresfläche in die gewohnten Lüfte zu erheben; mit den Bäuchen nach oben schwimmen die leblosen Körper von Robben auf der Meeresoberfläche.

Ähnlich wie in den bereits behandelten Flutnarrativen wird an dieser Stelle eine verkehrte Welt entworfen, in der natürliche Zustände umgewendet werden: Indem der Meeresspiegel signifikant fällt, ziehen sich die Delphine auf den Meeresboden zurück und tote Robben treiben an der Oberfläche. Begegnet in Sintflutberichten der Topos, dass Delphine und Robben »als die typischen Lebewesen des Meeres«275 die Grenzen zwischen Land und Meer überschreiten, werden sie in diesem Brandnarrativ nun gezwungen, ihre gewohnten Lebensbereiche zu meiden bzw. kommen in diesen um. Diesen Konnex zwischen Flut- und Brandnarrativ betont Ovid zusätzlich durch einen intratextuellen Verweis, indem er »quod modo pontus erat« (2,263) als Kontrafaktur zu »omnia pontus erat« (1,292) verwendet. Dass die Auflösung graduell voranschreitet und sich in ihrer Bedrohung immer weiter steigert, wird anhand der anschließenden direkten Rede deutlich, die die personifizierte Erde (alma terra) in ihrer Verzweiflung an Jupiter richtet. Diese erachtet es offenbar grundsätzlich für möglich, vergänglich zu sein und eine begrenzte Lebensspanne zu besitzen:

273 Ov. met. 2,238–259. 274 Ov. met. 2,262–268a. 275 Bömer (1969) I 308.

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si placet hoc meruique, quid o tua fulmina cessant, summe deum? liceat periturae uiribus ignis igne perire tuo clademque auctore leuare.276

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Wenn dies beschlossen ist und ich es verdient habe, weshalb zögern deine Blitze, Höchster der Götter? Möge es derjenigen, die im Begriff ist durch die Gewalt des Feuers zu vergehen, erlaubt sein, durch dein Feuer zu vergehen und mag es erlaubt sein, ihr durch (deine) Urheberschaft den Untergang erträglich zu machen.

In dieser pathetisch anmutenden Bitte wird zugleich vermittelt, dass Jupiter als rechtmäßiger Agent kosmischer Auflösung identifiziert wird. Ein Untergangsszenario, das diesen nicht als Urheber der Vernichtung aufweist, erscheint als unangemessen. Dadurch wird ebenfalls ersichtlich, dass – sollte es überhaupt einen finalen Untergang der Welt geben – dieser im vorliegenden Kontext als Brand gedacht würde, der von Jupiters einzigartigem Feuer verursacht werden soll. Was die Erde letztlich bei der aktuellen Brandkatastrophe befürchtet, ist eine Auflösung der drei strukturgebenden Gebilde der Welt, also ihrer selbst, des Himmels und der Meere. Dieses imaginierte Schreckensszenario führe dann dazu, dass ein primordialer Urzustand wiederhergestellt würde, in dem ein indifferentes Chaos (chaos antiquum) besteht,277 wie es zu Beginn der Metamorphosen als Ausgangspunkt der geordneten Schöpfung beschrieben wird. Auf diese Rede, die den dramatischen Höhepunkt der gesamten Episode bildet,278 folgt das finale Eingreifen Jupiters. Dieser wendet die kosmische Bedrohung schließlich ab, indem er einen seiner Blitze auf den außer Kontrolle geratenen Sonnenwagen schleudert, wodurch Phaethon tot zu Boden fällt und sich die Sonnenpferde aus ihrem Gespann losreißen.279 Die mythische Darstellung Ovids präsentiert also das Narrativ eines beinaheUntergangs, der nur durch die Intervention Jupiters abgewendet werden konnte. Dabei wird deutlich, dass auf mythologischer Ebene allein Jupiter das Recht zugeschrieben wird, einen angemessenen Untergang der Welt herbeizuführen, wie aus der Bitte der Erde nach einem erhabenen Ende deutlich wird, indem er seinen Blitz auf die Welt niederfahren lässt. Der zufällige Untergang durch die Hybris eines

276 Ov. met. 2,279–281. 277 Ov. met. 2,298–300: si freta, si terrae pereunt, si regia caeli, // in chaos antiquum confundimur. eripe flammis, // siquid adhuc superest, et rerum consule summae! Siehe dazu Bretzigheimer (1993) 72: »Mit der eindringlichen Schilderung der Tellus, die in Todesagonie schwebt und den Rückfall des Kosmos ins Chaos nahe sieht (II 298f.), entwirft Ovid ein Gegenbild zur Fruchtbarkeitsgöttin der aurea aetas, der Garantin von Gedeihen und Fülle.« 278 Vgl. Seng (2007) 172f. 279 Ov. met. 2,311–322.

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Heroen wird von der personifizierten Erde hingegen dezidiert als unwürdig für eine Auflösung kosmischer Strukturen eingestuft. Mehrfach verweist auch Manilius in seinen Astronomica auf den PhaethonMythos,280 wobei er diesen ebenfalls als einen beinahe-Untergang versteht: nec non, cum patrias Phaethon temptavit habenas, arserunt gentes timuitque incendia caelum fugeruntque novas ardentia sidera flammas atque uno metuit condi natura sepulcro.281

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Ebenfalls haben auch, als Phaethon die Zügel des Vaters ausprobiert hat, die Nationen gebrannt und der Himmel hat die Brände gefürchtet und die brennenden Gestirne sind vor den neuen Flammen geflohen und die natura befürchtete in einem einzigen Grab beigesetzt zu werden.

Im Gegensatz zu den Lebewesen, die bereits von der Katastrophe betroffen sind (arserunt gentes), fürchten die komischen Elemente dieses Schicksal und können als einzig übrig gebliebene Agenten vor den Flammen des Sonnenwagens fliehen. Dadurch soll wohl die unmittelbare Bedrohung durch das vergangene Ereignis verdeutlicht werden, ohne dass die Möglichkeit einer vollständigen Auflösung jedoch tatsächlich bestanden hätte.282 Denn prinzipiell vertritt die Autor-persona das Konzept eines ewigen Kosmos, in dem lediglich partielle Änderungen der Welt möglich sind.283 Dies wird in den finalen Versen des Werkes besonders hervorgehoben, die einen zukünftigen Weltenbrand ausschließen, da die natura nicht alle Gestirne mit denselben »Kräften« (uires) ausgestattet habe – analog zu einem Staatsmodell mit verschiedenen gesellschaftlichen Schichten.284 Die somit bestehende kosmische Ordnung verbleibt in einem perfekten, ewigen Gleichgewicht.285 Zugleich wird mit dem Verweis auf die politisch-gesellschaftliche Ordnung und dem da-

280 Ausführlich auf Manilius’ Umgang mit den Versionen des Mythos bei Lukrez und Ovid geht Kyriakidis (2018) ein. 281 Manil. 4,834–837. Vgl. auch die Darstellung in 1,735–749. 282 Zwar wird an späterer Stelle (5,209–212) auf eine finale Auflösung der Welt angespielt, jedoch überzeugt in diesem Zusammenhang die These von Volk (2009) 263: »Since the unchangeability of the heavens is at the heart of Manilius’ cosmology, it appears that, in using the Phaethon myth, he is momentarily ›dipping into‹ a different kind of discourse (and, presumably, using a different kind of source), without meaning to invalidate or call into question his beliefs as expressed elsewhere.« 283 So etwa Manil. 1,518: at manet incolumis mundus suaque omnia seruat sowie 1,521: idem semper erit quoniam semper fuit idem. 284 Manil. 5,734–745. 285 Vgl. Habinek (2011) 42f.

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mit verbundenen explizit römischen Vokabular286 auf die Vorstellung der Roma aeterna rekurriert, die durch ihre spezifische staatliche Ordnung und göttliche Prädestination dazu bestimmt sei, ewig zu bestehen.287 Seneca der Jüngere hingegen formulierte in verschiedenen Kontexten das stoische Konzept eines periodisch eintretenden Weltenbrandes, bei dem die Strukturen der differenzierten Welt zu reinem Feuer umgewandelt werden, aus dem sich dieselbe Weltanordnung erneut herausbildet.288 Beschreibungen dieses Vorganges fallen im Gegensatz zu seiner narrativ und argumentativ ausgestalteten Sintflutdarstellung jedoch vergleichsweise knapp aus: dicimus enim ignem esse qui occupet mundum et in se cuncta conuertat: hunc euanidum languentemque considere, et nihil relinqui aliud in rerum natura igne restincto quam umorem; in hoc futuri mundi spem latere. ita ignis exitus mundi est, umor primordium.289 Wir [scil. Stoiker] sagen nämlich, dass es das Feuer ist, das die Welt(anordnung) ergreift und alles in sich verwandelt: Wenn es schwindet und erschlafft, sinke es zusammen und nachdem das Feuer erloschen sei, bleibe im Weltall nichts anderes übrig als Feuchtigkeit; in dieser sei die Hoffnung auf eine zukünftige Welt geborgen. So ist das Feuer das Ende der Welt(anordnung), die Feuchtigkeit aber (deren) Ursprung.

Zwar gibt Seneca hier grundsätzlich eine bereits für die Alte Stoa bezeugte Konzeption wieder, erweitert diese jedoch an anderer Stelle um einen Aspekt, der zuvor nicht bezeugt ist: Der Weltenbrand kann gewissermaßen als tröstendes Ereignis imaginiert werden.290 So lässt er etwa in der Consolatio ad Marciam in Form einer sermocinatio deren bereits verstorbenen Vater Cremutius Cordo auftreten, um durch den Rekurs auf die Ekpyrosis die Trauer über ihren toten Sohn zu mildern.291

286 Siehe ebd. 42: »Manilius employs the familiar language of the Roman political system: patres, ordo equester, populus, vulgus, res publica (5.735–8).« 287 Siehe dazu Kap. 6.1. 288 Vgl. Wildberger (2006) I 56–59. 289 Sen. nat. 2,13,1f. Ähnliche kurze Darstellungen finden sich auch in epist. 9,16 und benef. 6,22,1. Zum Kontext in De beneficiis vgl. Griffin (2013) 91–96, 300–303. 290 Vgl. Roche (2002) 62f. Dieser erwähnt auch Sen. epist. 91,12f., da dort der Brand von Lyon mit dem Weltenbrand in Verbindung gebracht werde. Jedoch bezieht sich Seneca an dieser Stelle lediglich darauf, dass alle von Menschen geschaffenen Strukturen – also auch Städte – vergänglich seien und ein solcher Untergang deshalb mit »gelassenem Geist« zu betrachten sei (epist. 91,11: […] ideo aequo animo ferre debemus urbium excidia); siehe zum ähnlichen pädagogischen Konzept der mens pacata bei Lukrez Kap 5.1. 291 Sen. dial. 6,26,1–7. Vgl. dazu Berno (2019) 83f. Eine ähnliche tröstende Argumentation findet sich auch in Sen. dial. 11,1,4.

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Damit soll ihr einerseits vor Augen geführt werden, dass alle differenzierten Strukturen, zu denen auch die Menschen gezählt werden, beim Weltenbrand letztlich notwendigerweise in den gemeinsamen Zustand reinen Feuers überführt werden und somit eine Einheit mit der Gottheit bilden. Andererseits seien die Toten sich dieses zukünftigen Ereignisses unmittelbar bewusst und befänden sich deshalb in einem Zustand der Glückseligkeit (felices animae), weshalb ihr Sohn nicht etwa bemitleidenswert, sondern vielmehr zu beneiden sei.292 Auch in Lucans Bellum civile thematisiert die Erzählinstanz das Wissen um einen zukünftigen Weltenbrand, konterkariert den tröstenden Aspekt dieses Konzeptes jedoch: So berichtet sie zunächst, wie Caesar sich nach der Schlacht von Pharsalos an den herumliegenden Leichen, die einst seine Mitbürger waren, ergötzt und verboten habe, diese zu verbrennen, um den grauenvollen Anblick länger aufrecht zu erhalten.293 Geradezu fatalistisch fordert sie Caeser daraufhin auf, alle Völker auf einem gewaltigen Scheiterhaufen zu verbrennen.294 Der Zeitpunkt werde nicht von Bedeutung sein, weil ein gewaltiges Feuer die Welt letztlich verzehren werde: hos, Caesar, populos si nunc non usserit ignis, uret cum terris, uret cum gurgite ponti. communis mundo superest rogus ossibus astra mixturus.295

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Wenn das Feuer diese Völker, Caesar, nicht jetzt verbrennen sollte, wird es (sie) zusammen mit den Ländern verbrennen, es wird (sie) mit dem Schlund des Meeres verbrennen. Für die gesamte Welt wird ein gemeinsamer Scheiterhaufen ausreichen, der die Sterne mit den Gebeinen vermischen wird.

An dieser Stelle wird also ein Weltenbrand imaginiert, der unausweichlich in der Zukunft eintreten und alle Strukturen der differenzierten Welt auflösen wird, was

292 Sen. dial. 6,26,6f.: et cum tempus aduenerit, quo se mundus renouaturus extinguat, uiribus ista se suis caedent et sidera sideribus incurrent et omni flagrante materia uno igni, quicquid nunc ex disposito lucet, ardebit. nos quoque felices animae et aeterna sortitae, cum deo uisum erit iterum ista moliri, labentibus cunctis et ipsae parua ruinae ingentis accessio in antiqua elementa uertemur. felicem filium tuum, Marcia, qui ista iam novit. Senecas Erklärung folgt dabei der in der antiken Literatur verbreiteten Vorstellung, dass die Toten Kenntnis über die Zukunft besäßen, weshalb sie in anderen literarischen Kontexten auch beschworen werden, um Auskunft über diese zu geben; vgl. zu dieser Tradition Korenjak (1996) 37–43. 293 Lucan. 7,786–803. 294 Lucan. 7,803–805: […] petimus non singula busta // discretosque rogos: unum da gentibus ignem, // non interpositis urantur corpora flammis. 295 Lucan. 7,812–815a.

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durch die Verzehrung von Erde, Meer und Gestirnen impliziert wird. Erneut gebraucht Lucan dabei die Vorstellung einer Vermengung, wobei er diesmal nicht Götter und Manen, sondern die Sterne und die Knochen der Toten auswählt, um Ober- und Unterwelt zu repräsentieren.296 Irdisches und Himmlisches bilden dabei die gemischte materia für den Scheiterhaufen und werden folglich alle zu Feuer. Caesar erscheint in diesem Kontext quasi als kosmischer Agent, der darüber entscheiden könne, ob die Welt nun durch den Bürgerkrieg oder erst in Zukunft durch den globalen Brand untergehe. So wie es in Ovids Metamorphosen dem Zuständigkeitsbereich Jupiters zugewiesen wird, die Welt – wenn überhaupt – durch sein göttliches Feuer zu vernichten, wird Caesar bei Lucan explizit als derjenige angesprochen, der den Völkern (populi) den Untergang durch ein gemeinsames Feuer bereiten solle. Dadurch wird der römische Bürgerkrieg mit einer kosmischen Katastrophe gleichgesetzt, deren Auswirkungen grundsätzlich dieselben sind. Jedoch steht bei Lucan nicht etwa eine konsolidierende Absicht im Hintergrund seiner Darstellung, sondern der geradezu nihilistische Grundgedanke, dass die Menschheit in jedem Fall zum Untergang verdammt ist.297 Eine interessante Verbindung zweier ursprünglich voneinander getrennter Konzeptbausteine, die in stoischen und epikureischen Quellen überliefert sind, bietet Plinius der Ältere in seiner Historia naturalis. In dieser naturhistorischen Enzyklopädie behauptet er, dass die Menschen von Generation zu Generation immer kleiner würden, je näher der Weltenbrand käme: in plenum autem cuncto mortalium generi minorem in dies fieri propemodum observatur rarosque patribus proceriores, consumente ubertatem seminum exustione, in cuius uices nunc uergat aeuum.298 Generell kann man aber beobachten, dass sie [scil. die Körpergröße] bei dem gesamten Geschlecht der Sterblichen fast von Tag zu Tag geringer wird und (nur) wenige größer werden als ihre Väter, weil der Brand, zu dessen Wechsel sich unser Zeitalter nun neigt, die ergiebige Kraft der Samen verzehrt.

Hinter dieser Konzeption steht einerseits die etwa aus Ciceros De natura deorum bekannte stoische Vorstellung, dass die Gestirne aus der sublunaren Sphäre allmählich sämtliche Flüssigkeit entzögen, um weiter brennen zu können, wodurch

296 Vgl. Matthews (2008) 211. 297 Ausführlich beschäftigt sich Sklenář (1999) mit diesem Gedankengang und postuliert (bes. 287f.), dass der Erzähler des Bellum civile ein anti-stoisches Weltbild zeichne und durch gezielte Widersprüche zur stoischen Ethik und Kosmologie gerade deren Schwächen aufzeigen wolle. 298 Plin. nat. 7,73.

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die Welt langsam austrockne. Andererseits scheint der in Lukrezens De rerum natura bezeugte Gedankengang, dass die Generationsfähigkeit der Erde allmählich nachlasse (was deren vorangeschrittenes Alter und einsetzenden Zerfall beweise), eine Basis für das von Plinius entworfene – oder zumindest bei ihm überlieferte – Konzept zu bilden.299 Abschließend zeigt der sogenannte Borysthenitikos, den Dion Chrysostomos als öffentliche Rede wohl erstmals im Sommer 96 n. Chr. in Olbia und kurz nach seiner Verbannung erneut in Prusa gehalten hat,300 dass die Konzepte von partieller und globaler Vernichtung miteinander verknüpft aufgerufen werden konnten, wodurch sich ein synthetisiertes Gedankenmodell ergibt. Darin referiert Dion, nachdem er von einem Bürger Olbias darum gebeten wurde, einen kosmologischen Mythos, der deutlich an Form und Funktion platonischer Mythen angelehnt ist.301 Wie er betont, handele es sich dabei jedoch nicht um eine eigene Kreation, sondern um eine von orientalischen Gelehrten, den Magern (μάγοι ἄνδρες), überlieferte kultische Erzählung.302 Wie zahlreiche antike Textzeugnisse belegen, wurden die magoi mit okkultem, aus dem Osten stammendem Mysterienwissen assoziiert.303 Auf diese Konnotation greift wiederum Dion zurück, um sie als wissensstiftende Autoritäten anzuführen. Zugleich stellt er seinen Rezipienten jedoch vor Augen, dass durch die ›Exotik‹ seiner Quelle und ihrer Vorstellungswelt keine bis in die kleinsten Details stimmige Darstellung erwartet werden könne.304 Dabei handelt es sich um eine rhetorische Strategie, die ebenfalls im Corpus Platonicum begegnet.305 Indem gleich zu Beginn eine vage Unzuverlässigkeit der dargestellten Inhalte impliziert wird, bleibt es den Rezipienten überlassen, diese anzuzweifeln und die für sie akzeptablen Elemente zu rezipieren. Der kosmologische Mythos konstatiert zunächst, dass die Weltordnung auf einem Gespann von vier Pferden ruhe. Diese seien konzentrisch angeordnet, wobei die äußeren drei Pferde geflügelt seien und sich um ein Pferd ohne Flügel bewegten, das »fest und unbeweglich« (στερεός τε καὶ ἀκίνητος) in der Mitte steht.306 Diese Pferde seien nach den Göttern Zeus, Hera, Poseidon und Hestia benannt und repräsentieren ihnen entsprechende Elemente, die bereits in der frühgriechischen Naturphilosophie etwa bei Empedokles mit diesen Göttern in Verbindung gebracht

299 Vgl. auch Downing (1995) 101f. 300 Vgl. Nesselrath (2003) 12–15. 301 Siehe dazu Trapp (2000) 214–219, bes. 218: »Plato is thus for Dio in the Borystheniticus a stylistic and literary model, a source of themes […].« 302 Dion. Chrys. 36,39. 303 Vgl. Dickie (2001) 41f. 304 Dion. Chrys. 36,43. 305 Siehe dazu Kap. 4.2. 306 Dion. Chrys. 36,43–47.

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wurden.307 Innerhalb dieses Gespannes könne es jedoch auch zu ›Störungen‹ kommen, aus denen katastrophale Szenarien folgen: τὸ μὲν οὖν πολὺ μετ’ εἰρήνης καὶ φιλίας διατελοῦσιν ἀβλαβεῖς ὑπ’ ἀλλήλων. ἤδη δέ ποτε ἐν μήκει χρόνου καὶ πολλαῖς περιόδοις ἰσχυρὸν ἆσθμα τοῦ πρώτου προσπεσὸν ἄνωθεν, οἷα δὴ θυμοειδοῦς, ἐθέρμηνε τοὺς ἄλλους, σφοδρότερόν γε μὴν τὸν τελευταῖον· τήν τε δὴ χαίτην περιέφλεξεν αὐτοῦ, ᾗ μάλιστα ἠγάλλετο, καὶ τὸν ἅπαντα κόσμον. τοῦτο δὲ τὸ πάθος ἅπαξ Ἕλληνας μνημονεύοντάς φασι Φαέθοντι προσάπτειν, οὐ δυναμένους μέμφεσθαι τὴν Διὸς ἡνιόχησιν, τούς τε Ἡλίου δρόμους οὐκ ἐθέλοντας ψέγειν. διό φασι νεώτερον ἡνίοχον, Ἡλίου παῖδα θνητόν, ἐπιθυμήσαντα χαλεπῆς καὶ ἀξυμφόρου πᾶσι τοῖς θνητοῖς παιδιᾶς, αἰτησάμενον παρὰ τοῦ πατρὸς ἐπιστῆναι τῷ δίφρῳ, φερόμενόν τε ἀτάκτως πάντα καταφλέξαι ζῷα καὶ φυτά, καὶ τέλος αὐτὸν διαφθαρῆναι πληγέντα ὑπὸ κρείττονος πυρός.308

Nun verbringen sie zwar die meiste Zeit in Frieden und Freundschaft, ohne einander zu schaden; aber es hat schon einmal in der ganzen Länge der Zeit und den vielen Umläufen ein kräftiges Schnauben des ersten (Pferdes), das von oben niedergefahren ist, die anderen erhitzt, weil es [scil. das erste Pferd] besonders heißblütig ist, dabei aber noch besonders heftig das letzte (Pferd): Es entzündete damit sowohl dessen Mähne, durch die es sich am meisten hervortat, als auch den gesamten Kosmos. Sie [scil. die Mager] sagen, dass die Griechen, die sich an dieses Ereignis als ein einziges Mal eingetretenes erinnern, es mit Phaethon in Verbindung bringen, weil sie das Wagenlenken des Zeus nicht verantwortlich machen könnten und die Umläufe des Helios nicht beschuldigen wollten. Deswegen sagen sie [scil. die Griechen], ein jüngerer Wagenlenker, ein sterblicher Sohn des Helios, habe Verlangen bekommen nach einem Spiel, das schwierig und für alle Sterblichen schädlich sein sollte; er habe von seinem Vater den Wagen erbeten und bestiegen, sei dann in chaotischer Weise dahingerast, habe alle Lebewesen und Pflanzen in Brand gesetzt und sei am Ende selbst umgekommen, niedergeworfen von einem noch stärkeren Feuer.

Ausgehend vom Schnauben des äußersten, dem Zeus zugehörigen Pferdes, das mit dem Feuer gleichgesetzt wird, kann es also zu einer Ausnahmesituation kommen, in der dieses das Hestia-Pferd, das die Erde repräsentiert, in Brand setzt. Dabei wird das vielschichtige Bedeutungsspektrum des griechischen κόσμος genutzt, um einerseits den Zaum des brennenden Pferdes, andererseits die entflammte Welt zu imaginieren. Um dieses Szenario zu beglaubigen, bezieht sich Dion wiederum auf den griechisch-römischen Vergangenheitsdiskurs, in dem Phaethon mit einer kosmischen Brandkatastrophe konnotiert wird, wobei er rhetorisch geschickt die

307 Zur Elementarlehre des Empedokles siehe Kap 4.1. 308 Dion. Chrys. 36,47f.

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Mager als diejenigen inszeniert, die ihren Mythos mit diesem Verweis beglaubigten. Dabei suggeriert er jedoch, dass solche Brandkatastrophen prinzipiell bereits öfter eingetreten sein könnten und dass lediglich eines dieser Ereignisse erinnert werde. Damit rekurriert er auf einen in diesem Zusammenhang verbreiteten Topos,309 dass die kulturelle Erinnerung durch periodisch eintretende Naturkatastrophen eingeschränkt und eine Wissensüberlieferung deshalb stets fragmentarisch sei. Die präsentierte Zusammenfassung dieses Szenarios bewegt sich dann auch innerhalb der zentralen Parameter des Mythos, wobei in Dions Version explizit erwähnt wird, dass alle Lebewesen und Pflanzen in Brand geraten seien, was durchaus auf ein globales Ausmaß der Katastrophe verweist. In diesem Fall ergäbe sich dann jedoch ein Paradoxon: Wenn alle Menschen bei dieser Katastrophe ums Leben gekommen wären, könnte sie nicht im kulturellen Gedächtnis tradiert werden. Da Dion jedoch bereits selbst auf die Unstimmigkeiten des Mythos hingewiesen hat, sollten derartige Paradoxa nicht überraschen, sondern als bewusst eingesetzt verstanden werden. Komplementär zu diesem Feuerszenario steht eine durch Poseidons Pferd ausgelöste Wasserkatastrophe: πάλιν δὲ ὅταν διὰ πλειόνων ἐτῶν ὁ Νυμφῶν καὶ Ποσειδῶνος ἱερὸς πῶλος ἐπαναστῇ, παρὰ τὸ σύνηθες ἀγωνιάσας καὶ ταραχθείς, ἱδρῶτι πολλῷ κατέκλυσε τὸν αὐτὸν τοῦτον ἅτε ὁμόζυγα· πειρᾶται δὴ τῆς ἐναντίας τῇ πρότερον φθορᾷ, ὕδατι πολλῷ χειμαζόμενος. καὶ τοιοῦτον ἕνα χειμῶνα διηγεῖσθαι τοὺς Ἕλληνας ὑπὸ νεότητός τε καὶ μνήμης ἀσθενοῦς, καὶ Δευκαλίωνα βασιλεύοντα τότε σφίσιν ἀρκέσαι πρὸ τῆς παντελοῦς φθορᾶς.310

Wenn aber wiederum nach recht vielen Jahren das den Nymphen und Poseidon heilige Pferd aufbegehrt, weil es entgegen seiner Gewohnheit ängstlich und unruhig wird, so überschwemmt es eben das gleiche Pferd [scil. die Erde] mit viel Schweiß, da sie zusammengespannt sind: So erlebt dieses nun eine Vernichtung, die der vorherigen entgegengesetzt ist, indem es mit viel Wasser bestürmt wird. auch, dass die Griechen sowohl wegen ihrer Jugend als auch wegen ihres schwachen Gedächtnisses von diesem Wassersturm als einem einzigen erzählten und dass damals Deukalion, der als König herrschte, sie vor der völligen Vernichtung bewahrt habe.

In diesem Szenario ist es wiederum der Schweiß des Wasserpferdes, der einen Regenguss als Vorstufe einer globalen Flutkatastrophe hervorruft. Da an dieser Stelle lediglich auf den Sturm, nicht aber auf die Flut verwiesen wird, ist eine

309 Siehe dazu Kap 4.2. 310 Dion. Chrys. 36,49.

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entsprechende reader response gefordert: Die Rezipienten partizipieren an einem Vergangenheitsdiskurs, innerhalb dessen mindestens eine Flutkatastrophe erinnert wird, die in den meisten Fällen durch schwere Niederschläge hervorgerufen wird.311 Diesen Konzeptbaustein können sie also ergänzen, um Dions Darstellung zu decodieren und die Flut als Auflösungsmodus zu erkennen. Mit dem anschließenden Verweis auf die »Jugend« und das »schwache Gedächtnis« der Griechen rekurriert Dion deutlich auf die Rede des ägyptischen Priesters in Platons Timaios: Auch dort ist es eine ›exotische‹ Autorität, die dem Griechen Solon die wahren Hintergründe griechischer Mythologeme erklärt und ihn darauf hinweist, dass Griechenland periodisch von Flut- und Brandkatastrophen heimgesucht wird, wodurch das kulturelle Gedächtnis der Griechen stets ausgelöscht und neu erlangt werden müsse.312 Anders als im Timaios wird im Borysthenitikos nicht etwa Ägypten als exponierter Wissensspeicher inszeniert, der von den Vernichtungen ausgenommen bleibt. Vielmehr scheint es gerade eine unbestimmte Anzahl von Griechen zu sein, die von Deukalion gerettet wurde und eine – wenn auch nur schwach – tradierte Erinnerung ermöglicht hat.313 Für beide Auflösungsszenarien ist die konzeptuelle Metapher Der Kosmos ist ein Pferdegespann von zentraler Bedeutung, da die Rezipienten ihr eigenes Erfahrungswissen einbringen müssen, um die kosmischen Katastrophen imaginieren zu können. Sowohl das heiße Schnauben als auch der Schweiß eines Pferdes gehören zu den unmittelbar erfahrbaren Merkmale des Tieres und sind daher optimale Referenzpunkte, auf die Dion verweisen kann, um seine Konzeption für seine Rezipienten zugänglich zu machen. Für diese ergeben sich in mythischer Form präsentierte Konzepte (mindestens) partieller Vernichtungen, deren Auflösungsmodi Feuer und Wasser sind. Verursacht würden diese Katastrophen durch eine göttliche persona, die Dion als den Wagenlenker (ἅρματος ἡνίοχος) identifiziert, weshalb jeder Vernichtung eine höhere Absicht zukäme, die die Menschen nicht durchschauen könnten.314 Neben diesen kosmischen Katastrophen stünde jedoch noch eine weitere Art des Wagenlenkens, die letztlich zu einer Auflösung des Gesamtgefüges führe: μίαν μὲν οὖν ταύτην ἡνιόχησιν ἰσχυράν, οὐχ ὅλου φθειρομένου τοῦ παντός. πάλιν δὲ ἑτέραν τῆς τῶν τεττάρων κινήσεως καὶ μεταβολῆς, ἐν ἀλλήλοις μεταβαλλομέ-

311 Siehe dazu Kap 3.1. 312 Siehe dazu Kap 4.2. 313 Zu Deukalion als prädiluvialem König siehe Caduff (1986) 76-92. An dieser Stelle ergibt ein weiteres Paradoxon, da die Griechen nicht einerseits als die Erretteten, andererseits als die »Jungen« tituliert werden können. 314 Dion. Chrys. 36,50.

Conflagratio mundi – Weltenbrandkonzepte in der augusteischen und frühkaiserzeitlichen Literatur

νων καὶ διαλλαττόντων τὰ εἴδη, μέχρις ἂν εἰς μίαν ἅπαντα συνέλθῃ φύσιν, ἡττηθέντα τοῦ κρείττονος.315

Dies ist nun das eine kraftvolle Wagenlenken, wobei nicht das gesamte All aufgelöst wird. Aber ein anderes wiederum sei das der Bewegung und Verwandlung der vier (Pferde), wenn sie sich ineinander verwandeln und (ihre) Gestalten verändern, solange bis sie alle, die dem Stärkeren unterlegen waren, zu einem Wesen zusammengekommen sind.

Zu einem bestimmten Zeitpunkt ereignet sich also eine Umwandlung von Erde, Wasser und Luft zu Feuer, sodass nur noch letzteres übrig bleiben wird. Um diesen Vorgang zu veranschaulichen, benutzten die Mager zwei Gleichnisse316 : Einerseits sei er wie das Werk eines Spielzeugherstellers zu verstehen, der zunächst vier Pferde aus Wachs geschaffen habe, dann aber nach und nach das gesamte Material zusammennehme, um daraus ein einziges großes Pferd zu kreieren. Dieser Vergleich sei jedoch insofern defizitär, da der Handwerker (δημιουργός) nicht etwa – wie der platonische Demiurg – außerhalb der Schöpfung stehe, sondern – im stoischen Sinne – mit der Materie untrennbar verbunden sei.317 So müsse andererseits die Vorstellung eines Wettkampfes ergänzt werden, in dem die Pferde um die Vorherrschaft ringen und aus dem ein ruhmreicher Sieger hervorgehe, der wiederum die Unterlegenen absorbiere. Gerade durch diese beiden Gleichnisse wird jegliche negative Konnotation eliminiert, die ein Weltuntergang aufrufen könnte. So wird nicht etwa ein bedrohliches Katastrophennarrativ entworfen, obwohl alle menschlichen Strukturen und Gemeinschaften von der Vernichtung betroffen sind. Vielmehr wird in keinem Moment eine anthropozentrische Perspektive eingenommen. In den zentralen Fokus rückt hingegen der Sieg des stärksten Pferdes, der durchweg positiv beurteilt wird, da es im Moment seines Triumphes seinen bestmöglichen Zustand erreiche: »Und während es da so erhaben und prächtig stehe und sich an seinem Sieg erfreue, nehme es den größtmöglichen Platz ein und benötige dann größeren Raumes wegen seiner Stärke und seines Mutes.«318 Diese Phase größtmöglicher Ausdehnung rekurriert wiederum auf Konzeptbausteine, die in der stoischen Kosmologie

315 Dion. Chrys. 36,50f. 316 Dion. Chrys. 36,51f. 317 Zu Platons Konzeption des Demiurgen siehe Kap. 4.2. Zur stoischen Konzeption siehe Kap. 5.2. Siehe dazu auch Bergjan (2002) 58f. 318 Dion. Chrys. 36,53: στάντα δὲ ὑψηλὸν καὶ γαῦρον, χαρέντα τῇ νίκῃ, τόπον τε ὡς πλεῖστον καταλαβεῖν καὶ μείζονος χώρας δεηθῆναι τότε ὑπὸ ῥώμης καὶ μένους.

