Mittler und Meister: Aufsätze und Studien [Reprint 2019 ed.] 9783486776409, 9783486776393

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Mittler und Meister: Aufsätze und Studien [Reprint 2019 ed.]
 9783486776409, 9783486776393

Table of contents :
INHALT
Wilhelm von Humboldt
Jacob Burckhardt
Gustav Freytag
Hermann Hettner
Herman Grimm
Georg Dehio
Eberhard Gothein
Alfred Lichtwark
Richard Muther
Heinrich Wölfflin
Ludwig Speidel
Josef Hofmillers Briefe
Arnold Böcklin
Franz von Defregger
Hans Makart
Michael von Munkacsy
Wilhelm Leibi
Wilhelm Trübner
Max Liebermann
Slevogts Faustillustrationen
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MITTLER UND MEISTER

A u f s ä t z e und

Studien

von HERMANN

UHDE-BERNAyS

19 4 8 L E I B N I Z VERLAG M Ü N C H E N ( B I S H E R R. O L D E N B O U R G V E R L A G )

Copyright 1948 by Leibniz Verlag (bisher R . Oldenbourg Verlag) München. Veröffentlicht unter der Zulassungsnummer US-E-179 der Nachrichtenkontrolle der Militärregierung (Dr. Manfred Schröter und Dr. Rudolf C. Oldenbourg). Umschlagentwurf von der Offizin Haag-Drugulin, Leipzig. Auflage 3000. Satz und Druck : Fränkische Landeszeitung, Ansbach

INHALT Seite

Wilhelm von Humboldt

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Jacob Burckhardt

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Gustav Frey tag

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Hermann Hettner

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Herman Grimm

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Georg Dehio

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Eberhard Gothein

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Alfred Lichtwark

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Richard Muther

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Heinrich Wölfflin

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Ludwig Speidel

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Josef Hofmillers Briefe

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Arnold Böcklin

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Franz von Defregger

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Hans Makart

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Michael von Munkacsy

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Wilhelm Leibi

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Wilhelm Trübner

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Max Liebermann

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Slevogts Faustillustrationen

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„ Wenn man der Welt etwas Brauchbares hinterlassen will, so müssen es Konfessionen sein, man muß sich als Individuum hinstellen, wie man's denkt, wie man's meint, und die Folgenden mögen sich heraussuchen, luas ihnen gemäß ist und was im allgemeinen gültig sein mag." Goethe.

WILHELM VON HUMBOLDT „Von

den Worten Homers vernimm auch dies

Und beachte es: ein edler Bote, sagt er, verleiht Großes Gewicht jeglichem

Ding.

Auch die Muse gewinnt durch richtige Pindar (Humboldts

Botschaft"

Übersetzung).

D e r Nachruhm Wilhelm von Humboldts hat im wesentlichen in der ungeheueren Auswirkung bestanden, durch die alle von ihm übernommenen, auf die Entwicklung der deutschen

Wissenschaft

gerichteten,

einheitlich

ge-

schlossenen Ideen auf eine lange Dauer dem geistigen Leben der Nation das charakterisierende Kennzeichen gegeben haben. Die heutigen Menschen, welche recht überheblich die wechselvolle Bewegung und die vielseitigen Kraftströme des 19. Jahrhunderts in sich aufgenommen zu haben glauben, vermögen bei näherer Betrachtung kaum mehr den Reichtum der weitgespannten, von Humboldt in ständiger Gemeinschaft mit unseren Klassikern erforschten Gedankenwelt zu fassen und in eine richtige Distanz zu bringen. Allzuviel von dieser kostbaren Erbschaft ist verschleudert worden, um ohne weiteres zu erlauben, ferne von Gefahr die Höhenwege einer reinen und beglückenden Humanität zu begehen. Was durch die Verbindung der Veranlagung und der Einsicht, die Humboldt gewährt war, und durch seine Befähigung, sie organisatorisch, genau in dem von der Geschichte bestimmten Augenblick, gleich einer hilfreichen T a t in die Wirklichkeit umzusetzen, für die Herstellung und Pflege eines ausgezeichneten

kulturellen

Nährbodens geschah, hat ihm drei Generationen selbständigen deutschen Forschertums dankbar verpflichtet. Wenn ihnen Begriffe wie „allgemeine Bildung" und „ a k a demische Freiheit" Höheres bedeuteten als propagandistische Phrasen, zu einem begeisterungsfreudigen Vor-

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recht der deutschen Jugend wurden, ein festes Band um die Dozenten und Studenten an den Hochschulen schlangen und außerdem noch ein unabhängiges Gelehrtengeschlecht heranwachsen ließen, ist dieser Erfolg vor allem sein Verdienst. Denn bei der Begründung der Universität Berlin bekannte er sich ohne Einschränkung zu der idealistischen Gesinnung Schillers und Goethes, indem er die Macht des freiheitlichen Wachstumes für die Erziehung, unabhängig von der staatlichen Gewalt, anstrebte und für sein Volk nutzen wollte. Als er dann, mit befruchtendem Beispiel vorausgehend, durch die Klarheit seines erkennenden Verstandes, namentlich durch die Methode seiner Abhandlungen auf viele, sogar auf entfernte Gebiete die eigentümliche Gestaltung seiner Arbeitsweise übertrug, zeigte er die Bahn, in der sich bis zum ersten Weltkriege und vielleicht noch ein Jahrzehnt nachher die Größe der geistigen Bedürfnisse und der geistigen Tätigkeit in Deutschland würdig und vorbildlich bewährte. Ein Preuße und ein Deutscher wie sein Vorgänger Herder, ein Preuße und ein Hellene wie sein nächster Ahnherr Winckelmann, suchte Humboldt den Kanon der Antike mit dem strengen Gesetz seiner Abstammung zu verknüpfen. Auch ist er nicht mit Unrecht „der stille Gesellschafter" der Klassiker genannt worden. In seinerNatur,derdas Schöpferische mangelte, war nicht gelegen, durch hohe Werke als Dichter zu überzeugen. Dafür besaß er als ein vortrefflicher Dolmetscher die Gabe der Einfühlung in fremde Vorzüge, die er feinsinnig, ein Meister der Kritik, auszulegen und zu erklären wußte. Seine Persönlichkeit, deren Wert darin bestand, daß sie niemals in Abhängigkeit herabglitt, und ihre aristokratische Gelassenheit verschafften ihm die vermittelnde Stellung. E r hat zwischen Potsdam und Weimar, aber auch zwischen Preußentum und Griechentum die beste und sicherste Brücke geschlagen, über die seine Nachfolger erhobenen Hauptes gezogen sind. Im gleichen Jahre 1767, das Winckelmann die Ent10

täuschung brachte, nicht nach Deutschland zurückkehren zu können, in dem auch Lessings Minna von Barnhelm auf die Bühne gelangte, wurde am 22. Juni Wilhelm von Humboldt in Potsdam geboren. Aufs schönste ergänzten sich in den Eigenschaften des Knaben die ihm von seinem Vater, Kammerherrn und Major, einem Abkommen aus angesehener preußischer Beamtenfamilie, und von der aus altem burgundischem Hugenottengeschlecht stammenden Mutter vererbten Anlagen. Man hat versucht, zwischen Wilhelm und seinem um zwei Jahre jüngeren Bruder Alexander, dem berühmten Naturforscher, diese Erbschaft zu teilen und für Wilhelm das Überwiegen der väterlichen, für Alexander der mütterlichen Gaben anzunehmen, obwohl den Brüdern gerade die Mischung, die sich nicht immer gleichblieb, ungewöhnliche Vorteile gebracht hat. Während Alexander leidenschaftlicher, offener, gewandter auftrat als Wilhelm, hat auch dieser trotz angeblich kühler Zurückhaltung die Stürme eines heftigen Temperaments gekannt und bestanden. Wie beide in einer wundervollen Weise als Forscher zusammengehören, reichen sie sich als Menschen und Charaktere die Hand. Und wenn Goethe von Alexander sagte, daiß er einem Brunnen mit vielen Röhren gleiche, dürfen wir Wilhelm als ein Gefäß bezeichnen, welches in fortdauernder Bereitschaft des Auffangens und Bewahrens verblieb. Die heranwachsenden Jünglinge erhielten die übliche Ausbildung der Angehörigen des preußischen Adels, deren Laufbahn im Dienste des Staates vorgezeichnet war. Weit mehr als der übermütige Alexander wurde Wilhelm von der Lehre der in fortschrittlichen Kreisen Berlins gepredigten Aufklärungsphilosophie angezogen. Seine höchst egozentrischen Neigungen erhoben sich an einem gemäßigten Rationalismus, der sich in heißer Sehnsucht nach Liebe und Lebensgenuß verzehrte und in öfters wiederkehrenden Stadien krankhaft nervöser

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Selbstbeobachtung weltschmerzliche Empfindungen auslöste. Diese Werther-Stimmungen zu ernsten Grundsätzen umzuwandeln, aus der Erkenntnis der in seinem Innern herrschenden Mächte den zutreffenden Lebensinhalt zu gewinnen und die einzelnen Elemente seiner körperlichen und geistigen Existenz zu sammeln und auszunutzen, einstweilen nur für eine möglichst große eigene Bereicherung — so hat der Zwanzigjährige die Aufgabe seines Daseins wahrgenommen. Nun treffen drei Beeinflussungen zusammen, die sich Humboldts Ideenwelt einordnen, um sie in bestimmter Richtimg ihrem Ziele entgegenzuleiten: Friedrich August Wolfs Unterweisung im Studium der antiken Geschichte und Dichtung, die Bekanntschaft mit der Philosophie Kants und die Heirat mit Caroline von Dacheröden. Ein längerer Aufenthalt an der Universität Göttingen und mehrere Reisen nach Paris und der Schweiz waren vorhergegangen. Der Ehemann zog sich zu „fortgesetzter Selbstbildung" auf ein Landgut zurück, wo er seine erste nur in Bruchstücken veröffentlichte, viel später vollständig gedruckte Schrift: „Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen" verfaßte. Diese trat in einer empörten Abkehr von der unter Friedrich Wilhelm II. rasch zunehmenden Erstarrung des friderizianischen Staatswesens in Abhängigkeit von Rousseau und Kant der Willkür entgegen, die in Preußen vor allem auf kulturellem und religiösem Gebiet Schaden anrichtete. Von den reformatorischen Plänen des Mainzer Coadjutors Dalberg gewonnen und erst auf dessen Wunsch zur ausführlichen Niederschrift entschlossen, hatte sich Humboldt von der amerikanischen Verfassung und der soeben beginnenden Französischen Revolution her politische Überzeugungen gebildet und zu äußern unternommen, deren liberale und weltbürgerliche Tendenz jeden Absolutismus und jede Bürokratie ablehnte und selbst den besten Staat nur in der Form eines Notstaates anzuerkennen gewillt war. Ein har12

monisches Menschentum wurde in schwelgerischerSchönheit vorgestellt, am Beispiel der Antike, nicht durchaus mit Recht, die Theorie der Freiheit und des Individualismus als höchste Forderung sowohl der sittlichen wie der gesellschaftlichen Ordnung gerühmt. Ein Idealstaat stand dem jugendlichen Humboldt vor Augen, dessen Verwirklichung nachher dem gealterten Minister unmöglich erschien, ihm aber als sinnendem Greise wieder freundlich zuzuwinken niemals aufgehört hat. Kurz nach dem Ende der Revolution von 1848 wurde diese programmatische Abhandlung, fast zwanzig Jahre nach Humboldts Tode, dem deutschen Publikum bekannt. Sie fand nur einen bescheidenen Widerhall. In Frankreich und England erregte sie jedoch großes Aufsehen. John Stuart Mill erläuterte im „Essay on liberty" seinen Landsleuten, die ihm voller Begeisterung zustimmten, die Anschauungen des deutschen Geschichtsphilosophen. Hierauf ergriff der Leipziger Privatdozent Heinrich von Treitschke die Feder, um mit einer Schrift unter dem gleichen Titel „Die Freiheit" die seither veränderte Lage in Deutschland darzustellen und seinen ersten Abschnitt folgendermaßen zu schließen: „Jener Staat ist der sittlichste, der die Kräfte der Bürger zu den meisten gemeinnützigen Werken vereinigt und dennoch einen jeden unberührt vom Zwange des Staates und der öffentlichen Meinung aufrecht und selbständig seiner persönlichen Ausbildung nachgehen läßt." In diesem Sinne nahm auch er, obwohl er die Definition des Staates als Gegners der Freiheit nicht anerkannte, Humboldts Worte über die allseitige Ausbildung der Persönlichkeit freudig an und begründete damit aufs neue den Anspruch des Menschen auf unbedingte Freiheit im freien Staate. Aber diese Wendung wurde im Anschluß an Hegel von dem nachmaligen ersten Historiker des neuen Deutschen Reiches nicht mehr eingehalten. Unter der Vorherrschaft eines anders gearteten Preußentums gerieten Humboldts Mahnungen in Vergessenheit.

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Wenn Humboldt auch zugeben durfte, bei seiner Arbeit dem eigenen Willen und nicht der Rücksicht auf die Allgemeinheit gefolgt zu sein, hatte er doch mit ihr schon die Annäherung an Schiller und Goethe erreicht. Dadurch erhielt seine Tätigkeit eine größere Ausbreitung und Selbständigkeit und trotz immerfort „brütender" Selbstprüfungen eine seiner Natur zusagende Ausfüllung seines Daseins. Für drei Jahre (Februar 1 7 9 4 bis Juli 1795, Herbst 1 7 9 5 bis Frühjahr 1797) übersiedelte er mit seiner Familie nach Jena. Wohl war Schiller der ihm bei weitem überlegene Geist, doch steigerte sich sein philosophischer Eifer im Gespräche mit dem redegewaltigen Freunde, dessen „seltene Totalität" er bei der Vollendung seiner Aufsätze ausnutzte. Auch Humboldt fand Lust an wissenschaftlicher Arbeit und Achtung vor ihr. In Schillers „Hören" erschienen die Abhandlungen „Über Geschlechtsunterschied" und „Über männliche und weibliche Form", in welchen ästhetische und anthropologische Untersuchungen durch die These „der Ausdruck strengerer Willensherrschaft wird in der männlichen Bildung mehr Bestimmtheit der Formen erzeugen, der Ausdruck größerer Naturfreiheit in der weiblichen mehr die Stetigkeit des Stoffes unterstützen" eine konkrete Formel empfingen. Aus seiner Sehnsucht und seiner Genußliebe hat sich hier Humboldts Reflexion bereits ganz dem Bezirk der Idee zugewandt, Folge des Umganges mit dem Dichterpaare und Folge der glücklichen Ehe mit Caroline, der „angebeteten L i " . Seine sittliche Haltung beginnt, wie einst durch die Französische Revolution, durch den Einfluß Schillers und Goethes die entscheidende ethische Bedeutung anzunehmen. Die Krankheit und der Tod der Mutter führten das Ende einer Episode herbei, die für alle Beteiligten bedenklich zu werden drohte. Der äußere Anlaß zur Trennung kam Humboldt vielleicht nicht ungelegen. An der Seite der beiden großen Männer hatte ihn oft eine Ver14

Stimmung, ein Gefühl der Minderwertigkeit bedrückt. Der Neid, die unerfreulichste Mitgift seines Charakters, mußte sich regen, als der Dichter des „Wallenstein" schonungslos seinen Beiträgen Trockenheit vorwarf, die Unfähigkeit, „die Leser festzuhalten", und ihn nur unter die autores nobiles einreihte. Wenn er es sich auch nicht zugestehen wollte, Verbitterung und Zweifel nagten an ihm, und so erklärt sich die Unrast, die ihn in einer Art Flucht vor sich selbst in eine lange Periode der Wanderschaft trieb, deren Notwendigkeit er entschuldigend betonte. Der Kriegsgefahr wegen wurde in Wien der Plan eines längeren Aufenthaltes in Italien aufgegeben. Über die Schweiz ging Humboldt nach Paris, wo er linguistische Studien trieb und die Übertragungen griechischer Dichter fortsetzte. Im Herbst 1799 unternahm er die längst vorgesehene Wanderschaft nach Spanien, deren Ergebnis zunächst in einem „ossianischen" Verhältnis zu der Natur sich zeigte. Eine Schilderung des Montserrat fand Goethes höchsten Beifall. Außerdem wurde der aufmerksame Reisende zu einer eindringlichen Bekanntschaft mit der Sprache der Basken geführt, deren altertümlicher Bau ihn fesselte und zu vergleichenden Untersuchungen anregte. Er erkannte, eine Arbeit gefunden zu haben, der „seine Schultern vielleicht gewachsen sein können". Der glückliche Zufall, der ihn nach Spanien, dann erst nach Italien geleitete, ist für Humboldts systematisch ausgebildetes Lernbedürfnis von Wichtigkeit gewesen. Er stand den Eindrücken Roms unbefangen gegenüber. Als er im Herbst 1802 zum preußischen Residenten am Vatikan ernannt worden war, schloß sich der weite Ring seiner Ausbildung in einer musterhaften Prägung. Rom „tat ihm wohl". Dank seiner Stellung, seinem Vermögen, seiner gesellschaftlichen Gewandtheit, seinen Erfahrungen und Interessen hat dieser Aufenthalt ihn und den großen Kreis von Künstlern und Gelehrten aus allen Ländern, in deren Mitte er stand, in eine kulturelle Ge15

sittung emporgetragen, wie sie seither nur selten mehr erreicht worden ist. Rom bestätigte und Rom beruhigte. Unangefochten von religiöser Erregung, wie sie andere Deutsche empfanden, lebte dieser „große Heide" in dem beseligten Bewußtsein einer freien antikischen Anschauung des Schönen. Auch erlaubte ihm ein kühner Flug der Phantasie, über dem alten das moderne Rom zu vergessen, und an Goethe jenen kostbaren Brief zu schreiben, der nachher in dessen „Winckelmann" Aufnahme gefunden hat und mit den Worten schließt: „Nur wenn um Rom eine so himmlische Wüstenei ist, bleibt für die Schatten Platz, deren einer mehr wert ist, als dies ganze Geschlecht." Ferne rückte ihm die Gegenwart, ferne der Wunsch eines Zusammenseins mit den Freunden in Weimar. Aber Schiller, dessen Tod er schmerzlich beklagte, hatte ihn prophetisch gemahnt: „Der deutsche Geist sitzt Ihnen zu tief, als daß Sie irgendwo aufhören könnten, deutsch zu empfinden und zu denken." So traf ihn der Ruf des Vaterlandes. Die Nachricht des Tilsiter Friedens ließ die Möglichkeit zu, daß Humboldts Posten aufgehoben würde. Bedrängnisse der eigenen Wirtschaft und des Schwiegervaters veranlaßten die Rückkehr nach der Heimat, wo er die Ernennung zum Leiter der Sektion für Kultus und Unterricht im preußischen Innenministerium empfing (Januar 1809). An die Stelle des Philosophen trat der Staatsmann, der genießende Epikureer mußte dem Patrioten weichen, der den Vorschriften Schillers getreu nur die letzte Folgerung seines ästhetischen Glaubensbekenntnisses zog, in dem er erklärt hatte: „Dieselben Vorzüge, die den Griechen zum großen Menschen machten, machten ihn auch zum großen Staatsmanne; so fuhr er, indem er an den öffentlichen Geschäften teilnahm, nur fort, sich selbst höher auszubilden." Also wurde endlich, zum allgemeinen Erstaunen, der vorgebliche Theoretiker und Büchermensch unter dem harten Druck der Not ein aus16

gezeichneter Mann der Praxis und ein pflichtgetreuer Beamter, ein Organisator von großem moralischem und idealem Einfluß, dessen heiliger Ernst die Gefahr durch die erweckten geistigen Kräfte seines Volkes beschwor. Neben den Freiherrn vom Stein stellt sich Humboldts Persönlichkeit, die gleichwohl weder ihre antikische noch ihre künstlerische Haltung aufgab. Für die Universität war von Fichte ein starres einzwängendes Programm entworfen worden. Im Gegensatz zu seinen Forderungen gestattete Humboldts liberaler Humanismus die unbehinderte Freizügigkeit der Studenten. E r stellte seiner eigenen Ausbildung gemäß die neue Hochschule vor die doppelte Verpflichtung des Lehrens und des Forschens, womit er die überlebte Form der alten akademischen Universität des 18. Jahrhunderts zerschlug. Jede Bevormundung der Jugend durch eine Disziplinarordnung wurde energisch von ihm abgelehnt und mit kluger Ahnung künftiger Nachteile die sofortige Aufhebung der Kadettenhäuser beantragt. Viele Neuerungen und Pläne zur Besserung der Erziehung auf allen Gebieten des Universitätswesens trug er im Kopfe, die sich schon der Finanzlage des Staates wegen nicht verwirklichen ließen. Von allen Seiten gehemmt, bat er um seine Versetzung als Gesandter nach Wien, bereits nach fünf Vierteljahren einer ersprießlichen Wirksamkeit. Hier galt es abzuwarten, bis die Zeit reif geworden war, um die Waffen gegen Napoleon zu erheben. In scheinbarer Muße bereitete Humboldt das preußischösterreichische Bündnis vor. Als nach dem russischen Feldzuge der Befreiungskampf begann, ergriff sogar ihn die allgemeine Begeisterung. Der Ungeduldige trug Sorge vor einem faulen Frieden, während er auf dem Prager Kongreß weilte. Als Kaiser Franz und Metternich gegen Napoleon sich entschieden hatten, stürzte er auf den Hradschin, um die Flammenzeichen aufleuchten zu lassen, welche die Wiederaufnahme der Feindseligkeiten verkündeten. Nach der Leipziger Schlacht folgte er im 2

U h d e - B e r n a y s , M i t t l e r und Meister

LJ

Hauptquartier den Ereignissen und nahm an den Pariser Verhandlungen teil. Eine größere diplomatische Aufgabe bot sich ihm jedoch erst auf dem Wiener Kongreß. Humboldt wurde mit der Abfassung von mehreren Denkschriften betraut, worin er mit klarem Blick, aber überscharfem Gedankengange, die preußischen Entschädigungsansprüche und die künftigen Rechte und Grenzen der einzelnen Staaten Deutschlands behandelt hat. Dann entwarf er eine vielbesprochene Note über die Verfassung, in der bereits die Frage der Übernahme der Kaiserwürde durch Preußen unter Zurückweisung Österreichs in seine natürliche Interessensphäre aufgeworfen wird. Aber mit dem Staatskanzler Hardenberg unterlag auch diesmal Humboldt allzu vertrauensselig den Ränken geschickterer Gegner, Metternichs und Talleyrands. Unglücklich war er auch bei den zweiten Friedensverhandlungen in Paris. Sein deutscher Idealismus, in warmherzigen Briefen ausströmend, vergaß, daß bei der gegenseitigen Eifersucht der Großmächte sein Ziel, ein starkes und freies Deutsches Reich unter Preußens Vorherrschaft, das sich gegen jeden Feind verteidigen könne, in einer unerreichbaren Ferne lag. Mit ernster Trauer sah er Elsaß und Lothringen zu Frankreich zurückkehren. Wie Arndt und Stein, Blücher und Gneisenau erwartete er schlimme Zeiten. Sein Eifer wurde in Berlin unbequem, und so entstand zwischen seinen freiheitlichen innerpolitischen Zukunftsträumen und Hardenbergs konservativ-reaktionärer Verwaltungspolitik eine Spannung. Humboldt wurde auf den Gesandtenposten nach London versetzt, dann zu der 1 8 1 6 in Frankfurt eröffneten Bundesversammlung abgeordnet. Der offene Streit zwischen beiden Rivalen brach indessen erst aus, als Humboldt, endlich doch zum Minister berufen, volle Selbständigkeit forderte. Nach Einführung der „schändlichen und unnationalen" Karlsbader Beschlüsse als letzte Hoffnung aller deutschen Liberalen bei Hofe verdächtig, mußte er für seinen freimütigen Widerspruch 18

dem Einfluß Hardenbergs auf Friedrich Wilhelm III. weichen. Seine Laufbahn als Staatsmann, deren innere Voraussetzungen er besaß, während ihm die äußerlichen künstlichen Erfordernisse fehlten, war beendet. Er klagte, nicht der Schöpfer der preußischen Verfassung zu sein. Schinkel, gleichfalls ein preußischer Hellene, der in seinem „geläuterten Schönheitssinn" Humboldt verwandt war, baut ihm das griechische Haus im Schloßpark von Tegel. In unaufhörlicher Arbeit verrinnen die Tage und Jahre. Den Sechzigern nahe erlernt Humboldt noch Sanskrit und Chinesisch; nach dem Studium amerikanischer Dialekte, auf die ihn der Bruder geleitet, folgt das Indische, wo er aus der Sprache der Kawi auf Java den gesamten Archipel linguistisch und ethnographisch aufzuteilen gewillt war. Die Einleitung dieses unvollendeten Werkes enthält die Summe aller Weisheit seiner Forschung in lichtvollen, tiefdurchdachten, erklärenden Ausführungen, welche das Werden der Menschheit aus den Gesetzen der Sprachbildung erkennt, vielleicht die reichste Offenbarung seines Denkvermögens und zudem, auch in der schwebenden Vollendung der Darstellung, eine der edelsten Leistungen der deutschen Wissenschaft. Gelegentliche Stunden der Muße gelten einem pathetischen Briefwechsel, aus dem uns kostbare Dokumente liebevoller Menschlichkeit erhalten sind, vor allem in den „Briefen an eine Freundin", die zu den Lieblingsbüchern deutscher Frauen gehören. Wie einst mit Henriette Herz führte er mit Rahel Varnhagen eine scherzhafte Korrespondenz auf hebräisch, was bei der Enthüllung der beiden Standbilder Wilhelms und Alexanders vor der Berliner Universität den Festredner Emil Dubois-Reymond veranlaßte, auf die vorbildliche Gesinnung der in der Berliner jüdischen Gesellschaft gerne verkehrenden Brüder nachdrücklich hinzuweisen. In seinen Anmerkungen zu der gesetzlichen Konstitution zur Gleichberechtigung der Juden hatte 19

Wilhelm, von Vorurteilen völlig frei, sich dahin ausgesprochen, daß „der Staat die inhumane Denkungsart aufheben soll, die einen Menschen nicht nach seinen eigentümlichen Eigenschaften, sondern nach seiner Abstammung und Religion beurteilt, und ihn, gegen allen wahren Begriff von Menschenwürde, nicht wie ein Individuum, sondern wie zu einer Rasse gehörig und gewisse Eigenschaften gleichsam notwendig mit ihr teilend ansieht, was der Staat nur kann, indem er laut und deutlich erklärt, daß er keinen Unterschied zwischen Juden und Christen mehr anerkennt". Im Alter und in den Pausen der Arbeit liebte er sorgfältig gefeilte und geschliffene Sonette in großer Anzahl nahen und fernen Verehrern und Verehrerinnen zu senden. Man hat sie ,,musikalische Epigramme" genannt und mit griechischen und indischen Vorlagen verglichen. Weitab von den Anschauungen Hegels wieder zu Kant zurück wandten sich Betrachtungen über Goethe und die Einleitung für die Herausgabe seines Briefwechsels mit Schiller. Also in sanfter Harmonie ist ein Leben verklungen, das „vor dem Dahingehen zur wahren Klarheit des in Ideen Erstrebten" vorgedrungen war. Am 8. April 1835 starb Wilhelm von Humboldt. Von dem Garten in Tegel wendet sich die Erinnerung um ein halbes Jahrhundert rückwärts zu der Terrasse von Sanssouci. In diesen beiden Polen hängt eine Welt, eine wirkliche, in ihrer Erdschwere völlig reale Welt, preußisch die Achse, deutsch Fläche und Substanz, europäisch die umgebende Schicht der Atmosphäre. Im Ausschwingen dieser Welt nahm sich das 19. Jahrhundert Gewicht und gestaltende Kraft: wie die Verwirklichung der Reichsgründung die Taten Friedrichs des Großen abschloß, ruhte sie zugleich auf den Idealen, auf die, vernehmlicher als Goethe, Humboldt als Wortführer der Nation gewiesen hatte. Humboldt, der Diener des Staates und der Wissenschaft, hat sich eingesetzt für die individuelle, unbeschränkte Freiheit des begabten 20

Menschen und der Forschung: „Mir heißt", so spricht er zu ras, „ins Große und Ganze wirken, auf den Charakter der Menschen wirken, und darauf wirkt jeder, sobald er auf sich und bloß auf sich wirkt. M a n h a b e n u r v i e l z u g e b e n , so werden die Menschen es genießen, und der Genuß wird Vater neuer Kraft sein. Der wahrhaft große Mann wirkt schon dadurch allein mehr als alle anderen, daß ein solcher Mann einmal unter den Menschen ist oder gewesen ist." In diesem Zeichen stand, die Ideen Humboldts ganz aufnehmend und ausbildend, der geistige Fortschritt eines durch ungeheuere Erfolge gesegneten Jahrhunderts. Humboldts Namen hallt durch die deutschen Lande mit der nämlichen Betonung, mit der Voltaires Namen in Frankreich genannt wird. Gewiß: wie die Schriften Voltaires werden auch Humboldts Werke wenig mehr gelesen, aber ihr Geist ist Gemeingut aller geworden. Wir reden immer wieder von der Sehnsucht des nordischen Menschen nach dem Süden. Hier steht einer vor uns, der den Süden wahrlich gekannt und geliebt hat wie wenige und der in der schwersten Stunde seines Lebens, nach seiner Entlassung, dennoch niederschrieb: „Nie gibt es ein Vaterland, dem man lieber angehören möchte, als Deutschland."

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JACOB BURCKHARDT „Es gibt neben dem blinden Lobpreisen der Heimat eine ganz andere und schwerere Pflicht, sich auszubilden zum erkennenden Menschen, dem die Wahrheit und die Verwandtschaft mit allem Geistigen über alles geht." Burckhardt.

A i s der hundertste Geburtstag Jacob Burckhardts kurz nach der Beendigung des Krieges mit einer Teilnahme begangen wurde, die der zu seinen Lebzeiten in der Stille seiner Heimatstadt Basel vor jedem Lärm der Außenwelt ängstlich zurückschreckende große Kulturhistoriker niemals erwartet hätte und vor der er in schmerzlichem Erstaunen nach seiner Gewohnheit in seine einsame Arbeitsstube geflüchtet wäre, läuteten seinem Gedächtnis die Festglocken höchsten Ruhmes. Seine prophetische Gestalt stieg mahnend, der von seinem Seherblick sorgenvoll vorausgeahnten veränderten Welt ein unerbittlicher Richter, vor den Augen der Menschen auf, die von den Furien des Krieges und den Gespenstern der Revolution in ihrem Inneren aufgepeitscht und innerlich vernichtet worden waren. Die Weissagungen, die er ausgesprochen hatte, seine pessimistischen Gedanken über das Verhängnis, das Deutschland und Alt-Europa bedrohe, hatten sich in einem Ausmaß verwirklicht, das um so mehr auffiel, als er selbst trotz allen Zweifeln an der Erhaltung der kulturellen Überlieferung das „Voraussehen des Künftigen" weder für wünschbar noch für wahrscheinlich zu erklären liebte. Aber die Tatsache, daß alle Gefahren, auf deren Herankommen Burckhardt hingewiesen hatte, durch den Krieg, seinen Ausgang und seine Folgen herbeigeführt worden waren und sich lawinenartig zu mehren schienen, war doch ein außerordentliches Erlebnis der von einem Meister der Ge22

schichtsforschung bewährten Gabe der historischen Prophezeiung. Erschüttert beugten sich die von den überstandenen Katastrophen zu Boden gestreckten besiegten Deutschen vor dem Manne, der, ohne Gehör zu finden, schon bei der Begründung des neuen Deutschen Reiches seine Stimme erhoben hatte, um den zunehmenden Leidenschaften des Machtsinnes und des Erwerbsiimes das Festhalten an der humanistischen Bildung entgegenzustellen. Ungleich tiefer, nachdenklicher und infolge ihrer von erstaunlichem Wissen um die Bedingungen der geschichtlichen Entwicklungsbegriffe begleiteten Resignation auch objektiver als die einstigen temperamentvollen Anklagen Friedrich Nietzsches wirkten nun Burckhardts Aussprüche, die bisher wenig bekannt waren. Seine aphoristischen Lehrsätze, die er in den „weltgeschichtlichen Betrachtungen" und in dem Vortrage „Über Glück und Unglück in der Weltgeschichte" niedergelegt hatte, verbreiteten sich in kurzer Zeit mit solcher Schnelligkeit innerhalb Deutschlands, daß sie wie die Schriften unserer Klassiker angesehen und als vorbildliche Erkenntnisse historisch-philosophischen Ursprunges betrachtet wurden. Burckhardt wurde aus der Reihe der anerkannten Hochschullehrer der Geschichte Niebuhr, Dahlmann, Ranke, Treitschke herausgeholt und auf einen Platz gesetzt, auf dem seine Persönlichkeit in ihrer bewunderungswürdigen, weite Reiche einer erhabenen geistigen Welt umfassenden Bedeutung nach Fug und Recht verehrt wird. Sein Wort hat eine dauerhafte Wirkung angenommen, deren lebendige Kraft dem wahren Leben dient. Aus der zeitlichen Beschränkung ist es zu einer ständigen, unanfechtbaren Geltung aufgerückt. Eine ungemeine politische Weisheit ist in ihm enthalten, die immer noch nicht genügend befolgt wird. Welch eine merkwürdige Fügung des Schicksals: zwei Schweizer haben am Ende des 19. Jahrhunderts als die letzten gewaltigen Beherrscher der deutschen Sprache 23

und als Träger einer über den kleinen Bezirk ihres Vaterlandes hinausragenden weltbürgerlichen Gesinnung ihre ethischen und sozialen Anschauungen verkündet. In Deutschland war eine der gleichen großen erzieherischen Bemühung, der gleichen freiheitlichen Ideale, der gleichen gefühlvollen Pietät teilhafte Beurteilung der bestehenden Verhältnisse nicht mehr ermöglicht. Gottfried Kellers Martin Salander und Jacob Burckhardts Gesamtwerk ragen empor als hohe Pfeiler einer in ihrer Geschlossenheit verlorengegangenen geistigen Gesittung. Die Meinungen hatten sich geändert. Nach seinem Tode war Burckhardt mit wenigen Ausnahmen nur in seiner Vaterstadt und unter den Fachgenossen beachtet, bei dem Erscheinen seiner griechischen Kulturgeschichte ohne sonderlichen Beifall der Kritik in eine unverdiente Dunkelheit zurückgeschoben, sogar mit seinem „Cicerone" und der „Kulturgeschichte der Renaissance" nicht über einen bescheidenen Kreis von Lesern hinausgedrungen. Die Zunft hatte vergessen, daß dieser ernste Gelehrte vordem einen Ruf als Nachfolger Leopold von Rankes in Berlin abgelehnt hatte, um seine Studien in Basel unbelästigt von den Unbequemlichkeiten der Großstadt fortzuführen, und behandelte seine Hinterlassenschaft mit dünkelhafter Überhebung. Trotzdem gelangten seine Bücher nach und nach in die Hand der Jugend, die an der Frische der Darstellung ihre Freude hatte und schon einzelne allgemeine Sentenzen als Lebensregeln anwendete. Seitdem im Zusammenhang mit der zunehmenden Kenntnis Nietzsches die Aufmerksamkeit auch dem Schaffen Stendhals einen mit den Forderungen der Zeit verbundenen Wert gegeben hatte und ein geschäftiges Literatentum mit gutem Spürsinn alle Beziehungen aufsuchte, die zwischen den einzelnen Nationen und ihren geistigen Führern bestanden hatten, wurde Burckhardt öfters mit diesen beiden Schriftstellern verglichen. Man glaubte eine innere Verwandtschaft zu bemerken, wie sie für Brandes und Taine aufgefunden 24

worden war, stützte sich auf den Verkehr von Nietzsche mit Burckhardt während seiner Anstellung an der Universität in Basel und zog mit willkürlicher Hast Parallelen zwischen Burckhardt und Stendhal. Damals war weder eine Gesamtausgabe vorhanden noch die eingehende biographische Würdigung von Otto Markwart, deren Abschluß der Tod des Verfassers verhindert hat. Erst die neuesten Forschungen, voran Alfred von Martins einleuchtende Untersuchungen, haben der einmaligen, weder Nietzsche noch Stendhal ähnlichen Erscheinung Burckhardts das Übergewicht auch in psychologischer Hinsicht zurückgegeben und ihre Trennung von den beiden zu Unrecht an seine Seite gezogenen „Kämpfern gegen ihre Zeit" — dieses Schlagwort wurde zur Deckung der Verbindung mit Burckhardt fälschlich benutzt — endlich erreicht. Andrerseits gefiel sich ein kleiner Anhang von jüngeren wissenschaftlichen Talenten, die an ihrem Vorbild mehr die ungeheure Gelehrsamkeit als die Selbständigkeit der aus ihr geschöpften Ergebnisse schätzten, Burckhardt neben Karl Hillebrand und Michael Bernays als einen letzten Polyhistor zu feiern oder ihn als Philosophen mit dem naheliegenden Beispiel der Tätigkeit des Erasmus in Basel anzurufen. Dann fanden einige selbständige Professoren, vor allem Eberhard Gothein, der sich als der einzige rechtmäßige Erbe des hohen Ahnen betrachten durfte, und Carl Neumann, den Weg in die geheimen Schächte seiner geschichtlichen Methode, die er nicht zu einer starren doktrinären Theorie, sondern zu einer großartigen freiheitlichen Weltanschauung ausgebildet hatte. Alle diese unter sich grundverschiedenen Urteile vermögen dennoch nicht, die universale Vielseitigkeit Burckhardts mit ihren zahllosen Quellen und ihren reichen Abflüssen in ihrem vollständigen Umfange als Zusammenfassung eines von allen Seiten herangeschafften und von der eigenen herrlichen Begabung gemusterten und geordneten Besitzes ganz zu verstehen. 25

E r hat für sich diesen Vorzug, bescheiden und wahrheitsgetreu, nur als ein Hilfsmittel seiner Arbeit benannt. Die in ihm wirkende Genialität seines Geistes, die sein kindliches Gemüt nicht in ihrer glücklichen Vollkommenheit wahrnahm, wirft ihre Strahlen auf die weiten Strecken der Gebiete, die er als rüstiger Diener der hinfälligen Kultur Alt-Europas aufsuchte, und entscheidet seine Stellung innerhalb der deutschen Geschichte des 19. Jahrhunderts. Sein Name muß in die Tafeln der Weltgeschichte, nicht in die Annalen eines in Schubladen eingeteilten wissenschaftlichen Faches geschrieben werden. Ist doch dieses Dasein wahrlich gleich dem Goethes „pyramidenhaft zugespitzt", eine Zuspitzung, die weithin sichtbar die unauflösliche Verbindung des Lebens und Schaffens Jacob Burckhardts krönt. Sie richtet sich auf als die edelste Form eines Neu-Humanismus, der, von den Überlieferungen der Kultur Griechenlands und der italienischen Renaissance ergriffen, immer der Verpflichtung an die fortschreitende Entwicklung und an die Gegenwart („historia vitae magistra") sich bewußt bleibt. Unter den neueren Historikern ist Burckhardt vielleicht der einzige, der zwischen beiden Polaritäten die Waage unparteiisch in der Hand hält und beweist, daß ein Kunstwerk der geschichtlichen Darstellung nur durch das Ineinandergreifen von objektiver Forschung und subjektiver Deutung entstehen, die höchste Aufgabe des Geschichtsschreibers, nach Treitschkes Worten, nur gelöst werden kann, wenn er die künstlerische und die wissenschaftliche Leistung in Eins zusammenfallen läßt. Die Verantwortlichkeit seiner Aussage empfindet er mit einer peinlichen Strenge; Aristokrat und überzeugter Verteidiger der individuellen Eigenschaften hervorragender Menschen, tritt er wie Schlosser der unumschränkten Macht unnachsichtig entgegen. In dieser grundsätzlichen Stellungnahme einen Widerspruch finden zu wollen, heißt Burckhardts Gerechtigkeitssinn 26

verkennen. Indem er seine Ansicht politisch ausgelegt zu wissen begehrte, wurde er über die Schwankungen der Zeit, in der er lebte, ein Lehrmeister späterer Zeiten, dessen Weissagungen dem Irren und Zweifeln einer modernen Demagogie in Wahrheit, Sicherheit und Beruhigung eine heilsame Hilfe gewähren könnten. Die Verwandtschaft des Humanismus und der Humanität, Bezeichnungen, die e i n e r Wurzel entstammen — höchste Bildung des Geistes, höchste Bildung der Seele —, hat sich in Burckhardts Menschentum aufs schönste angezeigt. Ihm ist die Erhaltung der Güter, die wir der Dichtung, der Kunst und der Philosophie besonders der Antike verdanken, Gegenstand einer beständigen Wachsamkeit, da ihn die Ahnung erfüllt, der Augenblick sei nicht ferne, in dem ein frohes Verweilen in jenen elysäischen Gefilden von schlimmen Feinden gefährdet werde. Sein Glauben gipfelte in der Hoffnung, daß bei der „Kontinuität der historischen Ereignisse" gegen die dämonischen Kräfte der Masse, die er verachtete, gegen die Überschätzung der Technik, deren Entdeckungen für ihn nicht in Betracht kamen, gegen die hohle Äußerlichkeit des Materialismus, den er, arm und anspruchslos, von seiner Türe wies, der kommende Kampf siegreich enden werde. In diesem Kampfe, dessen Toben uns umbraust, ist Burckhardts Vermächtnis allen, die eine auf der Grundlage des Humanismus ruhende Erziehung unentbehrlich halten für den Fortbestand der deutschen Kultur, eine gute Waffe. Der Aufbau dieser Existenz erscheint harmonisch und abgeschlossen. Die vielbewegte, von allen Strömungen geistiger Art berührte Natur Burckhardts, voller Empfindsamkeit und dabei voller Scharfsinn, in ihrem Wechsel von Ruhe und Begeisterung liebenswert wie auch durch die eigentümliche Befähigung, Gegensätze vollständig auszugleichen, folgt einem bindenden Gesetz, das Ursprung und Ziel von Menschen seiner Veranlagung eindeutig bestimmt. Er ist Schweizer, Basler, kommt 27

wie Carl Justi, Theodor Mommsen und Nietzsche aus einem protestantischen Pfarrhause und beginnt als Theologe. Dann verbindet er mit klassischer Philologie und Jurisprudenz das Studium der Geschichte und wendet sich in Berlin vom Seminar Rankes zur Beschäftigung mit den Werken der bildenden Kunst, durch seinen Eintritt in das Haus Kuglers und eine unstillbare Sehnsucht nach Italien erregt. Nachdem er in Basel die Stellung des Universitätslehrers gefunden hat, setzt er sich sogleich als Mittler von kulturellen Lebensformen ein, die er als Inhalt der germanischen Welt im Norden, der romanischen im Westen und Süden in sich aufgenommen hatte, nachdem ihm ihre gesonderten Einflüsse deutlich geworden waren. So übernimmt er, bei steter Gefolgschaft der auf die Nachprüfung der Zuverlässigkeit der Quellen beruhenden Arbeitsweise Rankes, auch für seine Darstellung von den eben erschienenen Hauptwerken der französischen Historiker Lamartine, Guizot, Thierry vielfache Anregungen. Dem Stoff wird nach objektiver Erforschung die philosophisch-ästhetische Erklärung angeschlossen, das Resultat in einer ausgereiften klangvollen Sprache mitgeteilt. Burckhardt gehorchte der von Wilhelm von Humboldt in seiner Charakteristik Schillers gegebenen Vorschrift, daß der Geschichtsschreiber die Wahrheit des Geschehenen, wo sie unvollständig, nur durch die Phantasie erreiche: ,,Das Talent des Geschichtsschreibers ist dem poetischen und philosophischen nahe verwandt, und bei dem, welcher keinen Funken dieser beiden in sich trüge, möchte es sehr bedenklich um den Beruf zum Historiker aussehen." Mit den großen Meistern des Altertums sind Humboldt und Schiller die Paten der wissenschaftlichen Beredsamkeit Burckhardts. Eine freie, der humanistischen, idealistischen, individualistischen Bildung entsprechende Tätigkeit war ihm Pflicht und Lohn des Lebens. Diese geistige Haltung verleitete ihn jedoch nicht, sich einem schwärmerischen Egoismus hinzugeben. Da er 28

frühzeitig das Maßlose, Sprunghafte, Gewaltsame als Irrtum erkannte und niemals die Richtungslinie der Entwicklung verlor, erreichte er bald einen Standpunkt, auf dem er mit einer durch fortgesetzte Erfahrung bedingten Zurückhaltung beharrte. Inwieweit da schmerzliche Erlebnisse mitwirkten, die ihn beeinflußt haben, ist nur biographisch von Belang. Sie verstärkten indessen seinen durch die gesteigerte Last der Verantwortung immer mehr sichtbaren Pessimismus, der zunächst das Gegengewicht zur Erhaltung des Gleichmaßes der historischen Übersicht schuf und aus dem Gewebe der Begebenheiten die als unabänderliche Bestimmungen der geschichtlichen Logik betrachteten Schlüsse zog. Hier beginnt, das Allgemeine, Zuständliche, Menschliche heraushebend, Burckhardts Berufung zum Seher. Wir stehen an dem Grenzsteine, an dem er sich mit seinem Landsmanne Johann Jacob Bachofen begegnet. Diese pessimistisch-mythische Gesinnung Burckhardts war infolge der Ereignisse, vor allem der Begründung des Deutschen Kaiserreiches, deren Zeitgenosse er war, für seine spätere Lebensführung wie für seinen unablässigen Arbeitseifer maßgebend. Stets mit künstlerischen Impulsen verbunden, die seinen Schriften und Vorträgen einen kostbaren Glanz verliehen, wurde sie mit zunehmendem Alter von einer überlegenen, von Humor und Ironie umzuckten Milde verklärt. Mit asketischer Ablehnung irdischen Gutes und scheuer Abweisung lästigen Umganges entfernte sich Burckhardt von den Wegen der Menschen, ohne das innere Wohlwollen zu verlieren. In dankbarer Freude der Musik zugetan, zu munterem Gespräch mit wenigen Freunden und einfachen Bürgern gerne bereit, am Nachmittage des Sonntags zu froher Wanderung und Einkehr für einen Schoppen Landwein geneigt, in Basel von der Bevölkerung bald als Stadtheiliger, bald als Eigenbrötler angesehen, verbrachte er seine letzten Jahre in beschaulichem Frieden, 29

aber von banger Sorge erfüllt um die Erhaltung der europäischen Kultur. Dessen sind seine Briefe, die Fontanes geistreichen Plauderton mit Kellers schweizerischer Gemütlichkeit vereinigen, wohlberedte Zeugen. Man hat versucht, Burckhardt als geistigen Beschützer einer europäischen Völkergemeinschaft mit besonderer Beziehung auf ihren kosmopolitischen Charakter zu preisen. Das ist nach einigen seiner Äußerungen erlaubt, obwohl er dem Programme eines Paneuropa sicherlich nicht beistimmen würde, schon weil er die kulturellen über die politisch-wirtschaftlichen Forderungen und das „große Individuum" über das „Allgemeine" stellt. Besser könnte sein schöner, an einen Vierzeiler Goethes erinnernder Ausspruch: „Die verehrende Kraft in uns ist so wesentlich wie das zu verehrende Objekt" von dem Einzelbegriff auf Völker und Menschheit übertragen und in solchen Formulierungen abermals der Zusammenhang zwischen Humanismus und Humanität aufgedeckt werden, der Burckhardts Ingenium den Geistern der Philosophie des Altertums zugesellt. Ob er auf diesem schmalen Pfade einmal Nachfolger haben wird, ist zu bezweifeln. Auf dem Gebiete der historischen Forschung hat er solche gefunden, Männer und Meister wie er, die Wirklichkeit und Ahnung auch dichterisch zusammenzuschließen wußten. Georg Dehios Geschichte der deutschen Kunst ist würdig, neben Burckhardts Werken erwähnt zu werden, und die Schilderung der Zeit des Hohenstaufenkaisers Friedrich II., die Kantorowicz gelang, darf ebenfalls allgemeine Anerkennung beanspruchen. Doch bis zu der letzten, höchsten Höhe, die Burckhardt erklommen hat, sind sie nicht emporgestiegen. Dort oben, über dem Getriebe der Menschen, steht er für sich allein. Und von dem lichten Hügel des Parnaß, wo Goethe wandelt, wehen wärmende Lüfte zu ihm herüber in das düstere Gewölk, das ihn umgibt. Goethes Nähe hat er mit beglückter Zuversicht verspürt. Goethes Nähe fühlen auch wir, 30

wenn wir uns in die geheimnisvollen Kundgebungen der Wissenschaft Jacob Burckhardts wie in symbolisch aufzufassende Orakelsprüche vertiefen. Nicht der unerreichbaren Sphäre der Poesie unseres größten Dichters dürfen wir ihn zuführen, aber der unermeßlichen Welt der Gedanken, die Goethes Weisheitsschatz darbietet und die auch ihm offen stand. In Goethes Geschichte der Farbenlehre und in den Bemerkungen zur Morphologie, andrerseits in Burckhardts weltgeschichtlichen Betrachtungen entdecken wir, sogar in manchen Wendungen des Stils, die Übereinstimmung der beiden Denker. Noch überraschender: Einheit und Mannigfaltigkeit des Goetheschen Daseins („Und so teil' ich mich, Ihr Lieben, und bin immerfort der Eine") bedingen in der gleichen Kristallisation künstlerischen Bewußtseins und moralischen Rechenschaftsberichtes über die Nutzung der Schaffenskräfte den natürlichen Verlauf des Werdeganges Burckhardts. Die Erkenntnis, daß nur er „durch allen Schall und Klang der Transoxanen" seinen Sang zu Goethes Bahnen erhoben hat, wird einmal reifen. Der engeren Schar seiner Jünger, die in seinem Namen und auf seinen Befehl in den Kampf gezogen sind, um die Bildung AltEuropas zu retten, ist diese Überzeugung längst zur beherrschenden Idee ihres Handelns geworden. Im Vorwort zu seiner Analyse des Goetheschen Lebens, der besten Erforschung des Dichters, die wir besitzen, sagt Georg Simmel, daß ein jedes Bekenntnis zu ihm immer ein Bekenntnis des Deutenden sei. Ebenso ist jedes Verhältnis zu Burckhardt, das aus unserem Inneren in sein Inneres eindringt, in einer persönlichen, männlichen, menschlichen Gemeinschaft zwischen ihm und uns erklärbar. Seine Rede ist unsere Rede; seine Antwort ist schon in der Frage enthalten, die wir an ihn richten. Dann erst ist sein Werk unser Eigentum.

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GUSTAV F R E y T A G (WORTE DES DANKES. ZU SEINEM 50. TODESTAGE) „Ich träum' als Kind mich zurücke Und schüttle mein greises Haupt; Wie sucht ihr mich heim, ihr Bilder, Die lang' ich vergessen geglaubt." Chamisso.

E i n e n T a g gibt es im Jahre, an dem die alten Leute wieder jung werden, wieder in die Zeiten ihrer Kindheit zurückkehren. Einen T a g , an dem ihnen in beglückter Erinnerung an eine längst entschwundene Vergangenheit vergönnt wird, sich lichten Träumen hinzugeben, die einstens Wahrheit gewesen sind. Wenn a m 24. D e zember die matte Sonnenscheibe im Nebeldüster hinabgesunken ist, frische Holzscheite im K a m i n brennen, legt

sich

in

der Dämmerung

eine trauliche A h n u n g

kommender Freude über die schweigend mit ihren erwartungsvoll erregten Enkeln auf das Christkind harrenden Großeltern. Die Kinder sind fern in der W e l t und im Krieg, dafür ist die zweite Generation an ihre Stelle getreten. Geliebte, geisterhaft beschworene Schatten weilen im Zimmer und rufen ihre Grüße. Draußen ist es dunkle N a c h t geworden. Kein L a u t dringt an die Fensterläden. D a klingelt erst leise, dann stärker das silberne Glöckchen. Weihnachtsabend. Auf dem kurzen Wege durch den Gang, wie duftet es gut nach W a l d und Wachs, nach Mandeln und Marzipan und Backwerk und den vielen Süßigkeiten, die von den lieben Englein für die artigen Kleinen gebracht worden sind. Weit offen steht die Türe. In der E c k e der B a u m mit den hellen flammenden Kerzen, dem Silberschnee, den glitzernden K e t t e n und Kugeln, den Tierchen und dem strahlenumgebenen Cherub an seiner Spitze, der schon bei den Eltern des Großvaters die Feier beschützte und sich nun

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„als ein heiteres feierliches Ding zeigt, das durch das ganze Leben fortwirkt und manchmal noch spät im Alter gleichsam als Rückblick mit bunten schimmernden Fittichen durch den öden Nachthimmel fliegt". Und Adalbert Stifter, in dessen weichem Gemüte sich der Weihnachtszauber am schönsten unter unseren Dichtern gespiegelt hat, fährt fort: „Weil dieses Fest so lange nachhält, weil sein Abglanz so hoch in das Alter hinaufreicht, so stehen wir so gerne dabei, wenn die Kinder dasselbe begehen und sich darüber freuen." Auch an diesem Weihnachtsabend, dem fünften im Kriege, habe ich in dem großen Lehnstuhle gesessen, den man mir wie in den früheren Jahren hingestellt hat, und sinnend zu den Lichtern und in die weit ausgebreiteten Tannenzweige hineingeschaut. Aus ernsten Gedanken formten sich Bilder, in greifbarer Deutlichkeit wahrgenommen. Der Raum schien zu verschwinden, sich zu vergrößern, und ich sah plötzlich die Wohnstube in meinem Elternhause mit den drei Christbäumen vor mir, dem großen schmuckbeladenen in der Mitte, den beiden kleinen zur Seite, mit Kringeln, Plätzchen und Lebkuchen, die von uns Geschwistern bald geleert wurden und kahl dastanden. Das ist weit über fünfzig Jahre her. Ich sah die Tische mit den Weihnachtsgeschenken, die Riesenpuppe für meine Schwester, die aufmarschierten Bleisoldaten für den Bruder, und siehe da, dort befand sich der Tisch für mich, mit den vielen Büchern, die ich säuberlich auf meinem Wunschzettel verzeichnet hatte. Und in der Mitte lagen vor den neuen Schlittschuhen die „Ahnen" von Gustav Freytag, fünf braune, mit dem Golddruck der Titel leuchtende Leinenbände. Ich erinnerte mich, wie ich zögernd die Bücher in die Hand nahm, über das vornehme Gewand ihres Rückens strich, blätterte, las und heimlich „Ingo und Ingraban" unter der Jacke versteckte, um im Bett darin weiterzulesen. Ich weiß also recht genau, mit welcher begeisterten Teilnahme ich damals „Die Ahnen" ver3 Uhde-Bernays, Mittler und Meister

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schlang, wie vorher dje Indianergeschichten und historischen Jugenderzählungen, aus welchen ich nach Empfang der langen Hosen herausgewachsen war. Ich fühle noch heute die Aufregung, die ich über das erste Buch hatte, das die Großen lasen, und über dieses Zeichen der Aufnahme in die Gleichberechtigung mit ihnen. Vor allem hatte es mir — jede Einzelheit ist mir gegenwärtig — das „Nest der Zaunkönige" angetan, die Schicksale und Taten Immos, der aus dem Klosterschüler ein Kriegsmann wird: ich saß mit ihm auf dem Turme, von dem er sehnsüchtig in die Freiheit späht, ich hörte mit ihm die Ratschläge der beiden klugen Mönche, ich begleitete ihn in den Herrenhof zur Mutter und zu den Brüdern, kämpfte und verliebte mich wie er, und umschlang den Knaben Gottfried, der sein Lehen verschenkte. Meine Phantasie schwelgte in wilden Träumen. Der Sekundaner schrieb in Nachahmung der Balladen von Uhland gewichtige klangvolle Verse. Dieser Freytag-Enthusiasmus hat lange angedauert. Die Gestalten, die der Dichter in seinen „Ahnen" geschaffen, erhielten sich frisch wie alle sonstigen Erlebnisse, die in ein unverbrauchtes Gedächtnis eingetragen waren. Bei zunehmender Sehnsucht nach der wundervollen Behaglichkeit des Daseins, die einstens herrschte, gewann der Glauben an ihre Verheißungen, ihre Illusionen stärkere Kräfte. Oft huschte während einer späteren Arbeit, im Laufe eines halben Jahrhunderts, eine flüchtige Episode aus Freytags Schilderungen an mir vorüber, nicht allein mit den Hauptpersonen, auch mit einzelnen Nebenfiguren, der Sänger Volkmar, der Knappe Bero, der Richter Bernhard und andere; Fürsten und Bischöfe, Feldherren und Staatsmänner, von den Karolingern bis zu den Befreiungskriegen traten zuweilen an meinen Schreibtisch. So muß ich sagen, daß ich von den „Ahnen" zuerst einen poetisch stimmenden- Einblick in die deutschen kulturgeschichtlichen Zustände und die erste Beziehung zum Begriff des historischen Romans 34

überhaupt erhielt. Vielen meiner Mitschüler ist es ebenso gegangen. Freytags Darstellungen bezwangen die jungen Menschen, die sich später, wie natürlich, an höhere Muster hielten und aus diesen neue Bereicherungen ihres geistigen Vermögens schöpften. Gibt es für einen Schriftsteller eine schönere Belohnung als die Dankbarkeit, die ihm aus den leuchtenden Augen der Jugend entgegenwinkt ? Schon aus diesem Grunde sind Freytags,, Ahnen" ein kostbarer Besitz der Nation, selbst wenn zu ihrem eigenen Schaden die heutigen, von den Fortschritten der Technik mehr als von der Schönheit der Dichtung und den Lehren der vaterländischen Geschichte angezogenen germanischen Jünglinge sie als eine unmoderne, zuckerwässerige, verfehlt erfundene Belletristik für das von ihrer Unreife verachtete „reifere Alter" betrachten möchten. Daher habe ich die abfälligen Kritiken, die beinahe in allen literarhistorischen Handbüchern von Männern mit und ohne großen Namen ausgesprochen werden, die kühle Erwähnung, die sich sogar Freytags Biograph Alfred Dove erlaubte, und die harten Urteile von Dichtern wie Paul Heyse über die „Ahnen" immer mit Verwunderung vernommen. Der Maßstab, der da angelegt wurde, die übertriebenen Anforderungen, die ein witzelndes Literatentum an das Buch des in besinnlicher Breite berichtenden Schlesiers stellte, sind der kindlichen Form seiner Erzählung mit ihren harmlosen Verzierungen aus den Sitten und Gebräuchen unserer Vorfahren gegenüber unstatthaft. Denn ein Unterschied besteht bei den Ansprüchen eines Autors, für welche Art der Unterhaltung und für welches Alter sein Roman bestimmt ist. Wenn Freytag auch beabsichtigte, nach seinen gut aufgenommenen „Bildern aus der deutschen Vergangenheit" wiederum die Erwachsenen zu einer patriotischen Einkehr zu veranlassen, und sich zunächst an ein gebildetes Publikum wandte, mag er doch wie sein Vorbild Walter Scott an den Beifall der einstens 35

leichter beeinflußbaren jugendlichen Freunde seiner Kunst mit ernsten Hoffnungen gedacht haben. Als er schrieb, gab es noch keinen Naturalismus und keine Übermenschen, dafür aber eine auf humanistischer Grundlage beruhende, ideale Güter über reale Vorteile erhebende Erziehung zu freudiger Lebensbejahung in Freiheit und Schönheit. Ein beherzigenswerter Optimismus regierte, an dem selbst Schopenhauers Philosophie vergebens rüttelte, und das deutsche Bürgertum ließ sich willig von ihm lenken. Die allgemein hier herrschende Stimmung, vor der Gründung des neuen Deutschen Reiches, hat Frey tags „Ahnen" den inneren Schwung verliehen und den Erfolg beschert. Um den Roman wirklich zu verstehen und zu schätzen, ist es notwendig, auch die Zeitverhältnisse zu berücksichtigen, in welchen er veröffentlicht wurde, jedoch ohne damit seinen Inhalt ausschließlich historisch zu werten und hierdurch seine Bedeutung in einem gegenwärtigen Sinne zu schmälern. Die Erinnerung am Weihnachtsabend veranlaßte mich, die „Ahnen" wieder einmal zu lesen, mit dem Vorsatz, alle literarischen Belastungen abzuwerfen und, soweit möglich, mit völliger Unbefangenheit, naiv, knabenhaft wie einst die acht Erzählungen nacheinander durchzunehmen. Dabei wollte ich mir freilich — das muß zugegeben werden — selbst ein kleines Theater vorspielen, um aus den verwirrenden Ereignissen des Tages in eine schönere Vergangenheit zurückzukehren. Endlich mußte ich noch Goethes Mahnung bedenken, daß „anders lesen Knaben den Terenz, anders Hugo Grotius . . . " Und da habe ich nun zu sagen: ich habe die sechs Bände der „Ahnen" von der ersten bis zur letzten Zeile mit einer Freude gelesen, die mir sonst nur bei Adalbert Stifter geschenkt ward. Ich folgte Freytags Schilderung mit einer nicht nachlassenden Befriedigung, durch die ich in eine seit langen Jahren nicht mehr erlebte Selbst36

Vergessenheit geführt, in eine Welt der menschlichen Mühen und Leiden, ihrer Empfindungen und Ahnungen in den wechselnden Zufällen von Glück und Unglück geleitet wurde. Das Höchste, was der Dichter erstreben kann, daß seine Phantasie den Leser in einer Weise ergreift, die ihn unmerklich in die Personen der Handlung hineinschlüpfen läßt, wurde bei mir erreicht: im Lehnstuhle saß statt des greisen Mannes wieder der Jüngling und verwandelte sich, wenn auch nur für kurze Dauer und unter dem Zeichen des weihnachtlichen Segens, in die Helden des Romans, als wären es seine Vorfahren und er in der Folge der Generationen verkörpert in ihnen. Eine lebensvolle, beinahe außerzeitlich zu bezeichnende Rührung erfaßte mich. Vielleicht weil der leichte, öfters sentimentale Ton dieser anheimelnden Prosa wohltuend absticht von dem schweren Kaliber späterer historischer Bücher und weil die Sprache, die nur selten mit künstlich gesuchten Farben einen altväterlichen Anstrich trägt, in ihrer bescheidenen, hebenswürdig patriarchalischen Einfachheit rasch aufgenommen wird, ließ ich mich willenlos von ihr fesseln. Seither haben wir andere Vorzüge der literarischen Diktion erprobt, anderer Gepflogenheiten des Stils, neueren Vorlagen folgend, uns bedient, strengere und straffere formale Konstruktionen gebildet, eine einheitliche Technik des Romans und der Novelle gefunden. Dem Menschen des zwanzigsten Jahrhunderts, der alles zu wissen, alles zu beurteilen befähigt zu sein glaubt, sind psychologische und erotische Untersuchungen vor allem bei geschichtlichen Charakteren — daher die unheimlich zunehmenden historischen Biographien — erwünschter als die unschuldigen erdichteten Situationen, wie sie Freytag, Scheffel und Dahn zeigten, den Bildern ähnlich, die Piloty oder Delaroche ausführten. Indem ich die Ahnen nicht mit den weitverbreiteten, mit einem großen Apparat inszenierten Legenden gefeierter ausländischer Schriftsteller wie „Quo vadis" in Verbindung brachte, 37

hatte ich einen reinen Genuß. Der Spruch „Wohl dem, der seiner Väter treu gedenkt" erwies seine Wahrheit, während ich in den verklärten Gefilden der deutschen Vorzeit verweilte und aus ihnen bis zu einer Warte vordrang, auf der ich bereits die Vorbereitungen für die Geschicke des 19. Jahrhunderts erkennen konnte. Die gelehrten kulturhistorischen Betrachtungen wurden von den Elementen der Schicksalsführung der einzelnen Helden verdrängt, deren Erscheinungen mit sieghaftem Glänze vortraten, umgeben von den Königen und großen Herren, für oder gegen die sie stritten. Auch durch die sich daran anschließende Überlegung wurde dieser Eindruck, nach Beendigung jeder Abteilung, nicht beeinträchtigt. Freytag hat in den „Erinnerungen aus meinem Leben" weniger einen Kommentar der „Ahnen" gegeben als auf die verbindenden Glieder hingewiesen, die seinen Roman zur Einheit einer an einer einzelnen Familie und den wiederkehrenden Zügen ihres Wesens veranschaulichten Geschichte des deutschen Volkes vereinigen. Dadurch gibt er ihm einen programmatischen Inhalt, den er nicht immer mit genügender Sorgfalt behandelt, und der erst infolge der nachträglich vom Verfasser betonten Wichtigkeit bemerkbar wird. Dadurch wurden Verpflichtungen an das Epos und das Drama zu Unrecht eingegangen, und indem Freytag die Absicht kundgab, statt sie der Wirkung seiner Erzählung zu überlassen, verlor er an Glaubwürdigkeit, die erst zurückgewonnen wird, wenn wir die acht Geschichten gesondert prüfen. Dann hört die künstliche Beziehung auf, der Entwicklung gefährlich zu werden, und um diese schließt sich der Rahmen der Zeitepoche. Das gilt besonders für die drei letzten Abschnitte, die matter in der Darstellung, weniger glücklich in der Wahl des Stoffes und der Erfindung der Hauptfiguren der prächtigen Vorführung der Renaissance und der Reformation in „Markus König" nachfolgen. Der Schluß verläuft in einer biedermeierlichen Alltagsweisheit, mit38

unter von humorvollen kleinbürgerlichen Motiven erheitert, ein getreues Abbild des deutschen Familienlebens vor dem Jahre 1848. Die Menschen, die „In einer kleinen Stadt" wohnen, sind zugleich die Menschen, an die und an deren Kinder Freytag seine Arbeit richtete. Der Uberale Politiker Freytag, der selbstbewußte deutsche Bürger verleugnet seinen patriotischen Glauben niemals, und er zeigt sich als echtes Kind der allgemeinen Begeisterung für Schülers Dramen, da er seinen Gebilden einen Abglanz der Schwärmerei für Max und Thekla mitgab. Was Scott von Deutschland geholt hatte, um es in seinen meisterhaften, durch Übereinstimmung der Handlung mit der Umwelt, der lebendig geschilderten Natur seiner Heimat persönlich geschaffenen Romanen zu nutzen, nahm als Verehrer des Schotten Freytag dankbar zurück. Mit Ivanhoe und Quentin Durward, Kenilworth und Waverley seien die „Ahnen" nicht verglichen. Wir dürfen auch die „Ermordung des Bischofs von Lüttich" von Delacroix nicht mit Pilotys „Wallenstein" zusammenbringen. Freytag und Conrad Ferdinand Meyer, Stifter und Fontane stehen auf verschiedenen, voneinander entfernten Anhöhen. Fontanes „Vor dem Sturm" kommt zwar der „Kleinen Stadt" nahe, während „Jürg Jenatsch" und „Witiko" den „Markus König" an Reichtum der poetischen Anschauung, die Freytags beste Eigenschaft war, aber in den ihm zugeteilten Grenzen blieb, und an Sicherheit des historischen Einblicks übertreffen. Dafür darf der Dichter der „Ahnen" sich rühmen, daß dieses Werk nicht zu den „Professorenromanen" der Ebers, Dahn, Hausrath gehört, die verschollen sind, und daß es heute seinen geringen Fehlern zum Trotz noch wirkungsvoll ist, wie mich der Weihnachtsabend gelehrt hat. Ich werde dafür sorgen, daß mein Enkel, der in glücklicher Unwissenheit unter den Tannenzweigen herumgekrochen ist, Freytags „Ahnen" zum Geschenk erhalten wird, um sich wie sein Groß39

vater an ihnen zu erheben, und hoffe, daß dieses Kind dann einer Zeit angehört, die für eine gemütvolle Verherrlichung unserer deutschen Geschichte wieder eine freundliche Zuneigung bewährt. *

Dieses vielleicht allzu subjektiv abgegebene Vertrauensvotum für Gustav Freytags „Ahnen", dessen bejahender Spruch vom Weihnachtsmann entschuldigt werden möge, bedarf einer Ergänzung. Es soll nicht vergessen werden, was vor fünfzig Jahren ein junger Mensch, der schon reif war, die durch den Regierungsantritt Kaiser Wilhelms II. eingetretenen Veränderungen in der Leitung des Reiches zu beurteilen, dem politischen Schriftsteller Freytag verdankte. Viele Angehörige der zwischen 1870 und 1875 geborenen Generation, die als Gymnasiasten die „Ahnen" bewunderten, entnahmen als Studenten, vor allem in höheren Semestern, seinen Schriften erklärende und aufklärende Ansichten zumal über das Unheil, das durch den Tod des Kaisers Friedrich das deutsche Volk betroffen hatte. Wie die „Ahnen" wurde das Büchlein „Der Kronprinz und die deutsche Kaiserkrone" bei seinem Erscheinen und nachher von den gleichen Kritikern, welchen die „Ahnen" nicht gefallen hatten, als „Mißgriff und parteiische Berechnung" bezeichnet. Die geschichtliche Entwickelung hat Freytag recht gegeben und seine Ausführungen zu Ehren gebracht. Der Politiker Freytag, dem wir auf der Universität, in der Zeit etwa zwischen seinem und Bismarcks Tode (1895 und 1898) mit einer Überzeugung folgten, die uns bei mancher von älteren Leuten nicht anerkannten, in der erwähnten Broschüre behandelten Auslegung vielseitiger Fragen bestätigt wurde, hat die Gefahr, die durch das Überspringen eines Geschlechts, das „Ausfallen einer eigentümlichen Mischung von Bildungselementen" geschaffen wurde, mit 40

prophetischer Sicherheit erkannt. Der kränkende Widerspruch, der sich gegen ihn erhob, zeigt leider an, daß die Begeisterung für Bismarcks Schöpfung vielen wackeren Männern die Einsicht getrübt hatte und sie veranlaßte, allen Handlungen der Nachfolger des ersten Reichskanzlers bedingungslos zuzustimmen. Die Persönlichkeit Kaiser Friedrichs wurde nicht nach Gebühr eingeschätzt, die historischen Begleiterscheinungen seiner allzu kurzen Herrschaft wurden in ihrer wirklichen Bedeutung kaum beachtet und erst nach dem ersten Weltkriege als Symptome einer durch sein Hinscheiden zerstörten besonnenen, von seinem Sohne nicht fortgesetzten Politik angesehen. Wie kam der altliberale Journalist, dieser stattliche Gefolgsmann Karl Mathys und Bennigsens, ein Preuße und ein Deutscher, Freund Treitschkes, Leiter der ,,Grenzboten" und nicht zuletzt Verfasser weitverbreiteter historisch-patriotischer Bücher, zu dieser Haltung ? Man wollte ihm vorwerfen, daß er, mit dem Herzoge Ernst von Coburg bekannt, zu dem Kronprinzen und seiner Gemahlin in nahem Verkehr gestanden habe und einem höfischen Einflüsse unterlegen sei. Aber Freytag blieb immer der biedere bürgerliche Schriftsteller, ohne einen Zoll von seinen Grundsätzen abzuweichen; gelassen empfing er Auszeichnungen, die sich auf ihn häuften. Mit mannhafter Rede lehnte er das Zeremoniell der Reichstagseröffnung („Unsere Kaiser sollen ernsthafte Geschäftsleute sein, welche das Wesen der Macht freut, nicht der Goldglanz, nicht ein abenteuerliches vielfarbiges Kaiserbanner und nicht die große fürstliche Festtafel"), die zunehmende Sucht nach Adelstiteln, den Luxus der vornehmen Regimenter ab. Gerade er hat den schärfstenTadel über solche Mißstände geäußert. Infolgedessen setzte er seine Hoffnung auf den Kronprinzen, dem er als Begleiter während der ersten Monate des Krieges 1870/71 zugeteilt war und der ihm bei einer langen Aussprache nach den Schlachten von Weißen4i

bürg und Wörth Gehör schenkte. Von ihm erwartete er, daß er mit seinem historischen Fürstenrecht die Erfüllung der Wünsche zu verbinden fähig sei, die von allen guten Deutschen im liberalen Sinne an ihn gerichtet wurden. Sein tragischer Ausgang trübte auch Freytags Lebensabend. Friedrich Meinecke hat die treffende Definition für den klassischen Liberalismus geprägt: „Eine Weltanschauung und Staatsanschauung, die von dem sicheren und frohen Glauben beseelt war, die Freiheit der individuellen Bildung im Sinne unserer Klassiker mit der Zusammenfassung aller nationalen Kräfte in einem mächtigen und freien Nationalstaate harmonisch vereinigen zu können. Dieselben bürgerlichen Schichten, die einst die neue idealistische Bildung hervorgebracht hatten, wollten jetzt auch den Staat tragen und mit ihrem Geiste erfüllen. Sie wollten ihn deshalb nicht etwa ganz in die Hand nehmen, sie wollten nur mitherrschen und vor allem geistig herrschen in ihm." Besser kann auchGustav Freytags politisches Denken und der verantwortungsvolle Ernst seiner politischen Tätigkeit nicht ausgedrückt werden. Als er die Absicht, Universitätslehrer in Breslau zu werden, mit seinem Verzicht auf seine dortige Stellung als Privatdozent aufgegeben hatte und sich im Sturmeswehen des Jahres 1848 ganz einem neuen Berufe widmete, nachdem er in Leipzig gemeinsam mit Julian Schmidt in die Redaktion der „Grenzboten" eingetreten war, kam er in das richtige Fahrwasser. „Wer in solcher Zeit über Politik schrieb", sagt er in seinen Erinnerungen, „hatte keinen anderen Anhalt als das Idealbild, das er sich selbst von einer wünschenswerten Zukunft des Vaterlandes gemacht hatte. Alles, was er haßte und liebte, mußte ihm der eigene Charakter geben. Er war frei wie der Vogel in der Luft, ohne Führer, ohne Partei. Das war eine wundervolle Lehrzeit des deutschen Journalismus." Die „Grünen Blätter", wie die Grenzboten nach ihrem Umschlag genannt wurden, vertraten gegen die 42

Demokratie der Straße und gegen den Radikalismus des „jungen Deutschland" einen antireaktionären liberalen Standpunkt, mit offenem Visier, meist gemäßigt im Ton und mit geschickter Berücksichtigung der Interessen ihres Publikums, das dem gebildeten Bürgertum angehörte. Freytag bezeugte in einem seiner ersten Leitartikel seine „stockpreußische" Gesinnung und verstieg sich zu dem Ausruf: „Die Preußen bieten allen deutschen Stämmen brüderlich die Hand, gemeinsam mit ihnen Deutsche zu werden, jetzt steht die Wahl bei ihnen, verschmähen sie es, mit uns ein neues Deutschland zu schaffen, so bauen wir es allein, trotz ihnen, und das neue Deutschland wird dann den Namen Preußen führen." Der jugendliche Redakteur, durch das Scheitern der Frankfurter Parlamentsverhandlungen und die Zurückweisung der Kaiserkrone durch Friedrich Wilhelm IV. auf das bitterste enttäuscht, mußte sich mit herausfordernden Worten Luft machen. Im Jahre 1849 galt es, einen verlorenen Posten wiederzugewinnen und den Kampf unverdrossen fortzusetzen. Freytag und die meisten der mit ihm übereinstimmenden Norddeutschen waren sich offenbar nicht darüber klar, wie sehr sie bei ihren Plänen den Süden vernachlässigten und die Deutschen südlich des Mains in ihren vaterländischen Gefühlen verletzten. Vermutlich gedachte er, mit seinem Appell nur die Säumigen zu den Fahnen zu rufen. Sein Preußentum war angeboren, stämmig und herzhaft wie bei Bismarck, aber lauter und unegoistisch. Eine Animosität gegen die Schwaben oder Bayern war in ihm nicht vorhanden. In seiner Lebensbeschreibung Mathys, einer der besten politischen Biographien, die wir besitzen, hat gerade er den badischen Minister als das ideale Vorbild des mit der Seele des Volkes einigen deutschen Staatsmannes gerühmt. Freytag war ein Schlesier, wie Holtei, Hettner, Haym und viele der Männer, die an dem Neubau des Deutschen Reiches mitgearbeitet haben (das schlesische Gemüt: 43

„ein allerliebstes Gemisch von polnischer Lebhaftigkeit und altsächsischer Bedächtigkeit, von gutmütiger Einfalt und kalkulierendem Scharfsinn, von sentimentaler Weichheit und reflektierender Ironie, von lauter Fröhlichkeit und andächtigem Ernst"). Die schlesische Natur und der schlesische Charakter zeigten sich deutlich in seinen Gesichtszügen, die durch Karl Stauffer-Berns bekanntes Bildnis — er nennt Freytag einen „ausgeprägt slawischen Kopf", einen „rüstigen hohen Greis mit der Geistesklarheit eines Weisen und der Seele eines guten Kindes"—der Nachwelt bewahrt wurden: ruhiges Wohlwollen in den fragend blickenden Augen, Willenskraft und Ausdauer um den schweigsamen Mund, Eigensinn und Selbständigkeit an den vorspringenden Schläfen, soldatisches Pflichtgefühl und menschliches Verstehen gepaart mit lebhafter Phantasie und geistvollem Humor. Diese Eigenschaften schenkten der großen Begabung des Dichters und des Schriftstellers die Wirkung. Das Lustspiel „Die Journalisten", für alle Zeiten neben „Minna von Barnhelm" beheimatet auf der deutschen Bühne, die beiden Romane „Soll und Haben", lange ein begehrtes Hausbuch des deutschen Mittelstandes, und „Die verlorene Handschrift" mit der liebevollen Veranschaulichung deutschen Professorentums sind den besten Gaben der erzählenden Poesie um die Mitte des 19. Jahrhunderts anzureihen. Der Historiker, Literarhistoriker, Theoretiker, in manchem seinem Stammgenossen Lessing geistverwandt, gab außer vielen in Aufsätzen verstreuten Weisungen über das Epos und den Roman in der „Technik des Dramas" systematischer als vor ihm Hettner den jungen Dichtern eine Grammatik der Erfahrung zur Anleitung bei ihren dramatischen Versuchen. Ein gesunder Realismus, nicht allzu heftig, nicht allzu pedantisch, nur gelegentlich auf romantische Pfade abschweifend, fand allgemeine Zustimmung. Auch der Namen des Politikers und Redakteurs gelangte bald zu Ansehen und Ruhm. 44

Denn die Leser der „Grenzboten" und der in rascher Folge von Freytag veröffentlichten Bücher erkannten sogleich die Ehrlichkeit des Patrioten. Weite Kreise des deutschen Volkes teilten mit ihm den Wunsch, das neue Deutschland gleichsam von unten, durch die in den liberalen Ideen der Bevölkerung liegenden Strömungen zu begründen. Freytags preußische Stellung war weder partikularistisch noch ausgesprochen nationalistisch. Sie war vielmehr, anfangs namentlich, eine Angelegenheit des Widerspruchs, gegen Österreich, gegen einzelne in Westdeutschland vorhandene Sonderbestrebungen, und berief sich auf die historischen und moralischen Rechte der preußischen Krone. Gleichwohl hat sein klarer politischer Verstand, der eher mit nüchterner Erwägung als mit leidenschaftlichem Zorn die jeweilige Beurteilung der Lage vornahm, niemals nach einer Hegemonie Preußens, nach einer Herrschaft ü b e r die kleineren Bundesstaaten statt m i t ihnen verlangt. Die Erscheinung Bismarcks, vor der sein freiheitliches Gefühl zeitlebens zurückschreckte, wurde ihm erst nach 1866 verständlich. Ihm ist nicht zu verargen, daß er in dem ,,Grenzboten" zwar nicht mit der temperamentvollen Zuversicht Treitschkes, aber doch ohne allzu starkes Hervorheben der immer noch vorhandenen Gegensätze zwischen der neu gebildeten „nationalliberalen" Partei, der Freytag für kurze Zeit als Abgeordneter angehörte, und dem bundesstaatlichen Regime dem Kanzler entgegenkam. („Was den Frieden mit Bismarck betrifft, so steht das freilich so so. Meine Meinung über seinen Charakter habe ich nicht sehr geändert. Aber seine Stellung zu uns ist eine andere geworden. Und das wird wohl für eine Weile genügen.") Damals brauchte Bismarck diese Unterstützung, die er nach zehn Jahren rücksichtslos von sich stieß, nachdem der Liberalismus in seiner Schwäche zu versinken und sich langsam aufzulösen schien. Daß nicht der klassische Liberalismus, sondern die autokratische Machtgier Bismarcks mit Hilfe der vorzüglichen mili45

tärischen Bereitschaft Preußens das Deutsche Reich geschaffen hatte, erschien Freytag als eine bedenkliche Fügung des Schicksals, mit der er sich optimistisch abfand. Nicht der preußische Schulmeister, wie man behauptete, sondern das Zündnadelgewehr hatte beiKöniggrätz gesiegt. War auch der Weg zum Gipfel ein anderer gewesen, als Freytag zeigte, er war erreicht, und es war ein Gebot der Ehre, die Höhe zu beschützen. Langsam zog sich der alternde Kämpe auf den Platz eines stillen Beobachters zurück. Als er zum Gedächtnis des Kaisers Friedrich das Wort wieder ergriff, vernahm er nur ein schwaches Echo. Erst die von den mißlungenen politischen Abenteuern Wilhelms II. und seiner Ratgeber in Krieg und Not gestürzten Deutschen haben über Friedrich ein gerechtes Urteil gefällt und die Gedenkrede seines treuen Vasallen verstanden. Die ausführliche Biographie des zweiten Kaisers von Werner Richter stellt mit einer klugen Kombinationsgabe dem geschichtlichen Verlaufe eine Aufzählung der Möglichkeiten gegenüber, die durch Friedrichs soziale, dem aufdringlichen Militarismus feindliche, auf geistigem und wirtschaftlichem Gebiet dem Fortschritt zugeneigte Politik hätten verwirklicht werden können, wobei auch die durch seine Heirat angebahnte friedliche Verständigung mit England erreicht worden wäre. Ein Paradies der Menschlichkeit öffnete seine Pforten, aber finstere Dämonen verwehrten den Deutschen den Eintritt. Freilich bleibt die Frage offen, ob der Kaiser mit seinen Reformen beim Adel und im Heere nicht eine gefährliche Gegnerschaft angetroffen hätte, wie sie Fontane in dem Gespräch zwischen dem alten Stechlin und dem Grafen Barby anzeigt: „An dieser Quitzow-Ecke wäre er gescheitert." Da Freytag im Jahre 1866 den „Gewinn, als Einzelner Teil zu haben an dem politischen Fortschritt des eigenen Staates, an Siegen und Erfolgen, welche größer waren als jede Hoffnung" als das „höchste Erdenglück, welches dem Menschen vergönnt wird" betrachtete, durfte er 46

nachher nicht öffentlich zugeben, daß er anderen Sinnes geworden war. Wohl besaß er nicht die Sehergabe Burckhardts oder die hochfahrende Prophetenmiene Nietzsches, war auch zu sehr aktiv an der Bewegung beteiligt gewesen, um ihre Folgen anders zu erkennen als nach ihrem einstweiligen günstigen Aussehen, aber er besaß neben seiner Vaterlandsliebe eine kritisch gefestigte historische Schulung, die ihn bei aller poetischen Lebendigkeit abhielt, vorschnelle Diagnosen für die Zukunft zu verkünden. Das Gesicht der Welt hatte sich am 18. Januar 1 8 7 1 verändert, es war, wie Heinrich Friedjung in seinem Geschichtswerk „Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland" bemerkt, ernster, männlicher geworden. Bald sollte es sich zur Fratze verzerren. Von den bevorstehenden Umwälzungen hatte Freytag keine Ahnung. E r war kein Mann der Tat, sondern ein nicht weniger unerschrockener Mann der Feder und als solcher kein Typus, der mit Schriftstellern verwandten Geistes zu vergleichen ist. Freytag wurde einmal den Schwaben Uhland und Vischer, dem Rheinländer Riehl an die Seite gestellt, ohne dadurch mehr anzuzeigen als die Ähnlichkeit der Gesinnung und die flüchtige Ubereinstimmung der kulturellen Ansprüche. E r hat sich weit vorgewagt im Wettstreit und ist zu der vordersten Linie gelangt, ein Vorkämpfer der Überzeugungen, die in seinen Schriften ausgesagt sind. In einem Briefe schreibt er von der Aufgabe, „den Deutschen etwas aus der Vergangenheit in das Gedächtnis zurückzurufen, was viele vergessen zu haben scheinen. Daß nicht e i n Mann und e i n Waffengang allein die Grundlagen eines neuen Staates geschaffen, sondern daß Viele in aufreibendem geistigem Kampfe seit Jahrzehnten daran gearbeitet haben, die Gedanken und die einzelnen Bestimmungen der Verfassung des neuen Bundes als volkstümliche Forderungen hinzustellen." Auch Karl Binding, der als strenger Jurist den in Frankfurt angenommenen Entwurf einer Verfassung des Deutschen Bundes den end-

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gültigen Bestimmungen der Jahre 1866 und 1871 vorzog, redete in einer Leipziger Rektoratsansprache seinen Zuhörern ins Gewissen wegen der Ungerechtigkeit, mit der die Arbeit der Mitglieder der Paulskirche und ihrer Nachfolger in Deutschland verkannt werde. Derartige Ermahnungen waren in einem Land am Platze, dessen Bewohner für ihre politischen und parlamentarischen Formen unterdessen den Gehorsam gelernt, aber auf Takt und Pietät verzichtet hatten. „Der glaubt und wer forscht, Beide tun im Grunde genommen dasselbe, sie üben die höchste Bescheidenheit, denn sie empfinden, daß alles einzelne Leben, eigenes und fremdes, unendlich klein ist gegen das große Ganze." Auch dieser Ausspruch Freytags eignet sich zur Überschrift über jede Darstellung seines Lebens und Wirkens. Ohne für die humanistische Bildung mit Nachdruck als Wortführer aufzutreten, vermittelte er in vielen Gestalten seiner Dichtung die Vorstellungen der edlen geistigen Erziehung, welche die idealistischen Deutschen* erreicht hatten in den verschiedenartigen Stufen ihrer Gesittung. Der Schöpfer des Professors Werner und des Prinzipals Schröter, Anton Wohlfahrts und Oldendorfs und ihrer Gegenspieler Fink und Bolz, Ilses und Sabines, Hahns und Hümmels, des langen Zuges der Ahnen hat seinem deutschen Volke, für das er „in der Hauptsache lebte", die schönsten Vorbilder bürgerlicher Abkunft geschenkt. Statt ihnen nachzueifern, hat eine anders gesinnte Nachkommenschaft, Forderungen des Tages Untertan, dieses Erbe, mit dem sie nicht hauszuhalten wußte, für immer verscherzt. Außer den „Ahnen" ist heute von Freytags Romanen kaum noch ein Werk vorhanden, das sich gleich ihnen lebensfrisch gehalten hat. Selbst die „Journalisten" müssen für das Theater die Biedermeiertracht anlegen. Als Freytag, fast achtzig Jahre alt, am 30. April 1895 starb, stand die gesamte Nation in aufrichtiger Trauer an seiner Bahre und ehrte ihn wie einen Helden. Damals lebten zu48

friedene Menschen in unserem Vaterlande, die Freytag mit der übertreibenden Liebe, welche ihre Teilnahme an allem Schönen auszeichnete, zu den großen Dichtern des deutschen Volkes emporhoben. Nur Emanuel Geibel war mit den Zeichen gleicher Verehrung bestattet worden. Wenn wir nach einem halben Jahrhundert Worte suchen, die sein Wesen gerecht und wahr umschreiben, müssen wir, wie öfters, wenn von ihm gesprochen wird, seine eigenen Sätze wiederholen und auf ihn beziehen, was er über Fritz Reuter gesagt hat: „Hunderttausende haben durch ihn das Bewußtsein erhalten, wie tüchtig und brav Ihre Existenz ist, wie viel Wärme, Liebe und Poesie auch in ihrem mühevollen Leben zu Tage kommt. Auch den kleinen Kreisen des Volkslebens, wo die Tage mit harter und ernster Arbeit erfüllt sind und die Strahlen der Kunst das Dasein sonst nur spärlich verschönern, hat dieser Dichter die Familie, das Hauswesen, die Arbeit verklärt wie kein Anderer. Sie alle sind durch ihn freier, reicher und glücklicher geworden."

