Minderjährigenehen im nationalen und internationalen Familienrecht: Eine kritische Betrachtung des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen [1 ed.] 9783428587483, 9783428187485

Im Mai 2016 sorgte ein Beschluss des Oberlandesgerichts Bamberg für erhebliches Aufsehen: das Gericht befand eine zwisch

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Minderjährigenehen im nationalen und internationalen Familienrecht: Eine kritische Betrachtung des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen [1 ed.]
 9783428587483, 9783428187485

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Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 554

Minderjährigenehen im nationalen und internationalen Familienrecht Eine kritische Betrachtung des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen

Von

Monique Marylou Martinek

Duncker & Humblot · Berlin

MONIQUE MARYLOU MARTINEK

Minderjährigenehen im nationalen und internationalen Familienrecht

Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 554

Minderjährigenehen im nationalen und internationalen Familienrecht Eine kritische Betrachtung des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen

Von

Monique Marylou Martinek

Duncker & Humblot · Berlin

Der Fachbereich Rechtswissenschaft der Philipps-Universität Marburg hat diese Arbeit im Jahre 2022 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2023 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: CPI books GmbH, Leck Printed in Germany

ISSN 0720-7387 ISBN 978-3-428-18748-5 (Print) ISBN 978-3-428-58748-3 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen Eltern in Dankbarkeit

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2022 vom Fachbereich Rechtswissenschaften der Philipps-Universität Marburg als Dissertation angenommen. Mit den Hinweisen auf Rechtsprechung und Literatur steht sie auf dem Stand vom August 2022. Bis zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung lag die seit langem erwartete finale Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB noch nicht vor. An erster Stelle gebührt meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Tobias Helms, mein herzlicher Dank. Er hat nicht nur das Thema angeregt, sondern die vorliegende Arbeit auch sorgsam betreut und mit wertvollen Hinweisen auf neue Entwicklungen und konstruktiven Vorschlägen begleitet. Herrn Prof. Dr. Hans-Detlef Horn danke ich vielmals für die freundliche Übernahme und zügige Erstellung des ausführlichen Zweitgutachtens. Für historisch fundierte Denkanstöße und allgemeine hilfreiche Tipps richtet sich mein ebenbürtiger Dank an Herrn Prof. Dr. Ulrich Sieg. Die vorliegende Dissertation wurde durch ein Promotionsstipendium der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit ermöglicht, bei der ich mich hiermit herzlich nicht nur für die finanzielle, sondern auch für die ideelle Förderung bedanke. Weiterhin danke ich allen, die zum Gelingen meines Promotionsvorhabens beigetragen haben. Ganz besonders und von Herzen danke ich meinem Lebensgefährten, Franco Luigi Reale, der getreu unserem Motto „omnia vincit amor“ durch alle Höhen und Tiefen hindurch vorbehaltlos zu mir gehalten und zur Entstehung des Werks durch wertvolle Diskussionen, kritisches Hinterfragen und fachlichen Rat beigetragen hat. Außerordentlicher Dank gilt meiner Mutter, die sich bereitwillig und mit großem Interesse der mühevollen Aufgabe des Korrekturlesens angenommen und so erheblich zur Verbesserung des Werks beigetragen hat. Dankbar bin ich ferner meiner Schwester, Dr. Madeleine Martinek, die mich stets im Glauben an mich selbst bestärkt hat. Auch meinen Marburger Freunden Christina, David & David, Denise, Irene, Anna und Lena bin ich für die schönen Stunden in der Marburger Mensa, die donnerstäglichen Verköstigungen bei bester Unterhaltung und die sportlichen Ertüchtigungseinheiten zu besonderem Dank verpflichtet. Herzlich gedankt sei ferner meinem Patenkind Nico Alexander und seinem Bruder Luca Maximilian für viele glückliche Momente: Ihr seid die besten Detektivkollegen, die man sich wünschen kann. Ein großes Dankeschön geht weiterhin an meine wunderbaren Freundinnen Myriel, Jenny, Felicitas, Melanie, Katharina und Helena, die immer ein offenes Ohr hatten und mich fortwährend

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Vorwort

bedingungslos unterstützt haben. Auch den Bibliothekaren der Philipps-Universität Marburg, allen voran Herrn Gerd Herrmann, die bei der Beschaffung jedes noch so ausgefallenen Werks behilflich waren, möchte ich hiermit meinen uneingeschränkten Dank aussprechen. Mein größter Dank aber gilt meiner Familie und insbesondere meinen Eltern, die mir nicht nur Wurzeln gegeben, sondern auch Flügel verliehen haben. Ohne ihre Unterstützung und Geduld wäre die Promotion nicht möglich gewesen. Ihnen sei diese Arbeit gewidmet. Berlin, im September 2022

Monique Marylou Martinek

Inhaltsverzeichnis Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Kapitel 1 Minderjährigenehen in Geschichte und Gegenwart

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A. Terminologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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B. Die Ehemündigkeit im Wandel der Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Etymologische Grundlagen und Bedeutung in der Antike . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Ausklang der Antike und die mittelalterliche Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Neuzeitliche Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Reformation und Säkularisierung in der frühen Neuzeit . . . . . . . . . . . . . . 2. Gesetzliche Ausgestaltung der Ehemündigkeit in den großen Kodifikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines Preußisches Landrecht und Code Civil . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Bürgerliche Gesetzbuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Reichsgesetzliche Regelungen als Anknüpfungspunkt . . . . . . . . . bb) Die gesetzliche Ausformung von Volljährigkeit und Ehemündigkeit im BGB von 1896 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die Ehegesetze von 1938 und 1946 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Das Volljährigkeitsgesetz von 1974 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Wiedereingliederung ins BGB 1998 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Auswirkungen auf das durchschnittliche Heiratsalter . . . . . . . . . . IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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C. Internationale Bestandsaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Minderjährigenehen als globales Phänomen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verbreitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sozio-ökonomische Faktoren und kultureller Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Auswirkungen auf das Kindeswohl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Dimensionen von Minderjährigenehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der rechtliche Hintergrund des islamischen Eherechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Grundlagen des islamischen Ehe- und Familienrechts . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Länderstudien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Syrien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

50 50 50 54 57 60 63 64 66 69 69

39 39 41 41

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Inhaltsverzeichnis b) Afghanistan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Irak . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Der Kampf gegen Minderjährigenehen als internationale Bestrebung . . . . . . IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Kapitel 2 Die gesetzliche Ausgangslage vor dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen

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A. Die Eheschließung von Minderjährigen im deutschen Sachrecht . . . . . . . . . . I. Der Grundsatz der obligatorischen Zivilehe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Persönliche Eheschließungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Kritik an der strikten Altersuntergrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Rechtliche Stellung des minderjährigen Ehegatten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Rechtsfolgen mangelbehafteter Ehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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B. Minderjährigenehen im Lichte des deutschen Kollisionsrechts . . . . . . . . . . . . I. Relevante Kollisionsnormen zur Bestimmung des Eheschließungsstatuts . . . II. Beabsichtigte Eheschließung im Inland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Bereits vollzogene Eheschließung im Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Verstoß von Minderjährigenehen gegen den ordre public sowie höherrangiges Recht und Rechtsprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Berufung und Anwendung religiösen Rechts im deutschen IPR . . . . . . . . 2. Das Alter als umstrittenes Hauptkriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Hinreichender Inlandsbezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Gegenwartsbezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Rechtsfolgen des Verstoßes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rückgriff auf die lex causae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anwendung der lex fori . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Aufhebbarkeit von Minderjährigenehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Eventuelle Vermeidung der ordre public-Prüfung – Einordnung als zweiseitiges Ehehindernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Der Beschluss des OLG Bamberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Ausgangsfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Entscheidungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Würdigung: Einzelfallbezogenheit als Leitmaxime . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Der im Ausland verheiratete minderjährige Ehegatte in der Rechtspraxis . . . 1. Vorläufige Inobhutnahme, § 42a Abs. 1 SGB VIII a. F. . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vormundschaft, §§ 1773 ff. BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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C. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117

Inhaltsverzeichnis

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Kapitel 3 Die Gesetzesnovelle A. Die Neuregelungen im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Modifizierung der Eheschließungsregeln im deutschen Sachrecht . . . . . . . . II. Änderungen im deutschen internationalen Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Überleitungsvorschriften für Altfälle und Heilungsklausel . . . . . . . . . . . . . . . IV. Verfahrensrechtliche Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Folgeänderungen im Aufenthalts- und Asylgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Die Gesamtevaluierung vom 14. August 2020 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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B. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 C. Herausforderungen in der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 I. Das Grundproblem der Altersfeststellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 II. Weitere Defizite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 D. Zentrale Auslegungsprobleme de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Aufhebbarkeit der im Alter ab 16 Jahren geschlossenen Minderjährigenehen 1. Kollisionsrechtlicher Geltungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtswirkungen (§ 1318 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Unterhaltsfragen bei Verstoß gegen § 1303 S. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . aa) Anforderungen an die Bösgläubigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Bloße Kenntnis der Fakten des Aufhebungstatbestands . . . . . (2) Ansatzweise Erfassung der rechtlichen Bedeutung der Tatsachen als Zusatzerfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Minderjährigkeitsbedingte Modifizierung der Anspruchsgewährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Zurechnungsfähigkeit des bei Eheschließung minderjährigen Anspruchsinhabers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Ausschluss der Unterhaltsverpflichtung des minderjährigen Ehegatten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Anwendungsfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Das Merkmal der „groben Unbilligkeit“ (§ 1318 Abs. 2 S. 2 BGB) ee) Beweislastverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Weitere Anwendungsgebiete des Scheidungsfolgenrechts . . . . . . . . . . 3. Antragspflicht der zuständigen Verwaltungsbehörde . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Bestimmung der Volljährigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sonstige Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ausschluss der Aufhebung und der Geltungsbereich des Art. 229 § 44 Abs. 1–3 EGBGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bestätigung gem. § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. a BGB . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis aa) Eintritt der Volljährigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Kundgabe des Fortsetzungswillens und Mangelbewusstsein . . . . . b) Härtefälle nach § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b BGB . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Extensive Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Restriktive Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Die Freizügigkeitsverletzung als Härtefall . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Rechtsprechung zu Minderjährigenehen unter Beteiligung eines Unionsbürgers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Weitere Härtefälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Überleitungsvorschrift des Art. 229 § 44 Abs. 1–3 EGBGB . . . . aa) Anwendungsbereich für nach deutschem Recht geschlossene Ehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Keine analoge Anwendung auf nach ausländischem Recht geschlossene Ehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Verfassungskonforme Auslegung des § 1314 Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . 6. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Unwirksamkeit der im Alter von unter 16 Jahren geschlossenen Ehen . . . . . 1. Kollisionsrechtlicher Geltungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtliche Konsequenzen des Unwirksamkeitsverdikts . . . . . . . . . . . . . . . a) Entstehung hinkender Ehen und Vaterschaften – Bedeutung und Lösungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Unselbständige Anknüpfung im Rahmen des Art. 19 Abs. 1 S. 2 EGBGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Bewertung als kraft Gesetzes aufgehobene Ehe analog § 1318 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Teleologische Reduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Art. 229 § 44 Abs. 4 Nr. 1 EGBGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Verfassungskonforme Auslegung des Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB b) Entstehung von (hinkenden) Doppelehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Persönliche Nachteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verfahrensrechtliche Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die Übergangsvorschrift des Art. 229 § 44 Abs. 4 EGBGB . . . . . . . . . . . a) Sachliche Voraussetzungen des Art. 229 § 44 Abs. 4 Nr. 2 EGBGB . . aa) Volljährigkeitserfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Selbständige Anknüpfung der Volljährigkeit an das Heimatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Trennung von Volljährigkeit und uneingeschränkter Geschäftsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Rekurs auf das deutsche Sachrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis bb) Anforderungen an die Eheführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Arbeit als Grund für die Aufenthaltsnahme . . . . . . . . . . . . . . . (2) Flucht als Grund für die Aufenthaltsnahme . . . . . . . . . . . . . . . (3) Besonderheiten bei Minderjährigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtliche Konsequenzen der Heilung nach Art. 229 § 44 Abs. 4 EGBGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Volle Rechtsgültigkeit und Unaufhebbarkeit der Ehen . . . . . . . . . bb) Rückgriff auf die allgemeine ordre public-Kontrolle nach altem Recht (Art. 6 EGBGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Aufhebbarkeit in analoger Anwendung des Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13 207 209 211 212 217 219 220 220 222 223

Kapitel 4 Das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen auf dem Prüfstand der Verfassung und der unionsrechtlichen Freizügigkeit

225

A. Rechtsvergleichender Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Niederlande . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Schweden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Reform von 2004 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Reform von 2014 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Reform von 2018 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Dänemark . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Vergleich zum deutschen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

225 226 228 229 231 232 233 233 235

B. Verfassungsrechtliche Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die ausnahmslose Festlegung des Ehemündigkeitsalters von 18 Jahren . . . . 1. Verstoß gegen Eheschließungsfreiheit, Art. 6 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . a) Persönlicher und sachlicher Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Eingriff oder verfassungskonforme Konkretisierung des grundrechtlichen Schutzguts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verstoß gegen die allgemeine Handlungsfreiheit und das Selbstbestimmungsrecht, Art. 2 Abs. 1 GG i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Unwirksamkeit der im Alter von unter 16 Jahren geschlossenen Ehen . . . . . 1. Verstoß gegen Grundrechte der Ehegatten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Schutz der Ehe und Familie, Art. 6 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Schutzbereich und Eingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Zivilrechtsakzessorischer Ehebegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

238 238 238 239 239 246 246 246 247 247 247 247

14

Inhaltsverzeichnis (2) Eigenständiger verfassungsrechtlicher Ehebegriff . . . . . . . . . . (3) Ausweitung des verfassungsrechtlichen Eheschutzes in der Abwehrdimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Familienbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Vielgestaltige Eingriffsdimensionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Ziellegitimität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Geeignetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Grundsätzliche Berechtigung des Regelungsanliegens . . (b) Konfligierende Rechte des Minderjährigen . . . . . . . . . . . . (c) Aus dem Kindeswohlprinzip abzuleitende Vorgaben . . . . (d) Unzulässige Vermutungsregel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (e) Übergriffigkeit der Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (f) Unzureichende Übergangsregel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Elternrecht, Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Allgemeines Persönlichkeitsrecht, Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG d) Gleichbehandlungsgrundsatz, Art. 3 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Vorliegen einer Ungleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Fehlen eines sachlichen Grundes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verstoß gegen Grundrechte der aus der ehelichen Verbindung hervorgegangenen Kinder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Recht auf Pflege und Erziehung durch die Eltern, Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Schutz der Familie, Art. 6 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verstoß gegen den Vertrauensgrundsatz, Art. 20 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . a) Art der Rückwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verlust des Ehestatus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Vertrauenstatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Schutzwürdigkeit des Vertrauens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Der Verlust des Abstammungsstatus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Aufhebbarkeit der im Alter von 16 und 17 Jahren geschlossenen Ehen . . . . . 1. Verstoß gegen Grundrechte der Ehegatten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Schutz der Ehe und Familie, Art. 6 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Eingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

248 251 256 257 260 260 261 266 270 270 271 277 289 290 291 292 292 295 297 297 298 304 304 304 306 307 308 310 315 317 317 318 318 319 319 319 319 320

Inhaltsverzeichnis cc) Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gleichbehandlungsgrundsatz, Art. 3 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Vorliegen einer Ungleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Fehlen eines sachlichen Grundes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kindeswohl, Artt. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1, 6 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verstoß gegen den Vertrauensgrundsatz, Art. 20 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Europarechtliche Vereinbarkeit unter besonderer Berücksichtigung der unionsrechtlichen Freizügigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Minderjährigenehen in der EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Unionsbürgerfreizügigkeit der Ehegatten, Art. 21 Abs. 1 AEUV . . . . . . . . . . 1. Eröffnung des Schutzbereichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anfänge der Statusanerkennung in der Rechtsprechung des EuGH – das internationale Namensrecht als Wegbereiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vom Namen zum Status – Erstreckung der Anerkennungspflicht auf gleichgeschlechtliche Ehen durch das „Coman“-Urteil . . . . . . . . . . . . . . . a) Sachverhalt und Entscheidungsgründe des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtliche Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Übertragbarkeit der Anerkennungsmethode auf Minderjährigenehen . . . a) Die EU-Minderjährigenehe als unerwünschtes Relikt . . . . . . . . . . . . . . b) Die Rückbesinnung auf die Unionsbürgerfreizügigkeit . . . . . . . . . . . . 5. Vorliegen einer Freizügigkeitsbeschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Rechtfertigung der Beschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Weitere unions- und völkerrechtliche Verstöße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gewährleistungen der EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anwendbarkeit der GRC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, Artt. 8 EMRK, 7 GRC 4. Recht auf Eheschließung, Artt. 12 EMRK, 9 GRC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Rechte des Kindes, Art. 24 GRC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Nichtdiskriminierung, Freizügigkeit und Aufenthaltsfreiheit, Art. 21 Abs. 2 GRC und Art. 45 Abs. 1 GRC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15 322 323 323 325 327 328 329 329 329 331 332 334 335 337 339 344 344 345 346 349 353 353 355 356 359 360 361 362

Kapitel 5 Wesentliche Ergebnisse und Desiderata

363

A. Gesamtzusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 B. Leitlinien für die Behandlung von Minderjährigenehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 I. Rückkehr zum Kindeswohl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 II. Wiederherstellung der „internationalprivatrechtlichen Gerechtigkeit“ . . . . . . 371

16

Inhaltsverzeichnis III. Verwirklichung der statusrechtlichen Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 IV. Erweiterung des rechtspolitischen Horizonts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375

C. Regelungs- und Änderungsbedarf für den Gesetzgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vorschläge de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Praktischer Prüfungs- und Handlungsbedarf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

377 377 382 383

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435

Abkürzungsverzeichnis a. a. A. ABGB ABl. Abs. AcP a. E. AEUV a. F. afgh. AG Anh. Anm. AnwBl Online AO AöR Arch Dis Child Art./Artt. ASIEN AsylG AufenthG Aufl. Az. BAnz AT BayObLGZ BbgKAG Bd. Bearb. Begr. belg. Bet. BGB BGB-E BGBl. BGH

auch andere Ansicht Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch Österreich Amtsblatt der Europäischen Union Absatz Archiv für die civilistische Praxis am Ende Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union alte Fassung afghanisch Amtsgericht Anhang Anmerkung Anwaltsblatt Online Abgabenordnung Archiv des öffentlichen Rechts Archives of Disease in Childhood Artikel (sg./pl.) ASIEN German Journal on Contemporary Asia Asylgesetz Aufenthaltsgesetz Auflage Aktenzeichen Amtlicher Teil des Bundesanzeigers Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts in Zivilsachen Kommunalabgabengesetz für das Land Brandenburg Band Bearbeiter Begründung belgisch Betänkande (Bericht) Bürgerliches Gesetzbuch BGB-Entwurf Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof

18 BGHZ

Abkürzungsverzeichnis

Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen (Amtliche Sammlung) BJOG An International Journal of Obstetrics and Gynaecology BMC BioMedCentral BMJ British media journal BR-Drs. Drucksache des Bundesrates BRJ Bonner Rechtsjournal Brüssel IIa-VO Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung BSG Bundessozialgericht BSGE Entscheidungen des Bundessozialgerichts Bsp. Beispiel bspw. beispielsweise BT-Drs. Drucksache des Deutschen Bundestages bulg. bulgarisch Bull. Bullettino dell’Istituto di Diritto Romano „Vittorio Sciajola“ BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerfGE Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (Amtliche Sammlung) BVerwG Bundesverwaltungsgericht BVwG Bundesverwaltungsgericht Österreich BW Burgerlijk Wetboek bzgl. bezüglich bzw. beziehungsweise ca. circa Can. Canon CC Code Civil (Frankreich/Belgien/Luxemburg)/Codice Civile (Italien)/Código Civil (Spanien/Portugal) CDU Christlich Demokratische Union Deutschlands CEDAW UN-Übereinkommen über die Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau Child & Fam. L. Q. Child and Family Law Quarterly CIC Codex Iuris Canonici (Kodex des kanonischen Rechtes) CP Classical Philology CSU Christlich Soziale Union in Bayern dän. dänisch DAVorm Der Amtsvormund d. h. das heißt DNotZ Deutsche Notar-Zeitschrift dom. dominikanisch DÖV Die Öffentliche Verwaltung

Abkürzungsverzeichnis DRiZ dt. EF-Z EGBGB EGMR EheG EheschlRG Ehewille-UNÜ EJIMEL EL EMRK endg. engl. ErläutRV ErwSchG EU EuErbVO

EuGH EuGüVO

EuPartVO

EuR EuUntVO

EUV EWR f./ff. FamFG

19

Deutsche Richterzeitung deutsch Zeitschrift für Familien- und Erbrecht Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Ehegesetz Reformgesetz zur Neuordnung des Eheschließungsrechts vom 4. Mai 1998 Übereinkommen über die Erklärung des Ehewillens, das Heiratsmindestalter und die Registrierung von Eheschließungen Electronic Journal of Islamic and Middle Eastern Law Ergänzungslieferung Europäische Menschenrechtskonvention endgültig englisch Erläuterungen zur Regierungsvorlage Erwachsenenschutzgesetz Europäische Union Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses Europäischer Gerichtshof Verordnung (EU) 2016/1103 des Rates vom 24. Juni 2016 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Zuständigkeit, des anzuwendenden Rechts und der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Fragen des ehelichen Güterstands Verordnung (EU) 2016/1104 des Rates vom 24. Juni 2016 zur Durchführung der Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Zuständigkeit, des anzuwendenden Rechts und der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Fragen güterrechtlicher Wirkungen eingetragener Partnerschaften Europarecht Verordnung (EG) Nr. 4/2009 des Rates vom 18. Dezember 2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen Vertrag über die Europäische Union Europäischer Wirtschaftsraum folgende (sg./pl.) Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit

20 FamG FamGB Fam. L. Q. FamRB FamRZ FAZ FF FG Fn. FPR frz. FS FuR FVGB GBl. DDR GFK GG ggf. GPR GRC grds. GRUR Int. GVBl. HFD HFR HKsÜ

h. M. hpts. Hrsg. hrsg. v. Hs. HUP ICLR i. E. i. e. S. InfAuslR insb. IntEheG

Abkürzungsverzeichnis Familiengesetz Familiengesetzbuch Family Law Quarterly Der Familien-Rechtsberater Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Frankfurter Allgemeine Zeitung Forum Familienrecht Familiengericht Fußnote Familie Partnerschaft Recht französisch Festschrift Familie und Recht poln. Familien- und Vormundschaftsgesetzbuch Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik Genfer Flüchtlingskonvention Grundgesetz gegebenenfalls Zeitschrift für das Privatrecht der Europäischen Union Charta der Grundrechte der Europäischen Union grundsätzlich Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht International Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Brandenburg Högsta förvaltningsdomstolen Humboldt Forum Recht Gesetz zu dem Haager Übereinkommen vom 19. Oktober 1996 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern herrschende Meinung hauptsächlich Herausgeber herausgegeben von Halbsatz Haager Unterhaltsprotokoll vom 23. November 2007 International and Comparative Law Review im Ergebnis im engeren Sinne Informationsbrief Ausländerrecht insbesondere schwed. Gesetz über gewisse internationale Rechtsverhältnisse betreffend Ehe und Vormundschaft

Abkürzungsverzeichnis IPR IPRax IPRspr irak. iran. IS i. S. d. i. S. v. IURA i.V. m. izpb JA JAmt J. Biosoc. Sci. JGG Jh. J. Law & Soc. jord. JR JRS JURA JurisPR-FamR JurisPR-IWR JuS JZ Kap. KEhenBekG KG KindRG KJ kolumb. krit. kub. LG lit. LPartG lux. m. malt. MdB MDR

21

Internationales Privatrecht Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts Die deutsche Rechtsprechung auf dem Gebiete des internationalen Privatrechts irakisch iranisch Islamischer Staat im Sinne des/der im Sinne von Rivista internazionale di diritto romano e antico in Verbindung mit Informationen zur politischen Bildung Juristische Arbeitsblätter Das Jugendamt Journal of Biosocial Science Jugendgerichtsgesetz Jahrhundert(s) Journal of Law and Society jordanisch Juristische Rundschau The Journal of Roman Studies Juristische Ausbildung Juris PraxisReport Familienrecht Juris PraxisReport Internationales Wirtschaftsrecht Juristische Schulung Juristenzeitung Kapitel Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen Kammergericht Kindschaftsrechtsreformgesetz Kritische Justiz kolumbianisch kritisch kubanisch Landgericht littera (Buchstabe) Lebenspartnerschaftsgesetz luxemburgerisch mit maltesisch Mitglied des Deutschen Bundestages Monatsschrift Deutsches Recht

22 MeldDÜV MSchG m.w. N. nachf. NDV N Eng J Med n. F. NJ NJOZ NJW NJW-RR NQHR Nr. NVwZ NVwZ-RR NZFam NZM o. g. OGH ÖJZ OLG OLGZ öst. OVG Prop. PStG RabelsZ Rev. Crit. DIP Rev Obstetrics & Gynecology RG RGBl RGZ RIDA RIDC RKErzG Rn. Rom III-VO

Abkürzungsverzeichnis saarländische Meldedatenübermittlungsverordnung irak. Gesetz Nr. 78/1980 über den Schutz Minderjähriger mit weiteren Nachweisen nachfolgend Nachrichtendienst des Deutschen Vereins The New England Journal of Medicine neue Fassung Neue Justiz Neue Juristische Online-Zeitschrift Neue Juristische Wochenschrift Neue Juristische Wochenschrift Rechtsprechungs-Report Zivilrecht Netherlands Quarterly of Human Rights Nummer Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Rechtsprechungs-Report Neue Zeitschrift für Familienrecht Neue Zeitschrift für Miet- und Wohnungsrecht oben genannt(e)(n) Oberster Gerichtshof Österreich Österreichische Juristen-Zeitung Oberlandesgericht Entscheidungen der Oberlandesgerichte in Zivilsachen österreichisch Oberverwaltungsgericht Proposition Personenstandsgesetz Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Revue critique de droit international privé Reviews in Obstetrics and Gynecology Reichsgericht Reichsgesetzblatt Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Revue internationale des droits de l’antiquité Revue internationale de droit comparé Gesetz über die religiöse Kindererziehung Randnummer Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 des Rates vom 20. Dezember 2010 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich des auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendenden Rechts

Abkürzungsverzeichnis RPflG RPsych Rs. Rspr. rum. RuP RVO S. s. SaRegG schwed. SD Sect./Sects. SEV SFS SGB VI SGB VIII SGB X s. o. Soc. & Leg. Stud. sog. SPD Spr. StaatenlosenÜbk StAZ Stb. StGB StPO s. u. syr. SZ Tab. TPG TR u. a. UÄndG Übers. UN UNICEF

23

Rechtspflegergesetz Rechtspsychologie Rechtssache Rechtsprechung rumänisch Recht und Politik Reichsversicherungsordnung Satz siehe Samenspenderregistergesetz schwedisch Studia et documenta historiae et iuris Section/Sections Sammlung der Europaratsverträge Svensk författningssamling (Schwedisches Gesetzblatt) Das Sechste Buch des Sozialgesetzbuches Das Achte Buch des Sozialgesetzbuches Das Zehnte Buch des Sozialgesetzbuches siehe oben Social & Legal Studies sogenannt(e)(r) Sozialdemokratische Partei Deutschlands Sprache New Yorker UN-Übereinkommen über die Rechtsstellung der Staatenlosen vom 28.9.1954 Das Standesamt Staatsblad van het Koninkrijk der Nederlanden (Staatsblatt des Königreichs der Niederlande) Strafgesetzbuch Strafprozessordnung siehe unten syrisch Zeitschrift der Savignystiftung für Rechtsgeschichte – Romanistische Abteilung Tabelle Transplantationsgesetz Tijdschrift voor Rechtsgeschiedenis/Revue d’Histoire du Droit/ The Legal History Review unter anderem, und andere Gesetz zur Änderung des Unterhaltsrechts vom 21.12.2007 Übersetzung United Nations (Vereinte Nationen) Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen

24 UN-KRK urspr. Urt. Utrecht L. Rev. u. U. v. v. Chr. VG vgl. VIZ vol. VolljkG VR vs. wörtl. W. P. ZaöRV ZAR z. B. ZblJugR ZErb ZEuP ZEV ZfJ ZfPW ZJS ZKJ ZPO ZRG KA ZRP zust.

Abkürzungsverzeichnis UN-Übereinkommen über die Rechte des Kindes ursprünglich Urteil Utrecht Law Review unter Umständen vom/von vor Christus Verwaltungsgericht vergleiche Zeitschrift für Vermögens- und Immobilienrecht volume Gesetz zur Neuregelung des Volljährigkeitsalters vom 31.7.1974 Verwaltungsrundschau versus wörtlich Writ Petition Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik zum Beispiel Zentralblatt für Jugendrecht und Jugendwohlfahrt Zeitschrift für die Steuer- und Erbrechtspraxis Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge Zentralblatt für Jugendrecht Zeitschrift für die gesamte Privatrechtswissenschaft Zeitschrift für das Juristische Studium Zeitschrift für Kindschaftsrecht und Jugendhilfe Zivilprozessordnung Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte/Kanonistische Abteilung Zeitschrift für Rechtspolitik zustimmend

Einführung Als uns die kleine Fanny für etliche Minuten allein ließ, packte ich Hans am Arm. Und sagte: „Bist du nicht sehr unglücklich? Manchmal?“ Er starrte mich verständnislos an. Wie eine Fliege den Kölner Dom. Und fragte: „Warum denn nur? . . . Es gibt nichts Schöneres als ein eignes Heim und eine eigene Familie. Man weiß doch, wofür man lebt . . . Ist es ein Unglück, dieses schöne Lebensziel so früh als möglich zu erreichen?“ Ich sagte: „Wenn es schon ein Ziel ist –: so muss man hinwandern. Aber ihr seid ja schon da! Ihr fangt mit dem Ende an.“ Aus: Erich Kästner unter dem Pseudonym „Hekubus“, Die minderjährige Ehe, Neue Leipziger Zeitung, Jg. 3, Nr. 117, 29.4.1923, S. 2.

Der 1. Juni 2017 sollte als der Tag in die Gesetzgebungsgeschichte Deutschlands eingehen, an dem in der letzten Etappe der 18. Legislaturperiode das „Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen“1 (im Folgenden: KEhenBekG) vom Deutschen Bundestag verabschiedet wurde. Der gesetzgeberische Tatendrang mag zunächst verwundern, war die Zahl der Eheschließungen im Minderjährigenalter in Deutschland doch sehr überschaubar.2 Allerdings hatte sich die gesellschaftliche Wahrnehmung gewandelt, denn im Zuge der Flüchtlingskrise 2015/2016 war die deutsche Justiz mit der Situation konfrontiert worden, dass vermehrt minderjährige Eheleute nach Deutschland einreisten, die in anderen Ländern der Welt in Einklang mit den dortigen gesetzlichen und sozialen Gepflogenheiten verheiratet worden waren. Zum 31. Juli 2016 waren laut einer Antwort des Bundesinnenministeriums 1.475 Minderjährige bundesweit im Ausländerzentralregister als verheiratet registriert; davon waren 120 im Alter zwischen 16 und 18 Jahren, 361 hatten das Alter von 14 Jahren noch nicht erreicht.3 Den entscheidenden Reformimpuls aber lieferte ein Beschluss des OLG Bamberg vom Mai 20164, der eine emotionsgeladene politische und mediale Debatte um Minderjährigenehen, vulgo Kinderehen in Gang setzte.5 Das Gericht hatte im Rahmen einer um1 Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen (KEhenBekG) vom 22.7.2017, BGBl. 2017 Teil I, 2429 ff. 2 Im Jahr 2015 wurden in Deutschland nur noch 92 Ehen unter Beteiligung eines Minderjährigen registriert, s. Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland, BTDrs. 18/12086, 13. 3 Antwort auf die Frage von Katja Dörner, MdB (Bündnis90/Die Grünen), BT-Drs. 18/9595, 20 f. 4 OLG Bamberg 12.5.2016, Az. 2 UF 58/16, FamRZ 2016, 1270 ff. 5 Groscurth, Urteil aus Franken – Kinderehe nach Islam-Recht bei uns erlaubt, Fränkischer Tag, 3.6.2016; Issig, Kinderehen nach Scharia-Recht spalten deutsche Justiz, Die Welt, 31.5.2016. Die hitzige Diskussion entlockte hochrangigen Politikern simplifizierende Bemerkungen wie „Kinder gehören nicht vor den Traualtar, sondern in die

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gangsrechtlichen Streitigkeit eine in Syrien zwischen einer im Eheschließungszeitpunkt 14 Jahre alten Syrerin und ihrem 21-jährigen Cousin geschlossene Ehe als wirksam anerkannt. Die nach damaligen Rechtsgrundsätzen korrekte Entscheidung stellte das gesellschaftspolitische Verständnis von Kinderehen als ungeschriebenem Tabu grundlegend auf die Probe, sodass der Ruf nach einem Tätigwerden des Gesetzgebers lauter wurde. Mit Schaffung des KEhenBekG hat sich der Gesetzgeber dieses hochbrisanten Themas globalen Ausmaßes angenommen. Nach Schätzungen des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen (UNICEF) leben weltweit 650 Millionen Frauen und 115 Millionen Männer in Ehen, die sie vor Vollendung ihres 18. Lebensjahres geschlossen haben.6 Kinderehen werden gemeinhin als menschenrechtsverletzende Praxis begriffen, deren Eindämmung bis 2030 Einzug in die Zielsetzungen für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen gehalten hat.7 Die Komplexität der Thematik darf indes nicht unterschätzt werden. Minderjährigenehen werden zwar häufig mit einem nicht-westlichen kulturellen Rechts- und Werteumfeld in Verbindung gebracht, weswegen man mit rigiden nationalen Rechtsvorschriften Gefahr läuft, sich zum Sittenrichter über anders gestaltetes Eherecht und fremde Traditionen zu erheben. Doch auch in Europa kommen Eheschließungen im Minderjährigenalter vor. Die spezielle Vulnerabilität der Beteiligten erfordert bei Gesetzgebungsmaßnahmen nicht nur ein umfassendes Verständnis der Beweggründe und Folgen der jeweiligen Heirat, sondern auch ein bestimmtes Maß an Zurückhaltung, da Regelungen auf diesem Gebiet unerwünschte Konsequenzen für die Betroffenen nach sich ziehen können.8 Bereits vor Erlass des Gesetzes wurde daher vor starrer gesetzlicher Typisierung gewarnt und von der Unwirksamkeit bzw. zwingenden Aufhebbarkeit als Rechtsfolgen für Minderjährigenehen abgeraten.9 Empfohlen wurde eine Beurteilung, die unter Heranzie-

Schule“ (so der Kommentar des ehemaligen Bundesministers der Justiz und für Verbraucherschutz Heiko Maas im ARD-Morgenmagazin Anfang April 2017 vor der Abstimmung über das Gesetz im Bundeskabinett, s. https://twitter.com/ardmoma/status/ 849499851134029824), „In Deutschland gilt deutsches Recht. (. . .) Es gibt nur ein Recht auf unserem Boden.“ (so die damalige Landesvorsitzende der CDU RheinlandPfalz Julia Klöckner, s. Barenberg, Kinderehen in Deutschland, „Wir dürfen nicht das Recht beugen“, Julia Klöckner im Gespräch mit Jasper Barenberg, 1.11.2016). 6 United Nations Children’s Fund (UNICEF), Child Marriage, Mai 2022; Child marriages around the world – infographic, 11.3.2020. 7 Die Eliminierung von „Kinderheirat, Frühverheiratung und Zwangsheirat“ wird unter Ziel 5 („Geschlechtergleichstellung erreichen und alle Frauen und Mädchen zur Selbstbestimmung befähigen“) gefasst, s. Generalversammlung der Vereinten Nationen, Transformation unserer Welt – die Agenda 2013 für nachhaltige Entwicklung – Resolution 70/1, 25.9.2015, 19. 8 Vgl. Lambertz, Child marriages and the law – with special reference to swedish developments, in: The Child’s Interests in Conflict, 2016, 85, 110. 9 Antomo, NZFam 2016, 1155, 1161; Coester, FamRZ 2017, 77, 80.