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prominent vertreten werden.319 In diesem Zustand werde das feurige Pferd des Zeus auch als der »denkende und führende Teil« (τὸ φρονοῦν καὶ τὸ ἡγούμενον) des Wagenlenkers – also der göttlichen Instanz bzw. des Demiurgen – bezeichnet, was ebenfalls auf stoische Elemente verweist.320 Dabei nennt Dion diesen finalen Zustand reinen Feuers den »Lichtschein« (αὐγή),321 womit er umso deutlicher auf die fragmentarisch überlieferte Konzeption Chrysipps anspielt, der offenbar ebenfalls jegliche negative Konnotation, die mit dem Weltenbrand einhergehen könnte, auszuräumen versuchte.322 Dem stoischen Weltenzyklus entsprechend folge daraufhin eine Phase der Konsolidierung, in der sich das Feuer zunächst über Luft (εἰς ἀέρα πυρώδη) zu Wasser komprimiert und damit den »Samen des Alls« (σπέρμα τοῦ παντός) bildet, aus dem sich dann die Strukturen der differenzierten Welt herausbilden.323 Da Dion sich in seiner mythisch-kosmologischen Erzählung explizit darauf beruft, dass diese von den orientalischen Magern stamme, wurde vielfach der Versuch unternommen, zoroastrische Elemente in dieser Darstellung auszumachen.324 Dazu konstatiert A. de Jong nach einem umfassenden Vergleich des Borysthenitikos mit den überlieferten zoroastrischen Zeugnissen, dass es »sehr unwahrscheinlich [ist], dass Dions Information persischen Quellen entstammt.«325 Vielmehr scheine er bestimmte charakteristische Topoi, die in der griechisch-römischen Welt über die zoroastrischen Priester verbreitet waren, aufgegriffen zu haben, um mit diesen eine exotische, autoritätsstiftende Instanz aufzubauen. Die konkreten Inhalte erweisen sich jedoch eindeutig als eine mythisch ausgeformte Synthese platonischer und stoischer Konzepte: Einerseits wird die Welt von partiellen Brand- und Flutkatastrophen heimgesucht, wie sie ebenfalls im platonischen Timaios dargestellt werden. Andererseits wird die gesamte Weltanordnung zu einem bestimmten Zeitpunkt in den bestmöglichen Zustand reinen Feuers, den Dion wie schon Chrysipp als αὐγή bezeichnet, überführt, aus dem anschließend wiederum die Strukturen der differenzierten Welt hervorgehen.

319 Siehe Pohlenz (7 1992) 79: »Da das dünnteilige Feuer ein viel größeres Volumen einnehmen muß als die dichtere Luft oder gar die komprimierte Erde, wird es sich in dieser Ekpyrosis weithin in den leeren Raum ausdehnen […].« 320 Dion. Chrys. 36,54. Vgl. Wildberger (2006) I 23. 321 Dion. Chrys. 36,55. 322 Siehe dazu Kap. 5.2. 323 Dion. Chrys. 36,56f. 324 Zur Forschungsgeschichte siehe de Jong (2003) 157–163. 325 Ebd. 176.

Nox aeterna und chaos antiquum

6.4

Nox aeterna und chaos antiquum – Finsternis- und Chaoskonzepte in der augusteischen und frühkaiserzeitlichen Literatur

Bereits in den Georgica Vergils klingt das Konzept der ewigen Nacht (nox aeterna) an, wenn geschildert wird, dass die Menschen nach der Ermordung Caesars mit angsteinflößenden Prodigien konfrontiert werden und sie deshalb befürchten, dass die Welt von dauerhafter Finsternis heimgesucht werde: […] Solem quis dicere falsum audeat? ille etiam caecos instare tumultus saepe monet fraudemque et operta tumescere bella; ille etiam exstincto miseratus Caesare Romam, cum caput obscura nitidum ferrugine texit impiaque aeternam timuerunt saecula noctem.326

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Wer dürfte es wagen, die Sonne trügerisch zu nennen? Oft warnt jene sogar, wenn verborgener Aufruhr bevorsteht und Betrug und geheime Kriege sich gärend erheben; Jene hat sich sogar mit Rom erbarmt, nachdem Caesars ermordet worden war, als sie das strahlende Haupt in dunkles Graublau hüllte und das unfromme Menschengeschlecht ewige Nacht befürchtete.

Eine totale Sonnenfinsternis wird an dieser Stelle als eindeutiges, kosmisches Zeichen für bevorstehendes Unheil decodiert. In diesem konkreten Fall wird das Phänomen als Vorverweis auf den römischen Bürgerkrieg verstanden, wohingegen die textimmanenten Beobachter sich davor fürchten, dass die Dunkelheit anhalten und somit eine ewige Nacht entstehen werde.327 Diese begegnet gelegentlich als konzeptuelle Metapher für den individuellen Tod (Der Tod ist eine ewige Nacht),328 wird aber in diesen Versen über die individuelle Sphäre auf die gesamte Menschheit ausgeweitet, sodass ein kollektiver Untergang imaginiert wird. Besondere Relevanz besitzt das Konzept auch deshalb, weil die irreguläre Nacht als Motiv anhaltender Dunkelheit oftmals andere Weltuntergangsnarrative – besonders Flutdarstellungen – begleitet und dabei, wie A. Ahrweiler herausstellt, »den Beginn

326 Verg. georg. 1,466–468. 327 Diese werden jedoch explizit als die impia saecula bezeichnet, was bedeuten könnte, dass sie das göttliche Zeichen falsch interpretiert bzw. als Beginn ewiger Finsternis verstanden haben und deswegen als ›unfromm‹ bezeichnet werden. 328 So wird etwa auch in Plinius’ Schilderung des Vesuvausbruchs (epist. 6,20,15) davon gesprochen, dass die Menschen beim Anblick der sich erhebenden Aschewolke eine ewige Nacht fürchten, die ihren Untergang bedeuten werde: multi ad deos manus tollere, plures nusquam iam deos ullos aeternamque illam et novissimam noctem mundo interpretabantur.

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des unheilvollen Geschehens«329 ankündigt. Dass der Begriff nox verwendet wird, um diese bedrohliche Dunkelheit zu repräsentieren, liegt nahe. Dass diese unter anderem mit Semantiken der Gefahr versehen ist, wird besonders anhand des Konzepts der ›tiefen, zeitlosen Nacht‹ (intempesta nox) deutlich. Bei dieser handelt es sich, wie A. Wolkenhauer zeigt, um eine bestimmte nächtliche Spanne, für die eine »Abwesenheit von Ordnung, Zivilisation und Zeitlichkeit«330 angenommen wird und in der »die größten Verstöße gegen menschliches und göttliches Recht«331 stattfinden. Es bietet sich also an, für ein Vernichtungsszenario das bedrohliche Potential aufzurufen, mit dem zumindest ein bestimmter Abschnitt der Nacht semantisiert wird, und dieses für die Konzeptualisierung des Weltuntergangs zu nutzen. Bisweilen kann das Konzept der ewigen Nacht mit der Vorstellung eines chaotischen Urzustandes verknüpft werden, in den sich die differenzierte Welt durch eine kosmische Katastrophe zurückbildet. Diese Verbindung findet sich etwa in Senecas Thyestes, in dem der Chor auf ein kosmisches Spektakel reagiert: Der Sonnengott wendet sein Antlitz der Erde ab, wodurch eine globale Finsternis über die Menschheit hereinbricht:332 sed quicquid id est, utinam nox sit. trepidant, trepidant pectora magno percussa metu, ne fatali cuncta ruina quassata labent iterumque deos hominesque premat deforme chaos, iterum terras et mare cingens et uaga picti sidera mundi natura tegat. […] ibit in unum congesta sinum turba deorum.333

329 330 331 332

830

834 842

Ahrweiler (1999) 319. Wolkenhauer (2015) 86. Ebd. 87. Ob hierbei von einer Sonnenfinsternis gesprochen werden kann, diskutiert Volk (2006) 184 Anm. 4. Einerseits werde betont, dass die Sonne nicht etwa verdunkelt werde, sondern vor der Erde fliehe. Andererseits lehne sich, wie Tarrant (1985) 204 herausarbeitet, die Schilderung an Pindars neunten Paian an, der eine Sonnenfinsternis beschreibt. Bemerkenswert ist zudem, dass Pindar diese Sonnenfinsternis als potenzielle Ankündigung zukünftiger mikro- und makrokosmischer Katastrophen interpretiert; siehe dazu Kap. 3.1. 333 Sen. Thy. 827–843.

Nox aeterna und chaos antiquum

Aber was auch immer dies ist, hoffentlich ist es (nur) Nacht! Es pocht, es pocht das Herz, erschüttert durch große Furcht, dass alles ins Wanken gebracht in verhängnisvollem Einsturz zusammenbricht und gestaltloses Chaos Götter und Menschen wieder bedeckt, dass die Natur die Länder und das (sie) umgebende Meer und die umherschweifenden Gestirne des (mit ihnen) verzierten Himmels wieder verbirgt. […] In einen einzigen Schlund wird die versammelte Menge der Götter gehen.

Der Chor artikuliert an dieser Stelle also die existentielle Angst, dass die erlebte Finsternis nicht allein als vorübergehendes Ereignis zu verstehen sei, sondern eine kosmische Katastrophe ankündige. Passend zur evozierten Dunkelheit wird dabei die konzeptuelle Metapher Das Chaos ist eine Decke eingesetzt. Dadurch wird imaginiert, wie sich das unförmige Chaos über die Individuen und Strukturen legt und dadurch eine homogene Menge schafft, in die schließlich sogar die Götter als höchste Wesen übergehen. Es folgt im Anschluss ein im Futur gehaltener, gelehrter Katalog, der die gesamten Tierkreiszeichen umspannt und erläutert, dass diese während der kosmischen Katastrophe auf die Erde niedergedrückt werden.334 Der Fokus wird sodann auf die Menschen gerichtet, die diese potenzielle kosmische Katastrophe unmittelbar beträfe. Diese anthropozentrische Perspektive wird durch die in der ersten Person Plural formulierten Fragen unterstrichen, mit denen dieses Segment beginnt: nos e tanto uisi populo digni premeret quos euerso cardine mundus? in nos aetas ultima venit? o nos dura sorte creatos, seu perdidimus solem miseri, siue expulimus!335

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Haben ausgerechnet wir von allen bisherigen Menschen es verdient, dass der Himmel uns bedeckt, nachdem die Angel herausgerissen worden ist? Ist für uns nun das letzte Zeitalter gekommen? Weh uns, die wir in dem bitteren Schicksal gezeugt wurden und so elend sind, dass wir die Sonne verloren oder dass wir sie vertrieben haben!

An dieser Stelle artikuliert der Chor also die Angst, dass das »letzte Zeitalter« (ultima aetas) gekommen sei, und rekurriert damit explizit auf eine Vorstellung, die ebenfalls in Vergils Vierter Ekloge aufgegriffen wurde: In dieser ist die ultima

334 Sen. Thy. 844–874. 335 Sen. Thy. 875–881.

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aetas durchweg positiv besetzt, da während ihr die saecula erneuert und eine längst verloren gegangene Ordnung wiederhergestellt wird, in der auch die Gerechtigkeit – repräsentiert durch die virgo – wieder zur Erde zurückkehren werde.336 Im Thyestes hingegen wird dieses Konzept ausdrücklich konterkariert, indem mit der ultima aetas eine kosmische Vernichtung assoziiert wird, in der die virgo nicht etwa auf die Erde zurückkehrt, um eine einstige Gerechtigkeit wieder herzustellen, sondern eines der Gestirne ist, die während der kosmischen Vernichtung auf die Erde herabfällt.337 In beiden Fällen wird zwar der Zustand einer längst vergangenen Zeitstufe restituiert, jedoch mit entgegengesetzten Konsequenzen: Bei Vergil wird ein Goldenes Zeitalter konstituiert, das sogar den Überfluss der Vorzeit übertrifft, wohingegen der Chor in Senecas Tragödie einen chaotischen Urzustand fürchtet, in dem keine Individuen oder Strukturen mehr existieren können. Einen weiteren wichtigen Aspekt bildet die menschliche agency, die in den Chorversen thematisiert wird: Dabei wird die Frage aufgeworfen, inwieweit die Menschen selbst zu ihrem Untergang beigetragen haben. Somit wird die Möglichkeit ausdrücklich erwogen, dass menschliche Verfehlungen (expulimus, V. 881) dafür verantwortlich sind, dass der Kosmos zum Chaos übergehe. Wie K. Volk zeigt, zieht sich das Motiv menschlicher Schuld durch die gesamte Tragödie und wird dabei so zentral inszeniert, dass sie aus intradiegetischer Perspektive sogar als Auslöser eines potenziellen Weltuntergangs erwogen wird.338 Dass das Konzept des chaos antiquum jedoch auch mit einer anschließenden Konsolidierung verbunden werden kann, wird am Beispiel der pseudo-senecanische Praetexta Octavia deutlich,339 in der Seneca selbst als dramatis persona auftritt und einen zukünftigen Untergang der Welt ankündigt: […] qui si senescit, tantus in caecum chaos casurus iterum, tunc adest mundo dies supremus ille, qui premat genus impium caeli ruina, rursus ut stirpem novam generet renascens melior, ut quondam tulit iuvenis, tenente regna Saturno poli.340

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[…] Wenn dieser [scil. der Himmel] alt wird, der, so groß er auch ist, erneut in das blinde Chaos fallen wird, dann ist jener letzte Tag für die Welt gekommen, der das frevelhafte Geschlecht durch den Einsturz des Himmels niederdrücken wird, sodass sie, die als

336 337 338 339 340

Siehe Kap. 6.1. Sen. Thy. 857. Vgl. Volk (2006) 190. Zu deren möglicher Datierung siehe Ferri (2003) 5–30. [Sen.] Oct. pr. 391–396.

Nox aeterna und chaos antiquum

bessere wiedergeboren wird, noch einmal einen neuen Spross hervorbringt, wie sie es einst in ihrer Jugend getan hat, als Saturn die Himmelsreiche regierte.

Auf das imaginierte Chaos folgt also eine erneute Urzeugung, die einen Idealzustand wiederherstellt, der offenbar nur zu Beginn einer neuen Weltperiode erreicht werden kann. Darauf deutet einerseits das verwendete melior hin, das nicht notwendigerweise bedeuten muss, dass die neue Welt(ordnung) insgesamt besser als die vorherige ist, sondern zu Beginn lediglich über größeres Kreationspotential verfügt als die bereits gealterte. Andererseits deutet die »Herrschaft Saturns« auf die Vorstellung des Goldenen Zeitalters hin, sodass die mit ihm verbundenen Topoi für die junge Welt und das neue Geschlecht aufgerufen werden.341 Insgesamt erweisen sich diese Verse als vielschichtiges Konglomerat, da die Seneca-persona auf prominente Prätexte anspielt, die Weltentstehungs- und Untergangskonzepte formuliert haben. So verweist sie direkt zu Beginn auf den Alterungsprozess der Welt, den etwa Lukrez in De rerum natura umfangreich beschreibt.342 Zudem wird der Topos des einen einzigen Tages, an dem alle komplexen Strukturen der differenzierten Welt zugrunde gehen werden, aufgegriffen, den ebenfalls Lukrez prominent in einem Untergangskonzept verarbeitet. Indem sie zugleich postuliert, dass aus dem resultierenden Chaos eine neue Welt hervorgeht, rekurriert sie auf die Metamorphosen Ovids, die mit der Schöpfung der Welt aus einem chaotischen Urzustand und dem anschließenden Goldenen Zeitalter beginnen.343 Nicht zuletzt deutet die Tatsache, dass Seneca als dramatis persona ausgewählt wurde, auf dessen Weltuntergangsdarstellungen, vor allem auf das Sintflutnarrativ in den Naturales quaestiones (3,27,1–29,9) hin. Eine prominente Stelle nimmt das chaos antiquum ebenfalls im Proömium des Bellum civile Lucans ein. Nachdem die Erzählinstanz zunächst ankündigt, den Ursachen des römischen Bürgerkrieges nachzugehen,344 erklärt sie, dass Rom genauso notwendigerweise fallen müsse,345 wie der Kosmos letztendlich zum Chaos zurückkehren werde. Schließlich werde eine kosmische Katastrophe dazu führen, dass ein primordialer Urzustand reinstalliert wird:

341 342 343 344 345

Siehe zu diesen Kap. 4.2. Siehe dazu Kap. 5.1. Siehe dazu Kap. 6.2. Lucan. 1,67: fert animus causas tantarum expromere rerum. Lucan. 1,72a: nec se Roma ferens.

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[…] sic, cum conpage soluta saecula tot mundi suprema coegerit hora antiquum repetens iterum chaos, [omnia mixtis sidera sideribus concurrent,]346 ignea pontum astra petent, tellus extendere litora nolet excutietque fretum, fratri contraria Phoebe ibit et obliquum bigas agitare per orbem indignata diem poscet sibi, totaque discors machina divolsi turbabit foedera mundi.347

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So werden [alle Gestirne zusammenfallen, nachdem die Gestirne miteinander vermengt worden sind,] sobald die letzte Stunde nach Auflösung des Gefüges so viele Weltzeitalter beendet hat, indem sie das alte Chaos wiederhergestellt hat; die feurigen Sterne werden ins Meer stürzen, die Erde wird sich weigern Küsten auszudehnen und das Meer abschütteln, Phoebe [scil. Luna] wird dem Bruder [scil. Sol] entgegenlaufen und wird unwillig darüber, das Zweigespann über die schräge Bahn zu treiben, den Tag für sich fordern, und das ganze zerfallene Gerüst der zerrissenen Welt wird ihre Bindungen in Unordnung bringen.

Eine Rückkehr zum chaos antiquum wird also durch spezifische Untergangsszenarien ermöglicht, durch die die kosmischen Ordnungsschemata aufgelöst werden. Indem die Sterne fallen, die Erde sich vom Element Wasser löst und globale Finsternis eintritt, werden die natürlichen Gesetzmäßigkeiten annulliert. Dass diese Ereignisse, die in der »letzten Stunde« (suprema hora, V. 73) geschehen sollen, aus der Perspektive der Erzählinstanz zuverlässig eintreten werden, wird durch die Verwendung futurischer Verbformen (concurrent, petent, nolet, excutiet, ibit, poscet, turbabit) gekennzeichnet. In diesem Zusammenhang behauptet der lucanische Erzähler zwar nicht, dass die menschengemachte Katastrophe des Bürgerkrieges den Kosmos untergehen lasse. Jedoch scheint beiden Ereignissen eine festgelegte Naturgesetzlichkeit zugrunde zu liegen: Alles ›Wachsende‹ muss zu einem bestimmten Zeitpunkt untergehen, wovon nicht einmal die Welt ausgenommen ist.348 Wie das

346 Vgl. zur Handschriftentradition Roche (2009) 154f. Zahlreiche Editoren haben auf die stilistischen Probleme der Halbverse hingewiesen und sehen die Stelle als verderbt an. 347 Lucan. 1,72–80. Diesen einleitenden Versen wurde in der Forschungsgeschichte besondere Aufmerksamkeit zuteil, wobei dezidiert die Frage diskutiert wurde, ob sie implizite Kritik an der Person Neros enthalten könnten; vgl. dazu Roche (2009) 153. 348 Vgl. Wiener (2010) 163. Diese These stützt sich auf das Bild Roms, das seine erworbene Größe selbst nicht mehr ertragen kann, Lucan. 1,71f.: […] nimioque graves sub pondere lapsus // nec se Roma ferens […]. In gewisser Weise erinnert dies auch an Lukrezens Schilderung der alternden Welt, die ab einem gewissen Zeitpunkt untergehen muss; Siehe dazu Kap. 5.1.

Nox aeterna und chaos antiquum

als Mikrokosmos dargestellte römische Reich durch katastrophale Geschehnisse notwendigerweise fallen muss, so wird auch der gesamte Makrokosmos durch ebensolche zugrunde gehen: »Das Gefüge des Kosmos löst sich auf, die Gestirne verlassen ihre üblichen Bahnen und kollidieren, die Elemente vermischen sich und bekämpfen sich gegenseitig, sogar Tag und Nacht geraten in Konflikt.«349 Dem Rezipienten kommt die Rolle eines Betrachters zu, der mit Abstand auf die Ereignisse blickt, jedoch die Verbindung zwischen dem Untergang des Staates und dem des Kosmos ziehen soll; er soll sich »in die schrecklichen Situationen eines unausweichlichen Bürgerkriegs mit allen verheerenden Konsequenzen« 350 hineinversetzen. In der Forschungsgeschichte des Bellum civile wurde diese Rückkehr zum primordialen Chaos weitgehend als ›Ekpyrosis‹ kategorisiert. Dabei basieren solche Ansätze auf der Annahme, der historische Autor Lucan sei ein kaiserzeitlicher Stoiker gewesen, dessen Darstellung lediglich »orthodoxe« stoische Dogmen widergeben könne.351 Gerade die Forschung der letzten Jahrzehnte hat jedoch gezeigt, dass Lucan bei seinen Konzeptualisierungen weit selektiver vorgeht: Zwar bewertet C. Wiener den lucanischen Erzähler als kaiserzeitlichen Stoiker, der die Grausamkeiten des Bürgerkrieges vor dem Hintergrund der göttlichen Vorhersehung deute und dadurch die Naturgesetzlichkeit erkenne, dass das periodische Entstehen und Vergehen der Welt als Makrokosmos ebenso auf den Aufstieg und Fall des Mikrokosmos der staatlichen Ordnung übertragbar ist.352 R. Sklenář vertritt hingegen die These, dass der Erzähler des Bellum civile ein anti-stoisches Weltbild zeichne und durch gezielte Widersprüche zur stoischen Ethik und Kosmologie gerade deren Schwächen aufzeigen wolle.353 Einen besonders fruchtbaren Zugang zum Werk Lucans präsentiert wiederum J. Wildberger, die auf dessen poetischen Grundcharakter verweist. So konstatiert sie, dass »wir im Bellum ciuile keine systematische, philosophische Auseinandersetzung mit stoischen Gedanken vorfinden, dass kein stoisches oder anti-stoisches Weltbild gezeichnet wird.«354 Vielmehr setze Lucan unter anderem die Kenntnis stoischer Gedankenmodelle und Terminologien bei seinen Rezipienten voraus und verwende gezielte ›Stoizismen‹. Unter diesen versteht sie »Zitate oder Anspielungen auf stoische Termini, Lehrsätze und Texte und deren begrifflich-konzeptuellen Gehalt, die als Teil eines literarisch-poetischen Codes gebraucht werden, im Rahmen eines poetischen Sprechens.«355 Mit anderen

349 350 351 352 353 354 355

Schindler (2000b) 141. Wiener (2010) 157. Zur Diskussion um eine »stoische Orthodoxie« siehe Kap. 5.2. Vgl. Wiener (2010) 163. Vgl. Sklenář (1999) 285f. Wildberger (2005) 59. Ebd.

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Worten greift Lucan auf das kulturelle Wissen356 seiner Rezipienten zurück und regt dazu an, sich mit den aufgerufenen Wissenselementen produktiv auseinander zu setzen. Besonders für die vorliegenden Verse erweist sich ein solches Verständnis als ergiebig, da Lucan nicht auf ein einziges philosophisches Modell rekurriert, sondern in seiner Konzeption auf verschiedene Konzeptbausteine zurückgreift, die in unterschiedlichen literarisch-philosophischen Textsorten auftreten. Zunächst einmal könnte der Ausdruck conpage soluta auf die stoische Theorie eines stofflichen πνεῦμα verweisen, das als Verbindungsglied in allen lebenden Wesen vorhanden ist.357 Aufbauend auf der Vorstellung, dass der Kosmos ein Lebewesen sei, konnte Chrysipp diese verbindende Eigenschaft des πνεῦμα durch Analogieschluss auf die Welt übertragen: »[T]he universe was held together by the coherent force and tensional movements of the all-pervasive cosmic πνεῦμα«.358 Zudem liegt es nahe, dass Lucan intertextuell auf die Werke Senecas rekurriert, der an zahlreichen Stellen den Untergang der Welt thematisiert.359 So führt eine längere Passage in dessen De beneficiis aus, wie ein Weltenbrand gedacht werden könne: subita confusione rerum sidera sideribus incurrant, et rupta rerum concordia in ruinam divina labantur, contextusque velocitatis citatissimae in tot saecula promissas vices in medio itinere destituat, et, quae nunc alternis eunt redeuntque opportunis libramentis mundum ex aequo temperantia, repentino concrementur incendio, et ex tanta varietate solvantur atque eant in unum omnia; ignis cuncta possideat, quam deinde pigra nox occupet, et profunda vorago tot deos sorbeat.360 In plötzlicher Verwirrung der Welt dürften Gestirne in Gestirne stürzen, und nachdem die Harmonie der Welt zerbrochen worden ist, dürften die göttlichen (Gestirne) in den Untergang sinken, und das Gefüge von schnellster Geschwindigkeit dürfte die für so viele Zeitalter verheißenen Wechsel mittendrin aussetzen, und sie, die nun im Wechsel kommen und gehen, während sie die Welt durch günstige Gewichtungen gleichmäßig lenken, dürften in plötzlicher Entflammung völlig verbrannt werden, und alles dürfte aus so großer Vielgestalt aufgelöst werden und in ein einziges übergehen; das Feuer dürfte wohl alles innehaben, welches schließlich die träge Nacht einnimmt, und der unermessliche Schlund dürfte so viele Götter verschlingen.

356 Unter kulturellem Wissen verstehen Neumann/Nünning (2006) 12 »die Gesamtmenge der in einer Kultur zirkulierenden Kenntnisse, die durch Kommunikation, Erfahrung und Medien konstruiert, erworben und tradiert werden.« Siehe dazu auch Kap 2.1. 357 Vgl. White (2003) 136. Zur Entwicklung der Theorie siehe etwa Althoff (1992) 283–293. 358 Lapidge (1979) 347. 359 Siehe zur Flutkonzeption Senecas Kap. 6.2. sowie zum Weltenbrand Kap. 6.3. 360 Sen. benef. 6,22,1.

Nox aeterna und chaos antiquum

Gerade in dieser Beschreibung liegen Elemente vor, die sich mit der Untergangsprophezeiung Lucans zum Teil sogar wörtlich überschneiden: Die Gestirne, die zusammenprallen und vom Himmel stürzen, das aufgelöste kosmische Gleichgewicht (bei Seneca rupta rerum concordia gegenüber Lucans discors machina mundi), die vielen Zeitalter (tot saecula) des Bestehens, die nun ihr Ende finden, die Dunkelheit, die bei Seneca als pigra nox bezeichnet, bei Lucan bildlich umschrieben wird, indem die Mondgöttin Luna ihrem Bruder entgegengeht (fratri contraria Phoebe ibit), mit diesem kollidiert und dadurch beide Luminare abstürzen, was letztlich zu einer dauerhaften Finsternis führt.361 Auffallend ist, dass Lucan in seiner Untergangsbeschreibung gerade nicht das Bild des Feuers heranzieht, in das Senecas Darstellung zufolge alle Dinge übergehen werden. Dieses entscheidende Element einer Ekpyrosis wird im Proömium ausgespart, was das Gros der Forschung jedoch nicht davon abhält, das Etikett ›Ekpyrosis‹ zu verwenden.362 Nun ist es natürlich durchaus denkbar, dass die (direkten) Rezipienten Lucans in diesen Versen einen expliziten Verweis auf die senecanische Darstellung der Ekpyrosis erkannt und somit einen entsprechenden Konnex hergestellt haben. Jedoch sollte auch diesen aufgefallen sein, dass gerade das namensgebende Element des zerstörenden Feuers in Lucans Untergangsszenario fehlt. An dieser Stelle greift meines Erachtens die Theorie J. Wildbergers, dass Lucan ›Stoizismen‹ als gezielte Verfremdungsmechaniken einsetzt, die den Rezipienten irritieren und den Lesefluss stoppen sollen, um auf weitere Dimensionen des literarischen Textes aufmerksam zu machen. Gerade die Formulierung saecula tot mundi suprema coegerit hora in Kombination mit der sich auflösenden machina mundi könnte von Lucans Rezipienten hingegen ebenso als intertextueller Rekurs auf Lukrezens De rerum natura gelesen werden: una dies dabit exitio, multosque per annos sustentata ruet moles et machina mundi.363

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Ein einziger Tag wird (scil. Himmel, Erdteile und Meer) dem Untergang anheimgeben, und die durch viele Jahre hindurch aufrechterhaltene Masse und das Gerüst der Welt werden einstürzen.

361 Zur finsteren Nacht als literarischem Raum widernatürlicher Geschehnisse in der römischen Literatur, vgl. Wolkenhauer (2015) 84–91. 362 So etwa Roche (2009) 147f., wohingegen bereits Lapide (1979) vorgeschlagen hat, in diesem Kontext von »cosmic dissolution« zu sprechen. 363 Lucr. 5,95f. Genau diese Verse sind es auch, auf die Ovid in den Amores anspielt, die also im kulturellen Gedächtnis eng mit Lukrez verbunden sind: Ov. am. 1,15,23f: carmina sublimis tunc sunt peritura Lucreti // exitio terras cum dabit una dies.

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Mit einer solchen Verbindung könnte Lucan sich zum einen auf poetologischer Ebene mit dem ebenfalls in Hexametern dichtenden Vorgänger durch imitatio und aemulatio auseinandergesetzt haben, indem er das Konzept eines Weltuntergangs in die heroisch-epische Dichtung integriert.364 Auf einer inhaltlichen Ebene könnten die Anklänge an Lukrezens Verse den Rezipienten dazu anregen, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede epikureischer und stoischer Konzepte des Weltuntergangs zu überdenken. Dabei ist es kein entkräftendes Argument, darauf hinzuweisen, dass die machina als Weltgefüge ebenfalls im stoischen Kontext in den bereits zitierten Manilius-Versen auftritt und dadurch eine ausschließlich stoische Deutung verlangt.365 Viel eher zeigt sich dadurch eine Mehrdimensionalität, die der literarische Text und auch der Begriff selbst dem Rezipienten eröffnet. Ein weiterer Aspekt dieser Mehrdimensionalität zeigt sich bei der Assoziationsvielfalt der Phrase antiquum repetens iterum chaos (V. 74). Einerseits könnte hier ein Verweis auf das stoische Chaos-Konzept vorliegen, wie es in der Theologia Graeca des Cornutus beschrieben wird, dessen Werk eine Allegorese der griechischen Götterlehre vor dem Hintergrund der stoischen Philosophie unternimmt:366 So erläutert Cornutus, dass das Chaos entweder als Urfeuchtigkeit oder als Feuer zu verstehen sei,367 woran er das Konzept einer periodisch eintretenden Ekpyrosis anschließt: ἦν δέ ποτε, ὦ παῖ, πῦρ τὸ πᾶν καὶ γενήσεται πάλιν ἐν περιόδῳ. σβεσθέντος δὲ εἰς ἀέρα αὐτοῦ μεταβολὴ ἀθρόα γίνεται εἰς ὕδωρ, ὃ δὴ λαμβάνει τοῦ μὲν ὑφισταμένου μέρους τῆς οὐσίας κατὰ πύκνωσιν, τοῦ δὲ λεπτυνομένου κατ‘ ἀραίωσιν.368

Es war aber einst, mein Kind, das All Feuer und wird es im Kreislauf wieder werden. Nachdem es aber erloschen und zu Luft geworden ist, findet eine weitreichende Wand-

364 Dazu Schindler (2000b) 142: »Das Motiv Weltuntergang hat unseres Wissens keinen Vorläufer in einem Gleichnis der heroischen Epik, auch wenn es von seiner Thematik her durchaus dem Zeitgeschmack entsprochen haben dürfte.« Dass Lucan im Bellum civile naturwissenschaftliche Themen in innovativer Weise behandelt, wurde mehrfach in der Forschung herausgearbeitet, vgl. etwa Lausberg (1990) und Glauthier (2011) 133–153. 365 Vgl. Roche (2009) 157. 366 Ob der Verfasser der Schrift tatsächlich der Lehrer Lucans gewesen ist, muss fraglich bleiben. Vgl. dazu Berdozzo (2009) 4. 367 Cornut. Theol. Gr. 17,4: […] ἔστι δὲ Χάος μὲν τὸ πρὸ τῆς διακοσμήσεως γενόμενον ὑγρόν, ἀπὸ τῆς χύσεως οὕτως ὠνομασμένον, ἢ τὸ πῦρ, ὅ ἐστιν οἱνονεὶ κάος. In einem Scholion zu Hesiods Theogonie wird die Lehre einer Urfeuchte in der Stoa mit Zenon in Verbindung gebracht: Schol. Hes. Theog. 117 = SVF 1.105: Ζήνων δὲ ὁ Στωικὸς ἐκ τοῦ ὑγροῦ τὴν ὑποστάθμην γῆν γεγενῆσθαί φησιν, τρίτον δὲ Ἔρωτα γεγονέναι, ὅθεν ὁ ἐπαγόμενος ἀθετεῖται στίχος. 368 Cornut. Theol. Gr. 17,5.

Nox aeterna und chaos antiquum

lung zu Wasser statt, welches nun am festwerdenden Teil der (Ur)substanz Anteil durch Verdichtung erhält, am sich verfeinernden Teil durch Verdünnung.

Die Rezipienten Lucans könnten diese Verknüpfung zwischen Urchaos und Ekpyrosis ebenfalls hergestellt haben, womit das antiquum chaos lediglich auf eine Rückkehr zu einem bestimmten Urstoff rekurrieren würde. Die intertextuellen Verweise eröffnen jedoch noch weitere Ebenen: Bereits mit Vers 67 kündigt die lucanische Autor-persona an, eine »Ursachenanalyse«369 durchführen zu wollen: fert animus causas tantarum expromere rerum.370 Dieser Vers alludiert eindeutig auf das Proömium der Metamorphosen Ovids,371 an das eine Kosmogonie anschließt, der zufolge ein ursprüngliches Chaos existierte.372 Dieses wurde durch einen »Gott, also ein besseres Wesen« (deus et melior natura) geordnet,373 woraus schließlich das Universum entstand.374 Im Bellum civile wird eine umgekehrte Richtung beschrieben, indem sich das Chaos aus der Ordnung heraus entwickelt: »Ovid describes physical chaos with the metaphor of human warfare; Lucan inverts the relationship in order to characterize real civil war in terms reminiscent of Ovidian chaos.«375 Durch diese Verbindung wird es dem Rezipienten nahegelegt, das Ausmaß des Bürgerkrieges mit den Folgen einer kosmischen Katastrophe zu verknüpfen; beide Ereignisse führen dazu, dass das Chaos, wie es Ovid beschreibt, wiederhergestellt wird. Auch in Ovids Metamorphosen gibt es Episoden, in denen eine Rückkehr zum Urchaos droht. Beim Sturz des Heliossohns Phaethon376 auf die Erde ruft diese Jupiter um seine Hilfe an, damit die Welt nicht wieder ins alte Chaos stürze: si freta, si terrae pereunt, si regia caeli // in chaos antiquum confundimur.377 Gerade diesen Mythos einer kosmischen Katastrophe, der die Gefahr mit sich bringt, das ursprüngliche Chaos wiederherzustellen, beabsichtigt die lucanische Autor-persona aufzurufen, um ihn mit den Folgen des Bürgerkrieges zu verbinden. So könnte diese

369 Wiener (2010) 157. 370 Lucan. 1,67. 371 Ov. Met. 1,1f: in nova fert animus mutatas dicere formas // corpora […]. Da Ovid bereits auf Vergils felix qui potuit rerum cognoscere causas (georg. 2,490) und dessen Bezug auf Lukrez alludiert, klingt dieser Verweis ebenso an. 372 Ov. Met. 1,5–9. Zum Verhältnis zwischen der Chaos-Konzeption Hesiods und Ovids siehe Wheeler (2000) 12f: »Hesiod does not describe Chaos because it is essentially (etymologically) nothing but yawning void. Ovid’s chaos is likewise nondescript, although for an entirely different reason. It is a confused mixture of matter in which the cosmic regions of sea, earth, and heaven do not yet exist.« 373 Ov. Met. 1,21. 374 Ausführlicher behandelt diese Kosmogonie Wheeler (2000) 12–23. 375 Tarrant (2002) 358. 376 Siehe dazu Kap. 6.3. 377 Ov. Met. 2,298f.

