Monumentale Erinnerung - ästhetische Erneuerung: Beethovenrezeption und die Ästhetik der Intermedialität in den Schriften der Neudeutschen Schule 9783847098171, 9783899718898, 9783862348893

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Monumentale Erinnerung - ästhetische Erneuerung: Beethovenrezeption und die Ästhetik der Intermedialität in den Schriften der Neudeutschen Schule
 9783847098171, 9783899718898, 9783862348893

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Abhandlungen zur Musikgeschichte

Band 24

In Verbindung mit Hans Joachim Marx, Martin Staehelin und Ulrich Konrad herausgegeben von Jürgen Heidrich

Berenike Schröder

Monumentale Erinnerung – ästhetische Erneuerung Beethovenrezeption und die Ästhetik der Intermedialität in den Schriften der Neudeutschen Schule

V&R unipress

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-89971-889-8 ISBN 978-3-86234-889-3 (E-Book) Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Johanna und Fritz Buch Gedächtnis-Stiftung sowie der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein. Ó 2012, V&R unipress in Göttingen / www.vr-unipress.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Titelbild: Ó bpk, Franz Liszt am Flügel phantasierend / Liszt am Flügel, Josef Danhauser, 1840. Berlin, Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nationalgalerie, F.V. 42, Zugang: Dauerleihgabe, 1967. Druck und Bindung: CPI Buch Bücher.de GmbH, Birkach Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Meinen Eltern

»Jeder Tonkünstler ist Dichter, nur ein höherer.« (Robert Schumann)

Inhalt

Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Fragestellung, Gegenstand, Konzepte . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Stand der Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2. Beethovenschriften und Beethovenrezeption der Neudeutschen Schule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Erste Konstruktion des Beethovenmythos und Wandel der Musikbeschreibung. E.T.A. Hoffmanns Beethovenrezensionen . . 2.1.1 Einleitung: E.T.A. Hoffmann als Musikkritiker . . . . . . . . 2.1.2 Hoffmanns Kritiken zu Beethovens Musik . . . . . . . . . . 2.1.2.1 Der analytische Stil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2.2 Der Bezug auf den Zuhörer und Wirkung bei Hoffmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2.3 Die bildliche Ebene – Der Gebrauch von Metaphern und Bildern in Hoffmanns Musikbeschreibung . . . . 2.1.2.4 Musikästhetik in Hoffmanns Beethovenschriften und die ›Neucodierung‹ von Beethovens Musik . . . . . . 2.2 Erinnerungskultur und Geniezirkel: Robert Schumanns Schriften über Beethoven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Schumann als Musikkritiker . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Schumanns »Fastnachtsrede von Florestan« . . . . . . . . . 2.2.2.1 Literarische Merkmale der »Fastnachtsrede«: Gattung, Perspektivität und Metapherngebrauch . . . 2.2.2.2 Schumanns Beethovendarstellung und das romantische Beethovenbild . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2.3 Die Beschreibung von Beethovens sinfonischer Musik in der »Fastnachtsrede« . . . . . . . . . . . . .

33 33 33 37 37 40 41 44 49 49 52 57 61 62

10

Inhalt

2.2.2.4 Die verschiedenen Facetten der Beethovenrezeption: Nationalismus und das Erhabene . . . . . . . . . . . 2.2.2.5 Polemik und Didaktik des Musikkritikers Schumann. 2.2.2.6 Elitismus: Kompetentes Publikum und die Masse . . 2.2.3 »Monument für Beethoven« . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.4 Beethoven als zentrale Figur einer Musikästhetik des Umbruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.5 Schumanns Schriften zu Beethovens Musik: Beispiele stilistischer Vielfalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Beethovendarstellung als Selbstlegitimation. Richard Wagner : Beethovennovellen und Schriften über Beethoven . . . . . . . . . 2.3.1 Die Darstellung von Beethovens 7. Sinfonie in Wagners Schriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1.1 Beethovens 7. Sinfonie in Wagners »Ein glücklicher Abend« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1.2 Beethovens 7. Sinfonie in Wagners Prosaschriften . . 2.3.2 Die Sinfonie Eroica in Wagners Schriften . . . . . . . . . . . 2.3.2.1 Die Sinfonie Eroica in »Ein glücklicher Abend« . . . 2.3.2.2 Die Sinfonie Eroica in Wagners »Beethovens ›heroische Symphonie‹« . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3 Beethovens 9. Sinfonie in Wagners Schriften . . . . . . . . . 2.3.3.1 Die 9. Sinfonie in »Eine Pilgerfahrt zu Beethoven« . . 2.3.3.2 Beethovens 9. Sinfonie in Wagners ästhetischer Schrift »Das Kunstwerk der Zukunft« . . . . . . . . . 2.4 ›Vorkämpfer‹ für eine neue Musik: Franz Liszts Schriften über Beethoven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5 »PoÚte musicien«. Hector Berlioz: Schriften über Beethoven . . . 2.5.1 Die Êtude critique des Symphonies de Beethoven . . . . . . . 2.5.2 Berlioz: Beethovens Nachfolger und ›deutscher Komponist‹? Zwischenresümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ästhetik der Intermedialität: Neudeutsche Musik in den neudeutschen Schriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Beethovens Nachfolger : Selbstinszenierung der Neudeutschen 3.2 Musikästhetische Entwürfe einer intermedialen Musik im Musikschrifttum der Neudeutschen . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Schumann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Liszt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3 Wagner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.4 Berlioz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

64 67 70 72 88 93 104 105 105 111 114 114 116 121 121 127 139 145 147 165 173

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191 192 195 198 202

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Inhalt

3.3 Versprachlichung und publizistische Verbreitung von neudeutschen Kompositionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Liszts Schriften über Wagners Werke . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Schumanns Schriften über neudeutsche Kompositionen . . 3.3.3 Hans von Bülows Schriften über Wagners Kompositionen . 3.3.4 Wagners Schrift »Über Franz Liszts Symphonische Dichtungen« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.5 Berlioz’ Text »Concerts de Richard Wagner« . . . . . . . .

. . . .

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. .

240 247

4. Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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5. Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Primärquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Sekundärquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Danksagung

Die vorliegende Studie ist im Rahmen meiner Tätigkeit als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am International Graduate Centre for the Study of Culture (GCSC) entstanden. Im Dezember 2010 wurde sie vom Fachbereich 05 (Sprache, Literatur, Kultur) der Justus-Liebig-Universität Gießen als Dissertation angenommen. Ohne vielfache Unterstützung hätte meine Arbeit nicht entstehen können: Hierfür möchte ich mich an dieser Stelle bedanken. Zuerst gehört mein herzlichster Dank meiner Doktormutter Frau Professorin Dr. Annette Simonis. Sie hat die Entstehung meiner Arbeit mit konstruktiver Kritik und wegweisenden Anregungen maßgeblich begleitet. Als meine akademische Lehrerin war und ist sie mit ermutigender Hilfestellung stets präsent; ihre Art der Betreuung hat die sachbezogene und freie Arbeit an meinem Gegenstand erst möglich gemacht. Ebenso danke ich Professor Dr. Günter Schnitzler für sein verlässliches Engagement als Zweitgutachter, das er auch über die Entfernung zwischen Gießen und Freiburg hinweg aufrechterhalten hat. Herzlich danken möchte ich ebenfalls Professor Dr. Christopher Reynolds (University of California, Davis), der mich zu meinem Aufenthalt an der University of California (Berkeley) ermuntert und meine Promotion mit konstanter Anteilnahme und Unterstützung begleitet hat. Anregende Hinweise habe ich von Professor Dr. Anthony Newcomb (University of California, Berkeley) erhalten. Professor Dr. Joachim Jacob (Gießen) hat mich als durchweg engagierter Leiter des GCSC-Kolloquiums in der letzten Phase meiner Dissertation mit wertvollen Hinweisen unterstützt. Einen aufrichtigen Dank an das gesamte Team des GCSC für die angenehme, kollegiale Arbeitsatmosphäre und die Forschung ermöglichenden Strukturen. Einen herzlichen Dank ebenso den Herausgebern der »Abhandlungen zur Musikgeschichte« für ihr Interesse an meiner Dissertation. Insbesondere danke ich Professor Dr. Martin Staehelin für Zuspruch und Unterstützung während meiner Promotionszeit. Zu Dank verpflichtet bin ich der Landesgraduiertenförderung des Landes Baden-Württemberg, die meine Arbeit in ihrer Anfangsphase gefördert hat,

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Danksagung

ebenso dem Education Abroad Program (Büro Göttingen), als dessen Stipendiatin mein Aufenthalt als Doktorandin an der University of California, Berkeley, möglich wurde. Ausdrücklich bedanken möchte ich mich bei der Johanna und Fritz Buch Gedächtnis-Stiftung (Hamburg) sowie bei der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften (Ingelheim am Rhein) für die großzügige finanzielle Unterstützung bei der Drucklegung dieser Dissertation. Meine Familie und Freunde haben mir die Zeit des Promovierens leichter gemacht und mir mit Rat und Tat zur Seite gestanden: Besonders bedanken möchte ich mich bei Dr. habil. Andrea Albrecht (Freiburg i.Br.) und Jan-Hendryk de Boer, M.A., (Göttingen) für hilfreiche, konstruktive Kritik und viele ertragreiche Gespräche. Dank ebenfalls an Beate Schröder, Maria Rottler, M.A., (Regensburg) und Stephanie Lange, M.A., (Gießen) für sorgfältige letzte Korrekturen am Manuskript. Schließlich gilt mein tief empfundener Dank meinen Eltern Beate Schröder und Dr. Christian Schröder für ihre umfassende und selbstlose Unterstützung meines Studiums und meiner Promotion. Ihnen ist diese Arbeit gewidmet.

1. Einleitung

1.1

Fragestellung, Gegenstand, Konzepte

Die vorliegende Arbeit versteht sich zunächst als ein Beitrag zur Forschung zur Neudeutschen Schule, und damit zur Musikgeschichte und Musikästhetik des 19. Jahrhunderts. Sie wendet sich aufgrund ihrer Beschäftigung mit den Texten der Neudeutschen einerseits an GermanistInnen, die sich in ihrer Forschung mit den intermedialen Beziehungen zwischen Musik und Sprache befassen, andererseits an MusikwissenschaftlerInnen. Die Bezeichnung ›Neudeutsche Schule‹ ist 1859 von dem Musikhistoriker und Musikpublizisten Franz Brendel eingeführt worden. Brendel fasst unter diese Gruppenbezeichnung die romantischen Komponisten Hector Berlioz, Franz Liszt und Richard Wagner. Zum weiteren Kreis der Neudeutschen zählt Brendel m. E. auch Robert Schumann. Der Begriff der Neudeutschen Schule sollte das Schlagwort der »Zukunftsmusik« ersetzen, das im Streit zwischen den ästhetisch fortschrittlich orientierten Neudeutschen und den konservativen Gegnern bisher eine große Rolle gespielt hatte. Die Kategorisierung dieses Zirkels als Neudeutsche Schule ist bis heute umstritten. Eine Reihe von Aspekten – die zum Teil großen musikästhetischen Differenzen zwischen den einzelnen Mitgliedern, das Fehlen einer in sich konsistenten Schülerschaft, die französische bzw. ungarische Nationalität Berlioz‹ und Liszts usw. – werden hierbei angeführt. Alternativ sind die Neudeutschen in der Musikwissenschaft und Musikgeschichte auch häufig als ›Neuromantiker‹ bezeichnet worden.1 In meiner Arbeit bemühe ich mich, im Anschluss an bereits existierende Arbeiten zur Beethovenrezeption der Neudeutschen folgendes zu zeigen: Das verbindende Element zwischen Wagner, Liszt, Berlioz und Schumann ist ihre Musikästhetik des Ausdrucks im Anschluss an ihr Verständnis von Beethovens Musik. Die Entwicklung der Musikkritik und 1 Vgl. Detlef Altenburg: Artikel »Neudeutsche Schule«. In: Ludwig Finscher (Hrsg.): Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik begründet von Friedrich Blume. Zweite, neubearbeitete Ausgabe. Kassel, Basel u. a.. Sachteil Bd. 7. 1997. Sp. 66 – 75.

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Einleitung

des Musikschrifttums nach 1800 spielt hierbei eine große Rolle. Meine Untersuchung stellt sich die Frage, wie sich die Rezeption von Beethovens Musik durch Komponisten, die der Neudeutschen Schule angehören oder ihr zumindest sehr nahe stehen (Berlioz, Liszt, Wagner, Schumann, von Bülow), in deren musikalischem Schrifttum und damit in ihrer Musikästhetik darstellt. Das Forschungsinteresse gilt hier zunächst den (rhetorischen und literarischen) Strategien der Übersetzung von Musik in Text. Die bevorzugten Modi in den untersuchten Beispielen sind die Visualisierung von Musik in Metaphern und Bildern sowie ihre Übertragung in Strukturen des Narrativen. Neudeutsche Komponisten transferieren Beethovens Musik in Sprache und stellen hierbei Musik als Narration und Bilder(-reihung) dar. Dies impliziert, dass die Neudeutschen in ihrer textgebundenen Beethovenrezeption für dessen Musik einen semantischen Gehalt annehmen, bzw. Beethovens Werken diesen zuschreiben. Für Musik des 19. Jahrhunderts, die sich in der Spannbreite zwischen Programmusik und durch weniger festgelegte und festlegende Anregungen von außen inspirierte Musik bewegt, möchte ich in dieser Arbeit den Begriff der semantisierten Musik benutzen. (Ein ähnlicher Begriff ist bereits von Stephan Sperl in seiner Dissertation Die Semantisierung der Musik im filmischen Werk Stanley Kubricks (2006) gebraucht worden.) Diese Musik ist durch einen Gehalt an Bedeutung in den verschiedensten Formen gekennzeichnet. Die Begrifflichkeit der semantisierten Musik führt, auch in der Perspektive der Musikgeschichte, Musikwissenschaft und Literatur- / Kulturgeschichte, zum etablierten Begriff der ›absoluten Musik‹. In der Forschung ist für einige Zeit die ›absolute Musik‹ mit der Musikästhetik der Romantik quasi gleichgesetzt worden. Anhand der hierfür zentralen Schriften von v. a. W.H. Wackenroder und E.T.A. Hoffmann ist ein ›unsagbarer‹, durch Sprache nicht auszudrückender Kern der Musik zum Wesentlichen des Mediums erklärt worden. Diese Position hat vor allem Carl Dahlhaus mit verschiedenen Schriften, darunter die Monographie Die Idee der absoluten Musik (1978) in der Musikwissenschaft der letzten Jahrzehnte dominant vertreten. Relativiert worden ist die Radikalität dieser These beispielsweise durch den Einspruch von Ulrich Tadday (Das schöne Unendliche. Ästhetik, Kritik, Geschichte der romantischen Musikanschauung. (1999)), der feststellt: »Die Musikanschauung der ›Romantik‹ war im wesentlichen gerade keine, von Texten, Programmen und Funktionen ›losgelöste‹ Ästhetik der ›reinen, absoluten‹ Instrumentalmusik wie sie seit Hanslick immer wieder propagiert worden ist.«2

2 Ulrich Tadday : Das schöne Unendliche. Ästhetik, Kritik, Geschichte der romantischen Musikanschauung. Stuttgart, Weimar 1999, S. 40.

Fragestellung, Gegenstand, Konzepte

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Dementsprechend hat sich das Verständnis romantischer Musikästhetik in der Musikwissenschaft differenziert und schließt auch eine sinn-hafte, Semantik transportierende Musik als romantische Musik ein. Die intensive Semantisierung seiner Musik, die in den neudeutschen Interpretationen stattfindet, ist durch Beethovens kompositorisches Vorgehen, durch die Strukturen seiner Musik, nur teilweise gerechtfertigt. Ein weiterer Aspekt der Beethoveninterpretationen neudeutscher Komponisten ist die Frage nach dem Wirkungspotential, das in ihnen bewusst angelegt ist. Durch ihre Publikationsorte, die meistens im Bereich großer musikalischer Zeitschriften liegen, und durch den Gebrauch wirkungsvoller, teils polemischer literarischer wie rhetorischer Mittel zielen die Texte darauf, Beethovens Musik bekannt zu machen und gegen ihre Kritiker zu verteidigen. Folglich stellt sich in der vorliegenden Arbeit die Frage, welche Funktion die untersuchten Schriften im Rahmen der musikästhetischen Debatten des 19. Jahrhunderts einnehmen. Den Neudeutschen dienen sie unter anderem zur internen Verständigung über ihre eigene Position. Beethoven wird in ihren Texten zum Gründungsvater der romantischen Schule stilisiert und vereinnahmt. Ein wesentliches Merkmal der neudeutschen Musikästhetik ist, trotz maßgeblicher ästhetischer Differenzen zwischen den einzelnen Vertretern dieser Gruppe, die Ästhetik einer semantisierten Musik. Diese Ästhetik wird in Beethovens Musik vorgefunden bzw. ihr zugeschrieben. Im zweiten Teil dieser Arbeit wird anschließend aufbauend auf der Beethovenrezeption der Neudeutschen untersucht, inwiefern die Strategien der semantisierenden Versprachlichung von Musik auch in ihren Schriften über die eigene, neudeutsche Musik zu finden sind. In den wechselseitigen Besprechungen, die Wagner, Liszt, Berlioz, Schumann und von Bülow verfassen, werden ebenfalls die Modi der Übertragung von Musik in Sprache benutzt, die bereits in den Beethovenschriften aufgetreten sind. Diese Musikversprachlichung zeigt sich nun äquivalent zu der semantisierten Musik, die die Neudeutschen als Komponisten in verschiedenen Formen vorlegen. Die intermediale Qualität ihrer Musik, ihr enger Zusammenhang mit Literatur, Sprache und Bedeutung, wird in den Rezensionen der Neudeutschen über Neudeutsche herausgestellt und quasi gespiegelt: Ihr musikalisches Schrifttum ist – im Sinne des Zusammenwirkens und der gleichzeitigen Präsenz zweier Medien – ebenso intermedial angelegt wie ihre Musik. Zurückgeführt wird dies auf die identitätsstiftende, als so ›revolutionär‹ wie elitär begriffene Figur Beethovens als (angeblichen) Pionier einer Musik des »bestimmten Ausdrucks« (Franz Brendel). Ähnlich wie die Beethovenschriften zielen auch die wechselseitigen Besprechungen neudeutscher Werke auf die Verteidigung progressiver Positionen gegen Mitglieder des gegnerischen, konservativen ästhetischen Lagers und auf die Verbreitung neudeutscher Kompositionen. Dieser Aspekt ist wesentlich, wenn es darum geht, den Medienwechsel romantischer Komponisten zu erklären. In der Forschung gilt es häufig als paradox, dass be-

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Einleitung

sonders die Musikästhetik der Romantik, die die Sprache gegenüber der Musik endgültig für niederrangig erklärt, in zahlreichen Schriften ihren Ausdruck findet. Es handelt sich jedoch nicht um ein Paradox, wenn man bedenkt, dass die Sprache als massenwirksames Mittel auf komplexe und wirkungsvolle Weise gebraucht wird. Dies geschieht, obwohl auch die Neudeutschen dem romantischen Dogma der Überlegenheit der Musik über alle anderen Künste anhängen. Das musikalische Schrifttum der Neudeutschen, das musikalische Werke analysiert, darstellt und thematisiert, wird in meiner Arbeit mit Werner Wolfs Begriff der »covert intermediality«3, der »verdeckten Intermedialität« gefasst. Er ist dadurch charakterisiert, dass in der Kombination zweier Medien eines das andere lediglich referiert. Das referierte Medium befindet sich folglich in der ›schwächeren Position‹. »Verdeckte Intermedialität« liegt in der Gattung der Musikkritik bzw. Musikrezension vor. Im Musikschrifttum ist der für das romantische ästhetische Verständnis eigentlich unzulässige Fall gegeben, dass Musik das schwächere, referierte Medium darstellt. Folglich sind die musikalischen Schriften der Neudeutschen ›Mittel zum Zweck‹. Das musikgeschichtliche Weltbild der progressiven Romantiker hat eschatologische Züge: Mit Hilfe der als vorbildhaft wahrgenommenen Komponisten der Vergangenheit – neben Beethoven, der einen prominenten Status hat, spielen auch Mozart, Haydn, Bach und Gluck eine Rolle – soll die seichte und kommerzialisierte Musikszene der Gegenwart bekämpft und schließlich ›überwunden‹ werden. Die breite Durchsetzung einer als ideal begriffenen Musik in der Zukunft ist das Ziel. Die Frage nach dem Paradox der großen musikkritischen Produktion der Neudeutschen ist nur zu erklären, wenn man berücksichtigt, dass Musikkritik und musikalisches Schrifttum in ihren Augen nur ein vorübergehendes Phänomen mit temporärer Berechtigung ist, das dazu dient, musikästhetische Überzeugungen wirksam zu verbreiten. Gegenstand meiner Untersuchung sind Texte, die im weiteren Sinne der Musikkritik und dem musikalischen Schrifttum des 19. Jahrhunderts zugehören. Zentral sind als Autoren zunächst die Komponisten, die zur lockeren Gruppierung der sogenannten ›Neudeutschen‹ gehören: Richard Wagner, Franz Liszt und Hector Berlioz. In der Forschung zur Neudeutschen Schule wird Schumann als am Rande zugehöriger Komponist ausgewiesen, da seine intermediale Musikästhetik einerseits und seine umfangreiche Aktivität im Bereich der Musikkritik andererseits ebenso wie seine Korrespondenz auf persönlich-biographischer Ebene ihn in die Nähe der Neudeutschen rückt. Einige Schriften Hans von Bülows werden in die Reihe der bearbeiteten Texte integriert, da auch er zu den prominenten Figuren in der Musikkritik des 19. Jahrhunderts zählt und den Neudeutschen als Schüler 3 Werner Wolf: The Musicalization of Fiction. A Study in the Theory and History of Intermediality. Amsterdam, Atlanta 1999. (= Internationale Forschungen zur allgemeinen und vergleichenden Literaturwissenschaft. Bd. 35). Hier S. 41.

Fragestellung, Gegenstand, Konzepte

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Liszts und Musikpublizist für die Sache der Neudeutschen eng verbunden ist. Die Auseinandersetzung mit den Rezensionen E.T.A. Hoffmanns, der als Komponist und Musiker in keiner Weise den Neudeutschen zuzurechnen ist, steht am Beginn meiner Arbeit. Hoffmann hat mit seiner Besprechung von Beethovens 5. Sinfonie die Gattung Musikkritik einerseits, den Diskurs über Beethoven andererseits und das Schreiben über Musik auf einer allgemeineren Ebene revolutioniert. Seine Schriften ebnen also den Weg für den Umbruch des Musikschrifttums nach 1800 und haben maßgeblichen Einfluss insbesondere auf Schumann und Wagner. Im ersten Teil dieser Arbeit, der sich mit der Rezeption Beethovens durch die Neudeutschen befasst, werden ausgewählte Schriften bearbeitet, die sich mit Beethovens Musik und zum Teil auch mit seiner Person und dessen Wirkung beschäftigen. Hier, wie auch in den Texten im zweiten Teil der Arbeit, handelt es sich um Schriften verschiedener Gattungen. Nach 1800 entwickelt sich, vor allem mit Schumann und unter dem Einfluss des romantischen Kritik-Verständnisses, die Musikkritik zu freieren Formen hin. Dementsprechend weisen auch die Schriften, die noch recht eindeutig durch ihren Erscheinungsort und andere Merkmale der Musikrezension zuzuordnen sind, verschiedene und zum Teil hybride Formen auf. Gleichermaßen gehören aber auch Schriften, die sich der Gattung der Musikernovelle oder der (theoretischen) Abhandlung nähern, zu den behandelten Texten. Wesentlich ist für die Auswahl meiner Texte, dass sie ein konkret zu benennendes musikalisches Werk Beethovens bzw. eines neudeutschen Komponisten rezensieren, darstellen oder thematisieren. Nach der Untersuchung der Beethovenschriften stehen im zweiten Teil Schriften im Vordergrund, die die neudeutschen Komponisten wechselseitig über neudeutsche Werke verfassen. Auch hier liegt eine Pluralität der Formen und Gattungen vor. Die Texte, die dieser Arbeit zugrunde liegen, umfassen deutsche und französische Schriften. Dies ergibt sich naturgemäß aus der Tatsache, dass zwei von drei zentralen Mitgliedern der Neudeutschen Schule nicht-deutsch sind und auf französisch schreiben.4 Mein Gegenstand – das deutsch-französische musikalische Schrifttum eines progressiven Komponistenzirkels im 19. Jahrhundert – erfordert eine ausdrücklich interdisziplinäre Herangehensweise. Das Analyseinstrumentarium der Literaturwissenschaft ist notwendig für die Bestimmung von Textgattungen und rhetorisch-sprachlichen Strategien. Eine wesentliche Rolle spielt hier die Metapherntheorie, die zur Untersuchung des häufigen Bildgebrauchs im Musikschrifttum dient. Aus der Disziplin der historischen Musikwissenschaft stammen die Hintergrundinformationen, die notwendig sind, um Aspekte der Musikästhetik und auch Musikrezeption zu beleuchten, die in den Schriften zum Ausdruck 4 Dieses ›Paradox‹, und welche Strategien die Neudeutschen entwickeln, um im öffentlichen Diskurs mit ihm umzugehen, thematisiere ich im Kapitel »Beethovens Nachfolger : Selbstinszenierung der Neudeutschen«.

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Einleitung

kommen. Das breite Feld der Intermedialitätstheorie wird herangezogen, wenn es um die Mittel des Transfers von Musik in Sprache und um das Verhältnis der beiden Medien im Text zueinander geht. Da meine Arbeit einen deutlichen Akzent auf die Frage nach dem Wirkungspotential und der publizistischen Funktion der behandelten Texte legt, sind auch kulturtheoretische Herangehensweisen sinnvoll. Die Musikkritik der Neudeutschen Schule zielt wesentlich auch darauf ab, progressive musikästhetische Diskurse in ihrer Gegenwart zu etablieren und zu verteidigen. Die Ausgriffe von Musikern in das Medium Sprache – ihr Medienwechsel – intendieren nicht selten, die Stellung eines Komponisten im zeitgenössischen musikalischen Feld zu verändern und dessen ›symbolisches Kapital‹ zu vermehren oder zu vermindern. Die eigene Position des Zirkels soll gefestigt und gegen konservative Gegner durchgesetzt werden. Hier erscheinen Ansätze Bourdieus und seiner Theorie des literarisch-künstlerischen Feldes, die in Les rÀgles de l’art (Die Regeln der Kunst) dargelegt werden, hilfreich. In einer Arbeit, die die Erinnerung an Beethoven und ihre Wirkung auf die Erneuerung der musikalischen Ästhetik im 19. Jahrhundert zum Gegenstand hat, sind Ansätze der Erinnerungsforschung obligat. Relevant ist hier vor allem Aleida Assmanns Konzept der Erinnerung als Monument, die eine Teilform der kulturellen Erinnerung darstellt. Ebenso wie die monumentale Erinnerung bzw. das »monumentale Gedächtnis« (Assmann) ist die eschatologische Erinnerung für die neudeutsche Auffassung von Musikgeschichte von Belang. Bei Assmanns Konzept der eschatologischen Erinnerung sowie der monumentalen Erinnerung sind offenbar auch Nietzsches Vorstellungen einer Historie, die als monumentalische das Streben einer Generation nach Ruhm fördert, sowie die antiquarische, auf die Tradition blickende Historie, die durch die Erinnerung Stabilität und Halt gibt, präsent.5 In ihrem Aufsatz »Zur Metaphorik der Erinnerung«6 führt Aleida Assmann aus, wie Erinnerung die Intention, eine glorreiche Vergangenheit in der Zukunft wiederzubeleben, enthalten kann. Bei der monumentalen Erinnerung oder dem monumentalen Gedächtnis einer Kultur handelt es sich, so Assmann, »um Gedächtnisbildung im Sinne der Kanonisierung einer Auswahl, um Stabilisierung werthafter Fixpunkte und Erzeugung von Verbindlichkeit«7. Die Gebäude-Metapher, die dieser Form der Erinnerung zugeordnet ist, ist diejenige des Ruhmestempels. »Der Ruhmestempel selegiert, kanonisiert und monumentalisiert Personen und Werke nach Art eines Pantheon als Summe verbindlicher, zeitenthobener Werte.«8 Die Erinnerung der Neu5 Vgl. Ottmann, Henning (Hrsg.): Nietzsche-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Stuttgart, Weimar 2000, S. 255. 6 In: Aleida Assmann / Dietrich Harth (Hgg.): Mnemosyne. Formen und Funktionen der kulturellen Erinnerung. Frankfurt am Main 1991, S. 13¢36. 7 Ebd., S. 30. 8 Ebd., S. 18.

Fragestellung, Gegenstand, Konzepte

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deutschen an Werk und Person Beethovens erfüllt genau die dargelegten Kriterien der Memoria als Monument. Die eschatologische Erinnerung verknüpft sich mit der Vorstellung des ›Erwachens‹ – ein Motiv, das häufig auch in die politische Rhetorik gehört. Sie will den chronologischen Verlauf der Zeit umkehren und in der Zukunft zurückholen, was verlorenging.9 In diesem Sinne stehen die unbefriedigenden Zustände der Gegenwart unter dem Verdikt der Vorläufigkeit und sollen aktiv verändert werden. Dies ist der Fall für das neudeutsche musikalische und publizistische Schaffen, das die vermeintlich seichte und kommerzialisierte kulturelle Gegenwart in der Erinnerung an Beethoven überwinden will. Eng verbunden mit dem Konzept der kulturellen Erinnerung ist das Konzept der kulturellen Identität.10 Die Neudeutsche Schule entwirft ihre kulturell-ästhetische Identität als progressiver Komponistenzirkel im Kampf für eine ›ideale‹ Musik der Zukunft auf der Basis der Erinnerung an Beethoven. Dementsprechend musste für die vorliegenden Texte auch untersucht werden, wie gerade im Medium der Sprache Erinnerung und Identität konstruiert bzw. verhandelt werden. Wesentlich für kulturelle Identitäten im 19. Jahrhundert sind nationale Zuschreibungen und Diskurse. Die neudeutschen Komponisten bestätigen einerseits Diskurse eines aggressiven kulturellen Nationalismus (und hierbei eines deutschen Kulturchauvinismus) in ihren Schriften. Andererseits suchen sie nach Strategien, um französische / nicht-deutsche Komponisten wie Berlioz und Liszt in die Neudeutsche ›Schule‹ zu integrieren. Die Forschung zum Nationalismus, und besonders zur deutsch-französischen nationalen Rivalität im 19. Jahrhundert (Michael Jeismann und andere), wird hier kontextualisierend in Betracht gezogen. Das Phänomen und Konzept eines kulturellen Nationalismus ist für eine Studie zur neudeutschen Schule besonders ertragreich. Nur ein solcher Nationalismus erlaubt es den Neudeutschen, französische Komponisten in einen ›deutschen‹ Komponistenzirkel zu integrieren – ihre Herkunft stellt für die deutschen Mitglieder kein Problem dar, sofern sie von einer als ›französisch‹ verstandenen Musik und Kompositionsweise Abstand nehmen.

9 Ebd., S. 22 f. 10 Vgl. z. B. Astrid Erll / Marion Gymnich / Ansgar Nünning (Hgg.): Literatur – Erinnerung – Identität. Theoriekonzepte und Fallstudien. Trier 2003. (= Ansgar und Vera Nünning (Hgg.): ELCH Studies in English Literacy and Cultural History. ELK Studien zur Englischen Literatur- und Kulturwissenschaft. Bd. 11).

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1.2

Einleitung

Stand der Forschung

Im Zentrum meiner Arbeit stehen die Schriften der Neudeutschen Schule und die Frage nach ihrer Musikästhetik und -versprachlichung auf der Basis ihrer Beethovenrezeption. Im Gegensatz zu Studien über die einzelnen Mitglieder der Schule ist die Forschung zur Neudeutschen Schule als solcher in ihrem Umfang begrenzt. Einige grundlegende, zentrale und wegweisende Arbeiten sind jedoch in jüngerer Zeit erschienen. Hierzu zählt die Monographie Begriff und Ästhetik der »Neudeutschen Schule«: ein Beitrag zur Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts von Robert Determann (1989). Determann arbeitet zunächst die Begriffsgeschichte des Terminus‹ »neudeutsch« vom 17. bis zum 19. Jahrhundert auf. Im zweiten Teil seiner Arbeit widmet er sich explizit der Ästhetik der Neudeutschen Schule als Ästhetik des Fortschritts und ihrer starken Interdependenz mit Hegels (Geschichts-)Philosophie. Die Erforschung der Briefe und Schriften Franz Liszts sowie der musikkritischen Schriften der Neudeutschen Schule ist in den letzten Jahren mit zentralen Forschungsbeiträgen von vor allem Detlef Altenburg, Serge Gut, Rainer Kleinertz, Gerhard J. Winkler und James Deaville vorangetrieben worden. Sie beschäftigen sich mit der neudeutschen Beethovenrezeption auf der musikästhetischen Ebene und mit der herausragenden Bedeutung der Musikkritik der Neudeutschen und betonen hierbei auch die zentrale Rolle Franz Brendels als Publizist für die ›neudeutsche Sache‹. Wesentliche Aufsätze wie z. B. Altenburgs »Die Neudeutsche Schule – eine Fiktion der Musikgeschichtsschreibung?«, der – wie auch Rainer Kleinertz im selben Band – die Problematik des Begriffs der Neudeutschen detailliert aufgreift und zugleich Thesen und Desiderate für die weitere Forschung benennt, Gerhard J. Winklers Beitrag zur neudeutschen Musikästhetik des »bestimmten Ausdrucks«, oder die nähere Betrachtung von Schumanns Verflechtung mit den Neudeutschen sind im von Detlef Altenburg herausgegebenen Band Liszt und die Neudeutsche Schule (2006) enthalten. Die Sammlung Liszt und Europa (2008), hrsg. von ebenfalls Detlef Altenburg und Harriet Oelers, gliedert sich in die Themenabschnitte »Liszt und die Neudeutschen im europäischen Kontext« und »Liszt- und Wagner-Rezeption in Europa und der Neuen Welt«. Der Aufsatz von Wolfgang Dömling, »Zum Beispiel Neudeutsch – wieso eigentlich Schule?« ist zwar ein Beitrag zur Diskussion der Schulen-Problematik für den Fall der Neudeutschen. Allerdings diskutiert Dömling ausführlich den Begriff der Schule, und bezieht sich vielfach auf die Wiener und die Mannheimer Schule, so dass für eine eingehende Untersuchung der Neudeutschen kaum Raum verbleibt. Wolfram Steinbeck geht in seinem Beitrag »Die Neudeutschen, Franz Brendel und die nationale Idee eines vereinten Europa« auf die ästhetische Definierung der Neudeutschen durch Franz Brendel ein. Er betont hierbei Brendels Absicht zur Erneuerung der Musikästhetik hin zu

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einem Realismus in der Musik, der im Sinne der »Bestimmtheit des Ausdrucks« (Brendel) mit semantisierter Musik gleichgesetzt werden kann. Steinbeck stellt weiterhin die These auf, dass die progressive Ästhetik des Zirkels um Liszt, Wagner und Berlioz eine mit der europäischen musikalischen Romantik kompatible Ästhetik und kein deutscher, chauvinistisch geprägter Sonderweg gewesen sei. »Die Neudeutschen sind – bei aller nationalen Gesinnung und Zielsetzung und auch bei aller bewußten Polemik […] – die ersten Europäer, und das nicht nur, weil ein Franzose, ein Ungar und ein Deutscher die Kerntruppe bilden, sondern vor allem auch, weil mit ihrer Musik und ihrer vereinsmäßigen Förderung im Zentrum Weimar der Grundstein einer europäischen Kompositionsgeschichte gelegt wurde, der Grundstein für die zweite Stufe der Emanzipation der Instrumentalmusik, deren Reinheitsgebot im nationalen Sendungsbewußtsein unterging.«11

Dem ist zuzustimmen, dennoch möchte ich in meiner Arbeit einschränkend erläutern, dass im Sinne eines deutschen kulturellen Nationalismus und im Rückgriff auf Beethoven den nicht-deutschen Mitgliedern ein Ablegen ihrer kulturellen Identität suggeriert wird.

Intermedialität: Musik und Sprache Im Zentrum meiner Arbeit steht die Frage nach der Versprachlichung von Musik, also nach der Vereinigung oder auch Hybridisierung zweier Medien bzw. nach dem Ersetzen des einen Mediums durch ein anderes. Deshalb ist die breite Forschungsdebatte, die sich vor allem in den letzten Jahrzehnten mit neuer Energie um das Thema der Intermedialität dreht, für meine Arbeit grundlegend. Zunächst muss die Frage nach der Wechselwirkung mehrerer Medien miteinander auf einer allgemeineren Ebene bearbeitet werden. Für die Debatte zur Intermedialität, die sich nicht nur spezifisch auf die Medien Sprache und Musik bezieht, ist die von Jörg Helbig herausgegebene Monographie Intermedialität: Theorie und Praxis eines interdisziplinären Forschungsgebiets (Berlin 1998) nur ein Beispiel. Innerhalb des Forschungsfelds der Intermedialität ist die Debatte um das intermediale Verhältnis von Musik und Sprache für meine Arbeit zentral. Zu den wichtigsten Wissenschaftlern auf dem Gebiet zählt Calvin S. Brown, der bereits 1948 als eine der ersten umfassenden Monographien zum Thema sein Buch 11 Wolfram Steinbeck: »Die Neudeutschen, Franz Brendel und die nationale Idee.« In: Detlef Altenburg / Harriet Oelers (Hgg.): Liszt und Europa. Laaber 2008. (= Weimarer Liszt-Studien. Im Auftrag der Deutschen Liszt-Gesellschaft hrsg. von Detlef Altenburg. Band 5). S. 51 – 62, hier S. 59.

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Music and Literature. A Comparison of the Arts vorgelegt hat. Ähnliches gilt für Steven Paul Scher, der mehrere Veröffentlichungen herausgegeben und verfasst hat.12 Von ihm übernehme ich bei der Analyse der neudeutschen Musikbeschreibung den Begriff der »verbal music«, den Scher wie folgt definiert: »Consequently, by verbal music I mean any literary presentation (whether in poetry or prose) of existing or fictitious musical compositions: any poetic texture which has a piece of music as its ›theme‹. In addition to approximating in words an actual or fictitious score, such poems or passages often suggest characterization of a musical performance or of subjective response to the music.«13 Diese Definition ist zwar sehr weit gefasst, ist jedoch als erste Annäherung an Musikbeschreibung im Medium Text gut geeignet. Gleichzeitig erwähnt sie die beiden zentralen Aspekte der konkreten Aufführungssituation, die in der Musikversprachlichung bei z. B. Wagner oder Schumann eine Rolle spielen sowie denjenigen Versprachlichungsmodus, der Musik durch die beschriebenen Reaktionen des Hörers darstellt. Unter anderen hat sich Thomas Grey zum Problem des Narrativen und Metaphorischen in der Musik geäußert. (Thomas Grey : »Metaphorical modes in nineteenth-century music criticism: image, narrative, and idea.« In: Steven P. Scher (Hrsg.): Music and text: critical inquiries.(1992. S. 93 – 118)). Greys Klassifizierung der metaphorischen Musikbeschreibung des 19. Jahrhunderts als entweder visuell oder narrativ greife ich als wichtiges Analyseinstrumentarium auf: »Broadly speaking, one can identify two predominant metaphorical modes in musical criticism since the late eighteenth century : a visual mode and a verbal, or more specifically, narrative mode.«14 Zu den wichtigsten jüngeren Veröffentlichungen gehören die Arbeiten von Barbara Naumann, Carl Dahlhaus, Michael Walter, Angelika Corbineau-Hoffmann, Gerold W. Gruber, Albert Gier, Christine Lubkoll und Nicola Gess. Neben den intermedial ausgerichteten Forschungen spielt der Bereich der Musiksemantik bzw. -semiotik für meine geplante Untersuchung ebenfalls eine wichtige Rolle. Thorsten Valk zeichnet in seiner Monographie Literarische Musikästhetik. Eine Diskursgeschichte von 1800 bis 1950 (2008) die Umwälzung der Musikästhetik ab 1800 sowie die Rolle der Literatur in diesem Prozess nach und geht auf »Strategien des Medientransfers« (Valk) in der Romantik ein. Nach diesem einführenden Kapitel, in 12 Unter diesen sind beispielsweise die Monographien: Literatur und Musik. Ein Handbuch zur Theorie und Praxis eines komparatistischen Grenzgebietes (1984), Essays on literature and music (1967 – 2004), Verbal music in German literature (1968), Music and text: critical inquiries (1992), und gemeinsam mit Walter Bernhart: Word and Music Studies (1999) von besonderer Bedeutung. 13 Steven Paul Scher : Verbal Music in German Literature. New Haven, London 1968, S. 8. 14 Thomas Grey : «Metaphorical modes in nineteenth-century music criticism: image, narrative, and idea.« In: Steven Paul Scher (Hrsg.): Music and text: critical inquiries. Cambridge u. a. 1992, S. 93 – 117, hier S. 94.

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dem Valk die entsprechenden Forschungsbeiträge von Dahlhaus und anderen präzise zusammenfasst, kommt er zu den Fallstudien. Sie umfassen Tiecks und Wackenroders Berglinger-Texte, Hoffmanns »Ritter Gluck«, Mörikes Mozart auf der Reise nach Prag, Werfels Verdi-Roman und Manns Doktor Faustus, also ausschließlich (kanonische), rein literarische Texte. Valks These zu Beginn seiner Arbeit ist, Musikästhetik sei um 1800 ein literarisches Phänomen und diene der literarischen Romantik als poetologisches Reflexionsmedium. Dies ist hilfreich, wenn es, wie in den in dieser Dissertation vorliegenden Texten, um die Gleichzeitigkeit von literarischen Gestaltungsprinzipien und musikästhetischer Positionierung geht. Darüber hinaus ist Valks Monographie für die Leitfragen und den Gegenstand meiner Dissertation jedoch nicht relevant. Diskutiert werden in diesen Debatten die zentralen Fragen nach der Kompatibilität von Sprache und Musik, dem semantischen Gehalt von Musik und die verschiedenen Möglichkeiten ihres ›Übersetztwerdens‹ in die Sprache. Am Beispiel von konkreten Kunstwerken geht es auch immer wieder um die Interaktion der beiden Medien miteinander und eventuelle Dominanz- und Kombinationsverhältnisse. In diesen Bereich der Wechselwirkung der Medien Sprache und Musik gehört der Terminus der »covert intermediality«, der »verdeckten Intermedialität« (Werner Wolf). Er ist für meine Arbeit ein wesentlicher Begriff, um die Form der Intermedialität in den bearbeiteten Texten zu bestimmen.

Historische Musikästhetik und Musikkritik Zentral für die Geschichte der Musikästhetik sind noch immer die Forschungsbeiträge von Carl Dahlhaus, darunter die Monographien Die Idee der absoluten Musik (1978) und Klassische und romantische Musikästhetik (1988). Dahlhaus‹ Hinweis, dass die musikästhetische Debatte nicht unbedingt um die Pole ›absolute Musik‹ und ›Programmusik‹ geordnet sei, sondern bestrebt sei, ›poetische‹ und ›prosaische‹ Musik wertend zu unterscheiden, ist für die Interpretation der neudeutschen Ästhetik einer (anspruchsvollen) semantisierten Musik mit »bestimmtem Ausdruck« von größter Relevanz.15 Ebenso äußert sich Dahlhaus an einigen Stellen über Musikkritik im 19. Jahrhundert und betont, dass Musikkritiker häufig nicht selbst professionelle Musiker waren. Umso be15 Dahlhaus formuliert wie folgt: »Nicht der Streit um absolute und Programmusik, sondern der Versuch, ›Poetisches‹ von ›Mechanischem‹, ›Prosaischem‹ und ›Historischem‹ zu unterscheiden, bestimmte oder färbte die musikästhetische Terminologie der Zeit um 1800.« Carl Dahlhaus: Allgemeine Theorie der Musik I. Historik – Grundlagen der Musik-Ästhetik. Hrsg. von Hermann Danuser in Verbindung mit Hans-Joachim Hinrichsen und Tobias Plebuch. Laaber 2000. (= Carl Dahlhaus: Gesammelte Schriften in 10 Bänden. Hrsg. von Hermann Danuser). Bd. 1, S. 545.

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merkenswerter ist also das Phänomen, das Gegenstand meiner Arbeit ist: der Medienwechsel neuromantischer Komponisten von der Musik zur Sprache. Eine Geschichte der romantischen Musikästhetik, die Dahlhaus‹ These der ›absoluten Musik‹ relativieren will, hat Ulrich Tadday 1999 mit Das schöne Unendliche. Ästhetik, Kritik, Geschichte der romantischen Musikanschauung vorgelegt. Wenn auch bereits Dahlhaus wie zitiert darauf hingewiesen hat, dass sich die romantische Musikästhetik durchaus nicht immer gegen eine semantisierte Musik wende, so konturiert Tadday diesen Gedanken noch deutlicher : »Die Musikanschauung der ›Romantik‹ war im wesentlichen gerade keine, von Texten, Programmen und Funktionen ›losgelöste‹ Ästhetik der ›reinen, absoluten‹ Instrumentalmusik wie sie seit Hanslick immer wieder propagiert worden ist. Sie war auch keine ›verrottete Gefühlsästhetik‹ [Hanslick, ›Vom Musikalisch-Schönen‹], und sie war schon gar nicht trivial. Die ›romantische‹ Musikanschaung des frühen und mittleren 19. Jahrhunderts wurzelt in der Gefühlsästhetik im Sinne des populären ›Romantik‹-Begriffs und sie wächst zugleich darüber hinaus.«16

Diese These findet ihre Bestätigung in den Analysen von sowohl Hoffmanns Musikkritik als auch der neudeutschen Texte. Die Musikauffassung der Romantiker bzw. sogenannten ›Neuromantiker‹ nimmt durchweg eine mit Texten, Programmen, Bildern, Ideen usw. eng verbundene Musik an. Von herausragender Bedeutung, da die historischen Aspekte der Musikanschauung mit einem hohen Maß an theoretischer, zur aktuellen, intermedialen Theoriedebatte führender Herangehensweise behandelt werden, ist neben den Schriften von Carl Dahlhaus für meine Arbeit das 1996 von Ian Bent herausgegebene Music theory in the Age of Romanticism und die Bände Music Analysis in the Nineteenth Century (1994). Auch die Forschung zur Rezeptionsästhetik des 19. Jahrhunderts ist für meine Analyse der Musikversprachlichung von Bedeutung, und wird z. B. durch den von Hermann Danuser und Friedhelm Krummacher herausgegebenen Band Rezeptionsästhetik und Rezeptionsgeschichte in der Musikwissenschaft (1991) vertreten. Ein weiterer Bereich, der unzweifelhaft zu den beiden oben umrissenen Forschungsfeldern gehört, ist die Geschichte und Theorie der Musikkritik sowohl für Deutschland als auch für Frankreich. Eine umfassende historische Darstellung zur Entwicklung der deutschen Musikkritik ist noch immer ein Forschungsdesiderat. Einzelne Studien nehmen eingegrenzte Zeiträume und bestimmte Korpora des musikkritischen Schrifttums in den Blick.17 Den franzö16 Ulrich Tadday : Das schöne Unendliche. Ästhetik, Kritik, Geschichte der romantischen Musikanschauung. Stuttgart, Weimar 1999, S. 40. 17 So beispielsweise Heike Stumpfs »…wollet mir jetzt durch die phantastisch verschlungenen Kreuzgänge folgen!«. Metaphorisches Sprechen in der Musikkritik der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Frankfurt am Main, Berlin, Bern u. a. 1996. (= Bonner Schriften zur Musikwissenschaft. Bd. 2). Stumpf wirft einleitend die übergreifenden Fragen nach »dem Zu-

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sischen Raum, und besonders das musikkritische Wirken von Berlioz‹ bearbeitet Katharine Ellis (Katharine Ellis: Music criticism in nineteenth-century France. La Revue et Gazette musicale de Paris, 1834 – 80. Cambridge 1995.) mit der Studie zur einflussreichen Revue et Gazette musicale. Die Revue et Gazette musicale, so arbeitet Ellis heraus, stellt sich die Aufgabe, Beethovens Musik gegen ihre Kritiker durchzusetzen und trägt so zum Entwurf des romantischen Beethovenbilds bei. Ihre Beethovenkritik bedient sich hierbei, so Ellis, einer großen Bandbreite an Textformen, darunter literarischer Porträts, deskriptiver Analysen und romantischer ›Konversionsberichte‹ von Skeptikern, die sich zu Beethoven ›bekehrten.‹ In diesem Kontext ist auch der Beethovenkritiker Berlioz zu sehen, der für die Revue et Gazette musicale lange Zeit wirkte. In den Bereich der (internationalen) Beethovenrezeption des 19. Jahrhunderts und der deutschen / französischen Musikkritik gehört die Monographie Beethoven’s Critics. Aesthetic dilemmas and resolutions during the composer’s lifetime von Robin Wallace (1986). Wallace widmet sich der deutsch-französischen Beethovenkritik in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts. Er fokussiert seine Studien hierbei auf die Allgemeine Musikalische Zeitung, die Kritik von A.B. Marx und, die französische Beethovenkritik von z. B. F¦tis und Berlioz sowie Berlioz und E.T.A. Hoffmann vergleichend, auf die Kritik über Beethovens 5. Sinfonie. Wallace stellt die These auf, dass sowohl in der Ablehnung als auch in der Zustimmung gegenüber Beethovens Musik die französische und deutsche Musikrezension wesentliche Gemeinsamkeiten aufweisen. Progressive und Konservative folgten, so Wallace, in beiden Ländern außerdem weitgehend ähnlichen Prinzipien in Bezug auf die Rezeption von Beethovens Werk. Romantisches Denken über Musik, sei es französisch oder deutsch, folge dem Wunsch, strenge Analyse mit außermusikalischer Reflexion zu verbinden.

sammenhang von musikalischen Phänomenen, Beschreibungssprache, Musikästhetik und musikalischer Programmatik« (S. 17) auf. Sie referiert die Problematik der Wirkung der neuen romantischen Musikästhetik um 1800 auf die Art und Weise der Verbalisierung von Musik. Ebenso stellt sie fest, dass die Ausbildung einer metaphorisch geprägten Sprache in der Musikkritik ab 1800 mit der Wirkung von Beethovens Werk zusammenhinge. Die Arbeit konzentriert sich jedoch in ihrem Verlauf auf die Textanalyse und die Untersuchung von Metaphern bzw. Metaphernfeldern und bildspendenden Bereichen. Auch im Schlussteil wird nicht versucht, Aussagen auf einer stärker theoretischen Ebene zu machen und allgemeingültigere Schlüsse zu ziehen, die zu der allgemeineren Debatte um das intermediale Verhältnis von Musik und Sprache bzw. um den Zusammenhang von Musikästhetik und Musikversprachlichung beitragen könnten.

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Beethovenrezeption Die vorliegende Arbeit versteht sich auch als ein Beitrag zur Rezeption Beethovens im 19. Jahrhundert. Dies fokussiert sich hier auf den Bereich des musikalischen Schrifttums und der musikalischen Ästhetik der (spät-)romantischen Generation. Zur Rezeption von Beethoven in musikalischen Werken der folgenden Generationen von Komponisten und auch zur Reaktion des Publikums sind bereits verschiedene Monographien veröffentlicht worden.18 Mit der Nachwirkung von Beethovens Werk und Person in zeitgenössischen Texten, einigen Rezensionen und der Literatur befasst sich Angelika Corbineau-Hoffmann: Testament und Totenmaske. Der literarische Mythos des Ludwig van Beethoven (2000). Corbineau-Hoffmann geht im Kapitel »In Sprache komponiert: Poetische Beschreibungen Beethovenscher Musik« auf die Problematik der Beschreibung von Musik und hiermit auch auf den Terminus der »verbal music« nach Scher ein. Hoffmann habe mit seiner Rezension der 5. Sinfonie eine Tradition ›poetischer‹ Beschreibungen von Beethovens Musik begründet. Hoffmann versuche nicht, die Musik im Medium der Sprache zu repräsentieren, sondern erschaffe eine »gemeinsame[] Sprache der Kunst« (S. 253). Anschließend analysiert die Autorin neben Wagners Novelle Eine Pilgerfahrt zu Beethoven auch beethovenbezogene Texte aus Berlioz‹ õ travers chants. Sie kommt hierbei zu dem Schluss, sowohl Beethoven als auch sein Interpret Berlioz seien als »poÀte musicien« [sic] zu begreifen und resümiert: »Beethoven bildet dafür ein Beispiel, indem er als ›poÀte musicien‹ die Poesie des Wortes und somit das Beginnen des anderen ›poÀte musicien‹, Berlioz‹ selbst, legitimiert. Mehr noch: Die Poesie der Musik fordert die Poesie der Sprache als ihr Analogon, gleichsam als ihre Geistes- und Seelenverwandte, heraus.« (S. 256) Es ist hier allerdings die Frage, ob die »Poesie« – wobei nicht klar wird, was hiermit exakt gemeint ist – der Musik Beethovens wirklich in allen Fällen inhärent ist, oder ob diese erst durch die Musikbeschreibung in die Komposition projiziert wird. Einige Studien beschäftigen sich auch mit der Beethovenrezeption einzelner Neudeutscher, wie zum Beispiel Bodo Bischoffs Monument für Beethoven. Die 18 Zentral hier ist der Beitrag von Hans - Heinrich Eggebrecht: »Zur Geschichte der BeethovenRezeption. Beethoven 1970.« In: Akademie der Wissenschaften und der Literatur. Abhandlungen der geistes- und sozialwissenschaftlichen Klasse. Jahrgang 1972, Nr. 3. Mainz 1972. S. 53 – 138. Andere Beispiele für neuere Arbeiten zur Beethovenrezeption sind: Ulrich Schmitt: Revolution im Konzertsaal. Zur Geschichte der politischen Beethoven-Deutung. Mainz 1990 sowie Andreas Eichhorn: Beethovens Neunte Symphonie. Die Geschichte ihrer Aufführung und Rezeption. Kassel, Basel u. a. 1993. (= Kasseler Schriften zur Musik. Hrsg. von Klaus Kropfinger, Adolf Nowak und Helmut Rösing. Bd. 3), ebenso Elisabeth Eleonore Bauer : Wie Beethoven auf den Sockel kam. Die Entstehung eines musikalischen Mythos. Stuttgart, Weimar 1992 und Arnold Schmitz: Das romantische Beethovenbild: Darstellung und Kritik. Berlin, Bonn 1927.

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Entwicklung der Beethoven-Rezeption Robert Schumanns (1994), mit Liszts Beethovenrezeption Axel Schröter : ›Der Name Beethoven ist heilig in der Kunst.‹ Studien zu Liszts Beethoven-Rezeption. (1999). Klaus Kropfinger, Thomas Grey und andere haben sich bereits mit der Bedeutung Beethovens für Wagner befasst. Die Tatsache des großen Einflusses, den Beethovens Musik und Kompositionsweise auf die Neudeutschen hatte, ist also in der Forschung bestätigt und anerkannt. Dennoch fehlt bisher eine Studie, die die Rezeption Beethovens für die neudeutschen Komponisten vergleichend, auf die Ebene der Musikästhetik bezogen, anhand des musikalischen Schrifttums untersucht.

Einzelne Autoren Die Lage des Sekundärmaterials ist zu allen hier zu behandelnden Autoren bzw. Komponisten mit Ausnahme Hans von Bülows unüberschaubar heterogen. Es ist für meine Arbeit notwendig, sich auf diejenige Forschung zu konzentrieren, die ausdrücklich das musikalische Schrifttum der Komponisten in den Blick nimmt. Robert Schumanns musikkritische Tätigkeit ist in ihren Rahmenbedingungen und literarischen Qualitäten weitgehend erforscht, die prominentesten Beispiele sind hier Hans-Peter Frickers Buch Die musikkritischen Schriften Robert Schumanns. Versuch eines literaturwissenschaftlichen Zugangs (1983) und Leon B. Plantingas umfassendes Schumann as Critic (1967). Die Verbindung von Musik und Literatur bzw. ›Poesie‹ in Schumanns Werken behandelt John Daverio in Robert Schumann. Herald of a ›New Poetic Age‹ (1997) und widmet Schumanns Musikkritik ein ausführliches Kapitel. Aigi Heero arbeitet in seiner Studie Poesie der Musik: Zur Intermedialität in Robert Schumanns frühen Schriften. (TRAMES, issue: 1 / 2007. S. 15 – 34; http://www.kirj.ee/public/trames/trames-2007-1-2.pdf) heraus, dass in Schumanns musikkritischem und auch musikalischem Werk die Medien Musik und Literatur gleichberechtigte Zeichensysteme sind. Uwe Schweikerts Beitrag im Schumann-Handbuch (»Das literarische Werk. Lektüre, Poesie, Kritik und poetische Musik.« (Ulrich Tadday (Hrsg.): Schumann-Handbuch. (Stuttgart, Weimar 2006)) gibt eine umfassende Charakterisierung von Schumanns Musikkritik. Schweikert geht unter anderem auf die große Bedeutung Jean Pauls für Schumann ein19 und beschreibt Schumanns Schreiben wie folgt: »Schumanns Ästhetik ist eine Empfindungsästhetik: einerseits gilt sie der Wahrnehmung von Welt, die sich im Subjekt bricht, andererseits der Chiffrierung von ›Seelenzuständen‹ (Kreisig I, 22), die sich im Werk widerspiegeln. Aufgabe der Kritik ist es, 19 Zur Bedeutung von Jean Pauls Werk für Schumanns kritisch-literarisches Schreiben vgl.: Frauke Otto: Robert Schumann als Jean-Paul-Leser. Frankfurt am Main 1984.

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die sinnliche Erkenntnis gleichnishaft – nämlich poetisch – zu beschreiben, die subjektive Empfindung zugleich aber mit vernunftbedingten Gründen – also technisch vermittelt – zu untermauern. Als Musiker beruft Schumann sich auf das Vorbild Beethovens, als Schriftsteller auf das Vorbild Jean Pauls […]«20.

Ebenso analysiert Schweikert detailliert Texte Schumanns wie unter anderen »Ein Werk II«. Der Aufsatz von Klaus H. Hilzinger: »Musikalische Literatur und literarische Musik. Robert Schumann und Hector Berlioz.« (In: Albert Gier / Gerold W. Gruber (Hgg.): Musik und Literatur. Komparatistische Studien zur Strukturverwandtschaft. (1995)), untersucht zunächst Schumanns Rezension von Berlioz‹ Symphonie fantastique, um dann näher auf Schumanns Musikästhetik im Vergleich mit Berlioz‹ Musikkritik und -ästhetik einzugehen. Hilzinger resümiert: »Die Probleme einer neuen Affinität von Text und Musik durchziehen die Schriften von Berlioz und Schumann, bei aller unterschiedlichen Akzentuierung von Programm und Poesie, in geschichtlicher Gleichzeitigkeit. Beide schreiben musikalische Literatur im Doppelsinn: begrifflich distanziert über Musik, poetisch affiziert als Musik, das heißt als Metapher von Musik.« (S. 154). Die Wechselwirkung von Musik und Literatur im Werk E.T.A. Hoffmanns bzw. Hoffmanns Musikästhetik ist gut erforscht, verwiesen sei hier auf R. Murray Schafers Studie E.T.A. Hoffmann and music (1975), Günter Schnitzlers »›Ritter Gluck‹. Produktive Musikkritik« (2004) oder Klaus-Dieter Dobats Musik als romantische Illusion. Eine Untersuchung zur Bedeutung der Musikvorstellung E.T.A. Hoffmanns für sein literarisches Werk. (1984), ebenso Werner Keil / Charis Goer (Hgg.): »Seelenaccente – »Ohrenphysiognomik«. Zur Musikanschauung E.T.A. Hoffmanns, Heinses und Wackenroders. (2000)) Die Bedeutung von Hoffmanns Rezension der 5. Sinfonie Beethovens ist mehrfach untersucht und betont worden. Peter Schnaus nimmt neben der Besprechung der c-moll-Sinfonie auch die anderen Beethovenkritiken Hoffmanns in den Blick; Michael Walter und Ian Bent analysieren die besondere, revolutionäre sprachliche Qualität der Rezension der 5. Sinfonie, ähnliche Beobachtungen sind bei Angelika Corbineau-Hoffmann zu finden. Carl Dahlhaus stellt die Beethovenauslegung Hoffmanns in die Tradition des Erhabenen und fügt somit der Debatte um diese Kritik einen neuen und markanten, nicht unumstrittenen Akzent hinzu. In jedem Fall liegt die Beobachtung in der Forschung vor, dass Hoffmann mit seinen Beethovenkritiken, vor allem der der 5. Sinfonie, eine neuartige, stilistisch freiere, stärker literarisch-rhetorisch geprägte Musikkritik ermöglicht und hiermit signifikanten Einfluss auf die Entwicklung der Musikkritik und das musikalische Schrifttum nach 1810 nimmt. 20 Uwe Schweikert: »Das literarische Werk. Lektüre, Poesie, Kritik und poetische Musik.« In: Ulrich Tadday (Hrsg.) Schumann-Handbuch. Stuttgart u. a. 2006, S. 107 – 126. Hier S. 119.

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Ähnliches gilt für Wagners Schriften, bei denen durch die Vielfalt ihrer Gattungen eine etwas andere Ausgangslage gegeben ist. Hier liegt mit Thomas Greys Wagner’s musical prose (1995) ein einschlägiges Werk vor, das auch die Beethovenrezeption explizit berücksichtigt.21 Für Hector Berlioz sind die folgenden Arbeiten grundlegend: Music Criticism in Nineteenth-Century France (1995) von Katharine Ellis, Kerry Murphys Hector Berlioz and the Development of Music Criticism (1988), sowie Katherine Kolb Reeves Kapitel »Hector Berlioz« in dem von Jacques Barzun und George Stade herausgegebenem European Writers: The Romantic Century, Bd. 6. (1985). Für Hans von Bülow liegen kaum Sekundärquellen vor, die sein musikalisches Werk behandeln, und dementsprechend keine, die sich mit seinem großen kritischen und brieflichen Werk beschäftigen. Die Forschung beschränkt sich weitgehend auf biographische Darstellungen, die sich mit seinem Wirken als Pianist und Dirigent auseinandersetzen. Die Schriften Liszts sind in den Veröffentlichungen Altenburgs u. a. zur Neudeutschen Schule behandelt. Hilfreich ist im Weiteren der von Kenneth Hamilton herausgegebene Cambridge Companion to Liszt (2005). Dies gilt insbesondere für den Artikel »Inventing Liszt’s Life: early biography and autobiography« von Alexander Rehding. Dieser erläutert die bis heute nicht geklärte Streitfrage, ob Liszts Schriften, und wenn ja, welche, eine multiple Autorschaft bzw. maßgebliche Beteiligung von Liszts Lebensgefährtinnen aufweisen. Für die vorliegende Arbeit ist dies jedoch nicht von Bedeutung. Wie Altenburg feststellt, ist für den Umgang mit Liszts Texten nicht relevant, welche Passagen von ihm selbst verfasst wurden, sondern dass er den betreffenden Text in seiner Gesamtheit autorisiert hat und in der Öffentlichkeit als sein Autor aufgetreten ist.

21 Thomas Grey : Wagner’s musical prose. Texts and contexts. (= New perspectives in music history and criticism. Bd. 2). Cambridge u. a. 1995.

2. Beethovenschriften und Beethovenrezeption der Neudeutschen Schule

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Erste Konstruktion des Beethovenmythos und Wandel der Musikbeschreibung. E.T.A. Hoffmanns Beethovenrezensionen

2.1.1 Einleitung: E.T.A. Hoffmann als Musikkritiker »Die Tradition der poetischen Beschreibungen Beethovenscher Musik beginnt noch zu Lebzeiten des Komponisten, und sie setzt ein mit einem pragmatischen Text.«22, so Angelika Corbineau-Hoffmann in ihrer Studie zum »literarische[n] Mythos« Beethoven. Gemeint ist E.T.A. Hoffmanns Rezension von Beethovens 5. Sinfonie, die 1810 in der Allgemeinen Musikalischen Zeitung erschien. Die musikwissenschaftliche Forschung ist sich einig darüber, dass diese Rezension ein Markstein sowohl für die Geschichte der Musikkritik als auch die Beethovenrezeption im 19. Jahrhundert ist und diese darüber hinaus wesentlich beeinflusst und gelenkt hat. Zahlreiche Beiträge – verfasst von unter vielen anderen Carl Dahlhaus23, Ian Bent24 oder Michael Walter25 – beschäftigen sich mit der besonderen sprachlichen und musikästhetischen Qualität dieser Besprechung und auch in zusammenfassenden musikästhetischen und musikgeschichtlichen Darstellungen ist sie präsent. Die Rezension der 5. Sinfonie Beethovens, auf die 22 Angelika Corbineau-Hoffmann: Testament und Totenmaske. Der literarische Mythos des Ludwig van Beethoven. Hildesheim 2000. (= Spolia Berolinensia. Berliner Beiträge zur Geistes- und Kulturgeschichte des Mittelalters und der Neuzeit. Hrsg. von Wolfgang Maaz und Werner Röcke. Bd. 17). 23 Carl Dahlhaus: »E.T.A. Hoffmanns Beethoven-Kritik und die Ästhetik des Erhabenen.« In: Ders.: Gesammelte Schriften in 10 Bänden. Hrsg. von Hermann Danuser. Laaber 2000 – 2008. Bd. 5: 19. Jahrhundert II. Theorie / Ästhetik / Geschichte: Monographien, S. 479 – 491. 24 Vgl. hierzu: Ian Bent (Hrsg.): Music Analysis in the Nineteenth Century. Volume II. Hermeneutic Approaches. Cambridge 1994. (= Cambridge Readings in the Literature of Music). 25 Vgl. Michael Walter : »Musikkritik und Kanonisierung: Über Ernst Theodor Amadeus Hoffmanns Rezension der Fünften Symphonie Beethovens.« In: Musiktheorie (Laaber). Hrsg. von Rudolf Bockholdt, Peter Cahn und Anselm Gerhard. 12 (1997), 3, S. 255 – 265.

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Beethovenschriften und Beethovenrezeption der Neudeutschen Schule

ich im Verlauf des Kapitels ausführlicher zu sprechen komme, steht im Vordergrund, wenn es um den Musikkritiker Hoffmann geht. Sie ist jedoch bei weitem nicht das einzige Zeugnis von Hoffmanns intensiver Beschäftigung mit Beethoven. Mit der Besprechung vom 4.7. und 11. 7. 1810 beginnt eine Reihe von Kritiken Hoffmanns, in denen Beethovens Werke im Zentrum stehen. Hoffmann war neben seinem juristischen Beruf, seiner schriftstellerischen Tätigkeit und dem gelegentlich hauptamtlich ausgeübten Kapellmeisteramt bekanntermaßen auch als Komponist und Musikkritiker tätig. In den Jahren zwischen 1809 und 1815 erschienen neben anderen Schriften 29 Rezensionen von Hoffmann in der Allgemeinen Musikalischen Zeitung.26 Wie Peter Schnaus in seiner Monographie zu Hoffmann als Beethovenkritiker der AmZ untersucht hat, versteht sich Hoffmann in seiner Tätigkeit für die seinerzeit äußerst renommierte Zeitschrift nicht hauptsächlich als Schriftsteller oder ›Dichter‹, sondern als Rezensent. Er ordnet sich also den recht strikten formalen Vorgaben, die die Redaktion der Zeitschrift für Rezensionen vorgibt, weitgehend unter. »Da nun seine Stellung Rochlitz [dem leitenden Redakteur der AmZ, B.S.] gegenüber in der gegebenen Situation eindeutig als die eines jungen, noch unerfahrenen Musikers und schriftstellerischen Debütanten gegenüber einem in ganz Deutschland als Autorität anerkannten Musikschriftsteller angesehen werden muß, so ist ohne weiteres klar, daß Hoffmann zunächst nichts anderes im Sinn haben konnte, als ein ganz normaler AmZ-Rezensent zu werden und sich dem dort vorgezeichneten Rahmen vollkommen anzupassen.«27

Unter dem »dort vorgezeichneten Rahmen« sind, wie Schnaus ausführt, unter anderem die drei bei der AmZ vertretenen Typen von Rezensionen zu verstehen. Sie sind stark formalisiert, unterscheiden sich hauptsächlich in der Länge des Texts und legen einen Schwerpunkt auf die ausführliche Analyse sowie auf aufführungs- und drucktechnische Informationen.28 Die Besprechung der 5. Sinfonie ist nicht die erste Rezension Hoffmanns für die AmZ, allerdings die erste, die ein Werk von Beethoven zum Gegenstand hat, und stilistisch stark von den Vorgaben der Zeitschrift abweicht. Gleichermaßen ist sie mit 21 Spalten Text die umfangreichste.29 Es folgen vier weitere Beethovenrezensionen Hoffmanns für die AmZ: 1812 die Besprechung der Coriolan-Ouvertüre, im März 1813 die der Zwei Klaviertrios op. 70, im Juni desselben Jahres die der C-Dur-Messe op. 86 und schließlich die Rezension der Musik zu 26 Zu Hoffmanns musikkritischen Schriften vgl. Peter Schnaus: E.T.A. Hoffmann als Beethoven-Rezensent der Allgemeinen Musikalischen Zeitung. München, Salzburg 1977. (= Freiburger Schriften zur Musikwissenschaft. Hrsg. von Hans Heinrich Eggebrecht. Bd. 8). Hier S. 43. 27 Ebd., S. 40. 28 Ebd., S. 20 ff. 29 Ebd., S. 43.

Erste Konstruktion des Beethovenmythos und Wandel der Musikbeschreibung

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Goethes Egmont im Juli 1813.30 In das Kreislerianum »Beethovens Instrumentalmusik« gehen schließlich Teile der Besprechung der 5. Sinfonie und der Zwei Klaviertrios ein. Die genannten vier Besprechungen, die der Abhandlung über die 5. Sinfonie folgen, unterscheiden sich stilistisch sehr stark von Hoffmanns erster Beethovenbesprechung, wie im Folgenden auszuführen sein wird. In ihnen wird deutlich weniger poetische Bildlichkeit verwendet und der Schwerpunkt liegt auf der (sachlicheren) Analyse des Werks. Die Rezension der 5. Sinfonie durch Hoffmann hingegen hat seinen Platz in der Geschichte der Musikästhetik bzw. der romantischen Ästhetik gesichert. Wenn auf den Musikkritiker und Musikschriftsteller Hoffmann rekurriert wird, dann fast immer im Zusammenhang mit dieser Besprechung. Die anderen Beethovenrezensionen des Autors nehmen im Vergleich einen marginalen Platz ein. Die Besprechung der 5. Sinfonie 1810 ist für die Forschung hauptsächlich ein Gründungsdokument der sogenannten romantischen Musikästhetik. Immer wieder beschworene Eigenschaft dieser Ästhetik ist zum einen die Privilegierung der Instrumentalmusik: Im Gegensatz zum 18. Jahrhundert, das der ›reinen‹, nicht durch Text semantisierten Instrumentalmusik z. T. noch mit Misstrauen begegnete, wird in Hoffmanns Text diese als echt »romantisch« und überlegen umgedeutet. Die angeblich begriffs- und objektlose Instrumentalmusik, für die Hoffmann Beethovens Sinfonie Nr. 5 als zentrales Beispiel nahm, wurde in der Musikwissenschaft seit den siebziger Jahren als das leitende Paradigma einer romantischen Musikästhetik angesehen. Vor allem durch Carl Dahlhaus hatte die These, die Musikanschauung seit Hoffmann, Tieck und Wackenroder sei eine Ästhetik der ›absoluten Musik‹ gewesen, lange Zeit nahezu unbestrittene Gültigkeit. Ulrich Tadday31 referiert dieses und stellt Dahlhaus die Ansicht entgegen, im 19. Jahrhundert sei ein wesentlich differenzierterer Diskurs über Musik geführt worden. Der Topos der ›absoluten Musik‹ sei nicht ausreichend, um die Musikanschauung um 1800 und danach zu charakterisieren. Obwohl die Debatte um die detaillierteren Züge der von Hoffmann vertretenen Musikanschauung sich gerade in jüngerer Zeit dergestalt spaltet, scheint dennoch weiterhin unbestritten, dass Hoffmanns Beethovenkritik einen Wendepunkt darstellt. Heike Stumpf betont, eher auf das stilistische Moment eingehend, dass Hoffmann mit seinen Besprechungen für die AmZ, beeinflusst von der Frühromantik, am Beginn einer poetischen Musikbeschreibung stehe. In den Jahre nach seinen Kritiken höre die strikte Trennung zwischen ästhetischem Sprechen über Musik und rein technischer Analyse langsam auf.32 Für Michael 30 Vgl. ebd. 31 Vgl. Ulrich Tadday : Das schöne Unendliche. Ästhetik, Kritik, Geschichte der romantischen Musikanschauung. Stuttgart, Weimar 1999, S. 1 ff. 32 Heike Stumpf: »…wollet mir jetzt durch die phantastisch verschlungenen Kreuzgänge fol-

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Walter, der sich ebenfalls kritisch mit Dahlhaus‹ Thesen auseinandersetzt, (und zu Recht moniert, dass bis heute keine zusammenfassende Darstellung der Geschichte der Musikkritik vorliegt), ist Hoffmanns Rezension der 5. Sinfonie in dem Sinne ein Umbruch für die Musikkritik, als der Autor sich von den die Musikkritik im 18. Jahrhundert leitenden Paradigmen ›Regel‹ und ›Geschmack‹ löst. Anstatt über die handwerklichen und geschmacklichen Eigenschaften von Beethovens 5. Sinfonie zu informieren, bespreche Hoffmann strenggenommen nicht Beethovens Werk, sondern die Eindrücke, die es beim Hörer bzw. Rezensenten auslöse: »Und genau darüber, über die Entgrenzung des Wahrnehmungsvermögens durch Beethovens Werk, schreibt Hoffmann.«33, so Walter. Dies betont für Hoffmann auch Andreas Käuser, der feststellt, Hoffmann stütze sich auf eine alternative und populäre Musiktheorie, bei der Wirkung und Erfahrung leitende Begriffe seien.34 Wir stellen auch beispielsweise bei der Betrachtung von Wagners »Ein glücklicher Abend« fest, dass neben der Visualisierung der Musik die Beschreibung der Eindrücke, die sie auf den Hörer macht, zu den wichtigsten Strategien des Schreibens über Musik gehört.35 Ein weiterer wichtiger Aspekt, der die Debatte um Hoffmanns Bedeutung für die Musikkritik prägt, ist das (scheinbare) Paradox, dass Hoffmann eine als ›romantisch‹ gekennzeichnete Musikanschauung anhand von musikalischen Werken Mozarts, Haydns und Beethovens entwickelt, die der Wiener Klassik zugerechnet werden. Thorsten Valk argumentiert, die neue Musikästhetik um 1800 sei ein eigentlich literarisches, nicht in erster Linie mit der Musik zu verknüpfendes Phänomen. Sie entstehe durch Verschiebungen im literarischen und philosophischen Diskurs der (Früh-)Romantik: »Die neue Musikästhetik dient der literarischen Romantik in erster Linie als poetologisches Reflexionsmedium.«36 Die Musikästhetik, wie sie in Hoffmanns Rezension zu Beethovens 5. Sinfonie zu finden ist, ist auch deshalb eng mit dem Bereich der Literatur verbunden, da sie in Stil und Bildlichkeit auf Jean Pauls Poetik zurückgreift. Dies zeigt Carl Dahlhaus wie folgt auf:

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gen!«. Metaphorisches Sprechen in der Musikkritik der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Frankfurt am Main, Berlin, Bern u. a. 1996. (= Bonner Schriften zur Musikwissenschaft. Bd. 2). S. 13. Vgl. Michael Walter [Anm. 25], S. 260. Vgl. Andreas Käuser : Schreiben über Musik. Studien zum anthropologischen und musiktheoretischen Diskurs sowie zur literarischen Gattungstheorie. München 1999. (= Figuren. Hrsg. von Heinrich F. Plett und Helmut Schanze. Bd. 6). S. 164 ff. Dies betont auch Thorsten Valk in seiner Monographie zur literarischen Musikästhetik: Semantisiert wird Musik im neunzehnten Jahrhundert hauptsächlich durch die Transkription in Bildlichkeit über die Sprache oder aber rezipientenorientiert. Vgl.: Thorsten Valk: Literarische Musikästhetik. Eine Diskursgeschichte von 1800 bis 1950. Frankfurt am Main 2008. (= Das Abendland. Neue Folge 34. Forschungen zur Geschichte europäischen Geisteslebens. Hrsg. von Eckhard Heftrich. Bd. 34). Hier S. 19 – 22. Vgl. ebd., S. 12.

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»Die Musikästhetik E.T.A. Hoffmanns war partiell in der Poetik Jean Pauls vorgezeichnet, einer Poetik, die demnach neben Wackenroders originär musikästhetischer Theorie der Instrumentalmusik und neben der ›interdisziplinären‹ ›Querelle des anciens et des modernes‹ eine spezifisch literarische Quelle der romantischen Musikästhetik bildete. Zentrale Motive der Hoffmannschen Beethoven-Charakteristik – der emphatisch-geschichtsphilosophische Gebrauch des Wortes ›Romantik‹, die Beschwörung einer ›Geisterwelt‹, das Sich-Verlieren in ›unendliche Sehnsucht‹, der Rückzug in eine ›innere Welt‹ und die Akzentuierung von ›Furcht‹ und ›Schmerz‹ – sind nahezu wörtlich aus Jean Pauls Beschreibung der ›neueren Poesie‹ entlehnt: ›Ursprung und Charakter der ganzen neueren Poesie läßt sich so leicht aus dem Christentume ableiten, daß man die romantische ebensogut die christliche nennen könnte. Das Christentum vertilgte, wie ein Jüngster Tag, die ganze Sinnenwelt mit allen ihren Reizen, drückte sie zu einem Grabeshügel, zu einer Himmels-Staffel zusammen und setzte eine neue Geister-Welt an die Stelle … Was blieb nun dem poetischen Geiste nach diesem Einsturze der äußeren Welt noch übrig? – Die, worin sie einstürzte, die innere. Der Geist stieg in sich und seine Nacht und sah Geister … So blühte in der Poesie das Reich des Unendlichen über der Brandstätte der Endlichkeit auf… Statt der griechischen heitern Freude erschien entweder unendliche Sehnsucht oder die unaussprechliche Seligkeit … In der weiten Nacht des Unendlichen war der Mensch öfter fürchtend als hoffend.‹«37

Der nicht unumstrittene weitere Lösungsansatz, den Carl Dahlhaus38 vorschlägt, betont den engen Bezug, den Hoffmanns Beethovenauffassung zu der Odentheorie des 18. Jahrhunderts und ebenso zum Topos des Erhabenen habe. Die Zuordnung von Hoffmanns kritischen Schriften zu einer ›klassischen‹ oder ›romantischen‹ Ästhetik gehe also am eigentlichen Gehalt seiner Beethovenauffassung, wie sie v. a. in der Besprechung der 5. Sinfonie auftritt, vorbei.

2.1.2 Hoffmanns Kritiken zu Beethovens Musik 2.1.2.1 Der analytische Stil Es existieren insgesamt fünf größere Rezensionen von Beethovens Musik, die Hoffmann für die Allgemeine Musikalische Zeitung verfasste. Auch wenn nur die Besprechung von Beethovens 5. Sinfonie in der Geschichte der Musikkritik und -ästhetik in überragendem Maß rezipiert worden ist, zeigen alle Beethovenrezensionen Hoffmanns den Facettenreichtum seines musikkritischen Stils und seine charakteristische Beethovenauffassung. 37 Carl Dahlhaus: Die Idee der absoluten Musik. München, Kassel u. a. 1978, S. 59 f. 38 Vgl. Carl Dahlhaus: »E.T.A. Hoffmanns Beethoven-Kritik und die Ästhetik des Erhabenen.« In: Ders.: Gesammelte Schriften in 10 Bänden. Hrsg. von Hermann Danuser. Laaber 2000 – 2008. Bd. 5: 19. Jahrhundert II. Theorie / Ästhetik / Geschichte: Monographien, S. 479 – 491.

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In der einschlägigen Forschungsliteratur wird häufig das Nebeneinander von technischer Analyse und musikästhetischen, ›poetischen‹ Aussagen in Hoffmanns Kritiken betont. »The duality of Hoffmann’s review lies precisely in the marriage of this aesthetic essay with the technical base layer«39, so beispielsweise Ian Bent in seiner Analyse von Hoffmanns Rezension zu Beethovens 5. Sinfonie. Sie, die Besprechung, »harbours beneath its richly Romantic imagery a formidable array of technicalities.«40

In der Tat spielt die ›technische‹ Analyse des Notentexts in Hoffmanns Beethoventexten eine überragende Rolle. Peter Schnaus betont in seiner Studie zu Hoffmann als Beethovenrezensent, dieser sei in seiner Behandlung von Details (Harmonik, Instrumentation u. a.) im jeweils vorliegenden Notentext deutlich präziser und sorgfältiger vorgegangen als andere Rezensenten der Allgemeinen Musikalischen Zeitung.41 Dennoch legt Schnaus großen Wert darauf, herauszustellen, dass Hoffmann sich nicht, wie die Rezeption seiner Besprechung der 5. Sinfonie nahelegt, vollständig von zeitgenössischen Musikkritikern der AmZ abgrenzt. Im Gegenteil passt sich Hoffmann, so Schnaus, dem Stil der Zeitschrift weitgehend an. Dementsprechend bezieht er sich wie die Mehrheit der AmZKritiken in seinen Besprechungen auf Aspekte wie Motivik, Kontrapunktik, Harmonik und Instrumentation und lehnt sich auch in seinem Rezensionsvokabular an die Zeitgenossen und Vorgänger an.42 Viel Raum nimmt hierbei die beschreibende Nachzeichnung des musikalischen Werks in seiner harmonischen und formalen Struktur ein. Passagen wie die folgende aus »Beethoven: Coriolan-Ouvertüre« finden sich sehr häufig bei Hoffmann: »Die Transposition dieses Themas einen Ton tiefer, (B moll) gleich nach der Taktpause, ist auch unerwartet und steigert die Spannung, in die man gleich durch die ersten Takte versetzt wurde. Der Satz wendet sich nach F moll, in dem nun eintretenden vollen Tutti nach C moll, und geht, nachdem das Hauptthema von der zweiten Violine und dem Violoncell abgekürzt berührt worden [Notenbeispiel eingerückt, B.S.], etc. in den Sexten-Akkord der Dominante der verwandten Dur-Tonart Es, der die erste Periode der Ouvertüre schließt. Nun tritt das zweite Hauptthema ein, welches von einer Figur, die in dem ganzen Satz oftmals wieder vorkommt, und die beinahe immer im Violoncell liegt, begleitet wird: [Notenbeispiel eingerückt, B.S.]«43 39 Ian Bent (Hrsg.): Music Analysis in the Nineteenth Century. Volume II. Hermeneutic Approaches. Cambridge 1994. (= Cambridge Readings in the Literature of Music). S. 143. 40 Ebd., S. 141. 41 Vgl. Peter Schnaus [Anm. 26], S. 51 ff. 42 Ebd. 43 E.T.A. Hoffmann: Sämtliche Werke in sechs Bänden. Hrsg. von Hartmut Steinecke und Wulf Segebrecht. Frankfurt am Main 1985 – 2004. Band 1: Frühe Prosa. Briefe. Tagebücher. Libretti. Juristische Schriften. Werke 1794 – 1813. Hrsg. von Gerhard Allroggen u. a. Frankfurt am Main 2003, S. 619. Im Folgenden abgekürzt als: E.T.A. Hoffmann, Sämtliche Werke.

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Diese Art der Musikbeschreibung, die stark ins Detail geht und ihren Fokus auf musiktheoretischen, musikanalytischen Aspekten hat, findet sich in allen Hoffmannschen Beethovenrezensionen. Nicht unbedingt der sachliche Stil, wohl aber die Affinität zum musikalischen Detail in der Beschreibung ist laut Bent eine Besonderheit Hoffmanns, die ihn von den Zeitgenossen abhebt.44 »Surprisingly«, fährt Bent fort, »in some respects one could say that Hoffmann’s response to Beethoven’s structures is that of the true theorist.«45 Dieser Zugang zu Beethovens Musik, der Hoffmanns Kritiken durchzieht, verweist wiederum auf die Betonung der »Besonnenheit« des Komponisten, die in Hoffmanns Rezension der 5. Sinfonie von so großer Bedeutung ist. Ähnlich wie Schumann in seinen Schriften zu Beethovens Musik legt Hoffmann großen Wert darauf, die Musik nicht nur zu verbildlichen, zu interpretieren und als Grundlage für musikästhetische und musikphilosophische Ausführungen zu gebrauchen. Wie Schumann zeigt er starkes Interesse an der musikalischen Faktur der ihm vorliegenden Werke und würdigt Beethovens Kompositionen in ihrer technischen Machart und Meisterschaft – ein Zugang, der, wie auch im Kapitel zu Schumanns Beethovenrezensionen erwähnt wird, in der Epoche nicht selbstverständlich ist. Gleichermaßen dient diese sachliche Herangehensweise auch der Verteidigung Beethovens gegen seine Gegner, die ihm zum Teil mangelhafte Kenntnis kompositorischer Techniken und Traditionen vorwarfen. Mit den ausführlichen Beschreibungen und Erläuterungen des Notentexts sowie seines harmonischen und formalen Verlaufs korrespondieren bei Hoffmann die zahlreichen Notenbeispiele, die er seinen Rezensionen hinzufügt. Häufig handelt es sich nur um einige Takte, oft jedoch auch um ganze Seiten aus dem Notentext, die er neben seine schriftlichen Erläuterungen stellt, um sie zu illustrieren. Im Originaltext der Rezensionen, wie sie in der AmZ erschienen sind, befinden sich längere Passagen zum Teil im Anhang, in der vorliegenden Ausgabe wie auch in anderen Editionen entschieden sich die Herausgeber dafür, den Notentext direkt in den Text zu integrieren. In der Tat trägt dies zum Verständnis der detaillierten Ausführungen Hoffmanns bei, und dieser bestand gegenüber der AmZ auch auf den Notenbeispielen. Schnaus stellt mehrfach heraus, dass auch in der Verwendung von Notentext im Rahmen der Rezension und dem Wunsch nach genauer beschreibender Analyse Hoffmann sich an dem Vorgehen anderer AmZ-Rezensenten orientiert, auch wenn seine Präzision und Liebe zum Detail die anderer Rezensenten übersteigt.46 Schnaus widerspricht hiermit anderen Autoren, die Hoffmanns genaue Analysen als eine ihn charakterisierende Besonderheit begreifen. Er gibt zu bedenken, dass diese anderen Autoren in ihrer 44 Ian Bent [Anm. 24], S. 143. 45 Ebd. 46 Peter Schnaus [Anm. 26], S. 48 ff.

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Behandlung von Hoffmanns Beethovenschriften einen breiter angelegten Vergleich mit anderen Rezensenten der AmZ versäumt hätten, was wiederum mit den separaten Abdrucken von Hoffmanns Schriften zusammenhinge.47 Die kleinschrittige Analyse des Notentexts bildet bei Hoffmann nur eine Schicht der Werkrezensionen. Im Folgenden werde ich näher auf die Aspekte der Wirkung auf den Zuhörer, der bildlich-metaphorischen Umschreibung von Musik sowie auf die Ebene der musikästhetischen, allgemeingültigeren Aussagen eingehen. Sie alle spielen in der Struktur von Hoffmanns Rezensionen eine wichtige Rolle. 2.1.2.2 Der Bezug auf den Zuhörer und Wirkung bei Hoffmann Eine weitere Ebene in Hoffmanns Rezensionen über Beethovens Musik ist der Aspekt der Wirkung. Der rezipierende Zuhörer und also auch der Rezensent erfahren durch die Musik ausgelöste Gefühlszustände oder auch ›Affekte‹. Es ist für Hoffmanns Rezension der 5. Sinfonie charakteristisch, dass hier auch die Empfindungen des Rezensenten selbst im Text auftreten und benannt werden. Wegweisend ist hier besonders die Formulierung zu Beginn der Besprechung: »[…] er [der Rezensent] ist durchdrungen von dem Gegenstande, worüber er sprechen soll, und niemand mag es ihm verargen, wenn er, die Grenzen der gewöhnlichen Beurteilungen überschreitend, alles das in Worte zu fassen strebt, was er bei jener Komposition [Beethovens 5. Sinfonie, B.S.] tief im Gemüte empfand.«48 Jedoch spielen auch die Empfindungen des ›allgemeinen Zuhörers‹ bzw. der angenommenen ›idealen‹ Zuhörerschaft durchgängig eine Rolle.49 Die Rezension der 5. Sinfonie ist auch hierfür ein gutes Beispiel. Anzuführen sind zum einen der berühmte Satz »Beethovens Musik bewegt die Hebel des Schauers, der Furcht, des Entsetzens, des Schmerzes, und erweckt jene unendliche Sehnsucht, die das Wesen der Romantik ist.«50 Zum anderen spricht auch die folgende Passage von Beethovens Wirkung auf das Publikum, wobei der Rezensent sich selbst mit einschließt: »Wie eine holde Geisterstimme, die unsre Brust mit Trost und Hoffnung erfüllt, tönt hierauf das liebliche (und doch gehaltvolle) Thema von dem Andante […]«51, oder auch eine andere Stelle: »[…] jene Unruhe, jene Ahnungen des wunderbaren Geisterreichs, womit die Sätze des Allegros des Zuhörers Gemüt bestürmten, von neuem aufregen.«52 47 48 49 50 51 52

Ebd., S. 49. E.T.A. Hoffmann, Sämtliche Werke, S. 532. Vgl. Ian Bent [Anm. 24], S. 41. Ebd., S. 534. Ebd., S. 543. Ebd., S. 545.

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Unter anderen bestimmt Andreas Käuser die Begriffe »Erfahrung« und »Wirkung« als für Hoffmanns musikalische Schriften zentrale Leitbegriffe.53 Auch in den anderen Beethovenrezensionen Hoffmanns wird immer wieder auf das Gemüt des Zuhörers und auf die Wirkung der Musik auf dieses rekurriert. Leslie David Blasius stellt deshalb fest, dass Hoffmann sich in seiner Analyse der Musik durch die Paradigmen »sensation« und »association« nähert.54 Der Aspekt der Assoziation ist relevant für den ›Transfer‹ des Notentextes in Bilder, auf den ich für Hoffmann noch zu sprechen komme. Zunächst steht, wenn es um den Einfluss Beethovens auf seine Hörer geht, der Begriff der »sensation« im Vordergrund. In Hoffmanns Analyse, so Blasius, gehe es um die Unmittelbarkeit des Erlebens, und so seien diese a-systemisch und spezifisch, anstatt abstrakt und allgemein. Ehe man Hoffmann zu eindeutig dem »Sensationalismus« zurechnet (was Blasius nicht ausschließlich tut), muss man allerdings bedenken, dass im 18. Jahrhundert nicht nur das Darstellen, sondern auch das Auslösen von Affekten der Musik als zentrale Merkmale und Aufgaben zugeschrieben wurden. Allerdings betont auch Ian Bent: »The base layer of [Hoffmann’s, B.S.] analysis does something new for its time: it records the moment-to-moment responses of the listener, the expectations, the gratifications and surprises, it registers the recognition of already-heard ideas, it narrates the listener’s perceptual experience.«55

2.1.2.3 Die bildliche Ebene – Der Gebrauch von Metaphern und Bildern in Hoffmanns Musikbeschreibung Neben den rein auf theoretische Aspekte bezogenen Analysen der musikalischen Werke und der Beschreibung ihrer Wirkung ist auch die Ebene des Bildlichen, der Metapher und des Vergleichs in Hoffmanns Beethovenrezensionen präsent. In allen Rezensionen, die Beethovens Musik beschreiben, werden mehr oder weniger häufig Bilder verwendet. Es ist hierbei sehr auffällig, dass die Bilder und Metaphern, die Hoffmann für Werke von Beethoven gebraucht, immer wieder denselben wenigen Bildfeldern entnommen werden. Hoffmann scheint verschiedenen Komponisten verschiedene seiner Meinung nach charakteristische Bildfelder zuzuordnen. In der Rezension von Beethovens 5. Sinfonie bezieht er sich zunächst vergleichend auf Joseph Haydns und Mozarts Musik. Er entwirft für den ›Kosmos‹ von Haydns Kompositionen das Bild der folgenden Szenerie: 53 Andreas Käuser [Anm. 34], S. 164 ff. 54 Vgl. Leslie David Blasius: »The mechanics of sensation and the construction of the Romantic musical experience.« In: Ian Bent (Hrsg.): Music theory in the Age of Romanticism. Cambridge 1996, S. 3 – 24, hier S. 8. 55 Ian Bent [Anm. 24], S. 141.

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»Der Ausdruck eines kindlichen, heitern Gemüts herrscht in Haydns Kompositionen. Seine Symphonie führt uns in unabsehbare, grüne Haine, in ein lustiges Gewühl glücklicher Menschen. Jünglinge und Mädchen schweben in Reihentänzen vorüber ; lachende Kinder hinter Bäumen, hinter Rosenbüschen lauschend, werfen sich neckend mit Blumen. Ein Leben voll Liebe, voll Seligkeit, wie vor der Sünde, in ewiger Jugend; kein Leiden, kein Schmerz; nur süßes, wehmütiges Verlangen nach der geliebten Gestalt, die ferne im Glanz des Abendrotes daher schwebt, nicht näher kömmt und nicht verschwindet; und so lange sie da ist, wird es nicht Nacht, denn sie selbst ist das Abendrot, von dem Berg und Hain erglühen.«56

In diesem Entwurf einer paradiesischen Landschaft tritt bereits eine »Gestalt« auf, ein erster Hinweis auf die Gestalten im Geisterreich, die bei Hoffmanns Beethovenbeschreibung eine so wichtige Rolle spielen. Dennoch steht hier eine diesseitige Naturszene im Vordergrund. In Hoffmanns Charakterisierung von Mozarts Musik erfolgt nun der Bruch mit der naturhaften Bildlichkeit – bereits Mozart wird schon der romantischen ›Geisterwelt‹ zugerechnet. »In die Tiefen des Geisterreichs führt uns Mozart. Furcht umfängt uns: aber, ohne Marter, ist sie mehr Ahnung des Unendlichen. Liebe und Wehmut tönen in holden Stimmen, die Macht der Geisterwelt geht auf in hellem Purpurschimmer, und in unaussprechlicher Sehnsucht ziehen wir den Gestalten nach, die uns freundlich in ihre Reihen winken, im ewigen Sphärentanze durch die Wolken fliegen.«57

Es ist hier eine Tendenz zur Entkonkretisierung, ›Ent-Körperlichung‹ des Bildfelds festzustellen. Gefühle einerseits und undefinierte ›Gestalten‹ andererseits dominieren und verweisen weiterhin auf diese Szenerie der ›Geisterwelt‹ in den Beethovenrezensionen. Es gehört zur romantischen Musikästhetik, dass die Musik nicht als mimetisches System etwas abbilden kann oder soll, sondern eine Sprache für sich darstellt, die durch die eigentliche Sprache nicht dargestellt oder beschrieben werden kann. Die von Hoffmann als romantisch definierte Musik, als deren vollendeter Vertreter hier Beethoven dasteht, ist also in gewissem Sinne als abstrakt zu verstehen. Dennoch wird sie bei Hoffmann gleichermaßen wie Haydns und Mozarts Musik in Bildliches übertragen. Bereits bei Aristoteles ist es unter anderem Aufgabe der Metapher, das Abstrakte als Bild konkret darzustellen und vor Augen zu führen.58 Auch für Beethovens Musik gibt es also in Hoffmanns Rezensionen Metaphern und Bilder. Ihre Variabilität ist sehr begrenzt. Sehr häufig ruft Hoffmann die Vorstellung von Gestalten oder Geistern 56 E.T.A. Hoffmann, Sämtliche Schriften. Bd. 1, S. 533. 57 Ebd., S. 534. 58 Dies referiert beispielsweise Paul Ricoeur : Ders.: Die lebendige Metapher. Mit einem Vorwort zur deutschen Ausgabe. München 1986. (= Übergänge. Texte und Studien zu Handlung, Sprache und Lebenswelt. Hrsg. von Richard Grathoff und Bernhard Waldenfels. Bd. 12). S. 43.

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auf, deren Aussehen nicht weiter in Einzelheiten beschrieben wird. Diese ›Erscheinungen‹ verweisen auf den zentralen und übergeordneten Begriff der Geisterwelt, den Hoffmann für Beethovens Musik insgesamt gebraucht. In der Rezension der 5. Sinfonie heißt es: »Es ist, als träte der furchtbare Geist, der im Allegro das Gemüt ergriff und ängstete, jeden Augenblick drohend aus der Wetterwolke, in die er verschwand, hervor, und entflöhen dann vor seinem Anblick schnell die freundlichen Gestalten, welche tröstend uns umgaben.«59

Ein weiteres Beispiel findet sich in »Beethoven: Zwei Klaviertrios op. 70«: »Seltsame Gestalten beginnen einen lustigen Tanz, indem sie bald zu einem Lichtpunkt verschweben, bald funkelnd und blitzend auseinander fahren, und sich in mannigfachen Gruppen jagen und verfolgen; und mitten in diesem aufgeschlossenen Geisterreiche horcht die entzückte Seele der unbekannten Sprache zu, und versteht alle die geheimsten Ahnungen, von denen sie ergriffen.«60

Hier liegt eine auffällige Engführung von der Metaphorisierung der musikalischen ›Sprache‹ als bewegter Geisterwelt und der expliziten Erwähnung dieser Sprache selbst vor. Ein weiteres wichtiges Bildfeld in Hoffmanns Beethovenbeschreibung ist das von Licht und Dunkelheit, angewendet gelegentlich auch im Zusammenhang mit Gewitter und Blitz. Letzteres hat eine Verbindung mit dem Diskurs des Erhabenen. Begriffe wie die des Ungeheuren, Unermesslichen und Schauerlichen begleiten die Beethovenbeschreibung des Autors. Gleich zu Beginn der Rezension der 5. Sinfonie steht die folgende Passage: »So öffnet uns auch Beethovens Instrumental-Musik das Reich des Ungeheueren und Unermeßlichen. Glühende Strahlen schießen durch dieses Reiches tiefe Nacht, und wir werden Riesenschatten gewahr, die auf- und abwogen, enger und enger uns einschließen, und alles in uns vernichten, nur nicht den Schmerz der unendlichen Sehnsucht….«61

Hoffmann spricht für das Andante der 5. Sinfonie auch von einem Geist, der aus einer »Wetterwolke« tritt. Ebenso heißt es über eine Stelle in der Coriolan-Ouvertüre: »[…] es ist das fürchterliche, drohende Murmeln des nahenden Gewitters.«62 Auch in Schumanns »Fastnachtsrede von Florestan« wird das Metaphernfeld des Gewitters gebraucht, um Beethovens sinfonische Musik, in diesem Fall die 9. Sinfonie, zu beschreiben. Assoziiert wird hier das Unberechenbare, Mächtige, und Erhabene. Die Verbindung Beethovens mit einem Naturphäno59 60 61 62

E.T.A. Hoffmann, Sämtliche Werke, Bd. 1, S. 544. Ebd., S. 658. Ebd., S. 534. Ebd., S. 616.

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men, die durch diese Metaphorisierung seiner Musik geschieht, steht in enger Verbindung mit dem romantischen Beethovenbild, das die angeblich ›naturhaften‹, ›naturgewaltigen‹ und revolutionären Züge des Komponisten herausgehoben hat. Häufiger noch als das Bildfeld des Gewitters benutzt Hoffmann jedoch den Kontrast von Licht und Dunkelheit bzw. Variationen im Bildfeld ›Licht‹. So findet sich in der Rezension zur 5. Sinfonie folgender Vergleich: »Mit dem prächtigen, jauchzenden Thema des Schlußsatzes, C dur, fällt das ganze Orchester, dem jetzt noch kleine Flöten, Posaunen und Kontrafagott hinzutreten, ein – wie ein strahlendes, blendendes Sonnenlicht, das plötzlich die tiefe Nacht erleuchtet.«63

Später im Text heißt es über den Schluss der Sinfonie: »Sie [die letzten Akkorde, B.S.] wirken, wie ein Feuer, das man gedämpft glaubte und das immer wieder in hell auflodernden Flammen in die Höhe schlägt.«64 In der Rezension zur Coriolan-Ouvertüre wiederum: »Dieses lichtvolle C dur war aber ein flüchtiger Sonnenblick durch das schwarze Gewölk: denn schon nach vier Takten kehrt die düstere Haupttonart wieder […]«65. Der Kontrast von Licht und Dunkel, Nacht und Morgenröte sowie das Motiv des Blitzes findet sich ebenfalls bei Schumann in dem Prosafragment »Beethoven«. Auch die Begriffe »Geisterhauch« und »Geisterschatten« treten hier auf und verweisen auf Hoffmanns Begrifflichkeit und seine Metaphorisierung von Beethovens Musik. 2.1.2.4 Musikästhetik in Hoffmanns Beethovenschriften und die ›Neucodierung‹ von Beethovens Musik Bekanntermaßen gibt es zwei Aspekte, die Hoffmanns musikalische Schriften über Beethovens Musik besonders auszeichnen: Zum einen den Entwurf einer musikalischen ›Romantik‹ bzw. der (Instrumental-)Musik als bevorzugtes Medium der Romantik. Andererseits spricht die Forschung des Öfteren von der ›Re-Codierung‹ und ›Um-Codierung‹ der m. E. noch der Wiener Klassik zuzurechnenden Musik Beethovens zu einer genuin ›romantischen Musik‹.66 Tatsächlich begibt sich Hoffmann in den Rezensionen für die Allgemeine Musikalische Zeitung immer wieder auf die Ebene des Musikästhetischen und der allgemeinen Reflexion über Musik. Dies ist besonders in der Besprechung von Beethovens 5. Sinfonie der Fall, die deshalb auch als herausragendes Dokument einer romantischen Musikästhetik in die Musikgeschichte eingegangen ist. Jedoch finden sich auch in den übrigen Beethovenbesprechungen Hoffmanns 63 64 65 66

Ebd., S. 548. Ebd., S. 550. Ebd., S. 621. Vgl. z. B. Thorsten Valk [Anm. 35], S. 11.

