Übergangsprobleme von der Schule in die Arbeitswelt: Zur Situation in den neuen und alten Bundesländern [1 ed.] 9783428494248, 9783428094240

Der Übergang von der Schule in die Arbeitswelt wird im Osten wie im Westen des vereinten Deutschlands für einen zunehmen

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Übergangsprobleme von der Schule in die Arbeitswelt: Zur Situation in den neuen und alten Bundesländern [1 ed.]
 9783428494248, 9783428094240

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Übergangsprobleme von der Schule in die Arbeitswelt

SCHRIFTENREIHE DER GESELLSCHAFT FÜR DEUTSCHLANDFORSCHUNG BAND 61

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Ubergangsprobleme von der Schule in die Arbeitswelt Zur Situation in den neuen und alten Bundesländern

Herausgegeben von Hans-Peter Schäfer und Wendelin Sroka

Duncker & Humblot . Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Übergangsprobleme von der Schule in die Arbeitswelt: zur Situation in den neuen und alten Bundesländern I hrsg. von HansPeter Schäfer und Wendelin Sroka. - Berlin : Duncker und Humblot, 1998 (Schriftenreihe der Gesellschaft für Deutschlandforschung ; Bd. 61) ISBN 3-428-09424-7

Alle Rechte vorbehalten Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Color-Druck Dorfi GmbH, Berlin Printed in Germany

© 1998 Duncker &

ISSN 0935-5774 ISBN 3-428-09424-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 97068

INHALT Vorwort ..................................................................................................................... 7 Hans-Peter Schäfer Der Übergang von der Schule in die Arbeitswelt - ein zentrales Problem unserer Gesellschaft...................................................................................................9 Angela Rauch Der Übergang von der Schule in den Beruf in den neuen Bundesländern - eine Lagebeschreibung..........................................................................................25 Gisela Westhoff/Joachim Gerd Ulrich Junge Fachkräfte an der zweiten Schwelle ins Erwerbsleben. Der Nutzen einer abgeschlossenen Berufsausbildung in den neuen Bundesländern ............... .33 Hermann Rademacker Differenzierte Wege von der Schule in den Beruf. Veränderte Rahmenbedingungen des Berufseinstiegs und neue Handlungsstrategien Jugendlicher rur die Bewältigung des Übergangs ............................................................................. 51 Barbara Bertram Der Übergang von der Schule zum Beruf in den neuen Bundesländern - soziologische Befunde anband der Leipziger Längsschnittstudie ...................... 67 I1se Kuhlmann Der Übergang von der Schule in den Beruf in den neuen Bundesländern: Maßnahmen und Erfahrungen der Berufsberatung der Arbeitsämter ................... 81 Rolf Oberliesen Arbeitsorientierte Allgemeinbildung und die Zukunft der Schule - Bilanz und Perspektiven ............................................................................................................ 93 Hans-JUrgen Fuchs Überbetriebliche Berufsausbildung nach § 40c AFG - Chance oder Irrweg filr den Übergang in die Arbeitswelt? ........................................................................ 109 Verfasser und Herausgeber ................................................................................. 117

VORWORT Der vorliegende Band vereint Beiträge, die auf dem 6. Symposion der Fachgruppe Erziehungswissenschaft der Gesellschaft rur Deutschlandforschung in der Zeit vom 20. bis 22. November 1995 vorgetragen wurden. Tagungsort und Mitveranstalter war die Ost-Akademie LÜßeburg. Die Wahl des Themas ergab sich einerseits aus der äußerst schwierigen Situation, vor die sich ein zunehmend größerer Teil der Jugendlichen beim Verlassen der Schule gestellt sah und immer noch gestellt sieht. Die Wahl des richtigen Berufes, die Suche nach einem Ausbildungsplatz und die sich anschließende Berufstätigkeit gestalten sich sowohl in den alten wie in den neuen Bundesländern komplizierter als je zuvor, so daß ein nicht geringer Teil der Altersgruppen den Übergang verfehlt und auf der Strecke bleibt. Hier Abhilfe zu schaffen, ist neben Politik und Wirtschaft auch Aufgabe der Pädagogik und Sozialwissenschaften, wobei sich die Erziehungswissenschaft, wie ein Blick auf Veröffentlichungen und Tagungsthemen zeigt, noch stark zurückgehalten hat. Zum anderen ist es das Anliegen der Gesellschaft ftlr Deutschlandforschung, Wissenschaftler und Praktiker, Politiker und Verwaltungsbeamte zusarnmenzuftlhren, um gemeinsam gesellschaftliche Probleme, die mit der deutschen Teilung bzw. Wiedervereinigung verbunden sind bzw. waren, aufzugreifen und einer Lösung zuzuftlhren. Probleme der Berufsvorbereitung und Berufsberatung bildeten bereits auf dem ersten Symposion der Fachgruppe Erziehungswissenschaft einen Themenschwerpunkt - wenngleich unter gänzlich anderen politisch-gesellschaftlichen Vorzeichen und Rahmenbedingungen. Wahrend damals die Erziehungswissenschaftier noch weitgehend unter sich waren, gelang es jetzt, den Kreis der Teilnehmer zu öfthen und damit ein interdisziplinäres Gespräch zu ftlhren, das auch Ansatzpunkte rur konkretes praktisches Handeln bot. Die redaktionelle Arbeit am Tagungsband wurde von Frau Heike Poppendieker durchgeftlhrt. Thr wie den Verfassern der Beiträge gilt unser besonderer Dank. Hans-Peter Schäfer

Wendelin Sroka

Hans-Peter Schäfer DER ÜBERGANG VON DER SCHULE IN DIE ARBEITSWELT - EIN ZENTRALES PROBLEM UNSERER GESELLSCHAFT Zur Einführung Immer häufiger und in zunehmender Schärfe berichten die Tageszeitungen und gelegentlich auch die Magazinsendungen des Fernsehens über die "Ausbildungsmisere" und die "dramatische Situation auf dem Lehrstellenmarkt". Mit Schlagzeilen wie "Der Kampf um freie Lehrstellen",1 "Lehrstellenabbau" und "Bitte, bitte sagen reicht nicht mehr"2 sollen die Öffentlichkeit und die Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft wachgerüttelt und ihre Aufmerksamkeit auf ein bisher weitgehend vernachlässigtes Problemfeld gelenkt werden. Dabei ist offensichtlich, daß mit den bisher bewährten Instrumentarien und Methoden die Krise auf dem Ausbildungssektor nicht mehr zu meistem ist. Neue Denkmodelle und Lösungswege müssen entwickelt werden. Damit sind auch die Human- und Sozialwissenschaften gefordert, an der Bewältigung des Konfliktfeldes SchuleArbeitswelt mitzuwirken, das heißt die Situation präzise zu analysieren, Ursachen und Bedingungen zu erforschen sowie Handlungsspielräume auszuloten. Unter dieser Zielsetzung stand auch die Fachtagung der Gesellschaft ft1r Deutschlandforschung, deren Referate hier in überarbeiteter Form einer breiteren Öffentlichkeit zur Kenntnis gegeben werden. Aufgabe dieses einfilhrenden Kapitels ist es, die einzelnen Beiträge in einen größeren thematischen Zusammenhang zu stellen, ihre wichtigsten Aussagen herauszuarbeiten, diese unter systematischen Gesichtspunkten miteinander zu verbinden und zu weiterfllhrenden Fragen anzuregen.

1. Bei näherer Betrachtung zeigt sich, daß der Übergang von der Schule in die Arbeitswelt bisher keineswegs immer als ein geradliniger und konfliktfreier Prozeß verlief, sondern auch früher oftmals mit gravierenden Schwierigkeiten und Friktionen verbunden war, die den Heranwachsenden wie die Gesellschaft vor

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Z.B. Hamburger Abendblatt vom 9.4.1997, S. I.

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Ebenda vom 16.5.1997, S. 4.

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ernste Probleme stellten. Insbesondere bei den Prozessen der Berufsorientierung, Berufsfmdung und Berufseinmündung handelt es sich um Grundprobleme der modemen Industriegesellschaft:,l die historisch gesehen eng verbunden sind mit der Auflösung der ständischen Ordnung, der Durchsetzung der allgemeinen Schulpflicht, der Gewerbefreiheit, des Rechts auf Arbeit und des Grundrechts der freien Berufswahl. Die Anfange einer gezielten Berufsberatung4 im Rahmen der bürgerlichen Frauenbewegung und Arbeiterjugendbewegung am Ende des 19. Jahrhunderts, die Gründung einer "Zentralstelle filr Berufsberatung" im Jahre 1908 sowie der Aufbau einer staatlichen Berufsberatung im Rahmen der Reichsanstalt fiIr Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung ab 1927, aus der die heutige Berufsberatung der Bundesanstalt filr Arbeit hervorging, markieren Stationen auf dem Wege eines zunehmenden Problembewußtseins und eines stetig wachsenden Engagements von Staat und Gesellschaft bei der Integration der nachwachsenden Generation in die Berufs- und Arbeitswelt. Aus der Sicht des Heranwachsenden bedeutet der Übergang von der Schule in die Arbeitswelt "eine der wichtigsten Lebenszäsuren",5 mit der nicht nur ein formaler Wechsel von einer Lebensphase in eine andere verbunden ist. Der Jugendliche tritt vielmehr unvermittelt und abrupt aus dem "Schonraum" Schule,6 der pädagogisch-didaktisch strukturiert ist, in die nach ökonomischen Effektivitäts- und Rentabilitätsgesichtspunkten geleitete Arbeitswelt. Die Abfolge der "Standardbiographie" wird dabei immer noch als die verbindliche Norm angesehen: Schule, Berufsausbildung und Berufstätigkeit haben sich nahtlos aneinanderzufilgen. Abweichungen davon, Perioden des Suchens und Ausprobierens, gelten nicht nur aus der Arbeitgeberperspektive als verlorene Zeit und werden durchgängig negativ bewertet. 7 Statt dessen wird von dem Heranwachsenden erwartet, daß er bereits am Ende der Schulzeit unter Nutzung der Informationsmöglichkeiten und Beratungspotentiale von Schule, Elternhaus und staatlicher Berufsberatung eine eigen) Vgl. Ries, Heinz: Berufswahl in der modemen Industriegesellschaft. Bonn 1970. Kohli, Martin: Studium und berufliche Laufbahn. Stuttgart 1973. Blankertz, Herwig: Zum Begriff des Berufs in unserer Zeit. In: Ders. (Hrsg.): Arbeitslehre in der Hauptschule. Essen 1967, S. 9-27. • Zur Geschichte der Berufsberatung vgl. die bisher umfassendste, allerdings aus einseitig marxistischer Sicht geschriebene Darstellung: Kuhrt, Willi: Der Kampf um die Entstehung und Entwicklung der Berufsberatung in Deutschland. Habil. Schr. PH Potsdam 1968. S Vgl. Lattard, Alain: Das "Jugendghetto". Probleme der beruflichen Eingliederung in Frankreich. In: Westhoff, Gisela: (Hrsg.): Übergänge von der Ausbildung in den Beruf. Die Situation an der zweiten Schwelle in der Mitte der neunziger Jahre. Bundesinstitut filr Berufsbildung. Bielefeld 1995, S.31. 6 Vgl. Preiss, Christine: Von Orientierungslosigkeit zur Handlungskompetenz - Ergebnisse beruflicher Sozialisationsprozesse bei Jugendlichen an der zweiten Schwelle. In: Westhoff, (Anm. 5), S.100. 7 Vgl. Witzei, Andreas/Mönnich, Ingo: Die Bewältigung des Übergangs in das Erwerbssystem. In: Westhoff, (Anm. 5), S. 133f.

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ständige und sachadäquate Berufswahl triffi, das heißt die persönlichen Neigungen, Wünsche, Interessen und Fähigkeiten mit den angebotenen wirtschaftlichen Möglichkeiten bzw. den Offerten des Lehrstellen- und Ausbildungsmarktes in Übereinstimmung bringt. Unsichere Arbeitsplatzprognosen, Mangel an Ausbildungsplätzen - nicht nur in den sogenannten "Wunschberufen" -, fehlende Realitätserfahrungen, hilflose Lehrer und verunsicherte Eltern tragen allerdings häufig dazu bei, daß die Berufswahl einem Glücksspiel gleicht und der berufliche Lebensweg nicht selten kurvenreich und voller Risiken verläuft.