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Ühde-Bernays, Mittler und Meister

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HERMANN HETTNER „Erst durch Goethes tiefe und schönheitsvolle Dichtung haben wir wieder gelernt, was ein Leben der Weisheit und Schönkeit ist, was es heißt, ein hoher und reiner Mensch sein. Und es wird noch gar vieler und noch gar gewaltiger geschichtlicher Wandlungen und Entwickelungen bedürfen, bevor wir in Bildung und Sitte, in Staat und Gesellschaft dieses hohe Menschheitsideal erreicht und verwirklicht haben." Hettner.

Selten hat ein Zeitraum der deutschen Geschichte eine so verschiedenartige Beurteilung erfahren wie das Jahrzehnt, welches der Revolution von 1848 folgte. Die kränkenden Erlebnisse, die durch den Mißerfolg des Frankfurter Parlaments und die Ablehnung der Kaiserkrone von Friedrich Wilhelm IV. innerhalb des Bürgertums und besonders der an der Bewegung stark beteiligten Universitätslehrer eine schweigende Resignation erzeugt hatten, hielten lange an und schufen einen Zustand des Überganges, dessen tatsächliche Bedeutung erst von der Gegenwart richtig erkannt wird. Unsere Väter hatten ein Recht, sich des eigentlichen Erfolges der Gründung des Reiches zu freuen und betrachteten daher die vorhergehende Zeit nur als eine Periode der Vorbereitung, ausschließlich nach der politischen Wendung zu entscheiden willens. Unterdessen haben sich drohende Gefahren aus nebelhaftem Spuk gelöst und zu tragischen Schicksalsfügungen gewandelt. Den kulturellen Angelegenheiten unseres Volkes, wie sie sich in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts darstellten, bringen wir heute eine veränderte, größere, notwendigere Aufmerksamkeit entgegen. Manches Wort ist gefallen, das jene „halkyonische Windstille" und ihre Ergebnisse für die geistige Entwicklung Deutschlands sogar mit

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einer die meisten späteren Schöpfungen der Dichter und der Gelehrten übertreffenden Wichtigkeit zu erwähnen wagt. In der Tat muß die einheitliche Form einer k u l t u r e l l e n deutschen Weltherrschaft in den fünfzehn Jahren vor den theoretischen Debatten in der Paulskirche bis zu den zuerst in literarischen Fehden ausgetragenen Kämpfen um Schleswig-Holstein in ihren aus Mutlosigkeit und Schwäche zur Gärung aller Kräfte reifenden Erregungen vor 1866 als herrlicher Besitz, einzigartig auf der Erde und bestaunt von allen Völkern, gerühmt werden. Das waren anderthalb Dezennien einer Epoche, von welchen Renan sagte, daß sie dem nach Bildung strebenden Menschen im Laufe der Weltgeschichte die schönsten gewesen seien, nach Waterloo und vor Königgrätz. Alexander von Humboldt war der letzte Deutsche, der ohne Widerspruch in ganz Europa und Amerika verehrt wurde. Das neue Deutsche Reich hat an diesem Anspruch nicht festgehalten. Willkürlich und ungebärdig verzichtete es auf die gesicherte Stellung im Reiche des Geistes, um dafür auf dem gefährdeten Felde der Staatskunst sein Dasein aufs Spiel zu setzen. Während die Wortführer eines trügerischen Materialismus und einer mechanischen Ordnung der Dinge triumphierten, erhoben nicht nur Burckhardt und Nietzsche warnende Rufe. Die angesehenen wissenschaftlichen Idealisten Treitschke, Curtius und Grimm versammelten um ihre Katheder die Jugend und mahnten sie, die Erbschaft zu hüten. Noch kurz vor der Jahrhundertwende befanden sich in allen Städten vom Belt bis zu den Alpen aufrechte Männer, die bei Wörth und Sedan gerungen oder daheim für ihre Überzeugung gewirkt hatten und mit der Treue zu ihrem Vaterlande die Forderung der Eintracht der Stämme und der unumschränkten Freiheit verbanden. Ihr Wunschtraum, dem sie nachhingen, war „Deutschland über Alles", ihre Begeisterung der hohe Sinn ihres Lebens. Dies Geschlecht war noch von dem 5i

Gedächtnis der Befreiungskriege und dem Jammer der reaktionären Bundesgesetze betroffen. Welche Lust, ihm einstens begegnet zu sein, den Schwung des Auftretens beobachtet, in die Leidenschaft der blitzenden Augen geschaut zu haben. Der Kern seines Lebens, das in der individuellen Ausprägung der Persönlichkeit und in der Bemühung um einen verbesserten gesellschaftlichen Anschluß ruhte, lag befestigt im Mittelstande, in dem innerhalb der Schranken solider Wirtschaft seiner Arbeit und seinem Verdienste nachgehenden Bürgertum. Die Zerstörung dieser bürgerlichen Kultur ist das beklagenswerteste Unglück Deutschlands geworden. Sie wurde durch die Verflachung der geistigen Interessen und das Übergewicht der naturwissenschaftlichen und technischen Disziplinen gegenüber den klassisch-humanistischen Studien schon vor dem ersten Weltkriege eingeleitet. Und mit dem Dahinsterben derVerkünder des altliberalen deutschen Denkens verwandelten sich die praktische Tatkraft und die Mitarbeit an der Organisation des Staates in eine träge Unfruchtbarkeit und in eine unklare, mit der Etikette „gesinnungstüchtig" verklebte Indolenz. Gegen diesen Ausgang des Liberalismus sind scharfe Anklagen geschleudert worden, namentlich gegen die armen Professoren, die, so behauptet Spengler, „wie Feldmäuse Deutschland mit Büchern bevölkert haben, in welchen die Schlagworte aus der Wirklichkeit englischer Kontore in die deutschen Wolken erhoben wurden". Dennoch ist es eindruckvoll, ihre Reihen abzuschreiten und aus ihnen eine Auslese zu treffen, die gerade in der Jetztzeit ein Bild des hochstehenden Deutschen nachzuformen gestattet, wie er nach Goethes und Humboldts Tode aus der Kleinstaaterei herauszukommen bemüht war. Auch einmal in der zweiten Staffel nach Gelehrten zu suchen, die einen guten Platz einnahmen, mit Herz und Hand, als freie Köpfe sich für Deutschland einsetzten, aber in ruhiger Zurückhaltung ihr Leben führten. Bei der Schilderung einer derartigen Tätigkeit werden üble 52

Nachreden entkräftet. Denn Bekenntnisse zu einer idealistischen Weltanschauung und einer charaktervollen Menschlichkeit in heller Freude an der Schönheit des Daseins und Wirkens sind der Ausdruck von Eigenschaften, die höchste Achtung verdienen, sogar wenn sie nur bescheidene Resultate zur Folge hatten. Eine anziehende Erscheinung, wie sie zu deutlichem Verständnis der in diesen Ausführungen gegebenen allgemeinen Grundzüge berufen werden kann, tritt uns in Hermann Hettner entgegen. Kein Bahnbrecher von mächtiger Gewalt und kein schöpferischer Denker, aber ein gediegener, durch Begabung und Aufnahmefähigkeit zu klarer Einsicht gelangter Schriftsteller, dessen Selbständigkeitsbedürfnis und Verlangen nach neuen Wegen der Forschung von einer strengen Gewissenhaftigkeit gezügelt wurden. Hettner darf, wenn wir auch die psychologischen Motive der in seinen Werken ausgesprochenen Überzeugungen neben ihren ethischen Bedingungen zu bestimmen versuchen, als ein ausgezeichnetes Beispiel für die klassische Überlieferung und für das um 1850 an den deutschen Hochschulen herrschende gemäßigte Klima in den Vordergrund von Erwägungen gebracht werden, die in das letzte Kapitel humanistischen deutschen Besitzens einzudringen bezwecken. Als Flügelmann, dessen Haupt mit herben Gesichtszügen an der Seite der Meister der Fächer herausragt, in welchen er sich ebenfallsbetätigte, hatHettner mit seiner,, Literaturgeschichte des 18. Jahrhunderts" eine wissenschaftliche Leistung ersten Ranges vollbracht, die in dem langen Zeitraum seit ihrem Erscheinen nicht veraltete. Sie ist ein glänzendes Zeugnis deutschen Fleißes und eines durch die Feinheit und Anschaulichkeit der Schilderung lebendigen Wissens, zugleich eines der wichtigsten Dokumente der liberalen Denkweise vor der Reichsgründung. In diesem Buche gibt sich eine leidenschaftliche Begierde nach dem Erwerb einer allgemeinen Bildung kund, die dem Hörer der durch Wilhelm von Humboldt geschaffenen Berliner 53

Universität geziemte. Als mutiger Verteidiger der Aufklärungsphilosophie und der ihr verdankten allgemeinen Bildung hat Hettner unvergängliche Verdienste. Er dehnte den Begriff nach seinem ursprünglichen Gehalt auf die Wünsche weiter Kreise aus und beschränkte ihn nicht auf die Verwaltung der höheren Schulen. Aber schon als er begann, seine Literaturgeschichte zu schreiben, war die allgemeine „Bildung", idealer und aristokratischer Natur, von einer „allgemeinen" Bildung realer und bourgeoiser Beschaffenheit verdrängt worden. Wenn von Jakob Grimm bis zu Treitschke und Wilamowitz „Bildung" nur mehr einseitig in Beziehung zu der humanistischen Gedankenwelt gebracht wurde, ist nicht zu verwundern, daß diese Auslegung zu einer nicht ganz unberechtigten Trennung geführt hat. Bis zum heutigen Tage ist der Streit um die Frage des Nutzens einer allgemeinen, namentlich einer humanistischen Bildung nicht abgeschlossen. Dämonische Gewalten von finsterer Grausamkeit sind am Werke, alle idealistischen Uberreste aus dem Gedankengute der letzten anderthalb Jahrhunderte der Vergangenheit zu überantworten und, statt zu bewahren und zu erhalten, in Kampf und Sturm zerrinnen zu lassen, was herrlich war in der Welt! Aus einer reinen Quelle haben einstens die besten Deutschen ihrem Idealismus die Kräfte zugeleitet, die sie zu den größten Arbeitsanstrengungen aufwendeten und zwischen dem politischen und dem wissenschaftlichen Ehrgeize das feste Band knüpften, in dem die Hoffnung auf die baldige Begründung des Reiches als roter Faden eingeflochten war. Aus der hohen Bildung des Geistes erreichten sie die demütige Bildung des Herzens, die, durch ein pantheistisches Gefühl gestärkt, der von Hölderlin befürchteten „Unheilbarkeit des Jahrhunderts" nicht verfiel. Daher folgte ihnen anhänglich die Jugend, die wie zu allen Zeiten an ihrem Recht auf ihr eigenes Gesetz festhielt, das sie der Tradition getreu formte. Und solange sich unsere in der Läuterung ihres 54

Wesens immerfort erneuernde deutsche Jugend nicht in Fesseln einschnüren lassen und ihren ererbten Germanentrotz bewähren will, wird unter ihr eine erlesene Schar zusammenstehen, wie sie vor 1 9 1 4 Norbert von Hellingraths lichtem Auge begegnete. Hier wird im ehrfürchtigen Glauben an den in allen Nöten Trost und Heil spendenden Zuspruch der deutschen Klassiker das Panier der allgemeinen Bildung des alten Jahrhunderts im Sturmwinde des neuen flattern, einer der Methode nach anderen vielleicht, als sie Hettner und seine Zeitgenossen empfangen hatten, aber der unveränderlich gleichen geistigen Gesinnung gehorsam. Wir heißen Euch hoffen! Der beredte Zeuge des, wie er glaubte, von der allgemeinen Bildung und der Aufklärung in ständiger Gemeinschaft geschaffenen Fortschritts der Menschheit wurde am 12. März 1 8 2 1 als Sohn eines Gutsbesitzers in Niederleysersdorf in Schlesien geboren. Hermann Hettner besuchte das Gymnasium in Hirschberg, wo ihn der mit Goethe verbundene Karl Ernst Schubarth unterrichtete, studierte Geschichte und Philosophie in Berlin, hörte bei Hotho, Böckh und Ranke erst im Anschlüsse an die Hegelschule, und ging dann zu ihrem radikalen linken Flügel über. Im Sommer 1 8 4 1 in Heidelberg, unternahm er in den Ferien eine italienische Reise, die in ihm den Wunsch erweckte, seinem Lerneifer auch durch kunstwissenschaftliche und archäologische Studien zu dienen. Infolgedessen verwendete er ein Jahr nach seiner Promotion in der Heimat für seine neuen Aufgaben. Ein Aufenthalt von drei Wintern und zwei Sommern in Italien schloß diese Arbeit ab. Zu den Eindrücken von Rom, Neapel und Sizilien kam der Umgang mit vier Kommilitonen: Theodor Mommsen, Ernst Curtius, Wilhelm Giesebrecht und Heinrich Brunn, die in der Ewigen Stadt weilten und mit Hettner eine heitere Tafelrunde bildeten. Vor allem schloß sich zwischen Hettner und Brunn ein freundschaft-

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liches Verhältnis. Wer hier mehr gab, Brunn, der seine fortschrittlichen Theorien über die Betrachtung und E r klärung künstlerischer Schöpfungen nachher in seinem Seminar erprobte, wo sie seinem Schüler Heinrich Wölfflin Wege einer neuen Erkenntnis der kunstgeschichtlichen Begriffe wiesen, oder Hettner, wäre zu ermitteln wünschenswert. Hettners Begehren, Wissenschaft und Leben zu vereinigen und durch moderne Anleitungen seine Kräfte anzuspannen, wurde durch die Begegnung mit Friedrich Hebbel eine weitere Steigerung verschafft. Der um acht Jahre ältere Dichter führte den aufmerksamen Gefährten seiner Neapler Einsamkeit durch seine Erfahrungen über Poetik und Technik des Dramas auf die letzte Stufe seiner geistigen Erziehung. A m Ende der langen Reise steht die Verlobung mit Marie von Stockmar, der Tochter des umsichtigen Coburger Diplomaten. Durch seine Heirat trat Hettner in Beziehung zu einem Manne, dessen Klugheit die engen Maschen des deutschen Liberalismus durchbrochen und, leider erfolglos, eine Annäherung der englischen und deutschen Politik betrieben hat. Nach seiner Rückkehr habilitierte sich Hettner in Heidelberg. Die Kollegien, die er las, sprechen für die Weite seines Gesichtskreises, seine Verwegenheit und sein Wissen nicht minder als für die Freiheit, mit der das akademische Lehramt ausgestattet war. Sie behandelten Spinozas Stellung zur Gegenwart, Calderon und Shakespeare, Poetik, die Geschichte der Poesie und der bildenden Künste von Gottsched und Mengs bis auf die Gegenwart. Unter seinen Schülern saß Gottfried Keller aus Zürich, schon ein Dreißiger, und wurde Hebbels Nachfolger bei langen Unterredungen. In Heidelberg war eine der zünftigen Bevormundung ferne Lehrstätte errichtet. Männer des freien Wortes und der freien Tat, Gerwinns, Moleschott, Schlosser, dessen Geschichte des 18. Jahrhunderts vermutlich Hettner zu seinem Hauptkolleg anregte, empfingen den Ankömmling mit freund-

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licher Teilnahme. Im Rathause hielt Ludwig Feuerbach seine Vorträge über das Wesen der Religion, während die Wogen der badischen Freiheitsbewegung bis zu den Türen schlugen. Sein Einfluß auf Hettner, der schon 1843 in einem streitbaren Aufsatze Feuerbachs Philosophie eine „gewaltige Revolution" genannt hatte, erreichte durch das Wort des Propheten einen Grad, dessen Fiebergefahr nur durch eine strenge geistige Diät beseitigt werden konnte. In kleineren Büchern, darunter einer „Vorschule zur bildenden Kunst der Alten", befreite sich der junge Ehemann von der Bürde jener Belehrung und sonderte Feuerbachs Offenbarungen sorglich ab von seinen nunmehr mit manchen Hemmungen wieder zu Hegel zurückkehrenden zukunftsträchtigen und polemischen Aussagen. Hettner war bereits durch mehrere Schriften in der Öffentlichkeit bekannt. In einer Broschüre „Gegen die spekulative Ästhetik" hatte er sich mit Gedankenfolgen befaßt, die wie vorbereitende Thesen der von Brunn und Semper, nachher mit schärferer Präzision von Konrad Fiedler eingeleiteten Wandlung bei der Betrachtung von Kunstwerken wirken. E r stellte die Forderung auf, daß sich die philosophische mit der empirischen Kunstwissenschaft verbinden, letztere nicht von der Ästhetik getrennt werden müsse, daß „Dank dem lebendigen Hauche des Individuums dem Geiste des Kunstwerkes eine ursprüngliche schöpferische K r a f t " zuzusprechen sei und jede Kunsttheorie in die Geschichte hinüberführe. Aber diese Forderungen wurden weder systematisch begründet noch in ihnen Folgen zu Resultaten ausgebildet. Hettners Arbeitsweise ist schon bei diesem literarischen Erstling genau sichtbar. Bei einem fast scheuen, sehr gerecht vorgehenden, aber selten energischer zugreifenden Taktgefühl reizte es ihn, mit Seitensprüngen auszubrechen, um in jäher Selbstbesinnung abermals zu wechseln und auf den alten Weg zurückzukehren. Ein merkwürdiger Fall nebeneinander und gegeneinander stehen-

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der Widersprüche, suchte seine geistige Verfassung stets den wissenschaftlichen Stoff zusammenzuhäufen, um ihn bei vorsichtiger Prüfung teils zu übernehmen, teils nach subjektivem Empfinden zu kritisieren und zu korrigieren. Diese Mischung von Abhängigkeit und eigenem Vermögen erschwert die Scheidung der in Hettners Natur vereinigten individuellen Eigenschaften von fremden Bestandteilen. Er beabsichtigte, den Künstler und das Publikum über eine schöpferische Anschauung durch die Rechenschaft über die Mittel der Kunst aufzuklären, ferner das Wesen der Kunst durch eine ästhetisch-historische Wissenschaft zu erfassen. Statt dessen scheint es, als habe er seine Aufgabe lösen wollen, um sich selbst Rechenschaft abzulegen über Fragen, die sich nur in einer zunächst privaten Auseinandersetzung lösen ließen. In Rom hatte Hettner eine Studie über den Landschaftsmaler Ernst Willers drucken lassen, worin er eine Vereinigung der realistischen und idealistischen Momente bei der Darstellung landschaftlicher Motive wünschte. Auch für die Erneuerung der Historienmalerei setzte er sich ein. Aus dem Zuge dieser Sturmvögel wird schon der abgeschlossene spätere Gedankenkreis des Schriftstellers merkbar, seine Hinneigung zu der vulkanischen Gesinnung der Zeit. Als Hauptursache des Niederganges der Kunst bezeichnet er die politische Unfreiheit und die mangelnde Bildung der Künstler. In seinen Protesten berühren sich ein eigensinniger Wille und eine vom Herzen kommende Sehnsucht nach Besserung auf dem Wege der Erziehung. In einem zweiten Aufsatze aus Rom wurde von Hettner das Thema behandelt, wie der „isolierten Stellung der Plastik" durch praktische Ratschläge zu einer fortschrittlichen Einigung mit den übrigen Künsten zu verhelfen sei. Diese Abhandlung verdient mehr als nur eine historische Würdigung. Denn sie zeigt an, mit welchem Eifer Hettner in seinen jungen Jahren bereit war, sich in die Arena der Kritik zu stürzen, und mit welcher Unerschrocken58

heit er seine neuen Ideen verkündete. Erst wenn „aus der Not der Zeit die Neutralität des Geschichtlichen und Ästhetischen als Charakter der Unsicherheit der modernen Bildhauer beseitigt sei", schließt Hettner seine „ästhetischen Phantasien", werden wir eine nationale deutsche Plastik besitzen. Diese Darlegungen kurz zu wiederholen ist ehrenvolle Pflicht. Der vom Jüngling zum Manne gewachsene Mentor fühlte sich als Deutscher und Bürger kommender Zeiten, eine Posa-Natur, die nicht zufrieden war mit Tadel und ängstlichem Bedauern, sondern mit aussichtsreichen Zukunftsplänen der Kunst eine andere Richtung weisen wollte. Mag er gelegentlich auch mit seinen Wünschen über das Ziel hinausschießen und allzu kühne Erwartungen hegen, die Entrüstung über die Gebrechen der vaterländischen Zustände und die Ahnung der kommenden Revolution stehen zwischen den Zeilen des kleinen Manifestes. Cornelius rief den Malern zu, daß das Studium der Antike ihre einzige Rettung sei. Nun erhielt dieser Rat für die Bildhauer eine weitere Auslegung. Von Winckelmann und Herder, deren Ästhetik von Hettner einer modernen und nationalen Umstellung zugeführt wurde, zu Richard Wagners Schriften läuft eine Linie, die über die „Drangsale und Hoffnungen der modernen Plastik" zum „Kunstwerk der Zukunft"leitet. Stärker offenbart die Botschaft über „das moderne Drama", in der die Enttäuschungen des tollen Jahres nachzittern, wie tief Hettner innerlich erregt war (1852). In dem Büchlein, dessen Argumente noch Henrik Ibsen anerkannte, wurde für das Theater ein radikaler Realismus gefordert. Über die mühsam gebändigte politische erhob sich die soziale Tendenz dieser dritten Schrift. Die Unruhe der Zeit spiegelt sich in allen Kapiteln, in welchen die historische Tragödie, das bürgerliche Drama, die Komödie nach ihren Bedingungen geprüft und die ersten Versuche einer Reform der deutschen Bühne gewagt werden. Die Vereinigung von Phantasie und Ver59

stand, die den Verfasser dieses umstürzenden Programms auszeichnete, nicht zu einem verworrenen Gedämmer, sondern zu einer durch die Kraft der intellektuell und intuitiv den Gehalt von Wissenschaft, Dichtung und Kunst aufnehmenden Einsicht führte, ergibt die Notwendigkeit, ihn als einen aus mehreren ineinander und wieder auseinander gehenden Beziehungen bestehenden Charakter aufzufassen. In der Tiefe der Begabung Hettners bargen sich dichterische und künstlerische Talente, die zu einer selbständigen Geltung nicht ausreichten, sich aber immerfort regten. Eine nur idealistisch genommene Ablenkung hätte seinem wissenschaftlichen Verantwortungsgefühl nicht genügt. Da ihm in seinen Anschauungen eine Lücke zu klaffen schien, glaubte er, aus der Entwickelung der Weltgeschichte auch auf die Einheit der künstlerischen Schöpfung schließen zu dürfen. So folgte er seinem Lehrer Böckh, dem hohen Gedankenfluge Humboldts und den Vorschriften Goethes, dessen Greisengestalt seine Schuljahre beschirmt hatte. Vielleicht darf diese humanistische Gewöhnung, die das belebende Prinzip der gesamten literarischen Forschung Hettners war, sich in seinem Verhältnis zu Künstlern und Menschen schön und rein anzeigt und die unbegrenzte Welt der Kunst und die begrenzte Welt der Wirklichkeit liebevoll und nachsichtig zu umfassen strebte, als der Gesamtsinn seiner Existenz betrachtet werden. Ein so fest verankerter ästhetischer Glauben konnte sich niemals, allen dahingehenden Versuchen trotzend, von dem Idealismus Hegels abwenden. Während Hettner zwar Grundsätzen gehorchte, die seinem eigenen Willen angehörten und die er an sich selbst erprobt hatte, und die Mängel rügte, die dem nach seiner Meinung erreichbaren Verständnis zwischen dem Künstler, seinem Werk und dem genießenden Laien schaden, wollte er ein sittlich auf die Leitsätze der Kunstbetrachtung seines Meisters eingeschworener Adept bleiben. Dieser Umstand ist wichtig für den Platz, der Hettner gebührt. Er steht 60

vor unseren Augen da als Typus einer Übergangsepoche, den wegen der Unentschiedenheit der Stellung innerhalb seiner Zeit und im Umkreise von anderen hervorragenden Männern als historisches Beispiel anzuerkennen lehrreich ist. Die Keime und Ansätze, die sich bei ihm finden, sind bei mächtigeren Persönlichkeiten wie Wundt, Dilthey und Benedetto Croce höher gewachsen und besser ausgereift, von wesentlicheren Impulsen gehoben. Auch Dilthey und Croce haben sich vor der Herrschaft der Naturwissenschaften zu der Notwendigkeit bekannt, die Philosophie wieder in die Geschichte zurückzubiegen. Aus dem Pathos der Ästhetik Hegels ging Hettner, von persönlichen und politisch begründeten Erfahrungen bewogen, zu dem Rationalismus der Aufklärung zurück, wobei er auch romantischen Regungen unterlag, aber beherrscht und ohne empfindsame Schwärmerei. Im Jahre 1852 folgte Hettner einem Rufe nach Jena. Drei Jahre später erhielt er die Stellung als Leiter der Antikensammlung und des Museums der Gipsabgüsse in Dresden, die sich im Laufe der Zeit durch andere Ämter zu einem mit vielen Verpflichtungen verknüpften ehrenvollen Posten vergrößerte. In Jena wurde von ihm der Plan gefaßt, eine Literaturgeschichte des 18. Jahrhunderts in Angriff zu nehmen. Fast zwanzig Jahre, bis zum Sommer 1870, hat er sich diesem nicht immer von spröden und schwerfälligen Widerständen des riesigen Materials freien Schaffen gewidmet: „Ich will versuchen, die alte geächtete Aufklärungsphilosophie wieder zu Ehren zu bringen." Mit diesen Worten an Gottfried Keller forderte er für sich das Recht, seine Studien auf einen Gegenstand zu konzentrieren, der in einem weltanschaulichen Sinne seinen Lebensgrundsätzen entsprach und ihm gestattete, sie sozialpolitisch als Muster zeitgeschichtlicher und entwicklungsgeschichtlicher Art vorzustellen. Durch die r e f o r m a t o r i s c h e Absicht auf eine nicht in der Aufzählung vergangener Bil61

dungsinteressen sich erschöpfende, neben der Belehrung eine kulturelle Erziehung veranlassende Wirkung verdient Hettner besondere Aufmerksamkeit. Denn hier scheidet er sich von den gleichzeitigen Fachgenossen, welchen es nur um die trockene Ausbeute zu tun war. In seine Schilderung der Literaturgeschichte trägt er wie Schlosser in die Weltgeschichte den liberalen Zweck als beste Gelegenheit zu beispielgebender Mahnung hinüber. Das ist bisher übersehen worden und ist doch für die Einschätzung Hettners von größter Bedeutung. Es ist mehr als alle anderen Merkmale seines Schrifttums geeignet, in der Verkettung von subjektiven und objektiven Auseinandersetzungen eine genaue Kenntnis des Mannes zu geben, der niemals die Hoffnung auf eine glückliche Zukunft verlor, sich mit freudiger Zuversicht, nicht anders als Dahlmann in seiner „Politik", für den Adel der deutschen klassischen Bildung und eine auch äußerliche Vervollkommnung der menschlichen Dinge am Ende der Geschichte begeisterte. Nach den Befreiungskriegen hatte die Empörung über die Greueltaten der Französischen Revolution die Bücher der Aufklärungsphilosophie als Ursachen dieser Volkserhebung in Acht und Bann getan. Die reaktionären Gesetze sorgten dafür, daß sich ähnlich verdächtige Schriften nicht verbreiteten. Aber die Erinnerung an die ,,Bildungskämpfe der Vernunft und der Freiheit" ließ sich nicht unterdrücken. Die alte Humanität, die Lessing und Herder vordem so tief berührt hatte, war freilich in Vergessenheit verklungen, bis ihr Ruf durch Schlosser abermals zu den Ohren der Deutschen drang, die für die Frankfurter Versammlung ihre Abgeordneten wählten. Hettner hörte auf eine gute Eingebung, als er den Entschluß faßte, in seiner Literaturgeschichte mit der Verteidigung des Aufklärungszeitalters eine kulturpolitische Aufgabe zu erfüllen. Er war ausgestattet nicht nur mit dem poetisch-psychologischen Blick, den Hebbel an ihm rühmt; er wandte ihn weniger zu einer umfas62

senden Übersicht an als zur Ergründung individueller Gesetze und originaler Kräfte. Der „freie Weltbürgersinn der deutschen Dichtung" war dem Schüler Rankes wie seinem Meister eigen. Die bei der Aufzählung der einzelnen Posten, des Soll und Haben der Dichter und Denker, die den Gang der Entwicklung bestimmten, angewandte Unterscheidungsfähigkeit, eine mit einer kaufmännischen Abrechnung vergleichbare Bilanz richtig aufzustellen, dankte Hettner Ranke und nicht Schlosser. Gerechtigkeitsgefühl und Lebendigkeit der Betrachtung, gestützt durch ein auf großem Wissen ruhendes Urteil: das sind die Grundpfeiler, auf welchen er seinen Bau errichtet hat. Er mißt und zählt, prüft bedächtig das herbeigeholte Material, er wählt und sondert, glättet und kittet, deckt und wölbt in ersprießlicher Schaffensfreude. Seine Erfahrungen und seine Eigenschaften veranlassen ihn, in einer klugen Reserve zu verbleiben: Hettner ist ein Forscher der mittleren Linie. Damit stellt er sich nicht auf eine Neutralität ein, die ihm den freien Entschluß geraubt haben würde. Wie er vordem als Ästhetiker zögerte, von seinen Analysen zu Synthesen überzugehen, verfuhr er, dem anderen Stoffe gemäß freilich weniger bemerkbar, auch als Literarhistoriker. Die vielseitigen Bestrebungen seiner Bildung und sein unermüdlicher Fleiß ließen die Leichtigkeit der Schilderung nicht zur schwerflüssigen Masse werden; frisch und anmutig überwindet eine knappe Rhetorik selbst die gefährlichsten Strecken der Einöde und dürren Vegetation der Poesie ebenso wie die Langeweile der kahlen Felder der ehemaligen philosophierenden Afterweisheit. Zu bewahren, zu vermitteln und zu vereinigen, die Zinsen des angesammelten Kapitals der Zukunft gutzuschreiben: darin ersah Hettner die Fruchtbarkeit seiner Forschung. Seine Belesenheit ist fast erschreckend. Er hat die gesamte englische, französische und deutsche Literatur von derZeit Luthers bis zum Tode Goethes sogar 63

in den entlegensten Winkeln durchstöbert. Bewaffnet mit diesem Rüstzeug führte er seine Arbeit erfolgreich durch. Obgleich er schon in Heidelberg ein Kolleg gelesen hatte, das von Gottsched und Mengs bis zur Gegenwart ging, dürften die politischen Ereignisse und die Enttäuschung des Bürgertums, voran der Hochschullehrer, die Ursache gewesen sein, die ihn zu seiner langjährigen Beschäftigung trieb. Wie die meisten seiner Kollegen scheint er sich nach einem Heilmittel gesehnt und in seiner produktiven Tätigkeit eine Zuflucht gefunden zu haben. Im Jahrzehnt vor der Thronbesteigung König Wilhelms I. ist eine lange Reihe von gewichtigen Büchern geschaffen oder begonnen worden, die den Besitzstand des deutschen geistigen Vermögens in erhebender Weise vermehrten. Droysen und Waitz verfaßten damals ihre historischen Werke, Kuno Fischer veröffentlichte die ersten Bände seiner Geschichte der Philosophie, Gregorovius saß über seiner Geschichte der Stadt Rom, Riehl über der Naturgeschichte des deutschen Volkes, Jacob Burckhardt und Georg Voigt in Basel und Königsberg an Deutschlands Grenzen, wagten sich an die Schilderung der Zustände der italienischen Renaissance. Die ersten Lieferungen des Grimmschen Wörterbuches erschienen. Hettners Literaturgeschichte schließt sich würdig hier an. Die letzten Sonnenstrahlen von Weimar fielen auf diese stillen Jahre, die durch die Dichter Keller und Stifter, Scheffel und Freytag mit reichen poetischen Spenden bedacht wurden. Nachdem Goethes hundertster Geburtstag mit geringer Teilnahme begangen worden war, wurde die Zentenarfeier Schillers im November 1859 überall mit großem Jubel abgehalten. Schiller war der erklärte Liebling des Bürgerstandes, dessen Angehörige nach dem heroischen Appell des Marquis Posa und der stürmischen Warnung des Dunois vor der Nichtswürdigkeit einer Nation, die nicht ihr Alles freudig setzt an ihre Ehre, bei offener Bühne in einen tobenden Beifall ausbrachen und im Konzertsaale 64

beim Vortrage von Heines „Die beiden Grenadiere" mit Schumanns Musik entrüstet protestierten. Das war das rechte Publikum für eine Geschichte der Aufklärungsliteratur. Auch Hettners Werk ist ein Zeichen der Zeit und ihrer Stimmung. In drei Bänden werden wir von England, wo die Grundlagen der bald nach Frankreich dringenden Aufklärungsphilosophie geschaffen wurden, von Locke und Shaftesbury zu Voltaire, Diderot, Rousseau, Buffon geleitet. Das ist die Basis der deutschen geistigen Bildung von Christian Wolff bis zu Kant, Schiller und Goethe. In der Wechselbeziehung und Wechselwirkung der Literaturen der drei Völker findet Hettner ihre Einheit. Er findet ferner, in den Ideen, das historische Prinzip, dessen sittliche Motive hervortreten. Im Fortschreiten der Erzählung bleiben Frische und formale Haltung unverändert und erheben sich, bei den deutschen Klassikern angelangt, zu einer reichen, künstlerischen Komposition. Fast alle Bände werden durch gehaltvolle Einführungen eröffnet, unter welchen das von der Reformation ausgehende und zum Dreißigjährigen Kriege und seinen Folgen führende kulturgeschichtliche Panorama am Anfang der deutschen Literaturgeschichte ein Meisterstück deutscher Prosa ist. Mit dem Enthusiasmus des Prologs, den Treitschke anderthalb Jahrzehnte später an die Spitze seines monumentalen Werkes setzte, inhaltlich und formal übereinstimmend, bringen Hettners wuchtige Perioden den Wechsel der sozialen und politischen Verhältnisse und die Gründe des Verfalls und der Erhebung nicht weniger anschaulich vor Augen. In den zusammenfassenden Abschnitten, die als Brücken von einer Epoche zur nächsten, von einer Metamorphose der Poeterei zur anderen geschlagen werden, erweist Hettner sich abermals besonders befähigt zu vermitteln und zu verbinden, geschmackvoll, geistreich und beweglich. Nicht ebenso befriedigend löst sich seine Betrachtung Schillers und Goethes von den angenommenen Einflüssen der Auf5 Ohde-Bernays, Mittler und Meister

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klärungsphilosophie. Keinem Literarhistoriker, auch Scherer nicht, ist es gelungen, die beiden Dichter in das Gehäuse eines Handbuches anders als mit willkürlichen Konstruktionen einzufügen. „Das nachempfindende Kunstgefühl muß die Hauptsache bleiben. Mit der Philologie allein ist es nicht getan. Das Ästhetische darf die historische Grundlage nicht entbehren", schrieb Hettner an Erich Schmidt. Im Grunde besaß er doch eine Heinrich von Treitschke verwandte Natur, war zwar nicht im Besitze des hinreißenden Temperamentes des großen Historikers, aber gleich ihm getrieben von der Wärme des inneren Nacherlebens der Vorgänge, die aus der Vergangenheit in die Gegenwart übertragen wurden. Auch er vermochte ein lichtes und buntes Gewebe zu spinnen, das Wort zu adeligem Klange zu meistern, und er war unerschütterlich in seiner Vaterlandsliebe. Wer die Stimmen der Geschichte mit einem so feinen Gehör vernimmt und diesen Vorteil mit einem so zarten Verständnis anwendet wie Hettner, verdient, daß seine Hinterlassenschaft dem klassischen Vermächtnis der Jahrzehnte vor der Reichsgründung eingereiht wird. Ein Neu-Humanismus, ein Neu-Hellenismus haben zu den Sternen gegriffen. An Hettners Persönlichkeit gewinnen wir Spiegel und Stil der Ereignisse der beiden Epochen, die er beschrieben hat und in der er lebte. Wir atmen den Lorbeerduft von Tagen, die ehrfurchtlosen Nachkommen kostbare Güter hinterließen. Unsere Universitäten und unsere Dichtung gehörten zusammen. Eine glückliche Jugend horchte auf im Zeichen der akademischen Freiheit. In den Hörsälen und Gelehrtenstuben regte sich eine unwiderstehliche Leidenschaft. Eine „geistige Gentilität" verbrüderte Professoren und Schüler und drang in weite Kreise der Bevölkerung ein. Der Anhauch dieser Gesinnung schwebte über dem Schreibtische Hettners, die Weihe der deutschen wissenschaftlichen Kultur erfüllte ihn und sein Werk. Auch er wurde ein Beschützer der verschwiegenen 66

und doch so vernehmlichen Segenslaute, die sich von deutschen Büchern über die Welt verbreiteten. A m 29. Mai 1882 ist Hettner gestorben, ein Jahr nach seinem sechzigsten Geburtstage. Wir können uns kaum eine Vorstellung machen, wie es um 1850 in Deutschland aussah, welche Befriedigung über den sorgsam verwalteten Schatz der allgemeinen Bildung und die durch sie ermöglichte Vertiefung in die Schönheit eines künstlerisch gepflegten Daseins in froher Hoffnung auf eine glorreiche Zukunft damals herrschte. Wenn Hettner heute lebte, würde er gewiß mit den verzweifelten Schlußworten des Tischlermeisters Anton in dem Trauerspiele „Maria Magdalena" seines Freundes Hebbel ausrufen: „Ich verstehe die Welt nicht mehr."

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HERMAN GRIMM „ Wir leben in Kunst und Literatur in einer Zeit schamloser Inflation.

Wenn wir erfahren wollen,

was dauernde Werte sind, können wir nichts Gescheiteres tun, als Hermcm Grimm lesen." Josef

Hofmiller.

D i e bedenkliche Mitgift, Sohn und Erbe des geistigen Reichtums eines berühmten Vaters und sogar, wie man scherzhaft von ihm sagte, von zwei berühmten Vätern zu sein, hat Herman Grimm leichten Sinnes, mit Verantwortungsgefühl und vielem Anstand durch ein langes Leben getragen. Die Überlieferung des Elternhauses in der Linkstraße in Berlin, nahe dem Potsdamer Platz, in dem neben dem Vater Wilhelm der ältere Onkel Jakob in häuslicher Gemeinschaft wohnte, war schon dem Knaben ein heiliger Besitz, den er dankbar zu hüten und in Wort und Schrift für die Zukunft zu sichern als die verpflichtende Aufgabe seines Tuns ansah. Unwandelbare Treue gegen diesen Glauben erfüllte ihn, den weichen, versonnenen, dichterisch und künstlerisch erregten Jüngling, mit der nötigen Ausdauer und Kraft, vielen Anfeindungen Widerstand zu leisten und während seiner Mannesjahre und im Alter mit wachsender Energie die Grundsätze zu verteidigen, die ihm gelehrt waren und ihn auf einem geraden Wege geleiteten. Das Große in dem Dasein, das Herman Grimm beschieden war, bestand vor allem darin, daß er sich nicht irre machen ließ, daß er mit der Zeit ging, ihre veränderten Forderungen mit seiner hoffnungsvollen Anschauung zu veredeln bemüht war und durch dieses Eingehen auf die Entwicklungsprobleme der deutschen und europäischen Kultur, wobei er nicht das Geringste von seinen Losungsworten aufgab, jung blieb unter den Jungen. 68

Er war recht eigentlich, nach Begabung und Neigung, der echte Romantiker, der mit hellen offenen Augen in einer Märchenwelt wandelt und ihren Geheimnissen lauscht, um sie mit poetischer Verklärung zu deuten und zu künden. Zugleich aber war er, durch seine Erziehung, nicht etwa auf Grund autoritätsgläubigen Zwanges, sondern infolge einer wachen, leidenschaftlichen Vertiefung in die Werke der deutschen Dichter ein nach humanistischer Sitte gebildeter, begeisterter Verehrer der Klassiker geworden, unter welchen ihm Goethe als der höchste Genius entgegentrat. Grimm vereinigte diesen nach allen Seiten hin aufnehmend gerichteten Drang mit einer dauerhaften Liebe zum Schönen, indem er es als das ursprünglich und ausschließlich Gute einschätzte, und, beseelt von einem grenzenlosen Optimismus, das Häßliche und Schlechte nicht beachtete, es überhaupt nicht gelten lassen wollte. Ein günstiges Geschick gewährte ihm, in eine Zeit zu kommen, die Männern seiner Art in ihrem eigenen Königreiche auf den Höhen der Menschheit zu weilen gestattete. Der blaue Himmel, zu dem er freudig aufblickte, lächelte herab auf seine Arbeit, ein Verkehr mit erlesenen Freunden bot ihm seit der frühesten Kindheit bis zu seinem Tode eine Fülle der köstlichsten Anregungen, die er aus eigener Barschaft herzlich vergalt. Die Fügungen des Zufalls vermittelten seiner Hand wertvolle Funde, die er als gebührende Geschenke aus den Gefilden der Seligen gelassen empfing wie ein Priester die Geräte seines Amtes. Ein gesalbter Diener der Schönheit, der auf dem Katheder wie vor einem Altar seinen Lobgesang für die Erlangung der Gnade der Götter anstimmte, voll Pietät und hingegebener innerer Lust, doch ohne jede Schwärmerei und phrasenhafte doktrinäre Rede. Bescheiden und von einer schlichten Würde erhoben, stand er um die Jahrhundertwende im Hörsaal der Berliner Universität vor einem Auditorium, das sich willig von ihm in die Vergangenheit führen ließ und bei seiner packenden Erzählung der 69

Gegenwart vergaß. Herman Grimm war als Lehrer, Redner und Schriftsteller zu einer Einfachheit, einer im guten Sinne Einfalt zu nennenden Natürlichkeit, einer „erleuchteten Kürze" und Klarheit der Darstellung gelangt, die dem akademischen Brauche nicht genehm war und eine scharfe Gegnerschaft auf den Plan rief, aber um so verständlicher und eindringlicher auf weite Kreise von Hörern und Lesern wirkte. Er durfte sich erlauben, einer persönlichen Auffassung der wissenschaftlichen Methode zu folgen, soweit er eine solche besaß und erstrebte. Er begründete keine Schule, aber hinterließ viele anhängliche Schüler. Philologische Beharrlichkeit zu bewähren lag seiner feinen empfindsamen Ästhetik nicht. Ihm war es wichtiger, in den Herzen seiner Schützlinge den Funken zu entzünden und zur Flamme zu schüren, das Feuer der Begeisterung im Vorhofe des Tempels der Schönheit nicht verlöschen zu lassen und mit ängstlicher Sorge an der weitgeöffneten Türe des Heiligtums zu stehen. Als regsamer Fürsprech der gefährdeten Mächte des Geistes fühlte er sich veranlaßt, bei wichtigen Ereignissen, an denkwürdigen Jubiläumstagen und Jahresfesten das Wort in der bei seinen Amtsgenossen verfemten Tagespresse zu ergreifen, wichtige Schriften ausführlich anzuzeigen und in der „Deutschen Rundschau", dem weithin sichtbaren Forum der deutschen Publizistik, mit Essays zu erscheinen, deren unabhängiger Ton einem flüssigen, knappen Stil angepaßt war. Die markige Wucht Onkel Jakobs und der bilderreiche Glanz der Vergleiche Vater Wilhelms hatten sich hier aufs schönste verbunden. Übertreibende Formen und Wendungen bedeuten dieser Prosa, die sich stets an die Gegenwart und den ihr zugehörigen Ausdruck hält, nichts, da sie allein der Sache und ihrer Auslegung dient, deren wahrem Wesen die manchmal wie Ergebnisse einer schnellen Beobachtung sichtbaren Sätze näher kommen als weitschweifige schwülstige Ergüsse und langgestreckte Periodenbauten. Die ungekünstelte vernünftige Sinn70

lichkeit ihres Vortrages ist um so mehr zu rühmen, als sich Grimm von einer ungemein starken Phantasie, die ihm verliehen war, leicht zu gewagten Einfällen hätte fortreißen lassen können, die er aber vermied, um sich nur behaglich an der Pracht seiner Metaphern zu freuen. Die Prägnanz seiner Sprache läßt die Aufmerksamkeit kaum erkennen, die er, ununterbrochen, wie seine Manuskripte beweisen, an Verbesserungen herumfeilend, auf Ergänzungen emsig bedacht, angewandt hat. Ihr künstlerisch durchgebildeter Scharfsinn hinterläßt einen starken Eindruck, der durch den Wohlklang der sorgfältig gewählten Worte vergrößert wird. Mit besonderer Vorsicht, voraussetzungslos geht er seinem Thema entgegen; es ist anziehend, seiner Arbeitsweise nachzuspüren, weil er meist in einer langen Darlegung eine allgemeine Frage behandelt, die scheinbar mit der Sache nichts zu tun hat, bis sich plötzlich zeigt, daß auf dem Umwege der Einleitung bereits die Grundlage der späteren Abhandlung geschaffen war. Diese zögernde Beredsamkeit wollte der selbstbewußten Eile, die mit einem Kopfsprung in die Fluten der Gelehrsamkeit zu tauchen begehrt, schon bei Grimms Lebzeiten als Nachteil dünken. Sie ist seither völlig verschwunden, während sie doch die schönste und freiheitlichste Bewegung der Gedanken ermöglicht. Wir wandern mit Herman Grimm wie auf einer breiten Straße, die sich in vielen Windungen an einem Berge entlang zieht, biegen um eine Ecke, sehen überrascht eine herrliche Aussicht vor uns und werden von dem gütigen Führer an unserer Seite eingeladen, mit ihm auf einer Ruhebank Platz zu nehmen und die Gegend zu betrachten. Sein Blick hatte bemerkt, daß die Sentenzen der Altersweisheit seines geliebten Meisters nicht mit den Maßen seines eigenen Wesens übereinstimmen, weshalb er nicht wagte, ihnen nachzueifern. Als er, siebenundzwanzig Jahre alt, ein Buch Emersons fand, war er von den Offenbarungen des amerikanischen Schriftstellers, 7i

den er für Deutschland entdeckt hat, auf das tiefste betroffen; durch ihn wie durch Goethe und Raffael schien ihm „mit einem Male das gewohnte Dasein anders, schön und leuchtend, und jetzt erst in seinem wahren Lichte". Emerson wurde ihm zum Propheten und Lehrer, dem er nachfolgte, indem er seine Prinzipien übernahm, deren Einfluß sich auf seinen ganzen Ideenkreis, auch auf seine literarische Tätigkeit erstreckte. Eine Verwandtschaft wurde bestätigt, eine Verbrüderung deutschen und amerikanischen Denkens geschaffen, die hier wie dort teils auf religiöser Zuversicht, teils auf dichterischem Vermögen beruhte. Die wundervolle Ehrlichkeit des Glaubens Emersons fiel bei Grimms edlen Charaktereigenschaften auf einen für die Saatkörner solcher Erziehung trefflich vorgepflügten Boden. Grimms reiner Idealismus gewann eine gute Deckung und einen Auftrieb, der sich in einem unerschütterlichen, dem wirklichen Leben angehörenden und zur Weltanschauung vollendeten Ernst der sittlichen Ordnung äußerte. Was Grimm über Emerson geschrieben hat, gilt auch für ihn: „Er betrachtet die Welt wie sie um ihn lebendig ist; was vor ihm geschah und getan ward, ist nur eine Stufe zu der Höhe, auf die er sich gestellt hat. Die Lebenden haben das Vorrecht vor den Toten. Und wenn die Griechen noch so schön gedichtet, gemeißelt, gedacht, gesiegt, geherrscht haben: sie sind tot und wir leben . . . Statt wenige Dinge in der Schule zu lernen, diese aber gründlich, lernen wir unzählige Dinge, die uns gewaltsam in die Seele gepfropft werden und mit denen wir einen unfruchtbaren Staat treiben, bis wir in späteren Jahren Gott danken, wenn wir sie vergessen haben. Es gibt eine Kunst, über dem zu stehen, was man gelernt hat. Kenntnisse sind nur die Leiter zu dem, was sich nicht erlernen und nicht auf erlernte Weise weiter mitteilen läßt. Bei den bedeutendsten Männern fand ich stets diese Freiheit, sie legten nur ihre eigene Natur als Maßstab an. Emerson besitzt diese edle Art, sich mitzu72

teilen. Er erfüllt mich mit Mut und Vertrauen. Von jedem Dinge sieht er die direkte Linie ausgehen, die es mit dem Zentrum des Lebens in Verbindung setzt." Unbewußt stellt Grimm mit diesen Worten Emerson neben Goethe, der gedichtet hatte: „Amerika, du hast es besser als unser Kontinent, der alte . . ." und mit einem seltenen Zukunftsgefühl voraussagte, daß „die gesellschaftliche Bildung universell werde", freilich auch verlangte, „an der Gesinnung festzuhalten, in der wir heraufkamen". Wie Goethe und Emerson wollte Grimm seine politische Überzeugung nicht von Macht und Gewalt abhängig machen. Er war aufgewachsen in einer Zeit, in der die unklaren Vorstellungen des deutschen Liberalismus sich allmählich zu gesicherten Forderungen umwandelten. Die Einigkeitsbestrebungen unter der Führung geistig hochstehender Männer des Bürgertums und der Universitäten rissen ihn wie viele andere fort zu einer siegesfrohen Teilnahme an der allgemeinen Bewegung. Als unter der Vorherrschaft Preußens das Deutsche Reich durch Bismarck geschaffen worden war, hielt er fest am Glauben an den ewigen Fortschritt der Menschheit und an ein goldenes Zeitalter in einer nicht mehr fernen Zukunft, das alle Völker friedlich zusammenschließen und eine neue Blüte der Künste und Wissenschaften bringen werde. Seine träumerischen Ideologien, eine, wie wir erfahren haben, verhängnisvolle Angewohnheit zahlreicher deutscher Gelehrter, verführten ihn zu politischen Schlüssen und Weissagungen, die schon bei ihrer Veröffentlichung großen Bedenken begegneten. Grimms naive Weltansicht nahm eine auf geistiger Anlage gegebene Überlegenheit des Germanentums an, wozu er England und Amerika rechnete, nicht nach der einseitigen Schablone Chamberlains, jedenfalls aber mit einer sonderbaren Unterschätzung der romanischen Völker, sogar Italiens, des Landes, in dem er sich wohl und heimisch fühlte. Suchen wir nach den Gründen dieses Vorurteils, wird uns gleich auffallen, daß es weit 73

eher von ethischen als von politischen Werten veranlaßt wurde. Wie später auch Treitschke scheint Grimm trotz seines patriotischen Stolzes die Gefahren gewittert zu haben, die dem neuen Deutschen Reiche und der von ihm über alle anderen Bedingungen der staatlichen Verhältnisse gestellten Freiheit der Wissenschaft drohten. In vielen Aufsätzen hat er nachdrücklich diese These als die einzige Voraussetzung geistiger Tätigkeit bezeichnet und immer wiederholt: „Wir sind nicht frei und einig geworden in Deutschland deshalb, weil wir wohlhabender wurden und indem der Einzelne sich selbständiger fühlte, auch nicht etwa deshalb, weil die deutsche Tapferkeit uns über neidische Nachbarn Siege verlieh; unsere Freiheit ist erwachsen aus der geistigen Arbeit derer, denen diese Arbeit zu pflegen oblag, ihre unabhängige Gesinnung zog langsam die des ganzen Volkes nach sich. Und deshalb ist bei unseren Erfolgen heute nur eine Furcht als wirklich begründete Besorgnis denkbar: man könne vergessen, was unserer Siege eigentlicher Grund sei." An einer weiteren Stelle: „Diese Liebe zur Freiheit oder, um einen prosaischen Ausdruck zu gebrauchen, die Forderung geistiger Unbefangenheit in allen Fragen ist es, die den Deutschen vor anderen Nationen auszeichnet, kein Wunder also, wenn sie sich als Charaktergrundzug unserer großen Männer kundgibt." So mannhaft hat nach ihm nur noch Ulrich von Wilamowitz gesprochen, als schon die Übergriffe des preußischen Militarismus den Bau der deutschen Forschung bedrängten. Hier müssen wir beachten, daß Grimm der Generation angehörte, die den „Jammer der deutschen Kleinstaaterei" besonders schmerzlich empfand und sich fortsehnte nach einem Kaiserreiche deutscher Nation, das sie mit den Waffen des Geistes zu schmieden gewillt war. Eben diese Entwicklung, die durch die Macht des Gedankens vollzogen wurde, der in allen mutigen Köpfen lebte, war die Ursache, daß die schlaue Diplomatie Bismarcks sich ihrer bediente, um zum ersehnten Ziele zu gelangen. Obwohl 74

Grimms Enthusiasmus den 18. Januar 1871 feierlich begrüßte, hielt er sich wenige Wochen später, als Gervinus voller Verbitterung über die entstandenen Veränderungen gestorben war, nicht zurück, dem streitbaren Recken einen Nachruf zu widmen, in dem es heißt, daß er „seinem Vaterlande zuliebe die preußische Politik mit solchem Haß angesehen habe". Gerechtigkeit und Bekennertum: diese beiden Tugenden besaß Herman Grimm in einem Umfange, daß sie seine übrigen Eigenschaften zurücktreten ließen. Durchdrungen von der Gewißheit einer künftigen Gemeinschaft der drei germanischen Großmächte, die er im geistigen Sinne mit Emerson und Carlyle bereits geschlossen hatte, war er frühzeitig zum Kosmopoliten geworden, der in der Weihe der Kunst erst die wahre Freude des Daseins und in der Herrlichkeit der Natur einen gleichen Genuß, ein übereinstimmendes Gefühl zu hegen begehrte. Er geht sehr weit seinen Zeitgenossen voran mit dem Ausspruch: „Wir, die wir wissen, daß Kelten und Slaven wohnten, wo wir stehen, finden unser Vaterland beinahe nur noch da, wo unser Volk ist. Wie uns Indien, woher wir aus unendlichen Zeiten kamen, gleichgültig ist, wäre uns der Gedanke nicht unmöglich, daß wir auf einer großen Flotte alle über den Ozean nach Amerika gingen." Und dann: „Norddeutschland und England haben so viel gemeinsame Interessen, sind in so vielen Punkten aufeinander angewiesen, daß trotz aller Eifersucht Engländer und Deutsche immer mehr zusammenkommen werden. England, Amerika und Deutschland sind dazu da, die Erde zu beherrschen. Wie früher der romanische Begriff des Königtums in Europa gewaltet hat, so ist es heute der Zug nach dem germanischen Begriffe der Freiheit, der den Völkern eine neue Gestalt verleiht." Wiederum klingen Worte Goethes nach: „Wo wir uns bilden, da ist unser Vaterland." Als Herman Grimm am 16. Juni 1901 starb, standen finstere Wolken am Himmel, und die Morgenröte der von ihm 75

bis zum letzten Augenblick erhofften Verheißung eines ewigen Friedens auf Erden und eines Wohlgefallens der Menschen war von einer trüben Dunkelheit zugedeckt, hinter der sich der Untergang des Abendlandes vorbereitete. Herman Grimm und Oswald Spengler: zwei Antipoden geistiger Beschaffenheit und wissenschaftlicher Fruchtbarkeit, hier ein gemäßigter Hegelianer, der die Einheit von Idee und Bild im Kunstwerke nach der Weisung seines Lehrers zum gesetzmäßigen Kern auch seiner Betrachtung nahm, dort ein selbständiger Schüler Schopenhauers, Nietzsches und Burckhardts — die veränderte Zeit bewirkte, daß der Idealismus des Vorgängers bei seinen Jüngern unter dem Druck der Ereignisse dahinschwand und, statt einer perikleischen Epoche der Weltgeschichte voranzuleuchten, nur als ein von den negativen Aussagen des Nachfolgers begleitetes Dokument einer glücklicheren Vergangenheit bestehen blieb. Wenn wir in Grimms Roman „Unüberwindliche Mächte", in dem Amerika und Europa gegenübergestellt werden, lesen, daß der Konflikt des Liebespaares durch ein Gespräch über Goethe geschaffen wird, können wir uns eines Lächelns nicht enthalten. Um so bezwingender demnach die Hoheit und Menschlichkeit seines Gemüts, das dem heutigen und jedem späteren Geschlecht Achtung einflößen wird vor einer Persönlichkeit, die an Ideale wie Schönheit und Freiheit glaubte und für diesen Besitz und seine Verbreitung stets das rechte Wort fand. Theodor Fontane rühmte an Herman Grimms Biographie Goethes, er sei wie ein alter Onkel, der nach den offiziellen Reden auf das neuvermählte Paar ans Glas klopfe und zu erzählen anfange, wie er sich der Braut erinnere, als sie noch im Flügelkleide in die Mädchenschule ging und damit den Vogel abschießt. Das ist nur eine, freilich die reizvollste Seite seiner Bücher, und hier wird er lebendig bleiben auch für eine anders erzogene und unter anderen Zuständen aufwachsende deutsche Jugend. *

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Herman Grimm hat vier Bücher hinterlassen, die sein Schrifttum mit der Interpretation der Werke Homers und Goethes, Michelangelos und Raffaels in einer großartigen, durch Darstellung und Inhalt ergreifenden Weise der deutschen Nation bewahren. Die Beurteilung dieser vier Arbeiten hat sich verschoben. Vor einem halben Jahrhundert war das „Leben Michelangelos" ein Lieblingsbuch des gebildeten Mittelstandes, das in einer mit vielen Bildern ausgestatteten Prachtausgabe als beliebtes Konfirmationsgeschenk auf den Tischen lag und der heranwachsenden Generation zuerst eine Vorstellung von der Schönheit der Schöpfungen der bildenden Kunst vermittelte. Auch jetzt noch ist es begehrt und geschätzt, obwohl die Kunstwissenschaft andere Bahnen beschritten und abweichende Resultate festgestellt hat. Das „Leben Goethes", wie Victor Hehns „Gedanken über Goethe" damals einer kleinen Gemeinde vertraut, dieser jedoch ein zuverlässiges Brevier, hat unterdessen eine größere Verbreitung erreicht und alle übrigen Biographien Goethes zurückgedrängt, deren zeitgebundenen und vielfach subjektiv befangenen kritischen Berichterstattungen den heutigen seelisch erschütterten Menschen nicht genügen. Das „Leben Raffaels" und „Homers Ilias" haben allzusehr im Hintergrund gestanden, bis auch sie, früher nur einzelner Abschnitte wie des Kapitels über Raffael als Weltmacht wegen genannt, einer erweiterten Aufmerksamkeit zugeführt wurden. Das Buch über Goethe, aus Vorlesungen entstanden, die im Jahre 1874 in Berlin gehalten worden sind, wird immer an der Spitze verbleiben. Nicht nur, weil die Persönlichkeit des größten deutschen Dichters behandelt wird und dieser Stoff an sich seine Wichtigkeit hat, nicht nur, weil der Verfasser sagen durfte: „ I n meiner Jugend lebte ich in einer Umgebung, in der fast alle persönlich mit Goethe verkehrt hatten, und ich rechnete mich selbst dazu, als sei mir dieses Vorrecht durch eine Art von Erbschaft zuteil geworden", sondern aus dem 77

höheren Grunde, daß wenige Schilderungen großer Männer vorhanden sind, die mit einer ebenso dankbaren Liebe und mit einer ebenso lebendigen Frische der verständnisvollen Deutung niedergeschrieben wurden. Dieses „Leben Goethes" von Herman Grimm ist eine unvergleichliche und unentbehrliche Ergänzung der Werke des Meisters, ein Zeugnis treuer Verbundenheit eines echten Deutschen, der als Repräsentant seines Volkes vorzutreten das Recht hat, mit dem Erlebnis der höchsten dichterischen Aussage der gesamten deutschen Kultur, die er von der Vergangenheit erklärend auf die Gegenwart hinüberleitet und mahnend der Zukunft entgegenhält. Wir sind gewachsen durch diese Schilderung eines Daseins, das Beispiel und Gleichnis des wahren deutschen Wesens ist. Wenn vielleicht anderen Nationen politische Monographien von Herrschern, Helden und Staatenlenkern geschenkt wurden, deren Wert unsere historischen Lebensbeschreibungen nicht gleichkommen, dürfen wir für uns behaupten, daß weder Dante noch Shakespeare, weder Calderon noch Molière in ihrer volkstümlichen eigentlichen, ihrer schicksalsgemäßen Charakterisierung von ihren Landsleuten so innerlich nahe erfaßt worden sind, wie es Grimm mit seinem „Leben Goethes" beschieden war. Sein Buch gehört, durchaus im Umfang seiner idealistischen Ansprüche, nicht Deutschland allein, es ist, wie die ungeheure niemals zu erschöpfende Hinterlassenschaft Goethes, deren Tiefe jedem Leser andere Geheimnisse offenbart, zum Eigentum der ganzen Menschheit geworden. Das Wort Schillers „Unsere Sprache wird die Welt erobern" hat allen Feindseligkeiten und kriegerischen Verwicklungen getrotzt und wird sich bewähren, solange es auf dieser Erde noch weise Beschwörer der Schönheit in der Dichtung und der Kunst gibt, die wie Herman Grimm die universale Führerschaft der geistigen Potenzen über die wechselnden Meinungen des Tages stellen und sich, wenn es not tut, unter ihrem Banner zusammenscharen im 78

Vertrauen auf die Erfüllung ihres sehnsüchtigen Verlangens in dem Wunderlande der Phantasie. In diesem Lande, das fernhin leuchtet, sind Homer und Goethe, Michelangelo und Raffael unsere erhabenen Gefährten. „Goethe hat im geistigen Leben Deutschlands gewirkt, wie eine gewaltige Naturerscheinung im physischen gewirkt hätte. Unsere Steinkohlenlager erzählen von Zeiten tropischer Wärme, wo Palmen bei uns wuchsen. Unsere sich aufschließenden Höhlen berichten von Eiszeiten, wo Renntiere bei uns heimisch waren. In ungeheuren Zeiträumen vollzogen sich auf deutschem Boden mächtige Umwälzungen. Der Vergleich also läßt sich ziehen, daß Goethe auf die geistige Atmosphäre Deutschlands gewirkt habe etwa wie ein tellurisches Ereignis, das unsere klimatische Wärme um soundso viel Grade im Durchschnitt erhöhte." Mit diesen für seine Rede außerordentlich bezeichnenden Sätzen hat Grimm seine.Vorlesungen über Goethe eröffnet, die in der Form des Buches ihre Kraft nicht einbüßen. „Ein Landwirt auf dem Boden geistiger Arbeit, bei dem niemals Mißjahre eingetreten sind, sondern immer volle Ernten. Mochten es dürre oder regnerische Jahre sein: Goethe hatte immer die Früchte auf dem Felde, denen das zugute kam." So fährt er fort, und nun werden die verschiedenen Abschnitte des Lebenslaufes nacheinander im Zusammenhang mit der Entstehung der Werke von einer temperamentvollen Empfindung durchgenommen, bis das letzte Kapitel mit Eckermanns Bericht über den Anblick der sterblichen Hülle des Entschlafenen abschließt. Goethes Gestalt wird auf ein ragendes Postament gestellt und in einer beständigen hellflammenden Beleuchtung gehalten, die auf ihn allein gerichtet ist und die Umgebung in einen schwankenden Dämmerschein versetzt, in dem die Freunde, die Frauen, der Weimarer Hof zu ihm stehen wie die europäischen Fürsten zu Friedrich dem Großen auf Menzels bekanntem Titelblatt für Kuglers Geschichte. Die unwichtigen, für 79

seine Schöpfungen belanglosen Vorkommnisse werden mit flüchtigen Hinweisen abgetan, Fragen, die für die Federn neugieriger Literaten taugen, kaum beachtet, der Vorschrift getreu, die Goethe gegeben hat: „Nicht was sie gefehlt und gelitten, sondern was sie geleistet und getan, beschäftige die Hinterbliebenen." Mit längeren psychologischen Bemühungen sich zu befassen hält Grimm unter seiner Würde. In einem Essay über Lord Byron hat er die Erklärung abgegeben, daß Raffaels Verhältnis zur Fornarina, Goethes zu Christiane Vulpius und Byrons Ehescheidungsprozeß kein Forum mehr haben. Wie für Emerson die individuelle Leistung der representative men, wie für Carlyle die Berufung zum hero und zur hero-worship entschied, war auch für Grimm Hauptaufgabe seiner sämtlichen Schriften, die „Zustände zu beschreiben, aus denen die Umgestalter des großen Daseins hervorgingen". Doch verbohrt sich Grimm bei einer entsprechenden Gelegenheit nicht mit dogmatischem Starrsinn in sein Prinzip. Denn die poetischen Elemente der Veranlagung wollen gleichfalls ihren Lauf nehmen. Wir dürfen, anders gerichtet, nicht vergessen, daß es ein Vorrecht der deutschen Jugend vor der Revolution von 1848 war, Verse zu machen, sich mit Freunden zu verbünden, wie es im Tunnel über der Spree in Berlin geschah, deren Mitglieder Fontane nennt „natürlich Dichter, blutjunge Ware, Studenten, Leutnants, Referendare". Die Kenntnis der Werke der Klassiker war diesen aus Dilettanten und „Werdenden" gemischten frühreifen Talenten mehr als lediglich eine Angelegenheit der Erziehung. Die angehenden Akademiker der Universitäten und der Kunstschulen trugen ihre zerlesenen Bändchen von Goethe, Schiller und Platen in der Tasche und wie im Herzen auch im Gedächtnis. Der alte Peter Cornelius hatte sich einst die ganze Iphigenie eingeprägt. Faust auswendig zu wissen, war jenem nach Bildung hungrigen Geschlecht selbstverständlich. Wie Mommsen, Curtius und 80

Treitschke hat Grimm seinem poetischen Hang nachgegeben und dem Verfasser der deutschen Geschichte im 19. Jahrhundert bezeugt: „Ein großer Geschichtschreiber ist nicht denkbar, in dessen Adern nicht dichterisches Blut flösse." Unbedenklich setzte er sich und seinesgleichen den Vorwürfen der strengen historischen Schule aus. Sein „Leben Goethes" wurde von den Nachfolgern Rankes der „genialen Willkür" beschuldigt, mit der manche Tatsachen abgeändert, übergangen oder verschwiegen worden waren, die künstlerische Idee der Gesamtdarstellung nicht begriffen. Wenn Goethes Beziehungen zu Karl August, Frau von Stein, Herder, sogar zu Schiller vor der überragenden Dämonie seines Heros nicht hinreichend genug Platz erhalten hatten und diese Eigenwilligkeit als Fehler getadelt wurde, übersahen die oberflächlichen Kritiker, daß gerade in dieser Enthaltsamkeit ein Vorzug der Ausführungen Grimms lag. Ebensowenig wurde beachtet, wie einzelne Personen, die auf die innere Entwicklung Goethes Einfluß hatten, Rousseau oder Winckelmann, dem Verfasser besonders wichtig, hervorgehoben und wie die naturwissenschaftlichen Schriften, zuerst die Farbenlehre, als Marksteine dem Bau eingefügt waren, wodurch die Erscheinung Goethes sich menschlich und thematisch erst abrundete. Indem sich auf solche Weise „dieses Dasein zur Pyramide zuspitzte", wurden Leben und Wirken des Dichters nicht in viele Teile zersplittert und wieder zusammengesetzt wie in anderen Biographien. Es stand wie ein gigantischer Block vor den Augen der Jugend, der Grimms sonderliche Liebe gewidmet war und für die er sprach und schrieb. Im Mittelpunkte der Vorträge ist die italienische Reise als die entscheidende Wendung der Existenz Goethes folgerichtig und ausführlich erzählt, mit einer Einführung begleitet, in der die „Geschichte Roms unsere Weltgeschichte" genannt und durch drei Jahrtausende („Wer sich von dreitausend Jahren nicht weiß Rechenschaft zu geben . . .") mit scharfen Strichen 6

Uhde-Bernays, Mittler und Meister

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skizziert wird, um den Aufenthalt des „von den nordischen Avantagen" beschwerten Menschen an dieser Zufluchtsstätte in seiner idealen Bedeutung am Beispiel Goethes zu veranschaulichen. Dieser Abschnitt vereinigt glänzende Seiten deutscher Prosa mit einer feinfühligen Verehrung des Wesens und der Persönlichkeit Goethes; er wird als ein klassisches Bekenntnis eines deutschen Forschers, als ein Mnemeion der germanischen Sehnsucht nach dem Süden und der ewigen Stadt bewahrt bleiben. Also ziehen gewaltige und liebliche Bilder in reicher Abwechslung vorüber, drängen erklärende Untersuchungen der Werke sich zusammen und formen das Monument Goethes in einer vorbildlichen Größe angesichts des deutschen Volkes und der Zukunft aller Völker, einer unermeßlichen Spanne von Zeitepochen zugewandt, deren Anteil Grimm ahnend bereits vorweggenommen hat. Die tragischen Umstände vor allem der Altersjahre des Dichters, seine Vereinsamung, aus der er sich in eine bis zum letzten Tage dauernde fast unheimliche Tätigkeit flüchtete, seine Abkehr vom Getriebe des literarischen Marktes, die schmerzlichen Erfahrungen seiner Neigung zu Marianne und Ulrike, die er nach einem schönen Worte Simmeis durch „den Gehorsam gegen das Gesetz seines Lebens überwand", werden im Gegensatz zu den langen Kommentaren der Wahlverwandtschaften und des Faust kaum gestreift. Grimm wollte der Nachwelt nur alle Freuden, welche die Unsterblichen ihren Lieblingen gewähren, nicht alle Leiden überliefern: „Was tut ein Jahrhundert mehr oder weniger für das Verhältnis der sich weiterentwickelnden Menschheit zu Homer und Shakespeare ? Ihre Kraft, in die Seelen einzudringen, nimmt immer mehr zu. Mit ihnen wird auch Goethe einmal als Gestirn für sich die Menschheit begleiten." Im fünften Akt des „Prinz Zerbino" hatte Tieck die Jugend auf „die heiligen Vier, die Meister der neuen 82

Kunst" verwiesen, Dante, Cervantes, Shakespeare und Goethe. Grimm vermehrte ihre Zahl: „Die mächtigsten Männer, welche die Jahrtausende menschlicher Geschichte kennen, sind fünf vor und nach Christus lebende Dichter gewesen: David, Homer, Dante, Shakespeare, Goethe. Zu diesen Dichtern rechne ich Raffael. Weniger zu den Malern und Bildhauern, die sonst als große Künstler vor und nach und mit ihm gearbeitet haben. Die Dichter nehmen ihn als einen Mitlebenden in ihre Mitte." Grimms Standpunkt ist mit diesem Erlaß gekennzeichnet, auch seine von den Ansichten der gleichaltrigen Generation abhängige Stellung zu der bildenden Kunst. Die geistige Atmosphäre der Werke, welche jene Meister hinterließen, war seinem ästhetischen Gefühl das unerläßliche höchste Kriterium seiner durchaus der nachprüfenden Überlegung des Denkens unterworfenen (Goethe: „Den Sinnen hast du dann zu trauen, nichts Falsches lassen sie dich schauen, wenn dein Verstand dich wach erhält"), aber in der beliebten Rubrik „literarisch" nicht deckend unterzubringenden Kunstbetrachtung. Der Inhalt, nicht die Form eines Gemäldes, der Schönheitsbegriff des Vorwurfes, nicht der Ausführung, der Reichtum der Idee, nicht der Wirkung ließen ihn die von den Bedingungen seiner Abkunft und Veranlagung wie seines Studiums vorgezeichneten Richtlinien mit der äußersten Gewissenhaftigkeit einhalten. Hier war er ein Epigone des Klassizismus, ein letzter aufrechter Träger der Gesinnung Winckelmanns und Wilhelm Humboldts. Wie Goethe empfand er: „Wer die Schönheit erblickt, fühlt sich mit sich selbst und der Welt in Übereinstimmung." Demnach vermochte er eine natürliche Schönheit wahrzunehmen erst nach ihrem Emporsteigen aus der Wirklichkeit in das Ideale und Religiöse, beeinflußt von den Lehren des 18. Jahrhunderts, an dessen Ende der Franzose André Chenier vorschrieb, die Kunst habe darzustellen nicht was die Natur schaffe, sondern was sie schaffen könnte. Grimms Auf83

nähme eines Kunstwerkes fand das Mittel der Erkenntnis nicht im optischen Vorgang, durch das Auge, vielmehr allein in seiner Auslegung durch die nachformenden Kräfte der sowohl rezeptiven wie impulsiven inneren Regung, also durch die Orientierung der Seele. Sofort begann das Spiel der Phantasie, deren Aufgabe es war, die Umwelt, worin der Künstler seine Arbeit vollendete, dann den Zustand wiederherzustellen, in dem er sich bei ihr befand. Die poetische Stimmung kam allein zum Wort. Das „Leben Raffaels", von Grimm kurz vor seinem siebzigsten Lebensjahre nach zwei vorhergegangenen Fassungen gänzlich verändert, in vier Jahrzehnten eine ständige Beschäftigung seiner Muße und noch zuletzt für eine abermalige Bearbeitung vorbereitet, beweist und bekräftigt diese olympischen Grundzüge seines Begehrens. Die fragmentarische Zusammenstellung einer Reihe von Kapiteln zunächst historischen, dann kunstwissenschaftlichen und beschreibenden, hierauf in sachlichen Berichten Raffaels Ruhm im Verlaufe der Zeit nach seinem Tode in Italien, Frankreich, Deutschland und England verkündenden Inhalts gibt eine gute Anweisung, die huldigenden Aussprüche über die Glorie des Urbinaten und die Macht seiner himmlischen Sendung wie einen Feuertrank einzuschärfen. Mit leidenschaftlicher Inbrunst schlägt der Sänger in die Saiten, sein Lied ertönt mit wohllautendem Klange zu Ehren der Madonnen und der Stanzen und steigt öfters zu einer hymnenhaften Verherrlichung des geliebten Malers auf. Der geschichtliche Unterbau der Beschreibungen ist mit sorgsamer Benutzung der Quellen und der Fachliteratur erfolgt, die einer eingehenden Kritik unterzogen wird. Raffael, der eigentliche Bildner der Schönheit, war Grimms erkorener Herzensfreund in einer fast noch innigeren Gemeinschaft als Goethe. Während der deutsche Genius unsichtbar über seinem Haupte schwebte, schien der holde Jüngling leise an seine Seite getreten zu sein, um seinen Visionen bei ihrer Nieder84

schritt Schwung und Wärme zu spenden. Sie ist loser, weicher und zarter geraten als die Biographie Goethes und von einer Dankbarkeit beseelt, die in anderen Zeiten nicht als Heuchelei oder Pose verdächtigt wurde. In der Bewunderung Raffaels berührt sich Grimm mit Jacob Burckhardt, dem ihm sonst keineswegs geistesverwandten Schweizer, der im Cicerone ausspricht: „Die Seele des modernen Menschen hat im Gebiet des Formschönen keinen höheren Herrn und Hüter als ihn." Aber Burckhardt, der eine tiefe musikalische Bildung besaß, vergleicht Raffael mit Mozart; Grimm, der, merkwürdig genug, trotz seiner Freundschaft mit Josef Joachim niemals eines musikalischen Talents wegen die Feder ergriffen und keinen Komponisten in seinen Areopag von Dichtern aufgenommen hat, glaubt ihn am meisten zu ehren, wenn er ihn seinem erlauchten Fünfgestirn als Partner zugesellt. Daher werden die Sonette Raffaels von ihm in einer gesonderten Besprechung eingehend gewürdigt. Möglich wäre, daß auch die Dichtungen ihm den ersten Anlaß gaben, sich Michelangelo zuzuwenden. Unzweifelhaft kam der Verkehr mit Cornelius hinzu, dem das Buch gewidmet ist, und außer diesem Impuls der gewohnte Anblick der Kupferstiche an den Wänden des Elternhauses. Das „Leben Michelangelos" ist eine Jugendarbeit Herman Grimms, die seinen Namen frühzeitig bekanntgemacht hat, und die erste der umfassenden Biographien, welche die Künstler der italienischen Renaissance dem deutschen Publikum schildern. Das Thema war glücklich gewählt, mehr in historischer als in kunstwissenschaftlicher Hinsicht, um zwischen den Zeilen dem Beispiel der Kämpfe auf dem Boden Italiens in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts Voraussagen für die Erwartung der Einigung Deutschlands zu entnehmen und durch die Gegenüberstellung der Reformation und ihrer Abwehr von der neu erstarkenden päpstlichen Herrschaft die geistigen Grundlagen des