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intertextuelle Referenz einerseits bedeuten, dass in beiden Fällen – im Bürgerkrieg wie auch im Phaethon-Mythos – derjenige, der die Katastrophe mit ansieht und Hilfe erbittet, auf eine höhere Instanz angewiesen ist, die den Schaden abhält. Im Bellum civile ließe sich dies als Fortsetzung des Nero-Lobes verstehen, mit dem das Werk beginnt. Entgegengesetzt kann man argumentieren, dass als Grundmotiv des PhaethonMythos die Selbstüberschätzung eines einzelnen ausgemacht werden kann, der durch seine Tat fast den Untergang der gesamten Welt herbeigeführt hätte. Eine intertextuelle Referenz auf dieses Szenario könnte ebenso eine Nero-Kritik implizieren: »This allusion to Phaethon’s disastrous commandeering of his father’s chariot […] follows closely enough upon the narrator’s suggestion at 47-50 that Nero will usurp the chariot of the sun himself to intimate this same potential for destruction and havoc in the case of the emperor.«378 Deutlich wird, dass die von Lucan konzipierte Weltuntergangsdarstellung vielschichtig gestaltet ist und die Rezipienten sie vor dem Hintergrund verschiedener Prätexte interpretieren können, wodurch sie ein individuelles Verständnis der Passage entwickeln. Insgesamt zeichnet sich bei den Konzeptionen eines chaos antiquum ab, dass dieses multifunktionale Begriffspaar mit unterschiedlichen Konzeptelementen ausgestattet werden kann, die von den spezifischen Assoziationen der Rezipienten abhängig sind.

6.5 Konzeptuelle Synthese In ihrer Darstellung globaler Fluten greifen die augusteischen und frühkaiserzeitlichen Schriftsteller auf Konzeptbestandteile zurück, die bereits in den historiographischen und mythographischen Texten der griechischen Literatur belegt sind. Je nach diskursiver Formung treten dabei spezifische Wissenselemente stärker ins Zentrum der narrativen und argumentativen Gestaltung als andere, ohne dass jedoch naturphilosophische oder mythographische Elemente vollständig ausgeblendet würden. So wird stets eine in der (mythischen) Vergangenheit eingetretene Flutkatastrophe angesetzt, wobei diese als autoritativer Faktor genutzt werden kann, um eine weitere, in der Zukunft verortete Überflutung oder sogar den zyklischen Charakter extremer Flutereignisse anzunehmen. Auslösen kann diese Flut wiederum entweder ein göttlicher Agent oder auch das als göttlich konzeptualisierte Schicksal, das dem Kosmos innewohnt und ihn als Naturgesetz organisiert. Grundsätzlich können dabei sowohl intrinsische als auch extrinsische Gründe angenommen werden, die

378 Roche (2009) 153.

Konzeptuelle Synthese

Abb. 9 Flutkonzepte in der augusteischen und frühkaiserzeitlichen Literatur.

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ein solches Szenario bedingen, etwa die moralische Verdorbenheit der Menschen einerseits oder eine bestimmte Konstellation der Gestirne andererseits. Die Funktion der Katastrophe hängt somit direkt von den Ursachen ab, die ihr zugewiesen werden. Der Vernichtungsmodus verbleibt deutlich in den bereits herausgearbeiteten Parametern der griechischen Konzepte: Anhaltende Regenfällen, die Ufer übertretende Flüsse und Meere, das Hervorbrechen unterirdischer Wasserreservoirs und explizit auch die Metabole der Erde zu Wasser. Zudem kann der entgrenzende Charakter dieses Auflösungsgeschehens durch Erzähl-elemente einer »verkehrten Welt« veranschaulicht werden. Dieses resultiert dann entweder in einer homogene Meeresfläche oder in einem elementarem Gemisch aus Wasser und Erde. Sofern in diesen Szenarien Menschen verschont bleiben, werden in den meisten Texten Deukalion und Pyrrha als Überlebende genannt, sodass eine konzeptuelle Verengung innerhalb dieses Wissensclusters stattgefunden zu haben scheint; andere Flutheroen haben sich in der augusteischen und frühkaiserzeitlichen Literatur offenbar nicht als valide erwiesen oder sind lediglich als Randfiguren überliefert worden. Die sich an die Katastrophe anschließende Restauration geschieht, indem entweder die Wassermassen zurückweichen und die Strukturen der differenzierten Welt wieder freigeben oder sich ein erneutes elementares Äquilibrium einstellt, aus dem eine ›bessere‹ Welt hervorgeht. Die neuen Lebewesen entstehen daraufhin entweder durch geschlechtliche Fortpflanzung der Überlebenden oder durch Spontangenese. Die Brandkonzepte der augusteischen und frühkaiserzeitlichen Literatur greifen in vielen Bereichen auf Wissensbausteine der stoischen Konzepte zurück, ergänzen diese jedoch zudem. So kann grundsätzlich eine globale aber auch regional begrenzte Katastrophe angenommen werden, die einerseits durch den Einfluss der Gestirne, andererseits durch die menschliche Hybris verursacht werden kann. Dass die Katastrophe dann eintritt, wird auf eine naturgesetzliche Notwendigkeit, auf das Fatum oder auf einen göttlichen Beschluss zurückgeführt. Dabei können solche Szenarien sowohl als Katastrophen in einer (mythischen) Vergangenheit als auch in der (nicht näher bestimmten) Zukunft konzeptualisiert werden. Als Vernichtungsagenten lösen in mythisch ausgeformten Konzeptionen Jupiters Blitz und das Feuer des Sonnenwagens die Brände aus, wobei ansonsten auch lediglich auf globale Brände als Auflösungsmodi verwiesen werden kann. Je nach angenommenem Ausmaß resultiert die Katastrophe in verbrannten Weltstrukturen und dem Zustand einer ›verkehrten Welt‹ oder in reinem Feuer, das wie in der Terminologie Chrysipps als ›Lichtschein‹ bezeichnet werden kann. Darüber hinaus kann ebenso ein indifferentes Chaos als Ergebnis der Brände gedacht werden. In der danach eintretenden Neukonsolidierung geht zunächst Feuchtigkeit oder auch der ›Samen des Alls‹ aus dem Feuer hervor, was letztlich zu einer erneuten Weltanordnung führt.

Konzeptuelle Synthese

Abb. 10 Weltenbrandkonzepte in der augusteischen und frühkaiserzeitlichen Literatur.

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Um die jeweiligen Konzeptionen zu autorisieren, wird zum einen auf naturphilosophische Prämissen verwiesen, die der entfalteten Theorie zugrunde liegen. Zum anderen kann jedoch ebenfalls auf die noch immer sichtbaren Nachwirkungen von in der Vergangenheit stattgefundenen Bränden und somit auf die Wahrnehmung und das Erfahrungswissen der Rezipienten rekurriert werden. In diesen Bereich ist auch das Argument der Körpergröße der Menschen, die geringer als diejenige früherer Generationen sei, einzuordnen. Außergewöhnlich ist, dass auch orientalisches ›Geheimwissen‹ als valider Legitimationsfaktor herangezogen werden kann. Diese Strategie erinnert in gewisser Weise an die platonischen Konzepte von periodischen Flut- und Brandkatastrophen, die wiederum durch das Wissen eines ägyptischen Priesters autorisiert werden. Die Konzepte von ewiger Nacht und Chaos können als Randerscheinungen in der augusteischen und frühkaiserzeitlichen Literatur ausgemacht werden. Sie können sowohl in der Vergangenheit als auch in der Zukunft verortet werden: Die Welt kehrt entweder wieder in den chaotischen Urzustand zurück, aus dem sie einst entstanden ist, oder versinkt in ewiger Nacht, wobei diese Phasen dann als ›letztes Zeitalter‹ bezeichnet werden können. Bemerkenswert ist, dass neben der Welt und den Menschen auch die Götter von diesem Untergangsszenario betroffen sind. Hierfür werden zum einen natürliche Ursachen – die Alterung des Himmels –, zum anderen menschliche Vergehen verantwortlich gemacht. Der Untergangsmodus erweist sich als kosmische Katastrophe, die zumeist durch einen Einsturz des Himmels ausgedrückt wird. Die Annahme, dass ein solches Ereignis eintreten könnte, wird vor allem durch die Ausdeutung von Prodigien autorisiert, wobei literarisch überformt der Sonnengott sein Antlitz abwendet und dadurch die drohende Zukunft anzeigt.

Konzeptuelle Synthese

Abb. 11 Konzepte von ewiger Nacht und Chaos in der augusteischen und frühkaiserzeitlichen Literatur.

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7. Weltuntergangskonzepte in der jüdischen und christlichen Literatur

Nach dem Tod des Jesus von Nazareth trat das Christentum, dessen Anhänger sich auf ihn als göttlichen Offenbarer beriefen, als neues religiöses Paradigma im Mittelmeerraum auf. In den darauffolgenden Jahrhunderten entwickelten sich – teilweise unabhängig voneinander – zahlreiche Gruppierungen, die sich selbst als »Christen« definierten.1 Mit deren Verbreitung innerhalb der großen Mittelmeerzivilisationen und mit der steigenden Popularität ihrer Lehren in den verschiedenen sozialen Schichten setzte eine als umfassend zu konstatierende Transformation antiker Kultur, Institutionen und Diskurse ein. Bei diesen Transformationen handelte es sich, wie H. Leppin betont, um »komplexe Aushandlungsprozesse […], die zu einem Wandel in den verschiedensten Bereichen und bei allen Beteiligten führten. Es wird dabei keineswegs eine Identität der anderen übergestülpt, sondern es entsteht etwas insgesamt Neues.«2 Dies betraf auch die paganen Weltuntergangskonzepte, die in Interaktion mit wesentlichen Wissensbausteinen des christlichen Glaubens neu formiert wurden. Gerade für die ersten Generationen nach dem Tod Jesu ist die Erwartung einer zeitnahen Wiederkunft (παρουσία) des Messias und des damit verbundenen göttlichen Gerichtes von zentraler Bedeutung, was sich besonders in den Schriften des Neuen Testamentes niederschlägt.3 Dieses Gericht wird als einmaliges Ereignis imaginiert, bei dem Gott als außerhalb der Welt stehende Richtinstanz über die Werke der Menschen urteilt. In direkter Folge wird er die gegenwärtige, sündig gewordene Welt erneuern, wodurch eine zukünftige, ewige entsteht, die zum Heil der Gläubigen geschaffen wird.4

1 Der plakative Begriff des einen Christentums muss in dieser frühen Phase als problematisch betrachtet werden, da gerade in der Zeit vor der Formierung der römischen Reichskirche eine Pluralität verschiedener Gruppierungen bestand, die ihrem Selbstverständnis nach alle für sich beanspruchten christlich zu sein. Aus einer vergleichenden Perspektive weisen diese jedoch – abgesehen vom Bekenntnis zu Jesus als dem offenbarten Messias – wenige Schnittstellen innerhalb ihrer Lehren auf; vgl. dazu etwa Markschies (2007) 337–388 sowie von Stuckrad (2002). 2 Leppin (2012) 249. 3 Diese Erwartung und die damit verbundene Haltung, in einer Zeit des Endes zu leben, bilden den Grundton sämtlicher neutestamentlicher Schriften, so etwa auch in Matth. 24. 4 Diese wesentlichen Grundbausteine sind in der neutestamentlichen und frühchristlichen Literatur in unterschiedlicher Gewichtung und Ausgestaltung vertreten. Siehe dazu etwa den Sammelband von Pennington/McDonough (2008), der sich umfassend mit der Kosmologie des Neuen Testamentes beschäftigt.

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Weltuntergangskonzepte in der jüdischen und christlichen Literatur

Dabei können Ansätze, die Welt als eine vergängliche Konstruktion zu konzeptualisieren, bereits in der hebräischen Bibel konstatiert werden. Umfangreiche, narrativ ausgestaltete Darstellungen eines zukünftigen Weltendes finden sich dann jedoch vor allem in Schriften des hellenistischen Judentums, besonders in den sogenannten jüdischen Apokalypsen. Gerade diese sollen zunächst in den Fokus genommen werden, um einen erweiterten Kontext für frühchristliche Formierungsprozesse zu gewinnen. Natürlicherweise können sich gerade in dieser anfänglichen Formationsphase die Grenzen zwischen jüdischen und frühchristlichen Konzeptionen als fließend erweisen, sodass diese als gleichwertige Repräsentanten verwandter Vorstellungen verstanden werden können.5 Für die vorliegende Untersuchung der Weltuntergangskonzepte sind die komplexen Aushandlungsprozesse, die sich in der frühen Phase christlicher Identitätsbildung vollziehen, von besonderem Interesse. Diese frühe Phase erstreckt sich bis zum Ende des vierten nachchristlichen Jahrhunderts, also bis das Christentum zur offiziellen Staatsreligion erhoben wird. Zentral ist dabei der Zeitraum bis zum Ersten Konzil von Nicäa (325 n. Chr.), da auf diesem wesentliche Lehrentscheidung getroffen wurden. Es ist zu prüfen, wie sich die Darstellungen und Funktionalisierungen der Konzepte in den Werken frühchristlicher Autoren von denen paganer Schriftsteller vorhergehender Epochen unterscheiden und welche Verbindungen sie zueinander aufweisen. Von Interesse ist außerdem, welche Mechanismen bei der Formierung der neuen Konzepte zum Tragen kommen.

7.1 Zwischen Ewigkeit und Endlichkeit – Weltuntergangskonzepte in der jüdischen Apokalyptik Dass in der hebräischen Bibel und ihrer griechischen Übersetzung, der Septuaginta, an zentraler Stelle eine globale Flutkatastrophe tradiert wird, wurde bereits im Kontext der griechischen Vergangenheitskonzeptionen thematisiert.6 Dieses Narrativ endet damit, dass Gott den Überlebenden der Flut zusichert, die Menschheit nie wieder mit einer solchen Katastrophe heimzusuchen. Dennoch finden sich in den biblischen Büchern divergierende Aussagen, die die Welt einerseits als ewig, andererseits als endlich inszenieren.7 So wird die Vorstellung, dass die Welt vergänglich sei, etwa in Psalm 102(101) formuliert:

5 Das Forschungsparadigma des sogenannten parting of the ways, das sich mit den frühen Identitätsbildungsprozessen zwischen Christentum und Judentum beschäftigt, wird mit einer aktualisierten Perspektive bei Burns (2016) bes. 19–60 umfassend dargestellt. 6 Siehe dazu Kap 3.2. 7 Anhand zahlreicher Einzeluntersuchungen zeigt dies Adams (2007) 25–51 auf. Die folgenden Ausführungen zu biblischen Texten stützen sich im Wesentlichen auf dessen Studie.

Zwischen Ewigkeit und Endlichkeit – Weltuntergangskonzepte in der jüdischen Apokalyptik

κατ᾽ ἀρχὰς σύ, κύριε, τὴν γῆν ἐθεμελίωσας, καὶ ἔργα τῶν χειρῶν σού εἰσιν οἱ οὐρανοί αὐτοὶ ἀπολοῦνται, σὺ δὲ διαμενεῖς, καὶ πάντες ὡς ἱμάτιον παλαιωθήσονται, καὶ ὡσεὶ περιβόλαιον ἀλλάξεις αὐτούς, καὶ ἀλλαγήσονται σὺ δὲ ὁ αὐτὸς εἶ, καὶ τὰ ἔτη σου οὐκ ἐκλείψουσιν.8

Am Anfang hast du, Herr, das Fundament der Erde gelegt und die Himmel sind das Werk deiner Hände; sie werden vergehen, du aber wirst fortbestehen und alles wird wie ein alt gewordener Mantel zerfallen und du wechselst sie, als wären sie Kleidung, und sie werden verändert; du aber bist derselbe und deine Jahre werden kein Ende haben.

Die verwendete konzeptuelle Metapher setzt die Schöpfung mit einem Kleidungsstück gleich, sodass spezifische Charakteristika auf der Bildebene übertragen werden können: Wie ein Stoff zusammengewebt wurde und zu einem gewissen Zeitpunkt wieder zerfasern wird, wird auch die Welt letztlich zerfallen. In diesem Zusammenhang ist es nur folgerichtig, dass etwas Erschaffenes letztlich vergehen muss, so wie es in der alltäglichen Erfahrungswirklichkeit stets repräsentiert wird. Die Weltordnung scheint dabei nicht etwa (moralisch) depraviert, weshalb sie einer Vernichtung bedürfte, sondern wird lediglich aufgrund ihrer materiellen Beschaffenheit als endliche Entität in einen polaren Gegensatz zu ihrem ewigen Schöpfer gesetzt.9 Besonders intensiv wird die Vergänglichkeit der Welt dann in der Offenbarungsliteratur des ersten nachchristlichen Jahrhunderts thematisiert, wie J. J. Collins herausstellt: »It is only at the end of the first century CE that the end of the world appears regularly in such works as 4 Ezra, 2 Baruch, Revelation, and Sibylline Oracles 4 and 5. Some of the formulations in these books may be influenced by Greek or Persian conceptions.«10 Vereinzelt begegnet das Konzept, dass die Welt durch Feuer

8 LXX Ps. 101,26–28. 9 Wie Houtman (1993) 177–181 zeigt, imaginieren zahlreiche andere Bibelstellen die Welt hingegen als unvergänglich (‫ְלעָֹלם‬/εἰς τὸν αἰῶνα). Eine solche »ewige« Beschaffenheit könnte jedoch, wie Adams (2007) 33 vermutet, auch lediglich auf eine besonders langanhaltende Existenz hinweisen, die jegliche menschliche Vorstellungskraft übersteigt, ohne im eigentlichen Sinne absolut ewig zu meinen; Siehe dazu auch Caird (1980) 257: »In comparison with the transitoriness of human existence, the earth will last till the end of time, but it is not everlasting as God is everlasting.« Dennoch scheint die Vorstellung einer geschaffenen und unvergänglichen Welt ebenfalls Vertreter im hellenistischen Judentum gefunden zu haben, wie sich etwa im Traktat De aeternitate mundi Philos von Alexandria zeigt, in dem dieser neben einer systematischen Darstellung verschiedener philosophischer Ansätze jüdische Konzeptionen mit platonischer Kosmologie verknüpft; vgl. Grabbe (2000) 173. 10 Collins (2015) 35.

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untergehen werde, bereits zuvor, so etwa in einigen Versen aus dem dritten Buch der Sibyllinischen Orakel.11 Bei diesem handelt es sich um eine Kompilation verschiedener Orakelsprüche, die im Kontext des hellenistischen Judentums vermutlich zwischen 80 und 40 v. Chr. entstanden sind,12 wobei die relevante Passage wohl als spätere Ergänzung kurz nach der Schlacht bei Actium 31 v. Chr. interpoliert wurde.13 Charakteristisch für diese spezifische Textsorte ist, dass die verkündigende persona als eine Sibylle inszeniert wird und als solche jüdische sowie in späteren Fassungen auch christliche, zumeist heilsgeschichtliche Überzeugungen wiedergibt.14 Dabei handelt es sich um eine gezielt eingesetzte Autorisierungsstrategie, um solche Wissensbausteine durch eine pseudo-pagane Instanz zu bestätigen und damit zu legitimieren.15 So wird in den angesprochenen Versen geschildert,16 was sich am Tag des göttlichen Gerichtes ereignen wird, das zugleich den Untergang der Welt herbeiführt: […] τότε δὴ στοιχεῖα πρόπαντα

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χηρεύσει κόσμου, ὁπόταν θεὸς αἰθέρι ναίων οὐρανὸν εἱλίξῃ, καθ’ ἅπερ βιβλίον εἰλεῖται· καὶ πέσεται πολύμορφος ὅλος πόλος ἐν χθονὶ δίῃ καὶ πελάγει· ῥεύσει δὲ πυρὸς μαλεροῦ καταράκτης ἀκάματος, φλέξει δὲ γαῖαν, φλέξει δὲ θάλασσαν,

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καὶ πόλον οὐράνιον καὶ σήματα καὶ κτίσιν αὐτήν εἰς ἓν χωνεύσει καὶ εἰς καθαρὸν διαλέξει. κοὐκέτι φωστήρων σφαιρώματα καγχαλόωντα, οὐ νύξ, οὐκ ἠώς, οὐκ ἤματα πολλὰ μερίμνης, οὐκ ἔαρ, οὐχὶ θέρος, οὐ χειμῶν’, οὐ μετόπωρον

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καὶ τότε δὴ μεγάλοιο θεοῦ κρίσις εἰς μέσον ἥξει αἰῶνος μεγάλοιο, ὅταν τάδε πάντα γένηται.17

11 or. Sib. 3,80–92. Zur Entstehung und Überlieferungsgeschichte der Sammlung siehe Parke (1988) 1–18. 12 Vgl. Buitenwerf (2003) 126–133. Dieser spricht sich für einen Ursprung des dritten Buches in Asia minor aus, wohingegen Collins (1974a) argumentiert, dass es im Kontext des ägyptischen Judentums entstanden ist. 13 Zu dieser Datierung siehe Collins (1974b) 64–70, der Anspielungen auf eine regierende und verwitwete Frau auf Kleopatra bezieht und den Pessimismus des Orakelspruches aus deren Niederlage ableitet. 14 Vgl. Collins (2001) 184–188. 15 Dass sich diese Strategie in zahlreichen Werken der jüdisch-hellenistischer Literatur feststellen lässt, betont Adams (2007) 66f. 16 Weitere, jedoch spätere Passagen, die das Weltende thematisieren sind or. Sib. 2,195–213; 4,172f.; 5,155–161, 206–213, 274f., 512-531; 8,15. 17 or. Sib. 3,80–92.

Zwischen Ewigkeit und Endlichkeit – Weltuntergangskonzepte in der jüdischen Apokalyptik

Dann werden alle Elemente der Weltanordnung ungeordnet sein, wenn Gott, der den Äther bewohnt, den Himmel zusammenrollt, so wie eine Buchrolle zusammengerollt wird: Und dann wird das gesamte vielgestaltige Himmelsgewölbe auf die göttliche Erde und in das Meer stürzen; ein Sturzbach tobenden Feuers wird unermüdlich fließen, die Erde verbrennen, das Meer verbrennen und das Himmelsgewölbe, wird die Gestirne und die Schöpfung selbst in eins schmelzen und zum Reinen auftrennen. Und (dann) frohlocken nicht mehr die Sterne, nicht mehr gibt es Nacht, nicht Morgen, nicht zahlreiche Tage der Sorge, nicht Frühling, nicht Winter, nicht Sommer, nicht Herbst. Und dann wird das Gericht des großen Gottes inmitten der großen Weltperiode kommen, wenn dies alles geschieht.

In dieser Darstellung lassen sich einerseits Wissensbausteine identifizieren, die bereits in paganen Weltuntergangskonzeptionen begegnet sind. Andererseits können Bezüge auf biblische Prätexte konstatiert werden, die auf den Tag des Herrn rekurrieren, an dem das erwählte Volk Gottes und zuweilen auch andere Völker gerichtet werden.18 So findet sich die Vorstellung, dass der Himmel zusammengerollt wird, im Prophetenbuch Jesaja (34,4), in dem das göttliche Gericht über Edom beschrieben wird.19 Das betroffene Land wird dabei derart verwüstet, dass lediglich eine für Menschen unbewohnbare Todeszone zurückbleibt, die ausschließlich von wilden Tieren bevölkert wird. Dieser Kontext wird zweifellos in den sibyllinischen Versen aufgerufen und für die Vorstellung einer im Untergang begriffenen Welt genutzt: Das ursprünglich lokal begrenzte Ereignis wird auf den Makrokosmos ausgeweitet, sodass die entworfene Todeszone entgrenzt wird. Dies wird zudem durch handwerkliche Metaphern unterstützt (εἰς ἓν χωνεύσει καὶ εἰς καθαρὸν διαλέξει), durch die deutlich wird, dass das Auflösungsszenario die einst sorgfältig organisierte Schöpfung nun nihiliert. Ein weiterer biblischer Aspekt findet sich in der Vorstellung des Sturzbaches (καταράκτης), der sich auf die Erde ergießt. So öffnet Gott im Sintflutnarrativ die Schleusen des Himmels und lässt die dort gespeicherten Wassermassen auf die Erde niedergehen.20 An die Stelle des Wassers tritt im sibyllinischen Orakel das Feuer, das die Strukturen der Welt vernichtet. Handelt es sich hierbei auch um ein anderes Auflösungselement, verweist der Bezug dennoch auf die kosmische Dimension der Vernichtung. Dass die Welt durch diese Katastrophe zu einem primordialen Zustand zurückgeführt wird, macht auch ein letzter Verweis auf Genesis 8,22 deutlich, da in den sibyllinischen Versen 88–90 die zeitlichen Ordnungsschemata eliminiert werden, die am Ende der Flutbeschreibung so prominent festgesetzt worden sind.

18 Zum jüdischen Konzept des Tag des Herrn siehe Hoffmann (1981). 19 Vgl. Adams (2007) 91. 20 Siehe dazu Kap. 3.2.

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Zusätzlich enthalten die Verse Aussagen, die nicht aus der biblischen Tradition ableitbar sind, jedoch deutlich philosophische Wissensbestände aufgreifen und für den neuen Kontext adaptieren.21 So wird auf die Grundelemente (στοιχεῖα) verwiesen, die nicht mehr in einer geregelten Anordnung (κόσμος) zusammengefügt sind, sondern durch das Feuer zu einer homogenen Masse zusammengeschmolzen werden, sodass letztlich die differenzierte Welt zum Reinen (εἰς καθαρόν) übergeht. Dabei handelt es sich offensichtlich um Bausteine, die stoischen WeltenbrandKonzeptionen entnommen sind.22 Diese werden herangezogen, um (vielleicht erstmals) die Vorstellung einer Auflösung des Kosmos mit dem alttestamentlichen Gottesgericht zu verknüpfen.23 Dadurch ergibt sich ein neues, hybrides Konzept eines finalen Untergangs der gesamten Welt in Feuer im Kontext des göttlichen Gerichtes, ohne dass eine anschließende Rekonsolidierung impliziert werden würde.

7.2 Weltuntergangskonzepte im Neuen Testament Zum Umgang frühchristlicher Schriftsteller mit der paganen Literatur und den darin verhandelten Wissensbeständen hat C. Gnilka eine Reihe von Arbeiten vorgelegt, die sich mit der Methode der sogenannten Chrêsis (auch als »der rechte Gebrauch« bezeichnet) beschäftigen.24 Er geht davon aus, dass »der Umgang der Kirchenväter mit den antiken Kulturgütern […] auf zwei Grundgedanken wie auf zwei tragenden Säulen [beruht]. Der eine Grundgedanke ist ein theologischer, der andere ein historischer,«25 wobei diese nicht immer trennscharf voneinander zu scheiden sind. Unter dem »theologischen Grundgedanken« versteht er die Vorstellung der frühen Christen, die sich spätestens seit dem Römerbrief des Paulus finde, »daß es in der vorchristlichen Kultur Elemente der Wahrheit gibt, die von Gott stammen und daher zur Vorbereitung auf die christliche Lehre sowie zur Darstellung der göttlichen Offenbarung dienen können.«26 Als »historischen Grundgedanken« bezeichnet er hingehen die anachronistische Überzeugung, »Moses und die Propheten hätten gelebt und gelehrt, bevor die ersten griechischen Weisen aufgetreten seien« und »alle heidnische Weisheit sei aus den Büchern des Alten Testaments geschöpft und repräsentiere die dort gelehrten Wahrheiten in verkümmerter und verdunkelter Form.«27 Vor einem solchen ideologischen Hintergrund war es also

21 22 23 24 25 26 27

Zu stoischen Konzeptionen siehe Kap. 5.2. Vgl. Adams (2007) 91. Vgl. van der Horst (1994) 239. Das zentrale, für diese Untersuchung besonders wichtige Werk ist Gnilka (2 2012). Ebd. 23. Ebd. 25. Ebd.

Weltuntergangskonzepte im Neuen Testament

möglich, pagane Texte und Wissenselemente zur Darstellung und Vermittlung christlicher Lehren heranzuziehen, wobei sich deren Nutzung bestimmten Kategorien unterordnen musste, damit diese von den Rezipienten als »rechter Gebrauch« (usus iustus, χρῆσις ὀρθή/δικαία) bewertet wurde.28 Zusätzlich zu den »Grundgedanken« unterscheidet Gnilka außerdem drei, ebenfalls nicht zwangsläufig voneinander zu trennende »Zwecke« dieser Methode: »1) Die Waffen, welche die Heiden besaßen, sollten ihnen genommen und gegen sie selbst gekehrt werden. Die wahren Gedanken und die schönen Formen, jene Einsprengsel der göttlichen Weisheit, sollten benutzt werden, um das Gebäude der Lüge und des Götzendienstes zu zerstören. Das ist der polemische Zweck. 2) Die vertrauten Gedanken und Formen sollten aber auch dazu beitragen, die Menschen für die neue Religion zu gewinnen […]. Das ist der missionarische Zweck. 3) Alles Gute und Schöne, was der Mensch hervorbringt, gehört Gott als dem Schöpfer der Menschen. Die Schätze heidnischer Kultur müssen daher dem Zweck der Verehrung und Anbetung Gottes dienstbar gemacht werden. Das ist der theozentrische Zweck.«29

Diese Absichten, die Gnilka aus einer sich den Autoren und primären Rezipienten annähernden Perspektive darzustellen bemüht ist, lassen sich ebenfalls bei der Nutzung paganer Wissenselemente zur Formierung von Weltuntergangskonzepten in der christlichen Literatur feststellen. Gerade vor dem Hintergrund des »missionarischen Zweckes« ist auf eine besondere Situation einzugehen: Bestimmte Termini, die frühchristliche Autoren verwendeten, um ihre Vorstellungen auszudrücken, besaßen in dem adressierten Rezipientenkreis bereits eine bestimmte Semantik, wodurch die gewählten Begriffe mit zuvor schon bekannten Konzepten verknüpft wurden. Am besten veranschaulicht dies das Beispiel des griechischen Begriffes ἐκπύρωσις, der mit dem Konzept des stoischen Weltenbrandes semantisiert war und dadurch bei den Rezipienten, die mit dieser stoischen Vorstellung vertraut waren, die Bestandteile dieses Konzeptes transportierte. Dennoch wird der Terminus ebenfalls von christlichen Autoren gewählt, wobei dann explizit betont wird, welche Bausteine des stoischen Konzeptes sie ablehnen und wodurch sie diese ersetzen. Eine typologische Verbindung von Sintflut und Weltenbrand findet sich bereits im pseudepigraphischen Zweiten Petrusbrief, der zu Beginn des zweiten Jahrhunderts entstanden ist30 und zunächst in den Blick genommen werden soll, da er als einziger Text des Neuen Testamentes explizit einen zukünftigen Untergang der Welt in Feuer proklamiert. Dabei stellt der Verfasser ausdrücklich einen Konnex

28 Vgl. ebd. 29. 29 Ebd. 26. 30 Vgl. Ruf (2011) 28.

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zwischen dem in der Vergangenheit liegenden und dem noch bevorstehenden Untergang der Welt her: Als zerstörerisches Element, das die Ordnung zur Zeit Noahs (ὁ τότε κόσμος) vernichten sollte, wählte der göttliche Wille (ὁ τοῦ θεοῦ λόγος) das Wasser aus, wohingegen für die bevorstehende Auflösung der derzeitigen Weltordnung (οἱ δὲ νῦν οὐρανοὶ καὶ ἡ γῆ) das Feuer bestimmt ist.31 Im alttestamentlichen Kataklysmos-Narrativ32 verfolgt Gott die Absicht, die Welt von der Verderbtheit der Menschen zu reinigen. Von dieser Reinigung sind allein Noah und dessen Familie – sozusagen als Flutheroen – sowie die Tierpaare33 ausgenommen, da diese als Kulturbegründer eines neuen, gottesfürchtigen Geschlechtes fungieren sollen, nachdem durch den Rückgang der Flut die natürlichen Verhältnisse wiederhergestellt worden sind. Dieser Neukonsolidierung folgt auch eine Zusage Gottes, die Welt auf diese Weise nicht erneut heimzusuchen.34 Vor dem Hintergrund des biblischen Gedankenmodells können also keine weiteren globalen Kataklysmen imaginiert werden, wie sie etwa in Senecas Konzept eines zyklischen35 oder Lukrezens Konzept eines potenziellen Weltuntergangs durch Wasser36 drohen, da dies dem göttlichen Zugeständnis (λόγος τοῦ θεοῦ) direkt widersprechen würde. Um einen solchen Widerspruch zu vermeiden, nimmt im Zweiten Petrusbrief demnach das Feuer die Stelle des Wassers als zerstörendes Element für den prospektiv imaginierten Untergang der Welt ein.37 Die Gruppe der Erwählten, die von dieser

31 2 Petr. 3,6f.: δι’ ὃν [scil. das Wort Gottes] ὁ τότε κόσμος ὕδατι κατακλυσθεὶς ἀπώλετο· οἱ δὲ νῦν οὐρανοὶ καὶ ἡ γῆ τῷ αὐτῷ λόγῳ τεθησαυρισμένοι εἰσὶν πυρὶ τηρούμενοι εἰς ἡμέραν κρίσεως καὶ ἀπωλείας τῶν ἀσεβῶν ἀνθρώπων. 32 Siehe dazu Kap 3.2. 33 Diese müssen im Gegensatz zu griechisch-römischen Konzepten des Kataklysmos ebenfalls gerettet werden, da im biblischen Kontext eine Spontangenese der Lebewesen, wie sie in der griechischrömischen Varianten auftritt, ausgeschlossen ist. 34 LXX Gen. 8,21: […] οὐ προσθήσω οὖν ἔτι πατάξαι πᾶσαν σάρκα ζῶσαν, καθὼς ἐποίησα. 35 Siehe dazu Kap. 6.2. 36 Siehe dazu Kap. 5.1. 37 2 Petr. 3,10: ἥξει δὲ ἡμέρα κυρίου ὡς κλέπτης ἐν ᾗ οἱ οὐρανοὶ ῥοιζηδὸν παρελεύσονται, στοιχεῖα δὲ καυσούμενα λυθήσεται, καὶ γῆ καὶ τὰ ἐν αὐτῇ ἔργα οὐχ εὑρεθήσεται. Zur Deutung der στοιχεῖα als Elemente, aus denen der Kosmos aufgebaut ist, vgl. Wohlenberg (3 1923) 260f. Vgl. auch Ruf (2011) 481, der diese Passage nicht als eine Zerstörung der Welt interpretiert. Diese Annahme begründet er jedoch durch die m. E. nicht nachvollziehbare Erklärung, die στοιχεῖα stünden eindeutig für die Gestirne und deshalb brauche die Passage »nicht so weitgehend verstanden zu werden, dass jeweils Himmel und Erde in das Nichtbestehen aufgelöst werden. […] Es [gehe] um den Menschen, nicht um das All.« Da die Darstellung des Endes der Welt im Zweiten Petrusbrief in enger Verbindung mit dem Endgericht steht, ist die anthropozentrische Perspektive offensichtlich; dies schließt aber nicht aus, dass die Zerstörung der Welt damit einhergehen kann, zumal die Hoffnung auf eine nachfolgende, bessere Welt formuliert wird. Vgl. dazu Adams (2007) 228.