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hung aller Umstände des jeweiligen Einzelfalls das individuelle Wohl der Minderjährigen berücksichtigt.10 Der deutsche Gesetzgeber folgte dieser Anregung allerdings nicht. Unter dem prägenden Eindruck der Flüchtlingskrise stehend und einen besorgten Blick auf die kurz bevorstehenden Bundestagswahlen werfend, richtete er seinen Fokus gezielt auf die öffentlichkeitswirksame Eindämmung von Kinderehen:11 Mit Inkrafttreten des Gesetzes am 22. Juli 2017 wurde daher die Möglichkeit zur Befreiung vom allgemeinen Ehemündigkeitsalter von 18 Jahren (§ 1303 Abs. 2–4 BGB a. F.) für Eheschließungen von Minderjährigen, die das 16. Lebensjahr vollendet haben, abgeschafft. Bei Verstößen hängt die Rechtsfolge vom Alter des Minderjährigen im Eheschließungszeitpunkt ab: Hatte der minderjährige Ehegatte zwar das 16., aber nicht das 18. Lebensjahr erreicht, kann die Ehe gerichtlich aufgehoben werden (§ 1303 S. 1 BGB). Vor Vollendung des 16. Lebensjahres geschlossene Ehen sind ipso iure unwirksam (§ 1303 S. 2 BGB). Des Weiteren wurde die (bloß) religiöse Schließung von Ehen Minderjähriger durch ein bußgeldbewehrtes Voraustrauungsverbot sanktioniert (§§ 11 Abs. 2, 70 Abs. 1 PStG). Die gesetzgeberische Intention, Kinderehen aktiv zu bekämpfen, erschöpft sich jedoch nicht in den substantiellen Modifikationen der materiellen und verfahrensrechtlichen Eheschließungs- und Eheaufhebungsregelungen. Das Gesetz sollte seine Wirkkraft auch und gerade auf dem Gebiet des Internationalen Familienrechts entfalten, weswegen die Verschärfungen im nationalen Sachrecht in den Normen des EGBGB ihre gesetzliche Entsprechung finden: Die materiellen Eheschließungsvoraussetzungen richten sich zwar grundsätzlich weiterhin nach dem Heimatrecht jedes Verlobten im Zeitpunkt der Eheschließung (Art. 13 Abs. 1 EGBGB). Unterliegt die Ehemündigkeit danach aber ausländischem Recht, so ist die Ehe nicht mehr an der allgemeinen ordre public-Klausel des Art. 6 EGBGB, sondern an der eigens eingeführten speziellen Vorschrift des Art. 13 Abs. 3 EGBGB zu messen: Danach unterliegen vor Vollendung des 16. Lebensjahres (nach ausländischem Recht) wirksam geschlossene Ehen dem Unwirksamkeitsverdikt (Nr. 1), während im Alter von 16 oder 17 Jahren wirksam geschlossene Minderjährigenehen als aufhebbar zu qualifizieren sind (Nr. 2). Die Aufhebung richtet sich nach deutschem Sachrecht und muss von der zuständigen Behörde, die nach § 1316 Abs. 3 S. 2 BGB grundsätzlich zur Stellung des Aufhebungsan10 S. nur Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht, JAmt 2016, 598 ff.; Coester, FamRZ 2017, 77, 80. 11 Vgl. Gössl, Das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen – eine politische Reaktion auf die Flüchtlingskrise, in: Migration. Gesellschaftliches Zusammenleben im Wandel, 2018, 19 ff.; zust. Frank, StAZ 2019, 129; Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht – Bd. 2: Besonderer Teil, § 4 Rn. 85; s. a. Fountoulakis/Mäsch, in: FS Geiser, 241, 243; Kohler, Rev. crit. DIP 2018, 51, 57 f.; Rauscher, in: FS Kren Kostkiewicz, 245, 247. Laut Löhnig, NZFam 2019, 72, 73 ist das Gesetz ein „Produkt unbedachten politischen Aktionismus“; Sammet/Graf Wolffskeel von Reichenberg, ZEV 2019, 510, 511.

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trags verpflichtet ist, vorangetrieben werden. Liegt ein Fall des § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BGB vor, ist die Aufhebung ausgeschlossen. Die Überleitungsvorschrift des Art. 229 § 44 EGBGB mildert die neuen Grundsätze für Altfälle ab. Obwohl das in Rede stehende Gesetz von dem nachvollziehbaren Bestreben getragen war, im Bereich der Minderjährigenehen klare Rechtsstrukturen zu schaffen und die betreffenden Minderjährigen dabei umfassend zu schützen, stand es gerade wegen Rechtssicherheitsbedenken und aus Kindeswohlgesichtspunkten vor und nach seinem Erlass im Fokus heftiger Kritik.12 Die ebenfalls vorgebrachten verfassungsrechtlichen Zweifel gipfelten schließlich darin, dass der BGH dem BVerfG13 gem. Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG die zentrale Kollisionsrechtsvorschrift des Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB zur Prüfung vorlegte.14 Ausgangspunkt dieses Verfahrens war kurioserweise der bereits erwähnte Beschluss des OLG Bamberg, der die Kontroverse um Minderjährigenehen in Deutschland überhaupt erst ins Rollen gebracht hatte. Tatsächlich offenbart der dem Beschluss zugrunde liegende Sachverhalt die Vielschichtigkeit des Phänomens der Minderjährigenehen und entlarvt gleichzeitig die Schwächen des KEhenBekG, das auf der kaum haltbaren Prämisse, alle Minderjährigenehen seien kindeswohlgefährdende Unterdrückungsbeziehungen, zu basieren scheint. Einige dieser Ehen sind zwar durchaus von den Familien arrangierte Verbindungen, bei denen mindestens ein Eheschließender durch Willensbeugung oder zumindest -beeinflussung zur Eheschließung gebracht wird.15 Mag sich die Feststellung einer Zwangsverheiratung in der Praxis oft als schwierig erweisen, bestanden im Fall des OLG Bamberg indes keine greifbaren Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei der streitgegenständlichen Eheschließung um eine Zwangsheirat gehandelt hatte. Vielmehr war der klare Wunsch der Eheleute, ihre Ehe fortzusetzen, offenkundig. Sie hatten sexuell miteinander verkehrt und ihre Beziehung durch die Herausforderungen auf der Flucht gestärkt. Die Ehefrau sah sich durch die ihr verweigerte gemeinsame Unterbringung mit ihrem Ehemann sogar dazu veranlasst, jedwede Mitwirkung an Integrationsmaßnahmen abzulehnen.16 Das neue Gesetz lässt diese Umstände unberücksichtigt. Die Ehe wird keiner konkreten Prüfung unterzogen, sondern automatisch, ohne dass die Beteiligten ihre Position deutlich machen könnten, für nichtig erklärt. 12 S. nur Bongartz, NZFam 2017, 541; Frie, FamRB 2017, 232, 239; Antomo, ZRP 2017, 79, 82; Coester-Waltjen, IPRax 2017, 429; Hüßtege, FamRZ 2017, 1374, 1380; Wapler, verdikt 2017, 9 f.; Plich, RPsych 2017, 299, 306; Löhnig, FamRZ 2018, 749, 750; ders., NZFam 2019, 72, 73; Gössl, BRJ 2019, 6 ff.; Gutmann, NVwZ 2019, 277, 280 ff. 13 Das Verfahren wird unter dem Az. 1 BvL 7/18 geführt. 14 BGH 14.11.2018, Az. XII ZB 292/16, FamRZ 2019, 181 ff. 15 Oft basiert der Heiratswille auf familiärem Druck, Zwang, Traditionen oder Unwissenheit, s. Lack, StAZ 2013, 275, 281; vgl. Schirrmacher, Die Frage der Freiwilligkeit der islamischen Eheschließung, 26 f. 16 OLG Bamberg 12.5.2016, Az. 2 UF 58/16, FamRZ 2016, 1270, 1274.

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Dieser Befund provoziert wichtige Fragen im Hinblick auf das von Kindeswohlerwägungen getragene Gesetz, die zum Gegenstand der vorliegenden Arbeit gemacht werden. Forschungsdesiderat ist demnach, das KEhenBekG einer kritischen Würdigung zu unterziehen und durch eine Untersuchung der mit dem Gesetz verbundenen rechtlichen Unzulänglichkeiten auf Auslegungs- und Wertungsebene angemessene Leitlinien zur Behandlung von Minderjährigenehen zu entwickeln. Der Gang der Untersuchung vollzieht sich wie folgt: Der Erkenntnis folgend, dass ein historischer Rückblick zu einem besseren Verständnis der rechtlichen Ausgangslage beiträgt, erfolgt die Annäherung an die Thematik im ersten Kapitel durch einen rechtshistorischen Abriss der Entwicklung der Ehemündigkeit im Wandel der Zeit. Der Gegenwartsbezug wird im zweiten Teil hergestellt, wo auf die Verbreitung, Ursachen und Auswirkungen sowie auf die vielfältigen Dimensionen von Minderjährigenehen näher eingegangen wird. Weiterhin werden hier die rechtlichen Grundlagen des Phänomens erforscht, wobei das Augenmerk auf die eherechtlichen Verhältnisse im islamischen Kulturraum gelegt wird, die den in Deutschland vorzufindenden Minderjährigenehen sehr häufig zugrunde liegen.17 Zur vollständigen Erfassung der gegenwärtigen Gesetzesproblematik gehört ebenso die Auseinandersetzung mit der gesetzlichen Ausgangslage vor Inkrafttreten des KEhenBekG, wie sie im zweiten Kapitel erfolgen soll. Nach Darstellung des alten deutschen Sachrechts werden die früheren kollisionsrechtlichen Regelungen und insbesondere der ordre public-Vorbehalt des Art. 6 EGBGB beleuchtet, der den Prüfungsmaßstab für Minderjährigenehen vor der Gesetzesreform bildete. Besondere Beachtung findet hier der Beschluss des OLG Bamberg als Musterbeispiel der Anwendung des alten Rechts. Das dritte Kapitel wendet sich den wesentlichen Rechtsfragen des Gesetzes auf Auslegungsebene zu. Nach einem Überblick über die neuen Regelungen werden zunächst die mit dem neuen Gesetz verbundenen praktischen Schwierigkeiten herausgestellt. Anschließend werden die Auslegungsprobleme de lege lata, die in der bisherigen Diskussion und Rechtsprechungspraxis teilweise für dogmatische Verwirrung sorgten, eingehend erörtert. Nach einem rechtsvergleichenden Überblick, der sich auf die Reaktion ausgewählter europäischer Rechtsordnungen auf Minderjährigenehen konzentriert, wird das Gesetz im vierten Kapitel am Maßstab des Verfassungs- und Europarechts unter besonderer Berücksichtigung der unionsrechtlichen Freizügigkeit geprüft. Im fünften Kapitel erfolgt eine Zusammenfassung der gewonnenen Erkenntnisse. Anschließend werden Leitlinien für einen adäquaten rechtlichen Umgang mit Minderjährigenehen unterbreitet. In der Folge wird analysiert, welche Implementationen notwendig sind, um den derzeit verfassungs- und unionsrechtswidrigen Gesetzeszustand zu beenden.

17 Bei den für die Arbeit ausgewählten Beispielländern Syrien, Afghanistan und Irak handelte es sich vor Inkrafttreten des KEhenBekG um die Hauptherkunftsländer von Migranten, die vor Erreichen der Volljährigkeit geheiratet hatten.

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Schon aufgrund des hier gezogenen Rahmens kann nicht auf alle mit dem neuen Gesetz einhergehenden Fragestellungen eingegangen werden. So bleiben rein religiös geschlossene Ehen und die Wiedereinführung des Voraustrauungsverbots nach § 11 PStG der kritischen Analyse entzogen. Im verfassungsrechtlichen Kontext unterbleibt dementsprechend eine Würdigung des Gesetzes unter dem Gesichtspunkt der Religionsfreiheit des Art. 4 Abs. 1 GG. Die Prüfung völkerrechtlicher Verstöße wird lediglich angerissen.18

18 Insofern existieren schon umfassende Analysen der Rechtslage unter Berücksichtigung der Vorgaben des Völkerrechts, s. nur Schulte-Rudzio, Minderjährigenehen in Deutschland, 293 ff.; Siegert, Der ordre public im internationalen Eheschließungsrecht, 260 ff., 278 ff.; Sommerfeld, Völkerrechtliche Anforderungen an die Frühehe, in: Die Frühehe im Recht, 2021, 101–136.

Kapitel 1

Minderjährigenehen in Geschichte und Gegenwart Eheschließungen unter der Beteiligung Minderjähriger stellen nicht nur ein aktuelles Problem von globaler Tragweite dar, dessen Bewältigung zu einer wichtigen Herausforderung unserer Zeit geworden ist.1 Als faktisches Phänomen ist die Minderjährigenehe letztlich so alt wie die Menschheitsgeschichte selbst. Für ein umfassendes und tiefgehendes Verständnis der Minderjährigenehenproblematik ist es daher unerlässlich, sich zunächst auf historischem Wege dem Thema zuzuwenden. Es lohnt zudem ein Blick auf die aktuellen Zahlen, die einen eindrücklichen Beweis für die Bedeutsamkeit der Thematik liefern. Die Vielschichtigkeit des Themenkomplexes macht allerdings im Vorhinein eine terminologische Präzisierung erforderlich, die im direkten Nachgang erfolgen soll.

A. Terminologie Für verfrühte Eheschließungen haben sich zahlreiche Begrifflichkeiten wie „Frühehen“, „Kinderehen“ und „Minderjährigenehen“ etabliert. Auch der Begriff der „Zwangsehen“ wird gelegentlich synonym verwendet. Der Ausdruck „Kinderehe“, wie er im KEhenBekG verwendet worden ist, erweist sich aber in vielerlei Hinsicht als problematisch. Zunächst wird der Begriff des Kindes rechtsgebietsübergreifend nicht einheitlich definiert: Im Familienrecht bezieht er sich altersunabhängig auf den Verwandtschaftsgrad einer Person und bezeichnet den Abkömmling ersten Grades, wobei die Verwandtschaft auf biologischer Abstammung oder rechtlicher Zuordnung beruhen kann.2 Außerdem wird in einigen Bereichen des deutschen Rechts unterschieden zwischen Kindern, die das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, und Jugendlichen, die zwar die Schwelle des 14. Lebensjahres überschritten haben, aber noch nicht volljährig sind (so im Kinder- und Jugendhilferecht nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SGB VIII und im Jugendstrafrecht gem. § 1 Abs. 2 S. 1 JGG, § 19 StGB). Die in Deutschland seit dem 5.4.1992 vorbehaltlos geltende3 Kinderrechtskonvention 1 Zahlreiche Länder versuchen, die Praxis der Minderjährigenehen durch Gesetzgebungsmaßnahmen einzuschränken, s. dazu näher an anderer Stelle (C. III.). 2 Wapler, Kinderrechte und Kindeswohl, 22. 3 Die UN-KRK ist ein völkerrechtlicher Vertrag, der in der Bundesrepublik als einfaches Bundesgesetz gilt. Die Gewährleistungen der Konvention binden nach Art. 20 Abs. 3 GG alle staatlichen Behörden sowie Gerichte und sind im Rahmen methodisch

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Kap. 1: Minderjährigenehen in Geschichte und Gegenwart

der Vereinten Nationen (UN-KRK)4 definiert das Kind in § 1 als eine Person, die „das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat, soweit die Volljährigkeit nach dem auf das Kind anzuwendenden Recht nicht früher eintritt“. Doch die uneinheitliche Handhabung des Begriffs des Kindes ist nicht der einzige Grund, weshalb man vom Terminus der „Kinderehe“ abrücken sollte. In Deutschland werden Kinderehen gemäß der Deutung des Jugendstraf-, sowie Kinder- und Jugendhilferechts ausschließlich mit Ehen verbunden, in die sehr junge Personen involviert sind. Ein großer Teil der minderjährigen Ehegatten in Deutschland lässt sich dieser Entwicklungsstufe jedoch gerade nicht zuordnen. Der Begriff vermittelt damit ein bestimmtes Bild, das auf viele Ehen nicht zutrifft. Außerdem ist bei Ehen, die in einem anderen Kulturkreis geschlossen wurden, zu beachten, dass der Kindheitsbegriff im Kontext der jeweiligen Kultur gesehen werden muss, weil er orts-, zeit- und gesellschaftsbezogene Besonderheiten aufweist.5 Auch in dieser Hinsicht mutet die Bezeichnung simplifizierend an und greift zu kurz. Da auch der Terminus „Frühehe“ irreführende Assoziationen von Eheschließungen in sehr jungem Alter erzeugt, soll in der vorliegenden Untersuchung lediglich der wertneutrale Begriff der „Minderjährigenehe“ 6 Verwendung finden und sich folgerichtig auf jede eheliche Verbindung eines Paares beziehen, bei deren Zustandekommen mindestens einer der Partner jünger als 18 Jahre war. Obwohl Minderjährigenehen mit überwiegender Mehrheit Mädchen bzw. junge Frauen betreffen, soll für die in dieser Arbeit erwähnten minderjährigen Heiratsaspiranten bzw. Ehegatten das männliche Geschlechtsspezifikum verwendet werden, wobei sich die jeweiligen Bezeichnungen auf Männer und Frauen in gleicher Weise beziehen sollen. Von der Verwendung des generischen Maskulinums wird nur dann eine Ausnahme gemacht, wenn ausschießlich auf weibliche Ehegatten Bezug genommen wird.

B. Die Ehemündigkeit im Wandel der Zeit Verfrühte Eheschließungen werden durch niedrige Ehemündigkeitsgrenzen begünstigt. Unter der Ehemündigkeit versteht die Rechtsordnung die Altersgrenze unterhalb der – wegen mangelnder körperlicher und geistiger Reife – eine Ehe nicht eingegangen werden soll. Im Laufe der Jahrhunderte wurde die Ehemündigkeitsgrenze immer wieder verschoben.

vertretbarer Gesetzesauslegung zu berücksichtigen, s. Fritzsch, ZAR 2014, 137, 138 m.w. N. 4 Gesetz zu dem Übereinkommen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes, BGBl. 1992 Teil II, 121 ff. 5 Hierzu näher Bunting, Soc. & Legal Stud. 14 (2005), 17, 21. 6 Diesen Terminus ebenso befürwortend Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht – Bd. 2: Besonderer Teil, § 4 Rn. 84; Coester-Waltjen, IPRax 2017, 429.

B. Die Ehemündigkeit im Wandel der Zeit

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I. Etymologische Grundlagen und Bedeutung in der Antike Der Terminus „Mündigkeit“ hat seinen Ursprung im althochdeutschen Wort munt (Handbreit, Schutz) sowie der latinisierten Form mundium7 und bezeichnet die Fähigkeit, in eigener Gewalt und unter eigenem Schutz zu stehen.8 Im Rechtssinne versteht man darunter die Erlangung der vollen rechtlichen Handlungsfähigkeit.9 Zwar ist die Gleichstellung von Mündigkeit und Volljährigkeit nicht unüblich.10 Der rechtshistorische Blick offenbart jedoch, dass die zwei Elemente bereits in der lateinischen Rechtssprache getrennt wurden. Die Minderjährigen erlangten im römischen Recht mit Eintritt der Geschlechtsreife (pubertas) die volle Geschäfts- und Deliktsfähigkeit. Bei Jungen wurde der Beginn der Pubertät mit dem für gewöhnlich im Alter zwischen vierzehn und sechzehn Jahren stattfindenden Formalakt der feierlichen Anlegung der sog. toga virilis gekennzeichnet.11 Im Zuge der Expansion des römischen Reiches stellte sich die mit der Geschlechtsreife einhergehende umfassende rechtliche Handlungsfähigkeit junger Menschen aufgrund der zunehmenden Komplexität der Geschäfts- und Handelswelt als unpraktikabel heraus und erforderte gewisse Schutzmaßnahmen, die schließlich zur Etablierung einer neuen Altersstufe unter den puberes, der Volljährigkeit (majorennitas) führten.12 Diese trat ohne Unterscheidung zwischen den Geschlechtern mit dem vollendeten 25. Lebensjahr ein.13 Bis zu diesem Zeit7 Stellung des Hausherrn gegenüber Gattin, Kind und Gesinde im germanischen Recht, s. Sommer, Stichwort Mündigkeit, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, 2017; Friedberg, Das Recht der Eheschließung, 17 f.; Knothe, Die Geschäftsfähigkeit der Minderjährigen in geschichtlicher Entwicklung, 319; Große-Boymann, Heiratsalter und Eheschließungsrecht, 18 ff. Urspr. manus (später potestas) als Symbol der herrschenden und schützenden Hand des pater familias (Hausvaters) im römischen Recht. Vgl. zur etymologischen Herkunft Schwab, Volkssprachige Wörter, 421 f.; Kluge, Etymologisches Wörterbuch, 640. Ausführlich zur Bedeutung der familia im römischen Rechtssystem, s. Mayer-Maly, in: FS Wacke, 261, 261; Seiler, in: FS Wacke, 437, 439 ff. 8 Vgl. Wackernagel, Die Lebensalter, 46; Sommer, Stichwort Mündigkeit, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, 2017; Grimm, Deutsche Rechtsalterthümer – Bd. I, 569. 9 Pierer, Universal-Lexikon – Elfter Band, 535. 10 Vgl. nur Grimm/Grimm, Deutsches Wörterbuch – Sechster Band, Sp. 2688; Hegel, Vorlesungen über Rechtsphilosophie 1818–1831 – Zweiter Band, 614. In den Notizen zur Vorlesung dagegen: „fortdauernde Unmündigkeit“, s. Hegel, Vorlesungen über Rechtsphilosophie 1818–1831 – Zweiter Band, 627. 11 Knothe, Die Geschäftsfähigkeit der Minderjährigen in geschichtlicher Entwicklung, 18; Wackernagel, Die Lebensalter, 43 f.; Rawson (Hrsg.), Marriage, Divorce, and Children in Ancient Rome, 1991, 27 f. 12 Zum historischen Kontext: Robra, Minderjährigenrestitution, 13 m. Fn. 4. 13 Die Volljährigkeitsgrenze von 25 Jahren wurde durch die um 200 v. Chr. ergangene lex Plaetoria eingeführt, s. Wacke, TR 48 (1980), 203, 204. Die Bezeichnung lex Laetoria verwendend: Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 24 Rn. 8; zum Disput über den richtigen Namen des Gesetzes, s. Savigny, Vermischte Schriften – Zweiter Band, 330 f.; Wacke, TR 48 (1980), 203, 204 m. Fn. 5 m.w. N.

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Kap. 1: Minderjährigenehen in Geschichte und Gegenwart

punkt wurden die sog. minores viginti quinque annis14 gegen Übervorteilung (circumscribere) durch eine auf Bußgeldzahlung gerichtete, die Ehrlosigkeit nach sich ziehende Popularklage geschützt und mit einer Einrede (exceptio legis Plaetoriae) ausgestattet, die sie der Klage aus dem jeweiligen Geschäft entgegenhalten konnten.15 Noch heute sind entsprechend der Vielzahl rechtlicher Status verschiedene, vom Volljährigkeitsalter teils unabhängige Formen der Mündigkeit anerkannt: Neben der Strafmündigkeit (§ 19 StGB), der Sexualmündigkeit (§ 176 StGB), der Eidesmündigkeit (§ 393 ZPO, § 60 Nr. 1 StPO) und der Religionsmündigkeit (§ 5 RKErzG) konstituiert die Ehemündigkeit des § 1303 BGB als persönliche Eheschließungsvoraussetzung eine unerlässliche Komponente des Minderjährigenschutzes unserer Rechtsordnung. Dabei entstammt die Bezeichnung „Ehe“ dem althochdeutschen Wort êwa (Recht, Bund, Band).16 Das Begriffsverständnis einer anerkannten Verbindung von Mann und Frau zu dauernder Lebensgemeinschaft hat sich erst etwa seit dem Jahre 1000 etabliert.17 Schon im antiken Griechenland wurde der Ehe (gÜmoò) eine herausragende Bedeutung zugewiesen. Sie genoss als Ursprung der gesamten sozialen und politischen Gemeinschaft hohe Achtung und galt infolge ihrer Unentbehrlichkeit für den Staat als die Heiligste aller Verbindungen.18 In ältester Zeit geschah die Eheschließung mittels eines Kaufkontrakts, aufgrund dessen die Ehefrau gegen Zahlung eines Brautpreises an den Bräutigam als ihren neuen Gewalthaber übergeben wurde (sog. Kaufehe).19 Im Laufe der Zeit sank die Bedeutung des Brautpreises, bis sich im 6. Jh. v. Chr. die Eheschließung durch schlichten Konsens zwischen Bräutigam und Vater oder sonstigem Gewalthaber der Braut samt Bestellung einer Mitgift durchsetzte.20 14 Minderjährige unter 25 Jahren, vgl. dazu Lang, Justinianisch römisches Recht, 104; Knothe, Die Geschäftsfähigkeit der Minderjährigen in geschichtlicher Entwicklung, 42 f. 15 Ausführlich zu den Rechtswirkungen der lex Plaetoria: Knothe, Die Geschäftsfähigkeit der Minderjährigen in geschichtlicher Entwicklung, 47 ff. Robra, Minderjährigenrestitution, (insb. zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (in integrum restitutio propter minorem aetatem)); Wacke, TR 48 (1980), 203 ff. (zur exceptio legis Plaetoriae). 16 Grimm, Deutsche Rechtsalterthümer – Bd. I, 578. Von Laut und Inhalt her ist das Wort wohl auch an das lateinische aevum (Ewigkeit) angelehnt, s. Schwab, Volkssprachige Wörter, 251; Grimm/Grimm, Deutsches Wörterbuch – Dritter Band, Sp. 39; dies verneinend Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch, 1642. 17 S. Staudinger/Löhnig, 18. Aufl., 2018, vor §§ 1303 ff. BGB Rn. 15. 18 Hirzel, Geschichte der Rechtsidee bei den Griechen, 321; Aristoteles, Politics, Buch I Rn. 1252a 24 ff. (S. 5). Ausführlich auch Erdmann, Die Ehe im alten Griechenland, 112 ff. 19 S. hierzu genauer Becker, Platons Gesetze und das griechische Familienrecht, 42 f. 20 Zu beachten ist, dass anfänglich auch junge Männer durch ihre Väter verheiratet wurden, ehe sie nach klassischem Recht mit Vollendung des 18. Lebensjahres aus der väterlichen Gewalt austraten und selbst Vertragspartner wurden, s. Erdmann, Die Ehe

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Nicht minder bedeutsam war die Ehe nach römischer Rechtsvorstellung, wobei in ältester Zeit die Gebote der Sitte und Sozialethik die Ehe substantiell gestalteten.21 Sie galt in erster Linie als sozial faktische22, vom beiderseitigen Willen der Ehegatten getragene Lebensgemeinschaft.23 In altrömischer Zeit (Anfänge bis Mitte des 3. Jh. v. Chr.) verkörperte das matrimonium eher ein Gewaltverhältnis24 als ein Rechtsverhältnis, in dem die Ehefrau mit der Eheschließung25 in den straff organisierten Hausverband des pater familias und in dessen Vollgewalt übertrat (conventio in manum). Mit der Zeit wich diese als manus-Ehe bezeichnete Eheform der gewaltfreien Ehe (sine manu), die am Ende der klassischen Periode (ca. Mitte des 3. Jh. n. Chr.) vorherrschte.26 Von außerordentlicher Bedeutung bei der Verheiratung war die anfänglich der Sitte unterworfene Zuwendung einer Mitgift (dos) an den zukünftigen Ehemann, die Kaiser Justinian für den pater familias zur Rechtspflicht erhob.27 In Anbetracht des Eheschließungsalters unterschied sich die römische Rechtsüberzeugung deutlich von derjenigen der Griechen. Während in Griechenland allgemein der Grundsatz herrschte, dass der Mann eine Ehe nicht vor dem 30. Lebensjahr eingehen sollte28 und auch für Frauen ein aus damaliger Perspekim alten Griechenland, 229. Die Frau dagegen beteiligte sich nicht aktiv am Vertrag, s. Vatin, Recherches sur le mariage à l’époque hellénistique, 4, 143. 21 Müller-Freienfels, Ehe und Recht, 4 ff. Zur geringen Bedeutung der Rechtsordnung in Bezug auf Eheangelegenheiten im klassischen Rom, s. ders., Ehe und Recht, 7 ff. Zum Vergleich mit dem Eherecht des klassischen Athens: Wolff, TR 20 (1952), 1 ff. 22 Allerdings weitreichende Rechtsfolgen nach sich ziehend, s. BeckOGK/Erbarth, 1.6.2022, § 1353 BGB Rn. 97, 102.1; Schäfer, Die Entstehung der Vorschriften des BGB über das persönliche Eherecht, 72. 23 Vgl. die Ehedefinition Nuptiae sunt coniunctio maris et feminae et consortium omnis vitae, divini et humani iuris communicatio in Knütel/Kupisch/Seiler u. a. (Hrsg.), Corpus Iuris Civilis: Text und Übersetzung, 2005, D. 23.2.1 (S. 140) (m. dt. Übers.); ausführlich zum consortium omnis vitae: Ehrhardt, SZ 1937, 357 ff. 24 So ausdrücklich Harke, Römisches Recht, § 17, Rn. 1. 25 Zu den verschiedenen Formen des Zustandekommens der Ehe, s. Kaser/Knütel/ Lohsse, Römisches Privatrecht, § 69 Rn. 32 ff.; Cantarella, Women and patriarchy in roman law, in: The Oxford Handbook of Roman Law and Society, 2016, 419, 421. 26 Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 69 Rn. 9; Blanck, Einführung in das Privatleben der Griechen und Römer, 107. Besonders entscheidend wurde der Wille und das Bewusstsein der Ehegatten, dass ihre Gemeinschaft eine Ehe ist (sog. affectio maritalis), s. Cantarella, Women and patriarchy in roman law, in: The Oxford Handbook of Roman Law and Society, 2016, 419, 425; Pugliese, Istituzioni di diritto romano, 391 f.; Fiori, Bull. 2011, 197, 229; vgl. a. Treggiari, Divorce Roman Style: How Easy and how Frequent was it?, in: Marriage, Divorce, and Children in Ancient Rome, 1991, 31, 33; Thier, in: Schmoeckel/Rückert/Zimmermann (Hrsg.), Historisch-kritischer Kommentar zum BGB – Bd. IV, 2018, §§ 1303–1312, 1588 Rn. 6. 27 Vgl. Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 70 Rn. 7 ff.; Harke, Römisches Recht, § 17 Rn. 15 ff.; McGinn, IURA 2014, 208, 211 ff. 28 Wackernagel, Die Lebensalter, 21; Aristoteles, Politics, Buch VII, XIV Rn. 1335a 6 (S. 621) („thirty-seven or a little before“); Hesiod, Werke und Tage, 695 ff. (S. 137); Plato, Republic, Buch V Rn. 460 (S. 491), in den Gesetzen gestattet er jungen Männern

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Kap. 1: Minderjährigenehen in Geschichte und Gegenwart

tive eher spätes Heiratsalter befürwortet wurde29, bildete im römischen Recht der Beginn der pubertas den Anknüpfungspunkt für das zur Eheschließung befähigende Lebensalter. Personen, die sich im Stadium vor der Geschlechtsreife befanden (impuberes), blieb die Eingehung einer Ehe theoretisch verwehrt. Während zunächst die Zeugungsfähigkeit im konkreten Einzelfall altersunabhängig festgestellt wurde, ging man ab der augusteischen Epoche bei Frauen allgemein von einem Reifeeintritt mit 12 Jahren aus.30 Dies hatte zur Folge, dass in der römischen Rechtspraxis auch noch nicht geschlechtsreife Mädchen verheiratet wurden.31 Die Schule der Prokurianer befürwortete sodann auch für Männer eine feste Altersgrenze von 14 Jahren, während die Sabinianer die Altersfestlegung ablehnten und es bei der herkömmlichen tatsächlichen Bestimmung des biologischen Reifegrades im Einzelfall belassen wollten.32 Schließlich wurde dieser Streit über die Sinnhaftigkeit der Festlegung einer Altersgrenze in der Gesetzgebung Justinians von 529 n. Chr. zugunsten der Prokurianer entschieden und das Ehemündigkeitsalter für Männer auf 14 festgesetzt, für Frauen wurde es bei 12 Jahren belassen.33 Trotz der gesetzlich sehr niedrig veranschlagten Heiratsaltersgrenze fand die römische Eheschließung bei Männern und Frauen in der Praxis typischerweise aber eher spät statt.34 die Eheschließung ab dem 25. Lebensjahr, s. ders., Laws, Buch VI Rn. 772 E (S. 461). Ungewöhnlicherweise wurde die Ehe auch früher geschlossen, ehefähig waren Männer mit Vollendung des 18. Lebensjahres: Becker, Platons Gesetze und das griechische Familienrecht, 35; Erdmann, Die Ehe im alten Griechenland, 162 f.; Beauchet, Histoire du droit privé de la République athénienne, 161. 29 Das 18. Lebensjahr befürwortend: Aristoteles, Politics, Buch VII, XIV Rn. 1335a 6 (S. 621); „frühestens sechzehn, spätestens zwanzig Lebensjahre“: Becker, Platons Gesetze und das griechische Familienrecht, 35. 30 Shaw, JRS 77 (1987), 30, 42; Perry, Defining gender, in: The Oxford Handbook of Roman Law and Society, 2016, 432, 434; Piro, Spose bambine, 23. Im Allgemeinen wurden die Menschen in dieser Zeit regelrecht zur Eheschließung aufgefordert. Nennenswert ist die von Kaiser Augustus eingeführte und bis 531/534 n. Chr. währende Ehegesetzgebung (sog. Lex Iulia et Papia), nach der Männer im Alter von 25 bis 60 und Frauen zwischen 20 und 50 Jahren verheiratet sein mussten. 31 Sich auf Plutarch, Num. 26, 1–3 berufend Durry, RIDA 1955, 263 ff.; Piro, Spose bambine, 12 ff., 22 ff.; Perry, Defining gender, in: The Oxford Handbook of Roman Law and Society, 2016, 432, 434. Außerdem wurde die Altersvorgabe von 12 Jahren nicht immer eingehalten: S. Fiori, Bull. 2011, 197, 211 ff.; mit einigen Beispielen Durry, RIDA 1956, 227, 231. 32 Zu dieser Diskrepanz zwischen Sabinianern und Prokulianern auch Kaser/Knütel/ Lohsse, Römisches Privatrecht, § 24 Rn. 2; McGinn, IURA 63 (2015), 107, 114 ff. 33 Manthe, Die Institutionen des Gaius, Gai Inst. I, 196 (S. 109) ca. 160 n. Chr.; Behrends/Knütel/Kupisch u. a. (Hrsg.), Corpus Iuris Civilis: Text und Übersetzung, 1997, Inst. 1.22 (S. 35) (m. dt. Übers.); McGinn, IURA 63 (2015), 107, 122; Knothe, Die Geschäftsfähigkeit der Minderjährigen in geschichtlicher Entwicklung, 21, 317 f.; s. a. Rawson, Adult-Child Relationships in Roman Society, in: Marriage, Divorce, and Children in Ancient Rome, 1991, 7, 27. 34 Für ein durchschnittliches Heiratsalter von 25–30 Jahren bei Männern und ungefähr 20 Jahren bei Frauen plädieren Shaw, JRS 77 (1987), 30, 43 f.; Saller, CP 82

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II. Der Ausklang der Antike und die mittelalterliche Zeit Die Rechtsanschauung über den Charakter der Ehe als einer auf dem beständigen Konsens der Ehegatten beruhenden und faktisch auch verwirklichten Lebensgemeinschaft wirkte auch in nachklassischer Zeit (ab dem Ende des 3. Jh. n. Chr.) fort.35 Unter dem Einfluss des Christentums, das im Jahre 380 n. Chr. im römischen Reich zur Staatsreligion erklärt wurde, verfestigte sich im 5. Jh. jedoch die Auffassung, die Ehe als Rechtsverhältnis zu verstehen.36 Neuartig war außerdem die Einstufung der Ehe als Institution des religiösen Lebens mit christlich bindendem Charakter, der in ihrer offiziellen Anerkennung als Sakrament im Rahmen des Konzils von Trient (1545–1563) mündete.37 Das kanonische Eherecht bestimmte den mittelalterlichen Eherechtsalltag und verlieh der Ehe ein Ordnungsgefüge, das in der kirchlichen Ehejurisdiktion seine praktische Durchsetzung fand.38 Jedenfalls dort, wo es besonderen familiären Interessen entsprach, zeichneten sich die Ehen des Mittelalters durch ein sehr niedriges Heiratsalter aus.39 In Herrschaftskreisen dienten sie als Instrument zur Machterhaltung und -ausdehnung, sodass auch Kinder von ihren Familien ihren künftigen Gatten zugespro(1987), 21, 29 ff.; McGinn, IURA 63 (2015), 107, 152; Caldwell, Roman Girlhood and the Fashioning of Femininity, 3; Abbott, a history of marriage, 18; unschlüssig in Bezug auf das Heiratsalter von Frauen ist sich Scheidel, CP 102 (2007), 389, 402 („in their early to mid-teens or in their late teens“). A. A. Lelis/Percy/Verstraete, The age of marriage in ancient Rome, 13 f., die von einer frühen Eheschließung von Männern im Alter zwischen 17 und 20 Jahren und von Frauen im Alter zwischen 12 und 16 Jahren ausgehen. Die demographischen Quellen zur „römischen Ehe“ sind jedoch sehr begrenzt, s. Scheidel, CP 102 (2007), 389, 402. 35 BeckOGK/Erbarth, 1.6.2022, § 1353 BGB Rn. 102.13. Das Leitprinzip consensus facit nuptias wurde dabei zum wesentlichen Eheschließungselement erhoben, s. MüllerFreienfels, Ehe und Recht, 14; Schwab, Grundlagen und Gestalt der staatlichen Ehegesetzgebung, 15 f.; vgl. Schäfer, Die Entstehung der Vorschriften des BGB über das persönliche Eherecht, 7; Coester-Waltjen, FamRZ 2012, 1185. 36 BeckOGK/Erbarth, 1.6.2022, § 1353 BGB Rn. 102.13; vgl. a. Papadimas, Form der Eheschließung, 6; Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 69 Rn. 5. 37 Friedberg, Das Recht der Eheschließung, 155; Müller-Freienfels, Ehe und Recht, 13; Schmoeckel, in: Schmoeckel/Rückert/Zimmermann (Hrsg.), Historisch-kritischer Kommentar zum BGB – Bd. IV, 2018, vor §§ 1313–1320 Rn. 55. Die Diskussion über die Ehe als Sakrament fand 1563 im letzten Jahr des Konzils statt, s. Joyce, die christliche Ehe, 118, 170; prägnant zum biblischen Hintergrund der Sakramentsnatur der Ehe: Coester-Waltjen/Coester, Chaper 3 – Formation of Marriage, in: International Encyclopedia of Comparative Law – vol. IV: Persons and Family, 2007, 5. 38 Schwab, Grundlagen und Gestalt der staatlichen Ehegesetzgebung, 15, 32. Die vier „grundsätzlichen Wahrheiten“ der katholischen Lehrmeinung werden aufgezählt bei Große-Boymann, Heiratsalter und Eheschließungsrecht, 182. 39 Ausführlich zum Heiratsalter im Mittelalter mit Differenzierung nach den einzelnen Bevölkerungsschichten: Große-Boymann, Heiratsalter und Eheschließungsrecht, 92 ff., 129 ff.