11 Während in der Bundesrepublik wie in der Mehrzahl anderer westlicher Länder die Bewältigung der Übergangsprobleme in erster Linie dem betroffenen Jugendlichen auferlegt wird, die angebotenen Hilfen lediglich als "Hilfen zur Selbsthilfe" begriffen und das gesellschaftliche Problem damit weitgehend individualisiert bzw. partikularisiert wird, ist in der ehemaligen DDR der Prozeß der "Berufsorientierung" - so der alle Aspekte des Übergangs von der Schule in die Arbeitswelt umfassende Sammelbegriff - pointiert deutlicher als ein kollektives und gesellschaftliches Phänomen gesehen worden. Berufswahl, Berufsfmdung und Berufseinmündung wurden dort vorrangig als Teilaspekt des Systems der Arbeitskräfteplanung und -politik begriffen und waren damit eingebettet in das System der Planwirtschaft und Kaderpolitik. 8 Die Orientierung am planwirtschaftlichen Bedarf hatte zur Folge, daß die Berufsorientierung und Aufuahme in die Berufsausbildung durch ein straffes Zuweisungssystem gesteuert wurden, das der "freien Berufswahl" der Jugendlichen enge Grenzen setzte.9 Auf der anderen Seite stand - das wird oft übersehen - der oftmals recht rigide gehandhabten Berufslenkung ein weit entwickeltes und differenziertes. System einer "pädagogisch akzentuierten Berufsberatung"IO gegenüber. Dieses begann bereits im Kindergarten mit der Aufklärung über einfache Handwerksberufe, setzte sich in der Einheitsschule mit dem obligatorischen polytechnischen Unterricht ab 7. Klasse und dem "Unterrichtstag in der Produktion" fort sowie mit dem vorgeschriebenen Besuch im "Berufsinformationszentrum" der Abteilung fUr I Vgl. Schäfer, Hans-Peter: Berufsorientierung und Berufsberatung. In: Vergleich von Bildung und Erziehung in der Bundesrepublik Deutschland und in der Deutschen Demokratischen Republik. Materialien zur Lage der Nation. Hrsg. vom Bundesministerium fUr innerdeutsche Beziehungen. Köln 1990, S. 299-306. 9 Vgl. Davids, Sabine: Junge Erwachsene ohne anerkannte Berufsausbildung in den alten und neuen Bundesländern. In: Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis, 22 (1993) 2, S. 13. 10 Vgl. Kuhrt, WiIIi: Zum Wesen der sozialistischen Berufsberatungskonzeption unter vorwiegend pädagogischen Aspekten. In: Beitrage zur Berufsberatung. Berlin 1976, S. 79-88.

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Berufsbildung und Berufsberatung beim Rat des Kreises. Die Heranwachsenden verfilgten also bereits beim Verlassen der allgemeinbildenden Schule über grundlegende Berufskenntnisse und erste Betriebserfahrungen, wenngleich diese vorwiegend in sogenannten "polytechnischen Kabinetten" und nur in AusnahmeflilIen in der laufenden betrieblichen Produktion gewonnen wurden. Schulleitung, Klassenlehrer sowie der eigens ernannte "Lehrer filr Berufsberatung" hatten zudem in Kooperation mit den Betrieben und staatlichen Leitungsorganen zu sichern, daß durch frühzeitige Information und Aufklärung die individuellen und gesellschaftlichen Interessen zueinandergefUhrt und die Nachwuchspläne erfilllt wurden. 11 Zur Entschärfung der Übergangsproblematik hat darüber hinaus vor allem die Tatsache beigetragen, daß die DDR-Führung entsprechend dem DDR-Verfassungsgebot, das die Berufsausbildung nicht nur als individuelles Recht, sondern zur gesellschaftlichen Pflicht erklärte, ein hinreichend großes Angebot an Ausbildungsplätzen garantierte. Rund 80 Prozent eines Altersjahrgangs erlernten einen Ausbildungsberuf, rund 5 Prozent absolvierten die Fachschule und rund 10 Prozent erhielten eine Hochschulbildung. 12 Die Quote der Ungelernten lag in den 80er Jahren unter 5 Prozent eines Altersjahrgangs. Zumindest subjektiv mag dadurch, wie Bertram in ihrem Beitrag dieses Bandes darlegt, bei zahlreichen Heranwachsenden das Geruhl der "Planmäßigkeit und Kontinuität", der Berechenbarkeit und sozialen Sicherheit entstanden sein, welches das Gefilhl der "Enge und Unfreiheit" teilweise zu kompensieren vermochte. Andererseits darf man jedoch nicht übersehen, daß die Planungsmodelle und Nachwuchspläne der Betriebe und staatlichen Organe oft auf fragwürdigen Voraussetzungen beruhten, kurzfristige Umdispositionen nicht nur aus aktuellen wirtschaftlichen und politischen Dezisionen erfolgten,13 die Ausbildung nur bei rund der Hälfte der Jugendlichen in dem angestrebten Beruf erfolgte und der Abschluß der Berufsausbildung noch keineswegs eine Garantie dafUr bot, daß die Absolventen nachfolgend branchen- und qualifIkationsadäquat eingesetzt WUTden. 14 Die zu DDR-Zeiten massenhaft propagierten und realisierten Umschulungsund Weiterbildungsmaßnahrnen waren eben nicht nur eine Antwort auf 11 Vgl. HiIle, Barbara: Berufswahl und Berufslenkung in der DDR. In: Kölner Zeitschrift rur Soziologie und Sozialpsychologie, 27 (1975), S. 411-434. 12 Vgl. Köhler, Helmut/Schreier, Gerhard: Statistische Grunddaten zum Bildungswesen. In: Vergleich von Bildung und Erziehung (Anm. 8), S. 112ff.

13 Vgl. Schäfer, Hans-Peter: Schule und Berufsbildung in der DDR zwischen den Anforderungen der high technology und den Niederungen der modemen Arbeitswelt. In: Deutsche Studien, 25 (1987) 99, S. 225-241. 14 Vgl. Belwe, Katharina: Zum Eintritt Jugendlicher in das Arbeitsleben der DDR. Ursachen und Fehlentwicklungen. In: Deutschland-Archiv, 13 (1980) 10, S. 1075-1081.

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technologisch begründete höhere QualifIkationsanforderungen, sondern auch eine Reaktion aufFehlplanungen und FehlqualiflZierungen. ls IIf. Mit der Wiedergewinnung der deutschen Einheit und insbesondere seit Anfang der 90er Jahre haben die Probleme des Übergangs von der Schule in die Arbeitswelt eine dramatische Zuspitzung erfahren. Diese Entwicklung vollzog sich keineswegs nur in den neuen Bundesländern. Wie die quantitativen Daten aus jüngsten Publikationen zeigen, hat sich die Entwicklung besonders dort noch weiter verschärft und teilweise bereits alarmierende Formen angenommen: Das Lehrstellenangebot ist in den alten Bundesländern von 721.804 (1991/92) auf 512.811 (1994/95) zurückgegangen, das heißt um rund 30 Prozent geschrumpft. In den neuen Bundesländern erfolgte ein Rückgang des betrieblichen Lehrstellenangebots von 160.000 (1989) auf 93.022 (1995),16 das heißt um 42 Prozent. Demgegenüber nahm die Zahl der Lehrstellenbewerber in den alten Bundesländern von 403.451 (1991/92) auf 478.383 (I994/95Y7 zu, das heißt sie erhöhte sich um rund 19 Prozent, im Zeitraum von 1994 auf 1995 um 5 Prozent. In den neuen Bundesländern betrug die Steigerung im Zeitraum von 1994 auf 1995 12 Prozent. 18 Rund 30 Prozent aller Jugendlichen, die sich 1995 in den neuen Bundesländern um eine Lehrstelle bewarben, hatten das bereits in den vergangenen Jahren vergeblich getan. 19 Die Folge ist ein beträchtlicher Überhang an Lehrstellenbewerbern: Während im Jahre 1995 bundesweit 100 Bewerbern 99,8 betriebliche Ausbildungsplätze zur Verftlgung standen, waren es in den neuen Bundesländern lediglich 49. Damit hatte dort nur jeder zweite Jugendliche die Chance, eine Lehrstelle im Betrieb zu erhalten. Nur durch die Bereitstellung von 14.500 zusätzlichen außerbetrieblichen Ausbildungsplätzen konnte 1995 sichergestellt werden, daß zumindest zwei von drei Bewerbern eine Lehre beginnen konnten. Inzwischen hat sich die Situation in den neuen Bundesländern noch weiter ver15 Schäfer, Hans-Peter: Weiterbildung in der DDR. In: Giger, H. (HIsg.): Bildungspolitik im Umbruch. Staatsmonopol in der Weiterbildung? Zürich 1991, S. 373-390. 16 Judith, Lothar: Aktuelle Ausbildungssituation. In: Gewerkschaftliche Bildungspolitik, (1996) 617, S. 25. 11 Ebenda 11 DGB Bundesvorstand Abteilung Bildung: Stellungnahmen der Arbcitnehmerbeauftragten im BmB-Hauptausschuß zum Berufsbildungsbericht 1996. In: Gewerkschaftliche Bildungspolitik (1996) 617, Beilage, S. 2. 19 Helwig, Gisela: "Investition in die Zukunft". Perspektiven der Berufsausbildung. In: Deutschland-Archiv, 28 (1995) 11, S. 1124.

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schlechtert, konkurrieren dort um einen betrieblichen Ausbildungsplatz zur Zeit sogar vier Bewerber.2o Freilich ist mit dem vollzogenen Eintritt in die Berufsausbildung das Problem des Übergangs von der Schule in die Arbeitswelt noch keineswegs gelöst, verweist doch eine durchschnittliche Lehrabbruchquote von 25 Prozenf l auf möglicherweise unzureichende Voraussetzungen der Auszubildenden und auf strukturelle Schwächen des Ausbildungssystems. Eine weitere und zunehmend gefllhrlichere Hürde bildet der auch als "zweite Schwelle" bezeichnete Übergang von der Ausbildung in die Erwerbstätigkeit:

In den alten Bundesländern folgt ftlr nahezu jeden ftlnften Jugendlichen auf die berufliche Ausbildung die Arbeitslosigkeit, in den neuen Bundesländern ist sogar jeder dritte von der Arbeitslosigkeit betroffen. 22 Abgesehen davon, daß diese Daten von den Tarifpartnern durchaus kontrovers bewertet werden, vermögen sie bestenfalls ein Schlaglicht auf die gegenwärtige Situation zu werfen. Will man zu tieferen Einsichten und Erkenntnissen als Voraussetzung ftlr administratives und pädagogisch-soziales Handeln kommen, bedarf es erheblich differenzierterer quantitativer Analysen, bei denen neben den regionalen Faktoren auch Geschlechtszugehörigkeit, Alter, Bildungsstand etc. berücksichtigt werden. Angela Rauch, Gisela Westhoff und Joachim Gerd Ulrich sowie Barbara Bertram haben in ihren Beiträgen dieses Bandes das vorhandene Datenmaterial sehr sorgflUtig analysiert, wobei sie sich auf die amtliche Statistik der Bundesanstalt ftlr Arbeit sowie auf einschlägige und ergänzende empirische Erhebungen des Bundesinstituts ftlr Berufsbildung sowie des Deutschen Jugendinstituts - Außenstelle Leipzig stützen. Die genannten Analysen vermitteln zwei grundlegende Einsichten. Erstens, daß die deutsche Wiedervereinigung nur eine Ursache unter anderen, keineswegs jedoch der entscheidende Anstoß ftlr die Verschlechterung der Lage auf dem Ausbildungssektor und im Beschäftigungssystem ist. Zweitens, daß von den verminderten Bildungsangeboten und Ausbildungschancen bestimmte Jugendpopulationen bzw. Problemgruppen in besonderer Weise betroffen sind. Sofern sich im Hinblick auf die Krise im Ausbildungs- und Beschäftigungssystem überhaupt eindeutige Ursachen-Wirkungs-Zusammenhänge identifizieren lassen, wird man ein breites Spektrum unterschiedlicher Prozesse ins Auge fassen müssen: Neben der allerorts beschworenen Globalisierung der Wirtschaft und der Zuspitzung des Marktwettbewerbs, die sich daraus ergebende AutomatiVgl. Forschung und Lehre, 1 (1997) I, S. 3. Vgl. Berufsbildungsbericht 1994. Hrsg. vom Bundesministerium fiIr Bildung und Wissenschaft. Bad Honnefl994, S. 73. 22 Vgl. Forschung und Lehre (Anm. 20). 20

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sierung und Rationalisierung der Produktion und Arbeitsabläufe. Ferner die Auswirkungen der modemen Informationstechnologien, den Übergang zur lean production in den Betrieben mit den daraus folgenden innerbetrieblichen Umstrukturierungen bzw. dem geringeren Bedarf an mittleren Fachkräften. Nicht zuletzt die neuen Personalentwicklungs- bzw. Rekrutierungskonzepte der Betriebe, die auf eine· bevorzugte Einarbeitung und Weiterbildung von Hochschulabsolventen hinauslaufen und zu Lasten der beruflichen Erstausbildung gehen. Für die neuen Bundesländer treten darüber hinaus eine Reihe spezifischer Faktoren hinzu, unter denen besonders hervorzuheben sind - die Abwicklung der Großbetriebe und Kombinate, die in der ehemaligen DDR die Hauptlast der Berufsausbildung nicht nur im gewerblichen Bereich getragen haben; - der demographische Faktor; zur Zeit verlassen verstärkt geburtenstarke Jahrgänge die allgemeinbildende Schule und dringen auf den Arbeitsmarkt vor; - die Kumulation durch Altbewerber, die in den Vorjahren statt in die Berufsausbildung in andere Bildungs- oder Vorbereitungsmaßnahmen umgeleitet wurden und nun erneut auf den Lehrstellenmarkt zukommen. Die Auswirkungen dieser teils global, teils national, politisch wie technologisch, betriebswirtschaftlieh wie demographisch bedingten Prozesse bekommen die Heranwachsenden jedoch nicht alle in gleicher Weise zu spüren. Abgesehen von der generell stärkeren Betroffenheit der Jugendlichen in den neuen Bundesländern lassen sich vor allem vier spezifische Problemgruppen benennen: - Mädchen und junge Frauen, - Jugendliche in überwiegend ländlichen Regionen fernab von Großstädten und industriellen Ballungsräumen, - Hauptschulabgänger, Schulabbrecher und SonderschUler, - Absolventen über- bzw. außerbetrieblicher Ausbildungsstätten.

