Mit der Familie ins Ausland: Ein Wegweiser für Expatriates 9783666405006, 9783525405000

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Mit der Familie ins Ausland: Ein Wegweiser für Expatriates
 9783666405006, 9783525405000

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Karin Schreiner

Mit der Familie ins Ausland Ein Wegweiser für Expatriates

Mit einer Abbildung

Vandenhoeck & Ruprecht

Die 4 Cartoons hat Jörg Plannerer gezeichnet.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.ddb.de› abrufbar. ISBN 978-3-525-40500-0 © 2009, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen Internet: www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung für Lehr- und Unterrichtszwecke. Printed in Germany Schrift: Minion Satz: KCS GmbH, Buchholz/Hamburg Druck und Bindung: l Hubert & Co, Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Inhalt

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Teil 1: Interkulturelle Vorbereitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Was ist Kultur?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kultur ist sichtbar und unsichtbar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kultur ist bewusst und unbewusst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kultur ist ein Gruppenphänomen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kultur wird erlernt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kultur ist kontextbezogen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kultur manifestiert sich auf mehreren Ebenen . . . . . . . . Wahrnehmung im interkulturellen Kontext . . . . . . . . . . . . Stereotypisierungen und kulturelle Diskriminierung . . . Unsere Wahrnehmung ist kulturell geprägt . . . . . . . . . . . Nonverbale Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Umgang mit Kulturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kulturstandards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kulturdimensionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kulturstandards, Kulturdimensionen und die Entwicklung interkultureller Kompetenzen . . . . . . . . . . . Interkulturelles Training und Coaching . . . . . . . . . . . . . . . Trainingsangebote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nutzen interkultureller Trainings. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Interkulturelle Handlungskompetenz in der Praxis. . . . .

15 15 16 19 20 21 23 24 26 26 28 31 33 35 41

Teil 2: Kulturelle Anpassung und Kulturschock . . . . . . . . Einleben in eine fremde Kultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Interkulturelle Anpassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verlauf des interkulturellen Anpassungsprozesses . . . . . Was ist ein Kulturschock? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auslöser für einen Kulturschock . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bewältigung eines Kulturschocks . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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59 63 64 67 69

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Vorsicht Rückkehrschock . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 Wiederanpassung an die Heimat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 Vorbereitung auf die Rückkehr. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 Teil 3: Die Situation der Mitausreisenden . . . . . . . . . . . . . . 101 Vor der Abreise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 Abschied nehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 Ziele setzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 Interkulturelle Vorbereitung auf die neue Situation . . . . 105 Berufstätigkeit im Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 Dual Career und neue Wege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 Das neue Leben beginnt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 Kontakte knüpfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 Soziale Unterstützung im Ausland. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 Perspektiven für die Zukunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 Teil 4: Kinder im Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 Was sind »Third Culture Kids« (TCKs)? . . . . . . . . . . . . . . . 120 Entwicklungspsychologische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . 122 Was macht TCKs so besonders? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 Was ist für TCKs so schwierig?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 Zukunftsperspektiven für TCKs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 Kinder und Jugendliche gut vorbereiten . . . . . . . . . . . . . . . 133 Bedeutung der Postenwahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 Die schwierige Phase des Ankommens . . . . . . . . . . . . . . . 136 Familie, Schule und soziale Beziehungen . . . . . . . . . . . . . . 138 Kindergarten und Schule. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 Zeitplan und Curriculum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 Erwartungshaltung der Eltern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 Rückkehr in die Heimat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 Verluste und neue Freiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 Schulsituation in der Heimat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 Abschließende Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 Literaturempfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 Nützliche Internetadressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156

Einleitung

»›Möchtest du mit mir ins Ausland gehen? Ich meine so richtig, von Land zu Land ziehen und dort leben? Ich habe ein interessantes Jobangebot bekommen!‹ Mit diesen Worten meines damaligen Partners begann ein sechzehnjähriges Abenteuer. Ich arbeitete nach dem Studium als Praktikantin in einer international tätigen Nichtregierungsorganisation und war sofort Feuer und Flamme. Ins Ausland, weg von Wien – wie aufregend! Und einen Job werde ich schon finden . . . « (K. S.)

Das war damals Ende der 1980er Jahre meine Motivation, mit meinem Partner ins Ausland zu gehen. Es folgten sechzehn aufregende Jahre. Ich fand immer wieder Jobs, während mein Partner für eine österreichische Institution tätig war, wir gründeten eine Familie und kehrten reich an Erfahrungen nach vielen Jahren wieder nach Wien zurück. Von Kultur, kulturellen Unterschieden, einer interkulturellen Vorbereitung oder Kulturschock hörten wir nie etwas. Wir kämpften uns tapfer durch und organisierten erfolgreich unser Leben in vier sehr unterschiedlichen Ländern. Die Anfangsschwierigkeiten in jedem Land und die Orientierungslosigkeit nach der Rückkehr konnte ich aber mit meinem damaligen Wissensstand nicht einordnen. Mir wäre einiges erspart geblieben, wenn ich auf meine Auslandsaufenthalte besser vorbereitet worden wäre. Meine Motivation für dieses Buch war es, Ihnen diesen Sprung ins kalte Wasser zu ersparen. Eine Auslandsentsendung ist ein einschneidender Schritt im Leben für alle Beteiligten und sollte gut vorbereitet und geplant werden. Sie sollten jedoch jede Menge wissen, vor allem über Kultur und kulturelle Unterschiede, aber auch über die Anforderungen, die an Sie gestellt werden, sowie über die Kompetenzen, die Sie benötigen, damit Sie im Ausland eine bessere Ausgangssituation haben. Was bewegt Menschen dazu, ihre Heimat zu verlassen und sich an einem fremden Ort niederzulassen? Wozu investieren Unternehmen so viel in ihr Personal, das sie weltweit entsen7

den? Dazu möchte ich nun einen Schritt zurückgehen und kurz auf die weltweiten Tendenzen und Beweggründe eingehen, die für die verstärkte internationale Mobilität von Mitarbeitern verantwortlich sind.

Globalisierung in der Wirtschaft Die weltweite Globalisierung erzeugt einen Strukturwandel des internationalen Weltwirtschaftssystems, eine Verflechtung der Wirtschaftsblöcke zwischen Europa, USA, Asien, Lateinamerika, das Entstehen von transnationalen Akteuren und Global Playern. Durch die globale Vernetzung der Finanzmärkte, den Zuwachs internationaler Konzerne im Zuge der globalen Vernetzung, Erleichterungen im Zoll- und Transportwesen, durch die rasante Entwicklung der Kommunikationstechnologie, durch Mobilität am Arbeitsmarkt und durch die Migrationsbewegungen wurde ein Prozess der Deregulation in Gang gesetzt, der weltweit Auswirkungen hat. Globalisierung bedeutet hier Entgrenzung und Entterritorialisierung: Transnationale Akteure und internationale Organisationen sind grenzüberschreitend tätig. »Global Player« agieren an verschiedenen Orten der Welt (erzeugen, verkaufen, transportieren . . . ). In der Folge entsteht eine Dialektik von Globalisierung und Lokalisierung (das ist die Berücksichtigung lokaler Märkte): Weltweite Marktprodukte müssen auch für den lokalen Markt produziert werden, denn eine Homogenisierung des Marktes würde sein Ende bedeuten. So wird die Wiederbelebung des Lokalen, die Bedeutung des Lokalkolorits, Öffnen lokaler Kulturen, Entdecken von Nischen immer wichtiger. Die Globalisierung kann auch als Aufeinandertreffen lokaler Kulturen weltweit – als Glokalisierung – verstanden werden (vgl. Beck, 1997).

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Globale Mobilität Die nationalen Grenzen zwischen Ländern bekommen im Zuge der Globalisierung eine neue Bedeutung. Durch die globale Mobilität und Migrationsbewegungen erhöht sich nicht nur der Warenaustausch zwischen den Ländern, sondern auch der Personentransfer. Das hat Auswirkungen auf die Beziehungen der Menschen untereinander. Kulturelle Identitäten verändern sich, es entstehen Mischformen. Traditionelle Rollenbilder und Erwartungen an übernommene Rollenbilder und Funktionen in der Gesellschaft ändern sich. Kulturelle Traditionen werden modifiziert, dabei kommt es zu enormen Konflikten zwischen den Generationen. Die neuen Technologien verleihen Räumen und Distanzen andere Bedeutungen. Durch den weltweiten Flugverkehr verringerten sich räumliche Distanzen. Durch das Internet kann man jederzeit virtuell an jedem Ort der Welt sein. Durch die Kommunikationstechnologie intensiviert sich der Austausch zwischen den Menschen und die Beziehungen werden trotz räumlicher Distanz enger. Die wirtschaftliche Globalisierung erzeugt globale Migrationsströme und bringt neue Bewegungen von Menschen, Technologien, Wissen und Finanzen hervor. Unsere Welt wird multikultureller: Multikulturalismus ist eigentlich nur ein anderes Wort für die Vielfalt der modernen Gesellschaften. In einer multikulturellen Gesellschaft geht es darum, die kulturellen Unterschiede aufzudecken und bewusst zu machen. Interkulturelle Kompetenzen gelten daher immer mehr als Voraussetzung, in diesen Prozessen aktiv mitzuspielen.

Die Rolle der Expatriates Die wirtschaftliche Globalisierung fordert von Unternehmen, ihre Mitarbeiter in ihre Niederlassungen an weltweiten Standorten zu entsenden oder diese aufzubauen. Traditionell liegt der primäre Grund darin, Fachwissen vom Stammhaus in die neue 9

Niederlassung zu bringen. Dabei geht man von der Annahme aus, dass das lokale Personal nicht entsprechend geschult ist. Das gilt nach wie vor für viele Entwicklungsländer, aber auch teilweise noch für sogenannte postkommunistische Länder. Aktuell geht die Tendenz allerdings dahin, Mitarbeiter aus den Investitionsländern in den europäischen Stammunternehmen zu schulen und ihnen dann die Niederlassungsleitung vor Ort zu übergeben. Ein zweiter Grund für Auslandsentsendungen liegt darin, dass durch den Expatriate Strukturen, Denkprozesse, Visionen, Firmenphilosophien und Regeln des Unternehmens weitergegeben und verbreitet werden. Expatriates haben dadurch vor Ort Kontrollfunktion oder Koordinationsfunktion, sie sichern eine gewisse Verbundenheit zum Stammunternehmen und die Corporate Identity wird gestärkt. Der dritte Grund: Institutionen entsenden Mitarbeiter aus politischen Repräsentationsgründen, wie die Ministerien, oder aus Dienstleistungsgründen, wie die Handelskammern, um vor Ort Firmenkontakte für heimische Unternehmen herzustellen; große Unternehmen gründen Firmenrepräsentanzen. Warum ist eine Auslandsentsendung für Mitarbeiter so reizvoll? Zunächst meistens aus finanziellen Gründen: Das erhöhte Auslandsgehalt sowie die Auslandszulagen sind natürlich sehr attraktiv. Expatriates verdienen bedeutend mehr und erhalten viele Vergütungen und Zusatzleistungen. Zulagen gibt es für besondere Lebensumstände (Gefahren, Klima, mögliche Naturkatastrophen), generell wird an die lokalen Lebenshaltenskosten angepasst. Zweitens der höhere soziale Status, der auf Grund einer leitenden Position meistens höher ist. Man repräsentiert die Firma, übernimmt Repräsentationsaufgaben, erhält einen Dienstwagen, bekommt ein Haus oder eine großzügige Wohnung zur Verfügung gestellt, hat oft Hausangestellte. Drittens die höhere Verantwortung im Beruf: Expatriates sind oft alleinverantwortlich für die Niederlassung oder für eine Region. Sie müssen Entscheidungen oft rasch und ohne Rücksprache fällen. Viertens die Karriere: Viele Mitarbeiter gehen davon aus, dass eine Auslandsentsendung automatisch ein 10

Karriereschritt ist – das ist nicht immer so. Viele glauben außerdem, dass sie durch die im Ausland erworbenen Kenntnisse automatisch eine höhere Position im Inland haben werden. Auch das ist oft nicht so. Hier spielt die Rückkehrproblematik hinein, auf die ich im zweiten Teil genau eingehe. Fünftens: Für viele Mitarbeiter ist eine Auslandsentsendung Bestandteil einer Weiterentwicklung auf beruflicher und persönlicher Ebene. Und sechstens: eine Auslandsentsendung als Abenteuer oder Flucht nach vorn, um aktuellen Problemen aus dem Weg zu gehen. Das kann aber gefährlich sein, da die Belastbarkeit des Einzelnen in solchen Fällen gering ist. Im Ausland kommt es dann verstärkt zu Anpassungsschwierigkeiten oder einer geringeren Leistung. Bei allen Entsendungen ist wichtig, dass den beruflichen und alltäglichen Herausforderungen vor Ort proaktiv durch entsprechende Betreuungsmaßnahmen entgegnet wird. Mangelnde Vorbereitung, weder begleitende Betreuung noch Wiedereingliederungsmaßnahmen vonseiten der Unternehmen können zu enormen Kosten und Verlusten führen. Da Entsendeprogramme oder -strategien bei vielen Unternehmen noch nicht flächendeckend ausgebaut sind, sind künftige Expatriates aufgefordert, sich entsprechend zu informieren, aber auch Unternehmen auf diese Serviceleistungen hinzuweisen. Dieses Buch möchte dazu das Basiswissen vermitteln.

Bedeutung der interkulturellen Handlungskompetenzen Im Kontext von Globalisierung und verstärkter weltweiter Mobilität brauchen künftige Expatriates ein Rüstzeug, um in interkulturellen Settings entsprechend auftreten und bestehen zu können. Zentrales Thema in diesem Buch sind deshalb interkulturelle Kompetenzen. Was versteht man darunter? Wie kann man sie erwerben? Wo liegen die Hindernisse und Schwierigkeiten beim Erwerb und bei ihrer Umsetzung? All das und einiges mehr verrät dieses Buch. Weshalb aber sind interkulturelle Kompetenzen gerade heute 11

so wichtig? Die Bedeutung interkultureller Handlungskompetenzen betrifft mehrere Ebenen: das Individuum, eine Gruppe, die Gesellschaft, eine Organisation und das Managementverhalten weltweit. Auf individueller Ebene ist eine interkulturell kompetente Person fähig, wirksam mit kulturellen Unterschieden umzugehen und damit ambivalente Situationen oder kulturell unterschiedliche Arbeitskontexte zu identifizieren und zu meistern. Sie kann sich selbst zurücknehmen und sich kreativ auf neue kulturelle Zusammenhänge und Verhaltensweisen einstellen (Schmitz, 2006). Auf der Gruppenebene wirken sich interkulturelle Handlungskompetenzen positiv auf die Zusammenarbeit multikultureller Mitglieder aus. Unter der Leitung einer interkulturell kompetenten Person werden die unterschiedlichen Fähigkeiten (auch auf Grund unterschiedlicher kultureller Herkunft) der Einzelnen besser genutzt und die Gruppe kommt zu synergetischen Lösungen. Auf der Gesellschafts- oder nationalen Ebene sind interkulturelle Handlungskompetenzen wichtig, um sich rascher an sich verändernde soziale, politische, wirtschaftliche, demografische und umweltbedingte Veränderungen anzupassen. Für Expatriates in strategischen Positionen ist dies bedeutend. Auf Organisationsebene sind diese Kompetenzen nötig, damit sich ein Unternehmen in seiner Marketing- oder Verkaufsstrategie an lokale Gegebenheiten anpasst. Hier haben interkulturell kompetente Expatriates eine entscheidende Funktion. In Bezug auf Managementverhalten benötigt man interkulturelle Handlungskompetenzen, um mit kulturellen Unterschieden im Businessbereich umzugehen und zu einem wirksamen gemeinsamen Vorgehen zwischen unterschiedlichen Kulturen zu finden, damit kulturelle Gegensätze überbrückt werden. Auch in diesem Feld sind interkulturell kompetente Expatriates sehr gefragt. Dieses Buch möchte dem Leser einen umfassenden Einblick in die interkulturelle Thematik geben. Zunächst in Bezug auf die theoretischen Hintergründe: Was ist Kultur? Wie kann ich Kulturen miteinander vergleichen? Wo liegen etwaige Hinder12

nisse für einen wertfreien Umgang mit Kulturen? In praktischer Hinsicht: Wie nehmen wir Kulturen wahr? Wie bereite ich mich am besten auf einen Auslandsaufenthalt vor? Was verspricht ein gutes interkulturelles Training? Wozu sind überhaupt interkulturelle Trainings gut? Brauche ich interkulturelle Kompetenzen? Der Leser erhält darüber hinaus Einblicke in das Expatriate-Leben: Wie verläuft der kulturelle Anpassungsprozess? Was ist ein Kulturschock? Wie bewältigt man ihn? Was ist vor der Rückkehr genau zu tun? Da Expatriates meistens nicht allein ins Ausland gehen, wird den mitausreisenden Angehörigen ausreichend Raum gewidmet, um deren Situation ausführlich zu beschreiben. Mitausreisende Partner oder Partnerinnen stehen vor wichtigen Lebens- und Karriereentscheidungen. Mitausreisende Kinder und Jugendliche werden von einem Leben im Ausland entscheidend in ihrer Entwicklung geprägt. Angesichts vieler aufgezeigter Probleme oder Schwierigkeiten soll dennoch nicht vergessen werden, dass eine Entsendung ins Ausland für alle Beteiligten immer eine Bereicherung ist. Hinweis: Dieses Buch behandelt vieles, aber nicht alles, was zu diesem Thema gehört. Im Anhang finden Sie eine ausführliche Literaturliste, die Ihnen weiterhilft, auf Fragen, die in diesem Buch keinen Platz gefunden haben, eine Antwort zu finden.

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Teil 1: Interkulturelle Vorbereitung

Eine Auslandsentsendung ist ein bedeutender Einschnitt in das Leben aller Beteiligten und bedarf einer umfassenden Vorbereitung. In diesem Kapitel erfahren Sie, was alles zu einer guten interkulturellen Vorbereitung gehört. Es geht zunächst darum, was Kultur eigentlich ist. Welche Bedeutung hat Kultur für uns und wie eignen wir uns Kultur an? Wie äußert sich Kultur und worin unterscheiden sich Kulturen voneinander? Wie können wir Kulturen beschreiben und die kulturellen Unterschiede erfassen? Eine Antwort auf diese Fragen erhalten Sie in einem Überblick über die gängigen Methoden der Kulturbeschreibung wie Kulturstandards und Kulturdimensionen. Dabei erfahren Sie etwas über Ihre eigene kulturelle Prägung und Ihre Präferenzen. Mit der Bewusstmachung eigener Werte und Normen ist bereits der erste Schritt in Richtung interkulturelles Lernen getan. Im ersten Kapitel erfahren Sie außerdem, wie Sie sich am besten auf Ihren bevorstehenden Auslandsaufenthalt vorbereiten können und welches Rüstzeug Sie brauchen – Stichwort: interkulturelle Kompetenzen. Welche Fähigkeiten sind hier gefragt? Sie bekommen einen Überblick darüber, welche interkulturellen Trainings es gibt, wo die einzelnen Schwerpunkte liegen und weshalb eine interkulturelle Vorbereitung so wichtig ist.

Was ist Kultur? Was verstehen wir unter Kultur? Wie wirkt sich Kultur auf unseren Lebens- und Arbeitsalltag aus? Wie wird unser Denken und Handeln durch unsere Kultur bestimmt? Wie können wir die Unterschiede zwischen den Kulturen erfassen? Diese Fragen bilden die Basis für die Vorbereitung vor einem Auslandsaufenthalt in einer anderen Kultur. 15

Kultur hat viele Bedeutungen. Sehr oft wird Kultur als etwas aufgefasst, das man passiv konsumieren kann: im Theater oder Kino, im Museum, auf Touristenpfaden. Für viele Menschen ist Kultur mit der Kulturseite in der Zeitung verbunden, mit Veranstaltungen oder dem Ausstellungsangebot – all das, was sich eben »kulturell« in einer Stadt so tut. Eine andere gängige Bezeichnung von Kultur betrifft den Bereich der Manifestation von Tradition und Geschichte. Dazu gehören Kunstdenkmäler, Volksarchitektur und religiöse Bauten, Museen, eben das, was man sich als Tourist mit Interesse ansieht, wenn man in andere Länder reist. Kultur als Hochkultur, ebenfalls ein gängiges Verständnis, bezieht sich auf die bildende und darstellende Kunst, Literatur, Musik usw. und wird gern in Form von Konzerten und Theater- und Opernveranstaltungen, auch Vorträgen zu kulturellen Themen konsumiert. Alltagskultur, der soziologische Aspekt von Kultur, ist in ethnologischen bzw. sozialanthropologischen Museen zu betrachten und bezieht sich in dieser Form auf vergangene Lebensformen von Kulturen.

Kultur ist sichtbar und unsichtbar Kultur als hochkomplexes Phänomen beschränkt sich nicht nur auf diese Bereiche. Im Wesentlichen ist Kultur durch zwei große Ebenen bestimmt: die sichtbare und die unsichtbare (auch objektive – subjektive oder explizite – implizite Ebene genannt). In der Literatur werden diese Bereiche oft mit dem Bild eines Eisbergs verglichen. Der sichtbare Teil ist weit kleiner als der unsichtbare, unter der Wasseroberfläche liegende Bereich. Zum sichtbaren Bereich gehören einerseits die bereits genannten äußeren Manifestationen und andererseits viele Aspekte unserer Alltagskulturen: unsere Wohn- und Lebensformen, unsere Sprache, unsere Religion und rituellen Praktiken, unsere Bekleidungsformen, unsere verbale und nonverbale Ausdrucksweise, unsere Verhaltenscodes sowie Esspraktiken und Ernährungsgewohnheiten. 16

»In New Delhi angekommen fiel mir gleich das andere Erscheinungsbild der Menschen auf. Die Frauen trugen Saris oder knielange Kleider mit weiter Hose darunter, die Männer weite Hosen und lange Hemden, viele hatten Tücher um den Kopf gewickelt, wie schlampig gebundene Turbane. Die meisten hatten keine Schuhe an und hockten am Boden, eng an die anderen gedrängt. Überall Gedränge, laute Stimmen und Durcheinanderrufen.« (K. S.)

Viele Aspekte von Kultur sind aber nicht sichtbar, sondern implizit in unserem Verhalten und Denken enthalten. Das ist der weit größere Bereich der Kultur, um den es in einer interkulturellen Auseinandersetzung geht. Dazu gehören zum Beispiel: − Unsere Werte: Was wir für gut, schlecht, richtig, falsch, angemessen oder unangebracht halten. Wir wissen, wie wir uns kleiden müssen, wenn wir ins Theater oder auf ein Begräbnis gehen; wie wir Vorgesetzte begrüßen und mit ihnen kommunizieren, über welche Themen wir wann, wo sprechen, ob wir einen formellen oder informellen Gesprächsstil führen usw. Wenn uns unser neuer Chef mit einem kräftigen Schlag auf die Schulter mit den Worten begrüßt: »Sag einfach Hannes zu mir«, so ist dies in unserer europäischen Kultur unangemessen, in den USA aber durchaus üblich. − Unsere Art zu denken: Wenn ich einen Vortrag halte und sehr analytisch an das Thema herangehe, indem ich alle Einzelheiten genau darlege, dann mag das in einer Kultur, in der man eher auf große Überblicke Wert legt und erzählerisch Zusammenhänge mit angrenzenden Themen herstellt, sehr fremd erscheinen (lineares vs. systemisches Denken). − Unser Verständnis von Zeit: Ob wir pünktlich sind oder es mit einer präzisen Zeiteinteilung nicht so genau nehmen, ist sehr kulturbedingt. Im mitteleuropäischen Raum sind wir sehr pünktlich und orientieren uns an einer messbaren Zeit. Aber in manchen west- und südeuropäischen Ländern und natürlich über die europäischen Grenzen hinaus herrscht ein anderer Zeitbegriff vor. Die Menschen lassen sich nicht so von der Uhrzeit bestimmen und ziehen persönliche Beziehungen einer strikten Zeiteinteilung vor. Das ist ein Aspekt, der bei internationalen Meetings immer wieder hervortritt: Manche legen Wert auf einen pünktlichen Beginn, andere 17

sind aber noch mit ihren Kollegen im Gespräch und nehmen Pünktlichkeit bei Meetings sichtlich nicht so ernst. − Unser Gebrauch von Raum: Wie wir den öffentlichen Raum nutzen, ist ebenfalls unterschiedlich. In Italien beispielsweise genießen wir das rege Treiben in den Straßen; die Menschen hier nutzen den öffentlichen Raum sehr, um Kontakte und Beziehungen zu pflegen. Dieser Aspekt spiegelt sich auch in Unternehmen, wobei in manchen Kulturen Großraumbüros oder offene Büroräume bevorzugt werden, in denen eine zwanglose und informelle Kommunikation unter den Mitarbeitern jederzeit möglich ist. In anderen Kulturen sind hingegen kleine Bürozellen und verschlossene Türen üblicher. − Unsere Auffassung von körperlicher Distanz: Händeschütteln oder nur Nicken des Kopfes und Verbeugen des Oberkörpers? Hier sind die Regeln kulturell sehr unterschiedlich, selbst in Europa ist Händeschütteln nicht überall üblich. Auch Blickkontakt gehört hierher: Direkter Augenkontakt während eines Gesprächs ist in manchen Kulturen verpönt und gilt als Respektlosigkeit, wie etwa in Indien, in unserer europäischen Kultur hingegen ist Blickkontakt ein Zeichen von Aufmerksamkeit und Interesse. − Unsere ethischen und moralischen Einstellungen: Woran wir glauben und was uns wichtig ist. Religiöse Werte und Glaubensvorstellungen, aber auch Heiratsregeln variieren von Kultur zu Kultur sehr. Manchmal sind solche Regeln sehr liberal und individuell, in einigen Kulturen hingegen gelten strikte Regeln zwischen welchen Gruppen der Gesellschaft Heiratsverbindungen erlaubt sind. Liebesheirat kontra arrangierte Ehen – für uns ist Letzteres unvorstellbar, für andere unsere individuelle Auffassung in puncto Partnerwahl schier unverantwortlich. Auf der unsichtbaren Ebene von Kultur liegt der Kreuzungspunkt der kulturellen Unterschiede und der Schlüssel zum interkulturellen Verständnis. In jeder Kultur gelten andere Regeln und meistens sind diese Regeln für Außenstehende nicht 18

wahrnehmbar. Deshalb kommt es auf dieser Ebene in den so genannten Überschneidungssituationen oft zu Missverständnissen, Konflikten oder Unverständnis.

Kultur ist bewusst und unbewusst Der unsichtbare Aspekt von Kultur ist uns oft nicht bewusst. Wir reflektieren unsere Werte oder Regeln, nach denen wir uns verhalten, normalerweise nicht, sondern wir denken, handeln und verhalten uns einfach danach, eben so, wie wir es in unserer Kultur gelernt haben. Um ein interkulturelles Verständnis zu erlangen, müssen wir uns daher diesen Aspekt bewusst machen. Am besten funktioniert das, indem wir Überschneidungssituationen betrachten, in denen wir uns in einer anderen Kultur nach unseren eigenen kulturellen Regeln verhalten. Das soll das folgende Beispiel illustrieren: »In New Delhi wurde mein Sohn zum Geburtstagsfest seines indischen Freundes in der unmittelbaren Nachbarschaft eingeladen. Als es so weit war, machte ich nach europäischer Gewohnheit einfach auf den Weg, meinen kleinen Sohn im Buggy vor mich her schiebend. Ich ging den staubigen, kaum asphaltierten Weg durch unser Wohnviertel und fühlte mich nach und nach immer weniger wohl. Ich wurde von allen möglichen Leuten, die die Straßen bevölkerten, angestarrt: Hauswächter, die vor den Hauseingängen saßen, Angehörige von Hausangestellten, Bettler, Händler, Kinder. Niemand so wie ich, die eine Mamsahib verkörperte, eine bestimmte gesellschaftliche Position einnahm, ging hier zu Fuß, und schon gar nicht mit einem kleinen Kind in einem Buggy. Als ich am Ziel angekommen war, wurde ich freundlichst empfangen. Die Gastgeberin, eine sehr gepflegte und gut aussehende Nordinderin, fragte mich aber sehr erstaunt, wo denn meine ›Ayja‹, mein Kindermädchen, sei. Ich sagte naiv: ›Zu Hause!‹ Darauf sagte sie nichts. Ich merkte dann, dass in einem Raum alle Kindermädchen mit den kleinen Kindern versammelt waren und in einem anderen die Mütter, die sich bei Tee und Süßigkeiten laut und angeregt unterhielten. Ich war dann wirklich in einer Zwickmühle, denn einerseits wollte ich mich mit den anderen Frauen unterhalten, konnte aber meinen kleinen Sohn nicht allein bei den anderen Kindern und deren Ayjas lassen. Ich hatte gleich zwei Fehler begangen: Zunächst ging ich zu Fuß mit meinem kleinen Kind durch die Straßen. In Indien geht man nicht zu Fuß, es

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sei denn, man kann sich nichts anderes leisten. Und ich tauchte bei der Geburtstagsfeier ohne mein Kindermädchen auf, das ja zuständig für die Betreuung meines Sohnes ist.« (K. S.)

Dieses Beispiel veranschaulicht, wie unser Verhalten unbewusst durch die sozialen Regeln unserer eigenen Kultur bestimmt ist und wir uns auch in einem anderen kulturellen Umfeld danach unbewusst verhalten. In solchen Überschneidungssituationen wird durch die Reflexion deutlich, dass das eigene Verhalten unangebracht war und ein anderes Verhalten angemessen gewesen wäre. Weitere unbewusste Aspekte von Kultur beziehen sich auf viele Werte, Sprechgewohnheiten und Verhaltens- oder Denkweisen, die wir einfach anwenden, ohne darüber nachzudenken.

Kultur ist ein Gruppenphänomen Kultur entsteht, sobald mehrere Menschen zusammen sind. Sie erstellen Regeln, wie diese Gruppe miteinander und in Interaktion mit ihrer Umwelt umgehen soll. Zunächst entstehen einfache Regeln, dann immer komplexere bis hin zu komplizierten Organisationsformen und politischen Strukturen. Kultur ist das, wodurch eine Gruppe zusammengehalten und organisiert wird. Kultur besteht daher aus jenen Werten, Einstellungen und Verhaltensweisen, die einer oder mehreren Gruppen von Personen gemeinsam sind, von diesen erwartet und anerkannt bzw. respektiert werden und diese Personen in ihrem Denken, Verhalten und Handeln prägen. Kulturelle Gruppen können Nationen sein – darin gründet unsere gängiges Verständnis von Kultur als Nation –, aber auch ethnische Gruppen und Minderheiten, Sprachgruppen, Familienklans, Berufsgruppen, Peers, Religionsgruppen, Geschlechter usw. Kultur bezeichnet in diesem Sinne eine Zugehörigkeit zu einer oder mehrerer solcher Gruppen. Für unsere Identitätsbildung sind diese Gruppenzugehörigkeiten bedeutsam. Über die Identifikation mit bestimmten Gruppen erfolgt die Aus20

bildung oder Entwicklung unserer kulturellen Identität. Wir verstehen uns als Christen oder Moslems und teilen mit diesen Gruppen bestimmte religiöse Werte. Wir gehören einer Sprachgruppe an und denken und sprechen in dieser Sprache. Wir leben in bestimmten Familienstrukturen, von der Kleinfamilie bis hin zur Großfamilie, in denen konkrete Beziehungsmuster vorherrschen. Wir sind geprägt von der Zugehörigkeit zu einer Berufsgruppe als Juristen oder Ärzte, Arbeiter oder Selbständige. Gruppenzugehörigkeiten können sich ändern. Manche davon sind unser Leben lang konstant, wie etwa die Familie, die Religions-, Sprach- oder Geschlechterzugehörigkeit (wobei es hier auch Ausnahmen gibt). Andere ändern sich im Laufe unseres Lebens, wie Schul- und Berufsgruppen, Peers usw. »Ich habe mich früher nie bewusst als Österreicherin gefühlt. Auch war mir meine kulturelle Identität nicht bewusst. Erst im Ausland, vor allem als wir in einem außereuropäischen Land lebten, verstand ich, was es bedeutet, der europäischen Kultur anzugehören. Ich kann wirklich sagen, dass ich erst im Ausland ›Österreicherin‹ geworden bin.« (K. S.)

Dieses Beispiel verdeutlicht, dass uns oft die Zugehörigkeit zu einer kulturellen Gruppe – hier Österreich als Nation – unbewusst ist und uns erst durch einen räumlichen Abstand, der bei einer Auslandsversetzung erfahren wird, bewusst wird. In Teil 4 »Kinder im Ausland« werden wir sehen, welche Auswirkungen sich verändernde kulturelle Umgebungen und sehr unstabile Gruppenzugehörigkeiten auf die Identitätsbildung von Jugendlichen haben können.

Kultur wird erlernt Wir werden nicht mit bestimmten kulturellen Verhaltensweisen oder Angewohnheiten geboren – etwa wie wir essen (mit Stäbchen, mit Besteck oder mit den Händen) oder andere begrüßen (Hände schütteln, Verbeugen) oder in welcher Sprache wir kommunizieren und denken. Wir erlernen vielmehr diese kulturellen Verhaltensweisen in unserer Kindheit, aber auch während unseres ganzen Lebens. Dieser Anpassungsvorgang 21

oder die so genannte Enkulturation an unsere eigene Kultur erfolgt unbewusst. Ergebnis dieses Prozesses ist die Fähigkeit, die Sprache, Werte, Verhaltensweisen und Rituale der Heimatkultur richtig zu deuten und sich innerhalb dieser Kultur sicher zu bewegen. In der eigenen Kultur kennen wir all die unsichtbaren Regeln und Codes, auch wenn sie uns nicht immer bewusst sind. Wir lernen Kultur in der Familie, in Kindergarten und Schule, in Ausbildungsstätten, im Beruf, in Religionsgruppen usw. In jeder dieser Gruppen lernen wir die kulturellen Regeln und Umgangsformen, die in der vorherrschenden Kultur gelten. Die Summe all dieser Prägungen durch die verschiedenen Gruppenzugehörigkeiten macht unsere kulturelle Identität aus. Wie wichtig Gruppenzugehörigkeiten für die eigene Identität sind, zeigt sich besonders dann, wenn sie sich ändern. Dies trifft auf die Situation bei einer Auslandsentsendung zu. Man verlässt seinen gewohnten Wohnort und damit viele Gruppen, zu denen man gehört hatte. Ein Wohnortwechsel in ein anderes Land bedeutet deshalb eine starke Veränderung der sozialen Beziehungen. Deshalb befindet man sich am Anfang zunächst in einer eher isolierten Situation, denn erst wenn man sich ein soziales Netz aufgebaut hat, fühlt man sich in der neuen Umgebung wohl. »Am Anfang, wenn wir neu in einem Land sind, gehe ich immer zu allen Clubs, Volontier-Gruppen, Schulgruppen, Kindergruppen, Sportvereinen usw. Ich suche dabei Kontakte und baue mir mein Netzwerk auf. Das brauche ich, um mich zu orientieren. Sonst hängt man ja in der Luft, wenn man nirgends dazugehört!« (K. S.) »Ich war am Anfang orientierungslos, weil ich keinen Job hatte. Ich war viel allein, hatte nichts zu tun, fühlte mich leer. Ich brauchte eine Aufgabe, wollte wo dazugehören. Ein Job verleiht einem Selbstwertgefühl und das Gefühl, irgendwo dabei zu sein. Also machte ich mich auf die Suche. Ich fand dann eine Sprachschule, wo ich Deutsch unterrichten konnte.« (K. S.)

Mehr zu dieser konkreten Situation finden Sie in den Teilen 2 und 3: »Kultureller Anpassungsprozess und Kulturschock« und »Die Situation der Mitausreisenden«.

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Kultur ist kontextbezogen Nicht jedes Verhalten gilt für jede Situation. Wir unterscheiden sehr genau zwischen unterschiedlichen sozialen Kontexten und passen jedes Mal unser Verhalten an diese an. Wir kommunizieren mit unseren Vorgesetzten oder Geschäftspartnern formell und benutzen Höflichkeitsformen, mit Kollegen ist unser Gesprächsstil hingegen informell, mit Freunden und Familienmitgliedern vertraulich und intim. Wann wir jemandem das Du anbieten, ist genau geregelt. Unsere Gesprächsinhalte sind situationsbezogen und abgestimmt auf den Alltags- oder Berufsbereich. Das Gleiche gilt für unsere äußeren Erscheinungsformen, die sehr situationsbezogen sind. Verhaltensweisen auf informeller Ebene sind im formellen Rahmen nicht angemessen und umgekehrt. Normalerweise wissen wir ganz genau, wie wir uns wann zu verhalten haben. Kulturelle Umgangsregeln sind somit immer kontextbezogen und es gehört zum Kulturwissen, über diese Regeln Bescheid zu wissen. Kulturelle Normen ändern sich auch im Laufe der Zeit. Umgangsformen werden informeller, bedingt durch sich ändernde hierarchische Strukturen. Durch die weltweite Vernetzung ändert sich das Zeitverständnis in vielen Ländern. Pünktlichkeit im Geschäftsleben ist beinahe schon auf der ganzen Welt die Regel. Formen des Zusammenlebens ändern sich, das Modell der Großfamilie wich dem der Kernfamilie, diesen Prozess kann man heute in Ländern wie China und Indien beobachten. Ehemals strikte Heiratsregeln brechen auf und machen individuellen Vorstellungen der Partnerwahl Platz. Die Stellung der Frau verändert sich weltweit kontinuierlich und hat viele neue Verhaltens- und Umgangsformen zur Folge. Kultur ist in sich dynamisch und ständig Veränderungen von außen ausgesetzt. Gerade in einer Welt der Globalisierung und globalen Vernetzung ändern sich Kulturen sehr rasch. Durch weltweite Migrationsströme kommt es auch zu starken Vermischungen von nationalen Kulturen, wie etwa in den USA, aber natürlich auch in Europa.

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Kultur manifestiert sich auf mehreren Ebenen Kultur wirkt auf mehreren Ebenen des menschlichen Zusammenlebens: 1. Kultur manifestiert sich in jeder einzelnen Person: Jeder von uns ist Träger mindestens einer Kultur. Es ist aber nicht so, dass alle Merkmale dieser Kultur zwingend von jeder einzelnen Person, die in dieser Kultur lebt, getragen werden. Abweichungen oder Modifikationen bestehen in der Regel. Interkulturelle Kompetenz zeigt sich bei Personen, denen bewusst ist, dass sie selbst und andere Personen in ihrem Denken, Verhalten und Handeln kulturell geprägt sind und ihre Äußerungen nur in diesem Horizont verstanden werden können (➝ mehr dazu in »Interkulturelle Kompetenzen in der Praxis«). 2. Kultur manifestiert sich in Gruppen: Jede beliebige Gruppe repräsentiert die jeweilige Kultur, der sie angehört. Dazu gehören Sprachgruppen, ethnische Gruppen, Familien und Familienklans, Religionsgruppen, Geschlechter, Berufsgruppen, Gruppen mit gemeinsamen Hobbys usw. Diese Gruppen haben stark identitätsbildende Funktion. Gerade bei einem Umzug in ein anderes Land wird uns bewusst, wie wichtig diese Zugehörigkeiten für uns sind (➝ mehr dazu in Teil 2 »Kulturelle Anpassung und Kulturschock«). 3. Kultur prägt Organisationsstrukturen (Corporate Cultures): Je nachdem, wie ein Unternehmen, eine Vereinigung oder Institution strukturiert ist, ist sie von einer bestimmten Kultur geprägt. In Zeiten der Internationalisierung und Unternehmensfusionierungen kommt es zum Zusammenführen unterschiedlicher Organisationskulturen, wodurch viele Konflikte und Missverständnisse vorprogrammiert sind. Interkulturelles Management und Konfliktlösung sind wichtige Methoden, um diese schwierigen Prozesse zu begleiten. Im Abschnitt »Umgang mit Kulturen« erfahren Sie, wie Sie diese Unterschiede identifizieren können. 4. Kultur prägt den Business-Alltag: Führungsverständnis, Management, Kommunikation und Mitarbeiterführung, Ver24

kaufsstrategien usw. stehen im Zeichen bestimmter Kulturen. Interkulturelles Management und Marketing agiert im Bewusstsein der kulturellen Unterschiede auf dieser Ebene (➝ mehr dazu in »Umgang mit Kulturen«). 5. Kultur bildet eine politische Gemeinschaft oder Nation: Wir sprechen gewöhnlich von Ländern oder Nationen, die bestimmte Kulturen repräsentieren. Nationen sind politische Gemeinschaften, in denen die Rechte und Pflichten des Einzelnen genau beschrieben sind. Sie stehen auch für bestimmte Kulturen, wie »die Amerikaner«, »die Franzosen« oder »die Deutschen«. Ein Nationalbewusstsein ist im Allgemeinen in individuell verschieden starker Ausprägung vorhanden, wichtig ist dabei, dass negative Stereotypisierungen vermieden werden (➝ mehr dazu in »Wahrnehmung im interkulturellen Kontext«). Zusammenfassend lässt sich zum Kulturbegriff sagen, dass Kultur in einem erweiterten Verständnis unser Denken, Verhalten, Werten und Urteilen prägt. Es gibt bewusste und unbewusste, sichtbare und unsichtbare Aspekte der Kultur. Im interkulturellen Bereich geht es vor allem um die unsichtbaren und unbewussten Aspekte von Kultur, die bewusst gemacht werden sollen. Kultur ist nie ein individuelles Phänomen, sondern entsteht immer in Gruppen. Kulturelle Zugehörigkeiten sind für unsere Identitätsbildung unerlässlich. Kulturen sind nicht starr und unbeweglich, sondern sie sind flexibel und tragen ein hohes Veränderungspotenzial in sich. Kulturelle Einflüsse von außen wirken sich immer auf das kreative Potenzial der Mitglieder einer Kultur aus. Kultur wirkt auf verschiedenen Ebenen: auf der individuellen Ebene, in Gruppen, auf der Organisationsebene, nationalen Ebene und sie prägt den BusinessBereich. Diese Einführung in den Kulturbegriff ist die Grundlage, um zu verstehen, worum es im interkulturellen Kontext eigentlich geht. Vor allen geht es darum, kulturelle Unterschiede zu erkennen. Dabei gibt es jedoch Hindernisse. Unsere Wahr25

nehmung ist nicht frei von übernommenen Meinungen, Vorurteilen, eigener kultureller Prägung. Im folgenden Abschnitt geht es darum, wie unsere Wahrnehmung beeinflusst ist, wenn wir andere Kulturen sehen, beschreiben oder mit ihnen interagieren.

