Modernisierung im orthodox-christlichen Kontext: Der Heilige Berg Athos und die Herausforderungen der Modernisierungsprozesse seit 1988 9783631633922, 9783653028935, 3631633920

In dieser Studie werden die umfassenden Veränderungen im Leben der Mönchsgemeinschaft auf dem Heiligen Berg Athos analys

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Modernisierung im orthodox-christlichen Kontext: Der Heilige Berg Athos und die Herausforderungen der Modernisierungsprozesse seit 1988
 9783631633922, 9783653028935, 3631633920

Table of contents :
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Danksagung
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
1.1. Der Heilige Berg Athos
1.2. Fragestellung
1.3. Forschungsstand
1.4. Methodisches Vorgehen
2. Theoretischer Rahmen und Begrifflichkeiten
2.1. Modernisierung
2.2. Dimensionen von Modernisierung
2.3. Moderne und Postmoderne
2.4. Verwestlichung
2.5. Orthodoxer Kulturkreis oder ostkirchlicher Raum?
3. Die Herausforderungen der Modernisierung im orthodox-christlichen Kontext
3.1. Die Inkompatibilitätsthese
3.2. Traditionalismus und Reformverweigerung
3.3. Der orthodoxe Antiokzidentalismus
3.3.1. Historisierung und Entfaltung des Antiokzidentalismus
3.3.2. Das griechische Verhältnis zum Westen
3.3.3. Antiokzidentalismus und Modernisierung im ostkirchlichen Raum
3.4. Zwischenfazit
4. Der wirtschaftliche Modernisierungsprozess auf dem Athos
4.1. Vorgeschichte
4.2. Technische Neuerungen
4.2.1. Bedeutung, Rolle und Wahrnehmung der Elektrizität
4.2.2. Autoverkehr und Straßenausbau
4.2.3. Informations- und Kommunikationstechnologien
4.3. Ökonomische Modernisierung
4.3.1. Das „Mönch-Taxi“
4.3.2. Ökonomischer Aufschwung
4.3.3. Die Rolle des Tourismus
4.4. Zwischenfazit
5. Der Athos und die Politik – der politische Modernisierungsprozess
5.1. Die Europäische Union
5.1.1. Beschlüsse der EU bezüglich des Athos
5.1.2. Förderungen aus EU-Mitteln
5.1.3. Der Zutritt von Frauen zum Athos: Die Avaton-Regel
5.2. Die UNESCO
5.3. The Friends of Mount Athos
5.4. Zwischenfazit
6. Der kulturell-gesellschaftliche Modernisierungsprozess
6.1. Die Rückkehr zur koinobitischen Form der Klosterorganisation
6.2. Der demographische Wandel
6.3. Bildung und Wissenschaft
6.4. Die Pilger und die kulturell-gesellschaftliche Modernisierung
6.5. Alte „-ismen“ neu gestaltet? Ökumenismus und Antisemitismus
6.6. Zwischenfazit
7. Schlussbetrachtung
8. Literaturverzeichnis
8.1. Primärliteratur
8.2. Sekundärliteratur
8.3. Web-basierte Quellen
9. Anhang
9.1. Fragenkatalog für Interviews – Der Leitfaden
9.2. Transkriptionsregeln
9.3. Interviewverzeichnis
9.4. Exemplarisches Interview

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ErfurtEr StudiEn zur KulturgESchichtE dES OrthOdOxEn chriStEntumS herausgegeben von Vasilios n. makrides

Band 7

àukasz fajfer

modernisierung im orthodox-christlichen Kontext der heilige Berg Athos und die herausforderungen der modernisierungsprozesse seit 1988

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Zugl.: Erfurt, Univ., Diss., 2012

Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

Umschlaggestaltung: Olaf Glöckler, Atelier Platen, Friedberg Umschlagabbildung: Hauptkirche des Dochiariou-Klosters (2010), Foto: Łukasz Fajfer 547 ISSN 1612-152X ISBN 978-3-631-63392-2 (Print) ISBN 978-3-653-02893-5 (E-Book) DOI 10.3726/978-3-653-02893-5

© Peter Lang GmbH Internationaler Verlag der Wissenschaften Frankfurt am Main 2013 Alle Rechte vorbehalten. Peter Lang Edition ist ein Imprint der Peter Lang GmbH Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. www.peterlang.de

Danksagung Bei der Arbeit an der vorliegenden Studie hatte ich das Glück, mit Menschen zu arbeiten, die mich auf verschiedene Art und Weise unterstützten. Für diese Hilfe möchte ich mich herzlich bedanken. An erster Stelle gilt mein Dank meinem Doktorvater Prof. Dr. Vasilios N. Makrides. Er half mir, den richtigen Weg in meinem Vorhaben zu finden und räumte immer wieder organisatorische Hindernisse aus dem Weg. Besonders möchte ich mich bei ihm für die Gespräche über meine Dissertation bedanken und die Zeit, die er dafür immer hatte. Ich danke Prof. Dr. Anton Sterbling für das Zweitgutachten und viele nützliche Anmerkungen bezüglich der Modernisierungstheorien, die Eingang in die Studie fanden. Hervorheben möchte ich auch, dass er nie Zeit und Mühe scheute, um auf meine Anfragen zu antworten; ich konnte immer auf schnelle und ausführliche Kommentare hoffen. Zu besonderem Dank bin ich der Graduiertenschule Religion in Modernisierungsprozessen an der Universität Erfurt verpflichtet, aus deren Mitteln mein Promotionsstipendium finanziert wurde. Mein Dank gilt auch dem DFG-Graduiertenkolleg 1412 „Kulturelle Orientierungen und gesellschaftliche Ordnungsstrukturen in Südosteuropa“, in dem mir die Möglichkeit zu wissenschaftlichem Gedankenaustausch gegeben worden ist. Für die präzise und ausdauernde Arbeit an der Korrektur des Manuskripts danke ich herzlich meiner Kollegin aus der Universität Erfurt Astrid Willenbacher M.A. Spezieller Dank gilt auch Brigitte Kanngießer M.A., die mich auf verschiedene Weise unterstützt hat. Im Laufe meiner Studien wusste ich ihre Hilfe besonders zu schätzen. Letztendlich bedanke ich mich herzlich bei meiner Familie. Meiner Großmutter verdanke ich die unerschütterliche Förderung der Idee einer Promotion, als ich selbst daran noch kaum zu denken wagte, und meinen Eltern sei herzlich für die kontinuierliche Unterstützung meines Vorhabens Dank gesagt. Besonders danke ich meiner Frau Joanna Sulikowska-Fajfer, die nicht nur in den vergangenen Jahren mir am nächsten stand, sondern mir auch zahlreiche Impulse, Verbesserungsvorschläge und Hinweise zum Promotionsstudium gegeben hat. Ihr felsenfestes Vertrauen in mich ist der Grundstein meines Erfolges.

Erfurt, im November 2012

Łukasz Fajfer

Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung ............................................................................................................................... 9 1.1. Der Heilige Berg Athos ................................................................................................. 10 1.2. Fragestellung ................................................................................................................. 13 1.3. Forschungsstand ............................................................................................................ 15 1.4. Methodisches Vorgehen ................................................................................................ 17 2. Theoretischer Rahmen und Begrifflichkeiten ...................................................................... 21 2.1. Modernisierung ............................................................................................................. 21 2.2. Dimensionen von Modernisierung ................................................................................ 27 2.3. Moderne und Postmoderne............................................................................................ 34 2.4. Verwestlichung.............................................................................................................. 39 2.5. Orthodoxer Kulturkreis oder ostkirchlicher Raum? ...................................................... 41 3. Die Herausforderungen der Modernisierung im orthodox-christlichen Kontext ................. 45 3.1. Die Inkompatibilitätsthese............................................................................................. 46 3.2. Traditionalismus und Reformverweigerung.................................................................. 56 3.3. Der orthodoxe Antiokzidentalismus.............................................................................. 67 3.3.1. Historisierung und Entfaltung des Antiokzidentalismus ........................................ 68 3.3.2. Das griechische Verhältnis zum Westen ................................................................ 72 3.3.3. Antiokzidentalismus und Modernisierung im ostkirchlichen Raum ...................... 79 3.4. Zwischenfazit ................................................................................................................ 83 4. Der wirtschaftliche Modernisierungsprozess auf dem Athos .............................................. 89 4.1. Vorgeschichte ................................................................................................................ 89 4.2. Technische Neuerungen .............................................................................................. 105 4.2.1. Bedeutung, Rolle und Wahrnehmung der Elektrizität ......................................... 105 4.2.2. Autoverkehr und Straßenausbau .......................................................................... 115 4.2.3. Informations- und Kommunikationstechnologien ............................................... 126 4.3. Ökonomische Modernisierung .................................................................................... 138 4.3.1. Das „Mönch-Taxi“ ............................................................................................... 139 4.3.2. Ökonomischer Aufschwung ................................................................................. 143 4.3.3. Die Rolle des Tourismus ...................................................................................... 149 4.4. Zwischenfazit .............................................................................................................. 155

Inhaltsverzeichnis 5. Der Athos und die Politik – der politische Modernisierungsprozess ................................. 157 5.1. Die Europäische Union ............................................................................................... 159 5.1.1. Beschlüsse der EU bezüglich des Athos .............................................................. 159 5.1.2. Förderungen aus EU-Mitteln ................................................................................ 163 5.1.3. Der Zutritt von Frauen zum Athos: Die Avaton-Regel ........................................ 175 5.2. Die UNESCO .............................................................................................................. 183 5.3. The Friends of Mount Athos ....................................................................................... 189 5.4. Zwischenfazit .............................................................................................................. 193 6. Der kulturell-gesellschaftliche Modernisierungsprozess ................................................... 199 6.1. Die Rückkehr zur koinobitischen Form der Klosterorganisation ................................ 199 6.2. Der demographische Wandel ...................................................................................... 206 6.3. Bildung und Wissenschaft ........................................................................................... 214 6.4. Die Pilger und die kulturell-gesellschaftliche Modernisierung................................... 225 6.5. Alte „-ismen“ neu gestaltet? Ökumenismus und Antisemitismus .............................. 239 6.6. Zwischenfazit .............................................................................................................. 251 7. Schlussbetrachtung ............................................................................................................. 255 8. Literaturverzeichnis ............................................................................................................ 267 8.1. Primärliteratur ............................................................................................................. 267 8.2. Sekundärliteratur ......................................................................................................... 269 8.3. Web-basierte Quellen .................................................................................................. 288 9. Anhang ............................................................................................................................... 297 9.1. Fragenkatalog für Interviews – Der Leitfaden ............................................................ 297 9.2. Transkriptionsregeln.................................................................................................... 300 9.3. Interviewverzeichnis ................................................................................................... 300 9.4. Exemplarisches Interview ........................................................................................... 301

1. Einleitung Bis Ende der 1950er Jahre blieb der Heilige Berg Athos von dem Einfluss der Modernisierungsprozesse fast unberührt, weshalb sich das Leben in der Mönchsrepublik kaum von einem in byzantinischer Zeit unterschied. Es kann sogar behauptet werden, dass wenn der Athanasios der Athonite, der Gründer des ersten Klosters im 10. Jahrhunderts, in der Mitte des 20. Jahrhunderts wieder geboren worden wäre, er keine Schwierigkeiten gehabt hätte, den Athos wiederzuerkennen. In den 1960er und 1970er Jahren veränderte sich diese Situation jedoch. Das moderne Leben fasste mit all seinen Aspekten Fuß auf dem Athos. Dieser Prozess, der in dieser Studie als Modernisierungsprozess verstanden wird, war schon 1988 in vollem Gange. Auf den Athos strömten junge Männer, die Mönche werden wollten, Gemeinschaften blühten wieder auf, Klostergebäude wurden saniert, das Straßennetz ausgebaut, neueste Technologien importiert und erfolgreich eingesetzt. Die Klöster entwickelten gleichzeitig auch neue oder verbesserten alte Einkommensquellen. Die ökonomische Lage verbesserte sich ebenso dank großzügiger Zuwendungen aus der Europäischen Union, was wiederum eine Intensivierung der politischen Kontakte zufolge hatte. Der Athos veränderte sich schnell, sehr schnell sogar. In dieser vorliegenden Studie werden alle genannten Ereignisse, Prozesse und Neuerungen untersucht. Der Schwerpunkt der Untersuchungen wird auf die Jahre 1988 bis 2011 gelegt, das heißt, die Ausführungen in dieser Studie beziehen sich auf etwas mehr als die letzten zwei Jahrzehnte. Das Jahr 1988 stellt zwar keinen endgültigen Bruch in der Geschichte des Athos dar, die Festsetzung als Beginn der Untersuchungen geschah aber auch nicht rein zufällig. Im Jahr 1988 wurde der Heilige Berg Athos in die UNESCO-Welterbeliste eingetragen, wodurch die außergewöhnliche Geschichte und Bedeutung der dort lebenden Mönche und ihrer Gemeinschaften nicht nur für den ostkirchlichen Raum, sondern auch für das gesamte Christentum weltweit Anerkennung fand. Dank dieser Auszeichnung gelangten auf verschiedenen Wegen bedeutende Summen für notwendige Renovierungsarbeiten auf den Athos, aber – und was vielleicht sogar noch wichtiger war – auch das Besucherinteresse am Athos stieg enorm an. Seit Ende der 1980er Jahre pilgerten immer mehr Menschen auf den Heiligen Berg Athos, was, wie es später gezeigt wird, zu weiteren weitgehenden Veränderungen beitrug. In dieser Zeit kam es auch zu einem beträchtlichen Zuwachs an Novizen. Und durch die jahrzehntelange Vernachlässigung war das Ausmaß der nötigen Renovierungen in den Klöstern außergewöhnlich hoch. Während des ersten Besuchs des Autors auf dem Athos 2003 waren die Auswirkungen der Modernisierungsprozesse schon an vielen Stellen zu sehen und die Realität des Heiligen Berges Athos entsprach kaum mehr derjenigen, die die Pilger in den 1980er und 1990er Jahre dort antrafen. Die Veränderungen verlangsamten aber trotz ihres Fortschritts nicht und dauerten weiter an, was während der Forschungsaufenthalte im März und im September/Oktober 2010 festgestellt werden konnte. Die Modernisierungsprozesse auf dem Heiligen Berg Athos scheinen also noch nicht zu einem Ende gekommen zu sein. Daher ist es wichtig, diese Prozesse zu analysieren, worin genau das Ziel dieser Studie liegt.

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Einleitung

1.1. Der Heilige Berg Athos Der Hauptkern der Untersuchungen wird in dieser Studie am Beispiel des Heiligen Berges Athos (gr. Άγιον Όρος – Άθως) herausgearbeitet. Um unnötige Missverständnisse und Wiederholungen zu vermeiden, wird in dieser Arbeit immer die Bezeichnung „Athos“ verwendet, wobei die ganze Zeit „der Heilige Berg Athos“ gemeint wird. An manchen Stellen wird auf die Mönchsrepublik bzw. die Republik der Mönche hingewiesen, da die beiden Namen in der Literatur öfter vorkommen. Mithilfe dieser Bezeichnung wird der traditionelle Verbund der Klöster auf dem Athos hervorgehoben. Der Athos befindet sich im Nordosten Griechenlands und ist ca. 120 km von der Stadt Thessaloniki entfernt. Die sich dort befindende Mönchsrepublik liegt, anders als der offizielle Name suggeriert, nicht nur auf einem Berg, sondern erstreckt sich über die gesamte 50 km lange und bis zu 10 km breite Halbinsel, die den Namen „Berg Athos“ trägt. An der Südspitze der Halbinsel erhebt sich der 2033 Meter hohe Berg Athos (το όρος Άθως) aus dem Meer, der schon in der Antike unter diesem Namen bekannt war. Auf dem genannten Gebiet befinden sich gegenwärtig zwanzig Klöster, wobei 17 von ihnen griechisch sind, eines russisch (das Hl. Panteleimonos-Kloster, auch Russiko genannt), eines bulgarisch (Zograf) und eines serbisch (Chilandar).1 Neben den Klöstern gibt es auf dem Athos 12 Skiten (gr. σκήτη)2 und zahlreiche, vor allem im Süden verstreute Einsiedeleien. Unter einer Skiti ist entweder eine Art Dorf zu verstehen, in dem einige Häuser um eine Kirche herum stehen (z.B. die Hl. Annas-Skiti), oder ein Gebäudekomplex, der sich kaum von einem Kloster unterscheidet (z.B. die Hl. Andreas-Skiti). Einsiedeleien können von einem relativ modern ausgestatteten Haus, über eine Gruppe von verfallenen Gebäuden, bis zu einer Felsenhöhle alles bedeuten. Alle diese monastischen Einrichtungen beherbergen heutzutage fast 2000 Geistliche.3 Die Mönche leben, egal ob sie in einem Kloster, in einer Skiti oder einer Einsiedelei wohnen, gemäß den traditionellen Regeln des orthodoxen Mönchtums. Die monastischen Regeln setzen einen genau bestimmten Ablauf des Tages voraus, der aus Gebet, Arbeit und Rast besteht. Da auf dem Athos die Zeit auf byzantinische Art und Weise gemessen wird, fängt der Tag mit dem Sonnenuntergang an, also je nach Jahreszeit abends bzw. nachmittags. Jeder Tag beginnt für die Mönche mit einem Gottesdienst, auf den eine Mahlzeit und ein privates Abendgebet bzw. Arbeit folgt. Alle diese Tätigkeiten wechseln einander ab, sodass die 24 Stunden des Tages wie nach der im Westen bekannten Benediktiner-Regel „ora et labora“ verlaufen. Anzumerken ist, dass 1

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Die Namen von Klöstern, Skiten und Orten auf dem Athos werden in dieser Studie kursiv hervorgehoben. In Zitaten und Titeln können jedoch aufgrund der Verwendung verschiedener Transkriptionsregeln Namen von denjenigen im Haupttext abweichen. Die Namen von drei Klöstern wurden der deutschen Sprache angepasst. Es handelt sich um: Große Lavra-Kloster (statt Megisti Lavra), Hl. Paulus-Kloster (statt Agiou Pavlou) und Hl. Panteleimonos-Kloster (statt Agiou Panteleimonos). Zwei Skiten sind rumänisch: die Hl. Dimitriou-Skiti (auch Lakkou genannt) und die Timiou Prodromou-Skiti (gehört zum Großen Lavra-Kloster). Für ausführliche Angaben diesbezüglich siehe Kapitel 6.2.

Der Heilige Berg Athos

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es auf dem Athos etwa 150 Fastentage gibt, während denen die Mönche nur ein einziges Mahl täglich zu sich nehmen. Das Essen wird immer als Teil des religiösen Rituals betrachtet: Aus der Kirche gelangt man in einer Prozession in den Speisesaal, während des Essens werden Auszüge aus der Heiligen Schrift gelesen. Während der Arbeitszeit üben die Mönche verschiedene Tätigkeiten aus: Sie sind Winzer, Tischler, Gärtner, Bauern, Köche, sie renovieren ihre Klöster und Skiten, kümmern sich um die Pilger, bereiten die Kirche für die Gottesdienste vor, schreiben Ikonen4 und Bücher, fertigen Gebetsschnüre. In den Gemeinschaften auf dem Athos wird immer viel gearbeitet, nicht ohne Zufall betitelte Archimandrit Efraim (Lash), der Mönch des Simonos Petras-Klosters war, seinen Artikel „Athos: a working community“.5 Die oben genannten Tätigkeiten werden in allen Gemeinschaften ausgeübt, man sollte jedoch nicht den Eindruck gewinnen, dass das Leben in jeder Gemeinschaft auf dem Athos gleich abläuft. Ganz im Gegenteil, der Ablauf des Tages unterscheidet sich von Kloster zu Kloster und Skiti zu Skiti. Dem liegt zugrunde, dass jedes Kloster über eine große Autonomie verfügt und von einem Abt regiert wird, der das Leben in seiner Gemeinschaft nach seinen Maßstäben organisiert. So legen manche Äbte mehr Wert auf die manuelle Arbeit der Mönche, andere präferieren die Benutzung von modernen Technologien, sodass die Arbeiten schneller und effizienter ausgeführt werden. Wieder andere Klostervorsteher heben besonders das Gebet hervor, infolgedessen mehr gebetet als gearbeitet wird. Darüber hinaus bestehen auf dem Athos noch immer zwei Formen des monastischen Lebens: die Idiorhythmie und das Koinobitentum. Die beiden unterscheiden sich in Bezug auf die Organisation der Gemeinschaft: In den idiorhythmischen Gemeinschaften gibt es keinen Abt, sondern nur einen Rat der Ältesten, die Brüder haben insgesamt mehr Freiheiten und können den Ablauf ihres Tages selbst gestalten.6 Dies hat natürlich einen großen Einfluss auf das Leben in idiorhythmischen Gemeinschaften, sodass es dort zu erheblichen Unterschieden im Vergleich zu koinobitischen Gemeinschaften kommt. Es muss also hervorgehoben werden, dass die Mönchsrepublik auf gar keinen Fall als einheitlich angesehen werden sollte. Es wird zwar in dieser Studie öfters auf die Athos-Klöster bzw. die athonistischen Klöster im Sinne einer Gruppe hingewiesen, die genannten Unterschiede sollten jedoch stets im Hinterkopf präsent sein. In Büchern und Publikationen mit Bezug auf den Athos wird sehr oft und sehr viel über seine lange, ununterbrochene Geschichte geschrieben. Es wurden auch schon Bücher veröffentlicht, die die Geschichte des Athos speziell unter die Lupe nahmen.7 Dieses Thema muss in dieser Studie ebenfalls aufgegriffen werden, weil es für ein bes4

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Ikonen werden in der Orthodoxie einerseits als bildgewordenes Wort Gottes verstanden und andererseits wird der Autor selbst nicht als Künstler, sondern als Werkzeug Gottes wahrgenommen. Deshalb werden Ikonen „geschrieben“ und nicht gemalt. Archimandrite Ephrem Lash, „Athos: A Working Community“, in: Anthony Bryer/Mary Cunningham (Hg.), Mount Athos and Byzantine Monasticism: Papers From the Twenty-Eighth Spring Symposium of Byzantine Studies, Birmingham, March 1994, Aldershot 1998, S. 81–88. Mehr über die Unterschiede zwischen Idiorhythmie und Koinobitentum siehe Kapitel 6.1. Siehe vor allem: Erich Feigl, Athos. Vorhölle zum Paradies, Wien/Hamburg 1982; Emmanuel Amand de Mendieta, Mount Athos: The Garden of The Panaghia, Berlin/Amsterdam 1972; Dionysia Papachrysanthou, Αθωνικός μοναχισμός. Αρχές και οργάνωση, Athen 1992.

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Einleitung

seres Verständnis der heutigen Situation nötig ist. Gleichzeitig wird aber an dieser Stelle betont, dass die Geschichte des Athos ein Thema für sich ist und eine ausführliche Betrachtung den Rahmen dieser Studie sprengen würde. Aus diesem Grund wird unten nur auf die wichtigsten Ereignisse und Prozesse hingewiesen, ohne allzu sehr ins Detail zugehen. Das erste Kloster wurde 963 von Athanasios dem Athoniten gegründet, der zu diesem Zwecke erhebliche Geldzuwendungen von seinem Freund Nikephoros Phokas, Kaiser des Byzantinischen Reiches, erhielt. Kurz darauf entstanden weitere Klöster, sodass bis Ende des 10. Jahrhunderts einige hundert Mönche auf dem Athos lebten. Unter ihnen waren nicht nur griechischsprachige Geistliche, sondern auch Lateiner aus Amalfi im heutigen Italien und Mönche aus Georgien. Von Anfang an war der Athos also international geprägt. Parallel mit der Gründung der ersten Klöster wurde der organisatorische Rahmen ihres Zusammenlebens geschaffen. Im Jahr 972 wurde das erste „Grundgesetz“ des Athos, der sogenannte Tragos, von Kaiser Johannes Tzimiskes erlassen. In dem Dokument wurde die Zahl der jährlichen Versammlungen festgelegt, die Rolle des Protos, dem Vorsteher der Mönchsrepublik, wurde genauer bestimmt, zuletzt wurde allen weiblichen Wesen der Zugang auf den Athos untersagt. Alle diese Bestimmungen legten die Grundlagen einer monastischen Republik fest, die bis zum heutigen Tag gültig sind. Im Laufe der Zeit gewann die so entstandene Republik an Bedeutung und Ruhm. Im Jahr 1045 wurde sie zum ersten Mal in einem offiziellen Dokument als „Heiliger Berg Athos“ bezeichnet.8 In dieser Zeit gingen die Zahlen der auf dem Athos lebenden Mönche in die Tausende. Im Große Lavra-Kloster allein wohnten 700 Brüder.9 Der Vierte Kreuzzug machte den goldenen Zeiten der Athos-Klöster 1204 ein Ende, als die Klöster von lateinischen Truppen geplündert wurden. Nachdem sich die Situation nach der Wiederherstellung des Byzantinischen Reiches 1261 kurz entspannt hatte, folgten weitere Plündereien seitens katalanischer Söldner zwischen 1305 und 1307.10 Diese Höhen und Tiefen wiederholten sich in der Geschichte des Athos mehrmals. Es gelang den Mönchen aber immer, ihre Probleme zu beheben. So war es beispielsweise während der fast 500jährigen „Türkenherrschaft“ (1424–1912) der Fall, während der es die Mönche schafften, trotz der finanziellen Repressionen ihre Klöster über Wasser zu halten. So war es auch während des Zweiten Weltkriegs, als sie einen Brief an Adolf Hitler mit der Bitte um Protektion sendeten und von den Schrecken des Krieges verschont blieben. Der letzte Tiefpunkt in der Geschichte des Athos war das Jahr 1971, als auf der ganzen Halbinsel nur 1145 Mönche lebten.11 Seit dieser Zeit befindet sich die Mönchsrepublik erneut in einer Wohlstandsphase.

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Es handelt sich hier um das zweite Grundgesetz des Athos, das von Kaiser Konstantin IX. Monomachos veröffentlicht wurde. Vgl. Athanasios A. Karakatsanis (Hg.), Θησαυροί του Αγίου Όρους, Thessaloniki 1997, S. 2. Vgl. Andreas Müller, Berg Athos. Geschichte einer Mönchsrepublik, München 2005, S. 33–34. Vgl. ebd., S. 49–50. Mehr Informationen diesbezüglich siehe Kapitel 6.2.

Fragestellung

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Neben den geschichtlichen Ereignissen gibt es einige weitere wichtige Fakten, die Aufmerksamkeit verlangen. In erster Linie muss ein Merkmal des Athos unterstrichen werden, nämlich dass den Frauen seit dem 10. Jahrhundert der Zugang auf die Halbinsel untersagt wird, sodass die Mönchsrepublik gleichzeitig eine reine MännerRepublik ist. Auf dieses Thema wird ausführlich in Kapitel 5.1.3 eingegangen. Darüber hinaus ist erwähnenswert, dass jeder Mönch, der in die offizielle Mönchsliste eines Klosters eingetragen wird, automatisch die griechische Staatsbürgerschaft bekommt. Rechtlich gesehen sind also alle Mönche, trotz ihrer Herkunft, Griechen. Die Mönchsrepublik an sich ist jedoch autonom. Sie wird von einer eigenen Regierung, der Heiligen Gemeinde, geleitet, zu der alle Klöster ihre Vertreter senden. Die Mönchsrepublik verfügt auch über ein Staatsoberhaupt – den bereits erwähnten Protos, der für 12 Monate für das Amt ernannt wird.

1.2. Fragestellung Im Jahr 1971 besuchte Nikolaos Hatzinikolaou, der spätere Metropolit von Mesogaia und Lavreotiki, zum ersten Mal den Athos. Er notierte mit Bedauern den Zustand vieler Klöster, unter anderem auch den des Koutloumousiou-Klosters. We entered the monastery. We had heard that there were only seven monks. The atmosphere was bleak. I was struck by a sense of neglect and desolation. There was an earthly smell and debris scattered about. These were the only signs of life. Everything else seemed to be dead. There was no one to tell us or show us anything. Then, at the entrance, next to the tap, we came across a monk of about seventy, or perhaps younger. As soon as he saw us, he asked if we were going to become monks. „Where? In this graveyard?“ I thought to myself, gulping. 12

Im Jahr 2005 sahen die Klöster schon viel besser aus, wie es auch Horst-Werner Schröder notiert: Alles ist blitzsauber, von Grund auf renoviert, teils sogar restauriert: frischer Farbanstrich, neue Fenster in saniertem Mauerwerk, zwischen leuchtendem Verputz, und selbst die altertümlichen Platten des Straßenbelags erscheinen neu verlegt. Offensichtlich hat die Auszeichnung des Heiligen Bergs zum Weltkulturerbe den Topf für finanzielle Zuwendungen weit geöffnet.13

Die beiden Zitate veranschaulichen die Veränderungen, die zwischen den 1970ern und den 2000er Jahren stattfanden. Diese Arbeit versucht diese Veränderungen innerhalb des konkreten Zeitrahmens von 1988 bis 2011 festzuhalten. Was passierte wann, warum und auf welche Art und Weise, dass sich der Athos innerhalb weniger Jahre so sehr veränderte? Alle diese Prozesse werden im breiteren Kontext beschrieben, nämlich dem der Modernisierung in den orthodoxen Ländern Europas. Die Studie zieht also die vielfältigen Beziehungen zwischen der säkularen Welt und den MönchsGemeinschaften in Betracht, so dass die Veränderungen auf dem Athos in ihrem Kon-

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Metropolitan Nikolaos of Mesogaia, Mount Athos: The Highest Place on Earth, Athens 2007, S. 34. Horst-Werner Schröder, Pilgern auf dem Berg Athos, Münster 2005, S. 38–39.

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Einleitung

text beschrieben werden. Die Schwerpunkte dieser Arbeit liegen zum einen in der Beschreibung der spezifischen Verhaltensmuster und Denkstrukturen der orthodoxen Gesellschaften im Hinblick auf die Modernisierungsprozesse und zum anderen in der Erforschung der Veränderungen auf dem Athos. Im Rahmen des ersten Forschungsschwerpunktes wird untersucht, inwieweit die Charakterzüge des Orthodoxen Christentums den Ablauf von Modernisierungsprozessen beeinflussen. Es wird gefragt, ob sich die Orthodoxie, die die Gesellschaften Ostund Südosteuropas dezidiert geprägt hat, mit den Prämissen der Modernisierung vereinbaren lässt. Folgt der ostkirchliche Raum dem westlichen Weg der Modernisierung, verweigert er sich dem ganz oder ist eher mit einem orthodoxen Sonderweg zu rechnen? Im Hinblick auf diese Fragen werden verschiedene Aspekte der Inkompatibilitätsthese, welche die angebliche Unvereinbarkeit von Orthodoxem Christentum und Modernität postuliert, definiert und beschrieben, wie zum Beispiel die Kollektivität und die Weltfremdheit der Ostkirche. Es handelt sich hier also um die Ausarbeitung eines komplexen Feldes der Ereignisse, Gefühle und Einstellungen der ostkirchlichen Gesellschaften gegenüber Modernisierungsprozessen. Die theoretische Untersuchung konzentriert sich auch auf die Phänomene des orthodoxen Traditionalismus und des Antiokzidentalismus. Beide können, wie in dieser Studie angenommen wird, einen Einfluss auf den Ablauf der Modernisierungsprozesse im ostkirchlichen Raum haben. Es wird gefragt, in welchen Situationen die beiden Phänomene in Ost- und Südosteuropa vorkommen und wie sie die Wahrnehmung der Modernisierung beeinflussen. Neben generellen Ausführungen werden auch konkrete Beispiele für die Auswirkungen der beiden gegeben und analysiert. Auch hier liegt das Ziel in der Erfassung des Verhältnisses zwischen Modernisierung und Orthodoxie. Der zweite Schwerpunkt dieser Studie betrifft die empirische Untersuchung der Modernisierungsprozesse auf dem Athos, die in drei große Gruppen untergliedert werden. Es handelt sich hier um die wirtschaftlichen, politischen und kulturellgesellschaftlichen Prozesse. Jede dieser Gruppen wird ausführlich beschrieben, wobei immer nach dem Ausmaß und den Gründen und Umständen der Veränderungen gefragt wird. Diese Erkenntnisse sollen die Erfassung der gegenwärtigen Situation auf dem Athos in ihrer ganzen Komplexität ermöglichen, was eines der wichtigsten Anliegen dieser Studie ist. Neben der theoretischen Beschreibung der Modernisierungsprozesse auf dem Athos stehen auch die Ansichten der Mönche diesbezüglich im Mittelpunkt der Untersuchung. Hier ist anzumerken, dass die Informationen über die Wahrnehmung der Modernisierungsprozesse während mehrerer Interviews mit den Mönchen gesammelt wurden. In ihnen wurde nach der Meinung der Geistlichen über jene Prozesse gefragt, die in den letzten zwei Jahrzehnten auf dem Athos fanden. Folgende Leitfragen spielen eine Rolle: Wie empfinden die Mönche diese Veränderungen? Wie äußern sie sich über die Moderne und die Modernisierung ihrer Umwelt? Welche Ereignisse und Prozesse betonen sie besonders? Während die Beschreibung der Modernisierungsprozesse auf dem Athos das Hauptanliegen dieser Arbeit darstellt, bieten die Überlegungen zum Verhältnis von Modernität und Orthodoxie einen sehr wichtigen Kontext.

Forschungsstand

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1.3. Forschungsstand Trotz der Tatsache, dass der Athos sehr umfangreich in der Literatur beschrieben wurde, schließt diese Studie eine Lücke im bereits vorliegenden Forschungskorpus. Der Grund dafür ist, dass die bereits veröffentlichten Texte sich nicht direkt auf das Hauptthema der Arbeit beziehen. So betrachtet z.B. keine bisherige Studie die technischen Neuerungen auf dem Athos, sie werden aber mehrfach als Nebenthema herangezogen bzw. als interessante „Merkwürdigkeit“ beschrieben. Darüber hinaus ist in dieser Studie vor allem die genaue Analyse der Literatur von großer Bedeutung. Dabei werden vor allem folgende Texte in den Blick genommen: a) Studien zu Modernisierungstheorien; b) theoretische Texte, die sich mit dem Verhältnis von Modernität bzw. Modernisierung und Orthodoxem Christentum beschäftigen; c) Texte über die Geschichte, Gegenwart und Spiritualität des Berges Athos und die Lebensart der Mönche; d) Bücher über Pilgerfahrten auf den Athos. Zur ersten Gruppe gehören Texte, die sich theoretisch mit Modernisierung auseinandersetzen. Sie wurden seit den 1950er Jahren von einer Reihe von Wissenschaftlern verfasst und trugen zur Entstehung verschiedener Modernisierungstheorien bei. Für diese Studie sollen sie als Basis der theoretischen Untersuchungen dienen, wobei vor allem deutschsprachige Autoren wie Wolfgang Zapf und Ulrich Beck von Bedeutung sein werden. Mit den modernen Entwicklungen in der Orthodoxie, die in den Bereich der zweiten Gruppe fallen, beschäftigt sich z.B. Vasilios N. Makrides. In seinen Texten beschreibt er aus religionswissenschaftlicher Perspektive die Situation des ostkirchlichen Raumes in der modernen Welt. Aus der Vielzahl seiner Publikationen wird in dieser Studie unter anderem der Artikel „Orthodox Christianity, Rationalization, Modernization: A Reassessment“14 herangezogen. Eine soziologische Perspektive auf die Modernisierung in Südosteuropa bieten die Arbeiten von Anton Sterbling, wie beispielsweise der Aufsatz „Pro- und antiwestliche Diskurse in Rumänien. Anmerkungen zur Gegenwart und zur Zwischenkriegszeit“15. Zu der dritten Gruppe der Publikationen gehören zahlreiche Bücher, die in mehreren Sprachen, vor allem aber Griechisch, Englisch, Deutsch und Russisch veröffentlicht wurden. Es sollen zwei von ihnen hervorgehoben werden: Mit der Geschichte, Politik und dem Leben des Athos bis 1971 befasst sich das Buch von Emmanuel Amand de Mendieta16. Der aus Belgien stammende Autor beschreibt mit großer Genauigkeit und auf hohem wissenschaftlichen Niveau die Gegebenheiten auf dem Athos, weshalb sein Buch als eine wichtige Informationsquelle für diese Studie be14

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Vasilios N. Makrides, „Orthodox Christianity, Rationalization, Modernization: A Reassessment“, in: Victor Roudometof/Alexander Agadjanian/Jerry Pankhurst (Hg.), Eastern Orthodoxy in a Global Age: Tradition Faces the Twenty-First Century, Walnut Creek 2005, S. 179–209. Anton Sterbling, „Pro- und antiwestliche Diskurse in Rumänien. Anmerkungen zur Gegenwart und zur Zwischenkriegszeit“, in: Gabriella Schubert/Holm Sundhaussen (Hg.), Südosteuropa Jahrbuch 34, München 2008, S. 251–266. Amand de Mendieta, Mount Athos.

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Einleitung

trachtet wird. Ebenso wichtig ist das 2002 unter dem Titel „Mount Athos. Renewal in Paradise“ veröffentlichte Buch von Graham Speake, das neben den historischen Angaben auch die Erneuerung des monastischen Lebens Ende des 20. Jahrhunderts thematisiert.17 Speake beleuchtet diesen Wandel auf dem Athos, der sich durch den Zuwachs an Mönchen und ihre bessere Ausbildung auszeichnet. Er analysiert die Wurzeln dieses Phänomens und benennt seine Konsequenzen. Die genannten Autoren und ihre Bücher geben einen sehr guten Überblick über alle wichtigen Aspekte des Lebens auf dem Athos. Die Problematik dieser Studie verlangt aber noch einen zusätzlichen Blick auf die Modernisierungsprozesse auf dem Athos, der auf den Büchern über Pilgerfahrten auf den Athos basieren wird. Hierbei muss auf die Publikation von Christopher Merrill verwiesen werden, der das gegenwärtige Leben auf dem Athos kritisch beschreibt.18 Aufgrund seiner Ehrlichkeit, genauester Beobachtungen und literarischer Qualität wird dieses Buch sogar von den Mönchen als Lektüre empfohlen.19 Drei für diese Studie wichtige Bücher lassen sich keiner der oben genannten Gruppen zuordnen; es muss aber trotzdem auf sie hingewiesen werden. In dem von der Organisation zur Bewahrung des Erbes des Heiligen Berges (KeDAK – siehe Kapitel 5.1.2) herausgegebenen Bildband „Κε.Δ.Α.Κ. Έργα Αποκατάστασης“ finden sich umfangreiche Informationen über die Renovierungsarbeiten und Zuwendungen aus der EU, die im fünften Kapitel beschrieben werden. Das Buch „Paradise Besieged. A Journey to Medieval Mount Athos at the Dawn of the Information Age“ von Richard John Friedlander bezieht sich auf das Thema der Modernisierung des Athos, obwohl anzumerken ist, dass der Teil mit dem direkten Bezug auf die Modernisierung relativ kurz im Vergleich zu der besonderen Hervorhebung im Titel erscheint. Da der Autor zehn Jahre lang als Mönch auf dem Athos lebte, bietet sein Buch eine besondere Perspektive auf das beschriebene Thema. Das Buch „Wege am Athos“ des Österreichers Reinhold Zwerger behandelt den Athos ebenso unter einem besonderen Blickwinkel, da es sich nämlich den uralten Fußwegen widmet.20 Wichtig ist jedoch, dass bei Zwerger die Wege ein Ausgangspunkt für die Diskussion über die Veränderungen auf dem Athos sind. Er behandelt die Ereignisse und Prozesse, die ihm neu erscheinen und bereichert diese Beschreibung um eigene Erfahrungen, die er während seiner fünfzig Athosbesuche in 49 Jahren machte. Aus diesem Buch stammen viele Informationen über die wirtschaftliche Modernisierung, die Zwerger zwischen den Hauptgedanken seines Buches erwähnt und die für diese Studie übernommen wurden. Ein wichtiger Teil der Forschung über den Athos geschah während verschiedener Konferenzen, die der Mönchsrepublik gewidmet waren. Ähnlich jedoch wie bei den Publikationen werden auch hier die Modernisierungsprozesse gar nicht oder nur am Rande behandelt. Zu den für diese Studie wichtigsten Konferenzen gehört sicherlich

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Graham Speake, Mount Athos. Renewal in Paradise, New Haven/London 2002. Christopher Merrill, Things of The Hidden God: Journey to the Holy Mountain, New York 2005. Vater N. verwies darauf in einem Gespräch. Reinhold Zwerger, Wege am Athos, Wien 2005.

Methodisches Vorgehen

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die zwischen dem 17. und 20. Mai 1984 in Thessaloniki organisierte Tagung „Mount Athos in the Age of the European Community“.21 Die Vortragenden behandelten während ihrer Referate den politischen und organisatorischen Status des Athos nach dem Beitritt Griechenlands zur Europäischen Union. Nachteilig ist, dass die Angaben in den Tagungsmaterialien in vielen Bereichen schon veraltet sind. Bedeutende Konferenzen fanden auch in England statt. Im Jahr 1994 veranstaltete die „Society for the Promotion of Byzantine Studies“ eine Tagung unter dem Titel „Mount Athos and Byzantine Monasticism“22. Seit 2001 finden in Cambridge jedes zweite Jahr die Tagungen des Friends of Mount Athos-Vereins statt. Keine der genannten Veranstaltungen bezog sich jedoch thematisch auf die Modernisierungsprozesse auf dem Athos. Die obige Skizze des Forschungsstands macht deutlich, dass die schon durchgeführten Untersuchungen in Bezug auf den Athos das Thema der Modernisierung nur marginal behandelten. Diese Studie will deshalb das kaum erforschte Gebiet erhellen.

1.4. Methodisches Vorgehen Für diese Studie wird die genaue Analyse der Literatur von großer Bedeutung sein. Der Hauptkern der Untersuchungen wird anhand gedruckter Quellen ausgearbeitet. Dabei werden die oben beschriebenen Gruppen von Texten in den Blick genommen. Da diese Texte sich nicht direkt auf das Thema der Dissertation beziehen, konzentriert sich die Analyse der Literatur auf die für den Ablauf der Untersuchungen wichtigen Einzelheiten. Die Quellen werden daher einer genauen Textanalyse unterzogen, um diese Einzelheiten und Informationen herauszufiltern und weiter zu untersuchen. Methodisch stehen besonders für die Kapitel vier bis sechs die auf dem Athos durchgeführten Feldforschungen im Vordergrund. Sie sind von großer Bedeutung für diese Studie, weil die Interviews mit den Mönchen nur während der Aufenthalte auf dem Athos möglich waren. Darüber hinaus stellten die Forschungsaufenthalte eine gute Möglichkeit dar, die gegenwärtige Situation zu beobachten und damit den Ablauf der Modernisierungsprozesse und ihre Wahrnehmung durch die Mönche besser zu erfassen. Die Aufenthalte auf dem Athos ermöglichten auch, unterstützendes Bildmaterial zu beschaffen. Anhand der selbst gemachten Bilder kann das Eindringen der Moderne auf den Athos anschaulich präsentiert werden. Für die Zwecke dieser Studie wurden zwei Forschungsaufenthalte auf dem Athos durchgeführt. Der erste fand zwischen dem 9. und 19. März 2010 statt und der zweite zwischen dem 28. September und 5. Oktober 2010. Da der Autor eine erste Forschungsreise auf den Athos schon 2003 unternahm, konnten die Veränderungen innerhalb der sieben Jahre sehr gut beobachtet werden. Während dieser drei genannten Aufenthalte auf dem Athos wurden an insgesamt 21 Tagen alle 20 Klöster und drei Skiten besucht, wobei die beiden Aufenthalte 2010 im Vordergrund stehen, die zusammen 17 Tage dauerten. Mögen diese Zahlen auch nicht spektakulär erscheinen, so sind sie 21

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Materialien von dieser Konferenz wurden 1993 vom Institut für Balkanische Studien der Aristoteles Universität in Thessaloniki veröffentlicht. Vgl. Anthony-Emil N. Tachiaos (Hg.), Mount Athos and the European Community, Thessaloniki 1993. Bryer/Cunningham (Hg.), Mount Athos and Byzantine Monasticism.

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Einleitung

dennoch nicht selbstverständlich, denn das Athos-Visum, das sogenannte Diamonitirion (gr. Διαμονητήριον), ohne das man den Athos nicht betreten darf, ist nur vier Tage lang gültig. Eine Verlängerung ist zwar möglich, muss aber persönlich bei dem Oberhaupt der Athos-Regierung, dem Protos, beantragt werden. Der Protos entscheidet, ob das Visum überhaupt und für wie lange es verlängert wird. Mit diesem Hintergrundwissen gewinnt die Dauer der vor allem 2010 absolvierten Forschungsaufenthalte an Bedeutung. Anzumerken ist auch, dass die Forschungsaufenthalte eine lange Vorbereitungszeit benötigten. Der Grund dafür liegt in der Tatsache, dass höchstens zehn Visen pro Tag für ausländische Besucher, das heißt Nicht-Griechen, ausgestellt werden, infolgedessen sie sogar bis zu sechs Monaten im Voraus beantragt werden müssen. Das für die Forschungsreisen benötigte Visum wurde daher rechtzeitig im Pilgerbüro in Thessaloniki beantragt. Auch eine frühzeitige Kontaktaufnahme mit den Mönchen erwies sich als positiv. Grundlegend für die Untersuchungen der Dissertation ist die empirische qualitative Sozialforschung im Sinne von Experteninterviews. Diese Methode der Datengewinnung wurde für diese Studie gewählt, weil sie mehrere wichtige Vorteile hat. Da es sich bei dieser Studie um ein neues Forschungsfeld handelt, müssen erst Arbeitshypothesen und Theorien aufgebaut werden, wofür sich am besten qualitative Forschungen eignen. Zweitens geht es in qualitativen Befragungen jeder Art laut Bortz und Döring um die Ermittlung der subjektiven „Sichtweise von Akteuren über vergangene Ereignisse, Zukunftspläne, Meinungen, [...], Beziehungsprobleme, Erfahrungen in der Arbeitswelt“23 – also genau um die Punkte, die in dieser Studie behandelt werden. Das Experteninterview wurde drittens deshalb als Datenerhebungsmethode gewählt, weil dieses Interviewverfahren im Unterschied zu anderen Formen von Befragungen (z.B. biographisches bzw. narratives Interview) auf die Erfassung von Meinungen, Erfahrungen und das Wissen der Experten zielt.24 Als Experten werden in dieser Studie die Mönche auf dem Athos verstanden, da sie die Modernisierungsprozesse aus eigener Perspektive beobachten und am besten kennen. Als Experte wird auch Phaidon Hadjiantoniou, ein Architekt der Organisation zur Bewahrung des Erbes des Heiligen Berges (KeDAK) betrachtet, der bei der Renovierung der Klöster auf dem Athos mitgewirkt hat. Neben dem Gespräch mit Hadjiantoniou wurden während der Forschungsaufenthalte insgesamt 14 Interviews und zahlreiche andere Gespräche mit den Mönchen durchgeführt. Alle Interviews hatten die Form des Leitfadeninterviews. Der Leitfaden wurde nach dem Vorschlag von Flick, „nach thematischen Bereichen konstruiert, die jeweils von einer offenen Frage eingeleitet [...] werden“25. Dank einer offenen Frage zu Beginn jedes Teils des Interviews zeigten sich die generellen Meinungen der Mönche, wobei ihre Aussagen durch konkrete Nachfragen spezifiziert wurden. Der Leitfaden wurde also so entwickelt, dass die Mönche sowohl offen auf die Fragen antworten konnten, wodurch immer wieder auch neue Gesichtspunkte ins Gespräch gebracht 23 24 25

Jürgen Bortz/Nicola Döring, Forschungsmethoden und Evaluation für Human- und Sozialwissenschaftler, Heidelberg 2006, S. 308. Vgl. Uwe Flick, Qualitative Sozialforschung. Eine Einführung, Reinbek bei Hamburg 2007, S. 214–215. Ebd., S. 203.

Methodisches Vorgehen

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wurden, als auch die Möglichkeit für den Autor bestand, nach konkreten Ereignissen oder Prozessen zu fragen. Der Vorteil des Leitfadeninterviews liegt auch darin, dass der Leitfaden aus mehreren Teilen bzw. Gruppen von Fragen besteht, infolgedessen der Interviewer mittels seines Fragenkatalogs auf viele Bereiche des Expertenwissens eingehen kann. Tatsächlich wurde der Leitfaden so entwickelt, dass er der Gliederung dieser Studie entsprach – jeder Teil des Leitfadens bezog sich direkt auf ein Kapitel dieser Studie. Dank dieses Vorgehens konnten alle Modernisierungsprozesse auf dem Athos in den Blick genommen werden. Das Muster des Leitfadeninterviews befindet sich im Anhang dieser Studie. Im Anhang befindet sich ebenso beispielhaft eines der durchgeführten Interviews. Sie wurden nach einem bestimmten Muster transkribiert, dem an dieser Stelle mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden soll. Wie Kowal und O’Connell in ihrem Artikel betonen, gibt es viele Transkriptionssysteme, die „Auswahl wird [aber] immer von der Zielsetzung und Fragestellung eines spezifischen Forschungsprojektes bestimmt“ 26. Im Einklang damit wurde das von Uwe Flick vorgeschlagene Transkriptionssystem mit kleinen Abweichungen für diese Studie übernommen.27 Die Erklärung der verwendeten Konvention der Transkription findet sich im Anhang dieser Studie. Darüber hinaus muss noch unterstrichen werden, dass die Namen der interviewten Mönche anonymisiert sind und nur die Initialen der Vornamen angegeben werden. Die Anonymisierung wurde zwar nur von wenigen Mönchen direkt angesprochen, der Verzicht auf die Nennung des vollständigen Namens wurde jedoch nicht nur von allen interviewten Geistlichen gewünscht, sondern gehört laut Flick auch zu den zentralen Bestandteilen des Transkriptionsvorgangs.28 Wie in der Skizzierung der Methodik deutlich wird, stützt sich diese Studie neben der klassischen Analyse der Literatur auch auf Feldforschungen und Interviews. Die Mischung von empirischer und analytischer Methode prägt diese Studie entscheidend und zeichnet sich sicherlich als eines ihrer Merkmale aus.

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Sabine Kowal/Daniel C. O’Connell, „Zur Transkription von Gesprächen“, in: Uwe Flick/Ernst von Kardorff/Ines Steinke (Hg.), Qualitative Forschung. Ein Handbuch, Reinbek bei Hamburg 2000, S. 439. Vgl. Flick, Qualitative Sozialforschung, S. 379–383. Vgl. ebd., S. 380.

2. Theoretischer Rahmen und Begrifflichkeiten Ziel dieser Arbeit ist es, die rapiden Wandlungen, die auf dem Athos in den letzten zwei Jahrzehnten festzustellen sind, systematisch zu beschreiben. Wie schon angedeutet wurde, wird in dieser Studie angenommen, dass diese Wandlungen als Modernisierungsprozesse erfolgen und auf mehreren Ebenen verlaufen. Um auf dieser Annahme aufbauen zu können, wird im Weiteren auf den Begriff „Modernisierung“ eingegangen, damit mögliche Missverständnisse in Bezug auf die Verwendung dieses Terminus vermieden werden können. Gleichzeitig wird auf andere Begriffe hingewiesen, die einerseits die Bedeutung des genannten Terminus erläutern und andererseits für den Verlauf des Diskurses in dieser Arbeit wichtig sind. Hierunter fallen vor allem die Begriffe: „Kulturkreis“, „Moderne“ und „Verwestlichung“. Darüber hinaus bildet dieses Kapitel den theoretischen Rahmen der gesamten Dissertation.

2.1. Modernisierung Mit dem Problem der Modernisierung beschäftigten sich eine Reihe von Wissenschaftlern, die verschiedene Modernisierungstheorien entwickelten.1 Im Folgenden werden ihre wichtigsten Ansätze vorgestellt, um den in dieser Studie vertretenen Begriff von Modernisierung deutlich auszuformulieren. Wie Wolfgang Zapf, der sich seit den 1960er Jahre mit dem Thema der Modernisierung auseinandersetzte,2 betont „ist die Modernisierungstheorie im engeren Sinne eine amerikanische Erfindung der 1950er Jahre“3. Als bekannteste Theoretiker lassen sich Daniel Lerner, Walt Whitman Rostow, David Clarence McClelland und Talcott Parsons in einem Atemzug nennen. Ihre Modernisierungstheorien waren praktisch anwendbar, indem sie die Beschreibung eines möglichen Weges zum Ziel hatten, den die nicht-entwickelten Länder annehmen konnten, um die entwickelten einzuholen. Als Muster der Entwicklung sollten die Vereinigten Staaten dienen, ihre Institutionen und Werte sollten in die nicht-westliche Welt „exportiert“ werden. Schon in den 1960er Jahren stellte man fest, dass diese Ansätze nicht der Realität der Modernisierung entsprechen und wurden daher in Frage gestellt. Forscher wie Shmuel N. Eisenstadt, Reinhard Bendix, Günther Roth und Rainer M. Lepsius, die die sogenannte „historische Modernisierungsforschung“ vertraten und direkt oder indirekt an Max Weber anknüpften, kritisierten die evolutionistischen und systemtheoretischen Annahmen der 1

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Einen Überblick über einige Autoren und ihre Aufsätze in Bezug auf Modernisierungstheorien bietet der 2008 veröffentlichte Sammelband „Klassiker der Entwicklungstheorie“. Siehe Karin Fischer/Gerald Hödl/Wiebke Sievers (Hg.), Klassiker der Entwicklungstheorie. Von Modernisierung bis Post-Development, Wien 2008; Zu diesem Thema siehe auch Anton Sterbling, „Der modernisierungstheoretische Ansatz im Überblick“, in: ders. (Hg.), Modernisierung und soziologisches Denken. Analysen und Betrachtungen, Hamburg 1991, S. 105–162. Wolfgang Zapf (Hg.), Theorien des sozialen Wandels, Köln/Berlin 1969. Wolfgang Zapf, „Modernisierung und Modernisierungstheorien“, in: Wolfgang Zapf (Hg.), Die Modernisierung moderner Gesellschaften. Verhandlungen des 25. Deutschen Soziologentages in Frankfurt am Main 1990, Frankfurt am Main 1991, S. 32.

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Theoretischer Rahmen und Begrifflichkeiten

früheren Modernisierungstheoretiker.4 In ihrer Kritik wurden alle wichtigen kritischen Einwände gegenüber der herkömmlichen Modernisierungstheorie berücksichtigt, infolgedessen eine neue Fassung dieser Theorie entstand. Diese Neuerfassung des Verständnisses von Modernisierung beruhte laut Zapf tatsächlich auf Demokratie und freier ökonomischer Entwicklung, aber diesmal ohne das Konzept der Konvergenz auf westliche kulturelle Muster und ohne die Unterschätzung nationalistischer und fundamentalistischer Gegenbewegungen.5

In den 70ern schienen die ersten Theorien über Modernisierung also schon obsolet zu sein, wie der Aufsatz von Immanuel Wallerstein mit dem Titel Modernization: Requiescat in Pace6 von 1976 beispielhaft zeigt. Das modernisierungstheoretische Denken entwickelte sich jedoch sowohl im angelsächsischen als auch im deutschen Sprachraum weiter.7 Die Diskussion wurde unter neuen Blickpunkten weitergeführt, was die Betonung anders gearteter Paradigmen zur Folge hatte. Ulrich Beck und Anthony Giddens führten im modernisierungstheoretischen Diskurs den Begriff der „reflexiven Modernisierung“ ein.8 Diese wird von ihnen als eine zweite Stufe dieses Prozesses verstanden „Einfache Modernisierung meint Rationalisierung der Tradition, reflexive Modernisierung meint Rationalisierung der Rationalisierung.“9 Laut Beck veränderte sich das Gesicht der Modernisierung nach Ende des 4

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Vgl. Anton Sterbling, Modernisierung und soziologisches Denken. Analysen und Betrachtungen, Hamburg 1991, S. 114; Reinhard Bendix, „Modernisierung und soziale Ungleichheit“, in: Wolfram Fischer (Hg.), Wirtschafts- und sozialgeschichtliche Probleme der frühen Industrialisierung, Berlin 1968, S. 179–246; Shmuel N. Eisenstadt, Modernization: Protest and Change, Englewood Cliffs 1966. Die Vetreter der „historischen Modernisierungsforschung“ heben vier wichtige Punkte hervor, die ihre Ausführungen von anderen unterscheiden. Vor allem liegt der Schwerpunkt ihrer Forschungen auf der Auseinandersetzung mit den Entwicklungen und Konsequenzen der abendländischen Modernisierung. Darüber hinaus lehnen sie in ihren Studien ein allgemein geltendes Entwicklungsmodell ab und postulieren stattdessen die „Variabilität der Entwicklungswege und Modernisierungsverläufe“. Besonders viel Aufmerksamkeit wird drittens dem Verhältnis zwischen traditionellen und modernen Elementen in sich modernisierenden Gesellschaften geschenkt. Viertens spielen Theoreme wie „partielle Modernisierung“ und „Ungleichzeitigkeit der Modernisierung“ in ihren Untersuchungen eine wichtige Rolle. Mehr zu diesem Thema siehe Anton Sterbling, „Historische Modernisierungstheorie und die gegenwärtigen Probleme des Institutionenwandels in Ost- und Südosteuropa“, in: Klaus Müller (Hg.), Postsozialistische Krisen. Theoretische Ansätze und empirische Befunde, Opladen 1998, S. 53– 67. Wolfgang Zapf, „Modernisierungstheorie und die nicht-westliche Welt“, in: Thomas Schwinn (Hg.), Die Vielfalt und Einheit der Moderne. Kultur- und strukturvergleichende Analysen, Wiesbaden 2006, S. 228. Immanuel Wallerstein, „Modernization: Requiescat in Pace“, in: Lewis Coser/Otto Larsen (Hg.), The Uses of Controversy in Sociology, New York 1976, S. 131–135. Beispielsweise fand 1990 in Frankfurt am Main eine im Rahmen des 25. Deutschen Soziologentages organisierte Tagung mit dem Motto „Modernisierung moderner Gesellschaften“ statt. Sechs Jahre später setzten sich die Wissenschaftler erneut mit dem Thema Modernisierung in der neu erschienenen Zeitschrift „Leviathan“ auseinander. Zum Begriff der „reflexiven Modernisierung“ siehe Anthony Giddens, The Consequences of Modernity, Stanford 1990 sowie die nächste Fußnote. Ulrich Beck, „Der Konflikt der zwei Modernen“, in: Zapf (Hg.), Die Modernisierung moderner Gesellschaften, S. 40.

Modernisierung

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Kalten Krieges, weil sich die gesellschaftlichen Bedingungen ebenso veränderten. Dementsprechend gelangte der Modernisierungsprozess in die nächste Phase seiner Entwicklung. Das Theorem der „partiellen Modernisierung“ lässt sich besser als das der „reflexiven Modernisierung“ in Bezug auf orthodoxe Gesellschaften Südosteuropas anwenden. Dieses Theorem hebt die Tatsache hervor, dass die Wandlungsprozesse anders verliefen, als es die modernisierungstheoretischen Ansätze vorgaben. In den postkommunistischen Ländern konnte die ökonomische Modernisierung nicht mit den politischen Entwicklungen Schritt halten. In den muslimischen Ländern entwickelte sich zudem ein Fundamentalismus als Reaktion auf die Modernisierungsprozesse (und in Konkurrenz zu selbigen).10 Das Theorem der „partiellen Modernisierung“ setzt voraus, dass neben den traditionellen auch moderne Elemente der gesellschaftlichen Ordnung existieren können, das heißt, die Benutzung von neuen „modernen“ Technologien oder das Vorkommen von politischen Strukturen kann Hand in Hand mit alten Weltorientierungen gehen. Vielmehr sogar kann sich diese Diskrepanz stabilisieren und diese Situation kann über Generationen hinweg dauern.11 Das Konzept der „partiellen Modernisierung“ ist insofern wichtig, dass es sich gut für die Beschreibung der Situation in Südosteuropa anwenden lässt, wo genau ähnliche Diskrepanzen vorkommen, wie später gezeigt wird. Einige Modernisierungstheoretiker gingen in ihren Überlegungen einen Schritt weiter und stellten fest, dass die Richtung der Modernisierungsprozesse in nichtwestlichen Gesellschaften unvorhersehbar ist und diese auf eigenen Wegen verlaufen können. So wird sogar angenommen, dass in diesen Fällen die Rede von einer anderen Moderne sein kann, wie es Shmuel Eisenstadt in seiner „multiple modernities“-These der Wissenschaft vor Augen führte.12 Er sieht die Modernisierung als einen Prozess, der sowohl zur Entstehung politischer Systeme mit Elementen der westlichen Demokratie führt als auch ökonomische Entwicklung beinhaltet, jedoch auf verschiedene Weise verlaufen und zu verschiedenen Endzuständen führen kann. Die oben beschriebene Rekonstruktion des modernisierungstheoretischen Denkens, das sich über die letzten 60 Jahre erstreckte, sollte einen Überblick über den Begriff Modernisierung geben. Dies kann jedoch nur gelingen, wenn die Gemeinsamkeiten aller Modernisierungstheorien unterstrichen werden. Was haben sie also gemeinsam?

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Laut Dietrich Rüschemeyer ist „die Entwicklung von ausdrücklich konservativen Ideologien“ eine oft auftretende Reaktion auf die Herausforderungen der Modernisierungsprozesse. In diesem Sinne ist die Verstärkung der fundamentalistischen Bewegungen, neben der Hervorhebung einer „glorreichen Vergangenheit“, in mehreren südosteuropäischen Ländern ein durchaus typisches Resultat der Modernisierung. Vgl. Dietrich Rüschemeyer, „Partielle Modernisierung“, in: Zapf, Theorien des sozialen Wandels, S. 384. Vgl. Anton Sterbling, „Zur Dynamik der Traditionalität in südosteuropäischen Gesellschaften“, in: Wolfgang Dahmen/Petra Himstedt-Vaid/Gerhard Ressel (Hg.), Grenzüberschreitungen. Traditionen und Identitäten in Südosteuropa, Wiesbaden 2008, S. 610. Zu dem Theorem der „partiellen Modernisierung“ siehe auch Rüschemeyer, „Partielle Modernisierung“, S. 382–396. Shmuel N. Eisenstadt, „Multiple Modernities in an Age of Globalization“, in: Claudia Honegger/Stefan Hradil/Franz Traxler (Hg.), Grenzenlose Gesellschaft?, Opladen 1999, S. 37–50.

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Theoretischer Rahmen und Begrifflichkeiten

Thomas Mergel fasst in einem seiner Aufsätze, die Gemeinsamkeiten der Modernisierungstheorien zusammen und konzertiert sich dabei an den Befunden von Rainer M. Lepsius, Hans-Ulrich Wehler und anderen Theoretikern der „historischen Modernisierungstheorien“, die die Theorien schon in den 1970er Jahren systematisch ansprachen.13 Mergel schreibt: „Die erste Gemeinsamkeit ist ein strukturell-funktionalistischer, makrotheoretischer Ansatz.“14 Was er damit vor allem meint, ist, dass die Modernisierungstheorien sich auf Gesellschaften und nicht auf die Individuen bezogen. Genauer, sie beschrieben nicht die Absichten von Gesellschaften, sondern sprachen über Prozesse, die in den Gesellschaften stattfanden. Eine weitere Prämisse Mergels, die er mit den früher genannten Vertretern der historischen Modernisierungstheorien teilt, verdeutlicht eine zweite Gemeinsamkeit der Modernisierungstheorien, nämlich dass „[a]lles, was in einem sozialen System ablaufe, […] auch Konsequenzen auf die anderen Sektoren des Systems [habe]“15. Die Veränderungen auf einer Ebene haben also Einfluss auf andere Ebenen des gesellschaftlichen Lebens. Wie beim Schneeballeffekt wird durch die Modernisierung in einem Bereich ein Prozess der weitergehenden, facettenreichen Entwicklung in allen Bereichen ausgelöst. Diese Kettenreaktion beeinflusst auch Bereiche außerhalb der primären Gesellschaft und wirkt somit staatenübergreifend. Dies ist die dritte Gemeinsamkeit der Modernisierungstheorien, laut der die weiter entwickelten Gesellschaften bzw. ihre Systeme die weniger fortgeschrittenen mit sich ziehen. Anders also wie in den kommunizierenden Röhren fließt die Flüssigkeit der Modernisierung im „entwickelten Gefäß“ nicht nach unten, um die Niveaufläche auszugleichen, sondern steigt im „unterentwickelten“, ohne die erste zu verhindern. Von großer Bedeutung für die meisten Modernisierungstheorien war auch die Annahme, dass Modernisierung linear und irreversibel ist. Wenn der Wandel einmal stattfindet, können die Modernisierungsprozesse nicht mehr rückgängig gemacht werden. Darüber hinaus ist das Ziel der Modernisierung die Modernität, ein Endzustand der gesellschaftlichen Entwicklung. Zuletzt lässt sich nach Mergel sagen, dass die Modernisierungstheorien eine Dichotomie zwischen Tradition und Modernität bildeten. Die beiden Phänomene wurden gegenüber gestellt und die Charakterzüge der beiden wurden streng differenziert betrachtet. So bedeutete Tradition geringe soziale Differenzierung, lokale personale Herrschaft, geringe Mobilität, Lebenserwartung und Partizipation, ländliche Siedlungsweise, agrarische Subsistenzwirtschaft. Demgegenüber bedeutet „modern“ hohe soziale Differenzierung, zentralistische, anonyme Herrschaft, hohe Mobilität, Lebenserwartung und Partizipation, städtische Siedlungsweise und industrielle Technologie.16

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Vgl. Rainer M. Lepsius, „Soziologische Theoreme über die Sozialstruktur der »Moderne« und die »Modernisierung«“, in: Reinhardt Koselleck (Hg.), Studien zum Beginn der modernen Welt, Stuttgart 1977, S. 10–29; Hans-Ulrich Wehler, Modernisierungstheorie und Geschichte, Göttingen 1975. Thomas Mergel, „Geht es weiterhin voran? Die Modernisierungstheorie auf dem Weg zu einer Theorie der Moderne“, in: Thomas Mergel/Thomas Welskopp (Hg.), Geschichte zwischen Kultur und Gesellschaft. Beiträge zur Theoriedebatte, München 1997, S. 214. Ebd., S. 214. Ebd., S. 216.

Modernisierung

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Wie schon angedeutet wurde, stießen die oben skizzierten Kernannahmen der Modernisierungstheorien auf facettenreiche Kritik. Vor allem wurde in diesbezüglichen Diskussionen oft der Punkt betont, dass Modernisierungstheorien sich schlecht verteidigen lassen, da sie Großtheorien sind und viele Fragen sich nicht makrotheoretisch klären lassen. Es gab immer Beispiele von Ländern, die sich nicht dem Modernisierungsmuster anpassen wollten, wie z.B. Japan, aber auch die für diese Studie wichtigen Länder Ost- und Südosteuropas. Zudem wurde auch verschiedenen Modernisierungstheoretikern vorgeworfen, dass ihre Ansichten bezüglich der Übernahme der Systeme der weiter fortgeschrittenen von weniger modernisierten Ländern übertrieben erscheinen. Die Modernisierung kann auch eigene Wege gehen und muss nicht dem Muster der entwickelten Länder folgen.17 Die Annahme der Musterübernahme sollte auch deswegen mit gewisser Skepsis betrachtet werden, da die Ungleichzeitigkeit der Modernisierungsprozesse in einzelnen Ländern, die von Theoretikern als temporär angesehen wurden, auch über lange Zeit dauern können (hier taucht nochmals das Theorem der „partiellen Modernisierung“ auf). So stellt es sich z.B. in den orthodoxen Ländern Südosteuropas dar, wie in späteren Kapiteln gezeigt wird. Es können innerhalb von Gesellschaften sogar Spannungen in Bezug auf die Einstellung gegenüber der Modernisierung entstehen. Diese Spannungen müssen dennoch nicht unbedingt destruktiv für die Modernisierung sein, sondern können auch positiven Einfluss auf sie haben, wie Thomas Mergel am Beispiel Frankreichs darstellte, wo die Auseinandersetzungen zwischen Befürwortern und Gegnern der Großen Revolution zur Stabilität der französischen Identität führten.18 Ein Kritikpunkt gegenüber Modernisierungstheorien betraf die Dichotomie von Tradition und Modernität, die durch diese Theorien aufgebaut wurde. Die Beispiele der Modernisierung in manchen Ländern zeigen, dass eine traditionelle Einstellung der Gesellschaft die Modernisierungsprozesse nicht zwangsläufig verhindern muss. In diesem Zusammenhang lässt sich das Beispiel Japans nochmals nennen. „Traditionale Dimensionen können nicht nur nachträglich modernisiert werden, sondern sie können auch gleichbleiben und, funktional umgewertet, einen Beitrag zur Stabilität des modernisierten Systems leisten.“19 Schließlich muss noch betont werden, dass die Annahmen über Linearität und Irreversibilität der Modernisierung mehrfach in Frage gestellt wurden. Wie die Beispiele mehrerer Ländern zeigen, verläuft der Entwicklungspfad nicht immer geradeaus, scharfe Kurven und sogar Umwege – Krisenzeiten der Modernisierung – sind möglich und häufig. Zapf fasste diese Tatsache folgendermaßen zusammen: „Modernisierung ist nicht kontinuierlich-linear; sie hat ebenso Zyklen und regressive Krisen.“20 Dementsprechend ist auch die Annahme der Irreversibilität der Modernisierungsprozesse übertrieben. Zwar ist Modernisierung als Oberbegriff für die Prozesse der Neuzeit nicht zurückzunehmen, jedoch können die jeweiligen Entwicklungen der Modernisierung zurückgesteuert werden. Als Beispiel dafür kann die Säkularisierung im katholi17 18 19 20

Siehe Stefan Hradil, „Sozialstrukturelle Paradoxien und gesellschaftliche Modernisierung“, in: Zapf, Die Modernisierung moderner Gesellschaften, S. 367. Mergel, „Geht es weiterhin voran?“, S. 218. Ebd., S. 219. Zapf, „Modernisierungstheorie – und die nicht-westliche Welt“, S. 229.

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Theoretischer Rahmen und Begrifflichkeiten

schen Bürgertum im 19. Jahrhundert in Mitteleuropa dienen, die teilweise umgekehrt worden ist.21 Anhand der genannten Grundmerkmale und Unklarheiten der Modernisierung kann an dieser Stelle ein Versuch unternommen werden, den Begriff der Modernisierung näher zu erfassen. Vor allem muss betont werden, dass alle Theorien Modernisierung als einen Prozess beschreiben,22 dessen Ziel die Modernität ist. Im Laufe der Modernisierungsprozesse werden also, laut Modernisierungstheoretikern, die Gesellschaften zu modernen Gesellschaften – die Annahme ist nicht neu und wurde schon von Seiten der kulturalistischen bzw. konstruktivistischen Position postuliert.23 Hier taucht jedoch ein Problem auf. Und zwar: Was ist modern bzw. was wird unter Moderne verstanden? Diese Frage bleibt zurzeit eine Antwort schuldig, und deswegen „[b]ewegt sich die modernisierungstheoretische Diskussion in einem ständigen Spagat: Zwar spricht sie von einem Prozess, der auf ein Ziel zuläuft, doch dieses Ziel bewegt sich selber ständig“24. In diesem Sinne wird Modernisierung in dieser Studie als ein Prozess verstanden, der zur Wohlfahrtsentwicklung, Differenzierung, Industrialisierung, Technisierung, Rationalisierung, Urbanisierung, Säkularisierung und Entwicklung der Basisinstitutionen wie z.B.: „Konkurrenzdemokratie, Marktwirtschaft, Massenkonsum“25 führt. Diese Aufzählung macht deutlich, dass Modernisierung ein facettenreicher Prozess ist, der aus mehreren kleineren Prozessen besteht. Aus diesem Grund wird in dieser Studie oft auf den Plural – Modernisierungsprozesse – hingewiesen, da dieser Begriff besser die Natur der Modernisierung widerspiegelt. Die Modernisierung bzw. die Modernisierungsprozesse wurden zum ersten Mal im westlichen Europa durch die industrielle Revolution ausgelöst.26 Die rapide Entwicklung von Technik und Produktionsmöglichkeiten trug zu tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderungen bei: Die Agrargesellschaft wurde zur Industriegesellschaft. Dies hatte enorme Auswirkungen auf die Kultur und die politische Situation. Hier wird noch einmal deutlich, dass die Modernisierung auf mehreren Ebenen verläuft, zu denen nicht nur Politik und Ökonomie gehören, sondern auch die Kultur der sich modernisierenden Gesellschaften. Socioeconomic development starts from technological innovations that increase labor productivity; it then brings occupational specialization, rising educational levels, and rising income levels; it diversifies human interaction, shifting the emphasis from authority relations toward bargaining relations; in the long run this brings cultural changes, such as changing gender roles, changing attitudes towards authority, changing sexual norms,

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Vgl. Mergel, „Geht es weiterhin voran?“, S. 219–220. „‚Modernisierung‘ beschreibt einen Prozeß“, vgl. Mergel, „Geht es weiterhin voran?“, S. 204; siehe auch Zapf, „Modernisierungstheorie und die nicht-westliche Welt“, S. 227; Jürgen Ritsert, Schlüsselprobleme der Gesellschaftstheorie. Individuum und Gesellschaft – Soziale Ungleichheit – Modernisierung, Wiesbaden 2009, S. 279. Vgl. Zapf, „Modernisierungstheorie und die nicht-westliche Welt“, S. 230. Mergel, „Geht es weiterhin voran?“, S. 204. Vgl. Zapf, „Modernisierungstheorie und die nicht-westliche Welt“, S. 227; Franz Bauer, Das „lange“ 19. Jahrhundert (1789–1917). Profil einer Epoche, Stuttgart 2004, S. 7–16, 29–30. Vgl. Zapf, „Modernisierungstheorie und die nicht-westliche Welt“, S. 227; Ritsert, Schlüsselprobleme der Gesellschaftstheorie, S. 279.

Dimensionen von Modernisierung

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declining fertility rates, broader political participation, and more critical and less easily led publics.27

Dementsprechend wird Modernisierung als ein Bündel von sich gegenseitig kreuzender, auf mehreren Ebenen verlaufender Prozesse verstanden. Im Unterschied zu den ersten Modernisierungstheorien wird in dieser Studie nicht die Meinung vertreten, dass Modernisierung ein linearer und irreversibler Prozess ist, da im Verlauf dieser Prozesse verschiedene Probleme, Krisen und Rückfälle unterschiedlicher Art vorkommen können.28 Modernisierung wird hier auch nicht als eine Anpassung an existierende Muster verstanden, wie es die Theorien der 1950er Jahre sahen. Die Beispiele osteuropäischer, asiatischer und muslimischer Länder zeigen, dass diese Annahme eher eine Utopie war, denn ihre Modernisierung verlief anders als im Westen.

2.2. Dimensionen von Modernisierung Die oben angeführten Erläuterungen zum Begriff Modernisierung machen deutlich, dass Modernisierungsprozesse eine große Komplexität aufweisen. Sie bestehen aus mehreren Komponenten, die sich in größere Gruppen, sogenannte Dimensionen von Modernisierung, einteilen lassen. Diese Annahme basiert auf der Beobachtung der Aussagen unterschiedlicher Modernisierungstheoretiker, die verschiedene, oben genannte Komponenten der Modernisierung aufzählten und in unterschiedliche Gruppen gliederten. Wie viele Gruppen von Komponenten von Modernisierung es tatsächlich gibt, darüber herrscht kein Konsensus. Im Folgenden soll auf dieses Problem eingegangen werden, da die Gliederung von Modernisierungsprozessen in Gruppen bzw. Dimensionen von großer Bedeutung für diese Studie ist. Es wird hier angenommen, dass sich mit Hilfe von Rahmen, welche durch die Dimensionen von Modernisierung gebildet werden, die Wandlungen auf dem Athos sehr gut beschreiben lassen. Diese Annahme basiert auf der Tatsache, dass die Prozesse, die auf dem Athos verlaufen, sehr facettenreich sind und den Modernisierungsprozessen strukturell ähneln. Aus diesem Grund wird nun den Dimensionen von Modernisierungsprozessen einige Aufmerksamkeit geschenkt. Dabei sollen vor allem die Arbeiten von Thomas Mergel, Jürgen Ritsert, Hans-Ulrich Wehler, Alberto Martinelli und Wolfgang Zapf einbezogen werden, die den Versuch unternahmen die Komponenten von Modernisierung zu analysieren. Thomas Mergel z.B. nennt vier Dimensionen, die Modernisierung zugeschrieben wurden: der politische Strukturwandel, die ökonomische Entwicklung mit technischer Rationalisierung, die Wandlungen der kulturellen Systeme und Wandlungen des subjektiven psychischen Haushaltes.29 Unter politischem Strukturwandel versteht Mergel die „Herstellung einer Massenlegitimationsbasis, der gerechteren Verteilung von Güter[n] und Chancen sowie der erhöhten Steuerungsmöglichkeiten von Politik“30. Diese 27 28 29 30

Ronald Inglehart/Christian Welzel, Modernization, Cultural Change and Democracy: The Human Development Sequence, Cambridge 2005, S. 19. Vgl. Ritsert, Schlüsselprobleme der Gesellschaftstheorie, S. 279. Vgl. Mergel, „Geht es weiterhin voran?“, S. 205–206. Ebd., S. 205.

28

Theoretischer Rahmen und Begrifflichkeiten

politische Ebene von Modernisierung stand Mergels Meinung nach immer mit der ökonomischen Ebene im Vordergrund der Betrachtungsweise von Modernisierung. Ökonomische Entwicklung fasste er in Anlehnung an Modernisierungstheoretiker als Industrialisierung, Wirtschaftswachstum und Arbeitsteilung auf. Demgegenüber bedeutete für ihn die kulturelle Dimension von Modernisierung den Aufbau und die Verbesserung des Bildungssystems sowie der Kommunikationssysteme und die Säkularisierung, welche zusammen für Mergel die vierte Dimension ausmachten. Obwohl diese Aufzählung von Komponenten von Modernisierung durchaus nicht falsch ist, könnte sie auch anders gefasst werden, wie z.B. Jürgen Ritsert es tut. Für ihn zeichnet sich Modernisierung durch acht wichtige Komponenten aus. An erster Stelle taucht Industrialisierung auf, gefolgt von „Verwissenschaftlichung der Zivilisation“. Während die erste Dimension von Modernisierung sich auf die effiziente Produktion von Massengütern konzentriert, bezieht sich der zweite Charakterzug auf die Erfindung neuer Technologien. Als weitere Merkmale von Modernisierung nennt Ritsert auch die Kommerzialisierung und die mit ihr verbundene „Überprüfung und Verbesserung vorhandener Wissensbestände“31. Diese beiden Merkmale beziehen sich auf die Tatsache, dass immer mehr Produkte auf den Markt kommen und sich dadurch der Innovationsbedarf erhöht, da sich die neuen Produkte besser verkaufen müssen. Zwei weitere Komponenten von Modernisierung beziehen sich auf die Rationalität: Rationalisierung wird einerseits als Teil von Modernisierungsprozessen verstanden und gilt als Hauptmerkmal der „modernen“ Gesellschaften. Andererseits „[dient] Rationalisierung der Steigerung der Effizienz in allen möglichen und unmöglichen Bereichen“32. Ritsert sieht als siebte Dimension die immer weitergehende Arbeitsteilung als eine der Komponenten von Modernisierung. Die Differenzierung in der Gesellschaft schreitet immer weiter fort und hat Konsequenzen für das gesellschaftliche Leben. Als achte und letzte Komponente von Modernisierung nennt Ritsert die Enttraditionalisierung, die seiner Meinung nach oft im Laufe von Modernisierungsprozessen vorkommt. Die traditionellen Normen und Verhaltensmuster werden in Frage gestellt und verlieren an Bedeutung. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Ritsert der Rationalisierung verschiedener Lebensbereiche eine große Rolle beimisst. Zivilisation wird in Modernisierungsprozessen verwissenschaftlicht, Produktion rationalisiert und Arbeitskräfte werden so aufgeteilt, dass die höchstmögliche Effizienz erreicht wird. In diesem Punkt knüpft Ritsert an Weber an, der Modernisierung als Rationalisierung und Enttraditionalisierung sah.33 Die von Mergel und Ritsert vorgeschlagenen Gliederungen von Dimensionen von Modernisierung bilden eine breitere Basis, an die die in dieser Studie vorgeschlagene Aufteilung anknüpft. Sie betonen, dass ökonomische Entwicklung eng mit Industrialisierung verbunden ist und zudem mit der Technisierung und Verwissenschaftlichung einhergeht. Darüber hinaus messen die beiden Theoretiker der kulturellen Ebene von Modernisierung großen Wert bei. Diese zwei Punkte werden in dieser Studie über31 32 33

Ritsert, Schlüsselprobleme der Gesellschaftstheorie, S. 287. Ebd. Vgl. Max Weber, „Die Grenznutzlehre und das ‚psychophysische Grundgesetz‘“, in: Max Weber, Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, Tübingen 1922, S. 375.

Dimensionen von Modernisierung

29

nommen, in Anlehnung an Hans-Ulrich Wehler werden die Modernisierungsprozesse jedoch in drei Gruppen von Dimensionen zusammengefasst. Es handelt sich hier um die politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Bereiche, die Wehler als „drei gleichberechtigte, kontinuierlich durchlaufende Dimensionen von Gesellschaft“ beschreibt.34 Zu der politischen Ebene gehören alle Prozesse, die Mergel als politischen Strukturwandel beschreibt. In dieser Studie wird ebenfalls, wie es Mergel zusammenfasst, der ökonomische Bereich der Modernisierung zusammen mit technischer Rationalisierung betrachtet. Die Industrialisierung, die als eines der wichtigsten Merkmale der „modernen“ Gesellschaften angesehen wird, wird zur wirtschaftlichen Ebene gezählt. Die dritte Dimension bezieht sich auf kulturelle Einzelheiten der Modernisierung. Hier sind nicht nur die von Ritsert vorgeschlagene Enttraditionalisierung und die Differenzierung in der Gesellschaft aufgrund weitgehender Arbeitsteilung gemeint, sondern auch andere Prozesse, wie die Verbesserung des Bildungssystems und der Kommunikationssysteme, also Phänomene, die Mergel zum dritten und vierten Bereich seiner Gliederung rechnet. Die Verschmelzung von kulturellen und soziologischen Dimensionen der Modernisierung zu einer – nämlich einem kulturell-gesellschaftlichen Bereich – lässt sich besonders gut am Beispiel der Ausführungen von Alberto Martinelli rechtfertigen. Martinelli gliedert die Modernisierungsprozesse in vier Dimensionen. Ähnlich wie bei Mergel besteht für ihn Modernisierung aus ökonomischen, soziologischen, politischen und kulturellen Ebenen.35 Die ökonomische und politische Ebene versteht er genauso wie Mergel und Wehler, weshalb auf sie hier nicht noch einmal eingegangen werden soll. Zu der soziologischen bzw. gesellschaftlichen Dimension der Modernisierung zählt Martinelli Phänomene wie: demographic change, urbanization, and the shifting position of women, […] social differentiation and increasing individual autonomy […] decline in the infant mortality rate and then, a drastic drop in the birth rate and the prolongation of the average life.36

Daneben erwähnt er einen tiefgreifenden Migrationsprozess als Teil der gesellschaftlichen Modernisierung. Unter kultureller Modernisierung versteht er „all those changes in conceptions of the world, man and society, and in the values and norms that orient individual and collective behavior“37. Hierzu zählt Martinelli sowohl Individualisierung, Rationalisierung, Utilitarismus als auch Freiheit und Gleichberechtigung. Alle diese Phänomene sind für ihn Bestandteile der „culture of modernity“. Die Unterscheidung zwischen dem kulturellen und gesellschaftlichen Bereich von Modernisierung ist nicht neu und wurde schon von Wolfgang Zapf Ende der 1960er Jahre postuliert. Vielmehr, zählte der deutsche Forscher auch psychische Mobilisierung und internationale Transformation zu den Dimensionen von Modernisierung hinzu.38 Zapf unterteilte also Modernisierung in sechs verschiedene Prozesse wobei „das politische, das wirtschaftliche und das im engeren Sinne soziale Subsystem […] die 34 35 36 37 38

Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Band 1, München 1987, S. 7, 9–11. Vgl. Alberto Martinelli, Global Modernization: Rethinking the Project of Modernity, London 2005, S. 5. Ebd., S. 13. Ebd., S. 15. Vgl. Zapf, Theorien des sozialen Wandels, S. 23.

30

Theoretischer Rahmen und Begrifflichkeiten

endogenen Funktionsbereiche der sich modernisierenden Gesellschaft“39 wären. Diese drei Dimensionen liegen also im Kern der Modernisierung. Sowohl Mergel als auch Martinelli und Zapf sehen Modernisierung als einen Prozess, der aus mindestens vier Dimensionen besteht. Trotzdem, wie schon angedeutet wurde, wird in dieser Studie die Aufteilung dieses Prozesses auf drei Ebenen dezidiert verwendet, und zwar auf die politische, wirtschaftliche und kulturell-gesellschaftliche Dimension. Dies hat drei Gründe. Vor allem kann die Gliederung des Modernisierungsprozesses auf drei große Dimensionen damit begründet werden, dass genau diese drei Ebenen die fundamentalen Elemente der menschlichen Welt, im Sinne von Wehler, sind. So werden sie zweitens auch von Zapf betrachtet, der Politik, Wirtschaft und Gesellschaft als Kernbereiche der Modernisierung bestimmt. Darüber hinaus wird drittens in dieser Studie die Meinung vertreten, dass die kulturelle und gesellschaftliche Ebene von Modernisierung im Fall des Athos zusammen betrachtet werden sollten. Der Grund dafür liegt einerseits in der Tatsache, dass die beiden Dimensionen sehr eng verbunden sind – Martinelli selbst zählt beispielsweise Individualisierung bzw. „individual autonomy“ sowohl zu der kulturellen Dimension von Modernisierung. Andererseits fallen manche Phänomene, die Martinelli zur gesellschaftlichen und kulturellen Dimension von Modernisierung zählt (z.B. geminderte Fruchtbarkeitsraten), im Fall des Athos schon bei der ersten Betrachtung heraus. Aus diesen Gründen wurde in dieser Studie die Entscheidung getroffen, auf diese besonderen Aspekte von Modernisierung zu verzichten und darüber hinaus die beiden Ebenen zusammen zu untersuchen. Dementsprechend liegt in dieser Studie die Betonung auf einer kulturell-gesellschaftlichen Modernisierung statt auf einer kulturellen und einer gesellschaftlichen (bzw. soziologischen). Die hier vorgeschlagene Gliederung von Modernisierungsprozessen setzt sich also folgendermaßen zusammen:

39

Ebd.

31

Dimensionen von Modernisierung Tab. 1

Gliederung von Modernisierungsprozessen

MODERNISIERUNG

wirtschaftliche Prozesse

politische Prozesse

kulturell-gesellschaftliche Prozesse

x

Industrialisierung

x

Politischer Strukturwandel

x

Verbesserung des Bildungssystems

x

Wirtschaftswachstum

x

Intensivierung der politischen Kontakte

x

Säkularisierung

x

Arbeitsteilung

x

Erhöhung der Steuerungsmöglichkeiten der Politik

x

Rationalisierung

x

Technisierung und Verwissenschaftlichung

x

Staaten- und Nationenbildung

x

Enttraditionalisierung

x

Kommerzialisierung

x

Differenzierung der Gesellschaft

x

Kapitalkumulation

x

Individualisierung

x

Demographischer Wandel

Dieses Modell der Dimensionen bzw. Hauptelemente von Modernisierung wird im Weiteren als Arbeitsmodell verwendet, mit dessen Hilfe der Verlauf der rapiden Wandlungen auf dem Athos beschrieben wird. Die Vorteile dieses Modells liegen vor allem in der Reduzierung auf die drei Bereiche, dank der die komplexen Prozesse, die auf dem Athos verlaufen, nicht allzu detailliert betrachtet werden und daher gut überschaubar sind. Trotz der Schlichtheit dieses Modells werden wiederum keine wichtigen Phänomene übersehen, weil sie sich gut den drei großen Bereichen unterordnen lassen, wie es sich schon bei Wehler und teilweise auch bei Mergel und Martinelli erwies. An dieser Stelle muss noch geklärt werden, wie Modernisierungsprozesse verlaufen, um damit noch etwas Licht in die Natur dieser Prozesse zu bringen. Hier lässt sich keine einfache Antwort auf diese Frage zu geben. Ulrich Beck und Anthony Giddens

32

Theoretischer Rahmen und Begrifflichkeiten

sind beispielsweise der Meinung, dass ein Modernisierungsprozess mindestens aus zwei Phasen besteht, wobei in der ersten Phase der Modernisierung die Tradition und traditionelle Lebensweise in Frage gestellt wird. In dieser Phase tauchen alle oben beschriebenen Komponenten von Modernisierung auf: Das Leben wird rationalisiert, die Gesellschaft wird nach dem Prinzip der Arbeitsteilung segmentiert, die politischen Institutionen werden ausgebaut. Im Laufe der Zeit kommen jedoch auch die Schattenseiten der Modernisierung zum Vorschein. Laut Beck „raubt“ die reflexive Modernisierung, also die zweite Phase dieses Prozesses, alle politischen und gesellschaftlichen Vorgaben, infolgedessen brechen Konflikte in den in der ersten Phase ausgebauten Institutionen aus.40 Alles unterliegt also ständigem Wandel, alles wird neu ausgelegt. Reflexive Modernisierung wird dementsprechend als zweite Phase der Modernisierung verstanden, in der die Industriegesellschaft der einfachen Modernisierung aufgelöst wird bzw. die Grundlagen industriegesellschaftlicher Modernisierung aufgehoben werden.41 Stefan Hradil stimmt mit Beck mehr oder weniger überein, was die reflexive Modernisierung betrifft, er nennt aber auch frühere Phasen dieses Prozesses. Der reflexiven Modernisierung geht seiner Meinung nach eine geistige, politisch-moralische und gesellschaftliche Modernisierung voran.42 Die geistige Phase stellt dabei sozusagen eine Urphase der Modernisierung dar, in der die gedanklichen Grundlagen der Moderne ausgebaut wurden. Für Westeuropa kann man diese Phase in der Zeit der Renaissance ausmachen. Die politisch-moralische Modernisierung folgte mit der Aufklärung, als die modernen Prinzipien in Staat und Gesellschaft erst durchgesetzt wurden. Darauf folgte schließlich die gesellschaftliche Modernisierung in Gestalt der Industriegesellschaft. Es gibt also laut Hradil vier Phasen der Modernisierung, wobei die ersten zwei als Ur- bzw. Vorbereitungsphasen bezeichnet werden können und sich die dritte und vierte Phase mehr oder weniger mit den Beckschen Phasen decken. Die Ausführungen der beiden Wissenschaftler machen deutlich, dass Modernisierung ein Prozess ist, der verschiedene Stadien aufweist. Der Verlauf von Modernisierungsprozessen wurde aber auch unter einem anderen Blickwinkel theoretisch ausgearbeitet. Gegen die Auffassung von Beck und Giddens steht das früher angedeutete Theorem der „Partiellen Modernisierung“, laut dem die modernen Elemente neben den traditionellen vorkommen. „Partielle Modernisierung, formal definiert, ist ein Prozeß sozialen Wandels, der zur Institutionalisierung relativ moderner Sozialformen neben erheblich weniger modernen Strukturen in ein und derselben Gesellschaft führt.“43 Darüber hinaus verlaufen Modernisierungsprozesse nicht immer direkt in Richtung Moderne, sondern können auch zur Entstehung neuer (Zwischen-)Formen von gesellschaftlichen Strukturen führen. Dieser Meinung wird in dieser Studie speziell nachgegangen. Dank obiger Überlegungen sollte ein guter Überblick über den Begriff der Modernisierung gegeben worden sein. Im Weiteren wird noch ein letzter Punkt in Bezug auf 40 41 42 43

Vgl. Beck, „Der Konflikt der zwei Modernen“, S. 45. Vgl. Ulrich Beck, Die Erfindung des Politischen. Zu einer Theorie der reflexiven Modernisierung, Frankfurt am Main 1993, S. 80. Hradil, „Sozialstrukturelle Paradoxien und gesellschaftliche Modernisierung“, S. 366–367. Rüschemeyer, „Partielle Modernisierung“, S. 382.

Dimensionen von Modernisierung

33

Modernisierung aufgegriffen, der für das Thema der Studie von Bedeutung ist. Es handelt sich um die Relationen zwischen Kultur und Entwicklung. Welchen Einfluss haben die kulturellen Charakterzüge der Gesellschaft auf die Modernisierungsprozesse? Mit dieser Frage setzte sich Heinz Gert Preusse auseinander. In seinem Aufsatz über die wirtschaftliche Entwicklung44 betont er die große Rolle von Kultur in der Wahrnehmung von Modernisierung und nannte drei kulturell bedingte Verhaltensmuster, die wichtige Erfordernisse für den Ablauf dieser Prozesse darstellen. 45 Preusse macht deutlich, dass manche Kulturen aufgrund ihrer „schwer veränderbaren Verhaltenskodizes“ und „prä-fixierten Normensysteme“ als entwicklungsfeindlich eingestuft werden können.46 Gleichzeitig ist er aber keineswegs der Ansicht, dass die Kultur ein unüberbückbares Hemmnis für Modernisierungsprozesse ist. Seiner Meinung nach, die in dieser Studie übernommen wird, haben auch andere Faktoren Einfluss auf die Prozesse, die die Entwicklung von Gesellschaften steuern. Zu diesen Faktoren zählen vor allem Geschichte und Politik. Preusse misst dem politischen Faktor die größte Bedeutung bei: „Dauerhafte Entwicklungsfeindlichkeit wird weniger aus kultureller Prädisposition gespeist, denn aus der Starrheit überkommener politischer Machtverhältnisse.“47 Vielmehr, schreibt Preusse, wird Kultur als Mittel im Kampf um politische Interessen benutzt: In jedem Fall wirkt Entwicklungsresistenz besonders nachhaltig, wenn es den traditionellen Eliten gelingt, ihre machtpolitischen Interessen unter dem Deckmantel der Wahrung kultureller Identität wirksam vorzubringen.48

Damit fasst Preusse präzise zusammen, dass Kultur zwar einen Einfluss auf Modernisierungsprozesse ausübt, ihre Rolle als Hemmnis für die Entwicklung jedoch nicht erstrangig ist. Alle von Preusse genannten Faktoren, die Einfluss auf den Ablauf von Modernisierungsprozessen haben (Politik, Kultur, Geschichte), trugen dazu bei, dass die Modernisierung unterschiedliche Wege gehen kann. Hier kommt nochmals ein Punkt früherer Ausführungen zum Vorschein, laut dem Modernisierung auf verschiedene Art und Weise verlaufen kann. Diese Tatsache wurde mehrmals hervorgehoben, wie es z.B. der früher zitierte Stefan Hradil tat: „Es [könnte] durchaus auch nichtindustriegesellschaftliche, evtl. auch nicht-aufklärerische Wege der Modernisierung geben“.49 Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass Modernisierungsprozesse von verschiedenen Faktoren beeinflussen werden, die entweder die Entwicklung bremsen (manchmal sogar unmöglich machen) oder den Verlauf der Prozesse ändern. 44

45

46 47 48 49

Heinz Gert Preusse, „Kulturelle Aspekte der wirtschaftlichen Entwicklung“, in: Andreas Boeckh/Rafael Sevilla (Hg.), Kultur und Entwicklung. Vier Weltregionen im Vergleich, BadenBaden 2007, S. 51–69. „1. Menschen sollten bereit sein ökonomischen Anreizen zu folgen (materielles Interesse). 2. Sie sollten gegenüber „neuem“ offen sein und noch besser wäre es, wenn sie auch bereit wären, aktiv danach zu suchen. 3. Sie sollten bereit sein zu lernen, um auf die Herausforderungen der (sich ändernden) Lebensbedingungen angemessen reagieren zu können“, ebd., S. 56. Vgl. ebd., S. 63. Ebd., S. 68. Ebd. Hradil, „Sozialstrukturelle Paradoxien und gesellschaftliche Modernisierung“, S. 367.

34

Theoretischer Rahmen und Begrifflichkeiten

2.3. Moderne und Postmoderne In den vorangegangenen Kapiteln wurden die Begriffe „Modernisierung“ bzw. „Modernisierungsprozesse“ erläutert. Die beiden Begriffe beziehen sich direkt auf „Moderne“ und beinhalten Annahmen, die mit diesem Terminus verbunden sind, weshalb der Begriff Moderne selbst beschrieben werden muss. Das ist jedoch keine leichte Aufgabe, weil er zu jenen Grundbegriffen gehört, die sich nicht präzise beschreiben lassen.50 Trotzdem soll der Versuch unternommen werden, die Kernkonzepte der Moderne anzudeuten. Der historische Kontext der Moderne wird dargestellt, was einerseits zum Ziel hat, das Verständnis von Modernisierung besser begreifen zu können, und um andererseits die Unterschiede zwischen den beiden Begriffen anzudeuten. In diesem Zusammenhang ist es sinnvoll, auch auf den Begriff „Postmoderne“ einzugehen, da dessen Beschreibung insoweit von Bedeutung für diese Studie ist, sofern die Auseinandersetzungen mit diesem Begriff das Verständnis der Moderne beeinflusst haben. Der Begriff „Moderne“ wurde seit Immanuel Kant (1724–1804) und spätestens seit Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770–1831) zu einem Grundbegriff der Geisteswissenschaften.51 Die Wurzeln des Begriffes reichen jedoch bis in das 5. Jahrhundert nach Christus zurück, als das lateinische Wort „modo“ für etwas Neues, Gegenwärtiges benutzt wurde. Aus diesem Wort entstand der Begriff „modernus“, der zur zeitlichen Abgrenzung von antiker und christlicher Ära diente.52 Die Christen, unter anderem auch Augustinus im 5. Jahrhundert, deuteten mit Hilfe dieses Terminus auch an, dass nach Jesus Christus die Menschheit in eine „neue Zeit“ kam. Moderne als Begriff wurde im ähnlichen Sinne auch in der Renaissance von den Humanisten verwendet, die das Mittelalter und die Zeit, in der sie lebten, einander gegenüberstellten. Sie knüpfen zwar an antike Ideen an, grenzten sich aber von „der dunklen Zeit“ ab.53 Diese Abgrenzung ist eines der charakteristischen Merkmale von Moderne. Moderne ist nämlich eine Epoche, in der den Menschen bewusst wird, dass ein Übergang zwischen allem, was traditionell ist, und dem, was rational ist, stattgefunden hat, zwischen mechanisch und organisch, zwischen segmentär und funktional.54 Von Bedeutung für „das Programm der Moderne“ war vor allem der erste Punkt – die Befreiung von traditionellen Prämissen.55 Dies ermöglichte die Emanzipation von der Autorität der Tradition und führte weiterhin zu tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderungen, 50 51

52 53 54

55

Siehe Ritsert, Schlüsselprobleme der Gesellschaftstheorie, S. 277. „Was den philosophischen Diskurs der Moderne betrifft, liegt es aus der Retrospektive nahe, ihn entweder mit Kant oder mit Hegel anheben zu lassen. Diese beiden Philosophen haben nicht nur je einen unverwechselbaren Beitrag zum Denken der Moderne geleistet, sie haben überdies die Philosophie des 19. und 20. Jahrhunderts maßgeblich geprägt.“ Christian Lavagno, Rekonstruktion der Moderne. Eine Studie zu Habermas und Foucault, Münster 2003, S. 19. Vgl. Martinelli, Global Modernization, S. 5. Vgl. ebd., S. 5. Vgl. Thomas Schwinn, „Die Vielfalt und Einheit der Moderne – Perspektiven und Probleme eines Forschungsprogramms“, in: ders. (Hg.), Die Vielfalt und Einheit der Moderne, Wiesbaden 2006, S. 7. Vgl. Shmuel N. Eisenstadt, Theorie und Moderne. Soziologische Essays, Wiesbaden 2006, S. 142.

Moderne und Postmoderne

35

weil die Menschen feststellten, dass sie nicht länger an die Tradition oder Religion gefesselt waren, sondern verschiedene gesellschaftliche Rollen wahrnehmen konnten.56 In der Moderne wurde also der Grundstein der menschlichen Individualität gelegt und die Betonung individueller Rechte zum Hauptmerkmal dieser Epoche. Diese beiden zentralen Anliegen der Moderne entwickelten sich allmählich im Zuge eines langandauernden Prozesses, der seine Wurzeln in der Renaissance hat. In dieser Zeit wurden die theoretischen Grundlagen des Konzepts der Moderne festgelegt: Einerseits wurde das Hauptinteresse der Menschen auf die säkularen Angelegenheiten verschoben, andererseits wurde nun viel Wert auf den menschlichen Verstand gelegt. Der Mensch wird also seit dieser Zeit nicht mehr als Teil der übernatürlichen oder göttlichen Ordnung gesehen, sondern als Schöpfer dieser Ordnung. Die Reformation legte im Folgenden auch die Grundlagen des Individualismus, dessen Konzept ein wichtiger Maßstab der Moderne ist. Diese in der Renaissance ausgearbeiteten Ideen wurden dann im 17. Jahrhundert weiterentwickelt (Galileo Galilei, René Descartes, Isaac Newton), während sie in der Aufklärung schon als „modern“ beschrieben und wahrgenommen wurden (beispielsweise von den bereits genannten Philosophen Kant und Hegel). Die modernen Ideen wie Säkularismus, Individualismus und Glaube an die Macht des menschlichen Verstandes führten in dieser Epoche zu politischen und gesellschaftlichen Veränderungen, die in der französischen und amerikanischen Revolution ihren Höhepunkt fanden. Im Anschluss daran ist Moderne also auch mit politischen Angelegenheiten wie Freiheit des Menschen und Demokratie zu verbinden. Hier lassen sich auch die Ursachen einer der Grundannahmen der Moderne festlegen – der Glaube an ständigen Fortschritt auf mehreren Ebenen wie Technologie, Politik, Ökonomie und Gesellschaft. Aus diesen Gründen wird der Beginn der Moderne oft mit der Epoche der Aufklärung gleichgesetzt. Auch wenn die Grundgedanken der Moderne bis in die Renaissance zurück reichen, wurden sie jedoch erst im 18. und 19. Jahrhunderten in die Praxis umgesetzt. Hinzu kommt noch die Tatsache, dass die Industrielle Revolution, die in dieser Zeit ihren Höhepunkt erreichte, wesentlich zu Entwicklungen beitrug, die zur Entstehung von modernen Gesellschaften führten. Hier lassen sich beispielsweise die Industrialisierung, die Differenzierung der Arbeit, die Urbanisierung und die Emanzipierung der Frauen nennen. Studien zur „Moderne“ bzw. modernen Gesellschaft wurden von mehreren Wissenschaftlern durchgeführt. Forscher wie Alexis de Tocqueville (1805–1859), Karl Marx (1818–1883) und Max Weber (1864–1920) beschäftigten sich mit verschiedenen Aspekten der Moderne. Das Konzept der Moderne war auch im 20. Jahrhundert ein viel bearbeitetes Thema, beispielsweise von Ferdinand Tönnies (1855–1936), Shmuel N. Eisenstadt (1923–2010) oder Jürgen Habermas (geb. 1926), um nur einige zu nennen. Diese und andere Wissenschaftler betrachteten das Konzept der Moderne aus verschiedenen Blickwinkeln und betonten jeweils andere Aspekte. Daran sieht man, dass Moderne als Begriff sehr unscharf und schwer zu definieren ist, anschließend wird jedoch der Versuch unternommen, ein erweitertes Verständnis von Moderne aufzuzeigen und dieses im Vergleich mit dem Begriff Modernisierung zu besprechen. 56

Vgl. ebd., S. 142.

36

Theoretischer Rahmen und Begrifflichkeiten

Die Modernisierung und „die Moderne“ beziehen sich auf dieselben Prozesse, die zur „Entzauberung der Welt“ im Weberschen Sinne führten, unterscheiden sich jedoch voneinander. Während der erste Begriff eine Handlung, einen Vorgang beschreibt, weist Moderne eher auf die Epoche (engl. the modern age) hin, in der die oben beschriebenen Prozesse an Bedeutung gewannen. Für Weber, genauso wie für Eisenstadt, nimmt diese Epoche die Gestalt einer eigenen Zivilisation an,57 die sich durch spezifische Realien auszeichnet. Kerncharakteristikum dieser Zivilisation bzw. Epoche bildet ein Zustand, der sich als Modernität (engl. modernity) beschreiben lässt. Zu den Kernelementen dieses Zustandes gehören Punkte wie: die Befreiung von traditionellen Prämissen; die Emanzipation von der Autorität der Tradition58; der Feststellung, dass die Menschen verschiedene gesellschaftliche Rollen wahrnehmen können; ebenso der Feststellung, dass man verschiedenen Gemeinschaften angehören kann, also kurz gesagt – die Autonomie des Menschen.59 Dementsprechend soll unter Modernisierung wie im Kapitel 2.1. erläutert ein Bündel von Prozessen verstanden werden, die Gesellschaften so verändern, dass sie sich den Prämissen der „Moderne“ nähern. In dieser Studie wird also die Meinung vertreten, dass Modernisierung ein Prozess ist, während unter Moderne eine Epoche zu verstehen ist, die durch einen spezifischen Zustand charakterisiert ist und die oben genannten Kernelemente aufweist. Diese Annahme ist bei verschiedenen Wissenschaftlern zu finden, auch gegenwärtigen, wie beispielsweise bei Alberto Martinelli: Modernization refers then to a process, or better, an ensemble of well-defined processes, and implies modernity. Nonetheless it is distinguished from modernity, which refers to the specific modalities of social life and culture that assert themselves in the course of such process.60

Die verangegangenen Ausführungen lassen sich anhand einer kleinen Tabelle zusammenzufassen: Tab. 2

Moderne, Modernität und Modernisierungsprozess im Überblick

Moderne

Epoche

the modern age

Modernität

Zustand

modernity

Modernisierungsprozess

Vorgang

modernization process

Dieser so formulierten Darstellung muss noch der Begriff „Modernismus“ hinzugefügt werden, der manchmal in Verbindung mit Moderne erwähnt wird. Die beiden Begriffe sollten nicht verwechselt werden, da sie auf unterschiedliche Sachverhalte 57 58 59 60

Vgl. Eisenstadt, Theorie und Moderne, S. 141. „Modernity is essentially a post-traditional order“, Anthony Giddens, Modernity and SelfIdentity: Self and Society in the Late Modern Age, Stanford, CA 1991, S. 20. Vgl. ebd., S. 142–143. Martinelli, Global Modernization, S. 8.

Moderne und Postmoderne

37

hinweisen und daher nicht gleichbedeutend sind. Modernismus, genauso wie Postmodernismus, bezieht sich auf Literatur, Malerei und Architektur. Er betrifft „Aspekte der ästhetischen Reflexion über das Wesen der Moderne“61; ein vierter Begriff der sich auf etwas Neues, Gegenwärtiges bezieht, aber über eine gänzlich andere Bedeutung verfügt. So bezieht sich Modernismus auf Kunst, Moderne ist als Epoche zu verstehen und Modernisierungsprozess beschreibt die Entwicklungen, die zur Moderne führen. An dieser Stelle muss noch hinzugefügt werden, dass der Verlauf von Modernisierungsprozessen von lokalen kulturellen Bedingungen abhängig sein kann. Dementsprechend können die Prozesse der Modernisierung auf verschiedenen Wegen verlaufen und zu verschiedenen Zielen führen.62 An diesem Punkt ist es nicht mehr weit zur Theorie der Vielfalt der Moderne von Shmuel Eisenstadt: Die klassischen Modernisierungstheoretiker der fünfziger Jahre und selbst die frühen soziologischen Klassiker, wie Spencer und bis zu einem gewissen Grad auch Durkheim, behaupteten, die institutionellen Ordnungen der Moderne würden sich auf der ganzen Welt gleich gestalten. Auch zu Webers Zeit herrschte diese Ansicht. Dagegen behaupte ich, dass sie sich in vielfältigen Erscheinungsformen ausprägten, in einer sich immer wieder wandelnden Vielfalt.63

Obwohl diese Theorie nicht im Ganzen in dieser Studie übernommen wird, weil sie auch manche Schwächen aufweist,64 wird in Anlehnung an Eisenstadt die Annahme akzeptiert, dass es keine global gültige Moderne gibt. Es werden also nicht nur Modernisierung und Moderne voneinander abgegrenzt, sondern es wird auch auf die Tatsache hingewiesen, dass sich eine Moderne von einer anderen unterscheiden kann. Demgegenüber werden jedoch auch die Argumente von Befürwortern der These einer Moderne mit vielen lokalen Versionen in dieser Studie wahrgenommen, wie z.B. von Ronald Schwartz.65 Die Unklarheiten bezüglich Vielfalt und Einheit der Moderne werden auch durch die Diskussion über ihre Entwicklungen und Phasen, verstärkt. Diese Diskussion dauert seit mehr als zwei Jahrzehnten an, seitdem die Thesen einer „late“ bzw. „high modernity“66, „liquid modernity“67 oder sogar „post-modernity“68 postuliert wurden. Vor 61 62 63 64

65 66 67 68

Anthony Giddens, Konsequenzen der Moderne, Frankfurt am Main 1995, S. 63 (kursiv im Original). Vgl. Mergel, „Geht es weiterhin voran?“, S. 225. Eisenstadt, Theorie und Moderne, S. 150–151. Johannes Berger schreibt, dass die Wandlungen auf einer sozialstrukturellen Ebene auf der ganzen Welt in ähnlicher Richtung verlaufen. Darüber hinaus betont der Forscher die Bedeutung von kapitalistischer Wirtschaft und moderner Wissenschaft, die sich überall auf der Welt nach europäischen Mustern ausbreiten. Zu diesen und anderen Kritikpunkten an der Theorie der Vielfalt der Moderne siehe Johannes Berger, „Die Einheit der Moderne“, in: Schwinn (Hg.), Die Vielfalt und Einheit der Moderne, S. 201–225. Robert Barnett/Ronald Schwartz (Hg.), Tibetan Modernities: Notes from the Field on Cultural and Social Change, Leiden/Boston 2008. Giddens, Modernity and Self-Identity; siehe vor allem das Kapitel: „The Contours of High Modernity“, S. 10–34. Zygmunt Bauman, Liquid Modernity, Cambridge 2000. Vgl. Linda Rouleau/Stewart Clegg, „Postmodernism and Postmodernity in Organization Analysis“, in: Journal of Organizational Change Management 5/1 (1992), S. 8–25.

38

Theoretischer Rahmen und Begrifflichkeiten

allem die These der Postmoderne soll hier kurz aufgegriffen werden, da sich mit ihrer Hilfe die Moderne selbst besser deuten lässt: The concept of »modernity« has today a quite different content from the one it had before the start of the »postmodern« discourse; there is little point in asking whether it is true or distorted, or in objecting to the way it is handled inside the »postmodern« debate, it draws its meaning from it, and it makes sense only jointly with the other side of the opposition, the concept of postmodernity.69

Bauman verweist damit außerdem auf die Tatsache, dass das Konzept der Postmoderne nicht unumstritten ist. Warum ist dann überhaupt die Rede von Postmoderne? Sowohl der eben genannte polnisch-britische Soziologe als auch Anthony Giddens betonen das „unspezifische Gefühl, in einer Zeit zu leben, die sich deutlich von der Vergangenheit abhebt“70. Zu den Punkten, die die Moderne von der Postmoderne unterscheiden, gehört vor allem der Glaube an die positive Kraft des menschlichen Verstands. Dagegen wird in der Postmoderne der Glaube an den ständigen Fortschritt der menschlichen Zivilisation abgelehnt, weil der Fortschritt auch Schattenseiten hat, wie z.B. die Zerstörung der Umwelt.71 Die Postmoderne unterscheidet sich auch von ihrer Vorgängerin – der Moderne – durch Institutionen, die sie neu definierte, und einer neuen sozialen Ordnung, die sie entwickelte.72 Postmoderne „signifies a new type of social organization and individual condition and defines, in the most ambitious attempts, a new method of research“73. Sie wurde auch als eine Epoche beschrieben, in der eine neue Kultur entwickelt wurde. Sowohl David Harvey als auch Frederic Jameson verbinden die Entstehung dieser Kultur mit kapitalistischen Entwicklungen, die in der ganzen Welt stattfinden. Hierzu lassen sich intensivierte Kommerzialisierung und Globalisierung der Weltmärkte als Beispiele nennen.74 Daneben unterscheidet sich auch die Postmoderne von der Moderne, weil sie die Tradition neuentdeckt hat – sie lehnt die Vergangenheit nicht ab, sondern versucht sie mit der Gegenwart zu vereinbaren: „Postmodernity does not involve the rejection of the past by a triumphant present, but is an expression of the creative appropriation of past and present.“75 Die Postmoderne kann also, um das Thema zusammenzufassen, als eine neue Epoche, in der sich der gegenwärtige Mensch bewegt, verstanden werden. Sie unterscheidet sich in mehreren Punkten von der Moderne, gleichzeitig ist sie jedoch eng mit ihr verbunden. Diese Verwurzelung der Postmoderne in ihrer Vorgängerin ist genau der Punkt, an dem die Kritik ansetzt. Die oben beschriebenen Unterscheidungsmerkmale zwischen den beiden Epochen sind für manche Wissenschaftler unbedeutend und die These über die Entstehung der Postmoderne ist ihrer Meinung nach übertrieben. Sie bevorzugen es, über unterschiedliche Phasen der Moderne zu sprechen, wie es die 69 70 71 72 73 74 75

Zygmunt Bauman, „Is There a Postmodern Sociology?“, in: Theory, Culture & Society 5 (1988), S. 218–219. Giddens, Konsequenzen der Moderne, S. 64; Bauman, „Is There a Postmodern Sociology?“, S. 217–219. Vgl. Giddens, Konsequenzen der Moderne, S. 64. Vgl. ebd., S. 63. Martinelli, Global Modernization, S. 84. Vgl. ebd., S. 86. Gerard Delanty, Modernity and Postmodernity, London 2000, S. 153.

Verwestlichung

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früher genannten Anthony Giddens, mit seinem „high modernity“-Konzept, und Ulrich Beck, mit der „reflexiven Moderne“, tun. Für diese und andere Wissenschaftler (Bruno Latour ist wahrscheinlich der radikalste von allen)76 sind die beschriebenen Phänomene nur Entwicklungen im Rahmen der Moderne. Unabhängig von welcher Stellungnahme man ausgehen möge, das Thema der Postmoderne ist wichtig, da es deutlich macht, dass die Ergebnisse von Modernisierungsprozessen, sprich also Moderne bzw. Postmoderne, nicht klar umrissen sind. Das Ziel der Modernisierung bewegt sich ständig, hat vielleicht sogar, wie es die Befürworter der Postmoderne-These sehen, schon eine andere Form angenommen, sodass nicht mehr die Rede von „modernen Gesellschaften“ sein kann, sondern von „postmodernen“. In diesem Sinne ist die These über die Postmoderne für diese Studie von Bedeutung, weil sie die mit Modernisierungsprozessen verbundenen Unklarheiten verdeutlicht. Aus diesem Grund wird hier die Behauptung zugrunde gelegt, – um das Thema der Moderne bzw. Postmoderne zu schließen –, dass das Endprodukt einer Modernisierung, unabhängig von den verwendeten Begriffen zur Beschreibung der gegenwärtigen Epoche, nicht bekannt ist. Mit der Beschreibung von Modernisierungsprozessen muss also vorsichtig umgegangen werden.

2.4. Verwestlichung Wolfgang Zapf schreibt, dass „[…] das westliche Modernisierungsmodell in den Verruf der ‚Westernisierung‘ und ‚Amerikanisierung‘ [geriet]“77. Der Grund dafür ist, dass die Modernisierungsprozesse zuerst im „Westen“ stattfanden und im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts in die ganze Welt „exportiert“ wurden. Noch in den 1950er und 1960er Jahren vertraten Modernisierungstheoretiker die Ansicht, dass das westliche Muster der Entwicklung das einzig gültige Muster sei und dementsprechend sollten die Prozesse überall wie im Westen verlaufen. Diese Annahme wurde zwar schon in den 1970er Jahren von Wissenschaftlern abgelehnt (siehe Kapitel 2.1), die Modernisierung wird trotzdem manchmal immer noch mit Verwestlichung gleichgesetzt. 78 Aus diesem Grund muss an dieser Stelle auch auf den Begriff der Verwestlichung (bzw. Westernisierung – engl. Westernization) eingegangen werden, um eventuelle Missverständnisse zu vermeiden. Verwestlichung wird in dieser Studie in Anlehnung an Ozay Mehmet als ein Prozess verstanden, in dessen Verlauf die westlichen Muster des Alltagslebens von den nicht-westlichen Ländern übernommen werden. „Westernization is reconstructing or shaping the rest of the world on Western norms and institutions.“79 Es handelt hier sich um die Übernahme von verschiedenen Lebensgewohnheiten,80 Institutionen, ökonomi76 77 78 79 80

Vgl. Bruno Latour, We Have Never Been Modern, Cambridge, MA 1993. Zapf, „Modernisierung und Modernisierungstheorien“, S. 33. Vgl. Serge Latouche, The Westernization of the World, Cambridge 1996, S. 1–4, 69–73. Ozay Mehmet, The Eurocentricity of Economic Development Theories, London 1999, S. 2. Z.B. die Benutzung von Besteck von Mitgliedern der höheren Kasten der indischen Gesellschaft im 19. Jahrhundert oder die Übernahme westlicher Kleidung innerhalb der japanischen Aristokratie seit der Meiji-Zeit.

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Theoretischer Rahmen und Begrifflichkeiten

schen Strukturen und vielem mehr. Zu den Zeichen von Verwestlichung zählen beispielsweise sowohl die Ausbreitung westlicher Gewohnheiten wie der Freizeitgestaltung mit Kino und Fernsehen als auch die Verbreitung des Englischen als Wissenschafts- und Businesssprache. Dieser Prozess wurde durch die großen geographischen Entdeckungen am Ende des 15. und Anfang des 16. Jahrhunderts sowie die anschließende Kolonialisierung Afrikas, des amerikanischen Kontinents, Indiens, Australiens und Ozeaniens initiiert. In diese Gebiete wie auch große Teile Asiens gelangten so westliche Lebensgewohnheiten, seine Kultur und Religion dies oft gewaltsam. Der Verwestlichungs-Prozess erreichte im 19. Jahrhundert seinen Höhepunkt, als die europäischen Staaten auf der ganzen Welt über Kolonien verfügten und die lokalen Eliten sich unter starkem Einfluss der westlichen Mächte befanden. Trotz der Dekolonialisierung (bzw. Dekolonisation, Entkolonisierung) im Zuge des 20. Jahrhunderts kam dieser Prozess nicht zum Erliegen die westlichen Einflüsse wurden sogar noch verstärkt. Diese Einflüsse im Bereich von Lebensgewohnheiten gingen mit Wandlungen in allen anderen Bereichen wie Politik, Ökonomie und Gesellschaft einher. Aus diesem Grund wird Verwestlichung oft mit Modernisierung gleichgesetzt. In dieser Studie wird jedoch eine Abgrenzung zwischen den Begriffen „Modernisierung“ und „Verwestlichung“ postuliert und sie werden dezidiert verwendet, was zwei Ursachen hat. Vor allem wird in dieser Studie auf den Begriff Verwestlichung verzichtet, weil dieser Prozess die Übernahme von westlichen Mustern hervorhebt, wobei die Modernisierungsprozesse, wie sie im Kapitel 2.1 beschrieben wurden, in verschiedene Richtungen gehen können. Sie führen zwar zur Übernahme bestimmter westlicher Institutionen und beeinflussen die Lebensgewohnheiten der Menschen, sie bedeuten aber nicht, dass die westlichen Muster eins zu eins übernommen werden. Die tatsächlichen Entwicklungen in den Gesellschaften haben das Homogenisierende und Hegemoniale des ursprünglichen kulturellen Programms der Moderne weit hinter sich gelassen. Zwar bildete das ursprüngliche westliche Projekt den Ausgangs- und Bezugspunkt für die Prozesse in verschiedenen Gesellschaften in aller Welt, aber diese Prozesse sind nicht einfach sozusagen ‚Kopien‘ des westlichen Musters.81

Darüber hinaus sollten Modernisierung und Verwestlichung nicht gleichgesetzt werden, weil der erste Begriff über positive Konnotationen verfügt, was man von Verwestlichung nicht uneingeschränkt behaupten kann. Die Übernahme von westlichen kulturellen Mustern wurde zwar beispielsweise von der japanischen und indische Aristokratie oder Herrschern wie dem russischen Zar Peter dem Großen positiv gesehen, Verwestlichung wird aber weit öfter als ein negativer Prozess betrachtet.82 Die vorangegangenen Ausführungen sind insofern für diese Studie von Bedeutung, als die Verwestlichung einer der wichtigsten Ansatzpunkte der Kritik gegen die Modernisierung in orthodoxen Gesellschaften ist. Bedingt durch die Gleichsetzung beider Phänomene, kann dies wiederum zur Verzögerung der Modernisierung in 81 82

Eisenstadt, Theorie und Moderne, S. 160. Die westlichen Einflüsse werden von unterschiedlichsten Kreisen in verschiedenen Regionen der Welt kritisiert, angefangen bei den katholischen und orthodoxen Bischöfen und euroskeptischen Politikern in süd- und osteuropäischen Ländern über die Slawophilen im 19. Jahrhundert bis hin zu muslimischen Fundamentalisten.