Im. Unterschied zur Gruppe der Lembeeinträchtigten und sozial Benachteiligten, die aufgrund des § 40c Arbeitsfbrderungsgesetz Anspruch auf besondere Hilfestellungen und gegebenenfalls auch auf eine außerbetriebliche Ausbildung haben, stellt die Gruppe der Hauptschulabgänger, Schulabbrecher, Schulversager, VerhaltensauffiUligen und Lemunwilligen ein besonderes Problemfeld dar. Im Verdrängungswettbewerb mit den Absolventen mittlerer und höherer Schulen hat diese Gruppe kaum noch reale Chancen auf einen Ausbildungsplatz23 und wird

23

Vgl. Hclwig (Anrn. 19).

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nicht selten von einer Berufsvorbereitungsmaßnahme (BVJ) in eine andere (BGJ) abgeschoben. 24 In den neuen Bundesländern ist diese Gruppe, wie eine repräsentative Untersuchung des Bundesinstituts filr Berufsbildung aus den Jahren 1990 bis 19922s über '~unge Erwachsene ohne anerkannten Berufsabschluß" zeigt, noch deutlich geringer als in den alten Bundesländern. Im Unterschied zu den alten Bundesländern werden dort der § 40c AFG auch großzügiger ausgelegt und die Bildungsabbrecher in die Förderung einbezogen. Andererseits existieren dort noch die zu DDR-Zeiten ausgebildeten "Teilfacharbeiter", deren berufliche Qualifikation nach der Wiedervereinigung offiziell nicht mehr anerkannt wird und die heute den Ungelernten zugerechnet werden. Da die Arbeitsmarktprognosen filr die nächsten Jahre filr ungelernte Jugendliche gegen null tendieren,26 droht diesen Jugendlichen - sofern ihnen keine zweite Chance eröffnet wird27 - die völlige Ausgrenzung aus dem Erwerbsleben und damit die gesellschaftliche Isolierung.

Mit besonderen Schwierigkeiten beim Eintritt in das Erwerbsleben und mit drohender Arbeitslosigkeit muß auch die Gruppe der außer- bzw. überbetrieblich ausgebildeten Jugendlichen rechnen, wie die Analysen von Rauch und WesthofflUlrich zeigen. In den neuen Bundesländern befand sich 1993 jeder sechste Auszubildende in ,einer überbetrieblichen Ausbildung. Während von den im Jahre 1994 betrieblich Ausgebildeten drei Monate nach Ausbildungsabschluß nur 15 Prozent arbeitslos waren, lag der Anteil bei den außerbetrieblich Ausgebildeten bei 40 Prozent. Allerdings sind die geringeren Vennittlungschancen der außerbetrieblich Ausgebildeten, worauf WesthofflUlrich hinweisen, auch darin begründet, daß außerbetriebliche Ausbildung verstärkt in Regionen durchgeftlhrt wird, in denen aufgrund wirtschaftlicher Struktunnängel das Angebot an Arbeitsund Ausbildungsplätzen relativ gering ist. Die quantitativ größte und am stärksten betroffene Problemgruppe bilden die Mädchen und jungen Frauen. Sie haben unter der Reduzierung der Ausbildungsplätze und Beschäftigungsmöglichkeiten nachweislich stärker als ihre männlichen Altersgenossen zu leiden, wobei die Situation in den neuen Bundesländern wiederum besonders dramatisch iSt. 28 Während sich die Benachteiligung beim 24 vgl. Bund-Länder-Kommission ft1r Bildungsplanung und Forschungsfllrderung: Innovative Maßnahmen zur Verbesserung der Situation von lem- und leistungsschw8cheren Jugendlichen in der beruflichen Bildung. Materialien zur Bildungsplanung und Forschungsfllrderung, Heft 52. Bonn 1996. 2' Vgt. Davids (Anm. 9). 16 Vgl. Helwig (Anm. 19). 27 Vgl. das EU-Projekt: Europäische Impulse ft1r die Förderung Jugendlicher ohne Schulabschluß. In: Le Magazine. Allgemeine und berufliche Bildung - Jugend in Europa, (1996) 6, S. Sf. 11 Vgl. auch Damm-Rüdiger, Sigrid: Frauenerwerbstlltigkeit und Frauenausbildung in den alten und neuen BundesIlIndem - bisherige Entwicklung und Perspektiven. In: Berufs- bildung in Wissenschaft und Praxis, 22 (1993) 2, S. 3-7.

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Übergang von der Schule in die Berufsausbildung aufgrund spezieller Fördermaßnahmen noch in relativ engen Grenzen hält, tritt die Diskrepanz an der zweiten Schwelle beim Eintritt in das Erwerbsleben deutlich zutage. Nach Rauch wurden im Jahre 1994 nur 44 Prozent der jungen FrauC?n, dagegen 53 Prozent der jungen Männer von ihrem Lehrbetrieb übernommen. Knapp die Hälfte der jungen Frauen wurde in die Arbeitslosigkeit entlassen. Mit 35 Prozent ist der Arbeitslosenanteil bei jungen Frauen dreimal so hoch wie bei Männern. Als Ursachen für die schlechteren Ausbildungs- und Beschäftigungschancen für Frauen speziell in den neuen Bundesländern nennt Bertram in ihrem Beitrag: - Abbau frauenspezifischer Arbeits- und Ausbildungsplätze, insbesondere im Sozial-, Dienstleistungs- und Verwaltungsbereich; - Betriebe bevorzugen männliche Bewerber; - Mädchen orientieren sich noch vorwiegend an traditionellen weiblichen Berufsbildern, dagegen fehlen weibliche Leitbilder in männlich dominierten Berufen. Mädchen und junge Frauen suchen auch - so kann hinzugefügt werden familiengerechtere Arbeitszeiten. Stärker als in den alten Bundesländern kommt hier noch die traditionell familiale Rollenverteilung zum Ausdruck. 29 Insgesamt, das wird aus den Analysen deutlich, zeichnet sich eine dramatische Verlagerung der Übergangsprobleme von der ersten zur zweiten Schwelle ab. Die Schwierigkeiten ergeben sich künftig nicht allein beim Übergang von der Schule in die Berufsausbildung, sondern verstärkt beim Übergang von der Ausbildung in das Erwerbsleben. In den alten Bundesländern ist diese Entwicklung bei annähernd gleichen Ausbildungsabsolventenzahlen primär auf den drastischen Abbau von Arbeitsplätzen zurückzuführen. In den neuen Bundesländern, in denen sich nach Westhoff/Ulrich die Absolventenzahlen von 1992 bis 1994 verdoppelt haben, liegt die Ursache in der Ausweitung der außerbetrieblichen Ausbildungskapazitäten. 30 Als weitere Ursache nennt Bertram in ihrem Beitrag die sich seit 1993/94 verstärkende Altnachfrage von Bewerbern, die bisher auf andere Bildungsgänge ausgewichen waren, wie Z.B. Umschüler, die mindestens zwei Berufsabschlüsse und Berufserfahrung besitzen. Zudem werden Ausbildungsplatz- und Arbeitsplatzdefizite zunehmend weniger durch die alten Bundesländer ausgeglichen. Schließlich greifen die Betriebe auf Bewerber mit immer mehr und immer höheren Bildungsabschlüssen zurück, wobei die Absolventen mit einfachem Berufsabschluß, die Fehlqualifizierten, insbesondere die sozial Benachteiligten, gesundheitlich Eingeschränkten und Behinderten auf der Strecke bleiben. 29

Vgl. Helwig (Anm. 19).

Vgl. Schober, Karen: Von der Verbleibs- zur Übergangsforschung. Ein Plädoyer rur mehr betriebsbezogene Forschungsanslltze. In: Westhotf (Anm. 5), S. 74f 30

2 Schäfer I Sroka

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IV.

Wie reagieren die Jugendlichen auf die so tiefgreifend veränderte Situation? Welche Meinungen bilden sie sich, welche Vorstellungen entwickeln sie und wie verhalten sie sich angesichts der sich verengenden Ausbildungs- und Beschäftigungschancen? Auf der Basis einer regional-vergleichenden Längsschnittstudie des Deutschen Jugendinstituts von 150 Jugendlichen in Duisburg und München hat Hennann Rademacker in seinem Beitrag "Neue Handlungsstrategien Jugendlicher filr die Bewältigung des Übergangs von der Schule in den Beruf' identifiziert. Dabei konstatiert er die zunächst widersprüchlich erscheinende Tatsache, daß einerseits die Arbeitsorientierung bei den befragten Jugendlichen, unabhängig von der regionalen Herkunft und den bildungsmäßigen und sozialen Voraussetzungen, übereinstimmend hoch liegt. Ein sicherer Arbeitsplatz bedeutet filr dreiviertel der Befragten, gleich ob in München oder Duisburg, das wichtigste Moment ihrer Lebensperspektive. Andererseits waren bei allen Befragten nach dem Verlassen der Schule Unsicherheit und Orientierungsmängel bei der konkreten Realisierung des Berufseinstiegs verbreitet. J1 Sie filhlten sich weder durch die Eltern noch durch die Schule auf die Ernstsituation der Berufswahl bzw. des Arbeitslebens vorbereitet. 32 Nur eine Minderheit der befragten Jugendlichen bezeichnete die Eltern als wichtigste Ratgeber und Gesprächspartner. Der Beitrag der Schule zur beruflichen Orientierung wurde von den Jugendlichen derart gering eingeschätzt, daß er in der Untersuchung kaum nachweisbar war. Die Berufsberatung der Arbeitsämter wurde von den Jugendlichen immer dann positiv bewertet, wenn sie einen Ausbildungsplatz vennitteln konnte. Mehr als die Hälfte der befragten Jugendlichen hatte nach Abschluß der Schule noch keine konkrete Berufsentscheidung getroffen, sondern diese mehr oder weniger bewußt auf die Phase der ersten Begegnung mit der Arbeitswelt verschoben. Die außerordentlich unbefriedigende Wirkung der Infonnations- und Beratungsangebote wird von Rademacker darauf zurückgefilhrt, "daß in ihrem Konzept immer noch der weitgehend gelingende Prozeß vorberuflicher Sozialisation über die Herkunftsfamilie und im sozialen Umfeld" vorausgesetzt wird. Dagegen lassen die Befunde nach Rademacker erkennen, "daß bei fast allen Jugendlichen in deutlich verlängerten Übergangsbiographien wesentliche Prozesse II Vgl. auch Raab, Erlch: Differenzierte Wege in den Beruf. Von der NonnaIbiographie bis zur Maßnahrnekarriere. In: Westhoff(Anm. 5), S. 109. J2 Vgl. auch den Beitrag von Preiss (Anm. 6).

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vorberuflicher Sozialisation und beruflicher Orientierung erst nach dem Abschluß der allgemeinbildenden Schule stattfmden". Diese angesichts der realen Ausbildungs- und Beschäftigungssituation überraschende Erkenntnis bzw. Rademackers Hypothese einer "verlängerten Übergangsbiographie" läßt sich auf die Heranwachsenden in den neuen Bundesländern wohl nur mit größten Vorbehalten übertragen. Von einer "Erosion der Normalbiographie" kann hier keine Rede sein, zumindest nicht im Sinne eines freiwilligen Moratoriums. Wie Bertram in ihrem Beitrag auf der Basis der Leipziger Intervallstudie darlegt, hat in den neuen Bundesländern die Mehrzahl der Jugendlichen sehr früh mit der Berufswegplanung begonnen. Von den seit 1985 kontinuierlich befragten Jugendlichen konnten die meisten ihren bereits 1989 geplanten und mit Schulabgang 1990 eingeschlagenen Berufsweg realisieren; wenngleich teilweise mit Umwegen und Brüchen. Unsicherheiten und Desorientierung bzw. Hilflosigkeit traten zumeist durch unfreiwillige Ausbildungsabbrüche auf, von denen rund 29 Prozent der Kohorte betroffen war. Einige traf es sogar mehrmals. Im Unterschied zur westdeutschen Situation überwogen bei den LehrabbTÜchen nicht private, sondern strukturelle Gründe. Zumeist handelt es sich um Firrnenkonkurse. Obwohl es gelungen ist, fast allen vom Abbruch betroffenen Jugendlichen andere Ausbildungsmöglichkeiten zu bieten, hat - wie Bertram feststellt - ein Teil der Jugendlichen durch die Umbruchsituation "nachhaltig gelitten". Demgegenüber hat die Mehrheit der Jugendlichen trotz der Mängel die Umbruchsituation offenbar "gut verarbeitet". Für die meisten war der Lehrabbruch ein beruflicher Umstieg. 60 Prozent (1995) der vom Abbruch Betroffenen vermochten diesem zunächst einschneidenden Lebensereignis sogar eine positive Wendung zu geben: sie schätzten ihn tUr ihre persönliche Biographie positiv ein. Nur 17 Prozent empfanden den Abbruch ihrer Ausbildung nachträglich als negativ. Vergleicht man die empirischen Befunde aus den alten und neuen Bundesländern, so lassen sich über die Unterschiede hinaus doch einige Gemeinsamkeiten festhalten: Die Jugendlichen in beiden Teilen Deutschlands haben eine hohe Arbeits- und Berufsmotivation. Berufliche Ausbildung, Berufstätigkeit und berufliche Entwicklung spielen in ihrem Lebensplan und Interessenhorizont nicht nur eine, sondern die zentrale Rolle. 33 Dementsprechend groß ist die Angst vor

II Laut IBM-Jugendstudie 1995 bezeichneten im Mai/Juni 1995 78 Prozent von 2.402 befragten Jugendlichen zwischen 14 und 24 Jahren die Situation auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt als größtes Problem, an zweiter Stelle folgte mit 67 Prozent die Umweltzerstörung. Zit. nach Helwig