Weltuntergangskonzepte im Neuen Testament

Zerstörung ausgenommen ist, wird dadurch definiert, dass sie vor dem Gericht Gottes als Untadelige (ἄσπιλοι) und Schuldlose (ἀμώμητοι) erscheinen.38 In seiner Untersuchung zur Metatextualität des Zweiten Petrusbriefes konstatiert M. G. Ruf, dass – wie bereits erwähnt – »an keiner anderen Stelle im neuen Testament […] ähnlich explizit von so etwas wie einem Weltenbrand die Rede« ist.39 Da dieses Konzept jedoch nicht eindeutig in den Schriften des Alten Testamentes und erst zu einem späten Zeitpunkt in der jüdischen Apokalyptik vertreten ist,40 liegt es nahe, die Bausteine des im Zweiten Petrusbrief dargestellten Konzeptes mit denjenigen ähnlicher Konzepte aus der kulturellen Umwelt der expliziten, vermutlich römischen Rezipienten zu vergleichen.41 Gerade die bereits erwähnten stoischen Konzept der Ekpyrosis scheinen dabei nahe zu liegen,42 da in den Werkfragmenten der Stoiker und späteren doxographischen Darstellungen ihrer Lehre der Weltenbrand mit einem Vokabular verhandelt wird, das dem des Zweiten Petrusbriefes ähnelt.43 Dass gerade der »terminus technicus, nämlich ἐκπύρωσις im Zweiten Petrusbrief nicht auftaucht,«44 zeigt, dass der Verfasser nicht darauf abgezielt hat, das Konzept des zukünftigen Untergangs der Welt in Feuer nach rein stoischer Formierung aufzurufen, um dieses dann als christliches zu beanspruchen. Stattdessen hat er auf Wissensbestandteile zurückgegriffen, die den intendierten Rezipienten besonders auch aus dem stoischen Konzept bekannt waren, um schließlich eine mit jüdisch-christlichen Wissensbausteinen angereicherte Neukonzeption zu präsentieren. Handelt es sich bei stoischen Konzepten der Ekpyrosis um in zyklischen Abständen auftretende, naturgesetzliche Rückführungen der Welt in Feuer mit anschließender Neukonsolidierung zum ausdifferenzierten Kosmos,45 ersetzt der Zweite Petrusbrief diese Bausteine: Hier wird ein einmaliges Ereignis imaginiert, das durch den Beschluss und die zeitliche Festlegung Gottes erfolgt.46

38 2 Petr. 3,15: διό, ἀγαπητοί, ταῦτα προσδοκῶντες σπουδάσατε ἄσπιλοι καὶ ἀμώμητοι αὐτῷ [scil. Gott] εὑρεθῆναι ἐν εἰρήνῃ. 39 Ruf (2011) 516. 40 Siehe dazu Kap. 7.1. Zu Ansätzen in der biblischen Literatur, die eine Verbindung zwischen Jahwe als Richter und dem Feuer als Strafe für die sündigen Menschen herstellen, und zur Vorstellung, dass Teile der Welt vor dem Angesicht Gottes schmelzen werden, vgl. Mayer (1956) 114–125. Dieser konstatiert (123) zudem, »daß sich im rabbinischen Schrifttum anscheinend gar kein Zeugnis für eine Weltenbrandvorstellung finden läßt.« 41 Zur Frage nach den intendierten Rezipienten vgl. Grünstäudl (2013) 187–200. 42 Siehe dazu Kap. 5.2. 43 Vgl. dazu die lexikalischen Untersuchungen bei Ruf (2011) 517–520. 44 Ebd. 517. 45 Vgl. Wildberger (2006) I 56-58. Eine kathartische Funktion kommt in späten stoischen Kontexten, etwa bei Seneca, der Sintflut zu; siehe dazu Kap. 6.2. 46 Da nach der stoischen Konzeption Gott und Natur gleichzusetzen sind und die naturgesetzliche Festlegung der Ekpyrosis somit in gewisser Weise ebenfalls durch die Gottheit verursacht ist, könnte

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Dieses Ereignis wird als der Tag des Herrn (3,10 ἡμέρα κυρίου) oder als der des Richtens und der Vernichtung der Ungläubigen (3,7 ἡμέρα κρίσεως καὶ ἀπωλείας τῶν ἀσεβῶν ἀνθρώπων) bezeichnet. Die verwendete Terminologie stellt einen intertextuellen Verweis auf das jüdische Konzept des Tag des Herrn dar, wie es sich auch in den Prophetenbüchern der Septuaginta findet.47 An jenen Stellen wird zwar ebenfalls eine Verbindung zwischen Gott, einer Gerichtssituation und dem Feuer als Strafmittel hergestellt, jedoch scheint das Bild eines Weltenbrandes eher zur hyperbolischen Darstellung des göttlichen Zornes aufgerufen zu werden.48 Eine solche strafende beziehungsweise richtende Funktion des Feuers fehlt hingegen in den überlieferten Erwähnungen der stoischen Ekpyrosis.49 Eine Errettung der Gläubigen vor dem Untergang wird im Petrus-Brief zwar nicht ausdrücklich erwähnt,50 dafür jedoch die Hoffnung auf eine Neukonsolidierung nach der Zerstörung: »Einen neuen Himmel und eine neue Erde erwarten wir gemäß seiner Verheißung, in denen die Gerechtigkeit wohnt.«51 Diese Formulierung rekurriert wiederum auf eine Passage im Prophetenbuch Jesaia,52 wobei die alttestamentliche Darstellung nicht einen radikalen Neuanfang nach einer Zerstörung des Kosmos, sondern die Entwicklung der Welt hin zum Besseren thematisiert.53 In ihrer dichotomen Sicht der schlechten Welt, die zerstört werden muss, um eine neue Welt zu schaffen, in der allein die Gläubigen das Heil erleben können, steht der Zweite Petrusbrief den Vorstellungen der Apokalyptik, insbesondere dem 4. Buch Esra und der späteren Petrusapokalypse nahe.54 Um die Vorstellung des kommenden Heils für seine Rezipienten auszudrücken, benutzte der Autor des Zweiten Petrusbriefes zusammengefasst also eine aus dem Kontext der Prophetenbücher und Apokalypsen bekannte Terminologie, modifizierte das jüdisch-prophetische Konzept jedoch dahingehend, dass es im neuen Kontext mit dem künftigen Untergang der Welt verbunden wird. Als Modus der Zerstörung wählte der Verfasser des Briefes das Konzept des Weltenbrandes, das

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über diese Ähnlichkeit diskutiert werden. Der klare Unterschied liegt jedoch darin, dass der im Zweiten Petrusbrief beschriebene Gott nicht Teil der Natur, sondern deren außerweltlicher Regent ist, die Zerstörung somit aus einer externen Position heraus eingeleitet wird. Etwa in Zef. 1,18 und Mal. 3,19. Zum jüdischen Konzept vgl. Hoffmann (1981). LXX Zef. 3,18: καὶ τὸ ἀργύριον αὐτῶν καὶ τὸ χρυσίον αὐτῶν οὐ μὴ δύνηται ἐξελέσθαι αὐτοὺς ἐν ἡμέρᾳ ὀργῆς κυρίου, καὶ ἐν πυρὶ ζήλους αὐτοῦ καταναλωθήσεται πᾶσα ἡ γῆ, διότι συντέλειαν καὶ σπουδὴν ποιήσει ἐπὶ πάντας τοὺς κατοικοῦντας τὴν γῆν. Vgl. Wildberger (2006) I 57. Wenn auch die Perspektive der Hoffenden in 2 Petr. 3,14 eher eine externe zu sein scheint. 2 Petr. 3,13: καινοὺς δὲ οὐρανοὺς καὶ γῆν καινὴν κατὰ τὸ ἐπάγγελμα αὐτοῦ προσδοκῶμεν, ἐν οἷς δικαιοσύνη κατοικεῖ. LXX Jes 65,17: ἔσται γὰρ ὁ οὐρανὸς καινὸς καὶ ἡ γῆ καινή. Vgl. Prigent (2000) 454. Siehe dazu Kap. 7.5.

Flutkonzepte in der frühchristlichen Literatur

dem römischen Zielpublikum unter anderem in seiner prominentesten Ausformung in Form der stoischen ἐκπύρωσις bekannt gewesen sein dürfte.55 Im Folgenden sollen nun die frühchristlichen Apologeten, Kommentatoren und Dichter fokussiert werden. Es wird zu untersuchen sein, wie sie Konzepte von Sintflut, Weltenbrand und Alterung der Welt darstellen, welcher Wissensbausteine sie sich bei der Formierung ihrer Konzepte bedienen und wie sie diese argumentativ rechtfertigen.

7.3 Flutkonzepte in der frühchristlichen Literatur Mit dem alttestamentlichen Sintflut-Narrativ lag eine biblische Grundlage für das Konzept einer globalen Flut vor,56 die auch von christlichen Autoren als einmalig retrospektiv imaginierte rezipiert werden konnte. Dabei werden Noah und seine Familie als die Auserwählten beschrieben, die durch die Vorankündigung der Flut durch Gott in der Arche (κιβωτός) überleben konnten. Da durch die göttliche Zusage (λόγος θεοῦ) angekündigt wurde, dass Gott nicht beabsichtige, die Menschheit ein weiteres Mal durch einen Kataklysmos auszulöschen, stellt sich die Frage, wie die frühchristlichen Autoren mit dem Befund umgegangen sind, dass in der griechischen und römischen Literatur mehrere Flutereignisse tradiert wurden,57 im kulturellem Gedächtnis von Griechen und Römern also Ereignisse erinnert wurden, die einem christlichen Vergangenheitshorizont mit einem einmaligen Flutgeschehen entgegenstanden. Außerdem war es in vorchristlichen Zeiten gerade, wenn auch nicht ausschließlich, innerhalb des philosophisch-naturwissenschaftlichen Diskurses möglich, das Konzept zyklisch eintretender, globaler Kataklysmen zu imaginieren,58 was ebenfalls dem biblischen Konzept eines einmaligen Ereignisses zu widersprechen scheint. Es wird also zu untersuchen sein, inwieweit diese Widersprüche thematisiert und durch welche Argumentationsstrategien sie aufgelöst werden. Im siebten Kapitel seiner Apologia minor befasst sich Justin der Märtyrer, der im zweiten Jahrhundert nach Christus in Rom lebte, mit der Frage, weshalb die Parusie und der damit verbundene Tag des Gerichtes und Weltuntergangs immer noch nicht eingetreten seien. Dies führt er keineswegs darauf zurück, dass die Lehre der nahen Wiederkunft Jesu nicht zuträfe. Vielmehr merkt er an, dass es allein aufgrund

55 Vgl. Downing (1995) 101, der konstatiert, »that such thoughts (about the end of the world in fire) were common, even commonplace, a common currency widely shared in the populace as a whole, one with which Jews and Christians around the first century CE could readily engage.« 56 Siehe dazu Kap 3.2. 57 Siehe dazu Kap. 3.1. 58 Siehe Kap. 6.2.

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der Entscheidung Gottes noch nicht zum Untergang des Kosmos gekommen sei, da dieser den Samen des Christentums (τὸ σπέρμα τῶν Χριστιανῶν) noch nicht auslöschen wolle.59 Dahinter könnte eine Vorstellung stehen, die explizit im Zweiten Petrusbrief artikuliert wird:60 Indem Gott den Untergang verzögere, gebe er der christlichen Gemeinschaft – in Analogie zu einem Samen, der erst noch wachsen muss – die Möglichkeit, eine möglichst große Zahl von Menschen zu bekehren, die dann ebenfalls dem göttlichen Gerichtszorn entgingen. Jedoch äußert sich Justin nicht ausdrücklich zu den Gründen dieses Aufschubs, sondern fährt mit seiner Argumentation fort. Dabei konstatiert er, dass Gott jederzeit den Untergang der Welt durch Feuer einleiten könne,61 was durch die Sintflut Noahs bezeugt werde: […] ὡς καὶ πρότερον ὁ κατακλυσμὸς μηδένα λιπὼν ἀλλ’ ἢ τὸν μόνον σὺν τοῖς ἰδίοις παρ’ ἡμῖν καλούμενον Νῶε, παρ’ ὑμῖν δὲ Δευκαλίωνα, ἐξ οὗ πάλιν οἱ τοσοῦτοι γεγόνασιν, ὧν οἱ μὲν φαῦλοι, οἱ δὲ σπουδαῖοι.62

[…] wie auch früher der Kataklysmos (alles vernichtet hat), niemanden auslassend, außer den einen mit seinen Angehörigen, der bei uns Noah genannt wird, bei euch aber Deukalion, dem wiederum so viele entstammt sind, von denen die einen gut, die anderen schlecht sind.

Der Kataklysmos wird von Justin also als einmaliges Ereignis der Vergangenheit gedacht (was auch durch den bestimmten Artikel ὁ deutlich wird), bei dem die gesamte Menschheit, bis auf die Erwählten, vernichtet worden ist – analog zur finalen Gerichtssituation, in der ebenfalls eine bestimmte Menschengruppe errettet wird. Von diesen aus der Flut Geretteten wiederum stammen alle danach geborenen Menschen ab. Dass die Flut als kathartischer Akt verstanden wird, formuliert Justin zwar nicht explizit, jedoch scheint diese Komponente mitzuschwingen, da er den Kataklysmos in Analogie zum Endgericht setzt. Dennoch konstatiert er am Satzende nüchtern, dass die Verdorbenheit durch die Katharsis nicht restlos beseitigt worden ist. Dies rekurriert wiederum auf ein bereits im alttestamentlichen Flutnarrativ formuliertes Motiv, dass der Mensch von Natur aus zum Schlechten neige.63 Ein

59 Iust. apol 2,7,1: ὅθεν καὶ ἐπιμένει ὁ θεὸς τὴν σύγχυσιν καὶ κατάλυσιν τοῦ παντὸς κόσμου μὴ ποιῆσαι […], διὰ τὸ σπέρμα τῶν Χριστιανῶν, ὃ γινώσκει ἐν τῇ φύσει ὅτι αἴτιόν ἐστιν. 60 2 Petr. 3,9: οὐ βραδύνει κύριος τῆς ἐπαγγελίας, ὥς τινες βραδύτητα ἡγοῦνται, ἀλλὰ μακροθυμεῖ εἰς ὑμᾶς μὴ βουλόμενός τινας ἀπολέσθαι ἀλλὰ πάντας εἰς μετάνοιαν χωρῆσαι. 61 Iust. apol 2,7,2: […] τὸ πῦρ τὸ τῆς κρίσεως κατελθὸν ἀνέδην πάντα διέκρινεν […]. 62 Iust. apol 2,7,2. 63 LXX Gen. 8,21: […] ὅτι ἔγκειται ἡ διάνοια τοῦ ἀνθρώπου ἐπιμελῶς ἐπὶ τὰ πονηρὰ ἐκ νεότητος […].

Flutkonzepte in der frühchristlichen Literatur

vergleichbarer Moralpessimismus ist jedoch ebenfalls im zyklischen Flutmodell Senecas erkennbar, der mit dieser These seine Darstellung beendet: sed illis quoque innocentia non durabit, nisi dum novi sunt; cito nequitia subrepit. virtus difficilis inventu est, rectorem ducemque desiderat. at sine magistro vitia discuntur.64 Aber auch jenen wird die Unschuld nicht andauern, außer, solange sie neu sind; schnell schleicht sich Verdorbenheit ein. Tugend ist schwer zu finden, sie braucht einen Lenker und Führer. Aber Fehler werden ohne Lehrmeister gelernt.

Dass in griechischer und jüdischer Tradition divergierende Flutheroen und -narrative überliefert sind, führt Justin auf eine bloße Unterscheidung in der Benennung des Erretteten zurück: Noah und Deukalion sind identisch und werden in verschiedenen Kulturen lediglich anders bezeichnet. Es findet also eine Synthese beider Traditionen statt, wonach es sich grundsätzlich um das gleiche Ereignis handelt.65 Die Problematik, dass es diverse griechische Fluttraditionen mit durchaus anderen Flutheroen gegeben hat, wird damit ausgeblendet. Vielmehr postuliert Justin einen gemeinsamen Vergangenheitshorizont, nach dem den verschiedenen Traditionen ein verbindendes, ursprungsstiftendes Ereignis zugrunde liege. Eine ähnliche Verbindung der Flutheroen proklamiert auch Theophilos von Antiochien (gestorben um 193), wenn in seinem apologetischen Werk Ad Autolycum betont wird, dass die Fluterzählung von einigen als die des Deukalion, von anderen als die des Noah bezeichnet wird.66 Dies führt er jedoch auf etymologische Überlegungen zurück: ὀκτὼ δέ φησιν τὰς πάσας ψυχὰς ἀνθρώπων ἐν τῇ κιβωτῷ διασεσῶσθαι, ἐν τῇ κατασκευασθείσῃ προστάγμασι θεοῦ, οὐχ ὑπὸ Δευκαλίωνος, ἀλλ’ ὑπὸ τοῦ Νῶε Ἑβραϊστί, ὃς διερμηνεύεται τῇ Ἑλλάδι γλώσσῃ ἀνάπαυσις, καθὼς καὶ ἐν ἑτέρῳ λόγῳ ἐδηλώσαμεν ὡς Νῶε, καταγγέλλων τοῖς τότε ἀνθρώποις μέλλειν κατακλυσμὸν ἔσεσθαι, προεφήτευσεν αὐτοῖς λέγων· Δεῦτε, καλεῖ ὑμᾶς ὁ θεὸς εἰς μετάνοιαν· διὸ οἰκείως Δευκαλίων ἐκλήθη.67

Sie sagen aber, dass ganze acht Seelen von allen Menschen in der Arche gerettet worden sind, in der, die auf die Anweisungen Gottes hin gefertigt worden ist, nicht von einem

64 Sen. nat. 3,30,8. 65 Dieser Ansatz einer Gleichsetzung der Flutheroen findet sich bereits in der Schrift De praemiis et poenis Philos von Alexandria: Phil. praem. 4,23: τοῦτον Ἕλληνες μὲν Δευκαλίωνα, Χαλδαῖοι δὲ Νῶε ἐπονομάζουσιν, ἐφ’ οὗ τὸν μέγαν κατακλυσμὸν συνέβη γενέσθαι. 66 Theoph. Autol. 2,30,10: τὰ δὲ περὶ τοῦ Νῶε, ὃς κέκληται ὑπὸ ἐνίων Δευκαλίων […]. 67 Theoph. Autol. 3,19,3f.

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Deukalion, sondern von dem in hebräischer Sprache Noah, der in der griechischer Sprache Wiederherstellung68 bedeutet, wie wir auch in einer anderen Schrift aufgezeigt haben, dass Noah, als er den damaligen Menschen verkündet hat, dass es festgesetzt ist, dass eine Überflutung kommen wird, prophezeit hat, indem er ihnen sagte: Hierher, Gott ruft euch zur Reue: Deshalb wurde er buchstäblich Deukalion genannt.

Das zurückliegende Ereignis der globalen Flut verbindet Theophilos mit einem bestimmten Heroen, der in der hebräischen Sprache als Noah bekannt ist, was »Wiederhersteller« bedeutet. Das etymologisierende Wortspiel aus δεῦτε und καλεῖ das sich zu Δευκαλίων zusammensetzt, um diesen Namen als Alternativbezeichnung für Noah zu erklären, ist meines Wissens einzig bei Theophilos belegt, was jedoch nicht weiter verwundert. Immerhin würde diese Verknüpfung voraussetzen, dass Noah in griechischer Sprache gesprochen hätte, damit eine solche Verbindung überhaupt hätte hergestellt werden können. Dass Theophilos aber die verschiedenen Fluttraditionen nicht einfach gleichsetzt, zeigt sich in den Passagen, in denen er eben diese ausführlicher behandelt. Nachdem er seine Rezipienten zunächst darüber belehrt hat, dass die griechischen Philosophen und Dichter ihre Weisheiten direkt von den Propheten Gottes übernommen hätten,69 stellt er im nächsten Schritt fest, dass die Christen somit als direkte Erben der göttlichen Offenbarung den überlegeneren Wahrheitsanspruch besäßen.70 Vor diesem gedanklichen Hintergrund setzt er sich zuerst mit dem platonischen Konzept einer partiellen Flut auseinander, wobei die für ihn relevanten Konzeptbausteine diejenigen sind, dass es eine räumlich begrenzte Flut ist, der die Menschen entkommen konnten, indem sie sich auf die Berghänge retteten.71 Ein anderes von ihm angeführtes Konzept beinhaltet als wesentliche Merkmale, dass Deukalion und Pyrrha sich in eine Arche72 retten konnten und dass Deukalion nach dem Ende der Flut ein neues Menschengeschlecht schuf, indem er Steine

68 In dieser Bedeutung ist ἀνάπαυσις bei Plat. Tim. 59c belegt. 69 Theoph. Autol. 3,17,1–3. 70 Theoph. Autol. 3,17,4: πόσῳ οὖν μᾶλλον ἡμεῖς τὰ ἀληθῆ εἰσόμεθα οἱ μανθάνοντες ἀπὸ τῶν ἁγίων προφητῶν, τῶν χωρησάντων τὸ ἅγιον πνεῦμα τοῦ θεοῦ. 71 Theoph. Autol. 3,18,1. 72 Auffällig ist die unterschiedliche Terminologie, mit der die Arche bezeichnet wird. Im Zusammenhang mit Deukalion und Pyrrha wird diese λάρναξ genannt, wohingegen die von Noah erbaute κιβωτός heißt, womit der Terminus der Septuaginta gespiegelt wird. Dies kann darauf zurückgeführt werden, dass der Begriff λάρναξ eine zu enge Konnotation mit mythischen Narrativen besessen zu haben scheint. Dazu konstatiert Bremmer (1999) 48: Der Begriff »is the same as that used for chests in which figures of Greek mythology were put out to sea, such as Danae and Perseus or the Lemnian King Thoas.«

Flutkonzepte in der frühchristlichen Literatur

hinter sich warf, weswegen diese als Laoi bezeichnet wurden.73 Dieses Konzept schreibt er keinem bestimmtem Urheber, sondern nicht näher benannten ἕτεροι zu, worunter einerseits verschiedene Autoren, wie etwa Pindar, Ovid oder der Verfasser der Bibliotheke, gefasst sein könnten, andererseits aber auch solche Menschen, die sich generell auf mythische Vergangenheitskonstruktionen berufen. Zuletzt verweist er noch auf die Meinung gewisser ἄλλοι, die eine zweite Flut zu Zeiten eines sogenannten Klymenos74 annahmen.75 Die Vertreter dieser drei Konzepte kennzeichnet Theophilos in der Folge als »erbärmlich« (ἄθλιοι), »frevelhaft« (δυσσεβεῖς) und »verstandlos« (ἀνόητοι),76 da sie ihre Wissenselemente eben nicht aus dem biblischen Flutnarrativ bezogen, das Moses als von Gott autorisierten Verkünder (προφήτης καὶ θεράπων τοῦ θεοῦ Μωσῆς) vorweisen kann, sondern sich auf diametral entgegengesetzte Wissenskomponenten berufen:77 Für sein Konzept ist einerseits zentral, dass es sich um eine globale, nicht wie von Platon angenommene partielle Flut gehandelt hat. Andererseits lehnt er Deukalion und Pyrrha als eigenständige Flutheroen und besonders auch deren Einbindung im Mythos um die Spontangenese der Menschen aus Steinen ab. Zusätzlich betont er, dass innerhalb der christlichen Flutkonzeption keine weiteren Kataklysmen globalen Ausmaßes gedacht werden können, was eben auch die Möglichkeit zukünftiger Sintfluten ausschließt. Theophilos formiert damit in seiner Schrift ein christliches KataklysmosKonzept, das er durch seinen Bezug auf das biblische Flutnarrativ autorisiert und dessen Bausteine er klar ausformuliert. Aus seiner Perspektive kann der Vergleich mit paganen Narrativen dabei nur zu Gunsten des christlichen ausfallen, da erstere ihren Wahrheitsgehalt gerade nicht auf die göttliche Offenbarung zurückführen können. Zusätzliche Elemente, die ebenfalls im biblischen Narrativ angeführt werden, wie etwa die Dauer der Flut und die Namen der erretteten Kinder Noahs, aber auch dass nicht nur Regengüsse, sondern zudem Wasser aus der Erde zur Überflutung geführt haben,78 fügt er am Ende seiner Ausführungen zum Kataklysmos an, um das Konzept mit allen verfügbaren Bestandteilen der durch Moses autorisierten Schilderung anzureichern.

73 Theoph. Autol. 3,18,2. Die ätiologische Verbindung von λᾶας (Stein) und λαός (Volk) ist spätestens seit Pindar in Verbindung mit der deukalionischen Flut belegt. 74 Dieser ist in der erhaltenen Literatur ansonsten nicht im Kontext eines Kataklysmos überliefert; lediglich in Verbindung mit Deukalion, jedoch ohne Anbindung an eine Fluttradition: Paus. 5,8,1. 75 Theoph. Autol. 3,18,3. 76 Theoph. Autol. 3,18,4. 77 Das Folgende referiert die Aussagen in Theoph. Autol. 3,18,5–19,1. 78 Theoph. Autol. 19,5. Dies ist ein Wissenselement, das sich besonders in altorientalischen Beschreibungen der Flut, aber auch in Senecas Naturales quaestiones findet. Vgl. Caduff (1986) 202f.

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In seiner um 176 n. Chr. entstandenen Apologie, der Oratio ad Graecos, verfolgt wiederum Tatian die Absicht, herauszustellen, dass der Vergangenheitshorizont der Christen als direkte Nachfolger des jüdischen Volkes weiter als derjenige der Griechen – und damit vor allem der griechischen Philosophen – zurückreiche. Dafür bedient er sich des sogenannten Altersbeweises, indem er eine chronologische Darstellung sämtlicher bedeutender Personen und Ereignisse der jüdischen und griechischen Vergangenheit erstellt, die natürlich gemäß seiner Rechnung zugunsten des Judentums – und damit des Christentums – ausfallen und der Lehre der Propheten als Verkünder der göttlichen Wahrheit eine überlegene Stellung gegenüber der griechischen Philosophie und Mythologie zugestehen muss. Im Kontext dieser Rechnung werden die ogygische (κατακλυσμὸς ὁ πρῶτος) als erste und die deukalionische (ἡ ἐπὶ Δευκαλίωνος ἐπομβρία) als zweite Flut genannt.79 Da sich Tatian an anderer Stelle jedoch von periodischen Zerstörungen des Makrokosmos distanziert,80 werden diese Ereignisse wohl als große Katastrophen im platonischen Sinne eines Untergangs des Mikrokosmos gedacht. Die Erwähnung der Brandkatastrophe des Phaethon, die zwar als Ekpyrosis bezeichnet wird (ἡ ἐπὶ Φαέθοντος ἐκπύρωσις), aber offensichtlich keine globale Vernichtung der Welt meinen kann, da die Geschlechterfolge ohne Abbruch fortgesetzt wird, unterstreicht m. E. die These, dass es sich auch bei den genannten Flutereignissen um partiell imaginierte Katastrophen handeln muss.81 Gerade daran wird jedoch deutlich, dass die von Tatian benutzten Termini ἐκπύρωσις und κατακλυσμός82 nicht bei jedem christlichen Schriftsteller zwangsläufig mit dem Konzept globaler Zerstörungen verbunden sein müssen, sondern eben kontextabhängig auch für die Imagination partieller Auflösung gebraucht werden können. Weitere Aspekte christlicher Sintflutkonzepte lassen sich in den Werken Tertullians ausmachen, der zwischen dem Ende des zweiten und Anfang des dritten Jahrhunderts zahlreiche lateinische Schriften verfasste. In diesen verhandelt der nordafrikanische Autor vor allem ethische Gebote und Verbote, die seines Erachtens mit dem christlichen Glauben einhergehen sollten. Vor diesem Hintergrund finden sich nur selten Passagen, die explizit den Untergang der Welt thematisieren. So geht er etwa in seiner Schrift über die Taufe, De baptismo, im Kontext der purgativen Wirkung des Taufvorgangs auf eine Verbindung zur biblischen Flut ein:

79 Tat. orat. 39,4: κατὰ μὲν γὰρ Φορωνέα τὸν μετ’ Ἴναχον μνημονεύεται παρ’ Ἀθηναίοις Ὤγυγος, ἐφ’ οὗ κατακλυσμὸς ὁ πρῶτος […] κατὰ δὲ Κρότωπον ἡ ἐπὶ Φαέθοντος ἐκπύρωσις καὶ ἡ ἐπὶ Δευκαλίωνος ἐπομβρία. 80 Tat. orat. 6,1. 81 Nach der gleichen Gliederung zur Systematisierung der griechischen Fluttraditionen verfährt auch Augustinus noch in civ. 18,8f. 82 Bzw. das hier für die deukalionische Flut synonym gebrauchte ἐπομβρία.

Flutkonzepte in der frühchristlichen Literatur

quemadmodum enim post aquas diluvii quibus iniquitas antiqua purgata est, post baptismum ut ita dixerim mundi, pacem caelestis irae praeco columba terris adnuntiavit dimissa ex arca et cum olea reversa – quod signum etiam ad nationes pacis praetenditur – eadem dispositione spiritalis effectus terrae, id est carni nostrae, emergenti de lavacro post vetera delicta columba sancti spiritus advolat pacem dei adferens, emissa de caelis ubi ecclesia est arcae figura.83 Wie nämlich der Erde nach den Wassern der Flut, durch die die alte Ungerechtigkeit gereinigt worden ist, nach – sozusagen – einer Taufe der Welt eine Taube als Bote die Befriedung des göttlichen Zornes angekündigt hat, die aus der Arche ausgesandt worden war und mit einem Ölzweig zurückkehrte, – dieses Zeichen trägt man auch bei den Heiden als das des Friedens vor sich her – so fliegt nach derselben Fügung der zum Geist gewordene (Herold), die Taube des Heiligen Geistes, auf die Erde, das heißt auf unser Fleisch, das nach den alten Sünden aus dem Taufbad emporsteigt, wobei sie den Frieden Gottes bringt, die aus dem Himmel gesandt worden ist, wo sich die Kirche als Abbild der Arche befindet.

Die alttestamentliche Flut erscheint in dieser typologischen Lesart als eine Reinigung der Welt, wodurch sie in direkten Zusammenhang mit der Taufe gebracht wird: Geschieht diese Katharsis in der Vergangenheit durch eine alles umfassende Überschwemmung, wird sie in der aktuellen Zeit durch die Taufe eines jeden Christen vollzogen. So präfiguriere die Flut in ihren einzelnen Bestandteilen die zeitgenössische Praxis der Taufe, was sich darin zeigt, dass die Aspekte »Taube als Zeichen des befriedigten Gotteszornes« und »Taube als Sinnbild für den Heiligen Geist«, »Erde, die (nach der Flut) aus den Wassern aufsteigt« und »menschlicher Körper, der (nach dem Taufbad) aus den Wassern aufsteigt« sowie schließlich »Arche« und »Kirche« gleichgesetzt werden. Im Folgenden verbleibt Tertullian dann auch in der zuvor etablierten Analogiebildung von Welt und Mensch: sed mundus rursus deliquit, quo male comparetur baptismus diluvio. itaque igni destinatur, sicut et homo cum post baptismum delicta restaurat, ut hoc quoque in signum admonitionis nostrae debeat accipi.84 Aber die Welt versündigte sich erneut, weswegen ihre Taufe durch die Flut kaum sichtbar wird. Deshalb ist sie für das Feuer bestimmt, so wie auch der Mensch, wenn er nach der Taufe seine Sünden erneuert, sodass dies auch zum Zeichen unserer Ermahnung aufgefasst werden soll.