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Protestantismus durchscheinen zu lassen. Rankes Geschichte der Päpste, ein Meisterwerk der Geschichtsschreibung und die schönste seiner Schriften, war längst ein im Inland und Ausland gerühmtes Zeugnis deutschen Gelehrtenfleißes, auf gesicherten archivalischen Studien ruhend, das weit über die Bannmeile der Universitäten hinaus Aufsehen erregte. Die kriegerischen Pontífices, Julius II., Leo X., und ihre Nachfolger sind seit dem Erscheinen der Bände Rankes nicht aus dem Gesichtskreise des deutschen Wissens gewichen, und das Verlangen nach Belehrung über ihre politischen, sodann über ihre künstlerischen Pläne und deren Verwirklichung durch die im Vatikan geehrten Maler, Bildhauer und Architekten beschränkte sich nicht auf eine geringe Zahl von Gebildeten. Aber die Wahl des großen Florentiners barg Gefahren in sich, über die Grimm, bevor die Schätze der casa Buonarroti sich auftaten und die Gedichte Michelangelos von Cesare Guasti in der ursprünglichen Fassung herausgegeben wurden (sie kamen erst der zweiten Auflage zugute), sich nicht genügende Rechenschaft gab. Die ungeheure Tragödie, die das Leben und das Werk Michelangelos einschließt, die qualvollen inneren und äußeren Konflikte, unter deren Druck seine Schöpfungen entstanden sind, blieben den frohen Sinnen des eben von seiner ersten italienischen Reise heimgekehrten jungen Grimm ein Schauspiel wie Schillers Wallenstein. Die grausame Ironie, mit der das Geschick den titanischen Trotz des Meisters bezwang, die nur eine Shakespeare gleichgeartete Natur wie einen Reflex des Königs Lear zu begreifen fähig gewesen wäre, lag außerhalb der Gedankenwelt, in der sich Grimm bewegte. In diese Abgründe haben zwar einige der späteren Biographen hineingeblickt, es ist jedoch keinem von ihnen gelungen, hinabzudringen und ein Wagnis zu unternehmen, das wie Fausts Gang zu den Müttern den Schlüssel zu dem Geheimnis Michelangelos gereicht hätte. In seiner Darstellung gehorchte Grimm

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seiner optimistischen Erfahrung und wollte hoffnungsvollen, leicht gerührten Lesern wie nachher bei dem Buche über Goethe den ewigen, unsterblichen Bestand, nicht die zeitlich gefesselte Entwicklung der Kunst vortragen. Der Gestalt des Raffael gegenüber steht Michelangelo da wie der aus der Unterwelt zurückkehrende Dante. Seine Lippen schweigen, mit einer gebieterischen Gebärde zeigt er auf die Aufgaben, die zu vollenden seinem gewaltigen Willen vergönnt war, die Decke der Sixtinischen Kapelle und die Statue des Moses. Daß es einer weit größeren Anstrengung und Selbstentäußerung bedarf, um den fließenden Strom eines Daseins, wie es Michelangelo führte, einzudämmen und den Bruch in seinem Wesen nicht als eine unheilbare Trennung der Einheit seines Organismus zu empfinden — diese Meinung wurde bei der Herausgabe des Buches nicht geäußert. Derartige eigengesetzliche, zu mystischen Spannungen emporgestufte Probleme waren einer sorgenlosen Zeit fremd, die am bunten Wechsel des Geschehens sich erfreute und in die Vergangenheit zurückschaute, um in ihre bürgerliche Ruhe die kriegerischen Episoden mit Morden und Plünderungen als Reizmittel des literarischen Geschmacks hereinzubringen. Solchen Wünschen trug Grimm zwar keine Rechnung, aber er schwächte die Szenen der Roheit und der Verwüstung ab, wieder nach dem Muster Rankes und erzählt um so eindringlicher die diplomatischen Begleitumstände der tatsächlichen Ereignisse. Lange dauert es, fast sechzig Seiten, bis er zuMichelangelo kommt. DieGeschichte vonFlorenz, womit er beginnt, dehnt sich in einer von vielen Ausblicken erweiterten Übersicht zu einer selbständigen Abhandlung aus, die Angaben über die alten Biographien und ihre Zuverlässigkeit erfordern nochmals eine Station, bis endlich sein Held auftritt. Nun bleibt er in der Mitte, zumeist als die Hauptfigur einer kulturhistorischen, geräumig angelegten Schilderung, in der die Höfe der Medici und der Päpste, Mailand, Venedig, Neapel, 87

also ganz Italien, in ihm die einzelnen Fürsten, Kondottieren und Künstler ihre Rolle spielen. Diese poetische Verklärung der Renaissance erinnert öfters an die Szenen des Grafen Gobineau. Wenn Grimm vorgeworfen wird, daß er „der großen Kunst der Hintergründe" entbehre, dürfte mit diesem Tadel nur die bereits erwähnte psychologische Seite gemeint sein. Die Bilder seiner Renaissancemenschen in ihrer Umgebung zeigen weit eher die Kulissen und die Rückwand der Bühne, über die sie schreiten, auch in Angelegenheiten der Kultur, als ihre Leidenschaften, die Energien ihres Handelns, die ungehemmte Wildheit ihrer Charaktere. Eine derartige Regie war keineswegs theatralisch und äußerlich, obwohl sie die Finsternisse der „seelischen Hintergründe" nicht aufhellte. Der Zweck lag in der chronologischen Aufeinanderfolge, die gerne ein Anhalten erlaubt zu einer Plauderei. In keinem seiner Bücher hat Grimm der Neigung zu Seitenwegen so sehr nachgegeben wie bei diesem Erstling seines kunsthistorischen Schrifttums, wo wir mit ihm fühlen, wie ihn die Eindrücke fortreißen, eine Eigenschaft, die wir bei ihm, nur bei ihm schätzen. Das letzte Kapitel leitet die Gedankenreihe grundsätzlich fort „bis auf unsere Tage". Das Verhältnis von Grimm zu Rubens und Rembrandt, zu Carstens und Cornelius wünscht in unabweisbarem Zwang, wie in einem Tagebuch aufbewahrt zu werden. Und so zeigt sich in dem Jugendwerke bereits der liebenswürdige, von Eitelkeit freie Wandel des Forschers, der im Verkehr einen unwiderstehlichen Einfluß ausübte, sich dessen bewußt war und ihm durch die Niederschrift ebenfalls ein Denkmal aere perennius errichten wollte. Das „Leben Michelangelos" von Herman Grimm mit den monumentalen Arbeiten Karl Justis zu vergleichen ist müßig und undankbar, obwohl Grimm selbst in seiner Rede auf der Goethe Versammlung in Weimar 1886, als er Goethes Biographie Winckelmanns und Justis „Winckelmann und seine Zeitgenossen" kritisch zusam88

menfaßte, dazu aufzufordern schien. Der Bonner Kunsthistoriker, ein Denker und Gelehrter, immer einig mit den Geboten der gestrengen Wissenschaft, ein patriarchalischer Beschützer der Wahrheit und der logischen Unterscheidung, der gründlichste Kenner der Höhen und Tiefen des menschlichen Gemüts und Gewissens, von leiser Melancholie umschwebt, und sein Fachgenosse auf dem Berliner Lehrstuhl besaßen für jeden, der die beiden Männer gekannt hat, nur wenig gemeinsame Vorstellungen und Ideen. Doch liegt der Schnittpunkt ihrer Lebensarbeit an einer zentralen Stelle: sie standen mit scheuer Ehrfurcht vor allen echten künstlerischen Leistungen. In Justis erhebender Analyse des „amator divinissimo" und des „Charisma von Liebe und Schönheit", das Michelangelo die Wunder der griechischen Philosophie erschloß, und in Grimms beschwingtem Anruf der Ideale der antiken Plastik, deren Erbe zu sein Michelangelo sich vergebens abmühte, finden sich (um nur dieses eine Beispiel zu erwähnen) auf einer ähnlichen Basis der individuellen Wünsche, die dem Leser glaubhaft gemacht werden sollen, übereinstimmende Formen der Gedanken und ihrer Auswertung. Nicht Justi, nein, Grimms Nachfolger Heinrich Wölfflin steht im Gegensatz zu Grimm. Man hat gelegentlich die Bildbeschreibung von Grimm und Wölfflin verglichen und die Abweichungen der Auffassung des klugen Salomo und des kecken David (wie man sie um 1900 spöttisch benannte) überrascht bestaunt. Die kühle formalistische Eindringlichkeit und fast mathematische Anschauung, die Wölfflins Methode andeutet, seine exakte und klare, neutrale, zurückhaltende Ästhetik und Grimms ausschließlich auf die Gegenständlichkeit gelenkte, die konstruktiven und technischen Prozeduren, also den eigentlichen künstlerischen Stil nicht berücksichtigende Auslegungen sind gleichwohl keine unvereinbaren Widersprüche. Wenn man sie als für sich unvollständige, beiderseits aber mit Notwendigkeit sich ergänzende Bestandteile der Be89

trachtung annimmt, dann dürfte vielleicht die beste Beurteilung von Kunstwerken entstehen. Denn wie man, als Hildebrands Problem der Form erschien, das angeblich veraltete frühere System ablehnte, scheint sich nach einem halben Jahrhundert die Begierde nach Belehrung über den Inhalt von Gemälden neu zu regen. Wie dem auch sei, von Grimms Worten über die Erschaffung des Adam, welche die anderen kaum geringeren Beschreibungen der Sixtinadecke eröffnet, wird jeder künstlerisch empfängliche Mensch ebenso ergriffen sein wie von dem berühmten „Heldengedicht" Winckelmanns über den Apoll von Belvedere. Das sind Fanale kunstwissenschaftlicher Einsicht und jubelnder Teilnahme am künstlerischen Werk. Für die Erhabenheit der Malerei des Michelangelo fand Grimm unvergeßliche Sätze des Verständnisses. In die terribilità und in die Beziehung des Meisters zu der Antike einzudringen war ihm verwehrt. Als jugendlicher Historiker hatte er versucht, die gebietende Erscheinung in einem Gesamtbilde der italienischen Renaissance menschlich zu begreifen und darzustellen. Über diese Auffassung ist er nicht hinausgekommen. Im Alter wich er ängstlich vor Michelangelo zurück und ergab sich leidenschaftlich seiner Liebe für Raffael, dem er, wie gesagt wurde, allein neben den fünf größten Dichtern seinen Platz anweist. In dem Buche über Homer ist Raffael oft genannt und in einer göttlichen Glorie erhoben, Michelangelo nur selten erwähnt. Denn auch bei der Erklärung der Ilias wollte der Idealismus, dem sich Grimm als leitendem sittlichem Gebot seines Lebens unterwarf und zu dem er emporsah wie zu einem Sternbilde, die ausschließliche Führung haben. Als Schüler Goethes trat er „vor den Altar hin zur Andacht liturgischer Lektion im heiligen Homer". Rührend ist es, wenn er kindlich und freimütig mit dem Geständnis beginnt, er wünsche, daß seine Betrachtungen gleich dem Tagebuch des armen Mannes im Toggenburg geachtet wür90

den. Noch ernsthafter als sonst gibt er sich Mühe, eine schlichte Prosa mit abgekürzten Sätzen niederzuschreiben und das schmückende Beiwerk der Adjektive zu vermeiden. Seine Erzählung will den Inhalt des Krieges um Troja in die Form des Märchens hüllen, getreu väterlichem Beispiel; hier ist der Erbe des großen Namens in die Tage seiner Kindheit zurückgekehrt. Die Begierde zu Abschweifungen darf nicht aufkommen. Das Ziel wird erreicht, die Gesänge der Ilias mit lebendiger Anmut in Schilderungen umzusetzen, die, poetisch durchklungen und von dem Texte kaum abweichend, das Epos zu einer Heldensage nachgeschaffen haben, die bei vollständiger Wahrung der griechischen Charakterzüge wie eine alte deutsche Mär lautet. Aus der nationalen Dichtung tritt Homer bei dieser vorsichtigen Behandlung durch Grimm, wieder gemäß der durch Goethes Erziehung gebildeten Grundformel seiner Weltanschauung, in die Weltliteratur sichtbarer ein als durch Übersetzungen. Vor allem aber ist Grimms „Homer" ein Buch für Deutsche, für die Jugend, für Primaner und Studenten, welche die Ilias und die Odyssee begeistert im Gymnasium gelesen haben und des Griechischen mächtig sind, als freundliche Rückerinnerung an ihre erste Bekanntschaft mit dem griechischen Geist; dann für jeden, dem diese Wohltat nicht zuteil wurde, dem dennoch ein Verlangen nach Wissen um die Uranfänge dichterischer Kunde vor Jahrtausenden und eine Hoffnung auf Befreiung aus engen und kleinen Umständen im Herzen brennen — Eigenschaften, die beim deutschen Volke häufiger anzutreffen sind als bei anderen Nationen —, eine willkommene Anregung, die der notwendigen Spannung nicht entbehrt. Wohl ist infolge der vielfachen Vergleiche der Ilias mit dem Nibelungenliede, die Grimm heranzieht, seine Absicht wahrzunehmen, Homer in Deutschland einzubürgern, wo er bisher nur als Gast geweilt hat. Doch ließe sich auch im Sinne einer von Emerson stammenden Überzeugung der gewiß bei der 9i

Arbeit bedachten Weltgeltung Homers denken, daß diese geniale Umdeutung auf der ganzen Erde verbreitet, in alle Sprachen übersetzt und überall zustimmend aufgenommen würde. Das ist leider nicht geschehen. Homer ist die am wenigsten bekannte Schrift Grimms. Als sie vor fünfzig Jahren erschien, erweckte sie kein Echo, und die Zunft der Philologen zuckte die Achseln über die „formlose" Wiedergabe des bekannten und angeblich zur Genüge erschöpften Stoffes, ohne die Lebenserfahrung anzuerkennen, die vorhanden sein muß, um eine so wenig persönliche Anforderungen verlangende Aufgabe gleichwohl persönlich zu vollenden. Grimm erfuhr eine Zurücksetzung, wie sie auch Riehl und Gregorovius betroffen hatte. Allerdings ist Grimms „Homer" weder eine systematische Interpretation noch ein Kommentar nach der üblichen Methode, sondern etwa wie Gustav Schwabs Erzählungen aus dem klassischen Altertum eine poetische Wanderung, ein langsamer Spaziergang, wie ihn Jakob Grimm dem Alter geziemend empfiehlt, an den herbstlich ausgereiften Spalieren einer antiken Weihestätte. Denn auch der gedankenvolle Betrachter ist ein Greis wie der Sänger, der diese Stätte hütete. Der Zweifel an der Existenz eines Homer ist Nebensache: „Sei es gestattet, an einen Homer zu glauben, den die Sage als blinden Sänger umherirren läßt, an eine Menschenseele, deren einsamem Schöpfungstriebe Ilias und Odyssee allmählich sich entwanden als Einheiten, wie Faust der Seele Goethes im Laufe eines langen Menschenlebens erst völlig entstiegen ist." Grimm führt durch das Epos wie Vergil den Dante durch das Inferno und das Purgatorio. Die Götter und Göttinnen, die griechischen und trojanischen Helden ergreifen das Wort. Erst wenn sie schweigen, in den Pausen der Handlung, pflückt unser Begleiter einen Blumenstrauß aus den über die Tempelmauern fallenden Ranken und reicht ihn dar mit erläuterndem Zuspruch. Bald offenbart sich, daß er nicht ganz 92

unparteiisch verfährt und wie die Olympier seine Lieblinge hat, voran den herrlichen Jüngling Achilles, vor dem er sich wie vor dem vielgerühmten Raffael mit schwungvollen Gesten verneigt. Paarweise treten die Gestalten zusammen, um durch Kontraste deutlicher zu werden, die Brüder Hektor und Paris, Agamemnon und Menelaus. Über ihnen allen steht der Pelide, von seinem Geschick verfolgt wie Hamlet, wie Werther, ein Heros und „nervöser Grübler", klassisch und modern, ein hinreißender Freund dem Patroklus — und uns. Was ist Schicksal, fragt Grimm ? Hat Homer Tragödien gekannt, wußte er um ihren technischen und geistigen Aufbau ? Damit wird die Frage nach den Kunstmitteln Homers berührt, nach den Kunstgriffen, die er anwendete. Auf Steigerungen und Übergänge, auf die Einführung der Personen und die Art ihrer Unterhaltung, von Fürsten oder Untergebenen, Göttern oder Sterblichen, auch auf den Gegensatz zwischen Griechen und Trojanern, den Wechsel der Szenen vor und in Troja und im Olymp soll die von der Lektüre der Dichtung erregte Phantasie aufmerksam gemacht, dabei nicht abgelenkt, eher beruhigt werden. Die Gleichnisse und Bilder, die Verwandlungen der Landschaft werden unterstrichen, lyrische und dramatische Wirkungen betont, meist auf Grund der Gepflogenheit Grimms der gegenständlichen Bedeutung nach. Dagegen werden die Metrik, die Eigentümlichkeiten des Versbaus, die Praxis des Rhapsoden, die Klangformen nur ausnahmsweise behandelt. Denn die ästhetisch-pädagogische Untersuchung darf nicht unterbrochen werden, damit der Genuß fortbestehe. Gerne verweilt Grimm bei humorvollen Episoden, wobei er an Dickens erinnert. Das Familienleben der Götter wird skizziert wie der englische Hochadel oder die ehemaligen kleinen deutschen Höfe, jede Wendung seines knappen Stils spiegelt die innere Bewegung seiner Seele wieder. Der außerzeitliche Standpunkt gilt ebenso für die Exkurse: wie zu den kritischen Gegenüberstellungen der Ilias und des Nibe93

lungenliedes werden als parallele Studien der homerischen Charaktere nicht allein für Achill, auch für Aeneas, der dem Ferdinand und Max Piccolomini ähnlich sei, verwandte Figuren der neueren Literatur eingeführt, Goethe, Schiller, Kleist, französische, englische und italienische Autoren zitiert. Zwischen die Auszüge aus den Gesängen der Ilias sind metrische Übertragungen eingeschoben, aus welchen die dichterische Begabung Herman Grimms hervorgeht. In seiner bescheidenen Art nennt er die frei verlaufende daktylische Strophe, deren ruhige Einfachheit sich seiner Prosa schön anpaßt, kahl, und die geschickt in das Gewebe eingesetzten Ergänzungen an Stellen, wo eine Lücke zu klaffen scheint, „Phantasiespiele." Mit der Leistung von Voß will er trotz verschiedener Einwände sich nicht messen, rühmt das musikalische Element, dem er als Vorzug seiner Arbeit die „deutlicheren Linien" entgegenhält. So hat Goethe, als er mit Schiller Untersuchungen über das Wesen der epischen und der dramatischen Poesie anstellte und die Achilleis begann, ein Schema der Ilias für sich angefertigt, dessen „Lakonismus durch Ausführlichkeit der Gleichnisse" belebt werde, und ihm noch zwanzig Jahre später von der größten Wichtigkeit war. Diesem Schema ist Grimm gefolgt und hat es im Geiste der Bestimmung Goethes zum umfangreichen Buch fortgesetzt. Und wenn Goethe zu Eckermann sagte, es wäre zu denken, daß jemand eine naivere, wahrere Empfindung des Originals besitzen könne, ohne ein so meisterhafter Übersetzer wie Voß zu sein, hat er die Haupteigenschaft des „Homer" von Grimm bereits bezeichnet. Auch Grimm ist sich bewußt, daß er in einer langen Reihe von Versuchen nur ein Zwischenglied bilde. Thassilo von Scheffers und Schröders Kunst haben uns seither neue Übersetzungen Homers geschenkt, und so dürfte jede Generation fortan eines eigenen deutschen Homer wie eines eigenen deutschen Dante sich erfreuen. Grimms „Homer" wird durch 94

diese nach Kenntnis der geheimsten sprachlichen Mittel und ursprüngliches dichterisches Talent ihm überlegenen Nachfolger nicht veralten. Von den Kommentaren Düntzers, Carrières und Kuno Fischers zu Goethes Faust wollen wir wenig mehr wissen, weil sie trocken und verstaubt sind. Grimms Erklärung der Tragödie ist lebendig wie seine Auslegung der Ilias. Diese ist eine köstliche Anleitung zum Nachdenken, keine Zwangsjacke des Geistes, eine Lehrmeisterin in der schweren Tätigkeit des Lesens. Sie ist insbesondere einer der vielen Beweise für Goethes Äußerung: „Sind doch diese auf uns gekommenen wenigen grandiosen Trümmer schon von solchem Umfange und solcher Bedeutung, daß wir armen Europäer uns bereits seit Jahrtausenden damit beschäftigen und noch einige Jahrhunderte daran werden zu zehren und zu tun haben." *

Nichts ist bezeichnender für die Besprechung der Art und Weise, in der Herman Grimm seine Bücher und Essays verfaßt hat als die Notwendigkeit, ihn selbst durch Anführung von Zitaten seine Meinung sagen zu lassen, schon der Form wegen, in der es bei ihm geschieht. Manchmal überspitzt und paradox, manchmal trotzig und eigensinnig gefaßt, wird sie von ihm stets geschmackvoll und verbindlich gehandhabt. Seine „monologischen Plauderstündchen" stehen im Zeichen einer Begegnung mit einem wissensreichen Grandseigneur der europäischen Kultur, einem Feinschmecker, der sich gelegentlich bei der Aufstellung des Menus und der Prüfung der Kochrezepte irrt, ein wenig prüde und altjüngferlich auftritt. Die Vielseitigkeit und die Ausdauer dieses Mannes sind ebenso bewunderungswürdig wie der Drang, die nächsten wie die entlegensten Themen mit der gleichen temperamentvollen allgemeinverständlichen Laune anzugreifen, teils aus Lerneifer, teils aus Lehrfreude. Die Liste seiner Essays ist lang, und die 95

Aufzählung ihrerTitel fast ein lexikographischesVerzeichnis der wichtigsten Ereignisse der Zeit. E r hat über Bismarcks Briefe und Treitschkes deutsche Geschichte, über einen thesaurus linguae Germaniae geschrieben, viele Aufsätze über Goethe verfaßt, zur Gründung der Sezession und zur Frauenfrage Stellung genommen, Dante und Voltaire, Byron und Emerson, Varnhagen, Humboldt und Macaulay behandelt, Böcklin gefeiert, verschollene Maler wie Spangenberg zu Ehren bringen wollen, den Burenkrieg besungen, Mistrals Mirejo mit Recht, Johanna Ambros mit Unrecht dem Homer verglichen, den überspannten Belgier Antoine Wiertz anerkannt. Überall finden sich im Sande der einstens aktuellen Kundgebungen helle Goldkörner eingestreut, die herauszuklauben sich verlohnt. Wenn es Goethe für unmöglich hielt, dem Tage den Tag zu zeigen, wagte Grimm sich mutig, mit ehrlicher Gesinnung an diese Aufgabe. Daß er außerstande war, in diesem Falle nicht auf den Spuren Goethes, der Stendhals „Rouge et noir" und die Lithographien zum Faust von Delacroix aufmerksam in den Händen hielt und allen Neuerscheinungen des Auslandes eine freundliche Teilnahme zeigte, der Bewegung der französischen Literatur und Kunst nach dem Kriege zu folgen, ist bedauerlich, aber entschuldbar. Flaubert, Zola und Manet blieben ihm fremd wie Dostojewski und Ibsen. Den Naturalismus, den er anscheinend mit dem gehaßten Materialismus verwechselte, konnte seine sanfte Seele nicht ertragen. Sein sonst unaufhaltsames Aussprachebedürfnis regte sich nicht, als die freie Bühne gegründet wurde und die ersten Gemälde der Impressionisten aus Paris nach Berlin kamen. Fortschrittlicher verfuhr er bei praktischen Dingen. Vorschläge zur Umgestaltung des Geschichtsunterrichts oder für die Benutzung von Lichtbildern fehlen in seinen Aufsätzen nicht. Außer seiner Verehrung der fünf großen Dichter beherzigte der rastlose Mentor immer zwei Grundsätze und wiederholte sie: Erhaltung 96

des griechischen und lateinischen Unterrichtes als Rückgrat der humanistischen Bildung und die unbehinderte Freiheit der Wissenschaft. Einer Deputation von amerikanischen Studenten rief er zu: „Alle kraftvollen Völker haben die Neigung, den Interessen einzelner Parteien zuliebe auseinanderzufallen. Es muß eine höhere Macht sein, die über diesen Parteien die Herrschaft führend sie zusammenhält. Das ist die Wissenschaft. In Deutschland haben wir den Universitäten unsere Einheit und Freiheit zu verdanken. Sie halten sie aufrecht." Solche Worte, männlich und stolz, waren einst auf den deutschen Hochschulen die vorbildlichen Lehren für die Jugend. Und die Gelehrten, die sie aussprachen, gehörten einer Welt an und hatten große Persönlichkeiten gekannt, deren Beispiel sie ehrfurchtsvoll anzeigten. Herman Grimm war reich geworden durch die Gnade, den Besten seiner Zeit nahegestanden zu haben. Das gibt ihm einen unvergänglichen Glanz. Wenn er von ihnen erzählt, nehmen die Schatten die Wärme des Blutes an und treten in lebendiger Frische vor unsere Augen. Also soll er selbst zu uns reden, eine kleine Auswahl sei aus einer ungemeinen Fülle getroffen. ,,. . . ihre Geburtstage waren hohe Tage für uns Kinder. Soweit ich mich zurückerinnere, bekam Jakob immer auf demselben silbernen Teller, der nur bei dieser Gelegenheit gebraucht wurde, einen wahren Berg von Traubenrosinen, die er mit in sein Zimmer nahm, und ein Paar gestrickte Pantoffeln, die er sogleich ergriff, an den Sohlen roch, und sie dann mit fortnahm, um alsbald wieder darin zu erscheinen. Mein Vater erhielt ebenso sicher einen Topf blühender Primeln, seiner Lieblingsblume, mit der für mich der Begriff von Geburtstag verbunden ist." „Ich erinnere mich Uhlands aus dieser Zeit sehr wohl. Er ergriff nur selten das Wort. Seine Frau, deren Sprache den wohltuenden schwäbischen Klang hatte, führte wie in seinem Namen die Unterhaltung." 7

Uhde-Bernays, M i t t l e r und Meister

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¿.Einige Minuten hatte Humboldt gesprochen, als ich ihm als Student den ersten Besuch machen durfte, und ich war von dem erhebenden Gefühle erfüllt, daß unter allen Formen des Daseins einzig nur diejenige die reale sei: an der großen gelehrten Forschung sich zu beteiligen, die, als Aufgabe der Menschheit von Anfang an, ewig fortbestehen werde als das, woraus einzig wirkliches Verdienst entspringen könne. Die großartige Gesinnung war es, die in mich einfloß, die jenes Jahrzehnt vor der Französischen Revolution belebt hatte: das letzte Aufblühen der großen humanistischen Gedanken. Man glaubte, in eine unsichtbare Verbindung einzutreten." „Jeden Abend machte ich mit dem alten Meister einen Spaziergang. So saßen wir einmal am Rande der Straße, neben der es zum See von Nemi steil abfällt, und sahen mit an, wie von Süden vom Monte Cavo herüber feste graue Gewitterwolken dicht über uns hinzogen, als ob sie aus einer Feuersbrunst kämen. Cornelius sprach wie zu sich selber: Sie zogen aus, als hätte der Olymp sich aufgetan und die Gestalten der erlauchten Vorwelt zum Schrecken Ilions herabgesendet." „Im Frühjahr 1873 sah ich Emerson in Florenz. Eine hohe schmale Gestalt, mit dem unschuldigen Lächeln um den Mund, das Kindern und Männern höchsten Ranges eigen ist. Die höchste Kultur erhebt den Menschen über das Nationale und macht ihn ganz einfach. Ich glaubte, ihn von Jugend an gekannt zu haben." „Ich weiß nicht, wie mir Goethes Verse in den Sinn kamen: „Ach um deine feuchten Schwingen, West, wie sehr ich dich beneide." Ich sprach sie halblaut vor mich hin im Weiterschreiten. Marianne machte halt, sah mich eine Weile mit ihren graublauen, glänzenden und beweglichen Augen an und sagte: „Höre, wie kommst du dazu, dies Gedicht zu sagen ?" „Oh, es fiel mir gerade so lebhaft ein", antwortete ich, „es ist eines von Goethes schönsten." Marianne sah mich immer an, als wolle sie etwas sagen, besänne sich aber, ob sie es tun sollte. „Ich will 98

dir etwas sagen", rief ich plötzlich aus und weiß selbst nicht, wie ich darauf kam, „das Gedicht ist von dir, du hast es gemacht." „Du darfst es niemand wiedersagen", begann sie nach einer Weile und streckte mir die Hand hin: „Ja, ich habe die Verse gemacht!" Welche wundervolle Erlebnisse! Wie erhaben steht Herman Grimm vor uns! Er hat im Elternhause den Umgang mit den letzten Freunden Goethes genossen, hat mit Cornelius und Alexander von Humboldt gesprochen und vielen anderen bedeutenden Menschen. Ihm zuerst hat Marianne von Willemer offenbart, welche Gedichte in Goethes Divan von ihr sind. Der Schwiegersohn der Bettine, mit ihrer Tochter Gisela von Arnim verheiratet, besuchte sie einmal im „Elefanten" in Weimar, saß mit ihr auf einer zerbrochenen Bank an Goethes Gartenhaus und vernahm ihre Erzählung. Er hörte Bismarck reden und wurde von der Kaiserin Augusta empfangen, er wanderte mit Cornelius in der römischen Campagna, ließ sich von Liszt, Joachim und Clara Schumann vorspielen und war befreundet mit Emerson und Treitschke. Seine Aufzeichnungen dürfen nicht durch tönende Phrasen abgeschwächt werden. Sie wirken mit einer geheimen Gegenwärtigkeit. Dem aristokratischen Greis, dem freien Edelmann an dem Musenhof eines entschwundenen geistigen ancien régime gebührt schweigende Achtung und Dankbarkeit. *

„Ich glaube an Gott, Mozart und Beethoven, ich glaube an den Heiligen Geist und an die Wahrheit der einen unteilbaren Kunst, ich glaube, daß diese Kunst von Gott ausgeht und in den Herzen aller erleuchteten Menschen lebt." So lauten die letzten Worte, mit welchen Richard Wagner seinen deutschen Musiker in Paris, und in unveränderter Wiederholung Bernard Shaw in „Der Arzt am Scheidewege" den schwindsüchtigen Maler 99

sterben läßt. Also lautet, wenn wir an Stelle der Namen der Musiker die Dichter einsetzen, auch Herman Grimms Glaubensbekenntnis, das unumstößliche Credo eines jeden überzeugten Dieners der Freiheit und der Schönheit. Grimm ist gestorben, bevor er „seinem Grundgedanken nachgehend die Geschichte der europäischen Volksentwickelung" niedergeschrieben hat. Wir müssen sie aus Bruchstücken zusammenlesen und erfahren so seine letzten Pläne und Hoffnungen. Aus ihnen tritt er der Nachwelt entgegen: „Innerlich und eigentlich ist er ein Weiser aus einer klassischen Periode, vielleicht ein auferstandener alter Grieche, der in einer Tonne hauste und den Dingen zuschaute, oder der einstmalige Abt eines berühmten Klosters der Renaissance. Sein langes Haar ist weiß geworden, die hohe Gestalt ist so abgemagert, als seien die irdischen Bestandteile, deren wir zum Leben bedürfen, schon von ihm abgefallen. Die klaren schönen Augen sind dieselben geblieben, nur größer sind sie geworden, und es ist, als übersähen sie vieles, was sich unseren Blicken aufdrängt, und als gewahrten sie dafür schon Dinge, die uns noch verborgen sind." So ist Grimms äußeres Wesen liebevoll von seiner Nichte Elisabeth Heyking, der Verfasserin der „Briefe, die ihn nicht erreichten", für spätere Zeiten bewahrt. Dilthey rühmte an ihm „etwas Divinatorisches im Blick, das in Tiefen dringt, über welche kein Brief und keine Äußerung direkten Aufschluß gewähren". Viele seiner Schüler haben ihre Erinnerungen an ihn festgehalten. Sie traten in seine Wohnung am Matthäikirchplatz mit frommem Schauder ein und fühlten sich befangen in dem hellen, aus dem Fenster über die blühenden Pflanzen und das Vogelbauer eine weite Aussicht spendenden Räume. Sie hörten eine Stimme, die aus einer schöneren Vergangenheit herüberzutönen schien, gedämpft und abgewogen erklang, mit rhetorischen Wendungen, und die, wohlwollend und hilfreich, auf jedes Anliegen, jede schüchterne Frage einging, von gönnerhafter Profesioo

soreneitelkeit keine Spur anzeigte. Sie sahen ihn rüstigen Schrittes durch den Tiergarten gehen, den Schlapphut in der Hand, das volle Silberhaar den rauhen Winden des Nordens ausgesetzt, in lautes Selbstgespräch verloren, und wichen ehrerbietig aus, um ihn nicht zu belästigen. Isolde Kurz begegnete ihm in jedem Frühling in der via Calzajoli in Florenz: er trug einen Rosenstrauß, um ihn auf dem Kirchhofe agli allori am Grabe seiner Gattin niederzulegen. Stets schien er einen Begleiter an seiner Seite zu haben. Alle, die ihn kannten, denken an ihn zurück wie an einen Weisen des Altertums, der sammelnd und säend seinen Jüngern voranschreitet und mit dichterischer Wahrsagung die Lehre des Schönen und des Guten der Zukunft sichert: „Der Unbedürftige wandelt in seiner eigenen Welt, in leiser Götterruhe geht er unter seinen Blumen, und es scheuen die Lüfte sich, den Göttlichen zu stören."

IOI

GEORG

DEHIO

„Wer diese Art des Urteilens sich aneignet, wird nicht vergessen, daß ein Volk im Verlauf seines oft bedrohten Daseins auch noch andere Aufgaben hat als die, in der Sprache der Kunst sich über sich und sein Verhältnis zur Welt auszusprechen. Glücklich die Zeiten, die in diesem Sinne fruchtbar und beredt sein konnten. Das Glück verteilt aber seine Gaben immer ungleich. Kunst ist ein hohes Gut. Der Güter höchstes ist auch sie

nicht." Dehio.

In der alten Universitätsstadt Tübingen, wo die Häuser zwischen Anhöhen mit Rebgärten und dem Laufe des Flusses in der freundlichen Einheit einer echt deutschen Siedlung zusammenstehen, hat Georg Dehio, aus Straßburg vertrieben, die letzten Jahre seines Lebens verbracht. Dort konnte er noch den achtzigsten Geburtstag feiern. Voll Dankbarkeit und Teilnahme an dem menschlichen Ringen und an der um die Erhaltung der Ideale der deutschen Kultur ängstlich besorgten Mühe des greisen Historikers haben seine Schüler dem getreuen Eckart der Geschichtsforschung ihre Wünsche gesandt. Am Vorabend des Goethetages, am 21. März 1932, ist er verschieden. Es war ihm vergönnt, die neue Ausgabe seiner Geschichte der deutschen Kunst zu bearbeiten und in einer würdigen Ausstattung vorzulegen. Seitdem er mit diesem zugleich wissenschaftlichen und volkstümlichen Meisterwerke, einem jener nach sprachlicher Prägung und fundamentalen Kenntnis, seiner deutenden, weitschauenden Darstellung, nicht zuletzt auch nach seinem ethischen Gehalt eigenartigen Bücher, die einem Volke im Verlauf eines Menschenalters stets nur einmal dargeboten werden, aus der Stille seiner Gelehrtenstube vor die Öffentlichkeit getreten war, ist sein Namen weit bekannt in unserer Heimat. Überall dort, 102

wo Deutsche unter Deutschen wunden Herzens um das Geschick des Vaterlandes klagen, weisen sie auf seine Gestalt, die hoch aufragte über den Niederungen des Alltages und der politischen Zersplitterung. So ist es kein Zufall, daß dieses großartige Bekenntnis seinen Weg und eine Verbreitung gefunden hat, die seit Treitschkes deutscher Geschichte im 19. Jahrhundert keiner ähnlichen Schrift beschieden war. Dehio hat sie mit seinem Herzblut geschrieben, mit einem aus erlebtem Leide quellenden Zorn, der bei dem Grauen des Verfalls die Manen der Vergangenheit gegen das drohende Gespenst der Zukunft aufrufen wollte. Es gibt Bücher, vor deren Angesicht sich die Geister scheiden oder finden, zu welchen ein jeder, der eine innere Zugehörigkeit zu seinem Volke bewahrt, mit J a oder Nein Stellung zu nehmen hat, Bücher, die in den Zeiten der Not sogar eine programmatische Bedeutung in ihrer wissenschaftlichen Haltung besitzen. Dehios Geschichte der deutschen Kunst ist ein solches seltenes Buch. Wir dürfen stolz sein auf seine Rede, die aus einem übervollen, von Begeisterung oder Scham glühenden Empfinden des Mutes und der Wahrhaftigkeit hervorströmt. Der Schmerz um Deutschlands Niederlage ließ es in der persönlichen Form der letzten Fassung entstehen, damit das Beispiel einstiger Größe die Forderung stelle nach Einkehr und Selbstbesinnung, damit der Weckruf eines empörten Gewissens die Verschlafenen, Feigen, Zweifelnden aufrütteln möge. Seine Abstammung, seine Begabung, dann Neigung und Richtung der Studien haben schon dem Jüngling das Ziel gewiesen, dem er zögernd entgegenschritt. Aber die Größe der verkündeten Weisheit und des tragischen Grundcharakters, die nach fünf Jahrzehnten ununterbrochenen Schaffens die abschließende Arbeit erst der letzten Lebensperiode anzeigt, ist ihr nur unter den Eindrücken der Ereignisse des Krieges zugewachsen. In Straßburg ist Dehios Kunstgeschichte entstanden, im 103

Anblick des Münsterbaues, dessen „Steine in Ewigkeit deutsch reden werden, auch dann, wenn bei den Menschen um ihn her der letzte deutsche Laut verklungen sein wird, abgeschworen und vergessen". Die Weihe der Zuflucht in dem verwandten Grenzlande des Elsaß mußte die Kraft des gebürtigen Livländers mit besonderer Aufregung des Geistes und Gemütes ergreifen. Dehio kam in Reval zur Welt, als Sohn eines Juristen, einem Geschlecht zugehörig, das hervorragende Ärzte und tüchtige Goldschmiede zu seinen Mitgliedern zählte. Dieser engeren Heimat hat er, bevor er Straßburg verließ, in einer Ansprache Worte schwärmerischen Dankes gewidmet: „Dem Balten ist das Deutsche Symbol und Schlüssel der höchsten Lebenswerte. Ein Balte würde sich eher seinen Kopf abreißen, als seinen Namen russisch aussprechen." Also bildeten die Zähigkeit der konservativen Überzeugung und die Empfänglichkeit für alles Schöne in ihrer gegenseitigen, von einem lebhaften Temperament gehobenen Verbindung die Grundlagen des Lerneifers, dem Dehio als Student in München und Göttingen folgte. Nachdem er mit einer Dissertation über den Bremer Erzbischof Hartwich von Stade promoviert hatte, trat er selbstbewußt und sicher als Münchener Privatdozent mit einer Geschichte des Erzbistums Hamburg-Bremen bis zum Ausgang der Mission vor den Richterstuhl der Kritik, auf dem im Jahre 1877 an der Isar kein Geringerer als Wilhelm von Giescbrecht saß. In München hatte Dehio bereits kunstwissenschaftliche Kollegien gehalten. Kurz bevor er nach sechs Jahren nach Königsberg berufen wurde, lag seine erste Arbeit auf diesem Gebiete vor: „Genesis der christlichen Basilika", welche die Abhängigkeit des christlichen Baustils vom antiken Privathause nachwies. Damit wandte sich, aus eigener Anschauung schöpfend, der Verfasser dieser Forschungsberichte von den älteren Fachgenossen ab, die noch den Grundsätzen der Hegelschule folgten, 104

indem er vergleichend, nicht zufrieden mit der Aufstellung eines Systems, darlegte, daß das Gebiet der kunstwissenschaftlichen Betrachtung im Zusammenhang mit der Archäologie erweitert werden müsse. Aus dieser Beschäftigung ergab sich dann der Plan einer in ganz großem Umfange gehaltenen Fortsetzung der Genesis. Dehio befreundete sich mit Gustav von Bezold, der als Architekt in die Laufbahn des Museumsbeamten übergetreten war. Innerhalb von zwanzig Jahren erschienen von den beiden Herausgebern die sieben Bände der „Kirchlichen Baukunst des Abendlandes". Bei den heutigen bequemen Verkehrsverhältnissen ist es kaum mehr möglich, sich die Schwierigkeiten vorzustellen, die allein die Zusammenfassung des nur am Orte selbst studierten und abgemessenen Materials erforderte. Abermals auf chronologischer Basis wurden dann alle Folgerungen gezogen, die in ständiger Berücksichtigung der allgemeinen geschichtlichen Zusammenhänge zu einer entwicklungsgeschichtlichen Darstellung gelangen. Außerdem wurde für die Verbreitung der Kenntnis der deutschen Plastik ein fünfbändiges Handbuch als bequem benutzbarer Auszug der vorhandenen Inventarisierung geschaffen, weitere fünf Bände einer Kunstgeschichte in Abbildungen wurden vorgelegt. Kleinere Aufsätze und Studien schlössen sich an, wurden auch in Sammlungen vereinigt. Im Herbst 1893 erhielt Dehio einen Antrag nach Straßburg, den er freudig annahm. Hier, wo er als Lehrer und Redner mächtig auf seine Schüler einwirkte, erhob er sich in unermüdlicher Tätigkeit zu einem staunenswürdigen Wissen namentlich um die historischen Quellen und die Denkmäler der deutschen Architektur und Plastik des Mittelalters. Geleitet vorzüglich durch diese Kenntnis zu einer von höchster Warte aufgenommenen Ubersicht, in seinem starken Gefühl fortgerissen von aufrichtiger Bewunderung des Zeitalters der Hohenstaufen und ihrer Herrscher, trug er sich nach kurzer 105

Zeit mit einer Geschichte der gesamten deutschen Kunst. Als ihr Gipfel erschien ihm der Beginn des 13. Jahrhunderts, die Regierung Friedrichs II., einzigartig wegen ihrer Verbindung des intensiven geistigen Lebens mit der staatlichen und wirtschaftlichen Ausweitung. Dehio hatte längst die Gefahren einer ausschließlichen Stilkritik erkannt. Während der jugendliche Heinrich Wölfflin um die Jahrhundertwende nachdrücklich die Trennung von Kunstgeschichte und Kulturgeschichte forderte, lehnte er zwar den „mehr oder weniger kulturhistorischen Hintergrund" ebenfalls ab, um dafür zu verlangen, daß „das Verhältnis der Nation zur Kunst in seiner Ganzheit, in seinen Bedingungen wie in seinen Wirkungen, nach der produktiven wie nach der rezeptiven Seite hin historisch erfaßt werde". Damit schloß er sich der Lehre Rankes und einer Auffassung an, die den älteren Kunsthistorikern geläufig war. Die unterdessen zumeist in einer geistlosen Fachgelehrsamkeit sich verlierende Methode, die an verschiedenen Universitäten zur Geltung gelangte, konnte freilich Dehios Gesinnung nicht verändern. Aber sie mag dazu beigetragen haben, daß der Entschluß, die „Geschichte der deutschen Kunst" zu schreiben, lange nicht in die Tat umgesetzt wurde. Wie eigenartig angelegt, eingeteilt und durchgeführt ist doch dieses Werk, wenn wir es mit Publikationen anderer Kunsthistoriker vergleichen! Bereits ein Blick über die Auswahl der Abbildungen zeigt, wie „Alles sich zum Ganzen webt, eins in dem andern wirkt und lebt". Den Kapiteln, die in knapper Behandlung die einzelnen Gegenstände der künstlerischen Tätigkeit besprechen, gehen ausführliche Einleitungen voran, die sich mit einer auf alle Regungen des deutschen Lebens achtenden Aufmerksamkeit und einem zarten seelischen Feingefühl über den weiten Raum des entwicklungsgeschichtlichen Verlaufes an ein Auditorium wenden, das über dem engen Kreis der Wissenschaft steht. 106

Sie gehören zum Schönsten, was seit Treitschke und Dilthey von einer sachkundigen Vaterlandsliebe über deutsche Vergangenheit geschrieben worden ist. Diese nationale Stimmung ist in die Hauptkapitel übertragen und dort nicht verlorengegangen. Der Zug des prinzipiellen selbstgetreuen Glaubens ist wie ein organisches Element immer vorhanden geblieben. Wo Dehio von Enthusiasmus erhoben, wo er im Bewußtsein seiner Mission mit dem herben Tadel des Patrioten verbittert scheltend menschlich über seine Darstellung hinaustritt, erscheint er besonders wahr und groß. So etwa in den Schilderungen von Maulbronn und von der Marienburg, von Peter Vischer und Konrad Witz in den Abschnitten, die Dürer, Grünewald, Holbein gewidmet sind. So in seinen Äußerungen zur Renaissance und Reformation und in dem nachdenklichen Prolog zu der kurzen Übersicht des 19. Jahrhunderts. In der Lehre von der Geschichte der Kunst, soweit sie von ästhetischen Erwägungen betroffen wird, wechseln im Gegensatz zu anderen Disziplinen die Anschauungen über das Maß der Einschätzung des künstlerischen Genies und über die Wandlungen der Stilformen. Auch über das Wesen der Kunst, besonders der deutschen Kunst, ist eine übereinstimmende Ansicht bisher nicht gewonnen worden. Den Thesen von Wölfflin und Pinder gegenüber bleibt Dehio auf dem Platze des Historikers schon aus dem Grunde, weil für ihn bei der verfänglichen Bezeichnung „Kunstgeschichte" der Akzent stets auf der zweiten Hälfte des Wortes ruht. Er hat sich das Gesetz seiner Schilderung im Rahmen der allgemeinen Entwicklung selbst gegeben und ist ihm treu geblieben. Seine kritischen Verdienste sind ausschließlich von diesem Standpunkte zu beurteilen. Daher hat man die von ihm bei seiner angeblichen „Verkennung" der deutschen Kunst im 19. Jahrhundert ausgesprochenen, als subjektive Theorien beanstandeten Ansichten durchaus objektiv aufzufassen. Sie sind keineswegs ver107

anlaßt von einer zufälligen Laune der persönlichen Voreingenommenheit. Licht und Schatten sind auch hier gerecht verteilt. Solchen Einwendungen darf erwidert werden, daß ein Teil der Bedeutung Dehios in der unbeirrten Einhaltung des von ihm gewählten Weges zu suchen sei, in der Wahrnehmung, einem Meister nachzufolgen, der keine langatmigen Bildbeschreibungen erfindet und, statt die Leser mit populären Schlagworten einzufangen, höhere Anforderungen an ihr Verständnis und ihr Auge stellt. Seiner natürlichen Veranlagung, seiner von der Überlegenheit eines gerechten patriotischen Denkens geschulten Ausbildung gemäß erfaßt er das künstlerische untrennbar von dem kulturellen und politischen Leben. Kunst ist auch ihm ,,Kristallisation eines Gesamtbewußtseins". Dennoch bleibt er, ohne daß sich durch dieses Verhältnis eine Einschränkung zeigen würde, Aristokrat und überzeugter Individualist. Oft tritt der Seher, der entrückt zu einer unsichtbaren Hörerschaft redet, an die Stelle des Chronisten, in der gleichen Größe des sittlichen Ernstes, der Jacob Burckhardt auszeichnet. Mit seinem universalen geschichtlichen Erkenntnisvermögen steht Georg Dehio in Burckhardts Nähe, obgleich er bei einem wesentlichen Grundsatz seiner politischen Meinung, über die Erhaltung eines nationalen Ethos durch den Machtwillen, anders dachte, sich dadurch von dem Schweizer unterschied, daß er aus innerem Antrieb ein zuerst nationales, vorwiegend für Deutsche bestimmtes Buch geschrieben hat. Während indessen Burckhardt die durch die Französische Revolution veranlaßte „Abdikation des Individuums" und die Massenbewegungen als furchtbare Gefahr für die Zukunft ansah, hielt Dehio an dem Glauben fest, daß ein Volk nicht verloren sei, solange es noch vermöge, große Einzelmenschen hervorzubringen. Beide Historiker waren sich darin einig, daß die Auflösung der alten Gesellschaft und die Überhebung in einer scheinbaren Gleich108

berechtigung Aller neue soziale Bedingungen geschaffen habe, die dem Geiste und der Bildung durch den zunehmenden Materialismus schädlich sind. Dehio führt in einer Gegenüberstellung der Werte der deutschen und der französischen Kultur diesen Gedanken auf dem Gebiet der bildenden Kunst fort, indem er schroff und scharf ihre Erneuerung im 19. Jahrhundert als ein vergebliches Bemühen bezeichnet: „Der Frühling der deutschen Dichtung wurde der bildenden Kunst eine Eiszeit." Gegen diese als voreingenommene oder reaktionäre Doktrin verdächtigte Anschauung haben sich sogleich von allen Seiten Bedenken erhoben, die nicht bemerken wollten, daß Dehios bekümmerter Ausspruch nur das Resultat seiner systematischen historischen Gelehrsamkeit war. Schon Niebuhr hatte in seiner römischen Geschichte die bildungsfeindlichen Mächte der Revolution mit einer Besorgnis zurückgewiesen, die auch nach ihm den meisten konservativen Geschichtsschreibern, nicht nur in Deutschland, als schmerzliches Erbteil verblieb. Unter der Einwirkung des verlorenen Krieges verfiel Dehio, wiederum Burckhardt nahe, einem harten Pessimismus, mit dem er die politische Entwicklung seit dem Jahre 1789 verantwortlich erklärte für die Loslösung der geistigen Führung von der Tradition. Andrerseits regten sich Stimmen, die eine bejahende Auffassung vertraten. In Franz Schnabels deutscher Geschichte im 19. Jahrhundert wird gleichfalls ein Dualismus von Berechnung und Leben, Einstufung aller Erscheinungen und Werte nach ihrem praktischen Nutzen als Ergebnis der aus Frankreich stammenden neuen, einer kulturellen Erhaltung bisheriger Kräfte feindlichen Hegemonie der sozialen und wirtschaftlichen Begriffe angenommen. Daß Dehio im 19. Jahrhundert nur mehr eine Künstlergeschichte, nicht eine organische Kunstgeschichte zu erkennen glaubte und dem Staat die Eigenschaft schlechterdings absprach, der Kunst einen typischen Gehalt 109

geben zu können, ist den Plänen und Programmen eines modernen Literatentums verdrießlich, das auch Scherers Literaturgeschichte angriff, weil sie mit Goethes Tode abschloß. Dehios verantwortungsvolle Geschichtsschreibung darf aber nicht mit dem einseitigen Egoismus des Tages kritisiert werden. Was er seinem Volke zu sagen hat, begehrt weder nach einer willkürlichen Resonanz, noch ist es abhängig von der Mode oder einem zufälligen Parteihandel. Auch Dehio war gewährt, was alle großen deutschen Historiker besaßen, Unabhängigkeit und gebührende Achtung vor dem Willen der Geschichte. „Die Geschichte gehört vor allem dem Tätigen und Mächtigen, dem, der einen großen Kampf kämpft, der Vorbilder, Lehrer, Tröster braucht und sie unter seinen Genossen und in der Gegenwart nicht zu finden vermag. Die Geschichte gehört zweitens dem Bewahrenden und Verehrenden — dem, der mit Treue und Liebe dorthin zurückblickt, woher er kommt, worin er geworden ist; durch diese Pietät trägt er den Dank ab für sein Dasein, und so dient er dem Leben." Diese Worte Nietzsches haben sich in Georg Dehios Dasein aufs herrlichste erfüllt.

IIO

E B E R H A R D

G O T H E I N

„. . . ick liebe diese Art Gelehrten nicht, die mit umfassendem Wissen und feinem Geschmack doch selber in einer gewissenhaften Kleinkrämerei aufgehen. Die echten Gelehrten haben doch alle etwas vom selbstvertrauenden Eroberer, und auch der Zug der kindlichen Naivität stammt bei ihnen aus dieser Eigenschaft." Gothein.

Unsere deutschen Universitäten waren nach dem Abschluß der Befreiungskriege in den Mittelpunkt eines allgemeinen, freiheitlichen und nationalen Denkens eingerückt. In einer unvergleichlichen, ihre Überlieferung mit freudigen Hoffnungen schmückenden Größe traten die Lehrer der Wissenschaft den Meistern der Dichtung zur Seite, deren Sang nun erst, nachdem der Feind am Boden lag, über das ganze Reich erscholl. Anstatt der verlorenen Kaiserkrone ward der Lorbeer einer die Welt umfassenden geistigen Herrschaft errungen. Auch als die Erwartung auf eine von den Regierungen der einzelnen Bundesstaaten dem Volke in Aussicht gestellte friedliche Lösung der innerpolitischen Fragen durch die reaktionären Beschlüsse ängstlicher Diplomaten auf Metternichs Befehl enttäuscht worden war, blieben auf den Hochschulen, obgleich sie unter den scharfen Bestimmungen der Kabinette und den willkürlichen Verfolgungen der Demagogenhetze schwer zu leiden hatten, der Idealismus der freien Forschung und die aufrechte Gesinnung der selbständigen Tätigkeit bestehen. „Niemals sind", schreibt Treitschke, „unsere Hochschulen so wahrhaft frei, so tief innerlich glücklich gewesen wie in jenen stillen Friedensjahren." Der Zug der humanistischen Erziehung ging sehr weit, und begann auf die nach in

Bildung begierige Jugend und auf das bei bescheidenem Einkommen für jede poetische und künstlerische Anregung empfängliche Bürgertum einen wohltätigen Einfluß auszuüben. Dieses Geschlecht, das im Kampfe groß geworden war, begehrte nach einer unbeschränkten Erlaubnis des Lehrens und des Lernens, was ihm ein unabhängiges Urteil über den gegenwärtigen Zustand der Menschheit in einem breiten und fortschrittlichen Sinne ermöglichen solle. Es fühlte, daß eine neue Zeit angebrochen war, es forderte nachdrücklich die Erklärung des Buchstabens durch das wirkliche Leben, wollte nicht wie bisher sich einem umgekehrten Verfahren unterwerfen und träumte über die Grenzen seines Vaterlandes hinaus von einem Weltbürgertum, das eine goldene Zeit des Friedens und der Blüte aller edlen Tugenden herbeiführen werde. Die Frühlingstage des deutschen Liberalismus wurden eingeleitet von der warmherzigen Bewegung, die von den Professoren und Studenten ausging. Gänzlich entfernt von den utilitaristischen Forderungen, die sich in anderen Ländern rücksichtslos aussprachen, folgten sie ihrem idealistischen Glaubensbekenntnis, ohne die Gefahren zu bemerken, die sich in seinem Kern bargen, auch erst im Verlaufe der historischen Entwicklung deutlicher zeigten. Ein kostbarer Vorteil der Lehrer und Schüler an den Universitäten in Deutschland beruhte in der Vielseitigkeit ihrer Wünsche nach Wissen und Bildung. Man könnte eine eigene geistesgeschichtliche Linie von diesem Anfang durch das 19. Jahrhundert bis zu dem an seinem Ende in einem fleißigen Spezialistentum sich auflösenden Arbeitsbetriebe ziehen, dem wohl glänzende Resultate, diese aber auf Kosten einer weiter reichenden Anschauung verdankt wurden. Schon nach dem Entstehen des neuen Deutschen Reiches suchte, zuerst in den kleinen Städten, eine Strömung sich durchzusetzen, die eine genaue Einzelkenntnis höher einschätzte als die Weisheit der wesentlichen Eigenschaften des Ganzen, 112

den Fachgelehrten über die Persönlichkeit stellte. Das war zwar die Folge einer unermüdlichen Schaffenskraft und von gewaltigen Entdeckungen auf allen Gebieten — es mußte sich jedoch der Zweifel regen, ob nicht durch diese Einschachtelung die echte akademische Freiheit aufgehoben werde. Und auf dem schwankenden Boden einer dahin gehenden Einsicht sind manche Begabungen einem ihren Fähigkeiten nicht angemessenen Wege zugeleitet, in ihrer sonderlichen Bedeutung nicht anerkannt und an der rechten Auswirkung verhindert worden. Bei der Gründung der Berliner Universität hatte Wilhelm von Humboldt die Erklärung abgegeben, daß man „eben tüchtige Männer berufen und das Ganze sich allmählich ankandieren" lassen müsse. An diesem Prinzip wurde lange festgehalten, bis sich, von außen durch die Eingriffe des Staates, von innen infolge der Zunahme des Professorendünkels und des Anwachsens der Hörerzahl, die alten Sitten und Gebräuche allenthalben wandelten und die alma mater ein Versicherungs- und Versorgungsinstitut geworden war. Bureaukratie und Nepotismus wetteiferten miteinander, die ehemaligen Gelehrtenrepubliken zu ehrbaren Dressuranstalten für die Beamtenlaufbahn in Zwang und Zucht und ihnen so die Freiheit zu nehmen. Den Unterrichtsministerien gefiel diese Veränderung gar wohl, namentlich wenn ein autokratischer Referent wie Friedrich Althoff in Preußen an ihrer Spitze stand. So befanden sich manche streitbare Dozenten in einer schwierigen, öfters gefährlichen Lage, Gegnern ausgesetzt, deren Vorurteile nicht immer nur durch ein hohes Alter zu entschuldigen waren und beispielsweise um 1890 in Berlin Erich Schmidt, Herman Grimm und Heinrich von Treitschke von allzu freiheitlichen Regungen abzuhalten wußten. Jene doppelte Selbstentäußerung von ihren vornehmsten Zwecken, die sich ständig verstärkte, trägt daher die meiste Schuld an dem schmählichen Versagen im Jahre 1933, wo weder auf den Kathedern noch in den Bänken sich der nötige 8

U h d e - B e r n a y s , M i t t l e r und Meister

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Widerspruchsgeist erhob, der die Knebelung hätte abwenden können. Fast ein Jahrhundert nach dem ehrenhaften Rücktritt der Göttinger Sieben führen die deutschen Universitäten, hoffentlich nicht für immer, ein klägliches Scheindasein in trauriger Abhängigkeit von parteipolitischen Paragraphen. „Wenn ich nun die Universitäten, die doch nur einen Teil des geistigen, sogar nur einen Teil des wissenschaftlichen Lebens darstellen, sich so unmäßig rühmen höre und dann, ganz abgesehen von der Geringfügigkeit vieler Vertreter und ganzerWissenschaftszweige, aus derKenntnis des Lebens heraus bemerke, wie kahl diese Ansprüche sind und wie gering in Wahrheit unser Einfluß, dann wandelt mich oft eine Art Grauen vor dem Phrasenschwall an, und wenn ich nicht wüßte, daß man das nicht offen sagen darf, um das bißchen wirkliche Bedeutung nicht noch mehr zu zerstören, möchte ich das Gewebe von Selbsttäuschung und Selbstberäucherung zerreißen." Diese nachdenklichen Sätze stehen in einem Buch, dem ein mißgünstiges Geschick das gleiche Los beschieden hat wie dem Gelehrten, zu dessen Erinnerung es zusammengestellt wurde. Kurz vor Weihnachten 1931 erschienen, blieb es unbeachtet, sogar vielen Freunden und Schülern des Heidelberger Hochschullehrers unbekannt, dem es gewidmet ist. Eberhard Gotheins Name ist rasch einer unverdienten Vergessenheit verfallen. Wer aber bei einem zufälligen Anlaß in den von ihm hinterlassenen Briefen liest und sich durch sie den Lebenslauf vergegenwärtigt, den der treffliche Kulturhistoriker und Nationalökonom zurückgelegt hat, wird ein überraschendes, unvergeßliches Bild der starken Persönlichkeit und des reinen Menschentums, wodurch er ausgezeichnet war, und zugleich der Zeitperiode aufnehmen, in der er, an den politischen Ereignissen als besorgter Patriot aufmerksam teilnehmend, gewirkt hat. Diese eindringlichen Bekenntnisse, von seiner wenige Wochen nach der Veröffentlichung ihres Gedenkbuches verstor114

benen Witwe Marie Gothein, der Verfasserin mehrerer Werke über englische Literatur und einer Geschichte der Gartenbaukunst, redigiert und zu einer biographischen Darstellung abgerundet, vermitteln einen nachhaltigen, erschütternden Eindruck. Sie gehören zu den wertvollsten Äußerungen, die als Grundlagen für eine Schilderung des deutschen Universitätswesens zwischen 1870 und 1920 in Betracht kommen, und enthalten eine Fülle von wichtigen Beobachtungen eines mit scharfem Blick für den verhängnisvollen Verlauf des von Bismarcks Nachfolgern eingehaltenen politischen Kurses ausgestatteten Kritikers, der wie wenige auf Grund seiner großen historischen Erfahrung von einem inneren Drang getrieben ward, Vergangenheit und Gegenwart zu verbinden. Gothein war endlich, in seiner Weltanschauung von Kant, Goethe, Schopenhauer, Burckhardt bestimmt, ein energischer Anwalt der humanistischen Erziehung, vielleicht der letzte Humanist im Sinne Wilhelm von Humboldts; er ist um so mehr der allgemeinen Beachtung würdig, weil er, von einem leidenschaftlichen Temperament bewegt, für das Lebendige, also für eine in stetem Flusse befindliche Erneuerung der wissenschaftlichen Forschung sich einsetzte. Ein Meister des abgerundeten, wohllautenden, schön und leicht geprägten, von dem trügerischen Glänze der literarisch prunkenden Prosa wie von der ehernen Strenge des philosophischen Satzbaus gleich weit entfernten Stils, in dem sich der geborene Redner ankündet, anschaulich, zwischen objektiver Ruhe und subjektivem Eifer zu unterscheiden geneigt, ist er stets bescheiden, liebenswürdig, der eigenen Überzeugung treu gewesen. Da enthüllt sich die vollendete Form einer ungewöhnlichen, die meisten der weitbekannten und vielgenannten Zeitgenossen überragenden Natur. Um so schmerzlicher die Wahrnehmung, daß es diesem Manne nicht vergönnt war, als der berufene Verwalter des von Jacob Burckhardt übernommenen Erbes von einem nach allen Seiten unseres Vaterlandes " 5

wirkenden Lehrstuhl aus, wie Mommsen und Treitschke, seine Erkenntnisse zur Mahnung und Warnung auszubreiten. Gothein hat sich, so gut es ging, mit der entsagungsvoll genug eroberten idealistischen Anforderung begnügt, die er mit einer leichten Ironie der Sentenz Goethes entnahm: „Willst du dich deines Wertes freuen, mußt du der Welt erst Wert verleihen." Ein hoffnungsgesegneter Optimismus hat ihn immerfort begleitet und ist erst kurz vor dem Tode von ihm gewichen, als er in zornig auflodernder Empörung über den moralischen Zusammenbruch der Deutschen die Vernichtung seiner Manuskripte und seines Nachlasses in letztwilliger Verfügung anordnete. Damals, im November 1923, konnte man die Meinung vernehmen, daß Gothein infolge der vielseitigen Interessen, welchen seine Begabung nachging, und seiner nach verschiedenen Zweigen am Baume der Wissenschaft begierig greifenden Neigungen nicht an den ihm gebührenden Platz gelangt sei, obwohl sich öfters dazu eine Gelegenheit geboten hätte. Er sei in einem zwiespältigen Verhältnis zu seinem Berufe als Dozent schon von seiner Habilitationsschrift „Politische und religiöse Volksbewegungen vor der Reformation" an immer gestanden und habe sich nicht entschließen können, sich eindeutig für die eine oder die andere Richtung zu entscheiden. Nichts ist falscher, sogar gehässiger als eine derartige Behauptung. Auch hat seither die Entwicklung der historischen Lehre erwiesen, daß das Begreifen des geschichtlichen Werdens aus Wurzeln der sozialen und wirtschaftlichen Kräfte (womit Gothein im Widersprach zur Methode Rankes neuen Zielen entgegenstrebte) eine wichtige Aufgabe der Forschung sei. Woran allein Gothein strandete, war, wie er mit Recht sagt, der „Mangel an Anschluß", an Gehorsam für die Gebote der Zunft. Am tiefsten traf ihn, weil er sich in erster Linie zum akademischen Vertreter der Weltgeschichte und Kulturgeschichte geschaffen fühlte, die Ablehnung, 116

als er von der philosophischen Fakultät in München zum Nachfolger Riehls vorgeschlagen wurde und den Ruf nicht erhielt. Welche Aussicht eröffnet sich bei dem Gedanken, was Gothein an der Ludovico-Maximilianea hätte leisten, welche öffentliche Aufmerksamkeit er gerade an der im Jahre 1897 der hervorragenden Redner entbehrenden Universität erreichen und welche Begeisterung er unter der in jener Zeit besonders erregten Studentenschaft wecken können! E r verbarg seine Enttäuschung nicht und schrieb: „Den Tag über habe ich Nationalökonomie getrieben, jetzt, nachdem die letzte Hoffnung auf eine bedeutende Tätigkeit als Historiker zu Wasser geworden ist, sage ich mir immer mehr, daß ich in dem einmal ergriffenen Lebensberufe mehr leisten muß als bisher." Ein übertriebener Ehrgeiz lag ihm nicht, um so mutiger aber überwand er die Niederlage durch seine strengen sittlichen Grundsätze, die ihn anhielten, den ihm auferlegten Verpflichtungen mit voller Kraft Genüge zu tun. Der Lehrauftrag für Kulturgeschichte, der ihm in Bonn neben der Professur für Nationalökonomie erteilt worden war, entschädigte ihn für den Münchener Verlust, zumal gleichzeitig die wachsende Anerkennung seiner im Rheinland gehaltenen Vorträge und die Begründung der nach seinen Vorschlägen in Köln errichteten Handelshochschule nach außen einen freundlichen Ertrag seiner Bemühungen zeitigten. Ohne Illusionen, aber auch ohne Sorge sah er der herannahenden, durch den von ihm schon lange vor seinem Ausbruch befürchteten Krieg herbeigeführten Krise entgegen, im festen Vertrauen auf die im deutschen Volke ruhenden Kräfte, und stürzte sich, nachdem erui Heidelberg die letzte Stätte für seine weitreichende Wirksamkeit gefunden hatte, in die Arbeit, der Maxime Goethes getreu: „Ein erhabner Sinn legt das Große in das Leben und er sucht es nicht darin." Ein Auftrag der badischen historischen Kommission hatte einst (1883) die Wendung verursacht, die Gotheins 117

Laufbahn entschied. Der Breslauer Privatdozent war zur Abfassung einer „Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes" auserwählt worden, die von ihm eine langjährige, durch wiederholte ausgedehnte Reisen und Streifzüge im Oberland, zum vertrauten Einblick in die sozialen Umstände und Existenzbedingungen der einzelnen Bevölkerungsschichten und Industrien, geförderte Beschäftigung mit Problemen verlangten, deren Entstehen und Entwicklung unmittelbar mit der Gegenwart zusammenhingen. Dieses umfangreichste der Bücher Gotheins gilt allgemein als sein Hauptwerk. Es vereinigt in einer bewunderungswürdigen Weise, die durch die gesprächige Erzählungskunst die mühsame Handhabe des gelehrten Apparates, der statistischen und archivalischen Unterlagen kaum bemerken läßt, bei fortgesetzter Achtung auf den kulturhistorischen Gehalt des Themas die geschichtliche Erklärung mit der fortlaufenden Beziehung auf die im Zeitpunkte der Niederschrift gegebenen, dem Staate, den Gemeinden, dem Unternehmer und Arbeiter zukommenden Aufgaben. Gotheins organisatorisches Talent, seine im besten Sinne des Wortes demokratische Überzeugung und seine Angewöhnung, ausschließlich nach Anschauung, eigener Anschauung zu urteilen, haben in dieser Wirtschaftsgeschichte bereits den Beweis geliefert, daß er mitten im Leben stand. Der kluge Politiker, der geistvolle Denker gab damit ein Probestück menschlicher und wissenschaftlicher Gesinnung ab, das dann allerdings nur zur fachlichen Abstempelung dienen sollte. Die Professur am Polytechnikum in Karlsruhe schien diese einseitige Auffassung zu bestätigen. Wie fern lag doch die Zeit, in der sich niemand verwunderte, wenn ein Gelehrter noch in reifen Jahren von einem Fach zum anderen übersprang oder wenn ein Philologe, wie Dahlmann, der nie eine historische Vorlesung gehört, auf den Lehrstuhl der Geschichte berufen wurde! Daß unter manchen anderen Niebuhr, sogar Mommsen als Juristen begonnen 118

hatten, war längst aus den Akten der Universitäten gestrichen. Als Gothein die Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes zu schreiben anfing, hatte er eben das vierte Jahrzehnt seines Lebens erreicht. Der junge, früh verwaiste Schlesier, 1853 in Neumarkt geboren, ein Stammesgenosse von Freytag, Haym und Hettner, der sich seiner Herkunft gerne entsann und dem Ausspruch Ehre machte: „Alles, was man auf Erden nur werden kann, wird der Schlesier mit Leichtigkeit", hatte im Hause seines Onkels, des Botanikers Gustav Stenzel in Breslau, eine vorzügliche Erziehung genossen. Dieser kinderlose Gelehrte, ein Pädagoge, Humanist und Naturfreund ohnegleichen, erkannte die Begabung des Neffen und leitete ihn, indem er ihn auf seinen Exkursionen mitnahm und mit einer tiefen Liebe für die Schönheit auch der kleinsten Pflanze erfüllte, zu einer Sicherheit der Beobachtung an, die der geschickte Zögling eifrig zu nutzen verstand. Sohn eines hervorragenden Historikers, erörterte er mit dem heranwachsenden Gymnasiasten öfters geschichtliche Fragen und unterstützte ihn beim Eintritt in das Studium mit seinen Ratschlägen, als er nach bestandenem Abiturientenexamen die Universität bezog. Auch hier war Gothein das Glück günstig, da er in Karl Neumann, der alte Geschichte vortrug, einen dank seiner geographischen Vorbildung weitblickenden Lehrmeister, in zwei jüngeren Professoren, Wilhelm Dilthey und Bernhard Erdmannsdörffer, ermutigende Vorbilder für seinen Weg zum Katheder fand. Während ihn Erdmannsdörffer, der über Burckhardts Kulturgeschichte der Renaissance als einer der ersten zustimmenden Referenten berichtet hatte, nach Heidelberg zog, wo er zwei köstliche Jahre verbrachte, war Dilthey schuld, daß er, statt Burckhardt in Basel aufzusuchen, nach Breslau zurückkehrte. Nach dem Doktorexamen und der Habilitation mit den verschiedenartigsten Plänen beschäftigt, mehr für sich lernend und arbeitend als zu 119

produktivem Tun gestimmt, wurde er zu Forschungen zur Geschichte der Kultur von Süditalien und der Humanistenschule in Neapel angeregt. Aber erst im Frühjahr 1882 brach er dorthin auf und folgte schon in der Wahl der Reiseroute einem neuen und eigenartigen Programm. Von Dalmatien kommend, betrat er Italien in Brindisi, durchwanderte Apulien und Kalabrien wie vor ihm Gregorovius, oft unter abenteuerlichen Umständen, und gewann auf diese Weise die beste Vorstellung von der Lebensweise und dem Charakter der Bevölkerung. In den Archiven von Neapel und Rom stieß er auf unbekannte Schätze, die er sorgsam ausnutzte, um sie für einen leider nicht im Zusammenhange, nur in monographischen Abhandlungen geschaffenen Sammelband „Die Kulturentwicklung Süditaliens" zu verwerten. Ein bisher von deutschen Historikern vernachlässigtes Gebiet, das ein Stiefkind zu bleiben anscheinend aus dem Grunde verurteilt ist, weil sich das Interesse lieber derZeit der Hohenstaufen statt den im örtlich begrenzten Machtbereiche der Anjou und Arragonien wirksamen späteren Bewegungen zuwendet, tat sich ihm auf, indem er mit den Resultaten seiner Doktorarbeit systematisch vordrang. Die Abschnitte, in welchen die religiösen Zustände der Renaissance und die Schriften der Humanisten in Neapel behandelt wurden, erregten denn auch das Wohlgefallen Burckhardts. Sein Beifall galt Gothein als „Meisterbrief". Folgerichtig entstand die erste kurze Darstellung des Ignatius von Loyola und der Gegenreformation, die im Verlaufe eines Jahrzehnts immer ergänzt und umgestaltet wurde, bis die letzte Fassung mit drei gewichtigen einleitenden Kapiteln die Erscheinung des gewaltigen Gründers des Jesuitenordens und den Ideengehalt der katholisch-mystischen wie der kulturellen Zeitströmungen um die Mitte des 16. Jahrhunderts in einer einheitlichen dramatischen Spannung zusammenfaßte. Auch dieses Buch wurde nicht nach Gebühr anerkannt, am meisten noch von klerikaler Seite, von 120

der die maßvolle, gerechte und würdige Schilderung Gotheins gegen Baumgartens Karl V. ausgespielt wurde. Der angeblich seiner amtlichen Stellung nach mit Nationalökonomie und Volkswirtschaft belastete Gelehrte hatte sich bereits auf der ersten Reise, die nach einem langen Aufenthalt in Rom mit Streifzügen durch Umbrien und Toskana abschloß und unzählige weitere Fahrten nach dem heißgeliebten Sonnenlande im Gefolge hatte, zu einem der besten Kenner Italiens gebildet. Gotheins Wissen, von seinem erstaunlichen Gedächtnis unterstützt, das zur richtigen Zeit das richtige Schubfach aufspringen und zusperren ließ, umfaßte nicht etwa nur die gesamte Kulturgeschichte, sondern auch die Dichtung, zuerst Dante undAriost, die Literatur einschließlich aller theoretischen Werke und die bildende Kunst, dazu die Antike als gelernter Philologe und Liebhaber des Homer, den er auswendig wußte wie die divina commedia. Er konnte jeden zünftigen Kunsthistoriker und Archäologen beschämen. Wer einmal mit Gothein vor einem besonderen Objekte seiner Verehrung zu stehen Gelegenheit hatte, etwa vor den Reliefs des Jacopo della Quercia an der Fassade von San Petronio in Bologna oder den Kaiserbüsten des kapitolinischen Museums, mußte von dieser bis in die kleinste Einzelheit reichenden Sicherheit seiner Kenntnisse ebenso hingerissen werden wie von dem hellen Jubel der Beobachtung und Erklärung. Wie Burckhardt lebte er in einem tiefen inneren Verhältnis zu der Schönheit, die ihm unter den Menschen, in den Sammlungen und Kirchen Italiens in einer göttlichen Gewalt erschien. Sein Enthusiasmus wirkte berauschend. So stand er auch auf dem Katheder vor seinem Auditorium. Von gedrungener mittelgroßer Gestalt, in ein wenig altmodischer Kleidung, mit dem feinen bärtigen, schon in den Gesichtszügen einem Kondottiere gleichenden Antlitz, den freundlich strahlenden Augen, den in dunkler Fülle männlich widerspenstigen Haaren war er auch seiner rhetorischen Eigenschaften wegen zum Do121

zenten geboren. Gotheins Vorträge über Dante, über einzelne große Männer der Renaissance, Polizian, Alberti, Macchiavell, neben dem Kolleg über Nationalökonomie als Publica gehalten, verwandelten den Hörsaal der Heidelberger Universität in ein geheimes Studio des Mittelalters. Der in beglückender Begeisterung ausströmende, mit jedem Satze in unwillkürlicher Steigerung zu dem Gipfel seiner Erzählung näher aufsteigende Historiker schien dann soeben von einer Zwiesprache mit den Geistern der abgeschiedenen Literaten und Politiker zu kommen, über deren Dasein er mit verklärenden Worten berichtete. Die von einer hohen poetischen Phantasie eingegebene Kunst seiner Sprache ließ sich selten zu Abschweifungen vom Thema verlocken. Wenn sie in der Hauptvorlesung die Dürre langer theoretischer Auseinandersetzungen manchmal durch heitere Zwischenbemerkungen zu beleben suchte, vermied sie ähnliche Anwandlungen bei der Aufgabe, die kulturhistorischen Ereignisse der Vergangenheit zu vergegenwärtigen. Die Weihe eines wunderreichen Zeitalters lag stimmungsvoll über diesen Stunden. Daß eine derartige Empfänglichkeit für das Schöne im Leben wie in der Kunst den jungen Studenten außerordentliche Anregungen schenkte, ist begreiflich. Indessen beschränkte sich Gothein nicht auf seine Tätigkeit innerhalb der Universität. Gewohnt, sich durch fortgesetzte Anschauung auf einem Stand zu halten, der eine unmittelbare Beziehung zu der Entwicklung der wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse in Deutschland ergab, wollte er seine Schüler auch in die Praxis vor allem der nationalökonomischen Ausbildung einführen. An Feiertagen und in den Ferien veranstaltete er Studienreisen zum Besuch großer industrieller Unternehmungen, technischer Betriebe, landwirtschaftlicher Genossenschaften, Staatsdomänen und Gutshöfe, die zuerst in die Umgebung, durch Baden und Württemberg, dann ins Rheinland führten und sich nach und 122

nach über das ganze Reich bis Österreich, Ungarn und Rumänien erstreckten. Hier bewährten sich seine Organisationskraft und seine Beredsamkeit, unterstützt von seiner Ausdauer und einer Gesundheit, die alle Anstrengungen ertrug. Auf diesen Fahrten war er unermüdlich auf den Beinen, Wenn er zehn und mehr Stunden in Maschinenhallen, Lagerräumen, Konstruktionsbureaus, Gießereien, Laboratorien im Gelärme und Getöse herumgezogen war, hielt er bis spät in die Nacht hinein Besprechungen mit eingehenden Debatten, um die empfangenen Eindrücke zu festigen. Seine rasch zunehmende Einsicht in alle Zweige der Industrie und seine oft mit Verbesserungsvorschlägen verbundenen kritisch-theoretischen Darlegungen mußten daher die Leiter der hervorragenden Firmen aufmerksam machen. Mit Klöckner, Thyssen, Kirdorf, Stinnes, Lanz trat Gothein in Verkehr. Seine Briefe über den Umgang mit ihnen sind außerordentlich wichtig, da sie die Nachteile des kapitalistischen Systems in einer unheimlichen Beleuchtung zeigen und die Gewinnsucht einzelner Eisen- und Kohlenmagnaten bereits mit Bedenken für eine kommende Veränderung der Lage betrachten. Er fand Unterstützung und reiche Geldmittel zur Gründung und Erweiterung von sozialen Anstalten wie in Heidelberg und Mannheim. Ferner beeinflußte dieser Anschluß, dem die staatlichen und städtischen Behörden folgten, eine längere Arbeit über das Werden und Wachsen von Köln, welcher eine Geschichte Pforzheims und Mannheims früher schon vorangegangen war. Trotz der Anstrengungen einer solchen praktischen Beschäftigung wurden Gotheins Neigungen für die Geschichte der Renaissance nicht aufgegeben, obwohl sie keine Früchte brachten wie die erhoffte Monographie über Leone Battista Alberti, die unvollendet blieb wie die Übersetzung des Boethius. Zur Ergänzung seiner humanistischen Studien vertiefte er sich nach einer Pariser Reise in die französische Kultur- und Literaturge123

schichte. Die Klassiker, zuerst Racine, und grands écrivains erweckten seinè Bewunderung. Lafontaines Fabeln wurden den vier Söhnen und ihren Eltern ein Hausschatz, bis Homer an ihre Stelle trat. Für die Erziehung der Kinder zur edlen Reife ihrer Begabungen wurde manche Stunde geopfert. Auf Spaziergängen und bei Tische erzählte der Vater Märchen, die er liebte und reizend wiedergeben konnte, später Sagen, endlich den Inhalt von Dichtungen. Eine in ansprechenden Formen gehaltene Geselligkeit herrschte in der Familie, die in dem zur Behandlung von religionshistorischen Fragen geschaffenen, auch auf andere Gebiete gelenkten Kränzchen „Eranos" mehrere Mitglieder der Universität, Dieterich, Max Weber, Tröltsch, Erich Mareks heranzog. Der junge Gundolf fand hier eine gute Aufnahme. Stefan Georges Kunst wurde dankbar vernommen. Gothein und seine Gattin, deren anglistische Forschungen und Übertragungen gleichfalls neue Quellen des Wissens in diesem Kreise erschlossen, beachteten das moderne Theater und die neue Literatur; sie erkannten, nachdem sie Ibsen, den Gothein trefflich charakterisiert („Wo gibt es im letzten Jahrhundert einen Dramatiker von so ringender Kraft, so plastischer Gestaltenfülle . . . daß er durchaus ein Bild derZeit, der Gesellschaft, der Gegenwartsprobleme gibt, rechne ich ihm zum Guten an . . . die Formlosigkeit ist nur scheinbar, im Grunde liegt strenge Gebundenheit auch der Form"), richtig einschätzten, das Versagen Gerhart Hauptmanns mit spöttischen Zweifeln. Diese kulturdurchdrungene geistige Atmosphäre mußte geschildert werden, um einer veränderten Zeit ein genaues Bild des idealen deutschen Professorentums zu geben, das in der Häuslichkeit von Eberhard und Marie Gothein, allen beruflichen Anfeindungen widerstrebend, wohl zu einer beispielhaftenBedeutung erhoben werden darf. Das Verständnis für die englische und besonders die französische Kulturgeschichte, die vielen 124

italienischen Reisen eröffneten den Blicken des gelehrten Ehepaares einen Bildungshorizont von europäischem Umfang. Gothein war seit seiner Jugend hierauf vorbereitet. Seine Weltanschauung drängte danach, mit der Zeit Schritt zu halten und niemals aus der politischen Geschichte, sondern aus der Kulturgeschichte die Anhaltspunkte für die Beurteilung der Aufgaben des Tages zu holen. Als Dietrich Schäfer mit der engstirnigen Überhebung seines Teutonentums, die im alldeutschen Lager endete, in einer Schrift „ D a s eigentliche Arbeitsgebiet der Geschichte" gefordert hatte, daß das Verhältnis des Menschen in allen seinen Äußerungen zum Staate darzustellen einzige Aufgabe des Historikers sei, war ihm Gothein zu einem scharfen Waffengange wegen dieser dreisten Anmaßung öffentlich entgegengetreten. Seither war ein Viertel]ahrhundert verstrichen, der unerschrockene Kämpfer von Karlsruhe nach Bonn und Heidelberg gegangen. Seine Ansichten hatten sich also schon frühzeitig, in selbständiger, freiheitlicher Überzeugung, im philosophischen Sinne der Geschichtsschreibung, mit Gedankengängen verknüpft, die erst um 1890 von einem Franzosen, Henri Bergson, nach der positiven wie der negativen Seite hin in klaren Formeln ausgesprochen wurden. Wenn Bergson die Geschichte der Menschheit als Ergebnis einer schöpferischen Entwicklung ansah und die Folgerung zog, daß die Zukunft nicht durch die Gegenwart vorgebildet, sondern in jedem Augenblick durch unsere Mitarbeit neu erzeugt werde, in der „tieferen Erfassung des Lebens das Leben zu steigern" lehrte, mitten in die Wirklichkeit eindrang, das Tiävxa (ist des Heraklit, das ewige Fließen des Geschehens zum Grundgesetz erhob, berührte er sich mit Gotheins Prinzipien. Ob dieser wohl um die geistige Verwandtschaft, die sein Kollege Windelband als Herausgeber Bergsonscher Schriften gewiß bemerkte, gewußt hat ? Der flüchtige Hinweis mag weiterhin die Entfernung zwischen Gothein und Taine, aber auch eine Beziehung 125

zu Romain Rolland angeben. Der Autor des „Jean Cristophe" zeigt nicht allein ein ähnliches Weltgefühl, sondern auf Grund seines europäischen Glaubens, liberal und sozial, individualistisch und ethisch, ein mit dem Heidelberger Universitätslehrer übereinstimmendes, auf deutschen Hochschulen vor 1914 seltenes, nur von wenigen gebilligtes und oft angegriffenes Verhalten, wobei nicht eigens betont werden muß, wie schwer und bedenklich es ist, zwischen den Verfassern von Romanen und Geschichtswerken Parallelen zu ziehen. Damit gelangen wir zu dem Politiker Gothein, einer wichtigen, aber im Widerspruch zu seiner Meinung („Große Volksmassen elektrisieren mich; in solchen Momenten weiß ich, daß meine hervorragendste Begabung die der Redekunst ist, und daß ich als Volksredner wirklich etwas zu leisten imstande wäre") nicht entscheidenden Bindung seiner Existenz. Zwar vermochte er Empfindung und Vernunft, Vorbereitung und Handlung dank seiner Erziehung, Bildung und Erfahrung für die politische, auf sofortige Wirkung ausgehende Tätigkeit gegeneinander abzugrenzen. Auch erkannte er vor anderen die verhängnisvollen Wellenschläge der deutschen Staatsführung unter Wilhelm II., den er samt seinen Ratgebern vernichtend beurteilte. Er hat vor dem Größenwahn und den nationalistischen Tendenzbestrebungen rechtzeitig gewarnt, in einer Festrede freilich Bismarck — nach seiner Gewohnheit im Hinblick auf die Verhältnisse im Jahre 1905, die noch nicht die kommenden Gefahren ahnen ließen — und seinem Ausbau der Staatsverwaltung gehuldigt. Den Ausbruch des Krieges nahm er, ohne pazifistisch eingestellt zu sein, nicht mit dem Enthusiasmus der Nation auf. Dennoch verließ ihn sein Optimismus erst, nachdem er in die beginnenden innerpolitischen Verwirrungen und die Gegensätze der Parteien im Reichstag einen tieferen Einblick gewonnen hatte. Vergeblich bemühte er sich um einen Zusammenschluß des liberalen Bürgertums, was durch 126

„unselige Selbstzerfleischung" vereitelt wurde. Damals, gleich nach dem Ende des Krieges, schrieb er: „Bei uns gibt es eine Fülle Parteiprogramme, in Frankreich nur persönliche. Wir sind ein unpolitisches Volk, nicht aus Gleichgültigkeit, sondern weil wir überpolitisch s i n d . . . , die apokalyptischen Reiter werden über unser Volk dahingehen." Wie er der Vaterlandspartei mit dem Rufe „Wir kennen nur ein Vaterland" und dem Antisemitismus, den er verachtete, längst eine Absage gegeben hatte, wollte er als Demokrat nach dem Einsturz des alten Hauses den Wiederaufbau eines neuen in fortschrittlichem Sinne fördern. Gothein wurde in den badischen Landtag gewählt, wo er fast alle volkswirtschaftlichen Referate übernahm. Aber trotz seiner großen praktischen Kenntnisse, die ihn von der Gruppe der sogenannten Kathedersozialisten trennten, gelang es ihm nicht, für seine Anträge unter den Abgeordneten die erhoffte Zustimmung zu finden. Ihm fehlte die schlaue diplomatische Taktik eines Friedrich Naumann, mit dem er bei seinem Auftreten im Landtag oft verglichen wurde. Er verschmähte, in die Niederungen der außerhalb der Sitzungen mit geheimem Geschacher geführten Vorverhandlungen hinabzusteigen, und wollte auf der Bühne sich betätigen, nicht hinter den Kulissen. Daß er zudem bei seinen Kollegen an den Universitäten keine Unterstützung fand, empörte ihn. Den ihm angebotenen Posten des Kultusministers lehnte er ab, dann die Wiederwahl: „Wir wollen unentwegt die Fahne der Humanität, die den einzelnen von seiner Nation zu unterscheiden versteht, und echter Bildung, die die Kultur als Gesamtergebnis der Arbeit aller Nationen begreift und sich aneignet, hochhalten, ohne Sorge vor dem Mißbrauch dieses echten internationalen Prinzips." Damit war Gotheins politische Laufbahn beendet. Mit leidenschaftlichem Eifer sorgte er in den letzten Jahren seiner amtlichen Wirksamkeit, nach Kräften überall auch menschlich zu helfen, indem er den Klagen seiner Schüler 127

ein offenes Ohr lieh und bereitwillig Ratschläge gab, ein gütiger Gönner der in der Not der Übergangszeit hart mitgenommenen jungen Mannschaft zu seinen Füßen. In ihrer Dankbarkeit fand er einen Trost für die erlittenen Enttäuschungen. Neue Aufgaben, neue wissenschaftliche Probleme erwarteten ihn, als er im Sommer 1923 aus seiner Stellung schied. Viele Pläne, unter ihnen die Vollendung der Arbeiten zur Geschichte der italienischen Renaissance beschäftigten seinen elastischen, den Jahren spottenden frischen Geist. Eine spanische Reise sollte unternommen werden, Gastvorlesungen in Hamburg standen bevor, soziale Wünsche der preußischen Regierung wollten erfüllt sein. Da zerstörte der Tod nach kurzer Erkrankung diese Hoffnungen. Was Eberhard Gothein geleistet, als Gelehrter und Dozent, in zwei durch die von seiner Persönlichkeit ausgehenden Kräfte verbundenen Berufen, der Geschichte und der Nationalökonomie, ist nur ein Bruchteil von dem, was er dem deutschen Volke hätte geben können. Wir wollen gleichwohl nicht behaupten, daß er kein Sohn der Zeit, in der er und mit der er lebte, gewesen, daß er zu spät oder zu früh geboren worden sei. Er besaß den „esprit de contemporaneite" in einer so wesentlichen und zuverlässigen geistigen Form, daß als das ausschlaggebende Moment für die Betrachtung seiner Gestalt und ihrer Bedeutung die Tatsache erscheint: ihm war es gewährt, vielleicht sogar deshalb, weil er Historiker und Volkswirtschaftler zugleich war, anders als die übrigen großen deutschen Meister der Geschichtsforschung den Ablauf des Weltgeschehens aufzufassen, da er, in dieser Hinsicht besser mit Niebuhr als mit Burckhardt zu vergleichen, eine beständig im Fließen befindliche Entwicklung erkannte, um aus ihr die Grundsätze seines Lehrens und Handelns zu entnehmen. „Nur aus der höchsten Kraft der Gegenwart dürft ihr das Vergangene deuten" hatte Nietzsche verkündet. Diesem Egoismus zu gehorchen, hat Gothein sich ge128

weigert. In unbedingter Umkehrung der These dürfen wir von ihm aussagen, daß er es verstanden hat, aus der höchsten Kraft der Vergangenheit die Gegenwart zu deuten. Und es scheint, daß in Zukunft Gothein gegen Nietzsche recht behalten wird, denn die Ereignisse des letzten Jahrzehnts beweisen, wie verderblich es ist, den Mächten des Tages mehr zu vertrauen als den Warnungsrufen aus früheren Zeiten. Aber was den Franzosen und Engländern infolge ihrer Achtung vor der Tradition zur heiligen Pflicht wurde, ist dem ideologischen Wähnen der Deutschen nur ein Spielzeug, mit dem es „auf dem Rosse von Holz mutig und groß sich dünkt".