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drohender Arbeitslosigkeit, bei den Mädchen und jungen Frauen in den neuen Bundesländern offensichtlich noch höher, obwohl sie weniger fachliche Leistungsprobleme haben. Nicht zuletzt überwiegt bei der Mehrzahl der Jugendlichen eine optimistische Grundhaltung, die Hoffuung auf Ausbildung und Beschäftigung, auch dort, wo diese in offensichtlicher Diskrepanz zur realen Arbeitsmarktsituation und -perspektive steht.

v Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarktlage und Lehrstellenangebot als Rahmenbedingungen der Übergangsproblematik entziehen sich der pädagogischadministrativen Einflußnahme. Dennoch bleibt zu fragen, welche Ansatzpunkte und Möglichkeiten filr die Schule, Berufsberatung und berufliche Ausbildung denkbar und vielleicht realisierbar sind, um den Übergangsprozeß zu optimieren, die Jugendlichen frühzeitig und effektiv auf die sich einstellenden Schwierigkeiten vorzubereiten und sie vor Desillusionierung, Frustration und Resignation - mit den entsprechenden politischen Implikationen! - zu bewahren. Gibt es bereits entsprechende Überlegungen, wie sehen sie aus und wo liegen ihre Grenzen? Können die Erfahrungen mit dem polytechnischen Unterricht in der ehemaligen DDR dazu Hilfen geben, oder sind Schule und Berufsberatung angesichts der sich tendenziell noch zuspitzenden Situation nicht hoffuungslos überfordert? Wie Rolf Oberliesen in seinem Beitrag ausfilhrt, hat sich die deutsche Schule seit jeher schwer getan, "arbeitsbezogene technische und ökonomische Inhalte als notwendige Allgemeinbildung anzuerkennen". Eine Thematisierung berufsbezogener Inhalte erfolgt in der Mehrzahl der Bundesländer lediglich im Rahmen des Faches Arbeitslehre bzw. entsprechender Fächer an Haupt- und Sonderschulen. Eine inhaltlich-kritische Auseinandersetzung mit den Konzepten, Erfahrungen und Traditionen der polytechnischen Bildung der DDR hat dagegen bisher noch nicht stattgefunden. Gerade in den neuen Bundesländern weisen die Lehrpläne eine deutlich schwächere berufspädagogische Ausprägung auf, indem sie allenfalls Aspekte einer individuellen Berufswegplanung im Zusammenhang mit wirtschaftlichen Themengebieten thematisieren. Oberliesens zentraler These, die gegenwärtige Schule kranke "an ihrer Isolation gegenüber den zentralen Feldern gesellschaftlicher Praxis", wird man zustimmen können, wenngleich zu fragen ist, ob diese Isolation letztendlich nicht pädagogisch gewollt und ein konstitutives Merkmal von Schule34 generell ist. Dennoch ist die Forderung sicher richtig, die Schule durch "Lemortverbindungen" mit verschie(Anrn. 19), S. 1125. Vgl. auch: Schweikert, Klaus: Jugend und Berufsausbildung in den neuen Bundesländern. In: Berufsausbildung in Wissenschaft und Praxis, 22 (1993) 3, S. 17-22. 34 Vgl. dazu ausfllhrlich: Hentig, Harmut von: Die Schule neu denken. München, Wien 1993.

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denen Orten gesellschaftlicher Praxis zu öffiten und sich an verschiedenen Fonnen von Arbeit zu orientieren. Oberliesen geht jedoch noch einen Schritt weiter, wenn er fordert, daß "die Orientierung an einem Beruf ... keine Leitfunktion mehr ftir den Zugang der Heranwachsenden in die Arbeitswelt" sein dürfe. "Ein Modell von Berufsorientierung, das sich unreflektiert auf einen linearen Aufstieg in einem Beruf orientiert und den Beruf als das zentrale bestimmende Lebenskonzept zu vermitteln sucht, geht an der Realität der Berufs- und Arbeitswelt vorbei." Nach Oberliesen sind die Heranwachsenden "vielmehr in die Lage zu versetzen, umfangreiche Einsichten und Erfahrungen über die komplexen Strukturen moderner Produktions- und Dienstleistungssysteme zu erwerben". Ob der Verzicht auf die Idee des Berufes, zumindest als eines regulativen Prinzips, aus pädagogischer Sicht sinnvoll und möglich ist, müßte heute wohl noch einmal gründlich diskutiert werden. Eduard Spranger15 hatte diese Frage bereits Anfang der 50er Jahre mit Vertretern der Wirtschaft tiefschürfend und durchaus kontrovers erörtert. Ebenfalls zu prüfen wäre, ob die von Oberliesen geforderte "Berufsorientierung im Zusammenhang mit subjektbezogenen Konkretisierungen" nicht Gefahr läuft, auf die Vennittlung von Kenntnissen über "modeme Produktions- und Dienstleistungssysteme" reduziert zu werden, damit die Komplexität des Entscheidungsvorgangs verfehlt und auf ein einseitig kognitionstheoretisches Berufswahlmodell zurückfällt. 36 Auf die fast unlösbaren Probleme, mit denen es die Berufsberatung der Arbeitsämter bzw. der Bundesanstalt ftir Arbeit insbesondere in den neuen Bundesländern zu tun hat, weist I1se Kuhlmann in ihrem Beitrag aus der Sicht der fur die Berufsberatung zuständigen Abteilungsleiterin beim Landesarbeitsamt Sachsen-Anhalt! Thüringen hin. Auf der einen Seite ging es um den völligen personellen und institutionellen Neuaufbau der Berufsberatung und um die starke Nachfrage nach einer Einzelberatung von Schülern und Schülerinnen "ganzer Entlaßjahrgänge". Auf der anderen Seite stand das völlig unzureichende Angebot an Ausbildungsplätzen mit weiter abnehmender Tendenz: Nur zwei Drittel (65,6 Prozent) aller Bewerber mündeten im Jahre 1995 in die duale Berufsausbildung ein, in eine betriebliche Ausbildung nur 54,4 Prozent. Das heißt, ein Drittel der Schulabsolventen mußte sich anders orientieren. J5 Vgl. Spranger, Eduard: Umbildungen im Berufsleben und in der Berufserziehung. In: Röhrs, H. (Hrsg.): Die Bildungsfrage in der modemen Arbeitswelt. Frankfurt/M. 1963, S. 181-190. 36 Vgl. Schäfer, Hans-Peter: Berufswahlvorbereitung durch die Schule? Konzeptionen und Modelle in der Bundesrepublik Deutschland und in der Deutschen Demokratischen Republik. In: Baske, S. (Hrsg.): Bildungsreformen in der Bunderepublik Deutschland und in der Deutschen Demokratischen Republik. Schriftenreihe der Gesellschaft tlir Deutschlandforschung, Bd. 3. Heidelberg 1981, S. 99-\34.

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Mit Hilfe der am 22. September 1995 vom Bund und einigen ostdeutschen Ländern vereinbarten "Gemeinschaftsinitiative Ost 1995" (GI-Ost 1995) gelang es, zusätzliche außerbetriebliche Ausbildungsplätze zur Verfilgung zu stellen. Davon wurden fast 80 Prozent von Mädchen und jungen Frauen besetzt und damit der Gefahr ihrer Abdrängung aus der dualen Ausbildung entgegengewirkt. Für viertausend benachteiligte und beeinträchtigte Jugendliche bedeutete die nach § 40c (2) AFG vorgesehene Vermittlung in eine außerbetriebliche Ausbildung in Verbindung mit einem sozialpädagogischen Betreuungskonzept die einzige Chance, überhaupt eine berufsvorbereitende Ausbildung bzw. Berufsausbildung zu erhalten. Ist die außer- bzw. überbetriebliche Berufsausbildung nach § 40c AFG wirklich eine Chance filr den Übergang in die Arbeitswelt oder doch nur eine Illusion? Hans-JÜTgen Fuchs, Geschäftsfilhrer der Sörnziger Weiterbildungsakademie Sachsen GmbH geht dieser Frage in seinem Beitrag nach. Angesichts der bereits referierten, deutlich geringeren Vermittlungschancen nach Abschluß der AusbilIdung in die Beschäftigung - an der zweiten Schwelle -liegt die Vermutung nahe, daß es sich eher um einen Irrweg handelt und wohl kaum um eine echte Alternative zum dualen betrieblichen Ausbildungssystem. Die Befilrchtung, die außerbetriebliche Ausbildung würde das duale System einmal ablösen können, scheint trotz ihres hohen Marktanteils in den neuen Bundesländern doch wohl überzogen. Wie Fuchs am Beispiel der Sörnziger Weiterbildungsakademie darlegt, kann die außerbetriebliche gegenüber der betrieblichen Ausbildung nicht nur gleichwertig, sondern sogar höherwertig sein. Die Jugendlichen filhlten sich nicht diskriminiert, eine Ausbildung zu absolvieren, sondern sogar gegenüber den betrieblich Ausgebildeten bevorzugt. Durch eine enge Kooperation mit Ausbildungsbetrieben und durch hohe betriebliche Praxisanteile könne der strukturelle Mangel der Praxisnahe durchaus kompensiert werden. Mit Stolz verweist Fuchs daher auf eine durchschnittliche Vermittlungsquote von 77,8 Prozent bei den im Sommer 1995 Ausgebildeten. Ohne das bewährte System der dualen Ausbildung in Frage zu stellen, hält Fuchs die überbetriebliche Ausbildung filr eine reale Chance fUr einen immer größer werdenden Kreis von Jugendlichen. Sie sei zugleich Ausdruck sozialer Verantwortung des Staates gegenüber der heranwachsenden Generation. Wenngleich ihre zukünftige Existenz in Sachsen durch die "Gemeinschaftsinitiative Sachsen 1995" in Gefahr gerate, so empfiehlt Fuchs doch, bundesweit über ein "triales System" der beruflichen Erstausbildung nachzudenken, das heißt über eine Verzahnung von schulischer, betrieblicher und außerbetrieblicher Ausbildung im Sinne einer Verbundausbildung.

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VI. Schule, Berufsberatung und außerbetriebliche Ausbildung werden die gegenwärtig schwierige Situation beim Übergang von der Schule in die Arbeitswelt bestenfalls entschärfen, keinesfalls jedoch lösen können. Politik und Wirtschaft bleiben gefordert, neue Rahmenbedingungen zu schaffen, soll nicht das Vertrauen der heranwachsenden Generation in das tradierte System der Berufsausbildung und darüber hinaus in die Fähigkeit von Politik und Wirtschaft zu Innovationen bzw. Reformen in Frage gestellt werden. Bereits jetzt zeichnet sich die Tendenz einer Erosion und Marginalisierung des dualen Systems ab: - Der Marktwert der beruflichen Erstausbildung nimmt, wie die Situation an der zweiten Schwelle zeigt, erkennbar ab. - Laut Beschäftigungsstatistik (1991) sind 20 Prozent der Männer und 42 Prozent der Frauen unterhalb ihres Qualiftkationsniveaus auf NichtfacharbeitersteIlen beschäftigt.37 - Ohne eine zusätzliche Qualiftzierung bzw. aufbauende Ausbildung wird es in vielen Facharbeiterberufen künftig schwerer werden, eine Beschäftigung zu fmden. 38 - Außer- bzw. überbetriebliche Ausbildungszentren entwickeln tragfähige Alternativen zur dualen betrieblichen Ausbildung. - Infolge eines kontinuierlich angestiegenen Bildungsniveaus und entsprechend höherer Schulabschlüsse entscheiden sich immer mehr Jugendliche rur eine Hochschul- bzw. Fachhochschulausbildung anstelle einer betrieblichen Ausbildung. 39 - Seit Jahren sind die Eignungsvoraussetzungen bei Auszubildenden rückläuftg bei gleichzeitigem Anstieg des Durchschnittsalters. Der dualen Ausbildung verbleibt zunehmend nur der "untere Rest"40 der jugendlichen Population mit überproportionalen Anteilen an Hauptschul- und Sonderschulabgängern. Ob diese Erosions- und Marginalisierungsprozesse des dualen Systems noch aufzuhalten bzw. zu revidieren sind, erscheint angesichts der Unwilligkeit oder Unfähigkeit von Politik und Wirtschaft zu wirklich durchgreifenden Reformen in Richtung der Sicherung der Ausbildungs- und Beschäftigungschancen rur alle Vgl. Schober (Anm. 30). Vgl. Pahl, Veronika: Berufsausbildung - und das war's? In: Westhotf(Anm. 5), S. 339f. 39 Vgl. Schäfer, Hans-Peter: Wege in die Zukunft? Entwicklungstendenzen der Berufsbildung in Deutschland, Schweden und in der Tschechischen Republik. In: Bandau, S. u.a. (Hrsg.): Schule und Erziehungswissenschaft im Umbruch. Köln, Weimar, Wien 1996, S. 220-236. 40 Hamey, K./Zymek, B.: Allgemeinbildung und Berufsbildung. Zwei konkurrierende Konzepte der Systembildung in der deutschen Bildungsgeschichte und ihre aktuelle Krise. In: Zeitschrift filr Pädagogik, 40 (1994) 3, S. 405-422. 37

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Heranwachsenden fraglich. Damit würde sich allerdings nicht nur die Übergangsproblematik von der Schule in die Arbeitswelt in bisher unvorstellbarer Weise zuspitzen, sondern auch die bewährte Form beruflicher Bildung in Gefahr geraten. Die von Bundesregierung und Tarifpartnern unisono beschworene These von der "Überlegenheit des deutschen dualen Systems im internationalen Maßstab" könnte sich als eine gefilhrliche Selbsttäuschung erweisen.