83 Tert. bapt. 8,4. 84 Tert. bapt. 8,5.

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Tertullian sieht den zukünftigen Untergang der Welt in Feuer als notwendige Folge aus deren Rückkehr zur Sünde an, weswegen der Mensch, der darum wissen sollte, ermahnt wird, eben dieser Zukunft zu entkommen: Zwar ist die Welt als ganze in ihrer physikalischen Form – wahrscheinlich durch den Rückfall der Menschheit zur moralischen Verkommenheit und Verehrung anderer Götter – zum Untergang verdammt, jedoch kann der einzelne Mensch diesem Schicksal entgehen, indem er in der Sündenfreiheit verweilt, die ihm seine individuelle Taufe gewährt hat. Eine ähnliche typologische Auslegung der alttestamentlichen Fluterzählung findet sich bereits in Justins Dialogus cum Typhone Judaeo: Hier wird die Flut als Vorausdeutung aufgefasst, auch wenn die Aspekte, auf die die Flut hinweist, leicht abgewandelt sind: »According to Justin’s typological interpretation Noah is a symbol for Christ, the wood of the arc is foreshadowing the wood of the cross, and the Flood is a type of baptism,«85 wobei gerade der kathartische Aspekt der Flut nicht ausdrücklich erwähnt wird, sondern stattdessen die Errettung der Gläubigen in den Vordergrund tritt. Dies betont Justin durch die Anführung eines PseudoZitates,86 das angeblich vom Propheten Jesaia stammt, in den alttestamentlichen Schriften jedoch nicht belegt ist und wahrscheinlich eine Paraphrase (Jes. 54,8f.) darstellt: »Ich habe dich in der Flut Noahs errettet.«87 Damit beziehe sich Gott jedoch nicht nur auf das jüdische Volk, sondern auch auf die Christen, die durch die rituelle Nachvollziehung der zentralen Aspekte der Flut ebenfalls vor dem kommenden Gericht Gottes bewahrt blieben.88 Gerade die typologische Auslegung der alttestamentlichen Flut als Taufe, der Arche als Kreuz oder Kirche sowie Noahs als Proto-Christus oder auch als Symbol für alle Christen war in den folgenden Jahrhunderten ein beliebter exegetischer Zugang zu diesem Narrativ.89 In einer weiteren Schrift Tertullians, Ad Scapulam,90 werden schwere Regenfälle als eine Ankündigung für den Zorn Gottes interpretiert, der über die Verfolgung und Benachteiligung der Christen verärgert sei.91 Vor diesem Hintergrund erinnert Tertullian an eine in der Vergangenheit liegende Flutkatastrophe, um aufzuzeigen, dass das menschliche Geschlecht wegen schwerer Sünden gegen Gott schon einmal untergegangen sei.92 Auffällig ist, dass Tertullian die Flut in dieser Passage nicht

85 86 87 88 89 90

Benjamins (1999) 140. Vgl. ebd. Iust. Mart. dial. 138,1: Ἐπὶ τοῦ κατακλυσμοῦ τοῦ Νῶε ἔσωσά σε. Iust. Mart. dial. 138,3. Vgl. dazu Benjamins (1999) 148f. Es handelt sich dabei um eine wenige Kapitel umfassende Bittschrift an den Prokonsul Scapula für die Christen der Provinz Afrika. Vgl. Freund (2015) 149. 91 Tert. Scap. 3,1. 92 Tert. Scap. 3,2: ceterum et imbres anni praeteriti quid commemorauerint genus humanum apparuit, cataclysmum scilicet et retro fuisse propter incredulitates et iniquitates hominum.

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explizit mit dem biblischen Flutnarrativ in Verbindung bringt. Da der intendierte Rezipientenkreis der Schrift aus Nicht-Christen bestanden haben dürfte,93 könnten diese die Zerstörung durch ein Flutereignis mit der deukalionischen Flut assoziiert haben, da auch diese bisweilen mit der moralischen Depravation eines früheren Geschlechtes verknüpft wird.94 Dieses Vorgehen erlaubt es Tertullian, verschiedene Adressaten in seine Argumentation miteinzubeziehen, indem er eine Leerstelle schafft, die mit unterschiedlichen kulturellen Wissensbausteinen gefüllt werden kann: Einerseits können Christen die erwähnte Überschwemmung mit dem biblischen Flutbericht gleichsetzen, andererseits können pagane Rezipienten sie etwa als den Kataklysmos Deukalions identifizieren. Weitere meteorologische Zeichen wie Blitze, Donnerschläge und Finsternisse deutet Tertullian als zusätzliche Anzeichen des göttlichen Zornes.95 Diesen könnten allein die Gebete der Christen abmildern, sodass er sich bislang nur in regional begrenzten Erscheinungen und Katastrophen manifestiere. Schließlich werde er jedoch zum Untergang der gesamten Welt führen und diejenigen treffen, die zuvor nicht fähig waren, die Zeichen richtig zu deuten und ihr Leben dementsprechend zu führen bzw. zu ändern.96 Dass die Gebete der Christen den Untergang der Welt aufschieben und somit einen wesentlichen Beitrag zum Erhalt des römischen Reiches leisten, betont Tertullian noch an weiteren Stellen.97 Damit wird diesen eine Vermittlungsposition zwischen dem erzürnten Gott und den Ungläubigen zugeschrieben, wodurch suggeriert wird, dass die Christen einen unverzichtbaren Beitrag zum Erhalt des römischen Reiches leisteten. Dass Tertullian dieses Argument jedoch ausschließlich mit Blick auf ein nicht-christliches Publikum anführt, zeigt ein Blick in seine Schrift De oratione, die an einen christlichen Rezipientenkreis adressiert ist und in der er diametral entgegengesetzt argumentiert:

93 Vgl. Freund (2015) 150. 94 Siehe dazu Kap. 6.2. 95 Dabei lassen sich klare Rekurse auf Lk. 21 festmachen, da dort ebenfalls eine Verfolgungssituation mit meteorologischen Phänomenen verbunden und dies als Anzeichen der bevorstehenden Endzeit postuliert wird. 96 Tert. Scap. 3,3: omnia haec signa sunt imminentis irae Dei quam necesse est, quoquo modo possumus, ut et nuntiemus et praedicemus, et deprecemur interim localem esse. Uniuersalem enim et supremam suo tempore sentient, qui exempla eius aliter interpretantur. 97 Tert. Scap. 2,6: Christianus nullius est hostis, nedum imperatoris, quem sciens a Deo suo constitui, necesse est ut et ipsum diligat et reuereatur et honoret et saluum uelit, cum toto Romano imperio, quousque saeculum stabit: tamdiu enim stabit. Siehe auch apol. 32,1f. mit der gleichen Argumentation. Die Argumentation richtet sich gegen den Vorwurf, das Christentum schade dem römischen Reich durch die Abkehr vom Staats- und Götterkult, was sich in zahlreichen regionalen Katastrophen und Missständen äußere. Vgl. dazu Freund (2015) 150.

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itaque si ad dei voluntatem et ad nostram suspensionem pertinet regni dominici repraesentatio, quomodo quidam protractum quendam saeculo postulant cum regnum dei, quod ut adveniat oramus, ad consummationem saeculi tendat? optamus maturius regnare, et non diutius seruire. etiam si praefinitum in oratione non esset de postulando regni aduentu, ultro eam uocem protulissemus festinantes ad spei nostrae complexum. clamant ad Dominum inuidia animae martyrum sub altari: quonam usque non ulcisceris, Domine, sanguinem nostrum de incolis terrae? nam utique ultio illorum a saeculi fine dirigitur. immo quam celeriter ueniat, Domine, regnum tuum, uotum Christianorum, confusio nationum, exultatio angelorum, propter quod conflictamur, immo potius propter quod oramus.98 Wenn daher die Verwirklichung des Reiches des Herrn sich auf den Willen Gottes und auf unseren ungewissen Zustand bezieht, wie können manche einen Aufschub für die Welt verlangen, da ja das Reich Gottes, um dessen Ankunft wir bitten, auf die Vollendung der Welt hinarbeitet? Wir wünschen früher zu regieren und nicht länger mehr zu dienen. Auch wenn im Gebet keine Vorschrift vorgezeichnet wäre, um die Ankunft des Reiches zu bitten, so müssten wir aus freien Stücken diesen Wunsch aussprechen, die wir zur Vereinigung mit unserer Hoffnung eilen. Es schreien ja die Seelen der Märtyrer unter dem Altare mit Unwillen zum Herrn: ›Wie lange noch, o Herr, wirst du unser Blut nicht rächen an den Bewohnern der Erde?‹99 Denn die Rache für sie ist vom Ende der Welt abhängig. So schnell wie möglich, o Herr, möge Dein Reich – Verlangen der Christen, Bestürzung der Heiden, Frohlocken der Engel – kommen. Um seinetwillen werden wir angefeindet, oder richtiger, um seinetwillen beten wir.100

In diesem Kontext betont Tertullian also, dass es angebracht sei, um die möglichst schnelle Ankunft des Reiches Gottes und der Vollendung der Welt zu bitten.101 Der Text evoziert ein Bild der gegenwärtigen Unterdrückung, in der den Christen kein anderes Mittel bleibt als das Gebet um eine baldige Umkehr der Verhältnisse. Dass die Märtyrer nun den Weltuntergang erwarten, um die göttliche Gerechtigkeit zu erfahren, und ihre Ungeduld mit einem wörtlichen Zitat aus der Offenbarung des Johannes äußern, bringen die Schilderung auf ihren Höhepunkt. Die Gleichsetzung von »Gegenwart« und »Ungerechtigkeit«, sowie »Zukunft/Weltende« und »Vergeltung« lässt für die Rezipienten keinen anderen Schluss zu, als dass es erstrebenswert sei, für einen baldigen Untergang der Welt zu beten. Dafür nutzt Tertullian das rhetorische Mittel der Prosopopoeia, um eine starke Emotionalisierung und Dra-

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Tert. orat. 5. Apk. 6,10. Adaptierte Übersetzung nach Freund (2015) 152. Vgl. zur Widersprüchlichkeit dieser Positionen auch Schnurr (1985) 36.

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matisierung seiner Darstellung zu erreichen, indem die Märtyrer selbst auftreten und Gott direkt adressieren.102 Anhand dieser divergierenden Positionen zeigt sich, dass Tertullian in verschiedenen Kontexten einerseits gegenüber einem paganen Rezipientenkreis betont, dass die Christen durch ihre Gebete den Weltuntergang aufschieben und ihnen dadurch ein nicht zu unterschätzender, gesellschaftlicher Nutzen zukomme. Andererseits proklamiert er gegenüber einem christlichen Zielpublikum, dass es keinen Grund dafür gebe, für einen weiteren Aufschub des Weltendes zu beten, sondern dessen baldiges Eintreten herbeizusehnen, da die wahre Gerechtigkeit sich erst mit diesem verwirklichen werde.103 Es ist also deutlich, dass er seine Konzeptionen mit Blick auf sein intendiertes Publikum anpasst. Einer Verteidigung der christlichen Glaubensinhalte widmete sich der alexandrinische Theologe Origenes in seiner Schrift Contra Celsum (248 n. Chr.) gegen den Platoniker Kelsos. Dieser hatte in seiner im zweiten Jahrhundert entstandenen Schrift Wahre Lehre systematisch gegen die christliche Religion argumentiert und sie als Depravation des Judentums dargestellt.104 In den für diese Untersuchung relevanten Passagen setzt sich Origenes mit den Vorwürfen des Kelsos auseinander, dass die christlichen Konzepte von Kataklysmos und Ekpyrosis lediglich eine Fehlinterpretation platonischer Lehren seien: ἐπῆλθε δ’ αὐτοῖς καὶ ταῦτα ἐκείνων παρακούσασιν, ὅτι δὴ κατὰ χρόνων μακρῶν κύκλους καὶ ἄστρων ἐπανόδους τε καὶ συνόδους ἐκπυρώσεις καὶ ἐπικλύσεις συμβαίνουσι, καὶ ὅτι μετὰ τὸν τελευταῖον ἐπὶ Δευκαλίωνος κατακλυσμὸν ἡ περίοδος κατὰ τὴν τῶν ὅλων ἀμοιβὴν ἐκπύρωσιν ἀπαιτεῖ· ταῦτ’ αὐτοὺς ἐποίησεν ἐσφαλμένῃ δόξῃ λέγειν ὅτι ὁ θεὸς καταβήσεται δίκην βασανιστοῦ πῦρ φέρων.105

Zu ihnen drang auch jene Lehre, die sie missverstanden haben, dass jeweils nach langen Zeitzyklen sowie bei Wiederkehr und Konjunktion der Gestirne Brände und Überschwemmungen eintreten und dass nach der letzten Überflutung unter Deukalion der Kreislauf gemäß dem Wechsel aller Dinge einen Brand erfordert: Dies hat sie zu der falschen An-

102 Zu diesem rhetorischen Mittel siehe Quint. inst. 9,2,31: quin deducere deos in hoc genere dicendi et inferos excitare concessum est. urbes etiam populique uocem accipiunt. ac sunt quidam qui has demum prosopopoiias dicant in quibus et corpora et uerba fingimus. 103 An anderer Stelle (adv. Herm. 34) argumentiert Tertullian sogar, dass sich der Kosmos ins Nichts auflösen werde, da er auch aus Nichts geschaffen worden sei. Diese nur selten überlieferte Konzeptvariante wird bei Irenäus (ad haer. 1,7,1) den Valentinianer zugeschrieben und findet sich außerdem in gnostischen Traktaten aus Nag Hammadi (UW [II,5] 126-7; Noema [VI,4] 46). 104 Vgl. Lona (2005) 54–57. 105 Orig. c. Cels. 4,11.

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nahme geführt, Gott werde auf die Erde herabsteigen und Feuer zur Bestrafung mit sich bringen.

Für Kelsos geht es bei der »missverstandenen Lehre«, wie an anderer Stelle deutlich wird,106 um die Konzepte von lokal begrenzten Flut- und Brandkatastrophen, die jeweils zu einer Vernichtung vieler Menschen und deren Erinnerungskultur führten, jedoch nicht die gesamte Welt auf einmal heimsuchten. In der darauffolgenden Argumentation bemüht sich Origenes zunächst einmal darum, der vorgeworfenen Fehlinterpretation entgegenzutreten und diese durch den sogenannten Altersbeweis auszuräumen. Dieser beruht auf der anachronistischen Überzeugung, jegliches Wissen paganer Kulturen sei von Moses und den Propheten bezogen und in abgewandelter Weise tradiert worden.107 Zu diesem Zweck rekurriert er auf die genealogischen Darstellungen des Flavius Josephus,108 um die zeitliche Priorität des Moses zu postulieren: καὶ ὁ βουλόμενός γε ἀναγνώτω τὰ Φλαυΐου Ἰωσήπου περὶ τῆς Ἰδουδαίων ἀρχαιότητος δύο βιβλία, ἵνα γνῷ, τίνα τρόπον ἀρχαιότερος ἦν Μωϋσῆς τῶν κατὰ χρόνων μακρὰς περιόδους κατακλυσμοὺς καὶ ἐπυρώσεις φησάντων γίνεσθαι ἐν τῷ κόσμῳ.109

Und wer sich dafür interessiert, der lese die zwei Bücher des Flavius Josephus über das Alter des jüdischen Volkes, um zu erkennen, wie viel älter Moses ist als diejenigen, die sagen, dass nach langen Zeitperioden Überschwemmungen und Brände in der Welt geschehen.

Unter dieser Voraussetzung dreht er die Argumentation um und wirft gerade den Vertretern der zyklisch-regionalen Konzepte vor, dass die von ihnen angeführten Autoritäten diejenigen seien, die die älteren Konzepte von globaler Zerstörung missverstanden und deswegen fälschlich interpretiert hätten.110

106 Orig. c. Cels. 1,20. Dort wird unter anderem auch der direkte Bezug zu Platon hergestellt. Dass dieser sich mit seiner im Timaios ausformulierten Theorie auf die Weisheit der Ägypter beruft, kann für Origenes nicht dieselbe Autoritätsstufe wie die Lehre des Mose erreichen, den er als älter ansetzt. 107 Vgl. Gnilka (2 2012) 25. 108 Ios. c. Ap. 1,69-72. 109 Orig. c. Cels. 4,11. 110 Orig. c. Cels. 4,12. Dies wird besonders am Beispiel der Ekpyrosis verdeutlicht: ἀρκεῖ γὰρ μόνον ἐπισημειώ-σασθαι ὅτι ἀρχαιότατοι ἄνδρες γενόμενοι Μωϋσῆς καί τινες τῶν προφητῶν οὐ παρ’ ἑτέρων εἰλήφασι τὰ περὶ τῆς τοῦ κόσμου ἐκπυρώσεως ἀλλ’ εἰ χρὴ ἐπιστήσαντα τοῖς χρόνοις εἰπεῖν

[…].

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Ein wesentlicher Wissensbaustein, der hier mit den Konzepten von regionaler Zerstörung verbunden ist, wird von Origenes zudem verworfen, nämlich die Ursache für solche Zerstörungen: Im Gegensatz zu Kelsos, der den Eintritt von Kataklysmos und Ekpyrosis von der Stellung der Gestirne abhängig macht, diesen also eine Naturgesetzlichkeit zuordnet, betont jener, dass allein die moralische Depravation des menschlichen Geschlechtes dafür verantwortlich sei, dass solche Katastrophen von Gott zur Reinigung der Welt und der in ihr lebenden Menschen eingesetzt werden.111 Dabei umgeht er ausdrücklich die Fragestellung, ob solche Katastrophen in globalem Ausmaß tatsächlich periodisch auftreten und lagert diese Fragestellung aus seiner Argumentation aus, anstatt sie explizit zu verwerfen.112 Unter anderem dieser Frage widmet sich hingegen der nordafrikanische Schriftsteller Laktanz in seinen Institutiones divinae. Denn er vertritt die Theorie, dass die gesamte Menschheit auf zufällige Weise (aliquo casu) zerstört werden könnte, sofern eine Katastrophe eintrete, von denen alle Menschen zugleich betroffen sind.113 Darunter versteht er die Unfruchtbarkeit der Erde (sterilitas terrarum), eine Seuche (pestilentia ubique diffusa) sowie einen Brand (incendium in orbem immissum) oder eine Flut (diluvium aquarum), die jeweils von globalem Ausmaß sind. Um zu bekräftigen, dass Weltenbrand und Sintflut besonders wahrscheinliche Szenarien sind, da sie schon einmal eingetreten sein sollen, erinnert er an die Überlieferungen von Phaethon und Deukalion.114 Da diese als prominente Figuren im griechischen und römischen Vergangenheitsdiskurs verankert sind, sollte das (pagane) Zielpublikum akzeptieren, dass solche globalen Katastrophen prinzipiell möglich sind, da sie bereits zuvor eintraten. Dieses Argumentationsmuster erinnert an das fünfte Buch von De rerum natura, in dem Lukrez einen potenziellen Weltenbrand bzw. eine Sintflut begründet, indem er ebenfalls auf im kulturellen Gedächtnis tradierte Mythen verweist. Diese globalen Katastrophen könnten dann eintreten, wenn zufällig entweder übermäßig viele Feuer- oder Wasserkonglomerate in der Welt entstehen, was ebenfalls mit den (dort als Dichtergeschichten charakterisierten) Erzählungen von Phaethon und (wenn auch nicht namentlich genannt) Deukalion in Verbindung gebracht wird.115 Gerade dass solche Katastrophen nach dem Zufallsprinzip, das zentral für die epikureische Lehre ist, eintreten und einen Auflösungsprozess

111 Orig. c. Cels. 4,12. 112 Orig. c. Cels. 4,12: πότερον μὲν οὖν εἰσι περίοδοι καὶ κατὰ περιόδους κατακλυσμοὶ ἢ ἐκπυρώσεις, ἢ μὴ εἰσί, […] οὐ τοῦ παρόντος ἐστὶ καιροῦ λέγειν. 113 Lact. inst. 2,10,23. 114 Lact. inst. 2,10,23: nam sicut universi per singulos interimus, fieri potest ut aliquo casu omnes simul, […] vel incendio in orbem immisso, quale iam fuisse sub Phaethone dicitur, vel diluvio aquarum, quale sub Deucalione traditur, cum praeter unum hominem genus omne deletum est. 115 Lucr. 5,380–415.

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der Welt einleiten können, wird in De rerum natura ausdrücklich vertreten.116 Auffallend ist zudem, dass Laktanz mit der Unfruchtbarkeit der Erde und dem Ausbruch einer Pest zwei weitere Modi der Zerstörung aufruft, die ebenfalls in De rerum natura verhandelt werden.117 Allerdings ist die lukrezische Seuche nicht als eine globale, sondern als eine regional begrenzte Katastrophe zu verstehen. Indem Laktanz die Pest jedoch in seine knappe Aufzählung von möglichen Untergangsmodi einreiht, schafft er eine Reminiszenz an prominente Seuchennarrative.118 Die drastischen Szenen solcher Beschreibungen, die jeweils nur einen begrenzten Raum betreffen, dürften den literarisch gebildeten Rezipienten geläufig sein.119 Durch die Ent-Grenzung der Katastrophe können solche Schreckensbilder wiederum auf ein globales Level übertragen werden. Besonderes Gewicht legt Laktanz darauf, dass Deukalion der einzige Überlebende der Flut gewesen sei, während Pyrrha als weitere Figur des Mythos nicht erwähnt wird. Dadurch soll wohl die drastische Vorstellung erzeugt werden, dass die gewaltige Katastrophe die gesamte Menschheit bis auf einen einzigen ausgerottet hatte. Denn auf diesen Aspekt rekurriert Laktanz explizit, um zu betonen, dass die göttliche Vorhersehung (divina providentia) ein ›Gegengewicht‹ zum zufälligen Eintritt solcher Katastrophen darstelle: si autem divinae providentiae nutu, quod negari non potest, ad reparandos homines reservatus est, apparet in dei potestate esse vel vitam vel interitum generis humani.120 Wenn er [scil. Deukalion] aber durch den Willen der göttlichen Vorhersehung errettet worden ist, um die Menschheit zu erneuern, was nicht geleugnet werden kann, (dann) ist es offensichtlich, dass sowohl das Bestehen als auch der Untergang des menschlichen Geschlechtes in der Macht Gottes liegen.

So können menschheitsgefährdende Katastrophen nach Laktanz zwar zufällig eintreten, jedoch liegt es letztlich in der Verfügungsmacht Gottes, darüber zu entscheiden, ob die Menschheit vollständig vernichtet wird oder ob es eine Ausnahme der Zerstörung gibt, von der wiederum eine ›Repopulation‹ der Welt ausgehen kann. Auffällig ist ebenfalls, dass Laktanz an dieser Stelle nicht auf Noah und dessen Familie als Flutheroen zurückgreift und stattdessen den Protagonisten eines paganen Flutnarratives in seine Argumentation einfügt. Dies könnte zwei Gründe

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So etwa Lucr. 5,409: inde cadunt vires aliqua ratione revictae. Zur Unfruchtbarkeit der Erde: Lucr. 2,1105–1174. Zur Pestbeschreibung: Lucr. 6,1138–1286. Siehe zu diesen etwa Bergdolt (2 2011) 20–26. Vgl. Paulsen/Schulze (2005). Lact. inst. 2,10,24.

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haben: Zum einen ist eine Theorie zukünftiger globaler Überflutungskatastrophen nur schwer mit dem zentralen göttlichen Zugeständnis im biblischen Narrativ zu vereinbaren, dass es keine zweite Sintflut mehr geben wird. Zum anderen ist es gerade nicht die Intention des Werkes, die christliche Lehre aus den biblischen Schriften heraus zu autorisieren, sondern pagane Wissensbestände neben die christlichen zu stellen, um schließlich die ›Überlegenheit‹ letzterer nachzuweisen.121 Indem Laktanz auf die Mythen um Deukalion und Phaethon verweist, um seine Argumentation mit Elementen des Vergangenheitsdiskurses anzureichern, stellt er sich in eine Reihe paganer griechischer und römischer Autoritäten,122 die in ihren Werken ähnlich verfahren, um Konzepte zerstörerischer Katastrophen dem intendierten Rezipientenkreis vor Augen zu führen. Dabei ›übertrifft‹ er diese sogar, indem er die göttliche Vorhersehung als präventiven Agenten in das Konzept einfügt. Neben Lukrez, der in den Institutiones divinae »des öfteren geradezu mit Epikur identifiziert (wird),«123 ist dabei auch Platon zu nennen, der in seinem Timaios ebenfalls anhand der Mythen von Deukalion und Phaethon eine Argumentation um das Thema erinnerungszerstörender Flut- und Brandereignisse aufbaut.124 Für eine solche aemulatio besonders mit dem Epikureer Lukrez spricht, dass Laktanz direkt nach den Ausführungen über die göttliche Vorhersehung betont, dass von den drei Philosophen Aristoteles, Platon und Epikur der letztere noch den größten Anteil an der Wahrheit besäße, da er als einziger ein Ende der Welt proklamiere, auch wenn jener kein besonderes Ansehen (ingratis) bei den Christen besäße.125 Somit greift Laktanz für seine Konzeptionen potentieller Vernichtungsszenarien der Menschheit auf Wissensbausteine zurück, die unter anderen auch bei Lukrez auftreten – die vier Modi der Zerstörung, das zufällige Eintreten dieser, deren potenziell prospektive Imagination, die Erklärung durch im kulturellen Gedächtnis verankerte Beispiele solcher Katastrophen –, und ordnet diesen als christliches Korrektiv die göttliche Vorhersehung zu, um sie im Rahmen einer christlichen Katastrophentheorie nutzbar zu machen.126

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Vgl. Freund (2009) 34f. Grundlegend zum seinem Umgang mit paganen auctores Walter (2006) 47–57. Althoff (1999) 46. Siehe dazu Kap. 4.2. Lact. inst. 2,10,25. Dem finalen Weltende geht im siebten Buch der Divinae institutiones eine breit ausgestaltete Endzeitbeschreibung voraus, wobei der eigentliche Untergang nur mit knappen Worten konstatiert wird; Lact. inst. 7,26,5: cum uero completi fuerint mille anni, renouabitur mundus a deo et caelum complicabitur et terra mutabitur. Fàbrega (2012) 746f. bemerkt dazu, dass es sich beim ›Zusammenrollen des Himmels‹ ursprünglich um eine »Schreckensvision« handelt, die aus Jes. 34,4 und Apk. 6,14 bekannt ist. Dazu vermutet Freund (2009) 585, dass Laktanz »die Verwandlung des Himmels mit einem apokalyptischen Bild ausdrücken [will] und [dessen eigentliche] Wertigkeit [missachtet].«

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In einem nächsten Schritt sollen die Konzepte eines Weltenbrandes in den Blick genommen werden. Dabei stellt sich die Frage, inwieweit und besonders in welchen Punkten sich die christlichen Autoren von den paganen Autoritäten abgrenzen, aber auch welche paganen Wissensbausteine sie akzeptieren und rezipieren, um christliche Weltenbrand-Konzepte zu formieren. Zu untersuchen ist außerdem, ob sich die Argumentationslinien beim Umgang mit den paganen Konzepten ähneln und in welchen Punkten sie sich überschneiden.

7.4 Weltenbrandkonzepte in der frühchristlichen Literatur Den ersten eindeutigen Beleg für ein christliches Weltuntergangskonzept in Feuer bietet der bereits behandelte Zweite Petrusbrief. Wie sich jedoch mit Blick auf die Sibyllinischen Orakel gezeigt hat, finden sich vereinzelt ähnliche Konzeptionen in Schriften des hellenistischen Judentums, wenn auch eine breitere Repräsentation dieser Vorstellung erst für das erste nachchristliche Jahrhundert konstatiert werden kann.127 Gerade in früheren jüdisch-apokalyptischen Schriften ist nicht immer offensichtlich, ob die mehrfach bezeugte Verbindung von Gerichts- und Feuerbeschreibungen tatsächlich auf einen Untergang der Welt hindeutet oder lediglich die Drastik der Gerichtssituation am Tag des Herrn hyperbolisch veranschaulichen soll.128 In dieser Tradition steht ebenfalls eine Formulierung des Zweiten Clemensbriefes, eine Homilie, die um 150 n. Chr. in einer hellenistischen Gemeinde gehalten wurde. Dort wird der »Tag des Gerichtes« (ἡμέρα τῆς κρίσεως) mit einem brennenden Ofen verglichen, wobei dieses Bild bereits alttestamentlich bezeugt ist.129 Zusätzlich wird die Analogie angeführt, dass die Erde und die Himmel schmelzen werden wie Blei über dem Feuer.130 Im Verlauf dieses Schmelzvorganges werden die Taten der Menschen vor Gott offen gelegt.131 Insofern steht auch hier wieder der Aspekt des Gerichtes im Vordergrund und nicht die Vorstellung einer kosmischen Feuerkatastrophe, die zur Zerstörung der Welt führt. Neben der bereits angeführten Verbindung des alttestamentlichen Flutnarratives mit dem Weltenbrand hat Justin der Märtyrer auch ein explizit christliches Konzept des Weltenbrandes in Auseinandersetzung mit paganen Konzepten formuliert. Zunächst konstatiert er für seinen nicht-christlichen Adressatenkreis, dass bereits

127 Siehe dazu Kap. 7.1. 128 Vgl. dazu van der Horst (1994) 234–243. 129 2 Clem. 16,3: γινώσκετε δέ, ὅτι ἔρχεται ἤδη ἡ ἡμέρα τὴς κρίσεως ὡς κλίβανος καιόμενος […] stellt einen intertextuellen Verweis auf Mal. 3,19 dar: διότι ἰδοὺ ἡμέρα κυρίου ἔρχεται καιομένη ὡς κλίβανος. 130 2 Clem. 16,3. 131 2 Clem. 16,3: […] καὶ τότε φανήσεται τὰ κρύφια καὶ φανερὰ ἔργα τῶν ἀνθρώπων.

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die Sibylle und Hystaspes als pagane Autoritäten vorhergesagt hätten, dass alles Vergängliche durch Feuer zerstört werden wird.132 Deren Bekanntheit und Geltung setzt er wohl voraus, da er nicht weiter auf sie eingeht. Zudem führt er das stoische Konzept des Weltenbrandes an, bei dem er jedoch bestimmte Elemente explizit ablehnt. So wird etwa das stoische Gottesbild verneint, das die Gottheit als Teil der Natur postuliert, welche regelmäßig durch die Ekpyrosis in den Zustand reinen Feuers zurückkehrt. Da für Justin eine solche Gleichsetzung von Gott und Natur bedeutet, dass Gott während des Weltenbrandes zerstört würde, muss er diese Vorstellung verwerfen.133 Für den christlichen Apologeten steht Gott als Schöpfer außerhalb der Welt, ist über diese erhaben und deshalb auch unvergänglich.134 Trotz dieses faktischen Unterschiedes benutzt Justin für das christliche Konzept jedoch in ausdrücklicher Übereinstimmung mit der Stoa den Terminus ἐκπύρωσις.135 Damit gibt er den Rezipienten zu verstehen, dass er das ›Grundgerüst‹ des Konzeptes – jedoch in christlicher Abwandlung – annimmt. Es zeichnet sich bei diesem Verfahren, das auf die Betonung von Gemeinsamkeiten der christlichen Lehre mit der paganen Philosophie abzielt, der von C. Gnilka als »missionarische Zweck« bezeichnete Aspekt der Chrêsis ab.136 An späterer Stelle wird das Weltenbrandkonzept noch einmal für den Altersbeweis der christlichen Lehre funktionalisiert: καὶ ὡς ἐκπύρωσιν γενήσεσθαι διὰ Μωϋσέως προεμήνυσε τὸ προφητικὸν πνεῦμα ἀκούσατε. ἔφη δὲ οὕτως· καταβήσεται ἀείζωον πῦρ καὶ καταφάγεται μέχρι τῆς ἀβύσσου κἀτω. οὐ τὰ αὐτὰ οὖν ἡμεῖς ἄλλοις δοξάζομεν, ἀλλ’ οἱ πάντες τὰ ἡμέτερα μιμούμενοι λέγουσι.137

132 Iust. Mart. Apol. 1,20,1. In den Sibyllinischen Orakeln sind zahlreiche Episoden überliefert, die einen Untergang der Welt in Feuer beschreiben, wobei diese Orakelsprüche in ihrer erhaltenen Form jüdisch-christlich überformt sind. Vom Werk des Hystaspes ist wenig bekannt, vgl. Freund (2009) 53–55. In annähernd gleicher Weise autorisiert auch Theophilos (Autol. 2,38) das Konzept des Weltenbrandes, indem zunächst zwei dekontextualisierte alttestamentliche Zitate, Mal. 4,1 und Jes. 30,30, angeführt werden, mit denen auch die Sibylle übereinstimme. 133 Iust. Mart. apol. 1,20,2: οἱ λεγόμενοι δὲ Στωϊκοὶ φιλόσοφοι καὶ αὐτὸν τὸν θεὸν εἰς πῦρ ἀναλύεσθαι δογματίζουσι καὶ αὖ πάλιν κατὰ μεταβολὴν τὸν κόσμον γενέσθαι λέγουσιν […]. Dasselbe Argument führt auch Origenes (c. Cels. 4,14) an: ἀλλὰ καὶ ὁ τῶν Στωϊκῶν θεὸς, ἅτε σῶμα τυγχάνων, ὁτὲ ἡγεμονικὸν ἔχει τὴν ὅλην οὐσίαν, ὅταν ἡ ἐκπύρωσις ᾖ· ὁτὲ δὲ ἐπὶ μέρους γίνεται αὐτῆς, ὅταν ᾖ διακόσμησις. οὐδὲ γὰρ δεδύνηνται οὗτοι τρανῶσαι τὴν φυσικὴν τοῦ θεοῦ ἔννοιαν ὡς πάντῃ ἀφθάρτου καὶ ἁπλοῦ καὶ ἀσυνθέτου καὶ ἀδιαιρέτου. 134 Iust. Mart. apol. 1,20,2: […] ἡμεῖς δὲ κρεῖττόν τι τῶν μεταβαλλομένων νοοῦμεν τὸν πάντων ποιητὴν θεόν. 135 Iust. Mart. apol. 1,20,4. 136 Gnilka (2 2012) 26. 137 Iust. Mart. apol. 1,60,8–10.

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Höret auch, wie der prophetische Geist durch Moses angekündigt hat, dass ein Weltenbrand geschehen wird. Er sprach so: Hinabsteigen wird ewiglebendes Feuer und wird sich bis zum Abgrund hinab fressen. Wir lehren also nicht dieselben Dinge wie alle anderen, sondern alle anderen sprechen, indem sie das Unsere nachahmen.