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Ü h d e - B e f n a y s , M i t t l e r und Meister

A L F R E D LICHTWARK „Du wolltest in das lebendige Leben eingreifen — in das lebendige Leben des Tages, wie du sagtest. Du wolltest wie ein befreiender Gast von Heim zu Heim ziehen. Wolltest die Geister und die Willen Dir gewinnen. Adelsmenschen schaffen rings umher — in weiten Kreisen Adelsmenschen." Ibsen.

N a c h dem Ablauf eines vollen Menschenalters, in dem die größten Umwälzungen staatlicher Verhältnisse und kultureller Bestrebungen erfolgten, über die geistige Beschaffenheit eines vergangenen Jahrzehntes ein richtiges Urteil abgeben zu sollen, ist eine gefährliche Zumutung. Wer jene Zeit noch miterlebt, namentlich auch ihre Vorteile und Nachteile gegeneinander abzuschätzen oft Gelegenheit gehabt hat, wird nicht ohne Mühe in der Lage sein, sich von den Anforderungen der Gegenwart wieder in den Zustand zurückzuversetzen, dessen einstiger Gehalt ihm für eine bestimmte Dauer Belehrungen von besonderem Wert geschenkt hatte. Das erste Dezennium unseres Jahrhunderts ist längst in eine historische Perspektive gerückt und zumeist als eine Periode bedenklichen Abstiegs von einer stolzen Höhe, kurz vor dem Beginn des Weltkrieges, mit abfälliger Kritik bedacht worden. Es ist unfraglich ein abschließendes, ein unselbständiges, verwirrtes Jahrzehnt gewesen, das von festen Begriffen und gesicherten Anschauungen zu einer von kriegerischen und revolutionären Antrieben erschütterten Wandlung aller Dinge hinüberführte und schon die Keime der künftigen Zerstörung, nur dem Kundigen in schreckensvoller Klarheit sichtbar, in sich trug. Im historischen Sinne gehört es durchaus einer Epoche an, die nicht von der äußerlichen Rubrik der Zahlen, sondern von den Tatsachen der politischen Er130

eignisse begrenzt wird und von dem Sturze Napoleons bis zum Kriege, von 1814 bis 1914 reicht. Aber auch die geistigen Ansprüche, die ihm eigen sind, sind von der Vergangenheit stärker beeinflußt worden als von den Aussichten auf die Zukunft. Dieser Abschnitt, gesättigt und nicht eben ausgezeichnet durch hervorragende Leistungen der Dichtung, der Kunst und der Wissenschaft, die sich einer glorreichen Entwicklung anschließen, hat daher immerhin den Vorzug besessen, daß er wie in einem klangvollen Opernfinale alle Güter zusammenfaßte und zu freundlichem Gebrauche darbot, die AltEuropas schönster Besitz gewesen waren. Wohl versuchte ein überheblicher Materialismus die Alleinherrschaft zu erringen, wohl bedrohten finstere Tendenzen des Umsturzes, Anzeichen der furchtbaren bevorstehenden Krise, die kulturelle Solidarität, die ohnehin in Deutschland niemals völlig in sich gefestigt war, um sie durch die haltlos hin und her schwankenden Erregungen der jeweiligen Mode zu ersetzen. Aber damals zu leben, das Leben in seiner Freiheit und Schönheit zu genießen, war eine Lust, die in ihrer optimistischen Daseinsbejahung den Abgrund nicht sehen wollte, dem ihre Leidenschaft entgegentaumelte. Das doppelte Gesicht des Deutschen, dessen rätselhafte Züge das wahre deutsche Wesen nicht erkennen lassen, wechselte damals mit einer beängstigenden Unruhe sein Aussehen. Der gleichen Schwierigkeit wie bei der Frage nach dem eigentlichen Charakter der Jahre zwischen 1900 und 1910, wozu wir noch die vier Jahre des Friedens zählen wollen, begegnen wir bei der Überlegung, welche Männer da der geistigen Haltung der Nation die Signatur gaben. Der politischen Geschichte ist, kläglich und unwiderruflich, mit der Erwähnung des letzten Kaisers und der Kanzler Bülow und Bethmann Genüge getan. Aber welche Männer haben sich das Recht erworben, an die Spitze der langen Reihe gestellt zu werden, die für die Behauptung der humanistischen Überlieferung 131

Zeugnis abzulegen berufen war? Um die Jahrhundertwende hatte der Tod eine große Ernte gehalten. Die mächtigen universalen Persönlichkeiten an den Hochschulen waren dahingegangen, ohne einen gleichgearteten Nachwuchs zu hinterlassen. Erschreckend zeigte sich die Armut eines dürftigen Spezialistentums. Unter den Dichtern hatte George die Lyrik von der gekünstelten Phrase des Epigonentums Goethes zu befreien versucht. Seinen weihevollen Hymnen, den festlichen Ornamenten der Verse von Hofmannsthal und Rilke trat ein wilder Naturalismus entgegen, dem im Anschluß an den Impressionismus in Frankreich auch in der bildenden Kunst seine Wirkung auszuüben gelang. In dieser schon von eklektischen Formeln heimgesuchten, einem übersteigerten Tempo unterworfenen Umgestaltung blickte die des Weges nicht mehr kundige deutsche Jugend nach Ratgebern aus, Führern, die ihr mit gutem Beispiel vorangehen und als Redner, sogar mit agitatorischen Zwecken, und Kämpfer innerhalb des Bereiches der deutschen Kultur durch das von ihnen erworbene Ansehen dem ganzen Volke nutzen könnten. Begreiflicherweise richtete sie ihr Augenmerk, soweit nicht politische Beweggründe den Anschluß an eine Partei geboten, auf diejenigen Träger wissenschaftlicher oder künstlerischer Bewegungen, die bereits auf einem vorgeschobenen Posten, vom Katheder einer Universität oder in den Räumen eines Museums beherzt und kühn ihre Thesen verkündeten. Nachdem es allgemein an einem Ersatz für die geschiedenen Gelehrten mangelte und an den Hochschulen eine empfindliche Flaute entstanden war, wurden die wenigen wirklich talentvollen mit anregendem Wort über die Einseitigkeit ihres Faches hinausdeutenden Meister einer akademischen Beredsamkeit bei ihren Vorträgen in der Öffentlichkeit von der Studentenschaft und weiten Kreisen aus dem Publikum gebührend beachtet. Sie gewannen auch wegen der sich immer mehr vergrößern132

den Schwierigkeiten einer Orientierung eine stärkere Bedeutung für das geistige Leben als ihre Vorgänger jemals außerhalb ihres eigentlichen Berufes erreicht hatten. Weder Wilhelm Riehl noch Heinrich von Treitschke standen so scharf umrissen im Lichte der Popularität wie in den Jahren um 1900 Alfred Lichtwark und Karl Lamprecht. Der Direktor des Münchener Nationalmuseums und der berühmte Berliner Historiker, beide vorzügliche Rhetoren und Pädagogen, waren selbst in ihren besten Tagen nicht von der verständnisvollen Teilnahme begleitet, die den Leiter der Hamburger Kunsthalle und den vielbefehdeten Leipziger Geschichtsforscher empfing. Es ist verwegen, aber es läßt sich rechtfertigen, das Jahrzehnt 1900—1910 mit der Überschrift „Lamprecht und Lichtwark" zu versehen, zum mindesten diesem Kapitel einen wichtigen Platz im Mittelpunkte einer kulturgeschichtlichen Betrachtung jener Zeit anzuweisen. Denn in der Tat haben die von ethischen und sozialen Bedingungen ausgehenden Impulse, die den beiden vortrefflichen Erziehern zur Kenntnis der Weltgeschichte und Kunstgeschichte zu danken sind, nicht allein die Möglichkeiten der freien wissenschaftlichen Darstellung auf das glücklichste erweitert. Sie erst haben der neuen, seither eingehaltenen Methode der unmittelbaren pädagogischen Belehrung den Befähigungsnachweis in praktischer und gesellschaftlicher Beziehung verschafft. Nur Nietzsches Schriften haben einen ausgedehnteren, verderblichen Einfluß besessen. Vielleicht ist neben ihm und nach ihm der Kontakt mit den in der Tiefe des deutschen Volksbewußtseins verborgenen und vielfachen geheimnisvollen Strömungen zugänglichen Stimmungswandlungen in einer entgegengesetzten Wirkung vornehmlich durch Lamprechts und Lichtwarks Bemühungen gewonnen worden, die sich in einer merkwürdigen Weise ergänzten. Was Lamprecht mitunter im Überschwang seines leidenschaftlichen Tempera133

ments aufgeben mußte, bezwang Lichtwarks abgeklärte Ruhe, und was diesem an umfassender Gewalt der Betrachtung und Beurteilung fehlte, war als beste Eigenschaft seinem Partner verliehen, die perspektivische Umsicht. Idealistische Diener der Wahrheit, ließen beide trotz einer bis zur Grenze schroffer Ablehnung vortretenden Betonung der eigenwilligen Überzeugung niemals eine patriotische Sachlichkeit außer acht. Wer aber die Macht des Verstandes niedriger einschätzt als die Eigenschaften des Herzens, wird in dankbarer Anhänglichkeit Lichtwarks edles Menschentum der selbstbewußten Feierlichkeit vorziehen, mit der Lamprecht auftrat. Über Lichtwark ist viel geschrieben worden. Zahlreiche Fachgenossen und Freunde haben den Inhalt seines allzufrüh beendeten Lebenslaufes (1852—1914) erzählt. Die Sammlung der Briefe an die vorgesetzte Behörde wurde im ganzen und auszugsweise veröffentlicht. Dennoch bleibt seine Erscheinung in ihrer entgegenkommenden Vertraulichkeit jedem, der ihn näher zu kennen das Glück hatte, in einer anderen, individuell erfaßbaren Einheit im Gedächtnis, um sich aus vielen Zügen mannigfaltiger Art zu einem Bilde zusammenzusetzen, das wiederum nur dem einzelnen angehört. Unbedingt entscheidend war der erste Eindruck, die erste Unterredung. Wer ihn daraufhin verließ, mochte sich über die Gegensätze verwundern, die sich zwischen seinem Benehmen und seiner Rede anzeigten, über einen scheinbaren Widerspruch, der bei aller Reserve die ständigen Erschütterungen in seinem Inneren nicht verhehlte. Aber die lebhafte Natur Lichtwarks gebot über eine ungeheure Willenskraft, dank einer von erstaunlichen Energien getriebenen Selbsterziehung, die etwaige Hemmungen, gleichgültig, woher sie stammten, aus dem Gefühl, aus der Phantasie oder aus zufälligen äußeren Anlässen, mit den Ketten der Vernunft bändigte. Lichtwark war wohl seiner Veranlagung nach Dichter und 134

Denker, doch hatte bereits der Jüngling, der bei seinen Entschlüssen eine bewunderungswürdige Reife bewies, eine schonungslose Aufrichtigkeit gegen sich zur ersten Pflicht seiner Existenz gemacht. Diese Überlegenheit, die allzu heftigen Empfindungen widerstand, ist das Resultat eines logischen, man könnte sagen eines gesetzlichen Prozesses gewesen, der in seinem Inneren ausgetragen wurde. Die peinliche Selbstbeobachtung, die Lichtwark zeitlebens befolgte, hatte etwas Unbegreifliches, Erschütterndes, fast Dramatisches der psychologischen Spannung. Er behandelte sich wie ein strenger Arzt, der mit der gehörigen Kaltblütigkeit die schmerzhaftesten Amputationen vornimmt. Diese gesunde Objektivität, zur Askese gesteigert, verzichtet auf die Selbstzerfleischungen, die weichliche Dichter rührseligen Schwärmern in Vers und Prosa öfters darbieten. Lichtwark sprach niemals von sich, erzählte selten von seiner Jugendzeit und dann nur belanglose Dinge. Er muß eine staunenswürdige Klarheit über das Maß seiner geistigen Kräfte besessen haben. Wenn er demnach Schulmann und Weltmann, Dilettant und Gelehrter, Aristokrat und Sozialist, Idealist und Diener der Praxis zugleich war, einer der besten Deutschen und überzeugter Kosmopolit, stets bedeutete es im Verkehr mit ihm einen besonderen Reiz, zu erkennen, wie ausgeglichen sich trotzdem der Aufbau der Persönlichkeit vollzogen, mit welcher Einheitlichkeit sich der Mensch nach der selbstgefundenen Regel des Zweckmäßigkeitsprinzips der Veranlagung entwickelt hatte. Die Gegensätze wandelten sich zu belanglosen Differenzierungen eines durch Gehorsam im Gleichgewicht gehaltenen Charakters. Er hatte sich gewöhnt, alle Probleme auf empirischem Wege zu lösen. Eine angestrengte Gedankenarbeit legte seinem Idealismus kein Hindernis in den Weg. Weil er sich ihm unbedenklich hingab, wurde der Erfolg vorbereitet und genossen, Lichtwark zu einem glücklichen Ziel geleitet, da er ohne Ansprüche und ohne Sorgen, 135

immer auf andere und nicht auf sich bedacht, das beschauliche, arbeitsame Leben des Weisen führte, das er gerne zur Aussprache in heiterer Geselligkeit und zu Reisen unterbrach. Stattlich im Aussehen, mit einer gemessenen, leicht militärischen Haltung, elastisch in seinen Bewegungen, war er der vollendete Typus des von ihm verkündeten „Deutschen der Zukunft", dessen Verkörperung ihm in der Vereinigung der besten Eigenschaften des deutschen Lehrers, des deutschen Universitätsprofessors und des deutschen Offiziers gegeben erschien. Das mächtige Gehäuse der Stirn lag gleich einer Kanzel über den von der ausgreifenden Wölbung der Schläfen gepreßten und zurückgedrängten Augen, die tief und doch sehr sichtbar gelagert waren, ungemein ruhig und wohlwollend hervorblickten. Diese eigentümliche Schädelbildung beengte indessen die regelmäßige Proportion der unteren Gesichtshälfte nicht, in der ein kleiner Schnurrbart unter der kantig vorspringenden Nase einen in seiner Schweigsamkeit beredten Mund beschattete, der viel von Lichtwarks harter Kindheit auszusagen wußte. Sohn eines armen friesischen Gütlers, unter Entbehrungen aufgewachsen, zum Schullehrer erzogen, bevor er die Universität, schon in vorgerückten Jahren, aufsuchte, empfand er an allen Äußerungen der Kultur und der Zivilisation eine sinnliche Freude, die er unbefangen zeigte. Seine gesellschaftlichen Vorzüge, die ihn zu einem der wenigen wirklich imponierenden Vertreter deutschen Volkstums im Ausland bestimmten, wurden durch die Art seiner Unterhaltung, welche die Grazie des Humors und, manchmal mit ironischer Absicht, geistreiche Vergleiche liebte, durch die vornehme Wahl der Sprache unterstützt. Aber sein schönster Besitz war die Güte des Herzens. Von ihr ging ein segensreicher Hauch des Lebens und Liebens hinüber auf jeden, der mit Lichtwark in Berührung kam. Aus dem Herzen stammten seine reformatorischen Wünsche. Er wollte die Armen, Beladenen teilnehmen lassen an dem Reichtum der 136

Kunst, ihr Dasein verbessern durch Schmuck ihrer Wohnungen, Anlage von Gärten, gemeinnützigen Instituten und Erholungsgelegenheiten, wollte Licht, Luft und Blumen allenthalben. So recht im besten Sinne ein arbiter elegantiarum der Vorstadt und des Proletariats, hat er für die scheinheilige Bildungsbeflissenheit der Oberschicht ^geringe Aufmerksamkeit gehegt. In alle Gebiete der kunstpädagogischen Wirksamkeit griff er ein, warb bei den Reichen für die Vergrößerung der Sammlungen seines Museums, veranlaßte Freunde, die er beriet, zur Unterstützung und zu Aufträgen an Künstler, suchte die Geschmacksverirrungen des Mittelstandes zu bessern, etwa indem er als einer der ersten den Nutzen der Amateurphotographie erkannte, und den kleinen Leuten predigte er das Evangelium der Kunst. Unermüdlich besorgt für ein „Leben in Schönheit", dessen Vorteile nicht auf die besitzenden Klassen beschränkt werden sollten, ein Redner ohnegleichen, dessen Worten zu lauschen Hunderte und aber Hunderte nicht müde wurden, hat Lichtwark seine Zuneigung folgerichtig den Malern zugewandt, deren Herzenseinfalt die natürliche Vorbedingung ihres Schaffens war und in entsprechenden Werken gleichsam symbolisch verwirklicht wurde. Die primitive Kunst aller Länder, besonders Norddeutschlands, war ihm vertraut, und nachdem er durch die Wiederentdeckung des Meisters Bertram einen wertvollen Fund gemacht, lebte er sich ganz ein in diese Vorstellungswelt, die er in den seelenvollen Visionen Philipp Otto Runges, seines Lieblings, und in den beschaulichen Naturstudien der zuerst von ihm zu Ansehen gebrachten deutschen Landschafter des frühen 19. Jahrhunderts wiederfand. Die Erwerbungen der Hamburger Kunsthalle, zu deren Leitung Lichtwark im Jahre 1886 berufen wurde, bezeugen, mit welcher klugen Witterung er diesem Institute verborgene Schätze zu sichern verstand. In der Ausnützung seiner voraussehenden Kräfte verfuhr er mit diktatorischem Willen, da er 137

allem Spott reaktionären Hanseatentums zum Trotz die Senatoren und die Mitglieder der Bürgerschaft Hamburgs von den Meistern des deutschen Impressionismus malen ließ. Seine Aufträge, wiederum von erzieherischer Bedeutung, sind aus dem Grunde wichtig, als Lichtwark ein näheres Verhältnis zu dieser Kunst nur mittelbar besaß und bei aller Bewunderung zu Liebermann, Uhde und Slevogt nicht unbedingt hinüberfand. E r pflegte nicht ohne Empfindlichkeit zu betonen, daß er leider von der „neuesten Kunst" nichts verstehe. Immer stand sein Museum in der Mitte seiner Wünsche. Ihm zuliebe hat seine geschickte Ankaufspolitik die beiden Ausstellungen veranlaßt, die den Privatbesitz an deutscher Kunst des 19. und des 17. und 18. Jahrhunderts in die Öffentlichkeit brachten, in Berlin 1906, die er mit Hugo von Tschudi und Julius Meier-Graefe organisierte, und in Darmstadt 1 9 1 4 , die er nicht mehr sehen sollte. In der ersten Ausstellung hielt er seine Freunde, die mit ihm von den geliebten Hamburgern kamen, von Runge, Oldach, Speckter und Wasmann, stets noch ein wenig bei Menzel fest. Der Schüler Hermann Grimms trug mit sich einen kleinen Erdenrest literarischer Gewöhnung. E r jedoch weniger schwer als andere. Dieser Hinweis auf die kunstgeschichtlichen Anfänge des jungen Lichtwark gibt uns einen Fingerzeig für seine Entwicklung. E r studierte in einer Zeit, die Bücher verschlang, und so darf die Frage nicht übergangen werden, welche Schriften ihn beeinflußten und welche Lehrer zu ihm sprachen. Die Methode des Seminars von Anton Springer in Leipzig mochte sich freilich schlecht vertragen mit den geistvollen Kolloquien im Kreise Grimms in Berlin, aber die ästhetischen Betrachtungen des Meisters, der den berühmten Namen trug, haben bei aller Scheu Lichtwarks vor Autoritäten doch deutliche Spuren zurückgelassen. Zwei jüngere Gelehrte sind ihm damals begegnet, Richard Muther und Heinrich von Stein. Dem letzteren, einem früh verstorbenen Idealisten, der in 138

Richard Wagners Hause Lehrer seines Sohnes Siegfried gewesen, darf Lichtwarks Bekanntschaft mit Wagners „Was ist deutsch?" zugewiesen und an dieser Stelle auch angemerkt werden, daß Wagners „Kunstwerk der Zukunft" Betrachtungen über Landschaftsmalerei enthält, wie sie von Lichtwark ebenfalls geäußert worden sind. Von Nietzsche hat er sich zu seinem Vorteil nicht verführen lassen. Gründliche Studien von nationalökonomischen Werken wie Roschers „Geschichte der Volkswirtschaft" im Anschluß an Leipziger Kollegien und von sämtlichen sozial- und kulturpolitischen Aufsätzen und Broschüren der achtziger Jahre vervollständigten seine von Einseitigkeit ferne Ausbildung. Den stärksten Eindruck empfing Lichtwark, wir wissen nicht wann, durch die Schriften jenes schon über die Grenzen eines seinen kulturellen Grundlagen nach allzu idealistisch aufgebauten Zukunftsstaates hinausträumenden sozialen Ästhetikers, dem einstens auf deutschem Boden eine gläubige Gemeinde anhing, des Engländers John Ruskin. Es wäre lehrreich, einmal festzustellen, wie die ersten Ansätze der verschiedenartigen in Deutschland aufkommenden kulturpolitischen Bewegungen durch die blendenden Thesen Ruskins gefördert wurden, um bald unter der Herrschaft des Nietzschekults auf andere Bahnen gelenkt zu werden. In Übereinstimmung mit Ruskins Forderungen, wie sie in den „economics of art" zur Diskussion gestellt wurden, bildete sich Lichtwark den Gerechtigkeitsgedanken zum Kern seiner Weltanschauung, und dem Verlangen Ruskins, daß aus dem Handwerk eine nationale Kunst entstehe und daß umgekehrt diese Kunst wieder den Handwerkerstand hebe, entspricht der Ruf Lichtwarks nach Volkskunst und einem kunstbeflissenen Dilettantentum. Aber seine kritische Einsicht ließ sich nicht bestimmen, wie der Engländer das künstlerische Schauen als religiöses Dogma zu verkünden oder wie der noch sehnsüchtiger in unerreichbare Fernen schweifende Russe 139

Tolstoj die Kunst als das Einigungsmittel aller von gleichen Gefühlen beseelten Völker zu verherrlichen. In seinen jungen Jahren mögen ihn wohl Hoffnungen erfüllt haben, die in faustischem Drange einer Verbrüderung der Menschen und einer friedlichen Zusammenarbeit aller Nationen galten. Den Verlockungen einer Traumwelt erlag jedoch Lichtwarks männlicher Sinn niemals. In bewußter Beherrschung von Tatsachen rechnete er stets mit realen Verhältnissen. Darin beruht sein Erfolg. Daß sich dieser unter den gegebenen Umständen auf Hamburg und hier auf eine bescheidene, daher um so dankbarere Minderheit beschränkte, tut den Verdiensten seiner Arbeit, die sich langsam auswirkte, keinen Eintrag. Wäre Lichtwark demnach, wie es hieß, seiner programmatischen, im übrigen nur einen geringen Bruchteil seiner Lebenstätigkeit einschließenden Schriften wegen einzureihen unter die letzten deutschenÄsthetiker in der Nachfolgerschaft Hegels und seiner Schule ? Dieser selbständige Denker und Reformator, der in seinem Glauben an einen Fortschritt der Menschheit nicht zweifelte und dennoch als einer der hellsten Köpfe, die jemals der empirischen Wissenschaft folgten, den Beweis erbrachte, daß „alles Denken sich nicht durch sich selbst, sondern erst durch die Anschauung fortentwickelt" ? Wir dürfen eine Persönlichkeit wie ihn nicht mit Vorurteilen in eine schematische Formel einspannen, müssen ihn vielmehr, wie wiederholt werden muß, als Typus anerkennen, freilich nicht eines „Deutschen der Zukunft" in der von ihm erwarteten idealen Gestalt, die er selbst einstens beispielhaft verkörperte, bevor der Krieg, den er zu seinem Glück nicht mehr erlebte, jede Hoffnung auf Übertragung solchen Wesens auf eine frei heranwachsende Generation zerstörte. Wir denken an ihn zurück und ehren den „Deutschen der Vergangenheit", der für immer entschwunden ist, der mit einer leichten romantischen Färbung aus der Welt der deutschen Klassiker 140

und der humanistischen Gesittung nach Väterbrauch zwischen Wirklichkeit und Schein in eine neue Welt hinüberwandelte, ohne sie zu erreichen, und wo er, die Überlieferung goldener Zeiten der Wissenschaft und der Kunst bewahrend, von den Illusionen ihrer Erneuerung umgaukelt, schon zu leben sich einbildete. Lichtwark freute sich solchen Daseins als ein geschmackvoller Ästhet und echter Epikureer. Von Skepsis und Snobismus frei, begehrte er, das Vorbild des englischen gentleman, dem er huldigte, seinen Deutschen zur Nacheiferung zu zeigen. In seinen Absichten, welche seinem ganzen Wesen das geistige Ebenmaß verliehen, gleicht Lichtwark oft als Beschützer einer Zucht von Adelsmenschen dem alten Sozialpolitiker auf der Bühne, Henrik Ibsen. Dem verbitternden Pessimismus des Norwegers tritt der siegreiche Optimismus des Deutschen entgegen. Dem Verächter der Ideale, für die er höhnisch den Begriff der Lüge setzen will, schleudert der begeisterte Hamburger Erzieher einen Spruch Goethes als Losung entgegen: „Jedes reine Bemühen ist auch ein Lebendiges, Zweck sein selbst, fördernd ohne Ziel, nützend wie man es nicht voraussehen konnte." In diesem Zeichen ist Alfred Lichtwark mutig vorangeschritten, ein umsichtiger Museumsdirektor, ein gediegener Lehrmeister, ein Bote herrlicher Anwartschaften und in seiner Genügsamkeit und Bescheidenheit ein guter und großer Mensch.

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RICHARD MUTHER Vergangenes Ist aus der Mode wie ein rost'ger Harnisch, Und hängt entlohnt dem Spott zur Schau am Nagel. Du siehst auf einmal Dich im Hintertreffen, Ach! Oder fällst, ein edles Roß, im Vorkampf Und dienst zum Pflaster dem gemeinen Nachtrab, Der Dich zertrampelt." Shakespeare.

.Arge Händel zwischen Gelehrten haben von jeher, nicht' erst seitdem Universitäten gegründet wurden, weniger zu Nutz und Frommen der Wissenschaft als zum Gaudium der unbeteiligten Laien bestanden, die sich schon im alten Griechenland an den gegenseitigen, meist vom sachlichen auf das persönliche Gebiet übertragenen Schmähungen erheiterten. Wie in der medizinischen Laufbahn die Ärzte und die Heilkundigen als Allopathen und Homöopathen in unversöhnlicher Feindschaft nebeneinander leben, streiten sich die von den Vorteilen ihrer Fächer überzeugten Hochschullehrer mit Gegnern herum, die in einer freieren Bewegung des Geistes, mehr auf die Erziehung der Allgemeinheit als auf die Bevormundung ihrer Schüler bedacht, eigenen Gedanken und Wünschen folgsam, aus dem engen Räume der akademischen Wirksamkeit heraustreten. Seit der Erfindung der Buchdruckerkunst ist gar viel Papier und Druckerschwärze für die Feindseligkeiten der Humanisten und Professoren mit Männern verschwendet worden, deren Tätigkeit, wie man heute sagt, im „freien Berufe der Literaten" ihre Befriedigung fand. Unzählige Beispiele solcher Schriften voll schärfster Polemik, die längst zu Staub oder Makulatur geworden oder in den Bibliotheken zu ewigem Schlafe beigesetzt sind, beweisen, daß diese öfters zu unerfreulichen, von gehässigen Beleidigungen überfließenden Pamphleten 142

ausgewachsenen Verdächtigungen, Zeugnisse meist eines verletzenden Dünkels und einer beklagenswerten Unduldsamkeit, nach der Veröffentlichung sogleich ihren zweifelhaften Wert verloren. Mit wenigen Ausnahmen, die durch ihre Folgen historisch wichtig wurden (die Kämpfe um Christian Wolff, hierauf von Bodmer und Breitinger, nach ihnen von Lessing mit Gottsched, im 19. Jahrhundert die Fehden zwischen den Symbolikern und den kritischen Philologen, die verschiedenen parteiischen Aktionen Jung-Deutschlands und Nietzsches Angriffe auf seine Kollegen, die sich über andere vom Zaun gebrochene und rasch wieder beigelegte Zänkereien erheben), sind sie völlig verschollen. Denn nur selten der Sache dienstbar, bieten sie nach dem Fortfallen der menschlichen Leidenschaft, die ihnen den Stempel gab, für die Nachwelt kein sonderliches Interesse. Aber andererseits, solange wissenschaftliche Aufgaben zur Lösung gestellt sein werden, können und dürfen die Kritik, sei sie berechtigt oder nicht, und die Gegenkritik nicht verstummen, weil beide trotz der zeitlichen, örtlichen und persönlichen Einschränkung zur Nachprüfung und tieferen Erkenntnis auffordern. Die gärende Masse des von den aufeinanderfolgenden Generationen in einem andauernden Wirbel gehaltenen Stoffes, aus dem sich die Resultate der Forschung herausbilden, muß von vielen Händen geschöpft werden. Solange auch reaktionäre und revolutionäre Elemente sich bekriegen, ohne zu einem Einvernehmen zu gelangen, werden entsprechende Wirkungen erfolgen, und da es den Anschein hat, daß weder die Spezialisten noch die Literaten aussterben, ist bei ihrem Wettschwimmen auf offener See oder in den Binnengewässern der Universitäten noch mancher Zwischenfall für die Zukunft zu erwarten. Ehrgeiz und Neid werden wie überall im Leben dafür sorgen, daß angezweifelt, angefochten und verteidigt wird, was große und kleine Jünger Minervens, Könige und Kärrner, in emsiger Arbeit vollbringen. 143

Am schlimmsten steht es um Schriftsteller, die zwischen beiden Sphären wechseln und sich entschließen, ihrem Trieb nach Ruhm als Literaten nachzugeben, gleichwohl aber auf das Ansehen des Hochschullehrers schon der ihrem Stolze schmeichelnden Beliebtheit auf dem Katheder wegen nicht verzichten wollen. Sie werden meist hier wie dort mit schelen Augen gemessen. Jedenfalls verläuft ihre Tätigkeit in einem beständigen Ringen um Gleichberechtigung, weniger unter den Journalisten als unter den Dozenten, die ängstlich ihre Würde zu bewahren beflissen sind, vor allem wenn ihnen die Fähigkeit mangelt, durch ihre Schrift und Rede weitere Kreise anzuziehen. Daher brandmarken sie jede Beteiligung namentlich durch Aufsätze in Zeitungen an den Begebenheiten des Tages als Frevel an der magistralen Ehre. Gegen diese Mauer ist im Verlaufe der letzten fünfzig Jahre ein schwerer Sturm gelaufen worden, ohne geschlagene Breschen zu erweitern. Selbst Meister der Sprache wie Grimm, Treitschke und andere haben sich vergebens bemüht, die Vorurteile der Zunft zu beseitigen und litten sehr unter den gegen sie gerichteten Vorwürfen, die so ernsthaft waren und von so hervorragenden Heerrufern ausgingen, daß es unmöglich war, sich darüber hinwegzusetzen. Indessen waren diese oft zu harten Debatten innerhalb der Fakultäten führenden Zwistigkeiten weder für ihr Leben noch für ihren Beruf von wesentlicher Bedeutung. Sie verharrten stets im vollen Bewußtsein ihrer wissenschaftlichen Denkweise und bedacht auf eine standesgemäße Haltung. Hingegen ist Richard Muther, dem Professor der Kunstgeschichte an der Universität in Breslau, einem Manne, dessen Name um das Jahr 1900 in Deutschland gleichzeitig berühmt und berüchtigt war, lange, bis zu seinem frühen Tode im Jahre 1909, das Schicksal beschieden gewesen, daß er sich von den Anklagen gegen seine ausgedehnte und erfolgreiche feuilletonistische Nebenbeschäftigung, die mit hohen Einnahmen verbunden 144

war, nicht zu befreien vermochte. Sie tragen Schuld daran, daß „der Fall Muther" und dieser merkwürdige, auch nach seinem Hinscheiden verfehmte Einzelgänger mit ungebührlicher Zurücksetzung seiner Verdienste sofort vergessen wurde. Dabei war dieser Richard Muther unzweifelhaft eine freie und eigenartige urwüchsige Persönlichkeit, die im akademischen Geschwader durch die Schnelligkeit und die leichtsinnige Steuerung ihres Fahrzeuges auffiel. Infolge seines fortgesetzten Widerspruchs gegen die Statuten eines professoralen Größenwahns ist Muther oft als Hecht im Karpfenteiche bezeichnet worden. In der Geschichte der deutschen Universitäten verdient er eine gerechtere Behandlung, als ihm zuteil wurde. Denn er hat in den letzten anderthalb Jahrzehnten seines kurzen, in überschneller Hast aufgezehrten Daseins Aufsehens genug erregt und wie kein anderer Kunstschriftsteller nach dem Tode Hermann Grimms bei allen Jubiläen, Ausstellungen und sonstigen Festlichkeiten das Wort ergriffen, hat in Hunderten von Aufsätzen und Essays über alle nur erdenklichen Themen der Kunstgeschichte sich vernehmen lassen und durch seine Veröffentlichungen ein Publikum gewonnen, das sich mit dankbarer Freude von seiner unaufhaltsamen Suada und seinem lockeren Stil überwältigen ließ. Der Einfluß des mächtigen Zauberers war verführerisch und weithin verbreitet, namentlich bei der Jugend, nicht nur den Backfischen, die dem schwärmerisch bewunderten Conférencier wie einem Heldentenor huldigten, und den Studenten, die ihrem geliebten Lehrer mit inbrünstiger Andacht lauschten, auch bei den Künstlern, die endlich Klänge einer nach ihrem Sinne und Wunsch gehaltenen, bisher vergebens gesuchten Erklärung von Kunstwerken zu vernehmen wähnten. Ihr Vertrauen befestigte Muthers Glauben, den rechten Weg eingeschlagen zu haben. Worin bestand nun dieser ungeheure Erfolg ? War er nicht in einem entscheidenden Maße abhängig von den 10

U h d e - B e m a y s , Mittler und Meister

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Zeitverhältnissen und ihrer Verwirrung, vielmehr ihrer radikalen Veränderung in der Auffassung der künstlerischen Begriffsbestimmungen, wodurch die Jugend von einem Extrem zum anderen geschleudert wurde? Ist nicht Muthers Erscheinung ebenfalls, sogar in kulturpsychologischer Beziehung, für eine Epoche von Wichtigkeit, die schon vom Naturalismus Ibsens und Leibis nach der endgültigen Überwindung des dekorativen Prunkes der Pilotyschule und des Epigonentums der Anhänger Geibels und Heyses wieder zu den alten Göttern die Arme erhob und George, Hofmannsthal, Rilke, unter den Malern allerdings noch Böcklin verehrte ? Mit diesen Fragen, die nach fünfzig Jahren eine historische Unterlage besitzen, verbindet sich eine weit schwerer zu beantwortende Überlegung: wie kam Muther zu der inneren Berechtigung seiner literarischen Fruchtbarkeit, war ihm die verschwenderische Geste, mit der er seine Weisungen und Deutungen verstreute, wirklich eine Herzenssache, und besaß er das zugehörige Verantwortungsgefühl, um sich zum praeceptor artis aller Deutschen einzusetzen, eine Stellung, die er nach der Drucklegung seiner Geschichte der Malerei im 19. Jahrhundert und der sich anschließenden allgemeinen Sensation, der seine Berufung nach Breslau zu danken war, mit Mut und Energie zu erreichen sich bemühte ? Um diesen verschiedenartigen Gesichtspunkten nachzukommen, ist es erforderlich, sich die Lage der Kunst in Europa um 1890 im Zusammenhang mit dem Auftreten Muthers in München und seinem zuerst von dort ausgehenden Wirken zu vergegenwärtigen. Dann entsteht ein Zeitgemälde von höchst seltsamem Wandlungsvermögen, das von einer bedenklichen Oberflächlichkeit und Verschwommenheit getrübt ist, in der Schärfe der Beleuchtung wechselt und ein überraschendes Gegenbild darstellt im Hinblick auf die politischen Zustände in Deutschland nach Bismarcks Entlassung, am Anfang der Regierung Kaiser Wilhelms II. und seiner Kanzler 146

Caprivi und Hohenlohe. Indem wir versuchen, es aus dunklen Schatten der Vergangenheit wieder hervorzurufen, gewahren wir mit Erstaunen, welche bestimmenden Züge in ihm enthalten sind, Merkmale eines gefährlichen Überganges, und welche Rolle in seinem Vordergrunde gerade eine gleichfalls schwankende Gestalt wie Muther zu spielen geschaffen war. Das Jahr 1890. München war noch Mittelpunkt der deutschen Kunst, wenn auch bereits im Abstieg begriffen von der Höhe, auf der es beim Eintritt Bayerns in das Deutsche Reich gestanden hatte. Der Gegensatz zwischen dem herrschsüchtigen Gebaren der älteren Künstler unter Lenbachs Zepter und dem Nachwuchs, der sehnsüchtig nach einem Führer ausschaute, wurde stärker und allmählich unerträglich. Die Presse beschäftigte sich mit den Problemen einer fortschrittlichen Erneuerung. Eine Anzahl von jungen Schriftstellern leistete ihr vortreffliche Dienste. Mit ihren Vorschlägen sollte sich Muther als Kritiker und Ausstellungsreferent der Münchener Neuesten Nachrichten befassen. Noch nicht dreißig Jahre alt, 1860 in Ohrdruf geboren, hatte er bei Anton Springer in Leipzig studiert, ohne sich unter dessen Schülern besonders auszuzeichnen, mit einer sorgfältigen Dissertation über Anton Graff seine Lehrzeit beendet und sich als Privatdozent an der Münchener Universität habilitiert, auch das Amt als Assistent am Kupferstichkabinett erhalten. In München schloß er freundschaftliche Beziehungen mit seinem Thüringer Landsmann Georg Hirth, der als Inhaber der Neuesten Nachrichten und Verleger mehrere Publikationen mit reformatorischen Tendenzen herausgab, den „Formenschatz" und ,,Das deutsche Zimmer", in der Absicht, durch ein Zurückgreifen auf ältere Stilformen des Kunstgewerbes eine Änderung des modernen Geschmacks herbeizuführen. Vorher schon durch eine Arbeit über die ältesten deutschen Bilderbibeln mit der Graphik des späten Mittelalters vertraut, begann Mu147

ther eine Geschichte der deutschen Buchillustration der Gotik und Frührenaissance zu verfassen. Ein Meisterwerk der typographischen Ausstattung wurde vorgelegt, das trotz seiner vielen Mängel immer ein Denkmal wissenschaftlichen Eifers bleiben wird. Jetzt erst wurde Muther von den Wellen des Journalismus erfaßt und trat in den Dienst der meistgelesenen Münchener Zeitung. Der findige Hirth hatte einen guten Griff getan, als er ihn entdeckte. Denn er besaß alle Eigenschaften eines brauchbaren Journalisten, Talent und Ausdauer, jedoch statt eines dicken Fells eine leicht verletzbare Eitelkeit. Nicht mehr, aber das genügte: un peu d'esprit, un peu d'hardiesse, un peu de fortune. Seine Berichterstattung war ein Wagnis. Hirth galt im bayerischen Kultusministerium, der vorgesetzten Behörde Muthers, und in den konservativen Kreisen der Stadt, namentlich der Künstlerschaft, als ein überspannter Heißsporn, dem seine mutwilligen Äußerungen unliebsame Gerichtsprozesse eintrugen. Auch Muther nahm kein Blatt vor den Mund, geißelte mit offenem Hohn die Rückständigkeit des Münchener Kunstbetriebs und scheute die Gefahr nicht, mit seinem vollen Namen seine Meinung zu decken. Diese Aufrichtigkeit mußte auffallen, da andere gleich ihm fortschrittlich gesinnte junge Beamte unter einem Pseudonym schrieben, KarlVoll als van Eyck, Jaro Springer als Dr. Relling in kecker Selbstironisierung nach einer verkommenen Bühnenfigur in Ibsens Wildente. Die Aufsätze Muthers fanden einen lauten Widerhall, nicht nur in München. Er hatte Umgang mit Malern und Schriftstellern gesucht, verkehrte viel in Ateliers und begehrte, durch den Erwerb von technischen Kenntnissen sein historisches Wissen zu ergänzen. Das war neu und ungebräuchlich. Dann schickte ihn Hirth, gegen alle Gepflogenheiten Münchens, auf Reisen, nach Paris zur Porträtausstellung und zur Weltausstellung nach London, nach Wien und Berlin, nach Italien. So befand er sich ständig in einem aufgeregten Zustande des Lernens 148

und Sehens, viel unterwegs, immer eilig und nervös, die Uhr in der Hand, immer unter anderen Menschen, überall bekannt und gut aufgenommen, als geschickter Reporter bei allen Gelegenheiten anzutreffen, die er zu einem Feuilleton verwerten konnte. Diese Reiselust hat Muther bis an sein Lebensende begleitet. Er besuchte auch die zweite Weltausstellung in Paris 1900 und fuhr von dort nach Spanien, schrieb reizvolle Schilderungen seiner Abenteuer, war 1901 auf der Ausstellung in Glasgow, um die englische Malerei kennenzulernen, im Norden, in Ägypten. Seine stürmische Beweglichkeit hatte ihre Vorzüge und Nachteile. Selbst das beängstigend gute Gedächtnis Muthers konnte die Fülle der Eindrücke von Gegenden, Kunstwerken, Gesprächen nicht bewältigen. Ungeordnet schob sich eine riesige Masse verschieden gearteten Materiales zusammen, die für den Augenblick allein genutzt wurde und aus der späterhin ein Hervorholen zu neuer Verwendung nur mit dem Gebrauch von Hilfsmitteln möglich war. Muther hatte Lenbach und Trübner, Watts und Whistler unter seinen näheren Bekannten. Mit Brandes, Huysmans, Hermann Bahr, dem damals unbekannten Dichter Rilke schloß er Freundschaft, und im Expreßzugstempo, mit dem er durch die Museen und Kunsthandlungen lief, durchjagte er alle Neuerscheinungen der Literatur, Deutsche, Franzosen, Engländer, Italiener, Russen. Zola, Flaubert und Gautier waren ihm ebensowenig fremd wie Tolstoj, Turgenjew, Jacobsen, Swinburne, d'Annunzio, Gerhart Hauptmanns Erstlinge und Fontanes letzte Romane, was er lediglich wieder als Mittel ansah, um auf dem laufenden zu bleiben. Die gesamte Weltliteratur hatte er sich angeeignet. Seine vielen Zitate zeugen von einer unglaublichen Belesenheit. Aber er steckte nicht seine Bücher in seine Bibliothek, sondern seine Bibliothek in seine Bücher. Gleich nach der Rückkehr aus Paris faßte er den Entschluß, seine 149

kritischen Berichte zu einer dreibändigen Geschichte der Malerei im 19. Jahrhundert zusammenzuschließen und hinzuzufügen, was noch fehlte. Wer ihm den Anstoß zu diesem Vorhaben gab, ist nicht mit Sicherheit zu erfahren. Vermutlich ging er von den Künstlern aus. Aber selbst dieser schreiblustige Beherrscher der Feder mußte einsehen, daß sich ein Buch, wie er es zu vollenden beabsichtigte, um sich eine internationale europäische Geltung und nebenbei eine Professur zu erringen, nicht von heute auf morgen ausführen läßt. Drei Jahre dauerte die Arbeit. Muther scheute keine Anstrengung, ging mit großer Genauigkeit einem klug, nicht nur nach geographischen und chronologischen Einteilungen, angelegten Plane, weniger einem voll angezeigten, jedoch öfters durchbrochenen Programm, nach und führte sein Werk systematisch zu Ende. Seine Erwartungen hatten ihn nicht getäuscht. Der Beifall in Deutschland, Frankreich, England, wo Übersetzungen erschienen, glich einer Demonstration, welche sich, die Jugend voran, gegen Akademie und Zunft, Parade und Zopf richtete. Ein Wirbelwind von freiheitlichen Forderungen auf die Rechte des Künstlers, feindlich jeder Bevormundung durch ästhetische oder philosophische Theorien, ging von diesen Bänden aus, die nach den trockenen Kompendien von Lübke, Springer, Rosenberg und Reber winkten wie Oasen in der Wüste. Sie waren flott geschrieben, leicht verständlich, reich an Geistesblitzen und Bonmots, auch an Beobachtung und zusammengehäuftem gediegenemWissen. Durch diese Annehmlichkeit bestachen sie die Masse der Leser, welche die Mängel bei einer derartigen Erzählung an Scharfsinn, Gedankentiefe und Unterscheidungsgabe nicht bemerkten. Muthers Buch bedeutete, unbestreibar, damals eine Tat; es war ein lebendiges, leidenschaftliches, inhaltsreiches, vor allem ein den Bedürfnissen der Zeit entgegenkommendes Buch. Überall in Europa wogte der Streit um die neue Kunst. Noch war die impressio150

nistische Malerei nicht anerkannt, van Goghs Meisterschaft verborgen, Monet, Degas, Renoir, Cézanne standen erst in der Mitte ihrer Laufbahn. In München waren durch die Gründung der Sezession die Kämpfe um die Entscheidung zur Existenzfrage des kulturellen Lebens der Stadt geworden. In Wien und Berlin wurden ähnliche Bewegungen vorbereitet. In England behauptete sich die Brüderschaft der Präraffaelliten, in Schottland hatte sich eine Sondergruppe gebildet, deren dekorative Vorlagen die Mode auf dem Kontinent beeinflußten. Eine neue Baukunst war im Entstehen, van de Velde bereits sehr angesehen, ein neues Kunstgewerbe mit William Morris als Führer hatte sich in London durchgesetzt und wurde mit seinen handwerklichen Pflichten und sozialen Ideen nach Deutschland gebracht. Und gleiche Erschütterungen tobten in der Literatur, der Dichtung, dem Roman, dem Drama. Muthers Leser bedurften keines Schulmeisters, der mit dem Stecken auf die Tafel wies. Sie hatten die Augen und Ohren offen und wollten zuerst wissen, auf welche Weise das Ziel angegangen worden war, das sich ihren Blicken, wie sie meinten, herrlich offenbarte. Sie wollten frei sein und ihr Leben genießen. Diese tolle Geschichte der Malerei regte sie an wie eine Uraufführung Ibsens oder Sudermanns, wie Böcklins Spiel der Wellen oder Stucks Krieg, wie die ersten Orchesterstücke von Richard Strauß. Sie verlangten bunte individuelle Zeitbilder, literarische Capriccios, die nach der Schablone Maupassants, des Lieblings der aufgeklärten jungen Damen und Herren der guten Gesellschaft, angefertigt waren. Auf das halkyonische folgte das feuilletonistische Zeitalter. Das nihilistische Zeitalter stand schon vor den Toren. Ein wilder Taumel ergriff die Menschheit, die sich einbildete, endlich etwas von Kunst zu verstehen. Muther überstrahlt die Regionen dieser Ereignisse wie ein Stern, dessen Licht ständig abnimmt. Den frohlockenden Rufen, die den allzurasch gewon151

nenen Ruhm Muthers verkündeten, folgte eine tragische Stille. Das Buch veraltete mit einer unerwarteten, aber begreiflichen Schnelligkeit, nicht etwa nur, weil die Anschauungen des Publikums, von der gesteigerten Teilnahme an den Schöpfungen der Impressionisten gebildet, sich alsbald änderten. Die Methode der Darstellung, die ausschließliche Berücksichtigung des gegenständlichen Inhalts der Bilder, die weitschweifigen biographischen Ausgaben, alle diese und andere für das eigentliche Wesen der Kunst nicht entscheidenden Momente verloren mit der Beendigung der aktuellen Bedeutung jeden Wert. Durch Hildebrands „Problem der Form", das wenige Wochen nach der Herausgabe der „Geschichte der Malerei" eine Umstellung der Kritik veranlaßte, und die Schriften Conrad Fiedlers wurde Muthers Betrachtungsweise auf die Seite gedrängt. Seine literatenhaften Erzählungen wurden als unkünstlerisch empfunden und kühler aufgenommen. Man beanstandete, daß er, von Hoffnungen erfüllt, den französischen critiques d'art, About, den Brüdern Goncourt, Huysmans, Zola gleichzukommen, ihre Ausdrucksweise und ihren Satzbau nachgeahmt, die Vorbilder ohne Bedenken kopiert hatte. Was dort durch die geschliffene Feinheit des Stils und die Sicherheit der Vergleiche, besonders bei Gautier, einen erlesenen Reiz vermittelte, war bei dem Deutschen häufig auf geschmacklose, an die Grenze des Erlaubten reichende Effekte gebracht, die an Kolportageromane erinnerten und die guten Seiten seiner „Geschichte der Malerei" überwucherten. Eine faunische Begierde, die Muther nicht ableugnete, da er stets seine Freude weniger an Wein, Weib und Gesang als an Champagner, Kokotten und Kabarett offen zugab, wälzte sich mit Behagen im Schlamme der Zweideutigkeiten. Nur ein Beispiel: „Burne Jones Frauen wissen, daß diese Glut hienieden nicht zu finden . . . die Farbe ihrer Wangen ist bleich, das Auge matt, ihr Körper kränklich, fleisch- und blutlos, die Hüften dürf152

tig. Mit blassen bebenden Lippen, ein wehmütiges Lächeln oder einen eigentümlich resignierten schmerzlich innigen Zug um die Mundwinkel, leben sie, von unfruchtbarer Sehnsucht verzehrt, hungernd, in stiller Schwermut dahin, wie Goldfische ins Leere starrend oder in den vagen Fatamorganagesichten einer überzarten, überfeinen, verschämt hervorzitternden Erotik schwelgend." Das war die verzuckerte Marlitt-Weis, und ein Parkett von Gründlingen schrie sein johlendes Bravo. Aber diese, müde gesagt, ästhetenhafte Wortakrobatik kam aus der Mode, zuerst in Frankreich. Wir Deutsche genießen den zweifelhaften Vorzug, sie dank Muthers Import angenommen und bis zum Überdruß gezüchtet zu haben. Sein Literatenstil hat das Vokabular! der Kunstkritik um manche Schlag- und Schmeichelworte bereichert und eine Terminologie gleißenden Talmischmucks eingeführt, die wir ungern ablegen. Hand aufs Herz, verehrte Genossen von der Feder, bedenkt einmal, wieviel wir, ohne es zu wissen, dem Professor Richard Muther an gefälligen Bezeichnungen verdanken, die erst durch ihn zu Glanzlichtern unserer Feuilletons, sogar zum festen Bestandteil unserer Umgangssprache geworden sind; gewohnt, sie als unser Eigentum zu verwenden, vergessen wir, wie Muther, nach ihm Meier-Graefe, unser Denken und unser Schrifttum als anregende, Formeln ausprägende Vermittler bestimmten. „Unsere Sätze malen und singen, wir behauen sie wie Marmorblöcke und wollen den Duft der Dinge aus den Worten einatmen. Das bemächtigt sich der Nerven des Volkes, man findet es vorzüglich. Aber wir wollen abwarten, was unsere Enkel dazu sagen." So hat Zola die Schreibweise seiner Freunde getadelt. Nicht nur in Einzelheiten hatte Muther fremde Beispiele befolgt. Schon bevor er seine Arbeit anfing, waren ihm zwei Werke bekannt, die sich seit einem Jahrzehnt großer Anerkennung in Deutschland erfreuten, Hippolyte Taines „Origines de la France contemporaine" 153

und die „Hauptströmungen der Literatur des 19. Jahrhunderts" von Georg Brandes. Von Taine übernahm er die Milieutheorie, die vortrefflich für sein entwicklungsgeschichtliches Schema paßte. Brandes wurde ihm schlechthin das Muster seiner gesamten Ausführung, vom ersten bis zum letzten Kapitel. Sein auch 1893 wenig bemerkter Anschluß an den ihn geistig überragenden, aber nicht weniger leichtfertigen Dänen, dessen Buch aus Vorlesungen an der Universität in Kopenhagen entstanden und daher einer anderen Anlage unterworfen war, zeigt sich vor allem in der Art, seine Meister in einer anekdotischen Manier vorzustellen. Das ist geschehen nicht mit charakteristischen petits faits, die nach Stendhal den Menschen besser erkennen lassen, als es ihre Schöpfungen vermögen, sondern mit phantasievoll aufgemachten Skizzen, die aus den Lebensbeschreibungen der Künstler wie bei Brandes aus den Erinnerungen an die Dichter geholt wurden. An passenden oder unpassenden Gelegenheiten von Versen umrankt, bilden sie den Rahmen für die Beschreibungen der Gemälde. Während sonst dem Verfasser von guten Kunstkritiken als edelste Erfüllung seiner Pflicht daran gelegen ist, sich in die Welt der Schöpfungen der verschiedenen Meister mit dem Auge und der Seele zu vertiefen und seinen Stil wie seine Beobachtung durch eine glückliche Fähigkeit des Anpassens nach ihr zu formen, begnügte sich Muther mit leichten Plaudereien und willkürlich hingeworfenen Reflexionen, welche Vorwürfe oder Stoffe die künstlerischen Aufgaben bedingten. Das ließ sich bei der Gelenkigkeit des Autors für eine kleine Weile ertragen, aber kaum für eine längere Dauer. Heute lesen wir in dem immer noch unentbehrlichen Buche wohl einmal zwei oder drei Seiten, mehr nicht. Muther war mit sich selbst in Widerspruch geraten, weil er eine neue Richtung einzuschlagen vorgab, aber die Kunst nach Gegenständen klassifizierte, wie es bisher üblich gewesen. Daß er treffende Kapitelüber154

schritten wie „Das sozialistische Tendenzbild" oder „Das ethnographische Genre" fand, wie er auch mit Vorliebe nach sensationellen Stichworten ausspähte, die seinen Literatengeist befriedigten, wurde ihm im Rausche der Begeisterung über die journalistische Mache, mit der er sein Talent vergeudete, ebensowenig gutgeschrieben wie die an vielen Stellen bewiesenen, vielleicht nur zufälligen Wahrnehmungen echten Künstlertums. Nachdem er Cornelius flüchtig abgehandelt, seine Größe dennoch ahnend empfunden und Kaulbach von ihm getrennt hatte, begrüßte er zuerst Philipp Otto Runge. Er hat, was ihm hoch angerechnet werden muß, bei den Franzosen die Gewalt Daumiers, in Deutschland die Faust Wilhelm Leibis herausgehoben, Victor Müllers abgesonderte Stellung bezeichnet, die einsame Größe von Marées verehrt, die Impressionisten und Cézanne, den 1893 wenige beachteten, als Bannerträger der neuen Kunst gepriesen. Auf der Gegenseite stehen freilich in einer langen Liste die Entgleisungen vermerkt, Männer zweiten und dritten Ranges, die sein Enthusiasmus vergötterte, indem er neben Leibi den Engländer Watts, mit Böcklin — Gustave Moreau als die Meister des Jahrhunderts feierte. Muther fehlte eben der Sinn für die künstlerische Qualität und ihre Wertunterschiede, bei seiner übertreibenden subjektiven Lebhaftigkeit der geistigen Anspannung auch der Sinn für die Unterordnung seiner Person angesichts des künstlerischen Willens. Nachlässig flickte er seine immer, wie gesagt wurde, schwungvollen, mitunter gescheiten und anschaulichen, mitunter flunkernden „pikanten, raffinierten, schönheitsschwangeren, prickelnden" — so heißen einige Epitheta seiner Rhetorik zur Auswahl — Feuilletons zusammen und gab ihnen auf dem Gestell des Buches eine künstliche Färbung. Der ehemalige Gelehrte zeigte sich nur noch bei dem ausgedehnten, unübertrefflichen Literaturverzeichnis und bei der Auswahl der Abbildungen, deren Material vornehmlich für das Ausland einen 155

staunenswürdigen Reichtum von unbekannten Werken darbietet. Das Buch wurde nicht wieder aufgelegt und eine kostspielige Rarität auf dem Büchermarkte, über die die meisten Koryphäen der Kunsthistorie hochmütig ihre Nasen rümpften, gerne aber heimlich im stillen Kämmerlein guten Rat einholten und ihre Vorlesungen mit Muthers Sprüchen würzten. Seine Berufung nach Breslau, von Felix Dahn, der aus München stammte und als Verfasser des „Ein Kampf um Rom" bekannter war denn als Lehrer des Staatsrechts, und Werner Sombart eifrig betrieben, vom Ministerium in Berlin, wo Friedrich Althoff gebot, gebilligt, war ihnen recht unbequem. Noch weniger wollte ihnen gefallen, daß der neue Professor von der Studentenschaft und den Bürgern der Stadt herzlich empfangen wurde und einen Zulauf hatte, wie er seinen Kollegen niemals beschert war. Das war um so ärgerlicher, da sich Muther anfangs nicht zum Dozieren auf dem Katheder geschaffen fühlte und sich erst in eine ungewohnte Grandezza hineinfinden mußte. „Es gab wirklich keinen Platz", schreibt Emil Schaeffer, „auf den Muther weniger hingepaßt hätte, wenn man das Wort Katheder mit Kanzel oder Lehrstelle umschreibt. Mit kurzen fahrigen Schritten betrat der mittelgroße feingliedrige Mann mit den müden tiefliegenden Augen, die über Menschen und Dinge souverän hinwegschauten, scheinbar nichts gewahrend und doch alles beobachtend, den Hörsaal. Er hatte mit seiner leisen Stimme und seiner kurzatmigen Sprechweise, an die man sich nur langsam gewöhnte, seinen blassen schmalen Händen etwas von einem Abbé des Rokoko und nichts, gar nichts von einem deutschen Hochschullehrer. Es reizte ihn nicht, einem Herrn Müller aus Ohlau oder Schulze aus Glogau durch sein Wort die Welt Michelangelos oder Rembrandts zu erschließen. Gleichwohl vermochte er in unvergeßlichen Sätzen ganze Kunstepochen zu schildern und verstorbene Meister für eine 156

Stunde ihs Leben zurückzurufen, aber am einzelnen Bilde interessierten ihn nicht die Probleme der Form und der Farbe. Fehlte der Reiz des Kulturellen oder Novellistischen, so ließen ihn Werke der größten Maler kalt, während mittelmäßige Bilder, wenn seine Phantasie sich bei ihrem Anblick entzünden konnte, seines Beifalls sicher waren. Deshalb war es ihm gleichgültig, ob ein Gemälde gut oder schlecht, Kopie oder Original und wer der Schöpfer war. Seine Neigung, alles auf literarische Formeln zu bringen, ergriff auch seine Schüler im Seminar, die ihm, nachdem er Botticelli als einen ,Tannhäuser der Renaissance' benannt hatte, gelehrig folgten und seinen .heiligen Augustin' einen .christlichen Faust', den Simson des Guido Reni einen .italienischen Siegfried', Fra Angelico gar einen ,Mönch gewordenen Mozart' tauften. Muther bemerkte nicht, daß keiner von uns über die Kunst des Lesens verfügte. Wir wußten nichts von Ikonographie und Ikonologie, kaum etwas von Mythologie und den Legenden der Heiligen, wir hatten keine Ahnung von Kostümkunde und Heraldik oder Symbolen und daß es eine Quellenkunde gab — in Muthers Seminar hat es keiner gehört. Aber wir hielten Vorträge über Tizian, Lorenzo Lotto und Velasquez — wir wollten und sollten tanzen, bevor wir gehen gelernt hatten." Gegen diesen Unterricht erhoben sich empörte Stimmen, unter ihnen Franz Wiekhoff, der in seinen Wiener kunstgeschichtlichen Anzeigen die „belletristischen Orgien, die für Romane der Ossip Schubin und die Gartenlaube passen", mit grimmem Zorne zurückwies. Über derartige Angriffe konnte Muther lächelnd hinweggehen. Aber übelwollende Feinde durchschnüffelten seine Geschichte der Malerei und stellten triumphierend fest, daß er in vielen Fällen, oft sogar in ganzen Abschnitten, seine Weisheit aus fremden Nachrichten bezogen hatte, ohne es anzugeben. Sie bezichtigten ihn des literarischen Diebstahls. Der Museumsdirektor Theodor Volbehr und 157

der Verleger Arthur Lehmann eröffneten den Kampf. Die „Mutherhetze" begann und wurde in den Tageszeitungen mit parteiischer Gehässigkeit fortgesetzt. Muthers Entgegnung klang gezwungen und schwächlich. Man nannte sie spöttisch eine Apologie des Plagiats. Auf Antrag der Fakultät wurde das Disziplinarverfahren beschlossen. Als die Kläger vor dem Kurator der Universität, Fürsten Hatzfeld, standen, antwortete er ihnen: „Meine Herren, entstehen denn nicht alle wissenschaftlichen Werke auf diese Weise?" Und Althoff schrieb unter die Eingabe, die Universität solle dem Professor Muther zu Weihnachten einige Paar Gänsefüßchen schenken. Damit war die peinliche Angelegenheit amtlich erledigt. Trotzdem blieb Muther in Verruf und wurde nicht, wie er hoffte, als Nachfolger Hermann Grimms nach Berlin geholt. Heinrich Wölfflin, der mit ihm einst in München Privatdozent gewesen war, erhielt diesen Posten. Die beinahe erreichte Stellung, ein Heinrich Heine der Kunstliteratur zu sein und von zahlreichen Anhängern als „ungezogener Liebling der Grazien" verhätschelt zu werden, ging in der gleichen Zeit endgültig verloren. Auch seine Bücher über ein Jahrhundert französischer Malerei, über die englische und belgische Malerei, eine in mehreren kleinen Bänden verteilte Gesamtgeschichte der Malerei für die Sammlung Göschen, die bei der Reklame, die sich mit Muthers Namen machen ließ, gut verkauft und öfters aufgelegt, nachher in größerem Format umgearbeitet wurde, waren nicht geeignet, das Urteil aufzuheben, durch das man ihn nur als Journalisten ansprechen sollte. Als er reumütig angebliche Jugendsünden abschwor und statt Böcklin plötzlich Liebermann rühmte, fand er keinen Glauben. Nunmehr ließ er seiner jeweiligen Stimmung freien Lauf, schrieb unbekümmert viele Aufsätze für die Wiener „Zeit" und den Berliner „Morgen", seichte Monographien für die von ihm herausgegebene Serie „Die Kunst", un158

zuverlässig, schlampig und süßlich im Stil, und ein Bändchen über Rembrandt, das abermals die entrüsteten Gegner auf den Plan rief. Nirgends eine Spur der einstigen Wissenschaft, nirgends die frühere Munterkeit. Stets die wohlbekannten Phrasen und Formulierungen. Wenn diese vergrößerten Feuilletons mit ihrem erborgten Atelierjargon überhaupt noch irgendwo Anklang fanden, dann zuerst bei jungen blasierten Kunsthistorikern und Snobs, welche die Beschäftigung mit der Kunst ansahen wie ein Billardspiel, bis sie aus ihren egoistischen Träumen unsanft herausgerissen wurden durch die Erfahrung, daß es auch andere Kugeln gibt als aus Elfenbein. Ein Muther-Kultus hatte hier sein Zentrum, auch weil der Heros unterdessen als Vortragsredner, der wie ein rühriger Agitator die Lande bereiste, neben Henry Thode, dem der boshafte Paul Hensel ebenfalls nachsagte, daß man bei ihm über der Melodie der Worte nicht an den Inhalt denke, in allen Vereinen ein willkommener Gast geworden war und sich in besseren Familien „herumreichen" ließ. Er sprach wie er schrieb, überstürzt, hemmungslos, in sprunghaften Sätzen, und hätte in dieser Tonart stundenlang fortfahren können. Klug ohne Tiefe, gewandt ohne Feinheit — so charakterisiert ihn Gustav Pauli. Seine Behendigkeit und seine Erfolge erhielten ihn, obwohl er früh kränkelte und alterte, ebenso frisch wie seine Streifzüge durch Europa. Dennoch wurde es einsam um ihn. Einige seiner Lieblingsschüler verließen Breslau und bekamen keine Nachfolger. Vormals ein Draufgänger, mit dessen Tempo kaum Schritt gehalten werden konnte, wurde er ein verbitterter Nörgler, der mit schartigen Waffen vergebens die Thesen Wölfflins bekämpfte: „Ich danke für den Sekt, der mich nur zu Betrachtungen über seine Herstellungsart anregt. Und ich verzichte auch gern auf jeglichen Kunstgenuß, wenn er nichts anderes sein soll als ein Nachdenken über konvergierende und diver159

gierende Linien." Wiederum die alte Walze auf der abgeleierten Drehorgel. Meier-Graefes Entwicklungsgeschichte der modernen Kunst kam heraus, zehn Jahre nach Muthers Geschichte der Malerei im 19. Jahrhundert, und wandte sich zu anderen Bahnen und zu einem gewählteren Publikum, das verständnisvoll auf die tief in die eigentlichen Bedingungen des künstlerischen Lebens eindringenden, nach den Gesetzen des Impressionismus mit genauer Zerlegung in ihre Elemente jeden Meister und seine Werke durchforschenden Erläuterungen horchte und aus ihnen lernte, richtig zu sehen und zu unterscheiden. In manchen Eigenschaften waren die beiden Schriftsteller verwandt : auch Meier-Graefe wollte ein temperamentvoller, schneidiger Journalist sein, der betriebsam und fleißig arbeitete, jedoch ohne irgendwelche Ambitionen, und mit warmem Gefühl und klarer, feiner Auffassung, vor allem mit einem Spürsinn für die bevorstehenden Veränderungen des Geschmacks der Kunstfreunde begabt war. Niemals hätte Muther ein so liebevolles Opus zu unternehmen und zu vollenden vermocht, wie es Meier-Graefe mit seiner Publikation über Marées gelang. Als dann Meier-Graefe nach seiner spanischen Reise seinen Hymnus auf Greco anstimmte, den sein Vorgänger in Toledo nicht einmal gesehen und erst nachträglich in seine Geschichte der Malerei eingefügt hatte, kam Muther auf den Gedanken, mit dem angeblichen Tempelschänder einen Waffengang zu wagen und Velasquez als Abgesandter des Grals zu verteidigen. Von diesem Schauspiel sind wir erfreulicherweise verschont geblieben. Muther starb plötzlich, noch nicht fünfzig Jahre alt. Über seiner Bahre tobte kein Streit mehr in den Lüften, der ihm im Leben so sehr geschadet hatte. Der Lorbeer fehlte, der sonst bei Leichenbegängnissen von Kunsthistorikern reichlich gespendet zu werden pflegt. Verlegenes Schweigen umgab den Geschiedenen, aus dem sich nur wenige schwache Laute der Anhänglichkeit 160

lösten. Kein Fachgenosse verfaßte für das biographische Jahrbuch einen Nekrolog, sein Namen fehlt im jüngsten Literaturlexikon. Ist er wirklich nur „Staub, ein wenig übergoldet" und nicht doch „Gold, ein wenig überstäubt?" Der peinlichen Frage ist zu erwidern, daß er jedenfalls in der Geschichte der Kunstkritik und in der deutschen Kulturgeschichte einen Rang beanspruchen darf, der ihm unberührt von der Meinung über die Größe oder Geringfügigkeit seines Verdienstes erhalten bleiben muß und vor dem ausführlich von ihm zu reden sich geziemt. Je weiter wir uns von ihm entfernen, je belangloser der Gegenwart sein Literatentum sein mag, um so eher werden vielleicht die Menschen eines veränderten Zeitalters an der freien, verwegenen Laune der romantischen Persönlichkeit Gefallen finden, an einem Manne, der vor fünfzig Jahren Universitätsprofessor und Bohemien war, den seine Kollegen als leibhaftigen Satan fürchteten, einem Abgott der Jugend und der Frauen für mehr als eine Modesaison. Unzweifelhaft ein höchst origineller Charaktertyp, als Journalist ein brausender, geistreicher Strudelkopf, wie er in jeder Generation sein Wesen treibt und ihr die Speise mundgerecht macht, nach der sie gierig verlangt.

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Uhde-Bernays, M i t t l e r und Meister

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H E I N R I C H WÖLFFLIN „Dinge,

die

auf

Anschauung

berechnet

sind,

wollen von ihrer sichtbaren Seite gefaßt sein." Wölfflin.