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immer wieder Aussagen über Beethoven als romantischen Komponisten und die spezielle Rolle der Musik in einer romantischen Kunst bzw. romantischen Ästhetik. Besonders Carl Dahlhaus – der hiermit eine Tradition in der Musikwissenschaft begründete – hat anhand von Hoffmanns Texten die romantische Musikästhetik als Ästhetik der ›absoluten Musik‹ bestimmt. Er bezeichnet sie, wie sie bei Hoffmann auftritt, als » Hoffmanns romantische[] Metaphysik der Instrumentalmusik«.67 In der Tat heißt es gleich zu Beginn der Besprechung der 5. Sinfonie wie folgt: »Wenn von der Musik als einer selbständigen Kunst die Rede ist, sollte immer nur die Instrumental-Musik gemeint sein, welche, jede Hülfe, jede Beimischung einer andern Kunst verschmähend, das eigentümliche, nur in ihr zu erkennende Wesen der Kunst rein ausspricht. Sie ist die romantischste aller Künste, ¢ fast möchte man sagen, allein rein romantisch.«68

Es ist unter anderem diese Passage, die die enge Verknüpfung von Instrumentalmusik und romantischer Musikästhetik bei Dahlhaus und anderen bestätigt und die Vokalmusik in den Hintergrund drängt. Hoffmann bestimmt im Weiteren Haydn, Mozart und Beethoven als die paradigmatischen Komponisten von (romantischer) Instrumentalmusik: »[…] daß geniale Komponisten die Instrumental-Musik zu der jetzigen Höhe erhoben. Haydn und Mozart, die Schöpfer der neuen Instrumental-Musik, zeigten uns zuerst die Kunst in ihrer vollen Glorie; wer sie da mit voller Liebe anschaute und eindrang in ihr innigstes Wesen ist – Beethoven. Die Instrumental-Kompositionen aller drei Meister atmen einen gleichen romantischen Geist […]«69.

Hoffmann weist gleichermaßen Komponisten von mimetischer Musik oder Programmusik als un-romantisch zurück. Als Begriffe, die das Romantische in der Musik charakterisieren, fallen immer wieder die des Unendlichen und Unaussprechlichen. Die Musik zeigt dem Hörer nichts Irdisches oder Faßbares. Folglich fällt immer wieder der Begriff der »Geisterwelt« oder des »Geisterreichs«. Des Weiteren konkretisiert Hoffmann dies in Bezug auf Beethoven und das Romantische in dem folgenden berühmten Satz aus der Rezension der 5. Sinfonie: »Beethovens Musik bewegt die Hebel des Schauers, der Furcht, des Entsetzens, des Schmerzes, und erweckt jene unendliche Sehnsucht, die das Wesen der Romantik ist.«70 Wiederum wird von der Wirkung der Musik auf den Hörer ausgegangen. Die Gleichsetzung von Musik, Romantik und dem Komponisten Beethoven gipfelt in der sich direkt anschließenden Aussage: 67 68 69 70

Carl Dahlhaus: Klassische und romantische Musikästhetik. Laaber 1988, S. 18. E.T.A. Hoffmann, Sämtliche Werke, Bd.1, S. 532. Ebd., S. 533. Ebd., S. 534.

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Beethovenschriften und Beethovenrezeption der Neudeutschen Schule

»Beethoven ist ein rein romantischer (eben deshalb ein wahrhaft musikalischer) Komponist, und daher mag es kommen, daß ihm Vokal-Musik, die unbestimmtes Sehnen nicht zuläßt, sondern nur die durch Worte bezeichneten Affekte, als in dem Reich des Unendlichen empfunden, darstellt, weniger gelingt und seine Instrumental-Musik selten die Menge anspricht.«71

Einige Stimmen in der Forschung, darunter Thorsten Valk72, finden es bemerkenswert, dass die romantische Musikästhetik sich in ihren wichtigsten Dokumenten unter Bezug auf Werke der Wiener Klassik konstituiert. Valks Erklärung löst das Problem dergestalt, dass er die romantische Musikauffassung als literarisches Phänomen und poetologisches Reflexionsmedium betrachtet. Allerdings ist es auffallend, dass Hoffmann die Zuschreibung des ›Romantischen‹ zu Beethovens Musik trotz eingehender Analysen nicht aus dem Notentext heraus begründet. Zwar beschreibt er die starke Wirkung auch einzelner Stellen auf das Gemüt des Publikums, aber er versucht nicht, durch den Bezug auf harmonische, kontrapunktische oder formale Eigenarten Beethovens Werke vom klassischen Stil abzugrenzen. Bekanntermaßen betont Hoffmann gegen einige von Beethovens zeitgenössischen Kritikern lediglich die kunstvolle und sorgfältige Faktur von Beethovens Musik durch die Attributierung von gleichermaßen »Genialität und Besonnenheit« zu den betreffenden Werken. Musikalische Romantik beinhaltet also in Hoffmanns Sicht nicht nur lebhafte Einbildungskraft und ›Genialität‹, sondern auch sachlich angewandtes Handwerk im Kompositionsprozess. »Tief im Gemüte trägt Beethoven die Romantik der Musik, die er mit hoher Genialität und Besonnenheit in seinen Werken ausspricht.«73 In der Besprechung von Beethovens C-Dur-Messe findet sich allerdings eine Passage, die den Aspekt der ›Besonnenheit‹ wieder etwas in den Hintergrund drängt, an Definitionen der literarischen Romantik sowie an die Rezeption der gotischen Bauweise im Sturm und Drang erinnert. Hier werden die ältere italienische Kirchenmusik und die neuere deutsche Kirchenmusik – den Topos von Musik als Architektur aufgreifend – in ihrem Verhältnis mit der Peterskirche und dem Straßburger Münster verglichen.

71 Ebd. 72 Thorsten Valk [Anm. 35], S. 10 f. 73 Ebd., S. 535.

Erste Konstruktion des Beethovenmythos und Wandel der Musikbeschreibung

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»Die grandiosen Verhältnisse jenes Baues [der Peterskirche, B.S.] erheben das Gemüt, indem sie kommensurabel bleiben: aber mit einer seltsamen, inneren Beunruhigung staunt der Beschauer den Münster an, der sich in den kühnsten Windungen, in den sonderbarsten Verschlingungen bunter, phantastischer Figuren und Zieraten hoch in die Lüfte erhebt; allein diese Unruhe regt ein, das Unbekannte, das Wundervolle ahnendes Gefühl auf, und der Geist überläßt sich willig dem Träume, in dem er das Überirdische, das Unendliche zu erkennen glaubt. Nun, und eben dies ist ja der Eindruck des Rein-Romantischen, wie es in Mozarts, in Haydns phantastischen Kompositionen lebt und webt!«74

Das Bunte, Phantastische, die chaotischen Strukturen und die Unruhe werden hier, wie es sonst nicht oft bei Hoffmann geschieht, in die Definition auch der musikalischen Romantik integriert. In der Rezension von Beethovens Schauspielmusik zu Goethes Egmont scheint Hoffmann außerdem das Romantische mit der Liebe zu verbinden. »Mancher Komponist hätte eine kriegerische, stolz daher schreitende Ouverture zum Egmont gesetzt: aber an jene tiefere, echt romantische Tendenz des Trauerspiels – kurz, an Egmonts und Clärchens Liebe, hat sich unser sinniger Meister in der Ouverture gehalten.«75 Immer wieder benutzt Hoffmann seine Rezensionen von Beethovens Werken in der AmZ, um neben Haydn und Mozart vor allem Beethoven für seinen Entwurf von romantischer Musik zu vereinnahmen. Das Unendliche, Unaussprechliche, die Instrumentalmusik und ihre intensive Wirkung auf die Gefühle des Hörers sind hierbei eng verbunden. Mehrere ForscherInnen, darunter Christine Lubkoll, Thorsten Valk und Angelika Corbineau-Hoffmann, haben den engen Bezug von Hoffmanns Beethovenschriften zu Positionen und Debatten der frühromantischen Literatur und Philosophie hervorgehoben. In seinen allgemeinen Ausführungen über Musik als romantischste Kunst, beispielsweise in der Besprechung der 5. Sinfonie, beziehe sich Hoffmann auf ästhetische Standpunkte aus dem literarischen Diskurs, namentlich Jean Paul und Novalis, so Lubkoll.76 Auch Dahlhaus betont in seinen Arbeiten zu Hoffmanns Beethovenrezeption die Wurzeln, die diese in Jean Pauls Vorschule der Ästhetik bis hin zur Übernahme von Begrifflichkeiten wie der der »Besonnenheit« und »unendlichen Sehnsucht« haben.77 »Neu an Hoffmanns Ansatz«, so Lubkoll, »ist jedoch die Verknüpfung der literarisch und

74 Hoffmann, Sämtliche Werke, Bd. 1, S. 722. 75 Ebd., S. 743. 76 Christine Lubkoll: Mythos Musik. Poetische Entwürfe des Musikalischen in der Literatur um 1800. Freiburg im Breisgau 1995. (= Rombach Wissenschaft – Reihe Litterae. Hrsg. von Gerhard Neumann und Günter Schnitzler. Bd. 32). S. 237 f. 77 Ebd., S. 239 f.

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philosophisch überlieferten Ästhetik mit einer expliziten Zeichenreflexion und strukturanalytischen Betrachtungsweise.«78 Wie wir im vorliegenden Kapitel gesehen haben, sind Hoffmanns Beethovenrezensionen von verschiedenen Ebenen des Sprechens über Musik geprägt. Der theoretisch-analytische Zugang verbindet sich mit der Metaphorisierung und der Übersetzung der Musik in Bildlichkeit, mit der Beschreibung einer Wirkungsästhetik und allgemeineren musikästhetischen Reflexionen. Hoffmann nimmt hiermit einerseits Traditionen der Musikkritik und Musikbesprechung auf, die ins 18. Jahrhundert zurückreichen, und fügt sich in die Vorgaben der Allgemeinen Musikalischen Zeitung ein. Andererseits begründet er eine, wie Corbineau-Hoffmann formuliert, »Tradition poetischer Beschreibungen Beethovenscher Werke«.79 Corbineau-Hoffmann versteht diese poetische Beschreibung Hoffmanns als den Versuch, der Musik etwas ihr Gemäßes und Gleichwertiges im anderen Medium der Sprache entgegenzusetzen. Sie begreift dies als eine im positiven Sinne verstandene Konkurrenz. Hoffmanns Sprache, die Beethovens Musik beschreibt, geht es also nicht unbedingt um eine getreue ›Abbildung‹ der Musik und auch nicht nur um eine Übersetzung in Sprache und Sprachbilder, sondern darum, etwas Eigenes zu schaffen, das Beethovens Musik gegenübergestellt werden kann. Dies verweist wiederum auf das Primat des Literarischen, das Valk für die Musikbeschreibung um Hoffmann festgestellt hatte. Die Priorisierung der Instrumentalmusik, die Abwendung von Musik als einer mimetisch verstandenen Gattung und die Hinwendung zu Musik als einem ›abstrakt‹ verstandenen Zeichensystem ermöglicht hierbei die freiere Entfaltung einer poetischen Sprache. Sie reagiert auf die Musik, ohne sie detailliert übersetzen zu müssen. Corbineau-Hoffmann resümiert dementsprechend: »[…] deshalb vollzieht sich in der Auseinandersetzung E.T.A. Hoffmanns mit Beethovens Instrumentalmusik nicht die re-präsentatio eines vorgegebenen Phänomens, sondern die creatio einer gemeinsamen Sprache der Kunst.«80 Diese Feststellung Corbineau-Hoffmanns muss allerdings in gewissem Maße eingeschränkt werden: Dies gilt bei Hoffmann eher für die Ebene der bildlich-poetischen Beschreibung, während sich die analytische Ebene eng und oft verlaufsbezogen an den Notentext hält und diesen quasi mimetisch wiedergibt. Es ist nicht der Fall, dass Hoffmanns Beethovenrezensionen ausschließlich metaphorisch-poetische Assoziationen – wie sie beispielsweise bei Schumanns Fragment »Beethoven« zu finden sind – darstellen. Vielmehr vermischen sich theoretisch-sachliche und literarische Ebenen auf charakteristische Weise. Hoffmann ist hier vielfach von literarischen und musikästhetischen Tendenzen 78 Ebd., S. 240. 79 Angelika Corbineau-Hoffmann [Anm. 22], S. 245. 80 Ebd., S. 253.

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sowie von der musikkritischen Praxis des 18. Jahrhunderts beeinflusst. Es ist kein Zufall, dass die anderen Besprechungen von Beethovens Musik in Bezug auf die Intensität der Rezeption hinter der Rezension der 5. Sinfonie stark zurückstehen. Nur letztere beinhaltet in derartiger Intensität programmatische musikästhetische Setzungen im Zusammenhang mit suggestiver poetischer Metaphorisierung von Beethovens Musik. Es findet hier die Vereinnahmung, eventuell mit Valk auch ›Re-Codierung‹ von klassischer Musik als genuin ›romantisch‹ statt, wobei Hoffmann stark auf die literarische und philosophische Romantik, auf die Empfindsamkeit sowie den (musikalischen) Sturm und Drang zurückgreift. Hoffmanns Schriften über Beethoven, und vor allem die Rezension der 5. Sinfonie geben also Impulse, die für die Beethovenrezeption der Neudeutschen wesentlich sind. Zum einen reformiert Hoffmann die Gattung der Musikkritik und die Möglichkeiten der Versprachlichung von Musik, indem er einen bildhafteren, freien und subjektiveren, auch die Wirkung der Musik auf den individuellen Hörer einbeziehenden Stil etabliert. Dies weist auf die Entwicklung des »creative criticism« (Plantinga), des romantischen Verständnisses von Kritik hin. Zum anderen stellt Hoffmann explizit Beethoven als Vertreter einer neuen Musik und neuen Musikästhetik in den Mittelpunkt und stilisiert ihn als ›Vollender‹ dessen, was Haydn und Mozart begonnen hätten, als monumentale Ausnahmefigur. Schließlich begreift Hoffmann Beethovens Musik als ›poetisch‹ und semantisiert, er ordnet ihr Metaphernfelder und Bildlichkeiten zu – auf diese Weise definiert er seine Musik als intermedial und erschafft in einer neuen Musikkritik gleichzeitig das dieser Musik angemessene Pendant. Im Sinne Werner Wolfs ist in Hoffmanns Musikkritik »verdeckte Intermedialität« vorhanden, da sowohl Sprache als auch Musik präsent sind: Die Musik, die durch das Medium der Sprache als ranghöchstes Medium bestätigt wird, ist paradoxerweise hier durch die Sprache dominiert und wird nur – die direkten, abgedruckten Notenzitate ausgenommen – durch den Text referiert und evoziert.

2.2

Erinnerungskultur und Geniezirkel: Robert Schumanns Schriften über Beethoven

2.2.1 Schumann als Musikkritiker Obwohl in Schumanns musikkritischem Werk Beethoven und seine Musik häufig explizit Erwähnung finden und auch implizit präsent sind, gibt es im Korpus nicht viele Texte, die sich als Kritiken mit einem konkreten Werk

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Beethovenschriften und Beethovenrezeption der Neudeutschen Schule

Beethovens beschäftigen. Ein Grund hierfür ist vermutlich, dass es sich bei dem größten Teil von Schumanns Schriften um die Textgattung Musikkritik handelt. Schumann agierte als Kritiker in seiner musikalischen Gegenwart und rezensierte zum überwiegenden Teil die Kompositionen der Zeitgenossen. Bekanntermaßen war er von 1834 bis 1845 der wichtigste bzw. der einzige Redakteur der Neuen Zeitschrift für Musik. 1854, nachdem Schumann sich entschlossen hatte, seine musikalischen Schriften gesammelt und ausgewählt separat herauszugeben, erschien ein Teil seiner für die Zeitschrift verfassten Musikkritiken in der ersten Auflage der Gesammelten Schriften über Musik und Musiker. Weitere Auflagen folgten, für wissenschaftliche Zwecke ist die 1914 herausgekommene, von Martin Kreisig betreute Edition immer noch Referenzausgabe.81 Dass vergleichsweise wenig Werke Beethovens in Schumanns Schriften besprochen werden, kann also der hier dominanten Gattung der (tagesaktuell orientierten) Musikkritik geschuldet sein. Zudem verstand sich die Musikkritik der Epoche sehr häufig nicht nur als Aufführungskritik, sondern vor allem auch als Werkkritik. Noch im 18. Jahrhundert war Musikkritik in den im gelehrten Stil gehaltenen Musikzeitschriften beispielsweise Matthesons oder Johann Adolph Scheibes eher als Abhandlung oder ›Buchbesprechung‹ aufgetreten.82 Je stärker sich das Feld musikalischer Produktion autonomisierte, desto notwendiger und einflussreicher wurde die Musikkritik: die Musik und ihre spezifische Ästhetik wurde erklärungsbedürftig. Neben dieser ästhetischen Funktion beginnt die Musikkritik in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, auch ihre soziale Funktion stärker wahrzunehmen. Sie ist nun auch darum bemüht, den musikinteressierten Laien anzusprechen. Essentielle Voraussetzung für diese Entwicklung der Musikkritik und die Entwicklung eines breiten bürgerlichen Diskurses über Kunst ist die Plattform, die die zeitgenössischen Medien – musikalische Zeitschriften – bieten.83 Ästhetische und soziale Funktionen der Musikkritik sind nicht immer deckungsgleich. Die Forschung sieht am Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts vielmehr eine Diskrepanz zwischen ästhetischer und sozialer Referenz von Musikkritik – diese erfüllte einerseits eine ›soziale Funktion‹ hauptsächlich im Feuilleton der Tagespresse, andererseits eine ästhetische in der Fachpresse.84 In etwa zu diesem Zeitpunkt beginnt Schumann seine Aktivitäten als Kritiker. Es ist hierbei seine Absicht, das Niveau 81 Auch das Interesse an Schumanns lange vernachlässigten Jugendschriften ist in den letzten Jahren gewachsen: Beispielsweise hat Aigi Heero 2003 Schumanns Jugendlyrik kommentiert herausgegeben. 82 »Musikkritik«. In: Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgem. Enzyklopädie der Musik begründet von Friedrich Blume. Zweite, neubearbeitete Ausgabe. Hrsg. von Ludwig Finscher. Sachteil 6. Meis-Mus. Kassel u. a. S. 1369 f. 83 Ebd., S. 1368 ff. 84 Ebd., S. 1370.

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der Musikkritik zu verbessern und in ihr die von ihm auch für die Musik angestrebte ›neue poetische Zeit‹ zu realisieren.85 Er strebt die Synthese von musikalischer Fachkenntnis und literarischem Anspruch an und teilt hiermit die Meinung auch anderer Publizisten, die dies in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts ebenfalls vertreten.86 Schumann schließt sich in seinem Verständnis von Kritik ebenso mit der Vorstellung von dem Zusammenhang der Künste untereinander der literarischen Frühromantik an: die Vorstellung, dass eine Kritik ein Teil des Kunstwerks sein und dieses erst vervollständigen soll, gehört zum typischen Argumentationsrepertoire von Autoren wie Schlegel und Herder. Auch E.T.A. Hoffmanns Beethovenrezension wirkt in Schumanns Kritiken weiter.87 Dennoch ist gerade der frühe Stil der Schumann-Kritiken außerordentlich individuell und für die Zeitgenossen zunächst erstaunlich.88 Obwohl er aber in seinen Kritiken einen progressiven Stil anstrebt, übernimmt Schumann mit der Neuen Zeitschrift für Musik Konzept und Aufbau der prominenten Allgemeinen Musikalischen Zeitung.89 Schumann verbindet also als Musikkritiker die Medien Musik und Literatur – die Künste, die für ihn als Autoren die wichtigste Rolle spielten – im Genre Musikkritik. Er ist weiterhin überzeugt von der strukturellen Verwandtschaft zwischen Musik und Literatur90, ist sich aber des Problems und der Herausforderung, die die Verbalisierung von Musik bedeutet, sehr wohl bewusst. Er bemüht sich, ihr in seiner Art der Kritik gerecht zu werden: »[…] Schumann was keenly aware of an obvious problem posed by the concept of music criticism itself, namely, its employment of a verbal medium to describe and evaluate tonal events. His highly idiosyncratic, but always engaging ›poetic‹ criticism emerged as a response to this dilemma.«91 (John Daverio).

85 Uwe Schweikert: »Das literarische Werk. Lektüre, Poesie, Kritik und poetische Musik.« In: Ulrich Tadday (Hrsg.): Schumann-Handbuch. Stuttgart u. a. 2006, S. 107 – 126, hier S. 121. 86 Ebd., S. 120. 87 Leon B. Platinga: Schumann as Critic. New Haven, London 1967, S. 71 und S. 74 f. 88 Ebd., S. 70. 89 Erich Valentin: »Der Musikkritiker und Redakteur Schumann.« In: Julius Alf / Joseph A. Kruse (Hgg.): Robert Schumann. Universalgeist der Romantik. Beiträge zu seiner Persönlichkeit und seinem Werk. Düsseldorf 1981. (= Veröffentlichungen des Heinrich-Heine-Instituts, Düsseldorf. Hrsg. von Joseph A. Kruse). S. 28 – 39, hier S. 33. 90 Vgl. Aigi Heero: Poesie der Musik: Zur Intermedialität in Robert Schumanns frühen Schriften. Source: TRAMES, issue: 1 / 2007, pages 15¢34, on http://www.kirj.ee/public/trames/trames-2007-1-2.pdf, hier S. 22. 91 John Daverio: Robert Schumann: Herald of a »New Poetic Age«. New York, Oxford 1997, S. 118.

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2.2.2 Schumanns »Fastnachtsrede von Florestan« Schumanns Text »Fastnachtsrede von Florestan« erschien 1835 in der Neuen Zeitschrift für Musik. Er gehört zu den ›Davidsbündler-Texten‹, denn der Sprecher der Rede ist die Figur Florestan. Auch sein Gegenstück Eusebius tritt im vorliegenden Text auf. ›Florestan‹ und ›Eusebius‹ bilden zusammen mit ›Meister Raro‹ den Kern des fiktiven Bunds. Eusebius verkörpert in den musikalischen Debatten einen träumerischen, milden und ausgleichenden Charakter, Florestan hingegen ist der gleichnamigen Figur in Beethovens Oper Fidelio nachempfunden: ein Charakter, der streitbar für seine Überzeugungen eintritt und sich deshalb bald im Gefängnis wiederfindet.92 Der Text trägt den Untertitel: »Gehalten nach einer Aufführung der letzten Symphonie von Beethoven.« Folglich steht ein Konzert, in dem Beethovens 9. Sinfonie aufgeführt wird, im Mittelpunkt der Rede. Im Jahr 1835 wurde bei einem Konzert des Gewandhaus-Orchesters in Leipzig neben Werken von Mozart und Weber auch Beethovens 9. Sinfonie gespielt. In der Nummer 28 der Neuen Zeitschrift für Musik wird dieses Leipziger Konzert erwähnt.93 Die »Fastnachtsrede« folgt in den chronologisch aufgebauten Gesammelten Schriften direkt auf den programmatischen Text »Zur Eröffnung des Jahrganges 1835«. In diesem werden noch einmal die ästhetischen und auf die Art der angestrebten Musikkritik bezogenen Standpunkte der Redaktion bzw. Schumanns selbst deutlich dargelegt. Es heißt hier : »In der kurzen Zeit unseres Wirkens haben wir mancherlei Erfahrungen gemacht. Unsere Gesinnung war vorweg festgestellt. Sie ist einfach, und diese: an die alte Zeit und ihre Werke mit allem Nachdruck zu erinnern, darauf aufmerksam zu machen, wie nur an so reinem Quelle neue Kunstschönheiten gekräftigt werden können, – sodann die letzte Vergangenheit [die nur auf Steigerung äußerlicher Virtuosität ausging] als eine unkünstlerische zu bekämpfen, – endlich eine neue poetische Zeit vorzubereiten, beschleunigen zu helfen.«94

In dieser bewusst knapp formulierten Passage betont Schumann noch einmal die Absicht, mit der Musikkritik in der Neuen Zeitschrift für Musik ästhetische Überzeugungen so zu vertreten, dass sie Wirksamkeit für die musikalische und kompositorische Praxis der Gegenwart erlangen. Wie im darauffolgenden Text 92 Entsprechendes bemerkt unter anderen z. B. Heinrich Simon, der Herausgeber der ersten Reclam-Ausgabe von Schumanns Schriften 1888. Heinrich Simon: »Zusatz des Herausgebers.« In: Robert Schumann: Gesammelte Schriften über Musik und Musiker. Hrsg. von Heinrich Simon. Leipzig 1888, S. 10. 93 Vgl. Frauke Otto: Robert Schumann als Jean-Paul-Leser. Frankfurt am Main 1984, S. 150. 94 Robert Schumann: Gesammelte Schriften über Musik und Musiker. Hrsg. von Martin Kreisig. Leipzig 1914. Band 1. S. 37 f. Diese Ausgabe ist Referenzausgabe und wird im Folgenden abgekürzt als: Schumann, Gesammelte Schriften.

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»Fastnachtsrede von Florestan« (und in anderen Texten Schumanns über Beethovens Musik) deutlich wird, bezieht sich Schumann mit der Bezeichnung »die alte Zeit und ihre Werke«95 neben Bach auch auf Beethoven. Die Zukunft, die er als wünschenswert zeichnet, greift zurück auf die Inspiration der Vergangenheit. Aus der Erinnerung an die »Quelle« der historischen Kunst soll ein neues Zeitalter entstehen, das der Autor mit dem vielzitierten Begriff der »neue [n] poetische[n] Zeit«96 belegt. Diese Art der Erinnerung an u. a. Beethoven verbindet Schumann mit Wagner. Beide Komponisten evozieren Beethovens Andenken, um eine, mit Aleida Assmann und Nietzsche gesprochen, »eschatologische Erinnerung«97 zu konstruieren, die aus der glänzenden Vergangenheit die Motivation zieht, die Zukunft in deren Sinne zu gestalten und in der Gegenwart entsprechend aktiv zu handeln. Auch John Daverio bezeichnet den Text zum neuen Jahr 1835 als musikästhetisches Dokument und bemerkt: »According to this scheme, the past is a nurturing source for the present; the present site of an imperfection; and the future a poetic age toward which the imperfect present should aspire. Past, present and future are not so much discrete categories as they are mutually interdependent phases in a teleological sequence.«98

Diese Form des Verständnisses von (Kultur-)Geschichte verweist nicht nur auf die in der Frühromantik, v. a. bei Novalis, präsente Vorstellung des anzustrebenden ›Goldenen Zeitalters‹. Sie beinhaltet ebenfalls antikes Zyklendenken, wie es z. B. bei Platon und Aristoteles zu finden ist. Hier spielen indifferente und negativ zu bewertende Zwischenstadien zwischen Blütezeiten eine Rolle, die es zu überwinden gilt. Im Laufe des 18. Jahrhunderts wird die Vorherrschaft der Zyklentheorie zunehmend von linearem Fortschrittsdenken verdrängt, bzw. geht letzteres mit dem zyklischen Denken eine Symbiose ein: Die Vorstellung, dass nach dem ›Goldenen Zeitalter‹ Beethovens die progressiven Neudeutschen sein Werk noch übertreffen und vollenden könnten, weist – mit der Annahme einer düsteren Zwischenphase, in diesem Fall der Gegenwart – eine Kombination beider Denkstrukturen auf.99 Dementsprechend ist auch die »Fastnachtsrede von Florestan« ein Text, der Beethovens Musik und die ›richtige‹ Art, sie zu verehren, thematisiert. Es handelt sich nicht im eigentlichen Sinne um eine Musikkritik, das Werk wird nicht 95 Ebd., S. 37. 96 Ebd., S. 38. 97 Aleida Assmann, Dietrich Harth (Hgg.): Mnemosyne. Formen und Funktionen der kulturellen Erinnerung. Frankfurt am Main 1991, S. 22. 98 John Daverio [Anm. 91], S. 119. 99 Vgl. zur Thematik des zyklischen Denkens: Jochen Schlobach: Zyklentheorie und Epochenmetaphorik. Studien zur bildlichen Sprache der Geschichtsreflexion in Frankreich von der Renaissance bis zur Frühaufklärung. (= Humanistische Bibliothek: Reihe 1, Abhandlungen. Bd. 7). München 1980.

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überblickend und geordnet besprochen. Innerhalb von Schumanns musikkritischen Schriften, die sich in sehr vielen Fällen unkonventioneller Formen und literarischer Strategien bedienen, ist die »Fastnachtsrede« ein typisches Beispiel für Schumanns außergewöhnlichen, poetischen und progressiven Stil der Musikbesprechung. Einerseits werden Elemente von sowohl Werk- als auch Aufführungskritik vermischt – aber auch diese erscheinen nur fragmentarisch als kurze Intermezzi. Andererseits zeigt der Text in Bezug auf seine literarische Gestaltung und Verfasstheit eine große Heterogenität, und zwar sowohl der Textsorten als auch der Perspektiven und Sprechhaltungen. Der Hinweis auf die Gattung ›Rede‹ ist im Titel verankert, die »Fastnachtsrede« suggeriert eine humoristische Unterart. Nach dem programmatischen Einleitungssatz: »›Versammelte Davidsbündler, d.i. Jünglinge und Männer, die ihr totschlagen sollet die Philister, musikalische und sonstige, vorzüglich die längsten […]«100 gehen die Ausführungen der fiktiven Davidsbund-Figur Florestan jedoch schnell in die Beschreibung einer Konzertszene über. Einige kurze, assoziativ wirkende Sätze Florestans beschäftigen sich mit der Sinfonie, dann wird plötzlich auch Florestans Gegen-Figur, der sanftmütige Eusebius, eingeführt. Dieser hat ihn offenbar in das Konzert begleitet, auf das sich der Untertitel der »Fastnachtsrede« bezieht. Eusebius führt einen kurzen Dialog mit einem Zuhörer, der enthüllt, dass dieser Beethovens Sinfonien nicht voneinander unterscheiden kann. Dies, von Florestan wiedergegeben, leitet in eine Erinnerung an ein Konzert mit Fields Nocturnes über, in der das Publikum sich ähnlich ignorant gezeigt habe. Es folgt ein weiteres Gespräch, das Florestan während der Aufführung mit einem Musikkenner, der Figur des Kantors, führt. Dieser ist zwar in fachlicher Hinsicht informiert, kritisiert aber Beethovens Kompositionsweise, indem er fordert, dass Dissonanzen schulmäßig vorbereitet werden sollten. Hiermit wird deutlich gemacht, dass auch professionelle Musiker Beethovens Musik zum Teil nicht richtig verstehen. Sie verkennen ihr expressives Potential, wenn sie fordern, dass überlieferte Kompositionsregeln strikt eingehalten werden sollen. Einen kurzen Moment vertieft Florestan sich in die Aufführung und lobt die Gestaltung des Dirigenten. Sofort beginnt jedoch ein neues Gespräch mit einem nicht weiter benannten Partner. Thema ist dieses Mal Beethovens Behandlung der Bässe. Florestan bricht die Diskussion ab, so gut er kann, aber der Genuss der Musik ist gestört: »Weg war die schöne Minute und der Satan wieder los.«101 In den folgenden Zeilen zeigt Schumann in einer Kurzfassung die gängigsten Meinungen verschiedener Gruppen von »Beethovenern«.102 Die Vereinnahmung 100 Schumann, Gesammelte Schriften, Bd. 1, S. 39. 101 Ebd., S. 41. 102 Ebd.

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des Komponisten von deutsch-nationaler Seite (»›Das ist von unserm Beethoven, das ist ein deutsches Werk‹ – «103) und eine Anspielung auf die Debatte, ob Beethoven sich an traditionelle Formen der Komposition halte (»› – im letzten Satz befindet sich eine Doppelfuge – man hat ihm vorgeworfen, er prästire dergleichen nicht, – aber wie hat er es getan‹«104) beginnen, das Spektrum an kritischen Meinungen aufzufächern. In aller stilistischen Gedrängtheit zitiert Schumann nun drei weitere Parteien: Diejenigen, die in der 9. Sinfonie alle Dichtgattungen repräsentiert sehen, die, die das Erhabene und Gigantische des Werks herausstreichen und dabei (wie in der Romantik beliebt) architektonische Vergleiche machen, und schließlich die Partei, die das Stück noch radikaler semantisiert und darin die »Entstehungsgeschichte des Menschen«105 sieht. Florestan und Eusebius fliehen vor der Polyphonie der Meinungen und der unreflektierten Begeisterung nach draußen. Der Text wird durch den Dialog der beiden gegensätzlichen Figuren beschlossen, die nun untereinander über die ›richtige‹ Wahrnehmung Beethovens und seiner Musik diskutieren. Eusebius verkörpert dabei das schwärmerische Prinzip und glorifiziert nun den Klang des Namens Beethoven. Florestan unterbricht ihn, ob er sich unterstehe, Beethoven zu loben. Der Text nimmt an dieser Stelle und auch im Weiteren kunstreligiöse Züge an, da die Forderung, Beethoven nicht, auch nicht lobend, zu beurteilen sondern ihn stattdessen zu verehren, stark vertreten wird. Das Bild des Löwen, das in Schumanns Texten über Beethoven häufiger auftritt, wird hier wieder aufgerufen. »›Wie ein Löwe würde er sich vor euch aufgerichtet […] haben…‹«106 Es folgt dementsprechend ein zweites Bild der Größe Beethovens, das den alten Topos der ›Querelle des Anciens et des Modernes‹ von den (modernen) Zwergen auf den Schultern von (alten) Riesen in witziger Form, nämlich aus der Perspektive des Riesen, umschreibt: Das des Riesen inmitten von Zwergen. »›[…] muß denn aber ein großer Mann immer tausend Zwerge im Gefolge haben?‹«107 Das Bild der Riesen und Zwerge gehört in den Kontext der Querelle und somit zu der hier zentralen Frage, wie mit großen Vorgängern im Bereich der Kunst umgegangen werden soll. Schumann scheint die Frage nach der Überlegenheit von Vergangenheit oder Moderne hier zugunsten der Vergangenheit, nämlich Beethoven zu entscheiden; er ist der ›große Mann‹, die ihn verehrenden Philister die Zwerge. Allerdings wird aus Schumanns musikkritischem Gesamtwerk deutlich, dass er sich nicht dem Kulturpessimismus und einer umfassenden Gegenwartskritik anschließt, sondern auch in seiner eigenen Zeit große Künstler

103 104 105 106 107

Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd., S. 41 f.

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am Werk sieht. Lediglich die verständnislosen Bourgeois werden gegenüber dem großen Künstler der Vergangenheit, Beethoven, als Zwerge abgewertet. Florestan verdichtet in diesem letzten Teil des Textes sein wichtigstes Argument noch einmal: Das zeitgenössische Publikum ist unzulänglich, in Bezug auf musikalische Fachkenntnis und musikalisches Urteilsvermögen im Allgemeinen. Dementsprechend sind sowohl lobende als auch kritische Urteile über Beethovens Musik ein Affront gegen den Komponisten. »›Ihn, der so strebte, der so rang unter unzähligen Kämpfen, glauben sie zu verstehen, wenn sie lächeln und klatschen? Sie, die mir nicht Rechenschaft vom einfachsten musikalischen Gesetz geben können, wollen sich anmaßen, einen Meister im ganzen zu beurteilen?‹«108 Schließlich werden drei abwertende Bezeichnungen für das Publikum gebraucht: »› – seichte Weltmenschen109 – wandelnde Werthers Leiden, – rechte verlebte großtuige Knaben, – diese wollen ihn lieben, ja loben?‹«110 Diese Benennungen bezeichnen im Kern das Publikum als oberflächlich und sentimental.111 Florestan endet seine Rede an die Davidsbündler mit dem Beispiel eines Mannes, der das Recht hätte, Beethoven zu loben: Er zitiert den (fiktiven)112 Brief eines schlesischen Adligen, der seinen Musikschrank mit Noten füllen will und an einen Musikhändler schreibt: »›Um ihn [den Musikschrank, B.S.] aber auf das köstlichste zu schmücken, bitte ich mir noch sämtliche Werke von Beethoven zu schicken, da ich diesen sehr gern habe.‹«113 Dass Florestan diesen Mann in der Menge der Beethovenverehrer hervorhebt, evoziert mindestens zwei wichtige Topoi der romantischen Musikanschauung. Zum einen macht der genannte Adlige keinen Versuch, über Beethovens Musik weiter zu sprechen oder zu urteilen. Dies verweist auf den Topos von Musik als dem ›Unsagbaren‹, über das man eigentlich nicht sprechen kann oder sollte. Der 108 Ebd., S. 42. 109 In einer früheren Fassung der »Fastnachtsrede« stand für den Ausdruck »seichte Weltmenschen« die radikalere Umschreibung: »unheilige Lebensverschwender, für die die Musik der Deckmantel ihrer geheimsten Gefühlssünden ist.« (Schumann, Gesammelte Schriften [Anm. 94], Bd. 2, S. 375). Hier wurden der Aspekt des Missbrauchs, den die (›heilige‹) Musik Beethovens durch ihre »unheiligen« oberflächlichen Hörer erfährt, sowie die Sakralität der Musik noch stärker betont. 110 Ebd. 111 Von Interesse wäre hierbei, zu untersuchen, weshalb Schumann auf Goethes Werther verweist, ebenso die einhergehende Kritik an der verflachten Rezeption dieses gleichermaßen für den literarischen Sturm und Drang wie auch die Empfindsamkeit prototypischen Romans. Vielleicht ist die Kritik jedoch auch auf das Werk selbst gerichtet – Schumanns an sich begeisterte Goethe-Rezeption, die allerdings nach eigenen Aussagen erst spät einsetzte, wäre hier genauer zu untersuchen. 112 Laut Martin Kreisig (Schumann, Gesammelte Schriften [Anm 94], Bd. 2, S. 375) ist dieser Brief von Schumann fingiert, da es zuvor eine leicht unterschiedliche Version von diesem in der »Fastnachtsrede« gab. 113 Ebd., S. 42.

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Briefschreiber ersetzt das Fällen eines Urteils, das so oder so nur unqualifiziert ausfallen könnte, durch ein Gefühl: das der Liebe gegenüber Beethoven. Dies führt zum zweiten Aspekt, den der Brief aufruft. Der Musikschrank, der laut dem Landedelmann mit Alabastersäulen, Spiegeln und Büsten von Komponisten geschmückt ist, ruft die Assoziation eines Altars hervor. In diesem Altar hat Beethoven einen herausragenden Platz – die Verehrung des Komponisten nimmt Züge der Kunstreligion an, die auch in Wagners beiden Beethovennovellen »Eine Pilgerfahrt zu Beethoven« und »Ein glücklicher Abend« vorhanden ist. Ein religiöser Topos ist ebenfalls die implizite Aufforderung, die der Sprecher durch das Beispiel des Edelmanns an die Leser richtet: Man solle sich nicht anmaßen, Beethoven zu bewerten oder zu verstehen, sondern man solle ihn lieben und verehren. Ehrfurcht vor einer Größe, die man nicht begreifen kann, und Liebe zu ihr, wird eingefordert – dies lehnt sich an dementsprechende Traditionen in der christlichen Mystik an und stellt die Tugenden der Demut und Schlichtheit in den Mittelpunkt. Ebenfalls könnte man an Schillers Aussagen zu Goethe denken. Dem Großen könne man sich nur durch Liebe nähern: »Wie lebhaft habe ich bey dieser Gelegenheit erfahren«, so Schiller am 2. Juli 1796 an Goethe, »daß das Vortrefliche eine Macht ist, daß es auf selbstsüchtige Gemüther auch nur als eine Macht wirken kann, daß es dem Vortreflichen gegenüber keine Freyheit giebt als die Liebe.«114 Der Unsagbarkeitstopos und Florestans Wunsch, sich dem Vorbild des Edelmanns anzuschließen, wird durch seinen letzten Satz noch einmal betont: »Was ich aber sonst noch zu sagen hätte, wüßt ich meines Erachtens kaum.«115 2.2.2.1 Literarische Merkmale der »Fastnachtsrede«: Gattung, Perspektivität und Metapherngebrauch Wenn man nun zu der Frage nach den Methoden der Darstellung von Beethovens 9. Sinfonie in der »Fastnachtsrede« kommt, muss man zunächst feststellen: Die »Fastnachtsrede von Florestan« ist, auch wenn man Schumanns progressiven Stil der Musikkritik voraussetzt, nicht im engeren Sinne eine Musikkritik. Hans-Peter Fricker fasst in seiner Monographie zu Schumanns Schriften den Begriff der Musikkritik vorsichtshalber bereits zu Anfang außerordentlich liberal: »Wir müssen also den Begriff ›Musikkritik‹ sehr weit fassen. In unserer Arbeit verstehen wir darunter das Schreiben über Musik und, damit verbunden, 114 Friedrich Schiller : Schillers Werke. Nationalausgabe. Bd. 28: Briefwechsel. Schillers Briefe 1.7.1795 – 31.10.1796. Hrsg. von Norbert Oellers. (= Schillers Werke. Nationalausgabe. Hrsg. von Julius Petersen im Auftrag der Stiftung Weimarer Klassik und des Schiller-Nationalmuseums in Marbach. Fortgeführt von Lieselotte Blumenthal und Benno von Wiese. Weimar 1969). S. 235. 115 Ebd.

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das Schreiben über alle Fragen, die mit Musik in irgendeinem Zusammenhang stehen.«116 Diese Definition ist meiner Meinung nach deutlich zu unpräzise und wird dem Genre auch in seiner Historizität nicht gerecht. Sie trägt jedoch dem Problem Rechnung, das die Vielfalt der Gattungen in Schumanns Schriften im Hinblick auf eine Klassifizierung des Genres aufwirft. Schumann selbst betitelt die Zusammenfassung seiner Arbeiten für die Neue Zeitschrift für Musik eben mit Gesammelte Schriften über Musik und Musiker und lässt die Frage der Genres somit zumindest im Titel offen. In der »Fastnachtsrede« handelt es sich, auf den allgemeinsten Nenner gebracht, um eine fiktive Schilderung eines Konzertabends, die sich in der Gattung Rede verbirgt. Es zeigt sich häufiger, vor allem zu Beginn der Rede, ein etwas assoziativer, kryptisch wirkender Stil. »›Ich schwärme nie, Beste! – Wahrhaftig, ich kenne die Sinfonie besser als mich. Kein Wort verlier’ ich drüber. Es klingt alles so totledern darauf, Davidsbündler. Ordentliche ovidsche Tristien feierte ich, hörte anthropologische Kollegien. Man kann schwerlich wild über manches sein, […]‹«117.

Hauptsächliches Merkmal der Fiktionalität dieser Beschreibung eines Konzertabends, (die auch ein faktualer Text sein könnte, zumal dieser offenbar auf ein Konzert in Leipzig – s. o. – zurückgeht) sind die Davidsbündler-Figuren Florestan und Eusebius. Trotz der Dominanz von szenischen Schilderungen wird der Text insofern dem Genre ›Rede‹ gerecht, als er stark polemische und programmatische Züge trägt. Er vermittelt eine Botschaft und trägt dem Leser eine bestimmte Haltung zu Beethovens Werk und Person an, auf die im weiteren Verlauf des Kapitels zurückzukommen sein wird. Die spezifizierende Bezeichnung »Fastnachtsrede« wird durch bestimmte Elemente im Verlauf des Texts bestätigt: Hauptsächlich der Scherz und das Verwirrspiel, das Florestan und Eusebius mit dem ignoranten Publikum treiben, geben der Rede eine karnevaleske Note: Eusebius wird als »Schelm«118 bezeichnet, und Florestan sagt, geisterhaft, »mit leiser, fürchterlicher Stimme«119 dem Kantor etwas ins Ohr. Frauke Otto sieht in der Szenerie der Fastnacht, die Verkleidung und Maske evoziert, eine Anspielung auf das Motiv des Maskenballs in Schumanns musikalischem Werk. Ebenso führe dieses Motiv zu dem des Larventanzes in Jean Pauls Flegeljahren.120 116 Hans-Peter Fricker : Die musikkritischen Schriften Robert Schumanns. Versuch eines literaturwissenschaftlichen Zugangs. Bern u. a. 1983. (= Europäische Hochschulschriften. Reihe 1, Deutsche Sprache und Literatur. Bd. 677). Hier S. 3. 117 Schumann, Gesammelte Schriften, Bd. 1, S. 40. 118 Ebd. 119 Ebd. 120 Frauke Otto: Robert Schumann als Jean-Paul-Leser. Frankfurt am Main 1984, S. 166 f. Die Verbindung besonders des Maskenball-Motivs bei Schumann mit literarischen Motiven

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Die fiktive Schilderung des Konzertabends wird neben dem Gebrauch von redetypischen Elementen und dem Zitat des Maskenballs durch spezifische literarische Techniken und Stilelemente verstärkt. Ein Aspekt sind Schumanns perspektivische Techniken, die nicht nur die »Fastnachtsrede« sondern auch andere Texte aus den Gesammelten Schriften durchziehen und so zu einem wichtigen Merkmal von Schumanns Stil geworden sind. »Two features more than any others account for the poetic quality of Schumann’s criticism: its attempt to evoke the spirit of the musical work that called it forth and its reliance on a fanciful perspectivical technique.«121 Die Technik des Perspektiven- und Sprecherwechsels sorgt dafür, dass verschiedene Deutungen des betreffenden Werks zur Sprache kommen und gleichzeitig die Vielfalt der kursierenden Debatten über Beethoven gezeigt wird: Ein ›ganzheitlicher‹ Eindruck wird angestrebt. Verschiedene Personen kommen zur Sprache, die Rede – obwohl von einem einzigen, Florestan, gehalten – springt im Zitieren unterschiedlicher Stimmen von Aussage zu Aussage. Mittelpunkt der wechselnden Perspektiven ist selbstverständlich das Werk, das aufgeführt wird und (gemeinsam mit dem Sprechen über die Persönlichkeit Beethovens) durch die verschiedenen Sprecher immer wieder auf unterschiedliche Art und Weise thematisiert und aufgerufen wird: Die 9. Sinfonie. Der Gebrauch von Metaphern ist im Vergleich zu anderen Schriften Schumanns über Musik in der »Fastnachtsrede von Florestan« sehr gering ausgeprägt. Eine der wenigen Metaphern, die man wirklich als eine solche klassifizieren könnte, findet sich im Gespräch Florestans mit dem Kantor – sie ist die einzige, die sich wirklich detailliert auf eine spezifische Stelle in der Sinfonie bezieht. Es geht um eine unvorbereitete Dissonanz in der Sinfonie. »Mit leiser, fürchterlicher Stimme sagte ich ihm [dem Kantor] ins Ohr : ›Kantor, nehmen Sie sich vor den Gewittern in acht! der Blitz schickt keinen Livreebedienten, eh’ er einschlägt, höchstens einen Sturm vorher und drauf einen Donnerkeil. Das ist so seine Manier.‹ – ›Vorbereitet werden müssen solche Dissonanzen dennoch‹ – da stürzte schon die andere herein.«122

Im Sinne der Metapher als »Transaktion zwischen Kontexten«123 verbindet sie hier zwei Ebenen des Auffassens von Beethovens Musik miteinander. Kurz Jean Pauls ist in der musikwissenschaftlichen Forschung ebenfalls ein Begriff. Ottos Interpretation des Fastnachts-Motivs im vorliegenden Text lautet wie folgt: »Schumanns Motiv des Maskenballs ist auf diesen Zusammenhang zu beziehen: Der Maskenzug der Davidsbündler formiert sich gegen die Scheinwelt der Philister und wird für Schumann zugleich zum Sinnbild für das ›höhere poetische Leben‹ der Davidsbündler und die utopische Hoffnung auf eine Welt, welche ›der spielenden Poesie nachspielt‹.« 121 John Daverio [Anm. 91], S. 126. 122 Schumann, Gesammelte Schriften, Bd. 1, S. 40 f. 123 Anselm Haverkamp (Hrsg.): Theorie der Metapher. Darmstadt 1983, S. 35.

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vorher bezeichnet Florestan die Dissonanz in der Sprache der musikalischen Fachtermini: »›Was ist er [der erste Akkord im Endsatz, B.S.] weiter, Kantor (sagte ich zu einem zitternden neben mir), als ein Dreiklang mit vorgehaltener Quinte in einer etwas verzwickten Versetzung, weil man nicht weiß, ob man das Pauken-A oder das Fagotten-F für Baßton nehmen soll? Sehen Sie nur Türk, 19ter Teil, S. 7!‹«124

Abgesehen davon, dass der 19. Teil des genannten musikalischen Fachwerks von Türk nicht existiert125 und Florestan sich hier einen Scherz mit dem Fachmann erlaubt, (wie auch Schumann mit dem musikalisch gebildeten Leser,) wird hier die gehörte Musik auf der Ebene der Fachsprache wiedergegeben. In einem zweiten Schritt bringt die Metapher des Blitzes die Ebene der Musik mit der der Natur zusammen. Gleichzeitig wird die Metapher Blitz zur Großmetapher oder zum Metaphernfeld »Gewitter« erweitert. Ein weiterer Aspekt ist, dass der Blitz gleichzeitig personifiziert wird und als Akteur auftritt: »›[…] der Blitz schickt keinen Livreebedienten, eh’ er einschlägt, höchstens einen Sturm vorher und drauf einen Donnerkeil. Das ist so seine Manier.‹«126 Das Zusammen-Sehen von Musik und (furchterregender, gewaltiger) Natur hat an dieser Stelle im Text die Funktion, dem pedantischen Kantor etwas deutlich zu machen, was am effektivsten durch eine Metapher zu verdeutlichen ist. Die Tatsache, dass die Natur und ein Naturphänomen wie das Gewitter sich nicht an vom Menschen vorgegebene Regeln hält, macht sie unberechenbar, erhaben und mächtig. Sie folgt ihren eigenen Gesetzen. Ebenso verhält es sich nach Florestans Ansicht mit der symphonischen Musik Beethovens, und dies ist kein Grund, sie zu disqualifizieren – im Gegenteil. Ein anti-höfischer Unterton schwingt in der Formulierung »[…] der Blitz schickt keinen Livreebedienten, eh’ er einschlägt«127 mit. Der Blitz und Beethovens Sinfonie halten sich nicht an vorgeschriebene Zeremonielle und nehmen gleichermaßen keine Rücksicht auf den Menschen im Allgemeinen und die gehobene Gesellschaft im Besonderen. Das Metaphernfeld des Naturereignisses Gewitter verweist an dieser Stelle auf das romantische Beethovenbild, wie es in der Literatur und anderen Schriften von den Zeitgenossen entworfen wird.

124 125 126 127

Schumann, Gesammelte Schriften, Bd. 1, S. 40. Hans-Peter Fricker [Anm. 116], S. 55 f. Schumann, Gesammelte Schriften, Bd. 1, S. 40. Ebd.

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2.2.2.2 Schumanns Beethovendarstellung und das romantische Beethovenbild Schumann selbst vergleicht Beethovens Person bevorzugt mit einem Löwen. Bereits hier wird die Kraft der Natur durch das Bild eines der stärksten Tiere aufgerufen, das außerdem traditionellerweise als majestätisch gilt. Nach Arnold Schmitz dominieren vier Bilder Beethovens die romantische Literatur, wobei er Autoren wie Bettina von Arnim und E.T.A. Hoffmann zugrundelegt. Schmitz konstatiert: »Mit den vier Figuren des Naturkindes, Revolutionärs, Zauberers, Priesters ist das romantische Bild der Persönlichkeit Beethovens geschaffen. Sie begegnen uns zusammen oder vereinzelt sehr häufig bei romantischen Schriftstellern und Musikern, die sich über Beethoven geäußert haben.«128 Anspielungen auf diese Konstruktionen des ›Naturkinds‹ und des Revolutionärs finden sich in der oben genannten Metapher. Das Gewitter an sich ist ein unkontrollierbares Naturphänomen, und Schumann fügt die Erwähnung des Livreebedienten hinzu. Letzteres ist ein Verweis auf das kursierende image Beethovens als anti-höfischer Revolutionär, auf das sich Anspielungen auch an anderen Stellen in Schumanns Werk finden. Deutlicher ist z. B. die folgende Passage: »›Bald darauf tritt der junge Beethoven herein, atemlos, verlegen und verstört, mit unordentlich herumhängenden Haaren, Brust und Stirn frei wie Hamlet, und man verwundert sich sehr über den Sonderling; aber im Ballsaal war es ihm zu eng und langweilig, und er stürzte lieber ins Dunkle hinaus durch dick und dünn und schnob gegen die Mode und das Zeremoniell und ging dabei der Blume aus dem Weg, um sie nicht zu zertreten.‹«129

Der Widerstand gegen adlige Mode und höfische Zeremonie wird auch hier betont. Die Beethovenrezeption der Romantik legt großen Wert darauf, dass Beethoven als Musiker zumindest nicht direkt im Dienst eines adligen Hofs stand, und stilisiert ihn zum unabhängigen, armen aber idealischen Musiker, der für die ›wahre‹, autonome Kunst lebt. Bodo Bischoff kritisiert die schematisierte Darstellung der romantischen Beethovenbilder bei Schmitz zu Recht, und betont, dass Schumanns Konstruktion von Beethoven als Musiker nicht mit den vier Kategorien zu erfassen sei.130 Martin Schoppes Erkenntnis, »daß Schumanns Beethoven-Bild nicht 128 Arnold Schmitz: Das romantische Beethovenbild: Darstellung und Kritik. Berlin, Bonn 1927. Hier S. 7. 129 Schumann, Gesammelte Schriften, Bd. 1, S. 107. 130 »Für Schumann kann die Gültigkeit der vier von Schmitz als Grundvorstellungen romantischer Beethoven-Rezeption ins Zentrum seiner Abhandlung gerückten Bilder vom genialischen Naturkind, vom Revolutionär, vom Zauberer und vom Priester nur sehr eingeschränkt und mit deutlichen Akzentverschiebungen angenommen werden.« Bodo Bischoff: Monument für Beethoven. Die Entwicklung der Beethoven-Rezeption Robert Schumanns. Köln-Rheinkassel 1994, hier S. 22.

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einheitlich oder gar eindeutig festzulegen sei«131 ist für die Gesammelten Schriften über Musik und Musiker zu bekräftigen. Kritik an Schmitz wird bei ihm mit dem Hinweis auf folgendes geübt: Bei Schumann gebe es durch die Gleichsetzung Beethovens mit einem Löwen, einem Priester oder einer Tempelsäule zwar Parallelen zu den als romantisch definierten Beethovenbildern, aber diese Äußerungen seien häufig dadurch relativiert, dass sie den Davidsbündler-Figuren in den Mund gelegt würden.132 Bei der Analyse von z. B. Schumanns Texten über Beethovens Die Wuth über den verlorenen Groschen oder die Leonoren-Ouvertüre werden wir in der Tat auf signifikant andere Bilder stoßen, die Schumann für den Komponisten suggeriert. Zunächst einmal ist in der »Fastnachtsrede« die Anlehnung an die romantische Vorstellung von Beethoven als einer erhabenen, mächtigen ›Naturgewalt‹ durch die Kombination von Bildern wie dem Riesen unter Zwergen, dem Löwen und der soeben besprochenen Metapher vom Akkord seiner Sinfonie als Blitz dominant. Anzumerken ist hierbei natürlich, dass in diesem Text Beethovens Musik und Beethoven als verehrter Komponist und historische Figur gleichermaßen präsent sind und durch Metaphern und Bilder dargestellt werden. Um von der Darstellung der Person Beethovens auf die Thematisierung und Beschreibung von Beethovens symphonischer Musik in der »Fastnachtsrede« zu kommen, müssen einige Stellen im Text genauer in den Blick genommen werden.

2.2.2.3 Die Beschreibung von Beethovens sinfonischer Musik in der »Fastnachtsrede« Gleich zu Beginn der »Fastnachtsrede« spricht Florestan selbst über die 9. Sinfonie: »›Wahrhaftig, ich kenne die Sinfonie besser als mich. Kein Wort verlier’ ich drüber. Es klingt alles so totledern darauf, Davidsbündler. Ordentliche ovidsche Tristien feierte ich, hörte anthropologische Kollegien.‹«133 Florestan gebraucht zwei Bilder für die 9. Sinfonie, die seinen Höreindruck charakterisieren und die man ebenfalls als verkürzte Vergleiche bzw. Metaphern bezeichnen müsste. Ähnlich wie bei Wagner steht hier seine Rezeption der Musik durch den Hörer im Mittelpunkt. Bezeichnenderweise ist der Gebrauch dieser Metaphern eng verknüpft mit dem Topos der Unsagbarkeit in Bezug auf Beethovens Musik. Florestan will »kein Wort« über die Sinfonie verlieren und bezeichnet alle Worte, die man über sie sagen könnte als »totledern«. Das romantische Dogma der Unzulänglichkeit der Sprache und der Überlegenheit der Musik über sie wird hier – glaubt man der Aussage des Sprechers an dieser 131 Ebd., S. 26. 132 Ebd. 133 Schumann, Gesammelte Schriften, Bd. 1, S. 40.

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Stelle – evoziert und bestätigt. Diese Abwertung der Sprache als »totledern« ist aus folgendem Grund umso erstaunlicher : Schumann schließt sich, wie aus seinen ästhetischen Schriften und Äußerungen hervorgeht, der frühromantisch geprägten, neugeordneten Hierarchie der Künste, in der die Musik an erster Stelle steht, nicht an. Dass Schumann durch familiäre Prägung literarisch gebildet war, ist in der Forschung gut bekannt. Wie Aigi Heero gezeigt hat, ist es Schumanns auch explizit formuliertes Anliegen, die beiden Künste so eng wie möglich miteinander zu verflechten. Für die ›Anwesenheit‹ der Literatur bzw. Semantik in seiner Musik hat die Forschung lange schon das Schlagwort der ›poetischen Musik‹ geprägt. Schumann sieht in der Literatur und der Musik eine gemeinsame Sprache und eine strukturelle Verwandtschaft, die von der romantischen Theorie an sich nicht angenommen wird.134 Diese Annahme der strukturellen Verwandtschaft von Musik und Literatur und einer gemeinsamen Sprache bei Schumann führt direkt zu der ersten Metapher, die an dieser Stelle verwendet wird. Der Sprecher beschreibt, er habe beim Anhören der 9. Sinfonie »ordentliche ovidsche Tristien« gefeiert. Per Assoziation wird im Zusammenhang mit Beethovens Musik ein antikes literarisches Werk aufgerufen: Bekanntermaßen sind die Tristia das lyrische Werk Ovids, in denen er seine Verbannung aus Rom und seine Trauer darüber beklagt. Nicht ganz eindeutig ist die Verwendung des Wortes »feiern« in diesem Zusammenhang: Ist gemeint, dass sich der Sprecher an der Melancholie freut, die ihn beim Hören der Sinfonie befällt, und wird er durch die Musik an das (geliebte) literarische Werk erinnert? Das musikalische Werk ruft die Erinnerung an ein literarisches Werk auf. Schumann verweist durch Florestan auf die antike Literatur. Er versucht, ein Medium durch das andere verdeutlichend darzustellen und demonstriert so seine Überzeugung, dass beide Medien miteinander kompatibel und strukturell verwandt seien. Er versucht an dieser Stelle also nicht, die Musik direkt in Sprache bzw. sprachliche Bilder und Metaphern zu übersetzen, sondern beschränkt sich auf seinen Höreindruck und seine vermittelten und vermittelnden Assoziationen. Die Metapher des Gewitters, die im weiteren Verlauf des Textes auftritt und die oben besprochen wurde, stellt hingegen eine direktere ›Übersetzung‹ der 134 Heero geht in der Untersuchung von Schumanns Ästhetik noch einen Schritt weiter und sieht dessen Haltung zur Zeichenhaftigkeit mit Derrida: »Hierbei läßt sich möglicherweise eine Parallele zu Derridas Disseminationstheorie ziehen. Demnach sind alle Signifikanten (im Falle Schumanns sprachliche und musikalische) nicht festen Signifikaten zugeordnet, sondern im ständigen Prozess der Differenzierung, Entzweiung und gegenseitigen Ergänzung begriffen. In den Spannungsfeldern zwischen den Zeichen wird erst ihre wahre Bedeutung hervorgebracht (Derrida 1995: 33¢34).« Aigi Heero: »Poesie der Musik: Zur Intermedialität in Robert Schumanns frühen Schriften.« In: TRAMES, issue: 1 / 2007. S. 15 – 34. (http://www.kirj.ee/ public/trames/trames-2007-1-2.pdf). Hier S. 21.

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Musik dar. Ähnlich verhält es sich mit der Beschreibung des ersten Satzes der Sinfonie, die der Erzähler anlässlich seines Lobs an den Dirigenten einstreut: »Jetzt gabst du mir eine schöne Minute, Musikdirektor, als du das Tempo des tiefen Themas in den Bässen so herrlich auf der Linie trafst, daß ich vieles vergaß vom Ärger am ersten Satz, in dem trotz des bescheidenen Verhüllens in der Überschrift: ›un poco maestoso‹ die ganze langsam schreitende Majestät eines Gottes spricht.«135

Der Erzähler greift an dieser Stelle die Satzbezeichnung »un poco maestoso« auf und schreibt dem Satz einen majestätischen, schreitenden Charakter bzw. einen solchen Ausdruck zu. Er bestärkt und erweitert auf korrigierende Weise die Überschreibung Beethovens, indem er sie nicht nur als Anweisung zur musikalischen Ausführung begreift. Er nimmt sie in dem Sinne ernst, dass er durch das »maestoso« den ›Inhalt‹, den Ausdruck der Musik beschrieben sieht. Das Bild der Majestät wird noch einmal gesteigert, indem der Zusatz »eines Gottes« eingeführt und hinzugefügt wird. Es ist nicht klar, ob hier mit dem Wort »Gott« auf den Komponisten des Werks angespielt wird. In jedem Fall wird der Musik Beethovens wiederum ein sakrales und erhabenes Element zugesprochen, das sowohl mit dem erhabenen Bild des Gewitters als auch mit dem erwähnten Topos, man müsse Gott lieben und nicht verstehen, am Schluss des Texts korrespondiert. Natürlich ist die Betonung der Sakralität, die Schumann hier vornimmt, auch im Zusammenhang mit dem im letzten Satz benutzten Schillerschen Text zu verstehen. 2.2.2.4 Die verschiedenen Facetten der Beethovenrezeption: Nationalismus und das Erhabene Beethovens 9. Sinfonie wird nach dem Ende des Konzerts in der »Fastnachtsrede« noch auf eine andere Art und Weise thematisiert als in den direkt auf Teile des Werks bezogenen Metaphern und Bildern, die wir eben betrachtet haben. Der Erzähler referiert in Kürze die musikästhetischen Standpunkte und Interpretationen der verschiedenen Fraktionen von »Beethovenern«. Es handelt sich hier um zeitgenössische Facetten der Rezeption. Zunächst wird die nationale Position aufgerufen: »Das ist von unserm Beethoven, das ist ein deutsches Werk –«136. Die Vereinnahmung von Beethoven als »Nationalheld« im 19. Jahrhundert ist ein bekannter Aspekt der Rezeption. Besonders seine Oper Fidelio wurde zum Modell einer deutschen Nationaloper ausgerufen, aber auch andere Werke vereinnahmt. Auch die Musikfestbewegung spielte hierbei eine Rolle.137

135 Schumann, Gesammelte Schriften, Bd. 1, S. 41. 136 Ebd. 137 Vgl. hierzu beispielsweise: Elisabeth Eleonore Bauer : Wie Beethoven auf den Sockel kam.

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Die nationalistische Aneignung von Beethovens Person und Werk können wir ebenfalls in Wagners Beethovenschriften beobachten – sie ging mit Ressentiments gegen Länder wie England und Frankreich und ihre künstlerische Kultur einher. Die Gruppe der Beethovener fährt fort: »› – im letzten Satz befindet sich eine Doppelfuge – man hat ihm vorgeworfen, er prästire dergleichen nicht, – aber wie hat er es gethan – ja, das ist unser Beethoven.‹«138 Dies bezieht sich auf den Vorwurf, der Beethoven von Zeitgenossen offenbar gemacht wurde und der in Gestalt der Kritik, die der Kantor an der mangelnden Vorbereitung von Dissonanzen übt, auch an früheren Stellen im Text zitiert wird: Beethoven halte sich nicht an die traditionellen Regeln der Kompositionslehre oder beherrsche diese sogar nicht richtig. Die erwähnte Doppelfuge als typisches Beispiel traditionsgebundenen Komponierens beruhigt die begeisterten Beethovener im Hinblick auf diese Unterstellung, wobei die Tatsache, dass sie überhaupt einen solchen Beweis brauchen, um Beethovens Meisterschaft anzuerkennen, sie in den Augen des Autors vermutlich disqualifiziert. Es folgt der Vergleich der Sinfonie mit den literarischen Gattungen, wobei jedem Satz eine Gattung zugeschrieben wird – »der Humor« als die vierte neben Lyrik, Epos und Drama. Auffällig ist auch hier eine Parallele zu Wagners Beethovenrezeption: Mit dem vierten Satz wird das Drama verbunden und dieses als eine Vermischung aller anderen Gattungen bezeichnet. Auch Wagner rühmt in der »Pilgerfahrt zu Beethoven« die Verbindung von Wort und Ton und verknüpft hiermit seine Vorstellung des Musikdramas. Obwohl Schumann hier die romantische Vorstellung der Nähe der Künste zueinander – in diesem Fall die Nähe von Musik und Literatur, die er selbst überzeugt postulierte – aufruft, wird der Topos doch zumindest teilweise abgewertet, indem er den unreflektierten Beethovenanhängern in den Mund gelegt wird, vor denen die Davidsbündler flüchten. »Wieder ein anderer«, fährt der Erzähler ironisch fort, »legte sich geradezu auf ’s Loben: ein gigantisches Werk wär’ es, kolossal, den ägyptischen Pyramiden vergleichbar.«139 Der Vergleich von Musik mit Architektur bzw. mit Bauwerken gehört zu den wichtigen Topoi des Sprechens über Musik in der Romantik.140 Mit den durch Schlegel und anderen geprägten Schlagworten von Baukunst als »versteinerte Musik« oder »erstarrte Musik« werden die beiden Sphären der (›beweglichen‹, ›flüchtigen‹) Musik und der unbeweglichen, statischen Architektur gleichzeitig in eine ästhetische Beziehung zueinander gesetzt und vonDie Entstehung eines musikalischen Mythos. Stuttgart, Weimar 1992, Kapitel »Beethoven als Nationalheld«, S. 173 ff. 138 Schumann, Gesammelte Schriften, Bd. 1, S. 41. 139 Ebd. 140 Vgl. Thomas Grey : »Metaphorical modes in nineteenth-century music criticism: image, narrative, and idea.« In: Steven Paul Scher (Hrsg.): Music and text: critical inquiries. Cambridge u. a. 1992, S. 93 – 117, hier S. 95.

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einander abgegrenzt. Auch Wagner benutzt diesen Topos in seinen Schriften über Beethoven. Der Vergleich von Beethovens 9. Sinfonie mit den ägyptischen Pyramiden führt, zusammen mit den Attributen »kolossal« und »gigantisch«, direkt zum Topos des Erhabenen. Das Erhabene im Zusammenhang mit Beethovens Musik verstehe ich hier einerseits im Sinne Moses Mendelssohns, der ein Ding als erhaben bezeichnete, das durch seine äußerste Vollkommenheit Bewunderung erregt. Andererseits ist Schillers stark von Kant beeinflusste Auffassung des Erhabenen für Beethoven ebenso wichtig: Derjenige Gegenstand, der die Sinne überwältigt, (Beethovens Sinfonien wurden von den Zeitgenossen oft dementsprechend wahrgenommen), ist gleichzeitig durch die Vernunft erfassbar.141 Diese Charakteristika des Erhabenen spielen in der Interpretation von Beethovens Musik, vor allem seit E.T.A. Hoffmanns Rezension der 5. Sinfonie 1810, eine überragende Rolle: Hoffmann betont das Erschütternde und Schauderhafte in Beethovens Musik und kontrastiert es mit der ›Besonnenheit‹ des Komponisten. Wie Carl Dahlhaus in seinen Studien über Beethoven ausführt142, hat dieser Topos der Doppelung von wirkungsvoll Schaurigem und kühler Reflexion seinen Ursprung in der Odentheorie des 18. Jahrhunderts. Er stellt die Ästhetik der Sinfonie um 1800 generell in die Tradition der Ode, vor allem bei Klopstock und Hölderlin. Auch der Topos der ›scheinbaren Unordnung‹, der so oft auf Beethovens Sinfonien (peiorativ) angewendet worden ist, gehört nach Dahlhaus zur Ode im 18. Jahrhundert – ein in der Entstehung stark reflektiertes Werk, das dennoch überwältigt. Dahlhaus spricht von einer »Theorie der Symphonie aus der Ästhetik des Erhabenen«143. Hierzu gehört auch der Begriff der Monumentalität. Dieser wird durch den Vergleich der 9. Sinfonie mit den Pyramiden als kulturellen Monumenten in der »Fastnachtsrede« ebenfalls aufgerufen. »Noch andre malten: die Symphonie stelle die Entstehungsgeschichte des Menschen dar – erst Chaos – dann der Ruf der Gottheit: ›Es werde Licht‹ – nun ginge die Sonne auf über den ersten Menschen, der entzückt wäre über solche Herrlichkeit – kurz, das ganze erste Capitel des Pentateuchs sei sie.«144

Dies bildet die abschließende Interpretation im Chor der Beethovener, den der Erzähler zitiert. Sie ist eine Deutung der 9. Sinfonie, die gleichermaßen die bereits zuvor angesprochene Nähe zur Literatur – in diesem Fall, der Epik – andeutet, wie auch die religiöse Auffassung Beethovens und seiner Musik aufruft. Die Musik wird mit dem ersten »Capitel des Pentateuchs«, also einem Teil 141 R. Homann: »Erhaben, das Erhabene.« In: Joachim Ritter (Hrsg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie. Basel 1971 – 2007. Bd. 2, S. 624 – 636, hier S. 628 ff. 142 Carl Dahlhaus: Ludwig van Beethoven und seine Zeit. Laaber 1987. Hier S. 100 ff. 143 Ebd., S. 104. 144 Schumann, Gesammelte Schriften, Bd. 1, S.41.

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des Alten Testaments, gleichgesetzt, das vom Ursprung des Menschen berichtet. Als Gestalter dramatischer Prozesse bzw. als ›Bildermaler‹ wurde Beethoven, wie Ulrich Schmitt145 ausführt, von einigen der Zeitgenossen wahrgenommen. Die anfangs kritisierte Vielfalt bzw. ›Verwirrung‹ von musikalischen Gedanken in Beethovens Musik wurde nun positiv bewertet. Schmitt stellt die These auf, dass die Kultur der Hörens sich zu Beethovens Zeit verändere: Nachdem zuvor der Wille, analytisch zu hören und ein Werk mit Hilfe der Rationalität zu erfassen, vorgeherrscht habe, lasse der Hörer sich nun von der ›Tonmasse‹ in Beethovens Sinfonien überwältigen. Folglich geschehe in der Musikkritik ein Übergang von rationaler Analyse und Beschreibung der Musik zu bildlichem Assoziieren. Auch Andreas Eichhorn stellt die Schwierigkeiten fest, die das Erhabene dem Fassungsvermögen des Hörers stellt und betont das Visuell-Szenische als zum Erhabenen gehörend.146 Die Interpretationsansätze, die in Schumanns Text vom Publikum auf das Werk angewendet werden, zeugen mit Eichhorn davon, dass sich die Geschichte der Rezeption der 9. Sinfonie als »fortwährender Versuch beschreiben [lässt], die erhabene Inkommensurabilität des Werkes zu reduzieren, sei es, daß mittels der Retuschen die klangliche Vieldeutigkeit des Tonsatzes beseitigt wird, sei es, daß eine poetische, visuelle oder politisch-ideologische Idee einheitsstiftende bzw. totalisierende Funktion übernimmt.«147

Deutlicher werden wir dieses letztere Element in anderen Kritiken Schumanns sehen, aber auch in der »Fastnachtsrede« als programmatischem Text gibt es die erwähnten Tendenzen zur freien und etwas kryptischen Assoziation.

2.2.2.5 Polemik und Didaktik des Musikkritikers Schumann Auf die eben beschriebene Art und Weise, im schnellen Wechsel der Perspektiven und Stimmen, werden innerhalb von einigen Sätzen wichtige Aspekte der Rezeption von Beethovens neunter Sinfonie und musikästhetische Ansätze abgehandelt. Keiner von ihnen wird vom Erzähler inhaltlich kommentiert. Im Schluss des Textes wird jedoch deutlich, dass diese Arten, Beethovens Musik zu besprechen und zu deuten, nicht den Gefallen Florestans finden. Die Begründung hierfür liegt nicht im Inhaltlichen. Den Zuhörern des Konzerts, dem allgemeinen Publikum an sich, wird die Berechtigung abgesprochen, über Beethovens Musik überhaupt Urteile abzugeben. Florestan begründet dies offen mit 145 Vgl. Ulrich Schmitt: Revolution im Konzertsaal. Zur Geschichte der politischen Beethoven-Deutung. Mainz 1990, S. 42ff und S. 65 – 71. 146 Vgl. Andreas Eichhorn: Beethovens Neunte Symphonie: Die Geschichte ihrer Aufführung und Rezeption. Kassel, Basel u. a. 1993. (= Kasseler Schriften zur Musik. Hrsg. von Klaus Kropfinger, Adolf Nowak und Helmut Rösing. Bd. 3). S. 9 f. 147 Ebd., S. 10.

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der musikalischen Inkompetenz der Laien, die »nicht Rechenschaft vom einfachsten musikalischen Gesetz geben können«148. Die Verspottung des Publikums in der »Fastnachtsrede« charakterisiert den ganzen Text; und auch Frauke Otto resümiert in ihrer Studie zu Schumann und Jean Paul: »Schumanns Fastnachtsrede ist Publikumsbeschimpfung in satirischer Form.«149 Die Position, die in diesem Text vertreten wird, ist also ungewöhnlich radikal: Nicht nur, dass Beethovens Musik nicht kritisiert werden darf, sie darf auch nicht von unberufener Seite gelobt werden. Auch ein Lob ist eine Anmaßung gegenüber einem Genie, das über den gewöhnlichen Menschen (und insbesondere den Laien) steht. Mit dem Brief des schlesischen Adligen wird am Ende die ideale Form, über Beethoven und seine Musik zu sprechen, vorgeführt: Man soll seine Musik lieben und verehren und ansonsten über sie schweigen. Der oben erwähnte Topos der Unsagbarkeit in Bezug auf die Musik wird hier besonders virulent. Beethovens Musik für unbeschreibbar, oder zumindest für den normalen Menschen unbeschreibbar zu erklären, ist für den Sprecher Florestan das einzig angemessene Zeichen der Ehrfurcht gegenüber dem Genie. Auch Wagner benutzt in »Beethovens ›heroische Symphonie‹« den Begriff des »Unaussprechlichen« für die Sinfonie und betont in den Beethovennovellen, besonders in »Ein glücklicher Abend«, explizit die Überlegenheit der Musik über die Sprache. Dies tritt sowohl in der »Fastnachtsrede« als auch in Wagners Beethovenschriften auf. Diejenige ästhetische Herangehensweise, die in der Musik nach ›Lebensbildern‹, bzw. ›Seelengemälden‹ u. ä. sucht, die musikalische Inhalts- und Ausdrucksästhetik, stößt bei Beethovens Musik an ihre Grenzen: Dies ist die Überzeugung, die sowohl bei Wagner als auch bei Schumann in der »Fastnachtsrede« vertreten wird. Für Schumann, der im Allgemeinen die Sprache gegenüber der Musik nicht abwertet, ist das Suchen nach Inhalten in Beethovens Musik nicht unbedingt unmöglich, zeugt aber von Respektlosigkeit. Zusätzlich unterscheidet sich Schumann von Wagner, indem er auch das verehrende Sprechen über Beethoven als unzulässig kritisiert. Die Verwendung des Unsagbarkeitstopos hat also bei Schumann und Wagner unterschiedliche Motivationen. Schumanns »Fastnachtsrede von Florestan« ist ein Text über Beethovens Musik, der sich in seiner Faktur von vielen anderen Musikschriften Schumanns abhebt. Er ist kaum noch als eine Musikkritik im Sinne einer der zahlreichen Werkkritiken des Autors zu erkennen. Er gehört zu den Davidsbündler-Texten und nimmt davon Abstand, Beethovens Sinfonie als Werk in seiner Gesamtheit zu besprechen. Beethoven und seine 9. Sinfonie werden auf andere Art und Weise thematisiert. Der Text gibt sich durch seinen Titel als humoristische 148 Schumann, Gesammelte Schriften, Bd. 1, S. 42. 149 Frauke Otto [Anm. 120], S. 157.

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»Rede« aus und beschreibt mit karnevalesken Elementen, die an Jean Paul orientiert sein könnten, eine Konzertszene, eine Aufführung von Beethovens Sinfonie. Dementsprechend konzentriert er sich neben einigen erwähnten technischen Details des Werks auf dessen Ausführung und vielfältige Rezeption. Ähnlich wie in Wagners Beethovennovellen wird die Musik weniger im Detail beschrieben als thematisiert. In den kurzen Passagen, in denen die Musik im Detail beschrieben wird, stehen technische Erläuterungen einerseits und Bilder und Metaphern andererseits im Vordergrund. Die Schumann-Forschung hat des Öfteren dieses Nebeneinander von sachlichem, musiktheoretischem Schreiben und poetischer Bildlichkeit als ein typisches Merkmal des Autors Schumann benannt.150 Wenn Metaphern und Bilder für die 9. Sinfonie gebraucht werden, greift Schumann auf zwei bildspendende Bereiche zurück, die von den Zeitgenossen bevorzugt für die Interpretation von Beethovens Werken herangezogen wurden: die Natur und die Revolution. Beide Bereiche stehen in populären Denkmustern des 18. und 19. Jahrhunderts für die Opposition zu einer den Menschen einengenden und unterdrückenden Gesellschaft.151 Es geht dem Autor in diesem Text jedoch offenbar nicht darum, Beethovens 9. Sinfonie im Detail zu beschreiben. Er thematisiert die Inhalte, die der Sinfonie von den kursierenden Interpretationsvarianten zugeschrieben werden, um sie gerade durch den fehlenden Kommentar und den folgenden Satz des Redners »Ich ward toller und stiller«152 subtil zu verwerfen. Schumann verhandelt hier unter anderem die Frage nach der Programmusik bzw. der musikalischen Referenz. Aus Schumanns ästhetischen Aussagen wird deutlich, dass er die Fähigkeit der Musik, konkrete Dinge, Bilder etc. mimetisch darzustellen, bezweifelt und nicht sehr hoch schätzt. »It is clear from Schumann’s writing that he seriously doubted that music can denote objects or events or state propositions«, so Leon B. Plantinga.153 Die möglichen, aber ›nicht wünschenswerten‹ Rezeptionshaltungen werden also vorgeführt, um sie durch die ›wünschenswerte‹ am Ende des Textes dargestellte Haltung zu Beethovens Musik zu kontrastieren. Auch dies ist eine Parallele zu Wagners Erzählung »Ein glücklicher Abend«, in der mögliche Interpretationen von Beethovens 7. Sinfonie nacheinander abgehandelt und schließlich verworfen werden. Als zentral für diesen Text kann man folgende Grundfrage bezeichnen: Wie verehrt man den Komponisten Beethoven auf die ›richtige‹ Art und Weise? Es 150 Nur ein Beispiel sind die diesbezüglichen Ausführungen bei Hans-Peter Fricker [Anm. 116]. 151 Diskurse, in denen Beethoven zu einer außerhalb der Norm und Masse stehenden, unverstandenen Künstlerfigur stilisiert wird, sind in der Beethovenrezeption des neunzehnten Jahrhunderts grundsätzlich stark vertreten. 152 Schumann, Gesammelte Schriften, Bd. 1, S. 41. 153 Vgl. Leon B. Plantinga: Schumann as Critic. New Haven, London 1967, S. 115 ff, hier S. 119.

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werden in der Rede sowohl eine Reihe von Möglichkeiten, Beethovens Musik zu rezipieren, die nicht das Gefallen des Sprechers finden, als auch, zum Schluss, musterhaft die ›richtige‹ dargestellt. Die »Fastnachtsrede« weist also polemische Inhalte und Tendenzen auf. Der Kampf der »Davidsbündler« gegen die »Philister« wird bereits im ersten Satz des Sprechers auf radikale Weise offen erklärt. Inhaltlich schließt dieser Aufruf zum ›Krieg‹ an die vorhergehende Rede »Zur Eröffnung des Jahrganges 1835« an, in der ebenfalls der Wille ausgesprochen wird, als »unkünstlerisch« begriffene Musik zu bekämpfen. Nach Leon B. Plantinga wird gerade hier die Anknüpfung Schumanns an die literarische Frühromantik, insbesondere Schlegel, noch einmal deutlich: Der Kritiker ist nicht nur derjenige, der poetisch deutet, sondern auch bisweilen polemisch scharfer Didakt und Mentor.154 Einher hiermit gehen satirische, gesellschaftskritische Elemente, die die künstlerische Unwissenheit des breiten Publikums zur Schau stellen. Die ›wahre Kunst‹, die ›ideale Musik‹ Beethovens wird gegen die Masse ihrer Rezipienten verteidigt. Eine Besonderheit ist, wie Plantinga weiterhin betont, also nicht, dass Schumann Beethovens Musik verehrt – Beethovens Ruhm war, nach seinem Tod ohnehin, im Aufsteigen begriffen –, sondern die Tatsache, dass die Bewunderung der »Fastnachtsrede« Beethovens neunter Sinfonie und hiermit Beethovens umstrittenem Spätwerk galt.155 Diese nicht massentaugliche Verehrung des späten Stils verschärft die Tendenz zur Elitenbildung und -rhetorik, die in der »Fastnachtsrede« vorherrscht.

2.2.2.6 Elitismus: Kompetentes Publikum und die Masse Der satirisch-polemische, massenkritische Charakter der »Fastnachtsrede«, der durch die humoristischen Effekte zwar gemildert, aber nicht aufgehoben wird, verweist umso stärker auf die Frage: Welches Funktions- und Wirkungspotential kann diese Beschreibung und Darstellung einer Aufführung von Beethovens neunter Sinfonie innerhalb des zeitgenössischen Kontexts entfalten? Oben wurde bereits der ›Kampf‹ der Davidsbündler gegen die »Philister« und das Ringen darum, wie man Beethoven am besten verehren solle, thematisiert. Schumann stellt unter anderem in diesem Text eine musikalische Elite von Künstlern gegen die breite Massen des (Laien-)Publikums. Der Sprecher Florestan wie auch sein Begleiter Eusebius und implizit die anderen Davidsbündler werden deutlich als versierte und zum Teil praktizierende Musiker gekennzeichnet. Die scharfe Kritik an den Dilettanten, in diesem Fall, passiv dilettantischen Konzertbesuchern, erinnert an ähnliche Motive in Wagners »Pilgerfahrt 154 Ebd., S. 75. 155 Daverio weist darauf hin, dass gerade die 9. Sinfonie für Schumann den Wendepunkt von der Klassik zur Romantik darstellte. Vgl.: Daverio [Anm. 91], S. 118 ff.

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zu Beethoven«. Mit Bourdieu kann man die breite Masse der Konzertbesucher und »Beethovener« – also der »Philister« – als eine große und dominante Gruppe im ›Feld der Kunst‹, in diesem Falle der Musik, verstehen. Ihre Meinung ist wichtig, und es ist anzunehmen, dass diese Gruppe über einiges ökonomisches Kapital verfügt. Im Zusammenhang mit den dynamischen Prozessen zwischen Gruppen im Feld der Kunst spricht Bourdieu von »symbolischen Kämpfen zwischen Künstlern und ›Bourgeois‹ im 19. Jahrhundert«156. Dies findet statt, wenn Schumann hier gegen die »Philister« polemisiert. Sie besitzen das ökonomische Kapital und zudem Macht im Feld der Kunst, die kleine, aber elitäre Gruppe der ›wahren Künstler‹, hier : der Davidsbündler, reklamiert für sich das »capital symbolique«157, das ›symbolische Kapital‹. Florestan geht in seiner Rede noch einen Schritt weiter : Er spricht der mächtigen Gruppe der ›Bourgeois‹ die Definitionshoheit im Bereich der Kunst ab. Laut Bourdieu steht im Mittelpunkt aller Kämpfe, die sich zwischen Gruppen im Feld der Kunst abspielen, die »pouvoir de cons¦cration«158, das Recht auf bzw. die Macht der »Konsekration«159 von Künstlern oder Kunst: Wer die Macht hat, zu definieren, was ›wahre Kunst‹ ist und was nicht, hat die endgültige Vorrangstellung erreicht. Florestan postuliert diese Vorrangstellung für sich und die die ›autonome Kunst‹ vertretenden Davidsbündler. Zwar untersagt er auch diesen, Beethoven zu loben, nimmt sich aber selbst die Freiheit, exemplarisch vorzustellen, wie man Beethoven zu loben bzw. zu verehren habe. Florestan entzieht Beethoven und seine Musik dem – nach Bourdieu – »principe de hi¦rarchisation externe«160, dem »Prinzip der externen Hierarchisierung«161, demzufolge Künstler an ihrem Erfolg und der Akzeptanz durch das breite Publikum gemessen werden. Er führt ihn dem »principe de hi¦rarchisation interne«162, dem Prinzip der »internen Hierarchisierung«163 zu: Dies beinhaltet, dass die Kunst feldspezifische Anerkennung und Bewertung durch andere Künstler und Kollegen erhält und somit ihre Autonomisierung vorangetrieben wird. Strenggenommen wird Beethoven als Künstler in der »Fastnachtsrede« auch diesem letzteren Prinzip wieder entzogen, da Florestan nicht einmal dem Ge156 Pierre Bourdieu: Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes. Frankfurt am Main 1999. Hier S. 342. 157 Pierre Bourdieu: Les rÀgles de l’art. GenÀse et structure du champ litt¦raire. Paris 1992, S. 202. 158 Ebd., S. 311. 159 Pierre Bourdieu: Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes. Frankfurt am Main 1999, S. 354. 160 Pierre Bourdieu: Les rÀgles de l’art. GenÀse et structure du champ litt¦raire. Paris 1992, S. 302. 161 Pierre Bourdieu: Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes. Frankfurt am Main 1999, S. 344. 162 Pierre Bourdieu: Les rÀgles de l’art. GenÀse et structure du champ litt¦raire. Paris 1992, S. 303. 163 Pierre Bourdieu: Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes. Frankfurt am Main 1999, S. 344.

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fährten Eusebius erlaubt, Beethoven zu loben. Wichtig ist jedoch, dass Florestan den »Philistern« jede Kompetenz, den verehrten ›Meister‹ zu beurteilen, abspricht und damit beabsichtigt, ihr ›Konsekrationsrecht‹ und ihre Vorrangstellung im ›Feld der Kunst‹ zugunsten der eigenen elitären und gleichzeitig progressiven, mit Bourdieu als avantgardistisch und autonom zu bezeichnenden Gruppe zu schwächen.

2.2.3 »Monument für Beethoven« Der Text »Monument für Beethoven« stammt aus dem Jahrgang 1836 der Neuen Zeitschrift für Musik. Sein Titel bezieht sich – zunächst – auf den Aufruf zur Geldspende, den ein Bonner Verein von Beethovenverehrern am 17. 12. 1835 erlassen hatte.164 Da auch dieser Text zu den ›Davidsbündler-Texten‹ zählt, sprechen vier fiktive Figuren des Bunds: Entsprechend dem Untertitel »Vier Stimmen darüber« wechselt die Sprecherperspektive der Reihe nach zwischen Florestan, Jonathan und Eusebius, bis in gewohnter Weise Meister Raro als das vermittelnde und überlegene Prinzip die Darlegung der Standpunkte beschließt. Jeder der Sprecher äußert sich zu der Frage, wie – und ob – ein Denkmal für Beethoven gestaltet werden solle. Florestan sieht als das »Mausoleum zukünftigen Andenkens«165 einen Quader vor sich, der eine Lyra darauf trägt und zwischen Bäumen unter freiem Himmel steht. Gleichermaßen äußert er sich jedoch kritisch und polemisch über den Plan eines Denkmals, und beklagt, dass man den großen Komponisten zu Lebzeiten schlecht behandelt habe. Die Position, die Jonathan daraufhin einnimmt, ist weniger eindeutig und schwankt zwischen satirischem Humor und ›empfindsamen‹ Denken. Er spottet über die Rezensenten, die Beethoven ›verkannt‹ hätten und will sie durch eine Sammlung vom Hungertod erretten. Dann bezieht er sich auf das Beispiel J.S. Bachs, der in Leipzig zum Zeitpunkt seines Todes kein Grabmal bekam. Nachdem er Felix Mendelssohn den Bach-Choral »Schmücke dich, o liebe Seele« hat spielen hören, schmerzt es ihn, dass er an keinem definierten Ort seine Verehrung für Bach zeigen kann. Er befindet: »[…] und die Leipziger von 1750 fielen in meiner Achtung. Erlaßt es mir, über ein Denkmal für Beethoven meine Wünsche auszusprechen.«166 Eusebius, der darauffolgend redet, spricht sich noch weitaus deutlicher und emphatisch für den Bau eines Beethovendenkmals aus und kritisiert, wie üblich als sein Gegenpart, Florestans Ansicht. Er führt hierzu das Denkmal für Hiller als 164 Vgl. hierzu: Hans-Peter Fricker [Anm. 116], S. 135 f. 165 Schumann, Gesammelte Schriften, Bd. 1, S. 131. 166 Ebd., S. 133.

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Vorbild an. Meister Raro schließt sich letztlich der Kritik an Florestan an, räumt jedoch ein, dass es ebenso wichtig ist, das Andenken an große Vorbilder durch Handlungen »in ihrem Sinne«167 zu bewahren. Seinerseits ruft er dazu auf, dass überall in Deutschland Geld gesammelt und Konzerte u. ä. veranstaltet werden sollten. Er nennt in einer längeren Aufzählung die Städte, in denen dies bereits geschehen ist, und die Namen der Musiker, die es veranlasst haben, darunter auch Mendelssohn. Der Text endet also einerseits mit einem deutlichen Plädoyer für ein Beethovenmonument, wobei nicht festgelegt wird, welche architektonische Form es haben sollte. Andererseits wird betont, dass die Anstrengungen für ein Monument gemeinsame sein sollten, nämlich die einer Gruppe von namentlich genannten Musikern. Hans-Peter Fricker bezeichnet den vorliegenden Text aufgrund der zum Teil einander widersprechenden Meinungsäußerungen der Figuren als »kontradiktorischen Text«168. Dieser beziehe den Leser dadurch, dass er verschiedene Argumente offenlege, in den Prozess der Entscheidungsfindung ein. Dies ist als Beschreibung des vorliegenden Textes nur m. E. sinnvoll, da verschiedene, einander zum Teil widersprechende Positionen dargelegt werden. Andererseits ist der philosophische Begriff »kontradiktorisch« als Bezeichnung für Aussagen, die einander wechselseitig ausschließen, hier nicht vollständig zutreffend. Die geäußerten Standpunkte besitzen durchaus, wenn auch kleinere, inhaltliche ›Schnittmengen‹ miteinander. Sowohl Jonathan als auch Eusebius neigen mehr oder weniger verhalten dazu, ein Denkmal für Beethoven zu bejahen. Man kann den vorliegenden Text nicht unbedingt als dialektisch bezeichnen, da schließlich keine Synthese aus den beiden extremsten Ansichten (Florestan und Eusebius) gebildet, sondern Florestans Meinung recht radikal verworfen wird. Mit mehr Berechtigung könnte das »Monument für Beethoven« als ein dialogischer bzw. dem Dialogismus zugehöriger Text bezeichnet werden.169 Auf der Ebene der Sprache selbst ist der Text außerordentlich stark von Bildlichkeit geprägt. Metaphern und Bilder werden hauptsächlich für zwei inhaltliche Ebenen verwendet: Einerseits werden auf diese Weise musikalische Werke beschrieben. Andererseits, und diese Ebene nimmt hier den größten Teil der bildhaften Ausdrucksweisen in Anspruch, werden dem Leser immer neue Varianten eines möglichen Beethovendenkmals vor Augen geführt. Florestan entwirft – dies ist wiederum verwandt mit dem von Wagner fingierten Besuch bei Beethoven in der »Pilgerfahrt« – in seiner ›Rede‹ die Vorstellung, Beethoven in seinem Haus in Wien zu besuchen. »Ich gehe langsam 167 Ebd., S. 135. 168 Hans-Peter Fricker [Anm. 116], S. 135. 169 Ich verwende den Begriff »dialogisch« entsprechend der Definition der Artikel »Dialog« und »Dialogismus«. In: Gero von Wilpert: Sachwörterbuch der Literatur. 8. Auflage. Stuttgart 2001, S. 165 und 167.

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zum Schwarzpanierhause Nr. 200, die Treppen hinauf; atemlos ist alles um mich; ich trete in sein Zimmer : er richtet sich auf, ein Löwe, die Krone auf dem Haupt, einen Splitter in der Tatze. Er spricht von seinen Leiden.«170 Das Bild des majestätischen Löwen für Beethoven, das wir bereits in der »Fastnachtsrede« vorgefunden haben, tritt auch hier wieder auf. Ebenso ist der »Splitter in der Tatze« eine christologische Anspielung, die die Verletzbarkeit des »Königs« – auch der Verweis auf die Begriffe »Majestät« bzw. »König« ist mehrdeutig – darstellen soll. Ebenso verweist die Vorstellung des verletzten Löwen auf die Androklus-Legende und ist somit ein weiteres Beispiel für Schumanns Affinität zur Antikisierung. Gleichzeitig schwingt in diesem Bild die Vorstellung einer möglichen Annäherung und Verbundenheit von majestätischem Löwen und eigentlich unterlegenem Menschen mit. Der Text fährt fort: »In derselben Minute wandeln tausend Entzückte unter den Tempelsäulen seiner C-moll-Sinfonie.«171 Für Beethovens 5. Sinfonie wird ganz im Sinne des romantischen Topos von der Musik als Bauwerk das Bild des Tempels gewählt und das Publikum in dieses Bild einbezogen. Gerade die Verwendung des Tempels als Bild für die Sinfonie suggeriert einerseits wiederum Sakralität, andererseits Erhabenheit. Die 5. Sinfonie wird so in dieser Anspielung selber zum »Monument«. Im Weiteren werden die imaginierte Szene vom Besuch bei dem unglücklichen Beethoven und die weitere Beschreibung der Sinfonie ineinandergeblendet: »Aber die Wände möchten auseinanderfallen; es verlangt ihn hinaus: er klagt, wie man ihn so allein ließe, sich wenig um ihn bekümmere. – In diesem Moment ruhen die Bässe auf jenem tiefsten Ton im Scherzo der Sinfonie; kein Odemzug: an einem Haarseil über einer unergründlichen Tiefe hängen die tausend Herzen, und nun reißt es, und die Herrlichkeit der höchsten Dinge baut sich Regenbogen über Regenbogen aneinander auf. – Wir aber rennen durch die Straßen: […]«172.

Die zitierte Passage, die sich direkt mit der 5. Sinfonie beschäftigt, vermischt wiederum Beschreibungen der Musik selbst mit ihrer Rezeption und Wirkung. Das Bild der tausend Herzen, die über dem Abgrund hängen, verweist auf die große Spannung bei den Zuhörern und ihre emotionale Beteiligung an der Musik. Das Haar reißt, jedoch hat dies nicht den Fall in den Abgrund zur Folge. Vermutlich benutzt der Sprecher das Bild der aufeinanderfolgenden Regenbogen für den Anfang des Scherzos in Beethovens 5. Sinfonie. Die Celli beginnen den Satz mit dem ersten Thema, dessen erster, relativ tiefer – (nicht der tiefste Ton der Bässe in der Sinfonie, aber der tiefste Ton dieses Themas) – Ton ein G ist. Von hier aus entwickelt sich das Solothema der Celli in Quart- und Terzsprüngen nach oben, um nach einer kurzen Abwärtsbewegung wieder auf einem G zu 170 Schumann, Gesammelte Schriften. Bd. 1, S. 131. 171 Ebd. 172 Ebd., S. 132.

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enden. Auch rein optisch kann das Thema, verstärkt dadurch, dass es gebunden gespielt wird, die Assoziation eines Regenbogens leicht hervorrufen. Die übrigen Streicher sowie Flöte, Klarinette und Fagott greifen Elemente des Themas auf, nachdem die Celli es vorgestellt haben. Es wäre möglich, dass Schumann sich mit dem vorliegenden Bild auf diese Orchesterbewegungen zu Beginn des Scherzos bezogen hat – genau nachzuweisen ist es aber nicht. Kontrastiert wird die begeisterte, gespannte Reaktion der Zuhörer auf Beethovens Musik nun wiederum mit einem Wechsel der Perspektive: »Wir aber rennen durch die Straßen: niemand, der ihn kennte, der ihn grüßte.«173 Erneut springt der Sprecher in die Beschreibung der Aufführung: »Die letzten Akkorde der Sinfonie dröhnen: das Publikum reibt sich die Hände, der Philister ruft begeistert: ›Das ist wahre Musik.‹ Also feiert ihr ihn im Leben; kein Begleiter, keine Begleiterin bot sich ihm an: […]«174. Dieser Teil der Äußerung Florestans zu Beethovens Monument verweist auf die »Fastnachtsrede«, die der Autor ebenfalls dieser Davidsbund-Figur zugeordnet hat. Sowohl die Konzertszene, in der eine Beethovensinfonie aufgeführt wird, als auch die deutliche Philisterkritik sind als Motive hier wiederzufinden. Der Kern der Kritik am bürgerlichen Publikum ist diesmal allerdings ein anderer: Obwohl seine Musik bewundert wird, bekümmert sich angeblich niemand um Beethoven als Menschen selbst. Das Bild des einsam und verlassen nur seiner Kunst lebenden Beethoven, das bereits Johann Friedrich Reichardt entwarf, ist auch von Wagner in der »Pilgerfahrt« wiederholt worden. Auf Florestans kurze Meinungsäußerung folgt die Figur ›Jonathan‹, im Davidsbund eher eine selten auftretende Randfigur,175 als Sprecher. Er bringt die Diskussion um das Monument für Beethoven in Verbindung mit Bach, dessen Grab zum damaligen Zeitpunkt nicht bekannt war. Zunächst scheint er sich damit abzufinden, dass es auf dem Leipziger Friedhof für Bach kein Denkmal gibt. Dann jedoch wird zu der Verknüpfung Beethoven – Bach noch ein dritter, von Schumann verehrter Komponist hinzugefügt. Felix Mendelssohn, in Schumanns Texten häufig mit dem Namen Felix Meritis codiert, spielt einen Choral Bachs (»Schmücke dich, o liebe Seele«), in Variationen. Dieses Werk wird folgendermaßen charakterisiert: »[…] der Text hieß ›Schmücke dich, o liebe Seele‹, um den Cantus firmus hingen vergoldete Blättergewinde, und eine Seligkeit war dareingegossen, daß du [Felix Me-

173 Ebd. 174 Ebd. 175 Vgl. hierzu: F. Gustav Jansen: Die Davidsbündler. Aus Robert Schumann’s [sic] Sturm- und Drangperiode. Leipzig 1883, S. 51.

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ritis, B.S. ] mir selbst gestandest: ›Wenn das Leben dir Hoffnung und Glauben genommen, so würde dir dieser einzige Choral alles von neuem bringen.‹«176

Als Bild für die Variationen benutzt der Sprecher die »vergoldete[n] Blättergewinde«, die sich um den Cantus firmus ranken. Dies ruft einerseits die Assoziation des Schmucks, den die Variationen darstellen, andererseits die der Kostbarkeit der Musik hervor. Mendelssohn, der den Choral spielt, wird selbst zitiert. Dass in diesem Text Mendelssohn über Bach spricht, hat vermutlich seine Wurzeln in der historischen Tatsache, dass Mendelssohns Name durch seinen großen Anteil an der Bach-Renaissance im 19. Jahrhundert mit Bachs verbunden ist. An anderer Stelle in den »Gesammelten Schriften« (»Mendelssohns Orgelkonzert«) berichtet Schumann auch von Mendelssohn, der in einem Konzert Werke von Bach vortrug, und bezeichnet die beiden als gleichwertige ›Meister‹: »Den Schluß machte eine Phantasie Mendelssohns, worin er sich denn zeigte in voller Künstlerglorie; sie war auf einen Choral, irr’ ich nicht, auf den Text ›O Haupt voll Blut und Wunden‹ basiert, in den er später den Namen Bach und einen Fugensatz einflocht, und rundete sich zu einem so klaren, meisterhaften Ganzen, daß es gedruckt ein fertiges Kunstwerk gäbe. Ein schöner Sommerabend glänzte zu den Kirchenfenstern herein; außen im Freien wird noch mancher den wunderbaren Klängen nachgesonnen haben, und wie es doch in der Musik nichts Größeres gibt als jenen Genuß der Doppelmeisterschaft, wenn der Meister den Meister ausspricht. Ruhm und Ehre dem alten wie dem jungen!«177

Die Vorstellungen der sich übereinander aufbauenden Regenbogen und der goldenen Blätter sind strenggenommen die beiden einzigen Bilder, mithilfe derer in diesem Text Schumanns konkrete musikalische Werke bzw. Teile von ihnen beschrieben werden. Musik wird hier in Bildlichkeit ›übertragen‹, eine Eigenschaft von Schumanns Schreiben, die neben E.T.A. Hoffmanns auch deutlich den Einfluss Jean Pauls bezeugt. Wie Plantinga feststellt, wird bei Schumann ein Medium benutzt, um ein anderes zu beschreiben.178 Eigentlich sind aber bei dieser Art der Musikbeschreibung drei Medien präsent: Die Musik, die Sprache, die sie beschreibt, und die Bildlichkeit – hier in Form der Metapher, sonst auch als Vergleich. Die gewählten, in Sprache ausgedrückten Bilder dienen als eine Art ›dritte Ebene‹, quasi als Plattform für die »Transaktion zwischen Kontexten«, als die die Metapher gilt. Die Metapher erschafft laut Aristoteles ein Bild, sie führt das Abstrakte – als das man eine Partitur und m. E. auch den Klang von Musik bezeichnen könnte – als Konkretes vor Augen. »›Vor die Augen zu führen‹ ist damit keine zweitrangige Funktion der Metapher, sondern das Ei176 Schumann, Gesammelte Schriften, Bd. 1, S. 133. 177 Ebd., S. 493. 178 Leon B. Plantinga [Anm. 153], S. 71.