Wahrnehmung im interkulturellen Kontext Welche Hindernisse stehen uns bei der Wahrnehmung von anderen Kulturen im Weg? Wie sehr prägt unsere eigene kulturelle Sichtweise die Wahrnehmung von Angehörigen anderer Kulturen? Wie nehmen wir Raum, Zeit und nonverbale Kommunikationsformen wahr? Das sind die Schwerpunkte des folgenden Teils.

Stereotypisierungen und kulturelle Diskriminierung Wir sprechen gern von »den« Amerikanern, »den« Japanern und haben dabei bestimmte Bilder von kennzeichnenden kulturellen (hier: nationalen) Zuschreibungen im Kopf. Sehr oft denken wir in übernommenen Stereotypen und urteilen leichtfertig über andere Kulturen hinweg. Stereotypisierungen und Vorurteile sind soziopsychologische Phänomene. Sie entstehen aus internen Prozessen in Gruppen und basieren auf der Bevorzugung der eigenen sozialen Gruppe und der positiven Bewertung der eigenen Identität. Die eigene Gruppe (Kultur oder Nation, aber auch jede andere Gruppierung) wird gegenüber einer Außengruppe als besser eingeschätzt. Der Grund dafür liegt darin, dass die eigene Gruppe differenzierter wahrgenommen werden kann, da man mehr über sie weiß. Die Außengruppe wird unscharf und undifferenziert wahrgenommen und bewertet und schneidet damit schlechter ab. Daraus ergibt sich auch die wertende Einstellung des »Wir« im Gegensatz zu »den anderen«. Grundlegend für diese Haltung ist die Verteidigung der eigenen Gruppe oder Kultur nach außen. Durch die 26

Abgrenzung zur Außengruppe und die positive Hervorhebung der eigenen Gruppe wird versucht, eine möglichst positive soziale Identität zu erzielen. Andere Kulturen oder Gruppen werden zwar anerkannt, aber nicht als gleichwertig, da der eigenen Gruppe Vorrang eingeräumt wird (Stadium der Verteidigung: vgl. Bennett, 1996; Taijfel, 1986). Die anderen werden in Form von negativer Stereotypisierung beschrieben und bewertet, die eigene Kultur gilt als fortschrittlicher und weiter entwickelt. Zu dieser negativen Stereotypisierung kommt es oft in sozial dominierenden Kulturen, im Denken der Stereotype von »wir Weißen« im Gegensatz zu »den Schwarzen« oder »wir Deutschen« im Gegensatz zu »den Türken«. Das »Wir« grenzt sich von »den anderen« ab und verteidigt seine Privilegien, während »den anderen« Möglichkeiten zur Entwicklung verwehrt werden. »Die anderen« hingegen verteidigen ihre Minderheitenrechte oft in aggressiver Weise. Dahinter steckt eine ethnozentrische Haltung, in der die eigenen kulturellen Standards als maßgebend für die Bewertung und Beurteilung aller anderen Kulturen gelten. Es ist die Einstellung, dass man die Welt nur ausgehend von der eigenen kulturellen Perspektive sieht. Diese Haltung beruht auf der unreflektierten Annahme, dass die eigene Kultur als »wahr« oder »gültig« angesehen oder ihr ein höherer Entwicklungsstand zugesprochen wird. Gerade diese Haltung verhindert einen offenen Zugang zu anderen Kulturen. Es geht vielmehr darum, eine sogenannte polyzentrische Haltung einzunehmen, bei der alle Kulturen als gleichwertig angesehen und nicht bewertet werden. Im interkulturellen Kontext ist das Wissen um diese Gruppenprozesse wichtig. Nach dem deutschen Psychologen Alexander Thomas ließen sich Vorurteile und Stereotypisierungen vermeiden, indem man mehr auf eine erhöhte differenzierte Wahrnehmung der Außengruppe achtet und Intergruppenvergleiche möglichst vermeidet (Thomas, 1996a, 1996b). Die Stereotypenbildung im menschlichen Gruppenverhalten ist auch bei Auslandsentsendungen bedeutsam. Sehr oft nehmen Expatriates eine verteidigende Haltung ein und bewerten die 27

Gastkultur in Form von negativer Stereotypisierung. Dabei ist oft bloß zu wenig Kulturwissen und Kenntnisse über die Gastkultur der Grund für diese Haltung. Es zeigt sich immer wieder, dass wir umso mehr auf Stereotypisierungen zurückgreifen, je weniger wir über eine andere Kultur wissen. Deshalb ist eine gute Vorbereitung vor einem Auslandseinsatz so wichtig, um ein möglichst differenziertes Bild von der anderen Kultur zu erhalten. Bei Stereotypisierungen, auch bei gutmütigen, sind die eigenen kulturellen Werte bestimmend für die Wahrnehmung der anderen Kultur. Es handelt sich dabei um ein ungenaues Bild, das Vorurteile widerspiegelt. Es ist deshalb sehr wichtig, sich ein möglichst umfassendes und genaues Bild von einer anderen Kultur zu machen. Denn interkulturelles Verständnis setzt eine differenzierte Wahrnehmung der anderen Kultur voraus. »Meine Freundin wurde mit ihrer Familie nach Teheran versetzt. Ich dachte: ›Na super, jetzt muss sie die ganze Zeit mit langem Mantel und Kopftuch herumgehen und darf als Frau nichts unternehmen.‹ Das mit dem Mantel und Kopftuch stimmte zwar für den öffentlichen Bereich, aber ich war erstaunt, als ich dann von ihr hörte, wie beeindruckt sie von den überaus gebildeten, selbstbewussten und unter dem Mantel schick angezogenen Frauen erzählte, die sie in Teheran getroffen hatte. Sie erklärte mir dann die Bedeutung von ›Innen- und Außenbereich‹ in islamischen Kulturen.« (K. S.)

Unsere Wahrnehmung ist kulturell geprägt Wenn wir auch subtile oder nicht leicht erkennbare kulturelle Unterschiede wahrnehmen wollen, dann muss unsere Wahrnehmung geschärft und differenziert werden. Wir als Europäer sehen im Normalfall nicht oft Menschen aus Asien und können daher zu wenige Merkmale unterscheiden, um alle Nuancen in der Physiognomie zu differenzieren. Ähnlich geht es vermutlich Asiaten, wenn sie zum ersten Mal nach Europa kommen: Für sie sehen alle Europäer gleich aus. Im Folgenden zeige ich auf, wie unsere Kultur und der Lebensraum, in dem wir leben, unsere Wahrnehmung und in der Folge die Sinngebung prägt. 28

Unterschiedliche Umwelt- und Lebensbedingungen haben große Auswirkungen auf unsere Wahrnehmung. Sie bewirken, dass die visuellen Informationsverarbeitungssysteme bei den Menschen verschiedenartig ausgebildet werden (vgl. Thomas, 2003). Was wir sehen, wie wir es sehen, wie wir es deuten und benennen, ist abhängig davon, was in unserer Kultur als bedeutsam angesehen wird. In unserer westlichen industrialisierten Welt sind wir beispielsweise an rechteckige, vertikale Formen gewöhnt. Deshalb sind wir einerseits für optische VertikalHorizontal-Täuschungen anfälliger, andererseits neigen wir dazu, zweidimensionale Abbildungen als dreidimensional zu sehen, was auf eine gut trainierte Tiefenwahrnehmung schließen lässt. Kulturvergleichende Untersuchungen mit Gruppen, die nicht urbanen Umweltbedingungen ausgesetzt sind, zeigen, dass bei diesen Menschen solche Wahrnehmungstäuschungen seltener vorkommen und dass die Tiefenwahrnehmung schwächer ausgeprägt ist. Diese Gruppen können folglich zweidimensionale Darstellungen nicht als dreidimensional wahrnehmen (vgl. Thomas, 2003). Ähnliches gilt für die Farbwahrnehmung. Farben werden je nach kultureller Bedeutung und Wichtigkeit sehr nuanciert wahrgenommen und mit einem entsprechend breiten oder schmalen Farbspektrum benannt. Die Sinngebung von Farben variiert von Kultur zu Kultur, oft innerhalb von Regionen. Farben symbolisieren zentrale Begriffe, Himmelsrichtungen und Kräfte, aber auch Hierarchien und Machtpositionen. Die Bedeutung von Farben ist oft auch mit ihrem Vorhandensein bzw. ihrer leichten oder schwierigen Herstellung verbunden. So war Rot im alten Ägypten eine besondere Farbe und nur den Pharaonen vorbehalten, da es sie fast nicht gab. Rot wurde später zum Symbol für Mut, Macht, Kraft, Krieg. Die Farbe Grün ist im Islam eine heilige Farbe, da in den Gegenden, in denen der Islam entstanden ist, Wüstenlandschaft vorherrschte und grün ein Symbol für Wasser und üppige Oasen war. Bei uns hingegen ist Grün als Farbe der Natur nichts Außergewöhnliches. Die Zulus in Afrika haben für die Farbe Grün 39 verschiedene Bezeichnungen, weil diese Farbe in ihrem Lebensraum eine 29

große Bedeutung hat und eine differenzierte Wahrnehmung erfordert. Die Wahrnehmung und Bezeichnung von Weiß etwa bei den Inuit in Alaska, aber auch bei den Samen in Nordeuropa, ist äußerst differenziert, da Eis und Schnee in verschiedensten Formen und Konsistenzen ständig zum Alltag gehören. Die Inuit kennen 16 verschiedene Bezeichnungen für Schnee. Für die Farbe Weiß gibt es etwa 200 unterschiedliche Bezeichnungen, je nach Farbton und Beschaffenheit. Eine differenzierte Wahrnehmung und Benennung von Weiß ist für das Alltagsleben in diesen Regionen von größter Bedeutung. In Mitteleuropa begnügt man sich mit einem allgemeinen Begriff von Schnee und Eis bzw. in den Alpenregionen mit etwas mehr Ausdrücken (vgl. dazu auch die Studie von Whorf, 1968). In der deutschen Sprache kennen wir für Weiß so unterschiedliche Begriffe wie schneeweiß, schlohweiß, titanweiß, käseweiß, brillantweiß, kreidebleich, albino. Kulturspezifische Unterschiede in der Raumwahrnehmung werden oft zu wenig beachtet. Die in Europa immer stärker aufkommende Bedeutung des chinesischen Feng Shui als Lebensraumoptimierung lässt darauf schließen, dass unsere westliche Raumwahrnehmung und -gestaltung als mangelhaft erlebt wird. Es wird eine Verbindung zur Natur und zum Universum gesucht. Feng Shui beschreibt Gesetzmäßigkeiten, die überall auf der Welt wirksam sind und die wir nicht mehr wahrnehmen, da dieses Wissen verloren gegangen ist. Der gegenwärtige Trend in Europa versucht, diese Lücke wieder zu schließen. In Europa nehmen wir eher die Objekte in einem Raum wahr, nicht aber die Zwischenräume. In Japan gibt es für sie eine Bezeichung, »ma«, das Dazwischenliegende. In Asien wird den Zwischenräumen generell mehr Aufmerksamkeit gewidmet, etwa um Möbel aufzustellen und so Begrenzungen nicht zu betonen. In den USA oder in Europa stellen wir gern unsere Möbel an die Wände, wodurch Kanten und Begrenzungen hervorgehoben werden. Auch die Wände haben unterschiedliche Beschaffenheit. Bei uns sind sie fest und stabil, in Japan und China hingegen halbfest und leicht verschiebbar, um Räume 30

für verschiedene Zwecke zu nutzen. Die Nutzung von privatem und öffentlichem Raum wird im Abschnitt »Kulturdimensionen« ausführlich behandelt.

Nonverbale Kommunikation Gerade im Bereich der nonverbalen Kommunikation kann es auf Grund der kulturellen Unterschiede leicht zu Missverständnissen kommen. Wenn Menschen einander begegnen, spielt sich ein großer Teil des Informationsaustausches auf nonverbaler Ebene ab. Die Art der Begrüßung, der Blickkontakt, Körpernähe oder Körperdistanz, Gestik und Tonfall charakterisieren die Art der Beziehung und sind in allen Kulturen kennzeichnend für die jeweilige allgemein akzeptierte Umgangsform. In diesem Bereich sind die kulturellen Unterschiede am schwersten zu durchschauen. Ein Übertreten dieser unsichtbaren Regeln birgt immer das Risiko, missverstanden zu werden. Oft ist es aber auch so, dass die gleichen Gesten in unterschiedlichen Kulturen etwas anderes bedeuten. Nonverbale Kommunikation setzt sich aus mehreren Aspekten zusammen: Körpersprache, Gestik, Körperdistanz, äußere Erscheinung, Haltung beim Stehen oder Sitzen, Kopfbewegungen, Blickkontakt, Paralinguistik (Lautstärke, Redepausen, Sprechintensität). Körpersprache und Gestik: Gleiche Gesten können in verschiedenen Kulturen oft Unterschiedliches bedeuten. Lachen bedeutet in unserer Kultur Fröhlichkeit und Witziges, in Japan hingegen gilt es oft als Verlegenheit und Unsicherheit, wobei beim Lachen immer die Hand vor den Mund gehalten wird. Halten wir uns die Hand auf die Brust, dann meinen wir damit uns selbst. In Japan tippt man sich auf die eigene Nase, wenn man sich selbst meint. Jemanden mit dem Zeigefinger heranzuwinken, ist in Europa üblich, in Asien hingegen eine unhöfliche Geste, die nur für Prostituierte verwendet wird. Verwendung findet jedoch ein wiederholtes Fächeln mit der flachen Hand. 31

In den USA meint die Handhaltung »Faust mit Daumen nach oben« eine Bestätigung, in Griechenland bedeutet die gleiche Geste eine Beleidigung. Ähnlich gilt für das Ring-Zeichen, das mit Daumen und Zeigefinger geformt wird: Im englischsprachigen Raum ist dies ein O.k.-Zeichen, in Frankreich hingegen meint es Zero (Null) und in Japan eine Aufforderung, über die Finanzen zu sprechen. Kopfschütteln in englischsprachigen Ländern meint eine Verneinung, in Griechenland, Süditalien und in der Türkei wird ein Nein durch ein kurzes Heben des Kinns ausgedrückt. In Indien bedeutet das Kopfschütteln, das eigentlich ein Hin- und Herwackeln des Kopfes ist, »Ja«, während Kopfschütteln in vielen westlichen Ländern »Nein« bedeutet. Tonfall und Lautstärke: Diese Aspekte begleiten und modifizieren eine verbale Botschaft und verleihen ihr den nötigen Unterton. Dieser wird dann oft nur von Muttersprachlern verstanden, den anderen, die die jeweilige Sprache als Fremdsprache sprechen, entgehen oft der damit ausgedrückte Unterton und die zusätzliche Botschaft. Lautstärke und Tonhöhe sind kulturell sehr unterschiedlich. Im arabischen Raum spricht man eher laut, was in den mitteleuropäischen Kulturen als unhöflich angesehen wird. Auch US-Amerikaner sprechen lauter als in Europa üblich. In Nordeuropa, etwa in Finnland, wird eher leise, unbetont, mit geringer Gestik und sehr bedächtig gesprochen, was Südeuropäer als emotionslos und distanziert deuten können. »In Wien sind im Sommer viele arabische Touristen zu Gast. Sie treten immer sehr raumfüllend auf, auch weil sie meistens als Großfamilie reisen. Wenn sie sich untereinander unterhielten, hatte ich immer das Gefühl, als würden sie miteinander streiten. Sie sprachen laut, fast bellend, gestikulierten stark, hielten kaum Körperdistanz und oft sprachen alle durcheinander. Wenn ich ihnen so zusah, hatte ich oft den Eindruck, als würden sie jeden Moment über einander herfallen. Ein Freund, der Arabisch spricht, erklärte mir dann, dass sie ganz normal miteinander sprächen. Es sei nur der Tonfall, der für unsere mitteleuropäischen Ohren ungewohnt sei.« (K. S.)

Gesprächspausen: Diese sind in asiatischen Kulturen und in Nordeuropa durchaus üblich und haben nichts Peinliches an 32

sich. Bei interkulturellen Gesprächsgruppen hat das natürlich weitreichende Konsequenzen. In mediterranen Kulturen und im Nahen Osten ist es üblich, mittels Unterbrechungen in die Diskussion einzusteigen, und man erwartet dieses Verhalten. In Kulturen hingegen, in denen Gesprächspausen üblich sind und auch dazu dienen, den anderen den Einstieg in die Diskussion zu ermöglichen, wird kaum unterbrochen. Daraus ergeben sich viele Missverständnisse, aber auch Gefühle des Unbehagens. Wortkargheit bis Schweigen in Japan und Finnland steht dem Vielreden in den USA, in Südeuropa und im arabischen Raum gegenüber. Schweigen wird bei uns oft als Unsicherheit gedeutet oder führt zu Verlegenheit, es wird beispielsweise in Finnland aber positiv verstanden. Über den Blickkontakt wird im Abschnitt über Kulturdimensionen zur »Nutzung von Raum« ausführlich gesprochen. Nonverbale Kommunikationsbotschaften insgesamt werden meistens unbewusst auf Grund der eigenen Kulturstandards interpretiert. Deshalb ist es im interkulturellen Kontext sehr wichtig, über die kulturellen Unterschiede in der nonverbalen Kommunikation Bescheid zu wissen. Dazu gibt es bestimmte Methoden, die den Umgang mit Kulturen im Allgemeinen vereinfachen. Sie sind Mittel, um Kulturen miteinander vergleichbar zu machen und auch die Reflexion der eigenen kulturellen Prägung zu erleichtern. Im folgenden Abschnitt erfahren Sie mehr dazu.

Umgang mit Kulturen Wie können wir Kulturen beschreiben und mit unserer eigenen Kultur vergleichen? Wie können wir sehen, in welchen Bereichen eine Gesellschaft kulturell anders »tickt«? Dazu gibt es verschiedene Annäherungen und Methoden: Wir können Kulturen dokumentieren: Dabei werden sämtliche Aspekte der Lebens- und Glaubensformen einer Kultur aufgelistet und dokumentiert. Wir können Kulturen geschichtlich betrachten: Hier liegt der 33

Fokus auf Tradition und Geschichte, in denen die Kulturen verankert sind. Welche Aspekte der Tradition werden weitertradiert, wie lange schon, auf Grund welcher Kriterien erfolgen Veränderungen und weshalb? Bei der normativen Betrachtung einer Kultur werden die Regeln und Vorschriften einer Gruppe angesehen: Welche Regeln verbergen sich hinter den beobachtbaren Verhaltensweisen? Welche Normen liegen Begrüßungsritualen zu Grunde? Welche Regeln liegen hinter den Bekleidungsvorschriften? Was sagt die Anordnung der Häuser im Dorf über die sozialen Regeln der Dorfgemeinschaft aus? Die psychologische Betrachtung von Kulturen legt den Akzent darauf, wie in einer Kultur Probleme gelöst werden, wie gelernt wird, wie Aufgaben erfüllt oder Verbote eingehalten werden. Auch diese Herangehensweise enthüllt wichtige Aspekte einer Kultur. Eine strukturelle Herangehensweise legt die Strukturen frei, die einer Kultur zugrunde liegen: Wie ist der Zusammenhalt in einer Kultur organisiert? Wie sehen die hierarchischen Strukturen aus? Wie sind die Beziehungen in Familien strukturiert, wie die Beziehungsstrukturen außerhalb der Familie? Diese freigelegten Strukturen lassen sich dann leicht mit den Strukturen anderer Kulturen vergleichen (der französische Anthropologie Claude Lévi-Strauss war Vorreiter dieser Betrachtungsweise). Bei einer genetischen Betrachtung geht es weniger um einen biologischen Ursprung von Kultur, sondern um die Frage, wie Kulturen entstanden sind: Entstehen Kulturen aus den Möglichkeiten, die ein bestimmter Lebensraum bietet? Entstehen Kulturen aufgrund von sozialer Interaktion? Oder liegt der Entstehung einer Kultur ein kreativer Prozess zugrunde, der charakteristisch für die Menschen ist? (vgl. Landis, Bennett u. Bennett, 2004, S. 168 f.). Kultur wird in diesen Beschreibungsweisen als Phänomen betrachtet, dessen komplexe Erscheinungsformen unter unterschiedlichen Aspekten beschrieben und dokumentiert werden können. 34

Im Folgenden möchte ich zwei Methoden anführen, die versuchen, Kultur in ihrer Komplexheit zu reduzieren und sie auf Standards oder Dimensionen zurückzuführen, damit Kulturen untereinander vergleichbar werden. Die Kenntnis dieser Methoden ist gerade für eine Vorbereitung auf einen Aufenthalt in einer anderen Kultur bedeutend.

Kulturstandards Der deutsche interkulturelle Psychologe Alexander Thomas schuf eine Möglichkeit, Kulturen anhand von sogenannten »Kulturstandards« miteinander zu vergleichen. Kulturstandards sind Orientierungshilfen, um die Unterschiede zwischen zwei Kulturen herauszuarbeiten, damit man mit der anderen Kultur besser umgehen und sie besser verstehen kann. Kulturstandards bezeichnen die zentralen Merkmale einer Kultur und beziehen sich auf die bestimmten Arten des Wahrnehmens, Denkens, Wertens und Handelns, wie sie von den meisten Mitgliedern dieser Kultur als typisch und verbindlich angesehen und praktiziert werden. In unserer eigenen Kultur sind wir mit den Kulturstandards vertraut und verhalten uns unbewusst danach. In einer fremden Kultur kennen wir sie nicht, wir beurteilen aber oft das Verhalten von Personen aus einer anderen Kultur als falsch, unhöflich, nicht angemessen oder unpassend, weil wir insgeheim, also unbewusst, von unseren eigenen Kulturstandards ausgehen. Oft bilden daher die eigenen Kulturstandards den Rahmen, wie eigenes und fremdes Verhalten beurteilt wird. Ziel dieser Methode der Kulturstandards ist es, die typischen Verhaltensweisen einer anderen Kultur kennenzulernen und in kritischen oder schwierigen Situationen Verhaltensweisen auf diese Standards zurückzuführen. Kulturstandards werden aus Fallbeispielen gewonnen, die ausgehend von einer bestimmten Kultur in Bezug auf eine andere Zielkultur beschrieben werden. Diese Situationen werden anonymisiert und die wesentlichen Merkmale des Verhaltens 35

von interkulturellen Experten herausgearbeitet. Vor dem kulturellen Hintergrund der Zielkultur werden danach die Kulturstandards generiert. Deshalb arbeitet man mit der Methode der Kulturstandards immer nur im Vergleich mit einer Ausgangskultur in Bezug auf eine Zielkultur. Im Folgenden führe ich zur Illustration für die deutschsprachigen Leserinnen und Leser einen Vergleich zwischen den Kulturstandards von Deutschland, Österreich und der Schweiz an. Die angeführten Kulturstandards haben hier die Form von Überbegriffen, die nicht mit Stereotypisierungen verwechselt werden sollten. Es handelt sich dabei um bestimmte kulturelle Muster, die nach der Auflistung genauer beschrieben werden (siehe dazu die von Alexander Thomas herausgegebene Reihe »Beruflich in . . . « sowie Brück, 2001). Deutsche Kulturstandards: − Sachorientierung, − Direktheit/Wahrhaftigkeit, − Regelorientierung, − Interpersonale Distanzdifferenzierung, − Hierarchie- und Autoritätsorientierung, − Zeitplanung. Sachorientierung: In Deutschland hört man oft den Satz: »Wir wollen doch sachlich bleiben!« Dahinter steckt die Grundhaltung, dass ein gemeinsamer Umgang mit einem Problem auf der Sachebene wirksamer ist, wenn die Emotionen zurückgehalten werden. Das heißt aber auch, dass bei einer Aufgabenerfüllung die Sache selbst im Vordergrund steht und nicht die Person, die diese Aufgabe zu erfüllen hat. In der Folge bedeutet das eine hohe Bereitschaft zu offener sachlicher Kritik, weil sich die Kritik auf die Sache, etwa eine nicht gut erfüllte Aufgabe, bezieht, und nicht auf die Person. Diese Haltung steht sehr im Gegensatz zu Kulturen, in denen eher konfliktscheu und beziehungsorientiert agiert wird. Direktheit/Wahrhaftigkeit: Diese beiden Kategorien gründen in der Annahme, dass das eigene tiefe Empfinden in seiner 36

Unmittelbarkeit wahr und ehrlich ist. Dadurch werden beide Kategorien sehr hoch bewertet. Eine Wahrheit darf direkt ausgesprochen und auch eingefordert werden, frei nach dem Satz von Ingeborg Bachmann: »Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar.« Regelorientierung: Die Frage »Darf man denn das?« oder der Ausruf »Das ist doch verboten!« hört man dort oft, wo Regeln eine große Rolle spielen. Nach dem Motto »Es gibt für alles eine Regel« wird genau vorgegeben, was der Einzelne alles tun darf und was nicht. Das gibt dem eigenen Handlungsspielraum eine Struktur und eine Sicherheit. Dadurch erhält auch der Einzelne das Recht, andere zurechtzuweisen und zu sagen: »Das dürfen Sie aber nicht!« Gegenseitige Kontrolle wird leichter, aber der individuelle Handlungsspielraum wird sehr begrenzt. Interpersonale Distanzdifferenzierung: Diesem Standard liegt eine sehr genaue Unterscheidung zwischen unterschiedlichen Stufen von Nähe und Distanz in zwischenmenschlichen Beziehungen zugrunde. Was die anderen tun, geht einen nichts an, nach dem Motto: »Mische dich nicht ungefragt in die Angelegenheiten eines Menschen ein!« Das führt dazu, dass in dieser Kultur Nachbarn oft jahrzehntelang nebeneinander leben und nie miteinander sprechen, sofern sie keine Bekanntschaft geschlossen haben. Man mischt sich nicht ein. Man möchte keinen zu nahen Kontakt, weil dieser zu Verpflichtungen führen könnte, die man nicht eingehen möchte. Anders ist das bei Freunden. Dem Konzept Freundschaft liegt ein hoher Wert zugrunde und auch hier spielen Wahrhaftigkeit und Direktheit (»Mit meinem Freund/meiner Freundin kann ich über alles reden«) eine große Rolle. Hierarchie- und Autoritätsorientierung: Dieser Standard betont die Notwendigkeit von starken Hierarchien. In einem Unternehmen ist es der Chef, der alles kontrolliert und vorgibt, was zu tun ist. In einer Familie ist es oft traditionell der Vater, der den Ton angibt. Es bedeutet auch klar vorgegebene Strukturen, an die man sich zu halten hat. Zeitplanung: Ein guter Zeitplan ist in Deutschland der Schlüssel zum Erfolg. Eine lineare Abwicklung der Aufgaben, 37

schön der Reihe nach abgearbeitet, gibt die Zuversicht, alles gut zu erfüllen. Pünktlichkeit steht für Zuverlässigkeit und ist damit ein hoher Wert. Zeit ist Geld, auch dieser Wert steckt dahinter. »Meine Zeit ist kostbar« – das hört man in diesem Zusammenhang auch sehr oft. Konflikte mit Kulturen, in denen Zeit ganz anders aufgefasst wird, sind somit vorprogrammiert. Österreichische Kulturstandards: − Konfliktvermeidung, − Indirekte Kommunikation, − Gelassenheit gegenüber Regeln, − Beziehungsorientierung, − Hierarchie- und Titelbetonung, − Verkäuferorientierung. Konfliktvermeidung: Im Vergleich zu Deutschland ist in Österreich ein Umgehen von Konflikten zu beobachten, das als zentrales Element in Begegnungen immer wieder zu Missverständnissen führt. In Österreich verbündet man sich lieber mit seinen Gegnern, als offen eine Konfrontation auszutragen. Man versucht daher meistens, im Vorfeld eventuelle Schwierigkeiten abzuschwächen oder zu einem Konsens zu kommen. Im Prinzip ist man sehr konsensorientiert. Indirekte Kommunikation: Auch wenn Deutsche und Österreicher die gleiche Sprache sprechen, gibt es erhebliche Unterschiede in der Kommunikation. Die Sachbezogenheit der Deutschen ist für Österreicher oft ein Frontalangriff, das Herumgerede der Österreicher für Deutsche eine Qual. Der Unterschied liegt darin, dass in Österreich indirekt kommuniziert wird, das heißt, die Betonung liegt hier zunächst auf der Herstellung einer Beziehung und erst dann kommt die Sache. Deshalb sind die Höflichkeitsformen sehr wichtig. Die größte Angst besteht darin, »das Gesicht zu verlieren«, weshalb auch nicht gern offene Kritik geübt wird, denn diese könnte die Beziehung zum Gesprächspartner verletzen. Gelassenheit gegenüber Regeln: Die Österreicher haben ein ambivalentes Verhältnis gegenüber Regeln. Im Gegensatz zur 38

deutschen Regeltreue stellen Regeln in Österreich so etwas wie Leitlinien dar, die aber jederzeit ignoriert oder umgangen werden können. Andererseits sind Regeln ein geeignetes Mittel, um vorgeschoben zu werden, wenn man ganz sachorientiert nach dem Motto »Vorschrift ist Vorschrift« vorgeht. Dahinter steckt die Einstellung, dass auf der Sachebene Regeln prinzipiell für alle gelten, für Personen, zu denen man eine persönliche Beziehung hat, aber umgangen werden können. Regeln können somit nach den eigenen Zwecken eingehalten oder umgangen werden. Der Druck, ihnen absolut treu zu sein, ist lange nicht so hoch wie in Deutschland. Beziehungsorientierung: Soziale Beziehungen sind in Österreich wichtig und das spiegelt sich im Stereotyp »Freunderlwirtschaft« wider. Dieser Kulturstandard zeigt sich auch in der Kommunikationsweise, die indirekt ist und das Herstellung und Aufrechterhalten der Beziehungen unterstützt. Deshalb werden in Österreich auf allen Ebenen die Beziehungen gepflegt, um durch Leistung und Gegenleistung von einander zu profitieren. Hierarchie- und Titelbetonung: Ein großer Kulturunterschied zu Deutschland besteht in der Hervorhebung der Position und der Nennung des dazugehörigen Titels. Durch einen Titel wird die soziale Stellung der jeweiligen Person unterstrichen. Vor allem in der Bürokratie und in der Beamtenstruktur ist dies sehr wichtig, da ein akademischer Titel eine erworbene Leistung anzeigt, die durch die öffentliche Nennung des Titels anerkannt wird. Man weiß dann sehr genau, wie man mit dieser Person umgehen muss, wie viel Respekt ihr gebührt, und vermeidet daher auch potentielle Konflikte. Verkäuferorientierung: In Österreich entsteht erst langsam eine Servicekultur. Traditionell gilt der Kunde als notwendiges Übel oder ist lästig, wenn es sich um Sonderwünsche handelt. Ein österreichischer Kunde tritt mit dem Wort »Entschuldigung« an einen Verkäufer heran. Er muss sich erst seinen Stellenwert erkämpfen, indem er eine Beziehung zum Verkäufer herstellt und pflegt. Für Stammkunden, mit denen man gute Beziehungen pflegt, tut ein Verkäufer alles. 39

Schweizer Kulturstandards: − Effizienz, − Direkte Kommunikation, − Regeltreue, − Organisiertheit, − Gruppenorientierung, − Zukunftsorientierung. Effizienz: Effizienz wird in der Schweiz großgeschrieben – nach dem Motto: »Wenn es einen besseren Weg gibt, gewisse Dinge zu tun, warum wird er dann nicht gewählt?« Höchste Professionalität und Genauigkeit führen zu hervorragenden Leistungen. Die Schweiz ist bekannt für ihre hochqualitativen Präzisionsprodukte. Direkte Kommunikation: Obwohl in der Schweiz die Höflichkeit eine große Rolle spielt, kommuniziert man direkter als in Österreich. Im Vergleich zu Deutschland ist der Sachbezug noch ausgeprägter, in Gesprächen ist man kurz angebunden, um möglichst effizient vorzugehen. In Verhandlungen geht man direkt an das Thema heran, ohne Small Talk und Höflichkeitsfloskeln wie in Österreich. Regeltreue: Zur Aufrechterhaltung der Ordnung sind Regeln notwendig, die allgemein verbindlich eingehalten werden. Verstöße werden bestraft, denn die Ordnung darf nicht gefährdet werden. Organisiertheit: Ordnung, Sauberkeit, Organisiertheit sind eine logische Voraussetzung für Effizienz und Erhaltung der Ordnung im Allgemeinen. Im Vergleich zu Österreich erscheint die Schweiz als sehr strukturiert, ja nahezu perfekt organisiert. In dieser Hinsicht gibt es zu Deutschland kaum einen kulturellen Unterschied. Gruppenorientierung: Die Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen (etwa Sprachgruppen, Studentenverbindungen) wird sehr betont, denn die Vielfältigkeit der Gesellschaft ist in der Schweiz ein hoher Wert. Kulturelle Eigenheiten werden so abgesichert und gepflegt. Zukunftsorientierung: Die Schweizer sind sehr zukunfts40

orientiert und offen für Veränderungen, die immer als Verbesserung gesehen werden. Allerdings ist hier eine Ambivalenz zu beobachten. Im Wirtschaftsbereich gilt eine gewisse Weltoffenheit, dennoch grenzt man sich im Inneren stark nach außen hin ab. Im privaten Bereich werden traditionelle Werte sehr gepflegt und Veränderungen nur ungern gesehen oder akzeptiert. Die Arbeit mit Kulturstandards eignet sich sehr bei einer kulturspezifischen Vorbereitung auf eine bestimmte Kultur. Anhand des Vergleichs der eigenen Kultur mit der Zielkultur können die Unterschiede und dahinter liegenden Werthaltungen gut herausgearbeitet werden. Dabei kommt es zu einem fundierten Einblick in die eigenen und fremden Werte, Denkweisen und Verhaltensformen.

Kulturdimensionen Um kulturelle Unterschiede in konkreten Handlungsbereichen besser zu verstehen, wurde von einer Reihe von Sozialanthropologen und interkulturellen Fachleuten versucht, sie zu klassifizieren. Anhand einer Reihe von Dimensionen werden Kulturen in ihrer Komplexität etwas vereinfacht. Die Kulturdimensionen bilden daher in der Praxis eine anschauliche Möglichkeit, konkrete Handlungsbereiche mehrerer Kulturen auf struktureller Ebene miteinander zu vergleichen. Die klassischen und weltweit bekannten Klassifizierungen kultureller Dimensionen stammt aus den 1960er Jahren und gehen auf den Holländer Geert Hofstede zurück. Hofstede erstellte umfassende Analysen mit IBM-Mitarbeitern aus vielen verschiedenen Ländern und versuchte, kulturelle Unterschiede systematisch zu erfassen (vgl. Hofstede, 2001) und sie anschließend miteinander zu vergleichen. Seine Arbeiten sind bis heute Diskussionsgrundlage und sein Ansatz findet in vielen Trainings immer noch Anwendung. Das Modell wurde von mehreren anderen Interkulturalisten erweitert: Fons Trompenaars und Charles Hampden-Turner, Nancy Adler, Edward T. Hall, 41

Florence R. Kluckhohn, Fred L. Strodtbeck, Alfred L. Kroeber, Edward Stewart, Milton Bennett. Nicht alle von ihnen sind im deutschen Sprachraum bekannt. Im Folgenden führe ich eine Auswahl von Kulturdimensionen an, die eine Art Zusammenfassung des gegenwärtigen Forschungsstands der oben genannten interkulturellen Fachkräfte darstellen. Der Einzelne und die Gesellschaft – Individualismus und Kollektivismus: Diese Unterscheidung gilt innerhalb Kulturvergleichender Studien als zentral und manifestiert sich in vielen Lebensbereichen. − In einer individualistisch orientierten Gesellschaft steht das Individuum im Mittelpunkt. Bereits in der Erziehung werden die Unabhängigkeit des Kindes, seine Eigenständigkeit sowie das Bewusstsein seiner Einzigartigkeit gefördert (vgl. Thomas, 2003). Persönliche Interessen gehen vor, Wettbewerb steht vor Kooperation. Die Beziehungen zu anderen Personen werden eher funktional gesehen (Arbeitskollegen, Vereinskollegen, beste Freundin/bester Freund, Familienmitglieder, Partner/Partnerin – auch hier gibt es bezüglich der zugelassenen Nähe oder Intimität große Differenzierungen). Normen und Regeln sind sehr bedeutend und werden respektiert. Das hat damit zu tun, dass in einer individualistisch orientierten Gesellschaft das Gleichheitsprinzip herrscht, das heißt, alle Individuen haben gleiche Rechte, aber auch gleiche Pflichten. Daraus ergeben sich flachere Hierarchien und ein eher egalitäres Geschlechterverhältnis (Nordamerika, Nordeuropa, Mitteleuropa, in Südeuropa treten oft auch Mischformen auf). Direkte Kommunikation und offene Kritik sind üblich. Man ist sehr sachbezogen, das gilt vor allem für die Kritik, wenn sie geübt wird. Nie würde man seinen Gesprächspartner persönlich kritisieren, dazu ist man auf der persönlichen Ebene zu sehr reserviert. Sachbezogenheit und direkter Kommunikationsstil erlauben aber eine direkte und offene Konfrontation. Der individualistisch orientierte Mensch möchte sich von 42

den anderen in der Gesellschaft unterscheiden und bezeichnet sich eher mit Attributen, durch die er sich von anderen abhebt (»Ich bin geduldig, bestimmt, einfühlsam usw.«). Einerseits gilt also das demokratische Gleichheitsprinzip, andererseits besteht der Wunsch nach Individualität, Abhebung von der Masse, Bedeutung von Wettbewerb und Einzelleistungen. Zusammenfassend gelten als wichtige Werte: individuelle Leistung, Selbstverwirklichung, Individualität, Selbstständigkeit, Unabhängigkeit, Bestehen im Wettbewerb, Gleichheitsprinzip. − In einer kollektivistisch orientierten Gesellschaft gehen Gruppeninteressen den persönlichen Interessen vor. Es besteht höchste Loyalität unter den Mitgliedern einer Gruppe, Familie, Großfamilie oder eines Klans. Die Beziehungen innerhalb dieser Gruppen gehen über alles. Die Harmonie in der Gruppe ist sehr bedeutend, direkte Konfrontationen oder Kritik werden deshalb vermieden. Ein indirekter Kommunikationsstil wird bevorzugt und indirekte Botschaften (nonverbale Kommunikation) sind sehr bedeutend. Kollektivisten beschreiben sich in ihrer Beziehung zu den anderen. Ihre Identität definiert sich aus ihrer Beziehung zu einer bestimmten Gruppe oder Familie und aus ihrer sozialen Rolle. Daraus ergeben sich weitreichende Konsequenzen im Umgang miteinander. Da das Harmoniebewusstsein sehr ausgeprägt ist, möchte man es allen recht machen. Nein zu sagen ist deshalb schwer. Man versucht, die Harmonie zu den verschiedenen Gruppen, denen man loyal verbunden oder verpflichtet ist, aufrechtzuerhalten. Das hat Auswirkungen auf die hierarchische Struktur einer Gesellschaft. Man fühlt sich nur jenen verpflichtet, zu denen man Beziehungen unterhält. Die Loyalität bezieht sich nur auf die jeweilige Gruppe, der man zugehört. Deshalb kommt es in kollektivistisch orientierten Gesellschaften eher zu einer hierarchischen Strukturierung. Eine starke Hierarchie führt zu einer präzisen Aufgabenverteilung, jede Person hat ihre Funktion. Der Chef oder die Chefin stellt sich mit ihren Mitarbeitern nicht auf eine Stufe, 43

sonst würde sie das Gesicht verlieren und nicht ihrer Funktion entsprechen. Gesichtsverlust ist ein wesentliches Merkmal. Da man nicht sachbezogen ist, geht es immer zuerst um die persönlichen Beziehungen. Direkte Kritik wird deshalb vermieden. Die eigene persönliche Meinung wird eher zurückgehalten. Höflichkeit (oft bis zu extremer Förmlichkeit) und Bescheidenheit sind wichtig. Als wichtige Werte gelten zusammenfassend daher: Beziehungsorientiertheit, Loyalität innerhalb der eigenen Gruppe, Hierarchiebewusstsein, Harmoniebedürfnis, Vorrang der Gruppe oder Familie. Die Japanerin Frau Sikoto arbeitet in einem Tochterunternehmen eines deutschen Konzerns in Tokio. Ihre Vorgesetzte ist Frau Schmidt, eine deutsche Expatriate, die erst seit einem halben Jahr diese Position innehat. Frau Sikoto ist seit einiger Zeit mit ihrer Arbeitssituation nicht zufrieden. Sie erhält immer mehr Aufgaben und Projekte von Frau Schmidt zur Bearbeitung, die sie nur mit Mühe zum angegebenen Termin schafft. Sie verbringt viele Überstunden im Büro und mobilisiert auch ihr Team, mehr und länger zu arbeiten, um den Anforderungen gerecht zu werden. Frau Schmidt hingegen ist mit ihrer Mitarbeiterin sehr zufrieden und lobt sie vor den anderen regelmäßig, einmal erhielt sie sogar eine Prämie. Eines Tages reicht Frau Sikoto bei ihrer Vorgesetzten die Kündigung ein, unter dem Vorwand familiärer Verpflichtungen. Frau Schmidt versteht die Welt nicht mehr und ist mehr als überrascht. Sie überlegt, ob sie irgendeinen Fehler gegangen habe. In ihren Augen behandelte sie Frau Sikoto immer gut, sie lobte sie doch immer vor den anderen. Frau Sikoto konnte in Wahrheit nicht mehr länger mit Frau Schmidt zusammenarbeiten, eben weil sie sie immer vor den anderen gelobt hatte. Sie schämte sich dafür, dass nur sie ausgezeichnet worden war, denn sie hätte ohne ihr Team die Arbeit nie geschafft. Sie konnte Frau Schmidt nicht offen und direkt die Wahrheit sagen und schob deshalb eine Ausrede vor.