Bedeutung und Wirkung der Persönlichkeit und der zugleich im Lehren und Schaffen ihren tiefsten und schönsten Sinn anzeigenden Tätigkeit Heinrich Wölfflins mit einem raschen Bück uberschauen und darstellen wollen, ist nicht einfach. Um sein künstlerisches Vorstellungsvermögen und seine aus ihm entstandene Arbeitsmethode zu verstehen und davon einen sich wie in einer plötzlichen Offenbarung bietenden Gewinn zu ziehen, bedarf es wenigstens der Bemühung um die Befähigung, nach seiner Unterweisung Werke der bildenden Kunst zu sehen, ihre Gesetze anschauend zu begreifen, sie nicht bloß äußerlich genießend zu betrachten. Jakob Burckhardt schreibt einmal über die „optische Form als solche, die man sich aussprechen lassen müsse", und hat schon auf den Weg geführt, den Wölfflin beschritt. Unverkennbar herrschte der Wunsch, die künstlerische Erkenntnis durch Aufdeckung der einheitlich zusammengehörigen künstlerischen Elemente nach alter unumstößlicher humanistischer Überlieferung wissenschaftlich, aber auch menschlich zu fördern. Dieses Ziel erreicht zu haben, indem er eine neue, verstärkte Bindung natürlichen Maßes in das bestehende, bisher vielfach unklare Verhältnis zwischen Kunstwerk und Kunstfreund einsetzte, ist Wölfflins größtes Verdienst. Mag diese Bindung vor allem von vielen in der Schule des Impressionismus aufgewachsenen Dialektikern der Farbe oder einzelnen in biographisch-kulturhistorischer Gegenständlichkeit beharrenden Schöngeistern als unbequeme Fessel empfunden werden — es läßt sich nicht 162

gegen eine Lehre kämpfen, die ihren inneren Berechtigungsnachweis mit einer stolzen Selbstverständlichkeit erbringt. Allerdings ist notwendig, um Wölfflins umfassende Begabung richtig einzuschätzen, ihn einer geistesgeschichtlichen Entwicklungsreihe des höchsten Anteils an der Gesamtleistung des 19. Jahrhunderts anzuschließen. Das Neue, was er sagen wollte, ist gewiß mit begnadetem Instinkt gefunden, es ist indessen im wesentlichen Kerne Lösung oder vielmehr Übertragung eines Problems, das bei anderen wissenschaftlichen Disziplinen, wie der Archäologie und der Literaturgeschichte, bereits seinen eigenen Wert angenommen hatte; ein Problem, dessen erste Erwähnung schon bei Winckelmann sich findet, in Kants „intellektueller Anschauung" offenbar wird, dann Goethe, Schiller, Wilhelm von Humboldt beschäftigte, um gegen die Mitte des Jahrhunderts mehrere hervorragende Forscher an deutschen Universitäten zu wichtigen und neuen Untersuchungen aufzufordern, Karl Otfried Müller, den Philologen, Heinrich von Brunn, den Archäologen, vor allem Jakob Burckhardt. Es wäre eine lohnende Aufgabe, alle diese Beziehungen und Zusammenhänge aufzusuchen und zu schildern, in welcher Weise im Verlaufe namentlich der späteren Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts, nun auch unter entscheidendem Einfluß der Künstler (Semper, Klinger, Hildebrand), und in Verbindung mit der Philosophie Idee und Leben bei der Behandlung künstlerischer Fragen sich gegenseitig durchdringen. Einstens hatte in Rom Brunn mit Hermann Hettner über Probleme ästhetischer Art lange Gespräche geführt, deren Wirkungen in ihren Schriften bemerkbar waren. Hier wurden schon Fragen behandelt, wie sie nach drei Jahrzehnten Conrad Fiedler tiefblikkend gestellt und künstlerisch zu lösen sich bemüht hat. Eine deutlich sichtbare Verbindung mit Wölfflin ist vorhanden. Während der Wiener Franz Wickhoff und seine Schule eine mehr der Praxis zugeneigte Stil163

kritik begründeten und die Einzeluntersuchung förderten, hat Wölfflin stets aus dem Beschreibenden und Erklärenden seinen Blick dem g e s a m t e n Komplex künstlerischen Wesens und Stoffs zugewandt, der die einzelne Persönlichkeit in ihrer Zeit anbetrifft. Hier ist er zunächst, in seinen früheren Arbeiten, stehengeblieben. Dann aber hat er das Höchste angestrebt, indem er die künstlerische Schöpfung als nationale Tat auffaßte und hier an geheimnisvolle Tiefen seelischen Empfindens rührte, deren Ahnung erst durch ihn aus dem Ungewissen in eine deutliche Gegenwart gerückt worden ist. Aus der Reihe der Kunsthistoriker und Universitätslehrer ist er mit zunehmenden Jahren und wachsender Erfahrung herausgetreten und, unbeirrt von äußeren Ereignissen, sein eigenes inneres Leben klug und glücklich gestaltend, zu einem nachdenklichen Mahner deutschen Geschicks geworden. *

Solchem Innenleben, das „Gott selbst zu eigen hat auf dieser Erde", ist füglich das äußere Auftreten in der Welt nicht viel mehr als eine zufällig gegebene Verpflichtung. Daß Heinrich Wölfflin sich dem akademischen Beruf widmete, gehört zu dem Umfang des geistigen Bereiches, das er beanspruchte. Wohl hat er keine eigentliche Schule gebildet und wollte es nicht, aber sein Vortrag und sein Einfluß auf junge Menschen haben immer durch die zurückhaltende und dennoch warmherzige Bescheidenheit seines Wesens eine dauerhafte Nachwirkung besessen. Wenn die lange, hagere Gestalt Wölfflins auf dem Katheder erschien, war sogleich im Auditorium eine Spannung gegeben, die nicht einen Augenblick nachließ: der schmale, feingegliederte Gelehrtenkopf leicht emporgehoben, hinter außerordentlich edel geformten Schläfen das Haar schlicht zurückgestrichen, des Gesichtes Proportion ins Vertikale noch 164

verstärkt durch den Kinnbart, Augen wie durch unaufhörliches Schauen und Spähen geschärft und daher gleichsam geschützt und verschanzt hinter Stirnvorsprung und mächtigen Brauen, Züge stolz, frei, männlich, durchgeistigt, lebhaft und beherrscht. Begannen die Lippen sich zu bewegen, so prägten sie stoßweise, ganz unrhetorisch, die Wendungen des Vortrags, welche, knapp und ungewöhnlich treffend im Ausdruck, durch den schweizerischen Akzent nicht auffällig behindert wurden. Der Sohn eines angesehenen Universitätslehrers hatte aus dem Elternhause alle Eigenschaften mitgebracht, die unentbehrlich sind für die-akademische Laufbahn, vor allem als schönste Voraussetzung dieses Berufes die Einsicht in die Notwendigkeit individueller Ausbildung der eigenen Anlagen. Hörsaal und Seminar sind Ausgleich und Ergänzung für die Ergebnisse der stillen Forscherarbeit am Schreibtisch. Schon mit 24 Jahren Privatdozent, nach fünf Jahren Nachfolger Burckhardts in Basel; wieder sechs Jahre später, nach Hermann Grimms Tode an dessen Stelle in Berlin berufen, kurz vor dem Kriege in München, gewiß einem alten Wunsche nachgebend, bis zum 60. Geburtstage, endlich in der Schweizer Heimat in Zürich: die wenigen Stationen auf Wölfflins Wege. Die schweizerische Stammeszugehörigkeit hat für den Abschluß seines Lebens wie für seinen Anfang eine sonderliche Freiheit der äußeren Existenz gefordert und gewährt. An diesem Anfang hat die vortreffliche Erziehung des Vaters, des bedeutenden Basler, später in Erlangen und Münchcn tätigen Latinisten und Begründers des thesaurus linguae latinae Eduard Wölfflin gestanden. Sein „wissenschaftliches Feldherrntalent", das ihm nachgerühmt wurde, vererbte sich auf den Sohn, der auf der Universität München in Heinrich Brunn und Michael Bernays zwei weitere ausgezeichnete Lehrmeister fand, beiden als Lieblingsschüler anhänglich ergeben. Beide haben auch sogleich die außerordent165

liehe Befähigung Wölfflins erkannt. Brunn holte ihn am Abend der Feier seines 70. Geburtstages allein in sein Studierzimmer, um ihm aus weiser Erfahrung letzte Dinge zu enthüllen, Bernays nannte in seiner Abschiedsvorlesung Heinrich Wölfflins Namen mit prophetischer Bevorzugung. Bei Brunn, dem Verfasser der „griechischen Götterideale", dessen Analysen antiker Statuen zu den besten Äußerungen einer lebensvoll erklärenden Unterweisung von Denkmälern gehören, der in einer vielbeachteten Rektoratsrede schon ausgerufen hatte, daß nur das eigene Sehen zum Verständnis führe, hat Wölfflin die Grundlage der stilkritischen Sonderung und Sicherung errungen, die er von der Archäologie auf die neuere Kunstgeschichte übertrug. Von Bernays lernte er, daß der Literarhistoriker mit der Sprache als solcher anzufangen habe, daß sie in künstlerischem Sinne den Stoff darreiche, durch den sich diese Wissenschaft von anderen unterscheidet. Den eigentlichen Abschluß der Studienzeit Wölfflins gab die formgeschichtliche Belehrung Jakob Burckhardts in Basel. Bisher war die Kunstgeschichte vorwiegend Künstlergeschichte gewesen, die chronologisch und kulturhistorisch, also vor allem erzählend an dem eigengesetzlichen Wesen des Kunstwerkes vorbeiging. Burckhardt hatte bereits in seiner „Kunst der Renaissance in Italien", wie er bescheiden schrieb, der „Prosa der Kunst" wieder ein Recht gegeben („weshalb ich eine Menge Nebensachen erwähne, während ich die größten geistigen Tatsachen übergehe"). Hier setzte Wölfflin temperamentvoll und energisch ein, indem er nachdrücklich die Forderung erhob, daß Kunstgeschichte auf eigenen Füßen stehen und nicht nur Illustration der Kulturgeschichte sein soll. Er sucht die „Mittel in die Hand zu bekommen, mit denen der Künstler arbeitet", er nimmt wahr, daß das künstlerische Problem erst beginnt, wenn die literarischen Quellen aufhören, er findet die neuen Begriffe seiner Betrachtungsweise ausschließlich durch primäres Sehen, 166

nicht durch primäres Denken. Sehend und beschreibend Erklären ist ihm wie Einatmen und Ausatmen. Diese vorbildliche Art künstlerischer Erziehung fand — begünstigt durch Adolf Hildebrands 1894 erschienene wesensverwandte Schrift über das Problem der Form — sogleich allgemeinen Beifall und Wölfflins erstes großes Buch „Die klassische Kunst" nicht nur in Deutschland eine nunmehr durch ein volles Menschenalter gesicherte Geltung. Diese Beziehung Hildebrands zu Wölfflin ist wohl zu bemerken, nicht zu unterschätzen, aber auch nicht zu überschätzen. Der gelehrte Bildhauer und der junge, mit starkem künstlerischem Ehrgeiz ausgestattete Gelehrte berührten sich gewiß in entscheidenden Fragen; im Prinzip aber ist Wölfflin über Hildebrand hinausgegangen, nicht, wie ihm vorgeworfen wurde, aus Sucht etwa nach einer mechanischen Zerlegung der Kunst, sondern im Besitz einer stärkeren und wohl auch mehr dem Allgemeinen zugewandten Vorstellungskraft. Gemeinsam mit Hildebrand teilt Wölfflin die Verehrung für das Werk des Hans von Marées, in dessen Gemälden er Züge einer seelischen Übereinstimmung finden mochte. Sein Eintreten für diesen Meister soll ihm besonders gedankt sein. *

Der Jüngling wollte, noch im Gymnasium, Architekt werden, scheint aber an seiner Begabung gezweifelt zu haben. Die sorgfältige Erziehung der Eltern mochte mitwirken, die ehrgeizigen Wünsche nur mehr als Liebhaberei zu behandeln. Im ersten Semester studierte Wölfflin im heimatlichen Basel, wo er von Jakob Burckhardt aufs freundschaftlichste unterwiesen und von Johannes Volkelt nicht immer im Einklang mit seiner eigenen frühzeitig gereiften und bereits selbständig aus der Anschauung der Dinge entwickelten Denkweise in die 167

Grundbegriffe der wissenschaftlichen Ästhetik eingeführt wurde. Nach München zurückgekehrt, konnte er die von Burckhardt empfangene, von der kulturgeschichtlichen Erklärung der Kunstwerke zu ihrer formalen Bedeutung überleitende Lehre auf dem Gebiete der neueren Kunstgeschichte nicht auf dem gleichen Wege wie in Basel ausbilden, weil ihm dazu weder der alte Wilhelm Riehl, der dieses Fach neben anderen populären Gegenständen für sich beanspruchte, noch der junge Privatdozent Richard Muther geeignet schienen. Infolgedessen setzte er seine philosophischen Studien fort, hörte bei Karl von Prantl Geschichte der Philosophie und bei Georg von Hertling Logik, außerdem noch bei Michael Bernays deutsche Literaturgeschichte und bei Heinrich von Brunn Archäologie, womit ein heilsames Gleichgewicht zwischen schöngeistigen und strengflüssigen Wissenschaften geschaffen wurde. Die von ihm eingereichte, von der Fakultät als „geistvoll und gut disponiert" beurteilte Dissertation „Prolegomena zu einer Psychologie der Architektur" ging wieder auf den Unterricht bei Volkelt zurück und suchte, in einem inneren Zusammenhang mit den im Seminar Brunns vernommenen, seinen längst gefestigten Ansichten nahestehenden Überzeugungen des ausgezeichneten Altertumsforschers, sein kritisches Verhältnis zu Volkelts Auffassung von räumlichen Gebilden mit einer sachlichen und durch Heranbringung von charakteristischen Beispielen auch künstlerisch gegebenen Verantwortung zu rechtfertigen. Diese Arbeit enthält schon die entscheidenden gesetzlichen Grundzüge des nachher von Wölfflin durch schärfste Präzisierung ausgebauten Systems. Daher besitzt sie eine bisher wenig beachtete Wichtigkeit. Die Befähigung für den treffenden Ausdruck (das FestGedrungene, das Elegant-Kräftige, das Haltlos-Schlanke) durch Zusammensetzung von Adjektiven, die viel später in den „Grundbegriffen der Kunstgeschichte" auf einem größeren Gebiete zweckmäßig und vollendet erscheint, 168

ist in einer überraschenden Stärke bereits vorhanden. Von Volkelts Untersuchungen ausgehend, bezeichnet Wölfflin „unsere leibliche Organisation" als „die Form, unter der wir alles Körperliche auffassen; dié Gesetze der formalen Ästhetik sind nichts anderes als die Bedingungen, unter denen uns allein ein organisches Wohlbefinden möglich scheint". Aus dieser These wird die Architektur bestimmt und aus dem Befinden des Menschen und seinem Verhalten psychologisch der Stil der zu seiner Zeit geschaffenen Bauwerke erklärt. Zwischen den Zeilen wagt sich eine warmherzige Empfindung hervor, frischer und leidenschaftlicher als nachher, Wölfflins Liebe zur Natur und zu den Bergen, seine stille Verehrung guter Musik. Die abgekürzte, logisch unanfechtbare Eindringlichkeit der sprachlichen Wendungen, die von vornherein jeden Widerspruch ablehnt, gibt der kleinen Schrift die verheißungsvolle, wenn auch schon einseitig wahrgenommene Richtung auf die künftige reiche Wirksamkeit. Vor dem ersten Aufenthalt in Italien entstanden, vor dem Beginn der Kenntnis des Werkes von Marées und des Verkehrs mit Hildebrand ist sie beweiskräftig genug, die durch Abkunft und Veranlagung vorhandene Eignung Wölfflins für die Aufstellung seiner systematischen Formulierungen als besonderes Kennzeichen seiner Persönlichkeit hervorzuheben, obwohl der geistige Treibstoff für seine Ausfahrt in die Wissenschaft aus verschiedenen Substanzen gemischt und aus manchen voneinander entfernten Lagern geholt worden war. Die philosophische Grundlage verblieb dem Kunsthistoriker fortan als ein gediegenes Instrument seiner Tätigkeit.

Zwei kleinere Schriften stehen zeitlich an der Spitze der nicht übermäßig langen Reihe der Bücher, die Heinrich Wölfflin verfaßt hat. In ihnen finden wir alle Vor169

zeichen der späteren Arbeit. Eine Studie über Salomon Geßner, den Schweizer Dichter, Maler und Ästhetiker, spürt den poetischen Grundformen der Geßnerschen Gedichte mit einer Genauigkeit nach, welche auch die kleinste metrische Eigenheit, insofern sie selbständig ist, erkennt und behandelt. Zur Habilitation einen „Versuch" vorlegend, mit dem Titel „Renaissance' und Barock" (1888), hat Wölfflin den italienischen Barock als selbständige Stilform der Klassik der italienischen Renaissance gegenübergestellt, um diese beiden Typen nach erfolgter Untersuchung über Wesen und Gründe des Stilwandels in ihrer Entwicklung mit entscheidender Rücksicht auf die Architektur zu verfolgen. Jedes Wort dieses Buches ist mit einer zähen Sachlichkeit ausgesagt und zugespitzt, und allein die persönliche Zuneigung an architektonische Einzelheiten verdrängt, selten genug, die genaueste Methode der künstlerisch-psychologischen Analyse. Freier, lebhafter, auch froher und klangvoller im Ton gehalten ist das bereits erwähnte erste große Buch „Die klassische Kunst" (1898, noch aus Basel). Die Werke der Meister der italienischen Renaissance werden systematisch besprochen, Quattro- und Cinquecento in einer Entwicklungsgeschichte des künstlerischen Sehens verfolgt, und der klassische Charakter des Cinquecento nach formalen, nicht aus der Stimmung der Zeit abgeleiteten Momenten erkannt. Dann ist das Buch über Albrecht Dürer entstanden (1905), „dessen Kunst wir so ganz anders sehen als das vergangene Jahrhundert". In seiner Einleitung hat Wölfflin, vielleicht sogar unbewußt, ein von Goethe immer wieder angewendetes Wort gebraucht, das ihn gut charakterisiert, indem er anmerkt: „über Dürer schreiben heißt von etwa 1200 Zeichnungen, Drucken und Bildern R e c h e n s c h a f t geben". E s ist also ein persönliches Verantwortungsgefühl, pädagogisch sich auswirkend, das Wölfflins Arbeitsweise vorzüglich bestimmt. Auch aus diesem Grunde wird er veranlaßt, sich immer vom Ein-

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zelnen dem Ganzen zuzuwenden, und in der Kunst Dürers mußten ihm, nachdem er die Kunst der italienischen Renaissance so einsichtsvoll dargelegt, die tragischen, in der nordischen Sehnsucht nach dem Süden vornehmlich verkörperten Widersprüche und Hemmungen deutscher Kunstgesinnung zunächst an einem ganz großen Beispiel sich offenbaren, um in dem Buche über Dürer die vorläufige, auf diesen Meister beschränkte Formulierung zu erfahren (Wölfflins scharfes Denken prüft also Schillers berühmten Brief an Goethe systematisch nach: „Wären Sie als Grieche, ja nur als ein Italiener geboren worden, so wäre Ihr Weg unendlich verkürzt, ja vielleicht ganz überflüssig gemacht worden. Schon in die erste Anschauung der Dinge hätten Sie dann die Form des Notwendigen aufgenommen, und mit Ihren ersten Erfahrungen hätte sich der große Stil in Ihnen entwickelt . . ."). Nach einer zehnjährigen Pause sind dem Buche über Dürer die „kunstgeschichtlichen Grundbegriffe" gefolgt, vielleicht das stärkste und einseitigste, gewiß das am weitesten ausgreifende und daher am meisten von den Gegnern befehdete Buch Wölfflins: „ E s muß eine Kunstgeschichte kommen, wo man Schritt für Schritt die Entstehung des modernen Sehens verfolgen kann, die in lückenloser Reihe zeigt, wie aus einem linearen Stil ein malerischer geworden ist, aus einem tektonischen ein atektonischer usw.". Die Wandlung der Kunst von 1400 bis 1800 wird in fünf „Kategorien der Anschauung" auf bestimmte Begriffspaare (hier Klassik, dort Barock) gebracht. In einer Untersuchung von außerordentlicher logischer Klarheit, mit einer höchst bezeichnenden Terminologie werden in einem „Abschluß" diese Begriffspaare gedeutet „im dekorativen und im imitativen Sinne", es werden die Richtungsunterschiede der künstlerischen Entwicklung gezeigt, es wird die These aufgestellt und bewiesen, daß zwar die Stilentwicklung eine einheitliche gewesen ist, daß aber innerhalb dieser Ein171

heit mit der Verschiedenheit der nationalen Typen zu rechnen ist. Abermals folgte nunmehr eine lange Pause, in der freilich einzelne Reden (eine vor allem bedeutungsvoll, in der Goethe-Versammlung 1926 über Goethes italienische Reise) ahnen ließen, womit sich Wölfflins reger Geist beschäftigte. Die Erwartung wurde nicht getäuscht, als „Italien und das deutsche Formgefühl" erschien (1931). Hier ist, wie schon angedeutet wurde, die Summe der eigenen Lebensarbeit von Wölfflin gezogen und mannhaft und herzhaft von ihm gesagt worden (was er noch 1 9 1 1 , „da die Begriffe der Kunstgeschichte noch zu wenig ausgebildet seien", von sich gewiesen hatte), wie sich die typischen Gegensätze der germanischen und romanischen Welt verhalten. Hier dürfen wir wirklich einmal mit einem allzu häufig gebrauchten Worte von „Welt-Anschauung" reden: „Mitten im Drang erhöhten schöpferischen Schauens erwächst die Begierde, die Welt noch in einer andern Art zu fassen." Abermals werden in Begriffspaaren die wesentlichen Unterschiede auf das sicherste charakterisiert, um hierauf das Problem als eine „grundsätzlich andere Wertung des Sichtbaren" zu empfinden, bei der das „verschiedenartig bedingte nationale Formgefühl entscheidet" („man hätte die fremden Vorbilder nicht aufgesucht, ohne daß ein verwandter Drang im eigenen Busen vorhanden gewesen wäre"). An vielen Stellen dieses Buches hat Wölfflin mit der Reife und Ruhe köstlicher Abklärung, in einem Buche, das wie kein anderes völlig unberührt ist von der Verwirrung der letzten dreißig Jahre (schon diese Tatsache zeichnet es überraschend aus), Worte der tiefsten metaphysischen Eigenart, er entwickelt in einer vortrefflichen Pflege der Sprache aus der Aufstellung des Problems, das durch vierzig Jahre bestimmend auf seine Denkweise und seine Forschung eingewirkt hatte, die sein Leben beherrschenden Ideen, Gebilden gleich, die sich in einer geistigen Synthese zusammenschließen. Die humanistische Ge172

.lehrsamkeit wird übertroffen durch das Bekenntnis einer individuellen Leidenschaft. *

Wölfflins Persönlichkeit steht gleich der des Erasmus von Rotterdam als die eines „homo pro se" schon heute fest in der Geschichte. Was in schöner Formung über Erasmus gesagt wurde, er habe „für seine Zeitgenossen gleichsam an der Orgel des menschlichen Ausdrucksvermögens eine Anzahl neue Register gezogen", gilt auch für ihn. Und wie die flüssige Darstellung des Erasmus gerühmt wird, so wird Wölfflins Sprache als vorbildliches Muster in einer Zeit schlimmsten Verfalls gepriesen sein, die Sprache Gotthelfs und Gottfried Kellers, an eigenwilligen und neuen Worten reich, voller Blut und Wärme (deren Eindämmung sehr zu Unrecht als Kälte aufgenommen worden ist), gehoben durch den häufigen Gebrauch von treffenden Bildern, deren lebensvolle Farbigkeit ganz ursprünglich und eine besondere Begabung Wölfflins ist. Nicht allein, daß er das kunstgeschichtliche Vokabularium um viele Bezeichnungen vermehrte, sondern daß er in der Sprache des Volkes als ein gelehrter Mann mit einem ausgesprochenen Einschlag in das alemannische Schweizertum zu reden versteht, ist das Sonderliche und Bewundernswerte. Schon wer in dieser Art und Weise seinem selbständigen Verhältnis zu künstlerischen Dingen Ausdruck zu geben vermag, Forscher, Lehrer, Künstler in einer Person, hat Anspruch darauf, nicht nur von seinen Schülern und Freunden, sondern von der ganzen Nation geehrt zu werden. Den Reichtum seines Lebens wird Wölfflin prüfend und sinnend am schönsten selbst eingeschätzt haben, und wer ihn genau kannte, mag sich vielleicht eines heimlichen Schmunzeins erinnern, wenn er einmal erwähnte, wie ihm ein hohes Glück zuteil wurde, „die großen schöpferischen Leistungen dort zu sehen, wo das Urteil derer sie gesehen *73

hat, die einer bestimmten Generation den Namen der Klassiker gegeben haben". Wölfflin hat wie wenige an sich die Wahrheit der Worte von Goethe erfahren, die Fähigkeit des Gewahrwerdens: „an den Gegenständen die Mannigfaltigkeit des Seins und Werdens und der sich lebendig durchkreuzenden Verhältnisse, an sich selbst aber die Möglichkeit einer unendlichen Ausbildung, indem er seine Empfänglichkeit und sein Urteil immer zu neuen Formen des Aufnehmens und Gegenwirkens geschickt macht". Diese getrennten Kräfte des menschlichen Erkennens nach i n n e r e m Gesetz in einer harmonischen Existenz vereinigt zu haben, ist gewiß Wölfflins wertvollste, weil seiner Persönlichkeit allein zugehörige Eigenschaft gewesen.

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LUDWIG

SPEIDEL

„.. . Speidel, dem aus dem Schwung eines Augenbogens, aus der Linie einer Schulter, aus dem beweglichen Glied des Fußes ein ganzes Menschenleben sich erschloß, der von Lebendigen gültig und gesetzmäßig zu reden wußte wie ein Arckäologe von Statuen." Hofmannsthal.

„Gewöhnlich glaubt der Mensch, wenn er nur Worte hört, es müsse sich dabei doch auch was denken lassen!" Diese vermutlich mit ironischer Absicht von Goethe niedergeschriebenen Verse erhalten einen nachdenklichen Sinn bei der Überlegung, wie viele Worte wir ständig gebrauchen, ohne über ihre Bedeutung oder ihr Entstehen Bescheid geben zu können. Täglich nehmen viele Tausende die Morgenzeitung zur Hand, überblicken sie, lesen sie durch, den politischen Teil, das Feuilleton . . . Die Überschrift des unter dem dicken schwarzen Striche befindlichen Teiles ist ihnen von jeher ein bekannter Begriff, das „Feuilleton". Fragen wir aber, woher der Name, woher die Einbürgerung des Fremdwortes in den deutschen Sprachgebrauch komme, so stottern sie und sind verlegen um die Antwort. Ist es nicht ein Zeichen mangelnder Aufmerksamkeit, sich zu begnügen mit seiner reinen Torheit der scheinbaren Kenntnis, nicht nur bei dieser von den Franzosen ausgeborgten Bezeichnung, sondern auch bei manchen anderen Äußerungen des Umgangs und Verkehrs, die wir im Munde führen? Dabei geben sie oft anregende Kunde kulturhistorischer Art, wenn wir ihrem Ursprung nachgehen. Und das Feuilleton hat sich doch in unserem geistigen Haushalt so fest eingebürgert, daß wir es trotz vergeblicher Übersetzungsbemühungen nicht entbehren kön175

nen. Es gehört längst der Literaturgeschichte an. Viele von unseren besten und beliebtesten Dichtern und Schriftstellern haben ihre Laufbahn begonnen mit einem „Feuilleton". Wie der Namen besagt, stammt das Feuilleton aus Frankreich. Das „Blättchen" wurde als Unterhaltungsbeilage, meist in kleinerem Format, der Zeitung beigegeben und enthielt im 18. Jahrhundert Aufsätze allgemeinen, wissenschaftlichen oder erzählenden Inhaltes in knapper Fassung. Der Verleger des Journal des débats, Julien Louis Geffroy, ein findiger Kopf, erweiterte zum 28. Januar 1800, welcher Tag als das Geburtsdatum des modernen Feuilletons zu gelten hat, das Stoffgebiet seines Blattes, um mit den periodisch erscheinenden Zeitschriften zu wetteifern. Sein Versuch wurde durch einen ungeheuren Erfolg belohnt und in allen Ländern nachgeahmt. Als dann Emil de Girardin, der Herausgeber der „Presse", vom 1. Juli 1836 an bekannte Autoren wie Alexander Dumas und Eugen Sue heranzog und ihre Romane in seinem Feuilleton veröffentlichte, womit er durch die Spannung auf die Fortsetzung der Geschichte von einem Tag zum nächsten die Neugierde der Leser anzureizen suchte, erreichte das Feuilleton, von ausführlichen Besprechungen über Musik, Kunst, Theater, neue Werke auf dem Büchermarkte ergänzt, eine Wirkung, die manchmal den politischen Teil noch übertraf. Es wurde zu einem weithin sichtbaren Forum, zu einer Stätte richterlicher Urteilsverkündigung, die den Geschmack des autoritätsgläubigen Publikums maßgebend beeinflußte. Berühmte Kritiker, Sainte-Beuve, Janin, Gautier stellten sich in den Dienst dieser Aufgabe und beherrschten durch ihre geschäftige Vermittlung die Meinung der Parteien. Das Feuilleton gewann im Laufe des Jahrhunderts eine Macht, die über die sonstige Enge der Journalistik hinausgriff und durch die in seinen Spalten veröffentlichten Beiträge für die künstlerische Entwicklung des Schrifttums nicht we176

niger wichtig war als für den Verlauf des gesamten öffentlichen Lebens, das sich in ihm spiegelte. Die Wiege des Feuilletons stand in Paris. Hier wurde der geistreiche, funkelnde, geschmeidige Stil zur Vollkommenheit ausgebildet, der das eigenartige, mitunter nicht unbedenkliche Kennzeichen seines Wesens gebheben ist. Die elegante Kühnheit der Redewendungen, die Beseitigung der Schranken, die bisher zwischen der Prosa und der Poesie aufgerichtet gewesen waren, die virtuose Handhabung der Form, die sich den witzigen Einfällen, mit dem reichen farbigen Bilderschmuck der Metaphern ausstaffiert, anpaßte und mit dem Gegenstande spielte wie mit einem Fangball, hatten an der Seine bald erstaunliche Fähigkeiten gezeigt, die nachzuahmen die hohe Schule der Erziehung zum Literaten forderte. War es hundert Jahre vorher bei der Herausgabe von Büchern gebräuchlich gewesen, von ihrer „Zubereitung" zu sprechen wie von einem guten Mittagessen, so kamen jetzt Vergleiche in Mode, welche gastronomische Rezepte und die Herstellung schmackhafter Feuilletons unter dem nämlichen Gesichtspunkte betrachteten. Wenn bei der Folge eines Menüs begehrt wurde, zwischen Fisch und Braten die leichte Kost eines mit allen erdenklichen Zutaten gewürzten Ragouts anzubieten, sollte nach der schwerverdaulichen Platte des politischen Leitartikels über dem Strich vor der pièce de resistance der dem biederen Bürger besonders angenehmen lokalen Nachrichten das Feuilleton unter dem Strich als abwechslungsreiches Gericht ebenfalls den Übergang schlagen. Das zutreffende Bild wurde bis ins kleinste ausgemalt : wie einstens die Pastetenbäcker der französischen Könige hohe Ehren genossen und fürstlich bezahlt wurden, dafür Terrinen servierten, die erlesene Mischungen köstlicher Speisen enthielten und aus ihrem Gehäuse nach Abnahme des Deckels Zwerge oder Kinder herausspringen ließen, die sich mit wohlgesetzten Versen vor dem Hofe verneigten, wollte man die Chefs der Gar12

Uhde-Bernays, M i t t l e r und Meister

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küche des Feuilletons preisen und geehrt wissen. Zwischen Feuilletage, dem Blätterteig der Pastete, und Feuilleton wurden die Wortspiele bis zur Ermüdung abgehetzt. Leider war auch in diesem Falle der Wunsch stärker als das Ergebnis. Denn die meisten der französischen Wortführer des Feuilletons, die ihren Klienten eine bekömmliche geistige Nahrung reichten, mußten an ärmlicher Tafel ihr Brot verzehren, und manche von ihnen haben die harte Fron bitter beklagt, die sie zwang, ihre Schaffenskräfte festen Terminen zu unterwerfen. Innerhalb des journalistischen Berufes war ein neuer Stand gleichsam ä la suite des Redaktionsstabes gebildet worden. Eine neue Art der schriftlichen Darstellung entstand, die eine angeborene, leichte und phantasievolle Begabung voraussetzte und selbst durch einen eisernen Fleiß niemals erlernt werden konnte. Die Kunst des Feuilletons bedurfte außerdem eines anderen Rüstzeuges, zierlicher und schärfer geschliffen als die Waffen des politischen Kampfes, und griff an Stelle des schweren Säbels nach dem spitzen Florett, das locker in der Hand lag und allen Bewegungen des Gelenkes gehorchte. Schwungvoll, hurtig und des Zieles sicher wie der Degenstoß eines guten Fechters mußte auch die Technik des guten Verfassers von Feuilletons sein. Aber das genügte nicht, um als solcher den höchsten Rang zu erreichen. Zu der schwierigen Wahl des anziehenden Themas war eine anmutige, auf den richtigen Ton bedachte Gesprächigkeit erforderlich, auch das Geschick der raschen Verwandlung, um durch die Maske, unter dem Mantel der Anonymität, ein neckisches Rätselspiel mit dem lieben Publikum zu beginnen. Nur auf diese Weise, unter den angegebenen Umständen, kann ein wirklich brauchbares Feuilleton geschaffen werden, und die Klage über seine Seltenheit ist nicht unberechtigt. Daß das Feuilleton, wie Ludwig Speidel sagte, die Unsterblichkeit nur eines einzigen Tages besitze, daß es 178

die Eintagsfliege auf dem Parnassushügel der Literatur sei, hat gelegentlich das Verantwortlichkeitsgefühl vermindert, auch manche wertvolle Arbeit untergehen lassen. Beide Schäden sind dadurch ausgeglichen worden, daß man zur rechten Zeit begonnen hat, die Spreu vom Weizen zu scheiden und Feuilletons in Sammlungen zu vereinigen, die sie zu einem nachträglichen Genuß ihres Inhalts und ihrer literarischen Eigenschaften neben ihrem historischen Charakter bestimmen. Anscheinend haben die klimatischen Verhältnisse einzelner Städte für das günstige Wachstum werdender feuilletonistischer Bannerträger und die Verbreitung ihrer Erzeugnisse einen besonders ergiebigen Boden abgegeben. Die leichte Muse, die in Paris die Wiege ihres munteren Sprößlings geschaukelt hatte, überflog mit ihm die Welt, aber am liebsten hielt sie sich an Orten auf, wo weiche Lüfte wehten, wo frohe Menschen zu Rebenhügeln und Blumengärten hinausblickten und ihr Dasein friedlich und glücklich genossen. In Deutschland fand das Feuilleton sogleich eine begeisterte Aufnahme. Deutsche Schriftsteller, mit Börne und Heine die Literaten des jungen Deutschland, Wienbarg, Mündt, Holtei, Laube, Gutzkow traten gleichberechtigt neben die Franzosen. Fast noch größer als dort zeigte sich, im Norden mehr als im Süden, der Einfluß des Feuilletons auf die gesellschaftlichen Verhältnisse und die allgemeine Bildung. Mehrere Zentren wurden begründet, nicht immer von langer Dauer, wo in abwechslungsreicher Reihenfolge bald wissenschaftliche Mitteilungen, bald belletristische Schilderungen nebeneinander standen. Kluge Verleger sorgten wie Theaterdirektoren für eine fortgesetzte, niemals nachlassende Aufmunterung ihrer Leser zu einer mehr oder minder anstrengenden geistigen Zimmergymnastik. In den verbreiteten Zeitungen meldeten sich trotz der unüberwindlichen Abneigung einzelner Professoren neben namhaften freien Schriftstellern auch angesehene Hochschullehrer, vor 179

allem bei aktuellen und programmatischen Fragen, zum Wort. Kleinere Blätter in entlegenen Provinzen wollten nicht zurückstehen im gemeinsamen Wettbewerb und veranstalteten Preisausschreiben für die beste Novelle oder den besten Essay. Gustav Freytag hatte in seinen „Journalisten" die ernste und die heitere Seite dieser Tätigkeit auf die Bühne gebracht. Nun gelangte im Laufe der Zeit endlich der verachtete Skribent zu einem anerkannten, durch Selbständigkeit und Freiheit der Äußerung ausgezeichneten Platze als Vorposten neuer Anschauungen. An der Spitze der deutschen Tageszeitungen, die sich unter vortrefflichen Leitern die Pflege des Feuilletons besonders angelegen sein ließen, haben durch viele Jahre die Frankfurter Zeitung und die Wiener Neue Freie Presse gestanden. Jeder Schriftsteller, besonders unter der jungen Mannschaft, empfand es als Ehre, von diesem Sprungbrett in die Gewässer der Publizistik zu tauchen. Während sich in Frankfurt eine Gemeinschaft gleicher untadeliger Gesinnung und vorbildlicher ethischer Haltung zusammenscharte, die über das ganze Reich ihre Fäden spann, hatte in Wien ein kleinerer Kreis, allerdings aus Männern von höchstem Range bestehend und auf die kulturell eingeschätzte Überlieferung einer reinen und schönen sprachlichen Form bedacht, sich zu einem Areopag eingesetzt, der würdig und unerschütterlich über den Abgründen thronte, die sich nach und nach zerstörend im Zeitungsbetrieb auftaten. Hier übernahm bei allen literarischen Angelegenheiten der Presse in mehreren Generationen eine Reihe von Persönlichkeiten die unumstrittene Herrschaft, die für die Entwicklung des geistigen, Lebens der Nation eine ideale, nur von führenden Staatsmännern in einem ähnlichen Umfang erreichte Bedeutung hatte. Zu den einheimischen Männern der Feder kamen die „Zugereisten", die in die müde weichliche Luft der österreichischen Hauptstadt starke belebende Kräfte herein180

trugen und aus dem unerschöpflichen vielfältigen Vermögen der Wiener Tradition ihr eigenes Kapital glücklich vermehrten. Drei wackere, vielseitig talentierte Söhne des Schwabenlandes haben den Ernst, die gedämpfte optimistische Lebensauffassung und die Empfindung für das Echte und Schöne in der Dichtung und der Kunst, gute Eigenschaften ihres Stammes, auch die energische, am Hergebrachten hartköpfig festhaltende Strenge der persönlichen Meinung aus ihrer Heimat nach Wien mitgebracht. Drei Meister der scharfen Beobachtung und der kritischen Leidenschaft, mit dichterischem Gefühl begnadet und, was bei ihnen am höchsten zu schätzen ist, bescheidene und dankbare Kinder der Natur: Ferdinand Kürnberger, Ludwig Speidel, Hugo Wittmann, der erste, aus Breisgauer Familie, schon in Wien geboren, die beiden jüngeren aus Ulm gebürtig. Sie haben sich unter dem Stephansdom wohlbefunden und die Verwandtschaft zwischen ihrer Abkunft und dem Wesen der beweglicheren Bewohner des Geburtsortes Franz Schuberts zu einem unlösbaren, von ihnen heilig gehaltenen Bunde geflochten. Der Verbindung naiven Humors und sentimentalen Weltschmerzes, die dem Typus des Wieners aufgeprägt ist, konnten sie sich nicht entziehen, mäßigten sie aber durch ihre innerlich gefestigte Wahrheitsliebe. Sie zogen zahlreiche Anhänger auf ihren Weg, ohne eine Schule zu gründen, die sich unter dem Vorzeichen ihrer Wirksamkeit bildete und einen selbständigen Stimmungsschlüssel für die leichte literarische Berichterstattung fand. Stoff und Darstellung wurden von der Grazie der persönlichen Form in einer phantasiefreudigen Herzenslust harmonisch zusammengewoben, die nur in Wien vorhanden war. Schon die älteren Vorläufer, Moritz Hartmann, Rudolf Wagner, Friedrich Uhl, hatten die höchsten Weihen journalistischen Dienstes empfangen. In ihrer fortschrittlichen liberalen Überzeugung wurden sie bei 181

der Reichsgründung durch die Abtrennung Österreichs nicht erschüttert. Ein bitteres Geschick verhinderte sie, am Abschluß der nach der mißlungenen Bewegung von 1848 einsetzenden geistigen Erhebung Deutschlands teilzunehmen. Unter den schwarz-gelben Fahnen blieben sie stolze Söhne ihres weiteren Vaterlandes und dabei treue österreichische Untertanen, in dem sympathischen Sinne einer unpolitischen Begeisterung, die nur Grenzen der Sprache, nicht der willkürlichen geographischen Festsetzung anerkannte. Das war zunächst trotz aller Skepsis Kürnbergers, aber ebenso Speidels und Wittmanns Devise. Aus den drei Schutzpatronen des Wiener Feuilletons muß Ludwig Speidel hervorgehoben werden, da er die edelste menschliche Erscheinung und die nach ihrem schriftstellerischen Profil am meisten anziehende, am tiefsten in die kulturelle Entwicklung eingreifende Persönlichkeit unter den Wiener Journalisten zwischen den Jahren 1855, wo er nach Wien kam, und seinem Todesjahr 1907 gewesen ist. Solange er lebte, hat er sich mit seiner schwäbischen Derbheit gegen eine Sammlung seiner Schriften gewehrt. Nach seinem Ableben aus überreichem Material in einer vier Bände umfassenden Auswahl zusammengestellt, hat sie aus den flüchtigen Schattenspielen, die in der Erinnerung an Speidels Kritiken und Skizzen bei seinen Freunden nur vag und undeutlich herumschwebten, plötzlich eine mächtige Gestalt hervortreten lassen, einen Autor, dessen Lebensarbeit sich ohne Furcht und Tadel dem Ertrag berühmter Männer vergleichen darf. Im Buche erst erweist es sich, ob das Feuilleton, das „den Tag dem Tage zu zeigen" willens ist, ein Anrecht auf eine dauernde Anerkennung erworben hat. Das ist mit einer überraschenden Deutlichkeit durch die Herausgabe der Schriften Speidels abermals bewiesen worden. Die innere Einheit ihrer Gedankenwelt läßt sich erst bei der zusammenfassenden Prüfung seines literarischen Nachlasses in 182

einer Abklärung wahrnehmen, die für die Freiheit eines hoch über dem Alltag schwebenden Geistes in einer ergreifenden Rührung zeugt. Zwischen den Zeilen des Buches blickt mit ruhigerer Vertraulichkeit als aus den flüchtigen Lettern des Zeitungsdruckes Speidels gütiges, Propheten- und Poetentum wundersam auch im Äußeren vereinigendes Angesicht hervor. Nicht anders, als ihn seine Freunde von seiner stillen Wohnung auf der hohen Warte — wie bezeichnend der Name! — herabkommen sahen, auf dem Wege zum Café Schwarzenberg, zum Griechenbeisel oder zum Winter-Bierhaus, zum Burgtheater oder zum Konzertsaal, ein wenig gebückt, ohne viel Aufmerksamkeit für den Anzug, schon zu heiteren Gesprächen gerüstet oder in Erwartung der bevorstehenden Aufführung, die schalkhaft schmunzelnden Lippen vom struppigen Barte umrankt, mit großen weitgeöffneten Augen hinter der Brille—nicht anders als in dieser wohlbekannten Figürlichkeit steht er wieder neben uns. Und doch in einer veränderten, der Fortdauer seiner Existenz geziemenden Haltung, einem Standbilde gleichend, das die Züge des wirklichen Lebens täuschend auf den Stein zu übertragen wußte und dabei den überirdischen geheimnisvollen Sinn des entschwundenen Lebens bewahrte. Von einem breiteren, ansehnlicheren Podium ertönt nun sein Wort. Er ist in die vorderste Reihe eingetreten, von der Seite seiner Gefährten in Wien fortgerückt auf eine Stufe, wo die kleine Schar der deutschen Meister des Feuilletons über dem Gewimmel der bunten Menge ihrer Epigonen sich der Sonne hellen Ruhmesglanzes erfreut. Speidel war in der Tat, wie Gustav Freytag und Theodor Fontane, wie auf einer anderen Ebene Otto Gildemeister und Hermann Grimm, ein berufener Erzieher unter den kritischen deutschen Schriftstellern. Der Gegensatz seiner Tätigkeit zu den gefeierten Franzosen wird sogleich bemerkbar, wenn wir an Georg Brandes und seine Nachahmer, an Gottschall, Paul 183

Lindau und seinen Einfluß auf das Berliner Feuilleton, an Fritz Mauthner, sogar an Karl Hillebrands ungewöhnliche Verdienste um den Essay denken. Die beiden Seiten des Feuilletonstils und seiner Technik, die sich gelegentlich gegenseitig aushelfen, werden nach dem Maß ihrer Abhängigkeit von den Pariser Vorlagen bezeichnet. Durch die künstlerische Behandlung des Stoffes zur Reife gelangend, beziehen sie ihre Kräfte aus zwei Richtungen. Sie werden geschaffen entweder aus dem Selbstzweck des l'art pour l'art oder aus dem schöpferischen Vollbringen einer Aufgabe, für die Speidel die Überschrift „produktive Kritik" gefunden hat. Das eine Mal steht der Verfasser wie auf einer Bühne da, ehrgeizig und selbstgefällig, das andere Mal bleibt er im Hintergrunde und überläßt seinem Publikum, mit den Kugeln zu spielen, die er ihm zugeworfen hat. Mit der Unterscheidung „objektiv oder subjektiv" ist's nicht getan, auch nicht mit der folgenden handwerklichen Betrachtung: entweder bewegt sich eine gärende, zuerst mit dem Antrieb der sämtlichen geistigen Motoren, die verblüffende, ausgefallene, paradoxe Gedanken erzeugen, laufende Masse, die von Schlacken gereinigt und von den Edelsteinen wohlgebildeter Worte und Wendungen eingesäumt wird — oder es ist eine geklärte, mit sachlichem Ernst alle Eigenschaften des Themas wie auf einer Goldwaage schätzende, erst mit dem Gewinn des letzten Resultates zufriedene substantielle Bewertung erreicht. Beide Formen des Feuilletons kämpfen also um den Vorrang. Besser läßt sich sagen, daß konservative und revolutionäre Elemente, Romantik, Impressionismus, Idealismus auf getrennten Bahnen nach dem Siegeskranze streben. Das deutsche Feuilleton hat die liebenswürdige französische Eleganz und die gedankenvollere Diktion, die von jeher diesseits des Rheines gepflegt wurde, bei sich aufgenommen. Die meisten unserer Autoren von Feuilletons und Essays sind jedoch westlich orientiert oder suchen, in ihren Darstellungen 184

dem fremden Muster seine Vorzüge zum Schmuck der eigenen Prosa abzugewinnen. Speidel wollte nur auf der einen Hemisphäre erfolgreich sein, obwohl er auch auf der anderen die Probe bestanden hätte. Sein Verdienst beruht vornehmlich auf den Grundsätzen, die ihm dazu den Anlaß gaben und an denen er festhielt. Er war ein Arbeiter von gediegenster Wissenschaftlichkeit, hatte nicht studiert, aber als Autodidakt erstaunliche Kenntnisse gesammelt. Hamann, Goethe, Jakob Grimm gehörten wie Homer zum Hausinventar. Auch entlegene Werke der Schule Hegels waren ihm vertraut. Dazu kam ein weit über dilettantische Beschäftigung reichendes germanistisches Wissen, das sich bis zu den Minnesängern ausdehnte. Wenn man in Speidels Zimmer eintrat, legte er ein Buch weg. Ein fleißiger, genauer, vorsichtiger Leser, empfand er durch das schwere Gepäck, das er sich auflud, keine Belastung. Als geborener Kritiker bewahrte er stets seine Selbständigkeit. Von ihm wurde mit Recht gesagt, daß er nicht schreibe, um sein Wissen in gefälliger Form mitzuteilen, sondern er habe seinen Besitz gesammelt und verwalte ihn, um vollendet schreiben zu können. Das ist eben seine kerndeutsche Art. Der Aufbau seiner Feuilletons und der Reiz seiner Sprache bestehen in der Einfachheit, mit der der Vortrag begonnen und in sanften Steigerungen weitergeführt wird. Die anheimelnde Erzählung, aus schwäbischem Stammesbewußtsein gespeist, bilderreich und geistvoll, vermeidet alle Seitenwege und Luftsprünge, indem sie bei der Sache bleibt, und erhält einen natürlichen Schliff, weil sie unmerklich den Stoff zum Kunstwerk gestaltet. Niemals wird sie hohl oder oberflächlich, um mit der ihre Einfalt geschickt überdeckenden säuberlichen Kunstfertigkeit zu prunken. Ihr Zauber wird vollständig erst durch ihre musikalische Lebendigkeit, die wie ein leiser Gesang alle Perioden des Speidelschen Satzbaus durchdringt, und durch ein weiches, von den guten Göttern des Wiener Waldes beschirmtes Ge185

fühl für die auch im kleinsten Zweig und im unscheinbarsten Vogel sich offenbarende Schönheit der Welt. Wir werden immerfort gemahnt, daß wir einen Landsmann Eduard Mörikes vor uns haben, dessen Dichtungen durch die Weisen Hugo Wolfs die schönsten Träume der Harmonie verwirklichen. Auch in Speidels Adern floß echtes Poetenblut, das zu bestimmten Zeiten des Jahres, vor allem zum Weihnachtsfeste, überströmte und die beglückendsten Kundgebungen seines Herzens mit warmem Lebenssaft tränkte. Die großen und kleinen Kinder von Wien warteten begierig auf das Feuilleton Speidels zum 25. Dezember, in dem der grillige Sonderling die Schatzkammer seines Besitzes öffnete und in abwechselnder Wahl seine Gaben unter dem geschmückten Christbaume ausbreitete. Da wurden vor allem die entzückenden Wiener Frauen bedacht, deren Zuneigung dem vielgeplagten Theaterreferenten niemals lästig wurde, nicht nur die Damen der Gesellschaft und die Gattinnen ehrbarer Bürger, auch den alten Jungfern wurde einmal ein Geschenk gewidmet, das, „Einsame Spatzen" genannt, jenen armen Geschöpfen eine wehmütige Bescherung brachte. Dem weiblichen Geschlecht mit einem feinsinnigen Künstlertum zugetan und mit einem ungemeinen Verständnis für seine Vorzüge und Schwächen begabt, war Speidel fähig, Aufsätze über den Umgang mit Frauen, über ihr Wesen, über berühmte und unberühmte Künstlerinnen zu schreiben, einfache Episoden aus der Welt des Adels und des Bürgertums in einem freundlichen Bilde zu wiederholen, Gelegenheitsdichtungen unvergleichlicher Art, die ihn zum Liebling von ganz Wien gemacht haben. Als „Fanny Elßlers Fuß" erschien, eine kurze novellistische Plauderei über den Gipsabguß des Beines der lange verstorbenen Tänzerin, staunte selbst der geübteste Journalist über diese gemütvolle Geschicklichkeit, die tote Reliquie durch die Macht der Phantasie aus der starren Unbeholfenheit aufzuwecken. 186

Das ist ein Juwel unter den heiteren Wiener Stadtgeschichten. Daran schließen sich Skizzen mit einem leichten melancholischen Zwischenakkord („Ohne Mütter", „Die Kunst arm zu werden") und die herzlichen Nachrufe auf Helene Hartmann und Charlotte Wolter. Damit berühren wir schon das eigentliche Gebiet, in dem Speidel durch seinen Beruf als Kritiker ständig beschäftigt war. Die schwierige Aufgabe, über die Vorstellungen des damals auf der höchsten Höhe angekommenen Wiener Theaters zu berichten, die Neueinstudierungen und Novitäten, das Auftreten von fremden Gästen zu besprechen, hat er in einer Weise gelöst, die der Bedeutung der einzelnen Ereignisse wirklich gerecht wurde. Nicht allein der Inhalt der Stücke wurde mit einer gewissenhaften, von Pedanterie weit entfernten Anschaulichkeit wiedergegeben, mit knappen Glossen erläutert und auf die Lampenprobe hin untersucht. Speidels Aufmerksamkeit richtete sich stets auf die Einhaltung der Gesetze des Bühnenspiels mit ihren wandelbaren, von überlieferten zu modernen Ansprüchen übergehenden Regeln, die infolge der Inszenierung und besonders der verschiedenen Auffassungen der Schauspieler nicht grundsätzlich verändert, aber innerhalb des vom Dichter geschaffenen Rahmens nach persönlichen Erkenntnissen ausgelegt wurden. Er bewahrte sich eine weitgehende Unabhängigkeit von den Lehren der Technik des Dramas, die er von den griechischen Tragikern bis zu Grillparzers letzten Werken ernsthaft durchstudiert hatte, und verband damit die für den Berichterstatter unerläßliche Empfindung des Augenblicks, des bei jeder Aufführung neuen Eindrucks, den er durch die Vergleichung zwischen der Tradition und der Stimmung des Abends kontrollierte. Ihm waren das scharfe Auge und das hellhörige Ohr verliehen, beides wesentliche Prüfsteine des realen Verhältnisses zwischen dem Theater und seiner Beurteilung. Ergab der farbigen Welt der Kulissen und ihren Dienern, was ihnen gebührte, 187

bejahte ihren Willen, dessen Gleichberechtigung mit den Vorschriften des Dichters ihm mehr war als lediglich eine Vermittlung, und erhob das Ewig-Lebendige über jede Theorie. So ehrte er den Stand der Schauspieler und blieb immer ihr dankbarer, bescheidener Zuhörer. Deshalb sind seine Kritiken Muster einer objektiven Betrachtung, die sogar in jenen guten alten Zeiten einer von den grotesken Eiertänzen desTheaterreferates freien Epoche unübertroffen waren. Speidels Liebe galt also der Darstellung, der Interpretation der Rolle, der Rede auf den Brettern, der Geste, dem Ausdruck, der Leidenschaft. In ähnlicher sinnlicher Gegenwärtigkeit und mit übereinstimmender Treffsicherheit des Wortes hat der Philosoph Friedrich Theodor Vischer, auch er ein Schwabe, über das Mienenspiel der Menschen in seiner Ästhetik geschrieben und willkürliche und unwillkürliche Bewegung, also Konvention und Symbolik unterschieden. Speidels Praxis geht Vischers Erörterung Schritt für Schritt nach. Die schönsten Aufsätze suchen dem Leser die Verwandlungskunst des Schauspielers durch eine unnachahmliche, bis in die letzten mimischen und psychischen Eigenschaften eindringende Spürkraft so anzunähern, daß er mit eigenen Augen zu sehen glaubt, was ihm erzählt wird. Die Gestalten von vielen anerkannten Bühnengrößen sind dank der liebevollen Nachzeichnung Speidels wie natürliche Menschen von Fleisch und Blut erhalten geblieben. Die Künstler der Burg, Sonnenthal und Lewinsky, Mitterwurzer und Kainz, neben ihnen Julie Rettich und Charlotte Wolter, Fräulein Barsescu, Frau Hohenfels, die Heroen und Heroinen des Inund Auslandes, Rossi, Salvini, Coquelin, Sarah Bernhardt ziehen in ihren Hauptrollen an uns im Festzuge vorüber. Der überzeugte Individualist verneigt sich vor jeder geschickten Einzelleistung, weshalb er die Meininger mit kühler Höflichkeit ablehnt, obwohl sie ihm zu einer ausführlichen prinzipiellen Anweisung über den 188

relativen Wert der Regie von Massenszenen und Gruppenbewegungen Anlaß gegeben haben. Speidel war ein sicherer Beobachter, der sich nicht blenden und von äußerlichen Effekten verführen ließ. Grimmig und spöttisch rückte er jeder Routine, jedem Raffinement zu Leibe und wies den rollenden Donner des Mannweibes Clara Ziegler, die falsche Heldenpose Ludwig Barnays, die „papierene Krone" Possarts weit von sich. Aus den Schnitzeln solcher Kritiken könnte eine Wiener Dramaturgie zu Nutz und Frommen aller Theaterdirektoren, aus vielen Splittern der gedankenvollen Bemerkungen Speidels ein kleines ästhetisches Handbuch zur Geschichte der deutschen Schauspielkunst geschaffen werden. Speidel durfte von seinen Feuilletons wie vom Theater sagen: „Was glänzt, ist für den Augenblick geboren, das Echte bleibt der Zukunft unverloren." Als Sohn eines Tonkünstlers und Bruder eines Komponisten selbst ein guter, mit dem Handwerkszeug wohlgeübter Dilettant verstand Speidel die Musik aus dem Grunde. Sie war ihm ein Bedürfnis wie das Marschieren im Freien. Seine Götter waren Mozart, Beethoven und Schubert. Zu Brahms und Wagner hatte er keine Beziehung. Bruckners Werk empfing erst nach langem Zögern eine endgültige Zustimmung. In seinen Musikkritiken, die er im „Fremdenblatt" veröffentlichte, hielt sich sein Urteil an die Wiedergabe und die Frage nach der Befolgung der Angaben der Partitur. Meist begnügte er sich, bei den Werken der von ihm geschätzten Komponisten seiner Verehrung Ausdruck zu geben. Kammermusik und Orchesterstücke bevorzugte er vor Opern. Wurde einem seiner teuren Meister in Wien ein Denkmal gesetzt, flugs war Speidel zur Stelle und untersuchte, ob der Bildhauer das Rechte getroffen habe, mit physiognomischen Aufschlüssen und psychologischen Erfahrungen. Auch wurde es ihm zur frohen Erholung nach anstrengender Arbeit, sich mit Beethoven und Schubert auf einen Spaziergang zu begeben und sie 189

in Heiligenstadt und in der Höldrichsmühle als Begleiter mit tiefen Einblicken bei ihrer Wanderschaft durch die Gefilde der Töne und der Natur zu betrachten. Diese Studien reichen an Adalbert Stifters feine und zarte Kunst heran. Speidel hielt sich gerne an die Volkstümlichkeit von Haydn und Mozart, von Beethoven und Schubert, die in Wien ein Bestandteil der Tradition blieb und schilderte die Schöpfer der Pastorale und der Lieder von der schönen Müllerin nach seiner Gewohnheit als einfache Menschen. Seine Dankbarkeit für die himmlischen Klänge der Musik verschmolz sich mit seiner Liebe für die Umgebung von Wien. Selten ist Speidels Rede so jugendfrisch und hinreißend in ihrer behaglichen Breite wie bei solchen Ausflügen, wo ihm vor lauter Wonne das Herz aufgeht und ihm in der Weinlaube ein guter Tropfen winkt. Nicht weniger herzlich plaudert er über seinen Verkehr mit befreundeten Malern, Rahl und Feuerbach, dessen angebliche schwermütige Veranlagung durch die ihm listig auferlegte Hinwendung zu heiterem Scherz ein wenig gedämpft wird. Dieser Umgang hat endlich eine muntere Stimmungsszene am Stammtisch erschaffen, bei der Lobreden einer gesunden Zecherei echt germanischen Ursprunges gehalten werden. Ein goldener Humor überstrahlt solche Dokumente, die wie Aufzeichnungen eines Tagebuches gelten. Aus allen Ecken des rauchigen Herrenstübchens schaut der Dichter Speidel heraus. Den Kritiker, der eine unüberwindliche Scheu vor dem Federhalter und dem Tintenfasse niemals verlor — die beste Eigenschaft des seiner Verantwortung sich bewußten Journalisten —, hat man wegen seiner Abneigung gegen eine selbständige dichterische Tätigkeit gescholten. Mit Unrecht. Speidel kannte die Grenzsteine seines Arbeitsfeldes. Schon bei seinen größeren literarhistorischen und philosophischen Aufsätzen, so trefflich die Form und so zuverlässig auch die innerliche Beglaubigung des Gegenstandes sein mag, ist er anderen 190

Schriftstellern gewiß gleichberechtigt, aber nicht mehr original oder originell. Einzelne Ausnahmen beseitigen diese Feststellung nicht. E r hat sich mutig und offen zu der Partei der freien Geister gezählt, über Spinoza, Rousseau, Moses Mendelssohn, Börne und Heine verständige Ansichten geäußert, die ihm oft verdacht wurden. Also gesellt er sich zu dem großen Kreise der deutschen Schriftsteller, für die das Jahr 1848 und die von ihnen beklagten Folgen der mißlungenen Reichsgründung zu Richtpunkten ihrer Ansichten geworden sind. Auch Speidel war ein Vorkämpfer für menschliche und geistige Freiheit nach dem Beispiel der deutschen Klassiker und als ein Nachzügler der Hegelschule erfüllt von jenem Idealismus, der damals die Grundlage einer allgemeinen Bildung gewesen ist. Wenn er sich widerwillig an den Schreibtisch setzte, nachdem er sein Opus längst bis zum letzten Satze im Kopfe ausgetragen hatte, niemals Korrekturen las und nicht mehr ansah, was er geschrieben, richtete er doch sein Augenmerk auf die Gegenwart und die Zukunft und wollte als Priester einer verklärten Vergangenheit gleichzeitig ein Anwalt kommender Zeiten sein. Wie er angehende Talente der Bühne bei ihren Gehversuchen ermutigte, brachte er auch jungen Malern, deren Erstlinge Widerspruch gefunden hatten, sein Wohlwollen entgegen. Wilhelm Leibi und Fritz von Uhde haben durch ihn eine beglückende Aufmunterung erfahren. Der anerkannte Kritiker, der Ibsens Schauspiele als revolutionäre Vorzeichen einer Wandlung des Theaters ansah, ging mit der Avantgarde und alterte nicht, nachdem er die Schwelle des Greisenalters überschritten hatte. Denn er stand über den Dingen, die er weise und verständlich in seinen Feuilletons mit der gestaltenden Kraft des Dichters vortrug, da er innerlich mit ihnen zusammenwuchs. Er war sofort bereit, sich als Katholik bei den Jubiläumsfeiern von Luther und Zwingli mit langen Festartikeln zu beteiligen. Was ihn auszeich191

net, ist das Fehlen der Manier, das Ethos der Darstellung. Jede Wendung seines Stils berücksichtigt die jeweiligen charakteristischen Bedingungen des Themas. Das ist höchste künstlerische Meisterschaft. Der wackere Schwabe war ein richtiger Wiener Bürger geworden. Bekannt und geehrt wie wenige, wurde er einer der würdigsten letzten Träger der alten österreichischen Kultur, die während der Regierung des Kaisers Franz Josef I. ein gesegnetes Selbstbewußtsein und in ihrer politischen Sonderstellung eine eigentümliche europäische Verpflichtung zusammenfaßte. Speidel bewohnte die Kaiserstadt als der beste Repräsentant der Wirkung des journalistischen Einflusses auf die Bevölkerung. Mit dem Monarchen und dem Hofe, mit Constantin Hohenlohe und Pauline Metternich, mit Marie von Ebner-Eschenbach und Ferdinand von Saar, Makart und Tilgner, Billroth, Nepomuk Berger und Bertha von Suttner hat auch er an der großen geistigen Bewegung teilgenommen, in der sich zum letzten Male eine Anzahl von hochstehenden Menschen in Wien zusammenfand. Die Welt war noch für einen Abend ihr Eigentum; sie wollten ihn nutzen, diesen Abend. Der Genuß des Daseins war für diese Aristokraten eine natürliche Entfaltung wahrer Menschlichkeit. Sie verschwanden von der Bühne, als ihre Zeit erfüllt war, wie Blumen, die dahinsterben, wenn eine dunklere Sonne scheint. Speidels Gedächtnis hat Alt-Wien überdauert. Aus den vier Bänden, worin seine Aufsätze gesammelt sind, bestimmt sich ihr Inhalt zur Erziehung des kunstreich vollendeten Feuilletons. Eine Schule hat er, wie gesagt wurde, nicht hinterlassen. Indessen verband sich die Art und Weise seiner Mitteilung nach und nach mit dem Metier, das von dem Wiener Nachwuchs gehandhabt wurde. Speidel nachzuahmen war unmöglich. Wie durch einen leichten Filter drangen die Säfte seines Schrifttums in die nicht immer seinen Wünschen gehorsamen 192

Sätze der späteren Generation ein und vermischten sich, sogleich kenntlich und auffällig durch ihr Aroma, mit den Sentenzen einer überklugen Literatensprache. Auch in dieser fremden Atmosphäre wurde sein Andenken hochgehalten. Felix Saiten, Ludwig Hevesy, Carl Kraus, Alfred von Berger, Hugo von Hofmannsthal haben ihm gehuldigt. Die unmittelbare Kraft des Feuilletons von Speidel erneuerte sich in einer verwandten Form in München, bei Josef Hofmiller, der als Allgäuer ein Stammesgenosse Speidels gewesen ist. In Hofmiliers schöpferischer Ausführung, mit der er den Essay inhaltlich und technisch zu einem abgerundeten Kunstwerke bildete, in der Gliederung der Perioden, dem Temperament des Aufnehmens und Wiedergebens, der sprudelnden Laune, der begeisterungsfreudigen Stimmung seiner Schriften erkennen wir eine ebenbürtige Haltung. Auch die persönlichen Eigenschaften stimmen überein: die musikalische Anlage, die poetische Ader, die Wanderlust, die Freude an Büchern und am Bechern. So reichen sich die beiden Klassiker des Feuilletons, die Deutschland besitzt, als gute Gefährten die Hand.

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Uhde-Bernays, M i t t l e r u n d Meister

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J O S E F HOFMILLERS B R I E F E „Von bedeutenden Männern nachgelassene Briefe haben immer einen großen Reiz für die Nachwelt. Sie sind gleichsam die einzelnen Belege der großen Lebensrechnung, wovon Taten und Schriften die vollen Hauptsummen vorstellen. Besonders gibt es Menschen, die sich mehr in Briefen als sonst zu schildern bestimmt sind." Goethe.

Der erste

Band

K o s t b a r e BriefSammlungen, die von dem Wesen und der Eigenart hervorragender Persönlichkeiten Entscheidendes aussagen, lassen sich niemals in die dunkeln Räume armseliger Kategorien einzwängen, nicht nach einem abgegriffenen Schema in einzelne Bestandteile zerlegen, um mit einer vorgeblichen sachlichen, kühlen Kritik beurteilt zu werden. Solche Äußerungen von angesehenen Dichtern, Schriftstellern, Künstlern, von Feldherren und Staatsmännern, deren Gehalt einer dankbaren Nachwelt überliefert zu werden würdig war, erheben sich häufig zu einer empfindungsvollen Einsicht ihrer vorzüglichen menschlichen Eigenschaften, die über das Maß der aus ihren Werken und Taten zunächst im historischen Sinne erreichten Kenntnis ihrer öffentlichen Wirksamkeit hinausgreift. Stets wird, nach dem Ausspruche Goethes, dem „Menschen immer der Mensch am interessantesten sein", vor allem wenn es gelingt, die verhüllende Decke einer nur literarischen Vorstellung von ihm zu entfernen und ihn in seiner innerlichen Durchsichtigkeit wahrzunehmen. „In natürlicher Freiheit vom Herzen abgelöste" Briefe sind die edelsten Dokumente augenblicklicher, zumeist schöpferischer Impulse. Briefe können unlösbare Rätsel überliefern, in welche einzudringen vergebliches Bemühen 194

bleibt. Briefe können Geheimnisse offenbaren, um die zu wissen wundervolle, ewig lebendige Schönheit und Wahrheit aus tiefen Schächten sinnlicher und seelischer Übereinstimmung heraufholen heißt. Sie können Schicksale künden. Man hat den Versuch unternommen, zu scheiden zwischen Schriftstücken, die als Proklamationen an die Zukunft sub specie aeternitatis, und Schreiben, welche „mit Ausschluß der Öffentlichkeit" als das Band zwischen dem Absender und dem Empfänger gelten sollen, und hat offizielle und intime Niederschrift grundsätzlich getrennt. Zwischen diesen beiden Polen der gewahrten Willensmeinung sind zahllose Spielarten und Abschattierungen der charakterisierenden absichtlichen oder zufälligen Motive aufzuspüren. Alfred de Vigny hat einmal angemerkt, daß jeder Brief, der aufgehoben zu werden verdiene, das genaue Ebenbild zweier Menschen wiedergebe. Aber wie unendlich weit ist doch die Entfernung zwischen den Höhen des Geistes oder den Abgründen der Seele und der dürftigen Realität der schriftlichen Festlegung, bei welcher die herrlichsten Vorahnungen sich unter den unbarmherzigen Qualen des Federhalters verflüchtigen und verblassen! Wohl gibt es seltene Blätter, die wie beglückende Dichtungen als holde Gespinste träumerischen Umganges mit einem nahen Gefährten erscheinen, deren Zeichen mit frischem, warmquellendem, rotem Herzblut geschrieben sind, Monologe, deren musikalische Schwingungen zwischen den Zeilen gefunden werden. Sie gehören zumeist vergangenen Zeiten an, nicht der heutigen Welt, in der zum Schreiben von Briefen nur Wenige, Auserwählte, begnadet wurden. Denn auch diese Kunst muß als Gabe der Götter, die uns lieben, in unsere Wiege gelegt und sorgsam gepflegt werden. Ein langer Weg führt von Francesco Petrarca, der als der erste moderne Briefsteller gerühmt wird, über die Renaissance hinaus zu den Gefilden unserer klas195

sischen Literatur und den großen Franzosen des 18. und 19. Jahrhunderts. Wir Deutschen haben, seitdem Winckelmann und Hölderlin ihre Bekenntnisse und Deutungen der einen, Goethe, Schiller und Humboldt ihre Mahnungen und Weisheitssprüche der anderen Seite der Weltverwirrung oder Herzensirrung zugewandt niedergeschrieben haben, in Bismarck, Gottfried Keller, Theodor Fontane Meister brieflicher Mitteilungen freudig anerkannt und die kunstvollen Gewebe der Briefe Hofmannsthals und Rilkes bewundert. Mit überraschender Vielseitigkeit bieten sich Zeugnisse erhabener Prägnanz und freundlicher Gelegenheitsstimmung dar, eine ausgezeichnete Mischung entgegengesetzter und doch verbundener Elemente. Daß nunmehr auch Josef Hofmiller mit seinen Briefen in diesen erlesenen Kreis eintritt, bestätigt den hohen Rang, den der ausgezeichnete Kritiker und Essayist einnimmt. Die Herausgabe dieser Briefe wird der großen Zahl seiner Verehrer eine willkommene Gabe, den alten'Freunden, die sein Schrifttum hoch schätzen und seines Umganges dankbar sich erinnern, ein gutes Zeugnis dafür sein, daß dieses wahrlich in schwerer Zeit erfüllte Leben der Mühe wert war, im Wechsel von Freude und Leid harmonisch, den Blick auf die höchsten Güter der Menschheit gerichtet, gelebt zu werden. *

Hofmiller trägt einen Teil der Schuld daran, daß dieser Anzeige eine ausführliche Einleitung vorangeschickt wurde. Seine Gepflogenheit, bei Rezensionen aus dem Allgemeinen die Linie zum Besonderen hinzuführen, verlockte, einmal bescheidentlich seiner Spur nachzuschleichen. Wer im Verlaufe eines Menschenalters, von der Jahrhundertwende bis zu Hofmillers Tode im Herbst 1933, seine Veröffentlichungen ausnahmslos als Muster deutschen Prosastils ansah, mußte, 196

von dem hohen Fluge der in ihnen enthaltenen Gedanken und dem Reichtum dieser geistigen Welt ergriffen, zur Gefolgschaft dieses kundigen Interpreten berufen werden. Allerdings unter manchen Voraussetzungen. Es war Hofmillers Stolz und Stärke, daß er sich mit dem vollen Selbstbewußtsein seiner Abstammung als Allgäuer und Süddeutscher zu einem Pionier der von der Mißgunst des damaligen Berliner Literatentums betroffenen Münchener Sondervorrechte aufwarf und mit bitterem Hohn und leidenschaftlichem Temperamente für München gegen Berlin kämpfte. In seiner Abneigung ging er soweit, daß er sich niemals zu einer Reise nach Norddeutschland entschloß. Er hat einmal nur Frankfurt und das Goethehaus besucht. Als ihm eine Professur an der Universität Köln angeboten wurde, erwiderte er: „Ich bin nun einmal ein eingefleischter Südbayer und glaube bestimmt, daß ich es so weit weg vom Gebirg, von unseren Seen, von unserem ganzen Vorland nicht aushielte. Ich war jetzt wieder am Chiemsee, in Trostberg, im Rupertiwinkel, und habe wiederum Tittmoning, Burghausen, Laufen gesehen, und war zweimal auf einige Tage in dem allerschönsten Salzburg —- das alles unerreichbar weit entfernt zu wissen hielte ich nicht aus, ich würde krank vor Heimweh . . ." Dieses wilde und ungestüme Draufgängertum hätte schwächere Charaktere in bedenkliche Verlegenheiten gestürzt. Aber Hofmiller überließ sich nur selten, wenn ihn ein reckenhafter Zorn befiel, im Rausche des Idealismus dem Ansturm seiner schönsten, aber gefährlichsten Eigenschaft. In seiner Gesinnung unerschütterlich fest verankert, hatte er sich an den besten Beispielen der deutschen Literatur, bis weit zurück in das Mittelalter, eine Art Ehrenkodex als gestrenge Regel seines kritischen Amtes aufgestellt. Da gab es kein Drehen und kein Deuteln, gab es bei diesem allem Kompromißwesen feindlichen Kläger auf dem Forum der Presse kein an197

deres Wort außer einem aufrechten Ja Ja und Nein Nein. Dort und hier hatte also der Jüngere dem Älteren zu gehorchen, was selbständigen Naturen, die Hofmiller ebenso achtete wie jeden begründeten Widerspruch, leichter fiel als abhängigen Skribenten und Dilettanten. Die Grundlinie mußte stimmen, im einzelnen konnte man sich verständigen. Vom Tabak und Pfeifenstopfen, den leichten offenen Schoppenweinen und blumengeschmückten Dorfgasthäusern, vom Wandern in den Bergen und den Wallfahrten in die alten Städte, zum bayerischen Barock in Ottobeuern und der Wies, zu Goethe, Stifter, Keller, Fontane, zum Meier Helmbrecht und dem Parzival, dann weit über die Grenze hinaus von den altfranzösischen Chansons und Troubadourgesängen bis zu Stendhal und Taine war die verständnisvolle Lehenstreue Vorbedingung seiner rührenden freundschaftlichen Herzlichkeit. Kam noch die Übereinstimmung des musikalischen Geschmacks hinzu, von der Kirchenmusik des Palestrina über Gluck und Mozart bis Bruckner und Verdi, so war eine unauflösliche Gemeinschaft verbürgt. Dann trafen die prachtvollen kurzen Blätter und Postkarten ein mit ihren wichtigen Empfehlungen rauchbarer Zigarren und eben entdeckter Weinkneipen, mit ihren knappen Hinweisen auf Altertümer, Kunstwerke, Buchläden, ihren Eindrücken von kleinen Ausflügen und Berichten von Zusammentreffen mit Bauersfrauen und anderen einfachen Menschen, die Hofmiller wie Theodor Fontane höher schätzte als übersättigte städtische Bildungsphilister. Nun hat Hofmillers Witwe in kluger Auswahl das Erreichbare gesammelt. Mit einer unmittelbaren Gegenwart blickt sein Bild aus jeder Seite auf den Leser, vor allem weil nicht ein einziger Satz der Briefe auch nur im entferntesten von der hemmenden Überlegung späteren Abdruckes gebunden ist. Die Veranlagung, das „Rückgrat einer unverbrauchten Mundart" war Hofmiller als Erbgut seiner Vorfahren geschenkt worden, 198

mit dem er weise hausgehalten hat. Es gab seiner Sprache das Gerüst, die Festigkeit der Struktur. Fast ist es verwunderlich, daß ein moderner Humanist, dessen Belesenheit sogar in einer Epoche auffällt, in der im Gymnasium eine umfassende Kenntnis der deutschen Dichtung als Basis der künftigen Ausbildung selbstverständlich war, sich niemals an bewunderte Vorbilder hielt. Er schrieb, wie er schreiben mußte, ein klares gutes Deutsch, dessen Besitz, auch wenn es von grammatikalischen Fehlern begleitet wäre, Jakob Grimm die notwendigste Eigenschaft des deutschen Schriftstellers nannte. In seinen Briefen wie in seinen Aufsätzen tummelt sich eine „schnabelgewachsene Prosa" in frischer Natürlichkeit des Ausdrucks und Satzbaus, ohne künstlerische Verzierungen, mit gleichmäßig im Tonfall gehaltenen abwechselnd in Länge und Kürze eingeteilten Perioden. Ein bewegtes Allegro con brio trägt das Tempo. Jedes Wort sitzt genau an seiner rechten Stelle. Er ist stets seinem eigenen Rat gefolgt, indem er das Fortlassen der Füllwörter empfiehlt, damit der Stil „etwas Vornehmes, eine gewisse Strenge des Konturs bekomme". So empfängt neben der Ursprünglichkeit einer lockeren, spritzigen Handschrift die Diktion eine an viele einstmals mit Hofmiller geführte Gespräche erinnernde lebensvolle Wahrheit der aus dem Wert der Persönlichkeit über den Augenblick hinaus zur fortdauernden Geltung gelangenden Anrede. Bilderreiche, durch kraftvolle Anschaulichkeit des Vergleichs ausgezeichnete Bemerkungen setzen in die berichtende Meldung die anregenden Akzente der Erzählung. Über allen Briefen schweben eine hinreißende Güte, eine durch den Verzicht auf materielle Vorteile beglückte Zufriedenheit und Bescheidenheit und als leuchtende Kronen ein schlagender, nicht immer ganz harmloser Witz und eine antike, horazisch anmutige lebenskünstlerische Weltbetrachtung. Das „integer vitae" ist eingemeißelt über der Eingangspforte dieses Daseins neben dem Wahl199

Spruch Paul Heyses, den Hofmiller oft für sich und seine mutige unabhängige Hingabe an seine Arbeit angeführt hat: „Wer auf sich selber ruht, steht gut". Der erste Band der Briefe Hofmillers reicht bis zum Jahre 1921, umfaßt also eine Zeitdauer von dreißig Jahren. Drei Einteilungen seien gestattet : Jugendbriefe, politische Briefe, besser: Briefe während der Dauer des Weltkrieges, und Briefe an seine Braut. Ihren Einsatz, ihren Inhalt und ihre Form nach den unterscheidenden Merkmalen auseinanderzuhalten ist höchst anziehend. Schon die ersten drei langen und schmerzlichen Herzensergüsse, an den Jugendfreund Hermann Kerschensteiner gerichtet, zeigen den Zwanzigjährigen als reifen und selbständigen Charakter bei der entschlossenen Beseitigung des Gewissenskonflikts, gegen den Willen der Eltern die Laufbahn des katholischen Priesters aufzugeben und sich dem Studium der romanischen Philologie zuzuwenden. Nach erlangter Freiheit atmet der Student erleichtert auf, immer von der Notwendigkeit überzeugt, seinen Beruf als Rückendeckung festzuhalten und sich nicht in die Tätigkeit des freien Schriftstellers, günstige Anträge energisch ablehnend, abgleiten zu lassen: „Der Wunsch, als unabhängiger Schriftsteller leben zu können, ist ja so stark und brennend in mir wie nur je. Aber ich bin nicht mehr der pseudogenialen Überzeugung, daß die Weltliteratur bloß auf mich gewartet hat und zwar mit einem Coupé erster Klasse". Der Freisinger Studienpräfekt findet mit jugendlichem Übermut im frohen Verkehr den Ausgleich zu der dumpfen Atmosphäre des Seminars. Nach München gehen halb sehnsüchtige, halb humoristische Mitteilungen und Wünsche, reizende kleine Situationsberichte der Komik und Liebenswürdigkeit. Die ersten bedeutungsvollen Angaben der literarischen Beschäftigung des unheimlichen bücherverschlingenden Lesers (LiteraturSaufen und -Hineinfressen) machen sich günstig oder schädlich geltend. Den beiden Heroen der Zeit, Ibsen 200

und Nietzsche, wird gehuldigt. Treffende Urteile schon früh: „Gregorovius weiß sehr viel von der Renaissance, aber er versteht sie nicht". Eine lange Pause folgt. Hier bleibt das Bedauern bestehen, daß wir aus den Jahren der Mitarbeit an den süddeutschen Monatsheften nicht reichlicher fließende Quellen besitzen, nicht erfahren, wie die Entstehung und Entwicklung der publizistischen Wirksamkeit Hofmillers, wie die folgerichtige Steigerung seines Verhältnisses zum Theater, zur Musik, zur Literatur vor sich gegangen ist, was und wie er gelesen hat. Freilich wird diese Lücke von einem künftigen Biographen nicht allzu störend empfunden werden, da die Besprechungen und Aufsätze in der Allgemeinen Zeitung und den Monatsheften infolge ihrer Vereinigung der kulturellen Forschungsarbeit mit den eigenen freien Ideen des Verfassers glücklich ergänzen, was wir an brieflicher Aussage vermissen. Einzelheiten aus den Briefen an Helene Raff sind immerhin geeignet, zur Kenntnis der Ansprüche des klugen Lehrmeisters herangezogen zu werden, der unterdessen, von Freising nach München versetzt (1902 bis 1907), nach Freising zurückgekehrt war (1907 bis 1912), um wieder nach der Hauptstadt zu kommen, wo längst schon sein Name anerkannt, sein Tun geachtet und gefürchtet wurde. Nach dem Beginn des Krieges verstummen mit Ausnahme der Briefe an seine Braut, später an seine junge Frau alle Freuden- und Mahnrufe des angesehenen Mentors über dem Enthusiasmus des begeisterten Patrioten, der wehmütig beklagt, seines Augenleidens wegen zum „überflüssigen Staatskrüppel" gezählt zu werden. Hofmillers glühende Vaterlandsliebe, die um so leidenschaftlicher auflodert, als er mit schonungsloser Härte politische und soziale Übelstände in deutschen Landen gebrandmarkt hatte, steigt zu einem kühnen Jubel empor, der nur mehr den Glauben an den nahen Sieg kennen will und beweist, daß in der Stunde der Gefahr der Denkerstolz auch dieses großen kritischen 201