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chen wurden.40 Der Bevölkerungsverlust durch Seuchen und Hungersnöte, die niedrige Lebenserwartung und die relativ früh einsetzende Geschlechtsreife begünstigten zudem frühe Eheschließungen in der bäuerlichen Schicht.41 Das römischrechtliche Heiratsalter von 12 und 14 Jahren wurde im Eherecht der römisch-katholischen Kirche beibehalten.42 Eine Heraufsetzung um jeweils zwei Jahre erfolgte erst durch die Neufassung des Codex Iuris Canonici von 1917, in der sich die Kirche erstmalig vom Gleichlauf zwischen Ehemündigkeit und Pubertät lossagte.43 Die kanonisch-rechtliche Altersgrenze war jedoch nur prinzipieller Natur: So machte der bereits vollzogene Geschlechtsakt (copulatio carnalis) die Ehe eines unmündigen Ehegatten wirksam. Heilende Wirkung entfaltete ebenso die geistige Erfassung der Tragweite der Ehe seitens des unmündigen Ehegatten.44

III. Neuzeitliche Entwicklung 1. Reformation und Säkularisierung in der frühen Neuzeit Den die Epochengrenze zur frühen Neuzeit einleitenden Meilenstein setzte die Glaubensspaltung der christlichen Kirche im Zuge der Reformation unter der Führung Martin Luthers, die tiefgreifende Veränderungen im Eheschließungsrecht nach sich zog. Das protestantische Eherecht45 erschütterte die Alleinkom-

40 Dies betraf bspw. die Heilige Elisabeth von Thüringen, die im Alter von 4 Jahren dem 12-jährigen Landgrafen Ludwig von Thüringen angetraut wurde; die Eheschließung wurde nach Vollendung ihres 14. Lebensjahres vorgenommen, vgl. Heusler, Institutionen des deutschen Privatrechts – Bd. 2, 289. Allerdings bildete die Verheiratung von Kindern nicht die Regel, s. Beuys, Familienleben in Deutschland, 180. Großer Beliebtheit erfreute sich die Heirat als Mittel der Machtausdehnung bei den Habsburgern nach dem Motto tu felix austria nube, s. Kohler, Zeitschrift für historische Forschung 21 (1994), 461; vgl. ferner Schwab, Eintrag „Kinderehe“, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte – Bd. II, 2012, Sp. 1748 f. 41 Große-Boymann, Heiratsalter und Eheschließungsrecht, 94 f. 42 S. Luther, Ehemündigkeit, 36 m. Fn. 52. 43 Can. 1067 § 1 des CIC/1917 lautete: Vir ante decimum sextum aetatis annum completum, mulier ante decimum quartum item completum, matrimonium validum inire non possunt. (Der Mann kann vor Vollendung des sechzehnten, die Frau vor Vollendung des vierzehnten Lebensjahres keine gültige Ehe schließen.) Die Norm wurde unverändert in Can. 1083 § 1 des CIC/1983 inkorporiert. Es ist den Bischofskonferenzen jedoch erlaubt, ein höheres Alter festzulegen (Can. 1083 § 2 CIC/1983). Die Geschlechtsreife trat gem. Can. 88 § 2 CIC/1917 weiterhin mit 14 bzw. 12 Jahren ein. Im Reformgesetz CIC/1983 findet sich zum Pubertätsbeginn keine Regelung mehr. Das allgemeine Volljährigkeitsalter liegt nach Maßgabe des Can. 97 § 1 CIC/1983 bei 18 Jahren. 44 Knothe, Die Geschäftsfähigkeit der Minderjährigen in geschichtlicher Entwicklung, 321 f. 45 Dessen Befürworter folgten dem Grundgedanken von der Entsakramentalisierung der Ehe als „äußerlich weltlich Ding“, s. Luther, Von Ehesachen, 1: „Es kan ja niemand leucken [leugnen]/das die Ehe ein eusserlich weltlich Ding ist/wie Kleider und Speise/ Haus und Hoff, weltlicher Oberkeit unterworffen.“

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petenz der katholischen Kirche in allen eherechtlichen Fragen.46 Sie sah sich zur Überarbeitung des kanonischen Rechts veranlasst, woraufhin das Zustimmungserfordernis der Eltern nicht mehr als rechtliche Wirksamkeitsvoraussetzung für die Ehe bewertet wurde. Das protestantische Eherecht dagegen maß dem Fehlen des Elternkonsenses weiterhin konstitutive Bedeutung zu.47 Ihren Niederschlag fand die Ablösung vom kanonischen Eherecht in den Ehemündigkeitsregelungen der als Landesrecht anerkannten Ehe- und Kirchenordnungen48 der protestantischen Territorien. Diese wiesen meist hohe Altersgrenzen auf, was mit dem Interesse der Eltern begründet wurde, die Kinder nicht zu früh aus der „väterlichen Gewalt“ zu entlassen.49 Neben der Einführung des protestantischen Eherechts beförderte auch die zunehmende Kontrolle des frühmodernen Staates, wie sie insbesondere in den Polizeiordnungen und später in den Kodifikationen des 18. und frühen 19. Jh. hervortritt, unmittelbar den Anstieg des durchschnittlichen Heiratsalters in der Bevölkerung.50 Abgesehen von diesen politischen und gesellschaftlich-sozialen Veränderungen war weiterhin die demographische Entwicklung für das erhöhte Heiratsdurchschnittsalter mitursächlich: Die höhere Lebenserwartung gewährte den Nupturienten bei der Wahl des Eheschließungszeitpunkts einen größeren Spielraum.51 2. Gesetzliche Ausgestaltung der Ehemündigkeit in den großen Kodifikationen a) Allgemeines Preußisches Landrecht und Code Civil Durch das Erstarken des frühmodernen Staates und die voranschreitende Säkularisierung entstand eine von Naturrecht und Aufklärung bestimmte staatliche Eherechtslehre, die den zivilen Vertragsgedanken zum zentralen Ansatzpunkt des Eheverständnisses erhob.52

46 Mehr zum Ehebegriff der Reformatoren: Schwab, Grundlagen und Gestalt der staatlichen Ehegesetzgebung, 104 ff. Die katholische Kirche widersprach auf dem Konzil von Trient dieser von Martin Luther vorangetriebenen Entkleidung des sakramentalen Charakters der Ehe. 47 S. hierzu dezidiert und prononciert: Kleinheyer, in: FS Beitzke, 235 ff. 48 Dazu Thier, in: Schmoeckel/Rückert/Zimmermann (Hrsg.), Historisch-kritischer Kommentar zum BGB – Bd. IV, 2018, §§ 1303–1312, 1588 Rn. 19 m. Fn. 175. 49 S. Köhler, ZRG KA 30 (1941), 271 (287); vgl. a. Große-Boymann, Heiratsalter und Eheschließungsrecht, 174 ff. 50 Große-Boymann, Heiratsalter und Eheschließungsrecht, 197 f. Vgl. a. Thier, in: Schmoeckel/Rückert/Zimmermann (Hrsg.), Historisch-kritischer Kommentar zum BGB – Bd. IV, 2018, §§ 1303–1312, 1588 Rn. 23, 24. 51 Ders., Heiratsalter und Eheschließungsrecht, 214 ff. mit weiterer Begründung. 52 Müller-Freienfels, Ehe und Recht, 20. Zur Rückbesinnung der protestantischen Rechtswissenschaft auf den weltlichen Ehebegriff: Schwab, Grundlagen und Gestalt der staatlichen Ehegesetzgebung, 125 ff.

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Zu den herausragenden Kodifikationen dieser Zeit zählt das am 5. Februar 1794 verkündete Allgemeine Preußische Landrecht, das ein für alle Bürger unabhängig von ihrer Konfessionszugehörigkeit geltendes Eheschließungsrecht schuf und diesen Rechtsbereich der kirchlichen Gesetzgebung vollständig entzog. Danach trat die Ehemündigkeit beim Mann mit 18, bei der Frau mit 14 Jahren ein (§ 37 Teil 2 ALR53). Zum Schutz vor „unglücklichen oder mißvergnügten“ Ehen benötigten eheliche Kinder zur Eheschließung die Einwilligung ihres Vaters (§§ 45, 59 Teil 2 ALR).54 Wurde sie verweigert, ohne dass eine für den Minderjährigen schadhafte Ehe zu befürchten war, musste das Vormundschaftsgericht die Zustimmung ersetzen (§ 68 Teil 2 ALR).55 Bei vaterlosen Minderjährigen war neben der Zustimmung der Mutter bzw. der Großeltern die Einwilligung des Vormunds erforderlich (§§ 49 ff. Teil 2 ALR). Die niedrige Ehemündigkeitsgrenze hatte aber offenbar keine Auswirkung auf das allgemeine Heiratsalter.56 Eine rein weltliche Ausrichtung des Eheschließungsrechts unter völliger Loslösung von religiösen Anschauungen findet sich auch im Code Civil57 von 1804 als „Produkt der französischen Revolution“.58 Art. 144 CC 1804 setzte bei Männern den Beginn der Ehemündigkeit auf das 18., bei Frauen auf das 15. Lebensjahr fest.59 Nach Art. 145 CC 1804 konnte der Kaiser bei Vorliegen wichtiger Gründe von der Altersgrenze Dispens erteilen. Bis zur Vollendung des 25. bzw. 21. Lebensjahres hatten die männlichen bzw. weiblichen Nupturienten den Konsens ihrer Eltern, ggf. ihrer Großeltern einzuholen (Art. 148 ff. CC 1804).60 Waren die Eltern oder Großeltern verstorben oder zur Abgabe der Zustimmung außerstande, war bis zum 21. Lebensjahr der Konsens des Familienrats zu ersuchen (Art. 160 CC 1804). Trotz der wegweisenden Bedeutung dieser Gesetzgebungswerke für die Entwicklung der „modernen Zivilehe“ hatte die wachsende Verweltlichung eine un53

Allgemeines Landrecht für die preußischen Staaten vom 1.6.1974, Zweyter Theil. Das Einwilligungserfordernis war Ausfluss der auch im protestantischen Eherecht vorherrschenden Annahme, dass die Kinder ihren Eltern Achtung und Ehrfurcht schuldeten. Auch das Vernunftsrecht der Aufklärung als maßgeblicher Einflussfaktor des ALR erblickte hierin eine dem Eltern-Kind-Verhältnis entspringende Pflicht, vgl. Knothe, Die Geschäftsfähigkeit der Minderjährigen in geschichtlicher Entwicklung, 324 f., 331. 55 S. hierzu die Ausführungen von Kleinheyer, in: FS Beitzke, 235, 244. 56 So Große-Boymann, Heiratsalter und Eheschließungsrecht, 244. Eine Erläuterung der Probleme des hierfür ursächlichen umfangreichen Ehehindernisrechts erfolgt bei Schwab, Grundlagen und Gestalt der staatlichen Ehegesetzgebung, 225 ff. 57 Code Civil des Francais vom 21.3.1804. 58 So wörtlich Große-Boymann, Heiratsalter und Eheschließungsrecht, 245. 59 Ibid., 258. 60 Neben der Pflicht zur Achtung der Eltern (vgl. Fn. 54) und dem Schutz des minderjährigen Ehegatten vor übereilten Entschlüssen trat die Wahrung des Familieninteresses als zusätzliches Motiv für die Erforderlichkeit des Elternkonsenses hinzu, s. Knothe, Die Geschäftsfähigkeit der Minderjährigen in geschichtlicher Entwicklung, 335; Ferid, Das französische Zivilrecht – Bd. 2, 4 B 27 (S. 1157). 54

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befriedigende Zersplitterung des formalen und materiellen Eheschließungsrechts in Deutschland zur Folge, die erst durch die weitgehende Vereinheitlichung im Jahre 1875 ihr Ende fand.61 b) Das Bürgerliche Gesetzbuch Die Möglichkeit zur Eheschließung von Minderjährigen eröffnete auch das BGB vom 18. August 1896, das bekanntlich am 1.1.1900 in Kraft trat. Die Normierung der für die Eheschließung maßgebenden Mindestaltersgrenzen war im Rahmen der Vorarbeiten Gegenstand lebhafter Diskussionen. aa) Reichsgesetzliche Regelungen als Anknüpfungspunkt Als Orientierungspunkt diente zum einen § 28 Abs. 2 des Reichsgesetzes über die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschließung vom 6.2.1875 (RPStG 1875)62, der für die Eheschließung bei Männern das Mindestalter von 20 Jahren, bei Frauen die eigens festgelegte Altersgrenze von 16 Jahren vorsah, wobei die Dispensation von diesen Vorgaben ausdrücklich für zulässig erklärt wurde. Vor Vollendung des 25. Lebensjahres bei Männern bzw. des 24. Lebensjahres bei Frauen war die Einwilligung des Vaters oder im Falle seines Todes die Einwilligung der Mutter einzuholen (sog. Elternkonsens63, § 29 RPStG 1875). Volljährigen wurde gem. § 32 RPStG 1875 die Möglichkeit eingeräumt, bei Verweigerung der Zustimmung Klage auf sog. richterliche Ergänzung zu erheben. Relevant war ferner § 1 des Reichsgesetzes von 187564, der den Unterschied zwischen Ehemündigkeit und Volljährigkeit durch Bestimmung des Eintritts der Volljährigkeit mit 21 Jahren gesetzlich zementierte.

61 Es bestanden fünf verschiedene Systeme der zivilen Eheschließung, s. Friedberg, Das Recht der Eheschließung, 654. Das RPStG (s. nachf. Fn. 62) führte schließlich die obligatorische Zivilehe ein und regelte die materiell- und formellrechtlichen Anforderungen an eine Eheschließung einheitlich für das gesamte Reichsgebiet, nachdem die Zuständigkeit des Reiches durch die sog. Lex Miquel Lasker vom 20. Dezember 1873 (Gesetz, betreffend die Abänderung der Nr. 13 des Artikels 4 der Verfassung des Deutschen Reichs, RGBl. 1873, 379) auf das gesamte bürgerliche Recht ausgedehnt wurde, s. Schäfer, Die Entstehung der Vorschriften des BGB über das persönliche Eherecht, 28 f.; vgl. a. Buchholz, Eintrag „Ehe“, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte – Bd. I, 2012, Sp. 1212. 62 RGBl. 1875, 23 ff. 63 Der Elternkonsens war Relikt der sog. reverentia paternalis des römisches Rechts, einem unabhängig von elterlicher Gewalt und Personensorge bestehenden Elternrecht auf kindlichen Gehorsam, s. Knothe, Die Geschäftsfähigkeit der Minderjährigen in geschichtlicher Entwicklung, 341 f.; Bosch, FamRZ 1973, 489, 491 f.; s. a. S. 25 der Gesetzesmotive bei Mugdan, Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich – Bd. 4, 14 f.; vgl. a. die Ausführungen von Krämer, Die elterliche Einwilligung zur Eheschließung der Kinder, 15 ff. 64 Gesetz, betreffend das Alter der Großjährigkeit vom 17.2.1875, RGBl. 1875, 71.

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bb) Die gesetzliche Ausformung von Volljährigkeit und Ehemündigkeit im BGB von 1896 Diese im Reichsgesetz vom 17. Februar 1875 getroffene Volljährigkeitsregelung behielt der Gesetzgeber in § 2 BGB 190065 bei. Während der erste Entwurf zum BGB noch das 20. Lebensjahr als Ehemündigkeitsalter vorgesehen hatte, mündeten die Beratungen nach hitzigen Debatten66 darin, dass die Ehemündigkeit des Mannes an dessen Volljährigkeit angeknüpft wurde, sodass im Ergebnis diese auf das vollendete 21. Lebensjahr heraufgesetzt wurde (§ 1303 S. 1 BGB 1900).67 Auf die Einräumung einer Dispensmöglichkeit wurde verzichtet, da die in §§ 3–5 BGB 1900 eröffnete Möglichkeit der Volljährigkeitserklärung68 minderjährigen Männern auch die vorzeitige Eheschließung erlaubte, sobald diese das 18. Lebensjahr vollendet hatten. Bei Frauen wurde die generelle Heiratsfähigkeit ab 16 Jahren beibehalten69, wobei ihnen hiervon durch den Justizminister Befreiung erteilt werden konnte (§ 1303 S. 2 BGB 1900 i.V. m. Art. 10 Ausführungsverordnung70). Erfolglos blieb der auf einer Petition der Frauenvereine basierende Antrag, das Mindestheiratsalter für Frauen auf 18 Jahre anzuheben. Der Antrag wurde mit der Begründung abgelehnt, dass andernfalls eine „unnütze Belastung der Behörden [mit einer Vielzahl an Dispensgesuchen]“ zu befürchten sei und der Anstieg des außerehelichen Geschlechtsverkehrs „bedenkliche sittliche Wirkungen zur Folge haben [könnte]“.71 Im Grunde sollte der Frau aus gesell65

Bürgerliches Gesetzbuch vom 18.8.1896, RGBl. 1896, 195 ff. Unter Berufung auf die hohe Anzahl von Eheschließungen unter 21 Jahren in der Praxis forderte der sozialdemokratische Abgeordnete August Bebel (1840–1913) die Fortführung der Altersgrenze von 20 Jahren beim Mann, s. den Redeabschnitt aufgeführt bei Luther, Ehemündigkeit, 39. 67 Zum ersten Entwurf s. genauer Schäfer, Die Entstehung der Vorschriften des BGB über das persönliche Eherecht, 90 ff. Zu den Hintergründen des Beratungsergebnisses, s. Knothe, Die Geschäftsfähigkeit der Minderjährigen in geschichtlicher Entwicklung, 339 f. Die sozialpolitischen Gründe für die Wahl des 21. Lebensjahres erläutert GroßeBoymann, Heiratsalter und Eheschließungsrecht, 304 f.; vgl. hierzu a. Schäfer, Die Entstehung der Vorschriften des BGB über das persönliche Eherecht, 91. 68 Nach §§ 3–5 BGB 1900 konnte der Minderjährige für volljährig erklärt werden, wenn er selbst und sein Gewalthaber eingewilligt hatten und die Volljährigkeitserklärung „das Beste des Minderjährigen“ beförderte. Zu der problematischen Auslegung des letztgenannten Tatbestandmerkmals bei der Volljährigkeitserklärung zum Zwecke der Eheschließung, s. Luther, Ehemündigkeit, 22 ff. Durch die Volljährigkeitserklärung erlangte der Minderjährige die Rechtsstellung eines Volljährigen (§ 3 Abs. 2 BGB 1900), sodass der starre Altersstatus an die individuelle Reife des Minderjährigen angepasst wurde, s. Keitel, Der Minderjährige als strukturell Unterlegener, 130. 69 Bericht der 7. Kommission vom 12. Juni 1896, S. 7, s. Mugdan, Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich – Bd. 4, 1190; s. das kritische Echo hierzu bei Luther, Ehemündigkeit, 39. 70 Verordnung zur Ausführung des Bürgerlichen Gesetzbuchs vom 16. November 1899. 71 Die Befreiungsmöglichkeit blieb zeitlich unspezifiziert. Ein auf die Festsetzung einer Grenze von 14 Jahren gerichteter Antrag fand keine Annahme, s. Prot. IV, 19. 66

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schaftlichen Gründen eine außereheliche, ehrenrührige Schwangerschaft und dem Kind eine als Makel betrachtete Geburt außerhalb der Ehe erspart werden. Nach § 1304 Abs. 1 BGB 1900 bedurfte ein in der Geschäftsfähigkeit beschränkter Heiratsaspirant72 der Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters (sog. Vertreterkonsens), die ersatzweise das Vormundschaftsgericht erteilen konnte, wenn der gesetzliche Vertreter ein Vormund war (§ 1304 Abs. 2 BGB 1900). Weiterhin war der Inhaber der elterlichen Sorge nach § 1305 BGB 1900 konsensberechtigt, allerdings wurde die Altersgrenze für den Elternkonsens73 für beide Geschlechter auf das 21. Lebensjahr herabgesetzt. Bei Verweigerung der elterlichen Einwilligung ohne wichtigen Grund konnte ein Ersetzungsbeschluss des Vormundschaftsgerichts beantragt werden (§ 1308 BGB 1900). cc) Die Ehegesetze von 1938 und 1946 Im Jahre 1938 wurden die Ehevorschriften im sog. Ehegesetz gesondert geregelt. Zwar wurden die Ehemündigkeitsgrenzen von 21 Jahren bei Männern und 16 Jahren bei Frauen in § 1 EheG 193874 beibehalten, doch wurde das Ehemündigkeitsalter des Mannes und seine Volljährigkeit formell voneinander entkoppelt, sodass die Volljährigkeitserklärung als solche die Ehemündigkeit nicht mehr herbeiführte.75 Die eigenständige Regelung der beiden Elemente zielte darauf ab, dem für volljährig erklärten Mann fortan nach dem Prinzip „Ein verheirateter Mann ist nur ein halber Soldat“ grundsätzlich das Eingehen der Ehe zu verwehren, sodass er seinem Arbeits- und Wehrdienst als primärer Pflicht nachkommen und von einer vorzeitigen Eheschließung vornehmlich aus Gründen des Staatswohls abgehalten werden konnte.76 Die Beibehaltung dieser Bestimmungen im EheG 194677 wurde dagegen mit dem Interesse der Eheschließenden an einer harmonischen Ehe begründet, die 72 Zu beachten ist, dass diese Norm bei altersbedingter Beschränkung der Geschäftsfähigkeit nur für minderjährige Frauen galt, da der Mann ohnehin 21 Jahre alt oder für volljährig erklärt sein musste, um eine Ehe eingehen zu können. 73 Eheliche Kinder bedurften der Einwilligung des Vaters, bei dessen Tod der Mutter. Uneheliche Kinder hatten die Einwilligung der Mutter einzuholen, genauer hierzu Krämer, Die elterliche Einwilligung zur Eheschließung der Kinder, 15 ff.; Luther, Ehemündigkeit, 30 ff. 74 Gesetz zur Vereinheitlichung des Rechts der Eheschließung und der Ehescheidung im Lande Österreich und im übrigen Reichsgebiet vom 6.7.1938, RGBl. 1938 Teil 1, 807 ff. 75 Der Wortlaut „vor Vollendung des einundzwanzigsten Lebensjahres“ (§ 1 EheG 1938) trat an die Stelle der Formulierung „vor dem Eintritt der Volljährigkeit“ (§ 1303 BGB 1900). 76 S. Massfeller, Das neue Ehegesetz, 61; Scanzoni, Das großdeutsche Ehegesetz, § 1 Rn. 3; Vos-Lankamp, Ehemündigkeit, 61; Knothe, Die Geschäftsfähigkeit der Minderjährigen in geschichtlicher Entwicklung, 343; Lack, StAZ 2013, 275, 278; s. a. § 2 der DVO, aufgeführt samt Kommentierung in Volkmar, Grossdeutsches Eherecht, 379 f. 77 Kontrollratsgesetz Nr. 16 – Ehegesetz vom 20.2.1946.

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das Vorhandensein einer geistigen und sittlichen Reife sowie ein wirtschaftliches Fundament für die Gründung einer Familie voraussetze.78 Dabei ging man von der biologisch früheren Maturität der Frau aus, die eine Differenzierung zwischen den Geschlechtern erforderlich machte.79 Nach § 1 Abs. 2 EheG 1938 und 1946 konnte dem Mann Befreiung erteilt werden, wenn er das achtzehnte Lebensjahr vollendet hatte und nicht mehr unter elterlicher Gewalt oder Vormundschaft stand; der Dispens setzte also die Volljährigkeitserklärung des Nupturienten voraus.80 Dagegen unterlag die Befreiung der Frau keinen besonderen Bedingungen, eine Altersmindestgrenze bestand nicht.81 Auch der sog. Vertreterkonsens fand sich in § 3 EheG 1938 und 1946 als konstitutive Voraussetzung wieder82; dagegen wurde der in §§ 1305–1308 BGB 1900 noch enthaltene Elternkonsens durch das EheG 1938 eliminiert. § 3 Abs. 2 EheG 1938 und 1946 sicherte das Einwilligungsrecht der allein oder neben dem gesetzlichen Vertreter zur Sorge für die Person des Minderjährigen Berechtigten (i. d. R. der mit dem Vater verheirateten Mutter). Eine ohne triftige Gründe verweigerte Einwilligung seitens des gesetzlichen Vertreters oder Personensorgeberechtigten konnte der Vormundschaftsrichter nach Abs. 3 auf Antrag ersetzen.83 Bemerkenswerterweise erkannte der BGH auch schutzwürdige Belange der Familie des Nupturienten als triftige Gründe an84, während nach herrschender Auffassung im Schrifttum allein die Interessen des Minderjährigen Berücksichtigung finden sollten.85 Der Mangel der elterlichen Zustimmung verhinderte nicht das Zustandekommen einer gültigen Ehe, sondern hatte lediglich ihre Aufhebbarkeit zur Folge 78 Knothe, Die Geschäftsfähigkeit der Minderjährigen in geschichtlicher Entwicklung, 343; Godin/Godin, Ehegesetz, 6 f. 79 Vgl. Hoffmann/Appel, Ehegesetz nebst Durchführungsverordnungen, 51. 80 Es war also die Durchführung zweier Gerichtsverfahren (Volljährigkeitserklärung und Befreiung vom Alterserfordernis) notwendig. Dazu a. Staudinger/Löhnig, 18. Aufl., 2018, § 1303 BGB Rn. 5; Vos-Lankamp, Ehemündigkeit, 28 ff., 37 ff.; Becker/Salewski, Die Frühehe als Wagnis und Aufgabe, 19; letzteres Verfahren als Ehemündigkeitserklärung bezeichnend Luther, Ehemündigkeit, 20 ff.; Thier, in: Schmoeckel/Rückert/Zimmermann (Hrsg.), Historisch-kritischer Kommentar zum BGB – Bd. IV, 2018, §§ 1303– 1312, 1588 Rn. 35. 81 So ausdrücklich Luther, Ehemündigkeit, 27. 82 Auch § 3 EheG 1938, 1946 bezog sich konsequenterweise bei beschränkter Geschäftsfähigkeit wegen minderjährigen Alters nur auf minderjährige Frauen, s. Fn. 72; Papadimas, Form der Eheschließung, 34. 83 Die Ersetzungsbefugnis des Vormundschaftsgerichts reichte damit weiter als bei § 1304 Abs. 2 BGB 1900, s. o. bb). Einen triftigen Grund bildete bspw. das aktuelle und weiter zu erwartende Zusammenleben der Verlobten, s. BayObLG 27.10.1982, Az. BReg. 1 Z 65/82, BayObLGZ 1982, 363, 366. 84 Bspw. BGH 25.9.1956, Az. IV ZB 96/56, BGHZ 21, 340, 345 f., wobei das Gericht anerkennt, dass die Kindesbelange vorrangig zu beachten sind. Von einem „versteckten Element der elterlichen Einwilligung“ spricht Luther, Ehemündigkeit, 31. 85 Dölle, Familienrecht – Bd. 1, 173; Lukes, StAZ 1962, 57, 60.

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(§§ 3, 30 Abs. 1 EheG 1946).86 Die Eheunmündigkeit blieb folgenlos, solange die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters gegeben war: Hatte der Nupturient die Ehe also mit Zustimmung des gesetzlichen Vertreters geschlossen, ohne im Eheschließungszeitpunkt das 16. Lebensjahr erreicht zu haben, so war die Ehe dennoch vollwirksam und noch nicht einmal aufhebbar.87 dd) Das Volljährigkeitsgesetz von 1974 Die zunehmend als Ausdruck eines überkommenen patriarchalischen Ehebildes empfundene unterschiedliche Behandlung der Geschlechter88 wurde mit dem Gesetz zur Neuregelung des Volljährigkeitsalters vom 31.7.1974 (VolljkG)89 mit Wirkung zum 1.1.1975 endgültig aufgegeben: Art. 2 Nr. 2 VolljkG knüpfte den Eintritt der Ehemündigkeit für Mann und Frau einheitlich an den Eintritt der Volljährigkeit, der nunmehr auf 18 Jahre abgesenkt wurde (Art. 1 Nr. 1 VolljkG). Zur gleichen Zeit überwand man auch die überholte Eheauffassung, die der Frau vor allem die Haushaltsführung und die Kindeserziehung, dem Mann aber die Sorge für den Lebensunterhalt, die Vermögensverwaltung und die Vertretung der Familie im Rechtsverkehr zuwies. An deren Stelle trat die Vorstellung von der Ehe als gleichberechtigter Partnerschaft.90 Die Möglichkeit einer vorzeitigen Erklärung der Volljährigkeit wurde abgeschafft, die gerichtliche Befreiung vom Ehemündigkeitserfordernis hingegen wurde auf den Mann erstreckt und dahingehend modifiziert, dass der betreffende Nupturient das 16. Lebensjahr vollendet haben und sein künftiger Ehegatte volljährig sein musste (Art. 2 Nr. 2 VolljkG). Eine Befreiung vom Alterserfordernis bei unter 16-Jährigen war nicht möglich.

86 Dabei lag das Recht der Antragstellung für die Zeit der Minderjährigkeit des jeweiligen Ehegatten bei seinem gesetzlichen Vertreter (§ 30 Abs. 1 S. 2 EheG 1946). 87 Krit. Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland, BT-Drs. 13/4898, 19. 88 Vgl. Becker, FamRZ 1969, 116, 118; Lücken, FamRZ 1971, 285, 288 f.; Vos-Lankamp, Ehemündigkeit, 79; Müller-Freienfels, Ehe und Recht, 279 ff.; die altersmäßige Geschlechterungleichheit noch vehement vertretend Luther, Ehemündigkeit, 27; Bosch, FamRZ 1973, 489, 503. 89 Gesetz zur Neuregelung des Volljährigkeitsalters vom 31.7.1974, BGBl. 1974 Teil 1, 1713 ff. 90 So auch Lack, StAZ 2013, 275, 278; vgl. Knothe, Die Geschäftsfähigkeit der Minderjährigen in geschichtlicher Entwicklung, 347. Die endgültige Loslösung von der dem gesetzlich vorgeschriebenen Leitbild der Hausfrauenehe folgenden Aufgabenverteilung erfolgte durch das 1. EheRG, s. Erstes Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts (1. EheRG) vom 14.6.1976, BGBl. 1976 Teil I, 1421 ff. Zu der fundamentalen Bedeutung und den inhaltlichen Eckpfeilern des einschneidenden Reformwerks, s. Roth, FamRZ 2017, 1017 ff.; Schwab, Gleichberechtigung und Familienrecht im 20. Jahrhundert, in: Frauen in der Geschichte des Rechts: von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart, 1997, 811 f. In der DDR wurde die Vorstellung vom strikt konventionellen Heiratsregime bereits 1950 aufgegeben und das Ehemündigkeitsalter für Mann und Frau auf 18 Jahre festgesetzt, s. Gesetz über die Herabsetzung des Volljährigkeitsalters vom 17.5.1950, GBl. DDR 1950, 437 ff.

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Die Regelung zur Zustimmung des gesetzlichen Vertreters und der Sorgeberechtigten (§ 3 EheG 1946) blieb unverändert. Hintergrund der Herabsetzung des Volljährigkeitsalters des Mannes war die schnellere Erlangung der persönlichen Selbständigkeit und das eigenverantwortliche Auftreten der Jugendlichen ab 18 Jahren.91 Die Gewährung ihrer Entscheidungsfreiheit auch für den Teilbereich der Eheschließung erachtete man als „notwendige Konsequenz“.92 ee) Wiedereingliederung ins BGB 1998 Letztendlich wurde das Eheschließungsrecht durch das Reformgesetz zur Neuordnung des Eheschließungsrechts vom 4. Mai 1998 (EheschlRG)93 systemgerecht in die §§ 1303 ff. BGB zurückgeführt und einigen vereinfachenden Veränderungen unterzogen. So benötigten heiratswillige Minderjährige seither nur noch die gerichtliche Befreiung vom Alterserfordernis, in deren Rahmen eventuelle Einwände der gesetzlichen Vertreter oder sonstigen Personensorgeberechtigten in Form einer Widerspruchsmöglichkeit (§ 1303 Abs. 3 BGB a. F.) Berücksichtigung fanden. Die bis dato beim Vormundschaftsgericht liegende Zuständigkeit wurde auf das Familiengericht übertragen (§ 1303 Abs. 2 BGB a. F.). Außerdem wurde für Ehemündigkeitsdefizite im Zeitpunkt der Eheschließung die Aufhebbarkeit als Regelfolge gem. § 1314 Abs. 1 BGB a. F. eingeführt. ff) Auswirkungen auf das durchschnittliche Heiratsalter Seit Gründung des deutschen Kaiserreichs im Jahre 1871 bis Mitte der Siebzigerjahre des 20. Jahrhunderts lässt sich eine konstante Verschiebung des durchschnittlichen Eheschließungsalters in der Bevölkerung hin zu einem früheren Zeitpunkt nachweisen.94 Diese Entwicklung ist durch die Ausdehnung der Eheschließungsfreiheit zu erklären, die die Vereinheitlichung des Eheschließungsrechts und die in der Gesetzgebung des Reichspersonenstandsgesetzes und des Bürgerlichen Gesetzbuchs vollzogene Verminderung des familiären Einflusses auf die Eheschließung mit sich brachte.95 Zudem eröffneten die Industrialisierung und der zunehmende Wohlstand breiterer Bevölkerungsschichten bessere und frü-

91 Staudinger/Kannowski, 18. Aufl., 2018, § 2 BGB Rn. 1; Keitel, Der Minderjährige als strukturell Unterlegener, 131 f. und Fn. 579 m.w. N. 92 Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland, BT-Drs. 7/117, 10. 93 Gesetz zur Neuordnung des Eheschließungsrechts (EheschlRG) vom 4.5.1998, BGBl. 1998 Teil I, 833 ff. 94 Große-Boymann, Heiratsalter und Eheschließungsrecht, 280 ff. Im Jahr 1970 erreichte das Durchschnittsheiratsalter seinen Tiefpunkt mit 25,3 Jahren bei Männern und 22,6 Jahren bei Frauen, s. Wienfort, Verliebt, verlobt, verheiratet, 75. 95 Große-Boymann, Heiratsalter und Eheschließungsrecht, 298 ff.

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here Heiratschancen, was sich im durchschnittlichen Eheschließungsalter widerspiegelte.96 Demgegenüber führte die Abkehr von traditionellen Familienstrukturen und das Aufkommen alternativer Formen des (nichtehelichen) Zusammenlebens seit den siebziger Jahren zu einem unaufhaltsamen Bedeutungsverlust der Institution Ehe. Die abnehmende Heiratsneigung hatte wieder eine kontinuierliche Erhöhung des durchschnittlichen Heiratsalters zur Folge97: In Westdeutschland betrug das Erstheiratsalter 1960 noch 25,9 Jahre für Männer und 23,7 Jahre für Frauen, 2000 lag es bei 30 Jahren für Männer bzw. 27,4 Jahren für Frauen.98 Im Jahr 2015 hat das durchschnittliche Heiratsalter von Frauen die 30-Jahresaltersschwelle erreicht99 und 2020 betrug das Erstheiratsalter der Männer im Durchschnitt 34,9 Jahre, das der Frauen lag bei 32,4 Jahren.100 Die Anzahl von Minderjährigen, die in Deutschland aufgrund der in § 1303 Abs. 2 BGB a. F. eröffneten Ausnahmeregelung die Ehe schlossen, hielt sich dementsprechend bereits vor Inkrafttreten des KEhenBekG sehr in Grenzen: Im Jahr 2015 gingen nur 4 Männer und 88 Frauen unter 18 Jahren die Ehe ein101, was einem verschwindend geringen Anteil von 0,023 % der Gesamtzahl eheschließender Menschen102 entsprach.