Dieses Beispiel zeigt, wie unterschiedlich in kollektivistischen und individualistischen Gesellschaften Auszeichnung und Lob verstanden werden. Gilt es in der einen beschämend und demotivierend, vor den anderen ausgezeichnet zu werden, so ist in einer individualistischen Gesellschaft individuelle Auszeichnung eine starke Motivation für Mitarbeiter. Im ersten Fall ist die Bindung zur Gruppe stärker, Leistung wird nicht individuell, sondern als gemeinsame Errungenschaft betrachtet. Cha44

rakteristisch ist auch die indirekte Kommunikation von Frau Sikoto, die ihrer Vorgesetzen nicht die Wahrheit offen sagen kann, denn sonst würde diese das Gesicht verlieren. Universalismus vs. Partikularismus: Bei dieser Dimension geht es um die Frage, ob Verhaltensweisen in allgemeinen und universell geltenden Regeln festgehalten werden können oder ob es je nach Person und Situation Ausnahmen oder Variationen gibt. − In universalistischen Gesellschaften werden Gesetze und Regeln als absolut angesehen, die von jeder Person befolgt werden müssen. Die Gesetze geben vor, wie sich die Menschen zu verhalten haben. In manchen Kulturen existieren sehr starke, allgemein verbindliche Tabus, die sich auf moralische Werte und deren mögliche Gefährdung beziehen und oft eng mit der Religion in Verbindung stehen. Hier fällt der Aberglaube hinein, der als Instrument zur Einhaltung der Regeln genutzt wird. Werden die Regeln gebrochen, dann folgen sehr strenge Sanktionen für die betroffene Person, Gruppe oder den Klan. − In partikularistischen Gesellschaften liegt der Akzent auf einer besonderen Situation, in der abgewogen wird, welches Verhalten das beste ist. Abweichungen vom Gesetz werden damit begründet, dass der Kontext oder die Beziehung zu der jeweiligen Person im Vordergrund stehen und einen anderen Umgang mit der Situation rechtfertigen. Frau Kluge war Mitglied des Vorstands an der internationalen Schule in Helsinki. Die Schule, die Schüler aus über 30 verschiedenen Ländern hatte, brachte dem finnischen Erziehungsministerium ein wichtiges Anliegen vor: Sie wollte den Schulbeginn verschieben. In Finnland, wie in allen Ländern Nordeuropas, beginnen die Sommerferien Anfang Juni und enden Anfang August, in erster Linie aus klimatischen Gründen. Für die internationale Gemeinschaft stellt sich der frühe Schulbeginn als schwierig dar, da in vielen Ländern der August der Hauptferienmonat ist (wie in Spanien, Frankreich, Italien usw.) und viele Mitarbeiter internationaler Unternehmen oder Institutionen in diesem Monat Urlaub machen müssen. Deshalb beantragte die internationale Schule in Helsinki die Verschiebung des Schulbeginns von Anfang auf Mitte August. Der Antrag wurde vom finnischen Ministerium abgelehnt mit der Begründung: Auch eine internationale Schule hat sich an die lokalen Gesetze zu halten.

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Dieses Beispiel zeigt deutlich, wie eine universalistische und partikularistische Haltung in Bezug auf Gesetze auseinanderklaffen. Die internationale Schule wollte aus triftigen Gründen eine Abweichung vom Gesetz erreichen, als Anpassung an ihre besondere Situation. Das finnische Erziehungsministerium sah darin gar keinen Grund für eine Gesetzesänderung und hielt an ihrem universalistischen Anspruch »Unser Gesetz gilt ausnahmslos für alle« fest. Verhältnis zu Macht – hierarchisch oder egalitär: Bei dieser Kulturdimension geht es darum, ob in einer Kultur die Beziehungen eher hierarchisch gestaltet sind oder flache Strukturen vorherrschen. Gibt es zum Beispiel in einem Unternehmen einen starken und autoritären Chef, der klare Vorgaben gibt und alle Entscheidungen allein trifft? Oder sind die Mitarbeiter eines Unternehmens eher motiviert, wenn sie sich gleichberechtigt fühlen, in den Entscheidungsprozess einbezogen werden und initiativ Aufgaben übernehmen dürfen. Dieser Aspekt ist für Expatriates sehr wichtig, wenn im Unternehmen vor Ort andere Organisationsstrukturen herrschen als im Inland. − Bei hierarchischen Strukturen stehen Status und Macht im Vordergrund. Hier sind Titel, Position und Alter Statussymbole und werden als solche respektiert. Bei Entscheidungsfindungen können die einzelnen Machtpositionen nicht übersprungen werden, das heißt ein Mitarbeiter hat immer mit seinem unmittelbaren Vorgesetzten Rücksprache zu halten, bevor er eine Entscheidung trifft. Dafür werden die Aufgabenbereiche und Erwartungen sehr klar beschrieben. Vorgesetzte werden eher nicht kritisiert, ihnen wird nicht widersprochen, mit der persönlichen Meinung hält man sich zurück. Man zeigt Respekt und Achtung vor der ranghöheren Person. − Bei egalitären Strukturen herrscht ein eher gleichrangiger Status zwischen den Personen in einem Unternehmen vor. Jeder hat den gleichen sozialen Status und die gleichen Verantwortungen. Informelle Umgangsformen stehen im Vordergrund, soziale oder akademische Unterschiede werden 46

minimiert, Aufgaben werden gleichmäßig verteilt, jeder Einzelne ist entscheidungsberechtigt und vieles wird im Team abgewickelt. Kritik und Widerspruch sind gefragt und werden ausführlich diskutiert. Herr Groß arbeitete für ein österreichisches Unternehmen in Finnland und erzählt gern vom dortigen Managerverhalten: »Interessant ist, dass dir die Manager, auch die obersten Bosse, den Kaffee selbst servieren oder die Unterlagen holen. Keine Kaffee kochenden Sekretärinnen, keine Assistentinnen, die mit der Aktentasche hinter ihrem Chef herlaufen. Die Hierarchien sind flach und die Aufgaben vermischen sich immer mehr. Die Zusammenarbeit ist so viel effektiver, weil jeder über alles informiert ist, mitreden und gegebenenfalls auch entscheiden kann.« Schauplatz ist ein französisches Unternehmen. Die Vorbereitungen für die Ausstellung auf der Messe laufen auf Hochtouren. Broschüren müssen noch rechtzeitig entworfen und gedruckt werden. Alles wird mit dem Chef abgesprochen und abgeklärt, der Zeitplan erstellt, damit alles rechtzeitig erledigt wird. Kurz bevor die Broschüren in Druck gehen, muss der Chef unvorhergesehen auf eine wichtige Geschäftsreise. Die Mitarbeiter sind verunsichert, entscheiden sich aber, in Druck zu gehen, weil sonst die Broschüren nicht für die Messe fertig sein würden. Als ihr Chef im Nachhinein von dieser Aktion erfährt, bekommt er einen Wutanfall und lässt die gesamten gedruckten Broschüren einstampfen – und das nicht deshalb, weil dabei ein Fehler unterlaufen wäre, sondern weil er nicht sein Okay für den Druck gegeben hatte.

Diese beiden Beispiele veranschaulichen die unterschiedlichen Verhaltensweisen in egalitären oder hierarchischen Unternehmensstrukturen. Was in dem einen System positiv bewertet wird, nämlich eigenständig Verantwortung übernehmen und Entscheidungen treffen von Seiten der Mitarbeiter, wird im anderen als Anmaßung angesehen. Zeitverständnis und Umgang mit Zeit: Bei Zeit im interkulturellen Verständnis geht es darum, wie wir Zeit auffassen und mit ihr umgehen. Mehrere Aspekte lassen sich unterscheiden: monochromer vs. polychromer Zugang, starre vs. flexible Zeiteinteilung, Fokus auf Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft. − Monochromer vs. polychromer Zugang zu Zeit: In manchen Kulturen herrscht ein monochromer Zugang zur Zeit vor. Aufgaben werden in kleine Portionen zerteilt und der Reihe 47

nach erledigt, vorgenommene Zeiteinteilungen und Agendas eingehalten und sogenannte Deadlines absolut respektiert. Planmäßiges, analytisches Vorgehen, aufgeteilt und klar zugeordnet, zeugt von Effizienz und bewirkt qualitätsvolle Resultate. Aufgaben hingegen, die sehr komplex sind und sich nicht leicht in Einzelteile aufteilen lassen, führen bei diesem Zugang oft zu Überforderung. Bei einem polychromen Zugang zu Zeit werden Aufgaben als komplexe Gebilde aufgefasst, die auch so bearbeitet werden – man arbeitet gleichzeitig an mehreren Aspekten und Lösungen und setzt sich dabei intensiv mit den Meinungen der anderen auseinander. Man telefoniert, schreibt gleichzeitig E-Mails und hat auch noch ein paar Worte für die Kollegin, die eben ins Zimmer tritt. Am Schreibtisch liegt immer eine Liste für neue Ideen und Aspekte der zu bearbeitenden Aufgaben. Daraus entsteht eine Dynamik, die anregend wirkt, man ist jederzeit offen für Abweichungen, Veränderungen, Input von außen. Man ist bereit, im letzten Moment Änderungen bei einer Projektbeschreibung vorzunehmen. Ein weiterer Unterschied liegt in der Geschwindigkeit: Wie ist das allgemeine Tempo in den Kulturen? Untersuchungen ergaben, dass das Schritttempo in Tokio mit Abstand am höchsten ist und in Jakarta am langsamsten. Das Gleiche gilt für Bereiche, wie rasch etwas erledigt oder jemand bedient wird: »Ich musste in Helsinki auf die Post. Zum Glück wusste ich bereits, dass ich mir eine Nummer abreißen musste. Es waren viele Leute vor mir. Alle standen schweigend da und warteten, bis ihre Nummer aufblinkte und aufgerufen wurde. Manchmal aber war die betreffende Person schon gegangen. In so einem Fall wurde die Nummer zwei oder drei Mal aufgerufen und dazwischen gewartet. Dabei vergingen mindestens ein bis zwei Minuten. Aber niemand ließ sich durch diesen ›Zeitverlust‹ aus der Ruhe bringen.« (K. S.)

Bei diesem Beispiel sind die Personen daran gewöhnt, Aufgaben der Reihe nach und geordnet zu erledigen, das Gleiche gilt für die Bedienung von Kunden. 48

− Präzise vs. flexible Zeiteinteilung: In vielen Kulturen steht Pünktlichkeit für Verlässlichkeit (Nordamerika, Nord- und Mitteleuropa, Japan). Lineares Zeitmanagement, Pünktlichkeit, Vorrang der Uhrzeit und eingehaltene Agendas, Deadlines und Termine stehen im Vordergrund bei einer präzisen Zeitauffassung. Damit wird Effizienz und Leistungssteigerung angestrebt und Respekt vor anderen ausgedrückt. Man lässt niemanden warten, gibt seine Berichte pünktlich ab, ist verlässlich und vergisst keine Verabredungen. Der Nachteil bei einer sehr stark ausgeprägten präzisen Zeitauffassung ist eine gewisse Unflexibilität und die Unfähigkeit, sich auf Unvorhergesehenes einzustellen. Bei einem flexiblen Zeitverständnis werden Zeiteinteilungen oder Termine als vage Orientierungsrahmen aufgefasst und dienen als Richtlinien. In diesen Kulturen sind Ereignisse oder die Dauer von Ereignissen maßgebend dafür, wie Zeit gemessen oder bewertet wird, etwa die Länge eines Tagesmarsches oder der Zeitraum zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang. Die gegenwärtige Situation oder eintretende Ereignisse sind wichtiger als ein starrer Zeitplan. Abgabetermine werden nie genau eingehalten, vor Meetings unterhält man sich gern noch mit den Kollegen und achtet nicht auf einen pünktlichen Beginn. »In Indien waren wir oft zum Abendessen eingeladen. Auf der Einladungskarte war immer 20.00 Uhr angegeben, aber gleich zu Beginn warnte man uns, auf keinen Fall in unserem Sinne pünktlich zu kommen, sondern frühestens zwei Stunden später, also auf gar keinen Fall vor 22.00 Uhr. Es wirke sonst unhöflich und die Gastgeber wären sicher noch nicht zum Empfang ihrer Gäste bereit.« (K. S.)

− Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft: Vergangenheitsorientierung herrscht in Kulturen vor, die Tradition und Vergangenes als konstituierend für die Gegenwart erachten. Man vermeidet Brüche mit der Vergangenheit, neigt dazu, in kontinuierlicher Übereinstimmung mit ihr zu agieren und traditionelle Werte zu bewahren. Veränderung und Neues werden nicht gern, ja sogar als Bedrohung gesehen. Die Vergangenheit dient als Muster für gegenwärtiges Handeln. 49

Ein Fokus auf Gegenwärtiges ist Ausdruck für die Vorliebe von raschen Ergebnissen und kurzfristigen Plänen. Entscheidungen werden schnell getroffen, langfristiges Planen und Entwerfen von Strategien stellen Hindernisse für Maßnahmen dar, die unmittelbar der gegenwärtigen Situationen angepasst werden. Die Vergangenheit gilt als Bürde oder Bremse für rasches Agieren. Zukunftsorientierung ist Zeichen von Strategie, Planung und Vorausschau. Es geht um langfristige Vorteile und visionäre Ziele. Die Gegenwart wird mit den Augen zukünftiger Projekte betrachtet, die Gefahr dabei ist, dass Details und momentane Bedürfnisse oder Notwendigkeiten übersehen werden. Es findet ein erstes Treffen des neu strukturierten Unternehmens statt und es herrscht eine Aufbruchsstimmung unter allen Anwesenden, die aus mehreren Ländern Europas zusammenkommen. Mit Spannung wird die erste Sitzung erwartet, es geht um die Zukunft, um die neuen Perspektiven und Vorhaben des Unternehmens. Der Schweizer Kollege hält die Eröffnungsrede und beginnt mit einem sehr detaillierten Rückblick auf die Geschichte des Unternehmens vor der Restrukturierung und zeigt genau die Grundlagen auf, die für das Unternehmen in der Vergangenheit bestimmend waren und die auch den Erfolg ausmachten. Er erklärt sodann Schritt für Schritt die Maßnahmen, die nun gesetzt wurden, um das Unternehmen zu restrukturieren und schildert am Ende in Kürze die Zukunftsperspektive für die folgenden zehn Jahre. Das Publikum, das vorwiegend aus Mitarbeitern aus Großbritannien und den Niederlanden besteht, wirkt nach einiger Zeit unkonzentriert und müde, einige beginnen einzunicken. Unmut und Ungeduld machen sich breit. Alle hätten angesichts der bedeutungsvollen Maßnahmen für die Zukunft des Unternehmens eine dynamischere, auf die künftigen Vorhaben bezogene Rede erwartet.

Dieses Beispiel zeigt, wie ein unterschiedlicher Umgang mit Vergangenheit und Zukunft zu einer Missstimmung führen kann. Für den Referenten ist der Bezug zur Vergangenheit wesentlich, ohne sie kann die Zukunft nicht passieren. Die Zuhörer sind eher zukunftsorientiert und blicken voll Erwartung auf das, was kommt, ohne genau wissen zu wollen, was früher war.

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Raumverständnis und Nutzung von Raum: Die Nutzung von Raum lässt sich im interkulturellen Verständnis in privat und öffentlich unterteilen. Bei beiden Aspekten geht es darum, wie wir Raum körperlich (Körperdistanz) und psychologisch (den privaten Raum, den wir brauchen) verstehen. − In Kulturen, in denen die Betonung auf dem privaten Aspekt von Raum liegt, wird mehr räumliche Distanz zu anderen gewahrt: größere Körperdistanz, Vermeiden von Körperberührungen, Vorliebe für abgeschlossene Büroräume und geschlossene Türen, Wahrung der Privatsphäre. Unangemeldetes Eintreten in den eigenen Büroraum beispielsweise wird hier als Störung und Respektlosigkeit betrachtet. In solchen Kulturen ist man oft sehr aufgabenorientiert, kommuniziert via E-Mail und verteilt Informationen auf sehr demokratischer Basis. Körperkontakt wird bei der Begrüßung unter Fremden durch Händeschütteln erlaubt, ansonsten aber als unangenehm bis bedrohlich angesehen wird. In Nord- und Nordwesteuropa reagiert man auf Körperkontakt sehr sensibel und bevorzugt eine größere Körperdistanz. Oft gibt man sich nicht einmal die Hand. − In Kulturen, in denen der öffentliche Aspekt von Raum betont wird, gibt es allgemein mehr Nähe zu anderen. Offene Räume, Großraumbüros, geringere Körperdistanz, Körperberührungen sind üblich. Die Beziehungen zu anderen, direkte Gespräche anstatt unpersönlicher E-Mail-Austausch, stehen im Vordergrund, es herrscht ein informeller und ständiger Austausch von Informationen und Gedanken, Teamarbeit und das Teilen von Ressourcen werden praktiziert. Süd- und Südosteuropäer sowie Menschen in Nordafrika, im Mittleren Osten und in der Türkei hingegen ziehen körperlichen Kontakt und körperliche Nähe vor, wobei aber in islamischen Kulturen Berührungen zwischen Männern und Frauen in der Öffentlichkeit allgemein vermieden werden. Enger Körperkontakt unter Männern ist hier sehr üblich und Ausdruck von guter Freundschaft. Die gleiche körperliche Nähe zwischen Männern wird in Europa und in Nordamerika als homosexuell interpretiert. 51

David Schmidt wechselte vor kurzem seinen Job und kam seinen ersten Tag ins neue Büro. Er hatte erwartet, dass ihm sein Zimmer gezeigt werde, musste aber feststellen, dass er mit drei anderen Kollegen einen Raum teilen würde. Ihn irritierte, dass die Tür offen blieb und ständig Personen hereinkamen, ihm Begrüßungsworte zuriefen und mit den anderen Informationen austauschten und Projekte diskutierten, wobei sie ihn auch gleich miteinbezogen. Aber er wusste ja noch gar nicht, an welchen konkreten Projekten er arbeiten würde! Als er zu seiner Vorgesetzten zum vereinbarten Termin kam, stand zu seinem Erstaunen auch bei ihr die Tür offen und sie winkte ihn gleich herein. Während des Gesprächs rief sie den Kollegen im Nebenraum öfters einige Bemerkungen zu, zeigte ihm Unterlagen laufender Projekte, dazwischen kamen auch immer wieder andere Kollegen herein, brachten Unterlagen oder wechselten ein paar Worte mit ihr. Sie schien dadurch nicht gestört zu sein. Sie unterhielt sich einfach mit ihm weiter und besprach mit ihm die künftigen Projekte. Sie meinte, er solle in den nächsten Tagen zu sämtlichen Projektsitzungen gehen, um einen Überblick zu bekommen. Nachdem Gespräch war David Schmidt überhaupt nicht klar, woran er selbst nun arbeiten sollte. Sehr verwirrt überlegte er sich, wie er die drei anderen Kollegen im Zimmer und dieses ständige Kommen und Gehen aushalten werde, wo er doch seine Privatsphäre und eigenen Arbeitsbereich so braucht.

Das Beispiel verdeutlicht unterschiedliches Raumverständnis, das sich auch auf den Umgang miteinander sowie auf den Informationsaustausch auswirkt. Herr Schmidt legt offenbar Wert auf Privatsphäre, abgeschlossene Räume, ein eigenes Büro, präzise umrissene Aufgabenbereiche. In dem neuen Büro gelten jedoch andere Regeln, man hat ein eher öffentliches Raumverständnis, lässt Türen offen, damit die Kommunikation jederzeit möglich ist und Information ständig ausgetauscht werden kann. − Blickkontakt wird kulturell sehr unterschiedlich gedeutet. In unserer europäischen Kultur, aber auch in Nordamerika, ist ein intensiver wechselseitiger Blickkontakt von großer Bedeutung. Er drückt gegenseitiges Interesse, Aufmerksamkeit und Höflichkeit aus. Im lateinamerikanischen, nordafrikanischen und asiatischen Raum (inklusive Indien) hingegen ist es oft genau umgekehrt. Beim Aufeinandertreffen dieser unterschiedlichen Konventionen kann das Verhalten der jeweiligen Person bei geringem Blickkontakt als unhöflich, unaufmerksam und unehrlich interpretiert werden, bei 52

häufigem direkten Blickkontakt hingegen als respektlos, ja beleidigend wirken. »Jedes Mal, wenn ich wieder in meiner Heimat in Indien bin, fällt mir die Umstellung schwer. Niemand dort schaut mir in die Augen, das ist für mich sehr irritierend. In den USA ist direkter Blickkontakt oberstes Gebot in der Begegnung zweier Personen. Dadurch wird Wertschätzung ausgedrückt. In Indien ist es genau umgekehrt: Direkter Blickkontakt ist respektlos, während man einer Person Respekt und Achtung entgegen bringt, der man nicht direkt in die Augen sieht.«

Kommunizieren: Kommunikation ist der wichtigste Bereich im interkulturellen Kontext, weil wir immer kommunizieren, wir drücken uns immer in irgendeiner Weise aus, mit oder ohne Wörter. Über die nonverbale Kommunikation wurde bereits in »Wahrnehmung im interkulturellen Kontext« berichtet. Verbale Kommunikation hat mehrere Aspekte: direkt vs. indirekt, kontextbezogen vs. sachorientiert, formell vs. informell, ausdrucksstark vs. instrumentell. − Eine direkte Kommunikationsweise zeichnet sich dadurch aus, dass Konflikte offen und direkt geregelt werden, Kritik ebenso offen von Angesicht zu Angesicht geübt wird und Anliegen ohne Umschweife dargelegt werden. In einem indirekten Kommunikationsstil werden Konflikte vermieden. Gesichtsverlust und Bloßlegung von Schwächen gehören zu den gröbsten Fauxpas. Man bringt Anliegen in höflicher Form verpackt vor und meidet offene Kritik oder ein klares Nein. Herr Helmut aus Dresden ist seit kurzem Gastprofessor an der Medizinischen Universität Graz. Er fühlt sich an seinem neuen Dienstort nicht wohl. Er kommt irgendwie nicht an, stößt dauernd auf Widerstände bei den Studenten und ist ständig in Konflikt mit der Institutssekretärin. Durch Zufall sieht er den Aushang zu einem interkulturellen Kommunikationstraining, das es an der Uni geben wird. Er meldet sich an und ist neugierig, was ihn erwartet. Das Training hat den Schwerpunkt »Kommunikation in multinationalen Gruppen«. Neben ihm sind andere Kollegen aus verschiedenen Ländern da, aber auch österreichische Kollegen. Das Training ist eine Erleuchtung für ihn. Plötzlich versteht er alles: seine Kollegen, die Sekretärin, die Studenten! Er erkennt ganz klar, dass die Unterschiede in der Kommunikation zwischen Deutschen und Österreichern sehr groß sind. Seine direkte Art, die hier als Anweisung,

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Befehl, beleidigende Kritik aufgefasst wird, löst bei den Österreichern Ablehnung, Widerstand, negative Gefühle aus. Die österreichische indirekte Art zu kommunizieren, das Herumreden, die Möglichkeitsformen, das »Ich hätte oder würde gern . . . « oder das »Schau ma mal . . . «, das unnötige Titelgetue – all das ging ihm wiederum sehr auf die Nerven. Im Training wurde über diesen Punkt lange diskutiert und auf beiden Seiten konnten viele Missverständnisse aus dem Weg geräumt werden. Sobald Herr Helmut erkannt hatte, dass es sich dabei um kulturelle Eigenschaften handelte, konnte er mit den Unterschieden besser umgehen. Er bemühte sich in der Folge, im Gespräch weniger direkt zu sein und die Österreicher in ihrer indirekten Art nicht persönlich zu nehmen. Das erleichterte ihm den Umgang mit Kollegen und Studenten.

− Kontextbezogene Kommunikation betont den impliziten Aspekt von Kommunikation, das heißt, man neigt zu Anspielungen, legt Wörter auf die Waagschale, interpretiert gern und bewertet oft Details und Zusätze über, die in Wirklichkeit gar nicht so wichtig sind. Man achtet ebenso auf die Körpersprache und andere Zeichen nonverbaler Kommunikation. Bei der Erledigung von Aufgaben tendiert man dazu, zusätzliche Informationen, die zum Themenbereich gehören, heranzuziehen. − Sachorientierte Kommunikation legt Wert auf das gesprochene und geschriebene Wort. Sprache dient als Vermittlung von Information und wird pragmatisch genutzt. Man schätzt Dokumentationen, Auflistung von sachbezogenen Informationen, klare prägnante Beschreibungen. Man weicht nicht gern ab vom Thema, bleibt bei der Sache, trennt die Sache von der Person (siehe dazu die Kulturstandards von Deutschland und Österreich: Sachbezogenheit). Eine Ärztin, die aus Deutschland kommt und in Österreich arbeitet, behandelt eine Patientin, die mit dem linken Bein Probleme hat. Sie fragt die Patientin: »Jetzt sagen Sie mir mal, wann genau tut Ihnen das Bein denn weh?« Die Patientin antwortet: »Na, wenn ich’s mit der Fatschn’ [das ist eine Bandage] einbind’, dann geht’s eh!« Die Ärztin blickt verständnislos auf die Patientin und fragt einen ihrer österreichischen Kollegen, was denn diese Aussage nun bedeuten solle!

Dieses kleine Beispiel aus dem Arbeitsalltag zeigt auf, was alles in einer Aussage stecken kann und wie sehr kontextbezogene und sachbezogene Aussagen auseinanderklaffen. 54

Die Ärztin wollte eine klare Aussage in Bezug auf den einfachen Sachverhalt, wann die Schmerzen auftreten. Die Patientin kann diesbezüglich keine klare Aussage treffen, da die Schmerzen je nach Umstand mehr oder weniger auftreten. Ihre Aussage bezeichnet somit einen komplexen Sachverhalt. − Formelle bzw. informelle Kommunikation bezeichnet vor allem den Umgang miteinander. In formellen Kulturen wird ein höflicher, distanzierter Umgang gepflegt, man achtet auf den sozialen Status des anderen, nennt seinen akademischen Titel, verwendet die Höflichkeitsform, kleidet sich eher formell, businesslike. Etikette wird gewahrt und ist wichtig, um die sozialen und hierarchischen Unterschiede zu unterstreichen. Innerhalb von Kulturen, in denen informell kommuniziert wird, pflegt man einen freundschaftlichen, ungezwungenen Umgang miteinander. Sozialer Status und Hierarchien werden kaum beachtet und in der Anrede nicht erwähnt. Man ist rasch per Du, die äußere Erscheinungsform ist leger und ohne Dresscodes. In formellen Umgebungen fühlt man sich nicht wohl. − Ausdrucksstarke bzw. instrumentelle Kommunikation beschreibt die Art, wie man sich in seiner Sprechweise, Gestik und Gesamterscheinung gibt. Manche Personen verfügen über eine starke Ausdruckskraft in äußerer Erscheinung und Körpersprache. Sie lieben eine bildhafte, symbolträchtige und emotional gefärbte Sprache und ziehen viele Mitmenschen damit in den Bann. Sie erzählen gern und viel und verlieren sich oft in Begeisterung und Enthusiasmus. Die Studenten warten auf die nächste Vortragende. Sie ist Anthropologin aus Slowenien. Sie beginnt ihren Vortrag, indem sie sich an den Schreibtisch setzt und zu reden beginnt. Dann redet, nein, erzählt sie stundenlang und ohne Unterbrechung über das Thema. Es geht um Kultur und transkulturelle Überschneidungen. Sie bringt unzählige Beispiele, lässt sich offenbar von ihren Assoziationen leiten, schweift ab, kommt wieder zum Thema zurück, lebendig, aber völlig unstrukturiert, wie eine Geschichte in leuchtenden Bildern. Am Ende sitzen die Studenten ratlos da. Sie vermissten die Power-Point-Präsentation, die Eckpunkte, die Struktur. Die Vorlesung hatte nicht einmal einen genauen Titel!

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Dem steht eine instrumentelle Ausdrucksweise gegenüber, die viel nüchterner und sachorientierter erscheint. Gestik wird nur schwach eingesetzt, Emotionen werden zurückgehalten, das Erscheinungsbild ist neutral und die verwendete Sprache sparsam im Gebrauch von Adjektiven. Man erachtet das Berufsumfeld als nicht passend für emotionale Ausdrucksweisen. Man bleibt lieber sachlich, zurückhaltend, auch in der Kleidung, und drückt damit Seriosität und Verlässlichkeit aus. Der Vortrag von Frau Schreiner war inhaltlich und in der Ausführung perfekt. Sie handelte das Thema in logischer Reihenfolge ab, brachte dazu passend in ihrer Power-Point-Präsentation die Folien, auf denen nur einige wenige Begriffe oder Sätze standen. Ihre Vortragsweise war ruhig, klar, sachlich. Sie blieb emotional nüchtern und scheinbar unbeteiligt, selbst als sie einmal ein Beispiel brachte, eines, das sie offenbar selbst erlebt hatte. Die Zuhörer hörten anfangs aufmerksam zu, aber mit der Zeit verloren sie das Interesse. Sie konnten keine emotionale Beziehung zu dem Gesagten herstellen. Sachlich stimmte zwar alles, aber es fehlte an Begeisterung vonseiten der Vortragenden, mit der sie die Zuhörer hätte mitreißen können.

Handeln und Interagieren mit anderen: Diese Kulturdimension unterscheidet zwischen Beziehungsorientiertheit und Handlungsorientiertheit im zwischenmenschlichen Bereich. − In Kulturen, in denen das Handeln eher beziehungsorientiert ausgerichtet ist, stehen die Aufnahme, Erhaltung und Pflege von zwischenmenschlichen Beziehungen im Vordergrund. Bevor eine Aufgabe in Angriff genommen wird, geht es darum, eine gute Stimmung zu entwickeln, zu allen Beteiligten ein gutes Verhältnis zu haben und im sich Small Talk gegenseitig abzutasten. Vertrauen zu anderen aufzubauen und zu erhalten ist wichtig. Bevor Entscheidungen getroffen werden, bedarf es langer und gründlicher Überlegungen, guter Begründungen und ausführliches Abwägen. In solchen Kulturen wird viel Zeit in Beziehungen investiert, Vertrauen langsam aufgebaut und jede Entscheidung gut überlegt. − In handlungsorientierten Kulturen geht es eher darum, Aufgaben rasch zu erledigen, Entscheidungen schnell zu treffen und möglichst bald gute Ergebnisse zu erzielen. Beziehungen im beruflichen Umfeld werden funktional gesehen, jeder hat 56

seine Aufgabe zu erfüllen, alle müssen sich dafür einsetzen. Deshalb beschränkt sich Vertrauen auf diesen schmalen beruflichen Bereich. Es geht um effiziente Ergebnisse, die Erfüllung eines Plansolls, um pragmatisches Vorgehen, die kurzfristig gesetzten Ziele zu erreichen. Eine amerikanische Firma hat eine Niederlassung in Mexiko und entsendet regelmäßig Mitarbeiter für eine kurze Zeitspanne, um vor Ort nach dem Rechten zu sehen. Der Niederlassungsleiter in Mexico City reagiert nach einiger Zeit verärgert. Er fragt sich, weshalb die Bosse in den USA jedes Mal jemanden anderen senden. Jedes Mal müsse er alles von Neuem erklären und darlegen, jedes Mal einer fremden Person, mit der er nichts am Hut hat. Wie soll er da Vertrauen aufbauen und sicher sein, dass diese Person, die er nicht kennt, auch alles so weitergibt, wie er ihr hier dargelegt hat? Er ist frustriert und völlig demotiviert.

Dieses Beispiel verdeutlicht, wie unterschiedlich Berufsbeziehungen eingestuft werden können. Vonseiten der Amerikaner handelt es sich um reine funktionale Geschäftsbeziehungen, bei denen die Personen beliebig austauschbar sind. Für den mexikanischen Niederlassungsleiter haben auch berufliche Beziehungen eine starke persönliche Ebene. Für ihn ist es wichtig, Vertrauen aufzubauen, erst dann ist für ihn eine gute Zusammenarbeit möglich. Verhältnis zur Umwelt und zum Universum: Diese Kulturdimension beschreibt unser Verhältnis zum Universum, zur Umwelt und zu unserem Arbeitsumfeld. Man unterscheidet zwischen Kontrolle, Harmonie und eingeschränkter Einflussnahme. − In Kulturen, in denen Kontrolle betont wird, geht man nach dem Motto vor, dass Probleme dazu da sind, um gelöst zu werden. Auf dem Weg dahin scheut man weder Konflikte noch Konfrontationen oder Schwierigkeiten. Man fühlt, dass man sein Schicksal in die Hände nehmen und seinen Verlauf steuern kann. − Kulturen mit einem harmonischen Zugang zur Umwelt legen großen Wert auf Übereinstimmung mit anderen. Entscheidungen werden nicht im Alleingang getroffen, Konflikte vermieden, Konsens und Kompromisse gesucht, Rücksprache mit anderen gehalten und unterschiedliche Meinungen gut 57

abgewogen. Hier geht es aber auch um eine Harmonie mit dem Universum, dessen Teil der Mensch ist. Diese Harmonie darf nicht gestört, muss erhalten werden. Die wirkenden Kräfte sollten sich stets im Gleichgewicht befinden. − Personen oder Gruppen, für die eine eingeschränkte Einflussnahme auf die Umwelt im Vordergrund steht, treten eher risikoscheu auf, sind der Meinung, sie könnten Situationen nicht durch persönlichen Einsatz beeinflussen oder Vorgänge nicht beschleunigen. Auftretende Probleme erscheinen als Hindernisse, um ein Projekt voranzutreiben, man fühlt sich machtlos, ohne Einfluss, höheren Mächten ausgeliefert. Es gibt Probleme mit einer Ware aus Indonesien, die nach Deutschland geliefert werden soll. In der Produktionsstätte sind einige Mitarbeiter aus familiären Gründen auf Urlaub und die Zustellung von wichtigem Material steht noch aus. Der indonesische Chef weiß sich nicht mehr zu helfen. Er hat traditionell gute Beziehungen zu den deutschen Kollegen und bemüht sich immer sehr, die vereinbarten Termine zu halten, weil er weiß, wie wichtig das für die europäischen Kunden ist. Doch dieses Mal sieht er keinen Ausweg. Er muss die gegebenen Umstände akzeptieren und teilt seinem Kunden mit, dass die Lieferung sehr verspätet eintreffen wird. Er erhält einen Anruf von seinem außer sich geratenen deutschen Kunden, ob denn überhaupt nichts zu machen sei, es gebe immer Wege, denn »wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg«, er lasse eine solche Passivität und schicksalsergebene Haltung nicht gelten, es müsse doch möglich sein, Leute zu mobilisieren, die anpacken . . . Der Lieferant in Jakarta schüttelt den Kopf und legt achselzuckend den Hörer auf.

Dieses Beispiel zeigt, wie unterschiedlich die Haltung zu Gegebenheiten sein kann. Für uns in Europa ist die Einstellung »Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg« völlig normal und wir versuchen immer, Wege aus einer scheinbar ausweglosen Situation zu finden. In Kulturen wie in Indonesien sieht man das anders, auch wenn man die Einstellung in Europa kennt und für sie Verständnis hat. Man ist mehr bereit, sich Gegebenheiten zu unterordnen und sie zu akzeptieren. Hier zum Abschluss die Auswahl der Kulturdimensionen im Überblick: − Individualismus – Kollektivismus: Beziehung Individuum – Gesellschaft; 58

− Universalismus – Partikularismus: Bedeutung von Regeln und Gesetzen; − Machtverhältnis: Autorität, Verantwortung, Entscheidungen treffen; − Zeitverständnis: Zeitmanagement, Abwicklung von Arbeitsprozessen; − Raumverständnis: Raumgrenzen, Körperdistanz, Informationsweitergabe; − Kommunizieren: Kommunikationsstile, Konfliktmanagement, Beziehungen herstellen; − Handeln und Interagieren: Umgang mit Beziehungen, Vertrauen; − Umwelt und Universum: Naturbeherrschung, Harmonie mit dem Universum herstellen, sich in Gegebenheiten fügen. Die hier behandelten Kulturdimensionen kennzeichnen nicht nur Präferenzen in unterschiedlichen Kulturen, sondern oft auch individuelle Vorlieben für Verhaltensweisen. Auch innerhalb unserer eigenen Kultur müssen wir mit Personen auskommen, die ganz andere Präferenzen haben als wir. Toleranz und Empathie ist nicht nur über Kulturen hinweg, sondern auch in unserem unmittelbaren Umfeld gefragt. Im Folgenden geht es darum, wie Sie die Kenntnis der Kulturstandards und Kulturdimensionen in Ihrem Arbeitsumfeld produktiv nutzen können.

Kulturstandards, Kulturdimensionen und die Entwicklung interkultureller Kompetenzen Die Methoden der Kulturdimensionen und Kulturstandards dienen in der Praxis dazu, die Komplexität von Kulturen zu verringern und Kulturen miteinander vergleichbar zu machen. Kenntnisse in diesem Bereich erleichtern das Einschätzen und Verstehen von kulturell bedingten Verhaltensweisen. Das ist besonders im interkulturellen Managementbereich wichtig und sinnvoll. 59

Kulturdimensionen: Weiß man über Kulturdimensionen Bescheid, kann man zunächst fremd und ungewöhnlich erscheinende Verhaltensweisen richtig zuordnen und deuten, auch in Hinsicht auf seine eigenen Präferenzen. So konstatiert man zum Beispiel bei einem Gesprächspartner, der nicht klar Nein sagen kann, dass er keine Entscheidung allein treffen darf und dass er sehr darum bemüht ist, eine gute Beziehung herzustellen. Beschäftigt man sich mit Kulturdimensionen, erfährt man unter anderem etwas über unterschiedliche Arten der Kommunikation und des Beziehungsaufbau, des Umgang mit Machtstrukturen und des Zeit- und Raumverständnisses. Kulturstandards: Wenn es um das Verstehen von kulturell bedingtem Verhalten in konkreten Kontexten (z. B. Führungsverhalten, Verkaufsstrategien) geht, eignet sich die Methode der Kulturstandards sehr gut. Kulturstandards erklären die Werthaltungen, die für das Verhalten von Personen sowohl in der Ausgangs- als auch Zielkultur relevant sind. Oft werden dabei auch kulturgeschichtliche oder soziokulturelle Faktoren herangezogen. Themenschwerpunkte bei Kulturstandardvergleiche sind Verhandlungen, Mitarbeiterführung und -motivierung und der Umgang mit unterschiedlichem Zeitverständnis und Kommunikationsstilen. Die Anforderungen im interkulturellen Management sind hoch und erfordern komplexe Kompetenzen. Interkulturelle Handlungskompetenz bezeichnet mehrere Fähigkeiten, die in einem interkulturellen Umfeld von Bedeutung sind. Im Wesentlichen geht es darum, nicht nur kulturelle Unterschiede zu erkennen und mit ihnen in der Begegnung mit Angehörigen der anderen Kultur angemessen und wirksam umzugehen, sondern das eigene Verhalten zu reflektieren, sich auf andere Verhaltensweisen einzustellen und mit anderen Synergien zu schaffen. Dazu benötigt man zunächst soziale Kompetenzen, die als Schlüsselqualifikation für Führungskräfte gelten. Es gehören dazu: − Selbstwahrnehmung und Selbstreflexion: Das ist die Fähigkeit, in einer Situation zu handeln und sich dabei selbst zu beobachten, seine Stärken und Fähigkeiten zu kennen und 60











zu wissen, in welchen Situationen die eigenen Alarmglocken läuten. Soziale Diagnosefähigkeit: Das ist die Fähigkeit, soziale Situationen differenziert wahrzunehmen – Probleme, Blockaden, bestimmte Spannungen und Tendenzen usw. zu bemerken und darauf zu reagieren, sie anzusprechen. Gesprächsführung: Gesprächssituationen sollten in unterschiedlicher Zusammensetzung und Zielsetzung professionell geführt werden können. Dazu braucht es Kenntnisse in Feedback-Gespräch, Konfliktgespräch, Beratergespräch. Teamfähigkeit: Ein Team leiten bedeutet, auf sämtliche Ideen, die Teilnehmer vorbringen, eingehen, auf Vorschläge anderer aufbauen, gut zuhören, Konflikte ansprechen und Lösungen anbieten. Steuern von Arbeitsprozessen: Strukturieren von Arbeitsprozessen in Einzelschritten, Schaffen eines dazu passenden sozialen Umfelds, moderieren von sozialen Prozessen. Organisationskompetenz: Wahrnehmen der Struktur von Organisationen und in die Steuerung eingreifen (vgl. Zentrum für Soziale Kompetenz, 2008).