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gentümliche der Figur«,179 resümiert Ricoeur. Wie später noch genauer auszuführen sein wird, ist diese Funktion einer der wichtigen Aspekte von Schumanns Metapherngebrauch. Es nimmt jedoch eine zweite Ebene der Bildlichkeit, oder auch ein zweiter Bereich von Bildlichkeit den weitaus größeren Teil des »Monument für Beethoven« ein. Der vorliegende Text ist sehr offensichtlich weniger eine Musikbesprechung oder -beschreibung. Er ist, ähnlich wie die »Fastnachtsrede«, als eine Form von ›Meta-Text‹ im Rahmen von Schumanns Beethoventexten oder zumindest als programmatischer Text zu bezeichnen. Die »Fastnachtsrede« befasst sich mit der Frage, wie man Beethoven am besten zu verehren habe, das »Monument« hat ein ähnliches, nur etwas erweitertes Thema: Einerseits geht es wiederum um die Verehrung Beethovens und seiner Musik, andererseits um die Frage des ›richtigen‹ Gedächtnisses, der ›richtigen‹ und angemessenen Erinnerung an den großen Komponisten. Dementsprechend ist der Text von Bildern der Erinnerung und des Gedächtnisses geprägt. Die wechselnden Sprecher entwerfen in der Diskussion um ein »Monument für Beethoven« verschiedene Varianten eines möglichen Denkmals. Hierbei mischen sich Vorstellungen von Monumenten mit physischer Realität mit Entwürfen, die sich auf ein praktisch-handelndes bzw. institutionalisiertes Gedenken beziehen, wie die Etablierung einer Musikakademie. Florestan beginnt seinen Redebeitrag mit folgenden Worten: »Das Mausoleum zukünftigen Andenkens steht schon leibhaftig vor mir – ein leidlich hoher Quader, eine Lyra darauf mit Geburts- und Sterbejahr, darüber der Himmel und daneben einige Bäume.«180 Wie im Übrigen die nach ihm sprechenden Davidsbündler auch, steht Florestan nicht – selbst wenn er ein Denkmal für Beethoven wirklich befürworten würde – eine Statue vor Augen, die den Menschen Beethoven selbst nachbildet. Seine Vorstellung des Monuments ist die, dass es nicht auf einem öffentlichen Platz, sondern in der Natur situiert ist. Eine Anspielung auf die griechische Antike entsteht durch die Erwähnung der Lyra als das Instrument, das auf dem Quader stehen soll, ebenso durch die Bezeichnung des Monuments als »Mausoleum« in der freien Natur. Das Motiv des Erhabenen ist durch den hohen Steinquader bei dieser Vorstellung des Denkmals ebenfalls präsent. Auf diesem Quader, den er nicht wirklich befürworten kann, wünscht sich Florestan die Verse Goethes: »Solange der Tüchtige lebt und tut / Möchten sie ihn gern steinigen; / ist er hinterher aber tot, / Gleich sammeln sie große Spenden, / Zu Ehren seiner Lebensnot / Ein

179 Paul Ricoeur: Die lebendige Metapher. Mit einem Vorwort zur deutschen Ausgabe. München 1986. (= Übergänge. Texte und Studien zu Handlung, Sprache und Lebenswelt. Hrsg. von Richard Grathoff und Bernhard Waldenfels. Bd. 12). S. 43. 180 Schumann, Gesammelte Schriften, Bd. 1, S. 131.

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Denkmal zu vollenden. / Doch ihren Vorteil sollte dann / Die Menge wohl ermessen, / Gescheiter wär’s, den guten Mann / Auf immerdar vergessen.«181

Ebendiese Verse heben die Existenz des Monuments strenggenommen wieder auf oder bezweifeln zumindest seine Angemessenheit und Sinnhaftigkeit. Die beiden hauptsächlichen Kritikpunkte Florestans sind hierbei einerseits, dass ein Denkmal gar nicht erhaben genug sein könne, um Beethoven zu würdigen – er zieht den Vergleich mit dem Denkmal Alexanders heran, das aus dem Berg Athos gehauen werden sollte –, andererseits wehrt er sich gegen eine Erinnerungskultur für einen Komponisten, den man zu seinen Lebzeiten schlecht behandelt habe. Jonathans Aussage ist von Skepsis und einer schwankenden Meinung gegenüber dem Beethovendenkmal gekennzeichnet. Seine Definition des Denkmals an sich ist folgende: »[…] ich sage, schon ein Denkmal ist eine vorwärts gedrehte Ruine (wie diese ein rückwärts gedrehtes Monument) und bedenklich, geschweige zwei, ja drei.«182 Er charakterisiert ein mögliches Beethovenmonument als »bedenklich« und bringt den Aspekt der Vergänglichkeit eines physischen Denkmals ins Spiel. Er verbindet die Begriffe »Denkmal« und »Ruine« miteinander – ein Denkmal wird zur Ruine, letztere war in der Vergangenheit ein Denkmal, das jedoch verfallen ist. Auch Monumente sind als Bauwerke dem Verfall der Materie unterstellt. Jonathan scheint dies zunächst für ein Argument gegen die Erinnerung an Beethoven zu halten, die sich in äußeren Zeichen darstellt. Dementsprechend wird also das Fehlen eines Grabmals für Bach nicht beklagt: »›Damit wir des vergänglichen Staubes nicht denken sollen, damit kein Bild des gemeinen Todes aufkomme, hat er die Asche nach allen Gegenden verweht, und so will ich mir ihn denn auch immer aufrecht an seiner Orgel sitzend denken […]‹«183. Diese Meinung wird jedoch am Schluss von Jonathans Aussage relativiert. Auffällig an dieser Position zum Denkmal Beethovens ist hier die zeitweilige Ablehnung einer veräußerlichten Erinnerung zugunsten der Erinnerung in Gedanken. Der Wert eines materiellen Monuments wird herabgesetzt durch den Hinweis auf dessen Vergänglichkeit und die Kontingenz seines Standorts – in Beethovens Fall: Wien oder Bonn? Ein möglicher Streit unter Beethovenern um den Ort wird ins Lächerliche gezogen. Eine andere Darstellung und Bewertung erfährt das Bild des Denkmals in Eusebius’ Beitrag zur Diskussion. Er nimmt das Standbild Hillers, das ihm durch seine Schülerinnen, die Schwestern Podlesky184, errichtet wurde, als vorbildhaftes Beispiel der Erinnerung und Dankbarkeit. Dann spricht er über seine 181 182 183 184

Ebd., S. 132. Ebd., S. 133. Ebd., S. 133. Ebd., Bd. 2, S. 388. Anmerkungen zu »Monument für Beethoven«.

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eigene, wunschhafte Version eines Beethovendenkmals, das wiederum andere Züge trägt. Es handelt sich um einen Tempel, der im Palladio-Stil gebaut sein sollte. Wieder spielt hier die Antike durch die Erwähnung eines Architekten der Renaissance, Andrea Palladio, eine Rolle. Entsprechend den neun Musen soll im Tempel jeder von Beethovens Sinfonien eine Statue zugeordnet werden, die zehnte Statue soll den Komponisten selbst darstellen – den »göttliche[n] Musaget[en].«185 Entworfen und im Bau beaufsichtigt werden sollen die Statuen von den damals berühmten Bildhauern Thorwaldsen und Dannecker. Die bildliche, plastische Ebene tritt also noch einmal an dieser Stelle als ›dritte Ebene‹ neben Sprache und Musik besonders deutlich und nachdrücklich im Text auf. Die neun Sinfonien werden bildlich in Form von Allegorien dargestellt. Dies erinnert an eine Tendenz der Beethovenrezeption, die bereits in der »Fastnachtsrede« aufgetreten ist: Teile von Beethovens symphonischen Werk, in diesem Fall die Sätze der 9. Sinfonie, sind vereinfachend jeweils einem bestimmten »Charakter« zuzuordnen. Dort erfolgte die Zuordnung zu den Gattungen Lyrik, Epik und Drama. Eusebius verbindet den archaisierenden Entwurf des Monuments mit der bereits bei Jonathan beschriebenen nicht-materiellen Variante der Erinnerung: In dem beschriebenen Tempel sollen in Wettkämpfen Beethovens Werke vollendet aufgeführt werden. Er fährt im Folgenden fort, Bilder des Denkmals zu entwerfen: Beethovens Namen soll mit hundertjährigen Eichen in Riesenschrift auf eine Landfläche ›gepflanzt‹ werden: Ein Denkmal, bei dem statt der Mimesis der körperlichen Erscheinung der verehrten Person die Zeichen seines Namens im Vordergrund stehen. Die konventionellere Form der Statue, allerdings in riesenhaft-überirdischer Variante, schlägt Eusebius en passant darauf vor, und hat hierbei das Riesenstandbild des katholischen Gegenreformators Borromäus am Lago Maggiore vor Augen. Hier wird auf das Moment des Erhabenen als ein mit Beethoven konnotiertes Attribut durch die Größe des imaginierten Standbilds – die Borromäus-Statue war 23 m hoch – zurückgegriffen, ebenso wie bei dem Bild von Beethovens Namen in hundertjährigen Eichen. Eusebius schließt, indem er die Variante des Gedenkens anstelle des physischen Nachbildens für die Erinnerung an Beethoven aufgreift: »Oder wollt ihr fürs Leben nützen, so erbaut ihm zur Ehre eine Akademie […] in der vor allem sein Wort gelehrt werde[…]«186. Der letzte Satz seiner Rede bezieht in die Idee des Denkmals für Beethoven die Autoren und Erbauer dieses Monuments ein: Diese schaffen sich selbst für die Nachwelt ein Denkmal, indem sie ihre Wertschätzung eines großen Komponisten zeigen. »[…] erhebt euch einmal, laßt ab von eurem Phlegma und bedenkt, daß das Denkmal euer eigenes

185 Ebd., Bd. 1, S. 134. 186 Ebd., S. 135.

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sein wird!«187 Ein weiteres Mal wird an dieser Stelle deutlich, wie sehr die Erinnerung an Beethoven für die romantische Generation als Konturierung ihrer eigenen Identität als Musiker zu verstehen ist. Wenn wir nun versuchen, die Eigenschaften der verschiedenen Monumente bzw. der verschiedenen Entwürfe eines Monuments für Beethoven, die in diesem Text verhandelt werden, zusammenfassend zu beschreiben, ist folgendes zentral: Der Begriff des »Denkmals« bzw. des »Monuments« umfasst im vorliegenden Text zum einen Vorstellungen von physischen Kunstwerken, zum anderen Erinnerungspraktiken, die man eher unter den Begriff des ›Gedenkens‹ fassen könnte. Die Idee einer Musikakademie, in der Musik nach Beethovens Vorstellungen unterrichtet wird, die bildliche Erinnerung an den Orgel spielenden Bach sind Zeichen eines solchen aktiven, praktischen Erinnerns, das über die Errichtung eines Standbilds hinausgeht. In musikgeschichtlicher Hinsicht hatte Schumann als Komponist den Plan, sich an einer geistigen Erinnerungskultur in Bezug auf Beethoven zu beteiligen, indem er ihm das Werk »Große Sonate von Florestan und Eusebius«, das später als Phantasie op. 17 erschien, komponieren und widmen wollte. Ebenso sind die Schriften Schumanns, die sich mit Beethoven und seiner Musik befassen – wie diejenigen Wagners, Berlioz‹ und anderer – als Teil einer Erinnerungskultur zu verstehen, die die Tatsache der geistigen Beschäftigung mit Beethovens Kunst, ihren großen fortwirkenden Einfluss auf die romantische Generation und ihre (Musik-)Ästhetik explizit machen und nach außen tragen will. Dennoch spricht sich die Figur des Meister Raro, die wie oft in den Davidsbündler-Texten das letzte Wort hat, dafür aus, dass die Erinnerung an Beethoven im Geist und in der Kunst nicht genügt. »Gewiß ist, daß es höchstes Ehrenzeugnis wie echter Dankbarkeitsbeweis für große geliebte Tote, wenn wir in ihrem Sinne fortwirken: du aber, Florestan, gib auch zu, daß wir unsere Verehrung auf irgendeine Weise nach außen hin zeigen müssen […]«188. Zu der Verehrung im Geiste muss ein sichtbares Zeichen kommen, das Monument im Sinne des Gedenkens und im Sinne des Bauwerks müssen zusammenwirken. Auch Raro votiert also ganz ausdrücklich noch einmal am Schluss des Textes für die Form eines Bauwerks. Im Wechselgespräch der Davidsbündler ist die Vorstellung eines Monuments im antiken oder antikisierenden Stil sehr dominant. Dies ruft die Assoziation von ›Klassizität‹ und Zeitenthobenheit hervor, besonders, wenn Beethovens Sinfonien mit den neun Musen in Verbindung gebracht werden. Schumanns Affinität zur griechisch-römischen Antike und seine tiefen diesbezüglichen Kenntnisse sind in der Forschung hinreichend bekannt und können vielleicht zum Teil die Wahl dieser Art von Bildlichkeit erklären. Im 187 Ebd. 188 Ebd., S. 135.

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Übrigen verweist Eusebius’ Satz: »[…] erhebt euch einmal, laßt ab von eurem Phlegma und bedenkt, daß das Denkmal euer eigenes sein wird!«189 auf die (nach Aleida Assmann) »animatorische Erinnerung«190. Das Motiv des Erweckens ist nach Assmann mit der antiken Welt und den Komplexen von Erinnern und Vergessen im Zusammenhang mit dem Fluss Lethe verknüpft. Wie später noch ausgeführt wird, gehört das Motiv der erwachenden Erinnerung auch in die politische Sphäre. »Das Phänomen des bürgerlichen Individual-Denkmals konstituiert für das 19. Jahrhundert eine gleichermaßen symptomatische wie universale Kategorie«191, so Klaus Fahrner in seiner umfassenden Monographie zum Bilddiskurs über Schiller. Dementsprechend gehört auch die in Schumanns Text in nuce angesprochene Diskussion um ein Denkmal für Beethoven in den größeren Kontext der Denkmalsdebatten im 19. Jahrhundert. Einige Parallelen sind in den Debatten um Literaturdenkmäler zu finden; exemplarisch hierfür steht die Geschichte der Schiller-Monumente. Auch hier finden sich in den zahlreichen unausgeführten Entwürfen die Bauten im Stil von antiken Mausoleen oder Tempeln, die auch Schumanns Sprecher in »Monument für Beethoven« imaginieren. Die Künstler bedienen sich hierbei, so Fahrner, der antikisierenden Dichter-Huldigung. Auch der Gestus des nationalen Auftrumpfens, des ›Kunstnationalismus‹, den wir bei Schumann in Bezug auf Pläne für ein riesenhaftes Beethovendenkmal festgestellt haben, spielt bei den Schillerdenkmälern eine überragende Rolle. »Während England und Frankreich vornehmlich ihren weltlichen Herrschern vergleichbare Ehren erwiesen, würde in Deutschland vorwiegend ›dem Talente Ruhm und Lohn!‹«192 so eine Kantate zu Schillers Andenken von Wilhelmine Müller 1806. Ebenso auffällig ist es, dass Schumann Thorwaldsen und Dannecker als mögliche Bildhauer eines Beethovendenkmals nennt: Thorwaldsen war der Autor des 1839 enthüllten Schillerdenkmals in Stuttgart, Dannecker hatte eine berühmte Porträtplastik Schillers erstellt. Auch hier ist der Anspruch, ein Beethovendenkmal mit den großen und berühmten Schillerdenkmalen in eine Reihe zu stellen, deutlich zu erkennen. Einen großen Teil der Planung und Verwirklichung der Schillermonumente übernahmen die teils eigens gegründeten Schiller-Vereine. Der Aspekt der gemeinsamen Verehrung, der Gruppenbildung im Akt der Verherrlichung eines verstorbenen Künstlers, ist bei Schumann von überragender Wichtigkeit. 189 Ebd. 190 Aleida Assmann: »Zur Metaphorik der Erinnerung.« In: Aleida Assmann, Dietrich Harth (Hgg.): Mnemosyne. Formen und Funktionen der kulturellen Erinnerung. Frankfurt am Main 1991, S. 13 – 35. 191 Klaus Fahrner : Der Bilddiskurs zu Friedrich Schiller. Stuttgart 2000, S. 167. 192 Ebd., S. 176.

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Fahrner bezeichnet dieses Phänomen für die Schiller-Vereine zu Recht als »Gruppen-Identifikation«193 : »Indem sich die Schiller-Vereine im präsumtiven Interesse der Allgemeinheit um die Belange der Denkmal-Projekte kümmerten, schwangen sie sich mithin zu öffentlichen Sachwaltern normativer ästhetischer Positionen auf.«194 Ebendiese normativen ästhetischen Positionen werden von Schumanns fiktivem Davidsbund vertreten, wenn sie Beethoven und hiermit seine Musik monumentalisieren. Diese Monumentalisierung hatte bei den Schiller-Vereinen wie für die von Schumanns Text angesprochenen und in ihm erwähnten zeitgenössischen Musiker Auswirkungen auf die (kulturelle) Identität der betreffenden Gruppe; dies bezeichnet Fahrner auch als »Identifikationsstiftung«195. Schließlich ist auch die Zweiteilung des Begriffs »Denkmal«, wie sie bei Schumann zu finden ist, im Denkmalsdiskurs für Schiller präsent. Schumann entwirft strenggenommen zwei Formen des Gedenkens: Das materiell präsente in Form einer Statue oder eines Bauwerks, das immaterielle in Form des geistigen Erbes bzw. des künstlerischen Handelns im Sinne des verehrten Verstorbenen. Günter Hess hat in seinem Aufsatz »Panorama und Denkmal« (1977) darauf aufmerksam gemacht, dass das Denkmal in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts noch nicht rein im Sinne des Individual-Denkmals verwendet, sondern ebenso metaphorisch gebraucht wurde.196 Auch etwa Feiern zum Todestag Schillers werden als Denkmal bezeichnet. All diese Aspekte zeigen die große Nähe des »Monument für Beethoven« zu den Diskursen um die Literaturdenkmäler im 19. Jahrhundert: auch dies scheint ein Phänomen der Intermedialität bzw. der engen Verbindung zwischen Literatur und Musik zu sein, die für Schumann einen hohen Stellenwert hatte. Ein anderes Attribut aller vorgestellten Monumente ist ihre Schlichtheit, und, da sie meistens als überdimensional riesenhaft imaginiert werden, ihre unübersehbare Erhabenheit. Sie überwältigen durch ihre Größe, und dieser Aspekt verbindet sie mit Beethovens Sinfonien, denen in der zeitgenössischen Rezeption ebenfalls aufgrund ihrer scheinbaren ›Undurchschaubarkeit‹ und Kolossalität Erhabenheit zugeschrieben wurde.197 Der vorliegende Text ist unter anderem durch seinen Titel »Monument für 193 194 195 196 197

Ebd., S. 183. Ebd., S. 183. Ebd. Ebd., S. 168. Zur ›Überwältigung‹ des Hörers durch Reizüberflutung bei Beethovens Musik vgl. Ulrich Schmitt: Revolution im Konzertsaal. Zur Geschichte der politischen Beethoven-Deutung. Mainz 1990, S. 23ff; zum Aspekt des Erhabenen und der Verbindung der Beethovendeutung mit der Odentheorie des 18. Jahrhunderts vgl. Carl Dahlhaus: »E.T.A. Hoffmanns Beethoven-Kritik und die Ästhetik des Erhabenen.« In: Ders.: Gesammelte Schriften in 10 Bänden. Hrsg. von Hermann Danuser. Laaber 200 – 2008. Bd. 5: 19. Jahrhundert II. Theorie / Ästhetik / Geschichte: Monographien, S. 479 – 491.

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Beethoven« ein Werk, das als Meta-Text zu betrachten ist. Zwar ist der Anlass für die Entfaltung der Debatte ein konkreter – die öffentliche Diskussion um ein Denkmal für Beethoven – aber Thema des Textes ist die übergreifende Frage, auf welche Art und Weise man mit dem kulturellen Erbe, das Beethovens Musik und seine Person darstellt, am besten in der Gegenwart umzugehen habe. Dieser Umgang ist gleichbedeutend mit Erinnerung. Der im Text dominante Begriff des »Monuments« bzw. Denkmals als sichtbares oder unsichtbares »außerordentliches Zeichen«198 der Erinnerung ist das zentrale Symbol für die Beethovenrezeption, die im Text zunächst verhandelt und schließlich in ihrer doppelten Ausprägung, physisch und geistig, als notwendig bestätigt wird. Anschließend an Aleida Assmann fungiert das Beethovendenkmal in seiner unter anderem als Tempel imaginierten Form zu Beginn des Textes als eine räumliche Metapher des Gedächtnisses bzw. eine Gebäude-Metapher. Assmann führt dies auf die antike Mnemotechnik zurück; Gedächtnisinhalte werden zu prägnanten Bildformeln. Architektonische Komplexe werden zu »Verkörperungen des Gedächtnisses«: »Es ist der Schritt von Räumen als mnemotechnischen Medien zu Gebäuden als Symbolen des Gedächtnisses.«199 Als zwei Beispiele nennt Assmann den Ruhmestempel einerseits und die Bibliothek andererseits. Die beiden Gebäude stehen für unterschiedliche Formen der Erinnerung: »Die Gebäude-Metaphern der Memoria verbinden sich mit unterschiedlichen Gedächtnisformen. Der Ruhmestempel selegiert, kanonisiert und monumentalisiert Personen und Werke nach Art eines Pantheon als Summe verbindlicher, zeitenthobener Werte. [Kursivierung B.S.]. Der Gedächtnisvorrat, der von der Bibliothek aufbewahrt wird, ist von anderer Art. Es ist die Kunde des Vergangenen, des durch die Zeit hindurch Geretteten. Verpflichtet der Tempel zum Andenken für die Zukunft, so ermöglicht die Bibliothek Wissen von der Vergangenheit. Den einen Modus der Erinnerung assoziieren wir mit dem Denkmal, den anderen mit dem Archiv.«200

Die Gedächtnisform, die im vorliegenden Text suggeriert wird, ist diejenige, die Assmann mit dem Ruhmestempel verknüpft. Beethoven wird ›monumentalisiert‹, er und sein musikalisches Werk werden als verbindlicher Wert für die Gegenwart definiert. Assmann bezeichnet diese Form der Erinnerung auch als »monumentale[s] […] Gedächtnis«201 und führt weiterhin aus: »Im ersten Falle [dem monumentalen Gedächtnis, B.S.] handelt es sich um Gedächtnisbildung im Sinne der Kanonisierung einer Auswahl, um Stabilisierung werthafter Fixpunkte und Erzeugung von Verbindlichkeit; […]«202. Schumanns »Monument für 198 199 200 201 202

Ebd., S. 136. Aleida Assmann: »Zur Metaphorik der Erinnerung« [Anm. 190], S. 24. Ebd., S. 18. Ebd., S. 30. Ebd.

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Beethoven« führt in diesem Sinne mehrere Möglichkeiten, das Andenken an Beethoven als »monumentales Gedächtnis« zu gestalten, vor Augen – und ebenso die, am Schluss jedoch verneinte, Möglichkeit, dies eben nicht zu tun. Es wird sich zu einer radikalen Kanonisierung von Beethovens Werk bekannt und in den verschiedenen imagines eines Monuments der Wille bekundet, die Erinnerung öffentlich explizit zu machen, den öffentlichen Raum analog zu angeführten Beispielen der Monumentalisierung von historischen Figuren mit der Glorifizierung Beethovens gleichsam zu besetzen. Wie Astrid Erll, Ansgar Nünning und Marion Gymnich kurzgefasst formulieren: »Der enge Zusammenhang von Erinnerung und Identität kann mittlerweile als ein Gemeinplatz bezeichnet werden.«203 Eusebius’ Satz »[…] erhebt euch einmal, laßt ab von eurem Phlegma und bedenkt, daß das Denkmal euer eigenes sein wird!«204 weist darauf hin, dass er und auch andere Sprecher im Text eine enge Verbindung zwischen der Art, sich an Beethoven zu erinnern, und der eigenen Identität als »Künstlerzirkel« sehen. Wenn die gegenwärtige Generation Beethoven ein sichtbares Zeichen der Verehrung zukommen lässt, bekennt sie sich im gleichen Zug zu Beethovens Musik, seiner Musikauffassung und zu seiner Person – bzw. den Bildern, die die Rezeption von seiner Person als Komponistenpersönlichkeit entworfen hat. Dies dient dazu, die eigene Identität als, in diesem Fall fiktive und exemplarisch für einen elitären Musikerzirkel entworfene, Künstler in dem Sinne zu konturieren, dass sie mit den Werten, für die Beethoven steht oder zu stehen scheint, in der öffentlichen Wahrnehmung verknüpft wird. Ebenso wird durch die Monumentalisierung von Beethoven als Komponist zu einer Kanonisierung beigetragen bzw. dieser weitergehend als Teil des musikalischen Kanons etabliert. Auffällig ist ebenfalls die Gleichsetzung von Beethoven mit durch riesenhafte Statuen verewigten Heiligen – der heilige Borromäus wird als Beispiel angeführt – oder sogar mit historisch mächtigen Figuren wie dem Kaiser. Dieses Nebeneinanderstellen von Beethoven und historischen Berühmtheiten hat ebenfalls eine nationalistische Komponente. Eusebius behauptet in seiner Rede: »Im Augenblicke hören mir viele hundert Menschen zu; die Frage ist eine deutsche: Deutschlands erhabenster Künstler, der oberste Vertreter deutschen Wortes und Sinnes […] soll gefeiert werden; er gehört unserer Kunst an; […]«205. Es wird hier betont, Beethoven sei ein 203 Astrid Erll, Marion Gymnich, und Ansgar Nünning: »Einleitung: Literatur als Medium der Repräsentation und Konstruktion von Erinnerung und Identität.« In: Astrid Erll / Marion Gymnich / Ansgar Nünning (Hgg.): Literatur – Erinnerung – Identität. Theoriekonzepte und Fallstudien. Trier 2003. (= Ansgar und Vera Nünning (Hgg.): ELCH Studies in English Literacy and Cultural History. ELK Studien zur Englischen Literatur- und Kulturwissenschaft. Bd. 11). S. III – 2, hier S. III. 204 Schumann, Gesammelte Schriften, Bd. 1. S. 135. 205 Ebd., S. 134.

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›deutscher Künstler‹ und somit ein explizit ›deutscher‹ Nationalheld. Hierauf verweist die Gleichsetzung mit dem Kaiser: »[…] und die Fremdlinge fragen: was der Riese bedeute, so kann jedes Kind antworten: ›Beethoven ist das‹ – und sie werden meinen, es sei ein deutscher Kaiser.«206 Die imaginierte Assoziation von Beethoven und einem deutschen Kaiser, die sich in Eusebius’ Vorstellung beim Anblick des Monuments einstellen soll, gründet auf der Riesenhaftigkeit des vorgestellten Denkmals. Diese Riesenhaftigkeit eines Monuments war bisher nur historischen, im politischen Bereich wirksamen Berühmtheiten vorbehalten – so suggeriert es der Text –, nun soll sie einem Musiker zuteil werden. Dieser rückt in seiner Bedeutung nicht nur für künstlerische Zirkel, sondern, so Eusebius, für die gesamte Nation, in die Nähe von geistlichen und historischen ›Heldenfiguren‹. In Anlehnung an das Konzept der Kunstreligion könnte man hier, ähnlich wie in Wagners Texten offensichtlich, geradezu von einem Kunstnationalismus sprechen. Bestätigend wirkt hier die Tatsache, dass die eschatologische Erinnerung im Sinne Nietzsches und Assmanns, die Schumanns Musikästhetik und so auch seine Beethovenrezeption durchzieht, nach Aleida Assmann auch ein klares Merkmal politischer Rhetorik darstellt. Auch in der Politik werden Heilsgeschichten entworfen und es wird mit der Vorstellung einer Rückholung der Vergangenheit im Sinne einer glorreichen Zukunft gearbeitet. Auffällig an dieser Engführung von nationalen ›Helden‹ und verehrten Komponisten, die von den fiktiven Sprechern im Davidsbund betrieben wird, ist der Wunsch nach Expansion der künstlerischen Sphäre innerhalb der Gesellschaft. Obwohl Beethoven zum Zeitpunkt der Verfassung des »Monuments für Beethoven« bereits sehr positiv in weiten Kreisen der (bürgerlichen) Gesellschaft rezipiert wird – was sich ja eben an dem Plan, ein Denkmal zu errichten, zeigt –, ist die Gleichsetzung Beethovens mit einem deutschen Kaiser ein bedeutender Ausgriff. Besonders deutlich wird dies, wenn man die entworfenen Pläne für ein Denkmal aus hundertjährigen Eichen und andere mit der im Text erwähnten Tatsache vergleicht, dass Bachs Grab in Leipzig nicht einmal lokalisierbar ist. In diesem Zusammenhang könnte man von dem Anspruch einer künstlerischen Elite sprechen, ihre jeweils konsekrierten Idealfiguren im öffentlichen Raum als gleichwertig mit nationalen und religiösen Heldenfiguren behandelt zu wissen. Dies würde bedeuten, dass diese künstlerische Elite nach bedeutendem gesellschaftlichen Einfluss und nach einer herausragenden Machtstellung für die ihre Identität konstituierenden Werte strebt. Verstärkt wird diese Annahme durch die Aufzählung einer langen Reihe von Namen verschiedener lebender Musiker am Schluss in Raros Rede. Ist in den Davidsbündlertexten Schumanns der elitäre Zirkel üblicherweise aus fiktiven Figuren 206 Ebd., S. 135.

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zusammengesetzt und imaginiert, werden hier reale Persönlichkeiten von Einfluss und Stellung im Musikleben aufgeführt. Der Aspekt einer weitreichenden Zirkelbildung im Andenken an Beethoven wird noch einmal herausgestellt. »Literarische Werke – immer vorausgesetzt, sie finden Leser – formen Vergangenheitsversionen und Selbstbilder (individueller wie kollektiver Art) aktiv mit«207, so Nünning, Erll und Gymnich in ihrer Monographie Literatur – Erinnerung – Identität. Schumanns Meta-Text »Monument für Beethoven« bedient sich, wie im Verlauf der Analyse festgestellt worden ist, literarischer Strategien. Metaphern und Bilder sowie das Verfahren des multiperspektivischen Sprechens und fiktive Rednerfiguren werden eingesetzt. In diesem Sinne ist der Text als literarisch zu bezeichnen. Es handelt sich nicht um eine Musikkritik, auch wenn man diesen Terminus weit fasst, eher müsste man den Text allgemeiner dem Musikschrifttum zurechnen. Wie eingangs erläutert, ist das »Monument für Beethoven« ein dialogischer Programmtext, der in Form eines Davidsbündlertexts mit literarischen Mitteln der Bildlichkeit die derzeit aktuelle Frage der Beethovenerinnerung behandelt. Das »Monument« hat einen deutlichen Bezug zur zeitgenössischen kulturpolitischen Debatte, erhebt jedoch auch den Anspruch, die internen Positionierungen einer (fiktiven) Künstlerelite darzustellen. Sowohl Vergangenheitsversionen als auch Selbstbilder (vgl. Nünning / Erll / Gymnich) spielen bei der Verhandlung der Davidsbündler eine Rolle. Hierbei bezieht sich der Begriff »Vergangenheitsversion« weniger auf das Bild / die Bilder des Monuments von Beethoven, die vorgestellt werden, als auf andere Aussagen der Sprecher. Beispielsweise entwirft Florestan die Vorstellung von Beethoven als verletztem Löwen, der sein Leben in Einsamkeit verbracht hat. Auch dieses Bild ist einem populären Strang der Beethovenrezeption bzw. Beethovenstilisierung zuzurechnen, die den Komponisten als (vom Adel) unabhängiges, autonomes und verkanntes Genie darstellte. Das Selbstbild der Davidsbündler, – die für Schumanns Vorstellung eines elitären Musikerzirkels stehen – wird am Schluss des Texts festgelegt: Sie sollen sich als ideale Musiker zeigen, indem sie ›in Beethovens Geist fortwirken‹. Dies bedeutet zunächst, dass seine Musik gepflegt wird, wie in Eusebius’ Beispiel bei Wettkämpfen »seine Werke in letzter Vollendung dargestellt werden«.208 Im Weiteren geht es jedoch darum, sich Beethovens bzw. das Beethoven zugeschriebene Idealbild von Musik und Musikertum anzueignen. Florestan fasst dies in die Worte:

207 Astrid Erll, Marion Gymnich und Ansgar Nünning: »Einleitung: Literatur als Medium der Repräsentation und Konstruktion von Erinnerung und Identität.« [Anm. 203], S. V. 208 Schumann, Gesammelte Werke, Bd. 1, S. 134.

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»[…] so erbaut ihm zur Ehre eine Akademie […], in der vor allem sein Wort gelehrt werde, das Wort, nach dem die Musik nicht von jedem zu treiben sei wie ein gemein Handwerk, sondern von Priestern wie ein Wunderreich den Auserwähltesten erschlossen werde […]«209.

Die Wortwahl ist an dieser Stelle stark kunstreligiös geprägt. Die romantische Vorstellung von Musik als elitärem Metaphysischen, das nur Auserwählten zugänglich sein sollte und nicht mehr bezahltes Handwerk ist, wird hier noch einmal deutlich umrissen und Beethoven zugeschrieben. Schumann als Vertreter der romantischen Generation legitimiert hier sein als ideal begriffenes Bild bzw. die so entworfene ideale Identität des autonomen Musikers durch den Rückgriff auf Beethoven und die Erinnerung an ihn. Die verschiedenen Bilder des Monuments, die von den Sprechern imaginiert werden, zeichnet alle das gemeinsame Attribut des Erhabenen aus. Sie sind von riesenhafter Ausdehnung und somit Denkmälern von religiösen und nationalen Helden vergleichbar. Mit Erll und Nünning liegt für das »Monument für Beethoven« eine »Mimesis des Gedächtnisses«210 im literarischen Text vor, eine Inszenierung von Erinnerung und Gedächtnis in fiktionalen Werken. Dies geschieht hier vorwiegend, indem das Gedächtnis-Symbol des »Ruhmestempels« (Aleida Assmann) verwendet wird. Dieser hat für Personen und Werke eine selegierende und kanonisierende Funktion. Er erhebt sie in den Rang zeitenthobener Werte. Eben dies geschieht im vorliegenden Text mit Beethoven und seinem kompositorischen Werk: Indem für eine Statue Beethovens dieselben Ausmaße wie für die eines deutschen Kaisers oder Heiligen gefordert werden, wird Beethoven in den Kanon derjenigen Personen aufgenommen, die in der deutschen Gesellschaft der Zeit als berühmt und bedeutend, also: kollektive Identität konstituierend, gelten. Die Kunst, speziell die Musik – wie sie in ihrer idealen Gestalt von den Sprechern definiert wird – soll in ihrem Rang im kollektiven Gedächtnis neben den Größen Religion und Nationalpolitik gleichbedeutend stehen. Der Autor Schumann postuliert durch diese Verhandlung, Verbildlichung und Inszenierung von Erinnerung an Beethoven und auch durch die (erinnernde) Darstellung seiner Musik im literarischen Medium nicht nur eine bestimmte elitäre und autonome Qualität von Musik und Musikern. Er fordert auch eine öffentliche Kanonisierung eben dieses Kunstverständnisses durch die Monumentalisierung desjenigen Komponisten, der als Inbegriff des romantischen Musikverständnisses begriffen wird.

209 Ebd., S. 135. 210 Astrid Erll und Ansgar Nünning: »Gedächtniskonzepte der Literaturwissenschaft: Ein Überblick.« In: Erll / Gymnich / Nünning [Anm. 203], S. 3 – 28, hier S. 4.

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2.2.4 Beethoven als zentrale Figur einer Musikästhetik des Umbruchs Wie wir bereits in der Analyse der »Fastnachtsrede von Florestan« gesehen haben, spielt das gängige Bild von Beethoven als Revolutionär in Schumanns Beethovenrezeption eine nicht unwichtige Rolle. Hinzu treten Vergleiche von Beethoven mit einem ausbrechenden Vulkan211, der ihn als Figur, wie Bischoff zeigt, in die Nähe der Genieästhetik rückt.212 Das Bild des Revolutionärs jedoch verweist neben der Konnotation von ausbrechender Kraft bzw. Gewalt auf einen anderen Aspekt: den des Umbruchs und der Neugestaltung, Neuerschaffung der Verhältnisse. Bekanntermaßen gilt Beethoven in der Musikgeschichtsschreibung ebenfalls als Figur des (Epochen-)Umbruchs und wird häufig in einer Position zwischen ›Klassik‹ und ›Romantik‹ gesehen, die sich der Einordnung verwehrt. Im Briefwechsel Schumanns mit Hirschbach sieht der letztere in Beethovens späten Werken den Beginn einer neuen Zeit. Schumann gratuliert ihm hierzu.213 Auch er begreift Beethoven als denjenigen, der den Weg für eine neue musikalische Epoche bereitet. Im Sinne des Wortes von der ›neuen poetischen Zeit‹ sei Beethoven für Schumann derjenige, der den freien Ausdruck der Subjektivität in der Musik möglich mache, so Plantinga: »[…] Beethoven emerges from Schumann’s writings as the familiar revolutionary and iconoclast who sweeps away all artificial conventions, providing for the free expression of subjective musical values. In Beethoven Schumann and his colleagues saw the beginning of a new era in music, namely their own.«214

Der Zeitenwechsel hin zu einer poetischen Epoche, der auf Beethovens Musik und Person projiziert wird, äußert sich auch in der Auffassung Schumanns, Beethoven sei als ›Dichter‹ zu begreifen.215 »Wenn ich Beethovensche Musik höre, so ist’s, als läse mir jemand Jean Paul vor«216. Ebenso vergleicht Schumann in diesem Zusammenhang Variationen von Schubert mit einem ungeschriebenen Roman Goethes. Und in den Tagebucheintragungen Schumanns vom 4. 8. 1828 finden sich die folgenden Sätze: »Jean Paul

u. Beethoven hängen in meiner Stube nebeneinander ; sie haben schon manche Menschen unglücklich gemacht; denn der Mensch ward zu hoch gestimmt u. konnte nicht glüklich seyn – – aber doch auch glüklich.«217 Zu der ›neuen‹ Musikauffassung, für die Beethoven für Schumann und seine Generation steht, gehört, wie wir 211 212 213 214 215 216

Auf diesen Vergleich in den Schriften Schumanns verweist Bischoff [Anm. 130], S. 62. Ebd., S. 61 – 67. Vgl. Leon B. Plantinga: Schumann as Critic [Anm. 153], S. 94 – 96. Ebd., S. 95. Bodo Bischoff [Anm. 130], S. 51. Robert Schumannn: Tagebücher. Hrsg. von Georg Eismann. Leipzig 1971. Band 1, S. 97. Eintrag vom 13. Juli 1828. 217 Ebd., S. 104.

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gesehen haben, zumindest nach Schumanns und Wagners Ansicht auch die enge Verflechtung von Wort und Ton, Dichtung und Musik. Beide Komponisten sehen in Beethovens Person und Schaffen diese enge Verbindung gegeben und verstehen dies als Kennzeichen der neuen musikalischen Epoche. Wiederum begegnen wir hier dem Phänomen, das als ›Überhang‹ der Ästhetik des 18. Jahrhunderts oder schlicht als Paradox gewertet werden kann: Obwohl die Frühromantik die Musik an die Spitze der Kunsthierarchie stellt, propagieren zentrale Vertreter der musikalischen Romantik die (gleichwertige) Verbindung von Text und Musik, wenn auch auf unterschiedliche Weise. Bei Schumann steht die Vorstellung von ›Poesie‹ in der Musik, m. E. im Sinne des Ausdrückens von ›Seelenzuständen‹ oder ›Stimmungen‹ zu verstehen218, im Vordergrund; bei Wagner geht es konkreter um das neue ›Gesamtkunstwerk‹ des Musikdramas, wie er es verstanden wissen will. Wie Bodo Bischoff detailliert ausgeführt hat, ist Schumanns Beethovenauffassung außerordentlich vielschichtig und in einigen Aspekten abweichend vom gängigen romantischen Beethovenbild. Schumann würdigt Beethoven als einer der wenigen auch im Hinblick auf ›sachliche‹ Gesichtspunkte und betont den Facettenreichtum in Beethovens musikalischem Werk. Der spezielle Aspekt des künstlerischen Aufbruchs durch und mit Beethoven, der Ästhetik einer neuen Epoche im Zusammenhang mit Schumanns Beethovenrezeption findet sich besonders deutlich in den frühen Jugendschriften. Das fragmentarische Prosawerk »Die Tonwelt« entsteht im Jahr 1828 und Bischoff beschreibt es folgendermaßen: »Von den epischen und lyrischen Projekten des Jahres 1828 kommt dem Fragment ›Die Tonwelt‹ besonderes Gewicht zu. Es dokumentiert die Endphase des sprachlichen Ringens um das Wesen der Musik, um das Wesen des Tones und um die Zusammenhänge der Wirkung von Musik auf Seele und Geist.«219

Laut Frauke Otto liegen die musikästhetischen Aussagen, die »Die Tonwelt« macht, im Rahmen der romantischen Musikästhetik. Es gibt sowohl das Motiv der Sprachskepsis als auch das von der Musik als Ursprache und die Aussage, Musik sei eine a-mimetische Kunst und stehe über der Malerei.220 Auch die Ausdrucks- und Empfindungsästhetik spielt, wie wir es auch bei Wagner sehen werden, eine zentrale Rolle: Musik entsteht nach Schumann aus den Empfindungen des Menschen und ist gleichermaßen Ausdruck für sie. Der letzte Teil des Textes, für den die Ko-Autorschaft von Schumanns Freund Willibald von der Lühe angenommen wird, ist ein kurzes Prosastück mit der Nummerierung IV. Es ist zudem überschrieben mit »Beethoven« und der vollständige Text lautet: 218 Vgl. hier Leon B. Plantinga [Anm. 153], S. 120. 219 Bodo Bischoff [Anm. 130], S. 57. 220 Vgl. Frauke Otto [Anm. 120], S. 77 – 81.

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Beethovenschriften und Beethovenrezeption der Neudeutschen Schule

»In mir ruhten alle Wünsche und Begierden – eine tiefe Stille, ein großes wellenloses Meer! Formlose Geisterschatten zogen mit ihren weißen, klaren Gewändern wie ferne Segel nach ihrer Heimat. Da gingen weiche, einzelne Töne wie Geisterhauch durch den großen Raum u. das Herz sehnte sich und strebte ihnen nach u. ein tiefer, ernster Ton sprach dazwischen wie eine dunkle Verkündigung – und aus der Tiefe u. aus der Höhe antworteten Stimmen, aber sie waren weit und redeten von Jenseits. – Nun sprang das große Tor der Zukunft weit auf u. alles zitterte u. bebte u. seufzte, lauter u. näher rollten die Donner u. die Blitze leuchteten hell u. das Herz fühlte sich so klein in diesem großen Streit! Da sprachen sanfte Stimmen das Gebet des Herrn u. überwältigten den Donner. – Wie eine Morgenröte schifften Töne aus dem dunklen Chaos u. legten sich warm u. beruhigend an das erschrockene Herz u. ein heller, roter Morgen stand geschaffen über der jungen Erde.«221

Das Prosafragment, dessen Titel »Beethoven« zunächst nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit seinem Inhalt steht, entwirft, scheinbar als Assoziationskette zu Beethovens Musik gedacht, eine fiktive, außerweltlich wirkende Szenerie. Es wäre möglich, diese Szene als innersubjektiven Vorgang in Bildern zu lesen, da der Text mit den Worten: »In mir [Kursivierung B.S.] ruhten alle Wünsche und Begierden« beginnt, und mit einem Bild für diesen Zustand fortfährt: »– eine tiefe Stille, ein großes wellenloses Meer!« Es folgen Geisterschatten und Töne, ebenso Stimmen. Der eigentliche Moment, der mit den Begriffen des Umbruchs, Neuanfangs oder der ›Schöpfung‹ in Verbindung gebracht werden kann, ist der folgende: »Nun sprang das große Tor der Zukunft weit auf u. alles zitterte u. bebte […]«. Der Neuanfang wird begleitet von Donner und Blitz als Elementen des Chaos’, und schließlich erhebt sich ein neuer Tag über einer neuen Erde. Die biblischen Konnotationen und Anspielungen im Text sind unverkennbar. Sie beginnen mit der Szenerie ›über den Wassern‹, die an den Beginn der Schöpfungsgeschichte erinnert. Am Schluss des Textes wird die »junge[] Erde«, also die neuerschaffene Erde, erwähnt. Die Stimmen, die das Vaterunser sprechen, siegen über das Chaos mit Donnern, Blitzen und Dunkelheit. Das Bild der Geister, die als Segel über das Wasser Richtung Heimat ziehen, verweist auf den Topos der auf der Suche nach Heilserfüllung umherirrenden Christen. Bischoff sieht als eine überzeugende Deutung dieses Fragments die Annahme, man könne es »als poetische Transformation eines Beethovenschen Sinfonieoder Ouvertürenanfangs verstehen, der aus dem Chaos der langsamen Einleitung das 1. Thema der Exposition gebiert.«222 Der Kompositionsverlauf werde 221 Zit. nach: Frauke Otto [Anm. 120], S. 75. »Die Tonwelt« und besonders das letzte Fragment »Beethoven«, das auch bei Bischoff und anderen Beachtung gefunden hat (wie die frühen Schriften Schumanns in den letzten Jahren zunehmend wissenschaftlich rezipiert werden), wird üblicherweise nach der Monographie von Frauke Otto zitiert, da eine Edition der Jugendschriften Schumanns noch in weiten Teilen fehlt. 222 Bodo Bischoff [Anm. 130], S. 58.

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explizit dargestellt, und Beethoven somit als göttlicher Schöpfer metaphorisch umschrieben. Dementsprechend würde es sich hier um eine (nicht genauer spezifizierte) verbale Darstellung von Musik bzw. Beethovens Symphonik handeln. Auch John Daverio sieht den »Beethoven«-Text als ein Beispiel für das Prinzip der musikalischen Schrift oder Rezension als des ›poetischen Gegenstücks‹ zur Musik, wie Schumann es in seiner Kritik zu Hillers Etüden umrissen hat.223 Auch Frauke Otto resümiert folgendermaßen: »Teil IV der ›Extravaganzen‹ ist eine Sprachphantasie, die den Eindruck Beethoven’scher Musik in Worte fassen möchte.«224 Im Weiteren beschränkt sie sich allerdings nicht auf die Interpretation des Texts als eine reine Darstellung von Beethovens Musik bzw. deren Wirkung auf den Hörer, sondern bezieht sich auf den III. Teil der »Extravaganzen« (als Teil der »Tonwelt«): »Es ist eine Dichtung, die zum Ausdruck bringen will, was im Teil III der ›Extravaganzen‹ bestimmt wurde: die Vorstellung nämlich, daß die Musik – und es ist in diesem Darstellungszusammenhang Beethovens Musik gemeint – die ›lebendige Traumgöttin des geistigen Seins‹ sei – und demnach die höchsten und schönsten Träume lebendig mache.«225

Dies verweist auf die Töne, die Musik, die aus dem Chaos kommt und eng mit der Erschaffung einer neuen Welt verbunden ist. »Kennzeichnend für diese Naturallegorie ist ihre Nähe zu den Bildern E.T.A. Hoffmanns und die Adaption des Jean Paulschen Sprachgestus, der beiden Freunden [Schumann und von der Lühe, B.S.] nach intensiver Lektüre des Dichters gleichermaßen zu Gebote stand«226,

so Bischoff in seiner Erläuterung des »Beethoven«-Textes. Er verweist einerseits auf die in der Forschung bekannte Tatsache, dass Schumanns schriftlicher Stil in hohem Maß von Jean Pauls Prosa beeinflusst ist. Auch in den Jugendschriften sind im Bereich der Musikauffassung Parallelen zu Jean Pauls Ästhetik zu finden, wie Frauke Otto gezeigt hat. Andererseits zieht er die musikalischen Schriften E.T.A. Hoffmanns, und vor allem wohl dessen Schriften über Beethoven, als inhaltlich und stilistisch eng verbundene heran. Bischoff macht in seinen Kommentaren zum Text »Beethoven« die Verbindungen zu E.T.A. Hoffmanns Rezension der 5. Sinfonie Beethovens (1810) deutlich.227 Die beiden Texte teilen zunächst das Motiv der »Geisterwelt«228 (Hoffmann). Bekanntermaßen sieht

223 224 225 226 227 228

John Daverio [Anm. 91], S. 126. Frauke Otto [Anm. 120], S. 81. Ebd. Bodo Bischoff [Anm. 130], S. 58. Ebd., S. 57. E.T.A. Hoffmann: Sämtliche Werke in sechs Bänden. Hrsg. von Hartmut Steinecke und Wulf

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Hoffmanns Beethovens Musik in Zusammenhang mit dem Schaurigen, der Furcht, und dem Ungeheuren. Sie eröffnet den Weg in das »Geisterreich des Unendlichen«229 und die Hörer sind »entzückte Geisterseher«230. Schumann gebraucht die Begriffe »Geisterschatten« und, für die Töne, »Geisterhauch«. Dies korrespondiert mit dem Ausdruck »Geisterstimme«231 bei Hoffmann, den er für das Thema des Andante in der 5. Sinfonie verwendet. Das Wortfeld der »Geisterwelt« steht bei Hoffmann wie bei Schumann für die un-irdische, unendliche Sphäre der Musik. Auch die Gleichsetzung von Tönen mit der Morgenröte nach der Nacht bei Schumann hat, wie Bischoff ausführt, seine Entsprechung in Hoffmanns Text: »[…] und wie eine freundliche Gestalt, die glänzend, die tiefe Nacht erleuchtend, durch die Wolken zieht, tritt nun ein Thema ein[…]«232. Auch hier sind die Töne Lichtstrahlen in der (chaotischen) Nacht. Uwe Schweikert233 weist darauf hin, dass auch zwischen Wackenroders »Die Wunder der Tonkunst« und dem vorliegenden Textteil »Beethoven« von Schumann Verbindungen existieren. Ich sehe ein paralleles Motiv vor allem in dem Bild, das Wackenroder zu Beginn seines Texts für die Musik gebraucht: »[…] – bald ist die Tonkunst mir ganz ein Bild unsers Lebens: – eine rührend-kurze Freude, die aus dem Nichts entsteht und ins Nichts vergeht, – die anhebt und versinkt, man weiß nicht warum: – eine kleine fröhliche grüne Insel, mit Sonnenschein, mit Sang und Klang, – die auf dem dunkeln, unergründlichen Ozean schwimmt [Kursivierung B.S.].«234

Auch bei Schumann finden wir die Vorstellung des großen, unendlichen Meers in der Nacht, die durch die Morgenröte, die die Töne mit sich bringen, unterbrochen wird. »Beethoven« ist in ähnlichem Maß, vor allem durch das Motiv des Meers im Zusammenhang mit dem Komponisten Beethoven, mit derjenigen Passage aus Wagners »Das Kunstwerk der Zukunft« verknüpft, die ich im Teilkapitel zu Wagners Beethovenschriften besprechen werde. In Bezug auf Beethovens 9. Sinfonie, die Wagner als den Anfangspunkt einer neuen Musikästhetik, die Wort und Ton verbindet, sieht, spricht er von Beethovens Fahrt auf dem Meer : »Vom Ufer des Tanzes stürzte er sich abermals in jenes endlose Meer, aus dem er sich einst an dieses Ufer gerettet hatte, in das Meer unersättlichen Herzens-

229 230 231 232 233 234

Segebrecht. Band 1: Frühe Prosa. Briefe. Tagebücher. Libretti. Juristische Schriften. Werke 1794 – 1813. Hrsg. von Gerhard Allroggen u. a. Frankfurt am Main 2003, S. 534. Ebd., S. 535. Ebd., S. 534. Ebd., S. 543. Ebd., S. 540. Uwe Schweikert [Anm. 85], S. 108 ff. Wilhelm Heinrich Wackenroder : »Die Wunder der Tonkunst.« In: Ders.: Sämtliche Werke und Briefe. Hrsg. von Silvio Vietta und Richard Littlejohns. Heidelberg 1991. Bd. 1, S. 205.

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sehnens.«235 Zunächst wird das Meer als das »Meer unersättlichen Herzenssehnens« bezeichnet. Auch bei Schumann heißt es: »Das Herz sehnte sich«, wenn von dem großen Meer und den auftretenden Tönen die Rede ist. Wagner jedoch definiert das Meer in den darauffolgenden Sätzen neu, und zwar als das Meer der ›absoluten Musik‹, durch das Beethoven auf seinem Schiff hindurchfinden muss. Es handelt sich um die Abwandlung der christlichen Motivik von der rastlosen Heilssuche des Christen auf dem Meer. Im Unterschied zu Schumann und Hoffmann bezeichnet Wagner dann jedoch das Wort als das Licht, das der unendlichen Nacht folgt, und nicht den Ton. Vielleicht bezeichnet dies den Abstand, der Wagner als Spätromantiker zu diesem Zeitpunkt bereits von der Priorität der (reinen) Instrumentalmusik bei den Frühromantikern und Romantikern trennt. Zwar ist auch für Schumann die enge Verflechtung von Text und Musik wichtig, aber mehr im Sinne des Ausdrucks, der ›Poesie‹ in der Musik, als in dem Sinne, dass die Künste gleichen Anteil am Kunstwerk haben. Jedoch tritt bei Wagner der Begriff des Hafens auf, wie auch das Licht, das bei Beethovens Suche nach dem Neuen der Nacht folgt. Wie Schumann stellt also auch Wagner in der Beschreibung von Beethoven und Beethovens Musik einen Neuanfang und einen Umbruch fest. Der Suche auf dem unendlichen Meer folgt eine ›neue Welt‹, wie bei Schumann entsprechend »das große Tor der Zukunft« auf eine »junge[] Erde«. Bei beiden Autoren wird mit Beethoven der Übergang zu einer neuen (musikalischen) Ästhetik verknüpft und durch die Verwendung von biblischen bzw. christlichen Motiven sakralisierend bestärkt.

2.2.5 Schumanns Schriften zu Beethovens Musik: Beispiele stilistischer Vielfalt Schumann bedient sich in vielen seiner Musikkritiken und musikalischen Schriften eines in seiner Epoche progressiven sprachlichen Stils. Im Gegensatz zum ›gelehrten‹ Stil der Musikkritik des 18. Jahrhunderts gebraucht er literarische Strategien, Metaphern und Bildern bei der Behandlung, Beurteilung und Darstellung von musikalischen Werken. Im Sinne der Frühromantik, die den Kritiker nun stärker als Poeten verstand, übte Schumann den von Plantinga so genannten »›Creative‹ criticism« aus: »›Creative‹ criticism – criticism which seeks to elucidate a work of art by means of evocative, figurative, impressionistic language – was renewed with the romantic writers.«236 Die enge Verbindung der Künste Literatur und Musik miteinander, die Schumann ein wichtiges Anliegen 235 DS, Bd. 6, S. 67. 236 Leon B. Plantinga [Anm. 153], S. 74.

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war, äußerte sich auch in dem Verfahren, eine Musikkritik als poetisches Gegenstück zu dem besprochenen Werk zu verstehen.237 Ebenso kann nicht häufig genug betont werden, dass Jean Paul und dessen Prosastil entscheidenden Einfluss auf Schumanns Schreiben genommen hat. Es ist jedoch nicht zu vernachlässigen, dass Schumann wie auch Wagner und andere Rezensenten und Musikschriftsteller maßgeblich von E.T.A. Hoffmanns Schriften über Beethoven und besonders durch dessen Rezension über Beethovens 5. Sinfonie inspiriert worden sind: »Schumann’s early style of music criticism is a highly personal variation of a type that goes back to the music reviews of E.T.A. Hoffmann. Hoffmann’s reviews of Beethoven’s Fifth Symphony and his Trios op. 70 in the AmZ of 1810 and 1813 mark the beginning of a new kind of music criticism.«238

Diese Rezension eröffnete bekanntermaßen neue, in die Nähe der Literatur weisende Möglichkeiten, über Musik zu schreiben. Aus der romantischen Literatur kamen also für Schumann als literarisch Interessierten, Gebildeten und zeitweise auch Aktiven, wesentliche Impulse, die sein Schreiben und den Stil vieler seiner Kritiken stark prägten. Nichtsdestotrotz ist allerdings auch die häufige Mischung von poetischer Darstellung und technischer Analyse wesentlich, die prototypisch in Schumanns Kritik zu Berlioz’ Symphonie fantastique zu finden ist. Plantinga und andere weisen zu Recht darauf hin, dass, obwohl Schumann als Kritiker vielleicht für die mit poetischen Kunstgriffen verfassten Schriften mit am bekanntesten geworden ist, in seinem musikschriftstellerischen Werk eine große stilistische Vielfalt vorherrscht. Plantinga stellt die These auf, Schumann passe den Stil der Kritiken dem zu besprechenden Werk an: Er wende eine poetische Sprache nur dann an, wenn auch die Musik poetische Qualität habe. Bei mittelmäßiger Musik handele er diese sehr kurz ab.239 Es scheint allerdings wichtig, hier zu bemerken, dass hieraus nicht der Umkehrschluss, alle von Schumann im sachlicheren Stil besprochene Musik sei in seinen Augen minderwertig oder mittelmäßig gewesen, folgen kann. In den späten 1830er und in den 1840er Jahren wird, so Plantinga, Schumanns Stil nämlich generell theoretischer und nüchterner. Schumanns Beethovenbild ist als sehr differenziert zu bezeichnen. Einerseits ist es in vielfacher Hinsicht von den unterschiedlichen Facetten des romantischen Beethovenbilds im Sinne E.T.A. Hoffmanns oder Bettina von Arnims inspiriert; andererseits achtet Schumann als einer der wenigen Beethovenrezensenten darauf, auch sachliche Gesichtspunkte im Hinblick auf Beethovens Musik in den Vordergrund zu bringen und handwerkliche Aspekte zu bespre237 Vgl. John Daverio [Anm. 91], S. 126. 238 Leon B. Plantinga [Anm. 153], S. 71. 239 Ebd., S. 78.

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chen. Schumann ist, wie Bischoff betont, an Beethovens Werken und an seinem Schaffen interessiert.240 Es scheint überflüssig, dies im Zusammenhang mit dem Genre Musikkritik eigens hervorzuheben. Allerdings zeigt eben der Blick auf z. B. manche der Beethovenschriften Wagners, dass der Wunsch nach Stilisierung von Beethovens Person und Werk und die Möglichkeit, eigene musikästhetische Vorstellungen, nationale Ressentiments und anderes auf dieses zu projizieren, den sachlichen Blick auf den Komponisten und seine Musik gelegentlich trübt. Entsprechend dieser differenzierten Herangehensweise, die Schumanns Umgang mit Beethovens Musik prägt, sind Schumanns Beethovenkritiken und -schriften durch große Unterschiede in Bezug auf Stil, Gattung und Sprechhaltung charakterisiert. Wir haben bei der Analyse der »Fastnachtsrede von Florestan« ein Beispiel für einen Text Schumanns gesehen, in dem zwar ein Werk Beethovens im Mittelpunkt steht, der aber dennoch nicht uneingeschränkt als Rezension bezeichnet werden kann. Der Autor bedient sich der Gattung Rede und entfaltet innerhalb dieser Form die poetische Szenerie eines Konzertabends. Er gebraucht das Mittel der Multiperspektivität, der ständig wechselnden Sprecher, um die Vielfalt der Beethovenrezeption und die Wirkung der Musik auf das Publikum darzustellen. Auch Metaphern aus den Bereichen der Natur und der Revolution werden angewendet. Die »Fastnachtsrede« arbeitet also sehr stark mit literarischen Strategien und ist gleichermaßen didaktisch und satirisch angelegt. Sie ist in diesem Sinne ein Beispiel für Schumanns progressive Art der Musikkritik bzw. des Musikschriftstellertums und den literarischen Anspruch an dieses Genre. Auch der programmatische Text »Monument für Beethoven« hat stark fiktive und literarische Charakteristika. Dies ist zum einen der Tatsache zuzuschreiben, dass das »Monument« zu den Davidsbündler-Texten zählt: Florestan, Eusebius, Jonathan und Meister Raro debattieren über ein Denkmal Beethovens, d. h., die ›richtige‹ Art, sich an Beethoven zu erinnern. Andererseits ist der Text stark geprägt von Bildern für Beethovens Musik: Passagen der Sinfonien werden als Regenbogen oder Tempelsäulen bezeichnet. Des Weiteren dominieren Bilder von verschiedenen Beethovenmonumenten: Sie entwerfen das Denkmal einerseits mit Hilfe von antiken Elementen, andererseits imaginieren sie Monumente, die es in der Realität eigentlich nicht geben kann und die so selbst in den Bereich des Fiktiven gehören. Ein Beispiel hierfür ist die Vorstellung eines Denkmals, das aus hundertjährigen Eichen den Namen Beethovens formt. Diese beiden Texte sind Beispiele für den Musikkritiker und -schriftsteller Schumann, der, inspiriert von den Ideen der Frühromantik, als Kritiker ein ›poetisches Gegenstück‹ erschaffen, Musik und Literatur eng miteinander ver240 Bodo Bischoff [Anm. 130], S. 275 ff.

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binden will. Die Art und Weise, in der Schumann Beethoven und seine Musik rezipiert, weist auch in stilistischer Hinsicht mehrere Facetten auf. Obwohl Verweise und Anspielungen auf Beethovens Musik Schumanns ganzes schriftstellerisches Werk durchziehen, gibt es relativ wenige Einzeltexte, die sich jeweils ausschließlich mit Beethoven oder einem Werk Beethovens befassen. Zu ihnen zählt neben dem »Monument für Beethoven« und der »Fastnachtsrede« die Besprechung »Die Leonorenouverturen von Beethoven« von 1842. Sie beschäftigt sich mit den von Beethoven verfassten, insgesamt vier, Ouvertüren zu seiner Oper Fidelio, die in der Urfassung mit dem Titel »Leonore« bezeichnet war. Zu Beginn der Kritik wird ein Konzert des Leipziger Orchesters unter Mendelssohn erwähnt, in dem alle vier Ouvertüren zu hören waren. Anlass des vorliegenden Texts ist jedoch nicht dieses Konzert, sondern die Tatsache, dass die vierte der Ouvertüren vor kurzem gedruckt erschienen sei, so der Autor in den einleitenden Sätzen. Zunächst wird die historische Reihenfolge der Ouvertüren thematisiert und diskutiert. Dann geht Schumann zu einer künstlerischen Bewertung der einzelnen Versionen über : »Daß die dritte der Ouvertüren die wirkungsvollste und künstlerisch vollendetste, darin stimmen fast alle Musiker überein. Schlage man aber auch die 1ste nicht zu gering an; sie ist bis auf eine matte Stelle (Part. S. 18) ein schönes frisches Musikstück, und Beethovens gar wohl würdig. Einleitung, Übergang ins Allegro, das erste Thema, die Erinnerung an Florestans Arie, das Crescendo am Schluß – das reiche Gemüt des Meisters blickt aus allem diesem.«241 Im Weiteren geht es um Beethovens Schaffensprozess und die Beziehungen zwischen den Versionen, die Veränderungen, die an ihnen abzulesen sind. Schumann resümiert: »Wie gern möchten wir die beiden Werke Schritt vor Schritt verfolgen. Dies gelingt mit den Partituren in der Hand mit Genuß weit besser als mit Buchstaben auf dem Papier, weshalb wir nur in kurzem die wesentlichen Unterschiede berührten.«242 Als letzten Aspekt behandelt Schumann das Problem, das sich aus dem Fehlen einiger Seiten in einer der Partituren ergibt, und die Ersetzung dieser Lücke durch Stellen aus der 3. Ouvertüre. Er diskutiert und kritisiert diese Lösung aus einem aufführungspraktischen Blickwinkel und schlägt eine Alternativlösung vor. Etwas abrupt endet bzw. bricht der Text ab mit den Worten: »Andererseits muß man freilich die Pietät gelten lassen, die keinen Takt opfern wollte. Sollte sich aber in der Welt keine zweite Abschrift der Ouvertüre vorfinden, die auch den vollständigen Schluß enthielte?«243 Der vorliegende Text zeichnet sich durch seinen sachlichen Stil aus – dies 241 Schumann, Gesammelte Schriften, Bd. 2, S. 77. 242 Ebd., S.77 f. 243 Ebd., S. 78.

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unterscheidet ihn von den ›progressiveren‹ Beethovenschriften Schumanns wie dem »Monument für Beethoven« oder der »Fastnachtsrede«. Schumann behandelt die vier Versionen der Fidelio-Ouvertüre im Vergleich miteinander aus Anlass ihrer Aufführung unter Mendelssohn in Leipzig. Er geht besonders auch auf die Partituren der Ouvertüren bzw. die Fakten ihrer Veröffentlichung ein, sowie auf Ergänzungen und Varianten. Dementsprechend werden auch technische Details thematisiert sowie der Prozess des Komponierens als ein ›handwerklicher‹ selbst: »Hier läßt sich der Künstler recht deutlich in seiner Werkstatt belauschen. Wie er änderte, wie er verwarf, Gedanken und Instrumentation […]«244. Schumanns großes Interesse am Arbeitsprozess Beethovens zeigt sich auch an anderen Stelle in den Gesammelten Schriften, in denen die Ouvertüren zu Fidelio immer wieder erwähnt werden. Beispielsweise fordert er im Rahmen des »Musikleben in Leipzig während des Winters 1839 – 1840«: »Möchten sich doch die verschiedenen Verleger vereinigen zu einer Ausgabe sämmtlicher vier Ouverturen in einem Band; für Meister und Schüler wäre solch ein Werk ein denkwürdiges Zeugnis einestheils des Fleißes und der Gewissenhaftigkeit, anderntheils der wie im Spiel schaffenden und zerstörenden Erfindungskraft dieses Beethoven, in den die Natur nun einmal verschwenderisch niedergelegt, wozu sie sonst tausend Gefäße braucht. […] Der Künstler aber soll alle Spuren verfolgen, die zur geheimen Arbeitswerkstatt des Meisters führen […]«245.

Des Weiteren findet sich in der vorliegenden Rezension auch die offenkundige künstlerische Bewertung des Notentextes: »Daß die dritte der Ouverturen die wirkungsvollste und künstlerisch vollendetste, darin stimmen fast alle Musiker überein. Schlage man aber auch die 1ste nicht zu gering an; sie ist bis auf e i n e matte Stelle (Part. S. 18) ein schönes frisches Musikstück, und Beethoven’s gar wohl würdig.«246

Ebenso die Notentext-Beschreibung »…wie er auch den Trompetenruf hinter der Scene nicht aufgeben kann, ihn in der 3ten Ouverture noch weit schöner anbringt als in der 2ten…«247. Auffällig ist hier, dass Schumann, obwohl er Beethoven mehrmals verehrungsvoll als »Meister« betitelt, die Werke differenziert und abwägend bewertet. Meistens steht das Lob im Vordergrund, jedoch findet sich auch die zitierte Bemerkung über die »matte Stelle«. Das Lob ist allerdings gelegentlich auch recht zurückhaltend: »sie [die erste Ouvertüre, B.S.] ist […] ein schönes frisches Musikstück […]«248. Wir erinnern uns an dieser Stelle an die »Fastnachtsrede«, in der gerade die Tätigkeit, Beethoven zu loben, 244 245 246 247 248

Ebd., S. 77. Schumann, Gesammelte Schriften, Bd. 1, S. 505. Ebd., Bd. 2, S. 77. Ebd. Ebd.

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sehr kritisch dargestellt wird. Unfähige oder dilettantische Musiker bzw. das Laienpublikum dürfen ihn in keinem Fall loben – entsprechend muss man davon ausgehen, dass der Autor sich in Bezug auf die Kompetenz als Komponist und Musiker mit Beethoven auf eine Stufe stellt. Er urteilt ganz offen über die Musik und differenziert zwischen seiner Meinung nach Gelungenem und weniger Gelungenem. Plantinga bemerkt in Bezug auf Schumanns Schriften, dass der musikkritische Stil des Komponisten sich in den 1830er und 1840er Jahren verändert und stärker zum Sachlichen tendiert. Er wird theoretischer und nüchterner249 und unterscheidet sich so von den frühen, poetischeren Schriften. Der vorliegende Text zu den Leonoren-Ouvertüren ist 1842 veröffentlicht worden, fällt somit in die späten Schriften und sein sachlicher Stil ist ein dominantes Merkmal dieser Besprechung. Er verweist m. E. auf die ›gelehrte‹ Musikkritik des 18. Jahrhunderts und tritt in gewissem Sinne hinter den kritischen Stil der Frühromantik und der folgenden Jahrzehnte zurück. Schumann hat die vier Versionen der Ouvertüre zu Fidelio auch in anderen Texten besprochen oder zumindest erwähnt. Unter ihnen ist der vergleichsweise ausführlichste betitelt mit »Die vier Ouvertüren zu Fidelio« und stammt von 1840. Auch er bezieht sich auf die Aufführung aller vier Ouvertüren durch das Leipziger Orchester unter Mendelssohn und eröffnet in enthusiastischerer Weise: »Mit goldner Schrift sollte es gedruckt werden, was das Leipziger Orchester am letzten Donnerstag ausgeführt; sämmtliche vier Ouverturen zu Fidelio nacheinander.«250 Schumann erwähnt diesen früheren Bericht auch in »Die Leonorenouvertüren von Beethoven«. Im vorliegenden Text geht er, wie dort auch, auf Beethovens angebliche Wut oder Gereiztheit darüber, dass die erste Ouvertüre dem Publikum nicht gefallen habe, ein: »Dank euch Wiener von 1805, daß euch die erste nicht ansprach, bis Beethoven in göttlichem Ingrimme eine nach der andern hervorwühlte.«251 Auch weiterhin bestimmt das chronologische Eingehen auf Beethovens Schaffensprozess bei den vier Ouvertüren den kurzen Text. Schumann charakterisiert und bewertet jede Ouvertüre, außer der ersten, die nur erwähnt wird, sehr kurz. Die zweite bezeichnet er als »dämonisch«252, die dritte als »beruhigter schon und künstlerischer«253, die vierte als eine »leichtere und populärere«254. Er schließt die Besprechung mit einem Bild: Auch dies ist ein gravierender Unterschied zu dem zwei Jahre später folgenden »Leonorenouvertüren«-Text. »Das ist das große Vier-Ouverturenwerk; ähnlich wie die Natur 249 250 251 252 253 254

Plantinga [Anm. 153], S. 78. Schumann, Gesammelte Schriften, Bd. 1, S. 468. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd., S. 469.

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bildet, sehen wir in ihm zuerst das Wurzelgeflecht, aus dem sich in der zweiten der riesige Stamm hebt, seine Arme links und rechts ausbreitet, und zuletzt mit leichterem Blüthengebüsche schließt.«255 Der Text charakterisiert sich als ein Davidsbündler-Text, da er mit »Florestan« unterzeichnet ist. Entsprechend den Eigenschaften dieser Sprecherfigur, die sich in Schumanns Texten oft als enthusiastisch und leidenschaftlich, bisweilen radikal zeigt, ist auch der Stil der »Vier Ouverturen zu Fidelio« emphatisch und bewegt. Die Nähe zur gesprochenen Rede ist unverkennbar : Das Wiener Publikum wird direkt angesprochen (»Dank euch Wiener von 1805, daß euch die erste nicht ansprach[…]«). Auch die subjektive Perspektive des Sprechers wird deutlich gemacht: »Ist er [Beethoven, B.S.] mir je gewaltig erschienen, so an jenem Abend […]«. Auch die beiden Bilder zu Anfang und Schluss geben der kurzen Besprechung einen poetischen Ton. Das »Vier-Ouverturenwerk« wird als blühender Baum mit seinen verschiedenen Teilen imaginiert. Diese verschiedenen Teilen sind hier die Wurzeln, der Stamm, die Zweige (»Arme«) und das »Blüthengebüsche«. Mit der Erwähnung dieser Teile eines Baums verweist der Sprecher noch einmal zurück auf seine kurze Charakterisierung der vier Ouvertüren. Die erste ist die Basis für die weiteren Versionen, die zweite wird als riesig beschrieben. Dieses Adjektiv greift Schumann auf, wenn er am Schluss vom »riesige[n] Stamm« spricht. Die sich ruhig ausbreitenden Zweige korrespondieren in dieser Darstellung mit der dem Sprecher zufolge beruhigteren dritten Variante, und die Blüten sind ein Bild für die leichtere, gefälligere vierte Ouvertüre. Es wird also versucht, die vier Versionen, ihre Eigenschaften und ihr Verhältnis zueinander in einem Bild zusammenzufassen, Charakteristika der Musik auf der bildlichen Ebene darzustellen. Der Baum ist hier die Metapher für das »Vier-Ouverturenwerk«. Dieses Bild ist besonders bemerkenswert im Zusammenhang mit dem Zusatz »ähnlich wie die Natur bildet256«. Schumann betont doppelt das ›Natürliche‹, Naturhafte und der Natur ähnliche in Beethovens Musik. Zum kritischen Diskurs über Beethoven im 19. Jahrhundert gehörte, wie beispielsweise in Hoffmanns Rezension der 5. Sinfonie zitiert, auch der stetige Vorwurf, der Komponist entferne sich mit einer komplizierten und schwer zu durchschauenden musikalischen Sprache zu weit von der ›Natur‹ in seiner Kunst. Obwohl man »Die vier Ouverturen zu Fidelio« als zu den Davidsbündlertexten gehörig betrachten muss, ist doch eindeutig zu sehen, dass er stilistisch von dem »Leonorenouvertüren«-Text nicht sehr weit entfernt ist. Zwar ist er geprägt durch die erwähnten literarischen Mittel, aber formal weist er keine Besonderheiten auf. Auch fehlt das Gespräch unter den verschiedenen Figuren 255 Ebd. 256 Ebd.

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des Bundes, ebenso die fiktive Szenerie, wie sie etwa in »Ein Werk II« oder in der »Fastnachtsrede« zu finden ist. Auch hier kündigt sich schon der sachlichere ›Spät-Stil‹ Schumanns an, von dem Plantinga spricht. Ein wiederum anderes Beispiel für Schumanns stilistische Variabilität im Schreiben über Beethoven ist der Text »Die Wut über den verlornen Groschen. Rondo von Beethoven. (Op. Posthumum)« von 1835. Es handelt sich weniger um eine Werkrezension des Stücks aus dem Nachlass von Beethoven als um ein freies und scheinbar spontanes Sprechen über dieses. Der Sprecher wendet sich an die Leser, bzw. an die »Beethovener«257 und an »junge und alte Komponisten«258 und redet auf eine sehr ungezwungene Weise. Grundaussage diese ›Besprechung‹ ist die Feststellung, dass es sich um ein liebenswürdiges und humoristisches Werk handele: »Etwas Lustigeres gibt es schwerlich, als diese Schnurre. […] O es ist die liebenswürdigste, ohnmächtigste Wut, jener ähnlich, wenn man einen Stiefel nicht von den Sohlen herunterbringen kann und nun schwitzt und stampft, während der ganz phlegmatisch zu dem Inhaber oben hinaufsieht.«259

Schumann thematisiert die allgemeine, generalisierende Vorstellung, dass Beethoven pathetisch komponiere und etwas anderes zu ihm nicht ›passe‹. »B. wolle stets nur das Überschwengliche, von Sternen zu Sternen flieg’ er, los des Irdischen.«260, so zitiert er die »Beethovener«. Der Autor trägt im Kontrast hierzu seine Meinung vor, dass Beethoven als Komponisten mehr Stimmungen beherrsche, mehr Charakteristika zu gestalten vermöge als nur das Pathetische, ›Unirdische‹. »›Heute bin ich einmal recht aufgeknöpft‹, hieß sein Lieblingsausdruck«, so Schumann über den Komponisten, »wenn es lustig in ihm herging. Und dann lachte er wie ein Löwe und schlug um sich […]«261. Gleichzeitig betont er, dass dieses humoristische Werk von Beethoven qualitativ den anderen, beispielsweise den großen Sinfonien in nichts nachstehe und weist gegenteilige Ansichten von ›Beethovenern‹ zurück. »Mit diesem Capriccio schlag ich euch. Ihr werdet’s gemein, eines Beethoven nicht würdig finden, eben wie die Melodie zu: ›Freude schöner Götterfunken‹ in der D moll-Symphonie, ihr werdet’s verstecken weit, weit unter die Eroica! Und wahrlich, hält einmal bei einer Auferstehung der Künste der Genius der Wahrheit die Wage [sic], in welcher dies Groschencapriccio in der einen Schale und zehn der neuesten pathetischen Ouverturen in der andern lägen, – himmelhoch fliegen die Ouverturen.«262 257 258 259 260 261 262

Ebd., S. 101. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.

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Der Autor schließt, wie in der Besprechung der vier Fidelio-Ouvertüren, mit dem hier noch deutlicheren Hinweis darauf, dass er Beethovens Musik für stark von der ›Natur‹ inspiriert halte: »Eines aber vor allem könnt ihr daraus lernen, junge und alte Komponisten, was vonnöten scheint, daß man euch manchmal daran erinnere: Natur, Natur, Natur!«263 Wiederum stellt er sich auf provokante Weise gegen die bei Hoffmann referierte Rezensentenmeinung, die postulierte, Beethoven habe sich zu weit von dem (schlichten) Ideal des Natürlichen entfernt. Der ungezwungene, freie Sprechmodus dieses Texts grenzt ihn sowohl von den sehr bildhaften, poetisch-progressiven Rezensionen der früheren Phase als auch von den sachlichen, rein analytischen Besprechungen der hauptsächlich späteren Schaffenszeit Schumanns ab. Die These, dass Schumanns Kritiken des Öfteren im Medium Text den Charakter der besprochenen Musik widerspiegeln und im Stil dem Stück angepasst sind, vertritt unter anderen auch Valentin: »Er [Schumann] versuchte, das musikalische Kunstwerk, das dem Leser nahegebracht werden soll, sozusagen in der verbalen, selbst zum Kunstwerk verwandelten Formulierung unmittelbar und lebendig zu vermitteln.«264 Dementsprechend scheint hier auch der schlichte, leichte und humoristische Ton der Kritik dem humorvollen Rondo von Beethoven angeglichen zu sein. Schumann greift hier die Tatsache auf, dass in der zeitgenössischen Debatte Beethovens Musik häufig auf ihre erhabenen Charakterzüge reduziert wurde. »B. wolle stets nur das Überschwengliche, von Sternen zu Sternen flieg’ er, los des Irdischen.«265 Bereits in der »Fastnachtsrede« hatte Schumann Beethovenanhänger zitiert und karikiert, die seine Sinfonien mit den Pyramiden oder dem Pentateuch in Verbindung gebracht und sie auf diese Gleichsetzung reduziert hatten. Zwar vertritt Schumann gleichermaßen die Ansicht, dass das Erhabene und Monumentale mit Beethoven in Verbindung gebracht werden muss und ein dominanter, wesentlicher Zugang zu seiner Person und seinem Werk ist – dies wird beispielsweise im besprochenen Text »Monument für Beethoven« sehr deutlich. Jedoch haben u. a. Martin Schoppe und Bodo Bischoff mit Nachdruck darauf hingewiesen, dass Schumanns Beethovenbild außerordentlich differenziert und vielfältig sei, und dass der Komponist als einer der wenigen zu seiner Zeit willens sei, die unterschiedlichen Facetten in Beethovens Musik gleichberechtigt wahrzunehmen. Bischoff betont, dass Schumann für Beethoven die Fähigkeit feststellt, das ›Allgemein-Menschliche‹ in der Musik darzustellen und so auch im Komponieren von der eigenen Biographie zu abstrahieren.266 Die Vielseitigkeit von Beethovens Musik ist für Schumann ein wichtiges Charakteristikum. Für die 263 264 265 266

Ebd. Erich Valentin [Anm. 89], S. 36. Schumann, Gesammelte Schriften, Bd. 1, S. 101. Bischoff [Anm. 130], S. 270.

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Beethovenschriften und Beethovenrezeption der Neudeutschen Schule

Rezension über »Die Wut über den verlorenen Groschen« stellt Bischoff wie folgt fest: »Das Verfahren hat einen tiefen Sinn. Ist die Befürchtung der mit den Augen rollenden Beethovener begründet, Schumann wolle ihren Genius aus den Wolken auf die Erde niederziehen? Keineswegs! Was er ihnen vor Augen führt, ist nichts anderes, als ihre eigene zu kurze Elle, mit der die Vielkräftigkeit des Beethovenschen Genies – das nichtsdestoweniger aus Fleisch und Blut besteht – nicht auszumessen ist. Ganz selbstverständlich tritt in Schumanns Beethoven-Bild das Individuell-Menschliche neben das Allgemein-Menschliche. Er führt dem Leser anhand des Rondos Die Wut über den verlorenen Groschen, das ihm als Beleg für die in ihm bereits zuvor verankerte Überzeugung dient, mit Eindringlichkeit vor, daß Beethoven – neben Schubert – Seelenzustände aller Art, allgemeine und spezielle, darzustellen vermag.«267

Für eben diese Darstellung von Seelenzuständen, zu der Schumann Beethoven als befähigt ansieht, spielen die drei zentralen Begriffe des Allgemein-Menschlichen, und, direkt im Text der vorliegenden Besprechung zu finden, der Natur und der Wahrheit – Schumann spricht vom »Genius der Wahrheit«, der am Jüngsten Tag der »Auferstehung der Künste« über Musik urteilen werde – eine überragende Rolle. Die in diesem Kapitel angeführten Texte zeigen anhand von weiteren Beispielen neben den beiden großen Texten »Fastnachtsrede von Florestan« und »Monument für Beethoven«, wie stilistisch vielfältig Schumanns Schreiben über Beethovens Musik sich darstellt. In dieser Differenziertheit der Texte verbinden sich einerseits die Tatsache, dass Schumanns kritischer Stil sich im Laufe seiner jahrelangen Rezensententätigkeit wandelt, andererseits die Heterogenität seiner Beethovenauffassung. Wie Bischoff bemerkt, ist der Gedanke, dass Schumanns Verhältnis zu Beethoven auch Wandlungen haben könnte, längere Zeit nicht verfolgt worden.268 Für die frühe Phase der ›poetischen‹ Beethovenkritiken sind, wie auch Schoppe betont, u. a. Rochlitz und E.T.A. Hoffmann von Wichtigkeit. Ab etwa den 1840er Jahren wird der analytische Stil in den Kritiken dominanter.269 Neben die Veränderungen, denen Schumanns Textstil im Allgemeinen unterliegt, tritt die Bemühung, Beethovens Werk und Schaffen als solchem gerecht zu werden. Schumanns Stil spiegelt wider, welche Aspekte in Beethovens Musik in seinen Augen wesentlich sind. Hierbei handelt es sich einerseits um die technische Faktur. Andererseits wählt Schumann des Öfteren rhetorische und literarische Strategien, um Beethovens Musik darzustellen und zu thematisieren, Bilder und Metaphern. Folglich nimmt Schumann für diese Musik eine semantische Qualität und ›poetischen‹ Gehalt an, der verbalisiert werden muss. 267 Ebd., S. 271. 268 Ebd., S. 20 – 27. 269 Ebd., S. 26.

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Wenn, wie Daverio annimmt, Schumann kritischer Stil sich dem ›Geist‹ des Werks anpasst, so fordert Beethovens semantisierte Musik einen Stil der Sprache heraus, der ebenso von Bildlichkeit und rhetorischem Anspruch geprägt ist, wie ihr Gegenstand. Es muss betont werden, dass eine derart starke Bemühung, Beethovens Musik in ihrer kompositorischen Beschaffenheit als solche zu würdigen, für das Schreiben über Beethoven im 19. Jahrhundert nicht selbstverständlich ist. Auch E.T.A. Hoffmann beschäftigt sich mit sorgfältiger Behandlung der Details mit der kompositorischen Faktur der 5. Sinfonie. Allerdings werden wir in der Analyse von Wagner Beethovenschriften exemplarisch die starke Tendenz, Beethovens Musik und Person als Projektionsfläche zu nutzen, sehen. In der »Pilgerfahrt zu Beethoven« gebraucht Wagner Beethovens 9. Sinfonie als Legitimation für seine Ästhetik des Musikdramas. Er tut dies, ohne an dieser Stelle genauer zu hinterfragen, welche Unterschiede möglicherweise zwischen Beethovens Auffassung der Verbindung von Sprache und Musik und seiner eigenen bestehen könnten. Für Schumanns Rezensionen auch von Werken anderer Komponisten ist es hingegen charakteristisch, dass, sei es in literarisch-poetischer oder in streng analytischer Form, versucht wird, Charakter und der Faktur des jeweiligen Werks herauszuarbeiten und dem Leser zu vermitteln. Auch bei Schumanns nicht ausgeführten Plan, eine Biographie Beethovens zu verfassen, sollten dessen Werke und nicht sein Leben im Vordergrund stehen.270 Dennoch schließt dieses sachgebundene Interesse Schumanns an Beethovens Musik, wie wir in der »Fastnachtsrede« und dem »Monument für Beethoven« gesehen haben, Glorifizierung des Komponisten, sowie an das Publikum gerichtete Satire, Polemik und Didaktik nicht aus. Schumann will einen elitären Zirkel seiner Musikergeneration durch die ›richtige‹ Verehrung Beethovens definiert sehen. Entscheidender Unterschied zu Wagners Beethovenschriften ist, dass auch diese literarischen Strategien im Schreiben über Beethoven nicht dazu dienen, das eigene Werk zu legitimieren, sondern sich selbst als Musiker zu entwerfen, der die idealen Musiker von den nicht idealen Musikern zu unterscheiden imstande ist und zu einer ausgewählten Generation von progressiven Komponisten gehört.

270 Vgl. ebd., S. 276.

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2.3

Beethovenschriften und Beethovenrezeption der Neudeutschen Schule

Beethovendarstellung als Selbstlegitimation. Richard Wagner: Beethovennovellen und Schriften über Beethoven

Die bekannte Tatsache von Richard Wagners Beethovenverehrung hat sich auch in seinem umfangreichen Schriftwerk niedergeschlagen. Wagner hat sich in ihm ausführlich mit der Musik Ludwig van Beethovens auseinandergesetzt. Dies geschieht im Rahmen verschiedener Textgattungen: Beethovens Musik wird sowohl in den großen musikästhetischen Schriften wie »Das Kunstwerk der Zukunft« als auch in kleineren Programmtexten und fiktionalen Erzählungen thematisiert. Richard Wagners Texte »Eine Pilgerfahrt zu Beethoven« und »Ein glücklicher Abend«, die von ihm selbst als »Novellen« bezeichnet wurden, beschäftigen sich im Kontext von Wagners Gesamtwerk auf besonders intensive Weise mit der Person und dem Werk Beethovens. Beide Novellen wurden zunächst in einer französischen Fassung, deren Autor in verschiedenen einschlägigen Quellen nicht namentlich genannt wird, in der Revue et Gazette Musicale in Paris veröffentlicht. »Eine Pilgerfahrt zu Beethoven« erschien in mehreren Teilen im November und Dezember 1840 unter dem Titel »Une visite — Beethoven, ¦pisode de la vie d’un musicien allemand«. »Ein glücklicher Abend« wurde im Oktober und November 1841 in zwei Folgen als »Une soir¦e heureuse; fantaisie sur la musique pittoresque« veröffentlicht. Wagner fasste sowohl die »Pilgerfahrt« als auch »Ein glücklicher Abend« sowie andere Essays und Erzähltexte später als Zyklus unter dem Titel »Ein deutscher Musiker in Paris« für die Herausgabe seiner Schriften zusammen. Im Untertitel des Zyklus werden die enthaltenen Texte ausdrücklich als »Novellen und Aufsätze« bezeichnet. Die gewählte Gattungsbezeichnung »Novelle« verweist bereits auf den intendierten fiktionalen und literarischen Charakter der beiden Werke. Sie heben sich hierdurch von anderen nicht im engen Sinne als fiktional zu bezeichnenden Wagnerschen Schriften ab, die sich mit Beethovens Person und Musik befassen. Beispiele für diese sind »Beethoven’s Ouvertüre zu ›Koriolan‹« (1852), »Beethoven’s ›heroische Symphonie‹« (1851), die Beschreibungen von Beethovens Sinfonien in dem ästhetischen Text »Das Kunstwerk der Zukunft« (1849) und vor allem der große Essay »Beethoven« von 1870. Trotz der unterschiedlichen Gattungszugehörigkeit der genannten Werke gibt es zwischen ihnen Korrespondenzen in der Interpretation und Darstellung von Beethovens Musik.

Beethovendarstellung als Selbstlegitimation

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2.3.1 Die Darstellung von Beethovens 7. Sinfonie in Wagners Schriften 2.3.1.1 Beethovens 7. Sinfonie in Wagners »Ein glücklicher Abend« Die Novelle »Ein glücklicher Abend« beschreibt ein Konzert, das der unbenannte Ich-Erzähler und sein Freund R. an einem Frühlingsabend im Freien anhören. Es werden unter anderem Mozarts Es-Dur-Sinfonie und die 7. Sinfonie von Beethoven in A-Dur gespielt. Nach dem Konzert beginnen die beiden Hauptfiguren einen Dialog, der sich mit Fragen der Musikästhetik, vor allem der Debatte über Programmusik und absolute Musik, beschäftigt und den größten Teil der Erzählung einnimmt.271 Am Ende des Textes wird die Musik als »ewig«, »unendlich« und »ideal« bezeichnet und ihr das Primat gegenüber der Sprache zugestanden. Die Musik drückt Poetisches aus, verweigert sich aber der konkreten, einengenden Semantisierung. Auf spielerische Weise wird die Übersetzung von Beethovens Musik in Bilder vorgeführt, wobei eine fiktive Szenerie mit romantischen Attributen die Wirkung des Textes verstärkt: Dem Leser wird auf diese Weise vermittelt, dass Beethovens Musik etwas Ideales, Poetisches sei, das in seinem Kern nie ergründet werden könne. Der Text beweist in einigen markanten Punkten, dass er tatsächlich zumindest eine Affinität zur Gattung Novelle besitzt und die Gattungsbezeichnung im Untertitel vom Autor nicht unbegründet gewählt worden ist. Der Ich-Erzähler bezeichnet die Novelle als seine eigene Aufzeichnung und stellt sich dem Leser als Freund des Protagonisten R. vor. Gleich darauf folgt eine Herausgeberfiktion, bei der der Ich-Erzähler die Herausgabe einiger Aufsätze aus dem Nachlass des inzwischen verstorbenen Freundes im Anschluss an die Novelle ankündigt. Hiermit werden die Einheit des Zyklus’ Ein deutscher Musiker in Paris betont und Querverweise zwischen den Novellen hergestellt. Auch ein Ansatz zur gattungstypischen Rahmung des Geschehens ist gegeben. Der Erzähler bezieht sich hier auf die Erzählung »Ein Ende in Paris«, die den Tod des im mondänen Paris verkannten Musikers R. beschreibt. Die typische Eigenschaft der Novelle, Teil einer Sammlung, ›sammlungsfähig‹ zu sein, liegt damit vor.272 Im Weiteren 271 Die französische Fassung, in der die Novelle in der Revue et Gazette Musicale erstmalig erschien, unterscheidet sich an keiner Stelle wesentlich vom deutschen Original. Der einzige nennenswerte Unterschied ist das Fehlen des einleitenden Satzes, der die Zugehörigkeit des Textes zu einem Zyklus andeutet: »So will ich diese letzte Aufzeichnung aus früherer Erinnerung an meinen Freund benennen, welche ich der Mitteilung einiger größerer Aufsätze aus der Hinterlassenschaft des Verstorbenen noch voranstelle, da ich diese hiermit zugleich auf das Schicklichste einzuleiten glaube.« (Richard Wagner : Dichtungen und Schriften. Jubiläumsausgabe in zehn Bänden. Hrsg. von Dieter Borchmeyer. Frankfurt am Main 1983. [Diese Ausgabe ist Referenzausgabe und wird im Folgenden bezeichnet als: DS]. Bd. 5, S. 137). 272 Vgl. zu Gattungsmerkmalen der Novelle: Hugo Aust: Novelle. Stuttgart, Weimar 1995, hier S. 17.

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spielt die Atmosphäre der Mündlichkeit, der, wie Aust formuliert, »Geselligkeit« und »Wechselrede«273 als wichtiges Gattungsmerkmal hier eine übergeordnete Rolle. Die Situationsbedingung des Gesprächs dominiert den Text. Die Form ist konzentriert, es geht um eine einzige Begebenheit, nämlich das Konzert.274 Der Erzähler einer Novelle hat Aust zufolge Absichten mit seinem Erzählen, er bezweckt etwas. »Ob er sie [die Absichten, B.S.] nennt oder verschweigt, sich verbindlich zu ihnen bekennt oder sie bloß als Vorwände gebraucht, sind bereits geschichtlich variierende Antwortmöglichkeiten auf die gleichbleibende Frage nach der erzählerischen Intention.«275 Zu der Frage nach einer möglichen Intention, die der Erzähler mit dieser Novelle verfolgt, werde ich im weiteren Verlauf zurückkommen. Die explizit ausgesprochene Begründung dafür, dass er der Herausgabe der Aufsätze des verstorbenen Freundes die betreffende Erzählung voranstelle, gibt der Erzähler zu Beginn mit dem knappen Halbsatz »[…] da ich diese [die Aufsätze, B.S.] hiermit zugleich auf das Schicklichste einzuleiten glaube.«276 In dieser Erzählung dominiert das Gespräch, der lebhafte dialogische Stil. Zwei scheinbar unterschiedliche Meinungen werden schließlich zu einer Synthese zusammengeführt. Der Text endet mit einer wirkungsvollen Steigerung, einer »Vivat-Rede« des Freundes R., die in einer von Anaphern geprägten Struktur verschiedene Instanzen ›anruft‹: »›Es lebe das Glück, es lebe die Freude! Es lebe der Mut, der uns im Kampfe mit unserem Schicksal beseelt! Es lebe der Sieg, den unser höheres Bewußtsein über die Nichtswürdigkeit des Gemeinen erringt! Es lebe die Liebe, die unsern Mut belohnt; es leben die Freundschaft, die unsern Glauben aufrechterhält! Es lebe die Hoffnung, die sich unserer Ahnung vermählt! Es lebe der Tag, es lebe die Nacht! Hoch der Sonne! Hoch den Sternen!‹«277

Sofort anschließend wird die Musik an die oberste Stelle all dieser Angerufenen gestellt und gebetshaft mit der religiösen Sphäre eng verknüpft: »›Dreimal hoch die Musik und ihre Hohenpriester! Ewig verehrt und angebetet sei Gott, der Gott der Freude und des Glückes, – der Gott, der die Musik erschuf! Amen.‹«278 Den größten Teil des Textes nimmt das Gespräch zwischen den zwei Hauptpersonen ein. Zunächst wird über die Qualität des Konzerts gesprochen, 273 Ebd., S. 3. 274 Aust bezeichnet dies als »Einzahl der Begebenheit, die nicht einen »Ereignissplitter meint, sondern ein Ganzes, das, in sich gegliedert, an hervorragender Stelle ebenfalls im Dienst einer übergreifenden Totalität steht.« Ebd., S. 12 und 13. 275 Ebd., S. 4. 276 Richard Wagner : »Ein glücklicher Abend.« In: Ders.: DS. Bd. 5: Frühe Prosa und Revolutionstraktate, S. 137. 277 Ebd. 278 Ebd.

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dann über die Zusammenstellung des Programms. Der Erzähler lobt sie und sieht eine »wunderbare Verwandtschaft unter beiden Kompositionen«279.280 Der Dialog konzentriert sich dann auf das Verhältnis von Sprache und Musik und führt zur Frage der Programmusik. Im Gefolge der romantischen Auffassung, die Musik stünde in der Hierarchie der Künste über der Sprache, formuliert auch der Freund R.: »Es bleibt ein für allemal wahr : da wo die menschliche Sprache aufhört, fängt die Musik an.«281 Auch der zeitgenössische Topos der Begrenztheit der Sprache im Gegensatz zur Musik als das Medium, das das ›Unsagbare‹ ausdrückt, klingt an. Die Programmusik im engeren Sinne wird von R. abgelehnt, aber der Erzähler widerspricht, indem er Vorstellungen und Bilder als populären Zugang zur Musik nicht ganz und gar verurteilt wissen will. Im Zuge eines Themenwechsels nach seinen Empfindungen beim Hören der Musik gefragt, kommt es zum Gespräch über die Verschiedenheit der Gefühle, die Beethovens 7. Sinfonie hervorrufen könne. R. erwähnt eine musikalische Zeitschrift, die mitgeteilt habe, dass Beethoven beim Komponieren der Sinfonie sich vorgenommen habe, eine Bauernhochzeit darzustellen. Obwohl R. zugibt, dass ein Bauer die Berechtigung habe, sich bei der Musik an seine Hochzeit zu erinnern, spricht er sich doch eindeutig gegen ein Programm aus, das die Rezeption lenkt und einschränkt. Auffällig ist an dieser Stelle die offene Kritik an den zeitgenössischen musikalischen Zeitschriften: »Den zivilisierten Stadtbewohnern aber, die in musikalischen Zeitungen schreiben, möchte ich die Haare von ihren albernen Köpfen herunterreißen, wenn sie solch dummes Zeug unter ehrliche Leute bringen, denen sie dadurch von vornherein alle Unbefangenheit rauben, mit der sie sich ohnedem zur Anhörung der Beethovenschen Sinfonie angelassen haben würden.«282

Er betont die Individualität und Pluralität der Rezeption von Musik. Der Komponist dürfe sich im Weiteren keinesfalls dazu herablassen, sich mit seiner Musik wie ein Dichter oder ein Maler an den Erscheinungen der Alltagswelt zu orientieren. R. betont die Wichtigkeit des ›Überirdischen‹ und Geistigen für die Musik. Als auf diese Weise das Gespräch auf die Tonmalerei kommt, spricht sich R… eindeutig dagegen aus. Nur im Bereich des Komischen habe sie eine Be279 DS, Bd. 5, S. 141. 280 Dies verweist auf die Verehrung, die die musikalische Romantik sowohl Mozart als auch Beethoven entgegenbrachte. Nicht nur Beethoven, sondern – wenn auch in vielleicht geringerem Maße – auch Mozart wurde zum glänzenden ›Urahn‹ stilisiert. Ein Beispiel im Bereich der romantischen Musiknovelle ist E.T.A. Hoffmanns »Don Juan«. Trotzdem erläutert er im Weiteren die Unterschiede zwischen Beethovens und Mozarts Musik und gelangt zu folgendem Schluss: »In Mozarts Symphonie herrscht das Vollgefühl der Empfindung vor, in der Beethovenschen das mutige Bewußtsein der Kraft.« (DS, Bd. 5, S. 142). 281 DS, Bd. 5, S. 142. 282 Ebd., S. 144.

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rechtigung. Schließlich gelangt die Debatte der beiden Freunde zu der Frage, ob nicht aber in den Werken der beiden von ihnen verehrten Komponisten Mozart und Beethoven etwas vorliegen könne, was der Programmusik zumindest ähnlich sei. Der Ich-Erzähler behauptet dies, und stellt die These auf, dass Beethoven den Plan einer Sinfonie nach einer »gewissen philosophischen Idee«283 geformt habe. Als Beispiel gibt er die Sinfonie Eroica Beethovens an, und die Tatsache, dass auf dem Titelblatt ursprünglich der Name »Bonaparte«, also Napoleons, hätte stehen sollen. Auf diese Andeutung einer möglichen Idee, eines Bilds oder gar eines Programms hinter der Sinfonie reagiert nun R. sehr empfindlich. Er lehnt die Vorstellung, dass konkrete Ereignisse in Napoleons Leben und seine Taten in Beethovens Werk wiederzufinden seien, vehement ab. Dagegen setzt er die These, dass hinter dem großen Musikwerk eine ›Empfindung‹ oder ›Stimmung‹ stehe, die zwar durch äußere Begebenheiten angeregt werden, aber auch rein aus der Innenwelt des Komponisten stammen könne. Die beiden Freunde einigen sich schließlich auf diese Ansicht und sie stellen für sich fest, dass Musik nie so eng an Phänomene der Außenwelt gebunden sein könne, dass sie diese nachbuchstabieren würde. Mit dem enthusiastischen, religiös gefärbten Vivat an die Musik endet die Erzählung. Es sind in dieser Novelle zwei Werke Beethovens, die besonders im Vordergrund stehen, Hauptgegenstände des Gesprächs werden und zur musikästhetischen Debatte Anlass geben. Zum einen handelt es sich um die 7. Sinfonie, A-Dur. Sie wird im Gespräch mittelbar thematisiert, indem die beiden Gesprächspartner sich anlässlich dieses Stücks, das sie soeben gehört haben, über Rezeptionsfragen austauschen. Die verschiedenen Vorstellungen und Empfindungen, die die Sinfonie bei unterschiedlichen Menschen auslösen könne, sind das Thema. Die rezeptionsästhetische Seite der 7. Sinfonie wird verhandelt: Eine Art der Rezeption und des Assoziierens wird jedoch als ›legitim‹ und als das »richtige Verständnis«284 charakterisiert: Die Vorstellung einer Bauernhochzeit beim Anhören der Musik, die dem zuhörenden Bauern im Publikum von den beiden Freunden zugeschrieben wird. R. verweist auf eine musikalische Zeitschrift, in der behauptet wird, dass Beethoven dieses Bild der Hochzeit in der 7. Sinfonie habe darstellen wollen. Aber auch die Legitimität dieser Zuschreibung wird im Folgenden sofort eingeschränkt: Nur demjenigen, der wirklich einmal eine Bauernhochzeit miterlebt hat, wird diese Art der definierten Rezeption zugestanden. Nur subjektive, individuell voneinander abweichende Rezeption und Assoziation beim Hören Beethovens sei eine sinnvolle Art des musikalischen Auffassens. Trotz des scheinbaren Zugeständnisses zuvor wird hier also die Vorstellung eines ›bestimmten‹ Gehalts, eine be283 Ebd., S. 147. 284 Ebd., S. 144.