IV. Zusammenfassung Wie sich dem historischen Rückblick entnehmen lässt, war das Eheschließungsrecht samt den Ehemündigkeitsvorschriften den religiösen, politischen, sozialen und gesellschaftsdemografischen Wandlungen der Zeit unterworfen, die das Bild der Ehe unterschiedlich formten. Seit jeher haben die Gesetzgeber das Lebensalter für den Eintritt der Ehemündigkeit als entscheidend erachtet, wobei seit Mitte der siebziger Jahre im BGB 96

Vgl. ders., Heiratsalter und Eheschließungsrecht, 3 f. Die Steigerung des Bildungsniveaus, den Ausbau der Empfängnisverhütungsmöglichkeiten und wirtschaftliche Erwägungen als zusätzliche Gründe anführend: ders., Heiratsalter und Eheschließungsrecht, 335 ff.; eine gründliche Untersuchung des Krisenphänomens unternimmt Peuckert, Familienformen im sozialen Wandel, 11 ff. 98 In Ostdeutschland stieg das durchschnittliche Erstheiratsalter im gleichen Zeitraum bei Männern von 23,9 auf 29,9 Jahre, bei Frauen von 22,6 auf 27,4 Jahre, s. Peuckert, Familienformen im sozialen Wandel, 36 m. Tab. 4.5. 99 Auch in Ostdeutschland ist ein Anstieg auf 31 Jahre bei Frauen zu verzeichnen, s. Fiedler/Grünheid/Sulak, Geographische Rundschau – Bevölkerung in Deutschland, November 2017, 6. 100 Statistisches Bundesamt Destatis, Eheschließungen und das durchschnittliche Heiratsalter Lediger, Stand: 12.8.2021. 101 Dass., Bevölkerung und Erwerbstätigkeit – Natürliche Bevölkerungsbewegung 2015, 5.12.2017, 119. 102 Im Jahr 2015 gingen insgesamt 400.115 Menschen den Bund der Ehe ein, s. ibid., 125. 97

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diesbezüglich die Differenzierung zwischen Mann und Frau endgültig verworfen und eine geschlechtergleichstellende, einheitliche Altersgrenze etabliert wurde. Zwar verzichtete das altrömische Recht auf konkrete Altersgrenzen, doch erfolgte die Bestimmung der Ehemündigkeit durch allgemeine Faktoren altersbedingter körperlicher Entwicklung (dem Eintritt der Geschlechtsreife) im Einzelfall. Die niedrigen Altersgrenzen des späteren römischen und kanonischen Rechts verliehen den Eheschließungen im Minderjährigenalter schließlich ein gesetzliches Fundament. Wie bei Schaffung des RPStG war die Motivation des BGB-Gesetzgebers allerdings von dem Anliegen bestimmt, frühe Eheschließungen weitgehend zu verhindern und den „natürlichen Termin der Verehelichung“ im Alter von 25 Jahren beim Mann und 20, mindestens 18 Jahren bei der Frau als Zeitpunkt der Beendigung des biologischen Wachstums einzuhalten.103 Dennoch setzten sich infolge der in der Gesellschaft vorhandenen Abneigung gegen sexuelle Aktivitäten vor Eingehung der Ehe im Gesetzgebungsverfahren niedrigere Altersgrenzen für beide Geschlechter (21 Jahre für Männer, 16 Jahre für Frauen) durch. Frauen konnten bei Vorliegen der Dispensvoraussetzungen (Einwilligung des Vaters) sogar noch früher heiraten. Erst 75 Jahre später etablierte sich in den westlichen Bundesländern gesetzlich der Grundsatz, dass Minderjährige vor Vollendung ihres 16. Lebensjahres keine Ehe eingehen sollten. Wie es bereits 1950 in der DDR geschehen war, wurde mit Inkrafttreten des VolljkG am 1.1.1975 das reguläre Ehemündigkeitsalter für Mann und Frau einheitlich auf 18 Jahre festgelegt. Dabei wurde die frühere Wertung, dass eine Frau ab Vollendung des 16. Lebensjahres grundsätzlich die geistige Reife zur Eingehung einer Ehe besitzen kann, nicht etwa revidiert, sondern in der für beide Geschlechter an das Alter von 16 Jahren geknüpften Dispensmöglichkeit gesetzlich ausgeformt. Allerdings wurden Minderjährige bis zur Eheschließungsrechtsreform 1998 vor dem Zustandekommen ehelicher Verbindungen im jungen Alter von unter 16 Jahren nicht effektiv geschützt, da die vorhandene Zustimmung des gesetzlichen Vertreters im Falle eines Ehemündigkeitsverstoßes die Aufhebung ausschloss.104 Eine solche „unangreifbare Kinderehe“ konnte entstehen, wenn der Standesbeamte unter Verletzung des § 1 EheG an der vom gesetzlichen Vertreter bewilligten Eheschließung mitgewirkt hatte. Aufgrund dieses in § 3 EheG geregelten Zustimmungserfordernisses lag es prinzipiell in der Verantwortung der Sorgeberechtigten, darüber zu befinden, ob sie dem minderjährigen Kind die Entscheidung zur Eheschließung zutrauten und sich diesbezüglich hinter diese stellten. Die der Eingehung einer Ehe vorausgehende Prüfung der Gerichte nach § 1 Abs. 2 EheG war lediglich auf die Frage beschränkt, ob trotz der gem. § 3 EheG

103

Große-Boymann, Heiratsalter und Eheschließungsrecht, 301 m.w. N. So auch BeckOGK/Rentsch, 1.5.2022, Art. 13 EGBGB Rn. 57; Frank, StAZ 2012, 129, 131; Coester, StAZ 1988, 122, 123; sogar die Verfassungsmäßigkeit der damaligen Vorschriften anzweifelnd ders., ZfJ 1992, 141. 104

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erklärten Zustimmung der Sorgeberechtigten Tatsachen vorlagen, aufgrund derer sich die Elternzustimmung als fehlerhaft erwies. Mit dem EheschlRG wurde die Bedeutung der Interessen der Eltern verfahrensrechtlich gemindert. Elterlicher Einfluss konnte nur im Rahmen der in § 1303 Abs. 3 BGB a. F. geregelten Widerspruchsmöglichkeit ausgeübt werden. Des Weiteren wurden die Aufhebungsvoraussetzungen von der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters losgelöst, sodass auch unter Zustimmung der gesetzlichen Vertreter erfolgte Ehemündigkeitsverstöße die Ehe aufhebbar machten. Noch unmittelbar vor Inkrafttreten des KEhenBekG konnte das Familiengericht einen Dispens von dem regulären Ehemündigkeitsalter von 18 Jahren erteilen und somit Minderjährigen, die das 16. Lebensjahr bereits erreicht hatten, im Ausnahmefall die Eingehung einer Ehe ermöglichen. Die rechtshistorischen Ausführungen zeigen die Entwicklung der Ehe von einem Instrument sozialer und gesellschaftlicher Absicherung im römischen, kanonischen und mittelalterlichen Recht hin zu einem facettenreichen Rechtsinstitut, dessen gesetzliche Regelungskonzeption graduell die Prinzipien der gesellschaftlichen Gleichstellung von Frauen und des Minderjährigenschutzes aufgenommen hat. Zwar genossen Minderjährigenehen in Deutschland lange Zeit grundsätzlich Anerkennung: Von seinem Inkrafttreten zu Beginn des 20. Jahrhunderts an sah das BGB für Frauen teilweise sehr niedrige Ehemündigkeitsgrenzen vor, und die schrittweise Verwirklichung von Gleichberechtigung und individueller Selbstbestimmung von Frauen setzte erst in den Siebziger Jahren, also relativ spät, ein. Dennoch sollte nicht verkannt werden, dass der Gesetzgeber seine Perspektive in der geschichtlichen Entwicklung fortlaufend erweitert hat, indem er sich allmählich von der einseitigen Konzentration auf die körperliche Entwicklung der Minderjährigen lossagte und deren geistige Reife ergänzend für maßgeblich erklärte. Auch der BGB-Gesetzgeber war bestrebt, den Minderjährigen im Eheschließungsrecht vor Gefahren und Nachteilen zu bewahren, denen er aufgrund seines geringen Erfahrungs- und Kenntnisstands ausgesetzt ist. Die Gesetzesbegründung zum ersten Entwurf des BGB legt allerdings offen, dass sich der Gesetzgeber keineswegs allein auf den Schutzauftrag des Staates bzgl. seiner minderjährigen Bürger konzentrierte, sondern vielmehr dem mehrdimensionalen Charakter des Ehemündigkeitsbegriffs durch die Einbindung des Gemeinwohls ebenfalls ausreichend Rechnung tragen wollte. Seiner Einschätzung nach bezeichnet der vielschichtige Begriff der Ehemündigkeit nicht nur den Eintritt der zur Eheschließung befähigenden körperlichen, geistigen und sittlichen Reife, sowie die notwendige wirtschaftliche Selbständigkeit. Vielmehr dürfen auch „allgemeine, dem Wesen der Ehe und dem öffentlichen Interesse zu entnehmende Rücksichten der Eheschließung nicht entgegenstehen“.105 Diese Aussage offenbart die Zielvorstellung des BGB-Gesetzgebers, keinesfalls dem subjektiven Willen der jungen 105 S. 11 der Gesetzesmotive, einsehbar bei Mugdan, Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich – Bd. 4, 6.

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Heiratsaspiranten alleinige Bedeutung beizumessen, sondern vielmehr auch das Gemeinwohl als objektiven Maßstab zum Kriterium zu erheben und die Konformität der Ehe mit den allgemein anerkannten Grundsätzen und Werten unserer Gesellschaft als entscheidend anzusehen.106 Der gesetzgeberische Zweck beschränkte sich damit nicht auf den Schutz von Minderjährigen vor unüberlegten Eheschließungen, sondern erstreckt sich auch auf die Bewahrung der Allgemeinheit vor unerwünschten, missliebigen Ehen.107 Beachtlich ist weiterhin, dass sich in der gesellschaftlichen Realität das durchschnittliche Heiratsalter wenig kongruent zu den gesetzlich geschaffenen Möglichkeiten früher Eheschließung verhielt, sondern die Eheschließungen im westeuropäischen Raum im Weltmaßstab durch ein besonders spätes Heiratsalter gekennzeichnet sind.108 Hieran zeigt sich, dass sich die legislativen Aktivitäten im Bereich der Ehemündigkeit nur in geringem Maße auf das tatsächliche Heiratsalter ausgewirkt haben.

C. Internationale Bestandsaufnahme I. Minderjährigenehen als globales Phänomen 1. Verbreitung Während das deutsche Recht vorsieht, dass eine Ehe wirksam nur vor einem Standesbeamten geschlossen werden kann (§ 1310 Abs. 1 S. 1 BGB), kennen viele ausländische Rechtsordnungen mehrere Eheschließungsformen. Nicht zu vernachlässigen ist daher die hohe Zahl an (rein) religiösen Eheschließungen, die unter Umständen nicht registriert und oft nicht erfasst werden können (je nach Rechtsordnung aber gleichwohl rechtlich anerkannt sein können).109 Die hohe Dunkelziffer nicht registrierter Minderjährigenehen muss bei der Bewertung des Datenmaterials daher mitbedacht werden. Nach einem Bericht des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen (UNICEF) haben weltweit 21 % der jungen Frauen die Ehe im Alter von unter 18 Jahren 106

Vgl. Luther, Ehemündigkeit, 37. Von ebendieser Intention der Findung des Schnittpunktes zwischen individuellen und gemeinschaftlichen Interessen ist das Erfordernis der Einwilligung des gesetzlichen Vertreters getragen, s. S. 11 der Gesetzesmotive, s. Fn. 105. 108 Vgl. Hajnal, European Marriage Patterns in Perspective, in: Population in History, 1965, 101 ff. 109 Auf diese Problematik weisen insb. Bunting, Soc. & Legal Stud. 14 (2005), 17, 23; Gaffney-Rhys, The International Journal of Human Rights 15 (2011), 359, 361 hin. In vielen islamischen Staaten besteht hinsichtlich der Registrierung von Eheschließungen keine Verpflichtung, vgl. dazu a. Lentz, FuR 2017, 597, 601; im Detail zu den Folgen und Herausforderungen: Ebert, Die „private“ islamische Eheschließung, ihre Folgen und Herausforderungen, in: Beiträge zum Islamischen Recht XI, 2016, 109 ff. 107

C. Internationale Bestandsaufnahme

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geschlossen.110 Mit einem Anteil von fast 85 % sind Frauen außerdem in weitaus höherem Maße betroffen als Männer. Bis zum Ausbruch der COVID-19-Pandemie 2019/2020 war die weltweite Zahl der Minderjährigenehen seit ca. 30 Jahren rückläufig: Während nach den Daten der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts 34 % der Ehen der 20–24-jährigen Frauen weltweit (mit Ausnahme von China) im Alter von unter 18 Jahren und 11 % im Alter von unter 15 Jahren geschlossen wurden111, sanken diese Prozentanteile bis März 2021 auf 19 % und 5 %.112 Nach Schätzungen von UNICEF wurden weltweit 25 Millionen Minderjährigenehen in den letzten zehn Jahren verhindert. Mittlerweile geht eines von fünf Mädchen die Ehe vor Eintritt des 18. Lebensjahres ein; im letzten Jahrzehnt war es noch eines von vier.113 Der fortschreitende Rückgang wird allerdings durch die COVID-19Pandemie stark gefährdet.114 2020 lebten weltweit noch immer 650 Millionen Frauen in Ehen, die sie vor Vollendung des 18. Lebensjahres geschlossen haben, jedes Jahr heiraten ca. 12 Millionen Mädchen im Alter von unter 18 Jahren.115 Aufgrund der zu erwartenden negativen wirtschaftlichen Auswirkungen der Coronakrise könnten in den nächsten fünf Jahren weitere 1,8 bis 2,5 Millionen Mädchen von einer Kinderheirat bedroht sein. Die höchsten Zahlen werden in Südasien erwartet, gefolgt von West- und Zentralafrika sowie Lateinamerika und der Karibik.116 Obwohl Minderjährigenehen in zahlreichen Ländern geschlossen werden, treten bestimmte Gebiete mit einer sehr hohen Rate hervor. Besonders auffallend ist

110 United Nations Children’s Fund (UNICEF), Child marriages around the world – infographic, 11.3.2020. 111 S. dass., The State of the World’s Children 2013: Children with Disabilities, Mai 2013, 135. Die Proportion an Frauen zwischen 20 und 24 Jahren, deren Ehe im Alter von unter 18 bzw. unter 15 Jahren geschlossen wurde, ist der international übliche Indikator zur Bestimmung der Zahl an Kinderehen weltweit. 112 Die aktuellen relevanten Daten (letztes Update: Mai 2022) sind bei dass., Child Marriage Database, letztes Update: Mai 2022 zu finden. Zur Rückläufigkeit s. außerdem die Tab. auf S. 5 des Prospekts des United Nations Children’s Fund (UNICEF), Ending child marriage – Progress and prospects, 2014. Eine beträchtliche Abnahme der Minderjährigenehenzahl in Ländern niedrigen oder mittleren Einkommens im unteren Bereich anhand des Vergleichs von zwischen 1985 und 1989 und zwischen 1955 und 1959 geborenen Frauen stellt Nguyen/Wodon, The Review of Faith & International Affairs 13 (2015), 6, 10 fest. 113 United Nations Children’s Fund (UNICEF), 25 million child marriages prevented in last decade due to accelerated progress, according to new UNICEF estimates, 6.3. 2018. 114 Wenger, Kinderehen nehmen während Corona erstmals seit Jahrzehnten wieder zu, Neue Zürcher Zeitung, 2.12.2020. 115 United Nations Children’s Fund (UNICEF), Child marriages around the world – infographic, 11.3.2020. 116 S. dazu im Einzelnen: Szabo/Edwards, Save the Children – The Global Girlhood Report 2020 – How Covid-19 is putting progress in peril, London 2020, 16.

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die Situation in den Sub-Sahara-Staaten Afrikas: In West- und Zentralafrika haben 37 %, im östlicheren und südlicheren Teil Afrikas 32 % der 20–24-jährigen Frauen im Minderjährigenalter geheiratet.117 Sehr häufig tritt das Phänomen in Südasien (insbesondere Bangladesch) auf.118 Auch in den Vereinigten Staaten von Amerika (USA) ist die Zahl der Minderjährigenehen nicht zu unterschätzen. Zwischen den Jahren 2000 und 2015 wurden dort ca. 207.468 Minderjährige verheiratet, 5 % hatten das 16. Lebensjahr noch nicht erreicht.119 Als Reaktion darauf haben zahlreiche US-Bundesstaaten seit 2016 ihre Gesetze zum Mindestheiratsalter verschärft, weitere Gesetzesentwürfe sind anhängig oder werden in der kommenden Legislaturperiode eingebracht.120 Innerhalb Europas, wo die überwiegende Mehrzahl der Staaten ein für Männer und Frauen gleichermaßen geltendes Ehemündigkeitsalter von 18 Jahren samt ausnahmsweiser Vorverlagerungsmöglichkeit vorsieht, liegen Ehen Minderjähriger im Vergleich zu der restlichen Weltbevölkerung deutlich unter dem Durchschnitt.121 Zahlenmäßige Besonderheit weist jedoch die ethnische Bevölkerungsgruppierung der Roma122 in den südosteuropäischen Staaten Serbien und Bosnien123, Rumänien124, sowie Bulgarien125 auf: In Serbien sind im Jahr 2014 57 % der Roma-Frauen im Alter zwischen 20 und 49 Jahren die Ehe vor ihrem 18. Lebensjahr und 17,3 % sogar vor ihrem 15. Lebensjahr eingegangen, während der Anteil in der serbischen Gesamtbevölkerung bei 6,8 % und 0,8 % lag.126 Laut einer Studie aus dem Jahr 117 S. die in Fn. 112 genannten Daten, Stand: Mai 2022. An der Weltspitze liegt Niger mit 76 % (Stand: 2012), dicht gefolgt von der Zentralafrikanischen Republik und Tschad mit 61 % (Stand: 2019) Anteil an Ehen von 20–24-jährigen Frauen, die im Alter von unter 18 Jahren geschlossen wurden. 118 In Bangladesch wurden 51 % der Ehen von 20–24-jährigen Frauen im Alter von unter 18 Jahren geschlossen. 16 % gingen die Ehe bereits im Alter von unter 15 Jahren ein (Stand: 2019). Genaueres zu den regionalen Abweichungen: Islam/Haque/Hossain, J. Biosoc. Sci. 48 (2016), 694 ff. In Südasien wurden 28 % der Ehen der 20–24-jährigen Frauen im Alter von unter 18 Jahren eingegangen, s. Fn. 112. 119 Tsui/Nolan/Amico, Child Marriage in America by the Numbers, 6.7.2017. 120 Weiter hierzu in der gebotenen Ausführlichkeit unter III. 121 Zu den gleichartigen Ehemündigkeitsanforderungen in Europa samt Ausnahmen, s. Dethloff/Maschwitz, StAZ 2010, 162, 163 ff. 122 Roma sind die größte ethnische Minderheit in Europa, die Eheschließungen von Minderjährigen praktizieren, s. Joamets/Sogomonjan, ICLR 20 (2020), 58, 59. 123 Diesem Thema widmen sich Hotchkiss/Godha/Gage u. a., BMC International Health and Human Rights 16 (2016), 1 ff.; Bosˇnjak/Acton, The International Journal of Human Rights 17 (2013), 646 ff. 124 Genauer hierzu: Crai, Early and Forced Marriages in Roma Communities – Country Report: Romania, 2015. 125 S. hierzu: Kyuchukov, Intercultural Education 22 (2011), 97, 100; D’Arcy/Brodie, Social Inclusion 3 (2015), 1, 6; Jessel-Holst, Die Frühehe in Bulgarien, in: Die Frühehe im Recht, 2021, 469 ff. 126 Vgl. die Daten auf S. 215 und 218: Statistical Office of the Republic of Serbia, UNICEF, Serbia Multiple Indicator Cluster Survey 2014 and Serbia Roma Settlements Multiple Indicator Cluster Survey 2014 – Final Reports, Dezember 2014.

C. Internationale Bestandsaufnahme

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2008 weicht in Rumänien der Zeitpunkt der ersten Geburt in altersmäßiger Hinsicht bei den Roma-Frauen um drei Jahre von dem der Nicht Roma-Frauen ab: 55 % waren zum Zeitpunkt der Geburt minderjährig, während es in der Vergleichsgruppe lediglich 14 % waren.127 Die realen Gegebenheiten weichen demnach stark von der rechtlichen Lage ab, denn in beiden Ländern liegt das Heiratsalter im Regelfall bei 18 und im Ausnahmefall bei Vorliegen entsprechender Voraussetzungen bei 16 Jahren.128 Rechtliche Anerkennung und dementsprechend starke Verbreitung finden Ehen unter 18 Jahren in der nordgriechischen Region Thrakien, wo – basierend auf internationalen Verträgen129 – auf Familienverhältnisse zwischen griechischen Muslimen insbesondere innerhalb der türkisch sprechenden Minderheit das islamische Recht der hanafitischen Rechtsschule als inländisches Recht zur Anwendung gelangt.130 Derartige in Griechenland in (sehr) jungen Jahren vollzogene Eheschließungen erregten auch hierzulande in medialer131 und rechtlicher132 Hinsicht Aufmerksamkeit. Jenseits der sich aus der territorialen und personellen Spaltung133 ergebenden religiösen Sonderregelungen liegt das Ehefähigkeitsalter in Griechenland bei 18 Jahren, wobei

127 Fleck/Rughinis¸, Come Closer – Inclusion and Exclusion of Roma in Present-Day Romanian Society, 2008, S. 91. 128 Für Serbien s. Art. 23 Abs. 1und 2 serb. FamG, s. Kraljic ´ /Kraljic´, Länderbericht Serbien, in: Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, 54; für Rumänien: Art. 272 Abs. 1 und 2 rum. Codul civil, einzusehen bei Bormann, Länderbericht Rumänien, in: Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, 63. 129 So hatte sich Griechenland in Art. 11 des Friedensvertrags von Athen von 1913 zur Anerkennung der Gerichtsbarkeit der Muftis in familien- und erbrechtlichen Angelegenheiten verpflichtet. Ausschlaggebend war zudem der am 24.7.1923 unterzeichnete Vertrag von Lausanne, s. Jayme/Nordmeier, IPRax 2008, 369; Turner/Arslan, Legal Pluralism and the Sharia: A Comparison of Greece and Turkey, in: The sociology of Shari’a: Case studies from around the world, 2015, 219, 225 f. 130 S. dazu Kastrissios, Länderbericht Griechenland, in: Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, 30 ff.; Sezgin, Reforming Muslim Family Laws in Non-Muslim Democracies, in: Islam, Gender, and Democracy in Comparative Perspective, 2017, 160, 162, 164. Nach Art. 4 Gesetz 147/1914 bestimmt sich u. a. die gültige Eingehung der Ehe für Anhänger des mohammedanischen Glaubens nach ihrem religiösen Gesetz, und nach Art. 5 Abs. 2 Gesetz 1920/1991 übt der zuständige Mufti die Gerichtsbarkeit auch in Eheangelegenheiten zwischen griechischen Muslimen aus, soweit sich die Verhältnisse nach dem islamischen Gesetz bestimmen, s. Kastrissios, Länderbericht Griechenland, in: Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, 31. Bestimmte Rechtsfragen (z. B. die im islamischen Recht verbotene Adoption) sind der Gerichtsbarkeit des Muftis entzogen, s. Tsitselikis, Applying Shari’A In Europe: Greece As An Ambivalent Legal Paradigm, in: Yearbook of muslims in Europe, vol. 2, 2010, 663, 668. Zu den Änderungen des Gesetzes 1920/1991 und deren Auswirkungen in internationalprivatrechtlicher Hinsicht: Jayme/Nordmeier, IPRax 2018, 277 ff. 131 So z. B. die Verheiratung einer 11-Jährigen mit einem 22-Jährigen, s. Keseling, Das verheiratete Kind, Die Welt, 25.2.2005. 132 S. nur Kraus, StAZ 2017, 117 ff. 133 So wortwörtlich Jayme/Nordmeier, IPRax 2018, 277.

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Kap. 1: Minderjährigenehen in Geschichte und Gegenwart

das Gericht der freiwilligen Gerichtsbarkeit auf Antrag Befreiung von dem Alterserfordernis erteilen kann (Art. 1350 Abs. 2 griech. ZGB134). 2. Sozio-ökonomische Faktoren und kultureller Kontext Das statistische Datenmaterial verdeutlicht, dass Eheschließungen in frühem Alter vornehmlich minderjährige Mädchen im Ausland betreffen. Im Folgenden soll versucht werden, die sozial-ökonomischen Bedingungen, gesellschaftlichen Zusammenhänge und kulturellen Begebenheiten zu erfassen, die Minderjährigenehen befördern. Zwar unterliegen die Gründe den historischen, geopolitischen und kulturellen Besonderheiten des jeweiligen Ortes, doch haben diverse Studien bestimmte verallgemeinerungsfähige Ursachen für die Entstehung von Minderjährigenehen aufgezeigt. Zu den Hauptgründen für die Schließung von Ehen im Minderjährigenalter zählen Armut und der Wunsch nach wirtschaftlicher Absicherung der Töchter.135 So neigen in finanzschwachen Familien viele Eltern dazu, alsbald die Heirat ihres Kindes zu arrangieren, um in den Genuss der damit verbundenen finanziellen Entlastung in Form der Ersparnis von Lebenshaltungskosten bzw. des Erhalts des Brautpreises für die Tochter zu kommen.136 Dabei ist das junge Alter und bestenfalls die Jungfräulichkeit der Mädchen insofern von Vorteil, als dass damit ein besonders hoher Preis erzielt und ein Anstieg der Mitgift eventuell vermieden werden kann.137 Demnach handelt es sich bei der Verheiratung von jungen Mädchen nicht selten um eine Strategie für das wirtschaftliche Überleben des Familienverbundes oder des Kindes selbst, dem die Eheschließung die Chance auf ein besseres Leben eröffnet.138 Naturkatastrophen sowie Situationen bewaffneten 134 Die Norm ist aufgeführt bei Kastrissios, Länderbericht Griechenland, in: Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, 60; genauer zur Ehefähigkeit in Griechenland: Tsantinis, Griechenland, in: Eherecht in Europa, 4. Aufl., 2021, 603, 605 f. 135 Bunting, Soc. & Legal Stud. 14 (2005), 17, 25; Raj/Boehmer, Violence Against Women 19 (2013), 536, 537; Nour, Reviews in Obstetrics and Gynecology 2 (2009), 51, 53; Svanemyr/Chandra-Mouli/Raj u. a., Reproductive Health 12 (2015), 1, 2; hierzu auch: Max-Planck-Institut für Ausländisches und Internationales Privatrecht, RabelsZ 84 (2020), 705, 721 f. 136 Lee-Rife/Malhotra/Warner u. a., Studies in Family Planning 43 (2012), 287, 288; Kalamar/Lee-Rife/Hindin, Journal of Adolescent Health 59 (2016), S16–S21, S20; Jensen/Thornton, Gender & Development 11 (2003), 9, 17. 137 Gaffney-Rhys, The International Journal of Human Rights 15 (2011), 359, 360; Lee-Rife/Malhotra/Warner u. a., Studies in Family Planning 43 (2012), 287, 288; Parsons/Edmeades/Kes u. a., The Review of Faith & International Affairs 13 (2015), 12, 13. 138 Human Rights Watch, Ending child marriage in Africa, November 2015, 4; Gaffney-Rhys, The International Journal of Human Rights 15 (2011), 359, 360; Wijffelman, NQHR 35 (2018), 104, 106 f.; s. a. Bartels/Michael/Roupetz u. a., BMJ Glob Health 3 (2018), 1, 10 mit dem Hinweis darauf, dass die Eheschließung auch von den Mädchen selbst ausgeht.

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Konflikts und plötzlicher Vertreibung, die meist eine abrupte Verschlechterung der finanziellen Verhältnisse zur Folge haben, fördern dabei die Verbreitung von Eheschließungen im Minderjährigenalter.139 Ein aktuelles Länderbeispiel ist Syrien. Letzte Zahlen vor Ausbruch des Bürgerkrieges am 15. März 2011, der ca. 4,8 Millionen Syrer über die Landesgrenzen hinweg zur Flucht veranlasste140, ergaben, dass in Syrien insgesamt 13 % der Frauen zwischen 20 und 24 Jahren die Ehe vor Vollendung des 18. Lebensjahres schlossen.141 Laut Erhebungen in Flüchtlingslagern stieg seit Kriegsbeginn die Zahl der Minderjährigenehen rasant an: In der ersten Jahreshälfte von 2014 wurden innerhalb der syrischen Flüchtlingsbevölkerung Jordaniens 31,7 % der Ehen als Minderjährigenehen registriert.142 Aussagekräftig ist in diesem Kontext die große Altersdifferenz der Ehegatten: 2012 heirateten 16,2 % der Mädchen im Alter zwischen 15 und 17 Jahren Männer, die mindestens 15 Jahre älter waren als sie selbst.143 Ein ähnliches Anwachsen der Zahlen ist in der syrischen Flüchtlingsgemeinschaft in Ägypten und in der Türkei zu verzeichnen.144 Auch im Libanon, dem Land mit der größten Proportion an syrischen Flüchtlingen im Verhältnis zur Landesbevölkerung145, ist ein Anstieg der Minderjährigenehenrate auf 23 % zu verzeichnen, was ebenfalls auf die Flüchtlingskrise in Syrien zurückzuführen ist.146

139 Bartels/Michael/Roupetz u. a., BMJ Glob Health 3 (2018), 1, 2; Neal/Stone/Ingham, BMC Public Health 16 (2016), 1, 5; Raj/Jackson/Dunham, Girl Child Marriage: A Persistent Global Womens Health and Human Rights Violation, in: Global Perspectives on Women’s Sexual and Reproductive Health Across the Lifecourse, 2018, 3, 6 f.; Mourtada/Schlecht/Dejong, Conflict and Health 11 (2017), 53, 54; am Beispiel von Sri Lanka: Kottegoda/Samuel/Emmanuel, Reproductive Health Matters 16 (2008), 75, 78. 140 Human Rights Watch, Country Summary Syria, Januar 2017, 1. 141 Sich auf den Multiple Indicator Cluster Survey Syrien aus dem Jahr 2006 beziehend: United Nations Children’s Fund (UNICEF), The State of the Worlds Children 2011: Adolescence – An Age of Opportunity, Februar 2011, 122. 142 Dass., A study on early marriage in Jordan, 2014, 8, 22 f. 143 31,8 % heirateten Männer, die 10–14 Jahre älter waren und bei 37,2 % dieser Ehen war der Mann um 5–9 Jahre älter, s. dass., A study on early marriage in Jordan, 2014, 24. 144 Spencer, CARE international, „To Protect her Honor“, Mai 2015, 7; speziell zum Anstieg der Zahlen im Libanon: Abdulrahim/Dejong/Mourtada u. a., European Journal of Public Health 27 (2017), iss. suppl. 3, 323. 145 Erstmals seit 2014 sank die Gesamtzahl der syrischen Flüchtlinge im Libanon im Dezember 2017 auf unter eine Million, s. Agence France Presse, Syrian refugees in Lebanon drop below 1 million: U.N., The Daily Star Lebanon, 27.12.2017, S. 2. Die aktualisierten Daten lassen sich hier abrufen: United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR), Syria Regional Refugee Response, abrufbar unter https://data2. unhcr.org/en/situations/syria. 146 Es bleibt jedoch zu beachten, dass diese Zahl sich auf die syrischen Flüchtlinge im Libanon bezieht und nicht repräsentativ für die syrische Gesamtbevölkerung ist, s. Mourtada/Schlecht/Dejong, Conflict and Health 11 (2017), 53, 54. Aktuelle Studien zu den Minderjährigenehen im Libanon: Bartels/Michael/Roupetz u. a., BMJ Glob Health 3 (2018), 1 ff.

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Kap. 1: Minderjährigenehen in Geschichte und Gegenwart

Als zentraler Punkt wird des Weiteren die vielerorts vorzufindende Ungleichbehandlung der Geschlechter angeführt.147 So wird der Geschlechterungleichheitsindex (GII-Gender Inequality Index)148 als Prädiktor der Minderjährigenehen für verlässlicher erachtet als der UN-Entwicklungsindex (HDI-Human Development Index), der auf der tatsächlichen durchschnittlichen und der zu erwartenden Zahl der Schuljahre, der Lebenserwartung bei Geburt und dem Bruttonationaleinkommen pro Kopf als relevanten Indikatoren beruht.149 In etlichen Kulturen dominiert ein traditionelles Rollenverständnis, das der Frau die Hauptverantwortung in der Familienarbeit zuschreibt, während dem Mann die Einholung ausreichender finanzieller Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts obliegt. Von dieser patriarchalischen Denkweise ausgehend werden die Mädchen bereits in jungem Alter dazu gedrängt, die Rolle der Mutter und Ehefrau zu übernehmen, sodass es nicht als notwendig erachtet wird, den Mädchen den Antritt oder die Fortführung ihres Bildungsweges zu ermöglichen.150 Währenddessen wird den Jungen zur Entwicklung und Vervollkommnung ihrer beruflichen Ausbildung eher ein zeitlicher Spielraum gewährt, um später die finanzielle Versorgung der Familie idealerweise sicherzustellen. Aus diesem Grund weisen die Ehegatten in Minderjährigenehen nicht selten einen hohen Altersunterschied auf.151 Inmitten dieses Umfelds geschlechtsspezifischer Ungleichheit, in dem Frauen und Mädchen im Gegensatz zum männlichen Pendant nur eingeschränkten Zugang zu Bildung und Arbeit erhalten, ist ferner der verstärkt in Krisensituationen hervortretende Protektionsaspekt der ehelichen Institution von entscheidender Bedeutung.152 Die Ehe dient den Frauen vornehmlich als Schutz, um das in der147 Bunting, Soc. & Legal Stud. 14 (2005), 17, 27; Raj, Arch Dis Child 95 (2010), 931; Wijffelman, NQHR 35 (2018), 104, 106. 148 Dieser Index orientiert sich an folgenden Faktoren: Gesundheit (gemessen an der Müttersterblichkeitsrate und Geburtenrate unter Heranwachsenden), Emanzipation (gemessen am Frauenanteil unter Parlamentariern und an der Proportion der über 25-jährigen Frauen und Männer mit weiterführender Ausbildung) und ökonomischer Status (gemessen an der Erwerbsquote unter Frauen und Männern im Alter von über 15 Jahren). Genaueres zum HDI und GII: United Nations Development Programme, Human Development Data, abrufbar unter http://hdr.undp.org/en/data. 149 Raj/Jackson/Dunham, Girl Child Marriage: A Persistent Global Womens Health and Human Rights Violation, in: Global Perspectives on Women’s Sexual and Reproductive Health Across the Lifecourse, 2018, 3, 6 m.w. N. 150 Gaffney-Rhys, The International Journal of Human Rights 15 (2011), 359, 361; s. a. Max-Planck-Institut für Ausländisches und Internationales Privatrecht, RabelsZ 84 (2020), 705, 723. 151 Raj/Jackson/Dunham, Girl Child Marriage: A Persistent Global Womens Health and Human Rights Violation, in: Global Perspectives on Women’s Sexual and Reproductive Health Across the Lifecourse, 2018, 3, 6; Bunting, Soc. & Legal Stud. 14 (2005), 17, 27; anhand des Beispiellandes Benin Jensen/Thornton, Gender & Development 11 (2003), 9, 13 f. 152 Raj/Boehmer, Violence Against Women 19 (2013), 536, 537; Otoo-Oyortey/Pobi, Gender & Development 11 (2003), 42 ff.