Um in einem interkulturellen Umfeld angemessen und erfolgreich zu kommunizieren und zu handeln, sind außerdem folgende Kompetenzen erforderlich: − Kulturelles Bewusstsein: Entwicklung eines kulturellen Bewusstseins in Bezug auf die eigene kulturelle Herkunft und die anderer Personen. Dadurch können kulturelle Unterschiede erkannt und mit ihnen entsprechend umgegangen werden. − Ethnorelativistische Haltung: Diese gründet in der Erkenntnis, dass die eigene Kultur nicht maßgebend dafür ist, was als wahr oder falsch gilt, gültig oder ungültig ist, sondern dass es dafür in jeder Kultur andere Kriterien gibt. Deshalb können kulturelle Unterschiede nicht bewertet, sondern nur festgestellt werden. − Selbst- und Fremdwahrnehmung: Interkulturelle Kompetenz ist die Fähigkeit, die eigene und fremde kulturelle Orientierung zu erkennen, zu reflektieren und zu benennen. 61

− Empathie oder Einfühlungsvermögen: Hierunter versteht man das Vermögen, kulturelle Bedingungen und Einflussfaktoren im Wahrnehmen, Urteilen, Empfinden und Handeln bei sich selbst und bei anderen zu erfassen und produktiv zu nutzen im Sinne einer wechselseitigen Anpassung, einer Zusammenarbeit. Empathie heißt, sich auf das kulturell andere Verhalten einzustellen und es gegebenenfalls auch zu übernehmen. − Ambiguitätstoleranz: Interkulturelle Kompetenz zeigt sich auch darin, wie große kulturelle Unterschiede in sensiblen Bereichen ausgehalten werden können, etwa wenn es um grundsätzlich unterschiedliche Werte geht, zum Beispiel das Konzept der arrangierten Ehen in Indien, die eingeschränkte Bewegungsfreiheit von Frauen im öffentlichen Bereich in arabischen Kulturen, große Unterschiede im Zeitverständnis in Bezug auf Pünktlichkeit, Rituale oder Praktiken, die mit unseren mitteleuropäischen Werten nicht im Einklang stehen. − Rollendistanz: Die Fähigkeit, sich aus dem unmittelbaren Geschehen herauszunehmen und eine Vogelperspektive einzunehmen, ist im interkulturellen Umfeld wichtig, wenn es um kulturelle Überschneidungssituationen und um Konflikte geht. Damit ist eine ausgeprägte Reflexionsfähigkeit gemeint, die nötig ist, komplexe Situationen zu reflektieren. Diese ist wichtig, um etwa in einem Zwiegespräch die kulturellen Unterschiede zu identifizieren und Synergien für eine künftige Zusammenarbeit zu finden. − Kulturelles Wissen: Ausreichende Kenntnisse über die Zielkultur (Geschichte, Wirtschaft, Politik, Kulturgeschichte) im Vorfeld sind nützlich, ebenso über das jeweilige Managementverhalten, den Kommunikationsstil, die Denkweise, die Arten der Konfliktlösung usw., um sich vorab zu orientieren und mögliche große kulturelle Unterschiede zu identifizieren. Interkulturelle Kompetenzen im Zusammenspiel mit sozialen Kompetenzen sind unentbehrliche Ressourcen für Personen, die für längere Zeit beruflich ins Ausland gehen oder interna62

tional arbeiten. Sie können in interkulturellen Trainings erlernt und erweitert werden. Mehr zu diesem Thema nun im folgenden Abschnitt.

Interkulturelles Training und Coaching Nach den bisherigen Ausführungen ist es ersichtlich geworden, wie wichtig eine gute interkulturelle Vorbereitung vor einem bevorstehenden Auslandseinsatz ist, um die nötigen interkulturellen Handlungskompetenzen aufzubauen. Denn allein mit Fingerspitzengefühl oder gesundem Menschenverstand sind heikle Situationen in einer anderen Kultur meistens nicht zu lösen. Dazu bedarf es der beschriebenen sozialen und interkulturellen Kompetenzen. Sie können erlernt und trainiert werden. Oft bringen künftige Expatriates schon ein gewisses Maß an diesen Kompetenzen mit, die in einem Training dann erweitert und fundiert werden. Ursprünglich in den 1960er Jahren in den USA entstanden, finden interkulturelle Trainings heute in Europa verstärkt Anwendung, weil immer mehr Unternehmen erkennen, wie wichtig eine gute Vorbereitung vor einer Auslandsentsendung ist. Zu den häufigsten Gründen für abgebrochene Einsätze gehören ungenaue oder falsche Erwartungen und eine unzureichende Anpassungsfähigkeit an die neuen Anforderungen. Es ist mittlerweile erwiesen, dass eine angemessene interkulturelle Vorbereitung den Anpassungsprozess erleichtert und zu einem rascheren Einleben in der neuen Kultur führt. Auf dieser Grundlage kann der neue berufliche und private Alltag besser gemeistert werden. In international tätigen Unternehmen geht es heute oft nicht mehr nur um Entsendungen. Viele Mitarbeiter arbeiten unternehmensintern auf internationaler Ebene und werden in internationalen Teams eingesetzt oder arbeiten in internationalen virtuellen Teams. Interkulturelle Kompetenzen sind deshalb nicht nur für künftige Expatriates wichtig, sondern für alle Personen in Unternehmen, die international tätig sind. 63

In eine interkulturelle Vorbereitung sollten unbedingt die mitausreisenden Angehörigen einbezogen werden. Dabei ist zu beachten, dass mitausreisende Partner einen anderen Schwerpunkt haben, wenn sie im Ausland nicht beruflich tätig sind und daher einen anderen Anpassungsverlauf haben als ihre im Berufsleben stehenden Partner (➝ mehr dazu in Teil 3 »Die Situation der Mitausreisenden«). Es gibt auch spezielle Trainings für Jugendliche, die an die Bedürfnisse und Fragestellungen dieser Gruppe angepasst sind (➝ mehr dazu in Teil 4 »Kinder im Ausland«). Wichtig ist, sich auch auf die Rückkehr rechtzeitig vorzubereiten. Die Rückkehr in die Heimat ist oft schwieriger als eine Entsendung. Dazu gibt es Modelle für eine entsprechende Vorbereitung in Gruppen oder im Einzelcoaching (➝ mehr dazu in »Vorsicht Rückkehrschock«).

Trainingsangebote Grundsätzlich unterscheiden sich interkulturelle Trainings in ihren Zielsetzungen, Inhalten, Methoden, dem didaktischem Ansatz und dem Zeitpunkt ihrer Durchführung sowie ihrer Dauer. Zielsetzungen: Was sollen die Teilnehmer mit nach Hause nehmen? Wissen und die Fähigkeit, dieses Wissen in die Praxis umzusetzen. Angeboten werden: allgemeine Kenntnisse und Do’s and Don’ts über die Zielkultur; Sprachkurse mit landeskundlichen Informationen über die Zielkultur; Übungen, die die Entwicklung eines kulturellen Bewusstseins und Erkennen von kulturellen Unterschieden fördern; Kenntnis der Kulturdimensionen oder Kulturstandards des Ziellands; Abbau von Vorurteilen, Kenntnisse zum Thema kultureller Anpassungsprozess und Kulturschock; Wissen um die Bedeutung von Kulturdistanz; Entwicklung von interkulturellen Handlungskompetenzen, Kenntnisse in Bezug auf interkulturelles Management: Umgang mit kulturellen Unterschieden in Verhandlungsstilen, Mitarbeiterführung und -motivierung, Umgang 64

mit unterschiedlichem Zeitverständnis und verschiedenen Kommunikationsstilen. Inhalte: Die häufigsten angefragten Trainings vor Entsendungen sind kulturspezifische Trainings. Dabei wird sehr genau auf eine einzelne Kultur vorbereitet. Zentrale Inhalte sind Verhaltensweisen und Umgangsformen in Beruf und Alltag, Kommunikationsstile, Auftreten im Businessbereich sowie Mitarbeiterführung und Umgang mit anderen Organisationsstrukturen. Auch viele Details aus dem Alltagsleben stehen auf dem Programm, wie Dresscodes, Höflichkeitsformen, bevorzugte Aktivitäten der Personen aus dem Zielland. Bei allgemeinen interkulturellen Trainings liegt der Schwerpunkt auf der Entwicklung eines kulturellen Bewusstseins und dem Erkennen von kulturellen Unterschieden. Inhaltlich geht es allgemein um kulturelle Unterschiede in den arbeitsrelevanten Bereichen wie Managementverhalten, Mitarbeiterführung und -motivierung, Zeitverständnis, Kommunikationsstile usw. Diese Schwerpunkte sind auch für internationale Gruppen oder Personen interessant, die in internationalen Teams arbeiten. Methoden: Damit ein Training wirkungsvoll ist, sollte es interaktiv sein, denn es geht primär um den Transfer des erworbenen Wissens auf die Gefühls- und Verhaltensebene. Dennoch werden Trainings angeboten, die in erster Linie wissens- oder informationsorientiert sind. Dabei werden Kulturwissen (Geschichte, Politik, Wirtschaft, Kulturgeschichte, Religion usw.) und kulturelle Unterschiede in den wichtigsten Bereichen des künftigen Arbeitsumfelds in Form von Seminaren oder Vorträgen vermittelt. Auch Literatur oder Filme dienen diesem Zweck. Ebenso werden Alltagsfragen behandelt, wie Klima, Versorgungslage, Sicherheit, Freizeitangebot. Auch kurze Sprachkurse gehören oft zum Angebot. Interaktive Trainings haben zum Ziel, das vermittelte Wissen auf die anderen beiden Ebenen des Lernens (Gefühl und Verhalten) zu transferieren. Anhand von Beispielen, Analysen von Fallstudien, Rollenspielen und Übungen wird die emotionale Ebene angesprochen. Es geht darum, die eigenen Emotionen in ungewohnten Situationen bewusst zu erleben und zu lernen, sie zu 65

kontrollieren. Eine mögliche Änderung des eigenen Verhaltens im Sinne einer optimalen Anpassung an die neue Kultur wird erprobt. Interkulturelle Trainings sollten daher interaktiv sein, um im Lernprozess alle drei Ebenen – Wissen, Gefühl, Verhalten – zu aktivieren. Zeitpunkt: Oft werden interkulturelle Trainings kurz vor der Abreise absolviert. In den meisten Fällen sind die Teilnehmer dann schon sehr angespannt und kaum noch aufnahmebereit, weil ein Umzug ins Ausland zusätzlich viel an Organisation und Planung mit sich bringt. Deshalb sollte darauf geachtet werden, dass ein Training zumindest zwei bis drei Monate vor der Entsendung stattfindet, um wirksam sein zu können. Dauer: Den meisten Unternehmen wäre es am liebsten, wenn die Trainings so kurz wie möglich dauern. In der Realität bringen Schnellsiedekurse wenig. Zu empfehlen sind Trainings von zwei bis drei Tagen, bei denen das Maß an theoretischem Input und interaktivem Teilnehmen ausgeglichen ist. Ich empfehle auch immer eine begleitende Betreuung vor Ort, denn gerade in der ersten Anpassungsphase benötigt der Entsendete oder die Angehörigen oft eine zusätzliche Unterstützung. Dies kann über Coaching per Telefon oder E-Mail erfolgen. Diese Methode ist beispielsweise sehr wirkungsvoll, wenn der Betroffene nach ein bis zwei Monaten im Kulturschock steckt und Hilfe von außen benötigt. Meistens hängt es vom Stellenwert ab, den ein Unternehmen einer interkulturellen Vorbereitung im Allgemeinen beimisst, für welchen Zeitraum ein Training gebucht wird.

Nutzen interkultureller Trainings Unternehmen versprechen sich von ihren interkulturell trainierten Mitarbeitern einen Wettbewerbsvorteil. Die erworbenen interkulturellen Handlungskompetenzen dienen dazu, Kunden im Zielland besser zu betreuen und wirksamer zu verhandeln. Die entsendeten Mitarbeiter sollen sich rascher einleben und sich an die Umgangsformen vor Ort gut anpassen. Insgesamt geht ein Unternehmen davon aus, dass interkulturell trainierte 66

Mitarbeiter im Gastland weniger mit Anpassungsschwierigkeiten kämpfen. Langfristig geht es für das Unternehmen um höhere Umsätze und den Aufbau erfolgreicher Geschäftsbeziehungen. Gewährt ein Unternehmen seinen Mitarbeitern eine umfassende interkulturelle Ausbildung, begleitende Betreuung sowie eine gut vorbereitete Rückkehr ins Unternehmen, so stärkt es damit nachhaltig die Mitarbeiterbindung. Denn Expatriates, die im Zuge ihrer Auslandsentsendung unzureichend betreut werden, verlassen oft innerhalb eines Jahres nach ihrer Rückkehr das Unternehmen. Im internationalen Vergleich verbessert das Unternehmen sein Image. Was aber am wichtigsten ist: Das Unternehmen kann von den Ressourcen seiner Expatriates sehr profitieren. Denn diese bringen neues Wissen und viele Kenntnisse ein, die dem Unternehmen nutzen können. Was wird in interkulturellen Trainings vermittelt und worauf wird vorbereitet? In erster Linie geht es darum, dass zukünftige Expatriates Kenntnisse erwerben und Fähigkeiten entwickeln, um sich in der Zielkultur rascher zurechtzufinden und die neuen Anforderungen zu meistern. Ziel ist, am neuen Arbeitsort möglichst wenig Fehler zu begehen, die geschäftsstörend sein können. Missverständnisse sollten vermieden werden können und durch die erworbene Kommunikationskompetenz sollten die beruflichen Anforderungen am Einsatzort erfolgreich und effizient zu meistern sein. In diesem Sinne dient ein Training dazu, ein Bewusstsein für kulturelle Unterschiede zu entwickeln. Dabei ist die Reflexion der eigenen Kultur besonders wichtig. Teilnehmer erfahren, wo ihre eigenen kulturellen Präferenzen in ihrem Verhalten liegen und welche Verhaltensweisen oder Umgangsregeln für sie maßgebend sind. Dadurch lernen sie, kulturelle Unterschiede beim anderen zu erkennen. Durch die Selbstreflexion und die Einsicht, dass wir alle in unserem Verhalten kulturbedingt sind, können sie eine offene Haltung gegenüber anderen Kulturen entwickeln. Sie bauen dadurch Vorurteile ab oder lernen, Stereotypisierungen zu vermeiden. Sie entwickeln Offenheit, Toleranz, Wertschätzung und Neugierde für andere Kulturen. Dies sind wesentliche Voraussetzungen für die Entwicklung interkultureller Kompetenzen. Im Training 67

werden deshalb vor allem Anpassungsfähigkeit und Empathie aufgebaut. Diese erworbenen interkulturellen Handlungskompetenzen sind das Rüstzeug, das man braucht, um in einem neuen kulturellen Umfeld mit den Ansprechpartnern wirksam zusammenarbeiten zu können und Synergien zu schaffen. Bei kulturspezifischen Trainings wird sehr genau auf eine einzelne Kultur eingegangen und die Besonderheiten in Kommunikation, Verhalten, Regeln und Umgangsformen erklärt. Auch hier dienen Fallbeispiele und Simulationen zur Veranschaulichung und besseren Erklärung von kulturellen Unterschieden. Die Teilnehmer erwerben umfassende Kenntnisse über die Zielkultur und sind daher fähig, dieses Wissen in ihrem Arbeitsalltag auch entsprechend umzusetzen. Personen, die international arbeiten, lernen die Tatsache anzuerkennen, dass unterschiedliche Weisen, an Aufgaben oder Probleme heranzugehen, qualitativ gleich sind, weil sie alle zum gleichen Resultat führen. Kulturelle Unterschiede in Arbeitsprozessen können so sehr produktiv im Team genutzt werden. Dies führt zu einer guten Zusammenarbeit und zu kreativen Lösungen in internationalen Teams. Im interkulturellen Kontext sind Missverständnisse und Konflikte oft vorprogrammiert. Die Teilnehmer lernen die kulturellen Hintergründe und zu Grunde liegende Werthaltungen solcher Konflikte kennen und können sie entsprechend auflösen. Gerade in Führungspositionen ist diese Fähigkeit sehr wichtig. Teilnehmer von interkulturellen Trainings gehen mit anderen kulturellen Gepflogenheiten und Verhaltensweisen wertschätzend um, wodurch sie einen guten Start und letztlich einen Wettbewerbsvorteil gegenüber Mitbewerbern haben. Sie können neue und ungewohnte Situationen kulturadäquat interpretieren und verhalten sich in Stresssituationen überlegter. Dadurch bauen sie Vertrauen und gute Beziehungen zu ihren Geschäftspartnern auf. Sie arbeiten in internationalen Teams sehr effektiv und gehen durch ihr Wissen und ihre Kenntnisse über die Zielkultur mit realistischen Erwartungen an sie heran. Kurz: Sie entwickeln interkulturelle Handlungskompetenzen. 68

Interkulturelle Handlungskompetenz in der Praxis In der Praxis können interkulturell trainierte Mitarbeiter idealerweise das Erlernte anwenden. Interkulturelle Handlungskompetenz besteht in der Fähigkeit, kulturelle Unterschiede zu erkennen, auf sie einzugehen und mit ihnen konstruktiv umzugehen. Dazu gehören drei Schritte: 1. Vorbereitung auf die Zielkultur, Aneignung von kulturellem Wissen, Erkennen und Identifizieren der kulturellen Unterschiede und Kulturstandards; 2. Sich-Anpassen oder Übernehmen der jeweiligen kulturellen Verhaltensweisen und Kulturstandards; 3. Schaffen von Synergien durch gezielte Gespräche mit Personen aus der anderen Kultur, in denen die kulturellen Unterschiede aufgeklärt werden. Zu 1.: Bei der Vorbereitung auf die Zielkultur geht es darum, sich ein möglichst umfassendes Wissen über sie anzueignen. Darunter zählen Sprachkenntnisse, Kulturwissen, Kenntnisse über Kulturstandards, Einschätzen der Kulturdistanz, Sensibilisierung auf mögliche gravierende kulturelle Unterschiede. Zu 2.: Eine weitere Umsetzung interkultureller Handlungskompetenz ist das Sich-Anpassen an oder das Übernehmen der kulturellen Verhaltensformen in der Zielkultur. Das ist für Expatriates sehr wichtig, die in eine andere Kultur kommen, in der sie eine Minderheit sind. Dabei geht es darum, die jeweiligen kulturellen Verhaltensweisen so gut es geht zu übernehmen und sich weitgehend an sie anzupassen. Diese Vorgehensweise erfordert ein gutes Reflexionsvermögen seiner eigenen Verhaltensweisen und Präferenzen. In einer Kultur, in der vorrangig indirekt kommuniziert, passt man sich an diesen Kommunikationsstil an, auch wenn man selbst einen direkten Stil pflegt. Oder man passt sich an eine formelle Kommunikationskultur an, auch wenn man selbst einen informellen Umgang bevorzugt. Durch dieses Anpassen an gegebene kulturelle Verhaltensweisen erweitert man langfristig sein Verhaltensreper69

toire immens. In Teil 4, in dem es um die sogenannten »Third Culture Kids« geht, werden wir sehen, dass diese Jugendlichen mit der Fähigkeit, sich ständig an neue Verhaltensweisen anzupassen, ausgestattet sind, da sie in verschiedenen Kulturen aufwuchsen. Zu 3.: Auf Grund von erlebten Überschneidungssituationen können die kulturellen Unterschiede in gezielten Gesprächen mit den betroffenen Kollegen vor Ort analysiert werden. Das erfordert eine Reflexion eigener Verhaltensweisen, ein Bewusstmachen der eigenen Werthaltungen und die Offenheit, andere Gewohnheiten zu akzeptieren und sich darauf einzustellen. Durch das Zwiegespräch wird auf beiden Seiten gezielt das Bewusstsein für die kulturellen Unterschiede geschaffen und die Hintergründe sowie die zu Grunde liegenden unterschiedlichen Werte erklärt. Dadurch werden die Missverständnisse und entstandenen Spannungen identifiziert und aus dem Weg geräumt. In der Folge geht es dann darum, neue Verhaltensweisen für beide Beteiligten zu finden, die eine gute Zusammenarbeit ermöglichen. Zur Veranschaulichung hier ein Beispiel: Japanische und amerikanische Terminplanung Ein amerikanischer Vertriebsleiter eines US-stämmigen Frachtunternehmens, das intensiv in Asien tätig ist, gibt normalerweise seinen Kunden die genauen Ankunftszeiten und Flugdaten der Frachtsendungen an. Die Sendungen kommen jedoch oft zu spät an. Amerikanische Kunden haben gewöhnlich Verständnis dafür, wenn es eine entsprechende Erklärung gibt, während japanische Kunden davon ausgehen, dass das Unternehmen sein Versprechen hält. Sie verlieren ihr Vertrauen in das Unternehmen, wenn die versprochenen Ankunftszeiten nicht eingehalten werden. Anders als der amerikanische Vertriebsleiter gibt demnach der japanische Vertriebsleiter die Ankunftszeiten erst an, wenn, wie sein amerikanischer Kollege sarkastisch meinte, »das Flugzeug auf der Landebahn« sei. Oder, wie der Japaner erklärte, »er sicher sein könne, dass er sein Versprechen halten kann«. Dass von der japanischen Seite keine Angaben gemacht werden konnten, stieß auf großen Widerstand bei den amerikanischen Kunden, die die Angabe von genauen Ankunftszeiten erwarteten. Wenn sie keine genauen Daten über die Ankunft ihrer bestellten Güter bekommen, würden sie ihr Vertrauen in das Unternehmen verlieren. Interpretation: Das Luftfrachtunternehmen brauchte ein gemeinsames Vorgehen, wie ein »Versprechen« gemacht werden kann, das sowohl für die amerikanischen als auch japanischen Mitarbeiter und Kunden gleichsam kulturell angemessen war. Aus amerikanischer Perspektive war die

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Serviceleistung gegenüber den Kunden wichtig. Aus japanischer Perspektive sollte das Versprechen, das man den Kunden gibt, mit der Realität übereinstimmen, sodass niemand das Gesicht verlieren würde. Schaffen einer synergetischen Lösung: Nachdem die kulturellen Hintergründe in beiden Systemen analysiert worden waren, kamen die Vertriebsleiter überein, dass sie Auskunft über die Ankunftszeit der Güter geben, indem sie eine Zeitspanne und keine genaue Zeit angeben. Zum Beispiel würden sie als Ankunftszeit angeben: »Donnerstag, später Vormittag« und nicht »Donnerstag, 11.05 Uhr«. Damit konnten die Amerikaner weiterhin ihre Versprechungen abgeben und die Japaner würden nicht etwas versprechen müssen, was das Unternehmen nicht einhalten kann. Diese Lösung anerkennt die Werte beider Kulturen, ohne dass eine von beiden Management-Praktiken unterminiert würde. Als synergetische Lösung ist sie neu und adäquat für beide Kulturen (vgl. Adler, 2002, S. 124).

Das Beispiel veranschaulicht, wie in kulturellen Überschneidungssituationen Synergien oder Kompromisse gefunden werden können, so dass auf beiden Seiten die jeweiligen kulturellen Werte anerkannt werden und ein gemeinsames weiteres Vorgehen möglich wird. In diesem Kapitel erfuhren Sie, wie man anhand bestimmter Zugangsweisen oder Methoden kulturelle Unterschiede erkennt und mit ihnen umgeht. Dazu gehören Kompetenzen, die wir als interkulturelle Handlungskompetenzen beschrieben haben, jenes Rüstzeug, das Sie für die Praxis brauchen. Wie sieht nun aber diese Praxis aus? Wie werden Sie die neue Kultur erleben, wie wird die Umstellung verlaufen? Im folgenden Teil geht es um den Anpassungsprozess und um Hindernisse und Probleme, die mit diesem Prozess verbunden sind. Den Begriff »Kulturschock« hörten Sie sicher schon einmal!

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Teil 2: Kulturelle Anpassung und Kulturschock

Ein Auslandsaufenthalt hat eine Anpassung an die neue Kultur vor Ort zur Folge. Dies ist ein Prozess, der einige Zeit in Anspruch nimmt und nicht immer reibungslos abläuft. Es gibt dabei Höhen und Tiefen, die es zu bewältigen gilt. Wie ein solcher Anpassungsprozess verläuft und was Sie alles dabei erwartet, das erfahren Sie in diesem Kapitel.

Einleben in eine fremde Kultur Bei der Reflexion über die eigene Kultur sprach ich von Enkulturation als dem Anpassungsprozess an die eigene Kultur. Wir passen uns unbewusst an unsere kulturelle Umgebung an und dabei erlangen wir soziale und kommunikative Kompetenzen. Wir erwerben in diesem Prozess auch unsere kulturelle Identität. Wenn man länger in einer anderen Kultur lebt, spricht man von kulturellem Anpassungsprozess oder Akkulturation. Wir sind aufgefordert – oft auf Druck der neuen Umgebung –, uns zu verändern, uns auf die neuen gesellschaftlichen Codes und Verhaltensweisen einzulassen und diese nach und nach anzunehmen. Ein Prozess, der oft am Anfang als unangenehm empfunden wird, da sich die Menschen meistens nur ungern von ihren eingeschliffenen Gewohnheiten und ausgetretenen Denkpfaden lösen. In einer neuen Umgebung stehen wir aber vor der Herausforderung, die eigenen Gewohnheiten zu verändern und Neues anzunehmen. Das entspricht im Wesentlichen auch unserer Natur, denn wir verfügen über eine angeborene Anpassungsfähigkeit. Wir stehen ständig mit unserer Umgebung in kommunikativem Austausch und passen uns immer wieder von Neuem an. In einer anderen Kultur erfordert dies allerdings ein größeres Maß an Anpassungsarbeit 73

als in der eigenen Kultur (vgl. Kim, 2001; Grove u. Torbiörn, 1986). Für eine positive psychische Grundbefindlichkeit benötigen wir innere Konsistenz, das heißt, wir brauchen Harmonie mit unserer Umwelt, wir möchten Unsicherheiten möglichst gering halten und bevorzugen es, wenn wir das Verhalten anderer Personen abschätzen oder vorhersagen können. Deshalb müssen wir uns an ein kulturell anderes Umfeld möglichst rasch anpassen, um diese innere Konsistenz wiederzuerlangen.

Interkulturelle Anpassung Die interkulturelle Anpassung erfolgt in einem Wechselspiel von Akkulturation – dem Anpassen an die neue kulturelle Umgebung – und Dekulturation – dem sogenannten »Verlernen« bzw. »Ablegen« alter Gewohnheiten oder Verhaltensweisen, die in der neuen Kultur nicht ankommen oder unpassend sind (vgl. Kim, 2001). Dies ist ein komplexer Lernprozess, bei dem eine Veränderung in Gang gesetzt wird, die oft unmerklich passiert. Bei einer kulturellen Anpassung sind folgende Punke wichtig: Funktionale Anpassung in Alltag und Beruf: Die Anforderungen des neuen Berufsalltags müssen erfolgreich bewältigt werden, auch im privaten Alltag geht es darum, neue soziale Beziehungen zu knüpfen, Kinder in das neue schulische Umfeld zu integrieren. Kurz: Es muss gelingen, im neuen Alltag rasch erfolgreich und angepasst zu kommunizieren. Psychisches Wohlbefinden durch erfolgreichen Umgang mit der neuen Umgebung: Um sich in einer neuen Umgebung wohlzufühlen, muss man das Gefühl haben, neu erlernte Verhaltensmuster erfolgreich anzuwenden und dadurch von den Personen aus dem Gastland ein positives Feedback zu bekommen und akzeptiert zu werden. Ein Training im Vorfeld ist für diesen Prozess sehr hilfreich (➝ mehr dazu in »Interkulturelles Training und Coaching«). Entwicklung einer interkulturellen Identität: Beim Anpassungsprozess an eine neue Umgebung verliert unsere eigene 74

kulturelle Identität ihre Ausschließlichkeit, sie wird erweitert und verändert sich. Wir nehmen dabei Neues an und geben alte Gewohnheiten oder Einstellungen auf. Damit erweitern wir unser Repertoire an Verhaltens- und Denkweisen, Gesprächsformen oder -praktiken. Milton Bennett beschreibt diesen Zustand auch als die Fähigkeit, sich zwischen zwei verschiedenen Kulturen zu bewegen (vgl. Bennett, 1998). Unterschiede in Verhaltensweisen oder Gepflogenheiten haben für die jeweilige Person in beiden Kulturen ihre Gültigkeit und werden nicht mehr bewertet, sondern gelten als völlig gleichwertig. »Ich bin Französin und lebe seit über dreißig Jahren in Finnland. Ich liebe beide Länder und bin in beiden zu Hause. Aber jede Kultur hat ihre Vorzüge und ihre schwierigen Seiten. Ich liebe zum Beispiel die Disziplin in diesem Land, das ist in Frankreich ganz anders. Aber andererseits brauche ich als Französin körperliche Berührung. Also habe ich meine Kinder immer geküsst und umarmt, auch als sie schon groß waren. Für Finnen ist das ungewöhnlich und befremdend. Aber ich konnte mir das nicht abgewöhnen, und die Familie meines Mannes hat das dann auch respektiert.«

Der Anpassungsprozess an eine neue Kultur wird oft nach einer anfänglichen Begeisterung von Stresssymptomen begleitet und in einer nachfolgenden Phase als »Kulturschock« bezeichnet. Dazu etwas später.

Verlauf des interkulturellen Anpassungsprozesses Der Anpassungsprozess an eine fremde Kultur verläuft in mehreren Phasen und wird gern in Form einer U-Kurve beschrieben. Zunächst, gleich nach der Ankunft, ist man meist sehr enthusiastisch und nimmt alles Neue neugierig auf. Dabei werden die kulturellen Unterschiede oft verwischt oder nicht wirklich wahrgenommen. »Am Anfang war ich enthusiastisch. Im Büro waren alle sehr freundlich und aufmerksam. Ich wurde ständig gefragt, ob ich etwas brauche oder ob etwas zu tun sei. Auch ich war sehr höflich. Alles lief irgendwie wie geschmiert und konfliktfrei und ich dachte, das sei ja die optimale Arbeitsatmosphäre!« (K. S.)

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In der nächsten Phase, etwa drei bis vier Monate später, hat man sich schon ganz gut eingelebt und ist mit den neuen Umgangsformen und Verhaltensweisen vertrauter. In vielen Alltagssituationen muss man aber immer wieder erleben, dass die eigenen Handlungsmuster unpassend sind und es zu peinlichen Situationen oder Missverständnissen kommt. Man spürt jetzt deutlich, wie hier die unterschiedlichen Verhaltensmuster und Gepflogenheiten der eigenen und der anderen Kultur aufeinanderprallen. Das erzeugt ein Gefühl von Verunsicherung oder Unzufriedenheit, weil man mit den neuen Verhaltensregeln noch nicht gut zurechtkommt und immer wieder Pannen passieren. In dieser Phase kann es zum Kulturschock kommen. »Nach einem wunderschönen Ausflug ans Meer wollten wir noch etwas trinken. Wir gingen davon aus, in einem der kleinen Orte am Strand ein kleines Terrassen-Café oder Restaurant zu finden. Aber das gab es nicht. Wir suchten lange, aber nirgendwo konnte man sich am Strand gemütlich hinsetzen und etwas trinken. Man konnte wohl an vielen Stellen direkt ans Meer heran, auch gab es Yachthäfen, Stege, aber kein Café. Wir waren sehr enttäuscht. Es widersprach gänzlich unserem Gefühl und auch unserem Bedürfnis, diesen schönen Tag in so ungewohnter – für uns ungemütlicher – Weise zu beenden und direkt nach Hause zu fahren.« (K. S.) »In New Delhi waren wir sehr oft bei Indern eingeladen. Das waren meist großzügige Einladungen von über hundert Gästen. Man durfte auf keinen Fall zu früh kommen, das heißt wenn auf der Einladung 20.00 Uhr stand, nie vor 21.00 Uhr! Zunächst gab es Drinks und Snacks, die herumgereicht wurden. Man ging herum und unterhielt sich mit möglichst vielen Personen. Das Essen, meist auf einem großen Buffet angerichtet, gab es immer erst ziemlich spät, oft war es dann schon Mitternacht. Wenn man fertig war, verstaute man seinen leeren Teller unter einem Tisch und ging dann gleich.« (K. S.)

Unsere Gewohnheiten und Bedürfnisse sind kulturell bedingt. Unbewusst versuchen wir, sie auch in der anderen Kultur anzuwenden oder zu befriedigen, aber das gelingt nicht, denn hier herrschen andere Regeln, Gewohnheiten und Gepflogenheiten. In der Folge kommt es zu einem Gefühl der Enttäuschung oder Verärgerung. In einer späteren Phase lernt man, die neue Kultur wirklich zu verstehen. Jetzt wird die Auseinandersetzung mit der neuen Kultur als Bereicherung erfahren. Man lernt, sich in der nun 76

nicht mehr neuen Umgebung zu bewegen, ohne die eigene kulturelle Position aufgeben zu müssen. Der eigene Handlungsspielraum wird um neue Aspekte erweitert. »Ich verstand, dass ich mit meinen Kollegen in Bosnien nicht per E-Mail verkehren konnte. Ich gewöhnte mir an, sie immer anzurufen oder sie im Büro persönlich zu besuchen und auf sehr freundschaftlicher Ebene zu besprechen, was anstand. Ich passte auf, nicht zu schulmeisterlich zu sein, um ihnen das Gefühl zu geben, ein gleichwertiger Partner zu sein. Das kam sehr gut an.« »Bei meinen französischen Freundinnen lernte ich, mich im Gespräch durchzusetzen. Die Franzosen haben ja die Art, über alles stundenlang und ausführlich zu diskutieren. Dabei geht es sehr emotional zu, dauernd unterbricht einer den andern, wirft neue Einwände auf usw. Es sind immer heftige Diskussionen. Ich komme aus einer Gesprächskultur, die ruhiger ist, in der man den anderen ausreden lässt und sich in Gesprächspausen einbringt. Aber mit so einem Verhalten hatte ich keine Chance! Ich kann nun problemlos mit beiden Gesprächsstilen umgehen, was ein großer Vorteil ist.« (K. S.)

Man lernt neue Verhaltensmuster kennen, schätzt bestimmte Gepflogenheiten, die in der neuen Kultur wichtig sind. Man lernt, anders zu kommunizieren und nimmt vielleicht neue Formen der Gesprächsführung an. Schließlich fühlt man sich in beiden Kulturen wohl und bewegt sich in beiden ungezwungen und sicher. Bevor dieses Wohlbefinden in der neuen Kultur eintritt und der Anpassungsprozess abgeschlossen ist, stehen manchmal Hindernisse im Weg. Um diese Höhen und Tiefen, diese Stimmungsschwankungen und persönlichen Widerstände – um den Kulturschock – geht es im nächsten Abschnitt.

Was ist ein Kulturschock? »Ankunft in New Delhi im Morgengrauen: Unerträgliche Hitze schlägt mir ins Gesicht und umfängt einen ganz und gar. Überall hocken oder stehen Menschen. Sie sehen anders aus, bewegen sich anders, reden anders und sind anders gekleidet, viele gehen barfuß. Am Straßenrand endlos Baracken oder Kartonhütten, in denen Familien leben. Viele schlafen auf dem Gehsteig. An den Straßenkreuzungen Bettler, verstümmelte Kinder,

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die Snacks verkaufen, alte Frauen mit leeren Blicken, armselig gekleidet. Überall Menschen, Lärm, Getümmel, Gehupe. Andere Gerüche, andere Geräusche. Eine ganz andere Welt.« (K. S.)

Wie eine neue Kultur im Zuge eines längeren Auslandsaufenthalts erlebt wird, hängt von mehreren Faktoren ab. Für einen guten Anpassungsverlauf sind die Erwartungshaltung, eine hohe Anpassungsbereitschaft und die Fähigkeit, Stress zu bewältigen, am bedeutendsten. Ein Kulturschock wird von den meisten Personen in relativ leichter Form erlebt. Viele greifen rasch auf bewährte Bewältigungsstrategien zurück. Manche Personen erleben den Verlust der vertrauten Lebenswelt aber sehr intensiv und benötigen Hilfe von außen. Zahlreiche Studien belegen, dass sich die meisten Probleme zu Beginn eines beruflichen Auslandseinsatzes aus unzureichender Vorbereitung ergeben. Kulturelle Anpassungsschwierigkeiten rangieren im internationalen Vergleich nach Partnerund Familienproblemen an dritter Stelle und machen etwa 88 % der Einsatzabbrüche aus. Deshalb ist es wichtig, vor einer Auslandsentsendung gut vorbereitet zu werden und auch über die Kulturschocksymptome Bescheid zu wissen. Leider zeigt die Praxis das Gegenteil: Unternehmen investieren im Durchschnitt 1 % ihres Budgets für interkulturelle Vorbereitung. Es ist daher nicht erstaunlich, dass hier ein großes Defizit herrscht und viele Betroffene die kulturellen Unterschiede sehr intensiv, im schlimmsten Fall negativ, erleben. Der Nutzen einer interkulturellen Vorbereitung besteht darin, den Verlauf des Anpassungsprozesses mitsamt seinen Höhen und Tiefen zu beschreiben, damit Betroffene damit besser umgehen können und diesen Prozess als positive Erfahrung deuten. Der amerikanische Soziologe Kalvero Oberg, Schöpfer des Begriffs »Kulturschock« (»culture shock«), beschrieb in den 1960er Jahren den Verlauf des Kulturschocks anhand vier verschiedener Stadien: − Honeymoon: Dieses Stadium bezeichnet die erste Phase nach der Ankunft am Einsatzort und ist gekennzeichnet durch große Begeisterung, Faszination und ein optimistisches Gefühl. Man fühlt sich wie auf Urlaub. 78

− Crisis: Nach etwa zwei bis drei Monaten kommt es zur ersten Krise. Es wird einem bewusst, dass man ständig mit anderen Verhaltensweisen, Gepflogenheiten und Regeln zu tun hat, die man noch nicht kennt und mit denen man noch nicht gut umgehen kann. Es kommt immer wieder zu Missverständnissen, man kann sich nicht richtig mitteilen, man begeht Fehler und Fauxpas. Man fühlt sich unwohl und gegenüber der Gastkultur entstehen negative Gefühle. − Recovery: Nach etwa sechs Monaten erlebt man den Anpassungsverlauf zum ersten Mal erfolgreich. Man kennt bereits einige der Verhaltensmuster und Regeln und kann sie erfolgreich anwenden. Man erhält positives Feedback von Personen der Gastkultur. − Adjustment: Der Anpassungsprozess verläuft positiv. Die neue Kultur wird als Anregung und Inspiration erlebt. Man übernimmt einige Elemente und integriert sie in die eigene kulturelle Identität. Man fühlt sich wohl.

hohes kul turelles hohes kulturelles Bewu sstsein Bewusstsein Euph orie Euphorie Verständ igu Verständigung

Entfremdung Entfremd ung GeGewöhnung wöhnung

Frustration Fru stration

Zeit Zeit

©©K.K. S.S . Abb. 1: Verlauf eines Anpassungsprozesses 79

Den Verlauf des Anpassungsprozesses kann man auf dem Diagramm in der Form eines U darstellen (vgl. Abbildung 1). Sobald der Alltag seinen Rhythmus gefunden hat, kann es zu den typischen Kulturschocksymptomen wie Verunsicherung, Desorientierung und Frustration kommen. Mitunter entwickelt man negative Emotionen gegenüber der Gastkultur. Nach einer Eingewöhnungsphase von vier bis acht Monaten erweitert man sein Verständnis für die Gastkultur. Man fühlt sich immer wohler und übernimmt einzelne Elemente aus der Gastkultur. Heute liegt der Schwerpunkt im Umgang mit dem Kulturschock hauptsächlich auf dem kulturellen Anpassungsprozess und auf den Bewältigungsstrategien (vgl. Ward, Bochner u. Furnham 2001). Dabei ist es wichtig, diesen Prozess und die Grundbegriffe interkultureller Kommunikation zu verstehen, um mit einem Kulturschock besser umgehen zu können. Wesentlich dabei ist die Erkenntnis, dass man durch eine gute Vorbereitung selbst steuern kann, wie der Kulturschock erlebt wird und wie der kulturelle Anpassungsprozess verläuft.

Auslöser für einen Kulturschock Warum kommt es zu einem Kulturschock und wie sind die Symptome? In einer neuen Kultur ist vieles anders: die Umgebung, die Sprache, das Aussehen der Menschen, die Verhaltensweisen, die Ernährungsweise usw. Wenig ist vertraut. Der Alltag wird zum ständigen Versuch, ein neues Gleichgewicht, einen neuen Rhythmus zu finden. Langsam und durch gute Beobachtung lernen wir schließlich, uns in der neuen Umgebung zurechtzufinden. Die kulturellen Unterschiede nehmen wir auf unterschiedlichen Ebenen wahr. Im Folgenden gebe ich einen Überblick darüber, welche Komponenten die Auslöser für einen Kulturschock sein können und welche Symptome sich zeigen.