Geistes allein von der Hoffnung erhoben wurde, den Kampf zu gewinnen. Um so tragischer empfand daher seine Zuversicht die Niederlage und den inneren Zusammenbruch Deutschlands. Der alten Gemeinde der Süddeutschen Monatshefte klingt noch heute der Entrüstungsschrei der furchtbaren Enttäuschung im Ohre nach, den Hofmiller im Dezemberheft des Jahres 1918 ausgestoßen hat, der mit Wut und Bitterkeit geladene Aufruf an sein Volk, in dem die Summe der vier Kriegsjahre in moralischer und kultureller Hinsicht mit unerbittlicher Aufrichtigkeit gezogen wird. Hinter dieser wuchtigen Sprache, in schwerer Trauer und letzter Not geformt, bleiben die Briefe Hofmillers ins Feld zurück, so sehr sie in ihrer ehernen Resonanz an Worte Heinrich von Treitschkes erinnern. Die Schatten, welche der Krieg warf, wurden bald durch den Sonnenschein der Ehe verjagt. Spät hatte Hofmiller die Lebensgefährtin gefunden, die ihn von seinem Junggesellentum erlöste („Es ist so, daß es Junggesellen gibt, die es auch in der Ehe bleiben und, was die Frau ihr Boudoir nennt, ihren Schmollwinkel, wo der Mann nichts zu suchen hat, auch für sich in Anspruch nehmen: einen beschaulichen Platz am Kamin, einen Lehnstuhl, eine Pfeife und eine beträchtliche Dosis schweigsame Betrachtung"). Seine Briefe an die ferne Geliebte sind von einem zarten Hauche romantischer Poesie verklärt und von einer inneren Keuschheit, einer minnesängertrunkenen Verehrung der Frau, dabei noch von einer Feinheit des Taktgefühls erwärmt, daß die tieferen, selig vor der Welt verschlossenen Züge seines Wesens in lebensvoller Deutlichkeit zum Licht des Tages gebracht werden. Wir horchen auf gedämpfte, von weicher Stimmung beschwingte Laute und Weisen wie auf leisen Orgelklang, der aus einer Dorfkirche ins Freie schallt. Der Empfängerin mag es nicht leicht geworden sein, sich zur Hergabe dieses Schatzes zu entschließen. Um so mehr haben wir ihr zu danken. Denn 202

wir wissen nun, daß auch Josef Hofmiller ein heimlicher Dichter war. Der zweite

Band

Wer nachdenklich die beiden Bildnisse vergleicht, die der Gesamtausgabe der Schriften und Briefe Josef Hofmillers beigegeben sind, wird erstaunt sein über die Veränderungen der durch diese Gesichtszüge ausgesagten, mit voller Offenheit des menschlichen, geistigen Anspruchs verkündeten Deutung einer in freiester Bildung Natur und Wissenschaft umfassenden Weltbetrachtung. Ein Vierteljahrhundert, in dem kulturelle Gegensätze in einem kaum jemals vorher in der Geschichte geschaffenen Ausmaße sich angezeigt haben, liegt zwischen diesen Photographien des eben in die Dreißig und des schon an die Schwelle der Sechzig gelangten Schriftstellers. Dort noch der kampflustige, der hohen Verantwortung seines kritischen Amtes bewußte, schalkhaften Humor und gestrengen Ernst einsichtsvoll vereinigende bärtige Jüngling, dessen lichte Augen gütig und fragend durch die scharfe Brille sehen. Hier, mit kleinem, gestutztem Schnurrbart, der abgeklärte, der Grenze des Alters nahe, immer ausschauend und aufnehmend gereifte Mann, dem reiche Früchte einer schönem Frühling verdankten Blüte in köstlichem Herbste zufallen, das mächtige Haupt sinnend gesenkt, den Blick nach innen gerichtet, wie um den geheimnisvollen Offenbarungen der Seele zu lauschen, nach dem Beispiel Goethes „dem erweiterten Gesichtskreis der ganzen Menschheit" zugewandt. Übereinstimmend indessen trotz solcher Verschiedenheit ist der stolz und sicher gewahrte Grundzug des Wesens, die „Totalität", von dem energischen, fest zusammengepreßten Munde bestimmt, welcher in einer eigenen charakteristischen Formung Hofmillers persönliche Entwicklungslinie gemäß dem „Gesetz, nach dem er angetreten" erkennen 203

läßt. Einer Generation angehörig, die aus sonnigem Licht in dunkeln Schatten eingezogen ist, hat dieses Antlitz die schmerzhaften Runen des verlorenen Krieges und seiner Folgen aufgeprägt erhalten. Auf seiner Lebensreise durch seine geliebte oberbayerische Heimat wie durch die Weltliteratur blieb Hofmiller ein Einzelgänger. Bei der rastlosen Wanderschaft, die ihm höchste Freude bedeutete, stehen viele Stationen am Wege, wo angehalten und eingekehrt, bald jedoch wieder weitergezogen wurde. Den zahlreichen Aufsätzen zum Ruhme süddeutscher Städte, Kirchen und Gegenden, ihrer Berge und Seen schließt sich die Fülle der Besprechungen und Essays über Menschen und Bücher an, die als öffentliche Rechenschaftsberichte eines gewissenhaften Beobachters anzusehen sind, und die erlebten, im besten Sinne des Wortes erlebten Eindrücke registrieren, auf daß andere an ihnen teilhaben mögen. In den Briefen dann, die dem Empfänger allein zugedacht sind, scheint die private Mitteilung wie ein kostbarer Extrakt destilliert zu sein, der wie die Blume eines erlesenen Weines genossen werden soll. Das Aroma der späteren Briefe Hofmillers ist vielleicht nicht mehr so kräftig, wie wir es in den Briefen seiner Jugendzeit gewohnt sind, aber in seiner feinen Mischung von Herbe und Süßigkeit dem Duft eines lange gelagerten Burgunders ähnlich, den wir nach einer prickelnden Flasche Mosels bedächtig schlürfen. Das gewagte Gleichnis, das Hofmiller gerne verwendete und das ihm selbst gewiß am besten zusagte, mag hier um seinetwillen freundliche Verzeihung finden. Nicht ganz in der gleichen überraschenden Gegenüberstellung wie die beiden Bildnisse lassen sich die beiden Bände der Briefe betrachten und auseinanderhalten, obwohl auch sie, den Eindrücken des Zeitgeschehens unterworfen, von seinem Flammenschein hie und da sogar gespenstisch überleuchtet werden. Sie unterscheiden sich nur nach ihrem spezifischen Gewicht, nicht nach 204

ihrer inneren Bewegtheit oder ihrer geistigen Physiognomie, also auch nicht nach getrennten subjektiven Bedingungen. Die Substanz ist mit vermehrter Erfahrung schwerer, härter, aber nicht zähe geworden. Stil und Anschaulichkeit der mustergültigen, schon frühzeitig geläuterten Prosa sind bis zur letzten Zeile unverändert geblieben, der Kompaß der Fahrt vielleicht weniger schwankend, in bedachtsamer Führung des Kurses, die dank den immer mehr befolgten Weisungen klassischer Lehren an den Klippen plötzlich auftauchender Neulandinseln vorüber in die stillen Gewässer methodischer Überlieferung und Kritik hineinlenkt. Wiederum wurde die Auswahl aus dem für die Rosenheimer Zeit Hofmillers in gesteigertem Maße vorhandenen Material mit einer Sorgfalt und Liebe getroffen, die alle Seiten, alle Eigenschaften seiner Persönlichkeit, zumal seines Denkens und Forschens wahrnehmen läßt. Wiederum folgen wir den Spuren eines ungeheueren Fleißes und eines unermüdlichen Lerneifers mit einer auch durch die Vielseitigkeit der lebhaftesten Interessen angeregten Aufmerksamkeit. Zu den alten Freunden sind neue gekommen. Die Korrespondenz schwillt an, denn nach dem kleinen Rosenheim, wohin Hofmiller, der Großstadt überdrüssig, im Januar 1922 als Konrektor des Gymnasiums mit Frau und Kindern übersiedelte, wenden sich die Redaktionen und Verleger, richten sich die Blicke von vielen literarisch beschäftigten Menschen in ganz Deuschland. Selten fehlt am Schlüsse der Briefe ein kurzer stimmungsvoller Akkord der gegenseitigen inneren Beziehung, der für Hofmillers intimes Verhältnis zu seinen Freunden und Bekannten bezeichnend ist. Und häufig erhebt sich der Inhalt zu ausführlichen, für das hitzige Temperament dieses glücklichen Besitzers einer guten „Repetier-Rezensierbüchse" zeugenden Äußerungen namentlich gegen die Mißstände und Unarten der deutschen Publizistik. Wenn auch nicht alle abgeschossenen 205

Kugeln ins Schwarze treffen, bleibt doch der Mut bewunderungswürdig, mit dem der Schütze sein Gewehr handhabt. Lange Stufenreihen lassen sich aufstellen, der Zuneigung wie der Ablehnung, in welche die einzelnen von Hofmiller verehrten, auf allen Gebieten kultureller Tätigkeit schaffenden Geister sich einfügen. Eine genaue Rangordnung wird sichtbar bei der Anweisung der Plätze der vielen Hausgötter, die am stillen Herde der Wohnung, deren vier Fenster in das Arbeitszimmer „eine Luft so fein und rein wie ein leichter Pfälzer" einließen, die lebendige Gemeinschaft mit den gefüllten Regalen an den Wänden und ihrem Herrn „eine ganz andere Distanz zu dem, was mich bisher beschäftigt hat" verliehen. Auch die Distanz zwischen dem Für und Wider, die Kluft zwischen Bejahung und Verneinung ist eine andere, größere geworden. Die jugendlichen Impulse im Ausdruck begeisterten Lobes oder harten Tadels bestehen trotzdem fort. Zu Nietzsche und Wagner aufwärts steigen die zweifelnden Gedanken, obwohl besonders bei einer unbefangenen Analyse der „Meistersinger" (neben den ausgezeichneten, von tiefem musikalischem Verständnis zeugenden Bemerkungen über Verdis „Maskenball" eine der wichtigsten Seiten der Brief bände) das „Und dennoch" die skeptischen Anwandlungen niederzwingt. Bescheidenheit, Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit gelten als die drei Hauptgebote des kritischen Metiers. Mit blanken Waffen streitet ein gesundes Naturburschentum gegen alle Auswüchse literatenhafter Demagogie, gegen Pose, Snobismus und artistische Kunstfertigkeit, die Hofmiller ein Greuel sind, nicht weniger tapfer und energisch als gegen die Übergriffe des akademischen Bonzenwesens, der Buchgelehrsamkeit, des Zunftzwanges. Der sprachgewaltige Übersetzer des „Meier Helmbrecht", dem mit dieser Arbeit eine unvergleichliche Tat gelang, weil ihr Verfasser immer eine unmittelbare Einfühlung wie zu dem heimat206

liehen Boden so auch zu den Empfindungen, dem Gemüt und der Redeweise seiner Bewohner besaß, haßte alles Unnatürliche und Gekünstelte. Der weise idealistische Herausgeber des kleinen Goethe-Breviers hatte in Goethe, in Stifter, Gottfried Keller, Mörike, Fontane die Vorbilder gefunden, an deren Mustern er sein reines Deutsch ebenso unablässig schulte wie auf seinen Wanderungen durch die Bauernhöfe der oberbayerischen Voralpen. Bis zu seinem Lebensende sind Montaignes „Que sgai j e ? " und Shakespeares „ I am nothing if not critical!" Wappensprüche dieses aufrechten und aufrichtigen Mentors gewesen. Mit zunehmendem Alter hat der zunehmende Wissensdrang neue Aufgaben aufgesucht. Das Studium der englischen Literatur wurde betrieben. Wie Hofmiller hier verfuhr, beweist seine Verehrung für Walter Pater, den letzten großen Humanisten AltEuropas. Die Briefe über den Oxforder Hochschullehrer und dessen Geistesgefährten Jakob Burckhardt und Georg Dehio gehören zu den anziehendsten Stücken der Sammlung, und die schlichte Erzählung über Dehios Besuch in Rosenheim („Ach, daß ich Dehio habe sehen dürfen! Mit ihm sprechen und ihm die Hand geben! Ich hatte ein Gefühl, wie wenn der Geist des Straßburger Münsters vor mir säße. Es war wirklich, als sei ein verschollenes Zeitalter deutscher Geistigkeit da am Tisch, auf dem Sessel, auf dem jetzt ich sitze . . .") wirkt ergreifend durch ihr rührendes kindliches Bekenntnis der Anhänglichkeit und Treue. Die Briefe Josef Hofmillers sind ein kulturhistorisches Dokument ersten Ranges und für die künftige, hoffentlich bald vorliegende Biographie eine reichhaltige Fundgrube. Am höchsten indessen steht ihr ethisches Ergebnis: sie übermitteln der Nachwelt den reinsten und edelsten Niederschlag der geistigen Gesinnung der zwischen 1870 und 1875 geborenen Generation. „Die Kenntnis dieser schönen Dinge, die Liebe zu ihnen wird mit der Generation, der wir angehören, dahingehen . . . Ich hoffe nur 207

eines, daß der Charakter der Deutschen sich auf die Dauer gleich bleibt, daß in aller Stille eine neue Generation heranwächst, die die abgerissenen Fäden wieder anknüpft." Dieser Ruf erklingt wie das Trompetensignal in Beethovens Fidelio dem sehnsüchtig der Befreiung aus finsteren Kerkermauern entgegenharrenden Florestan als die weissagende Fanfare einer Zukunft, die wir als die geistigen Gefährten Josef Hofmillers für unser deutsches Volk erhoffen.

208

ARNOLD BÖCKLIN „Und

wie die schwangre Phantasie Gebilde

Von unbekannten Dingen Gestaltet sie des Dichters

ausgebiert, Kiel, b'enennt

Das luftge Nichts und gibt ihm einen festen So gaukelt die gewaltge

Wohnsitz.

Einbildung." Shakespeare.

D i e „radförmige Drehung von Geschmack und Mode", wie Julius Lange die Veränderung der Ansichten bei der Aufnahme künstlerischer Werke durch das Publikum nannte, hat sich für die Einschätzung der drei Maler, die man als „Deutsch-Römer" zu bezeichnen pflegt, in einer starken Gegensätzlichkeit gezeigt. Arnold Böcklin, Anselm Feuerbach und Hans von Marées sind der Nation, die sich endlich der Macht dieser Meister bewußt ward, nur im subjektiven Scheine einer programmatischen Einstellung von wechselnder Schärfe bekannt. So erfreulich es sein mag, daß sich dadurch auch lebendig nachwirkende Kräfte entwickelten, die unbehagliche parteiische Deutung bleibt bestehen. An der Stelle der gelassenen Sicherung und Beruhigung will der Streit nicht verstummen, wie denn eigentlich die Rangfrage, die unter dem Dreigestirn entscheide, zu behandeln sei. Man nimmt an, daß dessen Lichtstärke sich in einem Abstände von jeweils zehn Jahren umschaltet. Eine wahrheitsgetreue Beurteilung der Erfolge und des Nachruhmes der drei Künstler wird sich nur mit Mühe von den Beziehungen lösen, die auf den kulturpolitischen Grundlagen der letzten fünfzig Jahre ruhen. Statt die Persönlichkeiten aus dem Gehalt ihres eigenen Wesens zu erklären, wurde zuerst ihre erzieherische Vorbildlichkeit stets im Sinne irgend einer zufällig herrschenden Richtung angefordert. Daher kam es, daß anfangs 14

U h d e - B e r n a y s , M i t t l e r und Meister

209

Böcklin, dann Feuerbach, endlich Marées gesonderte Gunstbezeigungen genossen, wobei der Triumph des Siegers zum Nachteile der Besiegten emporstieg. Bei diesem Brauche ist ihnen nacheinander ein reichliches Maß von Ungerechtigkeit zuteil geworden. Böcklin, der älteste, durch eine um ein Vierteljahrhundert längere Lebenszeit vor Feuerbach und Marées ausgezeichnet, erfreute sich der höchsten Verehrung, die den beiden anderen Malern versagt geblieben war, um dafür nach seinem Tode, während diese regierten, in einer Verbannung zu weilen, aus der er bald rasch und gewaltsam befreit wurde. Schon bei der Feier seines 100. Geburtstages klangen die begeisterten Rufe matter und erhoben sich nunmehr für den Ruhm Feuerbachs. Infolgedessen ist es schwierig, nachdem auch Marées die Zentenarfeier begangen hat, den Versuch einer jenseits von Gut und Böse stehenden Wertung zu unternehmen, die, was Böcklin betrifft, mit Einschränkungen verbunden ist. Denn die gerechte Erkenntnis des Werkes, das er uns hinterlassen hat, wird das Maß seines schöpferischen Vermögens einer abgeschlossenen, nicht wie bei Marées und Feuerbach einer fragmentarischen Gesamtleistung entnehmen. Unser Verhältnis zu Böcklin möchte außerdem der nötigen Klarheit ermangeln, wenn wir seine Lebensarbeit von einem falschen Gesichtspunkte aus, etwa von der Verpflichtung an die dankbaren Gefühle betrachten, die in uns statt von ihm in tieferer innerer Bereicherung von seinen beiden jüngeren Weggenossen erweckt wurden. Andrerseits müssen Erinnerungen zur Seite geschoben werden, die sich an die patriarchalische Gestalt des Meisters heften, wie er in seinen letzten Jahren in Florenz seinen Freunden entgegentrat. Das Schaffen aller großen Künstler steht auf eigenem Postament. Auch das Schaffen Böcklins. Das Leben des Schweizers, der am 16. Oktober 1827 in Basel geboren wurde und am 16. Januar 1901 in Fiesole starb, verläuft in einem engen Zusammenhang mit 210

seiner Kunst, sowohl im positiven wie im negativen Sinne. In der Entwicklung, die der Malerei Böcklins gewahrt war, findet sich kein Bruch. Kein verhängnisvoller Dualismus hat in seinem Inneren gerungen. Wohl ist nach 1870 ein Umschwung zu bemerken, der den Vierziger nach einer neuen Bahn führte. Aber das Problem dieses Umschwunges lag längst schon in ihm verpuppt, unbekannt dem Jüngling, bis es der Mann erfaßte. Böcklins Anlagen, Neigungen und Hoffnungen galten der Landschaftsmalerei: einer realistischen Wiedergabe von Schweizer Motiven waren die ersten Versuche des jungen Kunstschülers zugeteilt, als er von der Düsseldorfer Akademie in den Ferien heimkam. Dort hatte ihn die Unterweisung Schirmers gefördert, dessen Darstellungen deutschen Waldes kompositionelle Strenge und romantische Stimmung vereinigten. Am Ende seiner dreijährigen Studienzeit folgte Böcklin seinem um wenige Monate jüngeren Landsmann Rudolf Koller, in dessen Geiste sich ebenfalls schwärmerische Wünsche einer reichbegabten Phantasie regten, nach Antwerpen und Paris. Das sind die Stationen für seinen Weg nach Italien, nach Rom (1850—57), wo er die Erfüllung sehnsüchtigen Verlangens durch den Unterricht eines Malers fand, dessen Eigenart erst später erkannt wurde, des versonnenen Franz Dreber aus Dresden. In Drebers silbernen Campagnalandschaften offenbarte sich eine Verwandtschaft mit den weichen Gemälden des frühen Corot durch den gemeinsamen Ahnherrn Poussin. Der heroische Zug der koloristischen Wirkung, wie er vom alten Koch in den römischen Ateliers überliefert war, erreichte hier erst die lebensvolle Grazie. Die „verschlossene schwerfällige Art" Böcklins mußte von der Tiefe dieser lyrisch auszulegenden Kunst besonders angezogen werden. So war, wie Paul Heyse in seinen Erinnerungen berichtet, in seinen ersten römischen Arbeiten „von einer kühnen Phantastik noch nichts zu 211

spüren, dagegen in minder gewaltigem Stil schon das ganze intime Naturgefühl, das keiner Studien bedurfte, um dies wundersame Gedächtnis mit allen charakteristischen Farben und Formen zu erfüllen". Der Dichter hat das Wesen der Begabung Böcklins mit den gleichen Worten bezeichnet, die nach Jahrzehnten auch Adolf Hildebrand wiederholte. Als zur Zeit des zweiten römischen Aufenthaltes (1862—66) die Eindrücke der Stanzen des Raffael und der pompejanischen Wandmalereien auf ihn bestimmend einwirkten, ist jene Welt versunken. Unrast hat Böcklin herumgetrieben und Not. Nachdem er Rom verlassen, in Basel, Hannover, München geweilt hatte, wurde er mit Lenbach an die Kunstschule nach Weimar berufen, kehrte aber nach zwei Jahren nach Rom zurück. Noch war die Stätte nicht gefunden, die den bald einer entscheidenden Wandlung entgegengehenden Künstler festhielt. Doch währten, da Dank der Unterstützung Schacks und den Aufträgen der Heimatstadt Basel sich die äußeren Lebensverhältnisse besserten, die einzelnen Aufenthalte länger, in Basel viereinhalb, in München dreieinhalb Jahre. Obgleich Böcklin die Münchener Zeit, die durch Thomas und Bayersdorfers Freundschaft eine wichtige Stütze empfing und durch die Kenntnis der holländischen Bilder der Pinakothek seinen Wünschen ein neues Ziel zeigte, die glücklichste seines Lebens nannte, unterlag er dem Heimweh nach Italien und übersiedelte nach Florenz (1874—1885). Um ihn bildete sich ein Kreis von empfänglichen, seine Reden dankbar aufnehmenden Freunden, dem auch Hugo von Tschudi angehörte. Zu allgemeiner Anerkennung gelangte er jedoch erst am Ende der achtziger Jahre, als er sich in Zürich ein Atelier gebaut und die Werke, welchen er seine Popularität verdankte, in Berlin und München ausgestellt hatte. Die Höhe seines Ruhmes, der durch die Angriffe von hervorragenden Naturforschern wie Friedrich Ratzel und Emil Dubois Reymond nicht betroffen wurde, liegt 212

in den Jahren kurz vor und kurz nach seinem siebzigsten Geburtstage (1897). Die deutschen Künstlervereine wetteiferten untereinander mit der Verleihung der Ehrenmitgliedschaft, die Führer der neuen künstlerischen Bewegungen und die Zeitschriften, an ihrer Spitze der „ P a n " , priesen Inhalt und Form seiner Malerei als herrliches Vorbild. Im leuchtenden Scheine dieser Gloriole, zu einer beherrschenden Stellung im geistigen Leben Deutschlands emporgestiegen wie kein anderer neben ihm, starb Böcklin, nachdem er, öfters erkrankt, den letzten Abschnitt seines glücklich abschließenden Daseins in seiner Besitzung in Fiesole verbracht hatte. *

Als Böcklin verschieden war, erhob Stefan George die Totenklage: „. . . Daß heut wir leichten Hauptes wandeln dürfen, Nicht arm im Dunkel schluchzen, war Dein Walten; Du nur verwehrst, daß uns (Dank Dir Wächter!) In kalter Zeit das heilige Feuer losch." So stark war das Bewußtsein der Größe des Künstlers den Ernsten, Ersten der Nation gesichert. Wenn wir nach dem Ablauf von mehr als vierzig Jahren den Tribut einer derartigen Bewunderung nicht verstehen und nach ihrer Begründung forschen, ergibt sich die Gewißheit, daß in Böcklins Werk Absichten hineingetragen wurden, die es dem Zeitgeiste unterwarfen und daß damit übereinstimmende Urteilsbedingungen bestanden, die einer gegenseitigen Beziehung folgten. Abgesehen von der A b lehnung, die es von den Anhängern des Impressionismus unter Julius Meier-Gräfes mutiger Strategie erfuhr, mußte die aus Böcklins individueller Begabung entnommene Einsicht bald zu Bedenken Anlaß geben, weil bemerkt wurde, daß die folgerichtige Entwicklung seines Stils von den Eigenschaften seines am Anfang dargebotenen Schaffens zu theatralischen und äußer213

liehen Darstellungen führte. Der Inhalt seiner Gemälde ist der Form überlegen. So erklärt sich die Anerkennung, welche die späteren Werke fanden, auch aus dem scheinbaren Anspruch, den sie an den sogenannten „geistigen Horizont" des Publikums stellten. Der „Genuß der reizenden malerischen Intuition", wie Fiedler sich ausdrückt, ist nur bei einer kleinen Anzahl von Bildern Böcklins gewährt. Sie gehören der Frühzeit an. Neben Studien, die im Museum in Basel eine Verbindung zu Constable, Dahl, Menzel ermöglichen, hat er die ersten Landschaften mit Staffage (Kentaur und Nymphe, Nymphe an der Quelle, Jagd der Diana, Pan im Schilf u. a.) geschaffen, auf welchen der literarische Zug von der malerischen Bildung der Komposition gedeckt wird. Zu der Romantik des Vorwurfes kommen die selbständigen Versuche einer Lösung koloristischer Fragen und eine farbenfroh ergründete, licht aufschimmernde Luftbehandlung hinzu. Der Reiz dieser Arbeiten hegt in der pastoralen Einfachheit und Harmonie ihrer Wirkung. Nicht viel später entstanden Bildnisse von gemmenhafter Profilierung und starker Buntheit, seelisch ergreifend und durch die Schönheit der innerlichen idealistischen Auffassung klassisch. Vereinigung also von klassischen und romantischen Elementen zu einem Pathos des monumentalen Stils: dahin war Böcklins Sehnen gerichtet. Aus dem weisen Spruche Ibsens „Romantisch ist, was Alltagsmeinung nicht begreifen kann" wollte er das schlimme Wörtlein „nicht" beseitigen. Daher unterlag die frühere malerische Intuition allmählich einer allegorisch-dekorativen Absichtlichkeit. Die Steigerung der farbigen Bildwerte im Räume wurde durch gewaltsame Experimente auch der Technik erreicht. Aus der anmutig-natürlichen wird die gewollt-verführerische Haltung der nicht immer mit ihrer Umgebung in die Einheitlichkeit der Komposition gespannten Figurengruppen aufgesucht. Das Motiv herrscht, in einer gegenständlichen, literarischen Bedeu214

tung. Die Bildungen einer lyrisch durchklungenen Phantasie nehmen eine übertreibende Phantastik an; auffallend ist die häufige Wiederholung von gleichen Vorwürfen. Werke wie die „Drachenschlucht", der „Kentaurenkampf", die verschiedenen Meerbilder, die der mittleren Periode angehören, meist noch im Besitze einer energischen Befestigung ihres koloristischen Aufbaus und gemäßigt im Schwünge der Gesten, erhalten, namentlich in der photographischen Wiedergabe, die zweifelhaften Vorzüge von Illustrationen zu Heldengedichten und historischen Erzählungen. In den Selbstbildnissen tritt die Pose der letzten Arbeitsperiode zuerst auf. Hier erlangen die koloristischen Effekte einen Stärkegrad, der für Menschen mit „innerer Wendung" unerträglich ist. Das Farbenorchester, aus dem gedämpften Andante der Hirtenmelodie längst zu einem lauten Allegro weitergeschritten, bäumt sich mit schrillen Fanfaren auf. Das ist die gefährliche Stelle, an der öfters der Vergleich zwischen Böcklin und Richard Wagner herangezogen wird, den der Schweizer schroff abwies. Aber auch der Gegner Wagners wird die Suggestionskraft seiner Musikdramen nicht ableugnen, und über das tiefe Jenseitsgefühl der Erdaszene im „Siegfried" oder des Tristanvorspiels dürfte ein Streit kaum entstehen. Böcklin fehlt dieses Gefühl. Daher fehlt den Fabelwesen, mit welchen er unsere an solchen Ungetümen nicht arme Welt noch zu bereichern versuchte, die Glaubhaftigkeit. Von wannen die Begeisterung vor den Werken des alten Böcklin, den letzten Meerbildern, dem Krieg, der Pest, dem Schweigen im Walde, dem vita somnium breve ? Der Sinn für dekorative Feierlichkeit war, wie wir leider wissen, vor einem Menschenalter in Deutschland auf Grund frisch gewachsenen Wohlstandes zu einer unangenehmen Entartung erweitert worden. Die materialistischen Wünsche jener Zeitepoche, deren Er215

innerling Grauen statt vorgeblichem Gewinn birgt, da sie eine Fülle von Menschlichkeit und kultureller Überlieferung durch die politische Einigung des Volkes vernichtete, begnügten sich, wie ihr eigenes Vorhandensein auch die Werte der Kunst als abwechslungsreiches Schaugepränge ohne wahre Teilnahme der seelischen Organe, ohne Verantwortung und Ordnung aufzunehmen. Böcklins Malerei war einer Sinnlichkeit gefällig, die vor bunten Kulissen eine Orgie üppiger Gestalten in festlichen Gewändern erblicken wollte und die allen auftretenden Erscheinungen, Satyrn und Nymphen, Heroen und Fabeltieren vorgebundenen Masken einer panischen Halbgöttlichkeit von gemäßigter Leidenschaft beifällig betrachtete. Nur fragt sich, ob d i e s e Kunst nicht schon aus dem geweihten Bezirke des Apollo und seiner neuen Musen herausgeschritten ist. Denn die Wahrheit des Satzes, daß jeder künstlerische Stil seine Berechtigung habe, wenn er sich rein erhält, als unanfechtbar vorausgesetzt, hat sich Böcklin gegen die ewigen Gesetze der Kunst vergangen, weil er, was zu bestem Reifen in ihm lag und sich der Sonne entgegendrängte, auch bereits mit zögerndem Griff wie aus einer geheimen Schatzkammer hervorgeholt wurde, in ausgelassenem Übermut vergeudete. Italiens Gefahren, auf die Feuerbach mit den Worten hinweist, daß der Künstler sich dort aller Romantik zu entkleiden habe, bedeuteten für Böcklin nur ein Vorpostengefecht, in dem er nicht mit einem Angriff zur Eroberung einer eigenen koloristischen Form und eines von Poussins Beseligung geschwellten persönlichen Stils, sondern mit dem Geplänkel überraschender Geschicklichkeit der kompositionellen Manier und virtuoser Handhabung der Technik vorging. In unerbittlicher Strenge muß das Urteil gefällt werden: den späteren Gemälden Böcklins ist wohl ein Gleichnis südlichen Schwärmens verliehen, ein Widerschein arkadischer Lieblichkeit, aber ihnen fehlt die Macht der tiefen Empfindung, die von ernsten Schauern ergriffen 216

in die Geheimnisse der Antike eingedrungen ist. Bei der gesteigerten Sinnenfreude der Darstellung ist das heilige Erlebnis verloren worden, die Wahrheit hinter der Allegorie verschwunden. In glücklicheren Zeiten hat es Künstler gegeben, die aus der erregten Bejahung ihres Temperaments, einem günstigen Geschick dienstbar, befähigt waren, die Wunderwelt der alten Götter und Helden zu stolzer Verkündigimg der erlebten Gesichte in ihrer Kunst zu schauen. In ihren Jubelrufen dürfen wir die klagenden Stimmen, die Untertöne der Entsagung nicht überhören. Böcklin war von keinem Zweifel, keiner Hemmung bedroht. Sein Werk entbehrt der ethischen Größe, die es zu besitzen vorgibt. Kann seine Hinterlassenschaft, die in selbstüberzeugter Aufmachung dargeboten wird, dennoch als Muster zur Nacheiferung und als Zeugnis kostbaren Besitzes für alle Zeiten bewahrt werden — oder wird sie einmal nur bestehen als Museumsstück einer ihr gleichenden farbenschillernden, aber hohlen Vergangenheit? Wer in der Schönheit der Kunst nur ein sinnliches Vergnügen zu stillen sucht und seines Wesens Inhalt und Ziel mit ihr in eine andere als nur mechanische Verbindung bringen will, ein Refugium ferne dem Getriebe der Menschen für sich zu gründen begehrt und die Schöpfungen der Meister der Kunst, der Dichtung und der Musik mit einer religiösen Ehrfurcht aufnimmt, wird auf diesen Appell nicht antworten, aber sich erschreckt von der Erdennähe Arnold Böcklins abwenden.

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FRANZ VON D E F R E G G E R A i s in Tirol noch die Erinnerung an den heiligen Kampf gegen den fremden Unterdrücker Napoleon lebendig war in allen Herzen, ist am 30. April 1835 dem Berglande der liebenswürdigste Schilderer seiner Sitten, der weitbekannte Illustrator seiner kriegerischen Vergangenheit geschenkt worden. Ein Maler, dessen gefällige Novellistik aus der Darstellung seiner Bilder bald ein typisches Gepräge empfing, welches dem Volke, dem er entstammte, zu Nutz und Ansehen die von jeher an ihm gerühmten, freilich mehr dichterisch erfundenen als wahrheitsgetreu erschauten Idealgestalten seiner Rasse in der schönsten Ausübung der viel später erst entstandenen und häufig mißbrauchten Forderungen einer „Heimatkunst" auf der ganzen Welt populär gemacht hat. Die beliebte Vorstellung des „Defreggerkopfes", jenes reizenden Ovals mit blauen Augen, schelmischer Miene und obligatem Grübchen, von einem Kranze dunkler Zöpfe umflochten, nach dem wir auf unseren Alpenwanderungen sehnsüchtig und leider fast immer vergeblich ausblicken, ist seit zwei Menschenaltern aus der modischen in die gemeinverständliche Redeweise übergegangen. Während ursprünglich der Namen Defregger die Angehörigen eines kleinen Bezirkes, des Defereggentales, zusammenfaßte, bis der einzelne Mann ihn mit den Ehren eines Meisters der Kunst für sich gewann, verallgemeinerte sich der eben durch diese Kunst geschaffene Typus zu einer volkstümlichen Bezeichnung. Kann sich ein Künstler, dem nicht beschieden war, Größtes zu vollbringen, Besseres wünschen als einen auf solche Weise gesicherten Nachruhm ? Diese Überlegung vermag vieles von dem Kleinlichen, Negativen, was seinem Werke anhaftet, zu entschuldigen. Denn wo neben der kulturhistorischen Bedeutung dieses Malers auch, wenn wir so sagen dürfen, 218

gleichsam folkloristische Vorzüge in Betracht kommen, ist der Gradmesser seiner Einschätzung wohl anders einzustellen, als dies gewöhnlich zu geschehen pflegt. Aber es ist außerdem gewiß, daß Defreggers Veranlagung weiter reichte als der Ertrag, den er aus ihr gezogen hat, und daß die rasche Berühmtheit, die dem gütigen Menschen nicht schadete, dem Künstler nachteilig gewesen ist. Wir haben auf den öfters gemachten Vergleich zwischen ihm und Menzel hinzuweisen, dessen Jugendarbeiten, einstens wenig beachtet, heute höher gepriesen werden als die historischen Reliquien, welchen der preußische Geschichtsmaler seine offizielle Anerkennung verdankte. Gleich dem frühen Menzel zeigt der frühe Defregger Eigenschaften einer in unmittelbarer innerer Beziehung zu der Natur stehenden malerischen Begabung. Sie erscheint als kostbares Kleinod eines der akademischen Lehre fernen, nur aus sich selbst und dem Umgang mit den einfachsten Formen des Daseins gewonnenen, in fortgesetzter Selbsterziehung ausgebildeten Gestaltungstriebs, der von jeher dem Autodidakten in der Einsamkeit des Lebens auf dem Lande die unbeschränkte Freiheit des natürlichen Empfindens als Waffe gegen die Gefahren des Ateliers geschenkt hat. Jedoch muß hier sogleich bemerkt werden, daß Defregger auch den Behinderungen solchen Autodidaktentums nicht auswich, der Geringschätzung von Vorteilen, die ihm leicht verschafft haben würden, was er, namentlich technisch, langsam erarbeitete. Anfangs ganz naiv, verlor er die Kenntnis der eigenen Kräfte, die er nicht an der Tätigkeit Wilhelm Leibis, sondern an den Erfolgen der gleichzeitigen Modegrößen abmaß, um eine zweifellos infolge dieses falschen Urteils bedenkliche Richtung einzuschlagen. Ob er sich zunächst an bestimmte Vorbilder, bei den historischen Gemälden an seinen Lehrer Carl von Piloty, bei den Genredarstellungen an den Kreis der anderen Münchener Maler anschloß, ist für diese Frage 219

belanglos. Der Beifall, am stärksten einsetzend bei der Wiener Ausstellung von 1873, schien Defregger Recht zu geben. Von dieser Zeit an hat er sich nur selten Aufgaben zugewandt, wie sie der eigentümlichen und nicht der absichtlichen Prägung seines künstlerischen Wesens entsprachen, den stillen Landschaften und den dämmerigen Interieurs aus seiner Heimat. Eine Anzahl dieser Bilder, die Defreggers Einschaltung in die Geschichte der Münchener Malerei um 1870 in einer modernen Auffassung zulassen, indem sie sein Wirken in die Nähe der Gefährten Leibis, namentlich Karl Schuchs setzen, umgab den alten Meister, der sich nicht von ihnen trennte, in seiner Wohnung. Auf der Berliner Jahrhundertausstellung zogen zwei von ihnen, die schönsten, die allgemeine Aufmerksamkeit von dem Verherrlicher Andreas Hofers und Speckbachers, von dem Partner Ludwig Ganghofers in der Charakterisierung unwahrscheinlicher Liebespaare in und außer der Alm zu dem Gemäuer von Runkelstein, das lebenswarm in goldbraunen Farbentönen aufleuchtet, und zu der „Almwiese", die seither zu den Perlen der deutschen Landschaftsmalerei gezählt wird. Als Defregger die „Almwiese" malte, hatte er bereits sein fünfundzwanzigstes Jahr erreicht. Sein bisheriges Dasein war reich gewesen an schlichten Eindrücken, reich auch an phantasievollen Plänen, wozu das Auswandern nach Amerika gehörte. Aber es hatte des zielbewußten Handelns entbehrt, von dem Entschlüsse abgesehen, den nach dem Tode des Vaters ererbten Bauernhof zu verkaufen. Scheu vor der großen Welt, Phlegma und Zufriedenheit mit den gegebenen Verhältnissen, Eigenschaften seiner Abstammung, verhinderten den schüchternen jungen Tiroler, bei seiner ersten Anwesenheit in München die Aufnahme in die Klasse Pilotys durchzusetzen, in die ihn sein Innsbrucker Lehrer Stolz hatte bringen wollen. Sie verhinderten ihn, was schlimmer war, bei einem anderthalbjährigen Aufent220

halt in Paris von der französischen Kunst Anregungen zu empfangen, wie sie später Leibi zugute kamen. Gleich seinem Landsmann Ferdinand Waldmüller, der, älter an Jahren, die Residenz Napoleons III. besuchte, ohne die Fortschritte der französischen Landschaftsmalerei wahrzunehmen, erkannte Defregger die Meisterschaft Courbets und Millets nicht in dem Maße, wie es ihm für seine Ausbildung bei Piloty förderlich gewesen wäre. Also wurde Piloty, dessen Schüler er für fünf Jahre blieb, sein vorzüglicher Lehrmeister. In den Ferien, daheim, entstanden die erwähnten Interieurstudien, und damals sind auch die ersten der dunklen Bildnisse geschaffen worden, deren schwermütige, an Thoma erinnernde Charakterisierung nachher nicht mehr wiederholt ward. Das Zeichen dieser Bilder besteht darin, daß sie außerhalb der Akademie und im Widerspruch zu ihren Regeln gemalt waren. Dies gilt für alle guten Werke von Münchener Künstlern, die in dem reichen und fruchtbaren Jahrzehnt zwischen 1865 und 1875 zur Ausführung gelangten. Eine Tatsache, die ein besonderes Gewicht erhält, da wir nicht angeben können, wer denn mit seiner Kunst und mit seiner Persönlichkeit damals den stärksten Einfluß auf die Jugend ausübte, wer es verdient, in der stattlichen Schar als Führer genannt zu werden. Die Münchener Ausstellung von 1869 gab von einem Reichtum an künstlerischen Kräften Kunde, wie er sich bis dahin niemals so verschwenderisch gezeigt hatte. Makart hieß das Gestirn, von dem der höchste Glanz ausstrahlte! Auf dieser Ausstellung erschien zwischen Feuerbachs „Gastmahl des Plato" und dem „Anatomen" von Gabriel Max, neben Manet und Courbet, Leibi und Lindenschmit und anderen Malern, die ihre ersten Erfolge davontrugen, Defregger mit „Speckbacher und sein Sohn Anderl". Das große Publikum sah sich vor eine neue Möglichkeit gestellt, Historienmalerei als Episode mit genrehaften und anekdotischen Begleitmotiven zu 221

genießen und blieb vor den unleugbar vorhandenen koloristischen Vorzügen des Gemäldes stumm, um ausschließlich die gegenständlichen Reize desselben zu loben. In dieser Hinsicht war das Bild vortrefflich gelungen, und heute noch wird seine geschickte Komposition, deren Abhängigkeit vom großen und kleinen Himmelslicht der Pilotyschule unverkennbar bestehen bleibt, ihren Eindruck dort nicht verfehlen, wo für den Zusammenschluß der einzelnen Gruppen der koloristische Effekt als der gegebene künstlerische Halt der Figuren, der Staffage und des Hintergrundes angesehen wird. Defregger hat über die Vorschriften des Lehrers auf altmeisterliche Rezepte zurückgegriffen. Er hat bald darauf, wie die 1873 in Wien ausgestellten „Italienischen Bettelmusikanten" beweisen, den Versuch gemacht, die Figuren durch besondere koloristische Akzente freier und lebendiger in den Raum einzuordnen, und im Gegensatz zu Piloty einem farbenfrohen Realismus sich hingegeben, bis endlich die theatralischen Neigungen die Oberhand erlangten und Genrebilder mit einer mehr oder weniger hervortretenden historischen Bemäntelung die kurze Entwicklung der Malerei des Künstlers abschlössen. Von seinem vierzigsten Jahre an ist Defregger auf zahllosen Bildern sich gleich geblieben. Nach zwei Seiten, rein äußerlich betrachtet, richtet sich der Inhalt seiner Kunst. Hier Repräsentationsstücke aus der Zeit der Tiroler Befreiungskriege, Darstellungen einer für die geschichtlichen Ereignisse der Vergangenheit ihres Vaterlandes begeisterten Gesinnung, als Illustrationen der Heldentaten der Tiroler glücklich geschaffen, aber ausgeführt ohne den hinreißenden Schwung, der mit Trompetenfanfaren den Rhythmus des Kampfes, die Freude der Hingabe, die Leidenschaft des Stolzes verkündigt, ohne den mächtigen Zug des Glaubhaften, den künstlerisch wiederzuerwecken nur den größten Meistern gelungen ist. Dort, nicht weniger gerühmt, die Schilderungen aus dem 222

Volksleben, heiteres, oft süßliches Genre in einer durch die Neuheit dieses Gebietes gewährten unendlichen Variation, in Wirklichkeit stets die nämlichen wenigen Personen, die sich zum lebenden Bild zusammengefunden haben. Wir stehen der vorgeblichen „Echtheit" dieser Typen von Bauern und Bäuerinnen meist zweifelnd gegenüber und sehen in ihnen nichts anderes als eine mit gewechselten Kostümen inszenierte Wiederholung der guten alten Düsseldorfer Anekdotenmalerei. Defregger wurde ein gefährlicher Rivale von Knaus. Immerhin wollen wir nicht unterlassen, mit entscheidender Betonung anzuerkennen, daß ein außerordentlich talentierter Künstler den ihm von lebenslänglichem Erfolg gesäumten Weg niemals auf Kosten einer groben Verletzung des guten Geschmacks begangen hat. Defreggers künstlerische Taten lehren, daß ein durch Ehrlichkeit ausgezeichneter Charakter den Wünschen des Publikums, wenn er schon sich hierauf einläßt, nur bis zu einem vom eigenen Gewissen errichteten Grenzpunkte entgegenkommen darf. Allerdings — dieses Entgegenkommen bedeutet den Verzicht auf den Nachruhm einer freien, selbständigen Persönlichkeit im Reiche der Kunst. Dem bescheidenen Manne sind freundliche Grüße, die dem Beginn seiner Laufbahn und seinen frühen Arbeiten gewidmet waren, stets lieber gewesen als laute Jubelrufe, die seinen Triumph diesseits und jenseits des Ozeans berichten wollten.

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HANS MAKART „In

des Wonnemeeres wogendem Schwall,

In der Duft-Wellen

tönendem Schall,

In des Welt-Atems wehendem All Ertrinken Unbewußtl

— Versinken — Höchste



— Lust!"

Richard Wagner, Tristan

und Isolde.

u o leicht es sein mag, der funkelnden Pracht des Festzuges mit bewundernder Zustimmung zu folgen, der das Werk und das Leben Hans Makarts vor Augen führt, um so schwieriger ist die Erfüllung des Wunsches, von der historischen Wichtigkeit und der Berechtigung des nunmehr erfolgten, lange erwarteten Wiedererwachens dieser siegesbewußten Triumphgebärden ohne Zweifel und Bedenken überzeugt zu werden. Ein solches Verlangen wird sich zunächst bei allen reizbaren, infolge einer empfindlichen künstlerischen Veranlagung jeder Erregung farbengewaltiger Eindrücke zugeneigten Naturen einstellen, die, von wilder abenteuerlicher Leidenschaft getrieben, dem sinnenfreudigen Ungestüm und der bacchantischen Ausgelassenheit Makarts verwandt sind. Nachträglich erst werden sie die Forderung erheben, die Zusammenhänge zu kennen, die ihn mit seinen Zeitgenossen verbanden und heute zwischen ihm und uns noch bestehen, vielmehr sich wieder gebildet haben. Aber da befinden wir uns der Tatsache gegenüber, daß gerade diese Zusammenhänge einen Gegensatz ergeben, wie er mit solcher Schärfe kaum bei einem anderen deutschen Künstler der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bemerkt wird. Denn wir sind nicht imstande, uns den verführerischen Lockungen auch der menschlichen Erscheinung des Magiers, wie ihn Jacob Burckhardt nannte, zu entziehen. Untrennbar von seinem Schaffen tritt sie aufs deutlichste aus seinen Gemälden 224

hervor, mit einer mächtigen Nachwirkung, die keinem seiner gleichaltrigen Gefährten beschieden war, im gleißenden Widerschein der zuckenden Blitze eines hochdramatischen Theatergewitters. Wer der älteren Generation angehört, wird sich an die in ganz Deutschland erschallende Klage um den frühzeitigen Tod Makarts ebenso erinnern wie an den tragischen Untergang des bayerischen Königs Ludwig: diese beiden Ereignisse hat jene Generation aus ihrer Knabenzeit in einem unvergeßlichen Nachhall bewahrt, und die Erzählungen über das seltsame Aussehen und Benehmen des berühmten Malers blieben ihr für immer im Gedächtnis haften. Die Überlieferung seiner blendenden Persönlichkeit dürfen wir getrost der Jugend weitergeben, insofern sie das Pathos eines verschwenderisch mit seinem Körper und seiner Begabung umgehenden, wie aus einem spannenden Roman genommenen heldischen Selbstgefühls sich zum Vorbild nehmen will, den Sturm und Drang des Beispiels am eigenen Leibe und Geiste verspürend. Ein grelles, starkes Licht fällt auf das Dasein des Menschen, der fast allzu sichtbar, den beschwörenden Zauberstab in der Hand, vor seinen Schöpfungen steht. Makart ist als charakteristischer Künstlertypus einer eigenen Gruppe zugeteilt, die, in einer Vorzone des empireischen Himmels den größten, ewigen Meistern nicht ebenbürtig, die Aufmerksamkeit der Nachwelt zuerst wegen ihres aufregenden Lebenslaufes erweckte. Dort hat er das volle Recht, zu weilen und zu wandeln, gleichberechtigt mit manchen ähnlichen dichterisch anziehenden Gestalten, ohne mit ihnen anders als äußerlich in Vergleich gezogen werden zu können. Mit wie vielen hervorragenden Männern ist doch der zierliche, zigeunerhaft bewegliche Maler in eine Reihe gestellt worden! Auch darin ist Makart ausgezeichnet, daß Fama und Reklame weit mehr über ihn als über seine Zeitgenossen unter den Künstlern auszusagen sich bemüßigten. Dann werden Tizian, Veronese, Tintoretto, 15 U h d e - B e r n a y s , M i t t l e r u n d Meister

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Rubens und Tiepolo, Delacroix und Monticelli, vor allem Richard Wagner zu seinen Ahnen und Paten ernannt, und selbst Mozart, dessen Namen bedeutungsvoll mit dem Namen Makart zusammenklingt, mußte es sich gefallen lassen, mit seinem Salzburger Landsmann gleichzeitig angerufen zu werden. Zu Wagner, nur dem jungen Wagner, der Tannhäuser im Venusberg und Lohengrin an den Ufern der Scheide verherrlichte, sind wohl Beziehungen aufzufinden, die Einzelheiten stilpsychologischer Art betreffen. Wir bedürfen solcher Parallelen nicht mehr, die vordem einem literarischen Publikum zur bequemen Beurteilung notwendig schienen. Unabhängig von ihnen geworden, haben wir gelernt, die Ausführung künstlerischer Missionen ausschließlich durch die Eigenschaften ihres Trägers zu erklären, zu welchen die Umwelt sich verhält wie Kulissen und Hintergrund zum Darsteller. Diese Bühne zeigt allerdings eine entzückende Szenerie bei den drei Akten des Hans-Makart-Schauspiels, dessen effektvoller Höhepunkt mit seinen Ausstellungen im Wiener Künstlerhause erreicht wird und nun in einem grandiosen Tempo von einer Überraschung zur nächsten dem jäh abbrechenden Ende entgegenjagt. Der Vorhang hebt sich, und wir schauen den Wundergarten des Mirabellschlosses in Salzburg, wo der Vater, schon im Besitze guter künstlerischer Anlagen und ebenfalls eines liebenswürdigen leidenschaftlichen Temperaments, als Kastellan angestellt ist, wo der Knabe in Blumenhainen sich den ersten Farbenoffenbarungen der Natur unbefangen hingibt. Dann zeigt sich das Atelier Carl von Pilotys in München, in dem der Jüngling, nachdem er einen kurzen Unterricht an der Wiener Akademie genommen und sich ihm bald überdrüssig entzogen hatte, den richtigen Lehrmeister findet. Die drei besten Schüler Pilotys begegnen einander als Österreicher und werden Freunde: der Böhme Gabriel Max, der Tiroler Franz Defregger, der Salz226

burger Hans Makart. Der schwermütige Pessimist, der herzensgute heimattreue Idealist, der sanguinische, dem schnellen Aufstieg seines Gestirns vertrauende Optimist. Letzte Verwandlung: Wien, die Kaiserstadt an der Donau, die im Innern nach der am i . September 1859 beschlossenen Niederreißung des Festungsgürtels Licht und Luft eingesogen, trotz Solferino und Königgrätz für ein volles Vierteljahrhundert einen ungeheuren Aufschwung zu nehmen begonnen hat, sogleich eine Periode der repräsentativen Bautätigkeit einleiten wird, wie sie seit der Erschließung der Pariser Boulevards nicht gezeigt wurde, und einen Luxus treibt, der das soeben gestürzte napoleonische Regime noch zu übertreffen sucht. Die Weltausstellung von 1873 und der unmittelbar nachfolgende Krach stehen als Cäsur in der Mitte dieses Zeitabschnittes. Mit den hervorragenden Architekten Ferstel, Hasenauer und Semper wetteifern die nach Wien berufenen Maler Feuerbach und Makart. Beide ähnlich veranlagt, kleine nervöse eilige heftige Menschen, immer mit der Zigarette im Munde, schweigsam, im Innern der tiefbewegten Brust von dem Ehrgeiz nach Ruhm durchwühlt, werden unversöhnliche Feinde mehr aus gegenseitigem Mißverstehen als aus begründetem Widerspruch. Von der Gunst des Hofes gehätschelt, von allen Seiten begeistert begrüßt, in seiner Malerei der anmutigen Empfindungswelt der Wiener schmeichelnd, trägt der Meister der Katharina Cornaro über den Meister des Platogastmahls einen leichten Sieg davon. Alles kommt ihm zu Hilfe, der Kaiser gibt ihm die Wohnung und das Atelier; das Wiener Theater, das beste in Europa, dient seinen Wünschen. Charlotte Wolter, die vergötterte Heroine, wird seine Freundin und holt sich als „Messalina" in Wilbrandts Trauerspiel den schönsten ihrer Kränze, den sie Makart reicht, als er ihr Porträt vollendet. Ein unterirdisches Rauschen in den Jahren zwischen 1870 und 1880 gibt Kunde, daß ein neues Leben, dessen Ab227

bild die Bühne ist, mit dem Einzug der Farbe in die Malerei beginnt. Das biedermeierliche vormärzliche Wien, dessen letzte Zeugen, Waldmüller und Grillparzer, eben dahingingen, wird europäische Großstadt und Zentrum einer den Osten — wie Paris den Westen — beherrschenden gesellschaftlich-aristokratischen Kultur. Die holden Weisen des Wiener Walzers erklingen, die Melodien von Lanner und Strauß schweben dahin im altvertrauten Rhythmus, aber das Ballfest beim Prinzen Orlowsky in der „Fledermaus" schwingt sich in einer veränderten Inszenierung empor zu einem berauschenden Fastnachtsgetriebe, dessen köstliche Laune Sänger und Zuhörer in gemeinsamer Heiterkeit dahinreißt. Der Sommernachtstraum wird zum duftigsten aller Feenmärchen verklärt, um von Makart als Entwurf für den Vorhang des Stadttheaters übernommen zu werden. Der Festmarsch der von Verdi zur Eröffnung des Suezkanals komponierten „Aida" durchhallt das Opernhaus: Makart zeichnet für den Huldigungszug zur Silberhochzeit des Kaiserpaares die Entwürfe aller Gruppen, des Hochadels, der Zünfte, der Künstler. An der Spitze reitet er selbst auf weißem Rosse, als Rubens verkleidet, zu der Loge der Fürstlichkeiten, wo ihm Franz Joseph mit Tränen in den Augen unter den Beifallsstürmen des Volkes die Hand reicht. Neben dem Gußhause, mitten im Grünen, liegt der Pavillon mit den hohen Bogenfenstern und der angebauten Wohnung, dessen Geheimnisse wie aus einem Serail des Kalifen von den eifersüchtigen Ohren der Wiener Damen erlauscht werden wollen, in dessen Gängen das Rascheln der Seidenroben nicht verstummt, vor dem ein graubärtiger Diener die Wache hält, damit sein Herr in der Arbeit nicht gestört werde . . . und nicht in seinen Genüssen. Vereint sind Liebe und Lenz, Liebe und Kunst in diesem Hörseiberge eines „sinnlich übersinnlichen Freiers". Wir dürfen eintreten in das Atelier Makarts: „Ein träumerisches Schwelgen über228

kommt uns, weitläufige alte Gobelins bedecken das braune Wandgetäfel des hohen Raumes, im Plafondgebälk nisten Sonnenbrenner, und ein wunderlicher Zierleuchter hängt herab; Fresken verdämmern auf Goldgrund, bizarres Nippzeug, schlankhalsige und dickbäuchige Gefäße, Zierbronzen, Stoffe und Teppiche aus der Levante, uralte Truhen, vertracktes Schnitzwerk, plastische Gruppen, tropisches Blattgefieder, Tigerfelle, Panzermänner und Waffengruppen . . ." Durch zwei geschnitzte Säulenstämme führen Stufen hinab. Hier empfängt Makart in spanischer Tracht und Reiterstiefeln, arabische Hunde neben sich. Das lockige Haar ist unter dem Barett versteckt, auch die obere Hälfte der hohen, von scharfen Runen durchschnittenen Stirn. Aus dem bleichen, mageren Antlitz mit dem langen, gepflegten, rabenschwarzen Vollbart blicken stechende, dämonische Augen, von welchen Friedrich Pecht sagt, er habe ähnliche Augen nur bei Tieck und Delacroix gesehen. Zur Seite die Komposition, die er zu vollenden im Begriffe ist. Die anderen großen Werke sind auf der Wanderschaft, bei Ausstellungen, bei Händlern. Die Skizzen, viele Skizzen hängen an den Wänden, diese wie Edelsteine im Sonnenschein, mit flammendem Fackelbrand aufsprühenden Skizzen — eine wundervolle, vielleicht die mit beglückten Augen erschaute, mit überwachen Sinnen in schwelgerischem Hochgefühl ergriffene ursprüngliche Region der Malerei Makarts. Wie besessen von Beutegier wütet er mit Palette und Pinsel, die mannigfaltigen Töne von Rot, Gelb, Grün gefallen seinem trunkenen Blick mehr als die dunkleren, gesättigten Mischungen, das pompöse Karmin, das gellende Zinnober („Makartrot"), das kokette Rosa, das steife Zitronengelb, das medisante Ocker, das prophetische Mattgold, wozu ein gravitätisches Violett, ein gespreiztes Pfauenblau 'und ein flüsterndes Frühlingsgrün kommen — hört der Meister wie E. T. A. Hoffmanns Studiosus Anseimus auf die Stimmen von 229

Farbengeistern, indem er sie auf seine Leinwand bannt ? Beherrscht er sie — beherrschen sie ihn? Wie Wellen von Purpur und Brokat schlagen die bunten Elemente zusammen. Der Entwurf zum Einzug Karls V. eine schmetternde Fanfare wie zu einer Reiterschlacht. Die verschiedenen Studien der Kentaurenkämpfe: im Erdbeben zusammenstürzende Massen von Gesteinstrümmern und Menschenleibern. Graf Athanasius Raczynski, der große Kenner und Sammler, erwarb eine dieser Skizzen mit dem Bemerken, er wisse nicht, wie er die Glieder und Köpfe an die rechtmäßigen Besitzer verteilen solle, aber er sei entzückt! Alexander Wagner berichtete, daß Makart auf der Dult einmal eine rote Samtquaste gefunden habe, sich mit ihr einschloß und mit ihr spielte, bis er eine Studie anfing, die er nachträglich „die Papstwahl" benannte. Frau Eugenie Schäuffelen erzählte, als sie von Makart porträtiert wurde, habe er kaum auf ihr Gesicht, nur auf ihre blonden Haare und die braune Schärpe geachtet, weshalb das Bild nicht ähnlich geworden sei — ein Vorwurf, der vor allen Porträts des Künstlers erhoben worden ist. Diese Skizzen, ferne jeder literarischen Einstellung, ferne der Erziehung in der Pilotyschule und der Lehre der Historienmalerei, führen ein geheimnisvolles Eigenleben, das, mit allen Feuergluten der Farbe und nicht minder von allen Rhythmen der Musik geschwellt, sich tollkühn aufzuzehren scheint. In dieser Sphäre hat erst die „Salome" von Richard Strauß gleiche Wunder enthüllt. Der Vergleich, daß Studien sich fertigen Gemälden gegenüber verhalten wie Kammermusik zu Orchesterstücken, ist bei Makart durchaus gerechtfertigt. Sein Weg vom Entwurf, der im unbewußten Spiel seines Geistes entstand, zu den vollendeten Werken war lang, allzu lang für die Hast seiner Begierde. Daher begann er auch hier, auf ungeheuren Flächen seine improvisierende Lust frei schalten zu lassen, und führte mit 230

einem fegenden Furor, je mehr sein Leben sank, um so stürmischer, aber auch um so leichtsinniger, vor allem was das Material der von ihm verwendeten Farben anlangt, seine riesigen Kompositionen zu Ende. Otto Ludwig hat einmal von sich gesagt, daß, ihn in den Stunden des Empfangens zuerst die musikalische Stimmung überkomme, zur Farbe werde, und ihm, von dieser Farbe durchleuchtet, einzelne Gestalten vor Augen träten, in einer großen dramatischen Situation, aus der ihm das Werk erscheine. Genau so verläuft der Entstehungsprozeß der Bilder Makarts. Alle seine Hauptwerke, die „Pest in Florenz", „Katharina Cornaro", „Einzug Karls V. in Antwerpen", „Cleopatra", ferner die schon dem Genre genäherten Gemälde „Amoretten", „Fünf Sinne", „Abundantia" und die zahlreichen Plafondbilder sind in ihren Proportionen außerordentlich geschickt arrangierte, mehr im Licht der Bühne als im Licht der Natur zusammengestellte und durch koloristische Wirkung einheitlich in eine stillebenhaft behandelte Umgebung gefesselte Frauenfiguren oder Kostümgruppen. Indem der völlig naiv handelnde künstlerische Instinkt Makarts, von der Stimmung der Farbenskizze in seiner Einbildungskraft ausgehend und seines triebhaften Könnens eingedenk, sich bei der Ausführung einer dekorativen Ausdrucksform zuwandte, suchte er einen idealistischen Stil zu erreichen, auf den vielleicht die Bezeichnung „heraldisch" zutrifft. Das sind keine Allegorien, auch wenn sie durch Wahl des Stoffes und gewünschte Deutung solche zu sein vorgeben, weil sie fest und sicher an dem koloristischen Motiv haften, das in gegenständlichem Sinne erst ausgebildet wird. Ebensowenig sind es Illustrationen, denn selbst bei dem Zyklus, welcher die anschaulichsten Begebenheiten aus dem „Ring des Nibelungen" von Richard Wagner schildert, übertrifft die bewegte farbige Ausschmückung des Vorganges seinen dramatischen Inhalt. Makarts unheimliches Gedächtnis, das ihn ge231

legentlich von Rubens oder Veronese starke Einflüsse übernehmen ließ, paarte sich mit der Sinnlichkeit seiner Phantasie. Eine Sonderstellung nehmen die Ergebnisse des mit Lenbach im Winter 1875/76 verbrachten Aufenthaltes in Ägypten ein, der Makart zu einem in merkwürdigem Wechsel bald der optischen Wahrnehmung folgenden, bald aber doch wieder zur Vision verschwimmenden flüchtigen Verhältnis mit der Natur, der versengenden und verweichlichenden Natur des Orients, verleitete. Hier berührt sich seine Kunst mit der prikkelnden Feinmalerei der marokkanischen Szenen des gleichaltrigen, ebenfalls wie ein Meteor aufsteigenden und entschwindenden Spaniers Mariano Fortuny, dessen fürstliche Lebenshaltung in Rom mit der Stellung Makarts in der Wiener Gesellschaft sogar bis zu den Einzelheiten der Einrichtung des Ateliers und der hier begangenen Feste übereinstimmte. Makarts Bilder mögen einem modernen Geschmack nicht mehr zusagen — gleichwohl ist nicht zu bestreiten, daß sie mit einem Fanatismus ohnegleichen, mit einer unerhörten Virtuosität geschaffen worden sind und schon deshalb für immer hervorragende persönliche Künstlerdokumente bleiben werden. Die Freude an unzähligen Attributen, Emblemen und Zieraten, die nicht nur in den Ecken gehäuft sind, ist ein Bestandteil besonderer Art. Da meldet sich der Sammler, der antiquarische Liebhaber, der aus Schilfkolben, Palm wedeln, getrockneten Blumen und japanischen Fächern das Makartbukett zusammenband und durch seine Hilfe dem Kunstgewerbe einen weiteren Anstoß zu seiner farbenfreudigen Pseudorenaissance gegeben hat, für deren Entwicklung er zu Unrecht verantwortlich gemacht wurde. Er folgte mehr der herrschenden Mode, als daß er sie bestimmt hätte. Die Stühle, auf welchen man nicht sitzen, die Fenster, aus welchen man nicht sehen, die Becher, aus welchen man nicht trinken konnte, waren Erzeugnisse einer eklektischen Nachahmungssucht ; 232

der Makarthut in der Kärntnerstraße, die süßen, honigduftenden, der La France nachgezüchteten Makartrosen und die Makartbaisers bei Sacher sind nur Beweise, wie weit das Ergebnis eines lebenskünstlerischen Daseins, das Makart führte, gereicht hat. Gering war seine Einwirkung auf die deutsche Kunst, die sich schon dem Realismus näherte. Am nächsten zu ihm dürfte Reinhold Begas gestellt werden, als Schöpfer sinnlich bewegter Genreplastiken, deren Grazie neben seiner deklamatorisch wuchtigen Denkmalsarchitektur behende einhergeht. Auch zu einzelnen Werken von Arnold Böcklin, dessen „Pan im Schilf" den jungen Pilotyschüler zuerst auf den rechten Weg gewiesen hat, und Max Klinger haben sich schwache Fäden gesponnen. Weit eher zu beachten wäre die nicht geringe Abhängigkeit namentlich des österreichischen Schrifttums, die von den schwülstigen Epen Robert Hamerlings, den lüsternen Erzählungen Sacher-Masochs und Adolf Wilbrandts Schlüsselroman „Hermann Ifinger" bis zu Hans Hopfen und Richard Voß, sogar bis zur jüngeren Wiener Schule gegangen ist. Als Modell besitzt Makart alle Eigenschaften, die ihm als Roman- oder Bühnenfigur hohe Geltung bei einem Publikum verschaffen, welches berühmte Künstler nur im Samtjackett mit breitgeschlungener Seidenkrawatte bewundern möchte. Gerhart Hauptmanns „College Crampton" ist die erste und letzte Verbeugung des Naturalismus vor dieser Maestria gewesen, wenige Jahre nach Makarts Tode. Wir dürfen dieses frühe Hinscheiden nicht mit der entsagungsvollen Geste betrauern, die den Lorbeer niederlegte an der Bahre des genialen Künstlers, dessen Wink alle Göttinnen einer seligen, von wonnevollen Farbensymphonien durchklungenen Traumwelt gehorchten. In fieberhafter Spannung und Anstrengung der Nerven, in rasender Steigerung, ohne Rücksicht auf seine Gesundheit, hatte Makart alle Freuden der Welt durchkostet, der „Sinne Licht erlosch". In seinen Wer233

ken, welche, dem „unsubstantial pageant" gleich, den Shakespeares Prospero zeigt, an uns vorüberziehen, hat sich der helle Widerschein dieses Aufleuchtens erhalten, und er offenbart sich zum Beweis, daß auch die Erinnerung an Makarts Leben sich in ihm spiegelt. Faustisches Begehren tönt an unser Ohr . . . vernehmen wir nicht von ferne Faustens Bitte: „Verzeiht, o Herr, dies Flammengaukelspiel \"

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MICHAEL VON M U N K A C S y „Die Zeit ist schnell, noch schneller ist das Wer feig des einen Tages Glück

Schicksal,

versäumt,

Er holt's nicht ein und wenn ihn Blitze

trügen."

Körner,

Zriny.

Kleine Nationen besitzen ein ausgeprägtes Feingefühl für die Art und Weise, wie die Werke ihrer Künstler in der Fremde aufgenommen werden, und betonen es mit Recht gegenüber anderen Völkern. Sie betrachten die kulturellen Taten mit einem nicht geringeren Stolze als die diplomatischen und kriegerischen Erfolge, sie preisen die Meister ihrer Heimat als Helden und beanspruchen im Reiche der geistigen Gütergemeinschaft auch dann eine Gleichberechtigung, wenn die gefeierten Persönlichkeiten nicht zu den höchsten Tempelstufen emporgestiegen sind, nicht zu den Unsterblichen gehören, deren ewige Geltung von der ganzen Welt anerkannt wird. Es ist leichter, im „kleinen Bezirk" zu siegen und den Ruhm, den unteilbaren, zu genießen, als in einem von vielen Millionen Menschen bewohnten Vaterlande im schweren Wettstreit den Kranz zu erobern. Und es ist begreiflich, daß sich bei den Mitbürgern eine zur Überschätzung geneigte Empfindlichkeit zeigt, wenn sie glauben, ihren bewunderten Größen werde von den Ausländern nicht die erwartete Verehrung erwiesen. So dankt der Norden Tegner und Andersen, Ibsen und Thorwaldsen. So neigt sich die Schweiz vor Gottfried Keller und Conrad Ferdinand Meyer, vor Böcklin und Hodler. So grüßt Ungarn Petöfi und Madach, Jokaj und Munkacsy. Die ritterlichen Magyaren wissen, wie tief sie diesen Männern verpflichtet sind, die ihren Patriotismus in begeisterten Liedern ausströmen ließen, die tragische Seite ihrer Weltansicht in ein Drama 235

faßten, das sie ihren „Faust" nennen, die Bräuche und Sitten Ungarns in Romanen schilderten: drei hochbegabte Dichter, welchen sich der Maler zugesellt, der in seinen Bildern verwirklichte, was an Wahrung des Herkommens und religiöser Inbrunst, an heißblütigem Freiheitsdrang und musikalischer Üppigkeit von den drei Poeten besungen und erzählt wurde. Das ungarische Temperament, eine adelige Mischung von Beherrschung und Leidenschaft, guter Erziehung und zigeunerhafter Natürlichkeit, bestimmt ihr Menschentum und ihre Kunst, selbst wenn sich diese westlichen Einflüssen zuneigt. Die Befähigung, mit dem Stoffe umzugehen, ihn zu packen und zu formen, hat ihnen trotz mancher Abhängigkeit von den sozialen und politischen Bedingungen ihres Zeitalters durch die Verbundenheit mit den charakteristischen Verhältnissen des ungarischen Lebens und Treibens gesicherte Darstellungsmöglichkeiten und den Schmelz wie die reiche, ein wenig sentimentale Stimmung geliehen, die nicht nur zwischen Donau und Theiß einen allgemeinen Beifall findet. Ihre Popularität hat längst die staatlichen Grenzen überschritten, innerhalb deren offiziellem Räume die genannten Ungarn besondere Gunst erfahren. Auch in Deutschland haben sie Freunde gesammelt. Petöfis volksliederhafte Lyrik, Jokajs Erzählungen, die Fabel der Verwandlung des Menschen von Adam bis zum letzten Nachkommen, die Madachs Phantasie ersann, sind in deutschen Landen geschätzt wie Liszts Musik und — noch immer — die Bilder von Michael von Munkacsy. Auf der Ausstellung in Rom im Jahre 1 9 1 1 war die beste Gelegenheit geboten, in einer Auswahl von zwölf Gemälden sein Werk zu übersehen. Das schwere Kaliber von drei Historienbildern wurde durch Landschaften, Genre und ein Porträt auf eine Ebene gebracht, die modernen Anschauungen entsprach. Die geschichtliche Stellung dieser Malerei empfing Ergänzungen, die aus 236

einem dauerhaften Besitzstande und dem Hervorheben wesentlicher Eigenschaften derselben eine überzeitliche Bewertung begründen sollten. Munkacsys Realismus schien — so wurde erhofft — der Bedeutung Leibis nahe zu stehen. Den Impressionismus, der damals für die Beurteilung von Bildern den Ausschlag gab, wollten nachsichtige Kritiker bei dem bisher nur wegen der Gegenständlichkeit auf seinen Darstellungen beliebten Ungarn gleichfalls aufsuchen. Außerdem war es zur Gewohnheit geworden, Studien und Skizzen zu bevorzugen, deren künstlerischer Wert die nach ihnen ausgeführten Gemälde übertraf. Das kam Munkacsy sehr zugute. Man hatte in den Ausstellungen der Diezschule und der Pilotyschule in München erkannt, daß viele Talente die Versprechungen ihrer Jugend nicht gehalten hatten und legte einen Maßstab, der für Defregger, Grützner, Habermann paßte, wahllos allen Malern an, deren spätere Leistungen der neuen Auffassung nicht genügten. Der Stern Makarts begann wieder zu leuchten. Schon ließen sich Stimmen vernehmen mit der Äußerung, derselbe Glanz gehe von Munkacsy aus. Die Ähnlichkeit der Lebensführung, der frühzeitige Erfolg, das jähe Ende der beiden Künstler hatten wohl übereinstimmende Züge, aber ihre Entwicklung konnte kaum auf den nämlichen Nenner gebracht werden. Der Salzburger Meister war wie ein gewaltiges Meteor aufgestiegen, der Ungar stand unbeweglich unter den Sternbildern, wechselnd in der Stärke seines Lichtes und mitunter von Nebeln verhüllt. Ein für ihn eingerichteter Ehrensaal des Kunstmuseums in Budapest hat nunmehr zwischen Überschwänglichkeit und Ablehnung die Sicherheit eines die historischen und die gegenwärtigen Ansprüche gerecht anzeigenden Gleichgewichts getroffen. Der wesentliche Ausdruck des Künstlertums Munkacsys wird vor allem ersichtlich aus den Werken, die er in der Mitte seines durch die Begegnung mit Gemälden 237

von Knaus, Leibi und Courbet als Voraussetzungen seiner Malerei erreichten Aufstiegs zu europäischer Berühmtheit ausgeführt hat. Hierdurch fand seine Begabung auf ihrem natürlichen Fundament die Freiheit einer infolge der Virtuosität ihrer Technik aufregenden Wirklichkeitsvermittlung, deren Inhalt von der anekdotischen Beschränkung zu der gestaltenden koloristischen Empfindung emporgetragen wurde. Es war nur ausnahmsweise eine eigene Form, zu der sein Drang ausreifte, und doch auch keine Kompromißlösung, mit der sich seine revolutionäre Gesinnung beruhigte. Wer über ihn einen Roman schreiben wollte, könnte dieser nur auf kurze Zeit über ein ehrgeiziges Verlangen nach Publikumsgunst erhobenen, wahrscheinlich psychologisch erklärbaren Unsicherheit, die nicht durch eine kritische Reaktion beseitigt wurde und der Ordnung durch den Verstand entbehrte, die problematischen Bedingungen für die Schilderung der Entwicklung Munkacsys entnehmen. Ein ungewöhnliches Talent, von der Sinnlichkeit seiner ungarischen Abkunft gefördert, verschwendete seinen Besitz wegen mangelnder Einsicht in die wahren Werte seiner künstlerischen Existenz, wenn nicht überhaupt der wahren Werte künstlerischer Größe. Aus dem melancholischen Antlitz des früh gealterten Mannes, der in seiner Magnatentracht, den Säbel in der Hand, mit tiefliegenden bohrenden Augen unter einem gewaltigen, zerfurchten Stirngebäude, dichtem, schneeweißem Barte und wirrer Mähne wie ein Heldenschauspieler in der Rolle des Niklas Zriny aussieht, spricht die bekümmerte Verantwortung eines zwischen repräsentierendem Geltungsbedürfnis und nagendem Zweifel an dessen Fortdauer schwankenden Daseins. In seinem Tagebuch notierte Edmond de Goncourt: „Ein riesiger schlacksiger Körper, überwuchert von einem grauen Schöpfe, der an einen im Herbste von Spinnweben bedeckten Strauch erinnert. . . aus diesem langen Körper, der sich wie ein zerbrochener 238

Hampelmann auf den Lehnstuhl fallen läßt, kommt eine sanfte, klagende Stimme, die sich über Müdigkeit beschwert, welche ihm nicht einmal die Arme aufzuheben erlaube." Die Jugend des Knaben war gefahrvoll und hart. Als der kleine Michael Lieb in dem Städtchen Munkacs, nach dem er sich später benannte, am 20. Februar 1844 geboren wurde, der dritte Sohn eines Steuereinnehmers, genoß er nur wenige Jahre das friedliche Glück des Elternhauses. Sein Vater beteiligte sich an den Freiheitskämpfen und mußte seinen Mut im Kerker büßen. Die Mutter starb, der Vater folgte nach, der siebenjährige Junge wurde von einem Onkel aufgenommen, ein Heft mit Zeichnungen nach Köpfen von berühmten Patrioten in den Händen. Seine Beschäftigung setzte er bei einem deutschen Maler Fischer fort, der ihm Stunden gab. Dieser wurde von einem wandernden Porträtisten aufgesucht, der in den Höfen und Schlössern herumzog und den heranwachsenden Knaben auf seine Fahrten und nach Budapest mitnahm. Munkacsy blieb immer ein dankbarer Schüler Elek Szamossys, der seine Fähigkeiten klug ausbildete, indem er ihn frei ließ von akademischem Zwang, auf die Natur in ihrer Mannigfaltigkeit wies und eigenen Wünschen zu gehorchen erzog. Szamossys Methode war den Fortschritten der bald zur Malerei in Öl übergehenden Arbeit seines Zöglings günstig. Er blieb ihr treu, bis er mit einem Stipendium nach Wien und München ging, wo ihn Rahl und Piloty nicht in ihre Ateliers aufnahmen. So hielt sein Autodidaktentum den von allen Seiten kommenden Einflüssen stand und unterwarf sich weder seinen Landsleuten Benczur, Liezenmayer, Szinyei-Merse, Alexander Wagner, noch der systematischen Belehrung Franz Adams. Auch Makart, Gabriel Max und Schider, die hellsten Gestirne am Himmel der Pilotyschule, haben ihn kaum stärker gefesselt als mit äußerlichen Anregungen oder bescheidenen Rezepten. 239

Erst in Düsseldorf entschied sich sein künstlerischer Eifer zu einer Wendung. Als Munkacsy im Jahre 1868 an den Rhein kam, stand Knaus auf dem Gipfel seines Ruhmes. Unter seiner Führung war die Genremalerei mit Bevorzugung des gefällig erzählenden Inhalts für ein Publikum berechnet, das über das gebildete Bürgertum hinaus sogar ernsthafte Kunstfreunde und Kritiker umfaßte und nach Paris und Amerika reichte. Zunehmende Wohlhabenheit hatte Wohnungsausstattungen gewählt, worin zwischen echten und unechten Antiquitäten in dunklen Räumen heitere oder rührselige Bilder in prächtigen Rahmen zusammengestopft waren, um bei der Tafel einen Gesprächsstoff herzugeben. Das Temperament Munkacsys verweilte nicht lange bei kleineren Darstellungen, die aufs genaueste die üblichen Modelle festhielten und eine kräftigere Tonart der realistischen Malerei anschlugen, als Knaus gelungen war, auch die glatte Düsseldorfer Politur durch die lockere Münchener Technik auffrischten. Indem er von Knaus die kompositionellen Vorteile seiner mit anerkannter Schönheit der Bewegung geschaffenen Hauptwerke annahm, übertrug er sie auf ein Motiv, das ihm die Erinnerung an seine Heimat empfahl, der, „letzte Tag eines Verurteilten". Diese Leistung als Zeugnis einer ursprünglichen Begabung, einer leidenschaftlichen, psychologisch ernsten Auffassung und eines glänzenden, in müheloser Beherrschung der Palette sich bewährenden Farbensinnes war außerordentlich und erregte ein ungewöhnliches Aufsehen. Dem entsprach der Erfolg auf der Ausstellung in Paris. Das Bild erhielt die goldene Medaille und von allen Seiten eine Anerkennung, wie sie seit Coutures „Römern der Verfallzeit" nicht mehr geäußert worden war. Sie galt dem moralisierenden Vorwurf ebenso wie der aus der Dunkelheit des Hintergrundes hervorgewachsenen koloristischen Inszenierung, die schmelzend in einer flüssigen Technik angelegt war und eine verblüffende Sicherheit 240

der Interieuraufnahme wie des Studiums der Volkstypen bewies. Das Stoffgebiet des Genre wurde erweitert und die soziale Aufgabe hereingezogen, in einer ähnlichen Absicht wie sie Courbet, mit den gleichen Mitteln der Malerei weit kühner vordringend, auf das Panier einer neuen Kunst in Frankreich geschrieben hatte. Zu dem durch unzählige Stiche bekannten Gemälde ist ein Entwurf vorhanden, der es an genialer Wucht der stimmungsmäßig erreichten dramatischen Wirkung überragt. Er zeigt nur den Ausschnitt mit dem Verurteilten am Tische, von dem ein Leuchter geheimnisvoll-schauerliche Reflexe in die Tiefe des Raumes verstreut, und einem Soldaten, ohne die theatralische Zusammenhäufung von anderen Figuren, die dem ausgeführten Werke das einheitliche Gefüge nehmen. Der Rhythmus der Kontrastierung der Licht- und Schattenquellen wird durch die breite weiße Fläche eines Tischtuches zu einer ergreifenden koloristischen Deutung gesteigert, in der kleinen Skizze die Größe einer geschlossenen Form bestimmt, die durch die Erregung der Phantasie nicht etwa aus ihrer natürlichen Grenze gerissen, sondern visionär vergeistigt ist. Selbst Leibi ist eine so starke Anschaulichkeit des von der Erdenschwere gegenständlichen Ballastes freien Geschehens im Triumphe des Vortrags der Malerei selten gelungen. Eine schwermütige Zigeunerweise schwillt aus den Abgründen tragischer Schicksalsmächte empor. Eine derart eindringliche persönliche Sprache war dem Schaffen Munkacsys später nicht mehr verliehen. Seine Kunst war in die Nähe der Meisterschaft Leibis gelangt und enthielt auch einzelne ihr verwandte Eigenschaften: den erlesenen Geschmack bei der Verwendung der farbigen Substanzen zur Herstellung des Bildes, die Befähigung einer seelischen Charakterisierung bei ihrem Verhältnis zum Menschen und endlich kleine technische Handgriffe. Munkacsy hat diesen Einfluß zugegeben. Während aber Leibi in die Tiefe einer mit der 16

Uhde-Bernays, M i t t l e r u n d Meister

241

Wirklichkeit der Erscheinung ringenden, sich in ernstem Schauen versinnlichenden und erst in seiner letzten Schaffensperiode freier gelösten Problematik drang, sich in Labyrinthen von Grübelei und Einsamkeit spaltete, ließ sich Munkacsy verführen, dem flüchtigen Scheine rascher Berühmtheit und klingenden Lohnes dienstbar zu werden. Noch behandelte er mit den „Charpiezupferinnen" einen von energischen naturalistischen Kräften gelenkten, wiederum im Ausgleich heller und dunkler Flächen schön zusammengestimmten Vorfall aus der Kriegszeit, der durch eine abwechslungsreiche Valeurfreude eine sprühende Gegenwart und eine lebhafte Leichtigkeit empfing, auch für Max Liebermann und Rudolph Hirth du Fresnes ein gutes Beispiel ihrer ersten Arbeiten geworden ist. Hierauf übersiedelte Munkacsy nach Paris und hatte das Glück, im Verlaufe von wenigen Jahren aus einer weitreichenden Geltung als einer der bedeutendsten europäischen Genremaler eine internationale Modegröße zu werden und sich in dieser Einschätzung zwei Jahrzehnte zu behaupten. Aber aus dem Wirklichkeitsgefühl der frühen realistischen Sittenbilder wurde eine konventionelle Gesellschaftsnovellistik, aus der dramatischen Spannung des im rechten Moment gepackten Motivs entstand die langatmige Erzählung, die das tableau vivant im starren Krämpfe nicht einmal mehr der theatralischen Effekte für würdig hielt, um mit einer folgerichtigen Fortsetzung dieser Methode zum Panorama, um nicht zu sagen zum Panoptikum herabzusinken. Ein vernichtendes Urteil fürwahr, das leider gefällt werden mußte und das vor allem nicht mildernde Umstände bewilligen darf durch die Erwägung, daß Munkacsy eine große Begabung geschenkt war, die er auf einem falschen Wege von ihrem Ziel ablenkte, ein ungarischer Courbet zu werden, und daß sein Werk innerhalb seiner Zeit eine von keinem anderen Künstler, weder von Meissonier noch von Leighton, in solchem 242