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artigen Regionen vorherrschende erhöhte Risiko von sexueller Gewalt und Belästigung für unverheiratete Mädchen zu eliminieren.153 Auffällig ist die Diskrepanz zwischen dem ländlichen und städtischen Bereich. Minderjährigenehen werden vorwiegend in ländlichen Gebieten geschlossen, wo die traditionelle Grundeinstellung in Bezug auf Frauen und Heirat besonders tief in der Gesellschaft verwurzelt ist.154 Ein weiterer aus der Disparität der Geschlechter abzuleitender Faktor, der die Eltern zur Verheiratung ihrer Tochter in jungen Jahren verleitet und Minderjährigenehen demnach befördert, ist der Schutz der Ehre der Frau und ihrer Familie.155 Gerade in traditionell arabischen Gesellschaften wird es als Schande für den gesamten Haushalt angesehen, wenn ein Mädchen außerhalb der Ehe ihre Jungfräulichkeit verliert oder gar schwanger wird.156 Gerade in Kriegszeiten werben daher die Eltern und religiösen Oberhäupter vermehrt für eine möglichst frühe Eheschließung der Frauen, um sexueller und geschlechterspezifischer Gewalt entgegen zu treten, die persönliche und familiäre Reputation aufrecht zu erhalten oder die bereits durch einen sexuellen Übergriff „befleckte“ Ehre wieder herzustellen.157 Hinzu treten weitere schlechte sozio-ökonomische Rahmenbedingungen wie mangelnde Gesundheitsversorgung, hohe Mütter- und Kindersterblichkeit, Analphabetismus und geringe Lebenserwartung, die das Aufkommen von Minderjährigenehen zusätzlich befördern.158 3. Auswirkungen auf das Kindeswohl Minderjährigenehen gelten als Indiz für die Gefährdung des Kindeswohls. Hauptsächlich in den Bereichen physischer bzw. mentaler Gesundheit auf der einen Seite sowie Bildung auf der anderen Seite werden die Folgen als höchst bedenklich eingestuft. Aufgrund der engen Korrelation zwischen Eheschließungen in jungem Alter und frühzeitiger Schwangerschaft159 bestehen die gesundheitlichen Risiken insbesondere in reproduktionsmedizinischer Hinsicht: Die in den Ehen zeitnah entstehenden Schwangerschaften und Geburten bilden die Hauptursachen für die 153

Vgl. Wijffelman, NQHR 35 (2018), 104, 107. Vgl. Raj, Arch Dis Child 95 (2010), 931 m.w. N. 155 Bunting, Soc. & Legal Stud. 14 (2005), 17, 28 f.; ebenso Büchler/Schlatter, EJIMEL 1 (2013), 37, 44; in der syrischen Gesellschaft als „al sutra“-Konzept bezeichnet, s. Mourtada/Schlecht/Dejong, Conflict and Health 11 (2017), 53, 58, 61. 156 Bunting, Soc. & Legal Stud. 14 (2005), 17, 28 f.; Gaffney-Rhys, The International Journal of Human Rights 15 (2011), 359, 360 m.w. N. 157 Vgl. Mourtada/Schlecht/Dejong, Conflict and Health 11 (2017), 53, 61; Gössl, Das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen – eine politische Reaktion auf die Flüchtlingskrise, in: Migration. Gesellschaftliches Zusammenleben im Wandel, 2018, 19, 23. 158 Bunting, Soc. & Legal Stud. 14 (2005), 17, 25. 159 Ca. 90 % der Schwangerschaften bei Heranwachsenden in Entwicklungsländern finden innerhalb einer Ehe statt, s. United Nations Population Fund (UNFPA), State of World Population 2013, Motherhood in Childhood, 2013, 48. 154

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Kap. 1: Minderjährigenehen in Geschichte und Gegenwart

Sterblichkeit von heranwachsenden Mädchen und deren Nachkommen.160 2006 wurde festgestellt, dass die Sterberate während der Schwangerschaft oder Geburt bei Mädchen, die das 15. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, fünf Mal höher ist als bei Frauen über 20 Jahren.161 Junge Mütter sind darüber hinaus einem erheblich höheren Krankheitsrisiko ausgesetzt.162 Bereits während der Entbindung kann es aufgrund mangelnder Ernährung und der eventuell noch nicht abgeschlossenen körperlichen Entwicklung zu Komplikationen, insbesondere in Gestalt eines Geburtsstillstands kommen. Letzterer führt zur Entstehung von Geburtsfisteln, der gewöhnlichsten Krankheitsform unter jungen Müttern.163 Eine umfassende Länderstudie fand auch heraus, dass bei Müttern im Alter zwischen 10 und 19 Jahren die Wahrscheinlichkeit einer Erkrankung an Eklampsie, puerperaler Endometritis und systemischer Infektion höher ist als bei Müttern zwischen 20 und 24 Jahren.164 Die zur Vermeidung ebendieser Krankheiten geeignete Verwendung von Verhütungsmitteln ist unter minderjährigen Ehegatten weniger wahrscheinlich, sodass vermehrt sexuell übertragbare Krankheiten auftreten können.165 Die Frage des Bestehens eines unmittelbaren Zusammenhangs zwischen Ehestatus und HIV wird jedoch uneinheitlich beantwortet.166 Als weitere

160 Raj/Boehmer, Violence Against Women 19 (2013), 536, 541; vgl. a. Nguyen/Wodon, The Review of Faith & International Affairs 13 (2015), 6, 7. Jedes Jahr sterben 70.000 heranwachsende Mädchen an den Folgen (Stand 2013), s. United Nations Population Fund (UNFPA), State of World Population 2013, Motherhood in Childhood, 2013, v. Die Sterblichkeitsrate unter Babys von Müttern unter 18 ist im Vergleich zu Babys von Müttern über 18 um 60 % höher, s. Parsons/Edmeades/Kes u. a., The Review of Faith & International Affairs 13 (2015), 12, 18. 161 United Nations Population Fund (UNFPA), Ending child marriage – A guide for global policy action, September 2006, 11. 162 Raj, Arch Dis Child 95 (2010), 931; Gaffney-Rhys, The International Journal of Human Rights 15 (2011), 359, 361 f.; Nour, Reviews in Obstetrics and Gynecology 2 (2009), 51, 53 f.; Nguyen/Wodon, The Review of Faith & International Affairs 13 (2015), 6, 7; Parsons/Edmeades/Kes u. a., The Review of Faith & International Affairs 13 (2015), 12, 17 f.; vgl. a. Otoo-Oyortey/Pobi, Gender & Development 11 (2003), 42, 46 f.; Maswikwa/Richter/Kaufman u. a., International Perspectives on Sexual and Reproductive Health 41 (2015), 58, 59. 163 Gaffney-Rhys, The International Journal of Human Rights 15 (2011), 359, 361 f.; Raj/Jackson/Dunham, Girl Child Marriage: A Persistent Global Womens Health and Human Rights Violation, in: Global Perspectives on Women’s Sexual and Reproductive Health Across the Lifecourse, 2018, 3, 9; zu den Folgen dieser Krankheit: s. Bunting, Soc. & Legal Stud. 14 (2005), 17, 31. 164 Ganchimeg/Ota/Morisaki u. a., BJOG 121 (2014), 40, 45. 165 Raj, Arch Dis Child 95 (2010), 931; Raj/Jackson/Dunham, Girl Child Marriage: A Persistent Global Womens Health and Human Rights Violation, in: Global Perspectives on Women’s Sexual and Reproductive Health Across the Lifecourse, 2018, 3, 9; Parsons/Edmeades/Kes u. a., The Review of Faith & International Affairs 13 (2015), 12, 18; Büchler/Schlatter, EJIMEL 1 (2013), 37, 45. 166 Eine gesteigerte Empfänglichkeit junger Ehefrauen für HIV bejahend: Nour, Emerging Infectious Diseases 12 (2006), 1644, 1645; dies., Reviews in Obstetrics and Gynecology 2 (2009), 51, 54; Clark/Bruce/Dude, International Family Planning Per-

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substantielle negative Folge von Eheschließungen in jungem Alter wurde festgestellt, dass das Risiko eines Gewalterlebnisses in der Partnerschaft für früh verheiratete Mädchen höher ist als bei Frauen, die die Ehe nach Vollendung des 18. Lebensjahres eingegangen sind.167 Auf mentaler Ebene können bei früh verheirateten Mädchen vermehrt psychologische Nachteile (Mangel an Selbstbewusstsein, Depression) auftreten168, die sogar in einer erhöhten suizidalen Gefährdung der betreffenden Frauen münden können.169 Die Sterblichkeitsrate unter Babys von Müttern unter 18 Jahren ist um 60 % höher als bei den Neugeborenen älterer Frauen170, da Früh- und Fehlgeburten sowie niedriges Geburtsgewicht das Überleben prä- und postnatal erschweren. Die Gesundheit der Neugeborenen wird überdies durch das erhöhte Risiko geringer Inanspruchnahme medizinischer Versorgung in Form von Schwangerschaftsfürsorge oder Nutzung eines geschulten Geburtshelfers durch die jungen Mütter weiterhin negativ beeinträchtigt.171 Mangelnde Bildung und niedrige Beteiligung auf dem Arbeitsmarkt sind zugleich Ursache und Wirkung von Minderjährigenehen.172 Im östlichen Afrika ist die Chance auf den Besuch einer Schule für ein verheiratetes Mädchen 30,5 Mal geringer als für ein unverheiratetes.173 Damit wird den Mädchen die Schule als Ort der Entwicklung von Fähigkeiten, der Bildung und Festigung sozialer Kon-

spectives 32 (2006), 79, 80 ff.; Clark, Studies in Family Planning 35 (2004), 149, 156; Gaffney-Rhys, The International Journal of Human Rights 15 (2011), 359, 362; dieselbe verneinend: Raj, Arch Dis Child 95 (2010), 931, 933; Raj/Jackson/Dunham, Girl Child Marriage: A Persistent Global Womens Health and Human Rights Violation, in: Global Perspectives on Women’s Sexual and Reproductive Health Across the Lifecourse, 2018, 3, 10. 167 Bartels/Michael/Roupetz u. a., BMJ Glob Health 3 (2018), 1, 2; Parsons/Edmeades/Kes u. a., The Review of Faith & International Affairs 13 (2015), 12, 16 f.; GaffneyRhys, The International Journal of Human Rights 15 (2011), 359, 362; Otoo-Oyortey/ Pobi, Gender & Development 11 (2003), 42 ff. 168 Ahmed/Khan/Alia u. a., International Journal of endorsing health science research 1 (2013), 84, 85; Nour, Reviews in Obstetrics and Gynecology 2 (2009), 51, 53 f.; bezogen auf die USA: Le Strat/Dubertret/Le Foll, Pediatrics 128 (2011), 524, 527 ff. 169 Svanemyr/Chandra-Mouli/Raj u. a., Reproductive Health 12 (2015), 1, 2; am Beispiel Äthiopiens: Gage, Journal of Adolescent Health 52 (2013), 654, 655 f. In Afghanistan realisiert sich diese Gefahr erwiesenermaßen unter vielen minderjährigen verheirateten Frauen im Akt der Selbstverbrennung, s. Raj/Gomez/Silverman, N Eng J Med 322 (2008), 2201. 170 Nour, Reviews in Obstetrics and Gynecology 2 (2009), 51, 54. 171 Zur Inanspruchnahme der medizinischen Versorgung durch Mütter in Abhängigkeit zum Heiratsalter, ländlichem Domizil und Fruchtbarkeitsrate, s. Godha/Gage/ Hotchkiss u. a., Journal of Adolescent Health 58 (2016), 504 ff. 172 So explizit Bunting, Soc. & Legal Stud. 14 (2005), 17, 24; McCleary-Sills/Hanmer/Parsons u. a., The Review of Faith & International Affairs 13 (2015), 69, 75 ff. Dies wird auch von einigen syrischen Flüchtlingen im Libanon als Herausforderung angesehen: Mourtada/Schlecht/Dejong, Conflict and Health 11 (2017), 53, 58. 173 Omoeva/Hatch, Prospects 2020, 1, 15.

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takte sowie der Durchführung gemeinschaftlicher Aktivitäten entzogen.174 Eine den Zusammenhang zwischen Minderjährigenehen und der Ausbildung von Mädchen in 36 Staaten analysierende Studie stellte heraus, dass statistisch gesehen mit jedem Jahr, um das die Eheschließung im Bevölkerungsdurchschnitt hinausgeschoben wird, sich die schulische Ausbildung von Mädchen um ein halbes Schuljahr in Sub-Sahara Afrika und um fast ein Drittel eines Schuljahres in Südwestasien verlängert.175 Gewichtiger als die frühe Eheschließung per se dürften allerdings die Lebensumstände in dem spezifischen kulturellen Kontext sein: Faktoren wie Armut, mangelnde Gesundheit und die untergeordnete Stellung von Frauen in der Gesellschaft können einen Schulabbruch auf entscheidende Weise begünstigen.176 4. Dimensionen von Minderjährigenehen Die beschriebenen sozio-ökonomischen und kulturellen Faktoren stützen das gängige Verständnis von Minderjährigenehen als schädlichen Verbindungen, die inmitten harter Lebensbedingungen aufgrund familiären bzw. gesellschaftlichen Drucks gewissermaßen zwangsweise zwischen jungen, unmündigen Mädchen und weitaus älteren Männern zustande gekommen sind. Meist werden in den einschlägigen Berichten die gesundheitlichen Risiken, die ärmlichen Lebensverhältnisse und die mangelnde Handlungs- und Einsichtsfähigkeit der betroffenen Jugendlichen besonders hervorgehoben und somit der Schwerpunkt auf deren Opferrolle gelegt. Diese Viktimisierung lässt in vielen Fällen jedoch die Erfahrungen der Betroffenen früher Eheschließungen außer Acht, die sich selbst nicht als Opfer sehen und ihre Ehe nicht notwendigerweise als Verletzung ihrer persönlichen Rechte begreifen.177 Betrachtet man die Frühverheiratung in einem breiteren sozialen und kulturellen Kontext, so sind Minderjährigenehen keineswegs nur Ausfluss verinnerlichter Traditionen und fest verankerter gewohnheitsrechtlicher Praktiken, basierend auf Unfreiwilligkeit und verbunden mit hohen gesundheitlichen Risiken, wie man sie mit dem Begriff der klassischen „Kinderehen“ in der Gesellschaft assoziiert. Es ergibt sich stattdessen ein hochkomplexes und vielschich-

174 Parsons/Edmeades/Kes u. a., The Review of Faith & International Affairs 13 (2015), 12, 15. 175 Delprato/Akyeampong/Sabates u. a., International Journal of Educational Development 44 (2015), 42, 53. 176 Lloyd/Mensch, Population Studies 62 (2008), 1, 9 ff.; Delprato/Akyeampong/Sabates u. a., International Journal of Educational Development 44 (2015), 42, 53 f.; OtooOyortey/Pobi, Gender & Development 11 (2003), 42 ff.; Bunting, Soc. & Legal Stud. 14 (2005), 17, 30. 177 S. Tremayne, J Middle East Womens Stud 2 (2006), 65, 69; zust. Knox, Reproductive Health Matters 25 (2019), S96, S102; ermahnend im Hinblick auf das „individuelle Menschenrecht auf Kultur“ ebenso Klimke, ZAR 2021, 278, 280.

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tiges Bild eines Phänomens, das in unterschiedlichsten Kontexten entstehen und sich aus vielfältigen Motiven nähren kann. Eine Studie178, die den Fokus auf Betroffene von Minderjährigenehen in Konflikt- und Post-Konflikt-Situationen gelegt hat, unterstreicht das Erfordernis einer differenzierten Betrachtung: Die hier durchgeführte Befragung von 22 heranwachsenden verheirateten und verlobten Mädchen in einem palästinensischen Flüchtlingslager im Nordlibanon ergab, dass keine von ihnen die Entscheidung zur Eingehung einer Ehe als einseitig oder aufgezwungen empfunden hatte. Vielmehr wurde der Entscheidungsprozess in Bezug auf die frühe Heirat als eine Bewertung zahlreicher Faktoren beschrieben, einschließlich wirtschaftlicher Nöte, Unsicherheit und Einsamkeit, von denen viele als Folge des Konflikts entstanden. Die Befragten gaben an, dass sie insbesondere mit der existenziellen Not und Armut, die durch den Konflikt verschlimmert wurden, und nicht etwa mit ihren Ehen oder Verlobungen haderten. Eine weitere Studie179 analysierte die Wirkung von Bildungsmaßnahmen zur Verhinderung von frühen Eheschließungen am Beispiel einer konservativen Stadt mit einer hohen Alphabetisierungsrate im Iran und fand heraus, dass entgegen der vorherrschenden Meinung Fortschritte bei der Bildung und Beschäftigung von Frauen nicht unbedingt zu einem Rückgang der Praxis der Frühverheiratung führen. Weiterhin ging aus der Studie hervor, dass bei drei Generationen von Frauen unabhängig vom Bildungsniveau die Ideale der Heirat, die als absolut identitätsstiftend empfunden wird, unverändert geblieben sind.180 Viele Entwicklungs- und Menschenrechtsberichte lassen das gebotene nuancierte Verständnis im Umgang mit der Thematik indes vermissen: Berichte über Frühverheiratung in Konflikt oder Post-Konflikt-Situationen gehen beispielsweise pauschal davon aus, dass die Lebensqualität von verheirateten Jugendlichen schlechter ist, ohne die Alternativen realistisch zu erforschen.181 In der ersten der vorgenannten Studien haben die Befragten aber überzeugend gezeigt, dass für sie in erster Linie die Konflikte und die sich hieraus ergebenden harten Umstände sowie die strukturellen Faktoren, die mit dem Aufwachsen als palästinensische Flüchtlinge ohne Bürgerrechte in einem Flüchtlingslager verbunden sind, ihr Recht auf Kindheit verletzten.182 Die so oft angenommene singuläre Kausalität zwischen früher Heirat und schlechterer Lebensqualität wird hierdurch also in Frage gestellt. Auch die vorherrschende Annahme, Bildung sei die effektivste

178

Knox, Reproductive Health Matters 25 (2019), S96 ff. Tremayne, J Middle East Womens Stud 2 (2006), 65 ff. 180 Dies., J Middle East Womens Stud 2 (2006), 65, 90. 181 So auch Knox, Reproductive Health Matters 25 (2019), S96, S102 m. entsprechenden Nachweisen in Fn. 1, 3, 7. 182 Dies., Reproductive Health Matters 25 (2019), S96, S102. 179

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Maßnahme zur Verringerung von Minderjährigenehen, ist in Ansehung der in der zweiten Studie erarbeiteten Ergebnisse zu hinterfragen. Selbstverständlich sind die oben angeführten Indikatoren im Kontext von Minderjährigenehen von hoher Relevanz. Das Phänomen aber nur auf schwierige Lebensverhältnisse sowie kulturelle Prägungen zurückzuführen und Minderjährigenehen als per se kindeswohlwidrig abzuqualifizieren, greift angesichts der aufgezeigten Komplexität der Thematik zu kurz. Jenseits des von den Vereinten Nationen in der UN-KRK bestimmten Abgrenzungskriteriums von 18 Jahren für die Eigenschaft des Kindes ist die kulturelle Eigentümlichkeit von Eheschließung und Kindheit zu berücksichtigen, die gerade nicht über kulturelle zeitliche und örtliche Grenzen hinweg gleich definiert sind.183 Um sich ein realitätsgetreues Bild der im Minderjährigenalter geschlossenen Ehen machen zu können, müssen die Ansichten und Erfahrungen der involvierten Jugendlichen als ihre Protagonisten ausreichende Berücksichtigung finden. Beschränkt man sich nämlich darauf, die Betroffenen in einer Opferrolle zu sehen, und lässt subjektive Faktoren außer Betracht, besteht die Gefahr, die Rolle der Jugendlichen als Akteure in ihrem eigenen Leben zu negieren und ihnen ihre Handlungsfähigkeit abzusprechen, wodurch die strukturellen Faktoren, die zu einer frühen Verheiratung führen, gar verstärkt werden könnten.184 Auch in Deutschland werden mit dem Begriff der Minderjährigenehe vornehmlich unfreiwillige Verbindungen von wehrlosen Mädchen mit erheblich älteren Männern assoziiert.185 Beschränkt man den Blick jedoch auf diese Fälle, erhält man auch hier ein verzerrtes und unausgewogenes Bild von der vielschichtigen Realität186, die eine Gleichsetzung der Minderjährigenehe mit der typischen Kinder- oder Zwangsehe187 gerade verbietet. Bei einem nicht zu vernachlässigenden Teil der Ehegatten stellt die Eheschließung im Minderjährigenalter einen freiwilligen Akt fernab von Einflussnahme oder Zwang dar, der auf einer 183 Vgl. Bunting, Particularity of Rights, Diversity of Contexts: Women, International Human Rights and the Case of Early Marriage, 11; Mustasaari, Child & Fam. L. Q. 26 (2014), 261, 271. 184 So auch Knox, Reproductive Health Matters 25 (2019), S96, S103; Klimke, ZAR 2021, 278, 280 spricht im Zusammenhang des KEhenBekG von einer „doppelten Ohnmachtserfahrung“ der Minderjährigen, da die schlichte Eheunwirksamkeit deren Unmündigkeit möglicherweise perpetuiere. 185 S. Jänterä-Jareborg, in: FS Lowe, 267, 270. Dieses „Schreckensbild der Minderjährigenehe mit einer unterdrückten, sozial isolierten, unfreien Minderjährigen“ hat auch der Gesetzgeber des KEhenBekG zum Leitbild der Kinderehe erklärt und zum Anlass für die rigiden Regelungen genommen, s. Coester-Waltjen, IPRax 2019, 127, 131. 186 Auf das „weite Spektrum der tatsächlichen Fallkonstellationen“ hinweisend: Ernst, DRiZ 2019, 182, 184. 187 In diese Richtung ebenso Basedow, FamRZ 2019, 1833, 1837; s. a. Fountoulakis/ Mäsch, in: FS Geiser, 241, 244. Zum Unterschied zwischen Zwangs- und arrangierter Ehe: Göbel-Zimmermann/Born, ZAR 2007, 54.

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selbständigen, uns womöglich fremdartig anmutenden Interpretation von Ehe und Familie gründet.188 Diese Bilanz bestätigen auch die Umstände des bekannten OLG Bamberg-Falls, der den Anstoß für die verfassungsrechtliche Überprüfung des neuen Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB vor dem BVerfG gab. Auch hinsichtlich des Alters zeichnet sich bei den in Deutschland vorhandenen Minderjährigenehen ein Bild ab, das dem Klischee einer klassischen Kinderehe widerspricht. So waren zum 31. Juli 2016 knapp zwei Drittel der 1475 im Ausländerzentralregister erfassten verheirateten Minderjährigen zwischen 16 und 18 Jahre alt, lediglich ein Viertel hatte das 14. Lebensjahr noch nicht erreicht.189 Zwar machten Mädchen die überwiegende Mehrzahl minderjähriger Ehegatten aus, die meisten Kinder der Altersgruppe von unter 14 Jahren waren allerdings männlichen Geschlechts.190 Insofern lässt sich die Frage nach der richtigen Behandlung von Minderjährigenehen nicht pauschal beantworten: Frühe Eheschließungen nehmen verschiedenartige Formen an – die Heirat kann durch Vermittlung von Verwandten, Bekannten oder von Ehevermittlern im vollen Einverständnis der Eheleute geschehen (sog. arrangierte Ehe), sie kann von Verwandten betrieben und klar erzwungen sein (sog. Zwangsehe). Manche Menschen haben aber auch schlichtweg die ihnen vom Staat eröffneten Möglichkeiten der Eheschließung in jungem Alter genutzt, wobei aufgrund des jungen Lebensalters fraglich bleibt, ob sie dies in voller Eigenverantwortung und Reife getan haben.191 Jedenfalls muss stets bedacht werden, dass Eheschließungen im Minderjährigenalter aus sehr unterschiedlichen Beweggründen vollzogen werden, weswegen jeder einzelne Fall einer gesonderten Betrachtung bedarf.192

II. Der rechtliche Hintergrund des islamischen Eherechts Ein umfassenderes Verständnis der Minderjährigenehenthematik setzt zudem die Auseinandersetzung mit den wesentlichen Rechtsgrundlagen voraus. Den in Deutschland vorzufindenden Minderjährigenehen liegt oftmals ein abweichender kultureller Hintergrund mit stark religiösem Einfluss zugrunde, wobei in diesem Zusammenhang dem islamischen Recht zentrale Bedeutung beizumessen ist. Zwar sind Minderjährigenehen keinesfalls ausschließlich mit dem islamischen 188

Ebenso Möller/Yassari, KJ 2017, 269, 270. 994 im Alter zwischen 16 und 19 Jahren, 120 im Alter zwischen 14 und 16 Jahren und 361 unter 14 Jahren, s. Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland, BTDrs. 18/9595, 21. 190 Die Zahl der minderjährigen Ehegatten unter 14 betrug 384, davon waren 204 männlichen, 176 weiblichen und 4 unbekannten Geschlechts, s. Möller/Yassari, KJ 2017, 269, 270 m. Fn. 6. 191 Sehr kritisch Lambertz, Child marriages and the law – with special reference to swedish developments, in: The Childs Interests in Conflict, 2016, 85, 89. 192 Minderjährigenehen dürfen daher nicht „über einen Leisten geschlagen werden“, die Analyse des Einzelfalls ist also „unabdingbar“, s. Deutsche Gesellschaft für Psychologie, Stellungnahme – Minderjährigenehe – 1 BvL 7/18, 21.1.2020, 5 f. 189

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Kulturkreis verknüpft.193 Das Eherecht der islamischen Staaten stellt aber insoweit eine besonders relevante Fallgruppe dar, als dass es sich bei den meisten der in Deutschland anzutreffenden minderjährigen Ehegatten um ausländische Staatsangehörige entweder aus EU-Staaten oder aus islamischen Ländern handelt.194 Vor Inkrafttreten des KEhenBekG war Syrien das Hauptherkunftsland der Migranten, die vor Erreichen der Volljährigkeit geheiratet haben195, dicht gefolgt von Afghanistan und Irak.196 1. Rechtsnatur Wegen seiner religiösen Natur könnte man gegen die Bewertung des traditionellen islamischen Rechts als „Recht“ in unserem Sinne Bedenken erheben. Zweifelsohne handelt es sich nach seinem eigenen Selbstverständnis um außerstaatliches Recht, da es nach islamischer Denkweise von Gott geschaffen und im Laufe der Jahrhunderte von der im jungen islamischen Staatswesen allmählich erstarkenden Rechtswissenschaft (sog. fiqh) zu einem vielschichtigen System fortgebildet wurde.197 Als allgemeine Bezeichnung für dieses normative System an religiös-rituellen Vorschriften und sozialpolitischen Regeln hat sich in der Gesellschaft der dem Koran als heiligem Offenbarungswerk des Islam entnommene Begriff sharı¯’a (arab. der „gebahnte Weg“; vgl. Sure 45,1) etabliert.198 In vielen 193 So auch Wodon, The Review of Faith & International Affairs 13 (2015), 81 f.; abstellend auf „religious beliefs“: Behrouz, Columbia Law Review 103 (2003), 1136 f.; Parsons/Edmeades/Kes u. a., The Review of Faith & International Affairs 13 (2015), 12, 13; Büchler/Schlatter, EJIMEL 1 (2013), 37, 44. 194 So auch die Ergebnisse der Gesamtevaluierung, s. Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Gesamtauswertung zur Evaluierung des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen, 14.8.2020, 24. Zum 31.10.2019 waren im Ausländerzentralregister noch 162 Minderjährige mit dem Familienstatus „verheiratet“ in Deutschland aufhältig. Davon hatten 70 die bulgarische, 25 die syrische und 14 die rumänische Staatsangehörigkeit, s. Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland, BT-Drs. 19/ 15722, 2. 195 Antwort auf die Frage der Abgeordneten Dörner (Bündnis90/Die Grünen), Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland, BT-Drs. 18/9595, 21. 196 Beide Länder weisen eine hohe Minderjährigenehenquote auf: 28 % der 20–24jährigen Frauen haben im Alter von unter 18 Jahren geheiratet, s. Daten in Fn. 112 (Stand Afghanistan: 2017, Stand Irak: 2018). 197 Scholz, StAZ 2002, 321, 322; genauer dazu: Wodon, The Review of Faith & International Affairs 13 (2015), 81, 84; zur Forschungsgeschichte des Westens hinsichtlich des islamischen Rechts: Khalfaoui, Orientalismus und das islamische Recht, in: Islamisches Recht in Theorie und Praxis, 2016, 17, 24 ff. Die Rechtswissenschaft wird von den Gelehrten (faqı¯h) weiter vorangetrieben, wobei je nach Ausrichtung zwischen verschiedenartigen sunnitischen und schiitischen Rechtsschulen unterschieden wird, s. Pauli, Islamisches Familien- und ErbR, 5 ff.; Vikør, Between God and the Sultan, 94 ff.; Behrouz, Columbia Law Review 103 (2003), 1136, 1146 ff.; Arshad, Islamic Family Law, 28 ff.; Ebert/Heilen, Islamisches Recht – Ein Lehrbuch, 28 ff.; Büchler/Schlatter, EJIMEL 1 (2013), 37, 38 f. 198 Bleisch Bouzar, Islamisches Recht, in: Religionsrecht – Eine Einführung in das jüdische, christliche und islamische Recht, 2010, 253, 260.

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islamischen Ländern ist die Forderung nach Einführung der sharı¯’a zu einem politischen Kampfbegriff mutiert, weshalb der Terminus auch hierzulande verstärkt mit negativer Konnotation versehen in die öffentliche Wahrnehmung gerückt ist. Vom Kopftuch über Gebetsrufe bis hin zu Schächtung erzeugt der Islam in unserem dem christlich abendländischen Kulturkreis angehörenden Land noch immer die Assoziation einer fremdartigen, rückwärtsgewandten religiösen Bedrohung, die die Verdrängung europäischer Werte zum Ziel hat und eine unaufhaltsame Übertragung eines tradierten Verständnisses von Recht und Ordnung mit sich bringt.199 Auch wer auf dem Gebiet des islamischen Rechts nicht bewandert ist, hat meist recht präzise, vorurteilsbehaftete Vorstellungen davon: Die in der Rechtsprechung islamischer Länder auffälligen drakonischen Strafsanktionen wie Auspeitschen, Steinigen etc. bestätigen die angebliche Konservierung einer rückständigen Rechtsauffassung und ergänzen das Bild vom als antiquiert und primitiv empfundenen Orient. Allerdings erweisen sich diese (rechtspolitischen) Unterstellungen im Zusammenhang mit der Frage nach der Einstufung als Recht nicht als hilfreich. Zunächst verbietet es sich, das klassische islamische Recht als solches außerhalb des jeweiligen staatlichen Regelungskontexts zum Ausgangspunkt dieser Betrachtung zu nehmen.200 Trotz gemeinsamer Wurzeln im traditionellen islamischen Recht unterscheiden sich die heutigen islamisch geprägten Rechtsordnungen deutlich voneinander.201 In diesem Sinne haftet jeder Rechtsordnung eine spezifische, individuelle Prägung islamischen Rechts an, sodass der Fokus auf das jeweilige staatlicherseits anerkannte nationale Recht als säkularisierte Ausgestaltung der religiösen Normen zu legen ist.202 Von entscheidender Bedeutung für die Qualifizierung als „Recht“ im Sinne einer staatlichen Rechtsordnung ist demnach, dass das islamische Recht innerhalb der entsprechenden Staatengemeinschaften als verbindlich anerkannt ist, indem es in staatliche Gesetze gegossen oder allgemein bzw. hilfsweise für anwendbar erklärt wurde.203 Mögen die 199 Khalfaoui, Einführung, in: Islamisches Recht in Theorie und Praxis, 2016, 9; zu dieser Problematik auch: Ucar, ’Insidad bab al-igtihad: Einige Notizen zum Verhältnis von ’igtihad und taqlid, in: Islamisches Recht in Theorie und Praxis, 2016, 41. 200 Vgl. Rohe, StAZ 2000, 161, 164. So ist strikt zwischen dem islamischen Recht und der konkreten Rechtsordnung zu trennen, s. insb. Peters, Islam and Christian-Muslim Relations 10 (1999), 5, 6 f.; vgl. ebenso Büchler, Islamic law in Europe?, 10; Rohe, StAZ 2006, 93, 94; Busch, NJ 2011, 102, 104; Wodon, The Review of Faith & International Affairs 13 (2015), 81, 83; zum Verhältnis allgemein: An-Na’im, Modern Law Review 73 (2010), 1 ff. 201 S. Rohe, StAZ 2006, 93, 94. Genauer zum „Binnenpluralismus“ des islamischen Rechts, s. Schneider, Islamisches Recht zwischen göttlicher Satzung und temporaler Ordnung? Überlegungen zum Grenzbereich zwischen Recht und Religion, in: Recht und Religion in Europa – Zeitgenössische Konflikte und historische Perspektiven, 2008, 138, 172 ff. 202 So auch Rohe, Der Islam in Deutschland, 231. 203 Vgl. Scholz, HFR 2011, 24, 25.

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Unterschiede zum säkularen Recht westlicher Prägung auch gewaltig sein, in seiner konkreten Ausgestaltung erfüllt das islamische Recht dort, wo es angewandt wird, die Funktion einer Rechtsordnung, die nach eigenen Gerechtigkeitserwägungen zwischenmenschliche Beziehungen normiert und vor Übergriffen schützen soll.204 Dabei gibt es Rechtsgebiete wie das Familien- und Erbrecht, die besonders starke Bezüge zum klassischen islamischen Recht aufweisen. So bestimmt die in vielen Rechtsordnungen205 als Quelle der Rechtsschöpfung ausdrücklich erwähnte sharı¯’a auch heute noch in breitem Umfang den Inhalt der familienrechtlichen Kodifikationen, die grundsätzlich die Regelungen der jeweils vorherrschenden Rechtsschule wiedergeben.206 Unter diesen Voraussetzungen stehen auch der Heranziehung originär religiöser Normen des Auslands durch inländische Gerichte im Wege des internationalen Privatrechts keine Hindernisse entgegen.207 Auf diese Frage wird noch einmal etwas ausführlicher zurückzukommen sein.208 2. Grundlagen des islamischen Ehe- und Familienrechts Das geltende Eherecht der islam-rechtlich ausgerichteten Staaten zählt zusammen mit dem Erbrecht also zu den weitgehend von der sharı¯’a bestimmten Rechtsmaterien209, wobei etwaige Reformen die prinzipielle Gültigkeit dieser Basis niemals fundamental in Frage gestellt haben.210 Das bis heute den Grundlinien des klassischen islamischen Rechts folgende Rechtsgebiet wird vornehmlich durch die traditionelle Verteilung der Geschlechterrollen bestimmt.211 Die Ehefrau schuldet ihrem Ehemann Gehorsam und die Erfüllung der ehelichen Pflichten, während der Ehemann verpflichtet ist, der Frau Unterkunft zu gewähren und sie zu unterhalten.212 Diese patriarchalischen Grundsätze gelten in na204 Vgl. Rohe, Scharia und deutsches Recht, in: Christentum und Islam in Deutschland, 2015, 194, 207. 205 So auch im Beispielland Syrien („Islamic jurisprudence shall be a major source of legislation“, Art. 3 der syrischen Verfassung, s. Constitution of the Syrian Arab Republic vom 13.3.1973, abrufbar in engl. Spr. unter https://www.constituteproject.org/ constitution/Syria_2012.pdf?lang=en). 206 Vgl. Yassari, FamRZ 2011, 1, 2. 207 Dies betont auch Rohe, Der Islam in Deutschland, 230. 208 S. hierzu genauer Kap. 2 B. IV. 1. 209 Ders., Das islamische Recht, 23; Pauli, Islamisches Familien- und ErbR, 5; Vikør, Between God and the Sultan, 299; vgl. a. Koch, Die Anwendung islamischen Scheidungs- und Scheidungsfolgenrechts im Internationalen Privatrecht der EU-Mitgliedstaaten, 32. 210 So Schirrmacher, Die Frage der Freiwilligkeit der islamischen Eheschließung, 34. 211 van Eijk, Family law in Syria, 100 f.; Vikør, Between God and the Sultan, 299; den Schutzaspekt betonend: Büchler, Islamic law in Europe?, 11; vgl. Rabo, Syrian Transnational Families and Family Law, in: From transnational relations to transnational laws: Northern European laws at the crossroads, 2011, 29, 32, 34. 212 Peters, Islam and Christian-Muslim Relations 10 (1999), 5, 11 f. Zu den ehelichen Pflichten der Eheleute im syrisch-islamischen Recht, s. van Eijk, Family law in Syria,

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hezu allen islamischen Ländern, die keine ausdrückliche Abwendung vom Islam in ihrer Rechtsordnung vollzogen haben (wie die Türkei213).214 Die Ehe bildet nach der sharı¯’a den Mittelpunkt des Familienrechts und ist somit im islamischen Recht von herausragender Bedeutung. Sie verkörpert angesichts der Funktion der Familie als Kernbereich des sozialen und sexuellen Lebens den von jedem Muslim erstrebten Idealzustand, in dem man sich als Mensch entfalten und einen Beitrag zum Bestand der islamischen Gemeinde leisten kann.215 Ihre Schließung vollzieht sich nach islamischer Vorstellung mittels zivilrechtlichen Vertrags (nika¯h).216 Dieser kommt durch Angebot (ïg˘a¯b) und Annahme (qabu¯l) in Anwesenheit der Verlobten oder ihrer Vertreter zur Eheschließung vor Zeugen zustande.217 Als Zeugen können zwei Männer oder ein Mann und zwei Frauen bestimmt werden, die geistig gesund, volljährig und muslimischen Glaubens sein müssen.218 Geboten ist nach islam-rechtlichen Gepflogenheiten ferner die Vereinbarung einer Brautgabe (mahr), die der Bräutigam seiner Braut anlässlich der Eheschließung in Form von Geld oder anderen übertragbaren Vermögenswerten gewährt.219 Was den Eintritt der Ehefähigkeit betrifft, wurde im Koran220 kein

116 ff.; speziell zur Unterhaltspflicht des Ehemannes: Nasir, The Islamic Law of Personal Status, 97 ff. 213 Die Türkei hat ihr Rechtssystem 1926 unter Mustafâ Kemâl Pas ¸a (Atatürk) mit ˙˙ der Übernahme des schweizerischen Zivilgesetzbuchs vollständig säkularisiert, s. dazu eingehend Vasella, 90 Jahre Rezeption des Schweizer ZGB und OR in der Türkei – Die schweizerische Privatrechtskodifikation und ihr Einfluss auf Wertediskussionen im islamischen Rechtskreis, in: Werte im Recht – das Recht als Wert, 2018, 239 ff. 214 Vgl. Rohe, Das islamische Recht, 24; zu den Reformen in Ländern des Nahen Ostens: s. Foblets, Introduction: new family law codes in Middle Eastern countries: reforms that are faithful to Islamic tradition?, in: Changing Gods Law: the dynamics of Middle Eastern family law, 2016, 1, 5 ff. 215 Scholz, StAZ 2002, 321; zur Bedeutung der Ehe eingehend: Yassari, FamRZ 2011, 1 ff. 216 Rauscher, Sharia, 31 ff.; ders., StAZ 1985, 101, 103; Busch, NJ 2011, 102, 109; Mahmood/Mahmood, Introduction to Muslim Law, 132; Arshad, Islamic Family Law, 41 ff. 217 Black/Esmaeili/Hosen, Modern perspectives on islamic law, 115 f.; Mahmood/ Mahmood, Introduction to Muslim Law, 132 f.; Ebert/Heilen, Islamisches Recht – Ein Lehrbuch, 151. Das schiitische Recht verzichtet jedoch auf das Erfordernis der Anwesenheit von Zeugen, s. Yassari, FamRZ 2011, 1, 2; Mahmood/Mahmood, Introduction to Muslim Law, 132. 218 Rauscher, Sharia, 33 f.; Arshad, Islamic Family Law, 51; Nasir, The Islamic Law of Personal Status, 56 f.; Brozzo, Die Eheschliessung im islamischen und jüdischen Recht, 36; Ebert, Das Personalstatut arabischer Länder – Problemfelder, Methoden, Perspektiven, 89 f. 219 Mahmood/Mahmood, Introduction to Muslim Law, 146 ff.; Nasir, The Islamic Law of Personal Status, 83 ff.; Rauscher, Sharia, 79 ff.; dazu a. eingehend: Nasir, The Status of Women under Islamic Law and Modern Islamic Legislation, 87 ff.; zur Morgengabe im syrisch-islamischen Recht: Sabuni/Wiedensohler, Die Welt des Islams 20 (1980), 146, 153 ff.; zur Einbettung der Brautgabe in das deutsche Kollisions- und Sachrecht, s. Yassari, IPRax 2011, 63 ff.

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spezifisches Mindestalter für Eheschließungen niedergelegt. In Entsprechung zu der frühen römischen Rechtsüberzeugung knüpften die verschiedenen Rechtsschulen des traditionellen Islams für die Ehemündigkeit an die Geschlechtsreife an, die sich nach außen hin in den wachsenden Anzeichen körperlicher Entwicklung und Reife manifestiert.221 Als frühesten Zeitpunkt vorhandener Geschlechtsreife hat man bei Mädchen das neunte, bei Jungen das zwölfte Lebensjahr ausgemacht.222 Da bei der Heirat von Minderjährigen ein gesetzlicher Eheschließungsvormund (walı¯ )223 die auf die Eheschließung gerichtete Willenserklärung abgeben kann, zählt die geistige Reife nicht als ausschlaggebendes Kriterium. Die Einzelheiten der Eheschließungsvoraussetzungen sind durch die Notwendigkeit der Interpretation islamischen Rechts sehr vielseitig und hängen regional von den ehe- und familienrechtlichen Gegebenheiten in den verschiedenen Ländern ab.224 Insgemein liegt das Ehemündigkeitsalter wesentlich unter dem in Deutschland nunmehr geltenden ausnahmslosen Ehemündigkeitsalter von 18 Jahren.225 Zu beachten ist ferner, dass in nahezu allen Familienrechtssystemen des Nahen Ostens eine interpersonale bzw. interreligiöse Rechtsspaltung vorherrscht, also keine einheitliche Privatrechtsordnung existiert, sondern das Recht nach den verschiedenen Glaubensrichtungen divergiert. Bei einer Verweisung des deutschen IPR auf einen solchen Staat findet nach Art. 4 Abs. 3 EGBGB diese interpersonale Rechtsspaltung Beachtung.

220 Arab. Qurân bedeutet Vortrag oder Lesung, s. genauer Schöller, Koran, in: Kleines Islam-Lexikon, 5. Aufl., 2008; Bsoul, Formation of the Islamic jurisprudence, 16 ff. 221 Black/Esmaeili/Hosen, Modern perspectives on islamic law, 116; der Wille, ein festes Ehefähigkeitsalter zu etablieren, ist begrenzt, s. anhand des Beispiels islamischer Gelehrter in Nigeria: Walker, Review of Faith and International Affairs 13 (2015), 48, 57. 222 Mahmood/Mahmood, Introduction to Muslim Law, 134; Spectorsky, Women in Classical Islamic Law, 64 f.; Scholz, StAZ 2002, 321, 327; Soleimankehl-Hanke, Afghanistan zwischen Islam und Gleichberechtigung, 82; Brozzo, Die Eheschliessung im islamischen und jüdischen Recht, 25; Büchler/Schlatter, EJIMEL 1 (2013), 37, 40; vertiefend hierzu Engelcke/Krell/Yassari, Die Frühehe in ausgewählten islamischen Ländern, in: Die Frühehe im Recht, 2021, 269, 291 m. Fn. 127 und 128. 223 Der Eheschließungsvormund wird für gewöhnlich immer für die Braut tätig, vgl. Spectorsky, Women in Classical Islamic Law, 63 ff.; Ebert, Das Personalstatut arabischer Länder – Problemfelder, Methoden, Perspektiven, 96. 224 So auch Rohe, StAZ 2000, 161, 164; vgl. a. Büchler/Schlatter, EJIMEL 1 (2013), 37, 38. Einen Gesamtüberblick über die Regelungen zur Ehemündigkeit in den islamisch geprägten Rechtsordnungen geben Nasir, The Islamic Law of Personal Status, 50 f.; Möller/Yassari, KJ 2017, 269, 271 ff. und insbesondere Engelcke/Krell/Yassari, Die Frühehe in ausgewählten islamischen Ländern, in: Die Frühehe im Recht, 2021, 269, 292 ff.; s. a. die kurzen Ausführungen hierzu von Black/Esmaeili/Hosen, Modern perspectives on islamic law, 117. 225 Lentz, FuR 2017, 597, 600 m. Fn. 42.