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Wahrnehmungsebene – Verlust von Vertrautem: Die größte Veränderung an einem neuen Arbeitsort in einer anderen Kultur liegt auf der Ebene der Wahrnehmung. Das Erscheinungsbild der neuen Umgebung ist insgesamt fremd und ungewohnt: die Landschaft, die Architektur, das Aussehen der Menschen, ihre Bekleidung, das Straßenbild, die Fortbewegungsarten, das Nahrungsangebot usw. Für Außenstehende ist es oft kaum möglich, das Erscheinungsbild der Menschen, ihre Gestik oder deren gesprochenen Worte zu deuten. Ist man nicht gut auf den Umgang mit kulturellen Unterschieden vorbereitet, dann neigt man dazu, Situationen nach dem eigenen Denkmuster zu interpretieren, während sie in der Gastkultur eine völlig andere Bedeutung haben. Für Körpernähe und Körperdistanz gelten in allen Kulturen andere Regeln. In manchen Kulturen wie in Indien oder in den lateinamerikanischen Kulturen halten die Menschen einen viel geringeren körperlichen Abstand, als wir es in unserer Kultur gewohnt sind. Das kann Unbehagen und Befremden auslösen. »Wir hatten mitten in der Wüste von Radjschastan eine Reifenpanne. Lange waren wir durch eine menschenleere wüstenartige Gegend gefahren, doch als wir Halt machten, dauerte es nicht lange, bis wir von einer immer größer werdenden Gruppe Neugieriger umringt waren, die sich ans Auto lehnten und uns einfach erwartungsvoll anstarrten. Sie drängten sich immer näher und näher. Wir empfanden diese geringe Körperdistanz als sehr unangenehm.« (K. S.)

Wir sind daran gewöhnt, unseren Gesprächspartnern direkt in die Augen zu schauen, diese weichen jedoch unserem Blick aus. Eine solche Reaktion legen wir dann leicht als Unhöflichkeit oder mangelnde Aufmerksamkeit aus, für die Personen aus der Gastkultur ist direkter Augenkontakt aber unüblich, ja ein Tabu und Zeichen für Respektlosigkeit. Hier müssen wir die neue Bedeutung dieses Verhaltens erst lernen. Der Umgang mit Zeit ist kulturell ebenfalls sehr unterschiedlich. Beobachten Sie, in welchem Tempo sich die Menschen auf der Straße bewegen. Es gibt große kulturelle Unterschiede in der Gehgeschwindigkeit. Dies ist ein Indikator für das Zeitverständnis. Untersuchungen zur sozialen Zeit ergaben, dass 81

es kulturell unterschiedliche Normen gibt, wie lange bestimmte Arbeiten dauern dürfen. Der Verkauf einer Briefmarke am Postschalter dauert beispielsweise in Tokio am kürzesten, in Jakarta hingegen am längsten. In unserer Kultur sind wir sehr auf ein lineares Zeitverständnis trainiert. Die Zeit ist für uns messbar, wir richten uns nach der Uhr, sind pünktlich und erachten Zeit als etwas Wertvolles (»Zeit ist Geld«). Pünktlichkeit ist für uns ein hoher Wert, der Respekt ausdrückt. »Pünktlichkeit setzt sich im Arbeitsleben weltweit immer mehr durch. Bei meinem letzten Aufenthalt in Indien im vorigen Jahr war ich erstaunt, dass alle meine Flüge pünktlich waren und ich pünktlich ankam, dass aber auch die Konferenz pünktlich begann und die vorgesehenen Zeiten für die Vorträge eingehalten wurden.« (K. S.)

Zeit wird in vielen Kulturen auch als sozialer Faktor gesehen. Man nimmt sich Zeit, um mit anderen die Beziehungen zu pflegen. Wie viel Zeit am Arbeitsplatz dafür eingeplant wird, ist ebenfalls kulturell sehr unterschiedlich. »In Mexiko geht man die Dinge wesentlich entspannter an. Das Stereotyp vom ewigen ›mañana‹ ist durchaus ernst zu nehmen. Die Arbeitszeiten sind fließend, Pünktlichkeit ist ein Fremdwort, und Zusagen und Termine sind dazu da, nicht eingehalten zu werden. Dafür wird großer Wert auf zwischenmenschliche Kontakte gelegt. Ausgiebige Schwätzchen während der Arbeitszeit sind an der Tagesordnung und gemeinsame Unternehmungen mit den Kollegen und Vorgesetzen auch außerhalb der Arbeitszeit sind Pflicht, will man es in seiner Firma zu etwas bringen.«

Auf der Wahrnehmungsebene erfahren wir auch den Verlust von Vertrautem. Durch den Wohnortwechsel lassen wir eine vertraute Umgebung, an die wir emotional gebunden waren, zurück. Wir pflegten bestimmte Gewohnheiten, die an diesen Ort gebunden waren. All das ist mit einem Schlag zu Ende. Am neuen Wohnort ist dann entscheidend, wie gut und wie rasch uns diese Ablösung vom Vertrauten gelingt. Dieser Anpassungsprozess wird durch ständiges Vergleichen mit dem Heimatort erschwert oder erleichtert, je nachdem, wie sich die neue Umgebung mit persönlichen Vorlieben und Gewohnheiten verbinden lässt (vgl. Fischer u. Fischer, 1990).

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Kommunikationsebene – Missverständnisse und Unverständnis: Die Kommunikationsebene umfasst alle Arten menschlicher Äußerungen und Reaktionen auf der verbalen und nonverbalen Ebene. Ihre Gesprächspartner sprechen eine andere Sprache und Sie selbst verfügen nicht über ausreichende Sprachkenntnisse und können sich nicht klar in dieser Sprache ausdrücken. Sie verstehen nicht alles und können die Reaktionen Ihres Gesprächspartners nicht richtig einschätzen. In manchen Kulturen sind Gesprächspausen üblich, um andere zu Wort kommen zu lassen. Ein Schweigen wird nicht negativ bewertet. In unserer mitteleuropäischen Kultur werden Gesprächspausen möglichst vermieden, da sie als unangenehm empfunden werden. In jeder Gesprächskultur gibt es bestimmte verbale und nonverbale Codes, die im Gespräch als Feedback dienen. Man weiß, wie das Gesagte ankommt, und kann das, was der andere mitteilt, einschätzen. Der kulturell unterschiedliche Einsatz dieser Codes führt leicht zu Missverständnissen, Unbehagen oder Verunsicherung. »Ich begann, mit meinem Sitznachbarn eine Konversation zu führen. Das Gespräch verlief anfangs gut und wir tauschten Informationen über unsere Herkunft aus. Ich bemerkte allerdings, wie die Gesprächspausen immer häufiger und länger wurden und fühlte mich immer unbehaglicher. War ich nicht interessant genug? Hatte ich eine Dummheit gesagt oder ihn beleidigt? Ich konnte diese Situation nicht deuten und war tief verunsichert.« (K. S.)

Darüber hinaus gibt es unterschiedliche Kommunikationsstile wie direkte und indirekte Kommunikation, die leicht falsch verstanden werden können. Direkte Aufforderungen können leicht brüskieren, wenn in einer Kultur eher ein indirekter Kommunikationsstil gepflegt wird. Achten Sie darauf, wie in verschiedenen Kulturen Bitten oder Aufforderungen sprachlich ausgedrückt werden. Daran können Sie den Kommunikationsstil erkennen. In Tschechien etwa ist man im Vergleich zu Deutschland viel indirekter, wodurch es leicht zu Missverständnissen kommt. »Ein deutscher Chef sagt einfach: ›SO nicht!‹ Für Tschechen bricht da fast eine Welt zusammen, weil sie nicht gewohnt sind, auf so direkte Weise zu kommunizieren« (o. N., 2005).

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Viele Regeln und Normen, die man als Außenstehender nicht kennt, können zu Unbehagen und Verärgerung führen. Im Alltag stößt man immer wieder auf solche Unterschiede. Beobachten Sie, wie sich die Menschen anstellen – in einer Warteschlange, nach einem Nummernsystem oder scheinbar ungeordnet in einer Traube. Nur mit der Zeit und durch gute Beobachtung lernen Sie, welche Umgangsregeln gelten. In manchen Kulturen sind Regelsysteme sehr ausgeprägt und werden von allen verbindlich eingehalten. Dies ist ein Zeichen einer sehr egalitären Gesellschaft, die durch flache Hierarchien charakterisiert ist und in der das Gesetz einheitlich von allen respektiert wird. In hierarchisch strukturierten Gesellschaften gilt oft das Recht des Stärkeren – auch beim Anstellen! »Wir gingen ein bekanntes Schmuckgeschäft, sahen uns lange um und warteten, bis wir bedient werden. Aber niemand kümmerte sich um uns. Die Verkäufer standen herum, bedienten Kunden, aber niemand kam auf uns zu. Wir wurden unruhig, schließlich verärgert. Ich ging dann auf eine Verkäuferin zu und fragte nach einem bestimmten Schmuckstück. Sie hingegen fragte mich nach meiner Nummer. ›Welche Nummer?‹ ›Sie müssen eine Nummer ziehen! Der Apparat befindet sich beim Eingang.‹ Ich dachte, mich trifft der Schlag! Ich kannte dieses Nummernsystem ja schon. Auf der Post, auf der Bank, in Apotheken, überall muss man eine Nummer ziehen und warten, bis dann die gezogene Nummer an der Reihe ist. Aber in einem Schmuckgeschäft? Das hatte ich nicht erwartet!« (K. S.)

Auch Höflichkeit ist ein Indikator dafür, wie eine Gesellschaft strukturiert ist. Beobachten Sie, wie die Menschen in Geschäften oder auf der Straße miteinander umgehen. Werden unter Unbekannten Höflichkeitsfloskeln ausgetauscht, hält man sich gegenseitig Türen auf, lässt man Frauen den Vortritt? Wie ist das Verhalten älteren Menschen gegenüber? Oder gegenüber Kindern? Beobachten Sie eher formelle Umgangsformen, sprachliche Höflichkeitsformen (Siezen), Nennung von Titeln? Nehmen Sie eine reservierte, ja sogar unfreundliche Haltung wahr und eine sehr sparsam eingesetzte Gestik? Schon innerhalb Europas sind die Unterschiede in der nonverbalen Kommunikation enorm! Anhand dieser Anzeichen können Sie gut erkennen, welche Bedeutung menschliche Beziehungen in 84

einer Gesellschaft haben und ob eine Gesellschaft eher individualistisch oder kollektivistisch orientiert ist. Näheres zu diesem wichtigen Unterschied finden Sie im Kapitel »Umgang mit Kulturen«! Psychologische Ebene – Stress: Der Umzug und die neuen Bedingungen in der fremden Kultur können als große Belastung erlebt werden und zu psychischer Überforderung führen. Sie erleben Situationen, in denen Sie die Kontrolle verlieren, Ihnen alles über den Kopf wächst, Sie überfordert sind. Das gilt vor allem für die Anfangszeit. Kulturelle Überschneidungssituationen erzeugen innere Konflikte, die psychischen Stress auslösen können. Der Mensch ist normalerweise aufgrund seines Bedürfnisses nach innerer Harmonie und Einklang mit sich und seinem Umfeld sehr anpassungsfähig. In einer interkulturellen Situation wirken aber zwei Kräfte gleichzeitig, die den Stress auslösen: einerseits die Notwendigkeit und das Bedürfnis nach Anpassung, andererseits das Festhalten an alten Gewohnheiten. »Ich hatte Heimweh nach meiner Heimatstadt Wien. Dort nehmen sich die Menschen Zeit. Hier in Tokio ist alles so schnell. Keiner sieht den anderen an, alle rauschen in einem immensen Tempo aneinander vorbei. Ich kann mit diesem Tempo kaum mithalten. Und dann, obwohl ich es schon weiß, vergaß ich, dass man in Tokio im Bus erst beim Aussteigen bezahlt, hielt ich dem Fahrer beim Einsteigen das Geld hin, das er natürlich ignorierte. Ich war verunsichert, dann fing ich mich, aber ich fühlte mich schlecht. Alles war wie aus den Bahnen, ich war überfordert und wollte nur mehr nach Hause.«

Im Moment des inneren Konflikts fühlen Sie sich nicht in der Lage, die Situation aus eigener Kraft zu bewältigen. Sie haben das Gefühl, keine Kontrolle mehr zu haben, und sind überfordert. Nichts gelingt mehr, Sie tappen wie im Dunkeln. Sie fühlen sich verunsichert, desorientiert und dadurch unwohl und unbehaglich. Manchmal kommt es auch zu länger anhaltenden Stresssymptomen wie Nervosität, Gereiztheit, Angst und schließlich, wenn der Stress zu lange anhält, zu psychosomatischen Beschwerden. Im Allgemeinen kann der Mensch ein bestimmtes Maß an Unsicherheiten aushalten. Gelingt es ihm 85

aber über einen längeren Zeitraum nicht mehr, die Lage unter Kontrolle zu bringen, dann kommt es zu Stressreaktionen. Stress ist eine psychische und physische Reaktion auf eine Überforderung, die dadurch entsteht, dass Sie nicht das Gefühl haben, den Anforderungen der jeweiligen Situation gerecht zu werden oder sie beeinflussen zu können. Der Körper versetzt sich in Alarmbereitschaft und reagiert zunächst mit einer Steigerung der Puls- und Atemfrequenz, Anspannung, Erregung und Nervosität, verstärktes Schwitzen und Denkblockaden, danach mit Abwehrreaktionen und schließlich mit Erschöpfung. Untersuchungen der Stressforschung belegen, dass lang anhaltender psychischer Stress an der Entwicklung psychosomatischer Beschwerden beteiligt ist. In diesem Zusammenhang ist es sehr wichtig zu wissen, dass Stress weniger stark auftritt, je besser man auf eine neue Situation vorbereitet ist. Darin bestätigt sich die bedeutende Rolle interkultureller Vorbereitung vor einem Auslandseinsatz. Je besser Sie über die kulturellen Unterschiede in der Zielkultur Bescheid wissen, desto präziser sind Ihre Erwartungen und desto seltener unangenehme Überraschungen. Sie sollten auch wissen, wie belastbar Sie sind und wo Ihre Grenzen der Belastbarkeit liegen. Wie erleben Sie Stress und welche Entspannungstechniken setzen Sie ein (Joga, Autogenes Training, Musik, Sport, Gartenarbeit oder ausgedehnte Aufenthalte in der Natur)? Je besser Sie sich in dieser Hinsicht selbst kennen, desto leichter können Sie stressige Situationen bewältigen. Drei Faktoren sind von Bedeutung, über die Sie nachdenken sollten: Kennen Sie Ihre eigenen Ressourcen ausreichend gut? Wissen Sie, welche Bewältigungsstrategien Sie vorzugsweise einsetzen? Auf welche Personen können Sie zählen, wenn Sie von außen Unterstützung annehmen wollen? Stress ist auch ein soziokulturelles Phänomen und die Akzeptanz seines Ausmaßes ist kulturell beeinflusst. In unserer mitteleuropäischen Kultur wird ein hohes Maß an Stress akzeptiert, die Burn-out-Rate ist unter Berufstätigen relativ hoch. In Indien zum Beispiel ist die Stressakzeptanz viel geringer. Es 86

werden individuell viel früher Entspannungstechniken eingesetzt, die den Stresspegel rechtzeitig herabsetzen. Die Hintergründe dafür liegen in sehr unterschiedlichen Einstellungen dem Universum, der Gesellschaft oder dem Individuum gegenüber (vgl. Hobfoll, 1998). Soziokulturelle Ebene – Kritisches Lebensereignis: Reaktionen auf eine Auslandsentsendung sind manchmal vergleichbar mit Reaktionen, die in sogenannten kritischen Lebensereignissen oder »Life Events« auftreten. Von kritischen Lebensereignissen spricht man dann, wenn es um gravierende Lebensveränderungen in einem oder mehreren der wichtigsten fünf Lebensbereiche geht. Dazu gehören Veränderung des Lebensraums, Veränderungen in den sozialen Beziehungen und im Beruf, Beeinträchtigung der Gesundheit sowie andere unvorhergesehene Ereignisse wie Unfälle oder Todesfälle. Bei einer Auslandsentsendung treten in drei dieser fünf Lebensbereiche Veränderungen auf: Wohnort, Beruf und soziale Beziehungen. Die Life-Event-Forschung, die in den 1960er Jahren im angloamerikanischen Raum entstanden ist, analysiert die Zusammenhänge zwischen solchen Veränderungen und den Ausbruch von psychischen und physischen Erkrankungen. Als Grundannahme gilt, dass Lebensereignisse gravierende Veränderungen im beruflichen und privaten Alltag bewirken und eine besondere Bewältigungs- und Anpassungsleistung erfordern. Im Kontext solcher Ereignisse kommt es bedeutend häufiger zu Erkrankungen und depressiven Störungen, die eine verstärkte Bewältigung nötig machen (vgl. Katschnig, 1980, 1986). Für den interkulturellen Bereich sind Lebensereignisse daher von großer Relevanz. Durch die Veränderung des gewohnten Lebenszusammenhangs auf beruflicher wie privater Ebene und den Verlust des vertrauten Wohnorts sowie die Notwendigkeit, neue soziale Beziehungen einzugehen, ist die psychische Belastung extrem hoch. Manchmal wirken sich auch schwierige klimatische Bedingungen auf die Gesundheit aus. Die Bewältigung dieser Situation stellt hohe Anforderungen und es kommt daher öfters zu psychischer Instabilität oder psycho87

somatischen Beschwerden. Ein Kulturschock kann daher auch als Resultat einer Reaktion auf diese Lebensereignisse verstärkt werden. Hier nochmals die gängigsten Symptome eines Kulturschocks im Überblick: − Hilflosigkeit: Man hat das Gefühl, es nie zu schaffen, sich in der neuen Kultur zurechtzufinden. Man kann nichts richtig deuten, tritt ständig ins Fettnäpfchen, fühlt sich immer wieder verunsichert. − Orientierungslosigkeit: Man spürt, wie das eigene kulturelle Bezugssystem keine Stütze mehr ist. Man weiß aber auch nicht, wie man sich verhalten soll. − Verunsicherung: Man fühlt sich wie auf Glatteis und versucht verzweifelt, das innere Gleichgewicht wiederzufinden. Alles, was man anpackt, droht zu entgleiten, denn man macht dauernd Fehler. − Angst: Man kann Situationen nicht richtig einschätzen, daraus resultiert große Verunsicherung und auch die Angst, betrogen oder hintergangen zu werden. − Übermäßige Sorge um Gesundheit und Sauberkeit: Der äußere Kontrollverlust bewirkt übermäßige Kontrolle in jenen Bereiche, die man kontrollieren kann und in denen man die eigenen Standards ansetzen kann, dazu eignet sich vor allem der Hygienebereich. − Heimweh: Sehnsucht nach vertrauten Personen (Familie, Freunde), nach guten Gesprächen, emotionalem Rückhalt. − Stressreaktionen: Nervosität, Schlaflosigkeit oder übermäßiges Schlafbedürfnis, emotionale Instabilität, Stimmungsschwankungen. − Psychosomatische Beschwerden: Magenschmerzen, Verdauungsprobleme, Kopfschmerzen, Allergien. − Identitätskrise: Man verliert den Halt, stellt alles in Frage, weiß nicht mehr, wo man steht und wer man ist. Man gehört nirgends dazu, kann sich mit keiner Rolle identifizieren, fühlt sich isoliert.

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Bewältigung eines Kulturschocks »Bis zum Tag meiner Abreise hatte ich mir eigentlich keine großen Gedanken darüber gemacht, wie es wohl sein würde, in Mexiko zu leben und zu arbeiten, und ob ich dort auch zurechtkommen würde. Ich sah dem Umzug in meine neue Heimat relativ sorglos und wertfrei, ja sogar optimistisch entgegen, da ich das Land bis dato nur im Rahmen eines in jeder Hinsicht perfekten fünfwöchigen Urlaubs kennengelernt und mich sonst eigentlich nicht weiter vorbereitet hatte. Ich hielt das auch nicht wirklich für nötig. Ich vertrat die Auffassung, alle Menschen seien doch irgendwie gleich, und aufgrund meiner Sprachkenntnisse würde ich ja auch nicht mit den sonst vielleicht üblichen Verständigungsschwierigkeiten zu kämpfen haben.«

Sie können den Verlauf und die Intensität eines Kulturschocks entscheidend beeinflussen. Ein Kulturschock ist kein Phänomen, das Sie einfach überkommt und überwältigt, sondern eine ganz normale Reaktion auf eine kulturelle Veränderung und Veränderungen in den wichtigsten Lebensbereichen. Wenn Sie darüber Bescheid wissen, dann können Sie mit den auftretenden Symptomen besser umgehen. »Durch Zufall fiel mir ein Buch über ›Cross Cultural Communication‹ in die Hände. Darin las ich über die verschiedenen Stadien, die man durchläuft, wenn man länger in einer fremden Kultur lebt. ›Anfänglicher Enthusiasmus – erste Krise und Kulturschock – erneute Annäherung und erweitertes Verständnis für die Fremdkultur‹. Plötzlich konnte ich meine Erfahrungen einordnen und meine eigene Entwicklung, die ich während unserer Auslandsaufenthalte durchgemacht hatte, bewusst nachvollziehen. Mit einem Schlag wurde mir klar, weshalb ich all diese Probleme hatte! Ich war erleichtert, denn ich erkannte, dass sie Ergebnis eines natürlichen Prozesses waren und ich sie bewältigen konnte!« (K. S.)

Eine gute Vorbereitung ist die beste Bewältigungsstrategie. Ich habe darauf bereits ausführlich im ersten Teil hingewiesen. Dazu gehören: Kulturwissen, um allfällige Stereotypisierungen zu revidieren und die eigenen Erwartungen zu präzisieren; interkulturelle Vorbereitung, um über kulturelle Unterschiede und den kulturellen Anpassungsverlauf Bescheid zu wissen; Entwicklung eines kulturellen Bewusstseins; Reflektieren eigener und anderer kultureller Werte, kulturspezifisches Wissen. Weiterhin sollten Sie Ihre sozialen Kontakte in der Heimat 89

durch E-Mail und Telefon verstärkt pflegen und rasch neue Beziehungen und Netzwerke vor Ort herstellen. Suchen Sie Rat und Hilfe bei anderen Expatriates und pflegen Sie Kontakt zu Personen aus dem Gastland, von denen Sie wichtige Insiderinformationen erhalten. Sie sollten die Landessprache erlernen oder sich zumindest Basiskenntnisse aneignen. Untersuchungen zeigen, dass Personen mit ausgeprägten sozialen, interkulturellen Kompetenzen und guten Kommunikationsfähigkeiten sich in einem fremdkulturellen Umfeld leichter zurechtfinden. Aufgrund ihrer Anpassungsfähigkeit und Flexibilität werden sie einen Kulturschock, wenn überhaupt, in nur milder Form erleben (➝ mehr dazu in Teil 1 »Interkulturelle Vorbereitung«). Ein wesentlicher Faktor für das Ausmaß des Kulturschocks sind die kulturellen Unterschiede. Wenn Sie in eine Ihrer Kultur sehr fremde Kultur entsendet werden, dann müssen Sie mit größeren Veränderungen im alltäglichen Leben und folglich mit einem höheren Anpassungsstress rechnen. Die Erwartungshaltung spielt eine sehr große Rolle, denn durch sie kann das Ausmaß des Kulturschocks beeinflusst werden. Dies zeigt sich besonders dann, wenn Sie in Nachbarländer oder Länder innerhalb Europas entsendet werden. Hier werden Sie kaum Probleme erwarten und die vorhandenen kulturellen Unterschiede kaum wahrnehmen. Durch diese Erwartungshaltung kann es aber zu einem massiven Kulturschock kommen, weil es natürlich Unterschiede gibt. Nehmen Sie sich deshalb die Zeit, sich auch auf geringere kulturelle Unterschiede vorzubereiten, und sensibilisieren Sie Ihre Wahrnehmung. »Unserer bevorstehenden Versetzung nach Finnland sahen wir mit großer Freude entgegen. Wir wussten nicht viel über die Kultur bzw. wir nahmen nicht an, sie sei sehr anders, aber wir kannten Bilder von den weiten Wäldern und den ausgedehnten Seengebieten. Wir freuten uns darauf, mehr in der Natur zu leben. Wir dachten keinen Moment daran, dass wir in Nordeuropa mit einer ganz anderen Kultur als der mitteleuropäischen zu tun haben würden.« (K. S.)

Bei größerer kultureller Distanz hingegen ist es leichter, sozusagen auf das Ärgste gefasst zu sein und von vornherein eine distanzierte Position einzunehmen. 90

»Als ich in New Delhi am Flughafen in den frühen Morgenstunden ankam, war ich wie berauscht von dem Szenarium, das sich mir bot: Bilder, die meine bisherige Vorstellungskraft überstiegen, strömten auf mich ein, fremde Gerüche durchdrangen meine Nase, der Geräuschpegel war ungeahnt hoch. Alles um mich herum erfasste mich in seiner Fremdartigkeit wie ein mächtiger Sog. Ich dachte: Das ist Indien – wie aufregend!« (K. S.)

Bewahren Sie Ihren Optimismus! Auch wenn Sie sich in einem ziemlichen Tief befinden und vom Kulturschock nur so gebeutelt werden, halten Sie sich vor Augen, dass alle Phasen der Veränderung zunächst oft als Bedrohung empfunden werden, aber meistens den Weg freigeben zu einer neuen Bewusstseinsebene. Jede Veränderung ist eine Bereicherung für Ihr Leben! Jeder gelungene Auslandsaufenthalt hat irgendwann die Rückkehr in die Heimat zur Folge. Auch wenn es sogenannte permanente Expatriates gibt, die von Land zu Land ziehen, einmal geht es zurück in die Heimat. Viele freuen sich darauf, viele zögern diesen Schritt hinaus, für die meisten ist die Rückkehr in die Heimat wider Erwarten schwierig. Warum das so ist, erfahren Sie im nächsten Abschnitt.

Vorsicht Rückkehrschock Es gibt viele Studien über Anpassungsprobleme bei beruflichen Entsendungen ins Ausland, aber kaum Untersuchungen zum Thema Rückkehr. Nur wenige Unternehmen beziehen die Rückkehr in den Entsendungsprozess mit ein und es gibt fast keine Entsendeprogramme, in denen die Mitarbeiter und deren Familien systematisch auf die Rückkehr vorbereitet werden. Zahlreiche Studien belegen aber, dass eine bedeutende Anzahl rückkehrender Mitarbeiter mit ihrer neuen Arbeitssituation im Inland unzufrieden ist und gut 25 % ihr Unternehmen innerhalb eines Jahres verlassen (PricewaterhouseCoopers u. Cranfield School of Management, 2005). Das bedeutet einen erheblichen Verlust für das Unternehmen, denn die Kosten für einen entsandten Mitarbeiter plus Familie liegen bei etwa 91

400.000 Euro pro Jahr. Das Unternehmen versäumt es auch, die wichtigen Kenntnisse und Fähigkeiten, die Rückkehrer mitbringen, zu nutzen. Es entgehen ihm dadurch entscheidende Wettbewerbsvorteile. »Die Rückkehr war für mich schwieriger als das Weggehen. Hier gibt es niemanden, mit dem ich wirklich meine Auslandserfahrungen austauschen kann, ja die meisten interessieren sich gar nicht für all das, was ich erlebt habe! Ich selbst spürte anfangs tiefe Trauer – Trauer um die vielen internationalen Kontakte, um das interessante Leben, um das Sprechen in Fremdsprachen. Hier erwarten alle, dass ich mich rasch wieder einfüge und zur Tagesordnung übergehe.« (K. S.)

Wie eine Entsendung markiert auch die Rückkehr eine Übergangssituation und gehört zum gesamten Prozess der Entsendung. Sie stellt keinen Endpunkt einer linearen Entwicklung dar, sondern ist Teil des kulturellen Anpassungsprozesses, der zirkulär verläuft: Abreise – Ankunft – Kulturschock – Anpassung – Rückkehr – Rückkehrschock – Wiederanpassung. Jedem Expatriate steht eines Tages die Rückkehr in die Heimat bevor. Meistens werden dabei keine Probleme erwartet werden und man freut sich uneingeschränkt auf das Vertraute, das man lange entbehren musste. Entscheidend bei Ihrer Rückkehr ist demnach Ihre Erwartungshaltung. Je besser Sie sich auf die Rückkehr vorbereiten, desto geringer der Rückkehrschock.

Wiederanpassung an die Heimat Die Rückkehr in die Heimat bringt viel Veränderung mit sich. Die Jahre im Ausland, die vielen Erfahrungen und Erlebnisse in einer anderen Kultur haben ihre Spuren hinterlassen. Durch den Anpassungsprozess an die jeweilige Kultur haben Sie sich verändert und einige neue Gewohnheiten angenommen, sich vielleicht im Gesprächsstil angepasst oder bestimmte Vorlieben entwickelt. Ihre kulturelle Identität hat sich um die Erfahrung erweitert, sich in einer anderen Kultur zurechtgefunden zu haben. Dabei relativierten Sie Ihre eigene kulturelle Position, die Sie nun mit einer gewissen Distanz sehen können. Diese 92

Erfahrung fehlt Ihren Freunden und Familienmitgliedern, die in der Heimat geblieben sind (vgl. Martin, 1996). Sie haben auch Freunde aus allen Ecken der Welt gewonnen und sich in Berufs- und Freizeitleben gut organisiert und enge Beziehungsnetze aufgebaut. Einer bevorstehenden Rückkehr sehen Sie dann vielleicht mit gemischten Gefühlen entgegen, einerseits ungeteilte Freude und hohe Erwartungshaltung, andererseits Wehmut, Gefühl von Verlust und Trauer. Diese Merkmale sind für die Rückkehr kennzeichnend. Es kommt zu Verlusten und Trennungen und man hat hohe und meist unreflektierte oder unpräzise Erwartungen an die Heimat. Wenn Sie zurückkommen, erwarten Sie, dass Sie sich gleich wieder richtig zu Hause fühlen. Diese Erwartung wird aber oft enttäuscht, denn es kann sein, dass Sie Ihre Heimat als fremd und unvertraut empfinden. »Als wir nach neun Jahren wieder zurückkamen, fühlte ich mich wie eine Fremde in meinem eigenen Land. Es war ungewohnt für mich, nur mehr Deutsch zu sprechen. Ich wusste alltägliche Dinge nicht mehr, weil die sich geändert hatten, und musste fragen. Dabei kam ich mir aber komisch vor, denn ich war ja weder Touristin noch Ausländerin, aber dennoch stellte ich Fragen wie eine Ausländerin. Es kam häufig zu Situationen, in denen von mir ein anderes Verhalten erwartet wurde, das war sehr unangenehm. Ich war verunsichert. Es war genauso wie in einem fremden Land. Ich musste die alltäglichen Verhaltensweisen erst wieder lernen.« (K. S.)

Bei der Rückkehr kann es zu großen Anpassungsproblemen kommen. Man spricht hier von einem sogenannten umgekehrten Kulturschock. Beim Kulturschock in der Fremde reagieren wir auf kulturell Unvertrautes, bei der Rückkehr macht uns hingegen die Konfrontation mit dem Vertrauten zu schaffen. In beiden Fällen sind unsere Reaktionen von Konsistenzverlust geprägt, denn der Mensch ist bestrebt, in Harmonie und Einklang mit sich und seiner Umgebung zu sein. Auch wenn wir glauben, in der Heimat erwartet uns nur Vertrautes, erleben wir dieses »Vertraute« oft als Fremdes, weil wir uns selbst verändert haben und unsere kulturelle Identität nicht mehr dieselbe ist wie früher. Nach einer Rückkehr kann man nicht einfach nahtlos und als ob nichts gewesen wäre dort anschließen und fortfahren, 93

wo man aufgehört hat. Es gilt, sich die eigene Veränderung bewusst zu machen. Denn Ihre Auseinandersetzung mit einer fremden Kultur hat Ihre kulturelle Identität verändert und um eine interkulturelle Komponente erweitert. Sie kennen nun verschiedene kulturelle Bezugssysteme und sehen plötzlich auch Ihre eigene Kultur mit einer gewissen Distanz, wodurch bei Ihnen das Gefühl der Fremdheit entsteht. »Ich ging nach unserer Rückkehr am Anfang viel spazieren, so als ob ich dadurch die Stadt für mich wieder eroberte. Ich ging in Gegenden, in denen ich jahrzehntelang nicht gewesen war, und kam mir dabei wie in einem Film vor. Ich spürte eine Distanz, die mich von dem Geschehen um mich herum abhob. Die Menschen, denen ich begegnete, erschienen mir wie Schauspieler, die einzelne Szenen spielten. Ich amüsierte mich über sie, über ihre Sprache, über ihr Aussehen. Aber ich stand außerhalb des Geschehens. Es war mir alles sehr fremd.« (K. S.)

Bei der Rückkehr in die Heimat wird man oft mit vielen Widersprüchen konfrontiert. Altes, dem Anschein nach Vertrautes, hat neue Inhalte bekommen, Freunde erwarten von Ihnen, dass Sie einerseits Ihre Veränderung sichtbar zur Schau tragen, aber andererseits eigentlich »der oder die Alte« geblieben sind. Vielleicht werden Sie auch öfters erleben, dass Sie mit Ihren Auslandserlebnissen bei Ihren Freunden oder Kollegen nicht wirklich punkten können. Nur wenige interessieren sich ernsthaft dafür, was Sie im Ausland alles erlebt haben! Daraus ergibt sich ein Gefühl der Disharmonie und der Inkonsistenz. Um die daraus entstehende Verunsicherung zu überwinden, müssen Sie Ihr Verhalten anpassen. Um mit der Desorientierung klarzukommen, müssen Sie Ihre Erwartungen reflektieren und nachjustieren und an die neuen Gegebenheiten anpassen. Um mit Ihrer kulturellen Identität wieder in Einklang zu kommen, sollten Sie versuchen, sich genau zu positionieren und Ihre Veränderungen zu reflektieren. Haben Sie mit sich Geduld. Jede Anpassung ist ein Prozess. Wichtig ist, dass Sie darum wissen.

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Vorbereitung auf die Rückkehr Die gute Vorbereitung auf die Rückkehr ist von drei Komponenten geprägt: rechtzeitige Wiederaufnahme der beruflichen und privaten Kontakte in der Heimat, Anpassen an die neuen Gegebenheiten in Beruf und Alltag, Eingewöhnung an die vertraute, als fremd empfundene Heimat. Für eine gute Vorbereitung auf die Rückkehr sind daher folgende Aspekte bedeutend: − Erwartung: Ihre Erwartungshaltung ist entscheidend: Je genauer und präziser Ihre Erwartungen an das Leben nach Ihrer Rückkehr in die Heimat sind, desto leichter fällt Ihnen die Umstellung. Versuchen Sie, Ihre Erwartungen zu analysieren. Auch hier sind die drei Komponenten wesentlich: Job, Beziehungen, Alltagskultur. Was erwartet Sie in der Zentrale Ihres Unternehmens? Wissen Sie, welche Position Sie übernehmen werden? Beleben Sie rechtzeitig die Kontakte in Ihrem Unternehmen und sprechen Sie mit Ihren Vorgesetzten, damit Sie wissen, welchen Job Sie im Inland erwarten können. Kontaktieren Sie Ihre Familie und Ihre Freunde und kündigen Sie Ihre Rückkehr an. Bereiten Sie alle mit einem Rundschreiben auf Ihre bevorstehende Rückkehr vor. Informieren Sie sich regelmäßig über das aktuelle Tagesgeschehen und die wirtschaftliche Situation in Ihrer Heimat. Lesen Sie regelmäßig die heimischen Tageszeitungen online, damit Sie die Bestsellerlisten kennen und über die aktuellsten Themen der Tagespolitik Bescheid wissen. − Berufliche Aussichten: Was erwartet Sie an Ihrer Arbeitsstelle im Inland? Hier gibt es viele Unsicherheitsfaktoren, die Sie im Vorfeld abklären sollten. Welche Funktion werden Sie übernehmen? In welcher Abteilung? Werden Sie Ihre Auslandserfahrungen umsetzen können? Welchen Status werden Sie im Inland haben? Informieren Sie sich rechtzeitig und klären Sie diese Fragen vor Ihrer Rückkehr ab. In vielen Unternehmen verläuft die Wiedereingliederung von Mitarbeitern, die länger im Ausland waren, nicht besonders gut und unorganisiert. Wie bereits erwähnt, verlassen gut 25 % der Mitarbeiter ihr Unternehmen innerhalb von einem Jahr 95

nach ihrer Rückkehr wieder, weil sie mit ihrer Arbeitssituation im Inland unzufrieden sind. Das ist ein großer Verlust für ein Unternehmen und es geht dabei wertvolles Erfahrungspotenzial verloren. Die Betroffenen fühlen sich zumeist unzureichend betreut, falsch eingesetzt und erfahren eine zu geringe Wertschätzung in Bezug auf ihre Auslandserfahrungen. Offenbar sind sich viele Unternehmen nicht bewusst, wie viel wertvolles Potenzial so ein Mitarbeiter in sich trägt. Versuchen Sie deshalb, bereits aus dem Ausland den Kontakt mit der Zentrale im Inland zu pflegen und möglichst viele Informationen auszutauschen, damit Sie über Ihre Arbeitssituation im Inland rechtzeitig Bescheid wissen. − Sozialer Status: Im Ausland war Ihr sozialer Status eindeutig festgelegt. Sie verkehrten vielleicht in Diplomatenkreisen, mit Firmenchefs, Top-Managern und Direktoren oder Universitätsprofessoren. Die Ausländergemeinschaft war klein und überschaubar, man wusste, wer Sie waren bzw. welches Amt Sie bekleideten. Sie waren oft zu Veranstaltungen, Geschäftsessen, Abendessen oder Empfängen eingeladen, machten zahlreiche Dienst- oder Geschäftsreisen, veranstalteten selbst Einladungen oder Ausstellungen. Wieder in der Heimat sind Sie »down to earth« und Ihr gesellschaftliches Leben ist völlig unspektakulär. Vielleicht genießen Sie es, wieder ganz privat zu sein. Vielleicht fehlt Ihnen aber auch etwas und Sie empfinden den Verlust an sozialem Status sehr intensiv. Wichtig ist, dass Sie mit Ihrer Partnerin oder Ihrem Partner darüber sprechen und Möglichkeiten finden, diesen Verlust auszugleichen. Bei einer Versetzung ins Inland kommt es auch häufig zu finanziellen Einbußen, da die Auslandszulagen wegfallen. Im Ausland gewährte großzügige Vereinbarungen in Bezug auf Wohnung, Dienstauto, Schulgeld usw. gelten oft nicht mehr und Sie befinden sich in einer ganz neuen finanziellen Situation. Achten Sie auch auf diesen Aspekt und bereiten Sie sich darauf vor. − Soziale Unterstützung: Die sozialen Beziehungen in der Heimat sind besonders wichtig. Kündigen Sie bereits früh an, 96

dass Sie wieder zurückkommen. Organisieren Sie eine Party oder ein großes Familienfest! Feste sind sehr hilfreiche Rituale, um neue Lebensabschnitte zu markieren. Sprechen Sie mit Freunden oder vertrauten Personen über Ihre Gefühle, die Sie in dieser schwierigen Periode haben. Die meisten Personen, die nie im Ausland waren, wissen gar nicht darüber Bescheid, dass auch eine Rückkehr von einem kulturellen Anpassungsprozess begleitet ist und schwierig sein kann. Drücken Sie Ihr Trauergefühl aus, das Sie über die Verluste und Trennungen empfinden. − Im beruflichen Umfeld ist es oft nicht leicht, Beziehungen zu Kollegen wieder aufzubauen, sofern man sie während der Zeit im Ausland nicht gepflegt hat. Misstrauen, Neid, Eifersucht können häufige Reaktionen auf von Ihnen als Bereicherung erlebte Auslandserfahrungen sein. Da ist Fingerspitzengefühl gefragt und die Fähigkeit, sich rasch auf diese neue Kultur in der Heimat einzustellen, um Ihre Position unter den Kollegen oder Kolleginnen wieder eindeutig zu definieren. Reagieren Sie mit interkultureller Empathie (➝ mehr dazu in »Kultur ist ein Gruppenphänomen«)! − Partnerin oder Partner: Für mitausgereiste Partnerinnen oder Partner beginnt mit der Heimkehr auch eine schwierige Periode, wenn es um Jobsuche geht. Am besten ist es, bereits im Vorfeld Kontakte zu knüpfen, Unternehmen zu kontaktieren, eine Berufsberatung in Anspruch zu nehmen oder sich nach einer Zusatzausbildung umzusehen. Warten Sie nicht, bis Sie zu Hause sind. Der Rückkehrschock kann dann umso größer sein. Sie haben dann das Gefühl, nirgends dazuzugehören, kein Netzwerk und keine beruflichen Kontakte mehr zu haben. Die meisten Ihrer Freundinnen oder Freunde sind berufstätig, während Sie so richtig daneben stehen. Planen Sie Ihre Rückkehr bewusst und gezielt und präzisieren Sie Ihre Erwartungen. Nutzen Sie Ihre Auslandserfahrungen und Ihre interkulturellen Kompetenzen bei der Jobsuche. Verweisen Sie auf Ihre vielfältigen Erfahrungen und Sprachkenntnisse. Wenn Sie nicht berufstätig sind oder sein wollen, dann bau97

en Sie sich Ihr soziales Netzwerk wieder auf, organisieren Sie Einladungen zum Abendessen oder Theater- und Kinobesuche. Machen Sie sich wieder bemerkbar! Nutzen Sie das heimische Angebot an Weiterbildungskursen aller Art. Suchen Sie internationale Organisationen oder Gruppierungen auf, die es in jeder größeren Stadt gibt, um neue Kontakte zu knüpfen. − Wohnsituation: Haben Sie eine Wohnung, ein Haus, oder müssen Sie erst suchen? Dieser Punkt ist wichtig. Wenn Sie erst eine neue Wohnung suchen müssen, beginnen Sie damit früh und rechnen Sie damit, dass dies aus der Ferne nicht leicht ist. Wenn Sie bereits über eine Wohnung oder ein Haus verfügen, dann denken Sie daran, rechtzeitig nötige Reparaturen oder Umbauten zu veranlassen, damit Sie dann rasch einziehen können. Auch dies erleichtert den Anpassungsprozess. Wenn Sie bereits eine Wohnung haben, dann gibt sie Ihnen Sicherheit: Sie wissen, wo Sie einziehen werden, und können sich alles genau ausmalen. Dieser Aspekt ist gerade für Kinder sehr wichtig. − Kinder: Für Kinder ist die Rückkehr oft aufregend, aber keinesfalls leichter als für Erwachsene. Für viele Kinder ist Rückkehr keine Heimkehr, denn sie lebten vielleicht noch gar nicht in ihrer »Heimat«. Versuchen Sie, sich in Ihr Kind hineinzuversetzen und es zu verstehen, wenn es zu Ihnen sagt, dass es »Ihre Heimat« nicht mag. Zeigen Sie viel Verständnis in der Eingewöhnungsphase. Für Ihr Kind ist Ihre Heimat vielleicht ein fremdes Land, das es nur von den Ferien her kennt. Viele Kinder erleben die Trennung von ihren Freunden sehr intensiv. Ermöglichen Sie Ihren Kindern eine rege Kommunikation über Internet oder Telefon, damit sie die ihnen wichtigen Freundschaften aufrechterhalten können. Organisieren Sie in den Ferien gegenseitige Besuche von Freunden (➝ mehr dazu in Teil 4 »Kinder im Ausland«). Dieses Kapitel widmete sich dem Anpassungsprozess an eine neue Kultur, aber auch an die Heimatkultur, und den Hindernissen, die damit verbunden sein können. Viele, die sich zu 98

einer Auslandsentsendung entscheiden, tun das aber nicht allein. Sie haben einen Partner oder eine Partnerin, eine Familie. Wie sieht die Situation für die Mitausreisenden aus? Wie leicht entscheiden sich Partner oder Partnerinnen, ins Ausland mitzugehen? Welche Schwierigkeiten gibt es dabei, welche Möglichkeiten tun sich auf? Dazu mehr im folgenden Kapitel.