Umfang und mit solchem finanziellen Ergebnis erlangte Bedeutung hatte. Z u der Wildheit der malerischen Improvisation, die Courbet eigen war, zu der Spiegelung der Erlebnisse und Eindrücke der Natur, die der Franzose mit offenen A u g e n und wachem Geiste in seinen Landschaften und Figurenbildern festgehalten hat, fehlten Munkacsy zwar nicht die sorgsam zu pflegenden Triebe der Veranlagung, aber die Kenntnis ihrer wesentlichen Lebensbedingungen. Z u Manet fand er ebenfalls kein Verhältnis. Daher dürfen wir Courbets „ A t e l i e r " und Manets „ C r o q u e t p a r t i e " niemals mit den Salontrivialitäten zusammenbringen, die der ungarische Liebling der Pariser D a m e n um 1880 so freundlich mit hübschen Unterschriften in seinem fürstlichen Hause in der R u e de Lisbonne anfertigte. A n die Geschmeidigkeit und Routine des Belgiers Stevens waren intime Anpassungen bequemer möglich als an Courbets rauhe Materie. Andere Gemälde, wie das „ L e i h h a u s " und der „ D o r f h e l d " , die bereits in den ersten Jahren in Paris vollendet wurden, bleiben nach Komposition und Technik von K n a u s und der Düsseldorfer Schule abhängig und wiederholen in der Anordnung der Figuren und der aus Asphalt und Sepia schwarz und schwer zu wärmeren Akzenten hinübergetragenen Farbensymphonik die im „letzten T a g eines Verurteilten" einst zu einer persönlichen Ausdrucksfähigkeit aufgerückte A r t der Genremalerei Munkacsys. D e m 1876 teils mit überzeugtem Realismus ausgeführten, teils mit blendenden Lichteffekten übergossenen Gemälde „ I m Atelier", das den Künstler mit seiner Gattin vor der Staffelei zeigt, folgte als nächster der dramatisch-historischen Vorwürfe „Milton diktiert seinen Töchtern das verlorene Paradies". Diese Arbeit gewann auf allen Ausstellungen den Beifall der Menge, die die theatralische Unwahrscheinlichkeit der mit den Kostümen und der Maschinerie der Pilotyschule und des Meininger Hoftheaters inszenierten und „ s t i l g e m ä ß " ausstaffierten Familien243

plauderei befriedigt als Bereicherung seines literarischen Wissens begrüßte. Anderen, tieferen Funktionen künstlerischen Sehens, vor allem bei der Darstellung von Geschichtsbildern, geneigt, von echten Meistern zur guten Schulung des Auges, der Sinne und der Seele erzogen, von einem lebendigeren Gefühl für Form und Gegenstand bewegt, hat schon die nächste Generation der pathetisch aufgemachten Erzählung der dekorativen Historienmalerei die Gefolgschaft verweigert. Der zunehmende Ernst härterer Daseinsmühe in Kampf und Sorge lehnt Stoffe ab, die aus der Vergangenheit eine rührende Episode herüberholen, über eine farbengleißende Bühne ihre bunten Drapierungen fallen lassen, und Geschichten berichten, nicht Geschichte. Wie die Möbel und Tapeten der Eltern betrachtete man die Bilder, an welchen sie sich ergötzt und zu belehren geglaubt hatten, als verbrauchte Requisiten und nicht ohne ein bedenkliches Kopfschütteln. Das Schicksal Pilotys, Gerömes, Meissoniers erfüllte sich mit der gleichen Unerbittlichkeit an Munkacsy, in Deutschland früher als in Paris. Denn dort herrschte die konservative Gesinnung des literarischen und künstlerischen Geschmacks infolge der Gewöhnung an eine allmächtige Tradition weit anspruchsvoller über das allgemeine Urteil als in den meisten anderen europäischen Hauptstädten. Munkacsy hatte durch seine Heirat, sein Einkommen und die Reklame seines Leibhändlers Charles Sedelmeyer, auch durch seinen Ruf in Amerika eine sogar unter seinen französischen Partnern einzige Stellung erreicht. Sein Palast und sein Atelier waren bevorzugte Mittelpunkte der Versammlungen der Aristokratie und Plutokratie, seine Feste von Hunderten von Neugierigen besucht. Aus den Berichten über diese Abende erscheint gespensterhaft, von bengalischer Beleuchtung umzuckt, eine Welt, in der man sich nicht langweilt, eine Welt zugleich des Trugs und der besten geistigen 244

Kultur, friedlich geordnet und jedenfalls fern von Gefahr. In eine derartig beschaffene Gesellschaft, deren dekadente Empfindsamkeit mit religiöser Schwärmerei zu kokettieren begann, schlugen die Riesengemälde aus dem zweiten Jahrzehnt, das Munkacsy in Paris verbrachte, mit einer ungeheuren Wirkung ein. Renans Schriften hatten soeben ihren Abschluß erreicht, entrüstete Gegner und fanatische Anhänger auf den Plan gerufen, und zwei Parteien innerhalb der wissenschaftlichen und der mondänen Sphäre der Pariser großen Welt gebildet. Die Gestalt Christi und die Frage weniger nach den Offenbarungen seiner Lehre als nach der Tatsache, ob er wirklich gelebt habe, erregten die an kraftvollen Ereignissen arme Zeit und verschafften allen hitzigen Gemütern die ersehnte Gelegenheit zu strammen Wortgefechten. Da wurde „Christus vor Pilatus" ausgestellt. Eine gewaltige Komposition, mit allem Zubehör treffender Charakterisierung für die auftretenden Personen, ein Meisterstück szenischer Gruppierung. Historie, Genre und gegenständliche Stimmungsregie, eine Versammlung interessanter Rasseköpfe, braune, düstere, von Blau und Dunkelrot aus dem Hintergrunde herausgelöste Mischungen, schwere Monotonie einer auf vier nach ebenmäßiger Proportion gestellte Figuren beschränkten Handlung bringen gleichwohl keinen über den Scheinrealismus des Theaters hinausreichenden Eindruck wahren Lebens hervor. Die Einwendungen oder Lobesworte, die in schroffer Gegensätzlichkeit sich an das im Jahre 1880 aufgeführte Passionsspiel in Oberammergau richteten, wurden auch vor dem Gemälde Munkacsys jeweils nach dem Grade der inneren Beziehung zu der religiösen Unterlage oder zu der Sensation des Motivs geäußert. Aber die Zustimmung überwog. Schon lockte ein zweiter, der höchste Vorwurf aus der Leidensgeschichte Christi zu einer noch kolossaler in ihren Dimensionen gehaltenen Darstellung. 245

Dem „Christus vor Pilatus" wurde die „Kreuzigung Christi" zur Seite gesetzt, eine für die Neigung des Künstlers zu einer bühnengerechten Zusammenstellung seiner Personen weit gefährlichere Verführung, den erhabenen Stoff zu einer Berichterstattung statt zu einer reizvollen koloristisch einheitlich zur Geltung gelangenden Malweise und zu einer durch die Kraft der seelischen Spannung hinreißenden Form zu benutzen. Munkacsy verließ das Gebiet der historisch überlieferten Anschaulichkeit, die durch das Wort der Bibel in ihrer schlichten Größe seinen Wunsch nach einer monumentalen Schöpfung angeregt hatte, ebensowenig wie Delaroche, Piloty und Anton von Werner auf ihren geschichtlichen Gemälden. Auch er betrachtete das Ereignis mit der Absicht, es durch die möglichst gedrängte Anordnung von zahlreichen Gruppen vornehmlich mit den Mitteln der Koloristik wiederzugeben und seiner auf Klang und Stimmung der farbigen Instrumentation gerichteten Begierde nachzukommen. Bei „Christus vor Pilatus" herrschte das Genre, bei der „Kreuzigung" wurde die reliefartige, also schauspielerische Bewertung der Figuren zur Regel. In die Rufe des Einverständnisses mit dem angeblichen sozialen Realismus dieser Kunst mischten sich Worte des Argwohns, ob nicht bei diesem Bilde ein Ausgleichversuch zwischen Bühne und Wirklichkeit bezweckt worden sei, der schon der Wirkung eines Panoramas verglichen werden müsse. Daß eine religiöse Darstellung ein geistiges Verhältnis herzustellen berufen sei, schien nicht erwogen zu werden. Auch an den Werken der bildenden Kunst offenbaren sich die Anzeichen der in ihnen verborgenen schädlichen Eigenschaften häufig erst, wenn sie als Beispiele übernommen und von Schülern oder Nachahmern zum Vorbild erkoren worden sind. Dann werden frühere Anklagen mit verdoppelter Heftigkeit wiederholt. Mun246

kacsys „Kreuzigung" ist strenger beurteiit und verurteilt worden, als Bruno Piglhein ein riesiges Panorama aufstellte, das unter anderen Voraussetzungen als das Gemälde des ungarischen Meisters, zweifellos aber, verwegen und rücksichtslos, im Wettstreite mit ihm geschaffen war. Bei dem Deutschen kam die komödiantische Aufmachung des Rundgemäldes nicht sogleich und niemals zur ausschlaggebenden Bedeutung. Wie vor ihm der englische Präraffaelit Holman Hunt ein aufmerksamer Beobachter der Natur, hatte Piglhein mehrere Jahre in Palästina verbracht und eine gesicherte landschaftliche Szenerie geboten, die, in eine geschickt verteilte Beleuchtung eingefaßt, zunächst eine einwandfreie topographische Wiederholung des Geländes mit dem Gesamtblick über Jerusalem vermittelte. Er hatte vermutlich vor den Zauberkünsten und Guckkastentricks der Schlachtenpanoramen, die den Erwartungen einer auf billige Täuschungen gerichteten Zeit nachkamen, für seinen Privatgebrauch die Erfahrung gemacht, daß Kitsch durch Einhaltung enger Grenzen erträglich sei. Bei dem Vergleiche mit Munkacsy wurden die in dieser Hinsicht gemeinsam begangenen Fehler zuungunsten des älteren der beiden Künstler gebucht, der an Stelle des Ereignisses nur seine profane koloristisch behandelte Realität ergriffen hatte und im Rahmen des Bildes die Schilderung des gegenständlichen Gehaltes nach schematisch getrennten Prinzipien, nicht nach einer geschlossenen formalen Erfüllung anstrebte. Die Beziehung des Schülers zu seinem Lehrer erschöpfte sich indessen im Gegenständlichen, obwohl sie deutlicher aufzutreten schien als die Abhängigkeit, die Liebermann und Uhde an Munkacsy fesselte. In den Anregungen, die diese beiden Maler von dem Ungarn empfingen, liegt vielleicht die letzte und wichtigste Bedeutung Munkacsys für die Gegenwart. Liebermanns „Gänserupferinnen", am Ende seiner Studienzeit in Weimar vollendet, haben von den „Charpie247

zupferinnen" Munkacsys den Aufbau der Komposition, die fleckenhafte, in Kontrastwirkungen stimmungsvoll ausgedrückte Malerei, die realistische Auffassung mit einer überraschenden Ähnlichkeit genommen. Bemerkenswerter war Munkacsys Einfluß auf Uhde, der ihn zufällig in München kennenlernte, ihm nach Paris folgte und als einer der wenigen Schüler des Meisters genannt werden muß. Uhde schloß sich mit seinen ersten Arbeiten, der „Chanteuse" und „Die gelehrten Hunde" gänzlich seinem Vorbild an, bei dem zweiten Bilde allerdings schon nach einer wirklichen Begebenheit, nicht nach Modellposen im Atelier, seine Motive zu wählen und darzustellen gewillt. Am nächsten stand er dem Lehrer auf dem in einer empfindungsvollen bräunlichschwärzlichen Galerietönung abgestimmten Bildnis mit seiner Frau, das im Rhythmus der Farben und der räumlichen Proportion dem gleichen Gemälde Munkacsys entspricht, aber als Interieur für sich besteht, ohne Absichten auf dekorative Ansprüche. Uhde ist bald den Verlockungen dieser allzu gefälligen Genrekunst aus dem Wege gegangen und hat sich in seinen religiösen Werken einer idealistisch-sozialen Darstellungsweise zugewandt, deren ethischer Gehalt dem Vorstellungsvermögen seines Vorgängers verschlossen war. Munkacsy stürzte sich, von einem furchtbaren Leiden bedroht, mit einer verbissenen Energie in die Arbeit. Man berichtet, daß er in den letzten Jahren seines Lebens viele Bilder in schmerzlichem Ringen mit dem Dämon an seiner Seite verwarf, veränderte, von Zweifeln geplagt neu begann. Ein krankhafter Fleiß förderte seine Betriebsamkeit bei einer Anzahl von Unterhaltungsbildern, Porträts, Blumenstilleben und mehreren lichten, melodischen Landschaften, welche die Art seines Landsmannes Paal, der jung gestorben war, fortsetzten und das Echo der Alleen von Fontainebleau nachhallen ließen. Viele Pläne beschäftigten seine un248

ruhigen Gedanken, von welchen nur das Gemälde „Mozarts letzte Augenblicke" verwirklicht wurde, ein nach der Schablone des Milton unternommener schwacher Versuch einer Erneuerung einstens vorhandenen erzählenden Geschicks. Völlig mißlang der „Aufruf zum Streik", die Darstellung einer Arbeiterversammlung, womit Munkacsy das Gebiet des sozialistischen Tendenzbildes erfolgreich zu betreten gehofft hatte, ohne mehr zu erreichen als den gewohnten, nicht einmal zu einer festen Komposition verbundenen Aufmarsch von Modellen. Auch kam ein letzter religiöser Vorwurf zustande, ein „Ecce homo" mit zahlreichen Studienköpfen voll abgründigen Hasses oder duldsamer Ergebung — ebenfalls nur eine Wiederaufnahme früherer Wirksamkeit. Die „Apotheose der Renaissance", als Deckengemälde in das Treppenhaus des kunstgeschichtlichen Museums in Wien eingelassen, eine in der kühnen Aufrollung der Perspektive an Tiepolos Entwürfe mahnende, inhaltlich dürftige und infolge der übersteigerten Verkürzungen zur Hälfte gepreßte, zur anderen Hälfte öde und kahle allegorische Dekoration, und die „Huldigung Ungarns an Arpad", deren patriotische Geste nicht unter, aber auch nicht über den bescheidensten Forderungen steht, die man an die im staatlichen Auftrage ausgeführten Historienbilder zu stellen pflegt, beenden das Werk, das Michael von Munkacsy hinterlassen hat. Am i. Mai 1900 ist er in der Irrenanstalt von Endenich bei Bonn gestorben. Im Umkreise der europäischen Malerei des 19. Jahrhunderts ist sein Name bekannt und wird immer geachtet bleiben, obwohl er nicht den Rang bewahrte, den ihm die Zeitepoche gab, in der er lebte. Er war kein genialer Verschwender wie Makart und auch kein schwelgerischer Enthusiast wie manches Mitglied der Pilotyschule. Seine künstlerische Statur reckte sich empor mit zähen Sehnen und straffen Muskeln, sie verfügte über die meisterliche Mitgift der angeborenen 249

naiven, sodann der dramatischen Erkenntnis aller Gewalten der Farbe dienstbaren Fruchtbarkeit. Daß der Boden, der aufnahmebereit war für den Samen edler Malerei, nach der kurzen Pflege in Düsseldorf brachlag und in Paris der notwendigen, dort reichlich vorhandenen Saatkörner entbehrte, weil seinem Hüter die richtige geistige Intention und der Entschluß zu ihrer Ergreifung und Benutzung mangelten: in dieser Feststellung ist die verhängnisvolle Entwicklung der Tätigkeit Munkacsys gekennzeichnet. Ob er unter seinen Ungarn wie Jan Matejko unter seinen Polen als ein Herold des nationalen Ruhmes zu anderen Zielen sich gewendet haben würde, wenn er in seiner Heimat geblieben wäre, ist nur für sein Vaterland von Bedeutung. Die Ungarn haben ihm den höchsten Ehrenplatz angewiesen, seine populäre Gestalt mit großer Verehrung umgeben, ihn mit Franz Liszt verglichen, den berühmten Maler neben den berühmten Musiker gestellt. Auch bei Liszt war die Bekanntschaft mit dem Menschen eine Vorbedingung der Begeisterung für seine Werke. Um Liszt gerecht einzuschätzen, muß man Ungar sein, über die Pußta reiten, den Weisen der Zigeunerkapellen mit Lust und Liebe sich hingeben, Czardas tanzen, den feurigen Menescher, Tokaier und Szamorodner trinken und vertragen können. Vielleicht gehört die ungarische Volksverbundenheit dazu, um auch das Talent Munkacsys und den Preis, nach dem er sehnsüchtig die Arme erhob, restlos zu würdigen. In seiner Autobiographie hat Graf Geza Zichy, der einarmige Pianist und Intendant der Budapester Oper, über Liszt geschrieben: ,,Ungarn hat nicht Blumen genug, um so viel Kränze zu winden, wie sein Andenken verdient." Wenn die Ungarn, im Stolze auf ihre nationalen Güter, ihrem Meister der Malerei die gleichen Ehren schenken wollen, dürfen wir sie daran nicht verhindern. Liszt und Munkacsy sind verwandte Naturen, einander nahe auch durch ihre Berufung zu einer Künstlerlaufbahn unter dem Zeichen der vir250

tuosenhaften Berühmtheit und durch die Skepsis, mit der sie, die unerreichbare Größe des Genies in den Schöpfungen von Richard Wagner und Gustave Courbet ahnend zu erkennen imstande, entsagungsvoll auf die höchsten Zweige des von der Nachwelt gereichten Lorbeers verzichteten, nach welchen sie mit glühendem Ehrgeize verlangten.

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WILHELM LEIBL

„Es ist der Charakter der Deutschen, daß sie über allem schwer werden, daß alles über ihnen schwer wird," Goethe.

D i e beiden größten deutschen Maler, die im Verlaufe des 19. Jahrhunderts in einsamer Majestät ihr unvergängliches Werk geschaffen haben, Hans von Marées und Wilhelm Leibi, stehen sich gegenüber wie zwei mächtige Berge, die durch Abgründe getrennt einander ewig fern sind und doch aus demselben Urgestein des Erdbodens heraufwuchsen. Von den Strahlen flammenden Sonnenlichtes umflossen, wendet sich das Haupt einen des Gipfels offen und frei nach dem Süden. In tiefe Schatten schweigsamer Dämmerung eingebettet, kehrt sich das Antlitz des anderen dem Norden zu. Vulkanische Geheimnisse sind in ihnen geborgen, drängen sich empor mit Druck und Stoß, schwer und hart, unter der Oberfläche granitener Felswände, in vergeblichem Kampfe. Ein kaum begreifliches Gleichnis des unvereinbaren Gegensatzes der Art und des Wesens, die in der zwiespältig zerrissenen Seele des deutschen Menschen miteinander streiten, bietet sich dar zu nachdenklicher Erinnerung. Vergeblich, nach einer Erklärung zu forschen, eine Begründung zu suchen von rätselhaften Daseinsbedingungen, die mit dem deutschen Schicksal verbunden sind und sich aus ihm gestaltend vollziehen. Dieser nach zwei polaren Zielen gerichteten Seele gehorcht der Ausdruck des deutschen Gesichts, dessen Züge bald von den Runzeln finsteren Gegrübeis zerfurcht, bald von den Erregungen hoffnungsvoller Wünsche gelöst sind. Gefährlicher als anderen Nationen 252

ist das Los dem Deutschen gefallen, im Ringen um sein Lebensrecht wie bei dem Wettbewerb um den Siegespreis der Dichtung, der Musik und der bildenden Kunst. So war es von je und ist es noch heute. Des sind Dürer und Grünewald, Mozart und Beethoven, Schiller und Kleist merkwürdig mahnende Beispiele. Auch Marées und Leibi. Sehr oft haben zwei Meister, die also für ihr Vaterland zeugen, zur gleichen Zeit gelebt, der scheinbar sichere Bürge der Wirklichkeit und der scheinbar schwankende Schatzgräber des Traumes, der Realist neben dem Idealisten, beide tapfere Helden in eigener Not und daher der Dankbarkeit ihres Volkes gewärtig. Der schematischen Bezeichnung, Realismus und Idealismus, wollen sich Männer nicht unterwerfen, deren Entwicklungsgang in wechselnden, sogar widerspruchsvollen Wendungen geschah, die, dem Gesetz ihrer Veranlagung untreu, sich zu ihrer Bestimmung zurückfinden mußten, auch Künstler, die sich wie Marées und Leibi stets des rechten Weges bewußt waren, aber im Weiterschreiten einen innerlichen Veränderungsprozeß durchzumachen hatten, der die Erfüllung ihrer Aufgabe verzögerte. Überhaupt sollte man aufhören, die künstlerischen Ordnungen in theoretische Begriffe zu zerlegen, deren Grenzen sich durch die fließende Lebendigkeit des schöpferischen Vorganges sogar für die einzelne Person bei jedem Werke auch gefühlsmäßig verschieben. Im Grunde ist jeder echte Künstler Idealist, von dem Glauben an seine Sendung geleitet. Was seiner Begabung gemäß seinen Vorsatz und Willen von anderen scheidet und in jene Kategorien einreiht, ist zunächst nur äußerlichen Zeichens und fällt in den Tatbestand des Stoffes, der Materie und ihrer Behandlung, gleichzeitig freilich in die Spanne der sinnlichen und geistigen Vorstellung, mit der er die Natur betrachtet. Das erkennen wir vor den Gemälden von Marées und Leibi mit besonderer Neugier. Eher ließe sich von optimistischen und pessimistischen Motiven der Weltanschauung 253

sprechen, deren allzu hohe Beurteilung seit Nietzsche üblich ist. Große Meister der Kunst gehen gänzlich auf in ihrem Werk, das zu vollbringen sie ihr eigenstes Wesen drängt, prometheisch, faustisch, auf göttliche Befehle mit dem freiheitlichen Respekt des Genies zu horchen bereit. Darum sind sie einsam. Darum können sie nicht volkstümlich werden, weil Popularität nicht von den Formen, sondern von den Gegenständen der Darstellung abhängt: ,,Ach, der Menge gefällt, was auf den Marktplatz Und es ehret der Knecht nur den Gewaltsamen; An das Göttliche glauben Die allein, die es selber sind."

taugt,

Darum auch sind die Herrlichsten, Besten aus ihrer Mitte entrückt und abhold der Gegenwart, die es für sie nicht gibt. Und aus diesem kleinen erlesenen Kreise treten nochmals Wenige heraus, die weder Kinder ihrer Zeit noch Angehörige der Epoche sind, in der sie leben. Vom Himmelsglanze einer keuschen Weihe umgeben bringen sie die Verantwortung ihrer Existenz wie ein Symbol über Jahrhunderte hinweg in die Unsterblichkeit einer dauerhaften Wirkung. Analogien werden aus der Geschichte herangezogen, um ewigen Besitz zu bestätigen, neben Marées der Rembrandt der Bataververschwörung, neben Leibi der Frans Hals der Hille Bobbe gestellt, vielleicht mit stärkerem Recht dort Beziehungen zu Hölderlin und der Antike, hier zu Ibsen und dem Naturalismus gewiesen. Die beiden Maler gleichen, so wurde gesagt, riesenhaften Bergen. Ihre Spitzen zu ersteigen und dort über der Welt verweilen zu wollen, ist ein kühnes Unterfangen, das selten gelingt. Der Schauer ihrer Naturen umweht den Wanderer in der Höhenzone ihrer kosmischen Gewalten. Über die erforderlichen Eigenschaften zur Erreichung eines innigen, beglückenden Verhältnisses zu ihnen zu verfügen, bedarf es der geistesverwandten Veranlagung, des genau 254

orientierten Sehens, der sicheren Witterung, um nicht in die Irre zu schweifen. In weicheren Lüften bei Hans von Marées sich niederlassen ist leichter als im Brausen des Sturmwindes bei Wilhelm Leibi seßhaft werden. Selbst der treueste Freund seiner Kunst wird in seiner Nähe manchmal frösteln und den Rock fester ziehen. Jedes Lächeln entschwindet vor einer Wahrheit, die grausam sein kann. Um in das Werk eines Meisters wie Leibi, das scheu, rechtschaffen, gesund und zudem von bewegten Farbenharmonien überflutet ist, vollständig einzudringen und seine Bedeutsamkeit in der eigenen Brust nachzufühlen, muß die Ausnutzung eindrucksgewisser Kontraste gestattet sein. Aus diesem Grunde wurde nicht Menzel, wie häufig geschieht, sondern Marées angerufen, damit sich aus der Antinomie der Vorstellungen das Profil der Persönlichkeit Leibis in schärfster Beleuchtung heraushebe. Zwischen den orphischen Rhythmen der Phantasie, in welchen Marées sich verkündet, und den optischen Sanktionen der Sinne, des Auges, der Sehnerven, die Leibis Stil einschließen, bestehen nur, wenn wir wollen, gewisse musikalische Assonanzen als leise gemeinschaftliche Untertöne ihrer durch das Gefühl hindurchgeleiteten künstlerischen Sprache. Die gewagte Beschwörung der Erscheinungen der beiden Maler mag genügen, dem forschenden Blick auf Leibi eine Richtung und Weite zu geben, worin sich seine Gestalt vielleicht gebieterischer, gewiß auch menschlicher und in seiner Malerei leichter verständlich offenbart. Denn in seinem Inneren verbarg sich eine zarte, von philosophischen, mystischen Gedanken und Problemen erschütterte deutsche Seele, die schweigsam über unergründlichen Tiefen schwebte, niemals ihre geheimen Sorgen mitzuteilen wagte und nach außen die harmlose Biederkeit eines Jägersmannes und Naturburschen als willkommenen Schutz gegen die Angriffe der Welt ansah. Aus dieser überirdischen Zelle seiner Veranlagung entstan255

den, in wechselnder zeitlicher Scheidung schwächer oder kräftiger bemerkbar, die individuellen Triebe seiner Kunst, die zu Unrecht meist nur mit irdischem Maß beurteilt wird. Die aufschlußreiche Tuschzeichnung, in der Leibi wenige Jahre vor seinem Tode sein Bild festgehalten hat, gehört zu den ergreifendsten Dokumenten deutender Selbstcharakterisierung: ein rauher, wetterfester Kopf, mit einem vom Barte gedeckten eisern zusammengepreßten Munde, schönen, gütig und doch vorsichtig fragenden Augen unter den breiten Bogen der Brauen und den steilen Längsfalten der Stirne, mit müdem, leidendem, entsagungsvollem Ausdruck im Wechsel des um den edlen Vorsprung der Nase schwebenden, sorgsam geteilten Spiels von Helle und Dunkelheit. Ein Blatt von Dürerscher Physiognomik. Der Maler, der Handwerker, der zweifelnd nach Erkenntnissen verlangende Einsiedler, der treue Mann und Freund berichtet auf ihm von dem Sinn seines Lebens und seinen Erfahrungen. Schon die ersten Zeichnungen, auf welchen der Jüngling die feinen Linien des ovalen Gesichts mit der schelmisch betonten Rundung des weichen Kinns als unerbittlicher Kritiker seines eigenen Aussehens, wie er es stets geblieben ist, nachgezogen hat, verraten, daß sich frühzeitig „um dieses Haupt die dunkle Decke breitete". Eines Musikers, des Kölner Domkapellmeisters Karl Leibi, Sohn, 1844 geboren, wahrscheinlich einer süddeutschen Familie entstammend, hatte Wilhelm als Gymnasiast trotz einer kurzen Vorbereitung zum Ingenieurberufe seinen Wunsch, Maler zu werden, durchgesetzt und ging nach dreijähriger Ausbildung bei Hermann Becker auf die Akademie nach München (1864). Nur langsam gewöhnte er sich an die Malgebräuche der dortigen Ateliers, besser an die ungebundenen kameradschaftlichen Sitten eines kleinen Künstlerkreises, der ihn seiner herkulischen Körperkraft und seines unstillbaren Durstes wegen nicht weniger zu seinem Ober256

haupt erwählte als infolge seiner Selbständigkeit, dem Unterricht von Anschütz, später von Piloty und Ramberg lediglich Belehrungen zu entnehmen, die er als Hilfsmittel bei seinen ersten Studien verwenden konnte. Die geschmackvolle farbenprangende Bereitschaft der Palette, deren gefällige Wärme auch Leibis Sinne erregte, wurde von ihm mit einer Zurückhaltung angenommen, deren Urteilskraft zum mindesten beweist, daß er die Nachteile dieser verführerischen Methode ebenso beachtete wie ihre Vorzüge. Die Treue gegen sich selbst und die Redlichkeit seiner Malerei: unbeirrt hat er zeitlebens an seinem Glauben festgehalten. E r hat München als Sieger verlassen, nachdem er in seinen Gemälden sogleich zwischen der Komposition und der malerischen Kultur die über den Stoff erhobene einheitliche Stimmung der koloristischen Interpretation gefunden, mit dem Bildnis der Frau Gedon nicht nur die höchste Stufe, die der Münchener Malerei um 1870 zu erreichen vergönnt war, betreten, sondern in diesem Gemälde den Zustand der ahnungsvollen Schwermut werdender Mütterlichkeit in einer wundersamen Einfühlung zusammenklingender geistiger und physischer Funktionen veranschaulicht hatte. Das Erlebnis der leuchtenden, golddurchschienenen Farben mit ihren rotbraunen, schwarzroten, bernsteingelben und grauen Mischungen, die sich mit seidigem Schmelz der Leinwand anschmiegen, empfängt durch die Beseelung der malerischen Erscheinung eine metaphysische Ergänzung, die das Modell zur Trägerin symbolischer Gedanken bestimmt, was durch den als Agraffe auf dem Muff angebrachten Totenkopfschmetterling besonders auffällig gemacht wird. In den Augen dieses Weibes, der „Rehhindin gleich", glänzt der göttliche Funke der visionären Schau in die Zukunft. Leibis Porträts verraten das sehnsüchtige Interesse der Menschenauffassung großer Meister. Wenn wir sie einmal auf die in den Augen konzentrierten Lebenselemente ansehen, werden wir zu der erschütternden Be17

Uhde-Bernays, M i t t l e r und Meister

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obachtung geführt, mit welcher angestrengten Spürkraft der Maler sich wie ein gewissenhafter Arzt in die verborgensten Gänge im Inneren der Dargestellten eingeschlichen, und mit welcher Klugheit er den logischen Zusammenhang zwischen ihnen und seiner Wiedergabe ihrer Wesenszüge hergestellt hat. Augen blicken uns an, die ein unerreichbares Jenseits mit bangen Fragen erforschen, Augen, deren verlorene Sicht abgewandt ist von der Welt, Augen voll Trauer, voll Angst oder Frieden — unwissende Augen von unwissenden Geschöpfen, selten, erst in der späteren Zeit, Augen der Freude und der Lebenslust. Diese Blicke sind magische Blitze kundiger Zauberei, sie haften unvergeßlich im Gedächtnis. Die Menschen, von welchen sie ausgehen, sind allgegenwärtig und zeitenlos in einem, wie Gestalten von Shakespeare, von Rembrandt. Das ist die Größe Wilhelm Leibis. Hier ist er auf einer Ebene angelangt, auf der nur wenige Künstler der italienischen Renaissance weilen, wo er ohne Gefährten einhergeht. Denn auch die Franzosen, deren Beistand er viel verdankt, vor allem Courbet, der ihn von manchem hindernden Gewicht deutscher Gründlichkeit befreite, sind auf anderen Bahnen gewandelt. Und die vorbildlichen Holländer des 17. Jahrhunderts, Hals und Vermeer, Boten der Evangelien der Farbe und des Lichtes in der Kunst, waren sie nicht (in der eben gegebenen Definition dieser Wendung der Malerei Leibis, deren Wichtigkeit nicht bestritten werden kann) ebenfalls nur Stützpunkte auf einem Gelände, das Leibi wie ein vom Zwange seines Fleißes besessener Taglöhner immerfort umgrub und beackerte ? Ferne von Trübner, dessen unbedingte Diesseitsbejahung keine Gottheit und kein Daseinsrätsel kannte, steht Leibi da, unliterarisch und unromantisch, schwer zu erfassen und schwer zu würdigen. Aus den Überlieferungen des altmeisterlichen Vortrags und des Münchener Ateliers, die er systematisch durchgeprüft hatte, aus einer freien, lockeren, mit

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breitem Pinsel auf der Fläche die Einzelheiten der bildgemäßen Form in einer klaren Farbigkeit wiedergebenden Technik löste sich Leibi während eines kurzen Aufenthaltes in Paris (1870). Die Anregungen, die er aufnahm, vervollständigten seine Kenntnisse. Sie wurden mit einem wissenschaftlich zu benennenden Eifer nach seiner Rückkehr in München durch das Streben nach einem gleichmäßigen, alle Bedingungen der koloristischen Lebendigkeit des Gemäldes mit einer grandiosen Beherrschung der sämtlichen Mittel zur Erreichung des farbigen Eindrucks erfüllenden Stil genutzt. Bisher hatte er meistens Bildnisse gemalt. Seine größeren Werke mit ihrem genrehaften Einschlag aus der Rambergschule, wie die „Kritiker" und „Im Atelier", sind gleichfalls Porträts von Freunden, die sich zu einer improvisierten Szene zufällig zusammenfanden, keine gestellten Kompositionen. Abermals entstand eine Reihe von Männer- und Frauendarstellungen: die Nichte Lina, Manets sanftem Farbensinn verwandt, und die Frau Belli, der aus Blau, Blond und Schwarz nicht ohne humorvolle Spitze modellierte junge Trübner und das joviale kölnische Behagen des alten Pallenberg. Dramenfiguren Shakespeares in ihrer köstlichen Vermischung von Scherz und Ernst melden sich als Begleiter, Junker Christoph von Bleichenwang und der Vater Capulet. Die Jahre in München verstreichen rasch im heiteren Verkehr, für Leibis Hang zur Melancholie eine vorteilhafte Kur. Daher diese leise, kaum bemerkbare Note, die Münchener und Kölner Frohsinn vereinigt. Daher auch die aus der Atmosphäre des Elternhauses bewahrte melodische Ausgewogenheit der Arbeiten dieser Periode, die von der unvollendeten „Tischgesellschaft" abgeschlossen wird. Eine kühle Vornehmheit von dunkeln, in wechselnder Beleuchtung gehaltenen Farbströmen erhält durch die Vergeistigung der in einem gespenstischen Eigendasein herrschsüchtig hervortretenden Hände bereits den Akzent kommender Gefährdung des Lebendigen. 259

Der „Leibikreis" fiel auseinander. Zum Führer der Jugend fehlten Leibi die in München benötigten Talente des Demagogen, mit welchen Lenbach triumphierte. Die künstlerische Entwicklung an der Isar ging ihren Weg. Ohne Leibi. Längst war er aus den einstigen Beziehungen abgeschwenkt. Er sehnte sich nach der Natur, nach einfältigen, unverdorbenen Bauern. In Graßlfing und Schondorf hoffte er, die erwünschte Ruhe und Schaffensfreudigkeit zu finden (1873—80). Aber anstatt sich zu erleichtern, verbohrte er sich mit einer peinlichen, die Grenze pathologischen Eigensinns streifenden Hartnäckigkeit in die Probleme der Erklärung und der Methode seiner Kunst, die, untrennbar für ihn, sein Leben nach seiner Meinung als vorbestimmte Schicksalsfügungen betrafen. Er war nicht etwa von einem Weltschmerz befallen, dem er reuig nachgab. Leibi führte einen langen Kampf, trotzig und entschlossen, mit Dämonen, die auf ihn lauerten. Der Prozeß dieses Ringens, das anfangs erfolgreich, später mit nachlassender Kraft verlief, hierauf unter gänzlicher Erschöpfung beinahe beendet war, um am Schlüsse einen glorreichen Sieg davonzutragen, muß als einer der leidenschaftlichsten psychologischen Vorgänge der Kunstgeschichte angesehen werden. Nur eine so stählerne, durch ständige Selbstkritik gebändigte, mit kerngesunden Nerven ausgerüstete Natur wie Leibi konnte ihn trotz ihren geheimen Gefühlswerten gewinnen. Fast zwanzig Jahre hat er gedauert, noch in Berbling, Aibling und Kutterling, drei Orten im oberbayerischen Vorgebirge bei Rosenheim, wohin sich der fahrende Ritter mit seinem getreuen Sancho, dem Maler Johann Sperl, begeben hatte, als ihn schlimme Ereignisse aus Schondorf vertrieben. Von dieser Überlegung ausgehend, ist es zweckmäßig, die Zeit bis 1891 zusammenzufassen und nicht nach Schondorf eine dritte Arbeitsperiode beginnen zu lassen. Zuerst war es wohl das Verlangen nach Licht, Luft 260

und Sonnenwärme, zur Aufhellung des farbigen Zustandes seiner Bilder, was Leibi aufs Land zu gehen veranlaßte. Keine Hinneigung zum Pleinair, aber die Empfindung einer verbesserungsbedürftigen Verfehlung. Dann der Drang, in den Menschen, die er malte, die vollkommene, sogar vollkommenste körperliche und seelische Bildung („Ich male, was ich sehe, da ist die Seele ohnehin dabei") wirklichkeitsgemäß auszudrücken. Im fortschreitenden Anschluß an diese Bemühung zeigt sich die Linie der Entwicklung, zeigt sich ferner die Verhärtung und die endlich wieder erreichte Beweglichkeit des von der künstlerischen Persönlichkeit auch geistig geschaffenen Stils. Meisterwerke wie die „Dachauerinnen im Wirtshause", „Der Schimmelreiter", „Die Dorfpolitiker" werden im ersten der beiden Jahrzehnte gemalt, die Porträts Perfalls ausgeführt. Wochen, Monate gehen dahin, bevor ein Gemälde vollendet ist. Für den Rand eines Hutes, die Falte eines Rockes, für jedes winzige Detail braucht die Hand lange Stunden. In Unzufriedenheit, Unentschlossenheit und Zweifeln ermattet vor seinen Modellen der Künstler. Finstere Enttäuschung, die er schamhaft verbirgt, bemächtigt sich seiner. Die Tragik der Lebensbahn des Genies berührt ihn. „Noch bist du nicht frei, du suchst noch nach Freiheit. Übernächtig machte Dich dein Suchen und überwach . . . Langsam ist das Erleben allen tiefen Brunnen: lange müssen sie warten, bis sie wissen, was in ihre Tiefe fiel . . . Einsamer, Du gehst den Weg zu Dir selber! Und an Dir selber führt dein Weg vorbei und an Deinen sieben Teufeln." Diese Sprüche stehen im Zarathustra von Friedrich Nietzsche. Sie sind Aussagen einer Stimmung, wie sie auch Leibi befiel. Sie sind in der gleichen Zeit niedergeschrieben, in der Leibi die „Wildschützen" malte, die er nachher im Jähzorn zerschnitt. Ist es mehr als nur ein Zufall, daß der Maler und der Philosoph im nämlichen Jahre geboren wurden 261

und im nämlichen Jahre starben ?! Überraschende Parallelen ähnlicher Verfassung des Denkens lassen sich ziehen zwischen ihnen. Einzelne Sätze erregten Auftriebs, manche Worte grimmer Enttäuschung, die von Nietzsche stammen, hätte Leibi aussprechen können. Wenn einmal der tiefe, in der Persönlichkeit verankerte, aber von ihr auf eine allgemeine, objektive Basis verlegte Gehalt der Kunst Leibis untersucht werden wird, was bisher noch nicht geschah, dann werden Verhältnisse sich offenbaren, die Leibis Sonderstellung mit einem noch größeren Nachdruck in einer Geschichte nicht nur der Kunst, sondern in einer deutschen Geistesgeschichte zu erwähnen Anlaß geben. Leibis Philosophie war jedoch in scharfem Gegensatz zu Nietzsche naiv und kindlich, eine private Angelegenheit mehr des Instinkts als des Intellekts und vor allem von Eitelkeit frei. Sie war ein bestimmender Teil seines Schöpfertums und seiner Mission. Auch Nietzsche war in die Berge gezogen, um den Höhenmenschen zu suchen, den er dichterisch verherrlichte. Leibis angeborene Bauernschlauheit enthielt die natürliche, ein wenig schwerfällige Logik, die sich in Alpendörfern bei manchem von den Einwohnern geachteten und um Rat gefragten Sonderling findet, dessen „hintersinnige" Rechthaberei einen frommen Köhlerglauben nährt. Ihm war es nicht zu tun um Erziehung, Moralpredigten und Verkündung von sozialen und politischen Reformen wie seinem Freunde Langbehn, dem „Rembrandtdeutschen", mit dessen wunderlicher Geistesbeschaffenheit er eine nahe Verbindung einging. Für ihn handelte es sich einzig und allein um seine Kunst, sachlich und kritisch, ohne irgendwelchen Egoismus. Er war in der Tat ein Philosoph des stillen Kämmerleins und kein Dilettant, der sich zum Privatgebrauch für die Westentasche eine Weltanschauung zusammengeklaubt hat. Seine Ideologie wandte sich, um uns philosophisch auszudrücken, von der empirischen zur spekulativen"!Denkweise, von der Er262

fahrung zur Offenbarung. In diesem Zuge wurde er folgerichtig, seiner Veranlagung nach, mystisch ergriffen wie die deutschen mittelalterlichen Theologen, wie Meister Eckhart und später, nach der Reformation, Jakob Böhme. Nochmals, mit besonderer Betonung, erkennen wir das Bleibende und das Sich-Verändernde der deutschen Seele in ihrem unablässigen Streite. Trotzdem führte ein durchdringender Verstand Leibi durch seine Kunst auf die Erde zurück. Nietzsches Flug zur Sonne endete mit seinem Untergang. Leibi hingegen kam wieder zur Besinnung und schuf das Werk, zu dessen Vollendung er berufen war. Wie der Weise des Altertums suchte er nach Menschen. Sie mußten ihm gehorchen, wenn er sie malte, ohne sich zu rühren, ohne ihre Haltung zu ändern. Er schaute auf sie, durchschaute, ja durchbohrte sie, um nicht nur ihr äußeres Abbild zu wiederholen. In einer packenden, hie und da spukhaften Wirklichkeitsnähe werden sie in den Rahmen des Gemäldes gebannt. Mit heftiger Inbrunst steigern sich die Wünsche des Meisters, endlich das Letzte, Höchst-Errungene zu erkennen und darzustellen, um infolge der Unmöglichkeit, diesen Vorsatz zu vollbringen, am wahren Leben vorüberzugehen. Aus der Steigerung erwächst die Übersteigerung, die Übertreibung, aus der normalen Bildung das Extrem. Schritt für Schritt können wir den Verlauf der Krise verfolgen, deren Kulminationspunkt in den Jahren liegt, in welchen sich Leibi an den „Frauen in der Kirche" und den „Wildschützen" plagte. Schon bei den „Dorfpolitikern" beginnt eine Steifheit der formalen, konstruktiv aufgebauten, nach linearen, räumlichen, koloristischen Erwägungen mustergültig, mathematisch angelegten Gruppierung, die wie hinter einer Glasscheibe unbeweglich verharrt. Helles Licht über dem Zimmer und seinen Insassen. Aber diese alten Bauern sind Schemen in menschlicher Gestalt, keine lebendigen Menschen. Sie atmen nicht, sind erstarrt in einer der 263

Luft und des Duftes der Erde nicht teilhaften künstlichen, nicht mehr künstlerischen Welt. In eisesklarer, eiseskalter Leblosigkeit sitzen sie beisammen, geschaffen von dem mächtigen Willen eines durch beständiges Sehen geschärften Verstandes, doch nicht berührt von der Liebe, die höher ist als alle Weisheit. Unheimlich, erschreckend ihr Anblick bei längerem Verweilen. Wie durch das Stereoskop erblicken wir die plastischen Schnitte der Köpfe, der Hände, der Bank, das rechteckige Leichentuch der Schürze. Das sind Miniaturen, die fälschlich vergrößert wurden und deshalb die Proportion nicht treffen, mit einem krankhaften Fleiß von einem späten Verwandten mittelalterlicher Mönche hergestellt, einem Nachfolger jenes Jan van Eyck, dessen Bildnis der Ehegatten Arnolfini mit abweisender Gebärde in die Trauer klösterlicher Frömmigkeit deutet. Es sind großartige Experimente, menschliche Wesen als Homunkuli zu erzeugen — im Hintergrunde erscheint der Schatten des nordischen Dichters, dessen Dramengestalten wie von einem präzis ablaufenden Uhrwerk angetrieben werden. Dem „Eisenwalzwerk" von Menzel wird der Vorwurf gemacht, daß er den Lärm der Maschinen, das donnernde Dröhnen und Stampfen der Kolben und Hämmer, die Glut der Öfen, den Ansturm der Arbeit nicht vernehmen lasse, daß es eine Attrappe, völlig stumm sei. Diese Schweigsamkeit ertötet ebenfalls, bei gleichgestelltem Anspruch, Leibis Werke aus der mittleren Zeit. Bei den „Frauen in der Kirche" und den „Wildschützen", soweit wir aus den erhaltenen Resten urteilen können, bringt eine „gußartige" Technik, die wie ein Panzer die Leinwand deckt, auch die Farbenmodellierung zu einer zähen, substantiellen, bedrückenden Schichtung, die trotz der Feinheit der Wahl nicht anschaulich ist, im engsten Sinne des Wortes, und, nicht unbefangen, des eigenen Lebens entbehrt. Jedes Härchen, jede Pore, jede Faser ist mit einer unglaublich sicher berechneten Beziehung zum fertigen Bilde ein264

gesetzt. „Fertige Bilder" wurden geschaffen, fertig vom festen Gerüst, der wie alle Zeichnungen Leibis nach einer malerischen, nicht einer Schwarz-Weiß-Orientierung dienstbaren grundlegenden Linienführung bis zum letzten Pinselstriche. Das wohlbedachte Prinzip einer dem Gegenteil von allem, was der Kodex des Impressionismus fordert, zugekehrten künstlerischen Problematik wird mit einer Absicht auf Monumentalität erwiesen, die beliebte Anekdotenerzählung des deutschen Genremalers mit einer einzigartigen Vereinfachung des Motivs entfernt von theatralischen Effekten auf die richtigen Maße beschränkt. Das sind auf der anderen Seite die Vorzüge der Bilder. Dazu kommt noch, daß Leibi niemals die Gesamtkomposition aus dem geistigen Auge verlor, mit dem er sie festhielt. Nur das eine hatte er in seinem Fanatismus aufgegeben: die alte Lehre, die Goethe in die Worte faßte, daß man die Wahrheit nicht zur Wirklichkeit erniedrigen dürfe, sonst werde sie ihre Bedeutung einbüßen. Wo Hilfe und Rettung finden aus diesem Labyrinthe des allzusehr angespannten Denkens und der Not der vergeblichen Arbeit? Statt angesichts der Natur und unter einfachen Leuten zufrieden zu sein, verstrickte sich Leibi in den Schlingen seiner Grübelei. Die Gefahr drohte, schwankenden Erregungen zu unterliegen. Plötzlich, unvermutet kam das Wunder der Genesung. Die innere Zersetzung war ausgeheilt. Nun durchwandern wir ein Jahrzehnt, bis zu Leibis Tode im Dezember 1900, das ihm eine herrliche Spätlese geschenkt hat, freilich nicht die erhoffte große Figurenkomposition, die der Nation als Ersatz für die untergegangenen Fresken Hans Holbeins beschert und der Nachwelt den Umfang seiner nach dem Irrwege in einer letzten Blüte aufbrechenden Begabung überliefert haben würde. Von der aufatmenden Brust lösten sich die ehernen Klammern, und der lange entbehrte wärmende Hauch der Liebe überwand in einem beglückenden Nachsommer alle einstigen Be265

schwerden. Eine Wendung und Reife trat ein, wie sie uns bei keinem anderen Maler des 19. Jahrhunderts begegnet. Eine zweite Jugend stellte sich vor, reich an Tätigkeit und Erfolg. Eine große Anzahl von Bildnissen ist in dieser Zeitperiode zwischen 1891 und 1900 von seiner Staffelei gegangen, Männerköpfe in frischer, lebhafter Auffassung ihrer Züge, Frauen mit einer zauberischen Natürlichkeit und Weichheit des Ausdrucks, Interieurs voll eines verträumten Spiels der Sonne mit den Schattenbildungen am braunen Getäfel. Unter den weiblichen Erscheinungen heben sich einige Gestalten heraus, Frau Rieder, die Nichte Felicie, dann das Bauernmädchen mit der Pelzmütze, die in ihrer intimen zarten Empfindung anzeigen, daß es Leibi wie fünfundzwanzig Jahre vorher in München wieder gelang, statt der seelische Beichtvater ihrer Sorge der freundliche Anwalt" ihrer Herzen zu sein. Wie ein leichter Flaum legt sich der schmeichlerische Farbenauftrag über die Leinwand, doch hingestrichen mit einem männlichen, elastischen Druck der Hand, klangreich und wirkungsvoll gestimmt in den Abtönungen der dargestellten Personen und ihrer Gewänder vor einem hellen Grunde. Die naheliegende Vergleichung mit Manet läßt sich nicht halten. Wohl hat der Knabe mit der Samtjacke auf dem „Frühstück im Atelier" eine über die Vollendung der Beziehungen seiner koloristischen Selbständigkeit zu dem Gesamtbilde hinausgehende Bedeutung, die eine unmittelbare, gradlinige Menschlichkeit ausspricht. Aber Manets Größe ist ausgebreitet in der Leidenschaft seiner sinnlichen Anschauung, die, von der Stimmung des Augenblicks gehoben, unbewußt, eine dauerhafte Schönheit erreicht und, völlig französisch, dem Antrieb Leibis, der als ein gehorsamer Diener seiner Kunst den „Tatbestand des Erlebens" aufnahm, das Herrenrecht „l'amour" entgegensetzt. Auch Leibi schafft, wie Dürer und Goethe, mit der „Verliebtheit ins Reale", aber in einem verschlosseneren Sinne als Manet, der sich als Persönlich266

keit zu ihm verhält gleichsam wie die Begriffe Esprit und Geist, die allzuhäufig zur Bezeichnung der deutschen und der französischen Wesensbewegtheit verwendet werden. Manet und Leibi sind ungewöhnlich starke Prototypen der beiden Länder, wo sie geboren wurden, und in einer sehr weitgehenden Hinsicht von der gleichen Veranlagung angeleitet — man hat bei Napoleon und Gneisenau, Talleyrand und Metternich übereinstimmende Eigenschaften auffinden wollen. Leibi ist stets der deutsche Maler gebheben. Der Kultur des Münchener Ateliers hat sich die Sicherung der technischen Ausbildung der Übergangszeit angeschlossen, deren Schlacken beseitigt sind, um nur mehr auf Grund der von temperamentvollen Energien übernommenen Erfahrungen dem Sieg des Lebens über die Gewalten der Finsternis zuzujubeln. Aus dem Misanthropen, der wie der Doktor Faustus über Staub, Moder und Tiergebein klagte, ist der weise Lebensbetrachter von Kutterling geworden, der mit lächelnder Miene, dem anderen Weisen von Wiedensahl, Wilhelm Busch, zugeneigt, der törichten Welt ohne Bitterkeit zuschaute. So konnte er sich von der schmerzlichen Überlegung befreien, daß ihm, wenn auch nicht zu spät, das wahre Leben doch erst an der Schwelle des Alters entgegengekommen sei. E r hatte gehofft, das Rätsel der Vergänglichkeit im Glauben an die Kunst seiner Malerei zu lösen. Nun tat sich ihm die Pforte eines stillen Gartens auf, in dem er mit dem Freunde Sperl, die Pfeife im Munde, auf der Bank unter den Blumen saß. Das kindliche Gefühl, das dem Jüngling während der stürmischen Jahre in München unverdorben sich erhalten und ihm in den schweren Anfechtungen des Mannesalters nicht verlorengegangen war, gab ihm für seine letzte Lebenszeit eine beschauliche Genügsamkeit. E r hat als Philosoph gelebt und ist als Philosoph gestorben. Als ein d e u t s c h e r Philosoph, der in seiner Kunst die Erlösung von dem Übel zu erreichen trachtete, ein 267

Meister menschlicher Tiefenforschung, dessen Sonde sich in die Ursprünge der Organismen einsenkte, und ein Meister der weitgeöffneten Augen für die harmonische Stimmung der Tonwerte der Farbe, ein großer Denker und ein großer Maler. Über dem Jahrhundert, in dem er wirkte, ragt er auf, über Jahrhunderten erhebt sich sein Schöpfertum, von zeitlicher Verhaftung frei, mit seinen Schwächen und seinen Vorzügen ein echter deutscher Künstler, der sich mit den „barbarischen Avantagen des Nordens" innerlich auseinanderzusetzen hatte, ohne ihnen ausweichen zu können und zu wollen.

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WILHELM TRÜBNER „Toute

ma valeur c'est que je suis un homme,

pour qui le monde visible

existe." Théophile

Gautier.

W er einmal Gelegenheit hatte, Wilhelm Trübners Erzählungen von dem Verlaufe seines Lebens anzuhören, mochte mitunter erstaunen über die sonderbaren Wünsche, die sein unbefriedigter Ehrgeiz an die Welt des äußeren Scheins stellte. Das war ein häufiges Thema der Unterhaltung, bei dem sich die widerspruchsvollen Charaktereigenschaften des kleinen brummigen Mannes mit einer nicht immer angenehmen Offenheit zeigten, zumal er sich kaum bemühte, sie zurückzuhalten, und bei seinem naiven kindlichen Egoismus mit Vorliebe seine Person in die Mitte des Gespräches zu bringen suchte. Die Beziehung aller dieser Fragen zu seiner Malerei blieb gleichwohl bestehen und befreite seine Äußerungen von dem peinlichen Beigeschmack, der den Verkehr mit berühmten Künstlern bei ähnlichen Anwandlungen stört. Niemals aber unterließ er, wenn der Gang seiner Rede, langsam und stockend, im singenden Tonfalle des Heidelberger Dialektes, abschweifte, mit einer trockenen Beharrlichkeit auf sich und auf den nach seiner Meinung geringen Erfolg seines Schaffens zurückzukommen und das unbegreifliche Glück Lenbachs und Thomas mit neidischen Bemerkungen zu berufen. Dann verzog sich der von Schadenfreude und Verbitterung mit zunehmenden Jahren eigensinnig schräggebildete Mund zu einer grimmen gedoppelten Falte, und in den stahlgrauen, stechend scharfen Augen leuchteten zornige Blitze auf. Die dicke wulstige Hand klopfte die Asche von der Zigarre, während sich der gedrungene Körper, schwerfällig einsinkend, im Stuhle 269

zurücklehnte. Trübners mächtiger Kopf, der auf breiten Schultern lastete, mußte mit angestrengter Haltung gezwungen werden, das Gleichgewicht der Statur zu bewahren. In einem raschen Wechsel schlug seine Stimmung bei den Berichten über vermeintliche Kränkungen von männlich-herber Empörung um in eine melancholische, schmollende Empfindlichkeit, deren Ursprung sich wiederum aus seiner Veranlagung ergab und in einer anderen Tonart das obligate Leitmotiv fortführte. Daher war es nur wenigen vergönnt, einen längeren freundschaftlichen Umgang mit dem Meister zu genießen, weil sie im Gespräch mit ihm die nötige Vorsicht gebrauchten, die allein einen erfreulichen Bestand verbürgte. Um so fester haftet das Zusammensein mit ihm in der Erinnerung. Die Persönlichkeit des Menschen mit ihrer Pfälzer Eigenart ergänzte die Persönlichkeit des Künstlers, dem die Schau süddeutschen Landes und seiner Bewohner die Kraft der Begabung geschenkt hatte, in einer unzweifelhaft optimistisch aufzufassenden Einheit, deren Wahrnehmung sogar vermuten ließ, daß die Hoffnungen seiner Leidenschaft von dem Glauben an den Sieg seiner Malerei und dem Stolze auf seinen Ruhm eingeflößt waren. Sein Ärger war für ihn nur eine Attacke physischen Drucks, von dem er sich befreien mußte, ein „dilettoso äffanno", eine reizende Qual, wie ihn ein Sonett Raffaels benennt. Sein aufgeregtes Selbstbewußtsein forderte nun einmal Verwöhnung und Komplimente. Die fortgesetzten Winke auf gebührende Ehrung waren wohl ein wenig Komödie vor dem Spiegel der Eitelkeit, aber zugleich Zeugnisse einer gerechten Natur, die keine Menschenkenntnis, leider auch keinen Humor besaß, um die irdischen Mängel des Künstlerdaseins richtig zu beurteilen. Vielleicht war es Wilhelm Trübner schon in seiner Jugend zu gut gegangen, als er, von vermögenden Eltern liebevoll erzogen, mit dem Segen Anselm Feuerbachs in die Karlsruher Kunstschule eingetreten, dort 270

sogleich seines erstaunlich früh reifen Talentes wegen geschätzt war und in Hans Canon den besten Lehrer gefunden hatte. Der Heidelberger Goldschmiedsohn wußte um seine großen Fähigkeiten und nutzte dieses Wissen mit kluger Berechnung. Als er auf der Münchener Ausstellung 1869 die Werke von Wilhelm Leibi und von französischen Malern, gleichzeitig in der Pinakothek die wichtige Ausstellung der alten Meister, vor allem des Frans Hals gesehen hatte, wandte er sich entschlossen von Alexander Wagner und der Akademie, in die er sich hatte aufnehmen lassen, ab und kehrte zu Canon zurück. Ein Jahr später, durch Reisen in der Kenntnis deutscher Museen bereichert, kam er wieder nach München, um bei Wilhelm Diez, der die Überlieferung der Holländer des 17. Jahrhunderts seinen Schülern als Muster handwerklicher Sicherheit empfahl, nochmals Unterricht zu nehmen. Außerdem schloß er eine kameradschaftliche Verbindung mit Leibi und dessen Gefährten, die durch gemeinsam in Bernried verbrachte Sommermonate gefestigt wurde. Indessen erfuhr seine Selbständigkeit, an der er zäh festhielt, weder durch diese Annäherung, noch durch Hans Thoma, mit dem er 1872 im gleichen Atelier malte, eine Einschränkung. Trübners Anerkennung Leibis und der Zuspruch des älteren Freundes bewirkten vielmehr eine freiere und natürlichere Mechanik seiner künstlerischen Triebe, die nach Verwirklichung drängten, und ließen Schöpfungen entstehen, deren Kunst die höchsten persönlichen Wünsche glücklich bestätigte. Er lernte Charles Schuch kennen und empfing von ihm wie vorher von Canon stimmungsvolle Einflüsse der geschmeidigen Wiener Palettenkultur, die seinen im Juweliergeschäft des Vaters bereits allen schmückenden Substanzen geöffneten Sinnen neue Reize anzeigten. Schuch ging mit ihm nach Italien, wo Feuerbach in Rom die Fortschritte des Jünglings, dem er den Weg gewiesen, nicht durch idealistische Vorschriften hemmte, nach Holland und 271

Belgien, wo in den Sammlungen und Kirchen die Farbengewalt des Peter Paul Rubens mit Bewunderung aufgenommen ward. Zwischen diese Fahrten fällt der erste der vielen ertragsreichen Aufenthalte am Chiemsee, unter einer perlmutterhaften, im Dunste des Wassers und des von der Sonne aufgesogenen Morgennebels schwebenden lichten Atmosphäre der oberbayerischen Landschaft, deren Zauber kein anderer Maler mit größerer Liebe und Deutlichkeit wiedergegeben hat als Trübner. Daher blieben München und seine Umgebung, nur durch die Dienstzeit des Einjährigen bei den Dragonern in Karlsruhe unterbrochen, seine Arbeitsstätte auch nach der Auflösung des Leibikreises. In den folgenden anderthalb Jahrzehnten, die Trübner mit Ausnahme eines langen Besuches bei seinen Verwandten in London und von zwei Reisen nach Paris in München verbrachte, herrschte dort unter der Künstlerschaft eine fortgesetzte Erregung. Lenbach hatte sich zum unumstrittenen Diktator eingesetzt, die willfährige Genossenschaft gehorchte seinem Gebot. Im Theater wogte der Kampf um die Musikdramen Richard Wagners. Ibsen hatte sich in der Maximilianstraße eingemietet und brachte mit kurzen Abständen seine Schauspiele in die Öffentlichkeit. Die krankhafte Zurückgezogenheit des Königs Ludwig II. begann alle Bayernherzen zu empören. Die Stadt nahm einen anderen Charakter an und wuchs aus der lokalen Gemütlichkeit zu einer Zentrale des Fremdenverkehrs. An diesen Wandlungen nahm Trübner aufmerksam teil und hielt sich der Gilde des Glaspalastes fern, verkehrte auch statt mit Kollegen lieber mit Dichtern, Literaten und Mitgliedern der Hofbühne. Im Café Maximilian hatte sich ein Stammtisch von forschen Frondeuren niedergelassen, dessen laute Reden nicht nur Ibsens Ärger bei seiner abendlichen Zeitungslektüre herausforderten. Josef Kainz, von den ersten Strahlen der Berühmtheit getroffen, der Bariton Theodor Reichmann, Bayreuths 272

Amfortas, die Kunsthistoriker Eisenmann und Bayersdorfer, der Schriftsteller Felix Philippi, der seine Erinnerungen in einem Büchlein „Münchener Bilderbogen" zusammenfaßte, und der junge Student Julius Elias, ein Vorkämpfer des Naturalismus, fanden sich mit Trübner und traten energisch für ihn ein. Auf der Straße war er eine bekannte Erscheinung, seine graue Dogge Caesar und seine besondere Freundin, eine amerikanische Blumenmalerin von zwei Meter Größe und entsprechendem Umfange, neben der er wie ein Gnom aussah, gingen an seiner Seite. In sein Atelier, das im Lehel hinter der Mühle lag und mit Waffen und alten Stoffen, Schränken und Truhen vollgestopft war, kamen als Modelle kolossale Frauengestalten, die er heiß liebte. Kellnerinnen, die ein Dutzend gefüllter Maßkrüge schleppten, fanden seinen höchsten Beifall. Die Heroinen der Münchener Brauereien malte er alsAndromedas und Brünhilden. Vermutlich war er, was zu seinen sonstigen Eigenschaften paßt, unmusikalisch, aber ihn reizte die leicht zur Travestie gelangende Verkörperung der Heldenfiguren Wagners ebenso wie die Spießbürgerlichkeit musikalischer Dilettanten, weshalb er außer einer Schützengesellschaft auf Glaskugeln einem Waldhorn- und Pistonverein beitrat. Im Sommer suchte er die Militärmusik am Bierkeller auf, und für die Gunglkapelle im Achatz hegte er große Begeisterung, hat auch den Papa Gungl porträtiert und ein Plakat für ihn entworfen. Nach dem Tode seiner Eltern wohlhabend geworden, wartete er als geschickter Kaufmann seine Stunde ab, obwohl er sich über die finanziellen Mißerfolge seiner Ausstellungen beklagte, an welchen er durch seine hohen Preisforderungen die Schuld trug. Aus dieser „toten Zeit" des Überganges, in der Trübner sich und sein künstlerisches Vermögen zu verlieren bedroht war, haben ihn wahrscheinlich die beiden Ausstellungen herausgerissen, die er im Mai 1891 und im 18 Uhde-Bernays, Mittler und Meister

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März 1892 im Kunstverein veranstaltete. Die Bilanz der Jugendjahre mochte ihm im Vergleich zu dem bescheidenen Ergebnis des vergangenen Jahrzehnts recht hoch vorkommen und ihn zur inneren Sammlung veranlassen. Entschlossen hat er sich von allen Banden des Münchener Phäakenlebens befreit. Wieder ging er an den Chiemsee, wo er anknüpfend an seine früheren Arbeiten neue, ähnlich gehaltene herrliche Landschaften schuf. Den Sitzungen für die Gründung der Sezession wohnte er nicht bei, beschwerte sich aber nachher, bei den Vorstandswahlen übergangen worden zu sein, da er die Bewegung unterstützte und die erste Ausstellung beschickte. Infolgedessen wollte es ihm in München nicht mehr gefallen. Vergrämt über die vorgebliche Zurücksetzung zog er grollend von dannen und schrieb bei seinem Aufbruch nach Frankfurt: „Über fünfundzwanzig Jahre hatte ich an dem Triumphwagen der Münchener Kunst gezogen und immer hatte ich nur das Zusehen, wie andere die Ehre dafür einheimsten. Ich beschloß daher, diesen auch das Ziehen zu überlassen. So gab ich München auf . . . " In Frankfurt wurde Wilhelm Trübner freundlich empfangen, erhielt Lehrauftrag, Titel und Atelier, fand Schüler und unter seinen Schülerinnen eine hochbegabte Lebensgefährtin. Behagliche Ruhe und fröhliche Arbeitslust im Odenwalde und im Taunus, Reisen in den Schwarzwald, die Schweiz und nach Oberbayern schenkten seiner Kunst von neuem das erforderliche Gleichgewicht, das sich durch eine Reihe von Bildnissen, Landschaften und Stilleben behauptete. Dann kam die Berufung nach Karlsruhe, kam mit Riesenschritten der ersehnte Ruhm bei der Berliner Jahrhundertausstellung, in der das Jugendwerk fast über Gebühr den späteren Gemälden vorgezogen wurde, und bei der Ausstellung zum 60. Geburtstage im badischen Kunstverein. Trübner hatte endlich erreicht, daß sein Name vor dem Weltkriege in Deutschland zu einem Ansehen gelangte, 274

wie es kein Maler seit dem Tode Böcklins innerhalb der Nation besaß. Der nach seiner Gesinnung in einer strengen und reinen Haltung kerndeutsche Realismus und die von fremden Elementen unberührte Kultur seiner Malerei standen damals auch mit einer vornehmen Würde den französischen Impressionisten gegenüber und entsprachen den Anschauungen der fortschrittlich gerichteten höheren Gesellschaftsklassen bis weit in den gebildeten Mittelstand hinein. Jahre der Zufriedenheit und Schaffensfreudigkeit dauerten an und holten eine gute Ernte der ungemünzten Zustimmung, auch an klingendem Lohn. Ein fürstlich eingerichtetes Haus in der Stephanienstraße nahm zwischen die eifersüchtig festgehaltenen frühen eigenen Bilder einen wahren Schatz von alten Kunstwerken auf, von Cranach und Rubens, Möbel der Renaissance und eine Sammlung von Kleinodien des Buchdrucks, seltenen Holzschnittfolgen und Inkunabeln, einem Exemplar des Weißkunig, kostbaren Einbänden und einer Anzahl von Schriften des Lieblingsphilosophen Schopenhauer. In diesem Museum ging der Meister wie ein Grandseigneur mit Stolz und Gelassenheit herum, fühlte sich als Nachkomme eines Rubens und betrachtete, um doch einen Grund zum Mißvergnügen zu haben, die Begünstigung Thomas durch die großherzogliche Familie als unverdiente Kränkung. Wer ihn vordem gekannt hatte, mußte bald mit Verwunderung bemerken, daß er weicher, wehmütiger, ängstlicher geworden war und daß ihn die Sorge um seine Gesundheit quälte. Der Krieg erschütterte ihn aufs tiefste, und nach dem Tode der Gattin, die ihm einen abgöttisch geliebten Sohn geschenkt hatte, brach er seelisch und körperlich zusammen. Das flackernde Licht seines Lebens erlosch am 21. Dezember 1917. Trübner hatte das 67. Jahr noch nicht vollendet. Wenige Monate darauf stürzte eine Welt ein, in der das materielle Wohlbefinden die Unentbehrlichkeit idealer Güter der Wissenschaft und Kunst noch betonte, der eine 275

Persönlichkeit wie er das alleinige Recht auf die Freiheit ihrer Wirksamkeit zuerkannte. Denn diese Wirksamkeit lag genau abgegrenzt und schicksalhaft eingefügt zwischen der Entstehung des deutschen Kaiserreiches und seinem Ende, in der Zeit zwischen 1871 und 1918. Wenn Trübner auch aus der vorangehenden Epoche des fortschreitenden Einigungsgedankens einzelne Ideen übernommen hatte, war seine Darstellung des Menschen und, wie man sagen darf, sogar der Landschaft fest mit den Zuständen verbunden, die sich ihm zeigten und die er mit den in dieser Beziehung auch kulturpolitisch zu einer nicht zu unterschätzenden Gültigkeit aufsteigenden Bestrebungen seiner Malerei ausschließlich im Auge behielt. Alle Regungen und Bewegungen dieser Jahre in wahrhaftiger Größe erschöpfend, wird daher sein Werk vor allem berufen sein, unseren Enkeln den Inbegriff einstiger deutscher Art und deutscher Scholle in den wechselvollen Verhältnissen des neuen Reiches anschaulich zu übermitteln. Seine Kunst ist von urdeutschem Safte getränkt; wie Walter von der Vogelweide sang, als Seher deutscher Au, so malte Wilhelm Trübner, da ist „Wünne vil". E r zog einher wie ein Spielmann des Mittelalters, am höchsten galt ihm sein Handwerk. Darum kannte sein Genius in der Natürlichkeit der Inspiration die Einfalt des Sachlichen allein. Das Fehlen von jeder literarischen oder virtuosenhaften Geistigkeit, die Gesundheit: hier ist die Trennung von den Forderungen der unmittelbar auf ihn folgenden Periode gebildet. Auf zwei Selbstbildnissen hat sich Trübner in schwerer Waffenrüstung gemalt, wie ein ehrenfester Ulrich Hutten, dem er ähnlich sah und in Wort und Schrift nacheiferte, ein trotziger Epigone der Renaissance, die er nicht von der ästhetischen Seite her einschätzte. Er fühlte sich als Kämpfer, im Widerspruch zu seinen übrigen Eigenschaften, als konservativer Träger reformatorischer Überzeugungen, und die drei Wahlsprüche 276

seines Ahnen „Redlich und ohne Prunk", „Ich hab's gewagt" und „ E s ist eine Lust zu leben" pflegte er oft schmunzelnd zu zitieren. Diese Dokumentierung seiner Person dürfen wir nicht als Pose aufnehmen, zumal sie geschah, als Trübner gleichzeitig mit einer kritischen Broschüre „Über die Verwirrung der Kunstbegriffe" die akademische Bevormundung, die Popularität der gegenständlichen Vorwürfe und die „Begebenheitsmalerei" bekämpfte. Damit gab er einem Glauben Ausdruck, den er als wesentlichen Zug seiner Begabung in sich bewahrte. Sein Biograph Georg Fuchs spricht mit Recht von seinem „Konservativismus". Das unerbittliche Wirklichkeitsgefühl des Künstlers bestand alle Proben der Verführung und blieb siegreich bei der Vermeidung von Gefahren, die andere nur mit Mühe überwanden, an seiner Willenskraft und seiner unbändigen sinnlichen Lebensfreude aber wirkungslos abglitten. Niemand, kein Dichter und kein Maler seiner Zeit, wurde so wenig wie er von romantischen Lockungen gefangengenommen, und der scheinbare Mangel an Phantasie, den ein alberner Tadel rügte, war nichts anderes als eine naturgesetzliche Eigenart seines Wesens, das statt der Dichtung Schleier aus der Hand der Wahrheit zu empfangen, die Wahrheit allein zu schauen begehrte. Seine Aufrichtigkeit vor dem Modell war von einem angeborenen Eifer begleitet, sein Talent durch eine kaum vorstellbare, von Anbeginn im größten Ausmaße vorhandene künstlerische Veranlagung, die ihm als Geschenk der Götter in die Wiege gelegt war, auf eine freie Bahn geführt. Er bedurfte keiner Umwege und keiner Erfahrungen. Breitbeinig und stiernackig stand er sofort da, noch nicht zwanzig Jahre alt, die Palette in der Hand, die klaren Augen auf die Sichtbarkeit der irdischen Welt gerichtet, und malte, wie es ihm gefiel und wie er malen mußte. Es ist großartig und verwunderlich: dem Werke Wilhelm Trübners fehlt also eine folgerichtig einteilbare, zu einem Höhepunkt gelangende Entwicklung. Denn diese, 277

chronologisch betrachtet, ist nur die fortdauernde Bestätigung ihrer Beginns. Schon der junge Trübner muß als ein Meister der Malerei angesprochen werden. In der Geschichte der Kunst findet sich kaum ein ähnliches Beispiel dafür, daß ein Künstler vor seinem fünfundzwanzigsten Lebensjahre an fünfzig Gemälde ausführt, die zu den hervorragendsten Schöpfungen einer entscheidenden, zugleich historisch und revolutionär eingestellten Epoche der deutschen Kunst gehören. Diese frühen Gemälde sind, um die üblichen Schlagworte zu verwenden, „altmeisterlich" und „zeitgemäß". Die Abstammung aus der Heidelberger Goldschmiedewerkstatt hat den zarten Emailglanz der Farbe, die Freude an der Materie, die verfeinerte und dennoch realistische Deutlichkeit der Darstellung, hat die innere Zucht, Festigkeit und Gebundenheit bewirkt, welche die Fülle der ursprünglichen Begabung bändigte. Trübner selbst hat in seiner Einleitung zum Katalog der Karlsruher Ausstellung von 1 9 1 1 drei Perioden seiner Malerei richtig unterschieden und zwei derselben mit treffenden Worten charakterisiert. Der erste Abschnitt reicht bis 1876: „Tonige Zusammenstimmung gedämpfter Farben, Lichtprobleme und Clairobscurwirkung, fleckenartiger Farbenauftrag und feinste Abstufung der Farbentöne." Damit sind freilich zunächst nur die technischen Herstellungsfragen berührt. Die Solidität dieser Malerei bietet mehr: den triumphierenden, mit unbeirrt er Rechtschaffenheit getroffenen Klang eines autonomen Rhythmus in der Gruppierung der Farbenwerte, der die Harmonien der koloristischen Gleichung verdankt werden, und das ungehemmte Verhältnis zu der Naturerscheinung in ihrer nackten Realität. Die altmeisterliche Belehrung ist instinktmäßig verarbeitet, Mittel zum Zweck, nicht Vorbedingung. Dann eine vielleicht noch höher stehende Funktion der frühen Porträts, Trübners Anschauung und Auffassung des Menschen. Die Individualität wird 278

ebenfalls durch die farbige Resonanz aufgeschlossen, durch das reale, nicht das psychologische Hervorrufen des Eindrucks. Der Diesseitsmensch Trübner sucht in sich und seinen Modellen keine seelischen Geheimnisse, keine Vergangenheit und keine Zukunft, allein die Gegenwart. Diese nur scheinbar bedenkliche Tatsache stellt ihn innerhalb seiner Zeit für sich, abseits auch von Leibi und Courbet, so viel er ihnen sonst schulden mag. Aber die überraschende Beobachtung bleibt bestehen, daß seine Kunst niemals zu einer Art von photographischer Oberflächlichkeit herabgesunken ist, sondern „im farbigen Abglanz das Leben" physisch, wie es nun einmal ist, mit einer männlichen Festigkeit zu begreifen und auf die Leinwand zu bannen willens war. Wie in der Geschichte des Romans die Schilderung der Persönlichkeit als Typus einer Epoche eine Wendung herbeiführte, wurde in der Geschichte des Porträts ein parallel verlaufender Umschwung genommen. Die angebliche Altmeisterlichkeit Lenbachs, der seine großen und kleinen Zeitgenossen in einer offiziellen Manier der Nachwelt als Beispiel vorhält, und die echte Altmeisterlichkeit Trübners, der die Einzelfigur als Glied eines gesellschaftlichen Zusammenhanges aus dessen Mitte herbeiholt, treten sogar in einem politischen Sinne zusammen. Die Ereignisse von 1870/71, das Übergewicht der Naturwissenschaft, der „Fortschritt" als Religion, der in den Gründerjahren dem Materialismus den Boden bereitete, können auf Trübners Bildnissen wie aus geschichtlichen Büchern abgelesen werden. Die Biederkeit Anton Graffs, der ein Jahrhundert vorher von einem literarischen, schwerfällig langsamen Volkstum erzählte, das von den Befreiungskriegen aufgerüttelt wurde, fand nun auf der Linie über Waldmüller und Canon die Fortsetzung in der gepflegten Wohlhabenheit der Malerei Trübners, die der „neuen, moralisch über sich selbst hinausgewachsenen Generation der Deutschen", wie Scherer sie benannte, diente. Doch entsprechend seinen Grundsätzen 279

ging Trübners Absicht nicht dahin, sie darzustellen wie sie schwärmte oder träumte, falls sie sich diese Laster nicht abgewöhnt hatte, sondern wie sie entschlossen, „tüchtig", was als ihr Hauptmerkmal hervorgehoben wurde, ihres Ranges in der veränderten Welt sich freute. Die Männer und Frauen, der Bürgermeister Hoffmeister, der Einjährige Höpfner, der Landwehroffizier, die Eltern, die Damen im Pelz sind ausnahmslos brave Bürger und Bürgerinnen des deutschen Kaiserreiches, keine „bedeutende" Charaktere, dafür aber heute, weil ihre Namen zu erfahren belanglos ist, noch so lebendig, daß sie auf Du und Du mit uns verkehren wie wir einstens mit Onkel und Tante, ganz animalisch, robust und relativ jung. Das Essen und Trinken behagt ihnen, ihr Lebenslauf ist Lieb und Lust, sie machen sich keine Sorgen und bleiben in den Schranken ihres Einkommens. Daher vertragen sie die Glanzlichter der Historie ebensowenig wie viele Gestalten von Theodor Fontane aus dem märkischen Junkertum oder der Berliner Bourgeoisie. Was für Fontanes Erzählung die mündliche Rede ausmacht, wird bei Trübners Kunst Rede der Physiognomie: Rede Du, damit ich Dich sehe — sieh Du mich an, damit ich rede und weiß, wer Du bist. Dein Handeln kommt erst nachher. Das gilt nicht für die Jugendzeit allein, gibt vielmehr dem gesamten Werke die Grundlage. Als Trübner in Karlsruhe, von falschem Ehrgeiz geplagt, den Kaiser und andere Fürsten, Repräsentanten der Macht, wie Reiterdenkmale steif und kalt porträtierte, benahm er sich nicht anders, und sein Können erlahmte trotz der geschickten Berechnung der malerischen Lage vor dem Zwiespalt zwischen gegebener Sachlichkeit und erborgter Gefälligkeit. Das sind künstlich gezogene Schößlinge, Treibhauspflanzen neben den üppigen Beeten im Garten seiner Malerei. Fast vierzig Jahre liegen zwischen der weichen, wie die Infantinnen des Velasquez seidig leuchtenden einheitlichen Klarheit des Knaben mit der Dogge, dessen diskrete Tönung in 280

dunklen Farben schwelgt, grau zu schwarz, violett zu braun, und der aus Rot und Gelb zusammengewogenen grell und schmetternd gebrachten Schichtung des Sohnes Jörg in Rüstung: zwei Meisterwerke farbigen Spieltriebs, Entfaltung und Erfüllung gleichen Strebens, Eckpfeiler einer von der impressionistisch behandelten Überlieferung zum Pleinair aufgestiegenen malerischen Potenz. Die Reife des Alters sonnt sich dankbar an der Wärme der Jugend. Trübners Veranlagung begnügte sich zu seinem Glück nicht mit der Wiedergabe der Menschen. Alles, was ihm die Welt gab und was er mit geweckten Sinnen erblickte, wurde für ihn ein dem Pinsel, der Palette, der Leinwand taugliches Objekt, Blumen, Früchte, in bunten Stilleben vorteilhaft für koloristische Passionen angeordnet, vor allem Landschaften. Auch diese einzigartigen Werke sind typische Darstellungen, gemalte Wirklichkeiten deutscher Gegend, deutsche Erde und deutscher Himmel, am Chiemsee und dann am Starnberger See, im Taunus und Schwarzwalde. Sie sind typisch, mag die folgende Zuteilung noch so sehr befremden, für die vormalige jungfräuliche Schönheit eines vom Fremdenverkehr, von Automobilen und Flugzeugen nicht verletzten Friedens. In den Hebel der malerischen Begehrlichkeit scheint ein Element verschwiegener ethischer Gesinnung einzugreifen. So sah unser Vaterland um 1870 aus, so erfühlte der Deutsche die Stimmung der Heimat, den Wald, den See und das Dorf, darüber das Licht, der in der unverhüllten Sonne ruhende gedämpfte Silberglanz des Mittags. Diese Überlegung erhebt Trübners Landschaften von 1 8 7 1 — 1 8 7 6 , von 1 8 9 1 — 1 8 9 3 , nach 1898 zu den schönsten Erlebnissen der Kunst der Neuzeit, deren Zauber sich nicht mit Worten beschreiben läßt. In ihrer Patina erstarkend wie in ihrem Rhythmus des Aufbaus, leuchtend wie der Schmelz alten Schmucks, einigen sie Vision und sehnsüchtige Erinnerung und erwecken durch die Natür-

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lichkeit des Anschauens und die Wahrheit des Aufnehmens gleich bejahende Empfindungen, ob sie nun als realistische Ansprüche oder als poetische Deutungen erwartet werden. Der Abstand von Leibi und Courbet vergrößert sich, auch von den alten Meistern. Eigene Form, die „fleischige Trübnerform", wird erreicht, die Helligkeit gesteigert, die Primamalerei ausgebildet und bis zur Spitze, bis zur Grenze des Möglichen getrieben. Diese Umstände mußten ausführlich besprochen werden. Sie sind die unentbehrliche breite Basis zum Verständnis der Wirksamkeit des Künstlers. Seine zweite Arbeitsperiode hat Trübner betrachtet als „Zerlegung der großen Formen in kleine flächige Farbeneinheiten, in der Vorliebe für vielfältig sich überschneidende und verkürzende Linien und in der Ineinsbildung aller dieser malerischen Ausdrucksmittel zu starken Farben- und Raumwirkungen". Mit diesen Worten versucht er, den Aufenthalt auf der Zwischenstation seiner dekorativliterarischen Bildmotive kritisch zu erklären und zu entschuldigen. Er hätte dessen nicht bedurft, da schon angesichts des Erreichten eine Ruhepause erwünscht sein mußte, um eine Überreife zu verhindern. Die Kentauren, Amazonen, Giganten, die historischen Szenen, zu welchen gelegentlich ein ins Gegenteil mythologischer Erzählung gleichsam parodiertes Genre wie die ,, Wacht parade" und materialistisch aufdringliche Stilleben hinzukommen, sind längst als Verlegenheitsproben eines in solchen Kraftleistungen die vermeintliche überschüssige Dynamik entladenden Dranges sich auszuleben erkannt. Das sind nicht Bemühungen, mit Böcklin oder dem einer allegorisierenden Romantik unter dem Einfluß Richard Wagners verfallenen ehemaligen Freunde Thoma einen Wettstreit zu versuchen. Aus der Trivialität eines in Einzelheiten wie etwa in bezug auf die Zeichnung nicht völlig verlorenen, episodenhaften, sich vorgespielten Theaters gelangte Trübners staunenswürdiger Eifer zu der von farbiger Bewegung und Lichtproblematik in 282

einen monumentalen Stil übergeführten letzten Periode seiner Malerei. Mit der Erneuerung des einstigen intuitiven Verhältnisses zu der Natur ergibt er sich nunmehr einer fruchtbaren, bei den Bildnissen reliefartig geschärfte Betonung gegenseitig sich stützender Farbenerscheinungen, bei den Landschaften Tiefe und lineare Haltung der Geländeproportion durch pastose Anwendung ungebrochener Farben anstrebenden Tätigkeit. Wie schwellende Polster ruhen die einzelnen Farbwerte nebeneinander, kämpfen und umschlingen sich, ohne allzu dekorativ zu sein, jeder Wert selbständig, reich, vornehm, nicht ohne einen herben Zug; in der Konstruktion gebietet die zur Parallele verdoppelte Vertikale raumordnend und raumspaltend. Rein und wuchtig kommt in den letzten Arbeiten das stilistische Prinzip zur Alleinherrschaft. Man hörte die Meinung, daß diese Gemälde infolge ihrer bis zur letzten Konsequenz durchgebildeten koloristischen Form hölzern und hart seien. Im Verlaufe der Jahre haben auch sie, weil Trübner die Gesetze der Primamalerei genau einhielt, die farbige Geschlossenheit der Frühzeit erreicht und stehen gleichberechtigt neben den Zeugnissen des Jünglings. Diese vorbildliche Treue zur Fahne und diese Disziplin hätten eine große Schule von guten Malern um den Lehrer scharen und durch die von ihm geschaffenen Werke eine Tradition begründen müssen. Gegen alle Erwartung und Hoffnung ist das nicht geschehen. Ob die Persönlichkeit allzusehr in der Zeitepoche verankert war, deren Bedingungen sie beeinflußten wie keinen anderen deutschen Künstler an seiner Seite, oder ob sie so einmalig, mächtig, überragend war, daß ihrer Spur nicht ohne Gefahr nachgefolgt werden konnte, ist nach Trübners Tode viel erörtert worden, und der Streit ist nie verstummt. Je mehr wir uns von seinem Dasein entfernen, um so eindringlicher meldet sich die in diesen Ausführungen bereits vertretene Ansicht zum Wort, daß der Maler, der das „bismärckische deutsche Kaiserreich 283

akzeptierte, als ein guter Patriot u n d Meister der Zunft den Ruhm, der ihm gebührte, in einem höheren Maße von den Angehörigen seiner Generation als von der Nachwelt zu empfangen hatte. Der letzte, von fremden Rezepten am wenigsten abhängige deutsche Impressionist beendete seine Mission, als er starb. Die Schatten der historischen Einschätzung werden jedoch erst auf ihn fallen, wenn seine Zeitgenossen und ihre Kinder, die in Trübners Gemälden Beziehungen zu ihrem Lebensinhalt besitzen und als Familientradition kennen, im Grabe ruhen, aber niemals sein Schaffen in Dunkelheit hüllen. Mag man seinen Namen dann nach Leibi und auch, weil er weniger Europäer gewesen ist als die Franzosen um Manet und Renoir, weitab von diesen Künstlern in die Bücher der Geschichte eintragen, ihn den Einsamen zugesellen, er wird dennoch stets aus zwei Gründen genannt werden: wegen seiner fortschrittlichen Eigenschaften und wegen seiner kulturellen Bedeutung. Von Goethe ist gesagt worden, daß in tausend Jahren, wenn die Menschen ohne Nachricht über die Person des Dichters sind, Faust und Goethe identisch seien und was nicht Faust ist, vergessen sein werde. Vielleicht fügt es der Zufall, daß einmal auf einer entlegenen, die Reste der europäischen Zivilisation erhaltenden Insel des Ozeans in einem Museum ein Trübner hängt, ein Bildnis, von dem der Katalog bemerkt: Porträt eines Unbekannten zwischen 1870 und 1918. Wenn wir heute die Hinterlassenschaft Lucas Cranachs mustern, den Trübner besonders liebte, und vor den Bildern der deutschen Männer und Frauen der Reformation stehen, betroffen von der zeitlichen Prägung der Köpfe — könnte nicht Trübners Darstellungen deutscher Männer und Frauen unter der Regierung der Kaiser Wilhelm I. und Wilhelm II. ein gleiches Schicksal beschieden sein ?