Angela Rauch

DER ÜBERGANG VON DER SCHULE IN DEN BERUF IN DEN NEUEN BUNDESLÄNDERN - EINE LAGEBESCHREIBUNG Sowohl der Einstieg an der ersten Schwelle - in die Ausbildung - als auch der Eintritt in den Arbeitsmarkt gestaltet sich rur Jugendliche in den neuen Bundesländern schwierig. Ursachen dieser Entwicklung sind und waren sowohl Konjunkturschwankungen, Stellenabbau in Unternehmen im Zuge von Rationalisierungsmaßnahmen und die damit verbundene rückläufige Ausbildungsbereitschaft der Betriebe als auch die starke Zunahme der Nachfrage von Jugendlichen nach einer Ausbildung im dualen System bzw. die starke Zunahme der Absolventen/innenzahlen.

1. Die Situation aufdem Ausbildungsstel/enmarkt Die Zahl der Bewerberinnen und Bewerber rur Ausbildungsstellen ist in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen und überschritt 1995 mit über 191.000 die 1994 prognostizierte Zahl von 180.000. Damit gibt es 1995 12 Prozent mehr Lehrstellensuchende als im Vorjahr. Im gleichen Zeitraum stieg das Angebot an betrieblichen AusbildungsteIlen um nur 6 Prozent auf etwas über 93.000 an, womit filr 100 Bewerberinnen und Bewerber 49 betriebliche Ausbildungsplätze zur Verfllgung standen, im Vergleich zu 51 im Ausbildungsjahr 1993/94. Von den 191.692 Jugendlichen, die sich im Berichtsjahr 1994/95 bei den Arbeitsämtern in den neuen Ländern um eine Lehrstelle bewarben, waren 48 Prozent junge Männer und 52 Prozent junge Frauen. Etwas über die Hälfte mündete in eine Berufsausbildung ein, darunter waren allerdings nur 46 Prozent Mädchen. 15 Prozent der Jugendlichen besuchten weiterhin die Schule (ohne Berufsgrundschul-/grundbildungsjahr, Berufsvorbereitendes Jahr), allerdings überwiegend junge Frauen. Über 20.000 Jugendliche mündeten in eine Berufsausbildung in über- bzw. außerbetriebliche Einrichtungen gemäß § 40c 4 und der GI-OSt 1994 und 1995 ein, wobei junge Frauen knapp in der Mehrzahl waren.

Steigendes Interesse Jugendlicher an einer Ausbildung im dualen System Die schon angesprochene weiterhin steigende Nachfrage von Jugendlichen nach Lehrstellen hat mehrere Ursachen. Diese sind in der demographischen Entwicklung zu suchen, aber auch in der "Altnachfrage" derjenigen Jugend-

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lichen, die in den vergangenen Jahren keinen Ausbildungsplatz erhielten. Zudem ist ein erhöhtes Interesse Jugendlicher an einer Ausbildung im dualen System festzustellen. Insbesondere die demographische Entwicklung (geburtenstarke Jahrgänge kommen ins ausbildungsfähige Alter; der Geburtenrückgang wird sich erst nach 2010 auswirken) signalisiert, daß es erst um die Jahrtausendwende zu einem Rückgang der ausbildungsrelevanten Jahrgänge kommen dürfte. Noch weit mehr als in den alten Ländern spielt auch hier die weiter zunehmende Altnachfrage eine Rollei. Von den Ausbildungsinteressentenlinnen 1994 haben sich - laut Arbeitsmarkt-Monitor, Zusatzerhebung Ausbildung, November 19942 - rund 21 Prozent in den Vorjahren schon einmal vergeblich um eine Lehrstelle bemüht, woraufhin etwa ein Drittel der Jugendlichen zwischenzeitlich eine berufliche Vollzeitschule bzw. Berufsvorbereitungsmaßnahme besuchte. Schüler/innen mit mittlerem Abschluß stellen hier, gefolgt von Jugendlichen mit Hochschulreife, die größte Gruppe. Ausbildungsbereitschaft von Betrieben

Der Trend eines rückläufigen Ausbildungsengagements von Betrieben und Verwaltungen dürfte sich sowohl laut einer Befragung des lAB von betrieblichen Ausbildungsexperten als auch laut einer Untersuchung des BiBB fortsetzen. 3 Nach einer 1993 - allerdings nur in den alten Bundesländern - durchgefUhrten Expertenbefragung planten nur 9 Prozent der Betriebe, ihr Ausbildungsengagement in den nächsten drei Jahren zu verstärken, 17 Prozent beabsichtigten eine Reduzierung und etwas über die Hälfte eine Beibehaltung. Beibehalten wollten tendenziell eher die Freien Berufe ihre Ausbildungsabsichten, während der Öffentliche Dienst ebenso wie Großbetriebe und Betriebe aus dem Bereich der Industrie- und Handelskammern diese eher einschränken wollten. Die Vermutung, daß eine mangelnde Anzahl geeigneter Bewerber/innen der Grund filr die Reduzierung der Ausbildungskapazitäten ist, wird durch die Untersuchung nicht belegt. Vielmehr tendieren gerade die Betriebe, denen ein

1 Vgl. lAB-Kurzbericht Nr. 3/1995, Neue Bundesländer: Ausbildungsstellenmarkt noch nicht im Gleichgewicht. 2 Ebenda. l Vgl. hier und im folgenden: Rauch, A.: Ausbildung und berufliche Eingliederung Jugendlicher in den neuen Ländern unter Betrachtung der spezifischen Probleme junger Frauen. In: Liesering, S./Rauch, A.: Qualifikations- und Beschllftigungsstrukturen sowie Erwerbsverläufe von Frauen. 2. Zwischenbericht fiIr das BMBF, 1995, unveröffentlichtes Manuskript.

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vergleichsweise breiteres Angebot an geeigneten Bewerbern/innen zur Verftlgung steht, dazu, ihre Ausbildungsleistung zu reduzieren. Die Expertenbefragung 1993 des lAB wurde nur in den alten Bundesländern durchgefiihrt. Nachdem eine vom BiBB im Frühjahr 1995 in den alten und neuen Bundesländern durchgefiihrte Befragung zu einem ähnlichen Ergebnis kommt, ist anzunehmen, daß die Aussagen der Experten - zumindest in Teilen - auch auf die neuen Bundesländer übertragbar sind. Auch in der Studie des BiBB planen mehr Betriebe in den nächsten drei Jahren ihre Ausbildung eher einzuschränken als auszubauen. 4 Bei den kaufmännischen Berufen wollen 20 Prozent weniger und nur 8 Prozent mehr ausbilden. Berufe im gewerblich-technischen Bereich sind etwas weniger betroffen, bei allen anderen Berufen ist sogar eine Reduzierung der Ausbildungskapazitäten von 24 Prozent geplant. Die am häufigsten genannten Gründe sind "kein Bedarf an neu ausgebildeten Fachkräften" Geder dritte Betrieb) sowie "keine geeigneten Bewerber/innen" Geder filnfte Betrieb). 31 Prozent geben an, daß ihnen die "Ausbildung zu teuer" sei. Laut der Befragung haben die wenigsten Betriebe eine Fachkräfteplanung, die über eineinhalb Jahre hinausgeht. Ob die Argumentation "kein Bedarf an Fachkräften innerhalb der nächsten drei Jahre" somit stichhaltig ist, ist zumindest in Frage zu stellen. Ebenso gilt dies für die Aspekte der Kosten einer Ausbildung. Denn auch was diese betrifft, wurde inzwischen in Großbetrieben der Nachweis erbracht, daß sich auch Ausbildung für Betriebe mit hohem Kostenaufwand rechnet (geringere Gefahr von Fehlrekrutierungen von Fachkräften, keine aufwendigen Stellenbesetzungsverfahren, Aufwertung des Prestiges des Betriebes etcV Zudem ist zu berücksichtigen, daß sich im Bereich der quantitativen Verteilung der Ausbildungsplatzkapazitäten auf einzelne Sektoren in den letzten Jahren wenig gewandelt hat. 1992 wurden im gewerblich-technischen Bereich 52 Prozent aller Lehrlinge ausgebildet, 1973 waren es 55 Prozent. Im kaufmännischen Dienstleistungsbereich wuchs die Ausbildungsleistung in diesem Zeitraum von 45 Prozent auf 48 Prozent, die Zahl der Beschäftigten erhöhte sich gleichzeitig allerdings um 9 Prozent. Hier wäre eine Erhöhung der Ausbildungskapazitäten sicherlich eine Entlastung für den Ausbildungsstellenmarkt, da auch immer mehr Jugendliche eine Ausbildung im Dienstleistungssektor anstreben - der nach allen

• Vgl. hier und im folgenden: BiBB-Pressemitteilung - Bundesinstitut filr Berufsbildung v. 3.8.1995. BerlinIBoM. S Bardeleben, R.v.: Kosten und Nutzen der betrieblichen Berufsausbildung. In: Liesering, S.lSchober, Klressaring, M.: Die Zukunft der dualen Berufsausbildung. BeitrAB 186.

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vorliegenden Projektionen auch weiterhin beträchtliche Beschäftigungszuwächse erwarten läßt. 6 Pendeln in die alten Bundesländer

Eine von vielen Jugendlichen genutzte Möglichkeit, ihre Ausbildungswünsche trotz der Lehrstellenengpässe zu realisieren, war eine Lehrstelle in den alten Bundesländern zu suchen. 7 1993 pendelten etwa 13 .300 Jugendliche (Hochrechnung aus dem Arbeitsmarkt-Monitor, Zusatzerhebung Ausbildung, November 19948) in die alten LänderlWestberlin. Die Bereitschaft zur Mobilität und die Zahl der tatsächlich pendelnden Jugendlichen blieb in den letzten Jahren in etwa konstant, wobei junge Frauen mit einem Anteil von 46 Prozent (im Vergleich zu 35 Prozent junger Männer) überrepräsentiert sind. Vor dem Hintergrund der nach Geschlecht unterschiedlichen Ausbildungschancen deutet dies weniger auf eine an sich höhere Mobilitätsbereitschaft der jungen Frauen hin, sondern vielmehr auf die Notwendigkeit, auf eine Lehrstelle im Westen ausweichen zu müssen. Ausgleichfehlender Ausbildungsplätze durch staatliche Förderung

Um die quantitativen und strukturellen Engpässe am Ausbildungsstellenmarkt der neuen Länder auszugleichen, wurde - befristet bis zum Ausbildungsjahr 1992/93 - die Förderung nach § 40c Absatz 4 AFG (Arbeitsilirderungsgesetz) filr sogenannte "marktbenachteiligte" Ausbildungsplatzbewerber/innen ermöglicht. Ab 1993 erfolgte ein Ausgleich dieses Defizits durch ein gemeinschaftliches BundlLänder Programm zur Finanzierung zusätzlicher außerbetrieblicher Ausbildungsplätze (Gemeinschafts initiative-Ost). Damit sollte vor allem die Benachteiligung junger Frauen auf dem Arbeitsmarkt (primär in den Dienstleistungsberufen) behoben werden. Das Programm stellte 1993 10.000 und 1994 weitere 14.000 zusätzliche Ausbildungsplätze bereit. Gut 70 Prozent der Stellen entfielen auf Dienstleistungsberufe; der Frauenanteil in den Maßnahmen liegt ebenfalls bei gut 70 Prozent. Auch 1995 stehen wieder 14.500 außerbetriebliche Ausbildungsplätze zur Verftlgung. 2. Die Situation aufdem Arbeitsmarkt

Im Gefolge der Rezession 1992/93 kam es zu einer Verschlankung der Unternehmen. Diese sowie Personalabbau und Kostendruck filhrten und filhren 6 Vgl. Pannentier, K./Schober, K.rressaring, M.: Zur Lage der dualen Berufsausbildung in Deutschland. Neuere empirische Ergebnisse aus dem IAB. In: Liesering u.a. (Anm. 5). 7 Vgl. hier und im folgenden: IAB-Kurzbericht 3/95 (Anm. I). I Ebenda.

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vennehrt dazu, daß ausgebildete junge Fachkräfte nicht übernommen und auch nicht in anderen Betrieben eingestellt werden können. Für die Betroffenen fUhrt dies häufig zu Berufswechsel, Entwertung erworbener Qualifikationen, geringerer Entlohnung und instabilem Erwerbsverlauf. Für Unternehmen könnte dies langfristig Fachkräftemangel und die Abnahme der Attraktivität der dualen Berufsausbildung zur Folge haben. Arbeitslosigkeit nach der Lehre

In Ostdeutschland betrug 1994 die Zahl der Arbeitslosmeldungen junger Fachkräfte im Anschluß an eine Lehre nach dem BBiG etwa 30.000 - ein Zuwachs gegenüber 1993 um rd. 50 Prozent. 9 Besonders betroffen von der schwierigen Situation· an der zweiten Schwelle sind Jugendliche, die außerbetrieblich ausgebildet wurden. Das zeigt sich bei einem Vergleich einer lAB-Studie über außerbetrieblich Ausgebildete mit Ergebnissen aus dem Arbeitsmarkt-Monitor, Zusatzerhebung Ausbildung, November 1994. Von den außerbetrieblich Ausgebildeten (1993) waren im Herbst 1994 knapp 40 Prozent erwerbstätig, von den Befragten aus dem Monitor (mit zum Großteil betrieblicher Ausbildung) knapp 70 Prozent, und 13 Prozent im Vergleich zu nur 4 Prozent machten eine weitere Aus-lFortbildung. Übernahme und Nichtübernahme der Lehrabsolventenlinnen durch die Betriebe hielten sich 1994 (laut Arbeitsmarkt-Monitor) die Waage. 45 Prozent der Jugendlichen wurden weiterbeschäftigt, 46 Prozent nicht. Der Grund fUr die Nichtübernahme wird von den Betroffenen ganz überwiegend in betrieblichen Aspekten gesehen. Rd. 40 Prozent aller Ausgebildeten waren unmittelbar nach der Lehre arbeitslos. Bis zum November 1994 reduzierte sich dieser Anteil auf 15 Prozent. 10 Ausbildung in einer überbetrieblichenIl Einrichtung: Zum Verbleib danach

Der über- bzw. außerbetrieblichen Ausbildung kommt in den neuen Bundesländern aufgrund des anhaltenden Lehrstellendefizits nach wie vor ein bedeutender Stellenwert zu. 1993 befanden sich ca. 50.000 Jugendliche, also jede(r) sechste Auszubildende in einer solchen Maßnahme. Diese Maßnahmen sollen nicht nur den Ausbildungsmarkt quantitativ entlasten, sondern auch strukturelle und regionale Ungleichheiten sowie den Mangel an 9 10

Vgl. IAB-Kurzbericht Nr. 5/1995, Keine Entwarnung an der zweiten Schwelle. Vgl. IAB-Kurzbericht 3/95 (Anm. I).