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Teil 3: Die Situation der Mitausreisenden

Viele Probleme bei einer Auslandsentsendung ergeben sich, weil sich mitausreisende Partnerinnen oder Partner nicht entsprechend auf diese Veränderung vorbereiten oder nicht vorbereitet werden. Von Unternehmen werden sie kaum bis gar nicht in den Vorbereitungsprozess der Entsendung miteinbezogen. Bis vor wenigen Jahren war das Thema der mitausreisenden Partnerinnen und Partner so unbedeutend, dass sich viele internationale Unternehmen damit nicht zu beschäftigen brauchten. Die Familie wurde als »Privatsache« abgetan und damit entzogen sich die Arbeitgeber der Verantwortung. In der Zwischenzeit belegen viele Studien, wie wichtig es ist, auch die Mitausreisenden gut vorzubereiten, denn diese tragen wesentlich zu einem reibungslosen Verlauf des Auslandseinsatzes bei. Die Unzufriedenheit der Partnerinnen oder Partner ist einer der Hauptgründe für einen frühzeitigen Abbruch eines Auslandseinsatzes. Laut Umfragen von Berlitz und Global Relocation Trends aus den Jahren 2002 bis 2005 liegen 90 % der Gründe für Einsatzabbrüche an der Unzufriedenheit der Partnerinnen, die mit der neuen Situation nicht zurechtkommen. Dennoch reagieren wenig Unternehmen auf diese alarmierende Tatsache. Nach Global Relocation Trends beziehen nur etwa 30 % der Unternehmen die Partnerin in die interkulturelle Vorbereitung mit ein. Etwa 40 % der Unternehmen besprechen einen künftigen Auslandseinsatz mit dem Mitarbeiter und seiner Partnerin oder ihrem Partner gemeinsam. In diesem Kapitel erfahren Sie alles über die Situation der Mitausreisenden. Neben den wichtigen Themen der Einbeziehung in interkulturelle Trainings und der Berufstätigkeit geht es zunächst um die persönliche Vorbereitung. Welche Punkte sollten Sie als Mitausreisender vor der Abreise gut überlegen?

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Vor der Abreise Versuchen Sie in aller Ruhe, den Schritt, mit Ihrem Partner oder Ihrer Partnerin ins Ausland zu gehen, so gut wie möglich zu planen. Dabei geht es nicht nur um die Organisation des Umzugs. Sie sollten sich vielmehr auf die Veränderung, die Ihnen persönlich bevorsteht, gut vorbereiten. Überlegen Sie zunächst, warum Sie sich zu diesem Schritt entschlossen haben. Was erwarten Sie? Worin liegt für Sie das Aufregende daran? Was wollen Sie tun? Es gibt viele Gründe, den Partner oder die Partnerin ins Ausland zu begleiten. Am besten ist es, wenn Sie mit Ihrem Partner oder Ihrer Partnerin diese Entscheidung gemeinsam getroffen haben. Damit haben Sie eine gemeinsame Ausgangsbasis für die Entdeckungsreise, die Ihnen bevorsteht! Überlegen Sie in aller Ruhe, was Sie in Ihrer Heimat alles zurücklassen und aufgeben werden: Ihren Beruf, Ihr Heim, Ihre bevorzugten Freizeitaktivitäten. Beziehungsnetze werden unterbrochen: Ihre Familie, der Freundeskreis, die Berufskollegen, das berufliche Netzwerk, diverse Clubs, Gruppen, Vereine, Sportverbände (➝ mehr dazu in »Kultur ist ein Gruppenphänomen«). Es ist wichtig, sich dessen bewusst zu werden. Überlegen Sie, welche der Tätigkeiten Sie am neuen Einsatzort fortsetzen können.

Abschied nehmen Eine Trennung von der Familie oder von Freunden fällt oft schwer. Vielleicht sind Ihre Eltern schon älter oder brauchen Pflege? In einem solchen Fall sollten Sie die nötige Betreuung vorher gut organisieren. Sprechen Sie mit Ihren Eltern oder Freunden darüber, dass Sie im nächsten Urlaub wieder kommen und dass sie Sie bald an Ihrem neuen Aufenthaltsort besuchen können. Tauschen Sie E-Mail-Adressen aus, installieren Sie einen Internet-Telefon-Anschluss (etwa Skype) und eine Webcam. Heute ist die Kommunikation ja sehr einfach und bil102

lig geworden! Als Abschiedsritual ist eine Party oder ein Familienfest sehr zu empfehlen (übrigens auch für Kinder; ➝ mehr dazu in »Was sind ›Third Culture Kids‹?«). Es ist wichtig, sich richtig von den zurückbleibenden Familienmitgliedern, Freunden und Berufskollegen zu verabschieden. Dadurch festigen Sie die Beziehungen zu ihnen und nehmen ein gutes Gefühl ins Ausland mit.

Ziele setzen Wenn Sie nicht berufstätig sind oder nicht beabsichtigen, einen Beruf im Ausland auszuüben, dann überlegen Sie sich, was Sie am neuen Einsatzort tun wollen. Was wollen Sie lernen, sehen, erleben? Wo und wie wollen Sie aktiv sein? Welchen Hobbys oder Tätigkeiten wollen Sie nachgehen? Die Ziele ergeben sich auch oft aus Ihrer familiären Situation, je nachdem, ob Sie Kinder haben oder nur zu zweit sind. Bevor Sie sich entscheiden, ob Sie ihren Partner oder Ihre Partnerin ins Ausland begleiten, sollten Sie sich einige wichtige Lebensfragen stellen oder diese mit einer Vertrauensperson besprechen: Wo stehe ich in diesem Moment beruflich und privat? Welche Ziele habe ich in meinem Leben? Was erwarte ich von diesem Auslandsaufenthalt? Möchte ich meine Partnerschaft durch Kinder erweitern oder möchte ich mich verstärkt den gemeinsamen Kindern widmen? Wie viel Spielraum lässt mir die derzeitige Mutter- oder Vaterrolle, den eigenen Interessen nachzugehen? Diese Fragen sollte sich jede Person stellen, die ihren Partner oder ihre Partnerin begleiten will. Aus meiner eigenen Erfahrung als mitausreisende Partnerin lernte ich immer wieder Personen kennen, die ihre (oft männlichen) Partner ins Ausland begleiteten, ohne konkrete Ziele für sich selbst zu formulieren. Sie gingen ihren Pflichten als Partnerin und Mutter nach, hatten aber keine eigenen Pläne oder Vorhaben und verloren sich in der Folge sehr oft. »Es ist schier unglaublich, wie gedankenlos Frauen auch heute noch durch ihr Leben spazieren, 103

bei wesentlich trivialeren Dingen gehen sie nachdenklich und zielgerichtet vor. [. . . ] Aber durch ihr Leben lassen sie sich einfach treiben.« (Benard u. Schlaffer, 2004, S. 182 f.). Es kommt bei Mitausreisenden oft zu einer allgemeinen Unzufriedenheit oder Unausgefülltheit, die sich in Kauf- oder Putzsucht oder in übermäßiger Besorgtheit und Nervosität niederschlagen kann. Vor allem weibliche Mitausreisende sollten sich die drei Aspekte, die zu einer Lebensplanung gehören, zu Herzen nehmen: ein konkreter Plan; ein Raum für sich selbst, der von den anderen respektiert wird; und ein inneres Gleichgewicht, um sich nicht aus dem Konzept bringen zu lassen. Wenn weibliche Mitausreisende konkrete Ziele haben, können sie viele Probleme vermeiden, durch die sie in eine Isolation oder sogar eine Depression gedrängt werden können. Für männliche Mitausreisende stellt sich die Situation oft anders dar. Sie haben viel öfter konkrete Ziele vor Augen. Entweder sie begleiten ihre Partnerin und nehmen sich bewusst eine Auszeit. Sie finden es fantastisch, einmal mehr Zeit für sich oder für die gemeinsamen Kinder zu haben und ihren Hobbys nachzugehen. Oder sie sind fest entschlossen, einen Job im Ausland zu finden. Sehr oft finden sie auch Möglichkeiten, in der Ferne für ihre Firma tätig zu sein. Denken Sie über folgende Punkte nach: Wenn ich ins Ausland mitgehe, möchte ich − mit meinem Partner, meiner Partnerin eine Familie gründen, − unseren Kindern mehr Zeit widmen, − eine neue Sprache lernen, − viel reisen und die neue Kultur entdecken, − neue Menschen kennenlernen, − mich diversen Organisationen anschließen und dort aktiv sein, − einer beruflichen oder künstlerischen Tätigkeit oder meinem Hobby nachgehen, − endlich mehr Zeit für mich haben, − eine Auszeit, etwa für eine berufliche Neuorientierung, nehmen. 104

Es ist wichtig, dass Sie noch vor Ihrer Abreise ausführlich darüber nachdenken. Sprechen Sie mit Personen darüber, die bereits Auslandserfahrungen haben. Setzen Sie sich konkrete Ziele. Wenn Sie Ziele formulieren, dann bedenken Sie, dass auch die Absicht, gemeinsam eine Familie zu gründen oder sich ausschließlich der Familie zu widmen, ein berechtigtes Ziel ist. Sie sollten sich diese Absicht aber bewusst machen. Dadurch gelingt es Ihnen besser, diese Aufgabe ganz zu übernehmen. Sie haben dann eine bessere Ausgangsposition. Wenn Sie mit Ihrer Familie ins Ausland gehen, dann erwartet Sie, sofern Sie nicht auch berufstätig sind, vor allem am Anfang ein umfassender und anspruchsvoller Einsatz auf allen Ebenen. Die Umstellung auf ein neues Land ist groß und die Alltagserfordernisse müssen rasch bewältigt werden. In dieser turbulenten Zeit, in der jeder etwas von Ihnen will und Sie für die Organisation von Alltag und Familie zuständig sind, besteht die Gefahr, dass Sie sich selbst vergessen! Persönliche Zielsetzungen sind dabei wichtig, damit Sie Ihre Vorstellungen und Erwartungen im Auge behalten! Wenn Sie versuchen »dranzubleiben«, dann kann Ihnen dies später von großem Nutzen sein. Etwa, wenn Sie nach einigen Monaten einen Kulturschock erleben und orientierungslos oder deprimiert sind. Ihre Zielsetzungen können dann für Sie ein Orientierungsrahmen sein, der Ihnen Halt gibt und hilft, diese Phase zu überwinden.

Interkulturelle Vorbereitung auf die neue Situation Eine interkulturelle Vorbereitung ist für Mitausreisende ebenso wichtig wie für die Entsendeten. Heute beziehen immer mehr Unternehmen die mitausreisenden Partner in den Vorbereitungsprozess mit ein und bieten interkulturelle Trainings an (➝ mehr dazu in »Interkulturelles Training und Coaching«). Oft wird aber übersehen, dass interkulturelle Trainings, die sich allein an den beruflichen Anforderungen der zu entsendenden Mitarbeiter orientieren, an den Bedürfnissen von Mitausreisenden vorbeigehen. Sie haben im Zielland keinen Beruf, kein 105

berufliches Netzwerk, keine Orientierungshilfen. Sie sind zunächst isoliert und müssen sich erst orientieren und ihre Beziehungsnetze aufbauen. Das Angebot an interkulturellen Vorbereitungstrainings müsste daher erweitert werden und sich an die Bedürfnisse von Mitausreisenden anpassen, die nicht im Arbeitsprozess stehen. Dazu gibt es Studien und Umfragen aus den vergangenen Jahren (Shaffer u. Harrison, 2001; Copeland u. Norell, 2002). Vorbereitungstrainings für nicht beruflich tätige Mitausreisende sollten in erster Linie eine realistische Erwartungshaltung fördern. Sie sollten möglichst genau darauf vorbereitet werden, welche beruflichen Möglichkeiten oder Betätigungsmöglichkeiten sie vor Ort haben. Im Training sollten sie lernen, ihre Erwartungen zu präzisieren und sich genaue Ziele für die Zeit im Ausland zu setzen. Ein weiterer wichtiger Punkt, der in einer solchen Vorbereitung für Mitausreisende ausführlich behandelt werden sollte, sind die so genannten Rollenkonflikte. Nicht beruflich tätige Mitausreisende übernehmen neue soziale Rollen am Einsatzort. Empirische Studien zeigen sehr deutlich, dass die Änderung der sozialen Rolle oft als problematisch erlebt wird. War die Person zuvor berufstätig und finanziell unabhängig, dann ist die Umstellung auf die neue Situation als Hausmann oder Hausfrau und die finanzielle Abhängigkeit vom Partner oder von der Partnerin schwer. Anerkennung über berufliche Kontakte und Leistungen fallen plötzlich weg. Für mitausreisende Männer ist die Umkehrung der sozialen Rolle oft besonders schwierig. Die Bewältigung des neuen Alltags und die Kinderbetreuung sind für manche keine Aufgaben, über die ein positives Selbstwertgefühl bezogen werden kann. In dieser Hinsicht haben es Personen (traditionell Frauen) leichter, die vor dem Auslandseinsatz nicht berufstätig waren und ein konventionelles Rollenverständnis leben. Zusammenfassend sollten folgende Themen in einer guten Vorbereitung für nicht berufstätige Mitausreisende angesprochen werden: klimatische, kulturelle und alltagsbedingte Unterschiede; Präzisieren der Erwartungshaltung; Aufbau von 106

Kontakten am Anfang; Fragen zu Berufstätigkeit; Trennung von der übrigen Familie und von Freunden im Heimatland; Übernahme neuer sozialer Rollen, neue Repräsentationsaufgaben durch die Tätigkeit des Partners oder der Partnerin im Ausland (➝ mehr dazu in Teil 1 »Interkulturelle Vorbereitung« und Teil 2 »Kulturelle Anpassung und Kulturschock«).

Berufstätigkeit im Ausland Die Entscheidung, gemeinsam ins Ausland zu gehen, bedeutet für die meisten mitausreisenden Partnerinnen oder Partner zunächst, dass sie ihren aktuellen Job aufgeben oder nicht so weiterführen können. Es bedeutet aber nicht zwingend, dass Sie im Ausland nicht beruflich tätig sein können. Heute gibt es viele Mittel und Wege, als Mitausreisende eine berufliche Karriere zu verfolgen. Der Wille dazu muss stark sein, denn es funktioniert nur, wenn man sich wirklich dafür einsetzt. Wenn Sie derzeit berufstätig sind, finden Sie vielleicht einen Modus mit Ihrem Arbeitgeber, wie Sie im Ausland weiter für ihn tätig sein können. Wenn Sie selbstständig tätig sind, dann sollten Sie sich darüber informieren, ob und wie Sie Ihre Tätigkeit im Ausland weiterführen können. Brauchen Sie eine Arbeitsgenehmigung? Was können Sie im Vorfeld tun, damit diese Prozedur vor Ort leichter wird? Welche Papiere benötigen Sie dazu? Die Frage der Arbeitserlaubnis ist von Land zu Land unterschiedlich und muss je nach Zielland behandelt werden. Dazu gibt es im Anhang sehr nützliche Webseiten. Wenn Sie Ihren derzeitigen Job aufgeben und vorhaben, weiterhin berufstätig zu sein, aber noch nicht wissen, wie und wo, dann überlegen Sie sich eine Strategie, wie Sie bei der Jobsuche vorgehen. Nehmen Sie mit internationalen Unternehmen oder Organisationen an Ihrem neuen Aufenthaltsort Kontakt auf. Nutzen Sie internationale Jobbörsen oder Expat-Jobbörsen (siehe Webseiten im Anhang). Gehen Sie sehr gezielt vor. Sprechen Sie mit möglichst vielen Personen über Ihr Vorhaben. Ein gutes Networking erhöht die Chancen, nützliche Kontakte zu 107

knüpfen. Je flexibler Sie bei Ihrer Jobwahl sind, desto eher werden Sie bei der Suche erfolgreich sein. Mitausreisende haben am Arbeitsmarkt oft eine Chance, weil sie keine permanente Anstellung suchen und für Projekte unbürokratisch einsetzbar sind. Es muss nicht immer eine fixe Anstellung sein. Werkverträge, freie Mitarbeit, selbständige Tätigkeiten sind Möglichkeiten, die bei der Jobsuche in Betracht kommen sollten. Vielleicht ergeben sich Jobs, an die Sie vorher nie gedacht hätten! Wenn Sie bereits Auslandserfahrungen haben, so betonen Sie Ihre auf diesem Gebiet erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten. Gerade im interkulturellen Bereich gibt es immer mehr Betätigungsfelder für Personen mit entsprechenden Erfahrungen. Wenn Sie sich beruflich neu orientieren möchten, dann suchen Sie nach Möglichkeiten für eine Umschulung oder Weiterbildung vor Ort. Über Internet können Sie sich jederzeit genügend Informationen diesbezüglich beschaffen. Eine weitere Möglichkeit ist, über Internet ein Fernstudium zu betreiben. Informieren Sie sich bei universitären Anbietern. Weiterbildung ist gefragt wie noch nie und die Angebote sind heute sehr umfangreich. Das Thema Rückkehr ist für Mitausreisende besonders wichtig und sollte gut vorbereitet werden (➝ mehr dazu in »Vorsicht Rückkehrschock«). Hier zum Überblick einige Tipps von Mitausreisenden, die im Ausland bei der Jobsuche Erfolg hatten: − Starten Sie mit der Jobsuche so früh wie möglich. − Seien Sie aktiv beim Networken. − Kümmern Sie sich rechtzeitig um Ihre Arbeitserlaubnis. − Seien Sie flexibel bei der Jobwahl. − Betonen Sie Ihre interkulturellen Kompetenzen und Erfahrungen als Expatriate. − Informieren Sie sich über Fernstudien über Internet oder Weiterbildungsmöglichkeiten vor Ort. − Denken Sie auch an die Rückkehr und planen Sie vor.

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Dual Career und neue Wege Für viele Paare ist eine Auslandsentsendung nur interessant, wenn sie gemeinsam ins Ausland gehen und beide einen Beruf ausüben können. Nach den »Global Relocation Trends 2006 Survey Report« werden 82 % der Entsendungen von (meist weiblichen) Mitausreisenden begleitet, 59 % dieser Mitausreisenden sind davor berufstätig und nur 8 % gelingt es, während des Auslandsaufenthaltes berufstätig zu sein. Laut Statistiken liegt einer der Hauptgründe für die Ablehnung einer angebotenen Auslandsentsendung darin, dass Mitausreisende oft Schwierigkeiten haben, ihre berufliche Karriere im Ausland fortzusetzen. Das Thema der Berufstätigkeit ist demnach für die meisten Mitausreisenden zentral. Deshalb wird es für internationale Unternehmen zunehmend schwieriger, geeignete Kandidaten zu finden, die von ihrer Partnerin oder ihrem Partner ins Ausland begleitet werden. Welche Tendenzen zeichnen sich heute auf internationaler Ebene ab, die dieser Situation Rechnung tragen? Ein sehr erfolgreiches Programm für mitausreisende Partner und Partnerinnen bietet beispielsweise das »Shell International’s Spouse Employment Centre«, das sich seit einigen Jahren dafür einsetzt, Mitausreisenden bei ihrer beruflichen Karriere auf internationaler Ebene zu helfen. Diese Einrichtung bemüht sich darum, die Hindernisse für Mitausreisende bei der Arbeitssuche aus dem Weg zu räumen. Es wird versucht, diese Thematik ins Bewusstsein der Personalabteilungen internationaler Unternehmen zu bringen. Denn viele Mitausreisende sind sehr gut ausgebildet, haben internationale Arbeitserfahrungen und sind vielfältig einsetzbar. Eine der Argumentation in Bezug auf die Restriktionen bei Arbeitsgenehmigungen für Mitausreisende ist, dass Einschränkungen hinsichtlich Betätigungsmöglichkeiten und entsprechender Genehmigungen auch unter dem Aspekt der Verweigerung des Rechts auf Arbeit gesehen werden können, was eine Diskriminierung im Rahmen der internationalen Konvention bedeutet (van der Boon, 2005). Mitausreisende sollten daher entschiedener auftreten und ihre 109

Absichten in der Personalabteilung von Unternehmen deutlich formulieren. Es gibt mittlerweile zahlreiche internationale Agenturen, die im Bereich des Dual Career Counselling tätig sind, wie etwa »Net Expat« (www.netexpat.com). Dieses Portal versucht, das Potenzial mitausreisender Partnerinnen und Partner zu nutzen und internationale Unternehmen dazu zu bringen, davon zu profitieren. Eine weitere internationale Organisation, die sich im Bereich der Arbeitserlaubnis engagiert, ist die »Permits Foundation« (www.permitsfoundation.com), die seit 2002 tätig ist und ihren Sitz in Den Haag hat. Die Stiftung setzt sich dafür ein, Regierungen zu einer flexibleren Regelung der Arbeitsgenehmigungen für Mitausreisende zu bewegen. Auf der Webseite findet man alle Informationen zu den aktuellen Bestimmungen und Abkommen in Bezug auf Arbeitsgenehmigungen für Mitausreisende. Darüber hinaus werden zahlreiche Webseiten zum Thema internationale Jobpools genannt (»Country Informations and Links«). Für EU-Mitgliederstaaten gibt es eine interessante Vereinigung namens »European Union Foreign Affairs Spouses Association« (EUFASA), ebenfalls eine Non-Profit-Organisation, die sich mit der Rolle der mitausreisenden Partnerinnen auseinandersetzt (www.eufasa.org). In Österreich unterstützt der »Club der Angehörigen« (CDA) im Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten (BMEIA) mitausreisende Partnerinnen und Partnern aktiv (www.cdaaustria.at). In Deutschland kümmert sich die »Familien- und Partnerorganisation im Auswärtigen Amt e. V.«, eine private Selbsthilfegruppe, um die Belange der Mitausreisenden, in der Schweiz gibt es innerhalb des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA) ein »Family Office«. Wenn Sie sich gut vorbereitet haben und sämtliche Jobfragen und administrativen Hindernisse bewältigt haben, dann sind Sie bereit für den Neubeginn. Was Sie in der ersten Zeit erwartet und wie Sie sich in Ihrem neuen Umfeld am besten zurechtfinden, das erfahren Sie im nächsten Abschnitt. 110

Das neue Leben beginnt Mitausreisende Partnerinnen oder Partner, sofern sie nicht berufstätig sind, finden sich oft in der Rolle, am neuen Einsatzort möglichst rasch Routine in den neuen Alltag zu bringen und das Einrichten der neuen Wohnung und Auspacken unzähliger Kartons, die Haushaltsorganisation, Schulfragen, Kinderbetreuung und ihre persönlichen Zielsetzungen in den Griff zu bekommen. Zusätzlich kämpfen sie oft mit Kommunikationsproblemen, weil sie die Landessprache nicht oder kaum beherrschen. Im Gegensatz zu ihren Partnern oder Partnerinnen, die auf Grund ihrer beruflichen Funktion vor Ort auf eine bereits bestehende Organisationsstruktur und auf berufliche Kontakte zurückgreifen können, müssen sie sich in der fremden Umgebung allein orientieren und selbst ein Netzwerk aufbauen. Trotz großer Vorfreude auf dieses neue Leben im Ausland und trotz des Enthusiasmus bei der Ankunft erleben viele Mitausreisende diese ersten Monate als besonders schwierig. Denn sie befinden sich in einer ganz neuen Situation: Sie gaben ihren Job auf, sind oft zum ersten Mal in ihrer Beziehung finanziell abhängig und können mit keinem unmittelbaren Rückhalt vonseiten der Berufskollegen oder mit der Unterstützung von Freunden oder der Familie rechnen. Der arbeitende Partner oder die Partnerin sowie ältere Kinder verlassen morgens das Haus und gehen ihren Aufgaben nach. Sie als nicht berufstätige Begleitperson hingegen bleiben allein zurück. Niemand ist da, mit dem Sie reden können, alles ist fremd und unvertraut, die Wohnung ein Chaos und die Liste mit den Erledigungen unendlich lang, wobei Sie erst mühsam herausfinden müssen, wo wann was wie zu finden ist. Diese ersten Wochen oder Monate sind oft eine Zerreißprobe – für Ihre Partnerschaft, für Ihr Selbstbewusstsein, für Ihre eigene Identität (➝ mehr dazu in »Was ist ein Kulturschock?«).

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Kontakte knüpfen Wenn Sie nicht berufstätig sind, dann versuchen Sie, über internationale Organisationen oder Gruppierungen (z. B. International Women’s Club, Sprach- und Sportklubs, Schule, Hilfsorganisationen, Kirche usw.) so rasch wie möglich Kontakte mit anderen Expatriates oder Inländern zu knüpfen. Sobald Sie sich ein Netz an Beziehungen aufgebaut haben, ist es viel leichter. Sie brauchen andere Personen, mit denen Sie reden können. Leider sprechen die meisten Betroffenen kaum über diese anfängliche Verzweiflung. Die meisten müssen damit allein fertig werden, denn von Seiten des Unternehmens oder der Organisation, für die der Partner oder die Partnerin arbeitet, gibt es kaum Unterstützung. Ein Sprachkurs, der am Anfang besucht wird, bietet eine gute Gelegenheit, andere Expatriates kennenzulernen und sich auszutauschen. Wenn Sie Kinder haben, dann finden Sie leicht Kontakte durch Schule oder Kindergarten. Sie werden überrascht sein von der Solidarität, die unter Eltern und Familien herrscht. Um sich gegenseitig zu unterstützen, werden Fahrgemeinschaften für den Transport von und zur Schule gegründet, Nachmittagsbetreuung und Spielgruppen organisiert, gemeinsame Ausflüge ins Schwimmbad usw. unternommen. Diese Solidarität hilft sehr, sich rasch einzuleben und sich als Mitglied einer Gemeinschaft zu fühlen. Oft ergeben sich vor Ort Zusammenschlüsse dadurch, dass man in derselben Lage ist, gemeinsame Hobbys oder Interessen hat. Man erleichtert sich den Alltag durch kleine Serviceleistungen. Das kann sehr hilfreich sein. Meistens schließt man rasch Kontakt und ist bald enger befreundet, auch wenn diese Freundschaften natürlich zeitlich begrenzt sind. Wenn Personen aus dem Freundeskreis wegziehen, ist es nicht immer leicht, den Kontakt über die Distanz aufrechtzuerhalten. Aber gerade in diesem Bereich ist das Internet eine große Unterstützung, die Kontakte lebendig zu halten (➝ mehr dazu in »Kultur ist ein Gruppenphänomen« und »Bewältigung eines Kulturschocks«). 112

Soziale Unterstützung im Ausland Soziale Unterstützung ist im Ausland besonders wichtig, weil die gewohnten Kontakte in der Heimat unterbrochen wurden und neue Kontakte vor Ort erst aufgebaut werden müssen. Für die Situation von Expatriates unterscheidet man zwischen drei Hauptgruppen sozialer Unterstützung: die Gruppe aus der Heimatkultur, die Gruppe der internationalen Gemeinschaft und die Gruppe der Personen aus dem Gastland. Eine Unterstützung vor Ort von Personen aus der Heimatkultur ist besonders wichtig, weil wichtige Informationen im Rahmen der eigenen kulturellen Vertrautheit ausgetauscht werden. Wichtig dabei ist auch, dass man in der eigenen Muttersprache kommunizieren kann, wodurch leichter eine Vertrautheit hergestellt werden kann. Gerade in Kulturen, zu denen die Kulturdistanz sehr groß ist, ist eine solche Unterstützung bedeutend. Eine Unterstützung von anderen Expatriates aus der internationalen Gemeinschaft verleiht das Gefühl, dazuzugehören. Die Erkenntnis, dass es den anderen auch nicht anders geht als einem selbst, ist dabei meistens beruhigend. Das Netzwerk der internationalen Gemeinschaft ist meistens sehr aktiv und wirkungsvoll. Die Unterstützung von Personen aus dem Gastland ist sehr bedeutend, weil man wichtige, verlässliche Informationen aus erster Hand erhält. Im Idealfall betreffen diese die implizite Ebene der Kultur, also die Verhaltenscodes, Gepflogenheiten oder Regeln, die im Alltag anzuwenden sind. Solche Unterstützung trägt wesentlich zu einer rascheren Integration bei. Insofern sind Kontakte zu Personen aus dem Gastland besonders wichtig, weil sie das Zugehörigkeitsgefühl erhöhen und das psychische Wohlbefinden wesentlich fördern. Gerade in der Welt der Expatriates sind soziale Kontakte einer hohen Fluktuation ausgesetzt, das wird in Umfragen auch immer wieder beklagt. Es besteht die Gefahr, dass diese Kontakte oberflächlich bleiben, was Auswirkungen auf die Qualität der sozialen Unterstützung hat. Es ist erwiesen, dass soziale Unterstützung durch Familienmitglieder am wirkungsvollsten ist. Und das ist bei Auslandsentsendungen genau das Problem, 113

unter dem viele Expatriates leiden. Es fehlt die erweiterte Familie – Großeltern, Geschwister, Onkeln und Tanten, aber auch enge Freunde. Gerade deshalb ist es im Ausland wichtig, anspruchsvolle und befriedigende Kontakte aufzubauen. Dabei ist es besonders bedeutend, über kulturelle Unterschiede in der Kommunikation und der Art, wie Kontakte und Freundschaften geknüpft und aufgebaut werden, Bescheid zu wissen (➝ mehr dazu in »Kulturdimensionen«). Im deutschsprachigen Raum haben wir einen besonderen Begriff von Freundschaft. Für einen Freund, eine Freundin tun wir alles. Eine solche Beziehung beruht auf gegenseitigem Vertrauen und einem hohen Qualitätsanspruch an. In der interkulturellen Terminologie nach Alexander Thomas nennt man das die »Interpersonale Distanzdifferenzierung«, ein wichtiger Kulturstandard für Deutschland, der sich gut in der Phrase ausdrückt: »Mische dich nicht ungefragt in die Angelegenheiten eines anderen Menschen ein« (➝ mehr dazu in »Kulturstandards«). In unserem Verhalten anderen gegenüber unterscheiden wir genau zwischen Fremden, Nachbarn, Bekannten, Kollegen, Freunden und engen Freunden. Wir gehen grundsätzlich davon aus, dass uns die Angelegenheiten unserer Nachbarn nichts angehen, solange wir mit ihnen nicht persönlich bekannt sind. Für einen guten Freund sind wir aber jederzeit mit unserer Unterstützung da. In vielen Kulturen wird zwischen Nähe und Distanz bei zwischenmenschlichen Kontakten weniger differenziert. In Frankreich oder Italien werden nachbarschaftliche Beziehungen grundsätzlich gepflegt und sind für den Alltag und die gegenseitige Unterstützung sehr wichtig. Als weiteres Beispiel möchte ich die nordamerikanische Kultur und die von Europäern oft angesprochene »oberflächliche Freundlichkeit« anführen. Für die USA ist der Kulturstandard »Interpersonale Zugänglichkeit« charakteristisch, das bedeutet, zwischen Personen entsteht oft unmittelbar nach der ersten Kontaktaufnahme eine Beziehung, die sich in Gesprächsbereitschaft und Hilfsbereitschaft ausdrückt und sehr kollegial ist. Wir erleben aus unserer Sicht dieses Verhalten oft als widersprüchlich, weil es von einem anderen Verhältnis zwischen Nähe und Distanz 114

ausgeht, als wir das gewohnt sind. Möchten wir dann eine solche Beziehung auf der persönlichen Ebene vertiefen, stoßen wir rasch auf große Reserviertheit (Kulturstandard »Interpersonale Reserviertheit«). Wir reagieren darauf entrüstet mit der Wertung, »die Amerikaner seien alle oberflächlich«. Es handelt es sich dabei aber um unterschiedliche Auffassungen von Nähe und Distanz in zwischenmenschlichen Beziehungen (vgl. Slate u. Schroll-Machl, 2006). In diesem Sinne ist es für den Aufbau von sozialen Beziehungen sehr wichtig, über die kulturellen Unterschiede Bescheid zu wissen. Eine hohe soziale Kompetenz, Kommunikationsfähigkeit sowie ein kulturelles Bewusstsein sollte man als Expatriate ebenfalls mitbringen (➝ mehr dazu in »Kulturstandards, Kulturdimensionen und die Entwicklung interkultureller Kompetenzen«).

Perspektiven für die Zukunft Die Zukunft liegt in den »Double Career Couples«. Immer mehr Mitausreisende gehen davon aus, dass sie im Ausland ebenso Arbeit haben werden. Männliche Mitausreisende sind öfter berufstätig als weibliche und haben es generell aufgrund der traditionellen Rollenverteilung leichter als Frauen, ihre berufliche Tätigkeit weiterzuführen. Das Bildungsniveau der weiblichen Mitausreisenden ist laut Umfragen überdurchschnittlich hoch. Daraus ergibt sich eine erhöhte Unzufriedenheit, wenn keine Möglichkeiten zu einer beruflichen Tätigkeit bestehen. Viele dieser Partnerinnen verfügen über umfassende Sprachkenntnisse und über sehr gute Organisationsfähigkeiten. Durch ihren Lebensstil und ihre Funktion als Partnerinnen von Repräsentanten internationaler Unternehmen oder Institutionen eignen sie sich Managerfähigkeiten an. Sie führen meist einen großen Haushalt, oft mit mehreren Hausangestellten, organisieren gesellschaftliche Veranstaltungen in kleinem und großem Rahmen, betreuen internationale Gäste und kümmern sich nebenbei um das 115

Schul- und Privatleben ihrer Kinder. Sie holen sich Tipps über das Netzwerk der internationalen Gemeinschaft. Das Problem dieser Art von Beschäftigung ist leider, dass sie unbezahlt und selbstverständlich ist. Anerkennung ist hier rar, wie die Arbeit einer Hausfrau und Mutter, aber auch die eines Hausmanns und Vaters, öffentlich gering anerkannt und auch nicht finanziell entlohnt wird. Weibliche Mitausreisende sollten auf ihrem Willen, auch im Ausland berufstätig zu sein, deutlicher beharren und alles unternehmen, um dies zu erreichen. Dazu gehören nicht nur die eigene Überzeugung, sondern auch viel Willenskraft, um sich nicht entmutigen zu lassen. Dazu gehört auch, sich in den Personalabteilungen mit seinen Wünschen Gehör zu verschaffen. Kompromisslosigkeit gehört ebenfalls dazu. Die viel gepriesene Anpassungsfähigkeit von Frauen, die sicherlich eine wichtige Eigenschaft ist, kann auch zu einem Eigentor werden. Mitausreisende Frauen müssen ihre Partner verstärkt vor Bedingungen stellen, die ihre eigenen Interessen und Absichten zum Ausdruck bringen. Die große Gefahr der Position als Mitausreisende liegt darin, dass diese Rolle eher konservativ besetzt ist und die Erwartungen von außen kaum einen Spielraum lassen, die eigenen Vorstellungen durchzusetzen. In dieser Hinsicht sollten sich weibliche Mitauseisende durchaus an ihren männlichen Kollegen orientieren. Männer als Mitausreisende haben zwar oft mit der Umkehrung ihrer sozialen Rolle zu kämpfen, denn ein Mann, der die Haushaltsorganisation und Kinderbetreuung übernimmt, fällt auf. Zum Glück gibt es dennoch immer mehr seinesgleichen. Internationale Unternehmen könnten das Potential von Mitausreisenden viel mehr nutzen. Wie bereits darauf hingewiesen, versuchen einige internationale Agenturen, diese Personen auf dem internationalen Arbeitsmarkt zu vermitteln (siehe Webseiten im Anhang). Dieses Kapitel beschrieb die Situation der Mitausreisenden – wie wichtig auch für sie eine gute Vorbereitung ist, welche Fragen sich stellen, welche Hindernisse auftauchen können 116

und wie man am besten einen Job im Ausland findet. Viele, die sich für einen Auslandsaufenthalt entscheiden, sind nicht nur zu zweit, sondern haben Kinder in unterschiedlichen Altersgruppen. Wie ergeht es Kindern und Jugendlichen, die ins Ausland mitgenommen werden? Welche Vorteile, aber auch welche Schwierigkeiten bringt eine solche Entscheidung der Eltern mit sich? Mehr darüber im folgenden Teil.

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Teil 4: Kinder im Ausland

»Am Anfang braucht die Familie so viel Unterstützung, dass keine Zeit zum Nachdenken bleibt. Der Haushalt muss so rasch wie möglich laufen und eine Routine muss gefunden werden, damit die Kinder sich halbwegs wohlfühlen. Ich habe immer zuerst die Kindersachen ausgepackt und die Kinderzimmer eingerichtet. Die Kinder brauchen das als Sicherheit, sonst sind sie orientierungslos. Die ganze emotionale Kraft fließt da hinein.« (K. S.)

Kinder werden bei Auslandsentsendungen oft unter »Ferner liefen« oder »Nicht zu vergessen« eingeordnet. Allgemein wird angenommen, dass Kinder sich ohnehin leicht anpassen und sich rasch in eine neue Umgebung einfinden. Das gilt für kleinere Kinder, aber auch nur, wenn sie entsprechend liebevoll in einer stabilen Eltern-Kind-Beziehung betreut werden. Für Jugendliche, die sich entwicklungsbedingt in einer Übergangsperiode befinden, in der sie sich persönlich sehr verändern und in der sie sehr sensibel auf äußere Veränderungen reagieren, hat das Erleben anderer Kulturen großen Einfluss auf ihre Persönlichkeitsentwicklung und auf ihr späteres Leben. Wenn Sie als Familie ins Ausland gehen, dann begeben Sie sich gemeinsam auf ein Abenteuer, dessen Ausgang Sie nicht vorher genau absehen können. Welchen Einfluss wird das Leben in einer neuen Kultur auf Ihre Kinder haben? Wie werden sie sich verändern? Von wo werden ihre Freunde sein? Wo werden sie sich später niederlassen? Wenn Sie Ihre Kinder in Ihr aufregendes Auslandsleben miteinbeziehen, dann rechnen Sie damit, dass die Entwicklung ihrer Kinder anders verläuft als Ihre eigene, falls Sie in einem monokulturellen Umfeld aufgewachsen sind und möglicherweise Ihre gesamte Kindheit und Jugend an einem einzigen Ort verbracht haben, vielleicht einmal umgezogen sind, ein bis zwei Mal die Schule wechselten und Ihre Ausbildung an einem einzigen Ort, vielleicht in Ihrer Heimatstadt absolvierten, eventuell mit einem Auslandspraktikum. 119

Ein Leben in anderen Kulturen hat nachhaltige Auswirkungen auf die Entwicklung der Kinder. Wie immer Ihre Kinder die neuen Erfahrungen selbst erleben, wichtig ist, dass Sie ihnen immer zur Seite stehen, ihnen Rückhalt und Stabilität vermitteln und eine verlässliche emotionale Stütze für sie sind. Wenn Sie mit Ihren Kindern ins Ausland gehen, dann sind Sie als Eltern vorerst die einzigen Bezugspersonen für sie. Sie vermitteln ihnen die Basis einer kulturellen Identität und Ihre Reaktionen sind ausschlaggebend, wie sie die neue Kultur im Gastland erleben. Ihr Verhalten in der Gastkultur wird von den Kindern genau registriert und hat Modellcharakter. Je positiver und offener Sie sind, desto leichter werden sich die Kinder in ihrer neuen Umgebung zurecht finden. Aber wichtig ist: Nehmen Sie sich in dieser schwierigen Übergangssituation für Ihre Kinder viel Zeit und Geduld. In diesem Kapitel geht es insbesondere um sogenannte »Third Culture Kids«, das sind Kinder, die mehr im Ausland leben als in der Heimat ihrer Eltern. Weiterhin erfahren Sie, wie Sie den Umzug und den Schulwechsel mit Ihren Kindern am besten managen, welche Schulen es im Ausland gibt und weshalb die Rückkehr in die Heimat für Kinder, die vorwiegend im Ausland aufgewachsen sind, oft nicht einfach ist.