Orthodoxer Kulturkreis oder ostkirchlicher Raum?

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diesen Ländern führen. Modernisierung (positives Phänomen) wird aufgrund seiner Entstehung im Westen mit dem Vorwurf der Verwestlichung (negatives Phänomen) beladen. Dies verstärkt in den orthodoxen Gesellschaften den Widerwillen gegenüber Neuerungen, die die Modernisierung mit sich bringt. Orthodoxe Bischöfe scheinen diese Situation befördert zu haben, da sie sich oft eindeutig gegen die Übernahme von „westlichen kulturellen Mustern“ äußerten. Hierzu lassen sich mehrere Beispiele anführen, von denen die Politik von Erzbischof Christodoulos in Griechenland das deutlichste ist.83 Da dieses Thema später im Kapitel 3.3 ausführlicher ausgearbeitet wird, soll hier nicht weiter darauf eingegangen werden. Es muss jedoch unterstrichen werden, dass die Zusammenhänge zwischen Modernisierung und Verwestlichung für die orthodoxen Gesellschaften und daher auch für diese Studie eine wichtige Rolle spielen und deshalb an dieser Stelle angerissen werden mussten.

2.5. Orthodoxer Kulturkreis oder ostkirchlicher Raum? Wie schon herausgearbeitet wurde, liegt das Ziel dieser Dissertation in der Beschreibung und Deutung der rapiden Wandlungen auf dem Athos, die, wie grundlegend angenommen wird, als Modernisierungsprozesse fungieren. Diese Überlegungen werden in dem breiteren Kontext der Modernisierung in orthodox-christlichen Gesellschaften Ost- und Südosteuropas besprochen. Da sich das genannte Gebiet auf einen mehrere Quadratkilometer großen Raum und verschiedene Regionen ausdehnt, wurde es auf unterschiedliche Art und Weise beschrieben. Die vorangestellte geographische Beschreibung soll einen Begriff liefern, der zur Bezeichnung dieses Gebiets verwendet werden kann. Darüber hinaus ist es so, dass in kulturwissenschaftlichen Arbeiten der Begriff „orthodoxer Kulturkreis“ am häufigsten gebraucht wird, der im Anschluss kurz vorgestellt werden soll. Die Entstehung bzw. die Popularisierung dieses Begriffes wird dem deutschen Ethnologen Leo Frobenius zugeschrieben, der im Jahre 1898 seine Forschungsergebnisse über die Kulturen in Afrika publizierte.84 Er versucht in diesem Werk die historischen Beziehungen zwischen verschiedenen Völkern Afrikas zu erfassen und mit Hilfe des Begriffes „Kulturkreis“ graphisch darzustellen. Frobenius versteht unter diesem Terminus einen Raum, in dem die dort lebenden Völker gemeinsame kulturelle Merkmale aufweisen. Je mehr kulturelle Gemeinsamkeiten er zwischen den Völkern feststellen kann, desto wahrscheinlicher ist für ihn der historische Zusammenhang zwischen ihnen, und in diesem Fall zählt er sie zu einem Kulturkreis. Als Merkmale der 83

84

Vgl. Dimitrios Oulis/Gerasimos Makris/Sotiris Roussos, „The Orthodox Church of Greece: Policies and Challenges Under Archbishop Christodoulos of Athens (1998–2008)“, in: International Journal for the Study of the Christian Church 10/2–3 (2010), S. 192–210; Daniel Payne, „The Challenge of Western Globalization to Orthodox Christianity“, in: Jonathan Sutton/Wil van den Bercken (Hg.), Orthodox Christianity and Contemporary Europe, Leuven/Paris/Dudley, MA 2003, S. 133–144; Vasilios N. Makrides, „Orthodoxe Kirchen und Europa. Positionen zur europäischen Integration“, in: Osteuropa 59/6 (2009), S. 79–92; Damaskinos Papandreou, „Die Orthodoxie und der Aufbau des vereinten Europas“, in: Orthodoxes Forum 10 (1996) 61–76. Leo Frobenius, Ursprung der afrikanischen Kulturen, Berlin 1898.

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Theoretischer Rahmen und Begrifflichkeiten

Zugehörigkeit zu einem Kulturkreis können ähnliche Skulpturen, Lebensgewohnheiten oder Göttervorstellungen dienen. Dieses Kulturkreis-Konzept hat einige offensichtliche Schwächen; so ist z.B. die „Feststellung, dass die Quantität der Übereinstimmungen zwischen Kulturelementen zur Feststellung der Verwandtschaft zwischen Kulturkreisen wesentlich sei“,85 was die qualitative Seite außer Acht lässt. Darüber hinaus weist Frobenius’ kulturelle Karte Afrikas viele weiße Flecken auf, da einige ethnische Gruppen nicht in die Kulturkreise eingefügt werden können, da sie bestimmte Gemeinsamkeiten nicht aufweisen. Trotz dieser Schwächen wurde der Begriff des Kulturkreises von anderen Forschern übernommen86 und wird auch heute noch häufig benutzt.87 Trotz der großen Popularität, dessen sich der Begriff Kulturkreis erfreut, hat er noch weitere Nachteile. Vor allem lässt sich sagen, dass er an einen Begriff von Kultur anknüpft, der keine näheren inhaltlichen Begriffsbestimmungen erfährt. Kohl bemerkt in diesem Zusammenhang, dass Kulturanthropologen zwischen 150 Kulturbegriffen unterscheiden.88 So nennt z.B. Helmut Leipold vier typologische Kulturverständnisse (normatives, ganzheitliches, funktionales und kognitives).89 Dies macht deutlich, dass der Begriff „Kulturkreis“ in seinem Kern zu Verallgemeinerungen verurteilt ist. Dementsprechend ist ein weiterer Nachteil des Begriffes „Kulturkreis“, dass „[i]n der lokalen Perspektive […] die starren Grenzen der Kulturkreislehre durchlässig [werden] und die vielfältigen Interferenzen und Grenzüberschreitungen […] wieder die gebührende Beachtung [finden]“90. Die Kulturkreislehre setzt also voraus, dass die Räume, in denen die einzelnen Kulturen funktionieren, voneinander abgegrenzt werden können. Wie jedoch Edgar Hösch in der zitierten Aussage betont, lassen sich diese Grenzen aufgrund mehrerer lokaler Unterschiede nicht wirklich ziehen. Die genannten Schwierigkeiten betreffen auch das in dieser Arbeit untersuchte Gebiet. Aufgrund sowohl der geographischen Lage als auch der kulturellen Unterschiede wurde es in kleinere Regionen unterteilt. So wird in Bezug auf Südosteuropa oft der Begriff „Balkanraum“ verwendet. Jedoch auch dieser Terminus scheint nicht präzise zu sein, weil das Gebiet Südosteuropa im Laufe der Geschichte verschiedenen Einflüssen unterlag (Byzantinisches Erbe, Türkenherrschaft, lateinische und venezianische Präsenz, Einflüsse der westlichen Moderne). Das Instrumentarium der Kulturkreislehre reicht deshalb nicht, „um die Genese und Ausformung kleinräumiger Kulturlandschaften in Südosteuropa unter den wechselnden Konstellationen eines multi85

86 87 88 89 90

Marie-France Chevron, Anpassung und Entwicklung in Evolution und Kulturwandel. Erkenntnisse aus der Wissenschaftsgeschichte für die Forschung der Gegenwart und eine Erinnerung an das Werk A. Bastians, Wien 2004, S. 156–157. Der Begriff „Kulturkreis“ wurde 1911 von Fritz Gräbner ausführlicher thematisiert. Vgl. ebd., S. 156–157. Die Kulturkreislehre wurde vor allem von Samuel P. Huntington in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts wieder aufgegriffen. Vgl. Karl-Heinz Kohl, Ethnologie – die Wissenschaft vom kulturell Fremden, München 1993, S. 110. Vgl. Helmut Leipold, Kulturvergleichende Institutionenökonomik. Studien zur kulturellen, institutionellen und wirtschaftlichen Entwicklung, Stuttgart 2006, S. 3–8. Edgar Hösch, „Kulturgrenzen, gesellschaftliche Entwicklung und Raumstrukturen“, in: Südosteuropa-Jahrbuch 32, München 2001, S. 51.

Orthodoxer Kulturkreis oder ostkirchlicher Raum?

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ethnischen Umfelds durch die Jahrhunderte zu verfolgen“91. Es unterstreicht die Tatsache, dass „Balkan“ als Raumbegriff nicht unumstritten ist, weil es regionale kulturelle Unterschiede gibt, die damit nicht betont werden.92 Diese Unterschiede betreffen neben der genannten kulturellen auch die politische Ebene. Es wurde in Anlehnung an die Huntingtonsche These bemerkt, dass „[d]ie Beschwörung einer um Rußland kreisenden orthodoxen Welt […] freilich eine groteske Karikatur der Wirklichkeit und des Möglichen [ist]“93. Der Grund dafür ist die Tatsache, dass die einzelnen orthodoxen Länder verschiedene politische Ziele haben und sich nicht nach den Interessen Russlands bzw. der „orthodoxen Welt“ richten. Es gibt auch Konflikte zwischen den orthodoxen Ländern, wie der Krieg in Georgien im Jahr 2008 zeigt oder wie es im Konflikt zwischen Griechenland und Mazedonien der Fall war. In diesem Sinne also ist der „orthodoxe Kulturkreis“ weder kulturell noch politisch einheitlich und die Annahme, dass es einen orthodoxen Kulturkreis gibt, sehr problematisch. Obwohl alle genannten Nachteile des Begriffes Kulturkreis bekannt sind, verwenden ihn manche Autoren in Bezug auf Länder, deren überwiegende Bevölkerung sich zur Orthodoxie bekennt. So erachtet Heinz-Jürgen Axt den Begriff Kulturkreis als sehr wichtig und betont die große Bedeutung der einzelnen Kulturkreise in Europa.94 Trotz dieser Stimmen wird in dieser Studie auf den Kulturkreisbegriff verzichtet, stattdessen wird der Begriff „ostkirchlicher Raum“ postuliert. Der Unterschied zwischen den beiden besteht darin, dass letzterer mehr Wert auf die religiös geprägten Merkmale der Gesellschaften legt und darüber die unscharfen kulturellen Aspekte ausschließt. So wird auch die Gefahr vermieden, auf die Harald Müller hinweist: „Gesellschaften wechseln wesentliche kulturelle Merkmale innerhalb weniger Generationen, oft schon innerhalb einer einzigen.“95 Dementgegen wandeln sich die religiösen Merkmale nicht so rasch, wodurch die Zuteilung zum kirchlichen statt zum kulturellen Raum sicherer ist. Außerdem liegt der Vorteil der Benutzung des Terminus „ostkirchlicher Raum“ auch darin, dass dieser Begriff deutlicher macht, um welchen Raum es sich handelt. Zum ostkirchlichen Raum gehören diejenigen Gesellschaften, deren Mehrheit orthodoxe Gläubige sind, sich mit der Orthodoxie verbunden fühlen und Mitglied einer der Orthodoxen Kirchen sind. In diesem Sinne gehören ohne Zweifel sowohl das früher genannte Russland als auch Griechenland zum ostkirchlichen Raum, was sich im Fall des orthodoxen Kulturkreises nicht so einfach behaupten lässt. Der bedeutende Vorteil des Begriffes „ostkirchlicher Raum“ liegt jedoch vor allem darin, dass er Differenzen zwischen den Gesellschaften innerhalb dieses Raumes zulässt. Mit anderen Worten: Dieser Begriff setzt nicht die kulturelle Einheit der Ge91 92 93 94

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Ebd., S. 50. Zu der Diskussion über die Begriffe Balkan und Südosteuropa siehe Karl Kaser, Südosteuropäische Geschichte und Geschichtswissenschaft. Eine Einführung, Wien/Köln 1990, S. 85–119. Harald Müller, Das Zusammenleben der Kulturen. Ein Gegenentwurf zu Huntington, Frankfurt am Main 2001, S. 178. „Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts werden wir mit der Erkenntnis konfrontiert, daß in Europa nicht nur unterschiedliche Kulturkreise bestehen, sondern auch eine Bedeutung haben, die bislang oft unterschätzt wurde.“ Heinz-Jürgen Axt, „Europas Kulturkreise, Identitäten und Differenzen“, in: Südosteuropa-Jahrbuch 26, München 1996, S. 298. Müller, Das Zusammenleben der Kulturen, S. 34.

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Theoretischer Rahmen und Begrifflichkeiten

sellschaften voraus, sondern stellt die Zugehörigkeit zum ostkirchlichen Raum anhand des Glaubensbekenntnisses seiner Völker fest. Dies ist besonders wichtig, wenn man die kulturellen Differenzen innerhalb des genannten Gebietes in Betracht zieht. Es ist seit langem bekannt, dass es in allen orthodoxen Staaten aufgrund unterschiedlicher historischer Entwicklungen, Traditionen und Bräuche zur Betonung unterschiedlicher Aspekte kam und sich so die lokalen Varianten der Orthodoxie entwickelten. Letztendlich ist es kein Zufall, dass im Sprachgebrauch Begriffe wie griechische Orthodoxie oder russische Orthodoxie verwendet werden. Wenn man also den Begriff „orthodoxer Kulturkreis“ verwenden möchte, wird man stets mit der früher genannten Frage konfrontiert: Wie können Völker mit unterschiedlichen bedeutenden kulturellen Merkmalen zum orthodoxen Kulturkreis gehören? Beim „ostkirchlichen Raum“ wird dieses Problem ausgeklammert. Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass sich „ostkirchlicher Raum“ als Begriff schärfer und deutlicher als orthodoxer Kulturkreis fassen lässt. Insofern ist er besser für diese Studie geeignet und wird hier oft als Hilfsmittel zur Beschreibung des Untersuchungsraums dienen.

3. Die Herausforderungen der Modernisierung im orthodox-christlichen Kontext Die Aufmerksamkeit dieses Kapitels gilt nun dem Thema der Modernisierungsprozesse, da – wie im vorherigen Kapitel angenommen wurde – die Wandlungen auf dem Athos ähnlich wie die genannten Prozesse erfolgen. Dementsprechend lautet die primäre Frage dieses Kapitels: Wie verlaufen die Modernisierungsprozesse im ostkirchlichen Raum? Hier wird, mit anderen Worten, gefragt: Welchen Einfluss übt das orthodox-christliche Umfeld auf die genannten Prozesse aus? Um Antworten auf diese und ähnliche Fragen zu ermöglichen, wird im Folgenden auf verschiedene Theorien hingewiesen, die das Thema der Modernisierung im orthodox-christlichen Kontext genauer betrachtet haben. Es muss an dieser Stelle jedoch betont werden, dass eine Erstellung neuer theoretischer Ansätze zu diesem Thema hier nicht geplant ist, sondern das Ziel des Kapitels in der Überprüfung der Stichhaltigkeit der schon existierenden Theorien in Bezug auf Modernisierungsprozesse liegt. Mithilfe dieses Vorgehens soll eine Basis zur Beschreibung der Wandlungen auf dem Athos geschaffen werden. Modernisierungsprozesse, wie sie im vorherigen Kapitel beschrieben wurden, weisen einen sehr komplexen Charakter auf, wodurch auch ihr Verlauf in orthodoxen Gesellschaften sehr facettenreich ist. Aus diesem Grund werden verschiedene Phänomene der Positionierung gegenüber diesen Prozessen im ostkirchlichen Raum beschrieben. Nur auf diese Art und Weise kann die primäre Frage dieses Kapitels beantwortet werden. Dementsprechend wird weiter unten auf die Äußerungen über die Inkompatibilität zwischen den Charakterzügen der im ostkirchlichen Raum lebenden Völker und den Kerncharakteristika der westlichen Modernität hingewiesen. Es werden verschiedene Ansätze betrachtet und ihre wichtigsten Punkte in Bezug auf Inkompatibilität näher beleuchtet. Besprochen wird auch, inwieweit diese theoretischen Diskussionen überhaupt die Realität widerspiegeln. Anschließend sollen Antworten auf folgende Fragen gefunden werden: Welchen Einfluss haben die Charakterzüge orthodoxer Gesellschaften auf Modernisierungsprozesse? Warum ist überhaupt von Inkompatibilität die Rede? Können die Charakterzüge des ostkirchlichen Raums ein Hindernis für die Modernisierung darstellen? Die so formulierten Grundfragen dieses Kapitels weisen schon auf die Tatsache hin, dass hier „Charakterzüge“ bzw. „Merkmale“ von orthodoxen Gesellschaften untersucht werden sollen. Wie aber schon im Kapitel 2.5 betont wurde, verfügen die jeweiligen, als „orthodox“ oder „östlich“ beschriebenen Gesellschaften über verschiedene Charakterzüge; infolgedessen wird oft auf die griechische Orthodoxie, die russische Orthodoxie usw. hingewiesen. In diesem Sinne scheint also die Beschreibung von Merkmalen der orthodoxen Gesellschaften insgesamt zwecklos zu sein. Dementgegen wird jedoch hier angenommen, dass die im ostkirchlichen Raum lebenden Völker trotz einiger Unterschiede auf politischer und wirtschaftlicher Ebene einen großen Grad von kultureller Affinität aufweisen. Dies bezieht sich auf die religiöse Ebene, weil die religiösen Prämissen die Kultur dieser Völker entscheidend geprägt haben. Darüber hinaus wird in dieser Studie die Meinung vertreten, dass die Völker, deren Mehrheit sich zur Orthodoxie bekennt, eine ähnliche Einstellung gegenüber Modernisierungsprozes-

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Die Herausforderungen der Modernisierung im orthodox-christlichen Kontext

sen aufweisen und diese Prozesse daher im gesamten ostkirchlichen Raum ähnlich verlaufen. Diese Annahme wird auch in den folgenden Ausführungen Beachtung finden. In dem folgenden Kapitel wird außerdem auf den orthodoxen Traditionalismus und die damit verbundene Reformverweigerung eingegangen, weil sie eine wichtige Rolle in der Betrachtungsweise der Modernisierungsprozesse spielen. Darüber hinaus wird auch auf die Funktionen der Tradition im ostkirchlichen Raum hingewiesen und mit entsprechenden Beispielen belegt. Zuletzt werden der orthodoxe Antiokzidentalismus und seine Auswirkungen auf den Ablauf der Modernisierungsprozesse dargestellt. Hierzu werden sowohl Informationen zu den historischen Entwicklungen gegeben, die dieses Phänomen verursacht haben, als auch zu seinen gegenwärtigen Versionen. Die Besprechung der oben genannten Aspekte von Modernisierung wird anhand von Beispielen aus mehreren Ländern durchgeführt. Dieser generelle Blick auf orthodoxe Gesellschaften im Allgemeinen und nicht nur auf das griechische Milieu im Besonderen ist auch insofern berechtigt, da auf dem Heiligen Berg Athos Menschen aus verschiedenen orthodoxen Ländern leben. Beriefe man sich nur auf griechische Umstände, könnte dies zu einer Missachtung mancher Aspekte führen, die durch eine breiter angelegte Einführung vermieden werden kann.

3.1. Die Inkompatibilitätsthese Seit langem wurde beobachtet, dass die kulturellen Merkmale Ost- und Südosteuropas anders als die des europäischen Westens sind. Die Differenzen wurden schon von den Slawophilen im Russland des 19. Jahrhunderts zugunsten der östlich-orthodoxen Kultur vielfach betont. Dementsprechend stellten die westlichen Historiker und Kulturwissenschaftler in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts auch fest, dass die Kultur des orthodoxen Ostens nicht kongruent mit der westlichen sei und darüber hinaus einen zweiten Kulturkreis im europäischen Raum bilde.1 Diese Ansicht war über das gesamte 20. Jahrhundert hinweg in der Literatur omnipräsent, sei es bei Samuel P. Huntington in The Clash of Civilizations2, sei es auch bei Victoria Clark in ihrem Buch Why Angels Fall3. Die Tatsache also, dass ein Mangel an Kompatibilität zwischen den Charakterzügen der im ostkirchlichen Raum lebenden Völker und den Hauptmerkmalen der westlichen Modernität besteht, war seit mindestens zwei Jahrhunderten in der Literatur gut bekannt. Die Ansichten über diese Inkompatibilität waren auch von der politischen Situation nach dem Zweiten Weltkrieg beeinflusst: Der Eiserne Vorhang gliederte Europa in zwei Teile, denen zwei politische Systeme entsprachen. Nach dem Zerfall der 1

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Der bekannteste von ihnen war der britische Kulturtheoretiker und Philosoph Arnold Joseph Toynbee, der in seinem monumentalen 12-bändigen Werk „A Study of History“ den westlichen vom östlichen Kulturkreis in Europa aufgrund angeblicher religiöser und kultureller Verschiedenheiten unterschied. Samuel P. Huntington, The Clash of Civilizations, New York 1996, S. 139–158. „[Orthodoxie – Ł.F.] is not just another branch of the Christian religion, but of another culture entirely“, Victoria Clark, Why Angels Fall: A Journey Through Orthodox Europe from Byzantium to Kosovo, London 2000, S. 7.

Die Inkompatibilitätsthese

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kommunistischen Regime in Osteuropa stellte sich jedoch heraus, dass diese einfache Gliederung der tatsächlichen kulturellen Situation auf dem alten Kontinent nicht entsprach, weil die Lage komplizierter war. Johannes Papalekas beschrieb es folgendermaßen: Mit dem Ende des Kommunismus und dem Fortfall des dialektischen Systemgegners kamen nämlich die im „Westen“ latent vorhandenen und hausgemachten Widersprüche und Konflikte voll zur Geltung und wurden manifestiert. Damit verkomplizierte sich die Lage insgesamt ganz erheblich und schuf eine „Ost“ und „West“ übergreifende „neue Unübersichtlichkeit“.4

In diesem Zusammenhang kehrte auch das Thema der Inkompatibilität zurück. Es wurde eine Diskussion über die Rolle des orthodoxen Glaubens in den Modernisierungsprozessen ausgelöst. Forscher, die sich mit diesem Thema beschäftigten,5 bearbeiteten Ansätze über die „incompatibility between Orthodox Christianity and rationalization/modernization“6. Sie wiesen, genauso wie die früher genannten Autoren, auf verschiedene Punkte dieser Inkompatibilität hin. Diese Ansätze werden unten in Bezug auf die primäre Frage dieses Kapitels ausführlich betrachtet. Die grundlegende Aussage der Inkompatibilitätsthese ist, dass die Charakterzüge der orthodoxen Gesellschaften sich auf vielen Ebenen von den westlichen unterscheiden. Das größte Spannungsfeld zwischen ihnen betrifft vor allem die Traditionsverbundenheit der im ostkirchlichen Raum lebenden Völker. Aufgrund einer großen Zahl wichtiger Aspekte, die in diesem Bereich zu besprechen sind, wird ihnen ein eigenes Kapitel gewidmet (3.2). Im Folgenden werden jedoch andere Charakteristika der im ostkirchlichen Raum lebenden Völker beschrieben, die zur Entstehung der Inkompatibilitätsthese beitrugen. Zuerst muss hier einer der wichtigsten Charakterzüge der orthodoxen Gesellschaften genannt werden, nämlich ihre kollektive Ausprägung. Die Kollektivität ist im Unterschied zum Westen, wo die Individualität mindestens seit der westeuropäischen Aufklärung und vor allem seit der Französischen Revolution ein Bestandteil der Gesellschaft ist, eines der kulturellen Merkmale Ost- und Südosteuropas.7 In diesem Sinne passen die kulturellen Muster dieses Gebietes nicht zu den westlichen, was zu großen Unterschieden auf mehreren Ebenen zwischen östlichen und westlichen Gesellschaften führte. So sind z.B. mit dem Prinzip der Kollektivität die Menschenrechte assoziiert, deren Formulierung und Beachtung klares Unterscheidungskriterium zwischen modernen und vormodernen Gesellschaften ist. Während die Formulierung und 4 5

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Johannes Chr. Papalekas, „Die Frage nach den Institutionen“, in: Südosteuropa-Jahrbuch 25, München 1994, S. 9. Vgl. Vjacheslav Ivanov, „In My Beginning Is My End: Traditional Values in Russian Social Life and Thought“, in: Heyward Isham (Hg.), Remaking Russia: Voices from Within, New York 1995, S. 23–36; Daniil Granin, „New Dangers, New Hopes“, in: Isham (Hg.), Remaking Russia, S. 67–78; dazu siehe auch Makrides, „Orthodox Christianity, Rationalization, Modernization“, S. 184. Ebd., 187. Vgl. Vasilios N. Makrides, „Gemeinschaftlichkeitsvorstellungen in Ost- und Südosteuropa und die Rolle der orthodox-christlichen Tradition“, in: Joachim von Puttkamer/Gabriella Schubert (Hg.), Kulturelle Orientierungen und gesellschaftliche Ordnungsstrukturen in Südosteuropa, Wiesbaden 2010, S. 111–136.

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Die Herausforderungen der Modernisierung im orthodox-christlichen Kontext

Beachtung der Menschenrechte zum Hauptmerkmal der Identität von westlichen Gesellschaften wurde, wird im Osten nicht so großer Wert auf die individuellen Rechte der Menschen gelegt. Dies spiegelt sich auch auf kirchlicher Ebene wider: Die Lateinischen Kirchen betrachten die Menschenrechte als einen wichtigen Teil ihrer Lehre (vor allem der Protestantismus, die Katholische Kirche erst seit dem 2. Vatikanischen Konzil 1962–1965), die Orthodoxen Kirchen, mit Ausnahme der Russisch-Orthodoxen Kirche, setzten sich wiederum nicht mit diesen Prinzipien auseinander.8 Der Unterschied im Umgang mit den Menschenrechten ist nicht das einzige Beispiel der Kollektivität im ostkirchlichen Raum: Die Kollektivität spiegelt sich am besten im Familienleben wider. Die Institution Familie unterliegt zwar wie auch im Westen dem Einfluss der Modernität, sie nimmt jedoch immer noch einen höheren Stellenwert ein. So z.B. werden die Ehen in Griechenland nach wie vor in der Kirche geschlossen, während die standesamtliche Eheschließung nicht an Popularität gewinnt.9 Sitten und Bräuche in Bezug auf das Familienleben werden weiterhin befolgt: Den Kindern werden in Griechenland die Vornamen der Großväter bzw. Großmütter gegeben; die jüngeren Geschwister werden von den älteren Brüdern und Schwestern während des Studiums finanziell unterstützt; Altersheime gehören nur zur Ausnahme.10 Dadurch wird deutlich, dass die Institution Familie in Griechenland, aber auch in anderen orthodoxen Ländern anders als im Westen funktioniert und dementsprechend auch anders auf Modernisierungsprozesse reagiert. Zur Entstehung der Annahme, der ostkirchliche Raum sei nicht mit den Prämissen der Moderne kompatibel und darüber hinaus ein Hindernis für die Modernisierung, hat zweitens die Beobachtung beigetragen, dass die orthodoxen Gesellschaften anders als die westlichen nicht rational geprägt sind.11 Dem rationellen Westen, der allen Aberglauben ablehnte und eine rationale Interpretation der kirchlichen Dogmen postulierte, wurde also laut der Inkompatibilitätsthese der mystische Osten gegenübergestellt, der kein Interesse an weltlichen Angelegenheiten hegte und darüber hinaus der Modernisierung skeptisch gegenüberstand. Zudem zeichnet sich die Orthodoxie durch die Ablehnung der Wissenschaft und Betonung der Relationen zu Gott aus, die sich in der

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Die Russisch-Orthodoxe Kirche veröffentlichte in den letzten Jahren zwei Dokumente, die das Thema Menschenrechte thematisieren, was deutlich macht, dass die Diskussion über die Menschenrechte auch im Schoß der Orthodoxen Kirche stattfinden kann „Bases of the Social Concept of the Russian Orthodox Church“ aus dem Jahr 2000 und das 2008 verfasste Dokument „The Bases of the Russian Orthodox Teaching on Dignity, Freedom and Human Rights“. Siehe dazu Alexander Agadjanian, Russian Orthodox Vision of Human Rights: Recent Documents and Their Significance, Erfurt 2008; ders. „Liberal Individual and Christian Culture: Russian Orthodox Teaching on Human Rights in Social Theory Perspective“, in: Religion, State and Society 2 (2010), S. 97–113. Für die entsprechenden Statistiken siehe Gregor M. Manousakis, „Institutionen und institutioneller Wandel in Griechenland unter besonderer Berücksichtigung des wirtschaftlichen und kulturellen Bereichs“, in: Südosteuropa-Jahrbuch 25, München 1994, S. 77. Vgl. ebd., S. 77–78. Siehe Thanos Lipowatz, „Vernunft und Wille im Christentum“ in: Kassandra 15 (1998), S. 81; Andreas E. Buss, The Russian-Orthodox Tradition and Modernity, Leiden/Boston 2003, S. 49– 58.

Die Inkompatibilitätsthese

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orthodoxen Askese widerspiegeln.12 So schreibt Andreas Buss über den „Geist der Orthodoxie“: „It was a spirit composed of magical-traditional, ritual and mystical aspects“.13 Aus diesem Grund erhob das Orthodoxe Christentum keine Ansprüche auf eine Veränderung der Welt – „Gebet und Ruhe“ wird von den Orthodoxen Kirchen seit Gregorios Palamas postuliert, während im Westen „Gebet und Arbeit“ zum Leitmotiv wurde.14 Diese außerweltliche Orientierung bzw. Weltfremdheit der Ostkirche,15 die als ein Charakterzug der orthodoxen Spiritualität beschrieben wird,16 kann als eine der Ursachen des Ausbleibens einer Industriellen Revolution in den orthodoxen Ländern, neben jahrhundertelanger Fremdherrschaft und lang erhaltener Agrarstruktur, verstanden werden. In Bezug auf die Inkompatibilitätsthese wurde drittens bemerkt, dass es im ostkirchlichen Raum keine ausführlichen Auseinandersetzungen mit dem Erbe der westeuropäischen Aufklärung gab, infolge dessen vergrößerte sich die Kluft zwischen ostund westkirchlichem Raum. Im Osten fanden die wichtigsten Phänomene der Aufklärung, die von Vasilios Makrides als „die langfristigen Wandlungsprozesse in mehreren Bereichen“17 beschrieben wurden, entweder gar nicht oder erst viel später statt. Zu diesen Prozessen können die Rationalisierung, die Säkularisierung, die Wahlfreiheit, die Toleranz, der religiöse Pluralismus und die Öffnung gegenüber den nichtchristlichen Religionen gezählt werden.18 Diese führenden Forderungen der Aufklärung hatten, trotz der Kritik, die von einigen westeuropäischen Denkern (Schleiermacher, Horkheimer, Adorno) geübt wurde, einen großen Einfluss auf die gegenwärtige Form der Gesellschaften des Westens und können als integrale Bestandteile der westlichen Kultur verstanden werden, während sie im Osten als fremde Ereignisse betrachtet werden. Viertens wurde beobachtet, dass die Lebensgewohnheiten der Menschen ebenfalls durch die Inkompatibilität zwischen der im ostkirchlichen Raum lebenden Völker und den Hauptmerkmalen der modernen Gesellschaften betroffen sind. Zu dieser Gruppe 12 13 14

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Vgl. Makrides, „Orthodox Christianity, Rationalization, Modernization“, S. 182–183. Buss, The Russian-Orthodox Tradition and Modernity, S. 49. Vgl. Demosthenes Savramis, Zwischen Himmel und Erde. Die orthodoxe Kirche heute, Stuttgart 1982, S. 39. Auf die Unterschiede zwischen rationalem Westen und mystischem Osten weist auch Thomas Bremer hin: „Zwar gibt es auch in der lateinischen Theologie eine ‚theologia negativa‘, doch ist offensichtlich, dass der Versuch der Scholastik, durch Logik und Ratio möglichst klare Erkenntnis über alles und damit auch über Gott zu erlangen, in einem Spannungsverhältnis zur Lehre des Palamas steht.“ Thomas Bremer, „Theologische Hintergründe des Euroskeptizismus in den orthodoxen Kirchen Südosteuropas“, in: Gabriella Schubert (Hg.), Europa, das ich meine… Stellungnahmen zu den Werten Europas, Jena 2009, S. 86. Begriff nach Savramis, siehe ebd., S. 34. Vgl. Alexander Papaderos, „Orthodoxy and Economy: A Dialogue with Alfred MüllerArmack“, in: Social Compass 22 (1975), S. 39. Vasilios N. Makrides, „Orthodoxes Christentum und westeuropäische Aufklärung. Ein unvollendetes Projekt?“, in: Ökumenische Rundschau 57 (2008), S. 306. Vgl. ebd., S. 306. Umfangreiche Studien zur Aufklärung im ostkirchlichen Raum führte Paschalis M. Kitromilides durch. Siehe Paschalis M. Kitromilides, Enlightenment, Nationalism, Orthodoxy: Studies in the Culture and Political Thought of South-Eastern Europe, Aldershot 1994; ders., An Orthodox Commonwealth: Symbolic Legacies and Cultural Encounters in Southeastern Europe, Aldershot 2007.

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Die Herausforderungen der Modernisierung im orthodox-christlichen Kontext

gehören Phänomene wie Patriarchalität und der Umgang mit der Zeit.19 Anton Sterbling, der sich mit diesem zweiten Phänomen auseinandersetzte, schreibt: Kaum in einer anderen Dimension treten die Widersprüche und Disparitäten der im Umbruch befindlichen südosteuropäischen Gesellschaften wohl deutlicher in Erscheinung als im Verhältnis der Menschen zur Zeit, im unterschiedlichen Umgang mit der Zeit und in entsprechenden Zeitgefühlen.20

Er beobachtete, dieses Phänomen in verschiedenen literarischen Werken in Bezug auf den Balkan.21 Die Ursachen des anderen Umgangs mit der Zeit als im Westen sind einerseits in der Benutzung unterschiedlicher Kalender auf dem Balkan verbunden, die aufgrund der Existenz verschiedener Religionen auf diesem Territorium und diversen Spaltungen in der Orthodoxie (Neu- und Altkalendarier) benutzt wurden. Andererseits wurde gegenüber dem Westen ein anderes Zeitgefühl entwickelt, und zwar aufgrund der mangelhaften Industrialisierung des Balkans. Noch im 20. Jahrhundert war Südosteuropa agrarisch geprägt. Das Leben in den Gesellschaften, in denen die meisten Leute vom Ackerbau leben, sind eng mit dem Jahreszyklus verbunden und bezieht sich auf die wechselnden Jahreszeiten und damit verbundene Arbeiten. Da die Industrielle Revolution auf dem Balkan verspätet eintrat, ist der Umgang mit der Zeit viel traditioneller als im Westen und stärker zyklisch bedingt. In Westeuropa sind lineare Zeitvorstellungen seit langem präsent und stark durch eine langfristige Einteilung der Zeit gekennzeichnet (so werden z.B. das Studium des Kindes, die Rente und Kredite mehrere Jahre im Voraus geplant).22 Das Beispiel des Umgangs mit der Zeit verdeutlicht, dass die Inkompatibilitätsthese sich in verschiedenen Bereichen des sozialen Lebens widerspiegelt. Die Inkompatibilitätsthese speist sich, fünftens, auch aus der Tatsache, dass die Modernisierungsprozesse im ostkirchlichen Raum auf den bereits beschriebenen verschiedenen Ebenen mit anderer Geschwindigkeit verlaufen. In Ost- und Südosteuropa kann daher die Rede von der Ungleichzeitigkeit des Verlaufs der Modernisierung innerhalb der wirtschaftlichen, politischen und kulturell-gesellschaftlichen Dimensionen sein und darüber hinaus auch von einer Inkompatibilität beider Teile Europas. Auf diese Ungleichzeitigkeit im ostkirchlichen Raum weist Angelos Giannakopoulos hin, der eine Asynchronie zwischen Transformation und Modernisierung feststellt. Unter dem Begriff Transformation versteht er Modernisierungsprozesse, die auf der wirtschaftlichen und politischen Ebene verlaufen. „[…] Modernisierung auf der anderen Seite ist als der Prozess des kulturellen Wandels zusammenzufassen.“23 Diese Begrifflichkeiten werden in dieser Studie zwar nicht von Giannakopoulos übernommen, von Bedeutung ist jedoch die grundsätzliche Beobachtung, dass das Phänomen der Ungleichzeitigkeit 19

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Zur Patriarchalität im ostkirchlichen Raum siehe Gabriella Schubert, „Tradierte mentale Konzepte auf dem Balkan und deren prägende Kraft“, in: dies. (Hg.), Serbien in Europa. Leitbilder der Moderne in der Diskussion, Wiesbaden 2008, S. 33–42. Anton Sterbling, Zumutungen der Moderne. Kultursoziologische Analysen, Hamburg 2007, S. 156. Vgl. ebd., S. 154. Vgl. ebd., S. 158–159. Angelos Giannakopoulos, Tradition und Moderne in Griechenland. Konfliktfelder in Religion, Politik und Kultur, Frankfurt am Main 2007, S. 116 (kursiv im Original).

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von Modernisierungsprozessen vorkommt. Als Beispiel nennt er Griechenland, wo der Prozess der Transformation, also die Entwicklungen auf der politischen und wirtschaftlichen Ebene, deutlich fortgeschrittener ist als die Modernisierung auf der kulturell-gesellschaftlichen Ebene. Seiner Meinung nach ist die „Ungleichzeitigkeit zwischen Transformation und Modernisierung“24 ein Hauptmerkmal der Gesellschaften, die sich in der Übergangsphase zu den modernen Mustern des kulturellen, politischen und ökonomischen Lebens befinden. Ähnlich schreibt Holm Sundhaussen über die schwierige Lage, in der sich die Gesellschaften in der Übergangsphase befinden: Der Wandel der Mentalitäten (verstanden als kollektive, historisch gewachsene, meist unbewußte Denk- und Verhaltensformen) hielt nicht annähernd Schritt mit dem Tempo des institutionellen Wandels. Die Folge war eine zunehmende Dysfunktionalität der Institutionen. Hinter der Fassade äußerer Modernität lebten die traditionellen Strukturen fort.25

Darüber hinaus weisen beide Autoren auf die Tatsache hin, dass die Modernisierungsprozesse im ostkirchlichen Raum im Vergleich zu ähnlichen Prozessen im Westen verspätet eintraten sind und anders verliefen, was auch zur Bekräftigung der Inkompatibilitätsthese beitrug. Bei dieser Gelegenheit taucht außerdem das Theorem der „partiellen Modernisierung“ wieder auf, auf das im zweiten Kapitel hingewiesen wurde. Die Ausführungen von Giannakopoulos und Sundhaussen beweisen, dass dieses Theorem sich gut auf den ostkirchlichen Raum anwenden lässt. Der sechste Charakterzug der im ostkirchlichen Raum lebenden Völker, der noch genannt werden muss, ist ihre Dichotomisierung gegenüber dem Westen und den aus dem Westen stammenden Prozessen. Im orthodoxen Serbien ist diese interne Spaltung der Gesellschaft am besten zu sehen, beschrieben von Sabrina P. Ramet: […] there are liberals and nationalists, socialists and traditional religious believers, Westernizers and Slavophiles, those who favour joining the European Union and NATO, and those who think of Russia as Serbia’s best friend and ally.26

Die Situation in Serbien, obwohl vielleicht am deutlichsten, ist kein Einzelfall: Die Neureichen in den größten Städten Russlands, Griechenlands oder Bulgariens haben andere Lebensgewohnheiten als die anderen sozialen Gruppen in diesen Ländern und sind eher zur Übernahme westlicher Muster des Alltagsverhaltens bereit. In ihrem Fall ist die Inkompatibilität zwischen dem orthodoxen Glauben und der Modernisierung schon obsolet. Sie stellen aber nur einen Teil der Gesellschaften dar und leben neben der „traditionell“ geprägten Bevölkerung, die sich nicht nach den Prinzipien der Rationalisierung und Säkularisierung richtet, sondern traditionelle Formen des Familienlebens und Umgangs mit der Zeit pflegt. Diese interne Spaltung der Gesellschaft in Bezug auf kulturelle Muster des Alltagsverhaltens, aber auch politischer und wirtschaftlicher Modernisierung, ist zu betonen, weil sie ebenfalls einen Einfluss auf den Verlauf 24 25 26

Ebd., S. 117 (kursiv im Original). Holm Sundhaussen, „Institutionen und institutioneller Wandel in den Balkanländern aus historischer Perspektive“, in: Südosteuropa-Jahrbuch 25, München 1994, S. 54. Sabrina P. Ramet, „Serbia since July 2008: At the Doorstep of the EU“, in: Südosteuropa 58 (2010), S. 18. Zu Dichotomisierung gegenüber der „Europäisierung“ siehe auch Dubravka Stojanović, „Hürdenlauf. Politische Kultur als Modernisierungshindernis in Serbien“, in: Südosteuropa 56 (2008), S. 390.

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dieser Prozesse ausübt und eine Kompatibilität mit den westlichen Gesellschaften verhindert. Diese sechs eben erläuterten, im ostkirchlichen Raum vorkommenden gesellschaftlichen Merkmale wurden von Wissenschaftlern als Unterscheidungskriterien zwischen westlichen und östlichen Gesellschaften betrachtet. Es sollte deutlich geworden sein, dass diese Unterschiede auf verschiedenen Ebenen fungieren und sehr facettenreich sind. So sind die Völker des ostkirchlichen Raumes traditioneller als die der modernen Gesellschaften, sie weisen eine größere kollektivistische und mystische Einstellung auf wie auch einen Mangel am Erbe der Aufklärung. Trotzdem wäre es jedoch falsch zu behaupten, dass die Merkmale der ostkirchlichen Gesellschaften ausschließlich inkompatibel mit denen der westlichen seien, sodass diesem Umstand im Weiteren nun mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden soll. Hier muss vor allem betont werden, dass einige Charakterzüge, die als „modern“ beschrieben werden, auch im ostkirchlichen Raum vorkommen. So ist es falsch zu behaupten, dass das Orthodoxe Christentum, auf dem die Kultur dieses Raumes aufbaut, nur mystisch und außerweltlich orientiert sei. Die „ora et labora“-Regel ist beispielsweise Basilius dem Großen (von Caesarea) zuzuschreiben, auch wenn sie im Westen von den Benediktinern popularisiert wurde.27 Zudem sind in den Schriften von Johannes Chrysostomos dem Protestantismus ähnliche Äußerungen über Reichtum und Luxus zu finden.28 Dies macht deutlich, dass die Orthodoxie auch eine weltbezogene Richtung annehmen kann, die einen fruchtbaren Boden für Modernisierungsprozesse bildet. Zwar setzte sich diese weltbezogene Richtung der orthodoxen Theologie im Laufe der Geschichte nur begrenzt durch, sie ist jedoch ein Faktum, das die Inkompatibilität zwischen west- und ostkirchlichem Raum in Frage stellt. Zu den Aspekten des ostkirchlichen Raumes, die die Inkompatibilitätsthese unhaltbar werden lassen, muss noch die Einstellung gegenüber Modernisierungsprozessen hinzugefügt werden. Diese Einstellung hängt von einer konkreten Situation ab. So nehmen einerseits die Gesellschaften des ostkirchlichen Raumes gerne an der technologischen Modernisierung teil und nutzen die technischen Neuerungen, die aus Westen kommen. Auch die politischen und ökonomischen Strukturen wie Demokratie und Marktwirtschaft konnten sich, trotz mancher Schwierigkeiten, schon fest in dieser Region etablieren. Andererseits schaffen die Modernisierungsprozesse auf der kulturellgesellschaftlichen Ebene keine so raschen Veränderungen, weil die eventuelle Übernahme von „westlichen kulturellen Mustern“ kritisiert wird, wie im Kapitel 2.4 hervorgehoben wurde. Diese differenzierte Wahrnehmung der einzelnen Modernisierungsprozesse im ostkirchlichen Raum ist auch in den Schriften orthodoxer Akademiker zu sehen. So sind beispielsweise die Ausführungen von Christos Yannaras zu ver27

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Vgl. Savramis, Zwischen Himmel und Erde, S. 40. Auch Wolf-Dieter Hauschild weist darauf hin, dass die „ora et labora“-Regel auf dem basilianischen Konzept basiert. Siehe Wolf-Dieter Hauschild, „Basilius von Cesarea“, in: Theologische Realenzyklopädie, Band 5, Berlin/New York 1980, S. 312; Regina Toepfer, Pädagogik, Polemik, Paränese, Tübingen 2007, S. 224. Für die vollständige Erfassung der Benediktiner-Regel in deutscher Übersetzung siehe Georg Holzherr (Hg.), Die Benediktsregel. Eine Anleitung zu christlichem Leben, Freiburg 2005. Siehe auch Philip Rousseau, Basil of Caesarea, Los Angeles 1994. Vgl. Savramis, Zwischen Himmel und Erde, S. 48.

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stehen, der nicht die Modernisierung an sich kritisiert, sondern eine Modernisierung ohne Bezug auf die realen Bedürfnisse der Gesellschaft.29 Dies zeigt, dass aus dem Westen stammende Prozesse und Prämissen unterschiedlich bewertet, aber nicht grundsätzlich abgelehnt werden. Letztendlich wird in dieser Studie unterstrichen, dass die im ostkirchlichen Raum lebenden Völker doch Modernisierungsprozessen unterliegen, was ein starker Beweis für die Schwäche der Inkompatibilitätsthese ist. In Folge dieser Prozesse entstehen moderne Institutionen und die Bedeutung moderner Prämissen steigt in orthodoxen Gesellschaften. Dieses Phänomen führt dazu, dass in der gegenwärtigen Situation die Grenzen zwischen „modernen“ und „östlichen“ Werten an Bedeutung verlieren, weil die Völker des ostkirchlichen Raumes „nicht-orthodoxe“ Werte übernehmen. Aus den genannten Gründen wird in dieser Studie die Inkompatibilitätsthese mit einer gewissen Skepsis betrachtet. Stattdessen wird hier die Annahme postuliert, dass es vorteilhafter ist, von unterschiedlichen Charakterzügen der modernen und ostkirchlichen Gesellschaften zu sprechen als von ihrer Inkompatibilität. Welchen Einfluss haben jedoch die Unterschiede auf den Verlauf der Modernisierungsprozesse im ostkirchlichen Raum? Um auf diese Frage die Antwort präsentieren zu können, ist es notwendig verschiedene Aspekte des Einflusses von Phänomenen, die bei den im ostkirchlichen Raum lebenden Völkern auftreten, einzeln zu betrachten. Zuerst muss also auf die Rolle der Kollektivität für die Modernisierung hingewiesen werden. Schon bei oberflächlicher Betrachtung dieses Charakterzuges, der den orthodoxen Gesellschaften zugeschrieben wird, stellt man fest, dass das Familienleben bzw. die engeren Kontakte zwischen Familienmitgliedern einen bemerkenswerten Einfluss auf das politische Leben auf dem Balkan haben.30 Es wurde bemerkt, dass dieses Gebiet gegenüber dem Westen eine grundsätzlich andere „politische Kultur“ aufweist, aus welcher die Schwierigkeiten bei der politischen Modernisierung resultieren. Hier ist der Stolperstein vor allem die mangelhafte Trennung zwischen Staat und Gesellschaft.31 Eine weitere Auswirkung der Kollektivität innerhalb der orthodoxen Gesellschaften ist auf der Ebene der ökonomischen Modernisierung zu sehen. Die Wirtschaft leidet unter Nepotismus und Klientelsystem, die sich aufgrund kollektivistischer Einstellung im ostkirchlichen Raum etabliert haben. Ein entscheidender Mangel an „individual consciousness“32 trug zur Entstehung dieser beiden Phänomene bei, indem sie persönliche Initiative verhinderten und so einen negativen Einfluss auf die Wirtschaft ausübten. Auf kulturell-gesellschaftlicher Ebene behindert die Kollektivität nach wie vor die für die Moderne notwendig erscheinenden Menschenrechtsdebatten, die im ostkirchlichen Raum noch immer nicht geführt wurden, weil der Schwerpunkt des ge-

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Christos Yannaras, „Die Modernisierung Griechenlands und europäische Perspektiven“, in: Kassandra 17 (1999), S. 8. Siehe dazu Giannakopoulos, Tradition und Moderne in Griechenland, S. 191–202; Anton Sterbling, Intellektuelle, Eliten, Institutionenwandel. Untersuchungen zu Rumänien und Südosteuropa, Hamburg 2001. Judy Dempsey, „Der Balkan und die EU. Modernisierung oder Abhängigkeit?“, in: Internationale Politik 10 (2001), S. 67. Papaderos, „Orthodoxy and Economy“, S. 41.

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sellschaftlichen Lebens auf dem Kollektiv und nicht dem Individuum liegt. 33 Es wird also deutlich, dass die kollektivistische Einstellung der im ostkirchlichen Raum lebenden Völker einen negativen Einfluss auf alle drei der im zweiten Kapitel dargestellten Ebenen der Modernisierung hat. Darüber hinaus haben auch der mystische Umgang mit dem Glauben und die damit verbundene Art der Gefühlsreligiosität im Osten weitgehende Konsequenzen. Demosthenos Savramis schreibt dazu: „Sie verhinderte die rationale Systematisierung und Gestaltung der eigenen persönlichen Lebensführung und dementsprechend des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens.“34 Als Resultat dessen können beispielsweise der Nepotismus und der „Abenteurerkapitalismus“35 in den orthodoxen Gesellschaften verstanden werden. Die innerweltliche Askese ist auch ein entscheidender Grund für die Nichtteilnahme der orthodoxen Gesellschaften an der Industriellen Revolution, weil die orthodoxen Gläubigen sich nicht zur Veränderung der Welt berufen fühlten. Des Weiteren konnte sich das rationale Wirtschaftssystem nicht entwickeln, da keine entsprechenden Grundlagen, keine, den im Protestantismus existierenden ähnlichen, ethischen Prinzipien des Erwerbslebens vorhanden waren: „Im ostkirchlichen Raum fehlte das Entscheidende: ‚die asketisch bedingten, rationalen Antriebe‘“36. Aufgrund des irrationalen Umgangs mit dem Glauben entwickelte sich auch keine positive Einstellung gegenüber dem Erwerbsleben. Es lässt sich also sagen, dass die außerweltliche Orientierung der Ostkirche und ihre mystische Einstellung ein Hindernis für die Modernisierungsprozesse sowohl auf wirtschaftlicher als auch politischer und kulturell-gesellschaftlicher Ebene in den orthodoxen Ländern darstellt. Der mystische Umgang mit dem Glauben trug unter anderem auch dazu bei, dass der Rationalismus nicht zu einem der wichtigsten Merkmale des Ostens werden konnte, wie es im Westen der Fall war. Doch diesem folgte eine weitgreifende Konsequenz, die im Osten ausblieb, nämlich: der durch den Rationalismus ausgelöste Prozess der Säkularisation in den protestantischen und katholischen Ländern des westlichen Europas. Der Säkularisationsprozess, dessen Wurzeln sich schon in der Aufklärung feststellen lassen,37 verringerte die Rolle der Religion in der Gesellschaft, wodurch sie zu einem, nicht aber dem wichtigsten Teil des sozialen Lebens wurde, zu denen unter anderem auch die Politik und die Ökonomie gehören.38 Darüber hinaus wurde der Einfluss der kirchlichen Hierarchie auf die Gesellschaft vermindert und die Trennung von Staat und Kirche durchgeführt, was in der orthodoxen Welt bis heute nicht passierte und wo die Zusammenarbeit von beiden Institutionen ein Bestandteil der nationalen Identität 33

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Makrides schreibt in Anlehnung an Friedrich von Halem, dass das westliche Recht individualistischer geprägt war, infolgedessen der einzelne Mensch viele Rechte zugeschrieben bekam. „Im Gegensatz dazu zeigte der Osten eine Neigung zu einem kollektiveren Rechtsverständnis. Die kollektiven Vorstellungen über das Gute und Böse blieben hier bestimmend und das Recht sei nicht die einzige Quelle der Lebensführung gewesen, sondern sei immer neben andere Werte gestellt worden.“ Makrides, „Gemeinschaftlichkeitsvorstellungen in Ost- und Südosteuropa“, S. 118. Savramis, Zwischen Himmel und Erde, S. 46 (Hervorhebung im Original). Begriff nach Max Weber zitiert in Savramis, siehe ebd. S. 48–50. Ebd., S. 49. Vgl. Payne, „The Challenge of Western Globalization to Orthodox Christianity“, S. 138. Vgl. ebd., S. 134.

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ist. Im Laufe des 20. Jahrhunderts kam es auch in den ost- und südosteuropäischen Ländern zu einem gewissen Säkularisationsprozess, „trotzdem handelt es sich um eine besondere Form von Säkularisierung, die sich in vielerlei Hinsicht von der westeuropäischen unterscheidet“39. Trotz der Säkularisierung kam es in den orthodoxen Ländern zu keiner Abnahme der Religiosität,40 die Kirche bewahrte weiterhin ihren großen Einfluss auf die Gesellschaft. Dies bestätigt, dass die Rede von einer anderen Version der Säkularisierung berechtigt ist, was wiederum auf die Tatsache hinweist, dass die Charakterzüge des ostkirchlichen Raumes Einfluss auf den Verlauf von Modernisierungsprozessen ausüben. In diesem Fall nimmt die Modernisierung (bzw. der Säkularisierungsprozess) nur eine andere Gestalt an. Als Resultat des mystischen Umgangs mit dem Glauben entstand im ostkirchlichen Raum eine mystische Theologie, die auf Gregorios Palamas zurückgeht. Die Unterschiede zwischen dieser Theologie und der westlichen Scholastik stellen laut Thomas Bremer die Wurzeln des orthodoxen Antiokzidentalismus dar. „Es ist nahe liegend, dass die genannten Unterschiede zu antiwestlichen Diskursen in den Orthodoxen Kirchen nicht nur, aber eben auch in den Ländern Südosteuropas beigetragen haben.“41 In diesem Sinne hat die Mystik einen negativen Einfluss auf die Modernisierungsprozesse im ostkirchlichen Raum, weil sie zu einer skeptischen Einstellung gegenüber dem Westen führt und darüber hinaus zur Ablehnung der Modernisierung (mehr zu diesem Thema in Kapitel 3.3). Weitere der schon beschriebenen Phänomene, die zur Entstehung der Inkompatibilitätsthese beigetragen haben, sind die Ungleichzeitigkeit der Modernisierungsprozesse und zahlreiche Spaltungen in den einzelnen Gesellschaften. Es wird in dieser Studie die Meinung vertreten, dass die beiden Phänomene die Modernisierungsprozesse lenken, ohne sie jedoch völlig blockieren zu können. So führt die Ungleichzeitigkeit zu Ungleichmäßigkeiten in den Modernisierungsprozessen, weil die politische und wirtschaftliche Modernisierung schneller als die kulturell-gesellschaftliche verläuft, als Ergebnis dessen entsteht die Kluft zwischen den Institutionen auf der einen Seite und dem traditionellen Umgang mit ihnen auf der anderen.42 Auf ähnliche Art und Weise verlangsamen auch die internen Spaltungen den Ablauf von Modernisierungsprozessen, weil die Gesellschaft der Modernisierung nicht geschlossen gegenübersteht. Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass die westlichen Gesellschaften ebenfalls sowohl von der Ungleichzeitigkeit als auch den internen Spaltungen betroffen waren, die Modernisierungsprozesse aber trotzdem durchgeführt wurden. Das ist ein Zeichen dafür, dass diese Phänomene die Modernisierung nicht völlig blockieren können. 39 40

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Makrides, „Orthodoxes Christentum und westeuropäische Aufklärung“, S. 309. Dies lässt sich auch anhand der von dem European Value Surveys Institute gesammelten Statistiken belegen: Die Zahl der Gläubigen, die Messen in der Kirche besuchen, stieg seit 1990 in allen orthodoxen Ländern. Vgl. Loek Halman/Ronald Inglehart/Jaime Diez-Medrano (Hg.), Changing Values and Beliefs in 85 Countries: Trends from the Values Surveys from 1981 to 2004, Leiden/Boston 2008. Bremer, „Theologische Hintergründe des Euroskeptizismus“, S. 91. Es handelt sich hier um ein „cultural lag“ im Sinne von William Ogburn. Vgl. William Ogburn, Social Change with Respect to Culture and Original Nature, New York 1922 bzw. die Ausgabe vom 2009 bei Kessinger Publishing LCC.

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Zusammenfassend kann die Antwort auf eine der primären Fragen dieses Kapitels gewagt werden, nämlich die nach Einfluss der Charakterzüge der orthodoxen Gesellschaften auf Modernisierungsprozesse. Es lässt sich sagen, dass sie überwiegend einen negativen Einfluss auf die Modernisierungsprozesse ausübten. Sie sollten jedoch nicht als ein unpassierbares Hindernis für diese Prozesse verstanden werden, weil die Charakterzüge der orthodoxen Völker grundsätzlich nicht im Gegensatz zur Modernisierung stehen. Wie oben beschrieben wurde, sollten das Orthodoxe Christentum und darüber hinaus auch der ostkirchliche Raum nicht als ausschließlich antimodern verstanden werden. Deswegen wird hier auf die Unterschiede und nicht die Gegensätze zwischen den orthodoxen und modernen Gesellschaften hingewiesen, denn die Modernisierungsprozesse finden in diesem Raum statt und werden auch sehr begrüßt. Im ostkirchlichen Raum nehmen diese Prozesse also aufgrund der spezifisch orthodoxen kulturellen Muster andere Wege als im Westen. Sie werden im ostkirchlichen Raum einer Art Akkulturationsprozess unterzogen: Die kulturellen Muster der Orthodoxie verhindern die Modernisierungsprozesse nicht, sondern wandeln sie um und passen sie der eigenen Situation an.

3.2. Traditionalismus und Reformverweigerung In der Literatur wird öfter seitens orthodoxer Denker eine starke Kritik an der Modernität geübt,43 weil sie nicht in den orthodoxen Gesellschaften entwickelt wurde und daher nicht der Tradition dieser Gesellschaften entspricht. Die Modernität „did not arise out of these societies and their own needs, but was somehow imposed upon them by Westernized elites“44. Tradition spielt in orthodoxen Gesellschaften aber eine wichtige Rolle, denn auch das Orthodoxe Christentum bezieht sich ständig auf seine Wurzeln, im Besonderen auf die Tradition der Kirchenväter, wie Johannes Oeldemann dies plausibel ausdrückt: Die Werke der Kirchenväter genießen in allen Ostkirchen hohes Ansehen, weil sie als nahezu unerschöpflicher Schatz geistlicher und theologischer Inspiration erlebt werden. Daher orientieren sich orthodoxe Theologen bis heute an den Schriften der Kirchenväter und versuchen ihre theologischen Thesen mit entsprechenden Zitaten aus patristischer Zeit zu belegen.45

Diese starke Verankerung in der Geschichte kann zum Konflikt mit der Gegenwart führen, die Spannung Modernität versus Tradition ist also von großer Bedeutung für den Ablauf von Modernisierungsprozessen im ostkirchlichen Raum. In diesem Teil soll kritisch untersucht werden, welche Rolle der orthodoxe Traditionalismus in den Modernisierungsprozessen spielt. Es wird gefragt, ob die traditionelle Ausprägung der Orthodoxie überhaupt in der Gegenwart zum Ausdruck kommt. Gleichzeitig wird aber 43

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Zu denjenigen orthodoxen Denkern, die Kritik am Westen üben, zählen gegenwärtig unter anderem Griechen (Christos Yannaras) bzw. griechisch-stämmige Autoren im Ausland (Constantine Cavarnos). Makrides, „Orthodox Christianity, Rationalization, Modernization“, S. 187. Johannes Oeldemann, Die Kirchen des christlichen Ostens. Orthodoxe, orientalische und mit Rom unierte Ostkirchen, Regensburg, 2008, S. 189.

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auch auf die historischen Wurzeln des orthodoxen Traditionalismus eingegangen, um die Gründe der Entstehung dieses Phänomens zu beleuchten. Zuerst muss der Begriff Traditionalismus näher erläutert werden. Er lässt sich prinzipiell als geistige Haltung beschreiben laut der „Gewissheit über die Wahrheit allein die Tradition [vermittelt], welche die bei der Schöpfung von Gott gegebene Uroffenbarung über die Generationen tradiert“46. Damit ist der Kern des Begriffes genau getroffen, doch es kommen auch einige Unklarheiten ans Licht, weil der Traditionalismus sich immer auf eine jeweilige Tradition bezieht, von denen es allerdings mehrere gibt: There are many sorts of ‚traditionalists‘ and many ‚traditionalists‘ movements. In the widest sense of the word, a ‚traditionalist‘ may be no more than a conservative, possibly a nostalgic person who hankers after the custom of his or her youth. A ‚traditionalist‘ may also be someone who prefers a specific established practice over something that has replaced it.47

Für die Zwecke dieser Studie muss also das Verständnis des Traditionalismus schärfer umrissen werden. Von Bedeutung für diese Untersuchung ist vor allem folgender Ansatz: Traditionalismus beinhaltet die „Ansicht, daß die Erkenntnis Gottes u.s.w. aus einer Uroffenbarung stamme und sich durch Tradition erhalte“48. Die drei oben genannten Definitionen dieses Phänomens haben im Grunde genommen dieselbe Bedeutung, die letzte ist jedoch deutlicher formuliert, weil hierbei der Schwerpunkt auf dem religiösen Aspekt des Traditionalismus liegt, wodurch die Gefahr einer Fehlinterpretation, wie es im Fall der ersten Definition möglich war, ausgeschlossen wird. Sowohl in diesem Kapitel als auch in der ganzen Studie wird deswegen die Meinung vertreten, dass unter dem Begriff „orthodoxer Traditionalismus“ eine Ansicht verstanden wird, deren Anhänger sich auf die patristische Tradition beziehen und sich eng mit ihr verbunden fühlen.49 Der so formulierte Begriff Traditionalismus gibt nun ein klares Bild, warum die traditionsbewussten Gesellschaften den Reformen nicht sonderlich bereitwillig gegenüberstehen – die Veränderungen gelten nämlich als gefährlich für die Tradition, die das wichtigste Gemeinwohl dieser Gesellschaften darstellt. Reformverweigerung ist deswegen ein weiterer Charakterzug, der neben dem Traditionalismus zu den Merkmalen traditioneller Gesellschaften zählt. Sofern letzteres eine kulturelle Konzeption ist, ist die Tendenz zur Verweigerung der Reformen sein spürbares Ergebnis, das einen realen Einfluss auf die Gesellschaft hat. Der in dieser Studie verwendete Begriff des Traditionalismus weist auf das orthodoxe Verständnis der Tradition hin, die eine Schlüsselbedeutung für das östliche Christentum hat. Aus diesem Grund muss dieser Begriff näher betrachtet werden. Vor 46 47 48 49

Herman H. Schwedt, „Traditionalismus“ in: Lexikon für Theologie und Kirche, Band 10, Freiburg im Breisgau, 2006, S. 159. Mark Sedgwick, Against the Modern World: Traditionalism and the Secret Intellectual History of the Twentieth Century, Oxford 2004, S. 21. „Traditionalismus“ in: Rudolf Eisler (Hg.), Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Band 3, Berlin 1930, S. 246; auch abrufbar unter: http://www.textlog.de/5258.html. Diese Rückbesinnung auf die Tradition bedeutet, dass der Traditionalismus eine „reflexive“ Denkfigur ist, das heißt, sich die Traditionalisten bewusst auf die Tradition beziehen. Vgl. Sterbling, „Zur Dynamik der Traditionalität in südosteuropäischen Gesellschaften“, S. 612.

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allem lässt sich sagen, dass die Tradition deshalb eine so große Rolle für die Orthodoxie spielt, weil sie als die Offenbarung Gottes verstanden wird. Es wird betont, dass die Tradition direkt von Gott stammt, der seinen Willen durch seinen Sohn überlieferte. Aus diesem Grund ist die Tradition vollkommen und heilig und darf nicht verändert werden. Ein Stichwort für die so verstandene Tradition ist die göttliche Überlieferung, denn es ist eine „geheiligte Tradition“ („sacred Tradition“.) Die orthodoxen Theologen unterscheiden aber auch noch eine andere, eine „menschliche“ Tradition, die von Menschen entwickelt wurde.50 Unter dieser Tradition soll im Unterschied zur göttlichen TRADITION51 „die apostolische Auslegung des Schriftinhaltes bzw. die erste und ganz authentische Erklärung der Schrift“52 verstanden werden. Diese Tradition bildet zusammen mit der in der Heiligen Schrift niedergeschriebenen Tradition die TRADITION: „Sie bilden jene zwei ‚Aspekte‘ der einen übergreifenden TRADITION.“53 Aus diesem Doppel-Verständnis der Tradition in der Orthodoxie können sich andere als bis jetzt beschriebene Betrachtungsweisen des Traditionalismus und darüber hinaus seines Einflusses auf Modernisierungsprozesse herleiten lassen. Wird das Letztere als das nicht geschriebene Wort Gottes, das in der Lehre der Apostel übermittelt wurde, verstanden – was seit der Zeit, in der der Kanon des Neuen Testaments endgültig formuliert wurde, der Fall ist54 –, so kann auch die Behauptung aufgestellt werden, dass diese nicht geschriebene Überlieferung auf verschiedene Art und Weise formuliert werden kann. Tatsächlich betonen orthodoxe Theologen, dass die menschliche bzw. patristische Tradition nicht abgeschlossen ist und es auch Raum für Interpretationen gibt: „[Tradition] ist weder ein Gesetzbuch noch eine Weisheit der Väter, auf die wir uns immer wieder beziehen müssen, sondern ein lebendiger Prozess der Interpretation der Bibel durch das Volk Gottes […].“55 Ähnlich äußert sich Theodor Nikolaou, der schreibt, dass die patristische Tradition kein Steinbruch sei, wo man Beweise sammeln kann, sondern „was wirklich gemeint ist, ist die Tatsache, dass die Auslegung der Schrift durch die Kirchenväter die rechte Richtung zeigt“56. Die zitierten Äußerungen dieser orthodoxen Theologen führen zu der Beobachtung, dass der orthodoxe Traditionalismus nicht so eindeutig ist wie es anfangs schien. Unter diesem Begriff muss man auch die spezifische Einstellung der Orthodoxen gegenüber allem, was die Tradition mit sich bringt, verstehen. Mit anderen Worten bedeutet dies, dass der orthodoxe Traditionalismus auch die Möglichkeit zur Interpretation der patristischen Tradition zulässt und darüber hinaus die Tradition nicht nur als eine unveränderliche Vorschrift zu betrachten ist, sondern vor allem als ein Bezugs50 51 52 53 54 55 56

Siehe Dumitru Staniloae, Orthodoxe Dogmatik, Band 1, Zürich 1985, S. 54–67. Zur großen Schreibweise der Tradition siehe Hubert Kirchner, Wort Gottes, Schrift und Tradition, Göttingen 1998, S. 15–16. Staniloae, Orthodoxe Dogmatik, S. 64. Kirchner, Wort Gottes, Schrift und Tradition, S. 15. Vgl. ebd., S. 16. Vgl. auch Theodor Nikolaou, „Die Bedeutung der patristischen Tradition für die Theologie heute“, in: Orthodoxes Forum 1 (1987), S. 11–12. Nikos Nissiotis, „Die Einheit von Schrift und Tradition von einem östlich-orthodoxen Standpunkt aus“, in: Ökumenische Rundschau 14 (1965), S. 272. Nikolaou, „Die Bedeutung der patristischen Tradition für die Theologie heute“, S. 15.

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punkt, nach dem sich die jüngeren Generationen der orthodoxen Gläubigen richten können. Dementsprechend ist der negative Einfluss des Traditionalismus auf die Modernisierungsprozesse nicht so eindeutig wie es zu Beginn schien, weil die orthodoxe Theologie in gewissem Maße eine Interpretation der Tradition, im Unterschied zur TRADITION, zulässt und folglich auch neue Elemente, welche die Tradition zum lebendigen Prozess57 machen, eingeführt werden können. Aus obigen Überlegungen folgt, dass der orthodoxe Traditionalismus ein komplexes Phänomen ist. Aus diesem Grund muss erforscht werden, warum es sich im ostkirchlichen Raum etabliert hat und zu einem ihrer Hauptmerkmale wurde. Woher stammt diese Einstellung der orthodoxen Gesellschaften? Woran liegt es, dass im Gegenteil zum Protestantismus und Katholizismus Innovationen im ostkirchlichen Raum eher negative Konnotationen haben? Im Folgenden wird also nach den historischen Gründen des orthodoxen Traditionalismus gesucht, um diese Fragen beantworten zu können. Dietmar Rothermund, der sich mit dem Traditionalismus im indischen Kontext auseinandersetzt, schreibt in seiner Definition von diesem Phänomen Traditionalism […] is a conscious attempt at streamlining tradition so as to fit a particular need for a useful past. This need arises when a people wants to acquire a national identity and looks for some common denominator. This common denominator is usually found in a reconstructed tradition of social, cultural and religious solidarity.58

Darüber hinaus weist er auf einen ersten möglichen Grund der Entstehung von Traditionalismus im ostkirchlichen Raum hin, nämlich auf die Tatsache, dass er unter bestimmten historischen Umständen auftaucht, wo der Bedarf nach der Schaffung einer nationalen Identität hoch ist. Rothermund schreibt nicht, unter welchen Umständen diese Nachfrage steigt, es darf aber vermutet werden, dass dies die wichtigsten Momente in der Geschichte eines Staates sind, oft verbunden mit Zeiten externer Bedrohung. Diese Annahme lässt sich am Beispiel des orthodoxen Traditionalismus bestätigen, da die endgültige Formulierung der Quellen der orthodoxen Tradition mit der Vergrößerung der externen Bedrohung des Byzantinischen Reiches im 8. und 9. Jahrhundert zusammenfällt, wie schon von Vasilios N. Makrides beobachtet wurde: Im Osten hingegen grenzte man die überlieferte Tradition der Vergangenheit (Heilige Schrift, Kirchenväter, Konzilienabschlüsse) bereits früh ein – nämlich nach dem 7. Ökumenischen Konzil (787 bzw. 843) – und versuchte in den folgenden Jahrhunderten, diesen Autoritäten treu zu bleiben und neue Lehren zu vermeiden.59

In dieser Zeit wurde Byzanz zur Konkurrenz mit zwei neuen, schnell an Bedeutung gewinnenden Mächten im Mittelmeerraum gezwungen. Von Süden und Osten wurde das Byzantinische Reich durch den Islam bedroht, dessen Herrschende schon massiv

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Vgl. Kirchner, Wort Gottes, Schrift und Tradition, S. 19. Dietmar Rothermund, „Traditionalism and Socialism in Vivekanda’s Thought“, in: ders., The Phases of Indian Nationalism and Other Essays, Bombay 1970, S. 35. Vasilios N. Makrides, „Ohne Luther. Einige Überlegungen zum Fehlen eines Reformators im Orthodoxen Christentum“, in: Hans Medick/Peer Schmidt (Hg.), Luther zwischen den Kulturen. Zeitgenossenschaft – Weltwirkung, Göttingen 2004, S. 326.

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Die Herausforderungen der Modernisierung im orthodox-christlichen Kontext

erfolgreiche Kampagnen gegen Byzanz führten.60 Außerdem mussten die byzantinischen Kaiser im Norden und Westen mit dem mächtigen Gegner in Gestalt von Karl dem Großen und seinem im Jahr 800 wiedergegründeten Römischen Reich sowie seinen Erben konkurrieren. Das Papsttum wurde ebenso zur politischen Macht, die immer häufiger Ansprüche auf die Oberherrschaft über die sich im Byzantinischen Reich befindlichen Territorien und Völker erhob. Der Versuch, unter diesen geopolitischen Umständen den „common denominator“, wie ihn Rothermund nennt, bzw. einen gemeinsamen Nenner in Form einer gemeinsamen religiösen Identität zu finden, die als Bindeglied für die aus ethnographischer Sicht verschiedenen Völker des Byzantinischen Reiches dienen konnten, scheint berechtigt zu sein. Der deutsche Forscher schreibt diesbezüglich, dass: „[d]em Traditionalismus […] die entscheidende Rolle in der Formulierung nationaler Identität zu[kommt]“61. Im Fall des Byzantinischen Reiches kann noch nicht die Rede von der Entstehung einer „nationalen“ Identität sein, ihre Rolle erfüllte aber die religiöse Identität. Auf diese Art und Weise wurde der Traditionalismus zum Werkzeug in den Händen des Staatsapparates, der die Förderung der Solidaritätsstiftung und die Konsolidierung der Völker des Reiches auf der Basis religiöser Ideale zum Ziel hatte. Die historischen Umstände, die zur Entstehung der traditionalistischen Züge in der Orthodoxie beitrugen, veränderten sich im Laufe der Zeit, trotzdem blieb die politische Situation für die Orthodoxie bis zum Ende des 20. Jahrhunderts, als die kommunistischen Regime zusammenbrachen, eher ungünstig.62 Da diese Umstände über die Jahrhunderte im ostkirchlichen Raum omnipräsent waren, entstand dort ein nachhaltiger Widerwille gegen alles Neue, weil es eher negativ besetzt war. Dementsprechend entsprangen dem Schoß der Orthodoxen Kirchen nach dem 7. Ökumenischen Konzil 787 (bzw. 843) viel seltener Reformen als es im Westen der Fall war.63 Reformversuche wurden zunächst einer starken Kritik unterzogen und als gefährlich betrachtet, was auch solche Reformen betraf, die später als untrennbarer Teil der orthodoxen Lehre gelten sollten.64 Es muss noch betont werden, dass die externe Bedrohung nicht der einzige und erst recht nicht ein hinreichender Grund für die Entstehung des Traditionalismus ist. Er kann sich auch unter günstigen historischen Umständen entwickeln. In diesem Sinne erklärt die schwierige politische Lage selbst nicht die Entstehung des Traditionalismus – dieses Phänomen muss noch andere Gründe haben. In dieser Studie wird die Meinung vertreten, dass die Orthodoxe Kirche eine große Rolle bei der Entwicklung des

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Im Laufe des 8. und 9. Jahrhunderts verlor das Byzantinische Reich die ganze Nordküste Afrikas, Syrien, Palästina, Sizilien und Ägypten an die Muslime. Rothermund, „Traditionalism and Socialism in Vivekanda’s Thought“, S. 35. In Griechenland geschah dies ein wenig früher, nämlich als in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts das neugriechische Königreich entstand. Auf Zypern sind die makrohistorischen Umstände immer noch ungünstig, da die Insel seit der türkischen Invasion geteilt ist, als Ergebnis dessen sind traditionalistische Tendenzen sehr lebendig. Im Gegensatz zu gängigen Ansichten gehen tatsächlich einige Innovationen auf die Initiative der Orthodoxen Kirchen zurück und es wurden sogar auch Reformkonzilien einberufen; vgl. Makrides, „Ohne Luther“, S. 318–319. Z.B. Hesychasmus, vgl. Makrides, „Ohne Luther“, S. 328.

Traditionalismus und Reformverweigerung

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Traditionalismus im ostkirchlichen Raum spielte und ihr Handeln als zweiter Grund des Traditionalismus zu gelten hat. Der Einfluss der Kirche auf die Verstärkung der traditionalistischen Züge in der Orthodoxie ist als ein langer und nachhaltiger Prozess zu verstehen. Er begann spätestens mit dem Fall des Byzantinischen Reiches, der für die orthodoxen Gläubigen im ganzen Balkanraum den Verlust des Rückhalts eines starken Staatsorganismus bedeutete. Unter diesen Umständen übernahm die Kirche allein die Rolle derjenigen Institution, die die Gesellschaft vor der Enttraditionalisierung auf der einen Seite und vor der Dechristianisierung auf der anderen schützen konnte. Als Ergebnis dieses historischen Prozesses kann die gegenwärtige Traditionsgebundenheit der Orthodoxie, die durch die jahrhundertelangen Bemühungen der Kirche um die Bewahrung des religiösen und kulturellen Bewusstseins der südeuropäischen Gesellschaften geheiligt wurde, verstanden werden. Die Orthodoxe Kirche als dem einzigen Verteidiger des „richtigen“ Glaubens und der Kultur bezog sich ununterbrochen auf die historischen Wurzeln in byzantinischer Zeit und lehnte jedwede Reformen ab. Dieses ständige Aufgreifen der Geschichte war gleichzeitig aber auch eine Erinnerung der idyllischen Vergangenheit, als das Christentum dominanter Glaube in Nahost war. Die Idealisierung der Geschichte wurde sowohl mit religiösen (Paradies als Anfang der Geschichte) als auch mit politischen (die große Macht des Byzantinischen Reiches, die Macht der bulgarischen und serbischen Königreiche im Mittelalter) Prämissen gerechtfertigt. Dank strengen Festhaltens an der Tradition versuchte die Kirche an diese idyllische Vergangenheit anzuknüpfen.65 Zu der Entstehung des Traditionalismus und seiner Nachhaltigkeit im ostkirchlichen Raum trugen auch andere Phänomene bei. Makrides nennt zwei Hauptmerkmale der Orthodoxie, die eng mit dem Traditionalismus verbunden sind. Seiner Meinung nach ist die Orthodoxie von ihrer „absoluten Vollkommenheit“66 überzeugt – sie sei im Besitz der unveränderbaren Offenbarung Gottes. Aus diesem Grund sollte die Aufgabe der Orthodoxie in der Bewahrung dieses wahren Glaubens liegen und in der Abwehr aller Innovationen.67 Mit dieser Tatsache ist ein anderes Merkmal der Orthodoxie eng verbunden – die Überzeugung, dass die Orthodoxie „alleinige Besitzerin der Wahrheit“68 sei. Diese Einstellung hat keinen positiven Einfluss auf die Kontakte mit anderen Konfessionen und darüber hinaus auch nicht auf die Diskussionen über Innovationen, die in die alltägliche Praxis dieser Konfessionen eingeführt wurden. Aus diesen beiden Merkmalen der Orthodoxie sowie aus ihrer Traditionsverbundenheit speist sich die traditionalistische Prägung des Orthodoxen Christentums. 65

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Vgl. Sabrina P. Ramet, „The Way We Were – And Should Be Again? European Orthodox Churches and the ‚Idyllic Past‘“, in: Timothy A. Byrnes/Peter J. Katzenstein (Hg.), Religion in an Expanding Europe, Cambridge 2006, S. 151. Makrides, „Ohne Luther“, S. 329. Vgl. ebd., S. 329. Von dem Wahrheitsgehalt dieser Worte zeugen die Äußerungen einiger orthodoxer Autoren. Siehe Constantine Cavarnos, Orthodox Tradition and Modernism, Etna, CA 1992, S. 12: „The Orthodox Church has been the only faithful keeper of Tradition.“ und weiter „Only the Orthodox Church, as I said, remained a faithful observer of Tradition and preserved the sacred Deposit [cf. 2 Timothy 1:14 and Timothy 6:20] as the Apostles handed it down, not distorting it with subtractions and additions“, S. 13. Makrides, „Ohne Luther“, S. 329.

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Die Herausforderungen der Modernisierung im orthodox-christlichen Kontext

Die eben skizzierten Umstände, in denen sich der orthodoxe Traditionalismus entwickelte, stellen plausibel dar, dass dieses Phänomen starke Fundamente im ostkirchlichen Raum besitzt. Stützt man sich auf diese Annahme, muss man die Frage stellen, welchen Einfluss diese Situation auf die Modernisierung hat. Wie und in welchem Ausmaß begrenzt der Traditionalismus und die damit verbundene Reformverweigerung die Übernahme von Reformen und Neuerungen jeder Art? Kann man den orthodoxen Traditionalismus und seine Reformverweigerung tatsächlich oft in diesen Gesellschaften antreffen? Um diese Fragen beantworten zu können, muss man verschiedene Beispiele aufgreifen. In der Tat finden sich im Laufe der Geschichte der orthodoxen Länder viele Beispiele der Auswirkungen des Traditionalismus auf die Gesellschaft. So stieß z.B. die Athos Akademie, eine im 18. Jahrhundert auf dem Berg Athos gegründete Schule, nach anfänglichem Erfolg auf so hartnäckigen Widerstand der Mönche, dass ihre Gebäude verbrannt wurden. Als anschauliches Beispiel der großen Rolle, die die Traditionsverbundenheit im Leben der Kirche spielt, kann der Fall der Altkalendarier dienen. Diese Gruppe orthodoxer Gläubiger formierte sich nach 1924, als die griechische Heilige Synode (und später auch einige andere Orthodoxe Kirchen) eine Kalenderreform einführten. Die Altkalendarier wollten dieser Reform nicht zustimmen, weil sie diese für einen Verstoß gegen die Tradition hielten. Der orthodoxe Traditionalismus und die Reformverweigerung der Orthodoxie können auch anhand eines weiteren sehr anschaulichen Beispiels dargestellt werden. Es geht hierbei um die Korrespondenz zwischen dem Patriarchen Jeremias II. und einigen protestantischen Theologen aus Tübingen in den Jahren 1576 bis 1581. 69 Die Protestanten setzten sich mit dem orthodoxen Hierarch in Verbindung, mit dem Versuch, ihm ihre eigenen Ansichten zu erklären und ihn zu einer Allianz gegen den Katholizismus zu ermuntern. Jeremias II. antwortete auf die ersten zwei Briefe sehr wohlwollend, stimmte aber nicht mit den theologischen Ansätzen der Protestanten überein und kritisierte die westliche Denkweise, deren Hauptregel „das ständige, unaufhörliche Fragestellen, Antwortengeben und Streben nach dem Neuen“ 70 wäre. Als die Tübinger im dritten Brief versuchten, ihre Meinungen mit Argumenten zu belegen, reagierte der Patriarch entschieden und brach alle Diskussionen über theologische Themen ab. Dieses Beispiel weist darauf hin, dass die Orthodoxe Kirche besonders im theologischen Bereich Innovationen gegenüber nicht aufgeschlossen war. Tatsächlich besitzt der Begriff „Innovation“ bzw. „Neuerung“ (καινοτομία eine negative Konnotation in der Orthodoxie71 – die Wahrung des orthodoxen Glaubens war schon damals eine wichtige Aufgabe. Die Verbindung von Traditionsgebundenheit und Religion wurde zum Merkmal des antiokzidentalen Lagers und die Äußerungen der Angehörigen dieses Lagers sind bis zum heutigen Tag von besonderer religiöser Rhetorik geprägt. Mit dem Mangel an Reformen in den Orthodoxen Kirchen ist auch die Tatsache verbunden, dass es in der Orthodoxie keinen mit Martin Luther vergleichbaren Reformator gab. Weder die Patriarchen von Konstantinopel Athanasios (1289–1293) und 69 70 71

Vgl. ebd., S. 330. Vgl. ebd., S. 330. Vgl. ebd., S. 332

Traditionalismus und Reformverweigerung

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Kyrillos Loukaris (1572–1638) noch der Patriarch von Moskau Nikon (1652–1658)72 können sich mit den Päpsten Gregor XIII., Johannes XXIII. oder mit Martin Luther vergleichen, weil das Ausmaß ihrer Reformen viel weniger von Bedeutung war. Die genannten Beispiele beweisen einstimmig die große Rolle, die der Traditionalismus in den orthodoxen Gesellschaften spielt, sie spiegeln aber nicht die gesamte Situation wider, da innerhalb der Orthodoxen Kirchen trotzdem auch Reformen und Innovationen eingeführt wurden. Eine der bedeutenden Innovationen in der Orthodoxie vollzog sich im Bereich der Ikonografie. Seit dem 17. Jahrhundert wurden, erstmals in Russland, Rumänien und Serbien und später in anderen orthodoxen Staaten, Elemente der lateinischen religiösen Malerei in die orthodoxe Ikonografie eingeführt.73 Diese Änderungen betrafen vor allem die künstlerische Ausgestaltung, die sich im westlichen Europa seit der Zeit der Renaissance eingebürgert hatten, sei es die Einführung der Perspektive, sei es die Vermenschlichung der Gestalten auf den Ikonen durch Betonung ihrer menschlichen Züge (Falten, Alter, Sonnenbräune etc.). Die neue Malerei schlug, überall wo sich orthodoxe Gläubige befanden – die Mönche vom Berg Athos eingeschlossen –, schnell Wurzeln.74 Im 17. Jahrhundert wurde den orthodoxen Gottesdiensten eine andere Innovation hinzugefügt, die, im Gegenteil zum „neuen Stil“ in der Ikonografie, bis heute verwendet wird. Es handelt sich hier um den vierstimmigen Gesang während des Gottesdienstes, der seit dem 17. Jahrhundert in den Orthodoxen Kirchen neben dem traditionellen monofonen Gesang in Gebrauch ist.75 Die Einführung dieser Innovation bedeutete einerseits eine Nachahmung westlicher Muster, genauso wie es in der Malerei der Fall war. Andererseits führte es zur Abschaffung der Antiphonie – der traditionellen Gesangsform, bei der sich zwei Sänger gegenüberstehen und abwechselnd singen. Die Einführung des vierstimmigen Gesangs bedeutete einen Verstoß gegen zwei Traditionen, dennoch wird diese „neue“ Musik auch gegenwärtig immer noch praktiziert. Überhaupt wurde der Bereich der Musik ein sehr fruchtbarer Grund für Innovationen, da im Gottesdienst schließlich auch die Benutzung von Instrumenten zugelassen wurde, was eine bedeutende Neuerung zur Tradition der Kirchenväter darstellte.76 Diese Innovationen bzw. Reformen fanden keine allgemeine Akzeptanz, weswegen sie nicht als verbindliche Vorschriften der gesamten Orthodoxie aufgenommen wurden. Die Erfolge sowohl der polyfonen Musik, der „neuen“ Malerei als auch der Kalenderreform im 20. Jahrhundert verdeutlichen aber, dass die Orthodoxie seit 1453 trotz allem zu Reformen bereit ist. Darüber hinaus bedeutet die Reformverweigerung nicht, dass Reformen im Orthodoxen Christentum grundsätzlich nicht möglich sind. 72 73 74 75 76

Vgl. ebd., S. 318. Vgl. Klaus Wessel/Helmut Brenske (Hg.), Ikonen, München 1980, S. 97–100. Siehe Kiros Kokkas, Góra Atos. Brama do nieba, Kraków 2005, S. 189, 238. Vgl. Johann von Gardner, Gesang der russisch-orthodoxen Kirche, Band 2, Wiesbaden 1987, S. 26–46. Der größte Streitpunkt betraf die Benutzung der Orgel während der Liturgie. Während andere Instrumente nicht so starker Kritik unterzogen wurden, wurden die Orgeln nur von wenigen zugelassen. Zu den Theologen, die musikalische Instrumente mit Ausnahme von Orgeln zulassen, zählt Meletios Pegas, siehe Gerhard Podskalsky, Griechische Theologie in der Zeit der Türkenherrschaft (1453–1821), München 1988, S. 135.

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Die Herausforderungen der Modernisierung im orthodox-christlichen Kontext

Die spürbare Abscheu gegenüber Reformen innerhalb der Orthodoxen Kirchen führte zu allen Zeiten zur anfänglichen Kritik an Neuerungen jeder Art, die aber am Ende doch angenommen wurden. Dies kann am Beispiel des Hesychasmus anschaulich dargestellt werden, der zu Beginn heftig kritisiert, später jedoch zu einem festen Bestandteil der orthodoxen Lehre wurde. Die traditionalistische Einstellung der Orthodoxie ist deshalb nicht so unnachgiebig wie es aus den früher genannten Beispielen des orthodoxen Traditionalismus zu sein schien. An dieser Stelle lässt sich also sagen, dass sich die früher in diesem Kapitel gestellte Frage nach dem Einfluss des Traditionalismus auf die Modernisierung im ostkirchlichen Raum nicht eindeutig beantworten lässt. Einerseits bietet die Orthodoxie keinen fruchtbaren Boden für Reformen, andererseits wurden einige erfolgreich durchgeführt. Um die Rolle des Traditionalismus in orthodoxen Gesellschaften zu erforschen, muss also die Aufmerksamkeit eher auf die Bereiche gelenkt werden, in denen dieses Phänomen speziell zu sehen ist. Welche Bereiche des Lebens im ostkirchlichen Raum sind also besonders stark vom Traditionalismus beeinflusst? Der Traditionalismus konnte beispielsweise, laut dem deutschen Ökonomen und Soziologen Alfred Müller-Armack, einen negativen Einfluss auf die wirtschaftliche Modernisierung haben. Er ist der Meinung, dass die dogmatischen Inhalte von der Kirche aufgrund ihrer Traditionsverbundenheit im religiösen Bereich als etwas Unfassbares betrachtet wurden. Sie waren unveränderlich und konnten nicht den sich verändernden Umständen des Lebens angepasst werden, was dazu führte, dass es keine Impulse zur Weiterentwicklung in der Gesellschaft gab. Als Resultat dessen wurden keine theologischen bzw. philosophischen Diskussionen geführt, die zur Modernisierung hätten führen können.77 Die Ansichten von MüllerArmack scheinen in einem Punkt übertrieben zu sein, nämlich in der Feststellung, dass es keine theologischen Dispute gab.78 Außerdem bedeutet Verbundenheit mit den traditionellen Dogmen noch lange nicht, dass diesbezüglich keine Diskussionen stattfanden. Die Beobachtung von Müller-Armack ist jedoch insofern wichtig, als sie die Gründe der wirtschaftlichen Unterentwicklung im ostkirchlichen Raum mit dem Bereich des religiösen Traditionalismus verbindet. Müller-Armack ist der Erste, der diese Verbindung so plausibel darstellte und herauskristallisierte, dass Traditionalismus die Entwicklung von Ökonomie verhindern kann. Ihm folgten andere Wissenschaftler, die die Hindernisse, welche die Orthodoxie für die wirtschaftliche Modernisierung bildet, betonen. Andreas Buss bezeichnet beispielsweise das Nichtvorhandensein des Konzepts der Prädestination, die Indifferenz gegenüber innerweltlichen Angelegenheiten und die Reduzierung der Wichtigkeit der Predigt in der Orthodoxen Kirche als Phänomene, welche die Entwicklung eines wirtschaftlichen Ethos verhinderten.79 Dies macht wiederum deutlich, dass der Traditionalismus nur ein Phänomen unter vielen ist und deshalb seine Rolle für die wirtschaftliche Lage im ostkirchlichen Raum nicht überschätzt werden sollte, weil auch andere Faktoren dazu beitrugen, dass sich die Ökonomie in den orthodoxen Ländern langsamer entwickelte als im Westen. Nichts-

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Papaderos, „Orthodoxy and Economy“, S. 56–57. Es gab theologische Diskussionen in Bezug auf das Filioque, den Hesychasmus, den Protestantismus und die Häresien in der Orthodoxie. Siehe ebd., S. 57. Buss, The Russian Orthodox Church and Modernity, S. 27–58.

Traditionalismus und Reformverweigerung

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destoweniger wird die Annahme, dass die wirtschaftliche Modernisierung durch den Traditionalismus beeinflusst wurde, für die weiteren Ausführungen beibehalten. Beeinflusste die Traditionsverbundenheit auch andere Bereiche der Modernisierung? Heinz-Jürgen Axt ist der Meinung, dass dieses Phänomen auch politische Entwicklungen verhinderte. Hierzu bemerkt er, dass Tradition als Mittel im Kampf gegen Reformen im politischen und wirtschaftlichen Bereich in Russland verwendet wurde: Wenn sich panslawische Nationalisten den Reformen in Rußland entgegenstellen, die das Land ‚verwestlichen‘, d.h. Demokratie, Menschenrechte und Marktwirtschaft verankern wollen, dann fußen beide Kontrahenten gleichwohl auf orthodox-östlicher Tradition.80

Die kirchlichen Oberhäupter beziehen sich auch gegenwärtig auf die Tradition, wenn sie Reformen widersprechen möchten. Es scheint aber, dass Tradition als rein rhetorisches Mittel benutzt wird. Kirchliche Oberhäupter treten mit ihren antireformistischen bzw. antimodernen Ansichten öfter aufgrund der politischen Situation in der Öffentlichkeit auf. Sie wollen mithilfe der Betonung der Tradition auch ihre eigene Rolle im Staat unterstreichen und damit die Position der Kirche als wichtigem Entscheidungsträger in der Gesellschaft wieder festigen. Dieses Phänomen ist nicht neu und hat seine Wurzeln in der byzantinischen „Symphonia“-Regel – dem Zusammenklang von Staat und Kirche. Die Politisierung des kirchlichen Diskurses ist aber auch heutzutage deutlich zum Beispiel anhand der „Personalausweis-Krise“ in Griechenland 2000/1 zu beobachten.81 Hierbei wird Traditionalismus als Mittel und nicht als Ziel der kirchlichen Politik verstanden. So haben z.B. viele der Geistlichen in den orthodoxen Ländern eine positive Einstellung gegenüber der Europäischen Union. Der damalige rumänische Patriarch Teoktist äußerte am 1. Januar 2007, am Tag des Eintritts Rumäniens in die EU, seine Zufriedenheit über dieses Ereignis.82 Die Synode der BulgarischOrthodoxen Kirche schrieb in einem offiziellen Kommunique, dass sie den Eintritt ihres Landes in die EU unterstützt.83 Des Weiteren eröffnete die Orthodoxe Kirche Griechenlands 1998 ihre Vertretung in der EU in Brüssel.84 Dies alles macht deutlich, dass die politische und auch die früher besprochene wirtschaftliche Modernisierung zwar vom Traditionalismus betroffen, gleichzeitig aber durchaus möglich sind. Die Reformverweigerung, die sich von diesem Phänomen ableitet, hat also einen negativen Einfluss auf die Modernisierungsprozesse, sie ist jedoch kein unpassierbares Hindernis. An dieser Stelle muss noch der Einfluss des Traditionalismus auf einen anderen Bereich betont werden, nämlich den religiösen Bereich. Es wird in dieser Studie die Meinung vertreten, dass die Notwendigkeit der Tradition treu zu bleiben, in den Diskussionen besonders dann als Argument verwendet wird, wenn über Glaubensinhalte oder die Position der Kirche im Staat bzw. in der Gesellschaft verhandelt wird. Der 80 81 82 83 84

Axt, „Europas Kulturkreise, Identitäten und Differenzen“, S. 306 (Schreibweise im Original). Mehr zu diesem Thema siehe Yannis Stavrakakis, „Religious Populism and Political Culture: The Greek Case“, in: South European Society & Politics 7/3 (2002), S. 29–52. Siehe „Rumunia w UE“, in: Radio Watykańskie, abrufbar unter: http://info.wiara.pl/index .php?grupa =4&art=1167690802. Siehe http://members.tripod.com/~bulch/DECL.HTM. Vasilios N. Makrides, „Griechenland“, in: Günther Buchstab/Rudolf Uertz (Hg.), Was eint Europa? Christentum und kulturelle Identität, Freiburg im Breisgau 2008, S. 372.

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Die Herausforderungen der Modernisierung im orthodox-christlichen Kontext

Traditionalismus sieht also vor, dass auf der Ebene der Glaubensinhalte nichts verändert werden darf, was zugleich aber nicht bedeutet, dass keine Reformen auf anderen Ebenen zugelassen sind. Wie oben beschrieben wurde, steht die Orthodoxie nicht im Widerspruch zu Innovationen jeder Art, sie geht nur vorsichtig mit ihnen um. Das prinzipielle Merkmal des orthodoxen Traditionalismus ist also seine Verbundenheit mit den religiösen Angelegenheiten. Während die weltlichen Aspekte von den Laien geregelt werden sollten, nimmt der Traditionalismus die religiösen Werte unter seinen Schutz. Daher können Innovationen in den nicht-religiösen Bereichen durchaus möglich sein, doch das heißt nicht, dass Reformen in der Liturgie oder im Bereich der Dogmen eingeführt werden dürfen. Dieser Tatsache folgt als weitgehende Konsequenz das antimodernistische Bild des östlichen Christentums, weil der Widerwille gegenüber den Reformen im religiösen Bereich, der sich unter anderem in einer antiökumenischen Einstellung widerspiegelt,85 auf die anderen Ebenen übertragen wird. Somit entwickelte sich als Nebenergebnis dieser strengen Einstellung gegenüber Reformen auf der religiösen Ebene weltweit das antimodernistische Bild der Orthodoxie, die als extrem traditionalistisch bezeichnet wird. „[This] conservative image overemphasizes traditional characteristics while ignoring the dynamic elements of Orthodox spirituality.“86 Zusammenfassend muss unterstrichen werden, dass das östliche Christentum tatsächlich doch offener gegenüber Reformen ist, was die in diesem Kapitel genannten Beispiele zeigen, als man nach kurzer Betrachtung glauben könnte. Die Einstellung gegenüber politischer, ökonomischer oder auch technologischer Modernisierung hat wenig mit Reformen im religiösen Bereich zu tun. Im Laufe der Jahrhunderte legte die Orthodoxe Kirche speziellen Wert auf die Erhaltung des „richtigen Glaubens“, gleichzeitig entwickelte sie sich aber auch auf verschiedenen Ebenen weiter (organisatorischer Aufbau, Soziallehre etc.), durchaus ohne widersprüchlich zu sein. Gegenwärtig wird die Orthodoxie aber als antireformatorisch verstanden, weil die Verwurzelung des Glaubens in der Geschichte immer wieder betont wird. Abschließend muss hervorgehoben werden, dass der orthodoxe Traditionalismus einen negativen, gleichzeitig aber auch einen eher überschätzten Einfluss auf die Modernisierung hat. Die Traditionsverbundenheit der Orthodoxie bedeutet nämlich, dass die Orthodoxen sich mit der apostolischen Tradition verbunden fühlen, es bedeutet aber nicht, dass historische Entwicklungsprozesse, die ja auch während der Zeit der Kirchenväter schon verliefen, wegen der traditionellen Einstellung nicht mehr länger stattfänden. Der Kern des Traditionalismus liegt in der Erhaltung der Glaubensinhalte und der Betonung der Tradition. Dies muss die Modernisierungsprozesse nicht 85

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Wie bekannt ist, wird die Ökumene in der Orthodoxie aufgrund ihrer strengen Einstellung gegenüber den Innovationen in religiösen Angelegenheiten kritisiert, was zum Austritt der Orthodoxen Kirche Georgiens (1997) und Bulgariens (1998) aus dem Ökumenischen Rat der Kirchen führte. Diese eindeutig kritische Einstellung ist durch die Behauptung der Orthodoxie verursacht, dass sie selbst einzig und allein im Besitz des „richtigen“ Glaubens und die einzige „Schützerin“ dieses Glaubens sei. Demgegenüber setzt die Ökumene den Dialog über religiöse Themen voraus, was für die Orthodoxen bedeutet, dass die eine und unveränderliche Tradition in Zweifel gezogen wird. Papaderos, „Orthodoxy and Economy“, S. 56.

Der orthodoxe Antiokzidentalismus

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unbedingt verhindern, da es auch möglich ist, sich mit Hinblick auf die traditionellen Werte zu entwickeln. Hier taucht die eigentliche Herausforderung der Orthodoxen Kirchen, wie auch der anderen christlichen und nicht-christlichen Religionen, auf: dietraditionellen Werte mit der Realität der gegenwärtigen Welt zu vereinbaren. Dieses Thema wird in den folgenden Kapiteln am Beispiel des Heiligen Berges Athos ausgearbeitet.

3.3. Der orthodoxe Antiokzidentalismus In dem vorliegenden Kapitel wird dem Phänomen des orthodoxen Antiokzidentalismus Aufmerksamkeit geschenkt. In einem ersten Schritt werden die Unklarheiten, die mit diesem Begriff verbunden sind, erklärt. Im Weiteren werden die Ursachen der Entstehung der antiwestlichen Einstellungen in Ost- und Südosteuropa besprochen, um den Kern des Antiokzidentalismus besser erfassen zu können. Drittens wird nach dem Einfluss des orthodoxen Antiokzidentalismus auf die Modernisierungsprozesse im ostkirchlichen Raum gefragt, weil dieses Phänomen eine bedeutende Rolle in der Wahrnehmung dieser Prozesse zu haben scheint. Folgende Untersuchungen haben also vor allem die Darstellung der Relationen zwischen dem orthodoxen Antiokzidentalismus und den Modernisierungsprozessen zum Ziel. Es wird in dieser Studie die Meinung vertreten, dass unter dem Begriff Antiokzidentalismus eine antiwestliche Haltung verstanden werden sollte, die sich in verschiedenen Formen des alltäglichen Lebens widerspiegelt. Laut den Forschern, die sich mit dem Phänomen im ostkirchlichen Raum beschäftigten, ist er ein unbestreitbares Faktum: The forms of anti-Western attitudes can be observed at the level of statements and expressions as well at the level of behaviour and actions. These include, for example, specific discourses, habitual practices, particular positions, social organisational forms and patterns of action.87

Der Antiokzidentalismus betrifft viele Bereiche des Lebens und sollte als eine Reaktion „auf die weltweit prägende Expansion Westeuropas bzw. des Westens allgemein“88 verstanden werden. Diese Reaktion kann verschiedene Facetten haben, sie ist jedoch grundsätzlich als Widerwille gegenüber dem Westen und seiner Kultur zu verstehen. Der Antiokzidentalismus ist ein weltweites Phänomen, das der Öffentlichkeit nach dem 11. September 2001 bewusst wurde. Diese globale Verbreitung einer antiokzidentalen Haltung führte zu Differenzen in den Begrifflichkeiten. Darüber hinaus ist der Begriff Antiokzidentalismus nicht unumstritten. Seit Mitte der 90er Jahre wird der Begriff Okzidentalismus (in der englischsprachigen Literatur occidentalism genannt) verwendet. Dieser Begriff wurde im Buch von James G. Carrier mit dem Titel Occi-

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Vasilios N. Makrides/Dirk Uffelmann, „Studying Eastern Orthodox Anti-Westernism: The Need for a Comparative Research Agenda“, in: Sutton/van den Bercken, Orthodox Christianity and Contemporary Europe, S. 87. Makrides, „Griechenland“, S. 370.

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Die Herausforderungen der Modernisierung im orthodox-christlichen Kontext

dentalism. Images of the West eingeführt und popularisiert.89 Carrier versteht darunter erstens die Versuche den Osten zu romantisieren und zweitens die Versuche den Westen zu besiegen. Occidentalism versteht er also als Gegenprozess zur Kolonialisierung. Dies weist auf die Unterschiede in den Begrifflichkeiten hin, die in den wissenschaftlichen Diskursen entstehen. Die Unterschiede ergeben sich daraus, dass der Osten auf zweierlei wiese verstanden werden kann: im engeren Sinne (Ost als Ost- bzw. Südosteuropa) und weiteren Sinne (Ost als Asien). Deshalb wird in dieser Studie statt Okzidentalismus, dezidiert der Begriff Antiokzidentalismus verwendet, weil der erste Begriff sich in Bezug auf Ost- und Südostasien etablierte. Antiokzidentalismus hat diese geographischen Konnotationen nicht, deswegen kann er auch bezüglich der Prozesse in Südosteuropa verwendet werden.90 Das Präfix „anti“ weist gleichzeitig darauf hin, dass es sich um eine Gegenströmung handelt, eine Reaktion auf etwas, in diesem Fall den Westen. Insofern entspricht dieser Begriff besser der Natur dieses Phänomens.

3.3.1. Historisierung und Entfaltung des Antiokzidentalismus Wie schon von Makrides und Uffelmann beobachtet wurde, ist der Antiokzidentalismus in orthodoxen Gesellschaften auf verschiedenen Ebenen des Lebens spürbar.91 Diese tiefe Verwurzelung des Antiokzidentalismus im ostkirchlichen Raum weist darauf hin, dass das Phänomen des Antiokzidentalismus älter als der Begriff selbst sein muss. Tatsächlich stellt Giannakopoulos fest, dass der orthodoxe Antiokzidentalismus „ein Phänomen älteren Datums“92 ist. Aus diesem Grund wird unten auf derlei Ereignisse eingegangen, um den geschichtlichen Hintergrund des Antiokzidentalismus zu verdeutlichen, was wiederum ein besseres Verständnis des Einflusses dieses Phänomens auf die Modernisierungsprozesse im ostkirchlichen Raum zum Ziel hat. Die Anfänge des gegenseitigen Widerwillens zwischen Ost und West lassen sich schon in der Antike und im Mittelalter feststellen und sind eng mit der endgültigen Teilung des Römischen Reiches 395 n. Chr. in zwei Teile verbunden.93 Im Laufe der 89

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Vgl. James G. Carrier (Hg.), Occidentalism: Images of the West, New York 1995. Die Ausführungen von Carrier in Bezug auf „Occidentalism“ wurden auch starker Kritik unterzogen, da er sein Konzept des „Westens“ nicht genau präzisierte. Diesbezüglich siehe vor allem Akeel Bilgrami, „Occidentalism, the Very Idea: An Essay on Enlightenment and Enchantment“, in: Critical Inquiry 32 (2006), S. 381–411. Vgl. Ian Buruma/Avishai Margalit, Occidentalism: The West in the Eyes of Its Enemies, New York 2004; Couze Venn, Occidentalism: Modernity and Subjectivity, London/Thousand Oaks/New Delhi 2000. Siehe Makrides/Uffelmann, „Studying Eastern Orthodox Anti-Westernism“, S. 87. Siehe auch Giannakopoulos, Tradition und Moderne in Griechenland, S. 21; Vasilios N. Makrides, „Orthodoxe Kulturen, der Westen und Europa. Die eigentlichen Schwierigkeiten einer Beziehung am Beispiel der serbischen Orthodoxie“, in: Schubert, Serbien in Europa, S. 117–138. Gabriella Schubert und Holm Sundhaussen gaben 2008 einen umfangreichen Tagungsband heraus, in dem das Thema des Antiokzidentalismus sehr ausführlich und aus verschiedenen Perspektiven besprochen wird, siehe Gabriella Schubert/Holm Sundhaussen (Hg.), Südosteuropa-Jahrbuch 34, München 2008. Giannakopoulos, Tradition und Moderne in Griechenland, S. 15. Vgl. Makrides, „Orthodoxe Kulturen, der Westen und Europa“, S. 119.

Der orthodoxe Antiokzidentalismus

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Zeit prägte sich die Teilung des Römischen Reiches in Ost und West ein, was in der Praxis bedeutete, dass im Mittelmeerraum zwei, auf zwei Sprachen basierende (Latein im Westen und Griechisch im Osten) staatliche Gebilde existierten. Als das Weströmische Reich 476 durch die Westgoten und später Wandalen erobert wurde, wurde endgültig „die Kultureinheit der antiken Welt zerbrochen“94. Im Laufe der 15 Jahrhunderte, die seit dieser Zeit vergingen, fanden zahlreiche Ereignisse statt, die die Entstehung und Entwicklung des orthodoxen Antiokzidentalismus verursachten und beeinflussten. Zur Vergrößerung der Kluft zwischen dem Osten und dem Westen trug entscheidend die Neugründung des Weströmischen Reiches im Jahr 800 bei. Seitdem existierten im Mittelmeerraum zwei staatliche Organismen, die verschiedene kulturelle Charakterzüge aufweisen. Außerdem unterliegen die beiden Staaten zwei verschiedenen kirchlichen Patriarchaten: Während das neugegründete Weströmische Reich dem Patriarchen in Rom unterliegt, wird der Bischof von Konstantinopel das kirchliche Oberhaupt des Oströmischen Reiches. Die Zugehörigkeit zu den verschiedenen religiösen Zentren vergrößerte die Kluft zwischen Westen und Osten, weil die religiösen Dogmen mehrfach den politischen Zielen untergeordnet wurden.95 Die aus dieser Situation hervorgehenden kulturellen, sozio-politischen und religiösen Unterschiede zwischen den beiden Staaten führten zur endgültigen Teilung in der Form des kirchlichen Schismas im Jahre 1054. Makrides und Uffelmann nennen auch andere geschichtliche Wurzeln des Antiokzidentalismus („Anti-Westernism“) im ostkirchlichen Raum. Ihrer Meinung nach wurde der Widerwille des Ostens gegenüber dem Westen durch die Versuche der westlichen Kirche, die Kontrolle über die orthodoxen Territorien auszuüben, verursacht.96 Dies betrifft z.B. das Zweite Konzil von Lyon 1274, als der byzantinische Kaiser Michael VIII. Palaiologos die kirchliche Union mit Rom abschloss, aber auch die Union von Ferrara-Florenz 1438/1439 in der Zeit des Kaisers Johannes VIII. Palaiologos. Als die wichtigste Ursache des orthodoxen Antiokzidentalismus werden die Ereignisse aus dem Jahr 1204 betrachtet, als während des Vierten Kreuzzuges die Hauptstadt des Byzantinischen Reiches erobert wurde. Die Eroberung von Konstantinopel hatte einen nicht wiedergutzumachenden Schaden in den Ost-West-Beziehungen zur Folge. Die Tatsache, dass die Ereignisse vor acht Jahrhunderten bis heute eine offene Wunde hinterlassen haben, lässt sich durch die Äußerung von Papst Johannes Paul II. bestätigen, der es während seiner Reise nach Griechenland im Jahr 2001 für notwendig erachtete, sich für die Verbrechen der Kreuzritter zu entschuldigen.97 Der Papst ver94 95

96 97

Anastasios Kallis, „Die Orthodoxe Kirche im Kontext des Umbruchs in Europa“, in: Südosteuropa-Jahrbuch 25, München 1994, S. 70. In diesem Sinne äußerte sich u.a. der gegenwärtige griechische Denker, Christos Yannaras, dessen Meinung nach die dogmatischen Neuerungen von den römischen Kaisern absichtlich eingeführt wurden. Zu diesen Innovationen zählen: Zölibat des Klerus, ungesäuertes Brot, Kommunion unter einer Gestalt, Taufe durch die Wasserübergießen und nicht Untertauchen, die Tonsur und das Rasieren der Bärte bei den Geistlichen. Siehe Christos Yannaras, Orthodoxy and the West, Brookline, MA, S. 16–17. Makrides/Uffelmann, „Studying Eastern Orthodox Anti-Westernism“, S. 93–94. Siehe „Papst bittet in Griechenland Orthodoxe um Vergebung“ in: Die Welt Online, http://www.welt.de/printwelt/article449201/Papst_bittet_in_Griechenland_Orthodoxe_um_Verg ebung.html.

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suchte so den noch lebhaften Schmerz, der durch diese Ereignisse verursacht worden war, zu mildern. Die Entschuldigung nach 800 Jahren könnte für den westlichen Beobachter seltsam erscheinen, für die orthodoxen Griechen jedoch war es wichtig, dies zu hören. Gilt die Eroberung Konstantinopels als eine der Ursachen des orthodoxen Antiokzidentalismus, so trifft dies auch auf die Politik der osmanischen Herrscher zu, die gemäß der römischen Regel divide et impera das westliche Christentum gegen das östliche aufzubringen versuchten. Durch diese Vorgehensweise und die relativ große religiöse Freiheit, die den religiösen Minderheiten im Osmanischen Reich zugestanden wurde, verschlimmerte sich das schon etablierte schlechte Bild des Abendlandes. Einige Byzantiner wollten, noch vor dem Fall ihres Reiches, eher unter dem „türkischen Turban“ als unter der „lateinischen Mitra“ sein.98 Die türkische Herrschaft wurde im Laufe der Zeit durch byzantinische Theologen sakralisiert. Sie entwickelten eine Theorie, nach der die muslimischen Eroberer von Gott gesandt waren, um die Orthodoxie vor dem Katholizismus zu schützen.99 Die Neigung zur Kooperation mit nichtchristlichen statt christlicher Staaten wurde zum Hauptmerkmal der Politik einiger orthodoxer Herrscher, unter anderem von Zar Alexander Newski, der lieber eine Allianz mit den Mongolen als mit Rom einging.100 Einige Gründe für den orthodoxen Antiokzidentalismus lassen sich auch im 18. Jahrhundert finden, als im abendländischen Europa zahlreiche soziokulturelle und wirtschaftliche Prozesse stattfanden, die außerordentliche Veränderungen in der Gesellschaft bewirkten. Die Aufklärung in Westeuropa, von der hier die Rede ist, schuf auch wesentliche Veränderungen im religiösen Leben. Dementsprechend trug der kulturelle Umbruch im Westen, wie schon im Kapitel 3.1 angedeutet wurde, dazu bei, dass die Trennlinien zwischen orthodoxen und katholischen bzw. protestantischen Gesellschaften deutlicher wurden und sich damit schon bestehende Differenzen vergrößerten. „Summarisch kann sicherlich behauptet werden, dass das westeuropäische Christentum heutzutage grundsätzlich als ein post-aufklärerisches Christentum erscheint.“101 Das lässt sich aber keineswegs über das Orthodoxe Christentum sagen, das – um an diese Terminologie anzuknüpfen – als „unreformiertes Christentum“ beschrieben werden kann. Der kulturelle Umbruch ging seit Mitte des 18. Jahrhunderts mit rasanten Entwicklungen im Bereich der Technologie einher. Der technische Fortschritt, der durch zahlreiche technologische Neuerungen gekennzeichnet ist (z.B. Dampfmaschine, Spinnmaschine usw.), ermöglichte den Prozess, der als „Industrielle Revolution“ beschrieben wird. Diese Revolution im Bereich der Produktionsmöglichkeiten führte zu vielfältigen gesellschaftlichen Veränderungen, wie z.B. der Wanderung in die Städte. 98

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Vgl. den Spruch „Lieber den Türkenturban als den Lateinerhut“. Dieser wird Lukas Notaras zugeschrieben, siehe dazu Pavlos Tzermias, Neugriechische Geschichte, Tübingen 1999, S. 61. Eine andere Version dieses Spruches lautet: „Lieber möchte ich den türkischen Turban in der Stadt sehen als die lateinische Mitra“, siehe Anastasios Kallis, Orthodoxie. Was ist das?, Münster 2004, S. 22. Vgl. Makrides/Uffelmann, „Studying Eastern Orthodox Anti-Westernism“, S. 95. Vgl. ebd., S. 95. Makrides, „Orthodoxes Christentum und westeuropäische Aufklärung“, S. 306.

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Die sich in diesem Prozess herausbildenden Gesellschaften entwickelten eine neue Kultur, die sich wesentlich von der traditionell geprägten Kultur Süd- und Osteuropas unterschied. Während sich im Westen moderne Ideen ausbreiteten, fanden im Osten kaum Veränderungen dieser Art statt.102 Die sich unter der osmanischen Herrschaft befindenden orthodoxen Gesellschaften waren weder imstande, die westlichen Errungenschaften zu rezipieren, noch eine eigene Kultur zu entwickeln. Der Schwerpunkt wurde auf die Erhaltung der Tradition gelegt. Daher vergrößerte sich die Divergenz zwischen dem sich schnell entwickelnden Westen und dem „unterentwickelten“, auf die Geschichte konzentrierten Osten. Aus diesen im 18. Jahrhundert entstandenen kulturellen, sozialen und technologischen Unterschieden speiste sich die negative Beurteilung des Westens, die in dieser Zeit im ostkirchlichen Raum schon weitreichend etabliert war. Als Beispiel dessen kann die Aktivität der sogenannten „Slawophilen“ dienen. Die Slawophilen (aus dem Griechischen σλάβος + φίλος; Slawe + Freund) waren Mitglieder der russischen Intelligenzija, die im 19. Jahrhundert eine kulturelle Strömung bildeten. Die Slawophilen postulierten den Aufbau einer nationalen Identität in Anlehnung an die slawische Kultur, deren wichtigster Bestandteil das Orthodoxe Christentum war. Die Slawophilen, darunter vor allem Aleksej S. Chomjakov, Bruder Ivan und Pëtr Kireevskij wie auch Jurij F. Samarin, gingen in ihren Überlegungen von der Prämisse aus, dass die Slawen über eine nicht verdorbene Kultur verfügen, die sich an die harmonischen menschlichen Beziehungen anlehnt und sich nach dem dörflichen und einfachen Leben richtet.103 Die aufklärerische Kultur des Westens stand im deutlichen Gegensatz zu diesen Idealen und wurde deswegen als verdorben bezeichnet.104 In der fruchtbarsten Periode ihrer Aktivität (1840–59) veröffentlichten die Slawophilen eine Reihe von Aufsätzen, in denen die Rationalisierung, Säkularisierung, Entchristianisierung und Urbanisierung der westlichen Länder starker Kritik unterzogen wurden. Diese antiokzidentalen Äußerungen nisteten sich tief im Bewusstsein des russischen Volkes ein und führten zur Einprägung eines negativen Bildes des Westens. Mit ihren kulturell-religiösen Ideen gewannen die Slawophilen auch in den anderen orthodoxen Ländern des östlichen Europas zahlreiche Anhänger, was den Antiokzidentalismus noch verstärkte. Ein wichtiger Grund der Entfaltung des Antiokzidentalismus im ostkirchlichen Raum liegt auch in der Theologie. Der Prozess des Auseinandergehens von westlichen und östlichen Kirchen begann gerade auch an diesem Punkt, weil der christliche Glaube unterschiedlich interpretiert wurde. Im Westen entwickelte sich die scholastische Theologie, die die Grundlagen für die spätere Rationalisierung in Westeuropa legte, während im Osten der Hesychasmus zum Grundprinzip der Theologie wurde. Dies hatte nicht nur für den Ablauf von Modernisierungsprozessen tiefgreifende Konse102 103 104

Dies bedeutet aber nicht, dass es keine westlichen Einflusse im 18. Jahrhundert gab. Die westlichen Ideen gelangten nach Osten z.B. durch die Bojarensöhne, die im Westen studierten. Mehr zu den Slawophilen siehe Jekaterina Lebedewa, Russische Träume. Die Slawophilen – ein Kulturphänomen, Berlin 2008. Vgl. Ivan Kireevskij, „Über das Wesen der europäischen Kultur und ihr Verhältnis zur russischen (1852)“, in: Dimitrij Tschižewskij/Dieter Groh (Hg.), Europa und Russland. Texte zum Problem des westeuropäischen und russischen Selbstverständnisses, Darmstadt 1959, S. 248– 298.

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quenzen, auf die in den vorherigen Kapiteln hingewiesen wurde, sondern auch auf die Entwicklung eines negativen Bilds vom Westen. Die theologischen Unterschiede wurden nämlich im ostkirchlichen Raum als ein Zeichen einer tiefgehenden Entfremdung der westlichen Kirchen von der Lehre der Orthodoxie empfunden.105 Zu den Gründen des orthodoxen Antiokzidentalismus muss allerdings zweierlei hinzugefügt werden. Erstens wurden die Länder Osteuropas seit jeher vom Westen als unterentwickelt betrachtet (eine Tatsache, die noch heute sichtbar ist), zweitens schätzten manche Byzantiner bzw. Orthodoxe ihre Kultur höher als die abendländische (auch diese Tendenz ist heute noch gültig). Aus diesem Grund entstand eine politische, wirtschaftliche und kulturell-religiöse Konkurrenz zwischen den beiden Seiten. Diese vielschichtige Konkurrenz verstärkte das feindliche Bild des Westens, der ständig als Konkurrent empfunden wurde. Diese und andere oben genannte Prozesse zeigen, warum der Antiokzidentalismus einen so fruchtbaren Boden im ostkirchlichen Raum fand. Er gründet sich auf vielschichtigen Unterschieden, die am Anfang überwiegend aus sprachlichen Unterschieden bestanden und später zu „grundsätzliche[n] Trennungslinien“106 wurden, also zu bedeutenden Differenzen zwischen den beiden. Als Ergebnis der beschriebenen historischen Entwicklungen vergrößerten sich diese Trennungslinien noch und schufen eine schwer überbrückbare kulturelle Kluft. Diese Tatsache wurde folgendermaßen beschrieben: [Diese] Differenz erfuhr eine vielfältige Ausprägung: in der Theologie, in der von der Theologie beherrschten Philosophie, in der Frömmigkeit, in verschiedenen Aspekten des Alltags, in der Feststellung schließlich des kulturellen Selbstverständnisses.107

In dieser Hinsicht ist bemerkenswert, dass die Trennungslinien auch in den orthodoxen Gesellschaften selbst zu sehen sind. In Russland, Griechenland und anderen Ländern Südosteuropas gibt es neben dem traditionsgebundenen, antiokzidentalen auch den pro-westlichen Trend. Auf die Beziehungen zwischen den beiden wird sich das nächste Kapitel konzentrieren.