Dabei wird Moses als prophetisches Medium angeführt, das bereits einen Weltenbrand (ἐκπύρωσις) vorhergesagt habe, was anhand eines Teilzitat aus Deuteronomium belegt werden soll.138 Dessen Originalkontext weist jedoch keinen Zusammenhang mit einem Untergang der Welt in Feuer auf, sondern bildet vielmehr eine konzeptuelle Metapher für den Zorn Gottes auf das Volk der Israeliten. Dadurch, dass die Bezeichnung ›ewiglebendes Feuer‹ verwendet wird, kann das dekontextualisierte Schriftzitat jedoch als autoritätsstiftendes Element im neuen Argumentationszusammenhang eingesetzt werden, um die Gültigkeit des Altersbeweises zu suggerieren. Die Nutzung des Begriffs ›Ekpyrosis‹ wird also einerseits mit stoischen Konzepten in Verbindung gebracht und übernommen, wobei ein christliches Gottesbild anstelle des stoischen eingefügt wird. Andererseits wird für dieses christlich abgewandelte Konzept eine zeitliche Priorität postuliert, wodurch es als Vorlage für die stoischen Konzepte inszeniert wird. Hippolyt von Rom geht in seiner Anfang des zweiten Jahrhunderts entstandenen Schrift De Christo et Antichristo ebenfalls so vor, dass er das Konzept eines Weltenbrandes autorisiert, der am Ende der Zeiten alle Ungläubigen richten wird,139 indem er biblische Zitate anführt, die auf dieses Untergangsszenario verweisen sollen.140 Eine auffällige Umdeutung nimmt er bei einem Zitat aus den Psalmen vor: καὶ Δαβὶδ προμηνύων τὴν κρίσιν καὶ τὴν ἐπιφάνειαν τοῦ κυρίου φησίν· ›ἀπὸ ἄκρου τοῦ οὐρανοῦ ἡ ἔξοδος αὐτοῦ καὶ τὸ κατάντημα αὐτοῦ ἕως ἄκρου τοῦ οὐρανοῦ καὶ οὐκ ἔστιν ὃς ἀποκρυβήσεται τὴν θέρμην αὐτοῦ.‹ θέρμην δὲ λέγει τὴν ἐκπύρωσιν.141

Auch David sagt, indem er das Gericht und das Erscheinen des Herren verkündigt: Von einem Himmelsende geht es aus und läuft hin bis zu seinem andern Ende und es gibt keinen, der sich vor seiner Glut verbergen wird. Glut nennt er den Weltenbrand.

138 LXX Dtn. 32,22. 139 Hippol. Chr. 64: τί περιλείπεται ἀλλ’ ἢ ἡ ἐπιφάνεια τοῦ κυρίου ἡμῶν καὶ σωτῆρος Ἰησοῦ Χριστοῦ τοῦ υἱοῦ τοῦ θεοῦ ἀπ’ οὐρανῶν, εἰς ὃν ἠλπίκαμεν; ὃς ἐπάξει τὴν ἐκπύρωσιν καὶ τὴν δικαιοκρισίαν πᾶσι τοῖς ἀπειθήσασιν αὐτῷ. 140 Hippolyt zitiert dafür Lk. 21, 28. 18, Matth. 24, 27. 28, LXX Ps. 18, 7, LXX Jes. 26, 20 und Röm. 1, 18. 141 Hippol. Chr. 64. Das Zitat stammt aus LXX Ps. 18,7.

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Im Originalkontext des Psalms wird damit die Wärme der Sonne genauer beschrieben. Hippolyt wiederum deutet die Stelle allegorisch aus und identifiziert die Sonne dabei als das göttliche Gericht bzw. das Erscheinen des Herrn. Dies veranlasst ihn zu der Erklärung, dass die Glut, die mit Christus einhergehe, für den Untergang der Welt in Feuer zu lesen sei. An diesem Beispiel zeigt sich deutlich die argumentative Strategie Hippolyts, biblische Verse zu einem innovativen Arrangement mit neuer Bedeutung zusammenzufügen, um deren autoritätsstiftende Qualität für eine Argumentation nutzbar zu machen und darauf aufbauend das Konzept einer prospektiven Ekpyrosis zu autorisieren. Im Kontext der Auferstehungslehre setzt sich Tatian in der Oratio ad Graecos knapp mit dem stoischen Konzept der Ekpyrosis auseinander. Der zentrale Baustein, den er am stoischen Weltenbrand ablehnt, ist die Periodizität dieses Ereignisses, weil dadurch – vor dem christlichen Horizont – eine endlose Reihe an Wiederauferstehungen der Toten vorausgesetzt und immer wieder die gleichen Ereignisse und Menschen auftreten würden.142 Nach Tatian kann jedoch nur eine einzige Auferstehung der Menschen gedacht werden, die an den konkreten Anlass des göttlichen Gerichtes gebunden ist: Alle Menschen sollen am Ende der Zeiten auferweckt werden, damit Gott sie für ihre Taten richten kann.143 Was also explizit verworfen wird, ist der zyklische Aspekt, der wiederum durch eine teleologische Zeitvorstellung ersetzt wird.144 Beachtenswert an der Terminologie Tatians ist, dass er im Gegensatz zu anderen christlichen Schriftstellern nicht den Terminus ἐκπύρωσις verwendet, wenn er vom Untergang der Welt spricht, sondern die Formulierung συντέλεια τῶν ὅλων benutzt. Dadurch lehnt er den stoischen Terminus ab und verwendet stattdessen neutestamentlich belegtes Vokabular, das die genauen Modi des Weltendes offen lässt. Denn συντέλεια τῶν ὅλων bildet einen intertextuellen Verweis auf eine Passage des paulinischen Hebräerbriefs, in deren Kontext ebenfalls das nahende Gericht am Weltende prophezeit wird, ohne jedoch darüber hinausgehende Informationen bereitzustellen, wann oder wie dieses eintreten wird.145 In seinem Werk Adversus haereses, das etwa 180 n. Chr. entstanden ist, greift Irenäus von Lyon gnostische Gruppierungen an, indem er ihre Lehren durch Schrift-

142 Tat. orat. 3,4. 143 Tat. orat. 6,1: Καὶ διὰ τοῦτο καὶ σωμάτων ἀνάστασιν ἔσεσθαι πεπιστεύκαμεν μετὰ τὴν τῶν ὅλων συντέλειαν, οὐχ ὡς οἱ Στωϊκοὶ δογματίζουσι κατά τινας κύκλων περιόδους γινομένων ἀεὶ καὶ ἀπογινομένων τῶν αὐτῶν οὐκ ἐπί τι χρήσιμον, ἅπαξ δὲ τῶν καθ’ ἡμᾶς αἰώνων πεπερασμένων καὶ εἰς τὸ παντελὲς διὰ μόνων τῶν ἀνθρώπων τὴν σύστασιν ἔσεσθαι χάριν κρίσεως. 144 Vgl. Freund (2015) 142f. 145 Hebr. 9,26: νυνὶ δὲ ἅπαξ ἐπὶ συντελείᾳ τῶν αἰώνων εἰς ἀθέτησιν τῆς ἁμαρτίας διὰ τῆς θυσίας αὐτοῦ πεφανέρωται. Vgl. Daley (1986) 101 Anm. 2, wo ausgeführt wird, dass συντέλεια oft auch in gnostischen Schriften als Terminus für den Untergang der Welt verwendet wird.

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zitate und deren Exegese zu widerlegen sucht.146 Hierbei ist besonders eine Passage interessant, die auf die Gestalt des Messias eingeht, der am Ende der Zeiten wiederkehren soll. Dafür verweist Irenäus auf eine Stelle der Offenbarung des Johannes, in der in Form eines Visionsberichtes beschrieben wird, welche Attribute der kommende Weltenrichter trägt.147 Unter anderem zeichnet sich dieser durch lodernde Augen (oculi eius ut flamma ignis) und ehern wirkende Füße aus (pedes eius similes chalcolibano), was Irenäus folgendermaßen interpretiert: in his enim […] significat […] aliquid vero ad finem, quemadmodum chalcolibanum in camino succensum, quod est fortitudo fidei et perseverabile orationum propter adveniens in fine temporum successionis incendium.148 In diesen [scil. Einzelheiten] […] weist […] eine aber auf das Ende hin, wie das Messing, das in der Esse brennt, das für die Unerschrockenheit des Glaubens steht und die Beständigkeit der Gebete, wegen des Brandes, der kommt am Ende der Abfolge der Zeiten.

In das Muster einer solchen Auslegung, die das Konzept eines Weltenbrandes in die Bildersprache der Offenbarung des Johannes einfügt, reiht sich auch Victorinus von Pettau am Ende des dritten Jahrhunderts ein, mit dem die lateinische Kommentartradition der neutestamentlichen Schrift einsetzt. Dieser reichert die Bildersprache der Offenbarungsschrift mit den Konzepten der Sintflut und des Weltenbrandes an. Die Erzählinstanz der Offenbarung berichtet beim Anblick des Himmelsthrones, dass sie eine Gestalt gesehen habe, die wie die Steine Jaspis und Sarder anzusehen war.149 Dies legt Victorinus wie folgt aus: significanter ›solium positum‹, quod est sedes iudicii et regis; super quem solium vidisse se ait ›similitudinem iaspidis et sardi‹, quia iaspis aquae color est et sardius ignis, haec duo testamenta posita esse usque ad consummationem orbis super tribunal Dei exinde manifestabatur; quorum iudiciorum duum unum iam consummatum est in cataclismo per aquam, aliud autem per ignem consummabitur.150 Es ist bezeichnend, dass ›ein Thron befestigt worden‹ ist, weil er der Sitz der Gerichtbarkeit und des Königs ist; er sagt, dass er über diesem Thron ›etwas Ähnliches wie Jaspis und

146 Vgl. Daley (1986) 107. 147 Apk. 1,12–16. 148 Iren. adv. haer. 4,20,11. Das griechische Original des Textes ist nur noch fragmentarisch erhalten, weswegen die lateinische Übersetzung herangezogen wird, die wohl kurz nach der griechischen Veröffentlichung entstanden ist. Vgl. zur Übersetzung Jordan (1908) 183–187. 149 Apk. 4,3. 150 Vict. Apocal. 4,2.

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Sarder‹ gesehen hat; weil Jaspis die Farbe von Wasser besitzt und Sarder die von Feuer, zeigte sich daher deutlich, dass die beiden Zeugnisse über dem Richterstuhl Gottes bis zur Vollendung der Welt befestigt worden sind; eines dieser beiden Urteile ist bereits vollzogen worden im Kataklysmus durch Wasser, das andere aber wird durch Feuer vollzogen werden.

Auf die Konzepte von Sintflut und Weltenbrand wird in der Schrift des Johannes zwar nicht explizit rekurriert. Dafür werden sie jedoch offensichtlich in der späteren Kommentartradition eingefügt. Sie funktionieren dabei als Wissenssupplemente, die Leerstellen der Offenbarung ausfüllen und den Rezipienten damit ein Interpretationsangebot machen, das diese annehmen oder ablehnen können, je nachdem, ob die präsentierte Deutung mit ihren Konzepten des Weltuntergangs korreliert. In einem anonym überlieferten Fragment eines Matthäus-Kommentars, der vermutlich aus dem späten dritten Jahrhundert stammt und ebenfalls Victorinus von Pettau zugeschrieben wird,151 sind die Auslegungen zu Kapitel 24 des Evangeliums erhalten, bei denen in ähnlicher Weise das Konzept eines Weltenbrandes eingefügt wird. Demnach werden am Ende der tausendjährigen Gottesherrschaft der Teufel (diabolus) gemeinsam mit seinen Anhängern Gog und Magot152 aus ihrem Kerker befreit und von Christus besiegt werden, wobei »sie und die materielle Welt […] durch Feuer zerstört werden.«153 Auch hier wird im originalen Kontext des Evangeliums nicht ausdrücklich von einer Zerstörung der Welt durch Feuer gesprochen, auch wenn das primäre Thema eindeutig die Erwartung des nahen Weltunterganges ist. Der Kommentator reichert diese Stelle jedoch mit dem Zusatz an, dass das himmlische Feuer die Zerstörung der Welt herbeiführen werde. Von vergleichsweise großem Umfang ist die Beschreibung des Weltenbrandes am Ende von Tertullians Schrift De spectaculis. Nachdem Tertullian sich dort anhand einiger Beispiele negativ über die öffentlichen Spiele geäußert hat, die nicht mit der Ethik der christlichen Religion zu vereinbaren seien, stellt er seinen Rezipienten, bei denen es sich eindeutig um Christen handeln muss,154 »das alles überragende

151 Vgl. zur zeitlichen Einordnung Turner (1904) 218–227, der in seinem Beitrag ebenfalls die Edition des Fragmentes bereitstellt. 152 In der Offenbarung des Johannes (20,8) wird der Anhänger als Magog bezeichnet, im Fragment jedoch als Magot. 153 Daley (1986) 139, wobei der lateinische Text m. E. nicht vollkommen eindeutig auf eine Zerstörung der materiellen Welt verweist; Turner (1904) 236: remisso diabulo de carcere in quo mille annos fuerat clusus, et cum suis satellibus Gog et Magot, id est demonibus, adversus castra sanctorum se conmovente, igni caelesti consumpto cum eis […]. 154 Vgl. Thiede (1986) 91f. Wie sich auch schon im Kontext der Bitten um Aufschub oder Eintreten des Weltendes bei Tertullian gezeigt hat, treten explizit positiv konnotierte Beschreibungen des Weltenbrandes bei diesem nur im innerchristlichen Kontext auf.

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spectaculum vor Augen, […] das ihnen einen mehr als befriedigenden Ersatz für die Zirkusspiele bieten soll«155 : quale autem spectaculum in proximo est adventus domini iam indubitati, iam superbi, iam triumphantis! quae illa exultatio angelorum, quae gloria resurgentium sanctorum! quale regnum exinde iustorum! qualis civitas nova Hierusalem! at enim supersunt alia spectacula, ille ultimus et perpetuus iudicii dies, ille nationibus insperatus, ille derisus, cum tanta saeculi vetustas et tot eius nativitates uno igni haurientur. quae tunc spectaculi latitudo! quid admirer? quid rideam? ubi gaudeam, ubi exultem, tot ac tantos spectans reges, qui in caelum recepti nuntiabantur, cum Iove ipso et ipsis suis testibus in imis tenebris congemescentes? item praesides persecutores dominici nominis saevioribus quam ipsi flammis saevierunt insultantes contra Christianos liquescentes? quos praeterea? sapientes illos philosophos coram discipulis suis una conflagrantibus erubescentes, quibus nihil ad deum pertinere suadebant, quibus animas aut nullas aut non in pristina corpora redituras adfirmabant? etiam poetas non ad Rhadamanthi nec ad Minonis, sed ad inopinati Christi tribunal palpitantes? tunc magis tragoedi audiendi, magis scilicet vocales in sua propria calamitate; tunc histriones cognoscendi, solutiores multo per ignem; tunc spectandus auriga in flammea rota totus ruber; tunc xystici contemplandi, non in gymnasiis, sed in igne iaculati […].156 Welches Schauspiel aber ist für uns in Bälde die Ankunft des Herrn, der nun nicht mehr angezweifelt wird, der nun erhaben ist, der nun triumphiert! Welch ein Jubel der Engel, welch Ruhm für die Heiligen, die wiederauferstehen! Welch eine Herrschaft der Gerechten von nun an! Was für eine Stadt ist das neue Jerusalem! Aber es sind noch andere Schauspiele vorhanden, jener letzte und fortwährende Tag des Gerichtes, jener für die Heiden unverhoffte, jener verlachte, wenn ein einziges Feuer das so große Alter der Welt und so viele ihrer Generationen verschlingen wird. Welch eine Größe des Schauspiels (wird es) dann (geben)! Was soll ich bewundern? Über was soll ich lachen? Wo soll ich mich freuen, wo soll ich jubeln, wenn ich sehe, dass so viele und so große Könige, von denen man berichtet hat, dass sie in den Himmel aufgenommen worden sind, zusammen mit Jupiter und seinen Bekennern selbst in tiefster Finsternis stöhnen? Ebenso (wenn ich sehe), dass die Statthalter, die Verfolger des christlichen Namens, in schrecklicheren Flammen als die, mit denen sie selbst höhnend gegen die Christen gewütet haben, zergehen? Welche außerdem? (Wenn ich sehe), dass jene weisen Philosophen vor ihren Schülern, die zusammen mit ihnen brennen, rot werden, die sie davon überzeugt haben, dass nichts für Gott von Bedeutung ist, denen sie versichert haben, dass Seelen entweder gar nicht oder dass sie zumindest nicht in die alten Körper zurückkehren werden? Außerdem (wenn ich sehe), dass die Dichter nicht beim Gericht des Rhadamanthus und auch nicht des Minos,

155 Freund (2015) 153. 156 Tert. spect. 30,1–5.

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sondern des unerwarteten Christus zittern? Dann sind eher die Tragödienspieler zu hören, eher freilich die Sänger/Musiker in ihrem eigenen Unglück; dann sind die Schauspieler zu betrachten, die um vieles ausgelassener sind durch das Feuer; dann ist der Wagenlenker anzuschauen, der vollkommen rot ist im flammenden Wagen; dann sind die Athleten zu betrachten, die sich nicht in den Gymnasien, sondern im Feuer hin und her werfen.

Tertullian imaginiert in dieser Passage zunächst als extradiegetisch-heterodiegetischer Sprecher die (nahe) Zukunft, indem in Form des prophetischen Erzählens in dreifach gestaffelter Form (Aussagen – Fragen – Aussagen) eine Zeit propagiert wird, in der die Parusie bereits eingetreten, die Naherwartung der Rezipienten also erfüllt ist, was durch die dreifache Nutzung von iam verdeutlicht wird. Er teilt die Szenerie zudem auf, indem von außen einerseits auf die erlösten Christen und Engel, andererseits auf die verdammten ›Heiden‹ geblickt wird. Die erste der beiden Perspektiven ist durchgehend positiv gekennzeichnet: Von Jubel der Engel (exultatio angelorum), von Ehre für die auferstandenen Heiligen (gloria surgentium sanctorum) – was wohl auf die Märtyrer anspielen soll –, von der nun beginnenden Herrschaft der Christen (regnum exinde iustorum) im Gegensatz zu ihrer früheren Unterdrückung. Mit der Ankunft des Herrn soll eine Umkehr sämtlicher Verhältnisse zu Gunsten der Christen eingeleitet werden, die in das neue Jerusalem (nova Hierusalem) entrückt werden. Darunter ist eine Welt zu verstehen, die anders als die gegenwärtige von ewiger Dauer sein soll.157 Durch diese Umwendung befinden sich nun die Christen in der Position der Zuschauer der spectacula. Nicht mehr sie sind es, die zur Unterhaltung öffentlich hingerichtet werden, sondern ihre ehemaligen Verfolger werden am ewigen und letzten Gerichtstag (ultimus et perpetuus iudicii dies) unvorstellbare Qualen leiden,158 von denen Tertullian einige imaginiert. Diese nun leidenden ›Heiden‹ sind nicht mehr die sich delektierenden spectatores, sondern der Mittelpunkt der spectacula. Bei diesen Szenen zeichnet sich die grundsätzliche Divergenz von christlicher und nicht-christlicher Eschatologie ab, wobei sich die christliche Erwartungshaltung offensichtlich erfüllt: Der Weltuntergang wird als Chance und auch als Möglichkeit zur Revanche gezeichnet und diesen zu erwarten kann maßgeblich die Bewältigung der Gegenwart befördern (etwa als innerer Triumph über ›die Heiden‹ sowie Trost und Autarkie in Vertrauen auf eine letztendliche Gerechtigkeit). Wirkungsvoll beschreibt Tertullian dabei die Strafen für die ›Heiden‹, indem er zum einen das Feuer, das einst gegen Christen eingesetzt wurde, nun gegen die Verfolger wendet. Zum anderen integriert er geradezu komische Elemente in die

157 Vgl. Freund (2015) 154. 158 Der Tag des Gerichtes wird hier wohl in Form einer direkten Höllenstrafe der Nicht-Christen imaginiert, die die Christen wiederum zur eigenen Unterhaltung betrachten können.

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grausamen Szenen: So erröten die Philosophen im Feuer, wobei erubescere in diesem Zusammenhang sowohl »rot werden« als auch »sich schämen« bedeuten kann. Außerdem seien die Darbietungen der Schauspieler in dieser Bestrafungssituation tatsächlich ansehnlich, da sie vollkommen unbefangen (solutiores) und damit wohl glaubhaft ihre Rollen spielen. Tertullian schafft an dieser Stelle also ein rhetorisch ausgeformtes Szenario, das er seinen Rezipienten als würdigen Ersatz für den ›ästhetischen Genuss‹ der paganen Schauspiele präsentiert. Dabei greift er das Konzept des Weltenbrandes auf und installiert dieses als konträren Entwurf christlicher Verfolgungserfahrung. Die Rezipienten können sich mit den hier letztlich siegreichen Christen identifizieren, wodurch die Szenerie auch emotional aufgeladen wird: Gegen ihrer derzeitige Lebensrealität, die von Ausgrenzung, Diskriminierung und Verfolgung geprägt ist, setzt Tertullian eine Enderwartung des kommenden Heils, in der die geltenden Zustände umgekehrt sein werden und eine finale Vergeltung eintreten wird. Damit untermauert Tertullian zugleich seine These, dass ein Besuch der pagan konnotierten Spiele nicht nur unchristlich,159 sondern auch unnötig sei und dass das wahre, eschatologisch bedeutsame Schauspiel am Ende aller Tage erwartet werden könne, von dem er in seiner Darstellung einen ›Vorgeschmack‹ geben will. Einen Sonderfall innerhalb der christlichen Apologetik nimmt der Octavius des Minucius Felix ein, der seine gesamte Argumentation auf der griechischen Philosophie aufbaut, wobei er von dieser ausgehend die Überlegenheit der christlichen Religion zu erweisen und als die wahre Philosophie zu etablieren sucht. In der Form des philosophischen Dialoges160 wird folgende Szenerie konstruiert: »Während eines Strandspazierganges dreier Freunde entwickelt sich zwischen dem Heiden Caecilius und dem Christen Octavius ein Streitgespräch über das Christentum, wozu der dritte, Minucius Felix, ebenfalls ein Christ, zum Schiedsrichter bestimmt wird.«161 Dabei werden verschiedene topisch gewordene Vorwürfe gegen die Christen, gegen die sich bereits die früheren griechischen Apologeten gewehrt haben,162 wie etwa unterschwelliger Atheismus, Kannibalismus und sittliche Verfehlungen,163 aufgerufen, die die Octavius-persona jedoch widerlegt.164 Zusätzlich zu diesen Topoi polemisiert die Caecilius-persona gegen das christliche Konzept des Weltunterganges:

159 Nach Tertullian partizipieren Christen, die die Schauspiele besuchen, einerseits aktiv an der Idiolatrie und setzen sich andererseits einer dezidiert negativen voluptas aus; vgl. dazu Kessler (1994) bes. 318–328. 160 Vgl. Voss (1970) 46–48. 161 Freund (2000) 425. 162 Vgl. Aland (1983) 11. 163 Min. Fel. 5–13. 164 Min. Fel. 16–38.

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quid? quod toto orbi et ipsi mundo cum sideribus suis minantur incendium, ruinam moliuntur, quasi aut naturae divinis legibus constitutus aeternus ordo turbetur, aut rupto elementorum omnium foedere et caelesti conpage divisa moles ista, qua continemur et cingimur, subruatur.165 Aber nicht genug! Dem ganzen Erdkreis, ja dem Weltall selbst mit all seinen Gestirnen drohen sie Brand an, allem wollen sie den Untergang bereiten. Als könnte die auf göttlichen Naturgesetzen beruhende, ewige Ordnung gestört, als könnte das Band, das alle Elemente umschlingt, zerrissen, das Gefüge des Himmels zerstört, der Riesenbau, der uns umfängt und umschließt, zum Einsturz gebracht werden!166

Interessanterweise wird bei dieser Agitation gegen das Weltenbrand-Konzept auf Termini zurückgegriffen, die gerade in der stoischen Philosophie in Verbindung mit der Vorstellung, dass die Welt durch Feuer vernichtet wird, auftauchen. conpages verweist dabei auf die auch in der antiken Medizin prominente Vorstellung, dass ein stoffliches πνεῦμα als Verbindungsglied in allen lebenden Wesen vorhanden ist.167 Ausgehend von der Vorstellung, dass der Kosmos ein Lebewesen sei, konnte Chrysipp diese Funktion des πνεῦμα durch Analogieschluss auf die Welt übertragen und die These aufstellen, »that the universe was held together by the coherent force and tensional movements of the all-pervasive cosmic πνεῦμα«.168 Die Vorstellung einer solchen pneumatischen Spannung, die alles durchdringt und zusammenhält, tritt ebenfalls in den Astronomica des Manilius auf.169 Dennoch nimmt die Caecilius-persona einen philosophischen Standpunkt ein, der wohl eine platonische oder aristotelische Position vertritt, wonach die Welt ewig weiter existiere. Wenn jedoch vorausgesetzt werden kann, dass auch der Rezipientenkreis mit der stoischen Terminologie vertraut war, scheint in der Formulierung dieser Anklage bereits angelegt zu sein, dass die Rezipienten als Reaktion eine Inferenz zum stoischen Konzept der Ekpyrosis herstellen können, worauf sich der Gegenredner im weiteren Verlauf beziehen kann. Die Antwort der Octavius-persona baut dementsprechend darauf auf, dass das Konzept alles andere als spezifisch christlich sei: ceterum de incendio mundi aut improvisum ignem cadere aut diffindi caelum non credere vulgaris erroris est.170

165 166 167 168 169 170

Min. Fel. 11,1. Angepasste Übersetzung von Kytzler (1993) 77. Vgl. White (2003) 136. Lapidge (1979) 347. Manil. 2,803. Min. Fel. 34,1.

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Außerdem (der Lehre) über die Entflammung der Welt oder dass plötzlich Feuer herabfällt oder der Himmel sich auflöst nicht zu glauben, ist ein pöbelhafter Irrtum.

Zunächst einmal wird also jede Meinung, die einen Untergang der Welt in Feuer verneint, als vulgaris error diffamiert. In philosophischen Argumentationen bezeichnet dies zumeist solche Positionen, die ihre Beweisführung auf mythologische Überlieferungen und nicht auf (natur)wissenschaftliche Erkenntnisse stützen.171 Von diesem Vorwurf wäre somit auch die aristotelische Ewigkeitslehre betroffen, auf die jedoch nicht direkt eingegangen wird und die durch ihre Prämisse, dass die Welt schon immer existiert habe, von der nachfolgenden Grundvoraussetzung nicht betroffen ist: »Welcher Weise zweifelt nämlich daran, welcher weiß nicht, dass alles, was entstanden ist, untergeht, was gemacht worden ist, zugrunde geht?«172 Als sapientes werden dabei nicht zwangsläufig nur die paganen Philosophen, sondern eben auch diejenigen Christen bezeichnet, die das Konzept des Weltenbrandes vertreten. Im Weiteren werden zur Bekräftigungen dann solche philosophischen Richtungen angeführt, die den Untergang der Welt in Feuer gelehrt haben sollen, wobei als prominentestes Modell die stoische Lehre der Ekpyrosis genannt wird: caelum quoque cum omnibus quae caelo continentur, ita ut coepisse desinere fontium dulcis aqua maria nutrire, in vim ignis abiturum Stoicis constans opinio est, quod consumpto umore mundus hic omnis ignescat.173 Dass auch der Himmel mit allem, was vom Himmel umfasst wird, sobald das Süßwasser der Quellen allmählich aufgehört hat, die Meere zu nähren, in die Macht des Feuers übergehen wird, ist für die Stoiker eine feststehende Vorstellung, weil, nachdem die Feuchtigkeit aufgebraucht worden ist, diese ganze Welt in Flammen aufgehe.

Dieser Verweis auf das stoische Konzept eines Weltenbrandes, der eintritt, nachdem das gesamte Wasser auf der Erde verdunstet ist, rekurriert in enger Anlehnung, »die am Ende Zitatcharakter erreicht,«174 auf eine Beschreibung in Ciceros Dia-

171 Vgl. Schubert (2014) 613. 172 Min. Fel. 34,2: quis enim sapientium dubitat, quis ignorat, omnia quae orta sunt occidere, quae facta sunt interire? Diese Grundprämisse, dass alles Geschaffene bedingt durch die Materie auch wieder vergehen müsse, wird seit jeher in der griechischen Philosophie diskutiert, vgl. Schubert (2014) 614. Dieser weist auch darauf hin, dass die Aussage nicht tautologisch ist: »Denn während der erste Ausdruck orta… occidere an einen von außen beeinflußten Prozeß und gewissen Automatismus denken läßt, wie ihn das stoische Weltmodell an sich hat, setzt der zweite facta… interire einen Demiurgen voraus, wie ihn der Platonismus kennt.« 173 Min. Fel. 34,2. 174 Schubert (2014) 615f.

Weltenbrandkonzepte in der frühchristlichen Literatur

log De natura deorum, in der der Stoiker Balbus die Lehre genauer ausführt.175 Bemerkenswert ist, dass die ciceronische Balbus-persona gerade in dieser Passage andeutet, dass es bestimmte Stoiker wie etwa Panaitios gegeben habe, die diese Lehre bezweifelten, was aber von der Octavius-persona gänzlich übergangen wird, um die opinio constans zu unterstreichen. In diesem Kontext wird zudem ausgeblendet, dass sich nach der stoischen Lehre die ausdifferenzierte Welt aus ihrem Zustand des reinen Feuers zurückbildet und dadurch eben kein absolutes Ende der Welt gedacht, sondern ein zyklisches Modell postuliert wird. Dies geschieht mit der Absicht, das christliche Konzept durch die philosophischen Lehren zu autorisieren, wobei konkrete konzeptuelle Unterschiede dieser Legitimierung entgegenstehen würden und deshalb nicht benannt werden. In Zusammenhang mit dem Weltuntergang verweist die Octavius-persona als zweite Autorisierungsinstanz auf den Epikureismus: »Auch bei den Epikureern gibt es eben dieselbe Auffassung über die Entzündung der Elemente und über den Untergang der Welt.«176 Dabei fällt gerade dieser Verweis knapp und eher beiläufig aus, was wohl daran liegt, dass die Rezipienten mit der Lehre Epikurs wahrscheinlich nicht an erster Stelle das Konzept der Ekpyrosis verbunden haben. Naheliegender wäre eine Verbindung zur Atomtheorie, nach der die Welt durch den Aufprall von externen Atomen auf die Gesamtstruktur zugrunde gehen könne. Als prototypischen Epikureer, der diese Theorie vertritt, lässt Cicero in De natura deorum die Figur des Vellius auftreten.177 Jedoch ist die Zuschreibung in ihrer Kürze auch nicht falsch, da der Epikureer Lukrez in De rerum natura durchaus auf die Möglichkeit eingeht, dass eine Welt durch einen globalen Brand untergehen könne, sofern sich zu viele Atome zu Feuerkonglomeraten zusammensetzen.178 Ob dies jedoch in der epikureischen Lehrtradition als alternative Begründung des potentiellen Weltuntergangs akzeptiert und rezipiert wurde, ist nicht sicher zu sagen. So reduziert Minucius Felix komplexe philosophische Konzeptionen auf dekontextualisierte Aussagen, um mit diesen ein christliches Weltenbrandkonzept zu autorisieren und argumentativ zu verteidigen. Zu diesem Zweck konnte dann sogar auf die Epikureer verwiesen werden, die aller Wahrscheinlichkeit nach nicht als prominente Vertreter einer solchen Konzeption galten. Schließlich werden als drittes Argument die Lehre Platons und dabei besonders der Dialog Timaios angeführt:

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Cic. nat. 2,118. Min. Fel. 34,3: et Epicureis de elementorum conflagratione et mundi ruina eadem ipsa sententia est. Cic. nat. 1,20. Lucr. 5,407–410: ignis enim superare potest ubi materiai // ex infinito sunt corpora plura coorta, // et pereunt res exustae torrentibus auris. // inde cadunt vires aliqua ratione revictae.

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loquitur Plato partes orbis nunc inundare, [dicit] nunc alternis vicibus ardescere et, cum ipsum mundum perpetuum et insolubilem diceret esse fabricatum, addit tamen ipsi artifici deo soli et solubilem et esse mortalem. ita nihil mirum est, si ista moles ab eo, quo exstructa est, destruatur.179 Platon spricht davon, dass Teile des Erdkreises bald geflutet sind, [er sagt,] dass sie bald im Wechsel entbrennen, und er fügt, obwohl er sagte, dass die Welt selbst als ewige und unauflösbare geschaffen worden ist, dennoch hinzu, dass sie allein für Gott als ihrem Erschaffer selbst auflösbar und endlich sei. So ist es nicht verwunderlich, wenn diese Masse von dem, der sie zusammengefügt hat, zerstört wird.

In diesem Passus wird zunächst die lokale Zerstörungstheorie anzitiert, die von der Kritias-persona im Timaios entworfen wird,180 wodurch »Feuer und Wasser« mit »Zerstörung« verknüpft und Platon zugeschrieben werden. Da in Platons Schriften jedoch eine vom Demiurgen abhängige Ewigkeit der Welt postuliert wird, hätte es wohl der Glaubwürdigkeit der Octavius-persona geschadet, eben diesen Aspekt vollständig auszublenden. Dass er den Demiurgen (artifex) an dieser Stelle einführt und diesen als deus bezeichnet, erlaubt ihm im Gegenzug diesen auch mit der Zerstörung der Welt in Verbindung zu bringen, was einen wesentlichen Baustein des christlichen Konzeptes darstellt.181 Dies erreicht er, indem er auf eine spätere Passage des Timaios anspielt,182 die jedoch nicht mehr von Kritias, sondern von Timaios vorgetragen wird, also nicht in personeller Verbindung zur Katastrophentheorie steht. Diese Verknüpfung wird erst durch die direkte Aufeinanderfolge der beiden intertextuellen Verweise konstruiert, wodurch sich die Octavius-persona in ihrer Argumentation zwar auf Platon beziehen kann, den Kontext aber, in dem die Lehraussagen auftreten, ausblendet und diese Wissenselemente somit in neuer Weise arrangiert, um wiederum das christliche Konzept zu autorisieren. In diesem Arrangement kann dann auch die theoretische Möglichkeit eines Untergangs, der im Timaios angedeutet ist, zu einem tatsächlichen Eintritt in der Zukunft durch den konjunktivischen Bedingungssatz, »der sowohl Potentialität wie wirkliche Folge ausdrücken kann«183 , uminterpretiert werden.