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stimmte Interpretation der 7. Sinfonie zurückgewiesen. Das Werk selbst wird nicht in seinen musikalischen Einzelheiten beschrieben oder analysiert, der Zugang zu ihm und seine Thematisierung erfolgt hier im Dialog über die Möglichkeiten seiner Rezeption. Spielerisch und auch spöttisch-herabsetzend werden der Reihe nach bestimmte Bilder oder Bildkombinationen aufgerufen, die zu diesem musikalischen Werk gehören könnten: die Vorstellung, Zigarre zu rauchen, Kaffee zu trinken und mit einer »jungen Dame im blauen Kleide«285 zu kokettieren; die Vision des Paukenschlägers, seine Söhne zu prügeln, weil sie ihm das Essen noch nicht aus der Stadt gebracht hätten. Auffällig ist hier, dass R. sich dem Aussprechen seiner Empfindungen verweigert, sich darauf zurückzieht, die Wärme des Abends, den Blick auf die Eiche und den Nachthimmel als seine Empfindungen zu nennen und zu schließen: »›Des weiteren empfand ich tausend andere Dinge, die ich Dir nicht sagen kann: Da hast du alles!‹«286 Wie Leslie David Blasius ausgeführt hat, sind die Termini der Assoziation und Empfindung im Sinne von sinnlicher Empfindung, »sensation«, eine wichtige Form der musikalischen Rezeption um 1800.287 Verschiedene mögliche Assoziationen beim Hören der Beethovensinfonie werden hier aufgeführt, und ›Empfindung‹ wird von der Figur R. wirklich als »sensation« verstanden und umgedeutet. Implizit wird sich gegen »Empfindung« im Sinne von »Affekt« gewandt, und damit gegen die musikalische Affektenlehre des 18. Jahrhunderts, die die festgelegte Darstellung von Gefühlen in der Musik forderte. Diese Darstellungen wiederum bestimmten den Affekt des Hörers beim Rezipieren der Musik und sollten Pluralität und Individualität der ausgelösten Gefühle eingrenzen. R.s Rede von den »›tausend andere[n] Dingen, die ich dir nicht sagen kann‹«288, verweist deutlich auf den Unsagbarkeitstopos der Romantik in der Musik und die Idee der Unendlichkeit und Unbestimmbarkeit der musikalischen Aussage. In ihrem leichtfüßigen Durchgang des Anspielens auf populäre Rezeptionsmodi von Musik rekurriert die dargestellte Diskussion auch auf die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts beliebte Vorstellung, Musik stelle ein »Lebensbild« oder ein »Seelengemälde« dar.289 Alle drei Szenen, die zur Sprache gebracht 285 Ebd. 286 Ebd., S. 143. 287 Vgl. Leslie David Blasius: »The mechanics of sensation and the construction of the Romantic musical experience.« In: Ian Bent (Hrsg.): Music theory in the Age of Romanticism. Cambridge 1996, S. 3 – 24. 288 DS, Bd. 5, S. 143. 289 Vgl. Arno Forchert: »›Ästhetischer Eindruck‹ und kompositionstechnische Analyse. Zwei Ebenen musikalischer Rezeption in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.« In: Hermann Danuser / Friedhelm Krummacher (Hgg.): Rezeptionsästhetik und Rezeptionsgeschichte in der Musikwissenschaft. Laaber 1991. (= Publikationen der Hochschule für Musik und Theater Hannover. Hrsg. von Richard Jakoby. Bd. 3). S. 193 – 204.

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werden, der Paukenschläger mit seinen Söhnen, der kaffeetrinkende und rauchende Herr, und vor allem die Bauernhochzeit, lassen sich in dieses Schema einordnen. Allerdings ist diese Interpretationsweise des »Lebensbilds« bereits vorher im Verlauf des Gesprächs thematisiert und schließlich abgeurteilt worden. Der Ich-Erzähler hat mit seinem Einwand »›Laß einen jeden nach dem Maßstabe seiner höheren oder geringeren Einbildungskraft sich Vorstellungen und Bilder zusammensetzen, mit deren Hülfe es ihm einzig vielleicht möglich ist, an diesen großen musikalischen Offenbarungen Geschmack zu finden‹[…]«290 eine zeitgenössische Position zitiert. Diese akzeptierte Programmusik bzw. der Musik unterlegte, aus dem täglichen Leben gegriffene Vorstellungen, wenn sie als Wegweiser zum Kunstwerk und zum besseren Verständnis desselben diente.291 Erbost hatte R. zuvor auf die Forderung angespielt, die unter anderen Carl Borromäus 1818 gestellt hatte: Instrumentalwerke sollten sich an der Struktur des täglichen Lebens orientieren. Ein Rezensent in Schumanns Neuer Zeitschrift für Musik hatte 1837 an Beethovens Sinfonien kritisiert, dass sie diesem Postulat nicht entsprachen.292 Wagner übt auf diese Weise, indem er ausführlich rezeptionsästhetische Fragen diskutiert, Kritik am ›inkompetenten‹ Hörer. Die illegitime und zum Teil unsinnige Art und Weise, wie dieser Beethovens Musik rezipiert, wird einerseits von der produktionsästhetischen, andererseits von der wirkungsästhetischen Frage abgegrenzt. Nach diesen probeweise thematisierten Versuchen, dem ›Gehalt‹ des Werks näherzukommen, wird mit dem Vergleich einer Sinfonie mit einem perfekten Gebäude der romantische Topos von Musik als Architektur eingeführt.293 Aus der Vollkommenheit des Gebäudes resultiere, so R., die Unmöglichkeit, die Wirkungen des musikalischen Werks auf eine einzige zu reduzieren. Im Weiteren wird entsprechend dem romantischen System der Künste die Ausnahmestellung des Musikers unter den Künstlern thematisiert, seine Sublimität, seine Verbindung mit dem Überirdischen. Im Vergleich zwischen Mozart und Beethoven, den die beiden Gesprächspartner dann anstellen, wird noch einmal der Charakter der Mozartschen Musik von Beethovens Kompositionsweise abgegrenzt.294 Der Ich-Erzähler, der im Folgenden die Position der ›Ide290 291 292 293 294

DS, Bd. 5, S. 142. Forchert [Anm. 289], S. 197. Ebd., S. 199. DS, Bd. 5, S. 145. Mozart wird dargestellt als ein Komponist, der die überlieferten Formen streng beachtet, ihnen aber Wärme, Geist und Idealität verleiht. Entsprechend, und noch nachdrücklicher wurde zu einem früheren Zeitpunkt im Gespräch Mozarts Musik als Raum für Empfindung und empfindsame Sprache dargestellt. In der Beschreibung Mozarts finden sich noch Begrifflichkeiten, die auf die Musikästhetik des 18. Jahrhunderts verweisen, auf die Vor-

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en-Theorie‹ für die Musik Beethovens vertreten wird, betont, dass Mozart in keiner Weise seine Musik nach einer in Sprache formulierbaren Idee entwickelt haben könne. Er verneint jede Form der Programm-oder Sprachbezogenheit für Mozarts Musik und behauptet, dass der Komponist nur rein innermusikalisch habe schaffen können. Bei einem Plan, den Mozart zu einer Sinfonie entworfen habe, müssten alle musikalischen Themen bereits vorhanden gewesen sein, als spontane Resultate der »Begeisterung«295, die nur in Tönen darzustellen sei. Mit seiner auch in anderen Texten angewendeten Methode, Komponisten zueinander in Beziehung zu setzen und als ›Seelenverwandte‹ und Brüder im Geiste bzw. in der Kunst zu stilisieren, gestaltet Wagner hier Mozart als Vorläufer und Wegbereiter Beethovens.296 Beethoven dagegen, so führt der Freund R. aus, habe die musikalischen Formen Mozarts übernommen und transzendiert. Die wichtigsten Begriffe zur Charakterisierung Beethovens sind hier die »Freiheit«297 und der »Genius«298, ebenso die Kühnheit, mit der der Komponist »nach dem Unendlichen greift.«299 Die Affinität zum ›Überirdischen‹ ist es, durch die die beiden Musiker hier als ›ideale‹ und im Sinne der musikalischen Romantik positiv bewertete Musiker gezeigt werden. Beethoven aber wird, nicht zuletzt durch die Erwähnung des Schlüsselworts »Genius«, Genie, und das der »Unendlichkeit« in der Musik mit größerer Deutlichkeit als romantischer Komponist dargestellt. 2.3.1.2 Beethovens 7. Sinfonie in Wagners Prosaschriften Richard Wagner hat die 7. Sinfonie Beethovens, die in dieser Novelle im Mittelpunkt steht, auch in anderen, nicht-fiktionalen Texten thematisiert. In »Das Kunstwerk der Zukunft« wird neben anderen Werken Beethovens auch die Sinfonie in A-Dur besprochen und in poetischer Weise ›verherrlicht‹. Über die Sinfonie heißt es: »Seinen [Beethovens] Tongestalten selbst jene Dichtigkeit, jene unmittelbar erkennbare, sinnlich sichere Festigkeit zu geben, wie er sie an den Erscheinungen der Natur so zu beseligendem Troste wahrgenommen hatte, – das war die liebevolle Seele des

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herrschaft der Empfindung und des eingegrenzten Affekts, gleichermaßen wird aber schon Mozart eine Hinwendung zum Metaphysischen zugestanden. Ebd., S. 147. Wir werden in der Untersuchung von »Eine Pilgerfahrt zu Beethoven« sehen, wie sich die vom Autor hergestellte Verbindung von Komponisten in der Musikhistorie als teleologische Reihe gestaltet, die ihr Ziel in Wagners Musik selbst und seiner Konzeption des Musikdramas findet. DS, Bd. 5, S. 146. Ebd. Ebd.

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freudigen Triebes, der uns die über alles herrliche A-Dur-Symphonie erschuf. Aller Ungestüm, alles Sehnen und Toben des Herzens wird hier zum wonnigen Übermute der Freude, die mit bacchantischer Allmacht uns durch alle Räume der Natur, durch alle Ströme und Meere des Lebens hinreißt, jauchzend selbstbewusst überall, wohin wir im kühnen Takte dieses menschlichen Sphärentanzes treten. Diese Symphonie ist die Apotheose des Tanzes selbst: sie ist der Tanz nach seinem höchsten Wesen, die seligste Tat der in Tönen gleichsam idealisch verkörperten Leibesbewegung. Melodie und Harmonie schließen sich auf dem markigen Gebeine des Rhythmus wie zu festen, menschlichen Gestalten, die bald mit riesig gelenken Gliedern, bald mit elastisch zarter Geschmeidigkeit, schlank und üppig fast vor unseren Augen den Reigen schließen, zu dem bald lieblich, bald kühn, bald ernst, bald ausgelassen, bald sinnig, bald jauchzend, die unsterbliche Weise fort und fort tönt, bis im letzten Wirbel der Lust ein jubelnder Kuß die letzte Umarmung beschließt.«300

Zwei zentrale Bilder werden hier zur poetischen Beschreibung des Werks verwendet: das der Freude, die den Menschen durch die »Räume der Natur«, und, ein weiteres Bild im Bild, »durch alle Ströme und Meere des Lebens« reißt; weiter das des Tanzes, der »idealisch verkörperten Leibesbewegung«, der durch seine Sprach-Losigkeit der Musik nahe steht. Melodie, Harmonie und Rhythmus werden in diesem Bild zu Tänzern, die den Reigen tanzen. Wagner rekurriert hier vermutlich einerseits auf die Ut-Pictura-Poiesis-Debatte im 18. Jahrhundert, die die »unsichtbare Bewegung der Musik«301 als im Tanz dargestellt ansah, andererseits auf Herder, der 1800 in Kalligone die Musik als Führerin des Tanzes darstellte und in den Kritischen Wäldern letzteren als äußere Darstellung des inneren Wesens des ästhetischen Gegenstands – hier die Musik – ansah. Die Poesie der Tanzkunst gewinnt nach Herder ihren Begriff der Schönheit aus der Vereinigung von Musik, die sichtbar, Poesie, die stumm, und Bildhauerei, die lebendig sei. Das Bild des Tanzes ist hier eigentlich als der Gebrauch einer Metapher zu verstehen: Die Formulierung »Diese Symphonie ist die Apotheose des Tanzes selbst: sie ist der Tanz nach seinem höchsten Wesen […]« verweist darauf, dass die 7. Sinfonie trotz ihrer Identität als musikalisches Kunstwerk als Tanz gesehen wird.302 »Eins scheint von vornherein klar zu sein, nämlich der Unterschied, ob man sieht, daß A wie [like] B ist, oder ob man A als [as] B sieht. 300 DS, Bd. 6, S. 66. 301 Roger W. Müller Farguell: »Tanz«. In: Karlheinz Barck u. a. (Hrsg.): Ästhetische Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch in sieben Bänden. Stuttgart, Weimar 2005. Bd. 6, S. 4. 302 Auch im Text »Beethoven’s Ouvertüre zu ›Koriolan‹« stellt Wagner die Verbindung zwischen Beethovens Sinfonien und dem Tanz her und geht einen Schritt weiter, indem er die Vorstellung von Sinfonie, Tanz und Liebe miteinander verbindet: »Können wir, ohne im Mindesten zu irren, fast alle symphonischen Werke des Meisters dem plastischen Gegenstande ihres Ausdruckes nach als Darstellungen von Scenen zwischen Mann und Weib auffassen, und dürfen wir den Urtypus solcher Szenen im wirklichen Tanze selbst finden, aus welchem das musikalische Kunstwerk der Symphonie in Wahrheit hervorgegangen ist….« DS, Bd. 9, S. 33 f.

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Ein Gleichnis taugt zur genauen Wiedergabe der ersten Wahrnehmungsweise, die Metapher zu der der zweiten.«303, so Virgil C. Aldrich in seinem Aufsatz zur visuellen Metapher. Die Metapher der Sinfonie als Tanz wird erweitert durch die Metapher der »Gebeine des Rhythmus«, mit dem sich Melodie und Harmonie zusammenschließen. In einer Fußnote zu der vorliegenden Passage geht Wagner näher auf ein Seitenthema im 2. Satz ein: »Zu dem feierlich daherschreitenden Rhythmus des zweiten Satzes erhebt ein Nebenthema seinen klagend sehnsüchtigen Gesang; an jenem Rhythmus, der unablässig seinen sicheren Schritt durch das ganze Tonstück vernehmen läßt, schmiegt sich diese verlangende Melodie, wie der Efeu um die Eiche, der ohne diese Umschlingung des mächtigen Stammes, in üppiger Verlorenheit wirr und kraus am Boden sich hinwinden würde, nun aber, als reicher Schmuck der rauhen Eichenrinde, an der kernigen Gestalt des Baumes selbst sichere unverflossene Gestalt gewinnt.«304

Das Nebenthema wird in personifizierender Weise beschrieben als »verlangende Melodie«, die sich an die »Eiche« des Grundrhythmus »schmiegt«. Für diesen und das Seitenthema findet Wagner den Vergleich des Efeus, der an der Eiche emporwächst und sich um diese schlingt. Musikalische Themen werden mittels eines Vergleichs durch konkrete Bilder aus der Natur beschrieben. In der traditionellen Emblematik wird der Eiche die Bedeutung von »Beharrlichkeit« und Standfestigkeit zugeschrieben, andererseits gilt sie als Ehrenzeichen.305 Die Verbindung von ›starker‹ Eiche und ›schwachem‹, ohne die Eiche ›haltlosem‹ Efeu korrespondiert mit der Charakterisierung von Haupt- und Seitenthema als ›männlich‹ und ›weiblich‹, die in der Interpretation der Sinfonie Eroica durch Wagner zu finden ist. Entsprechend dieser Erotisierung der musikalischen Faktur sind auch die Attribute »verlangend«, »üppige Verlorenheit«, »klagend sehnsüchtig« und »Schmuck« für das Seitenthema, sowie kontrastierend, »sicher« und »kernig« für das Hauptthema. In der Besprechung von Wagners Programmtext zur Sinfonie Eroica werde ich kurz auf Wagners Gebrauch von Gender-Kategorien eingehen. Auffallend ist auch hier, dass Wagners äußerst schematische und m. E. als misogyn zu bezeichnende Geschlechterzuordnungen eine große Rolle auch in dieser Interpretation der 7. Sinfonie spielen. Festzuhalten bleibt zunächst, dass Wagner bei dieser Thematisierung der A-Dur-Sinfonie in einem nicht-fiktionalen Text das musikalische Werk und konkrete Teile von ihm mit Hilfe von poetischen und rhetorischen Stilmitteln wie Metaphern, 303 Virgil C. Aldrich: »Visuelle Metapher.« In: Anselm Haverkamp (Hrsg.): Theorie der Metapher. Darmstadt 1983, S. 142 – 162, hier S. 146. 304 DS, Bd. 6, S. 66. 305 Vgl.: Arthur Henkel u. a.: Emblemata: Handbuch zur Sinnbildkunst des XVI. und XVII. Jahrhunderts. Stuttgart 1967, hier S. 220 f. Das Bild von der Eiche, um die sich Efeu rankt, ist in der Emblematik allerdings ein negatives: der Efeu tötet die Eiche, an der er wächst, und wird so zum Symbol der Undankbarkeit: Ebd., S. 275 ff.

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Vergleichen und Personifizierungen beschreibt und somit Beethovens Musik einen semantischen Gehalt zuschreibt, der in Sprache ausgedrückt werden kann.

2.3.2 Die Sinfonie Eroica in Wagners Schriften 2.3.2.1 Die Sinfonie Eroica in »Ein glücklicher Abend« Die vorletzte Stufe des Dialogs der beiden Freunde in »Ein glücklicher Abend« wird vom Ich-Erzähler eingeleitet; hier steht das zweite, für die Novelle zentrale Werk Beethovens im Vordergrund: Die Sinfonie Nr. 3. Zunächst rekurriert der Ich-Erzähler auf die produktionsästhetische Seite der Sinfonie: Er thematisiert die Möglichkeit, dass Beethoven seine Sinfonien »nach einer gewissen philosophischen Idee« verfasst habe. Dieses Konzept erscheint als Programmusik auf einer anderen Stufe, es setzt voraus, dass eine musikalische Komposition ebenfalls durch Außermusikalisches bestimmt wird. Der Ich-Erzähler führt als Beispiel die Sinfonie Eroica an, und meint, seine These durch die ursprüngliche Betitelung des Werks mit »Bonaparte« zu belegen. An dieser Stelle der Novelle wird, wie bereits zuvor, auf eine zeitgenössische Beethoveninterpretation verwiesen. Es handelt sich um einen Deutungsansatz, den vor allem der Musikkritiker und Musikwissenschaftler Adolf Bernhard Marx vertrat. Dieser hatte in der Berliner Allgemeinen Musikalischen Zeitung mehrere Aufsätze publiziert, in denen er Ausführungen zu Beethovens ›Idee‹ darlegte.306 Der Ich-Erzähler ist überzeugt davon, dass der Zusatztitel »Bonaparte« darauf hinweise, »›daß Beethoven durch eine außer dem Bereiche der Musik liegende Idee begeistert und zu dem Plan dieses Riesenwerkes bestimmt worden sei«307. Der Freund jedoch widerspricht: »›Sage mir, liegt die Idee einer heldenmütigen Kraft, die mit gigantischem Ungestüm nach dem Höchsten greift, außer dem Bereiche der Musik?‹«308 Mit größtem Nachdruck führt R. nun aus, dass die Sinfonie Eroica in keinem Falle auf konkrete äußere Ereignisse bzw. Ereignisse aus der Lebensgeschichte Napoleons hinweise, oder durch diese zu entschlüsseln sei. Er weist den Status einer Gelegenheitskomposition für das Werk zurück. Über die Sinfonie äußert er Folgendes: »›[…] sage mir wo, in welcher Stelle dieser Komposition findest du einen Zug, von dem man mit Recht annehmen könne, der Komponist habe in ihm irgendeinen speziellen Moment der Heldenlaufbahn des jugendlichen Feldherrn bezeichnen wollen? Was soll 306 Vgl. hierzu: Klaus Kropfinger : Wagner und Beethoven. Untersuchungen zur Beethoven-Rezeption Richard Wagners. Regensburg 1975. (= Studien zur Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts. Bd. 29). S. 57. 307 DS, Bd. 5, S. 148. 308 Ebd.

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der Trauermarsch, das Scherzo mit den Jagdhörnern, das Finale mit dem weichen, empfindungsvoll eingewebten Andante? Wo ist die Brücke von Lodi, wo die Schlacht bei Arcole, wo der Marsch nach Leoben, wo der Sieg bei den Pyramiden, und wo der 18. Brumaire?‹«309

R. erläutert nun seine Ansicht über die Entstehung der Sinfonie Eroica, und diese Ausführungen bilden gleichzeitig den Endpunkt der Debatte und diejenige musikästhetische Überzeugung, die am Ende der Novelle bestehen kann. Ein Musiker, so führt R. aus, komponiere, indem er durch eine Empfindung oder Stimmung angeregt werde. Diese Gefühle könnten entweder durch ein Erlebnis in der Realität erzeugt werden oder rein aus dem Inneren stammen. Wichtig ist hier besonders, dass R… betont, diese Empfindungen seien auch vor ihrer Niederschrift als musikalisches Werk durch den Komponisten immer nur als Töne vorhanden. Sprache und Bildlichkeit als Vorstufen der Musik werden konsequent ausgeklammert. Wenn der Musiker erschafft, ist er nicht durch das reale Ereignis, sondern bereits durch die in Tönen existierende Empfindung beeinflusst. Die 3. Sinfonie Beethovens wird also als ein »gigantisches Denkmal der Kunst«310 – und nicht Napoleons – beschrieben. Der Ich-Erzähler stimmt dem zu und fasst abschließend zusammen: »›Das, was die Musik ausspricht, ist ewig, unendlich und ideal; sie spricht nicht die Leidenschaft, die Liebe, die Sehnsucht dieses oder jenes Individuums in dieser oder jener Lage aus, sondern die Leidenschaft, die Liebe, die Sehnsucht selbst, und zwar in den unendlich mannigfaltigen Motivierungen, die in der ausschließlichen Eigentümlichkeit der Musik begründet liegen, jeder andern Sprache aber fremd und unausdrückbar sind.‹«311

Der Dialog der beiden Figuren, der hauptsächlich Beethovens 7. Sinfonie und die Sinfonie Eroica zum Gegenstand hatte, führt also schließlich zu einer expliziten Formulierung dessen, was in der Forschung lange als die einzig romantische Musikästhetik klassifiziert worden ist: Die These, dass die romantische Musik ›absolut‹, begriffslos und gegenstandslos sei.312 Genauer betrachtet steht allerdings nicht im Vordergrund, dass die Musik nicht Bestimmbares ausdrücken 309 310 311 312

Ebd. Ebd., S. 150. Ebd., S. 151. Beispielsweise Ulrich Tadday kritisiert die Einseitigkeit der These von der romantischen Musikästhetik als einer Ästhetik der ›absoluten‹ Musik und betont, dass um 1800 ein sehr viel differenzierter musikästhetischer Diskurs geführt worden sei. Carl Dahlhaus habe die Vorstellung von der romantischen ›absoluten‹ Musik zu einem Jahrzehnte überdauernden musikwissenschaftlichen Forschungsparadigma gemacht. Vgl. hierzu: Ulrich Tadday : Das schöne Unendliche. Ästhetik, Kritik, Geschichte der romantischen Musikanschauung. Stuttgart, Weimar 1999, S. 1 f.

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dürfe, sondern die Forderung nach der Autonomie des musikalischen Werkes313, also seiner Unabhängigkeit von Vorgaben und Anregungen aus der realen Welt. Auch dies ist eine Forderung, die eng zur musikalischen Romantik gehört, aber nach Dahlhaus gleichzeitig auf die klassische Musikästhetik rückverweist. Die Frage nach dem Ausdruck verbindet produktions-, wirkungs- und rezeptionsästhetische Aspekte miteinander ; der Komponist erschafft bei der Komposition der Musik nur aus Klängen und Tönen heraus, die im Sinne des Autors ›ideale‹ Musik drückt etwas Nicht-Konkretes, Poetisches aus, das wiederum beim Hörer individuelle Empfindungen bewirken soll. Ob dieser die Musik allerdings auf eine einschränkende, ›inadäquate‹ Weise rezipiert, liegt jenseits der Kontrolle des Komponisten. 2.3.2.2 Die Sinfonie Eroica in Wagners »Beethovens ›heroische Symphonie‹« Wie die 7. Sinfonie hat Wagner auch die Sinfonie Eroica im Rahmen programmatischer Erläuterungen zum Gegenstand eines nichtliterarischen Texts gemacht. »Beethovens ›heroische Symphonie‹« von 1851 weist einige Parallelen zu der Darstellung des Werks in »Ein glücklicher Abend« auf. Gleich zu Beginn betont Wagner seine Abneigung dagegen, dass man diese Sinfonie als Programmusik versteht, was wiederum eine Kritik am unzulänglichen Hörer beinhaltet. »Diese höchst bedeutsame Tondichtung […] ist in vielen Beziehungen nicht so leicht zu verstehen, als es ihre Benennung vermuten ließe, und zwar gerade weil der Titel ›heroische Symphonie‹ unwillkürlich verleitet, eine Folge heldenhafter Beziehungen in einem gewissen historisch dramatischen Sinne durch Tonbildungen dargestellt sehen zu wollen.«314

Der Autor lehnt die Vorstellung, die Sinfonie sei auf einen bestimmten Menschen, in diesem Falle einen historisch identifizierbaren militärischen ›Helden‹, bezogen, ab, und führt aus: »Begreifen wir unter ›Held‹ überhaupt den ganzen, vollen Menschen, dem alle rein menschlichen Empfindungen – der Liebe, des Schmerzes und der Kraft – nach höchster Fülle und Stärke zu eigen sind, so erfassen wir den richtigen Gegenstand, den der Künstler in den ergreifend sprechenden Tönen seines Werkes sich uns mitteilen läßt.«315 313 Entsprechend formuliert Carl Dahlhaus: »Das Autonomieprinzip ist ein Gedanke, der die klassische Musikästhetik von Karl Philipp Moritz über Kant bis zu Michaelis mit der Romantik Ludwig Tiecks und E.T.A. Hoffmanns und schließlich sogar dem Positivismus Eduard Hanslicks verklammert.« Carl Dahlhaus: Klassische und romantische Musikästhetik. Laaber 1988, S. 18. 314 DS, Bd. 9, S. 29. 315 Ebd.

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Diese Argumentationslinie, die von der Mimesis des Realen in der Musik zu der (romantischen) Darstellung von ›idealen‹ und absoluten Gefühlen und Eigenschaften führen will, korrespondiert mit dem Gespräch der beiden Freunde über die Sinfonie Eroica in »Ein glücklicher Abend«. »›Sage mir, liegt die Idee einer heldenmütigen Kraft, die mit gigantischem Ungestüm nach dem Höchsten greift, außer dem Bereiche der Musik?‹«, fragt R. in rhetorischer Weise den Freund. Der Text »Beethovens ›heroische Symphonie‹« fährt nach der Einleitung, die die historische Interpretation der Sinfonie explizit verwirft, mit einer deutenden, sehr bildhaften Beschreibung des Werkes fort, die alle Sätze der Reihe nach bespricht. Das hauptsächliche Paradigma dieser Beschreibung sind verschiedene Empfindungen, die laut Wagner durch die Musik dargestellt werden: »Der erste Satz umfasst, wie in einem glühenden Brennpunkte, alle Empfindungen einer reichen menschlichen Natur im rastlosesten, jugendlich tätigsten Affekte. Wonne und Wehe, Lust und Leid, Anmut und Wehmut, Sinnen und Sehnen, Schmachten und Schwelgen, Kühnheit, Trotz und ein unbändiges Selbstgefühl […]«316.

Als Zentrum dieser Empfindungen wird eine »Hauptfähigkeit«317 gesehen, »die Kraft«318. Der zweite Satz stellt die durch die Kraft herbeigeführte tragische Katastrophe in ihrer Traurigkeit dar, und die Wechselwirkung des Schmerzes mit der neu erwachten Kraft. »Die Kraft, der – durch den eignen tiefen Schmerz gebändigt – der vernichtende Übermut genommen ist, zeigt uns der dritte Satz nun in ihrer mutigen Heiterkeit.«319 Wagner entwirft zusätzlich das Bild eines Menschen, der froh durch die Natur wandert und das Jagdhorn bläst. Sowohl den leidenden als auch den frohen und heiteren Menschen zeigt der letzte Satz. Hier sei der Mensch harmonisch mit sich selbst einig geworden, und fasse alle vorherigen Empfindungen in sich zusammen. Er zeige sich »in wohltuender, plastischer Gestalt«320. Diese Gestalt stelle Beethoven in einem einfachen Thema vor Augen. »Um dieses Thema, welches wir als die feste männliche Individualität betrachten können, winden und schmiegen sich vom Anfange des Satzes herein all die zarteren und weicheren Empfindungen, die sich bis zur Kundgebung des reinen weiblichen Elementes entwickeln, welches endlich an dem – durch das ganze Tonstück energisch dahinschreitenden – männlichen Hauptthema in immer gesteigerter mannigfaltiger Teilnahme sich als die überwältigende Macht der Liebe offenbart.«321 316 317 318 319 320 321

Ebd., S. 30. Ebd. Ebd. Ebd., S. 31. Ebd., S. 32. Ebd.

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Auffällig ist, dass in dieser Werkbeschreibung neben dem Paradigma der Empfindungen auch die Gestalt eines Menschen vor Augen geführt wird, den man in der Natur jagen und wandern sieht, und der zudem als »plastisch« (!) bezeichnet wird. Ebenso fällt hier der starke Gebrauch von Gender-Kategorien ins Auge, bzw. die Zuordnung des Hauptthemas zu den Attributen »fest« und »männlich« und die der Seitenthemen zur ›Kategorie‹ »weiblich«. Dies spielt einerseits eine Rolle in diesem Text, andererseits wird derjenige ›heroische Mensch‹, der die beschriebene Entwicklung zum ›ganzen Menschen‹ vollzieht, durchweg als männlich bestimmt. Der wichtigste Affekt, der seine Entwicklung vorantreibt und ihn ›begleitet‹, ist allerdings die Liebe. Diese wird wiederum typischerweise als weiblich konnotiert. Dies korrespondiert mit Wagners allgemeinem Verständnis der Geschlechter, wie es sich in den Opern und den theoretischen Schriften zeigt. Hier steht die Frau sehr häufig für die Prinzipien der Liebe und Hingabe, wobei Wagner diese zum ›eigentlichen Wesen‹ der Frau stilisiert.322 Die Interpretationsprinzipien des ›Seelengemäldes‹ und des ›Lebensbildes‹ werden hier miteinander verbunden. Aber auch in diesem Text fehlt, wie in der Novelle »Ein glücklicher Abend« nicht die ausdrücklich erwähnte Skepsis gegenüber der Sprache. Der Aufsatz über Beethovens Werk wird, an der wirkungsvollen Stelle des letzten Satzes durch seinen Autor selbst in seiner Leistungsfähigkeit relativiert: »Nur in des Meisters Tonsprache war aber das Unaussprechliche kundzutun, was das Wort hier eben nur in höchster Befangenheit andeuten konnte.«323 Dies korrespondiert mit R.s Feststellung in »Ein glücklicher Abend«: »›Es bleibt ein für allemal wahr : da wo die menschliche Sprache aufhört, fängt die Musik an‹«324, und bestätigt die Intention Wagners, am romantischen Unsagbarkeitstopos festzuhalten. Allerdings trägt diese Bekräftigung am Ende von »Beethovens ›heroische Symphonie‹« deutlich mehr zum per se paradoxen Charakter des Textes bei, als es in »Ein glücklicher Abend« der Fall ist. Wie ich später noch genauer ausführen werde, liegt in »Ein glücklicher Abend« eine direkte, unmittelbare Beschreibung der Musik Beethovens selbst nicht vor. Das Gegenteil ist in Wagners Aufsatz zur Sinfonie Eroica der Fall: Wagners Annäherung an die Musik in der Sprache erfolgt hier nicht mittelbar, durch die Darstellung und Diskussion von Empfindungen beim Hören der Musik, sondern versucht eine Interpretation, die das Werk selbst in Bilder und Empfindungen ›übersetzt‹. Sowohl Interpretationsparadigmen wie das ›Seelengemälde‹, das durch den Bezug auf Affekte und Empfindungen noch dem 322 Vgl. Susanne Vill (Hrsg.): ›Das Weib der Zukunft‹. Frauengestalten und Frauenstimmen bei Richard Wagner. Stuttgart 2000. (= M&P-Schriftenreihe für Wissenschaft und Forschung: Musik), hier besonders den gleichnamigen Aufsatz von Susanne Vill. (S. 6 – 34). 323 Ebd. 324 DS, Bd. 5, S. 142.

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18. Jahrhundert anzugehören scheint, als auch das im 19. Jahrhundert wichtige ›Lebensbild‹ – zu finden in den Beschreibungen des »frohen Menschen«, der durch die Natur schreitet u. a. – spielen eine Rolle. Es wird nicht, wie es noch bei beispielsweise in E.T.A. Hoffmanns Interpretation der Fall ist, auf musikalische Motive, Themen, harmonische Strukturen und andere musikimmanente Aspekte eingegangen: Wagners Aufsatz verzichtet fast vollständig auf die Beschreibung von technischen Details. Wie Thomas Grey in einem Aufsatz zum Metapherngebrauch in der Musikkritik bemerkt, schließt Wagner sich mit dieser Art der Musikbesprechung einer bestimmten Gruppe von Kritikern im 19. Jahrhundert an, die bewusst von einer Vielzahl von technischen Details in ihren Texten absehen. Gerade die ambitionierteren, ernstzunehmenden Besprechungen seien zu dieser Zeit metaphorisch aufgeladen, während rein hinweisende Kritiken sich auf musikinterne, technische Analysen beschränken.325 »Broadly speaking«, so Grey im Folgenden, »one can identify two predominant metaphorical modes in musical criticism since the late eighteenth century : a visual mode and a verbal, or more specifically, narrative mode.«326 Die Paradigmen, die in den entsprechenden Interpretationen der Musik zugrundegelegt würden, seien also entweder »events« oder »images«. Der Komposition wird im bildlichen oder narrativen Modus ein Vorgang zugeschrieben, der zu einem bestimmten Ziel führt.327 Eine grundlegende Idee kann im Modus der Erzählung, der Narrativität dargestellt und entwickelt werden: Dies ist der Fall, wenn Wagner in seiner Beschreibung der Sinfonie Eroica einen Menschen darstellt, der nicht nur verschiedene Gefühlszustände durchlebt, sondern auch durch verschiedene Phasen des Lebens geht. Das Ziel dieses Prozesses ist es offensichtlich, der »ganze, volle Mensch«328 zu werden, den der Autor im letzten Satz der Sinfonie gezeichnet sieht. Die Vorstellung des »ganzen Menschen« weist wiederum auf Gedankengänge des 18. Jahrhunderts zurück. In der anthropologischen, literarischen und naturwissenschaftlichen Diskussion dieser Zeit wird das Zusammenspiel der verschiedenen Vermögen des Menschen propagiert und die Literatur ist ein Beispiel für ein Medium, das den ›ganzen Menschen‹ zeigt oder seine Ausbildung fördert.329 Der narrative Modus übt eine wachsende Faszination auf die Musikkritik des 19. Jahrhunderts aus, und be325 Vgl.: Thomas Grey : »Metaphorical modes in nineteenth-century music criticism: image, narrative, and idea.« In: Steven Paul Scher (Hrsg.): Music and text: critical inquiries. Cambridge u. a. 1992, S. 93 – 117, hier S. 94 f. 326 Ebd., S. 94. 327 Ebd., S. 96. 328 DS, Bd. 9, S. 31. 329 Siehe zu diesem Thema beispielsweise: Hans-Jürgen Schings (Hrsg.): Der ganze Mensch. Anthropologie und Literatur im 18. Jahrhundert. DFG-Symposion 1992. Stuttgart, Weimar 1994. (= Germanistische Symposien. Berichtsbände. Hrsg. von Wilfried Barner. Bd. 15).

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sonders Beethovens Werke haben die metaphorische Interpretation wie auch, wie oben im Zusammenhang mit A.B. Marx erwähnt wurde, die Vorstellung einer grundlegenden Idee im musikalischen Werk herausgefordert. Die Kategorie ›Idee‹ konnte sowohl den visuellen als auch den narrativen Modus der Metapher in sich aufnehmen330 : »Metaphorical interpretation of music, whether couched in terms of images or of actions, aimed to reveal the ›idea‹, the true spiritual-intellectual essence of which the ›sounding forms‹ of a composition were understood as the immediate sensual manifestation.«331

Im Unterschied zu Wagners Novelle »Ein glücklicher Abend« ist in »Beethovens ›heroische Symphonie‹« eine zwar nicht an der technischen Faktur, aber doch eng am musikalischen Verlauf des Werks orientierte, und in Greys Sinn332 metaphorische Interpretation gegeben. Als ›Grundidee‹, die diese Interpretation in Beethovens 3. Sinfonie feststellt, kann ›die Kraft‹ genannt werden: »Doch gehen alle diese Empfindungen von einer Hauptfähigkeit aus, und diese ist die Kraft.«333 Dieser Begriff wird oft in personalisierender, fast allegorisierender Weise gebraucht: »Die Kraft, der – durch den eignen tiefen Schmerz gebändigt – der vernichtende Übermut genommen ist, zeigt uns der dritte Satz nun in ihrer mutigen Heiterkeit.«334, oder »Diese Kraft […] ballt sich – gegen die Mitte des Satzes – bis zu vernichtender Gewalt zusammen[ …]«335. Die Grundidee der Kraft, in Verbindung mit den »rein menschlichen Empfindungen«336 wird bei Wagner vom individuellen Verständnis des ›Heroischen‹ abgeleitet. Der Begriff der Kraft spielt bereits im 18. Jahrhundert eine große Rolle, und wird auch im Zusammenhang mit einem Bildungsideal gebraucht: Um die Fähigkeiten, die in ihm vorgeprägt sind, entfalten zu können, benötigt der Mensch Kraft. Bei Schopenhauer hängt die Kraft als »effort voulu«337 eng zusammen mit dem Willen, ebenso bei Nietzsche, der die Kraft als gemeinsam mit dem Willen zur Macht begreift.338 In diesem Text Wagners steht die Kraft in engem Zusammenhang mit der Liebe und der persönlichen Entfaltung des Menschen. In der Nachzeichnung des Verlaufs der Sinfonie Eroica, die der Autor im 330 Grey [Anm. 325], S. 98. 331 Ebd. 332 Greys Verständnis der Metapher ist in diesem Fall recht weit gefasst und soll an dieser Stelle von dem Gebrauch von z. B. Paul Ricoeurs Metapherntheorie u. a. abgegrenzt werden. 333 DS, Bd. 9, S. 30. 334 Ebd., S. 31. 335 Ebd., S. 30. 336 Ebd., S. 29. 337 Zit nach: »Kraft«. In: Joachim Ritter (Hrsg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie. Bd. 4, S. 1177. 338 Ebd., S. 1183.

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Zeichen der Grundidee des ›Heroischen‹ vornimmt, spielen sowohl visuelle als auch narrative Strategien eine Rolle. Einerseits zeigt der Text Bilder des heroischen Menschen, andererseits wird eine dialektisch verlaufende Entwicklung des Menschen in einem individuellen, abstrakt gefassten emotionalen Prozess gezeigt, eine durch die Liebe angetriebenen Metamorphose, die mit dem Zustand des ›ganzen‹ Menschen‹ in seiner »Göttlichkeit« endet.339 »[T]emporal, processive, and teleological characteristics«340 sind es nach Grey, die Musik und Narration miteinander verbinden.

2.3.3 Beethovens 9. Sinfonie in Wagners Schriften 2.3.3.1 Die 9. Sinfonie in »Eine Pilgerfahrt zu Beethoven« Mit dem Erzähltext »Eine Pilgerfahrt zu Beethoven« beginnt der Zyklus »Ein deutscher Musiker in Paris«. Er ist derjenige, der seine Fokussierung auf Beethovens Person und Werk bereits explizit im Titel deutlich macht. Die Erzählung ist in mehreren Folgen in der Revue et Gazette Musicale erschienen und deutlich länger als »Ein glücklicher Abend.« Im Gegensatz zu »Ein glücklicher Abend« ist »Eine Pilgerfahrt zu Beethoven« stärker handlungsorientiert und auf die Unterhaltung des Lesers bedacht. Sie handelt von der Reise eines deutschen verarmten Musikers zu seinem verehrten Vorbild Beethoven nach Wien sowie von dem Dialog, den die beiden schließlich führen. Diese Reise wird ausführlich und auf oft burleske Weise als ein zeitraubender Kampf mit den verschiedensten Widrigkeiten geschildert – allen voran gibt es einen aufdringlichen, als Amateur musizierenden Engländer, der Beethoven wie einem interessanten Kuriosum nachjagt und dem die ›deutsche Innerlichkeit‹ und das ›echte (romantische) Musikertum‹ ganz offensichtlich völlig abgeht. Der Veröffentlichung in Folgen kamen das Spannungsmoment der Frage, ob es dem deutschen Musiker gelingen wird, Beethoven zu treffen, und die grotesk-unterhaltsamen Aspekte vermutlich sehr entgegen.341 339 Es lässt sich vermuten, dass auch diese Verbindung von Anthropologie mit ›Göttlichkeit‹ hier auf das 18. Jahrhundert und das Menschenbild des Sturm und Drang bzw. seine Genieästhetik verweist. 340 Thomas Grey [Anm. 325], S. 96. 341 Die französische, in Paris zuerst veröffentlichte Fassung unterscheidet sich nicht wesentlich von der deutschen. Im die Erzählung einleitenden Gebet an die »Not und Sorge«, die »Schutzgöttin des deutschen Musikers« (DS, Bd. 5, S. 86), fehlt der direkt folgende Halbsatz »[…] falls er nicht etwa Kapellmeister eines Hoftheaters geworden ist […]« (Ebd.). Ebenso fehlt im weiteren Verlauf der ›Anrufung‹ an die Schutzgöttin die Passage: »Zum wenigsten bitte ich dich, ganz besonders unsere politischen Schwärmer zu plagen, die Wahnsinnigen, die Deutschland mit aller Gewalt unter ein Zepter vereinigen wollen: – es würde ja dann nur ein einziges Hoftheater, somit nur eine einzige Kapellmeisterstelle geben! Was sollte dann

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Es werden im Erzählverlauf der »Pilgerfahrt« sowohl das »große Septuor« von Beethoven als auch seine Oper Fidelio erwähnt. Obwohl die Begegnung des Ich-Erzählers mit den beiden Werken – einmal als aktiver Musiker, zusammen mit Straßenmusikanten, die er auf seiner Reise trifft, einmal als Zuhörer in der Wiener Oper – die den gesamten Text offensiv prägende Beethovenverehrung unterstreicht, wird doch nicht näher auf die Werke selbst eingegangen. Den Höhepunkt der Erzählung bildet schließlich die Begegnung des Ich-Erzählers mit Beethoven in dessen Wohnung und das Gespräch, das sich entwickelt, nachdem sie den reisenden Engländer verabschiedet haben.342 Zunächst spreaus meinen Aussichten, aus meinen einzigen Hoffnungen werden, die schon jetzt nur bleich und matt vor mir schweben, jetzt – wo es doch der deutschen Hoftheater so viele gibt? – Jedoch – ich sehe, ich werde frevelhaft.« (Ebd., S. 87). Auf das das Gebet abschließende »Amen« folgt in der französischen Fassung der Satz: »L’ [unleserlich] de cette priÀre quotidienne doit vous dire que je suis musicien et que l’Allemagne est ma patrie.« In: »Une visite — Beethoven, ¦pisode de la vie d’un musicien allemand«. In: Revue et Gazette Musicale, 19., 22., 29.11. und 3. 12. 1840. Im Weiteren fehlt in der französischen Fassung die direkt darauf folgende deutsche Passage: »….also auch nicht die Aufzeichnung meiner Pilgerfahrt zu Beethoven. Für den Fall, daß dieses wichtige Aktenstück nach meinem Tode veröffentlicht werden dürfte, halte ich es aber auch noch für nötig, zu sagen, wer ich bin, weil ohne dies vielleicht vieles darin unverständlich bleiben könnte. Wisset daher, Welt und Testaments-Vollstrecker! Eine mittelmäßige Stadt des mittleren Deutschlands ist meine Vaterstadt.« (DS, Bd. 5, S. 87). Der Ich-Erzähler hört in Wien die berühmte Sängerin Wilhelmine Schröder-Devrient in Beethovens Fidelio die Rolle der Leonore singen. Dem Satz »Sie nannte sich Wilhelmine Schröder« (Ebd., S. 102) folgt in der französischen Fassung der erläuternde Satz: »Qui ne connait aujourd’hui la r¦putation europ¦enne de la cantatrice qui porte maintenant le double nom de Schroeder-Devrient?« (»Une visite — Beethoven«, s. o.). Im Gespräch R…s mit Beethoven fehlt zudem der folgende Satz: »›Ich glaube wohl‹, – erwiderte Beethoven, – ›daß meine Kompositionen im nördlichen Deutschland mehr ansprechen.‹« (DS, Bd. 5, S. 106). Beethovens Bemerkung im Verlauf des Gesprächs »›Wer es sich darum zu tun sein lassen muß, Frauenzimmern mit passabler Stimme allerlei bunten Tand anzupassen, durch den sie bravi und Händeklatschen bekommen, der sollte Pariser Frauenschneider werden, aber nicht dramatischer Komponist‹« (ebd., S. 107) wird übersetzt mit: »›Quand on consent — adapter au timbre de voix d’ une actrice de ses mis¦rables colifichets destin¦e a lui procurer les bravos fr¦n¦tiques d’un parterre frivole, on est digne d’Þtre rang¦e dans la classe des coiffeurs ou des fabricants des corsets, mais il ne faut pas aspirer au titre de compositeur.‹« (»Une visite — Beethoven«, S. 592). Die französische Fassung ist also darum bemüht, allzu detaillierte Anspielungen auf die deutsche Politik zum besseren Verständnis der Pariser Leser zu eliminieren, deutsche Künstler, wie im Fall von Wilhelmine Schröder, noch einmal vorzustellen, sowie antifranzösische Äußerungen zu entfernen. Es geht hauptsächlich darum, diejenigen Merkmale im Text, die dessen Zugehörigkeit und Verortung in der deutschen Kultur allzu deutlich herausstellen, zu glätten und ihn für die französische Leserschaft kompatibel zu machen. 342 Wagner bezieht sich hier auf die Erinnerungen Johann Friedrich Reichardts (vgl. Ulrich Müller / Peter Wapnewski (Hgg.): Richard-Wagner-Handbuch. Stuttgart 1986, S. 479), der auf einer seiner Reisen Beethoven in Wien besuchte. »Auch den braven Beethoven hab ich endlich ausgefragt und besucht. Man kümmert sich hier so wenig um ihn, daß mir niemand seine Wohnung zu sagen wußte, und es mir wirklich recht viel Mühe kostete, ihn auszufragen. Endlich fand ich ihn in einer großen, wüsten, einsamen Wohnung. Er sah anfänglich so finster aus, wie seine Wohnung, erheiterte sich aber bald, schien ebensowohl Freude zu

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chen die beiden Musiker über den »Fidelio« und dessen Rezeption in Wien. Dies führt zu einer vermutlich auf die französische und italienische Oper gemünzten Kritik am gegenwärtigen Musiktheater. Die Rede vom »wahre[n] musikalische[n] Drama«343 wird Beethoven in den Mund gelegt sowie der Satz: »›Wer ein wahres musikalisches Drama machte, würde für einen Narren angesehen werden, und wäre es auch in der Tat, wenn er so etwas nicht für sich selbst behielte, sondern es vor die Leute bringen wollte.‹«344 Auf die Frage, wie man es machen müsste, um ein ideales musikalisches Drama zu schreiben, verweist Beethoven auf Shakespeare. Im Folgenden geht es um die Gattung der Vokalmusik und ihre, wenn ernst genommen, Gleichwertigkeit im Vergleich mit der Instrumentalmusik. Die menschliche Stimme, so heißt es im Dialog, sei den Instrumenten des Orchesters überlegen. Die Instrumentalmusik und die Vokalmusik werden einander gegenübergestellt und im Hinblick auf ihre Kombination verschiedenen Sphären zugeordnet: Die Instrumente repräsentierten die Schöpfung und die Natur, die Stimme das menschliche Herz und dessen Empfindungen. Es folgt die Forderung nach einer Synthese: »›Man bringe nun diese beiden Elemente zusammen, man vereinige sie! Man stelle den wilden, in das Unendliche hinausschweifenden Urgefühlen, repräsentiert von den Instrumenten, die klare, bestimmte Empfindung des menschlichen Herzens entgegen, repräsentiert von der Menschenstimme.‹«345

Das Gespräch kommt nun auf das Problem der Sprache, die notwendigerweise zur Vokalmusik gehört. »›Wer aber wäre imstande, die Poesie in Worte zu fassen, die einer solchen Vereinigung aller Elemente zu Grunde liegen würde?‹«, so Beethovens Zweifel im Gespräch, und sofort wird die Sprachskepsis im romantischen Sinne bekräftigt: die Dichtung müsse zurückstehen, sie sei im intermedialen Vergleich zu schwach. Vor diesem Hintergrund, nach diesem Verlauf des Gesprächs, kommt für einen kurzen Abschnitt Beethovens 9. Sinfonie zur Sprache, und der Autor legt einen Kommentar zu diesem Werk der Figur Beethoven selbst in den Mund: »›Sie werden bald eine neue Komposition von mir kennenlernen, die Sie an das erinnern wird, worüber ich mich jetzt ausließ. Es ist dies eine Symphonie mit Chören. Ich mache Sie darauf aufmerksam, wie schwer es mir dabei ward, dem Übelstand der haben, mich wieder zu sehen, als ich an ihm herzliche Freude hatte; äußerte sich auch über manches, was mir zu wissen nötig war, sehr bieder und herzig. Es ist eine kräftige Natur, dem Äußeren nach zyklopenartig, aber doch recht innig, herzig und gut.« In: Johann Friedrich Reichardt: Vertraute Briefe geschrieben auf einer Reise nach Wien und den Österreichischen Staaten zu Ende des Jahres 1808 und zu Anfang 1809. Eingeleitet und erläutert von Gustav Gugitz. München 1915. Bd. 1, S. 124. 343 DS, Bd. 5, S. 107. 344 Ebd. 345 Ebd., S. 108 f.

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Unzulänglichkeit der zu Hilfe gerufenen Dichtkunst abzuhelfen. Ich habe mich endlich entschlossen, die schöne Hymne unseres Schillers ›an die Freude‹ zu benützen; es ist diese jedenfalls eine edle und erhebende Dichtung, wenn auch weit entfernt davon, das auszusprechen, was allerdings in diesem Falle keine Verse der Welt aussprechen können.‹«346

Der Erzähler drückt seine Begeisterung darüber aus, dass Beethoven selbst ihm das Verständnis der Sinfonie erschlossen habe, und bezeichnenderweise prognostiziert Beethoven im letzten Teil des Gesprächs, dass man ihn aufgrund dieses Werkes »,für verrückt halten‹«347 werde. Mit dieser, der Beethovenfigur in den Mund gelegten Aussage verweist der Autor Wagner noch einmal auf die kühne Modernität der 9. Sinfonie, und auf die einhergehende Kritik, die vermutlich von konservativer Seite zwangsläufig kommen muss. Es ist gut möglich, diese Problematik der mühsamen Durchsetzung des Modernen gerade beim späteren Beethoven parallel zu der vielfachen Anfeindung und / oder Missachtung von Wagners Opern zu sehen. Der Autor gibt hier m. E. eine Interpretation seiner (anfänglichen) Schwierigkeiten als Komponist vor, indem er diese als etwas, was ihn mit dem mittlerweile als ›genial‹ erinnerten Gründungsvater verbindet, legitimiert. Wieder kann man bei der vorliegenden Novelle in erster Näherung eher von einer Thematisierung als von einer detaillierten Beschreibung der genannten Werke sprechen. Die Aussagen, die die Figur Beethoven selbst über seine 9. Sinfonie macht, sind direkt angeschlossen an die ausführlichen musikästhetischen und theoretischen Erläuterungen zuvor. Der Notentext oder der musikalische Verlauf im Allgemeinen wird im Dialog der beiden Figuren nicht besprochen. Die Forschung ist sich einig darüber, dass das fiktive Gespräch, das der Ich-Erzähler348 mit Beethoven führt, dazu dient, die Position des Autors zum Musikdrama zu legitimieren. Im Zusammenhang damit, dass in autobiographischen Dokumenten Wagners das erste Erlebnis von Beethovens Sinfonien sorgfältig gestaltet wird, wie zu Beginn der Novelle ebenfalls, bemerkt Klaus Kropfinger : »In der Tat: Wagners Beethoven-Novelle ist der erste Schritt auf dem Weg zum bewußt gestalteten Mythos seiner selbst. Die im Erlebnis fixierte künstlerische Begeisterung wird damit gesteigert zum einmaligen Erlebnis; erst damit geriet Wagners erstes 346 Ebd., S. 109. 347 Ebd., S. 110. 348 Der Ich-Erzähler trägt eindeutig autobiographische Züge, vgl. Kühnel: »Die Novelle verarbeitet Erinnerungen Johann Friedrich Reichardts (Vertraute Briefe, geschrieben auf einer Reise nach Wien und den österreichischen Staaten zu Ende des Jahres 1808 und zu Anfang 1809), doch verweist »R.« aus »L…« ebenso auf Wagner selbst.« Jürgen Kühnel: »Wagners Schriften.« In: Ulrich Müller / Peter Wapnewski (Hgg.): Richard-Wagner-Handbuch. Stuttgart 1986, S. 471 – 588, hier S. 479.

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Beethovenerlebnis zu jenem Akt der Erleuchtung, der bis heute zu den Topoi der Wagnerliteratur zählt.«349

Wagner sieht sich offenbar selbst als Zielpunkt einer Traditionsreihe von Komponisten, zu denen in jedem Falle, wie an anderer Stelle in seinen Schriften deutlich wird, Mozart, Haydn und Beethoven gehören. Er nutzt die literarische Darstellung, die scheinbar Beethovens Musik gilt, um die eigene Theorie des Musikdramas zu rechtfertigen und sich selbst, in einer aufsteigend gedachten Reihung, als Beethovens Erbe zu stilisieren: »Wagners (erneute) Beschäftigung mit BEETHOVEN und seiner Symphonie Nr. 9 im Jahre 1840 wurde durch die Orchesterkonzerte des Pariser Conservatoires angeregt […] mit ihr gewann Wagners Theorie des musikalischen Dramas gegenüber den Schriften der Jahre 1834 – 39 eine Qualität. Im Schlußteil der Novelle wird eines dieser Axiome dieser Theorie BEETHOVEN selbst in den Mund gelegt: der Schlußsatz der Symphonie Nr. 9 als Anknüpfungspunkt für die Ausbildung des ›wahren musikalischen Dramas‹ (GSD I, 109) – Wagner als der Vollender BEETHOVENS. Das Zusammenwirken von symphonischer Musik und Gesang wird von dem Beethoven der Novelle, der in erster Linie Sprachrohr Wagners ist, im Sinne einer Synthese gedeutet, die überindividuelle ›Urgefühle‹ (repräsentiert durch die Instrumente) und ›individuelle Empfindung‹ (repräsentiert durch den menschlichen Gesang), das Allgemeine und das Besondere, die unendliche Natur und die menschliche Individualität in ihrer Begrenztheit auf einer höheren Ebene vereint […].«350

Noch kritischer analysiert Angelika Corbineau-Hoffmann: »Beethoven wird zum Kronzeugen jener Revolution des Musikdramas aufgerufen, die sich für Wagner bereits in der Neunten Symphonie mit ihrem Chorfinale ankündigte, aber erst auf der Opernbühne verwirklicht wurde«351 und schließt: »Es ist dem Autor nicht um eine Beethoven-Interpretation zu tun, sondern um die – letztlich postume – Vereinnahmung der Beethovenschen Musik […]. Beethoven spricht nicht für sich, sondern für Wagner ; damit akzentuiert der den historischen Hiatus, um nicht zu sagen: den Anachronismus, der in der fiktiven Begegnung zwischen Beethoven und Wagner aufbricht. Trotzdem: Aus dieser dyschronen Perspektive gewinnt die Analogie der beiden ›armen deutschen Musiker‹ im musikfeindlichen Ausland an narrativer Logik.«352

Wagner bemüht sich also bei der Thematisierung der 9. Sinfonie Beethovens in »Eine Pilgerfahrt zu Beethoven« eindeutig nicht um eine Darstellung der Musik, 349 Klaus Kropfinger [Anm. 306], S. 22. 350 Kühnel [Anm. 348], S. 480. 351 Angelika Corbineau-Hoffmann: Testament und Totenmaske. Der literarische Mythos des Ludwig van Beethoven. Hildesheim 2000. (= Spolia Berolinensia. Berliner Beiträge zur Geistes- und Kulturgeschichte des Mittelalters und der Neuzeit. Hrsg. von Wolfgang Maaz und Werner Röcke. Bd. 17). S. 213 f. 352 Ebd., S. 215.

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ebenso wenig geht er auf Details der Komposition ein. Beethoven wird als Figur und als Komponist zur Projektionsfläche des »armen deutschen Musikers«, als den Wagner sich auf unschwer zu erkennende autobiographische Weise modelliert. Beethovens Ansehen und sein beginnender Status als Kultfigur sowie sein, aus der Sicht der Zeitgenossen, ›ideales Musikertum‹ werden zum Legitimationsmedium für die musikalischen Zukunftspläne des Autors. Die Idee einer ›Nachfolgerschaft‹ und einer Inauguration durch den Meister selbst spielen eine wichtige Rolle, Wagner inszeniert seine Verehrung des mittlerweile der Vergangenheit angehörenden Komponisten Beethoven als persönliche Verbundenheit zweier ›Seelenverwandter‹. Laut Franke sieht Wagner Beethovens Sinfonik als »Musik des Übergangs«353 und als Schwelle zu einer neuen Verbindung von Dichtung und Musik. Hierbei impliziert die Akzeptanz, die dem Musiker R. durch Beethoven widerfährt, dass er ›würdig‹ ist, die Nachfolge anzutreten; die Abwertung des zwar reichen, aber dilettierenden Engländers zeigt deutlich das ›Erwähltsein‹ R.s, wobei sowohl die Nationalität, die Armut, die Verachtung des materiellen zugunsten des ›symbolischen Kapitals‹ als auch die Qualität als Komponist eine Rolle spielen. Die 9. Sinfonie wird als Synonym für den Anfang einer neuen musikgeschichtlichen Epoche gebraucht. Die Fiktionalität des vorliegenden Textes und das dramatische Gespräch, das er beinhaltet, erlaubt ihm die realiter nicht mögliche Beglaubigung der eigenen Musikeridentität und seiner Rolle als würdiger Nachfolger Beethovens durch Beethoven selbst. Die Interpretation Corbineau-Hoffmanns modifizierend, könnte man behaupten, dass auch dieses fiktive, inszenierte Gespräch zwischen dem jungen Musiker alias Wagners autobiographische Darstellung seiner selbst der Selbstverständigung und der Verfestigung seiner Position als Musiker dient, die noch ungesichert ist. Das imaginäre Gespräch mit einem bereits verstorbenen Vorgänger, das zu diesem Zwecke geführt wird, ist ein Topos der Literaturgeschichte, und gleichzeitig eine memoriale Geste des Ich-Erzählers gegenüber Beethoven. Durch dieses Gespräch verpflichtet sich der Erzähler / der Autor Wagner implizit, in der Nachfolge Beethovens zu komponieren – wobei selbstverständlich äußerst fragwürdig ist, ob der reale Komponist Wagner dies auch nur ansatzweise getan hat. Wichtiger ist hier die ausdrücklich erklärte Absicht, das Andenken Beethovens zu bewahren. Es ist allerdings nicht genau zu entscheiden, ob diese Inaugurationsszene wirklich eine Nachfolge begründen oder nicht vielmehr implizit den ›Vatermord‹ und den Wunsch nach Überbietung im Sinne Harold Blooms darstellen soll. Vielleicht kann man hier weder von einer 353 Rainer Franke: Richard Wagners Zürcher Kunstschriften. Politische und ästhetische Entwürfe auf seinem Weg zum ›Ring des Nibelungen‹. Hamburg 1983. (= Hamburger Beiträge zur Musikwissenschaft. Begründet von Georg von Dadelsen. Hrsg. von Constantin Floros. Bd. 26). S. 117.

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Nachfolge, noch von einem überbietenden ›Mord‹, sondern von einer Instrumentalisierung des großen Vorgängers durch den Autor und Musiker Wagner sprechen. 2.3.3.2 Beethovens 9. Sinfonie in Wagners ästhetischer Schrift »Das Kunstwerk der Zukunft« Im Essay »Das Kunstwerk der Zukunft« findet ebenfalls eine Thematisierung der 9. Sinfonie Beethovens statt. Nachdem der Autor die A-Dur-Sinfonie als »Apotheose des Tanzes« beschrieben hat, kehrt er zurück zur Metapher des Meeres, in das der Komponist Beethoven sich stürze: »Vom Ufer des Tanzes stürzte er sich abermals in jenes endlose Meer, aus dem er sich einst an dieses Ufer gerettet hatte, in das Meer unersättlichen Herzenssehnens.«354 Zu diesem Bild fügt der Autor das Bild des Schiffs, auf dem sich der Komponist zum Ziele seiner Fahrt bewege: zum »Land […], das jenseits der Wasserwüsten liegen mußte.«355 »So drang der Meister durch die unerhörtesten Möglichkeiten der absoluten Tonsprache, […]«356, fährt Wagner fort, und als Gegensatz zur »absoluten Tonsprache« [Kursivierung B.S.], als »neue[] Welt«357 wird im Folgenden nun »das Wort«358 eingeführt: »Rüstig warf er den Anker aus, und dieser Anker war das Wort. Dieses Wort war aber nicht jenes willkürliche, bedeutungslose, wie es im Munde des Modesängers eben nur als Knorpel des Stimmtones hin – und hergekäut wird; sondern das notwendige, allmächtige, allvereinende, in das der Strom der vollsten Herzensempfindung sich zu ergießen vermag; der sichere Hafen für den unstet Schweifenden; das Licht, das der Nacht unendlichen Sehnens leuchtet: das Wort, das der erlöste Weltmensch aus der Fülle des Weltherzens ausruft, das Beethoven als Krone auf die Spitze seiner Tonschöpfung setzte. Dieses Wort war : – ›Freude!‹ Und mit diesen Worten ruft er den Menschen zu: ›Seid umschlungen, Millionen! Diesen Kuß der ganzen Welt!‹ – Und dieses Wort wird die Sprache des Kunstwerkes der Zukunft sein.«359

Wagner bestimmt also hier die Sprache als das Ziel einer ›absoluten Musik‹, die sich weiterentwickelt und nach neuen Möglichkeiten sucht, und wertet das Wort ausdrücklich auf, das oft in der Vokalmusik – dies kann etwa, besonders durch die Verwendung des Ausdrucks »Modesänger[]«, als Anspielung auf die zeitgenössische französische Oper gelesen werden – nur als Vehikel für die Musik betrachtet wird. Das Wort bezeichnet der Autor als die Sprache des Kunstwerks 354 355 356 357 358 359

DS, Bd. 6, S. 67. Ebd. Ebd. Ebd., S. 68. Ebd. Ebd.

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der Zukunft, und definiert dieses wiederum als das »allgemeinsame Drama«, also eine Art Gesamtkunstwerk, in der die verschiedenen Künste sich vereinen. Beethoven wird auch hier zum Wegbereiter des Kunstwerks der Zukunft, eines neuen ›Gesamtkunstwerks‹ stilisiert: »Die letzte Symphonie Beethovens ist die Erlösung der Musik aus ihrem eigensten Elemente heraus zur allgemeinsamen Kunst. Sie ist das menschliche Evangelium der Kunst der Zukunft. Auf sie ist kein Fortschritt möglich, denn auf sie unmittelbar kann nur das vollendete Kunstwerk der Zukunft, das allgemeinsame Drama, folgen, zu dem Beethoven uns den künstlerischen Schlüssel geschmiedet hat.«360 Die Teleologie, die impliziert, dass nach Haydn, Mozart und Beethoven der Weg für den Autor selbst und seine Konzeption des Gesamtkunstwerks bereitet ist, wird auch hier vorgestellt. Im Unterschied zur Behandlung der 9. Sinfonie in der Novelle »Eine Pilgerfahrt zu Beethoven« arbeitet der Autor im vorliegenden Text mit Großmetaphern und Metaphernfeldern wie dem des Meeres. Er thematisiert den Prozess der Entstehung der Sinfonie auf bildhaft-symbolisierende Weise. Durch die Verwendung des Metaphernfelds ›Meer‹ werden, im Sinne der »Transaktion zwischen Kontexten«361 als traditionelle Aufgabe der Metapher, verschiedene Ebenen miteinander verknüpft. Durch die Versprachlichung der Musik bzw. der Kompositionsweise Beethovens wird, wie auch in den anderen hier besprochenen Texten Wagners, neben der Musik und der Sprache mit dem Bereich des Visuellen, der Bilder, implizit ein drittes Medium eingeführt. Das Meer steht hier für den romantischen Topos der Unendlichkeit der absoluten Tonsprache. Gleichermaßen romantisch bezeichnet Wagner es als den Ort des unendlichen Sehnens und der Suche. Das »Wort« wird einerseits als Anker konnotiert, andererseits mit der »Freude« verbunden. In der Fallanalyse von Wagners wichtigsten Schriften zu Beethovens Musik haben, grob vereinfacht, zwei Arten von Texten vorgelegen. Eine Besonderheit bilden die beiden Beethovenerzählungen »Ein glücklicher Abend« und »Eine Pilgerfahrt zu Beethoven«. Es finden sich in Wagners Programmschriften, Essays, musikästhetischen Abhandlungen usw. vielfach Passagen, in denen Beethovens Werk im Rahmen eines größeren Textes thematisiert wird. Einige Beispiele dafür habe ich in diesem Kapitel näher betrachtet. In den Texten »Ein glücklicher Abend« und der »Pilgerfahrt« bedient sich Wagner wie dargelegt, in manchen Aspekten der Gattung Novelle, die hier zum Ganzen eines Zyklus gehört. Die Anlehnung Wagners an kanonische literarische Vorbilder, hier an E.T.A. Hoffmanns Musikernovellen, ist bereits thematisiert worden362 ; Wagner erhebt als literarischer Autor entweder keinen Anspruch auf 360 DS, Bd. 6, S. 68. 361 Anselm Haverkamp (Hrsg.): Theorie der Metapher. Darmstadt 1983, S. 35. 362 Müller / Wapnewski [Anm. 342], S. 476.

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Progressivität und übermäßige Originalität – 1840, zum Erscheinungsdatum der Erzählungen, ist die romantische Musikernovelle E.T.A. Hoffmanns bereits einige Jahrzehnte alt – oder er knüpft mit Überzeugung und bewusst, mit dem Wunsch nach Fortführung und vielleicht Revision, an eine literarische Tradition an. Ich habe schon bei den Fallbeispielen angedeutet, dass sich die Verwendung von literarischen Strategien in Wagners Beethoventexten vereinfachend in zwei Arten unterteilen lässt. Einerseits wird bei »Ein glücklicher Abend« und »Eine Pilgerfahrt zu Beethoven« zumindest ansatzweise die literarische Gattung der Novelle verwendet, um Beethovens Musik zu thematisieren. Im Text selbst geht der Autor allerdings nicht auf musikalische Details der betreffenden Werke ein, sondern wählt eine indirekte Form der Thematisierung, die einerseits sehr allgemein bleibt, sich andererseits auf die Rezeptions- und Interpretationsmodi der behandelten Sinfonien beschränkt. Ein zweiter Fall sind die eigentlich nicht-fiktionalen Texte der Programmschriften wie »Das Kunstwerk der Zukunft« und die kleineren Schriften, die jeweils ein spezielles Werk behandeln. Hier benutzt Wagner innerhalb von Texten, die sich keiner literarischen Gattung bedienen, auf Wort- und Satzebene gehäuft Strategien der Metaphern- und Bildverwendung. In den Beethovennovellen werden Fragen der Musikästhetik und Musikinterpretation am konkreten Beispiel von Beethovens Sinfonien verhandelt. In »Ein glücklicher Abend« wird schließlich eine Art der Deutung, hier kurz die ›anti-historische‹, ›poetische‹ (im Sinne von Dahlhaus) favorisiert. Vor der übergreifenden Frage stehend, weshalb Wagner musikästhetische Aussagen und die Verhandlung von Rezeptionsarten in der Form einer fiktionalen Erzählung fasst, möchte ich mehrere Thesen aufstellen. Einerseits bietet die Form der dialogisch geprägten Novelle die Möglichkeit, verschiedene musikästhetische Standpunkte auf spielerische Weise aus verschiedenen Perspektiven zu verhandeln, indem sie als Gespräch unter Freunden dargestellt werden. Von Interesse sind hier dann umso mehr die deutlichen Hinweise darauf, dass, – dies als Hypothese – ›der zur autobiographischen Darstellung neigende Autor Wagner die eigene Person in zwei Figuren aufgespalten entwirft: Als Ich-Erzähler, und, ein überdeutlicher Hinweis, seinen Freund R… Hier erhält der literarische Text die Funktion, der Selbstverständigung und dem Entwurf einer Identität als romantischer Musiker zu dienen. Zu dieser gehört ein ›ideales‹ Verständnis von Musik als ›poetisches‹ Medium, Exklusivität und Unabhängigkeit von einem kommerziellen oder auf sonst eine Weise banalisierten Verständnis von Musik. Im Weiteren gibt der fiktive Modus die Möglichkeit, eine Szenerie zu entwerfen, in der diese dialogische Verhandlung wirkungsvoll stattfindet. Die typisch romantischen Attribute der Situation, in der die beiden Figuren sich befinden, sind die Natur, das sie umgebende ›Volk‹ – es wird ausdrücklich von einem zuhörenden Bauern gesprochen – die Nacht, und selbstverständlich die

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Musik – die im Freien aufgeführt wird. Auch der romantische Topos der Freundschaft spielt in dieser Gestaltung eine zentrale Rolle. Im Rahmen dieser Szenerie wird die Musik sowohl ausgeführt als auch in der Debatte verhandelt.363, 364 Es ist offensichtlich, dass der Autor der Erzählung keinen Wert darauf legt, die Sinfonien in ihrer musikalischen Faktur detailliert zu besprechen. Das Zitieren historischer bzw. aktueller Rezeptionsmodi rückt den Aspekt der Wirkung in den Vordergrund; der andere Schwerpunkt liegt im Auffassen der Musik und dessen, was sie ausdrückt. Ausdruck (»Inhalt«) und Wirkung der Musik sind also zentral in »Ein glücklicher Abend«. Unterstützt wird diese Art der Herangehensweise und Thematisierung durch die Wirkung der literarischen Fiktion mit den eben genannten Attributen. Dem Leser soll keine musikwissenschaftliche oder musikanalytische Darstellung von Beethovens Musik vermittelt werden, sondern der Text zielt auf das Transportieren von (Stimmungs-) Bildern – die abendliche Szenerie im Freien, das Beisammensitzen der Freunde einerseits, und (Stimmungs-)Bilder, die im Rahmen der Musikinterpretation auftreten wie die Bauernhochzeit andererseits. Diese Bilder werden in einem raffinierten Doppelschachzug des Autors dem Leser einerseits vermittelt und angeboten, andererseits gleichzeitig wieder zurückgenommen und in ihrer Berechtigung eingeschränkt: Bilder, die historische Begebenheiten oder Szenen aus dem Leben zeigen, sind im Sinne der Musikästhetik, die Wagner vertritt, immer nur unzureichende Vehikel für das Verständnis der Musik. Hiermit einher geht die große Skepsis gegenüber der Programmusik. Probeweise zitiert Wagner die verschiedenen Versuche, Beethovens Musik zu »übersetzen«, in »Ein glücklicher Abend« an, um die Kraft der evozierten Bilder für die Beeinflussung des Lesers zu nutzen und dann zurückzuweisen. Eine Übersetzung der Musik in konkrete Bilder bedeutet eine unzulässige Konkretisierung und semantische Verengung der Musik. Zulässig, um als »Kern« und Keimzelle der Musik gesehen zu werden, sind Empfindungen365 und ideale Modelle (der heroische Mensch) bzw. Ideen. Es werden, ähnlich wie in Schumanns Ästhetik, allzu festgelegte Inhalte für Beethovens Musik verworfen, aber ihr trotzdem ein semantischer Gehalt zugeschrieben. Die literarische Gattung der Erzählung ist imstande, im fiktiven Dialog dies 363 Zum fiktionalen Charakter des Gesprächs gehört im Übrigen der sogenannte »mimetische Exzeß« (Rifaterre), da die Figurenrede der beiden Personen von einer Genauigkeit und Ausführlichkeit ist, die jedes reale Erinnerungsvermögen übersteigt. 364 Zit. nach: Frank Zipfel: Fiktion, Fiktivität, Fiktionalität. Analysen zur Fiktion in der Literatur und zum Fiktionsbegriff in der Literaturwissenschaft. Berlin 2001. (= Allgemeine Literaturwissenschaft – Wuppertaler Schriften. Hrsg. von Ulrich Ernst u. a. Bd. 2). S. 236. 365 Zur Bedeutung der Empfindungen für die Musikästhetik und die Vorstellung von Musik als ›Sprache des Herzens‹ vgl. beispielsweise: Ruth E. Müller : Erzählte Töne. Studien zur Musikästhetik im späten 18. Jahrhundert. Stuttgart 1989. (= Beihefte zum Archiv für Musikwissenschaft. Hrsg. von Hans-Heinrich Eggebrecht u. a.). Band 30.

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zu präsentieren. Der Autor lässt aber keinen Zweifel an seiner Sprachskepsis und an seiner Überzeugung, dass der Sprache in Bezug auf die Darstellung der Musik enge Grenzen gesetzt sind. Vielmehr kann aber der literarische Modus die suggestive fiktive Szenerie entwerfen, in der Beethovens Musik mit der Inszenierung von Freundschaft, einer stimmungsvollen Nacht in der Natur und dem lebendigen Musizieren eng verknüpft wird. Vorgeführt wird hier durch die Literatur gleichzeitig, wie der ideale Hörer sich zu verhalten hat – er soll angebotene Bilder für die Musik höchstens kurzfristig akzeptieren, dann aber zum ›idealen‹, poetischen Gehalt der Musik zurückfinden. In »Das Kunstwerk der Zukunft« und »Beethoven’s heroische Symphonie«, Texte, die die 7. und 3. Sinfonie thematisieren, haben wir gesehen, dass die Verwendung von literarischen Mitteln sich stärker auf die Ebene des Satzes und des Worts verlagert. Unter Einbeziehung von visuellen Metaphern (im Sinne Aldrichs) und narrativen Großmetaphern (nach Grey) orientiert sich Wagner hier zumindest in »Beethoven’s heroische Symphonie« stärker am chronologischen Verlauf der Musik, dem er, sprachlich übersetzend, folgt. Die Übertragung der Musik in wirkungsvolle Metaphern sowie in teleologisch-narrative Strukturen hat im programmatischen und musikästhetischen Großtext »Das Kunstwerk der Zukunft« einen spezifischen Stellenwert; die Metaphorik dient dazu, auf suggestive Weise Beethovens Musik darzustellen, ihr bestimmte Bildlichkeiten zuzuschreiben und, wie auch in der »Pilgerfahrt«, Wagners musikästhetische Anschauung, in der sein eigenes Werk eine zentrale Rolle spielt, zu bekräftigen. »Eine Pilgerfahrt zu Beethoven« ist deshalb ein Text, der neben der Unterhaltung des Lesers die Aufgabe hat, Wagners Musikästhetik und seine Überzeugung in Bezug auf den Zusammenschluss der Künste im Musikdrama zu legitimieren. Als hauptsächliche Strategie der Legitimierung wird hier die Freiheit genutzt, die die literarische Gattung bietet. In einer fiktiven Szene zwischen dem Ich-Erzähler – unschwer zu erkennen als autobiographischer Entwurf Wagners von der eigenen Komponistenpersönlichkeit – wird der Erzähler von der historischen Beethoven-Figur inauguriert und Wagners Ansicht des Musikdramas wird in nuce anhand der 9. Sinfonie durch den fiktiven Beethoven dargelegt. Dass die 9. Sinfonie das Werk ist, das Wagner für den Ausgangspunkt und Kern einer neuen Musik hält, ist in der Forschung einschlägig diskutiert. Auch die »Pilgerfahrt« verzichtet im Übrigen nicht auf die romantischen Attribute der Wanderung in der Natur, des Musizierens im Freien und die ›idealische‹ Aufopferung des materiell armen Musikers für die »wahre Musik.«

In »Das Kunstwerk der Zukunft« wird die 9. Sinfonie mit Hilfe von Bildfeldern wie dem des Meeres thematisiert. Hier übersetzt Wagner nicht direkt die Musik in Metaphern, sondern den Schaffensprozess, den Beethoven seiner Meinung nach durchlaufen hat. Das ›Wort als Anker im Meer der Musik‹ ist hier das zentrale Bild, das wiederum im Rahmen des musikprogrammatischen Textes

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Wagners Ansicht von der notwendigen Verbindung der Künste verdeutlichen soll. Mit der Feststellung, dass das Wort als »Anker« im unendlichen Meer der Musik eine Orientierung bieten kann, plädiert Wagner gegen das romantische Dogma von der Sprachfreiheit der Musik für eine nicht nur ›poetische‹, sondern auch mit der Sprache verbundene Kompositionsweise. Wagner schließt sich mit den Versuchen, Musik auf ›poetische‹ Art und Weise, unter Verwendung literarischer Strategien und Vermeidung technischer, musiktheoretischer Details zu versprachlichen, einer neuen, ambitionierten, von Hoffmann mit initiierten Strömung von Musikkritik an, die die trockene, rein technische Analyse vermeidet. Obwohl Wagner weiterhin das romantische Dogma vertritt, die Musik stehe an der Spitze der Künste – bzw. obwohl er für die Verbindung der Künste plädiert, der sprachlichen Darstellung von Musik distanziert gegenübersteht – realisiert er in seinen Schriften zu Beethovens Musik ein Paradox. Musik, von der eindeutig festgestellt wird, sie könne mit Worten nicht beschrieben werden, ist Gegenstand von literarisch-fiktionalen Texten. Wagner nimmt in seiner Verwendung von Metaphern für musikalische Abläufe einerseits die semantische Verengung der Musik in Kauf, um dem Leser und potentiellen Hörer von Beethovens Musik einen Zugang zu Beethovens Musik zu ermöglichen. Die Musik selbst drückt zwar Empfindungen, Stimmungen sowie Ideales aus, aber ist nicht in der Lage, konkrete Bilder und Aussagen zu vermitteln. Ihre semantische Unbestimmtheit und ihr poetischer ›Kern‹ können von einem Autor tentativ in Sprache ›verwandelt‹, mit Hilfe von Sprache sichtbar gemacht werden; hierbei spielt die klassisch-romantische Überzeugung eine Rolle, dass die Musik nicht ›historisch‹-mimetisch, sondern ›poetisch‹ ist.366 Wie Corbineau-Hoffmann in Bezug auf den literarischen Beethovenmythos formuliert: »Die Poesie der Musik fordert die Poesie der Sprache als ihr Analogon, gleichsam als ihre Geistes- und Seelenverwandte, heraus.«367 Wagner nutzt in seinen Texten die Möglichkeit, die Musik einerseits zu semantisieren, andererseits paradoxerweise gerade ihre Unbeschreiblichkeit, Idealität und Poetizität mit Hilfe der literarischen Sprache und der fiktionalen Gattung zu verherrlichen. Er gebraucht die Eindrücklichkeit der literarischen Mittel, um Beethovens Musik zu thematisieren. Seine Texte über Beethoven eint die Intention, dies mit Hilfe von Strategien wie der fiktiven Szene oder Metaphernbildung im großen Stil, auf eine suggestive und nachhaltig beeindruckende Weise zu tun. Wagners Beethovenschriften sind keine technischen 366 Carl Dahlhaus: Allgemeine Theorie der Musik I. Historik – Grundlagen der Musik-Ästhetik. Hrsg. von Hermann Danuser in Verbindung mit Hans-Joachim Hinrichsen und Tobias Plebuch. Laaber 2000. (= Carl Dahlhaus: Gesammelte Schriften in 10 Bänden. Hrsg. von Hermann Danuser. Bd. 1). Hier S. 545. 367 Angelika Corbineau-Hoffmann [Anm. 351], S. 256.

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Analysen der Musik, die darauf zielen, die musikalische Faktur für den Musikwissenschaftler oder musiktheoretisch Versierten offenzulegen. Es geht dem Autor um sekundäre Aspekte der Musik, um ihre Wirkung, ihre ›Poetizität‹ und Semantizität, um ihre Bedeutung in der Musikgeschichte, und um ihre wegweisenden Qualitäten für die zeitgenössischen Komponisten, die einerseits festgestellt, andererseits postuliert werden. Am Ende dieser Analyse von ausgewählten Beethovenschriften Wagners stehen Fragen, die sich auf die übergreifende Ebene der Theoriedebatte zum Verhältnis von Sprache und Literatur im 20. und 21. Jahrhundert beziehen. Kann man in den vorliegenden Texten Wagners eine Position, ein Verfahren erkennen, das Aufschluss darüber gibt, wie Wagner als literarischer Autor das Verhältnis von Sprache und Musik explizit oder implizit versteht? Ich habe bereits festgestellt, dass in Wagners musikästhetischen Programmschriften bzw. kürzeren, in Bezug auf die literarische Gattung nicht fiktionalen Texten die »Übersetzung« größerer musikalischer Abläufe in Metaphern bzw. »Metaphernfelder«368 dominiert. Die poetische Faktur dieser Texte manifestiert sich im Vergleich mit den Erzählungen auf eine Mikroebene beschränkt. Im Zusammenhang mit »Beethoven’s ›heroische Symphonie‹« habe ich mit Grey die Kategorie der narrativen Metapher gebraucht. Die Verwendung einer narrativen (Groß-)Metapher wie die der Entwicklung eines idealen heroischen Menschen impliziert den Gebrauch einer (teleologischen) Erzählstruktur. In der Debatte um die Vergleichbarkeit von Sprache und Musik lehnt Carl Dahlhaus zwar die Annahme einer Syntax in der Musik ab, plädiert dafür aber für eine ›mittlere Schicht‹ zwischen Semantik und Syntax in der Musik. In der musikwissenschaftlichen Diskussion ist dies unter den Begriffen ›innere Form‹ bzw. ›innere Logik‹ weiter thematisiert worden.369 Gerold W. Gruber nimmt diese These auf, und postuliert, dass eben diese ›mittlere Schicht‹ die Ebene sei, auf der Literatur und Musik sich berühren und vergleichbar werden. Für die eben genannten Texte Wagners kann dies geltend gemacht werden, da durch ihre Übertragung der ›heroischen Sinfonie‹ und auch der 7. Sinfonie sowie der 9. Sinfonie in narrative Metaphernfelder eine semantische Struktur in der Musik Beethovens angenommen wird, die mit derjenigen literarischer Erzähltexte kompatibel ist. Zu Grubers Thesen in diesem Zusammenhang gehört auch 368 Diesen Begriff benutzt Christiane Thim-Mabrey in ihrer Monographie: Grenzen der Sprache – Möglichkeiten der Sprache. Untersuchungen zur Textsorte Musikkritik. Frankfurt am Main u. a. 2001. (= Regensburger Beiträge zur deutschen Sprach- und Literaturwissenschaft. Hrsg. von Bernhard Gajek. Reihe B / Untersuchungen. Bd. 79). S. 282. 369 Vgl. Gerold W. Gruber : »Literatur und Musik – ein komparatives Dilemma.« In: Albert Gier / Gerold W. Gruber (Hgg.): Musik und Literatur. Komparatistische Studien zur Strukturverwandtschaft. Frankfurt am Main, Berlin u. a. 1995. (= Europäische Hochschulschriften. Reihe XXXVI. Musikwissenschaft. Bd. 127). S. 19 – 34, hier S. 27 ff.

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Beethovenschriften und Beethovenrezeption der Neudeutschen Schule

die Behauptung, dass Musik sich nicht in einem semantikfreien Raum bewegt. Der Komponist versucht, die Grundlagen an Gedanken und Erfahrungen, die der Hörer mitbringt, aufzugreifen und zu aktivieren. Dies ist der Fall bei Wagners Interpretation der Sinfonie Nr. 3 als Bild eines heroischen Menschen und auch in seiner Naturmetaphorik in der Beschreibung der 9. und 7. Sinfonie im »Kunstwerk der Zukunft«. Im Falle von »Ein glücklicher Abend« ist ein klares Bekenntnis zur romantischen Musikästhetik dominant. Verschiedene musikästhetische Diskurse werden kurz vorgestellt und wieder verworfen. Das Paradox des Textes besteht darin, dass das Dogma von der Begrenztheit der Sprache und der Unendlichkeit der Musik bestätigt wird, obwohl der Autor dieses Textes im Akt des Verfassens einen Medienwechsel zu Gunsten der in der aktuellen Hierarchie der Künste ›niederrangigen‹ Kunst der Literatur vollzogen hat. Folglich wird hier auch kein Versuch unternommen, Beethovens Musik detailliert zu beschreiben, sondern Rezeptionsmodi für diese Musik werden dargestellt. Mit Dahlhaus ist hierzu zu sagen, dass gerade dadurch, dass das musikalische Absolute sich dem sprachlichen Ausdruck verweigert, eine »›poetisierende‹ Hermeneutik der Romantik, der Versuch, in stammelnde Worte zu fassen, was sich Worten entzieht«370 entsteht, um Musikeindruck und Musikbedeutung mitteilen zu können.371 »Die Vorstellung, Musik sei erinnertes Gefühl, und der Gedanke, sie stelle eine ›abgesonderte Welt für sich selbst‹ dar, sind tragende Prinzipien einer romantischen Musikästhetik, die sich nicht zum System verfestigte, sondern eine gleichsam schwebende Konfiguration von Ideen bildete, die sich verflüchtigen, wenn man sie zu greifen versucht.«372 Es wird versucht, die Rezeption, den Eindruck der Musik im Medium Literatur zu vermitteln. In der erzählungsinternen Debatte wird schließlich das Primat einer ›idealen‹ bzw. ideale Gegenstände darstellenden, ›poetischen‹ Musik gegenüber einer mimetischen, auf historische Gegenstände bezogenen (Programm-)Musik festgestellt. »Nicht der Streit um absolute und Programmusik, sondern der Versuch, ›Poetisches‹ von ›Mechanischem‹, ›Prosaischem‹ und ›Historischem‹ zu unterscheiden, bestimmte oder färbte die musikästhetische Terminologie der Zeit um 1800.«373 Es ist hierbei weitgehend ungeklärt, auf welche Weise der Begriff »Poesie« bzw. »poetisch« überhaupt verwendet wird. Dahlhaus erklärt im Fol370 Carl Dahlhaus: Die Idee der absoluten Musik. München, Kassel u. a. 1978, S. 71. 371 Arno Forchert: »›Ästhetischer Eindruck‹ und kompositionstechnische Analyse. Zwei Ebenen musikalischer Rezeption in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.« [Anm. 289], hier S. 195. 372 Carl Dahlhaus: Klassische und romantische Musikästhetik. Laaber 1988, S. 19. 373 Carl Dahlhaus: Allgemeine Theorie der Musik I. Historik – Grundlagen der Musik-Ästhetik. Hrsg. von Hermann Danuser in Verbindung mit Hans-Joachim Hinrichsen und Tobias Plebuch. Laaber 2000. (= Carl Dahlhaus: Gesammelte Schriften in 10 Bänden. Hrsg. von Hermann Danuser). Bd. 1, hier S. 545.

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genden, ›Poesie‹ sei im Vergleich mit dem prosaischen Alltag, der Empirie, ›Freiheit‹ und das ›Übersinnliche‹ und ›Poesie‹ sei ebenso der Gegenpart zur platten Virtuosität und zum musikalischen ›Handwerk‹. Dahlhaus sieht das ›Poetische‹ ebenso in seiner Analyse von Beethovens Spätwerk und führt wie folgt aus: »Speaking negatively, we might define the poetic factor that Beethoven reclaimed for music, in order to enhance its aesthetic and social dignity, as the ›nonprosaic‹. […] In other words, if we are to reach a more sophisticated understanding of Beethoven’s notion of the Poetic, and not choose lopsidedly between a literary program on the one hand, and a purely musical conception on the other, we will have to search for a configuration that links the principle of nonschematic, individual form with a type of expression that rises above what Beethoven saw as the everyday banality of illustrating subjects, characters and feelings. […] Subjects, characters and feelings are not the ›content‹ of Beethoven’s music, but merely its ›material‹. And this material does not constitute the ›Poetic‹, as Beethoven understood it, until it has been subjected to the strictures of musical form.«374

Der, wenn auch unscharf gebrauchte, Begriff der »Poesie« ist es, der Literatur und Musik in Wagners Fall folgerichtig miteinander verbindet. Der semantische Gehalt von Musik kann, wenn vorhanden, entsprechend dem Postulat ihrer Absolutheit bzw. Idealität, vom Rezipienten nicht vollständig erfasst werden. Dass die Musik, sofern sie keine Programmusik im eigentlichen Sinne ist, Raum für verschiedene Interpretationen, Assoziationen, Erinnerungen und Gefühle lässt, ist ebenfalls ein Thema in »Ein glücklicher Abend.« Dem Topos von der semantischen Unbestimmtheit der Musik korrespondiert die Tatsache, dass fiktionale Texte ebenfalls »Informationslücken« aufweisen, die der Imagination des Lesers Raum bieten. In »Ein glücklicher Abend« ist dies ebenfalls in besonders auffälliger Art und Weise dann der Fall, wenn R. verweigert, über seine Empfindungen beim Anhören der Musik zu sprechen. Mit Roman Ingarden und auch Iser müssen diese Leerstellen im Text als »Unbestimmtheitsstellen«375 bezeichnet werden und gehören in der Fiktionalitätstheorie zu den klassischen Merkmalen des literarischen Texts. Im Sinne der romantischen Annäherung der Künste aneinander sind die Medien Musik und Literatur so miteinander verbunden. Ein gleiches geschieht durch den Begriff der »Poesie«, der – wie z. B. in Schumanns Konzept der ›poetischen Musik‹ – vage gebraucht wird und zwar eine Semantik der Gefühle, Bilder oder Erinnerungen bezeichnet, aber kein festgelegtes Rezeptionsprogramm. Tieck und Wackenroder beispielsweise stel-

374 Carl Dahlhaus: Nineteenth Century Music. Berkeley, Los Angeles 1989. (= California Studies in 19th Century Music. Ed. by Joseph Kerman. Bd. 5). S. 82 f. 375 Wolfgang Iser : Der Akt des Lesens: Theorie ästhetischer Wirkung. München 1976, S. 284.

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len die Forderung auf, Musik solle ihre eigene Poesie sein und sich selbst poetisch kommentieren.376 In der »Pilgerfahrt« dagegen gibt es keinen Versuch, die Medien Musik und Sprache wechselseitig zu »übersetzen«. Die fiktive Situation im literarischen Text wird benutzt, um Musikanschauung und Musikästhetisches zu verhandeln. Im Zusammenhang mit dem Gespräch über die 9. Sinfonie wird die Verbindung von Musik und Sprache positiv bewertet, aber eine detaillierte »Überführung« der Musik Beethovens in den Text findet nicht statt. Aus einer übergreifenden Perspektive kann man bei allen Texten Wagners, die in diesem Kapitel verhandelt worden sind, von »verbal music« im Sinne Steven Schers sprechen: »Consequently, by verbal music I mean any literary presentation (whether in poetry or prose) of existing or fictitious musical compositions: any poetic texture which has a piece of music as its ›theme‹. In addition to approximating in words an actual or fictitious score, such poems or passages often suggest characterization of a musical performance or of subjective response to the music.«377

In Wagners Texten zu Beethovens Musik finden sich sowohl die Thematisierung von Rezeptionshaltungen als auch das Phänomen, sich der ›Partitur‹, dem musikalischen Verlauf mit Worten bzw. literarischen Figuren zu nähern und ihren Verlauf nachzuzeichnen. Nachahmung, so Steven P. Scher, kann einerseits Analyse, andererseits Interpretation einschließen, »aber nur, um ihr eigenes Ziel zu fördern, welches nicht Verständnis der Musik, sondern ihr Erlebnis durch die Vermittlung der Literatur ist. Das Endziel ist eine transposition d’art.«378 Ebenso ist die Musik allerdings nicht in ihrer ursprünglichen Form präsent, sondern referiertes Medium: die Sprache, obwohl von Wagner immer wieder mit Skepsis betrachtet, steht naturgemäß in seinen Schriften an erster Stelle. Wir finden also die Form der Intermedialität vor, die Werner Wolf als »covert intermediality«379 bezeichnet hat. Bei der Frage, welches Wirkungspotential die von Wagner eingesetzten literarischen Mittel entfalten, muss man in einem weiteren Schritt den Erschei376 Carl Dahlhaus: Allgemeine Theorie der Musik I. Historik – Grundlagen der Musik-Ästhetik. Hrsg. von Hermann Danuser in Verbindung mit Hans-Joachim Hinrichsen und Tobias Plebuch. Laaber 2000. (= Carl Dahlhaus: Gesammelte Schriften in 10 Bänden. Hrsg. von Hermann Danuser. Bd. 1). S. 544. 377 Steven Paul Scher : Verbal Music in German Literature. New Haven, London 1968, S. 8. 378 Calvin S. Brown: »Theoretische Grundlagen zum Studium der Wechselverhältnisse zwischen Literatur und Musik.« In: Steven Scher (Hrsg.): Literatur und Musik. Ein Handbuch zur Theorie und Praxis eines komparatistischen Grenzgebietes. Berlin 1984, S. 28 ¢ 39, hier S. 36. 379 Werner Wolf: The Musicalization of Fiction. A Study in the Theory and History of Intermediality. Amsterdam, Atlanta 1999. (= Internationale Forschungen zur allgemeinen und vergleichenden Literaturwissenschaft. Bd. 35). Hier S. 41.

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nungskontext in den Blick nehmen. Die beiden Erzählungen werden 1840 / 41 im Pariser Musikorgan Revue et Gazette Musicale veröffentlicht. Die Erscheinung dieser Texte fällt in den Lebensabschnitt Wagners, den er in Paris verbringt. Aus anderen Schriften Wagners und auch aus verschiedenen zeitgenössischen Texten380 geht hervor, dass er sich an einer Diskussion im 19. Jahrhundert beteiligt, die die Rivalität zwischen deutscher und französischer Musikkultur zum Ausdruck bringt. Von deutscher Seite wird oft, speziell in Wagners Generation von Komponisten, die angebliche Oberflächlichkeit der französischen Oper und Virtuosenszene beklagt. Dagegen gesetzt wird von häufig deutschen romantischen Komponisten das Ideal einer nicht-kommerziellen, ›idealen‹, ›authentischen‹ Musik. Hierfür ist Beethovens Musik ein zentrales Referenzmodell, und seine Person wird, dies ist in der »Pilgerfahrt« deutlich zu sehen, als eine Figur stilisiert, die auf materiellen Gewinn und mondänen Ruhm verzichtet. In der »Pilgerfahrt« ist ein nationaler Diskurs in dem Sinne, dass der ›ideale‹ deutsche Musiker, hier insbesondere Beethoven und sein ›Jünger‹, von Musikern anderer Nationen abgegrenzt wird, nicht zu übersehen. Kontrast- und Feindbild ist hier der reisende, reiche, adlige englische Amateurmusiker (der im Übrigen in der Erzählung »Ein Ende in Paris« noch einmal eine Rolle spielt). In den anderen Texten des Zyklus »Ein deutscher Musiker in Paris« sind nicht nur anti-englische, sondern auch anti-französische Tendenzen präsent, die sich hauptsächlich gegen die Figuren und Zustände der Pariser Musikszene richten. Die Vorstellung des ›idealen Musikers‹ und der ›idealen Musik‹ wird also, deutlich zu sehen in der »Pilgerfahrt«, maßgeblich mit der nationalen Konstruktion des ›Deutschen‹, deutscher Musikkultur verknüpft. Beethoven als ein Deutscher ist Bezugsfigur auch für diesen Diskurs. Wagner als deutscher Musiker im Ausland versucht also, mit der Veröffentlichung der Erzählungen in einem prominenten Pariser Medium, eine Konstruktion von deutscher (kultureller) Identität aufrechtzuerhalten bzw. zu perpetuieren, die als Kontrastbild zu der französischen kulturellen Szene und zu der französischen Vorstellung des idealen Komponisten fungieren soll.381 Als eine Funktion des Literarischen könnte man also die Re380 Vgl. hierfür z. B. Heinrich Heines Schriften zum musikalischen Leben in Paris, z. B. in folgender Zusammenstellung: Gerhard Müller (Hrsg.): Heinrich Heine und die Musik: Publizistische Arbeiten und poetische Reflexionen. Leipzig 1987. 381 Diese wenigen Hinweise zur chauvinistischen Tendenz in Wagners Musikernovellen müssen an dieser Stelle genügen; zum wechselseitigen Feindbild Deutschlands und Frankreichs speziell im neunzehnten Jahrhundert vgl.: Gonthier-Louis Fink: »Der janusköpfige Nachbar. Das französische Deutschlandbild gestern und heute.« In: Fiktion des Fremden. Erkundung kultureller Grenzen in Literatur und Publizistik. Hrsg. von Dietrich Harth. Frankfurt am Main 1994, S. 15¢82.; Michael Jeismann: Das Vaterland der Feinde. Studien zum nationalen Feindbegriff und Selbstverständnis in Deutschland und Frankreich 1792 – 1918. (= Sprache und Geschichte. In Zusammenarbeit mit Werner Conze, Francois Furet, Hans Robert Jauss, Hermann Lübbe, Thomas Luckmann, Christian Meier, John M.

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kontextualisierung der Musik beschreiben: Da die Musik selbst absolut ist, kann die literarische Verhandlung die Einbettung in den (nationalkulturellen) Kontext des Milieus leisten. Offensichtlich will Wagner der Vorstellung des ›idealen, deutschen Musikers‹, als dessen Prototyp Beethoven stilisiert wird, in der Pariser Kulturszene einen Platz verschaffen, und gleichzeitig auf verstecktere Weise sich selbst als Komponisten in enger Seelenverwandtschaft mit Beethoven darstellen. Gleichzeitig wird die Vorstellung von ›idealer, und ›poetischer‹ (im Sinne von antihistorischer und anti-mimetischer) Musik gegen die erfolgreiche französische Opernmusik gesetzt, die das Tagesgeschäft bestimmt. Wagners Beethoventexte sind auf noch eine andere Weise eng verbunden mit der Gestaltung von Identität in Bezug auf den idealen Musiker im 19. Jahrhundert. Wir haben im Verlauf der Analyse bereits festgehalten, dass bei Wagner wie auch bei Hoffmann Beethoven zusammen mit Haydn und Mozart in einer glorreichen Trias dargestellt wird. Beethoven ist allerdings deutlich höhergestellt als die anderen beiden; die drei Komponisten werden als eine aufsteigende Linie gesehen. Wagner bezieht sich also in seinen beiden Erzählungen auf Komponisten, die bereits der musikalischen Vergangenheit angehören, keine Zeitgenossen sind. Beethoven, oft gesehen als musikalisches ›Übergangsphänomen‹, wird vor allem in der »Pilgerfahrt« als Wegbereiter einer neuen musikalischen Epoche gestaltet, als Gründungsvater der Moderne, der sich Wagner mit seiner Konzeption des Musikdramas selbst zuordnet. Der Aspekt der literarisch gestalteten ›Memoria‹, der kulturellen Erinnerung, ist also ein maßgeblicher Teil von Wagners Schriften über Beethovens Musik. Im Sinne Aleida Assmanns fungiert die literarische Gestaltung von Beethoven und seiner Musik vor allem in Wagners Beethovenerzählungen als Zeichen eines »monumentale[n] Gedächtnis«382, bzw. die Art der Erinnerung an den Komponisten kann mit der von Assmann benutzten Gedächtnis-Metapher des »Ruhmestempel[s]« beschrieben werden. »Der Ruhmestempel selegiert, kanonisiert und monumentalisiert Personen und Werke nach Art eines Pantheon als Summe verbindlicher, zeitenthobener Werte.«383 Diese Art der literarischen Erinnerung verbindet sich mit dem, was Assmann – sich auf Nietzsche beziehend – als »eschatologische Erinnerung«384 bezeichnet: Die Beschäftigung mit Beethoven stellt die Glorifizierung der Vergangenheit dar, die aber eine teleologische Komponente beinhaltet: Roberts, Jean Starobinski und Harald Weinrich. Hrsg von Reinhart Koselleck und Karlheinz Stierle. Bd. 19). Die Bilder, die Wagner in seinen Erzählungen sowohl von Engländern als auch Franzosen entwirft, fallen in den Bereich der komparatistischen Imagologie und müssten gesondert untersucht werden. 382 Aleida Assmann / Dietrich Harth (Hgg.): Mnemosyne: Formen und Funktionen der kulturellen Erinnerung. Frankfurt am Main 1991, S. 30. 383 Ebd., S. 18. 384 Ebd., S. 22.