11 Die Begriffe ober- und außerbetrieblich werden hier synonym verwendet. Gemeint ist die Berufs- ausbildung, die mangels betrieblicher Ausbildungsplätze in Ober- oder außerbetrieblichen Einrichtungen durchgeftlhrt wird/wurde, und nach § 40c Absatz 2 und 4 AFG oder den Sonderprogrammen der Gemeinschaftsinitiative-Ost finanziert wird.

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Ausbildungsstellen im Dienstleistungssektor und im kaufmännischen Bereich vennindem. Außerdem sollen sie einer weiteren Verdrängung junger Frauen aus der betrieblichen Ausbildung entgegenwirken. Die folgenden Ergebnisse stammen aus einer Studie des Instituts filr Arbeitsmarkt- und Berufsforschung zum Ausbildungsverlauf und zur beruflichen Eingliederung Jugendlicher nach einer Ausbildung in einer überbetrieblichen Einrichtung 12 • 87 Prozent der befragten Auszubildenden, die sich im Frühjahr 1993 in einer außerbetrieblichen Ausbildung befanden, besuchten eine nach § 40c Abs. 4 geförderte Maßnahme filr "Marktbenachteiligte". Ein Drittel davon konnte oder wollte die - oft schon zu DDR-Zeiten begonnene - Lehre nicht beenden, waren sogenannte "Konkurslehrlinge" und/oder andere Ausbildungswechsler. \3 Obwohl "außerbetrieblich" genannt und fmanziert, wurde de facto mehr als ein Drittel dieser Maßnahmen in und von Betrieben durchgefilhrt. Von den insgesamt 71 Ausbildungsberufen, in denen die in der Studie berücksichtigten Jugendlichen ausgebildet wurden, lernte die Hälfte der Jugendlichen in nur 6 Berufen: Maurer, Köche, Tischler, Einzelhandelskaufleute, Bürofachkräfte und Hauswirtschafterinnen, mit eindeutiger geschlechtsspezifischer Konzentration der Jungen auf die ersten drei, der Mädchen auf die zuletzt genannten Berufe. Jugendliche in außerbetrieblichen Maßnahmen müssen offenbar häufiger als Auszubildende mit einem betrieblichen Ausbildungsverhältnis Abstriche von ihren Berufswünschen machen. Zwei Drittel der Jugendlichen hat diese Ausbildung begonnen, weil sie überhaupt keine Lehrstelle oder keine im gewünschten Beruf bekamen. Der erlernte Ausbildungsberuf entsprach bei 66 Prozent nur teilweise oder auch gar nicht den Vorstellungen der Jugendlichen. Das sind deutlich mehr als unter betrieblichen Lehrlingen, von denen 45 Prozent nach eigenen Aussagen nicht ihren Wunschberuf erlernen. 14 Trotzdem ist die überwiegende Mehrzahl sowohl während der Maßnahme als auch ein bis eineinhalb Jahre nach Abschluß der Lehre zufrieden mit der 12 lAB-Projekt 4-441: "Ausbildungsverlauf und berufliche Integration von Auszubildenden einer Berufsausbildung in einer Uberbetrieblichen Einrichtung (BUE) nach § 40c AFG in den neuen Ländern." Basis der Untersuchung ist eine repräsentative Stichprobe von außerbetriebIichen Ausbildungsmaßnahmen nach § 40c AFG in den neuen Ländern. Befragt wurden 1993 alle Jugendlichen in diesen Maßnahmen sowie Vertreter/innen der Ausbildungseinrichtungen, 1994 die Absolventen/innen des Prilfungsjahrganges 1993, 1994 die Absolventen/innen des Prüfungsjahrganges 1994 und alle anderen, noch in der Ausbildung befindlichen. Eine weitere Erhebung findet im November 1995 statt. 13 Vgl. hier und im folgenden: IAB-Kurzbericht Nr. 8/1995, Außerbetriebliche Berufsausbildung in den neuen Bundesländern: Gute Noten trotz schwieriger Arbeitsmarktlage. I~ IAB-Arbeitsmarkt-Monitor ftlr die neuen Bundesländer, Zusatzerhebung Ausbildung, Nov. 1993.

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Ausbildung, sowohl insgesamt als auch mit einzelnen Teilaspekten wie fachtheoretischem und fachpraktischem Unterricht und der Arbeit im Praktikumsbetrieb. Weniger zufrieden war etwa ein Fünftel aller Auszubildenden - hier vor allem ältere Auszubildende (3./4. Lehrjahr) sowie diejenigen, deren Ausbildungsberufnicht ihren ursprünglichen Vorstellungen entsprach. Betrachtet man den Grad der Zufriedenheit der Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit der Ausbildung in der überbetrieblichen Einrichtung und bedenkt, daß trotzdem 75 Prozent unter bestimmten Umständen in eine betriebliche Ausbildung wechseln würden (wobei mehr Männer als Frauen einen Betriebswechsel erwägten), deutet sich an, daß die genannte Wechselbereitschaft nicht etwa aufUnzufriedenheit mit der Lehre in der überbetrieblichen Einrichtung zurückzuruhren ist, sondern vermutlich dadurch zu erklären ist, daß sie sich bei einem Wechsel in einen Betrieb bessere Übernahmechancen nach der Lehre ausrechnen. Im Laufe der Ausbildung werden sich Jugendliche zunehmend der künftigen Arbeitsmarktprobleme bewußt. Nur 43 Prozent der Auszubildenden, die kurz vor der Prüfung stehen, rechnen sich gute Chancen aus, eine Arbeitsstelle zu bekommen, im ersten Ausbildungsjahr sind dies immerhin noch drei Viertel aller Auszubildenden. Berufliche Integration

Die skeptischen Einschätzungen über den beruflichen Verbleib der Absolventinnen werden durch die Daten bestätigt. Nur 44 Prozent der Jugendlichen, die 1993 ihre Ausbildung erfolgreich beendeten, waren ein bis eineinhalb Jahre später erwerbstätig, 24 Prozent noch oder wieder arbeitslos. Unterschiede zwischen Jugendlichen, die außerbetrieblich ausgebildet wurden oder ihre Lehre in einem Betrieb absolvierten, zeigen sich nicht. Jugendliche mit betrieblicher Ausbildung waren zu 28 Prozent noch oder wieder arbeitslos und zu 42 Prozent erwerbstätig 15. Während es keine geschlechtsspezifischen Unterschiede bei der Arbeitsaufnahme oder bei der Aufuahme einer weiteren Ausbildung gibt, zeigen sich hingegen bei der Arbeitslosigkeit große Unterschiede. Mit 35 Prozent ist der Arbeitslosenanteil unter den jungen Frauen dreimal so hoch wie bei den männlichen Absolventen. Von diesen waren im Sommer 1994 knapp 30 Prozent bei der Bundeswehr oder im Zivildienst. Im Hinblick auf die Übergangsprobleme nach der Lehre hat der ohnehin anstehende Wehr- oder Zivildienst rur viele junge Männer auch aufschiebende Wirkung.

15 Zu ähnlichen Ergebnissen komm~ eine Verbleibsuntersuchung des BiBB rur die Absolventennjahrg!lnge 1992 und 1993. Vgl. Ulrich, 1. G./Westhoff, G.: Die Ausbildung absolviert, den Umbruch auch? Zum Verbleib junger Fachkräfte aus den neuen Bundesl!lndem. In: BWPBerufsbildung in Wissenschaft und Praxis, 23, 1994,4.

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Bei den Jugendlichen, die 1994 ihre Ausbildung erfolgreich beendeten, stellt sich der berufliche Verbleib aufgrund des kurzen Zeitraumes zwischen Prüfung und Befragung (drei bis neun Monate) noch ungünstiger dar. Lediglich 37 Prozent sind bis zu diesem Zeitpunkt in ein Arbeitsverhältnis eingemündet, 13 Prozent haben eine weitere Aus-lWeiterbildung begonnen, und 40 Prozent sind nach eigenen Angaben arbeitslos. Die erheblichen Unterschiede in der beruflichen Integration von Männem und Frauen zu diesem Zeitpunkt sind z.T. auch auf die unterschiedlich langen Zeiträume zwischen Prüfungsterminen und Befragungszeitpunkt zurückzuführen. Auszubildende mit dreieinhalbjähriger Ausbildung - in der Regel junge Männer aus Metall- oder Elektroberufen - beenden die Ausbildung im Januar oder Februar. Die Chancen, bis September einen Arbeitsplatz zu fmden, sind also größer als bei jenen, die die Prüfung erst im Juni/Juli ablegen. Dennoch bleiben, wie die Befragung des 93er Absolventenjahrgangs zeigt, deutliche Unterschiede in den Einmündungschancen junger Frauen und Männer erhalten. 16 Diese sind sowohl der in vielen Frauenberufen ungünstigeren Arbeitsmarktlage zuzuschreiben als auch dem Einstellungsverhalten der Betriebe, die nicht selten - insbesondere in den neuen Bundesländern - männliche Bewerber bevorzugen. 17

Integrationsprob/eme junger Frauen setzten sich an der zweiten Schwelle fort Die Integrationsprobleme von jungen Frauen setzen sich am Ende der Ausbildung fort. Für sie ist es nicht nur problematisch, eine Lehrstelle zu finden, sondern auch danach eine Arbeitsstelle. Kennzeichnend sind geringe Übernahmechancen im Ausbildungsbetrieb sowie fehlende Beschäftigungsmöglichkeiten in anderen Betrieben. 18 Laut Arbeitsmarkt-Monitor wurden 1994 nur 44 Prozent der jungen Frauen von ihrem Lehrbetrieb übernommen, im Vergleich zu 53 Prozent der jungen Männer. Knapp die Hälfte wurde in die Arbeitslosigkeit entlassen. Daraus folgt, daß Mädchen auch nach einer betrieblichen Lehre schlechter als ihre männlichen Kollegen gestellt sind. Eine baldige Besserung der Lage an der zweiten Schwelle ist in den neuen Bundesländern nicht zu erwarten. Grunde liegen einerseits in der immer noch ungünstigen Arbeitsmarktlage, aber auch in den Rationalisierungsmaßnahmen, die durch die "Verschlankung" von Unternehmen zu erheblich vermindertem Personalbedarf führen.

Vgl. Rauch (Anm. 3). Vgl. Wolfinger, c.: Der schwierige Weg ins duale System. Fallstudien zur Ausbildungsbereitschaft ostdeutscher Betriebe. In: MittAB, H. 2, 1993. 11 Vgl. hier und im folgenden: lAB-Kurzbericht 3/95 (Anm. I). 16 17

Gisela Westhoff und Joachim Gerd Ulrich JUNGE FACHKRÄFTE AN DER ZWEITEN SCHWELLE INS ERWERBSLEBEN. DER NUTZEN EINER ABGESCHLOSSENEN BERUFSAUSBILDUNG IN DEN NEUEN BUNDESLÄNDERN In den neuen Bundesländern haben junge Menschen besonders große Schwierigkeiten, nach Abschluß einer beruflichen Ausbildung einen Arbeitsplatz zu fmden. In den vergangenen drei Jahren hat sich die Situation rur junge Ausgebildete aber auch in den alten Bundesländern erheblich verschlechtert. Die strukturelle Krise in der deutschen Industrie und vor allem organisatorische Veränderungen in den Großbetrieben haben in der Folge des wirtschaftlichen Konjunktureinbruchs zu neuen Rationalisierungsmaßnahmen, veränderten Produktions- und Organisationsformen sowie zu einem erheblichen Personalabbau geruhrt. Junge Fachkräfte ohne nennenswerte Berufserfahrungen sind von den Personaleinsparungen besonders betroffen. Ihre Übernahme nach der Ausbildung wird immer weniger selbstverständlich. In jüngster Vergangenheit wurden Modelle und Konzepte entwickelt und praktiziert, deren Ziel es ist, die Übergänge ins Berufsleben rur die Ausbildungsabsolventinnen und -absolventen zu verbessern. Als staatliche Aktivitäten seien hier beispielhaft das Landesprogramm "Beschäftigung und Qualifizierung junger Arbeitsloser nach der Erstausbildung" in Mecklenburg-Vorpommern und die Kooperation verschiedener öffentlicher Institutionen auf Landesebene in Thüringen erwähnt, die besonders benachteiligten jungen Menschen die Eingliederung ins Erwerbsleben erleichtern sollen. Darüber hinaus fordern auch die meisten Tarifverträge des Jahres 1994 erstmalig die Verantwortlichen in den Betrieben auf, in der Frage der Übernahme der Ausgebildeten aktiv zu werden. Betriebliche Vereinbarungen zu Übergangsmodellen wurden insbesondere in größeren Betrieben abgeschlossen. Erste praktische Erfahrungen liegen mittlerweile vor l . I Vgl. hierzu: Mirgel, Sabine: Übernahrnernodell der Bayer AG. Anpassung der Übernahmepraxis an die schwierige Beschäftigungssituation auf dem internen und externen Arbeitsmarkt; Römer, Markus: Übernahmemodelle in der Praxis. Umsetzung des neuen Tarifvertrages rur die Chemische Industrie aus betrieblicher Sicht; Cramer, GUnter: Übergänge an der zweiten Schwelle. Ausbildung als Innovationskraft und Wettbewerbsfllhigkeit der Unternehmen; in: Westhoff, Gisela