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MAX LIEBERMANN „Den Sinnen hast Du dann zu trauen, Kein Falsches lassen sie Dich

schauen,

Wenn Dein Verstand Dich wach erkält." Goethe.

E i n e sonderbare Stille hat sich über der Kunst der großen Meister des Impressionismus ausgebreitet, eine wunderlich, auch wundersam zu nennende verklärende Ruhe, die, von dem Glänze ihres inneren, einstens als selbstverständlich empfundenen Reichtums durchschienen, im nächtigen Dunkel der Gegenwart wie von einem Leuchtturme auf ferner Küste des Friedens geheimnisvoll herüberwinkt. Ihre Schöpfer sind heimgekehrt zu den Göttern, woher sie kamen, um die Schönheit der Welt und die freudige Bejahung des flüchtigen Verweilens in ihr zu verherrlichen. Ihre Helfer und Herolde sind ihnen fast alle nachgefolgt: wenige wissen noch, daß es übermütig, ja gefährlich war, auf den Marktplatz zu treten und um den Beifall der Menge für ihre neue und wahre, ursprüngliche und sinnliche Aufnahme und Wiedergabe der Natur, mehr, für eine hieraus bezogene Lebensbedingung zu werben. Dieser Kampf ist beendet. Unbestrittener Ruhm krönt die dargebotene Leistung der gehorsamen Pflicht und des Dienstes bei der Arbeit an Werken der edelsten und reizvollsten bildlichen Gestaltungen malerischer Kultur. Längst werden sie als Klassiker verehrt, jene mutigen Künstler Frankreichs, die, der Überlieferung ihresVaterlandes dankbar anhänglich, ungewohnte Bahnen einschlugen und nicht nur ihrer Generation, deren beste Charaktere ihrer erziehenden Bemühung durch die Anleitung zum richtigen Sehen den Glauben an die reine Offenbarung der Erscheinung und durch den Gewinn der von ihr veranlaßten Erkenntnis285

resultate die Überzeugung von der vollkommenen Freiheit ihrer Existenz zu danken hatten, sondern, beinahe wichtiger, deren Kindern und Enkeln einen Bestand von mächtigen Energien als Vorbild und Sinnbild zur Nutzung und Rettung bei drohendem Unheil hinterließen. Aus der Form und aus der Fülle des Anteils der Begabungen, aus dem Gefühl und der Unmittelbarkeit der Annäherung an die Wirklichkeit ist ein gesetzliches und damit ein höchstes Moment künstlerischer Produktion und Wirkung, nicht etwa beschränkt nur auf das Motiv oder die vielleicht mit ihm ringende Einbildungskraft, als beherrschender Faktor der geistigen Schöpfungsprozesse entstanden. Ein Pantheismus hat sich erhoben, dessen ins Unendliche reichende Vielstimmigkeit, aus der „gemeinen Deutlichkeit der Dinge" herausbrechend, für deren Nachbildung innerhalb der Schranken der Kunst und innerhalb der Grenzen des Lebens auch der zweifelnden Überlegung den unfehlbaren Beweis der Berechtigung geliefert hat. Die Namen seiner Träger Manet, Renoir, Cézanne und ihrer Gefährten werden überall mit Ehrfurcht ausgesprochen. Sie haben diese Anerkennung vollauf verdient. Denn sie haben jedem für die holden Gaben der Musen empfänglichen Menschen einen wundervollen Schatz der Freude erschlossen, aus der Kunst die Ordnung und Einheit der Welt mit geöffneten Augen wahrzunehmen. Wohl will eine ungestüme Jugend abermals veränderte, den umgewandelten Wünschen einer von Fieberschauern geschüttelten, zu metaphysischer Vertiefung und abgründiger seelischer Trauer geneigten Zeitepoche unterworfene Ziele anstreben, veränderte Formen und Mittel mit überkluger Berechnung anwenden. Aber die großen Impressionisten sind nicht von den Launen der Mode abhängig. Wenn der Frühling erwacht, fällt der Widerschein unsterblicher Zeugung und ewiger Erneuerung der sich stets gleichbleibenden Normen des Daseins auf die Schwelle der Zukunft und mahnt die Bedürftigen, das Schöne zu lieben und zu genießen. 286

Den deutschen Malern des Impressionismus ist ein schlechteres Los zugefallen als den Franzosen. Zunächst wohl, weil den Warnungen vor der Verquickung von politischen und kulturellen Angelegenheiten entgegen anscheinend auch die deutsche Kunst die ihr gebührende Achtung des Auslandes verloren hat. Außer diesem Grunde ist bei Liebermann, Corinth und Slevogt der unbedingten Zustimmung in allen übrigen Ländern die Meinung hinderlich gewesen, daß sie nach deutscher Art den Einwirkungen des Verstandes, des Denkvermögens mit einer der Unbefangenheit der künstlerischen Gesinnung schädlichen Bevorzugung nachgegeben haben sollen. Wogegen freilich zu sagen wäre, daß schon Goethe ausgesprochen hat : „Wer nicht überzeugt ist, daß er alle Manifestationen des menschlichen Wesens, Sinnlichkeit und Vernunft, Einbildungskraft und Verstand zu einer entschiedenen Einheit ausbilden müsse, welche von diesen Eigenschaften auch bei ihm die vorwaltende wäre, wird sich in einer unerfreulichen Beschränkung immerfort abquälen." Die hervorragenden Meister aller Zeiten haben mit angestrengtester Aufmerksamkeit ihr Denken mit ihrem Werk verbunden, ein Beispiel wie Cézanne dürfte beweisen, welche Höhe auf solche Weise erreicht werden konnte. Trotzdem war bei den deutschen Impressionisten eine andere Verlagerung der geistigen Gewichtsstücke geschehen als bei den Franzosen, weil sie die verschiedenen Funktionen in tieferen, mehr provisorischen als endgültigen Bedingtheiten begründeten. Impressionismus ist etwas anderes als Naturalismus und Realismus. Hier ist ,,un coin de la nature vu par un tempérament", dort mehr, das Stück Natur betrachtet nicht nur mit dem Auge des temperamentvollen Individuums, sondern aufgefaßt unter gleichzeitiger Interpretation des darzustellenden Objekts, das durch beständige, lebendig werdende Anschauung entsprechend seinen coloristischen und linear-konstruktiven Beziehungen zur künstlerischen Übertragung aus der Gegenständlich287

keit in die Bildform reif geworden ist und den persönlichen, subjektiven, fruchtbaren Wert der Schöpfung empfängt. Das impressionistische Problem, wenn wir so sagen dürfen, ist in produktivem Sinne auch enger und gleichwohl in bezug auf die Wirksamkeit des Künstlers freiheitlicher und originärer beschaffen für das Entstehen eines Gebildes der Malerei oder der Plastik als das starre Dogma der naturalistischen, realistischen, letzten Endes mechanischen Wiederholung. Den Malern und Bildhauern, die durch ihr Talent und dessen Ausbildung fähig waren, ein gesichertes Gleichmaß aller Vorschriften der Vollkommenheit ihrer Arbeit herzustellen, ist es allein gewährt worden, auf dem Wege der Erkenntnis, einfach, jedermann sichtbar ihr Verhältnis zur Welt als Verhältnis zu sich selbst und damit als totale Wahrheit zu finden. Wenn überhaupt die fließende Bewegung des Impressionismus unter den Begriff eines Stils gezwungen werden kann, müßte er, von jeder stofflichen Belastung abgelöst, durch alle Zeiten als die höchste Verwirklichung künstlerischen Anspruches auf Freiheit gerühmt werden. Wenn er aber als Stil, wie es üblich geworden ist, zum typischen Ausdruck heute schon historisch untergebrachter Zustände im Verlaufe des letzten Drittels des 19. Jahrhunderts erwählt wird, wäre er allerdings ein bezeichnendes Merkmal des letzten geschichtlichen Abschnitts, in dem zu leben noch eine beglückende menschliche Harmonie bedeutete. Die Spiegelung dieses Lebens zu erhalten, war Aufgabe des Impressionismus in Frankreich wie in Deutschland. In dieser sein eigentliches Wesen nicht treffenden oder besser, es nicht erschöpfenden Hinsicht stehen sich Paris und Berlin mit gleichem Wetteifer gegenüber. Die deutschen Vorkämpfer sind in der Schule der Franzosen und durch den Anschluß an sie sicher und kräftig geworden. Sie wußten sämtlich, was sie dem Nachbarlande zu danken hatten. Max Liebermanns hundertster Geburtstag am 20. Juli 288

1947 gibt den besonderen Anlaß, derartige Gedankengänge zu verfolgen und unter ihrer Obhut die Entwicklung seiner durch eine bis ins Patriarchenalter ausgedehnte Leidenschaft erfüllten künstlerischen Tätigkeit in allen ihren Stufen zu betrachten. Denn er ist nicht nur der älteste unter den Führern des deutschen Impressionismus, nicht nur infolge seiner Begabung auch der bedeutendste, sondern wegen der Vielfältigkeit seiner nach vielen Seiten sich ausbreitenden geistigen Natur eine Persönlichkeit gewesen, die bei der Aneignung der neuen Lehre sich an die Spitze ihrer Anhänger stellte, ihr bei fortgesetzter Verfeinerung und Steigerung der Mittel der Malerei treu blieb, und mit einem scharfen Intellekt und einem klugen Instinkt bewaffnet auf einem hochgelegenen Posten bis zum Ende aushielt. Die geistige Beschaffenheit Liebermanns, die jeden ergriff, der ihm begegnete oder sich mit seinem Werk auseinandersetzen mußte, ist in ihrer Mischung von genialen Verstandeskräften und schöpferischen, sinnlichen Darstellungskräften geradezu der Inbegriff einer ständigen Kampfbereitschaft zwischen den miteinander ringenden Mächten des Auges und des Gehirns, des Schauens und des Denkens. In seinen Gemälden zeigt sich dieser niemals zum Ausgleich, selten zur Beruhigung gelangte Gegensatz, der jedoch nicht als solcher auffällt, weil er als ein ausgeprägter menschlicher Charakterzug hervortritt, mit einer öfters Staunen erregenden Gleichmäßigkeit, die über das Handwerk und die technische Fertigkeit hinausgreift, als pathetisches Zeugnis des glänzenden Talentes an. Das ist die Stelle, an er der sich als Deutscher bekennt und zugleich Abstand nimmt von Vorgängern wie Menzel und Israels, Lehrern wie Steffeck und Munkacsy, die Stelle, an der er hinter der französischen Überlegenheit zurückbleibend als ein echter Deutscher aus dem Zwiespalt der Hemmungen seines inneren Organismus nicht zu den allerhöchsten Weihen der Kunst emporzusteigen vermochte. Nichts war lächerlicher als 19

Uhde-Bernays, Mittler und Meister

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die Verfügung, diesem deutschen Meister die Ausübung seines Berufes zu verbieten. Sie traf einen müden, aber ungebeugten Greis, der bis zu seinem letzten Tage nicht aufhörte, die Funken seines sarkastischen, durch viele Anekdoten beglaubigten Humors aufsprühen zu lassen. Dieser köstliche Begleiter seines langen Lebens hat seine Rede zu manchen kritischen Aussprüchen gereizt und seiner Feder ihren geistvollen Schwung verliehen. Der Schriftsteller Liebermann hat sich an Goethes verwandter Denkweise gebildet und als Präsident der Sezession und bei anderen Gelegenheiten gerne das Wort ergriffen. Seine Unterhaltung war einzigartig erfrischend in ihrem schnellen Wechsel von Ernst und satirischem Spott. Diese Eigenschaft verdankte er seiner Abstammung aus einer vornehmen alten jüdischen Familie und seiner Heimatstadt Berlin. Berlin war auch in den Jahren, in welchen Liebermann nicht dort wohnte und in Weimar und München, Paris und Holland Unterweisungen folgte, die er mit strenger Prüfung und Selbständigkeit verarbeitete, der Mittelpunkt seiner künstlerischen Entwicklung. Seine Begabung gelangte ganz in Übereinstimmung mit den von der preußischen Hauptstadt zur kaiserlichen Großstadt und internationalen Metropole führenden äußerlichen Fortschritten Berlins und in einem ähnlichen Tempo zu ihrem Gipfel. Walther Rathenau hat dafür treffende Worte gefunden, welche die Linie dieses Fortschritts deutlich erkennen lassen: „In Menzel hatte das alte Preußen sich sein Denkmal gesetzt. In Liebermann malt das neue, großstädtisch mechanisierte Preußen sich selbst. Nicht seine Bauten und Säle: das wäre oberflächliche Spiegelung: sondern seinen Geist, projiziert auf Natur, Menschen und Dinge." Der endgültige Entschluß zum dauernden Aufenthalt, im August 1884 gefaßt, trennt die Frühzeit von der späteren, mit anderen Maßstäben zu. beurteilenden, in mehrere Perioden zerfallenden und ein halbes Jahr-

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hundert dauernden Lebensgeschichte. Vom Jahre 1890 bis zum Beginn des ersten Weltkrieges ist Liebermanns Haus neben dem Brandenburger Tor eine zentrale Vermittlungsstelle für alle Freunde einer modernen, auf unmittelbare Eindrücke des Erlebnisses vor der Natur gerichteten Malerei in Deutschland geworden und außerdem die feste Burg der Verteidigung einer sozusagen demokratischen Ehrlichkeit des künstlerischen Willens gegen die Engherzigkeit der offiziellen Würdenträger und des Kaiserhofes gewesen. Dort wurden ein kühnes Wort und eine kühne Tat ebenso unabhängig von den reaktionären Beschlüssen des Ministeriums und der ihm dienstbaren Presse gewagt wie in den Kreisen um Gerhart Hauptmann und um Brahms freie Bühne. Die Gründung der Berliner Sezession, deren Obmann Liebermann wurde, verbreiterte die entstandene Kluft zwischen den durch seine organisatorische Einsicht gut geleiteten und ihm als Führer huldigenden Künstlern und dem immer mehr in den Hintergrund gedrängten Aufgebot der akademischen Bevormundung. Seitdem die Villa in Wannsee hinzukam, galt auch sie als Wahrzeichen des glücklich erreichten Zieles einer mit unerschütterlicher Selbstbehauptung vollbrachten Wanderung und eines in ihrem Verlaufe regierenden ungeheuren Arbeitseifers, dem der Umfang des gesamten Werkes entsprach. Nun war Liebermann wirklich der große deutsche Meister der Gegenwart geworden, dessen Ruhm über die staatlichen Grenzen in der ganzen Welt anerkannt wurde. Die Erneuerung dieser Verehrung zur Feier des Jubiläums weckt die Erinnerung an die europäische Tradition, die er bewußt verkörperte, an seine charakteristische Gestalt vor der Staffelei und bei seinen Gesprächen. Sie mahnt den heutigen jungen Deutschen, in der besonnenen Erfüllung der ihm auferlegten Gebote allein den Segen des Daseins auf Erden zu achten und nach seinem Beispiel mit allen Kräften zu streben, ein tüchtiger und weitblickender Weltbürger zu sein. Die 291

Strecke, die Liebermann mit dieser Parole zurückgelegt hat, war anfangs keine bequeme Landstraße, auf die ein milder Sonnenschein leuchtend herabsank. Auch er hat manchen Kreuzweg überschreiten müssen, bevor der zum Manne gewachsene, Jüngling das rechte Feld zum Gebrauch seiner Fähigkeiten fand. Doch ist er als meisternder Herr seines Schicksals, das ihn unweigerlich zu der Malerei geführt hat, das er erkannte und mit einer bewundernswerten Berücksichtigung seiner in leidenschaftlichem Aufruhr angespannten Nerven haushälterisch zu lenken wußte, ein Mentor der Erziehung für alle Zeiten, verständlich und objektiv selbst dann, wenn seine Kunst nur innerhalb der impressionistischen Zone eingeschätzt und lediglich historisch gewürdigt werden sollte. Ob wir im Jahre 1884 oder im Jahre 1890, in dem sich Liebermann für die impressionistische Ausführung seiner Bilder entschied, den Trennungsstrich zwischen den beiden Hälften seines Lebens ansetzen, ist belanglos. Denn trotz des genrehaften Einschlages und der als „Arme-Leute-Malerei" gehässig abgelehnten Gegenständlichkeit der auch in soziologischer Bedeutung gewählten Motive, trotz einer vorsichtigen Anlehnung an die dekorativen Angewohnheiten der Münchener Schule und die Bräuche ihrer Palette ist bereits die gesamte Ernte der Frühzeit Vorbereitung zunächst einer sich von allen Fesseln des Ateliers befreienden, im verschwimmenden fahlen Licht und in der feuchten, zitternden Luft Hollands sich reinigenden, zu einer klaren und hellen Darstellung hinführenden Form seiner Kunst, welche die augenblickliche Wahrnehmung in erregter innerer Lust sofort vermittels einer rasch, präzis und sicher auftragenden Primamalerei auf die Leinwand umsetzt. Aus dem Realismus des im Stoff noch befangenen koloristischen Farbenspiels entfaltet sich in Vorahnungen impressionistischer Wandlung eine natürliche Bildarchitektur, die von mehreren Biographen Liebermanns mit Recht monu292

mental genannt wird. Dann erst ist die Einheitlichkeit der ihm allein eigentümlichen, in ihrer deutschen Sonderheit bereits geschilderten malerischen Grundhaltung erreicht. Steffeck war sein erster Lehrer. Er gab einen vorzüglichen Zeichenunterricht' und bestätigte nachdrücklich als Schüler Franz Krügers die alte Berliner Tradition. Aber Liebermann war seiner Veranlagung nach Maler, ein Maler, der vor allem dem malerischen Gefühl, das sich zu äußern verlangte, einen freien Lauf zu lassen berufen war. So ging er nach Weimar, wo ihm an der dortigen Kunstschule der Belgier Pauwels wenig mehr als eine solide handwerkliche Ausbildung beibrachte, bis er durch einen Zufall nach Düsseldorf zu Munkacsy geführt wurde und nach dessen „Charpiezupferinnen" seine „Gänserupferinnen" ähnlich der Vorlage des von Wilhelm Leibi zu einer kraftvollen Veränderung seiner Malweise hingezogenen Ungarn vollendete. Doch unterscheidet sich Liebermanns Gemälde in der Auffassung von der theatralischen Gruppierung der Figuren Munkacsys, indem er die Echtheit des sozialen Inhalts menschlicher bewährt und Absichten des jungen deutschen Malers aufdeckt, die bei seinem sich an Weimar anschließenden längeren Aufenthalt in Paris durch die Bekanntschaft mit Millet und Courbet noch deutlicher verwirklicht wurden. Die beiden Franzosen sind, wie später Manet, Degas und Monet, für den Berliner, der sich mit dem Werk Adolf Menzels wie ein dankbarer Sohn mit der geistigen Erbschaft seines Vaters abzufinden zeitweilig fast mit einer inneren Notwendigkeit gehalten war, weit weniger wirkliche Lehrmeister gewesen als Vermittler von prinzipiellen Anregungen, aber nicht von Rezepten oder Kunstgriffen zur gefälligen Nachahmung, wie es bei Couture der Fall war. Liebermanns weises Urteil, das dem eigenen Können und der Fortsetzung seiner Studien gegenüber keinen Irrtum beging, nahm aus den fremden Einflüssen nur solche 293

Beihilfen an, die schon von vornherein mit der Gültigkeit seines Verhältnisses zu den Phänomenen seiner geistigen Anschauung in Beziehung standen. Abermals findet sich eine Ähnlichkeit mit Goethes „anschauender Intellektualität", wie sie Simmel tiefblickend herausgestellt hat. Nach den modernen Franzosen waren es die alten holländischen Meister, an ihrer Spitze Frans Hals, deren Studium besonders durch eifriges Kopieren gefördert wurde. Zwischen Barbizon und Haarlem nahm Liebermanns Malerei eine zweckvolle Entwicklung, deren Früchte besonders in Bildern wie der „Kleinkinderschule" und dem „Hof des Waisenhauses" in Amsterdam zeigen, wie es ihn, noch in Abhängigkeit vom Atelier, in die Freiheit und Helligkeit empfindungsvoll, aber ohne irgendwelche Nachgiebigkeit gegen die Wünsche der Kuristvereinsbesucher geschilderter Interieurvorgänge hinüberdrängte. Das verheißungsvoll Begonnene wurde in München folgerichtig fortgesetzt, wo sich abermals zwei bedeutsame Einflüsse geltend machten und eine erneute liebevolle Aufnahme Menzelscher Zuverlässigkeit im Beobachten der kleinen Züge der Umwelt und der Menschen sich auch technisch mit der koloristisch geschmackvollen Übung der von Diez geleiteten jungen Künstler zusammenfand. Altmeisterliche Belehrung, persönlich von einer unmittelbar der Gegenwart verpflichteten Rechtschaffenheit erprobt, und gebändigte Leidenschaft des malerischen Vortrages vereinigten sich zu einer Darstellungsform, welche in diesem Übergangsstadium Arbeiten entstehen ließ, deren Ausstellung allgemeine Aufmerksamkeit und mitunter scharfe Angriffe von seiten des Publikums und seiner altmodisch befangenen Ratgeber erweckten. Liebermanns Name wurde bekannt, als sein innerhalb seines Gesamtwerkes für sich stehender „Christus unter den Schriftgelehrten" eine, wie wir heute in historischem Sinne sagen müssen, planmäßig erfolgte Aussprache mit dem künst294

lerischen Credo Menzels und nicht, wie damals allgemein angenommen wurde, mit dem religiösenGlaubensbekenntnis der kirchlichen Gemeinschaften im Münchener Glaspalast 1879 zu politischen Debatten im bayerischen Landtage Anlaß gab. Aus diesen Stürmen rettete sich der Dreißigjährige in die Freilichtmalerei, die sich von der genrehaften Berichterstattung allmählich trennte und bei den von dieser Zeit an fast alljährlichen Reisen nach Holland durch eine kurze Periode eines aufgeschlossenen Naturalismus der impressionistischen Kunst entgegenschritt. Das „Altmännerhaus in Amsterdam", der „Dorfteich in Etzenhausen", das „Münchner Bierkonzert", die „Gedächtnisfeier in Kösen", die „Seilerbahn" sind hauptsächliche Stationen der Jahre zwischen 1880 und 1890. In ihrer Umgebung begegnen wir dann den weichen, sandgelb und seidengrau abgestimmten Landschaften und den in gedämpften Farben gehaltenen Straßenbildern in und um Amsterdam, den mit sparsamer Eingliederung in den Raum gestellten Figurengruppen wie der „Flachsscheuer in Laren" und den von Millets lyrischen Elegien weit entfernten Bäuerinnen bei ihrer ländlichen und häuslichen Beschäftigung, alles Werke, deren beschauliche Größe auch im kleinen Format und auf skizzenartig gelassenen Entwürfen wirkte. Liebermann hatte in München eine geschärfte, dem Relief zugeneigte Zeichnung ausprobiert und, wohl durch die Kenntnis von Blättern Rembrandts bewogen, an Stelle des Bleistiftes die Kreide und die Feder genommen, wodurch diese Ausdrucksmittel, welchen ein eigenes Kapitel in der Geschichte seiner Kunst gebührt, zu phantasiereichen Stützen seiner Darstellung geworden sind. Ferner bewies er, zumal im „Münchner Biergarten", daß er für den Gesamteindruck eines Bildes die einzelnen Farbentöne, um einem verwöhnten Geschmack gefällig zu sein, in einer wohlüberlegten Anordnung zu verwenden gelernt hatte. Und drittens mühte er sich auf eine andere 295

Weise als die Franzosen mit dem Problem der Lichtführung und Lichtbehandlung ab, das ihm auf dem, „Altmännerhaus" durch Kontrastwirkungen der einfallenden, in lichten Flecken auslaufenden Sonnenstrahlen wiederum als Ergebnis langen Nachsinnens ganz zu lösen nicht gelang, aber später, als er sich ins Freie, vor die schlichte Natur selbst zu treten entschlossen hatte, das eigentliche zusammenhaltende Element seiner durch die künstlerische Vision aus dem lebendigen Wesen der Farbe zur lebendigen kompositioneilen Form gewachsenen Malerei und des in ihr wirksamen individualistischen Stils wurde. Die Einheit dieser drei Medien, wozu noch die Erscheinung im Raum hingenommen werden muß, ist die Voraussetzung der erreichten Vollgewalt frohen Schaffens. Die Schwierigkeiten, trotz der sich stets gleichbleibenden Unbestechlichkeit, mit der Liebermann die seinem beständig reflektierenden Geiste zugeführten Einflüsse bewältigte, seine Entwicklung richtig zu erkennen, sind auch in der zweiten Hälfte seines Lebens vorhanden. Eine ausreichende Formel zu finden, die Umfang und Inhalt des nach 1890 geschaffenen Werkes einschließt, ist nur möglich, wenn man versucht, gegenüber den beiden für sich gerichteten Abteilungen seiner künstlerischen Tätigkeit, Landschaften und Porträts, einen Standpunkt einzunehmen, der den Kräften seines Willens und seiner Phantasie nicht weniger angepaßt ist als den Wünschen seiner malerischen Taktik. Das heißt, um Liebermann aus allen Komplikationen und Zusammenhängen herauszureißen und ihn und seine Kunst ganz zu verstehen, muß man sich mit dem gesetzlichen Aufbau, mit dem allgemein Menschlichen seines Wesens vertraut machen, weit mehr als bei anderen Malern der Neuzeit die Subjektivität des Erlebens beachten. Neben die französischen Impressionisten darf man ihn nicht stellen, wenn man ihm gerecht werden will. Was er in seinem Büchlein über Degas niedergeschrieben hat: 296

„Man muß so sehen l e r n e n , wie man einen Beethovenschen Satz hören lernen muß (der Unmusikalische lernt es freilich nie)" — das gilt ebenso für ihn wie für sein Publikum. Er war auch im Lernen, wohlgemerkt im kritischen Lernen, ein eigener Rechner. Manet undDegas sind, der erste für die raschen Fortschritte auf dem Wege einer farbigen Wiedergabe des Sichtbaren, der zweite für die konstruktive Anlage der Bildform auf zeichnerischer Grundlage, zur Rechten und zur Linken seine Patrone geworden. Die „badenden Jimgen" aus dem Jahre 1896 sind am Beginn seiner neuen Darstellungsweise bereits ein Meisterwerk. Manet, dem sich Liebermann zuwendet, nachdem er als Anfang zu seiner berühmten Sammlung zwei Bilder von ihm erworben hat, war nach einer spanischen Reise der koloristischen Rhythmik des Velazquez gefolgt. Liebermann blieb seit seiner ersten Fahrt nach Holland ein Schüler des Frans Hals. Wieder ein aufschlußreiches Zeichen: den Deutschen zog es nach dem Norden, dem gebrochenen Licht, den trüben und grauen Schattierungen der Luftschichten, den Franzosen nach dem Süden, der Sonne und den bunten Modellierungen der Farben. Wie die Ahnherrn waren auch die Nachfahren verwandte künstlerische Persönlichkeiten. Der Maler der Schützen- und Regentenbilder von Haarlem, der mit kundiger Sinnenfreude der Pinselführung von den Menschen seines Zeitalters auf den breiten Flächen seiner Leinwand eingehend berichtete, der den Augenblick rasch erfaßte und fruchtbar festzuhalten wußte, wurde schon für das erste Bildnis Liebermanns, den „Bürgermeister Petersen" zu Gevatter gebeten. Er steht unsichtbar zur Seite, wenn im Atelier die vielen Aufträge für Porträts erledigt werden, vor allem bei den Skizzen und der Ausführung des „Hamburger Professorenkonvents", einer Versammlung von älteren Gelehrten um ihren Vorsitzenden am Beratungstische, einem „Doelenstück", das der Komposition nach von ihm abhängt und in der 297

wahrheitsvollen Lebendigkeit des geschilderten Vorganges, der durch Zusammenstellung von einzelnen Studien als Bild wiedergegeben werden mußte, ein anschauliches Dokument der Zeit und des mit ihr verbundenen Künstlers geworden ist. ,,£tre de son temps" war auch Liebermanns Wappenspruch. Seine Bildnisse, nicht immer gleichmäßig in ihrer Qualität, zeigen charaktervolle Typen, geistreiche Köpfe neben alltäglichen Gesichtern, die wienerische Plauderhaftigkeit des jovialen Baron Berger und die mächtige Rednergabe Friedrich Naumanns, die schweigsame Vornehmheit des Botschafters Fürsten Lichnowsky und die herrische Erwartung des Bürgermeisters Heinrich Tramm, auf der anderen Seite die Großindustriellen und die Generale, den Kommerzienrat Seligmann und den Reichspräsidenten Hindenburg. Das sind Bildnisse von einer hie und da sogar bis an die Grenze der Karikatur streifenden verblüffenden Ähnlichkeit, plötzliche Ergebnisse der Beobachtung, Momentaufnahmen irgendeiner Haltung oder Bewegung, keine Versuche, das Seelische mit dem Körperlichen zu vereinigen oder es vor der Wirklichkeit in die Vision zu stellen. Dadurch wird ihnen eine äußerliche, zwar nicht schädliche, aber vielleicht (wenn an den Landschaften die Entbehrlichkeit dekorativer Motivsteigerungen hervorzuheben wäre) undramatisch zu bezeichnende Nüchternheit gegeben. Während Lenbach von seinen Modellen nur die Pose des Geltungsbedürfnisses festhielt, ihr Selbstbewußtsein, durch die Hand des Meisters das Zeichen der Berühmtheit ebenfalls aufgeprägt zu erhalten, suchte sein Antipode Liebermann, moderner, künstlerischer und weit mehr den Strömungen einer Gegenwart gehorsam, seine Repräsentanten aus den Dezennien vor und nach der Jahrhundertwende als Menschen mit ihren kleinen Schwächen und Eigenheiten nach Art und Unart kennenzulernen, ihre familiären Unterhaltungen wie von flüchtig kommenden und gehenden Gesprächspartnern als Erfordernisse des Porträts auszu298

nutzen. Die sogenannte „sprechende" Ähnlichkeit ist also hier mit einer doppelten, zur Hälfte dieser Nebenrolle angehörenden Beziehung als geistiges Band zwischen Maler und Modell wirksam. Damit wurde Liebermann angeregt, sich und sein eigenes Gesicht zu belauschen und den kahlen gewölbten Schädelbau und das gefurchte, magere Antlitz, das von geladenen Energien des Willens und der Klugheit bebte, als einen von unbefriedigter Neugierde verfaßten Steckbrief in zahlreichen Wiederholungen abzumalen. Wie immer bei Bildnissen von nahen Angehörigen sind die Gemälde seiner Eltern, seiner Tochter und seiner Enkelin ebenfalls Zeugnisse liebevollster Treue und Empfindung. Die Zunahme der Aufträge, welchen er kaum nachkommen konnte, da sie außer für Bilder noch für Radierungen und Lithographien an ihn gelangten, veranlaßte Liebermann, sich diesem Gebiet als dem ertragreichsten der Domäne seiner Kunst mit reifem Verstand und guter Laune vornehmlich zu widmen. Seine besondere Liebe blieb indessen den Landschaftsausschnitten vorbehalten, wobei er im Freien seine Beobachtungen über die Abstufungen der Farben im Wechsel von Licht und Schatten machte und, wie bei den Menschen deren Verschiedenheiten nach der Vorschrift Goethes als ein „Aufhaschen der Persönlichkeitsbegriffe" bemerkt wurden, die raschen Veränderungen der Beleuchtung auf Blumenbeeten und Dünenfeldern mit geübtem Auge verfolgte. Auch da kam er vorsichtig zu neuen Erkenntnissen, indem er statt der einstens auf Menzel oder Israels zurückzuführenden genreartigen Motive das Lebendige in der Stimmung und in den Schwankungen der atmosphärischen Umstände aufsuchte. Eine nervöse, breite, flüssige, manchmal gewaltsame, mit den Malmitteln verschwenderisch umgehende Technik kommt hinzu. Auf diese Weise wird die selbstgefällige malerische Form erschaffen, die auf langer Überlegung beruht und eine Handschrift ausbildet, deren Stil den Alterswerken der letzten 299

Periode eine durch innere Freudigkeit, nicht durch äußerliches Virtuosentum erreichte dekorative Note verleiht. Von der schmetternden Koloristik des „Papageienmannes" zu der abgeklärten Tonmalerei der „Seilerbahn" und des „Kirchgangs in Laren", von dem plastischen Volumen des „Schweinemarktes in Haarlem", dem lärmenden Treiben auf der „Amsterdamer Judengasse" und den immer einfacher gesehenen holländischen Strandbildern zu den warmen, sommerlich in Sonne gebadeten hamburgischen Alsterbildern und weiter bis zu den vielen vor der Villa in Wannsee vollendeten Gartenstücken mit ihrem Reichtum von roten und blauen Brandungen grell emporschlagender Iris- und Geranienstauden mußte eine lange, dem an Jahren, Erfahrung und genialer Bewährung seiner Begabung großartig wachsenden Künstler nicht immer leichte Strecke zurückgelegt werden. Das Tempo der Zeit unterwarf sich den Furor des Pinsels, auch die Unermüdlichkeit des Fleißes. Die letzten zwei Jahrzehnte stehen im Zeichen einer ungestümen, kaum begreiflichen Vitalität. Einige Ausflüge auf fremdes Gebiet, wie die beiden Fassungen von,, Simson und Delila", ergaben wohl dasVermögen, auf großen Kompositionen die formale Strenge ebenfalls zu bewahren, bewiesen aber deutlich, daß Liebermann der biblischen Erzählung nur das Augenblickliche einer Situation und nicht die dämonische Wildheit des psychologischen Konfliktes abzugewinnen fähig war. Seine Phantasie eroberte durch die auf Anschauung gestellte Selbsterziehung die Sphäre der Wirklichkeit und konnte die Sphäre des Übernatürlichen nicht betreten, in der sie sich hätte verlieren müssen. Vor den Pforten des Jenseits wich seine Kunst scheu zurück, mit einer kühlen, von jedem Anflug von Sentimentalität freien Miene. Der heilsame Egoismus dieses Wissens um den eigenen Wert und die eigene Welt in und um sich, dem Liebermann zuneigte, bedingte den großen Erfolg seines späteren und nachträglich seines frühen Werkes. Der riesige .100

Umfang desselben übertrifft sogar Menzels Hinterlassenschaft, selbst wenn man die Studien, die Graphik und die Zeichnungen nicht einrechnet. Zu dem klingenden Lohne gesellten sich Auszeichnungen, wie sie keinem gleichzeitigen Künstler zuteil wurden. Zur Feier des 70. und des 80. Geburtstages veranstaltete die Berliner Akademie vielbesuchte Ausstellungen, die eine vorzügliche Übersicht seines Schaffens boten. Der Name Liebermann schien eine programmatische Überschrift werden zu wollen. Wie neben den alten Menzel Theodor Fontane gestellt wurde, der Dichter der Mark Brandenburg und ihres Adels zu dem Maler des großen Königs, benannte man nach dem ersten Weltkriege Max Liebermann und Gerhart Hauptmann zusammenfassend als einheitlichen Kulturbegriff der in der Weimarer Republik noch politisch ein Übergewicht behauptenden bürgerlichen Gesellschaft in Deutschland. Wie der berühmte moderne Schriftsteller hatte der berühmte moderne Maler eine Gefolgschaft von vielen Nachbetern und kleinen Talenten, die ihm nur seine technischen Kniffe abguckten und in kläglicher Geistlosigkeit untergingen, Sein Einfluß, von Uhde und Kuehl über Corinth und Slevogt bis zu den jüngeren norddeutschen Künstlern ist außerordentlich groß gewesen, schon weil das Aufsehen, das er immerfort erregte, nach einem ständigen Umgang und der Abrechnung mit seinen Schöpfungen verlangte. Deshalb ist es sonderbar, daß diese niemals populär wurden und daß sich ihre Aufnahme außerhalb der Museen zunächst auf die Kreise des durch den industriellen Aufschwung reich gewordenen deutschen Bürgertums erstreckte, dem Liebermann entstammte. Die Solidität des braven ehrlichen Geschäftsmannes, die Liebermanns Vater in seiner Wohnung am Pariser Platz in Berlin bevorzugt hatte, war von dem Sohne geerbt und bewahrt worden. Sie offenbarte sich als ein sehr edler Bestandteil seiner Kunst und war für die soziale Schicht, der er angehörte, ein zum Schmuck ihrer festlichen Räume angenehmes 301

und erfreuendes Kapital. Sein Werk hängt in aller Freiheit und persönlichen Größe unlösbar mit dem Gesamtverlaufe der deutschen staatlichen und kulturellen Entwicklung zwischen den Jahren 1870 und 1933 zusammen. Ob von der unterdessen geschehenen Zerstörung dieses Zusammenhanges Liebermanns künstlerische Stellung in der Zukunft betroffen sein wird, läßt sich nicht voraussagen. Geht er, wie er es verdient, als ein Meister der deutschen Malerei in die Geschichte nicht nur der Kunst ein, dann wird man ihn mit den charakterisierenden Worten Heinrich Wölfflins ansprechen, die sein Diplom als Ehrendoktor der Berliner Universität enthält und die nachher von keinem Geringeren als Ulrich von Wilamowitz in ein klassisches Latein übertragen wurden: „Der verehrte Mann, der die Malerei dahin geführt hat, wohin sie schon längst strebte, die Dinge nicht so zu malen, wie sie nach den Lehren unseres Wissens sind, sondern so, wie sie den Augen am ehesten erscheinen; der selbst das, was keine Gestalt und keine Form kennt, die Luft und das Licht und die Bewegung, die alles durchdringen, mit seinen Farben einfängt, es zwingt und festhält, der selbst ein regsamer, scharfer Kopf ist und, wenn er die Züge der Mitlebenden malt, die Form und das Leben und den Funken des Geistes wie atmende Dinge mit unvergleichlichem Erfolge wiedergibt." Diese Urkunde, die alle Eigenschaften der Kunst Max Liebermanns schicklich zusammenfaßt, bestimmt sein Verhältnis zu seinen Zeitgenossen. Die Nachwelt mag sie bestätigen oder ablehnen: der würdevolle Anstand der großen Persönlichkeit wird auch von ihr geziemend erkannt und anerkannt werden.

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SLEVOGTS FAUSTILLUSTRATIONEN Zum zweiten Teile des Goetheschen Faust ein unbefangenes, persönliches Verhältnis zu gewinnen, ist nicht leicht. Die weitläufige Problematik seines Inhalts in ihrer bedeutungsvollen Schönheit als einheitliche Schöpfung aufzunehmen und zu verstehen, erfordert eine liebevolle Vertiefung in die gedankenreichen, geheimnisvollen Grundformeln der Dichtung und ihrer Gestalten und Symbole. Allen Annäherungsversuchen stellt sich der weitverbreitete Glauben entgegen, daß es zwar möglich sei, dem äußeren Gange der Handlung ohne Mühe zu folgen, aber unter sorgsamer Vermeidung von Seitenpfaden und Umwegen, aus deren Labyrinth nur der Kundige herauszufinden vermöge, ohne in die verborgenen Schlingen der zahlreichen mythologischen, historischen, naturwissenschaftlichen Anspielungen zu fallen. Daher wird jenen Glücklichen allein, welchen nach Überwindung eines angeblichen Vorurteils Fausts Erlösung in ihrer wundersamen, von seinem Menschentum befreiten Vergöttlichung glaubhaft geworden ist, die sittliche Kraft der errungenen Erkenntnis ihres eigenen Daseins kleines Geschehen als eine Wiederholung übereinstimmenden Schicksals, als ein G l e i c h n i s anzeigen, das ihnen wie ein freundlicher Stern auf ihrem Wege begleitend folgt. Auch durch die von dem Dichter freigebig an uns gerichtete Aufforderung, sein Werk subjektiv auszulegen, ohne die Kommentare eifriger Philologen zu benutzen — was den mit einem Modewort faustisch zu benennenden Charakteren öfters Anlaß gegeben hat, mit ihrem „Gram zu spielen"—, hat der zweite Teil des Faust einen der höchsten Plätze in der Weltliteratur erreicht. Indessen kann erst dem gereiften Manne, der die schwere Last des Lebens nicht mehr mit dem Optimismus der Jugend trägt, das Drama Spiegel oder Sinnbild sein, woher er auf alle Fragen Antworten erhält, um einen wahren Schatz der inneren Bereicherung anzusammeln.

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Nicht auf bestimmte Stände oder Berufsklassen, nicht auf eine besondere Form der Ausbildung ist die Verbindung zwischen Erfahrung und Wunsch hier, Mahnung und Aussage dort, zwischen dem Menschen der Gegenwart und dem unsterblichen Dichter beschränkt. Dem Kaufmann und dem Handwerker, dem Techniker und dem Geologen, dem Politiker und dem Beherrscher der Wissenschaften oder Künste gibt der zweite Teil des Faust Anregungen genug, die auf die spezielle Tätigkeit zurückgehen und sie zu einer höheren, allgemeinen Stufe emporheben. Mit einer bevorzugten Ausnahme: dem bildenden, vor allem dem nachbildenden Künstler, dem die Gabe der Phantasie die Einheit seines Lebens und seines Schaffens verklärt, muß der Wechsel der bunten Szenen ein ungewöhnlicher Anreiz sein, das Wagnis einer Illustrierung zu unternehmen und das Maß seines Willens an der rühmlichsten und schwersten Aufgabe zu bewähren. Trotzdem hat sich bis zu Max Slevogts wenige Jahre vor seinem Tode vollendeter Arbeit keiner der Graphiker, die den ersten Teil illustriert haben, nicht einmal Delacroix, der sich in einem seiner letzten Briefe mit einer negativen Äußerung ablehnend verhält, dazu entschließen können, auch den zweiten Teil zu interpretieren. Die erwähnten Bedenken, vielleicht auch eine unbegründete Besorgnis vor der scheinbaren Unverständlichkeit vieler Stellen mögen daran schuld sein. Denn es ist nicht einzusehen, warum das Flammengaukelspiel am Kaiserhofe, die sagenhaften Erscheinungen der klassischen Walpurgisnacht und der Helena, das mittelalterliche Gepränge der Söldnertruppen und die himmlische Glorie der Engelsscharen nicht ebenfalls, wie die Ereignisse im ersten Teil, geschildert werden könnten. Slevogts Zeichnungen zum zweiten Teil des Faust sind, als ein abgeschlossenes Kapitel seiner vielseitigen Tätigkeit betrachtet, nicht nur das größte Unternehmen derselben, sondern eine der verdienstvollsten Schöpfungen der deutschen graphischen Kunst. Eine derart 304

schematische Bestimmung reicht nicht aus, um ihren wirklichen Wert anzugeben. Denn sie sind und bedeuten mehr, weil sie als ein großartiges Dokument der Einfühlung in ihrem Zusammenhange mit der von Goethe verkündeten Weisheit sich niemals dem Text willenlos unterworfen haben. Sie sind nichts anderes als der freiheitliche, hie und da sogar willkürliche Ausdruck eben des unbefangenen persönlichen Verhältnisses, das in den Gehalt der Dichtung genießend einzudringen fähig war. Die Wirkung, die von ihnen ausgeht, liegt darin, daß die meisten Kompositionen nur ausnahmsweise von den dramatischen Motiven, dafür öfters vom poetischen Klang einzelner Strophen, der Schönheit mancher Verse, der Wendung eines zufälligen Wortes inspiriert sind, Äußerungen, wenn man so sagen darf, eines Spieltriebes von unerhörter Energie und Leidenschaft der Empfindung. Einer musikalischen Begleitung sind sie ähnlich, die mit dem besonderen Gefühl für die diskrete Haltung der zweiten Stimme ausgerüstet ist und im vollkommenen Bewußtsein ihrer Geltung doch das Vorrecht des Partners nicht schmälert. Slevogts Zeichenkunst — in der Tat eine Zeichen-Kunst — umwirbt und umkränzt das Versgebäude, bald rhythmisch das Thema zu übernehmen bereit, bald zu gefälligen Variationen gelockt. Die bedruckte Seite in ihrer typographischen Ausstattung wird zu einem neuen Faktor der Bemühung. Sie wird ihrer selbständigen Rechte unbeschadet zu einem für sich stehenden Gebilde umgeschaffen, indem sie eine schickliche Umrandung erhält. Durch die Kolumnen der Verszeilen schlingen sich die Girlanden der Zeichnung. Ein Meisterstück des Buchschmucks ist entstanden. Aus der Sphäre des Dunklen, Historischen, Geistigen rückt das alte Märchenspiel, seines ursprünglichen Zwecks sich wieder bewußt, in eine neue, abenteuerliche, lebendig freie Vorstellung ein. Slevogts Kunst wirkt sofort in höchstem Maße sinnlich und augenblicklich. Mit der Grazie der Erfindung wetteifert die frohe Laune einer naiven, 20

U h d e - B e r n a y s , Mittler und Meister

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fast vergewaltigenden Derbheit, einer Gesinnung, die sich an dem besten Anspruch realen Besitzens — m e i n ist das Buch und m i r gehört es zu — kindlich erfreut. Schon die Umrahmung der ersten Szene (anmutige Gegend) gibt Anlaß, die geistreiche Art der Illustration Slevogts in ihrer unbeirrten Sicherheit wahrzunehmen. Der Vers „Sein Innres reinigt vom erlebten Graus", in dem vom Dichter die seelische Befreiung seines „zum höchsten Dasein immerfort zu streben" in endgültiger Bereitschaft erwachenden Helden, und gleichsam die psychologischen Bedingungen für seinen Sieg über den Teufel angekündigt werden, erweckt im Gedächtnis des Lesers Erinnerungen an den Verlauf und das Ende des ersten Teils der Tragödie, der in einer Vision vorübergleitet. Ähnlich erküngt im ersten Akt der Walküre Richard Wagners bei Sieglindes Erzählung „Ein Wanderer trat da herein" das Walhallmotiv aus dem Orchester herauf, um Wotan, den Wanderer, kenntlichzumachen. In solcher Absicht werden von Slevogt die Randflächen mit den Erscheinungen ausgefüllt, die Fausts Vergangenheit und nun seinen Traum beherrschen, durch die Hilfe der Elfen aber machtlos werden. So betrachten wir Gretchen im Garten und im Gefängnis, Mutter Martha und die junge Blocksberghexe, die Pferde vom Rabenstein und Valentins Leiche, Vorgänge, die in Worten nicht mehr erwähnt werden. Die romantische Veranlagung des Künstlers ergänzt, was auf der Bühne nicht gesprochen wird und nicht dargestellt werden kann. Wenn der Bakkalaureus von des Professors Wagner gewichtigem Eindruck auf dem Katheder berichtet oder Helena den versehrenden Reiz ihrer Schönheit anklagt, wenn die stymphalischen Vögel auffliegen, Euphorion vor seinem Sturz in die Saiten schlägt und der Chor die Macht der heiligen Poesie rühmt — dann zaubert Slevogts geschickter Griffel eine Folge von Gruppen lauschender Zuhörer und spielender Amoretten, einen kleinen Bogenschützen, emporstarrende Lanzen herbei. Hunderte von 306

derartigen Improvisationen sollen als ausgleichende Stimmungselemente dazu dienen, die schwere stoffliche. Last des Inhalts leichter zu machen. Weit reicher noch hat sich die Einbildungskraft des Künstlers in den großen, im eigentlichen Sinne illustrierenden Darstellungen entfaltet, des Theaters mit Paris und Helena, der komischen Philosophen Anaxagoras und Thaies auf ihrem Spaziergange, der Telehinen von Rhodos oder der mittelalterlichen Burg, nach deren Höhe Helena mit dem Chore emporsteigt. In diesen Kompositionen steigert sich der Vorteil der persönlichen Auslegung zur Vollkommenheit der graphischen Leistung. Die gefällige, theatralische Situation kommt hervor. Da ist es notwendig, anzumerken, daß Slevogt nicht wie Delacroix, der Szenen besonders auffallender dramatischer Spannung wählte und eine wesentliche Eigenschaft der Dichtung, ihre lyrischen Aspekte, nicht beachtete, diese in treuer Gefolgschaft Goethes aufnimmt und sich dem Tempo der Handlung, bald in nachdenklicher Ruhe, bald in temperamentvollem Vorstürmen mitlebend und mit-erlebend anschließt. Niemals verbürgerlichen sich Slevogts in einer impressionistischen Schaubarkeit voller Bewegung geschaffenen, durch die schwungvolle Handschrift der Zeichnung zur schönsten künstlerischen Lebendigkeit gelangenden Illustrationen zu flauen Historienbildern, wie sie uns noch aus Kaulbachs und seiner Nachfolger einstens beliebten Prachtwerken bekannt sind. In den Radierungen, die sich als die am meisten selbständige Form der Zeichnung behaupten, wird ein weiterer Gewinn sichtbar: die strenge Geschlossenheit der künstlerischen Aufnahme bei jenen Höhepunkten des Verlaufs der Tragödie, welche die dramatische Entwicklung anzeigen, was wir auf den Blättern des auf dem Kentauren Chiron reitenden Faust und am schönsten des an der Spitze eines langen Zuges gefesselt vorgeführten Turmwächters Lynkeus ergriffen sehen. Hier hat, um ein Lieblingswort Goethes zu gebrauchen, die „dämonische" Geistesnähe der beiden 3°7

Meister die edelste Form der Vereinigung gefunden. In allen Arten der schwarzen Töne, vom samtenen Grunde bis zum schimmernd gehauchten Nebelgrau erklingt die graphische Instrumentation dieser Radierungen. Der Gegensatz von Schatten und Licht ist nach Bedarf bald kräftig ausgebildet, bald in weichen Übergängen gemildert, um räumliche Tiefe und Bewegung der Figuren in geschärfter Silhouettierung herauszuholen. Ob man die Radierungen oder die Lithographien des Textes zur höchsten Bedeutung des Slevogtschen Werks erheben will, sei zur Entscheidung den Besitzern des kostbaren Buches überlassen. Wie unendlich lang war doch der Weg, seitdem im Jahre 1808 durch Senefelders Steindruck die Handzeichnungen Albrecht Dürers zum Gebetbuche Kaiser Maximilians als eine der ersten Inkunabeln der Lithographie erschienen und als „etwas Hohes und Würdiges" von Goethe begrüßt worden waren, worin, wie er sagte, ,,die ganze Welt der Kunst vor uns vorübergehe, von den Figuren der Gottheit bis zu den Kunstzügen des Schreibermeisters". Wie weit aber auch Slevogts, des Illustrators, Weg vom Seefahrer Sindbad im Jahre 1906 und dem Lederstrumpf 1909 bis zum zweiten Teil des Faust im Jahre 1926. Dazwischen befinden sich neben anderen Stationen am Anfang die Ilias, am Ende die Zauberflöte, beide Folgen schon in Beziehung zum Faust. Vor allem hatte Mozarts zierliche Niederschrift der Zauberflöten-Partitur die nach zwei Seiten gewandte illustrierende Schaffensfreude Slevogts angeregt, die sich im Faust bei der genialen Anpassungsfähigkeit seiner Phantasie noch mächtiger ausdrücken sollte. Was dort, der Fabel gemäß, in einer Charakterisierung des Textes im Rahmen der Musik bestanden hatte, wagte hier, mit ausgebreiteten Armen den ganzen Kosmos zu umfassen und seine Grenzen bis zum Reiche des Überirdischen auszudehnen. Der Zusammenhang, der zwischen der Zauberflöte und Faust vorhanden ist, war von Goethe 308

selbst deutlich anerkannt worden. Als er mit Eckermann die Arbeit an der Tragödie besprach, sagte er: „Alles ist sinnlich und wird, auf das Theater gebracht, Jedem gut in die Augen fallen. Und mehr habe ich ja nicht gewollt. Wenn es nun so ist, daß die Menge der Zuschauer Freude an der Erscheinung hat: dem Eingeweihten wird zugleich der höhere Sinn nicht entgehen, wie es ja auch bei der Zauberflöte der Fall ist." Also dienen uns Goethes Worte dazu, ernsthaft zu bestätigen, mit welcher Selbständigkeit Slevogts Begabung in seinen Illustrationen zum zweiten Teil des Faust diesen Wunsch erfüllt hat. Während die Zunft der Goetheforscher Jahrzehnte vergrübelte, um zu entdecken, was der alte Meister in seine Dichtung „hineingeheimnißt" habe, hat die lebhafte Intuition des großen Künstlers sogleich die Pforten des Verstehens zu öffnen gewagt.

309

REGISTER Adam, Franz 239 Alberti, Leone Battista 122, 123 Althoff, Friedrich 113, 156, 158 Ambros, Johanna 96 Andersen, Hans Christian 235 Angelico, Fra 157 d'Annunzio, Gabriele 149 Anschiitz, Hermann 257 Ariosto, Lodovico 121 Augusta, deutsche Kaiserin 99

Bachofen, Joh. Jacob 29 Bahr, Hermann 149 Barnay, Ludwig 189 Baumgarten, Hermann 121 Bayersdorfer, Adolf 212, 273 Becker, Hermann 256 Beethoven, Ludwig van 99, 189, 190, 208, 253, 297 Begas, Reinhold 233 Benczur, Gyula 239 Bennigsen, Rudolf von 41 Berger, Alfred von 193, 298 Berger, Nepomuk 192 Bergson, Henri 125 Bernays, Michael 25, 165 Bernhardt, Sarah 188 Bertram, Meister 137 Bethmann Holl weg, Theobald von 131 Bezold, Gustav von 105 Billroth, Theodor 192 Binding, Rudolf 47 Bismarck, Otto von 40, 45 ff., 73, 74, 96, 98, 115, 126, 146, 196, 283 Bodmer, Joh. Jacob 143 Böckh, August 55, 60 Böcklin, Arnold 96,146,151,155, 158, 209—217, 233, 275

Böhme, Jacob 263 Börne, Ludwig 179, 191 Boethius 123 Botticelli, Sandro 157 Brahm, Otto 291 Brahms, Johannes 189 Brandes, Georg 24, 149, 154, 183 Breitinger, Joh. Jakob 143 Bruckner, Anton 189, 198 Brunn, Heinrich von 55, 163, 165, 168 Bülow, Bernhard Fürst von 131 Buffon, Georges Louis de 65 Burckhardt, Jacob 22—31, 47, 51, 76, 85, 108 ff., 115 ff., izo, 128, 162 ff., 207, 224 Burne Jones, Edward 157 Byron, George Noel Lord 8o, 97

Calderon de la Barca 56, 78 Caprivi, Leo von 147 Carlyle, Thomas 75, 80 Carrière, Moritz 95 Carstens, Asmus Jakob 88 Cervantes, Miguel de 83 Cézanne, Paul 151, 155, 286, 287 Chamberlain, Houston Stewart 73 Chénier, André 83 Coburg-Gotha, Ernst Herzog von 41 Constable, John 214 Coquelin ainé, Benoit-Constant 188 Corinth, Lo vis 287, 301 Cornelius, Peter 59, 81, 88, 98, 99. 155

Corot, Camille 211 Courbet, Gustave 221, 238, 24iff., 251, 258, 279, 282, 293 Couture, Thomas 240, 293

311

Cranach, Lukas 275, 284 Croce Benedetto 61 Curtius, Ernst 51, 55, 80

Dahl, Joh. Christian Claussen 214 Dahlmann, Friedr. Christoph 23, 62, 1 1 8 Dahn, Felix 37, 156 Dalberg, Karl Theodor von 12 Dante Alighieri 83, 87, 92, 96, 121 ff. Daumier, Honoré 155 Defregger, Franz von 218—223, 226, 237 Degas, Hilaire 1 5 1 , 293, 296 ff. Dehio, Georg 30, 102—110, 207 Delacroix, Eugène 39, 96, 226, 229. 304. 3°7 Delaroche, Paul 37, 246 Dickens, Charles 93 Diderot, Denis 65 Dieterich, Albert 124 Diez, Wilhelm von 237, 271, 294 Dilthey, Wilhelm 61, 107, 1 1 9 Dostojewski, Fedor 96 Dove, Alfred 35 Dreber, Heinrich 2 1 1 Droysen, Gustav 64 Dubois-Reymond, Emil 212 Düntzer, Heinrich 95 Dürer, Albrecht 107, 170, 253, 256, 266, 308 Dumas d. Ae., Alexandre 176 Ebers, Georg 39 Ebner-Eschenbach, Marie von 192 Eckardt, Meister 263 Eckermann, Johann Peter 78,94, 3°9 Eisenmann, Oskar 273 Elias, Julius 273 Elßler, Fanny 186

312

Emerson, Ralph Waldo 71 ff., 97, 98 Erasmus von Rotterdam 173 Erdmannsdörfer, Bernhard 1 1 9 Eyck, Jan van 264

Ferstel, Heinrich von 227 Feuerbach, Anselm 190,209, 210, 216, 227, 270, 271 Feuerbach, Ludwig 57 Fichte, Johann Gottlieb 1 7 Fiedler, Konrad 5 7 , 1 5 2 , 1 6 3 , 214 Fischer, Kuno 64, 95 Flaubert, Gustave 96, 149 Fontane, Theodor 30, 39, 46, 76, 80, 149, 183, 196, 198, 207, 280, 301 Fortuny, Mariano 232 Franz I., Kaiser von Österreich 1 7 Franz Josef I., Kaiser von Österreich 192, 228 Freytag, Gustav 32—49, 64, 1 1 9 , 180, 183 Friedjung, Heinrich 47 Friedrich I I . , Deutscher Kaiser 30, 106 Friedrich III., Deutscher Kaiser 40 ff. Friedrich II., König von Preußen 20, 79 Friedrich Wilhelm I., König von Preußen 64 Friedrich Wilhelm II., König von Preußen 12 Friedrich Wilhelm III., König von Preußen 19 Friedrich Wilhelm IV., König von Preußen 43, 50 Fuchs, Georg 277 Ganghofer, Ludwig 220 Gautier, Théophile 149, 176, 269 Gedon, Lina 257

Geffroy, Jean Louis 176 Geibel, Emanuel 49, 146 George, Stefan 1 2 4 , 1 3 2 , 1 4 6 , 2 1 3 Gerome, Jean Lion 244 Gervinus, Georg Gottfried 56, 75 Geßner, Salomon 170 Giesebrecht, Wilhelm von 55,104 Gildemeister, Otto 183 Girardin, Emile de 176 Gluck, Christoph 198 Gneisenau, August Neidhardt von 267 Gobineau, Joseph Arthur comte de 88 Goethe 1 0 , 1 4 , 1 5 , 16, 20, 30, 31, 36, 5 0 f f . , 60, 6 3 f f . , 69, 73, 75 ff., 80 ff., 88, 94 ff., 99, 1 1 5 , 1 1 6 , 1 1 7 , 132, 163, 170 ff., 175, 185, 194, 196, 198, 234, 265, 267, 284, 285, 287, 290, 294, 299, 303—309 Gogh, Vincent van 151 Goncourt, Edmond de 152, 238 Gothein, Eberhard 25, 1 1 1 — 1 2 9 Gothein, Marie 1 1 5 , 124 Gotthelf, Jeremias 173 Gottschall, Rudolf 183 Gottsched, Joh. Christoph 56, 64. 143 Graff, Anton 279 Greco (Domenico Theotocopuli) 160 Gregorovius, Ferdinand 64, 9 2 , 120, 201 Grillparzer, Franz 187, 228 Grimm, Gisela 99 Grimm, Jakob 54, 64, 68, 70, 97, 185, 199Grimm, Herman 51, 68—101, 1 1 3 , 138, 144, 145, 158, 165, 183 Grimm, Wilhelm 68, 70, 97 Grünewald, Mathias 107, 253 Grützner, Eduard 237

Guàsti, Cesare 86 Guizot, François Pierre 28 Gundolf, Friedrich 124 Gutzkow, Karl 179 Habermann, Hugo von 237 Hals, Frans 254, 258, 271, 294, • 297 Hamann, Johann Georg 185 Hamerling, Robert 233 Hardenberg, Karl Fürst von 18, 19 Hartmann, Moritz 181 Hartmann, Helene 187 Hasenauer, Karl von 227 Hauptmann, Gerhart 124, 149, 155. 233. 2 9 i Hausrath, Adolf 39 Haydn, Joseph 190 Haym, Rudolf 43, 1 1 9 Hebbel, Friedrich 56, 62, 67 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 13, 20, 57, 60, 61, 104, 140, 185 Hehn, Victor 77 Heine, Heinrich 6 5 , 1 5 8 , 1 7 9 , 191 Hellingrath, Norbert von 55 Hensel, Paul 159 Heraklit 125 Herder, Joh. Gottfried von 59, 81 Hertling, Georg Graf von 168 Herz, Henriette 19 Hettner, Hermann 43, 44, 50— 67, 1 1 9 , 163 Hevesy, Ludwig 193 Heyking, Elisabeth von 100 Heyse, Paul 35, 146, 200, 2 1 1 Hildebrand, Adolf 90, 152, 163, 167, 169, 212. Hillebrand, Karl 25, 184 Hindenburg, Paul von 298 Hirth, Georg 147 ff. Hirth du Fresnes, Rudolf 242 Hodler, Ferdinand 235

313

Hölderlin, Friedrich 54, 254 Hoffmann, Ernst Th. Amadeus 229 Hofmannsthal, Hugo von 132, 146, 175, 193, 196 Hofmiller, Josef 68, 193, 194— 208 Hohenlohe, Chlodwig Fürst 147 Hohenlohe, Konstantin Prinz 192 Holbein, Hans 107, 265 Holtei, Karl von 43, 179 Homer 77, 78, 83, 90 ff., 124, 185 Hopfen, Hans von 233 Hotho, Heinrich Gustav 55 Humboldt, Alexander von 1 1 , 51, 98 Humboldt, Wilhelm von 9—21, 28, 52 ff., 60, 83, 1 1 3 , 1x5, 163 Hunt, Holman 247 Hutten, Ulrich von 276, 277 Huysmans, Jorel Karl 149, 152

Jacobsen, Jens Peter 149 Janin, Jules 176 Ibsen, Henrik 59, 96, 124, 130, 141, 146, 151, 191, 214, 235, 272 Joachim, Joseph 85 Jokaj, Moritz 235 Israels, Josef 289, 299 Justi, Karl 28, 88 ff. Kainz, Josef 188, 272 Kant, Immanuel 20, 65, 1 1 5 Kantorowicz, Ernst 30 Karl V., Deutscher Kaiser 121 Kaulbach, Wilhelm von 307 Keller Gottfried 24, 30, 56, 61, 64, 173, 196, 198, 207 Kerschensteiner, Hermann 200 Kleist, Heinrich von 94, 253 Klinger, Max 163, 233 Knaus, Ludwig 223, 238, 239 ff. 314

Koch, Josef Anton 2 1 1 Körner, Theodor 235 Koller, Rudolf 2 1 1 Kraus, Karl 193 Krüger, Franz 293 Kuehl, Gotthard 301 Kürnberger, Ferdinand 181, 182 Kurz, Isolde 101 Lafontaine, Jean de 124 Lamartine, Alphonse de 28 Lamprecht, Karl 133 Langbehn, Julius 262 Lange, Konrad 209 Laube, Heinrich 179 Leibi, Wilhelm 1 5 5 , 1 9 1 , 2 1 9 , 2 2 0 , 221, 2 3 7 f f . , 241 ff., 252—268, 271, 279, 282, 293 Leighton, Frederic 242 Lenbach, Franz von 147, 149, 212, 232, 260, 269, 272, 279, 298 Lessing, Gotthold Ephraim 1 1 , 143 Lewinsky, Josef 188 Lichnowsky, Karl Fürst 298 Lichtwark, Alfred 130—141 Liebermann, Max 138, 158, 247ff., 285—302 Liezenmayer, Alexander von 239 Lindau, Paul 184 Lindenschmit, Wilhelm von 221 Liszt, Franz 99, 236, 250 Locke, John 65 Lotto, Lorenzo 157 Loyola, Ignatius von 120 Ludwig II., König von Bayern 225, 272 Ludwig, Otto 231 Lübke, Wilhelm 150 Luther, Martin 63, 191 Macaulay, Thomas Babington 96 Macchiavelli, Nicolo 122

Madach, Emerich 235 M a k a r t , H a n s 192, 221, 2 2 4 — 2 3 4 . 237 Manet, E d o u a r d 96, 221, 243, 266, 267, 284, 286, 293, 297 Mareks, Erich 124 Marées, H a n s von 155, 160, 167, 169, 209, 210, 252 ff. Markwart, O t t o 25 Martin, Alfred von 25 Matejko, J a n 250 Matby, K a r l 41, 43 Mauthner, F r i t z 184 Max, Gabriel 226, 239, 247 Meier-Graefe, Julius 138, 153,

160, 213 Meinecke, Friedrich 42 Meissonier, E r n e s t 242, 244 Mendelssohn, Moses 191 Mengs, A n t o n R a f f a e l 56, 64 Menzel, Adolf 78, 138, 214, 219, 255, 264, 289, 290, 293 ff., 299, 301 Metternich, Clemens F ü r s t 17,18, 267 Metternich, Pauline Fürstin 192 Meyer, Conrad F e r d i n a n d 39,235 Michelangelo Buonarroti 77, 78, 85 f f . , 156 Mill, J o h n S t u a r t 13 Mület, J e a n Francois 221, 293, 295 Milton, J o h n 243 Mistral, F r e d e r i 96 Mitterwurzer, Friedrich 188 Mörike, E d u a r d 186, 207 Moleschott, J a k o b 56 Molière ( J e a n Baptiste Poquelin) 78 Mommsen, Theodor 28, 8o, 116, 118 Monet, Claude 151, 293 Montaigne, Michel de 207 Monticelli, Adolphe 226

Moreau, Gustave 155 Morris, William 151 Mozart, Wolf gang Amadeus 99, 156, 189, 190, 198, 226, 249, 253. 308 Müller, K a r l Otfried 163 Müller, Victor 155 M ü n d t , Theodor 179 Munkacsy, Michael von 2 3 5 — 251, 289, 293 Muther, Richard 138, 142—161, 168

Napoleon I., Kaiser d e r F r a n zosen 17, 131, 219 Napoleon I I I . , Kaiser d e r F r a n zosen 221 N a u m a n n , Friedrich 127, 298 N e u m a n n , Carl 25 N e u m a n n , Karl 119 Niebuhr, Berthold Georg 23, 109. 118, 128 Nietzsche, Friedrich 23, 24, 25, 28, 47, 76, 110, 119, 128, 133, 139, 206, 261 ff.

Oldach, Friedrich 138

Paal, Ladislaus 248 PaleStrina, Giovanni 198 P a t e r , W a l t e r 209 Pauli, Gustav 159 Pauwels, F e r d i n a n d 293 Pecht, Friedrich 229 Petöfi, Alexander 235 P e t r a r c a , Francesco 195 Philippi, Felix 273 Piglhein, Bruno 247 Piloty, K a r l von 37, 39, 146, 219 ff., 226, 230, 237 ff., 244, 257 Pinder, Wilhelm 107

315

Platen, August Graf von 8x Poliziano, Angelo 122 Possart, Ernst von 189 Poussin, Nicolas 216 Prantl, Karl von 168

Quercia, Jacopo della 1 2 1 Racine, Jean 124 Raczynski, Athanasius Graf von 230 Raff, Helene 201 Raffael Sanzio 7 3 f f . , 83ff., 87, 212, 270 Rahl, Karl 190, 239 Ramberg, Arthur von 257 Ranke, Leopold von 23, 24, 28, 55. 63. 86 ff., 106, 1 1 6 Rathenau, Walther 290 Ratzel, Friedrich 212 Reber, Franz von 150 Reichmann, Theodor 272 Rembrandt 88, 156, 159, 254, 258, 295 Renan, Ernest 5 1 , 245 Reni, Guido 15 Renoir, Auguste 1 5 1 , 284, 286 Rettich, Julie 188 Reuter, Fritz 49 Richter, Werner 46 Riehl, Wilhelm Heinrich 47, 64, 92, 1 1 7 , 133, 168 Rilke, Rainer Maria 132, 146, 149, 196 Rolland, Romain 126 Roscher, Wilhelm 139 Rosenberg, Adolf 150 Rousseau, Jean Jacques 65, 81, 191 Rubens, Peter Paul 88, 226, 232, 272, 275 Runge, Philipp Otto 137, 155 Ruskin, John 139

316

Saar, Ferdinand von 192 Sacher-Masoch, Lepold von 233 Sachsen-Weimar, Karl August Großherzog von 81 Sainte-Beuve, Auguste 176 Saiten, Felix 193 Schack, Adolf Graf von 212 Schäfer, Dietrich 12g Schaeffer, Emil 156 Scheffel, Josef Victor von 37, 64 Scheffer, Thassilo von 94 Scherer, Wilhelm 279 Schider, Fritz 239 Schiller, Friedrich von 10, 14, 16, 28, 39, 64 ff., 81, 94 ff., 1 7 1 , 196, 253 Schinkel, Karl Friedrich 19 Schirmer, Wilhelm 2 1 1 Schlosser, Friedrich Christoph 56. 62 Schmidt, Erich 65, 1 1 3 Schnabel, Franz 109 Schopenhauer, Arthur 36, 76, 1 1 5 . 275 Schröder, Rudolf Alexander 94 Schubarth, Carl Ernst 55 Schubert, Franz 181, 189, 190 Schubin, Ossip 157 Schuch, Charles 220, 271 Schumann, Clara 99 Schwab, Gustav 92 Scott, Walter 35, 39 Semper, Gottfried 57, 163, 227 Senefelder, Alois 308 Shaftesbury, Anthony Cooper Earl of 65 Shakespeare 56, 78, 83, 86, 141, 207, 20g, 228, 234, 258, 259 Shaw, Bernard 99 Simmel, Georg 294 Sinkiewicz, Henrik 37 Slevogt, Max 138, 287, 301, 303 —3°9

Sombart, Werner 156

Sonnenthal, Adolf von 188 Spangenberg, Gustav 96 Speckter, Erwin 138 Speidel, Ludwig 175—193 Spengler, Oswald 52, 76 Spinoza, Baruch 56, 191 Springer, Anton 138, 147, 150 Springer, Jaro 148 Stauffer-Bern, Karl 44 Steffeck, Karl 289, 293 Stein, Charlotte von 81 Stein, Heinrich von 138 Stein, Karl Freiherr vom 17 Stendhal (Henri Beyle) 24, 25, 96, 154, 198 Stenzel, Gustav 1 1 9 Stevens, Alfred 241 Stifter, Adalbert 39, 64,190,198, 207 Stockmar, Christian Friedrich 56 Strauß, Johann 228 Strauß, Richard 1 5 1 , 230 Stuck, Franz 151 Sudermann, Hermann 151 Sue, Eugène 176 Suttner, Bertha von 192 Swinburne, Charles Algernoni49 Szamossy, Elek 239 Szinyei-Merse, Pài 239 Taine, Hippolyte 24, 125, 153, 198 Talleyrand, Charles Maurice Fürst 18, 267 Tegnèr, Esaias 235 Thierry, Augustin 28 Thode, Henry 159 Thoma, Hans 212, 221, 269, 271, 275 Thorwaldsen, Bertel 235 Tieck, Ludwig 82, 229 Tiepolo, Giovanni Battista 226, 249 Tilgner, Victor 192

Tintoretto (Jacopo Robusti) 225 Tiziano Vecellio 157, 225 Tolstoj, Leo Graf 140, 149 Tramm, Heinrich 298 Treitschke, Heinrich von 13, 23, 2ß . 41. 45. 51. 54. 65, 66, 74, 81, 96, 99, 103, 107, i n , 1 1 3 , 133, 144, 202. Tröltsch, Ernst 124 Trübner, Wilhelm 149, 258, 269 —284 Tschudi, Hugo von 138, 212 Turgenjew, Iwan 149 Uhde, Fritz von 138, 191, 247 ff., 301 Uhl, Friedrich 181 Uhland, Ludwig 47, 97 Varnhagen von Ense, Karl August 96 Varnhagen von Ense, Rahel 19 Velasquez, Diego 157, 160, 280, 297 van de Velde, Henri 1 5 1 Verdi, Giuseppe 198, 206, 228 Vermeer van Delft, J a n 258 Veronese, Paolo 225, 232 Vigny, Alfred de 195 Vischer, Friedrich 47, 188 Vischer, Peter 107 Voigt, Georg 64 Volbehr, Theodor 157 Voll, Karl 148 Volkelt, Johannes 167, 168 Voltaire (François Arouet) 21, 65, 96 Voß, Richard 233 Wagner, Alexander von 230, 239, 271 Wagner, Richard 59,99,139. i8 9> 206, 214, 224, 226, 231, 251, 272, 273, 306

317

Wagner, Rudolf 181 Waitz, Georg 64 Waldmüller, Ferdinand 221, 228, 279 Walther von der Vogelweide 276 Wasmann, Friedrich 138 Watts, George Frederick 149, 155 Weber, Max 124 Werner, Anton von 246 Whistler, James Mac Neill 149 Wickhoff, Franz 157, 163 Wienbarg, Ludolf 179 Wiertz, Antoine 96 Wilamowitz, Ulrich von 54, 74, 302 Wilhandt, Adolf 227, 233 Wilhelm I., Deutscher Kaiser 64, 284 Wilhelm II., Deutscher Kaiser 40, 46, 126, 1 3 1 , 146, 284

Willemer, Marianne von 98, 99 Wülers, Ernst 58 Winckelmann, Joh. Joachim 10, 59, 81, 83, 88, 90, 163, 196 Windelband, Wilhelm 125 Wittmann, Hugo 181, 182 Witz, Konrad 107 Wölfflin, Eduard 165 Wölfflin, Heinrich 56, 89, 100, 107, 158, 159, 162—174, 302 Wolf, Friedrich August 12 Wolf, Hugo 186 Wolff, Christian 65, 143 Wolter, Charlotte 187, 188, 227 Wundt, Wilhelm 61

Ziehy, Göza Graf 250 Ziegler, Clara 189 Zola, fimile 96, 149, 152, 153 Zwingli, Ulrich 191

Dr. phil. Hermann Uhde-Bernays, geboren am 31. Oktober 1875 in Weimar, Professor an der Universität München, lebt in Starnberg am Starnberger See.

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Als zweiter Band der gesammelten Aufsätze und Studien von

Hermann Uhde-Bernays wird folgen

I N H A L T Mein weißes Haus. -— Vorfrühling im Frankenland. — Tausend Jahre Dinkelsbühl. — Till Eulenspiegels Grabstein. — Kloster Maulbronn. — Oberammergau und sein Passionsspiel. — Frauenchiemsee. — Mein Starnberger See. — Urbino. — Erlebnis San Marinos. — Ein Nachmittag in Pugliano. — Abend in Bologna. — Großmamas Wohnhaus. — Onkel. Toni und mein alter Hut. — Der Schloßherr von Seeseiten. — Genf und die Bilder des Prado. — Erinnerung an Salzburg. •— Cyrano de Bergerac. — In meinem Bücherzimmer.

LEIBNIZ VERLAG MÜNCHEN (BISHER R. OLDENBOURG VERLAG)