›Vorkämpfer‹ für eine neue Musik: Franz Liszts Schriften über Beethoven

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Der Rückblick auf die Vergangenheit soll zu einer Gestaltung der (musikalischen) Gegenwart führen, die durch das Andenken an Beethoven als den Inbegriff der idealen Musik und des idealen Musikers geprägt ist. »Autobiographische Erinnerungen des einzelnen und das kulturelle Gedächtnis von Gemeinschaften sowie die darauf aufbauenden Konzepte von personaler und kollektiver Identität erhalten ihre Gestalt erst über formgebende und sinnstiftende ästhetische Verfahren. Die Verwendung von Tropen (Metaphern, Metonymie, Synekdoche, Allegorie usw.) und Symbolik sowie die Überformung des Erinnerten durch Gattungsmuster und emplotment sind solche Mittel, anhand derer kontingente Wirklichkeitserfahrungen in sinnhafte Erinnerungen und stabile Identitätsvorstellungen transformiert werden können.«385

Erll, Gymnich und Nünning betonen die Rolle des ästhetischen Mediums bei der Konstruktion von Identität. Bei Wagner, und, wie ich in den folgenden Kapiteln darlegen werde, auch bei anderen das Medium wechselnden Komponisten spielt die Formung bzw. das Postulat einer kulturellen (Gruppen-) Identität eine große Rolle, wenn es um die Versprachlichung von Beethovens Musik und ihre Interpretation als ›poetische‹, semantisierte, intermediale Musik geht.

2.4

›Vorkämpfer‹ für eine neue Musik: Franz Liszts Schriften über Beethoven

Die Beethovenrezeption von Franz Liszt als Virtuosen und neudeutschem Komponisten ist in vielfältigen Formen aufgetreten. Zum einen führte Liszt als Pianist verschiedene Werke Beethovens in Paris auf, andererseits gab er eine Gesamtausgabe von Beethovens Oeuvre heraus. Ebenso wirkte er als Dirigent Beethovenscher Sinfonien. Von großer Bedeutung sind auch Liszts Transkriptionen der 5., 6. und 7. Sinfonie, sowie seine Bearbeitungen von Beethovenliedern, auch engagierte sich Liszt in hohem Maße bei der Planung und Errichtung des Beethovendenkmals in Bonn.386 In seinen Briefen und Schriften hat sich Liszt mehrfach über Beethoven und 385 Astrid Erll, Marion Gymnich, und Ansgar Nünning: »Einleitung: Literatur als Medium der Repräsentation und Konstruktion von Erinnerung und Identität.« In: Astrid Erll / Marion Gymnich / Ansgar Nünning (Hgg.): Literatur – Erinnerung – Identität. Theoriekonzepte und Fallstudien. Trier 2003. (= Ansgar und Vera Nünning (Hgg.): ELCH Studies in English Literacy and Cultural History. ELK Studien zur Englischen Literatur- und Kulturwissenschaft. Bd. 11). S. III – 2. Hier S. IV. 386 Zur Beethovenrezeption Liszts vgl. v. a. die umfassende Studie von Axel Schröter : »Der Name Beethoven ist heilig in der Kunst.« Studien zu Liszts Beethoven-Rezeption. Paderborn 1996. (= Musik und Musikanschauung im 19. Jahrhundert. Studien und Quellen. Hrsg. von Detlef Altenburg. Bd. 6).

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dessen musikalisches Werk geäußert. Dies geschieht häufig dann, wenn Liszt seine eigene musikästhetische Auffassung näher erläutert. Im Brief »A un poÀte voyageur« (Revue et Gazette Musicale, 12. 2. 1837) behandelt Liszt den Aspekt der geistigen ›Skizze‹ oder Idee, die einer Komposition zugrunde liegen könne. Liszt fordert hier, es sei notwendig, zum besseren Verständnis eines Werks dessen Grundgedanken anzugeben. Er führt weiterhin aus, dass Beethoven dies nicht nur in seiner Sinfonie Pastorale hätte tun sollen; dies hätte Fehlinterpretationen von Seiten der Rezipienten vorgebeugt.387 Beethoven selbst habe prinzipiell, so Liszt in seiner Schrift »Berlioz und seine Harold-Symphonie«, das Bedürfnis gehabt, seine Instrumentalmusik durch grundlegende Gedanken zu formen und somit in ihrer Bedeutungsvielfalt einzugrenzen. Wie Schröter jedoch zu Recht bemerkt, stützt sich Liszt bei dieser Annahme auf die wenigen Werke Beethovens, die wirklich mit außermusikalischen Hinweisen des Komponisten ausgestattet sind.388 Er ignoriert die große Menge an Werken Beethovens, bei denen dies nicht der Fall ist – dies verweist wiederum auf die Frage der zielgerichteten Projektion, wenn es um die Interpretation Beethovenscher Ästhetik durch die Neudeutschen geht. Unter den schriftlichen Äußerungen Liszts über Beethoven und sein Werk sind zwei Texte besonders prominent. Zum einen handelt es sich um »Ueber Beethoven’s Musik zu Egmont«. Unter diesem Titel ist die Schrift am 12. Mai 1854 in der Neuen Zeitschrift für Musik 40, Nr. 18, erschienen. Noch vor diesem Zeitpunkt ist die Besprechung, die sich von der eben genannten Fassung nur geringfügig unterscheidet, in zwei Folgen in der Weimarischen Zeitung, Rubrik Wissenschaft und Kunst am 2. April 1854 und 5. April 1854 veröffentlicht worden. Ebenfalls ist der Egmont-Text in Lina Ramanns Ausgabe von Liszts Gesammelten Schriften vertreten. 1855 und 1856 folgten Übersetzungen in das Englische und Russische.389 In der Schrift über Beethovens Egmont-Musik konzentriert sich Liszt weniger auf Erläuterungen, die sich mit dem musikalischen Werk selbst beschäftigen, als auf musikästhetische Ausführungen und Kommentare zu Goethes Egmont. Bereits einleitend definiert er Beethovens Musik zu Egmont bzw. die gemeinsame Aufführung des Stückes und der Bühnenmusik als Vorzeichen einer neuen künstlerischen Epoche.

387 Vgl. ebd., S. 152. 388 Ebd., S. 154. 389 Zur Veröffentlichung des Textes und den verschiedenen Fassungen vgl. Franz Liszt: Sämtliche Schriften. Bd. 5: Dramaturgische Blätter. Hrsg. von Dorothea Redepenning und Britta Schilling. Wiesbaden 1989. (= Franz Liszt: Sämtliche Schriften. Hrsg. von Detlef Altenburg. Wiesbaden). S. 161.

›Vorkämpfer‹ für eine neue Musik: Franz Liszts Schriften über Beethoven

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»Wenn Zeiten im Anzuge sind«, so beginnt Liszt den Text, »in welchen die Kunst eine durchgreifende Umwandlung erfahren, einen großen Fortschritt machen, sich mit bisher ungeahnter Macht und Gewalt in neuen Gleisen bewegen soll, so wird ein solcher großer Moment meist durch vorbedeutende Zeichen kundgegeben. […] Solche und ähnliche Gedanken regt in unsren Tagen eine Aufführung von Göthe’s Egmont mit Beethoven’s Musik an.«390

Direkt im Anschluss an diese Einleitung spricht Liszt ausführlich über die Einheit von Musik und Dichtung in der Antike und beginnt diesen ästhetischen Exkurs mit den Worten: »Wir sehen hier [in Beethovens Egmont-Musik, B.S.] eines der ersten Beispiele moderner Zeiten, daß ein großer Tonkünstler unmittelbar aus dem Werk eines großen Dichters seine Begeisterung schöpft.«391 Parallel zu Wagners diesbezüglichen Schriften greift Liszt den Gedanken der antiken Verbindung der Künste auf und glorifiziert diese ausdrücklich. Er fährt damit fort, den zeitgenössischen idealen Musiker als vielseitigen und allgemeingebildeten Menschen zu entwerfen, eine Überzeugung, die auch in anderen Texten Liszts zu finden ist. »Man anerkennt in ihnen [den modernen Musikern, B.S.] Menschen, welche der moralischen Verpflichtung nachkommen, ihren Geist gründlich zu bilden, allgemeine, vielseitige Kenntnisse zu erwerben und es giebt ihrer, die mit dem Wort eben so gewandt als mit Tönen umzugehen wissen.«392

Liszt stellt auch hier noch einmal die neudeutsche Idealvorstellung der semantisierten Musik vor: »Gleichzeitig macht sich die Musik allmälig alle literarischen Erzeugnisse in jeder Form zu eigen. Im Theater, im Concert, in vocalen und instrumentalen Compositionen bemächtigt sie sich durch Uebertragung, Auszüge, Motto’s, Devisen, Titel, Programme aller Kundgebungen der Poesie im Gedicht, im Drama, in der Lyrik, im Roman. Kaum irgend einen Moment des modernen poetischen Lebens läßt sie sich entgehen, während sie bis in’s tiefste Alterthum zurückgehend nach Stoffen forscht. Den Völkern des Orients wie denen des Nordens ringt sie Vorlagen und Farben zu ihren Tongebilden ab. Ein vollfluthender magnetischer Strom verbindet die beiden Formen menschlichen Denkens und Fühlens: Poesie und Musik.«393

Im Weiteren geht er auf das noch aus dem 18. Jahrhundert stammende Hierarchieverhältnis zwischen Musik und Literatur ein, das ursprünglich zugunsten der Literatur angelegt war. Nun müsse die Literatur sich jedoch gegenüber der 390 Franz Liszt: »Ueber Beethoven’s Musik zu Egmont.« In: Franz Liszt: Sämtliche Schriften. Bd. 5: Dramaturgische Blätter. Hrsg. von Dorothea Redepenning und Britta Schilling. Wiesbaden 1989. (= Franz Liszt: Sämtliche Schriften. Hrsg. von Detlef Altenburg. Wiesbaden). S. 16. 391 Ebd. 392 Ebd., S. 17. 393 Ebd., S. 17 f.

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dominant werdenden Musik behaupten, »klingend an das Wappenschild ihrer alten Privilegien […] schlagen, um sie in Erinnerung zu bringen.«394 Liszt thematisiert nun die Mittel, derer die Musik sich bedient, um ihre Stellung im zeitgenössischen Kulturleben zu festigen. Er erwähnt die musikalische Presse, die für Musik polemisiere, Interpreten anziehe, und Medium der Debatten zwischen den verschiedenen musikästhetischen Lagern sei. Liszt formuliert also selbst, die Rolle der Sprache im musikästhetischen Diskurs reflektierend, welchen Sinn der Medienwechsel für Musiker seiner Zeit haben kann – die Durchsetzung bestimmter Positionen in ihrer Musikanschauung. »Die musikalische Presse wird immer thätiger, und wirbt geschickte Interpreten. Schon findet der Journalismus eine seiner ergiebigsten Quellen in der musikalischen Polemik, und die Repräsentanten verschiedener Parteien, Neuerer und Reactionäre, schmieden sich wohlgeschweißte, feingearbeitete Waffen.«395

Auch die Texte für Opern und Lieder seien nun anspruchsvoller und durch die Komponisten sorgfältiger gewählt. Im folgenden Absatz bringt Liszt nun Schubert, Beethoven und Wagner miteinander in Verbindung. Schubert habe sich mit der deutschen Lyrik beschäftigt, Beethoven mit der Tragödie. Dieses letztere sei im Vergleich mit Schuberts Behandlung von Gedichten ein unvollständiger Versuch gewesen – er habe jedoch einen Prozess angestoßen und sei von hoher Bedeutung für spätere Entwicklungen gewesen. »Mag der Versuch uns auch unvollkommen erscheinen, er war von einer nachhaltigeren Wirkung als die tastenden Verbesserungen, durch welche man die Operntexte aus ihrer früheren Nichtigkeit zu ihrem jetzigen Gebahren führte. Schubert’s Aufgabe ist im Einzelnen vollständiger gelöst als die Beethoven’s, nichts desto weniger war es dem Versuch desselben im Egmont vorbehalten, ein fernhin treffender Pfeil zu sein, dessen Tragweite vielleicht der Genius kaum ahnte, der ihn abschnellte.«396

Parallel zu Wagners Selbstdarstellung in seinen Schriften als Vollender dessen, was Beethoven begonnen hätte, schließt Liszt an den Kommentar zu Schubert und Beethoven direkt seine Einschätzung Wagners – und dessen Idee des Gesamtkunstwerks – an. Dieser verschaffe der Gegenwart eine zweite Renaissance der griechischen Kunst, indem er die Verbindung von Drama und Musik wiederherstelle. Liszt erinnert im Folgenden daran, dass Wagner, bevor er mit dem Komponieren begonnen habe, Tragödien im Shakespeareschen Stil verfasst habe. Durch eine Aufführung des Egmont sei er zu seiner Reform des Musikdramas inspiriert worden. Er habe die Musik »stofflich« bewältigen wollen, »um 394 Ebd., S. 18. 395 Ebd. 396 Ebd.

›Vorkämpfer‹ für eine neue Musik: Franz Liszts Schriften über Beethoven

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in einem Athemzug sich als Dichter und Musiker [Kursivierung B.S.] zu bezeugen.«397 Die im neudeutschen musikästhetischen Schreiben toposhafte Idee des Dichter-Musikers, des musikalischen Dichters, kehrt hier also zurück. Sie wird jedoch nicht wie bei Berlioz auf Beethoven angewendet, sondern auf Wagner als dessen ›Nachfolger‹. Beethovens Konzept der Zwischenaktmusik im Egmont sei ungenügend gewesen, so fährt Liszt fort. Direkt im Anschluss bespricht er Goethes Werk selbst auf eher kritische Weise. Er bemängelt einige historische Ungenauigkeiten und erörtert die beiden dominanten Themen der Liebe und der Politik im Drama. Beethovens Zwischenaktmusik habe sich auf die Liebesthematik konzentriert. Liszt schließt mit dem nochmaligen Hinweis, Beethoven habe mit seiner Egmont-Musik der Kunst neue Wege eröffnet; er sei der Erste gewesen, der die Zeit des musikästhetischen Umbruchs auf diese Weise eingeleitet habe. Auf dem begrenzten Raum von etwa fünf Druckseiten erörtert Liszt mehrere in seinen und anderen neudeutschen Schriften zentrale Themen: die Idee des Musikers als universal gebildeten Künstler, das Postulat der Verbindung von Dichtung und Musik im Rückgriff auf die Antike, die literarisierte bzw. semantisierte Musik, Wagner als Vollender Beethovens, und Beethoven als zentrale Figur eines Wendepunkts in der Musik. Beethovens Egmont-Komposition dient hier eher als Anlass für ästhetische Ausführungen und zudem als Gelegenheit, Wagner zu erwähnen und Partei für ihn zu ergreifen. Beethoven wird, ähnlich wie in Wagners Schriften, als Gründungsvater einer neuen Musikästhetik dargestellt, dessen revolutionäre Impulse es zu perfektionieren gelte. Dass dies durch Wagner und die Neudeutschen geschehen sollte, macht Liszt in seiner Egmont-Schrift außerordentlich deutlich. Der noch kürzere Text »Beethoven’s Fidelio« verknüpft gleichermaßen enthusiastisches Lob für Beethoven und Kritik am ignoranten Publikum mit der Parteinahme für Wagner und Berlioz. Dieser Text ist am 21. April 1854 in der Neuen Zeitschrift für Musik 40, Nr. 17, erschienen, ebenso in der Weimarischen Zeitung in der Rubrik Großherzogliches Hoftheater, in zwei Folgen am 26. 2. 1854 und am 28. 2. 1854. Ebenso wurde der Text in den Gesammelten Schriften Liszts publiziert sowie ins Englische und Französische übersetzt. In sehr parteiischem, enthusiastischen Ton leitet Liszt den Text mit einer Klage über die anfängliche Verkennung von Beethovens Oper Fidelio durch das Publikum ein. Ein besonderer Fokus liegt hier auf den vier Fassungen der Ouvertüre, zu denen eine ignorante und tyrannische Öffentlichkeit den Komponisten gezwungen habe.

397 Ebd.

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»[…] zu welcher Folter Beethoven verdammt war, als er nochmals und nochmals, bis zum vierten Mal, sein Werk gänzlich umändern, ja verketzern mußte, um es für die Kleinlichkeit der Pygmäen zurechtzustutzen, die ihn umgaben; mit welchen Erbärmlichkeiten er zu kämpfen hatte und von welchen Mittelmäßigkeiten er aus dem Feld geschlagen wurde.«398

Interessant ist an dieser Stelle der Unterschied zu Schumanns Auffassung der vier Ouvertüren-Varianten; Schumann sieht dies zum Teil im Gegensatz zu Liszt recht positiv. Zwar benennt Liszt selbst in diesem Zusammenhang einige Mängel des Fidelio, allerdings ist sein Gesamturteil enthusiastisch und glorifiziert Beethoven als einen die Passion der Verkennung erleidenden Meister. »Den Anforderungen an ein vollkommenes dramatisches Musikwerk gegenüber läßt Fidelio Vieles zu wünschen übrig. Mangel an scenischer Erfahrung wird ebensowohl in der Wahl eines unvollkommenen Stoffes, als in der fast ausschließlich symphonischen Behandlung von Orchester und Singstimmen bemerkbar. Nichtsdestoweniger sind die großen lyrischen und orchestralen Schönheiten, an denen das Werk so reich ist, so hervortretend, daß sie die eigentlicheren dramatischen Effecte ersetzen und vergessen machen, indem sie sich siegreich über die Schwächen des Gedichts erheben und aus dem spärlichen Interesse der vorhandenen Situationen einen solchen Reichtum lebhafter, durchdringender und tiefer Gemüthsbewegungen entwickeln, daß kein wirklicher Künstler, kein gebildeter Geist sich bei Anhörung dieser fesselnden und erschütternden Klänge dem Eindruck tiefster Ergriffenheit zu entziehen vermöchte, dem Zoll der Bewunderung für das Werk, des innigsten Mitgefühls für den Meister, für die Leiden des Genius, der mit gerechter Entrüstung eine Bahn geistigen Ringens verließ, die man für ihn nur mit Dornen bestreut hatte.«399

In der Gegenwart, so bemerkt Liszt, werde dem Werk allerdings die angemessene Bewunderung des Publikums zuteil. Liszt sieht für Webers Euryanthe ein ähnliches Schicksal der ungerechtfertigten Ablehnung durch die Öffentlichkeit. Nur der Ouvertüre seien entsprechende Umarbeitungen erspart geblieben. Als Ursache des späteren Erfolgs des Fidelio benennt Liszt die darstellerische und sängerische Leistung der berühmten Wilhelmine Schröder-Devrient. Er äußert anschließend seine Skepsis in Bezug auf die Vorstellung, dass auch andere progressive Werke durch hervorragende Interpreten vor dem Vergessen- und Verkanntwerden gerettet werden könnten. Neuerungen in der Musik seien niemals in der Lage, sofort breite Zustimmung zu finden. Liszt spricht nun die wichtige Rolle der Höfe in der Förderung der Kunst an, da diese von finanziellen und persönlichen Rücksichten befreit seien. Er nutzt die Gelegenheit, um den Weimarischen Hof zu 398 Ebd., S. 8. 399 Ebd.

»Poëte musicien«. Hector Berlioz: Schriften über Beethoven

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loben und mit der Protektion Marie Antoinettes für Gluck und der Kaiserin Josephines für Spontini zu vergleichen. Ganz offensichtlich hat hier der Erscheinungsort des Textes in der Weimarischen Zeitung ebenso wie Liszts Wunsch, Weimar zu einem Zentrum der progressiven Kunst zu erklären, eine Rolle gespielt. Im Anschluss kommt Liszt schließlich auf Wagner zu sprechen. Dessen Opern hätten zu einer Zeit, als die Opposition gegen ihn noch besonders vehement gewesen sei, in Weimar einen Platz gefunden, von dem aus ihr Erfolg hätte beginnen können. Abschließend zieht Liszt den direkten Vergleich zwischen Fidelio und Berlioz’ Oper Benvenuto Cellini und bezeichnet letztere als zweiten Fidelio. Berlioz’ Komposition sei jedoch besser als Beethovens, obwohl er im Moment vom Publikum noch verkannt werde. Wenn aber der Zeitpunkt in der Zukunft eintreten würde, zu dem das Werk entsprechend gewürdigt werden würde, stünde Weimar das Verdienst zu, die Oper zuerst protegiert zu haben. Die beiden behandelten Texte zeigen zentrale Charakteristika von Liszts Beethovenauffassung, wie sie sich in seinen Schriften darstellt. Beethoven gilt vor allem als Pionier einer neuen semantisierten Musik, der Verbindung von Musik und Dichtung. Er habe den Umbruch in der Musikästhetik angestoßen. Die Rolle der Neudeutschen, allen voran Wagner, sieht Liszt nun darin, Beethovens noch unvollendete und defizitäre Impulse aufzugreifen und zu perfektionieren. Rhetorisch geschickt stellt Liszt die Neudeutschen also in die Tradition des berühmten Gründungsvaters Beethoven und postuliert gleichzeitig ihre Überlegenheit über ihn. Ähnlich prominent ist das Motiv der Publikumsverachtung, das einem elitären Diskurs zuzurechnen ist, der an Schumanns diesbezügliche Ausführungen erinnert. In den beiden vorliegenden Schriften über Beethoven erscheint es sehr deutlich, dass Beethovens Musik selbst und die Verbalisierung und Thematisierung dieser Musik nur einen nebengeordneten Platz einnimmt. Liszt zieht stets die Verbindungen zur Gegenwart und nutzt die Möglichkeit, u. a. Wagners Werk zu thematisieren und Partei für ihn zu ergreifen.

2.5

»Poëte musicien«. Hector Berlioz: Schriften über Beethoven

Zu den Komponisten des 19. Jahrhunderts, die Beethovens Musik zu einem wesentlichen Gegenstand ihrer (musikkritischen) Schriften gemacht haben, gehört auch Hector Berlioz. Ich beende den ersten Teil meiner Untersuchungen mit Ausführungen zu Berlioz’ Schriften über Beethoven. Das vorliegende Kapitel verweist sowohl auf die engen deutsch-französischen Beziehungen innerhalb der Neudeutschen Schule als auch auf die gemeinsame Verehrung für Beethoven, die ihre deutschen und französischen Mitglieder miteinander verbindet. Der Komponist Berlioz zeichnet sich durch eine breite Aktivität als Musik-

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Beethovenschriften und Beethovenrezeption der Neudeutschen Schule

schriftsteller und Musikkritiker aus. Zum einen schreibt Berlioz als Kritiker für eine Reihe von Zeitungen. Die wichtigsten hierunter sind die renommierten Blätter Revue et Gazette musicale de Paris und das Journal des d¦bats. Etwa vierzig Jahre der musikkritischen Tätigkeit brachten um die 900 journalistischen Texte hervor.400 Zu dem Beruf des Musikkritikers hat Berlioz ein gespaltenes Verhältnis, da er oft nicht aus Neigung schreibt, sondern um finanzielle Engpässe zu überbrücken. Dennoch sieht er, wie Katharine Ellis ausführt, die Musikkritik auch als Möglichkeit, die öffentliche Meinung zu beeinflussen.401 Berlioz hat als Kritiker einige hervorstechende Charakteristika, wie vor allem Ellis und Kerry Murphy erforscht haben. So sind seine positiven Rezensionen erfüllt von Superlativen und rhetorischen Stilmitteln. Ellis bezeichnet Berlioz als »the critic who is self-consciously literary« und als »literary stylist«.402 Wenn er eine negative Meinung abgab, tendierte er zum verschleiernden, diplomatischen Stil403. Berlioz formulierte selten offene und aggressive Kritik, sondern lobte meist nur mit weniger Enthusiasmus, wenn sein Urteil negativer ausfiel. Mit den literarischen Eigenschaften seiner Kritik werde ich mich im Verlauf des Kapitels noch eingehender beschäftigen. Zum anderen sind neben den Memoiren, Briefen und der Schrift zur Instrumentation als seine wichtigsten Werke Voyage Musical en Allemagne et en Italie, Les Soir¦es de l’orchestre, õ travers chants und Les grotesques de la musique zu nennen. Die Soir¦es sowie die Grotesques, in den deutschen Fassungen übersetzt mit Abende mit dem Orchester und Groteske Musikantengeschichten haben einen (halb-)literarischen, anekdotischen Charakter. Gegenstand sind meist das Pariser Musikleben und Begebenheiten und Ansichten, die hiermit in Zusammenhang stehen. Les Grotesques de la musique ist eine Mischung aus solchen kürzeren Texten; Les Soir¦es hat eine für Novellenzyklen typische Rahmenhandlung: ein Orchester spielt in der abendlichen Vorstellung eine mittelmäßige Oper, langweilt sich, und es werden Geschichten erzählt. Diese handeln entweder von Musik oder allgemeiner von der Kunst und Künstlern. Hier fließt, auch in der persönlich gehaltenen Ansprache an die Orchestermusiker zu Beginn des Bands, vermutlich Berlioz’ Erfahrung als Dirigent und seine genaue Kenntnis der musikalischen Szene seiner Epoche ein. õ travers chants hingegen besteht fast ausschließlich aus Analysen und kritischen Besprechungen von Konzerten und Werken. In der Intensität seiner kritisch-literarischen Produktion und seinem Selbstverständnis sowohl als Komponist als auch als Musikschriftsteller steht 400 Vgl u. a.: Katharine Ellis: »The criticism.« In: Peter Bloom (Hrsg.): The Cambridge Companion to Berlioz. Cambridge 2000, S. 157 – 163. 401 Ebd. 402 Ebd., S. 160 und S. 158. 403 Ebd., S. 162.

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Berlioz an der Seite von beispielsweise Wagner oder Schumann. Mit ihnen verbindet ihn auch die Tendenz zur semantisierten Musik, zur Annäherung von Text bzw. Inhalt und Musik. Berlioz’ Ausprägung ist hierbei allerdings, anders als Wagner mit der Idee des Gesamtkunstwerks in den Opern oder Schumann mit dem Konzept einer ›poetischen Musik‹ beispielsweise in der Symphonie fantastique, die Neigung zur Programmusik. Wie Wagner und Schumann gebraucht Berlioz auch das musikalische Schrifttum, um musikästhetische Ansichten zu präsentieren und dementsprechende Debatten zu führen. Ellis führt folgendermaßen aus: »Yet in using criticism to justify his art, Berlioz was at the forefront of a nineteenth-century tradition presaged by E.T.A. Hoffmann and continued by both Schumann and Wagner – a tradition of educative and even propagandistic writing (at its Wagnerian extreme) that acknowledged and attempted to close the gap between avant-garde composition and a predominantly bourgeois public with considerable purchasing power but conservative taste.«404

Im Zentrum dieses Kapitels stehen Berlioz’ Schriften über Beethovens Musik; hierbei sind die wichtigsten die Êtude critique des Symphonies de Beethoven, gefolgt von »Quelques mots sur les Trios et les Sonates de Beethoven« und dem Text über Fidelio. Nachdem ich E.T.A. Hoffmanns, Wagners und Schumanns Beethovenbeschreibung analysiert habe, liegen uns mit Berlioz nun Texte eines französischen Komponisten vor. Die Untersuchung von dessen Auseinandersetzung mit Beethoven soll nun den ersten Teil meiner Arbeit beschließen. Anhand von Berlioz’ Schriften über Beethoven werden wir im Folgenden untersuchen, wie der Autor, während das Musikschrifttum ihn des Öfteren als Beethovens Schüler oder Nachfolger sieht, sich selbst in ein Verhältnis zu Beethoven stellt bzw. ob dies von Berlioz’ Seite überhaupt geschieht. Auffällig ist bereits jetzt der Kontrast zu Wagner. Dieser hatte sich selbst, wie wir in der Novelle »Pilgerfahrt zu Beethoven« gesehen haben, als legitimer Erbe Beethovens begriffen und stilisiert. Im Fall von Berlioz geschieht dies von Seiten der Kritikerperspektive auf ihn.

2.5.1 Die Étude critique des Symphonies de Beethoven Der längere Text der Êtude critique, in der alle neun Sinfonien Beethovens abgehandelt werden und die eine Zusammenstellung von verschiedenen Beethovenrezensionen Berlioz’ darstellt, beginnt mit einer Einleitung. Hier geht Berlioz auf den Beginn der Rezeption von Beethovens Musik in Frankreich ein. Er 404 Ebd., S. 157.

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bezeichnet dieses Ereignis als 36 oder 37 Jahre zurückliegend. Berlioz erörtert, es sei den Zeitgenossen heute nicht mehr verständlich, dass Beethovens Musik zum damaligen Zeitpunkt auf so heftige Ablehnung nicht nur des Publikums, sondern auch der meisten Künstler habe stoßen können: »On ne croirait pas aujourd’hui de quelle r¦probation fut frapp¦e imm¦diatement cette admirable musique par la plupart des artistes.«405 Direkt folgend führt er die damaligen französischen Urteile über Beethovens Musik auf, die in auffallender Weise denjenigen seiner deutschen Kritiker ähnlich sind. »C’¦tait bizarre, incoh¦rent, diffus, h¦riss¦ de modulations dures, d’harmonies sauvages, d¦pourvu de m¦lodie, d’une expression outr¦e, trop bruyant, et d’une difficult¦ horrible.«406 Es sind die Vorwürfe des ›Bizarren‹ in der Musik des Komponisten, des Unzusammenhängenden, bemängelt wird der »wilde« Gebrauch der Harmonik, das Fehlen von Melodien, und nicht zuletzt die großen technischen Schwierigkeiten für die ausführenden Musiker. Die meisten dieser Vorwürfe zeigen deutlich, dass Beethovens (sinfonische) Musik in den (ins 19. Jahrhundert nachwirkenden) Kategorien des 18. Jahrhunderts in den Bereich des Erhabenen statt des Schönen einzuordnen sei. Im Weiteren kommt Berlioz auf die schwerwiegenden Streichungen zu sprechen, die an Beethovens Werken vorgenommen wurden, damit sie in der ersten Phase der Rezeption überhaupt zur Aufführung gelangten. Er billigt dies zwar nicht, gesteht jedoch zu, dass ohne diese Praxis die Werke wahrscheinlich gar nicht gespielt worden wären. Er lobt sodann die Gründung der Konservatoriumsgesellschaft, die sich besonders Beethovens Musik widmete, außerdem den zunächst kleinen Teil des Publikums, der sich für diese Musik begeistern konnte. Berlioz führt aus, dass die Akzeptanz, die eine Fraktion des französischen Auditoriums Beethoven zuteil werden ließ, darauf zurückzuführen sei, dass die Hörer sich auf ihre Empfindung verlassen hätten. Anstatt die Überschreitung musikalischer Regeln zu monieren, hätten sie die Musik in ihrer Eindrücklichkeit und Schönheit wahrgenommen und gewürdigt. An dieser Stelle ist der Gegensatz von (irreführendem) Intellekt und zuverlässiger Empfindung, den Berlioz in Bezug auf Beethoven und sein Publikum thematisiert, interessant. Einerseits weist dies auf Berlioz’ Ansicht zur notwendigen Expressivität von Musik, die auch ungewöhnliche Mittel ›heiligt‹, hin, andererseits verzichtet der Komponist und Kritiker Berlioz in seinen Beethovenschriften

405 Hector Berlioz: »Êtude critique des Symphonies de Beethoven.« In: Hector Berlioz: õ travers chants. Êtudes musicales, adorations boutades et critiques. Paris 1862. [Nachdruck Westmead / Farnborough u. a. 1970]. (= Hector Berlioz: Collected Literary Works of Hector Berlioz reprinted by Gregg International Publishers Limited). S. 12. Im Folgenden zitiert als: Hector Berlioz, õ travers chants. 406 Ebd.

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selbst nicht auf einen auch musiktheoretischen und analytischen Zugang zu Beethovens Werk. Im Schlussteil der Einleitung verwendet Berlioz für Beethovens steigenden Ruhm das Bild der Dämmerung und der aufgehenden Sonne. »L’int¦rÞt manifeste que le public commenÅa dÀs lors — prendre — Beethoven doubla les forces de ses d¦fenseurs, r¦duisit, sinon au silence, au moins — l’inaction la majorit¦ de ses d¦tracteurs, et peu — peu, gr–ce — ces lueurs cr¦pusculaires annonÅant aux clairvoyants de quel cút¦ le soleil allait se lever [Kursivierung B.S.], le noyau se grossit […]«407.

Das Bild der anbrechenden Morgendämmerung als Symbol für eine neue Epoche in der Musikgeschichte und -ästhetik findet sich auch in Schumanns Fragment »Beethoven«. In der Einleitung zu seinen Studien über Beethovens Sinfonien stellt Berlioz also auf verschiedene Weise klar, dass man ihn als Anhänger Beethovens zu betrachten hat. Er wendet sich gegen die Kritiker, die Beethoven Mangel an Zusammenhang, Verworrenheit und anderes vorgeworfen hatten, und empört sich über Kürzungen des Werks. Er zeigt sich begeistert und dem Teil des Publikums zugehörig, dass sich von seiner (›richtigen‹) Intuition gegenüber der Musik leiten lässt, und bezeichnet Beethoven im letzten Satz der Einleitung als »grand ma„tre«408. Zu Berlioz’ neun Prosatexten zu Beethovens Sinfonien erläutert Katharine Ellis wie folgt: »Adapted from a set of reviews of concerts given by the Societ¦ des Concerts du Conservatoire, they were, even in their original versions, a spectacular example of Berlioz’s ability to turn a conventional review into an occasional piece in which he was able to indulge his own passions.«409

Ellis vertritt folglich den Ansatz, Berlioz’ Texte über seine Vorbilder Gluck und Beethoven seien mit seinen übrigen Musikkritiken in stilistischer und inhaltlicher Hinsicht nicht vergleichbar. Er wolle in diesen Besprechungen nicht eigentlich urteilen, sondern dem Leser das Werk durch poetische Beschreibungen nahebringen.410 Sicherlich ist letzteres der Fall, wie ich im Verlauf der Analyse näher beleuchten werde. Die Frage ist allerdings, ob die Êtude über Beethovens Sinfonien deshalb frei von kritischer Untersuchung und Wertung seitens des Musikschriftstellers Berlioz ist. Weiterhin urteilt Ellis im Hinblick auf die ›neue Generation‹ von Musikkritikern ab ca. 1800: 407 408 409 410

Ebd., S. 17. Ebd. Katharine Ellis: »The criticism.« [Anm. 400], S. 160. Ebd., S. 158.

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»Here [in der Revue et Gazette musicale, B.S.], Berlioz’s reviews were emblematic of a new aesthetic in which ›professional‹ critics such as Francois-Joseph F¦tis and Castil-Blaze were supplanted by artists – both literary and musical – whose authority to write about music came not from technical expertise but from first-hand experience of the processes of inspiration as applied to their own art.«411

Der langsame Wechsel in der Musikkritik, der sich im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert vollzieht und zum Teil eine neue, auch literarische Sprache beinhaltet, ist bereits für die Musikkritiker Wagner, Hoffmann und Schumann in dieser Arbeit ein wichtiger Aspekt gewesen. Erstaunlich und nur mit Einschränkungen konsensfähig ist jedoch folgende Bemerkung der Autorin: Der ›neue‹ Typ des Musikkritikers, der Künstler und Rezensent in einem sei, habe nicht durch seine Kenntnis musikalischer Technik bzw. Theorie sondern durch seine »first-hand experience of the processes of inspiration« die Befähigung, Musik zu rezensieren. Zweifellos spielt die Identität als Komponist und die direkte Erfahrung kreativer Prozesse eine Rolle bei der Position, die in den Kritiken eingenommen wird. Dennoch sind die Kenntnis musiktheoretischer Sachverhalte und dementsprechende Analysen des vorliegenden Werks wichtiger Bestandteil von zumindest Schumanns und E.T.A. Hoffmanns Rezensionen. Gleiches gilt für Berlioz’ Schriften über Beethovens Werke. Die neun Analysen der Sinfonien Beethovens in den Êtudes zeichnen sich durch einen flüssigen und eleganten Prosastil aus. Er vermeidet insgesamt allzu starke emotionale Ausbrüche und dementsprechende rhetorische Mittel. Zumeist ist die den Texten zugrundeliegende, aber nicht sklavisch befolgte Struktur der Verlauf der jeweiligen Sinfonie und dementsprechend die chronologische Besprechung der einzelnen Sätze. Die Länge der Besprechungen variiert zwischen einer und bis zu zehn Seiten. Die Êtude lehnt sich insofern an das Genre der Musikkritik im Sinne einer Werkkritik an, als Berlioz Beschreibungen von Themen, Motiven, Taktarten, Harmonik und Instrumentierung vornimmt. Dies geschieht zumeist in stark raffender Form. Außerdem ist es selten der Fall, dass auch diese kurzen Beschreibungen nicht mit wertenden Attributen einhergehen. Als ein Beispiel von vielen hier Berlioz’ Ausführungen zum Finale der Sinfonie Eroica: »Ce finale si vari¦ est pourtant fait entiÀrement avec une thÀme fugu¦ fort simple, sur lequel l’auteur b–tit ensuite, outre mille ing¦nieux d¦tails, deux autres thÀmes dont l’un est de la plus grande beaut¦. On ne peut s’apercevoir, — la tournure de la m¦lodie, qu’elle a ¦t¦ pour ainsi dire extraite d’une autre. Son expression au contraire est beaucoup plus touchante, elle est incomparablement plus gracieuse que le thÀme primitif, dont le caractÀre est plutút celui d’un basse et qui en tient fort bien lieu. Ce chant reparait, un

411 Ebd.

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peu avant la fin, sur un mouvement plus lent et avec une autre harmonie qui en redouble la tristesse.«412

Ähnlich die ersten Sätze des Texts zur 2. Sinfonie D-Dur, die mit dem großem verallgemeinernden Urteil eröffnen: »Dans celle-ci tout est noble, ¦nergique et fier ; l’introduction (largo) est un chef-d’œuvre. Les effets les beaux s’y succÀdent sans confusion et toujours d’une maniÀre inattendue; le chant est d’une solennit¦ touchante qui, dÀs les premiÀres mesures, impose le respect et pr¦pare — l’¦motion. D¦j— le rhythme se montre plus hardi, l’orchestration plus riche, plus sonore et plus vari¦e.«413

In einigen Fällen unterbricht Berlioz den Verlauf der Prosa, um dialogische Szenen einzufügen. Diese fiktiven Gespräche behandeln ebenfalls musikalische Werke und finden unter Zuhörern und / oder Dilettanten statt. Sie bewirken eine größere Bewegung im Text und stellen zum Teil unterschiedliche Ansichten zu einem musikalischen Werk gegeneinander oder fungieren als Ausgestaltung und Illustration eines Gedankens. Beispielsweise schweift Berlioz in der Besprechung der Sinfonie Eroica vom Werk selbst ab, um in einer längeren Passage auf die Problematik des individuellen Geschmacks einzugehen. Er beklagt, dass es das von allen als solches erkannte ›absolute Schöne‹ nicht zu geben scheine. Stellen in der 3. Sinfonie Beethovens, die in seinen Augen hervorragend und ergreifend sind, würden vom Publikum oft nicht als solche anerkannt, auch wenn die Zuhörerschaft Beethovens Musik nicht grundsätzlich abgeneigt sei. Um diese kontingente Polyphonie der ästhetischen Meinungen zu illustrieren, gibt Berlioz im Folgenden eine als selbst erlebt dargestellte Debatte unter musikalischen Dilettanten wieder. Gegenstand ist nicht die dritte, sondern die 9. Sinfonie Beethovens, bekanntlich ein Werk, das die kontroverse Diskussion der Zeitgenossen besonders herausgefordert hat. »Je sors du Conservatoire avec trois ou quatre dilettanti, un jour o¾ l’on vient d’ex¦cuter la symphonie avec chœurs. – Comment trouvez-vous cet ouvrage? me dit l’un d’eux. – Immense! magnifique! ¦crasant! – C’est singulier, je m’y suis cruellement ennuy¦. Et vous? ajoute-t-il, en s’adressant — un Italien… – Oh! moi, je trouve cela inintelligible, ou plutút insupportable, il n’y a pas de m¦lodie … Au reste, tenez, voici plusieurs journaux qui en parlent, lisons: – La symphonie avec chœurs de Beethoven repr¦sente le point culminant de la musique moderne; l’art n’a rien produit encore qu’on puisse lui comparer pour la noblesse du style, la grandeur du plan et le fini des d¦tails. (Un autre journal) – La symphonie avec chœurs de Beethoven est une monstruosit¦. (Un autre) Cet ouvrage n’est pas absolument d¦pourvu d’id¦es, mais elles sont mal dispos¦es et ne forment qu’un ensemble incoh¦rent et d¦nu¦ de charme. (Un autre) – La symphonie, avec chœurs de Beethoven, contient d’admirable passages, cependant on voit que les 412 Hector Berlioz: õ travers chants. S. 23. 413 Ebd., S. 19.

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id¦es manquaient — l’auteur, et que, son imagination ¦puis¦e ne le soutenant plus, il s’est consum¦ en efforts souvent heureux pour suppl¦er — l’inspiration — force d’art. […] O¾ est la v¦rit¦? o¾ est l’erreur?«414

Berlioz lässt zunächst mehrere Personen zu Wort kommen. Hierbei fehlt auch der Seitenhieb auf den fiktiven Italiener nicht, der sich über den Mangel an Melodie in Beethovens Sinfonie beklagt – wiederum der Aufruf eines bekannten nationalen Stereotyps, der der zeitgenössischen italienischen Musik die Fixiertheit auf leicht zu merkende, populäre Melodien zuschreibt. Schon die Sprecher äußern unterschiedliche Urteile über die Sinfonie, zusätzlich werden noch verschiedene Zeitungen und damit Rezensionen über das Werk zitiert, die es entweder enthusiastisch, gemäßigt positiv oder vernichtend beurteilen. Auch in den Text über die Sinfonie Pastorale streut Berlioz wörtliche Rede ein. Sie dient hier nur der lebhafteren Illustration, wenn der Autor darstellt, wie gleichgültig er nach dem Werk Beethovens einem konventionellen Konzertabend gegenübersteht. »Que par malheur, aprÀs un tel concert [ein Konzert mit Beethovens Musik, B.S.], on soit oblig¦ d’assister — quelque op¦ra-comique, — quelque soir¦e avec cavatines — la mode et concerto de fl˜te, on aura l’air stupide; quelqu’un vous demandera: – Comment trouvez-vous ce duo italien? On r¦pondra d’un air grave: – Fort beau. – Et ces variations de clarinette? – Superbes. – Et ce finale du nouvel op¦ra? – Admirable. Et quelque artiste distingu¦ qui aura entendu vos r¦ponses sans conna„tre la cause de votre pr¦occupation dira en vous montrant: ›Quel est donc cet imb¦cile?‹«415

Ebenfalls tragen rhetorisch geschickt eingesetzte Aus- und Anrufe im Textverlauf zur erhöhten Gesprächshaftigkeit der Besprechungen bei. Der Text zur Sinfonie Pastorale endet beispielsweise mit einer aneinander gereihten Anhäufung dieses Stilmittels. Berlioz assoziiert Bilder, die er der Sinfonie zuordnet: »Mais le poÚme de Beethoven! … ces longues p¦riodes si color¦es! … ces images parlantes! … ces parfums! … cette lumiÀre! … ce silence ¦loquent! … ces vastes horizons! … ces retraites enchant¦es dans les bois! … ces moissons d’or! … ces nu¦es roses, taches errantes du ciel! … cette plaine immense sommeillant sous les rayons de midi! … L’homme est absent! … la nature seule se d¦voile et s’admire … Et ce repos profond de tout ce qui vit! Et cette vie d¦licieuse de tout ce qui repose! … Le ruisseau enfant qui court en gazouillant vers le fleuve! … le fleuve pÀre des eaux, qui, dans un majestueux silence, descend vers la grande mer!«416

Abschließend ruft er die Dichter der Antike mit ihrer ruralen Dichtung an.

414 Ebd., S. 25 f. 415 Ebd., S. 38 f. 416 Ebd.

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»Voilez-vous la face, pauvres grands poÚtes anciens, pauvres immortels; votre langage conventionnel, si pur, si harmonieux, ne saurait lutter contre l’art des sons. Vous Þtes de glorieux vaincus, mais des vaincus! […] Oui, grands poÚtes ador¦s, vous Þtes vaincus: Inclyti sed victi.«417

Auch Katharine Ellis erwähnt die Ausrufe und Ansprachen, die sich gelegentlich auch an den Leser richten. Laut Ellis dienen sie dazu, den Leser einzubeziehen und Spannung aufzubauen. »…an ability to suspend closure and build to climax, thereby observing what B. calls the loi du crescendo ¢ ›the law of crescendo; a drawing in of the reader through exhortations such as ›Listen‹! or ›See how […]‹«418. Neben dem fiktiven Dialog bzw. Gespräch und der Apostrophe gehören die Bilder und Metaphern, die Berlioz gebraucht, zu den wichtigsten rhetorischen Mitteln im vorliegenden Corpus. Wie Nicola Gess und andere bemerkt haben, wie es auch in den vorangegangenen Kapiteln bereits thematisiert worden ist: Musikkritik hat ab 1800 die Tendenz »zur Annäherung an Literatur, sei es durch Fiktionalisierung, durch Aufgreifen literarischer Formen oder durch eine bildhafte Sprache.«419 Für Berlioz’ Etude liegt ausschließlich letzteres vor, es sei denn, man betrachtet die kurzen integrierten Dialoge als literarische Form. Er steht hiermit neben anderen Kritikern, die sich trotz fehlender Fiktionalitätssignale und nicht vorhandener literarischer Gattung zahlreicher Bilder und Metaphern bedienen. Diese allgemeine Entwicklung in der Musikkritik des 19. Jahrhunderts, die von der handwerklich-empirischen Beschreibung hin zur Poetisierung und Literarisierung führt, wird auch von der Forschung in engem kausalen Zusammenhang mit Beethovens (zunehmend bekanntem) Werk gesehen. »Daß die Ausbildung einer musikalischen Metaphernsprache daher zwangsläufig mit der Beschreibung von Kompositionen Beethovens zusammenhängt, ist nicht zu bestreiten.«420, so Heike Stumpf. Dementsprechend sind auch Berlioz’ Beethovenbesprechungen Beispiele für bildlich geprägte Musikkritik und hiermit innerhalb seines kritischen Werkes in einer Sonderstellung. Berlioz’ Studien über Beethoven sind laut Corbineau-Hoffmann eben keine Gelegenheitswerke, die sich in seine alltägliche Produktion von Besprechungen für musikalische Fachzeitschriften einfügen, sondern, wie sie allerdings etwas 417 Ebd., S. 40. 418 Katharine Ellis: »The criticism.« [Anm. 400], S. 158. 419 Nicola Gess: Gewalt der Musik. Literatur und Musikkritik um 1800. Freiburg i.Br., Berlin 2006. (= Berliner Kulturwissenschaft. Hrsg. von Hartmut Böhme, Christina von Braun und Thomas Macho. Bd. 1). S. 105. 420 Heike Stumpf: »…wollet mir jetzt durch die phantastisch verschlungenen Kreuzgänge folgen!«. Metaphorisches Sprechen in der Musikkritik in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Frankfurt am Main, Berlin, Bern u. a. 1996. (= Bonner Schriften zur Musikwissenschaft. Bd. 2). S. 11.

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kryptisch formuliert, gehe es ihm um das Einlösen eines poetischen Programms. Ebenfalls sieht, wie Corbineau-Hoffmann bemerkt, der Autor der Êtude Beethoven als »poÀte musicien«. Entsprechend der poetischen Qualität, die Beethovens Musik in Berlioz’ Augen besitzt, ist eine poetisch-bildliche Beschreibung seiner Musik legitimiert.421 Auch Beethoven selbst, so Dahlhaus, verstand sich nicht ›nur‹ als Komponist, sondern als »Tondichter«. »Beethoven felt entitled to be treated not as mere composer but as Tondichter, or ›tone poet‹. […] The term ›tone poet‹ marks a stance in the battle between the arts; and no matter how much influence we attach to literary models in Beethoven’s works, this term expresses the conviction that music is capable of being elevated to the level of literature.«422

Berlioz verwendet in der Êtude des Symphonies de Beethoven Bildlichkeit in verschiedenem Ausmaß und auf unterschiedliche Weise. Die Besprechung der Sinfonie Pastorale bildet eine Ausnahme im Korpus seiner Beethovenkritiken. Nur gegen Ende des Textes geht er hier auf einige technische und kompositorische Einzelheiten ein, ansonsten besteht die Studie aus der Zeichnung ländlicher Szenen, die sich eng an den Verlauf der Sinfonie und die Themen der einzelnen Sätze hält. Berlioz folgt also Beethovens eigenen Angaben und Bezeichnungen zu dieser Sinfonie und übersetzt und interpretiert die Musik in diesem Sinne. Gleich zu Beginn seiner Ausführungen bezeichnet er das Werk als »paysage«423, von EllÀs übersetzt als »Landschaftsgemälde«424. Es sei wie von Poussin entworfen und von Michelangelo gezeichnet, aber dennoch keine künstliche, sondern die ›echte‹ Natur. Berlioz spricht von wandelnden Hirten, Vogelschwärmen, dem Wechsel von Wolken und Sonne. Er schließt die Ausführungen zum ersten Satz mit dem verdeckten Hinweis darauf, dass Beethoven dennoch keine Programmusik verfasst habe, sondern dass es sich um seine individuellen Assoziationen beim Anhören der Musik handele, die er aber für potentiell allgemeingültig hält. »Voil— ce que je me repr¦sente en entendant ce morceau, et je crois que, malgr¦ le vague de l’expression instrumentale, bien des auditeurs ont pu en Þtre impressionn¦s de la mÞme maniÀre.«425 Für die »Szene 421 Vgl. Angelika Corbineau-Hoffmann: Testament und Totenmaske. Der literarische Mythos des Ludwig van Beethoven. Hildesheim 2000. (= Spolia Berolinensia. Berliner Beiträge zur Geistes- und Kulturgeschichte des Mittelalters und der Neuzeit. Hrsg. von Wolfgang Maaz und Werner Röcke. Bd. 17). S. 254 ff. 422 Carl Dahlhaus: Nineteenth-Century Music. Berkeley, Los Angeles 1989. (= California Studies in 19th Century Music. Ed. by Joseph Kerman. Bd. 5). S. 81. 423 Hector Berlioz: õ travers chants. S. 35. 424 Hector Berlioz: Musikalische Streifzüge. Studien, Vergötterungen, Ausfälle und Kritiken. Übersetzt von Elly EllÀs. Leipzig 1912. (= Hector Berlioz: Literarische Werke. Hrsg. von Felix Weingartner. Leipzig 1903 – 1921.). Bd. 7. S. 29. Im Folgenden abgekürzt als: Hector Berlioz: Musikalische Streifzüge. 425 Hector Berlioz: õ travers chants, S. 36.

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am Bach« entwirft Berlioz das Bild des Komponisten selbst, der am Wasser liegt und den Bach betrachtet und belauscht. Bildliche Darstellungen der Sinfonie Pastorale im 19. Jahrhundert haben Beethoven ebenfalls am Bach liegend dargestellt. Im Weiteren verteidigt er die tonmalerische Darstellung von Vogelrufen, die im zweiten Satz enthalten ist. Diese Nachahmung passt seiner Ansicht nach zu einer Naturszene und ist ebenso wenig problematisch wie die Nachahmung eines Gewitters in derselben Sinfonie. Für den folgenden Satz zeichnet Berlioz eine bäuerliche Tanzszene nach, die auf ihrem Höhepunkt durch ein Gewitter unterbrochen wird. »La danse s’anime, devient folle, bruyante. Le rhythme change; un air grossier — deux temps annonce l’arriv¦e des montagnards aux lourds sabots; le premier morceau — trois temps recommence plus anim¦ que jamais: tout se mÞle, s’entra„ne; les cheveux des femmes commencent — voler sur leurs ¦paules […] Quand un coup de tonnerre lointain vient jeter l’¦pouvante au milieu du bal champÞtre et mettre en fuite les danseurs.«426

Im Folgenden, wenn Berlioz den Satz, der das Gewitter darstellt, thematisiert, betont er die Grenze der Sprache angesichts dieser Musik. Es reichten seine Fähigkeiten nicht aus, die Musik zu beschreiben. An dieser Stelle fällt nun doch noch der Begriff der Tonmalerei: man müsse den vorliegenden Satz hören, um zu verstehen, welche überragende Qualität die Malerei in der Musik bei einem Komponisten wie Beethoven erreichen könne. »[…] il faut l’entendre pour concevoir jusqu’— quel degr¦ la v¦rit¦ et de sublime peut atteindre la musique pittoresque entre les mains d’un homme comme Beethoven.«427 Programmusik, die im 19. Jahrhundert bekanntermaßen nicht unumstritten ist, wird von Berlioz hier als legitim bezeichnet, sobald sie ein bestimmtes Maß an Qualität und künstlerischer ›Wahrheit‹ (»v¦rit¦«) erreicht. Auch hier sehen wir bei Berlioz Positionen, die ihn, im Rückgriff auf Beethoven, in der Nähe der Neudeutschen Schule zeigen. Anstatt die Existenz von Programmusik und Tonmalerei in der Sinfonie Pastorale zu negieren oder zu bagatellisieren, betont und bestätigt er diese und bewertet sie positiv. Wiederum dient in diesem Abschnitt die direkte Ansprache des Lesers als Mittel zum Spannungsaufbau und zur Steigerung der Lebendigkeit des Textes. »Êcoutez, ¦coutez ces rafales de vent charg¦es de pluie, ces sourds grondements des basses, le sifflement aigu des petites fl˜tes qui nous annoncent une horrible tempÞte sur le point d’¦clater […]«428. In einigen kurzen Sätzen schildert Berlioz nun noch den letzten Satz, die ›frohen und dankbaren Gefühle nach dem Sturm‹. Es schließt sich die rhetorische Frage an, ob es zwingend notwendig sei, auf stilistische und technische Details noch näher einzugehen. Äußerst bemerkenswert ist hier Berlioz’ Begründung dafür, dass er 426 Ebd., S. 37. 427 Ebd. 428 Ebd., S. 38.

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verzichtet, und dies ist gleichzeitig die Begründung für alle literarisch und / oder bildlich-metaphorisch geprägten Passagen in der Êtude: Für eine solche rationale Analyse müsse man bei klarem Verstand sein: Aber wie könne man sich diesen bewahren, wenn der Geist mit einem solchen Werk beschäftigt sei? Vielmehr wolle man monatelang schlafen, um die Orte im Traum bewohnen zu können, die der Komponist in der Musik gezeigt habe. »Pour un travail de cette nature, il faut raisonner froidement, et le moyen de se garantir de l’ivresse quand l’esprit est pr¦occup¦ d’un pareil sujet! … Loin de l—, on voudrait dormir, dormir des mois entiers pour habiter en rÞve la sphÀre inconnue que le g¦nie nous a fait un instant entrevoir.«429

Berlioz propagiert hier den Verzicht auf eine rationale und analytische Musikkritik und schlägt als Alternative das assoziative Hören des Werks vor. Er steigert die Abwendung vom verstandesbetonten Rezipieren, indem er diesem die Vorstellung, Beethovens Sinfonie im Schlaf und im Traum zu verarbeiten und zu rezipieren, entgegensetzt. Die radikale Entmächtigung der Vernunft durch den Traum und die Nacht steht hier als typisch romantischer Topos in direkter Verbindung mit Beethovens Musik. Insgesamt bedient sich Berlioz in der bildreichen Nachzeichnung der Musik der im 19. Jahrhundert beliebten Strategie des ›Lebensbilds‹, die uns u. a. auch bei Wagners Beethovenschriften begegnet ist. Es handelt sich um Szenen im ländlichen Raum, in die bemerkenswerter Weise auch der Komponist selbst als Figur integriert wird. Auch narrative Elemente spielen in der chronologischen Darstellung von Tanz und anschließendem Gewitter eine Rolle. Entsprechend Beethovens Hinweisen unterlegt Berlioz der Sinfonie eine Mischung aus ›Lebensbildern‹ und Narration und bedient sich hierbei, mit Grey gesprochen, der narrativen Metaphorik. Die Studie zur Sinfonie Pastorale ist derjenige Text in den Êtudes, in dem am umfassendsten und intensivsten mit bildlicher Übertragung der Musik gearbeitet wird. Jedoch durchziehen Metaphern und Bildlichkeit auch die anderen Studien. Mehrere Male verwendet Berlioz die zweite der beiden häufigsten Strategien in der Musikbeschreibung des 19. Jahrhunderts, nämlich die Technik des ›Seelengemäldes‹. Ein Beispiel ist die Beschreibung des Andante in der 2. Sinfonie in D-Dur. »L’andante n’est point trait¦ de la mÞme maniÀre que celui de la premiÀre symphonie; […] C’est la peinture ravissante d’un bonheur innocent — peine assombri par quelques rares accents de m¦lancolie.«430 Ein ausführlicheres Beispiel für den Typ des ›Seelengemäldes‹ finden wir in der Studie zu Beethovens 5. Sinfonie c-moll. Der erste Satz der Sinfonie, so Berlioz, male die Gefühle einer Seele, die der leidenschaftlichen Verzweiflung verfallen ist. 429 Ebd. 430 Ebd., S. 19.

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»Le premier morceau est consacr¦ — la peinture des sentiments d¦sordonn¦s qui bouleversent une grande –me en proie au d¦sespoir ; non ce d¦sespoir concentr¦, calme, qui emprunte les apparences de la r¦signation; non pas cette douleur sombre et muette de Rom¦o apprenant la mort de Juliette, mais bien la fureur terrible d’Othello recevant de la bouche d’Iago les calomnies empoisonn¦es qui le persuadent du crime de Desd¦mona. C’est tantút un d¦lire fr¦n¦tique qui ¦clate en cris effrayants; tantút un abattement excessif qui n’a que des accents de regret et se prend en piti¦ lui-mÞme. Êcoutez ces hoquets de l’orchestre, ces accords dialogu¦s entre les instruments — vent et les instruments — cordes, qui vont et viennent en s’affaiblissant toujours, comme la respiration p¦nible d’un mourant, puis font place — une phrase pleine de violence, o¾ l’orchestre semble se relever, ranim¦ par un ¦clair de fureur; voyez cette masse fr¦missante h¦siter un instant et se pr¦cipiter ensuite tout entiÀre, divis¦e en deux unissons ardents comme deux ruisseaux de lave […]«431.

Der Autor zieht Shakespeares Othello als Vergleich heran. Zahlreiche kleinere Vergleiche innerhalb dieser Passage dienen der Ausschmückung der übergreifenden Emotion der Verzweiflung: Berlioz vergleicht einzelne Stellen mit dem Atem eines Sterbenden, mit Lavaströmen, mit einem Schluchzen. Berlioz schließt mit dem programmatischen und polemischen Satz: »et dites si ce style passionn¦ n’est pas en dehors et au-dessus de tout ce qu’on avait produit auparavant en musique instrumentale.«432 Ein ähnliches ›Seelengemälde‹, in dem heftige Verzweiflung und Schmerz dargestellt wird, hier jedoch durch aufkeimende Hoffnung abgelöst wird, sieht Berlioz im ersten Satz der 7. Sinfonie. Neben den ›Seelengemälden‹, die mehr zusammenhängende Bildfelder als alleinstehende Stilmittel sind, finden sich auch immer wieder einzelne Bilder, Metaphern oder Vergleiche in den Texten zu Beethovens Sinfonien. Sie sind mit Grey eher visuell als narrativ zu bezeichnen und entstammen zum großen Teil dem konventionellen bildspendenden Bereich der Natur. Beispielsweise spricht Berlioz in der Studie zur 4. Sinfonie von einem Fluss, dessen Wasser plötzlich verschwindet, um dann tosend aus dem Unterirdischen wieder herauszustürzen. Im zweiten Satz der Sinfonie Eroica gebraucht Berlioz für eine Passage in den Blasinstrumenten die Metapher des Schreis, der ein letzter Abschiedsgruß von Kriegern an ihre Waffengenossen sei. Bemerkenswert und alleinstehend sind einige originelle Vergleiche, die sich nicht leicht in konventionelle bildliche Musikbeschreibungen einfügen. Berlioz spricht für das Adagio der Vierten Sinfonie folgendermaßen vom Seufzen des Erzengel Michael: »Ce morceau semble avoir ¦t¦ soupir¦ par l’archange Michel, un jour o¾, saisi d’un accÀs de m¦lancolie, il contemplait les mondes, debout sur le seuil de l’empyr¦e.«433 An anderer Stelle, in der Besprechung des Scherzos der 5. Sinfonie, vergleicht 431 Ebd., S. 31. 432 Ebd. 433 Ebd., S. 29.

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Berlioz eine Stelle im Trio mit dem Trampeln eines fröhlichen Elefanten. »Le milieu (le trio) est occup¦ par un trait de basses, ex¦cut¦ de toute la force des archets, dont la lourde rudesse fait trembler sur leurs pieds les pupitres de l’orchestre et ressemble assez aux ¦bats d’un ¦l¦phant en gaiet¦ […]«434. Neben dem Gebrauch von Bildlichkeit spielt auch das Medium nicht nur der Sprache, sondern auch der Literatur im eigentlichen Sinne eine wichtige Rolle in Berlioz’ Schriften zu Beethovens Sinfonien. Die Pariser Ausgabe von õ travers chants (1862) ist mit zwei Motti überschrieben: »Love’s labour’s lost« (Shakespeare) und »Hostis habet muros« (Vergil). Forschungsmeinung hierzu ist, dass Berlioz sich hiermit im Allgemeinen auf seinen lebenslangen Kampf mit der Pariser Musikszene und Kulturpolitik bezog, Arbeiten zu Berlioz und Wagner stellen die Frage, ob Berlioz mit letzterem Motto im Besonderen auf die Aufführung von Wagners Opern in Paris anspielte.435 Einerseits verweisen also die Zitate auf die Opposition, in der Berlioz sich mit Bourdieu im ›Feld der Kultur‹ seiner Zeit und seiner Nation sah, andererseits wird bereits hier angedeutet, dass die Verflechtung mit der Literatur Berlioz’ Schriften zur Musik durchzieht. Auch in seiner Musik gilt Berlioz als Komponist, der, ähnlich wie Schumann aber durch seine Tendenz zur Programmusik weit radikaler, auf literarische bzw. semantische Vorlagen zurückgreift und so die beiden Medien miteinander verflicht. Dies ist besonders auffällig und offensichtlich bei Werken wie den Huit scÀnes de Faust oder der Symphonie fantastique. In den Besprechungen der Sinfonien Beethovens gibt es sowohl Umschreibungen von Szenen aus der Literatur als auch direkte Zitate. In den meisten Fällen greift Berlioz hier, wie es auch durch die zwei Motti anfangs schon repräsentiert wird, entweder auf Shakespeare oder antike Autoren zurück. Im Text über die Sinfonie Eroica betrachtet er den Trauermarsch als eine Übersetzung der folgenden Verse Vergils zur Bestattung des Pallas aus der Aenaeis: »Multa que praeterea Laurentis praemia pugnae / Adgerat, et longo praedam jubet ordine duci. / Post bellator equus, positis insignibus, AEthon / It lacrymans, guttis que humectat grandibus ora.«436 Die deutsche Ausgabe fügt in einer Fußnote die Übersetzung der Verse nach Richard Voß an wie folgt: »Viel der Preise sodann aus der laurentinischen Feldschlacht / Häuft er und läßt aufführen in langem Zuge den Siegsraub… / Hinten das streitbare Roß, des Geschmucks entledigt, Aethon, / Tränend folgt’s und netzet mit großen Tropfen das Antlitz.«437 Bei der Semantisierung der Musik, die Berlioz in seiner Interpretation vor434 Ebd., S. 33. 435 Kolb Reeve, Katherine: »The Berlioz-Wagner Dialogue.« In: Matthias Brzoska u. a. (Hrsg.) : Hector Berlioz. Ein Franzose in Deutschland. Laaber 2005. S. 297 – 318. Hier S. 301. 436 Hector Berlioz: õ travers chants, S. 22. 437 Hector Berlioz: Musikalische Streifzüge, S. 19.

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nimmt, greift er also auf eine antike Szene bei Vergil zurück. Sie beschreibt nicht im eigentlichen Sinne einen Trauermarsch, sondern die Präsentation der von den Besiegten geraubten Güter durch die Sieger nach der Schlacht. Diese Szene ordnet er dem beschriebenen Satz aus Beethovens Sinfonie Eroica zu, und definiert diese Zuordnung als besonders eng, als Übersetzung. In der Analyse zur vierten Sinfonie B-Dur verweist Berlioz, wenn es um die Wirkung des Adagios geht, diese mit der Wirkung der Episode von Francesca da Rimini in Dantes »Göttlicher Komödie« auf Vergil und Dante selbst. Die Wirkung beschreibt Berlioz anhand der beiden Dichter als zu Tränen rührend und sogar Ohnmacht hervorrufend. Berlioz kombiniert hier die uns bereits von Wagners Beethovenschriften bekannte Strategie der Beschreibung von Musik über ihre Wirkung auf den Hörer mit der Beschreibung der Wirkung von Literatur auf ihre Leser. Wiederum werden Literatur und Musik auf diese Weise zur Verdeutlichung von Berlioz’ Ausführungen zu Beethoven parallel gesetzt. Bei der 5. Sinfonie thematisiert Berlioz die (behauptete) Rezeption Homers durch Beethoven in dessen heroischer Sinfonie. »Beethoven, fidÀle au pr¦cepte d’Horace: ›Nocturn– versate manu, versate diurn–‹ lisait habituellement HomÀre, et dans sa magnifique ¦pop¦e musicale, qu’on a dit — tort ou — raison inspir¦e par un h¦ros moderne, les souvenirs de l’antique Iliade jouent un rúle admirablement beau, mais non moins ¦vident.«438

Laut Berlioz ist die Ilias von Wichtigkeit in der 3. Sinfonie selbst. Von diesem Einfluss der antiken Literatur setzt er im Folgenden die 5. Sinfonie ab, die er als ›Seelengemälde‹ Beethovens selbst, frei von Rückgriffen auf ein anderes Medium bzw. andere semantische Vorlagen, darstellt. Für die rasende Verzweiflung, die er als Thema des ersten Satzes sieht, zieht er die Wut Othellos in der Tragödie Shakespeares nur noch als Vergleich, nicht als Vorlage heran. Noch einmal wird Shakespeare zitiert, wenn Berlioz, ohne (in der französischen Originalausgabe) die Quelle anzugeben, eine Stelle aus »Was ihr wollt« auf Französisch vergleichend anführt, um eine Passage im Allegretto der achten Sinfonie zu beschreiben. Berlioz kennzeichnet das Zitat lediglich durch Kursivierung: »Mais une lueur d’espoir vient de na„tre: — ces accents d¦chirants succÀde une vaporeuse m¦lodie, pure, simple, douce, triste et r¦sign¦e comme la patience souriant — la douleur.«439 Direkt im Anschluss folgt der strukturbezogene Vergleich des kontinuierlichen Rhythmus’ der Bässe an dieser Stelle mit einem Beispiel quasi eines basso ostinato aus der Lyrik:

438 Hector Berlioz: õ travers chants, S. 30. 439 Ebd., S. 44.

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»Les basses seules continuent leur inexorable rhythme sous cet arc-en-ciel m¦lodieux; c’est, pour emprunter encore une citation — la po¦sie anglaise, ›One fatal remembrance, one sorrow, that throws / Its black shade alike o’er our joys and our woes.‹«440

An mehreren Stellen macht Berlioz deutlich, dass er Beethoven nicht nur als einen Komponisten, sondern auch als einen ›Dichter‹ begreift. Dementsprechend sieht er so dessen Musik als semantisiert an und stellt Strukturparallelen sowie inhaltliche Parallelen mit der antiken und englischen Literatur auf. In der Besprechung der 5. Sinfonie tritt der Begriff des »Dichter-Musikers«441, des »poÚte musicien«442, für Beethoven auf. Außerdem verfällt Berlioz gegen Ende des Textes zur Sinfonie Pastorale in eine fast hymnische Passage über die Sinfonie im Allgemeinen. Hierbei bezeichnet er das Werk als Gedicht. »Mais le poÚme de Beethoven! … ces longues p¦riodes si color¦es! … ces images parlantes! … ces parfums! … cette lumiÀre! … ces silence ¦loquent! … ces vastes horizons! […]«443 Auch Angelika Corbineau-Hoffmann sieht Berlioz’ Ansicht, Beethovens Musik habe poetische Inhalte, als Grund für die gleichermaßen ›poetische‹ bzw. literarische Qualität speziell seiner Beethovenschriften. Wie bereits an früherer Stelle zitiert: »Die Poesie der Musik fordert die Poesie der Sprache als ihr Analogon, gleichsam als ihre Geistes- und Seelenverwandte, heraus.«444 Diese Feststellung ist allerdings, obwohl sie für unseren Gegenstand grundsätzlich zutrifft, gerade in ihrer großzügigen Tendenz zur eleganten Parallelsetzung aus der Adlerperspektive ein Stück weit zu hinterfragen. Bis auf die 6. Sinfonie, und m. E. noch in der Sinfonie Eroica gibt es von Beethoven selbst keine Programme oder Hinweise auf einen semantischen bzw. ›poetischen‹ Gehalt seiner Sinfonien. Die 9. Sinfonie nimmt hier natürlich einen separaten Status ein. Insofern ist bei Corbineau-Hoffmann zu fragen, was der allgemeine Begriff der »Poesie der Musik« in diesem Zusammenhang eigentlich bedeutet, und ob diese musikinterne ›Poesie‹ nicht vielmehr als Projektion des Hörers und Rezensenten, in diesem Falle Berlioz’, zu begreifen ist. Auch der ›poetische Charakter‹, den Corbineau-Hoffmann Beethovens Musik zuschreibt, bleibt in diesem Zusammenhang unklar. In ihren weiteren Ausführungen zu õ travers chants erklärt die Autorin, Beethoven legitimiere »als poÀte musicien die Poesie des Wortes und somit das Beginnen des anderen ›poÀte musicien‹, Berlioz selbst«.445 Hierbei muss ebenso festgehalten werden, dass die Bezeichnung Beethovens als »poÀte musicien« eine Zuschreibung des Rezensenten Berlioz (und anderer Zeitgenossen) ist. In diesem Sinne es allerdings in der Tat nahe440 441 442 443 444 445

Ebd. Hector Berlioz: Musikalische Streifzüge, S. 28. Hector Berlioz: õ travers chants, S. 34. Ebd., S. 39. Angelika Corbineau-Hoffmann [Anm. 421], S. 256. Ebd.

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liegend, dass Berlioz ähnlich wie Wagner Entwürfe, die die eigene Identität als Komponist betreffen, auf Beethoven projiziert, um so den Charakter des eigenen Schaffens zu rechtfertigen. Sieht Wagner Beethoven als denjenigen, der in der 9. Sinfonie die Vereinigung der Künste realisiert und die Idee des Gesamtkunstwerks voraussieht, so sieht Berlioz in Beethovens Musik literarische Strukturen und Motive. Hierzu passt die Bemerkung von Katharine Ellis, Berlioz’ Texte über Beethoven seien auch im Sinne von dessen eigener (künstlerischer) Biographie zu lesen. »Just as he wrote memoirs, confessional stories, and autobiographical compositions, so, too, did B. use criticism to reflect on aspects of his own career.«446 Die vorliegenden Beschreibungen über Beethovens Musik reflektieren die enge Verbindung der Medien Musik und Literatur, die in vielen Werken des »poÚte musicien« Berlioz gegeben ist und die er ebenso für Beethoven in Anspruch nimmt. Berlioz’ Texte über Beethoven heben sich unter anderem in dem folgendem Punkt von Schriften Wagners, Schumanns oder Hoffmanns über Beethoven ab: Sie referieren nicht nur auf semantische Inhalte, Motive und Bildlichkeiten oder stellen Fiktives dar, sondern führen explizit Bruchstücke und Zitate aus Werken der kanonischen Literatur an. Diese dienen als Mittel zur Semantisierung von Beethovens Musik oder zu ihrer Charakterisierung. Es werden ebenso für Beethovens Werke, wie in Berlioz’ Vergleich des basso ostinato mit »one fatal remembrance«, strukturelle Parallelen zwischen Literatur und Musik hergestellt. Man kennt diese von der Gleichsetzung beispielsweise des Leitmotivs in Musik und Literatur. Besonders auffällig ist es, dass Berlioz mit Autoren wie Vergil, Homer oder Dante Schriftsteller aus der griechisch-römischen Antike bzw. der Renaissance heranzieht. Er zeigt scheinbar keine Neigung, Beethovens Musik mit zeitgenössischer romantischer Literatur in Verbindung zu setzen. Der gemeinsame und verbindende Aspekt in Berlioz’ Zitaten aus Vergil und Homer bei der Interpretation der 3. Sinfonie ist der des Heroischen. Anders als Wagner, der in dieser Sinfonie die Darstellung des (ideal-abstrakten) heroischen Menschen an sich und dessen Entwicklung sieht, verknüpft Berlioz die ›heroische‹ Sinfonie mit antik-archaischen Figuren und Szenen. Er tut dies auf eine erstaunlich detaillierte Weise, indem er mehrere Verse im Original zitiert, und hierbei (die Übertragung der lateinischen Dichtung ist nur der deutschen Übersetzung von õ travers chants beigefügt) davon ausgeht, dass der Leser diese kennt und für sich übersetzen kann. Es zeigt sich hier deutlich Berlioz’ klassische Bildung. Neben Dante, auf den er einmal im Zusammenhang mit Rezeption und Wirkung rekurriert, ist die literarische Renaissance weiterhin durch häufige Shakespeare-Zitate vertreten. Hier steht Berlioz neben Hoffmann, der in seiner Rezension der 5. Sinfonie Beethoven und Shakespeare in Bezug auf 446 Katharine Ellis: »The criticism.« [Anm. 400], S. 163.

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die scheinbare ›Verworrenheit‹ und ›Unordnung‹, die vom mangelhaft informierten Publikum attestiert wurde, miteinander gleichsetzt. Die Faszination, die für die literarische Romantik und auch bereits davor für den Sturm und Drang von Shakespeare ausging, ist hinreichend bekannt. Neben der Rezeption der klassischen literarischen Tradition weist Berlioz’ Êtude also auch die Hinwendung zum Romantischen in der Literatur, wenn auch nur in ›indirekter‹ Weise, auf. Wenn Berlioz also im Sinne der romantischen Ästhetik die enge Verbindung der Künste miteinander unterstreicht, folgt er ebendieser Ästhetik dennoch strenger als zunächst gedacht. In der Beschreibung der Sinfonie Pastorale endet er mit einer Ansprache an die Dichter der Antike: »Voilez-vous la face, pauvres grands poÚtes anciens, pauvres immortels; votre langage conventionnel, si pur, si harmonieux, ne saurait lutter contre l’art des sons. Vous Þtes de glorieux vaincus, mais des vaincus! Vous n’avez pas connu ce que nous nommons aujourd’hui la m¦lodie, l’harmonie, les associations de timbre divers, le coloris instrumental, les modulations, les savants conflits de sons ennemis qui se combattent d’abord pour s’embrasser ensuite, nos surprises de l’oreille, nos accents ¦tranges qui font retentir les profondeurs de l’–me les plus inexplor¦es. Les b¦gayements de l’art pu¦ril que vous nommiez la musique ne pouvaient vous en donner une id¦e; vous seuls ¦tiez pour les esprits cultiv¦s les grands m¦lodistes, les harmonistes, les ma„tres du rhythme et de l’expression. Mais ces mots, dans vos langues, avaient un sens fort diff¦rent de celui que nous leur donnons aujourd’hui. L’art des sons proprement dit, ind¦pendant de tout, est n¦ d’hier ; il est — peine adulte, il a vingt ans. Il est beau, il est tout-puissant; c’est l’Apollon Pythien des modernes. Nous lui devons un monde de sentiments et de sensations qui vous resta ferm¦. Oui, grands poÚtes ador¦s, vous Þtes vaincu: Inclyti sed victi.«447

An dieser Stelle der Êtude manifestiert es sich am deutlichsten: Berlioz hängt trotz seiner starken Tendenz zu einer ›literarischen Musik‹, trotz seines Bestrebens, die Medien einander anzunähern, dem (früh-)romantischen Dogma, dass die Musik an oberster Stelle der Künste stehe, weiterhin an. Es wird in dieser Ansprache der bewunderten antiken Autoren eindeutig festgestellt, dass die Sprache gegen die Tonkunst nicht siegen könne. Berlioz würdigt die Dichter, indem er sie als »glorieux vaincus«, »ruhmvolle Besiegte«448, aber eben Besiegte bezeichnet. Wenn die Dichtung eine ›starke‹ zweite Position in Berlioz’ Kunsthierarchie einnimmt, so steht jedoch die Musik an erster Stelle. Nachdem in seinen Studien zu Beethovens Sinfonien kanonische Literatur so häufig als die Parallelkunst zur Musik angeführt worden ist, wirkt dieses enthusiastische Bekenntnis zum ausschließlichen Primat der Tonkunst etwas überraschend. Weiterhin bemerkenswert ist es, dass Berlioz die antiken Dichter als Meister der 447 Hector Berlioz: õ travers chants, S. 40. 448 Hector Berlioz: Musikalische Streifzüge, S. 34.

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Melodie, Harmonie und des Rhythmus bezeichnet – in den Augen ihrer Epoche. Nicht nur der Musik wird in der Êtude literarischer Gehalt zugesprochen, sondern im wechselseitigen Austausch auch den antiken Werken musikalische Charakteristika. Wahrscheinlich bezieht sich Berlioz hier auch auf die mündliche Vortragsweise der antiken Epen. Jedoch wird sofort im Anschluss deutlich gemacht, dass die Tonkunst nun den Vorrang hat, und zwar die moderne Tonkunst. Ganz im Sinne der romantischen Musikästhetik stellt Berlioz explizit die unabhängige, ›absolute‹ Musik, »[l]’art de sons, proprement dit, ind¦pendent de tout«, über die Sprache. Nur diese unabhängige, neue Musik, mit der er vermutlich speziell die Instrumentalmusik bezeichnet, ist der Sprache überlegen. Dementsprechend wird deutlich, dass er speziell Beethoven als den Vertreter der neuen Musik und den Sieger über das Wort ansieht. Die moderne Tonkunst eröffnet Gefühle, die den Dichtern verschlossen bleiben mussten. Geradezu hymnisch wird diese Passage von Berlioz formuliert, in der auch, ähnlich wie bei Wagner, kunstreligiöse Tendenzen anklingen. In der deutschen Übersetzung heißt es: »Die eigentümliche, ganz unabhängige Tonkunst ist erst gestern auf die Welt gekommen; sie ist kaum erwachsen, ist 20 Jahre alt. Sie ist schön und allmächtig [Kursivierung B.S.]; sie ist für uns Moderne was für euch der Pythische Apollo war. Wir verdanken ihr eine Welt von Empfindungen und Gefühlen, welche euch verschlossen blieb.«449 Diese Passage zeigt ebenfalls deutlich, wie sehr Berlioz sich als Anhänger einer ›neuen Tonkunst‹, und hiermit auch Beethovens begreift. Seine Besprechungen von Beethovens Sinfonien legen dies offen, was bereits in der Vorrede klar manifestiert wird. Dennoch ist Berlioz’ Enthusiasmus für Beethovens Musik weder undifferenziert noch unkritisch. Ähnlich wie Hoffmann in seinen Beethovenrezensionen geht Berlioz auf technische und kompositorische Detailfragen ein, wenn auch nicht in der Ausführlichkeit, die Hoffmann charakterisiert. Anhand dieser Erläuterungen nimmt er regelmäßig auch Wertungen der einzelnen Sinfonien, bzw. einzelner Sätze oder Passagen vor, die nicht immer durchweg positiv sind. Berlioz geht in der Glorifizierung Beethovens nicht so weit, dass er ihn jeder üblichen Form der Rezension entziehen will. Vielmehr tut es in seinen Augen Beethovens Größe keinen Abbruch, dass auch dieser in manchen Momenten sein künstlerisches Potential nicht voll ausschöpft. Berlioz vergleicht ihn in seiner Schrift »Quelques mots sur les Trios et les Sonates de Beethoven« – die sich nach der Besprechung der Sinfonien ganz explizit und mit dem Anspruch, diese bekannt zu machen, der instrumentalen Kammermusik Beethovens enthusiastisch widmet – mit Homer. Auch dieser habe Momente gehabt, in denen er ›schläfrig‹ gewesen sei. Doch noch im selben Text vergleicht er den bewunderten Meister mit einem Adler, ein Bild, das auch bei Schumanns 449 Ebd.

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Sprechen über Beethoven auftritt. Beethoven habe sich in den Äther geschwungen und sei jenseits alles Irdischen. Die Vorherrschaft der neuen Musik, dessen prominenter Vertreter Beethoven ist, über auch die sublimste Dichtung wird in Berlioz’ Text »õ propos d’un Ballet de Faust. Un mot de Beethoven« noch einmal bekräftigt. Diese kurze Anekdote beschreibt unter anderem eine Begegnung zwischen Goethe und Beethoven. Die beiden gehen spazieren und werden von vielen Leuten ehrfurchtsvoll gegrüßt. Nur Goethe erwidert jedoch die Begrüßungen. Als er sich schließlich über deren Häufigkeit beschwert, antwortet Beethoven: Vielleicht bezögen sie sich auf ihn. Berlioz lässt offen, ob dem so ist oder nicht, jedoch wird angedeutet, dass Goethe in seiner berüchtigten Eitelkeit vielleicht zu voreilig alle Ehrbezeugungen auf sich bezieht. Möglich ist es, dass der Komponist mehr bewundert wird als der berühmteste Dichter. In seiner Verehrung für Beethoven kritisiert Berlioz sogar den Freund und Kollegen Liszt. Im Text über die Trios und Sonaten von Beethoven schildert er, wie der Klaviervirtuose Liszt sich eines Abends bei einem Konzert im kleinen Kreis dazu hinreißen ließ, das Adagio der Cis-moll-Sonate zu spielen. Berlioz drückt sein Entsetzen darüber aus, dass Liszt gemäß den virtuosen Vortragsgewohnheiten vom Notentext dergestalt abwich, dass er Tempoverzögerungen einbaute, Triller und ähnliches anfügte. Liszt korrigiert allerdings bei einem zweiten, späteren Vortrag desselben Satzes seinen Fehler, wie Berlioz ebenfalls berichtet. Berlioz’ Parteinahme für Beethoven geht dementsprechend eng einher mit der Kritik am zeitgenössischen Virtuosentum, und mit den Ausfällen gegenüber der gegenwärtigen Pariser Musikszene. Berlioz fühlt sich der deutschen Musik seiner Zeit zugehörig und der seiner eigenen Nation vielfach entfremdet. Seine Schriften über Beethoven bekunden einerseits die Absicht, den Komponisten in Paris weiterhin bekannt zu machen und gegen seine Kritiker zu verteidigen, andererseits bezeugt er so seine Affinität zur deutschen Musik. Berlioz schließt sich als französischer Komponist und Kritiker den Bewunderern Beethovens an, und gibt somit einen weiteren Hinweis darauf, dass er sich in kultureller Hinsicht als ›deutscher Komponist‹ versteht. Ein gewisses Maß an Gleichsetzung, Identifikation und auch Projektion ist in der Bezeichnung Beethovens als ›poÚte musicien‹ und der starken Einbeziehung der Literatur in die Interpretationen von Beethovens Werken zu finden. Es ist hingegen im Gegensatz zu Wagners entsprechenden Entwürfen kein Hinweis darauf vorhanden, dass Berlioz sich als legitimer ›Nachfolger‹ Beethovens begreift, auch wenn er in der deutschen Presse der Zeit gelegentlich als solcher gesehen wird.

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2.5.2 Berlioz: Beethovens Nachfolger und ›deutscher Komponist‹? Folglich ist es nun notwendig, die Frage nach der Nationalität und Internationalität von Berlioz’ musikalischer Ästhetik aufzuwerfen.450 Berlioz schreibt als Franzose über Beethoven als denjenigen deutschen Komponisten, der nach langen Phasen der ambivalenten oder offen vernichtenden Rezeption in der deutschen musikalischen Presse noch nicht lange Zeit zum musikalischen ›Nationalhelden‹ aufgestiegen ist. Seine Beschäftigung mit Beethoven als deutschem Komponisten geht einher mit einem engen künstlerischen und persönlichen Bezug zur deutschen Musikszene – ein Umstand, der in der Forschung einiges Interesse gefunden hat. Sieghart Döhring (u. a.) haben in dem Band Berlioz, Wagner und die Deutschen. (2003) diesen Bezug zu Deutschland eingehend beleuchtet, ebenso Matthias Brzoska (u. a.) in der Aufsatzsammlung Hector Berlioz. Ein Franzose in Deutschland (2005). Die bereits früh einsetzende Rezeption von Berlioz’ Werken in der deutschen musikalischen Fachpresse arbeiten Gunther Braam und Arnold Jacobshagen detailliert auf.451 Diese Studien haben unter anderem zeigen können, dass die deutsche Kritik zu Berlioz’ Musik gespalten ist: Es gibt sowohl begeisterte als auch negative Reaktionen. Ungeachtet der kritischen Stimmen tritt Berlioz 1842 seine erste größere Reise nach Deutschland an, die von weiteren gefolgt ist. In Deutschland hat er unter anderem die Gelegenheit, seine dort aufgeführte Musik selbst zu dirigieren und mit der deutschen musikalischen bzw. musikpraktischen Kultur in Kontakt zu kommen. Wie David Cairns452 ausführt, war Deutschland in musikalischer Hinsicht für Berlioz, der in ständigem Kampf mit der französischen Musikszene begriffen war, ein Utopia, das Land, in dem seine Werke trotz mancher kritischer Reaktionen erfolgreicher waren als in Paris. Es ist also Berlioz’ Wunsch, sich in künstlerischer Hinsicht eng an Deutschland und die deutsche Musikkultur anzuschließen. Gleichermaßen gibt es von Seiten der deutschen Presse Erörterungen, die Berlioz in künstlerisch-ästhetischer Hinsicht als ›deutschen Musiker‹ definieren wollen. Beispiele gibt Gunter Braam in seinem Aufsatz zu Berlioz’ Rezeption in den deutschen Musikzeitschriften. So gibt es drei ausführliche, erzählerisch und biographisch gehaltene Artikel des 450 Im zweiten Teil dieser Dissertation wird der Aspekt von Musik und Nationenzugehörigkeit im neunzehnten Jahrhundert uns im Zusammenhang mit der Musikästhetik der Neudeutschen Schule noch weiter beschäftigen. 451 Vgl.: Gunther Braam: »›Ein gewisser Hector Berlioz…‹. Die Berlioz-Rezeption in der deutschen musikalischen Fachpresse (1829 – 1841) – eine Blütenlese.« In: Matthias Brzoska et al. (Hrsg.): Hector Berlioz. Ein Franzose in Deutschland. Laaber 2005, S. 134 – 148. Sowie: Arnold Jacobshagen: » Die Anfänge der deutschen Berlioz-Kritik.« In: Ebd., S. 149 – 164. 452 Vgl. David Cairns: »Berlioz and Holy Germany – a Nation of Musicians.« In: Sieghart Döhring u. a. (Hrsg.): Berlioz, Wagner und die Deutschen. Köln-Rheinkassel 2003, S. 13¢24.

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Journalisten Ferdinand Braun in den Jahrbüchern des deutschen National-Vereins für Musik und ihre Wissenschaft. (1840) sowie der Zeitschrift für Deutschlands Musik-Vereine und Dilettanten (1841), die Gespräche über Musik mit Berlioz und ein Zusammentreffen in der Gesellschaft mit ihm beschreiben. Sie sind betitelt mit »Ein Besuch bei Hector Berlioz«, »Eine Aeolsharfe in Versailles« und »Ein musikalisches Diner bei einem ehemaligen Volksrepräsentanten in Paris«.453 Im dritten der Texte sinniert Braun über Berlioz als Komponisten wie folgt: »Berlioz vereint in sich Eigenschaften, die ich manchmal mich vergeblich bemühe, auszugleichen. Es liegen in seiner Natur sich scheinbar widerstreitende Elemente und machen aus ihm eine Schöpfung eigener Art. Mit dem stillen, brütenden, träumerischen Wesen des deutschen Künstlers, verbindet sich die wortreiche, joviale Manier des Franzosen; eines auf das andere folgend, ohne sich untereinander zu vermischen. Berlioz ist sodann mit Leib und Seele ein Franzose und beurkundet alle Eigenschaften welche man an Männern dieser Nation zu gewahren pflegt. In der Werkstätte seines Künstlerlebens aber fängt eine andere Existenz an. Berlioz wird plötzlich ganz Deutscher. [Kursivierung B.S.]. Da erwacht eine langsame, denkende, brütende Natur, da geschieht nichts in Übereilung, da überlässt er sich den langen Träumereien seiner Imagination, und verliert sich in eine ideelle, phantastische Welt. Was Berlioz dann schafft, trägt den Stempel des deutschen Genius; seine Melodien sind einfach, melancholisch, mit unbestimmten Umrissen, weniger etwas Abgesondertes, als sich mit reichen harmonischen Combinationen verschlingend; seine Instrumentierung ist energisch, malerisch und ausdrucksvoll […]«454.

Was wir in diesem Text vorfinden, ist ein bemerkenswertes Zusammentreffen von nationalen und musikästhetischen Zuschreibungen, wie es in den musikalischen Schriften des 19. Jahrhunderts häufig vorkommt. Die neuere Nationalismusforschung hat darauf hingewiesen, dass Konstrukte von ›Nation‹ sich wesentlich auf Kulturelles und kulturelle Symbolik stützen. Christian Geulen konstatiert: »Zumindest dem Anspruch nach fungiert die ›Kultur‹ in diesen kulturgeschichtlichen Ansätzen nicht nur als Reservoir politisch instrumentalisierbarer Symbole, sondern wird statt dessen als das entscheidende Medium begriffen, in dem sich die Nation als vorgestellte Gemeinschaft konstituiert und reproduziert.«455 Dementsprechend findet sich im musikästhetischen Diskurs 453 Vgl. Gunther Braam [Anm. 451], S. 144. Die Jahrbücher des deutschen National-Vereins für Musik und ihre Wissenschaft. (1840), die Dresdner Abendzeitung wie auch die Zeitschrift für Deutschlands Musik-Vereine und Dilettanten sind als historische Zeitschriften im Original sehr schwer zu beschaffen. Nachdrucke liegen nicht vor. Deshalb müssen diese Quellen aus zweiter Hand zitiert werden. 454 Zit. nach ebd., S. 147. 455 Christian Geulen: »Die Metamorphose der Identität. Zur ›Langlebigkeit‹ des Nationalismus.« In: Aleida Assmann / Heidrun Friese (Hgg.): Identitäten. Frankfurt am Main 1998. (= Erinnerung, Geschichte, Identität. Bd. 3). S. 346¢373. Hier S. 353. Vgl. zum Phänomen

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des 19. Jahrhunderts des Öfteren die wertende Charakterisierung der französischen Musik als mondän und oberflächlich und die der deutschen Musik als ›tief‹ und ›genial‹456. Im vorliegenden Text gibt es allerdings kein Anzeichen dafür, dass der deutsche Autor hier die als ›französisch‹ wahrgenommenen Attribute wie Wortreichtum und Jovialität abwertet. Braun betont jedoch, dass Berlioz nur als Mensch, im gesellschaftlichen Umgang ›Franzose‹ sei. Die ›französische Identität‹, die er Berlioz zuschreibt, beschränkt er auf dessen Auftreten; als Musiker schreibt er ihm eine ›deutsche‹ kulturelle Identität zu: »In der Werkstätte seines Künstlerlebens aber fängt eine andere Existenz an. Berlioz wird plötzlich ganz Deutscher.«457 Im Weiteren nennt er Charakteristika, die seiner Meinung nach Berlioz’ Kompositionsweise prägen, und definiert diese hiermit als Charakteristika ›deutscher Musik‹: die schlichten, unbestimmt strukturierten, melancholischen Melodien, die reichhaltige Harmonie, die ausdrucksvolle Instrumentierung. Wenn man sich an dieser Stelle an die gängigen negativen Beschreibungen französischer zeitgenössischer Musik als virtuos aber seicht und inhaltsleer erinnert, so werden hier die zentralen Begrifflichkeiten der Schlichtheit und Ausdrucksstärke bewusst diametral gegeneinandergestellt. Während der Reisen, die Berlioz in Deutschland unternimmt, wird er von Anhängern verehrend als ›Deutscher‹ bezeichnet und vereinnahmt. Berlioz selbst hängt der Ansicht an, dass in Deutschland die Kunst am besten gepflegt werde, dass, in der Tradition der Interpretation Madame de StaÚls, Deutschland ein ideales Kulturland sei.458 Hinzu kommen die Schwierigkeiten, denen Berlioz als Künstler in Paris ausgesetzt war. Die Auslegung seiner Kompositionsweise und Musik als ›deutsch‹ ist wahrscheinlich also im Sinne des Komponisten und wird von ihm nicht als unangemessene Vereinnahmung verstanden. des (deutsch-französischen) kulturellen Nationalismus ebenfalls: Michael Jeismann: Das Vaterland der Feinde. Studien zum nationalen Feindbegriff und Selbstverständnis in Deutschland und Frankreich 1792 – 1918. Stuttgart 1992. (= Sprache und Geschichte. In Zusammenarbeit mit Werner Conze, Francois Furet, Hans Robert Jauss, Hermann Lübbe, Thomas Luckmann, Christian Meier, John M. Roberts, Jean Starobinski und Harald Weinrich. Hrsg von Reinhart Koselleck und Karlheinz Stierle. Bd. 19); ebenso Michel Espagne: Les Transferts culturels franco-allemands. Paris 1999 und Jürgen Link / Wulf Wülfing (Hgg.): Nationale Mythen und Symbole in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Strukturen und Funktionen von Konzepten nationaler Identität. Stuttgart 1991. (= Sprache und Geschichte. Hrsg. von Reinhart Koselleck und Karlheinz Stierle. Bd. 16). 456 Vgl. z. B.: Hermann Hirschbach: »Der Deutsche und der Franzose.« In: Neue Zeitschrift für Musik. 18. Bd. Nr. 26. 30. März 1843. Photolitographischer Neudruck der Original-Ausgabe. New York 1963. S. 103 f. 457 Zit nach Gunther Braam [Anm. 451], S. 147. 458 Für Berlioz’ Ansichten über Deutschland vgl.: David Cairns: »Deutschland in den Memoiren und der Korrespondenz von Berlioz.« In: Matthias Brzoska [Anm. 452], S. 242 – 252.

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In der, wenn auch inhaltlich oft ambivalenten, ›Eingemeindung‹ des französischen Komponisten Berlioz in die deutsche Musikszene durch die nationale Presse gibt es einen Aspekt, der besonders ins Auge fällt: Berlioz wird frappierend häufig mit dem von ihm bewunderten Beethoven in Verbindung gebracht. Einerseits wird er als Schüler Beethovens bezeichnet und aufgefasst, andererseits als (Inkarnation von) Beethoven selbst betrachtet. In der Neuen Zeitschrift für Musik von 1840 stellt Albert Schiffner einen ›Stammbaum‹ von musikalischen Lehrern und Schülern auf, in dem unter anderen die folgenden Persönlichkeiten auftreten: Johann Sebastian Bach – Gottfried August Homilius – Johann Adam Hiller – Christian Gottlob Neefe – Ludwig van Beethoven – Anton Reicha – Hector Berlioz.459 Somit wäre Berlioz nicht nur ein Ur-ur-ur-urenkelschüler Bachs, sondern auch ein Enkelschüler Beethovens. Die Aufzählung verschiedener bedeutender Musiker und Komponisten wird in mehreren Folgen unter dem Titel »Sebastian Bach’s geistige Nachkommenschaft« abgedruckt.460 Wenn dies auch skurril erscheint, so wird doch deutlich, dass das Interesse, Berlioz mit großen deutschen Komponisten in Verbindung zu bringen, beträchtlich war. Ebenfalls wird in der Presse betont, dass Berlioz selbst sich an diesen deutschen Vorbildern orientiere. So ein Rezensent in einer Konzertbesprechung in der Berliner Allgemeinen Musikalischen Zeitung am 27. 3. 1830: »Mehrere grosse Ouvertüren jugendlicher Schöpfung und Mängel wurden gegeben, doch vor allen andern ward ein Chor von H. Berlioz rauschend applaudirt. Dieser junge Komponist vereint nächst einem Reichthum voll gemüthlicher zarter Ideen, noch ein gediegenes Wissen in der Tonkunst und einen Drang nach wahrhafter Erkenntniss im Reich der Harmonien. Mozart, Haydn, Beethoven, v.Weber sind seine göttlichen Vorbilder. Alle andre sind ihm verächtliche Ketzer, die mit frevelhafter Anmaassung jedes schwache Herz verführen und seine Seligkeit untergraben. Es ist zu erwarten, dass Herr Berlioz, der durch mehrere Leistungen bereits sein Streben verrathen, von seinen Landsleuten, die ihn jetzt als einen Sonderling verschreien, einst angestaunt werden wird.«461

Die Zuschreibung der Trias Mozart, Beethoven und Weber zu Berlioz findet sich auch im Text des bereits zitierten Ferdinand Braun, hier im letzten seiner drei Artikel über Berlioz: »Er [Berlioz, B.S.] vereinigt in sich Mozarts Harmonieschönheiten, Beethovens Tiefe und scheinbare Unordnung, Webers romantische Charakterform und Glucks Vorzüge…«462. Berlioz selbst greift den Begriff von Beethovens ›scheinbarer Unordnung‹, einige Zeit ein Topos der konservativen deutschen Beethovenkritik, in der Êtude critique de Symphonies de Beethoven (õ 459 Vgl. Gunther Braam [Anm. 451], S. 137. 460 Vgl. Neue Zeitschrift für Musik. Zwölfter Band. (Januar bis Juni 1840). Leipzig 1840. Erste Folge am 17. März 1840 in der Nr. 23. S. 89 ff. 461 Berliner Allgemeine Musikalische Zeitung, 27. 3. 1830. S. 102. [Ausgabe in Mikroform]. 462 Zit. nach Gunther Braam [Anm. 451], S. 147 f.

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travers chants) einleitend auf. Eine bemerkenswerte Verbindung zwischen Berlioz und Beethoven zieht der Schriftsteller Wolfgang Robert Griepenkerl, der Berlioz große Begeisterung entgegenbringt und mit ihm über längere Zeit korrespondiert.463 Er sieht das vereinende Element für die beiden Komponisten in deren Humor. Berlioz sieht er nicht nur als Schüler, sondern als Nachfolger Beethovens. »Wir scheuen uns nicht, es auszusprechen, da es unsere innigste Ueberzeugung ist, daß Berlioz in einem organischen Contacte zu Beethoven steht, daß kein deutscher Instrumentalcomponist, er heiße wie er wolle, dem Franzosen diesen Platz in der Entwickelung der Kunstgeschichte streitig macht. Auf Beethoven folgt, wenn es sich um den eigentlich organischen Punkt der Entwickelung handelt, Niemand, als Berlioz. Er steht dem Unsterblichen am Nächsten, er ist sein Bruder in des Wortes edelster Bedeutung. […] Dasjenige Element aber, was beide, Beethoven und Berlioz, organisch verbindet, ist das humoristische Element. Berlioz ist Humorist!«464

Wiederum führt diese Eingliederung und ›Nobilitierung‹ des französischen Berlioz durch die Feststellung einer künstlerischen Verwandtschaft mit Beethoven die national(istisch)e Codierung von musikalischer Kultur mit sich. Direkt anschließend führt Griepenkerl weiter aus: »Auf einer hohen Stufe der Entwicklung ist er dieses. [Humorist, B.S.]. Hier ist er nicht Franzose – denn diese Nation hat es nicht bis zur Darstellung dieses Moments bringen können – dazu fehlt ihr der Ernst und die Tiefe – sie hat nur das Komische schaffen können. Darum hat sich Berlioz nach England und Deutschland gewendet, dem Vaterund Mutterlande des Humors; hier schließt er sich an Beethoven, dort an Shakespeare.«465

Das Zusammensehen von Beethoven und Shakespeare würde an dieser Stelle eigentlich eigene Ausführungen erfordern. Die Berufung der deutschen literarischen Romantik auf Shakespeare, die schon im Klassizismus mit Goethe beginnt, ist bekannt – vermutlich gibt es Parallelen im Rückgriff der musikalischen Romantik auf Beethoven, da sowohl für Beethoven als auch für Shakespeare die scheinbare, ›organische‹ Unordnung der Werke ein Rezeptionstopos war. Der Verweis auf Berlioz als Humoristen entfernt diesen aus seiner kulturellen französischen Identität und rückt ihn in die Nähe der englischen und deutschen Tradition. England gilt als dasjenige Land, von dem zumindest der Begriff des Humors – nach Shaftesbury, Sensus communis: An essay on the freedom of wit

463 Griepenkerl verfasst als progressiver Beethoven-Anhänger auch die kuriose Novelle Das Musikfest oder die Beethovener (1841). 464 Zit. nach Jacobshagen [Anm. 451], S. 160. 465 Ebd.