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3. Länderstudien a) Syrien In Syrien besteht kein einheitliches familienrechtliches Rechtssystem, sondern eine interreligiöse Spaltung des Rechts des Personalstatuts.226 Das Hauptgesetzeswerk, in dem sich die Regelungen zu familien- und erbrechtlichen Angelegenheiten finden, ist das vornehmlich auf der Rechtsschule der Hanafiden gegründete Gesetz Nr. 59 über das Personalstatut (Quanun al-Ahwal al-Shakhisyya) vom 17.9.1953.227 Diese Kodifikation gilt für alle syrischen Staatsangehörigen jedweden Bekenntnisses, lässt aber insbesondere auf den Feldern der Ehe und Familie für Drusen, Juden und Christen spezielle Ausnahmeregelungen zu (Artt. 307, 308 syr. PStG).228 Diese Weiterverweisung auf die interreligiös begrenzt geltenden Teilrechtsordnungen haben die deutschen Gerichte nach Art. 4 Abs. 3 S. 1 EGBGB zu beachten.229 Die nach klassischem islamischen Recht übliche Einordnung der Ehe als Vertrag zwischen Mann und Frau unter Anwesenheit bestimmter Zeugen findet sich in Art. 1 und Art. 12 syr. PStG. Nach dem syrischen Eheschließungsrecht setzt die Ehefähigkeit seit einer Gesetzesreform im Februar 2019 neben der geistigen Gesundheit (’aql) und Geschlechtsreife (bulu¯gh) nach Art. 15 Abs. 1 syr. PStG grundsätzlich die Vollendung des 18. Lebensjahres bei Mann und Frau voraus (Art. 16 syr. PStG).230 Insofern besteht im Hinblick auf die Ehemündigkeit kein Unterschied mehr zum deutschen Recht. Gewaltige Differenzen tun sich jedoch hinsichtlich der Ausgestaltung der Befreiungsmöglichkeiten vom Volljährigkeitserfordernis auf: Der zuständige Familienrichter kann nach Art. 18 Abs. 1 syr. PStG die Genehmi226 Instruktiv Forschungsgruppe Das Recht Gottes im Wandel – Rechtsvergleichung im Familien- und Erbrecht islamischer Länder, Zum gegenwärtigen Stand der Rechtsordnung und des Familienrechts in Syrien. 227 van Eijk, Divorce practices in muslim and christian courts in Syria, in: Family law in Islam, 2012, 147 f. m. kurzer Begründung in Fn. 2; An-Na’im, Islamic Family Law in a Changing World, 138 f.; Sabuni/Wiedensohler, Die Welt des Islams 20 (1980), 146; Rabo, Syrian Transnational Families and Family Law, in: From transnational relations to transnational laws: Northern European laws at the crossroads, 2011, 29, 32. Die Vorschriften des syr. PStG sind einsehbar bei Yassari/Krell, Eherechtliche Bestimmungen im syrischen Personalstatutsgesetz v. 1953 (PSG) – Länderbericht Syrien, in: Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, 51 ff. 228 S. van Eijk, Divorce practices in muslim and christian courts in Syria, in: Family law in Islam, 2012, 147, 151. Einen Überblick über die Regelungen gibt dies., Family law in Syria, 3, 57 ff. 229 BGH 11.10.2006, Az. XII ZR 79/04, NJW-RR 2007, 145, 146; Staudinger/Mankowski, 15. Aufl., 2010, Vorbemerkungen zu Artikel 13–17b EGBGB Rn. 29. 230 Vorher unterschieden sich die Ehemündigkeitsalter je nach Geschlecht: beim Mann bedurfte es der Vollendung des 18. Lebensjahres, während für die Frau das Erreichen des 17. Lebensjahres gefordert wurde (Art. 16 syr. PStG a. F.). Am 7.2.2019 hob das syrische Parlament mit Änderungsgesetz Nr. 4/19 das Ehefähigkeitsalter an. Allgemein zur Wirksamkeit von Minderjährigen- und Zwangsehen im syrischen Familienrecht: Al-Khazail/Krell, StAZ 2020, 10 ff.

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gung zu einer früheren Eheschließung bereits dann erteilen, wenn die Heiratsaspiranten das 15. Lebensjahr erreicht haben und die Geschlechtsreife sowie die körperliche Maturität der beiden Nupturienten als gegeben anzusehen sind.231 In Art. 18 Abs. 2 syr. PStG wird die islamische Rechtsfigur des walı¯ erwähnt, dessen Zustimmung für die Eheschließung nur dann erforderlich ist, sofern diese Funktion dem Vater oder Großvater der Minderjährigen zukommt. Der walı¯ wird aber auch dann von dem Richter um Stellungnahme gebeten, wenn die Frau nach Vollendung ihres 18. Lebensjahres eine Ehe eingehen möchte (Art. 20 syr. PStG)232. Bei erwachsenen Männern muss er dagegen nicht konsultiert werden, was wiederum die oben angesprochene Differenzierung zwischen den Geschlechtern offenbart. Sollte der Vormund der Ehe nicht widersprechen oder ist sein Widerspruch unbeachtlich, spricht der Richter die Genehmigung unter der Voraussetzung aus, dass zwischen den Ehegatten Ebenbürtigkeit (kafa¯’a)233 herrscht. Bei Vorliegen aller erforderlichen Unterlagen erteilt der Richter gem. Art. 41 syr. PStG seine Zustimmung zur Eheschließung, die letztlich durch den Richter oder einen von ihm ermächtigten Gerichtsassistenten erfolgt (Art. 43 syr. PStG). Die gerichtliche Praxis offenbart eine eindeutige Tendenz, bei Vorliegen der Voraussetzungen die Ausnahmegenehmigung zu erteilen.234 Dahinter steckt die Befürchtung, dass die Ehe andernfalls außergerichtlich geschlossen und in Ermangelung einer formalen Registrierungspflicht235 ohne staatliche Mitwirkung rechtsgültig werden könnte.236 In diesem Falle würde die wirksam zustande ge231 Vor Änderung des syr. PStG betrug das Mindestalter für die Dispenserteilung der künftigen Ehefrau 13 Jahre (Art. 18 Abs. 1 syr. PStG a. F.). 232 A. A. dagegen bei Shaqfa, sharh ahkam al-ahwal al-shakhsiyya: li-l-muslimin wa-l-nasara wa-l-yahud (Explaining the Law of Personal Status: Muslims, Christians, and Jews), 199, der dafür plädiert, dass erwachsene Frauen auch ohne den Ehevormund die Ehe schließen können, wobei er aber dennoch dessen Hinzuziehung empfiehlt. Übers. bei van Eijk, Family law in Syria, 217. Vor der Gesetzesreform wurde der Ehevormund um Stellungnahme gebeten, wenn die Nupturientin das 17. Lebensjahr vollendet hatte. 233 Zur Ebenbürtigkeit s. Art. 26–32 syr. PStG. 234 Unter Berufung auf die Auskunft eines syrischen Familienrichters: Möller, StAZ 2017, 298, 299 m. Fn. 13; Möller/Yassari, KJ 2017, 269, 273; vgl. a. die Ausführungen zu den unregistrierten Eheschließungen bei van Eijk, Family law in Syria, 144 ff.; zur Gerichtsorganisation in Syrien, s. An-Na’im, Islamic Family Law in a Changing World, 139. 235 Hierzu klarstellend Hessischer Verwaltungsgerichtshof 6.11.2018, Az. 3 A 247/ 17.A, DÖV 2019, 202 f.; VG Berlin 28.9.2018, Az. 3 K 349.16 V, FamRZ 2019, 279, 280. 236 Max-Planck-Institut für Ausländisches und Internationales Privatrecht, RabelsZ 84 (2020), 705, 734 f.; Yassari, FamRZ 2011, 1, 2; Möller/Yassari, KJ 2017, 269, 273; zur Dualität von religiöser Eheschließung und Registrierung im syrischen Familienrecht: Möller, StAZ 2017, 298, 300 f. Das staatliche Recht in Syrien sieht also die Wirksamkeit privater Eheschließungen vor, s. Heiderhoff, in: FS Geimer, 231, 235; zweifelhaft daher OVG Lüneburg 1.2.2005, Az. 2 ME 1326/04, NJW 2005, 1739, 1740, wonach eine nur nach religiösem (islamischen) Ritus geschlossene Ehe nach syrischem Eherecht unwirksam ist. Ist die Ehe aber islamrechtlich wirksam, so wird sie in Syrien auch staatlich anerkannt.

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kommene Ehe nicht staatlich dokumentiert und die Rechtsstellung des Minderjährigen nicht sichergestellt. Betrachtet man die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen die gesetzlichen Altersmindestanforderungen, so trifft man auf bemerkenswerte Gemeinsamkeiten zum deutschen Recht (s. nachfolgende Kap.). So hat die Nichteinhaltung des Ehemindestalters ohne richterliche Befreiung jedenfalls nach der hanafidischen Rechtsschule der Sunniten zur Folge, dass die Ehe bloß fehlerhaft (fa¯sid), also auf Antrag der Parteien aufzuheben, und nicht etwa nichtig (ba¯til) ist, vgl. Art. 48 Abs. 1 syr. PStG.237 Der fehlerhafte Ehevertrag ist jedoch einem nichtigen Ehevertrag, der gem. Art. 50 Abs. 2 syr. PStG keine Rechtswirkungen entfaltet, gleichbedeutend, solange die Beiwohnung nicht stattgefunden hat, Art. 51 Abs. 1 syr. PStG. Zu beachten ist, dass die Unterscheidung zwischen Aufhebbarkeit und Nichtigkeit in der Lehre der shı¯’a aber nicht vorgenommen wird: Mit Ausnahme des förmlichen Verstoßes des Fehlens von Zeugen haben Fehler nach schiitischer Vorstellung die Nichtigkeit der Ehe zur Folge.238 Gem. Art. 40 Abs. 1 syr. PStG ist die Eheabsicht beim Bezirksgericht unter Beibringung der in lit. a–d genannten Unterlagen anzuzeigen. Wurden die dort genannten Formalitäten nicht eingehalten, so kann eine außerhalb des Gerichts geschlossene Ehe nur im Falle der Geburt eines Kindes oder bei offenkundiger Schwangerschaft registriert werden. Die eherechtlichen Regelungen des PStG implizieren zudem, dass mit der Verheiratung eines Minderjährigen das Recht der elterlichen Sorge erlischt. Der Ehemann erlangt mit der Hochzeit nach Art. 305 syr. PStG i.V. m. den Grundsätzen der hanafidischen Rechtsschule das Sorgerecht für seine minderjährige Frau.239 Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, dass für das Familienrecht die klassischen Schariagerichte, die in der Regel mit den säkularen Gerichten interferieren, zuständig sind.240 Trotz der gesetzlichen Mindestaltersbestimmungen zeichnet sich ein klares Muster weit verbreiteter Verheiratung von noch jüngeren Minderjährigen nach islamischem Ritus insbesondere im ländlichen Raum ab.241 Dort besteht aus 237 van Eijk, Family law in Syria, 219. Die Unterschiede werden offenbar bei Mahmood/Mahmood, Introduction to Muslim Law, 131; Brozzo, Die Eheschliessung im islamischen und jüdischen Recht, 38 ff.; Ebert/Heilen, Islamisches Recht – Ein Lehrbuch, 153. Zu den Rechtsfolgen einer fehlerhaften Ehe: Nasir, The Status of Women under Islamic Law and Modern Islamic Legislation, 79. 238 Rauscher, Sharia, 42 m. Fn. 33. Mehr zu den verschiedenen Glaubensrichtungen: Rosiny, izpb 331 (2016), 8, 12 ff.; Nasir, The Islamic Law of Personal Status, 17 ff.; Busch, NJ 2011, 102, 106 ff. 239 Coester, StAZ 2016, 257, 262. 240 Bleisch Bouzar, Islamisches Recht, in: Religionsrecht – Eine Einführung in das jüdische, christliche und islamische Recht, 2010, 253, 310. 241 Dass das Heiratsalter nicht durch das Recht, sondern durch die Praxis geformt wird, bezeugt die Aussage von Ms. Ghanem, s. United Nations Committee on the Elimination of Discrimination Against Women (CEDAW), Summary record of the 785th

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Sorge um einen Ehrverlust oftmals der Wunsch, so früh wie möglich eine Heirat des Kindes als Jungfrau zu arrangieren. Ein weiterer Beweggrund sind die religiös-traditionellen Überzeugungen, die in ländlichen Gegenden oftmals vorherrschen.242 Hinzu tritt, dass die seit 2011 bestehende prekäre politische Lage des Landes, die von Auseinandersetzungen zwischen der Regierung unter Präsident Baschar al-Assad und unterschiedlichen Oppositionstruppen sowie der Bedrohung durch die Terrormiliz des sog. „Islamischen Staates“ (IS) geprägt ist, die flächendeckende Anwendung staatlichen Rechts unmöglich gemacht hat.243 Stattdessen werden viele Ehen nach dem „faktisch installierten Ortsrecht“ geschlossen.244 In den vom IS kontrollierten Gebieten wurde das Ehemündigkeitsalter niedriger angesetzt, als es gewöhnlicherweise in islamisch geprägten Rechtsordnungen der Fall ist.245 Zwar hat der IS mittlerweile die Kapitulation seines „Kalifates“ erklärt und die Kontrolle über seine Territorien verloren246, allerdings ist die Terrorgruppe seit Beginn der Corona-Pandemie, die die volle Aufmerksamkeit der Regierung einnimmt, wieder auf dem Vormarsch.247 Im Allgemeinen finden Minderjährigenehen in Syrien also nicht nur rechtlich, sondern auch in der gesellschaftlichen Wirklichkeit in deutlich erweiterter Form Anerkennung als hierzulande. b) Afghanistan Auch in Afghanistan besitzen die gesetzlichen Bestimmungen einen deutlich religiösen Einschlag. Darauf deutet bereits der erste Artikel der afghanischen Verfassung vom 26.01.2004248 hin, der den Staat als islamische Republik ausweist. In Art. 2 wird der Islam zudem als die offizielle Religion bezeichnet, und nach Art. 130 sind die hanafidischen Rechtsgrundsätze bei gerichtlichen Verfahren innerhalb der von der Verfassung geregelten Grenzen subsidiär heranzuziehen. Art. 3 statuiert, dass kein Gesetz dem Glauben und den Bestimmungen der meeting – CEDAW/C/SR.785, 18.7.2007, 8. Auch bei den ländlichen Bewohnern in der Provinz Raqqa ist die Verheiratung im Minderjährigenalter üblich, s. Rabo, Change on the Euphrates, 88. Auf alle islamischen Länder bezogen: Lack, StAZ 2013, 275, 280; dazu a. van Eijk, Family law in Syria, 135 ff. 242 Allgemein zum „Stadt-Land-Gefälle“: Max-Planck-Institut für Ausländisches und Internationales Privatrecht, RabelsZ 84 (2020), 705, 723 ff. 243 S. dazu Forschungsgruppe Das Recht Gottes im Wandel – Rechtsvergleichung im Familien- und Erbrecht islamischer Länder, Das syrische Familienrecht; Möller, StAZ 2017, 298, 302. 244 S. Heiderhoff, in: FS Geimer, 231, 235. 245 Möller, StAZ 2017, 298, 302. 246 Gehlen, Das „Islamische Kalifat“ liegt in Trümmern, Frankfurter Rundschau, 14.3.2019. 247 Ders., Schatten von Corona – Der IS kehrt zurück, Frankfurter Rundschau, 14.5.2020. 248 Djelani Davary, Die Verfassung der Islamischen Republik Afghanistan, ZaöRV 2004, 943 ff.

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heiligen Religion des Islam widersprechen darf. Von zentraler Bedeutung für das gesamte geltende Familienrecht ist Art. 2 des afghanischen Zivilgesetzbuches (Madani Qanun) von 1977249, der auf einfachgesetzlicher Ebene zur Schließung von gesetzlichen Regelungslücken den primären Rückgriff auf die hanafidische Rechtsauffassung als subsidiärer Rechtsquelle sicherstellt. Zu beachten bleibt, dass in Angelegenheiten des Personalstatuts eine interreligiöse Rechtsspaltung eingeführt wurde: Während für den Großteil der afghanischen Staatsangehörigen die familienrechtlichen Bestimmungen des vornehmlich den Grundsätzen der hanafidischen Rechtsschule folgenden Zivilgesetzbuchs Anwendung finden, bildet für Angehörige der schiitischen Glaubensgemeinschaft das am 27.7.2009 in Kraft getretene Gesetz über den Personenstand der Schiiten (schiit. PStG)250 die Grundlage für die juristische Beurteilung familienrechtlicher Verhältnisse (Art. 131 afg. Verf.).251 Nach Art. 60 afg. ZGB ist die Ehe ein Vertrag (ezdewa¯g˘), der die Lebensgemeinschaft zwischen Mann und Frau zum Zwecke der Familiengründung erlaubt und Rechte und Pflichten begründet.252 Die Ehemündigkeit tritt gem. Art. 70 afg. ZGB bei Männern mit Vollendung des 18., bei Frauen mit Vollendung des 16. Lebensjahres ein. Hat das Mädchen die Altersgrenze nicht erreicht, kann die Eheschließung nur durch den verfügungsberechtigten Vater oder hilfsweise das zuständige Gericht als Vormund erfolgen. Eheschließungen von Mädchen unter 15 Jahren sind indes gänzlich untersagt (Art. 71 Abs. 2 afg. ZGB). Wie im syrischen Recht ist eine vor Erreichen des Ehemündigkeitsalters geschlossene Ehe fehlerhaft und mithin auf Antrag aufhebbar.253 In diesem Zusammenhang ist allerdings Art. 108 der afghanischen Zivilprozessordnung254 von ausschlaggebender Bedeutung, wonach der Antrag auf Aufhebung wegen Ehemündigkeit im Zeitpunkt der Eheschließung nach Vollendung des 17. Lebensjahres der Ehefrau nicht mehr gestattet ist und damit nachträglich eine gesetzliche Fiktion der Zustimmung zur Eheschließung erfolgt.255 Die Fähigkeit zur Eingehung einer Ehe setzt weiterhin die geistige Gesundheit und die Ehefähigkeit der Parteien voraus.

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Abschnittweise einsehbar bei Ebert/Rasul, Länderbericht Afghanistan, in: Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, S. 43 ff. 250 Nur in engl. Übers. bereitgestellt von der United States Agency for International Development (USAID), Shia Personal Status Law, abrufbar unter http://www.refworld. org/pdfid/4a24ed5b2.pdf. 251 Rastin-Tehrani, Afghanisches Eherecht mit rechtsvergleichenden Hinweisen, 57. 252 Ibid., 85. 253 Rastin-Tehrani/Yassari, Max Planck Manual on Family Law in Afghanistan, 2012, 34. 254 Civil Procedure Code Afghanistan Democratic Republic 1990 vom 22.8.1990, abrufbar in engl. Spr. unter http://www.asianlii.org/af/legis/laws/cpc1990169/. 255 Rastin-Tehrani, Afghanisches Eherecht mit rechtsvergleichenden Hinweisen, 100.

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Kap. 1: Minderjährigenehen in Geschichte und Gegenwart

Auch im schiitischen PStG beträgt das Ehemündigkeitsalter bei Mädchen 16 und bei Jungen 18 Jahre (Art. 99 Abs. 1 schiit. PStG). Vor Erreichen des vorgeschriebenen Mindestalters ist eine Eheschließung nur zulässig, wenn vor Gericht durch den gesetzlichen Vormund nachgewiesen wird, dass das Pubertätsalter und die Ehefähigkeit erreicht sind sowie die konkrete verfrühte Eheschließung zum Wohle der Partei ist. Während im ZGB nur bei geschäftsunfähigen oder beschränkt geschäftsfähigen Personen die Einbestellung eines gesetzlichen Vormunds256 (walı¯) verlangt wird, ist nach Art. 102 Abs. 1 schiit. PStG stets die Erlaubnis des gesetzlichen Vormunds einzuholen, wenn es sich bei der eheschließenden Frau um eine Jungfrau handelt. Die Umgehung der gesetzlichen Mindestaltersgrenzen durch die gängige Praxis der Kinderehen stellt insbesondere in den ländlichen Regionen Afghanistans ein Problem gewaltigen Ausmaßes dar.257 Zu honorieren ist jedoch das im Jahr 2009 durch Präsidialdekret erlassene Gesetz zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen, das u. a. Schutz vor der Verheiratung Minderjähriger gewährt.258 Bemerkenswert ist des Weiteren, dass trotz des in Art. 61 afg. ZGB fixierten Registrierungsgebots schätzungsweise nur 5 % der Ehen überhaupt registriert werden.259 c) Irak Im Irak wird die Religion des Islam in Art. 2 der Verfassung260 zur Staatsreligion erhoben und zur Gesetzgebungsgrundlage bestimmt. Die Regeln zur Eheschließung sind im Gesetz Nr. 188 über das Personalstatut von 1959 (Quanun al-Ahwal al-Shakhisyya)261 enthalten; wie in Syrien und Afghanistan sind für die nichtislamische Bevölkerung in familienrechtlichen Fragen die Vorschriften der jeweiligen Religionsgemeinschaft einschlägig.262 256 Zur Vormundschaft eingehend: Soleimankehl-Hanke, Afghanistan zwischen Islam und Gleichberechtigung, 47 ff. 257 Rastin-Tehrani, Afghanisches Eherecht mit rechtsvergleichenden Hinweisen, 104; Rastin-Tehrani/Yassari, Max Planck Manual on Family Law in Afghanistan, 2012, 36; genauer dazu: Yassari, Legal Pluralism and Family Law – An Asessment of the Current Situation in Afghanistan, in: The Sharia in the Constitutions of Afghanistan, Iran and Egypt – Implications for Private Law, 2005, 45, 50 ff.; Büchler/Schlatter, EJIMEL 1 (2013), 37, 67 f.; s. bereits Rastin-Tehrani, RabelsZ 71 (2007), 136, 140 f. 258 Dazu a. Büchler/Schlatter, EJIMEL 1 (2013), 37, 69. 259 Dies., EJIMEL 1 (2013), 37, 70; Schneider, ASIEN 2007, 106, 112, 115. 260 Abrufbar in engl. Spr.: Iraqi Constitution vom 15.10.2005, abrufbar unter http:// www.wipo.int/wipolex/en/text.jsp?file_id=230000. 261 S. Löschner, Länderbericht Irak, in: Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, 10 ff. 262 Zur religiösen Rechtsspaltung im irak. PStG, s. Ebert, Zum Personalstatut im Irak: Besonderheiten und Perspektiven, in: Beiträge zum Islamischen Recht V, 2006, 85, 95 ff.

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Die Vertragsnatur der Ehe ergibt sich aus Art. 3 Abs. 1 irak. PStG. Um die vornehmlich in den ländlichen Gegenden des Irak vorherrschenden Ehen von Minderjährigen einzudämmen, wurde das Heiratsmindestalter für Männer und Frauen auf 18 Jahre festgelegt, wobei die Vollendung des 15. Lebensjahres die Möglichkeit einer gerichtlichen Genehmigung eröffnet, sofern die körperliche Reife und Eignung sowie die Zustimmung des Ehevormundes gegeben sind (§§ 7, 8 irak. PStG). Ein eventueller Einwand des Ehevormundes kann vom Familienrichter zudem als unangemessen und damit irrelevant eingeordnet werden. Nach § 9 irak. PStG ist die Schließung von Zwangsehen ausdrücklich untersagt.263 Eine entgegen § 9 irak. PStG geschlossene Ehe ist allerdings nur dann nichtig, wenn der Vollzug noch aussteht. Die Registrierung einer Ehe ist verpflichtend, eine Eheschließung außerhalb des Gerichts kann eine Gefängnis- oder Geldstrafe nach sich ziehen (§ 10 Nr. 5 irak. PStG).264 Gleichwohl ist die Registrierung nicht konstitutiver, sondern rein deklaratorischer Natur.265 Der Verstoß gegen das Erfordernis der Ehemündigkeit berührt nicht die Ehewirksamkeit, sondern führt lediglich zur Aufhebbarkeit der Ehe (Art. 40 irak. PStG).266 Das Volljährigkeitsalter wird in Art. 106 irak. ZGB auf 18 Jahre festgesetzt, allerdings folgt das irakische Eherecht dem Grundsatz „Heirat macht mündig“: Wer das 15. Lebensjahr vollendet und mit Genehmigung des Gerichts geheiratet hat, gilt nach Art. 3 Abs. 1 lit. a 2. HS Gesetz 78/1980 über den Schutz Minderjähriger (MSchG)267 als vollständig „geschäftsfähig“.268

263 Das Verbot wird allerdings durch die Möglichkeit der Stellvertretereheschließung umgangen, wie die Entscheidung des schwedischen Berufungsgerichts für Migration vom 5. März 2012 (Kammarrätten i Stockholm, Migrationsöverdomstolen 5.3.2012, Az. UM 6327-11, MIG 2012:4; auf engl. beschrieben bei Mustasaari, Child & Fam. L. Q. 26 (2014), 261, 264 ff. m. Fn. 8) offenbart: In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall unterschrieb der Vater den Ehevertrag für seine 15-jährige Tochter, die ihrerseits keine Zustimmung zur Eheschließung erteilt hatte. Im Vorhinein hatte er klargestellt, dass die Unterlassung der Eheschließung ihrerseits gravierende Folgen für sie und andere Familienmitglieder nach sich zöge. 264 An-Na’im, Islamic Family Law in a Changing World, 112. 265 So ausdrücklich OLG Karlsruhe 15.3.2017, Az. 2 UF 236/15, NZFam 2017, 472. 266 OLG Karlsruhe 15.3.2017, Az. 2 UF 236/15, NZFam 2017, 472. 267 Einzusehen in: Löschner, Länderbericht Irak, in: Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht. 268 Unklar bleibt jedoch die Reichweite der Norm. So hat das Revisionsgericht in Bagdad in einer Leitentscheidung aus dem Jahr 2000 klargestellt, dass die Regelung nur für Angelegenheiten im Bereich des Personalstatus gilt, während ein verheirateter Jugendlicher unter 18 Jahren in Bezug auf finanzielle und wirtschaftliche Angelegenheiten weiterhin als Minderjähriger i. S. d. irak. ZGB gilt, s. Forschungsgruppe Das Recht Gottes im Wandel – Rechtsvergleichung im Familien- und Erbrecht islamischer Länder, Irak – Kommentar zum bundesstaatlichen Familienrecht: Die Ehe. Allgemein zur Wirksamkeit von Minderjährigen- und Zwangsehen nach irakischem Familienrecht, s. AlKhazail/Krell, StAZ 2020, 10 ff.

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Kap. 1: Minderjährigenehen in Geschichte und Gegenwart

III. Der Kampf gegen Minderjährigenehen als internationale Bestrebung „Clearly an accelerated effort to impede child marriage is needed, and that acceleration must be targeted to those nations and groups disproportionately affected by the practice.“ 269

Seit den sechziger Jahren sind Minderjährigenehen Gegenstand internationaler Menschenrechtsabkommen. Die Vereinten Nationen haben in ihren Konventionen bzw. Resolutionen anfangs indes keine strengen Altersgrenzen fixiert. Das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Erklärung des Ehewillens, das Heiratsmindestalter und die Registrierung von Eheschließungen vom 7.11.1962270 (Ehewille-UNÜ) schützt das Recht auf Zustimmung zur Ehe und verurteilt Kinderehen allgemein. Es enthält keine Altersregulierung, sondern fordert die Mitgliedstaaten in Art. 2 zur gesetzlichen Etablierung eines Eheschließungsmindestalters auf. Die entsprechende Empfehlung vom 1.11.1965 enthält dagegen die Aufforderung an die Mitgliedstaaten, bei der Bestimmung des Heiratsmindestalters „in keinem Fall“ die Mindestaltersgrenze von 15 Jahren zu unterschreiten, wobei dabei eine Befreiungsmöglichkeit zugelassen wird.271 Auch Art. 16 Abs. 2 des Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau vom 18.12.1979 (CEDAW)272 besagt, dass die Verlobung und Eheschließung von Kindern keine Rechtswirksamkeit entfalten und alle erforderlichen Maßnahmen, einschließlich der gesetzlichen Bestimmungen getroffen werden sollen, um ein Mindestalter für die Eheschließung festzulegen und die Eintragung von Ehen in ein amtliches Register zu erzwingen. In den Allgemeinen Empfehlungen des CEDAW-Ausschusses zur Gleichberechtigung in der Ehe und in den Familienbeziehungen von 1994 wird den Ländern ein Minimumheiratsalter von 18 Jahren für beide Geschlechter angeraten.273 Die UN-KRK definiert in ihrem Art. 1 als Kind jede Person unter 18 Jahren und bestimmt in Art. 3 das Wohl des Kindes als vorrangig zu berücksichtigenden Faktor in allen das Kind betreffenden Maß269 Raj/Jackson/Dunham, Girl Child Marriage: A Persistent Global Womens Health and Human Rights Violation, in: Global Perspectives on Women’s Sexual and Reproductive Health Across the Lifecourse, 2018, 3, 4. 270 S. Gesetz zu dem Übereinkommen vom 10. Dezember 1962 über die Erklärung des Ehewillens, das Heiratsmindestalter und die Registrierung von Eheschließungen vom 7.2.1969, BGBl. 1969 Teil II, 161 ff. 271 Generalversammlung der Vereinten Nationen, Empfehlung über die Erklärung des Ehewillens, das Heiratsmindestalter und die Registrierung von Eheschließungen – Resolution 2018 (XX), 1.11.1965, 2, Grundsatz II. 272 Gesetz zu dem Übereinkommen vom 18. Dezember 1979 zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau vom 25.4.1985, BGBl. 1985 Teil II, 647 ff. 273 United Nations Committee on the Elimination of Discrimination Against Women (CEDAW), CEDAW General Recommendation No. 21: Equality in Marriage and Family Relations, 1994, 8. Dieselbe Empfehlung tätigte die Organisation of African Unity (heute African Union), African Charter on the Rights and Welfare of the Child – OAU Doc. CAB/LEG/24.9/49, in Kraft getreten am 29.11.1999, in Art. 21, S. 10.

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nahmen. Auch in der von den Komitees der CEDAW und der UN-KRK gemeinsam erlassenen Empfehlung274 wird die Kinderehe als ein Beispiel schädlicher Praktiken genannt, zu deren Beseitigung in den nationalen Gesetzgebungen ausdrücklich aufgerufen wird.275 Mittlerweile herrscht auf globaler Ebene Einigkeit über die schädlichen Auswirkungen von Minderjährigenehen276, sodass sie pauschal als Verstoß gegen die Menschenrechte angesehen werden.277 Bereits 2005 zeigte sich der Europarat „tief besorgt“ über die durch Zwangsehen und Kinderehen zu beklagenden Menschenrechtsverletzungen und legte den Mitgliedsländern eindringlich nahe, in den nationalen Gesetzgebungen ein Mindestalter von 18 Jahren zu verankern.278 Des Weiteren wurden die Staaten dazu ermutigt, von der Anerkennung im Ausland geschlossener Kinder- und Zwangsehen abzusehen, wobei jedoch das Kindeswohl im Hinblick auf die Wirkungen und Absicherungen aus der Ehe zu beachten ist.279 2018 wurden „Zwangsverheiratung und Kinderehen“ durch die Parlamentarische Versammlung des Europarats verurteilt und die Mitgliedstaaten erneut zur Umsetzung der Resolution aus dem Jahre 2005 aufgefordert.280 Am 25. September 2015 beschlossen die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen die Ziele für nachhaltige Entwicklung, bestehend aus 169 konkreten Zielvorgaben zur Herstellung von Gesundheit, Frieden und Gerechtigkeit, deren erklärte Mission unter anderem die weltweite Eliminierung von Kinderehen bis 2030 ist.281 Auch das Europäische Parlament hat sich in einer Entschließung vom 4. Oktober 2017 eindeutig gegen Minderjährigenehen ausgesprochen und konkrete Maßnah274 United Nations Committee on the Elimination of Discrimination against Women (CEDAW)/Committee on the Rights of the Child, Joint general recommendation/general comment No. 31 of the CEDAW/No. 18 of the CRC on harmful practices, 2014, 7 f. 275 Zu weiteren Abkommen, in denen die Minderjährigenehe einen Bestandteil bildet, s. Wijffelman, NQHR 35 (2018), 104, 108 ff. 276 Choudhury/Erausquin/Withers (Hrsg.), Global Perspectives on Women’s Sexual and Reproductive Health Across the Lifecourse, 2018, 3 f.; van Coller, International Journal of Law, Policy and the Family 31 (2017), 363. 277 Parsons/Edmeades/Kes u. a., The Review of Faith & International Affairs 13 (2015), 12; Nour, Reviews in Obstetrics and Gynecology 2 (2009), 51 f.; Raj, Arch Dis Child 95 (2010), 931. 278 Parlamentarische Versammlung des Europarats, Resolution 1468 (2005) on Forced Marriages and Child Marriages, 5.10.2005, Punkte 1., 7., 14.2.1. Es wurde darüber hinaus die Festlegung einer Frist von höchstens einem Jahr für ein Eheaufhebungsverfahren angeregt, s. Punkt 14.2.6. 279 S. ibid., Punkt 14.2.4. 280 Parlamentarische Versammlung des Europarats, Resolution 2233 (2018) on Forced Marriage in Europe, 28.6.2018. Die dt. Version findet sich auch bei Deutscher Bundestag, BT-Drs. 19/16197, 44 ff. 281 S. Generalversammlung der Vereinten Nationen, Transformation unserer Welt – die Agenda 2013 für nachhaltige Entwicklung – Resolution 70/1, 25.9.2015: in Punkt 5.3. auf S. 19 heißt es „Alle schädlichen Praktiken wie Kinderheirat, Frühverheiratung und Zwangsheirat [. . .] bei Frauen und Mädchen beseitigen.“

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Kap. 1: Minderjährigenehen in Geschichte und Gegenwart

men gefordert, „um gegen Kinderehen, Früh- und Zwangsverheiratung vorzugehen und diese Praxis einzuschränken“.282 Insbesondere wurde angeregt, das Ehemündigkeitsalter auf 18 Jahre ohne Dispenserteilung heraufzusetzen.283 Dieser Entwicklung entsprechend wird seit geraumer Zeit international die Möglichkeit der Eheschließung vor Vollendung des 18. Lebensjahres abgebaut.284 In den USA beispielsweise, wo je nach Bundesstaat unterschiedliche Ehemündigkeitsalter gelten, haben einige Staaten die Minderjährigenehe effektiv beendet – entweder durch die Festsetzung des Mindestheiratsalters ausnahmslos auf 18 Jahre285 oder die Beschränkung der Eheschließung auf solche Minderjährige, die gerichtlich „emanzipiert“ wurden.286 In anderen Staaten kann bei Vorhandensein einer elterlichen (parent’s consent) bzw. gerichtlichen Genehmigung (judge’s approval) die Eingehung einer Ehe auch vor dem 18. Lebensjahr erlaubt werden.287 9 Staaten setzen dabei keine Untergrenze, sodass Minderjährige theoretisch ohne 282 Europäisches Parlament, Entschließung vom 4.10.2017 zu dem Thema „Kinderehen ein Ende setzen“, Nr. P8_TA(2017)0379, ABl. 27.9.2018, C 346/66, Punkt R. 5. 283 Europäisches Parlament, Entschließung vom 4.7.2018 zur künftigen externen Strategie der EU gegen Früh- und Zwangsverheiratung – nächste Schritte, Nr. P8_TA (2018)0292, ABl. 8.4.2020, C 118/57, Punkt Q. 1. 284 Die legislativen Maßnahmen lassen sich auf dem Bergmann aktuell, Portal zum ausländischen Ehe- und Kindschaftsrecht – Rechtsgebiete: Ehe, samt Verweis auf die einschlägigen Gesetzestexte nachverfolgen. 285 In Delaware (Sect. 2 House Bill Nr. 337 vom 9.5.2018), New Jersey (Senate Bill Nr. 427 von 2018), Pennsylvania (Sect. 1 §1304 House Bill Nr. 360, unterzeichnet am 8.5.2020) und Minnesota (Bill HF745/SF1393, unterzeichnet am 12.5.2020) wurden neue Gesetze erlassen, die die Eheschließung von Nupturienten, die das 18. Lebensjahr noch nicht erreicht haben, vollständig verbieten, s. Tahirih Justice Center, Making Progress, But Still Falling Short: A Report on the Movement to End Child Marriage in America, Mai 2020, 1. Im Jahr 2021 erließen auch die US-Bundesstaaten New York (Sect. 2 Senate Bill S3086, unterzeichnet am 22.7.2021) und Rhode Island (Aufhebung der Sect. 15-2-11 von Sect. 1 und Hinzufügung der Sect. 15-2-14 in Sect. 2 durch das Gesetz H 5387, unterzeichnet am 7.6.2021) entsprechende Regelungen. 286 Mit einer „petition for emancipation“ wird ein Gerichtsbeschluss angestrebt, der einem reifen und sich selbst versorgenden Minderjährigen die gesetzlichen Rechte und den Status eines Erwachsenen zuerkennt. Staaten, die neue Gesetze erlassen haben, die mit einer begrenzten Ausnahme die Eheschließung von Minderjährigen unter gerichtlicher Aufsicht gestatten, sind Virginia (An Act to amend and reenact §§ 16.1-331, 16.1333, 20-45.1, 20-48, 20-89.1, and 20-90 of the Code of Virginia, in Kraft getreten am 1.7.2016), Texas (Senate Bill 1705, in Kraft getreten am 1.9.2017), Kentucky (Sect. 1 (Amendment KRS 402.020), Sect. 4 (Amendment 402.210) Senate Bill Nr. 48 vom 14.7.2018), Ohio (Sub House Bill Nr. 511), Georgia (House Bill Nr. 282, in Kraft getreten am 1.7.2019), New Hampshire (Sect. 1 (457:4) House Bill Nr. 1587, in Kraft seit dem 1.1.2019), Indiana (House Bill Nr. 1006, in Kraft getreten am 1.7.2020). 287 S. Le Strat/Dubertret/Le Foll, Pediatrics 128 (2011), 524, 525. Beispielstaaten sind Missouri (Sect. 451.090 Missouri Senate Bill Nr. 655 vom 28.8.2018), Arkansas (House Bill 1708/Act 849, unterzeichnet am 10.4.2019), Louisiana (Senate Bill Nr. 172 – Act Nr. 401, in Kraft getreten am 1.8.2019), South Carolina (Act Nr. 33, in Kraft getreten am 13.5.2019); North Carolina (Senate Bill 35, unterzeichnet am 26.8. 2021) und Maryland, wo erst jüngst gesetzlich die Eheschließung von 15- und 16-Jährigen untersagt wurde (Maryland House Bill 83, unterzeichnet am 21.4.2022).