3.3.2. Das griechische Verhältnis zum Westen Samuel P. Huntington schreibt in seinem Buch The Clash of Civilizations, „Europe ends where Western Christianity ends and Islam and Orthodoxy begin“108. Dieser berühmte amerikanische Politologe zählt die orthodoxen Länder Südosteuropas zu den sogenannten „torn countries“109 („zerrissene bzw. gespaltene Länder“). Obwohl die Theorien Huntingtons stark kritisiert wurden,110 kann man diesem Autor nicht die Tat105 106 107 108 109 110

Mehr zu diesem Thema Bremer, „Theologische Hintergründe des Euroskeptizismus“. Giannakopoulos, Tradition und Moderne in Griechenland, S. 21. Ebd., S. 21. Huntington, The Clash of Civilizations, S. 158. Ebd., S. 139–154. Zu den Kritikern von Huntington im deutschsprachigen Raum siehe vor allem Gazi Çaglar, Der Mythos vom Krieg der Zivilisationen. Der Westen gegen den Rest der Welt. Eine Replik auf Samuel P. Huntingtons ‚Kampf der Kulturen‘, München 1997; Müller, Das Zusammenleben der

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sache absprechen, dass er die Spaltungen innerhalb des ostkirchlichen Raumes beobachtet und verdeutlich hat. Mithilfe des Terminus „torn countries“ weist er darauf hin, dass die orthodoxen Gesellschaften Südosteuropas in sich geteilt sind. Hier kommt noch einmal der von Giannakopoulos benutzte Begriff „Trennungslinien“ zum Einsatz, weil diese Trennungslinien innerhalb der orthodoxen Gesellschaften Europas zu sehen sind. Sie teilen diese Gesellschaften in zwei Gruppen im Hinblick auf ihre Einstellung gegenüber dem Westen auf. Dieses Phänomen wurde damit sowohl von Huntington als auch Giannakopoulos treffend charakterisiert, auch wenn sie andere Begrifflichkeiten verwendeten. Die Problematik von pro- und antiwestlichen Diskursen in Südosteuropa wurde auch von anderen Wissenschaftlern beobachtet und ausführlich beschrieben,111 was darauf hinweist, dass die Ambivalenz gegenüber dem Westen eines der wichtigsten Merkmale dieses Raumes ist. Die interne Spaltung orthodoxer Gesellschaften ist für diese Studie insofern wichtig, dass sie einen Einfluss auf die Modernisierungsprozesse ausübt. Es muss also untersucht werden, in welchem Maße diese Prozesse von dieser Spaltung beeinflusst werden und darüber hinaus auch unter welchen Umständen die Spannungen zwischen pro- und anti-westlichen Tendenzen sichtbar werden. Der Gegenstand dieser Überlegungen wird im Folgendem ausführlicher am Beispiel der griechischen Gesellschaft diskutiert, die internen Spaltungen sind jedoch genauso gut in anderen orthodoxen Völkern zu sehen, was im nächsten Kapitel dargestellt wird. Die Einstellung der griechischen Gesellschaft gegenüber dem Westen wird in dieser Studie nicht als repräsentativ für alle orthodoxen Gesellschaften verstanden, sondern als Beispiel einer allgemeinen Einstellung gegenüber dem Westen im ostkirchlichen Raum. Da das Phänomen der internen Spaltung der Gesellschaft gegenüber dem Westen sehr wichtig für diese Untersuchung ist, muss es ausführlicher beschrieben werden, wodurch es leider nicht möglich ist, Beispielen aus anderen Ländern genauso viel Aufmerksamkeit zu schenken. Zunächst wird auf pro-westliche Strömungen in der byzantinischen Theologie hingewiesen. Die ersten Anzeichen dieser Tendenzen im griechisch-sprachigen Gebiet finden sich im 14. und in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts, als die byzantinische Theologie ihre Hochblüte mit dem endgültigen Sieg des Hesychasmus und Palamismus erlebte. Das Interesse an westlicher Theologie ist einerseits den Übersetzungen aus der scholastischen Theologie zu verdanken,112 andererseits trugen die Dispute während des Konzils Ferrara-Florenz dazu bei, dass sich manche orthodoxe Theologen

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Kulturen; Ranjit Hoskote/Ilija Trojanow, Kampfabsage. Kulturen bekämpfen sich nicht – sie fließen zusammen, München 2007. Siehe vor allem: Schubert/Sundhaussen (Hg.), Südosteuropa-Jahrbuch 34. Im Jahr 1354 wurde das theologische Werk von Thomas von Aquin unter dem Titel „Summa contra Gentiles“ von Demetrios Kydones ins Griechische übersetzt. Vgl. Gerhard Podskalsky, Theologie und Philosophie in Byzanz. Der Streit um die theologische Methodik in der spätbyzantinischen Geistesgeschichte (14./15. Jh.), seine systematischen Grundlagen und seine historische Entwicklung, München 1977, S. 173–179. Der Bruder von Kydones – Prochoros – übersetzte Werke von anderen westlichen Philosophen ins Griechische. Der Mönch Maximos Planudes übersetzte wiederum Werke von Augustinus von Hippo, siehe Podskalsky, Griechische Theologie, S. 140

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dem westlichen Gedankengut öffneten.113 Durch diese Ereignisse wurde die Rezeption westlichen Gedankenguts im Osten bzw. im griechischen Sprachraum ermöglicht. Die Tendenz der Berufung auf das „Neue“ aus dem Westen wurde auch dadurch verstärkt, dass mit der politischen Bedrohung von Seiten der Osmanen die Unzufriedenheit der Byzantiner mit ihren kulturellen Leistungen immer größer wurde. Manche betrachteten die Kultur des Westens sogar als Vorbild,114 eine Tendenz, die sich vor allem im Kreis der byzantinischen Elite überraschend schnell entwickelte. Der Einfluss der westlichen Kultur auf die östliche kann also auf das 14. bzw. 15 Jahrhundert datiert werden. Die Koexistenz von traditionellen, orthodox geprägten Ideen und den modernen, aus dem Westen stammenden wurde zu einem der Merkmale der byzantinischen Gesellschaft, in der anti- und pro-westliche Gruppen existierten: „Auch in der Zeit der Türkenherrschaft standen sich Tendenzen der Beharrung beim Althergebrachten und der Öffnung für das Neue – zuweilen unvermittelt – gegenüber.“115 Die Anhänger der westlichen kulturellen und theologischen Leistungen gerieten schnell in Konflikt mit den Traditionalisten aus dem antiokzidentalen Lager. Dieser Konflikt hatte vor allem religiöse Hintergründe, wie es im Fall des Mönches Prochoros war, der Gregorios Palamas und seine Theologie kritisierte,116 gleichzeitig aber auch politische Aspekte. Politische Gründe, weil manche kirchliche und säkulare Hierarchen in einer Allianz mit dem Westen bzw. Rom eine Chance sahen, das Byzantinische Reich vor den Ottomanen zu retten. Einer von diesen Hierarchen war z.B. der Erzbischof von Nicäa, Bessarion (1403–1472), der zum Katholizismus konvertierte, vom Papst zum Kardinal ernannt und später nach dem Fall Konstantinopels zum Titular-Patriarch von Konstantinopel erhoben wurde.117 Die pro-westlichen Tendenzen in der griechischen Gesellschaft entwickelten sich besonders schnell nach dem Fall Konstantinopels, was mit dem Mangel an Bildungsmöglichkeiten zusammenhing. Nach 1453 hatten die christlichen Bürger des Osmanischen Reiches nur zwei Möglichkeiten eine Ausbildung auf universitärer Ebene zu erlangen. Die erste war eine Studienreise in den Westen, die zweite Möglichkeit bestand darin, sich in den nach dem Konzil von Trient (1545–1563) gegründeten Jesuitenschulen Bildung zu verschaffen. Eine große Zahl junger Griechen reiste tatsächlich in den Westen, um dort in speziell für sie eingerichteten Schulen 118 zu studieren. Im osmanischen Territorium wurden wiederum Schulen gegründet, unter anderem die 1628 auf dem Athos gegründete päpstliche Schule für Mönche(!), die 1641 aufgrund einer Entscheidung der türkischen Behörden nach Thessaloniki verlegt wurde.119 Die

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Vgl. Podskalsky, Griechische Theologie, S. 16. Vgl. Vasilios N. Makrides, „Greek Orthodox Compensatory Strategies Towards Anglicans and the West at the Beginning of the Eighteenth Century“, in: Peter M. Doll (Hg.), Anglicanism and Orthodoxy 300 Years After the ‚Greek College‘ in Oxford, Oxford 2005, S. 252. Podskalsky, Griechische Theologie, S. 17. Prochoros Kydones wurde von der Synode in Konstantinopel 1368 für seine Meinungen offiziell verurteilt. Vgl. Podskalsky, Theologie und Philosophie in Byzanz, S. 165–166 u. 207–209. Podskalsky, Griechische Theologie, S. 85. Hier vor allem das 1577 gegründete Jesuitenkolleg des Hl. Athanasios in Rom. Vgl. Steven Runciman, The Great Church in Captivity: A Study of the Patriarchate of Constantinople from the Eve of the Turkish Conquest to the Greek War of Independence, Cambridge

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Ausbildung an diesen westlich geprägten Schulen führte oft zur Übernahme der abendländischen Denkweise über Kultur und Religion. Die in diesen Schulen ausgebildeten Griechen, wie z.B. Theophilos Korydallaios (1570–1646), wurden sehr oft Anhänger des pro-westlichen Lagers. Sie wurden sogar zu Multiplikatoren, die westliche Ideen in der Heimat popularisierten. Korydallaios reformierte beispielsweise das griechische Bildungssystem nach westlichen Mustern, was wiederum wesentlich zur Verwestlichung der Gesellschaft beitrug.120 Im folgenden Jahrhundert verstärkten sich die westlichen Einflüsse auf den ostkirchlichen Raum, was mit den schnellen und facettenreichen Entwicklungen im Westeuropa des 18. Jahrhunderts verbunden war. Die Prozesse, die in Kapitel 3.3.1 beschrieben wurden, trugen dazu bei, dass es immer mehr Befürworter der Entwicklungen im Westen gab. Diese Prozesse wurden als Modernisierung verstanden, weshalb die Befürworter der Reformen, unter anderem auch in Griechenland, als „Modernisierern“ bzw. „Modernisten“ bezeichnet wurden. Demgegenüber standen die „Traditionalisten“, die die westlichen gesellschaftlichen Veränderungen kritisierten. Die Befürworter der Modernisierung mussten schon im 18. Jahrhundert gegen den Widerwillen der griechischen Gesellschaft gegen Innovationen ankämpfen, weil sie, wie schon beschrieben wurde, als gefährlich betrachtet wurden. Angesichts der spektakulären Erfolge der westlichen Wissenschaft und Philosophie musste ein neues Instrumentarium für die Verteidigung der eigenen Kultur entwickelt werden. Dies geschah in Form von Kompensationsstrategien, die zum Ziel hatten, den westlichen Fortschritt zu minimalisieren und die Bedeutung der Tradition zu unterstreichen. Vasilios N. Makrides nennt und beschreibt die orthodoxen Kompensationsstrategien am Beispiel Griechenlands:121 a) Griechenland gilt als ein Ort, an dem die Philosophie und die Wissenschaft entstanden sind. b) Der Westen übernahm bzw. stahl das orthodoxe Gedankengut. Anders gesagt: Ohne Griechen wären die modernen Veränderungen nicht möglich. c) Die säkularen Prinzipien sind von geringerer Bedeutung als die religiösen. Dementsprechend sollte dem technologischen Fortschritt nicht so große Bedeutung beigemessen werden, weil der ständige Rückbezug auf die Tradition viel mehr wert sei als die Befriedigung der Bedürfnisse des modernen Menschen. d) Die zeitgenössischen Griechen sind Kustoden der antiken Wissenschaft. Sie sind diejenigen, die dem antiken Gedankengut treu bleiben und die einzigen, die es vollständig verstehen können. e) Die Orthodoxen sind selbstgenügsam und können trotz vorübergehender Schwierigkeiten ihre Kultur selbst – ohne Entlehnungen – weiterentwickeln.

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1968, S. 230–33; Timothy Ware, Eustratios Argenti: A Study of the Greek Church Under Turkish Rule, Oxford 1964, S. 22. Vgl. Podskalsky, Theologie und Philosophie in Byzanz, S. 235. Mehr zum Theophilos Korydallaios siehe Cléobule Tsourkas, La vie et l‘oeuvre de Théophile Corydalée (1570 – 1646), Thessaloniki 1967. Vgl. Makrides, „Greek Orthodox Compensatory Strategies“, S. 249–287.

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Diese Kompensationsstrategien beziehen sich allein auf die griechische Gesellschaft und können nicht als repräsentativ für die gesamte Orthodoxie betrachtet werden. Fakt ist jedoch, dass andere orthodoxe Gesellschaften ähnliche Strategien entwickelten, sei es die Idee des „Dritten Roms“ oder die früher genannten Ideen der Slawophilen in Russland. Am griechischen Beispiel lässt sich aber gut darstellen, dass das Bild des Westens als ganz anderer und teilweise auch feindlicher Welt im Volksbewusstsein schon fest fixiert war. Demnach kannten die Griechen schon im 18. Jahrhundert die Unterschiede zwischen der westlichen und der orthodoxen Mentalität, was zur negativen Beurteilung des Westens führte. Trotz der Entwicklung dieser Kompensationsstrategien strebten die griechischen Modernisierer nach der Modernisierung ihres sich unter osmanischer Herrschaft befindlichen Landes. Die Befürworter dieser Ansicht sahen in der Übernahme der westlichen kulturellen Leistungen eine Chance für die Entwicklung ihres Volkes, deswegen versuchten sie die abendländischen Ideen aus der Philosophie, Wissenschaft und Theologie in ihrer Heimat zu popularisieren. Die Modernisierer bildeten nie eine einheitliche Gruppe mit eigenem Manifest, wohl auch deshalb, weil sie verschiedene Meinungen zu wichtigen Themen – auch zur Religion – hatten. Zu den Modernisierern zählen sowohl Denker, die Religion auf aufklärerische Art und Weise als Aberglauben betrachteten, als auch diejenigen, die Religion als wichtigen Teil des menschlichen Lebens darstellten.122 Ihr gemeinsames Hauptmerkmal lag aber darin, dass sie eine positive Einstellung gegenüber der westlichen Aufklärung zeigten. Die Schlüsselrolle in dieser Gruppe spielte Vikentios Damodos (1700–1752), der in seinen theologischen Werken westliche und östliche Gedanken verband. Gerhard Podskalsky sieht ihn als: „erste[n] bedeutende[n] Denker dieser neuen Zeit, der den Versuch unternahm, sich den neuen Problemen in einer dem Volke verständlichen Sprache zuzuwenden […]“123. Zu den Modernisierern gehörte ohne Zweifel auch Eugenios Vulgaris (1716– 1806) – der Gründer der Athos-Akademie, auf die in Kapitel 6.3 eingegangen wird Die westeuropäische Aufklärung ist für den mit zehn Sprachen ungewöhnlich polyglotten Gelehrten [Vulgaris – Ł.F.] ein herausforderndes Wissensgebiet, aber niemals eine annehmbare Weltanschauung. Ihr gegenüber macht er immer wieder seinen christlichen Standpunkt deutlich, oft unter Hinweis und Einschluß der gleichgerichteten Apologetik der lateinischen Kirche.124

Das aufklärerische Gedankengut wurde im 18. Jahrhundert in Griechenland auch von Nikephoros Theotokis (1731–1800) verbreitet – ein hervorragender Mathematiker und Theologe –, der aber ebenso die Wichtigkeit des religiösen Glaubens betonte.125 Die Innovationen, die von den Modernisierern vorgeschlagen wurden, stießen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts auf Widerstand in der griechischen Gesellschaft. Dieser Widerwille gegen alles Neue und gleichzeitig aber auch gegen alles Fremde (im Besonderen Türkisches) wurde dank der Wanderprediger verstärkt. Diese 122

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Z.B. Nikephoros Theotokis; siehe dazu Vasilios N. Makrides, „Nicéphore Théotokès“, in: Carmelo Giuseppe Conticello/Vassa Conticello (Hg.), La théologie byzantine et sa tradition, Vol. 1I (XIIIe - XIXe. s.) (Corpus Christianorum), Turnhout 2002, S. 849–903. Podskalsky, Griechische Theologie, S. 337. Vgl. ebd., S. 353. Vgl. ebd., S. 367.

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„geistlichen Väter“ aus dem einfachen Volk wurden oft durch die türkischen Behörden verfolgt und zur Todesstrafe verurteilt, was die Entstehung des Märtyrerkultes zur Folge hatte. Der bekannteste dieser Volkserzieher, der ermordet wurde, war der in der Athos Akademie ausgebildete Kosmas von Ätolien (1714–1779), der von Dorf zu Dorf reiste und „als geistlicher Promotor seiner Glaubensgenossen [wirkte]“126. Er und andere ihm ähnliche Prediger stärkten die Verbundenheit mit der Orthodoxen Kirche und den traditionellen Werten, die innerhalb des Volkes gepflegt wurden. Gleichzeitig hatte aber auch die antiokzidentale Tendenz eine intellektuelle Seite, weil ein Teil der griechischen Intellektuellen zur Einführung westlicher Innovationen nicht bereit war. Athanasios Parios (1721–1813) wurde z.B. zu einem hartnäckigen Feind der Aufklärung, obwohl er seine Ausbildung in der westlich geprägten Athos Akademie erhalten hatte. Parios war zusammen mit Makarios Notaras (1731–1805) Führer der „Kollyvades-Bewegung“, die sowohl gegen Innovationen in der kirchlichen Praxis als auch gegen westliche Einflüsse in der griechischen Gesellschaft protestierte. Notaras wurde auch dadurch bekannt, dass er mit dem Mönch Nikodemos (1749– 1809) die asketisch-mystischen Schriften der Kirchenväter sammelte und 1782 unter dem Titel „Philokalia“ (gr. „Фιλοκαλία“) veröffentlichte. Dieses Werk hatte eine Schlüsselbedeutung für die orthodoxen Traditionalisten und es beeinflusste sehr stark das religiöse Selbstverständnis sowohl der Griechen als auch anderer orthodoxer Gesellschaften. Das Werk „Philokalia“ zeigte, dass die griechisch-orthodoxe Kultur trotz der drei Jahrhunderte lang andauernden osmanischen Herrschaft noch lebendig war und sogar das Leben der Orthodoxen in anderen Ländern hatte beeinflussen können, was durch die Übersetzungen der „Philokalia“ in slawische Sprachen Ost- und Südosteuropas ermöglicht worden war.127 Die Unterschiede zwischen Modernisierern auf der einen Seite und Traditionalisten auf der anderen wurden mit der Entstehung des unabhängigen griechischen Staates vergrößert. Seit 1833, als das neugriechische Königreich entstand, prägte die Polarität zwischen beiden Lagern den ganzen politisch-soziologisch-ökonomisch-religiösen Diskurs der neuen Eliten des Staates. Gegenseitige Animositäten tauchten schon während des Unabhängigkeitskrieges (1821–1829) auf und führten neben Gründen anderer Art128 zu einer Spaltung unter den Führern des Aufstandes, weil die Traditionalisten den zukünftigen griechischen Staat religiös prägen wollten und mehr Gewicht auf die Religion legten. Durch die Intervention der westlichen Mächte hatten die Modernisierer die Möglichkeit, ihre Konzeptionen umzusetzen, wodurch Griechenland 1833 zu einem zentralisierten Königreich unter der Führung der bayerischen HerrscherDynastie wurde. Die Entstehung des griechischen Staates nach westlichen Mustern bedeutete aber nicht, dass die Traditionalisten keinen Einfluss mehr auf die Gesellschaft hatten. Ganz im Gegenteil, die Befürworter der traditionellen Prinzipien hatten sogar einen großen 126 127

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Vgl. ebd., S. 343. Die Philokalia wurde auch ins Englische übersetzt, siehe dazu: Gerald H. Palmer/Philip Sherrard/Kallistos Ware (transl.), The Philokalia: The Complete Text, Bände 1–4, London 1983–1995. Hier werden vor allem politische Gründe genannt: Zugehörigkeit zu den Befürwortern zu der einen oder anderen westeuropäischen Macht; andere Konzeption des politischen Systems u.a.

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Einfluss auf die Gesellschaft und wichtigsten Entscheidungen, die im neugriechischen Staat getroffen wurden. Die bedeutenden Auseinandersetzungen in der Mitte des 19. Jahrhunderts wurden von einem gegenwärtigen griechischen Forscher, Angelos Giannakopoulos, beschrieben. Er weist unter anderem auf zwei Diskussionen hin: die Auseinandersetzung um die Übersetzung der Bibel ins Neugriechische und um die Richtung der kirchenpolitischen Entwicklungen.129 Die Auseinandersetzung um die Übersetzung der Bibel war von prinzipieller Bedeutung, weil die Sprache, wie die Entwicklungen in den westeuropäischen Staaten zeigten (z.B. Deutschland), der wichtigste Konsolidierungsfaktor des neuen Landes war. Darüber hinaus kann der Konflikt um die Bibelübersetzung nicht nur auf der religiösen Ebene verstanden werden, sondern auch auf politischer und soziologischer.130 Genau diese Ebenen wurden von den Anhängern der Übersetzung und ihrer Gegner in Betracht gezogen. Zu den Anhängern zählten Neophytos Vamvas (1770–1856) und Theoklitos Pharmakides (1784–1860), die sich die protestantischen Übersetzungen zum Vorbild nahmen, während Konstantinos Oikonomos (1780–1857), der die zweite Tendenz repräsentierte, jede Versuche dieser Art als Ketzerei und Abgang vom richtigen Glauben kritisierte.131 Die zweite von Giannakopoulos beschriebene Auseinandersetzung betrifft die Entwicklungen innerhalb der Orthodoxen Kirche in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Bis zu dieser Zeit unterstanden die griechischen Diözesen dem Patriarchat in Konstantinopel, das seit der Spätantike das Zentrum des geistlichen und politischen Lebens bildete. Obwohl nach dem Fall Konstantinopels 1453 die Stadt den Titel der Hauptstadt des christlichen Reiches verlor, verlor sie nie den Status der kirchlichen Hauptstadt – das Ökumenische Patriarchat wurde nicht aus der Stadt vertrieben und das Amt bewahrte seine Autorität in geistlichen Angelegenheiten, die sie bis zum heutigen Tag innehat. Die Anhänger der Unabhängigkeit der Griechischen Kirche versuchten trotzdem, den neu entstandenen Staat von dem sich in feindlichem Land befindlichen kirchlichen Oberhaupt zu lösen. Ähnlich wie es bei der Bibelübersetzung der Fall war, benutzten ihre Gegner, die Traditionalisten, dieselben Argumente: Die Loslösung vom Ökumenischen Patriarchat würde ihrer Meinung nach einen Verstoß gegen die durch die Tradition geheiligten, unveränderlichen Prinzipien bedeuten. Die bayerischen Machthaber des Königreiches achteten aber nicht auf die Stimmen der Traditionalisten und riefen 1833 die Autokephalie der Griechischen Kirche ohne Zustimmung Konstantinopels aus. Die Unabhängigkeit der Kirche wurde 1850 von dem Ökumenischen Patriarch bestätigt.132 Die Ausrufung der Autokephalie gilt als ein Zeichen der fortschreitenden Entfremdung des kirchlichen Lebens unter den westlichen Einflüssen und somit gleichzeitig ein Beweis der Verwestlichung Griechenlands. 129 130

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Vgl. Giannakopoulos, Tradition und Moderne in Griechenland, S. 31–56. Die Gegner der Übersetzung hoben hervor, dass die Übersetzung nicht nur theologische Folgen haben könnte. Sie wussten, dass diese ein Verstoß gegen die kirchliche Tradition war, die eng mit der alten Sprache der Bibel verbunden ist. Die Sprache der Bibel war ein Mittel, das die Kirche als Bindeglied zur Antike nutzte; die Übersetzung bedeutete deswegen, dass für Kirche und Patriarchat die Gefahr bestand, ihren Einfluss zu verlieren. Vgl. ebd., S. 40–41. Vgl. ebd., S. 38–39. Vgl. ebd., S. 43–44.

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Die Entstehung des unabhängigen griechischen Staates bedeutete einen Sieg des „wiedergeborenen Griechentums“133 und den Aufschwung einer nationalen Identität. Die Frage nach der Gestalt des Staates blieb aber unbeantwortet, da innerhalb Griechenlands verschiedene Ideen aufeinanderstießen: Demokratie gegenüber Monarchie; die „Megali-Idee“ gegenüber einem kleinen, aber starken Staat; enge Zusammenarbeit mit den westlichen Mächten gegenüber der Autonomie. In einem Atemzug mit diesen Streitpunkten wären auch noch verschiedene Meinungen über die Rolle von Religion im neuen Staat zu nennen. Diese Auflistung von Auseinandersetzungsthemen gibt einen guten Überblick über die schwierige Lage der geteilten Gesellschaft Griechenlands. Es gab immer zwei Lager, zwei Stimmen waren stets in der Gesellschaft zu hören. „Beim Zusammenstoß der konservativen und der radikalen politischen Ideen erwiesen sich letztere in der Nationalversammlung in vielen Fällen als stärker“ 134, dies bedeutete aber nicht, dass es dem einen oder dem anderen Lager gelang, die Mehrheit der Bürger von ihren Ideen zu überzeugen. Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass die Unstimmigkeiten zwischen pround anti-westlichen Tendenzen ein andauerndes Spannungsfeld innerhalb der griechischen Gesellschaft bilden. Die Auseinandersetzungen zwischen beiden Kräften führten zu mehreren Konflikten, wie es die oben genannten Bespiele der Bibel-Übersetzung oder die Autokephalie der Kirche veranschaulichen. Darüber hinaus wurde deutlich, dass nicht allein die anti-westliche Haltung ein Bestandteil der griechischen Orthodoxie ist, eher ist die Ambivalenz in Bezug auf die Relationen zum Westen ein besonderes Merkmal. Es wird hier sogar postuliert, dass die Ambivalenz in der Wahrnehmung des Westens überall in Südosteuropa auftaucht. Dies wird vor allem am Beispiel Serbiens augenfällig, wie im Kapitel 3.1 angedeutet wurde. In dieser Studie wird also die Meinung vertreten, dass die Spaltung in zwei, in Opposition zueinander stehende Strömungen innerhalb einer Gesellschaft als eines der Hauptmerkmale des ostkirchlichen Raums beschrieben werden kann. An dieser Stelle muss die Frage gestellt werden, inwiefern sich diese Annahme mit der Realität deckt: Ist die Diskrepanz in der Beurteilung des Westens ein für den ostkirchlichen Raum repräsentatives Merkmal? Die ausführliche Beschreibung dieses Phänomens in anderen orthodoxen Ländern würde den Rahmen dieser Studie sprengen, im Folgenden wird jedoch der Versuch unternommen, einen knappen Überblick über den Antiokzidentalismus in anderen orthodoxen Ländern zu geben.

3.3.3. Antiokzidentalismus und Modernisierung im ostkirchlichen Raum In diesem Kapitel werden Beispiele antiokzidentaler Haltungen im ostkirchlichen Raum gegeben, um einen außer-griechischen Überblick auf dieses Thema zu ermöglichen. Zuerst wird auf Serbien bzw. das ehemalige Jugoslawien eingegangen, weil sich dort eine spezifische, dem Nationalismus naheliegende Version des orthodoxen Antiokzidentalismus entwickelte. Der serbische Antiokzidentalismus reicht bis in den 19. 133 134

Tzermias, Neugriechische Geschichte, S. 89. Ebd., S. 100.

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Jahrhundert zurück und war schon am Anfang des 20. Jahrhundert fest etabliert, wie Olga Popović Obradović in ihrem Artikel plausibel dargestellt hat.135 In dieser Zeit wurde die Diskussion über die Zukunft des serbischen Staates ausgelöst, wobei auch die möglichen Wege der Modernisierung diskutiert wurden. Zum ersten Mal wurden auch die Stimmen laut, die forderten, dass Serbien seinen eigenen Entwicklungsweg gehen solle und sich dem westlichen Einfluss nicht aussetzen dürfe. Der wichtigste Befürworter dieses Kurses war Nikola Pasić (1845–1926). In der Zwischenkriegszeit entwickelte sich dieser Typ des Antiokzidentalismus weiter und mündete in der Svetosavlje-Bewegung, die als Beispiel für den orthodox geprägten Antiokzidentalismus dienen kann. Svetosavlje bedeutet wortwörtlich „Heilig-Savatum“, kann aber auch als „Leben nach den Grundsätzen des hl. Sava“ übersetzt werden.136 Es ist ein historiosophisches Konstrukt137, das an die historische Macht des Serbischen Reiches anknüpft. Unter diesem Begriff soll vor allem die Bindung an die serbisch-orthodoxe Tradition und gleichzeitig die Kritik an westlichen kulturellen Mustern verstanden werden. Diese zweite Dimension des „HeiligSavatums“ ist sehr deutlich in der Tätigkeit Justin Popovićs (1894–1979), einem der bedeutenden Svetosavlje-Theoretiker, zu sehen. Popović kritisierte den Westen wegen der „Entdeckung“ des Atheismus und eines weitgehenden Sittenverfalls. Klaus Buchenau schreibt: Popović geht in seiner Verteufelung des Westens so weit, dass er die Schuld am Ausbruch des Zweiten Weltkriegs nicht einer der Kriegsparteien zuschreibt, sondern der westlichen Zivilisation allgemein.138

In den Werken dieses serbischen Denkers findet man auch Ideen, die denen der Slawophilen in Russland ähneln. Unter anderem bezieht sich Popović auf das russische Sobornost-Konzept, das seiner Meinung nach ein Vorbild der gesellschaftlichen Strukturen war. Damit ist svetosavlje der russischen Version des orthodoxen Antiokzidentalismus ähnlich, es ist gleichzeitig aber auch sehr national geprägt, weil es sich auf die serbische Geschichte bezieht. Svetosavlje ist deswegen ein anschauliches Beispiel der staatlich gefärbten Version des orthodoxen Antiokzidentalismus. 139 Es wurde zu einem nationalen Konzept, das in der Gestalt des Westens einen Feind sieht. Die westlichen Wege der Modernisierung wurden dadurch abgelehnt und eigene postuliert. Während des Zweiten Weltkrieges wurde z.B. das westliche Konzept des Staates stark von der nationalen Regierung Jugoslawiens und ihrem Premierminister Milan Nedić kritisiert

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Vgl. Klaus Buchenau, Kämpfende Kirchen. Jugoslawiens religiöse Hypothek, Frankfurt am Main 2006, S. 13–52; Olga Obradović Popović, „The Roots of Anti-Modern Political Culture in Serbia“, in: Bosnia Report 55–56 (2007), abrufbar unter: http://www.bosnia.org.uk/bosrep/re port_format .cfm? articleid=3183&reportid=173. Vgl. Buchenau, Kämpfende Kirchen, S. 16. Vgl. ebd., S. 17. Ebd., S. 39. Popović hält darüber hinaus alle Protestanten und Katholiken für Ketzer, weil sie sich von der „wahren Kirche“ abgespalten haben. Vgl. Bremer, „Theologische Hintergründe des Euroskeptizismus“, S. 89. Vgl. Buchenau, Kämpfende Kirchen, S. 38.

Der orthodoxe Antiokzidentalismus

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und die eigene Konzeption des auf dem Kleinbauernstand basierenden Staates entwickelt.140 Eine weitere spezifische Version des orthodoxen Antiokzidentalismus entwickelte sich in Rumänien, einem Land, in dem die westlichen Einflüsse seit Beginn der Geschichte sehr stark waren: Die rumänische Sprache gehört zur Familie der romanischen Sprachen seit 1859 wird auch die lateinische Schrift verwendet. Die Mehrheit der Rumänen gehört der orthodoxen Konfession an, sie ist sogar, laut dem rumänischen Denker der Zwischenkriegszeit, Nichifor Crainic (1889–1972), das Hauptelement des Rumänentums.141 Ein anderer rumänischer Denker, Radu Dragnea, erläuterte diese Kombination von lateinischen und orthodoxen Elementen mit einer paradoxen Äußerung: „Wir Rumänen sind lateinisch, weil wir orthodox sind.“142 Die bedeutenden westlichen Einflüsse in Rumänien verhinderten aber nicht die Entstehung eines orthodoxen Antiokzidentalismus. Seine Auswirkung auf die rumänische Gesellschaft in verschiedenen Epochen ist nicht zu übersehen. Als Beispiele dessen können die Ereignisse der 30er Jahre des 20. Jahrhunderts dienen, als ein großer entwicklungstheoretischer Diskurs in Rumänien stattfand. Die rumänischen Denker polemisierten, ob ihr Land den „Europäisierungskurs“ annehmen oder einen eigenen Weg gehen solle, wobei sowohl pro- als auch antiwestliche Argumente vertreten wurden. Die rumänischen Denker rechneten zwar das eigene Volk und die eigene Kultur der westlichen Zivilisation zu, gleichzeitig sahen einige von ihnen, wie beispielsweise Ion Simionescu, die Zurückgebliebenheit der rumänischen Kultur als „gesunden Archaismus“143. Auf diese Art und Weise wurde die kulturelle Besonderheit betont und darüber hinaus eigene kulturelle Leistungen hervorgehoben. Diese Denkfiguren fanden großen Anklang in der rumänischen Gesellschaft und bildeten einen fruchtbaren Boden für die „Traditionalisten“, die eine antiokzidentale Kampagne mit antiwestlichen Äußerungen und Schriften führten.144 Der Erfolg dieser Kampagne und die damit verbundene Übernahme des „östlichen“ Entwicklungskurses durch die rumänischen Denker wäre ohne die weitgehende Verwurzelung der antiwestlichen Vorbehalte in der Gesellschaft nicht möglich gewesen. Das rumänische Beispiel zeigt, dass der orthodoxe Antiokzidentalismus über eine reale Kraft verfügt, die die sozio-politischen Entscheidungen beeinflussen kann: In diesem Fall wurde der „westliche“ Entwicklungskurs abgelehnt und die Modernisierung auf „rumänische“ Art und Weise postuliert. Antiwestliche Haltungen sind heutzutage auch in Russland zu sehen, ihr Einfluss auf die russische Politik scheint immer größer zu werden. Es wurde sogar beobachtet,

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Vgl. Ramet, „Serbia since July 2008“, S. 23. Vgl. Dietmar Müller, Staatsbürger auf Widerruf. Juden und Muslime als Alteritätspartner im rumänischen und serbischen Nationscode. Ethnonationale Staatsbürgerschaftskonzepte 1878– 1941, Wiesbaden 2005, S. 291. Radu Dragnea, zitiert nach Müller, Staatsbürger, S. 294. Das Thema von Identitätsbildung in Rumänien wurde ausführlich von Nicolai Staab beschrieben. Vgl. Nicolai Staab, Rumänische Kultur, Orthodoxie und der Westen. Der Diskurs um die nationale Identität in Rumänien aus der Zwischenkriegszeit, Frankfurt am Main 2011. Sterbling, „Pro- und antiwestliche Diskurse in Rumänien“, S. 261. Vgl. Müller, Staatsbürger, S. 291–292.

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Die Herausforderungen der Modernisierung im orthodox-christlichen Kontext

dass der Antiokzidentalismus zu einer Art Nationalidee wurde.145 Die Kommentatorin russischer Politik, Lilia Shevtsova, erörterte in einem ihrer Artikel, dass die russischen Staatsoberhäupter seit Ende der 80er Jahre versuchten, das Volk mithilfe der Nationalidee zu vereinigen. Antiokzidentalismus ist die „neuste“ Idee, die nach Perestrojka und Antikommunismus auftauchte und diese Idee gewinnt seit der Zeit Putins immer mehr an Bedeutung. Shevtsova schreibt The arguments supporting the new national idea are plain and simple: „The West is interfering in our domestic affairs and attempting to weaken Russia. By promoting democracy, the West is really advancing its own interests.“146

Es wurden hier die politischen Ziele des antiwestlichen Kurses angesprochen, der von einem Teil der russischen Elite eingeschlagen wurde. Diese politischen Ziele an sich sind für den Ablauf des weiteren Diskurses in dieser Studie nicht wichtig, man muss jedoch in Betracht ziehen, dass die Politik die antiwestlichen Haltungen steuert und nicht umgekehrt, wie es von Shevtsova zusammengefasst wurde: „Russia's elite uses the anti-Western national idea because it believes it is giving the people an attractive ideology.“147 Dieses Beispiel illustriert die Tatsache, dass der Antiokzidentalismus in Russland ein weitverbreitetes Phänomen ist, denn sonst würde es von den Politikern nicht als „attractive ideology“ benutzt. Die eben erwähnten Beispiele antiokzidentaler Haltungen in anderen orthodoxen Staaten verdeutlichen, dass es verschiedene lokale Versionen des Antiokzidentalismus gibt. Während der serbische stark national geprägt ist, ist der russische Antiokzidentalismus stark übernational und bezieht sich auf das gesamte Slawentum, auch an die Beziehungen zu Konstantinopel anknüpfend (Idee des „Dritten Roms“). Zur Entstehung dieser lokalen Versionen trugen die historischen Entwicklungen in den einzelnen Ländern bei, die spezifisch und regional waren. Eine ausführliche Beschreibung aller Prozesse, die zur Entstehung der einzelnen Versionen des Antiokzidentalismus beitrugen, ist hier nicht möglich, es kann jedoch auf die Gemeinsamkeiten eingegangen werden. Die hier beschriebenen „case studies“ der orthodoxen Länder zeigen, dass alle lokal gefärbten Versionen des orthodoxen Antiokzidentalismus einen gemeinsamen Nenner in Form des Widerwillens gegenüber westlichen Reformen haben. Sowohl in Serbien als auch in Rumänien und Bulgarien hatten die antiokzidentalen Haltungen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts einen negativen Einfluss auf die Übernahme des westlichen Entwicklungskurses. In diesen Ländern wurde ein eigener Modernisierungsweg postuliert, der an regionale Realien angepasst ist und den Charakterzügen der orthodoxen Völker besser entspricht.148 Dies macht deutlich, dass die westlichen 145 146 147 148

Vgl. Lilia Shevtsova, „Anti-Westernism is the New National Idea“, in: The Moscow Times, http://www.carnegie endowment.org/publications/index.cfm?fa=view&id=19480. Ebd. Ebd. Diese Tendenz ist unter dem Begriff „Autochtonismus“ in der Literatur bekannt. Sie führte zur Entstehung verschiedener Gegenbewegungen zum „Modernismus“ wie „Rumänentum“, „Bulgarismus“ und „Orthodoxismus“. Vgl. Wolfgang Höpken, „,Europäisierung‘ versus ,Autochtonie‘. Entwicklungsgeschichtliche Diskurse in Südosteuropa (19./20. Jahrhundert)“, in: GWZO Berichte – Beiträge 1 (1996), S. 92–93.

Zwischenfazit

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Reformen im ostkirchlichen Raum aufgrund des weitverbreiteten Phänomens des Antiokzidentalismus einem Überarbeitungsprozess unterzogen werden Die Modernisierung befindet sich also unter einem starken Einfluss des Antiokzidentalismus. An dieser Stelle muss nach diesem Einfluss gefragt werden: Welche Rolle spielt der Antiokzidentalismus nun genau in den Modernisierungsprozessen? Zum einen lässt sich feststellen, dass die andauernden Spannungen zwischen Befürwortern und Kritikern des Westens, die in obigen Kapiteln beschrieben wurden, einen negativen Einfluss auf die Modernisierung haben. Der Grund dafür ist, dass Modernisierung im ostkirchlichen Raum bewusst, aber auch unbewusst, als ein westliches Projekt verstanden wird. Aufgrund des etablierten negativen Westbildes unterliegen die Modernisierungsversuche der Kritik, die gegenüber dem Westen geübt wird. In anderen Worten: Der Antiokzidentalismus verlangsamt die Modernisierungsprozesse im ostkirchlichen Raum, weil immer mit Kritik der „Traditionalisten“ zu rechnen ist. Jeglichem Modernisierungsversuch kann die Verwestlichung der Gesellschaft oder ihre Enttraditionalisierung als eigentliches Ziel vorgeworfen werden. Zum zweiten kann jedoch auch diese Situation einen positiven Einfluss auf die Modernisierung haben, wie schon im zweiten Kapitel am Beispiel der Auseinandersetzungen zwischen Befürwortern und Gegnern der Großen Revolution in Frankreich beobachtet werden konnte. Auch im ostkirchlichen Raum bereichern die Auseinandersetzungen mit „westlichen“ Reformen die Diskussionen, die in Bezug auf Modernisierungsprozesse geführt werden (z.B. Diskussionen in Bulgarien und Rumänien vor Eintritt dieser Staaten zu der EU). Diese Auseinandersetzungen verhindern eine einfache Eins-zu-eins-Übernahme von „westlichen“ Mustern der Modernisierung. Dies kann nicht ausschließlich zur Verlangsamung der Modernisierungsprozesse führen, sondern kann auch einer Anpassung der Reformen an lokale Umstände dienen. Der Einfluss des orthodoxen Antiokzidentalismus auf die Modernisierung ist also genauso ambivalent wie die Einstellung der orthodoxen Gesellschaften gegenüber dem Westen. Zwar „ist eine antiwestliche Haltung wesentlicher Bestandteil des Selbstverständnisses orthodoxer Gesellschaften“149, gleichzeitig sind aber auch pro-westliche Strömungen in der Gesellschaft gut vertreten. Als Ergebnis dessen verläuft die Modernisierung anders als im Westen. Der Antiokzidentalismus ist also neben dem Traditionalismus einer der bedeutenden Faktoren, die die Modernisierungsprozesse im ostkirchlichen Raum beeinflussen.

3.4. Zwischenfazit Im vorangegangenen Kapitel wurden verschiedene Phänomene besprochen, die im ostkirchlichen Raum vorkommen, und ihr Einfluss auf den Verlauf von Modernisierungsprozessen näher betrachtet. Es wurde gefragt, inwiefern die Charakterzüge der orthodoxen Gesellschaften, die zur Entstehung der Inkompatibilitätsthese beitrugen (Kapitel 3.1), aber auch der Traditionalismus (3.2) und der Antiokzidentalismus (3.3) die Modernisierung verlangsamen bzw. behindern können. Da diese Phänomene bisher nur einzeln betrachtet wurden, muss noch ihr Einfluss auf die Modernisierungsprozes149

Giannakopoulos, Tradition und Moderne in Griechenland, S. 121.

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Die Herausforderungen der Modernisierung im orthodox-christlichen Kontext

se aus einer breiteren Perspektive besprochen werden, nämlich unter Berücksichtigung der Interrelationen zwischen ihnen. Im Folgenden werden also einerseits die obigen Überlegungen zusammengefasst; Ziel dieses Kapitels ist es andererseits aber auch, diese Interrelationen zu beleuchten. Es bleibt daher die Frage zu beantworten, in welchem Verhältnis der orthodoxe Antiokzidentalismus, der Traditionalismus und die Reformverweigerung zueinander stehen. In einem ersten Schritt in diesem Kapitel wurde auf die Inkompatibilitätsthese hingewiesen. Es wurden verschiedene Phänomene, die bei den orthodoxen Völkern zu finden sind und zu denen vor allem Traditionsverbundenheit, Kollektivität, außerweltliche Orientierung, ein fehlendes Erbe der Aufklärung und die verschiedenen Formen des gesellschaftlichen Verhaltens wie z.B. der „lockere“ Umgang mit der Zeit zählen, besprochen und in Relation zu den Modernisierungsprozessen dargestellt. Aus diesen Überlegungen wurde deutlich, dass die genannten Phänomene, die im ostkirchlichen Raum auftauchen, sich von den im Westen vorkommenden unterscheiden. Aus diesem Grund wird in der Literatur die Inkompatibilität mit dem Westen unterstrichen und die orthodoxe Kultur als vor-aufklärerisch bezeichnet.150 Auch in dieser Studie wurden diese Unterschiede betont, ebenso wurde auch auf deren negativen Einfluss auf die Modernisierung hingewiesen. So stellte sich beispielsweise die Rolle des mystischen Umgangs mit dem Glauben im ostkirchlichen Raum als Grund für einen Mangel an wirtschaftlichem Rationalismus dar. Zudem wurde die Kollektivität der orthodoxen Völker als mögliches Hindernis für die Modernisierungsprozesse angesprochen. Demgegenüber wurde im Kapitel 3.1 aber auch auf das Faktum hingewiesen, dass die Charakterzüge der orthodoxen Gesellschaften kein völlig unpassierbares Hindernis für Modernisierungsprozesse sind. Der ostkirchliche Raum wird trotz der scheinbar inkompatiblen Charakterzüge modernisiert. Zudem ist die Moderne selbst nicht ausschließlich nur ein Objekt der Kritik, sondern wird auch positiv beurteilt,151 was eine Fortführung der Modernisierung ermöglicht. An dieser Stelle muss noch einmal die Tatsache wiederholt werden, dass die orthodoxen Gesellschaften nicht einheitlich gegenüber Modernisierungsprozessen eingestellt sind: Außer der angedeuteten Gliederung in soziale Gruppen (Stadt- und Landbevölkerung) gibt es auch Unterschiede in der Betrachtung der Moderne innerhalb der verschiedenen Staaten. So sind die Modernisierungsprozesse in Griechenland weiter fortgeschritten als in Serbien. Allerdings ist auch eine unterschiedliche Einstellung gegenüber verschiedenen Dimensionen der Modernisierung nicht zu übersehen. Hierbei lässt sich vor allem die Akzeptanz der technischen Seite der Modernisierung nennen, die viel größer ist als die Akzeptanz der Individualität und der damit verbundenen 150

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Makrides bezeichnet das westliche Christentum dagegen als „post-aufklärerisch“. Makrides, „Orthodoxes Christentum und westeuropäische Aufklärung“, S. 306. Darüber hinaus scheint die Bezeichnung „vor-aufklärerisch“ für das östliche Christentum in diesem Fall berechtigt zu sein. Diese positive Beurteilung der Moderne in den traditionellen Gesellschaften ist nicht völlig atypisch. Klaus Antoni macht dies in seinem Aufsatz zum Traditionalismus in Japan deutlich, dass Moderne als „nützliches Fremdes“ bezeichnet wird, obwohl sie im Gegensatz zur Tradition steht. Vgl. Klaus Antoni, „Tradition und ,Traditionalismus‘ im modernen Japan. Ein kulturanthropologischer Versuch“, in: Japanstudien, Band 3 1991, S. 107, auch abrufbar unter: http://www.uni-tuebingen.de/kultur-japans/Texte/Antoni_1991b.pdf.

Zwischenfazit

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Menschenrechte. Aus diesen Gründen scheint die Inkompatibilitätsthese etwas übertrieben zu sein: Zwar sind die traditionellen Werte der Orthodoxie andere als die der westlichen Modernität, ihr Einfluss auf die Wahrnehmung der Modernisierungsprozesse wird jedoch überschätzt, weil sie eben nicht völlig im Gegensatz zueinander stehen, wie es die Befürworter der Inkompatibilitätsthese sehen wollten. In dieser Studie wird die Meinung vertreten, dass nicht von Inkompatibilität die Rede sein sollte, sondern von den unterschiedlichen Charakterzügen von orthodoxen und nicht-orthodoxen Gesellschaften. Diese Unterschiede haben Einfluss auf die Modernisierung im ostkirchlichen Raum, bedeuten jedoch noch lange nicht, dass sie ihren Verlauf verhindern. Es wird hier betont, dass die Unterschiede eher einen anderen Modernisierungskurs als eine vollkommene Verhinderung der Modernisierung bewirken. Im Kapitel 3.2 wurde die Aufmerksamkeit auf den Traditionalismus und die Reformverweigerung gelenkt. Es wurde besprochen, welchen Einfluss die Bindung an Traditionen – ein Phänomen, dass unter dem Begriff Traditionalismus bekannt ist – auf den Verlauf von Modernisierungsprozessen hat. Wie im Fall der im Kapitel 3.1 beschriebenen Charakterzüge der orthodoxen Völker, ist der Einfluss des Traditionalismus auf die Einführung von Reformen geringer als man auf den ersten Blick meinen könnte. Der Grund dafür ist vor allem, dass der orthodoxe Traditionalismus sich eher auf religiöse Angelegenheiten bezieht. Zwar können auch die wirtschaftlichen und politischen Ebenen der Modernisierung von diesem Phänomen beeinflusst werden, wie es Müller-Armack gezeigt hat, der Traditionalismus konzentriert sich jedoch vor allem auf die Erhaltung der Glaubensinhalte und die Position der Kirche in der Gesellschaft. Sofern die unter anderem aus dem Traditionalismus stammende Reformverweigerung kein Hindernis für die Reformen in den „weltlichen“ Bereichen darstellt, leistet der Traditionalismus dennoch Widerstand in den Bereichen der Liturgie, der Lehre oder den Dogmen. Interessanterweise wurden jedoch gerade auf dieser Ebene Reformen zugelassen. Neuerungen, deren Beispiele früher genannt, fanden tatsächlich Eingang in die Liturgie und die Lehre der Orthodoxen Kirchen. Aus diesem Grund lässt sich sagen, dass die Orthodoxie in ihrem Kern nicht kategorisch gegen alle Reformen bzw. Innovationen ist,152 sondern die Neuerungen lediglich mit einer gewissen Skepsis betrachtet. In dieser Studie wird die Meinung vertreten, dass infolge dieser skeptischen Einstellung die Modernisierung verlangsamt und an lokale kulturelle Muster angepasst, jedoch nicht verhindert wird. Die in den Kapiteln 3.1 und 3.2 beschriebenen Dichotomien zwischen den östlichen und westlichen Gesellschaften trugen dazu bei, dass sich im ostkirchlichen Raum ein negatives Bild des Westens entwickelte. Aus dieser negativen Beurteilung ergaben sich wiederum die antiokzidentalen Haltungen, die seit der Mitte des 20. Jahrhunderts unter dem Begriff Antiokzidentalismus bekannt sind. Im Kapitel 3.3 wurde das Phänomen der antiwestlichen Vorurteile in den orthodoxen Gesellschaften Ost- und Südosteuropas beschrieben. Anhand der Beispiele aus den südosteuropäischen Ländern wurden sowohl die historischen Wurzeln dieses Phänomens dargelegt als auch das ambivalente Verhalten der orthodoxen Gesellschaften gegenüber dem Westen erläu152

Makrides äußert diesbezüglich: „it would be wrong to consider it [die Orthodoxie – Ł.F.] as intrinsically, predominantly, and exclusively related to anti-rational and anti-modern trends“. Makrides, „Orthodox Christianity, Rationalization, Modernization“, S. 203.

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tert. Aus diesen und der im Kapitel 3.3.3 dargestellten Überlegungen folgt, dass der orthodoxe Antiokzidentalismus ein weit verbreitetes Phänomen ist, der, wie postuliert wurde, die Übernahme des westlichen Modernisierungskurses erschwert. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Antiokzidentalismus ein unpassierbares Hindernis für die Modernisierung ist. Damit ist dieses Phänomen genauso wie die scheinbare Inkompatibilität dialektisch mit dem Ablauf der Modernisierung verbunden. Wie gezeigt wurde, finden sich im ostkirchlichen Raum allerdings schon seit langem sehr lebendige pro-westliche und pro-reformatorische Tendenzen, die den Einfluss des Antiokzidentalismus verringern. Deshalb wird in dieser Studie betont, dass das Phänomen des Antiokzidentalismus zusammen mit den pro-westlichen Strömungen besprochen werden sollte, um seiner ambivalenten Rolle im Ablauf der Modernisierungsprozesse gerechtzuwerden. Nimmt man alles bisher Beschriebene als Voraussetzung, so kann man eine Antwort auf die am Anfang dieses Zwischenfazits gestellte Frage nach den Interrelationen zwischen dem orthodoxen Antiokzidentalismus und der Reformverweigerung geben. Vor allem muss unterstrichen werden, dass der orthodoxe Antiokzidentalismus nicht mit dem Traditionalismus und der Reformverweigerung verwechselt werden darf, da es sich um unterschiedliche Phänomene im ostkirchlichen Raum handelt. Während der Antiokzidentalismus als Oberbegriff für das antiwestliche Handeln und die antiwestlichen Äußerungen auf soziologischer, politischer, ökonomischer und religiöser Ebene verstanden werden soll, assoziiert man den Traditionalismus mit einer Neigung zur Beibehaltung der im historischen Prozess entwickelten Vorschriften, die durch das Handeln der Orthodoxen Kirche sakralisiert wurden. Dementsprechend lässt sich die Reformverweigerung als ein aus der Traditionsverbundenheit und der Angst vor jeder Neuerung entstandener Widerwille gegen die Einführung jeglicher Änderungen definieren. Die so festgelegten Grenzen zwischen diesen Phänomenen machen deutlich, dass verschiedene Phänomene den Ablauf der Modernisierung im ostkirchlichen Raum erschweren. Zu den drei hier genannten Aspekten kommen noch die unterschiedlichen Charakterzüge der östlichen und westlichen Gesellschaften, die im Kapitel 3.1 beschrieben wurden. Dies weist schon auf die Tatsache hin, dass es innerhalb von orthodoxen Gesellschaften zwar viele unterschiedliche Phänomene gibt, die Grenzen ihres Einflusses auf den Verlauf der Modernisierung sind jedoch nicht nachzuvollziehen. Der Grund dafür ist, dass alle beschriebenen Phänomene in engem Kontakt zueinander stehen und die Grenzen ihrer Auswirkungen auf die Gesellschaft deshalb sehr fließend sind. Dies lässt sich an mehreren historischen Beispielen zeigen, bei denen nicht festzustellen ist, was der Grund für die Ablehnung der Reformen war. So hätte z.B. der Antiokzidentalismus in Rumänien in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts für die Ablehnung der Reformen verantwortlich sein können, die Entscheidung für den autonomen Entwicklungspfad könnte aber auch durch die Reformverweigerung bedingt gewesen sein. Diesbezüglich kann auch der oben besprochene Briefwechsel zwischen dem Ökumenischen Patriarchen Jeremias II. und protestantischen Theologen für die fließenden Grenzen zwischen Antiokzidentalismus, Traditionalismus und Reformverweigerung als Beweis gelten. Darüber hinaus ist zu betonen, dass die Überlappung dieser Phänomene ein Merkmal der orthodoxen Gesellschaften ist.

Zwischenfazit

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Die enge Beziehung zwischen den beschriebenen Phänomenen hat wichtige Konsequenzen für die gegenwärtige Situation im ostkirchlichen Raum, weil die aus dem Westen stammenden Modernisierungsprozesse auf das dreifache Hindernis in Form von Antiokzidentalismus, Traditionalismus und Reformverweigerung stoßen.153 Der Modernisierung kann also nicht nur die Verwestlichung vorgeworfen werden, sondern auch eine mögliche Enttraditionalisierung bzw. Inkompatibilität mit der lokalen Realität. So kann es keine Überraschung sein, dass die Länder Ost- und Südosteuropas noch nicht zu den westlichen, völlig modernisierten Ländern gezählt werden.154 Es ist an dieser Stelle nochmals zu betonen, dass die genannten Phänomene der orthodoxen Gesellschaften einen unterschiedlichen Einfluss auf die jeweiligen Modernisierungsprozesse haben. So ist die technische Modernisierung vom Antiokzidentalismus bzw. von der Reformverweigerung gar nicht betroffen: Außer weniger, vereinzelter Ausnahmen nutzen und nutzten die orthodoxen Gläubigen die technischen Neuerungen. Die Errungenschaften der Zivilisation werden ohne großen Widerstand übernommen. Die politische und wirtschaftliche Modernisierung hingegen wird schon aufgrund des Mangels an diesbezüglichen Diskussionen innerhalb der Orthodoxen Kirchen mit einer gewissen Skepsis betrachtet. Wie beschrieben wurde, ist die außerweltliche Orientierung eines der Merkmale dieser Kirchen, zudem beinhaltet ihre Lehre nicht die ökonomischen Aspekte des Lebens, weshalb sich die entsprechenden Diskussionen in der Gesellschaft nicht entwickeln konnten. Dies betrifft auch politische Aspekte, die vom Staat im Rahmen der „Symphonie“-Regel gestaltet werden sollten. Die politische und wirtschaftliche Modernisierung liegt also außerhalb des Interesses der Orthodoxen Kirchen, weshalb die Modernisierungsprozesse auf diesen Ebenen nicht entscheidend durch die Phänomene des Traditionalismus oder des Antiokzidentalismus beeinflusst werden. Der größte Einfluss der genannten Phänomene ist sicherlich auf der Ebene der gesellschaftlich-kulturellen Modernisierung zu sehen, wodurch die Modernisierung hier viel langsamer als auf den anderen Ebenen verläuft.155 Im religiösen Bereich ist fast gar nicht an Veränderungen zu denken, weil sie vor allem durch den Traditionalismus verhindert werden. 153

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Auf die Interrelationen zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Phänomenen in Südosteuropa weist auch Thomas Bremer hin, der schreibt, dass Unterschiede zwischen der westlichen und östlichen Theologie zur Ablehnung von westlichen (Modernisierungs-)Prozessen beitrugen. „Zudem werden mit den theologischen Entwicklungen auch politische und soziale Veränderungen in Verbindung gebracht, wie etwa Entstehung der Demokratie und die Betonung der Menschenrechte. Diese Dinge werden oft in einem kausalen Zusammenhang gesehen und daher pauschal abgelehnt.“ Bremer, „Theologische Hintergründe des Euroskeptizismus“, S. 92. Makrides schreibt z.B. in Bezug auf Griechenland: „Letztlich kann daher nicht behauptet werden, Griechenland sei ein vollkommen westliches Land, trotz der starken Verwestlichung, die mit der Modernisierung des Landes einherging.“ Makrides, „Griechenland“, S. 359. Dementsprechend fragt Christian Geiselmann rhetorisch in seinem Aufsatz, wo sich eigentlich Bulgarien befindet: „Im ,Orient‘ mit seinem Schlendrian? In ,Europa‘ mit seiner Bildungstradition? Bei Russland mit seinen Oligarchen? Bei den USA, mit NATO, Baseballkappen und einem sozialen Netz mit übergroßen Löchern? Dazwischen irgendwo liegt Bulgarien.“ Christian Geiselmann, „Bulgarien – ein Land zwischen Tradition und Moderne“, in: Ost-West. Europäische Perspektiven 4 (2009), S. 243. Diese Tatsache wird in der bereits zitierten Aussage von Holm Sundhaussen plausibel dargestellt. Siehe Fußnote 25 in diesem Kapitel.

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Die Herausforderungen der Modernisierung im orthodox-christlichen Kontext

Die Art von Modernisierungsprozessen, die auf den wirtschaftlichen und politischen Ebenen schneller als auf der kulturell-gesellschaftlichen verlaufen, kommen nicht nur in Südosteuropa vor, sondern, wie der früher genannte US-amerikanische Soziologe William Ogburn bereits 1922 in dem Buch Social Change with Respect to Culture and Original Nature schilderte, sind für alle anderen Gebiete ebenfalls typisch.156 Ogburn fasste das Phänomen der „verspäteten“ kulturellen Modernisierung mit dem Begriff „cultural lag“. Aus der obigen Überlegung wird deutlich, dass das Phänomen des „cultural lag“ sich gut für die Beschreibung der Situation in Südosteuropa anwenden lässt, da es die Disparitäten zwischen kulturell-gesellschaftlichen und wirtschaftlich-politischen Verhältnissen veranschaulicht. Darüber hinaus wird auch die Stichhaltigkeit des Theorems der „partiellen Modernisierung“ bestätigt, das oben in diesem Kapitel in Anlehnung an einige Wissenschaftler als das geeignetste Modell zur Beschreibung des Ablaufes von Modernisierungsprozessen im ostkirchlichen Raum vorgeschlagen wurde. Wie verlaufen also Modernisierungsprozesse im ostkirchlichen Raum – um die primäre Frage dieses Kapitels nochmals zu stellen. Akzeptiert man die im zweiten Kapitel vorgeschlagene Gliederung der Modernisierungsprozesse, muss man feststellen, dass diese Prozesse im ostkirchlichen Raum auf allen drei Ebenen stattfinden. Wie jedoch bereits angedeutet, sind die Modernisierungsprozesse in den wirtschaftlichen und politischen Bereichen viel fortgeschrittener als im kulturell-gesellschaftlichen Bereich. Die moderne Technologie wird also sehr wohl genutzt und die modernen wirtschaftlichen und politischen Institutionen sind im ostkirchlichen Raum inzwischen gut bis sehr gut etabliert.157 Demgegenüber sind die Modernisierungsprozesse im kulturellgesellschaftlichen Bereich eher begrenzt. So werden die westlichen Institutionen zwar übernommen, die Institutionen der Familie und der Kirche verlieren jedoch dadurch nur unwesentlich an Bedeutung. Der europäische Vereinigungsprozess im Rahmen der Europäischen Union ist gern gesehen, während die Ökumenische Bewegung kritisiert wird. Die Gesellschaften im ostkirchlichen Raum zeigen kollektivistische Charakterzüge auf und die Zahlen der Kirchenbesucher steigen weiter an. Abschließend lässt sich also sagen, dass die Modernisierungsprozesse, aufgrund der in diesem Kapitel beschriebenen Phänomene, einen anderen Weg als im Westen nahmen. Die westliche Modernisierung wurde in den orthodoxen Gesellschaften Ost- und Südosteuropas durch die spezifisch orthodoxen Charakterzüge umgewandelt. In diesem Sinne wird die Annahme, dass die orthodoxen Staaten des Balkans „semi-developed, semicivilized, and semi-oriental territory“158 sind, abgelehnt. Stattdessen wird die Meinung vertreten, dass die Modernisierungsprozesse einen eigenen Sonderweg im orthodoxchristlichen Kontext nahmen und als solche zu beschreiben sind. Für die Beschreibung dieses Sonderwegs scheint am besten das Theorem der „partiellen Modernisierung“ geeignet zu sein. Dies wird in den nächsten Kapiteln am Beispiel des Athos untersucht. 156 157 158

Ogburn, Social Change; vgl. auch William F. Ogburn, „Social Evolution Reconsidered“, in: ders., On Culture and Social Change, Chicago/London 1964, S. 17–32. Hierbei gibt es jedoch Ausnahmen. Die Trennung von Staat und Kirche, die im ostkirchlichen Raum nicht vollzogen wurde, ist als Beispiel zu nennen. Maria Todorova, Imagining the Balkans, New York 2009, S. 194.

4. Der wirtschaftliche Modernisierungsprozess auf dem Athos 4.1. Vorgeschichte Die Anfänge der technischen Neuerungen auf dem Athos reichen bis ins Mittelalter zurück. Zwar waren die ersten Mönche, die auf die Halbinsel kamen, Eremiten und lehnten alles Irdische ab, die Einführung des Koinobitentums brachte aber auch technische Neuerungen mit sich. Das erste Kloster auf dem Athos – das von Athanasios gegründete Große Lavra – war schon mit technischen Neuerungen ausgestattet: „Athanasios the Athonite built – on the Holy Mountain – a mechanical kneading device, which was driven by bullocks.“1 Die riesigen Klostergebäude, die in seiner Zeit entstanden, wurden nach neuesten Vorbildern gebaut und galten selbst als etwas „Weltliches“, man würde heutzutage sagen „Modernes“. Als letzteres wurde auch die erste gepflasterte Straße betrachtet, die gebaut wurde, sowohl um den Transport von Baumaterialien und Handel zu ermöglichen als auch die Kommunikation auf dem Athos zu verbessern.2 Es ist an dieser Stelle wichtig zu bemerken, dass das Eindringen technischer Neuerungen in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts heftigen Widerstand der Eremiten nach sich zog. Die ersten Einsiedler auf dem Berg Athos fanden die „modernen“ Errungenschaften von Athanasios nicht angebracht und machten ihm zum Vorwurf, dass er „die Welt“ auf den Athos gebracht hätte.3 Die Eremiten schickten sogar Vertreter zum byzantinischen Kaiser, um mit ihm über ihre Ängste wegen des Ausbaus des Großen Lavra-Klosters zu sprechen.4 Kaiser Johannes I. Tzimiskes sprach zwar mit den Mönchen, erfüllte ihre Bitten jedoch nicht und erklärte den Bau des Klosters durch Athanasios darüber hinaus für rechtskräftig. Dadurch wurde die Weiterentwicklung des Koinobitentums und zudem auch die Einführung technischer Neuerungen auf dem Athos ermöglicht. Die entschiedene Reaktion der Eremiten gegenüber dem „Moderni1

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Archimandrite Aimilianos, „Orthodox Spirituality and the Technological Revolution“, in: ders., Spiritual Instruction and Discourses, Band 1, Ormylia 1999, S. 10. In der Vita des Athanasios der Athonite wird auf das technisches Geschick des Athanasios hingewiesen, der beispielsweise ein sehr kompliziertes Weiterleitungssystem einrichtete, um das Kloster mit Wasser zu versorgen. Siehe Jacques Noret, (Hg.), Vitae duae antiquae Sancti Athanasii Athonitae, Leuven 1982. Fragmente auch abrufbar unter http://www.monachos.net/content/pat ristics/patristictexts/82athanasius-of-mt-athos-life-b-of-athanasius. Siehe dazu das Interview mit Vater P. Vgl. Speake, Mount Athos, S. 43. Mit dem Problem der „Modernisierung“ des Athos durch den Athanasios der Athonite setzte sich in seinem Artikel der Metropolit Kallistos auseinander. Aus seinen Ausführungen wird deutlich, dass der Athanasios viele Neuerungen auf den Athos einführte. Es handelt sich hier nicht nur um die erwähnten technologischen Neuerungen, sondern auch um die Einführung des Koinobitentums. Metropolit Kallistos weist aber gleichzeitig auch darauf hin, dass Athanasios ein Traditionalist war, da er direkt und indirekt an die Regeln der Basilius von Caesarea und Theodor Studites anknüpfte. Vgl. Metropolit Kallistos of Diokleia (Ware), „St. Athanasios the Athonite: Traditionalist or Innovator?“, in: Bryer/Cunningham (Hg.), Mount Athos and Byzantine Monasticism, S. 3–16. Amand de Mendieta, Mount Athos, S. 65–66.

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sierungsversuch“ ist jedoch schon ein erstes Zeichen für den Widerwillen gegenüber Neuerungen in der Mönchsrepublik, eine Tendenz, die in dieser Studie untersucht wird. Seit der Zeit von Athanasios dem Athoniten bis zum 20. Jahrhundert gab es nur wenige technische Neuerungen. So veränderte sich das Leben auf dem Athos kaum. Die Mönche lebten in den im Mittelalter gebauten Gebäuden und hielten sich an die traditionellen Regeln des orthodoxen Mönchtums. Es wurden zwar einige Neuerungen eingeführt (moderne Waffen, Druckerei5, Heizungssysteme usw.), sie beeinflussten aber keineswegs die Lebensgewohnheiten der Mönche. Erst im 20. Jahrhundert war das Eindringen der Neuerungen viel deutlicher zu sehen. Das Vorhaben im Weiteren soll sein, die wichtigsten technischen Neuerungen auf dem Athos zu nennen und kurz zu besprechen. Diese Informationen sollen einen Überblick über die Situation auf dem Athos vor 1988 schaffen und nachfolgend als Basiswissen für weitere Überlegungen dienen. Als erste der bedeutendsten technischen Neuerungen wurde Strom auf dem Athos eingeführt. Schon 1902 verfügte das Vatopedi-Kloster über einen Generator.6 Die Tatsache, dass Strom zuerst in Vatopedi eingeführt wurde, ist nicht überraschend. Dieses Kloster galt schon damals als offen für Neuerungen, was unter anderem auch dem idiorhythmischen Ritus zu verdanken war, da dieser Ritus des monastischen Lebens privaten Besitz und größere Autonomie der im Kloster lebenden Brüder zulässt. In Vatopedi war es also möglich, dass ein wohlhabenderer Mönch Abb. 1 Alt und Neu auf dem Athos bzw. eine Gruppe von reichen Mönchen einen Generator kaufen konnten. Die Einführung von Strom bedeutete aber noch lange nicht, dass er für das gesamte Kloster genutzt werden konnte. Zugang zur Stromversorgung hatten wahrscheinlich nur wenige Mönche und vermutlich auch nur für begrenzte Zeit, vor allem während der Nacht. 5

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Die erste Druckerei auf dem Athos wurde in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in dem Große Lavra-Kloster gegründet. Die Quellen sind sich jedoch nicht einig, was das Datum betrifft – Amand de Mendieta datiert die Einrichtung der Druckerei auf ca. 1755, Kokkas auf 1789; vgl. Amand de Mendieta, Mount Athos, S. 129; Kokkas, Góra Atos, S. 121. Siehe Kokkas, Góra Atos, S. 121. Rolf Kuhlmann schrieb 1998 diesbezüglich, dass es seit Jahrzehnten Strom in Vatopedi gab, vgl. Rolf Kuhlmann, Der Athos. Auf den Spuren einer Faszination, Frankfurt am Main 1998, S. 71.

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Noch zu Beginn der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts gab es elektrisches Licht nur für drei Stunden am Tag.7 Die Nutzung des Lichts scheint der Hauptgrund zu sein, dass der Strom überhaupt eingeführt wurde. Es gibt und gab aber andere Vorteile der Stromnutzung. Die Antwort auf die Frage, wie der Strom benutzt wurde, ist jedoch nicht völlig klar. Es ist aber berechtigt zu behaupten, dass außer der Lichtnutzung auch verschiedene Maschinen bedient wurden. Die rumänische Timiou Prodromou-Skiti ist die zweite athonistische Gemeinschaft, die sich über Strom freuen durfte. Während des Zweiten Weltkrieges wurde in dieser Skiti ein Generator von deutschen Soldaten installiert, die während des Krieges dort stationiert waren.8 Strom war nötig, um ein Radar zu bedienen, denn die Wehrmacht errichtete eine Beobachtungsstation in der Nähe der rumänischen Skiti. Als die Soldaten ihr Standquartier am 29. Mai 19449 verließen, nahmen sie den Generator nicht mit, sodass die Mönche ihn frei benutzen konnten. Dieser glückliche Zustand dauerte jedoch nur drei Jahre, da der Generator schließlich 1947 von kommunistischen Partisanen konfisziert wurde. Das ganze Geschehen macht deutlich, dass die technischen Neuerungen auf dem Athos auch ohne Zustimmung der Mönche eingeführt werden konnten. Daraus ergibt sich auch die Frage nach den Ursachen und Quellen der Einführung technischer Neuerungen. Wurden sie durch Eigeninitiative der Mönche eingeführt oder wurde die Technik von außerhalb durchgesetzt? Die Anfänge der Stromnutzung auf dem Athos deuten schon an, dass beide Wege der Modernisierung gleichberechtigt scheinen. Nach der Konfiskation des Stromgenerators in der Timiou Prodromou-Skiti blieb Vatopedi die einzige Gemeinschaft, die über Strom verfügte. Im Jahr 1976 änderte sich das jedoch, weil im Simonos Petras-Kloster ein Generator installiert wurde.10 Im Fall von Simonos Petras ist schon mehr über die Gründe der Stromeinführung bekannt, weil ein katholischer Mönch, der sich 1976 in diesem Kloster aufhielt, diesbezüglich berichtete: „The main concern is to get refrigeration, for so much food has to be thrown away in the summer.“11 Die Notwendigkeit, Lebensmittel länger aufbewahren zu können, weniger die Nutzung elektrischen Lichts, war also der Hauptgrund für die Einführung im Kloster. Dies wird durch die Tatsache bestätigt, dass es noch 1979 kein elektrisches Licht im Gästehaus (griech.: archondariki) gab.12 In dieser Zeit, also in den 1970er Jahren, wurde die Einführung von Elektrizität auf dem Athos erstmals ein öffentliches Thema. Einige Mönche, wie im Simonos Petras-Kloster, sahen große Vorteile in der Stromnutzung, sie behaupteten sogar die Notwendigkeit von Elektrizität. An diese Stimmung knüpfte die griechische Regierung an, die den Klöstern die Lieferung des Stromes anbot: „The Greek government recent-

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Vgl. das Interview mit Vater M. Vgl. Günther Spitzing, Athos. Der Heilige Berg des östlichen Christentums, Köln 1990, S. 93. Vgl. Feigl, Athos, S. 59. Vgl. Basil M. (Pennington) OCSO, The Monks of Mount Athos: A Western Monk’s Extraordinary Spiritual Journey on Eastern Holy Ground, Woodstock, VT 2003, S. 278. Ebd., S. 170. „In 1979 there were no electric lights in the archondariki“, Douglas Lyttle, Miracle on the Monastery Mountain, Pittsford, NY 2002, S. 220.

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ly offered to bring in electricity to the whole Mountain at the cost of $600.000 .“13 Wie Rudolf Billetta berichtet, unterbreitete der griechische Gouverneur 1971 dieses Angebot, das von der Athos-Regierung mit 11 zu 8 Stimmen abgelehnt wurde.14 Damit wurde der Modernisierungsversuch seitens der Regierung endgültig abgelehnt und es wurde den Klöstern selbst bzw. den Äbten der Klöster überlassen, ob sie Elektrizität einführen wollten oder nicht. Das Angebot der Regierung und die damit verbundene Abstimmung beweisen jedoch, dass die Vorteile der Elektrifizierung sehr attraktiv für die Mönche sein mussten, da die Gruppe der Befürworter sich sonst nicht auf 8 Stimmen belaufen hätte. Andererseits zeigt dieses Ereignis, dass Elektrizität nicht länger ein Tabuthema auf dem Athos war und der Weg zur Stromeinführung relativ offen war. Tatsächlich stießen zu Beginn der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts andere Gemeinschaften zu den beiden athonistischen Klöstern (Vatopedi, Simonos Petras), die sich schon seit 1976 über Strom freuen durften, hinzu, als dort neue stromliefernde Geräte bzw. Anlagen installiert wurden. Richard John Friedlander, der als orthodoxer Mönch im Kostamonitou-Kloster lebte, schreibt, dass zu dieser Zeit auch manche Kellien, kleinere Häuser, in denen normalerweise bis zu vier Mönche leben, über Strom verfügten.15 Leider gab er diesbezüglich keine detaillierteren Informationen, er machte jedoch deutlich, dass es eine steigende Tendenz zur Einführung von Elektrizität auf dem Athos gab. An dieser Stelle ist noch zu erwähnen, dass nicht nur DieselGeneratoren wie im Vatopedi-Kloster16 Strom lieferten; das Simonos Petras-Kloster wurde z.B. mit Elektrizität aus einer Wasserturbine versorgt.17 Über andere Klöster ist nichts weiter bekannt, außer der Tatsache, dass sie Strom hatten bzw. allmählich stromliefernde Anlagen bauten. Zu dem Zeitpunkt, mit dem der Überblick dieses Kapitels endet, nämlich 1988, verfügten anscheinend fast alle Klöster über Strom. Genauere Angaben diesbezüglich fehlen jedoch. Eine weitere bedeutende technische Neuerung auf dem Athos war neben der Elektrizität sicherlich auch die Nutzung von Fahrzeugen. Autos fuhren in der Mönchsrepublik erstmals in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts. Im Jahr 1961 wurde mit dem Bau der ersten Straße auf dem Athos zwischen dem Haupthafen Dafni und der Hauptstadt Karyes angefangen.18 Die Straße war 1962 fertig und konnte ein Jahr später zu den Feierlichkeiten des 1000. Jahrestags der Gründung des Große Lavra-Klosters genutzt werden und darüber hinaus auch zur Durchquerung des ganzen Athos.19 Wobei zu verdeutlichen wäre, dass der Name „Straße“ nicht ganz zutreffend ist. Es handelt sich hier eher um eine staubige Piste: Die für den Zweirichtungsverkehr bestimmte „Straße“ wurde nur an ihren beiden Enden, also in Dafni und Karyes, gepflastert. 13 14 15 16 17 18 19

Vgl. Basil (Pennington), The Monks of Mount Athos, S. 170. Vgl. Rudolf Billetta (Hg.), Europa erlesen. Athos, Klagenfurt/Celovec 2000, S. 320. Vgl. Richard John Friedlander, Paradise Besieged: A Journey to Medieval Mount Athos at the Dawn of the Information Age, New York/Bloomington/Shanghai 2007, S. 115. Vgl. Basil (Pennington), The Monks of Mount Athos, S. 251. Vgl. ebd., S. 170; Vgl. auch Lyttle, Miracle on the Monastery Mountain, S. 255. Vgl. Zwerger, Wege am Athos, S. 24. Informationen diesbezüglich sind in mehreren Quellen angegeben, siehe vor allem Zwerger, Wege am Athos, S. 172, aber auch Kuhlmann, Der Athos, S. 23; Speake, Mount Athos, S. 3; Friedlander, Paradise Besieged, S. 12.

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Sonst fuhr und fährt man immer noch auf einer steinigen und mit Löchern übersäten unbefestigten Straße. Sie wurde noch in den 1960ern weiter bis zum Iviron-Kloster an der Ostküste des Athos ausgebaut. Die Initiative zum Bau dieser Straße kam nicht vonseiten der Mönche, sondern wurde ihnen von der griechischen Regierung bzw. dem König angeboten. Die Straße war nämlich als Geschenk für die Mönchsrepublik anlässlich des 1000. Geburtstages gedacht. Wie manche Autoren bemerkten, war die Straße ein wahres Danaergeschenk,20 weil es ein Präzedenzfall war, der zum Ausbau weiterer Straßen führte. Die Mönche bzw. die Regierung der Mönchsrepublik mussten zwar ihre Zusage für den Bau geben, dies änderte jedoch nichts an der Tatsache, dass diese Art der Modernisierung des Athos eindeutig von außen kam. Viele Mönche waren mit dieser Entscheidung nicht zufrieden und leisteten Widerstand gegen diese Modernisierung.21 Trotzdem wurde die Straße gebaut und die wichtigsten Gäste, darunter der König von Griechenland und der Ökumenische Patriarch,22 konnten relativ bequem zu den Feierlichkeiten gelangen. Die Mönche bemerkten schnell Abb. 2 Straße in Karyes die Vorteile des Autoverkehrs auf dem Athos für ihre Gemeinden. Dementsprechend wurden immer neue Straßen gebaut. Im Jahr 1971 bildeten diese zwar kein geschlossenes Netz23 und noch Mitte der 70er Jahre „[t]here were many places which could not be reached by boat nor by automobile. To reach these one walked or rode a sure-footed donkey or mule“24, jedoch bauten immer mehr Klöster und Kellien Verbindungen zu den wichtigsten Orten auf dem Athos aus. An dieser Stelle ist bemerkenswert, dass nur drei Klöster eigene Autos zur Wende der 70er und 80er Jahre

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Vgl. Kuhlmann, Der Athos, S. 23; Zwerger, Wege am Athos, S. 24. Vgl. Speake, Mount Athos, S. 73. Vgl. Amand de Mendieta, Mount Athos, S. 149. Vgl. ebd., S. 39. Lyttle, Miracle on the Monastery Mountain, S. 66.

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besaßen.25 Daher stellt sich die Frage nach den Gründen des Straßenausbaus: Wozu waren die Straßen nötig, wenn nur drei Klöster Autos hatten? Es gab mehrere Ursachen für den Straßenausbau auf dem Athos, die wichtigste jedoch scheint eine ökonomische zu sein. Am Anfang der 70er Jahre erreichte die Zahl der Mönche auf dem Athos das niedrigste Niveau im 20. Jahrhundert. Die meisten Mönche, die in den Klöstern lebten, waren in fortgeschrittenem Alter und konnten sich kaum noch ihren Lebensunterhalt verdienen. Außerdem waren die klösterlichen Gebäude äußerst renovierungsbedürftig, was einen großen Kapitalaufwand verlangte. Die Mönche brauchten also Geld, um sich ernähren zu können, aber auch, um mit den Renovierungsarbeiten zu beginnen. Das Problem des Kapitalmangels wurde unter anderem durch Straßenausbau behoben, da sich der Autoverkehr als hilfreich für die Holzindustrie erwies. Die Abholzung der athonistischen Wälder für den Handel wurde schon seit Jahrzehnten in kleinerem Maßstab betrieben. Mit dem Ausbau der Straßen wurde es jedoch möglich, diesen Wirtschaftszweig weiterzuentwickeln, weil die abgeschlagenen Bäume mit den LKWs besser transportiert und damit in größeren Mengen verkauft werden konnten. Um den Holzhandel voranzutreiben, wurden immer neue Straßen an die schon existierende Hauptstraße angeschlossen.26 Auf diese Art und Weise entstanden in den 70ern und 80ern viele Straßen auf dem Athos, die erst nur dem Holztransport dienten, später aber auch zu anderen Zwecken genutzt wurden. Man kann allerdings nicht behaupten, dass die Holzindustrie alleiniger Grund für den Ausbau der Straßen auf dem Athos war. Seit den 60er Jahren bemühte sich die griechische Regierung, Feuerlöschgeräte auf dem Athos zu installieren.27 Darüber hinaus brachte man erste Feuerwehrfahrzeuge auf den Athos, um sie jedoch einsetzen zu können, wurden Straßen erforderlich. Heutzutage wird dieser Grund für den Ausbau der Straßen von den Mönchen bewusst als einer der wichtigsten überhaupt genannt.28 Die Fahrwege wurden letztendlich auch gebaut, um den Transport von Baumaterialien zu ermöglichen. Wie schon angedeutet wurde, waren die Gebäude in mehreren Klöstern zerstört oder zumindest baufällig. Als sich die finanzielle Lage der Klöster Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre verbesserte, konnten die Mönche die zum Wiederaufbau nötigen Baumaterialien und Werkzeuge kaufen. Diese ließen sich jedoch nur schwer mit Hilfe von Maultieren transportieren. Es war schneller und gleichzeitig auch billiger, die Materialien mit den LKWs zu bringen, sogar wenn die betreffende Straße dazu erst gebaut werden musste. Vater Ma. äußerte sich diesbezüglich, dass die Klöster sich verpflichtet fühlten, die Straßen zu bauen, weil sie sonst nicht mit den Renovierungsarbeiten hätten beginnen können.29 Es wird daher deutlich, dass die Notwendigkeit der Restaurierung die Mönche dazu bewegte, Fahrwege zu bauen.

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Dies waren die Klöster Iviron, Simonos Petras und Hl. Paulus, vgl. Friedlander, Paradise Besieged, S. 120. Über einen Landrover vom Simonos Petras in 1982 berichtet auch Lorenzo Diletto. Vgl. Lorenzo Diletto, Όδοιπορία στο Άγιο Όρος. Το ημερολόγιο ενός ρωμαιοκαθολικού μοναχού, Athen 2004, S. 39. Zu diesem Thema siehe Speake, Mount Athos, S. 204; Feigl, Athos, S. 64. Vgl. Amand de Mendieta, Mount Athos, S. 153. Vgl. das Interview mit Vater P. Vgl. das Interview mit Vater Ma.

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Trotz der drei oben genannten Ursachen, die wichtig zu sein scheinen, war der Ausbau der Straßen in den 70er Jahren nicht für alle selbstverständlich. Denn die Mönche sahen auch Nachteile im Autoverkehr: Manche wollten nicht, dass „die Welt“ in die Mönchsrepublik gebracht wurde, einige fürchteten, dass die Autos die Stille des Athos und seine kontemplative Atmosphäre zerstören würden, anderen war die Benutzung von Fahrzeugen ein Verstoß gegen die Tradition.30 Dementsprechend wurde der Ausbau der Straßen auch heftig kritisiert: Das Thema wurde stark diskutiert und in manchen Klöster verzögerte sich der Bau bzw. wurde dieser ganz abgelehnt. Zu den Projekten, die abgelehnt wurden, gehört der Bau einer Verbindungsstraße zwischen dem griechischen Festland und Karyes. Dieses Projekt wurde von der Regierung in Athen vorgeschlagen, konnte sich aber unter den Mönchen nicht durchsetzen.31 Tatsächlich herrschte also auf dem Athos in den 70er Jahren eine große Uneinigkeit bezüglich der Straßen, was von Vater Ma. folgendermaßen zusammengefasst wurde: „[…] it was a major concern in the 1970s whether or not we should have the roads opened? Some monasteries did not want to open up roads and did not do it.“32 In Bezug auf den Straßenbau muss noch auf einen weiteren wichtigen Aspekt eingegangen werden – das Verhältnis von Tourismus und Autoverkehr. Welche Rolle spielte der Zustrom von Pilgern beim Ausbau der Straßen: Wurden die Straßen auch deshalb gebaut, um es den Pilgern zu ermöglichen mehrere Klöster zu besichtigen? Auf eine positive Antwort auf diese Frage weist die Tatsache hin, dass es schon vor 1971 eine reguläre Busverbindung zwischen Dafni, Karyes und dem Iviron-Kloster gab.33 Die erste Straße auf dem Athos diente also relativ früh dem Personentransport. Auch die Klöster, die schon in den 70er Jahren eigene Autos hatten,34 nutzten die Möglichkeit des Personentransports. Andererseits muss jedoch im Blick behalten werden, dass die Mönche die Zahl der Pilger seit den 70er Jahren auf niedrigem Niveau zu halten versuchten, weil sie einen zu großen Besucherzustrom fürchteten. Um das zu erreichen, wurde die Visumspflicht eingeführt.35 Deshalb scheint der Personentransport eher eine Nebenwirkung des Straßenausbaus als der Grund für seine Schaffung zu sein. In dieser Studie wird also die Meinung vertreten, dass die Möglichkeit des Personentransportes (sowohl Pilger als auch Mönche), die mit dem Ausbau der Straßen verbunden ist, trotz der Tatsache, dass sie sehr schnell zu diesem Zwecke benutzt wurden, die Entscheidungen für den Bau nur wenig beeinflusste. Den Mönchen war es offensichtlich wichtiger, die Baumaterialien effizienter transportieren zu können, als mit Hilfe des Autoverkehrs mehr Pilger in ihren Klöstern begrüßen zu dürfen.

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Metropolit Kallistos schreibt in seinem Artikel aus dem Jahr 1983, dass die Stimmen für und gegen den Straßenausbau gleichmäßig verteilt waren. Laut seiner Angaben fanden 1978 und 1979 zwei Abstimmungen zu diesem Thema in der Heiligen Gemeinde statt, die jedoch keine klare Mehrheit aufzeigten. Vgl. Metropolit Kallistos of Diokleia (Ware), „Wolves and Monks: Life on the Holy Mountain Today“, in: Sobornost 5/2 (1983), S. 67. Vgl. ebd., S. 66–67. Aus dem Interview mit Vater Ma. Vgl. Amand de Mendieta, Mount Athos, S. 39. Siehe die Ausführungen zu Fußnote 25 bzw. Lyttle, Miracle on the Monastery Mountain, S. 66. Dazu siehe Giorgos Sidiropoulos, Άγιον Όρος. Αναφορές στην ανθρωπογεωγραφία, Athen 2000, S. 91–97 und detailliertere Angaben im Kapitel 6.4.

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Der Ausbau der Straßen brachte außer den oben beschriebenen Vorteilen aber auch Nachteile mit dem Einzug eines gewissen Grades an moderner Zivilisation. Modernste Maschinen und Baufahrzeuge waren nötig, um die Fahrwege bauen zu können. Mit den ersten Straßen erschienen auf dem Athos also zeitgleich Planierraupen, Straßenwalzen und ähnliche Erfindungen des 20. Jahrhunderts, die für die Bauzwecke genutzt wurden. Seitdem sind sie ein fester Bestandteil der athonistischen Landschaft und werden nicht nur für den Ausbau der Straßen verwendet. Douglas Lyttle beschreibt in seinem Buch wie die Bulldozer weiterhin verwendet wurden: Abb. 3

Bau einer Straße auf dem Athos

[…] monster bulldozer had arrived at the arsanas on a large ferry and snorted its way up to monastery. Under the direction of Father Lukas it had begun the process of leveling a small hill behind the monastery to provide more useable agricultural land. Within a few years an orchard was maturing here.36

Diese Notiz betrifft zwar nicht den Straßenbau, zeigt aber, dass die modernen Baufahrzeuge zuvor schon zu vielen anderen Zwecken als dem Bau der Straßen im Einsatz waren. Gleichzeitig besteht aber kein Zweifel, dass der Beginn der technischen Modernisierung des Athos mit der Errichtung der ersten Straße eng verbunden ist und sich so auch weiter voranschreiten konnte. Es ist an dieser Stelle zu betonen, dass der Ausbau der Straßen und die damit verbundene Benutzung moderner Baufahrzeuge sich in manchen Situationen als sehr problematisch erwiesen. Erich Feigl beschreibt z.B., wie der Bau der Straße das Leben eines kleinen Kelli (Bezeichnung für eine kleine Mönchsgemeinschaft oder Mönchshaus auf dem Athos) beeinflusst hat: […] nur wenige Tage vor meinem Besuch war der Caterpillar da gewesen. Die Verwüstungen, die er angerichtet hatte, lassen sich nicht beschreiben. Es ist nicht genug, wenn ich die eingedrückte Hauswand anführe, den zerstörten Wein- und Olivengarten. Das schlimmste war wohl, dass die Wasserzufuhr unterbrochen war. Das bedeutete: kein Trinkwasser mehr, kein Wasser, um die Drehscheibe zu betreiben. Und es gab auch keine Möglichkeit, wieder Wasser heranzuleiten, da alles in weitem Umkreis verheert war, wie nach einem Bombenangriff. Aber all dies waren nur äußere Schäden.37 36 37

Lyttle, Miracle on the Monastery Mountain, S. 237. Feigl, Athos, S. 74.

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Feigl knüpft damit an das heikle Thema der Nachteile des Straßenausbaus und der Benutzung moderner Technik an. Er macht deutlich, dass die Einführung der modernen Zivilisation eine echte Herausforderung für den Athos darstellte (und es immer noch tut). Dieses Thema soll ausführlicher am Ende des vierten Kapitels besprochen werden, an dieser Stelle ist jedoch zu unterstreichen, dass die Nachteile der technischen Modernisierung den Mönchen sehr schnell bewusst gewesen sind. Das von Feigl beschriebene Ereignis fand während seines Besuches auf dem Athos in den 1970er Jahren statt, also ungefähr zehn Jahre nach der Eröffnung der ersten Straße. Die Fahrwege bildeten in dieser Zeit, wie schon erwähnt, noch kein geschlossenes Netz und nur drei Klöster verfügten über eigene Fahrzeuge. Obwohl die Mönche die Nachteile des Straßenausbaus erkannt hatten, entschieden sie sich dennoch bewusst dafür. Die Mehrheit der Mönche setzte sich also trotz der Nachteile für die Modernisierung des Athos ein oder leistete zumindest keinen offenen Widerstand. In diesem Zusammenhang ist interessant, wie die Mönche aus dem von Feigl zitierten Kloster auf die beschriebenen Auswirkungen reagierten. Es stellte sich heraus, dass die Mönche dieses Klosters die Zerstörungen nicht bzw. nicht als solche wahrgenommen hatten. Für die Verwüstung der ganzen Gegend in der Nähe von dem genannten Kelli wurde eine Entschädigung an den Besitzer entrichtet. Ein Mönch aus dem Kloster, das den Bau der Straße in Auftrag gegeben hatte, antwortete Folgendes auf Feigls Frage nach den Auswirkungen des Baus: „Der Betrag, den wir ihm auszahlten, war höher als das, was er aus dem Olivengarten in zehn Jahren hätte herauswirtschaften können.“38 Waren sich die Mönche der Nachteile der Modernisierung nicht bewusst? Sicherlich schon – die Nachteile des Straßenbaus waren den Geistlichen des Athos gut bekannt. Die oben zitierte Antwort zeigt jedoch, dass sie die Modernisierung zumindest aus pragmatischen Gründen unterstützten und als wichtig empfanden. Andererseits waren die Athos-Mönche aber imstande, sich einigen Modernisierungsversuchen zu widersetzen, was die Ablehnung des Baus der genannten Straße zwischen dem griechischem Festland und Karyes verdeutlicht. Es lässt sich also zusammenfassend sagen, dass in den 70ern und 80ern das Thema Straßenbau ausführlich diskutiert wurde und die Vor- und Nachteile der modernen Transportmittel schon damals rezipiert wurden. Bis 1988, also bis zu dem Zeitpunkt, dem die größte Aufmerksamkeit in dieser Arbeit gilt, wurden auch mehrere andere technische Neuerungen auf dem Athos eingeführt. Als eine der ersten erschienen in der Mönchsrepublik Fotoapparate: Am Anfang des 20. Jahrhunderts wurde sogar ein Fotoatelier in der damals russischen Hl. AndreasSkiti eingerichtet.39 Die Gründe, die die Mönche dazu veranlasst hatten, diesen Raum zu gestalten, sind nicht ganz klar. Es ist jedoch vorstellbar, dass sich die Geistlichen für die Unterstützung der Skiti durch russische Gläubige bedanken wollten. Die in dem Raum gemachten Bilder waren also eventuell als Geschenke gedacht, könnten zugleich aber auch als eine Art Werbung für die Gemeinschaft gedient haben. Sowohl weitere Spenden als auch neue Novizen waren gern gesehen und Fotos könnten als Gegenstände der Ermunterung fungiert haben. Zudem wurden ebenso Aufnahmen von 38 39

Ebd., S. 74. Vgl. ebd., S. 90.

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Mönchen für offizielle Dokumente aller Art benötigt. Da die Zahl der Mönche zwischen 400 und 50040 schwankte, lohnte es sich, ein Fotoratelier einzurichten, damit die Mönche nicht jedes Mal den Athos verlassen mussten. Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges und der Russischen Revolution 1917 geriet die Skiti in Armut und das Fotoatelier in Vergessenheit. Der Niedergang der russischen Skiti bedeutete jedoch nicht, dass Fotoapparate auf dem Athos nicht mehr benutzt wurden. Ganz im Gegenteil, sie wurden immer häufiger benutzt. Vor allem ausländische Gäste und Wissenschaftler, die den Athos besuchten, brachten Kameras mit. Die athonistischen Fresken und Ikonen wurden beispielsweise von einer Gruppe französischer Wissenschaftler unter der Leitung von Prof. Gabriel Millet während des Ersten Weltkrieges fotografiert.41 Umfangreiches Bildmaterial wurde auch von deutschen Forschern im Laufe des Zweiten Weltkrieges gesammelt.42 Die Mönche selbst erkannten die praktischen Vorteile von Fotoapparaten erst ein paar Jahrzehnte später. Der amerikanische Fotograf Douglas Lyttle, der den Athos mehrmals in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts besuchte, war mit dem Thema Kameras in der Mönchsrepublik aufgrund seines Berufes besonders vertraut. Zu seiner Verwunderung bemerkte er, dass manche Mönche über moderne Apparate verfügten. Er beschreibt in seinem Buch, wie ihm 1975 ein Mönch im Große Lavra-Kloster eine Kamera neuesten Typs zeigte, die er von einem Pilger als Geschenk bekommen hatte.43 Der Geistliche fragte Lyttle, wie man mit diesem Apparat umgehe, weil er selbst nicht mit der neuesten Technik vertraut war. Der amerikanische Fotograf erklärte also dem Mönch die wichtigsten Funktionen und probierte mit ihm etliche Einstellungen der Kamera aus. Lyttle schreibt durchaus zufrieden, dass sein „Lehrling“ fünf Jahre später ein Buch mit schönen Aufnahmen von den athonistischen Klöstern herausgab. Die Situation wiederholte sich 1984 im Xiropotamou-Kloster, wo Lyttle einen Mönch instruierte, wie ein Fotoapparat bedient wird. Die Kamera bekam der Geistliche anscheinend ebenfalls als Geschenk.44 Diese Beispiele sind für diese Studie insofern interessant, weil sie nochmals deutlich machen, dass die technischen Neuerungen auf dem Athos ganz ohne die Initiative der Mönche erfolgen konnten. Dennoch fand man schnell Verwendung für sie – in diesem Fall wurde die Fotografie zum Hobby, was sogar in einer Publikation mündete. Die Fotoapparate wurden (und werden) ebenso als ein Arbeitswerkzeug verwendet. Sie erwiesen sich für die Ikonenschreiber als sehr hilfreich, weil man mit ihrer Hilfe Bilder von Ikonen bzw. Fresken machen konnte. Die manchmal sehr wertvollen Originale wurden dann später von Ikonenschreibern, die die Aufnahmen als Muster benutzten, kopiert.45 Zu diesem Zweck importierten und importieren die Mönche die 40 41

42 43 44 45

Für Statistiken siehe Amand de Mendieta, Mount Athos, S. 41. Vgl. Kokkas, Góra Atos, S. 114. Gabriel Millet hat auch zuvor auf dem Athos geforscht. Siehe Gabriel Millet, „Recherches au Mont-Athos“, in: Bulletin de correspondance hellénique 29 (1905), S. 55–98; Gabriel Millet (Hg.), Recueil des inscriptions chrétiennes de l’Athos, Thessaloniki 2004 (Neuauflage des 1904 in Paris erschienenen Buches). Manche der Bilder erschienen im Buch von Franz Dölger, Mönchsland Athos, München 1943. Vgl. Lyttle, Miracle on the Monastery Mountain, S. 79–80. Ebd., S. 280. Siehe dazu das Interview mit Vater S.

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neuesten Erfindungen im Bereich der Fotografie. Lyttle selbst war von den Mönchen aus dem Kelli Pachomaion (Kelli unter spiritueller Leitung von Vater Pachomios) dazu beauftragt worden, den neuesten Fotoapparat zu kaufen. Im Jahr 1982 kam er dieser Bitte nach.46 Die Mönche aus dieser Gemeinschaft erlangten einen die Grenzen des Athos überschreitenden Ruhm und bekamen immer mehr Aufträge für neue Ikonen. Der Fotoapparat war also ein notwendiges Werkzeug, ohne den nicht jeder Auftrag rechtzeitig hätte erfüllt werden können. Der Einzug der technischen Zivilisation auf dem Athos führte weiterhin zur Einführung verschiedener Werkzeuge und Anlagen, die das Leben und die Arbeit der Mönche wesentlich erleichterten. Douglas Lyttle berichtet diesbezüglich über einen elektrischen Fahrstuhl im Simonos Petras-Kloster, den er 1982 sah. Der Aufzug wurde zum Transport von Lebensmitteln und Baumaterialien benutzt und sparte viel Zeit, da sich dieses Kloster auf einer steilen Anhöhe befindet. Dieser Fall ist jedoch eher als Einzelfall zu verstehen. Demgegenüber wurden aber einige andere Anlagen eingeführt, die das Leben in mehreren Gemeinschaften der Mönchsrepublik veränderten. Hier ist z.B. die Einführung von Zentralheizungen in einigen Gemeinschaften vor 1988 zu nennen. Das Simonos Petras-Kloster erwies sich auch in diesem Bereich als dasjenige Kloster, welches am offensten gegenüber Neuerungen war: Anfang der 1970er Jahre wurden in diesem Kloster die ersten auf dem Berg Athos existierenden Heizkörper installiert.47 Im Winter 1975/76 wurde auch eine Zentralheizung in der Bourazeri-Skiti eingerichtet.48 Der wichtigste Grund für die Einführung dieser Neuerung stellte unter anderem eine relativ große Furcht vor Bränden dar, die alte Heizöfen verursachen konnten. Eine Zentralheizung ist viel sicherer in ihrer Benutzung. Zugleich verlangt diese Art und Weise der Heizung nicht so viel Holz, sodass an Brennmaterial gespart werden kann.49 Trotz dieser Vorteile setzte sich die Nutzung von Zentralheizungen nur langsam durch und es wird berichtet, dass am Anfang der 1980er Jahre viele Klöster wie beispielsweise Kostamonitou, Filotheou und Hl.Panteleimonos keine Anlagen dieser Art hatten.50 Die Wärme im Winter wurde in diesen und mehreren anderen Gemeinschaften weiterhin durch die alten Heizöfen gewährleistet. Die technischen Neuerungen, die auf dem Athos vor 1988 genutzt werden, lassen sich in zwei Gruppen unterteilen; zum einen sind es die, die von großer Bedeutung für die ganze Gemeinschaft waren, und zum anderen jene, die einen eher begrenzten Einfluss auf das allgemeine Leben hatten. Zu der zweiten Gruppe lassen sich zum Beispiel die Radioempfänger zählen, über die einige Mönche in idiorythmischen Gemeinschaften verfügten,51 wie auch die von Fernsehstationen mitgebrachten Kameras, die 1963 46 47 48 49

50 51

Lyttle, Miracle on the Monastery Mountain, S. 232. Vgl. Friedlander, Paradise Besieged, S. 143. Ebd., S. 145. Trotz der Einführung einer Zentralheizung wurde immer noch viel Holz benötigt. Diletto notierte, dass im Simonos Petras-Kloster 15 Tonnen Holz jährlich für Heizzwecke verbraucht wurden. Vgl. Diletto, Όδοιπορία στό Άγιο Όρος, S. 52. Vgl. ebd., S. 143–144; Vgl. auch Lyttle, Miracle on the Monastery Mountain, S. 275. Douglas Lyttle berichtet über einen Mönch, der 1975 im Vatopedi-Kloster laut die Nachrichten im Radio hörte. Siehe Lyttle, Miracle on the Monastery Mountain, S. 114–115; Erich Feigl schreibt diesbezüglich 1982: „Kaum jemand hört Nachrichten lieber als der durchschnittliche

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für die Übertragung der Feierlichkeiten aus dem Athos verwendet wurden. In beiden Fällen wurden die modernen Geräte von einigen Mönchen als gefährliche aus „der Welt“ stammende Gegenstände bezeichnet.52 Während die gemeinschaftliche Bedeutung dieser Geräte zweitrangig ist, sind die modernen medizinischen Anlagen zweifelsfrei von primärer Relevanz für die Brüder auf dem Athos. Seit den 1980er Jahren wurden Arztzimmer eingerichtet und modern ausgestattet. So z.B. verfügte das Dionysiou-Kloster schon 1984 über ein Röntgengerät und der Zahnarztbehandlungsraum über ebenso moderne Geräte. Im Jahr 1986 existierte auch im Filotheou-Kloster ein ähnlicher Raum.53 Die Vorteile dieser Errungenschaften der technischen Zivilisation sind natürlich klar – dank ihrer Nutzung konnten verschiedene Beschwerden besser und schneller behandelt werden. Für die Mönche bedeutete es zudem auch, dass sie den Athos nicht mehr verlassen mussten, um Krankheiten behandeln zu lassen, was eine große Erleichterung darstellte. Die Tatsache, dass die Mönche die Einführung eines kleinen Stückchens „Welt“ auf dem Athos akzeptierten, bedeutete also zugleich, dass die Brüder damit unabhängiger von eben dieser „Welt“ wurden – ein Punkt, der oft als eine der Voraussetzungen für die sichere Zukunft des Heiligen Berges betont wird. Die technische Modernisierung des Heiligen Berges Athos betrifft auch den Ausbau von modernen Brandschutzsystemen, die noch vor 1988 installiert worden waren. Die ersten Anlagen dieser Art wurden in der Mönchsrepublik als Folge mehrerer großer Brände in den 1960er Jahren errichtet. Die dadurch entstandenen schwerwiegenden Schäden bewogen die griechische Regierung zum Handeln, weshalb der damalige Ministerpräsident Stephanos Stephanopoulos die Finanzierung und den Ausbau der Brandschutzsysteme in allen Klöstern ankündigte.54 In den 1970er Jahren waren die Resultate dieser Aktion schon deutlich zu sehen und der katholische Mönch Basil Pennington konnte 1976 mit Zufriedenheit bemerken: I am happy to see efforts being made here and elsewhere to prevent fires and fight them, since the monasteries have suffered so much from fire. Here they have put in an extensive system of large pipes throughout the building, with frequent openings. At Pantokratoros, in the outer porch of the church, there is a portable fire pump made stationary with lead hose right into a well. The future will perhaps be spared from a repetition of the past.55

Die Einführung von Brandschutzsystemen auf dem Berg Athos macht deutlich, dass den Mönchen die Vorteile moderner Technologie bekannt waren. Daher wurde die Einführung von technologischen Neuerungen als Notwendigkeit gesehen, weil nur dadurch die Brände vermieden werden konnten. Obwohl die Regeln des monastischen Lebens sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht veränderten, wurde die Umgebung entscheidend umgestaltet. Dies betrifft nicht nur die Renovierung von Gebäuden, sondern auch den Neubau. Anlässlich der 1000-Jahrfeier des Athos wurde das Gästehaus im Koutloumousiou-Kloster

52 53 54 55

Athosmönch – ist er doch nicht nur Mönch geworden, sondern auch Grieche geblieben.“ Feigl, Athos, S. 16. Vgl. Amand de Mendieta, Mount Athos, S. 150. Vgl. Lyttle, Miracle on the Monastery Mountain, S. 279, 311. Vgl. Amand de Mendieta, Mount Athos, S. 153. Basil (Pennington), The Monks of Mount Athos, S. 66.

Vorgeschichte

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mit Mitteln der griechischen Regierung umgebaut.56 Darüber hinaus entstand am Anfang der 1970er Jahre unterhalb des Athos-Gipfels eine Kapelle aus Beton. Dieser moderne Bau dient auch als Zuflucht für diejenigen Pilger, die unterhalb des Gipfels übernachten müssen.57 Die beiden Gebäude sind nur zwei Beispiele von neuen Bauten, die vor 1988 auf dem Athos entstanden.

Abb. 4

Hubschrauberlandeplatz beim Große Lavra-Kloster

Die technische Modernisierung des Athos betrifft außer den genannten Gegenständen auch viele andere kleinere und größere eingeführte Neuerungen. Als Beispiel für kleinere Neuerungen lässt sich die moderne Küchenausstattung nennen. Neben Kühlschränken sind hier vor allem Gasherde gemeint, die mit Gaskolben funktionierten.58 Von größerer Bedeutung ist die Einrichtung eines Hubschrauberlandeplatzes in

56

57 58

Der Bau des neuen Gästehauses erwies sich genauso wie der Bau der ersten Straße als ein Danaergeschenk – neue und komfortable Zimmer wurden zum Magnet für Pilger, die seitdem in der Suche nach Komfort zum Kloster strömen. Infolgedessen wurde die Beherbergung von Pilgern zur wichtigsten Aufgabe der Mönche, sodass mehrere das Kloster aus diesem Grund verließen. Vgl. ebd., S. 225. Vgl, Feigl, Athos, S. 15. Vgl. Lyttle, Miracle on the Monastery Mountain, S. 152.

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Der wirtschaftliche Modernisierungsprozess auf dem Athos

der Athos-Hauptstadt Karyes.59 Der katholische Mönch Basil (Pennington) berichtet, wie er 1976 zwei Helikopter sah, die eine Delegation der bulgarischen Regierung auf den Athos flogen.60 Es ist zwar nicht gänzlich zu ergründen, welche Rolle Politiker beim Bau des Landeplatzes spielten, es ist jedoch sicher, dass sie zur Einführung einer anderen Neuerung auf dem Athos beitrugen. Damit sind Traktoren gemeint, die zu verschiedenen Feldarbeiten benutzt werden. Interessanterweise wurde einer der ersten Traktoren dem serbischen Chilandar-Kloster Anfang der 1970er Jahre vom kommunistischen Diktator von Jugoslawien, Marschall Tito, geschenkt.61 Welches Interesse Tito zur Übergabe dieses Geschenkes bewog, ist nicht nachvollziehbar, Tatsache ist jedoch, dass der Traktor von den Mönchen noch 1977 benutzt wurde. Lyttle berichtet auch, dass die Mönche des Pachomaion-Kelli, mit welchen der Autor befreundet war, 1975 einen kleinen Gartentraktor aus Deutschland importierten.62 Die Vorteile der Maschinennutzung waren den Mönchen also gut bekannt, sodass einige sogar dazu bereit waren, Maschinen im Ausland zu kaufen. Wie die vorangegangenen Ausführungen deutlich machen, begann die technische Modernisierung des Heiligen Berges Athos schon vor 1988. Bis zu diesem Zeitpunkt wurden mehrere Neuerungen eingeführt, die zum ersten Mal in der Geschichte in der Mönchsrepublik benutzt wurden. Diese Technisierung des Athos war sehr facettenreich und betraf mehrere Ebenen des Lebens in den monastischen Gemeinschaften. Zu den wichtigsten Neuerungen, die den größten Einfluss auf den Tagesablauf der Mönche hatten, gehören vor allem Elektrizität und Fahrzeuge, es wurden aber auch weniger bedeutende Anlagen und Geräte vor 1988 benutzt. Hier sind unter anderem die bereits genannten Fotoapparate, Gasherde und Radioempfänger gemeint. Darüber hinaus konnten sich manche Klöster auch über die modern ausgestatteten Arzträume freuen, in anderen Gemeinschaften genossen die Mönche die Wärme der Zentralheizung. Zugleich wurden die meisten Häuser mit Brandschutzsystemen ausgestattet und verfügten über eine telefonische Verbindung mit „der Welt“. Dank der Benutzung von Traktoren und elektrischen Fahrstühlen wurde die Arbeit in einigen Klöstern wesentlich erleichtert. Um zu ersten Erkenntnissen über den Verlauf der Modernisierungsprozesse in der Mönchsrepublik zu gelangen, sollen an dieser Stelle die Gründe für die Einführung von technischen Neuerungen auf dem Heiligen Berg zusammengefasst werden. Diesbezüglich muss betont werden, dass die Notwendigkeit des Brandschutzes eine wichtige Ursache für die Technisierung des Athos war. Aus diesem Grund wurden nicht nur die Brandschutzsysteme in den Klöstern ausgebaut, sondern auch einige Gemeinschaften mit Zentralheizung ausgestattet. Diese Notwendigkeit gab unter anderem auch einen Impuls zum Weiterausbau des Straßennetzes, da die Feuerwehrfahrzeuge nur auf ordentlichen Straßen eingesetzt werden konnten. Auch heutzutage wird dieser Grund von den Mönchen für den Ausbau der Straßen angeführt.63 59 60 61 62 63

Zu dem Hubschrauberlandeplatz bei Karyes siehe Nikos Platis, Αθωνικό λεξικό, Athen 2000, S. 178. Ein Hubschrauberlandeplatz befindet sich auch beim Große Lavra-Kloster (siehe Abb. 4). Vgl. Basil (Pennington), The Monks of Mount Athos, S. 33. Vgl. Lyttle, Miracle on the Monastery Mountain, S. 174. Vgl. ebd., S. 72–73. Vgl. das Interview mit Vater P.

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Abb. 5

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Feuerwehrfahrzeuge in Karyes

Als eine der wichtigsten Ursachen für die Einführung der Neuerungen ist die Ökonomie zu nennen. Es waren unter anderem finanzielle Gründe, die die Mönche zum Ausbau der Straßen bewogen, da mit der Hilfe von Fahrzeugen einerseits die Baumaterialien für die Renovierung der Klostergebäude billiger und effizienter transportiert werden konnten. Andererseits konnte wiederum mehr Holz abtransportiert werden, wodurch sich die Einkommen der Klöster erhöhten. Zwar wird dieser zweite Punkt ungern von den Geistlichen betont, die Nützlichkeit der Straßen bei den nötigen Renovierungsarbeiten wird dafür aber umso deutlicher hervorgehoben.64 Geld konnte schließlich auch dank der Einführung von Elektrizität gespart werden, da es die Benutzung von Kühlschränken ermöglichte und damit zu Einsparungen an Lebensmitteln beitrug. Im Zusammenhang mit der Ökonomie stehen auch weitere praktische Gründe für die Neuerungen. Hier kann eine lange Liste von Beispielen gegeben werden: Die Arzträume wurden modern ausgerüstet, sodass die Mönche die Mönchsrepublik nicht mehr für die Behandlung leichterer Beschwerden verlassen mussten und schwerere Krankheiten schneller diagnostiziert werden konnten. Dank der Fahrstühle und Traktoren konnte wiederum viel Zeit und Arbeit gespart werden. Letztendlich erwiesen sich

64

Vgl. die Interviews mit Vater Ps. und mit Vater Ma.

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Der wirtschaftliche Modernisierungsprozess auf dem Athos

manche technische Neuerungen als sehr hilfreich, fast unabdingbar sogar. Dies betrifft vor allem die Fotoapparate, die von großer Bedeutung für die Ikonenschreiber sind. Es muss hier nochmals unterstrichen werden, dass einige der technischen Neuerungen auf dem Athos ohne die Initiative der Mönche erfolgten. Wie es sich gezeigt hat, wurde die erste moderne Straße in der Mönchsrepublik von der griechischen Regierung gebaut und war als Geschenk für die Athos-Gemeinschaft gedacht. Dies betrifft auch den Neubau des Gästehauses im Koutloumousiou-Kloster, den Traktor im Chilandar-Kloster und die von den Pilgern mitgebrachten Fotoapparate. 65 Alle diese als Geschenke gedachten Gegenstände, die auf den Athos importiert bzw. dort gebaut wurden, konnten allerdings nicht ohne die Zustimmung der Geistlichen ihren Platz in der Mönchsrepublik finden. Deshalb muss betont werden, dass die Mönche relativ offen gegenüber Neuerungen waren, inklusive denjenigen, die sie nicht selbst geplant hatten. An dieser Stelle steht die Frage nach dem Bewusstsein der Mönche in Bezug auf die Technisierung des Athos zum ersten Mal zur Diskussion. Genauer gesagt: Wurden die technischen Neuerungen von den Geistlichen wahrgenommen bzw. diskutierten sie deren Benutzung? Obwohl keine der bekannten Quellen über diesbezügliche Informationen verfügt, konnte festgestellt werden, dass im Fall diverser Neuerungen, wie z.B. den Straßen und dem Autoverkehr, sowohl die Vor- als auch die Nachteile ihrer Einführung bekannt waren. In diesen Fällen kam es unter den Mönchen zu Diskussionen darüber, ob die Technik eingeführt werden solle oder nicht, wie es Vater Ma. im Interview bezüglich der Auseinandersetzungen in den 1970er Jahren zum Thema Straßenausbau auf dem Athos betonte.66 Demgegenüber kann es keinen Zweifel geben, dass manche Entscheidungen zur Einführung bestimmter Neuerungen nicht ausführlich diskutiert bzw. überhaupt zur Diskussion gestellt wurden, wie es bei einigen Geschenken (vor allem der Fotoapparate) der Fall war. Trotzdem mussten die Auswirkungen der Technisierung des Athos den Mönchen jedoch mehr oder weniger bekannt gewesen sein. Die Geistlichen konnten natürlich nicht grundsätzlich erwarten, dass neue Straßen zu einer bedeutenden Erhöhung der Zahl von Touristen führen würden. Auch konnten sie anfangs nicht wissen, dass die Elektrifizierung die Einführung von Computern und Internet nach sich ziehen würde. Trotzdem waren sie sich bewusst, dass die Einführung der Neuerungen zu Veränderungen in ihrem Leben führen würde. Aus diesem Grund fürchteten manche Mönche die Einführung von Technologien und protestierten dagegen, genau wie es zur Zeit des Athanasios der Athonite der Fall gewesen war. Trotz des Widerstands wurden jedoch technologische Neuerungen eingeführt, was vor allem darauf zurückzuführen ist, dass der Mehrheit der Geistlichen die oben beschriebenen Vorteile der modernen Geräte und Anlagen bewusst war und sie sich für ihre Einführung entschieden. Diese Entscheidung fiel nicht nur dank der Vorteile, die mit der Technologienutzung verbunden waren, sondern auch dank aktiver Unterstüzung einiger Mönchstheologen. Theoklitos Dionysiatis (1916–2006) – ein Mönch im Dionysiou-Kloster und viermaliger Protos des Athos – war beispielsweise der Meinung, dass die Athos65 66

Vgl. Lyttle, Miracle on the Monastery Mountain, S. 79–80, S. 280. Vgl. das Interview mit Vater Ma.

Technische Neuerungen

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Mönche die Aufgabe hätten, den Laien den richtigen Gebrauch der Technologie zu zeigen.67 Klaus Gnoth, der das theologische Werk von Theoklitos in seiner Dissertation kommentierte, beschreibt diese Einstellung gegenüber der Technologie als „Wissenschaftspositivismus“.68 Dieser Trend zeichnet sich durch eine Abnahme der Kritik an Technologie aus. Außerdem wird sie nicht mehr ausschließlich kritisiert, sondern es wird ihre richtige Nutzung gefordert. Der aufkommende Wissenschaftspositivismus unter den Mönchen ermöglichte technologische Modernisierung und zeigt, dass auf dem Athos neben vielen kritischen Stimmen auch eine positive Einstellung vorhanden war. Im nächsten, sich auf die Gegenwart beziehenden Kapitel wird dieser Aspekt der technologischen Modernisierung erneut angesprochen. Es lässt sich aber hier feststellen, dass die technische Modernisierung des Athos, die, wie die obigen Beispiele gezeigt haben, ihre Wurzeln schon vor 1988 hat, schon seit diesem Datum auf dem Athos kommentiert wurde. Die Mönche diskutierten grundsätzlich über die Einführung von Neuerungen und trafen erste Entscheidungen zu ihrer Umsetzung. Sie können als Präzedenzfälle betrachtet werden, auf denen die weitere Modernisierung basiert. Im Weiteren soll der Blick auf die Wandlungen im technisch-wirtschaftlichen Bereich auf dem Heiligen Berg Athos seit 1988 gerichtet werden.

4.2. Technische Neuerungen 4.2.1. Bedeutung, Rolle und Wahrnehmung der Elektrizität Die Betrachtung des Einzuges technischer Neuerungen auf dem Heiligen Berg Athos nach 1988 soll mit dem Thema der Elektrizität beginnen. Elektrischer Strom war nicht nur eine der ersten Neuerungen in der Mönchsrepublik, sondern auch eine der bedeutendsten, da er einen immensen Einfluss auf das Leben der Menschen ausübt. So betont es auch Richard John Friedlander, der als Mönch zehn Jahre auf dem Athos lebte: „Both electricity and the internal combustion engine are capable of transforming any society, including a monastic one“69. Die Bedeutung des Stromes ist sehr vielfältig. Zuerst lässt sich sagen, dass Elektrizität entscheidend den Tagesablauf der Mönche prägt, weil viele Arbeiten nun auch nach Sonnenuntergang gemacht werden können. Während dies in säkularen Gesellschaften als ein großer Vorteil des Stromes angesehen wird, ist es auf dem Athos nicht der Fall, denn hier wird der traditionellen Lebensweise großer Wert beigemessen. Durch die Benutzung des Stromes und der damit verbundenen Möglichkeit, Arbeit nach Einbruch der Dunkelheit zu erledigen, ist der traditionelle Ablauf des Tages gefährdet. Zweitens ermöglicht Elektrizität die Benutzung von zahlreichen Geräten und Anlagen – Kühlschränke, Rechner, Klimaanlagen, Mobiltelefone, Bohrmaschinen und 67

68 69

Vgl. Klaus Gnoth, Antwort vom Athos. Die Bedeutung des heutigen griechisch-orthodoxen Mönchtums für die Kirche und Gesellschaft nach der Schrift des Athosmönchs Theoklitos Dionysiatis „Metaxy Ouranou kai Gēs“ (Zwischen Himmel und Erde), Göttingen 1990, S. 234. Vgl. ebd., S. 236. Friedlander, Paradise Besieged, S. 115.