3 Schäfer I Sroka

34

Gisela Westhoffund Joachim Gerd Ulrich

Auf der Grundlage eigener empirischer Erhebungen des Bundesinstituts rur Berufsbildung und der Daten aus der Arbeitslosenstatistik der Bundesanstalt rur Arbeit wird im folgenden die Situation von Absolventinnen und Absolventen der Ausbildung im dualen System unter besonderer Berücksichtigung der Lage in den neuen Bundesländern dargestellt. 1. Arbeitslose junge Fachkräfte

Ein eindeutiges positives Erfolgskriterium rur den Übergang von der Ausbildung in den Beruf gibt es nicht. So wird zum Beispiel ein mit dem Übergang verbundener Betriebs- oder Berufswechsel von den Ausbildungsabsolventen sehr unterschiedlich bewertet; in einem Teil der Fälle wird er als das erwünschte Ergebnis individueller Mobilität und Flexibilität interpretiert, während er von einem anderen Teil der jungen Fachkräfte als ein ungewolltes Resultat mit möglicherweise dequaliflZierenden Auswirkungen verstanden wird. Auch ein erneuter Schulbesuch im Anschluß an eine Berufsausbildung kann als eine gezielt angestrebte Weiterbildungsmaßnahme oder aber als ein Lückenbüßer rur eine nicht erreichte Beschäftigung im erlernten Beruf erlebt werden. Die Interpretationen der Forscherinnen und Forscher und der politisch Verantwortlichen fallen ebenso unterschiedlich aus. Dagegen ist die Defmition eines "negativen" Erfolgskriteriums leichter möglich. So deuten zum Beispiel ein allgemeiner Rückgang bei den Übernahmeangeboten von seiten der Ausbildungsbetriebe oder eine Veränderung in der qualitativen Struktur der Angebote hin zu verstärkt befristeten Übernahmen oder Beschäftigungsangeboten im Rahmen von Anlerntätigkeiten auf eine geringer werdende Verwertbarkeit der Erstausbildung hin. Das Ausmaß der Arbeitslosigkeit im Anschluß an die Ausbildung, ihre jeweilige Dauer und deren kurz- und mittelfristige Entwicklung gelten allgemein, vor allem wegen der regelmäßig verfilgbaren statistischen Basis, als wichtige Grundlage zur Einschätzung der aktuellen Lage des Übergangs an der zweiten Schwelle. Unbestritten ist auch, daß diese Indikatoren nicht isoliert von weitergehenden Kriterien betrachtet werden sollten. Sie dienen als Ausgangspunkt, als "Schnellmeldesystem" rur weitergehende Forschung und Analyse. In diesem Sinne sollen sie auch hier eingesetzt werden.

(Hrsg.): Übergänge von der Ausbildung in den Beruf. Die Situation an der zweiten Schwelle in der Mitte der neunziger Jahre (Tagungen und Expertengesprllche zur beruflichen Bildung, Heft 23) Hrsg. vom Bundesinstitut rur Berufsbildupg. Der Generalsekretär. Bielefeld: Bertelsmann 1995. Vgl. auch: Berufsbildungsbericht der Bundesregierung 1995, S. 103f.

Junge Fachkräfte an der zweiten Schwelle ins Erwerbsleben

35

1. Zugang an Arbeitslosen unmittelbar nach der Ausbildung Anband der Zugangsstatistik der Arbeitslosen aus einer betrieblichen Ausbildung wird deutlich, daß in den letzten drei Jahren der Übergang von der Ausbildung in eine Beschäftigung schwieriger geworden ist. Waren es 1991 noch circa 13 %, die sich unmittelbar nach erfolgreichem Abschluß einer dualen Ausbildung bei den Arbeitsämtern als arbeitslos registrieren ließen, stieg dieser Anteil bis 1994 auf über 20 % (vgl. Tabelle 1). Die Tabelle enthält Angaben über die Arbeitslosenzugänge nach einer betrieblichen Ausbildung insgesamt, d.h. die Zugänge nach erfolgreich abgeschlossener Ausbildung und über die Arbeitslosenquoten, ermittelt auf der Basis der Gesamtzahl aller erfolgreichen Prüfungsteilnehmer eines Jahres. Eine besondere Rolle im Rahmen der Entwicklung spielt die starke Zunahme von Absolventen und Absolventinnen in den neuen Ländern. Dort schlossen im Jahr 1994 mit circa 100.000 Personen etwa doppelt so viele ihre Ausbildung ab wie noch zwei Jahre zuvor. Dementsprechend war der Zugang an Arbeitslosen unmittelbar nach erfolgreich abgeschlossener Ausbildung in den neuen Ländern besonders hoch: Das Institut rur Arbeitsmarkt- und Berufsforschung geht davon aus, daß sich dort circa 30 % aller erfolgreichen Prüfungsteilnehmer des Jahres 1994 arbeitslos meldeten. Die entsprechende Quote in den alten Ländern wird dagegen auf knapp 19 % geschätzt2. In den alten Bundesländern beruht die Arbeitslosigkeit nach der Ausbildung nicht auf gestiegenen Absolventenzahlen. Stattdessen haben, wie oben bereits angedeutet, vor allem die Großbetriebe ihre Ausbildungskapazitäten in den vergangenen Jahren kontinuierlich reduziert. Insofern muß die derzeitige Entwicklung in den alten Ländern problematischer als in den neuen eingeschätzt werden.

2 Vgl. Schober, Karen: Keine Entwarnung an der zweiten Schwelle. IAB-Kurzbericht Nr. 5 vom 25.4.1995.

3'

507.800

Gesamtzahl: erfolgreiche Pr1Ifungsteilnehmer/-innen nach dualer Ausbildung" JJ%

503.600

64.900

97.100

1992

18%

527.400

95.200

139.000

1993

21 %

530.000

1 JJ.OOO

165.300

1994

23 %

490.000

110.500

165.000

1995'"



Die Statistik der Bundesanstalt fllr Arbeit weist die Arbeitslosenzugänge aus betrieblicher Ausbildung unter Einschluß von Abbrechem, erfolglosen PfÜfungsteilnehmem und Absolventen nicht-dualer Ausbildungsgänge (z.B. Referendare, Lehramtsanwärter, Volontäre) aus. Der Anteil und die Quote der Arbeitslosen nach erfolgreich abgeschlossener dualer Ausbildung können deshalb nur geschätzt werden (vgl. dazu Schober (Arun. 2) . •• Angaben fllr 1994 und 1995 Schätzwerte auf der Basis der drei Jahre zuvor neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge. ••• Die Schätzung der Arbeitslosenzugänge im Jahr 1995 basiert auf den Zahlen für die ersten acht Monate dieses Jahres und erfolgt unter der Annahme. daß sich die Entwicklung bis Dezember in ähnlicher Relation fortsetzt wie dies 1994 fllr das letzte Driueljahr gegenüber den Vormonaten galt.

Kursiv gefaßte Zahlen geben Schltzungen wieder. Quellen: Statistisches Bundesamt; Bundesanstalt fllr Arbeit; Berechnungen des Bundesinstituts ftlr Berufsbildung.

JJ%

65.000

Zugänge: arbeitslos unmittelbar nach erfolgreich abgeschlossener dualer Ausbildung'

Quote: arbeitslos unmittelbar nach erfolgreich abgeschlossener dualer Ausbildung'

98.100

Zugänge: arbeitslos nach betriebl. Ausbildung (inkl. Abbrecher sowie nicht-duale Ausbildungen)

1991

Tabelle 1: Arbeitslosigkeit Wlmittelbar nach AusbildWlgsabschluß. EntwicklWlg in der BWldesrepublik Deutschland yon 1991 bis 1994.

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Junge Fachkräfte an der zweiten Schwelle ins Erwerbsleben

37

Damals ging es in der politischen Diskussion primär darum, die geburtenstarken Jahrgänge zu versorgen. Kurzfristig gab es mit dem Wechsel ins neue Jahrzehnt eine leichte Entspannung, die aber nur bis 1992 andauerte. Entlastende demographische Entwicklungen sind kurzfristig nicht zu erwarten, insbesondere nicht in den neuen Bundesländern. Dort ist stattdessen aufgrund der Bevölkerungsentwicklung noch mit einem Anstieg der Bewerber um Ausbildungs- und Arbeitsplätze zu rechnen. Da auch der Arbeitsmarkt im Westen kaum aufnahmefähig ist, wird es jungen Fachkräften aus den neuen Bundesländern zunehmend seltener gelingen, als Ausweichmöglichkeit dort einen Arbeitsplatz zu finden.

2. Situation im Jahr /995

In den ersten acht Monaten des Jahres 1995 verringerten sich in den alten Bundesländern die Arbeitslosenzugänge aus betrieblicher Ausbildung um 5,9 %, während sie sich in den neuen Ländern um 17,2 % erhöhten. Für die Abnahme in Westdeutsch land dürften eine geringere Zahl von Absolventen, konjunkturelle Gründe und möglicherweise die Auswirkungen der letzten tarifvertraglichen Regelungen verantwortlich sein, wonach die Absolventen der dualen Ausbildung nach Möglichkeit zumindest befristet übernommen werden sollen3• Die Zunahme der Arbeitslosen in den neuen Ländern fiel zwar nicht mehr so stark aus wie in den ersten acht Monaten des Vorjahres, sie verweist aber auf die weiterhin besonders schwierige Beschäftigungslage rur die Absolventen in dieser Region. Sollte sich die Entwicklung der gemeldeten Arbeitslosigkeit bis zum Dezember 1995 in ähnlicher Weise fortsetzen, wie dies 1994 rur das letzte Dritteljahr gegenüber den Vormonaten der Fall war, würde 1995 die seit 1992/93 kontinuierliche Zunahme der Arbeitslosenzahlen zum Stillstand kommen. Da aber zugleich die Zahl der Absolventen abnehmen wird, dürfte sich die Quote der Arbeitslosenzugänge nach erfolgreich abgeschlossener dualer Ausbildung nochmals leicht auf bis zu 23 % erhöhen (vgl. Tabelle 1).

3. Dauer der Arbeitslosigkeit ausgebildeter junger Fachkräfte Die analysierte Zugangsstatistik der Bundesanstalt rur Arbeit registriert den Eintritt der Arbeitslosigkeit unmittelbar nach Abschluß der Ausbildung, ohne ihre Dauer oder Ursache zu berücksichtigen. Viele Absolventen sind jedoch nur relativ kurz arbeitslos, und zum Teil hängt ihre Arbeitslosigkeit mit besonderen Lebenssituationen zusammen. Dies gilt z.B. rur diejenigen, die unmittelbar vor der Aufnahme des Wehr- oder Zivildienstes bzw. vor dem Beginn eines Studiums stehen und in der kurzen Zwischenzeit kaum in ein Beschäftigungsverhältnis vermittelt 3 Vgl. Westhoff, Gisela: Konzepte zur beruflichen Integration junger Fachkräfte. In: Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis, 23. Jg. (1994), Heft 5. S. 18-25.

38

Gisela Westhoffund Joachim Gerd Ulrich

werden können. Ein anderer Teil der Absolventen wiederum benötigt trotz guter individueller Beschäftigungschancen eine gewisse Zeit, um eine adäquate Stelle zu fmden (sog. "Sucharbeitslosigkeit"). Die zeitraum bezogene Zugangsstatistik muß insofern durch eine stichtagsbezogene Bestandserhebung ergänzt werden. Die Synopse beider Statistiken ergibt erste Hinweise auf das Abgangspotential aus der Arbeitslosigkeit. So waren im Zeitraum von Januar bis Ende September 1994 in den alten Bundesländern 107.100 Arbeitslosenzugänge nach einer betrieblichen Ausbildung registriert worden, während die aktuelle Zahl der zum Zeitpunkt 30. September 1994 tatsächlich Arbeitslosen mit 40.200 Personen4 deutlich weniger als die Hälfte dieser Summe (37,5 %) betrug. Bezogen auf Personen mit betrieblicher Ausbildung ist die durchschnittliche Dauer der Arbeitslosigkeit von jungen Ausbildungsabsolventen in den alten Ländern um etwa die Hälfte kürzer als in den neuen und dürfte Mitte 1994 etwas über drei Monate betragen habenS. Angesichts der spezifischen Probleme in den neuen Ländern erfolgt dort der Abbau der Arbeitslosigkeit ausgebildeter junger Fachkräfte langsamer. Dementsprechend unterscheiden sich die Zahlen der Zugangs- und Bestandsstatistik nicht so deutlich wie im alten Bundesgebiet. Von Januar bis September 1994 wurden 33.200 Zugänge an Arbeitslosen aus betrieblicher Ausbildung registriert; der Bestand Ende September umfaßte mit 28.800 Personen 86,5 % der kumulierten Zugänge6 . Nach einer Ende 1993 vom Bundesinstitut filr Berufsbildung durchgefilhrten Erhebung dauerte die Arbeitslosigkeit unmittelbar nach der Ausbildun bei den männlichen Fachkräften circa drei und bei den Frauen etwa filnf Monate . Als besonders schwierig erwies sich die berufliche Integration von jungen Fachkräften, die ihre Ausbildung außerbetrieblich absolvierten.

r

4. Übergangsprobleme von Absolventen aus außerbetrieblichen Ausbildungsstätten Im Jahr 1994 beendeten in den neuen Ländern knapp 15.000 Personen ihre Ausbildung, die aufgrund sozialer Benachteiligungen oder Lernbeeinträchtigungen, in ihrer überwiegenden Mehrheit aber aufgrund des betrieblichen Lehrstellendefizits außerbetrieblich ausgebildet wurden. Eine Ende 1994 durchgefilhrte Stichprobenuntersuchung des Instituts filr Arbeitsmarkt- und Berufsforschung 4 Einschließlich Arbeitslosenzugänge aus den Vorjahren. Quelle: Bundesanstalt ftlr Arbeit: Strukturanalyse 1994. Bestände sowie Zu- und Abgänge an Arbeitslosen und offenen Stellen. Nümberg, 1995. l Vgl. Schober (Anm. 2).