C. Internationale Bestandsaufnahme

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Altersbeschränkung bei Vorliegen der Voraussetzungen heiraten können.288 Auch in vielen anderen Ländern wurden entsprechende Maßnahmen ergriffen, um die Anzahl von Minderjährigenehen zu verringern. Teilweise geschah dies durch die ausnahmslose Anhebung des Ehefähigkeitsalters289, teils wurde den Eheschließenden eine Befreiungsmöglichkeit von diesem Erfordernis eingeräumt.290 Andernorts wurde ein Verbot von Minderjährigenehen gesetzlich etabliert.291 288

Das betrifft die Staaten California, Massachusetts, Michigan, Mississippi, Oklahoma, New Mexico, Washington, West Virginia, Wyoming, s. die tabellarischen Angaben des Tahirih Justice Center, Understanding State Statutes on Minimum Marriage Age and Exceptions, aktualisiert am 26.8.2021. Mit gesetzlichen Nachweisen: Max-PlanckInstitut für Ausländisches und Internationales Privatrecht, RabelsZ 84 (2020), 705, 731 f. m. Fn. 122. Zum Zusammenhang zwischen Minderjährigenehen und Zwangsehen in Amerika, s. McFarlane/Nava/Gilroy u. a., Obstetrics & Gynecology 127 (2016), 706 ff. 289 Norwegen (Lov om endringer i ekteskapsloven (absolutt 18-årsgrense for å inngå ekteskap i Norge), 15.6.2018 Nr. 31, in Kraft seit dem 1.7.2018, s. dazu Egg, FamRZ 2018, 1397, 1398), Japan (Gesetz Nr. 59/2018, in Kraft ab dem 1.4.2022), Teile Mexikos (Chihuahua seit dem 24.12.2017, s. Art. 136 Dekret Nr. LXV/EXDEC/0414/2017 I P.O., veröffentlicht im Periódico Oficial vom 23.12.2017; Ciudad de México seit dem 14.7.2016, s. Art. 148 Dekret Nr. 114, veröffentlicht in der Gaceta oficial de la ciudad de México vom 13.7.2016; in Coahuila, s. Art. 255 Dekret Nr. 128 vom 5.9.2015, veröffentlicht im Periódico Oficial vom 4.9.2015; außerdem in Veracruz, s. Art. 86 ZGB Veracruz), El Salvador (Punkt IV Dekret Nr. 754 vom 17.8.2017, in Kraft getreten am 13.9.2017), Trinidad und Tobago (Art. 3 (e) 23 (1) The Miscellaneous Provisions (Marriage) Act, Act No. 8 of 2017, veröffentlicht in der Trinidad and Tobago Gazette, vol. 56, Nr. 65), Malawi (Part III, 14 Marriage, Divorce and Family Relations Act, 2015 und Nr. 2 des Constitutional Amendment Act Nr. 15 von 2017), Simbabwe (Marriages Act No. 1/2022, unterzeichnet am 27.5.2022), Costa Rica (Art. 2 Gesetz Nr. 9406 zur Stärkung des rechtlichen Schutzes von Mädchen und weiblichen Jugendlichen vor Situationen geschlechtlicher Gewalt vom 13.1.2017), Guatemala (Dekret Nr. 8-2015 und Dekret Nr. 13-2017), Panama (Art. 2 Gesetz Nr. 30 vom 5.5.2015, veröffentlicht in der Gaceta Oficial Digital 27773-B), Vietnam (Art. 8 Ziffer 1a Ehe- und Familiengesetz Nr. 52/2014/QH13, in Kraft getreten am 1.1.2015), Ecuador (Art. 9 Ley Reformatoria al Código Civil, in Kraft seit dem 19.6.2017), Pakistan (4. (b) Hindu Marriage Act 2017: gilt für Hinduisten auf Gesamtstaatsebene mit Ausnahme der Republik Sindh; 4. (1) a) Sindh Hindu Marriage Bill 2016: gilt für Hinduisten in der Provinz Sindh), Usbekistan (Art. 2 Dekret Nº PP-4296 über zusätzliche Maßnahmen zur weiteren Stärkung der Garantien der Rechte des Kindes vom 22.04.2019, in Kraft getreten am 1.9.2019), Dominikanische Republik (Gesetz Nr. 1-21, unterzeichnet am 6.1.2021), Vereinigtes Königreich (Marriage and Civil Partnership (Minimum Age) Act 2022, verabschiedet am 28.4.2022). 290 Paraguay (Gesetz Nr. 5419 vom 11.5.2015), Bolivien (Art. 139 Abs. 1 und 2 Gesetz 603 vom 19.11.2014, in Kraft getreten am 6.2.2016), Bangladesch (Sects. 2, 19 Child Marriage Restraint Act vom 27.2.2017), Brasilien (Gesetz Nr. 13.811, in Kraft seit 13.3.2019), Syrien (Art. 16 PStG, Änderungsgesetz Nr. 4/2019), Saudi Arabien, wo das Gericht Ausnahmen anordnen kann (Nizhâm al-ahwâl ash-shakhsîya (Gesetz zum Personalstatut), verabschiedet am 9.3.2022). 291 Georgien (Abschaffung des Art. 1507-3 georg. ZGB, der Ehen von Minderjährigen ausnahmsweise zuließ, mit Wirkung zum 1.1.2017), Teile Afrikas (Gambia, Verabschiedung eines Gesetzes zum Verbot von Kinderehen am 21.6.2016; Tschad, s. Art. 368 Code Pénal 2017; Elfenbeinküste, s. Chapitre 2 Sect. 1 Art. 2 Ehegesetz Nr. 2019-570 vom 26.6.2019, veröffentlicht im Journal Officiel, Nr. 10, numéro spécial

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Kap. 1: Minderjährigenehen in Geschichte und Gegenwart

Teilweise übernimmt die Rechtsprechung die Initiative zur Eindämmung von Kinderehen: Im indischen Gujarat entschied der High Court am 23.9.2015, dass der Prohibition of Child Marriage Act von 2006 als lex specialis und lex posterior Vorrang vor religiösem Eherecht hat, sodass eine nach muslimischem Recht292 erlaubte Eingehung der Ehe mit einer 15-Jährigen ausgeschlossen ist.293 Überdies stufte der indische Supreme Court als höchste Instanz am 11.10.2017 die Regelung in Exception 2 der Sect. 375 India Penal Code, wonach der Geschlechtsverkehr mit einem unter 18-jährigen Mädchen ausnahmsweise nicht als Vergewaltigung zu qualifizieren ist, wenn dieses mindestens 15 Jahre alt und mit dem Mann verheiratet ist, als verfassungswidrig ein.294 Der High Court von Tansania hat am 8.7.2016 die Sects. 13 und 17 des Law of Marriage Act in Bezug auf Eheschließungen von Personen unter 18 Jahren für verfassungswidrig erklärt und Eheschließungen von Personen unter 18 Jahren für illegal befunden (Case Nr. 5/2016).295 Bis zur Schaffung einer gesetzlichen Neuregelung durch die Regierung gelte ein Eheschließungsalter von 18 Jahren. Der Verfassungsgerichtshof von Simbabwe hatte am 20.1.2016 entschieden, dass die Regelung in Sect. 22 (1) Marriage Act verfassungswidrig sei und erklärte dieselbe für nichtig. Die Regelung erlaubte Eheschließungen für Frauen generell ab 16 Jahren und ließ für Männer unter 18 und Frauen unter 16 Jahren eine Eheschließung mit schriftlicher Ministererlaubnis zu. Eheschließungen unter 18 Jahren sind seit dem Tag des Urteils nicht mehr möglich.296 In seinem Urteil vom 13.12.2018 erklärte der indonesische Verfassungsgerichtshof das Ehefähigkeitsalter von 16 Jahren für Frauen gem. Art. 7 Abs. 1 EheG 1974 im Unterschied zu dem von 19 Jahren für Männer für verfassungswidrig und forderte den Gesetzgeber zu einer entsprechenden Ge-

vom 12.7.2019; Mosambik, s. Gesetz zur Verhinderung und Bekämpfung verfrühter Verbindungen vom 18.7.2019, veröffentlicht in der Boletim da República Nr. 203 vom 22.10.2019), Teile Indiens (Karnataka, The Prohibition of Child Marriage (Karnataka Amendment) Act 2016 – Karnataka Act Nr. 26 vom 26.4.2017; Haryana, Child Marriage (Haryana Amendment) Bill 2020, verabschiedet am 3.3.2020), Kanada (zuletzt Nova Scotia, Government Bill Nr. 17, Solemnization of Marriage Act (amended) vom 1.5.2018); Philippinen (Republic Act 11596, unterzeichnet am 10.12.2021). 292 Das muslimische Recht findet nach dem Muslim Personal Law (Shariat) Application Act 1937 grundsätzlich in ganz Indien Anwendung. 293 Criminal Misc. Application Nr. 8290 von 2015. 294 Supreme Court of India, „Independent Thought vs. Union of India“, Az. W. P. (C), Nr. 382/2013. 295 High Court of Tanzania „Rebeca Z. Gyumi vs. Attorney General“, Az. miscellaneous civil cause no. 5/2016. 296 S. Constitutional Court of Zimbabwe, „Loveness Mudzuru and Ruvimbo Tsopodzi vs. Minister of Justice, Legal and Parliamentary Affairs NO; Minister of Women’s Affairs, Gender and Community Development; Attorney General of Zimbabwe“, Nr. CC2 12/2015 vom 20.1.2017, s. dazu genauer Dziva/Mozambani, Eastern Africa Social Science Research Review 33 (2017), 73 ff. Mittlerweile wurde die Kinderehe in Simbabwe gesetzlich durch die ausnahmslose Anhebung des Eheschließungsalters auf 18 Jahre abgeschafft, s. Fn. 289.

C. Internationale Bestandsaufnahme

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setzesänderung auf.297 Der Forderung kam das indonesische Repräsentantenhaus schließlich nach und hob das Eheschließungsmindestalter für Eheschließungen mit elterlicher Genehmigung für beide Geschlechter auf 19 Jahre an. Dabei müssen die Eltern noch immer bei einem religiösen Richter einen Dispensantrag für die Heirat von Minderjährigen einreichen. Das gesetzliche Mindestalter für die Eheschließung ohne elterliche Zustimmung beträgt für Männer und Frauen 21 Jahre.298 Am 23.12.2019 hat das saudi-arabische Justizministerium zudem eine Sonderzuständigkeit für Eheschließungen Minderjähriger angeordnet, um zu gewährleisten, dass die Heiratswilligen durch die Eheschließung keinen Schaden nehmen und die Eheschließung in deren Interesse ist – unabhängig vom Geschlecht.299

IV. Zusammenfassung Der auf internationaler Ebene geführte Kampf gegen Minderjährigenehen ist in vollem Gange. Als Gebiete mit einer auffällig hohen Prävalenz sind die Subsahara-Staaten Afrikas, Südasien und die USA zu nennen. Bis zum Ausbruch der COVID-19-Pandemie war die Zahl der Minderjährigenehen aber weltweit im Rückgang begriffen. Die aktuellen Bemühungen zur Eindämmung der CoronaInfektion bergen nun die Gefahr, dass der bisherige Fortschritt bei der Bekämpfung von Minderjährigenehen zunichte gemacht wird: Der Verlust von Arbeitsplätzen, der Anstieg von Armut und Schulschließungen führen dazu, dass mehr Kinder in den ärmsten Haushalten verbleiben und dem Risiko einer erzwungenen Heirat ausgesetzt sind. Zu besorgen sind insbesondere die Auswirkungen auf die Bemühungen, die Kinderheirat in Südasien zu beenden; es wird erwartet, dass dort in diesem Jahr weitere 200.000 Mädchen zur Heirat gezwungen werden. Währenddessen wird mit steigender Tendenz in vielen Rechtsordnungen weltweit das Ehemindestalter angehoben, um die aus menschenrechtlicher Sicht wünschenswerte Bekämpfung von Minderjährigenehen voranzutreiben. Niedrige sozio-ökonomische Lebensverhältnisse wie Armut, niedrige Bildungs- und Arbeitschancen, patriarchalische Strukturen und familiärer Druck befördern aber weiterhin Frühverheiratungen, die insbesondere in reproduktionsmedizinischer Hinsicht gesundheitlichen Bedenken ausgesetzt sind. Auf Grundlage dieser Erkenntnisse tendiert man zu strikten Gesetzgebungsmaßnahmen, die die schädliche Praxis nachhaltig verhindern und eindämmen. Doch die häufig zugrunde liegende Vorstellung, bei Minderjährigenehen handele es sich per definitionem um Unterdrückungsbeziehungen, muss korrigiert werden. Frühverheiratungen heranwachsender Jugendlicher werden oft vorschnell als erzwungen und unglück297

Genauer zum Urteil und seinen Auswirkungen: Lewenton, StAZ 2020, 305 ff. S. Tisnadibrata, Indonesia’s child bride problem, Bangkok Post, 2.11.2020. 299 S. die entsprechende Meldung bei Bergmann aktuell, abrufbar unter https://www. vfst.de/bergmann-aktuell/nachrichten/sonderzustaendigkeit-eheschliessungen-minderjaeh riger-2020-01-28. 298

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Kap. 1: Minderjährigenehen in Geschichte und Gegenwart

lich dargestellt, ohne die Hauptbeweggründe, Erfahrungen und Sichtweisen der Beteiligten genügend zu würdigen. Minderjährigenehen können, aber müssen nicht notwendigerweise mit Zwang einhergehen. Neben den Fällen, wo die Jugendlichen aufgrund des jungen Lebensalters nicht über die hinreichende Reife für eine solche weittragende, den weiteren Lebensweg beeinflussende Entscheidung verfügen, gibt es Situationen, wo sie durchaus die nötige Beurteilungs- und Einsichtsfähigkeit besitzen und die Ehe in voller Autonomie willentlich eingehen. Auch in der nationalen Debatte auf der Suche nach dem richtigen Umgang mit Minderjährigenehen sollte daher das Gebot nach angemessener Differenzierung Geltung beanspruchen: Es muss erkannt werden, wie unterschiedliche Kontexte zu verschiedenen Auffassungen und Erfahrungen von Minderjährigenehen führen. Trotz der rechtlichen Umbrüche, die sich auf globaler Ebene im Hinblick auf die Eliminierung von Minderjährigenehen vollziehen, existieren noch zahlreiche Rechtsordnungen, die Eheschließungen in jungem Alter erlauben. Ein Beispiel liefern die aufgeführten Länder Syrien, Afghanistan und Irak, deren nationale Eherechte basierend auf den Grundlagen des islamischen Rechts Eheschließungen in wesentlich jüngerem Alter als hierzulande zulassen. Doch wie die Gesetzesreform in Syrien zeigt, ist auch in diesen Ländern der oben erläuterte Trend hin zur Anhebung des gesetzlich geregelten Eheschließungsalters zu beobachten.

Kapitel 2

Die gesetzliche Ausgangslage vor dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen Unter der Herrschaft des alten Rechts waren Eheschließungen im Minderjährigenalter unter bestimmten Voraussetzungen möglich, bevor das auf die Eindämmung von „Kinderehen“ gerichtete internationale Bestreben im Wege des KEhenBekG auch im deutschen Recht Einzug gehalten hat. Sowohl die Eheschließungsvoraussetzungen im deutschen Sachrecht als auch die kollisionsrechtlichen Regelungen in internationalen Fällen wurden weitreichenden Änderungen unterworfen. Um das neue Recht verstehen und bewerten zu können, bedarf es einer komprimierten Auseinandersetzung mit der gesetzlichen Ausgangslage vor der Reform, ehe man sich der neuen Rechtswirklichkeit und ihren Auslegungsfragen zuwendet.

A. Die Eheschließung von Minderjährigen im deutschen Sachrecht Das deutsche Eherecht ist für alle Eheschließungswilligen heranzuziehen, die im Zeitpunkt der Eheschließung ein deutsches Eheschließungsstatut aufweisen. So führt eine Eheschließung unter ausschließlicher Beteiligung deutscher Staatsangehöriger gem. Art. 13 Abs. 1 EGBGB zur Berufung deutschen Sachrechts. Selbst bei Mehrstaatern, die neben einer ausländischen auch die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, ist aufgrund des strikten Vorrangs der deutschen Staatsangehörigkeit nach Art. 5 Abs. 1 S. 2 EGBGB stets deutsches materielles (Eheschließungs-)Recht anwendbar. Ebenso gelten die §§ 1303 ff. BGB regelmäßig für eheschließungswillige Staatenlose oder Flüchtlinge, bei denen das deutsche IPR die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit durch die Maßgeblichkeit des Rechts des gewöhnlichen Aufenthalts ersetzt.1

I. Der Grundsatz der obligatorischen Zivilehe Die Eheschließung unterliegt im deutschen Recht dem Formgebot des § 1310 Abs. 1 BGB. Danach wird „die Ehe [. . .] nur dadurch geschlossen, dass die Eheschließenden vor dem Standesbeamten erklären, die Ehe miteinander eingehen zu 1

Mehr dazu unter B.

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Kap. 2: Die gesetzliche Ausgangslage

wollen“. Zuständigkeits- und Verfahrensfragen sind im PStG geregelt. Gem. § 11 PStG2 ist jedes deutsche Standesamt für eine Eheschließung zuständig. Grundsätzlich haben jedoch nach § 12 Abs. 1 PStG die Standesämter am Wohnsitz oder am Ort des gewöhnlichen Aufenthalts der Eheschließungswilligen die örtliche Zuständigkeit für die Anmeldung zur Eheschließung. Seit Abschaffung des in § 67 PStG a. F. verankerten Verbots, eine kirchliche Trauung vor der standesamtlichen Eheschließung vorzunehmen (sog. Voraustrauungsverbot), zum 1.1.2009 ist eine rein religiöse Eheschließung zwar nicht mehr untersagt; die geschlossene Ehe entfaltet jedoch keine zivilrechtlichen Wirkungen.3

II. Persönliche Eheschließungsvoraussetzungen Wie oben bereits erläutert, konnte vor der Gesetzesnovelle eine Ehe unter bestimmten Voraussetzungen auch von einem minderjährigen Nupturienten eingegangen werden. Zwar knüpfte die Ehemündigkeit dem Grundsatz nach an den Eintritt der Volljährigkeit, d. h. gem. § 2 BGB an die Vollendung des 18. Lebensjahres an (§ 1303 Abs. 1 BGB a. F.). Allerdings konnte das Familiengericht im Ausnahmefall auf Antrag Befreiung vom regulären Alterserfordernis erteilen, sofern der minderjährige Ehegatte als Antragsberechtigter das Mindestalter von 16 Jahren vollendet hatte und der künftige Ehepartner am Tag der Eheschließung volljährig war (§ 1303 Abs. 2 BGB a. F.). Das zwingende Erfordernis der Volljährigkeit zumindest eines Partners hatte dabei unter anderem den Zweck, die selbständige Erledigung der für das eheliche Leben notwendigen Geschäfte zu gewährleisten und die Bestellung eines Vormunds im Falle der Geburt eines aus der Ehe hervorgehenden Kindes (§§ 1673 Abs. 2, 1773 Abs. 1 BGB) zu vermeiden.4 Um dem höchstpersönlichen Charakter der Eheschließung gerecht zu werden und Minderjährige vor elterlichem Druck zu schützen, wurde ein durch den gesetzlichen Vertreter eingereichter Antrag nur dann nicht als unzulässig abgewiesen, wenn der Minderjährige ihm ausdrücklich zugestimmt hatte.5 Im Mittelpunkt der gerichtlichen Entscheidung über die Befreiung stand die Frage, ob die Eheschließung zum geplanten Zeitpunkt das Wohl des Minderjährigen gefährden könnte. Zu berücksichtigen war insbesondere, ob der Minderjährige die für eine Ehe erforderliche Reife besaß, um die Tragweite seines Heirats-

2

Nunmehr zu finden in § 11 Abs. 1 BGB. Das Voraustrauungsverbot wurde durch das KEhenBekG in § 11 Abs. 2 BGB wieder eingeführt. 4 Vgl. NK-BGB/Kleist/Friederici, 3. Aufl., 2014, § 1303 BGB Rn. 3; Dethloff, Familienrecht, § 3 Rn. 23. 5 OLG Hamm 13.7.1965, Az. 15 W 118/65, OLGZ 1965, 363; MüKo/Wellenhofer, 7. Aufl., 2017, § 1303 BGB Rn. 5; Erman/Roth, 14. Aufl., 2014, § 1303 BGB Rn. 4; zur intendierten Schutzfunktion s. Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland, BT-Drs. 13/4898, 19. 3

A. Die Eheschließung von Minderjährigen im deutschen Sachrecht

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entschlusses erfassen zu können.6 Um der Dispensmöglichkeit nicht den Charakter einer Ausnahmegenehmigung für frühreife Jugendliche zu verleihen, war nicht etwa die geistige Einsichtsfähigkeit eines Volljährigen, sondern die altersgerechte Entwicklung der Person maßgeblich.7 Konkret untersuchte das Gericht, ob zwischen den zukünftigen Eheleuten eine wechselseitige Bindung bestand, sie die mit der Ehe verbundenen Pflichten übernehmen konnten und wollten, die notwendigen wirtschaftlichen Grundlagen für eine Ehe gegeben waren und der Heiratswunsch dem eigenen inneren Antrieb der Verlobten entsprang und nicht nur auf dem Einfluss der Umwelt, auf familiärem Druck oder wirtschaftlichen Überlegungen beruhte.8 Eine positive Bestandsprognose der Ehe war zwar nicht zwingend erforderlich, das Vorliegen besonderer Gründe, die die Warscheinlichkeit für ihr vorzeitiges Scheitern erhöhten, konnte jedoch gegen eine Befreiung sprechen.9 Zudem rechtfertigte weder das Bestehen einer Schwangerschaft10 noch das Zusammenleben mit dem Partner11 jeweils für sich genommen einen Dispens. Einer besonders intensiven Überprüfung in Bezug auf den Ehewillen bedurften Eheschließungen von Minderjährigen mit ausländischen Staatsangehörigen, die durch die Heirat eine Aufenthaltserlaubnis erwerben und so einer drohenden Abschiebung entgehen konnten.12 Die Pflicht des Gerichts, das Vorliegen der Befreiungsvoraussetzungen besonders sorgfältig zu prüfen, folgte aus dem staatlichen Wächteramt nach Art. 6 Abs. 2 GG und der verfassungsrechtlich ge-

6 OLG Jena 26.9.1996, Az. 6 W 294/96, FamRZ 1997, 1274; OLG Saarbrücken 24.5.2007, Az. 6 UF 106/06, NJW-RR 2007, 1302; vgl. a. OLG Hamm 28.12.2009, Az. 6 WF 439/09, FamRZ 2010, 1801, 1802; BeckOK/Hahn, 43. Ed., 15.06.2017, § 1303 BGB Rn. 6. 7 Becker, MDR 1963, 965, 969; OLG Hamm 27.4.1960, Az. 15 W 157/60, FamRZ 1960, 288 f. (bezogen auf die Volljährigkeitserklärung nach altem Recht); AG Torgau 8.3.2004, Az. 1 F 319/03, juris, Rn. 12; MüKo/Wellenhofer, 7. Aufl., 2017, § 1303 BGB Rn. 7; Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, 6. Aufl., 2010, § 9 Rn. 19; a. A. Göppinger, FamRZ 1960, 253, 254. 8 OLG Saarbrücken 24.5.2007, Az. 6 UF 106/06, NJW-RR 2007, 1302, 1303; MüKo/Wellenhofer, 7. Aufl., 2017, § 1303 BGB Rn. 6; vgl. a. OLG Jena 26.9.1996, Az. 6 W 294/96, FamRZ 1997, 1274. 9 Eine Aufzählung von besonderen Gründen tätigt BeckOK/Hahn, 43. Ed., 15.6. 2017, § 1303 BGB Rn. 6. Die statistische Erkenntnis von der Kurzlebigkeit sog. Frühehen bildete dabei keinen Versagungsgrund, s. Staudinger/Löhnig, 16. Aufl., 2015, § 1303 BGB Rn. 29; Rauscher, Familienrecht, § 9 Rn. 151. 10 S. AG Ravensburg 18.2.1976, Az. I GR 12/76, DAVorm 1976, 433. 11 Andernfalls hätten die Heiratsaspiranten durch Zusammenziehen die gerichtliche Befreiung stets herbeiführen können, s. MüKo/Wellenhofer, 7. Aufl., 2017, § 1303 BGB Rn. 10; Staudinger/Löhnig, 16. Aufl., 2015, § 1303 BGB Rn. 30; a. A. Soergel/Heintzmann, 13. Aufl., 2013, § 1303 BGB Rn. 20. 12 AG Pankow-Weißensee 1.4.1992, Az. 51 X 10/92, DAVorm 1992, 518, 520 f.; seinen befreiungsbejahenden Beschluss auf die gelungene Integration des Heiratsaspiranten stützend LG Augsburg 6.6.1997, Az. 5 T 1815/97, FamRZ 1998, 1106, 1107; BeckOK/Hahn, 43. Ed., 15.06.2017, § 1303 BGB Rn. 6.

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Kap. 2: Die gesetzliche Ausgangslage

botenen vorrangigen Berücksichtigung des Kindeswohls als Maßstab familiengerichtlicher Entscheidungen.13 Verfahrensrechtlich richtete sich die Dispenserteilung nach den Vorschriften des FamFG (§§ 111 Nr. 2, 151 Nr. 1 FamFG). Der Familienrichter hatte von Amts wegen unter Berücksichtigung aller Erkenntnisquellen die Umstände des Einzelfalls zu ermitteln (§ 26 FamFG) und auf dieser Basis seine Entscheidung zu treffen. Um dem grundrechtlich geschützten Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG Rechnung zu tragen, waren im Befreiungsverfahren nicht nur die beiden künftigen Ehegatten (§ 159 Abs. 1 FamFG) und das Jugendamt (§ 162 Abs. 1 S. 1 FamFG)14, sondern auch nach § 160 Abs. 1 S. 1 FamFG die Eltern anzuhören. Letztere konnten gem. § 1303 Abs. 3 BGB a. F., der § 3 Abs. 3 EheG nachgebildet war, als gesetzliche Vertreter des Kindes (§ 1629 Abs. 1 BGB) die Dispenserteilung durch Einlegung eines auf triftigen Gründen beruhenden Widerspruchs unterbinden.15 Die damit in Gang gesetzte einzelfallbezogene Überprüfung der Berechtigung des elterlichen Widerspruchs orientierte sich wiederum am Wohl, d. h. am wohlverstandenen Interesse des Minderjährigen. So wurden beispielsweise die Gefährdung der Ausbildung des Minderjährigen, eine ungesicherte wirtschaftliche Basis für die Ehe16, ein deutlicher Altersunterschied17, das Fehlen der nötigen persönlichen und charakterlichen Reife des Minderjährigen18 und eine kulturell bedingte, nachteilige Rechtsstellung der Frau in der Ehe19 als triftige Gründe für den elterlichen Widerspruch eingeordnet. Persönliche Motive der Eltern wie Neid, Herrschsucht und Aversion stellten in Ermangelung des unmittelbaren Bezugs zur beabsichtigten Ehe keine triftigen Gründe dar.20 Musste das Gericht nach einer Gesamtbewertung aller für und gegen die Eheschließung sprechenden Umstände eine Beeinträchtigung des Kindeswohls beja-

13

BeckOK/Hahn, 43. Ed., 15.06.2017, § 1303 BGB Rn. 12; Lack, StAZ 2013, 275,

276. 14 Zur Mitwirkungspflicht des Jugendamts nach § 50 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VIII Lack, StAZ 2013, 275, 277; dies., ZKJ 2010, 189, 193; Heilmann, FamRZ 2010, 1391, 1392. 15 Der Gesetzeswortlaut war insoweit missverständlich, als dass auch ein einziger triftiger Grund zum Ausschluss der Befreiung führen konnte, s. BGH 25.9.1956, Az. IV ZB 96/56, BGHZ 21, 340, 342; Soergel/Heintzmann, 13. Aufl., 2013, § 1303 BGB Rn. 19; Godin/Godin, Ehegesetz, 12. 16 Vgl. OLG Saarbrücken 24.5.2007, Az. 6 UF 106/06, NJW-RR 2007, 1302 f. 17 OLG Düsseldorf 5.10.1960, Az. 3 W 222/60, FamRZ 1961, 80. 18 Vgl. BayObLG 3.12.1981, Az. BReg. 3 Z 70/81, BayObLGZ 1981, 358, 364 f. 19 S. OLG Neustadt 19.6.1963, Az. 3 W 73/63, FamRZ 1963, 443. 20 OLG Tübingen 28.4.1949, Az. GR 26. 49., JR 1949, 386; MüKo/Wellenhofer, 7. Aufl., 2017, § 1303 BGB Rn. 17; Staudinger/Löhnig, 16. Aufl., 2015, § 1303 BGB Rn. 36; Godin/Godin, Ehegesetz, 13.

A. Die Eheschließung von Minderjährigen im deutschen Sachrecht

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hen, so war die Befreiung nach § 1303 Abs. 2 BGB a. F. zu versagen.21 Bei Vorliegen aller Voraussetzungen ergab sich jedoch entgegen der in Abs. 2 a. F. enthaltenen „Kann“-Formulierung aus § 1303 Abs. 2–4 BGB a. F. i.V. m. dem aus Art. 6 Abs. 1 GG resultierenden Eheschließungsrecht ein Anspruch auf Erteilung der Befreiung.22 Sobald der Dispens erteilt worden war, bedurfte der Minderjährige nicht mehr zusätzlich der Einwilligung seiner gesetzlichen Vertreter oder sonstiger Personensorgeberechtigter (§ 1303 Abs. 4 BGB a. F.). Vor dem Eintritt der Ehemündigkeit vorgenommene Eheschließungen konnten durch Entscheidung des Familiengerichts nachträglich genehmigt werden. Dabei unterlag die Nachholung der gerichtlichen Befreiung den Voraussetzungen des § 1303 Abs. 2 BGB a. F., die bereits im Zeitpunkt der Eheschließung vorgelegen haben mussten.23

III. Kritik an der strikten Altersuntergrenze Im Hinblick auf die späteren Entwicklungen ist bemerkenswert, dass noch in den 70iger und 80iger Jahren die Verfassungskonformität des § 1303 Abs. 2 BGB a. F. vereinzelt in Frage gestellt und ein Absehen von der starren Altersbeschränkung zugunsten einer umfassenden Dispensmöglichkeit für noch jüngere Minderjährige gefordert worden war.24 Zur Begründung führte man an, dass eine altersunabhängige Prüfung der Ehereife (damals durch das Vormundschaftsgericht) vorzugswürdig wäre, um uneheliche Geburten zu vermeiden.25 Allerdings wurde von anderer Seite die Altersgrenze von 16 Jahren gegen diese Angriffe auch vehement verteidigt.26 Schließlich setzt das Eingehen einer ehelichen Bindung, die nach ihrer Konzeption idealerweise lebenslang Bestand haben sollte, die Fähigkeit zur Entwicklung eines ausgereiften Eheschließungswillens voraus. Dabei bildet das Alter der Menschen als sog. Rechtskonstituenten27 eine unerlässliche Komponente zur typisierenden Erfassung ihrer sozialen Reife und sollte daher für die Grenzziehung herangezogen werden, wenn es auf das Erreichen 21

Staudinger/Löhnig, 16. Aufl., 2015, § 1303 BGB Rn. 22. OLG Hamm 28.12.2009, Az. 6 WF 439/09, FamRZ 2010, 1801, 1802; Wagenitz/ Bornhofen, Handbuch EheschlR, 2. Teil Rn. 10; Rauscher, Familienrecht, § 9 Rn. 150; Dethloff, Familienrecht, § 3 Rn. 23; a. A. OLG Karlsruhe 5.7.1999, Az. 2 UF 112/99, FamRZ 2000, 819, wonach das Gericht über die Erteilung der Befreiung nach pflichtgemäßem Ermessen entschied. 23 MüKo/Wellenhofer, 7. Aufl., 2017, § 1315 BGB Rn. 2; Staudinger/Voppel, 16. Aufl., 2015, § 1315 BGB Rn. 23. 24 So Canaris, JZ 1987, 993, 1000 f.; mit Verweis auf das damals hohe Aufkommen von im Alter von unter 16 Jahren geschlossenen Ehen Löwisch, NJW 1975, 15, 16. 25 Vgl. Canaris, JZ 1987, 993, 1000 f. 26 S. hierzu Staudinger/Löhnig, 16. Aufl., 2015, § 1303 BGB Rn. 17; mit dem Appell der notwendigen Vermeidung von Minderjährigenehen Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, 6. Aufl., 2010, § 9 Rn. 11. 27 Mayer-Maly, FamRZ 1970, 617: „Was dem Recht vorgegeben ist, ist vor allem der Mensch mit seinen Eigenschaften.“ 22

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Kap. 2: Die gesetzliche Ausgangslage

einer bestimmten Einsichtsfähigkeit bzw. eines bestimmten Reifegrades ankommt.28 In aller Regel verfügen Jugendliche unter 16 Jahren nicht über die ausreichende geistige Reife, um eine derart weitreichende Entscheidung für sich zu treffen. Insofern erlaubte die mit der gesetzlichen Fixierung der Altersgrenze von 16 Jahren einhergehende Typisierung eine sachgerechte Unterscheidung, ob die Ehe womöglich bewusst im Zustand ausreichender Verantwortungsfähigkeit und als Ausdruck eigenständiger Lebensgestaltung geschlossen wurde oder der Jugendliche die gewichtige rechtliche Bindung vielmehr voreilig oder aus einem Pflichtgefühl heraus aus gesellschaftlicher oder familiärer Rücksichtnahme eingehen wollte.29 Berücksichtigt man, dass zu Recht große Zurückhaltung bei der gerichtlichen Genehmigung von Minderjährigenehen angemahnt wurde30, erschien die Forderung nach einer Aufhebung der altersmäßigen Untergrenze schon damals wenig sinnvoll. Da nichteheliche Kinder den ehelichen seit Inkrafttreten des Kindschaftsrechtsreformgesetzes am 1.7.1998 grundsätzlich gleichgestellt sind, konnten auch die Nachteile einer nichtehelichen Geburt keinen sinnvollen Ansatzpunkt mehr darstellen, um den damals geltenden Schutzmechanismus in Zweifel zu ziehen.31 Die Altersbegrenzung der familiengerichtlichen Befreiungsmöglichkeit basierte auf dem berechtigten Anliegen, eine hinreichende Gewähr für einen ernsthaften und selbständigen Entschluss zur Eingehung der Ehe zu schaffen, und war aus dieser Perspektive betrachtet verfassungsrechtlich zulässig, wenn nicht sogar geboten.32

IV. Rechtliche Stellung des minderjährigen Ehegatten Die Rechtsstellung von wirksam verheirateten Minderjährigen war durch bestimmte Besonderheiten geprägt. Dem Grundsatz „Heirat macht nicht mündig“ 33 28 Grundsätzlich zu Altersgrenzen im Recht: Bovensiepen, Alter und Recht, in: Handwörterbuch der Rechtswissenschaft – Erster Band, 1926, 107 ff.; Müller-Freienfels, Ehe und Recht, 278. Den Begriff der sozialen Reife als maßgebliches Kriterium der Volljährigkeit prägte Luther, FamRZ 1969, 113, 115. 29 Vgl. Rauscher, Familienrecht, § 9 Rn. 149. Eingehend zur Typenbildung im Unterschied zur individualisierenden Analyse: Mayer-Maly, FamRZ 1970, 617, 620. 30 So bestand schon damals an der Verhinderung von Minderjährigenehen ein sozialpolitisches Interesse, s. Bienwald, NJW 1975, 957, 959 m. Fn. 17; Coester, StAZ 1988, 122, 123. 31 Palandt/Brudermüller, 75. Aufl., 2016, § 1303 BGB Rn. 8; Erman/Roth, 14. Aufl., 2014, § 1303 BGB Rn. 6; Hepting, Deutsches und Internationales Familienrecht im Personenstandsrecht, I-21, IV-15 ff.; Dethloff/Maschwitz, StAZ 2010, 162, 172; zur Rechtsstellung nichtehelicher Kinder vor und nach der Reform: Budzikiewicz, Materielle Statuseinheit, 19 ff. 32 So auch Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, 6. Aufl., 2010, § 9 Rn. 11; Staudinger/Löhnig, 16. Aufl., 2015, § 1303 BGB Rn. 17. 33 Dieser Rechtsgrundsatz beschreibt die Situation, dass der Minderjährige auch nach der Eheschließung beschränkt geschäftsfähig bleibt, vgl. Coester-Waltjen, FamRZ 2012, 1185, 1186.