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Der wirtschaftliche Modernisierungsprozess auf dem Athos

viele andere können genutzt werden. Diese Geräte haben einen großen Einfluss auf das Leben in den Klöstern, weil die Mönche dank ihrer Benutzung ihre Arbeiten schneller und effizienter ausführen können. Aus diesem Grund schreibt der schon früher zitierte Friedlander, dass „Electricity changes the shape of the day and the nature of communication“70. Die beiden genannten Aspekte der Stromnutzung bestätigen, dass diese technologische Neuerung von großer Bedeutung für das Leben auf dem Athos ist. In dieser Hinsicht stellt sich die Frage nach der Reaktion der Mönche auf diese Herausforderungen der Elektrizität. Welche Einstellung haben sie dieser gegenüber? Vor allem werden von den Mönchen die religiös bedingten Seiten dieser Anliegen angesprochen: Eine Reihe von Geistlichen auf dem Athos sehen Elektrizität und die Benutzung verschiedener elektrischer Geräte als unpassend für das Mönchsleben. Der Grund dafür ist, dass laut jahrhundertealter Tradition Arbeit ein wichtiger Bestandteil des Lebens im Kloster ist. Basilius der Große, dessen Regeln auch gegenwärtig als wertvolle Weisungen für die Mönche betrachtet werden, machte deutlich, dass Arbeit unentbehrlich ist.71 Aus dieser Perspektive ist also die Benutzung von Geräten, die die Arbeit erleichtern, nicht erwünscht. Tatsächlich wird dies von Geistlichen auf dem Athos unterstrichen: „Mit solchen Erleichterungen kann man nicht in Askese leben“72, betonte einer der Mönche vom Kostamonitou-Kloster. Er fasste damit die Befürchtungen einiger Mönche zusammen, dass die Benutzung der elektrischen Geräte vom spirituellen Leben ablenke. Ein Mönch sollte laut der (Askese-)Regeln in Schlichtheit leben und sich nicht mit „Erleichterungen“ umgeben.73 Dementsprechend wird ein strenges Leben, also ohne Neuerungen wie elektrisches Licht und Waschmaschinen, als der beste Zustand für einen Mönch betrachtet, da man in dieser Situation auf die eigenen Kräfte angewiesen ist, was eine mentale Übung bietet und so zum heiligen Leben führt. In diesem Sinne äußerte Vater Pl. im Interview, dass die Begrenzung der Verwendung von Elektrizität auch gut sei, weil „This limits the tasks that may possibly be carried out by means of electricity, therefore they [Mönche und Pilger – Ł.F.] focus more on spiritual matters.“74 Die oben genannten Ausführungen sollten klar machen, dass die Elektrifizierung des Athos viel komplexer ist als in jeder anderen Gemein70 71

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73

74

Ebd., S. 115. Basilius von Caesarea, Die Mönchsregeln, St. Ottilien 1981, S.161–163: „Daraus geht klar, daß man fleißig arbeiten muß. Wir dürfen nicht glauben, daß der Vorrang der Frömmigkeit ein Vorwand für Faulheit oder Arbeitsscheu ist.“ Robert Draper, „Wenn der heilige Berg ruft“, in: National Geographic Deutschland 12 (2009), auch abrufbar unter: http://www.nationalgeographic.de/reportagen/topthemen/2009/wenn-derheilige-berg-ruft?page =1. Die Askese ist tatsächlich schon seit der Zeit der ersten Wüstenväter ein wichtiger Teil des christlichen Mönchtums gewesen. Der Antonius der Große erlangte u.a. dank seiner asketischen Praktiken großen Ruhm und wird bis zum heutigen Tag als „Heros der Askese“ bezeichnet, Norbert Ohler, Mönche und Nonnen im Mittelalter, Düsseldorf 2008, S. 19. Die asketischen Praktiken des Antonius beruhten vor allem auf der Ablehnung von Geschlechtsverkehr, Essen und allem Komfort. Die Vorwürfe von den zitierten Mönchen betreffen genau letzteren Punkt. Mehr zum Thema frühmonastische Askese Marilyn Dunn, The Emergence of Monasticism: From the Desert Fathers to the Early Middle Ages, Oxford 2000, S. 1–24. Aus dem Interview mit Vater Pl.

Technische Neuerungen

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schaft außerhalb. Die erwähnten religiös bedingten Aspekte sind von großer Bedeutung für die Mönche und werden somit als enorme Nachteile der Elektrizität angesehen. Trotzdem verhinderte dieser religiös geprägte Widerwille gegenüber Neuerungen nicht die Einführung des Stroms. Diese Situation ist darauf zurückzuführen, dass die Stromnutzung enorm, bereits erwähnte Vorteile hat, die den Mönchen gut bekannt sind. Dementsprechend ist interessant, wie die Notwendigkeit der Stromeinführung mit den traditionellen Regeln des Mönchtums vereinbart wurde. Im Folgenden wird diese Frage ausgearbeitet, die Elektrifizierung des Athos nach 1988 dargestellt und die heutige Situation ausführlich beschrieben. Am Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre verfügten nur wenige Gemeinschaften über Elektrizität. Im Vatopedi-Kloster befand sich ein Diesel-Generator, dank dem es für wenige Stunden elektrisches Licht am Tag und in der Nacht gab. 75 Schon seit 1976 hatte das Simonos Petras-Kloster Zugang zu Elektrizität. Außerdem verfügten einige kleinere Gemeinschaften (Skiten und Kellien) über Diesel-Generatoren.76 Diese kleine Aufzählung macht deutlich, dass die Elektrizität vor 1988 noch keine große Blüte erlebte. Zum Beispiel gab es weder im Chilandar-Kloster noch in der Timiou Prodromou-Skiti, dem die deutschen Soldaten nach Ende des Zweiten Weltkrieges einen Generator überließen, Strom.77 Im Hl. Paulus-Kloster78 gab es 1990 noch keine Elektrizität und noch 1998 stellte Horst-Werner Schröder fest, dass es im Gästehaus des Iviron-Klosters ebenfalls keinen Strom gab.79 Dies gilt allerdings nicht für das Kloster, wie Vater I. während des Interviews bestätigte. Stromgenerierte Anlagen wurden dort seit Anfang der 1990er Jahre allmählich installiert und waren anfangs nur für Renovierungszwecke gedacht.80 Im Laufe dieser Dekade führten immer mehr Klöster Elektrizität ein und am Anfang des 21. Jahrhunderts wuchs die Zahl der Elektrizität nutzenden Klöster rasant an. Die stromgenerierenden Systeme wurden auch immer effizienter und moderner. So z.B. wurde das Simonos Petras-Kloster von einem computergesteuerten System mit Strom versorgt, das auf vier verschiedenen Energiequellen basierte: Wasser, Solarenergie, Brennholz und Diesel-Generator. Dieses System wurde von einem Mönch programmiert und funktionierte seit 1998 im Kloster.81 Im Jahr 2004 beobachtete Franz Pelgen in dem Jovantsa-Kelli, dass der einzige in der Kelli lebende Mönch über eine Solaranlage verfügte.82 Solarzellen wurden auch in der 75

76 77

78 79 80 81 82

Franz Pelgen berichtet, dass es nur eine Stunde war. Siehe Franz L. Pelgen, „Der Athos im Umbruch. Erlebnisse und Beobachtungen auf neun Pilgerreisen“, in: Robert Halbach/Bernd Kramer (Hg.), Άγιον Όρος. Der Heilige Berg Athos im Wandel der Zeit. Von der Stundentrommel zum Mobiltelephon, Berlin 2005, S. 187. Vater M. äußerte diesbezüglich, dass es Anfang der 1990er Jahre drei Stunden am Tag und in der Nacht Strom gab. Vgl. das Interview mit Vater M. Friedlander, Paradise Besieged, S. 115. Zu Chilandar siehe Freddy Derwahl, Die Athosreise, Augsburg 1996, S. 63. Zu Timiou Prodromou siehe Hellmut Loos, „Drei Tage und drei Nächte im rumänischen Skiti Timiou Prodromou“, in: Halbach/Kramer (Hg.), Άγιον Όρος, S. 156. Das Stromaggregat wurde 1946 von kommunistischen Partisanen konfisziert. Vgl. das Interview mit Vater P. Schröder, Pilgern auf dem Berg Athos, S. 65. Vgl. das Interview mit Vater I. Merrill, Things of The Hidden God, S. 222. Vgl. Pelgen, „Der Athos im Umbruch“, S. 198–199.

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schon erwähnten Timiou Prodromou-Skiti installiert, was Reinhold Zwerger 2002 bestätigte.83 Im Hl. Paulus-Kloster wird Elektrizität seit einigen Jahren aus einem Wasserkraftwerk und im Sommer während der Trockenperiode aus Diesel-Generatoren gewonnen.84 Ebenso wurde, sicherlich schon vor 1998, eine moderne Turbine mit Staubecken beim Grigoriou-Kloster gebaut, sodass diese Gemeinschaft und das zu ihr gehörende Sägewerk gut mit Strom versorgt sind.85 Im Laufe dieses speziellen Modernisierungsprozesses wurde Elektrizität in allen Klöstern auf dem Athos eingeführt. Heutzutage wird der Strom aber nicht nur in den zwanzig Klöstern des Athos verwendet, sondern auch in vielen Skiten und Kellien. Über die idiorythmischen Skiten lässt sich keine verallgemeinernde Aussage treffen, ob sie über Strom verfügen oder nicht, denn in den einzelnen Zellen in diesen Skiten herrschen verschiedene Einstellungen gegenüber Elektrizität. Einige dieser Mönche benutzen Elektrogeräte, andere wollen es nicht und nutzen daher keinen Strom. So ist es z.B. in der Nea Skiti der Fall. Aus diesem Grund wird hier auf eine Auflistung, in welcher Skiti es Strom gibt und in welcher nicht, verzichtet, stattdessen soll im Folgenden auf die Art und Weise der Stromgewinnung in den athonistischen Gemeinschaften eingegangen werden. In den meisten Klöstern wird Strom mit Hilfe von Diesel-Generatoren gewonnen. Diese Technologie ist nicht neu und wurde schon seit langem auf dem Athos genutzt (Vatopedi). Die Popularität dieser Methode der Stromgewinnung liegt vor allem darin, dass diese Generatoren im Unterschied zu Wasserkraftwerken keine geographischen Bedingungen erfüllen müssen und in jeder Gemeinschaft installiert werden können. Ein großer Vorteil ist auch, dass in Diesel-Generatoren viel geringer investiert werden muss als in andere Anlagen. Letztendlich werden sie oft auf dem Athos benutzt, weil sie unabhängig von Wetterverhältnissen arbeiten können, während Wasserkraftwerke und Solarzellen vom Wasserspiegel in den Flüssen und von Sonnentagen abhängig sind. Aus diesen Gründen werden Diesel-Generatoren in den meisten Klöstern entweder als die einzige stromgenerierende Anlage (z.B. Stavronikita, Kostamonitou, Esfigmenou) oder als Notstromaggregate (z.B. Hl. Paulus, Große Lavra) genutzt. Wie schon angedeutet wurde, werden in den Athos-Klöstern auch viel modernere Typen von Anlagen benutzt, deren bestes Beispiel ein System im Simonos PetrasKloster ist. In Iviron und Karakallou werden neben Diesel-Generatoren auch Batterien verwendet, die während der Arbeit von Generatoren aufgeladen werden und nach deren Ausschaltung weiter Strom liefern.86 So werden die Kosten so niedrig wie möglich gehalten. Die niedrigen Elektrizitätskosten waren neben der Umweltfreundlichkeit auch ein Grund, weshalb manche Gemeinschaften Wasserwerke an nahgelegenen Flüssen bauten. Heutzutage werden die Klöster Große Lavra, Simonos Petras, Grigoriou und Dionysiou mit Strom aus diesen Anlagen versorgt.87 Zu dieser Gruppe stößt

83 84 85 86 87

Vgl. Zwerger, Wege am Athos, S. 141 u. 182. Vgl. das Interview mit Vater P. Zwerger, Wege am Athos, S.176. Zu Iviron siehe das Interview mit Vater I., zu Karakallou siehe das Interview mit Vater N. Zu Dionysiou siehe das Interview mit Vater Mo. Zu Große Lavra siehe das Interview mit Vater N. Zu Grigoriou siehe Zwerger, Wege am Athos, S.176.

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demnächst auch das Karakallou-Kloster hinzu, wo der Bau eines kleinen Wasserkraftwerkes geplant ist.88 Besonders rasant erfolgte der Bau von Sonnengeneratoren auf dem Athos seit der Jahrtausendwende. Die Solarzellen erwiesen sich als sehr praktisch, vor allem in den kleineren Gemeinschaften, wo die Sonnenenergie für den geringeren Strombedarf ausreichend ist. Darüber hinaus werden auch zahlreiche Häuser in den Skiten mit Strom aus Solarzellen versorgt. Hier lassen sich neben dem genannten Jovanitsa-Kelli, wo nur ein Mönch lebt, auch Zellen in der Nea Skiti und zu dem Große LavraKloster gehörende Häuser nennen. Sonnenenergie wird auch in den Solaranlage in der Nea Skiti Klöstern selbst zum Zwe- Abb. 6 cke der Stromgewinnung verwendet. Hier sind die Klöster Dionysiou, Simonos Petras und Pantokratoros (hier nur kleine Solarzellen) zu nennen. Jedes Kloster auf dem Athos ist mit Elektrizität versorgt, doch sie wird ganz unterschiedlich genutzt. Während in manchen Gemeinschaften der Strom für die Durchführung verschiedener Arbeiten ohne Einschränkung genutzt wird, wird seine Benutzung in anderen reguliert. Zu der zweiten Gruppe lassen sich die Klöster Dochiariou, Esfigmenou, Stavronikita und Kostamonitou zählen. In diesen Gemeinschaften wird ganz sparsam mit dem Strom umgegangen, wofür die fehlende Beleuchtung in den Gästehäusern und Innenhöfen als bestes Beispiel für den Mangel (bzw. die Sparsamkeit) stehen kann. Statt Lampen mit Glühbirnen sind dort genauso wie vor hundert Jahren Petroleumlampen in Benutzung. Die Elektrizität wird nur „for vital functions“ verwendet, zu denen laut Vater Pl. Waschmaschinen und Backöfen gehören. 89 Mit einer ähnlichen Situation ist man im Dochiariou-Kloster konfrontiert: Dort sind die Pilger ebenfalls auf Petroleumlampen angewiesen und der Strom wird ausschließlich für andere Zwecke genutzt, nämlich für die Nutzung eines Rechners, einer Waschmaschine und der Werkzeuge, die zur Arbeit in dem Sägewerk eingesetzt werden.90 Im Kostamonitou-Kloster werden die Waschmaschinen und Lampen in der Küche am Tag zwar mit Strom versorgt, nachts jedoch wird der Diesel-Generator abgeschaltet. 88 89 90

Vgl. das Interview mit Vater. N. Aus dem Interview mit Vater Pl. Vgl. das Interview mit Vater S.

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In den genannten Gemeinschaften können Pilger den Eindruck gewinnen, dass die Klöster heutzutage auch ohne Elektrizität funktionieren. In den meisten anderen Klöstern, wie z.B. Große Lavra, Vatopedi und Simonos Petras, stellt sich dieser Eindruck bei den Besuchern allerdings nicht ein, da in diesen Gemeinschaften der Strom vielfältig genutzt wird. Nicht nur für Lampen, sondern auch für zahlreiche Geräte, zu denen sich z.B. die Klimaanlagen im Grigoriou-Kloster,91 in der Hauptkirche des Hl. PaulusKlosters92, in der Bibliothek und in der Schatzkammer des Große Lavra-Klosters93 wie auch in der Kirche und im Speisesaal der Karakallou-Gemeinschaft94 zählen lassen. In vielen Klöstern gibt es Steckdosen in den Gästezimmern, die zur Benutzung freigegeben sind.95 In manchen der genannten Klöster gibt es mittlerweile sogar Steckdosen in den Bädern für elektrische Zahnbürsten oder Rasierer. Diese Tatsache weist darauf hin, dass die Unterschiede in der Nutzung des Stromes in den Athos-Klöstern sehr groß sind. An dieser Stelle stellt sich die Frage, warum Elektrizität in manchen Klöstern für alle möglichen Aufgaben genutzt wird, während sie in anderen begrenzt wird. Die Antwort darauf scheint auch die Antwort auf die Frage nach der Wahrnehmung von Elektrizität durch die Mönche zu geben. An erster Stelle muss hier unterstrichen werden, dass es vor allem praktische Gründe waren, die die Mönche dazu bewegten, Elektrizität in vollem Umfang oder eben nur begrenzt zu nutzen. Es gibt zwei Ebenen der praktischen Gründe: Die erste Ebene betrifft die Möglichkeit der einfachen Stromgewinnung. In den Gemeinschaften, in deren Nähe sich Flüsse befinden, konnten Wasserkraftwerke eingerichtet werden, aus denen viel Energie gewonnen wird, die so für die verschiedensten Aufgaben verwendet wird. Ein Beispiel dafür ist das Hl. PaulusKloster, das Zugang zu einem Fluss hat, dessen Strömung fast das ganze Jahr über so stark ist, dass es die ganze Gemeinschaft mit Strom versorgt. Aus diesem Werk wird also Strom in ausreichender Menge für mehrere Aufgaben gewonnen. Demgegenüber gibt es in der Nähe von den Stavronikita- und Dochiariou-Klöstern keine Flüsse, die zum Zwecke der Stromgewinnung genutzt werden könnten, sodass beide Gemeinschaften auf Diesel-Generatoren bzw. Solarenergie angewiesen sind. Diese Energiequellen haben jedoch bedeutende Nachteile: Während der Bau eines Solarkraftwerks, das das ganze Kloster versorgen würde, teuer ist, sind Diesel-Generatoren hingegen sehr laut. Diese Gründe müssten einen Einfluss auf das Thema der Elektrizität in diesen Klöster haben, was auch im Interview mit Vater Ma. bestätigt wurde.96 Die zweite Ebene der praktischen Gründe für die Einführung von Elektrizität liegt in der Notwendigkeit, diverse Geräte bedienen zu können. Zahlreiche elektrische 91 92

93 94 95 96

Dies wurde während der Feldforschungen bestätigt. Obwohl die genannte Klimaanlage von dem Autor nicht beobachtet werden konnte, wird ihre Existenz von einem Mönch bestätigt. In der Hauptkirche des Klosters gibt es nur eine Steckdose. Siehe das Interview mit Vater P. Vgl. „Projects from 1994-2009“, in: Norway: The Official Site in Greece, abrufbar unter: http://www.norway.gr/News_and_events/The-EEA-and-Norway-Grants/Past-projects/. Vgl. das Interview mit Vater N. Vatopedi, Simonos Petras, Grigoriou, Dionysiou, Hl. Paulus, Zograf, Karakallou, Iviron, Filotheou und Xenofontos. Vgl. das Interview mit Vater Ma.

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Werkzeuge wie Bohrmaschinen wurden bei den umfassenden Renovierungsarbeiten unverzichtbar, da mit deren Hilfe die Arbeiten schneller und effizienter durchgeführt werden konnten. Heutzutage werden in den Klöstern Rechner, Mobiltelefone und medizinische Ausrüstung verwendet, die ohne Strom nicht funktionieren würden. Vater S. wies auch darauf hin, dass die Mönche auf die Elektrizität angewiesen sind, weil ohne sie manche Arbeiten nicht mehr möglich sind. Er betonte „all is electricity dependent“97 und meinte damit die Rechner, die für das Kloster angeschafft wurden, weil die notwendigen Materialien für die alte Schreibmaschine nicht mehr beschafft werden konnten. Seiner Meinung nach benötigt die Gemeinschaft auch Strom, um die Fotoapparate bedienen zu können. Wie also schon im Kapitel 4.1. angedeutet wurde, brachte die Notwendigkeit die Mönche dazu, die Geräte und den dafür benötigten Strom einzuführen. Vater Ma. beschrieb im Interview diese Notwendigkeit als „a necessary evil“98. Neben den praktischen Gründen unterschiedlichen Ausmaßes der Stromnutzung, müssen auch die am Anfang des Kapitels beschriebenen religiös bedingten Aspekte berücksichtigt werden. Manchen Mönchen und natürlich auch Äbten der Klöster ist es nicht recht, die elektrischen Geräte zu verwenden, weil sie diese für unpassend halten, weshalb sie die Entscheidung trafen, die Nutzung der Elektrizität zu begrenzen. Der Widerwille der Äbte gegenüber elektrischen Geräten bestätigte sich während der Forschungsaufenthalte in den Klöstern Dochiariou und Kostamonitou. Da es in jedem Kloster auf dem Athos Elektrizität gibt, sollten die Versuche einiger Äbte, die Stromnutzung zu begrenzen, tatsächlich nur als Beschränkung und nicht als Wunsch nach einem völligen Verzicht verstanden werden. Die meisten Mönche betrachten Elektrizität als etwas unbedingt Nötiges, viele betonen die Unmöglichkeit ohne Strom zu leben: „We have electricity in this monastery. Being part of the modern world, we could not really do without.“99 Strom an sich wird also nicht als Problem betrachtet, das eigentliche Problem der Einstellung der Mönche gegenüber der Elektrizität liegt in seiner „richtigen“ Nutzung, die überall auf dem Athos angestrebt wird. Dies kann am Beispiel eines Vergleiches veranschaulicht werden, den Mönch D. während des Interviews in Bezug auf technologische Neuerungen jeder Art erwähnte. Er meinte, dass „the traditional attitude of Orthodoxy towards technology can be illustrated, using the example of a knife. A knife can be a piece of cutlery and a lethal weapon just as well.“100 Damit wollte er verdeutlichen, dass neue Technologien immer mit Bedacht verwendet werden sollten. In diesem Sinne versuchen die Mönche in jedem Kloster auf dem Athos, auch in denjenigen, in denen Strom für viele Aufgaben genutzt wird, die Elektrizität so zu verwenden, dass die Spiritualität nicht darunter leidet. Dies manifestiert sich vor allem in der Tatsache, dass in den Kirchen auf dem Athos kein elektrisches Licht eingeführt wurde und infolgedessen die Gottesdienste nach wie vor 97 98 99 100

Aus dem Interview mit Vater S. Aus dem Interview mit Vater Ma. Aus dem Interview mit Vater Mo. Aus dem Interview mit Vater D. Auf die mit der Benutzung von technischen Neuerungen verbundenen Ambivalenzen wies schon 1977 Philip Sherrard hin. Seiner Meinung nach verändern die Mönche durch die Nutzung neuester Technologie den traditionellen Lebensrhythmus. Vgl. Philip Sherrard, „The Paths of Athos“, in: Eastern Churches Review 9/1–2 (1977), S. 100–107.

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Der wirtschaftliche Modernisierungsprozess auf dem Athos

bei Kerzenlicht abgehalten werden.101 Der Verzicht auf elektrisches Licht in den Kirchen wurde während der Interviews als Beispiel der „richtigen“ Nutzung des Stromes genannt.102 Diese Tatsache erklärt die Art und Weise, wie die Mönche die Nutzung von Strom einstufen. Elektrizität scheint für sie eine weltliche Sache zu sein, ohne die das Leben schwieriger oder sogar unmöglich ist. Daher entschieden sich die Gemeinschaften aus praktischen Gründen Elektrizität einzuführen, sie jedoch gleichzeitig auch nur auf einige Bereiche des Lebens im Kloster zu beschränken. Derart versuchen die Mönche die Elektrizität fern des sakralen Bereiches, das heißt der Kirche, zu halten, um diesen von dem profanen Bereich zu trennen, der den Pilgern und der Arbeit vorbehalten ist. Während diese Abgrenzung in Bezug auf die Kirchengebäude logisch ist, trifft sie auf andere Bereiche des Lebens im Kloster nicht zu. Interessanterweise scheinen sich jedoch die Mönche auf dem Athos trotz der Unterschiede, die von Kloster zu Kloster zu sehen sind, auf relativ klare Grenzen für die „richtige“ Stromnutzung geeinigt zu haben. Die Grenzen des profanen Bereiches umfassen vor allem den Umgang mit den Pilgern. In diesem Sinne können alle Arbeiten, die mit der Versorgung der Gäste verbunden sind, mit Hilfe von Elektrizität durchgeführt werden. So werden in allen Klöstern große Waschmaschinen zum Zwecke der Reinigung der Bettwäsche verwendet. Die Mönche benutzen jedoch diese Geräte nicht immer auch für sich selbst, sondern waschen ihre Sachen auf die althergebrachte Weise.103 Dadurch bleiben sie im Einklang mit den traditionalen Vorgaben des monastischen Lebens, ohne ganz auf die elektrischen Geräte verzichten zu müssen. Der Umgang mit den Pilgern betrifft auch die Essenszubereitung, mit der die Frage nach der Nutzung von Kühlschränken auftaucht. Hier überschneidet sich die Verwendung dieser Geräte für die Pilger und die Mönche, weil die Mahlzeiten zusammen eingenommen werden. Das Argument also, dass die Kühlschränke nur für die Pilger bestimmt seien, widerspricht der Realität. Andererseits ist jedoch zu betonen, dass es nicht unbedingt nötig wäre, das Essen zu kühlen, wenn es keine Pilger gäbe. In diesem hypothetischen Fall würde die Zahl der Portionen immer die gleiche und die Köche daher imstande sein, immer die richtige Menge des Essens zuzubereiten, sodass die Reste nicht gekühlt aufbewahrt werden müssten. Ein anderer klarer profaner Bereich ist dort, wo es um die Renovierung der Klöster geht. Zum Zwecke der Renovierung werden alle möglichen elektrischen Geräte benutzt und die Mönche scheinen damit gut klar zu kommen. Sie sehen dies als Notwendigkeit, vielleicht höchstens als „lesser evil“104. Eine ähnliche Einstellung kann 101

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Von dieser Regel gibt es jedoch auch kleine Ausnahmen. Es gibt eine Steckdose in der Hauptkirche des Hl. Paulus-Klosters und einen Deckenventilator in der Hauptkirche des Große Lavra-Klosters. Zu Hl. Paulus siehe das Interview mit Vater P. Zu Große Lavra siehe das Interview mit Vater F. Vgl. die Interviews mit Vater F. und mit Vater P. Die Mönche, die auf die „richtige“ Nutzung des Stromes hinweisen, können im Sinne des früher genannten Theoklitos Dionysiatis als „Wissenschaftspositivisten“ beschrieben werden. Sie bilden eine bedeutende Gruppe unter den Athos-Mönchen. Vgl. das Interview mit Vater N. Aus dem Interview mit Vater D.

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man auch im Bereich der Arbeiten, die die Mönche ausführen, sehen. In den Werkstätten, Sägewerken und allen ähnlichen Orten, wo elektrische Geräte nützlich sind und zum Zwecke des Unterhalts der Gemeinschaft dienen, werden sie auch benutzt. Dadurch wird die Arbeit nicht nur leichter, sondern gleichzeitig auch viel effizienter, was ein entschiedenes Anliegen der Mönche ist. An diesem Punkt enden die Grenzen der profanen Bereiche und damit auch die relativ freie Nutzung des Stromes. Der andere Bereich, das Sakrale, betrifft außer den kirchlichen Gebäuden auch die privaten Räume der Mönche. Hier wird der Stromverbrauch so niedrig wie möglich gehalten und auf elektrisches Licht begrenzt, sofern nicht auch darauf verzichtet wird. Ein anderer Bereich, in dem die Mönche relativ einstimmig die Benutzung von Strom unterstützen, ist der des Gesundheitswesens. Schon vor 1988 verfügten einige Klöster über modern ausgestattete Zahnarztbehandlungsräume (siehe Kapitel 4.1), die „Notwendigkeit des Lebens“ bedingte aber die Einführung vieler Neuerungen auch nach 1988. Dies wäre natürlich ohne eine weitgehende Elektrifizierung des Athos nicht möglich gewesen. So wurde seit dem Anfang der 1990er Jahre im VatopediKloster ein Behandlungsraum ausgebaut. Inzwischen ist er mit verschiedenen Diagnosegeräten ausgestattet, die sowohl Aufnahmen von Ultraschall- und Röntgenbildern, Diagnosen von Augen- und Ohrenkrankheiten als auch Blutuntersuchungen ermöglichen.105 Vergleichbare Geräte stehen auch dem Arzt in dem Klinikum in Karyes, mit Ausnahme des Röntgengeräts, zur Verfügung.106 Die kleine Klinik existierte schon seit langem in der Hauptstadt des Athos, doch wurden offensichtlich, „in dem Nosokomion, dem Spital der Epistasia, mehr Leute getötet als gesund gepflegt“, wie Zwerger in Bezug auf die 1960er Jahre bemerkte.107 Der Grund dafür war, dass es an gut ausgebildetem Personal und funktionstüchtigen Geräten mangelte. Diese Klinik in Karyes zog 1995 in ein anderes Gebäude um und wurde im Laufe der Zeit modern ausgestattet.108 Die Notwendigkeit der medizinischen Versorgung führte dazu, dass auch in weiteren Klöstern Behandlungsräume entstanden. Es handelt sich hier in erster Linie um Zahnarztpraxen. Heutzutage befindet sich beispielsweise eine im Iviron-Kloster, die alle zwei bis drei Monate von einem Zahnarzt aus Thessaloniki besucht wird. Der Arzt bleibt einige Tage im Kloster und behandelt kostenlos alle Mönche, die es wünschen.109 Ebenso wirkte ein Laie bei dem Ausbau eines Behandlungsraumes im Chilandar-Kloster mit. Laut Merrill bestellte er Mikroskope und Geräte für Blut- und Urinuntersuchungen, die der serbischen Gemeinschaft zur Verfügung stehen sollten.110 Die Entwicklungen im Bereich der medizinischen Versorgung auf dem Athos machen deutlich, dass die medizinischen Apparaturen in den Klöstern gern gesehen

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Vgl. das Interview mit Vater M. Alle diese Untersuchungen werden von einem Mönch durchgeführt, der eine medizinische Ausbildung hat. Trotz der Tatsache, dass er sein medizinisches Studium nicht beendete, kann er sehr gut mit den genannten Geräten umgehen. Vgl. das Interview mit Vater I. Zwerger, Wege am Athos, S. 87. Vgl. ebd., S. 87. Vgl. das Interview mit Vater I. Vgl. Merrill, Things of the Hidden God, S. 81.

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sind.111 Zwar verfügen nur einige über Behandlungsräume mit modernen Geräten, das bedeutet aber nicht, dass die anderen Gemeinschaften sie nicht ebenso haben wollen. Ganz im Gegenteil, die Einrichtungen werden von den Mönchen sehr begrüßt, da die Geistlichen dank dieser Geräte nicht mehr länger wegen einfachen Erkrankungen den Athos verlassen müssen. Dieses für die Mönche sicherlich sehr wichtige Anliegen wurde in den Interviews bestätigt. „I wish it [die Einführung von medizinischen Geräten auf den Athos – Ł.F.] happened, considering the pace of this world. Outside Athos we are out of our comfort zone“112 fasste Vater Ps. zusammen. Es lässt sich also zum Thema der medizinischen Geräte abschließend betonen, dass die Elektrifizierung des Athos auch deswegen gewünscht wurde, weil sie die Verbesserung des Gesundheitswesens zur Folge hatte. Die Möglichkeit der Benutzung der mit Strom versorgten medizinischen Apparaturen muss in diesem Hinblick als einer der praktischen Gründe für die Einführung von Elektrizität auf dem Athos verstanden werden. Zusammenfassend soll nun nochmals auf den Aspekt der Unterschiede in der Stromnutzung in den einzelnen Klöstern hingewiesen werden. Diese Unterschiede betreffen vor allem elektrisches Licht, aber auch das Ausmaß der Elektrizität, die den Pilgern zur Verfügung steht. In einigen Klöstern wird auch die Benutzung von Rechnern in Frage gestellt, während sie in anderen erlaubt sind – ein Thema, das ausführlich im Kapitel 4.2.4 besprochen wird. Die hier aufgestellte These besagt, dass diese Unterschiede nicht von den unterschiedlichen Einstellungen der Mönche gegenüber der Elektrizität herrühren, sondern durch praktische Gründe verursacht wurden. In den Klöstern, wo Energie in ausreichender Menge produziert wird und die Mittel zum Ausbau des elektrischen Netzes zur Verfügung stehen, wird auch ohne Weiteres elektrisches Licht eingeführt. Wäre also die finanzielle und geographische Lage in jedem Kloster dieselbe, wäre es durchaus denkbar, dass in jedem Kloster eine ähnliche Einstellung gegenüber der Stromnutzung vorherrschend sein könnte. Die ähnliche Betrachtungsweise von Elektrizität wurde schon an den Beispielen der Kirchen als auch der Waschmaschinen beobachtet und ist als ein Fakt anzusehen. In diesem Sinne müssen also die Unterschiede in der Nutzung des Stromes – vor allem bezogen auf die Beschränkung –praktischen Gründen zugeschrieben werden und sollten eher als Ausnahmen von der Regel betrachtet werden. Wie lautet also der Regelfall? Welche Einstellung haben die Mönche auf dem Athos gegenüber Strom? Die Antwort versteckt sich zwischen den Zeilen der obigen Ausführungen. Es wird in dieser Studie die Meinung vertreten, dass die Elektrifizie-

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Die ärztliche Versorgung war immer sehr wichtig für das richtige Funktionieren der Klöster. Aus diesem Grund wurden oft neben den Klöstern Kliniken errichtet, wie Albert Failler in Bezug auf byzantinische Klöster bemerkte. Sie dienten nicht nur der Behandlung von Mönchen, sondern auch der Laien, wofür das Krankenhaus des Christus Pantokrator-Klosters in Konstantinopel ein Beispiel ist, das von Kaiser Johannes II. Komnenos gegründet wurde. Vgl. Albert Failler, „Le monachisme byzantin aux XIe–XIIe siècles. Aspects sociaux et èconomiques“, in: Cahiers d’histoire 20/2 (1975), S. 290. In diesem Zusammenhang sind die Versuche der AthosMönche, den Bestand der medizinischen Apparaturen in ihren Klöstern auszubauen, nicht atypisch. Aus dem Interview mit Vater Ps.

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rung des Athos von den Mönchen als natürlicher Prozess verstanden wird. 113 Die Geistlichen – ausgenommen einige Zeloten und Asketen – sehen Elektrizität als äußerst nützliche technische Neuerung an, die zwar mit Bedacht zu verwenden sei, aber viele Vorteile hat, die man nicht ungenutzt sein lassen sollte. Strom an sich ist kein Problem, es können jedoch Probleme entstehen, wenn ihre Verwendung zu weit geht. Bis zum heutigen Tage scheint dies jedoch nicht der Fall gewesen zu sein, weil die Mönche sehr großen Wert auf die Beibehaltung der spirituellen Grundprinzipien des Athos legen. Aus diesem Grund verzichteten die Mönche auf die Einführung des Stromes in den Kirchen ihrer Klöster. Unter diesen Prinzipien sollte vor allem aber auch das Gebet verstanden werden, wie Vater N. plausibel machte, das jedoch mit dem Einzug der technologischen Neuerungen, u.a. auch Strom, niemals Gefahr lief, sich zu verändern.114 Die Beibehaltung der spirituellen Grundlagen ist auch deshalb gelungen, weil Dinge wie Fernsehen oder Radio in den koinobitischen Gemeinschaften untersagt sind. Somit wird das Prinzip der „richtigen“ Nutzung der Elektrizität bewahrt. Diese Sorge um die „richtige“ Verwendung soll auch als Hauptmerkmal der Einstellung der Geistlichen auf dem Athos zum Thema Elektrizität verstanden werden. Darüber hinaus ist zu betonen, dass die Mönche elektrische Geräte als wichtig oder sogar unentbehrlich betrachten und trotz skeptischer Einstellung öfters benutzen.

4.2.2. Autoverkehr und Straßenausbau Im Jahr 1988 bildeten die Straßen auf dem Heiligen Berg Athos noch kein geschlossenes Netz. Heutzutage ist dies jedoch nicht mehr der Fall – die Straßen verbinden jedes Kloster und viele kleinere Gemeinschaften sowohl miteinander als auch mit der Hauptstadt Karyes und der Hafenstadt Dafni. Wie ist es dazu gekommen, dass innerhalb von zwanzig Jahren die Straßen so rapide ausgebaut wurden? Welche Auswirkungen hat der verstärkte Autoverkehr auf das Leben in der Mönchsrepublik? Diese und ähnliche Fragen sollen im Folgenden besprochen werden. Bevor diese Fragen jedoch beantwortet werden können, müssen die Straßen des Athos selbst beschrieben werden. Der Grund dafür ist, dass die Wege auf dem Athos nicht der westlichen Vorstellung von einer „Straße“ entsprechen. Die Athos-Straßen, auf die in diesem Kapitel hingewiesen wird, verdienen diese Bezeichnung eigentlich nicht, weil es sich eher um staubige Pisten handelt. Die Straßen sind nicht asphaltiert, nur der Hauptweg aus der Hafenstadt Dafni zur Hauptstadt Karyes und weiter zum Iviron-Kloster ist teilweise gepflastert. Andere Straßen sind einfach als Waldwege zu verstehen, die im Sommer sehr staubig und im Winter und nach Regen sehr schlammig sind. Manche dieser „Straßen“ sind relativ breit, wie z.B. der Weg von Karyes zum Vatopedi-Kloster oder wirken sogar „wie die Rollbahnen eines Feldflugplatzes“ 115, die 113

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Vater Ma. beschrieb diesen Prozess als „a process of adaptation“. Diese Anpassung an weltliche Verhältnisse wurde von den „neuen“ Mönchen durchgeführt, die an ein Leben mit Elektrizität gewöhnt waren. Aus dem Interview mit Vater Ma. Ähnlich äußerte sich Vater Mo. Vgl. das Interview mit Vater N. Zwerger, Wege am Athos, S. 180. Hier wurde die Straße vom Große Lavra-Kloster nach Timiou Prodromou-Skiti gemeint.

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anderen ermöglichen zweispurigen Verkehr nur an bestimmten Stellen, wie auf dem Weg vom Stavronikita-Kloster zur Hauptstraße Karyes-Iviron. Trotz dieser unumstößlichen Tatsachen wird im Weiteren die Bezeichnung „Straße“ für die Wege auf dem Athos verwendet, weil sie als solche funktionieren und wahrgenommen werden. Diese Straßen bilden mittlerweile ein sehr dichtes System, das laut der Studie vom EKBY (Greek Biotope/Wetland Centre) in manchen Teilen des Athos das Niveau von 40m/ha erreicht. Laut demselben Bericht schwankt die benötigte Dichte zwischen 15 und 20m/ha,116 was das Problem des Straßenausbaus auf dem Berg Athos verdeutlicht.

Abb. 7

„Straße“ auf dem Athos

Wie ist es also dazu gekommen, dass so viele Wege in der Mönchsrepublik entstanden sind? Wie wurden die Straßen auf dem Athos gebaut? Es lässt sich vor allem sagen, dass in erster Linie die Verbindungen zwischen den einzelnen Klöstern und Karyes bzw. Dafni gebaut wurden. Die Entscheidung über den Bau dieser Verbindungen wurden von jedem einzelnen Kloster getroffen und die Straßen schließlich gebaut. An die so entstandenen Wege wurden mehrere Zufahrtsstraßen angeschlossen. Die Straße vom Großen Lavra-Kloster nach Karyes hat beispielsweise mehrere Zufahrtsstraßen, 116

Vgl. UNESCO (Hg.), Report on the Joint UNESCO/WHC-ICONOMOS-IUCN Expert Mission to Mount Athos, Paris 2006, S. 14, abrufbar unter: http://whc.unesco.org/archive/2006/mis4542006.pdf.

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die unter anderem nach Karakallou und Filotheou führen. Es gibt auch Ausnahmen von dieser Regel: Die Simonos Petras-Gemeinschaft baute nur eine Straße nach Dafni, die nicht mit anderen Wegen verbunden ist. Dieser Weg fungiert wie eine private Straße und nur den Fahrzeugen, die eine offizielle Genehmigung vom Simonos Petras haben, ist es erlaubt, auf ihr zu fahren. Dies wird auch mithilfe einer ferngesteuerten Schranke gewährleistet, die am Anfang der Straße in Dafni installiert wurde. Trotz der Tatsache, dass alle Klöster eine Straßenverbindung mit anderen haben, sind nicht alle Gemeinschaften auf dem Athos miteinander verbunden. Hierunter fallen in erster Linie Skiten wie Nea Skiti und zahlreiche zurückgezogene Kellien wie beispielsweise Jovanitsas.117 Vor allem im Süden der Athos-Halbinsel gibt es nur wenige Straßen. Dies ist sowohl der schwierigen geographischen Lage als auch dem Widerwillen der dort lebenden Mönche gegenüber dem Autoverkehr zuzuschreiben. In einem Interview bestätigte Vater Ps., dass es eine Diskussion über den Bau der Straße in der Nea SkitiGemeinschaft gab. Der Bau wurde jedoch abgelehnt.118 Der Zugang zu den Klöstern ist nur über den Wasserweg möglich, da Nea Skiti am Meer liegt, oder zu Fuß bzw. auf dem Maultier, die es in Nea Skiti in großer Anzahl gibt. Wie die Straßen auf dem Heiligen Berg gebaut wurden, darum soll es im Folgenden gehen. Mit dieser Materie war vor allem der Österreicher Reinhold Zwerger vertraut, der sich mit diesem Thema seit Mitte der 1950er Jahre auseinandersetzte und eine Aktion zur Wiedereröffnung alter Wanderwege organisierte. Zwerger beschreibt in seinem Buch, wie die Straßen gebaut wurden: Wenn jemand einmal zugesehen hat, wie ein griechischer Schubraupenfahrer arbeitet, weiß er, dass beim Bau von Forststraßen mit großer Brutalität vorgegangen wird. Bäume werden einfach weggeschoben, zersplittern und es sieht so aus, als wäre auf und neben der Trasse schweres Artilleriefeuer gelegen. Bei der Wahl der Trasse hält man auch nicht viel von einer Planung. Man probiert eine Trasse und wenn man merkt, dass es so nicht geht, dann fährt man eben ein paar hundert Meter zurück und probiert eine neue.119

Diese anschauliche Beschreibung ist gar nicht übertrieben: Auf den Mangel an der Planung von Straßen weisen auch die Mönche selbst hin, wie beispielsweise Vater Ma., der in einem Interview äußerte, dass an manchen Stellen auf dem Athos die Wegverbindungen ohne irgendeinen Plan entstanden seien und noch bis heute eine Straße über einer anderen zu sehen ist.120 Der Umstand der mangelhaften Planung beim Straßenbau wird den Mönchen sogar in einem offiziellen UNESCO-Dokument vorgeworfen, in dem es heißt, die Heilige Gemeinschaft (die Regierung der Mönchsrepublik) weise kein Interesse an einer gemeinsamen Planung auf, sondern bevorzuge die separaten Aktionen einzelner Klöster.121 Der Prozess des Straßenausbaus, der 1963 seinen Anfang nahm, entwickelte sich zuerst einmal eher langsam. Bis zum Jahr 1988 wurden zwar neue Verbindungen zwischen den Gemeinschaften eröffnet, aber erst die Aufnahme des Berges Athos in das UNESCO-Weltkulturerbe gab einen Impuls für den schnelleren Ausbau der Straßen. 117 118 119 120 121

Vgl. Zwerger, Wege am Athos, S. 211. Vgl. das Interview mit Vater Ps. Zwerger, Wege am Athos, S. 34. Vgl. das Interview mit Vater Ma. Vgl. UNESCO (Hg.), Report on the Joint Expert Mission to Mount Athos, S. 12.

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Da dank dieser Auszeichnung die Athos-Klöster mit bedeutenden Geldzuwendungen von der Europäischen Union und der griechischen Regierung versorgt wurden, konnte man zudem die Renovierung der Klöster in Angriff nehmen. Wie im Kapitel 4.1 geschildert, wurden die neuen Straßen für den Transport von Baumaterialien benötigt und ihr Ausbau erfolgte parallel zu den Renovierungen. „Der vorläufige Schlussstrich im athonitischen Straßennetz“122 wurde im Sommer 1996 mit dem Bau der Straße zum Kostamonitou-Kloster gezogen. Seitdem ist es möglich, alle Klöster mit dem Auto zu erreichen. Der gesamte Prozess des Straßenausbaus, der 1963 begann, ist damit jedoch nicht beendet, weil der Bedarf an neuen Wegen immer noch groß ist. Dies ist nicht nur auf die Renovierungsarbeiten zurückzuführen, sondern hatte auch andere Gründe. Die neuen Wege erwiesen sich schnell als sehr praktisch und wurden für andere, schon im Kapitel 4.1 angedeutete Zwecke benutzt. Vor allem boten die Straßen enorme Vorteile im Kampf gegen Waldbrände, die den Athos von Zeit zu Zeit heimsuchen. Einen der größten Brände erlebte der Athos im August 1990 und die Straßen erwiesen sich damals als unverzichtbar, weil die Feuerwehrfahrzeuge die Brandherde schneller erreichen konnten.123 Die Bergpisten wurden auch weiter in die Wälder des Athos gebaut, um eine leichtere Abholzung zu ermöglichen. Gegenwärtig sind viele Straßen zu finden, die offensichtlich allein zu diesem Zwecke gebaut wurden. Diese Wege führen einfach mitten in den Wald hinein und ein heutiger Pilger, der sich dort verläuft, erlebt, was es bedeutet, wenn es sprichwörtlich heißt, „sich auf dem Holzweg zu befinden“. Der UNESCO-Bericht aus dem Jahr 2006 nennt diese beiden Gründe für den Straßenausbau auf dem Berg Athos, stellt jedoch fest, dass die Wege in erster Linie aufgrund ihrer Nutzbarkeit für die Abholzung entstanden.124 So wird auch in dieser Studie die Meinung vertreten, dass die Rolle des Holzhandels eine wichtige Ursache für den Bau der Straßen darstellt. Die anderen Gründe sollten jedoch auch nicht unterschätzt werden. An dieser Stelle ist die Nutzbarkeit der Straßen für den Personentransport zu unterstreichen. Zwar gab der Holzhandel einen ersten Impuls für den Ausbau, die besseren Transportmöglichkeiten von Mönchen und Pilgern waren es aber, die zum Weiterausbau führten. Man darf schließlich nicht vergessen, dass der erste moderne Weg auf dem Athos eben gerade aus dem Grund eines bequemeren Personentransportes entstand. In diesem Sinne also liegen dem Ausbau des Straßennetzes auf dem Athos vier Aspekte zugrunde, bei denen vor allem ihre Effektivität im Vordergrund steht: der Holzhandel, die Renovierungsarbeiten, Brandschutz und Personentransport. Diese vier Anwendungsmöglichkeiten, die auch gegenwärtig noch eine wichtige Rolle spielen, trugen somit dazu bei, dass es heutzutage Verbindungen zu jedem Kloster und zu den meisten Kellien gibt.125 Das Straßennetz auf dem Athos ermöglicht dementsprechend unbeschränkten Transport. Ein ausgezeichnetes Beispiel der Leistungsfähigkeit des Straßennetzes gibt Reinhold Zwerger in seinem Buch. Er beschreibt, wie

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Zwerger, Wege am Athos, S. 171. Zu Verbindungen zwischen dem Brand und dem Ausbau der Straßen als auch zur Einführung von technischen Neuerungen siehe Derwahl, Die Athosreise, S. 31. UNESCO (Hg.), Report on the Joint Expert Mission to Mount Athos, S. 13. Zu diesen vier Anwendungen siehe auch Pelgen, „Der Athos im Umbruch“, S. 189.

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eine Flasche Milch für einen schwerkranken Mönch in die Lakkou-Skiti transportiert wurde: Kosmas schickte eine Flasche Milch mit dem großen Schiff nach Dafni, von dort wurde sie mit dem kleineren Schiff bis zur Anlegestelle des Klosters Pavlou gebracht, wo sie mit dem Auto in das Kloster transportiert und dem Fahrer eines weiteren Autos übergeben wurde, der sie bis Lakkos Skiti brachte. Der Transport von Ouranopoli [Stadt an der Athosgrenze – Ł.F.] bis in diesen entlegensten Winkel des Heiligen Berges dauerte nur vier und eine halbe Stunde.126

Auf den Straßen sieht man die unterschiedlichsten Fahrzeuge. Zu den meist benutzten Autos gehören vor allem Geländewagen oder Pickups. Während der Forschungsaufenthalte konnten auch oft Lastkraftfahrzeuge unterschiedlicher Größe zum Transport von Baumaterialien und Holz beobachtet werden. Manche Autoren schrieben sogar empört wie groß diese Baufahrzeuge sein können, wie z.B. ein „monstrous military truck“127 im Kostamonitou-Kloster. Auf dem Parkplatz in der Hafenstadt Dafni ist immer eine gute Auswahl an Athos-Fahrzeugen zu sehen. Während der Aufenthalte wurden dort ca. 30 verschiedene Automobile beobachtet, unter anderem auch ein Fahrzeugkran. Dort, genauso wie in den Klöstern und anderen Gemeinschaften, findet man sowohl sehr alte als auch neue Autos. Zu den neuesten Produkten von Autoherstellern aus der ganzen Welt zählen beispielsweise der nagelneue Toyota Hilux im Simonos Petras-Kloster, der Jeep Cherokee, mit dem Vater Mitrophan – Protos des Athos schon 1993 fuhr,128 oder der Geländewagen des Große Lavra-Klosters129. Für den Transport der Pilger werden auf dem Athos Minivans benutzt. Diese sind meistens gegenüber der Anlegestelle in Dafni, auf dem Parkplatz in Karyes als auch auf allen möglichen Strecken zwischen den Klöstern zu sehen. Dagegen fahren die Busse nur auf der Hauptstraße des Athos zwischen Dafni und Karyes bzw. dem Iviron-Kloster. Interessanterweise wurden schon erste Versuche unternommen, die Zahl der Fahrzeuge auf dem Athos zu schätzen. Dies geschah von Seiten der Pilger, die die Kennzeichen der Autos beobachteten. Franz Pelgen berichtet beispielsweise, dass im Jahr 2005 ca. hundert Fahrzeuge ein AO-Kennzeichen (Agion Oros, griechisch für Heiligen Berg) hatten, daraus abgeleitet schätzte er die Gesamtzahl der Fahrzeuge auf dem Athos auf mehr als hundert.130 Damit scheint Reinhold Zwerger einverstanden zu sein. Allerdings gab es seinem Bericht nach weit mehr Fahrzeuge mit AO-Kennzeichen (so zum Beispiel 143 im Jahr 1998 und 2002 schon 222 Fahrzeuge).131 Diese Schätzungen müssen daher mit einiger Skepsis betrachtet werden, weil sie nichtoffiziellen Dokumenten entnommen wurden. Da es bis zum heutigen Tage keine offiziellen Statistiken diesbezüglich gibt, wurden während der Feldforschungsaufenthalte 2010 eigene Schätzungen durchgeführt.132 Diese basierten, wie auch bei den genannten Autoren, 126 127 128 129 130 131 132

Zwerger, Wege am Athos, S. 176–177. Friedlander, Paradise Besieged, S. 235. Vgl. Zwerger, Wege am Athos, S. 194. Vgl. Friedlander, Paradise Besieged, S. 231. Vgl. Pelgen, „Der Athos im Umbruch“, S. 189. Vgl. Zwerger, Wege am Athos, S. 87 u. S. 121. René Gothóni nennt in seinem Buch offizielle Statistiken der Hafenverwaltung von Ouranopoli und Ierissos. Sie betreffen jedoch nicht die Zahl der Autos mit AO-Kennzeichen, sondern alle

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auf der Beobachtung der Kennzeichen. Offensichtlich wurden jedoch 2002 die Identifikationsnummern geändert und die Kennzeichen in neuer Form ausgestellt. Heutzutage sind die AO-Kennzeichen fünfstellig: Nach den ersten drei Ziffern folgen ein Siegel und zwei weitere Ziffern. Diese letzten Ziffern entsprechen der Position eines Klosters in der traditionellen Reihenfolge der Klöster, sodass die Autos, die der Große LavraGemeinschaft gehören, die Nummer 01 am Ende des Kennzeichens haben, die Autos von Vatopedi die 02 usw. Die dreistellige Nummer vor dem Siegel entspricht der Zahl der Fahrzeuge, die auf ein Kloster registriert sind. Hierbei ist unbedingt zu beachten, dass diese Zahl nicht dem tatsächlichen Besitz des Klosters entspricht, weil die Autos auch Skiten und Kellien gehören können, die dem Kloster unterliegen. Dennoch ist eine Schätzung anhand der Beobachtung der Kennzeichen möglich. Die größte Anzahl von Fahrzeugen wurde anscheinend auf das serbische Chilandar-Kloster registriert, da ein Auto mit der Nummer „AO 047 * 04“ beobachtet wurde. Dieser Logik und den beobachteten Kennzeichen nach verfügt das Große LavraKloster über mindestens 29 Fahrzeuge und Iviron über 16. Die so geschätzte Zahl der Fahrzeuge ist nicht frei von allen Zweifeln, wie das Beispiel des Vatopedi-Klosters deutlich macht: Angeblich verfügt das Kloster über 35 Autos,133 es konnte jedoch nur das Auto mit der Nummer 19 beobachtet werden. Die ersten vier Klöster in der Hierarchie des Athos besitzen also zusammen ungefähr 100 Fahrzeuge. Sicherlich haben nicht alle Gemeinschaften so viele Automobile. Das Kostamonitou-Kloster hat beispielsweise nur vier Autos und einen Traktor, was sowohl im Gespräch mit einem Mönch als auch durch eigene Beobachtungen bestätigt wurde. Unter Berücksichtigung aller dieser Daten lässt sich die These aufstellen, dass es um die 400 Fahrzeuge mit AO-Kennzeichen gibt. Auf dem gesamten Athos befinden sich dennoch mehr als 400 Autos, da die überall auf dem Athos verstreuten Polizei-, Feuerwehr- und BauFahrzeuge diese Kennzeichen nicht haben. Die in dieser Studie vertretene Annahme über die Zahl der auf dem Athos befindlichen Automobile scheint nicht überschätzt zu sein, auch wenn man den Parkplatz in Dafni beobachtet, wo immer eine Reihe von Gelände- und Baufahrzeugen von jedem Kloster zu sehen sind. Die Straßen und der damit verbundene Autoverkehr haben einen vielschichtigen Einfluss auf das Mönchsleben auf dem Athos. Vor allem scheint das Leben schneller zu sein, „a little bit faster“ wie Vater P. im Interview äußerte,134 also fast wie „in der Welt“ außerhalb des Athos. Die Mönche können sich sowohl einfach und bequem von Kloster zu Kloster bewegen als auch problemlos auf das griechische Festland reisen, was früher nicht der Fall war. Dank der Nutzung von Fahrzeugen werden Arbeiten

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Fahrzeuge, die mit den Fähren im Laufe eines Jahres auf den Athos gelangen. Laut Gothóni kamen 1984 352 Fahrzeuge (Pkw, Lkw und Landwirtschaftsfahrzeuge) und 1990 schon 1185 auf den Athos. Diese Angaben können für die Zwecke der Berechnung der Anzahl von Autos nicht benutzt werden, da die meisten von ihnen nur verschiedene Güter bringen und den Athos gleich wieder verlassen. Die Statistiken geben aber gleichzeitig einen guten Überblick über die Erhöhung der Autotransporte. Vgl. René Gothóni, Paradise Within Reach: Monasticism and Pilgrimage on Mount Athos, Helsinki 1993, S. 121. Vgl. Erich Witzmann, „Athos: Das Simantron für die Ewigkeit“, in: Die Presse, abrufbar unter: http://diepresse.com/home/leben/reise/490801/Athos_Das-Simantron-fuer-die-Ewigkeit. Aus dem Interview mit Vater P.

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schneller und effizienter erledigt, gleichzeitig muss jedoch auch zusätzliche Arbeit geleistet werden, um die Autos benutzen zu können: Die Straßen müssen repariert werden, Autos müssen ebenfalls gewartet werden. Die Fahrzeuge generieren also neue Arbeiten, die früher nicht notwendig waren. Außerdem machte man im Laufe der Zeit auch Bekanntschaft mit ihren Schattenseiten: Es kommt häufiger zu Verkehrsunfällen auf dem Athos. Bei einigen dieser Unglücke waren auch Todesopfer zu beklagen.135 Das Leben auf dem Athos wird also nicht nur schneller und bequemer, sondern gleichzeitig auch gefährlicher. Eine weitere Konsequenz der Benutzung von Fahrzeugen liegt auch darin, dass die alten Maultierpfade, die über Jahrhunderte als einzige Verbindung zwischen den Klöstern und allen anderen Gemeinschaften fungierten, zuwuchsen. Die Natur erobert diese Wege zurück, weil die Pilger und die Mönche die Fahrt mit dem Auto bevorzugen.136 Zudem kreuzten viele Straßen die ursprünglichen Wege, sodass die beiden Enden der Wanderwege nur schwer oder gar nicht mehr zu erkennen waren. Bedauerlicherweise geht so im Prozess der Erweiterung des Straßennetzes ein uraltes Kommunikationssystem verloren. Manche Pilger und Athoskenner versuchen die Zerstörung der Wanderwege bzw. Maultierpfade zu verhindern und organisierten dafür „Wanderwege-Rettungsaktionen“. Über diese Unternehmungen wird später noch zu sprechen sein. Der Autoverkehr trug auch dazu bei, dass die Einzigartigkeit des Athos verlorenging. Die Pilger können die Mönchsrepublik komfortabel und ohne die geringste Anstrengung durchqueren: „Now it is possible to get from New York to the Great Lavra without walking a single step other than the few required to get you from one means of transport to another.“137 Darüber hinaus stören die Fahrzeuge die Stille des Athos. Schon in den 1970er Jahren unterstrich Philip Sherrard, dass Lastkraftwagen, Minivans, Pickups, Busse und alle anderen möglichen Automobile die Stille des Athos töten würden („murder the silence“)138. Dieser Vorwurf ist insofern wichtig, dass die Geräuschlosigkeit zu einem der wichtigsten Merkmale der Mönchsrepublik gehörte. Sie hat, wie es Gerald Palmer 1968 feststellte, „[a] positive quality, a quality of fullness, of plenitude, of the eternal Peace“139. Der Autoverkehr auf dem Athos hat noch eine weitere negative Folge: das Problem der Abfälle, die durch die Verwendung von Fahrzeugen entstehen. Die Kanister, Ölbehälter und Autoteile werden nicht recycelt, sondern bilden an manchen Stellen schon ganz respektable Müll-Deponien. Dieses Problem konnte auch nicht während der Feldforschungen übersehen werden: Beobachtet wurden aus Fahrzeug-Abfällen bestehende Mülldeponien, die sich praktisch bei jedem Kloster in der näheren Umgebung finden lassen. So werden die alten Autos nicht vom Athos abtransportiert, sondern werden einfach in den Wäldern neben den Klöstern der Natur überlassen. Das ist 135

136 137 138 139

Siehe Friedlander, Paradise Besieged, S. 225; „Βουτιά σε χαράδρα για όχημα στο Άγιον Όρος“, in: Salonicanews, abrufbar unter: http://salonicanews-astinomika.blogspot.com/2009/08 /blogpost_24.html. Hierzu siehe Merrill, Things of The Hidden God, S. 42. Friedlander, Paradise Besieged, S. 243. Sherrard, „The Paths of Athos“, S. 100. Gerald H. Palmer, „Silence over Athos“, in: Orthodox Life 11–12 (1968), S. 33.

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Der wirtschaftliche Modernisierungsprozess auf dem Athos

der Fall im Stavronikita-Kloster, neben dem ein kaputter Minivan zu sehen ist oder in Karyes, wo lange Zeit ein alter Bus stand.140 Die meisten Mönche nehmen dieses Thema leider nicht ausreichend genug wahr und Autoabfälle scheinen in der Zukunft zu einem immer größeren Problem zu werden. Als wichtigste Konsequenz des Straßenbaus auf dem Athos ist auch die vergrößerte Zahl von Pilgern zu sehen. Seit 1963, als die erste Straße eröffnet wurde, wurde das Pilgern in die Mönchsrepublik immer einfacher, was einen gewissen Anreiz für viele Leute für eine Reise auf den Athos sein konnte. Heutzutage, wo auf dem Athos ein dichtes Straßennetz existiert, ist die Pilgerfahrt noch einfacher und der Zustrom Abb. 8 Fahrzeugwrack beim Stavronikita-Kloster von Gästen dadurch noch größer. Es würde natürlich eine unzulängliche Vereinfachung bedeuten, schriebe man die angestiegenen Pilgerzahlen allein dem Straßenbau zu. Zu diesem Phänomen trugen auch verschiedene Entwicklungen außerhalb des Athos entscheidend bei, wie z.B. der Trend des „spirituellen Tourismus“, durch den sich Pilgerfahrten immer größerer Beliebtheit erfreuen,141 die Wohlfahrtsentwicklung in Griechenland, die politische Vereinigung Europas und die damit verbundene Öffnung der Grenzen wie auch die Zunahme religiöser Eiferer in den post-kommunistischen Gesellschaften. Daher ist der Impuls, der den Ausschlag zum Straßenbau gab, um die Attraktivität des Athos als Pilgerziel zu erhöhen, nicht zu unterschätzen. In diesem Zusammenhang lässt sich auch sagen, dass der Autoverkehr auf dem Athos den Charakter der Pilgerfahrt veränderte, sie erwarb Züge vom Tourismus – Pilger wurden zu Touristen. Aufgrund der Straßen wurde der Athos zu „just another easily available attraction. Subconsciously, the mind begins to categorize it as

140 141

Vgl. Lyttle, Miracle on the Monastery Mountain, S. 77. Zum Begriff des „spirituellen Tourismus“ und den vielen Facetten dieses Phänomens siehe u.a.: Aline Sommer/Marco Saviano, Spiritueller Tourismus. Religiöses Reisen in Deutschland, Heilbronn 2006. Eine groß angelegte Studie zu diesem Thema wurde auch von Karin Berkemann durchgeführt. Siehe Karin Berkemann, Spiritueller Tourismus in Sachsen-Anhalt. Potenzialanalyse und Handlungsempfehlungen für eine besondere Reiseform, Magdeburg 2006; siehe auch Christian Antz, „Spiritueller Tourismus“, in: Roman Egger/Thomas Herdin (Hg.), Tourismus. Herausforderung. Zukunft, Wien/Münster 2007, S. 113–123.

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‚replaceable‘.“142 Zum Thema Tourismus auf dem Athos soll später noch einiges hinzugefügt werden (Kapitel 4.3.3 und 6.4). Wie die obigen Ausführungen deutlich machen, beeinflusste der Straßenausbau und der Autoverkehr das Leben auf dem Athos. Es kam noch nicht dazu, dass „the whole rhythm and pattern of movement on Athos […] completely changed“ 143, wie es der früher zitierte Philip Sherrard schon in den 1970er Jahren schrieb, aber die AthosGemeinschaft sah sich doch mit neu entstandenen Problemen konfrontiert, wie beispielsweise die Verkehrsunfälle, der Lärm oder die durch die Benutzung von Autos entstandenen Abfälle. Im Folgenden wird danach gefragt, ob diese Konsequenzen des Ausbaus der Straßen den Mönchen bekannt sind. Was denken sie über die Nutzung von Autos? Dieses Thema wurde schon kurz aufgegriffen, als die Gründe des Straßenausbaus besprochen wurden. Es wurde dort unterstrichen, dass einige Mönche den Autoverkehr als Ablenkung vom traditionellen Leben ansehen, dass er: „seriously endanger the historic qualities of Orthodox monastic life, its spirituality, its silence and its being unique, a place set apart from the ‚world‘.“144 Der Weiterausbau der Straßen nach 1988 konnte diese Stimmen daher nicht beschwichtigen, ganz im Gegenteil, sie wurden immer lauter. Dazu trugen die oben beschriebenen negativen Konsequenzen des Autoverkehrs bei, die die Schattenseiten der Nutzung von Fahrzeugen deutlich zeigten. Es lässt sich sagen, dass die Mönche heutzutage über die Straßen und Autos auf dem Athos uneins sind. Manche sehen es als eine Notwendigkeit an,145 die die Vorteile von Straßen betonen: „Wir brauchen Straßen und Autos, damit wir Zeit gewinnen, um mehr beten zu können“146; andere lehnen ihren Bau ab147 und üben starke Kritik, wie beispielsweise Vater Mo.148 Wie während der Interviews mit den Athos-Mönchen festgestellt werden konnte, gibt es jedoch auch einige Gemeinsamkeiten in der Beurteilung des Autoverkehrs. Vor allem muss auf die Tatsache hingewiesen werden, dass sogar diejenigen Geistlichen, die den Bau der Straßen unterstützen, die negativen Auswirkungen der Fahrzeugbenutzung fürchten, die angeblich die „spiritual principles of Mount Athos“149 in Frage stellen. Viele Mönche betrachten Straßen und Autos als Notwendigkeit und bezeichnen sie als „das kleinere Übel“150. Die Autos werden also als notwendige Gegenstände angesehen, ihre Zahl wird jedoch kritisiert: „There are too many vehicles and things of that sort.“151

142 143 144 145 146 147

148 149 150 151

Friedlander, Paradise Besieged, S. 243. Sherrard, „The Paths of Athos“, S. 106. Lyttle, Miracle on the Monastery Mountain, S. 320. „Evidently it was essential to open up roads“. Aus dem Interview mit Vater Ma. Zwerger, Wege am Athos, S. 179. „I do not like them. Whenever we discuss whether or not we should build a road to this skete I always find it objectionable. I am against it, because roads disturb everyday life“. Aus dem Interview mit Vater Ps. „This is the sign that Athos converges with the outside-world. This is not good. Athos is in decline because of all this worldliness.“ Aus dem Interview mit Vater Mo. Aus dem Interview mit Vater Ma. Vgl. das Interview mit Vater D. Aus dem Interview mit Vater M.

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Auch die Schattenseiten des Autoverkehrs scheinen der Heiligen Gemeinschaft hinreichend bekannt zu sein, da sie damit beginnt, sich mit diesem Problem auseinanderzusetzen. Wie Vater Ma. im Interview äußerte, versucht die Heilige Gemeinschaft die Zahl der Autos per Gesetz zu begrenzen. Sie hat jedoch keine Möglichkeit, einen positiven Einfluss auf die Klöster zu nehmen,152 weil dies die traditionelle Unabhängigkeit in Frage stellen würde. Darüber hinaus ist auch eine Begrenzung der Fahrzeuge seitens der Regierung des Athos zurzeit nicht möglich. Diese ersten Schritte der Heiligen Gemeinschaft zeigen aber, dass die Mönche das Problem wahrnehmen und versuchen, dafür eine Lösung zu finden. Es steht außer Zweifel, dass die Athos-Gemeinschaft in Zukunft nicht auf die Fahrzeuge verzichten könnte. Die Lösung des Problems der zu starken Verkehrsdichte kann also nicht in einem Verbot aller Fahrzeuge liegen, dessen sind sich die Mönche bewusst.153 Der Prozess der Motorisierung ist unumkehrbar. In diesem Zusammenhang kommen die Ausführungen über die Modernisierungstheorie zum Vorschein, laut der Modernisierung ein unumkehrbarer Prozess ist. In diesem Punkt kann eine Parallele zwischen dem Ausbau der Straßen auf dem Heiligen Berg und dem Ablauf von Modernisierungsprozessen gezogen werden. Darüber hinaus sind die Versuche der Begrenzung des Autoverkehrs als eine Antwort auf die Herausforderungen der Modernisierungsprozesse zu verstehen. Die Regierung des Athos sucht nach einer möglichen Lösung der Probleme, die die Modernisierung mit sich bringt, was wiederum bedeutet, dass ein eigener Weg der Modernisierung begangen wird. Dieser Sonderweg wird nicht so sehr aufgrund des Widerwillens gegen technische Neuerungen gesucht, sondern ist eher mit der Furcht vor der Enttraditionalisierung des Lebens auf dem Athos verbunden. Wie sich zeigte, fürchten die Mönche nicht die Autos und Straßen an sich, die sie ja als notwendig und praktisch betrachten, sondern kritisieren die negativen Auswirkungen ihrer Benutzung. Es lässt sich also schon die Schlussfolgerung ziehen, dass nicht die Neuerungen selbst, sondern ihre Nutzung und die damit verbundenen Konsequenzen hinterfragt werden.154 Am Ende des dem Straßenausbau und Autoverkehr gewidmeten Kapitels muss noch auf den schon angedeuteten Prozess der Verwilderung der alten Wander- bzw. Maultierpfade hingewiesen werden. Für die Pilger, die den Athos in den 1990er Jahren besuchten, war dieser Prozess bereits sichtbar. Franz-Egon Humborg, der den Athos mehrmals besuchte, betonte den Zusammenhang zwischen dem Ausbau der Straßen und dem Zuwachsen der Pfade: „Die Wanderwege von Kloster zu Kloster wuchsen zu und waren durch Forstwege oft kaum wieder auffindbar zertrennt.“155 Dementspre152 153 154

155

Vgl. das Interview mit Vater Ma. Vgl. das Interview mit Vater Pl. In diesem Sinne äußerten sich nicht nur die Mönche in Interviews, diese These lässt sich auch anhand gedruckter Texte der Mönche verteidigen. Archimandrit Aimilianos schrieb ausdrücklich, dass Technologie als solche nicht schädlich sei, die Gefahr bestehe aber in ihrer Nutzung. „Technology per se is not, of course, harmful, being the fruit of the reasoning and intellect of Man, who was formed in the image of God. But when, unrestrained and unbridled, it rushes headlong towards its destination, then it becomes Luciferous [...]“, Archimandrite Aimilianos, „Orthodox Spirituality and the Technological Revolution“, S. 6. Franz-Egon Humborg, „Orestis Dukatz, ein Botschaftler des Athos“, in: Halbach/Kramer (Hg.), Άγιον Όρος, S. 219.

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chend wird den Pilgern in manchen Athosführern geraten, kleine Werkzeuge zum Abschneiden von Zweigen mitzunehmen, wenn sie wandern möchten, ein Rat, der als äußerst hilfreich empfunden wird: Der von manchem Athosführer erteilte Rat, ein kleine Hacke und eine Astschere mitzuführen, erschien uns während des fünfstündigen Fußweges durch Tannen-, Kastanien- und Eichenwälder, den wir im Auf und Ab vom Kloster Hiliandariou bis zum Kloster Kostamonitou keuchend und schwitzend zurücklegten, durchaus nicht mehr so unsinnig.156

Der Prozess der zuwachsenden Wanderwege war schon in den 1990er Jahren recht weit fortgeschritten und in vielen Athos-Berichten sind ähnliche Kommentare zu finden. Viele Autoren unterstrichen auch ihre Sorge über den Zustand der alten Wege und drückten ihre Befürchtungen über deren Zukunft aus. Diese Kommentare spiegelten die Stimmung innerhalb einer relativ großen Gruppe der Athoskenner wider und führten zu zwei von ihnen organisierten Aktionen, die im Nachfolgenden kurz vorgestellt werden sollen. Im Jahr 1989 begann der Österreicher Reinhold Zwerger, der vor allem als Autor der detailliertesten Athos-Karte bekannt ist, aus eigener Initiative die erste Aktion zur Öffnung der zugewachsenen Wanderwege zu organisieren. Er beschreibt dieses Unternehmen ausführlich in seinem 2005 veröffentlichten Buch157 wie auch in einem Artikel in dem Sammelband Άγιον Όρος. Der Heilige Berg Athos im Wandel der Zeit. Von der Stundentrommel zum Mobiltelephon. In den acht Jahren, in denen sich Zwerger mit der Erhaltung alter Wanderwege und Maultierpfade befasste, gelang es ihm, Geldzuwendungen, Freiwillige und die Hilfe der Mönche zu gewinnen. Trotz verschiedener Schwierigkeiten, zu denen sowohl organisatorische Hindernisse als auch technische Probleme zählten, konnten mehrere Strecken wiedereröffnet werden. Als erster wurde der sogenannte Chera-Wanderweg in der Gegend zwischen dem Vatopedi- und dem Zograf-Kloster eröffnet. Das dafür notwendige Geld wurde unter anderem auch von Prinz Sadruddin Aga Khan gespendet.158 Bei dem zweiten Vorhaben zur Wiedereröffnung der alten Wanderwege wirkte ebenfalls ein Prinz mit. Es handelt sich hier um den Kronprinzen von Großbritannien, Prinz Charles, der 2001 die Aktion des Friends of Mount Athos-Vereins (FoMA) initiierte. Mit der royalen Unterstützung in der Form von organisatorischen Vereinfachungen, die für Aktionen, die unter dem königlichen Namen durchgeführt wurden, begann der Verein 2002 die Arbeit zur Wiederherstellung der Wege.159 Die Aktion findet seitdem in jedem Sommer statt und wird mit Mitteln des englischen Vereins finanziert. Auf diese Aktion wird ausführlicher im Kapitel 5.3 eingegangen. Interessanterweise stehen die Mönche diesen Unternehmungen eher skeptisch gegenüber. Vor allem Zwerger, aber auch die Teilnehmer von FoMA wiesen auf die Skepsis der Mönche hin, mit der sie das Unternehmen betrachteten. Der Abt vom Dochiariou-Kloster, Grigorios, verbot 1998 die Arbeit an den Wanderwegen, weil seiner 156 157 158 159

Georg Denzler, „10 Tage auf dem Athos unterwegs“, in: Halbach/Kramer (Hg.), Άγιον Όρος, S. 130. Vgl. Zwerger, Wege am Athos. Vgl. ebd., S. 48. Vgl. offizielle Internetseite des „The Friends of Mount Athos“-Vereins: http://www.athos friends.org/.

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Meinung nach „[d]ie alten Fußwege […] ‚geheim‘ bleiben sollen“160. In den Interviews, die 2010 mit den Mönchen auf dem Athos durchgeführt wurden, spiegelte sich diese Skepsis ebenfalls wider. Einerseits scheint das Problem vom Zuwachsen der alten Wege nicht als solches wahrgenommen zu werden,161 andererseits ist auch ein Widerwille gegenüber den säkularen bzw. westlichen Organisationen zu spüren.162 Dies alles machte den Kontakt zwischen den Mönchen und Zwerger bzw. FoMA schwieriger. Dennoch darf man nicht vergessen, dass die Athos-Geistlichen die Arbeiten zur Erhaltung der Wege tolerierten. Ihre Rolle bei der Wiederherstellung der Wanderwege lässt sich daher überwiegend als unbeteiligte Zuschauer beschreiben: Manchmal halfen sie mit, manchmal störten sie die Arbeiten, aber meistens hielten sie sich am Rande des Geschehens. Nur einem Mönch war die Idee der Wiedereröffnung der alten Wanderwege besonders wichtig und er fühlte sich verpflichtet, dem englischen Verein dafür zu danken.163

4.2.3. Informations- und Kommunikationstechnologien Im Folgenden werden die Informations- und Kommunikationstechnologien auf dem Athos besprochen. Hiermit sind sowohl (Mobil-)Telefone als auch Computer und Internet gemeint. Obwohl diese Technologien im Gegensatz zu den Straßen und Autos für den Besucher kaum sichtbar sind, darf man ihre Benutzung auf dem Berg Athos nicht unterschätzen. Dementsprechend tauchen Berichte über die Kommunikationstechnologien in einigen Büchern und Artikeln auf.164 Im folgenden Teil dieser Studie soll in einem ersten Schritt auf die Rolle der Telefone auf dem Athos hingewiesen werden, während im zweiten Teil die Benutzung von Computern beschrieben wird. Seit dem Zweiten Weltkrieg, als Wehrmachtssoldaten erste Telefonleitungen legten, um Kontakt mit der Außenwelt zu halten, wurden auch Leitungen zwischen den Klöstern verlegt. Im Jahr 1988, dem Beginn des in dieser Studie festgelegten Untersuchungszeitraumes, verfügten alle Klöster über eine telefonische Verbindung. 165 Demgegenüber gab es in den meisten Skiten jedoch kein Telefon. Damals waren Telefone also im Leben der Mönche noch keineswegs omnipräsent: Reinhold Zwerger berichtet, wie er 1990 versuchte, ein Telefon im Chilandar-Kloster zu benutzen. Das einzige Telefon stand im unzugänglichen Zimmer des stellvertretenden Abtes. 166 Zwar schreibt der österreichische Autor nicht ausdrücklich, dass kein weiteres Telefon im Kloster existierte, es ist jedoch anzunehmen, dass dies der wirklichen Situation entsprach. Dazu muss noch hinzugefügt werden, dass die Qualität der Gespräche nicht

160 161 162 163 164 165 166

Zwerger, Wege am Athos, S. 176. Vgl. das Interview mit Vater P. Vgl. das Interview mit Vater Mo. „I am thankful to them, very grateful. What they do is wonderful considering that I am a pathenthusiast myself.“ Aus dem Interview mit Vater N. Siehe Manuel Gogos, „Partisanen des Jenseits“, in: Neue Zürcher Zeitung 296 (2009), S. 31; Denzler, „10 Tage auf dem Athos unterwegs“, S. 132. Vgl. Friedlander, Paradise Besieged, S. 115. Vgl. Zwerger, Wege am Athos, S. 76.

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sonderlich gut war, weil die Leitungen nicht isoliert waren, und bei leichtem Regen hörte man den Gesprächspartner kaum oder gar nicht.167 Im Laufe der 1990er Jahre veränderte sich die oben beschriebene Situation sehr schnell. Vor allem verbesserte sich die Qualität der Gespräche, da neue Leitungen mit Isolierung errichtet wurden. Horst-Werner Schröder äußert in seinem Buch in Bezug auf Telefongespräche aus der Hauptstadt Karyes in der Mitte der 1990er Jahre: „[…] am Kiosk sind Telefonkarten zu erhalten, die ein Gespräch in die Heimat ermöglichen, ganz und störungsfrei, wie in Ortsnetzqualität. Daran war vor acht Jahren noch nicht zu denken.“168 Die Kartentelefone wurden zeitgleich auch in den Klöstern errichtet, sodass 1996 alle über ein Telefon dieser Art verfügten,169 was von den Pilgern mit gemischten Gefühlen aufgenommen wurde.170 Im Laufe des Prozesses der Einführung der Telefone wurde auch in der Hauptstadt Karyes eine Telefonzentrale errichtet, die heute vor allem den Pilgern dient. Sie befindet sich am zentralen Platz der Stadt gleich neben dem Gebäude der Athos-Regierung, der Heiligen Gemeinde, und in der Nähe der Protaton-Kirche, der ältesten Kirche auf dem Athos. Andererseits muss hervorgehoben werden, dass noch am Ende des 20. Jahrhunderts nicht alle AthosGemeinschaften sich dafür entschieden hatten, eine Telefonleitung zu bauen. Im Jahr 1999 gab es beispielsweise in der Kafsokalivia-Skiti noch kein Telefon, wie Christopher Merrill in seinem Buch berichtet.171 Die Entwicklungen im Bereich der Mobilfunknetze übten sehr schnell Einfluss auf die Kommunikation auf dem Athos aus. Schon in der Mitte der 1990er Jahre erschienen erste Mobiltelefone in der Mönchsrepublik: Reinhold Zwerger beschreibt in seinem Buch, wie ein ihm bekannter Mönch ihm 1996 mithilfe eines Mobiltelefons half, seine Probleme mit dem Athos-Visum zu beheben.172 Im selben Jahr beobachtete Franz-Egon Humborg, wie er schreibt, „Handys auf Schritt und Tritt“173. Die beiden Bemerkungen weisen auf die Tatsache hin, dass die Einführung von Mobiltelefonen auf dem Athos zeitgleich mit ähnlichen Prozessen in Griechenland und dem übrigen Europa stattfand. Anders gesagt übernahmen die Mönche diese technische Neuerung genauso schnell wie die Laien in „der Welt“. Dies führt zur Beobachtung, dass Mobiltelefone für die Mönche sehr hilfreich sein mussten, da sie sonst nicht so schnell auf dem Athos eingeführt worden wären. Folgende Frage stellt sich also: Zu welchen Zwecken wurden und werden Mobiltelefone in der Mönchsrepublik verwendet? Mobiltelefone finden überall auf der Welt Einsatz für die schnelle Überlieferung von zahlreichen Informationen. Welche Informationen werden aber von den Mönchen ausgetauscht? Interessanterweise findet man eine Reihe von Ähnlichkeiten zwischen „säkularen“ und mönchischen Gesprächen. So werden unter anderem die Mobiltelefone, genauso wie die stationären Telefone, für die Verbreitung von Gerüchten verwen167 168 169 170 171 172 173

Vgl. ebd., S. 173. Schröder, Pilgern auf dem Berg Athos, S. 74. Vgl. Sidiropoulos, Άγιον Όρος, S. 93. Merrill bestätigte, dass 1998 jedes Kloster über ein Kartentelefon verfügte. Vgl. Merrill, Things of The Hidden God, S. 17. Siehe Friedlander, Paradise Besieged, S. 232–233. Vgl. Merrill, Things of The Hidden God, S. 242. Vgl. Zwerger, Wege am Athos, S. 169. Humborg, „Orestis Dukatz“, S. 219.

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det, wie es Richard John Friedlander ironisch bemerkte: „One of the uses that monks have found for the telephone is to hasten the circulation of gossip. The fleas or rumor bite everyone on the Holy Mountain.“174 Mobiltelefone erwiesen sich jedoch vor allem für die Führung von „Geschäftsgesprächen“ besonders nützlich. Die Mönche, die die Mönch-Taxis fahren, werden ständig von Pilgern angerufen, die eine Fahrt bestellen wollen. Mithilfe von Mobiltelefonen werden also neue Kunden gewonnen.175 Aber nicht nur die Fahrer-Mönche führen Dienstgespräche: Während der Feldforschungen wurde beobachtet, wie die Mönche mit einem Devotionalien-Verkäufer per Handy die Preise für die selbsthergestellten Gebetsketten verhandelten. Dies macht deutlich, dass Mobiltelefone für alle möglichen Geschäftsgespräche verwendet werden. Mobiltelefone sind darüber hinaus auch in anderen Situationen im Einsatz, wie man an dem Beispiel der originellen Idee, Beichtgespräche über Handy zu führen, sehen kann.176 Mobiltelefone kommen auch in Notsituationen wie Bränden oder Krankheiten zum Einsatz. Im Dochiariou-Kloster gibt es nur ein Mobiltelefon, das genau zu diesem Zwecke von der Gemeinschaft besorgt wurde, da das stationäre Telefon während Unwettern nicht funktioniert.177 Dies betrifft natürlich auch andere Klöster und Gemeinschaften, die dank der Mobiltelefone Hilfe anfordern können. Um das Thema des Einsatzes von Mobiltelefonen auf dem Berg Athos zusammenzufassen, muss also betont werden, dass Mobiltelefone in allen möglichen Situationen in der Mönchsrepublik zum Einsatz kommen. Daher ist die Beobachtung, dass sie auf Schritt und Tritt zu sehen sind, zutreffend. Während der Feldforschungen auf dem Berg Athos wurden die Mönche dazu aufgefordert, im Interview ihre Meinung über die Benutzung von Mobiltelefonen zu äußern. Die so gesammelten Ansichten zum Thema der Einstellung der Geistlichen des Athos gegenüber Telefonen soll im Anschluss dargestellt werden. Die Ansichten der Mönche über die Benutzung von Mobiltelefonen ähneln sich erstaunlicherweise sehr: Die Geistlichen betonten immer wieder die Gefahren bzw. die negativen Konsequenzen der Handynutzung. Vater S. unterstrich, dass die Benutzung von Mobiltelefonen von Mönchen genauso wie Laien insofern gefährlich ist, weil sie zum Gefängnis werden kann. Die Gedanken werden ständig abgelenkt, was vor allem für die Mönche ein Problem ist.178 Etwas Ähnliches meinte Vater D., als er in Bezug auf Telefone, aber auch andere Errungenschaften der modernen Zivilisation äußerte: „The object of monastic life is asceticism and prayer. One can be detracted by means of these modern conveniences.“179 Als Beispiel der Ablenkung vom Gebet nannte er die Spiele, die auf den meisten Mobiltelefonen vorprogrammiert sind.180 Seiner Meinung nach ist also die Benutzung von Mobiltelefonen mit einem gewissen Grad an Gefährlichkeit verbunden. Vater Ma. erklärte die Gefahren der Mobiltelefone am Beispiel einer breiteren gesellschaftlichen Entwicklung. Er wies darauf hin, dass es in 174 175 176 177 178 179 180

Friedlander, Paradise Besieged, S. 116. Dazu siehe Pelgen, „Der Athos im Umbruch“, S. 188. Vgl. Gogos, „Partisanen des Jenseits“. Vgl. das Interview mit Vater S. Vgl. ebd. Aus dem Interview mit Vater D. Vgl. ebd.

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Griechenland eine andere Kultur der Benutzung von Mobiltelefonen gibt als in anderen Teilen Europas. Kurz gesagt: In Griechenland wird den ganzen Tag über mit dem Handy kommuniziert.181 Vor allem die Männer, die in dieser gesellschaftlichen Situation aufwachsen, übernehmen natürlicherweise diese Gewohnheit und telefonieren auch viel auf dem Athos. Vater Ma. sieht jedoch die Möglichkeit, die Handybenutzung und das Mönchssein in Einklang zu bringen: Ein Mönch kann das traditionelle Leben des orthodoxen Mönchtums führen, auch wenn er ein Handy hat.182 Man muss aber noch hinzufügen: wenn er das Telefon mit Bedacht benutzt. Diese Ansichten liegen nah bei den Äußerungen von Vater Mo., der auch bemerkte, dass manche Mönche sehr viel, nämlich zwei, drei Stunden täglich, das Telefon/Handy benutzen. Es fasste diese Tatsache wie folgt zusammen: „They are not doing a bad thing, but they are definitely not on right path.“183 Hingegen unterstrich Vater Ps., dass die Telefone so lange benutzt werden können, wie man nicht von ihnen abhängig wird.184 Es besteht also die Notwendigkeit Mobiltelefone zu benutzen, die übertriebene Verwendung von Mobiltelefonen ist jedoch nicht erwünscht. Diese Ausführungen machen deutlich, dass die Benutzung der (Mobil-)Telefone von den meisten Mönchen als gefährlich betrachtet wird, weil den Geistlichen vom Athos die Nachteile der Mobiltelefone gut bekannt sind. Für die Mönche liegt die gefährlichste Auswirkung, wie einige Interviewpartner äußerten, in der Ablenkung vom geistlichen Leben: Die Mobiltelefone können die Gedanken weg von spirituellen Dingen und hin zu irdischen Anliegen leiten. Sie lenken nicht nur vom Gebet ab, die Mönche werden aufgrund der Benutzung von Mobiltelefonen wieder zu Mitgliedern der weltlichen Gesellschaft. Jedermann kann die Geistlichen in jeder Sekunde des Tages erreichen und ihnen seine Probleme mitteilen, was den Prinzipien des orthodoxen Mönchtums entgegensteht, da der orthodoxe Mönch ab seiner Weihe für die Gesellschaft „gestorben“ sein sollte. In diesem Zusammenhang fragte Richard John Friedlander rhetorisch: „What could be more foreign to the image we have of the monk living in simplicity and silence than a cell phone making sure that he can never escape from the world?“185 Für diesen Autor sind aus diesem Grund die Mobiltelefone eine der fragwürdigsten technischen Neuerungen auf dem Berg Athos. Zu dieser Beobachtung trug wahrscheinlich nicht nur die Tatsache bei, dass Mobiltelefone vom geistlichen Leben ablenken, sondern auch das Faktum, dass sie die Stille des Athos zerstören. Das Schrillen der Telefone wurde schon von manchen Pilgern als unerträglich beschrieben, die Mönche selbst stören die Telefone aber auch. Douglas Lyttle berichtet in diesem Zusammenhang über Telefonate, die den Gottesdienstablauf in kleineren Gemeinschaften stören: I spent the night with the Voliotis, where apodipnon (compline), the last service of the day, provided an insight into the future and hinted at problems resulting from Holy Mountain’s moving very rapidly into the late twentieth century. The quiet of the peaceful service was broken by the jarring sound of a telephone bell. The service was paused while one of the 181 182 183 184 185

Vgl. das Interview mit Vater Ma. Vgl. ebd. Aus dem Interview mit Vater Mo. Vgl. das Interview mit Vater Ps. Friedlander, Paradise Besieged, S. 239.

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Der wirtschaftliche Modernisierungsprozess auf dem Athos monks answered it, then was resumed only to be disturbed again by another ring. As one of the younger monks left to answer it, Father Vasilios instructed him „close that phone so we can finish the service“. Roads, automobiles, computers, and all that they mean were, for many, changing the slow, contemplative pace of life so that it often seemed as harried as contemporary civilian life.186

Wie die obigen Ausführungen und Zitate aus den Interviews zeigen, wird die Benutzung von Telefonen als problematisch angesehen. Um diese Äußerung mit einem Beispiel zu belegen, sagte Vater P., dass seiner Meinung nach Mobiltelefone die schlimmsten von allen technischen Neuerungen auf dem Heiligen Berg Athos sind.187 Die Gründe dafür liegen in den oben beschriebenen Gefahren ihrer Benutzung. Trotz dieser Nachteile der Telefone und Mobiltelefone unterstreichen die Geistlichen dennoch auch die Notwendigkeit ihrer Benutzung. Vater Ps. sagte ausdrücklich, dass für ihn die Verwendung von Mobiltelefonen zulässig ist und Mobiltelefone für seine Gemeinschaft wichtig seien („therefore mobile phones are also essential“).188 Die Notwendigkeit der Benutzung von Telefonen bezieht sich nicht nur auf praktische Sachen, wie beispielsweise die Anmeldung von Pilgern, die die Gemeinschaft besuchen möchten, denn auch die geistlichen Angelegenheiten werden mit dem Handy erledigt. Dies betrifft vor allem die Bitten um Gebete, die Vater Ps., wie er selbst bestätigte, telefonisch annimmt.189 Abschließend muss also betont werden, dass sich Telefone trotz der zahlreichen Nachteile auf dem Athos sehr gut etablierten und zum Teil des Lebens in der Mönchsrepublik wurden. Da die Mobiltelefone viele negative Auswirkungen auf dieses Leben haben können und fast einstimmig von den Mönchen als eine der gefährlichsten technischen Neuerungen betrachtet werden, versucht die Athos-Gemeinschaft ihre Benutzung zu begrenzen. Diese generelle Regel betrifft alle Klöster auf dem Athos, es wird jedoch unterschiedlich mit ihr umgegangen. Im Dochiariou-Kloster verfügt beispielsweise nur ein Mönch über ein Handy, während in dem Große Lavra und Iviron-Kloster es mehrere sind, die diese technische Neuerung täglich nutzen. Zu ihnen zählen vor allem diejenigen Mönche, die für die Koordinierung der verschiedenen Arbeiten in dem Kloster zuständig sind.190 So erhöht sich die Zahl der Mönche mit Handy in den großen Klöstern auf ein gutes Dutzend, trotz der skeptischen Einstellung und der Tendenz zur Begrenzung der Mobiltelefonnutzung. Am Rande der Bemerkungen über Mobiltelefone auf dem Athos ist noch auf ein damit verbundenes Problem hinzuweisen – die Relaisstationen, die für Benutzung der Mobiltelefone unabdingbar sind. Diese modernen Bauwerke passen keineswegs zu der byzantinischen Architektur des Athos und aus diesem Grund stieß ihr Bau auf Kritik seitens der Mönche und Aufsichtsbehörden. Um die Mobiltelefone auf dem Athos doch nutzten zu können, entschieden sich die Mönche und ein privater Mobilfunksender – Panafon für einen Kompromiss. Es wurde in den 1990er Jahren eine Station in 186 187 188 189 190

Lyttle, Miracle on the Monastery Mountain, S. 244. Vgl. das Interview mit Vater P. Aus dem Interview mit Vater Ps. Vgl. ebd. „[…] at least several monks who are in key positions need to coordinate between each other.“ Aus dem Interview mit Vater N.

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byzantinisch ähnlicher Bauweise gebaut.191 Der Turm, der die Relaisstation versteckt, befindet sich oberhalb der Athos-Hauptstadt Karyes und wurde im athonistischen Volksmund als „Turm des Panafon“ (πύργος της Panafon) bezeichnet. Seit 2002 gehört der Turm zu der Firma Vodafone Griechenland, der Nachfolgerin von Panafon. Die gegenwärtige Zivilisation wird öfter als die „digitale Zivilisation“ bezeichnet aufgrund der großen Rolle, die Rechner im Leben des zeitgenössischen Menschen spielen. Computer werden auf der ganzen Welt verwendet, sogar an Orten, an denen man Rechner nicht unbedingt erwarten würde. Zu diesen Orten zählt auf jeden Fall auch der Athos, wo sich das Leben noch bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts kaum von demjenigen im Mittelalter unterschied. Dennoch kamen Rechner und darüber hinaus auch die Benutzung des Internets rasch in Gebrauch. In diesem Zusammenhang ist es interessant zu untersuchen, wie die Computer in der Mönchsrepublik wahrgenommen werden und welche Rolle sie in den dortigen Gemeinschaften spielen. Die ersten Rechner gelangten, genauso wie die ersten Mobiltelefone, in der Mitte der 1990er Jahre in die Mönchsrepublik. Wann und in welcher Gemeinschaft genau der erste Rechner installiert wurde, ist leider nicht bekannt. Sicher ist jedoch, dass es 1995 einen Computer im Xiropotamou-Kloster gab.192 Es ist zu vermuten, dass auch andere Klöster damals über einen Rechner verfügten, mit Sicherheit lässt sich dies jedoch erst für das Jahr 1998 sagen. Hier sind die Klöster Chilandar, Simonos Petras, Kostamonitou und Dochiariou zu nennen, in denen in diesem Jahr die Benutzung eines Computers von den Pilgern festgestellt wurde.193 Die Mönche im Hauptgebäude der Heiligen Gemeinde konnten sich seit mindestens 2004 über einen Rechner freuen.194 Da die Menge an organisatorischen Aufgaben in der Heiligen Gemeinde recht groß sein muss, ist es auch in diesem Fall wahrscheinlicher, dass der erste Rechner dort schon viel früher angeschafft wurde. Parallel mit der Einführung von Computern in den einzelnen Gemeinschaften ist auch die Nutzung des Internets zu analysieren. Das früheste bekannte Datum der Internetnnutzung in der Mönchsrepublik gibt Christopher Merrill in seinem Buch. Er berichtet, dass es 1998 im Chilandar-Kloster Internet gegeben haben musste, weil ein Mönch seinen Namen im Netz fand. Im Laufe seiner Internetrecherchen stellte der Geistliche fest, dass Merrill ein Buch über Flüchtlinge aus Jugoslawien schrieb, was ihm nicht ganz gefiel.195 In seinem Bericht bestätigt der amerikanische Autor also, dass es schon 1998 Internet auf dem Athos gab. Dieses Datum sollte jedoch nicht als 191 192 193

194

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Vgl. Platis, Αθωνικό λεξικό, S. 461–462. Vgl. Derwahl, Die Athosreise, S. 27–28. Zu Chilandar siehe Merrill, Things of The Hidden God, S. 84; zu Simonos Petras siehe ebd., S. 219–222; zu Kostamonitou siehe Friedlander, Paradise Besieged, S. 236f.; zu Dochiariou siehe Zwerger, Wege am Athos, S. 137. „Jedenfalls lärmt dort [hinter dem Gebäude der Athos-Regierung – Ł.F.] auch das ‚heilige‘ Stromaggregat, das die ‚heiligen‘ Computer der ‚Heiligen Gemeinschaft‘ mit Strom versorgt.“ Zwerger, Wege am Athos, S. 82. Merrill, Things of The Hidden God, S. 84. Als Folge der Internetrecherchen des Mönchs wurde dem amerikanischen Autor die Übernachtung vorläufig untersagt. Zwar wurde die Entscheidung später geändert, Merrill hat jedoch trotzdem keine guten Erinnerungen an das serbische Kloster.

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Datum der Einführung des Internets verstanden werden, weil anzunehmen ist, dass das Internet schon einige Jahre früher eingeführt worden sein könnte. Wann dies genau passierte, bleibt jedoch unklar. Heutzutage verfügen mindestens vierzehn von zwanzig der Athos-Klöster über einen bzw. mehrere Rechner.196 Dass in diesen Gemeinschaften Computer benutzt werden, konnte auf verschiedene Art und Weise bestätigt werden. In erster Linie waren es die Geistlichen, die während der Interviews erklärten, dass es in ihren Klöstern Rechner gibt. Darüber hinaus konnten in den Klöstern Chilandar und Simonos Petras selbst PCs und im Pantokratoros-Kloster sogar ein Mönch bei der Arbeit am Laptop beobachtet werden. Die Benutzung von Computern in diesem Kloster als auch in Vatopedi wurde schon 2010 im Laufe der Vorbereitungen auf die Feldforschungen bestätigt. Vor der Anreise wurde Kontakt mit den Klöstern aufgenommen, um die Übernachtungen zu reservieren. Auf die per Fax eingereichten Bitten um Unterkunft antworteten die Mönche per E-Mail. Es ist noch zu betonen, dass die übrigen sechs Klöster ebenfalls über Computer verfügen, was jedoch nicht bestätigt werden konnte. Dennoch sprechen viele Hinweise dafür, dass die Annahme, alle Athos-Klöster hätten Computer, nicht übertrieben ist.197 In den Interviews mit den Geistlichen anderer Gemeinschaften wurde auch die Nutzung des Internets bestätigt. Mindestens sieben Klöster wie auch manche Kellien in Nea Skiti verfügen über diese Errungenschaft der modernen Zivilisation. 198 Demgegenüber wurde festgestellt, dass es mit Sicherheit kein Internet in den Klöstern Hl. Paulus, Grigoriou, Dochiariou, Stavronikita und Kostamonitou gibt.199 Diese Gemeinschaften entschieden sich, keinen Internetzugang einzurichten, obwohl keine technischen Schwierigkeiten bestehen, die dagegen sprechen. Seit August 2008 arbeiten auf dem Athos sechs WiMAX-Stationen, die fast die ganze Halbinsel mit drahtlosem Internet (60 Mb/s) versorgen können.200 Diese während der Feldforschungen gesammelten Befunde machen zusammen mit den Informationen aus anderen Quellen deutlich, dass Computer und Internet schon stark verbreitete technische Neuerungen auf dem Berg Athos sind. Seit dem Jahr 1995, 196

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200

Große Lavra, Vatopedi, Iviron, Chilandar, Dionysiou, Pantokratoros, Xiropotamou, Dochiariou, Karakallou, Simonos Petras, Hl. Paulus, Stavronikita, Grigoriou und Kostamonitou. Im Zograf-Kloster bekam der Autor Infoblätter über die Orthodoxie, die vermutlich in dem Kloster ausgedruckt wurden. Die legale Esfigmenou-Gemeinschaft, die nicht in den eigentlichen Klostergebäuden selbst, sondern in Karyes lebt, ist sehr präsent im Internet. Ausreichende Hinweise legen die Vermutung nahe, dass diese Präsenz vom Athos aus gesteuert wird. Vater F. wies im Interview darauf hin, dass es Internet im Koutloumousiou-Kloster gibt, was jedoch nicht bestätigt werden konnte; vgl. das Interview mit Vater F. Vatopedi, Iviron, Chilandar, Dionysiou, Pantokratoros, Karakallou und Simonos Petras. Zu Simonos Petras siehe das Interview mit Vater Ma., zu Dionysiou siehe das Interview mit Vater Mo., zu Nea Skiti siehe das Interview mit Vater Ps. Zu Hl. Paulus siehe das Interview mit Vater P., zu Grigoriou siehe das Interview mit Vater D., zu Dochiariou siehe das Interview mit Vater S., zu Stavronikita siehe das Interview mit Vater Pl. Vgl. Pavlo Tanasyuk/Chrisanthi Avgerou, ICT and Religious Tradition: The Case of Mount Athos, S. 7, abrufbar unter: http://www.ifip.dsg.ae/Docs/FinalPDF/Work%20In%20Progress/if ip_35_Tanasyuk%20&% 20Avgerou.pdf.

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für das die Benutzung eines ersten Rechners im Xiropotamou-Kloster bestätigt ist, wurden in vielen anderen Gemeinschaften Rechner eingeführt, was gleichzeitig bedeutet, dass der Einzug der Computer auf dem gesamten Athos in weniger als fünfzehn Jahren erfolgte. Die Einführung des Internets ist inzwischen auch beendet: Obwohl nicht alle Klöster Zugang zum Netz haben, bestehen die technischen Möglichkeiten dafür bereits seit 2008. Trotz der Religions- und Traditionsverbundenheit der Mönche verlief die Computerisierung also genauso rasant wie außerhalb der Mönchsrepublik. Wie auch im Fall des Einzugs der anderen oben beschriebenen technischen Neuerungen muss an dieser Stelle die Aufmerksamkeit der Frage nach den Gründen der Einführung der Computer als auch ihre Wahrnehmung durch die Mönche geschenkt werden. Vor allem die Gründe der Benutzung der Rechner scheinen für den weiteren Ablauf des Diskurses in dieser Dissertation interessant zu sein. In erster Linie wurden Computer aufgrund der Möglichkeit ihrer praktischen Verwendung eingeführt. Sie dienen in allen Gemeinschaften, in denen sie eingeführt wurden, für administrative Aufgaben, wie z.B. die Registrierung von Pilgern oder der Buchhaltung. Computer kommen jedoch auch bei mehreren anderen Aufgaben zum Einsatz, die von der Aktivität der Gemeinschaft abhängen. In der Nea Skiti wird beispielsweise der Rechner außer für administrative Aufgaben auch für die seelsorgerische Tätigkeit verwendet: „I, for example, get e-mails from my friends. They ask me for some consolation in their lives, a piece of advice. So I try to help them and I write back a word of sympathy.“201 Darüber hinaus kann der Computer auch als ein wichtiges Werkzeug verwendet werden, weil zum Beispiel Vater Ps. seinen Unterhalt unter anderem dank seiner Arbeit als Übersetzer verdient.202 Ohne den Rechner ist diese Arbeit heutzutage nicht mehr denkbar: Vater Ps. könnte zwar auch ohne Computer Bücher übersetzen, dann müsste aber der Herausgeber diese Übersetzung eintippen. Dank der Verwendung des Computers wird also Zeit gespart und die Arbeit ist viel effektiver, infolgedessen ist ein höheres Entgelt möglich. Es lässt sich also sagen, dass Vater Ps. eine traditionelle Arbeit ausübt, die Mönche seit Anfang des Mönchtums ausüben, er jedoch modernste Technik verwendet. Das Beispiel von Vater Ps. zeigt, dass die Einführung der Computer mit ihren vielfältigen Benutzungsmöglichkeiten verbunden ist. Es gab aber auch einen anderen Grund der Computerisierung des Athos. Vater S. nannte im Interview eine ganz nüchterne Ursache, die seine Gemeinschaft zur Einführung von Rechnern bewegte: Die alten Methoden mancher Arbeiten waren obsolet geworden und es gab keine Alternative für den Computer. So berichtete Vater S. über eine Schreibmaschine aus dem 19. Jahrhundert, die es in dem Kloster noch gibt. Die Mönche können diese Maschine nicht mehr benutzen, weil sie trotz vieler Versuche keine passenden Materialien für die Maschine kaufen konnten.203 Ohne Tinte ist die Benutzung der Schreibmaschine nicht möglich und die Mönche sind daher auf Computer angewiesen. Die zwei oben genannten Beispiele stellen die Gründe der Einführung von Computern plausibel dar. Sie weisen auch auf die Art und Weise hin, wie die Rechner verwendet werden. Interessanterweise betrifft die Nutzung der Rechner in manchen Klös201 202 203

Aus dem Interview mit Vater Ps. Vgl. das Interview mit Vater Ps. Vgl. das Interview mit Vater S.

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tern, wie im Fall von übersetzerischer Arbeit, auch traditionelle Mönchsarbeit. Hier sind das Schreiben und die Veröffentlichung der Bücher gemeint. Zu dieser Arbeit eignen sich die Computer sehr gut und sie werden zu diesem Zwecke in den Klöstern Grigoriou und Vatopedi verwendet.204 Darüber hinaus werden mit Hilfe von Rechnern auch weniger traditionelle Arbeiten erledigt, wie die Veröffentlichungen von CDs mit byzantinischen Mönchsgesängen. Zurzeit wird dieses Projekt von Mönchen aus den Klöstern Grigoriou und Simonos Petras realisiert.205 Rechner finden auch Einsatz bei der Verarbeitung digitaler Fotos, die von den Mönchen zum Zwecke des „Ikonenschreibens“ gemacht werden. Es lässt sich also sagen, dass die Computer sich auch auf dem Athos als hilfreiche Werkzeuge erwiesen haben und für vielfältige Aufgaben verwendet werden. In diesem Zusammenhang muss noch auf die von Michelangelo Paganopoulos angedeutete Internetnutzung hingewiesen werden: der Verkauf von Devotionalien in Online Shops. Paganopoulos bemerkt in seinen Artikeln, dass die Mönche aus zwei Athos-Klöstern (von denen eines Vatopedi ist, das zweite wurde nicht namentlich genannt) ihre Produkte in diesen „Läden“ verkaufen.206 Er nennt sogar die Webseite des Shops: „www.monasteryproducts.org“.207 In Bezug auf diesen Aspekt der Internetnutzung wurden ebenfalls Recherchen für diese Studie durchgeführt und es kann bestätigt werden, dass die Mönche vom Athos tatsächlich ihre Produkte online verkaufen. Allerdings konnte nicht herausgefunden werden, ob bzw. dass genau zwei Klöster diesen Handel betreiben. Darüber hinaus irrt sich Paganopoulos, was die Webseite des Shops betrifft: Auf www.monasteryproducts.org werden die Produkte aus dem „Monastery of the Glorious Ascension“ in Resaca (Vereinigte Staaten) verkauft und nicht die athonistischer Herkunft. Die Devotionalien vom Athos werden auf der Seite www.athineon.com den Kunden angeboten und zwar in größerer Menge. Hier stehen verschiedene Gebetsschnüre, Räuchermittel, Kreuze, DVDs und CDs mit Musik und 1167 (!) Ikonen zum Kauf bereit. Laut Presse- und Internetberichten existiert die Seite bereits seit 2008.208 Pavlo Tanasyuk und Chrisanthi Avgerou interviewten einen Laien, der im Internetshop mitwirkt. Der Arbeiter meinte, dass die Mönche selbst keinerlei Kontakt mit den Kunden haben, es vielmehr dezidiert vermeiden, irgendwelche Kontakte diesbezüglich aufzubauen. „Other people sell the goods and run the shop, while

204 205

206

207 208

Zu Grigoriou siehe das Interview mit Vater D.; zu Vatopedi siehe das Interview mit Vater M. Zu Grigoriou siehe das Interview mit Vater D. Die Aktivität von Mönchen aus Simonos Petras in diesem Feld wurde in formlosen Gesprächen bestätigt. CDs mit Mönchsgesängen sind ebenfalls im Internet zu kaufen. Vgl. Michelangelo Paganopoulos, The Greek Nationalist Façade of Two Monasteries of Mount Athos, abrufbar unter: http://www2.lse.ac.uk/europeanInstitute/research/hellenicObservatory/ev ents/phd_Symposia/4thSymposium/phd09_Panels.aspx; Michelangelo Paganopoulos, The Concept of Economy in Two Monasteries of Mount Athos, abrufbar unter: http://www.idec.gr/iier /new/3rd%20Panhellenic%20Conference/PAGANOPOULOS-%20THE%20CONCEPT%20 OF%20ECONOMY%20IN%20MONESTRIES%20IN%20ATHOS.pdf. Paganopoulos, The Concept of Economy, S. 17. Vgl. „Vatopedi Monastery in Greece’s Mount Athos Boasts E-Store“, in: Balkan Traveller, abrufbar unter: http://www.balkantravellers.com/index.php?option=com_content&task=view& id=770.

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monks just give advice“, pointierten Tanasyuk und Avgerou.209 Es lässt sich also sagen, dass die Mönche ihre Rolle als Hersteller von der der Händler in diesem Fall sehr klar abgrenzen. Darüber hinaus können die Mönche mit Hilfe von Laienarbeitern aus der Nutzung des Internets finanzielle Vorteile ziehen, ohne eigene übermäßige Verwendung des Netzes. Damit vermeiden sie die Benutzung dieser auf dem Athos umstrittenen Technologie. Die verschiedenen Verwendungsmöglichkeiten von Computern sind den Mönchen gut bekannt, ebenso verhält es sich aber auch mit den unterschiedlichen Nachteilen ihrer Benutzung, die gerade angedeutet wurden. So z.B. unterstreichen die meisten Geistlichen vom Athos, dass Rechner nicht wirklich für das Mönchsleben geeignet sind. Vater S. betonte in diesem Zusammenhang die Gefährlichkeit, die die Computerbenutzung für einen Mönch mit sich bringt. Seiner Meinung nach sollte ein Mönch ein einfaches Leben führen wie es die ersten Mönche in Ägypten führten. Die Computer und die Technik im Allgemeinen lenken von diesem schlichtem Leben ab, weil der Geist des Menschen sich nicht gleichzeitig auf Technologie und Gott konzentrieren kann.210 Diese Äußerung lässt sich mit einer Anmerkung von Vater D. verbinden, der betonte, dass ein Rechner „can be opened for a certain purpose, but after a while one finds himself doing the opposite than initially intended“211. Dementsprechend unterstrichen Vater S. und Vater D. die Tatsache, die auch bei der Besprechung von Telefon und Mobiltelefon zum Ausdruck kam – die Technologie (in diesem Fall der Computer) kann negativen Einfluss auf das Leben der Mönche haben, weil sie von spirituellen Überlegungen ablenkt. Denn der Kern des Mönchslebens liegt ja in der Abgrenzung von der Welt „[…] but the worldly appliances deliver us to worldliness“.212 Dieses Problem wird von den Geistlichen sehr ernst genommen und die Mönche entwickelten verschiedene Strategien, um die Ablenkung zu mindern. Eine Strategie ist vor allem, dass in jedem Kloster nur ausgewählte Brüder Zugang zu den Rechnern haben. Im Vatopedi-Kloster wird zudem noch der Zugang zum Internet begrenzt, sodass nicht jeder Mönch, der mit dem Computer arbeitet, auch Zugriff auf die Internetseiten hat. Laut Vater M. haben nur zwei bzw. drei Mönche tatsächlich diesen Zugang.213 Ähnlich wurde das Problem der Ablenkung vom geistlichen Leben auch in den Klöstern Dionysiou und Iviron gelöst, wo auch nur wenige Mönche Zugang zu den Rechnern und dem Internet haben.214 Wie die beiden Beispiele zeigen, lässt sich die Einstellung der Mönche gegenüber Computern und Internet als sehr vorsichtig beschreiben. Den Mönchen scheint diese Art von Haltung sehr berechtigt zu sein und sie wird oft betont.215 Die Vorsicht im Umgang mit Computern wurde also zu einer wichtigen Tugend der Mönche. An dieser Stelle muss jedoch unterstrichen werden, dass sich die Einstellung gegenüber Compu209 210 211 212 213 214 215

Tanasyuk/Avgerou, ICT and Religious Tradition, S. 7. Vgl. das Interview mit Vater S. Aus dem Interview mit Vater D. Ebd. Vgl. das Interview mit Vater M. In Iviron sind das drei Mönche; siehe das Interview mit Vater I. „Well, we proceed with caution“. Aus dem Interview mit Vater M. Siehe auch das Interview mit Vater Ma.

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tern von Kloster zu Kloster unterscheidet. Während in Dochiariou die Mönche eher skeptisch gegenüber Computern sind, scheinen die Geistlichen vom Hl. PaulusKloster viel offener diesbezüglich zu sein, was die Äußerung von Vater P. gut illustriert: „I believe that if Saint John Chrysostom had had a laptop, he would had written his eloquent homilies on that instead of using ink and quill.“216 Darüber hinaus ist auch zu betonen, dass sich die Einstellung gegenüber Computern in einem Wandlungsprozess befindet. Die Wandlungen in diesem Bereich wurden von Vater Ma. unterstrichen.217 In welche Richtung dieser Prozess führen wird, ist nicht sicher, die Mönche selbst sehen jedoch schon den generellen Trend zur vollständigen Computerisierung des Athos.218 Die skeptische Einstellung gegenüber Computern mündet vor allem in einem reglementierten Umgang mit dem Internet. Wie angeführt wurde, verzichten sieben Klöster dezidiert auf diese Errungenschaft der Zivilisation. Der Grund dafür wurde am besten von Vater P. zusammengefasst, der sich folgendermaßen äußerte „[I]t has more disadvantages than it has advantages.“219 Dieser Logik folgt man auch in den Klöstern, wo es zwar einen Internetzugang gibt, die Zahl der Mönche, die ihn benutzen, tatsächlich jedoch so niedrig wie möglich gehalten wird. Dies alles zeigt, dass es den Geistlichen gelang, einen Mechanismus zu entwickeln, der vor den Nachteilen des Internets schützt. Diese technische Neuerung wird also gegenwärtig mit Bedacht benutzt, sodass die Situation des zunehmenden Interneteinsatzes nicht außer Kontrolle geriet. Hier muss noch kurz auf die Art und Weise, wie das Internet benutzt wird, hingewiesen werden. Vor allem lässt sich sagen, dass der Zugang zum Netz verschiedene Geschäfte, wie z.B. das schon genannte E-Shopping, ermöglicht. Außerdem werden EMails versendet, um die Pilger über Übernachtungsmodalitäten informieren zu können. Mithilfe der elektronischen Post werden auch Bücher zu den Herausgebern und Verlagen weitergeleitet und sogar Seelsorge wird betrieben. Die Mönche leisten mehr Arbeit über E-Mails als mithilfe von Internetseiten, was am Beispiel des VatopediKlosters zu sehen ist. In diesem Kloster haben nur drei Mönche Zugang zum Internet, manch andere können jedoch auch auf ihre E-Mailpostfächer zugreifen.220 Das Internet wird jedoch manchmal auch für andere Zwecke genutzt. Hierfür stellt die EsfigmenouGemeinschaft, die vom Ökumenischen Patriarchen anerkannt wurde und ihren Sitz in Karyes hat, ein aussagekräftiges Beispiel dar. Die Mönche aus dieser Gemeinschaft werben zusammen mithilfe ihrer Befürworter und des Internets für ihr Anliegen, nämlich die Vertreibung der illegalen Gemeinschaft aus den Klostergebäuden. Wohl deswegen entstanden die Internetseite http://www.esphigmenou.gr als auch ein Webblog 216 217

218

219 220

Aus dem Interview mit Vater P. „Digital technology and the Internet are problems that monasteries are very careful with. This is something which is in progress. It is not solved yet. It is still a problem.“ Aus dem Interview mit Vater Ma. Vater I. antwortete bejahend auf die Frage nach dem möglichen Fortschreiten der Nutzung des Internets auf dem Athos. „Monks frequently, (especially those who live alone), have more freedom and try to get an Internet connection if they have already installed a telephone line. I think this phenomenon is generally on the rise.“ Aus dem Interview mit Vater P. Vgl. das Interview mit Vater M.

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http://athosesphigmenou.blogspot.com/, die auf den Konflikt um Esfigmenou eingehen. Diese Gemeinschaft hat auch ein Profil auf Facebook eingerichtet (Εσφιγμένου Άγιον Όρος), wo regelmäßig (einige Male im Monat) über die Situation berichtet wird. Andererseits ist auch die illegale Esfigmenou-Gemeinschaft im Internet präsent. Zwei Internetseiten wurden von ihr ins Netz gestellt, um die Argumente der „rebellierenden Mönche“ zu präsentieren.221 Allerdings werden die beiden Webseiten nicht von den Mönchen betrieben, sondern von den „Friends of Esfigmenou-Monastery“, und sie werden nicht regelmäßig aktualisiert. Der Fall Esfigmenou sollte zwar als Ausnahme betrachtet werden, weil andere Klöster keine eigenen Internetseiten haben, 222 er zeigt jedoch, dass die Nutzung des Internets auch andere Bereiche als bloßen E-MailVerkehr betreffen kann. Abschließend soll nochmals betont werden, dass die Computerisierung des Athos im Laufe der letzten fünfzehn Jahre vollzogen wurde. Zwar haben nicht alle Mönche Zugang zum Computer, es gibt sogar viele, die ihn nicht bedienen können. 223 Man findet jedoch heutzutage Rechner in den meisten, wenn nicht in allen Klöstern und in vielen kleineren Gemeinschaften. Die Herausbildung einer Meinung gegenüber den Rechnern, die der Computerisierung folgt, scheint ebenso schon vollzogen. Die Mönche, die seit relativ kurzer Zeit mit Rechnern auf dem Berg Athos konfrontiert wurden, haben sich schon mit diesem Problem auseinandergesetzt und gingen, anders als es der Fall mit den Straßen war, von Anfang an vorsichtig mit Computern um. Die Rechner fanden zwar genauso wie die Straßen sehr schnell ihren Platz auf dem Athos, ihre Auswirkungen auf die athonistischen Gemeinschaften sind jedoch geringer, weil mit den Computern vorsichtiger umgegangen wird und ihre Benutzung besser kontrolliert wird. In diesem Zusammenhang wird nach dem nächsten Schritt der Computerisierung – der Einführung des Internets in allen Athos-Klöstern gefragt. Da für die große Zahl der Mönche das Internet mehr Nach- als Vorteile hat,224 wird in dieser Studie

221 222

223 224

http://www.esphigmenou.com/ und http://www.esphigmenoumonastery.com/. Vgl. Das Interview mit Vater Ma. Es handelt sich um offizielle Internetseiten. Es muss aber gleichzeitig hinzugefügt werden, dass die Gemeinschaft aus dem Vatopedi-Kloster die Präsenz im Netz unterstützt. Die Mönche direkt betreiben jedoch keine Internetseite. Dies wird von den Mitgliedern der „Gesellschaft der Freunde des Vatopedi-Klosters“ gemacht. Die Seite wird regelmäßig aktualisiert und enthält neueste Informationen aus dem Kloster. Siehe Gesellschaft der Freunde des Klosters Vatopedi (Hg.), Απόψεις για τη Μονή Βατοπαιδίου (και όχι μόνο), abrufbar unter: http://vatopaidi.wordpress.com/. Die Frage nach der Nutzung des Internets durch die orthodoxen Mönche und die Orthodoxen Kirchen im Allgemeinen scheint ein immer wichtiger werdendes Thema zu sein. Einige Klöster außerhalb des Athos trafen schon die Entscheidung, eigene Internetseiten zu betreiben ( das Preveli-Kloster auf Kreta, das Deutsche Orthodoxe Heilige Dreifaltigkeitskloster bei Buchhagen, das Hl. Marta und Maria-Kloster auf dem Berg Grabarka in Polen und viele orthodoxe Klöster in den Vereinigten Staaten). Außerdem wird das Internet immer öfter von den Kirchen genutzt, wofür das plausibelste Beispiel das Engagement der Rumänisch-Orthodoxen Kirche im Netz seit dem Amtsantritt von Patriarch Daniel ist. Siehe Mihaela Rodina, „Romanian Orthodox church attracts cyber-followers“, in: AFP, abrufbar unter: http://www.timesofmalta.com/articles/view/20110628/religion/Romanian-Orthodox-Chu rch-attracts-cyber-followers.372796. Siehe das Interview mit Vater Mo. Siehe das Interview mit Vater P.

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angenommen, dass sich die Internetisierung der Athos-Klöster nicht schnell durchsetzt. Die Rechner haben zwar einen fest etablierten Platz in den AthosGemeinschaften gefunden, weil sie sich als sehr praktisch erwiesen, die vollständige Einführung des WWW-Netzes in den Athos-Klöstern scheint jedoch ungewiss zu sein.

4.3. Ökonomische Modernisierung Graham Speake, der den Athos im Laufe der letzten Jahrzehnte mehrmals besuchte, bemerkte in seinem Buch, dass seit einigen Jahren ein Trend zur Kommerzialisierung des Athos zu spüren sei. Der Engländer stützt seine Ausführungen unter anderem mit der Beobachtung, dass es in den Klöstern immer mehr Souvenirshops gibt, in denen Mönche immer mehr Devotionalien verkaufen. Er berichtet auch von einem Verbund von Minibus-Taxis, dem sogenannten „monk Taxi“, der auf dem Athos eingerichtet wurde.225 Die Geistlichen erledigen auch unterschiedliche Arbeiten, dank denen sie Geld verdienen. Von dem Ausmaß all dieser unternehmerischen Tätigkeiten war Speake eher erschüttert. Unabhängig davon, ob man mit der Ausdrucksweise von Speake einverstanden ist oder nicht, Fakt ist, dass es auf dem Athos zu Veränderungen der finanziellen Verhältnisse kam. Diese Neugestaltung des athonistischen Wirtschaftssystems wurde auch von anderen Autoren festgestellt. Einige sehen es als ein Problem, wie beispielsweise Richard John Friedlander. Seiner Meinung nach änderte sich die Betrachtungsweise der Mönche dem Geld gegenüber. „Money has become more important, not so much because the essentials of monastic life have become more expensive, but because monks perceive more things to be essential.“226 Als Beispiel dieses Zustands nennt Friedlander Ikonen, deren Preise in den letzten Jahren gravierend anstiegen. Konnten sie noch in den Siebziger Jahren für ein kleines Entgelt erworben werden, sind sie heutzutage nur für respektable Summen zu haben. Von der Verachtung des kaufmännischen Gewerbes227 ist auf dem Athos gegenwärtig nichts mehr zu hören. „In der Mönchsrepublik Athos spielt Geld nur scheinbar keine Rolle“228, bemerkte der deutsche Journalist Thomas Wendel in seinem Bericht über den Athos, womit er seine Beobachtungen über die wirtschaftliche Lage in den Klöstern zusammenfasste. Auf den nächsten Seiten gilt die Aufmerksamkeit den ökonomischen Aspekten des wirtschaftlichen Modernisierungsprozesses. Neben dem technischen Bereich zählt die Ökonomie, wie schon im zweiten Kapitel geschildert wurde, zu den wichtigen Bestandteilen dieses Prozesses. Wirtschaftswachstum und Kommerzialisierung wurden von dem bereits zitierten Thomas Mergel als zwei der Merkmale der wirtschaftlichen Modernisierung genannt. Damit wird deutlich, dass der ökonomische Bereich neben dem technologischen Fortschritt auf dem Athos beschrieben werden muss. Diese zwei Facetten werden also im selben Kapitel betrachtet, weil sie den theoretischen Ausfüh225 226 227 228

Vgl. Speake, Mount Athos, S. 205. Friedlander, Paradise Besieged, S. 190–191. „disdain for business“, ebd., S. 129. Thomas H. Wendel, „Die frommen Brüder mit dem Handy“, in: Spiegel Special 2 (1998), S. 137.