6 Dabei ist zu berücksichtigen, daß in der Bestandsstatistik auch Personen enthalten sind, die bereits vor 1994 arbeitslos wurden. 7 Vgl. Berufsbildungsbericht (Anm. I), S. 102.

Junge Fachkräfte an der zweiten Schwelle ins Erwerbsleben

39

ergab, daß drei bis neun Monate nach Abschluß der Ausbildung nur 37 % dieser Absolventen eine Beschäftigung gefunden hatten und 40 % arbeitslos waren. Sehr groß waren die Übergangsprobleme rur Frauen, von denen nur 29 % erwerbstätig und 53 % arbeitslos waren; die Vergleichszahlen bei den außerbe- betrieblich ausgebildeten Männern lagen bei 49 % (erwerbstätig) und 20 % (arbeitslos). Insgesamt waren die Beschäftigungschancen der außerbetrieblichen Absolventen des Jahres 1994 deutlich schlechter als die der betrieblichen, die, legt man die Ergebnisse der Zusatzerhebung zum Arbeitsmarkt-Monitor zugrunde, bis zum November überwiegend (73 %) eine Erwerbstätigkeit gefunden hatten und nur noch relativ selten (15 %) arbeitslos waren 8 • Neben der verwehrten Chance, von der Ausbildungsstätte übernommen zu werden, sind als Ursachen für die spezifischen Übergangsprobleme der außerbetrieblichen Absolventen regional-strukturelle Aspekte in Betracht zu ziehen: Denn in den Regionen, in denen besonders viele Ausbildungsplätze fehlen und in denen deshalb zu einem hohen Anteil außerbetrieblich ausgebildet werden muß, mangelt es auch an allgemeinen Beschäftigungsmöglichkeiten. Somit werden außerbetriebliche Auszubildende gerade in jenen Regionen verstärkt ausgebildet, in denen die Arbeitslosenquote überdurchschnittlich hoch ist Zudem gilt die außerbetriebliche Ausbildung in der Öffentlichkeit aufgrund ihres verstärkt schulischen Charakters als weniger praxisnah, so daß hier auch Vorbehalte von seiten der Betriebe eine Rolle spielen dürften. Tatsächlich deuten Untersuchungen darauf hin, daß Schlüsselqualifikationen und allgemeine Arbeitstugenden in einer außerbetrieblichen Lernsituation schwerer zu f6rdern sind. Dem stehen jedoch Vorteile bei der systematischen Vermittlung fachspezifischer Inhalte und Fähigkeiten entgegen 10. Insofern gilt es, die Auswirkungen einer außerbetrieblichen Ausbildung auch im Interesse der Vermittlungschancen der Betroffenen differenziert zu werten. /I. Die zweite Schwelle aus der Perspektive junger Fachkräfte

Die Arbeitslosenstatistik der Bundesanstalt rur Arbeit stellt eine wichtige Informationsquelle rur die Übergangssituation nach der Berufsausbildung dar. Eine umfassende statistische Darstellung der längerfristigen Integrationsphase vermag sie jedoch nicht zu bilden, da sie allein an das Kriterium "Arbeitslosigkeit

H Vgl. Schober, Karen/Rauch, Angela: Gute Noten trotz schwieriger Arbeitsmarktlage. IABKurzbericht Nr. 8 vom 13.7.1995.

9 Vgl. Ulrich, Joachim Gerd: Außerbetriebliche Ausbildung rur marktbenachteiligte Jugendliche. In: Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis, 24. Jg. (1995), Heft 4. S. 24-28.

10 Vgl. Ulrich, Joachim Gerd: Duale Ausbildung in den neuen Bundesländern - Wie die Auszubildenden sie sehen. In: Informationen rur die Beratungs- und Vermittlungsdienste der Bundesanstalt rur Arbeit, Nr. 15 vom 12.04.1995. S. 1349-1361.

40

Gisela Westhoffund Joachirn Gerd Ulrich

nach abgeschlossener Berufsausbildung" anknüpft. Junge Ausbildungsabsolventinnen und -absolventen, die sich nach einer Erwerbsphase, und sei sie auch noch so kurz, arbeitslos melden, werden bereits nicht mehr von dieser Statistik erfaßt. Darüber hinaus ist die Aufuahme in die Statistik an eine entsprechende Meldung durch das Individuum gebunden. Wer sich beispielsweise nicht vom Arbeitsamt registrieren läßt, etwa weil er keine Leistungen zu erwarten hat, wird nicht mitgezähltli. Deshalb wird die Anzahl derjenigen Absolventen aus anderen Bildungsbereichen, die sich nach der Ausbildung arbeitslos melden, im allgemeinen als zu gering eingeschätzt (sie haben geringere LeistungsansprUche zu erwartenY2. Um den gesamten Übergangsprozeß angemessen darstellen zu können, sind somit zusätzliche Untersuchungen erforderlich. Die Ergebnisse der Absolventenbefragungen des Bundesinstituts rur Berufsbildung ergänzen die dargestellten Ergebnisse der Arbeitslosenstatistik 13. J. Alte Bundesländer

Anband einer Befragung junger Fachkräfte in Westdeutschland Ende 1993 wurde festgestellt, daß die Übernahme nach der Ausbildung von einer immer größeren Anzahl von Betrieben nicht mehr garantiert wird. Diese Entwicklung bezog sich auf die zurückliegenden vier Jahre von 1990 bis 1993. Die Tabelle 2 zeigt die Ergebnisse, getrennt nach Metall-, Elektro- und DienstIeistungsberufen.

11 Anlaßlich eines Workshops, veranstaltet vom BIBB und dem ISO Köln 1989, wiesen die Forscherinnen und Forscher auf diese Schwierigkeit hin: "Es gibt (...) Problemfelder der Integration in den Beruf, die durch Beobachtung von Arbeitsmarktdaten nicht herausgefunden werden können und die (...) die Situation junger Ausbildungsabsolventen bestimmen ... " (Westhoff, Gisela/Bolder, Axel (Hrsg.): Entwarnung an der zweiten Schwelle? Übergänge von der Ausbildung ins Erwerbsleben (Tagungen und Expertengespräche zur beruflichen Bildung, Heft 12). Hrsg. vom Bundesinstitut rur Berufsbildung. Der Generalsekretär. Berlin und Bonn 1991. 12 Vgl. Schober (Anm. 2), S. 2. 13 Vgl. hierzu u.a. Schöngen, Klaus/Ulrich, Joachim GerdlWesthoff, Gisela: Von der Ausbildung zur Beschäftigung - Ergebnisse einer Befragung westdeutscher Fachkräfte. In: Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis, Jg. 23 (1994) Heft 4 sowie Ulrich, Joachim GerdlWesthoff, Gisela: Die Ausbildung absolviert, den Umbruch auch? Ebenda.

41

Junge Fachkräfte an der zweiten Schwelle ins Erwerbsleben

1991

1990

Berufsbereich

Art des Angebots

Metallberufe

(a) ohne Angebot (b) unbefrist. Fachtätigkeit (c) befrist. Fachtätigkeit (d) unbefrist. Anlerntätigkeit (e) befrist. Anlerntätigkeit

15 56 16 12 1

60 18 8 3

Elektroberufe

(a) ohne Angebot (b) unbefrist. Fachtätigkeit (c) befrist. Fachtätigkeit (d) unbefrist. Anlerntätigkeit (e) befrist. Anlerntätigkeit

13 54 19 12 0

Dienstleistungsbent-, fe

(a) ohne Angebot (b) unbefrist. Fachtätigkeit (c) befrist. Fachtätigkeit (d) unbefrist. Anlerntätigkeit (e) befrist. Anlerntätigkeit

20 64 13

2 0

1992

1993

13

14 54 20 7 3

28 42 19 2 9

69 15 4 1

10

21 51 20 5 2

27 31 30 5 6

16 68 14 2 1

19 67 12 2 0

20 55 26 0 1

Quelle: Schöngen u.a (Anm. 13).

Die Angaben der Absolventen aus Metall- und Elektroberufen spiegeln die ungünstige Entwicklung der Übernahmeangebote seit 1990 besonders deutlich wider: Blieben 1990 lediglich 15 % bzw. 13 % der befragten jungen Fachkräfte ohne ein solches Angebot, so waren es 1993 um rund die Hälfte mehr. Lediglich die Absolventinnen und Absolventen aus Dienstleistungsberufen fanden hier noch eine günstigere Situation vor. Aber auch die Qualität der Übernahmeangebote veränderte sich, und davon blieben auch die in Dienstleistungsberufen Ausgebildeten nicht verschont. Der Anteil unbefristeter Fachtätigkeiten nahm ab zugunsten von befristeter. Bei den Metall- und Elektroberufen kam noch eine Zunahme befristeter und unbefristeter Anlerntätigkeiten hinzu, die im allgemeinen im Dienstleistungsbereich eine geringere Rolle spielen. Dies ist schon allein darauf zurUckzufUhren, daß die Einkommen in nicht wenigen Berufen des Dienstleistungsbereichs bereits am unteren Ende der Einkommensskala liegen. Die Gehaltsdiffer~nz zwischen einer Fachkraft und einer angelernten Kraft fiillt somit kaum ins Gewicht l4 •

14 Als Beispiel sei die Einkommenssituation junger Frauen im Einzelhandel genannt. Vgl. Schöngen, KlausIWesthofT, Gisela (1993): Berufswege nach der Ausbildung - die ersten drei Jahre (Berichte zur beruflichen Bildung, Heft 156). Hrsg.: Bundesinstitut rur Berufsbildung. Der Generalsekretär. Berlin, Bonn. S. 90fT.

42

Gisela Westhoffund Joachim Gerd Ulrich

Die Befragungsergebnisse stimmen mit den Ergebnissen der Arbeitslosenstatistik überein, indem auch sie die Verschlechterung der Arbeitsmarktchancen junger Fachleute in einer generellen Reduzierung der Übernahmeangebote und darüber hinaus in einer Zunahme befristeter und ausbildungsfremder Tätigkeiten erkennen lassen. Die wirtschaftlichen Krisenerscheinungen in Westdeutschland haben sich wesentlich schneller auf die Übergangssituation ausgewirkt als in Fachkreisen erwartet wurde. 15

2. Neue Bundesländer Die Entwicklung in Westdeutschland ist nicht isoliert von der Situation in den östlichen Bundesländern zu betrachten, da sich die strukturellen Veränderungen in der Industrie dort in gleicher Weise bemerkbar machen und durch den noch nicht abgeschlossenen Transformationsprozeß zur Marktwirtschaft verstärkt werden. Tabelle 3 stellt den Verbleib der jungen Fachkräfte unmittelbar nach der Ausbildung in den neuen Bundesländern dar. Hier ist besonders bemerkenswert, daß mit einem Anteil von 43 % mehr Personen in Arbeitslosigkeit angetroffen werden als im erlernten Beruf (37 %). Lediglich bei den Absolventinnen und Absolventen aus Dienstleistungsberufen und betrieblich Ausgebildeten überwogen die Prozentsätze derer leicht, die sofort nach Ausbildungsabschluß eine ausbildungsentsprechende Beschäftigung fanden.

15 Vgl.: Referate von Klaus Domseifer (Landesarbeitsamt Nordrhein-Westfalen) und Heinz Pohlkamp (Ministerium rur Arbeit Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen) auf einer Tagung der Deutschen Angestellten Gewerkschaft (DAG) zum Thema 'Konzepte gegen Jugendarbeitslosigkeit' am 12. April 1994 in Duisburg.

43

Junge Fachkräfte an der zweiten Schwelle ins Erwerbsleben

Tabelle 3: Ergebnisse einer BIBB-Befragung junger Fachkräfte mit Ausbildungsbeginn 1989/90 (Angaben in Prozent, n = 445) Berufsbereich

Geschlecht insgesamt mAnn-

lieh

Spalt

'V3entjliche Situation lI"mille/har lUch AWihildrmgsende: im erlernten Beruf

in anderem Fachberuf

IAnlerntätigkeit ~rbeitslos

ortbildung/Umschulung

eue duale Ausbildung Schule/Studium Wehr-/Zivildienst onstiges Summe

Gesarntnote der Abschlu6prüfung

Uberwicsendcr Ausbildungson

Bcfra~

weib- Metall Dienst- übrige b