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and humour, (1709) – übernommen wird.466 Komik, die von Griepenkerl ausdrücklich abgewertet und den Franzosen zugeschrieben wird, wird um 1800 bei beispielsweise Jean Paul ausdrücklich (wertend) dem Humor gegenübergestellt. Dementsprechend sind Griepenkerls Ausführungen als Versuch, Berlioz als zwar französischen, aber kulturell deutsch und englisch geprägten Komponisten aufzuwerten, zu begreifen. Gleichermaßen werden so die romantischen Heroen Beethoven und Shakespeare zu Berlioz in ein enges Verhältnis gestellt. Als ein Beispiel für die nationalen Stereotypen in der musikalischen Presse des 19. Jahrhunderts führt Jacobshagen einen Aufsatz von Hermann Hirschbach in der Neuen Zeitschrift für Musik von 1843 an467. Er trägt den Titel Der Deutsche und der Franzose. Die französische Musik wird hier als unvollständig bezeichnet und die französische Nation als ursprünglich unmusikalisch. Für die Franzosen, die angeblich gerne redeten, sei die Musik nur dazu da, den Dialog zu dekorieren. »Sie [die französische Kunst, B.S.] ist eine unvollständige Kunst und muß eine bleiben, denn von Grund aus eine unmusikalische Nation, die also bis auf Berlioz ganz natürlich keinen eigentlichen Instrumentalkomponisten aufzuweisen hatte, konnte und kann die Musik den Franzosen immer nur als ein Verschönerungsmittel des Dialogs erscheinen, und anders haben sie sie auch nicht anzuwenden verstanden.«468

Der französische Komponist Mehul wird nur deshalb positiv bewertet, weil er »so viel von deutschem Blute«469 habe, sich vom französischen musikalischen Stil weit entfernt habe. Weitere bekannte Stereotypen über das musikalische Frankreich sind die Oberflächlichkeit der Musik, Virtuosität und ihr mondäner, flüchtiger Charakter. Der deutschen Musik wird hingegen Substantialität und Tiefsinnigkeit zugesprochen. Durch diese stark (ab)wertenden, nationalistischen Schablonen, die auf das musikalische Deutschland und Frankreich im 19. Jahrhundert angewendet werden, erhält die künstlerische ›Einbürgerung‹ des Komponisten Berlioz nach Deutschland, so sehr diese in seinem eigenen Sinne ist, einen gegen Frankreich gerichteten kultur-chauvinistischen Beigeschmack. Verkürzt gesagt ist in den Augen der deutschen musikalischen Presse Berlioz nur dann ein ›idealer Musiker‹, wenn er im Geiste, in seinem künstlerischen Schaffen ›Deutscher‹ ist. Alle als positiv wahrgenommenen Eigenschaften seiner Musik werden als ›deutsch‹ umcodiert. Dass Wagner musikästhetische Fragen mit dem nationalistischen Diskurs verknüpft, haben wir bereits im Kapitel zu dessen Beethovenschriften gesehen. Hier ist ebenfalls deutlich 466 Jan Bremmer / Herman Roodenburg (Hgg.): Kulturgeschichte des Humors. Von der Antike bis heute. Aus dem Englischen übersetzt von Kai Brodersen. Darmstadt 1999, S. 9. 467 Vgl. ebd., S. 158. 468 Hermann Hirschbach: »Der Deutsche und der Franzose.« [Anm. 456], S. 103. 469 Ebd.

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geworden, dass Wagner nicht einem liberalen, in seinen Ursprüngen im 18. Jahrhundert anzusiedelnden Nationendiskurs anhängt, sondern einer Form des aggressiven Nationalismus‹, die Jeismann mit Charles Maurras als »integrale[n] Nationalismus«470 bezeichnet. Auch in Wagners ambivalenter Wahrnehmung von Berlioz’ Musik spielt der nationale Diskurs eine wichtige Rolle.471 Wagner bringt ebenfalls Beethoven und Berlioz in seinen Kritiken über Berlioz’ Musik in der Dresdner Abendzeitung miteinander in Verbindung. Dies hat an dieser Stelle jedoch negative Implikationen. Er bezeichnet die Symphonie fantastique als ein Stück, das von Beethoven angeblich belächelt werden würde. Weiterhin schreibt Wagner : »Ich sagte, die französische Richtung sey auch in Berlioz vorherrschend; in der That, wäre dieß nicht der Fall, und wäre es eine Möglichkeit, daß er sich aus ihr entfernen könnte, so dürften wir vielleicht auch in ihm, was man auf gut deutsch nennt, einen würdigen Schüler Beethoven’s erhalten. Jene Richtung macht es ihm jedoch unmöglich, sich dem Beethoven’schen Genius unmittelbar zu nähern.«472

Hierauf folgen raumgreifende Ausführungen, die wiederum die frankreichfeindlichen musikalischen Nationalklischees aufrufen. Dem französischen Komponisten seien Effekt und Unterhaltung des Publikums die wichtigsten Aspekte. Es ist bei Wagners Frankreichfeindlichkeit, die sich in seinem musikästhetischen Diskurs deutlich abbildet, nicht genau zu klären, ob diese (auch) durch biographische Aspekte ausgelöst oder rein ästhetischer Natur ist. Das neunzehnte Jahrhundert ist weitgreifend durch einen kulturellen Nationalismus geprägt, der sich auch in der politisch bedingten ›Feindschaft‹ zwischen Deutschland und Frankreich abbildet. Es ist anzunehmen, dass Wagners Schriften sich, auch aufgrund seiner starken Hinwendung zu ›deutsch-nationalen‹ Stoffen in seinen Werken in diesen Diskurs einfügen. Trotzdem bleibt zu bedenken, dass Wagner seinen Aufenthalt in Paris als äußerst negativ wahrgenommen hat, da er große Probleme hatte, sich in die französische Kulturszene zu integrieren. Wenn andere deutsche Kritiker Berlioz also den gelungenen Übergang zu einem ›deutschen Künstlertum‹ attestieren, verneint Wagner dies und erklärt Berlioz’ Identität als musikalischer Nachfahre Beethovens für gescheitert. Die seiner Meinung nach kritikwürdigen Eigenschaften von Berlioz’ Musik werden als ›französisch‹ gedeutet. Die ›französische‹ Identität seiner Musik macht es Berlioz in Wagners Augen wiederum unmöglich, Beethovens Nachfolger zu sein. 470 Michael Jeismann: Das Vaterland der Feinde [Anm. 455], S. 13. 471 Das in musikästhetischen Fragen komplexe und zwiespältige Verhältnis von Wagner und Berlioz erläutert beispielsweise Katherine Kolb ausführlicher. Vgl.: Katherine Kolb: »The Berlioz-Wagner Dialogue.« In: Matthias Brzoska [Anm. 451], S. 297 – 318. 472 Richard Wagner in der Dresdner Abendzeitung (1841), zit. nach Jacobshagen [Anm. 451], S. 155.

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Jacobshagen äußert allerdings zu Recht Zweifel an der Beständigkeit und übermäßigen Ernsthaftigkeit dieser Ausfälle Wagners. Ein Jahr vor dem zitierten Bericht für die Dresdner Abendzeitung schrieb Wagner in einem fragmentarischen Text, wiederum unter Berufung auf Beethoven, folgendes über Berlioz: »Wenn ich Beethoven wäre, so würde ich sagen: wenn ich nicht Beethoven und ein Franzose wäre, so möchte ich Berlioz sein. Würde ich das sagen, um glücklicher zu sein…? Das weiß ich nicht klar, aber ich würde es dennoch sagen. – In diesem Berlioz flammt die Jugend eines großen Mannes; seine Symphonien sind die Schlachten und Siege Bonapartes in Italien; er ist letzthin zum Konsul gemacht worden – er wird noch Kaiser werden, Deutschland und die Welt erobern.«473

Auffällig ist hier, dass Berlioz nicht nur mit Beethoven in enge Verbindung gebracht wird, sondern dass ersterer in Wagners Text auch noch über letzterem steht. Weiterhin wird, als ein positives Bild, Berlioz mit dem zunächst siegreichen Napoleon verglichen und die Möglichkeit, dass dieser die Welt und mit ihr Deutschland besiegen werde, dahingestellt. Angesichts Wagners sonstiger oft nationalistischer Einstellung – man denke an den Beethovenessay von 1870, in dem die deutsch-französische Frage deutlich anders akzentuiert eingebracht wird – ist diese Huldigung an Berlioz bemerkenswert. Wie in Wagners Schreiben über Berlioz gibt es auch an anderen Stellen der deutschen Musikpresse, in denen Berlioz mit Beethoven in Zusammenhang gebracht wird, negative Äußerungen. Beispielsweise schreibt ein Pariser Korrespondent am 30. Dezember 1829 in der Allgemeinen Musikalischen Zeitung: »Ein gewisser Hector Berlioz hat am 1sten November ein Concert gegeben, worin er Sachen von seiner Composition aufführen liess, die alles übertreffen, was bisher tolles, bizarres und extravagantes gehört worden ist. Alle Regeln waren darin mit Füssen getreten, und nur die zügellose Phantasie des Componisten dominirte durchgehends. Bey allem dem konnte man ihm dennoch das angeborne Organ der Tonkunst nicht absprechen. Schade nur, dass es ohne alle Bildung war. Hätte er diese, so wäre er vielleicht – ein Beethoven.«474

Auch hier wird quasi bedauert, dass Berlioz bestimmte Eigenschaften mit Beethoven teilt, dass er Ansätze zeigt, diesem ebenbürtig sein zu können – und dieses aufgrund bestimmter Charakteristika als Komponist, die ihm vom Rezensenten zugeschrieben werden, angeblich nicht erreicht. Während bei Wagner das Argument für die behauptete Unzulänglichkeit die ›französische‹ Qualität von Berlioz Musik sei, so handelt es sich bei dem eben zitierten Text um die scheinbare ›Ungebildetheit‹, ›Unordnung‹ in Berlioz’ Werken. Letzteres ist iro-

473 Richard Wagner, zit. nach Jacobshagen [Anm. 451], S. 156. 474 Zit. nach: Gunther Braam [Anm. 451], S. 135.

Zwischenresümee

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nischerweise ein Vorwurf, den die deutsche musikalische Presse häufiger auch gegenüber Beethovens Musik vorgebracht hat. Anhand von Berlioz’ Schriften über Beethoven habe ich analysiert, wie der Autor, während das Musikschrifttum ihn des Öfteren als Beethovens Schüler oder Nachfolger sieht, sich selbst in ein Verhältnis zu Beethoven stellt bzw. ob dies von Berlioz’ Seite überhaupt geschieht. Auffällig ist der Kontrast zu Wagner. Dieser hatte sich selbst, wie wir in der Novelle »Pilgerfahrt zu Beethoven« gesehen haben, als legitimer Erbe Beethovens begriffen und stilisiert. Im Fall von Berlioz geschieht dies von Seiten der Kritikerperspektive auf ihn. Dass die (bewusst konstruierte) Verbindung zu Beethoven besonders im öffentlichen Diskurs nicht nur für Berlioz als Komponisten, sondern für alle zentralen Mitglieder der Neudeutschen eine wichtige Rolle spielt, werde ich im zweiten Teil dieser Arbeit näher ausführen.

Zwischenresümee Im ersten Teil der Arbeit ist anhand von Einzelstudien das auf Beethoven bezogene Schrifttum einzelner neudeutscher Komponisten untersucht worden. Zunächst wurden die Beethovenrezensionen E.T.A. Hoffmanns behandelt, der, obwohl kein neudeutscher Komponist und hauptsächlich Literat, einen Wendepunkt in der Beethoveninterpretation des 19. Jahrhunderts darstellt. Vor allem mit seiner Besprechung der 5. Sinfonie (1810) erschafft Hoffmann eine neue Art der Musikkritik. Er konzentriert sich einerseits stark auf die Wirkung der Musik und die Rezeption durch den Hörer. Andererseits übersetzt er Beethovens Musik durch Metaphern und Bilder in den Bereich des Visuellen. Diese Metaphorik und Bildlichkeit stammt aus einigen wenigen Bildfeldern: Licht und Dunkelheit, Naturphänomene und der Bereich der ›Geisterwelt‹ mit ihren schemenhaften Gestalten. Auch der Bereich der Architektur, durch Vergleiche von Stilen in der Kirchenmusik mit Baustilen, ist vertreten. Trotz seiner starken Affinität zu detaillierter technischer und formaler Analyse eröffnet Hoffmann so den Weg für eine Musikkritik, die auch, aber nicht nur am Technischen und Musiktheoretischen interessiert ist. Hoffmann formuliert hiermit die Annahme, dass Beethovens Musik Semantisches bzw. Bildliches enthält, ohne sie als Programmusik zu begreifen. Gleichzeitig reagiert er durch einen freieren und ›subjektiveren‹ Sprachstil auf die angenommene Bedeutung der Musik und auch auf ihren in seinen Augen herausragenden Stellenwert. Diesem neuen Sprachstil geht es nicht primär um eine genaue Analyse oder ›Übersetzung‹ der Musik, sondern um eine freiere Reaktion auf sie. Sprache zeigt sich hier als ein von der Musik angeregtes, ebenfalls intermediales Zeichensystem, das sich der Musik gegenüberstellt. Hoffmanns Rezensionen zu

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Beethoven entfalten auf diese Weise eine intensive Wirkung auf das Schrifttum zumindest Richard Wagners und Robert Schumanns. In den verschiedenen Texten Wagners – die eine Bandbreite von Textgattungen umfassen – finden sich mehrere dominante Aspekte, die seine Beethovenbeschreibung und -thematisierung bestimmen. Auf der Textebene sind dies eine Reihe von Modi der Versprachlichung, von der Beschreibung der Hörer-Rezeption über die narrative und visuelle Metapher, den fiktiven Dialog / die fiktive Szene oder die im 19. Jahrhundert konventionellen Übersetzungen von Musik in das sogenannte ›Lebensbild‹ bzw. ›Seelengemälde‹. Gleichermaßen wird mehrfach die Vorstellung einer (philosophischen) Idee hinter Beethovens Musik aufgegriffen und sprachlich expliziert. Wesentlich ist wie bei Hoffmann die Verneinung einer konventionellen Programmusik für Beethoven. Angenommen wird ein ›poetischer‹ Gehalt, der in Opposition zum ›Prosaischen / Historischen‹, in diesem Falle: allzu Konkretem steht. Der hier unscharf benutzte Begriff der Poesie verbindet die Medien Musik und Sprache miteinander. In der Debatte, die in der Erzählung »Ein glücklicher Abend« anhand von Beethovens 7. Sinfonie A-Dur über musikästhetische Fragen geführt wird, wird sogar die Vorstellung einer philosophischen Idee hinter der Musik m. E. zurückgewiesen. Der letztlich akzeptierte Fokus liegt auf den Schlüsselworten der ›Empfindung‹ und ›Stimmung‹. In derselben Novelle werden von den Protagonisten ebenfalls die Sinfonie Eroica diskutiert, und anhand dessen die zentralen Aspekte der ›Poesie‹ und Autonomie der Musik bekräftigt. Kennzeichnend vor allem für die Passagen, in denen Werke Beethovens in ihrer Faktur eingehender beschrieben und ›übersetzt‹ werden, ist die Eigenschaft der »verdeckten Intermedialität« (Werner Wolf). Die Sprache dominiert hier das Medium Musik, das als Referiertes an zweiter Stelle steht. Auch das Phänomen der »verbal music« (Steven Scher) ist durchgängig gegeben. Trotz seiner vielfachen Strategien, Beethovens Musik im Medium der Sprache darzustellen, formuliert Wagner die paradoxe Aussage, die die Beschäftigung auch der literarischen Romantik mit der Musik kennzeichnet: Musik sei nicht beschreibbar und durch die Sprache nicht zu erfassen. Wagner platziert in seinen Schriften jedoch auch musikästhetische Ausführungen über Beethoven, die sich auf einer Meta-Ebene bewegen und nicht direkt auf die Faktur seiner Werke bezogen sind. Dies ist besonders in der Erzählung »Pilgerfahrt zu Beethoven« der Fall. Der reisende deutsche Musiker, der endlich bei Beethoven angelangt ist, unterhält sich mit diesem zunächst über die Rezeption des Fidelio. Kritik am Musiktheater der Gegenwart, mit besonderem Bezug auf die italienische und französische Musikszene, ist hier inbegriffen. Im Zusammenhang mit der Frage, wie das ideale Musikdrama auszusehen haben, wird im Gespräch auf Shakespeare verwiesen. Bei der Diskussion über die Wertigkeit von Instrumental- und Vokalmusik weisen Beethoven und der deutsche Musiker ersterer die Sphäre der Natur und Schöpfung,

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letzterer den Bereich der Empfindungen zu. Sie fordern eine Synthese der beiden, und kommen auf Beethovens 9. Sinfonie zu sprechen, in der dies realisiert sei. Sie betonen die Kühnheit und Modernität des Werks und prognostizieren, dass dies vom konservativen Publikum nicht unkritisch aufgenommen werden würde. Offenbar stellt sich der Autor Wagner in seiner fiktiven Musikerfigur hier auch in Bezug auf negative Kritik durch die Zeitgenossen in die Nachfolge Beethovens. Es ist offensichtlich, dass Wagner das fiktive Gespräch als Inaugurationsszene inszeniert, und sich selbst, vor allem durch die zentrale Stellung des intermedialen Kunstwerks im Gespräch, als Nachfolger Beethovens begreift. Dies hängt ebenfalls mit dem frankreich- und englandfeindlichen Diskurs des kulturellen Nationalismus zusammen, der Beethoven zur Gallionsfigur einer ›deutschen‹ Musikkultur stilisiert. Wagners Beethovenschriften fokussieren einerseits darauf, Beethovens Musik als semantisiert bzw. ›poetisch‹ zu begreifen, andererseits auf die Legitimation einer Ästhetik des Gesamtkunstwerks im Sinne des Zusammenschlusses der Künste. Letztere wird vor allem dann propagiert, wenn Wagner Beethovens 9. Sinfonie zum Grundstein eines Gesamtkunstwerks der Zukunft stilisiert. Sich selbst zeichnet der Autor als legitimen ›Erben‹ des Gründungsvaters einer progressiven Musikästhetik, Beethoven, und nutzt somit eine mit Assmann monumentale Form der Erinnerung als Strategie der ästhetischen Identitätsbildung und Selbstlegitimation im Sinne einer ›Nachfolgerschaft‹. Wie Wagner erhofft sich Schumann von der monumentalen Erinnerung an Beethoven auf eschatologische Weise eine ›neue poetische Zeit‹. Das Thema der Erinnerung an Beethoven wird im Text »Monument für Beethoven« ausführlich verhandelt. Hier bezieht sich Schumann einerseits ausführlich auf die zeitgenössische Debatte über die Gestaltung von Beethovendenkmalen. Weiterhin lässt er verschiedene Meinungen der Davidsbündler über die richtige Art, sich an Beethoven zu erinnern, zu Wort kommen. Ein wichtiger Aspekt, auf den mehrfach rekurriert wird, ist hier die ›Verkennung‹ Beethovens zu seinen Lebzeiten. Auf der Ebene der Sprache werden an mehreren Stellen Metaphern und Bilder gebraucht, einerseits dann, wenn es um die imaginierten Denkmale geht, andererseits, wenn Beethovens Musik beschrieben wird. Die ›dritte Ebene‹ des Visuellen ist hier sehr präsent. Durch die vermittelnde Figur des Meister Raro wird am Schluss eine offenbar gültige Position dargelegt und hiermit eine legitime Kultur des Erinnerns an Beethoven beschrieben: Man solle sein Andenken sowohl dadurch, in seinem Sinne zu komponieren und Musik zu praktizieren, als auch durch ein äußerliches, materielles Zeichen bewahren. Die Figur Eusebius weist außerdem darauf hin, dass die Art und das Maß der Erinnerung an Beethoven die kulturelle Identität der romantischen Musiker wesentlich konturiert. Mit Aleida Assmann fungieren die Vorstellung des Beethovendenkmals im Text bzw. die verschiedenen imaginierten Versionen (Tempel etc.)

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als räumliche (Gebäude-)Metaphern des Gedächtnisses. Nach Assmann steht der Ruhmestempel für eine kanonisierende, monumentalisierende Art der Erinnerung. Diese liegt in Schumanns Text ebenso vor wie im gesamten Diskurs der Neudeutschen über Beethoven und sein Werk. Gleichermaßen schließt Schumann sich Wagners Skepsis gegen die Annahme allzu konkreter Inhalte in Beethovens Musik an. Beide verwenden in Einzelfällen ähnliche Metaphernfelder, insbesondere die christlich geprägte Motivik des Meeres und der Schöpfung. Schumann bedient sich in seinen Beethoventexten verschiedener literarisch-rhetorischer Mittel: der Metaphorik, die in die Verbindung von Sprache und Musik die Ebene des Visuellen einführt, der fiktiven Szene, der Rede, des Dialogs. Eine Vielfalt der rhetorisch-literarischen Techniken weist vor allem die »Fastnachtsrede von Florestan« auf. Sie enthält einerseits Merkmale der Rede, andererseits fiktive Dialoge und Szenen. Der Text macht mit Hilfe dieser Strategien dem Leser deutlich, dass er Beethoven nicht zu beurteilen, sondern zu verehren habe und übt gleichzeitig scharfe Kritik am breiten zeitgenössischen Diskurs über Beethovens Musik. Schumann wird so zur Schlüsselfigur einer neuen, ›kreativeren‹ romantischen Musikkritik, die versucht, die Kritik als ein dem Werk angemessenes Gegenstück zu gestalten. Eine strukturelle Verwandtschaft der Medien Literatur und Musik wird von Schumann ebenfalls angenommen. Auch seine Beethovenschriften sind übergreifend mit den Begriffen der »verbal music« und der »covert intermediality«, der »verdeckten Intermedialität« zu begreifen. Gleichermaßen ist sein Schreiben jedoch vom technisch-analytischen Stil geprägt, der die Intention, Beethovens Werke auch theoretisch zu durchdringen, deutlich macht. Sowohl Schumann als auch Wagner sehen die enge Verflechtung von Wort und Ton, Dichtung und Musik bei Beethoven, und begreifen dies als Kennzeichen einer neuen Epoche, als eine Musikästhetik des freien subjektiven Ausdrucks und hiermit des Umbruchs. Schon in seinem Programmtext »Zur Eröffnung des Jahrgangs 1835« in der Neuen Zeitschrift für Musik legt Schumann seine Musikästhetik dar, die von der Erinnerung an die Tradition geprägt ist. Gleichzeitig fällt aber, im Zusammenhang mit der Forderung, aus der Tradition heraus eine neue Ästhetik zu schaffen, das zentrale Schlagwort der »neue[n] poetische[n] Zeit«. Diese soll durch kämpferische Bemühungen in der Gegenwart vorbereitet werden. Die Texte in der NZfM stehen also eindeutig auch im Dienst dieser Idee und sollen dieser ihr Wirkungspotential zur Verfügung stellen. Diese Ästhetik wird von Schumann eindeutig als progressiver Elitendiskurs gekennzeichnet und richtet sich gegen die breite (bourgeoise) Masse der Kunstrezipienten. Mit Bourdieu gesprochen geht es vor allem in der »Fastnachtsrede« darum, dass eine kleine Elite von progressiven Musikern, hier der fiktive Davidsbund, das Recht auf Konsekration Beethovens und hiermit das Recht auf Beurteilung gegenüber der Masse für sich beansprucht. Die Bewah-

Zwischenresümee

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rung von Beethovens kulturellem Erbe und seine Monumentalisierung zielen auf die Durchsetzung einer als ideal begriffenen, ›poetischen‹ Musik in der Zukunft. Kunstreligiöse Aspekte charakterisieren hierbei Wagners und Schumanns Diskurse. Schumanns Beethovenbild unterscheidet sich jedoch trotz einiger Überschneidungen von den typischen romantischen Beethovenbildern des ›Naturkinds‹, des Revolutionärs usw. Schumann bemüht sich um eine differenzierte Sichtweise der Komponistenpersönlichkeit Beethoven und betont unter anderem auch Beethovens Fähigkeit zu Humor und Leichtigkeit in der Musik. Auch Berlioz bedient sich in seiner Eigenschaft als Kritiker grundsätzlich literarisch-rhetorischer Mittel. Dies ist insbesondere in den Texten über Beethoven der Fall, die zumeist reine Werkbesprechungen sind. Berlioz wählt wie Schumann besonders dann poetische Strategien, wenn das thematisierte Werk dies durch seine Qualität zu erfordern scheint, wie Katharine Ellis bemerkt. Dies ist der Fall, da Beethoven und Gluck für Berlioz zentrale Figuren der Musikgeschichte und wesentlich für seine eigene Musikästhetik sind. Da Beethovens Musik in Berlioz’ Augen semantische, poetische Qualität besitzt, sind literarische und rhetorische Mittel in ihrer Darstellung gerechtfertigt. Berlioz bezeichnet Beethoven als »poÚte musicien«. Dementsprechend gehört Berlioz zu der neuen Generation von Kritikern nach 1800, für die nicht nur ein rein musiktheoretischer, fachinterner Diskurs eine Rolle spielt. Berlioz bedient sich neben dem auch bei ihm präsenten technischen Vokabular ebenfalls verschiedenster Metaphern und Bilder, gleichermaßen bildet er auch assoziative Eindrücke ab und benutzt die Interpretationsstrategien des ›Lebensbildes‹ und des ›Seelengemäldes‹. Bildspendend ist oft der Bereich der Natur. Ebenso präsentiert er häufig Werke und Passagen aus der antiken Literatur oder aus Shakespeares Werken als paralleles Paradigma zu Beethovens Musik. Hiermit nimmt er wie Schumann eine strukturelle Verwandtschaft von Musik und Literatur an, ebenso eine semantische Ebene, die beiden Medien gemeinsam ist. Berlioz setzt die beiden Medien auch in Bezug auf die Wirkung auf den Leser bzw. Hörer gleich. Bis zu einem gewissen Grad verteidigt Berlioz außerdem die Programmusik, und nimmt auch für Beethovens Musik programmusikalische Aspekte an, die er positiv beurteilt. Im Vergleich mit Schumanns und Wagners Kritik sind Berlioz’ Rezensionen von Beethovens Musik zumindest in formaler Hinsicht weniger frei und kreativ. Dennoch ist, wie Katherine Kolb Reeve argumentiert, der Einfluss E.T.A. Hoffmanns und der Wandel der Musikkritik nach 1800 hin zur ›romantischen Kritik‹ auch bei Berlioz und in der französischen Kritik generell um und nach 1830 festzustellen. Wie auch bei Schumann und E.T.A. Hoffmann existieren der neue

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Beethovenschriften und Beethovenrezeption der Neudeutschen Schule

subjektiv-bildliche und der klassisch analytische Diskurs des 18. Jahrhunderts in Berlioz’ Kritiken nebeneinander.475 Auch Berlioz teilt jedoch eine, vor diesem Hintergrund paradoxe, Sprachskepsis mit Wagner und anderen, indem er die (moderne, progressive) Musik noch immer als das wichtigste und wertvollste Medium ansieht. Berlioz’ Schriften intendieren außerdem, dem deutschen Musiker Beethoven in der französischen Kulturszene zu mehr Präsenz und Einfluss zu verhelfen. Deutschland wird in diesem Kontext zu einem Utopia der Kultur und der ›idealen‹ Musik. Das Korpus an Schriften, in denen Franz Liszt sich explizit mit Werken Beethovens beschäftigt, ist relativ begrenzt. Herausragend sind hier die Texte Ueber Beethoven’s Musik zu Egmont sowie Beethoven’s Fidelio. Liszt begreift Beethoven hier als den zunächst vom Publikum verkannten Reformer, der den Umbruch der Musikästhetik hin zu einer semantisierten Musik und zur Verbindung von Musik und Dichtung hin angestoßen habe. Liszt nutzt weiterhin seine Thematisierung von Beethovens Musik, um Wagner und auch Berlioz als Komponisten einzuführen, die die von Beethoven angestoßenen Prozesse fortführen und perfektionieren. Ein weiteres Mal wird so deutlich, dass die Neudeutschen ihre Ästhetik durch den Rückgriff auf Beethoven offensiv legitimieren. Resümierend ist festzuhalten, dass alle neudeutschen Komponisten trotz der stilistischen und formalen Differenzen in ihrem musikalischen Schrifttum über Beethoven seine Musik als intermedial geprägt und hiermit semantisiert begreifen. Auf den realen oder angenommenen semantischen Gehalt seiner Musik reagieren die Neudeutschen mit neuen Modi der Musikkritik bzw. des Schreibens über Musik. Sie bedienen sich rhetorischer und literarischer Strategien sowie literarischer Gattungen. Die Ebene des Visuellen ist durch die Verwendung von verschiedenen Metaphernformen und Bildern ebenso präsent wie narrative Strukturen. Des Öfteren wird eine strukturelle Verwandtschaft der Medien Musik und Literatur postuliert. Im zweiten Teil dieser Arbeit beschäftige ich mich mit der Frage, inwiefern die Ästhetik des Intermedialen, die durch die Neudeutschen auf Beethovens Musik (teilweise) projiziert und in den im Sinne der »covert intermediality« ebenfalls intermedial verfassten Schriften realisiert wird, sich ebenfalls in der schriftlichen Behandlung ihrer eigenen musikalischen Werke niederschlägt. 475 Vgl. Katherine Kolb Reeve: »Rhetoric and reason in French music criticism of the 1830s«. In: Peter Bloom (Hrsg.): Music criticism in the Eighteen-Thirties. Stuyvesant, NY 1987. (= Musical Life in 19th-century France. = La vie musicale en France au XIXe siÀcle. Bd. 4). S. 537 – 553. Explizit formuliert die Autorin diese Ansicht beispielsweise hier: »Berlioz and Liszt, and Hoffmann before them, all occasionally helped themselves to the first-person imagery ; conversely the first-person example contains distinct traces of narrative in its ›chaotic‹ imagery ; finally the third-person judgemental of criticism continued to function alongside the other two, remaining quite as ineradicable then as it is now.« S. 550.

3. Ästhetik der Intermedialität: Neudeutsche Musik in den neudeutschen Schriften

3.1

Beethovens Nachfolger: Selbstinszenierung der Neudeutschen

»Der Diskurs der Nation bezieht sich nicht nur auf das politische System. Er ist vielmehr gekennzeichnet durch eine gegenseitige Durchdringung von politischer und kultureller Sphäre, von einer Verankerung der nationalen Identität im kulturellen Gedächtnis und der Prägung der kulturellen Identität durch Eigenschaftszuschreibungen, die den sog. Nationalcharakter […] ausmachen […].«476

Die neuere Forschung hat auf die kulturelle Verfasstheit des Nationalismus längst einen deutlichen Schwerpunkt gelegt. Hierbei wird aufgezeigt, wie nationale Identität durch den Bezug auf eine gemeinsame Kultur(-geschichte), auf angeblich gemeinsame ›Sitten‹ und ›Gebräuche‹ konstruiert worden ist. Nicht nur Verweise auf ein gemeinsames Territorium oder eine fingierte gemeinsame Abstammung eines Kollektivs von Menschen spielen also bei den historischen Bemühungen um Nationenbildung eine Rolle, sondern auch ein angenommenes gemeinsames geistiges Eigentum. Besonders durch Benedict Anderson477 ist der Aspekt des Fingierten oder auch Kreativen im Prozess der Nationenbildung betont worden und das Stichwort der »imagined community« aufgetreten. Eine wichtige Rolle spielt hierbei der Wille zur (imaginierten) Nation. Mit dem nationalen Selbstverständnis Deutschlands und Frankreichs im 19. Jahrhundert hat sich Michael Jeismann in seiner Studie Das Vaterland der Feinde478 beschäftigt und hierbei ebenfalls die

476 Roy Sommer : Grundkurs Cultural Studies / Kulturwissenschaft Großbritannien. Barcelona u. a. 2003, S. 145. 477 Vgl. Benedict Anderson: Imagined Communities. Reflections on the Origins and Spread of Nationalism. Revised Edition, London, New York 2006. 478 Michael Jeismann: Das Vaterland der Feinde. Studien zum nationalen Feindbegriff und Selbstverständnis in Deutschland und Frankreich 1792 – 1918. Stuttgart 1992. (= Sprache und Geschichte. In Zusammenarbeit mit Werner Conze, Francois Furet, Hans Robert Jauss,

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Ästhetik der Intermedialität

große Rolle des Kulturellen im deutschen und französischen Nationalismus untersucht und hervorgehoben. Auch die deutsch-französische ›Feindschaft‹, die im 19. Jahrhundert aus verschiedenen Gründen und im Gefolge mehrerer Kriege Konjunktur hat, wird explizit als Feindschaft bzw. Unvereinbarkeit zweier Kulturen konstruiert. Jeismann beschreibt wie folgt: »Die Propagandisten der nationalen Idee sahen jedoch nicht primär in der Geschichte, die nur bedingt eine gemeinsame deutsche war, sondern in kulturellen Gemeinsamkeiten im weitesten Sinne die Grundlage der deutschen Nation. Daß man sich auf ›Kultur‹ als eine einheitsstiftende Instanz berief, lag nicht allein daran, daß die bisherige politische Geschichte Deutschlands wenig Anlaß zu der Hoffnung gab, das Gemeinsame in allem Trennenden entdecken zu können. Denn gerade die ›Kultur‹, so die feste Überzeugung, sei keinem historischen Wandel und keiner Partikularisierung unterworfen, sondern Ausdruck einer dauerhaften ›Wesenheit‹ der Deutschen, die aller Geschichte zugrunde lag. Als kulturelle Gemeinsamkeiten galten vor allem die deutsche Sprache und eine gleiche oder doch ähnliche Art des Verhaltens und der ›Sitten‹. Aus diesen Gemeinsamkeiten ließ sich ein nationales Selbstbild entwerfen, das eine Unterscheidung und Abgrenzung gegenüber anderen Völkern, insbesondere gegenüber den Franzosen, ermöglichte. Deutlicher als in der emphatischen Evozierung des ›Deutschen‹, die in hohem Maße durch Selbst-Begeisterung getragen wurde, deutlicher auch als in der topographisch-geographischen Stilisierung Deutschlands, anders schließlich als in der Absetzung von der bisherigen Geschichte durch Stiftung einer nationalgeschichtlichen Perspektive, spielte im nationalen Selbstentwurf über die Kultur das Gegenbild, die Anwesenheit des Feindes eine entscheidende Rolle. War von deutscher Sprache die Rede, wurde ihre Überlegenheit, ihre größere ›Wahrheit‹ gegenüber der französischen betont; sprach man von den ›Sitten‹ der Deutschen, hob man sie explizit oder implizit von der ›verdorbenen Art‹ der Franzosen ab. So besaß der nationale Selbstentwurf über die Zuweisung kultureller Güter ein negatives Double: Der Schattenriß des Feindes, des anderen, des nicht Dazugehörigen, machte die eigene Kultur erst sichtbar.«479

Dementsprechend dominieren auch im musikalischen Schrifttum der Epoche Stereotype, die französische wie vielfach auch die italienische Musik als seicht, übermäßig virtuos und effekthascherisch brandmarken und die vorgeblich ›tiefsinnige‹, ernste und gehaltvolle deutsche Musik dagegen setzen. Auch in den Musikkritiken und musikgeschichtlichen Werken ist also der kulturelle Nationalismus, den Jeismann u. a. beschreiben, deutlich zu vermerken. Auch bei Wagner als Mitglied der Neudeutschen ist ein Ressentiment gegen die Musik und das musikalische Leben v. a. Frankreichs und Englands präsent. In seiner Polemik für Beethovens Musik arbeitet Wagner sehr ausgeprägt mit kulturell-nationalen Stereotypen, die zugunsten der deutschen Musik eingesetzt werden. Hermann Lübbe, Thomas Luckmann, Christian Meier, John M. Roberts, Jean Starobinski und Harald Weinrich. Hrsg von Reinhart Koselleck und Karlheinz Stierle. Bd. 19). 479 Ebd., S. 65.

Beethovens Nachfolger: Selbstinszenierung der Neudeutschen

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Umso erstaunlicher muss es erscheinen, dass zwei von drei Mitgliedern des sogenannten ›Triumvirats‹ (Wagner, Liszt und Berlioz) der Neudeutschen Schule Komponisten mit nicht deutscher sondern französischer bzw. ungarisch-österreichischer Nationalität waren. Die Zeitgenossen, vor allem aber die Neudeutschen selbst – wie im Folgenden gezeigt werden soll –, entwickeln in ihren Schriften bemerkenswerte Strategien, das Problem der heterogenen Nationenzugehörigkeit innerhalb ihrer Gruppierung zu marginalisieren. Im vorangegangenen Kapitel zu Berlioz’ Beethovenschriften ist referiert worden, dass Berlioz einerseits selbst eine große Affinität zu Deutschland und der deutschen Musikszene entwickelt hat. Andererseits wird ihm u. a. durch die deutsche musikalische Presse gelegentlich eine ›deutsche‹ und nicht ›französische‹ Identität als Künstler zugesprochen. Er benehme sich wie ein Franzose, komponiere hingegen wie ein Deutscher. Eine wichtige Rolle in diesem Akt der Vereinnahmung spielt, dass Berlioz als Beethovens Nachfolger stilisiert und proklamiert wird. Auf verschiedene Weise werden beide als ›Geistesverwandte‹ miteinander in Verbindung gebracht. Es wird gleichermaßen betont, dass Beethoven zu Berlioz’ kompositorischen Vorbildern gehört habe. Festzuhalten ist hierbei, dass zum einen eine im kulturellen Sinne verstandene ›deutsche‹ Identität dem französischen Komponisten Berlioz zugeschrieben wird; dies wird zum anderen dadurch untermauert und bekräftigt, dass er als ›Erbe‹ und Nachfolger des mittlerweile zum deutschen Nationalhelden avancierten Beethoven betrachtet wird. Im ersten Teil dieser Arbeit haben wir gesehen, dass die musikkritische bzw. musikschriftstellerische Beschäftigung mit Beethoven und seiner Musik den Mitgliedern der Neudeutschen Schule und ihrem Umkreis gemeinsam ist. Ihr Bezug auf Beethoven und ihre Auffassung seiner Musik als semantische und so intermedial verfasste Kunst ist die Basis für die neudeutsche Musikästhetik, wie im weiteren Verlauf dieser Untersuchung zu zeigen sein wird. Auf relativ abstrakte Weise greifen alle drei Komponisten des Triumvirats, trotz erheblicher interner Differenzen, Beethovens symphonische Technik auf, wie Detlef Altenburg in seinem grundlegenden Aufsatz »Die Neudeutsche Schule – eine Fiktion der Musikgeschichtsschreibung?« als These formuliert hat: »Die kompositorische Auseinandersetzung mit der symphonischen Technik Beethovens vollzieht sich bei Berlioz, Liszt und Wagner zwar in sehr unterschiedlicher Form, gemeinsam ist ihnen aber, daß sie auf einer sehr abstrakten Ebene an die Formkategorien der Beethovenschen Symphonik anknüpfen: Mit der Steigerungstechnik (Berlioz), der Motiv- und Thementransformation (Liszt) und der Leitmotivtechnik (Wagner) entwickeln sie zwar verwandte, aber keineswegs identische Verfahrensweisen. Das Vermächtnis Beethovens sah Liszt ebenso wie Berlioz und Wagner nicht in

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Ästhetik der Intermedialität

klassizistischem Epigonentum, sondern in der Weiterentwicklung und Innovation gewahrt.«480

Zu dieser schulenbildenden und vereinenden Aneignung Beethovens gehört jedoch auch, dass die Neudeutschen (und ihre Schüler) sich wechselseitig als Beethovens Nachfolger deklarieren. Dies wird in den musikalischen Schriften auf häufig vehemente und nachdrückliche Weise öffentlich gemacht. Diese Art der gegenseitigen Selbstinszenierung dient unter anderem dazu, die nationale Heterogenität der Neudeutschen zu kompensieren. Dies ist unter anderem deshalb nötig, weil die interkulturelle Feindschaft zwischen Deutschland und Frankreich im 19. Jahrhundert eigentlich als Hindernis für die Einheit der neudeutschen Schule hätte wirken können. Der Dirigent, Pianist und Komponist Hans von Bülow – als Liszt-Schüler den Neudeutschen eng verbunden – ereifert sich 1852 in der Zeitschrift »Deutschland« über die ( französische) »Industriekunst der Gegenwart«481. In derselben Besprechung schreibt von Bülow über Berlioz wie folgt: »Berlioz besitzt den vollgültigsten Anspruch auf das Ehrenbürgerrecht in der deutschen Kunst, wie nur wenige Stammesgenossen es in der Gegenwart beanspruchen dürfen. Berlioz’ Geist ist durch und durch deutsch, wenn man mit diesem Prädikat den Begriff des Sittlich-Ernsten, Künstlerisch-Religiösen verbindet.«482

Auch Liszt schreibt in einem seiner Reisebriefe an Berlioz und erwähnt, er gehe nach Wien, um Mendelssohns Paulus zu hören. Liszt lädt Berlioz ein, ebenfalls zu kommen, da Deutschland das Land sei, in dem man seine Sinfonien verstehe: »L’Allemagne est leur v¦ritable patrie. […] Les trois g¦nies [Mozart, Beethoven und Weber, B.S.] ont jet¦ de vigoureuses racines en Allemagne.«483 Von Bülow weist ebenfalls darauf hin, dass Berlioz sein Leben lang seinen Vorbildern Gluck und Beethoven treu geblieben sei. Er beruft sich auf Wagner, der in Berlioz ebenfalls einen Nachfolger Beethovens sehe und fordert: »Man pflegt große Männer selbst in ihren Enkeln zu ehren; um wie viel mehr sollte 480 Detlef Altenburg: »Die Neudeutsche Schule – eine Fiktion der Musikgeschichtsschreibung?« In: Detlef Altenburg (Hrsg.): Liszt und die Neudeutsche Schule. Laaber 2006. (= Weimarer Liszt-Studien. Im Auftrag der Franz-Liszt-Gesellschaft e.V. Weimar hrsg. von Detlef Altenburg. Bd. 3). S. 9¢22. 481 »Hektor [sic] Berlioz und Benvenuto Cellini.« [Zeitung »Deutschland«, (Weimar) Nrn. 274, 275, 276, 277; den 18., 19., 20., 21. November 1852]. In: Hans von Bülow. Briefe und Schriften. Hrsg. von Marie von Bülow. Leipzig 1895 – 1908. Bd 3: Ausgewählte Schriften 1850 – 1892. S. 90¢101. Hier S. 92. 482 Ebd., S. 91. 483 Franz Liszt: Reisebriefe. 14. »A. M. Hector Berlioz.« In: Franz Liszt: Sämtliche Schriften. Hrsg. von Detlef Altenburg. Wiesbaden u. a. 1989 – 2000. Bd. 1. Frühe Schriften. Hrsg. von Rainer Kleinertz. Kommentiert unter Mitarbeit von Serge Gut. Wiesbaden u. a. 2000. S. 302 – 312. Hier S. 306 und S. 308.

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man auf geistigem Gebiete die Nachfolger großer Genies ehren.«484 Schließlich wird angedeutet, dass Berlioz das monumentale Vorbild Beethovens möglicherweise noch übertreffe. Von Bülow schreibt über andere Kompositionen Berlioz’ und sieht in ihnen »Fortschritte auf der von Beethoven betretenen Bahn und als solche auch riesenhafte Erweiterungen der von Beethoven erschaffenen Form.«485 Überdeutlich ist dies, wenn Liszt in der Besprechung »Beethoven’s Fidelio« den letzten Absatz des Textes benutzt, um die Brücke von Beethoven zu Berlioz zu schlagen. Er spricht hier über Berlioz’ Benvenuto Cellini und vergleicht das Werk direkt mit Fidelio: »Es existirt in unsrer Zeit ein zweiter Fidelio.«486 Noch direkter als von Bülow formuliert er das provokante Postulat, Berlioz habe Beethoven in der dramatischen Komposition weit übertroffen. »Ein Werk voll hoher, mächtiger Conception, welches gleichfalls aus dem Geist eines symphonisch großgewordenen Meisters hervorgegangen ist, der aber den Unterschied der dramatischen Behandlung schneller erfaßt, die nothwendigen Erfordernisse und Hülfsmittel derselben gewandter gehandhabt hat, als Beethoven. Wir sprechen vom Benvenuto Cellini des Hector Berlioz.«487

Sofort darauf folgt die engagierte Klage über die gegenwärtig noch andauernde Verkennung des Komponisten durch die uninformierte breite Masse des Publikums – in den Schriften, die die Neudeutschen wechselseitig über ihre Werke und / oder Konzerte verfassen, ein fast leitmotivischer Topos. »Noch hat seine Stunde nicht geschlagen und leider steht es dem Componisten sehr im Wege, daß er zur Zeit noch unter den Lebenden wandelt. Ist aber einmal der Zeitpunkt gekommen, wo die verschiedenen lokalen Kleinlichkeiten, an deren Widerstand das Werk an verschiedenen Orten scheiterte, beseitigt sind, so wird es als eines der bedeutendsten unsrer Zeit erkannt und gewürdigt werden, und die Weimarische Bühne darf sich dann rühmen, die erste gewesen zu sein, die es der Vergessenheit entzogen.«488

Schumann schreibt in seiner Besprechung von Berlioz’ Symphonie Fantastique: »Nach der neunten Sinfonie von Beethoven, dem äußerlich größten vorhandenen Instrumentalwerke, schien Maß und Ziel erschöpft. […] Das Ausland hatte zu alledem stillgeschwiegen. […] Das ganze übrige Frankreich und Italien schrieb Opern. Einstweilen sinnt in einem dunkeln Winkel an der Nordküste Frankreichs ein junger Student der Medizin über Neues. Vier Sätze sind ihm zu wenig; er nimmt, wie zu einem Schauspiele, fünf. Erst hielt ich (nicht des letzten Umstandes halber, der gar kein Grund 484 Ebd., S. 93. 485 Ebd., S. 95. 486 Franz Liszt: »Beethoven’s Fidelio.« In: Franz Liszt: Sämtliche Schriften [Anm. 483]. Bd 5: Dramaturgische Blätter. Hrsg. von Dorothea Redepenning und Britta Schilling. Wiesbaden u. a. 1989. S. 10. 487 Ebd. 488 Ebd.

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Ästhetik der Intermedialität

wäre, da die Beethovensche neunte Sinfonie vier Sätze zählt, sondern aus andern) die Sinfonie von Berlioz für eine Folge jener neunten […]«489.

Wie andere Autoren der musikalischen Fachpresse bringt auch Schumann Berlioz in seinem Werk in direkte Verbindung mit Beethoven. Er weist durch den Begriff der (zeitlichen) »Folge« – der sich im Fall der Symphonie fantastique vom Entstehungsdatum her gesehen als nicht schlagkräftig erweist und der entsprechend zurückgenommen werden muss – auf den Diskurs der geradezu genealogisch verstandenen geistigen Verwandtschaft von Beethoven und Berlioz wie auch anderen ›Neudeutschen‹ hin. Von Liszt ist es bekannt und am prominentesten wohl von Detlef Altenburg490 bereits detaillierter erforscht, dass er sich mit seinem Projekt einer neuen (semantisierten) Musik bewusst an die deutsche Kulturtradition angeschlossen hat. Dies wurde besonders sinnfällig dadurch, dass Liszt in Weimar seinen Sitz nahm und die Stadt Goethes und Schillers bewusst als Zentrum seiner ›Schulenbildung‹ und ästhetischen Ziele gestalten wollte. Auch wenn es um das Denkmal Beethovens geht, ist Liszt außerordentlich engagiert, und beklagt im Reisebrief XIV an Berlioz bitter die geringe Summe, die eine Sammlung für Beethovens Denkmal ergeben hat. Er schreibt seine Absicht nieder, selbst die fehlende Summe beizusteuern und Bertolini, einen befreundeten Bildhauer, zu bitten, die Arbeit zu übernehmen.491,492 Auch Hans von Bülow beschreibt in seiner Rezension »Franz Liszt. Die erste Aufführung des Oratoriums ›Die heilige Elisabeth‹ auf dem ersten ungarischen Musikfeste« [NZfM. Band 61, Nr. 37 u. 38, den 8. u. 15. Sept. 1865] Liszts Oratorium und äußert sich sehr ausführlich lobend über ihn. In diesem enthusiastischen Lob heißt es unter anderem über den Komponisten: »Der größte Künstler des Landes, und zugleich einer der hervorragendsten des Jahrhunderts wie der gesammten Geisterwelt, legte eine der reifsten goldenen Früchte seines Genius auf den Altar der Nation nieder.«493 Nachdem er Liszt im Weiteren als den einzig möglichen Mitarbeiter seines Freundes Wagner deklariert hat, verknüpft er ausdrücklich Liszt und Beethoven miteinander. Des weiteren ist Liszt als prominenter Interpret von Beethovens Kammermusik u. a. in der musikalischen Szene in Paris in Erscheinung getreten. Eben489 Schumann: Gesammelte Schriften, Bd. 1, S. 70 f. 490 Vgl. hierzu: Detlef Altenburg (Hrsg.): Liszt und die Weimarer Klassik. Laaber 1997. (= Weimarer Liszt-Studien. Im Auftrag der Franz-Liszt-Gesellschaft e. V. Weimar hrsg. von Detlef Altenburg. Bd. 1). 491 Franz Liszt: Reisebriefe. 14. »A. M. Hector Berlioz.« [Anm. 483], S. 309. 492 Vgl. Axel Schröter : »Der Name Beethoven ist heilig in der Kunst.« Studien zu Liszts Beethoven-Rezeption. Sinzig 1999. (= Musik und Musikanschauung im 19. Jahrhundert. Studien und Quellen. Hrsg. von Detlef Altenburg. Bd. 6). S. 161 f. 493 Hans von Bülow: Briefe und Schriften [Anm. 481], S. 72.

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falls hat er die Sinfonien Beethovens verschiedentlich transkribiert und für Klavier bearbeitet. Gleiches gilt für einige Lieder von Beethoven. Auch trat Liszt als Beethovendirigent auf und gab eine Ausgabe von Beethovens Werken heraus. In seinen Briefen und Schriften, auf die ich im Weiteren noch zurückkommen werde, gibt es an mehreren Stellen eine Auseinandersetzung mit dem Programmatischen bzw. angenommenen semantischen Gehalt von Beethovens Musik. Wie auch Axel Schröter im Titel seiner Studie zu Liszts Beethovenrezeption zitiert, enthält Liszts Vorwort zu den Transkriptionen der Beethovensinfonien den Satz: »Der Name Beethoven ist heilig in der Kunst.«494 Sein finanzielles wie ideelles Engagement für das Beethovendenkmal ist bereits erwähnt worden, und hervorstechend ist hier auch seine enge Verbindung und Korrespondenz mit dem planenden Komitee.495 Wie Axel Schröter pointiert formuliert, ging es Liszt in seiner Aktivität für die Erinnerung an Beethoven auch um die eigene Identität als Komponist, die eine ›Nachfolgerschaft‹ bzw. geistige Verwandtschaft mit Beethoven beinhalten sollte: »Die entscheidende finanzielle Förderung der Errichtung des Denkmals trug freilich gewiß nicht nur Liszts eigenem Bedürfnis, das Andenken Beethovens zu pflegen, Rechnung, sondern brachte für ihn zugleich den Vorteil, daß man ihn fortan noch stärker mit Beethoven verknüpfte, ein Nebeneffekt, der sicher kalkuliert und gewollt war. Beide Aspekte lassen sich auch aus dem Brief des Komitees an Liszt herauslesen.«496

Bereits in der Besprechung von Wagners Beethovennovellen, v. a. in der Novelle »Pilgerfahrt zu Beethoven« haben wir gesehen, dass der schriftstellerische Autor Wagner das Medium der Fiktion benutzt, um eine irreale Begegnung zwischen sich und dem monumentalen Vorbild zu inszenieren. Gleichermaßen wird ein (musik-)ästhetisches Gespräch über Beethovens 9. Sinfonie fingiert. Dies dient, wie gesagt, dazu, Wagners eigene radikal intermediale Musikästhetik zu legitimieren. Wagner setzt sich in der Musikgeschichte selbst als legitimen und in der Fiktion von Beethoven persönlich inaugurierten Nachfolger. Hierbei propagiert er, die Modernität und Kühnheit, und somit auch dessen (frühere) Verkennung durch das Publikum mit Beethoven zu teilen. In »Über Beethoven’s Musik zu Egmont« rekurriert Liszt wie Wagner auf die Antike, um seine Gedanken zur Synthese der Künste darzulegen. »Im alten Griechenland war die Vereinigung von Dichtung und Musik eine so innige, daß Gedicht und Gesang gleichbedeutend und gleich benannt waren.«497 Anhand dessen entwickelt Liszt seine 494 Zur Bedeutung Beethovens für Liszt vgl. die ausführliche Studie von Axel Schröter [Anm. 492]. Hier zit. nach S. 156. 495 Zur Vielfältigkeit von Liszts Beethovenrezeption vgl. ebd. 496 Ebd., S. 162 497 Franz Liszt: Sämtliche Schriften. Hrsg. von Detlef Altenburg. Wiesbaden u. a. 1989 – 2000.

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Argumentation für eine intermediale Musikästhetik. Im letzten Teil der Schrift zu Egmont bringt er Beethoven in Verbindung mit Wagner. Liszt suggeriert schließlich dem Leser, Wagner habe sich nicht nur an Beethoven angeschlossen, sondern diesen in seiner Auffassung der musikalischen Tragödie noch übertroffen. »Während Schubert seinen Genius an das Vorzüglichste wandte, was die deutsche Lyrik geleistet hatte, erfaßte Beethoven mit sicherem Griff die Tragödie selbst. Mag der Versuch uns auch unvollkommen erscheinen, er war von einer nachhaltigeren Wirkung als die tastenden Verbesserungen, durch welche man die Operntexte aus ihrer früheren Nichtigkeit zu ihrem jetzigen Gebahren führte. Schubert’s [sic] Aufgabe ist im Einzelnen vollständiger gelöst als die Beethoven’s, nichts desto weniger war es dem Versuch desselben im Egmont vorbehalten, ein fernhin treffender Pfeil zu sein, dessen Tragweite vielleicht der Genius kaum ahnte, der ihn abschnellte. Wagner begnügt sich nicht mehr damit, die Meisterwerke der Poesie theilweise für die Musik in Anspruch zu nehmen. […] Da wir den Namen Wagner’s citirt haben, indem wir von Egmont sprachen, so erinnern wir zugleich daran, daß jener, ehe er musikalische Studien gemacht hatte, lebhaft den Beruf zum Drama in sich fühlte, und in mehreren Tragödien, die er schrieb, Shakespeare’schen Vorbildern nachzuringen trachtete. Eine Vorstellung des Egmont aber war es, die ihn plötzlich die ganze Gewalt und Kraft erfassen lehrte, durch welche die Musik den dramatischen Ausdruck zu erhöhen vermöchte, und alsbald reifte der Entschluß in ihm, die Tonkunst stofflich zu bewältigen, um in einem Athemzug sich als Dichter und Musiker zu bezeugen. Bald ward es ihm klar, wie ungenügend der Antheil ist, welchen Beethoven der Musik am Drama giebt […]« (Kursivierung B.S.).498

Die Begründung dafür, dass Wagner Beethoven kompositorisch noch übertroffen habe, liegt hier in der Betonung dessen, dass Wagner die Synthese der Künste in seiner Musik noch intensiver ausgeführt habe. Beethoven wird hier zugesprochen, gleichzeitig der die neue Ästhetik initiierende Meilenstein in der Musikgeschichte zu sein, aber auch nur den Anfang dieser großen Entwicklung zu markieren. Liszt schließt seinen Text wie folgt: »Beethoven begann, indem er diese Fragmente componirte, der Kunst einen neuen Weg zu bezeichnen, indem er mit mächtiger Hand den ersten Baum eines unbetretenen Waldes fällte, das erste Hinderniß wegräumte, zuerst Hand an’s Werk legte. Die Welt sah ohne sonderliche Aufmerksamkeit diesem ersten Schlage zu; aber die Zeiten waren gekommen, wo die Kunst diesen Weg wandeln sollte, und bald nach ihm fand sie die Bahnen hell gelichtet und geebnet.«499

Auch von Bülow verknüpft in seiner Besprechung »Über Richard Wagner’s ›Faustouvertüre‹« Wagner mit Goethe und Beethoven, was den besprochenen Bd. 5 [Anm. 486], S. 16. 498 Ebd., S. 18. 499 Ebd., S. 20.

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Komponisten ganz offensichtlich als den Dichter-Musiker ausweisen soll, von dem bereits Liszt gesprochen hatte. Er macht in diesem Text weiterhin den wertenden Dualismus »Tonsetzer – Tondichter«500 auf. Die Rezension beschließt er mit dem Satz, der polemisch den von Liszt und Wagner selbst nur umschriebenen Gedanken einer geistigen ›Erbfolge‹ Beethoven – Wagner ausspricht. Eine verschärfende Wirkung erhält dies nur noch durch kunstreligiöses Vokabular : »Und nun bitten wir schließlich hartnäckige Gegner […] zu belehren, daß wir Unrecht haben, Richard Wagner für das zu halten, wofür wir ihn unter Anderem erklären: [folgendes im Sperrdruck, B.S.] als einen der wenigen legitimen Erben und Nachfolger des incarnirten Musikgottessohnes Beethoven.«501

Eine sehr wichtige Rolle in der Inszenierung der Neudeutschen als homogene Gruppe – deren kompositorische Praxis und jeweilige musikästhetische Überzeugungen intern durchaus von Konflikten und Differenzen geprägt waren – spielen die Schriften von Franz Brendel. Er war den Neudeutschen eng verbunden und engagierte sich als Herausgeber der Neuen Zeitschrift für Musik nach Schumann intensiv für ihre Belange. Er erschuf den Begriff der »Neudeutschen Schule«502 und beanspruchte mit diesem Terminus, so Altenburg, »nicht nur die Beethoven-Sukzession, sondern auch so etwas wie einen ›Alleinvertretungsanspruch‹ für die Innovation in der Musik in Deutschland.«503 Brendel forciert ebenfalls den Gedanken der Beethovennachfolge der Neudeutschen. »Der zentrale Satz in Brendels Rede »Zur Anbahnung einer Verständigung« definierte klar den Ausgangspunkt der Neudeutschen Schule: ›Beethoven […] eröffnet die neudeutsche Schule.‹ Damit war nicht nur das historische Leitbild, sondern auch der terminus post quem definiert.«504

In Brendels Vorstellung vom Verlauf der Musikgeschichte markiert Beethoven nach der Epoche von Haydn und Mozart, von ihm als klassizistische Epoche begriffen, den Wendepunkt hin zur Moderne.505 500 Hans von Bülow: Briefe und Schriften [Anm. 481]. Bd 3, S. 216 f. 501 Ebd., S. 231. 502 Zur Problematik dieses Begriffs vgl. ebenfalls Altenburg: »Die Neudeutsche Schule – eine Fiktion der Musikgeschichtsschreibung?« [Anm. 480]. Eine ausführliche Analyse zum Begriff der Neudeutschen Schule und ebenfalls zu ihrer Ästhetik leistet Robert Determann: Begriff und Ästhetik der »Neudeutschen Schule«. Ein Beitrag zur Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts. Baden-Baden 1989. (= Collection d’etudes musicologiques / Sammlung musikwissenschaftlicher Abhandlungen. Bd. 81). 503 Detlef Altenburg: »Die Neudeutsche Schule – eine Fiktion der Musikgeschichtsschreibung?« [Anm. 480], S. 10. 504 Ebd., S. 16. 505 Ebd., S. 18.

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Ästhetik der Intermedialität

Die Nachfolge Beethovens, die die Neudeutschen wechselseitig füreinander fingieren, geht auch damit einher, dass die postulierte moderne Synthese der Künste auf Beethovens Musik zurückgeführt wird. Wagner legitimiert sein Musikdrama durch den Rückgriff auf Beethovens 9. Sinfonie und wird durch von Bülow als »Tondichter« bezeichnet. Liszt sieht die Neudeutschen und ihre semantisierte Musik in der Nachfolge Beethovens, der den ersten Schritt zu dieser Musikästhetik getan habe. Berlioz wiederum wird beispielsweise durch Griepenkerl unter anderem dadurch mit Beethoven in Verbindung gebracht, dass ihn und Beethoven der semantische Gehalt des Humoristischen in ihrer Musik verbinde. Der Gedanke der geistig-ästhetischen Nachfolge Beethovens verbindet also die drei zentralen Mitglieder der Neudeutschen Schule miteinander. Altenburg betont im bereits zitierten Aufsatz, dass der Anspruch der Neudeutschen, das Erbe Beethovens anzutreten, mit dem Dogma von einer Synthese der Künste eng einhergeht, und führt dementsprechend aus, »daß sich die Neudeutschen bei ihrem Postulat der ständigen Innovation, der Erneuerung der Kunst, auf die jüngere Musikgeschichte seit Beethoven beriefen. Die großen Vorbilder der neueren von Beethoven über Weber, Schubert und Schumann waren Leitbilder für das P r i n z i p, in der Erneuerung der Musik als Dichtung neue Wege zu beschreiten […]«506.

Wenn also, wie wir es im Kapitel zu Berlioz’ Beethovenschriften ausgeführt haben, gerade für Berlioz regelrechte genealogische Linien fingiert werden, die ihn als ›Ur-ur-enkel‹ Beethovens ausweisen sollen, so deutet dies auf folgendes hin: Wenn alle Mitglieder des neudeutschen ›Triumvirats‹ als legitime Erben Beethovens gelten können, so sind sie auch alle als Deutsche zu betrachten. Gegen die Widerstände, die dem Begriff »neudeutsch« wegen der französischen Nationalität Berlioz’ entgegengebracht werden, verteidigt Brendel den Terminus der Neudeutschen Schule, indem er folgendermaßen argumentiert: Die Franzosen unter den Neudeutschen hätten ihren geistigen / kompositorischen Ausgangspunkt bei Beethoven genommen, und seien deshalb ›deutsch‹.507 Dies ist selbstverständlich für Liszt und Berlioz als den Neudeutschen zugehörige Komponisten besonders essentiell, auch wenn Brendel erst 1859 den Begriff der ›Neudeutschen‹ offiziell prägt. Während Wagner durch seine fiktive Sohnschaft zu Beethoven lediglich seine progressive und umstrittene Musikästhetik zu legitimieren sucht, muss bei Liszt und vor allem bei Berlioz die nicht-deutsche Nationenzugehörigkeit kompensiert und verwischt werden. Die Forschung zum historischen Nationalismus verweist darauf, dass man »einen 506 Detlef Altenburg: »Die Neudeutsche Schule – eine Fiktion der Musikgeschichtsschreibung?« [Anm. 480], S. 17. 507 Rainer Kleinertz: »Zum Begriff ›Neudeutsche Schule‹«. In: Detlef Altenburg: Liszt und die Neudeutsche Schule [Anm. 480]. S. 23 – 32, hier S. 25.

Beethovens Nachfolger: Selbstinszenierung der Neudeutschen

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friedlichen, liberal-demokratischen Nationalismus von einem aggressiven, rassistischen und irrationalen Nationalismus«508 unterscheiden müsse. Die aggressive Variante des Nationalismus wird, wie Jeismann ausführt, mit Charles Maurras als »integrale[r] Nationalismus«509 bezeichnet. In Wagners »Pilgerfahrt zu Beethoven« wie auch anderen Novellen (»Ein Ende in Paris« u. a.) zeigt sich sehr deutlich, dass der Autor gegenüber Frankreich und auch England einem tendenziell integralen Nationalismus anhängt. Der musizierende Engländer in der »Pilgerfahrt« ist als Karikatur eines unfähigen, jedoch von sich selbst überzeugten Dilettanten gezeichnet, und in den Erzählungen von »Ein deutscher Musiker in Paris« ist es die oberflächliche und konsumorientierte, intrigante Pariser Musikkultur, die den ›echten‹ Musiker zugrunde richtet. Die Unterschiede zwischen den Nationen bzw. Wagners aggressiver Nationalismus sind im Übrigen als kulturell geprägt zu verstehen. Zumindest in den hier analysierten Texten von Wagner ist der Nationalismus gegen England und Frankreich nicht mit Begriffen von ›Rasse‹, mit der Historie oder der Geographie belegt, sondern bezieht sich auf die ›deutsche Kultur‹, die gegen die englische oder französische gesetzt wird. Könnte man Wagners Nationalismus also als einerseits kulturell, – und damit, wie Jeismann gezeigt hat, als typisch für den deutschen Nationenentwurf im 19. Jahrhundert – begreifen und andererseits integral verstehen, so hat dies für das Selbstverständnis der Neudeutschen bestimmte Konsequenzen. Die Tatsache, dass Liszt und Berlioz beide nicht deutscher, sondern französischer bzw. österreichisch-ungarischer Nationalität sind, lässt sich in der Darstellung der Neudeutschen bzw. ihnen nahestehenden Publizisten nur dadurch verwischen, dass der zugrunde liegende integrale Nationalismus kultureller Natur ist. In den dementsprechenden musikkritischen und musikgeschichtlichen Schriften wird behauptet, Berlioz werde im Komponieren zum Deutschen, er sei als Mensch ein Franzose und als Musiker ein Deutscher. Dies suggeriert, dass die kulturelle Nationalität wandelbar sei, und dass ein Individuum durch sein Denken und Schaffen sich als Bürger einer anderen Nation ausweisen könne. Bei einem ›rassisch‹ und geographisch verstandenen Nationalismus, der die Betonung auf die Herkunft oder Abstammung eines Menschen legt, wäre ein solcher Wechsel nicht so leicht möglich. Wie schon im Kapitel zu Berlioz ausgeführt worden ist, ist eine ›Umcodierung‹ des Berlioz zu einem deutschen Komponisten durchaus in dessen Sinne. Dennoch kann nicht übersehen werden, dass es sich um einen kulturellen National-Chauvinismus handelt, wenn Berlioz in dieser Weise vereinnahmt wird.510 Zwar schreibt Hans von Bülow in der Besprechung von Berlioz’ Benvenuto Cellini wie folgt: 508 Michael Jeismann: Das Vaterland der Feinde [Anm. 478], S. 12. 509 Ebd., S. 13. 510 Wolfram Steinbeck vertritt in Bezug auf den kulturellen Nationalismus der Neudeutschen

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»Ist irgendwo der Nationalstolz übel angewandt, so ist er es im Reiche der Kunst, zumal da, wo er sich in Nationalhaß dem ›Ausländischen‹ gegenüber manifestirt. – Die Kunst ist ein Gemeingut aller civilisirten, kunstreifen Nationen. Für das Hohe und Edle, für das Göttlich-Menschliche gibt es keine Zollgrenze, darf es kein Prohibitivsystem geben.«511

Dennoch folgt bald in diesem Text die bereits zitierte Stelle: »Berlioz besitzt den vollgültigsten Anspruch auf das Ehrenbürgerrecht in der deutschen Kunst, wie nur wenige Stammesgenossen es in der Gegenwart beanspruchen dürfen. Berlioz’ Geist ist durch und durch deutsch […]«512. Da der Komponist Berlioz und sein Werk positiv hervorgehoben werden sollen, ist es offenbar nicht möglich, ihm eine französische kulturelle Identität zuzugestehen. Berlioz darf als ›Mensch‹ seine französische Identität beibehalten, als Künstler muss er sie aufgeben, wenn er als Mitglied einer neuen deutschen Musiker-Elite verstanden werden will. Die Neudeutsche Schule nimmt also in der Bildung ihres ästhetischen Selbstverständnisses bzw. in dem Versuch, die geistig-kulturelle Zusammengehörigkeit ihrer Mitglieder öffentlich zu betonen oder auch zu konstruieren, zumindest zeitweise Abstand von einem essentialistischen, rein historisch-geographischen Verständnis von Nation. Sie profitiert im Vorgang der ›Schulenbildung‹ vom Gedanken der kulturell verfassten Nationalität, der »imagined community«, da dieser die Möglichkeit eines Wechsels der kulturell-ästhetischen Identität eines Künstlers zulässt. Beethoven dient in diesem Sinne als zentraler gemeinsamer Bezugspunkt für die Neudeutschen und als Muster einer ›deutschen‹ künstlerischen Persönlichkeit. Wie auch Schumann, für den die Idee des Bündnisses gleichgesinnter Musiker besondere Bedeutung eine Gegenposition: Zwar sei der Universalitätsanspruch deutscher neuromantischer Komponisten, formuliert durch Brendel, vorhanden. Jedoch ziele er auf eine über-nationale Tonsprache, die zwar von Deutschland ausgehen solle, jedoch alle Nationen in sich versammele. »Brendel träumte von einer Weltmusiksprache, die er mit dem, was er als ›neudeutsch‹ faßte, keineswegs erreicht, wohl aber, von Deutschland aus, auf den Weg gebracht sah«. (Wolfram Steinbeck: »Die Neudeutschen, Franz Brendel und die nationale Idee.« In: Detlef Altenburg und Harriet Oelers (Hgg.): Liszt und Europa. Laaber 2008. (= Weimarer Liszt-Studien. Im Auftrag der Deutschen Liszt-Gesellschaft hrsg. von Detlef Altenburg. Bd. 5). S. 51 – 62, hier S. 57). Ebenso Steinbeck an anderer Stelle: »Die Neudeutschen sind – bei aller nationaler Gesinnung und Zielsetzung und auch bei aller bewußten Polemik, die selbst hinter dem etwas fadenscheinigen Aufruf zur Versöhnung steckte – die ersten Europäer, und das nicht nur, weil ein Franzose, ein Ungar und ein Deutscher die Kerntruppe bilden, sondern vor allem auch, weil mit ihrer Musik und ihrer vereinsmäßigen Förderung, im Zentrum Weimar, der Grundstein einer europäischen Kompositionsgeschichte gelegt wurde, der Grundstein für die zweite Stufe der Emanzipation der Instrumentalmusik, deren Reinheitsgebot im nationalen Sendungsbewußtsein unterging.« Ebd., S. 59. 511 Hans von Bülow: »Hektor [sic] Berlioz und Benvenuto Cellini.« [Zeitung »Deutschland«, (Weimar) Nrn. 274, 275, 276, 277; den 18., 19., 20., 21. November 1852] [Anm. 481], hier S. 91. 512 Ebd.

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hat, emphatisch formuliert, man solle »in unserer denkwürdigen Gegenwart nicht ein loses Durcheinander des Zufalls, sondern die natürliche, innige Verknüpfung verwandter Geister von sonst und jetzt erkennen.« (Schumann, »Soireen für das Pianoforte von Klara Wieck. Werk 6.«)513 Die Erinnerung an Beethoven und sein Werk ist einerseits der Anlass, sich nach seinem Vorbild als Musiker zu entwickeln und Beethoven dabei gegebenenfalls sogar zu übertreffen. Für die nicht-deutschen Mitglieder impliziert dies die Notwendigkeit, ihre ›nicht-deutsche‹ Schaffensweise zurückzudrängen bzw. ihre Art des Komponierens im Nachhinein als ›deutsch‹ zu stilisieren. Gleichzeitig bietet der gemeinsame Bezug auf Beethoven für die Neudeutschen eine sehr effektive Option, die internen nationalen Unterschiede – und auch die nicht unerheblichen musikästhetischen internen Differenzen – im eigenen Selbstverständnis und auch für die Darstellung nach außen zu nivellieren. Gleichermaßen hat die propagierte geistig – kulturelle Verbindung mit Beethoven, der inzwischen zum kulturellen Nationalhelden aufgestiegen ist, die sehr wichtige Funktion der Legitimation. Jeder der drei ›Gründungsmitglieder‹ der neudeutschen Schule muss zu diesem Zeitpunkt seine jeweilige progressive Musikästhetik gegen konservative und anderweitige Kritik durchsetzen. Eine für alle drei glaubhaft gemachte Verbindung mit dem ›monumentalen‹ Vorbild Beethoven stärkt einerseits die Einheit der neuen ›Schule‹ über die Ländergrenzen hinweg und verteidigt andererseits ihre umstrittene neue Ästhetik.

3.2

Musikästhetische Entwürfe einer intermedialen Musik im Musikschrifttum der Neudeutschen

Im vorangegangenen Kapitel ist ausgeführt worden, dass die Mitglieder der Neudeutschen Schule sich in ihrer Musikauffassung auf Beethoven beziehen und sich in ihrem Schaffen als seine ›Nachfolger‹ begreifen bzw. dementsprechend stilisieren. Immer wieder ist auch bereits im ersten Teil dieser Arbeit sowie im Kapitel zur Musikversprachlichung der Neudeutschen deutlich geworden, dass alle Neudeutschen sich zum Ideal einer ›semantisierten‹ bzw. intermedial verfassten Musik bekennen. Hierbei greifen sie auf die Interpretation von Beethoven als ›musikalischem Dichter‹ zurück und verstehen seine Musik als sinnhaft und intermedial. Dies ist das Charakteristikum, das die ästhetischen Auffassungen der Neudeutschen eint. Dennoch gibt es innerhalb des ›Zirkels‹ bedeutende Varianten und auch Differenzen in Bezug auf die individuelle musikalische Ästhetik der Mitglieder. In kurzen und beispielhaften Analysen wird also fol513 Schumann, Gesammelte Schriften, Bd. 1, S. 251.

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gendes noch einmal verdeutlichend dargelegt: Die Neudeutschen demonstrieren einerseits im Akt der Musikversprachlichung, dass die Synthese der Medien zentral in ihrer Ästhetik ist, und (der semantische Gehalt von) Musik bis zu einem gewissen Grad transkribiert werden kann. Andererseits benutzen sie auch das Musikschrifttum, um die inhaltlichen Charakteristika ihrer Musikästhetik zu formulieren und publik zu machen. Hierbei ist häufig die Rezension eines konkreten musikalischen Werks der Anlass für allgemeine Ausführungen zu ihrer Auffassung von Musik, wie wir es beispielsweise in Wagners Text »Über Franz Liszts Symphonische Dichtungen« beobachten.

3.2.1 Schumann Wir haben bereits im Kapitel zu Schumanns Beethovenschriften die musikästhetische Auffassung des Komponisten bzw. seine Hinwendung zu einer ›poetischen Musik‹ in den Blick genommen. Zentral hierbei ist einerseits Schumanns Überzeugung, dass Musik und Sprache strukturell verwandt seien. Andererseits betont er immer wieder die Wichtigkeit einer Musik, die durch äußere Anregungen, Motive und Bilder u. a. inspiriert wird. Trotz des frühen Zeitpunkts seiner Entstehung zählt Schumanns Jugendaufsatz »Über die innige Verwandtschaft der Poesie und Tonkunst« zu den wichtigen Dokumenten seiner ansonsten wenig explizit dargelegten oder theoretisch fundierten persönlichen Musikästhetik. Dieser Aufsatz setzt gleich zu Beginn die Dicht- und Tonkunst von allen anderen Künsten – der Baukunst, der Bildhauerei, dem Tanz, der Malerei – ab und bezeichnet sie als höherstehend. Die Musik könne Gefühle erzeugen, – hier ist unter anderem noch die Affektästhetik des 18. Jahrhunderts präsent – aber auch die Dichtung erhebe den Menschen gleichermaßen. »Oder gibt es etwas Herrlicheres, als mit dem schmelzenden Strome der Harmonien, mit der Macht der Töne, die lieblich aus den Saiten hervorquillt, die schönsten Gefühle dem Herzen zu entlocken; oder gibt es eine größere Kraft, das menschliche Herz in allen Richtungen zu bewegen, als es jetzt von den ernsten Tönen des Chorals zur Unschuld und Einfalt, von Frohsinn und Heiterkeit zur Schwermut und zum Tiefsinn, von Gefälligkeit und Ruhe zu Groll und Unlust, von dem Ton der Liebe, der Andacht, des traulichen Gesprächs mit Gott zum finstern Hinbrüten, zur Leichenklage und Jammergeächze, von der schwärzesten Verzweiflung zu den frohen Klängen des Triumphes abzustimmen? und wahrlich, dies alles vermag die Tonkunst: aber nicht ihr allein ist es gegeben, die Sinne mit holdem Zauber zu umgaukeln, nicht ihr allein zum höchsten Schönen den Menschen hinaufzutragen – wisset, auch die Poesie vermag solches Großes: sie nur vermag die Seele lieblich zu umstricken, sie hat es vermocht, daß sie ganze Völker staunend anschauten.«514 514 Robert Schumann: »Über die innige Verwandtschaft der Poesie und Tonkunst.« In: Ders.:

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Es ist gleichermaßen vor dem Hintergrund der Ästhetik des 18. Jahrhunderts als auch vor dem der (literarischen) Romantik bemerkenswert, dass Schumann die beiden Künste so ausdrücklich als gleichberechtigt darstellt. Er weigert sich im Weiteren explizit, einer von beiden den Vorzug zu geben. Implizit bekräftigend wirken auch die häufiger in diesem Text eingestreuten literarischen Zitate. »O ihr schönsten, ihr herrlichsten Gaben, ihr aller Künste schönste Künste, die ihr den Himmel entgöttert und die Erde zum Himmel hinauftragt, ihr streitet auch jetzt in unserm deutschen Vaterlande um den ehrenden Lorbeerkranz: ich will nicht sagen, daß einer von euch beiden der Vorrang gebührt, ich will keine von den himmlischen Musen beleidigen: aber jene Worte unsres großen Schiller will ich wiederholen: ›Großes wirket ihr Streit, Größeres wirket ihr Bund‹: ¢ ja, Größeres wirket ihr Bund: Größeres und Schöneres, wenn der einfache Ton durch die geflügelte Silbe, oder das schwebende Wort durch die melodische Woge des Klanges erhöht wird […] wenn sie Hand in Hand ihre himmlischen Pfade wandeln.«515

Als die Gründe dafür, dass beide Künste miteinander so eng und gleichberechtigt verbunden sein können, nennt Schumann diese: sie hätten einen gemeinsamen Ursprung und eine gleichartige Wirkung. Als den Ursprung beider Künste bezeichnet Schumann die Begeisterung für das Schöne. Hierbei bezieht er sich auf die griechisch-römische Antike, indem er wie Wagner die enge Verbindung von Gesang und Dichtkunst anführt und als Beispiele Homer, Anakreon, Aristophanes und Theokrit erwähnt. Dementsprechend schöpften Schiller und Goethe ihre Werke aus derselben Quelle der Begeisterung wie Haydn und Mozart. Der vorliegende Text legt nur einen Teil von Schumanns komplexer intermedialer Ästhetik dar. Dennoch wird deutlich, dass Musik und Sprache als semantische Systeme gleichberechtigt nebeneinanderstehen, strukturell kompatibel sind und sich miteinander verbinden. Dominant ist hier noch immer die Ästhetik und Kraft des Ausdrucks, die sowohl für Musik als auch für Literatur gegeben ist. Musik drückt Gefühle aus und erzeugt sie. Verschiedene zentrale Aspekte von Schumanns intermedialer Ästhetik, wie sie zumindest teilweise in diesem Text aufscheint, sind sowohl für seine Rezeption und Versprachlichung von Beethovens Musik als auch für seine ästhetische Positionierung in Bezug auf die Werke der neudeutschen Zeitgenossen gleichermaßen wichtig. Im Kapitel zu Schumanns Beethovenschriften haben wir gesehen, dass Musik und Literatur in struktureller Hinsicht parallel gesetzt werden. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn Beethovens 9. Sinfonie mit Ovids Tristien verglichen wird. Im Text »Die Tonwelt«, der auch den besprochenen Abschnitt »Beethoven« enthält, ist wie im vorliegenden Aufsatz die GrundGesammelte Schriften über Musik und Musiker. Hrsg. von Martin Kreisig. Leipzig 1914. Band 2, S. 173 f. 515 Ebd., S. 174.

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überzeugung vorhanden, Musik sei die Steigerung, die ›Beflügelung‹ der Poesie, gleichsam die gesteigerte Potenz. Schumann schreibt im Übrigen als Tagebucheintrag vom April 1828: »Jeder Tonkünstler ist Dichter, nur ein höherer.«516 Auch hier ist die Ausdrucksästhetik in dem Sinne präsent, als deutlich wird, dass Musik Gefühle ausdrücke. Das Medium Literatur ist auch dann von großer Relevanz, wenn Schumann, wie wir mehrfach in den Beethovenschriften als auch in der Analyse von »Ein Werk II« gesehen haben, Musik in Bilder und Metaphern übersetzt. Wie Aigi Heero überzeugend erläutert hat, übernimmt Schumann Jean Pauls Verfahren, Musik in der Sprache zu visualisieren.517 Auf indirekte Weise ist also das Medium Literatur in Schumanns Auffassung und Versprachlichung von Musik wiederum gegenwärtig. Auch die kritische Position gegenüber der Programmusik wird sowohl in Schumanns Schriften über Beethovens Musik – beispielsweise in der Satire auf die Beethovener in der »Fastnachtsrede« – als auch in den Schriften über die neudeutsche Musik deutlich. Schumann kritisiert aus seinem komplexeren Verständnis von der Darstellungskraft der Musik heraus sowohl die Beethoveninterpreten, die allzu Konkretes (Pyramiden u. a.) in der Musik sehen, als auch Berlioz, der der Symphonie fantastique eine definierte Narration zugrundelegt und diese durch die Musik verwirklicht wissen will. Für das subjektive semantische Potential der Musik, die Gefühle und Bilder zu enthalten und auszudrücken kann, ist bei Schumann Beethoven der zentral wichtige Komponist. Er erklärt ihn zu einem Garanten für seine intermediale Musikästhetik, und eben diese Musikästhetik scheint auch in Schumanns Interpretation, Beschreibung und Bewertung der neudeutschen Werke auf. Plantinga fasst folgendermaßen zusammen: »Beethoven emerges from Schumann’s writings as the familiar revolutionary and iconoclast who sweeps away all artificial conventions, providing for the free expression of subjective musical values. In Beethoven Schumann and his colleagues saw the beginning of a new era in music, namely their own.«518

516 Robert Schumannn: Tagebücher. Hrsg. von Georg Eismann. Leipzig 1971. Bd. 1, S. 41. 517 Aigi Heero: Poesie der Musik: Zur Intermedialität in Robert Schumanns frühen Schriften. Source: TRAMES, issue: 1 / 2007, pages 15 – 34 (http://www.kirj.ee/public/trames/tra mes-2007-1-2.pdf). S. 31. 518 Leon B. Platinga: Schumann as Critic. New Haven, London 1967, S. 95.

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3.2.2 Liszt Liszts Schrift »Compositions pour piano, de M. Robert Schumann«, die 1837 entstand, enthält bekanntermaßen neben der Besprechung von drei Schumannschen Werken auch zentrale Aussagen über Liszts musikalische Ästhetik. Dies ist der Fall, auch wenn der Aufsatz zunächst eindeutig für einen noch jungen und (in Frankreich) relativ unbekannten Komponisten Partei ergreift. Die Entstehungsgeschichte zeigt deutlich, dass auch dieser Text Teil im System der wechselseitigen neudeutschen Protektion und Publizistik ist: Berlioz, der sich wegen Schumanns großer Besprechung seiner Symphonie fantastique in dessen Schuld sah, hatte Liszt mehrfach zum Verfassen der Schumann-Schrift aufgefordert.519 Zu Beginn des Textes thematisiert Liszt drei Möglichkeiten der Rezeption, die musikalischen Werken widerfahren könnten: »trois destin¦es en quelque sorte oppos¦es, qui correspondent aux trois notions d’¦clat, d’¦tendue, de dur¦e […].«520 Es handelt sich also um »Aufsehen, Verbreitung und Dauer«.521 Im Weiteren ordnet Liszt Schumanns Werke denen zu, die lange Zeit im Verborgenen verbrächten und nur von wenigen wertgeschätzt würden. Bereits an dieser Stelle bedient sich Liszt eines Elitendiskurses und ordnet Schumann dem ›Feld‹ der Avantgarde zu. Im Weiteren setzt Liszt ausdrücklich Schumann und Beethoven zueinander in Beziehung, wenn er Schumanns »Impromptu über eine Romanze von Clara Wieck«, op. 5, mit Beethovens Diabelli-Variationen sowie den Es-Dur-Variationen vergleicht. Das in den Schriften der Neudeutschen dominante Motiv der Nachfolgerschaft Beethovens wird hier noch einmal aufgerufen. Auch Beethovens Variationen würden in der Gegenwart nicht populär werden, auch er sei wie Schumann nicht massenkompatibel. Dementsprechend stilisiert Liszt beide Komponisten zu Mitgliedern der musikalischen Avantgarde. Hierauf folgend bespricht Liszt die Sonate op. 11 und das »Concert sans orchestre«. Den im Allgemeinen sehr positiv über Schumann urteilenden Text schließt Liszt mit dem Wunsch, der Komponist möge seine Werke bald auch in Frankreich bekannt machen. Die Passage, in der Liszt im Zusammenhang mit der Besprechung von Schumanns Sonate op. 11 zentrale ästhetische Überzeugungen zum Thema der semantisierten Musik darlegt, ist die folgende:

519 Vgl. zur Entstehung: Franz Liszt: Sämtliche Schriften. Hrsg. von Detlef Altenburg. Wiesbaden u. a. 1989 – 2000. Bd. 1: Frühe Schriften. Hrsg. von Rainer Kleinertz. Wiesbaden u. a. 2000. S. 471 f. 520 Ebd., S. 374. 521 Ebd., S. 375.

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»Peut-Þtre aussi le sens po¦tique aurait-il besoin d’Þtre indiqu¦. Le sens musical, quoique complet en lui-mÞme, ne suffit pas entiÀrement, selon nous, — la compr¦hension de tous les d¦tails. Ici se pr¦sente la grande question de la musique po¦tique et pittoresque, avec ou sans programme, qui, bien souvent agit¦e, l’a ¦t¦ rarement avec bonne foi et sagacit¦. On a toujours voulu supposer que la musique soi-disant pittoresque avait la pr¦tention de rivaliser avec le pinceau; qu’elle aspirait — peindre l’aspect des forÞts, les anfractuosit¦s des montagnes ou les m¦andres d’un ruisseau dans une prairie; c’¦tait supposer gratuitement l’absurde. Il est bien ¦vident que les choses, en tant qu’objectives, ne sont nullement du ressort de la musique, et que le dernier ¦lÀve paysagiste, d’un coup de son crayon, reproduira plus fidÀlement un site que le musicien consomm¦ avec toutes les ressources du plus habile orchestre. Mais ces mÞmes choses en tant qu’affectant l’–me d’une certaine faÅon, ces choses subjectiv¦es, si je puis m’exprimer ainsi, devenues rÞverie, m¦ditation, ¦lan, n’ont-elles pas une affinit¦ singuliÀre avec la musique? et celle-ci ne saurait-elle les traduire dans son myst¦rieux langage? De ce que l’imitation de la caille et du coucou dans la symphonie pastorale peut, — la rigueur, Þtre tax¦e de pu¦rilit¦, en faut-il conclure que Beethoven a eu tort de chercher — affecter l’–me comme le ferait la vue d’un site riant, d’une contr¦e heureuse, d’une fÞte villageoise soudain troubl¦e par un orage inattendu? Berlioz, dans la symphonie d’Harold, ne rappelle-t-il pas fortement — l’esprit des scÀnes de montagnes et l’effet religieux des cloches qui se perdent dans les d¦tours des abruptes sentiers? En ce qui concerne la musique po¦tique, croit-on qu’il lui soit bien indispensable, pour exprimer les passions humaines, telles que l’amour, le d¦sespoir, la colÀre, de s’aider de quelque stupide refrain de romance ou de quelque d¦clamatoire libretto? Mais il serait trop long de d¦velopper ici un thÀme qui a plus d’un rapport avec la fameuse querelle des classiques et des romantiques, querelle dans laquelle le champ-clos de la discussion n’a jamais pu Þtre nettement d¦limit¦.«522,523 522 Ebd., S. 378 / 380. 523 Zu deutsch: »Vielleicht wäre es auch nötig, den poetischen Sinn anzugeben. Für das Verständnis aller Einzelheiten ist nach unserer Ansicht der musikalische Sinn, so vollständig er an sich ist, nicht ausreichend. Hier tritt uns die große Frage der poetischen und malenden Musik, mit oder ohne Programm, entgegen, eine Frage, die, obgleich oft angeregt, dennoch selten mit Ernst und Scharfsinn behandelt wurde. Man wollte immer unterstellen, daß die sogenannte malende Musik den Anspruch erhebe, mit dem Pinsel rivalisieren zu wollen; daß sie erstrebe, den Anblick der Wälder, die zerklüfteten Täler eines Gebirges oder die Mäander eines Baches in einer Wiese zu malen; das hieße, schlicht das Absurde vorauszusetzen. Es ist offensichtlich, daß die Dinge, insofern sie objektiv gegeben sind, in keiner Weise dem Bereich der Musik angehören und daß der letzte Schüler der Landschaftsmalerei mit einigen Kreidestrichen eine Ansicht getreuer wiedergeben wird als ein vollendeter Musiker mit allen Hilfsmitteln des geschicktesten Orchesters. Aber sobald dieselben Dinge in Beziehung zum Seelenleben treten und sich, wenn ich so sagen darf, subjektivieren, indem sie Träumerei, Betrachtung, Begeisterung werden, haben sie dann nicht eine eigentümliche Verwandtschaft mit der Musik und wäre diese nicht imstande, sie in ihre geheimnisvolle Sprache zu übersetzen? Wenn auch die Nachahmung der Wachtel und des Kuckucks in der Pastoral-Symphonie vielleicht als Kinderei bezeichnet werden kann, muß man daraus schließen, daß Beethoven Unrecht hatte, als er das Gemüt ebenso bewegen wollte, wie es der Anblick eines fröhlichen Landlebens, einer schönen Gegend, eines Dorffestes, das unerwartet von einem Gewitter gestört wird, vermöchte? Bringt

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Mit diesen Ausführungen bezieht Liszt anhand seiner Besprechung von Schumanns Werken in musikästhetischer Hinsicht Stellung zu den Debatten seiner Epoche. Im Zentrum steht hierbei die umstrittene Frage nach der Berechtigung von Programmusik, bzw. der, wie Liszt schreibt, ›malenden‹, also mimetischen Musik. Gleich zu Beginn dieses Themas betont der Autor jedoch, dass er den Begriff der Programmusik als einen erweiterten und nicht rein auf die streng mimetische (Ton-)Malerei reduziert wissen will. Er spricht von der »poetischen und malenden Musik, mit oder ohne Programm«524. Der Terminus der ›poetischen‹ Musik rückt Liszt in die Nähe von Schumanns Verständnis von semantisierter Musik. Seine Tendenz, Programmusik auf einer abstrakteren Ebene als die reine Abbildung von Konkretem zu verstehen, zeigt ihn im Einverständnis mit Wagner, der sich besonders auch in seiner Interpretation von Beethovens Musik gegen eine allzu platte mimetisch-realistische Darstellung der Realität durch musikalische Strukturen gewandt hat. Liszt weist dementsprechend den möglichen Anspruch der Musik, in Bezug auf die Visualisierung von Natur, Menschen und Gegenständen mit der Malerei konkurrieren zu wollen, als unsinnig zurück. In den Bereich, den Musik darstellen könne, fielen dagegen die Gefühle und Betrachtungen, die im Menschen durch Phänomene der Realität ausgelöst würden. Hiermit begibt sich Liszt wiederum in den im 19. Jahrhundert noch dominanten Bereich der Ausdrucksästhetik. Die Musik als ›Sprache‹ könne das von der Welt beeinflusste Seelenleben des Menschen ›übersetzen‹. Liszts Auffassung von Programmusik ist also, ähnlich wie bei Wagner, nicht nur der Ausdrucks- sondern auch der Affektästhetik des 18. Jahrhunderts erstaunlich nahe. Auf diese Weise rechtfertigt Liszt auch die sehr plastisch-tonmalerische Naturdarstellung in Beethovens Sinfonie Pastorale und in Berlioz’ Harold-Sinfonie. Die Komponisten hätten durch die programmusikalisch dargestellte Natur ›das Gemüt bewegen‹ wollen. Liszt impliziert an dieser Stelle, sie hätten somit einen ästhetisch anspruchsvolleren Zweck als die reine malende Mimesis von Realität verfolgt. Schließlich stellt Liszt sehr deutlich fest, die ›poetische Musik‹ habe die Sprache in Form von Libretti oder (schlechten) Gedichten nicht nötig, um Gefühle auszudrücken. Indirekt spricht sich der Autor hier gegen den Zusammenschluss der Medien im additivem Sinne aus. Die Musik sei als Medium Berlioz in seiner Harold-Symphonie dem Geiste nicht wundervolle Bergszenen und zur Andacht stimmende, sich in den Windungen steiler Pfade verlierende Glocken in Erinnerung? Was die poetische Musik betrifft, glaubt man denn, daß sie, um menschliche Leidenschaften wie Liebe, Verzweiflung, Zorn auszudrücken, sich unbedingt mit irgendeinem albernen Kehrreim einer Romanze oder einem schwülstigen Libretto behelfen müßte? Doch es würde zu weit führen, wollte man hier ausführlich ein Thema erörtern, das sich in vielen Punkten mit dem berühmten Streit zwischen Klassikern und Romantikern berührt, einem Streit, bei dem es nie gelang, das Gebiet der Diskussion klar zu begrenzen.« Ebd., S. 379 / 381. 524 Ebd., S. 379.

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eigenständig in der Lage, Semantik zu beinhalten und zu transportieren. Wie Gerhard J. Winkler treffend formuliert: »Es zeigt sich somit, daß die ›innere‹ ästhetische Paradigmenbildung der Neudeutschen Schule über das Beziehungsfeld des Begriffspaares ›bestimmt / unbestimmt‹ verläuft und in einer Ästhetik des ›Ausdrucks‹ (als Metapher für die Sprachfähigkeit der Musik) ihren Fluchtpunkt hat.«525

Hierbei geht es um eine Synthese der Medien in dem Sinne, dass »eine Erneuerung der Musik aus dem Geiste der Dichtung, […] eine neue Musiksprache, für die eine der obersten Maximen die ›sprechende Bestimmtheit‹ ist«526, erreicht werden soll. Selbstverständlich ist es auch im vorliegenden Text offensichtlich, dass Liszt seine dargelegte Musikästhetik im Rückgriff auf Beethoven (und auf seine Beethoveninterpretation) entwickelt und erläutert. Durch die Erwähnung von Berlioz’ Harold-Sinfonie in direktem Zusammenhang mit Beethovens Pastorale behauptet Liszt, beide Komponisten hätten die gleiche, subjektivierte und auf Gefühle bezogene Auffassung von Programmusik vertreten bzw. in ihrer Kompositionstechnik durchgeführt.

3.2.3 Wagner Wagners zentrale ästhetische Schrift »Das Kunstwerk der Zukunft« ist sowohl ein Beispiel für Musikbeschreibung, die sich verschiedener literarisch-rhetorischer Strategien bedient als auch ein Dokument, in dem ein musikästhetischer Meta-Diskurs entfaltet wird. Wagners Vorstellung der idealen Musik drückt sich im Rahmen dieses Texts vielleicht am deutlichsten im Abschnitt IV: »Grundzüge des Kunstwerkes der Zukunft« aus. In den einleitenden Ausführungen zu diesem Kapitel beklagt Wagner zunächst das Phänomen einer ›unnatürlichen‹, nicht im ›Volk‹ verankerten luxuriösen Kunst. Sie sei als »Treibhauspflanze«527 das »Sondereigentum einer Künstlerklasse«528 geworden. Wagner will nun im Fol525 Gerhard J. Winkler : »Der ›bestimmte Ausdruck‹. Zur Musikästhetik der Neudeutschen Schule.« In: Detlef Altenburg (Hrsg.): Liszt und die Neudeutsche Schule. Laaber 2006. (= Weimarer Liszt-Studien. Im Auftrag der Franz-Liszt-Gesellschaft e.V. Weimar hrsg. von Detlef Altenburg. Bd. 3). S. 39 – 54. Hier S. 48. 526 Detlef Altenburg: »Die Neudeutsche Schule – eine Fiktion der Musikgeschichtsschreibung?« In: Detlef Altenburg (Hrsg.): Liszt und die Neudeutsche Schule. Laaber 2006. (= Weimarer Liszt-Studien. Im Auftrag der Franz-Liszt-Gesellschaft e.V. Weimar hrsg. von Detlef Altenburg. Bd. 3). S. 9 – 22. Hier S. 13. 527 Richard Wagner : »Das Kunstwerk der Zukunft«. In: DS, Bd. 6: Reformschriften 1849 – 1852. S. 125. 528 Ebd.

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genden erläutern, wie die Kunst sich zu verändern habe, um auch die breite Masse erreichen zu können. Es schließt sich die bekannte These an, das ideale Kunstwerk erfordere einen Zusammenschluss der Künste: »Der künstlerische Mensch kann sich nur in der Vereinigung aller Kunstarten zum gemeinsamen Kunstwerke vollkommen genügen […]«529. Wagner bestimmt nun das Drama als das beste Kunstwerk, das durch die Vereinigung der Künste zustande kommen kann. »Das höchste gemeinsame Kunstwerk ist das Drama: nach seiner möglichen Fülle kann es nur vorhanden sein, wenn in ihm jede Kunstart in ihrer höchsten Fülle vorhanden ist. Das wahre Drama ist nur denkbar als aus dem gemeinsamen Drange aller Künste zur unmittelbarsten Mitteilung an eine gemeinsame Öffentlichkeit hervorgehend […]«530.

Der Text legt dementsprechend ausführlich die Aufgaben und den Beitrag der einzelnen Künste – Architektur, Landschaftsmalerei, Tanz, Dichtung und Tonkunst – dar. Die drei letzteren betrachtet Wagner als »Schwesterkünste«531, die besonders eng verbunden seien. »Wo sein [des Tänzers, B.S.] Vermögen aber endet, wo die Fülle seines Wollens und Fühlens zur Entäußerung des inneren Menschen durch die Sprache ihn hindrängt, da wird das Wort seine deutlich bewußte Absicht künden: er wird zum Dichter, und um Dichter zu sein, Tonkünstler. Als Tänzer, Tonkünstler und Dichter ist er aber eines und dasselbe, nichts anderes als darstellender, künstlerischer Mensch, der sich nach der höchsten Fülle seiner Fähigkeiten an die höchste Empfängniskraft mitteilt. In ihm, dem unmittelbaren Darsteller, vereinigen sich die drei Schwesterkünste zu einer gemeinsamen Wirksamkeit, bei welcher die höchste Fähigkeit jeder einzelnen zu ihrer höchsten Entfaltung kommt.«532

Auffällig ist hier bereits die enge Verbindung, die Wagner zwischen Dichter und Tonkünstler sieht. Um Dichter sein zu können, müsse der Mensch Musiker sein. Im Rückgriff auf Beethoven geht Wagner daraufhin auf die spezielle Entwicklung der Musik zu einem Medium des Ausdrucks ein: »In ihrer Einsamkeit hat die Musik sich aber ein Organ gebildet, welches des unermeßlichsten Ausdruckes fähig ist, und dies ist das Orchester. Die Tonsprache Beethovens, durch das Orchester in das Drama eingeführt, ist ein ganz neues Moment für das dramatische Kunstwerk. Vermögen die Architektur und namentlich die szenische Landschaftsmalerei den darstellenden dramatischen Künstler in die Umgebung der physischen Natur zu stellen, und ihm aus dem unerschöpflichen Borne natürlicher Erscheinung einen immer reichen und beziehungsvollen Hintergrund zu geben, – so ist im Orchester, diesem lebenvollen Körper unermeßlich mannigfaltiger Harmonie, dem darstellenden individuellen Menschen ein unversiegbarer Quell gleichsam künstle529 530 531 532

Ebd., S. 127. Ebd. Ebd., S. 133. Ebd.

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risch menschlichen Naturelementes zur Unterlage gegeben. Das Orchester ist, sozusagen, der Boden unendlichen, allgemeinsamen Gefühles, aus dem das individuelle Gefühl des einzelnen Darstellers zur höchsten Fülle herauszuwachsen vermag: es löst den starren, unbeweglichen Boden der wirklichen Szene gewissermaßen in eine flüssigweich nachgiebige, eindruckempfängliche, ätherische Fläche auf, deren ungemessener Grund das Meer des Gefühles selbst ist. So gleicht das Orchester der Erde, die dem Antäos, sobald er sie mit seinen Füßen berührte, neue unsterbliche Lebenskraft gab.«533

Der Text schließt mit der Bekräftigung, die einzelnen Künste müssten zum Wohl des Ganzen, des gemeinsamen Ziels, das Drama zu bilden, ihre allzu starke Subjektivität und Autonomie zurückstellen. Wie in der Forschung immer wieder dargelegt, grenzt sich Wagner im »Kunstwerk der Zukunft« – wie generell in der frühen und mittleren Phase seiner Ästhetik, bevor er mit Schopenhauer scheinbar zum Ideal einer absoluten Musik zurückkehrt – deutlich vom Paradigma einer ›absoluten Musik‹ ab. Er bekennt sich zu einer Musik, die den Ausdruck in den Vordergrund stellt und zeigt hiermit in ästhetischer Hinsicht seine Bindung an das 18. Jahrhundert.534 Gerade die Instrumentalmusik müsse sich dem intensiven Ausdruck verpflichten. Wagner nimmt hier die Veränderung der orchestralen ›Sprache‹ durch Beethoven als Vorbild. Beethoven bringe das Orchester dem Vorbild des ausdrucksstarken Dramas näher. So schreibt Wagner an anderer Stelle im »Kunstwerk der Zukunft«, wenn er Beethovens symphonisches Werk ausführlich charakterisiert: »Die unermeßliche Fähigkeit der Instrumentalmusik zum Ausdrucke urgewaltigen Drängens und Verlangens erschloß sich Beethoven. Er vermochte es, das eigentümliche Wesen der christlichen Harmonie, dieses unergründlichen Meeres unbeschränktester Fülle und rastlosester Bewegung, zu losgebundener Freiheit zu entfesseln. Die harmonische Melodie – denn so müssen wir die vom Sprachvers getrennte zum Unterschied von der rhythmischen Tanzmelodie bezeichnen – war, nur von Instrumenten getragen, des unbegrenztesten Ausdruckes, wie der schrankenlosesten Behandlung fähig. In langen zusammenhängenden Zügen, wie in größeren, kleineren, ja kleinsten Bruchteilen, wurde sie in den dichterischen Händen des Meisters zu Lauten, Silben, Worten und Phrasen einer Sprache, in der das Unerhörteste, Unsäglichste, nie Ausgesprochene, sich kundgeben konnte. Jeder Buchstabe dieser Sprache war unendlich seelenvolles Element, und das Maß der Fügung dieser Elemente unbegrenzt freies Ermessen, wie es nur irgend der nach unermeßlichem Ausdrucke des unergründlichsten Sehnens verlangende Tondichter ausüben mochte.«535 533 Ebd., S. 134 f. 534 Vgl. hierzu auch: Rainer Franke: Richard Wagners Zürcher Kunstschriften. Politische und ästhetische Entwürfe auf seinem Weg zum ›Ring des Nibelungen‹. Hamburg 1983. (=Hamburger Beiträge zur Musikwissenschaft. Begründet von Georg von Dadelsen. Hrsg. von Constantin Floros. Bd. 26). S. 100 ff. 535 Wagner : »Das Kunstwerk der Zukunft«. In: DS, Bd. 6: Reformschriften 1849 – 1852, S. 63.