Ökonomische Modernisierung

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rungen nach zu derselben Gruppe von Modernisierungsprozessen gehören. Im Folgenden werden also die Entwicklungen der ökonomischen Situation der AthosGemeinschaften erläutert. Die zu beantwortenden Fragen lauten dabei: Inwieweit veränderte sich diese Situation? Was veränderte sich im Speziellen? Des Weiteren werden neue Finanzierungsmöglichkeiten der Gemeinschaften besprochen und die Meinungen der Geistlichen dazu betrachtet. Nehmen sie die wichtigere Rolle des Geldes wahr? Sehen sie die Neugestaltung der wirtschaftlichen Lage als ein Problem, wie es laut Friedlander der Fall ist? Da die ökonomische Modernisierung auf dem Athos vielfältig ist, wird dieses Kapitel in drei Teile untergliedert, die die folgendem Themen umfassen: das Taxi-Unternehmen, wirtschaftlichen Aufschwung und die Rolle des Tourismus.

4.3.1. Das „Mönch-Taxi“ Das Beispiel des Taxis zeigt am besten, dass die technologischen Entwicklungen sehr eng mit den ökonomischen zusammenhängen. Der Ausbau von Straßen und die damit verbundene Entstehung eines geschlossenen Netzes von Verbindungen beeinflusste dezidiert die Art der Fortbewegung und ermöglichte die Entwicklung eines Taxisystems auf dem Athos. Auf diese Weise wurde die technologische Modernisierung zu einem Grundstein der ökonomischen Veränderung. Vor der Einführung von Fahrzeugen gelangte man entweder zu Fuß von Kloster zu Kloster oder auf dem Maultier. Die Tiere wurden von den Gemeinschaften jedoch vor allem für den Transport verschiedener Güter benutzt. Mit der Einführung der Fahrzeuge verlor diese Transportweise sehr bald an Bedeutung, da immer mehr Güter mit Autos statt mit Maultieren befördert wurden. Die Fahrzeuge ermöglichten natürlich auch einen besseren Personentransport, was in erster Linie den Pilgern zugute kam. Die Gäste konnten erstmals eine viel komfortablere Pilgerreise unternehmen und zudem wurde der Besuch gleich mehrerer Klöster ermöglicht. Um also mehr sehen zu können, mussten die Pilger nicht mehr die langen Fußwege in Kauf nehmen. Da die Pilger den Athos nicht mit dem eigenen Auto befahren dürfen, ist der Bedarf an einem gut funktionierenden Personentransport sehr groß. Den Mönchen wurde diese Situation rasch bewusst und so entstand die Idee eines neuen Geschäfts. Taxis wurden allmählich, parallel zum Ausbau der Straßen, eingeführt. In den 1980er Jahren, als die Autos noch eine Seltenheit waren und nicht alle Klöster über eine Straßenanbindung verfügten, konnte natürlich noch nicht von einem kostenpflichtigen Personentransport die Rede sein. Damals funktionierte aber der Brauch des Trampens: Die Pilger versuchten die vorbeifahrenden Autos anzuhalten, in der Hoffnung, dass sie mitgenommen wurden. Douglas Lyttle berichtet beispielsweise, dass er und andere Pilger 1981 von einem Mönch ins Filotheou-Kloster mitgenommen wurden.229 Mönch I. verwies im Interview ebenfalls auf diesen Brauch „Many of the monasteries, which were accessible by road, had large four-wheel-drive vehicles, maybe trucks. If they passed by people on the road, these people would hope to be picked up

229

Vgl. Lyttle, Miracle on the Monastery Mountain, S. 204.

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Der wirtschaftliche Modernisierungsprozess auf dem Athos

and taken further down the road“230. Diese Art des Personentransports per Anhalter funktionierte noch Anfang der 1990er Jahre; im Laufe der Zeit ließen sich die Mönche die Fahrt jedoch bezahlen. Im Jahr 1996, als das letzte Kloster an die Straßenverbindung angeschlossen wurde, musste Reinhold Zwerger für die Fahrt mit dem Auto des Klosters 100 DM bezahlen.231 Für die Mitte der 1990er Jahre lassen sich also die Anfänge des Personentransport-Geschäftes festlegen. In dieser Zeit gab es jedoch noch nicht die regulären „Mönch-Taxis“, sondern nur kostenpflichtige Transporte, mit denen sich einige Mönche zusätzliches Geld verdienten, ohne aber eine reguläre Dienstleistung anzubieten. Im Laufe der Zeit bemerkten einige Mönche, dass sich aus der Transporttätigkeit bedeutende Summen ergeben konnten und entschlossen sich, eigene Transportunternehmen zu gründen. Diese Idee wurde schnell von anderen unternehmerisch denkenden Geistlichen übernommen und plötzlich gab es mehrere Taxianbieter. Der Regierung des Athos gelang es jedoch die Situation zu kontrollieren. Unter dem Einfluss der „Heiligen Gemeinde“ (Ιερά Κοινότητα – Hauptentscheidungsgremium des Athos) wurde zur Wende zum 21. Jahrhundert das System des „Mönch-Taxis“ eingeführt. Alle Taxis, die auf dem Athos betrieben werden, gehören nun zu einer „Korporation“, die der Kontrolle der Regierung untersteht. Das Einkommen aus dieser Tätigkeit erhalten die Mönche bzw. die Gemeinschaften, die das Fahrzeug bereitstellen und es bedienen. Die Regierung besitzt also nur die Aufsicht über diese Tätigkeit, ohne Geld damit zu verdienen. Die Preise pro Fahrt werden von ihr festgesetzt, gelten für alle gleich und können in der Zentrale der „Korporation“ in der Hauptstadt eingesehen werden. In Abb. 9 Mönch-Taxis und Parkplatz in Karyes Karyes wurde dar-

230 231

Aus dem Interview mit Vater I. Zwerger, Wege am Athos, S. 170. Es handelt sich hier um eine relativ kurze Strecke hinter dem Dochiariou-Kloster Richtung Koutloumousiou. Zwerger bemerkte, dass der genannte Preis sehr hoch war. „Als wir dann mitfahren konnten, war es für unser Vorhaben eine viel zu geringe Strecke.“

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über hinaus auch ein Parkplatz gebaut, wo sich das Bus-Depot der Hauptverkehrslinie aus Dafni befindet und die Taxis auf die Pilger warten können. Die hier beschriebenen Fakten wurden 2002232 von Zwerger und 2003 vom Autor dieser Studie festgestellt. Es ist an dieser Stelle noch auf einige organisatorische Aspekte des „MönchTaxis“ hinzuweisen. Vor allem muss unterstrichen werden, dass unter einem „Taxi“ auf dem Athos ein Minibus bzw. ein Fahrzeug, das zwölf Personen Platz bietet, zu verstehen ist. Kleinere PKWs werden für diese Zwecke nicht benutzt, weil sie zuerst einmal zu klein und zweitens für die Athos-Straßen nicht sonderlich geeignet sind. Als Taxi auf dem Athos ist vor allem ein älteres Model des Mercedes Benz-Sprinters zu sehen, daher sehen alle Taxis ähnlich aus. Um sie leichter zu erkennen, hat jedes Taxi eine große Nummer auf der Frontscheibe. Es gibt nicht mehr als zehn Fahrzeuge, die als Taxis benutzt werden. Diese Fahrzeuge werden unter anderem von Geistlichen gefahren, woher auch der Name „Mönch-Taxi“ stammt. Inzwischen sind es aber vor allem Laien, die am Lenkrad der Taxis sitzen. Sie werden, wie alle anderen Arbeiter in den Athos-Gemeinschaften, von den Mönchen eingestellt und bezahlt. Mit der Einführung von Taxis wurde also auch ein neuer Beruf auf dem Athos eingeführt: der Taxifahrer. In den Gesprächen und Interviews während der Feldforschungen wurde festgestellt, dass die Fahrzeuge, die als Taxis benutzt werden, nicht zu den Klöstern gehören, sondern zu den kleineren Gemeinschaften (Skiten oder Kellien).233 Obwohl keine Quelle dies bestätigt, lässt sich die These aufstellen, dass es sich hier nicht um einen Zufall handelt. Es scheint, dass die Regierung des Athos sich dafür entschied, nur den kleineren Gemeinschaften die nötige Genehmigung zur Registrierung der Taxis zu bewilligen. Dadurch wurde die finanzielle Lage dieser Gemeinschaften, die normalerweise schlechter als die der Klöster ist, verbessert. Der Preis für eine Fahrt mit dem „Mönch-Taxi“ hängt von der Strecke und der Zahl der Mitreisenden ab. Je länger die Strecke ist und je weniger Passagiere mitfahren, desto teurer ist die Fahrt pro Person. Daher sind die Preise für eine Taxi-Fahrt dann sehr hoch, wenn man allein fährt, wie es Zwerger 2002 tat.234 Sonst liegen die Kosten eher auf einem vernünftigen Niveau. Für die Fahrt von Karyes ins Große Lavra-Kloster bezahlte der Autor dieser Studie 2010 sieben Euro, was für eine dreiviertel Stunde Fahrt nicht überhöht zu sein scheint. Die zeitlich gleich lange Strecke zwischen den Klöstern Große Lavra und Karakallou kostete neun Euro, was daran lag, dass es weniger Mitfahrer gab. Wie oben schon erwähnt wurde, ist die Preisliste für die Taxifährten zwischen der Hauptstadt und den Klöstern in der Endstation ausgehängt und inzwischen auch im Internet zu finden.235 Laut dieser Liste ist für die teuerste Strecke zwischen Karyes und der Timiou Prodromou-Skiti bzw. Lakkou-Skiti an der Südspitze des Athos eine Gebühr in Höhe von 78 Euro zu entrichten. 236 Um die Reisekosten zu verringern, gibt es gegenseitige Anfragen der Pilger untereinander, wohin sie am 232 233 234 235 236

Vgl. Zwerger, Wege am Athos, S. 105–106. Vgl. die Interviews mit Vater I. und mit Vater Fa. Für einen „Taxiausflug“ in der Gegend des Pantokratoros-Klosters bezahlte er 60 €, vgl. Zwerger, Wege am Athos, S. 106. Es gibt keine offizielle Seite der „Mönch-Taxi“-Zentrale. Die Liste wurde von den Pilgern online publiziert. Siehe http://www.agion-oros.de/Adressen.htm. Dieser Preis bezieht sich auf eine Hinfahrt ohne weitere Mitfahrer.

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nächsten Tag fahren wollen. Öfters hört man auch Gruppendiskussionen über die beste Zeit der Abfahrt usw. Dies ist zu einer Art neuen Brauches auf dem Athos geworden, der mit der Einführung von Taxis entstand. Das oben beschriebene System der Taxis ist auf dem Athos erst seit einer Dekade in Betrieb, funktioniert aber reibungslos. Dies ist vor allem der Heiligen Gemeinde zu verdanken, die sehr schnell die Entwicklungen im Bereich des Personentransports erkannte und sich mit dem Problem auseinandersetzte. Der Fall des Taxi-Geschäfts zeigt, dass die Regierung des Athos fähig ist, die Herausforderungen der Modernisierungsprozesse zu bewältigen. Innerhalb weniger Jahre, d.h. zwischen den ersten Initiativen einzelner Mönche Taxis zu betreiben und der Wende zum 21. Jahrhundert, wurde ein System entwickelt, das viele Vorteile kombiniert. Erstens sind die Preise in allen Taxis gleich, wodurch die Gefahr einer ungesunden Konkurrenz vermieden wird. Zweitens wird die Zahl der Taxis dank der Bemühungen der Heiligen Gemeinde auf einem vernünftigen Niveau gehalten. Man muss zwar meistens auf die Taxis warten, aber die ohnehin schon große Zahl an Fahrzeugen auf dem Athos wird auf diesem Wege nicht weiter erhöht. Drittens haben die kleineren Gemeinschaften Vorrang bei der Ausstellung der Genehmigungen für ein Taxi, dank dessen auch dort Geld eingenommen wird. Die Vorteile dieses Systems sind den Mönchen bekannt und werden wohlwollend betrachtet. Während der Interviews wurde öfter die Ansicht geäußert, dass die Taxis eine wichtige Einkommensquelle der kleinen Gemeinschaften sind.237 Man kann also davon ausgehen, dass die Taxis schon ein integrierter Teil des Lebens auf dem Athos sind. Der einzige Vorwurf, nicht nur bezogen auf die Taxis, sondern auch auf den Personentransport auf dem Athos generell, betrifft die Qualität der Pilgerreisen, die mithilfe von Fahrzeugen gemacht werden. „It is questionable to what extend it [Pilgerreisen mit Taxis – Ł.F.] is of value“238 sagte Vater I. Für ihn und wahrscheinlich auch für zahllose andere Geistliche ist es fraglich, ob sich die Taxis für die Zwecke einer Pilgerreise eignen. Selbstverständlich machen sie die Reise komfortabler und einfacher, gleichzeitig bieten sie jedoch auch die Möglichkeit, ein Kloster in nur 15 Minuten zu besuchen. Dies wird tatsächlich gemacht: Die Pilger versuchen manchmal so viele Klöster wie möglich zu sehen und fahren mit dem Taxi von Kloster zu Kloster. Dadurch wird die Pilgerreise mehr zu einem touristischen Ausflug und die Klöster zu bloßen Sehenswürdigkeiten herabgewürdigt. Die Mönche weisen natürlich mit allem Nachdruck darauf hin, dass die Reise auf dem Athos einen religiösen Charakter haben sollte und Taxis manchmal in der religiösen Atmosphäre stören. Das sehr gut funktionierende System von Taxis hat allerdings leider auch negative Konsequenzen. Die in einer „Taxi-Korporation“ gut organisierten MönchsUnternehmer bilden eine starke Interessengruppe, die auch wirkungsvolle LobbyArbeit leistet. Laut Reinhold Zwerger beeinflussten die Taxi-Unternehmer zum Beispiel die Entscheidung über die Einstellung der Fährverbindung zwischen Ierissos (Stadt an der Nordost-Grenze zum Athos ) und dem Große Lavra-Kloster.239 Da es dadurch keine Möglichkeit mehr gibt, über das Meer zu diesem Kloster zu gelangen, 237 238 239

Vgl. die Interviews mit Vater Fa. und mit Vater I. Aus dem Interview mit Vater I. Vgl. Zwerger, Wege am Athos, S. 106.

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sind die Pilger gezwungen mit dem Taxi zu fahren oder einen mehrstündigen Marsch in Kauf zu nehmen: Große Lavra ist 35 km von der Hauptstadt Karyes entfernt.240 Zwerger hat jedoch nur teilweise Recht: Zwar gibt es keine Fähre mehr, auf dieser Strecke verkehrt aber ein Motorboot.241 Die meisten Pilger bevorzugen die Fahrt mit dem Taxi, weil diese Verbindung sicherer ist.242 Eine andere Schwäche des Taxi-Systems liegt darin, dass es sich um eine gute Geldquelle handelt. Da das Geld eine große Rolle spielt, kommt es manchmal zu Unrechtmäßigkeiten. Der früher schon zitierte Friedlander berichtet in seinem Buch, dass er von einem Mönch über den Fährfahrplan absichtlich falsch informiert wurde, sodass er gezwungen war, mit dem Taxi zu fahren. Als er sich beschwerte, bekam er als Antwort: „You can afford it. Americans are rich.“243 Aufgrund ähnlicher Missstände sind manche Pilger wie beispielsweise Zwerger sehr skeptisch gegenüber dem TaxiGeschäft.244 Trotzdem werden in dieser Studie die Taxis aber als Beispiel der gelungenen Auseinandersetzung mit den Herausforderungen der Modernisierungsprozesse betrachtet.

4.3.2. Ökonomischer Aufschwung Der Heilige Berg Athos erlebte in seiner Geschichte zahlreiche Höhen und Tiefen. Diese betreffen sowohl die spirituelle als auch die ökonomische Lage. Die beiden sind erstaunlicherweise sehr eng miteinander verbunden, was ein Mönch aus dem Vatopedi-Kloster mit folgendem Zitat zusammenfasste: „The spiritual life of a monastery depends on its wealth, if there is no wealth there can be no spiritual life.“ 245 In Bezug auf den Reichtum lässt sich mit Sicherheit sagen, dass sich der Athos heutzutage in der Phase des Wohlstandes befindet. Die Wurzeln dieser Situation reichen bis in die 240 241 242

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Vgl. Αποστάσεις: πίνακας αποστάσεων/χρόνου, ανάμεσα στα κοινοβιακά Μοναστήρια Αγίου Όρους, abrufbar unter: http://www.mountathosinfos.gr/pages/agionoros/distance.gr.html. Das Boot fährt einmal pro Tag. Der Routenplan findet sich auf der offiziellen Seite der Unternehmensgruppe Αγιορειτικές Γραμμές http://www.agioreitikes-grammes.com/. Da das Meer östlich des Athos sehr stürmisch ist, fällt diese Verbindung oft aus. Daher war es kein Zufall, dass der persische König Xerxes 483 v.Chr. den Kanal durch die Athos-Halbinsel bauen ließ, damit seine Flotte nicht wie die seines Vaters 492 v.Chr. verloren ging. Vgl. Herodot, „Der Athoskanal“, in: Halbach/Kramer, Άγιον Όρος, S. 11–12. Friedlander, Paradise Besieged, S. 245. Der Österreicher schlug sogar einen Titel für einen Krimi vor, nämlich: „Die MönchstaxiMafia“, was seine kritische Einstellung gegenüber den Taxis plastisch darstellt. Vgl. Zwerger, Wege am Athos, S. 106. Paganopoulos, The Greek Nationalist Façade, S. 5. Alice-Mary Talbot kommt zu ähnlicher Schlussfolgerung: „Monastic complexes were able to function, and to support cultural and philanthropic activities, only if they had a strong financial base.“ Die britische Byzantinistin weist auch darauf hin, dass viele Klöster im Byzantinischen Reich sehr reich waren und über mehrere Ländereien verfügten. Der in diesem Kapitel beschriebene ökonomische Aufschwung auf dem Athos gehört sicherlich zu den wichtigsten gegenwärtigen Phänomenen, knüpft aber gleichzeitig an eine sehr lange Tradition an. Vgl. Alice-Mary Talbot, „An Introduction to Byzantine Monasticism“, in: Illinois Classical Studies 12/2 (1987), S. 239.

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1970er Jahre zurück, als sich der Zuwachs an Novizen deutlich bemerkbar machte. Diese sehr oft jungen Männer verfügten über eine Reihe von Ideen, wie man die ökonomische Situation verbessern könnte und hatten genug Kraft und Geduld, um diese Ideen umzusetzen. Unterstützt wurden sie seit 1988 noch durch die Gelder aus der Europäischen Gemeinschaft, die nach der Anerkennung des Athos als Weltkulturerbe flossen. Im Folgenden wird den gegenwärtigen Prozessen auf der ökonomischen Ebene Aufmerksamkeit geschenkt. Darüber hinaus wird auf die Wahrnehmung dieser Prozesse durch die Geistlichen hingewiesen. Zur Verbesserung der wirtschaftlichen Lage der Klöster trug entscheidend der Holzhandel bei. Diese uralte Methode des Geldverdienens unterlag jedoch großen Veränderungen, die durch die technische Modernisierung bedingt waren. Wie im Kapitel 4.2.2 erwähnt, spielten vor allem Straßen eine große Rolle bei der Abholzung, weil auf ihnen in größerem Umfang Holz vom Athos abtransportiert werden konnte und die Klöster ein größeres Einkommen aus dieser Tätigkeit zogen. Das Interesse an Holz vom Athos wurde sogar so groß, dass private Firmen sich um Zugang zu den athonistischen Wäldern bemühten. In den 1980er Jahren wurden erste Verträge zwischen den Klöstern und privaten Unternehmen geschlossen, die diesen die Abholzung erlaubten. Auf dem zum Chilandar-Kloster gehörenden Gebiet arbeitete beispielsweise die Firma „Softex“, die in der nordgriechischen Stadt Kavala eine Papierfabrik betrieb.246 Noch 1990 sah Zwerger deren Arbeiter auf dem Athos.247 Die Vergabe von Abholzungsgenehmigungen an große Firmen wurde zu einem neuen Trend, die die wirtschaftlichen Verhältnisse des Athos bestimmten. Diese Neuerung zeigt, dass die Mönche sich zu zweckorientierten denkenden Unternehmern entwickelten: Sie entschieden sich, einen Vertrag mit „Softex“ abzuschließen, statt die Abholzung selbst fortzuführen und so nur ein kleineres Einkommen zu haben. Damit war in den 1980er Jahren ein erster Schritt in Richtung der ökonomischen Modernisierung gemacht. Eine weitere logische Entwicklung war auch die Nutzung des Kommunikationsnetzes zu anderen ökonomischen Zwecken. Seit 1996 war jedes Kloster mit dem Auto erreichbar, und dadurch konnten die von den Mönchen hergestellten Produkte in größeren Mengen verkauft werden. So wurden verschiedene Güter hergestellt und außerhalb des Athos verkauft, nicht nur in Griechenland, sondern auch beispielsweise in Deutschland, wo sich Käufer von athonistischen Kerzen finden lassen.248 Es werden Produkte verkauft, die auch früher schon angeboten wurden, heutzutage haben die Mönche aber Zugang zu viel größeren Märkten. Hiervon ist insbesondere der Verkauf von Wein betroffen, der dank des ausgebauten Kommunikationsnetzes weltweit bestellt und exportiert werden kann,249 aber auch eine Reihe von Devotionalien verschiedener Art, die in den größten Städten Griechenlands, vor allem Thessaloniki und

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Der Vertrag zwischen dem Chilandar-Kloster und der genannten Firma wurde 1978 für 33 Jahre abgeschlossen. Siehe Metropolit Kallistos, „Wolves and Monks“, S. 56–68. Vgl. auch Zwerger, Wege am Athos, S. 26. Vgl. Zwerger, Wege am Athos, S. 76. Vgl. ebd., S. 136. Der kommerzielle Verkauf von Wein wird auch in dem UNESCO-Bericht bestätigt. Vgl. UNESCO (Hg.), Report on the Joint Expert Mission to Mount Athos, S. 14.

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Athen, verkauft werden.250 Es lässt sich also sagen, dass auf der Ebene der ökonomischen Modernisierung der Ausbau der Straßen dem Handel einen bedeutenden Impuls gab und sich dadurch die ökonomische Lage der Athos-Gemeinschaften wesentlich verbesserte. Außerdem muss betont werden, dass die ökonomische Modernisierung nicht nur auf neuen Methoden des Geldverdienens basierte, wie es im Fall des „Mönch-Taxis“ zutreffend ist, sondern auch auf der Verbesserung der „alten“ Tätigkeiten dank besserer Transportmöglichkeiten. Zum wirtschaftlichen Aufschwung des Athos seit 1988 trugen ebenfalls Faktoren politischer Natur entscheidend bei. Hierunter fallen in erster Linie die Zuwendungen aus der Europäischen Gemeinschaft und später der Europäischen Union. Den Beziehungen zwischen EU und dem Athos ist das Kapitel 5.1 gewidmet. Dass die finanzielle Hilfe von außen eine bedeutende Rolle in der ökonomischen Modernisierung des Athos spielte, muss aber schon an dieser Stelle unterstrichen werden. Ohne EU-Geld wären nicht nur die Renovierungsarbeiten in den Klöstern und Skiten undenkbar gewesen, sondern auch der Ausbau der Infrastruktur, was ja eine wesentliche Voraussetzung zur Verbesserung der ökonomischen Lage darstellte. Zu den wichtigsten politisch bedingten Faktoren zählen auch verschiedene Steuerentlastungen, die die AthosKlöster genießen. Dies hat eine lange Tradition, die in die Zeit der Gründung des Große Lavra-Klosters zurückreicht, das die Steuerprivilegien vom Kaiser zugesprochen bekommen hatte.251 An dieser Tradition hielt die Europäische Gemeinschaft weiter fest, als Griechenland Mitglied wurde: Die Athos-Mönche sind der Pflicht der Steuerzahlung enthoben. Heutzutage müssen also die Klöster weder Einkommenssteuer noch Umsatzsteuer zahlen. Auch Zollgebühren für die importierten beziehungsweise exportierten Güter müssen die Mönche nicht entrichten.252 Am Anfang des Kapitels wurde die Rolle der jungen Mönche im Zusammenhang mit dem wirtschaftlichen Aufschwung des Athos angedeutet. Tatsächlich ist die ökonomische Modernisierung des Athos ohne den Einfluss dieser Männer undenkbar, was bildhaft am Beispiel der Gemeinschaft der Hl. Andreas-Skiti dargestellt werden kann. Im Jahr 1972 starb der letze Mönch, der in der Skiti lebte253 und die Gebäude, die sich schon zu dieser Zeit in bedauernswertem Zustand befanden, verfielen gänzlich. Anfang der 1990er Jahre übernahmen junge Mönche die Skiti. Ihre erste Aufgabe war es, die Gebäude wieder bewohnbar zu machen und die Kirche zu restaurieren. Diese Arbeiten wurden mit viel Elan begonnen: Die Mönche bauten zum Zweck der Ikonenrestaurierung eine Werkstatt und richteten diese mit der neuesten Technologie ein – Ultraviolettfotografie, Röntgen und rechnerunterstützte Analyse eingeschlossen.254 Im 250 251

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Diese Information wurde in einem Gespräch mit Mönch Pa. bestätigt, der selbst Devotionalien in Thessaloniki verkauft. Siehe Allan Harvey, „The Monastic Economy and Imperial Patronage From the Tenth to The Twelfth Century“, in: Bryer/Cunningham (Hg.), Mount Athos and Byzantine Monasticism, S. 91–97; Nikolas Oikonomides, „Patronage in Palaiologan Mt. Athos“, in: Bryer/Cunningham (Hg.), Mount Athos and Byzantine Monasticism, S. 99–111. Vgl. Wendel, „Die frommen Brüder mit dem Handy“, S. 137. Vgl. Lyttle, Miracle on the Monastery Mountain, S. 47. Laut Angaben auf der Seite http://www.i-m-patron.gr/lyxnos/seragion.html befindet sich die 500 m² große Werkstatt unter der Hl. Dominikus-Kapelle. In dem Laboratorium arbeiten nicht nur Mönche (Vater Pavlos, Vater Maximos), sondern auch Laien – Experten für Ikonenrestau-

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Laufe der nächsten Jahre wurden in dieser Werkstatt ungefähr 800 Ikonen restauriert,255 und zwar nicht nur aus der Skiti, sondern aus allen Athos-Gemeinschaften, da die Ikonenkonservatoren aus der Gemeinde des Hl. Andreas inzwischen einen guten Ruf genossen. Dank dieses Ansehens bekamen sie sogar Arbeitsaufträge von außerhalb des Athos. Die Mönche aus der Skiti arbeiteten im Auftrag des Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel.256 Obwohl das Einkommen aus diesen und ähnlichen Aufträgen unbekannt bleibt, lässt sich ohne Zweifel festhalten, dass es einen wichtigen Beitrag zur Renovierung der Skiti-Gebäude leistete. Das Beispiel der Ikonenkonservatoren ist nicht als Einzelfall zu verstehen. In den 1980er und 1990er Jahren gab es auch andere Athos-Mönche, die weltweiten Ruhm erlangten. Aus dem Kelli Pachomaion in der Hauptstadt Karyes kamen Mönche, die Ikonen und Fresken in den Kirchen in mehreren Städten der Welt „schrieben“ bzw. bemalten. Sie gestalteten u.a. die Wände der Hl. Demetrios-Kirche in Thessaloniki, Wände und Kuppel der Kirche im Panagia Malevi-Kloster auf der Peloponnes sowie Kirchen in Chicago und Toronto. 257 Ähnlich wie im vorherigen Fall investierten sie das Geld aus dieser Tätigkeit in Renovierungen. Sie waren zudem finanziell imstande, einen neuen Garten anzulegen und moderne landwirtschaftliche Geräte zu kaufen. Die beiden Beispiele machen deutlich, dass einige Mönche sich gut mit ökonomischen Strukturen auskennen und sehr erfolgreiche Unternehmer sind, was zur Verbesserung der ökonomischen Lage der Gemeinschaften beitrug. Neben den oben beschriebenen Einkommensquellen, die mit den Prinzipien des monastischen Lebens im Einklang sind, sah man sich in den letzten zwei Jahrzehnten bedauerlicherweise auch mit den Schattenseiten der ökonomischen Modernisierung konfrontiert. Eine Vorliebe für den „Abenteuerkapitalismus“, wie im 3. Kapitel genannt, zeigten nicht nur die Laien, sondern auch einige Geistliche, bei deren Geschäften es zu Unregelmäßigkeiten kam. Zwerger berichtet, wie sein langjähriger Freund Mönch Mitrophan, der 1993 „Protos“ auf dem Athos war, in ein Sägewerk außerhalb des Athos investierte. Er stellte in diesem Werk zwei Albaner ein, die zu seinen besten Arbeitern zählten. Da sie jedoch illegal in Griechenland waren, wollte die Polizei sie Ende der 1990er Jahre über die Grenze nach Albanien abschieben. Um sie weiter beschäftigen zu können, fand Mönch Mitrophan eine Lösung für dieses Problem, von der er seinem Freund Zwerger erzählte, der alles in seinem Buch beschrieb und damit öffentlich machte: Mitrophan bezahlte die Polizeibeamten und zwar zweimal innerhalb eines Monats.258 Ähnliche Gesetzeswidrigkeiten werden natürlich auf dem Athos als Tabuthema betrachtet und kommen nicht oft in der Literatur vor. Über die Arbeiter Mitrophans weiß man auch nur dank seiner Freundschaft mit Zwerger, dem der Mönch

255 256 257 258

rierung. Vgl. Το εργαστήριο της Іεράς Σκήτης του Αγίου Ανδρέου, abrufbar unter: http://www.im-patron.gr/lyxnos/seragion.html Siehe auch Paganopoulos, The Greek Nationalist Façade, S. 6; Archimandrit Pavlos Politis/Nikos K. Triantafyllou, Ιερά Σκήτη του Αγίου Ανδρέα – Σεράγιον, Berg Athos 1999. Vgl. Lyttle, Miracle on the Monastery Mountain, S. 373. Vgl. Το εργαστήριο της Іεράς Σκήτης του Αγίου Ανδρέου. Siehe auch Lyttle, Miracle on the Monastery Mountain, S. 373. Vgl. Lyttle, Miracle on the Monastery Mountain, S. 329. Vgl. Zwerger, Wege am Athos, S. 209.

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vertraute. Es ist jedoch anzunehmen, dass die Schattenseiten des Modernisierungsprozesses auf dem Athos öfter vorkommen, von dem jedoch noch nicht viel an die Öffentlichkeit gekommen ist. Der am besten bekannte Fall von Regelwidrigkeit mit ökonomischem Hintergrund ist sicherlich der sogenannte Immobilienskandal. Der Skandal ereignete sich 2008 und betraf die zweifelhaften Geschäfte des Abtes des Vatopedi-Klosters. Laut mehrerer Presse-Berichte, sowohl griechischer als auch ausländischer, erwarb Vater Efraim wertvolle Grundstücke und Gebäude in ganz Griechenland.259 Die Verluste des griechischen Staates beliefen sich angeblich sich auf 100 Millionen Euro. Diese Summe wurde bis jetzt nicht durch offizielle Quellen bestätigt und sollte daher mit einer gewissen Skepsis betrachtet werden. Mit Sicherheit lässt sich aber sagen, dass dieser Eklat sehr groß war. Die bedeutendste Rolle in dem Skandal spielte der Abt Efraim, der sich um die Bestätigung des mittelalterlichen Besitzdokuments für den Vistonida-See bemühte. Trotz Ablehnung, die 2000 von dem entsprechenden Staatsorgan ausgesprochen wurde, schaffte er es 2004 diese Entscheidung zu ändern, angeblich dank enger Kontakte zu Ministern der griechischen Regierung. Als dies öffentlich wurde, revoltierten die Einwohner der Dörfer am Vistonida-See, weil sie eine Erhöhung der Pachtgebühren oder sogar den Verlust ihres Besitztums fürchteten. Sie waren ebenso darüber aufgebracht, dass sich alles hinter ihrem Rücken abspielte. Das Landwirtschaftsund das Finanzministerium entschieden sich in dieser Situation die Grundstücke zu tauschen: Statt des Vistonida-Sees bekam das Kloster die Rechte auf andere Grundstücke zugeschrieben. Das Land, das der Vatopedi-Gemeinschaft zugesprochen wurde, war viel mehr wert als die Ländereien um den Vistonida-See herum. Außerdem wurden auch Gebäude im olympischen Dorf in Athen an Vatopedi überschrieben, die allerdings prompt weiter verkauft wurden. 41 Millionen Euro Gewinn sollte diese Transaktion allein dem Vatopedi-Kloster gebracht haben. Im Jahr 2009 fühlten sich die Vatopedi-Mönche gezwungen, ihre Investitionen der Öffentlichkeit offenzulegen und gaben ein Informationsblatt über ihre Geschäfte heraus.260 In diesem, auch in englischer Sprache publizierten Büchlein entschuldigt sich der Abt für die ganze Angelegenheit und die Hintergründe des Skandals werden aus der Perspektive der Mönche beleuchtet. Vor allem betonten die Mönche, dass sie an

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Siehe „Βαρύ κλίμα στον Άθω από τις αποκαλύψεις“, in: Η ΚΑΘΗΜΕΡΙΝΗ, abrufbar unter: http://news.kathimerini.gr/4dcgi/_w_articles_politics_2_20/09/2008_285535; Dionysis Naspoulos, „‚Βάφτισαν‘ οικόπεδο τον βιότοπο τις λίμνης“, in: ΤΑ ΝΕΑ, abrufbar unter: http://www. tanea.gr/default.asp?pid=2&ct =1&artid=1404079; Panagiota Bitsika, „Ο σωφέρ που γνώριζε τα μυστικά ραντεβού του Εφραίμ“, in: ΤΟ ΒΗΜΑ, abrufbar unter: http://www.tovima.gr/default .asp?pid=46&ct=32&artId=235311&dt=12/10/2008; „Athos-Mönche auf der Jagd nach Immobilien“, in: Neue Zürcher Zeitung Online, abrufbar unter: http://www.nzz.ch/nachrichten/politik /international/athos-moenche_auf_der_jagd_nach_immo bilien_1.975626.html; „Vatopedi sold land for millions“, in: Η KATHIMERINI English Edition, abrufbar unter: http://www.ekathimeri ni.com/4dcgi/_w_articles_politics_0_24/09/2008_100729. Zu diesem Thema siehe auch Łukasz Fajfer, „Unternehmer in Kutte“, in: G2W. Ökumenisches Forum für Glauben, Religion und Gesellschaft in Ost und West 10 (2010), S. 25–27. Holy Monastery of Vatopedi (Hg.), Information Bulletin, Holy Mountain 2009.

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keiner illegalen Transaktion teilgenommen261 und keinen Einfluss auf die griechischen Beamten ausgeübt hatten. Die Mönche behaupteten, dass die kaiserlichen Besitzdokumente in mehreren Entscheidungen von griechischen Gerichten bestätigt worden waren und damit auch gültig seien.262 Vielmehr: „The exchange of Lake Vistonida and its shoreline for other real estate was proposed by the Greek Public Authorities“263 – und dafür könnten die Mönche keine Verantwortung tragen. Die Summe von 41 Millionen Euro, die das Kloster für den Verkauf der Immobilien in Athen bekam, wurde in der Publikation bestätigt. Gleichzeitig wurde aber auch darauf hingewiesen, dass das Geld für Renovierungsarbeiten und wohltätige Zwecke ausgegeben werden soll. Wenn man diese Argumente in Betracht zieht, kann der ganze Eklat nicht mehr so einfach betrachtet werden. Es scheint, dass die griechischen Beamten aufgrund ihrer Fehlentscheidungen die Verantwortung für den Skandal tragen. Andererseits wird betont, dass die Vatopedi-Mönche eine größere Rolle im Eklat spielten, als sie es in ihrem Informationsbulletin darstellen. Michael Lewis wirft beispielsweise in seinem Artikel in dem amerikanischen Magazin „Vanity Fair“ (Oktober 2010) den Mönchen vor, dass sie den Immobilienaustausch vorgeschlagen hatten. Er beschreibt diesen Vorschlag als Strategie, die zu bedeutenden Profiten führen sollte und von den Mönchen von Anfang an geplant war. Ob es wirklich so war, darüber lässt sich nur spekulieren, was nicht das Ziel dieser Studie ist. Es sollte also nur betont werden, dass die Mönche auf das große Einkommen, das sie im Laufe der Prozedur des Immobilienaustausches erhielten, nicht verzichteten. Der Immobilienskandal ist für diese Studie insofern wichtig, weil er plausibel macht, dass die Athos-Gemeinschaften in verschiedene Geschäfte einbezogen sind und eine eigene ökonomische Politik betreiben. Dies wiederum ist nichts Neues: Die Athos-Klöster verfügten seit ihrer Gründung über zahlreiche Immobilien, die im Laufe der Jahrhunderte verkauft, getauscht oder vermietet wurden.264 Der Skandal von 2008 ist also nicht als ein neues Ereignis im athonistischen Geschäftsleben zu verstehen, sondern eher als das neueste Beispiel der Transaktionen, die schon immer hinter den Kulissen des Klosterlebens versteckt abliefen. Der Immobilienskandal machte deutlich, dass diese Transaktionen Schattenseiten haben können. Insofern ist der Eklat auch für diese Studie von Bedeutung, weil er zeigt, dass die seit langem bekannten Probleme immer wieder vorkommen. Die Mönche müssen sich heutzutage jedoch auf neue Art und Weise mit diesen Herausforderungen auseinandersetzen. In diesem Fall versuchten sie mit einer eigenen Publikation die Öffentlichkeit von ihrer Meinung zu überzeugen, was früher niemals passierte. Außerdem ist der Immobilienskandal für diese Arbeit wichtig, weil er auf die mitunter dubiosen Quellen des wirtschaftlichen 261 262 263 264

„The monastery has played no part in any illegal transaction or other illicit practice.“ Vatopedi (Hg.), Information Bulletin, S. 10 u. 12. Vgl. ebd., S. 10–13. Vgl. ebd., S. 14 u. 15. In dem von Anthony Bryer und Mary Cunningham herausgegebenen Sammelband Mount Athos and Byzantine monasticism: Papers from the Twenty-Eighth Spring Symposium of Byzantine Studies, Birmingham, March 1994 (Aldershot 1998) gibt es zwei wichtige Artikel, die u.a. das Thema der Immobiliengeschäfte in der Geschichte ausführlich beschreiben. Vgl. Harvey, „The Monastic Economy“; Oikonomides, „Patronage in Palaiologan Mt. Athos“.

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Aufschwungs hinweist und dadurch plausibel macht, dass die ökonomische Modernisierung zwei Gesichter hat. Während auf der einen Seite die positiven Veränderungen und das Öffnen gegenüber neuen Möglichkeiten zusammenzufassen sind, weist die zweite Seite auf die negativen Konsequenzen der ökonomischen Entwicklung hin. Sehr klar wurde dies von Mönch N. zusammengefasst, der äußerte: „Wherever there is money, there are people interested in it and will come to take a share of it.“265 Diese Regel betrifft anscheinend auch die Mönche selbst.

4.3.3. Die Rolle des Tourismus Im Jahr 1982 bemerkte Douglas Lyttle, dass es immer mehr Touristen in Ouranopoli und auf dem Athos selbst gibt.266 In der Tat vergrößerte sich in den 1980er Jahren die Zahl der Besucher bedeutend, was mehrere Gründe hatte. Entscheidend für diesen Trend war der Ausbau von Straßen außerhalb und innerhalb des Athos. Die Straßen ermöglichten ein schnelleres und komfortableres Fortkommen, infolgedessen mehr Menschen den Athos besuchen konnten. Nicht ohne Bedeutung war auch, dass die Religiosität im ostkirchlichen Raum aufgrund der gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Veränderungen zunahm. Es gab einfach eine größere Anzahl von Leuten, die Interesse an einer Pilgerfahrt auf den Athos hatten.267 Zudem kommt, dass nach dem Zerfall der kommunistischen Regime in Mittel- und Osteuropa Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre mehr Gäste aus diesem überwiegend orthodoxen Gebiet anreisen konnten. Als Ergebnis all dieser Faktoren sind die Mönche seit dieser Zeit mit einer großen Schar von Pilgern konfrontiert. Damit sind natürlich neue Herausforderungen für die Geistlichen verbunden: Es muss mehr Platz für die Besucher geschaffen werden, mehr Essen muss vorbereitet werden, mehr Zeit wird benötigt, um sich um die Pilger zu kümmern, es wird schließlich auch viel lauter in den Klöstern als es früher der Fall war. Zudem kommen noch eine Reihe von Entwicklungen im Bereich der Ökonomie, die mit dem umfangreichen Tourismus verbunden sind. Diesen Entwicklungen wird der nächste Teil dieser Studie gewidmet. Zuerst wird auf die neuen Phänomene hingewiesen, die an der Grenze zum Athos auftauchen, aber einen Einfluss auf das Leben auf der Halbinsel haben. Hier müssen die Situationen in Ouranopoli wie auch auf der Sithonia, dem mittleren Finger der Chalkidike, beschrieben werden. Ouranopoli war noch in den 1970er Jahren eher ein Fischerdorf als eine Stadt. Mit dem Zustrom von Touristen eine Dekade später verwandelte es sich jedoch in einen kleinen Kurort mit Hotels, Restaurants und einigen Diskotheken. Damit gelangten nicht nur „the siege towers of modern technology up to the very walls of the Garden of Mother of God“268, wie es Friedlander plastisch beschreibt, sondern auch modernes Touristikbusiness. Jeder Pilger, der auf den Athos kommt, muss also zuerst in eine Atmosphäre des Konsums eintauchen, um in die reli265 266 267 268

Aus dem Interview mit Vater N. Vgl. Lyttle, Miracle on the Monastery Mountain, S. 232. Hier sollte nochmals der im Kapitel 4.2.2 beschriebene Trend des „spirituellen Tourismus“ hervorgehoben werden. Friedlander, Paradise Besieged, S. 51.

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giöse Sphäre des Athos zu kommen. Ouranopoli erlangte inzwischen den Status eines international bekannten Urlaubsortes. Vor allem Touristen aus Russland kommen gerne dorthin, weswegen Ouranopoli in der Presse schon als „kleines Moskau“ beschrieben wird.269 Neben den vielen Gästen aus dem Ausland kommen auch viele Griechen nach Sithonia. Diese Halbinsel ist nur wenige Kilometer Luftlinie vom Athos entfernt, was den Athos-Mönchen untypische Probleme einbringt. Im Sommer, wenn die Klubs auf Sithonia voller Touristen sind, ist auch die Musik dieser Klubs auf dem Athos zu hören, wie es Vater Mo. bestätigte. Die Klänge, die in den Klöstern zu hören sind, sind zwar aufgrund der Entfernung nicht allzu laut, stören die Mönche jedoch ohne Zweifel und gehören zu diesen Herausforderungen der Modernisierung, gegen die ein Kampf unmöglich zu sein scheint. Es ist ebenso schwierig, sich einer anderen Entwicklung des Touristikgeschäftes zu widersetzen, und zwar den kommerziellen Ausflügen auf den Athos. Solche Ausflüge werden vor allem im deutschsprachigen Raum organisiert und meistens als „Wanderreisen“ angeboten. Das letztere deutet schon an, dass sie wenig mit einer Pilgerfahrt zu tun haben und mehr Merkmale einer Bildungsreise aufweisen. Die Klöster werden eher als Sehenswürdigkeiten betrachtet, zwischen denen atemberaubende Wanderungen gemacht werden können. Im Internet werden inzwischen mehrere kommerzielle Ausflüge auf den Athos angeboten.270 Sogar in der Literatur sind erste Berichte über Begegnungen mit den Teilnehmern solcher Ausflüge zu finden.271 Für die Mönche selbst ist dieses Thema eher ein Tabu und wird daher ignoriert. Alle Gäste, die auf den Athos kommen, werden von den Geistlichen als Pilger angesehen und genauso behandelt. Das heißt: Sie werden über die Zeiten der Gottesdienste informiert und, wenn sie orthodoxen Glaubens sind, auch über die Möglichkeiten der Kommunion, Beichte bzw. Reliquienverehrung. Kommerzielle Ausflüge auf den Athos sind also für die Mönche kein Thema, in Wirklichkeit aber müssten diese Bildungsreisen als eine große Herausforderung angesehen werden, weil der Athos immer mehr zu einer großen Sehenswürdigkeit wird. Daher gibt es immer mehr Leute auf dem Athos, die wenig Interesse an der religiösen Seite der Reise haben. Hier taucht die Frage auf, ob die mangelnde an Auseinandersetzungen mit dem Thema der kommerziellen Ausflüge auf Dauer möglich ist. Zur Zeit bildet nur die zahlenmäßige Begrenzung der Einreisegenehmigungen eine Hürde für die intensive Entwicklung des organisierten Tourismus. Die Regel, dass nur etwas mehr als hundert Männer täglich auf den Athos einreisen dürfen, ist wahrscheinlich der Grund dafür, dass die Mönche diese Art der Kommerzialisierung nicht als Bedrohung empfinden. Trotz der Tatsache, dass es an konkreten Auseinandersetzungen mit dem Problem der kommerziellen Ausflüge mangelt, beeinflussen sie doch die Einstellung der Mönche gegenüber den Pilgern. Das komplexe Thema der sich verändernden Beziehungen 269 270

271

Siehe Foteini Stefanopoulou, „Η μικρή Μόσχα της Ουρανούπολης“, in: ΤΑ ΝΕΑ, abrufbar unter: http://www.tanea.gr/default.asp?pid=2&artid=4522939&ct=1. Siehe http://www.greektours.de/griechenland-spezial/athos-wanderung.php; http://www.wander studienreisen.com/wang/athos-wanderreise.html; http://www.griechenlandreisen.net/?Christliche_Reisen:Flugreisen:Heilige_Berg_Athos; http://www.pilger-und-studienreisen.de/einzel/grie chenland/bergathoswandern/index.html. Vgl. Zwerger, Wege am Athos, S. 117.

Ökonomische Modernisierung

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zwischen den Mönchen und ihren Gästen auf dem Athos wird im sechsten, dem gesellschaftlichen Modernisierungsprozess gewidmeten Kapitel beschrieben. Im Folgenden werden die ökonomischen Aspekte des Tourismus mit Hinblick auf den Devotionalienhandel weiter besprochen. Der zu Beginn des Kapitels 4.3 zitierte Richard John Friedlander bemerkte in den 1990er Jahren, dass die Preise von Ikonen sich gravierend vervielfachten. Als er noch als ein Mönch auf dem Athos lebte (1975 bis 1984)272, achteten die Mönche gar nicht auf das Einkommen aus der malerischen Tätigkeit. Innerhalb einer Dekade veränderte sich jedoch die Situation und „handcrafted icons, once sold for a song, now command a price that would finance an opera“273. Dieser Veränderung liegt sicherlich die erhöhte Zahl der Pilger zugrunde, die seit Mitte der 1980er Jahre auf den Athos strömten. Der Grund für die Preissteigerungen lag auch darin, dass sich seit dieser Zeit eine moderne Einstellung gegenüber dem Devotionalienverkauf auf dem Athos entwickelte. Was früher eine spontane Transaktion mit zufälligen Pilgern war, nahm nun die Gestalt eines großangelegten Geschäfts an. Es lässt sich ohne Zweifel sagen, dass seit Mitte der 1980er Jahre der Bereich des Devotionalienverkaufs einer ökonomischen Modernisierung unterliegt. Es wurde ein System entwickelt, in dem moderne Wechselbeziehungen ökonomischer Natur aufgebaut wurden. Die mönchischen Ikonenschreiber bzw. Devotionalienhersteller, die meistens in Kellien oder Skiten leben, verkaufen ihre Produkte an ihre Mitbrüdern in den Klöstern, die sie weiter an die Pilger verkaufen. Dies geschieht in den speziell dafür in den Klöstern eingerichteten Läden. Zurzeit sind die Souvenirshops in den meisten, wenn nicht allen Klöstern auf dem Athos zu finden, wobei zu betonen ist, dass die neuesten Läden erst 2010 eingerichtet wurden. 274 Damit lässt sich das Ende der Entwicklung des modernen Devotionaliengeschäfts auf dieses Jahr festsetzen. Eine so rasche Entwicklung in diesem Bereich wäre ohne die Zustimmung der Mönche nicht möglich gewesen. In der Tat betonten die Mönche in den Interviews eher die positiven Seiten der Souvenirshops. Es wurde mehrmals unterstrichen, dass die Läden von Bedeutung sind, weil das Einkommen aus dem Devotionalienverkauf für die von den Klöstern abhängigen Mönche wichtig sei.275 Der Vorteil der Läden liegt vor allem darin, dass die Pilger, die die auf dem ganzen Athos verstreuten Kellien nur selten besuchen, dadurch einen viel einfacheren Zugang zu den Devotionalien haben. Dank des Ausbaus der Läden in den Klöstern können die Produkte in größerer Zahl verkauft werden und das Einkommen steigt demzufolge ebenso. Laut Paganopoulos verdient beispielsweise das Esfigmenou-Kloster 300.000 Euro jährlich allein mit dem Devotionalienverkauf.276 Aus diesem Grund werden die Souvenirshops auch in den anderen Gemeinschaften von den Mönchen als notwendig erachtet, was sich in den Interviews widerspiegelte.277 272 273 274 275 276 277

Vgl. Friedlander, Paradise Besieged, S. XII. Vgl. ebd., S. 190. Hl. Paulus- und Karakallou-Kloster. Vgl. das Interview mit Vater P., das Interview mit Vater Mo., das Interview mit Vater F. Vgl. Paganopoulos, The Concept of Economy, S. 21. „ […] this [Verkauf der Devotionalien in einem Klosterladen– Ł.F.] might be their sole source of income, and thus vital.“ Aus dem Interview mit Vater F.

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Der wirtschaftliche Modernisierungsprozess auf dem Athos

Während die Souvenirshops als solche nicht als ein Problem gesehen werden, ist die Rolle der im Kloster lebenden Mönche beim Verkauf der Devotionalien nicht eindeutig. Laut Vater F. dürften die Brüder aus einer koinowitischen Gemeinschaft keine Produkte zum Zwecke des Handels herstellen.278 Ähnlich äußerte sich Vater P., der meinte, dass die Handelstätigkeit nicht für Mönche geeignet sei.279 In diesem Punkt kommen die religiös bedingten Aspekte zum Vorschein und mit ihnen auch die Nachteile der Souvenirshops und zwar ihre Fragwürdigkeit. Obwohl die Mönche selbst auf dieses Problem hinweisen, was ein Zeichen dafür ist, dass sie es wahrnehmen, wurden die Läden eingerichtet. Es wird in dieser Studie die Meinung vertreten, dass die Notwendigkeit des Einkommens die Mönche dazu zwang, eine Abb. 10 „Orthodoxie oder Tod“-Sweatshirt, Handelstätigkeit zu erlauben. Dies ist Souvenirladen des Esfigmenoujedoch nicht als ein modernes Ereignis Klosters zu verstehen, weil die Ausübung des Handels mit verschiedenen Produkten eine sehr lange Tradition hat, die bis in die Anfänge des Mönchtums auf dem Athos zurückreicht.280 Die Modernisierung betrifft hier die weitgehenden Veränderungen im System des Devotionalienverkaufs. Die Souvenirshops haben noch eine weitere umstrittene Seite. Es handelt sich hier um die Tatsache, dass in manchen Klöstern (z.B. Iviron, Chilandar, Hl. Paulus) Produkte verkauft werden, die nicht auf dem Athos hergestellt wurden. Das Argument 278 279 280

„Cenobitical monastery monks are actually not supposed to produce anything. They are supposed to work for the rest of the brotherhood.“ Aus dem Interview mit Vater F. „ […] it is one thing for them [die Mönche– Ł.F.] to produce items, but to be merchants is really not the monastic way.“ Aus dem Interview mit Vater P. Die Athos-Mönche führten im Mittelalter eine so groß angelegte Handelstätigkeit, dass sich die byzantinischen Kaiser gezwungen sahen, sie zu begrenzen. Johannes Tzimiskes (herrschte zwischen 969 und 976) verbot den Mönchen die Handelstätigkeit, die zu finanziellen Gewinnen führte. Die Mönche konnten nur Produkte, die sie im Überfluss hatten, gegen andere, die ihnen fehlten, tauschen. Basileios II. (herrschte zwischen 976 und 1025) bestimmte eine HöchstTonnage der Schiffe, die Mönche benutzen konnten und verbot, Handelsexpeditionen bis weiter als Thessaloniki durchzuführen. Im Jahr 1045 erlaubte Kaiser Konstantin IX. Monomachos (herrschte zwischen 1042 und 1055) den Athos-Brüdern nur Handelsschiffe mit einer HöchstTonnage von 300 modioi (ein Modius = ungefähr 20 kg). Vgl. Harvey, „The Monastic Economy“, S. 94.

Ökonomische Modernisierung

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also, dass das Einkommen aus dem Devotionalienverkauf den kleineren Gemeinschaften hilft, sich über Wasser zu halten, beschreibt nur die halbe Wahrheit. In diesem Fall geht der Verdienst nämlich direkt an die Klöster, deren Souvenirshops als Vermittler zwischen den nicht-athonistischen Herstellern und den Pilgern fungieren. An dieser Tätigkeit wird heftige Kritik geübt, die auch in einem Interview zum Vorschein kam.281 Sogar einige Mönche aus den Klöstern, in denen importierte Produkte verkauft werden, kommen damit nicht unbedingt klar. Die Geistlichen aus Iviron, wo die meisten Verkaufsprodukte nicht auf dem Athos hergestellt wurden, dulden zwar den Verkauf der fremden Devotionalien im eigenen Souvenirshop, sie vermeiden es jedoch, ihn als solchen zu beschreiben. Der Laden wird als „Ausstellung“ („exhibition“)282 bezeichnet, was offensichtlich ein Euphemismus ist, hinter dem sich der Versuch versteckt, die negativen Emotionen, die mit dem Laden verbunden sind, zu mindern. Der Grund, weshalb der Souvenirshop mit fremden Produkten überhaupt in dem Kloster existiert, ist klar: „it is necessary to keep the monastery financially afloat“283. Die meisten Pilger empfinden die Souvenirshops als praktisch und scheinen nicht über die Tatsache empört zu sein, dass sie in den Klöstern eingerichtet wurden. Diese Läden bleiben über lange Zeit geschlossen und werden sehr oft nur auf Anfrage der Pilger für kurze Zeit geöffnet. Selbstverständlich hängt über diesen Shops keine Werbung, geschweige denn Neonreklame, die „in der Welt“ üblich ist. Die Läden befinden sich Souvenirladen, Grigoriou-Kloster in den meisten Fällen am Abb. 11 Eingang zu den Klöstern (z.B. Grigoriou, Chilandar, Zograf, Karakallou, Dochiariou) oder sogar vor dem Klostertor (z.B. Dionysiou, Esfigmenou). Aus den genannten Gründen machen die Souvenirshops den Eindruck, dass sie eher versteckt werden, wodurch sie keinen negativen Einfluss auf das Aussehen der Klöster üben. Manche Pilger berichteten über Missstände, die sie in Bezug auf diese Läden erlebten. Christopher Merrill schreibt in seinem Buch, wie er im Kloster des Hl. Panteleimonos von einem Mönch gezwungen wurde, eine Ikone und CD mit byzantinischer Musik zu kaufen: „Nor would he show 281 282 283

„I object to having, you know, imported goods − to import and sell commodities. This would not be agreeable.“ Aus dem Interview mit Vater N. Vgl. das Interview mit Vater I. Ebd.

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Der wirtschaftliche Modernisierungsprozess auf dem Athos

me to my room until I had stuffed some drachmas into a box on the wall, below a hand-lettered sign requesting, in English, donations for the rebuilding of the monastery.“284 Richard John Friedlander war ebenso empört, als er Teile eines Mönchsgewandes in dem Laden des Ivirons-Klosters sah: „What I was surprised and even shocked to find in one of the display cases were elements of a monk’s habit.“ 285 Diese Aussagen bedeuten einen Wermutstropfen im sonst guten Bild der Souvenirshops von Seiten der Besucher und verdeutlichen, dass sie auch von den Gästen nicht nur positiv wahrgenommen werden. Souvenirshops in den Klöstern sind nicht die einzigen Läden auf dem Athos, die in diesem Kapitel beschrieben werden sollten. Die Gäste besuchen auch sehr oft die Geschäfte in der Hauptstadt Karyes und der Hafenstadt Dafni, auf die im Folgenden hingewiesen wird. Sie werden meistens von Laien betrieben; einige werden auch von Mönchen selbst geführt. Das Einkommen aus diesen Läden geht zwar an die Besitzer, da die Gebäude aber zu den Klöstern gehören, sind sie verpflichtet, Miete zu zahlen.286 Die Regierung des Athos hat die Aufsicht über diese Shops und kontrolliert ihre Anzahl.287 Zu diesen Geschäften gehören nicht nur Souvenirhops, sondern auch kleine Tante-Emma-Läden und ein Bäcker in Karyes. Alle diese Läden werden interessanterweise von den Mönchen sehr positiv beurteilt. In den durchgeführten Interviews wurden sie als notwendig – Mönche aus kleineren Gemeinschaften versorgen sich dort –, wichtig für die Bedürfnisse der Pilger288 und unproblematisch aus theologischer Perspektive beschrieben, da sie von Laien betrieben werden289. Explizit äußerten die Mönche auch, dass keine Gefahr seitens der Läden besteht („[…] their part poses no threat“),290 und sie nichts Schlechtes sind („They are not really bad“).291 Die Zahl der Geschäfte wird ebenso wenig kritisiert, allerdings hofft man, dass sie auf dem jetzigen Niveau bleibt.292 Darüber hinaus wies Vater Ma. darauf hin, dass es im Laufe der Geschichte viel mehr Geschäfte in Karyes gab. Es fand sogar einmal in der Woche ein Markt statt, was heutzutage nicht mehr der Fall ist.293 Die einzigen Nachteile dieser Läden bestehen laut der Mönche darin, dass sie erstens teurer sind als diejenigen außerhalb des Athos, und zweitens werden dort nicht-athonistische Produkte verkauft.294 Die obigen Ausführungen machen deutlich, dass Tourismus eine wichtige Rolle bei der ökonomischen Modernisierung des Athos spielt. Der Zufluss von Pilgern bzw. Touristen, wie auch immer man die Gäste nennen mag, eröffnete neue Möglichkeiten 284 285 286 287 288 289 290 291 292

293 294

Merrill, Things of the Hidden God, S. 158. Friedlander, Paradise Besieged, S. 228. Vgl. das Interview mit Vater Ps. Vgl. das Interview mit Vater Ma. „They are the answer for the needs of the people coming to Athos“. Aus dem Interview mit Vater D. Vgl. das Interview mit Vater Mo. Aus dem Interview mit Vater Ma. Aus dem Interview mit Vater Mo. „I have not felt appalled in any monastery or being in Karyes. There are some shops […] but I do not think that there are too many of them. At the same time, I hope that it [die Zahl der Läden – Ł.F.] stays like this “. Aus dem Interview mit Vater N. Vgl. das Interview mit Vater Ma. Vgl. das Interview mit Vater Ps.

Zwischenfazit

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des Einkommens. Zu diesen zählen unter anderem auch die oben beschriebenen Souvenirhops und Läden in den beiden Städten auf dem Athos. Die Touristik veränderte aber auch das Leben an der Grenze zum Athos, was am Beispiel Ouranopolis’ besprochen wurde. Selbstverständlich ist sie jedoch nicht die einzige Quelle der Modernisierung, die eine viel kompliziertere Natur aufweist. Auf dieses Thema wird nun in Form eines Zwischenfazits eingegangen.

4.4. Zwischenfazit Seit 1988 unterliegen die Athos-Gemeinschaften weitgehenden Veränderungen. Wie die in Kapitel 4.3 dargestellten Beispiele verdeutlichen, sind diese Veränderungen auch ökonomischer Natur. Es wurden sowohl neue Einkommensquellen gefunden (Taxis) als auch alte Methoden weiterentwickelt (Ikonenrenovierung; Freskenmalereien als Auftragsarbeiten) oder sogar zu einer neuen Art von Tätigkeit umgewandelt (der unorganisierte Verkauf der Devotionalien wurde zu einem großen Handel in Form von Souvenir- und Online-Shops). In Bezug auf diese Veränderungen müssen einige Punkte hervorgehoben werden. Erstens weisen diese Veränderungen die Merkmale eines ökonomischen Modernisierungsprozesses auf, zu denen, wie im zweiten Kapitel geschildert, u.a. Wirtschaftswachstum, Arbeitsteilung und Kommerzialisierung gehören. Alle diese Merkmale sind auch auf dem Athos zu finden: Dank der Entwicklung neuer Einkommensquellen, aber auch Zuwendungen aus der Europäischen Union erlebten die Athos-Gemeinschaften ein beschleunigtes Wirtschaftswachstum. Ohne Zweifel befindet sich der Athos jetzt in einer Wohlstandsphase. Parallel zu der Entwicklung der neuen Einkommensquellen fanden auch neue Berufe ihren Platz auf dem Athos. Manche Mönche arbeiten als Taxifahrer, andere verdienen Geld als Ikonen-Restauratoren, noch andere sind EDVSpezialisten und tragen dank ihrer Kenntnisse zum reibungslosen Funktionieren der Klöster bei. Kommerzialisierung wurde ebenso als einer der neuesten Trends auf dem Athos beobachtet. Wegen aller genannten Gründe wird in dieser Studie behauptet, dass sich die Veränderungen, die in diesem Kapitel aufgezeigt wurden, unter dem Begriff ökonomischer Modernisierung beschreiben lassen. Es muss zweitens der kurzen Zeit, in der die ökonomische Modernisierung ablief, Aufmerksamkeit geschenkt werden. Nur zwei Jahrzehnte dauerte es bis das TaxiSystem entwickelt und Souvenirshops eingerichtet wurden. In noch kürzerer Zeit entwickelten sich die Ideen vom Verkauf der Devotionalien im Internet und der Gründung eines Onlineshops. Dies macht deutlich, dass sich die Mönche das gesteigerte Interesse der Gäste am Athos überraschend schnell zu Nutze machten. So sieht es Friedlander, der schreibt, dass sich die Geistlichen rasch an die neuen ökonomischen Verhältnisse anpassten.295 Damit wird drittens deutlich, dass die Geistlichen aktiv an der ökonomischen Modernisierung teilnahmen. Sie spielten eine große Rolle in diesem Prozess und fungierten als die wichtigsten Akteure, die die Entwicklungen steuerten. Hier lässt sich noch einmal das im vorherigen Kapitel angeführte Beispiel der unverzüglichen Reaktion der Athos-Regierung auf die Entwicklungen im Bereich der Taxis 295

Vgl. Friedlander, Paradise Besieged, S. 229.

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Der wirtschaftliche Modernisierungsprozess auf dem Athos

vor Augen führen. Der Ausbau von (Online-)Souvenirshops kann genauso gut als Beispiel der Anpassung an die Bedürfnisse des modernen Marktes gesehen werden. Alle anderen in diesem Kapitel besprochenen Fälle beweisen eindeutig, dass die Mönche aktive Teilnehmer der Modernisierung sind. Sie befinden sich zwar unter dem Einfluss von außen und die Entwicklungen „in der Welt“ sind von Bedeutung für die Situation auf dem Athos, die Modernisierungsprozesse wurden aber gleichermaßen von den Mönchen selbst gefördert. Im Hinblick auf die letztere Beobachtung kommt die Frage auf, welche Faktoren die Mönche dazu bewegten, dass sie so aktiv an der ökonomischen Modernisierung teilnahmen und sich damit die Situation auf dem Athos so schnell änderte? Hier muss vor allem auf die Rolle der jüngeren Generationen der Mönche hingewiesen werden, die seit den 1970er Jahren auf den Athos kamen. Ihr Einfluss auf die ökonomische Modernisierung wurde schon kurz angesprochen, dieser wird aber erst im Kapitel 6 ausführlicher beschrieben. Hier soll nur bemerkt werden, dass sie Träger der Modernisierung waren. Vielmehr: Sie waren der Hauptgrund der Modernisierung. Nachdem sie auf den Athos gekommen waren, wurde mit den sehr dringenden Renovierungen der klösterlichen Gebäude begonnen. Damit stiegen die Kosten und neue Einkommensquellen mussten gefunden werden. Zur Entwicklung der ökonomischen Situation trugen gleichzeitig auch Prozesse von außen bei: Hierbei spielte sowohl der Zufluss von Pilgern als auch das Geld aus der EU eine entscheidende Rolle. Während die Zuwendungen bei der Modernisierung direkt halfen, generierte die große Zahl an Gästen wieder neue Kosten. Dies war der zweite Grund für die Suche nach neuen Geldquellen. Darüber hinaus ermöglichte die technologische Entwicklung die Entstehung neuer Einkommensquellen und trug entscheidend zur Verbesserung der ökonomischen Lage bei. Nicht zu vergessen ist auch, dass die Klöster fast alle ihre Ländereien im Laufe des 20. Jahrhunderts verloren und damit sich ihre finanzielle Situation verschlechterte. Das Hauptziel der ökonomischen Modernisierung lag darin, die ökonomische Lage wieder zu verbessern. In diesem Zusammenhang scheinen die theoretischen Ausführungen des im dritten Kapitel zitierten Müller-Armack nicht genau zutreffend zu sein. Er war der Meinung, dass der orthodoxe Traditionalismus einen negativen Einfluss auf die wirtschaftliche Modernisierung hat. Dementgegen beweist jedoch das Engagement der Athos-Mönche im Bereich der ökonomischen Modernisierung, dass der Traditionalismus nicht unbedingt ein Hindernis für derartige Entwicklungen sein muss und sogar diejenigen Mönche, die als größte Traditionalisten auf dem Athos gelten (Esfigmenou-Gemeinschaft), an der ökonomischen Modernisierung aktiv teilnehmen. Es wird deutlich, dass die ökonomische Modernisierung auf dem Athos keine zufällige Erscheinung ist, sondern sich unter Berücksichtigung der vielfältigen Prozesse kontextualisieren lässt. Die diversen Gründe der ökonomischen Modernisierung sind auch sehr eng mit anderen Ebenen dieses Modernisierungsprozesses verbunden. Im Weiteren wird die politische Seite dieses Prozesses besprochen.

5. Der Athos und die Politik – der politische Modernisierungsprozess Es gibt eine serbische Redensart, die besagt: „Nichts geschieht in Chilandar, ohne dass man es in Serbien bemerkt – und umgekehrt.“1 Dieser alte Spruch verdeutlicht die Tatsache, dass die Beziehungen zwischen den Klöstern auf dem Athos und den Gesellschaften außerhalb der Mönchsrepublik immer sehr eng waren. Das betrifft vor allem Kontakte religiöser Natur wie Pilgerfahrten, Einfluss der geistlichen Väter und spirituelle Strömungen des Athos; genauso eng aber waren auch sowohl die ökonomischen als auch die politischen Verbindungen. In diesem Kapitel wird die Aufmerksamkeit Letzterem geschenkt. Es wird beschrieben, wie sich die politischen Kontakte zwischen dem Athos und „der Welt“ nach 1988 entwickelten. Wie sehen diese Beziehungen heutzutage aus? Welche Rolle spielen die Mönche in diesen Verbindungen und wie werden diese von ihnen wahrgenommen? Ein weiteres Ziel dieses Kapitels liegt auch in der Feststellung der Unterschiede und Ähnlichkeiten zwischen historischen und gegenwärtigen Prozessen politischer Natur auf dem Athos. In dieser Hinsicht muss zuerst deutlich gemacht werden, dass der Athos fast von Beginn seiner Geschichte an sehr enge Kontakte zu den Herrschern im Mittelmeerraum und Südosteuropa pflegte. Zwar ist es unwahrscheinlich, dass die ersten Eremiten auf der Halbinsel Interesse an Politik hatten, jedes einzelne Kloster auf dem Athos war aber schon eine kaiserliche, königliche oder patriarchalische Schenkung. Die Welt der Politik hatte also einen direkten Einfluss auf das Leben der Mönche. Die Einflüsse beschränkten sich nicht nur auf die Gründung der Klöster selbst, sondern umfassten eine Reihe von finanziellen Zuwendungen, politischen Privilegien und Steuerentlastungen. Eine hervorragende Beschreibung der Beziehungen zwischen den AthosKlöstern und den mittelalterlichen Herrschern leisteten Alan Harvey und Nikolas Oikonomides, die ihre Artikel im Sammelband Mount Athos and Byzantine Monasticism veröffentlichten.2 Oikonomides machte zudem plausibel, dass der Athos schon sehr früh ein Ort des politischen Kampfes zwischen Herrschern, Staaten und Nationen war.3 Trotz der Versuche der Mönche, sich von der Welt abzugrenzen und unabhängig zu werden, stand der Athos sehr oft im Zentrum politischer Intrigen. Interessanterweise wurden einige der hier gemeinten Ereignisse genau dadurch verursacht, dass die Mönche ihre Unabhängigkeit verteidigten. So nahmen die Mönche selbst Kontakt mit dem Byzantinischen Kaiser auf, als die walachischen Hirtenfamilien Ende des 11. Jahrhunderts auf die Athos-Halbinsel kamen.4 Drei Jahrhunderte später sendeten die Geistlichen eigene Gesandte an den osmanischen Sultan Murad 1. (1362–1389), um

1

2 3 4

Manuel Gogos, Wo die Erde den Himmel berührt – Die Mönchsrepublik Athos, Manuskript aus der Sendung des Deutschlandfunks März 2007, S. 10, abrufbar unter: http://www.dradio.de/ download/64604/. Harvey, „The Monastic Economy“, S. 91–97. Oikonomides, „Patronage in Palaiologan Mt. Athos“, S. 99–111. Oikonomides, „Patronage in Palaiologan Mt. Athos“, S. 102. Vgl. Müller, Berg Athos, S. 41–43.

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Der Athos und die Politik – der politische Modernisierungsprozess

mit ihm die Bedingungen des zukünftigen Status des Berges Athos zu vereinbaren.5 Dieselbe Taktik wählten die Mönche während des Zweiten Weltkriegs, indem sie einen Brief an Adolf Hitler verfassten, mit der Bitte, er möge die Autonomie des Athos respektieren.6 Die Beziehungen zu der Welt außerhalb des Athos waren keine Einbahnstraße. Die Mönche befanden sich im Laufe der Jahrzehnte nicht nur unter dem Einfluss bzw. der Bedrohung der Welt, sondern nahmen aktiv am Leben der Gesellschaft teil. Im 11. Jahrhundert beispielsweise besiedelten die Athos-Mönche ein Kloster in Kalabrien und in jüngerer Vergangenheit sammelten sie Geld für die Opfer des Erdbebens in Griechenland oder politische Flüchtlinge aus Bosnien.7 Die Beispiele verdeutlichen, dass der Athos sich immer in einem Spagat zwischen den monastischen Idealen der Einsamkeit – denn ‚monachos‘ ist ja abgeleitet von dem Wort ‚monos‘, dem Einsamen, Einzelnen – und der politischen Realität befand. Bei Paganopoulos heißt es: „[...] monasteries depend upon the material world they wish to reject“8. Es ist kein neues Phänomen und schon die ersten monastischen Siedlungen waren abhängig vom Zugang der neuen Novizen, von Geldzufluss und politischem Schutz,9 wodurch dieses widerstreitende Verhältnis zur „Welt“ eine große Herausforderung auch für die gegenwärtigen Athos-Mönche darstellt. Hier kommt die Frage nach der Art und Weise auf, mit der die Mönche heute die politischen Beziehungen angehen. Wurden neue Argumente für oder gegen diese Kontakte in die Diskussion eingeführt? Wie reagieren die Mönche heutzutage auf die Herausforderungen der modernen Politik? Erste Hinweise für Antworten auf diese Fragen ergeben sich schon bei der Betrachtung der neuesten Geschichte. Bestimmte Klöster (vor allem Vatopedi) pflegen sehr enge Kontakte zu wichtigen Persönlichkeiten, wie z.B. dem Thronfolger des Vereinigten Königreiches Prinz Charles, der Vatopedi eine Zeit lang regelmäßig besuchte,10 oder mit den griechischen Ministern, wie der im Kapitel 4.3.2. beschriebene Immobilienskandal gezeigt hat. Andererseits gab es aber auch Mönche, die den Kontakt zu umstrittenen Politikern, wie z.B. Slobodan Milošević, ablehnten. Als dieser Chilandar besuchte, flohen die meisten Mönche aus dem Kloster in den Wald, um damit gegen seine Politik zu protestieren.11 Ohne Zweifel übt die Politik auch auf den athonistischen Alltag ihren Einfluss aus. Merrill, der über Milošević berichtete, hatte persönlich auch Schwierigkeiten in Chilandar. Ein Mönch war unzufrieden darüber, dass er ein Buch über die Flüchtlinge aus Jugoslawien geschrieben hatte und verweigerte ihm ei-

5

6 7 8 9 10

11

Vgl. Elizabeth A. Zachariadou, „Mount Athos and the Ottomans c. 1350–1550“, in: Michael Angold (Hg.), The Cambridge History of Christianity, Band 5: Eastern Christianity, Cambridge 2006, S. 156–157. Feigl, Athos, S. 58–59 u. 61. Vgl. Speake, Mount Athos, S. 266. Paganopoulos, The Greek Nationalist Façade. Vgl. Matthew Spencer, Athos: Travels on the Holy Mountain, London 2000, S. 45. Zu den Athos-Besuchen von Prinz Charles siehe Helena Smith, „Has Prince Charles Found His True Spiritual Home on a Greek Rock?“, in: The Guardian, abrufbar unter: http://www.guard ian.co.uk/uk/2004/may/12/monarchy.helenasmith. Vgl. Merrill, Things of The Hidden God, S. 85.

Die Europäische Union

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nen Übernachtungsplatz im Kloster.12 Der amerikanische Fotograf Douglas Lyttle durfte 1974 im Pantokratoros-Kloster keine Fotos machen, weil die Vereinigten Staaten die Türkei im Zypernkonflikt unterstützten.13 Der Autor dieser Studie fühlte sich im Kloster Zograf unter anderem deswegen nicht willkommen, weil sein polnischer Landsmann Zbigniew Brzeziński, der Berater von Präsident Jimmy Carter war, einen Einsatz von NATO-Truppen in Serbien in 1999 unterstützte. Aus diesem Grund ist er bei den Mönchen nicht beliebt. Diese Abneigung betrifft anscheinend die Polen im Allgemeinen. Die Beispiele aus dem Alltag zeigen, dass die Politik ein integraler Bestandteil des Lebens auf dem Athos ist. Es lässt sich sogar die These aufstellen, dass die politischen Kontakte in den letzten Jahrzehnten intensiviert wurden, was laut der Ausführungen im zweiten Kapitel dieser Studie, ein Merkmal des politischen Modernisierungsprozesses darstellt. Dieser Intensivierung der Beziehungen zwischen Athos und Organisationen von außerhalb ist der nächste Teil gewidmet.14 Es wird beschrieben, wie die Kontakte zu den größten internationalen Organisationen aussehen, zu denen die Europäische Union und die UNESCO zählen. Hierbei sind vor allem die Beziehungen zur EU sehr vielfältig und betreffen Themen wie die Finanzierung der Klöster oder den untersagten Zutritt von Frauen auf den Athos. Auf diese alte Tradition, die als die Avaton-Regel bekannt ist, wird im Folgenden hingewiesen. Es werden auch Kontakte zu kleineren Organisationen unter die Lupe genommen, wie z.B. mit dem englischen Verein The Friends of Mount Athos. Ziel ist es, einen Überblick über die politische Lage der Athos-Klöster zu bekommen.

5.1. Die Europäische Union 5.1.1. Beschlüsse der EU bezüglich des Athos Die Europäische Union ist mit Sicherheit der wichtigste internationale Akteur, der Einfluss auf das Leben auf dem Athos hat. Dieser Einfluss erfolgt vor allem durch die finanzielle Unterstützung der Klöster, er erfolgt aber auch durch die Ausübung politischer Macht, was im Mittelpunkt dieses Abschnitts der Studie steht. Die Entscheidungen und Rechte, die von den EU-Institutionen beschlossen werden, haben unmittelbaren Bezug auf die Situation auf dem Athos. Schon ein halbes Jahr vor dem Eintritt Griechenlands in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (Vorgängerin der EU) 1981 wurde die Autonomie des Athos durch diese bestätigt. In einer „außerordentlichen Schutzvorkehrung für die Bruderschaft der Athosmönche“ 15 verpflichtete sich die EWG zur Beachtung der Avaton-Regel, Beibehaltung der Steuerent12 13 14

15

Vgl. ebd., S. 84. Lyttle, Miracle on the Monastery Mountain, S. 47. Als ein erstes Beispiel der Intensivierung dieser Kontakte kann der Besuch von Archimandrite Vasileios in einigen europäischen Institutionen 1992 in Luxemburg genannt werden. Der Abt des Iviron- und früher Stavronikita-Klosters hielt einen Vortrag vor Mitarbeitern der EUInstitutionen, der später veröffentlicht wurde, Archimandrite Vasileios, Europe and the Holy Mountain, Montreal 1996. Feigl, Athos, S. 64.

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Der Athos und die Politik – der politische Modernisierungsprozess

lastungen und der politischen Unabhängigkeit der Mönchsrepublik, die den Mönchen durch Artikel 105 des griechischen Grundgesetzes vom 11. Juni 1975 gewährt wurde.16 Damit beschützte (und unterstützte) die EWG den Athos und verhielt sich ähnlich wie die byzantinischen Kaiser, die dem Athos im Mittelalter ähnliche Privilegien gewährten. Schon von Anfang an also waren die Kontakte zwischen der EU und der Bruderschaft des Athos sehr positiv geprägt. Es muss aber auch hervorgehoben werden, dass diese Beziehungen niemals direkt waren, d.h., dass die Mönche selbst keine persönlichen Kontakte zu den EU-Institutionen hatten, sondern sich die griechische Regierung um das Wohlergehen des Athos kümmerte. Im Jahr 1981 waren die Mitarbeiter der Abteilung für kirchliche Angelegenheiten des Auswärtigen Amtes für diese Kontakte verantwortlich.17 Diese Indirektheit der Kontakte wurde später zu einem der Hauptmerkmale der Beziehungen zwischen der EU und dem Athos – die Regierung in Athen steht immer wieder als Mittler zwischen beiden. Die Entscheidung der EU über die Beibehaltung der Autonomie des Athos brachte ohne Zweifel politische Sicherheit für die Mönche mit sich, deren Rechte seit 1981 international anerkannt sind. Eine ähnliche Meinung vertritt Graham Speake, der äußerte: „[...] the legal status of the Holy Mountain has been given greater protection as a result of Greece’s membership of the EU“18. Die Anerkennung durch die EU hatte aber auch negative Konsequenzen. Die Autonomie des Athos wurde zwar international bestätigt, andererseits zogen die Mönche damit auch internationale Aufmerksamkeit auf sich. Der Kreis der Kritiker an den Sonderrechten der Bruderschaft hat sich in den letzten Jahren deutlich erweitert. Die kritischen Stimmen beziehen sich überwiegend auf die Avaton-Regel, die später beschrieben wird. Ein sehr umfassendes Problem, mit dem sich die EU seit 1981 beschäftigt, bildet sicherlich die Ökologie. Es wurden in diesem Bereich einige Beschlüsse gefasst, die hier erwähnt werden sollten. Vor allem legt die EU großen Wert auf die Erhaltung der athonistischen Wälder. Aus diesem Grund setzten die EU-Beamten eine Frist für Januar 1997, nach welcher die Abholzungen auf dem Athos eingeschränkt werden sollten. Doch hatte diese, sicherlich gut gemeinte Regelung einen großen Nachteil: Laut Reinhold Zwerger gab dieser Beschluss grünes Licht für eine grenzenlose Abholzung im Jahr 1996. Seinen Kalkulationen nach transportierten täglich 100 LKWs mit Anhängern Holz vom Athos ab.19 Im Jahr 1997 bekam man die Situation wieder unter Kontrolle, das ganze Ereignis verdeutlicht jedoch die Ambivalenzen der EU-Beschlüsse, die manchmal genauso viel Vor- wie auch Nachteile haben. Dies wird auch in einem 16 17 18

19

Der vollständige Text dieses Artikels in deutscher Übersetzung ebd., S. 81. Vgl. ebd., S. 83. Speake, Mount Athos, S. 184. Zum Thema des Rechtsstatus des Athos siehe Archimandrite Grigorios (Papathomas), Le Patriarcat Œcuménique de Constantinople (y compris la Politeia monastique du Mont Athos) dans l’Europe Unie, Athen 1998, S. 387–473. Im Anhang dieses Buchs (S. 881–888) befinden sich auch Texte der EU-Resolutionen mit Athos-Bezug. Siehe auch Theodor J. Panagopoulos, „Der Rechtsstatus des Heiligen Berges Athos nach der griechischen Verfassung, dem Europarecht und dem Völkerrecht“, in: Orthodoxes Forum 3 (1989), S. 65–72; Jean Konidaris, „Les monastères dans l’église orthodoxe en Grèce“, in: Archives de sciences sociales des religions 75 (1991), S. 11–12; Nikolaos Antonopoulos, Η συνταγματική προστασία του αγιορειτικού καθεστώτος, Athen 1958 (Nachdruck Athen 1997). Vgl. Zwerger, Wege am Athos, S. 140.

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offiziellen UNESCO-Bericht aus dem Jahr 2006 bestätigt, wo es heißt, dass die großzügigen EU-Mittel für den Ausbau der Infrastruktur zu übermäßigen Abholzungen führten. Der UNESCO-Bericht weist auch auf den negativen Einfluss der Europäischen Union auf die Athos-Landschaft im Allgemeinen hin: „Large European Union founded infrastructure projects […] have threatened long maintained landscape qualities around and between monasteries.“20 In demselben Bericht werden aber andere Beschlüsse der EU in Bezug auf die ökologische Situation auf dem Athos gelobt. Es handelt sich hier um die Einrichtung und finanzielle Unterstützung des Waldschutzprogramms im Simonos Petras-Kloster in den 1990er Jahren. Der Bericht wertete auch die Unterstützung des Projektes für die Instandsetzung der Eichenwälder auf dem Athos, das zwischen 2003 und 2006 mit den Mitteln der Europäischen Kommission im Rahmen des LIFE-Natura Programms finanziert wurde, als sehr positiv.21 Das Ziel dieses Projekts war laut einem LIFENatura-Bericht: „[...] to convert Quercus frenetto and holm oak coppice back to natural stands in the Athos peninsula“22. Im Frühjahr 2008 gab die EU bekannt, dass sie die Begrenzung der wirtschaftlichen Aktivität im Schutzgebiet um den Athos herum plant. Es handelte sich in erster Linie um den kommerziellen Fischfang, der in dieser Gegend bedeutend ist. Diese Schutzmaßnahme der EU im Bereich der Ökologie stieß jedoch auf hartnäckige Kritik von Fischern aus Ouranopoli, die zum Zeichen des Protests am 29. März 2008 den Hafen blockierten.23 Erneut entpuppte sich also eine ökologische Aktion der EU als eine eher ambivalente Maßnahme, die neben positiven auch Schattenseiten hat. Die drei genannten Initiativen machen deutlich, dass die EU nicht nur politische Beschlüsse trifft, sondern auch finanzielle Zuwendungen für deren Umsetzung vergibt, die in diesem Fall der Verbesserung der ökologischen Lage auf dem Athos dienen sollten. Für den Athos bedeuten die politischen Beziehungen zur EU also vor allem finanzielle Unterstützung. Am Rande der Überlegungen über den Umweltschutz auf dem Athos muss noch gesagt werden, dass die derzeitige Situation entschiedene Maßnahmen verlangt. Es wurde mehrmals während der Feldforschungen 2010 beobachtet, wie groß die Mülldeponien in der Nähe einiger Klöster sind. Sie bestehen aus allen möglichen Abfällen, von Plastiktüten über alte Küchengeräte bis hin zu alten Autoreifen. Die kaputten Fahrzeuge werden auch nicht vom Athos abtransportiert, sondern einfach im Wald oder hinter dem Kloster stehen gelassen, wo sie von der Natur erobert werden. Es wurden aber auch erste positive Entwicklungen in der Abfallwirtschaft beobachtet: Im Pantokratoros-Kloster werden Altbatterien in speziellen Behältern gesammelt und zum Recycling vorbereitet. Es wurde auch eine Entscheidung über den Abtransport

20 21 22

23

Vgl. UNESCO (Hg.), Report on the Joint Expert Mission to Mount Athos, 2006, S. 7. Vgl. ebd., S. 17. LIFE-Nature: Commission grants EUR 71 million for 77 new nature conservation projects, Brussels, abrufbar unter: http://europa.eu/rapid/pressReleasesAction.do?reference=IP/03/1202 &format= HTML&aged=0&language =EN&guiLanguage=en. Vgl. „Protest at Mount Athos“, ekathimerini.com, abrufbar unter: http://www.in-chalkidiki.com /blog/index.php/2008/03/31/protest-at-mount-athos/.

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Der Athos und die Politik – der politische Modernisierungsprozess

des Mülls vom Athos getroffen,24 die zwar zurzeit nur eine temporäre Maßnahme darstellt, aber einen positiven Trend aufzeigt. Trotz dieser Initiativen ist im Bereich der Abfallpolitik auf jeden Fall noch viel nachzuholen, wie es auch der genannte UNESCO-Bericht sieht.25 Ein Teil des Problems ist, dass die Mönche selbst nur ein begrenztes Interesse an einer rationalen Abfallwirtschaft haben. Dies wurde schon von anderen Autoren bemerkt. Christopher Merrill schreibt in diesem Zusammenhang, die Mülldeponie neben dem Xiropotamou-Kloster kommentierend: „It was unsettling to see that the monks had made no other provision for Abb. 12 Mülldeponie beim Hl. Paulus-Kloster disposing of their trash.“26 Ebenso beschreibt Richard John Friedlander, wie die Mönche das Müll-Problem in ihrem Kloster lösen: Sie werfen die Abfälle durch das Fenster hinaus.27 Dieses Desinteresse am Umweltschutz geht wahrscheinlich auf die Überzeugung zurück, dass die Mönche sich um das Göttliche kümmern sollten, während das Leben auf der Erde weniger wichtig ist. Es lässt daher umso mehr aufhorchen, dass der Ökumenische Patriarch viele ökologische Aktionen im ostkirchlichen Raum anstößt, was auch unter den Mönchen zur Beachtung des Umweltschutzes führen kann.28 Es bleibt zudem zu hoffen, dass die Europäische Union auch in naher Zukunft umweltfreundliche Programme auf dem

24 25 26

27 28

Vgl. UNESCO (Hg.), Report on the Joint Expert Mission to Mount Athos, S. 14. Vgl. ebd., S. 14. Merrill, Things of The Hidden God, S. 15. Die Mülldeponie neben dem Xiropotamou-Kloster ist sehr gut zu sehen, da die Abfälle aller Art einfach an den unbewaldeten Abhang unterhalb des Klosters geworfen werden. Aus diesem Grund sieht es jeder, der am Xiropotamou vorbeifährt. Vgl. Graham Speake, The Importance of Mount Athos and Monastic Revival, S. 7, abrufbar unter: www.benedictines.org.uk/theology/2005/speake.rtf. Friedlander, Paradise Besieged, S. 149–150. Zu den ökologischen Initiativen des Ökumenischen Patriarchen Bartholomäus I., siehe Łukasz Fajfer/Sebastian Rimestad, „The Patriarchates of Constantinople and Moscow in a Global Age. A Comparison“, in: International Journal for Study of the Christian Church 10/2–3 (2010), S. 211–227; Merrill, Things of the Hidden God, S. 140. Athos-Mönche setzten sich tatsächlich schon mit dem Thema des Umweltschutzes auseinander. Siehe Archimandrite Vasileios, Ecology and Monasticism, Montréal 1999.

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Athos umsetzt. Entsprechende Aktionen werden definitiv benötigt, wie die Beobachtungen während der Feldforschungen und die Kommentare in der Literatur beweisen.

5.1.2. Förderungen aus EU-Mitteln Jeder Pilger, der den Athos in den letzten 20 Jahren besuchte, musste den Eindruck gewinnen, dass dort allerorten renoviert wird. Tatsächlich findet man in vielen Büchern, Presseartikeln und Reiseberichten vom Athos Bemerkungen über das hohe Ausmaß der Renovierungsarbeiten. Bei Manuel Gogos, um nur ein Beispiel zu nennen, heißt es: „Der Athos ist eine Grossbaustelle“.29 Die durchgeführten Arbeiten verlangen natürlich bedeutende Finanzmittel, die von den Klöstern selbst nicht aufgebracht werden können. Das Geld wird von mehreren Seiten bereitgestellt – sowohl die griechische als auch die Regierungen anderer auf dem Athos vorhandener Nationalitäten unterstützen die Klöster finanziell. Den Gemeinschaften werden auch beträchtliche Summen von privaten Sponsoren, Pilgern und Mäzenen verschiedener Art gespendet. Die Europäische Union beteiligt sich ebenso signifikant an den Renovierungsarbeiten in den Klöstern. Im Folgenden wird diese finanzielle Hilfe, ihr Ausmaß und deren Wahrnehmung durch die Mönchen beschrieben.

Abb. 13

29

Renovierungsarbeiten im Iviron-Kloster

Gogos, „Partisanen des Jenseits“, S. 31.

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Der Athos und die Politik – der politische Modernisierungsprozess

Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft verpflichtete sich schon 1981 beim Eintritt Griechenlands zu finanzieller Unterstützung der Athos-Klöster. Das Europäische Parlament fasste den Beschluss über diese Hilfe aufgrund „der kulturellen, religiösen und geschichtlichen Tradition des Heiligen Berges, der einzigen in der christlichen Welt noch funktionierenden lebendigen Mönchsgemeinschaft mit fast 1100jähriger Geschichte“30, wie es in einem offiziellen Dokument heißt. In dem Dokument wird auch unterstrichen, dass Griechenland selbst nicht im Stande ist, die benötigten Finanzmittel bereitzustellen und die Hilfe der Europäischen Gemeinschaft daher vonnöten ist. Das Parlament beschloss auch die Gründung eines Ausschusses, der eine Liste durchzuführender Arbeiten erstellen und damit eine erste Einschätzung der Zustände vor Ort und die daraus resultierenden Erfordernisse erbringen sollte.31 Tatsächlich erstellte der Ausschuss unter der Leitung von Dimitrios Tsamis und Dimitrios Voudouris diese Liste. Die benötigten Geldmittel für die Arbeiten unterschiedlicher Art auf dem gesamten Athos sollten sich auf 160 Millionen DM belaufen.32 Diese Summe überstieg auch die finanziellen Kapazitäten der EWG, infolgedessen kurz nach 1981 nur kleinere Zuwendungen auf den Athos gelangten. Diese Hilfe genügte aber, um die benötigten Renovierungen zu beginnen, da eine hohe Zahl von neuen, jungen Novizen in den 1980er Jahren auf den Athos kam, die die Arbeiten vorantrieben. Im Ergebnis dessen war in dieser Zeit ein Hauch der Veränderungen, bzw. wie es Speake ausdrückte, ein „renewal in paradise“ zu spüren.33 Die Mönche nahmen sicherlich diese ersten Zeichen von Veränderungen schon damals wahr und begannen sich theoretisch mit dem Thema der Renovierungen auseinanderzusetzen.34 Die Zuwendungen aus der EWG und später aus der EU ebenso wie aus allen anderen Quellen werden nicht nur für die Renovierungen der Klostergebäude ausgegeben, sondern werden auch in vielen anderen Bereichen investiert. Es wurde schon auf die Naturschutz-Projekte hingewiesen, die mithilfe von Zuwendungen aus der EU unternommen werden. Mit dem Geld wird auch die Renovierung von Ikonen und Fresken finanziert, was eine ungeheure Aufgabe ist, da die Athos-Klöster Tausende von ihnen besitzen.35 Im Besitz der Klöster befinden sich auch mittelalterliche Manuskripte, deren Erhalt gleichermaßen wichtig wie kostenaufwendig ist. Darüber hinaus werden Bibliotheken renoviert und modern ausgestattet, wie z.B. in den Klöstern Vatopedi und Simonos Petras. Das Geld wird auch zur Renovierung von liturgischen Gegenständen verwendet, zu denen sowohl alte Kreuze aus Holz, Gold und Silber als auch wertvolle 30 31 32 33 34

35

Feigl, Athos, S. 64. Vgl. ebd., S. 64. Vgl. ebd., S. 65. „Renewal in Paradise“ ist der Untertitel des Buches, in dem Speake die Veränderungen auf dem Athos beschreibt, vgl. Speake, Mount Athos. Diesbezüglich siehe beispielsweise einen Artikel von einem anonymen Athos-Mönch in der Zeitschrift Σύναξη: Athos-Mönch, „Δυνατότητες καί ανεπάρκειες μιας συντονισμένης προσπάθειας για τη διάσωση του Αγίου Όρους“, in: Σύναξη 2 (1982), S. 65–68. Zu den Fresken und Ikonen auf dem Athos generell siehe Massimo Capuani/Maurizio Paparozzi, Athos. Die Klostergründungen. Ein Jahrtausend Spiritualität und orthodoxe Kunst, München 1999. Besonders viel Platz wurde Fresken von Manuel Panselinos, der die ProtatonKathedrale damit versehen hatte, gewidmet. Siehe Andreas Fokas, „Σημειώματα με αφορμή τις τοιχογραφίες του Πρωτάτου“, in: Σύναξη 12 (1984), S. 9–14.

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liturgische Gewänder gehören. Letztendlich betreffen bedeutende Ausgaben auch den Ausbau der Infrastruktur: Straßen, Sonnen- und Wasserkraftwerke, Brandschutzsysteme und Hafenanlagen werden gebaut oder renoviert. Die kurze Zusammenfassung macht deutlich, dass mit dem Geld der EU ein breites Spektrum an Projekten, Gebäuden und Gegenständen finanziert wird. Manche der Aufgaben, die durchgeführt werden, sind mit bloßem Auge erkennbar, andere können die Besucher überhaupt nicht sehen. Trotzdem werden die Pilger während ihres Aufenthaltes auf dem Athos oft mit großen Baumaßnahmen konfrontiert. Nicht selten erblicken sie direkt neben den Klöstern Baukräne. Im Jahr 2010 waren sie bei den Klöstern Vatopedi, Chilandar, Große Lavra, Dochiariou und Iviron zu sehen. Obwohl die finanzielle Hilfe aus der EU alle Athos-Klöster unterstützen soll, nehmen sie nicht alle an. Esfigmenou und Kostamonitou lehnen das Geld aus der EU ganz und gar ab,36 während Dochiariou nur „geringere Summen“ von der EU nahm, wie es der Abt des Klosters äußerte.37 „[The monks – Ł.F.] have undertaken nearly all the restoration work themselves“38, das heißt ohne Hilfe der EU, aber mit Spenden von privaten Mäzenen. Alle anderen Klöster nutzten die Möglichkeit und nahmen die bereitgestellten Zuwendungen an, wobei es Unterschiede in der Höhe der Summen gab. Zu den größten Begünstigten der EU-Hilfe gehören ohne Zweifel die Vatopedi- und die Simonos PetrasGemeinschaft. Die Mönche aus diesen Klöstern ergriffen selbst die Initiative und spezialisierten sich in der Antragstellung für die EU-Zuwendungen und Abb.13 Bibliothek, Simonos Petras-Kloster bekamen deshalb entsprechend mehr Hilfe als andere Klöster. In den Worten eines Mönchs aus Simonos Petras heißt es: „We have good monks who [are] now skillful with these things [Antragstellung – Ł.F.] and some good advisors.“39 Interessant an dieser Stelle ist nun die Frage nach der Höhe der Zuwendungen aus der EU: Wie viel Geld wurde den Athos-Klöstern schon zur Verfügung gestellt? Eine Antwort auf diese Frage ist trotz der EU-Öffentlichkeitsregeln nicht einfach zu geben. 36

37 38 39

Zu Esfigmenou siehe Paganopoulos, The Concept of Economy, S. 20 oder Zwerger, Wege am Athos, Wien 2005, S. 257; Zu Kostamonitou siehe Draper, „Wenn der heilige Berg ruft“, S. 134–139. Das Gespräch am 18. März 2010. Speake, The Importance of Mount Athos, S. 9. Aus dem Interview mit Vater Ma.

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Der Athos und die Politik – der politische Modernisierungsprozess

Dies hat mehrere Gründe. Zum einen erhält der Athos über verschiedene EUProgramme Geld, deren Namen im Laufe der Zeit geändert wurden oder die inzwischen ausgelaufen sind. Dies bedeutet wiederum, dass in einer Reihe von verschiedenen Datenbanken recherchiert werden muss,40 die einen hohen Grad an Unübersichtlichkeit aufweisen. Zum anderen wird das Geld nicht direkt an die Gemeinschaften überwiesen, sondern wird von der griechischen Regierung in Athen zugeteilt. Bei diesem Prozess kommt es manchmal zu Unregelmäßigkeiten, sodass bedeutende Summen in Athen verschwinden.41 So ist es verständlich, dass die griechischen Behörden kein Interesse daran haben, die Höhe der Zuwendungen der Öffentlichkeit mitzuteilen. Tatsächlich gelang es dem Autor dieser Studie nicht, die offiziellen Summen von den griechischen Ämtern zu erfahren. Schließlich wollten auch die verschiedenen EUInstitutionen keine Daten mitteilen bzw. haben selbst den Überblick verloren. Während der langen Recherchen, die zu diesen Thema durchgeführt wurden, erfuhr zum Beispiel der Autor dieser Studie von einer Mitarbeiterin der EU-Informationsstelle, dass: „bisher den Klöstern auf dem Athos keine EU-Zuwendungen gegeben worden sind“42. Trotz der beschriebenen Schwierigkeiten, genaue Zahlen zu erfahren, können einige Summen von EU-Zuwendungen genannt werden. Sie sollten aber nicht als endgültige Zahlen verstanden werden, sondern nur als Hinweise auf die Höhe der EUHilfen, da die nur in journalistischen Texten vorkommenden Zahlen nicht von offizieller Seite bestätigt werden konnten. Es gibt zumindest keine Beweise, dass die EU die Athos-Klöster bis 2010 tatsächlich mit 220 Millionen DM subventionierte, wie es Ende der 1990er Jahre postuliert wurde.43 Laut einer Publikation der griechischen Organisation namens Κέντρο Διαφύλαξεως Αγιορείτικης Κληρονομιάς (KeDAK − Organisation zur Bewahrung des Erbes des Heiligen Berges)44 sollen sich die Kosten der von der KeDAK durchgeführten Arbeiten zwischen 1981 und 1998 auf 56 Millionen Euro belaufen.45 Dies bedeutet aber nicht, dass diese Summe allein von der EU bezahlt wurde, denn die KeDAK wird auch aus griechischen Mitteln mitfinanziert. In einer anderen Publikation wird die Summe von 1.120.000 Euro genannt, die die KeDAK von der Europäischen Kommission für 33 Projekte in 18 Klöstern erhielt.46 Platis nennt in seinem Buch die Summe von 2.250.000 Euro die Europäische Kommission für 65 Projekte auf dem Athos zwischen 1989 und 1997 zur Verfügung stellte. 47 In beiden Quellen wird bestätigt, dass dieses Geld im Rahmen des Programms des 10. Direktorats für kulturelle Angelegenheiten der Europäischen Kommission der KeDAK 40

41 42 43 44 45 46 47

Vgl. European Commission (Hg.), „Beneficiaries – Search Engine“, in: Development and Cooperation – Europe Aid, abrufbar unter: http://ec.europa.eu/europeaid/work/funding/benefi ciaries/; The Publications Office of the European Union (Hg.), EUR-lex, abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/. Vgl. Kuhlmann, Der Athos, S. 104. „[…] no EU grants were given until now to monasteries from Mount Athos“, E-Mail vom 7. Juli 2010. Der Name ist dem Autor bekannt. Vgl. Wendel, „Die frommen Brüder mit dem Handy“, S. 137. Mehr zu dieser Organisation siehe unten. KeDAK, Οδοιπορικó στο Άγιον Όρος. Κατάλογος, Thessaloniki 1999, S. VII. KeDAK, Κε.Δ.Α.Κ. Έργα Αποκατάστασης, Thessaloniki 2001, S. 9 bzw. 11. Vgl. Platis, Αθωνικό λεξικό, S. 42.

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übergeben wurde.48 Es wird deutlich, trotz der unterschiedlichen Angaben, dass die Zuwendungen aus der EU nur einen Teil des gesamten Budgets der KeDAK ausmachen. Vielmehr ist nicht die EU in diesem Fall die größte Mäzenin, sondern die griechische Regierung. Die Zuwendungen aus den Mitteln der Europäischen Kommission sind nicht die einzige Quelle der EU-Unterstützung für den Athos. Sie stellen nur einen kleinen Teil dieser Zuwendungen dar. Viel größere Summen wurden dem Athos aus dem „European Economic Agreement“-Programm gewährt, das die ökonomischen Unterschiede der Mitgliedsstaaten mildern sollte. Hieraus erhielt der Athos in den Jahren 1994 bis 1998 22.746.000 Euro die Staaten des EEA-Raumes (EU-Staaten sowie Norwegen, Island und Lichtenstein) bereitstellten.49 Eine andere Quelle, aus der der Athos Geld erhält, ist das regionale Programm für Zentralmazedonien. Hier sind die genauen Zahlen der finanziellen Hilfe für die Athos-Klöster nicht bekannt. Das Gesamtbudget dieses EUProgramms belief sich aber in den Jahren 2000 bis 2006 auf 937.167.219 Euro und die Klöster erhielten mehrere bedeutende Zahlungen daraus.50 Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass die EU eine großzügige Förderin des Athos ist und ihre Hilfe sicherlich viele Millionen Euro beträgt; die genaue Summe der Zuwendungen bleibt jedoch unbekannt. Mehr Licht auf die EU-Hilfe können die tatsächlich bereits durchgeführten Projekte werfen, über die Genaueres bekannt ist. Es wird hier nicht der Versuch unternommen, diese Projekte aufzuzählen, denn dies wäre schon von Anfang an zum Misserfolg verurteilt, da es einfach zu viele von ihnen gibt. Statt einer vollständigen Auflistung werden hier nur einige Beispiele gegeben, die das Ausmaß der durchgeführten Arbeiten beleuchten sollen. Zuerst nochmals eine Zahl: In den Jahren 1981 bis 1998 wurden auf dem Athos 1327 Projekte von der KeDAK durchgeführt und beendet. 51 Im Rahmen dieser Projekte wurden sowohl die Gebäude in den Klöstern als auch Gebäude außerhalb saniert. Zwischen 1992 und 1993 wurde beispielsweise der gesamte südwestliche Flügel des Großen Lavra-Klosters restauriert. Genauer gesagt wurde das erodierte Steinmauerwerk entfernt und mit neuem ersetzt. Das Gebälk wurde ebenso 48

49

50 51

Vgl. ebd., S. 9 bzw. 11. Die Zuwendungen aus dieser Quelle wurden auf jährlicher Basis gewährt. Interessanterweise stimmen die offiziellen EU-Daten nicht im Ganzen mit denen der KeDAK überein. Laut der sog. „written question“ No. 2922/96, die Europaabgeordnete Nikitas Kaklamanis der Europäischen Kommission stellte, wurden 1987 100.000 ECU, 300.000 ECU in den Jahren 1989 bis 1995 und 1996 bis 1997 jeweils 350.000 gezahlt. Laut der KeDAKPublikation waren es 1987 70.000 ECU und 1993 350.000 ECU. Vgl. http://eur-lex.europa.eu/ LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:91996E2922:EN:HTML und KeDAK, Έργα Αποκατάστασης, S. 9 bzw. 11. Platis nennt auch hier sowohl eine andere Zahl der durchgeführten Projekte (61 statt 65) als auch abweichende Summen: 100.000 ECU in den Jahren 1989 bis 90, 300.000 von 1990 bis 91, 350.000 von 1991 bis 92, 300.000 von 1992 bis 97. Vgl. Platis, Αθωνικό λεξικό, S. 42. In den Jahren 1999 bis 2003 bekamen die Athos-Klöster keine Zuwendungen aus diesen Mitteln. Nur eine Dependance des Simonos Petras-Kloster in Ormylia konnte sich über 4.540.898 Euro für das Krebsuntersuchungsprojekt freuen. Vgl. „Projects from 1994–2009“. Vgl. „Programmes 2000-2006“, in: Hellas: Cofinanced Development Programms, abrufbar unter: http://www.hellaskps.gr/en_2000-2006.htm. Vgl. KeDAK, Οδοιπορικó στο Άγιον Όρος, S. VII.

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ausgetauscht wie die Dachziegel. Die Fußböden wurden neu verlegt und die Mauern von innen gestrichen. Neue Fenster- und Türrahmen aus Holz wurden eingesetzt. Die Kosten dieses mächtigen Wiederaufbaus beliefen sich auf eine halbe Million Euro, wovon zehn Prozent von der EU finanziert wurden.52 Ein anderes Beispiel bietet die Sanierung einer Werkstatt außerhalb der eigentlichen Gebäude des Simonos PetrasKlosters. Zwischen 1992 bis 1993 wurde dafür eine Summe in Höhe von 250.000 Euro investiert. Die EU beteiligte sich mit 40.000 Euro an den Arbeiten, zu denen vor allem die Sanierung der Außenwände des Gebäudes gehörte. Die Werkstatt wurde auch mit Balkonen aus Holz und einem neuen Treppenaufgang versehen. Ebenso wurde eine steingepflasterte Zugangsstraße gebaut.53 Die zwei genannten Beispiele betreffen die Rekonstruktion und Instandsetzung der Gebäude. Wie aber schon angedeutet wurde, beteiligt sich die EU auch an anderen Projekten auf dem Athos. Dank der Unterstützung der EU, aber auch mithilfe der griechischen Regierung wurden beispielsweise Fresken in der Katholikon (Hauptkirche) des Pantokratoros-Klosters restauriert. Im Jahr 2003 wurde auch die Renovierung der Fresken im Iviron- und Große Lavra-Kloster als auch in der ältesten Kirche auf dem Athos, der Protaton-Kathedrale, durchgeführt.54 Auf der Internetseite des griechischen Kulturministeriums, von der diese Information stammt, ist auch über die Erhaltung von Manuskripten, Kodizes und Dokumenten aller Art die Rede. Diese Restaurationen werden schon seit mehr als zehn Jahren durchgeführt. Auf dem Athos gibt es auch archäologische Arbeiten. Ausgrabungen fanden beispielsweise im Vatopedi-Kloster als auch bei der Kapelle des Hl. Johannes des Vorläufers im Iviron-Kloster statt.55 Die Renovierungen nach 1988 wurden in einem Dokument der UNESCO mit dem Titel State of Conservation of World Heritage Properities in Europe. Mount Athos aufgelistet.56 Das Dokument gibt auch einen sehr guten Überblick über die schon durchgeführten Arbeiten in jedem Kloster (mit Ausnahme von Esfigmenou)57 wie auch in der Hauptstadt Karyes. Um ein Beispiel zu nennen: Die Renovierungen im Xenofontos-Kloster werden folgendermaßen zusammengefasst: „[...] conservation of wall paintings in the esonartex of the old catholicon, conservation of portable icons, of embroideries and of miniature art relics, excavation surveys outside the old catholicon“58. Wie allein dieses Beispiel zeigt, sind die Renovierungen sehr umfangreich, sie betreffen eine Reihe von Projekten unterschiedlicher Art. In dem Dokument wird auch die große Rolle der EU-Zuwendungen bestätigt, die im Rahmen der 2. und 3. Gemein52 53 54 55 56

57

58

Die Details zu den Arbeiten und deren Summe nach: KeDAK, Έργα Αποκατάστασης, S. 28. Vgl. ebd., S. 110. „Conservations by year“, in: Hellenic Ministry of Culture and Tourism, abrufbar unter: http://www.yppo.gr/5/e5132.jsp?year_id=2003. „Excavations“, in: Hellenic Ministry of Culture and Tourism, abrufbar unter: http://www. yppo.gr/5/e5110.jsp. UNESCO (Hg.), Document 30COM 7B.34 State of Conservation of World Heritage Properties in Europe. Mount Athos, Paris 2006, abrufbar unter: http://whc.unesco.org/en/list/454/documents/. Im Koutloumousiou wurden laut der UNESCO Manuskripte konserviert. Dies widerspricht jedoch nicht der früher beschriebenen Tatsache, dass dieses Kloster kein Geld von der EU nimmt. Diese Arbeit wurde anscheinend von der griechischen Regierung finanziert. UNESCO (Hg.), State of Conservation, S. 7.

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schaftlichen Förderkonzepte (Community Support Framework of EU) dem Athos übergeben wurden.59 Die UNESCO lobt in ihrem Dokument die Qualität der Sanierungen und beschreibt sie wortwörtlich als „very good“. Des Weiteren stellt sie fest: „these changes [Renovierungsarbeiten – Ł.F.] are always carried out in a controlled manner and in such a way that they are not detrimental to the authenticity of the site or its surrounding environments“60. Die UNESCO geht in diesem Zitat auf das Problem der Qualität ein, das schon von anderen Athos-Besuchern angesprochen wurde. Reinhold Zwerger macht an verschiedenen Stellen seines Buches einige Kommentare zu diesem Thema. Seiner Meinung nach sind die Arbeiten sehr umfangreich und doch sind sie ausschließlich auf die Wiederherstellung des alten Zustandes ausgerichtet, was in seinen Augen ein wichtiger Aspekt der Arbeiten ist.61 Er bemerkt auch, dass die KeDAK großen Wert auf die Qualität der Renovierungen legt und aus diesem Grund auch dort eingreift, wo die Arbeiten eher zerstören als erhalten. Als Beispiel nennt er die „Sanierung“ der Protaton-Kathedrale, die teilweise mit Spritzbeton überzogen wurde. Die KeDAK bemühte sich, diese „Barbarei“ rückgängig zu machen.62 Mit einem ähnlichen Fall hatte die KeDAK im Simonos PetrasKloster zu tun, dessen Aquädukt mit einer Mörtelschicht überzogen worden war. Nach der Intervention durch die KeDAK wurde es aber erneut freigelegt, wodurch der ursprüngliche architektonische Charakter des Aquädukts wieder zu sehen ist.63 Mit Sicherheit lässt Abb. 14 „Barbarei“ oder „Meisterwerk“? Bauarbeiten auf dem Athos sich also sagen, dass die Renovierungsarbeiten auf dem Athos zum einen fachlich sehr kompetent durchgeführt werden und zum anderen auch ein Aufsichtsmechanismus entwickelt wurde, der zur guten Qualität des Wiederaufbaus beiträgt. Es wurde nun schon öfter auf die KeDAK hingewiesen, die eine große Rolle bei den Renovierungsarbeiten spielt. An dieser Stelle soll diese Organisation nun ausführ59 60 61 62 63

Vgl. ebd., S. 5. Vgl. ebd., S. 3. Vgl. Zwerger, Wege am Athos, S. 59. Vgl. ebd., S. 81. Vgl. ebd., S. 109.

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licher beschrieben werden. Die Organisation zur Bewahrung des Erbes des Heiligen Berges (KeDAK) wurde 1981 durch einen Erlass des Präsidenten zum Zwecke der Renovierung der Athos-Klöster gegründet.64 Das Datum ist nicht zufällig, denn es hängt mit dem Eintritt Griechenlands in die EU zusammen. Die KeDAK sollte also Geld von der EU erhalten bzw. sollte die Zuwendungen verwalten. Die KeDAK unterlag bis 2010 dem Ministerium für Thrakien und Mazedonien mit Sitz in Thessaloniki und unterliegt seit 2010 dem Ministerium für Raumordnung und Wettbewerbsfähigkeit in Athen, fungiert also als ein Staatsorgan. Finanziert werden die Aktionen der KeDAK daher nicht nur durch die Zuwendungen von der EU, sondern auch vom griechischen Staat. Zu den Mitgliedern der Organisation gehören Architekten, Ingenieure, Techniker und Förster, die die Renovierungen auf dem Athos planen, beaufsichtigen und durchführen. Die Besonderheit der KeDAK liegt darin, dass sie sehr eng mit der Regierung des Athos zusammenarbeitet. Der Grund dafür ist, dass der Athos autonom ist und kein Organ der griechischen Republik verbindliche Entscheidungen über den Athos ohne Zustimmung der Mönche treffen kann. Daher wird jede geplante Renovierung mit der Athos-Regierung besprochen. Die Initiative liegt übrigens auch bei den Mönchen, die Bedarf für eine Sanierung an die KeDAK melden. Dies erfolgt in mehreren Schritten. Zuerst müssen die Mönche aus einem Kloster einen Brief an die Regierung der Mönchsrepublik verfassen, in dem sie den Bedarf an einer Renovierung schildern.65 Die Regierung entscheidet, ob diese Bitte begründet ist, und wenn ja, wird ein Schreiben an die KeDAK geschickt, in dem um eine Unterstützung gebeten wird. Erst ab diesem Moment kann die KeDAK eingreifen und mit den notwendigen Arbeiten anfangen. Dieses System funktioniert in den meisten Fällen reibungslos, was auch die Zahl der schon beendeten Projekte bestätigt. Es muss hinzugefügt werden, dass die Mönche selbst zur Entwicklung dieses Systems beitrugen. Die Regierung des Athos unterstützte die Gründung der KeDAK bewusst auf der Basis, dass sie flexibler als andere Staatsorgane agieren kann. So gehören sogar zwei Vertreter der Mönche zu dem organisatorischen Komitee der KeDAK und haben dadurch einen direkten Einfluss auf deren Arbeit. Die KeDAK ist nicht das einzige Staatsorgan, das sich an den Arbeiten auf dem Athos beteiligt. Für die Renovierungen ist ebenso das 10. Dezernat für die byzantinischen Altertümer des griechischen Kulturministeriums zuständig (10η Εφορεία Βυζαντινών Αρχαιοτήτων).66 Bedauerlicherweise verläuft die Zusammenarbeit der beiden Organe nicht ohne Schwierigkeiten, was unter anderem daran liegt, dass sich die Aufgabenbereiche überschneiden und die Grenzen zwischen den Zuständigkeiten für die einzelnen Aktionen nicht klar genug sind. Praktisch übernimmt das 10. Dezernat die Arbeiten archäologischer Natur und die Renovierungen der Fresken und Ikonen. Alle oben angeführten Beispiele mit diesem Bezug wurden vom 10. Dezernat 64

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Diese und folgende Daten verdanke ich Herrn Phaidon Hatziantoniou aus der KeDAK, mit dem ein langes Gespräch am 5. Oktober 2010 in Thessaloniki durchgeführt wurde. Zu der KeDAK siehe auch KeDAK, Έργα Αποκατάστασης und KeDAK, Οδοιπορικó στο Άγιον Όρος. Die Mönche aus den Dependancen der Klöster müssen ihre Bitte zuerst an ihr Kloster schicken, wo entschieden wird, ob es weitergeleitet werden kann. Die Entscheidung im Kloster trifft der Abt mit dem Rat der Ältesten. Die offizielle Internetseite des Dezernats: http://www.10eba.gr/.

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ausgeführt. Die Projekte dieses Organs werden auch in einer Publikation mit dem Titel Η Δεκάτη aufgelistet und kurz beschrieben.67 Das 10. Dezernat wird auch aus den Mitteln der EU mitfinanziert. Die Regierung des Athos kooperiert mit den beiden genannten Organen, wobei sie die KeDAK zu favorisieren scheint. Dies geschieht anscheinend aus dem Grund, dass die KeDAK flexibler ist und die Mönche auch selbst mehr Einfluss auf die Entscheidungen dieses Gremiums haben. Die Spannungen zwischen der KeDAK und dem 10. Dezernat beruhen auf zugrunde liegenden Konflikten politischer Natur, die sich hinter den umfassenden Renovierungsarbeiten auf dem Athos verbergen. Die großzügigen Zuwendungen aus der EU und von der griechischen Regierung lösten tatsächlich eine Konkurrenz um das Recht zur Durchführung der Renovierungen aus. Dies spielt sich hinter den Kulissen des monastischen Lebens auf dem Athos ab und stellt eine Herausforderung dar, die den Mönchen früher nicht bewusst war. Die Athos-Regierung, die auf diese Herausforderungen eingehen muss, ist also mit immer neuen Problemen konfrontiert und gezwungen, neue Lösungen dafür zu finden. Infolgedessen wird die Regierung immer moderner und funktioniert immer mehr wie ein moderner politischer Akteur, trotz der jahrhundertelangen Geschichte dieses Gremiums. Diese eher unerwartete Wende auf dem Athos unterstreicht wie tiefgreifend der politische Modernisierungsprozess auf dem Athos ist bzw. welchen großen Einfluss die Förderung der EU auf den Athos ausübt. Die EU-Zuwendungen haben noch eine andere Art von unerwartetem Einfluss ausgelöst, die in diesem Zusammenhang erwähnt werden soll. Wie beobachtet werden konnte, wurde „[d]urch das Hereinströmen der europäischen Subventionen […] eine Touristeninvasion hervorgerufen“68. Dies geschah vor allem deswegen, weil die Zuwendungen und die daraus resultierenden Renovierungen eine (Pilger-)Reise auf den Athos nun noch attraktiver machten. Tatsächlich hat die EU also einen bedeutenden Einfluss auf den Athos ausgeübt. An dieser Stelle stellt sich die Frage nach der Wahrnehmung der EU und ihrer Subventionen durch die Mönche. Was sagen die Geistlichen über die Beziehungen der Bruderschaft mit dieser Organisation? Ein erster Hinweis zur Beantwortung dieser Frage wurde schon oben angedeutet: Von zwanzig Klöstern greifen achtzehn auf die finanziellen Zuwendungen aus der EU zurück und nur zwei lehnen sie gänzlich ab (Esfigmenou und Kostamonitou). Dies bedeutet, dass die große Mehrheit der Gemeinschaften die Kontakte zur EU akzeptiert. Der Grad der Akzeptanz unterscheidet sich jedoch von Kloster zu Kloster, sodass in Dochiariou eine eher skeptische Einstellung gegenüber den EU-Zuwendungen zu spüren ist, während in Simonos Petras und Vatopedi nur positive Stimmen diesbezüglich zu hören sind. In den Worten eines Mönchs aus Simonos Petras klingt es so: „[…] now they [Beziehungen mit der EU – Ł.F.] are excellent“69. Dementgegen äußerte der Abt von Dochiariou, dass seine Entscheidung zur Annahme des Hilfsangebotes der EU nicht von allen gleichermaßen akzeptiert wurde.70 Hier wird deutlich, dass sogar in denjenigen Gemeinschaften, die das Geld annehmen, keine Einigkeit über die EU-Zuwendungen herrscht. Woran liegt das? Ver67 68 69 70

Vgl. 10. Dezernat für byzantinische Altertümer (Hg.), Η Δεκάτη 1 (2004). Zwerger, Wege am Athos, S. 11. Aus dem Interview mit Vater Ma. Das Gespräch mit dem Abt von Dochiariou.