179 Min. Fel. 34,4. 180 Plat. Tim. 22c: πολλαὶ καὶ κατὰ πολλὰ φθοραὶ γεγόνασιν ἀνθρώπων καὶ ἔσονται, πυρὶ μὲν καὶ ὕδατι μέγισται, μυρίοις δὲ ἄλλοις ἕτεραι βραχύτεραι.

181 Die Verbindung von artifex und deus ist ebenfalls stoisch belegt, wird aber im Kontext der Passage mit christlicher Konnotation gebraucht. Vgl. zur stoischen Terminologie Wildberger (2006) I 15f. 182 Plat. Tim. 32b–c: καὶ διὰ ταῦτα ἔκ δὴ τούτων τοιούτων καὶ τὸν ἀριθμὸν τεττάρων τὸ τοῦ κόσμου σῶμα ἐγγενήθη δι’ ἀναλογίας ὁμολογῆσαν, φιλίαν τε ἔσχεν ἐκ τούτων, ὥστε εἰς ταὐτὸν αὑτῷ συνελθὸν ἄλυτον ὑπὸ τοῦ ἄλλου πλὴν ὑπὸ τοῦ συνδήσαντος γενέσθαι.

183 Schubert (2014) 619.

Weltenbrandkonzepte in der frühchristlichen Literatur

Um abschließend jedoch den Eindruck zu vermeiden, dass es nicht von Bedeutung sei, ob man nun der christlichen oder einer philosophischen Lehre folge, da sie grundsätzlich das gleiche Weltuntergangskonzept teilten, betont Octavius den angeblichen Prioritätsstatus des Christentums: animadvertis philosophos eadem disputare quae dicimus, non quod nos simus eorum vestigia subsecuti, sed quod illi de divinis praedicationibus prophetarum umbram interpolatae veritatis imitati sint.184 Du bemerkst, dass die Philosophen dieselben Dinge lehren, die wir sagen, nicht weil wir deren Spuren gefolgt sind, sondern weil jene von den göttlichen Weissagungen der Propheten einen Schatten der verfälschten Wahrheit nachgeahmt haben.

Hier zielt Octavius darauf ab, die Propheten als ältere Autoritäten darzustellen, von denen die griechischen Philosophen gelernt, deren Lehre sie jedoch verfälscht hätten und deren unmittelbare Nachfolger die Vertreter der christlichen Lehre seien. Dabei stützt er sich auf eine Gegenüberstellung der ›göttlichen Weissagungen der (alttestamentlichen) Propheten‹ einerseits und der Nachahmung von ›Schatten der verfälschten Wahrheit‹ andererseits, worunter er die griechische Philosophie versteht. Den christlichen Konzepten wird dadurch eine Priorität zugeschrieben, die sie trotz aller Ähnlichkeit zu paganen Konzepten, die als epigonal-defizitär bewertet werden, als überlegen und durch ihre Anbindung an die göttliche Offenbarung als höchst autoritativ charakterisiert. Den Versuch, verschiedene Teile der Philosophie mit der christlichen Theologie zu verbinden unternahm ebenfalls Clemens von Alexandria, der in seinem Hauptwerk, den Stromateis, zur Autorisierung christlicher Konzepte pagane Literaturzitate heranzog, wobei besonders die Nutzung der Schriften Platons, Homers und des Euripides hervorstechen.185 Diese Strategie wird evident, wenn Clemens ein christliches Weltenbrandkonzept autorisiert, indem er auf Heraklit von Ephesos, die Stoa und Platon verweist. Zentral ist dabei, dass die Menschheit geläutert wird, und Clemens in diesem Zusammenhang behauptet, dass dies bereits Teil des paganen Konzeptes sei.186 In ähnlicher Weise postuliert auch Methodios von Olympos in seinem Werk De resurrectione, dass die Ekpyrosis den Zweck erfülle,

184 Min. Fel. 34,5. 185 Vgl. van der Hoek (1996) 236f. 186 Clem. Al. strom. 5,1,9: […] οἶδεν γὰρ καὶ οὗτος [scil. Heraklit] ἐκ τῆς βαρβάρου φιλοσοφίας μαθὼν τὴν διὰ πυρὸς κάθαρσιν τῶν κακῶς βεβιωκότων, ἣν ὕστερον ἐκπύρωσιν ἐκάλεσαν οἱ Στωϊκοί. Die erhaltenen paganen Konzepte der Ekpyrosis beinhalten jedoch nicht den Aspekt der

moralischen Reinigung. Diese kathartische Funktion schreibt vielmehr Seneca der Sintflut zu; siehe dazu Kap. 6.2.

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der Menschheit ihre Sünden auszubrennen, damit diese in der kommenden Welt schuldlos leben könne.187 Direkt zu Beginn seiner epischen Bibelparaphrase Evangeliorum libri quattuor konstatiert auch der christliche Dichter Juvencus,188 dass sich zu einem von Gott festgelegten Zeitpunkt ein Weltenbrand ereignen werde: immortale nihil mundi compage tenetur, non orbis, non regna hominum, non aurea Roma, non mare, non tellus, non ignea sidera caeli. nam statuit genitor rerum inreuocabile tempus, quo cunctum torrens rapiat flamma ultima mundum.189

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Nichts, was im Gefüge der Welt enthalten ist, ist unsterblich, nicht der Erdkreis, nicht die Reiche der Menschen, nicht das goldene Rom, nicht das Meer, nicht die Erde, nicht die feurigen Gestirne des Himmels. Denn der Schöpfer des Alls hat einen unverrückbaren Zeitpunkt festgelegt, an dem eine reißende Flamme schließlich die gesamte Welt ergreifen wird.

Diese Verse, mit denen das Gesamtwerk eingeleitet wird, verweisen deutlich auf die Endlichkeitskonzeption in Lukrezens De rerum natura,190 wodurch die Vorstellung einer innerweltlichen Ewigkeit explizit abgelehnt wird. Dass nichts in der differenzierten Welt unvergänglichen Charakter besitzen, betonen die Verse zwei und drei: Mit den Anaphern (non…, non…, non…) wird der Fokus aus der Vogelperspektive verengt, ausgehend vom gesamten Erdkreis (orbis) über die Reiche der Menschen (regna hominum) auf das für den römischen Rezipienten zentrale Moment, sein »goldenes Rom« (aurea Roma), dessen Bestand demontiert wird. Indem die Stadt mit dem Adjektiv »golden« (aurea) verknüpft wird, werden zugleich Konzepte eines Goldenen Zeitalters aufgerufen, die gerade in der kaiserzeitlichen Literatur mit der Vorstellung eines imperium sine fine assoziiert werden, und sogleich konterkariert.191 Damit tritt Juvencus auch einen zentralen Teil der

187 Meth. res. 1,47,3. 188 Einen wichtigen Kernpunkt bildet der Weltuntergang auch im sogenannten Carmen apologeticum Commodians (bes. Vv. 1000–1055); siehe generell zu diesem Werk Schubert (2015) mit weiterer Literatur. 189 Iuvenc. praef. 1–5. 190 Vgl. Carrubba (1993) 306: »The Latin line rings with Lucretian vocabulary and thought; indeed, viewed in isolation, the line might well be identified as one taken from De Rerum Natura. Thus this first line deliberately locates the poem in the traditions of the classical epic but with a decidedly didactic bent.« 191 Vgl. Kartschoke (1975) 59. Zu den kaiserzeitlichen Konzepten siehe Kap. 6.1.

Weltenbrandkonzepte in der frühchristlichen Literatur

römisch-nationalistischen Reichsidentität und verdeutlicht, dass selbst dieser übersteigerte Status die Stadt nicht vor ihrem Untergang am Tag des Jüngsten Gerichts bewahren wird. Von diesem Zoom-in auf Rom wird die Perspektive mit intertextuellem Anklang an Lukrez und Ovid dann wieder erweitert bzw. der Blick wird umgekehrt und wandert von unten nach oben (mare – tellus – coelum), womit die Universalität der Zerstörung untermauert wird.192 Wie schon Lukrez schreibt auch Juvencus all diesen Strukturen eine begrenzte Existenzdauer zu, bindet diese jedoch im Gegensatz zu dem Epikureer an einen Schöpfergott, der den unwiderruflichen Zeitpunkt (inreuocabile tempus) des Weltenbrandes bereits festgelegt hat. Darauf aufbauend konstruiert der christliche Dichter im Folgenden (Vv. 6–18) eine Antithese zwischen den vergänglichen Taten ruhmreicher Menschen, die von paganen poetae geschildert werden, und den »lebensspendenden Taten Christi« (Christi uitalia gesta), die wiederum er beschreibt. Dass weltliche Dichtung unsterbliche gloria verleihen könne, die etwa Ovid im Epilog zu seinen Metamorphosen für sich postuliert,193 verneint Juvencus damit explizit. Für ihn bestehe im Gegenzug jedoch die Hoffnung, dass der göttliche Inhalt seiner Dichtung ihn beim bevorstehenden Weltenbrand, der mit der Wiederkunft Christi einhergehe, errette und ihm ewigen Ruhm im Reich Gottes (aeternae in saecula laudis, V. 17) gewähre: nec metus, ut mundi rapiant incendia secum hoc opus; hoc etenim forsan me subtrahet igni tunc, cum flammiuoma discendet nube coruscans iudex, altithroni genitoris gloria, Christus.194 Aber ich fürchte mich nicht davor, dass der Weltenbrand dieses Werk mit sich reißen könnte; denn dieses wird mich dann hoffentlich dem Feuer entziehen, wenn der strahlende Richter, der Ruhm des hochthronenden Schöpfers, Christus aus flammenspeiender Wolke herabsteigen wird.

Auf poetologischer Ebene knüpft Juvencus also an die epische Dichtung an, weist deren Fokus auf menschliche Heldentaten aber strikt zurück. Stattdessen konzentriert er sich auf die christliche Heilsgeschichte, die er als relevanten Inhalt erachtet, da ihre Bedeutung mit Blick auf den nahenden Weltuntergang nicht etwa schwindet, 192 Vgl. Lucr. 5,92: principio maria ac terras caelumque tuere; Ov. met. 1,256-58: esse quoque in fatis reminiscitur adfore tempus, // quo mare, quo tellus correptaque regia caeli // ardeat et mundi moles operosa laboret. 193 Ov. met. 15,871f.: iamque opus exegi, quod nec Iouis ira nec ignes // nec poterit ferrum nex edax abolere uetustas. 194 Iuvenc. praef. 21–24.

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sondern zunimmt. Zugleich rekurriert er auf Vergänglichkeitsvorstellungen, die in De rerum natura vertreten werden, und transformiert diese, um das Konzept eines christlichen Weltenbrandes in dichterischer Faktur zu präsentieren.

7.5 Alterungs- und Alterskonzepte der Welt in der frühchristlichen Literatur Neben kurzen biblischen Anspielungen begegnet das Konzept einer alternden und vergehenden Welt ebenfalls in der jüdischen Apokalyptik, etwa im sogenannten Vierten Buch Esra (4 Esra), das als analeptische Erzählung des alttestamentlichen Priesters Esra gestaltet ist. Während eines nächtlichen Gesprächs mit dem Erzengel Uriel wurden ihm, wie er berichtet, Einsichten in den göttlichen Weltenplan offenbart, wobei anhand der vorliegenden Kommunikationsstruktur deutlich wird, dass Uriel als unmittelbares Sprachrohr Gottes fungiert.195 Dabei erhält Esra ebenfalls Einblick in den derzeitigen Zustand der Welt und in das ihr bevorstehende Schicksal: et interrogaui et dixi: […] nam mater nostra, de qua dixisti mihi, adhuc iuuenis est, iam ad senectutem adpropinquat? et respondit ad me et dixit: interroga quae parit, et dicet tibi. dices enim ei: quare quos peperisti nunc non sunt similes his qui ante, sed minores statu? et dicet tibi et ipsa: alii sunt qui in iuuentute uirtutis nati sunt, et alii qui sub tempus senectutis deficiente †matrice† sunt nati. considera ergo et tu, quoniam minores statu estis prae his qui ante uos, et qui post uos quam ut uos, quasi iam †senescentis† creaturae et fortitudinem iuuentutis praeterientis.196 Ich fragte (ihn) [scil. Uriel und durch ihn Gott] und sprach: […] Ist denn unsere Mutter [scil. die Erde], über die du mit mir gesprochen hast, noch jung (oder) nähert sie sich bereits dem Greisenalter? Er hat mir geantwortet und gesagt: Frage die, die gebiert, und sie wird es dir sagen. Du wirst ihr jedenfalls sagen: Weshalb sind diejenigen, die du jetzt zur Welt gebracht hast, nicht denjenigen ähnlich, die du zuvor geboren hast, sondern von geringerem Wuchs? Und sie wird dir auch selbst antworten: Die einen sind in meiner kraftvollen Jugend geboren worden, und die anderen im hohen Alter, als mein Mutterleib die Kräfte schon verloren hatte. Bedenke du also auch, da ihr ja von geringerem Wuchs seid im Vergleich zu denen, die vor euch lebten, und diejenigen, die nach euch (geboren

195 Dies zeigt sich auch insbesondere in Apk. Esr. 5,49 ed. Klijn (1983) 37, wo der Ich-Erzähler Uriel aus der Perspektive des Schöpfergottes spricht. 196 Apk. Esr. 5,50–55 ed. Klijn (1983) 37f. Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um die lateinische Übersetzung einer nur fragmentarisch erhaltenen griechischen Version, die wiederum auf einen verlorenen aramäischen oder hebräischen Urtext zurückgeht; vgl. zur komplexen Überlieferungsgeschichte ebd. 9–13.

Alterungs- und Alterskonzepte der Welt in der frühchristlichen Literatur

werden, von geringerem Wuchs sein werden) als ihr, die Handlungsmöglichkeit einer quasi schon alt gewordenen Schöpfung und der vergänglichen Jugend.197

Auf Esras Frage, wie es um das Alter der Schöpfung bestellt sei, entwirft Uriel also eine imaginierte Gesprächssituation, in der der Priester eine Frage direkt an die personifizierte Mutter Erde richtet und von dieser eine Antwort erhält. Die ursprüngliche Frage wird dafür jedoch nicht einfach wiederholt, sondern abgewandelt. Dadurch wird zunächst nicht primär das Alter der Welt fokussiert, sondern die Lebewesen in den Blick genommen, die als direkte Kinder der Erde verstanden werden, an denen sich deren generatives Potenzial erkennen lasse. Wenn allein die Menschen betrachtet würden, zeige sich, dass die derzeitige Generation kleiner als die vorherige sei, was auf ein bereits fortgeschrittenes Alter der Welt schließen lasse. Zugleich wird jedoch festgehalten, dass auch zukünftige Generationen noch einmal von geringerer Körpergröße sein werden. Ein zentrales Argumentationselement bildet also der Verweis, dass diese Offenbarungswahrheit durch die eigene Beobachtung nachvollzogen werden könne, da sich so das voranschreitende Alter der Welt unmittelbar erkennen lasse. Gerade der Verweis auf die menschliche Autopsie, mit deren Hilfe komplexere Zusammenhänge für die Rezipienten erkennbar gemacht werden sollen, und deren Einbindung in den Befund einer alternden Welt finden sich ebenfalls in Lukrezens De rerum natura (2,1122f.).198 Diese Verknüpfung zeigt zudem Plinius in seiner Historia naturalis (7,73) auf, in der sogar explizit erwähnt wird, dass die Menschen in Anbetracht des bevorstehenden Weltuntergangs immer kleiner würden.199 Dabei muss es sich nicht zwangsläufig um direkte Bezugnahmen handeln, die der Autor von 4 Esra vorgenommen hat. Vielmehr wird deutlich, dass gerade für das Konzept einer alternden Welt spezifische Konzeptbausteine besonders prominent im kulturellen Wissen verankert waren, weshalb die Autoren diese präferiert genutzt haben, um ihre Konzeption zu konstruieren und zu plausibilisieren. Auch in der frühen christlichen Literatur tritt vereinzelt die Vorstellung auf, dass die Welt wie ein Lebewesen stetig heranwachse und bereits das Greisenalter erreicht habe, was auf einen baldigen Untergang hinweise. Als Vertreter dieses Konzeptes erweist sich Cyprian von Karthago, der in seinem apologetischen Traktat Ad Demetrianum gegen antichristliche Polemik argumentiert. Direkt zu Beginn stellt er sich dem Vorwurf, dass die Christen für diverse Naturkatastrophen verantwortlich seien,200 da sie das römische Götterpantheon nicht verehrten: 197 198 199 200

Angepasste Übersetzung nach Klijn (1992) 29f. Vgl. Adams (2007) 81. Vgl. Downing (1995) 103. Ähnliche Vorwürfe gegen das Christentum finden sich etwa auch in Tertullians Werken; siehe Kap. 7.3.

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dixisti per nos fieri et quod nobis debeant inputari omnia ista quibus nunc mundus quatitur et urguetur, quod dii uestri a nobis non colantur. qua in parte qui ignarus diuinae cognitionis et ueritatis alienus es illud primo in loco scire debes senuisse iam mundum, non illis uiribus stare quibus prius steterat nec uigore et robore ipso ualere quo ante praeualebat. hoc etiam nobis tacentibus et nulla de scripturis sanctis praedicationibusque diuinis documenta promentibus mundus ipse iam loquitur et occasum sui rerum labentium probatione testatur.201 Du hast gesagt, wir seien verantwortlich und uns müsse all das angelastet werden, was jetzt die Welt erschüttert und bedrängt, weil eure Götter von uns nicht verehrt werden. In diesem Zusammenhang musst du, der du nichts von göttlicher Erkenntnis weißt und dem die Wahrheit fremd ist, zuallererst wissen, dass die Welt bereits alt geworden ist, dass sie nicht mehr in der Kraft steht, in der sie früher gestanden hat, und nicht mehr über dieselbe Vitalität und Stärke verfügt, wovon sie zuvor gestrotzt hat. Auch wenn wir darüber schweigen und keine Beweise (dafür) aus den heiligen Schriften und den göttlichen Verkündigungen anführen, so spricht schon die Welt selbst eine deutliche Sprache und bezeugt ihren Untergang durch das Zurschaustellen verfallender Dinge.

Cyprian weist die Vorwürfe also zurück, indem er sich der konzeptuellen Metapher Die Welt ist ein Lebewesen bedient. So trage nicht etwa das neue Glaubensparadigma Schuld am deplorablen Zustand der Welt. Dieser sei vielmehr vollkommen natürlich, da die Natur bereits alt geworden sei (senuisse) und ein greises Lebewesen offensichtlich über weniger Kraft verfüge als ein noch junges. Für einen Christen, der im Gegensatz zu ›Heiden‹ Teil an der göttlichen Erkenntnis (divina cognitio) habe und damit Einsicht in die Wahrheit (veritas) besäße, sei dieser Umstand offenkundig. Diese Tatsache müsse auch nicht durch die Zitation biblischer Schriften belegt werden, sondern offenbare sich in alltäglichen Beobachtungen. Diese Erklärung ist auffällig, da etwa Clemens von Alexandria durchaus auf biblische Bezüge zurückgreift, um das Konzept einer alternden und zerfallenden Welt zu autorisieren.202 Für seinen paganen Adressatenkreis verzichtet Cyprian jedoch auf diese Strategie und spielt am Ende seines Argumentes stattdessen sogar auf eine pagane römische Autorität an, um dem Gedankengang zusätzliches Gewicht zu verleihen:

201 Cypr. Demetr. 3,1. 202 Clem. Al. protr. 78,4: φθαρήσεσθαι δὲ καὶ τὰ στοιχεῖα καὶ τὸν κόσμον σὺν καὶ αὐτοῖς λέγει· »ἡ γῆ«, φησί, »παλαιωθήσεται καὶ ὁ οὐρανὸς παρελεύσεται« [= Jes. 51,6; Matth. 24,35], »τὸ δὲ ῥῆμα κυρίου μένει εἰς τὸν αἰῶνα« [= Jes. 40,8]. Für Clemens besteht der zentrale Gedankengang – ähnlich wie für Juvencus – in der Gegenüberstellung von vergänglicher Welt und der Ewigkeit Gottes.

Alterungs- und Alterskonzepte der Welt in der frühchristlichen Literatur

haec sententia mundo data est, haec dei lex est ut ›omnia orta occidunt et aucta senescant‹ et infirmentur fortia et magna minuantur et cum infirmata et deminuta fuerint finiantur.203 Dieses Urteil ist über die Welt verhängt worden, dies ist das Gesetz Gottes, dass ›alles Entstandene zugrunde geht und (alles) Herangewachsene altert‹ und dass Starkes schwach und Großes klein wird und sie, sobald sie schwach und klein geworden sind, aufhören zu sein.

Für diese »Formel eines universellen Weltgesetzes«204 zitiert Cyprian eine prominente Stelle aus dem Vorwort zu Sallusts Bellum Iugurthinum, in dem der sterbliche Körper dem unvergänglichen Geist gegenübergestellt wird.205 Der christliche Apologet weitet diesen pointierten Grundsatz wiederum auf die gesamte Welt aus, um zu konstatieren, dass diese als geschaffene Entität notwendigerweise altern und schließlich vergehen müsse. In dieser Strategie lässt sich der von Gnilka als »theologische Grundgedanke« bezeichnete Aspekt der Chrêsis erkennen, einen Ausschnitt vorchristlicher Kultur als Element der göttlichen Wahrheit zu identifizieren und diesen zugunsten der eigenen Argumentation zu nutzen.206 Cyprian ergänzt dieses pagane Wissenselement wiederum, indem er den christlichen Gott als eigentlichen Urheber dieser Gesetzmäßigkeit inszeniert. In seinem wenig späteren, an einen christlichen Rezipientenkreis gerichteten Werk De mortalitate greift er das Konzept der senectus mundi erneut auf. Verfasst während der großen Seuche, die das römische Reich zwischen 252 und 254 n. Chr. heimsuchte, beabsichtigt die protreptische Schrift den Adressaten eine positive Perspektive auf den potenziell bevorstehenden Tod zu vermitteln. Dafür bedient sie sich einerseits konsolatorischer Topoi, die ebenfalls in der paganen Philosophie verwendet wurden,207 und inszeniert den Tod andererseits als Befreiung vom qualvollen Leben.208 So behauptet Cyprian, dass die Welt bereits zusammenstürze (mundus corruens), was die gegenwärtige, verheerende Seuche nur allzu plastisch verdeutliche.209 Diese Gewissheit müsse es den Christen wiederum besonders einfach machen, aus der Welt zu scheiden, was Cyprian durch Analogien veranschaulicht:

203 Cypr. Demetr. 3,3. 204 Strobel (1993) 175. 205 Sall. Iug. 2,3: postremo corporis et fortunae bonorum ut initium sic finis est, omniaque orta occidunt et aucta senescunt: animus incorruptus, aeternus, rector humani generis agit atque habet cuncta neque ipse habetur. 206 Siehe dazu oben 261f. 207 Vgl. Scourfield (1996) 12f. 208 Zu dieser positiven Semantik in den Werken Cyprians siehe Zocca (1995) bes. 647–651. 209 Cypr. mort. 25.

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si in habitaculo tuo parietes uetustate nutarent, tecta desuper tremerent, domus iam fatigata, iam lassa aedificiis senectute labentibus ruinam proximam minaretur, nonne omni celeritate migrares? si nauigante te turbida et procellosa tempestas fluctibus uiolentius excitatis praenuntiaret futura naufragia, nonne portum uelocius peteres? mundus ecce nutat et labitur et ruinam sui non iam senectute rerum sed fine testatur.210 Wenn in deiner Wohnung altersbedingt die Wände wankten, wenn das Dach über dir zitterte, wenn das schon morsche, schon baufällige Haus samt seinen durch das Alter zusammenbrechenden Räumen jeden Augenblick einzustürzen drohte, würdest du da etwa nicht in aller Eile ausziehen? Wenn du auf hoher See unterwegs wärst und ein wildbrausender Sturm die Fluten allzu gewaltig aufgepeitscht hatte und dir nahen Schiffbruch verkündigte, würdest du da etwa nicht recht schnell dem Hafen zueilen? Sieh nun, die ganze Welt wankt und stürzt zusammen; sie bezeugt ihren Untergang nicht mehr allein durch das hohe Alter, sondern durch das Ende aller Dinge.211

Cyprian imaginiert hier also fragile Räume – ein im Einsturz begriffenes Haus sowie ein Schiff während eines Seesturmes – und überträgt deren instabile Eigenschaften auf die Welt, die dadurch geradezu als locus terribilis erscheint. Gerade aus der Analogie zu einem einstürzenden Haus transferiert er zudem den Altersaspekt: Wie das baufällige Haus mit der Zeit gefährlich geworden ist, so ist auch die Welt aufgrund ihres hohen Alters (senectus) unsicher geworden. Inzwischen lasse sie zudem diesen Lebensabschnitt sogar hinter sich und nähere sich ihrem endgültigen Untergang (rerum finis).212

7.6 Konzeptuelle Synthese Die jüdischen und christlichen Flutkonzeptionen weichen nur in wenigen Details von dem im biblischen Kontext überlieferten Sintflutbericht ab, da dieses Konzept offenbar als durch göttliche Offenbarung autorisiert angenommen wurde und einen wesentlichen Bestandteil des jüdischen und christlichen kulturellen Vergangenheitshorizonts bildete. So werden als Überlebende der globalen Flutkatastrophe exklusiv Noah und seine Familie gedacht. Dabei kann behauptet werden, dass Noah und Deukalion dieselbe Person seien, der im Laufe der griechischen Überlieferung 210 Cypr. mort. 25. 211 Angepasste Übersetzung nach Baer (1918) 252f. 212 In ähnlicher Weise erwähnt auch Laktanz in seinen Divinae institutiones (7,14,16) das Konzept einer alternden und verfallenden Welt, das er jedoch explizit als Konzeption »weltlicher Propheten« (saeculares prophetae) versteht. Siehe dazu etwa Freund (2009) 401f., der diese als Hermes Trismegistos, die Sibyllen und Hystaspes identifiziert.

Konzeptuelle Synthese

lediglich ein anderer Name zugeschrieben worden sei. Die ansonsten in der griechischen Literatur überlieferten Flutkatastrophen werden allenfalls als regional begrenzte Ereignisse registriert. Die globale Flut wird als ein einmaliges in der Vergangenheit eingetretenes Ereignis gedacht, das als Strafe für menschliche Verfehlungen oder auch als Reinigung der Welt konzeptualisiert ist. Physikalisch entsteht dieses durch anhaltende Regenfälle und durch die Freisetzung unterirdischer Wasserreservoirs. Im christlichen Kontext kann dieses Ereignis ebenfalls als Präfiguration der Taufe gedeutet werden. Auf das Untergangsereignis folgen entsprechend ein Wiederauftauchen der Welt aus den Fluten und eine natürliche Neubevölkerung durch die in der Arche erretteten Menschen und Tiere. Die christlichen Konzeptionen eines finalen Brandes, der am Tag des Herrn stattfinden wird, werden deutlich in Analogie zur biblischen Sintflut inszeniert. Auch hier macht es letztlich die menschliche Sündhaftigkeit erforderlich, dass Gott eine globale Katastrophe eintreten lässt. Dabei werden Elemente der paganen bzw. spezifisch stoischen Brandkonzepte genutzt, um den Modus des Untergangs zu imaginieren. So kann die endzeitliche Katastrophe einerseits in verbrannten Weltstrukturen und aufgetrennten Elementen resultieren, die zu reinem Feuer übergehen, andererseits auch in einer ›geschmolzenen Welt‹ mit geläuterter Menschheit, der die Sünden ›ausgebrannt‹ wurde. Verbunden damit sind zumeist die Auferstehung der Toten und das göttliche Gericht, bei dem der wiedergekehrte Christus über die menschlichen Vergehen urteilt. In den meisten Texten wird im Anschluss an dieses Brandszenario eine neue Welt erschaffen, ein neuer Himmel und eine neue Erde, oder generell eine gerechte Welt, die auch als das ›neue Jerusalem‹ bezeichnet wird. Die Legitimierungsstrategien, die für diese Konzepte herangezogen werden, sind vielfältig. Einerseits kann anhand von paganen Autoritäten – prophetischen Gestalten oder bedeutenden Philosophen – (dekontextualisierend) argumentiert werden, andererseits kann auf Träger der göttlichen Offenbarung verwiesen werden, wie die biblischen Propheten, Moses oder David. Dabei wird stets behauptet, dass das Christentum im Sinne des sogenannten Altersbeweises über das urtümliche direkt von Gott stammende Wissen verfüge, dem das pagane als depravierte Verfremdung defizitär gegenüberstehe. In Einzelfällen wird alternativ oder auch ergänzend zu den Brandkonzepten die Vorstellung überliefert, dass die gesamte Welt allmählich altere und durch diesen Prozess verfalle. Es scheint sich dabei eine Rezeption der Wissenselemente abzuzeichnen, die ebenfalls im Werk des Lukrez verarbeitet worden sind. Der damit einhergehende Untergang der Welt ereigne sich zu einem Zeitpunkt, der durch das göttliche Gesetz, das die Welt durchwaltet, festgelegt sei und geschehe, indem die Strukturen der differenzierten Welt einstürzen. Wie bei den Brandkonzepten handelt es sich dabei um einen endgültigen Untergang dieser Welt; von einer

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Abb. 12 – Frühchristliche Flutkonzepte.

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Abb. 13 – Frühchristliche Brandkonzepte.

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Weltuntergangskonzepte in der jüdischen und christlichen Literatur

Abb. 14 – Jüdische und frühchristliche Alterungskonzepte der Welt.

anschließenden Neuschöpfung von Himmel und Erde wird in den Zeugnissen zwar nicht gesprochen, jedoch könnte diese analog zu den sonstigen christlichen Konzepten von den Rezipienten supplementiert werden. Einerseits kann dieses Szenario durch göttliche Offenbarung autorisiert werden, wie im nächtlichen Gespräch Ezras mit dem Erzengel Uriel deutlich wird. Andererseits kann jedoch auch hier auf die Evidenz verwiesen werden, indem behauptet wird, dass die Menschen von geringerer Körpergröße als ihre Vorfahren seien und dies auf einen allmählichen Niedergang der Welt hinweise. Darin zeigt sich eine Gemeinsamkeit mit dem bei Plinius vertretenen Konzept einer alternden und schließlich in Feuer vergehenden Welt.