Was sind »Third Culture Kids« (TCKs)? »Meine Lehrerin stellte mich der Klasse vor und sagte, ich sei aus England. Aber ich bin nicht aus England, ich war jetzt nur länger dort. Ich bin von nirgendwo und gehöre eigentlich nirgends hin.« »Wenn ich gefragt werde, von wo ich sei, dann frage ich immer nach: Mein Passland oder wo ich gelebt habe?« »Ich bin schon Österreicher, ich meine, ich mag Wien. Aber so ein richtiger Österreicher bin ich nicht, ich meine, wie die anderen. Ich bin auch ein Finne, ich war ja so lange dort. Eigentlich finde ich, ich bin irgendwie international.«

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Der Terminus »Third Culture Kids« oder »TCKs« wurde erstmals in den 1950er Jahren von den amerikanischen Anthropologen John Useem und Ruth Hill Useem verwendet und bezeichnet Kinder und Jugendliche, die vorwiegend in einer oder mehreren Kulturen, die von der Kultur ihrer Eltern unterschiedlich sind, aufwuchsen. Ihre Identität ist daher wesentlich von einer so genannten »dritten Kultur« bestimmt, die sich weder aus der Kultur ihrer Aufenthaltsorte noch aus der ihrer Eltern zusammensetzt, sondern ein ganz eigenes kulturelles Phänomen darstellt. Zur Kultur ihrer Eltern haben diese Kinder in ihrem Alltag nur wenig Kontakt, sie verbringen oft nur die Ferien dort. Sie sind es gewöhnt, mit ihren Eltern von einem Land in ein anderes zu ziehen, und sind deshalb geografisch nicht oder kaum verwurzelt. Sie wissen, was Versetzung, Umzug, Veränderung, Schulwechsel, Abschied und Neubeginn bedeuten. Sie haben gelernt, sich rasch in einer neuen Umgebung zurechtzufinden und sich anzupassen, Freundschaften zu schließen, Abschied zu nehmen und dennoch Beziehungen aufrechtzuerhalten. Sie sprechen meistens mehrere Sprachen und zeichnen sich durch hohe Flexibilität, Anpassungsfähigkeit, Toleranz, Offenheit und einem ausgeprägten Sinn und Verständnis für kulturelle Unterschiede aus. In der Regel sind sie sehr unabhängig, wissen, was sie wollen, und sie sind es gewohnt, sich auf Unvorhergesehenes einzustellen. Diese Kinder haben keine Heimat im traditionellen Sinn. Sie sind überall und nirgends zu Hause. Sie sind geografisch nicht an einem einzigen Ort verwurzelt, aber sie können sich überall rasch anpassen. Sie reagieren auf kulturelle Unterschiede sehr sensibel und ihre Identität setzt sich aus einer Vielzahl unterschiedlicher kultureller Komponenten zusammen. Das macht sie so einzigartig (vgl. Pollock u. van Reken, 1999). Früher waren TCKs vor allem die Kinder von Diplomaten, Militärs oder Missionaren, die langfristig auf Auslandseinsatz waren. Heute im Zeitalter der Globalisierung und wirtschaftlichen Vernetzung gibt es immer mehr Expatriates, die von internationalen Unternehmen entsendet werden und von Land 121

zu Land ziehen. Die Aufenthaltsdauer an einem Ort beträgt oft nicht mehr als zwei bis drei Jahre, was vor allem für Jugendliche eine Belastung sein kann.

Entwicklungspsychologische Aspekte Um das Phänomen von TCKs verstehen zu können, bedarf es einer kurzen Rückschau auf die Entwicklungspsychologie von Jugendlichen oder Adoleszenten. Die Adoleszenz gilt als jene Periode, in der Kinder ihrer Kindheit entwachsen und in eine Phase eintreten, in der ihre biologische Uhr anders zu ticken beginnt. Die Identitätsbildung setzt verstärkt ein und der Übergang ins Erwachsenenalter startet. Mit dem körperlichen Wachstum und der Entwicklung der Geschlechtsreife gehen psychische Veränderungen einher. In dieser Zeit der allmählichen Ablösung sucht der Jugendliche nach neuen Erfahrungen und Beziehungen außerhalb der Familie und ist sehr empfänglich für äußere Einflüsse aller Art. Wenn adoleszente Jugendliche in mehreren Kulturen aufwachsen, wirkt sich dies nachhaltig auf die Persönlichkeits- und Identitätsbildung aus, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen ist. Anders als Jugendliche, die in einem monokulturellen und daher stabilen Umfeld aufwachsen, sind TCKs in dieser wichtigen Entwicklungsphase besonders vielfältigen Eindrücken ausgesetzt. Die Adoleszenz wird übereinstimmend zwischen dem 11. und 20. Lebensjahr angesetzt und teilt sich in drei Etappen: frühe, mittlere und späte Adoleszenz. In der frühen Adoleszenz entwickelt das Kind eine Lernfähigkeit auf komplexer Ebene und lernt, abstrakt zu denken und Zusammenhänge herzustellen. Die mittlere Etappe zeichnet sich durch ein immer stärker werdendes Bedürfnis nach Unabhängigkeit und Loslösung von den Eltern aus. Die Jugendlichen entdecken ihre eigene innere Gefühlswelt. Die Beziehungen zu den Eltern werden konfliktreicher, weil die Jugendlichen verstärkt versuchen, sich von ihnen abzugrenzen. Sie beginnen, sich in ihre eigene Welt zurückzuziehen, endlose Telefongespräche mit Peers zu führen 122

oder Tagträumen nachzugehen, Tagebuch zu schreiben. In der späten Adoleszenz entwickelt sich ein immer stärker werdendes Bewusstsein für die eigene Identität. Die eigenen Fähigkeiten werden erkannt und anerkannt, Entscheidungen können verantwortungsvoll getroffen werden, die Jugendlichen zeigen sich insgesamt in ihrem emotionalen Verhalten stabiler. Die Akzeptanz für soziale Einrichtungen und kulturelle Normen wächst kontinuierlich. Jugendliche in diesem Alter interessieren sich immer mehr für ihre Stellung in der Welt und für ihr künftiges Leben. Sie lernen, sich selbst Ziele zu setzen und diese zu verfolgen. Sie verfügen über ein immer stärker werdendes Selbstbewusstsein und können Kompromisse eingehen. Sie finden ihren Platz in ihrem sozialen Umfeld und werden ein integriertes Mitglied der Gesellschaft. Angesichts der nachgezeichneten Entwicklung wird verständlich, warum die besondere Lebensform von TCKs wesentlich ihre Persönlichkeitsbildung prägt. Das Durchlaufen der einzelnen Entwicklungsstadien, nämlich 1. die Suche nach der eigenen Identität, 2. das Herstellen und Erhalten von beständigen Beziehungen außerhalb der Familie, 3. entscheidungsfähig werden und 4. Unabhängigkeit erreichen, verläuft für viele TCKs nicht immer so reibungslos. Sie erleben, dass ihre kulturelle Umgebung nicht stabil ist, sondern sich oft ändert. Zu 1.: Gerade die Frage nach der eigenen Identität: »Wer bin ich?« und »Warum bin ich so, wie ich bin?« erweist sich als schwierig. Normalerweise vollzieht sich dieser Prozess im Austesten einer vorhandenen stabilen Realität und es kommt zu Konflikten. Durch den Prozess von Identifizierung und Abgrenzung entwickeln Jugendliche langsam ein Bewusstsein für ihre eigene Identität. Wenn sich die Umgebung oder kulturelle Regeln oft ändern, dann entsteht mitunter Verwirrung, denn den Jugendlichen mangelt es an einer klar definierten Zugehörigkeit zu einer Gruppe, mit der sie sich identifizieren können 123

(➝ mehr dazu in »Kultur ist ein Gruppenphänomen«). Regeln, die in einem Land gelten, sind in einem anderen völlig unangemessen oder verpönt. Es gibt zum Beispiel große Unterschiede, wie das Ausgehen und Verabredungen oder der Alkoholkonsum gehandhabt werden. Während in den USA Verabredungen (»Dating«) zwischen Jungs und Mädchen sehr formell gehandhabt werden und es für die Jugendlichen sehr wichtig ist, mehrere »Dates« zu haben, wird damit in Europa viel informeller und lockerer umgegangen. Jungs und Mädchen treffen sich zwanglos, die Geschlechterrollen vermischen sich eher und sind weniger starr. Man geht in Gruppen aus und pflegt lockeren Umgang miteinander. Ein weiteres markantes Beispiel ist der Alkoholkonsum: In den USA und Nordeuropa sehr streng durch Altersbegrenzungen geregelt, ist in Mittel- und Südeuropa der Umgang mit Alkohol eher liberal. Das kann für Jugendliche eine große Umstellung sein und Verwirrung auslösen, weil sie mit sehr unterschiedlichen Werten konfrontiert werden. Regeln erscheinen daher nie als etwas Absolutes, da sie immer schon als kulturabhängig und veränderbar erlebt werden. Daraus ergibt sich eine erhöhte Flexibilität und Anpassungsfähigkeit sowie Toleranz für unterschiedliche Verhaltensregeln in unterschiedlichen kulturellen Zusammenhängen (➝ mehr dazu in »Kulturstandards, Kulturdimensionen und die Entwicklung interkultureller Kompetenzen«). Die Gefahr besteht darin, dass Jugendliche die Orientierung verlieren und sich ihre Identitätsbildung daher schwierig vollzieht. Auf Grund der mangelnden Stabilität der Umgebung und des Orientierungsrahmens entstehen Gefühle von Wurzellosigkeit und Heimatlosigkeit. Gerade in diesem Entwicklungsprozess zeigt sich, wie sehr Kultur als Orientierungsrahmen fungiert, der stark identitätsbildende Funktion hat (➝ mehr dazu in »Kultur wird erlernt« und »Kultur ist ein Gruppenphänomen«). Zu 2.: Wie Beziehungen herzustellen und zu erhalten sind, ist für Heranwachsende von großer Wichtigkeit. Für TCKs ist extreme Mobilität normal, sie sind gewöhnt an vielfältige Kontaktmöglichkeiten, aber auch an einen stetigen Wechsel ihrer 124

Kontakte. Ihre Beziehungsfähigkeit wird nur von einer gesunden Beziehung zu den Eltern oder anderen Bezugspersonen genährt. Fehlende oder unterbrochene Bindungen führen daher oft zu einem Gefühl der Leere, zu Verlust- und Beziehungsangst. Die vermehrte Erfahrung von Verlusten im Laufe eines Expatriate-Lebens kann sich bei TCKs problematisch auf die Beziehungsfähigkeit im Allgemeinen auswirken. Daher ist die gut funktionierende Familie und Eltern-Kind-Beziehung so besonders wichtig: Sie vermittelt Vertrauen, Zugehörigkeit, Sicherheit und Schutz. Zu 3. und 4.: Entscheidungsfähig und unabhängig zu werden, ist keine einfache Aufgabe. TCKs sind unterschiedlichen kulturellen Alltags- und Kommunikationsformen ausgesetzt. Sie sprechen meistens mehrere Sprachen und übernehmen oft Verantwortungen, die nicht ihrem Alter entsprechen, etwa wenn sie für ihre Eltern übersetzen, da diese die jeweilige Fremdsprache nicht sprechen; sie reisen mitunter regelmäßig allein über große Distanzen oder bewerkstelligen extrem lange Schulwege per Bahn, sie erwerben auch fundierte Kenntnisse über viele Orte auf der Welt und sind an den Geschehnissen weltweit sehr interessiert. Weil sie an so vielen Orten auf der Welt gelebt haben, entwickeln sie eine starke, oft sehr emotional gefärbte Beziehung zu den dortigen politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Ereignissen, weil sie diese mit konkreten Personen verbinden können. All das gibt ihnen das Rüstzeug, früh autonom zu sein, einen weiten Horizont und eine globale Sichtweise zu entwickeln und Entscheidungen allein zu treffen. Deshalb sind TCKs oft frühreif, mit diesem Erfahrungsspektrum haben sie anderen Jugendlichen ihres Alters einiges voraus. Darin mag ein Grund liegen, dass TCKs mit »normalen« Jugendlichen ihrer Altersgruppe oft nicht so gut zurandekommen. Es kann jedoch auch zu einer verspäteten Adoleszenz kommen. Aufgrund der oft wechselnden Umgebungen und dem Mangel an stabilen Zugehörigkeiten kann eine verzögerte Identitätsbildung eintreten. Häufige Verlusterfahrung kann dazu führen, dass es Jugendlichen schwerfällt, langfristige und tiefere Beziehungen einzugehen. Oft ist die Beziehung zu den 125

Eltern besonders eng, die Kinder wachsen sehr behütet und beschützt auf und der Loslösungsprozess von der Familie setzt verzögert ein. Für die Eigenständigkeit kann sich eine derartige behütete Umgebung negativ auswirken, der Jugendliche lernt erst spät, Entscheidungen allein zu treffen und Verantwortung zu übernehmen. Das Gleiche gilt für die Erlangung von Unabhängigkeit.

Was macht TCKs so besonders? »Nach meiner Rückkehr in mein ›Passland‹ hatte ich das Gefühl, irgendwie nicht dazu zu gehören. Ich bin viel aufgeschlossener und offener als die anderen. Dauernd meckert irgendjemand über die Ausländer . . . Aber jetzt, nach einem halben Jahr, fühle ich mich ganz wohl hier. Mir fehlen aber immer noch meine alten Freunde.«

Umfassende Umfragen ergaben, dass ehemalige TCKs durch ihre langjährigen Erfahrungen in verschiedenen Kulturen ein anderes Selbstverständnis entwickeln als Personen, die immer nur in einer Kultur leben. Sie zeichnen sich durch ein distanziertes Verhältnis zu ihrer eigenen Kultur bzw. Kultur der Eltern aus, die durch das Erleben anderer Kulturen ihre Einzigartigkeit eingebüßt hat. Anstatt einer stark geografisch besetzten kulturellen Identität erleben sie, dass verschiedene Kulturen und Umgebungen Einfluss auf sie haben. Sie entwickeln eine kulturelle Identität, eine »dritte Kultur«, die sich aus all ihren Kontaktkulturen zusammensetzt und eine eigenständige Form darstellt, empfinden aber zu keiner dieser einzelnen Kulturen eine enge Zugehörigkeit (➝ mehr dazu in »Kultur wird erlernt« und »Kultur ist ein Gruppenphänomen«). In einem sich mehrmals ändernden kulturellen Umfeld entwickeln sie besondere Fähigkeiten. Sie sprechen ausgezeichnet mehrere Sprachen und verstehen andere kulturelle Bräuche und Sitten. Sie gehen selbstverständlich mit kulturellen Unterschieden um. Sie sehen die Welt multikulturell und profitieren davon. Kulturelle Vielfalt ist für diese Kinder durch den Umgang mit Gleichaltrigen aus verschiedenen Kulturen etwas All126

tägliches. Kinder lernen ja vor allem durch Nachahmung und der Umgang mit verschiedenen kulturellen Bedeutungszusammenhängen erzeugt bei ihnen ein breites Spektrum an Verhaltensmustern und führt automatisch zu einer multikulturellen Identität. Sie lernen spielerisch, wie man sich in kulturell unterschiedlichen Rahmenbedingungen zu verhalten hat (➝ mehr dazu in »Kulturstandards, Kulturdimensionen und die Entwicklung interkultureller Kompetenzen«). Sie lernen aber auch darüber nachzudenken, wer sie sind, wohin sie gehören oder wohin sie gehören wollen. Sehr wichtig ist für sie die Zugehörigkeit zu verschiedenen Gruppen in der Schule und bei Freizeitaktivitäten, etwa zu diversen Sportgruppen, Musikgruppen, Religionsgruppen usw., vor allem aber zu jener Gruppe, mit der sie sich am meisten identifizieren können: die anderen TCKs. TCKs fühlen sich in der Gegenwart anderer TCKs wohl, weil sie mit ihnen die Erfahrung der kulturellen Randstellung teilen. Diese macht sie zwar anpassungsfähig, bewirkt aber, dass sie nie vollständig angepasst oder integriert sind, nie vollkommen dazugehören. Deshalb sind internationale Schulen eine hervorragende Möglichkeit für TCKs, Gleichgesinnte zu treffen. Untersuchungen an internationalen Schulen ergaben, dass 80 % der TCKs einen High-School-Abschluss machen und die Hälfte davon ein Universitätsdiplom erwerben. Sie gelten als besonders sprachbegabt, flexibel und neugierig und sie zeichnen sich durch vielfältige Interessen aus. »Und Sie waren wirklich in Kenia, in Nairobi, in einer deutschen Schule? Bernhard Grzimek? Wie der berühmte Zoodirektor aus Frankfurt und Tierfilmer?«, fragt die junge Kollegin. »Nein, wie dessen Sohn Michael, der mit dem Flugzeug in der Serengeti abstürzte!«, antworte ich inzwischen etwas unwirsch und überlege, wie oft ich diese Geschichte – meine Lebensgeschichte – schon erzählt hatte. Stellen Sie sich einen Haufen Kinder vor, die zufällig zusammengewürfelt in den 1980er Jahren in Nairobi/Kenia zur Schule gingen, alle in dieselbe Klasse, größtenteils in Afrika oder sonstwo auf der Welt aufgewachsen sind und anschließend in alle Himmelsrichtungen wieder verschwanden. Vor zwanzig Jahren und mehr! Szenenwechsel: Berlin Tegel, August 2008. Je länger der Abend, desto klarer die Erkenntnis: Wir von der MGS (Michael-Grzimek-Schule – Deutsche Schule Nairobi) gehören zusammen, auch wenn wir schon

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immer ein bunter Haufen waren. Loyangalani, Lake Turkana, Naro Moro, Mt. Kenya, Tsavo, Amboseli, Mombasa, Tiwi Beach, Twiga Lodge, Lamu, Joghurt Inn (Masiva Lala), Kanamai, Masinga Dam, 14 Falls, Africana Sea Lodge und die legendäre Banda Diskothek sind noch ein entferntes, aber klares Echo Afrikas.«

Durch den Kontakt mit vielen Kulturen entwickeln TCKs eine Art transnationaler Identität und beurteilen deshalb andere Personen nicht nach ihrem Aussehen oder nach ihrer Nationalität. Sie sind sehr tolerant und haben einen sehr praxisorientierten Begriff von »international« bzw. was unter »international« verstanden werden soll: nämlich eine große Offenheit für andere Personen oder Kulturen, aber auch für andere Formen des Lernens und Wahrnehmens. Sie verfügen über eine hohe Akzeptanz an Diversität und erkennen andere Personen, die anders sind als sie selbst, problemlos an. Dadurch sind sie im Umgang mit anderen Personen sehr einfühlsam und praktizieren interkulturelle Sensibilität im wahrsten Sinne des Wortes. TCKs sind anderen Ländern gegenüber sehr aufgeschlossen und interessieren sich für die politischen und wirtschaftlichen Ereignisse weltweit, und das auch Länder betreffend, in denen sie nicht gelebt haben. Sie sind an den Geschehnissen persönlich interessiert, oft deshalb, wie bereits erwähnt, weil sie diese Ereignisse mit ihnen bekannten Personen in Verbindung bringen können. TCKs haben als Erwachsene laut Umfragen auf Grund der vielfältigen Erfahrungen in mehreren Ländern eine starke Tendenz zur internationalen Mobilität. Sie haben eine andere Auffassung von Sicherheit und Stabilität, die nicht unbedingt mit einem einzigen Ort verbunden ist, sondern ortsunabhängig ist. Sie wissen, dass neue Erfahrungen bereichernd sind und haben keine inneren Widerstände gegen Veränderung. TCKs zeichnen sich durch ein hohes Interesse am Erlernen weiterer Sprachen aus, da sie wissen, wie wichtig umfassende Sprachkenntnisse für den Umgang mit Menschen im internationalen Umfeld sind. Ein weiterer Aspekt, der oft unbeachtet ist: TCKs sind ihren Eltern gegenüber oft toleranter und schätzen die familiären 128

Bindungen als wichtiger und bedeutender ein als Jugendliche, die monokulturell und an einem einzigen Ort aufgewachsen. Sie wissen, dass die Unterstützung der Familie in Zeiten des Umzugs und der Eingewöhnung in eine neue Kultur sehr bedeutend ist. Die gesunde Kernfamilie gilt als der Ort bedingungslosen Rückhalts, da im Ausland die Mitglieder der weiteren Familie nicht vorhanden sind und auf sie nicht gezählt werden kann. Das kann zu einer sehr auf Vertrauen und tief empfundener Zugehörigkeit innerhalb der Kernfamilie führen, vorausgesetzt, die Beziehungen sind stabil und gesund. Möglicherweise erleben TCKs eher in dieser Lebensform jene Stabilität und Sicherheit, die Personen, die monokulturell aufwachsen, mit dem Ort ihrer Kindheit, der Heimat, in Verbindung bringen.

Was ist für TCKs so schwierig? »Alles ist anders in Irland. Kultur und Leute. Nach Pakistan ist mir hier alles zu sehr auf Konsum eingestellt. Und dann ist alles so geregelt, das geht mir sehr auf die Nerven. Keine Spontaneität. Obwohl Pakistan in der Entwicklung im Vergleich ja sehr hinten nach ist. Ich vermisse auch die vielen Reisemöglichkeiten eines so großen Landes.«

Die einfache Frage »Woher kommst du?« ist für TCKs oft nicht leicht zu beantworten. Denn die Nationalität macht nur einen geringen Teil ihrer kulturellen Identität aus und ist zuweilen für sie gar nicht bestimmend. TCKs sind mitunter nirgendwo zu Hause. Auch in ihrem Passland sind sie oft Außenseiter, weil sie sich anders als andere Gleichaltrige erleben. Deshalb fühlen sie sich öfter nirgends zugehörig, einsam oder wurzellos. In diesem Zusammenhang kommt es zu Identitätsproblemen (➝ mehr dazu in »Was ist Kultur?«). Sie nehmen eine Randstellung ein, eine Art »kultureller Marginalität«. Damit ist gemeint, dass sie zwar überall leben können und keine Anpassungsschwierigkeiten haben, aber nirgends wirklich dazugehören. Aus dieser Position heraus erleben sich TCKs oft als anders oder einzigartig, haben aber 129

das Gefühl, von den anderen nicht immer richtig verstanden zu werden. Sie empfinden sich als weltoffener, toleranter und erfahrener im Vergleich zu anderen Gleichaltrigen, werden aber genau durch diese mitunter arrogante Haltung leicht zu Außenseitern. Für jugendliche TCKs ist es am schwersten, wenn sie vor einem erneuten Umzug stehen und sich von ihren Freunden trennen müssen (➝ mehr dazu in »Auslöser für einen Kulturschock«). Gerade in ihrem Alter sind Freunde und Freundesgruppen für die Identitätsbildung und die langsame Loslösung von den Eltern besonders wichtig. Trauer um Verlust oder Trennung von Freunden gehören deshalb zu den häufigsten intensiv erlebten Emotionen von TCKs und führen oft zu Verlust-, Beziehungs- und Trennungsangst. Deshalb fühlen sich TCKs oft zu anderen TCKs hingezogen und gehen mit ihnen bevorzugt Beziehungen ein, da sie mit ihnen diese Verlusterfahrung teilen. In diesem Zusammenhang kommt es oft zu Konflikten und Problemen, über die nicht oder nicht ausreichend gesprochen wird. Die Jugendlichen scheuen sich oft davor zuzugeben, dass diese Lebensart schwierig für sie ist. Sie können nicht artikulieren, dass sie mitunter Angst haben, neue Beziehungen einzugehen, weil sie sich schon im Vorhinein vor einer möglichen Trennung fürchten. Kummer bei Trennungen oder Trauer bei Verlusten darf oft nicht zugegeben werden oder ist nicht erlaubt. Einerseits sind die Jugendlichen mit diesen Konflikten überfordert, andererseits haben sie oft keine Möglichkeit oder keinen Raum, darüber zu sprechen und ihre Gefühle auszudrücken. Es mangelt oft an Verständnis, Trost und offenen Ohren in ihrer unmittelbaren Umgebung. Die Folge davon kann ein innerer Rückzug sein oder eine depressive Störung und Gefühle der Wut, die in Rebellion münden oder auf andere Personen übertragen werden. Ein weiteres Problem liegt im Lebensstil. TCKs wachsen oft in Kulturen oder Umgebungen auf, in denen sie aufgrund der äußeren Umstände (Sicherheit, Kriminalität, sozialer Status) sehr behütet und beschützt werden. Sie wuchsen mitunter mit 130

Hausangestellten oder einem Kindermädchen auf, die ihnen alles abnahmen. In der neuen Umgebung sind Hausangestellte jedoch meist unüblich und sie müssen sich erst daran gewöhnen, dass niemand hinter ihnen Ordnung macht. Oft sind auch die neuen finanziellen Verhältnisse in der Familie für diese Jugendlichen gewöhnungsbedürftig, denn im Inland sind die Gehälter meistens signifikant geringer als im Ausland. Vielleicht erlaubten es die Sicherheitsvorkehrungen nicht, dass sie selbstständig etwas unternehmen konnten. Sie wurden überall mit dem Auto hingebracht und abgeholt. Sie mussten sich um nichts kümmern. Bei einer Rückkehr in die Heimat oder bei einem Umzug nach Europa sind sie daher mit Alltagsfragen konfrontiert, die sie aus ihrem bisherigen Leben kaum kennen. Sie müssen oft erst lernen, sich ganz frei und selbständig zu bewegen. Sie müssen lernen, die U-Bahn zu benutzen, mit einer bestimmten Summe Taschengeld umzugehen und sich um Alltägliches zu kümmern. Viele TCKs, zunächst überglücklich über die neu erworbene Freiheit, sind sich der Gefahren der neuen Umgebung oft nicht bewusst und sind möglicherweise zu unvorsichtig oder zu vertrauensvoll.

Zukunftsperspektiven für TCKs Viele Kinder und Jugendliche profitieren ihr Leben lang von den Erfahrungen, die sie im Ausland gemacht haben. Sie entwickeln dabei Fähigkeiten, die sie von anderen Kindern und Jugendlichen, die monokulturell aufwachsen, unterscheidet. Gerade diese Fähigkeiten (Weltoffenheit, Toleranz, Flexibilität, kulturelles Bewusstsein, interkulturelle Kompetenzen, fundierte Sprachkenntnisse) sind heute eine wichtige Ressource für ihre berufliche Zukunft. Für internationale Unternehmen wird es zunehmend schwieriger, entsprechende Kandidaten zu finden, die bereit sind, beruflich ins Ausland zu gehen und dafür auch gut gewappnet sind – kurz, Personen, die interkulturelle Kompetenzen aufweisen. Ehemalige TCKs, die bereits über diese Kompetenzen 131

verfügen, da sie in ihrer Kindheit und Jugend in mehreren Kulturen gelebt haben, sind daher ein ernstzunehmendes Potential für international tätige Unternehmen und Institutionen (➝ mehr dazu in »Kulturstandards, Kulturdimensionen und die Entwicklung interkultureller Kompetenzen«). Ehemalige TCKs eignen sich sehr gut als interkulturelle Trainer für Expatriates und für internationale Arbeitsteams. Sie können auch als Mentoren für Expatriates fungieren, ein Modell, das immer mehr Unternehmen als Betreuungsmaßnahme für Expatriates oder Rückkehrende aufgreifen. TCKs eignen sich auch hervorragend als Vermittler bei internationalen Verhandlungen, wenn kulturelle Aspekte maßgebend sind oder zu Konflikten führen (vgl. Selmer u. Lam, 2001). TCKs sind sich der kulturellen Unterschiede bewusst und wissen, wie man mit ihnen umgeht. Sie verkörpern Internationalität und sind als »Ready-made«-Expatriates prädestiniert für internationale Karrieren. Die Vorteile von TCKs im Überblick: − erhöhte Bereitschaft zur Mobilität, − Gefühl »international« zu sein, − Kenntnis mehrerer Kulturen, − Offenheit und Respekt gegenüber anderen Personen und anderen Kulturen, − differenzierte Wahrnehmung anderer Kulturen, − Flexibilität, − Kommunikationsfähigkeit, − Interesse an anderen Kulturen, − interkulturelle Kompetenzen, die praktisch verinnerlicht sind. Die Problematik von TCKs ergibt sich erst, wenn man mit Kindern längere Zeit im Ausland ist bzw. war. Wichtig ist, dass Sie sich der komplexen Vor- und Nachteile dieser Lebensform für Ihre Kinder bewusst sind. Wenn Sie mit Ihren Kindern zum ersten Mal ins Ausland gehen, dann ist es wichtig, Kinder und Jugendliche in diese Entscheidung miteinzubeziehen. Wie Sie das am besten tun, erfahren Sie im nächsten Abschnitt. 132

Kinder und Jugendliche gut vorbereiten Bei einer Auslandsentsendung ist die ganze Familie betroffen. Wichtig ist, dass alle Beteiligten, auch die Kinder, zu Wort kommen. Sprechen Sie mit Ihren Kindern über Ihr Vorhaben, bevor Sie mit den Vorbereitungen für den Umzug ins Ausland beginnen. Auch wenn Sie noch kleine Kinder haben, ist es wichtig, ihnen davon zu erzählen. Beziehen Sie die Kinder in den Entscheidungsprozess mit ein. Gehen Sie gemeinsam in eine Buchhandlung oder in die Bücherei, suchen Sie nach Literatur, Fotobänden oder Filmen über das neue Land. Fragen Sie nach altersspezifischen und kindergerechten Büchern, die das Leben in der anderen Kultur aus der Sicht von Kindern schildern. Es gibt mittlerweile auch hilfreiche Literatur für Kinder, die den Umzug ins Ausland und die gesamte Veränderung behandeln. Solche Literatur ist sehr hilfreich (siehe Anhang). Sprechen Sie ausführlich mit Ihren Kindern über die bevorstehende Veränderung. Vermitteln Sie Ruhe und Zuversicht, machen Sie sie neugierig. Ermöglichen Sie Ihren Kindern, sich von Freunden und anderen Familienmitgliedern zu verabschieden. Veranstalten Sie ein Abschiedsfest für Kinder oder eine große Familienfeier. Wenn Sie Kinder haben, die bereits in der Pubertät sind, dann müssen Sie sich auf größere Widerstände gefasst machen. Am besten ist es, wenn Sie von Anfang an versuchen, Jugendliche in den Entscheidungsprozess mit einzubeziehen. In diesem Alter reagieren Kinder sehr empfindlich auf vorgesetzte, von den Eltern getroffene Entscheidungen. Bereiten Sie die Jugendlichen positiv vor, indem Sie die vielen neuen Möglichkeiten, die ein Auslandsaufenthalt mit sich bringt, betonen. Gerade für Heranwachsende ist es schwierig, die gewohnte Umgebung und Freunde zurückzulassen. In diesem Alter brauchen Jugendliche andere Altersgenossen, einen besten Freund oder eine beste Freundin und stabile Beziehungen zu Freundesgruppen. Sie sind dabei, sich von den Eltern loszulösen und brauchen ihren Freiraum. In einer solchen Phase ist ein bevorstehender Umzug in ein fremdes Land oft gar nicht willkommen oder wird total abgelehnt. Sie brauchen dann vermutlich 133

viel Überzeugungskraft, um Ihre Heranwachsenden von der bevorstehenden Veränderung zu überzeugen. Erklären Sie Ihren Jugendlichen ausführlich, warum Sie sich zu einem Auslandsaufenthalt entschlossen haben und weshalb Sie glauben, dass die ganze Familie davon profitieren werde. Besprechen Sie die Möglichkeiten, die sich Ihrer Tochter oder Ihrem Sohn bieten werden: neue Schule, internationales Umfeld, Vertiefung der Sprachkenntnisse, vielfältige Beziehungen, neue Sportmöglichkeiten und Aktivitäten, viele Reisen und neue, interkulturelle Erfahrungen. Betonen Sie, dass solche Erfahrungen für die weitere Zukunft sehr wichtig sind und eine Bereicherung für das ganze Leben darstellen. Es gibt mittlerweile auch interkulturelle Trainings für Kinder und speziell für Jugendliche, bei denen auf professionelle Weise altersgerechte Vorbereitung geboten wird (siehe Webseiten im Anhang). Seien Sie insgesamt verständnisvoll und geduldig. Kinder und vor allem Jugendliche brauchen viel Zeit, sich an den Gedanken einer Veränderung zu gewöhnen. Je mehr Sie mit ihnen darüber sprechen, ihnen zuhören und auf ihre Ängste und Befürchtungen eingehen, desto eher können Sie sie motivieren und ihnen die Angst nehmen. Nehmen Sie dabei ruhig professionelle Hilfe in Anspruch! Die wichtigsten Punkte im Überblick, an die Sie denken sollten, bevor Sie mit Jugendlichen ins Ausland gehen: − Beziehen Sie Jugendliche in den Entscheidungsprozess mit ein. − Bedenken Sie bei der Postenwahl die Vor- und Nachteile für alle Familienmitglieder. − Überprüfen Sie das Sicherheitsrisiko und die Bewegungsfreiheit für Jugendliche. − Achten Sie auf die Schulwahl und einen bevorstehenden Schulabschluss. − Vermitteln Sie ein positives Gefühl und betonen Sie die Vorteile eines Auslandsaufenthaltes für die weitere Zukunft des Jugendlichen. 134

− Nehmen Sie für Ihre Tochter oder Ihren Sohn ein interkulturelles Training in Anspruch. − Ermöglichen Sie, dass Jugendliche mit der übrigen Familie und mit ihren Freunden in Verbindung bleiben können (Internet, Telefon, gegenseitige Besuche, gemeinsame Ferien mit den übrigen Familienmitgliedern oder mit Freunden). − Seien Sie sehr verständnisvoll und versuchen Sie, immer für Ihre Jugendlichen da zu sein und ihnen zuzuhören. Teilen Sie mit ihnen Ängste und Sorgen. − Seien Sie offen und transparent: Vermitteln Sie dem Jugendlichen auch Ihre eigenen Unsicherheiten und Zweifel. − Vermitteln Sie Weltoffenheit und Neugierde an anderen Kulturen.

Bedeutung der Postenwahl Wenn Sie beabsichtigen, mit Ihrer Familie ins Ausland zu gehen, dann ist die Wahl des Ortes bzw. des Landes von entscheidender Bedeutung. Nicht alle Orte sind für eine Familie geeignet bzw. nicht alle Orte sind für Kinder jeder Altersstufe passend. Die Postenwahl sollte eingehend geprüft und auf sämtliche Vor- und Nachteile für alle Familienmitglieder abgewogen werden: Klima, Sicherheit, mögliche Freizeitaktivitäten, Schule, Transportmöglichkeiten, Berufsmöglichkeiten für den Partner. Generell ist es mit kleineren Kindern leichter, ins Ausland zu gehen, denn kleinere Kinder haben noch kein soziales Eigenleben und passen sich bei entsprechend verständnisvoller und stabiler Betreuung in der Familie sehr leicht an eine fremde Umgebung an. Für sie sind die Eltern der primäre Bezugspunkt und die gute Beziehung zu ihnen ist entscheidend dafür, dass sich ein Kind rasch am neuen Wohnort einlebt. Wenn Sie ältere Kinder oder Jugendliche haben, dann ist die Wahl des Ortes von Bedeutung. Sie sollten daran denken, welche Hobbys Ihre Kinder haben und ob sie diese auch in dem neuen Land betreiben können. Auch das Klima ist von großer 135

Bedeutung, denn in tropischen Klimazonen sind viele OutdoorSportarten nur sehr eingeschränkt zu praktizieren. Denken Sie auch daran, ob sich Jugendliche in der neuen Umgebung frei bewegen können? Wie ist die Infrastruktur? Gibt es für Jugendliche die gewohnten Möglichkeiten, sich in der Freizeit zu betätigen? Wie gefährlich ist der Ort? Müssen entsprechende Sicherheitsmaßnahmen getroffen werden? Können sie sich auf der Straße frei und unbeaufsichtigt bewegen oder ist das zu gefährlich? Können Ihre Kinder vor Ort nur im Auto transportiert werden? In welcher Umgebung werden Sie wohnen, in einem Appartement oder Einfamilienhaus? Werden Sie auf einem Compound leben? Diese und ähnliche Fragen sind für Jugendliche entscheidend. Informieren Sie sich bei Personen, die bereits Erfahrungen in verschiedenen Ländern haben.

Die schwierige Phase des Ankommens Kinder, vor allem kleine Kinder, sind sehr auf Gewohnheiten und Rituale angewiesen. Das verleiht ihnen Sicherheit. Beim Umzug achten Sie deshalb darauf, dass Sie ein paar Lieblingsspielzeuge und Lieblingsbücher extra einpacken, die Sie ständig griffbereit haben. Bei kleinen Kindern ist es gut, auch während des Umzugs gewisse Rituale einzuhalten, wie etwa das abendliche Baden oder die Gute-Nacht-Geschichte. Versuchen Sie, trotz Umzugchaos zuerst das Kinderzimmer in Ordnung zu bringen und die Spielsachen auszupacken. Sobald Ihr Kind seine gewohnten Sachen wiederfindet und »alles am Platz ist«, kann es sich wieder orientieren und findet sich in seinem neuen Zuhause rasch zurecht. Größere Kinder brauchen viel emotionale Unterstützung und viele Gespräche. Gerade wenn es um einen neuen Kindergarten oder eine neue Schule geht, sind viele Kinder verunsichert. Oft gibt es am ersten Schul- oder Kindergartentag Tränen, aber nach einigen Tagen sind vielleicht schon die ersten Freundschaften geschlossen. Unterstützen Sie die neuen sozialen Kontakte Ihrer Kinder durch Einladungen oder gemeinsa136

me Aktivitäten. Gehen Sie gemeinsam in den Supermarkt oder auf einen lokalen Markt und lassen Sie Ihre Kinder neue Süßigkeiten oder noch unbekannte Früchte aussuchen. Für Kinder ist es spannend, neue Geschmacksrichtungen auszuprobieren. Vermitteln Sie Ihren Kindern Ruhe und Sicherheit und versuchen Sie, auch in schwierigen Situationen nicht die Nerven zu verlieren – etwa wenn Sie sich mit dem Auto am neuen Wohnort hoffnungslos verfahren haben! Reden Sie mit Ihren Kindern über die Fehler, die Ihnen am Anfang passieren. Ihre Kinder sollen ruhig wissen, dass der Anpassungsprozess für alle, auch für Erwachsene, schwierig ist und Zeit braucht. Bei Jugendlichen sollten Sie sehr aufmerksam sein. Achten Sie darauf, dass sich Ihre Tochter oder Ihr Sohn nicht zu sehr zurückzieht oder viel allein ist. Kinder in dieser Altersstufe fallen leicht in depressive Verstimmungen, wenn ihr gewohntes Beziehungsnetz nicht mehr vorhanden ist. Versuchen Sie, die Kommunikation zu ihnen aufrechtzuerhalten und viel zu unternehmen. Gehen Sie mit Ihren Jugendlichen einkaufen oder probieren Sie ein Restaurant mit lokalen Spezialitäten aus. Entdecken Sie gemeinsam die neue Umgebung. Sobald Ihr Jugendlicher neue Freunde oder Kontakte hat, unterstützen Sie das, veranstalten Sie gemeinsame Abendessen oder andere Aktivitäten. Erlauben Sie dem Jugendlichen aber auch ausreichend Freiraum und Selbständigkeit. Falls dies aus Sicherheitsgründen an einem Ort nicht möglich ist, sprechen Sie ausführlich darüber und erklären Sie die Lage. Finden Sie Wege und Möglichkeiten, wie sich Ihre Jugendlichen an die neue Situation gewöhnen und dennoch ihre Freiräume haben können. Kinder brauchen andere Kinder. Zum Glück gehen sie auch im Ausland in Kindergarten und Schule. Auch wenn Sie als Eltern die wichtigsten Bezugspersonen sind, ist es wichtig, eine gute Wahl bei Kindergarten und Schule zu treffen. Mehr dazu im folgenden Abschnitt.

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Familie, Schule und soziale Beziehungen Bedenken Sie, dass Sie als Eltern im Ausland die einzigen Bezugspersonen für Ihre Kinder sind. Andere Familienmitglieder wie Großeltern, Tanten oder Onkel, Cousins und Cousinen sind außer Reichweite. Durch die neue und ungewohnte Umgebung sind Kinder oft verunsichert und brauchen die Aufmerksamkeit, Hilfe und Unterstützung ihrer Eltern viel intensiver als im Heimatland. Am Anfang haben sie noch wenige Freunde und wissen nicht, was sie in ihrer Freizeit tun sollen. Auch wenn Sie durch diese übermäßige Inanspruchnahme überfordert sind, reagieren Sie Ihren Kindern gegenüber geduldig und einfühlsam. Sie sind die einzigen Personen, denen sich Ihre Kinder anvertrauen können. Sorgen Sie dafür, dass Sie rasch ein neues Zuhause schaffen, in dem sich die ganze Familie wohl fühlt.