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schiedene Haltungen gegenüber den Subventionen hängen mit der Befürchtung zusammen, dass die EU im Gegenzug etwas verlangen könnte. Dieses „etwas“ bedeutet vor allem die Aufhebung der Avaton-Regel71, aber auch die Öffnung der AthosGrenzen für eine größere Zahl an Touristen.72 Es wird deutlich, dass die Befürchtungen der Mönche die Autonomie des Athos betreffen: „ The problem is that one who offers you something does not do it out of kindness but because one expects something in return.“73 Auf diese Art und Weise fasste Vater S. diese Befürchtungen zusammen. In Bezug auf die Förderung aus den EU-Mitteln bestehen auch Befürchtungen anderer Art. Während der durchgeführten Interviews wurde zweimal hervorgehoben, dass sich die Weltansichten der EU und der Mönche stark unterscheiden: I have some reservations [in Bezug auf die Kontakte mit der EU – Ł.F.] because of differences in one’s worldview. For example, my idea of good may not be the same as their idea of good. This is why, what the European Union thinks is good does not mean it is really good for Athos.74

Bei Vater Mo. heißt es: If those organizations are good or doing good, than contacts with them are acceptable […] but the organizations you mentioned, or politicians, new order of politicians do not comply with Christianity. Jews are steering those organizations. Jews try to destroy Christianity like in the Gospels.75

Abgesehen von dem antisemitischen Hintergrund dieser Äußerung wird deutlich, dass es den Mönchen nicht recht ist, dass Klöster Kontakte mit einer Organisation pflegen, die andere Grundsätze als sie selbst hat. Dabei geht es vor allem um den säkularen Charakter der EU. Die Mönche nehmen also die Unterschiede zwischen den Prinzipien des Athos und die der EU wahr und fürchten sich, dass es auf dieser Ebene zu Spannungen kommen kann bzw. ihre Traditionen beschränkt werden könnten. Diese Befürchtung einhergehend mit der früher angedeuteten Furcht von einer Begrenzung der Unabhängigkeit ist ein – für die Mönche – sehr schwerwiegender Grund gegen die Beziehungen zur EU. Neben dieser Skepsis werden aber gleichzeitig auch positive Aspekte der EUZuwendungen genannt. Vater Ma. polemisierte in einem Interview über die AthosMönche, die sich vor den Folgen der Kontakte zur EU fürchten: Yes, yes, there are fears because some monks believe that the European Union is the spirit of globalization, of the Antichrist who is coming to impose restrictions upon religious freedom. In fact, it does not ask anything. People say you must not participate in European programs because afterwards it will require us to grant access to women, but the EU never asks and to the contrary – it is those responsible in the EU who are controlling the program say71 72

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Auf die Frage nach den Befürchtungen, die mit der EU verbunden sind, antwortete Vater D. explizit: „Yes, for example the avaton. The avaton will fail.“ Aus dem Interview mit Vater D. Auf dieses Problem wies Vater Pa. in einem Interview hin: „The European Union obliged monasteries of Meteora to accept tourists after the EU financed them. […] One day the EU will want us to accept money and open the borders. Then it will be a great problem.“ Aus dem Interview mit Vater S. Aus dem Interview mit Vater D. Aus dem Interview mit Vater Mo.

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ing to us: „limit the number of people you receive“. They want Mount Athos to stay as it is, and even more exclusive.76

Vater Ma. spricht der EU also eine positive Rolle auf dem Athos zu, da sie große Summen für die Renovierung der Klöster bereitstellt und sogar die Autonomie des Athos schützt. Bis zum heutigen Tage wurden keine Forderungen gestellt und Vater Ma. vermutet, dass auch in der Zukunft keine gestellt werden. In ähnlichem Ton sprach Vater M. über die Verbindungen zur EU: We are happy to work together with people, and if they are willing to support something, even if they do not see it necessary as the spiritual centre that we do, but they see it more as a cultural treasure and they want to offer support for that reason – we are happy to work together with them.77

Hier wurde die andere Weltsicht, vor der sich manche Mönche fürchten, in Frage gestellt. Vater M. betonte weiter im Interview, dass die Mönche bisher keine Zugeständnisse im Gegenzug für die EU-Zuwendungen machen mussten. Damit sind vor allem die Abschaffung der Avaton-Regel und die Öffnung der Grenzen für Touristen gemeint, die die EU erzwingen könnte. Der interviewte Geistliche machte klar, dass im Fall irgendwelcher Versuche seitens der EU diese Anliegen durchzusetzen, die Mönche dies nicht akzeptieren würden. Auch Vater F. sieht keinen Druck auf den Athos, der angeblich seitens der EU ausgeübt wird. Die EU verlangte bisher nichts „im Tausch“ gegen die Zuwendungen und Vater F. kann daher keine negativen Seiten der Beziehungen zu dieser Organisation sehen.78 Dass die meisten Mönche bzw. die meisten Gemeinschaften eine eher positive Einstellung haben, verdeutlicht noch ein weiteres Beispiel. Vater I. wies ausdrücklich darauf hin, dass es in seinem Kloster keine Befürchtungen wegen der EU-Zuwendungen gab: „No, (Name des Klosters) is not afraid of these European Community grants, no.“79 Seiner Meinung nach bekam seine Gemeinschaft bedeutende Zuwendungen, die zu 75% aus den Mitteln der EU stammten, während die griechische Regierung nur 25% zur Verfügung stellte. Dank dieser Hilfe wurde ein großer Teil der Klostergebäude schon renoviert und ein weiterer Flügel befindet sich gerade in der Renovierung. Gleichzeitig bestätigte Vater I., dass zwei Gemeinschaften kein Geld aus der EU annehmen wollen, weil sie befürchten, die EU könne Bedingungen stellen.80 Aus den Interviews geht außerdem hervor, dass die Mönche großes Vertrauen in ihre Regierung haben. Öfter wurde unterstrichen, dass der Athos eine Autonome Republik ist und die Regierung diesen Zustand schützt: Falls eine Gefahr auftreten würde, würde die Regierung eingreifen und sie unterbinden. Unter „Gefahr“ werden natürlich jegliche Versuche verstanden, die Avaton-Regel aufzuheben oder die Grenzen für Touristen zu öffnen.81 Bei Vater Pl. heißt es: „As far as I am concerned, there is no fear of this. There is a Holy Synod on Mount Athos that makes decisions on issues that 76 77 78 79 80 81

Aus dem Interview mit Vater Ma. Aus dem Interview mit Vater M. Vgl. das Interview mit Vater F. Aus dem Interview mit Vater I. „I think Esfigmenou, maybe Kostamonitou have refused to take these large grants. They question the possibility that there may be conditions etc.“ Aus dem Interview mit Vater I. Vgl. das Interview mit Vater P.

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have to do with Europe and matters of that nature.“82 Das große Vertrauen in die Regierung des Athos ist insofern interessant, als die Regierung ein de facto politisches Organ ist. Dies bedeutet wiederum, dass die Mönche keine Abneigung gegen politische Organisationen als solche empfinden und sogar selbst als politische Akteure auftreten. Tatsächlich wird die EU nicht wegen ihres politischen Charakters kritisiert,83 sondern höchstens wegen ihrer Entscheidungen. Diese eher positive Einstellung gegenüber politischen Organen ist zwar nicht neu auf dem Athos, und im Laufe der Zeit hatten die Mönche verschiedene Kontakte zu Kaisern, Königen, Sultanen und Regierungen, was aber eine relativ neue Entwicklung ist, ist die Vielfältigkeit der Aufgaben und die Vergrößerung der Rolle der Athos-Regierung in den politischen Beziehungen. Dies wurde im zweiten Kapitel dieser Studie als die Erhöhung der Steuerungsmöglichkeiten der Politik beschrieben und als ein Merkmal der politischen Modernisierung betrachtet. In diesem Sinne trugen die Kontakte zur EU, die sich in der Regel auf finanzielle Zuwendungen seitens der EU beschränken, zur politischen Modernisierung des Athos bei. Die letzte Bemerkung wird noch deutlicher, wenn ein witerer Aspekt der Zuwendungen aus der EU betont wird, der in einigen Interviews auftauchte. Es handelt sich hier um die Rolle der griechischen Regierung. Wie schon bemerkt wurde, erhalten die Klöster das Geld nicht direkt von der EU, sondern wird von Athen aus zugewiesen. Dies führt zwar hin und wieder zu Missständen,84 wird aber grundsätzlich von den Mönchen willkommen geheißen, weil sie sich dank diesen Vorgehens anscheinend sicherer fühlen85. In dieser Situation muss die Athos-Regierung mit der Regierung in Athen sehr umsichtig zusammenarbeiten, weil sie von dieser finanziel abhängig ist. Von der Qualität dieser Kontakte hängt ab, wie viel Geld die Athos-Klöster bekommen und wie schnell die Hilfe sie erreicht. Dabei spielt richtige Politik eine bedeutende Rolle. Wie aus den obigen Ausführungen deutlich wird, hat die Förderung aus EUMitteln einen großen Einfluss auf das Leben auf dem Athos. Dieser Einfluss besteht jedoch nicht nur darin, dass die Gebäude saniert, Ikonen renoviert und die Infrastruktur ausgebaut werden, sondern dass auch die politische Organisation des Athos einem Wandel unterliegt.86 Die Zuwendungen trugen also entscheidend zu der Modernisie82 83

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Aus dem Interview mit Vater Pl. Mit Ausnahme der Esfigmenou-Gemeinschaft, die die EU als „Werk des Teufels“ bezeichnet. Darüber hinaus sind die Esfigmenou-Mönche aber konsequent und stellen auch keine Vertreter in der Athos-Regierung. Mehr zu diesem Thema im Kapitel 6.5. Vgl. Kuhlmann, Der Athos, S.104. Vgl. die Interviews mit Vater M. und mit Vater P. Die Mehrheit der Mönche hat zwar eine gute Meinung von den Kontakten mit der EU, gleichzeitig wird aber betont, dass die Prinzipien des orthodoxen Mönchtums die Abgrenzung von der Welt voraussetzten. Aus diesem Grund wird bevorzugt, keine direkten Kontakte zur EU zu haben. Diese Seite des Einflusses von Modernisierungsprozessen auf religiöse Institutionen ist den Kirchen und Gemeinden auch außerhalb des Athos bekannt. Thomas Jansen stellt diesbezüglich fest: „In the face of Europeanization, churches and spiritual associations are under pressure to adapt their own structures to the changing context and to harmonize their forms of organization with the newly emerging, enlarged ‘public space’, i.e. the European Union.“ Thomas Jansen, „Europe and Religions: the Dialogue between the European Commission and Churches or Reli-

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rung, und zwar auf mindestens zwei Ebenen, bei. Was ebenso wichtig ist, ist, dass dieser Prozess ohne größeren Missklang verläuft. Ein Mönch bezeichnete die Beziehungen zur EU im Interview als „mutual respect“: Die EU unterstützt die Klöster finanziell und die Klöster beherbergen eine größere Zahl an Pilgern.87 Diese Äußerung zeigt, dass trotz mancher Vorurteile oder Befürchtungen, die mit der EU verbunden sind, die Mönche die Kontakte mit dieser Organisation eher positiv sehen.

5.1.3. Der Zutritt von Frauen zum Athos: Die Avaton-Regel Die größte Befürchtung, die mit der finanziellen Abhängigkeit von der EU verbunden ist, bezieht sich auf die sogenannte Avaton-Regel. Im Folgenden wird der Versuch unternommen, den Kern dieser Befürchtungen zu erfassen. Hierbei werden sowohl die Entscheidungen der EU genannt als auch die Meinungen der Mönche diesbezüglich erläutert. Ebenso wird auch auf die Bedeutung der Avaton-Regel eingegangen. Zuerst werden aber allgemeine Informationen zum Namen, zur Geschichte, und den Fällen, in denen die Regel missachtet wurde, gegeben. Der Name avaton stammt von dem griechischen Verb βαίνω (vaino), das so viel wie „gehen“ bedeutet. Wortwörtlich bedeutet avaton die Negation, also „nicht-gehen“: „what may not be set foot upon“88. Im Fall des Athos bezieht sich die hinter diesem Begriff stehende Regel auf Frauen und weibliche Tiere, das heißt: Kein „weibliches Wesen“ darf den Boden des Athos betreten. Die Tradition, dass keine Frau auf das Territorium des Athos kommen darf, ist so alt wie die Mönchsrepublik selbst und hängt mit den Regeln des monastischen Lebens zusammen, laut denen Frauen und Männer nicht gemeinsam in einem Kloster leben dürfen. Diese Regel wurde schon von den ersten Wüstenvätern, dem Antonius und dem Pachomios, aufgestellt. Auf dem Athos betrifft avaton jedoch nicht nur die Klöster, sondern die ganze Halbinsel, auf der sich die Klöster befinden. Dieses Gebiet wird nämlich als ein großer monastischer Komplex angesehen, weshalb das Zutrittsverbot für Frauen auf dem ganzen Athos logisch zu sein scheint. Die Avaton-Regel hat noch einen anderen wichtigen Hintergrund, der mit den religiösen Gefühlen und Vorstellungen der Mönche verbunden ist. Die Mönche glauben, dass diese Regel von der Mutter Gottes selbst eingeführt worden sei. Dies geschah der Legende nach während ihrer Reise nach Zypern. Ein Sturm soll ihr Schiff weit vom eigentlichen Kurs abgebracht und auf die Ufer der Halbinsel umgelenkt haben. Maria fand Zuflucht auf dem Athos und war von der Schönheit dieses Ortes so begeistert, dass sie Gott darum bat, ihr die ganze Halbinsel zur ewigen Heimstatt zu geben. Eine Stimme vom Himmel bejahte diese Bitte, und seitdem wird der Athos auch der Garten

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gious Communities“, in: Social Compass 47/1 (2000), S. 103. Die in dieser Studie beschriebene politische Modernisierung des Athos ist also ein paralleler Prozess zu den Entwicklungen in „der Welt“ und keine Einzelentwicklung. Vgl. das Interview mit Vater Pl. Vgl. Nikolaos of Mesogaia, Mount Athos, S. 133.

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Mariens genannt.89 Der Legende nach beanspruchte Maria für sich selbst das Recht, die einzige Frau zu sein, die je auf dem Athos gewesen ist. So wird es auch von den Mönchen gesehen, die diese Legende als einen Grund für die Einführung der AvatonRegel benennen. Die Avaton-Regel ist gegenwärtig zu einem der Hauptmerkmale des Athos geworden: Wenn ein Artikel über den Athos in der Presse erscheint, berichten schon die ersten Sätze über das Zutrittsverbot für Frauen.90 Es kommt oft vor, dass in Zeitungen, aber auch in manchen Büchern zwei Fehler wiederholt werden. Zum einen wird berichtet, dass die Avaton-Regel schon im 11. Jahrhundert niedergeschrieben wurde. Zum anderen fühlen sich die Autoren dieser Presseartikel immer wieder verpflichtet, die Information zu vermitteln, dass nicht eine Frau den Athos in seiner 1000jährigen Geschichte besuchte. Beide Mitteilungen entsprechen nicht dem Wissen, das die heutige Wissenschaft über den Athos besitzt. Zum Thema der Verschriftlichung der Avaton-Regel führte Alice-Mary Talbot umfangreiche Studien durch und kam zu dem Schluss, dass das Verbot für Frauen auf dem Athos erst im 20. Jahrhundert ausdrücklich niedergeschrieben wurde.91 Dies widerspricht nicht ganz dem, was hier früher beschrieben wurde. Tatsachlich gab es die Tradition, dass Frauen den Heiligen Berg nicht betreten dürfen, schon im frühen Mittelalter. Diese Tradition stellte über viele Jahrhunderte ein ungeschriebenes, nicht hinterfragtes Gesetz dar. […] the principle of abaton was so ingrained in Athonite custom law and tradition that it seemed unnecessary to put such a rule in writing. The tradition was so universally respected that in fact virtually no women ever dreamed of attempting to enter the sacred peninsula; hence there was no need for a specific written prohibition.92

Talbot stellt in ihrem Artikel fest, dass nur das Zutrittsverbot für weibliche Tiere und Eunuchen explizit in den ersten kaiserlichen Dokumenten genannt wurde. 93 Es war jedoch keine Rede von Frauen. Ihnen wurde der Zutritt auf den Athos erst 1924 im 186. Artikel des neuen Grundgesetzes der Mönchsrepublik schriftlich verboten. Im Jahr 1926 wurde diese Verfassung von der griechischen Regierung ratifiziert und trat in Kraft.94 Das Zutrittsverbot für Frauen wurde später auch in den griechischen 89

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Für den vollständigen Text dieser Legende siehe Merrill, Things of The Hidden God, S. 7–8. Eine andere Version der Legende ist abrufbar unter: „Mount Athos“, in: Sacred Sites: Places of Peace and Power, abrufbar unter: http://www.sacredsites.com/europe/greece/mount_athos.html. Vgl. Draper, „Wenn der heilige Berg ruft“, S. 141–149; Helmut Luther, „Kein Berg für kurze Hosen“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung Online, abrufbar unter: http://www.faz.net /s/Rub6F18BAF415B6420887CBEE496F217FEA/Doc~EE7EB912CC9224AE796AB9946DD 911D72~ATpl~Ecommon~Scontent.html; Jan Spielhagen, „In Gottes Nähe“, in: DB Mobil 6 (2012), S. 36−41, auch abrufbar unter: http://mobil.deutschebahn.com/was-verbindet/in-gottesnahe/. Vgl. Alice-Mary Talbot, „Women and Mount Athos“, in: Bryer/Cunningham (Hg.), Mount Athos and Byzantine Monasticism, S. 67–79. Ebd., S. 64. Es handelt sich hier um die ersten „Grundgesetze“ des Athos: Typikon des Kaisers Johannes Tzimiskes aus dem Jahr 972, Typikon des Kaisers Konstantin IX. Monomachos aus dem Jahr 1055 und Typikon des Kaisers Manuel II. aus dem Jahr 1406. Vgl. ebd., S. 68–69. Vgl. Ioannis M. Konidaris, The Mount Athos Avaton, Athens 2003, abrufbar unter: http://www.myriobiblos.gr/texts/english/konidaris_avaton.htm. Zu den rechtlichen Grundlagen

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Grundgesetzen von 1975, 1986 und 2001 (jeweils im Artikel 105) bestätigt und ist damit auch heute noch gültig. Dieses Gesetz wurde auch zweimal von europäischen Institutionen bestätigt: 1979 akzeptierte die EWG den Sonderstatus des Athos und damit auch die Avaton-Regel im Rahmen des Beitrittsvertrages Griechenlands zur EWG. Zum zweiten Mal wurde das Zutrittsverbot schließlich von der EU 1997 im Vertag von Amsterdam besiegelt.95 Zu den Presseberichten, die behaupten, dass außer Maria, der Mutter Gottes, keine andere Frau den Athos betreten hat, lässt sich sagen, dass sie einige interessante Fälle ignorieren. Im Laufe der Jahrhunderte gab es tatsächlich verschiedene Frauen, die den Athos besuchten, denen etwas mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte. Der erste urkundlich nachgewiesene Verstoß gegen das traditionelle Zutrittsverbot erfolgte an der Wende zum 12. Jahrhundert. In der Amtszeit des Kaisers Alexios I. Komnenos kamen walachische Hirtenfamilien auf den Athos, die ihre Tiere auf den dortigen Weidegründen halten wollten. Die Männer brachten ihre Frauen mit und blieben einige Jahre auf dem Athos. Offensichtlich wurde ihnen der Zutritt nicht verboten, weil sie mit den Mönchen Handel trieben. Darüber hinaus scheint das Niveau des monastischen Lebens damals nicht so hoch gewesen zu sein, dass die Anwesenheit der Frauen die Geistlichen störte. Dank eines Berichtes eines zeitgenössischen Mönchs ist jedoch bekannt, dass es zu Verstößen gegen das Keuschheitsgelübde der Mönche kam, was einen Skandal nach sich zog. „Was sich aber zwischen ihnen [Mönchen und Frauen – Ł.F.] abspielte, das sind die Dinge, von denen man besser weder spricht noch hört“96, schrieb der Mönch Ioannes Tarchaniotes erschüttert über die damaligen Ereignisse. Im Jahr 1105 befahl der ökumenische Patriarch die Vertreibung der Walachen vom Athos und beendete damit den Skandal um die Anwesenheit der Frauen.97 Der zweite historisch bestätigte Fall einer Frau auf dem Athos fand in der Mitte des 14. Jahrhunderts statt, als der „Schwarze Tod“ Europa verwüstete. Die Frau des serbischen Zaren Stefan Dušan suchte zwischen 1347 und 1348 bei den Mönchen Zuflucht vor der Pest. Da Stefan Dušan ein großzügiger Mäzen des Athos war und darüber hinaus auch ein mächtiger Herrscher leisteten die Mönche keinen Widerstand.98 Die beiden genannten Aufenthalte von Frauen auf dem Athos dauerten jeweils recht lang: Die Walachinnen verbrachten dort einige Jahre und Jelena Dušan einige Monate. Im Vergleich zu diesen Aufenthalten waren die nächsten relativ kurz. Sie sind vor allem mit verschiedenen einschneidenden Momenten der Geschichte verbunden, in denen die Situation (für alle Beteiligten) weit davon entfernt war, „normal“ zu sein. Es handelt sich hier um die Zeit des griechischen Unabhängigkeitskriegs (1821–1829),

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der Avaton-Regel und der Mönchsrepublik überhaupt siehe vor allem Charalambos K. Papastathis, „The Status of Mount Athos in Hellenic Public Law“, in: Anthony-Emil N. Tachiaos (Hg.), Mount Athos and the European Community, Thessaloniki 1993, S. 55–75. Vgl. ebd. Müller, Berg Athos, S. 41. Siehe auch die englische Version in: Talbot, „Women and Mount Athos“, S. 70. Vgl. Talbot, „Women and Mount Athos“, S. 70. Vgl. ebd., S. 70. Petros Chartokollis nennt das Jahr 1345 als Zeitpunkt an dem Jelena Dušan Zuflucht auf dem Athos fand. Vgl. Petros Chartokollis, Άγιον Όρος. Ένα ταξίδι μέσα από τους θρύλους και την ιστορία, Athen 2001, S. 68.

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der Balkankriege (1912–1913), die Zeit nach dem Türkisch-Griechischen Krieg (1919–1922), des Zweiten Weltkriegs (1941–1945)99 und während des griechischen Bürgerkrieges (1946–1949). Im Laufe dieser Ereignisse kamen Frauen meistens auf den Athos, um Zuflucht zu finden, mitunter aber auch, um die Klöster zu plündern, wie es die Kommunistinnen während des Bürgerkrieges taten.100 Wie lange bzw. wie viele Frauen damals auf dem Athos waren, ist leider nicht bekannt. Tatsache ist jedoch, dass die Mönche in diesen außerordentlichen Situationen sich entweder sehr nachsichtig der Anwesenheit von Frauen gegenüber zeigten oder einfach durch die Umstände gezwungen waren dies zu akzeptieren. Überhaupt finden sich in den Quellen keine Nachweise über konkrete Skandale, in die Frauen verwickelt waren. Genauso war es im Fall einer deutschen Luftwaffenhelferin, deren Flugzeug während des Zweiten Weltkrieges an den Ufern des Athos notlanden musste. Sowohl die Frau als auch die männliche Besatzung der Maschine waren wegen dieser Umstände zur Übernachtung auf dem Athos gezwungen. Zu diesem Zweck wurde eine Fischerhütte gewählt, die auf Pfählen gebaut direkt am Ufer stand, so dass die Avaton-Regel so wenig wie möglich verletzt wurde. Nach zwei Tagen verließ die Frau den Athos wieder.101 In der neusten Geschichte des Athos gibt es viele andere Beispiele von Verstößen gegen die Avaton-Regel. Manche von diesen erfolgten unbeabsichtigt, wie die früher genannten, andere sollten bewusst provozieren. Zu der ersten Gruppe gehören die Fälle, in der Frauen durch Zufall auf den Athos gelangten, ohne zu wissen, dass dort ein Zutrittsverbot für Frauen herrscht bzw. die Umstände sie dazu zwangen, das Verbot zu missachten. So kamen zwei Französinnen mit einem privaten Motorboot zum Athos und sonnten sich in der Sichtweite des Dochiariou-Klosters. Dieser Ausflug endete für sie mit einer hohen Geldstrafe und einer Ausweisung vom Athos.102 Im Jahr 1989 gelangte eine deutsche Touristin in einem ähnlichen Fall dorthin.103 Da Ende der 1990er Jahre viele italienische Touristen mit eigenem Boot auf den Athos kamen, wurde 2000 eine Regel eingeführt, um dies zu unterbinden: „All boats carrying women must steer a course 500 metres from the shores of the Holy Mountain.“104 Diese Regel verringerte zwar die Zahl ähnlicher Fälle, es gelang aber nicht, den Zutritt von Frauen ganz zu verhindern. Am 13. September 2001 betrat wieder eine Deutsche den Athos, diesmal in einer viel ernsteren Lage: Sie und ihr Mann befuhren mit einem Motorboot die Gewässer in der Nähe von Ouranopoli, als ein Sturm sie überraschte. Zudem ging ihnen das Benzin aus und sie waren gezwungen, ans Ufer des Athos zu schwimmen. Der Aufenthalt auf dem Athos dauerte aber nicht lange, da ihre Ankunft beobachtet und die Frau augenblicklich von der Polizei nach Ouranopoli zurückgebracht wurde. In diesem 99

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Es handelt sich hier um die Zeit der deutschen Besatzung Griechenlands, im Laufe derer sich griechische Jüdinnen auf dem Athos vor der Wehrmacht versteckten. Vgl. Kyriacos C. Markides, The Mountain of Silence: A Search for Orthodox Spirituality, New York 2002, S. 13. Vgl. Kuhlmann, Der Athos, S. 102; Zu den Kommunistinnen siehe Friedlander, Paradise Besieged, S. 58f., oder Amand de Mendieta, Mount Athos, S. 148 und Chartokollis, Άγιον Όρος, S. 73. Vgl. Feigl, Athos, S. 59; Zwerger, Wege am Athos, S. 245–246. u. 269. Vgl. Kuhlmann, Der Athos, S. 101–102. Vgl. Ilga Gäbler, „Besser, Sie wären vor Athos im Meer ertrunken“, in: Freies Wort, abrufbar unter: http://www.freies-wort.de/nachrichten/thueringen/seite3thueringenfw/art2402,765976. Clark, Why Angels Fall, S. 5, zu dieser Regel siehe auch Chartokollis, Άγιον Όρος, S. 75–76.

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Fall musste keine Strafe bezahlt werden.105 Auch 2008 musste die Polizei eingreifen, als vier moldawische Frauen illegal auf die Halbinsel gelangten, weil sie von einer Schleußergruppe dort zurückgelassen worden waren.106 Zu der zweiten Gruppe von Verstößen gegen die Avaton-Regel in jüngerer Zeit zählen die Vorfälle, in denen Frauen gegen diese Regel protestieren wollten und absichtlich auf das Territorium des Athos vordrangen. Dies geschah zum ersten Mal im April 1953 während des 9. Internationalen Kongresses für byzantinische Studien in Thessaloniki. Einige Teilnehmerinnen betraten die Halbinsel, um ihren Widerwillen gegen die Avaton-Regel zu äußern.107 Im Jahr 1969 überquerten sechs Griechinnen die Grenze des Athos.108 Im Jahr 2008 „stürmten“ einige Frauen wiederrum die Mönchsrepublik, diesmal aber in einem Protestakt gegen die Immobiliengeschäfte der AthosMönche. Unter den zehn Demonstrantinnen war Litsa Ammanatidu-Paschalidu, eine Abgeordnete des griechischen Parlaments.109 Die vorgestellten Beispiele sind die bestdokumentierten Verstöße gegen die Avaton-Regel, die in den Quellen zu finden sind. Trotzdem ist diese Liste sicherlich nicht vollständig. Die 15 genannten Ereignisse verdeutlichen jedoch, dass die Avaton-Regel mehrheitlich respektiert wird – in nur drei Fällen wurde sie bewusst verletzt. In allen anderen Fällen erfolgte der Verstoß gegen avaton entweder durch die außerordentlichen Zustände oder Unwissen – eine Beobachtung, die schon von Eleni Sotiriou gemacht wurde.110 Die Tatsache, dass avaton meist nur in den außerordentlichen Zuständen missachtet wird, ist nicht zufällig und lässt sich auf den großen Rückhalt der Avaton-Regel in den orthodoxen Gesellschaften zurückführen. Nicht nur Männer, sondern auch orthodoxe Frauen betrachten diese Regel als wichtigen Teil ihrer Tradition, der nicht verändert werden sollte. Dieses Phänomen wurde unter anderem von Victoria Clark hervorgehoben, die in ihrem Buch Meinungen von Frauen über avaton zitierte. Alle befragten Frauen unterstützten das Zutrittsverbot. An dieser Stelle reicht es, nur ein Beispiel zu geben: „A young Romanian woman, a stockbroker from Bucharest,

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110

Vgl. Gäbler, „Besser, Sie wären vor Athos im Meer ertrunken“. Dies passierte trotz der Tatsache, dass laut dem griechischen Recht die Strafe von zwei bis zwölf Monaten Haft für die Frau, die die Avaton-Regel missachtet, verhängt werden kann. Vgl. Papastathis, „The Status of Mount Athos“, S. 73. „Women breach all-male Greek site“, in: BBC Online, abrufbar unter: http://news.bbc.co.uk /2/hi/europe/7421157.stm, siehe auch Friends of Mount Athos (Hg.), Annual Report 2008, Oxford 2009, S. 17. Vgl. Konidaris, The Mount Athos Avaton, S. 3. Vgl. „Frauen stürmen Mönchsrepublik Athos“, in: Spiegel Online, abrufbar unter: http://www.spiegel.de/panorama/0,1518,527699,00.html. Vgl. ebd. Dieses Ereignis wurde von europäischen Medien breit kommentiert. Siehe „Frauen schänden männliches Territorium“, in: Stern Online, abrufbar unter: http://www.stern.de /panorama/moenchsrepublik-athos-frauen-schaenden-maennliches-territorium-607303.html. Auch in der polnischen Zeitung „Gazeta Wyborcza“ erschien ein Bericht diesbezüglich, vgl. „Grupa kobiet w zakazanej strefie Athos“, in: Gazeta Wyborcza, abrufbar unter: http://wyborcza.pl/1,86693,4822995.html; vgl. auch Friends of Mount Athos (Hg.), Annual Report 2008, S. 16. Vgl. Eleni Sotiriu, „Contested Masculine Spaces in Greek Orthodoxy“, in: Social Compass 51/4 (2004), S. 507.

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Der Athos und die Politik – der politische Modernisierungsprozess

said she believed that men and women should know their proper places and that a woman’s proper place was certainly not on Mount Athos.“111 Die Avaton-Regel findet besonders in der griechischen Gesellschaft große Zustimmung. Es gibt natürlich auch gegenläufige Meinungen in Griechenland, wie die von Anna Karamanou zum Beispiel: „[…] nowadays when equal rights for men and women are officially recognized, this prohibition cannot be valid any longer“ 112. Diese Stimmen sind jedoch in der Minderheit. Die meisten Griechinnen betonen die Argumente für die Beibehaltung der Avaton-Regel, wobei sie oft auf die Wichtigkeit der Tradition verweisen. Hier kommt die im dritten Kapitel beschriebene Tatsache zum Tragen, dass im ostkirchlichen Raum die Tradition als heilig angesehen wird. Traditionen sollten nicht verändert werden. Diesbezüglich ist die Meinung von Sofia Vossou, einer griechischen Sängerin, das beste Beispiel: Although I am eager to pilgrimage to Athos, I think that the things must remain as they have been defined by our traditions. It is not bad at all to have some tradition. To my mind, the ideas of society suggested by modernists are devoid of respect and of our own ego. If finally the prohibition for women to visit Athos is lifted, it will be like abolishment of Christmas tree or Christmas itself. If my church allows, I would be the first to visit Athos. But for the time being, I keep up the traditions of my church as I am an Orthodox Christian. I respect the church and its regulations.113

Mit diesen widersprüchlichen Meinungen sieht sich auch die EU konfrontiert, weshalb daraus auch widersprüchliche Entscheidungen resultierten. Wie schon gezeigt wurde, erkannte die EWG und später auch die EU die Avaton-Regel in offiziellen Dokumenten an. Andererseits wurde diese Regel von verschiedenen EU-Gremien auch stark kritisiert. Am 14. Januar 2003 beschloss das Europäische Parlament mit 277 zu 255 Stimmen die Aufhebung des Zutrittsverbots.114 Dieser Beschluss hatte die Form einer nicht-verbindlichen Resolution, die die Situation der Grundrechte in den Mitgliedsstaaten im Jahr 2001 beschrieb. Punkt 98 dieses Dokumentes bezieht sich auf die Avaton-Regel und lautet folgendermaßen: [Das EU-Parlament – Ł.F.] requests the lifting of the ban on women entering Mount Athos in Greece, a geographical area of 400 km², where women's access is prohibited in accordance with a decision taken in 1045 by monks living in the twenty monasteries in the area, a decision which nowadays violates the universally recognised principle of gender equality, Community non-discrimination and equality legislation and the provisions relating to free movement of persons within the EU.115

Da diese Abstimmung nur den Status einer Resolution und nicht den eines Gesetzes hatte, blieb sie ohne Konsequenzen. Am 5. September 2003 wurde die Avaton-Regel 111 112

113 114 115

Clark, Why Angels Fall, S. 5. Sergey Stepanov, „Athos and Women: Different Opinions“, in: Pravda, abrufbar unter: http://orthodoxeurope.org/page/6/1.aspx; siehe auch Sotiriu, „Contested Masculine Spaces in Greek Orthodoxy“, S. 507. Stepanov, „Athos and Women: Different Opinions“. Gogos, Wo die Erde den Himmel berührt, S. 11. Siehe auch Sotiriu, „Contested Masculine Spaces in Greek Orthodoxy“, S. 506. „Basic rights in the EU (2001)“, in: Europarl Online, abrufbar unter: http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+TA+P5-TA-2003-0012 +0+DOC+XML+V0//EN.

Die Europäische Union

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nochmals seitens der EU angegriffen. Dieses Mal veröffentlichte das EU-Parlament einen Bericht über die Grundrechte in der EU von 2002, in dem die Aufhebung des Zutrittsverbots gefordert wurde. Der Bericht wurde von Fode Sylla, einem französischen Abgeordneten, veröffentlicht und in einer Abstimmung des EU-Parlaments mit 221 zu 195 Stimmen und 23 Stimmenthaltungen angenommen und bestätigt. 116 Wie auch früher der Fall, hatte dieser Bericht keine Konsequenzen für den Status des Athos, da das Zutrittsverbot sowohl im Beitrittsvertrag von 1979 als auch im Vertrag von Amsterdam aus dem Jahr 1997 bestätigt wurde. Die beiden Ereignisse weisen darauf hin, dass die Avaton-Regel recht umstritten ist. Deshalb sind die Befürchtungen der Athos-Mönche, dass die EU das Zutrittsverbot aufheben will, auch teilweise gerechtfertigt. Welche Pro- und Kontra-Argumente werden aber von den EU-Institutionen und ihrer Abgeordneten in Bezug auf die AvatonRegel genannt? Für die Aufhebung der Avaton-Regel spricht eigentlich nur ein Argument und zwar: Das Zutrittsverbot für Frauen ist nicht mit der Gleichstellung der Geschlechter zu vereinbaren. Da die Gleichberechtigung eine der Grundsätze der EU ist, ist die Avaton-Regel bei vielen Abgeordneten nicht gern gesehen. Darüber hinaus wird seitens der EU darauf verwiesen, dass innerhalb der Grenzen von Mitgliedsstaaten die Regel des freien Personenverkehrs gilt und das Zutrittsverbot auch gegen dieses Prinzip verstößt. In dem genannten Bericht von Fode Sylla wurden beide Argumente hervorgebracht: „[…] the restriction is a violation of the international conventions on gender equality, non-discrimination and the free movement of persons“117. Es lässt sich also sagen, dass das EU-Parlament nachvollziehbare Argumente gegen das Zutrittsverbot vorbringt, trotzdem vertritt jedoch die EU als solche keine eindeutige offizielle Haltung zur Avaton-Regel. Auf der Seite der Befürworter der Beibehaltung des status quo sind in der Diskussion über das Zutrittsverbot sowohl rechtliche als auch kulturell-religiöse Argumente zu hören. The argument based on legalities is intended mainly for ‚outside consumption‘, calling upon the rationality of non-Orthodox Europeans. The other two strategies, based on tradition and the need to protect Orthodoxy, are mainly directed to ‚insiders‘.118

Die zweite Gruppe der Argumente betont also zum einen, dass die Avaton-Regel eine mehr als 1000jährige Geschichte aufweist und darüber hinaus ein wichtiger Bestandteil des Athos ist. Die Aufhebung des Zutrittsverbots würde zu weitgehenden Veränderungen des Charakters des Athos führen, und mehr noch: Es könnte sogar das Ende der monastischen Republik bedeuten. Für die Avaton-Regel spricht zum anderen auch die Tatsache, dass diese Regel auf religiösen Prinzipien basiert – sie wurde zu einer Tradition, die im ostkirchlichen Raum heilig ist. Neben diesen zwei Argumenten religiöser 116

117 118

Vgl. „European Parliament adopts report on fundamental rights in the EU – Mt Athos status“, in: Hellenic republic. Embassy of Greece Online, abrufbar unter: http://www.greekembassy .org/embassy/content/en/Article.aspx?office=2&folder=360&article=11935; John Couretas, „Trespassers on the Holy Mountain: The EU's rights watchdogs launch an assault on Mt. Athos“, in: Acton Institute Publications, abrufbar unter: http://www.acton.org/de/pub/commentary /2003/09/17/trespassers-holy-mountain-eus-rights-watchdogs-launch-assault-mt-athos. Couretas, „Trespassers on the Holy Mountain“. Sotiriu, „Contested Masculine Spaces in Greek Orthodoxy“, S. 506.

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Der Athos und die Politik – der politische Modernisierungsprozess

Natur gibt es aber auch formelle, die den EU-Abgeordneten vielleicht plausibler erscheinen. Hier handelt es sich um die von Ioannis Konidaris, Professor für Kirchenrecht an der Universität Athen, hervorgehobenen Punkte. Konidaris betonte, dass die Avaton-Regel sowohl von der griechischen Verfassung als auch durch EUEntscheidungen anerkannt wurde und damit geltendes Recht ist.119 Er bringt auch ein Argument vor, dass die Regel der Gleichberechtigung auch Ausnahmen haben kann: The principle of equality does not preclude the different statutory regulation of dissimilar or different cases, or cases occurring under different or special conditions. On the contrary, in such cases different treatment is imperative, because various special reasons, social, economic, religious etc., fully justify different treatment, provided that such different treatment is objective and is based on general and impersonal criteria.120

Als Beispiele dieser „speziellen Fälle“ nennt Konidaris das Zutrittsverbot für Zivillisten zu Militärstützpunkten, Jagd- oder Fischfang-Verbot in manchen Gebieten bzw. zu manchen Zeiten. Zu diesen Beispielen können noch das Zutrittsverbot zu Naturschutzgebieten, Kraftwerken und anderen Orten gezählt werden. Es wird also deutlich, dass die Regel des freien Personenverkehrs viele Ausnahmen auch innerhalb der EU hat. Bei Konidaris heißt es: „Personal freedom […] is not unlimited – as indeed is the case with any other individual right.“121 Rechtlich gesehen steht also die Avaton-Regel nicht im Widerspruch zu den Grundrechten der EU. Trotz der Tatsache, dass die Avaton-Regel sich auch mit rechtlichen Argumenten verteidigen lässt, hat die EU eine ambivalente Einstellung gegenüber dieser Regel. Aus dieser unpräzisen Einstellung speisen sich die oben angedeuteten Befürchtungen der Mönche. Unter den Geistlichen des Athos herrscht Uneinigkeit, wie aus den Interviews hervorgeht, darüber, wie die EU-Pläne in Bezug auf die Avaton-Regel aussehen. Ungefähr die Hälfte der interviewten Mönche denkt, dass die EU das Zutrittsverbot aufzuheben versuchen wird, die andere Hälfte ist der gegenteiligen Meinung. Um nur einige Beispiele dieser Meinungen zu nennen: Vater D. ist sicher, dass die AvatonRegel aufgehoben wird: „Avaton will fail […] maybe not now, but it will happen for sure. In twenty years maybe.“122 Vater S. ist der Meinung, dass die Frauen aus dem EU-Parlament das Zutrittsverbot „zerstören“ wollen („to destroy the avaton of Mount Athos“).123 Dementgegen meint Vater Pl., dass die Avaton-Regel nicht aufgehoben wird: „It is not something that will ever happen.“124 Derselben Meinung ist auch Vater Ps., der die Frage, ob die EU die Avaton-Regel abschaffen wird, ganz klar verneinte.125 Diese Beispiele zeigen nicht nur, dass sich die Meinungen der Mönche pro und kontra Avaton-Regel und EU die Waage halten, sondern auch, was vielleicht wichtiger ist, dass die Geistlichen das Problem der Rolle der EU in Bezug auf den Status des

119 120 121 122 123 124 125

Vgl. Konidaris, The Mount Athos Avaton, S. 2. Vgl. ebd., S. 3. Vgl. ebd. Aus dem Interview mit Vater D. Aus dem Interview mit Vater S. Aus dem Interview mit Vater Pl. Vgl. das Interview mit Vater Ps.

Die UNESCO

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Athos wahrnehmen. Für diese Studie ist von prinzipieller Bedeutung, dass die interviewten Mönche sich selbst und die monastische Republik, in der sie leben, als Teil von Europa empfinden. Trotz der monastischen Prinzipien der Abgrenzung von der „Welt“ ist ihnen klar, dass die Ereignisse außerhalb des Athos, auch die politischer Natur, unmittelbaren Einfluss auf ihr Leben haben. Dieses Bewusstsein ist ein Zeichen der Modernisierung, die auf dem Athos in den letzten Dekaden vor sich geht.

5.2. Die UNESCO Im Jahr 1988 wurde der Heilige Berg Athos auf die Weltkulturerbe-Liste der UNESCO eingetragen, sowohl aufgrund seiner kulturellen Bedeutung als auch seiner landschaftlichen Schönheit wegen.126 Dem Athos wurde damit eine spezielle Bedeutung durch diese weltweit anerkannte Organisation zugeschrieben. Was bedeutete aber diese Entscheidung für die Mönche und wie wird sie heutzutage wahrgenommen? Worauf beruhen die Verbindungen der UNESCO mit den Athos-Mönchen? Im folgenden Teil der Studie sollen Antworten auf diese Fragen gefunden werden. Es muss zu Beginn gesagt werden, dass mit der Anerkennung durch die UNESCO mindestens drei positive Entwicklungen auf dem Athos in Gang kamen. Erstens wurde dem Athos durch diese Verleihung ein neuer Glanz gegeben, da der außergewöhnliche Charakter der Mönchsrepublik durch die UNESCO auf internationaler Ebene hervorgehoben wurde. Damit ist zweitens die Erhöhung von finanziellen Zuwendungen nach 1988 verbunden. Die Bedeutung der Anerkennung durch die UNESCO besteht drittens auch darin, dass diese Organisation sich um die Erhaltung des Status quo auf dem Athos kümmert. Die UNESCO übt also Druck auf die für die Erhaltung der Klöster verantwortlichen Organe aus, sodass sie die Renovierungen effizienter und mit besserer Qualität durchführen. Es wird auch großer Wert auf den Umweltschutz gelegt. Als Beispiel der Aktivität in diesem Bereich kann die früher erwähnte Kritik an der EU seitens der UNESCO in Bezug auf die Abholzung der Wälder genannt werden (siehe Kapitel 5.1.1). Dieser positive Einfluss der UNESCO auf den Athos ist insoweit interessant, da diese Organisation über keine eigentlichen Druckmittel für die Umsetzung eigener Resolutionen verfügt. Die UNESCO spricht nur ihre Anfragen in offiziellen Kommuniqués aus.127 Mechtild Rössler aus dem UNESCO World Heritage Centre, mit der im Laufe der Recherchen Kontakt aufgenommen wurde, erklärte die Situation folgendermaßen: „UNESCO requests the State Party to implement the decisions of the [World Heritage – Ł.F.] Committee.“128 Darüber hinaus bestehen jedoch keine Konsequenzen 126 127

128

Vgl. UNESCO (Hg.), Report of the World Heritage Committee, Brasilia 1988, abrufbar unter: http://whc.unesco.org/archive/repcom88.htm#454. Diese können eine Form von Abkommen (convention), Empfehlungen (recommendation) oder Deklarationen (declaration) haben. Letztere werden durch Resolutionen verwirklicht. Mehr zu diesem Thema siehe Laurence Boisson de Chazournes, „Monitoring, Supervision and Coordination of the Standard-setting Instruments of UNESCO“, in: Abdulqawi A. Yusuf (Hg.), Standard-Setting at UNESCO: Normative Action in Education, Science and Culture, Band 1, Leiden/Boston 2007, S. 51–72. Mechtild Rössler, E-Mail vom 7. September 2010.

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Der Athos und die Politik – der politische Modernisierungsprozess

für diejenigen Organe, die diesen Bitten nicht nachgehen wollen. Die Anforderungen der UNESCO sind also lex imperfecta.129 Gleichzeitig muss aber bemerkt werden, dass der griechische Staat, der Ansprechpartner der UNESCO in Bezug auf jede Weltkulturerbestätte in Griechenland ist,130 diesen Anforderungen meistens nachkommt und ohne Weiteres folgt. An dieser Stelle taucht die Frage auf, welche Punkte die Anforderungen der UNESCO betreffen? Welche Aspekte werden vor allem fokussiert? Um Antworten auf diese Fragen geben zu können, lohnt sich ein Blick auf die offiziellen Dokumente der UNESCO, die diese Anforderungen beinhalten. Diese seit 1988 regelmäßig herausgegebenen Dokumente sind sich, was den Athos betrifft, relativ ähnlich und beziehen sich vor allem auf zwei Angelegenheiten: die Renovierung der Klöster und den Umweltschutz. Zuerst einmal machen diese Dokumente deutlich, dass die UNESCO speziellen Wert auf die Renovierung der Klöster legt. Nach dem großen Feuer im Chilandar-Kloster 2004 forderte die UNESCO die griechischen Behörden auf, den Mönchen Sicherheitsinformationen zu vermitteln: „[…] the measures taken to minimise the damage“131. Im Jahr 2005 verlangte die UNESCO erneut in einem Bericht, dieses Mal über den Zustand der Renovierungen auf dem ganzen Athos, von den griechischen Behörden, den Empfang einer Delegation von UNESCO-Experten auf dem Athos vorzubereiten.132 Diese Delegation besuchte den Athos vom 30. Januar bis 3. Februar 2006. Die Beobachtungen wurden in dem Dokument Joint UNESCO/WHCICONOMOS-IUCN Expert Mission Report veröffentlicht. In diesen, aber auch in anderen Dokumenten der UNESCO finden sich viele positive Meinungen über die von der griechischen Regierung durchgeführten Aktionen. Die UNESCO gratulierte z.B. den Behörden für ihre schnelle und besonnene Reaktion auf die Auswirkungen des Großbrandes in Chilandar 2004: „the rapid and carefully planned response to the fire damage“133. In einem anderen Dokument lobte die UNESCO nicht nur die griechischen Behörden, sondern auch ihre Zusammenarbeit mit den Mönchen: The World Heritage Committee […] notes the exceptional quality of the efforts between national authorities responsible for heritage conservation and the leadership of the monastic

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Dazu muss hinzugefügt werden, dass die Missachtung der UNESCO-Resolutionen zu rechtlichen oder finanziellen Konsequenzen führen kann. Diese werden jedoch erstens äußerst selten – nur in extremen Fällen – und zweitens nicht direkt von dieser Organisation selbst, sondern von anderen internationalen Gremien oder Ämtern gezogen, wie dem International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia (ICTY) und die Weltbank. Vgl. de Chazournes, „Monitoring, Supervision and Coordination“, S. 65–66. „Under the 1972 Convention the UNESCO World Heritage Centre works through the State Party authorities (= States Parties which have signed the Convention)“. Mechtild Rössler, EMail vom 7. September 2010. UNESCO (Hg.), Decisions Adopted at the 28th Session of the World Heritage Committee, Paris 2004, S. 93, auch abrufbar unter: http://whc.unesco.org/en/decisions/209. Vgl. UNESCO (Hg.), Decisions of the 29th Session of the World heritage Committee, Paris 2005, S. 60, auch abrufbar unter: http://whc.unesco.org/en/decisions/388. Ebd., S. 60.

Die UNESCO

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community to collaborate fruitfully and effectively to ensure the long term conservation of the property.134

Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass die UNESCO mit den Renovierungsarbeiten auf dem Athos zufrieden ist. Da der Athos auch aufgrund seiner landschaftlichen Schönheit auf die Liste des Weltkulturerbes gesetzt wurde, betreffen die Anforderungen der UNESCO auch den Umweltschutz. Der wichtigste Punkt auf dieser Ebene ist sicherlich der Zustand der Wälder auf dem Athos. Die UNESCO drückte ihre Sorge über die Abholzung aus.135 Darüber hinaus forderte sie von der Athos-Regierung nach dem großen Waldbrand von 1990 eine Bewaldungsaktion zu beginnen. Im Jahr 1992 drückte die UNESCO ihre Zufriedenheit in Bezug auf die Resultate dieser Aktion in einem Bericht aus. 136 In späteren Dokumenten taucht das Thema der Abholzung immer wieder auf, weil die Wälder auf dem Athos weiterhin sowohl zu kommerziellen Zwecken als auch auf-

Abb. 16

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Sägewerk beim Xenofontos-Kloster

UNESCO (Hg.), Decisions Adopted at the 30th Session of the World Heritage Committee, Paris 2006, S. 76, auch abrufbar unter: http://whc.unesco.org/en/decisions/1120. Siehe UNESCO (Hg.), Report on the Joint Expert Mission to Mount Athos. UNESCO (Hg.), World Heritage Committee Report, Santa Fe 1992, S. 33, auch abrufbar unter: http://whc.unesco.org/en/decisions/3430.

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Der Athos und die Politik – der politische Modernisierungsprozess

grund des Ausbaus der Straßen abgeholzt werden. Trotz der Bemühungen die Wälder zu schützen, befinden sie sich jedoch in ständiger Gefahr, die vor allem auch durch Brände gegeben ist. Die UNESCO-Dokumente weisen also immer wieder auf diese Gefahren hin. Eine interessante Entwicklung im Bereich des Waldschutzes, die auf die Aktivität der UNESCO zurückgeht, sind die diesbezüglichen Aktionen der Mönche. In den 1990er Jahren gründete die monastische Regierung auf dem Athos eigens eine Forstbehörde (the forestry ephorate). Dieses Gremium besteht aus drei Mönchen dreier verschiedener Klöster, die sich um den Zustand der Wälder kümmern.137 Sie sorgen in erster Linie für den Brandschutz der Wälder und die Bewaldung, haben aber auch Mitspracherecht im Hinblick auf Ausmaß und Ort der Abholzungen. Diese vielfältigen Aufgaben werden von den Mönchen sehr effizient ausgeführt, was auch die UNESCO als eine „positive Entwicklung“ im Bereich des Umweltschutzes auf dem Athos beschreibt.138 Zu den wichtigsten Erfolgen der Forstbehörde gehört die Erstellung eines „Forestry management“-Plans139 für jedes Kloster, mit dessen Hilfe die Abholzungen und Bewaldung systematisch und kontrolliert durchgeführt werden können. Neben der Sorge für die Wälder übt die UNESCO ebenfalls sehr großen Druck auf die Abfallpolitik der Athos-Klöster aus. Die UNESCO-Experten konnten das Problem mit den Abfällen verschiedener Art während ihres Aufenthaltes auf dem Athos mit eigenen Augen sehen, was sich in ihrem Bericht nachlesen lässt, da dieses Problem an mehreren Stellen behandelt wird. Dort heißt es beispielsweise: „[...] various unregulated dumping areas for garbage are located throughout Mt. Athos. These not only contribute to environmental degradation, but constitute potential fire hazards.“140 Aus diesem Grund betonte die UNESCO die Notwendigkeit einer einheitlichen Abfallpolitik für den ganzen Athos. Einige der Punkte sollten jedoch schon vor dem Zeitpunkt, an dem dieser Plan in Kraft treten soll, umgesetzt werden. Hierunter fallen vor allem der Abtransport der Fahrzeugwracks sowie der Abschluss eines Vertrages, der den Abtransport des übrigen Abfalls von der ganzen Halbinsel regelt.141 Diese Forderungen sind in Form von Empfehlungen („recommendations“) abgefasst, was nochmals darauf hinweist, dass die UNESCO über keine eigentlichen Druckmittel für die Durchsetzung ihrer Vorschriften verfügt. Aus eben diesem Grund gelang es der UNESCO bis jetzt nicht, die Erstellung eines Management-Plans für den Athos bei den griechischen Behörden durchzusetzen. Dieser wurde schon 2006 empfohlen, bis heute hat sich in dieser Hinsicht jedoch noch nichts getan.142 Das Ziel dieses Planes sollte vor allem in der Koordinierung aller Aktionen liegen, die auf dem Athos ausgeführt würden. Hierbei handelt es sich sowohl um Renovierungsarbeiten als auch alle Unternehmungen im Bereich des Umwelt137 138 139 140 141 142

Vgl. UNESCO (Hg.), Report on the Joint Expert Mission to Mount Athos, S. 10. Vgl. ebd., S. 13. Vgl. ebd., S. 13. Vgl. ebd., S. 14. Vgl. ebd., S. 19–20. Vgl. UNESCO (Hg.), Decisions Adopted at the 30th Session, S. 76 und UNESCO (Hg.), Decisions Adopted at the 32nd Session of the World Heritage Committee, Paris 2008, S. 79, auch abrufbar unter: http://whc.unesco.org/en/decisions/1649.

Die UNESCO

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schutzes. Der Plan ist, neben den beiden zuletzt genannten Bereichen, die dritte große Forderung der UNESCO an die griechischen Behörden. Die Durchsetzung des Plans liegt der UNESCO besonders am Herzen, weil koordinierte Aktionen viel effizienter ausgeführt werden können. Das Problem liegt jedoch darin, dass jedes Athos-Kloster autonom ist und die Forderung nach einem klosterübergreifenden Plan als Bedrohung für diese Autonomie empfunden wird. Eine vierte Hauptforderung der UNESCO zielt auf den Bereich des Brandschutzes. Wie schon angedeutet liegt das Ziel dieser Organisation in der Beibehaltung des Status quo der Orte, die als Weltkulturerbe anerkannt wurden. Da die Brände eine große Gefahr für die Erhaltung des Zustandes darstellen, legt die UNESCO größten Wert auf den Ausbau von Brandschutzsystemen. Zu den Empfehlungen gehören jedoch nicht nur Investitionen im Bereich der Infrastruktur, sondern auch solche Aspekte wie Schulungen für die Mönche, Workshops für das für den Brandschutz verantwortliche Personal auf dem Athos und allgemeine Sicherheitsschulungen („risk preparedness study“).143 Die UNESCO hieß die Aktionen der Mönche in diesem Bereich willkommen. In einigen Klöstern (z.B. Iviron, Simonos Petras) wurden laut dem UNESCOBericht „fire suppression teams“ gegründet, für welche die dazugehörenden Mönche ein spezielles Training absolviert hatten. Diese Schulungen werden regelmäßig von den Feuerwehrleuten in Karyes organisiert.144 Dem Bericht nach werden in den Klöstern sogar Feueralarmübungen durchgeführt. Allerdings besteht hier jedoch noch Raum für Verbesserungen, da die Übungen in manchen Fällen nur im Abstand von einigen Jahren stattfinden.145 Die oben beschriebenen Interessengebiete der UNESCO deuten darauf hin, dass der Einfluss dieser Organisation auf das Leben auf dem Athos von einiger Bedeutung ist. Dies ist trotz der Tatsache, dass die UNESCO keine Druckmittel auf die griechische Regierung oder die Mönche selbst hat, der Fall. Wie beschrieben wurde, haben die Entscheidungen nur die Form von Abkommen, Empfehlungen oder Deklarationen. Die UNESCO stellt keine Geldmittel für die Athos-Klöster bereit.146 Der einzige finanzielle Vorteil der Klöster aus den Verbindungen mit der UNESCO liegt darin, dass sie sich dank der Anerkennung als Weltkulturerbe über mehr Ruhm und dadurch auch über mehr Spenden und internationale Hilfe freuen können. Letztendlich ist also die Anerkennung durch die UNESCO auch in diesem Bereich von Bedeutung. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die UNESCO vor allem vier Aspekte des Lebens auf dem Athos in Augenschein nimmt. Es handelt es sich um Renovierungen, Umweltschutz, die Entwicklung eines Management-Plans und den Brandschutz. An dieser Stelle soll die Perspektive gewechselt und die Aufmerksamkeit auf die Sicht der Mönche auf das Handeln der UNESCO gelenkt werden. Was denken die Mönche über die UNESCO? Wie empfinden sie die Aktionen dieser Organisation? Die folgenden Ausführungen stützen sich überwiegend auf das während der Feldforschungen gesammelte Material. Aus diesem Material ergeben sich interessante Fakten. Ganz deutlich lässt sich sagen, dass die Mönche viel weniger über die UNESCO und 143 144 145 146

Vgl. UNESCO (Hg.), Report on the Joint Expert Mission to Mount Athos, S. 15–16. Vgl. ebd., S. 16. Vgl. ebd., S. 16. Mechtild Rössler, E-Mail vom 7. September 2010.

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Der Athos und die Politik – der politische Modernisierungsprozess

ihre Aktionen wissen als über die Beziehungen zur EU. Zwei Mönche haben ausdrücklich gesagt, dass sie noch nie etwas von dieser Organisation gehört haben und nicht wissen, was sich hinter diesem Namen verbirgt.147 Dies liegt wahrscheinlich daran, dass die UNESCO sich nicht finanziell an den Renovierungen beteiligt und ihre Präsenz auf dem Athos darüber hinaus nicht so erkennbar wie die der EU ist. Da das Jahr 1988, also der Zeitpunkt der Eintragung des Athos auf die Liste des Weltkulturerbes, als Beginn der Untersuchungen für diese Studie gewählt wurde, wurde auch nach der Bedeutung gefragt, die dieses Datum für die Mönche hat. Hier gaben die Mönche sehr ähnliche Antworten. Die meisten der gefragten Geistlichen sind der Meinung, dass 1988 niemand die Auszeichnung durch die UNESCO wahrnahm. Bei Vater F. heißt es: „To be honest, I do not believe that monks would care about it […]. I do not believe that someone at least in 1988, would care about becoming a member of UNESCO.“148 Es ist an dieser Stelle betonenswert, dass dieselben Mönche, die sich in dieser Weise äußerten, gleichzeitig auch der Meinung sind, dass die Eintragung langfristig doch von Bedeutung war. Vater I. gab eine positive Antwort auf die Frage nach der Bedeutung dieses Ereignisses für den Athos: „Yes, I think that would sound important, as it would be for any other place in the world.“149 Hier wiederum wird deutlich, dass die Auszeichnung der UNESCO nicht wirklich wahrgenommen wird. Erst auf Nachfrage stimmen die Mönche zu, dass dieses Ereignis einen Einfluss auf das Leben auf dem Athos hatte. In Bezug auf die UNESCO waren zwei Mönche der Meinung, dass diese Organisation von den „Feinden des Christentums“ gegründet und geleitet wurde. Vater Se. bezeichnete diese Organisation als „ein zionistisches Gebilde“150, während Vater Mo. Kommunisten als Machthaber in der UNESCO sehen möchte. Er stützte seine Äußerungen sogar mit einem Zitat von Vater Serafim, einem US-Amerikaner, der in den 1960er Jahren zur Orthodoxie konvertierte. Laut dem von Vater Mo. zitierten Serafim waren sechzehn von siebzehn Gründern der UNESCO Kommunisten.151 Daher wird die UNESCO von beiden Geistlichen als gefährlich erachtet. Bei Vater Mo. heißt es: „You see Antichrist was the founder of this organization. UNESCO is dangerous. It is good now, but it can change from good into evil at once.“152 Aus den zitierten Äußerungen werden mindestens zwei Punkte deutlich. Zuerst lässt sich sagen, dass ein Teil der Mönche auf dem Athos Vorurteile gegen die UNESCO hat. Diese Vorurteile führen zweitens zu einer negativen Betrachtungsweise dieser Organisation, was wiederum die Entstehung einer Atmosphäre der Angst vor der UNESCO als Folge hat. Wie verbreitet diese Vorurteile sind, lässt sich nur vermuten. Zu den langjährigen Gegnern der UNESCO, wie auch anderen säkularen Organisationen, gehören sicherlich die Mönche der Esfigmenou-Gemeinschaft, die direkt im Kloster wohnen.153 Sie lehnen jeglichen 147 148 149 150 151 152 153

Vgl. die Interviews mit Vater M. und mit Vater N. Aus dem Interview mit Vater F. Aus dem Interview mit Vater I. Das Gespräch mit Vater Se. Vgl. das Interview mit Vater Mo. Aus dem Interview mit Vater Mo. Es gibt eine zweite Esfigmenou-Gemeinschaft, die vom Ökumenischen Patriarchen anerkannt wurde und ihren Sitz in Karyes hat. Mehr zu diesem Thema siehe Kapitel 6.5.

The Friends of Mount Athos

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Kontakt mit der EU, der UNESCO und anderen säkularen Organisationen rigoros ab. Die Interviews bestätigen aber, dass auch in anderen Klöstern Mönche leben, die die Beziehungen zur UNESCO als gefährlich betrachten. Letztendlich jedoch sind diese Stimmen nicht allzu oft zu hören. Der Grund dafür liegt darin, dassdie Aktionen dieser Organisation nur wenigen Mönchen bekannt sind und dadurch nicht ins Kreuzfeuer der Kritik geraten.

5.3. The Friends of Mount Athos Neben den großen weltbekannten internationalen Organisationen wie der EU und der UNESCO pflegen auch andere, viel kleinere Vereine Kontakte mit den Mönchen auf dem Athos. Zu dieser Gruppe gehören auch Nichtregierungsorganisationen (NGOs) wie z.B. The Friends of Mount Athos (im Weiteren FoMA genannt), die keine mit den früher beschriebenen Organisationen vergleichbare Bedeutung für das Leben auf dem Athos haben. Trotzdem sind die Aktionen der FoMA interessant, weil die Kontakte der Mönche mit NGOs eine Neuerung darstellen. Zwar standen die Mönche schon seit jeher in ständigem Kontakt mit Laien, niemals aber mit Laien-Organisationen. Aus diesem Grund sollen die Beziehungen zwischen den Athos-Mönchen und der FoMA im Folgenden im Mittelpunkt stehen. Die FoMA ist eine englische Organisation, die 1990 durch eine Gruppe von englischen Athos-Pilgern gegründet wurde. Im Laufe der Zeit wuchs sowohl die Zahl der Mitglieder als auch die Zahl der Nationalitäten, die im Verein vertreten sind, sodass die FoMA heutzutage multinational besetzt ist, wobei die meisten Mitglieder immer Engländer sind. Im Jahr 2009 belief sich die Zahl der Mitglieder auf 846 Personen.154 Von Anfang an hatte diese Organisation ein zweifaches Ziel: Zum einen das Sammeln von Spendengeldern für die Athos-Klöster, zum anderen die Verbreitung des Wissens über den Athos.155 Um dies zu erreichen, arbeitet die FoMA mit der Athos-Regierung und den Mönchen zusammen. In der Vereinssatzung heißt es dazu: „in consultation with the monastic authorities“.156 Dieses Zitat weist eindeutig darauf hin, dass der Aufbau von Kontakten mit den Mönchen eine der primären Aufgaben des Vereins ist, da sonst die Erfüllung ihrer Ziele unmöglich wäre. Hilfreich ist dabei wohl durchaus, dass dieser Organisation bekannte Personen angehören. So ist beispielsweise Prinz Charles ein Ehrenmitglied der Organisation. Der Metropolit Kallistos von Diokleia, Konvertit aus dem Anglikanismus und Autor von zahlreichen Publikationen über die Orthodoxie, ist ebenso Mitglied und erfüllt zudem die Funktion des Vereinspräsidenten. Im Laufe der letzten zwei Jahrzehnte organisierten die Mitglieder der FoMA verschiedene Aktionen, die zur Erfüllung der in der Satzung festgelegten Aufgaben beitragen sollten. Eine der größten Aktionen war die Sammlung von Spenden für das Chilandar-Kloster nach dem Brand im Jahr 2004. Bis Ende 2008 kamen 45.000 Pfund für 154 155 156

Vgl. Graham Speake, „The Society’s Year: 2009“, in: Friends of Mount Athos (Hg.), Annual Report 2009, Chalgrove, Oxfordshire 2009, S. 7. Vgl. die offizielle Seite der FoMA: http://www.athosfriends.org/. Vgl. ebd.

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das Kloster zusammen, die für den Neubau der Bäckerei und die Renovierung der Bibliothek ausgegeben wurden.157 Diese Summe ermöglichte einen Teil der Renovierungen des zerstörten Klosters, dennoch ist sie nur ein Tropfen im Ozean, da noch 10 Millionen Euro benötigt werden, um alle Gebäude des Klosterkomplexes renovieren zu können.158 Das von der FoMA gespendete Geld wurde im Rahmen der Spendenaktion wie auch während zweier Wohltätigkeitsveranstaltungen gesammelt. Die Veranstaltungen 2004 und 2008 wurden von Prinz Charles persönlich besucht. Der britische Thronfolger nahm auch an der dritten Veranstaltung am 28. Juli 2011 teil. Für diese dringend benötigten Spenden sind die Mönche aus dem Chilandar-Kloster sehr dankbar, was von Abt Methodios betont wurde. Die zweite wichtigste Initiative der Organisation besteht in ihrem Projekt der Eröffnung alter Wanderwege, das 2001 begonnen wurde. Damit knüpfte die FoMA an die ähnliche Aktion von Reinhold Zwerger an, die zur Wiedereröffnung vieler Wege beigetragen hatte. Im Rahmen dieses Projektes reisen in jedem Sommer 14 bis 18 Mitglieder auf den Athos, um die Wanderwege von Büschen zu befreien und die Wegmarkierungen zu setzen. Während der zwei Wochen, die sie immer auf dem Athos verbringen, wohnen sie in den Klöstern und arbeiten eng mit den Mönchen zusammen. Hier ist jedoch anzumerken, dass sie nicht in jedem Kloster willkommen sind. Die Simonos Petras-Gemeinschaft, die üblicherweise für ähnliche Initiativen sehr offen ist, unterstützt das Projekt der FoMA nicht. Dort wurde einem Mönch die Aufgabe übertragen, die Wanderwege in der Nähe des Klosters zu pflegen, wodurch Hilfe von Außen nicht nötig ist.159 Dafür steht die FoMA in engem Kontakt mit der ChilandarGemeinschaft, was aufgrund der Spendenaktion schon eher eine Selbstverständlichkeit ist. Außer in Chilandar ist die FoMA-Gruppe auch öfter im Vatopedi-Kloster zu Gast. Die Teilnehmer der Wegeeröffnungs-Aktion übernachten auch in den Klöstern Iviron, Koutloumousiou, Pantokratoros und Kostamonitou.160 Daraus ergeben sich deutlich zwei wichtige Punkte: Zum einen werden Wege im Norden und im Zentrum des Athos wiedereröffnet, da die FoMA dort ihre Stützpunkte hat. Zum zweiten ist zu betonen, dass mindestens sechs Klöster eine positive Einstellung gegenüber dem Projekt dieser Organisation haben. Diese Zahl ist aber sicherlich größer, da die Mitglieder der FoMA eine Zusage der Klöster, auf deren Land sich die Wege befinden, benötigen, um die Arbeiten auszuführen. Es lässt sich also sagen, dass eine bedeutende Mehrheit der Mönche die Aktion der FoMA begrüßt. Auf der Internetseite der Organisation sind die wiedereröffneten Wege aufgelistet. Gleichzeitig wird der Verlauf der Wege genau beschrieben, sodass so viele Pilger wie möglich dort wandern können, um das Wiederzuwachsen zu verhindern. Das Wegeeröffnungs-Projekt hat also auch die Popularisierung des Wanderns auf dem Athos zum 157

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Vgl. Friends of Mount Athos (Hg.), Annual Report 2008, S. 5; Vgl. auch Archimandrite Methodios, „A Message from the Abbot of Hilandar“, in: Friends of Mount Athos (Hg.), Hilandar Appeal, [Oxford] 2011, S. 1–2. Methodios, „A Message from the Abbot of Hilandar“, S. 1–2. Für diese Information danke ich Mönch A., mit dem am 12. März 2010 ein Gespräch im Simonos Petras-Kloster geführt wurde. Vgl. John Arnell, „The 2008 Pilgrimage to Clear Footpaths on the Holy Mountain“, in: Friends of Mount Athos (Hg.), Annual Report 2008, S. 90.

The Friends of Mount Athos

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Ziel. Laut Angaben der FoMA wurden zwischen 2001, als mit dem Projekt begonnen wurde, und Ende 2009 insgesamt Wege in einer Länge von 50 Kilometern wiedereröffnet.161 Obwohl dieses Projekt also erfolgreich zu sein scheint, gibt es dennoch einen Wermutstropfen. Schon Zwerger äußerte sich eher skeptisch über die Ergebnisse von dem Wegeeröffnungs-Projekt der FoMA.162 Während der Feldforschungen 2010 wurden diese negativen Äußerungen teilweise bestätigt. Um ein Beispiel zu nennen: Der Weg von Kostamonitou nach Zograf, der als „clear“ bzw. „easy to find but with fair growth“ auf der Internetseite des Vereins beschrieben wird,163 ist an manchen Stellen aufgrund des Zuwachsens eigentlich kaum mehr begehbar. Die Angaben zum Wegverlauf sind leider an manchen Stellen irreführend oder nicht genau. Andererseits muss gegen Zwerger betont werden, dass ein Besucher auf viele Schilder der FoMA trifft, ohne die die Wege gar nicht erst gefunden worden wären. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Wegeeröffnungs-Projekt der FoMA einen großen Beitrag leistete, die Resultate jedoch nicht hervorragend sind. Dafür scheinen die Mönche selbst die Verantwortung zu tragen, weil sich ihre Unterstützung meist nur auf die Bewilligung der Aktion beschränkt. Das nebensächliche Interesse der Geistlichen ist darauf zurückzuführen, dass sie selten von Kloster zu Kloster wandern. Neben der Spendenaktion für das Chilandar-Kloster und der Aktion der Wiedereröffnung der alten Fußwege organisiert die FoMA auch andere Veranstaltungen. Jedes Jahr werden Ausflüge zu den Zentren des orthodoxen Mönchtums im Nahen Osten und Osteuropa organisiert. In jedem Januar werden Neujahrstreffen für die Mitglieder veranstaltet, im Dezember werden wieVon FoMA errichtete Wegweiser derum Weihnachtskarten Abb. 17 161 162

163

Vgl. John Arnell, „The 2009 Pilgrimage to Clear Footpaths on Mount Athos“, in: Friends of Mount Athos (Hg.), Annual Report 2009, S. 51. „Vorgestern war ich mit einem Taxi in der Gegend hinter Pantokratoros, um zu sehen, was an der Behauptung der Engländer dran ist, sie hätten den Fußweg nach Pantokratoros hinunter wieder begehbar gemacht. Nun, wenn sie überhaupt etwas gemacht haben, so war es nicht viel. […] Ich suchte nun Spuren der Arbeit, die die Engländer vor vier Monaten geleistet hatten. Wirklich gefunden habe ich nichts. Zumindest beim Kreuzen einer Straße, beim Abzweigen von einer Straße oder beim Einmünden hätte man etwas machen sollen, damit diese Stelle deutlich erkennbar ist.“ Zwerger, Wege am Athos, S. 184. http://www.athosfriends.org/footpaths/footpaths_chart/.

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Der Athos und die Politik – der politische Modernisierungsprozess

mit Ansichten vom Athos verkauft. Zu den bedeutendsten Veranstaltungen in Bezug auf den Athos gehören sicherlich auch die seit 2001 jedes zweite Jahr in Cambridge stattfindenden Konferenzen über den Athos. Im Jahr 2009 trafen sich die Mitglieder der FoMA und ihre Gäste zu einer Tagung mit dem Thema „Mount Athos: Microcosm of the Christian East“, 2011 lautete das Thema „The Earthly Heaven: The Mother of God and the Holy Moutain“. Diese Tagungen sind auch den Mönchen des Athos bekannt und einige von ihnen wurden auch als Redner eingeladen. Im Jahr 2011 hielt Vater Loukas aus dem Xenofontos-Kloster ein Referat über Marienikonen auf dem Athos. Zu den Stammgästen der Konferenz gehören auch zwei Bischöfe: der Metropolit Nikolaos von Mesogaia sowie der Metropolit Kallistos von Diokleia, die als Mönche auf dem Athos lebten. Die Mehrheit der Athoniten weiß nichts von diesen Veranstaltungen, die Bereitschaft von einigen nach England zu reisen, bestätigt jedoch die positive Einstellung den Mönchen gegenüber. Zum Abschluss der Betrachtung der FoMA-Initiativen soll noch auf den von dieser Organisation veröffentlichten AthosReiseführer hingewiesen werden. Im Jahr 2009 erschien bereits die vierte Ausgabe dieses Führers, der eine Reihe von praktischen Informationen über eine Reise auf den Athos darstellt. In diesem Büchlein wird die organisatorische Seite der Pilgerfahrt beschrieben und das Spezifikum des Athos kurz und knapp erläutert. Der Reiseführer ist wohl eine Pflichtlektüre für diejenigen, die zum ersten Mal den Athos bereisen.164 Das Wegeeröffnungs-Projekt durch die FoMA ist unter den Athos-Mönchen relativ bekannt, auch die Spendenaktion für Chilandar blieb nicht unbemerkt. Andere Initiativen der FoMA wie beispielsweise Tagungen und Publikationen werden jedoch gar nicht oder nur am Rande wahrgenommen. Was sagen aber die Mönche über die FoMA und ihre Aktionen? Hier muss noch einmal auf die während der Feldforschungen gesammelten Informationen zurückgegriffen werden. Die interviewten Mönche hatten eine überwiegend positive Einstellung gegenüber der FoMA. Vater N. weiß vor allem die Instandsetzung der Wanderwege zu schätzen, weil er selbst ein „path-lover“165 ist. Diese Aktion kennt auch Vater I. aus dem Iviron-Kloster, wo die FoMA-Mitglieder übernachten. Er betrachtet diese Aktion mit einer gewissen Skepsis, weil die meisten Mitglieder von FoMA nicht orthodox sind und auf dem Athos in ein „foreign environment“166 geraten. Darüber hinaus haben sie andere Prioritäten als die Mönche. Vater I. stören die Mitglieder der FoMA nicht („they are fairly well behaved“) 167, seine Einstellung ist trotzdem als vorsichtig zu beschreiben. Vater F. ist der Meinung, dass die Mönche, die bei der Organisation des Lebens in den Klöstern nicht mitwirken, niemals etwas über Vereine wie FoMA zu hören bekommen. Er selbst erfuhr von der FoMA erst einen Monat vor dem Interview, obwohl er im Büro des Klosters arbeitet. Vater F. lernte diese Organisation kennen, weil das Kloster einen Scheck von der FoMA bekam, den er bei der Bank einlösen musste.168 Sowohl die Ziele als auch die Struktur der Organisation sind Vater F. jedoch noch immer nicht bekannt, was wiederum zeigt, dass das Wissen über die FoMA nicht weit verbreitet ist. Die Aktionen des 164 165 166 167 168

Friends of Mount Athos (Hg.), A Pilgrim’s Guide to Mount Athos, [Oxford] 2009. Aus dem Interview mit Vater N. Aus dem Interview mit Vater I. Vgl. ebd. Vgl. das Interview mit Vater F.

Zwischenfazit

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Vereins und vor allem ihr Leuchtturmprojekt – die Wiedereröffnung der Wanderwege – werden nur in den Klöstern kommuniziert, die unmittelbar von diesen Aktionen profitieren. So ist im Süden des Athos kaum die Rede von der FoMA, während die Mönche aus den Klöstern im Zentrum und im Norden des Athos mehr darüber wissen. Im Jahr 2009 bekam die Organisation einen Brief aus dem Koutloumousiou-Kloster, in dem die Arbeit der FoMA in Bezug auf die Fußwege gelobt wird. Dort heißt es: „[...] the work carried out by the team of volunteers of the Friends of Mount Athos in England is of great importance.“169 Und weiter: [...] the Friends’ footpath project not only is welcomed but also approved as an offering to a place unique in the world for the spiritual and cultural values that it maintains. A lot of thanks therefore are owed to the association for its reliable and regular activity.170

Es ist zu vermuten, dass auch andere Gemeinschaften, die mit der Organisation kooperieren, eine ähnlich positive Einstellung aufweisen. Wie auch in vielen anderen beschriebenen Angelegenheiten sind die Stimmen in Bezug auf die Tätigkeit der FoMA geteilt. Während Klöster wie Vatopedi, Koutloumousiou und andere mit dem Verein zusammenarbeiten, haben Gemeinschaften wie Simonos Petras, Dochiariou und andere kein Interesse an Kontakten mit der FoMA. Der Unterschied zwischen politischen Organisationen und der FoMA besteht darin, dass relativ wenige Mönche über die Initiativen der FoMA Bescheid wissen. Diejenigen Gemeinschaften, die mit ihr in Verbindung stehen, weisen eine positive oder neutrale Einstellung ihr gegenüber auf. Da das Wissen über die FoMA in den Klöstern, die mit dieser Organisation nicht zusammenarbeiten, gering ist, gibt es, abgesehen von einer gewissen Skepsis, auch keine negativen Äußerungen. Es lässt sich also sagen, dass die FoMA von den Mönchen im Großen und Ganzen positiv wahrgenommen wird. Die im Vergleich zur EU geringe Bedeutung der Organisation für den Athos stört in dieser positiven Einstellung nicht. An dieser Stelle ist noch zu erwähnen, dass die Regierung des Athos sich nicht in die Zusammenarbeit der Klöster mit der FoMA einmischt, sondern ihnen allein die Entscheidung darüber überlässt. Die Kontakte zwischen den Klöstern und der FoMA stellen also eine interessante Art politischer Beziehungen dar, die sich in den letzten zwei Dekaden entwickelte. Die Impulse für die politische Modernisierung werden also nicht nur auf der Ebene der Regierung gegeben, sondern kommen auch aus den Klöstern selbst.

5.4. Zwischenfazit Die Mönche hatten seit Beginn des koinobitischen Mönchtums auf dem Athos enge Kontakte mit verschiedenen politischen Akteuren. Erste Klöster wurden mit Hilfe der byzantinischen Kaiser gegründet. Später beteiligten sich auch andere Staatsoberhäupter und die Patriarchen von Konstantinopel am Bau oder an der Neugründung der Zönobien auf dem Athos. Die politischen Kontakte zwischen den Mönchen und politischen Akteuren verschiedener Art beschränkten sich jedoch nicht nur auf den Ausbau 169 170

Friends of Mount Athos (Hg.), A Pilgrim’s Guide, S. 52. Vgl. ebd., S. 53.

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der Klöster, sondern erstreckten sich auch auf viele andere Bereiche. Die Mönche und die Klöster bekamen im Laufe der Jahrhunderte eine Reihe von Privilegien, wie z.B. Steuerentlastungen, politische Autonomie oder Zusagen für Handelstätigkeiten.171 Die Mönche strebten nach diesen Privilegien und pflegten die Kontakte mit Kaisern, Königen und allen anderen Mäzenen, die sie ihnen gewähren konnten. Beim Abschließen politischer Verträge erwiesen sich die Athos-Mönche als sehr erfolgreich und zudem praktisch orientiert. Sie entschieden sich sogar dafür, politische Kontakte mit umstrittenen Herrschern aufzubauen, wie am Anfang dieses Kapitels gezeigt wurde. Die historischen Ereignisse zeigen, dass Politik nichts Neues für die Mönche ist. Aus diesem Grund wird in dieser Studie die Meinung, dass die gegenwärtigen Entwicklungen in der politischen Situation ohne Vorbild sind, abgelehnt. An dieser Stelle muss daher auch auf die am Anfang des Kapitels gestellte Frage nach den Unterschieden und Ähnlichkeiten zwischen historischen und gegenwärtigen Prozessen politischer Natur auf dem Athos eingegangen werden. Im Hinblick auf die kurz skizzierten historischen Ereignisse lässt sich sagen, dass die Beziehungen mit der EU kein neues Phänomen darstellen. Die EU, den byzantinischen Kaisern ähnlich, unterstützt die Klöster finanziell und gewährt gleichzeitig Autonomie, die sie immer wieder in offiziellen Dokumenten bestätigt. Eine Beobachtung dieser Studie ist also, dass die Kontakte mit der EU nicht als politische Modernisierung angesehen werden sollten. Demgegenüber sind jedoch die Konsequenzen der Beziehungen mit der EU als solche zu betrachten. Wie dargestellt, gelangt das Geld aus der Abb. 18 Informationsschild über EU-Mittelzuwendung, EU nicht direkt auf den Simonos Petras-Kloster Athos, sondern wird in Athen „gefiltert“. Infolgedessen muss die Regierung des Athos mit verschiedenen Institutionen zusammenarbeiten. Dazu zählen vor allem die KeDAK wie auch das 10. Dezernat. Die Neuerung auf politischer Ebene besteht also hauptsächlich in der Entwicklung politischer Kontakte zu kleineren Institutionen, die ein Teil der griechischen Regierung sind. Die Athos-Mönche müssen also in einem viel komplexeren politischen Spiel mit der EU, 171

Zu diesem Thema siehe vor allem Harvey, „The Monastic Economy“, S. 91–97; Oikonomides, „Patronage in Palaiologan Mt. Athos“, S. 99–111.

Zwischenfazit

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der griechischen Regierung und ihren Institutionen mitspielen, als es in früheren Zeiten der Fall war. Die Neuerung besteht also in der Vielfältigkeit der Aufgaben und der Vergrößerung der Rolle der Athos-Regierung in den politischen Beziehungen. Darüber hinaus nehmen die Mönche an dem politischen Strukturwandel, der als Merkmal der Modernisierung im zweiten Kapitel beschrieben wurde, teil. Die Kontakte mit der EU haben noch eine weitere politische Konsequenz: Die Beziehungen mit Institutionen wie der KeDAK oder dem 10. Dezernat sind sehr eng, was am Beispiel der KeDAK gezeigt wurde. Es werden Briefe und Arbeitsberichte über die Renovierungen ausgetauscht, die Spezialisten der KeDAK besuchen regelmäßig den Athos und überwachen die Arbeiten. Da die Zahl der durchgeführten Projekte signifikant ist, sind auch die Kontakte zwischen den Mönchen und den genannten Institutionen sehr intensiv. Hier taucht das zweite Merkmal der politischen Modernisierung auf, und zwar die Intensivierung der politischen Kontakte. Dies wird noch deutlicher, wenn man sich die Beziehungen mit der UNESCO genauer anschaut. Wie gezeigt wurde, hat diese Organisation zwar eine kleinere Bedeutung als die EU, trotzdem hat aber auch sie einen Einfluss auf das Leben auf dem Athos. Die Kontakte mit der UNESCO sind für die Athos-Mönche eine Neuerung in dem Sinne, dass sie zum ersten Mal in der Geschichte eine Beziehung zu der weltweit anerkannten Organisation pflegen. Genauso ist es mit den Kontakten zu Nichtregierungsorganisationen (NGOs) wie z.B. The Friends of Mount Athos. Letztendlich ist also die Intensivierung der Kontakte mit verschiedenen Typen von Organisationen ein Novum auf dem Athos. Der Unterschied zwischen den historischen und den gegenwärtigen Prozessen politischer Natur auf dem Athos besteht auch darin, dass zum ersten Mal in der Geschichte die Avaton-Regel in Frage gestellt wurde. Wie die oben zitierte Alice-Mary Talbot plausibel machte, wurde das Zutrittsverbot für Frauen auf den Athos erst 1924 niedergeschrieben, weil es früher einfach keine Notwendigkeit dafür gab. Bis Ende des 20. Jahrhunderts wurde auch die Rechtskraft dieser Regel nicht in Frage gestellt. Im Jahr 2003 erließ jedoch das Europäische Parlament zwei die Avaton-Regel kritisierende Resolutionen. Diese stellten die erste Kritik an avaton seitens einer offiziellen Institution dar und ist somit als eine Neuerung auf der politischen Ebene zu verstehen. Kontakte mit verschiedenen politischen Organisationen trugen dazu bei, dass die Mönche neue Initiativen ergriffen bzw. entwickelten. Die UNESCO legt beispielsweise besonderen Wert auf den Brandschutz, infolgedessen Feueralarmübungen initiiert wurden. Die Mönche organisierten auch, teilweise auf Eigeninitiative, teilweise aufgrund des Drucks von Außen „fire suppression teams“ und nehmen an Brandschutzschulungen teil. Um die ökologischen Herausforderungen effizienter anzugehen und darüber hinaus auch besser auf die Nachfragen der EU und der UNESCO zu antworten, wurde die sogenannte „Wald Kommission“ gegründet, die aus drei Mönchen besteht. Dies ist wiederum ein neues Organ, das früher nicht bekannt war. Aus allen oben genannten Fakten lässt sich die Schlussfolgerung ziehen, dass der politische Modernisierungsprozess auf dem Athos vielschichtig ist und eine Reihe von Neuerungen beinhaltet. Im Mittelpunkt des Kapitels stand unter anderem auch die Wahrnehmung der politischen Entwicklungen auf dem Athos durch die Mönche. Es wurde gefragt, welche Rolle die Mönche in den Beziehungen mit immer neuen Organisationen spielen und

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Der Athos und die Politik – der politische Modernisierungsprozess

wie diese Kontakte von den Geistlichen wahrgenommen werden. In Bezug auf diese Fragen wurde auf die auf dem Athos durchgeführten Interviews eingegangen, die mehr Licht auf die Perspektive der Mönche werfen. Die erste Schlussfolgerung, die sich aus den Äußerungen der Geistlichen ziehen lässt, ist die Tatsache, dass es verschiedene Meinungen in Bezug auf die politischen Kontakte gibt. Von zwanzig Klöstern auf dem Athos pflegen 18 Klöster Kontakte mit der EU und nur zwei lehnen sie grundsätzlich ab. Die Beziehungen zur FoMA werden von einer zahlenmäßig bedeutenden Gruppe von Klöstern unterstützt, wobei hier die Zahl kleiner als im Fall der EU ist. Die Interviews machen außerdem plausibel, dass in Bezug auf Kontakte zur UNESCO Uneinigkeit unter den Mönchen herrscht. Manche betrachten diese Organisation als gefährlich, andere wollen zumindest etwas mehr Abstand halten. In Bezug auf alle genannten Organisationen kann aber zweitens gesagt werden, dass die Mehrheit der Mönche eine neutrale Einstellung gegenüber den Beziehungen hat. Dies wird vor allem am Beispiel der FoMA deutlich, aber auch die EU kann sich über einen relativ guten Ruf auf dem Athos freuen. Diese Einstellung ist vor allem der Tatsache zu verdanken, dass die Mönche die positiven Seiten der Beziehungen wahrnehmen. Es wird des Öfteren betont, dass sich die EU signifikant an den Renovierungen beteiligt. Die Hilfe der FoMA ist ebenso herzlich willkommen. Eine negative Einstellung gegenüber solchen Verbindungen stellt sicherlich eine Minderheit auf dem Athos dar. Das dritte Phänomen, welches in den Interviews oft auftaucht, betrifft die Befürchtungen der Mönche. Manche Geistliche vermuten, dass die genannten Organisationen im Gegenzug für ihre Hilfe etwas verlangen könnten. Die Befürchtungen sind auch mit der Meinung verbunden, dass diese Organisationen, ihre Gründer und deren Politik nicht christlich bzw. orthodox seien und daher nicht die monastischen Prinzipien verstünden, weshalb sie sich jederzeit gegen den Athos wenden könnten. Wie begründet diese Argumente sind, lässt sich hier nicht diskutieren, Fakt ist jedoch, dass solche Meinungen auf dem Athos existieren und einen negativen Einfluss auf die Wahrnehmung der Beziehungen mit den säkularen Organisationen haben. Damit ist die vierte Beobachtung, die in dieser Zusammenfassung genannt werden muss, verbunden. Es handelt sich hierbei um den Mangel an Wissen über die beschriebenen Organisationen. Die Ziele und Arbeitsweisen der EU sind zwar bekannt, es mangelt aber an Informationen über die UNESCO und die FoMA. Dies trägt sicherlich zur Verbreitung der Befürchtungen bei. Fünftens muss hier unterstrichen werden, dass sich keine klare Linie zwischen den Klöstern, die Kontakte mit allen Organisationen pflegen, und denen, die sie ablehnen, ziehen lässt. Der Grund dafür ist, dass die Klöster ihre Politik zu diesen Organisationen unterschiedlich gestalten. Mit anderen Worten: Die Gemeinschaft, die gegen Beziehungen zur EU ist, muss nicht unbedingt auch Vorbehalte gegenüber der UNESCO oder NGOs wie der FoMA haben. Hier nur zwei Beispiele: Das Simonos PetrasKloster pflegt sehr enge Beziehungen mit der EU, sieht aber die Kontakte mit der FoMA nicht gern. Esfigmenou ist wiederum ein starker Gegner der Verbindungen zur EU, während die Aktionen der FoMA wohlwollend betrachtet werden. Die letzte primäre Frage dieses Kapitels, die noch nicht beantwortet wurde, ist die nach der Rolle der Mönche in den Beziehungen zu den genannten Organisationen. Bei der Beantwortung dieser Frage müssen zwei Aspekte berücksichtigt werden: der quali-

Zwischenfazit

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tative und der quantitative Aspekt. Die Zahl der Athos-Mönche, die in Kontakt mit der EU, der UNESCO oder der FoMA stehen, ist sehr gering. In jedem Kloster gibt es nur wenige Mönche, vor allem diejenigen, die im Büro arbeiten, die für die Pflege der Kontakte zuständig sind. Außerdem werden alle Entscheidungen in Bezug auf Beziehungen zu internationalen Organisationen von den Äbten und einem sehr engen Kreis von Ältesten getroffen. Wie es auch in den Interviews geäußert wurde, hören „einfache“ Mönche nur selten etwas über diese Verbindungen und spielen daher auch keine Rolle in ihnen. In Bezug auf die Qualität der Beziehungen muss betont werden, dass die Beziehungen in den vergangenen zwei Dekaden viel enger als früher sind. Sie betreffen verschiedene Bereiche und sind viel häufiger, wie es hier schon an anderer Stelle unterstrichen wurde. Auf jeden Fall sind die Mönche nicht nur die Empfänger der Hilfe von Außen, sondern ergreifen zudem selbst die Initiative. Hier wurde diesbezüglich auf die Mönche aus Simonos Petras hingewiesen, die Geldzuwendungen aus der EU beantragten. Die Mönche organisieren sich auch in Kommissionen, wenn es nötig ist, wie das Beispiel der Waldkommission gezeigt hat. Die Regierung des Athos unterstützte ebenso verschiedene Initiativen und erwies sich mehrfach als ein sehr erfolgreiches Gremium. Zusammenfassend muss also betont werden, dass die politische Situation auf dem Athos viele Merkmale moderner Politik aufweist. Hier sind vor allem Rechtsetzung (Entscheidungen der EU in Bezug auf die Autonomie des Athos und die AvatonRegel), Kontrolle von Ressourcen auf der Einnahme- und Ausgabenseite und Deutungsmacht sozialer Situationen gemeint. Aus diesem Grund lassen sich die Entwicklungen im Bereich der Politik auf dem Athos als ein Modernisierungsprozess beschreiben. Wie gezeigt, spielen die Mönche eine bedeutende Rolle in diesem Prozess und steuern ihn mit.

6. Der kulturell-gesellschaftliche Modernisierungsprozess Eine Beschreibung der Modernisierungsprozesse auf dem Athos seit 1988 ist ohne den Bezug auf eine Reihe von Ereignissen und Entwicklungen, die sich zu der kulturellgesellschaftlichen Ebene der Modernisierung zählen lassen, nicht denkbar. Dies erklärt sich dadurch, dass diese Ebene von großer Bedeutung für den Ablauf von Modernisierung ist. Die besondere Wichtigkeit der kulturell-gesellschaftlichen Prozesse liegt vor allem darin, dass sie eine äußerst heterogene Gruppe bilden, die sich auf viele Aspekte des Alltags bezieht und dadurch zu den Entwicklungen in vielen Bereichen des Lebens auf dem Athos beiträgt. Aus diesem Grund wird sich das folgende Kapitel auf ausgewählte Punkte konzentrieren, wie z.B. das gegenwärtige Selbstbewusstsein der Mönche als auch ihre Wahrnehmung anderer Kulturen oder die Neuorganisierung des monastischen Lebens. Dabei stehen vor allem die Bildung und der demographische Wandel im Vordergrund. Ebenso betrachtet wird die endgültige Übernahme der koinobitischen Lebensweise in allen Klöstern. Das Interesse dieses Kapitels liegt des Weiteren in der Beschreibung der Kontakte zwischen Athos-Mönchen und Pilgern. Hier wird danach gefragt, wie die Pilger von den Mönchen wahrgenommen werden, es wird aber auch die Frage gestellt, ob sich das Verhalten der Geistlichen durch diese Kontakte einem Wandel unterzog. Damit werden alle wichtigen, nach 1988 vorkommenden Entwicklungen betrachtet und ausführlich beschrieben. Der folgenden Analyse liegt die Annahme zugrunde, dass die kulturellgesellschaftliche Modernisierung in der Gewichtung gleichwertig zu allen übrigen auf dem Athos verlaufenden Prozessen ist. Zudem wird in dieser Studie die These aufgestellt, dass dieser Prozess eine unentbehrliche Ergänzung zu den zwei anderen Ebenen der Veränderungen ist. Dadurch kann die Modernisierung der kulturellgesellschaftlichen Ebene nicht allein als Ergebnis der wirtschaftlichen und politischen Veränderungen angesehen werden, sondern eher als ein Schwungrad der genannten Veränderungen. Mit anderen Worten, die Einführung neuester Technologien wie auch die Intensivierung der Kontakte mit der politischen Welt sind auf die Prozesse im kulturell-gesellschaftlichen Bereich zurückzuführen. Alle diese Hypothesen werden bei der Beschreibung der Rolle der einzelnen Veränderungen in der kulturellen Ausgestaltung und gesellschaftlichen Organisation des Athos zur Diskussion gestellt.

6.1. Die Rückkehr zur koinobitischen Form der Kloster– organisation Im Jahr 1992 hat die Gemeinschaft aus Pantokratoros die Form der koinobitischen Klosterorganisation übernommen. Dieses Kloster war das letzte auf dem Athos, das diese Entscheidung traf, womit seit 1992 alle Klöster koinobitisch sind. Schon Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre durchlief der Großteil der Gemeinschaften

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Der kulturell-gesellschaftliche Modernisierungsprozess

diesen Wandel.1 Hier ist anzumerken, dass 1977 noch neun Gemeinschaften idiorhythmisch waren. Im folgenden Teil der Studie wird gefragt, warum diese Klöster zum Koinobitentum wechselten. Welche Gründe trugen zu dieser rapiden Veränderung in der Organisation des monastischen Lebens auf dem Athos bei? Hinter diesen Fragen verbirgt sich die primäre Angelegenheit dieses Teils der Studie, nämlich die Feststellung der Bedeutung des genannten Wandels. Zuerst werden jedoch die Unterschiede zwischen den beiden monastischen Lebensformen erläutert und die geschichtlichen Umstände beschrieben. Das Wort koinobitisch bedeutet so viel wie „zusammen leben“ bzw. „gemeinsames Leben“2 und ist von den griechischen Wörter κοινóς und βίος abgeleitet. Der Name selbst weist schon darauf hin, wie das Leben in einer koinobitischen Gemeinschaft aussieht: Die Brüder leben zusammen, das heißt sie essen, beten und arbeiten gemeinsam. In dieser Art von Gemeinschaft haben die Mönche keinerlei privaten Besitz, außerdem sind die Mönche zu unbedingtem Gehorsam gegenüber dem Abt verpflichtet. Demgegenüber lässt die idiorhythmische Klosterorganisationsform den Mönchen mehr Freiheit: Die Mönche leben mehr nebeneinander als miteinander. Sie leben zwar in einem Kloster bzw. in naher Entfernung (Skiten), treffen sich aber nur von Zeit zu Zeit, meistens während des Sonntagsgottesdienstes. Den Mönchen selbst ist es überlassen, wie viel sie arbeiten und beten möchten, woher der Name stammt: Idiorhythmie bedeutet wortwörtlich „eigener Rhythmus“ (ίδιος + ρυθμóς). Die Brüder müssen sich auch nicht dem Gebot der Besitzlosigkeit fügen und können privates Eigentum haben. Dies bedeutet wiederum, dass innerhalb einer idiorhythmischen Gemeinschaft sowohl reiche als auch arme Mönche leben können. Die ersten tendieren zu besserem Essen und einem Leben in komfortableren Zimmern. Die Gemeinschaft wird von einem Rat der Ältesten geleitet. Die beiden Formen des monastischen Lebens haben eine sehr lange Tradition und ihre Entstehung ist eng mit dem Leben der ersten Wüstenväter in Ägypten verbunden. Die Idiorhythmie wird manchmal auf den Antonius (den Großen genannt) zurückgeführt, der die erste bekannte monastische Gemeinschaft im Jahr 305 gründete.3 Antonius lebte 50 Jahre in der Wüste Ägyptens und hatte viele Anhänger, die ihn als geistlichen Vater betrachteten und in seiner Siedlung wohnten. Der Heilige selbst schrieb aber keine Regel des Mönchtums nieder, er wurde jedoch schnell zur Hauptgestalt des früheren christlichen Mönchtums, weil schon einige Jahrzehnte nach seinem Tod seine Vita verfasst wurde, dank der sein Leben in Einfachheit und Alleinsein sowie seine

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Im Jahr 1990 wechselten Vatopedi und Iviron zum Koinobitentum und zwei Jahre später auch Chilandar, vgl. Lyttle, Miracle on the Monastery Mountain, S. 371; Speake, The Importance of Mount Athos, S. 3. In englischem Sprachraum wird der Begriff „common life“ verwendet, Vgl. René Gothóni/Graham Speake (Hg.), The Monastic Magnet: Roads to and from Mount Athos, Bern 2008, S. 42. Mehr zu diesem Begriff und zu den Anfängen des Mönchtums siehe Talbot, „An Introduction to Byzantine Monasticism“, S. 229–241; Theodor Nikolaou, „Between the Eastern and Western Churches: Monasticism as a Bridge“, in: St Vladimir’s Theological Quarterly 37/1 (1993), S. 23–37. Vgl. Dunn, The Emergence of Monasticism, S. 2.

Die Rückkehr zur koinobitischen Form der Klosterorganisation

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spirituellen Errungenschaften bekannt wurden.4 Entgegen der Meinungen derjenigen, die ihn als Gründer der Idiorhythmie sehen wollen, bevorzugte Antonius jedoch die Besitzlosigkeit und ist eher als Gründer des Mönchtums überhaupt zu betrachten.5 Die Anfänge des Koinobitentums sind einfacher zu bestimmen. Die erste Gemeinschaft mit koinobitischen Merkmalen wurde vom Heiligen Pachomios dem Älteren (bzw. dem Großen) in den 320er Jahren gegründet. Pachomios, der beim römischen Militär war, übernahm das ihm bekannte Muster des Lebens in der Armee für seine monastische Gemeinschaft. Die Mönche lebten in seiner Bruderschaft gemeinsam in einem Kasernen ähnlichen Komplex und arbeiteten zusammen für die ganze Gemeinschaft. Privater Besitz wurde nicht zugelassen und die Mönche trafen sich, neben den privaten Gebeten, auch täglich während gemeinsamer Gottesdienste. Der Vorteil des gemeinsamen Lebens in den Augen von Pachomios, der bis zum heutigen Tag hervorgehoben wird, war die geistliche Unterstützung, die die Mitbrüder sich gegenseitig geben konnten.6 Allein würde der Kampf gegen die „Dämonen“ viel schwieriger sein. Ähnlicher Meinung war auch Basilius von Caesarea, der als erster die monastische Regel niederschrieb, die mit kleinen Veränderungen bis heute gültig ist. 7 In der von ihm in den 360er und 370er Jahren geleiteten Gemeinschaft waren alle Merkmale des heutigen Mönchtums zu sehen: Besitzlosigkeit, gemeinsames Gebet und Essen, gemeinsame Arbeit und Gehorsam gegenüber dem Abt.8 Neben den zwei genannten monastischen Lebensformen ist noch das Eremitentum zu erwähnen, das eigentlich die älteste Form darstellt. Dieser Begriff bezieht sich auf die Männer und Frauen, die in völliger Abgeschiedenheit leben und sich vollkommen dem Gebet und der Kontemplation hingeben. Das Wort Eremitentum stammt von der griechischen Bezeichnung für die Wüste, eremos (έρημος), weil die ersten Eremiten tatsächlich in der Wüste Ägyptens und Palästinas lebten. Diese kontemplative Lebensweise hat sich bis zum heutigen Tag erhalten und gilt als die strengste Form monastischen Lebens. Es wird deutlich, dass es schon von Anfang an verschiedene Ideen über die Organisation des monastischen Lebens gab. Der genannte Basilius von Caesarea war beispielsweise Befürworter des Koinobitentums. „According to Basil, the anachoretic ideal falls short of the demands of Christ for, apart from the love of God, Christ demanded the love of our neighbour.“9 Dementgegen war aber auch Basilius und den

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Mehr zu der Vita des Antonius siehe Douglas Burton-Christie, „Athanasius (c.295–373): The Life of Anthony“, in: Arthur Holder (Hg.), Christian Spirituality: The Classics, New York 2010, S. 13–24. Vgl. Dunn, The Emergence of Monasticism, S. 8–9. Vgl. Mayeul de Dreuille OSB, Seeking the Absolute Love: The Founders of Christian Monasticism, Trowbridge/New York 1999, S. 26–32. Diese Regel wurde in mehrere Sprachen übersetzt. Für die deutsche Übersetzung siehe Basilius von Caesarea, Die Mönchregeln. Für eine hervorragende Studie zu Basilius von Caesarea und seinen Regeln siehe Anna M. Silvas, The Asketikon of St. Basil the Great, Oxford/New York 2005. Buss, The Russian-Orthodox Tradition and Modernity, S. 103.

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Der kulturell-gesellschaftliche Modernisierungsprozess

anderen Wüstenvätern klar, dass nur die Mönche, die ganz allein lebten, das Ideal der ungestörten Hingabe zu Gott erfüllen konnten.10 Auch auf dem Athos war dies der Fall, wo sich die ersten Eremiten wahrscheinlich im 8. Jahrhundert ansiedelten. Sie lebten einzeln oder in kleinen Siedlungen (Lavren), wie sie auch der Antonius der Große begründet hatte. Die koinobitische Klosterorganisationsform wurde erst 963, als das erste Kloster gegründet wurde, vom Heiligen Athanasios auf dem Athos eingeführt. Seitdem waren alle neugegründeten Klöster ausschließlich koinobitisch, wobei auch die idiorhythmische Form und das Eremitentum auf dem Athos erhalten blieben. Über die Jahrhunderte hinweg wurde diskutiert, welche der beiden Formen besser für das Mönchtum geeignet ist. The debate over these forms of monastic life continued throughout the Byzantine centuries, especially on Athos and other holy mountains, where hermits and cenobitic monks could be found in close proximity to each other, and where monks might exchange one form of monastic life for the other during the course of their spiritual careers.11

Da alle neuen Klöster koinobitisch waren, lässt sich die These aufstellen, dass die Gründer der Gemeinschaften auf dem Athos doch die koinobitische Lebensweise favorisierten. Seit dem 15. Jahrhundert konnte aber ein Trend zur Idiorhythmie beobachtet werden: Die schon existierenden Klöster wechselten allmählich zur idiorhythmischen Form.12 Diese Entwicklung ist zuerst einmal auf die politisch-ökonomische Lage des Athos und des Byzantinischen Reiches zurückzuführen. In diesem Jahrhundert wurde der Druck seitens der Osmanen immer stärker und dementsprechend auch die Geldzuwendungen von byzantinischen Kaisern immer geringer. Die Klöster gerieten in finanzielle Schwierigkeiten, die die Äbte mithilfe einer idiorhythmischen Lebensweise beheben wollten. Sie sahen eine Chance für die Verbesserung der Finanzen der Klöster in privatem Besitz, die in dieser Lebensform erlaubt war. Tatsächlich erwies sich diese Taktik als erfolgreich und reiche Männer, die Mitglieder der Gemeinschaft sein wollten, trugen zum Gesamtgut des Klosters bei. Der Einführung von Idiorhythmie lag zum Zweiten die Tatsache zugrunde, dass manche Mönche diese Klosterorganisationsform, die als lockerer als das Koinobitentum galt, unterstützten. Sie „[wollten sich – Ł.F.] den strengen Regeln des koinobitischen Gemeinschaftslebens im Sinne eines Theodoros Studites oder Athanasios Athonites nicht mehr unterwerfen.“13 Trotz dieser Unterstützung war ein Wechsel zur Idiorhythmie nicht selbstverständlich, da es genug Geistliche gab, die der koinobitischen 10

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Vgl. ebd., S. 104. Die genannten Argumente pro und kontra der koinobitischen Form des monastischen Lebens sind nur ein Teil der viel größeren Diskussion in den christlichen Kirchen, nämlich jener in Bezug auf die Rolle des Individuums. Wie im dritten Kapitel beschrieben, wird in den orthodoxen Kirchen die Kollektivität betont, während westliche Kirchen den Individualismus besonders hervorheben. Die Realität ist aber sicherlich nicht so einfach, was die Uneinigkeit der Mönche in Bezug auf die Lebensformen plausibel macht. Auch in der anscheinend kollektivistischen Orthodoxie ist der Individualismus im Sinne einer persönlichen Beziehung eines Gläubigen mit Gott wichtig. Mehr zum Thema Individualismus im ostkirchlichen Raum, siehe ebd., S. 99–128. Alice-Mary Talbot, „Holy Men of Mount Athos“, in: Gothóni/Speake (Hg.), The Monastic Magnet, S. 42–43. Vgl. Amand de Mendieta, Mount Athos, S. 107. Vgl. Müller, Berg Athos, S. 55.

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Form treu blieben. Diese gegenteiligen Meinungen über die monastische Lebensform trugen dazu bei, dass die Idiorhythymie nur langsam eingeführt wurde. Erst Ende des 17. Jahrhunderts erfolgte der vollständige Wandel.14 Vor allem die finanziellen Repressionen seitens der türkischen Herrscher, die seit Mitte des 16. Jahrhunderts besonders stark waren,15 bewegten die Gemeinschaften zu diesem Schritt. Die Einführung der Idiorhythmie hatte unter anderem die Senkung des Niveaus des geistlichen Lebens in den Klöstern auf dem Athos zur Folge. Die Freiheit, über die sich die Mönche in idiorhythmischen Gemeinschaften freuten, zog viele negative Entwicklungen nach sich. Trunksucht, ständige Streitigkeiten zwischen den Klöstern, Verleumdung und Klatschsucht blühten in den Klöstern.16 Aus diesem Grund legten die Ökumenischen Patriarchen den Klöstern eine Rückkehr zum Koinobitentum nahe. Infolge dieser Initiative übernahm das Xenofontos-Kloster 1784 wieder die koinobitische Klosterorganisationsform und begann damit den Trend zum Koinobitentum.17 Nach der ersten Phase der Rückkehr, die bis 1821 andauerte,18 stagnierten die Entwicklungen und erst 1992 übernahmen die letzten Klöster die koinobitische Lebensweise. Die Übernahme des Koinobitentums in den letzten Klöstern fällt mit großen Veränderungen im gesellschaftlichen Bereich zusammen und zwar mit dem Zustrom neuer Novizen, der seit den 1970er Jahren zu beobachten war. Junge Männer, die die Entscheidung trafen, Mönch auf dem Athos zu werden, favorisierten offensichtlich die koinobitischen Klöster. Es lässt sich nur vermuten, warum dies so war. Zum einen wurde der Idiorhythmie wahrscheinlich die Schuld für das niedrige Niveau des spirituellen Lebens zugeschrieben.19 Zum anderen lässt sich sagen, dass die neuen Novizen vor allem nach einem gemeinschaftlichen Leben suchten, das nur in den koinobitischen Klöstern möglich war. Dies ist wiederum auf die Situation außerhalb des Berges Athos zurückzuführen: In der modernen Gesellschaft blühte der Individualismus, doch die Männer suchten nach etwas Anderem. Es war genau dieses „Andere“, das die koinobitischen Gemeinschaften ihnen boten. Ein weiterer Grund für den Aufschwung des Koinobitentums war sicherlich auch die Tatsache, dass koinobitische Bruderschaften von außerhalb auf den Athos kamen.20 Im Jahr 1973 kam eine Gruppe von Mönchen unter der Leitung von Abt Aimilianos aus den Meteora-Klöstern, die sich in Simonos Petras ansiedelte.21 Die 25 Mönche, die zu dieser Gruppe gehörten, hatten schon Erfahrungen mit der koinobitischen Lebensform und wollten natürlich auch weiterhin auf diese Art und Weise auf dem Athos le14 15 16 17 18 19

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Vgl. ebd., S. 56. Hier ist vor allem die Politik des Sultans Selim II. gemeint, die zur Verstaatlichung des klösterlichen Besitzes im Jahr 1569 führte. Vgl. ebd., S. 60. Vgl. ebd., S. 62. Siehe auch Hermenegild M. Biedermann OSA, „Athos“, in: Theologische Realenzyklopädie, Band 4, Berlin/New York 1979, S. 440. Vgl. Amand de Mendieta, Mount Athos, S. 128. Vgl. ebd., S. 129. Tatsächlich waren die idiorhythmischen Klöster, unter anderem aufgrund der Freiheit der dort lebenden Mönche, in schlechtem Zustand. Es ist aber fragwürdig, ob es der idiorhythmischen Form zuzuschreiben ist, denn das spirituelle Leben in den idiorhythmischen Skiten war damals auf sehr hohem Niveau. Siehe auch die Ausführungen dazu im Kapitel 6.2. Mehr zu diesem Thema siehe Sidiropoulos, Άγιον Όρος, S. 149–153. Vgl. das Interview mit Vater Ma. Vgl. auch Metropolit Kallistos, „Wolves and Monks“, S. 58.

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ben. Im Jahr 1974 wurde das Grigoriou-Kloster ähnlich verstärkt, 1976 das Xenofontos- und das Koutloumousiou-Kloster.22 Aus dem Hl. Johannes-Kloster auf der Insel Patmos kam wiederum eine Gruppe von sieben Mönchen in das Dochiariou-Kloster.23 Diese Migrationen trugen entscheidend zu der Popularität des Koinobitentums auf dem Athos in den 1970er und 1980er Jahren bei. Wegen all der genannten Gründe hatten die idiorhythmischen Gemeinschaften nur wenig oder gar keine Novizen und sahen sich dadurch mit einem Dilemma konfrontiert: Entweder stirbt die Gemeinschaft aus oder es wird ein Wechsel zum Koinobitentum durchgeführt.24 Alle Klöster entschieden sich für die zweite Möglichkeit, womit das Koinobitentum zu der einzigen Lebensform des monastischen Lebens in den Klöstern auf dem Athos wurde. Gleichzeitig muss jedoch im Blick behalten werden, dass die idiorhythmische Lebensform auf dem Athos immer noch in acht Skiten erhalten geblieben ist. Darüber hinaus leben auf dem Athos auch Eremiten, die ganz allein in kleinen Hütten oder sogar in Höhlen wohnen. Die traditionelle Uneinigkeit in Bezug auf Formen des monastischen Lebens provoziert die Frage, wie die genannten Lebensformen von den Mönchen heutzutage wahrgenommen werden. Wie beurteilen sie die endgültige Übernahme des Koinobitentums auf dem Athos? Wie zu erwarten war, sind die Meinungen diesbezüglich geteilt, anders aber als bei allen übrigen Angelegenheiten lässt sich hier eine genaue Linie zwischen Befürwortern und Gegnern dieses Wandels ziehen. Die interviewten Mönche aus den Klöstern, also aus den koinobitischen Gemeinschaften, sehen ausschließlich die positiven Seiten der Übernahme des Koinobitentums, während die Geistlichen aus den idiorhythmischen Skiten diese Entwicklung bedauern. Dabei ließ sich keine Ausnahme von der Regel finden. Vater Ps., der zu der Gruppe Mönche aus den idiorhythmischen Skiten gehört, zitierte im Interview den 1994 verstorbenen Vater Paisios, dessen Meinung nach mindestens ein Kloster auf dem Athos idiorhythmisch bleiben sollte.25 Er begründete seine Meinung mit der Tatsache, dass jeder Mensch anders sei und damit eine eigene Lebensweise habe. Dies betrifft auch die Geistlichen. Vater Ps. betont außerdem, dass die Idiorhythmie eine ältere Form des Mönchtums ist: „A cenobitic way of monasticism was invented in the 3rd century. Before this, there was only an idiorhythmical way.“26 Er ist also nicht nur der Meinung, dass sich die Idiorhythmie für ein Mönchsleben gut eignet, sondern auch traditioneller ist als das Koinobitentum: „Sketes have an older, more traditional way of living.“27 Eindeutig entgegengesetzte Ansichten wurden in den Klöstern gehört: Zwei Mönche äußerten direkt, dass die koinobitische Lebensform traditioneller ist,28 andere hie22 23 24 25 26 27 28

Vgl. Sidiropoulos, Άγιον Όρος, S. 151. Laut Metropolit Kallistos kamen die Mönche erst 1979 ins Xenofontos-Kloster. Vgl. Metropolit Kallistos, „Wolves and Monks“, S. 58. Vgl. das Interview mit Vater S. Laut Sidiropoulos kamen zehn Brüder nach Dochiariou. Vgl. Sidiropoulos, Άγιον Όρος, S. 152. Vgl. Speake, The Importance of Mount Athos, S. 3. Vgl. das Interview mit Vater Ps. Ebd. Ebd. „the shift can be regarded as a sign of revival; the return to the traditional way of life.“ Aus dem Interview mit Vater D.; „idiorhythmic monasteries were not traditional, they were the destruction of traditional monasticism“. Aus dem Interview mit Vater Ma.

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ßen einstimmig den Wandel zum Koinobitentum willkommen. In den Interviews wurde öfter die Aussage gehört, dass die Übernahme der Idiorhythmie auf die ungünstige finanzielle Lage in der Zeit der Türkenherrschaft zurückzuführen ist. Bei Vater D. heißt es: „The idiorhythmic rule came out of necessity for the survival of monasticism on Athos during the Turkish rule.“29 Ähnlich äußerte sich Vater M.: „[...] the monastery is reverted to an idiorhythmic way of life. Either because of a laxity, or in most cases, because of economic difficulties, especially after the time of the Turkish conquest.“30 Es wird deutlich, dass die Übernahme der Idiorhythmie in der Zeit vom 15. bis zum 17. Jahrhundert ausschließlich als eine Lösung der finanziellen Schwierigkeiten betrachtet wird und nicht als der richtige Weg im Sinne spiritueller Entwicklung der zeitgenössischen Mönche. Die interviewten Mönche aus den Klöstern sind auch einstimmig der Meinung, dass das Koinobitentum zur Entwicklung der Spiritualität auf dem Athos beitrug.31 Vater Pl. fasste dies wie folgt zusammen: „The cenobitic life style, because it is more organized, has a more positive influence on the development on the rebirth of Mount Athos.“32 Der koinobitischen Form ist es also zu verdanken, dass es zur Erneuerung des monastischen Lebens auf dem Athos kam. Diese Erneuerung war aber nicht einer Revolution oder einer Reform ähnlich, sondern ist mit einem Prozess der Wiederherstellung des normalen Zustandes zu vergleichen: „In fact this change was not a revolution, it came back to a more appropriate way of living in the monastery. It is purely a return, not reform.“33 Diese Rückkehr war eine Konsequenz der Zustände auf dem Athos, weil, wie schon erwähnt, neue Novizen ausschließlich den koinobitischen Gemeinschaften beitreten wollten: „[…] no young person wanted to go to the idiorhythmic monastery“34. Der Wandel zum Koinobitentum hatte also Merkmale eines natürlichen Prozesses,35 wie es ein anderer Mönch beschrieb. Zusammenfassend lässt sich daher sagen, dass die Mönche aus den Klöstern eine einheitliche Wahrnehmung der Idiorhythmie haben. Für sie, um noch ein Zitat aus einem Gespräch mit den Mönchen zu geben, ist die Idiorhythmie keine rechte Lebensweise: „[…] is not something that it is proper“36. Ganz allgemein wird der Wandel zum Koinobitentum, der 1992 beendet wurde, sehr positiv beurteilt. Nur die Mönche aus den idiorhythmischen Gemeinschaften sind skeptisch, was die Konsequenzen dieses Wandels betrifft. Für sie ist die idiorhythmische Lebensform auch ein Teil der athonistischen Tradition, der, zumindest in Bezug auf die Klöster, aufgehoben wurde. Was aber bedeutet der Wandel zum Koinobitentum? Welche Konsequenzen zog er nun konkret nach sich? Diesbezüglich wurde schon ein wichtiger Punkt genannt: Die Wiederherstellung der koinobitischen Form erhöhte die Popularität eines Lebens in einem Kloster und trug entscheidend zur Vergrößerung der Zahl der Mönche auf 29 30 31 32 33 34 35 36

Aus dem Interview mit Vater D. Aus dem Interview mit Vater M. Vgl. ebd. Aus dem Interview mit Vater Pl. Aus dem Interview mit Vater Ma. Ebd. „[…] it was rather a natural process“. Aus dem Interview mit Vater Ps. Aus dem Interview mit Vater M.

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dem Athos bei. Darüber hinaus wird deutlich, dass das Koinobitentum einen positiven Einfluss auf das monastische Leben in den Klöstern hatte. Es wird hier zwar nicht die These gewagt, dass die Spiritualität des Athos dadurch erhöht wurde. Was aber hervorgehoben werden soll, ist die Tatsache, dass sich die idiorhythmischen Klöster seit den 1970er Jahren in einer tiefen Krise befanden und der Wandel zum Koinobitentum ein erfolgreiches Mittel gegen diesen Zustand darstellte. Dadurch wird die am Anfang aufgestellte These, dass der Wandel zum Koinobitentum als ein wichtiges Schwungrad der Erneuerung des monastischen Lebens auf dem Athos zu betrachten ist, bestätigt. Ohne Wiederherstellung der koinobitischen Klosterorganisationsform wäre diese Erneuerung nicht denkbar. Deshalb wird sie in dieser Studie als einer der bedeutendsten Prozesse auf dem Athos in den letzten Jahrzehnten betrachtet. Vielmehr ist der Wandel zum Koinobitentum als ein Prozess zu sehen, der von primärer Bedeutung für den Ablauf der Modernisierung auf dem Athos seit 1988 ist und unter anderem einen fruchtbaren Boden für den demographischen Wandel schuf.