8. Zusammenstellung der Ergebnisse

Die Untersuchung hat gezeigt, dass vielfältige Weltuntergangskonzepte von variierender Komplexität für die griechische und römische Antike überliefert sind. Diese abstrakten Konzepte besitzen als protokonzeptuelle Gerüste einen Kern (oftmals ein spezifisches Element wie Feuer und Wasser), das den Modus der Zerstörung definiert und nach dem das Konzept benannt wird. Die zusätzlichen Wissensbausteine, die das Konzept ausgestalten, sind dann jedoch äußerst flexibel und können je nach spezifischem Kontext, in dem das Ereignis imaginiert wird, ausgetauscht werden. Somit lässt sich konstatieren, dass die behandelten mentalen Konfigurationen ausgesprochen dynamisch sind und diese Dynamik sowie die damit verbundene Adaptierbarkeit wohl wesentlich zu ihrer diachronen Tradierung beigetragen haben. Diese Tatsache soll im Folgenden noch einmal anhand der diachronen Entwicklung der Konzepte synoptisch nachgezeichnet werden. Es lässt sich feststellen, dass schon die frühesten überlieferten Flutkonzepte eine doppelte Semantik des Wassers voraussetzen, die bereits in den homerischen Epen evident ist: Einerseits wird es als kreativ-purgatives, andererseits als destruktivzersetzendes Element konzeptualisiert. Darauf aufbauend wird die Flut stets als zerstörerisches Ereignis begriffen, dem jedoch auch ein reinigender Aspekt zugeschrieben werden kann und an das sich eine Neukonsolidierung der aufgelösten Strukturen anschließt. Gerade in mythographischen Kontexten wird eine Flutkatastrophe oftmals als notwendiges Korrektiv verstanden, durch das eine Gottheit die Menschen für ihre Verfehlungen bestraft bzw. in jüdisch-christlichen Darstellungen entsühnt oder die Erde von der Menschheit ›säubert‹ und dadurch eine bessere Weltordnung gewährleistet. Wie sich in historiographischen Kontexten zeigt, können jedoch ebenso natürliche Gesetzmäßigkeiten für Überflutungen verantwortlich gemacht werden. In naturphilosophischen Darstellungen kann zudem das (als göttlich konzeptualisierte) Schicksal, das dem Kosmos innewohnt und ihn als Naturgesetz organisiert, die Flut auslösen, etwa als Folge bestimmter Gestirnskonstellationen. Unabhängig von der jeweiligen Textsorte fungiert die imaginierte Katastrophe vielfach als erinnerungsstiftendes Aition für die Gründung einer Stadt, die Installation eines Heiligtums oder Altars, die Etablierung eines Rituals oder Brauches, für die Existenz eines spezifischen Erinnerungsortes oder generell für die Erklärung des status quo aus einem Korrektiv heraus. Im christlichen Kontext kann sie ebenfalls als Präfiguration der Taufe gedeutet werden. Ereignet sich die Flut in einigen Zeugnissen, etwa in Pindars Neunter Olympischer Ode, noch als globale Katastrophe, kann sie in anderen Kontexten, etwa im Marmor Parium, als regional begrenztes Vernichtungsszenario konzipiert werden. Dass

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Zusammenstellung der Ergebnisse

beide Konzeptvarianten parallel bestanden und gegeneinander abgewogen wurden, lässt sich deutlich an dem im platonischen Timaios geführten Gespräch erkennen, in dem ein ägyptischer Priester der Erinnerung an eine in der Vergangenheit liegende Flutkatastrophe die Theorie periodisch eintretender Vernichtungen entgegenhält. Besonders in historiographischen Abhandlungen tritt das Konzept mehrmaliger vergangener Fluten auf, die verschiedene Gebiete heimgesucht haben. Dass hingegen in den Exzerpten der Babyloniaca, in der Septuaginta, in den Metamorphosen Ovids und in Senecas Naturales quaestiones ein ubiquitäres Überflutungsereignis dargestellt wird, spricht für die diskursübergreifende Verbreitung dieses Wissensbausteins. Spätestens mit der Formung christlicher Flutkonzepte dominiert dieses Konzeptelement dann auch die alternative Variante der regionalen Begrenzung. Die globale Flut wird dabei zumeist in der (mythischen) Vergangenheit verortet, was mit ihrer Funktion als erinnerungsstiftendem Ereignis korrespondiert. Vereinzelt wird jedoch ebenso die Erwartung einer erneuten bzw. zukünftigen Flut geschildert, wie sie etwa in Pindars Neuntem Paian, Lukrezens De rerum natura oder Senecas Naturales quaestiones begegnet. Auch diese Variante ist für die christlichen Konzeptionen nicht mehr valide, da JHWH im biblischen Sintflutbericht zusichert, dass es keinen erneuten Untergang der Welt in Wasser geben werde. Die Entstehung der Flut wird auf vielfältige Ursachen zurückgeführt: So können anhaltende Regenfälle, übertretende Flüsse, Güsse aus einem himmlischen Ozean, die Metabole der Erde zu Wasser und/oder aus dem Erdinneren hervorbrechende Wassermassen als physikalische Ursachen verantwortlich gemacht werden. Dabei müssen sich diese Wissensbausteine nicht gegenseitig ausschließen, sondern können auch als Konglomerat angeführt werden, um die allumfassende Gewalt des Auflösungsszenarios zu betonen. In den meisten Konzeptionen, die die Flut als globales Ereignis begreifen (Senecas Naturales quaestiones bilden hierbei eine Ausnahme), werden dennoch spezifische Räume und Personen von der Katastrophe verschont, die im Anschluss als Übermittler prädiluvialen Wissens inszeniert werden. So wird meistens ein aus den Wellen ragender Berg angenommen, auf den die überlebenden Menschen und Tiere fliehen oder an dem das rettende Floß/Schiff der Überlebenden landen kann. Bei Konzepten, in denen die Flut auf bestimmte Gebiete begrenzt bleibt, werden vor allem Ägypten oder Athen als Horte des Wissens dargestellt, die das kulturelle Vergessen überdauern. Ebenso wird in einigen Darstellungen beschrieben, dass überlebende Gelehrte in diese unversehrten Gebiete emigriert sind oder Artefakte (robuste Säulen oder Steintafeln) gefertigt wurden, die die zivilisatorischen Errungenschaften enthielten und von den Fluten nicht zerstört werden konnten. Als Teil dieser wesentlichen Konzeptstruktur können zumindest in der griechischen Literatur dann auch je nach kulturellem Kontext verschiedene Überlebenden (etwa Deukalion und Pyrrha, Noah oder Xisuthros sowie deren Familien, Dardanos oder Ogygos) erinnert werden, die als postdiluviale Kulturstifter fungieren und die

Zusammenstellung der Ergebnisse

restaurierte Welt erneut bevölkern. Dabei wird einerseits eine natürliche Fortpflanzung angenommen, andererseits können jedoch auch Formen der Spontangenese geschildert werden, etwa dass für Deukalion und Pyrrha ein neues Menschengeschlecht aus Steinen entstanden sei. In der augusteischen und frühkaiserzeitlichen Literatur werden zumeist Deukalion und Pyrrha als Überlebende genannt, sodass eine konzeptuelle Verengung innerhalb dieses Wissensclusters stattgefunden zu haben scheint; andere Flutheroen haben sich offenbar nicht als valide erwiesen oder sind lediglich als Randfiguren überliefert worden. Dies ändert sich mit der christlichen Literatur, in der exklusiv Noah und seine Familie die Katastrophe überleben konnten. Vereinzelt tritt dabei die Vorstellung auf, dass es sich bei Noah und Deukalion um dieselbe Person unter anderem Namen gehandelt habe. Die sich an die Katastrophe anschließende Restauration ereignet sich diskursübergreifend relativ ähnlich, indem entweder die Wassermassen zurückweichen und die Strukturen der differenzierten Welt erneut sichtbar werden oder sich wiederum ein elementares Gleichgewicht einstellt, aus dem eine ›bessere‹ Welt resultiert. Ansätze für Brandkonzepte könnten bereits in der frühgriechischen Naturphilosophie angelegt sein, was jedoch aufgrund der fragmentarischen Überlieferungslage nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden kann. Durch die grundsätzliche Annahme, dass die differenzierte Welt aus einem spezifischen Urstoff entstanden sei, in den sie notwendigerweise zu einem bestimmten Zeitpunkt wieder vergehen müsse, können hierbei verschiedene elementare Zustände oder unbestimmte Begriffe wie Anaximanders apeiron eingesetzt werden. In mythographischen Kontexten hingegen wird der Sturz Phaethons mit einer Feuerkatastrophe verknüpft, die jedoch lediglich regional begrenzte Ausmaße angenommen habe. Dabei wird dieses Wissenselement jedoch gelegentlich in naturphilosophischen Zusammenhängen aufgerufen, etwa in Lukrezens De rerum natura, um die prinzipielle Möglichkeit eines globalen Brandes zu plausibilisieren. Spätestens mit der stoischen Philosophie liegen dann in Details voneinander abweichende Weltenbrandkonzepte vor, über deren genaue Ausformungen jedoch ebenfalls nur spekuliert werden kann. Es scheint ihnen gemeinsam gewesen zu sein, dass der Weltenbrand als zyklisches Ereignis verstanden wurde, das aufgrund von naturgesetzlicher Notwendigkeit geschehen müsse. Daher wird ein ewig andauernder Wandel zwischen dem Zustand reinen Feuers, in dem eine vollkommene Identität von Gottheit und Materie angenommen wird, und den Strukturen der differenzierten Welt postuliert. Dabei kann der Zustand reinen Feuers je nach gewähltem Terminus unterschiedliche Semantiken besitzen. Die Brandkonzepte der augusteischen und frühkaiserzeitlichen Literatur bauen grundsätzlich auf Wissensbausteinen der stoischen Konzepte auf, ergänzen diese jedoch in einigen Bereichen. So kann die Katastrophe entweder als global oder regional begrenzt begriffen werden und einerseits auf den Einfluss der Gestirne,

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Zusammenstellung der Ergebnisse

andererseits auf die menschliche Hybris zurückgeführt werden. Der Brand wird dabei letztlich von einer naturgesetzlichen Notwendigkeit, dem Fatum oder einem göttlichen Beschluss verursacht. Dabei können solche Szenarien sowohl als Katastrophen in einer (mythischen) Vergangenheit als auch in der (nicht näher bestimmten) Zukunft konzeptualisiert werden. Je nach angenommenem Ausmaß resultiert die Katastrophe in verbrannten Weltstrukturen oder in reinem Feuer, das dann gemäß der Terminologie Chrysipps als ›Lichtschein‹ bezeichnet werden kann. Neben diesem kann ebenso ein indifferentes Chaos als Ergebnis der Brände gedacht werden. In der nachfolgenden Neukonsolidierung entsteht zunächst Feuchtigkeit oder auch der ›Samen des Alls‹ aus dem Feuer, der dann die Grundlage für die erneute Weltanordnung bildet. Um die spezifischen Brandkonzepte zu autorisieren, werden verschiedene Strategien bemüht: Einerseits kann auf anerkannte naturphilosophische Prämissen verwiesen werden, auf denen die vorgestellte Theorie basiert und die sie dadurch plausibilisieren. Andererseits kann jedoch ebenfalls auf die noch immer sichtbaren Nachwirkungen von in der Vergangenheit stattgefundenen Feuerkatastrophen und somit auf die Wahrnehmung und das Erfahrungswissen der Rezipienten rekurriert werden. Dem empirischen Argumentationsstrang ist auch die Behauptung in Plinius’ Historia naturalis zuzuordnen, dass die derzeitige Körpergröße der Menschen geringer als diejenige ihrer Vorfahren sei und dies auf den bevorstehenden Weltenbrand hindeute. Außergewöhnlich ist die Legitimierungsstrategie des Dion Chrysostomos, da dieser orientalisches ›Geheimwissen‹ heranzieht, um seiner Darstellung Glaubwürdigkeit zu verleihen. Dieses Vorgehen erinnert in gewisser Weise an die im platonischen Timaios präsentierten Konzepte von periodischen Flut- und Brandkatastrophen, die wiederum durch das Wissen eines ägyptischen Priesters autorisiert werden. In ihrer christlichen Ausformung werden Weltenbrandkonzepte explizit in Analogie zur biblischen Sintflut inszeniert. Bei diesen wird ebenso die menschliche Sündhaftigkeit dafür verantwortlich gemacht, dass Gott letztlich eine globale Feuerkatastrophe eintreten lassen wird. Hierfür werden sodann Elemente pagan-stoischer Brandkonzepte genutzt, um den Modus des Untergangs zu imaginieren. So kann die endzeitliche Ekpyrosis in einigen Textzeugnissen in verbrannten Weltstrukturen und separierten Elementen resultieren, die folglich zu reinem Feuer übergehen, in anderen in einer ›geschmolzenen Welt‹ mit geläuterter Menschheit, deren Sünden ›ausgebrannt‹ wurden. Zumeist werden damit die Auferstehung der Toten und das göttliche Gericht verknüpft, in dem der wiedergekehrte Christus über die menschlichen Vergehen urteilt. In den meisten Texten folgen auf diesen Weltenbrand eine neue Welt, ein neuer Himmel und eine neue Erde, oder generell eine gerechte Welt, die auch als das ›neue Jerusalem‹ bezeichnet wird. Um diese christlichen Neuformierungen zu legitimieren, werden vielfältige Strategien bemüht, wobei einerseits pagane Autoritäten – prophetische Gestalten oder

Zusammenstellung der Ergebnisse

bedeutenden Philosophen – zumeist dekontextualisiert aufgerufen werden, andererseits auf Träger der göttlichen Offenbarung verwiesen wird, wie die biblischen Propheten, Moses oder David. In diesem Zusammenhang wird stets proklamiert, dass das Christentum über das direkt von Gott stammende Wissen verfüge, dem das pagane als depravierte Verfremdung defizitär gegenüberstehe. Neben den Flut- und Brandkonzepten tritt gelegentlich auch die natürliche Alterung der Welt als valide Untergangsvorstellung auf. Bei Lukrez etwa basiert diese Konzeption auf der Prämisse, dass jede Entität aus kleinsten Teilchen bestehe, die sich notwendigerweise wieder voneinander lösen müssen. Aus diesem Grund können dann Analogieschlüsse zwischen Mikro- und Makrokosmos gezogen werden, sodass eine Welt ebenso vergänglich ist wie jedes Lebewesen. Konsequent bedient sich Lukrez deshalb der konzeptuellen Metapher Die Welt ist ein Lebewesen, wobei fast schon eine Deckungsgleichheit von Ursprungs- und Zielbereich konstatiert werden kann. Dass der natürliche Alterungsprozess als Untergangsmodus angesetzt werden kann, untermauert er durch alltäglich erfahrbare Beobachtungen (eine schon in der griechischen Naturphilosophie beliebte Autorisierungsstrategie). Als Alternative zu diesem ›natürlichen‹ Alterungsszenario behauptet Lukrez zudem, dass die Welt wie jeder andere Organismus zufällig durch eine ›Krankheit sterben‹ könne. Darunter versteht er ein potenziell eintretendes Katastrophenszenario, das weltumfassende Ausmaße annimmt, und das durch eine übermäßige Akkumulation gleicher Atome entstehe. Durch diese Zusammenballungen könnten etwa globale Brände, Fluten oder Erdbeben auftreten, die letztlich zum Weltuntergang führen. In der jüdischen und frühchristlichen Literatur wird gelegentlich ebenfalls der Gedanke rezipiert, dass die gesamte Welt allmählich altere und durch diesen Prozess verfalle. Der damit einhergehende Untergang ereigne sich zu einem Zeitpunkt, der durch das göttliche Gesetz, das die Welt organisiert, festgelegt sei und geschehe, indem die Strukturen der differenzierten Welt einstürzen. Von einer anschließenden Neuschöpfung des Himmels und der Erde wird in den Zeugnissen zwar nicht explizit gesprochen, eine solche Restauration kann aber analog zu den sonstigen christlichen Konzepten von den Rezipienten angenommen werden. Zur Autorisierung dieses Szenarios kann zum einen auf die göttliche Offenbarung zurückgegriffen werden, wie dies etwa in 4 Ezra im nächtlichen Gespräch Ezras mit dem Erzengel Uriel deutlich wird. Andererseits kann auf die ›Evidenz‹ verwiesen werden, indem behauptet wird, dass die Menschen von geringerer Körpergröße als ihre Vorfahren seien und dies auf einen allmählichen Niedergang der Welt hinweise. Darin spiegelt sich ein Argument, das bereits in Plinius’ Historia naturalis evident geworden ist, der ebenfalls eine alternde und schließlich in Feuer vergehende Welt annimmt. Als Randerscheinungen sind zuletzt die Konzepte von ewiger Nacht und primordialem Chaos vor allem in der augusteischen und frühkaiserzeitlichen Literatur

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Zusammenstellung der Ergebnisse

konstatiert worden. Beide Zustände können sowohl für die Vergangenheit als auch für die Zukunft angenommen werden: Entweder kehrt die Welt in den chaotischen Urzustand zurück, aus dem sie ursprünglich entstanden ist, oder versinkt in ewiger Nacht. Diese Phasen können sodann als ›letztes Zeitalter‹ bezeichnet werden. Bemerkenswert ist dabei, dass neben der Welt und den Menschen auch die Götter von diesem Untergangsszenario betroffen sind. Als Auslöser werden zum einen natürliche Ursachen – die Alterung des Himmels –, zum anderen menschliche Vergehen angenommen. Der Untergangsmodus erweist sich als kosmische Katastrophe, die zumeist durch einen Einsturz des Himmels figuriert wird. Die Hypothese, dass ein solches Ereignis eintreten könnte, wird vor allem durch die Ausdeutung von Prodigien autorisiert, wobei literarisch überformt der Sonnengott sein Antlitz abwendet und durch die Eklipse die drohende Zukunft anzeigt. Im diachronen Vergleich sind Sintflut und Weltenbrand als dominante Konzeptvarianten festzustellen, die sich gerade in der christlichen Literatur als prototypische Konzeptionen des Weltuntergangs zunehmend verfestigen. Selbst in diesen Konzeptstrukturen sind aber einige wenige Bestandteile weiterhin flexibel und können im spezifischen Darstellungskontext variierend ausgeformt sein. Zudem können zusätzliche Weltuntergangsvarianten konstatiert werden, die innerhalb des untersuchten Zeitraums offenbar nicht im selben Maße rezipiert worden sind, jedoch als mögliche Alternativen konzipiert und diskutiert wurden.

Abkürzungen

Antike Autoren und Werke Die Abkürzungen klassischer Autoren orientieren sich an denen des Neuen Pauly (DNP). Die Abkürzungen der Bibel orientieren sich an denen der Einheitsübersetzung. 2 Clem.

Zweiter Clemensbrief

Aet.

Aetios

Alex. Aphr.

Alexander von Aphrodisias

Alex. Lykop.

Alexander von Lykopolis

Apk. Esr.

Viertes Buch Esra

Apoll. Rhod.

Apollonios von Rhodos

App. civ.

Appian Bella civilia

Arat.

Aratos von Soloi

Aristot. cael. eth. Eud. gen. corr. metaph. meteor. phys. poet. rhet.

Aristoteles De caelo Ethica Eudemia De generatione et corruptione Metaphysica Meteorologica Physica Ars poetica Ars rhetorica

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Abkürzungen

[Aristot.] mund.

Pseudo-Aristoteles De mundo

Aug. civ.

Augustinus von Hippo De civitate Dei

Bibel 2 Petr. Apk. Dtn. Gen. Hebr. Jes. Lk. Mal. Matth. Ps. Röm. Zef.

Zweiter Petrusbrief Johannes-Apokalypse Deuteronomium Genesis Hebräerbrief Jesaja Lukas-Evangelium Maleachi Matthäus-Evangelium Psalmen Römerbrief Zefania

Censor.

Censorinus

Cic. Att. div. fam. fin. nat. deor. Q. fr. rep. Tusc.

Cicero Epistulae ad Atticum De diviniatione Epistulae ad familiares De finibus bonorum et malorum De natura deorum Epistulae ad Quintum fratrem De re publica Tusculanae disputationes

Clem. protr. strom.

Clemens von Alexandria Protrepticus ad Graecos Stromateis

Cornut. Theol. Gr.

Cornutus Theologiae Graecae compendium

Antike Autoren und Werke

Cypr. Demetr. mort.

Cyprian von Karthago Ad Demetrianum De mortalitate

Diog. Laert.

Diogenes Laertius

Diod.

Diodorus Siculus

Dion. Chrys.

Dion Chrysostomus

Emp. Phys.

Empedokles Physica

Epik. Her.

Epikur Ad Herodotum

Hdt.

Herodot

Her.

Heraklit von Ephesos

Hes. theog.

Hesiod Theogonia

Hippol. Chr. haer.

Hippolyt von Rom De Christo et Antichristo Refutatio omnium haeresium

Hom. Il. Od.

Homer Ilias Odyssea

Hor. carm.

Horaz Carmina

Ios. ant. Iud. c. Ap.

Flavius Josephus Antiquitates Iudaicae Contra Apionem

Iren. adv. haer.

Irenäus von Lyon Adversus haereses

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Abkürzungen

Iust. apol. 1 apol. 2 dial.

Justin der Märtyrer Apologia minor Apologia maior Dialogus cum Tryphone Iudaeo

Iuvenc.

Juvencus

Lact. inst.

Laktanz Divinae institutiones

Liv.

Livius

Long. sublim.

Longinus De sublimitate

Lucan.

Lucan

Lucr.

Lukrez

Lukian. Syr. Dea

Lukian von Samosata De Syria Dea

LXX

Septuaginta

Lykoph. Alex.

Lykophron aus Chalkis Alexandra

Manil.

Manilius

Meth. res.

Methodios von Olympos De resurrectione

Min. Fel.

Minucius Felix

or. Sib.

Oracula Sibyllina

Orig. c. Cels.

Origenes Contra Celsum

Antike Autoren und Werke

Ov. am. fast. met.

Ovid Amores Fasti Metamorphoses

Paus.

Pausanias

Phil. incorr. mund. praem.

Philon von Alexandria De incorruptibilitate mundi De praemiis et poenis

Pind. O. paian.

Pindar Olympia Paianes

Plat. apol. leg. polit. rep. Tim.

Platon Apologia Socratis Leges Politicus De re publica Timaeus

Plin. nat.

Plinius (der Ältere) Naturalis historia

Plin. epist.

Plinius (der Jüngere) Epistulae

Plut. comm. not.

Plutarch De communibus notitiis adversus Stoicos

Pyrrh. quaes. Gr. Stoic. repugn.

Pyrrhus Quaestiones Graecae De Stoicorum repugnantiis

[Plut.] plac. strom.

Pseudo-Plutarch Placita philosophorum Stromateis

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Abkürzungen

Porph. Hor. c.

Pomponius Porphyrio Commentum in Horatii carmina

Quint. inst.

Quintilian Institutio oratoria

Sall. Iug.

Sallust De bello Iugurthino

Sen. Ad Helv. benef. dial. ep nat. Thy.

Seneca der Jüngere Ad Helviam De beneficiis Dialogi Epistulae morales ad Lucilium Naturales quaestiones Thyestes

[Sen.] Oct. pr.

Pseudo-Seneca Octavia praetexta

Serv. Aen. ecl.

Servius Commentarius in Vergilii Aeneida Commentarius in Vergilii eclogas

Sext. Emp. adv. math.

Sextus Empiricus Adversus mathematicos

Simpl. in de cael. in phys.

Simplikios Commentaria in Aristotelis de caelo Commentaria in Aristotelis physicorum libros

Stob. ecl.

Johannes Stobaios Eclogae physicae et ethicae

Strab. geogr.

Strabon Geographica

Suet. Iul.

Sueton Divus Iulius

Synk.

Georgios Synkellos

Antike Autoren und Werke

Tat. orat.

Tatian Oratio ad Graecos

Theoph. Autol.

Theophilus von Antiochia Ad Autolycum

Tert. adv. Herm. adv. Val. apol. bapt. orat. pall. Scap. spect.

Tertullian Adversus Hermogenem Adversus Valentinianos Apologeticum De baptismo De oratione De pallio Ad Scapulam De spectaculis

Tib.

Tibull

Tzetz. Exeg. in Iliad.

Johannes Tzetzes Exegesis in Illiadem

Verg. Aen. ecl. georg.

Vergil Aeneis Eclogae Georgica

Vict. Apocal.

Victorinus von Pettau In Apocalypsin

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Abkürzungen

Hilfsmittel und Sammelwerke CGFP DK DNP FGrH LSJ PCG PG PL RAC RE SVF TUAT TLG TLL

Comicorum Graecorum Fragmenta in Papyris reperta Diels-Kranz Der Neue Pauly Fragmente der griechischen Historiker Liddell-Scott-Jones Poetae Comici Graeci Patrologia Graeca Patrologia Latina Reallexikon für Antike und Christentum Realencyclopädie Stoicorum Veterum Fragmenta Texte aus der Umwelt des Alten Testaments Thesaurus Linguae Graecae Thesaurus Linguae Latinae

Bibliografie

Editionen, Übersetzungen und Kommentare Im Folgenden werden die verwendeten Editionen sowie die entsprechenden Übersetzungen und Kommentare geordnet nach antiken Autoren bzw. Werktiteln oder (Fragment-)Sammlungen aufgeführt. Innerhalb der einzelnen Lemmata werden zuerst einsprachige Editionen genannt, worauf Scholien und zuletzt zweisprachige Editionen, Übersetzungen und Kommentare alphabetisch nach ihrem modernen Verfasser geordnet folgen.

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Editionen, Übersetzungen und Kommentare

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Register

A Adynata 51, 90, 217, 228 Ägypten 9, 54, 55, 80, 100, 104, 107, 108, 190, 268, 340 Akademie 178 Altersbeweis 304, 310, 315, 316, 335 Alterung (der Welt) 114, 132, 138, 152–156, 193, 275, 286, 299, 343, 344 An 33 Anthesterien 48 Anthropogenese 218 Apollon 44, 209–211, 215 Äquilibrium 172, 231, 284 Ararat 68 Arche 64, 66–68, 74, 76, 77, 299, 301, 302, 305, 306, 335 Athen 47–49, 80, 99, 100, 106–108, 340 Ätiologie 37, 40, 175, 218, 224, 258 Atlantis 99, 100, 108 Ätna 137, 258 Atome 123, 124, 143, 146, 147, 149–153, 155, 156, 164, 170, 171, 173, 175, 179, 193, 231, 325, 343 Atram-ḫasīs (Überlebender) 36 Autochthone 53, 54 B Bahnabweichung (Gestirne) 112 Blitz 41, 61, 103, 146, 175, 215, 216, 218, 220, 222, 228, 243, 254, 260, 284, 307 Brandkatastrophe s. Katastrophe Bürgerkrieg 199, 205, 255, 264, 271, 275–277, 281, 282

C Chaos 61, 86, 160, 200, 217, 218, 241, 254, 255, 260, 273–277, 280–282, 284, 286, 342, 343 Chytren 48 D Dardanos 49, 50, 340 Delphine 50, 51, 90, 217, 227, 259 Demiurg 110–112, 114, 116–120, 122, 138, 269, 270, 326 Deukalion 32, 38–43, 46–49, 72, 74, 81, 101, 102, 115, 134, 176, 193, 202, 203, 216, 217, 224, 229, 231, 232, 245, 254, 267, 268, 284, 300–304, 307, 309, 311–313, 334, 340, 341 Donner 34, 146, 148, 307 Dürre 36, 45 E Eisernes Zeitalter 158, 210, 218, 233 Ekpyrosis s. Weltenbrand Enki 33, 35, 36, 57, 78 Enlil 32, 33, 35, 36, 78 Epikureismus 10, 94, 141–143, 146, 147, 160, 163, 168, 170, 175, 177–179, 193, 236, 264, 280, 311, 313, 325, 329 Erdbeben 117, 120, 137, 138, 146, 162, 169, 193, 203, 226, 343 Erdgeboren 61, 113–115 Erfahrung 22, 25, 30, 37, 75, 102, 133, 139, 149, 156, 157, 161, 164, 177, 200, 220, 239, 243, 247, 252, 268, 286, 291, 322, 342 Erinnerungsort 48, 53, 76, 80, 339 Ethik 277, 319

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Register

Ewigkeit 13, 107, 121, 124, 127, 133, 137, 138, 166, 171, 180, 199, 213, 214, 324, 326, 328 F Feuerkatastrophe s. Katastrophe Finsternis 33, 34, 44, 239, 243, 254, 271–273, 276, 279, 307, 320 Flutkatastrophe s. Katastrophe Frevel 61, 73, 78, 218, 221, 232, 233, 274, 303 G Gebet 44, 220, 231, 307–309, 318 Geschlecht (steinernes) 40 Gesellschaft 17, 18, 58, 115, 141, 192, 200, 261, 309 Gestirn 104, 107, 135, 139, 164, 180–182, 185, 186, 188, 190, 194, 202–204, 249–251, 256, 261, 264, 273, 274, 276–279, 284, 293, 309, 311, 323, 328, 339, 341 Giganten 61, 73, 218, 219, 233 Gog und Magot 319 Goldenes Zeitalter 115, 157, 199, 209, 210, 212, 214, 218, 227, 233, 274, 275, 328 Gott (jüdisch-christlich) 18, 61–67, 69, 70, 73–76, 78, 79, 289, 290, 293–303, 305–312, 314–317, 319, 320, 326, 328–330, 333, 335, 342, 343 Göttliches Gericht 289, 292–294, 297–300, 306, 314, 316–318, 320, 321, 329, 335, 342 H Hagel 215, 216 Heliaden 54, 72 Helios 54, 103, 174, 266, 281 Hera 265 Hestia 265, 266 Himmelsschleusen 65, 293

Horoskop 205, 206 Hort (Wissen/Erinnerung) 54, 80, 104, 108, 190, 340 Hungersnot 36, 37 Hybris 73, 79, 103, 218, 220, 224, 256, 260, 284, 342 J Jesus Christus 289, 306, 317, 319, 321, 329, 335, 342 JHWH s. Gott (jüdisch-christlich) Jupiter 72, 74, 175, 204–206, 211, 212, 215, 218–226, 228, 229, 233, 239, 259, 260, 264, 281, 284, 320 K Kasten s. Arche Kataklysmos s. Sintflut Katastrophe 18, 27, 29, 30, 37, 44, 45, 47–55, 57, 58, 64, 67, 70–72, 76, 78–81, 93, 103–108, 113, 120, 133, 135–139, 162, 163, 168, 169, 176, 189, 190, 194, 199–201, 203–206, 214–217, 231, 234, 237, 243, 244, 247, 249, 251, 252, 254–256, 258, 260, 261, 264, 266–270, 272, 273, 275–277, 281, 282, 284, 286, 290, 293, 304, 306, 307, 310–314, 326, 331, 334, 335, 339–344 Katastrophenszenario s. Katastrophe Katharsis s. Reinigung (der Welt) Kepos s. Epikureismus Konsolidierung 9, 27, 30, 68, 80, 199, 224, 270, 274, 284, 294, 296–298, 339, 342 Kosmogonie 16, 92, 109, 118, 119, 122, 129, 138, 166, 186, 187, 217, 227, 230, 275, 281 Kosmologie 16, 86, 94, 95, 109, 111, 113, 120, 121, 125, 126, 130, 135, 176, 180, 184, 187–189, 265, 269, 270, 277 Krankheit 37, 106, 108, 110, 111, 120, 145, 169, 170, 192, 193, 219, 251, 343

Register

Krieg 34, 45, 108, 115, 155, 167, 171, 172, 191, 199, 205, 210, 226, 271 Kronos 56–58, 61, 113, 115, 116 kulturelle Erinnerung s. kulturelles Gedächtnis kultureller Vergangenheitshorizont s. kulturelles Gedächtnis kulturelles Gedächtnis 9, 11, 15, 16, 43, 44, 48, 49, 51, 53, 55, 71, 103, 107, 108, 117, 120, 133, 139, 169, 176, 190, 193, 194, 199, 214, 267, 268, 299, 311, 313 kulturelles Wissen 13, 16, 17, 19, 20, 25, 32, 178, 216, 224, 242, 278, 307, 331 Kulturstifter 38, 72, 81, 340 L Leerstelle 25, 26, 32, 97, 243, 307, 319 Lykaon 218, 220, 221, 228, 233 M magi/magoi 211, 265, 267, 269, 270 Makrokosmos 103, 112, 120, 132, 134, 138, 156, 193, 216, 250, 277, 293, 304, 343 Manen 254, 255, 264 Marmor Parium 47, 49, 339 Märtyrer 308, 309, 321 Mesopotamien 28, 32, 37, 56, 69, 78 Metabole 284, 340 Mikrokosmos 95, 103, 112, 116, 117, 120, 132, 133, 136, 138, 146, 156, 191–193, 216, 250, 255, 277, 304, 343 Missernte 203 Mond 135, 206, 250, 279 Moses 77, 294, 303, 310, 316, 335, 343 N Nacht 69, 200, 243, 254, 255, 271–273, 277, 278, 286, 293, 343, 344 Naturgesetz 54, 89, 107, 116, 138, 139, 152, 153, 166, 189, 194, 217, 251, 252,

256, 276, 277, 282, 284, 297, 311, 323, 339, 341, 342 nefas s. Frevel Nephilim s. Giganten Neptun 211, 226, 229 Noah 28, 60, 62–65, 67–69, 73–79, 296, 299–303, 306, 312, 334, 340, 341 O Ogygos 49, 304, 340 Omen 207, 215, 216, 233 Opfer 33, 36, 47, 48, 58, 69, 76, 78, 79, 221 Othys 46 P Parnass 40–43, 46, 47, 228, 258 Phaethon 103, 105, 112, 137, 174–176, 193, 204, 224, 245, 256–258, 260, 261, 266, 281, 282, 304, 311, 313, 341 Plage 36, 62 Pluto 211 Poseidon 265, 267 Prädestination 30, 250, 252, 262 Priester 46, 54, 55, 100–105, 107, 108, 112, 176, 190, 191, 212, 214, 268, 270, 286, 330, 331, 340, 342 Prodigien 200, 201, 253, 271, 286, 344 Protogeneia 39, 40 Psychotherapie 256 Pyrrha 32, 38, 40–43, 46, 81, 101, 102, 115, 215, 216, 229, 231, 232, 284, 302, 303, 312, 340, 341 R Rabe 68, 76 Reinigung (der Welt) 30, 105, 108, 231, 237, 252, 296, 300, 305, 306, 311, 335 Rhadamanthus 320 Rhodos 53, 54 Ritual 48, 80, 231, 339

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Robben 50, 51, 88, 90, 217, 227, 259 Roma aeterna 199, 200, 213, 214, 262 S Samothrake 51, 52, 54 Säule (Wissensspeicher) 71, 72, 80, 340 Schnee 45, 215, 240, 258 Schöpfung 35, 37, 54, 62, 66, 67, 69, 74, 109, 118, 122, 179, 230–233, 260, 269, 275, 291, 293, 331, 338, 343 Schreckensraum 243 Seesturm 243, 253–255, 334 Seuche 108, 147, 202, 311, 312, 333 Sintflut 10, 27, 28, 31, 33–38, 43, 45, 46, 48, 52–55, 57, 58, 60, 65, 69, 71, 72, 74–80, 89, 93, 102, 105–107, 112, 135, 215, 234, 236, 237, 248, 250, 253, 254, 259, 262, 275, 293, 295, 296, 299, 300, 303, 304, 307, 309, 311, 313, 318, 319, 334, 335, 340, 342, 344 Sippar 57, 72 Sommer 45, 69, 135, 238, 250, 251, 265, 293 Sommersonnenwende 249 Sonne 44, 54, 57, 113, 132, 134–136, 150, 170–173, 181, 184, 185, 194, 204, 206, 250, 255–257, 271, 273, 317 Sonnenfinsternis 44–46, 215, 271 Sonnenwagen 103, 104, 256–258, 260, 261, 284 Sphairos 92, 93, 187 Spontangenese 157, 218, 232, 284, 303, 341 Steintafel (Wissensspeicher) 72, 80, 340 Stoa 10, 126, 136, 137, 141, 142, 178, 180, 182, 183, 186–188, 193, 194, 224, 236, 237, 239, 244, 250, 253, 256, 262, 264, 269, 270, 277, 278, 280, 284, 294, 295, 297–299, 315–317, 323–325, 327, 335, 341, 342

Strafe 36, 43, 70, 73, 78, 85, 221, 225, 228, 233, 252, 298, 321, 335 Sünde 36, 233, 289, 305, 306, 328, 335, 342 T Taube 68, 76, 215, 246, 305 Taufe 304–306, 335, 339 Telchinen 53 Teufel 319 Tierkreiszeichen s. Zodiakalzeichen Todesraum 35, 67, 228, 241 Traum 57, 189 Triton 229 Typologie 72, 295, 305, 306 U Überlebende 32, 33, 46–50, 52–58, 69, 72, 78, 80, 205, 227, 229, 243, 244, 284, 290, 312, 334, 340, 341 Universalie 9, 13 Untergangsstimmung 200, 210 Unterwelt 33, 34, 219, 255, 264 Urfeuchtigkeit 280 Uriel 330, 331, 338, 343 Uta-napišti 33 Utu 33 V Vergangenheitsdiskurs 27, 75, 83, 89, 105, 112, 114, 133, 134, 138, 167, 168, 176, 216, 233, 266, 268, 311, 313 verkehrte Welt 51, 89, 90, 114, 149, 217, 227, 228, 242, 259, 284 Vision 211, 318 Vorzeichen s. Prodigien W Wasserreservoirs (unterirdisch) 65, 68, 226, 284, 335

Register

Weltenbrand 126–129, 135, 141, 183–188, 194, 211, 222, 224, 236, 237, 247, 248, 253, 261–264, 270, 277–281, 294, 295, 297–299, 304, 309, 311, 314–319, 322–325, 327–330, 341, 342, 344 Weltentstehung s. Kosmogonie Weltgefüge 179, 254, 280 Weltordnung 16, 80, 183, 185, 186, 248, 265, 291, 296, 339 Winter 134, 135, 225, 238, 250, 251, 293 Wintersonnenwende 249 Wissenssoziologie 16

X Xisuthros

56–58, 340

Z Zeus 40–44, 47–51, 61, 90, 113, 186, 265, 266, 270 Zodiakalzeichen 204, 206, 210, 249 Zoogonie 93 Zoroastrismus 270

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