Kindergarten und Schule Über das Kindergartenangebot informieren Sie sich am besten vor Ihrem Umzug. Lokale Kindergruppen oder Spielgruppen innerhalb der internationalen Gemeinschaft werden Sie meistens erst nach vor Ort herausfinden. Das Angebot ist in der Regel ausreichend und Sie können zwischen internationaler Playgroup und Preschool, französischer Maternelle und deutscher Kindergruppe wählen. Oft gibt es auch internationale Baby- oder Krabbelgruppen. Diese Gruppen sind auch für Sie als Eltern eine gute Gelegenheit, Kontakte zu knüpfen, Informationen auszutauschen und Tipps zu bekommen. Über das Schulangebot informieren Sie sich am besten schon vor der Abreise. Die Schulwahl ist eine zentrale Frage, aber oft eine schwierige. Es gibt internationale Schulen, nationale Schulen (etwa deutsche, französische, englische, japanische, russische Schulen) und lokale Schulen. Bei längeren Aufenthalten ab fünf Jahren sind lokale Schulen oft von Vorteil, da das Kind sich im lokalen Umfeld so138

zialisieren kann. Außerdem lernt es mühelos die Landessprache. Ob eine lokale Schule für Sie und Ihr Kind attraktiv ist, hängt sehr vom Ort und der jeweiligen Landessprache ab. Oft gibt es auch bilinguale Schulen, in denen neben der Landessprache auch eine zweite Sprache (meist Englisch) unterrichtet wird. Manche bilinguale Schulen bieten auch einen internationalen Schulabschluss (Internationales Bakkalaureat, IB-Diplom) an. Nationale Schulen, die in den Hauptstädten der meisten Länder der Welt zu finden sind, werden gern gewählt, wenn das Kind in seiner Muttersprache sozialisiert und ausgebildet werden soll. Französische, deutsche und englische Schulen sind sehr verbreitet und bieten je nach Größe ein breites Spektrum an Programmen, außerschulischen Aktivitäten und Veranstaltungen an. Diese Schulen werden auch gern von der lokalen Bevölkerung besucht, wodurch es zu einem Austausch zwischen Inund Ausländern kommt. Andere nationale Schulen (russische, japanische, polnische usw.) sind in vielen Ländern eher klein und deshalb oft an die Botschaft angegliedert. Diese Schulen haben den Vorteil, dass sich Ihr Kind bei einer Rückkehr in die Heimat leichter ins heimische Schulwesen eingliedern kann. Internationale Schulen (International School, American International School) gibt es in nahezu allen Ländern der Welt. Sie sollten sich überlegen, ob Sie für Kind eine Ausbildung und Sozialisierung in englischer Sprache vorziehen. Dies hat natürlich viele Vorteile. Gerade heute ist es wichtig, zumindest eine Fremdsprache sehr gut in Wort und Schrift zu beherrschen. Das Schulprogramm internationaler Schulen ist zwar weltweit nicht unbedingt einheitlich, bei Schulwechsel wird aber sehr flexibel damit umgegangen. Ab der 6. oder 7. Schulklasse wird eine Fremdsprache (meistens Spanisch oder Französisch) eingeführt. Als Schulabschluss wird an den meisten internationalen Schulen das Internationale Bakkalaureat angeboten, ein sehr ausgewogenes und weltweit einheitliches zweijähriges Diplom-Programm, das den Zugang zu Universitäten weltweit ermöglicht. Der Vorteil von nationalen und internationalen Schulen 139

liegt darin, dass sie hauptsächlich von Kindern der internationalen Gemeinschaft besucht werden, die alle über einen ähnlichen Hintergrund verfügen. Die meisten von ihnen kommen aus unterschiedlichen Kulturen, sprechen mehrere Sprachen und haben bereits in einigen Ländern gelebt. Das Lehrpersonal an solchen Schulen ist daran gewöhnt, mit sogenannten TCKs umzugehen und sich auf die vielfältigen Hintergründe und auch Probleme dieser Kinder einfühlsam einzustellen. Das erleichtert sehr oft den Schuleinstieg und die Integration in die neue Klassengemeinschaft. Überlegen Sie in aller Ruhe, welcher Schultyp für Ihr Kind in Frage kommt. Oft ist es von Vorteil, einen Schultyp zu wählen und dabei zu bleiben. Informieren Sie sich über die jeweiligen Schultypen vor Ort oder über Personen, die bereits Erfahrungen mit diesen Schulen haben. Konsultieren Sie auch eine Schulberatung. Kinder reagieren auf Schulsysteme sehr unterschiedlich. Jeder Schultyp hat andere Schwerpunkte. Achten Sie bei Ihrem Kind auf die Stärken und Schwächen in den schulischen Leistungen. Vergleichen Sie dann die verschiedenen Schultypen und versuchen Sie herauszufinden, welches Schulsystem Ihrem Kind am ehesten entgegenkommt. Wenn Sie sich nicht sicher sind, dann konsultieren Sie eine Schulberatung oder einen Schulpsychologen. Ist es für Ihr Kind einfach, Kontakte zu knüpfen und findet es leicht Anschluss? Findet es sich rasch in einer neuen Umgebung zurecht oder braucht es länger, bis es sich wohl fühlt? Hat Ihr Kind Hobbys (Musik, Sport), die es in der neuen Umgebung weiter betreiben und auf diesem Weg leicht Kontakte knüpfen kann? Wenn Ihr Kind sehr zurückhaltend ist und sich nicht leicht anderen Kindern anschließt, dann bedenken Sie, welchen Schultyp bzw. welche Schulsprache Sie wählen. Wenn Sie Ihr Kind im Ausland mit einer neuen Schulsprache konfrontieren, kann das als Überforderung erlebt werden und sich in der Folge negativ auf die Gesamtentwicklung des Kindes auswirken. Achten Sie bei einem bevorstehenden Umzug auf die psy140

chische Verfassung Ihres Kindes. Eine labile psychische Verfassung schlägt sich auch auf die Leistungen nieder, vor allem bei einem Schulwechsel. Überlegen Sie gut, ob Sie Ihr Kind in einer solchen Situation aus seiner gewohnten Umgebung und aus seinem vertrauten sozialen Umfeld nehmen wollen. Denken Sie an Alternativen, wenn ein Auslandsposten unvermeidbar ist (z. B. Internat oder Aufteilung der Familie). Ist Ihr Kind hingegen sozial sehr aktiv, die schulischen Leistungen gut und es ist psychisch stabil, dann wird es sich wahrscheinlich auch in der neuen Umgebung bald integrieren und sich wohl fühlen. Eine wichtige Voraussetzung ist natürlich Ihre emotionale Unterstützung.

Zeitplan und Curriculum Wenn Sie planen, ins Ausland zu gehen, dann achten Sie auch auf einen günstigen Zeitpunkt für Ihr Schulkind. Während des Schuljahres ist ein Wechsel für ein Kind sicherlich nicht ideal. In der Oberstufe, vor allem in den letzten beiden Klassen, ist ein Schulwechsel für einen Jugendlichen sehr schwierig, weil die Lehrpläne oder das Fächerangebot der Schulen nicht immer genau übereinstimmen. Sehen Sie sich beim gewählten Schultyp die Curricula an. Daran können Sie verschiedene Phasen erkennen, die auch oft den Entwicklungsphasen der Kinder entsprechen. Hier ein Überblick der Altersgruppen und Abschnitte bei der deutschen, französischen, internationalen Schule: − 3–6 Jahre: Kindergarten – Maternelle – Preschool und Kindergarden; − 6–10 Jahre: Grundschule – Primaire – Primary School; − 10–14 Jahre: Mittelschule/Unterstufe – Secondaire – Middle School; − 14–18/19 Jahre: Oberstufe – Collège – High School. Solange die Kinder kleiner sind, also in die Grundschule oder Unterstufe gehen, ist jeder Zeit ein Schulwechsel möglich, vorausgesetzt natürlich, Ihr Kind ist in einer stabilen psychischen 141

Verfassung. Schwieriger wird es ab der High School oder Oberstufe, Collège. Bei einigen Schultypen müssen sich die Jugendlichen früh für eine fachliche Richtung entscheiden oder eine Fächerkombination für das Abitur oder das französische oder internationale Bakkalaureat auswählen. Das Angebot an Fächerkombinationen an internationalen und nationalen Schulen ist weltweit nicht einheitlich und oft ist die Größe einer Schule für das Angebot ausschlaggebend. Ein Schulwechsel in dieser Phase kann dann oft problematisch sein, da eine Kontinuität in den gewählten Fächerkombinationen nicht gewährleistet werden kann. Sie sollten deshalb die Kursangebote der betreffenden Schulen sehr genau vergleichen. Vor allem für ältere Jugendliche, die vor dem Abschluss stehen, ist dies für ihre spätere Ausbildung oder für ein Universitätsstudium entscheidend. Denken Sie deshalb immer einen Schritt voraus. Welche Konsequenzen hat die gegenwärtige Schulwahl auf die Möglichkeiten für die weitere Ausbildung später? Kann Ihr Kind mit dem Schulabschluss, den es im Ausland erworben hat, in Ihrer Heimat studieren oder muss es Prüfungen nachholen? Welche Fächerkombination ist nötig für eine bestimmte Studienwahl? Welche Schulabschlüsse werden wo anerkannt? Diese wichtigen Fragen sollten Sie in Ruhe behandeln und Ihre Jugendlichen dabei miteinbeziehen. Informieren Sie sich über die Webseiten der Schulen, auf denen Sie die einzelnen Programme und Kurse nachlesen können. Es gibt auch immer eine Kontaktperson für Curriculum-Fragen, die Sie telefonisch kontaktieren können. Nehmen Sie auch eine Schulberatung in Anspruch.

Erwartungshaltung der Eltern Die Haltung der Eltern ist bei einem Leben im Ausland für das Wohlbefinden der Kinder entscheidend. Eltern müssen sich überlegen, ob sie wollen, dass ihre Kinder längere Zeit im Ausland aufwachsen und anderen Einflüssen ausgesetzt sind als sie selbst in ihrer eigenen Kindheit. 142

Folgende Fragen sollten Sie sich durch den Kopf gehen lassen: Wollen Sie, dass Ihr Kind in einem internationalen Umfeld aufwächst und offen für neue Kulturen und Lebensweisen wird? Sind Sie bereit, dass sich durch das Auslandsleben, das Sie gewählt haben, Ihr Kind in einer Weise verändert, die Sie vielleicht nicht nachvollziehen können? Glauben Sie, dass Sie bei Ihrer vermutlich anspruchsvollen Tätigkeit im Ausland auch immer genügend Zeit und Energie für Ihre Kinder haben werden? Glauben Sie, dass Sie im Ausland Ihre Kinder immer ausreichend und liebevoll unterstützen und ihnen in schwierigen Situationen beiseite stehen können? Glauben Sie, dass Sie leicht damit fertig werden, wenn Ihre Tochter oder Ihr Sohn sich nach dem Schulabschluss entschließt, in einem anderen Land zu studieren oder sich dort beruflich niederzulassen? Können Sie damit umgehen, dass Ihr Kind zu Ihrer Heimatkultur eine andere Beziehung hat als Sie selbst? Ein Leben im Ausland hat viele Vorteile und bietet Kindern unzählige neue Erfahrungen und Möglichkeiten, die im Inland nicht gegeben sind. Jedoch sind Kinder durch ein Leben im Ausland auch vielen Unsicherheitsfaktoren ausgesetzt und benötigen dann verstärkt die Unterstützung und Hilfe der Eltern. Überlegen Sie für sich, ob Sie dies leisten können (Zeit, Energie) und wollen (Familienplanung, Lebensplanung). Wenn Sie eine schwierige oder labile Beziehung zu Ihrem Partner oder Ihrer Partnerin haben, dann überdenken Sie nochmals den Schritt, ins Ausland zu gehen. In Extrem- oder Übergangssituationen werden auch Paarbeziehungen auf die Probe gestellt. Ihre Kinder brauchen Sie dann aber besonders intensiv. Wenn die Familie als wichtigste emotionale Stütze zusammenbricht, hat dies nachhaltige negative Auswirkungen auf die psychische Verfassung und Entwicklung eines Kindes. Alle diese Punkte sollten Sie sich in Ruhe überlegen. Es ist wichtig, dass Sie als Eltern in Bezug auf Ihre Kinder und die Zukunft Ihrer Kinder klare Vorstellungen und Standpunkte haben. Sprechen Sie gemeinsam über die Schulwahl und über die vielfältigen Möglichkeiten, die Jugendliche im Ausland erwartet. 143

Es ist auch bedeutend, dass Sie wissen, wie Sie Ihre Kinder in einem internationalen Umfeld unterstützen können. Ihre Haltung ist entscheidend für die Entwicklung Ihrer Kinder. Sie vermitteln Ihren Kindern das Gefühl, wohin sie gehören, wo ihre Wurzeln sind. Sie sprechen mit ihnen Ihre Muttersprache – oft sind Sie im Ausland die einzigen Personen, die dies tun. Auch wenn Ihre Kinder nie lange in Ihrer Heimat gelebt haben, so entwickeln sie ein Gefühl dafür, was Heimat bedeutet. Sorgen Sie dafür, dass Ihre Kinder Ihrer Heimat gegenüber ein positives Gefühl entwickeln. Lassen Sie es aber auch zu, wenn Ihre Kinder sich in dem Land, in dem Sie gerade leben, mehr Zuhause fühlen und hier ihre wichtigen Beziehungen haben. Vielleicht haben Sie damit Probleme, aber dann sollten Sie darüber nachdenken und Ihren Standpunkt reflektieren. Auf keinen Fall sollten Sie Ihrem Kind gegenüber eine negative Einstellung dem Gastland gegenüber zeigen. In einer solchen Situation sind Ihre interkulturellen Kompetenzen gefragt und Sie sollten viel Einfühlungsvermögen zeigen. Wie für Erwachsene steht auch Kindern eines Tages die Rückkehr in die »Heimat« bevor. Dass für Kinder, die viel im Ausland waren, Heimat nicht das Gleiche ist wie für Sie, wurde bereits besprochen. Wie können Sie Ihre Kinder und Jugendlichen am besten für die bevorstehende Rückkehr vorbereiten? Mehr dazu im folgenden Abschnitt.

Rückkehr in die Heimat Wenn die Rückkehr in die Heimat bevorsteht, erwartet Sie und Ihre Kinder viel Veränderung. Wie Erwachsene sollten Kinder und Jugendliche auf die Rückkehr gut vorbereitet werden. Viele Kinder freuen sich, endlich dort zu wohnen, wo sie bisher immer so schöne Ferien verbracht haben, und in der Nähe der Großeltern, Cousins und Cousinen zu sein. Kleinere Kinder reagieren sicherlich positiv und haben meistens bei der Umstellung keine Probleme. Auch hier ist natürlich eine liebevolle und stabile elterliche Betreuung für die psychische Stabilität 144

von Bedeutung. Ältere Kinder und Jugendliche können der Rückkehr oft wenig abgewinnen. Für sie ist die elterliche Heimat nicht ihre Heimat, auch wenn sie regelmäßig in den Ferien dort waren und auch ein gutes Gefühl für diesen Ort entwickelt haben. Da diese Kinder und Jugendliche einen wesentlichen Teil ihrer späteren Kindheit und Adoleszenz in einer anderen Kultur verbrachten, ist ihre Bindung an die »Heimat« nicht so stark. Als TCKs fühlen sie sich vielmehr beiden oder mehreren Kulturen verbunden. Erwarten Sie bei der Rückkehr deshalb nicht überschwängliche Gefühle Ihrer Jugendlichen, sondern rechnen Sie mit einer distanzierten und abwartenden Haltung.

Identität Ältere Kinder und Jugendliche, die in mehreren Kulturen aufwachsen, entwickeln ein anderes Selbstverständnis. Ihre kulturelle Identität gründet nicht in einer einzigen Kultur, sondern in mehreren. In der Heimat sind sie dann vorwiegend mit Kindern und Jugendlichen konfrontiert, die diese Erfahrungen nicht mit ihnen teilen, weil sie in einem monokulturellen Umfeld aufgewachsen sind. Es gibt in jeder Stadt, Schule oder Universität eine eigene Jugendkultur. Ihre Jugendlichen sind zunächst Außenseiter und ganz neuen Umgangsformen ausgesetzt oder einer Jugendsprache mit speziellen Ausdrücken, die Ihre Kinder noch nicht beherrschen, ebenso neue Trends und Vorlieben für bestimmte Musikrichtungen usw., die Ihren Kindern unbekannt sind. Sie fühlen sich zunächst fehl am Platz und sind desorientiert. Sie müssen sich erst ganz neue Verhaltensweisen angewöhnen und langsam lernen, was »in« ist. Dabei ist entscheidend, wie groß die Kulturdistanz zwischen der Kultur, aus der Sie gerade kommen, und Ihrer Heimat ist. Je größer die Kulturdistanz, umso größer sind die Umstellungsprobleme. In diesem Zusammenhang ist auch die Schulwahl von Bedeutung. Wenn Sie die Absicht haben, Ihr Kind in Ihrer Heimat in eine lokale Schule zu geben, dann bedenken Sie, dass 145

es sich hier in ein relativ monokulturelles Umfeld einfügen muss. Die anderen Schüler und Schülerinnen, die meistens seit vielen Jahren diese Schule besuchen und in den meisten Fällen auch kaum umgezogen sind, können mit den vielfältigen Erfahrungen, den Sprachkenntnissen und der multikulturellen Umgangsart Ihres Kindes oder Ihres Jugendlichen oft wenig anfangen. Es gibt wenig, was diese Kinder verbindet. Ihr Kind ist anders und das genügt meistens bereits, um »Außenseiter« zu sein. Integration wird in den normalen Schulen meistens nicht leicht gemacht. Auch die Lehrer können schwer damit umgehen bzw. sind nicht entsprechend geschult, darauf zu achten, dass die Integration gut verläuft. Ist Ihr Kind in einem internationalen Umfeld aufgewachsen, dann empfiehlt es sich, auch in der Heimat eine internationale Schule zu wählen. Hier findet es seinesgleichen – andere TCKs, die die gleichen Lebensläufe, Erfahrungen und Verhaltensweisen haben. Auch die Integration in die Klassengemeinschaft verläuft in diesen Schulen meistens problemlos und unauffällig.

Verluste und neue Freiheiten Bei einer Rückkehr in die Heimat haben Ihre Kinder mit großen Verlusten zu kämpfen. Sie müssen ihre Freunde, ihr soziales Umfeld, ihre Schule, ihren Lebensstil zurücklassen. In dieser Übergangssituation kommt es oft zu Identitätsproblemen, das heißt die Kinder wissen nicht, wohin sie gehören (➝ mehr dazu in »Was sind ›Third Culture Kids‹?«, »Kultur ist ein Gruppenphänomen« und »Was ist ein Kulturschock?«). Ermöglichen Sie Ihren Kindern, die Kontakte zu ihren alten Freunden aufrechtzuerhalten. Das ist heute durch Internet und Internet-Telefonieren leichter. Organisieren Sie in den Ferien den Austausch von Freunden. Unterstützen Sie in dieser Übergangssituation Ihre Kinder so gut Sie können. Erklären Sie ihnen die positiven Aspekte der Rückkehr. Etwa dass sie jetzt täglich ihre Muttersprache sprechen können, dass das Niveau der Schule besser 146

ist, es an der Schule ein vielfältiges Angebot an Fächerkombinationen gibt, vielleicht mehr Freizeit- und Sportmöglichkeiten, ein vielfältiges Kultur- und Aktivitätsangebot für Jugendliche, mehr Sicherheit im Alltagsleben, mehr Bewegungsfreiheit im Alltag, dass die weitere Familie, alte Freunde und Spielkameraden da sind und jederzeit besucht werden können. Ein positiver Aspekt der Rückkehr ist oft die neue Freiheit, die ältere Kinder und Jugendliche entdecken, wenn sie nach Mitteleuropa zurückkommen. Wenn sie aus einem Land kommen, in dem sie sich nicht frei bewegen konnten oder wo es keine öffentlichen Verkehrsmittel gibt, dann wird die neu entdeckte Freiheit durch die individuelle Mobilität ein großes Erlebnis für sie sein. Geben Sie Ihren Jugendlichen behutsam genügend Freiraum, diese neue Freiheit auszukosten. Vertrauen Sie darauf, dass sie sich rasch zurechtfinden, bereiten Sie sie aber beispielsweise auch auf die Risiken einer mitteleuropäischen Großstadt vor.

Schulsituation in der Heimat Eine Rückkehr in die Heimat bedeutet einen Schulwechsel für Ihr Kind. Informieren Sie sich zeitgerecht über die verschiedenen Schulangebote zu Hause. Besucht Ihr Kind eine nationale (französische, deutsche, englische, amerikanische) Schule im Ausland, dann liegt es nahe, im Inland eine solche Schule auszuwählen, da die Curricula zumindest ähnlich sind. Vielleicht wollen Sie, dass Ihr Kind die im Ausland erworbene Fremdsprache nicht verliert, und suchen nach einer bilingualen Schule. Das Angebot an solchen Schulen ist in den Großstädten meist sehr gut. Informieren Sie sich genau über die einzelnen Kursprogramme von Schulen, die für Sie in Frage kommen. Wichtig ist auch, ob die Jahresabschlusszeugnisse der Schule im Ausland von der gewählten Schule im Inland anerkannt werden. Wenn Ihr Kind von einer nationalen oder internationalen Schule aus dem Ausland kommt, verlangen viele lokale Schulen im Inland, dass bestimmte Fächer (etwa Geografie, Geschichte, 147

naturwissenschaftliche Fächer) ergänzend nachgeholt werden müssen. Vielleicht fehlt Ihrem Kind ein bestimmtes Stoffgebiet in einem Fach. Das kommt daher, dass der Unterrichtsstoff an den einzelnen Schulen unterschiedlich aufgeteilt wird. Bei Fremdsprachen entstehen oft Probleme, weil in verschiedenen Schulen zu unterschiedlichen Zeitpunkten mit unterschiedlichem Fremdsprachenunterricht begonnen wird. So wird in manchen nationalen oder internationalen Schulen Spanisch oder Französisch als erste oder zweite Fremdsprache angeboten, in anderen aber nur Spanisch oder nur Französisch. Da kann es vorkommen, dass Ihr Jugendlicher die bereits gewählte Sprache im Inland nicht fortsetzen kann, weil sie nicht unterrichtet wird oder er schon auf einem höheren Niveau ist, da er früher begonnen hat. Das Gleiche gilt für andere Fächer. Sie sollten daher diese Unterschiede zwischen den einzelnen Programmen berücksichtigen und sich ganz genau informieren. Französische Schulen sind weltweit einheitlich organisiert und die Curricula stimmen im Wesentlichen überein. Dies gilt auch für die internationalen Schulen, vor allem, wenn sie das Internationale Bakkalaureat (IB-Diplom) als Abschluss anbieten. Das IB-Diplom ist weltweit gleich und die Anforderungen sind an allen internationalen Schulen identisch. Von daher ist eine Kontinuität auch an einer internationalen Schule im Inland gewährleistet. Bedenken Sie auch, dass die letzten beiden Klassen (11. und 12. Schuljahr) im internationalen und im französischen System die Abschlussklassen sind. In manchen Schultypen bilden diese beiden Klassen vom Programm her eine Einheit (internationale Schule, französische Schule). Ein Schulwechsel in dieser Periode ist nicht zu empfehlen, ja oft unmöglich, weil eine für das IB-Diplom gewählte Fächerkombination manchmal an einer anderen Schule nicht fortgesetzt werden kann. Außerdem sind bestimmte Arbeiten (»Extended Essay« und CAS – »Creativity, Action, Service« – in der internationalen Schule), die zu schreiben oder zu absolvieren sind, über beide Schuljahre verteilt. Darüber hinaus ist es eine große Belastung für Ihren Jugendlichen, in dieser anspruchsvollen und stressigen Zeit plötzlich 148

mit neuen Lehrern und einem neuen schulischen Umfeld konfrontiert zu sein. Achten Sie deshalb auf den Zeitplan, wenn Sie eine Rückkehr in die Heimat beabsichtigen oder von Ihrem Arbeitgeber einberufen werden. Zum Abschluss hier die wesentlichen Unterstützungsmaßnahmen vor der Rückkehr in die Heimat im Überblick (wenn möglich auch von Seiten des Arbeitgebers): − umfassende Information über das Heimatland für Eltern und Jugendliche; − detaillierte Informationen über Schulen, Weiterbildungsmöglichkeiten; − Kontaktadressen für Schulberatung oder Schulpsychologen; − Anlegen eines Dossiers, das alle besuchten Schulen, gewählte Fächerkombinationen, Jahresabschlusszeugnisse und Bewertungen Ihres Kindes dokumentiert; − Auflisten der Möglichkeiten an Freizeitaktivitäten, Weiterbildung, Sport, Musik und darstellende Kunst; − bei graduierten Jugendlichen: Liste von Universitäten und Weiterbildungsmöglichkeiten, Studiengebühren; − Gründung eines Netzwerks von heimkehrenden Familien mit Jugendlichen; − Literaturliste und Webseiten zum Thema; − Rückkehrcoaching in Anspruch nehmen. Am Ende dieses Kapitels möchte ich nochmals auf die wichtigsten Punkte hinweisen, wenn Sie mit Ihren Kindern und Jugendlichen ins Ausland gehen. Für Ihre Kinder sind Sie als Eltern im Ausland die einzigen und wichtigsten Bezugspersonen. Das gilt für schwierige Übergangssituationen, in denen Ihre Kinder Ihre uneingeschränkte emotionale Unterstützung brauchen, Sie haben aber auch Vorbildfunktion, wie Ihre Kinder sich dem neuen Land annähern. Ihre Reaktionen und Einstellungen auf die neue Umgebung sind maßgebend dafür, wie Ihre Kinder die Anpassung an die neue Kultur erleben und meistern. Damit haben Sie eine große Verantwortung. Umso wichtiger ist es, sich gut auf diesen Schritt vorzubereiten, mit 149

sich selbst und mit Ihrem Partner oder Ihrer Partnerin in Bezug auf diese Entscheidung im Reinen zu sein. Dazu gehören auch eine umfassende interkulturelle Vorbereitung, ein ausreichendes Kulturwissen und erprobte Bewältigungsstrategien für den Umgang mit Stresssituationen. Achten Sie darauf, in schwierigen Situationen in der Gegenwart Ihrer Kinder nicht die Nerven zu verlieren!

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Abschließende Bemerkungen

Mein großes Anliegen mit diesem Buch ist es, Ihnen als Leser und vielleicht künftigen Expatriate ein realistisches Bild vom Leben im Ausland zu vermitteln, Ihnen aber auch gleichzeitig ein theoretisches und methodisches Rüstzeug auf den Weg mitzugeben. Es gibt viele Situationen im Ausland, mit denen man nicht rechnet und auf die Sie vermutlich kein Sachbuch vorbereiten kann. Vieles sollten Sie sich jedoch vorher überlegen. Eine Entscheidung, die so nachhaltige Konsequenzen mit sich bringt, sollte gut geplant und vorbereitet sein. Dieses Buch soll eine Hilfestellung dazu bieten. Die umfassenden Informationen zum Kulturbegriff und zu bestimmten methodischen Zugangsarten sowie der Überblick über das interkulturelle Trainingsangebot dienen dazu, Ihnen die Komplexität des Themas näherzubringen und Ihnen die Orientierung zu erleichtern. Die Einblicke zum Thema Anpassungsprozess sowie Kulturschock und Rückkehr sollen Ihnen den Umgang mit so genannten Übergangssituationen erleichtern. Diese schwierigen Phasen, die Sie vielleicht mehr oder weniger intensiv durchlaufen werden, betreffen nicht nur Sie persönlich, sondern werden von den meisten Personen erlebt, die diese Übergangssituationen durchlaufen. Eine wichtige Einsicht, um im Moment vielleicht ausweglos erscheinende Situationen ganz neu zu betrachten und zu meistern. Die Situationen von Mitausreisenden und Kindern oder Jugendlichen im Ausland wird immer noch nicht ernst genug genommen. Vor allem Unternehmen und Personalabteilungen schieben diesen Bereich gern in die private Verantwortung ihrer Mitarbeiter ab. Mit den Informationen, die Ihnen dieses Buch zu dieser Thematik liefert, können Sie bei den betreffenden Stellen besser argumentieren und darauf insistieren, dass Ihre Angehörigen in die Vorbereitung, begleitende Betreuung 151

und abschließende Vorbereitung auf die Rückkehr in die Heimat miteinbezogen werden. In vielen großen internationalen Unternehmen wird dies routinemäßig und selbstverständlich getan. Am wichtigsten ist mir, dass Sie vor allem die bereichernden Aspekte einer Auslandserfahrung erkennen. Sie werden viel aus den Ländern, in denen Sie leben werden, mitnehmen und viele neue Sichtweisen und Einstellungen entwickeln. Auch Ihre Kinder werden anders sein als ihre Altersgenossen in Ihrer Heimat. Es geht letztlich darum, diese Veränderungen anzunehmen. Ebenso wie sich Kulturen ständig verändern, verändern wir uns auch im Laufe eines Lebens. Eine Auslandsentsendung ist nur eine besonders intensive Veränderungsphase, ausgelöst durch die Auseinandersetzung mit einer anderen Kultur. Auf der persönlichen Ebene bedeutet dies immer eine Bereicherung. Nehmen Sie die Chance wahr!

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Literaturempfehlungen Bornschein, T., Mico, T. (2005). Leben und arbeiten im Ausland. Bonn: Interna Aktuell. Burkhard, E., Russo, G., global_kids.ch (2004). Die Kinder der Immigranten in der Schweiz. Zürich: Limmat Verlag. Bydlinski, G., Antoni, B. (2005). Hier ist alles irgendwie anders: Stefan zieht um. Wien u. München: Annette Betz Verlag. (Kinderbuch) Cave, K. (1994). Irgendwie anders (15. Aufl.). Hamburg: Oetinger. (Kinderbuch) Eidse, F., Sichel, N. (Eds.) (2004). Unrooted Childhoods: Memoirs of Growing Up Global. Yarmouth: Intercultural Press. Färber, C. (2007). Expatriates – Mitarbeiterentsendung ins Ausland. München u. Ravensburg: Grin-Verlag. Featherstone, M. (Ed.) (2002). Global Culture: Nationalism, Globalization and Modernity. London: Sage Publications. Giddens, A. (2002). Entfesselte Welt: Wie die Globalisierung unser Leben verändert. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Hantel-Fraser, C. (1993). No Fixed Address: Life in the Foreign Service. Toronto: University of Toronto Press. Heuser, A. (2004). Die Entsendung deutscher Mitarbeiter ins Ausland. Bielefeld: Bertelsmann. Hild, B. (2004). 30 Minuten erfolgreiche Arbeit im Ausland. Offenbach a. M.: GABAL. Lolfer, E., Mihr, U. (2004). Benny und Omar. Basel u. Weinheim: Beltz und Gelberg. (Jugendbuch) Nazarkiewicz, K., Krämer, G. (2008). Arbeiten im Ausland – und die Familie geht mit: Gut vorbereitet ankommen und zurückkehren. Bielefeld: Bertelsmann. Pollock, E. D., van Reken, R., Pflüger, G. (2003). Third Culture Kids: Aufwachsen in mehreren Kulturen. Marburg: Francke. Robertson, R. (Ed.) (2003). Globalization. Critical Concepts in Sociology. Vol 1–6. London: Routledge. Ruillier, J. (2000). Einfach farbig. Zürich: Bohem Press. (Kinderbuch) Schröder-Kuhn H., Richter, M. (2004). KulturSchock Familienmanagement im Ausland. Bielefeld: Reise-Know-How-Verlag Rump. Schulz von Thun, F., Krumbier, D. (Hrsg.) (2006). Interkulturelle Kommunikation: Methoden, Modelle, Beispiele. Reinbek: Rowohlt. Schulz, M. K. (2008). Leben in Mexiko: Wie ausreisende Partner ihre Zeit im Ausland managen. Marburg: Tectum Verlag. Stahl, G. (1998). Internationaler Einsatz von Führungskräften. München u. Wien: Oldenburg. Swol-Ulbrich, H. van, Kaltenhäuser, B. (2002). Andere Länder, andere Kinder: dein Auslandsumzug mit Ori. Frankfurt a. M.: VAS. (Kinderbuch) Tajfel, H., Turner, J. (1986). The social identity theory of inter-group behavior. In S. Worchel, L.W. Austin (Eds.), Psychology of Intergroup Relations (pp. 7–24). Chicago: Nelson-Hall.

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van Reken, R. (2005). Briefe, die ich niemals schrieb. Marburg: Francke. Wagner, W. (1996). Kulturschock Deutschland. Hamburg: Rotbuch Verlag. Wohlgeschaffen, R. (2000). Mit dem Partner ins Ausland: Handbuch für einen erfolgreichen Auslandsaufenthalt. Bonn: TIA Verlag.

Nützliche Internetadressen Interkulturelle Vorbereitung www.ifim.de – Institut für Interkulturelles Management www.shop.ifim.de – Literaturtipps zum Thema Ausreise mit Partner, Familie und Kindern www.germanexpats.com – viele Links und Informationen zum Thema Ausreise und Vorbereitung www.interculture.de – Seminare und Training www.thetrailingspouse.com – interessante Tipps, Informationen zu Fragen mitausreisender Partnerinnen, Berufsmöglichkeiten, Vernetzungen www.expatexpert.com – aufgebaut wie ein Journal, mit vielen Berichten und Tipps www.expatica.com – viele Infos zu Themen und Fragen von Expatriates, Länderberichte www.expatclic.com – französischsprachige Webseite für interkulturellen Austausch www.escapeartist.com – Webseite zum Thema »Living overseas«, mit Immobilienschwerpunkt www.expatexchange.com – »A world of friends abroad«: viele detaillierte Länderberichte www.globalroadwarrior.com – Einblicke in Alltagsgepflogenheiten vieler Länder www.iAgora.com – »Connecting Internationals«: viele Jobangebote für Expatriates und Studenten www.livingabroad.com – Praktische Tipps für das Alltagsleben von Expatriates und deren Familien www.worldnews.com – internationale Nachrichten in englischer Sprache www.culturebriefings.com – informative Länderberichte zu Kultur und Interkultur, kostenpflichtig

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Die Situation der Mitausreisenden www.femmexpat.com – französische Webseite zum Thema mitausreisende Partnerinnen, viele praktische Tipps für das Leben im Ausland www.globaloutpostservices.com – »Shell International Spouse Employment Centre« und Informationen über alle Shell-Destinationen für Expatriates www.netexpat.com – Informationen zur Situation von Mitausreisenden www.erc.org – Employee Relocation Council www.globalnetwork.co.uk – The Weekly Telegraph Global Network www.expatlandia.com – umfassende Informationen für Expatriates www.permitsfoundation.com – ausführliche Informationen zu Arbeitsbewilligungen und bilaterale Abkommen für Expatriates weltweit www.eufasa.org – European Union Foreign Affairs Spouses Association www.cda-austria.at – Club der Angehörigen des österreichischen Ministeriums für europäische und internationale Angelegenheiten

Kinder im Ausland www.ori-and-ricki.net – sehr gute Webseite für Expat-Kinder und deren Eltern www.schoolchoiceintl.com – School Choice International: Schulberatung für Expat-Familien www.interchangeinstitute.org – Zusammenfassung von interkulturellen Studien über Personen und Familien in Übergangssituationen www.tckworld.com – die Webseite zum Thema »Third Culture Kids« www.travelwithyourkids.com – Reisetipps für Familien www.caitcheon.com – Informationen über internationale Schulen im Ausland, Erfahrungsberichte über Kinder im Ausland www.farnhamcastle.co.uk – interkulturelle Trainings für Kinder und Jugendliche von 8–18 Jahren

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Wenn Sie weiterlesen möchten ...

Sylvia Schroll-Machl Die Deutschen – Wir Deutsche Fremdwahrnehmung und Selbstsicht im Berufsleben Sylvia Schroll-Machls Thema sind deutsche Kulturstandards: empirisch ermittelt, systematisch dargestellt, mit einem Augenzwinkern aufbereitet. Ihre Zielgruppen sind Deutsche und Ausländer, die beruflich mit Deutschen zu tun haben. Ihr Ziel ist es, das gegenseitige Verständnis zu fördern und den Umgang miteinander zu erleichtern.

Sylvia Schroll-Machl Doing Business with Germans Their Perception, Our Perception Sylvia Schroll-Machl writes about German cultural standards. Although her work is empirically ascertained and presented in a systematic way, she is able to maintain a certain self-critical levity. Her target groups are Germans and foreigners, who vocationally have something to do with Germans. Her goal is to promote mutual understanding and to offer assistance for intercultural interactions.

Alexander Thomas (Hg.) Psychologie des interkulturellen Dialogs Das Europäische Jahr des interkulturellen Dialogs ist Anlass genug, die Psychologie als eine für die Entwicklung des interkulturellen Dialogs zentrale wissenschaftliche Disziplin nach ihrem spezifischen Beitrag zu befragen. In diesem Sammelband werden aus verschiedenen Perspektiven heraus psychologische Erkenntnisse zur Entwicklung und Qualifizierung des interkulturellen Dialogs dargestellt und anhand empirischer Forschungsbefunde und Praxiserfahrungen analysiert. Behandelt werden zum einen Bedingungen und Grundlagen zur Ausbildung, Gestaltung und Förderung des interkulturellen Dialogs. Welche Bedeutung der interkulturelle Dialog in der Praxis hat und wie er genau aussieht, wird anhand ganz verschiedener Handlungsfeldern gezeigt. Unter die Lupe genommen werden in diesem Zusammenhang unter anderem Profit- und Non-Profit-Organisationen, internationale und europäische Austausch- und Begegnungsprogramme, interkulturelle Trainings und Integrationsprogramme für Migranten.

Interkultureller Dialog Alexander Thomas / Boris Schlizio (Hg.) Leben und arbeiten in den Niederlanden

Andrea Hufnagel / Alexander Thomas Leben und studieren in den USA

Was Sie über Land und Leute wissen sollten

Trainingsprogramm für Studenten, Schüler und Praktikanten

2007. 303 Seiten mit 4 Abb., einer Zeichnung von Isabel Klett und 17 Tabellen, kartoniert ISBN 978-3-525-49106-5

2006. 202 Seiten mit 9 Cartoons von Jörg Plannerer, kartoniert ISBN 978-3-525-49064-8

In den Niederlanden zu arbeiten und zu leben, ist für Deutsche zunehmend eine Perspektive. So sind nicht nur die Einkommen in unserem Nachbarland unter Umständen deutlich attraktiver, auch erscheint auf den ersten Blick manches einfacher, gelten die Niederländer doch als unkompliziert im zwischenmenschlichen Umgang. Nichtsdestotrotz sollte man für diesen Schritt gründlich vorbereitet sein. Experten für deutsch-niederländische Zusammenarbeit geben in diesem Buch Hilfestellungen zu Arbeitsmarkt, Rechts- und Bildungssystem, Kulturstandards, Sprache, Medien und auch praktische Informationen für die Arbeitsaufnahme. »Wer mit dem Gedanken spielt, Holland zu seiner neuen Heimat zu machen, für den ist dieses Buch ein echter Leitfaden und Helfer.« Claudia Schuh, Wortgestöber

Wer meint, die USA und die kulturellen Besonderheiten der Amerikaner aus Film und Fernsehen, Literatur und Musik zu kennen, der wird in den USA manch ungeahnte Überraschung erleben. Sich vorher mit der amerikanischen Kultur vertraut zu machen, kann durchaus sehr hilfreich sein, um wechselseitigen Irritationen vorzubeugen. Anhand von 40 typischen Alltagssituationen, wie sie von deutschen Studenten und Schülern, die in den USA gelebt haben, immer wieder berichtet und als problematisch erlebt werden, führen die Autoren mithilfe ihres systematischen Trainingsprogramms an die amerikanische Kultur heran. Kulturstandards werden genau in ihrer Wirkung und ihren kulturhistorischen Wurzeln erläutert, um das Verständnis und die Akzeptanz zu vertiefen und das Miteinander in den USA von Beginn an einfacher zu gestalten.

Handlungskompetenz im Ausland Trainingsprogramme für Manager, Fach- und Führungskräfte Jeder Band ca. 160 Seiten mit Cartoons von Jörg Plannerer, kartoniert. Beruflich in Argentinien ISBN 978-3-525-49053-2

Beruflich in Japan ISBN 978-3-525-49061-7

Beruflich in Australien ISBN 978-3-525-49007-5

Beruflich in Kanada ISBN 978-3-525-49066-2

Beruflich in Brasilien ISBN 978-3-525-49059-4

Beruflich in Kenia und Tansania ISBN 978-3-525-49054-9

Beruflich in China ISBN 978-3-525-49050-1

Beruflich in Malaysia ISBN 978-3-525-49067-9

Beruflich in den Niederlanden ISBN 978-3-525-49141-6

Beruflich in Mexiko ISBN 978-3-525-49060-0

Beruflich in den USA ISBN 978-3-525-49062-4

Beruflich in Norwegen ISBN 978-3-525-49142-3

Beruflich in der Slowakei ISBN 978-3-525-49063-1

Beruflich in Polen ISBN 978-3-525-49112-6

Beruflich in der Türkei ISBN 978-3-525-49006-8

Beruflich in Russland ISBN 978-3-525-49056-3

Beruflich in der Ukraine ISBN 978-3-525-49144-7

Beruflich in Spanien ISBN 978-3-525-49145-4

Beruflich in Frankreich ISBN 978-3-525-49143-0

Beruflich in Südafrika ISBN 978-3-525-49057-0

Beruflich in Großbritannien ISBN 978-3-525-49051-8

Beruflich in Südkorea ISBN 978-3-525-49058-7

Beruflich in Indien ISBN 978-3-525-49068-6

Beruflich in Thailand ISBN 978-3-525-49009-9

Beruflich in Indonesien ISBN 978-3-525-49052-5

Beruflich in Tschechien ISBN 978-3-525-49055-6

Beruflich in Irland ISBN 978-3-525-49065-5

Beruflich in Ungarn ISBN 978-3-525-49008-2

Beruflich in Italien ISBN 978-3-525-49069-3

Beruflich in Vietnam ISBN 978-3-525-49113-3