Musikästhetische Entwürfe einer intermedialen Musik

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Wagner gibt sich jedoch mit dem gesteigerten Ausdrucksvermögen einer ›dichterischen‹, sprachähnlichen Musik nicht zufrieden. Wie wir bereits im Kapitel zu seinen Beethovenschriften sehen konnten, beschreibt Wagner Beethoven als einen Komponisten, der im unendlichen Meer der absoluten Tonsprache nach einem ›Anker‹ sucht: dem Wort. Zentrales Beispiel und Markstein der Weiterentwicklung der Musik ist in Wagners Interpretation hier Beethovens 9. Sinfonie. »Die letzte Symphonie Beethovens ist die Erlösung der Musik aus ihrem eigensten Elemente heraus zur allgemeinsamen Kunst.«536 Wie Rainer Franke, Thomas Grey und andere ausgeführt haben, bestimmt Wagner also Beethovens Orchestermusik und besonders die 9. Sinfonie als Marksteine des Übergangs zu einer neuen ›idealen‹ Musik. Thomas Grey formuliert dementsprechend: »In trying to formulate a radical aesthetic program for musical drama around 1850, Wagner manipulated the terms of this critical tradition [die Tradition, in Beethovens Instrumentalwerken Ausführungen einer ›poetischen Idee‹ zu sehen, B.S.] to serve the purposes of this personal agenda, suggesting that the initial success of Beethoven’s ›new path‹ in the middle period and the ultimate failure of the later works to achieve popular or critical acceptance indicated the misdirection of his artistic ambitions, which could only be rectified by rechanneling them in the direction of an entirely new genre (one which Beethoven was unable to conceive, though he intimated it in the Ninth Symphony).«537

Wie Grey hier deutlich macht, begreift Wagner Beethovens Reformversuche jedoch sogar als unvollständig. Im »Kunstwerk der Zukunft« bestimmt Wagner die ideale Kunst bekanntlich als Vereinigung, Zusammenschluss aller Künste. Eine besonders enge Verbindung haben hier die Künste der Dichtung, der Musik und des Tanzes. Sehr deutlich ist dies an Wagners Beschreibung von Beethovens A-Dur-Sinfonie zu sehen, deren metaphorischer Stil bereits im Kapitel zu Wagner und Beethoven Gegenstand der Analyse gewesen ist: »Diese Symphonie ist die Apotheose des Tanzes selbst: sie ist der Tanz nach seinem höchsten Wesen […]«.538 Zu Recht wird also in der Forschung die Rolle Beethovens für Wagners ästhetische Reform herausgestellt. Wagners radikale Version einer inter- bzw. multimedialen Ästhetik wird in seinen Schriften eindeutig anhand der Thematisierung und Interpretation von Beethovens Musik entfaltet. »For the moment, I only want to emphasize how much of what Wagner believed (or came to believe) about the nature of musical form is founded in his perceptions of Beethoven’s music and its relations to his own. Beethoven was for Wagner, as for others 536 Ebd., S. 68. 537 Thomas Grey : Wagner’s musical prose. Texts and contexts. (= New perspectives in music history and criticism. Bd. 2). Cambridge 1995, S. 53. 538 Wagner : »Das Kunstwerk der Zukunft«. In: DS, Bd. 6: Reformschriften 1849 – 1852, S. 66.

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at the time, at once the apogee of two centuries of ›absolute musical’ development and the principal agent of its modern transformation. For Wagner this latter role was interpreted as the prophecy of absolute music’s sublation in the musical drama.«539

Dass es sich hierbei häufig um eine Projektion der eigenen Ästhetik auf Beethovens Musikästhetik bzw. eine radikale Indienstnahme von dessen Charakteristika als Komponist des ›Übergangs‹ handelt, ist häufig angemerkt worden.

3.2.4 Berlioz Bereits im Kapitel zur Musikversprachlichung der Neudeutschen habe ich Berlioz’ Text »Concerts de Richard Wagner« besprochen. Sein Untertitel »La Musique de l’avenir« deutet an, dass hier explizit auch musikästhetische Aspekte verhandelt werden. Wie bereits erläutert, wendet sich der Text nach einleitenden Ausführungen und ausführlichen Analysen von Wagners Musik der allgemeineren Frage nach den ästhetischen Prinzipien der neudeutschen Schule zu. Zu ihnen bezieht Berlioz Stellung und setzt sich teils kritisch, teils zustimmend mit ihnen auseinander. Er beginnt diesen Teil des Texts damit, dass er ankündigt, sich nun zu den Prinzipien der »Zukunftsmusiker«, mit denen er in der öffentlichen Meinung auf verschiedene Weise verknüpft werde, zu äußern, um seinen eigenen Standpunkt deutlich zu machen. Er zählt eine Reihe von (fiktiven) ›Regeln‹ auf, die er mit den Neudeutschen und ihrer Ästhetik verknüpft, und denen er zustimmen könne. Darauf folgt eine weitere Abfolge von Maximen, die er eindeutig verwirft. Unter den ersteren Maximen finden sich unter anderem die folgenden: »›La musique, aujourd’hui dans la force de sa jeunesse, est ¦mancip¦e, libre; elle fait ce qu’elle veut. ›Beaucoup de vieilles rÀgles n’ont plus cours; elles furent faites par des observateurs inattentifs ou par des esprits routiniers, pour d’autres esprits routiniers. […] Dans son union avec le drame, ou seulement avec la parole chant¦e, la musique doit toujours Þtre en rapport direct avec le sentiment exprim¦ par la parole, avec le caractÀre du personnage qui chante, souvent mÞme avec l’accent et les inflexions vocales que l’ont sent devoir Þtre les plus naturels du langage parl¦. […] Le son et la sonorit¦ sont au-dessous de l’id¦e. L’id¦e est au-dessous du sentiment et de la passion.‹«540 539 Thomas Grey : Wagner’s musical prose [Anm. 537], S. 59 f. 540 Hector Berlioz: õ travers chants. Êtudes musicales, adorations boutades et critiques. Paris 1862. [Nachdruck Westmead / Farnborough u. a. 1970]. (= Collected Literary Works of Hector Berlioz reprinted by Gregg International Publishers Limited). S. 298 f.

Musikästhetische Entwürfe einer intermedialen Musik

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Wesentlich sind hier die folgenden zentralen Gedanken: Notwendig sei eine Reform von vielen der alten musikalischen Regeln, um die Musik zu erneuern und aus ihrer ›Starre‹ und ihrer eingefahrenen ›Routine‹ zu lösen. Es sei weiterhin wichtig, dass die (Vokal-)Musik sich in ihrem Ausdruckspotential in engem Bezug zur Sprache und zu den von der Sprache dargestellten Gefühlen befinde. Der Klang diene der Idee und dem Gefühl, das ihm zugrunde liege. Deutlich zu sehen ist hier die neudeutsche Grundüberzeugung, dass für ideale Musik ein ›bestimmter Ausdruck‹ und Semantik zentral sei. Dieser semantische Gehalt der Form soll die Musik in ihrer technischen und formalen Struktur bestimmen. Berlioz spricht ebenfalls die enge Verbindung der beiden Medien Musik und Sprache an. Im Weiteren wird, toposhaft im neudeutschen Diskurs, auch die Virtuosität als Selbstzweck sowie die ›Profanierung‹ der Musik zurückgewiesen, und die Autonomie des Komponisten postuliert. Rhetorisch geschickt führt Berlioz im Weiteren aus, die vorgestellten Prinzipien seien nicht avantgardistisch, sondern allgemeine Überzeugung und zudem bereits in der Musikgeschichte verankert. Als Gewährsleute für diese ästhetischen Prinzipien nennt er Gluck und Beethoven. Es wird hier durch diese Engführung ein weiteres Mal deutlich, wie eindeutig Berlioz seine (neudeutsche) Musikästhetik auf Beethoven stützt und rückbezieht. »Et Beethoven, que fut-il, sinon de tous les musiciens connus le plus hardi, le plus ind¦pendant, le plus impatient de tout frein?«541 In der Aufzählung der negativ bewerteten Regeln der ›Zukunftsmusiker’ wendet sich Berlioz gegen die Hässlichkeit in der Musik, gegen die Abschaffung aller traditionellen Regeln als Prinzip und Selbstzweck, gegen die Missachtung der Melodie und die übermäßige Verachtung des Rezipienten und seiner Bedürfnisse. Der vorliegende Text in seiner heterogenen Struktur ist dementsprechend einerseits eine Rezension Wagnerscher Werke. Andererseits liegt der Fokus sehr stark auch auf der Darlegung der ästhetischen Position des Autors; in diesem Sinne kann der Text als Programmschrift gelesen werden, die Kompositionen eines neudeutschen Autors zum Anlass für sein musikästhetisches Manifest nimmt. Die im Rahmen dieses Kapitels kurz analysierten Schriften zeigen folgendes sehr deutlich: Die Mitglieder der neudeutschen ›Schule‹ demonstrieren ihre intermediale Ästhetik nicht nur, indem sie (Beethovens) Musik in ihren Texten als semantisiert interpretieren, und dies auch durch die Versprachlichung performativ darlegen. Dies haben wir in den Kapiteln der ersten Teils und dem vorangegangenen Kapitel zur Musikversprachlichung der Neudeutschen gesehen. Auch in ihren Programmschriften machen sie auf der inhaltlichen Ebene deutlich, dass der postulierte Zusammenschluss der Künste einerseits not541 Ebd., S. 300.

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Ästhetik der Intermedialität

wendig für eine zukunftsgerichtete Musik sei und dies andererseits eindeutig im Rückbezug auf Beethoven und seine Werke geschehe. Die Neudeutschen unterscheiden sich in ihrer jeweils individuellen Musikästhetik. Ihnen gemeinsam ist jedoch eine Ästhetik des (mehr oder weniger) ›bestimmten‹ Ausdrucks. Für diese gilt ihnen Beethoven als Wegbereiter und Figur der ästhetischen Reform. Er habe den subjektiven und semantischen Gehalt in der Musik erst zur Entfaltung gebracht und sie als eine ausdrucksstarke ›Sprache‹ gestaltet, die sich dem auszudrückenden Gegenstand anzupassen vermag.

3.3

Versprachlichung und publizistische Verbreitung von neudeutschen Kompositionen

Wir haben uns in den Analysen der Texte über Beethoven im ersten Teil dieser Arbeit bereits mit der Art und Weise, in der die Neudeutschen das musikalische Werk im Medium der Sprache betrachten, darstellen und übersetzen, genauer beschäftigt. Es charakterisiert die Generation der Neudeutschen, dass sie Intermedialität nicht nur in ihrer musikalischen Ästhetik realisieren, sondern auch den Medienwechsel bzw. den Zusammenschluss der Medien im Sinne der Romantik in einer neuen, freieren Art der Musikkritik und des Musikschrifttums allgemein durchführen. Gleichermaßen gibt es im musikschriftstellerischen Schaffen der Neudeutschen eine Reihe von Texten und Textpassagen, die als Metatexte das Schreiben über Musik selbst thematisieren und häufig sehr kritisch reflektieren. Einige von ihnen greifen in radikaler Weise auf die romantische Sprachskepsis zurück, indem sie die Versprachlichung von Musik generell als verfehlt und unzulänglich zurückweisen. Hiermit vollziehen diese Texte durch ihre reine Existenz und durch die Tatsache, dass sie von im musikschriftstellerischen Bereich aktiven Komponisten stammen, ein Paradox. Wie Carl Dahlhaus, Thorsten Valk und andere ausgeführt haben, realisiert sich gerade die romantische Musikästhetik, die die Sprache zu einem gegenüber der Musik zweitklassigen Medium degradiert, im Modus der Sprache. Ein Fortwirken eben dieser romantischen Distanz zur Sprache ist auch in den Texten deutlich, die diese Arbeit zum Gegenstand hat. Schumann als Gründer der Neuen Zeitschrift für Musik schreibt in der Davidsbündler-Rezension über zwei Klavierkonzerte Chopins die folgende Passage: »Denn was ist ein ganzer Jahrgang einer musikalischen Zeitung gegen ein Concert von Chopin? Was Magisterwahnsinn gegen dichterischen? Was zehn Redactionskronen gegen ein Adagio im zweiten Concert? Und wahrhaftig, Davidsbündler, keiner Anrede hielt ich Euch werth, getrautet Ihr Euch nicht solche Werke selbst zu machen, als über

Versprachlichung und publizistische Verbreitung von neudeutschen Kompositionen

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die Ihr schreibt […]. Fort mit den Musikzeitungen! Ja Triumph und letzter Endzweck einer guten müßte sein (worauf auch schon viele hinarbeiten), wenn sie es so hoch brächte, daß sie niemand mehr läse aus Ennui, daß die Welt vor lauter Productivität nichts mehr hören wollte vom Schreiben darüber ; – aufrichtiger Kritiker höchstes Streben, sich […] gänzlich überflüssig zu machen; – beste Art, über Musik zu reden, die, zu schweigen. Lustige Gedanken sind das eines Zeitungsschreibers, die sich nicht einbilden sollten, daß sie die Herrgotts der Künstler, da diese sie doch verhungern lassen könnten. Fort mit den Zeitungen! Kömmt sie hoch, die Kritik, so ist sie immer erst ein leidlicher Dünger für zukünftige Werke; Gottes Sonne gebiert aber auch ohne dies genug. Noch einmal, warum über Chopin schreiben? Warum Leser zur Langeweile zwingen? Warum nicht aus erster Hand selbst schöpfen, selbst spielen, selbst schreiben, selbst componieren? Zum letzten Mal, fort mit den musikalischen Zeitungen, besonderen und sonstigen! – Florestan.«542

Zwei Aspekte sind hier in Schumanns Ausführungen besonders zu beachten: Einerseits das deutlich ausgesprochene Urteil, das Schreiben über Musik sei sekundäres und somit minderwertiges Schaffen, langweilig und »Magisterwahnsinn« – eine Reminiszenz an ebenfalls romantische Tendenzen der Wissenschaftskritik. Andererseits wird der Musikkritik, der Musikbeschreibung, wenn überhaupt, eine temporäre, begrenzte und zweckgebundene Berechtigung zugesprochen. Ihr einziges Streben solle sein, sich selbst aufzuheben, nachdem sie das Interesse am Kunstwerk hinreichend geweckt habe: der Kritiker macht sich nach einiger Zeit seines Schaffens im besten Fall selbst »überflüssig«. Die Sprache wird hier also definiert als Dienerin des musikalischen Kunstwerks, sie lenkt die Aufmerksamkeit darauf hin, steht aber stets unter ihm. Sie hat in diesem Sinne aufklärerische und didaktische Aufgaben, sie soll das Publikum dazu erziehen, die ›wahre Kunst‹ angemessen wahrzunehmen. In die gleiche Richtung weisen Wagners Ausführungen, wenn er zu Schumann in »Über musikalische Kritik. Brief an den Herausgeber der Neuen Zeitschrift für Musik.« von der »Kopf- und Ehrlosigkeit der Kritik«543 spricht. Zwar kritisiert Wagner ähnlich wie von Bülow besonders eine bestimmte Art von Kritik, die er als ›industriell‹ und weit entfernt von Gefühl und Verstand brandmarkt, jedoch scheint seine Abneigung gegen die Gattung an sich zumindest in diesem Text vergleichsweise umfassend. Außerdem erwähnt er eine glückliche Zeit in seinem Leben, in der ihn Schreiben über Musik stark abgestoßen habe. Dass es überhaupt noch Kritiken geben müsse, die das Werk erläutern, zeige eine Schwäche der Musik selbst auf. Auch er betont, dass das Schreiben über Musik und Musikkritik eine höchstens übergangsweise beste-

542 Schumann: Gesammelte Schriften über Musik und Musiker. 2 Bde. Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1854. Wiesbaden 1985. Hier Bd. 1, S. 276 f. 543 Richard Wagner : DS. Bd. 8. Hier S. 379.

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Ästhetik der Intermedialität

hende Berechtigung habe. Wenn die Zukunft sich in idealer Weise entwickelt habe, »steht das von uns Gewollte unfehlbar unser Gefühl bestimmend vor uns da, dann ist auch unsere Kritik zu Ende; dann sind wir aus Kritikern erlöst zu Künstlern und kunstgenießenden Menschen, und dann, verehrter Freund, schließen Sie die Zeitschrift für Musik: sie stirbt, weil das Kunstwerk lebt!«544

Es finden sich bei Wagner und anderen jedoch auch differenziertere Sichtweisen des Phänomens der Versprachlichung, der Rezension, der schriftlichen Thematisierung von Musik. Generell ist zu vermerken, dass die Neudeutschen in ihren Schriften die Tatsache des musikalischen Schrifttums auf einer Meta-Ebene gelegentlich reflektieren bzw. in der Besprechung von anderen Gegenständen streifen. Berlioz leitet »Les grotesques de la musique« mit etwa zweiseitigen Ausführungen zum Schreiben über Musik ein. Hierbei beklagt er, dass häufig uninformierte Autoren über Musik schreiben und diese rezensieren. Er vergleicht diese mit Wahnsinnigen, die sich für kompetente Musiker halten.545 Von Bülow erläutert im Vorfeld der Besprechung »Kammer- und Hausmusik. Für Pianoforte. Einige einleitende Worte zu nachfolgenden Recensionen. [NZfM. Band 36, Nr. 8, 20. Februar 1852.]«546 seine Vorstellung von einer idealen Art der Musikkritik. Er unterscheidet hierbei zwischen »activ-negative[r] und eine[r] receptiv-positive[n] Kritik«547. Außerdem wendet er sich gegen eine sogenannte ›tote‹, abstrakte, historische Kritik. Das positive Kontrastbild hierbei ist die lebendige Kritik, die sich erst aus der gegenwärtigen Kunst abstrahiere.548 Darüber hinaus äußert er sich auch zur in der Musikkritik verwendeten Terminologie: Er plädiert dabei für Ökonomie im Gebrauch der lobenden Ausdrücke und möchte Begriffe klar definiert wissen. »Verschwendet man an das Mittelmäßige oder an ein untergeordnetes Kunstgenre Worte der Begeisterung oder des höchsten Grades von Billigung, was bleibt dann übrig zur Bezeichnung des Erhabenen und Vollendeten in der Kunst, als etwa der unglückliche Ausweg, zu den schlaffen Superlativen des nachclassischen Goethe zu greifen?«549

Als würdiges Beispiel von vorbildhafter Kritik nennt von Bülow Liszt und dessen Kritik von Wagners Lohengrin. Liszt habe »diesem Allerheiligsten der Kunst ein 544 Ebd., S. 390. 545 Vgl. Hector Berlioz: Les Grotesques de la Musique. Paris 1859. [Nachdruck Westmead / Farnborough u. a. 1969]. (= Collected Literary Works of Hector Berlioz reprinted by Gregg International Publishers Limited). S. 17 ff. 546 Hans von Bülow: Briefe und Schriften. Hrsg. von Marie von Bülow. Leipzig 1895 – 1908. Band 3: Ausgewählte Schriften 1850 – 1892, S. 45 – 50. 547 Ebd., S. 46. 548 Vgl. ebd. 549 Ebd., S. 49.

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würdiges Propyläum gebaut«550. Er begründet sein begeistertes Urteil über Liszts Kritik unter anderem mit Verweisen auf deren Wirkungspotential im Kampf der progressiven Neudeutschen, hier insbesondere Wagners, gegen ihre Gegner. Die Musikkritik steht im Dienst des neuen Kunstwerks. Auch hier gibt es einen Verweis auf Beethoven: von Bülow erwähnt, auch Gluck, Mozart und Beethoven hätten einen Kritiker und Interpreten wie Liszt gebraucht. Jedoch wird Wagner im Hinblick auf sein Leiden unter den Attacken der Konservativen noch einmal auch von diesen abgehoben. »[…] – Gluck, Mozart und Beethoven hätten wohl auch ihren Interpreten-Liszt brauchen können; wohl aber ist es nie so unabweisbar dringend aufgetreten als eben mit den Kunstschöpfungen Wagner’s, weil kein Tondichter je so heftige Opposition, so krasse Afterkritik erlitten hat, wie Wagner.«551

Auch hierin ist Wagner also Beethovens Nachfolger, als er unter dem aggressiven Unverständnis der Zeitgenossen leidet, und sogar in diesem Leiden findet sich der Überbietungsanspruch gegenüber dem glorifizierten Gründungsvater, wie er auch zum Teil für die Kompositionen beansprucht wird. Wagner selbst äußert sich in seiner Reflektion über das Beschreiben von Musik bzw. von musikalischen Eindrücken ebenfalls über Liszts Musikkritik und -rezensionen. »Wer hat nicht schon versucht, musikalische Eindrücke durch Worte zu bezeichnen? Nur diejenigen dürfen sich einbilden, damit glücklich zu sein, die den wahren Eindruck gar nicht empfingen; wer dieses Eindrucks aber so voll war, wie z. B. Liszt, wenn er über Musik schrieb, der hat in seinen Versuchen gerade auch mit ungeheueren Schwierigkeiten zu kämpfen gehabt, wie er, und nachdem er das Unmögliche durch eine Kunst des sprachbildlichen Ausdrucks, wie sie eben nur wieder dem genialen Musiker sich zu Gebote stellen konnte, zu ermöglichen gesucht hatte, einsehen zu müssen, daß er dadurch doch eben wieder nur dem gleichverstehenden Musiker sich verständlich gemacht, am allerwenigsten aber dem rein literarischen Leser ; denn dieser hat gerade Liszt damit gelohnt, daß er seine Sprache und seine Phrase als unverständlich, ungenießbar, überschwenglich usw. zurückwies.«552

550 Ebd., S. 46. 551 Ebd., S. 47. 552 Richard Wagner : »Über Franz Liszts Symphonische Dichtungen« (1857). Brief an Marie Wittgenstein.« In: Ders.: DS. Bd. 8, S. 22 – 40. Hier S. 23 f.

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Es ist interessant, dass Wagner hier seine explizite Wertschätzung von Liszt als Musiker als Begründung dafür nimmt, dass dieser mit der Verbalisierung von musikalischen Eindrücken Schwierigkeiten gehabt habe. Liszt habe versucht, das Unmögliche – eine Übersetzung von Musik und ihrer Wirkung in Sprache – möglich zu machen. Eine »Kunst des sprachbildlichen Ausdrucks« gesteht Wagner ihm hierbei zu. Über diese habe er deshalb verfügt, weil er ein genialer Musiker sei. Dementsprechend sei Liszts Musikbeschreibung beim literarisch informierten und interessierten Leser auf Unverständnis gestoßen. Implizit begründet Wagner dieses Unverständnis damit, dass der rein literarische Leser den ungeheuren Eindruck, den die Musik auf den Rezensenten macht, aufgrund von Inkompetenz nicht teilen könne. Deshalb müsse ihm auch die intensive Beschreibung von Musik fremd bleiben. Da Liszt begeisterter und kompetenter Musiker ist, hat er das Bedürfnis, die Transformation der Musik in die Sprache zu versuchen, um seine Begeisterung mitzuteilen. Doch nur die Musiker, die seinen Musikenthusiasmus teilen, begreifen das Wesen und auch die Motivation dieser Art von Versprachlichung. Die Sprache ist also nicht fähig, dem über Musik mangelhaft informierten Leser deren hohe Qualität und ihre begeisternden Eigenschaften nahe zu bringen, ihn aufzuklären. Zugrunde liegt auch in dieser Textpassage eine romantische Skepsis der Sprache gegenüber, und die Tendenz, sie im Vergleich zur Musik abzuwerten. Wagner versucht hier auch eine Erklärung für das erwähnte romantische Paradox, das höherwertigere Medium durch ein niederes ausdrücken zu wollen: Die tiefe Begeisterung, die Musik auslöse, müsse, auch wenn dies defizitär und unbefriedigend bleibe, mitgeteilt und kommuniziert werden. Dies ist allerdings naturgemäß nur in einem Medium möglich, das in semantischer Hinsicht ausdifferenzierter ist, dessen Bedeutungstransport durch Konvention geregelt ist, das mit einem Wort: im Gegensatz zur Musik explizit, wenn auch grundsätzlich potentiell mehrdeutig ist, nämlich die Sprache. Wagner also definiert Liszts musikalische Schriften als gleichermaßen notwendig, und im Hinblick auf Polemik und ästhetische ›Propaganda‹ als gescheitert, da sie doch nur den Gleichgesinnten erreichten. Es ist die Frage, ob diese Einschätzung Wagners wirklich den Tatsachen entsprochen hat. Unter anderem Liszts Buch über Chopin und die Schriften über Wagner fanden in Deutschland und Europa eine breite Aufnahme und entfalteten immense Wirkung. Dies ist sicherlich, wie Altenburg bemerkt, auch der großen Prominenz des Klaviervirtuosen Liszt zuzurechnen.553 Liszts Schriften sind al553 Vgl. das Kapitel »Aufnahme und Wirkung«. In: Franz Liszt. Sämtliche Schriften. Bd. 4: Lohengrin et Tannhaüser de Richard Wagner. Lohengrin und Tannhäuser von Richard Wagner. Hrsg. von Rainer Kleinertz. Kommentiert unter Mitarbeit von Gerhard J. Winkler. Wiesbaden 1989. (= Franz Liszt: Sämtliche Schriften. Hrsg. von Detlef Altenburg. Wiesbaden 1989 – 2000). S. 247 – 275. Diese Ausgabe ist Referenzausgabe für Liszts Schriften und wird im Folgenden als Liszt: Sämtliche Schriften zitiert.

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lerdings Beispiele der Versprachlichung von Musik, die im Musikschrifttum der Zeit durch ihre Eigenart hervorstechen.

3.3.1 Liszts Schriften über Wagners Werke Wir wollen im Folgenden ein charakteristisches Beispiel dafür, wie die Mitglieder der Neudeutschen ihre Musik wechselseitig öffentlich und öffentlichkeitswirksam versprachlichen, näher betrachten. Hierzu gehen wir detaillierter auf Liszts Beschreibung oder ›Broschüre‹ über Wagners Oper Tannhäuser ein. Die Schrift »Tannhaüser [sic] et le Combat des PoÚtes-Chanteurs — la Wartbourg, Grand op¦ra romantique de R. Wagner« hängt mit der zweiten großen Broschüre Liszts über Wagners Lohengrin eng zusammen. Dies zeigt sich auch in der Publikationshistorie. Von der Tannhäuser-Schrift existieren verschiedene Fassungen von unterschiedlicher Länge, die an verschiedenen Orten publiziert wurden; zuerst 1849 im Journal des D¦bats. Der Text ist außer zweifach in die deutsche Sprache (durch Ernst Weyden und Lina Ramann) noch zeitnah ins Englische (nach der deutschen Übersetzung von Weyden), Niederländische, Russische und Spanische übersetzt worden. Außerdem ist wie bei sehr vielen Texten von Liszt eine Ko-Autorschaft sicher anzunehmen, hier mit Carolyne Sayn-Wittgenstein. In der Ausgabe Detlef Altenburgs von Liszts schriftlichem Werk sind sämtliche Fakten zu den Fassungen, zu den Übersetzungen und zur Entstehung genauestens dargelegt.554 In seiner Edition der Tannhäuser-Schrift, die als Grundlage für die folgende Analyse dient, legen Altenburg und Rainer Kleinertz die Fassung E zugrunde, in der die Lohengrin- und die Tannhäuser-Broschüre gemeinsam ediert sind: »Lohengrin et Tannhäuser de Richard Wagner par Franz Liszt. Leipzig: F.A. Brockhaus. 1851. Oktav, 185 Seiten; 2 Faltblätter mit Notenbeispielen.«555 Die deutsche Übersetzung ist fortlaufend mitediert. Sie ist auf der Grundlage der Übersetzung des Kölner Oberlehrers und Kunsthistorikers Dr. Ernst Weyden (1852) von Rainer Kleinertz erstellt worden. Die ursprünglich von Liszt beigegebenen sechs kürzeren Notenbeispiele aus der Tannhäuser-Partitur sind unabhängig im Anhang angefügt. Liszt leitet in der vorliegenden Textfassung seine Ausführungen zu Tannhäuser, die denen über Lohengrin folgen, folgendermaßen ein und betont hiermit die enge Zusammengehörigkeit, die die beiden Werke in seinen Augen haben. »Comme en parlant de Lohengrin, il nous a ¦t¦ impossible, de ne point mentionner — plusieurs reprises un autre op¦ra du mÞme auteur, ¦galement remarquable et impor554 Ebd., Bd. 4. »Entstehung«, S. 211 – 233, sowie »Überlieferung«, S. 234 – 240. 555 Ebd., S. 235.

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tant, Tannhaüser, et que celui-ci n’a encore ¦t¦ repr¦sent¦ que sur deux scÀnes de l’Allemagne, nous pensons que les personnes qui auront trouv¦ quelque interÞt — suivre la trame poÚtique et musicale de Lohengrin, pourraient d¦sirer conna„tre aussi celles de Tannhaüser, non moins belles toutes deux. Nous croyons donc compl¦ter le tableau que nous avons essay¦ de pr¦senter, en reproduisant ici quelques lignes que nous avions d¦j— publi¦es dans le Journal des D¦bats, en 1849.«556

Der direkt darauf folgende erste Abschnitt beginnt mit kurzen einführenden Worten zur Oper Tannhäuser im Allgemeinen. Liszt äußert sich lobend über die Einheit der Konzeption und das ergreifend Gefühlvolle und Dramatische. Der Aufbau sei originell und kühn, die Musik vollständig neu. Auch hier betont Liszt besonders Wagners Doppelbegabung als Musiker und Dichter und bezeichnet ihn als »le poÚte de sa musique et le musicien de sa po¦sie«.557 Schließlich geht er auf die Schwierigkeiten, die die Aufführung des Werks bereitet hat, ein, und bezeichnet diese als durchaus überwindbar, sie seien kein Hindernis für die Verbreitung. Im folgenden Absatz erwähnt er die Aufführung des Tannhäuser in Weimar und verbindet dies mit einem Fürstenlob auf die Großherzogin Weimars. Geschickt verknüpft er den Ort Weimar mit dem Ort der Handlung im Tannhäuser, der Wartburg bei Eisenach. Er stellt wiederum den Bezug zum Fürstentum Weimar her und nutzt erneut die Gelegenheit, die Großherzogin und ihre beiden Töchter schmeichelhaft zu erwähnen. Hierauf wendet Liszt sich dem Stoff der Oper zu. Aus alten Sagen der Gegend habe Wagner einige Begebenheiten aus verschiedenen Chroniken zusammengestellt und verbunden. Nachdem er die Herkunft der Figur der Frau Venus erklärt hat, geht er zur detaillierten Nacherzählung der Handlung über. Hierbei zitiert er mehrfach Stellen aus dem Libretto. Im zweiten Abschnitt geht Liszt zunächst genauer auf die Ouvertüre ein und beschreibt musikalische Details. Zwischendurch macht er allerdings deutlich, dass er sich einer genauen ›Übersetzung‹ und Erläuterung der einzelnen Motive verweigere, da dies heiße, die Intelligenz des Publikums zu beleidigen. Diese Motive würden die Gefühle, die sie darstellten, so lebhaft zeichnen, dass Erläuterungen überflüssig seien. Sehr lobend und eingehend äußert sich Liszt auch über die beiden gegen556 Ebd., S. 94. Deutsche Übersetzung : »Da es uns, als wir von Lohengrin sprachen, unmöglich war, nicht zu wiederholtem Mal eine andere, gleichermaßen bemerkenswerte und bedeutende Oper desselben Komponisten, Tannhäuser, zu erwähnen, und diese erst auf zwei Bühnen Deutschlands aufgeführt wurde, denken wir, daß diejenigen, welche einiges Interesse daran gefunden haben, dem poetischen und dem musikalischen Faden des Lohengrin zu folgen, vielleicht auch Dichtung und Musik des Tannhäuser, beide nicht weniger schön, kennenlernen möchten. Wir glauben daher, das Gemälde, welches wir zu entwerfen versucht haben, zu vervollständigen, indem wir hier einige Zeilen wiedergeben, die wir schon im Jahre 1849 im Journal des D¦bats veröffentlicht hatten.« Ebd., S. 95. 557 Ebd.

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sätzlichen musikalischen Darstellungen der Leidenschaft und der Religiösität durch Wagner. Der darauf folgende Absatz referiert auf der Meta-Ebene die Beschreibung von Musik bzw. die Musikkritik. Thematisiert wird auch der Unterschied zwischen dem Beschreiben von Eindrücken durch Musik und Gedanken, die in der Musik ›wirklich‹ ausgedrückt seien. Anschließend rechtfertigt Liszt, dass er einen längeren Text über den Tannhäuser schreibt, verteidigt die Ouvertüre gegen mögliche Kritik und fährt in der (Formal-)Analyse der Ouvertüre fort. Er betont noch einmal sehr deutlich ihren Wert und ihre Eigenständigkeit. Im dritten Abschnitt beginnt Liszt noch einmal damit, den Leser in einer detailreichen Nacherzählung der Oper von der ersten Szene an durch das Werk zu führen. Auf teilweisende wertende Art und Weise und von Kommentaren durchzogen beschreibt er Szenerie, Handlung und Musik. Nachdem er den Ausgang der Handlung mit dem Tod Elisabeths und Tannhäusers berichtet hat, fügt er eine Schlussbemerkung an. Sie versucht eine resümierende Gesamtbewertung der Oper im Hinblick auf ihre Tragik bzw. die erschütternde, kathartische Wirkung, die sie auf den Zuschauer ausübt. Von Liszt wird dies als positiver Effekt beschrieben, der das Publikums gleichzeitig tröstet und zur ›wahren Kunst‹ hin erzieht. »Les deux fianc¦s dont nous avons suivis le sort avec tant d’anxi¦t¦, ont cess¦ de vivre. C’est l’excÀs de la douleur qui a tu¦ l’un et l’autre. Pourtant lorsque ce grand drame est jou¦, qu’il a pass¦ devant nos yeux, qu’il n’est plus qu’un tableau dans notre souvenir et un tressaillement dans notre cœur, notre –me est consol¦e, rass¦r¦n¦; les plaies qu’il avait ouvertes sont ferm¦es; les endolorissements qu’il avait caus¦s sont calm¦s. Nous croyons les deux nobles et tristes fianc¦s, arriv¦s — un port. Nous les croyons heureux. […] A la vue de cette destin¦e fl¦trie, bris¦e sur la terre comme un jonc foul¦, et refleurissant dans le Ciel comme un lys splendide, nous sentons palpablement pour ainsi dire comment en se perdant, on se sauve, si forte est la puissance du religieux ¦lan, renferm¦e dans le morceau final, formant l’Êpilogue de la piÀce. Transporter ainsi — l’aide de l’imp¦rieux ascendant de l’art, l’esprit d’un public frivole, en dehors des bornes qu’il pose g¦n¦ralement — son imagination, faire na„tre en lui une joie vraie dans un attristement r¦el, gr–ce — l’entra„nement de la spiritualit¦ et des plus hautes aspirations de notre Þtre, n’est-ce point une des plus belles victoires dont il ait ¦t¦ donn¦ aux poÚtes et aux artistes d’ambitionner la gloire?«558 558 Ebd., S. 135 f. Zu deutsch: »Das Brautpaar, dessen Geschick wir mit so ängstlicher Spannung verfolgten, hat zu leben aufgehört. Das Übermaß des Schmerzes hat beide getötet. Und doch: Sobald dieses hohe Drama beendet, es vor unseren Augen vorübergegangen, es nur noch ein Bild in unserer Erinnerung und ein Beben in unserem Herzen ist, ist unsere Seele getröstet und wieder aufgeheitert; die Wunden, die es geschlagen hatte, sind geschlossen; beruhigt sind die Schmerzen, die es verursacht hatte. Wir glauben das edle und duldende Brautpaar in einem Hafen angelangt. Wir glauben sie glücklich. […] Beim Anblick dieses gewelkten, auf Erden wie ein geknicktes Rohr gebrochenen Geschickes, das im Himmel wie eine prächtige Lilie wiedererblüht, können wir sozusagen mit Händen greifen,

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Nun folgt der letzte große Abschnitt der Schrift. In diesem Teil behandelt Liszt, nachdem er die Oper und ihren Verlauf dargestellt hat, einige größere ästhetische und philosophische Aspekte im Zusammenhang mit dem Werk. Er beginnt mit einigen Sätzen, die das gesamte Stück noch einmal ausgesprochen positiv bewerten. Daraufhin wendet er sich kurz einer Beurteilung der Partitur zu und geht zu ihrer Verteidigung gegen (mögliche) Gegner über. Gleichermaßen grenzt er den Tannhäuser von der gegenwärtigen französischen und italienischen Oper ab und bezieht sich hierbei auf ihre homogene Konstruktion. Er behandelt dann noch einmal kurz das Bühnenbild und visuelle Aspekte des Stoffs, die Handlung und Anlage des »Tannhäuser«. Im Folgenden thematisiert er den Venus-Mythos sowie Wagners Bearbeitung der Sage, ebenso die Behandlung des Komplexes der »Leidenschaft«. Schließlich geht er, ohne diesen Begriff zu benutzen, auf Wagners Gebrauch der Leitmotivik für die Darstellung bestimmter Seelenzustände ein. »Mais le g¦nie ne rejete et ne repousse guÀre certains moyens d’effets, si peu appropri¦s qu’ils lui paraissent, sans aussitút les remplacer par d’autres, qu’il ne manque pas de d¦couvrir. Wagner, occup¦ — indiquer le cours des passions bien plus que les p¦rip¦ties qu’elles amÀnent, en simplifiant les ¦v¦nemens [sic] et en diminuant les acteurs du drame, a donn¦ en revanche un corps en quelque sorte aux ¦lans de leur –me, en les incarnant dans la m¦lodie. Dans le Tannhaüser, il a inaugur¦ pour l’op¦ra une innovation frappante, par laquelle la m¦lodie, son seulement exprime, mais repr¦sente certaines ¦motions, en revenant au moment o¾ elles r¦apparaissent, en se reproduisant dans l’orchestre ind¦pendement du chant de la scÀne, souvent avec des modulations qui caract¦risent les modifications des passions auxquelles elle correspond. Son retour n’occasionne pas uniquement une ressouvenance ¦mouvante; il nous d¦voile celui des ¦motions qu’elle trahit.«559 wie man, indem man sich verliert, sich rettet, so groß ist die im Finale, das den Epilog des Stückes bildet, enthaltene Gewalt der religiösen Begeisterung. Wenn man so mit Hilfe der gebieterischen Macht der Kunst den Geist eines frivolen Publikums über die Grenzen hinwegführt, die es gewöhnlich seiner Phantasie steckt, in ihm vermittelst der mitreißenden Gewalt des Geistes und des höchsten Sehnens unseres Wesens wahre Freude aus wirklicher Trauer erstehen läßt, ist das nicht einer der schönsten Siege, deren Ruhm zu erstreben den Dichtern und Künstlern verliehen ist?[…]«. Ebd., S. 136 f. 559 Ebd., S. 146. Zu deutsch: »Doch das Genie verwirft und verweigert selten gewisse Mittel der Wirkung, so ungeeignet sie ihm auch erscheinen mögen, ohne sie sogleich durch andere zu ersetzen, die zu entdecken es nicht fehlen kann. Während Wagner immer besorgt war, mehr den Lauf der Leidenschaften als die von ihnen herbeigeführten Ereignisse zu betonen, und hierzu die Handlung vereinfachte und die Zahl der Darsteller im Drama verringerte, hat er zugleich ihren Seelenregungen gewissermaßen einen Körper verliehen, indem er sie in Melodien versinnlichte. Im Tannhäuser hat er eine auffallende Neuerung in die Oper eingeführt, durch welche die Melodie gewisse Gemütsbewegungen nicht nur ausdrückt, sondern darstellt, indem sie stets in dem Augenblick zurückkehrt, wenn diese wieder erscheinen, und sich im Orchester unabhängig vom Gesang auf der Bühne wiederholt, häufig mit Modulationen, welche die Schattierungen der Leidenschaften, denen sie entspricht, charakterisieren. Die Wiederkehr dieser Melodien veranlaßt nicht allein eine bewegende

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Nach einigen Worten über die Erneuerung der Kunst an sich, die sich an die Besprechung des leitmotivischen Verfahrens anschließen, erläutert Liszt seine Ansicht der drei ›Sünden‹, (»la convoitise de la chair, le plaisir des yeux, et l’orgueil de la vie«560), die für den Tannhäuser eine Rolle spielen. Nach dem Eingehen auf den philosophischen und ›poetischen‹ Gehalt des Stoffs kehrt Liszt wieder zum Thema des Religiösen und des ›religiösen Prinzips‹ (Liszt) im Tannhäuser zurück. Den Text beschließt, dass Liszt die gesamte Menschheit als auf einer Pilgerfahrt nach Rom, das er mit dem Prinzip des Eros gleichsetzt, begreift und somit die Gesamtheit der Menschen implizit in die Handlung des Tannhäuser und seine Problematik integriert. »[…] ce chant r¦sonne dans l’–me comme la grand voix plaintive, esp¦rante et aspirante de l’Humanit¦ entiÀre dans son p¦lerinage vers la grande Rome, la Rome mystique, que dÀs son origine ses pontifes appelÀrent myst¦rieusement et proph¦tiquement, du nom d’Eros! Nous tous p¦lerins, qui cheminons vers cette Rome par la voie des douleurs, nous joignons notre soupir — ce grand chœur qui incessamment monte de la terre aux Cieux!«561

Der etwa 25 Druckseiten umfassende Text der Tannhäuser-Besprechung zeichnet sich durch seine große interne Heterogenität aus. Dominant ist allerdings die nacherzählende Beschreibung der Oper in ihrem Verlauf. Zunächst geschieht dies in geraffter Form, indem Liszt im Abschnitt I auf etwa sechs Seiten die Handlung referiert. Der Fokus liegt hier auf den Geschehnissen und auf dem Libretto. Mehrfach zitiert Liszt, um seine Ausführungen zu ergänzen und zu illustrieren. Bereits hier wird deutlich, dass der Autor nicht nur wiedergibt, sondern Wert darauf legt, bestimmte Aspekte der Handlung dem Leser näher zu erläutern. Es sind hier vor allem die emotionalen Zustände der Figuren, die Liszt dem Rezipienten durch eine intensivierende Wortwahl, illustrierende und wertende Adjektive sowie kürzere Kommentare nahe bringen will. Beispielsweise beschreibt Liszt die Reaktion des Hofes auf das Venus huldigende Lied, das Tannhäuser vorträgt, wie folgt: »Un cri d’horreur part de toutes les poitrines! Les nobles dames fuient, effarouch¦es par ce nom offensant pour leur pudeur. Tous les hommes tirent instantan¦ment l’¦p¦e, et se pr¦cipitent sur l’audacieux criminel, dont la longue disparition s’explique tout-—-coup. Mais Êlisabeth, qui — cette r¦v¦lation cruelle s’¦tait d’abord affaiss¦e Rückerinnerung; sie entschleiert uns die Wiederkehr der Gemütsbewegungen, welche sie ausdrückt.« Ebd., S. 147. 560 Ebd., S. 148. 561 Ebd., S. 152. Zu deutsch: »[…]dann klingt dieser Gesang in der Seele wie die klagende, hoffende und sehnende Stimme der ganzen Menschheit auf ihrer Pilgerfahrt nach dem großen Rom, dem mystischen Rom, welchem seine Oberpriester von alters her geheimnisvoll und prophetisch den Namen Eros gaben! Wir alle, die wir als Pilger den Schmerzensweg nach diesem Rom wallen, vereinigen unsere Seufzer mit jenem erhabenen Chore, der unaufhörlich aufsteigt von der Erde zum Himmel!«. Ebd., S. 153.

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dans son accablement, se jette devant lui — cette vue, le couvre de son corps vierge comme d’un ¦blouissant bouclier […]«562.

Tannhäusers Bericht seiner vergeblichen Pilgerfahrt, den Liszt ebenfalls zitiert, wird vom Autor mit dem folgenden Satz abschließend kommentiert: »Ce p¦lerinage, racont¦ comme il l’est, le tableau de ce trajet o¾ tant d’amour avait fait ¦clater un tel repenti et soulev¦ tant d’esp¦rances, forme une des plus d¦chirantes pages qui ait jamais ¦t¦ ¦crite!«563 An einer Stelle in dieser vergleichsweisen kurzen und ersten Synopse der Handlung gebraucht Liszt die Ballade »Ritter Toggenburg« (1797) von Schiller, um die Situation Wolframs als chancenloser Liebender und Elisabeths Verhältnis zu ihm eindrücklicher zu charakterisieren. Er zitiert einige Verse: »›Ritter, treue Schwesterliebe / Widmet euch dies Herz; / Fordert keine andre Liebe / Denn es macht mir Schmerz. Ruhig mag ich euch erscheinen, / Ruhig gehen sehn. / Eurer Augen stilles Weinen / Kann ich nicht verstehn.‹«564 Offensichtlich hält Liszt hier das Zitat eines kanonischen deutschen Autors und die Literarizität des Gedichts für ein effektives Mittel, um seine Auffassung der Figurenkonstellation im Tannhäuser zu verdeutlichen. Gleichzeitig ist die Evokation Schillers ein Verweis auf die Weimarer Tradition, in der Liszt sich bekanntermaßen, quasi in der Nachfolge Goethes und Schillers, in der Gestaltung Weimars als wirkungsmächtigen Kunstort, sieht. Auch dies ist wieder eine performative Darstellung der Nähe der Medien Musik und Literatur. Schillers Gedicht dient als Übersetzung eines Aspekts der Oper Tannhäuser. Im dritten Abschnitt führt Liszt nun den Verlauf der Oper auf etwa acht Seiten erneut aus. Hierbei orientiert er sich konsequent an der chronologischen Abfolge der Akte. In dieser Beschreibung führt Liszt einerseits dem Leser die Ereignisse in Bildern vor Augen, andererseits verwebt er mit der Beschreibung der Szenen ebenfalls Versprachlichungen der Musik. Diese Versprachlichung findet häufig, allerdings nicht immer, als visuelle Metapher im Sinne Aldrichs565 statt. So ist das ›dritte‹ Medium des Bildes nicht nur in Form der nur mimetisch 562 Ebd., S. 102. Zu deutsch: »Ein Schrei des Entsetzens entfährt jeder Brust. Die Edeldamen fliehen, aufgeschreckt durch den Namen, der ihre Keuschheit beleidigt. Augenblicklich ziehen alle Männer ihre Schwerter und werfen sich auf den verwegenen Verbrecher, dessen lange Abwesenheit sich plötzlich erklärt. Doch Elisabeth, die nach dieser grausamen Enthüllung zunächst im Übermaß des Schmerzes niedergesunken war, wirft sich bei diesem Anblick vor ihn und schützt ihn mit ihrem jungfräulichen Körper wie mit einem glänzenden Schild […].« Ebd., S. 103. 563 Ebd., S. 106. Zu deutsch: »Diese Pilgerfahrt, so wie sie erzählt ist, als das Bild dieser Reise, auf der so große Liebe so schwere Buße hervorgebracht und solche Hoffnungen hatte keimen lassen, bildet eines der herzzerreißendsten Blätter, die je geschrieben wurden.« Ebd., S. 107. 564 Ebd., S. 99. 565 Vgl. Virgil C. Aldrich: »Visuelle Metapher.« In: Anselm Haverkamp (Hrsg.): Theorie der Metapher. Darmstadt 1983, S. 142 – 162, hier S. 146.

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wiedergegebenen Bühnenszene, sondern auch als Metaphorisierung bzw. Verbildlichung von Musik präsent: »Ce chant d’un ¦nergie m–le, reproduit la m¦lodie que nous avons signal¦e deux fois dans l’ouverture; les paroles qui s’y appliquent sont — la louange de V¦nus. Mais cette strophe est imm¦diatement suivie d’une anti-strophe, qui par des modulations douloureuses et quelque peu effar¦es, s’¦chappe de la poitrine comme un cri aigu; le cri de l’aigle prisonnier qui veut retourner aux r¦gions des tempÞtes et du soleil: le cri de l’–me qui veut remonter aux Cieux.«566

Dies ist nur ein Beispiel für Metaphorik im vorliegenden Text, die den bildspendenden Bereichen der Natur und der Religion entnommen ist. Auch der im 19. Jahrhundert konventionelle Topos von Musik als ›Seelengemälde‹ ist hier durchaus präsent, etwa in folgender Stelle, in der vom Gesang der Venus in der Grotte die Rede ist: »Son chant assez long reproduit — un demi-ton plus bas le motif de l’ouverture que nous avons d¦sign¦ du nom de m¦lop¦e. Il est accompagn¦ ¦galement pianissimo, et ennuag¦ par les tr¦molos de violon. Cette scÀne pourrait Þtre consid¦r¦e par les esprits qui go˜tent le symbolisme, comme la peinture d’une des luttes intestines, qui d¦chirent les poitrines humaines, durant lesquelles l’–me s’entretient avec elle-mÞme, divis¦e qu’elle est par un parall¦lisme de vell¦it¦s, dissemblables de forme et identiques d’essence cependant […]«567.

Die Wahrnehmung und Beschreibung der Musik im Modus der Bildlichkeit, das Einsetzen der visuellen Metapher nach Aldrich und Grey setzt sich auch fort, wenn Liszt detaillierter auf die Ouvertüre eingeht. Wiederum entnimmt er seine Bilder dem für die Musikbeschreibung der Epoche beliebten Bereich der Natur: »D’abord le motif religieux appara„t calme, profond, — lentes palpitations, comme l’instinct du plus beau, du plus grand de nos sentiments, mais il est submerg¦ peu — peu par les insinuantes modulations de voix pleines d’¦nervantes langueurs, d’assoupis566 Ebd., S. 120. Zu deutsch: »Dieser Gesang voll männlicher Energie gibt die Melodie wieder, auf die wir in der Ouvertüre zweimal hingewiesen haben; die Worte, die sich hier ihr anpassen, lobpreisen Venus. Dieser Strophe folgt aber sogleich eine Gegenstrophe, welche durch schmerzhafte, halb verstörte Modulationen der Brust wie ein gellender Schrei entfährt; der Schrei des gefangenen Adlers, der in die Regionen der Stürme und der Sonne zurückkehren will: der Schrei der Seele, die sich wieder aufschwingen will zum Himmel.« Ebd., S. 121. 567 Ebd., S. 122. Zu deutsch: »Ihr recht langer Gesang nimmt jenes Motiv der Ouvertüre, das wir mit dem Namen Melopöie bezeichneten, einen halben Ton tiefer wieder auf. Er wird ebenfalls pianissimo begleitet und von Tremoli der Violinen umschleiert. Diese Szene könnte von einem dem Symbolismus zuneigenden Verstand als das Bild eines dieser inneren Kämpfe betrachtet werden, die die menschliche Brust zerreißen, in denen die Seele sich mit sich selber unterhält, wie sehr sie auch in eine Wechselbeziehung verschiedener Willensanwandlungen geteilt ist, die zwar der Form nach verschieden, aber im Wesen doch identisch sind.« Ebd., S. 123.

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santes d¦lices, quoique f¦briles et agit¦es: agacant m¦lange de volupt¦ et d’inqui¦tude! La voix de Tannhaüser, celle de V¦nus, s’¦lÀvent au-dessus de ces flots ¦cumants et bouillonants, qui montent incessamment.«568

Sehr deutlich wird das Prinzip des Übertragens der Musik auf die visuelle Ebene, wenn Liszt in der Erläuterung der Ouvertüre fortfährt und eine Passage folgendermaßen bespricht: »Il s’y glisse des notes qui sifflent — l’oreille, comme certains regards chatoient — la vue: longues, p¦n¦trantes, d¦sarmantes, …perfides!«569 Wie Blicke für das Auge sind also hier Töne für das Ohr. Dies erinnert an Jean Pauls Formulierung in der Vorschule der Ästhetik, die die Sichtbarmachung des Tons als populäres Mittel der Musikvermittlung beschreibt. »Daher muß man musikalische Metaphern, um mit ihnen etwas auszurichten, vorher in optische verkörpern […] so können nicht die Töne, diese Götterkinder, die plötzlich ohne Mutter und gerüstet wie Minerva vor uns treten, sondern blos die Gestalten […] sich lebendig vor die Seele stellen.«570

Schließlich spricht Liszt direkt aus, die Musik male die Gefühle, die sie darstelle. »Ils [ces motifs] peignent si vivement les ¦motions qu’ils interprÀtent, que, pour comprendre leur nature, il n’est pas besoin d’un texte explicatif, il est inutile de conna„tre les paroles qui s’y adaptent plus tard.«571 Zu deutsch: »Sie [die Motive] malen so lebendig die Gefühle, die sie darstellen, daß es keines erklärenden Textes bedarf, um ihr Wesen zu verstehen, es ist überflüssig, die Worte zu kennen, die ihnen später zugeordnet sind.«572 Bemerkenswert ist auch, dass Liszt gerade die Ouvertüre in seinem Tannhäuser-Text derart heraushebt und zusätzlich betont, das Libretto der Oper sei zu ihrem Verständnis nicht nötig. Vielleicht ist auch diese kurze Bemerkung ein Hinweis darauf, dass Liszt in seiner musikalischen Ästhetik dem Wagnerschen Gesamtkunstwerk sein Konzept der Symphonischen Dichtung entgegensetzt. Es wäre möglich, dass auch hier, wie so oft zwischen den Mitgliedern der Neudeutschen, trotz Liszts un568 Ebd., S. 108. Zu deutsch: »Zuerst erscheint das religiöse Motiv, ruhig, tief, langsam wogend wie die Ahnung des schönsten und höchsten unserer Gefühle, doch wird es nach und nach überflutet mit einschmeichelnden Modulationen von Stimmen voll entkräftenden Schmachtens, voll betäubender, zugleich fiebriger und erregter Genüsse: eine aufreizende Mischung von Wollust und Unruhe! Die Stimmen Tannhäusers und Venus’ erheben sich über diesem schäumenden und aufbrausenden Wogenschwall, der fortwährend steigt.« Ebd., S. 109. 569 Ebd., S. 110. Zu deutsch: »Es schleichen sich Töne ein, die dem Ohr klingen, wie gewisse Blicke dem Auge schillern: anhaltend, durchdringend, entwaffnend – perfide!« Ebd., S. 111. 570 Jean Paul: Vorschule der Ästhetik. (= Jean Paul: Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Hrsg. von Eduard Berend im Auftrag der Preußischen Akademie der Wissenschaften. Erste Abteilung. Bd. 11). S. 261. 571 Ebd., S. 108. 572 Ebd., S. 109.

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bestreitbarer Unterstützung für Wagner, musikästhetische Differenzen aufscheinen. Liszt gebraucht in seiner Versprachlichung der Tannhäuser-Oper selbstverständlich auch eine Sprache, die technisch-theoretische Aspekte der Musik auf schlichtere Weise schildert. Er vermeidet jedoch längere Passagen dieser Art und sieht von allzu speziellen und detaillierten Ausführungen ab, die für den Laien unverständlich sein könnten. Ein Beispiel für eine solche Beschreibung, noch immer der Ouvertüre, soll hier genügen: »Les premiÀres seize mesures, posent la premiÀre moiti¦ du thÀme r¦ligieux, en mi-majeur, se cadenîant sur sa dominante, dans le r¦gistre inf¦rieur des clarinettes, cors et bassons. La seconde partie en est admirablement modul¦e par les violoncelles, auxquels se joignent les violons, — la neuviÀme mesure. Tout le thÀme est ensuite r¦p¦t¦ par les cuivres fortissimo, dans le mÞme ton, sur un rhythme plus mouvement¦, en triolets croches, constamment accompagn¦ d’une figure diatonique descendante, en triolets double croches.«573

Wie ausgeführt, liegen in den Beschreibungen im Tannhäuser-Text, die Aspekte der Komposition bzw. der Partitur zum Thema haben, die Arten von Musikbeschreibung vor, die wir in Texten der Neudeutschen bereits kennengelernt haben: Analyse, Verbildlichung durch Anwendung von Metaphern, die Übersetzung der Musik in ein ›Seelengemälde‹, im Allgemeinen: »verbal music« im Sinne Schers und in der Wiedergabe von Strukturen der Komposition durch Text und auch hier die sogenannte »verdeckte Intermedialität«574 (Werner Wolf). Dennoch zeichnen den vorliegenden Text in wesentlicher Weise Strukturen der Dopplung bzw. Vervielfältigung aus, wenn es um die Frage der Intermedialität und Musikbeschreibung geht. Ein Teil der Broschüre folgt, wie beschrieben, dem chronologischen Gang der Oper und gibt Akt für Akt Geschehen, Musik und Bühnenbild wieder. Liszts Tannhäuser-Text bezieht sich auf eine Oper, was bedeutet, dass der musikalische Gegenstand der Versprachlichung selbst bereits auf der Oberfläche durch Strukturen der Intermedialität konstituiert ist. Die Oper als genuines ›Gesamtkunstwerk‹ vollzieht die Synthese der Künste qua Gattung, da sich in ihr Sprache (Vokalmusik), Instrumentalmusik 573 Ebd., S. 114 f. Zu deutsch: »Die ersten sechzehn Takte stellen die erste Hälfte des religiösen Themas in den tiefen Registern der Klarinetten, Hörner und Fagotte vor, in E-Dur, kadenzierend auf der Dominante. Der zweite Teil wird bewundernswert moduliert von den Violoncelli, welchem sich im neunten Takt die Violinen anschließen. Das ganze Thema wird dann von den Blechblasinstrumenten in derselben Tonart fortissimo wiederholt, über einem bewegteren Rhythmus in Achteltriolen, stets von einer absteigenden diatonischen Figur in Sechzehnteltriolen begleitet.« Ebd., S. 115 / 117. 574 Werner Wolf: The Musicalization of Fiction. A Study in the Theory and History of Intermediality. Amsterdam, Atlanta 1999. (= Internationale Forschungen zur allgemeinen und vergleichenden Literaturwissenschaft. Bd. 35). S. 41.

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und Bildlichkeit im Sinne von Bühnenbild und Szenerie verbinden. Gleichermaßen liegt dem Werk eine Handlung, eine ›Geschichte‹ zugrunde, die die Komposition dominiert. Wenn Liszt also Tannhäuser versprachlicht darstellt, vollzieht er Intermedialität, indem er drei verschiedene, miteinander verbundene Medien in eines (die Sprache) überträgt. In Bezug auf die wiedergegebene Handlung, die in sich bereits semantisch ist sowie auch das per se auf der visuellen Ebene funktionierende Bühnenbild, verfährt Liszt in der Übertragung dieser Medien weitgehend mimetisch. Wie wir allerdings in obigen Beispielen bereits gesehen haben, belässt der Autor es in der Beschreibung des Mediums Musik nicht bei der analytischen Wiedergabe der musikalischen Strukturen. Durch Metaphern und Bilder überführt er musikalische Strukturen auf die visuelle Ebene, was dazu führt, dass diese im Text der Broschüre auf doppelte Weise präsent ist – einerseits durch die Thematisierung der Szenerie der Oper, andererseits durch die Übertragung der Musik in Bildlichkeit. Durch diese Strategie, ebenso durch den längeren Textabschnitt, den er ausschließlich der Ouvertüre widmet, sorgt Liszt dafür, dass unter den drei im Werk präsenten Medien die Musik einen herausragenden Platz einnimmt. Die Tannhäuser-Broschüre ist auch durch andere Textsorten geprägt. Liszt begibt sich als Musikschriftsteller ebenfalls auf die Meta-Ebene und reflektiert bzw. thematisiert das Schreiben über Musik und über die vorliegende Oper. Nachdem Liszt ausführlich über das religiöse Motiv gesprochen hat, wendet er sich der Frage der Musikbeschreibung zu, die nicht analysiert, sondern durch die Musik hervorgerufene Eindrücke wiedergibt. Wie wir in vorangegangenen Kapiteln gesehen haben, ist dies eine im 19. Jahrhundert populäre Weise, über Musik zu schreiben. Der Autor sieht diese Art, über Musik zu urteilen, durchaus kritisch. Er warnt davor, dass dieser Stil der Rezeption mittelmäßige Musik begünstigen könne, und die Qualitäten von gehaltvoller, meisterhafter aber nur mit gründlichem Vorwissen zu begreifender Musik übersehen könnte. Dennoch gesteht er dem Hörer und auch dem Künstler selbst das Recht zu, sich von Musik zu Eindrücken und auch zu Begeisterung anregen zu lassen. Liszt führt dies wie folgt aus: »Nous n’ignorons pas que le r¦cit des impressions produites par certaines oeuvres d’art, ne suffit pas le moins du monde — la critique qui les juge, les range, et les cat¦gorise; et en ceci nous sommes loin d’infirmer ses arrÞts, sachant les inconvenients qu’il y a, — les juger plutút d’aprÀs les pens¦es qu’elles suggÀrent, que d’aprÀs celles qui y sont r¦ellement exprim¦es. C’est un ¦cueil auquel une portion du public ¦clair¦ n’¦chappe guÀre, ce qui explique comment il arrive promptement — louer des œuvres m¦diocres, et — ne tenir que peu de compte de telles autres, qui sont de grand prix, mais qui offrent plus de profondeur que de surface, et exigent pour Þtre comprises de plus parfaites connaissances, une plus complÞte appropriation des formes diverses de l’art. De nous jours, le public renferme un grand nombre d’esprits cultiv¦s, qui, ne se

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bornant point — ¦prouver un plaisir ind¦fini, un tressaillement doux et cadenc¦, se plaisent — interprÞter par des pens¦es et des images analogues, le sens de toute musique. Le compl¦ter ou le d¦naturer, devient par l— ¦galement facile, aux imaginations vives et sensibles. Pour peu qu’elles ne soient point guid¦es et retenues, par un savoir solide et une entente saine des premiÀres notions de l’art, la justesse ou l’erreur de leur conception, n’est plus que l’effet du hasard. […] Nous ne nous d¦nions pas le droit d’en concevoir, en dehors des rÀgles qui servent — la critique, car l’artiste ne cesse point d’Þtre homme, et en cette qualit¦, de faire partie du public qu’entra„ne l’¦motion premiÀre.«575

Mehr oder weniger implizit kritisiert Liszt hier vermutlich ein Musikverständnis, das auch der positiven Rezeption von Wagners Werken entgegenstand. Dem oberflächlichen Urteil, das nur nach dem ersten (Hör-)Eindruck geht, müsse ein informiertes und auf Basis von Wissen begründetes entgegenstehen. Dies korrespondiert mit Franz Brendels Forderung, die Musikkritik der Zukunft müsse eine Mischung aus subjektivem Höreindruck und musiktheoretischer Analyse sein, im Ganzen jedoch ›wissenschaftlicher‹ als die direkt vorhergegangene, beispielsweise die Schumanns.576 An mehreren Stellen im Text nimmt Liszt offen die Partei Wagners, lobt seine Oper explizit und verteidigt sie gegen mögliche ›Gegenparteien‹. Dies verbindet Liszt auch mit positiven Worten über Wagners Musikästhetik, über seine Ei-

575 Ebd., S. 113 f. Zu deutsch: »Wir wissen sehr wohl, daß der Bericht über die von gewissen Werken der Kunst hervorgebrachten Eindrücke nicht im mindesten einer Kritik genügt, die sie beurteilt, sie ordnet und nach Klassen trennt; und wir stehen nicht an, ihr Urteil hierin für ungültig zu erklären, da wir die Schwierigkeiten wohl kennen, die daraus entstehen, sie eher nach den Gedanken, die sie erwecken, als nach denen, welche wirklich darin ausgedrückt sind, zu beurteilen. Dies ist eine Klippe, welcher ein Teil des gebildeten Publikums selten entgeht, woraus sich erklärt, wie es kommt, daß man mittelmäßige Werke so leicht lobt und sich nur wenig aus anderen macht, die von hohem Wert sind, aber mehr Tiefe als Oberfläche bieten und, um verstanden zu werden, genauere Kenntnisse verlangen, ein vollkommeneres Verständnis der verschiedenen Formen der Kunst. In unseren Tagen gibt es im Publikum eine große Zahl gebildeter Geister, welche, sich nicht darauf beschränkend, ein unbestimmtes Vergnügen, einen süßen und maßvollen Schauer zu empfinden, sich darin gefallen, den Sinn jeder Musik durch analoge Gedanken und Bilder zu deuten. Einer lebendigen und empfindsamen Einbildungskraft wird es dadurch ebenso leicht, ihn zu vervollständigen wie zu entstellen. Sofern diese nicht durch solides Wissen und gesundes Verstehen der elementaren Begriffe der Kunst geleitet und zurückgehalten wird, ist die Richtigkeit oder der Irrtum ihrer Auffassung nur eine Folge des Zufalls. […] Wir versagen uns durchaus nicht das Recht, dieselbe [Vorlieben, BS] außerhalb der Regeln, die der Kritik dienen, zu hegen, denn der Künstler hört nie auf, Mensch zu sein und in dieser Eigenschaft auch zum Publikum zu gehören, welches der erste Eindruck hinreißt.« Ebd., S. 113 / 115. 576 Franz Brendel: »Ein Programm. (Bei der Uebernahme der Redaction der ›Neuen Zeitschrift für Musik‹, 1. Januar 1845)«. In: Ders.: Gesammelte Aufsätze zur Geschichte und Kritik der neueren Musik. Herausgegeben vom Allgemeinen Deutschen Musikverein. Leipzig 1888, S. 29 – 56, hier S. 54 f.

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genschaft als ›musikalischer Dichter‹. Gleich zu Beginn der Besprechung schreibt Liszt: »Le g¦nie de ce compositeur [Wagner, B.S.], ma„tre de diverses formes, lui permet d’¦crire lui-mÞme le livret de ses op¦ras, et d’Þtre — la fois le poÚte de sa musique et le musicien de la po¦sie, avantage pr¦cieux pour l’harmonieuse unit¦ de ses conceptions dramatiques.«577

Auch Wagners ›poetischer‹ Technik des Leitmotivs – ohne diesen Begriff zu gebrauchen – widmet Liszt eine Passage. Er betont, dass dies eine wichtige Neuerung sei. An anderer Stelle ergänzt Liszt seine Parteinahme und rechtfertigt seine ausführliche Besprechung der Oper : »Si nous nous ¦tendons longuement sur le nouvel op¦ra de Wagner, c’est que nous avons la conviction que cette oeuvre renferme un principe de vitalit¦ et d’¦clat, qui lui sera un jour g¦n¦ralement reconnu. Les innovations qu’elle contient sont puis¦es dans les vraies puissances de l’art, et se justifient toutes, comme conquÞtes du g¦nie. Ainsi, pour ne parler encore que de l’ouverture, nous ferons remarquer qu’on ne saurait pr¦tendre d’un poÚme symphonique, qu’il soit ¦crit d’une maniÀre plus conforme aux rÀgles de la coupe classique, qu’il ait une plus parfaite logique dans l’exposition, le d¦veloppement, et le d¦nouement des propositions. Leur ordonnance est aussi claire, aussi pr¦cise, quoique plus riche, que ceux des meilleurs modÀles en ce genre.«578

Liszt drückt hier die (eschatologisch gefärbte) Überzeugung aus, die Oper werde in Zukunft in ihrem wahren Wert anerkannt und berühmt sein. Der Gestus des in die Zukunft Verweisens richtet sich offenbar gegen die konservativen Kritiker seiner Zeit und verweist wiederum auf den Dreischritt der ›eschatologischen Erinnerung‹ im Bereich der Musikgeschichte. Bemerkenswert ist auch, dass Liszt hier die Ouvertüre als ›symphonische Dichtung‹ bezeichnet und damit den Terminus gebraucht, der für eine Gattung seiner Instrumentalkompositionen steht. Man könnte hier m. E. von einer Aneignung des Wagnerschen Werkes 577 Ebd., S. 94. Zu deutsch: »Das Genie dieses Komponisten, Meister auf verschiedenen Gebieten, gestattet ihm, den Text seiner Opern selbst zu verfassen und so zugleich Dichter seiner Musik wie der Musiker seiner Dichtung zu sein, ein wertvoller Vorteil für die harmonische Einheit seiner dramatischen Konzeptionen.« Ebd., S. 95. 578 Ebd., S. 114. Zu deutsch: »Wenn wir uns so weitläufig über die neue Oper Wagners aussprechen, so geschieht dies, weil wir die Überzeugung hegen, daß dieses Werk ein Prinzip der Lebensfähigkeit und des Ruhms in sich trägt, welches ihm dereinst allgemein zuerkannt werden wird. Die Neuerungen, die es enthält, sind aus den wahren Kräften der Kunst geschöpft und rechtfertigen sich alle als Errungenschaften des Genies. So möchten wir, um nur von der Ouvertüre zu sprechen, darauf aufmerksam machen, daß man von einer symphonischen Dichtung nicht fordern könnte, daß sie in Exposition, Durchführung und Lösung der aufgestellten Themen eine vollkommenere Logik habe. Ihre Anordnung ist ebenso klar, ebenso präzise, wiewohl reicher als die der besten Muster dieser Gattung.« Ebd. S. 115.

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durch ›Projektion‹ sprechen, indem Liszt Wagner sein eigenes Kompositionsverfahren unterstellt. Noch expliziter und emphatischer bekennt sich Liszt zur Progressivität im Bereich der Kunst in der folgenden Passage: »Comment ne pas admirer ces in¦puisables ressources de l’art qui trouve toujours des modes nouveaux, et resplendit en si multiformes beaut¦s! N’¦viterons nous donc jamais la mesquine pr¦tention de lui poser des bornes? de lui chercher une formule d’immobilit¦? de vouloir l’enfermer dans tel ou tel cercle? […] L’art comme la Nature embrasse dans ses lois, les rÀgnes, les d¦veloppements, les proc¦d¦s les plus dissemblables. […] Saluons ses printemps, sans nous attarder dans les regrets et les deuils obstin¦s du dernier automne […]«579.

Liszt vergleicht die beständige Veränderung der Kunst mit dem Wechsel der Jahreszeiten und dem Gang der Natur. Er suggeriert auf diese Weise eine Unabdingbarkeit des Fortschritts in der Kunst, und auch hier dient diese Argumentation dazu, Partei für Wagner zu ergreifen. Der Autor ergänzt seine wirkungsvolle Polemik mit der beliebten rhetorischen Strategie, die Argumente der Gegner gegen Wagners Oper bereits vorwegzunehmen. Auch hier wird die Virtuosität und Arienlastigkeit der italienisch-französischen Oper als Kontrastfolie zitiert. »On ne saurait se dissimuler que son style si d¦clamatoire, offusquera ceux qui se complaisent dans l’art du chant, la virtuosit¦ du gosier, et qui auront d’excellentes raisons — faire valoir pour protester contre leur exclusion du th¦–tre. […] Les amateurs d’airs faciles, de cabalettes, de ritournelles qu’on peut fredonner commod¦ment — la sortie du th¦–tre, n’ont h¦las! qu’un maigre butin — faire dans le Tannhaüser.«580

Ein weiteres Thema, das den vorliegenden Text durchzieht, ist Liszts Erläuterung des Stoffs, die scheinbar den Leser kulturhistorisch informieren soll. Er geht auf seine Herkunft und besonders die des Venus-Mythos ein und erklärt Wagners Umgang mit den Vorlagen. Er spricht dem Stoff eine poetisch-philosophische Bedeutung zu. Einen besonderen Schwerpunkt legt Liszt auf die religiösen 579 Ebd., S. 146 f. Zu deutsch: »Wie sollte man diese unerschöpflichen Möglichkeiten der Kunst nicht bewundern, welche stets neue Formen findet und in so vielgestaltiger Schönheit erstrahlt! Werden wir denn nie von dem kleinlichen Anspruch ablassen, ihr Grenzen stecken zu wollen, ihr eine Formel der Unbeweglichkeit zu suchen, sie in diesen oder jenen Bereich bannen zu wollen? […] Die Kunst umfaßt wie die Natur in ihren Gesetzen die verschiedensten Bereiche, Entwicklungen und Verfahren. […] Begrüßen wir ihren Frühling, ohne uns mit hartnäckiger Klage und Trauer um den letzten Herbst aufzuhalten […]«. Ebd., S. 149. 580 Ebd., S. 138. Zu deutsch: »Man kann sich nicht darüber täuschen, daß sein deklamatorischer Stil [des Tannhäuser, B.S.] denen mißfallen wird, die sich in der Kunst des Belcanto gefallen, in der Virtuosität der Kehle, und die vortreffliche Gründe gelten machen werden, um gegen ihre Verbannung von der Bühne zu protestieren. […] Die Liebhaber gefälliger Arien, von Cabaletten, Ritornellen, welche man beim Verlassen des Theaters bequem summen kann, werden, ach, im Tannhäuser nur eine magere Ernte finden.« Ebd., S. 139.

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Elemente der Fabel, und am Schluss des Textes verbindet er das Prinzip des Religiösen mit dem des Eros. Die Länge und Heterogenität des Textes der Tannhäuser-Broschüre scheint einer breiten Rezeption zunächst entgegenzuwirken. Dennoch ist es in der Forschung eindeutig dokumentiert, dass diese Besprechung Liszts von Wagners Musik wie auch z. B. die Lohengrin-Erläuterung als Schrift gelten kann, die auf eine breite und intensive Wirkung hin angelegt war. Gemeinsam mit Liszts Aufführungen u. a. des Tannhäuser in Weimar sind seine Schriften für die Wagner-Rezeption seiner Epoche ein wesentlicher Anstoß gewesen.581 Bereits die Zeitgenossen nahmen deutlich wahr, dass Liszt für Wagner sehr aktiv durch Inszenierungen und Schriften Partei ergriffen hatte. Altenburg argumentiert, dass Liszt in der engen Verbindung von künstlerischer und publizistischer, auf der Meta-Ebene agierender Aktivität sich das klassische Weimar zum Vorbild genommen habe.582 Von Liszts Weimar sollten durch Musik und Schrifttum kulturreformerische Impulse ausgehen; hieran hatten seine Beschreibungen von Wagners Musik großen Anteil. »Und ohne Liszts Schriften zu Wagners Fliegendem Holländer, Tannhäuser und Lohengrin« so Altenburg, »ohne die Weimarer Uraufführung des Lohengrin und ohne die Weimarer Berlioz-Wochen wäre nicht nur die Wagner- und Berlioz-Rezeption anders verlaufen, sondern auch jeder Versuch, Weimar um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts zu einem neuen Zentrum der Kunst in Deutschland werden zu lassen, zum Scheitern verurteilt gewesen.«583

Die Charakteristika von Liszts Schreiben und der Aufbau der vorliegenden Schrift bestätigen, dass sie zur Rezeption nicht nur durch ein kleines, fachlich intensiv gebildetes, sondern für ein breiteres interessiertes Publikum bestimmt war. Liszt verzichtet auf ausführliche musiktheoretische Ausführungen, z. B. auf harmonische Analysen. Wenn er auf die Ouvertüre genauer eingeht, so beschränkt er sich auch in der Darstellung ihres formalen Aufbaus auf eine recht allgemein gehaltene Nachzeichnung. In der Musikbeschreibung dominiert die intensive metaphorische Bildlichkeit, die der intermedialen Qualität der Oper noch eine weitere Ebene hinzufügt. Auf diese Weise verwendet Liszt mit dem Metapherngebrauch eine Strategie, die gleichermaßen literarische wie rhetorische Zwecke erfüllt. Ricoeur führt aus, dass 581 Für ausführliche Erläuterungen zu Rezeption und Wirkung der »Tannhäuser«- und »Lohengrin«-Schrift Liszts vgl. den Abschnitt »Aufnahme und Wirkung« in der historisch-kritischen Ausgabe Altenburgs [Anm. 553]. 582 Vgl. Detlef Altenburg: »Die Neudeutsche Schule – eine Fiktion der Musikgeschichtsschreibung?« In: Detlef Altenburg (Hrsg.): Liszt und die Neudeutsche Schule. Laaber 2006. (= Weimarer Liszt-Studien. Im Auftrag der Franz-Liszt-Gesellschaft e.V. Weimar hrsg. von Detlef Altenburg. Bd. 3). S. 9 – 22. Hier S. 14 f. 583 Ebd., S. 13.

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»die Metapher bei Aristoteles beiden Bereichen zugehört. […] Dichtung und Beredsamkeit umreißen somit zwei verschiedene Welten der Rede. Die Metapher steht nun aber mit einem Fuß in beiden Bereichen. Ihrer Struktur nach mag sie nur in einem einzigen Vorgang der Verschiebung des Wortsinns bestehen; ihrer Funktion nach unterliegt sie dem unterschiedlichen Schicksal von Beredsamkeit und Tragödie; es gibt somit eine einzige Struktur der Metapher, doch zwei Funktionen: eine rhetorische und eine poetische.«584

In der vorliegenden Schrift erfüllt die Metapher, indem sie Musik für ein Publikum ohne Fachwissen in verständliche und eindrückliche Bilder überführt, eben diese beiden Funktionen. Für diejenigen Leser, die die Oper noch nicht kennen, fasst Liszt die Handlung zunächst kurz zusammen und zeichnet sie unter Einbeziehung von Musik, Libretto und Szenerie noch einmal ausführlicher nach. Außerdem zitiert er mehrfach aus dem Libretto. All dies dient offenbar dazu, Lesern die Beschäftigung mit der Oper nahezulegen und sie mit ihren Grundzügen vertraut zu machen. Die Qualitäten einer Abhandlung gewinnt der Text, indem Kulturhistorisches (in Zusammenhang mit dem Stoff) dargestellt und erläutert wird. Altenburg bemerkt, Liszts literarische Studien hätten ihren Ursprung in der französischen Salonkultur.585 Immer wieder geht Liszt auch auf musikästhetische Fragen ein und äußert sich allgemein über die Kunst bzw. die Musik. Es ist offensichtlich, dass der Autor in die Besprechung der Oper seine progressive Musikästhetik einflechten und sie auf diese Weise dem Publikum nahebringen möchte. Der Text zeigt sich immer wieder stark wertend, indem er Wagners Werk unmissverständlich lobend und enthusiastisch bespricht. Von dieser Bewertung ausgehend, legt Liszt die (neudeutschen) Ansichten zu einer Weiterentwicklung der Kunst dar. In seinem Aufsatz »Die neudeutsche Musikkritik: Der Weimarer Kreis« macht James Deaville deutlich, wie stark die Neudeutschen auch als musikkritische Bewegung zu verstehen seien. Sie identifizierten sich, so Deaville, in ihrem Kampf für Wagner mit der Gluck-Partei des 18. Jahrhunderts. In beiden Fällen geht es um eine Reform der Oper, die gegen Widerstände durchgesetzt werden muss. »Ich stelle mir vor, daß die Weimarer Kritiker sich als Streiter für ihren Gluck betrachteten, der auf einer Ebene Wagner war, doch auf einer anderen als Liszt selbst interpretiert werden kann. Gewiß zog sich Liszt in den frühen 50er Jahren die größte 584 Paul Ricoeur: Die lebendige Metapher. Mit einem Vorwort zur deutschen Ausgabe. München 1986. (= Übergänge. Texte und Studien zu Handlung, Sprache und Lebenswelt. Hrsg. von Richard Grathoff und Bernhard Waldenfels. Bd. 12). S. 18 f. 585 Vgl. Detlef Altenburg: »Die Neudeutsche Schule – eine Fiktion der Musikgeschichtsschreibung?« [Anm. 582], S. 14 f.

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Polemik der Opposition zu, vor allem wegen seiner Reformversuche in Weimar, und zwar im Bereich der Oper.«586

Rhetorische und literarische Strategien, die Liszt im Tannhäuser-Text anwendet, stehen also zum großen Teil im Dienst der reformerischen Bestrebungen. Wie Winfried Fluck zur Wirkungsästhetik von literarischen Texten ausführt, sind Annahmen zu Funktionen solcher Texte immer hypothetisch; jedoch nimmt er an, gesellschaftlich relevante Funktionen von Texten könnten immer nur über ästhetische bzw. literarische Strukturen verwirklicht werden.587 Mit Gymnich und Nünning588 kann man bei dem vorliegenden Text Liszts davon ausgehen, dass für diesen Text die drei zentralen Aspekte einer möglichen Funktionalität von literarischen Texten gegeben sind. Einerseits verfügt er durch seine sorgfältig komponierte rhetorisch-literarische Verfasstheit über ein gewisses, zunächst intern angelegtes, Wirkungspotential. Weiterhin ist es offensichtlich, dass, um den zweiten Aspekt zu nennen, eine Wirkungsintention des Autors gegeben ist. Dies geht aus den zahlreichen explizit formulierten, für Wagner werbenden Passagen des Textes hervor. Die Besprechung der Oper Tannhäuser gibt sich von Beginn an als eine nicht objektive, nicht von einem unbeteiligten Kritiker verfasste zu erkennen. Auch die historisch nachweisbaren Wirkungen des Textes – dies wäre der dritte Aspekt – sind belegt. Liszts Tannhäuser-Text hat die Wagner-Rezeption seiner Zeit maßgeblich beeinflusst und vorangetrieben. Wenn man nun mit Bourdieu nach dem Habitus des Autors Liszt als Angehöriger einer progressiven Gruppe von Komponisten fragt, so muss man zunächst feststellen, dass das Schreiben eines Textes – und Bourdieu setzt sich bekanntermaßen für eine Erweiterung des für eine Analyse des Felds der Kunst bzw. Literatur relevanten Textkorpus zugunsten nicht rein literarischer Texte ein – als »Objektivation eines bestimmten Habitus betrachtet werden«589 kann. Liszt zeigt in seiner Tannhäuser-Besprechung den Habitus des avantgardistischen, jedoch etablierten Künstlers. Durch seine Position in Weimar und seinen Ruhm 586 James Deaville: »Die neudeutsche Musikkritik: Der Weimarer Kreis.« In: Detlef Altenburg (Hrsg.): Liszt und die Neudeutsche Schule. Laaber 2006. (= Weimarer Liszt-Studien. Im Auftrag der Franz-Liszt-Gesellschaft e.V. Weimar hrsg. von Detlef Altenburg. Bd. 3). S. 55 – 76, hier S. 66. 587 Marion Gymnich und Ansgar Nünning: »Funktionsgeschichtliche Ansätze: Terminologische Grundlagen und Funktionsbestimmungen von Literatur.« In: Marion Gymnich / Ansgar Nünning (Hgg.): Funktionen von Literatur. Theoretische Grundlagen und Modellinterpretationen. Trier 2005. (= Ansgar Nünning und Vera Nünning (Hgg.): ELCH Studies in English Literary and Cultural History. ELK Studien zur Englischen Literatur- und Kulturwissenschaft. Bd. 16). S. 3 – 28, hier S. 6. 588 Ebd., S. 8 ff. 589 Andreas Dörner / Ludgera Vogt: »V. Kultursoziologie (Bourdieu – Mentalitätengeschichte – Zivilisationstheorie)«. In: Klaus-Michael Bogdal (Hrsg.): Neue Literaturtheorien. Eine Einführung. Opladen 1997. (= WV studium. Band 156). S. 134 – 158. Hier S. 142.

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als Virtuose verfügt Liszt über soziales, kulturelles und symbolisches Kapital, das er für Wagner in der Besprechung seiner Opern einzusetzen versucht. Liszt schreibt in außerordentlich positiver Weise über den Tannhäuser, und verfährt mit Wagner als Mitglied der gemeinsamen Gruppe der Neudeutschen nach dem Prinzip der »hi¦rarchisation interne«590 (»internen Hierarchisierung«)591. Wagner erhält von Liszt feldspezifische Anerkennung, er wird von einem Kollegen, der wie er den »Neudeutschen« als einer Gruppe von musikästhetisch progressiv eingestellten Komponisten angehört, beurteilt. Wenn Liszt in seiner Besprechung ausdrücklich Weimar als Aufführungsort der Wagner-Opern erwähnt, verweist er auf Weimar als das Zentrum der künstlerischen Avantgarde, zu der sowohl er als auch Wagner gehören. Sie, die zum Weimarer Kreis der Neudeutschen zählen, befinden sich nach Bourdieu als kleine progressive Elite offensichtlich im »sous-champ de production restreinte«592, im »Subfeld der eingeschränkten Produktion«593. In diesem Feld steht die Produktion für Produzenten im Vordergrund. Dies heißt für die Neudeutschen, dass sie ihre Werke innerhalb ihres Zirkels wechselseitig zur Kenntnis nehmen und häufig auch positiv bewerten. Sie sind am »principe de l¦gitimit¦ sp¦cifique«594, dem »Prinzip der spezifischen Legitimität«595 orientiert, ihre Werke werden innerhalb ihrer begrenzten Gruppe anerkannt bzw. ›legitimiert‹. Liszt verfasst seinen Text über Wagners Oper bewusst auf eine Weise, die nicht nur eine kleine Avantgarde, sondern ein breiteres, gebildetes Publikum ansprechen soll. Dies geschieht, indem er die Verwendung von stark musiktheoretischem Vokabular begrenzt, in der Besprechung des Stoffs Kulturgeschichtliches erläutert sowie die Frage des Religiösen, der ›Leidenschaften‹ u. a. erläutert, die Handlung zusammenfasst und sich häufig eindrücklicher Bilder und Metaphern bedient. Auffällig ist auch die Anrede an alle, mit der Liszt seinen Text beschließt. Dementsprechend könnte man argumentieren, dass, wenn Liszt sich auf diese Weise an ein größeres Publikum wendet, er versucht, den kleinen Weimarer Zirkel und speziell Wagner dem »sous-champ de grande production«596 (»Subfeld der 590 Pierre Bourdieu: Les rÀgles de l’art. GenÀse et structure du champ litt¦raire. Paris 1992, S. 303. 591 Pierre Bourdieu: Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes. Frankfurt am Main 1999, S. 345. 592 Pierre Bourdieu: Les rÀgles de l’art. GenÀse et structure du champ litt¦raire. Paris 1992, S. 302. 593 Pierre Bourdieu: Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes. Frankfurt am Main 1999, S. 344. 594 Pierre Bourdieu: Les rÀgles de l’art. GenÀse et structure du champ litt¦raire. Paris 1992, S. 304. 595 Pierre Bourdieu: Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes. Frankfurt am Main 1999, S. 346 f. 596 Pierre Bourdieu: Les rÀgles de l’art. GenÀse et structure du champ litt¦raire. Paris 1992, S. 302.

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Massenproduktion«)597, und dem »principe de hi¦rarchisation externe«598 (Prinzip der »externen Hierarchisierung«599), der positiven Bewertung durch einen großen Kreis von Rezipienten, zumindest anzunähern. Allerdings muss man hierbei bedenken, dass das »Subfeld der Massenproduktion« bei Bourdieu überwiegend negativ stigmatisiert ist. Es ist offensichtlich nicht Liszts Intention, Wagners Opern als massenkompatibel darzustellen, sondern ihre Akzeptanz auch jenseits der sehr kleinen Gruppe der Neudeutschen und ihrer Schüler und Anhänger einem größeren Publikum im Rahmen einer kulturinteressierten und gebildeten Szene zu fördern.

3.3.2 Schumanns Schriften über neudeutsche Kompositionen Die Strategien, mit denen Schumann als zumindest randständig den Neudeutschen zugehöriger Komponist über neudeutsche Werke schreibt, unterscheiden sich deutlich von den Lisztschen Texten. Trotz seiner differierenden Modi in der Versprachlichung ist jedoch zunächst mit Erich Valentin als Gemeinsamkeit festzustellen: »Daß es ein Musiker war, gar ein Komponist, der mit der Schreibfeder des Literaten und ›Poeten‹ umzugehen wußte und im nüchternen Amt des ›Redacteurs‹ wie mit dem einsamen Engagement des Kritikers seiner ungeordneten Zeit ein Regulativ zu geben versuchte, ist das Besondere. Gewiß, er war nicht der Einzige, der auf solche Art einzugreifen und zu orientieren bemüht war. Aber zwischen den geschickt die Feder führenden Kollegen Berlioz und Wagner war er – allenfalls und höchst bezeichnenderweise nur mit Liszt vergleichbar – tatsächlich der Einzige, der nicht in eigener Sache sprach.«600

Dementsprechend ist Schumanns Besprechung der Symphonie fantastique von Berlioz ein eindrückliches Beispiel für Schumanns intensive Beschäftigung mit den Werken der Neudeutschen. Sie zeigt sein Bemühen, diese in ihrer Epoche neuartigen Musikstücke eingehend zu analysieren, ihren Vorzügen, aber auch ihren Schwächen gerecht zu werden – und nicht zuletzt, sie den Zeitgenossen im Medium der Musikkritik vorzustellen und nahezubringen. Schumann hat sich 597 Pierre Bourdieu: Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes. Frankfurt am Main 1999, S. 344. 598 Pierre Bourdieu: Les rÀgles de l’art. GenÀse et structure du champ litt¦raire. Paris 1992, S. 302. 599 Ebd. 600 Erich Valentin: »Der Musikkritiker und Redakteur Schumann.« In: Julius Alf / Joseph A. Kruse (Hgg.): Robert Schumann. Universalgeist der Romantik. Beiträge zu seiner Persönlichkeit und seinem Werk. Düsseldorf 1981. (= Veröffentlichungen des Heinrich-Heine-Instituts, Düsseldorf. Hrsg. von Joseph A. Kruse). S. 28 – 39, S. 39.

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mit der Symphonie fantastique zunächst in einem kürzeren und in subjektiverem Stil gehaltenen Artikel beschäftigt, der mit dem Namen des fiktiven Davidsbündlers »Florestan« unterschrieben war, und erst danach den Text verfasst, der Grundlage für diese Analyse ist. Der erste Artikel wurde von Schumann später nicht in die Ausgabe der Gesammelten Schriften übernommen.601 Die Rezension gehört zu den längsten, die Schumann verfasst hat. Sie umfasst, die am Schluss angefügten Notenbeispiele eingerechnet, etwa 20 Seiten. Schumanns Aufbau und Durchführung der Analyse ist äußerst planvoll und reflektiert. Zu Beginn des Textes erläutert er dem Leser sein Vorgehen und thematisiert gleichzeitig die Problematik der Besprechung von Berlioz’ Sinfonie: »Der vielfache Stoff, den diese Sinfonie zum Nachdenken bietet, könnte sich in der Folge leicht zu sehr verwickeln, daher ich es vorziehe, sie in einzelnen Teilen, so oft auch einer von dem andern zur Erklärung borgen muß, durchzugehen, nämlich nach den vier Gesichtspunkten, unter denen man ein Musikwerk betrachten kann, d. i. je nach der Form (des Ganzen, der einzelnen Teile, der Periode, der Phrase), je nach der musikalischen Komposition (Harmonie, Melodie, Satz, Arbeit, Stil), nach der besondern Idee, die der Künstler darstellen wollte, und nach dem Geiste, der über Form, Stoff und Idee waltet.«602

Vom Stichwort der Form ausgehend führt Schumann seine Ansichten zur Erweiterung der Gattung Sinfonie aus. Indem er sich der bekannten Dichotomie von Talent und Genie bedient, stellt er fest, dass nur das Genie das Recht habe, traditionelle Formen zu verändern. Offenbar spricht er bereits an dieser Stelle Berlioz den Status des Genies zu. Im Folgenden beteiligt sich auch Schumann an der Debatte der deutschen Fachpresse, die Berlioz in enge Beziehung zu Beethoven setzt. Er erwähnt Beethovens 9. Sinfonie und die Annahme, nach diesem Werk sei diese Gattung an ihr Ende gelangt. »Nach der neunten Sinfonie von Beethoven, dem äußerlich größten vorhandenen Instrumentalwerke, schien Maß und Ziel erschöpft.«603 Schumann nennt kurz einige Komponisten seiner Epoche, die Sinfonien geschrieben haben, darunter Schubert. Mendelssohn und dessen Konzertouvertüren betrachtet er als Sonderfall. Er resümiert, keiner von ihnen habe gewagt, an der traditionellen Form der Sinfonie Wesentliches zu verändern. »Es stand zu fürchten, der Name der Sinfonie gehöre von nun an nur

601 Vgl. Klaus H. Hilzinger: »Musikalische Literatur und literarische Musik. Robert Schumann und Hector Berlioz.« In: Albert Gier / Gerold W. Gruber (Hgg.): Musik und Literatur. Komparatistische Studien zur Strukturverwandtschaft. Frankfurt am Main 1995. (= Europäische Hochschulschriften. Reihe XXXVI. Musikwissenschaft. Bd. 127). S. 145 – 158. Hier S. 149. 602 Robert Schumann: »Sinfonie von H. Berlioz.« In: Ders.: Gesammelte Schriften. Bd. 1, S. 69. Im Folgenden abgekürzt als: Schumann, Sinfonie von H. Berlioz. 603 Ebd., S. 70.

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noch der Geschichte an.«604 Auch in Frankreich und Italien seien keine Bestrebungen in dieser Hinsicht zu erkennen gewesen – es seien dort nur Opern verfasst worden. An dieser Stelle, und vor der Folie dieses Kontrasts führt Schumann auf durchaus stilisierende Weise Berlioz als jugendlich-revolutionären Komponisten ein. »Einstweilen sinnt in einem dunkeln Winkel an der Nordküste Frankreichs ein junger Student der Medizin über Neues.«605 Daraufhin gibt Schumann einen Überblick über die Form des ersten Satzes der Symphonie fantastique. Er tut dies in objektiv analysierender Sprache, allerdings legt er der Analyse ein Bild zugrunde. Hierbei bezieht er sich auf den zeittypischen Topos von Musik als Architektur und wählt die Metapher des Gebäudes für die Sinfonie. »Geläng es mir auch, dem Leser, welchen ich treppauf, treppab durch dieses abenteuerliche Gebäude begleiten möchte, ein Bild von seinen einzelnen Gemächern zu geben!«606 Schumann bleibt in der Metapher, wenn er das zweite Thema des Satzes als einen »sonderbar beleuchteten Ort«607 charakterisiert. In die Nähe von E.T.A. Hoffmanns Diktion und Bildgebrauch in der Rezension der 5. Sinfonie Beethovens begibt sich Schumann, wenn er das erste Thema wie folgt näher beschreibt: »Finsternis. Nach und nach beleben sich die Schattenrisse zu Gestalten bis zum disperato (S. 17).«608 Nach der Analyse des ersten Satzes fügt Schumann wiederum einen Absatz ein, in dem er die vorhergegangene Untersuchung auf der Meta-Ebene reflektiert und sein Vorgehen mit drei Argumenten begründet. Wiederum zeigt er sich hier stark auf den Leser bezogen. »Berlioz kann kaum mit größerem Widerwillen den Kopf eines schönen Mörders seziert haben, als ich seinen ersten Satz. Und hab’ ich noch dazu meinen Lesern mit der Sektion etwas genützt? Aber ich wollte dreierlei damit: erstens denen, welchen die Sinfonie gänzlich unbekannt ist, zeigen, wie wenig ihnen in der Musik durch eine zergliedernde Kritik überhaupt klargemacht werden kann, denen, die sie oberflächlich durchgesehen und weil sie nicht gleich wußten, wo aus und ein, sie vielleicht beiseite legten, ein paar Höhepunkte andeuten, endlich denen, die sie kennen, ohne sie anerkennen zu wollen, nachweisen, wie trotz der scheinbaren Formlosigkeit diesem Körper, in größern Verhältnissen gemessen, eine richtig symmetrische Ordnung inwohnt, des innern Zusammenhangs gar nicht zu erwähnen.«609

Eine der Motivationen für eine genauere Analyse des ersten Satzes, die exemplarisch gedacht ist, ist also, denjenigen, die die Sinfonie nicht kennen, zu zeigen, dass sie das Werk selbst hören sollten. Bezeichnenderweise scheint hier wieder 604 605 606 607 608 609

Ebd. Ebd., S. 71. Ebd. Ebd., S. 72. Ebd. Ebd., S. 72 f.

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die romantische Sprachskepsis auf, wenn es um die Möglichkeiten der Sprache, Musik zu vermitteln, geht. Es sollen außerdem denjenigen, die rudimentäre Kenntnisse der Sinfonie haben, weitere Anhaltspunkte gegeben werden. Zum dritten bezieht Schumann sich auf die Kritiker der Sinfonie und bekennt sich deutlich zu einer Parteinahme für das Werk, die unter anderem Zweck seiner Versprachlichung des Stücks bzw. der Rezension ist. Die Verteidigung der scheinbaren »Formlosigkeit«, der scheinbaren Unordnung als von einem Sinn unterlegt erinnert stark an den Diskurs der musikalischen Presse, der Beethovens Werk gegen eben diese Vorwürfe zu verteidigen suchte. Dass Schumann sich bewusst auf diesen bezieht, wird durch seine folgenden Ausführungen deutlich. Er geht auf die Probleme des Rezipierens ein, die eine neue Form – hier mit den Attributen des Erhabenen besetzt – mit sich bringt. Dann zieht er die Parallele zu der Erweiterung und Veränderung der Formen in Beethovens Spätwerk und führt so das Motiv der ›Verwandtschaft‹ der beiden ›Genies‹ Beethoven und Berlioz weiter. »Und gibt uns nicht die Erfahrung an Beethoven ein Beispiel, dessen – namentlich letzte – Werke sicherlich ebenso ihrer eigentümlichen Konstruktionen und Formen, in denen er so unerschöpflich erfand, wie des Geistes halber, den freilich niemand leugnen konnte, im Anfang unverständlich gefunden wurden?«610

Nach einigen Sätzen über die Struktur von Berlioz’ Phrasen kommt Schumann wieder auf allgemeine Charakterisierungen des Komponisten. Er schreibt Berlioz’ eine eigene musikalische Sprache zu, die er als poetisch darstellt. Er vergleicht Berlioz’ Musik, seine Art der (freieren) musikalischen Phrase mit der Diktion der griechischen Chöre, der biblischen Sprache und der Prosa Jean Pauls. Schumann sieht bei Berlioz die Musik sich wieder zu ihrem ›Ursprung‹ hin entwickeln. Dadurch, dass er sich auf die Ungetrenntheit von Musik und Rede in der Antike bezieht, zeigt sich bei Schumann die Nähe zu Wagners Ästhetik und ein weiteres Mal seine intermediale Auffassung von Musik. Auch die Verehrung Jean Pauls und die Inspiration, die Schumann in seiner Musik von dessen Prosa empfangen hat, wird deutlich. Sehr kurz handelt er daraufhin die Form des dritten bis fünften Satzes der Sinfonie ab. Wiederum zieht er hier die Parallele zu Jean Pauls Literatur. Im Folgenden kommt er auf Einzelheiten der kompositorischen Struktur und auf die Besonderheiten der Instrumentierung, für die Berlioz bereits bekannt ist, zu sprechen. In Bezug auf die Qualität von Melodie und Harmonie bei Berlioz verteidigt er ihn gegen F¦tis, seinen schärfsten französischen Kritiker in der Revue et Gazette Musicale. Dennoch kritisiert Schumann selbst einiges im Gebrauch der Harmonie, entschuldigt dies aber mit der Jugend des Komponisten, von dem er irrtümlicherweise behauptet, er sei 610 Ebd.,S. 73.