6.2. Der demographische Wandel „[Athos – Ł.F.] has seen the deaths of many men, but the birth of none.“ 37 Mit diesem Satz drückte John Julius Norwich das Phänomen aus, dass seit tausend Jahren kein Mensch auf dem Athos geboren wurde. Trotzdem findet auf der Halbinsel seit den 1970er Jahren ein demographischer Wandel statt. Der Wandel ist natürlich nicht mit einem Geburtenzuwachs verbunden, sondern hängt vom Zuwachs an Novizen ab. Der Prozess der verstärkten Immigration begann zwar vor der Zeit, die im Mittelpunkt dieser Studie liegt, er dauerte aber bis nach 1988 an. Außerdem beeinflussten die Auswirkungen dieses Prozesses, wie hier behauptet wird, den Ablauf von Modernisierungsprozessen im untersuchten Zeitraum entscheidend. Darüber hinaus ist die Beschreibung der verschiedenen Aspekte des demographischen Wandels, die nun folgt, von großer Bedeutung. Um das Ausmaß des Wandels plausibel darzustellen, muss ein kleiner Schritt zurück in der Geschichte gemacht werden. Der eben zitierte Norwich schrieb 1966: „Falls nicht ein Wunder geschieht – eine große religiöse Renaissance, welche die ganze Nation umfasst, nicht weniger – so ist der Heilige Berg verloren.“38 Damit drückte der britische Historiker seine Befürchtungen zu der gesellschaftlichen Situation auf dem Athos aus. Zu dieser Zeit lebten sehr wenige Mönche auf dem Athos, die zudem schon älter waren. Das Durchschnittsalter lag 1972 bei 57,4 Jahren.39 Norwich hatte also ernsthafte Gründe für die Annahme, dass es in naher Zukunft keine Mönche mehr auf dem Athos geben würde. Im Jahr 1965 lebten in allen Klöstern, Skiten und Einsiedeleien 1491 Mönche,40 sechs Jahre später waren es nur 114541 – ein deutlicher Rück37 38 39 40 41

Merrill, Things of the Hidden God, S. 23. John Julius Norwich, zitiert nach Müller, Berg Athos, S. 71. Billetta, Athos, S. 318. Vgl. Amand de Mendieta, Mount Athos, S. 41; Vgl. Gnoth, Antwort vom Athos, S. 264–265. Vgl. Speake, The Importance of Mount Athos, S. 3; Müller, Berg Athos, S. 71. Für ausführliche statistische Daten bis 1975 siehe Georgios Mantzaridis, „New Statistical Data Concerning the Monks of Mount Athos“, in: Social Compass 22 (1975), S. 97–106. Für die Statistiken bis 1980

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gang, den Norwich in seinem Buch verzeichnete.42 Im Jahr 1972 kam ein einzelner Mönch hinzu und begründete damit die Anfänge des demographischen Wandels. Doch die Zahl der Mönche stieg in den folgenden Jahren nur unmerklich an, der größte Zuwachs erfolgte erst in den Jahren zwischen 1987 und 1996, als 609 Mönche auf den Athos kamen.43 Damit wird auch deutlich, dass die wichtigste Phase des Wandels mit dem Untersuchungszeitraum dieser Studie zusammenfällt. Die Angaben zu der Zahl der Mönche, die heutzutage auf dem Athos leben, sind nicht genau und schwanken zwischen 1400 in dem Dokument der UNESCO 44 und 3000 bei Witzmann.45 Diese Zahlenspanne hat unterschiedliche Gründe. Das UNESCO-Dokument beispielsweise bezieht sich nur auf die Zahl der Mönche, die in den Klöster leben, andere (in Skiten und Einsiedeleien) werden nicht berücksichtigt. Zum anderen werden in manchen Quellen nur die Mönche gezählt, nicht aber die Novizen. Die Ungenauigkeiten hängen drittens auch damit zusammen, dass sich der Athos heutzutage in ständigem Wandel befindet: Die Novizen kommen und gehen, wechseln die Gemeinschaften, schließlich verbringen auch die Mönche oft viel Zeit außerhalb des Athos.46 Viertens werden diese Zahlen in manchen Fällen absichtlich gefälscht. Dies betrifft vor allem Skiten (z.B. Bourazeri, Timiou Prodromou), denen eine Begrenzung der Zahl der dort lebenden Mönche auferlegt wurde. Novizen werden in diese Gemeinschaften dem zum Trotz aufgenommen, ohne aber in offizielle Listen eingetragen zu werden.47 Aus allen diesen Gründen sollten die angegebenen Zahlen der Mönche mit einer gewissen Skepsis betrachtet werden. Die Wahrscheinlichkeit ist jedoch sehr hoch, dass die von Witzmann angegebene Zahl überhöht ist. Zwerger schätzt in seinem Buch beispielsweise die Bevölkerungszahl des Athos auf 1700 Mönche. Diese Zahl wird auch bei Wendel wiederholt.48 Speake vertritt die Meinung, dass es 2000 etwa 1610 Mönche und 2005 „about 2000“ waren.49 Dementsprechend wird in dieser Studie davon ausgegangen, dass heute nicht mehr als 2000 Mönche auf dem Athos leben. Am wahrscheinlichsten ist, dass die Zahl der Bewohner des Heiligen Berges, Mönche und Novizen aus Klöstern und Skiten zusammengenommen, schätzungsweise zwischen 1700 und 2000 Geistlichen liegt. Trotz mancher Ungenauigkeiten machen die angegebenen Zahlen deutlich, dass seit 1971 ein bedeutender Zuwachs an neuen Brüdern zu beobachten ist. Dieser Prozess war nicht zufällig und hatte mehrere Gründe. Erstens lässt sich sagen, dass die Männer, die sich für ein Mönchsleben auf dem Athos entschieden, sich nicht in der

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siehe Georgios Mantzaridis, „Das athonitische Mönchtum“, in: Horst Jürgen Helle (Hg.), Kultur und Institution, Berlin 1982, S. 373–380; Für die Statistiken bis 1996 siehe Georgios Mantzaridis, „Die neueste Statistik aus dem Hl. Berg Athos“, in: Orthodoxes Forum 11 (1997), S. 169–171. John Julius Norwich/Reresby Sitwell, Mount Athos, London 1966. Vgl. Speake, Mount Athos, S. 196. Im Jahr 1996 lebten laut Mantzaridis auf dem Athos schon 1489 Mönche. Vgl. Mantzaridis, „Die neueste Statistik aus dem Hl. Berg Athos“, S. 172. UNESCO (Hg.), State of Conservation, S. 1. Witzmann, Athos. Es handelt sich hier um Studium, Reisen in Angelegenheiten des Klosters, Krankheiten. Das Gespräch mit Vater Da. am 15. März 2010. Vgl. Zwerger, Wege am Athos, S. 23; Wendel, „Die frommen Brüder mit dem Handy“, S. 136. Speake, Mount Athos, S. 174; vgl auch ders., The Importance of Mount Athos, S. 3.

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säkularisierten Welt zurechtfinden konnten und nach mehr Bedeutung in ihrem Leben suchten. Diese konnten sie ihrer Meinung nach in der Religion und im Mönchtum finden.50 Zweitens trug auch der Niedergang der religiösen Bruderschaften in Griechenland und Europa zum Zuwachs an Novizen auf dem Athos bei. Viele junge Männer sahen nämlich keinen Sinn mehr in diesen sich in der Krise befindlichen Bruderschaften, infolgedessen sich manche von ihnen dem Mönchtum zuwandten.51 Die Zahl der Mönche auf dem Athos stieg drittens auch dank der Migration ganzer Bruderschaften aus den von Touristen überlaufenen Meteora-Klöstern.52 Einen wichtigen Impuls, Mönch auf dem Athos zu werden, gaben den jungen Männern viertens auch die bekannten Athos-Ältesten. Hier sind vor allem Vater Paisios (Eznepidis) und die geistigen Söhne Vaters Josephs des Hesychasten gemeint, 53 die dank asketischer Praktiken, der Konzentration auf die Tradition des orthodoxen Mönchtums und einer totalen Hingabe zum Gebet einen hohen Grad an Spiritualität erlangten. Im Laufe der Zeit wurden ihnen dank des guten Rufs, den sie auf dem Athos erlangten, acht Klöster in ihre spirituelle Obhut übergegeben.54 Sie führten in allen Klöstern die koinobitische Lebensform ein und betonten die Wichtigkeit des Gebets, ohne aber die physische Arbeit zu vernachlässigen. Infolge dieser Aktionen wurden ihre Gemeinschaften revitalisiert, was ein Anreiz für neue Novizen war, die Interesse an einem Leben in gut funktionierenden, sich an traditionellen Werten des Mönchtums orientierenden Gemeinschaften hatten. René Gothóni nennt noch einen Grund für den demographischen Wandel auf dem Athos. Seiner Meinung nach geht der Zuwachs an Mönchszahlen auch darauf zurück, dass seit 1963 die Kommunikation zwischen dem Athos und der „Welt“ einfacher war, 50

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Vgl. auch Metropolit Kallistos, „Wolves and Monks“, S. 65. Mit diesem Phänomen setzte sich Georgios Mantzaridis ausführlich auseinander. Er äußerte in seinem 1987 veröffentlichten Artikel, dass die Jugend in Griechenland in ihrer Suche nach mehr Bedeutung im Leben und Ablehnung von gesellschaftlicher und ethischer Ordnung vergleichbar mit Altersgenossen in anderen Ländern ist. Was die Jugend in Griechenland aber von anderen unterscheidet, ist ihre besondere Hinwendung zur „rein christlichen Utopie“. Diese Utopie konnten sie im orthodoxen Mönchtum finden, was zur Erhöhung der Zahl der Mönche führte. Dieser Trend begrenzt sich im Übrigen nicht nur auf den Athos, sondern betrifft auch andere monastische Einrichtungen in Griechenland, auch Frauenklöster. Vgl. Georgios Mantzaridis, „Jugend zwischen Authentizität und Utopie. Zur Ambivalenz in Urteil und Verhalten griechischer Jugendlicher“, in: Orthodoxes Forum 1 (1987), S. 87–94. Der demographische Wandel auf dem Athos ist also keine Ausnahmeerscheinung und muss in diesem breiteren Rahmen verstanden werden. Vgl. Gothóni, Paradise Within Reach, S. 33. Dies war auch ein Grund für die früher beschriebene Übernahme des Koinobitentums in allen Klöstern. Für diesen und andere Gründe des demographischen Wandels und der geistigen Erweckung auf dem Athos siehe Mantzaridis, „Das athonitische Mönchtum“, S. 378–379. Siehe Kapitel 6.1. Efraim, Charalambos, Joseph (von Vatopedi), Filotheos. Mehr zur Rolle dieser Mönche bei der geistigen Erweckung und Erhöhung der Zahl der Mönche siehe Metropolit Kallistos, „Wolves and Monks“, S. 57–58. Vater Paisios war der geistige Vater der Klöster Stavronikita und Iviron. Die Schüler von Vater Joseph kümmerten sich um den Zustand der Klöster Filotheou, Dionysiou, Vatopedi, Karakallou, Xiropotamou und Kostamonitou. Mehr zu diesem Thema siehe Sidiropoulos, Άγιον Όρος, S. 145–155.

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da immer mehr Straßen außerhalb und innerhalb des Athos gebaut wurden. Als Ergebnis dessen kamen mehr Besucher und mehr Leute, die einen direkten Zugang zu der Tradition des Athos hatten, was sich im erhöhten Interesse, Mönch zu werden, widerspiegelte.55 Die fünf genannten Punkte hatten neben dem Zuwachs an Mönchszahlen noch eine weitere wichtige Konsequenz – die Verjüngung der Mönchsbevölkerung. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Novizen bzw. Mönche, die auf den Athos kamen, größtenteils noch sehr jung waren. Tatsächlich ist das Durchschnittsalter auf 45 Jahre gesunken.56 Es gibt also nicht nur fast zweimal so viele Mönche auf dem Athos wie Anfang der 1970er Jahre, sie sind im Durschnitt auch zwölf Jahre jünger. Wie man annehmen konnte, blieb dies nicht ohne Bedeutung für das Leben auf dem Athos und die Auswirkungen des oben beschriebenen Prozesses sind sehr vielfältig. Wie im vierten Kapitel ausgeführt wurde, ist die wirtschaftliche Modernisierung des Athos direkt mit dem demographischen Wandel verbunden. Dies betrifft sowohl die technologische als auch die ökonomische Ebene dieses Prozesses. Die jungen Mönche, die in den 1970er Jahren auf den Athos kamen, trugen dank ihrer Arbeit entscheidend zur Verbesserung der ökonomischen Lage der Gemeinschaften bei. Sie hatten die Kraft und die Motivation, um die halb zerstörten Klöster wieder aufzubauen. Dies geschah zudem mithilfe der neuesten Technologien, mit denen sie viel besser vertraut waren, als die schon länger auf dem Athos lebenden Mitbrüder. In manchen Fällen brachten die Mönche sogar verschiedene Geräte und Maschinen in die Gemeinschaften mit. Zwerger notiert 1977, als sechs junge Mönche aus Rumänien in die Timiou Prodromou-Skiti kamen: Sie brachten Geschenke aus ihrer Heimat mit, eine große Bootsladung voll. Einen Traktor, einen rumänischen Militärjeep, ein Stromaggregat und diverse Kisten mit Werkzeugmaschinen für Holz- und Metallbearbeitung.57

Dank der technologischen Neuerungen und der Verbesserung der finanziellen Lage der Gemeinschaften konnte mit den sehr dringend nötigen Renovierungsarbeiten angefangen werden. Wie umfassend diese Renovierungen waren, wurde im fünften Kapitel dieser Studie bereits beschrieben. Die neuen Mönche waren nicht nur diejenigen, die Technologie und Geld auf den Athos brachten, sondern sie nahmen auch eine Menge der Renovierungsarbeiten auf sich. Mit eigenen Kräften begannen sie die Gebäude zu sanieren, bevor sie eine Unterstützung von der EU oder der griechischen Regierung bekamen. Der demographische Wandel hatte noch eine wichtige Auswirkung auf das Leben auf dem Athos: Die verlassenen Skiten und Einsiedeleien waren wieder bewohnt. Diese Entwicklung ist auf dem ganzen Athos zu sehen, doch das beste Beispiel dafür ist wahrscheinlich die Wiederbelebung der Hl. Andreas-Skiti bei Karyes. Anfang des 20. Jahrhunderts lebten in der Skiti einige hundert russische Mönche, die die Gebäude so 55 56

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Vgl. Gothóni, Paradise Within Reach, S. 33. Im Jahr 2000. Vgl. Billetta, Athos, S. 318. Im Jahr 1972 betrug das Durchschnittsalter 54,4 Jahre. Vgl. Mantzaridis, „New Statistical Data Concerning the Monks of Mount Athos“, S. 103. Im Jahr 1997 lag diese Zahl auf dem Niveau von 48 Jahren. Vgl. Mantzaridis, „Die neueste Statistik aus dem Hl. Berg Athos“, S. 169. Zwerger, Wege am Athos, S. 181.

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ausgebaut hatten, dass sie prachtvoller waren als die anderer Klöster. Die Skiti wurde mit verschiedenen Werkstätten ausgestattet und verfügte unter anderem über eine eigene Apotheke und ein Fotoatelier.58 Nach der russischen Revolution und der Regierungsübernahme durch die Kommunistische Partei war es nicht länger möglich, Mönche auf den Athos zu schicken. Daher verringerte sich die Zahl der Brüder im Laufe der Zeit, bis 1972 der letzte Mönch der Gemeinschaft starb. In der Phase des höchsten Zustroms neuer Mönche, also in der Zeit zwischen 1987 und 1996, ließen sich einige griechische Mönche in den verlassenen Gebäuden der Skiti nieder. Heutzutage sind sie eine lebendige Gemeinschaft, die sich auf die Restaurierung von Ikonen und Fresken spezialisiert und weltweiten Ruhm in diesem Feld erlangt hat.59 Die Auswirkungen des demographischen Wandels betreffen auch die Weltanschauung der Mönche. Ein Mönch drückte es so aus: „The monks did not fall from the moon, they are products of society.“60 Das bedeutet, dass die junge Generation der Mönche neue Fertigkeiten auf den Athos bringt: „They bring with them […] their experience of life in the world and the skills they learnt in it.“61 Doch es sind auch die Lebenserfahrungen, die sie von ihren älteren Mitbrüdern unterscheiden. Es handelt sich hier um viel mehr als nur die Einstellung gegenüber der Nutzung neuer Technologien, nämlich auch um ihre Einstellung gegenüber Politik, Wirtschaft und allem anderen.62 Aus diesem Grund können die Entwicklungen, die den Ausbau der Straßen, die Einführung von Taxen, die Eröffnung von Souvenirshops oder die Verstärkung der politischen Kontakte umfassen, nicht sonderlich überraschen. Tatsächlich wurde schon früher in dieser Studie darauf hingewiesen, dass es diese neu hinzugekommenen Mönche waren, die diese Entwicklungen initiierten und immer noch unterstützen. Dabei waren es vor allem die Äbte, die eine wichtige Rolle spielten. Denn seit den 1970er Jahren wurden immer mehr relativ junge Geistliche in das Amt eines Abtes gewählt. Diese Tendenz ist noch immer zu beobachten. Am 16. Mai 2010 wurde beispielsweise der Priestermönch Metodije (Marković) als Abt des Chilandar-Klosters inthronisiert. Er war zu diesem Zeitpunkt erst 40 Jahre alt.63 Die Tendenz zur Verringerung des

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Vgl. Lyttle, Miracle on the Monastery Mountain, S. 45. Vgl. ebd., S. 373. Aus dem Interview mit Vater D. Spencer, Athos, S. 11. „It is also true that many of the new recruits now arriving on Athos differ in background from those that came in the past. Hitherto the typical Athonite novice has been from a peasant milieu, and has entered the monastic life at the age of sixteen or seventeen after receiving no more than an elementary education. The new recruits, who often come from an urban setting such as Athens or Thessalonica in their mid-twenties after completing university, will inevitably have a different outlook.“ Metropolit Kallistos, „Wolves and Monks“, S. 60. Das Vorkommen solcher Unterschiede provoziert die interessante Frage nach eventuellen Konflikten zwischen der alten und neuen „Generation“ der Mönche. In den Interviews bestritten die befragten Geistlichen mit Ausnahme von Vater Ma. das Auftreten dieser Konflikte. Dementgegen findet man Presseberichte über einen Generationenstreit aus den 1980er Jahren, der im Fall des Vatopedi-Klosters sogar mit einem Polizeieinsatz endete. Vgl. das Interview mit Vater M.; das Interview mit Vater Ma.; das Interview mit Vater F.; „Lockere Sitten“, in: Der Spiegel 28 (1996), S. 109–110. Vgl. „Kurznachrichten. Weltorthodoxie“, in: Orthodoxie Aktuell 6 (2010), S. 16.

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Durchschnittsalters betrifft also auch die wichtigsten Akteure auf dem Athos, was natürlich von Bedeutung für das dortige Leben ist. Der demographische Wandel trug zur Entstehung einer interessanten Tendenz bei, die an dieser Stelle erwähnt werden soll. Der Bevölkerungszuwachs ermöglichte nämlich die Verbreitung des athonistischen Mönchtums. Es wurden nicht nur alte Dependancen der Klöster (Kellien, Einsiedeleien) auf dem Athos wiederbesiedelt, sondern auch Mönche in Klöster außerhalb des Athos geschickt, wo sie beim Wiederaufbau helfen, ihr Wissen zur Verfügung stellen, aber auch Geld und liturgische Gegenstände einbringen. Das Grigoriou-Kloster hat seit einigen Jahren beispielsweise eine Mission im Kongo.64 Simonos Petras baute ihre Präsenz in Frankreich aus, wo diese Gemeinschaft über einige Dependancen verfügt, wie z.B. das 1991 gegründete Nonnenkloster Solan bei Avignon oder das Saint-Antoine-le-Grand-Kloster bei Grenoble.65 Das Filotheou-Kloster beteiligte sich wiederum an der Verbreitung des orthodoxen Mönchtums in Nordamerika. Vater Efraim, der aus dieser Gemeinschaft stammt, gründete seit den 1990er Jahren sechzehn Klöster in den Vereinigten Staaten und Kanada.66 Diese Beispiele verdeutlichen, dass im Laufe des demographischen Wandels, der in den 1970er Jahren begann, die Gefahr des Aussterbens der Athos-Gemeinschaften nicht nur völlig beseitigt wurde, vielmehr wurden die Gemeinschaften so stark, dass sie das Mönchtum aktiv exportieren. Trotz der Tatsache, dass niemand auf dem Athos geboren wurde, unterliegt die Mönchsgemeinschaft also einem demographischen Wandel, der vielfältige Auswirkungen nach sich zieht. Ihre Beschreibung macht deutlich, dass der demographische Wandel von primärer Bedeutung für den Ablauf der Modernisierungsprozesse auf dem Athos ist. Neben den oben beschriebenen Prozessen ist noch eine Tendenz anzusprechen, und zwar die Internationalisierung des Athos. Zuerst einmal muss unterstrichen werden, dass seit Beginn des Mönchtums auf dem Athos viele Ausländer dort lebten. Hier ist anzumerken, dass der Begriff „Ausländer“ sich im Mittelalter auf die Männer bezog, die nicht Bürger des Byzantinischen Reiches waren, während sich dieser Terminus in der Neuzeit auf Nicht-Griechen bezieht. Im 10. Jahrhundert wurden auf dem Athos die Klöster der Georgier (Iviron) und Lateiner aus Amalfi (sog. Amalfitaner-Kloster) gegründet.67 Die russischen Mönche 64

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Vgl. das Interview mit Vater D. Es handelt sich hier um die Mission in Kolwezi in der KatangaDiözese, in der die Mönche aus dem Grigoriou-Kloster als Priester, Lehrer und Seelsorger dienen. Seit 2006 ist ein ehemaliger Mönch dieses Klosters, Meletios (Kamiloudes), Bischof dieser neugegründeten Diözese. Vgl. „Eπισκοπές Πατριαρχικού Θρόνου“, in: The official web site of Greek Orthodox Patriarchate of Alexandria and All Africa, abrufbar unter: http://www.patriar chateofalexandria.com/index.php?module=content&cid=004002. Für Solan siehe http://abacus.bates.edu/~rallison/friends/events/excursions/2008-Provence/, für Saint-Antoine-le-Grand siehe Friends of Mount Athos (Hg.), Annual Report 2008, S. 63 und Laurent Denizeau, „Du silence de soi à la parole de l’ancien. Savoirs monastiques et acteurs de la «Grande Tradition de l’Athos» en France“, in: Archives de sciences sociales des religions 154 (2011), S. 79–99. Mehr dazu siehe Lyttle, Miracle on the Monastery Mountain, S. 385; Speake, Mount Athos, S. 202. Das Iviron-Kloster wurde als drittes auf dem Athos gegründet. Dies geschah laut Amand de Mendieta zwischen 979 und 984, vgl. Amand de Mendieta, Mount Athos, S. 62. Der Fall des

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verfügten über ein eigenes Kloster seit 1147, das Xylourgou-Kloster, obwohl sie sicherlich schon länger auf dem Athos lebten.68 Das Chilandar-Kloster wurde 1198 von den Serben übernommen und Zograf wurde im 13. Jahrhundert bulgarisch.69 Die Rumänen besaßen zwar kein eigenes Kloster, sie bildeten aber immer eine bedeutende Minderheit auf dem Athos. Mit Ausnahme der Lateiner aus Amalfi, stammten alle ausländischen Mönche aus dem ostkirchlichen Raum. Diese Situation änderte sich jedoch im Laufe des beschriebenen demographischen Wandels: Seit den 1970er Jahren lassen sich immer mehr Mönche auf dem Athos nieder, die nicht aus orthodoxen Ländern stammen. Diese Tendenz ist eine bemerkenswerte Neuerung.70 Heutzutage ist die Feststellung, dass die Mönche auf dem Athos aus der ganzen Welt kommen, nicht übertrieben. Laut Paganopoulos sind auf dem Athos sechzig verschiedene Nationalitäten vertreten. 71 Während einige dieser Nationalitäten von einer bedeutenden Zahl an Mönchen repräsentiert werden, sind die meisten nationalen Gruppen sehr klein. Auf dem Athos lebt zum Bespiel nur ein Mönch aus Peru (in der Timiou Stavrou-Kelli beim Hl. Paulus-Kloster) sowie ein einziger aus Polen (in der Bourazeri-Skiti).72 Die finnische Nationalität wird

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Amalfitaner-Klosters ist äußerst interessant, da die Mönche in diesem Kloster nach den Vorgaben des Heiligen Benedikt von Nursia lebten und Lateiner waren. Das Kloster wurde zwischen 985 und 990 gegründet und existierte bis 1287. Dies bedeutet, dass die Lateiner noch mehr als 200 Jahre nach dem Großen Schisma zwischen der Orthodoxen und Katholischen Kirche auf dem Athos lebten. Der Fall des Amalfitaner-Klosters ist also nicht nur als Beispiel der Internationalisierung des Athos zu betrachten, sondern kann auch als ein außergewöhnlicher Fall der interkonfessionellen Beziehungen auf dem Athos verstanden werden. Das Amalfitaner-Kloster wird tatsächlich auch als Beispiel für einen gelungenen Ökumenismus, im Sinne von sehr guten und freundlichen Beziehungen zwischen Vertretern verschiedener Konfessionen auf dem Athos angesehen. Für mehr Informationen über das Kloster siehe Hieromonk Aidan Keller, Amalfion: Western Rite Monastery of Mount Athos, abrufbar unter: http://benedictseraphim.word press.com/2006 /04/11/amalfion-western-rite-monastery-on-mt-athos/; siehe auch Aleksander W. Mikołajczak/Łukasz Fajfer, „Amalfi and Athos Between East and West“, in: Marzanna Kuczyńska (Hg.), Święta Góra Athos w kulturze Europy. Europa w kulturze Athosu, Gniezno 2009, S. 31–35; Feigl, Athos, S. 103; Theodor Nikolaou, Askese, Mönchtum und Mystik in der Orthodoxen Kirche, St. Ottilien 1996, S. 100–101. Vgl. Amand de Mendieta, Mount Athos, S. 63. Zu Chilandar siehe ebd., S. 63, zu Zograf siehe Müller, Berg Athos, S. 94. Als solche wird sie auch von Metropolit Kallistos betrachtet. Vgl. Metropolit Kallistos, „Wolves and Monks“, S. 64. Vgl. Paganopoulos, The Greek Nationalist Façade, S. 3. Zu Vater Simeon aus Peru siehe Aris Wasileiadis, „Μοναχός Συμεών. Συνέντευξη“, in: Κυριακάτικη Ελευθεροτυπία, 20. Juli 1997, S. 47–48; Kuhlmann, Der Athos, S. 57. Vater Simeon wurde 1950 unter dem Namen Miguel Angel de la Jara Higginson geboren und lebt seit 1974 auf dem Athos. Er veröffentlichte einige Bücher, Νηφάλιος μέθη, Athen 1985, The Holy Mountain Today, London 1983, Με ιμάτιον μέλαν, Athen 1999 und einen Gedichtband Συμεών Μνήμα, Athen 1994. Heutzutage ist der einzige Mönch aus Polen auf dem Athos Vater Gabriel. Es konnte ein kurzes Gespräch mit ihm während der Feldforschungen im September/Oktober 2010 durchgeführt werden. Vater Gabriel veröffentlichte auf Polnisch einige Bücher über die Spiritualität des Athos und das Orthodoxe Christentum. Vgl. Hieromönch Gabriel (Krańczuk), Mnisi Góry Atos o duchowości prawosławnej, Hajnówka 1995. In den 1970er Jahren lebte auf dem Athos ein anderer polnischer Mönch. Er wurde von Vater Basil erwähnt siehe Basil (Pennington), The Monks of Mount Athos, S. 115.

Der demographische Wandel

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von zwei Mönchen vertreten: Vater Joseph lebt in der Hl. Andreas-Skiti und Vater Prodromos im Karakallou-Kloster.73 Zu den größeren Nationalitätengruppen aus nicht orthodoxen Ländern gehören auf jeden Fall die US-Amerikaner und Engländer. Amerikaner leben in mehreren Klöster, wie beispielsweise Vatopedi, Hl. Paulus, Xenofontos, Grigoriou und Simonos Petras. Die Mönche aus England verstärkten die Gemeinschaften von Hl. Paulus, Xiropotamou, Dionysiou und Stavronikita.74 Es fehlt auf dem Athos auch nicht an deutschsprachigen Mönchen. Die Deutschen leben sowohl in den Klöstern Filotheou (Vater Gelasius) und Iviron (Vater Isidor) als auch in der Jovanitsa-Skiti (Vater Panteleimon).75 Zwerger traf auch einen Österreicher, Vater Fotios, in Simonos Petras.76 In demselben Kloster lebt auch ein in der Schweiz aufgewachsener Chinese, der die Arbeit des Gästepaters ausübt. Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass gegenwärtig viel mehr Ausländer – im Sinne von Mönchen, die nicht aus dem ostkirchlichen Raum stammen – auf dem Athos leben als es früher der Fall war. Die große Zahl der ausländischen Mönche auf dem Athos heutzutage ist direkt mit dem Thema der Konversion zur Orthodoxie verbunden, da die Mönchsweihe ohne die Zugehörigkeit zu einer der Orthodoxen Kirchen nicht möglich ist. Selbstverständlich muss also fast jeder der Mönche, die von außerhalb des ostkirchlichen Raumes stammen, ein Konvertit sein. Die bedeutende Zahl von ihnen auf dem Athos weist auf die Tatsache hin, dass der Athos eine große Anziehungskraft hat, sodass diese Männer in die Orthodoxen Kirchen aufgenommen werden möchten. In der Tat ist es so; es muss aber festgestellt werden, dass der Trend der Konversion zur Orthodoxie sich nicht nur auf den Athos begrenzt, sondern weltweit zu erkennen ist. Dies lässt sich einerseits anhand der offiziellen Statistiken der Orthodoxen Kirche in Amerika bestätigen. Laut dieser Zahlen besteht die Kirche aus 51% Konvertiten.77 Andererseits lässt sich der Trend zur Konversion anhand einiger wichtiger Konversionen plausibel darstellen, zu denen sicherlich die Übernahme der Orthodoxie durch Eugene Dennis Rose (Vater Seraphin Rose) und Timothy Ware (Bischof Kallistos Ware) gehören. Die beiden trugen durch ihre Schriften zur Vergrößerung des Interesses am Orthodoxen Christentum in den Vereinigten Staaten und England bei. Ein sehr bekannter Konvertit zur Orthodoxie ist beispielsweise auch der tschechische Hockeyspieler Jaromir Jágr, der 2001

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Vgl. Renè Gothóni, „Mount Athos: Microcosm of the Christian East“, in: Friends of Mount Athos (Hg.), Annual Report 2009, S. 50. Mit Vater Prodromos wurde ein kurzes Gespräch während der Feldforschungen im September/Oktober 2010 durchgeführt. In Stavronikita lebte in den 1970er Jahren ein englischer Mönch. Vgl. Basil (Pennington), The Monks of Mount Athos, S. 81. Vgl. Alexander Dombrowsky, Reisebericht Athos, abrufbar unter: http://www.wanderstudien reisen.com/2676.html. Vgl. Zwerger, Wege am Athos, S. 44. Davon 33% aus dem Protestantismus, 14% aus dem Katholizismus und 4% hatten vorher keinen religiösen Hintergrund. Vgl. Alexei Krindatch, Orthodox Reality in America, abrufbar unter: http://hirr.hartsem.edu/research/orthodoxindex.html.

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russisch-orthodox getauft wurde.78 Das Ausmaß des genannten Trends lässt sich auch daran erkennen, dass schon einige Artikel diesbezüglich veröffentlicht wurden.79 Unter diesen Umständen ist die Zahl der ausländischen Mönche auf dem Athos gut verständlich. Was aber spezifisch für den Athos erscheint, ist die Tatsache, dass diese Mönche sehr schnell vollberechtigte Mitglieder der athonistischen Gemeinschaften werden. Dies beruht vor allem darauf, dass sie die Forderung, Griechisch oder eine der vier Hauptsprachen des Athos zu lernen, bereitwillig erfüllen. „[…] the abbot insists that we do not speak our native tongue to one another. He said, ‚Greek is the language here‘.“80 Die Einstellung dieses Abtes ist sicherlich kein Einzelfall, auch in anderen Klöstern werden die Ausländer dazu ermuntert, die Sprache zu lernen. Das trägt auch dazu bei, dass die Internationalisierung nicht das Gesicht der Gemeinschaften verändert. Vater P. verneinte mit Nachdruck die Frage nach möglichen Veränderungen, die mit einem Zuwachs von Ausländern möglich wären: „No, it does not [change the face of brotherhoods – Ł.F.] because we all learn Greek and participate in that way; […] we fit in with the program here.“81 Es wird also deutlich, dass ausländische Mönche sich relativ schnell den griechischen Mitbrüdern anpassen und das Leben auf dem Athos im Zuge der Internationalisierung nicht verändert wird. Sicherlich begründet jedoch der Zuwachs von Mönchen aus dem nicht-orthodoxen Ausland eine sehr interessante Entwicklung, die eine eigene größere Studie verlangt.

6.3. Bildung und Wissenschaft Das orthodoxe Mönchtum hatte, im Gegenteil zum westlichen, im Laufe der Jahrhunderte eine überwiegend skeptische Haltung gegenüber der Wissenschaft. Der Widerwille gegenüber der Arbeit im wissenschaftlichen Bereich ist vor allem darauf zurückzuführen, dass das ostkirchliche Mönchtum von einer sogenannten „passiven außerweltlichen Askese“ geprägt ist.82 Diese Form der Askese zeichnet sich durch die spezielle Betonung von Mystik und Frömmigkeit aus, wobei die Beziehungen mit der säkularen Gesellschaft als zweitrangig verstanden werden oder sogar Kritik unterliegen. Deshalb gab es im Rahmen des byzantinischen Reiches speziell und im ostkirchlichen Raum generell nie jene andauernde fruchtbare Spannung zwischen Mönchtum und Welt, die im Westen zu verschiedenen Bewegungen und Gegenbewegungen führte, die den Reichtum der europäischen Kultur heraufführten.83

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Vgl. Till Janzer, „Goodbye NHL“ - Eishockey-Superstar Jágr geht nach Sibirien“, in: Český rozhlas, abrufbar unter: http://www.radio.cz/de/rubrik/tagesecho/goodbye-nhl-eishockey-super star-jagr-geht-nach-sibirien. Siehe Franklin Billerbeck, „Orthodoxy and Ethnicity“, in: The Anglican/Orthodox Pilgrim 2/1 (1993), S. 2–10; Chad Hatfield, „Anglican Options: Rome or Orthodoxy?“, in: The Anglican/Orthodox Pilgrim 3/1 (1993), S. 2–8. Aus dem Interview mit Vater M. Aus dem Interview mit Vater P. Begriff nach Savramis. Siehe Demosthenes Savramis, „Die kultursoziologische Bedeutung des byzantinischen Mönchtums“, in: Orthodoxes Forum 3 (1989), S. 57. Ebd., S. 57.

Bildung und Wissenschaft

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Als Resultat dessen gibt es nur wenige Beispiele von „gelehrten“ orthodoxen Mönchen, die ein Interesse an wissenschaftlicher Tätigkeit hatten.84 Diese skeptische Einstellung wurde schon bei der Beschreibung der neuesten Technologien auf dem Athos erwähnt, hier muss dieses Phänomen erneut und unter einem anderen Blickwinkel besprochen werden. Es handelt sich dabei um die Einstellung und Wahrnehmung der Bildung, die im zweiten Kapitel als Merkmal der kulturell-gesellschaftlichen Modernisierung beschrieben wurde. Die angedeutete Skepsis des orthodoxen Mönchtums gegenüber der Bildung und der Wissenschaft war natürlich auch auf dem Athos zu beobachten. Am besten lässt sich dieses Phänomen an zwei Beispielen illustrieren. Erstens wurde von Nikolas Oikonomides beobachtet, dass die Alphabetisierungsrate der Mönche mit Ausnahme des Zeitraumes von der zweiten Hälfte des 12. bis zur ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts relativ niedrig war und sogar bis zu 35% der Mitglieder der athonistischen Regierung nicht imstande waren, die Dokumente selbstständig zu unterschreiben.85 Zweitens eignet sich das Beispiel der Athos-Akademie für die Verdeutlichung der Skepsis gegenüber Bildung und Wissenschaft. Diese Hochschule wurde 1749 von Patriarch Cyril V. von Konstantinopel in der Nähe des Vatopedi-Klosters gegründet.86 Der Patriarch wollte mit dieser Gründung die Bildungsmöglichkeiten für Griechen im Osmanischen Reich verbessern. Die Athos-Akademie erwies sich schnell als ein großer Erfolg: Innerhalb von zwei Jahren wurden imposante Gebäude errichtet und – was viel wichtiger ist – einer der bedeutendsten griechischen Denker dieser Zeit, Eugenios Vulgaris, konnte als Schulleiter gewonnen werden. Innerhalb weniger Jahre erlangte die Schule 84

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Wichtige wissenschaftliche Werke schrieb Eustathius, Erzbischof von Thessaloniki (c. 1115 – 1194). Er schrieb Kommentare zur Ilias und zur Odyssee und setzte sich auch mit Problemen der orthodoxen Theologie auseinander. Vgl. Alexander Kazhdan (Hg.), The Oxford Dictionary of Byzantium, Band 1, New York 1991, S. 754. Mönche leisteten auch einen Beitrag zur Entwicklung von Astronomie und Kosmologie in Byzanz. Siehe Vassilios Manimanis/Efstratios Theodosiou/Milan S. Dimitrijevic, „The Contribution of Byzantine Priests in Astronomy and Cosmology: Great Church Scholars in the Early Byzantine Empire“, in: European Journal of Science and Theology 7/4 (2011), S. 25–46. Einige orthodoxe Klöster wie das Studiu-Kloster in Konstantinopel, das Katharinen-Kloster auf dem Sinai und das Hl. Johannes-Kloster auf Patmos beherbergten auch große Bibliotheken, wo viele Wissenschaften betrieben wurden. Mehr diesbezüglich siehe Savramis, „Die kultursoziologische Bedeutung des byzantinischen Mönchtums“, S. 59; George A. Sioris, Monastic Discipline: Vinaya and Orthodox Monasticism: An Attempt at Comparison, Chiangmai 2002, S. 198–201. Alle diese Beispiele sind jedoch eher als Ausnahmen von der Regel zu verstehen, wie Peter Charanis hervorhebt: „The Byzantine monk, with some notable exceptions, remained essentially an uneducated man. […] Nor did any Byzantine monastic establishment ever become a major educational center.“ Peter Charanis, „The Monk in Byzantine Society“, in: Dumbarton Oaks Papers 25 (1971), S. 81–82. Zu diesem Thema siehe auch Podskalsky, Theologie und Philosophie in Byzanz, S. 34–48. Vgl. Nikolas Oikonomides, „Mount Athos: Levels of Literacy“, in: Dumbarton Oaks Papers 42 (1998), S. 167–178. Dies war eigentlich entgegen der allgemeingeltenden Tradition, da sowohl der Pachomius als auch der Theodor Studites und der Athanasios der Athonite ausdrücklich Schreib- und Lesefähigkeit als eine Anforderung an jeden Mönchskandidaten stellten. Vgl. Charanis, „The Monk in Byzantine Society“, S. 80. Vgl Chartokollis, Άγιον Όρος, S. 272, Müller, Berg Athos, S. 63, Paschalis M. Kitromilides, „Athos and the Enlightenment“, in: Bryer/Cunningham, Mount Athos and Byzantine Monasticism, S. 259.

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großen Ruhm, infolgedessen bis zu 200 Studenten die Vorlesungen besuchten. 87 Diese boten neben den klassischen Fächern auch Veranstaltungen über moderne Philosophie (Descartes, Locke, Leibnitz), Latein und lateinische Literatur, Physik und Mathematik an.88 Diese Fächer bzw. ihre modernen Inhalte waren eine Neuerung im griechischen Bildungssystem und lockten neue Studierende an. Doch genau hier lagen die Wurzeln des Problems, das zur Schließung der Akademie führte: Die Mönche vom Athos betrachteten das große Interesse der akademischen Jugend an moderner Wissenschaft als eine Gefahr für die Orthodoxie und den Athos. „They felt that it would weaken, and even destroy, their simple faith and the reputation for holiness which they enjoyed among the common people.“89 Infolge dieser Befürchtungen begannen die Mönche hartnäckige Kritik an der Athos-Akademie und Vulgaris selbst zu üben. Im Jahr 1759 wurde Vulgaris gezwungen, seine Schule zu verlassen, was der Anfang vom Ende der Athos-Akademie war. Sie wurde zwar erst 50 Jahre später endgültig geschlossen, nach der Entlassung von Vulgaris verlor die Schule jedoch an Bedeutung. Im Jahr 1809 wurden die Gebäude von den Mönchen geplündert und dann in Brand gesetzt.90 Dies war, um die Worte von Korais zu paraphrasieren, ein Triumph der Barbarei über die Zivilisation.91 Die Zerstörung der Athos-Akademie verdeutlicht die oben angedeutete Tatsache, dass die Mönche der Bildung gegenüber nicht sonderlich offen eingestellt waren. Trotz dieser Skepsis war damit die Geschichte der Athos-Akademie noch nicht beendet. Im Jahr 1844 wurde auf dem Athos eine theologische Schule eröffnet (Κεντρική Αθωνιάς Σχολή),92 die zwar nicht einen so fortschrittlichen Lehrplan wie den der Athos-Akademie hatte, doch setzte diese Schule ein Zeichen der Kontinuität der Initiativen im Bildungsbereich auf dem Athos. Diese Einrichtung musste 1940 aufgrund der Kriegserklärung geschlossen werden, was aber nicht das endgültige Aus für schulische Einrichtungen auf dem Athos bedeutete. Im Jahr 1953 wurde eine neue Schule eröffnet (Αθωνιάς Εκκλησιαστική Σχολή), 93 die heutzutage in den Gebäuden der Hl. Andreas-Skiti bei Karyes zu finden ist. Die Existenz einer Schule auf dem Athos stellt die grundsätzliche Skepsis der Mönche gegenüber Bildung in Frage. Der Eindruck, dass die Mönche nicht immer gegenüber Bildung skeptisch waren und sind, wird noch deutlicher, wenn die historische Beteiligung der Mönche an der Bildungsarbeit in Blick genommen wird. So z.B. existierte im Hl. Johannes-Kloster auf Patmos in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts

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Vgl. Kitromilides, „Athos and the Enlightenment“, S. 260. Vgl. ebd, S. 260. Siehe auch Speake, Mount Athos, S. 137, Chartokollis, Άγιον Όρος, S. 273. Vgl. Amand de Mendieta, Mount Athos, S. 119. Vgl. Speake, Mount Athos, S. 138; Amand de Mendieta, Mount Athos, S. 120–121; Kitromilides verschweigt diesen Zwischenfall in seiner Beschreibung der Athos-Akademie. „Thus in the opening years of the nineteenth century, the shadow of the Athonite academy finally faded away, leaving behind the imposing ruins, still visible on the hill above Vatopedi […]“, Kitromilides, „Athos and the Enlightenment“, S. 262. „Korais proudly announced the foundation of a 'university on Athos' as proof of the final triumph of civilization over barbarism in Greece.“ Speake, Mount Athos, S. 138. Vgl. Platis, Αθωνικό λεξικό, S. 277. Vgl. ebd., S. 64.

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eine hochgeachte Hochschule.94 Darüber hinaus ist Demosthenes Savramis der Meinung, dass die Bildung in den Jahrhunderten der türkischen Herrschaft entscheidend von den Mönchen geprägt wurde. „Kirchen und Klöster waren es, die durch die Erziehung der Kinder die griechisch-christlichen Ideale auch während der türkischen Besatzung lebendig erhielten.“95 Nicht zu vergessen ist auch der Beitrag einiger Mönche zur Entwicklung des Schulwesens. Namentlich kann hier Neofit Rilski (1793–1881) genannt werden, der eine erste bulgarische Grammatik der Neuzeit verfasste,96 mehrere Schulbücher schrieb und einige Schulen gründete. Die eben erwähnten Beispiele der Bildungsarbeit der Mönche machen deutlich, dass neben der negativen auch eine positive Einstellung gegenüber Bildung im orthodoxen Mönchtum vertreten war. Ist diese Einstellung auch heutzutage auf dem Athos zu sehen? In diesem Zusammenhang muss auf einige Fakten hingewiesen werden. In erster Linie wird die Aufmerksamkeit dem Phänomen, das den demographischen Wandel begleitet, geschenkt. Hier ist die Erhöhung der Zahl der Mönche mit abgeschlossener Hochschulausbildung gemeint. Unter den in den 1960er Jahren neu hinzugekommenen Mönchen verfügten nur drei über diese Ausbildung (2,8%). Zwischen 1972 und 1996 waren es schon 343 Mönche (27%).97 Selbstverständlich bilden die Geistlichen mit einem Abschluss in Theologie die größte Gruppe, obwohl auch andere Fächer vertreten sind. Die gegenwärtigen Mönche studierten Fächer wie Informatik (z.B. Vater F. aus Große Lavra), Maschinenbau (der 1999 verstorbene Vater Mitrophan aus Chilandar) oder Astrophysik und Biomedical Engineering (Metropolit Nikolaos von Mesogaia and Lavreotiki, ehemaliger Mönch des Simonos Petras-Klosters). Georgios Mantzaridis betonte in seinem Artikel, dass das Ausbildungsniveau der Mönche eigentlich höher als das der griechischen Bevölkerung ist – nur 1,7% der Geistlichen auf dem Athos haben gar keine Grundschulausbildung.98 Parallel zu der erhöhten Zahl an gut ausgebildeten Mönchen stiegen auch ihre Fremdsprachenkenntnisse. Dies ist nicht nur der größeren Anzahl an Ausländern zu verdanken, sondern hängt auch mit der Ausbildung zusammen. Heutzutage sprechen viele Mönche Englisch, aber auch die deutsche Sprache wird auf dem Athos gesprochen. Neben den Mönchen aus den deutschsprachigen Ländern verfügen auch ihre Mitbrüder über Deutschkenntnisse. Zu dieser Gruppe zählen sowohl „einfache“ Mönche in Esfigmenou und Simonos Petras als auch die Äbte, wie der früher genannte Vater Mitrophan aus Chilandar oder Vater Joasseph, der Abt des XiropotamouKlosters.99 Zu den wichtigen Fakten, die in Bezug auf Bildung genannt werden sollten, zählt auch die Tatsache, dass gegenwärtige Mönche an verschiedenen Konferenzen außer94 95 96 97

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Vgl. Sioris, Monastic Discipline, S. 198–201. Savramis, „Die kultursoziologische Bedeutung des byzantinischen Mönchtums“, S. 61. Vgl. Neofit Rilski, Болгарска Грамматiка, Kragujevac 1835. Georgios Mantzaridis, Athonite Monasticism at the Dawn of the Second Millennium, abrufbar unter: http://www.orthodoxphotos.com/Athonite_Hermits/. Siehe auch Mantzaridis, „Das athonitische Mönchtum“, S. 377. Vgl. ebd. Zu Vater Mitrophan siehe Zwerger, Wege am Athos, S. 192–213; zu Vater Joasseph siehe Kuhlmann, Der Athos, S. 137.

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halb des Athos teilnehmen. Es wurde schon bei der Beschreibung des Friends of Mount Athos-Vereins darauf hingewiesen, dass die Mönche an den Tagungen dieser Organisation teilnehmen. Darüber hinaus reisen oft einige Geistliche außerhalb des Athos, um über die Orthodoxie und das orthodoxe Mönchtum zu sprechen. Der Abt des Grigoriou-Klosters unterrichtete mehr als ein Jahr an einer US-amerikanischen Universität.100 Laut Friedlander reist auch der Abt von Xiropotamou oft zu verschiedenen Veranstaltungen, wo er über die Orthodoxie spricht.101 Der ehemalige Abt von Simonos Petras nahm ebenso an verschiedenen Konferenzen teil.102 Die Vorträge des Vater Vasileios, Abt von Iviron, die er Ende der 1980er und Anfang der 1990er an Universitäten in Griechenland aber auch in EU-Institutionen in Luxemburg hielt, wurden sogar in einer Buchreihe veröffentlicht.103 Einen direkten Bezug zu Bildung und Wissenschaft hat das Thema der Publikationsarbeit. Bücher, Zeitschriften und Publikationen jeder Art werden auf dem Athos veröffentlicht. Sie haben eine Sache gemeinsam – das Thema. Alle diese Publikationen beziehen sich auf die Orthodoxie, betreffen die Spiritualität oder Geschichte der Orthodoxen Kirche, beschreiben das Leben in den Klöstern, bieten orthodoxe Antworten auf die Probleme der gegenwärtigen Welt. Die Veröffentlichung dieser Publikationen stellt kein neues Phänomen auf dem Athos dar. Seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, als die erste Druckerei im Große Lavra-Kloster errichtet wurde,104 veröffentlichten die Mönche verschiedene Publikationen. Zu Beginn waren das eher Flugblätter, richtige Periodika wurden erst im 20. Jahrhundert veröffentlicht (z.B. Ο Όσιος Γρηγóριος, Ο Άθως, Αγιορειτικόν Ημερολόγιον).105 Die Zahl der Veröffentlichungen heutzutage weist jedoch darauf hin, dass in diesem Bereich eine bedeutende Entwicklung stattfand. Zu den gegenwärtigen Athos-Zeitschriften zählen unter anderem: Φιλήματα Ιούδα, eine von Mönchen aus dem Esfigmenou-Kloster unterstützte Publikation mit antisemitischen Artikeln, Πεμπτουσία, herausgegeben von Mönchen aus Vatopedi und Πρωτάτον, eine Publikation der Regierung des Athos. Neben Zeitschriften veröffentlichen die Athos-Klöster und sogar auch manche Skiten verschiedene Bücher. Ist die Entwicklung in der Zahl der Zeitschriften groß, muss die Zahl der von den Athos-Mönchen veröffentlichten Bücher als riesig beschrieben werden. Diese erscheinen sowohl auf Griechisch (z.B. Άθως. Ομορφιά και χάρη. Άγιον Όρος και κóσμος)106 100 101 102 103

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Vgl. Basil (Pennington), The Monks of Mount Athos, S. 135. Vgl. Friedlander, Paradise Besieged, S. 61. Vgl. Basil (Pennington), The Monks of Mount Athos, S. 183. Hier ist die Reihe „Mount Athos“ von Alexander Press aus Kanada gemeint. Siehe Archimandrite Vasileios, The Christian in a Changing World: Monasticism and the Realities of Life, Montreal 1997. Für die Diskussion über das genaue Datum siehe Fußnote Nr. 5 im vierten Kapitel. Ο Άθως war eine Vierteljahresschrift, die zwischen 1919 und 1930 von den Mönchen des Große Lavra-Klosters herausgegeben wurde. Ο Όσιος Γρηγóριος erschien zuerst 1968 und dann nach langer Pause 1976. Αγιορειτικόν Ημερολόγιον wurde zuerst zwischen 1927 und 1932 von Hieromonk Sawa aus Karyes und dann zwischen 1983 und 1984 im Xiropotamou-Kloster herausgegeben. Vgl. Ioannis M. Chatzifotis, Н καθημερινή ζωή στο Άγιον Όρος, Athen 1995, S. 501–520. Vgl. Mönch Gabriel aus Filotheou, Άθως. Ομορφιά και χάρη, Koropi 1993; Vgl. Mönch Moises aus Athos, Άγιον Όρος και κóσμος, Athen 2003.

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als auch auf Englisch (z.B. The Holy Mountain Athos; Elder Joseph the Hesychast: Struggles, Experiences, Teachings 1898-1959)107 und in vielen anderen Sprachen. Zusammenfassend muss festgestellt werden, dass der Veröffentlichungsboom mit Sicherheit eine neue und wichtige Erscheinung auf dem Athos ist. Trotz der Tatsache, dass so viele Bücher auf dem Athos geschrieben und veröffentlicht werden, sind sich die Mönche nicht einig, was diese Publikationen betrifft. In den Interviews tauchten neben positiven Meinungen auch negative diesbezüglich auf. Zu der ersten Gruppe zählen vor allem Mönche, die die Veröffentlichung von Büchern als ein Mittel im Kampf gegen die Säkularisierung empfinden. Sie betonen, dass die Aufgabe der Mönche auch in der Lehre besteht und Bücher und Publikationen zu religiösen Themen in dieser Hinsicht sehr hilfreich sind. Vater D. sagte über die Publikationen: It is a necessity. However, not every monastery publishes books. It is the decision of the abbot. In our monastery we publish books and this is worthy. We think that this is a good means of communication. As I said before, we need to teach people about the faith.108

Ähnlicher Meinung ist Vater Ma., der die Publikationen als sehr wichtig und hilfreich in der Lehre über die Orthodoxie beschreibt.109 Er wies auf das Beispiel der verschiedenen Biographien des Vaters Paisios hin, die eine hohe Nachfrage hatten. 110 Diese Bücher trugen nicht nur zur Verbreitung des Wissens über das Leben von Vater Paisios bei, sondern vermittelten auch einem breiteren Publikum das Wissen über Orthodoxie. Die interviewten Mönche begrüßten die Bemühungen der Klöster, die ähnliche Bücher veröffentlichen, ausdrücklich. Im Vatopedi-Kloster misst man der Publikation von Büchern mit religiösen Themen besonders großen Wert bei. Laut Vater M. gibt es in diesem Kloster ein dynami-

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Vgl. Hieromonk Nicephore of Mikra Agia Anna, The Holy Mountain Athos, Athos 2003; Elder Joseph, Elder Joseph the Hesychast: Struggles, Experiences, Teachings 1898–1959, Athos 1999. Aus dem Interview mit Vater D. Vgl. das Interview mit Vater Ma. Für die genannte Biographie siehe vor allem Hieromonk Isaak, Βίος Γέροντος Παϊσίου του Αγιορείτου, Berg Athos 2004; Hieromonk Christodoulos, Ο Γέρων Παΐσιος, Berg Athos 1998. Das große Interesse der Leser an den genannten Büchern spiegelt einen wichtigen Trend im ostkirchlichen Raum, nämlich die Popularität der Starzen. Das Wort Staretz stammt von dem Russischen „старец“ und bedeutet wortwörtlich „alter Mann“ oder „Greis“. Der aus diesem Wort abgeleitete Begriff bezieht sich jedoch vor allem auf einen geistlichen Vater, der über großes Charisma verfügt, durch das er sein mystisches Wissen den Gläubigen vermittelt. Die Startzen waren schon seit Anfang des Christentums die Lehrer des Volkes, seine Blütezeit erlebte das Phänomen des Starzentums aber im 19. Jahrhundert in Russland. Heutzutage scheint der Bedarf nach den Anweisungen der Starzen immer noch hoch zu sein, da nicht nur die Bücher über Altvater Paisios, sondern auch über andere Starzen unter den Lesern sehr beliebt sind. Im deutschsprachigen Raum ist in dieser Hinsicht auf die Bücher von und über Pater Anselm Grün hinzuweisen. Zu dem Letzteren siehe auch die Schlussbetrachtung. Zu dem Phänomen des Startzentums siehe Kardinal Tomáš Špidlík, „Das russische Starzentum als Theologie des Herzens“, in: Karl Christian Felmy (Hg.), Tausend Jahre Christentum in Rußland: Zum Millenium der Taufe der Kiever Rus', Göttingen 1988, S. 123–130; Igor Smolitsch, Leben und Lehre der Starzen. Die spirituellen Meister der russisch-orthodoxen Kirche, Freiburg im Breisgau 2004.

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Der kulturell-gesellschaftliche Modernisierungsprozess

sches Publikationsprogramm.111 Er erklärte im Interview auch, warum seiner Meinung nach die Bücher veröffentlicht und übersetzt werden: We are trying to do it because today, people in the world are being assaulted by so many things anti-Christian. The media spreads not only non-Christian but anti-Christian messages. It is being promoted through various media and we decided that we were going to use the same media that the devil is using to try to promote Christian ideas for the people here in Greece, who are losing […] their connection with their Greek roots; with their culture. […] we want to do as much as we can and wherever we are able to contribute to help people seize the opportunity to see something of their own culture that is their history.112

Dieses Zitat bietet die beste Zusammenfassung aller Gründe für die Veröffentlichung der Bücher über die Orthodoxie auf dem Athos. Wie aber schon angedeutet wurde, veröffentlichen nicht alle Mönche bzw. nicht alle Gemeinschaften eigene Publikationen. Vater Mo. vertritt beispielsweise die Meinung, dass die Mönche an den Publikationen nicht mitwirken sollten: „For a monk, there is no purpose for the world.“113 Daher sieht er auch keinen Grund für die Veröffentlichung der Bücher und Zeitschriften. An dieser Stelle muss man auf die traditionelle Skepsis des orthodoxen Mönchtums gegenüber jeglichen Beziehungen zur Welt hinweisen. Diese skeptische Einstellung ist gegenwärtig auf dem Athos oft zu beobachten. Vater P. ist sogar der Meinung, dass die meisten Athos-Klöster die Publikationen ablehnen: „[…] if the people want to come to us for a safe haven, for retreat, than we are here for them“114 – aber die Rolle der Mönche sollte nicht in der Missionstätigkeit liegen. Zu dieser Art von Tätigkeit gehört laut Vater P. auch Veröffentlichungsarbeit. Aus diesem Grund bevorzugt er es, diese Tätigkeit von sich auf Distanz zu halten. Die einzig erlaubte „Missionstätigkeit“ auf dem Athos sei die, dass die Mönche den Pilgern, die die Klöster besuchen, Wissen über die Orthodoxie vermitteln. Die letzte Anmerkung ist von großer Bedeutung und muss ausführlicher diskutiert werden. Alle Mönche, sogar diejenigen, die skeptisch gegenüber Publikationen sind, empfinden die Lehre über die Orthodoxie als eine wichtige Aufgabe. Diese Einstellung der Athos-Mönche macht folgendes Beispiel plausibel, nämlich die Tätigkeit, der im Mai 2000 gegründeten Organisation Αγιορειτική Εστία (Agioritiki Estia). Laut den Statuten dieser Einrichtung, die ihren Sitz im Stadtzentrum von Thessaloniki hat, ist die Verbreitung des Wissens über die Orthodoxie eine ihrer wichtigsten Aufgaben.115 Agioritiki Estia koordiniert wissenschaftliche Studien, bereitet zahlreiche Publikationen116 vor und organisiert Konferenzen über den Athos. Im Gebäude dieser Organisa111 112 113 114 115

116

„We have very strong, energetic publications program here at the monastery, with books ranging from all different subjects.“ Aus dem Interview mit Vater M. Aus dem Interview mit Vater M. Aus dem Interview mit Vater Mo. Aus dem Interview mit Vater P. Für Statut und Ziele der Organisation siehe Agioritiki Estia (Hg.), H Ταυτότητα της Αγιορειτικής Εστίας, abrufbar unter: http://www.agioritikiestia.gr/index.php?option=com_content&view=arti cle&id= 2&Itemid =221&lang=el. Agioritiki Estia gab eine Reihe von Büchern heraus. Siehe Kriton Chrysochoidis, Άγιον Όρος: Τα κελιά των Καρυών, Thessaloniki 2004; Millet (Hg.), Recueil des inscriptions chrétiennes de l’Athos; Panagiotis L. Vokotopoulos, Άγιον Όρος, Φωτογραφίες 1956 – 2001, Thessaloniki 2008.

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tion wurde auch eine Bibliothek mit Büchern über den Athos untergebracht, wo auch regelmäßig Ausstellungen mit Athos-Bezug stattfinden.117 Agioritiki Estia ist also eine Organisation mit klarem populärwissenschaftlichen Profil. Umso interessanter ist die Tatsache, dass an der Leitung dieser Einrichtung immer drei Athos-Mönche mitwirken und der Protos der Ehrenvorsteher ist. Im Hinblick auf die vorherige Beobachtung, dass die Mönche die Lehre über die Orthodoxie fast einstimmig als eine wichtige Aufgabe empfinden, ist die Mitarbeit der Mönche in Agioritiki Estia keine Überraschung. Die Hilfe des Protos beweist vielmehr, dass sich die höchsten Organe der AthosRegierung tatsächlich ernsthaft dieser Aufgabe widmen. Die Geistlichen des Athos sind sich also einig, dass die Lehre über Orthodoxie nötig ist. Die Meinungsverschiedenheiten zeigen sich jedoch schnell, wenn es an die Umsetzung dieser Aufgabe geht, mit anderen Worten: Wie soll das Wissen über die Orthodoxie vermittelt werden? Welche Mittel sind erlaubt und welche nicht? Ob die Publikationsarbeit ein angemessenes Hilfsmittel darstellt, darüber sind die Mönche, wie schon erläutert wurde, unterschiedlicher Meinung. Während manche Geistliche sich aktiv daran beteiligen, bevorzugen andere Abstand zu halten. Unter Berücksichtigung der gesammelten Fakten kann die Frage nach eventuellen Veränderung in der Wahrnehmung von Wissen und Bildung auf dem Athos aufgegriffen werden. Führt die gute Ausbildung der jungen Mönche zu einer Rationalisierung auf dem Athos? Eine bejahende Antwort auf diese Fragen würde bedeuten, dass ein wichtiger Aspekt der kulturell-gesellschaftlichen Modernisierung zustande gekommen wäre. Da dies ein wichtiges Anliegen dieser Studie ist, wird es unten näher untersucht. Zuerst soll darauf hingewiesen werden, dass die gute Ausbildung der Mönche sicherlich eine Herausforderung für die Gemeinschaften auf dem Athos darstellt. Zweifellos kann man Paganopoulos Recht geben, der sagt: „[…] their knowledge challenges the traditional order of the monastery“118. Paganopoulos nennt zwar keine Hinweise dafür, wie dies passiert, es kann aber vermutet werden, dass technologisches Geschick, Verständnis von Ökonomie, Kenntnisse der modernen Politik oder sogar andere Ernährungsgewohnheiten der jungen Mönche zur Veränderung des Lebens auf dem Athos führen können. Wie die Beispiele aus den vorherigen Kapiteln zeigen, wurde dieses Leben tatsächlich in vielen Aspekten verändert. Lässt sich aber sagen, dass dies zum Wandel in der Wahrnehmung von Wissenschaft und Bildung beitrug? Ein erster Hinweis dafür, dass dies nicht unbedingt der Fall sein muss, gibt die Äußerung von Vater Vasileios in Bezug auf Konferenzen, der das Streben nach Wissen folgendermaßen beschreibt: „[…] all these sciences are like lifting up a stone and finding a snail. […] all the progress in science is a matter of finding snails, and small snails at that. So it is of no value.“119 Hier wird deutlich, dass er, trotz seiner Vorträge an den Universitäten in Griechenland, das akademische Wissen für etwas Unbedeutendes hält. Es lässt sich also sagen, dass die Teilnahme an Konferenzen kein Zeichen 117

118 119

Z.B. die Ausstellung mit dem Titel „The Bloggers’ Mount Athos“, auf der Texte und Fotos von 24 Bloggern aus der ganzen Welt gezeigt wurden. Siehe mehr: Vicky Charisopoulou, „Το Άγιον Όρος πάει... Ιντερνέτ“, in: TA NEA, abrufbar unter: http://www.tanea.gr/politismos/arti cle/?aid=4578497. Paganopoulos, The Concept of ‘Economy’, S. 18. Vasileios, The Christian in a Changing World, S. 40.

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Der kulturell-gesellschaftliche Modernisierungsprozess

für einen Wandel in der Wahrnehmung von Bildung und Wissenschaft unter den Athos-Mönchen ist. Sie sind nämlich den Wissenschaften gegenüber skeptisch geblieben. Zweitens kann man sagen, dass das oben beschriebene gegenwärtige Engagement der Mönche in der Veröffentlichungsarbeit ebenso wenig als ein Zeichen des Wandels in der Wahrnehmung von Bildung und Wissenschaft verstanden werden kann. Dieser Beobachtung liegt die Tatsache zugrunde, dass auch lange vor Beginn der Modernisierungsprozesse sich die Mönche auf dem Athos an der Publikation von Büchern und Zeitschriften beteiligten. Hier ist in erster Linie die von Mönch Nikodemos (1749 – 1809) auf dem Athos zusammengestellte und 1782 veröffentlichte Antologie von Auszügen und Sprüchen der Wüstenväter, die unter dem Titel „Philokalie“ weltweit bekannt wurde, zu erwähnen. Wie geschrieben, verfügte das Große Lavra-Kloster schon in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts über eine Druckerpresse, die natürlich zum Zwecke der Publikation von Büchern und Zeitschriften genutzt wurde. Dadurch wird deutlich, dass die gegenwärtige Veröffentlichungsarbeit der Mönche kein neues Phänomen ist und darüber hinaus kein Zeichen für einen Wandel in der Betrachtung von Bildung und Wissenschaft. Es lässt sich drittens auch sagen, dass die Mönche trotz ihrer besseren Ausbildung die beiden Phänomene weiterhin nur negativ zu empfinden scheinen. Dies spiegelte sich in den 2010 durchgeführten Interviews und Gesprächen wider. Am deutlichsten wurde die skeptische Einstellung gegenüber Wissenschaft und Bildung von Vater D. geäußert, der meinte: „In Orthodoxy, the main objective is prayer, not the university degree.“120 Obwohl es nur von diesem Mönch so eindeutig formuliert wurde, darf vermutet werden, dass auch andere Geistliche auf dem Athos ähnlicher Meinung sind. Die Annahme lässt sich mit der Beobachtung belegen, dass viele Männer auf den Athos kamen, weil sie mit dem eigenen Leben und ihren Fähigkeiten, die sie an den Universitäten erlernten, nicht zufrieden waren. Trotz universitärer Abschlüsse suchten sie nach etwas Anderem und Wichtigerem im Leben und haben dies auf dem Athos gefunden. Ihre Lebenserfahrungen trugen also zu einer eher skeptischen Einstellung gegenüber Bildung und Wissenschaft bei. Alle genannten Punkte erlauben zu glauben, dass sich die Wahrnehmung von Wissenschaft und Bildung im Laufe der letzten Jahre nicht veränderte. Diese Beobachtung ist für diese Studie insofern wichtig, weil sie zeigt, dass in diesem Aspekt kein Modernisierungsprozess stattfand. Es wird also die Meinung vertreten, dass die Rationalisierung, die als eines der Merkmale des kulturell-gesellschaftlichen Teils dieses Prozess definiert wurde, nicht fortschreitet. Wie ist aber diese Feststellung mit dem hohen und modernen Verständnis der jungen Mönche von Wissen und Wissenschaft heutzutage zu vereinbaren? In den Gemeinschaften werden moderne Werkzeuge und Technologien für die Renovierungen genutzt, wie auch Fahrzeuge und das Internet. Kontakte mit säkularen Institutionen werden gepflegt, schließlich beteiligen sich die Mönche auch an Publikationen und nehmen an Konferenzen teil. In dieser Studie wird jedoch postuliert, dass alle diese Anliegen nur Hilfsmittel für die Mönche sind. Diese Mittel beziehen sich nur auf die 120

Aus dem Interview mit Vater D.

Bildung und Wissenschaft

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äußere Ebene des Lebens auf dem Athos und verändern nicht unbedingt die Meinungen und Weltanschauungen der Geistlichen. Das Wissen und die Fähigkeiten, die während der Ausbildung erlangt wurden, werden zwar genutzt, aber das Streben nach weltlichem Wissen wird weiterhin kritisiert. Der Zuwachs an gut ausgebildeten Mönchen veränderte die traditionelle Skepsis nicht. Das Thema der Bildung und der Wissenschaft sollte an dieser Stelle noch in einem weiteren Aspekt differenziert werden. Es muss nämlich hervorgehoben werden, dass nicht die ganze Wissenschaft auf dem Athos kritisiert wird. Der zitierte Vater Vasileios kritisierte in der Äußerung „these sciences“ vermutlich nur Ingenieur-, Wirtschaftsund Politikwissenschaften, nicht aber die Theologie. Da diese zum besseren Verständnis von Gott führt, wird sie gern betrieben. Es ist kein Zufall, dass die Schule auf dem Athos einen Schwerpunkt in Theologie hat. Auch Publikationen und Vorträge der Mönche konzentrieren sich ausschließlich auf religiöse Themen. Dies alles zeigt, dass auch die Geistlichen bereit sind, Wissenschaft zu akzeptieren und zu schätzen. Sie muss sich aber auf den Bereich konzentrieren, der für sie von primärer Bedeutung ist. Diesen Anspruch erfüllt nur die Theologie. In diesem Bereich der Wissenschaft sind die Mönche bereit, sowohl eigene Studien durchzuführen als auch sich in der Rolle der Lehrer wiederzufinden. Auf das Letztere sind die Veröffentlichungsarbeit und die Teilnahme an Konferenzen zurückzuführen. Wie oben beschrieben, lässt sich in diesem Bereich sogar eine Modernisierung feststellen. Die Modernisierung besteht aber nicht in einem gewandelten Verständnis von Bildung oder Wissenschaft, da diese immer noch mit Skepsis betrachtet werden, sondern eher in der Intensivierung der Lehre mithilfe von Publikationen, Konferenzen oder Institutionen wie Agioreitiki Estia. Die Mönche nehmen sicherlich neue Möglichkeiten der Wissensvermittlung wahr und benutzen sie für ihre eigenen Zwecke. Das heißt, die Skepsis gegenüber Bildung und Wissenschaft muss nicht bedeuten, dass sie sich in diesem Bereich nicht rational verhalten könnten. Dies kann anhand der schon früher zitierten Äußerung von Vater M. bestätigt werden, laut derer sich die Mönche entschieden die Mittel, die der Teufel benutzt (Bücher, Zeitschriften), zu verwenden, um das Wissen über die Orthodoxie zu vermitteln.121 Die Bildung und die Wissenschaft werden also kritisiert, nicht aber im Bereich der Theologie und Lehre über Orthodoxie.122 Am Rande dieser Überlegungen und am Ende dieses Teils des Kapitels lohnt es, sich einen Blick auf eine andere Seite der Lehre über die Orthodoxie zu werfen. Es handelt sich hier um die Ausstellungen über den Athos, die in den letzten zwei Jahrzehnten große Popularität erlangten. Diese Ausstellungen stellen auf jeden Fall eine Neuerung dar, weil die Athos-Klöster zum ersten Mal in der Geschichte auf diese Art 121 122

Vgl. das Interview mit Vater M. Für das ganze Zitat siehe Fußnote 112 in diesem Kapitel. Zu ähnlichen Schlussfolgerungen kam auch Constantine Cavarnos, der meinte, dass unter den Athos-Mönchen hervorragende Gelehrte zu finden waren und sind. Er hob aber ausdrücklich hervor, dass die von ihnen durchgeführten Studien sich ausschließlich auf verschiedene theologische Aspekte konzentrierten. „The aim of Athonite scholars in writing has always been to edify their fellow Christians. […] Insofar as their learning was used for edification, these scholars may be said to have been missionaries.“ Constantine Cavarnos, The Holy Mountain, Belmont, MA 1973, S. 17.

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Der kulturell-gesellschaftliche Modernisierungsprozess

und Weise einem breiteren Publikum präsentiert wurden. Außerdem waren im Rahmen dieser Ausstellungen einige Schätze der Athos-Klöster zu sehen, die vorher niemals außerhalb der Halbinsel gezeigt worden waren. Die Mönche reisten zwar schon früher mit Reliquien und wundertätigen Ikonen außerhalb des Athos, zum ersten Mal aber erreichte dieses Ereignis ein so großes Ausmaß. Letztendlich sind die Ausstellungen über den Athos für diese Studie auch deshalb interessant, weil die Mönche das Konzept der Ausstellungen unterstützten, was wiederum einen neuen Trend auf dem Athos belegt.123 Die größte hier gemeinte Ausstellung fand 1997 in Thessaloniki unter dem Titel Θησαυροί του Αγίου Όρους (Schätze des Berges Athos) statt. In den sechzehn Sälen des Museums für byzantinische Kultur wurden 589 Gegenstände aus sechzehn Klöstern und sieben Skiten gezeigt.124 Zu diesen gehörten neben Ikonen auch Reliquiare, Manuskripte, liturgische Gegenstände und Bücher. Das Ziel der Ausstellung war, dem Publikum das Leben in den Klöstern und kleineren Gemeinschaften zu zeigen. Aus diesem Grund wurden auch, mithilfe moderner Ausstellungstechniken, die Gottesdienste, der Gesang und die Arbeit der Mönche präsentiert. Die Ausstellung erwies sich als ein großer Erfolg und wurde von 700.000 Gästen besucht.125 Nach dem Erfolg der Ausstellung in Thessaloniki gab es weitere solcher Veranstaltungen. Vom 18. August 2006 bis zum 21. Januar 2007 konnten die Besucher des Tennis-Palastes in Helsinki rund 600 Gegenstände vom Athos bestaunen. 126 Die meisten wurden zuvor schon in Thessaloniki gezeigt, nun aber zum ersten Mal außerhalb Griechenlands ausgestellt. Die nächste große Veranstaltung fand vom 9. April bis 5. Juli 2009 im Petit Palais in Paris statt. Unter dem Titel Mount Athos and the Byzantine Empire – Treasures of the Holy Mountain wurden fast 200 Kunstwerke ausgestellt. Ein großer Teil davon – sechzig Gegenstände – wurden zum ersten Mal außerhalb des Athos präsentiert.127 Neben den großen Ausstellungen werden auch kleinere organisiert. Eines der neuesten Beispiele bietet die Ausstellung der Serbischen Akademie der Wissenschaften und Kunst (SANU), die zwischen dem 24. März und 2. Mai 2010 in verschiedenen Städten Serbiens stattfand.128 Diese Ausstellung bezog sich direkt auf das serbische Chilandar-Kloster und trug den Titel Hilandar today, six years after fire. 123

124 125 126

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Unter den Athos-Mönchen waren auch negative Meinungen diesbezüglich zu hören. Da die Verleihung von sehr wichtigen Schätzen ohne die Bewilligung durch die Mönche und die Athos-Regierung nicht möglich gewesen wäre, wird hier aber die Meinung vertreten, dass die Mehrheit der Geistlichen die Ausstellungen unterstützte. Vgl. Karakatsanis (Hg.), Θησαυροί του Αγίου Όρους, S. VIII. Folgende Klöster stellten ihre Schätze nicht zur Verfügung: Große Lavra, Filotheou, Esfigmenou, Kostamonitou. Vgl. The Exibition of the Treasures of Mt. Athos, abrufbar unter: http://www.hri.org /culture 97/eng/h_polh _etoimazetai_5.html. Vgl. „Unique exhibition of Byzantine Art from Mount Athos opens in Helsinki“, in: Helsingin Sanomat. International Edition, abrufbar unter: http://www.hs.fi/english/article/Unique+exhibi tion+of+Byzantine+Art+from+Mount+Athos+opens+in+Helsinki/1135221111700. Vgl. „Opening of the exhibition ‚Mount Athos and the Byzantine Empire – Treasures of the Holy Mountain‘ (Paris, 9 April 2009)“, in: Greek Ministry of Foreign Affairs, abrufbar unter: http://www.mfa.gr/www.mfa.gr/Articles/en-US/ts09042009_SB1135.htm. Vgl. Milena Marjanović, „Hilandar Today, Six Years After Fire“, in: blic.rs, abrufbar unter: http://english.blic.rs/Culture-Showbiz/6198/Hilandar-today-six-years-after-fire/print.

Die Pilger und die kulturell-gesellschaftliche Modernisierung

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Im Rahmen dieser Veranstaltung wurden die Ergebnisse des Wiederaufbaus des Klosters nach dem Großbrand 2004 präsentiert. Die Chilandar-Gemeinschaft und die Serbisch-Orthodoxe Kirche beteiligten sich an der Ausstellung und hießen sie willkommen. Die Ausstellungen beweisen, dass großes Interesse seitens des europäischen Publikums in Bezug auf den Athos besteht. Darüber hinaus wird auch deutlich, dass die Mönche bzw. die meisten Gemeinschaften sich diesem Interesse bewusst und bereit sind, ihm zu entsprechen, indem sie sie unterstützen. Diese Tatsache ist nicht nur den finanziellen Vorteilen zu verdanken, die die Klöster aus diesen Ausstellungen ziehen,129 sondern muss auch mit der pädagogischen Rolle verbunden werden. Die Mönche versuchen auf diese Art und Weise, umfassendes Wissen über den Athos und die Orthodoxie zu vermitteln. Daher lassen sich diese Veranstaltungen gut mit den beschriebenen Konferenzen und Publikationen vergleichen. Die Schlussfolgerung, die sich aus diesen Überlegungen ziehen lässt, ist also folgende: Trotz ihrer Abgrenzung von der Welt und ihrer Skepsis gegenüber Bildung begründeten die Mönche verschiedene Initiativen, die sowohl auf Bildung als auch auf Kontakten zur „Welt“ beruhen. Das Ausmaß dieser Initiativen kann sicherlich als eine der wichtigsten Neuerungen der letzten zwanzig Jahre bezeichnet werden, obwohl weder die Publikationsarbeit noch die Verleihung von liturgischen Gegenständen zur Ansicht für ein interessiertes Publikum außerhalb des Athos eine Neuerung ist. Auch die Beteiligung der Mönche an der Bildungsarbeit stellt kein neues Phänomen dar, wie die in diesem Kapitel genannten historischen Beispiele zeigen. Die Innovation im Bereich der Bildung und der Einstellung gegenüber der Wissenschaft besteht also nur darin, dass mehr Errungenschaften der modernen Wissenschaft auf dem Athos genutzt werden. Es handelt sich hier in erster Linie um Computer, Solaranlagen, Baufahrzeuge, aber auch um das gegenwärtige Wissen bezüglich des Brandschutzes, Obstanbaus und der Landwirtschaft. Gleichzeitig unterlag jedoch die Einstellung gegenüber Bildung und der Wissenschaft keinem Wandel, das heißt das rationale Verständnis wird immer wieder von den Mönchen kritisiert.

6.4. Die Pilger und die kulturell-gesellschaftliche Modernisierung Während der Feldforschungen wurde festgestellt, dass alles, was die Pilger betrifft, ein sehr wichtiges Thema auf dem Athos ist. Die Mönche wiesen unaufgefordert auf dieses Thema hin, beschrieben ihre Sorgen und Probleme, aber auch die positiven Seiten der Zunahme an Besuchern. Für das Leben auf dem Athos spielen die Gäste zweifellos eine bedeutende Rolle, denn sie sind Vermittler zwischen der „Welt“ und den Bruderschaften. Oft wurde in den Interviews unterstrichen, dass die Pilger die „Welt“ auf den Athos bringen. Tatsächlich wurden im Kapitel 4.3.3 die Auswirkungen des Tourismus’ auf den ökonomischen Modernisierungsprozess, aber auch auf die technologische Modernisierung beschrieben. Im Folgenden wird der Einfluss der Pilger auf das Leben auf 129

Die Leihgebühren für die verliehenen Gegenstände erhalten die Athos-Klöster.

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Der kulturell-gesellschaftliche Modernisierungsprozess

dem Athos erneut aufgegriffen. Nun aber gilt die Aufmerksamkeit der Rolle der Pilger in der kulturell-gesellschaftlichen Modernisierung. Es lohnt sich zu Beginn diesbezüglicher Überlegungen auf die Tatsache hinzuweisen, dass der Athos seit dem Mittelalter ein wichtiger Pilgerort war. Zu den Klöstern strömten im Laufe der Jahrhunderte jedoch nicht nur fromme Pilger, sondern auch zahlreiche Abenteurer, Kunsträuber und Weltenbummler. Da auch Dichter und Schriftsteller unterschiedlicher Provenienz auf den Athos reisten, die ihre Reiseerfahrungen niederschrieben, entstand eine beträchtliche Anzahl an Literatur, die einen guten Überblick über die Athos-Pilgerfahrten in der Geschichte gibt.130 Dank der umfangreichen Reiseberichte weiß man heutzutage, dass Pilgerfahrten auf den Athos kein neues Phänomen sind, was im Hinterkopf behalten werden sollte. Dennoch gibt es genügend Neuentwicklungen im Bereich der Pilgerfahrten, die die Aufmerksamkeit dieser Studie erfordern. Zuerst sollte ein Blick auf die Pilgerzahlen geworfen werden. Wie im Kapitel 4.3.3 beschrieben wurde, ist seit den 1980er Jahren ein erhöhtes Besucherinteresse am Athos zu beobachten. Kamen in den 1970er Jahren ca. 3000 bis 5000 Besucher jährlich, wurde der Athos in den 1980er Jahren schon von 30.000 Gästen besucht.131 Laut den Angaben des Athos-Pilgerbüros in Thessaloniki unternahmen 1996 schon 55.000 Männer eine Pilgerfahrt auf den Athos.132 Heutzutage ist die Zahl der Pilger bedeutend größer. Wie viele Besucher genau kommen, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, weil in den Quellen verschiedene Angaben zu finden sind. Die Zahlen schwanken zwischen 50.000 und 300.000 jährlich, wobei die Mönche zu letzterer Angabe neigen. 133 Theoretisch sollte die Berechnung der Pilgerzahl kein Problem darstellen, da eine Begrenzung der ausgestellten Visen eingeführt wurde. Heutzutage werden täglich höchstens 120 diamonitiria (Athos-Visen) ausgestellt,134 infolgedessen theoretisch höchstens nur 43.800 Männer den Athos jährlich besuchen könnten. Diese Zahl ist aber sicherlich zu 130

131

132 133 134

Im letzten Jahrzehnt wurden einige Sammelbände mit Athos-Reiseberichten herausgegeben. Siehe Billetta (Hg.), Athos; Folker Reichert/Gerrit J. Schenk, Athos. Reisen zum Heiligen Berg 1347–1841, Stuttgart 2001. Im Jahr 2007 wurde eine Konferenz in Thessaloniki organisiert, die die Pilgerfahrten auf den Athos thematisierte. Ein Sammelband zu dieser Veranstaltung wurde 2010 veröffentlicht: Agioreitiki Estia (Hg.), Пρακτικά του β‘ επιστημονικού συνεδρίου με τίτλο ‚Пέντε αιώνες περιηγήσεων και προσκυνημάτων στο Άγιον Όρος‘, Thessaloniki 2010. Vater Basil (Pennington) berichtet in seinem Buch, dass 1976 2500 Visen in den ersten fünf Monaten des Jahres ausgestellt wurden. Vgl. Basil (Pennington), The Monks of Mount Athos, S. 23. Laut Speake besuchten in der ersten Hälfte der 1970er Jahre jährlich 3000 Pilger den Athos. In den 1980er Jahren waren es schon 30.000. Vgl. Speake, Mount Athos, S. 233. Der besonders große Anstieg an Pilgern fällt auf den Beginn der 1980er Jahre. Laut Sidiropoulos besuchten 1980 rund 20.000 Gäste den Athos und 1986 schon 32.000. Vgl. Sidiropoulos, Άγιον Όρος, S. 91. Diese Angaben stimmen durchaus mit den Befunden von Gothóni überein, die er den Statistiken der Hafenverwaltung in Ouranopoli und Ierissos entnahm. Laut Gothóni kamen 1986 32.000 Pilger auf den Athos. Im Jahr 1990 waren schon 40.000 auf dem Athos unterwegs. Vgl. Gothóni, Paradise Within Reach, S. 121–122. Vgl. Sidiropoulos, Άγιον Όρος, S. 91. Vgl. Paganopoulos, The Greek Nationalist Façade, S. 2; Speake/Gothóni, The Monastic Magnet, S. 125; die Interviews mit Vater Ma. und mit Vater Ps. 110 von diesen Visen sind für griechische Staatsbürger bestimmt, die übrigen erhalten ausländische Pilger. Die Gültigkeitsdauer beträgt vier Tage.

Die Pilger und die kulturell-gesellschaftliche Modernisierung

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gering, weil sie einerseits nicht den Angaben des Pilgerbüros aus dem Jahr 1996 entspricht und andererseits auch keineswegs der Realität, die einfach beobachtet werden kann. Da die einzige Möglichkeit der Einreise auf den Athos die Schiffsreise ist, reicht es, nur die Zahl der Passagiere an Deck zu bestimmen, um die Zahl der Pilger schätzen zu können. Dieser Feldversuch wurde von Reinhold Zwerger unternommen. Am 22. Juni 1996 zählte er 350 Passagiere und am 3. April 1998 befanden sich seiner Bestimmung nach mehr als 250 Griechen an Bord der großen Athos-Fähre.135 Zwerger sagt zwar nicht wie viele ausländische Pilger sich außerdem noch auf dem Schiff befanden, fest steht aber, dass an beiden Tagen die auf 120 festgelegte Begrenzung der ausgestellten Visen deutlich überschritten wurde. „Wo bleibt die Quote von 110 Griechen und zehn Ausländern?“, fragte sich der Österreicher. Die Antwort auf diese Frage und die Lösung des Problems der Berechnung der Pilger liegt in den einzelnen Klöstern. Jedes Kloster ist nämlich zur Ausstellung eines eigenen Visums berechtigt. Mit diesen „speziellen“ Visen in der Hand können die Pilgern zwar nur in diesem Kloster übernachten, das das Visum ausstellte, sie können aber den ganzen Athos bereisen. Die Zahl dieser „speziellen“ Visen lässt sich nur schätzen, da die Klöster keine Statistiken zur Verfügung stellen. In einem offiziellen Dokument der UNESCO wird aber die Zahl der Pilger, die den Athos in den 12 Monaten zwischen Juni 2004 und Mai 2005 besuchten, auf 72.850 geschätzt.136 Dies würde bedeuten, dass die Zahl der „speziellen“ Visen dreiviertel der „normalen“ ausmacht. Mit diesen Angaben steht auch die Zahl der Übernachtungen im Einklang, die alle Klöster den Besuchern jedes Jahr gewähren. Laut Sidiropoulos beträgt diese Zahl 300.000.137 Da die meisten Pilger vier Tage auf dem Athos bleiben – das Athos-Visum ist vier Tage gültig – muss diese Zahl durch vier geteilt werden, infolgedessen sich eine Zahl von 75.000 ergibt, die als Menge der Besucher verstanden werden kann, die jährlich auf den Athos kommen. Da dies den im UNESCO-Dokument genannten Angaben entspricht, wird die Zahl von 75.000 Besuchern jährlich als die wahrscheinlichste Zahl an Pilgern auf dem Athos heutzutage in dieser Studie übernommen. Dies bedeutet wiederum, dass doppelt so viele Gäste wie in den 1980er Jahren kommen. Das Phänomen des verstärkten Interesses an Pilgerfahrten zu den Klöstern ist nicht auf den Athos begrenzt, sondern betrifft auch viele andere monastische Gemeinschaften in Griechenland. Besonders stark sind die Meteora-Klöster auf den Felsen in Thessalien betroffen. Seit den 1970er Jahren kommen so viele Gäste zu den spektakulär gelegenen Klöstern, dass die dort lebenden Mönche keine Ruhe mehr finden konnten und infolgedessen manche Gemeinschaften die Klöster verließen.138 Der Zuwachs von Pilgern auf dem Athos muss also in einem breiteren Kontext gesehen werden und lässt sich sicherlich nicht als Einzelfall verstehen. 135 136 137 138

Vgl. Zwerger, Wege am Athos, S. 169 u. 175. Vgl. UNESCO (Hg.), State of Conservation, S. 6. Vgl. Sidiropoulos, Άγιον Όρος, S. 91. Im Jahr 1973 verließen 25 Mönche unter der Leitung von Vater Aimilianos das MetamorphosisKloster (auch Megálo Metéoro genannt) und ließen sich im Simonos Petras-Kloster auf dem Athos nieder. Vgl. das Interview mit Vater Ma. Seit den 1980er Jahren kommen noch mehr Besucher zu den Meteora-Klöstern, da 1981 dort ein „James Bond“-Film gedreht wurde (For Your Eyes Only), was das Interesse der Touristen an dem Ort noch erhöhte.

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Der kulturell-gesellschaftliche Modernisierungsprozess

In dieser Hinsicht lohnt es sich, hier die Frage zu stellen, wie dieser Prozess von den Mönchen auf dem Athos wahrgenommen wird. Es konnte beobachtet werden, dass die Meinungen zu diesem Thema so ambivalent wie bei keinem anderen sind. Einerseits sind die Geistlichen der Meinung, dass das erhöhte Interesse der Gäste am Athos eine positive Entwicklung darstellt, weil dadurch mehr Leute in Kontakt mit der orthodoxen Spiritualität kommen. In einem Interview heißt es: „I think it is good that pilgrims are coming. We need to look at the positive side for them. They can learn a lot […]. This promotes spirituality. Ultimately every connection with Athos is good.“139 Ein anderer Mönch verneinte die Frage, ob die Zahl der Pilger strikter beschränkt sein sollte. Seiner Meinung nach sind die Besuchsmöglichkeiten wichtig, weil die Gäste auf dem Athos Hilfe für die Bewältigung ihres Lebens finden können.140 Andererseits wird oft unterstrichen, dass es heutzutage zu viele Pilger auf dem Athos gibt. Ein Mönch äußerte sogar im Interview, dass die Pilger bzw. die Zahl der Gäste das größte Problem auf dem Athos heutzutage seien.141 Der Grund dafür ist, dass die Pilger, die in so großer Zahl den Athos besuchen, den normalen Tagesablauf stören. Sie machen Fotos, sprechen laut und telefonieren, möchten sich mit den Mönchen unterhalten. Dies betrifft auch, oder sogar in erster Linie, die Familienmitglieder, die ihre Verwandten auf dem Athos besuchen. […] even members of our families or friends who come to visit us, become somewhat annoying, because, one has his own everyday life, his own spiritual life, and needs to serve the rest of the brotherhood. When visitors come you have to stop whatever you are doing and try to give them a tour, or host them here. Pilgrims who are not that much associated with you do not pay very much attention and do not become a very big problem.142

Zieht man das alles in Betracht, kann die Äußerung eines Mönches in Bezug auf die Situation im Sommer, wenn die meisten Pilger kommen, nicht überraschen: „It is like in hell.“143 Die hohe Zahl der Pilger ist eine der größten Herausforderungen auf dem Athos heutzutage, wie während der Feldforschungen und Gespräche mit den Geistlichen bestätigt werden konnte. Die Mönche betrachten den Zustrom der Gäste sicherlich als ein Problem, was sich auch anhand einer Beobachtung plausibel illustrieren lässt: Die Mönche empfinden die Menge an Besuchern als viel größer als sie tatsächlich ist. Wie schon bemerkt wurde, schätzen die gefragten Geistlichen die Zahl der Pilger auf 300.000 jährlich.144 Diese Zahl ist jedoch zu hoch geschätzt. Wie deutlich wird, betreffen die Meinungsverschiedenheiten in Bezug auf die Pilger nur ihre Anzahl, aber nicht die Tatsache, dass die Gäste überhaupt kommen. Die Besucher sind auf dem Athos herzlich willkommen und werden in Anlehnung an die traditionellen Regeln der Gastfreundschaft untergebracht und verpflegt. Bei der Ankunft im Kloster werden die Gäste traditionell mit einem Glas Wasser, einem Glas Schnaps, einer Tasse Kaffee und einer mit Puderzucker bedeckten Götterspeise 139 140 141 142 143 144

Aus dem Interview mit Vater Mo. Vgl. das Interview mit Vater Pl. „There are way too many pilgrims. The biggest problem now on Mount Athos is too many pilgrims.“ Aus dem Interview mit Vater Ma. Aus dem Interview mit Vater F. Aus dem Gespräch mit Vater A. Vgl. die Interviews mit Vater Ps. und mit Vater Ma.

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(λουκούμι) begrüßt. Den Pilgern werden außerdem Essen und die Übernachtung für eine Nacht gewährt, wobei alle diese Leistungen völlig kostenlos sind. Wie schon angedeutet wurde, können die Pilger auf eine kleine Führung und Gespräche mit den Mönchen hoffen. Letzteres ist für die Geistlichen besonders wichtig. Sie dienen den Pilgern oft als geistliche Väter und Seelsorger und nehmen diese Aufgabe sehr ernst. Ebenso wichtig ist für sie, dass die Gäste im Rahmen ihrer Besuche eine Verbindung zur orthodoxen Spiritualität aufbauen. Aus diesem Grund werden bei der Begrüßung in den Klöstern immer auch die Zeiten der Gottesdienste genau erklärt und die Pilger zur Teilnahme daran ermuntert. Es kann also mit ziemlicher Sicherheit vermutet werden, dass Mönche die Rolle der Seelsorger und Lehrer der orthodoxen Spiritualität bewusst und gewissenhaft wahrnehmen. Manche halten es für die wichtigste Aufgabe des Mönchtums überhaupt. Vater N. betonte im Interview, dass die Menschen heutzutage ein großes Bedürfnis nach Spiritualität haben, weshalb in seinem Kloster alles dafür getan wird, dieses Bedürfnis zu erfüllen. Der Abt entschied sogar, dass den Pilgern bei der Zuweisung der Plätze in der Hauptkirche der Vorzug gegeben werden sollte. Da diese Kirche klein ist, müssen die Mönche während der Gottesdienste öfters in der Vorhalle stehen.145 Dieses Beispiel ist zwar nur ein Einzelfall auf dem Athos, da die meisten Kirchen groß genug sind, es bestätigt aber die Regel, dass die Pilger in den Klöstern gern gesehen sind. Das Problem betrifft aber die Anzahl der Besucher. In diesem Zusammenhang soll darauf hingewiesen werden, dass die Regierung des Athos sich mit diesem Problem schon in den 1970er Jahren auseinandersetzte, als das Interesse der Besucher am Athos nur gering gestiegen war. Die Anzahl der Pilger lag weit unter 10.000 Besuchern jährlich.146 Trotzdem führte die Regierung 1973 eine Begrenzung der Aufenthaltsdauer ein – jeder Pilger durfte nur höchstens zehn Tage auf dem Athos bleiben.147 Diese zukunftsorientierte Planung ist darauf zurückzuführen, dass die Heilige Gemeinde die Situation außerhalb des Athos genauestens registrierte. In den 1970er Jahren stiegen nämlich die Touristenzahlen auf dem griechischen Festland (u.a. Meteora-Klöster) rasant an und es wurde befürchtet, dass sie auch auf den Athos strömen würden. Die Begrenzung der Aufenthaltsdauer war also ein erster Versuch, die Anzahl der Touristen einzuschränken und damit den speziellen Charakter des Athos zu bewahren. Dies war jedoch nicht die einzige Maßnahme – die Heilige Gemeinde unternahm auch viele andere in dieser Richtung, sodass von einer richtigen Strategie die Rede sein kann. Im Jahr 1976 wurde die Aufenthaltsdauer der orthodoxen Besucher auf sieben Tage weiter gesenkt. Nicht-orthodoxe Gäste durften nur vier Tage lang auf dem Athos bleiben. Zudem wurde festgelegt, dass sich pro Tag nur zehn nicht-orthodoxe Pilger auf dem Athos aufhalten durften. Seit Anfang der 1990er Jahre gilt diese Beschränkung der Aufenthaltsdauer auch für die orthodoxen Gläubigen.148

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Vgl. das Interview mit Vater N. Vgl. Sidiropoulos, Άγιον Όρος, S. 91. Vgl. ebd., S. 97. Sidiropoulos ist der Auffassung, dass dies schon 1990 geschah. Vgl. ebd., S. 97. Dementgegen berichtet Kyriacos Markides, dass er vor Ostern 1991 ein Diamonitirion für sieben Tage bekam. Daher dürfte die genannte Begrenzung erst später eingeführt worden sein. Vgl. Kyriacos C. Markides, Auf dem Löwen reiten, Darmstadt 2005, S. 283.

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Der kulturell-gesellschaftliche Modernisierungsprozess

Die Regierung des Athos vertritt in dieser Hinsicht also eine ganz klare Politik – die Anzahl der Pilger sollte ihrer Meinung nach begrenzt werden. Trotz der Versuche den Zustrom von Besuchern zu begrenzen, lässt sich ohne Zweifel sagen, dass ein Trend zur völligen Abschaffung der Pilgerfahrten auf den Athos nicht zu beobachten und auch nicht zu erwarten ist. Der Grund dafür ist, wie schon oben angedeutet, dass die Mönche den Kontakt mit den Pilgern sehr schätzen. Sie sehen sich für viele Gäste als geistliche Väter und sind es in der Tat auch. Sie wissen, dass die Pilgerfahrt auf den Athos den Gästen eine außergewöhnliche Möglichkeit bietet, eine Verbindung mit der Spiritualität des Orthodoxen Christentums aufzubauen. Die Pilger lernen viel über die Traditionen der eigenen Religion und leiten dieses Wissen auch an ihre Familien und Bekannte weiter, was auch von den Mönchen besonders betont wird. Dank der Pilgerfahrten auf den Athos erfüllen die Mönche also eine wichtige Rolle, nämlich die der Missionare. Die Besonderheit dieser Situation besteht aber darin, dass sie die Aufgabe der Missionierung erfüllen, ohne den Athos zu verlassen. Die Rolle der Pilgerfahrten bei der Missionierung wird noch plausibler, wenn auf die Gäste hingewiesen wird, die kein Interesse an Spiritualität haben und eher als Touristen auf den Athos kommen. Diese Besucher möchten vor allem die wunderschöne Natur genießen und ihr Hauptziel ist das Wandern. Christopher Merrill traf 1998 auf Gäste dieser Art und berichtete darüber in seinem Buch. Diese Männer übernachteten nicht einmal in den Klöstern, sondern schliefen im Zelt.149 Die Gruppe dieser Art von Besuchern ist sicherlich sehr klein, das Phänomen der ausschließlich touristischen Besuche zwingt aber zu der Frage, inwieweit alle anderen Gäste Pilger oder Touristen sind. Graham Speake setzte sich mit dieser Frage auseinander und kam zu der Schlussfolgerung, dass sie mehrheitlich wohl beides sind: „[…] most of us are, at least in part, both – in part tourists and in part pilgrims. […] I think it would be quite hard for any of us to claim to be entirely one or entirely the other.“150 Damit machte der englische Autor klar, dass Pilger heutzutage immer auch etwas von einem Touristen haben: Sie machen Fotos, fahren mit den Taxen, manche besuchen die Klöster, manche nicht.151 Die Mönche sind also immer häufiger mit diesem Verhalten konfrontiert, weil mehr Besucher auf den Athos kommen, die ein geringes oder gar kein Interesse an der religiösen Seite der Pilgerfahrt haben. Es stellt sich die Frage, wie die Mönche auf diese Entwicklungen reagieren und ob sie sie überhaupt wahrnehmen.

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Vgl. Merrill, Things of the Hidden God, S. 125. Graham Speake, „The Way of a Pilgrim on Mount Athos“, in: Gothόni/Speake, The Monastic Magnet, S. 125–126. In diesem Zusammenhang beobachtete René Gothόni, dass diese Besucher sehr oft den religiösen Charakter ihrer Reise erst nach der Rückkehr feststellen. „[…] most of them clearly stated that they now realised that they had made a pilgrimage. They were indeed deeply impressed by what they had seen and what they had experienced, and they were moved. Some of them felt that they were reborn, some that they now saw the world through different eyes.“ Gothόni, Paradise Within Reach, S. 134. Diese Beobachtung macht klar, dass es auch falsch ist, diese Gäste ausschließlich als Touristen zu beschreiben, da viele von ihnen die religiöse Ebene der Reise entdecken. Tatsächlich sind die Gäste auf dem Athos beides: Touristen und Pilger, wie es Speake hervorhob. Mehr zu Theorie, Bedeutung und Case Studies in Bezug auf Pilgerfahrten siehe René Gothόni (Hg.), Pilgrims and Travellers in Search of the Holy, Oxford 2010.

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Nach einer oberflächlichen Betrachtung mag es so scheinen, als würden die Geistlichen die neue Art von Pilgerfahrten auf den Athos gar nicht als solche erkennen. Die Mönche scheinen jeden Gast als Pilger zu betrachten, realiter ist den Geistlichen jedoch klar, dass nicht alle Gäste aus religiösen Gründen auf den Athos kommen. Dies wurde unter anderem in den Interviews deutlich. Vater Mo. äußerte, dass manche Besucher leider nur wegen der wunderschönen Landschaft des Berges kommen. Seiner Meinung nach ist dies natürlich eher ungünstig. Allerdings: „There is a story about a man who converted to Orthodoxy on Athos, although he came only for swimming and sightseeing.“152 Die Mönche hoffen also, dass sogar die nicht aus religiösen Gründen unternommene Reise auf den Athos zu einer Pilgerfahrt wird.153 Sie hoffen, dass auch dadurch Missionierung möglich ist. Die Hoffnung, dass viele Gäste aber doch wegen der religiösen Atmosphäre des Athos kommen und aus dieser Spiritualität des Ortes schöpfen wollen, ist jedoch größer: „Thank God, many of the people who do come here come for retreat, see Mount Athos and experience the life“154. An dieser Stelle lohnt es sich, einen Blick auf einen anderen Aspekt der Pilgerfahrten auf den Athos zu werfen. Es handelt sich hier um die erhöhte Anzahl von nicht-griechischen Pilgern, die sich im Zusammenhang mit dem Prozess der Internationalisierung der Gemeinschaften ergab. Die prozentuale Steigerung der Anzahl von ausländischen Gästen wird seit den 1980er Jahren, parallel mit dem verstärkten Zuwachs von Pilgern allgemein, beobachtet. Heutzutage wird der Athos von vielen Ausländern verschiedener Nationalitäten besucht. In erster Linie pilgern Männer aus orthodoxen Ländern zu den Klöstern, vor allem aus Russland, Bulgarien und Serbien, also aus den Staaten, die eigene Klöster auf dem Athos haben. Daneben besuchen viele Rumänen den Athos, die ebenso eigene Gemeinschaften haben. Zu den Ausländern zählen aber auch Gäste aus den nicht-orthodoxen Ländern. Hier sind vor allem deutschsprachige Besucher gemeint, aber auch andere aus allen Ecken der Welt, wie z.B. aus Guadeloupe.155 Das erhöhte Interesse der nicht-griechischen Pilger am Athos ist besonders bemerkenswert, da die Zahl der Ausländer, die täglich mit „normalen Visen“ einreisen können, auf zehn begrenzt ist. Für Nicht-Griechen ist es also äußerst schwierig, dieses 152 153

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Aus dem Interview mit Vater Mo. Dies bestätigen auch die Worte eines von René Gothόni zitierten Mönchs: „Everyone who comes to the Holy Mountain is a pilgrim, whether he knows it or not. Originally each of us was a visitor. Who is to say in what way the will of God acts? Who is to say why the visitors really come?“, Gothόni, Paradise Within Reach, S. 135. Aus dem Interview mit Vater P. Vgl. Spencer, Athos, S. 89. Unter den nicht-orthodoxen Pilgern gibt es prozentual viele westliche Geistliche, ein Phänomen, das von Anton Lambrechts – selbst ein benediktinischer Mönch aus dem Chevetogne-Kloster – beobachtet und beschrieben wurde. Lambrechts nennt neben dem in dieser Studie merhmals zitierten Vater Basil (Pennington) auch andere westliche Mönche, die den Athos besuchten. Vgl. Anton Lambrechts, „Бенедиктинские паломники иа Афоне“, in: Evgenij G. Vodolazkin (Hg.), Монастырская культура: Восток и эапад, Sankt Petersburg 1999, S. 231–238. Auch während der Feldforschungen konnte ein Gespräch mit einem westlichen Mönch durchgeführt werden. Sicherlich ist also ein großes Interesse der westlichen Mönche am Athos festzustellen, das vor allem darin besteht, dass die westlichen Geistlichen aus der Tradition des athonistischen Mönchtums schöpfen wollen.

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Visum zu bekommen. Der Zustrom von ausländischen Gästen wurde, trotz der offiziellen Hürden, jedoch durch die schon früher erwähnten „speziellen Visen“ ermöglicht, die slawische Klöster in großer Zahl ausstellen.156 Anzumerken ist jedoch, dass diese Visen vor allem für Pilger orthodoxen Glaubens bestimmt sind, wodurch die Einreisemöglichkeiten der nicht-orthodoxen Gäste nach wie vor begrenzt sind. In den obigen Ausführungen wurde eine wichtige Differenzierung gemacht, die nun weiter verfolgt wird. Es wird in dieser Studie zwischen drei Pilgergruppen unterschieden: Die Griechen, die orthodoxen Ausländer und die nicht-orthodoxen Ausländer. Jede diese Gruppe wird von den Mönchen anders wahrgenommen und hat auch andere Rechte. Griechische Pilger bilden selbstverständlich die größte dieser drei Gruppen. Manche von ihnen haben Verwandte oder geistliche Väter auf dem Athos, die Kultur, die Sprache und die Verhaltensmuster in den Kirchen sind ihnen bekannt und stellen keine Probleme dar. Dies betrifft aber nur die griechischen Gemeinschaften. In den nicht-griechischen Klöstern und Skiten können sich auch Griechen schon fremd fühlen. Wie während der Feldforschungen beobachtet wurde, werden die nichtgriechischen Klöster, sicherlich aufgrund deren Andersartigkeit, viel seltener von Griechen besucht. In den Klöstern Hl. Panteleimonos, Chilandar und Zograf sieht man also griechische Pilger nur sehr selten. Die ausländischen Pilger orthodoxen Glaubens, die die zweite Gruppe der AthosPilger bilden, stellen ein interessantes „Mittelding“ dar. Sie kennen die Sprache und Kultur nur eines Klosters, alle anderen sind ihnen fremd. Tatsächlich sind sogar die Verhaltensmuster in den Kirchen andere als in den griechischen. Dies wurde von einem Mönch aus einem griechischen Kloster bestätigt: There are definitely cultural differences. More noticeably with the Russians. There is difference in ecclesiastical behaviour, how you behave in church, what is regarded as custom, et cetera. So, what holds for them does not hold for the Greeks.157

Die ausländischen Pilger aus dieser Gruppe haben also, trotz ihres orthodoxen Hintergrunds, manche Schwierigkeiten mit den kulturellen Unterschieden. Dies entmutigt sie jedoch nicht, dennoch ein griechisches Kloster zu besuchen. Während der Forschungsaufenthalte wurden viele orthodoxe Pilger in diesen Klöstern gesehen. Die griechischen Mönche bestätigen auch, dass ihre Klöster von den nicht-griechischen Orthodoxen besucht werden.158 Damit beziehen sie sich vor allem auf Rumänen. Für sie ist die Reise auf den Athos seit dem EU-Beitritt Rumäniens von jeglichen organisatorischen Hürden befreit. Dies betrifft auch Bulgaren. In ihrem Fall sind jedoch die Zahlen nicht so hoch wie bei den Rumänen. Der bedeutendste Anstieg an Pilgern ist laut der Zeitung TA NEA seit ungefähr 2004 aus Russland festzustellen. Die griechische Zeitung schätzt die Zahl der russischen Gäste auf der Chalkidiki-Halbinsel auf 125.000 bis

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Der Spitzenreiter in dieser Gruppe ist ohne Zweifel das Chilandar-Kloster, das von vielen Serben besucht wird. Während der Feldforschungen wurde die Ankunft einer Gruppe von ungefähr dreißig serbischen Pilgern an der Anlegestelle des Klosters beobachtet. Vergeblich war daher auch die Bitte um eine Übernachtungsmöglichkeit – das Kloster war ausgebucht. Aus dem Interview mit Vater I. Vgl. die Interviews mit Vater I. und mit Vater N.

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150.000. Viele von ihnen besuchen auch den Athos.159 Der erhöhte Zuwachs von rumänischen Pilgern seit 2007 und der Russen seit ungefähr sieben Jahren ist eine wichtige Entwicklung. Diese begann im letzten Jahrzehnt und dauert bis zum heutigen Tag an. Es ist zu erwarten, dass der Trend der Internationalisierung des athonistischen Pilgerstroms in der nahen Zukunft fortwähren wird, was mit der Wiederbelebung der Religiosität in Südosteuropa verbunden ist. Die drittgenannte und auch die kleinste Gruppe der Athos-Besucher setzt sich aus nicht-griechischen Pilgern, die keiner der Orthodoxen Kirche angehören, zusammen. Hier ist, ähnlich wie bei den orthodoxen Ausländern, ein Trend zu einem Zahlenanstieg spürbar, wobei der Zuwachs durch das offizielle Limit begrenzt ist. Es gibt keine Statistiken, die sich auf die Zahl der Ausländer auf dem Athos beziehen, die Annahme aber, dass mehr nicht-orthodoxe Gäste kommen, basiert auf sicheren Prämissen. In erster Linie wurde dieser Trend von den Mönchen selbst beobachtet.160 Darüber hinaus tauchen in verschiedenen Texten immer wieder Informationen über nicht-orthodoxe Pilger auf, die die jeweiligen Autoren auf dem Athos trafen. Zuletzt sollte an die kommerziellen Reisen auf den Athos, die im Kapitel 4.3.3 beschrieben wurden, erinnert werden. Die Tatsache, dass sie in nicht-orthodoxen Ländern organisiert werden,161 verdeutlicht das hohe Interesse der Ausländer am Athos. Alle genannten Punkte beweisen, dass mehr Ausländer als früher auf den Athos reisen. Dieses Phänomen ist bemerkenswert, weil es zu einem verstärkten Kontakt zwischen den Mönchen und nicht-orthodoxen Pilgern führt. Dies provoziert die Frage nach der Art und Weise, in der diese verstärkten Kontakte ablaufen. Diese Frage bezieht sich zwar nur auf die kleinste Gruppe der Athos-Besucher, es wird aber trotzdem ausführlicher darauf eingegangen, da gerade sie von entscheidender Bedeutung für die Frage nach der kulturell-gesellschaftlichen Modernisierung sind. Dem zugrunde liegt die Tatsache, dass die Mönche gegenüber den zwei anderen Gruppen außerordentlich vorhersehbare Meinungen haben. Orthodoxe Besucher werden als Gläubige betrachtet, die die Ikonen und Reliquien verehren wollen und ihren Glauben durch die Teilnahme am monastischen Leben stärken möchten. Die Kontakte mit den nicht-orthodoxen Pilgern sind wesentlich vielschichtiger und benötigen spezielle Aufmerksamkeit. 159

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Stefanopoulou, „Η μικρή Μóσχα της Ουρανούπολης“. Die Daten von TA NEA stehen im Einklang mit den Angaben der Chalkidiki Hotel Association, laut denen 1.150.000 Touristen die Chalkidiki-Region im Jahr 2006 besuchten. Ein bedeutender Teil davon war russischer Nationalität. Die Tatsache, dass Russen eine der größten Touristengruppen auf Chalkidiki sind, ist unumstritten, die genannten Zahlen sollten aber mit gewisser Skepsis betrachtet werden. Das griechische Amt für Statistik schätzte nämlich die Zahl ausländischer Touristen in dieser Region 2006 auf insgesamt 298.934. Vgl. The National Statistical Service of Greece (Hg.), Αφίξεις στα καταλύματα ξενοδοχειακού τύπου και κάμπινγκ, κατά Νομό, Pireas 2007, S. 1, auch abrufbar unter: http://www.statistics.gr/portal/page/portal/ESYE/BUCKET/A2001/Other/A2001_STO12 _TB_ MM_00_2006_03_F_GR.pdf. Siehe auch Halkidiki Hotel Association (Hg.), „Halkidiki Tourism: 2006 statistics“, in: Halkidiki Greece Blog, abrufbar unter: http://www.inchalkidiki.com/blog/index.php/2007/08/23/halkidiki-tourism-2006-statistics/. Vgl. die Interviews mit Vater I. und mit Vater N. Vor allem im deutschsprachigen Raum. Siehe aber auch die Reise auf den Athos mit einem polnischen Reisebüro: Pielgrzymka na Świętą Górę Athos, abrufbar unter: http://www.nowy swiat.turystyka.pl/p0.html.

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Die Frage nach dem Spezifikum der Kontakte zwischen nichtorthodoxen Pilgern und den Mönchen auf dem Athos kann aus zwei verschiedenen Perspektiven heraus beantwortet werden, nämlich aus Sicht der Pilger und aus Sicht der Mönche. Zuerst soll auf die Perspektive der nichtorthodoxen Pilger eingegangen werden, wobei festgestellt werden muss, dass in dieser Abb. 19 Informationsschild im Kostamonitou-Kloster Gruppe keinerlei Einigkeit diesbezüglich herrscht. Die Meinungen der Besucher über die Kontakte mit den Mönchen weisen einen hohen Grad an Ambivalenz auf: Einerseits werden die positiven Seiten der Kontakte mit den Geistlichen betont und die Gastfreundlichkeit gelobt. Andererseits werden der Widerwille oder sogar die Feindseligkeit der Mönche gegenüber nichtorthodoxen Pilgern hervorgehoben. Woher stammen aber diese bedeutenden Unterschiede? Die Gründe dafür sind vor allem in den Unterschieden zwischen den Klöstern zu suchen. Einige Gemeinschaften sind mehr, andere weniger oder gar nicht positiv gegenüber Nicht-Orthodoxen eingestellt. Dies kann anhand der sichtbaren Faktoren gemessen werden, nämlich: die Zulassung der nicht-orthodoxen Gäste zu gemeinsamen Mahlzeiten und zur Teilnahme an den Gottesdiensten. Anhand dieser Faktoren lässt sich eine genaue Linie zwischen diesen Klöster ziehen. Xiropotamou, Zograf, Filotheou, Esfigmenou und Kostamonitou gehören, den Beobachtungen während der Feldforschungen nach, zu den Gemeinschaften, die Nicht-Orthodoxe von den gemeinsamen Gottesdiensten und Mahlzeiten ausschließen. In diesen Klöstern werden die nicht-orthodoxen Pilger als zweitrangige Gäste behandelt. Selbstverständlich können die Meinungen der Pilger, die diese Klöster besucht haben, über die Kontakte mit den Mönchen nicht positiv sein. Den erfahrenen Athos-Pilgern sind die Unterschiede in der Wahrnehmung von nicht-orthodoxen Besuchern in den einzelnen Klöstern sehr gut bekannt. Der früher schon zitierte Spitzing schrieb über die Paradoxa in Bezug auf die Einstellung gegenüber Ausländern. In manchen Klöstern konnte er an den Gottesdiensten teilnehmen, in anderen nicht. In manchen Gemeinschaften aß er mit den Mönchen, in anderen wurde ihm dieses Privileg untersagt.162 Bei Spencer heißt es:

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Spitzing, Athos, S. 95.

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At Dionisiou, Orthodox pilgrims sit at a different table from the community while their nonOrthodox associates occupy a third. Elsewhere I was to have the full range of experiences from full integration at one end, to being let into a cold and empty refectory, after the egress of everyone else […].163

Zusammenfassend kann also festgestellt werden, dass die gegenwärtigen Kontakte zwischen den nicht-orthodoxen Pilgern und den Mönchen sehr differenziert aussehen, weil sich die Einstellungen gegenüber diesen Besuchern von Kloster zu Kloster unterscheiden. Den meisten Pilgern ist dieses Phänomen bewusst. Doch gilt das auch für die Mönche? Im Folgenden wird ihre Wahrnehmung der Situation betrachtet. Grand d’Hauteville fasst die Einstellung gegenüber nichtorthodoxen Pilgern in einigen der Gemeinschaften folgendermaßen zusammen: Heutzutage sind die »Nichtchristen« uninteressant. Zu diesen gehören wir Katholiken und Protestanten in den Augen der Integristen (Filotheou, Ag. Pavlou): entweder wir existieren überhaupt nicht, oder wir gehören zur Partei des Feindes.164

Diese Äußerung gilt als repräsentativ für diejenigen Gemeinschaften, die eine radikale Einstellung gegenüber nicht-orthodoxen Besuchern aufweisen. Dieser Radikalismus speist sich vor allem aus der Überzeugung, dass es außer der Orthodoxen Kirche keine Heiligkeit gibt, sodass alle Nicht-Orthodoxen als Ungläubige stigmatisiert werden. Genau aus dem Grund, dass Mahlzeiten und Gottesdienste als religiöse Ereignisse empfunden werden, ist den „Häretikern“ die Teilnahme an ihnen untersagt. Tatsächlich werden diese Pilger in manchen Klöstern auf dem Athos als „Häretiker“ bezeichnet und deshalb unfreundlich behandelt, wie es auch der Autor dieser Studie erlebte. Der Widerwille gegenüber diesen Pilgern ist aber nicht nur auf die theologischen Gründe zurückzuführen, sondern hat auch andere Ursachen. Im Fall des Athos ist in dieser Hinsicht die Wahrnehmung der Geschichte besonders wichtig. Manche Mönche empfinden nämlich eine tiefe Abneigung gegen Christen aus dem europäischen Westen, vor allem Katholiken, weil ihnen viele bedauernswerte Ereignisse wie die Verwüstung Konstantinopels und des Athos während des Vierten Kreuzzuges und die Plünderungen der Klöster durch katalanische Söldner in den Jahren 1307 bis 1309 zuzuschreiben sind. Darüber hinaus spielt sicherlich auch der im dritten Kapitel besprochene orthodoxe Antiokzidentalismus eine wichtige Rolle. Er begründete das negative Bild von westlichen Pilgern. Interessant kann in diesem Zusammenhang die Beobachtung erscheinen, dass die negative Einstellung gegenüber Pilgern anderer Konfessionen nicht nur für den Athos spezifisch ist. William Dalrymple berichtete zum Beispiel aus eigener Erfahrung über die unfreundliche Aufnahme von Katholiken im Mar Saba-Kloster.165 Dieser Widerwille gegenüber anderen Konfessionen ist aber kein orthodoxes Phänomen, was an dieser Stelle hervorgehoben werden soll, da es auch in manchen katholischen Klöstern

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Spencer, Athos, S. 68. Zwerger, Wege am Athos, S. 10. William Dalrymple, From the Holy Mountain: A Journey in the Shadow of Byzantium, London/Glasgow 1997, S. 279–280.

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vorkommt. Bei den Franziskanern in Kapharnaum in Israel war laut des Berichts von Günther Horst den Nicht-Katholiken der Zugang zur Kirche untersagt.166 Zurück zu dem Fall des Athos kommend, lässt sich sagen, dass in den Gemeinschaften, die offener gegenüber nicht-orthodoxen Pilgern sind, alles natürlich auf andere Art und Weise gesehen wird. Vor allem betrifft das ihre Meinung, dass die Regel der Gastfreundlichkeit mit der Diskriminierung in Kirche und Speisesaal nicht zu vereinbaren ist. Zum anderen wird auf ein legendäres Ereignis aus dem Mittelalter hingewiesen, das von prinzipieller Bedeutung für die Übernahme der orthodoxen Konfession von den Völkern Osteuropas sein sollte. Es handelt sich hier um den Besuch der Gesandten des Fürsts von Kiew, die die Messe in der Hagia Sophia in Konstantinopel gesehen hatten. Sie sollten, der Sage nach, dem Fürst von der Schönheit des Gottesdienstes erzählt haben, um ihn zur Konversion zur Orthodoxie zu überzeugen. Aus diesem Grund vertreten die Mönche aus den offeneren Gemeinschaften die Meinung, dass Nicht-Orthodoxen die Teilnahme an den Gottesdiensten nicht untersagt sein sollte. Denn dank der Teilnahme besteht die Möglichkeit, dass sie zur Orthodoxie konvertieren, wie es auch Fürst Wladimir getan hat.167 Dieser Grund für die Offenheit gegenüber den „Anders-Gläubigen“ tauchte auch in den durchgeführten Interviews auf. Vater M. wies auf diese Tatsache direkt hin: „We see it as an opportunity to expose people to what Orthodox Christianity stands for and many people have become Orthodox because of it.“168 Auch Vater Mo. sagte, dass nicht-orthodoxe Pilger viel in den Klöstern lernen können, was letztendlich zur Konversion führen kann.169 Daher muss beobachtet werden, dass die nicht-orthodoxen Besucher von einigen Mönchen als Pilger, die Interesse an der Orthodoxie haben, wahrgenommen werden. Sie halten sie für Menschen, die auf der Suche nach dem „richtigen“ Glauben sind. Aus diesem Grund werden sie von den Mönchen und Äbten in den Klöstern herzlich begrüßt. Vater N. beschrieb die Einstellung des Vorgesetzten seines Klosters gegenüber Ausländern als „very welcoming“170. Infolgedessen besuchen viele nicht-orthodoxe Pilger gerade sein Kloster. Ebenso viele nicht-orthodoxe Gäste besuchen Große Lavra. Vater F. aus diesem Kloster vermeidet zwar den Kontakt mit ihnen, bestätigt aber, dass manche seiner Mitbrüder sich gerne mit den Ausländern unterhalten.171 Wie deutlich wird, unterscheidet sich die Einstellung gegenüber nicht-orthodoxen Pilgern auf dem Athos von Kloster zu Kloster, die meisten Gemeinschaften erlauben es den nicht-orthodoxen Gästen aber, an den Gottesdiensten und Mahlzeiten teilzunehmen. Nur fünf sind diesbezüglich sehr strikt und halten Abstand zu den nichtorthodoxen „Häretikern“. Behält man die letzte Äußerung im Blick, scheint es interessant, nach Veränderungen in der Einstellung gegenüber nicht-orthodoxen Pilgern zu fragen. Ist eine Wende in der Wahrnehmung der nicht-orthodoxen Gäste, parallel zu den Modernisierungs166 167 168 169 170 171

Günther Horst, „Heiliger Berg Athos – wo der Himmel die Erde berührt. Impressionen einer Reise in die Welt der Stille“, in: Halbach/Kramer, Άγιον Όρος, S. 143. Dieses legendäre Ereignis wird öfters erwähnt. Siehe Markides, Auf dem Löwen reiten, S. 305. Aus dem Interview mit Vater M. Vgl. das Interview mit Vater Mo. Aus dem Interview mit Vater N. Vgl. das Interview mit Vater F.