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beim Komponieren der Sinfonie erst 18 Jahre alt gewesen (Berlioz war 26 Jahre alt, als er die Sinfonie komponierte).611 Berlioz’ Charakteristikum, in der Harmonik aus wenig Material vielfache Varianten herzustellen, vergleicht er wiederum mit Beethovens Stil. Nach längeren Ausführungen zur Harmonie geht er auf das Hauptmotiv der Sinfonie ein. Er beschreibt es auf eine teilweise personifizierende Weise: »In der dritten Abteilung tritt es vom Orchester ununterbrochen rezitativisch auf; hier nimmt es den Ausdruck der fürchterlichsten Leidenschaft bis zum schrillen As, wo es wie ohnmächtig niederzustürzen scheint. Später erscheint es sanft und beruhigt….«612 Schumann geht im Zusammenhang mit dem die Sinfonie durchziehenden Hauptmotiv auch auf den Begriff der ›id¦e fixe‹ ein, Vorläufer von Wagners Leitmotiv. Begleitet wird dies von weiteren Vergleichen mit Beethoven und Verteidigungen gegen F¦tis’ Kritik. Weitere Aspekte, die zur Sprache kommen, sind Berlioz’ Behandlung des Orchesters und Liszts Klavierauszug der Sinfonie, den er lobt. Schließlich macht Schumann in der Besprechung mit einem kurzen, selbstreflektierenden Rückblick Halt, in dem er kurz den bisherigen Verlauf der Rezension thematisiert. Er kündigt nun den Schluss an: Die Ausführungen über den ›Charakter‹ der Sinfonie. Erst an dieser Stelle kommt Schumann auf das von Berlioz verfasste Programm zu sprechen, das der Symphonie fantastique unterliegt. Er stellt dies dem Leser kurz vor und geht hierbei Satz für Satz der Sinfonie chronologisch durch. Er schildert die Seelenzustände des tragisch verliebten Künstlers, die sich, vom zweiten Satz an, in wechselnden Szenerien (»Ein Ball« – »Szene auf dem Lande« – »Gang zum Richtplatz« – »Traum in einer Sabbatnacht«) abspielen. Hierbei geht Schumann auch auf die leitmotivische Kompositionsweise Berlioz’ in Form der id¦e fixe ein. Die Erläuterung des Programms schließt Schumann mit den folgenden, im Zusammenhang mit der Rezeption der Symphonie fantastique bekannt gewordenen Sätzen: »Soweit das Programm. Ganz Deutschland schenkt es ihm: solche Wegweiser haben immer etwas Unwürdiges und Charlatanmäßiges.«613 Schumann bemerkt, die fünf Überschriften zu den Sätzen hätten ausgereicht; die biographischen Umstände, unter denen der Komponist geschaffen hätte, hätten sich vermutlich auch mündlich im Publikum überliefert. Im Folgenden greift auch Schumann auf Stereotypen des kulturellen Nationalismus zurück. Er grenzt in zeittypischer Weise die italienische und französische Musikkultur von der deutschen ab. Dies geht einher mit der Ablehnung der Programmusik im eigentlichen Sinne. Interessanterweise kritisiert Schumann hier auch Beethovens Pastoralsinfonie und ihre programmusikalischen Qualitäten: 611 Vgl. Schumann, Gesammelte Schriften, Bd. 2, S. 380. 612 Ebd., S. 78. 613 Ebd., S. 83.

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»Mit einem Worte, der zartsinnige, aller Persönlichkeit mehr abholde Deutsche will in seinen Gedanken nicht so grob geleitet sein; schon bei der Pastoralsinfonie beleidigte es ihn, daß ihm Beethoven nicht zutraute, ihren Charakter ohne sein Zutun zu erraten.«614

Hierbei erwähnt Schumann auch, der Hörer wolle über den Schaffensprozess des Komponisten nicht alles wissen und bringt im Zusammenhang mit der ›deutschen‹ Musikkultur auch den Genietopos auf. Es folgt der abwertende Satz, der das deutsche Publikum vom französischen abgrenzt: »Berlioz schrieb indes zunächst für seine Franzosen, denen mit ätherischer Bescheidenheit wenig zu imponieren ist.«615 Hilzinger bemerkt zu den national-kulturellen Schemata in der Besprechung der Symphonie fantastique: »Die national abgrenzenden Werturteile bei Schumann selbst haben in diesem Zusammenhang einen historisch-realen Grund: Weil es in der französischen Musik keine der Wiener Klassik vergleichbare Epoche der autonomen Instrumentalmusik gibt, orientiert sich die Programmusik (wie Berlioz’ ›drame instrumental‹) hier näher an Oper und Drama.«616

In ausführlicher Weise reflektiert Schumann nun über die Möglichkeit, bei der Rezeption der Sinfonie das Programm gewissermaßen mental in den Hintergrund zu drängen. Er habe dies getan, um der eigenen Reaktion auf die Musik, der eigenen Phantasie mehr Freiheit zu verschaffen. Wenn Schumann nun auf die zentrale musikästhetische Frage kommt, inwiefern Musik eine Darstellung von Gedanken oder Ereignissen sein könne, so löst er dies, indem er implizit die eigene musikästhetische Auffassung erläutert. Schumann wendet sich gegen eine Musik, die detailgetreu eine narrative oder bildliche Vorlage mimetisch darstellt. Er lehnt hingegen die Inspiration des Komponisten durch Bilder, Ideen oder andere Eindrücke nicht ab. Er betont die Wichtigkeit des Bildlichen, und hebt zusätzlich zum Ohr auch das Auge hervor: »Unbewußt neben der musikalischen Phantasie wirkt oft eine Idee fort, neben dem Ohre das Auge, und dieses, das immer tätige Organ, hält dann mitten unter den Klängen und Tönen gewisse Umrisse fest, die sich mit der vorrückenden Musik zu deutlichen Gestalten verdichten und ausbilden können. Je mehr nun der Musik verwandte Elemente die mit den Tönen erzeugten Gedanken oder Gebilde in sich tragen, von je poetischerem oder plastischerem Ausdrucke wird die Komposition sein […]«617.

Das Herausheben des Visuellen zeigt ein weiteres Mal, wie wichtig das Bildliche als ›drittes Medium‹ für Schumanns Auffassung von Intermedialität ist – sowohl in seiner Vorstellung einer ›poetischen Musik‹ als auch in seinen metaphorisch 614 615 616 617

Ebd. Ebd. Klaus H. Hilzinger [Anm. 601], S. 148. Schumann, Sinfonie von H. Berlioz, S. 84.

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Ästhetik der Intermedialität

geprägten Schriften, die diese Musik angemessen wiedergeben wollen. Die vorliegende Passage macht außerdem ein weiteres Mal deutlich: Innerhalb der Neudeutschen Schule, die durch ihre Auffassung von intermedial geprägter Musik geeint wird, ist die Spannbreite der Vorstellungen von idealer semantisierter Musik sehr breit. Sie umfasst sowohl die traditionelle Programmusik, wie sie in der besprochenen Sinfonie von Berlioz zutage tritt, als auch Schumanns ›poetische Musik‹, die er Berlioz’ Kompositionsweise in der Symphonie fantastique entgegenstellt. Hilzinger macht in seiner Interpretation der Besprechung eben dies deutlich, wenn er sie als Manifest von Schumanns Musikästhetik anhand der Berlioz’schen Sinfonie begreift: »Die formale Rekonstruktion bleibt aber nicht tautologisch in sich geschlossen, endet nicht im Formalismus des Ergebnisses. Der heuristisch zunächst ausgeblendete Programmtext wird nachgetragen und dann freilich, wie zitiert, als so aufdringlich wie unverbindlich verworfen. Gerade als Ärgernis jedoch führt er, als Provokation der eigenen Position, ins Zentrum von Schumanns (damaliger) musikalischer Ästhetik – der Vorstellung einer Programmusik ohne Programm, ohne ausformuliertes und mitgeteiltes Programm. Denn nur die vorsätzliche Unterwerfung unter die außermusikalische ›Prosa‹ verfällt dem Kunsturteil, nicht aber jener Ausdruck der ›Poesie‹, welcher aus der Musik selbst hervorgeht und zugleich, durchdrungen von weiteren Bedeutungen, über sie hinausgeht.«618

Nach einigen kurzen Ausführungen unter anderem über den bildhaften Gehalt in Schuberts Musik kommt Schumann zum Schluss und fasst kurz und ausdrücklich die Wirkungsintentionen seiner Schrift zusammen. »Sollten diese Zeilen etwas beitragen, einmal und vor allem Berlioz in der Art anzufeuern, daß er das Exzentrische seiner Richtung immer mehr mäßige, – sodann seine Sinfonie nicht als das Kunstwerk eines Meisters, sondern als eines, das sich durch seine Originalität von allem Daseienden unterscheidet, bekannt zu machen, – endlich deutsche Künstler, denen er im Bunde gegen talentlose Mittelmäßigkeit eine starke Hand gereicht, zu frischerer Tätigkeit anzuregen, so wäre der Zweck ihrer Veröffentlichung erfüllt.«619

Schumanns Motivation des Rezensierens umfasst hier also drei Aspekte: Er will das, was er an Berlioz’ Schaffen kritikwürdig findet, in didaktischer Absicht herausstellen, um den jungen Komponisten zu ›erziehen‹. Des Weiteren will er die Sinfonie einem breiteren Publikum als äußerst bemerkenswertes Stück bekannt machen. Drittens intendiert er, »deutsche Künstler«, offenbar die Neudeutschen, zu deren ›Bund‹ Berlioz gehört, in ihrem progressiven Arbeiten gegen das Mittelmäßige zu unterstützen. Es ist bemerkenswert, wie ähnlich sich, was die letzten beiden Aspekte betrifft, Schumann und Liszt in ihren Wir618 Klaus H. Hilzinger [Anm. 601], S. 146 f. 619 Schumann, Sinfonie von H. Berlioz, S. 85.

Versprachlichung und publizistische Verbreitung von neudeutschen Kompositionen

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kungsabsichten sind. In der Tannhäuser-Schrift wollte Liszt dem großen Publikum ebenfalls ein vergleichsweise unbekanntes Werk vorstellen und mit Wagner gleichzeitig für eine progressivere Musik- bzw. Opernästhetik werben. Auch Schumann bekennt sich also dazu, in elitärer Absicht die Neudeutschen durch die Verschriftlichung und Versprachlichung unterstützen und ihre Position im kulturellen ›Feld‹ der Epoche stärken zu wollen. Von Liszts Tannhäuser-Rezension unterscheidet sich Schumanns Text allerdings durch seine merklich kritischen Anteile gegenüber der Komposition. Seine Analyse zeichnet sich, wie es typisch für Schumanns Stil ist, durch das Nebeneinander von technischer Analyse und metaphorischer Beschreibung aus. Letzteres ist allerdings in der vorhergehenden Fassung wohl noch deutlich stärker präsent. Dennoch urteilt Plantinga, die beiden Extreme von Schumanns Kritikstil stünden gerade in der Rezension der Symphonie fantastique deutlich nebeneinander.620 Im Vergleich zu Liszts Wagner-Besprechung geht Schumann noch eingehender ins Detail, wenn es um Harmonik und Kompositionsstil geht. Auch scheut er sich nicht vor einer ausführlicheren, wenn auch nicht umfassenden Analyse. Wie Liszt nimmt Schumann jedoch die Rezension eines konkreten Werks zum Anlass für allgemeinere musikästhetische Ausführungen; auch er benutzt die Besprechung, um seine ästhetische Überzeugung für das Publikum zu formulieren und öffentlich zu machen. Wenn die eben besprochene Rezension der Symphonie fantastique trotz metaphorischer Elemente ein Beispiel für den analytisch-objektiveren, programmatischeren Stil Schumanns ist, so markiert der Text »Ein Werk II« das Extrem einer ›poetischen‹ Musikkritik in den Gesammelten Schriften. Die vergleichsweise kurze Rezension – wenn sie als solche zu bezeichnen ist und die Gattung der Musikkritik nicht endgültig verlässt – gehört zu den frühesten Besprechungen Schumanns und zu den Davidsbündler-Kritiken. Florestan und der Ich-Erzähler Julius sind am Klavier versammelt. Eusebius tritt herein und legt ein Werk auf den Notenständer des Klaviers. Es folgt Eusebius’ bekannter Satz, mit dem Schumann Chopin einführen lässt: »›Hut ab, ihr Herren, ein Genie‹«621. Julius blättert in den Noten, und an dieser Stelle wird das visuelle Element der Musik auf neue Weise thematisiert: Julius spricht über den optischen Eindruck der gedruckten Noten und stellt fest, dass jeder Komponist seine eigene Notengestaltung habe, jedes Werk bereits auf dem Papier charakteristisch aussehe. Es folgt der Vergleich mit dem Schwestermedium der Literatur, und Julius fügt an: »Beethoven sieht anders auf dem Papier als Mozart, etwa wie Jean

620 Vgl. Leon B. Plantinga: Schumann as Critic. New Haven, London 1967, S. 76. 621 Robert Schumann: »Ein Werk II.« In: Ders.: Gesammelte Schriften. Bd. 1, S. 5. Im Folgenden abgekürzt als: Schumann, Ein Werk II.

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Paulsche Prosa anders als Goethesche.«622 Chopins Notenbild ist nun ein sehr besonderes, und Julius gebraucht die schillernde Metapher der verschiedenen Augen, die den Leser anblickten: »Hier aber war mir’s, als blickten mich lauter fremde Augen, Blumenaugen, Basiliskenaugen, Pfauenaugen, Mädchenaugen wundersam an […]«623. Da es sich bei Chopins op. 2, von dem die Rede ist, um Variationen auf das Duett »La ci darem la mano« aus Mozarts Oper Don Giovanni handelt, wechselt Schumann nun in die Bildwelt der Oper selbst. »Leporello selbst schien mich ordentlich wie anzublinzeln, und Don Juan flog im weißen Mantel vor mir vorüber.«624 Eusebius spielt nun das Stück, und führt in der offensichtlich darstellenden, Bilder hervorrufenden Musik »unzählige Gestalten des lebendigsten Lebens vorüber«625. Die Davidsbündler besprechen und begeistern sich noch eine Weile. Daraufhin trennen sie sich und nach einem kurzen Besuch des Erzählers bei der vermittelnden Mentorenfigur des Meister Raro treffen Florestan und Julius in seiner Wohnung wieder aufeinander. Ein Gespräch bei Mondschein schließt sich an. Hier werden nun in freier dialogischer Form Details der Komposition und die einzelnen Variationen thematisiert. Die Bilder, die von den Davidsbündlern mit den Variationen verknüpft werden, gehören wiederum in den Bereich der Oper Don Giovanni. »[…] die erste Variation wäre vielleicht etwas vornehm und kokett zu nennen – der spanische Grande schäkert darin sehr liebenswürdig mit der Bauernjungfer. Das gibt sich jedoch von selbst in der zweiten, die schon viel vertrauter, komischer, zänkischer ist, ordentlich, als wenn zwei Liebende sich haschen und mehr als gewöhnlich lachen. Wie ändert sich aber alles in der dritten! Lauter Mondschein und Feenzauber ist darin; Masetto steht zwar von ferne und flucht ziemlich vernehmlich, wodurch sich aber Don Juan wenig stören läßt.«626

Das Visuell-Szenische, das in der Gattung Oper bereits integriert ist, wird also hier in der sprachlichen Übersetzung der Don-Giovanni-Variationen getreu dem variierten Werk aufgenommen. Schumann verzichtet in der Versprachlichung des konkreten Notentextes weitgehend auf neue Metaphernfelder und andere assoziierte Bildwelten und begnügt sich damit, die Oper und ihr Geschehen mit eigenen Worten zu evozieren. Nur, wenn der Schluss des Opus im Gespräch thematisiert wird, fügt Schumann zusätzlich zum Schluss der Oper ein eigenes Bild an: »Wenn nämlich an schönen Tagen die Abendsonne bis an die höchsten Bergspitzen höher und höher hinaufklimme und endlich der letzte Strahl verschwände, so träte ein 622 623 624 625 626

Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd., S. 6.

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Moment ein, als sähe man die weißen Alpenriesen die Augen zudrücken. Man fühlt nur, daß man eine himmlische Erscheinung gehabt.«627

Bildspendend ist hier wieder die Natur, und der Bereich des Erhabenen wird mit der Erwähnung der Berge aufgerufen. Eusebius erwidert Florestan – und thematisiert hiermit auf einer integrierten Meta-Ebene den subjektiven Stil der Rezension, den z. B. Brendel an Schumann später kritisiert hat628 – seine »Privatgefühle« seien lobenswert, »obgleich sie etwas subjektiv sind«.629 Beide schlafen nach diesem Gespräch schließlich ein. Plantinga bezeichnet diese Rezensionen Schumanns, die sich besonders häufig im Frühwerk finden, als »fantasies in ornate prose«630. Die Strategie, das musikalische Werk zu versprachlichen, zeigt sich hier als Entwerfen einer fiktiven Szene, die Beschreibung konkreter Passagen ist mit Metaphern durchsetzt und die Sprache erscheint als das poetische ›Gegenstück‹ zum besprochenen Werk. Der Einfluss E.T.A. Hoffmanns und anderer romantischer Autoren ist deutlich zu merken und Schumann bekennt sich zu einer ›kreativen‹, romantisch geprägten Kritik. Durch die Metaphern und auch dadurch, dass dem Leser eine Szene mit den Figuren des Davidsbunds vor Augen geführt wird, ist die ›dritte Ebene‹ des Visuellen wiederum deutlich präsent. Uwe Schweikert resümiert über »Ein Werk II«: »Er kleidet seine Entdeckung Chopins, die in den Worten ›Hut ab, ihr Herren, ein Genie‹ gipfelt, in einen Text, der die Empfindungen, die die Musik in ihm auslöst, in Handlung und Dialoge nach Art einer kleinen Novelle auflöst und erzählerisch ausschmückt. Die Sprache selbst tritt in einen schwärmerischen Dialog mit dem Leser und macht ihn zum Gesinnungsgenossen des poetischen Programms. Man glaubt förmlich bei der Lektüre die Musik erklingen zu hören, von der nur die Rede ist. Werk und Kritik, Spielen und Hören fließen ineinander. Die Worte werden zu einer zweiten Schrift neben oder hinter dem musikalischen Text.«631

Schumann bedient sich nicht nur der bekannten Strategie, wie Wagner und andere Musik im Modus der ausgelösten Empfindungen zu besprechen, sondern inszeniert sie und ihre Aufführung im Rahmen einer dynamischen fiktiven Gruppenszene. Das dialogische Prinzip erinnert an Wagners »Ein glücklicher Abend«. Schumann benutzt die wirkungsvollen Mittel des Fiktiven, Bildlichen, Metapho627 Ebd., S. 7. 628 Vgl. Franz Brendel: »Zur Anbahnung einer Verständigung«. In: Ders.: Gesammelte Aufsätze zur Geschichte und Kritik der neueren Musik. Herausgegeben vom Allgemeinen Deutschen Musikverein. Leipzig 1888, S. 147 – 168, hier S. 149. 629 Ebd. 630 Leon B. Plantinga [Anm. 620], S. 63. 631 Uwe Schweikert: »Das literarische Werk. Lektüre, Poesie, Kritik und poetische Musik.« In: Ulrich Tadday (Hrsg.): Schumann-Handbuch. Stuttgart u. a. 2006, S. 107 – 126. Hier S. 119.

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Ästhetik der Intermedialität

rischen, um den jungen Komponisten Chopin, dessen geringen Bekanntheitsgrad er ausdrücklich erwähnt, als ›Genie‹ beim Publikum einzuführen.

3.3.3 Hans von Bülows Schriften über Wagners Kompositionen Für einen wiederum starken Kontrast zu den metaphorisch-bildlichen, literarisch inspirierten Stilelementen, die bei Liszt und Schumann in ihrer Versprachlichung von Musik zu finden sind, stehen die Schriften des Musikkritikers und Komponisten Hans von Bülow. Von Bülow hat ein recht umfangreiches Korpus an Rezensionen hinterlassen, da er vielfach und in verschiedenen Zeitschriften veröffentlich hat. Er ist der Neudeutschen Schule besonders in seiner Eigenschaft als Schüler von Liszt und Anhänger Wagners äußerst eng verbunden und nimmt in seinen Schriften deutlich für die Neudeutschen Partei. Ein Beispiel ist sein etwa fünfseitiger Text »›Tannhäuser‹ von Richard Wagner«, der am 14. Januar 1856 zunächst in der Feuerspritze, 1901 noch einmal in den Bayreuther Blättern abgedruckt wurde. Er ist für die Untersuchung der verschiedenen Modi der Versprachlichung durch die Neudeutschen gleichermaßen interessant: Wie in Liszts Broschüre wird Wagners Oper Tannhäuser in der Absicht, positive Polemik für Wagner zu betreiben, besprochen. Dies geschieht allerdings auf eine Weise, die sich vom Lisztschen Text deutlich unterscheidet. Von Bülow geht zunächst auf die Berliner Inszenierung bzw. die dortige Aufführung von Wagners »Tannhäuser« ein und fügt hiervon ausgehend allgemeinere Ausführungen über das Werk an sich an. Eingangs macht von Bülow unmissverständlich deutlich, dass er Anhänger der Neudeutschen sei. »Der Unterzeichnete ist gewohnt als Schüler von Liszt und Wagner seine treue Anhängerschaft an die Meister so wenig zu verläugnen und in diesem Punkte diplomatische Vorsicht mit gemeiner Feigheit für gleichbedeutend zu erachten […]«632. Den nüchternen Bericht über das »Fiasco«633, das die Aufführung des Tannhäuser in Berlin gemacht habe, verbindet von Bülow mit einer scharfen Kritik am Publikum. »[…] der unmusikalischste, frivole Müßiggänger, für den bekanntlich Mozart keine seiner Opern geschrieben, hätte sich nach ›Don Juan‹ gesehnt, – um sich im Reflex eines Champagner trinkenden Frauenjägers wenigstens eine Weile zu ergötzen, und später in einem Diorama für den Mangel an schönen Dekorationen entschädigt. Bei dieser in den ersten beiden Vorstellungen stark betheiligten Classe des Publikums hat der ›Tannhäuser‹, sprechen wir es unumwunden aus, nicht einmal einen succÀs d’estime oder

632 Hans von Bülow: Briefe und Schriften. Hrsg. von Marie von Bülow. 12 Bde. Leipzig 1895 – 1908. Band 3: Ausgewählte Schriften. 1850 – 1892. S. 181. Im Folgenden abgekürzt als: von Bülow, Ausgewählte Schriften. 633 Ebd., S. 182.

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d’ennui gefunden, er hat ein entschiedenes Fiasco gemacht, wie bei seiner ersten Aufführung am Dresdener Hoftheater den 13. October 1845.«634

Von Bülow vergleicht diese Situation in Berlin im Folgenden ausführlicher mit der ersten Inszenierung in Dresden. Hierbei erläutert er, dass dort viele weitere Wiederholungen der Oper durch einen unbeirrbaren und stärker künstlerisch als finanziell interessierten Intendanten notwendig gewesen seien, um das Publikum schließlich vom Wert der Oper zu überzeugen. Das Publikum habe dann erkannt, dass Wagner in eine Reihe mit Mozart, Gluck, Spontini und Weber zu stellen sei. Hier nennt von Bülow einige Erneuerer auf dem Gebiet der Oper. Er weist außerdem auf Wagners Engagement für Beethovens Instrumentalmusik hin. Erneut wendet sich von Bülow scharf gegen Wagners Gegner : »Wer sich dieser praktischen Thätigkeit Wagner’s erinnert, wer ihn in seinen fünf Jahre nach der ersten Aufführung des ›Tannhäuser‹ in der Bitterkeit der Verbannung geschriebenen Büchern ehrlich und vorurteilsfrei zu beurteilen gestrebt hat, muß und darf diejenigen, welche seiner Richtung ›destruktive Tendenzen‹ unterschieben, für blinde Bethörte, oder für Betrüger, die ein specielles Interesse daran haben, das Urtheil der Unbefangenen zu verwirren, erklären.«635

An diesem Punkt hält von Bülow inne, um zu erklären, dass es notwendig gewesen sei, diesen Aspekt vorab zu besprechen. Von hier aus wolle er den dichterischen und musikalischen Wert des Werks besprechen. Im Folgenden wolle er sich jedoch einem anderen Punkt zuwenden: »Es heißt: Wagner appellire [sic] an das Volk.«636 Von Bülow bejaht dies, und betont, Wagner wende sich nicht an die unreflektierte Masse, sondern an »das ideale Volk, zu dem die Edlen, die Aristokraten aller Schichten der Gesellschaft zählen«637. Der Autor betont, Wagner appelliere nicht vergeblich, sondern erfolgreich. Einige hätten sich zu dieser ›Predigt‹ des Kunstwerks – von Bülow bedient sich hier kunstreligiöser Begrifflichkeiten im Zusammenhang mit Wagners Werk – bereits bekannt. Unter diesen seien auch Spohr und Schumann; von Bülow ruft diese bekannten Komponisten als ›Gewährsleute‹ auf. Text und Musik seien bei Wagner poetisch reizvoll, so fährt der Rezensent fort, und kommt so zum Werk Tannhäuser selbst sowie zu ästhetischen Aspekten. Er nennt die Gründe für den ›poetischen Zauber‹, der beim Publikum langsam durchdringe: Sie lägen in der Wahl des Stoffs, der ›national‹ und deshalb auf positive Weise populär sei – er bezeichnet ihn als »tief im deutschen Volksgeiste wurzelnde[] christlich-menschliche[] Sage«638. Andererseits, und 634 635 636 637 638

Ebd. Ebd., S. 183 f. Ebd., S. 184. Ebd. Ebd., S. 185.

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Ästhetik der Intermedialität

hier betont der Autor dezidiert die intermediale Qualität der Oper und Wagners Eigenschaft als ›musikalischer Dichter‹, lobt er die »durch und durch dichterische[], in wunderbarem Einklang von Wort und Ton concipirte[] Behandlung«639 des Stoffs. Von Bülow bekennt sich eindeutig auch zum christlichen Gehalt der Oper und weist Kritiker und Gegner zurück, die »in modern-tendenziösem Geiste«640 die Handlung säkularisiert wissen wollten. Nur das »poetisch moderne Bewußtsein eines Wagner, nicht der prosaische Dünkel eines einseitigen Aesthetikers«641 habe das so christliche wie menschliche Element in der Sage plastisch verwirklichen können. Zum Schluss der Besprechung, die eher eine kulturkritische bzw. ästhetische Abhandlung ist als eine Werkkritik im eigentlichen Sinne, polemisiert von Bülow noch einmal für Wagners musikästhetischen Ansatz des intermedialen Gesamtkunstwerks in aller Schärfe und bedenkt dessen Kritiker mit offensiv-beleidigenden Begrifflichkeiten: »Vor dem usurpirten Richterstuhle dieser verkrüppelten Hegelianer steht nun Wagner ferner des unverzeihlichen Verbrechens angeklagt, ein einheitliches Kunstwerk geschaffen zu haben, das hier dem Dichter Gelegenheit gibt, seine Musik, dort dem Componisten, seine Verse zu loben. Dieses System ist der Würde der resp. Zunft vollkommen angemessen; dem Kritiker macht der Umstand aber die sauerste Mühe, die neue Erscheinung in seine fertigen Kategorien einzuschachteln.«642

Von Bülow wirft Wagners Kritikern unbeweglichen, ja ›faulen‹ Konservativismus vor, der mit dem neuen ästhetischen Phänomen von Wagners Opern nicht umgehen wolle. Wie sich auch in vielen seiner anderen Besprechungen zeigt, zeichnet sich von Bülows musikkritischer Stil hier durch scharfe Polemik und eine klare Sprache aus, die weitgehend ohne literarische Strategien wie Metaphorik oder Bildlichkeit im Allgemeinen operiert. Er agiert, wie er selbst auch explizit anführt, als Schüler, Anhänger und Vorkämpfer der Neudeutschen und hiermit als tendenziell aggressiver Kritiker der musikalisch Konservativen. Er versucht im vorliegenden Text nicht, wie wir es bei Liszts Tannhäuser-Broschüre gesehen haben, das besprochene Werk auf suggestive Weise für ein potentielles Publikum sprachlich zu übersetzen. Dies ist allerdings manchmal der Fall, wenn er sich nicht auf ästhetische oder kulturkritische Ausführungen beschränkt, sondern das musikalische Werk selbst eingehender beschreibt. Ein Beispiel für die Vermischung von bildlich-metaphorischem Stil und technischer Beschreibung in von Bülows Rezensionen ist die Schrift »Über Richard Wagner’s Faust-Ouvertüre«. Die sehr ausführliche Besprechung umfasst knapp 30 Seiten. Von Bülow behandelt darin wiederum allgemeinere Fragen, beispielsweise die, 639 640 641 642

Ebd., S. 185. Ebd. Ebd. Ebd., S. 185 f.

Versprachlichung und publizistische Verbreitung von neudeutschen Kompositionen

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welcher Form bzw. Gattung das Stück zuzurechnen ist oder in welcher Weise es sich von den gängigen und verflachten Faust-Kompositionen der Epoche abhebt. Gleichermaßen stellt von Bülow den Vergleich und die Beziehung zu Liszts Faust-Sinfonie her. Er thematisiert das Problem der Versprachlichung von Wagners Faust-Ouvertüre und reflektiert hierbei auch den eigenen Modus der Versprachlichung, indem er den Wunsch zum Ausdruck bringt, Liszts »einzige Beredsamkeit«643 möge sich des Stücks annehmen. Er hofft, dass Liszt in einer sprachgewaltigen, suggestiven Rezension für den Freund Wagner Partei ergreift, und dass er »auch für dieses Werk seines Freundes ihre [der Beredsamkeit, B.S.] zum Herzen dringende, einschmeichelnde Sprache ertönen«644 lassen wird. An dieser Stelle wird deutlich, dass von Bülow als Schüler und enger Vertrauter der Neudeutschen die Wirkung der neudeutschen musikalischen Rezensionen und Programmschriften, insbesondere Liszts, hoch einschätzt und sie als wirksame Mittel in der kämpferischen ästhetischen Debatte begreift. Er selbst schreibt sich als Autor von Besprechungen einen »trockenen Ton[]«645 zu; von Bülows eher wenig metaphorischen, ›literarischen‹ Stil habe ich oben bereits angesprochen. Dennoch ist die Rezension der Faust-Ouvertüre ein Beispiel für bildliche Ausführungen seitens von Bülow. Er passt sich hierbei offensichtlich der Tatsache an, dass es sich bei dem rezensierten und vorgestellten Werk um im weiteren Sinne Programmusik handelt, die ein Drama zum Gegenstand hat. Von Bülow betont allerdings, nicht das Dramatische, die »That«646 sei hier dargestellt, sondern ein »Stimmungsbild«647. Von Bülow interpretiert also dementsprechend dem Rezeptionstopos des ›Seelengemäldes‹. Gleichzeitig schlägt er eine intertextuelle Brücke zu Wagners Schriften, wenn er auf dessen Text zu Beethovens Coriolan-Ouvertüre verweist. Wie Wagner will von Bülow im musikalischen Werk nicht die Gefühlszustände eines Individuums, sondern Gefühle und Seelenzustände eines idealisierten, quasi ›abstrakten‹ Helden dargestellt sehen. In seiner Besprechung der »Introduction« beschreibt von Bülow deren Hauptmotiv. Er tut dies, indem er nur kurz auf harmonische Details eingeht und sofort danach seine Interpretation des Motivs als Folge von Seelenzuständen der Faust-Figur ausführlich darlegt. Die Ausführungen zum ›Seelengemälde‹, die im Kontrast zum sonstigen »trockenen Tone« stehen, markiert der Autor also an ihrem Beginn: »Es erscheint unserer subjectiven Anschauung natürlich, in diesem Hauptmotive anfangs die todesdurstige Sehnsucht zu lesen, welche den vom Leben Betrogenen, eines

643 Hans von Bülow: »Über Richard Wagner’s Faust-Ouvertüre.« In: Ders.: Ausgewählte Schriften, S. 207. 644 Ebd. 645 Ebd. 646 Ebd. 647 Ebd.

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unfruchtbaren Kampfes Müden, nach der einzigen Erlösung suchen läßt, die ihm werden kann.«648

Von Bülow resümiert über seine subjektive Übersetzung des Motivs in eine narrative – wenn auch nicht auf äußerliche Ereignisse bezogene – Metapher auf relativierende und sich rechtfertigende Weise wie folgt: »Der Versuch, welchen wir gemacht, in kurzen Strichen den Entwicklungsgang des Hauptmotivs anzudeuten, soll, wie bereits bemerkt, sich durchaus nicht abwehrend und ausschließend gegen andere Interpretationen desselben verhalten.«649 Das Ende der subjektiven, narrativen Transposition des Hauptthemas markiert der Autor unmissverständlich mit dem Satz: »Wir kehren zur musikalischen Betrachtung zurück.«650 Im verbleibenden Teil der Besprechung beschreibt von Bülow die musikalischen Verläufe im gemäßigt diffizilen technischen Jargon, der lediglich mit charakterisierenden Adjektiven oder kurz gehaltenen Metaphern durchsetzt ist. Charakteristisch für diesen Stil, der einen großen Teil der Besprechung dominiert, ist zum Beispiel die folgende Passage: »Die erste Violine nimmt nun mit ihrem ersten Einsatz das Grundmotiv auf. Die Einsamkeit dieser Phrase ist sehr geeignet, ihren schwermüthigen, hinbrütenden Charakter wirksam hervorzuheben. Auf die Schlußnote tritt in der Bratsche wieder jene erste fragende Figur auf, die ursprünglich mit dem Vortrag in paarweise gebundenen Segmenten später zu den überraschendsten Metamorphosen führt. Dazu ertönt in sämmtlichen hohen Rohrbläsern ein durchdringender Klagelaut […]«.651

3.3.4 Wagners Schrift »Über Franz Liszts Symphonische Dichtungen« Bereits in Liszts und vor allem von Bülows Schriften habe ich neben der Versprachlichung von Teilen eines musikalischen Werks die deutliche Tendenz zu ästhetischen Ausführungen auf der Meta-Ebene festgestellt. Diese Ausführungen hängen mit detaillierten Besprechungen von Werkpartituren eng zusammen und erwachsen häufig aus diesen. In der extremen Form dieser Art der Versprachlichung von Musik handelt es sich um Programmschriften, für die die behandelten Kompositionen quasi als Anlass und illustrierende Beispiele dienen und ansonsten zugunsten der musikästhetisch-programmatischen Erläuterungen in den Hintergrund treten. Ein Beispiel für diese Art von ›Werkbesprechungen‹ ist Wagners Text »Über Franz Liszts Symphonische Dichtungen« von 1857. Er hat die Form eines – an Marie Wittgenstein gerichteten – Briefes. 648 649 650 651

Ebd., S. 219. Ebd., S. 220. Ebd., S. 221. Ebd., S. 222.

Versprachlichung und publizistische Verbreitung von neudeutschen Kompositionen

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Dementsprechend bedient sich Wagner auch des lebendigen, gesprächsartigen Stils, der seine grundsätzlichen Ausführungen durchzieht. Wenn auch ohne direkte Anrede, beginnt der Brief jedoch mit den Worten: »Ich bin es Ihnen fast schuldig, mich etwas ausführlicher über unseren Freund und seine neuen Orchesterkompositionen mit Ihnen zu unterhalten […]«.652 Dass es sich um einen offenen Brief handeln könnte, bzw. dass der Verfasser den Brief scheinbar auch für die Öffentlichkeit bestimmt hat, wird am Schluss des Textes deutlich. Wagner spricht hier implizit die Aufforderung an die Adressatin aus, seine Ausführungen drucken zu lassen. »So, ***, weiter kann ich Ihnen nichts sagen, und das Letzte habe ich bereits schon nicht mehr Ihnen, sondern ganz anderen gesagt, so daß Sie kaum wissen werden, was Sie damit machen sollen, wenn Sie nicht etwa gar auf den Gedanken kommen, es zu veröffentlichen. – Wirklich, wenn ich meinen Brief wieder übersehe, finde ich, daß ich weniger zu Ihnen, als zu denen gesprochen habe, denen ich vor Jahren so eifrig öffentlich zuzureden mich gedrängt fühlte. Wenn ich überlege, welche Konfusion ich damals anrichtete, so müßte ich mich als in eine alte Sünde zurückverfallen betrachten, wofür ich mich, da sie mir so schlecht bekam, doch recht hüten sollte. Für meine Unklugheit verdiente ich dann eine Strafe, und wenn Sie glauben, daß Sie dadurch niemand, als nur mir schaden könnten, so müßte ich es mir wohl gefallen lassen, wenn Sie diesen Brief dem Drucke übergäben.«653

Dementsprechend kann man für den vorliegenden nur formal privaten Text nicht nur von einem inhärenten Wirkungspotential, sondern auch von einer explizit gemachten Wirkungsabsicht des Verfassers sprechen. Wie wir bei einer genaueren Inhaltsangabe und chronologischen Besprechung des Textes sehen werden, geht es auch in diesem Beispiel einer Versprachlichung von neudeutschen Werken eindeutig darum, die Musikästhetik und den Kompositionsstil eines wie der Verfasser avantgardistisch ausgerichteten Komponisten öffentlich wirkungsvoll zu rechtfertigen. Diese Absicht, parteiisch zu schreiben und Polemik zu betreiben, wird von Wagner gleich zu Beginn des Briefs thematisiert und dementiert. Rhetorisch geschickt weist er jeden Verdacht seiner Voreingenommenheit in seinem schriftlich niedergelegten Urteil über Liszt – das ihm zufolge auf mehrfache Aufforderung der Adressatin hin stattfindet und hiermit ›gerechtfertigt‹ ist – zurück. »Der Wunsch, den Sie mir verschiedene Male ausdrückten, mich einmal recht bestimmt und besonnen über Liszt urteilen zu hören, sollte mich, wenn ich ihn jetzt erfüllen will, eigentlich in Verlegenheit setzen, da Sie wissen, daß nur Feinde die Wahrheit sagen, das Urteil eines Freundes, und noch dazu eines Freundes, der dem 652 Richard Wagner : »Über Franz Liszts Symphonische Dichtungen.« In: Ders.: DS, Bd. 8: Musikästhetik, Reformschriften 1854 – 1869, S. 22 – 40. Hier S. 22. Im Folgenden abgekürzt als: Wagner, Über Franz Liszts Symphonische Dichtungen. 653 Ebd., S. 39.

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andern das verdankt, was ich Liszt zu verdanken habe, aber notwendig der Parteilichkeit so verdächtig erscheinen muß, daß ihm beinahe gar kein Wert beizulegen sei.«654

Er nimmt für sich in Anspruch, rein aus innerer Überzeugung zu sprechen und bestreitet dementsprechend den taktisch-strategischen Charakter seiner Programmschrift. »Nehmen Sie daher, was ich Ihnen mitteile, als das Zeugnis eines Menschen an, den nichts als ein volles Herz zum Reden bringen kann, […]«655. Den Verdacht, er spreche parteiisch, weist er der Gruppe der »›Mediokratie‹«656, den Mittelmäßigen zu, die »sich wie mit unantastbaren Schutzwällen umgeben hat, von denen aus sie dem Bedeutenden zuruft: halt, bis ich, dein natürlicher Feind, dich erkannt!«.657 Gleich zu Beginn seines offenen Briefs weist Wagner also bereits die wichtigsten Argumente gegen die Berechtigung seiner Parteinahme für Liszt zurück und benutzt gleichzeitig die Gelegenheit, massiv gegen das konservativ-gegnerische Lager zu polemisieren, indem er es als »Welt der Mittelmäßigkeit«658 abqualifiziert. Gleichermaßen markiert er hiermit implizit den ästhetischen Diskurs der Neudeutschen bzw. das kompositorische Schaffen der Neudeutschen als Äußerungen einer, ganz im Sinne Bourdieus, (avantgardistischen) Elite. Der darauffolgende Absatz behandelt das in der neudeutschen Kritik toposhafte, (nach-)romantische Thema der Sprachskepsis in Bezug auf die versprachlichte Darstellung von musikalischen Werken. Wagners speziellere Ausformung der romantischen Grundannahme, Musik könne durch Sprache nicht wiedergegeben werden, konzentriert sich darauf, »Anschauungen«659 könnten durch die Sprache nicht mitgeteilt werden. »Gewiß bemerkten Sie auch, wie karg ich oft dabei [bei Liszts Vortrag seiner Werke, B.S.] mit Worten war, und Sie hielten dies gewiß nur für das Schweigen des Tiefergriffenen? Dies war es allerdings zunächst; doch muß ich Ihnen sagen, daß dies Schweigen bei mir jetzt auch durch Bewußtsein bestimmt wird, nämlich durch die immer gründlicher gewonnene Einsicht, daß das Wesentlichste und Eigenste unserer Anschauungen gerade in dem Maße unmitteilbar ist, als diese an Ausdehnung und Tiefe gewinnen, und dadurch dem Medium der Sprache sich entziehen […]«660.

Den defizitären Charakter der Sprache an sich begründet Wagner im Weiteren damit, dass er auf ihre mangelnde Fähigkeit, Individuelles auszudrücken und auf ihre Massenkompatibilität hinweist. Sie sei nur für die alltägliche Kommunikation mit der Mehrheit der (durchschnittlichen) Menschen tauglich. Sie sei eine 654 655 656 657 658 659 660

Ebd., S. 22. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd., S. 23. Ebd.

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»Sprache, die uns ja nicht gehört, sondern die uns als ein Fertiges von außen gegeben wird, um uns damit im Verkehr mit einer Welt zu helfen, welche uns im Grunde nur dann genau verstehen kann, wenn wir uns ganz auf dem Boden des gemeinen Lebensbedürfnisses stellen.«661

Wagner stellt also auch die Sprachskepsis in den Dienst seines Elitendiskurses, der sich auf die (ebenfalls (nach-)romantische) Diskrepanz zwischen Künstler und Bourgeois bezieht. Auffällig ist hier auch, dass im Grunde die Sinnhaftigkeit der polemischen und programmatischen Texte verneint wird, da sie die breite Masse, die überzeugt werden müsste, nicht erreichen, sondern nur innerhalb des elitären und gleichgesinnten Zirkels Aufnahme finden könnten. »Je mehr nun unsere Anschauungen von diesem Boden sich entfernen, desto mühsamer wird aller Ausdruck, bis der Philosoph auf die Gefahr hin, überhaupt verstanden zu werden, die Sprache eigentlich nur noch in ihrem umgekehrten Sinne gebraucht, oder der Künstler zu dem, dem gemeinen Leben gänzlich unbrauchbaren, wunderbaren Werkzeuge seiner Kunst greift, um sich für das einen Ausdruck zu schaffen, was selbst dann aber noch – in den günstigsten Fällen – eigentlich immer nur wieder von denen verstanden wird, welche die Anschauung selbst mit ihm teilen.«662

Am meisten entspreche diesen unmitteilbaren Anschauungen das Medium der Musik. Im bereits oben zitierten Absatz über Liszt als musikalischen Schriftsteller bekräftigt Wagner nun seine Skepsis gegenüber einer Versprachlichung von Musik, die den musikalischen Laien unter den Lesern erreiche. Nun charakterisiert Wagner seine eigene folgende sprachliche Darstellung von Liszts Symphonischen Dichtungen, die schließlich Thema und Anlass seines Briefes sind. Er verwirft die Möglichkeit, den ›Kern‹ der Musik überzeugend zu vermitteln und weist darauf hin, dass er nur das ›Äußerliche‹ des Kunstwerks, also u. a. dessen Form und harmonische Strukturen beschreiben könne. »Was soll ich Ihnen also sagen? Es wird im ganzen wohl eben nur mit einer etwas umständlich motivierten Ausführung der Unmöglichkeit, etwas zu sagen, sein Bewenden haben müssen. Doch wird dies immer mehr den eigentlichen Kern des Gegenstandes betreffen; zur Bezeichnung der der Außenwelt zugekehrten Bedeutung des Kunstwerkes, des formellen Teiles desselben, haben ja unsere Ästhetiker und Kunstkenner einen so reichen Vorrat von Ausdrücken und Ausdrucksweisen zusammengebracht, daß man wahrlich nicht eher in Verlegenheit kommt, als dann, wenn es sich darum handelt, das zu bezeichnen, was allen jenen Herren eben nicht zur Wahrnehmung gekommen ist. Somit will ich Sie denn über die Seite der Lisztschen Werke unterhalten, womit diese jener Welt zugekehrt und möglicherweise erkennbar sind.

661 Ebd. 662 Ebd.

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Damit müssen Sie sich aber begnügen; für alles übrige verweise ich Sie – auf mein stummes Schweigen bei der Anhörung.«663

Wagner setzt also auch in Liszts Musik den metaphysischen Anteil voraus, den die Romantik der (Instrumental-)Musik generell zugeschrieben hatte. Eben dieses Metaphysische ist traditionell das, was sich der Erfassung durch die Sprache entzieht. Gleichzeitig sind auch diese Ausführungen in rhetorischer Hinsicht sehr wirkungsvoll, was den gesamten Text angeht. Wagner suggeriert, seine Ausführungen über Liszts Musik könnten deren ›wahren‹ Wert und Charakter nicht darstellen. Die eigentliche, überwältigende Qualität dieser Musik steht also als nicht benennbare Größe quasi hinter dem Text, der seinerseits trotzdem alle Mittel aufbietet, um diese darzustellen. Wagner beginnt also mit dem ›Äußerlichsten‹, wenn es um die Musikerpersönlichkeit Liszt geht, mit seiner Eigenschaft als Virtuose. Dessen Interpretation von Beethovens Werken – es ist auffällig, dass er hier Beethoven als Beispiel für Liszts Konzerttätigkeit nimmt – sei stets nicht Reproduktion, sondern Produktion, selbst in sich ›schöpferisch‹ gewesen. Wagner sieht also in Liszts Kompositionstätigkeit keinen Umbruch, sondern das Fortführen einer stets in seinem Schaffen angelegten Linie. »Diese Eigentümlichkeit [das ›schöpferische‹ Reproduzieren, B.S.] ist ihrer Neuheit wegen fast ganz übersehen worden, und dies ist schuld an der jetzigen Verwunderung über Liszts neues Auftreten [als Komponist, B.S.], das nichts anderes als die Kundgebung des zur vollen Reife gelangten Produktivität des Künstlers ist.«664

Anschließend kommt Wagner auf die Form der Lisztschen Werke zu sprechen. Dies leitet er mit einer neuen Polemik gegen die auf die (traditionelle) Form fixierten Konservativen ein: »Ach, ***, wenn es keine Form gäbe, gäbe es gewiß keine Kunstwerke; ganz gewiß aber auch keine Kunstrichter, und das ist diesen letzteren so ersichtlich, daß sie aus Seelenangst um die Form schreien, während der leichtfertige Künstler, der, wie gesagt, ohne die Form am Ende doch auch nicht wäre, sich bei seinem Schaffen so ganz und gar nicht darum kümmert. Wie mag das wohl kommen? Wahrscheinlich, weil der Künstler, ohne es zu wissen, selbst immer Formen schafft, während jene weder Formen noch sonst etwas schaffen.«665

Die neudeutsche Abwendung von der klassischen Form, und die Hinwendung zu einer Form, die durch den ›Inhalt‹, den semantischen Gehalt des Werks bestimmt wird, wird hier noch einmal deutlich formuliert. In spielerischem Verweis auf sein eigenes Opernschaffen – »(Sie sehen, daß ich soeben in der 663 Ebd., S. 24. 664 Ebd., S. 26. 665 Ebd., S. 27.

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Schmiede meines jungen Siegfried war!)«666 – entwickelt Wagner für die Beziehung von musikalischem Gehalt und Form hier das Bild von Schwert und Griff. Bei einem gut und effektiv geführten Schwert sei der Griff – den er hier mit Be-Griff gleichsetzt, was sich offenbar an die populäre Vorstellung der ›Idee‹ hinter einem Musikstück anlehnt – nicht sichtbar, sondern in der Hand des Agierenden, in diesem Fall des Komponisten. Eine Form, die wie bei Liszt nicht gleich für jeden verständlich und erkennbar sei, so offenbar hier Wagners Anliegen, sei deshalb nicht als minderwertig zu beurteilen – im Gegenteil. »Ja, ***, es ist nicht anders: Liszt hat auch keine Form. Aber freuen wir uns darüber, denn sähe man den ›Griff‹, so müßten wir fürchten, er hätte mindestens das Schwert verkehrt in der Hand, was in dieser bösen, feindseligen Welt eine übergroße Galanterie wäre, da man hier tüchtig zuschlagen muß, wenn einem geglaubt werden soll, daß auch eine Klinge im Hefte stecke.«667

Nun widmet sich Wagner Liszts Symphonischen Dichtungen und hierbei zunächst ihrer Bezeichnung. Diese neuartige Betitelung habe nur im Einklang mit der neu entstandenen Kunstform entstehen können. Um diesen Gedanken zu erklären, entwickelt Wagner seine Argumentation von der Gattung der Ouvertüre ausgehend. Im historischen Rückblick habe es sich hierbei um einen Tanz gehandelt, der vom Orchester zur Eröffnung eines szenischen Werks gespielt worden sei. Der Tanz oder Marsch als Form liege jedem anderen Instrumentalwerk zugrunde, so auch der Sinfonie. Elemente von Wagners (extremer) intermedialer musikästhetischen Anschauung, die zu diesem Zeitpunkt eigentlich durch seine Hinwendung zu Schopenhauer und der Vorstellung einer unabhängigen Musik bereits zurückgedrängt war, treten hier wieder auf. Wie Rainer Franke im Rückgriff auf Dahlhaus zusammenfasst: »Carl Dahlhaus hebt deshalb zurecht hervor, daß Wagner auch nach seiner Konversion zu Schopenhauer (1854) in seinem offenen Brief ›Über Franz Liszts symphonische Dichtungen‹ (1857) die These aus ›Oper und Drama‹, daß Musik von Sprache und Tanz als ›Formmotiven‹ abhängig sei, nicht preisgeben mochte.«668

Der Tanz als Grundlage des Instrumentalwerks berge allerdings die Problematik, dass die Entfaltung einer dramatischen Idee (als Entwicklung) durch die Natur des Tanzes (den Wechsel) behindert werde. Hieraus folgert Wagner indem er auf Beethovens Leonoren-Ouvertüre rekurriert, dass »die Ouvertürenform, d. h. die nur motivierte, ursprünglich symphonische Tanzform umgestoßen, und hier666 Ebd., S. 28. 667 Ebd. 668 Rainer Franke: Richard Wagners Zürcher Kunstschriften. Politische und ästhetische Entwürfe auf seinem Weg zum ›Ring des Nibelungen‹. Hamburg 1983. (= Hamburger Beiträge zur Musikwissenschaft. Begründet von Georg von Dadelsen. Hrsg. von Constantin Floros. Bd. 26). S. 104.

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von der Ausgang zur Bildung einer neuen Form genommen«669 werden müsse. Die neue Form, so nun Wagners zentrale These, müsse durch den Gegenstand und seine Entwicklung bestimmt werden. Der Gegenstand wiederum sei »[e]in dichterisches Motiv«670. In dem Bewusstsein, provozierend zu wirken, zieht Wagner hieraus nun die Schlussfolgerung, bei Musik, die diesen Anforderungen entspreche, handele es sich um Programmusik. Es schließt sich eine emphatische Apologie dieser Begrifflichkeit an. Wagner verneint, dass in der Programmusik das Medium Musik seine Selbständigkeit und Qualität verliere. Es hänge nur von der Kompetenz des Komponisten ab, ob Programmusik die Musik als solche in ihrer Qualität beeinträchtige oder nicht. Zentrale Sätze der Programmschrift sind die folgenden: »Diese herrlichste, unvergleichlichste, selbständigste und eigentümlichste aller Künste, die Musik, wäre es möglich, sie je anders beeinträchtigt zu wissen, als durch Stümper, die nie in ihrem Heiligtume geweiht waren? Sollte Liszt, der musikalischste aller Musiker, der mir denkbar ist, ein solcher Stümper sein können? Hören Sie meinen Glauben: die Musik kann nie und in keiner Verbindung, die sie eingeht, aufhören die höchste, die erlösendste Kunst zu sein.«671

Diesen Gedanken führt Wagner im Weiteren aus und grenzt eine lobenswerte Programmusik von einer negativen ab. Die internen Spannungen zwischen den Neudeutschen und die Differenzen, die in ihrer Ästhetik trotz aller Gemeinsamkeiten auftreten, kommen in diesem Text zum Vorschein: Wagner kritisiert Berlioz’ Variante der ›Programmusik‹ und grenzt Liszts Werke als positive Gegenbeispiele hiervon ab. Im Anschluss geht Wagner auf die Frage der Rezeption von Liszts Werken durch das Publikum ein, und kommt hierbei wieder auf die Aspekte der Individualität und der schwer mitzuteilenden Anschauung. Er schließt den Text mit der rhetorisch wirkungsvollen Feststellung, um sich die Anschauung eines anderen anzueignen, müsse man ihn lieben – ein gedankliches Motiv, das er etwas abgewandelt vermutlich von Schiller übernimmt. »Wenn wir einen großen Künstler lieben, so sagen wir daher hiermit, daß wir dieselben individuellen Eigentümlichkeiten, die ihm jene schöpferische Anschauung ermöglichten, in die Aneignung der Anschauung selbst mit einschließen.«672 Auf dieser Ebene der persönlich-privat geprägten Annäherung an Liszt als Komponisten bietet sich Wagner dem Leser selbst als Vermittler und Vorbild an. »Da ich nun an mir die beglückende und neubelehrende Wirkung dieser Liebe nirgends deutlicher wiederempfunden habe, als in meiner Liebe zu Liszt, so möchte ich, im Bewußtsein dessen, jenen Mißtrauischen zurufen: 669 670 671 672

Wagner, Über Franz Liszts Symphonische Dichtungen, S. 31. Ebd. Ebd. Ebd., S. 38.

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vertraut nur, und Ihr werdet erstaunen, was Ihr durch Euer Vertrauen gewinnt!«673 Die Person des Musikers Liszt wird neben dem Sprecher selbst als vertrauenswürdige Bezugsperson angeboten: »Solltet Ihr zögern, solltet Ihr Verrat fürchten, so prüft doch nur näher, wer der ist, dem Ihr vertrauen sollt. Wißt Ihr einen Musiker, der musikalischer sei, als Liszt? der alles Vermögen der Musik reicher und tiefer in sich verschließe, als Er? der feiner und zarter fühle, der mehr wisse und mehr könne […] Könnt Ihr mir keinen Zweiten nennen, oh so vertraut doch getrost diesem Einzigen […]«.674

Diese Art von Rhetorik nähert sich dem predigthaften Stil, der religiösen Sphäre auffällig an. Nachdem Wagner am Ende seines Briefs nun mehr oder weniger implizit seinen Wunsch nach Veröffentlichung ausgesprochen hat, greift er die Strategie der emotional geprägten Personalisierung von Liszts ästhetischem Programm wieder auf. Er bittet die Adressatin – und weist hiermit auch den Leser darauf hin, dass zwischen ihr, Liszt und ihm eine private Beziehung besteht: – »Aber vor allem grüßen Sie mir meinen Franz und sagen Sie ihm, es bliebe dabei, ich liebte ihn!«675 Eindeutig liegt hier also nicht eine Rezension von Liszts Symphonischen Dichtungen mit einer detaillierten Analyse und Bewertung vor, sondern eine scheinbar private, jedoch offene polemische Programmschrift. Sie nimmt Liszts Werke zum Anlass, eine neue Definition von Programmusik darzulegen und gleichzeitig für Liszt als Komponisten zu werben. Sie operiert in rhetorischer Hinsicht mit persönlichen und privaten Aspekten. Wagner als Sprecher verbürgt sich vor dem breiten Publikum selbst für den Komponisten und Menschen Liszt. Wieder spielt hier der Rekurs auf Beethoven als ästhetischen Reformer eine wichtige Rolle.

3.3.5 Berlioz’ Text »Concerts de Richard Wagner« In Berlioz ausgewählter Sammlung seiner Kritiken und Abhandlungen, õ travers chants, findet sich ein Text, der verschiedene Werke von Wagner, die in Paris aufgeführt worden sind, bespricht. Er trägt den Titel »Concerts de Richard Wagner«. Diese Besprechung ist einerseits Aufführungs- und Werkkritik. Andererseits nimmt Berlioz diese zum Anlass, um seine Position zur Ästhetik der Neudeutschen eindeutig darzulegen. Der Untertitel lautet dementsprechend: »La Musique de l’avenir« und bezieht sich auf die populäre Bezeichnung der »Zukunftsmusik« bzw. der »Zukunftsmusiker«, mit denen die Neudeutschen eine Zeit lang vereinfachend belegt wurden. Die Besprechung stellt sich als eine 673 Ebd. 674 Ebd., S. 38 f. 675 Ebd., S. 39.

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Mischung aus Programmschrift und Werkbesprechung dar. Berlioz beginnt mit Ausführungen über die Macht der Vorurteile, mit denen Komponisten von Seiten des Publikums im positiven wie im negativen Sinne konfrontiert werden. Berlioz zieht hierbei die Beurteilungen, die Mozart und Beethoven widerfahren sind, als Beispiele heran. Dann kommt er auf das Programm der Wagner-Konzerte zu sprechen. Berlioz bespricht und beschreibt nacheinander die Ouvertüren zum Fliegenden Holländer, Tannhäuser, Lohengrin und Tristan und Isolde. Er äußert sich hierbei über Aspekte wie die Instrumentierung, harmonische Details, sowie den allgemeinen Verlauf und Aufbau der Werke. Dies ist des Öfteren mit wertenden Kommentaren durchsetzt, die Berlioz’ generell positives, jedoch kritisch differenziertes Urteil über Wagner deutlich machen. So urteilt er abschließend über die Lohengrin-Ouvertüre: »Ce beau morceau d’ailleurs ne contient aucune espÀce de duret¦s; c’est suave, harmonieux autant que grand, fort et retentissant: pour moi, c’est un chef-d’œuvre.«676 Andererseits resümiert er bei der Besprechung des Tristan-Vorspiels: »J’ai lu cette page ¦trange; je l’ai ¦cout¦e avec l’attention la plus profonde et un vif d¦sir d’en d¦couvrir le sens; eh bien, il faut l’avouer, je n’ai pas encore la moindre id¦e de ce que l’auteur a voulu faire.«677 Bevor er zu den ästhetischen Grundlagen der Neudeutschen und seiner Position hierzu kommt, betont Berlioz noch einmal, dass er Wagners Qualitäten in der musikalischen Praxis sehr schätzt. »Ce compte rendu sincÀre met assez en ¦vidence les grandes qualit¦s musicales de Wagner. On doit en conclure, ce me semble, qu’il possÀde cette rare intensit¦ de sentiment, cette ardeur int¦rieure, cette puissance de volont¦, cette foi qui subjuguent, ¦meuvent et entrainent […]«678. Im theoretisch-ästhetischen Teil der Besprechung unterstellt Berlioz den »Zukunftsmusikern« mehrere aufgestellte Regeln, denen er demonstrativ zustimmt bzw. die er ausdrücklich ablehnt. Wesentliche Punkte sind hier vor allem die Autonomie des Komponisten, die Authentizität des musikalischen Ausdrucks, die Reform der musikalischen Tradition und die Ablehnung der Virtuosität als Selbstzweck, die Berlioz bekräftigt und sich, was diese angeht, ausdrücklich als Mitglied der Zukunftsmusiker bezeichnet. Er spricht sich allerdings gegen die Hässlichkeit in der Musik, gegen die Missachtung der Meinung des Rezipienten, und gegen die vollständige Auflösung der Melodie und Sangbarkeit aus. Er gebraucht hierbei das Bild des Trinkens von Arsen und Vitriol, das er mit dem Akzeptieren von Hässlichkeit in der Musik gleichsetzt. Der vorliegende Text ist also gleichermaßen ein Beispiel für gemäßigt theoretische Beschreibung von musikalischen Werken, wie für dezidierte Parteinahme 676 Hector Berlioz: õ travers chants. Êtudes musicales, adorations, boutades et critiques. Paris 1862. [Nachdruck Westmead / Farnborough u. a. 1970]. (= Collected Literary Works of Hector Berlioz reprinted by Gregg International Publishers Limited). S. 296. 677 Ebd., S. 297. 678 Ebd., S. 298.

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für Wagner und jedoch auch für die polemische Darlegung eigener ästhetischer Überzeugungen in Auseinandersetzung mit und Anlehnung an die Neudeutschen. Wie es auch besonders bei Liszt und von Bülow zu finden ist, zeichnet sich der Text durch seine Identität als Mischform zwischen Werk- und Konzertkritik sowie ästhetische Abhandlung aus. Die allgemeine Tendenz des Texts lässt sich als Berlioz’ Versuch, die Musik Wagners und die Anschauungen der Neudeutschen identifizierend zu propagieren, sich andererseits von diesen jedoch auch differenziert abzugrenzen und das eigene ästhetische Profil zu erläutern, lesen. Für die Spannungen, die zwischen Wagner und Berlioz bestanden, ist er ein weiteres Zeugnis. Wir haben im vorliegenden Kapitel verschiedene musikkritische Texte, die von Mitgliedern des neudeutschen Zirkels über die Werke anderer Angehöriger der Neudeutschen verfasst wurden, näher betrachtet. Sie stehen für verschiedene Modi und Strategien der Versprachlichung von Musik. Dies manifestiert sich zunächst in den verschiedenen Formen, an die sich die betreffenden Texte anlehnen. Obwohl sich alle hier analysierten Texte im weiteren Sinne der Gattung einer (um 1800 erneuerten) Musikkritik zurechnen lassen, sind die spezielleren Formen des offenen Briefes, des Essays, der Programmschrift, der fiktiven Szene u. a. gleichzeitig präsent. In der historischen Entwicklung der Gattung Musikkritik ist diese Vielfalt der Formen, die sich zwischen Musiknachricht, Musikreportage, Rezension, Analyse, Bewertung etc. bewegt, angelegt.679 »Musik ist nicht Sprache im eigentlichen Sinn. Die Rede von der Sprache der Musik ist aber keine Metapher, sondern sie ist Ausdruck der durchaus richtigen Empfindung, daß wir Musik – ob wir es wollen oder nicht, ob wir es wissen oder nicht – in Sprache verwandeln, wenn wir sie wahrnehmen.«680 (Bernfried Schlerath).

Dementsprechend drücken die Neudeutschen ihre Wahrnehmung und Bewertung der thematisierten Musik im Medium der Sprache aus – auch wenn eine romantische Sprachskepsis, die auf der Meta-Ebene an der Adäquatheit der Versprachlichung von Musik zweifelt, ihre Schriften als Kontrapunkt durchzieht. Sie bedienen sich in der Transposition des einen Mediums in ein anderes verschiedener rhetorisch-poetischer Mittel und Strategien. Hierbei handelt es sich zum einen um die Evozierung der ›dritten Ebene der Bildlichkeit‹. Die rhetorische Figur, in der die Ebene des Visuellen bereits konstituierend angelegt ist, ist die Metapher. Dementsprechend ist diese sowohl in ihrer visuellen als auch 679 Vgl. Artikel »Musikkritik«. In: Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgem. Enzyklopädie der Musik begründet von Friedrich Blume. Zweite, neubearbeitete Ausgabe. Hrsg. von Ludwig Finscher. Sachteil. Bd. 6. Meis-Mus. Kassel u. a. 1997. S. 1362 – 1390, hier S.1366. 680 Bernfried Schlerath: »Musik als Sprache.« In: Albrecht Riethmüller (Hrsg.): Sprache und Musik. Perspektiven einer Beziehung. Laaber 1999. (= Spektrum der Musik. Hrsg. von Albrecht Riethmüller. Bd. 5). S. 15 – 22. Hier S. 21.

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narrativen Form nach Thomas Grey in der Musikbeschreibung präsent. In einer erweiterten, an den Bereich der Mimesis angelehnten Form der Bildlichkeit spielen die Rezeptions- und Interpretationsarten des ›Lebensbildes‹ und des ›Seelengemäldes‹ eine überragende Rolle. Ein gleiches gilt für fiktionale Formen, die ›vor Augen führen‹: Die Szene, wie sie bei Wagner und Schumann eine besondere Rolle spielt, bis hin zur Erzählung, die Musik und Musiker in Anlehnung an Hoffmann inszeniert, bei Wagner. Das dynamische, gesprächshafte Moment ist in der inszenierten Kommunikation über Musik, wie sie in Wagners »Über Franz Liszts Symphonische Dichtungen« oder in Schumanns »Ein Werk II« stattfindet, präsent. Breiten Raum nehmen weiterhin rezeptionsorientierte Beschreibungen von Gefühlen und Reaktionen des Hörers ein. Schließlich bilden häufig traditionelle technisch-analytische Besprechungen auf unterschiedlichem theoretischem Niveau noch immer den Kern vieler der vorliegenden Texte. Diese verschiedenen Strategien treten, da die Texte der Neudeutschen sich durch ihre innere Heterogenität auszeichnen, sehr oft nebeneinander auf. Wenn wir nun im Vergleich auf die Schriften der Neudeutschen über Beethovens Musik zurückgreifen, so fällt auf, dass die dort angewandten rhetorisch-literarischen Strategien und Formen wiederkehren, wenn die neudeutschen Komponisten die neudeutsche Musik ihres eigenen Zirkels referieren. Das inszenierende Element der fiktiven Szene sowie der fingierte Dialog bzw. das Gruppengespräch über ein Werk finden sich sowohl in Schumanns »Monument für Beethoven«, in der »Fastnachtsrede« als auch in »Ein Werk II«. Gleiches gilt für Schumanns Metaphern- und Bildgebrauch, der neben der technisch-professionellen Sprache immer wieder auftritt. Des programmatischen Schreibens, das auf der Mikroebene auf Bildfelder und Metaphern zurückgreift, bedient sich Wagner im »Kunstwerk der Zukunft« ebenso wie in »Über Franz Liszts Symphonische Dichtungen«. Eben dies gilt für den souveränen Umgang mit literarischen Formen, wie er in den Novellen »Ein glücklicher Abend« oder der »Pilgerfahrt zu Beethoven« zu finden ist. Bei Schumann und Wagner zeigt sich außerdem die deutliche Beeinflussung durch E.T.A. Hoffmanns Stil und Bildlichkeit. Auch die für Berlioz charakteristische Mischung von technischem Diskurs und Rückgriff auf literarische Grundlagen bzw. parallel gesetzte Werke tritt sowohl in seinen Beethovenschriften als auch in den Äußerungen über Wagners Musik auf. Liszt schließlich schreibt sowohl über Beethovens Musik als auch über neudeutsche Musik auf eine Weise, die seine Parteinahme für diese Komponisten deutlich macht. Er fügt in die Thematisierung musikalischer Werke häufig kulturkritische und musikästhetische Ausführungen ein. Dabei betont er, dass die Neudeutschen als Vollender des von Beethoven übernommenen Prinzips der

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semantisierten Musik zu begreifen seien und bekennt sich zu einer anspruchsvollen Programmusik, zu einer Integration von Bildlichkeit, ›Empfindung‹ und Narration in die instrumentale Musik. Alle in dieser Arbeit behandelten Autoren benutzen sowohl in ihren Schriften über Beethoven als auch in den Texten über die Musik des neudeutschen ›Mitstreiters‹ das Genre der Musikkritik bzw. -besprechung, um gegen die kulturellen Verhältnisse ihrer Gegenwart und ein teils ignorantes Publikum kritisch zu polemisieren. Der Diskurs der Avantgarde, die mit dem Unverständnis der breiten Masse zu kämpfen hat, durchzieht sämtliche Ausführungen über Beethoven und auch die wechselseitige Reflexion. Fragt man von einer übergreifenden Perspektive her, die den aktuellen Stand der Intermedialitätsdebatte in Bezug auf das Verhältnis von Sprache und Musik im Blick hat, nach den neudeutschen Modi der Versprachlichung, könnte man folgendermaßen argumentieren: Alle hier bearbeiteten Texte sind mit Steven Scher als »verbal music« zu klassifizieren, die er wie folgt definiert: »[…] any literary presentation (whether in poetry or prose) of existing or fictitious musical compositions: any poetic texture which has a piece of music as its ›theme‹. In addition to approximating in words an actual or fictitious score, such poems or passages often suggest characterization of a musical performance or of subjective response to the music.«681

Fraglich ist hierbei nur, ob wirklich alle behandelten Texte durchgängig als »literarisch« klassifiziert werden sollten. Werner Wolf resümiert über die Frage der Präsenz von Musik in der Literatur : »›Musik‹ kann in der Literatur, abgesehen von Notenzitaten, in zwei Hauptformen ›präsent sein‹: in der ›Thematisierung‹, der expliziten Rede über Musik im Modus des ›telling‹ (z. B. in Musik evozierenden Titeln, Beschreibungen von Musikerlebnissen oder Kommentaren zu musikalischen Werken), und in der ›Inszenierung‹ von Musik: der impliziten Referenz auf Musik durch eine der Musik angenäherte Textgestaltung im Modus des ›showing‹, sei es durch ›Lautmusik‹ bzw. word music (Musikanalogien auf der Lautoberfläche) oder durch textuelle Form- und Strukturanalogien zu musikalischen Groß- und Kleinformen oder Kompositionstechniken (Imitation, Variation, Fuge, Sonate …).«682

Als Mischform des ›showing‹ und ›telling‹, Begriffe, die Wolf aus der Erzähltheorie entlehnt, nennt er auch die »verbal music«. Allerdings liegt meiner Meinung nach in der Versprachlichung der Neudeutschen hauptsächlich der 681 Steven Paul Scher : Verbal Music in German Literature. New Haven, London 1968, S. 8. 682 Werner Wolf: »›The musicalization of fiction.‹ Versuche intermedialer Grenzüberschreitung zwischen Musik und Literatur im englischen Erzählen des 19. und 20. Jahrhunderts.« In: Jörg Helbig (Hrsg.): Intermedialität: Theorie und Praxis eines interdisziplinären Forschungsgebiets. Berlin 1998, S. 133 – 164. Hier S. 133.

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Modus des ›telling‹ vor. Ihre Texte sind im weiteren Sinne der Gattung Musikkritik in ihrer erneuerten, freieren Form nach 1800 zuzuordnen. Die Musikkritik wiederum weist als ein wesentliches Charakteristikum die sogenannte »covert intermediality«683, »verdeckte Intermedialität«, auf. Das Medium der Sprache dominiert in dieser Gattung das Medium Musik, das hier nur in quasi sekundärer Form, als referiertes Medium, präsent ist. Trotz dieser Verhältnismäßigkeit beziehen die musikalischen Schriften der Neudeutschen ihren Mehrwert aus ihrem Status als Inter-Medium im romantischen Sinne. Dieses definiert Jürgen E. Müller im Rückblick auf die bereits jahrhundertelange Geschichte dieses Phänomens: »Ein mediales Produkt wird dann inter-medial, wenn es das multi–mediale Nebeneinander medialer Zitate und Elemente in ein konzeptionelles Miteinander überführt, dessen (ästhetische) Brechungen und Verwerfungen neue Dimensionen des Erlebens und Erfahrens eröffnen.«684

Eben dieses konzeptionelle Miteinander liegt in den neudeutschen Texten vor, die ihren rezeptionsorientierten Schwerpunkt sehr oft darauf haben, dass der Leser die beschriebene Musik intensiver oder auch erstmalig erleben und erfahren soll. Die Beeinflussung des Publikums ist dementsprechend eine wichtige Funktion der Versprachlichung von sowohl Beethovens als auch der eigenen Musik durch Wagner, Liszt, Schumann, Berlioz und andere. Kurz zusammenfassend kann man sagen, dass das Bestreben danach, die Position der eigenen Gruppierung bzw. des als Gründungsvater betrachteten Beethoven in der kulturellen Szene der Gegenwart zu verbessern, die meisten der vorliegenden Texte bestimmt. Die behandelte Musik soll verteidigt oder überhaupt erst bekannt gemacht werden. Als progressive Gruppierung sind die Neudeutschen darauf angewiesen, in öffentlichen Medien wie den musikalischen Fachzeitschriften ihre Musikästhetik publik zu machen und gegen die Gegner zu verteidigen. Sie streben danach, ihr ›symbolisches Kapital‹ zu vermehren und eine bessere Position in ihrem ›Feld‹ zu erlangen. Für diese Art der Polemik ist die Sprache unbedingt notwendig, da sie die versprachlichten musikalischen Werke in suggestive Bilder übersetzt bzw. mit wirksamen rhetorischen Mitteln arbeitet. Die literarischen Strategien, derer sich die Neudeutschen in ihrer Musikkritik bedienen, haben auch hierfür eine Funktion. Die Autoren benutzen, wenn sie statt Abhandlungen in ›trockenem Ton‹ Novellen und fiktive Szenen verfassen und exotische Metaphern gebrauchen, die Wirkungsfähigkeit der Literatur für 683 Werner Wolf: The Musicalization of Fiction [Anm. 574], S. 41. 684 Jürgen E. Müller : »Intermedialität als poetologisches und medientheoretisches Konzept. Einige Reflexionen zu dessen Geschichte.« In: Jörg Helbig (Hrsg.): Intermedialität: Theorie und Praxis eines interdisziplinären Forschungsgebiets. Berlin 1998, S. 31 – 40. Hier S. 31 f.

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ihre Zwecke. Sie transportiert die zu vermittelnden Inhalte auf intensivere Weise als die rein sachliche Information. Gerade der Aspekt der Funktionalität, Zweckmäßigkeit der musikalischen Schriften der Neudeutschen verweist noch einmal auf die Skepsis gegen die Versprachlichung der Musik, die bei Wagner und anderen deutlich zu sehen ist. Trotz ihrer Komplexität und ihrem teilweise literarischen Anspruch sind die Musikschriften nicht als Selbstzweck oder eigenständige Kunstwerke zu begreifen. Sie dienen dazu, die Vorstellung von einer idealen Musik und die progressive Musikästhetik der Neudeutschen populär(er) zu machen. In diesem Sinne, und auch unter dem Aspekt des eschatologischen Denkmusters, das unter anderen bei Schumann in der Auffassung der Musikgeschichte auftritt, ist das Musikschrifttum gleichermaßen funktional wie von temporärer Bedeutung. In den un-idealen, noch nicht im ›Goldenen Zeitalter‹ angekommenen kulturellen Verhältnissen ihrer Gegenwart ist die Musikkritik notwendig, um den Verlauf der Musikgeschichte zu beeinflussen: Das niederrangige Medium dient dem höherrangigen, der Musik. Als dementsprechend defizitär wird die Tatsache wahrgenommen, dass in »der ›verdeckten Intermedialität«, die im Musikschrifttum notgedrungen vorherrscht, die Musik nur auf sekundäre Weise präsent ist. Auch wenn die Musik, wie es dem ästhetische Ideal der Neudeutschen entspricht, intermedial verfasst ist, kann und sollte sie in der Verbindung der Künste niemals ihren mindestens gleichberechtigten Platz einbüßen. Die per se intermediale Musikkritik kann also in der Ästhetik der Neudeutschen nie mit dem intermedialen musikalischen Kunstwerk gleichrangig sein – auch wenn sie in Leben und Werk der Neudeutschen eine herausragende Rolle spielt. Die Neudeutschen, so ließe resümieren, begreifen in ihren Versprachlichungen der Werke Beethovens dessen Musik als semantisierte bzw. intermediale Musik. Sie legen dar, dass in den besprochenen Stücken Semantik in Form von, grob gesprochen, Bildern oder Narrativen enthalten sei. Dies gilt sowohl dann, wenn literarische Vorlagen oder Programme im Spiel sind, als auch dann, wenn es um eine hinter dem Werk stehende ›Idee‹ geht. Wenn es sich um bereits in sich intermediale Werke wie Opern handelt, wird dennoch die doppelte Intermedialität des Werks betont. Musik wird gegen zumindest eine Strömung der romantischen Musikästhetik nicht als Medium des Absoluten und Unaussprechlichen begriffen, sondern als Medium, das Sinn enthalte und dementsprechend der Sprache kompatibel sei. Wie Ulrich Tadday zu Recht zusammenfasst: »Die Musikanschauung der ›Romantik‹ war im wesentlichen gerade keine von Texten, Programmen und Funktionen ›losgelöste‹ Ästhetik der ›reinen, absoluten‹ Instrumentalmusik wie sie seit Hanslick immer wieder propa-

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giert worden ist.«685 Beethoven als Komponist unterstützt diese Auffassung seiner Musik, da er die Medien Sprache und Musik in seiner 9. Sinfonie zusammenbringt, der Sinfonie Pastorale einem Programm vergleichbare Überschriften beifügt, und auch in der Sinfonie Eroica oder kleineren Werken wie der Wuth über den verlorenen Groschen zugrundeliegende Ideen durch die Titel andeutet. Dennoch stellt sich bei den Beethovenbesprechungen der Neudeutschen die Frage, ob es sich in ihrer oft radikalen und weitreichenden Semantisierung der behandelten Musik nicht zumindest teilweise um eine Projektion der eigenen Musikästhetik auf Beethovens Werke handelt. Sie nehmen an, dass Beethovens Musik in ihrem Kern intermedial und semantisiert sei, dass also Sprache bzw. Literatur und Musik in seinem Schaffen zusammenwirkten. Diese scheinbar durchweg intermediale Musik wird nun von den Neudeutschen einerseits als Rechtfertigung für ihre eigene Überzeugung, dass Musik intermedial / semantisiert zu sein habe, benutzt. Andererseits ist das thematisierte intermediale Kunstwerk Anlass, es in ein weiteres intermediales Kunstwerk, in diesem Falle die (moderne, nach-romantische) Musikkritik zu übersetzen. Folglich könnte man im Fall des neudeutschen Musikschrifttums von einer performativen Realisierung ihrer intermedialen Musikästhetik sprechen.

685 Ulrich Tadday : Das schöne Unendliche. Ästhetik, Kritik, Geschichte der romantischen Musikanschauung. Stuttgart, Weimar 1999, S. 40.

4. Zusammenfassung der Ergebnisse

In der vorliegenden Arbeit ist versucht worden, den folgenden Fragestellungen nachzugehen: Auf welche Weise und mit welchen Mitteln beschreiben und thematisieren Komponisten der sogenannten Neudeutschen Schule die Musik Beethovens? Welche Auffassung von Beethovens Musik kennzeichnet ihre Texte? Und welche Implikation haben die Beethoveninterpretation der Neudeutschen und ihre Strategien der Versprachlichung von Beethovens Musik für die progressive Musikästhetik der Neudeutschen? Im ersten Teil der Arbeit sind wir anhand von Einzelstudien den auf Beethoven bezogenen Schriften einzelner neudeutscher Komponisten nachgegangen. Zunächst wurden die Beethovenrezensionen E.T.A. Hoffmanns behandelt, der, obwohl kein neudeutscher Komponist und hauptsächlich Literat, einen Wendepunkt in der Beethoveninterpretation des 19. Jahrhunderts bezeichnet. Vor allem mit seiner Besprechung der 5. Sinfonie (1810) erschafft Hoffmann eine neue Art der Musikkritik. Er konzentriert sich einerseits stark auf die Wirkung der Musik und die Rezeption durch den Hörer. Andererseits übersetzt er Beethovens Musik durch Metaphern und Bilder in die Ebene des Visuellen und eröffnet so den Weg für eine Musikkritik, die nicht nur am Technischen und Musiktheoretischen interessiert ist. Hoffmann formuliert hiermit die Annahme, dass Beethovens Musik Semantisches bzw. Bildliches enthält, ohne sie hiermit als Programmusik zu begreifen. Gleichzeitig reagiert er durch einen freieren und ›subjektiveren‹ Sprachstil auf die angenommene Bedeutung der Musik und auch auf ihren herausragenden Stellenwert. Hoffmanns Rezensionen zu Beethoven entfalten auf diese Weise eine intensive Wirkung auf die Schriften zumindest Richard Wagners und Robert Schumanns. In den verschiedenen Texten Wagners – die mehrere Textgattungen umfassen – finden sich einige Aspekte, die seine Beethovenbeschreibung und -thematisierung bestimmen. Auf der Textebene sind dies eine Reihe von Modi der Versprachlichung, von der Beschreibung der Hörer-Rezeption über die narrative und visuelle Metapher, den fiktiven Dialog / die fiktive Szene oder die im 19. Jahrhundert konventionellen Übersetzungen von Musik in das sogenannte

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Zusammenfassung der Ergebnisse

›Lebensbild‹ bzw. ›Seelengemälde‹. Gleichermaßen wird mehrfach die Vorstellung einer (philosophischen) Idee hinter Beethovens Musik aufgegriffen und sprachlich expliziert. Wesentlich ist wie bei Hoffmann die Verneinung einer konventionellen Programmusik für Beethoven. Angenommen wird ein ›poetischer‹ Gehalt, der in Opposition zum ›Prosaischen / Historischen‹, in diesem Falle: allzu Konkretem steht. Der hier unscharf benutzte Begriff der Poesie verbindet die Medien Musik und Sprache miteinander. Kennzeichnend vor allem für die Passagen, in denen Werke Beethovens in ihrer Faktur eingehender beschrieben und ›übersetzt‹ werden, ist die Eigenschaft der »verdeckten Intermedialität.« Die Sprache dominiert hier das Medium Musik, das als Referiertes an zweiter Stelle steht. Auch das Phänomen der »verbal music« (Steven Scher) ist durchgängig gegeben. Trotz seiner vielfachen Strategien, Beethovens Musik im Medium der Sprache darzustellen, formuliert Wagner die paradoxe Aussage, die die Beschäftigung auch der literarischen Romantik mit der Musik kennzeichnet: Musik sei nicht beschreibbar und durch die Sprache nicht zu erfassen. Wagner platziert in seinen Schriften jedoch auch musikästhetische Ausführungen über Beethoven, die sich auf einer Meta-Ebene bewegen und nicht direkt auf die Faktur seiner Werke bezogen sind. Dies ist besonders in der Erzählung »Pilgerfahrt zu Beethoven« der Fall. Wagners Beethovenschriften zielen einerseits darauf, Beethovens Musik als semantisiert bzw. ›poetisch‹ zu begreifen, andererseits auf die Legitimation einer Ästhetik des Gesamtkunstwerks im Sinne des Zusammenschlusses der Künste. Letztere wird vor allem dann propagiert, wenn Wagner Beethovens 9. Sinfonie zum Grundstein eines Gesamtkunstwerks der Zukunft stilisiert. Sich selbst zeichnet der Autor als legitimen ›Erben‹ Beethovens, des Gründungsvaters einer progressiven Musikästhetik, und nutzt somit eine monumentale Form der Erinnerung (nach Aleida Assmann) als Strategie der ästhetischen Identitätsbildung und Selbstlegitimation im Sinne einer ›Nachfolgerschaft‹. Wie Wagner erhofft sich Schumann von der monumentalen Erinnerung an Beethoven auf eschatologische Weise eine ›neue poetische Zeit‹. Gleichermaßen schließt er sich Wagners Skepsis gegen die Annahme allzu konkreter Inhalte in Beethovens Musik an. Beide verwenden in Einzelfällen ähnliche Metaphernfelder, insbesondere die christlich geprägte Motivik des Meeres und der Schöpfung. Schumann bedient sich in seinen Beethoventexten verschiedener literarisch-rhetorischer Mittel: der Metaphorik, die in die Verbindung von Sprache und Musik die Ebene des Visuellen einführt, der fiktiven Szene, der Rede, des Dialogs. Hiermit wird Schumann zur Schlüsselfigur einer neuen, ›kreativeren‹ romantischen Musikkritik, die versucht, die Kritik als ein dem Werk angemessenes Gegenstück zu gestalten. Eine strukturelle Verwandtschaft der Medien Literatur und Musik wird so von Schumann angenommen. Auch seine Beethovenschriften sind übergreifend mit den Begriffen der »verbal music« und der

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»verdeckten Intermedialität« zu begreifen. Gleichermaßen ist sein Schreiben jedoch vom technisch-analytischen Stil geprägt, das die Intention, Beethovens Werke auch theoretisch zu durchdringen, deutlich macht. Sowohl Schumann als auch Wagner sehen die enge Verflechtung von Wort und Ton, Dichtung und Musik bei Beethoven, und begreifen dies als Kennzeichen einer neuen Epoche, als eine Musikästhetik des freien subjektiven Ausdrucks und somit des Umbruchs. Diese Ästhetik wird von Schumann eindeutig als progressiver Elitendiskurs gekennzeichnet und richtet sich gegen die breite (bourgeoise) Masse der Kunstrezipienten. Die Bewahrung von Beethovens kulturellem Erbe und seine Monumentalisierung zielen auf die Durchsetzung einer als ideal begriffenen, ›poetischen‹ Musik in der Zukunft. Kunstreligiöse Aspekte charakterisieren hierbei Wagners und Schumanns Diskurse. Auch Berlioz bedient sich in seiner Eigenschaft als Kritiker grundsätzlich literarisch-rhetorischer Mittel. Dies ist insbesondere in den Texten über Beethoven der Fall, die häufig reine Werkbesprechungen sind. Berlioz wählt wie Schumann besonders dann poetische Strategien, wenn das thematisierte Werk dies durch seine Qualität zu erfordern scheint. Dies ist der Fall, da Beethoven und Gluck für Berlioz zentrale Figuren der Musikgeschichte und wesentlich für seine eigene Musikästhetik sind. Da Beethovens Musik in Berlioz’ Augen semantische, poetische Qualität besitzt, sind ›poetisch-literarische‹ Mittel in ihrer Darstellung gerechtfertigt. Berlioz bedient sich neben dem technischen Vokabular ebenfalls verschiedenster Metaphern und Bilder. Gleichermaßen präsentiert er häufig Werke und Passagen aus der antiken Literatur oder aus Shakespeares Werken als paralleles Paradigma zu Beethovens Musik. Hiermit nimmt er wie Schumann eine strukturelle Verwandtschaft von Musik und Literatur an, ebenso eine semantische Ebene, die beiden Medien gemeinsam ist. Auch Berlioz teilt jedoch eine (vor diesem Hintergrund paradoxe) Sprachskepsis mit Wagner und anderen, indem er die (moderne, progressive) Musik noch immer als das wichtigste und wertvollste Medium ansieht. Berlioz’ Schriften zielen außerdem darauf ab, dem deutschen Musiker Beethoven in der französischen Kulturszene zu mehr Präsenz und Einfluss zu verhelfen. Deutschland wird in diesem Kontext zu einem Utopia der Kultur und der ›idealen‹ Musik. In diesem Zusammenhang steht auch die Tatsache, dass die Musik und die Person Beethovens für die Neudeutschen zum wesentlichen Faktor in der Herausbildung und Konstituierung ihrer ästhetisch-kulturellen Identität als progressive ›Schule‹ werden. Das deutsche musikalische Schrifttum des 19. Jahrhunderts ist wesentlich von einem kulturellen Nationalismus geprägt, der häufig (vermeintliche) ästhetische Charakteristika eines Werks mit nationalen Stereotypen in Verbindung bringt. Dies geschieht in stark wertender Weise, und nicht selten wird v. a. die italienische und französische Musik abqualifiziert. Zwei von drei als Kernmitglieder der Neudeutschen Schule – Liszt, Berlioz und

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Zusammenfassung der Ergebnisse

Wagner – betrachteten Komponisten sind von nicht-deutscher Nationalität. Um sie dennoch als Mitglieder einer ausdrücklich als (neu-)deutsch bezeichneten Gruppe betrachten zu können und nach außen hin die Einheit der Neudeutschen wahren zu können, greifen sowohl Franz Brendel als Musikhistoriker als auch die Neudeutschen selbst zu publizistischen Strategien. Hierzu gehört die (Selbst-)Stilisierung aller drei Schulenmitglieder als Beethovens ›legitime‹ Erben und Nachfolger in der Kunst. Insbesondere Berlioz wird nicht nur von den anderen neudeutschen Komponisten, sondern auch von der deutschen musikalischen Fachpresse als Beethovens ›Sohn‹ und Schüler deklariert. Ihm als französischen Komponisten wird eine kulturelle Identität zugeschrieben, die als ›deutsch‹ bezeichnet wird: Als Mensch sei er Franzose, als Musiker Deutscher. In diesem Diskurs spielen die Schriften Franz Brendels eine wesentliche Rolle. Er forciert den Gedanken der Beethovennachfolge aller Neudeutschen. Auf diese Weise kann die nationale Heterogenität der Gruppierung kompensiert werden. Der ›Wechsel‹ der Nationalität, der sich bei Berlioz und in den ihn betreffenden Diskursen besonders deutlich beobachten lässt, ist nur deshalb möglich, weil der integrale deutsche Nationalismus ein kultureller ist. Wie im ersten Teil der Arbeit gezeigt worden ist, gilt Beethoven als Begründer einer neuen semantisierten, ›poetischen‹ Musik, einer neuen intermedialen Musikästhetik. Er wird als Gründungsvater der Ästhetik des »bestimmten Ausdrucks« (Franz Brendel), die die Musikauffassung der Neudeutschen kennzeichnet, aufgefasst. Oder wie Detlef Altenburg ausführt: Die Nachfolge Beethovens durch die Neudeutschen beinhaltet auch, dass die moderne Synthese der Künste auf Beethoven zurückgeführt wird. Musik als Dichtung ist hierbei der Anspruch. Beethovens Ruhm, der nach seinem Tod stetig angestiegen ist, verschafft den Neudeutschen so eine wirkungsmächtige Legitimationsbasis für ihre heftig umstrittene neue Musikästhetik des Intermedialen. Im ersten Teil dieser Arbeit konnte ich feststellen, dass neudeutsche Komponisten Beethovens Musik als intermedial begreifen und hierauf mit intermedialen Texten – solchen, in denen Musik und Sprache gleichermaßen präsent sind und in denen Musik entweder thematisiert, übersetzt oder referiert wird – reagieren. In diesen Texten ist Musik, obwohl von den Autoren als ranghohes, mit der Sprache mindestens gleichberechtigtes Medium begriffen, in sekundärer Form vorhanden. Die neudeutschen Komponisten sind in ihrem Wechsel des Mediums offenbar von der Vorstellung geleitet, dass die Sprache aufgrund der semantischen und referentiellen Qualität ihrer Zeichen eine größere Wirkungsmacht als das Medium Musik aufweise. Jedoch ist gerade in der an Metaphern und rhetorischen Figuren reichen Sprache, in der die Neudeutschen Musik versprachlichen, Eindeutigkeit ebenso wenig gegeben wie in der thematisierten Musik. Die Autoren versuchen also paradoxerweise, ein semantisch nicht festgelegtes Medium in ein Medium zu transferieren, das ebenfalls in

Zusammenfassung der Ergebnisse

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hohem Maße Komplexität und Mehrdeutigkeit aufweist. Der Anspruch ist hierbei, den vielschichtigen musikalischen Werken ein sprachliches Gegenstück zu verschaffen, das ebenso komplex und virtuos ist wie die Musik. Im zweiten Teil dieser Arbeit habe ich mich mit Schriften der Neudeutschen beschäftigt, in denen sie ihre eigene zeitgenössische Musik wechselseitig thematisieren. In den einzelnen Fallanalysen konnte ich feststellen, dass eben diejenigen rhetorischen und literarischen Strategien, die von den Neudeutschen im Schreiben über Beethovens Musik eingesetzt worden sind, auch hier vorliegen. Bei Franz Liszt, dessen Schriften über Wagners Opern die Wagnerrezeption seiner Zeit günstig beeinflusst haben, bezieht sich die intermediale Versprachlichung auf das bereits inter- bzw. multimediale Kunstwerk der Oper. Im Zusammenspiel von Musik und Sprache ist auch hier die dritte Ebene des Visuellen durch Metaphern und Bilder vorhanden. Ebenso spielen neben anderen die Paradigmen des Narrativen, des ›Seelengemäldes‹, der fiktiven Szene / des fiktiven Dialogs sowie die kulturkritische und ästhetische Abhandlung eine Rolle. Die Meta-Ebene ist ebenfalls präsent, indem Liszt über die Musikbeschreibung an sich reflektiert. Obwohl Liszt Wagner zum Teil sein eigenes Verfahren der Komposition und damit seine eigene Musikästhetik unterstellt, ist seine Parteinahme für Wagners Werk eindeutig. Liszt spricht sich in den Broschüren zu Wagners Opern für eine progressive Musikästhetik aus. Er setzt sein eigenes, als Virtuose bereits erworbenes symbolisches und kulturelles ›Kapital‹ für Wagner ein, um, mit Bourdieu gesprochen, dessen Position im künstlerischen ›Feld‹ zu verbessern. Wie Liszt nimmt auch Schumann in seinen Schriften über die Neudeutschen häufig für andere Komponisten Partei. Dies ist der Fall in seiner großen Rezension zu Berlioz’ Symphonie fantastique. Die Kritik zeichnet sich durch ein Nebeneinander von rein technisch-theoretischer Analyse und metaphorischer Beschreibung aus. Auch Kritik am Komponisten ist enthalten. Unter anderem wendet sich diese gegen das eindeutige Programm, das Berlioz schriftlich verfasst und seiner Sinfonie beigegeben hat. Dementsprechend gibt die Rezension Auskunft über Schumanns eigene Musikästhetik der ›poetischen Musik‹, die ein allzu eindeutiges Programm für musikalische Werke ablehnt. Schumann zeigt in diesem Text jedoch die eindeutige Wirkungsabsicht, den jungen Komponisten Berlioz kritisch-didaktisch zu begleiten und ihn gleichzeitig einem breiteren Publikum bekannt zu machen. Die generelle Absicht, progressive deutsche Musiker zu unterstützen, wird deutlich gemacht. Die frühe Kritik »Ein Werk II« verfolgt ähnliche Absichten in Bezug auf das Werk des jungen Chopin. Stilistisch stellt sie jedoch einen Kontrast zu beispielsweise der Schrift über die Symphonie fantastique dar, da sie sich der Formen der fiktiven Szene und des fiktiven Dialogs bedient. Sie schließt sich hiermit an einen von der Romantik geprägten Stil der ›kreativen‹, offenen Kritik

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Zusammenfassung der Ergebnisse

an. Die beiden behandelten Texte demonstrieren die stilistische und formale Bandbreite von Schumanns Kritiken. Auch Hans von Bülows Schriften zeigen stilistische Varietät, obwohl bei von Bülow häufig die klare, polemische und aggressiv kulturkritische Sprache dominiert. Er bekennt sich offen zu einer Parteinahme für die Neudeutschen. Liszt und von Bülow eint eine Tendenz zum Schreiben auf der auf Musikästhetik bezogenen Meta-Ebene. In von Bülows Text über Wagners Faust-Ouvertüre zeigt sich allerdings der Gebrauch von ebenfalls bildlich-metaphorischem Schreiben und die Anwendung der Interpretationsmodi des ›Seelengemäldes‹ und der narrativen Metapher. Als Beispiel für ein ausdrücklich musikästhetisches Schreiben anhand von konkreten Werken ist hier ebenfalls Wagners »Über Franz Liszts Symphonische Dichtungen« aufgeführt. Wagner nutzt den Rahmen eines nur formal privaten, als Brief an Marie Wittgenstein gestalteten Textes, um gegen die ›Mittelmäßigkeit‹ der auf die Form fixierten musikästhetisch Konservativen scharf zu polemisieren. Er plädiert für eine niveauvolle Programmusik und grenzt hierbei negativ zu sehende von akzeptabler Programmusik ab. In diesem Zusammenhang kritisiert er Berlioz, während er Liszt positiv hervorhebt. Er wendet sich im Rahmen der neudeutschen Ästhetik zu einer Musik hin, deren Form durch ihren semantischen Gehalt bestimmt wird. Auch von Seiten Berlioz’ ist Kritik an Wagner zu finden, die von den internen Spannungen der Neudeutschen Zeugnis ablegt. Berlioz’ Text »Concerts de R. Wagner« ist gleichzeitig eine Aufführungs- und Werkkritik und eine Auseinandersetzung mit der ästhetischen Position der Neudeutschen, wie Berlioz sie wahrnimmt. Er wendet sich gegen die vollkommene Missachtung des Publikums und seiner Hörgewohnheiten, ebenso gegen die Hässlichkeit in der Musik und die kategorische Abschaffung der Melodie im traditionellen Sinne. Zustimmend äußert er sich, wenn es um die neudeutsche Kritik an der Virtuosität als Selbstzweck, die Selbstständigkeit des Komponisten als Künstler und die Authentizität des Ausdrucks in der Musik geht. Wie in ihren Schriften über Beethoven stellen die Neudeutschen auch im Schreiben übereinander die genannten Mittel und die Suggestivität des Literarisch-Rhetorischen in den Dienst ihrer reformerischen ästhetischen Bestrebungen. Das Publikum soll von der Qualität einer neuen intermedialen, semantisierten Musik durch publizistische, sprachliche Aktivität überzeugt werden. Dementsprechend spielen polemische Elemente im neudeutschen Schreiben eine wichtige Rolle. Der Medienwechsel, den die Komponisten in ihrer Hinwendung von ihrem ursprünglichen Medium der Musik zum Medium der Sprache vollziehen, erhält hier seinen Sinn: Im Gegensatz zur Musik drückt die Sprache allgemeinverständliche Inhalte aus und ist so stärker publikumsbezogen.

Zusammenfassung der Ergebnisse

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Die Schriften der Neudeutschen thematisieren hierbei gleichermaßen neudeutsche Werke im Detail und im Sinne einer (musikkritischen) Werkbesprechung und nehmen konkrete Werke auch zum Anlass für musikästhetische Programmschriften. Hierbei wird einerseits deutlich, dass die musikästhetischen Auffassungen Wagners, Schumanns, Berlioz’, von Bülows und Liszts zum Teil deutliche Unterschiede aufweisen. Während Schumann sich gegen Programmusik ausspricht, plädiert Liszt für eine qualitätvolle ›Tonmalerei‹, die nicht nur mimetisch abbildet, sondern Gefühle auslöst und ausdrückt. Während Berlioz die allzu radikale Entgrenzung der musikalischen Mittel scharf kritisiert, propagiert Wagner das Gesamtkunstwerk als ideale Musik der Zukunft. Ihnen allen gemeinsam ist jedoch eine Hinwendung zur ausdrucksgebundenen, sinnhaften Musik, die in zuweilen verblüffender Weise auf die Musikästhetik des 18. Jahrhunderts zurückzugreifen scheint. Diese gemeinsame Überzeugung, dass Musik semantisch sei, wird nun im neudeutschen Schreiben nicht nur inhaltlich explizit publik gemacht. Sie wird auch im Akt der Versprachlichung zugleich performiert. Nur, wenn angenommen wird, dass Musik einen Gehalt an Visualität, Narrativität, Gefühl oder ›Ideen‹ hat, kann dies durch Sprache zum Ausdruck gebracht und übersetzt werden. Aufgrund ihrer progressiven Musikästhetik weist die Musik der Neudeutschen diese semantische Ebene in Form von Programmen, literarischen Vorlagen, Motti etc. auf. Im Fall von Beethovens Werken, die in den Besprechungen der Neudeutschen thematisiert werden, ist es nicht immer auszuschließen, dass es sich bei der Zuschreibung von Narrativen oder Bildlichkeiten um bewusste Projektion ihrer eigenen Kompositionsprinzipien auf Beethovens Werke handelt. Als ein Kontrapunkt durchzieht jedoch die Abwertung der Sprache und die Skepsis gegenüber der Gattung Musikkritik das musikalische Schrifttum der Neudeutschen. An verschiedenen Stellen wird deutlich, dass trotz aller Virtuosität des Gebrauchs von literarischen und rhetorischen Mitteln die Sprache als ein Vehikel und als Mittel zum Zweck wahrgenommen wird. Die Verbindung der Künste und Medien, die Intermedialität, wie die Neudeutschen sie als wünschenswert begreifen, soll im musikalischen Werk – im Wagnerschen Gesamtkunstwerk, in Schumanns ›poetischer Musik‹, in Liszts Sinfonischen Dichtungen – ihren Platz haben. Das Musikschrifttum ist in diesem Sinne ein intermediales Werk zweiter Ordnung: Durch den Tatbestand der »verdeckten Intermedialität« dominiert hier die Sprache die Musik. Die Neudeutschen hängen jedoch dem romantischen Dogma des Primats der Musik an. Sprache, Literatur und Semantik sollen sich im Kunstwerk zwar gleichberechtigt mit der Musik verbinden, die letztere darf aber nie an die zweite Stelle gedrängt werden. Dementsprechend verstehen die Neudeutschen die kulturellen Verhältnisse ihrer Gegenwart im Modus eines religiös-eschatologisch geprägten Kunstverständnisses: Die als ›ideal‹ begriffene Vergangenheit der Musik, die neben Gluck,

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Zusammenfassung der Ergebnisse

Mozart und Haydn vor allem Beethoven einschließt, wird als monumentale Erinnerung tradiert. Auf sie wird zurückgegriffen, damit in der Zukunft die ›ideale‹, semantisierte Musik endgültig alle als minderwertig verstandenen Musikarten und -ästhetiken verdrängt. Die endgültige Durchsetzung einer Musik des »bestimmten Ausdrucks« (Brendel) muss vorangetrieben werden. Die Gegenwart, in der polemisches und möglichst wirkungsvoll verfasstes musikalisches Schrifttum noch notwendig ist, ist für die Neudeutschen somit ebenso unvollkommen wie vorläufig.

5. Bibliographie

5.1

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Abhandlungen zur Musikgeschichte Marie Schlüter Musikgeschichte Wittenbergs im 16. Jahrhundert Quellenkundliche und sozialgeschichtliche Untersuchungen 375 Seiten, gebunden ISBN 978-3-89971-727-3 Roland Dieter Schmidt-Hensel »La musica è del Signor Hasse detto il Sassone...« Johann Adolf Hasses ›Opere serie‹ der Jahre 1730 bis 1745. Quellen, Fassungen, Aufführungen. Teil I: Darstellung. 475 Seiten mit zahlreichen Abbildungen, gebunden ISBN 978-3-89971-441-8 Teil II: Werk-, Quellen- und Aufführungsverzeichnis. 775 Seiten, gebunden ISBN 978-3-89971-442-5 Peter Schmitz Johannes Brahms und der Leipziger Musikverlag Breitkopf & Härtel 393 Seiten mit Farbabbildungen, gebunden ISBN 978-3-89971-728-0 Jochen Brieger Untersuchungen zur Struktur der Erstsoggetti in den Motetten Giovanni Pierluigi da Palestrinas 280 Seiten mit 154 Abbildungen, gebunden ISBN 978-3-89971-597-2 Dominik Höink Die Rezeption der Kirchenmusik Anton Bruckners Genese, Tradition und Instrumentalisierung des Vergleichs mit Giovanni Pierluigi da Palestrina 421 Seiten, gebunden ISBN 978-3-89971-601-6 Alexander Steinhilber Die Musikhandschrift F. K. Mus. 76/II. Abt. der Fürst Thurn und Taxis Hofbibliothek Regensburg Eine wenig beachtete Quelle zur Musik des frühprotestantischen Gottesdienstes 612 Seiten mit zahlreichen Notenbeispielen und Abbildungen, gebunden ISBN 978-3-89971-638-2

Leseproben und weitere Informationen unter www.vr-unipress.de Email: [email protected] | Tel.: +49 (0)551 / 50 84-301 | Fax: +49 (0)551 / 50 84-333