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prozessen, festzustellen? Oder gab es auf dem Athos schon immer eine gemischte Einstellung gegenüber diesen Pilgern? Die Antwort auf diese Fragen verlangt einen zeitlichen Rückblick, der mithilfe von Berichten vom Athos seit den 1950er Jahren gemacht werden kann. Die Pilger, die seit dieser Zeit den Athos besuchten, berichteten nicht nur über ihre Eindrücke im Hinblick auf die Begegnungen mit den Mönchen, sondern schrieben auch über die sich wandelnde Einstellung der Mönche. Diese Eindrücke waren, wie es auch gegenwärtig der Fall ist, sehr unterschiedlich. Einerseits sind manche Gäste wie z.B. Gerhard Spitzing der Meinung, dass sich die Einstellung gegenüber nicht-orthodoxen Ausländern im Laufe des zwanzigsten Jahrhunderts verschlimmerte. Diese Feststellung basiert auf zahlreichen Erfahrungen, die er seit den 1950er Jahren auf dem Athos machte. Während der ersten Reisen hatte Spitzing aufgrund seiner Konfession keine Unannehmlichkeiten, was sich aber im Laufe der Zeit änderte.172 Freddy Derwahl vertritt hingegen eine ganz andere Meinung. Mit Erstaunen stellte er während seiner jüngsten Pilgerfahrten fest, wie freundlich die Mönche gegenüber ihm und anderen nicht-orthodoxen Gästen waren. „Man weist mir gar einen Platz zu, ergreift im Halbdunkel sanft meinen Arm und führt mich ins Gestühl.“173 Auch in den 1970er Jahren berichteten nicht-orthodoxe Pilger sowohl über den Widerwillen als auch über positive Einstellungen gegenüber ihnen in den AthosKlöstern.174 Es wird also deutlich, dass seit langem auf dem Athos ein großes Spektrum von Empfindungen gegenüber diesen Besuchern festzustellen ist, was sich in den letzten Jahren nicht veränderte. Darüber hinaus muss aber eine deutliche Differenzierung zwischen den zwei Ebenen der Einstellung gegenüber nicht-orthodoxen Besuchern gemacht werden. Auf der einen Seite ist die Gastfreundlichkeit, die in netter Aufnahme im Kloster, in Nächstenliebe und in der Bereitschaft zu Gesprächen zum Ausdruck kommt. Auf der anderen Seite steht die Frage der Teilnahme an Gottesdiensten und Mahlzeiten. Die Gastfreundlichkeit veränderte sich nicht, was sowohl von Metropolit Kallistos175 als auch persönliche Erfahrungen des Autors in den Klöstern Esfigmenou, Filotheou und Koutloumousiou, die als anti-ökumenisch gelten, bestätigten. Tatsächlich erhöhte sich aber seit Ende der 60er Jahre die Zahl der Klöster, in denen Ausländer von den Gottesdiensten und den gemeinsamen Mahlzeiten ausge-

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Vgl. Spitzing, Athos, S. 19. Vgl. Derwahl, Die Athosreise, S. 48. Für Koutloumousiou und Filotheou siehe Basil (Pennington), The Monks of Mount Athos, S. 225, 232. Esfigmenou wurde schon seit der 1960er Jahren anti-ökumenisch wahrgenommen. Spencer berichtete über eine negative Einstellung in Xiropotamou 1993. Vgl. Spencer, Athos, S. 76. Zu den positiven Fällen siehe Lyttle, Miracle on the Monastery Mountain. Ron Roberson nennt in seinem Bericht von 1984 sowohl positive als auch negative Beispiele der Einstellung gegenüber Nicht-Orthodoxen. Vgl. Ron Roberson, C.S.P., „A Roman Catholic on Athos“, in: Diakonia: Dedicated to Promoting a Knowledge and Understanding of Eastern Christianity 19 (1984/85), S. 137–143. „[…] those very hermits who are the most austere in their view of Christian unity can at the same time be the most generous in their hospitality, showing the non-Orthodox visitor a warmth of human friendship – a willingness to share the last scrap of bread and the last tomato – such as would put to shame most ‘ecumenists’.“ Metropolit Kallistos, „Wolves and Monks“, S. 62.

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schlossen sind.176 Im Laufe der Modernisierungsprozesse, die seit dieser Zeit auf dem Athos verlaufen, verschlechterte sich also die Situation der nicht-orthodoxen Besucher auf dem Athos, da sie von diesen beiden wichtigen Punkten des Lebens in einem Kloster ausgeschlossen sind. Diese Seite der Modernisierung mag zwar atypisch erscheinen, weil dieser Prozess eher zur Verbesserung der Lage von Minderheiten führen sollte, ist aber gar nicht so ungewöhnlich. Wie von Modernisierungstheoretikern beobachtet wurde, ist die Entwicklung von konservativen Ideologien eine häufige Reaktion auf Modernisierungsprozesse177 und der Trend zur Ausschließung der NichtOrthodoxen von der Teilnahme an den Gottesdiensten und den gemeinsamen Mahlzeiten tatsächlich als eine Rückkehr zur Tradition zu verstehen.178 Es lässt sich also die Schlussfolgerung ziehen, dass die Modernisierungsprozesse einen Einfluss auf die Situation der nicht-orthodoxen Pilger auf dem Athos haben. Dieser besteht in der Verstärkung der traditionalistischen Elemente im Sinne von Ausschließung von den Gottesdiensten und Mahlzeiten, nicht aber in der Zunahme von Aggressivität gegenüber Nicht-Orthodoxen wie Spitzing oder der von Zwerger zitierte Philip Grand d’Hauteville meinten,179 weil die Gastfreundlichkeit immer eine wichtige Tugend auf dem Athos blieb. Am Rande dieser Bemerkungen ist auf ein interessantes Phänomen hinzuweisen: Die Popularität der Gemeinschaften unter neuen Novizen hängt nicht von der Tatsache ab, ob die Gemeinschaften die Nicht-Orthodoxen von den Gottesdiensten oder den gemeinsamen Mahlzeiten ausschließen. Die Anzahl der Novizen ist bei beiden gleich hoch. Auf der Seite der Klöster, die skeptisch gegenüber nicht-orthodoxen Besuchern sind, können Filotheou und Esfigmenou genannt werden. Auf der anderen Seite befinden sich die Klöster Vatopedi und Simonos Petras. Auf dem Athos gibt es also Platz für ganz unterschiedliche Meinungen, was sich im Laufe der Modernisierung nicht geändert hat. Zusammenfassend muss nochmals unterstrichen werden, dass die Wahrnehmung der Pilger keinem Wandel unterlag. Allein, was sich veränderte, ist die Zahl der Besucher, die auf den Athos kommen. Wie im Vorhergehenden beschrieben wurde, stiegen diese Zahlen seit den 1980er Jahren allmählich, trotz der Einführung von Visen, die den Zustrom von Besuchern begrenzen sollten. Daraus ergibt sich auch die letzte Frage, die in diesem Teil besprochen werden soll: Inwieweit beeinflusste der Zustrom von Gästen das Leben auf dem Athos und welche Rolle spielt diese Entwicklung im Bereich der kulturell-gesellschaftlichen Modernisierung? Der Zustrom von Pilgern ist von großer Bedeutung für das Leben der Mönche auf dem Athos: Wie im vierten Kapitel beschrieben wurde, beeinflussen die Pilger die Modernisierungsprozesse auf der wirtschaftlichen Ebene. Ihr Einfluss auf die kulturellgesellschaftliche Modernisierung ist demgegenüber jedoch begrenzt. Zwar sind

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„In several houses, for example, non-Orthodox are now forbidden to be present in church at the Divine Liturgy; I cannot remember a single monastery in the early 1960s where this rule was applied.“ Vgl. ebd., S. 61. Siehe Sterbling, „Zur Dynamik der Traditionalität“, S. 610. Vgl. Metropolit Kallistos, „Wolves and Monks“, S. 60–61. Zwerger, Wege am Athos, S. 10–11.

Alte „-ismen“ neu gestaltet? Ökumenismus und Antisemitismus

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manche Entwicklungen, die von Pilgern verursacht wurden, auf dem Athos spürbar, sie sind aber eher als zweitrangig zu betrachten. Der Einfluss der Pilger betrifft also beispielsweise die Wandlung des Selbstverständnisses der Mönche. Wie beschrieben, nehmen sie eine neue Rolle ein – als Lehrer der Orthodoxie. Darüber hinaus trugen die erhöhten Gästezahlen dazu bei, dass die Geistlichen mehr Zeit mit den Pilgern verbringen müssen. In diesem Sinne sind auch die Auswirkungen der kulturellgesellschaftlichen Modernisierung auf dem Athos spürbar. Die Übernahme der Rolle als Lehrer veränderte das Leben der Mönche jedoch nicht, es lässt sich höchstens sagen, dass ein neues Element hinzugefügt wurde. Im Allgemeinen beeinflussen die Pilger die kulturell-gesellschaftliche Modernisierung also nicht. Aufgrund des Traditionsbewusstseins und dem Selbstverständnis als Wissensvermittler konnten die Phänomene der modernen Welt wie Säkularisierung, Rationalisierung und Enttraditionalisierung, die im zweiten Kapitel als Merkmale der kulturell-gesellschaftlichen Modernisierung beschrieben wurden, auf dem Athos keinen Eingang finden.

6.5. Alte „-ismen“ neu gestaltet? Ökumenismus und Antisemitismus Die obigen Ausführungen über die kulturell-gesellschaftliche Modernisierung sollen um wichtige Aspekte ergänzt werden. Es handelt sich dabei um die Beschreibung der Einstellung der Mönche gegenüber zwei kulturellen Phänomenen – dem Ökumenismus und dem Antisemitismus. Diese Beschreibung soll veranschaulichen, wie tiefgreifend die Modernisierungsprozesse auf der kulturell-gesellschaftlichen Ebene tatsächlich sind. Ziel ist es herauszufinden, ob diese Prozesse eine Veränderung in der Denkweise der Mönche nach sich zogen. Ökumenismus und Antisemitismus werden als Beispiele herangezogen, die die Denkstrukturen der Mönche generell repräsentieren sollen. Die beiden Phänomene wurden deshalb gewählt, weil sie sehr unterschiedlich sind und sich gut für die Beantwortung der Frage, ob sich die Einstellung der Mönche veränderte, eignen. Lässt sich in diesem Bereich eine Modernisierung bzw. Veränderung feststellen? Wenn ja, wie und warum? Es wird zuerst auf den Ökumenismus eingegangen, wobei dem Fall des Esfigmenou-Klosters besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird. Der Begriff „Ökumenismus“ kann verschieden interpretiert werden, in dieser Studie wird er in Anlehnung an André Birmelé als „das Werk der Versöhnung und Einigung bisher getrennter Kirchen“180 verstanden. Ökumenismus vereinigt also mindestens zwei Dimensionen: Einerseits setzt dieser Begriff Friedensarbeit voraus. Andererseits liegt das Ziel des Ökumenismus in der Wiederherstellung der sichtbaren Einigkeit zwischen den christlichen Kirchen. Synonym mit dem Begriff des Ökumenismus wird der Terminus „ökumenische Bewegung“ für die Bezeichnung aller Initiativen und Gespräche zum Zwecke des Ökumenismus benutzt.

180

André Birmelé, „Ökumene“, in: Evangelisches Kirchenlexikon. Internationale theologische Enzyklopädie, Band 3, Göttingen 1992, S. 825.

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In der Öffentlichkeit hat sich ein anti-ökumenisches Bild der Orthodoxen Kirchen eingeprägt.181 Tatsächlich lässt sich sagen, dass dieses Bild sich nicht ohne Grund etablierte. Es gab immer eine Reihe von kritischen Stellungnahmen zum Ökumenismus seitens der Orthodoxen Kirchen. Die Kritik erreichte ihren Höhepunkt in den 1990er Jahren, als 1997 die Georgische und 1998 die Bulgarische Orthodoxe Kirche aus dem Ökumenischen Rat der Kirchen austraten.182 Dieser Schritt ist auf den traditionellen Widerwillen der Orthodoxen Kirchen gegenüber dem Ökumenismus zurückzuführen, um den es im Weiteren gehen soll. Der wichtigste Grund für die Entstehung und Etablierung des Widerwillens gegenüber dem Ökumenismus liegt in der Überzeugung der Orthodoxen Kirchen, dass sie die einzig wahren christlichen Kirchen sind. In diesem Sinne sehen diese Kirchen keinen Grund für eine Einigung der christlichen Kirchen, die als Hauptmerkmal des Ökumenismus auch in dieser Studie definiert wird. „For the faithful Orthodox there is only one answer in this regard: union of the Christian Churches must be a union in the traditional apostolic faith. In other words, the separated Churches must return to Orthodoxy.“183 In dieser Hinsicht sollte also nicht überraschen, dass die Skepsis gegenüber der ökumenischen Bewegung sehr präsent ist. Außerdem hatten die im dritten Kapitel beschriebenen Phänomene und Prozesse einen bedeutenden Einfluss auf die Entstehung des Widerwillens. Hierbei sind der orthodoxe Antiokzidentalismus, der Traditionalismus und die Reformverweigerung gemeint, die sicherlich keinen fruchtbaren Boden für den Ökumenismus im ostkirchlichen Raum bieten. Darüber hinaus empfinden die Orthodoxen Kirchen alle Neuerungen in den anderen christlichen Kirchen wie z.B. die Praxis der Frauenordination als unzulässig und als eine Abweichung von der apostolischen Tradition. Aktionen wie der Proselytismus der Katholischen Kirche werden auch als Dorn im Auge der orthodoxen Oberen angesehen und erschweren den ökumenischen Dialog. Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass der Widerwille gegenüber dem Ökumenismus ein etabliertes Phänomen im ostkirchlichen Raum ist. Trotz des Widerwillens beteiligten sich aber auch Orthodoxe Kirchen am ökumenischen Dialog. Vor allem trug das Ökumenische Patriarchat mit seiner Aktivität zu Fortschritten im Bereich des Ökumenismus bei und gehörte zu den ersten Initiatoren der ökumenischen Bewegung überhaupt. Den ersten Impuls gab Patriarch Joachim III. 1902 mit seinem Rundschreiben an alle Orthodoxen Kirchen, in dem er eine Stellungnahme über die Beziehungen mit anderen christlichen Kirchen forderte. 184 Im Jahr 1920 sendete der Patriarch ein Schreiben an die christlichen Kirchen, in dem er zur Gründung eines Bundes der Kirchen aufrief. Danach engagierte sich das Ökumenische 181 182 183 184

Vgl. Johannes Oeldemann, Orthodoxe Kirchen im ökumenischen Dialog. Positionen, Probleme, Perspektiven, Paderborn 2004, S. 11–16. Vgl. ebd., S. 42. „The Orthodox Church and the Ecumenical Movement“, in: Diocesan News For Clergy and Laity 4/11 (1996), abrufbar unter: http://orthodoxinfo.com/ecumenism/denverreport.aspx. Vgl. Oeldemann, Orthodoxe Kirchen im ökumenischen Dialog, S. 17. Der Text dieses Schreibens und andere Dokumente der Orthodoxen Kirchen wurden im Buch von Athanasios Basdekis veröffentlicht. Vgl. Athanasios Basdekis, Orthodoxe Kirche und Ökumenische Bewegung: Dokumente - Erklärungen - Berichte 1900–2006, Frankfurt am Main 2006.

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Patriarchat im Rahmen der ersten Weltkonferenzen in Stockholm (1925) und Lausanne (1927).185 Nach Ende des Zweiten Weltkriegs nahmen auch andere Orthodoxe Kirchen an der ökumenischen Bewegung teil, indem sie dem Ökumenischen Rat der Kirchen beitraten. Diese Beispiele sollten veranschaulichen, dass sich Orthodoxe Kirchen trotz der Skepsis an verschiedenen ökumenischen Aktivitäten beteiligten. Die skeptische Einstellung ist dabei aber immer zu sehen. Im Hinblick auf die Skepsis der Orthodoxen Kirchen lässt sich vermuten, dass auch die orthodoxen Mönche der gleichen Meinung sind. Tatsächlich unterstützen die Mönche, auch jene auf dem Athos, die Ziele des Ökumenismus nicht. „Athos has never been at the forefront of ecumenical dialogue, […].“186 Das stellt Graham Speake in seinem Buch fest. Diese Äußerung spiegelt sehr gut die Realität wider: Die Geistlichen und ihre Klöster gelten schon seit den Anfängen des Mönchtums auf dem Athos als hartnäckige Verteidiger der orthodoxen Tradition. Dies bedeutet vor allem, dass sie sich auf keine Kompromisse in Bezug auf Dogmen und Liturgie mit anderen christlichen Konfessionen, geschweige denn anderen Religionen, einlassen. Diese Einstellung wurde auf dem Athos seit dem Mittelalter gelebt, was sich auch in den Legenden widerspiegelt. Es wird beispielsweise erzählt, dass die Mönche aus dem bulgarischen Zograf-Kloster von den lateinischen Truppen bei lebendigem Leib im Turm des Klosters verbrannt wurden, weil sie die Entscheidungen des zweiten Konzils von Lyon nicht akzeptierten.187 Die so bestraften Mönche gelten daher als Märtyrer, weil sie bereit waren für ihren Glauben zu sterben. Diese und ähnliche Legenden verstärkten im Laufe der Zeit die antiökumenische Einstellung der Mönche und bieten noch heute für manche Geistlichen einen wichtigen Wegweiser für ihre anti-ökumenische Einstellung.

185 186

187

Vgl. ebd., S. 19. Siehe auch Ilona Riedel-Spangenberger, „Ökumene“, in: Lexikon für Ökumene und Konfessionskunde, Freiburg im Breisgau 2007, S. 966–967. Speake, Mount Athos, S. 247. Eine ähnliche Meinung über die Athos-Mönche vertritt Robert Slesinski: „Typically the attitude ot the leading spokesmen for Orthodox monasticism has been one of apprehension and reserve, marked by an outright questioning of the very legitmacy of the ecumenical movement itself.“ Robert Slesinski, „Ecumenism and the Athonite Theology“, in: Diakonia: Dedicated to Promoting a Knowledge and Understanding of Eastern Christianity 19 (1984/85), S. 144. Zu den Mönchen, die sich gegen die ökumenische Bewegung erklärten, gehört Theoklitos Dionysiatis, der 1955 ein Buch unter dem Titel Μεταξύ Ουρανού και Γης (Zwischen Himmel und Erde) veröffentlichte. Dieses Werk wurde später mehrmals neu herausgegeben und kritisch kommentiert. Siehe Gnoth, Antwort vom Athos. Kritik an der ökumenischen Bewegung übt auch Archimandrit Vasileios in seinem Werk Hymn of Entry, Crestwood, NY 1984. Auf dem Konzil wurde die Übernahme der Oberherrschaft über die Byzantinische Kirche durch den Papst entschieden. Der byzantinische Kaiser Michael Paläologus begrüßte diese Entscheidung, weil er die päpstliche Unterstützung in einem militärischen Konflikt mit Karl von Anjou benötigte. Der Beschluss des Konzils war damit rein politischer Natur und hielt nicht lange an, da er nicht von Volk und Klerus akzeptiert wurde. Diese Erzählung ist nur in einem Punkt historisch bestätigt. Die Mönche sollten tatsächlich ermordet werden, nicht aber als Resultat ihrer Ablehnung der Konzilsentscheidungen, sondern wegen der Rache des byzantinischen Kaisers, den an den Mönchen seine durch die Revolte in Bulgarien entstandene Wut ausließ. Vgl. Kokkas, Góra Atos, S. 94.

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Zu Beginn des 20. Jahrhunderts nahmen die Mönche Abstand von ökumenischen Gesprächen mit Katholiken und Protestanten. Später lehnten sie die Kalenderreform von 1924 ab, sodass bis zum heutigen Tag der julianische Kalender auf dem Athos in Benutzung ist.188 In den 1960er Jahren, als der ökumenische Patriarch Athenagoras intensive Gespräche mit Rom führte, strichen die Mönche den Namen des Patriarchen aus ihren Diptychen. Dies bedeutet, dass die Mönche nicht länger für den Patriarchen beteten. Elf Klöster trafen diese Entscheidung.189 Erst nach dem Tod von Athenagoras im Jahr 1972 wurden die Beziehungen mit dem Ökumenischen Patriarchat wieder aufgenommen (mit Ausnahme des Esfigmenou-Klosters). In dieser Zeit war Vater Basil Pennington auf dem Athos, und da er ein katholischer Mönch war, lag ihm das Thema des Ökumenismus besonders am Herzen. Er berichtet an mehreren Stellen in seinem Buch über die Einstellung der Athos-Mönche gegenüber der ökumenischen Bewegung. Vater Basil bemerkte, dass die Geistlichen nur für Christen der orthodoxen Konfession beten.190 Dementgegen hielt er aber auch über die Mönche aus Chilandar fest, dass sie „very ecumenical“191 sind. Vater Basil wurde während seines langen Aufenthaltes auf dem Athos mit verschiedenen Situationen konfrontiert, die ihn schlussfolgern ließen, dass die Einstellung der Athos-Mönche gegenüber dem Ökumenismus sehr ambivalent ist. Manche von ihnen standen Nicht-Orthodoxen völlig ablehnend gegenüber, manche waren wesentlich offener,192 die Mehrheit war jedoch gegen die ökumenische Bewegung. Den Grund dafür erfuhr er von einem Mönch: Die orthodoxen Gläubigen vertreten die Meinung, dass nur ihre Kirche eine vollkommene Kirche ist und daher keine Union braucht. Die Mönche glauben, so der Bericht von Vater Basil, dass die einzig mögliche Union in der Konversion der Katholiken und Protestanten zur Orthodoxie besteht.193 Dank Vater Basil weiß man, wie die Einstellung der Mönche gegenüber der ökumenischen Bewegung in den 1970er Jahren aussah. Wie verhält es sich aber heutzutage? Dies lässt sich ausführlich mithilfe der Berichte von gegenwärtigen Pilgern, Presseartikeln und Äußerungen der Mönche beschreiben. Die Pilger betonen vor allem ihre negativen Erfahrungen, die mit der ablehnenden Einstellung der Mönche gegenüber dem Ökumenismus im Sinne der Friedensarbeit zu tun haben: der Ausschluss von Gottesdiensten und Mahlzeiten.194 Es wird aber von den Gästen auch ein weiterer Aspekt der Kritik am Ökumenismus hervorgehoben, nämlich die Kritik am Papst. 195 Dieses Thema wurde ebenso von der Presse aufgegriffen, als Papst Johannes Paul II. 2001 Griechenland besuchte und Papst Benedikt XVI. im Dezember 2006 den griechischen Erzbischof Christodoulos im Vatikan empfing.196 Auch die Presse unterstreicht immer 188 189 190 191 192 193 194 195 196

Vgl. Speake, Mount Athos, S. 164. Vgl. ebd., S. 164–165. Vgl. Basil (Pennington), The Monks of Mount Athos, S. 127. Vgl. ebd., S. 247. Vgl. ebd., S. 145. Vgl. ebd., S. 197–198. Siehe dazu die Fußnoten des Kapitels 6.4. Vgl. Denzler, „10 Tage auf dem Athos unterwegs“, S. 135–136. „Mnisi z góry Athos pomstują na kontakty z papieżem“, in: Gazeta Wyborcza, abrufbar unter: http://wyborcza.pl/1,86693,3826918.html.

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wieder den orthodoxen Widerwillen gegenüber dem Ökumenismus: Die AthosMönche würden nur die Orthodoxe Kirche als die wahre Kirche betrachten. Freddy Derwahl gibt ein Beispiel für die Meinung eines der athonistischen Äbte diesbezüglich: „Der hochgeachtete Abt von Stavronikita, Vater Vasileios Gondikakis, vertritt dazu die Auffassung, dass es außerhalb der Orthodoxen Kirche keine Heiligkeit gibt.“197 In dieser Hinsicht überraschen die früher schon erwähnten Stimmen der Mönche nicht, dass Katholiken und Protestanten „Nicht-Christen“ seien.198 Es wird deutlich, dass die Mönche dem Papsttum und den Katholiken gegenüber generell skeptisch sind, was die beiden Dimensionen des Ökumenismus negativ beeinflusst. Die Einstellung der Mönche gegenüber den Pilgern zeigt, dass eine Versöhnung mit den NichtOrthodoxen nicht stattfindet. Auf der zweiten Ebene des Ökumenismus – der Arbeit an der Wiederherstellung der Einigkeit – gibt es ebenso keine Fortschritte, was die Äußerungen über den Papst und eine Heiligkeit außerhalb der Orthodoxen Kirche veranschaulichen. Alle genannten Kritikpunkte am Ökumenismus wurden seitens der Athos-Mönche in einem offenen Brief vom 30. Dezember 2006 an den Ökumenischen Patriarchen Bartholomäus I. wiederholt. Im Dokument, das von Vertretern aller zwanzig Klöster unterschrieben wurde, wird hervorgehoben, dass die Orthodoxie die einzige wahre christliche Kirche sei. Das Papsttum trennte sich durch die Übernahme „häretischer Lehren“199 von dieser Kirche, weswegen der Papst nicht länger ein kanonisches Oberhaupt des römischen Patriarchats sei. Die Mönche werfen Batholomäus I. vor, dass er den Papst während des Treffens im November 2006 in Istanbul als gleichberechtigtes Oberhaupt behandelte.200 Die Mönche lehnen die Möglichkeit der Teilnahme von orthdoxen Oberhäuptern an ökumenischen Gottesdiensten kategorisch ab. Die ökumenischen Gespräche seien nur möglich, wenn sie zur Informierung Nicht-Orthodoxer über die Orthodoxie dienten.201 Da der Brief von Mönchen aus allen Klöstern auf dem Athos unterschrieben wurde, lässt sich die Schlussfolgerung ziehen, dass die Einstellung gegenüber dem Ökumenismus auf dem Athos mehrheitlich negativ ist. Antiökumenische Äußerungen findet man auf dem Athos zwar in der Mehrheit, die Wahrnehmung vom Ökumenismus ist jedoch nicht eindeutig, da es auch nicht an Mönchen mangelt, die ihn positiv beurteilen. Der ehemalige Abt des ChilandarKlosters und Protos des Athos, Vater Mitrophan, war beispielsweise gegenüber den Nicht-Orthodoxen sehr offen eingestellt und empfand die ökumenische Bewegung als große Chance für die Welt und hatte zudem eine positive Meinung über den Papst.202 Auch während der Feldforschungen war in den Gesprächen manchmal die Meinung 197 198 199

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Derwahl, Die Athosreise, S. 88. Vgl. Zwerger, Wege am Athos, S. 11. „Heretical teachings“, siehe Monk Prodromos Gregoriates, Letter to Ecumenical Patriarch Bartholomew, S. 3, abrufbar unter: http://www.orthodoxytoday.org/articles7/GregoriatesBartholo mew.php. Vgl. ebd., S. 2. „[…] if they are intended to inform them about the Orthodox Faith so that when they become receptive of divine enlightenment and their eyes are opened they might return to the Orthodox Faith“, vgl. ebd., S. 4. Vgl. Geron Mitrophan, „auf daß sie alle eins seien“, in: Billetta (Hg.), Athos, S. 306.

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nach dem Motto: „East or West – God is the best“203 zu hören. Hier ist anzumerken, dass auch vor dem Einsetzen der Modernisierungsprozesse manche Mönche eine positive Meinung gegenüber anderen Konfessionen und Religionen vertraten. Im Jahr 1953 erzählte der Abt eines athonistischen Klosters Günter Spitzing: „Ob wir Orthodoxe sind, Evangelische oder Katholiken, ob wir Muslime sind oder Hindus – es ist immer derselbe Gott, an den wir glauben. Und der liebt uns alle.“ 204 Bei der Beschreibung der Einstellung der Mönche gegenüber dem Ökumenismus sollten diese Stimmen nicht vergessen werden, wobei unterstrichen werden muss, dass sie nur eine Ebene des Ökumenismus betreffen. Es handelt sich hier um die Friedensarbeit, die im Fall des Athos in der Einstellung gegenüber den Pilgern zum Ausdruck kommt. Auf dieser Ebene herrscht unter den Athos-Mönchen sicherlich keine Einigkeit, was die ökumenische Bewegung betrifft, und neben der negativen gibt es auch viele Beispiele für die positive Einstellung und Offenheit in Bezug auf Nicht-Orthodoxe. Die Wiederherstellung der Einigkeit zwischen den christlichen Kirchen findet schon deutlich weniger Unterstützung auf dem Athos.205 Neben positiven oder negativen Meinungen bezüglich beider Ebenen des Ökumenismus wurde während der Interviews und Gespräche auch ein anderer Aspekt dieses Phänomens genannt. Es handelt sich hier um die Meinung, dass es nicht die Aufgabe der Mönche sei, sich mit der ökumenischen Bewegung zu beschäftigen: […] a monastic has no such obligation because his work is repentance and not to express some opinion about what is happening externally in the church. If he was able to express correct opinions about what is happening internally in the Church, I think that would be more useful than expressing an opinion about what is happening externally […]. Strictly speaking, it is not the job of simple monastics to take a stand on issues which do not concern their individual monastic life.206

Die Mönche sollten also Abstand von der ökumenischen Bewegung halten, ohne den Ökumenismus als schlechte oder gute Entwicklung zu beurteilen. Wie weit diese Meinung auf dem Athos vertreten ist, lässt sich nicht genau sagen. Dass es sie gibt, wird aber dadurch deutlich, dass die Einstellung gegenüber dem Ökumenismus nicht nur einseitig, spricht negativ, ist, sondern auch andere Stimmen vertreten sind. Beim Thema Ökumenismus darf man den Fall des Esfigmenou-Klosters nicht außer Acht lassen. Die Mönche aus diesem Kloster gelten als die hartnäckigsten Gegner der ökumenischen Bewegung überhaupt, nicht nur auf dem Athos, sondern überall im ostkirchlichen Raum. Ihr Motto: „Orthodoxie oder Tod“, das auf der Klostermauer geschrieben steht, weist auf die Tatsache hin, dass die Mönche ihre antiökumenische Einstellung radikal vertreten. Der Antiökumenismus wurde sicherlich zum Haupt-

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Ein Zitat von einem Mönch aus dem Simonos Petras-Kloster. Vgl. Merrill, Things of The Hidden God, S. 219. Günther Spitzing, „Abendessen beim Igoumenos (1953)“, in: Billetta (Hg.), Athos, S. 304. Es sei denn, dass es sich um die Konversion zur Orthodoxie handelt. Mit den Worten von Nikolaou: „[…] die Mönche [sind] für den ökumenischen Dialog, soweit dieser der Findung der unverfälschten christlichen Wahrheit und des rechten Glaubens dient.“ Nikolaou, Askese, Mönchtum und Mystik, S. 107. Aus dem Interview mit Vater I.

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merkmal der Esfigmenou-Gemeinschaft. Da der Fall dieser Bruderschaft sehr interessant ist, wird nun ausführlicher auf ihn eingegangen. Die Mönche aus Esfigmenou gehörten zu denjenigen, die in den 1960er Jahren den Namen des Ökumenischen Patriarchen aufgrund seiner Aktivität im Bereich des Ökumenismus aus den Diptychen strichen. Im Unterschied zu anderen Klöstern jedoch erwähnten sie auch den Patriarchen Dimitrios, der 1972 auf diesen Posten berufen wurde, nicht in ihren Gebeten. Sie lehnen ebenso jegliche Kontakte mit dem gegenwärtigen Ökumenischen Patriarchen Bartholomäus ab. Dies bedeutet, dass die Esfigmenou-Gemeinschaft seit mehr als fünf Jahrzehnten ihre kirchlichen Oberhäupter nicht akzeptiert und dadurch, kirchenrechtlich gesehen, illegal ist. Die Patriarchen versuchten mithilfe der griechischen Behörden diese Bruderschaft zu Gehorsam zu verpflichten, die Ergebnisse verkehrten sich jedoch genau ins Gegenteil: Der Skandal wurde immer größer. Im Jahr 1972 versuchte die Polizei die Mönche aus dem Kloster zu vertreiben – ohne Erfolg. Die Aktion der Polizei dauerte vier Monate und die Presse schrieb inzwischen schon von einer Belagerung des Klosters, die Mönche blieben jedoch im Kloster.207 Aus diesem Jahr stammt auch die berühmte schwarze Fahne, die regelmäßig zum Zeichen des Protests am Klosterturm aufgezogen wird und oft als Symbol der antiökumenischen Einstellung der Mönche gilt. Die Esfigmenou-Gemeinschaft hat seit 1972 nicht nur alle Kontakte zum Patriarchen aus Konstantinopel abgebrochen, sondern ist auch aus der Heiligen Gemeinde des Athos ausgeschlossen worden. Dies war für die Regierung des Athos sehr problematisch, weil laut des athonistischen Grundgesetzes jedes Kloster einen Repräsentanten in der Regierung stellen sollte. Da Esfigmenou ausgeschlossen wurde, fehlte es an einem Mönch. Um die Regierung zu vervollständigen, wurde 2005 von Patriarch Bartholomäus eine zweite, „legale“ Esfigmenou-Gemeinschaft gegründet.208 Dank dieser Entscheidung war die Regierung wieder vollständig besetzt, es entstanden aber neue Schwierigkeiten, denn die neue Gemeinschaft hatte keinen Wohnsitz, da die „illegale“ Bruderschaft sich nicht aus dem Kloster vertreiben ließ. Am Anfang wohnten die Mönche im Vatopedi-Kloster, die Situation konnte aber nicht auf Dauer so bleiben. Am 20. Dezember 2006, nur wenige Tage vor Weihnachten, übernahmen die Mönche der „legalen“ Esfigmenou-Gemeinschaft mit Gewalt den sogenannten Konak (Verwaltungsgebäude des Esfigmenou-Klosters in Karyes) und verjagten die Brüder der „illegalen“ Gemeinschaft aus dem Gebäude. „Mönche prügeln sich auf dem Berg Athos“ hieß es dazu beispielsweise in der deutschen Presse.209 Der Sturmangriff auf den Klosterkomplex in Karyes wurde von den Mönchen der „illegalen“ Gemeinschaft gefilmt und ins Internet gestellt, was einen weiteren Skandal zur Folge hatte.210

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Merrill, Things of the Hidden God, S. 75. Vgl. die offizielle Seite der neuen Esfigmenou-Gemeinschaft: http://www.esphigmenou.gr /index_en.php?. „Mönche prügeln sich auf dem Berg Athos“, in: Süddeutsche Zeitung, abrufbar unter: http://www.sueddeutsche.de/panorama/mit-beilen-und-eisenstangen-moenche-pruegeln-sichauf-dem-berg-athos-1.686135. Ein kurzer Film, der den Sturmangriff zeigt, ist im Portal youtube zu sehen. Siehe „Persecution of Esphigmenou Monastery“, http://www.youtube.com/watch?v=nDvxAw5Y-rw.

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Die Übernahme des Klosterkomplexes in Karyes beendete die Streitigkeiten in Bezug auf die beiden Esfigmenou-Gemeinschaften keineswegs. Im Jahr 2008 fand eine neue Belagerung des Klosters statt. Wie bei der ersten 1972 und der zweiten 2003 hatte sie nur einen Skandal zur Folge: Die Mönche aus der „illegalen“ Gemeinschaft drohten, dass sie sich selbst und das Kloster in die Luft sprengen würden, falls die Polizei sie zu vertreiben versuche.211 Im Jahr 2009 war die Polizei erneut in der Nähe des Esfigmenou-Klosters im Einsatz. Die Beamten hinderten Pilger daran, das Kloster zu besuchen. Als die Mönche intervenierten, wurden sie grob behandelt. Fotos, die den brutalen Umgang der Polizisten mit den Brüdern belegen, wurden später online gestellt.212 Dies geschah nicht zufällig, weil, wie schon von anderen beobachtet wurde,213 sich die Brüder aus der „illegalen“ Gemeinschaft als Opfer präsentieren. Sie sehen sich selbst vor allem als Opfer der ökumenischen Politik des Patriarchen und als einzig „wahre“ Orthodoxe. Heutzutage pflegen die Mönche weiter die Idee, die sie als Belagerung bezeichnen. Die Mönche verhalten sich als wären sie die letzten wahren Christen, die von den „Nicht-Christen“ und anti-christlichen Mächten verfolgt und belagert werden. Was die Mönche unter diesen anti-christlichen Mächten verstehen, wird deutlicher, wenn mehr Licht auf die Argumentation der Mönche aus Esfigmenou geworfen wird. In erster Linie verwenden die Brüder, wie erwähnt, anti-ökumenische Sprüche. In ihren Augen ist der Ökumenismus eine Todsünde: „The only kind of inter-church dialogue acceptable to zealots is unconditional surrender.“214 Darüber hinaus wird der Papst als Antichrist bezeichnet, als die Personifikation des Satans auf Erden.215 Der Ökumenismus sei eine Häresie und diejenigen, die sich an der ökumenischen Bewegung teilnehmen, seien Ketzer. Die Mönche aus Esfigmenou bedienen sich auch gerne einer anderen Argumentation, indem sie bei verschiedenen Gelegenheiten antisemitische Sprüche deklamieren. Dies musste auch während des Gesprächs mit einem Mönch in eben diesem Kloster festgestellt werden. Er sprach von einer zionistischen Verschwörung, die die Zerstörung des Christentums zum Ziel hat. Zu diesem Zwecke übernahmen, den Äußerungen des Mönches nach, Juden die Kontrolle in der Weltbank. Sie seien auch für viele weitere Ereignisse verantwortlich, wie z.B. den Tod des polnischen Präsidenten im April 2010.216 Neben ihrer starken anti-ökumenischen Einstellung sind die Mönche aus der „illegalen“ Esfigmenou-Gemeinschaft auch sehr antisemitisch. Es wundert also nicht, dass sie von den Mönchen anderer Klöster auf dem Athos als „Fundamentalisten“ beschrieben werden.217

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Vgl. „Mönche wollen sich in die Luft sprengen“, in: T-Online, abrufbar unter: http://nachrichten.t-online.de/moenche-wollen-sich-in-die-luft-sprengen/id_16050986/index. Vgl. Friends of Esphigmenou Monastery (Hg.), Esphigmenou Monastery, abrufbar unter: http://www.esphigmenou.com/. Vgl. Paganopoulos, The Greek Nationalist Façade. Vgl. Friedlander, Paradise Besieged, S. 46. Vgl. Paganopoulos, The Greek Nationalist Façade, S. 11. Vgl. Gespräch mit Vater Se. Vgl. Paganopoulos, The Greek Nationalist Façade, S. 9.

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Wie schon von Anfang an unterstrichen wurde, ist der Fall des EsfigmenouKlosters nicht für alle anderen Gemeinschaften auf dem Athos repräsentativ. Eine antiökumenische Einstellung ist zwar sehr oft unter den Athos-Mönchen zu finden, die Äußerungen der Geistlichen aus Esfigmenou sind aber auf jeden Fall als extrem zu bezeichnen. Dieser Extremismus existiert aber auf dem Athos und darf in dieser Studie nicht verschwiegen werden. Darüber hinaus macht der Fall Esfigmenou klar, dass sich die Einstellung der Mönche gegenüber dem Ökumenismus im Laufe der Modernisierungsprozesse kaum veränderte, wenngleich sie in den übrigen Klöstern in eher gemäßigter Form zu finden ist. Diese Prozesse trugen nur zu einer geringfügigen Veränderung in der Beurteilung der ökumenischen Bewegung bei. Nach wie vor sind auf dem Athos heutzutage, genauso wie in den 1950er oder 1960er Jahren, eher negative Stimmen in Bezug auf den Ökumenismus zu hören. Natürlich gab es auch damals schon Mönche – und es gibt sie immer noch –, die offener für die Ziele der ökumenischen Bewegung sind bzw. diese Bewegung nicht ausdrücklich kritisieren. Dennoch bleibt die Mehrheit der Mönche weiterhin skeptisch gegenüber dem Ökumenismus. Es wird in dieser Studie also die Meinung vertreten, dass trotz verschiedener Prozesse auf der kulturell-gesellschaftlichen Ebene, wie Internationalisierung und eine bessere Ausbildung der Mönche, die auf dem Athos verlaufen, die Einstellung gegenüber dem Ökumenismus keinem Wandel unterliegt. Der Ablauf der Modernisierungsprozesse auf der kulturell-gesellschaftlichen Ebene sollte zusätzlich noch anhand der Grundhaltung der Mönche gegenüber einem anderen Phänomen beschrieben werden. Als Beispiel diesbezüglich dient der Antisemitismus, der in dieser Studie als „ein Kollektivhaß gegen das jüdische Volk. Oder […] eine pauschale Feindschaft gegen Juden als solche, insofern sie Juden sind“218 verstanden 218

Nicholas R.M. de Lange/Clemens Thoma, „Antisemitismus I“, in: Theologische Realenzyklopädie, Band 3, Berlin 1993, S. 114. Es wird in dieser Studie dezidiert der Begriff „Antisemitismus“ verwendet, trotz der Tatsache, dass in der neuesten Literatur auch andere Termini zur Beschreibung des Phänomens der Judenfeindschaft vorkommen. Gemeint ist hier vor allem der „Antijudaismus“, der laut vieler Autoren (Ley, Scheil) im Unterschied zum „Antisemitismus“ nicht rassistisch, sondern religiös begründet ist. In diesem Sinne scheint „Antijudaismus“ ein besser geeigneter Terminus für diese Studie zu sein. Zu diesem Begriff gibt es aber genügend Gegenargumente. Erstens hebt der Begriff „Antisemitismus“ tatsächlich rassistischen Hass gegen Juden hervor, was aber laut Jerome Chanes eine Strategie zur Verheimlichung der im 19. Jahrhundert aus der Mode gekommenen religiösen Diskriminierung ist (Jerome A. Chanes, Antisemitism: A Reference Handbook, Santa Barbara 2004, S. 2–4). Ähnlich äußerten sich Sabine Schiffer und Constantine Wagner, die den Antisemitismus als eine Weiterentwicklung des Antijudaismus sehen (Sabine Schiffer/Constantine Wagner, Antisemitismus und Islamophobie. Ein Vergleich, Deiningen 2009, S. 26). Zweitens muss gesagt werden, dass die 2005 von der Europäischen Beratungsstelle für Rassismus und Xenophobie (EUMC) und einigen jüdischen Organisationen erarbeitete Definition des Antisemitismus keinen Unterschied zwischen rassistisch und religiös bedingtem Hass gegenüber den Juden macht und alle antijüdischen Vorurteile, Äußerungen und Aktionen eben unter dem Begriff „Antisemitismus“ zusammenfasst. Zu diesen Punkten zählen auch die von den Mönchen auf dem Athos vertretenen Meinungen über: „[…] the myth about a world Jewish conspiracy or of Jews controlling the media, economy, government or other societal institutions“ („Working Definition of Antisemitism“, in: Horst Helas/Dagmar Rubisch/Reinert Zilkenat (Hg.), Neues vom Antisemitismus. Zustände in

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wird. Diese Judenfeindschaft, wie der Antisemitismus auch definiert wird, ist ein sehr altes Phänomen, das sowohl im westkirchlichen als auch im ostkirchlichen Raum seit langem präsent ist. Nicholas de Lange hob sogar hervor, dass der Antisemitismus schon seit der Zeit Kaiser Konstantins I. (306–337) eine offizielle Doktrin der kirchlichen und kaiserlichen Politik war.219 Der Antisemitismus spielt in der Politik der Kaiser und der Kirche nicht zufällig eine so große Rolle. Er etablierte sich sehr schnell in den christlichen Gesellschaften, weil er aus diversen Gründen sehr populär war. Dem christlichen Antisemitismus lag vor allem die Argumentation zugrunde, dass die Juden Jesus getötet hätten. Dabei wurde auf die Stellen in den Evangelien hingewiesen, wo die Rolle, die das jüdische Volk beim Tode Christi gespielt hat, betont wird (Verurteilung Jesu durch Pontius Pilatus, der sich dem Willen der Juden beugte: Mt. 27, 20−26, Lk. 23, 13−25). Die Juden wurden als Feinde des Christentums angesehen, die die Lehre Jesu nicht übernommen hatten, obwohl sie die alten Schriften mit den Prophezeihungen kannten. Neben diesen beiden Gründen theologischer Natur220 lassen sich auch andere nennen, die zur Entstehung und Verbreitung des Antisemitismus beitrugen. Hier sind folgende Phänomene gemeint: Stereotypen in Bezug auf ökonomische Verhältnisse („der geschäftstüchtige Jude“), Theorien der „jüdischen Verschwörung“ und in der jüngsten Geschichte auch die Entstehung des jüdischen Staates (Kritik an der Politik des heutigen Israels). Aus allen genannten Gründen entwickelte sich der Antisemitismus auch im ostkirchlichen Raum und ist immer noch sehr stark präsent. Besonders oft kommt er jedoch in Griechenland zum Vorschein.221 Anti-Semitism occurs in Greece not only among extreme rightists and leftists, but is embedded in Greek mainstream society. It manifests itself in many ways: in a religious context, in education, in the application of the law, in the media, and through politically-motivated antiSemitism in the major parties, as well.222

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Deutschland, Berlin 2008, S. 173–174.). Drittens lässt sich nach de Lange und Thoma sagen, dass der Begriff Antisemitismus sich trotz seiner Schwächen nicht „ausbürgern lässt“ und verwendet werden kann (vgl. de Lange/Thoma, „Antisemitismus I“, S. 114). Aus allen genannten Gründen wird in dieser Studie dieser Begriff und nicht der des „Antijudaismus“ verwendet. Siehe auch Stefan Scheil, Die Entwicklung des politischen Antisemitismus in Deutschland zwischen 1881 und 1912. Eine wahlgeschichtliche Untersuchung, Berlin 1999, Michael Lay, Kleine Geschichte des Antisemitismus, München 2003. Vgl. Nicholas R.M. de Lange, „Antisemitismus IV“, in: Theologische Realenzyklopädie, Band 3, Berlin 1993, S. 128–129. Für eine ausführliche Studie zu den theologischen Gründen des Antisemitismus in christlichen Kirchen siehe Rosemary R. Ruether, „Anti-Semitism in Christian Theology“, in: Theology Today 30 (1974), S. 365–381. Auch in anderen Ländern des ostkirchlichen Raumes ist der Antisemitismus präsent. Eines der kontroversesten Beispiele dafür ist die Heiligsprechung von Bischof Nikolaj Velimirović 2003, der für seine klaren antisemitischen Äußerungen bekannt war. Mehr dazu siehe Jovan Byford, Denial and Repression of Antisemitism: Post-Communist Remembrance of the Serbian Bishop Nikolaj Velimirović, Budapest 2008. Moses Altsech, „Anti-Semitism in Greece: Embedded in Society“, in: Post-Holocaust and AntiSemitism 24, (2004), S. 24.

Alte „-ismen“ neu gestaltet? Ökumenismus und Antisemitismus

249

Tatsächlich lassen sich mehrere Beispiele von antisemitischen Äußerungen der wichtigsten Politiker Griechenlands und Akte des Vandalismus an jüdischen Geschäften, Denkmälern und Grabsteinen aufzählen.223 Auch die wichtigsten Hierarchen der Griechisch-Orthodoxen Kirche mit dem Erzbischof Christodoulos an der Spitze äußerten sich in antisemitischer Weise, trotz der Tatsache, dass die Kirche den Judenhass offiziell verurteilt.224 Diese Realität ist darauf zurückzuführen, dass mehr als fünfzig Prozent der griechischen Gesellschaft, wie es Umfragen in den letzten Jahrzehnten bestätigen, antisemitische Meinungen vertreten.225 Hierbei sind vor allem die Meinungen über jüdische Verschwörungen hervorzuheben, laut denen die Juden im Geheimen die Welt regieren und ihre Zerstörung beabsichtigen. In diesem Kontext ist es verständlich, dass antisemitische Denkstrukturen auch unter den griechisch-orthodoxen Mönchen vertreten sind. Ein Beispiel dafür gibt William Dalrymple in seinem Buch, in dem er von einem Gespräch mit einem christlichorthodoxen Mönch im Mar Saba-Kloster in Israel berichtet. Der Mönch Theophanes, den er dort 1994 traf, war nämlich der Auffassung, dass alle Juden während des Jüngsten Gerichtes verurteilt werden und durch ein riesiges Loch in der Nähe des Toten Meers in die Hölle hinabstürzen würden.226 Dieses Beispiel illustriert die Tatsache, dass Antisemitismus ein etabliertes Phänomen in den monastischen Gemeinschaften im ostkirchlichen Raum ist. In dieser Hinsicht kann es nicht überraschen, dass die antisemitischen Gedanken auch unter den Mönchen auf dem Athos weit verbreitet sind. Die Frage ist aber, ob und inwieweit sich diese Gedanken unter dem Einfluss der Modernisierungsprozesse veränderten. Dieser Sachverhalt wird im Folgenden besprochen. Während der Feldforschungen auf dem Athos kam das Thema des Antisemitismus bei verschiedenen Gelegenheiten zutage. Bemerkenswert ist, dass, wenn das Thema Juden zur Sprache kam, nur negative Äußerungen zu hören waren. Drei der interviewten Mönche ließen ein Gedankengut erkennen, das ohne Zweifel als antisemitisch zu beschreiben ist. Vater Mo. gibt beispielsweise den Juden die Schuld an den Problemen der sich entwickelnden Länder, womit er wahrscheinlich unter anderem auch Griechenland meinte. Explizit sagte er: „Jews are responsible for all the evil in developed

223

224

225 226

Siehe Katherine Elizabeth Fleming, Greece – a Jewish History, Princeton, NJ 2008, S. 205–206. Umfangreiche Studien zu diesem Thema führte Daniel Perdurant durch. Laut Perdurant besteht in Griechenland ein „strongly antisemitic climate“. In seinem Artikel beschreibt er mehrere Vorfälle von antisemitischen Äußerungen, Aktionen und Entscheidungen in den Bereichen Politik, Bildung und Kirche. Seine Befunde sind jenen von Altsech sehr ähnlich. Vgl. Daniel Perdurant, „Antisemitism in Contemporary Greek Society“, in: Analysis of Current Trends in Antisemitism 7 (1995), abrufbar unter: http://sicsa.huji.ac.il/7perd.htm. Erzbischof Christodoulos warf beispielsweise 2001 den Juden vor, dass sie hinter der Personalausweiskrise stünden. Vgl. Altsech, „Anti-Semitism in Greece“, S. 28. Panteleimon (Karanikolas), Metropolit von Corinth, veröffentlichte 1980 ein Büchlein unter dem Titel Χριστιανοί καί Έβραίοι (Christen und Juden), das eine Reihe von antisemitischen Äußerungen beinhaltet. Heftige antisemitische Bemerkungen machte in den 1970ern Jahren auch Augustinos (Kantiotis), Metropolit von Florina. Siehe Perdurant, „Antisemitism in Contemporary Greek Society“, S. 2–3. Vgl. Fleming, Greece – a Jewish History, S. 207. Vgl. Dalrymple, From the Holy Mountain, S. 280–281.

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Der kulturell-gesellschaftliche Modernisierungsprozess

countries. Jews work with evil.“227 Bei Vater Mo. taucht ebenso die alte Idee auf, dass die Juden das Christentum zerstören wollen. Dafür hätten die Juden eine weltweite Verschwörung in Gang gebracht und mithilfe der Freimaurer die Kontrolle in den wichtigsten Organisationen der Welt übernommen: „Jews are steering those organizations. […] The world is governed by the masons and they are servants of the Jews.“228 Der hier zitierte Vater Mo. glaubt also an eine jüdische Verschwörung und steht mit seiner Meinung sicherlich auf dem Athos nicht allein. Während des Gesprächs mit Vater D., das nach dem eigentlichen Interview stattfand, äußerte der Mönch ähnliche Ideen. Er vertritt die Meinung, dass die Welt von den Bankern, die jüdischer Abstammung sind, regiert wird. Sie planten die Einführung einer globalen Währung und beabsichtigt, den Dritten Weltkrieg auszulösen. Ihr Hauptziel bestände jedoch in der Zerstörung der Welt.229 Alle diese Punkte wurden von Vater Se. wiederholt. Dieser Mönch diskutierte jedoch viel länger über die Schuld der Juden an allen möglichen Problemen des Lebens in der gegenwärtigen Welt. Sie seien für den Flugzeugabsturz des polnischen Präsidenten 2010 verantwortlich, für die Schweinegrippe, AIDS und die Weltwirtschaftskrise. Vater Se. ist genau wie die anderen zitierten Geistlichen der Meinung, dass die Juden die Kontrolle in der Welt übernehmen wollen: „Die haben ein einziges Ziel und zwar die Weltherrschaft zu übernehmen, zu globalisieren.“230 Die Juden hätten auch vor, die Mehrheit der Weltbevölkerung zu töten, weil „diese Menschen praktisch als unfähig und nicht existent in den Augen von diesen Leuten [gelten].“231 Aus den zitierten Äußerungen wird deutlich, dass Antisemitismus auf dem Athos heutzutage zu spüren ist. Die 1998 von Christopher Merrill gemachte Bemerkung: „Anti-Semitism is rife on Athos“,232 ist sicherlich auch gegenwärtig gültig. Erstaunlich ist es auch, dass es anscheinend nirgends positive Meinungen über das Judentum gibt, weder in den Interviews noch in gedruckten Quellen. Es lässt sich also schlussfolgern, dass die Mönche, wenn sie sich überhaupt mit dem Thema Judentum beschäftigen, eine negative Meinung von Juden haben. Es muss aber auch gesagt werden, dass die meisten der Geistlichen sich für dieses Thema nicht interessieren. Sie sind indifferent und machen auch keine antisemitischen Aussagen. Da es sich hierbei jedoch um eine stille Mehrheit handelt, können die Pilger sehr schnell den Eindruck bekommen, dass die Athos-Mönche ausschließlich antisemitisch seien. Dies entspricht sicherlich nicht der Wahrheit, gleichzeitig steht allerdings ohne Zweifel fest, dass ein bedeutender Teil der Athos-Mönche antisemitischer Auffassung ist. An dieser Stelle muss nochmals hervorgehoben werden, dass der Antisemitismus nicht allein für die Mönche auf dem Athos spezifisch ist, sondern das orthodoxe Mönchtum im Allgemeinen betrifft. In Bezug auf die Modernisierungsprozesse auf dem Athos ist jedoch interessant, dass die Ansichten der Mönche über Juden keinem Wandel unterliegen. Trotz der Tatsache, dass heutzutage viele Mönche über 227 228 229 230 231 232

Aus dem Interview mit Vater Mo. Vgl. ebd. Vgl. das Gespräch mit Vater D. Aus dem Interview mit Vater Se. Vgl. ebd. Merrill, Things of The Hidden God, S. 103.

Zwischenfazit

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Hochschulabschlüsse verfügen und die Welt viel besser verstehen als ihre Vorgänger, haben sich die alten Sprüche nicht verändert. Wie gezeigt, basiert der Antisemitismus auf dem Athos immer noch auf irrationalen Prämissen. Den Juden wird die Schuld für alles Böse dieser Welt zugeschrieben. Stereotypen über die „jüdische Verschwörung“, die zur Zerstörung der Welt führen soll und, wie oben beschrieben, zur Entstehung und Verbreitung des Antisemitismus beitrugen, sind nach wie vor verbreitet. Diese Argumentation wird oft betont und wiederholte sich stets in den Gesprächen mit den Mönchen. Die Ausbildung der Geistlichen und die Internationalisierung des Athos zeigen keine Wirkung, da unter den zitierten Mönchen auch Ausländer waren. Letztendlich bleibt die Ebene der Weltanschauung der Geistlichen auf dem Athos im Laufe der Modernisierungsprozesse unangetastet.

6.6. Zwischenfazit In dem sechsten Kapitel wurde die dritte und letzte Ebene der Modernisierungsprozesse auf dem Athos beschrieben. Diese Ebene beinhaltet Phänomene, die sich zu den kulturell-gesellschaftlichen Prozessen zählen lassen. Zu diesen gehören, aus Sicht dieser Studie, der Wechsel der monastischen Lebensformen, der demographische Wandel, die Verbesserung der Bildung, eine offenere Einstellung gegenüber den Wissenschaften und die Weltanschauung der Mönche. Alle diese Prozesse gestalten sich sehr unterschiedlich und betreffen Abstrakta wie die Einstellung zur Bildung oder die Ansichten über Antisemitismus und Ökumenismus. Aus diesem Grund ist die kulturellgesellschaftliche Modernisierung schwieriger als andere Ebenen dieser Prozesse zu erfassen. Trotz dieser Schwierigkeiten wurden einige Beobachtungen gemacht, die in diesem Teil zusammengefasst werden sollen. In erster Linie muss betont werden, dass die kulturell-gesellschaftliche Ebene der Modernisierung einen sehr wichtigen Teil für den Ablauf der Modernisierungsprozesse insgesamt ausmacht. Es wird sogar angenommen, dass ohne die Veränderungen mit kulturellem und gesellschaftlichem Hintergrund die Modernisierung nicht möglich wäre. Hierbei muss vor allem die Rolle des demographischen Wandels nochmals hervorgehoben werden. Die Mönche, die seit den 1970er Jahren auf den Athos kamen, wurden in diesem Kapitel aus gutem Grund Träger der Modernisierung genannt. Sie sind diejenigen, die alle Prozesse unterstützten und damit zu den Veränderungen auf dem Athos beitrugen. Darüber hinaus verfügen die jungen Mönche über viele Fähigkeiten, die den Einzug von technologischen Neuerungen, aber auch politische und ökonomische Prozesse ermöglichen. Es ist ebenso von prinzipieller Bedeutung, dass diese Mönche sich den Wechsel der monastischen Lebensformen wünschten und ihn selbst zu Ende brachten. Der Übergang zum Koinobitentum beeinflusste das Leben auf dem Athos entscheidend und war eine der wichtigsten Veränderungen in den letzten Dekaden. Es wird also deutlich, dass die Ebene der kulturell-gesellschaftlichen Prozesse sehr wichtig für die Modernisierung überhaupt ist. Es muss auch nochmals darauf hingewiesen werden, dass die Pilger, die den Athos besuchen, eine interessante Rolle im Ablauf der Modernisierungsprozesse spielen. Ihr Einfluss auf die kulturell-gesellschaftliche Modernisierung ist zwar geringer als auf der wirtschaftlichen Ebene dieses Prozesses, man kann jedoch davon ausgehen,

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Der kulturell-gesellschaftliche Modernisierungsprozess

dass sich das Leben auf dem Athos aufgrund ihrer Besuche sicherlich verändern wird. Dies hängt vor allem mit den Zahlen der Pilger zusammen: Rund 75.000 Besucher kommen jährlich auf den Athos. Sie haben unterschiedliche kulturelle Hintergründe, unterschiedliche Gründe, warum sie auf den Athos kommen, und bekennen sich letztendlich nicht alle zur Orthodoxie. Die Entwicklungen in Bezug auf den Anstieg der Pilgerzahlen sind sicherlich eine der größten Herausforderungen für die Mönche. Der Einfluss der Pilger wirkt sich hauptsächlich auf den Wandel der Rolle der Mönche aus. Wie im sechsten Kapitel festgestellt wurde, werden alle Besucher von den Mönchen als Pilger betrachtet. Den Geistlichen vom Athos ist aber bewusst, dass manche der Besucher, und dies gilt heutzutage für einen größeren Teil als früher, nur sehr geringes Wissen über das Orthodoxe Christentum und das orthodoxe Mönchtum haben. Daher finden sich die Mönche immer wieder in der Rolle des Lehrers wieder. Sie dienen nicht nur als geistliche Väter oder Seelsorger, sondern lehren auch über die Grundlagen der Orthodoxie. In dieser Hinsicht entsteht ein großes Problem für die Mönche. Einerseits sind sie sich bewusst, dass ihre Lehrer-Rolle sehr wichtig ist und mehr Besucher aufgenommen werden sollten, um mehr über das Orthodoxe Christentum zu erfahren. Denn sie wissen, dass die Pilgerfahrt auf den Athos eine positive Wirkung auf die Besucher haben kann.233 Andererseits stören die Pilger jedoch im monastischen Leben. Sie müssen begrüßt sowie verpflegt und untergebracht werden, sie wollen mit den Mönchen sprechen und die Klöster sehen. In Konsequenz dessen wird immer mehr Zeit benötigt, um die Pilger zu betreuen. Aus diesem Grund wurde eine Begrenzung der Visen auf 120 pro Tag eingeführt. Wie aber im obigen Kapitel beschrieben wurde, wird dieses Limit sehr oft überstiegen. An dieser Stelle wird das angedeutete Problem deutlich: Trotz aller negativen Seiten möchten die Mönche im Grunde mehr Pilger aufnehmen. Die gesetzlich festgelegte Begrenzung wird also mithilfe von „speziellen“ Visen umgangen. Die Rolle der Pilger im kulturellgesellschaftlichen Modernisierungsprozess ist also zweifacher Natur, nämlich äußerer und innerer. Der äußere Einfluss der Pilger besteht in den alltäglichen Veränderungen im Leben auf dem Athos, die der Zustrom von Pilgern mit sich bringt. Als „innere Natur“ wird in dieser Studie die Tatsache empfunden, dass die Selbstwahrnehmung der Mönche in den letzten Jahrzehnten einem Wandel unterlag. Sie verstehen sich immer öfter als Lehrer. Zu diesem Zwecke umgehen sie nicht nur die Aufnahmebegrenzung der Pilger, sondern reisen selbst außerhalb des Athos, um über die Orthodoxie zu sprechen. Die oben zusammengefassten Veränderungen beweisen, dass die Modernisierung auch auf der kulturell-gesellschaftlichen Ebene auf dem Athos verläuft: Es fand ein demographischer Wandel statt, alle Klöster kehrten zur koinobitischen Lebensform zurück, viele Initiativen im Bildungsbereich wurden von den Mönchen aufgenommen. Interessanterweise ist diese Ebene der Modernisierung aber nur teilweise durch diese Veränderungen betroffen. Wie im Kapitel beschrieben wurde, sind keine Veränderun233

„It is generally acknowledged that a sojourn on Athos is quite special. Most pilgrims feel the presence of God’s grace, the blessing of the Mother of God as a relief and as consolation, peace, joyfulness, and the spirit of conciliation. When they return home their friends and relatives witness this pleasant transformation“. Father Symeon, „Mount Athos: A Centre of Pilgrimage“, in: Gothóni/Speake, The Monastic Magnet, S. 95.

Zwischenfazit

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gen in der Weltanschauung der Mönche zu sehen, was am Beispiel der Einstellung gegenüber Ökumenismus und Antisemitismus gezeigt wurde. Darüber hinaus ist die Haltung gegenüber Bildung immer noch skeptisch. Selbstverständlich ist der Athos nicht säkularisiert, was jedoch als ein Bestandteil der Modernisierungsprozesse in der Welt festgelegt wurde. Es kann auch keine Rede von einer Enttraditionalisierung sein, weil die Mönche trotz aller äußerer Veränderungen im Leben auf dem Athos der traditionellen Lebensform treu bleiben.

7. Schlussbetrachtung In dieser Studie wurden die Wandlungen analysiert, die auf dem Heiligen Berg Athos in den Jahren zwischen 1988 und 2011 verliefen. Im Mittelpunkt der Untersuchungen standen die Fragen nach der Art dieser Veränderungen, nämlich welche Prozesse und Ereignisse, die von prinzipieller Bedeutung für das Leben auf dem Athos waren, in den letzten Jahren stattfanden. Ziel dieser Studie war auch, die Gründe dieser Wandlungen festzuhalten und analytisch zu besprechen. Zu diesem Zweck wurden sowohl Ereignisse vor 1988 kurz dargelegt als auch Entwicklungen außerhalb des Athos, vor allem in Südosteuropa. Die Prozesse auf dem Athos wurden also in einem breiteren zeitlichen wie räumlichen Kontext beschrieben. Ein zusätzlicher Schwerpunkt der Untersuchung betraf die Wahrnehmung der Wandlungen auf dem Athos seitens der Mönche. Es wurde mehrfach die Frage gestellt, was die Geistlichen auf dem Athos über die dort verlaufenden vielschichtigen Prozesse denken? Nehmen sie diese Prozesse überhaupt wahr? Wenn ja, wie äußerten sie sich bezüglich der Veränderungen? Die Antworten auf diese und weitere Fragen ermöglichten es, die Prozesse auf dem Athos aus der Perspektive der Mönche zu betrachten. Darüber hinaus wurde ebenso untersucht, inwieweit die Veränderungen von „außen“ kamen, also inwieweit die Entwicklungen von der vor allem westlich geprägten Umwelt des Athos ausgingen bzw. ob auch die Mönche als Verantwortliche für diverse Modernisierungsprozesse, also von „innen“ heraus begonnene Veränderungen, gelten können. Hierin lag ein Spezifikum dieser Studie. Um die komplexe Fragestellung bearbeiten zu können, wurde eine vielfältige Methodik verwendet. Neben der Literaturanalyse, die aufgrund eines Mangels an wissenschaftlichen Arbeiten zum Thema der Modernisierung auf dem Athos nur begrenzt blieb, wurden zwei Aufenthalte für Feldforschungen durchgeführt. Während dieser Feldstudien wurde großer Wert auf die Interviews und Gespräche mit den Mönchen gelegt, weil diese nur auf dem Athos stattfinden konnten. Die Geistlichen wurden also im Rahmen eines Leitfadeninterviews nach den Prozessen und ihren Empfindungen diesbezüglich befragt. Die Feldforschungen gaben aber auch die Möglichkeit, die Veränderungen auf dem Athos mit eigenen Augen zu beobachten und die so erhaltenen Ergebnisse konnten ebenso in dieser Studie verwendet werden. Diese Vorgehensweise ermöglichte vielfältige Ergebnisse, die im Folgenden noch einmal zusammengefasst werden. Die erste grundlegende Frage dieser Studie bezog sich darauf, ob sich die Wandlungen auf dem Athos überhaupt als Modernisierungsprozesse beschreiben lassen. Um eine Antwort darauf geben zu können, musste ein entsprechender Begriff von Modernisierung vorgeschlagen werden. In Kapitel 2.1 wurde erörtert, dass unter Modernisierung ein Bündel von vielfältigen Prozessen verstanden werden soll, die gemeinsam zur Wohlfahrtsentwicklung, Differenzierung, Industrialisierung, Technisierung, Rationalisierung, Urbanisierung, Säkularisierung und Entwicklung bestimmter Basisinstitutionen führen. Mit allem, was in dieser Studie über die Wandlungen auf dem Athos geschrieben wurde, erscheint der Vergleich der Prozesse auf dem Athos mit jenen von Modernisierung eine sehr sichere Basis zu haben. Die meisten der genannten Merkmale von Modernisierung kommen auf dem Athos vor. Um nur einige Beispiele zu nen-

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Schlussbetrachtung

nen: Der ökonomische Aufschwung, der im Kapitel 4.3.2 beschrieben wurde, führte zur Wohlfahrtsentwicklung. In den Klöstern benutzt man seit einigen Jahren viele technische Neuerungen. Die anscheinend einheitliche Mönchsgemeinschaft differenzierte sich politisch (der Fall Esfigmenou) und gesellschaftlich (neue „Berufe“ auf dem Athos und mehr junge, gut ausgebildete Mönche). Es steht also außer Zweifel, dass die Wandlungen auf dem Athos als Modernisierungsprozesse zu verstehen sind. Die einzelnen Modernisierungsprozesse unterscheiden sich sehr voneinander, sodass sie als Ganzes nur schwer zu greifen sind. Aus diesem Grund wurden sie im zweiten Kapitel in drei Gruppen gegliedert. Es handelt sich hierbei um die wirtschaftliche, die politische und die kulturell-gesellschaftliche Ebene von Modernisierung. Unter Berücksichtigung dieses theoretischen Gerüstes wurden im dritten Kapitel die Fragen ausgearbeitet, wie die Modernisierungsprozesse im ostkirchlichen Raum verlaufen und welchen Einfluss dieses Milieu auf die Prozesse ausübt. Die Frage richtete sich an den gesamten ostkirchlichen Raum, weil angenommen wurde, dass einige Parallelen im Ablauf der Modernisierungsprozesse innerhalb und außerhalb des Athos gezogen werden können. Erstens wurde beobachtet, dass das christlich-orthodoxe Milieu überwiegend keinen fruchtbaren Boden für die Entwicklungen der Moderne bietet. Der Grund dafür ist, dass die meisten der identifizierten Merkmale der christlichorthodoxen Gesellschaften (z.B. Kollektivität, Mystizismus, Traditionalismus, Antiokzidentalismus) einen negativen Einfluss auf den Ablauf von Modernisierungsprozessen auf allen ihren Ebenen ausüben. Infolgedessen treffen die Modernisierungsversuche in den Ländern Südosteuropas auf bedeutende Schwierigkeiten: starke Korruption,1 eine mangelhafte Trennung von Staat und Kirche, wirtschaftliche Rückständigkeit und eine wenig entwickelte Zivilgesellschaft. Dementgegen wird jedoch in dieser Studie betont, dass der Einfluss von Charakterzügen der orthodoxen Gesellschaften auf den Ablauf von Modernisierung oft überschätzt wird. Trotz negativer Seiten dieses Einflusses,2 sind sie nicht als ein unpassierbares Hindernis für Modernisierungsprozesse zu verstehen, da diese im ostkirchlichen Raum dennoch erfolgen und zwar in vielen Ländern und auf verschiedenen Ebenen. Außerdem tragen für die Schwierigkeiten bei der Modernisierung in Südosteuropa nicht nur die hinter der orthodoxen Konfession stehenden Denkstrukturen, Vorurteile und Gewohnheiten, die im dritten Kapitel besprochen wurden, die Verantwortung, sondern auch viele andere Phänomene. Hier sollten vor allem die historisch bedingten Umstände wie z.B. die Türkenherrschaft oder die Folgen der kommunistischen Regime hervorgehoben werden.

1

2

Das Thema der Korruption im ost- und südosteuropäischen Raum erregte schon die Aufmerksamkeit von vielen Wissenschaftlern. Eines der neuesten Beispiele des verstärkten Forschungsinteresses an diesem Thema ist die in Jena vom 29. Juni bis 2. Juli 2011 veranstaltete Tagung „Korruption, soziales Vertrauen und politische Verwerfungen unter besonderer Berücksichtigung südosteuropäischer Gesellschaften“. Z.B. trug der mystische Umgang mit dem Glauben zu einem Mangel an wirtschaftlichem Rationalismus bei. Die Kollektivität der orthodoxen Völker passt nicht zu dem Individualismus Westeuropas, wodurch es zu Schwierigkeiten bei der Implementierung von westlichen Institutionen, etc. kommt.

Schlussbetrachtung

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Aus diesen Überlegungen leitete sich die dritte Schlussfolgerung des dritten Kapitels ab, nämlich die, dass es keine ausreichenden Prämissen dafür gibt, die Dichotomien zwischen Merkmalen der westlichen und östlichen bzw. südosteuropäischen Gesellschaften als Inkompatibilität zu bezeichnen. Anstatt diesen Begriff zu benutzen, wurde in dieser Studie nur über „unterschiedliche Merkmale“ gesprochen. Diese Unterschiede sind in manchen Bereichen sehr groß – daher die Schwierigkeiten bei der Modernisierung –, sie führen aber nicht zur völligen Verhinderung von Modernisierungsprozessen. Von Bedeutung für diese Studie ist viertens auch die Tatsache, dass die Modernisierungsprozesse im ostkirchlichen Raum nicht gleichzeitig auf jeder Ebene der Modernisierung verlaufen. Generell lässt sich sagen, dass die Entwicklungen im wirtschaftlichen und politischen Bereich viel weiter fortgeschritten sind als im kulturellgesellschaftlichen. Dieses Phänomen wurde in dieser Studie in Anlehnung an Giannakopoulos als Ungleichzeitigkeit der Modernisierungsprozesse beschrieben und führt zu einem „cultural lag“ im Sinne vom W. Ogburn. Da die Prozesse im kulturellgesellschaftlichen Bereich entweder gar nicht oder erst nach langer Zeit folgen, wird dieses Phänomen in der Literatur auch „partielle Modernisierung“ oder „verspätete Modernisierung“ genannt. Der erste Begriff, wie in dieser Studie mehrmals beobachtet wurde, eignet sich für die Beschreibung der Realität auf dem Athos. Im dritten Kapitel wurde auch darauf hingewiesen, dass der ostkirchliche Raum keineswegs als einheitlich verstanden werden kann. In Bezug auf die Modernisierungsprozesse lassen sich einige Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern feststellen, infolgedessen beispielsweise die Modernisierung in Griechenland anders aussieht als in Serbien. Darüber hinaus wurde in demselben Kapitel beobachtet, dass es innerhalb eines Landes zu bedeutenden Unterschieden im Fortschritt der Modernisierung kommen kann. In vielen Fällen sind die großen Metropolen in Südosteuropa sehr modern und die ländlichen Gebiete tun sich schwer damit, diese einzuholen. Die Zeitund Raumungleichartigkeiten bei der Modernisierung im ostkirchlichen Raum müssen hier als fünfte Schlussfolgerung des dritten Kapitels hervorgehoben werden, da sie einen wichtigen Aspekt der Arbeit betreffen. Die oben skizierten Schlussfolgerungen dienten als Ausgangspunkt für die Untersuchung der Modernisierungsprozesse auf dem Athos, die, wie in den Kapiteln 4 bis 6 gezeigt wurde, sehr umfangreich sind und auf allen drei Ebenen der Modernisierung verlaufen. Am deutlichsten zu beobachten sind die Wandlungen im Bereich der Nutzung von Technologien. Im Jahr 1988 wurden zwar schon viele technologische Neuerungen wie Waschmaschinen, Kühlschränke, Autos, Baufahrzeuge, Bohrmaschinen und andere für die Renovierungsarbeiten benötigten Werkzeuge verwendet, ihre Zahl war aber sehr gering. Erst seit Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre beschleunigte sich die technologische Modernisierung rasant. Die Klöster und anderen monastischen Gemeinschaften auf dem Athos importierten immer mehr technologische Neuerungen. Aus diesem Grund hat die technologische Modernisierung einen sehr großen Einfluss auf die äußere Schicht des Lebens auf dem Athos – sie veränderte entscheidend das äußere Bild der Athos-Klöster. Bei dem Prozess der Implementierung neuester Technologien auf dem Athos spielten die Mönche eine primäre Rolle. Wie die Ausführungen im dritten Kapitel

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Schlussbetrachtung

zeigten, besteht das Problem mit Technologie für sie nicht in den verschiedenen Errungenschaften der modernen Zivilisation, denn sie werden nicht komplett als etwas Böses angesehen. Die wahre Herausforderung liegt für die Mönche in ihrer „richtigen“ Benutzung, was auch die im dritten Kapitel gestellte These vorhersah. Interessanterweise scheinen die Auseinandersetzungen mit diesem Problem unter den Geistlichen so gut wie abgeschlossen zu sein. Die Mönche nehmen sowohl die Vor- als auch die Nachteile der technologischen Modernisierung wahr. Sie beschränken auch die Auswirkungen der Technologien auf die Gemeinschaften, indem z.B. nur manche Geistliche im Kloster die Erlaubnis haben, die Rechner zu benutzen. Es kann also gesagt Abb. 20 10. und 21. Jahrhundert an einem Ort, Große werden, dass die Technologie Lavra-Kloster ein sehr ausführlich diskutiertes Thema auf dem Athos ist. Die ökonomische Modernisierung, die Teil der wirtschaftlichen Modernisierungsprozesse ist, hielt mit den technologischen Wandlungen Schritt. Seit 1988 stiegen allmählich die Einkünfte der Gemeinschaften auf dem Athos, was einerseits den Prozessen außerhalb und andererseits auch den Prozessen innerhalb des Athos zu verdanken ist. Nach Eintragung des Athos in die UNESCO-Welterbeliste legten politische Akteure wie die Europäische Union, aber auch der griechische Staat besonders großen Wert auf die Erhaltung der monastischen Gebäude und alle übrigen materiellen (Ikonen, Fresken, liturgische Gegenstände) und immateriellen Schätze (Flora und Fauna) des Athos. Das Geld wurde auch dank der wirtschaftlichen Tätigkeit der Mönche erworben, die in den letzten zwei Dekaden besonders aktiv in diesem Bereich waren. Hier darf man vor allem die zwei im vierten Kapitel beschriebenen Beispiele des „MönchTaxis“ und der Souvenirläden vor Augen haben. Die Mönche erfanden und entwickelten auch andere Methoden der Geldgewinnung: Es wurden Verträge mit privaten Firmen für die Abholzung der Wälder unterschrieben, einige Klöster hatten auch Verträge

Schlussbetrachtung

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mit Banken für die alleinigen Nutzungsrechte von Klosterfotografien,3 letztendlich tätigen die Klöster auch Immobiliengeschäfte wie der Vatopedi-Skandal zeigte. Alle diese Entwicklungen trugen zu der Situation bei, dass die Athos-Gemeinschaften heute finanziell sehr gut abgesichert sind. Es wurden in dieser Studie auch Wandlungen im politischen Bereich des Lebens auf dem Athos besprochen. Sie betreffen in erster Linie den Aufbau und die Pflege der Kontakte mit politischen Akteuren wie der EU und der griechischen Regierung. Wie aber gezeigt, hatten die Mönche im Laufe der zwei letzten Jahrzehnte auch Kontakte zu kleineren Organisationen wie The Friends of Mount Athos (FoMA), und kooperierten sogar mit Privatpersonen, wie z.B. bei der Aktion von Reinhold Zwerger zur Wiedereröffnung der zugewachsenen Wanderwege. Die Bereitschaft der Mönche, diese Kontakte zu pflegen, signalisiert die Tatsache, dass sie trotz ihrer traditionellen Skepsis gegenüber Beziehungen zu „der Welt“ die Notwendigkeit der Entwicklungen im politischen Bereich sehen. Dadurch wurde die politische Modernisierung möglich. Zuletzt wurden die Wandlungen im kulturell-gesellschaftlichen Bereich herausgearbeitet, zu denen einige der wichtigsten Prozesse gezählt wurden. Vor allem der Wechsel der monastischen Lebensform stellte einen grundlegenden Prozess für den weiteren Ablauf der Modernisierung dar. Wie hervorgehoben wurde, ist die Gleichzeitigkeit dieses Übergangs und der besonders schnellen Fortschritt in allen anderen Modernisierungsprozessen nicht zufällig. Die Übernahme des Koinobitentums auch in den letzten Klöstern ermöglichte erst den Anstieg der Zahl neuer Novizen und so die Verstärkung der Athos-Gemeinschaften, die dadurch für weitere Modernisierungen bereit waren. Dieser Prozess wurde als „demographischer Wandel“ definiert und ausführlich im sechsten Kapitel beschrieben. In dem genannten Teil dieser Studie wurden auch die Einstellungen gegenüber Bildung und Rationalisierung beleuchtet. Trotz der besseren Ausbildung der gegenwärtigen Mönche und einem interessanten Trend zur Teilnahme an wissenschaftlichen Konferenzen und zur Beteiligung an Publikationen von Büchern und Zeitschriften bleibt diese Einstellung immer noch skeptisch. Da der Antisemitismus und eine negative Einstellung gegenüber dem Ökumenismus weit verbreitet sind, wurde im sechsten Kapitel festgestellt, dass der kulturell-gesellschaftliche Bereich des Lebens auf dem Athos am wenigsten dem Einfluss der Modernisierung unterliegt. Dennoch sind auch hier Wandlungen zu beobachten. Neben dem Wechsel der monastischen Organisationsform und dem demographischem Wandel konnte eine andere, offenere Einstellung gegenüber orthodoxen Pilgern beobachtet werden. Die Mönche übernahmen in der letzten Zeit immer mehr die Rolle der Lehrer der Orthodoxie. Sie sind noch immer geistliche Väter und Seelsorger, müssen aber öfter die Grundlagen des orthodoxen Glaubens vermitteln, was früher nicht in diesem Ausmaß der Fall war. Trotz, aber auch gerade aufgrund dieser Wandlungen im kulturellgesellschaftlichen Bereich des Lebens auf dem Athos lässt sich mit Sicherheit das Theorem der „partiellen Modernisierung“ auf die Mönchsrepublik anwenden. Dazu wurden in dieser Studie einige Beweise aufgezeigt. Vor allem die beschriebenen Werteorientierungen (Einstellung gegenüber Bildung und Rationalisierung, Wahrnehmung 3

„It seems the monastery had an agreement with a bank that was publishing a calendar of photographs from both places, and no one else could make photos.“ Lyttle, Miracle on the Monastery Mountain, S. 80.

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Schlussbetrachtung

von Ökumenismus und Antisemitismus) haben sich nicht oder nur begrenzt verändert, während parallel weitgehende Wandlungen in Technologie, Ökonomie und Politik stattfanden. Dies bestätigt die Annahmen von Theoretikern, die die Diskrepanzen zwischen diesen Ebenen der Wandlungen als Merkmal der „partiellen Modernisierung“ definierten.4 Weiterhin wird das Auftreten von „ausdrücklich konservativen Ideologien als Reaktion auf moderne Herausforderungen“5 als Merkmal dieser Modernisierung betrachtet. Wie der im sechsten Kapitel beschriebene Fall des Esfigmenou-Klosters beweist, fehlt es auf dem Athos nicht an konservativen oder sogar fundamentalistischen Ideologien. Damit bezieht sich das genannte Argument des Theorems der „partiellen Modernisierung“ auch auf den Athos. Letztendlich betonen die Mönche bei mehreren Angelegenheiten die Einmaligkeit und große Vergangenheit ihrer Gemeinschaft, was wiederum ein Merkmal der „partiellen Modernisierung“ ist. 6 Alle diese Befunde erlauben zu glauben, dass das Theorem der „partiellen Modernisierung“ ein wichtiges Werkzeug für die Beschreibung der Wandlungen auf dem Athos ist. In den Kapiteln mit direktem Bezug auf den Athos wurden bei mehreren Gelegenheiten die Umstände, die den Boden für die Modernisierung bereiteten, angesprochen. Deren Betrachtung ermöglichte Antworten auf eine der Hauptfragen dieser Arbeit, nämlich wie die Modernisierung überhaupt stattfinden konnte. In diesem Hinblick lässt sich zwischen internen und externen Gründen der Modernisierung unterscheiden. Zuerst sollte nochmals ein Blick auf die Situation außerhalb des Athos geworfen werden. An der Wende zu den 1990er Jahren wurden in Südosteuropa die kommunistischen Regime gestürzt, was auch Konsequenzen für alle Ebenen der Modernisierung auf dem Athos hatte. Zum einen wurde ein Prozess der politischen Einigung Europas begonnen, infolgedessen die Grenzen geöffnet wurden. Die demokratischen Regierungen der Länder im ostkirchlichen Raum kooperierten ohne Probleme mit den monastischen Gemeinschaften, sodass sowohl neue Novizen als auch Geld und Pilger auf den Athos gelangen konnten. Zum zweiten ermöglichte der Zusammenbruch des Kommunismus einen Aufschwung der Religion im ganzen ostkirchlichen Raum. Eines der Merkmale dieses Prozesses war unter anderem das erhöhte Interesse am Mönchtum, was sich in der Gründung vieler neuer Klöster widerspiegelte.7 Der Athos war ein logisches Ziel für die Männer, die aus der tausendjährigen Tradition des Mönchtums schöpfen wollten, infolgedessen viele von ihnen auf den Athos kamen. Auf diese Art und Weise wurde der demographische Wandel möglich. Anzumerken ist, dass in Griechenland und Zypern ebenso ein erhöhtes Interesse an Religion und Mönchtum beobachtet wurde, ein Trend, der an den globalen Prozess der „Renaissance of Religion“

4 5 6 7

Siehe Fußnote 11 im 2. Kapitel. Rüschemeyer, „Partielle Modernisierung“, S. 384. Vgl. ebd., S. 384. Dieser Prozess ist im ganzen ostkirchlichen Raum zu beobachten. Besonders viele neue Klöster werden jedoch in Russland gegründet. „In the Russian Orthodox Church: within 15 years, the number of monasteries […] grew thirty times […]“, Bishop Hilarion (Alfeyev), Orthodox Witness Today, Geneva 2006, S. 125.

Schlussbetrachtung

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anknüpfte.8 Dieser Trend machte auch den Zustrom von neuen Novizen aus Ländern, die keine kommunistische Hinterlassenschaft hatten, möglich. Interessanterweise stieg auch in westeuropäischen Staaten, wo die Kirchen mit immer kleiner werdenden Zahlen von Gläubigen konfrontiert werden, das Interesse an Mönchtum bzw. an den von den Mönchen postulierten Grundprinzipien des Lebens (vor allem Harmonie). Ein Beispiel dafür bieten die Bücher von Pater Anselm Grün, die im deutschsprachigen Raum Bestseller-Status erwarben. In dieser Hinsicht ist es nicht überraschend, dass in den Athos-Klöstern heutzutage viele Mönche aus westeuropäischen Ländern leben, wie im Kapitel 6.2 betont wurde. Zu den äußeren Gründen der Modernisierung auf dem Athos gehört ebenso die mehrmals erwähnte Auszeichnung der UNESCO. Zwar wird dieses Ereignis von den Mönchen, wie die Interviews zeigten, kaum wahrgenommen, Fakt ist jedoch, dass diese Auszeichnung großzügige Zuwendungen aus der EU und von der griechischen Regierung zur Folge hatte. In Kombination mit der Einigung Europas bildete dies eine sichere finanzielle und politische Basis für die Modernisierung auf dem Athos. Sicherlich gehört auch der verstärkte Zustrom an Pilgern zu den wichtigsten äußeren Gründen der Modernisierung. Auf die Rolle der Besucher wurde zweimal in dieser Studie hingewiesen, nämlich in den Kapiteln 4.3.3 und 6.4, was an sich schon deutlich macht, dass sie sowohl für die wirtschaftliche als auch für die kulturellgesellschaftliche Modernisierung von Bedeutung waren. Tatsächlich trugen die Pilger zur Einführung mancher technologischer Neuerungen bei. Den Besuchern kann direkt oder indirekt die Einführung elektrischen Lichts, die Benutzung von Kühlschränken und Waschmaschinen, der Ausbau des Telefonnetzes, die Benutzung von Computern in den Klöstern und die Installation von Klimaanlagen in den Speisesälen zugeschrieben werden. Ohne die Pilger wären auch die Veränderungen im ökonomischen Bereich nicht denkbar, sei es in Bezug auf das „Mönch-Taxi“ oder den Ausbau von Souvenirläden. Letztendlich beeinflussten die Pilger auch den kulturell-gesellschaftlichen Bereich des Lebens auf dem Athos, indem sie die Aufgaben, die die Mönche zu erfüllen haben, erweiterten und die Beziehungen zu ihnen neugestalteten. Die Gründe der Modernisierung muss man auch auf dem Athos selbst suchen. Damit ist die im Kapitel 6.2 beschriebene Tatsache gemeint, dass in den 1960er Jahren und später auf dem Athos Mönche lebten, die dank eines guten Rufs und einem überdurchschnittlichen Charisma verstärkt das Interesse junger Männer am Mönchsein weckten. Die Ankunft zahlreicher Novizen war die Grundlage für die spätere Modernisierung.

8

Zum Thema Aufschwung der Religiosität in Europa und in der restlichen Welt wurden eine Reihe von Büchern und Artikeln veröffentlicht. Siehe José Casanova, Public Religions in the Modern World, Chicago 1994; ders., „Religion, European Secular Identities, and European Integration“, in: Byrnes/Katzenstein (Hg.), Religion in an Expanding Europe, S. 65–92; Peter L. Berger (Hg.), The Desecularization of the World: Resurgent Religion and World Politics, Washington, DC 2005; Peter L. Berger/Grace Davie/Effie Fokas, Religious America, Secular Europe? A Theme and Variations, Aldershot 2008; Philip Jenkins, God’s Continent: Christianity, Islam and Europe’s Religious Crisis, New York 2007; Wolfram Weimer, Credo. Warum die Rückkehr der Religion gut ist, München 2006.

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Die letzte Anmerkung nennt schon einen wichtigen Grund der Modernisierung, der ebenfalls in Kapitel 6.2 ausführlich besprochen wurde. Es handelt sich hier um den Zustrom von neuen Novizen, die auch später als Mönche auf dem Athos blieben. Diese Männer, die seit den 1970er Jahren auf den Athos kamen, waren die Träger der Modernisierung. Da die meisten von ihnen jung waren, verfügten sie über die notwendigen Kräfte, die für eine materielle Revitalisierung der Gemeinschaften im Sinne von Renovierungsarbeiten und der Verbesserung der Ökonomie wichtig waren. Darüber hinaus brachten sie ihre Lebensgewohnheiten und Erfahrungen aus der Welt mit, die zur technologischen Modernisierung beitrugen. Um ein Beispiel zu nennen: Da sie es nicht gewohnt waren mit Öllampen oder Heizöfen umzugehen, überredeten sie die Gemeinschaften zur Einführung von elektrischem Licht und Zentralheizungen (in manchen Fällen wurden sogar Öllampen für den Strombetrieb umgebaut). Der demographische Wandel ist also als einer der wichtigsten Gründe der Modernisierung anzusehen, wobei er gleichzeitig auch ein Teil der Modernisierungsprozesse selbst ist. Es wurde also deutlich, dass die Mönche selbst für das Einsetzen bestimmter Modernisierungsprozesse verantwortlich sind, die sie unterstützten und durchführten. Sie sind diejenigen, die die meisten der modernen Technologien auf den Athos importierten. Sie trugen letztendlich auch durch den Ausbau der Souvenirläden und des TaxiSystems zur ökonomischen Modernisierung bei. Ohne die Zustimmung der Mönche wäre auch der Wechsel der monastischen Lebensform nicht möglich gewesen. Aus diesen unbestreitbaren Fakten lässt sich die wichtige Beobachtung ziehen, dass die Gründe für den Ablauf der Modernisierungsprozesse auf allen ihren Ebenen unter anderen immer auch bei den Mönchen zu finden sind. Die Geistlichen sind daher nicht als bloße Empfänger von Modernisierungsergebnissen von außen bzw. als zweitrangige Akteure zu betrachten, die sich dem Einfluss der Modernisierung unterordneten, sondern sie müssen als Träger der Modernisierung verstanden werden. Die Modernisierung des Athos war möglich, weil die Mönche es selbst so wünschten und als notwendig erachteten. Da die Mönche vollberechtigte Akteure im gesamten Prozess der Modernisierung sind, lässt sich an dieser Stelle eines der wichtigsten Anliegen dieser Studie zusammenzufassen, nämlich, welche Parallelen sich zwischen der Modernisierung innerhalb und außerhalb des Athos ziehen lassen. In diesem Zusammenhang sollen einige Punkte betont werden. Zuerst konnte beobachtet werden, dass die Modernisierung auf dem Athos genau wie außerhalb, und zwar nicht nur im ostkirchlichen Raum, sondern auch darüber hinaus, in genau denselben Etappen erfolgte. Wie die industrielle Revolution in England im 18. Jahrhundert begann auch die Modernisierung des Athos mit einem demographischen Wandel. Dadurch wurde die technologische Modernisierung ermöglicht, die wiederum die Entwicklungen im ökonomischen Bereich zur Folge hatte. Diese Veränderungen initiierten eine politische Modernisierung, wobei diese im Fall des Athos, anders als außerhalb, nicht in der Entwicklung von neuen politischen Institutionen bzw. einer Neugestaltung der monastischen Gemeinschaften bestand, sondern eher als eine Verbesserung der existierenden zu verstehen ist. Erst dann folgte die Modernisierung im kulturell-gesellschaftlichen Bereich. Es muss also festgehalten werden, dass die Modernisierungsprozesse nach genau demselben Muster innerhalb und außerhalb

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des Athos verliefen, wobei nochmals betont werden muss, dass die Entwicklungen noch immer andauern. Weder das christlich-orthodoxe Umfeld noch der monastische Kontext hatten Einfluss auf die Reihenfolge dieser Prozesse. In Bezug auf die Ähnlichkeiten und Unterschiede des Ablaufs der Modernisierung außerhalb und innerhalb lässt sich weiterhin beobachten, dass die Modernisierung auf dem Athos, trotz mehrjähriger Verspätung, einfacher und schneller als im restlichen Südosteuropa verläuft. Darauf wurde schon im vierten und fünften Kapitel einhergehend mit den Erfolgen der ökonomischen Modernisierung und dem hervorragenden politischen Geschick der Athos-Regierung hingewiesen. Während es also in den Ländern des ostkirchlichen Raumes zu ökonomischen Krisen kommt (z.B. Griechenland), befindet sich der Athos in einer Wohlstandsphase. Diese Situation ist auf einige Umstände zurückzuführen. Vor allem liegt es daran, dass die Mönchsrepublik eine kleine Gemeinschaft ist, wo die Modernisierung einfacher durchzuführen ist, weil sie besser als die großen Gesellschaften organisiert ist. Infolgedessen können alle Prozesse einfacher gesteuert und kontrolliert werden. Darüber hinaus sind die Mönche zum Gehorsam gegenüber ihren Äbten und spirituellen Vätern verpflichtet, sodass alle Entscheidungen schnell und reibungslos umgesetzt werden. Alle diese Gründe trugen zum effektiven Ablauf der Modernisierung auf dem Athos bei, infolgedessen sich diese Prozesse besser durchsetzen konnten. Darüber hinaus wird in dieser Studie die Meinung vertreten, dass sich die Geschwindigkeit der Modernisierungsprozesse auf dem Athos genau aus diesen Aspekten ableitet. Gleichzeitig wird aber die Tatsache betont, dass die im dritten Kapitel definierten Charaktereigenschaften der christlich-orthodoxen Gesellschaften den Ablauf der Modernisierungsprozesse auf dem Athos nicht anders beeinflussen als die Entwicklungen in den „Mutterländern“. Die traditionellen gesellschaftlich-kulturellen Phänomene wie Kollektivität, Mystizismus und Traditionalismus spielen dieselbe – und zwar negative – Rolle bei der Modernisierung auf dem und außerhalb des Athos. Die schnelle und sehr weitgehende Durchsetzung dieses Prozesses im monastischen Kontext, die in dieser Studie eindeutig festgestellt wurde, ist also nicht auf eine andere Einstellung der Mönche gegenüber der Modernisierung zurückzuführen, sondern muss rein als Resultat deren guter Organisation und Gehorsam gesehen werden. Es muss auch betont werden, dass der Widerwille der Mönche gegenüber der Modernisierung, genauso wie außerhalb des Athos, sich vor allem auf die kulturellgesellschaftliche Ebene bezieht. Die wirtschaftliche und politische Ebene von Modernisierung sind in den beiden Umfeldern durch die Auswirkungen der Kollektivität und des Mystizismus nur wenig betroffen. Dieses Phänomen ist darauf zurückzuführen, dass der kulturell-gesellschaftliche Bereich resistenter gegen Veränderungen ist als die anderen Bereiche. Infolgedessen kann auf dem Athos von einer „partiellen Modernisierung“ die Rede sein. Behält man die empirischen Untersuchungen bezüglich des Athos im Blick, wird deutlich, dass der orthodoxe Antiokzidentalismus einer der stärksten Faktoren bleibt, die einen negativen Einfluss auf die Modernisierungsprozesse ausüben. Seine Rolle ist auf dem Athos immer noch bedeutend, was sich vor allem in der Einstellung der Mönche gegenüber nicht-orthodoxen Pilgern manifestiert, was aber auch bei dem Thema des Ökumenismus zum Vorschein kommt. In erster Linie ist also die kulturell-

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gesellschaftliche Ebene der Modernisierung durch den Einfluss des Antiokzidentalismus betroffen. Darüber hinaus verlor dieses Phänomen aber auch im wirtschaftlichen Bereich nicht an Bedeutung: Zwar lehnen nur zwei Klöster jegliche finanziellen Zuwendungen aus der EU aus dem Grund ab, dass das Geld von einer westlichen und dadurch gefährlichen Organisation stammt. Aber auch die anderen Klöster, die von den Zuwendungen profitieren, lassen es sich lieber von der Regierung in Athen zuteilen, sodass sie in keinem direkten Abhängigkeitsverhältnis stehen. Zuletzt muss noch betont werden, dass sich der Grad des Antiokzidentalismus von Kloster zu Kloster sehr unterscheidet. Dies sollte aber keine Überraschung darstellen, da, wie schon im dritten Kapitel bemerkt, die Dichotomisierung gegenüber dem Westen und aus dem Westen stammenden Prozessen eines der Merkmale von christlich-orthodoxen Gesellschaften ist. Diese Beobachtung gilt auch für den Athos. In diesem Zusammenhang lassen sich weitere Schlussfolgerungen ziehen. Wie an mehreren Stellen in dieser Studie unterstrichen wurde, sollten die Gemeinschaften auf dem Athos nicht als eine große Einheit gesehen werden. Dies sind sie weder im organisatorischen Sinne, denn jedes Kloster ist unabhängig, noch sind sie es, was Meinungen betrifft. In jedem Kloster muss also mit einer anderen Einstellung gegenüber verschiedenen Angelegenheiten gerechnet werden. So ist die Simonos PetrasGemeinschaft bereit, die nicht-orthodoxen Pilger während der Gottesdienste in die Kirche einzuladen, gleichzeitig lehnt diese Gemeinschaft aber Kontakte mit dem FoMA-Verein ab und kümmert sich selbst um den Zustand der Wanderwege. Es gibt zahlreiche ähnliche Beispiele. Deshalb wird in dieser Studie dezidiert auf die Unterschiede in den Meinungen zwischen den Gemeinschaften auf dem Athos hingewiesen. Diese Meinungsunterschiede beziehen sich vor allem auf die kulturellen Seiten des Lebens auf dem Athos, was wiederum zeigt, dass die Modernisierung auf der kulturell-gesellschaftlichen Ebene am schwierigsten durchzuführen ist. Tatsächlich wurde in dieser Studie angesprochen, dass die Veränderungen in diesem Bereich nur gering sind: Der Ökumenismus wird immer noch starker Kritik unterzogen, Antisemitismus ist auf dem Athos allgegenwärtig, die Mönche haben nach wie vor eine skeptische Einstellung gegenüber Bildung. Die kulturell-gesellschaftliche Ebene ist in ihrer Modernisierung mit Abstand am wenigsten fortgeschritten. Diese Tatsache ist nicht nur auf den monastischen Charakter des Athos zurückzuführen, sondern auch auf das christlich-orthodoxe Umfeld im Allgemeinen. Wie im dritten Kapitel gezeigt wurde, haben die kulturell-gesellschaftlichen Prozesse überall im ostkirchlichen Raum im Vergleich zu Prozessen auf den anderen Ebenen der Modernisierung verspätet begonnen. Dementsprechend können Parallelen im Ablauf der Modernisierung innerhalb und außerhalb des Athos gezogen werden – in beiden Gebieten ist ein großer Abstand zwischen der wirtschaftlichen und politischen Modernisierung auf der einen Seite und der kulturell-gesellschaftlichen auf der anderen zu sehen. Die Rückständigkeit der letzeren Ebene der Modernisierung ist also, wie William Ogburn schilderte, nicht untypisch. Aus diesem Grund muss hervorgehoben werden, dass das Konzept der partiellen Modernisierung bzw. des damit sehr eng verbundenen Theorems der verspäteten Modernisierung sehr gut der Realität auf dem Athos entspricht. Die in dieser Studie durchgeführten und beschriebenen empirischen Untersuchungen machen dies ganz deutlich. Es

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kann also die Schlussfolgerung gezogen werden, dass sich die Abläufe der Modernisierungsprozesse außerhalb und innerhalb des Athos in dieser Hinsicht sehr ähneln. Die Modernisierung auf dem Athos hat jedoch eine eigene Spezifik. Sie besteht darin, dass die Modernisierung nicht als ein Bruch mit der Tradition zu verstehen ist, sondern eher als eine Kontinuität. Dies wird durch zwei Punkte bestätigt. Zum einen lässt sich sagen, dass viele Aspekte der Modernisierung (z.B. Einführung von technologischen Neuerungen, Devotionalienverkauf, Kontakte zu verschiedenen politischen Akteuren, die Präsenz von Ausländern auf dem Athos, etc.) ein fester Bestandteil der athonistischen Geschichte sind und keine neuen Entwicklungen darstellen. Zum anderen muss gesagt werden, dass die Mönche ihre Tradition nicht herausfordern. Ganz im Gegenteil, sie liegt ihnen besonders am Herzen und sie sind stolz darauf, dass ihre traditionelle Lebensweise erhalten bleibt. Vater N. äußerte diesbezüglich in einem Interview, dass der Ablauf des Tages, das ständige Gebet, der Gehorsam gegenüber dem Abt und das Leben in Schlichtheit zum Kern des Lebens auf dem Athos gehören und dieser Kern sich im Laufe der Modernisierung nicht verändert hat.9 Dies ist jedoch nicht als ein Zeichen eines Misserfolgs der Modernisierung zu verstehen. Im Gegenteil, sie wird von den Mönchen als großer Erfolg der athonistischen Modernisierung betrachtet. Der eigentliche Erfolg spiegelt sich also nicht in der Tatsache wider, dass neue Technologien implementiert wurden oder die ökonomische Modernisierung gelang, sondern dass – was für die Mönche viel wichtiger ist – bei allen diesen Prozessen der Kern des Lebens auf dem Athos unberührt blieb. Dies ist ein Meisterstück der Modernisierung auf dem Athos.

9

Vgl. das Interview mit Vater N.

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9. Anhang 9.1. Fragenkatalog für Interviews – Der Leitfaden I. The monastic renewal on the Holy Mountain Athos a) Since the 1970s there are more monks on the Holy Mountain Athos – how does this affect the life in your monastery and the entire Athos? b) Are there more young or elderly monks in the monastery? c) Are there some troubles in the communication between the younger and the older monks? d) Was the shift from idiorythmic to cenobitic rule important in your opinion? II. Technological devices on Athos General a) How do you feel about modern technological devices on Athos? b) Do you think that the usage of technological devices can cause some problems? If yes, could you give some examples? c) Has the monastic life on Athos thanks to the technological devices become easier or more difficult? Electricity a) Is there electricity in your monastery? b) If yes, for what purposes is it used? c) When was electricity introduced to this monastery? d) How do you produce electricity here? e) Why was electricity introduced? Do you remember any discussions on this issue? Car traffic and opening up roads a) How do you feel about opening up roads on Athos? b) Why were the roads built? c) Does your monastery own cars? d) If yes, for what purposes are they used? Phones und cell phones a) What do you think about the usage of phones and cell phones on Athos? b) Do some monks have cell phones in this monastery? c) If yes, for what purposes are they used? Computers und the Internet a) Are there any computers in your monastery? b) If yes, for what purposes are they used? c) Who has access to those computers? d) When were they introduced to the monastery? e) Why were they introduced? f) Is there an Internet access here? g) If yes, for what purposes is it used? Are there any electric or gas stoves in the monastery?

298

Anhang

III. Economical modernization on Athos General a) Some monasteries have their own souvenir shops, there are a number of shops in Karyes and Dafni, some monks work as minibus drivers. What do you think about all these developments? “Monk-Taxi“ b) What is a “Monk-Taxi“? c) Is there a monk who works as a minibus driver in every monastery? d) Is the income from minibus taxis an important source of income for the monastery? Souvenir shops a) Is there a souvenir shop in this monastery? b) Where do the products for this shop come from? c) What do you think about the souvenir shop in this monastery? IV. Secular organizations General a) How would you describe the relations with secular organizations like the European Union or the UNESCO? b) What do you think about monasteries that foster these relations? c) Has your brotherhood developed contacts with these organizations? d) If yes, how do those contacts look like? What do they concern? e) Do you think that the inscription of Mt. Athos to the UNESCO World Heritage List has changed the Athonite monastic community? The European Union a) Does your monastery receive any financial support from the European Union? What do you think about this? b) If yes, how are these funds spent? c) Are there some fears or dangers connected with these funds? The Friends of Mount Athos a) Have you heard anything about the English organization „The Friends of Mount Athos“? b) Have you heard about the plans to open the old footpaths? c) If yes, what do you think about those actions? V. Pilgrims a) How do you feel about pilgrims who come to Athos? b) How many pilgrims visit the monastery yearly? c) Do you know how many foreigners visit the monastery? d) Do you think that the number of pilgrims should be reduced? e) Do you talk with western pilgrims? If yes, how often and what about? VI. The Ecumenical Movement a) How do you feel about the Ecumenical Movement?

Fragenkatalog für Interviews – Der Leitfaden

299

b) Should the Orthodox believers lead a dialogue on religious matters with others churches and denominations? c) What should be the aim of the Ecumenical Movement?

300

Anhang

9.2. Transkriptionsregeln In dieser Studie wird in Titeln von Büchern und Aufsätzen das monotonische System der Transkription vom Griechischen verwendet. Um Einheitlichkeit von Schreibweise zu gewährleisten gilt diese Regel auch für Titel, die ursprünglich in polytonischen gegeben waren. Die Zitaten und Interviews verwendeten Transkriptionsregeln und Abkürzungen richten sich mit kleinen Veränderungen nach den Vorgaben von Uwe Flick aus seinem Buch Qualitative Sozialforschung. Eine Einführung (Hamburg 2007). Sie setzen sich folgendermaßen zusammen: I:

Interviewer

IP:

Interviewpartner

(NAME)

Anonymisierung der Namen

Alle sprachlichen Fehler in den Aussagen der Befragten und des Interviewers wurden geglättet.

9.3. Interviewverzeichnis Alle Namen der interviewten Mönche wurden anonymisiert und als Initialen wiedergegeben. Die Interviews werden unten chronologisch aufgelistet. Vater M. – 09. März 2010, Vatopedi

Vater S. – 18. März 2010, Dochiariou

Vater Pl. – 11. März 2010, Stavronikita

Vater F. – 28. September 2010, Große Lavra

Vater Ma. – 12. März 2010, Simons Petras

Vater G. – 29. September 2010, Filotheou

Vater D. – 13. März 2010, Grigoriou

Vater N. – 29. September 2010, Karakallou

Vater Mo. – 14. März 2010, Dionysiou

Vater I. – 30. September 2010, Iviron

Vater P. – 15. März 2010, Hl. Paulus

Vater Ch. – 1. Oktober 2010, Kostamonitou

Vater Ps. – 16. März 2010, Nea Skiti

Vater Se. – 3. Oktober 2010, Esfigmenou

Exemplarisches Interview

301

9.4. Exemplarisches Interview Interview mit Vater P. am 15. März 2010 I:

Father (NAME), thank you for agreeing to speak with me on such a short notice.

IP:

You are welcome.

I:

As I said, my PhD thesis concerns the last twenty years and I would like to start by asking you about the spiritual revival on Holy Mount Athos, which took place during this time. What has specifically happened, ushering in so many new monks and such spiritual growth? Could you describe this evolutionary process?

IP:

I do not think it is a spiritual revival on Mount Athos itself. It is a spiritual revival in the world that leads these young people to come and seek a life which can also be called an angelic life. There seems to have been a spiritual revival throughout the world. People are looking for spirituality in their life. They are looking for hope. I think, like I have said, it happened on the mainland and did not happen here. This is just the place where people have been coming in order to experience this spiritual revival; to live it out. There is such a thirst in the world today for something true. Something that you can hold on to, you can believe in, and it is not going away or fluctuate as so many idealisms, beliefs and different kinds of trends that have happened.

I:

For me, this is something very puzzling, I thought that religion is in decline and spirituality is actually lessening in the world.

IP:

Well, I think that this somewhat led to it. Spirituality is falling in the world and those who have come here have seen it. At the same time, they have been thirsty for something that they can rely on. Because of the decline, this is the place where people come in order to get away from the world; to get out of that. This is the harbor during a storm in the sea of life, as we say.

I:

I understand. But I have seen a lot of modernity on Holy Mount Athos.

IP:

Yes.

I:

There are a lot of things: modern technology, cars, cell phones…

IP:

Exactly. Twenty years ago, we did not even have electricity.

I:

In this monastery you mean?

IP:

Yes.

I:

And what do you think of it?

IP:

You know, you find many of the young monks today, who have come because they have read a book on the history of Mount Athos, trying to go for that more strictly

302

Anhang envisioned life. However, what we find when we come here is that many of the fathers who had been here before us became tired of doing things over the years. Here, for instance electricity, at least we make our own. There are no electrical lines connecting us to the mainland. No phone lines, electrical lines, nothing.

I:

Do you have a water plant or solar panels?

IP:

We have a turbine, the water turbine. The water that you hear running outside of the monastery, we run with a turbine. I think only one month a year in the peak of the summer we have to run a diesel generator. It is a proper use of technology. It is not abusive. Still we keep the Internet away. We do use computers in the office and, I believe, that even if Saint John Chrysostom had had a laptop he would have written his eloquent homilies on that instead of ink and quill. This is the proper use of technology. Granted the automobile has made our life a little bit faster. We can go visit a monastery that we would not have usually gone to. In the early days, for the main feast, different monasteries and your neighbors would come and celebrate with you. In the early days of travelling by mule or even on foot, you could only go so far. So, here at (NAME DES KLOSTERS) we would only go as far as maybe Grigoriou for their feast. We would not have gone to Lavra or Vatopedi or some of those more distant monasteries. We would only go to our neighbors. But now we can go to those places in one day and back, and they have opened up the roads and everything. You also have to remember that at one time even mules were not here; everything on foot. When Saint Athanasios built Lavra in the 10th century, he instituted a foot path – a cobble-stone foot path that connected Lavra with Karyes. Karyes was an established skete at that time, in the centre, and there was a need for that connection. You can still find this cobble-stone path in large sections. It was very large. It was wide enough for two lay mules to pass. It had two-way traffic.

I:

But now the paths are being destroyed by the roads.

IP:

Some, but you can still find most of them. But yes, many of them have been lost. The roads follow old paths, so they made them wider and larger. Much of the reasoning behind that was fire prevention. In the old days, if you had a fire on Mount Athos you had to let it burn until you could get to it. Much of the region is still wild, inaccessible, so one of the ideas behind that was fire prevention.

I:

So that the fire could be extinguished?

IP:

So that the fire trucks can get to it. Moreover, fires do not jump roads that much. But yes, so that fire engines can get to it.

I:

Do you think that there is some danger connected with those modern technological devices?

IP:

There are. There are dangers. Many of the sections of road are very rough and you have to go very slow, which is good. But when you find a very nice section and you do not have good drivers, they can go very fast and that causes problems. You know, once again, it is the wrong use of any technology – the abuse of technology.

Exemplarisches Interview

303

I:

What about the spirituality of Orthodox Christianity? Is it against modern technology? What is your opinion on that?

IP:

No, it is not against it. It does take time instituting many things. It does take time to implement these things, if something new comes up; they put a great deal of study into it first. They look at the pros and the cons, like I said, we have refused to use the Internet because it has more cons than it has pros. You know, it is not that we are against technology, many times we just take a slower approach to it.

I:

You said you do have computers. What are they used for?

IP:

We use them in our office, for typing.

I:

Do you also publish books at the monastery?

IP:

No. Most of our publishing are our own liturgical books; having them bound. We really do not publish anything from the monastery itself.

I:

Another question I have is: do monks try to do social work? Do they try to spread the Orthodoxy’s mind around? Not only on Mount Athos, but in Greece and throughout the world?

IP:

You know, there are different types of monasteries, even on Mount Athos. There are monasteries for instance, one is I think in Rhodes, which is very missionary-minded. On Athos there is Grigoriou, which has done a lot of missionary work in Africa, Simonos Petras has done philanthropic work, and so has Vatopedi I think. Most of the monasteries are of the mind that Mount Athos is not for social work. They think, that we have come here for the solitude and, if the world wants to come to us for safe haven, for retreat, than we are here for them. Monasteries outside Athos are geared for missionary work. In comparison with the Catholic monasticism which has many different orders, we only have one order. At the same time we do not shut ourselves off, we also allow people to come and visit. There are, however Orthodox monasteries which have a missionary mindset.

I:

I know there are also two rules in Orthodox monasticism: the idiorhythmic is one and the cenobitic is the other. During the 1980s and 1990s all of the monasteries on Athos returned to the cenobitic rule.

IP:

Yes, all of the monasteries returned to the cenobitic rule. I believe Vatopedi was the last one that returned. This happened when the brotherhood dwindled down. They really could not keep it together. There are no idiorhythmic monasteries on Mount Athos anymore. I do not know if you will cover in your paper the different types of monastic life, from the monastery to the sketes, to the kelli, but there are, in practice, the sketes. There are cenobitic sketes and idiorhythmic sketes. The cenobitic skete would be Skete Timiou Prodromou outside of Lavra. It is called the skete but it is like a monastery; and the Serai outside of Karyes.

304

Anhang

I:

Saint Andrews?

IP:

Yes. Those are called sketes but they are cenobitic. Whereas New Skete, Skete Agia Anna and those places where there are different houses around the central church, all this is idiorhythmic.

I:

Do you think that returning to the cenobitc rule can be regarded as a sign of spiritual revival on Mount Athos. What do you think?

IP:

What is really hard is forming a brotherhood and being a brotherhood. We take the vow of poverty, we do not own anything. In the idiorhythmic brotherhoods everyone had their own property and had to take care of themselves, feed themselves and clothe themselves. In the monastery you give up everything. You do not own anything. It helps with spirituality. It helps not to have possessions and to be free of attachments.

I:

Okay. I will also describe in my PhD thesis how the brotherhoods from Mount Athos contact organizations like the European Union, UNESCO, or the Friends of Mount Athos. I know that those organizations have some contacts with the brotherhoods from Mount Athos. What do you think is the relationship between these two factions?

IP:

One, we have a system of government here in Karyes. I mean our Holy Community. Each monastery sends a representative to that body and we have contact with the European Union through that organization. I think it is a good thing because we need to stand our ground since I know that the European Union has been trying to attack certain aspects of our lives here.

I:

Like Avaton for example, like the ban on women.

IP:

Yes, that and the Byzantine rite of sanctuary – someone who commits a crime and comes here for repentance. We do not have an extradition treaty. Those are the two things, so we do have to have that contact because someone has to hear our voice. We do not send representatives and we are not connected as a part of the EU. We have our own agenda. If the EU comes and asks us questions, we can answer, but we are not to be a part of that.

I:

Does this monastery get any funds from the European Union?

IP:

I believe so, but I am not sure about that. My work is in the church, I rarely know anything about the office. I believe that there were funds at one time from the European Union but I am not sure. You would have to track that through their paper work. I know that we are within the Greek clause – the Greek membership of the European Union. Mount Athos is folded in as a clause and I believe there were some gifts from that.

I:

Okay.

IP:

But I have really no idea, so I cannot really answer yes or no.

Exemplarisches Interview

305

I:

Okay. I know that there have been a lot of new monks coming to Mount Athos since the 1970s and 1980s. I was wondering whether there were some fractions between the new monks who are usually more educated, have different points of view than the old monks who have been living here before the new ones came. Have you heard of something like that?

IP:

No. There might be some, but that is rare. When we came here, those of us who have been university educated, we came here not bringing all of that [education] with us. We came here to learn from these people. These people have lived the spiritual life longer than we have. That is what we came for. We did not come to bring our degrees here, we came to escape that and come here to learn the spiritual life from those who had been living that longer than we have. If we are asked anything – yes, we can give them information or answer, but we do not throw it in their face. They ask and we give it to them. This is my experience. Like I said, there are many instances like that. The newer monks want to go back to a harder life, to get away from the fast pace of life that was a kind of difficulty, but it has never really caused problems; because those of us who came here, came here to learn from the older ones. That’s it, and that’s part of being truly obedient – you do what they say. You trust that person, you trust your spiritual elder that he is not going to bring you any harm and you trust in that.

I:

And how many monks live right now in the monastery?

IP:

In (NAME) we have about 27.

I:

27? Is the majority young or old?

IP:

We have a very good mix of ages. We do not have anyone in an elderly hospital who needs care. Our abbot is eighty years old. He has been here the longest and so we have a very good mix from young to old.

I:

Is there also an international mix in the monastery?

IP:

Yes, we have monks from Romania, Moldavia, Russia, England, America and Greece. Yes.

I:

Do you think it is also a new issue, so many nationalities here on Athos? Was this always the case?

IP:

Oh no, it had always been like that.

I:

Well, I know that there were monasteries of particular orthodox nations.

IP:

Right, Chilandar was all Serbian, Zograf was all Bulgarian.

I:

And Russikon was always Russian.

306

Anhang

IP:

Right, but something that is new is that you will find an international mix in many other monasteries.

I:

And does this change the face of brotherhoods here on Mount Athos in some way?

IP:

No, it does not, because we all learn Greek and participate in that way. So it does not really change it – no. We come here to change ourselves, so we learn Greek to fit in with the program here.

I:

Okay. I know that there are a lot of pilgrims coming every year; a huge mass of pilgrims actually. What do you think about this? Does it disturb the monks, or is it good that so many people can come to the spiritual heart of Orthodoxy? What is your opinion on that?

IP:

It depends on the attitude they bring. If they come looking for spiritual retreat, than yes, but if they come just as tourists and come with a frivol attitude, it can do harm. Thank God many of the people that do come here, are coming here for retreat and to see Mount Athos and to experience the life.

I:

Coming back to technological devices. Do you think it would be possible to resign from using some of them?

IP:

No, no. I think that the worst is the cell phone. That would be difficult to get away from. Also, in the garden, having mechanical tillers or not – I think it would be very difficult to resign from many of them. One thing in the church that we do not have is electricity. We have one plug, but we use it very seldom. For lightning purposes we still use only candles and oil lamps so we are not dependent on the turbine and the generators to continue our services. I think that this place is the only place we do not depend upon technology. We are going to stick with those things that still work and you know, if there is a blackout, or if a generator goes down, we can still pray, we can still conduct the services. But yes, there are certain things that I think would be difficult to get away from.

I:

I have also read in some books about the so called “commercialization trends” of Athos. There are souvenir shops in Karyes and Dafni. Do you think it is an exaggeration in saying that Athos is becoming commercialized? Is something like this a danger to Mount Athos?

IP:

I think it is something dangerous because that leads to the touristy side of people visiting and is not good for the monks to be engaged in commerce and trade. It is one thing for them to produce items, but to be merchants is really not for the monastic.

I:

Is there a souvenir shop in this monastery?

IP:

We do have one. We have just opened it this year.

I:

How does it work?

Exemplarisches Interview

307

IP:

Many of the products are from our sketes which helps them stay alive – so that is one good thing. We are a central place for the Romanian skete and the New Skete. When they make a product we can sell it for them, because they are somewhat inaccessible. The monastery is far more accessible.

I:

What sketes do you have in mind: Timiou Prodromou, and?

IP:

There is the New Skete, which is right before Skete Agia Anna. Up and over the mountain down in the ravine is the Skete Dimitrios, Agios Dimitirios, it is all Romanian.

I:

And do both sketes belong to monastery?

IP:

Yes, both sketes belong to (NAME DES KLOSTERS), yes.

I:

Okay. I do not have any more questions, so thank you very much for our conversation. Is there anything you would like to add? Something that I should have asked about, or that I might have missed? Some important issues on the last twenty years and what has happened here? What do you think is of particular importance in which I should include in my PhD research.

IP:

Nothing, I think you covered everything. I think those were all the main topics.

I:

Thank you very much father (NAME).

Erfurter Studien zur Kulturgeschichte des Orthodoxen Christentums Herausgegeben von Vasilios N. Makrides

Band

1

Vasilios N. Makrides (Hrsg.): Religion, Staat und Konfliktkonstellationen im orthodoxen Ost- und Südosteuropa. Vergleichende Perspektiven. 2005.

Band

2

Klaus Buchenau: Kämpfende Kirchen. Jugoslawiens religiöse Hypothek. 2006.

Band

3

Angelos Giannakopoulos: Tradition und Moderne in Griechenland. Konfliktfelder in Religion, Politik und Kultur. 2007.

Band

4

Kristina Stoeckl: Community after Totalitarianism. The Russian Orthodox Intellectual Tradition and the Philosophical Discourse of Political Modernity. 2008.

Band

5

Nicolai Staab: Rumänische Kultur, Orthodoxie und der Westen. Der Diskurs um die nationale Identität in Rumänien aus der Zwischenkriegszeit. 2011.

Band

6

Sebastian Rimestad: The Challenges of Modernity to the Orthodox Church in Estonia and Latvia (1917-1940). 2012.

Band

7

ukasz Fajfer: Modernisierung im orthodox-christlichen Kontext. Der Heilige Berg Athos und die Herausforderungen der Modernisierungsprozesse seit 1988. 2013.

www.peterlang.de