A. Die Eheschließung von Minderjährigen im deutschen Sachrecht

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folgend bestand zwar die elterliche Sorge bis zum Eintritt der Volljährigkeit im Wesentlichen fort.34 Allerdings bezog sich gem. § 1633 BGB a. F. die aus §§ 1631 Abs. 1, 1632 BGB resultierende Personensorge lediglich auf die Vertretung in persönlichen Angelegenheiten, da die uneingeschränkte Ausübung der elterlichen Sorge durch die Eltern des Minderjährigen den §§ 1353 ff. BGB zuwiderlief.35 Mit der Eheschließung erloschen also die in § 1631 Abs. 1 BGB genannten Rechte und Pflichten zur Erziehung, Beaufsichtigung, Aufenthaltsbestimmung und Herausgabe des Kindes endgültig, sodass der minderjährige Ehegatte de facto einem Volljährigen gleichgestellt war.36 Zudem umfasste die durch § 1633 BGB a. F. eingeräumte Befugnis der Eltern zur gerichtlichen Vertretung des Minderjährigen in persönlichen Angelegenheiten keine Ehesachen: Hier war der minderjährige Ehegatte nach § 125 Abs. 1 FamFG selbst verfahrensfähig. Bei der Ausübung des in § 1684 Abs. 1 BGB geregelten Umgangsrechts bewirkte die Eheschließung, dass die Eltern nach § 1618a BGB Rücksicht auf die Ehe des Kindes zu nehmen hatten. Diesen Rechtszustand konnte auch eine noch während der Minderjährigkeit stattfindende Auflösung der Ehe – etwa durch eine „Renaissance“ des tatsächlichen Personensorgerechts – nicht beseitigen.37 Durch die Verweisungsnorm des § 1800 BGB a. F. blieb auch dem Vormund die Bestimmung des Aufenthalts sowie die Regelung des Umgangs des verheirateten Minderjährigen versagt. Vorbehaltlich weniger Einschränkungen verblieb die gesamte Vermögenssorge auch nach der Eheschließung ihres minderjährigen Kindes bei den Eltern. So blieb der Minderjährige trotz der „Befähigung“ zum höchstpersönlichen Rechtsgeschäft der Eheschließung im Übrigen den Beschränkungen der Geschäftsfähigkeit nach §§ 107 ff. BGB unterworfen.38 Eine Sonderregelung bildete § 1649 Abs. 2 S. 2 BGB a. F., wonach die Eltern das Recht verloren, Einkünfte aus dem Kindesvermögen für den Familienunterhalt zu verwenden. Auch in vertretungsrechtlicher Hinsicht konnte nach § 1411 Abs. 1 S. 1 BGB a. F. ein in der Ge-

34 Rechtsvergleichende Hinweise zu den Auswirkungen der Eheschließung eines Minderjährigen auf die elterliche Sorge finden sich bei Dethloff/Maschwitz, StAZ 2010, 162, 169. 35 S. LG Darmstadt 8.1.1965, Az. 5 T 7, 8/65, NJW 1965, 1235; MüKo/Huber, 7. Aufl., 2017, § 1633 BGB Rn. 2; bei Anhängigkeit eines Verfahrens zur Regelung der elterlichen Sorge die tatsächliche Personensorge als einen teilbaren, sich durch die Heirat erledigenden Verfahrensgegenstand behandelnd OLG Hamm 1.12.1972, Az. 15 W 193/72, FamRZ 1973, 148, 150. 36 Erman/Döll, 14. Aufl., 2014, § 1633 BGB Rn. 2; das tatsächliche Personensorgerecht ging auch nicht auf den volljährigen Ehegatten über, s. NK-BGB/Rakete-Dombeck, 3. Aufl., 2014, § 1633 BGB Rn. 2; Lücken, in: FS Reinhardt, 103, 105 f.; Zorn, Das Recht der elterlichen Sorge, Rn. 546. 37 Staudinger/Peschel-Gutzeit, 14. Aufl., 2007, § 1633 BGB Rn. 7; BeckOK/Veit, 43. Ed., 15.06.2017, § 1633 BGB Rn. 2. 38 Staudinger/Löhnig, 16. Aufl., 2015, § 1303 BGB Rn. 15.

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Kap. 2: Die gesetzliche Ausgangslage

schäftsfähigkeit beschränkter Ehegatte einen Ehevertrag selbst nur mit Zustimmung der Eltern abschließen.

V. Rechtsfolgen mangelbehafteter Ehen Im Bereich der Mangelfolgen wurde seit Inkrafttreten des BGB von 1900 zwischen den Rechtsinstituten der Nichtigkeit (§§ 1323 ff. BGB 1900) und der seit 1938 als Aufhebbarkeit bezeichneten Anfechtbarkeit der Ehe (§§ 1330 ff. BGB 1900) unterschieden (sog. „Zweispurigkeit“).39 Die Nichtigkeit bildete dabei die Sanktion für besonders schwerwiegende Verstöße gegen die Rechtsordnung, etwa gegen das Eheverbot der Doppelehe oder der Verwandtschaft/Schwägerschaft.40 Zudem hatte früher die fehlende Geschäftsfähigkeit im Zeitpunkt der Eheschließung gem. § 1325 Abs. 1 BGB 1900 die rückwirkende Beseitigung aller Ehewirkungen zur Folge.41 Bis zur Rechtskraft der Nichtigerklärung mit Wirkung ex tunc behandelte man die Ehe aber als vollgültig. Die mangelnde Ehemündigkeit dagegen führte bereits damals nach Maßgabe der §§ 1330, 1331, 1336 BGB 1900 jedenfalls dann zur Anfechtbarkeit der Ehe, wenn zusätzlich die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters fehlte.42 Auch in den darauffolgenden Gesetzgebungswerken von 1938 (§§ 33, 35 EheG 1938) und 1946 (§§ 28, 30 EheG 1946) löste das Ehemündigkeitsdefizit in Verknüpfung mit der fehlenden Einwilligung des gesetzlichen Vertreters die Aufhebbarkeit als Rechtsfolge aus.43 Seit der Rückführung des Eheschließungsrechts in das BGB durch das EheschlRG von 1998 kannte nur noch das kanonische Recht die Behandlung der 39 Ausführlich zu Anfechtung und Nichtigkeit: Knaak, Die Eheaufhebungsregelung und das Eheschließungsrechtsgesetz vom 4. Mai 1998, 4 ff. 40 Vgl. Knott, Die fehlerhafte Ehe im internationalen Privatrecht, 27. 41 Auch in den Ehegesetzen von 1938 und 1946 löste die Geschäftsunfähigkeit die Nichtigkeitsfolge aus (§ 22 Abs. 1 EheG 1938, § 18 Abs. 1 EheG 1946). Sie konnte in der Regel nur durch Erhebung der sog. Nichtigkeitsklage geltend gemacht werden, wobei die Voraussetzungen hierfür divergierten (§ 1329 BGB 1900, § 28 EheG 1938, § 24 EheG 1946). Zu den Sanktionen der fehlerhaften Ehe vor der Eheschließungsrechtsreform, s. (auch rechtsvergleichend) dies., Die fehlerhafte Ehe im internationalen Privatrecht, 19 ff. 42 Zu beachten ist, dass auch die im Wege der Anfechtungsklage (§ 1341 Abs. 1 BGB 1900) geltend gemachte Eheanfechtung gem. § 1343 Abs. 1 BGB 1900 die Ehe rückwirkend vernichtete, s. näher dazu Mankowski, Beseitigungsrechte, 485 ff. Gemeinsame Kinder aus der angefochtenen Ehe galten jedoch bei Gutgläubigkeit mindestens eines Ehegatten im Zeitpunkt der Eheschließung trotz der ex tunc-Wirkung als ehelich (§ 1699 Abs. 1 BGB 1900), s. BeckOGK/Otto, 1.1.2022, § 1318 BGB Rn. 2; Staudinger/Voppel, 18. Aufl., 2018, § 1318 BGB Rn. 2. 43 Mit dem Ehegesetz von 1938 wurde die ex nunc wirkende Eheaufhebung und die entsprechende Anwendung der Scheidungsfolgen gesetzlich etabliert (§ 42 EheG 1938), dazu a. Staudinger/Voppel, 18. Aufl., 2018, § 1318 BGB Rn. 3. Instruktiv zur materiellrechtlichen und prozessualen Entwicklung: Mankowski, Beseitigungsrechte, 485 ff. Die Eheaufhebung bildete dabei die Konsequenz für weniger gravierende, während des Eheschließungsvorgangs erfolgte Fehler, s. Bosch, FamRZ 1997, 138, 140.

A. Die Eheschließung von Minderjährigen im deutschen Sachrecht

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Ehe als rechtliches nullum ex tunc. Im BGB dagegen wurden die Rechtsfolgen für alle fehlerhaft zustande gekommenen Ehen zur Verbesserung von „Überschaubarkeit und Handhabbarkeit“ 44 des Eheauflösungsrechts vereinheitlicht und die gerichtliche Aufhebung nach §§ 1313 ff. BGB zum einschlägigen Rechtsinstrument erklärt.45 Hintergrund der Abschaffung des Rechtsfolgendualismus war zudem, dass es als unbillig angesehen wurde, eine gelebte Ehe rechtlich als nie gewesen zu qualifizieren und ihr die Anerkennung rückwirkend zu versagen.46 War eine Ehe aber ausnahmsweise mit derart schweren Mängeln formeller oder materieller Art behaftet, dass ihr überhaupt keine familienrechtlichen Wirkungen beigemessen werden konnten, wurde sie als sog. Nichtehe (matrimonium non existens) klassifiziert (etwa im Falle einer Eheschließung ohne Mitwirkung eines Standesbeamten).47 Der Mangel der Ehefähigkeit unter Verletzung des § 1303 BGB a. F. gehörte nicht zu diesen die Begründung der Ehe verhindernden Makeln. Vielmehr führte eine unter Missachtung der Ehemündigkeitsvorschriften geschlossene Minderjährigenehe zu deren Aufhebbarkeit mit Wirkung ex nunc (§ 1314 Abs. 1 BGB a. F. i.V. m. § 1303 BGB a. F.).48 Insofern ging das Gesetz davon aus, dass eine bereits gelebte Ehe nach Möglichkeit auch dann aufrechterhalten werden sollte, wenn bei deren Eingehung ein Fehler unterlaufen war. Bis zur Aufhebung mit Wirkung für die Zukunft durch das zuständige Familiengericht wurde die Ehe als wirksam, wenngleich als mangelhaft angesehen. Der erweiterte Katalog der Eheaufhebungsgründe wurde abschließend in § 1314 BGB geregelt.49 Zu beachten ist, dass eine fehlerhaft zustande gekommene Ehe die Heilungsvoraussetzungen des § 1315 BGB erfüllen und dadurch Bestandskraft erlangen kann. Bei Mängeln der Eheschließungserklärungen, zu denen Ehemündigkeitsdefizite zählen, tritt eine Heilung dann ein, wenn der Erklärende mittlerweile die Volljährigkeit erlangt und zu verstehen gegeben hat, die fehlerhaft geschlossene Ehe fortsetzen zu wollen (sog. Bestätigung, § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und 2 BGB

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Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland, BT-Drs. 13/4898, 14. Das der Nichtigkeit zugrunde liegende Prinzip der rückwirkenden Beseitigung der Ehewirkungen war mittlerweile ohnehin durch eine Vielzahl von Ausnahmen durchsetzt und damit im Grunde genommen abgeschafft worden, s. ibid.; genauer dazu Peter, Ausgewählte Probleme des neuen Eheschließungsrechts, 4; Köth, Die fehlerhafte Ehe als Fall des fehlerhaften Dauerschuldverhältnisses, 135. Zu den Eheaufhebungs- und Nichtigkeitsfolgen, s. Rauscher, Familienrecht, § 8 Rn. 145. 46 Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland, BT-Drs. 13/4898, 18. 47 S. Coester, in: FS Heldrich, 537; Staudinger/Voppel, 18. Aufl., 2018, vor §§ 1313 ff. Rn. 20. 48 S. a. Coester-Waltjen, FamRZ 2012, 1185, 1186. 49 Zum sehr restriktiven Regelungskonzept des § 1314 Abs. 2 BGB a. F. und der daraus resultierenden „erhöhte[n] Anfechtungsfestigkeit der Eheschließung“, s. Mankowski, Beseitigungsrechte, 487 f. 45

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Kap. 2: Die gesetzliche Ausgangslage

a. F.).50 Für einen minderjährigen Ehegatten war außerdem § 1315 Abs. 1 S. 3 BGB a. F. maßgeblich, wonach die Bestätigung bei Verstoß gegen § 1304 BGB die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters oder die Ersetzung derselben durch das Familiengericht verlangte.51 Verfahrensrechtlich setzt die Eheaufhebung als Regelsanktion zur Beseitigung der mangelhaften Ehe einen Antrag beim Familiengericht 52 voraus (§ 124 S. 1 FamFG), das eine richterliche Entscheidung in Beschlussform (§§ 38 Abs. 1 S. 1, 116 Abs. 1 FamFG) zu treffen hat. Die Antragsberechtigung richtete sich bei Verstößen gegen § 1303 BGB a. F. und § 1304 BGB nach § 1316 Abs. 1 Nr. 1 BGB a. F.53 Während in der Geschäftsfähigkeit beschränkte Ehegatten selbst verfahrensfähig sind (§ 125 Abs. 1 FamFG), wird für Geschäftsunfähige das Verfahren durch den gesetzlichen Vertreter geführt (§ 125 Abs. 2 S. 1 FamFG). Bei Verstößen gegen die Ehemündigkeitsvorschrift des § 1303 BGB a. F. stand die Antragstellung im pflichtgemäßen Ermessen der zuständigen Verwaltungsbehörde.54 Die Entscheidung über die Antragstellung hatte sich daran zu orientieren, ob die Eheaufhebung unter Berücksichtigung der Belange der Betroffenen im Einzelfall im öffentlichen Interesse lag, was bei Bevorstehen einer Heilung nach § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BGB a. F. nicht angenommen werden konnte.55

B. Minderjährigenehen im Lichte des deutschen Kollisionsrechts Bei Eheschließungen mit Auslandsberührung greifen die Regeln des deutschen IPR. Diesen kommt infolge der stetig wachsenden Mobilität der Weltbevölkerung eine zunehmende Relevanz zu. Einschlägig ist das nationale Kollisionsrecht für die Ermittlung und Prüfung des anwendbaren Rechts sowohl im Zusammenhang mit einer bevorstehenden Eheschließung im Inland unter Beteiligung ausländischer Minderjähriger als auch für die Frage nach der Anerkennung einer im Ausland geschlossenen Minderjährigenehe.

50 Genauer dazu: Coester-Waltjen, FamRZ 2012, 1185, 1186. Die Bestätigung ist seit Inkrafttreten des KEhenBekG bei einem Verstoß gegen § 1303 S. 1 BGB in § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. a BGB und bei Verstoß gegen § 1304 BGB in § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BGB enthalten. 51 Diese Regelung ist mittlerweile entfallen, s. Kap. 3 A. I. 52 Dessen örtliche Zuständigkeit bestimmt sich nach § 122 FamFG. 53 Durch das KEhenBekG wurde § 1303 BGB durch § 1303 S. 1 BGB ersetzt. 54 BGH 11.4.2012, Az. XII ZR 99/10, NJW-RR 2012, 897, 898; Rauscher, Familienrecht, § 12 Rn. 217. 55 MüKo/Wellenhofer, 7. Aufl., 2017, § 1316 BGB Rn. 9.

B. Minderjährigenehen im Lichte des deutschen Kollisionsrechts

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I. Relevante Kollisionsnormen zur Bestimmung des Eheschließungsstatuts In Art. 13 Abs. 1 EGBGB werden die materiellen Gültigkeitsvoraussetzungen der Eheschließung (Ehemündigkeit, Freiheit von Willensmängeln und das Fehlen sonstiger Eheschließungshindernisse) an die Staatsangehörigkeit jedes Heiratswilligen angeknüpft.56 Jeder Nupturient muss also im Zeitpunkt der Eheschließung nach seinem Personalstatut (Art. 5 EGBGB) hinsichtlich der Ehemündigkeit rechtlich in der Lage sein, eine vollwirksame Ehe einzugehen; insofern dürfen aus Sicht beider Heimatrechte keine Ehehindernisse vorliegen („Kumulationsprinzip“). Die Festlegung des Eheschließungsstatuts bzw. (bei unterschiedlicher Staatsangehörigkeit der Ehegatten) der Eheschließungsstatute unter Verwendung des Staatsangehörigkeitsprinzips kann jedoch mit Problemen verbunden sein. Besitzt eine Person beispielsweise mehrere Staatsangehörigkeiten (sog. Mehrstaater), von denen keine die deutsche ist, so ist nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 EGBGB das Recht des Staates anzuwenden, zu dem die Person die engste Verbindung aufweist (sog. effektive Staatsangehörigkeit).57 Ist die Person auch Deutscher, so geht diese Rechtsstellung nach Art. 5 Abs. 1 S. 2 EGBGB stets vor. Bei Staatenlosen wird der Anknüpfungspunkt der Staatsangehörigkeit gem. Art. 12 Abs. 1 StaatenlosenÜbk58 durch das Domizilprinzip59 ersetzt, wobei der Begriff des Wohnsitzes in diesem Kontext als gewöhnlicher Aufenthalt ausgelegt wird (sog. kollisionsrechtlicher Wohnsitzbegriff).60 Auch bei anerkannten Asylberechtigten

56 Bei der Ehemündigkeit handelt es sich um eine materielle Voraussetzung (zutreffend Henrich, FamRZ 2000, 819; OLG Bamberg 12.5.2016, Az. 2 UF 58/16, FamRZ 2016, 1270, 1272 f.) und nicht um eine Formfrage (irrtümlich OLG Karlsruhe 5.7.1999, Az. 2 UF 112/99, FamRZ 2000, 819). 57 Näher dazu: Andrae, Internationales Familienrecht, § 1 Rn. 16; Kropholler, Internationales Privatrecht, § 37, 265; Mankowski, IPRax 2017, 130, 134. 58 New Yorker UN-Übereinkommen über die Rechtsstellung der Staatenlosen vom 28.9.1954, BGBl. 1976 Teil II, 473 ff., in Kraft getreten in Deutschland am 24.01.1977. Die Norm geht als staatsvertragliche Kollisionsnorm gem. Art. 3 Nr. 2 EGBGB dem Art. 5 Abs. 2 EGBGB vor, s. MüKo/v. Hein, 8. Aufl., 2020, Art. 5 EGBGB Rn. 104; Mankowski, IPRax 2017, 40, 41 m.w. N. Ist jedoch Art. 1 Abs. 2 StaatenlosenÜbk einschlägig, so ist Art. 5 Abs. 2 EGBGB anzuwenden. Subsidiär bestimmt sich die personenrechtliche Stellung von Staatenlosen gem. Art. 12 Abs. 1 StaatenlosenÜbk nach dem Gesetz ihres Aufenthaltslandes. 59 Die Begriffe „Domizil“ und „Wohnsitz“ werden vorliegend synonym gebraucht. Zur umstrittenen Ausfüllung des Anknüpfungspunkts: Majer, StAZ 2016, 337, 338; Lass, Der Flüchtling im deutschen internationalen Privatrecht, 120 ff. 60 S. BeckOK/Lorenz, 62. Ed., 1.5.2022, Art. 5 EGBGB Rn. 33, 57; Staudinger/Bausback, 15. Aufl., 2013, Art. 5 EGBGB Rn. 66; Erman/Stürner, 16. Aufl., 2020, Art. 5 EGBGB Rn. 58, 65; Grüneberg/Thorn, 81. Aufl., 2022, Anh. Art. 5 EGBGB Rn. 2; Andrae, Internationales Familienrecht, § 1 Rn. 18; a. A. Mankowski, IPRax 2017, 130, 134; ders., Dual and Multiple Nationals, Stateless Persons, and Refugees, in: General Principles of European Private International Law, 2016, 189, 205.

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Kap. 2: Die gesetzliche Ausgangslage

nach §§ 2 Abs. 1, 6 AsylG61 und Flüchtlingen i. S. d. Genfer Flüchtlingskonvention (GFK)62 richtet sich das vom Personalstatut bestimmungsgemäß umfasste Eheschließungsstatut nach dem Recht des Wohnsitzlandes oder mangels eines solchen nach dem Recht des Aufenthaltslandes (Art. 12 Abs. 1 GFK).63 In Entsprechung zum StaatenlosenÜbk wird auch hier der Terminus „Wohnsitz“ im Sinne des gewöhnlichen Aufenthalts verstanden.64 Begründen die Eheschließungswilligen in diesen Fallgestaltungen also zum Zeitpunkt der Eheschließung ihren Wohnsitz bzw. gewöhnlichen, hilfsweise schlichten Aufenthalt im Inland, unterliegen die sachlichen Eheschließungsvoraussetzungen dem deutschen Recht. Bei einer vor Eintreten der Flüchtlingseigenschaft im Heimatstaat vollzogenen Eheschließung weisen die Beteiligten dagegen ein ausländisches Eheschließungsstatut auf. In Art. 12 Abs. 2 GFK wird im Interesse des Flüchtlings ausdrücklich

61 § 2 Abs. 1 AsylG verweist hinsichtlich der Rechtsstellung von Asylberechtigten auf die Genfer Flüchtlingskonvention. 62 UN-Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28.7.1951, BGBl. 1953 Teil II, 559 ff., für die Bundesrepublik in Kraft getreten am 24.12.1953, völkerrechtlich bindend seit dem 22.4.1954. Nach Art. 1 A Nr. 2 GFK sind u. a. solche Personen als Konventionsflüchtlinge zu qualifizieren, die aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befinden, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen können oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen wollen. Vom Anwendungsbereich umfasst sind auch Staatenlose, die sich infolge solcher Ereignisse außerhalb des Landes befinden, in welchem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatten, und nicht dorthin zurückkehren können oder wegen der erwähnten Befürchtungen nicht dorthin zurückkehren wollen. Ist ein Asylbewerber zum anerkannten Asylberechtigten avanciert und hat er diesen Status nicht nach §§ 72 ff. AsylG verloren, so erfolgt durch § 2 Abs. 1 AsylG als Rechtsfolgenverweisungsnorm auf die GFK (damals § 3 Abs. 1 AsylVfG, dazu Mansel, Personalstatut, Staatsangehörigkeit und Effektivität, 83 f.) rechtsverbindlich die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 Abs. 4 AsylG), s. Grüneberg/Thorn, 81. Aufl., 2022, Anh. Art. 5 EGBGB Rn. 23; Hüßtege, FamRZ 2017, 1374, 1376. Andernfalls muss die Flüchtlingseigenschaft selbständig beurteilt werden, s. Mankowski, IPRax 2017, 40, 41. Familienangehörige eines Asylberechtigten haben gem. § 26 Abs. 1, Abs. 5 AsylG dieselbe Rechtsstellung wie der Asylberechtigte selbst, s. a. Henrich, StAZ 2016, 1, 4. Genauer zur Flüchtlingseigenschaft: Budzikiewicz, StAZ 2017, 289, 291 f.; Henrich, StAZ 2016, 1, 4 f. 63 Zum Hintergrund der Ersatzanknüpfung s. Mansel, Personalstatut, Staatsangehörigkeit und Effektivität, 83 f.; Budzikiewicz, StAZ 2017, 289, 290. Kritisch demgegenüber Majer, StAZ 2016, 337, 340, der Art. 12 Abs. 1 GFK einer teleologischen Reduktion zuführen möchte. 64 BeckOK/Lorenz, 62. Ed., 1.5.2022, Art. 5 EGBGB Rn. 33; MüKo/v. Hein, 8. Aufl., 2020, Art. 5 EGBGB Anh. II Rn. 67; Grüneberg/Thorn, 81. Aufl., 2022, Anh. Art. 5 EGBGB Rn. 23; Erman/Stürner, 16. Aufl., 2020, Art. 5 EGBGB Rn. 58, 84; Kropholler, Internationales Privatrecht, § 37, 269; Rauscher, Internationales Privatrecht, Rn. 251; Rentsch, ZEuP 2015, 288, 299 f.; Staudinger/Bausback, 15. Aufl., 2013, Art. 5 EGBGB Rn. 65 f. i.V. m. Anh. IV Rn. 67; a. A. Soergel/Kegel, 12. Aufl., 1996, Art. 5 EGBGB Anh. Rn. 61; Mankowski, Dual and Multiple Nationals, Stateless Persons, and Refugees, in: General Principles of European Private International Law, 2016, 189, 203 f., 206; Andrae, NZFam 2016, 923, 924 f.

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der Schutz der unter einem alten Statut wohlerworbenen (insbesondere aus einer Eheschließung resultierenden) Rechte garantiert. Allerdings steht die Aufrechterhaltung einer nach Art. 12 Abs. 2 GFK zu bewahrenden Rechtsposition wiederum unter dem Vorbehalt ihrer ordre public-Konformität.65 Uneinigkeit herrscht hinsichtlich der Bestimmung des Eheschließungsstatuts von subsidiär Schutzberechtigten i. S. d. § 4 AsylG:66 Einerseits wird für eine Gleichstellung dieser Personengruppe mit den Konventionsflüchtlingen plädiert und damit auf das Recht an ihrem gewöhnlichen Aufenthalt abgestellt67, andererseits ist nach vielvertretener Auffassung Art. 13 Abs. 1 EGBGB auf subsidiär Schutzberechtigte unmittelbar anzuwenden, sodass sie kollisionsrechtlich ihrem Heimatrecht im Zeitpunkt der Eheschließung unterstehen.68 Auch bei Asylbewerbern im laufenden Asylverfahren sowie nicht anerkannten oder abgelehnten Asylbewerbern wird nicht auf eine Aufenthalts- oder Wohnsitzanknüpfung umgeschwenkt, sondern grundsätzlich auf ihr Heimatrecht abgestellt.69 Die Verweisung in Art. 13 Abs. 1 EGBGB führt in Einklang mit dem in Art. 4 Abs. 1 S. 1 EGBGB enthaltenen Grundsatz der Gesamtverweisung zunächst zur Anwendung der ausländischen Kollisionsnormen.70 Lehnt das ausländische Kollisionsrecht die Verweisung ab (sog. renvoi) und verweist auf das deutsche Recht zurück, ist unter Annahme der Verweisung nach Art. 4 Abs. 1 S. 2 EGBGB deutsches Sachrecht anzuwenden. Etwas anderes gilt bei der Anwendung von Art. 13 Abs. 1 EGBGB in Verbindung mit den besagten Normen des StaatenlosenÜbk bzw. der GFK, sofern die berufene (ausländische) Rechtsordnung ebenfalls die sachlichen Ehevoraussetzungen dem Personalstatut unterstellt: Hier erfordert der telos der völkerrechtlichen Abkommen, die auf die Vereinheitlichung des Personalstatuts abzielen, sowie das Bestreben nach internationalem Entscheidungseinklang die Einordnung als Sachnormverweisung, sodass ein Rückverweis (renvoi au premier degré) auf das deutsche Recht oder eine Weiterverweisung (renvoi au second degré) auf ein anderes Recht unbeachtlich bleiben.71 65

Dazu a. Majer, NZFam 2017, 537, 538. Unter diesen eigenständigen Status fällt insb. die Mehrzahl der in Deutschland lebenden Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge, genauer dazu Mankowski, IPRax 2017, 40, 42 ff. 67 Coester, StAZ 2016, 257, 259; zur weitgehenden Gleichstellung von subsidiärem Schutz und Flüchtlingsschutz im allgemeinen IPR: Mankowski, IPRax 2017, 40, 43 f.; krit. Arnold, Der Flüchtlingsbegriff der Genfer Flüchtlingskonvention im Kontext des Internationalen Privatrechts, in: Migration und IPR, 2019, 25, 46 ff. 68 Andrae, NZFam 2016, 923, 925; Hüßtege, FamRZ 2017, 1374, 1376. 69 Genauer hierzu: Mankowski, IPRax 2017, 40, 45 ff. 70 Vgl. BeckOGK/Rentsch, 1.5.2022, Art. 13 EGBGB Rn. 36; OLG Hamm 29.7. 1991, Az. 15 W 147/91, NJW-RR 1991, 391, 392. 71 OLG Hamm 29.7.1991, Az. 15 W 147/91, StAZ 1991, 315, 317; OLG Hamm 15.1.1992, Az. 15 W 295/90, StAZ 1993, 77, 79; Grüneberg/Thorn, 81. Aufl., 2022, Anh. Art. 5 EGBGB Rn. 24; Erman/Stürner, 16. Aufl., 2020, Art. 5 EGBGB Rn. 87. Mit Beispiel: Andrae, Internationales Familienrecht, § 1 Rn. 27; a. A. Lass, Der Flücht66

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Kap. 2: Die gesetzliche Ausgangslage

Die Anforderungen an die formelle Gestaltung des Eheschließungsaktes ergaben sich aus Art. 11 EGBGB i.V. m. Art. 13 Abs. 3 EGBGB a. F.

II. Beabsichtigte Eheschließung im Inland Begehren minderjährige Personen ausländischer Staatsangehörigkeit eine Eheschließung in Deutschland, so kann also über Art. 13 Abs. 1 EGBGB fremdes Recht zur Anwendung gelangen. Dennoch unterliegt die Eheschließung nach Maßgabe des Art. 13 Abs. 3 S. 1 EGBGB a. F.72 grundsätzlich den Formerfordernissen des inländischen Sachrechts, wonach sie nur unter Mitwirkung eines Standesbeamten (§ 1310 BGB) bei gleichzeitiger Anwesenheit der Eheschließenden (§ 1311 BGB) vollzogen werden kann. In diesem Sinne gilt der Grundsatz der alleinigen Rechtswirksamkeit einer vor dem Standesbeamten geschlossenen Ehe73 für alle innerhalb Deutschlands geschlossenen Ehen („Inlandsehe gleich Inlandsform“). Nach § 13 PStG hat der Standesbeamte die Aufgabe, die Ehemündigkeit sowie sonstige sachrechtliche Voraussetzungen für die Eheschließung von Amts wegen zu prüfen, eventuelle Ehehindernisse aufzudecken und die erforderlichen Informationen mitsamt den Geburtsdaten nach § 15 Abs. 1 Nr. 2 PStG in das Eheregister einzutragen. Zur Erleichterung dieser oftmals sehr komplexen Prüfung der maßgeblichen Vorschriften des Heimatlandes haben Personen, die hinsichtlich der materiellen Ehevoraussetzungen ausländischem Recht unterliegen, für die standesamtliche Trauung gem. § 1309 Abs. 1 BGB ein sog. Ehefähigkeitszeugnis der inneren Behörde des Heimatstaats zu beschaffen.74 Dieses hindert aber als bloßes Beweis-

ling im deutschen internationalen Privatrecht, 124 f.; MüKo/v. Hein, 8. Aufl., 2020, Art. 5 EGBGB Anh. I Rn. 12; Anh. II Rn. 73 f.; BeckOK/Lorenz, 62. Ed., 1.5.2022, Art. 5 EGBGB Rn. 36; Staudinger/Bausback, 15. Aufl., 2013, Art. 5 EGBGB Rn. 70; Anh. IV Rn. 68. In jedem Falle ist auch der ablehnenden Ansicht zufolge eine Sachnormverweisung dann anzunehmen, wenn der Rück- bzw. Weiterverweis im Ergebnis das Heimatrecht des Flüchtlings als einschlägige Rechtsordnung beruft. 72 Die Norm (mittlerweile Art. 13 Abs. 4 S. 1 EGBGB) verdrängt die allgemeine Formvorschrift des Art. 11 Abs. 1 EGBGB. 73 Zum Grundsatz der obligatorischen Zivilehe s. A. I. Ausnahmen dazu bilden die konsularische Eheschließung (s. diesbzgl. Hohloch, FPR 2011, 422, 423) und die Eheschließung vor einer mit spezieller Trauungsbefugnis ausgestatteten Person nach Art. 13 Abs. 3 S. 2 EGBGB a. F. 74 Dabei besteht die Vorlagepflicht auch dann, wenn das über Art. 13 Abs. 1 EGBGB berufene Recht die Verweisung nicht annimmt, sondern über seine eigene Anwendbarkeit negativ bestimmt und auf anderes Recht zurück- oder weiterverweist. Schließlich besteht insoweit der Zweck der Entlastung des Standesbeamten auch in Hinsicht auf das weiter- bzw. rückverweisende ausländische IPR. Hierzu und zur Frage, wie die Vorlagelast in einem solchen Fall konkret ausgestaltet ist, s. Staudinger/Mankowski, 15. Aufl., 2010, Art. 13 EGBGB Rn. 568 ff.; Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, 6. Aufl., 2010, § 11 Rn. 32. Ggf. ist zum Gebrauch der Urkunde im deutschen Rechtsverkehr die Legalisation der deutschen Auslandsvertretung oder die Anbringung einer Apostille

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mittel für das Nichtvorhandensein von Ehehindernissen nach dem Heimatrecht den Standesbeamten nicht daran, bei begründeten Zweifeln die Vornahme der Eheschließung gleichwohl abzulehnen.75 Sofern es sich um Flüchtlinge aus Krisengebieten handelt, wird den Betroffenen die Beibringung des Ehefähigkeitszeugnisses in der Regel nicht möglich sein.76 In diesem Fall können sie eine Befreiung von der Zeugnisvorlage beantragen, § 1309 Abs. 2 BGB.77 Hierbei handelt es sich um ein Justizverwaltungsverfahren, das in die Entscheidungszuständigkeit des Präsidenten des für den Antragsteller örtlich zuständigen Oberlandesgerichts fällt. Nach § 1309 Abs. 2 S. 2, 3 BGB wird die Befreiung regelmäßig Staatenlosen sowie Angehörigen solcher Staaten erteilt, deren Behörden kein Ehefähigkeitszeugnis ausstellen; in besonderen Ausnahmefällen kann sie aber auch gegenüber Angehörigen anderer Staaten ausgesprochen werden, sofern die Zeugnisvorlage unzumutbar oder unmöglich ist.78 Stehen der konkret beabsichtigten Eheschließung nach dem gem. Art. 13 Abs. 1 EGBGB anwendbaren Recht keine materiell-rechtlichen Ehehindernisse entgegen, so ist die Befreiung vom Zeugniserfordernis seitens des zuständigen Oberlandesgerichtspräsidenten zu erteilen.79 Neben dem vom nationalen Kollisionsrecht über Art. 13 Abs. 1 EGBGB berufenen ausländischen Recht bildet dabei auch das deutsche Recht den Gegenstand der Prüfung des Oberlandesgerichtspräsidenten.80 So steht das Vorliegen eines Ehehindernisses nach ausländischem Recht der Heirat zwischen den Beteiligten nur dann entgegen, wenn das Ehehindernis nicht gegen die wesentlichen Grundsätze des deutschen Rechts (sog. ordre public, Art. 6 EGBGB) verstößt und insoweit auch nicht die in § 1309

der zuständigen Heimatbehörde des jeweiligen ausländischen Staates erforderlich, s. BeckOK/Hahn, 62. Ed., 1.5.2022, § 1309 BGB Rn. 9. 75 BGH 14.7.1966, Az. IV ZB 243/66, FamRZ 1966, 495; BeckOK/Hahn, 62. Ed., 1.5.2022, § 1309 BGB Rn. 3; Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, 6. Aufl., 2010, § 11 Rn. 35; Rohe, StAZ 2000, 161, 163. 76 OLG Hamm 14.6.1974, Az. 15 VA 5/74, FamRZ 1974, 457; BeckOK/Hahn, 62. Ed., 1.5.2022, § 1309 BGB Rn. 17; Andrae, NZFam 2016, 923, 925. Zu beachten ist aber, dass nur Asylberechtigte, Flüchtlinge und Staatenlose mit ausländischem Personalstatut, deren Ehefähigkeit sich also aufgrund ihres Wohnsitzes bzw. gewöhnlichen oder hilfsweise schlichten Aufenthalts außerhalb Deutschlands nach ausländischem Recht bestimmt (s. 1.), ein Ehefähigkeitszeugnis beizubringen haben, s. dazu genauer Staudinger/Mankowski, 15. Aufl., 2010, Art. 13 EGBGB Rn. 573 ff., 580; Staudinger/Löhnig, 16. Aufl., 2015, § 1309 BGB Rn. 28 f. 77 In § 12 Abs. 1, 2 PStG sind die vom Antragsteller zu erbringenden Nachweise aufgeführt. 78 Zu diesen „besonderen Fällen“ s. genauer: BeckOK/Hahn, 62. Ed., 1.5.2022, § 1309 BGB Rn. 17 ff. 79 BeckOK/ders., 62. Ed., 1.5.2022, § 1309 BGB Rn. 20; Andrae, Internationales Familienrecht, § 1 Rn. 90. 80 MüKo/Coester, 8. Aufl., 2020, Art. 13 EGBGB Rn. 107.

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Kap. 2: Die gesetzliche Ausgangslage

Abs. 1 BGB ausdrücklich vorbehaltene spezielle ordre public-Klausel des Art. 13 Abs. 2 EGBGB zur Anwendung gelangt.81 Die in Form eines Bescheids ergehende Entscheidung tritt an die Stelle des Ehefähigkeitszeugnisses und entfaltet keine weitergehenden Rechtswirkungen.82 Hat der Eheschließungswillige weder das gesetzliche Heiratsmindestalter nach dem für ihn maßgeblichen Recht erlangt noch einen einschlägigen Dispens seitens eines Heimatgerichts vorzuweisen, so kann er einen Antrag auf Befreiung vom Alterserfordernis nach ausländischem Recht stellen (soweit ein entsprechender Dispens dort vorgesehen ist). Die Zuständigkeit hierfür liegt jedoch nicht beim Oberlandesgerichtspräsidenten, sondern nach § 99 Abs. 1 FamFG beim Familiengericht als dem für Kindschaftssachen zuständigen Organ. Die deutschen Gerichte sind demnach zuständig, wenn das Kind die deutsche Staatsangehörigkeit innehat, seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat oder der Fürsorge eines deutschen Gerichts bedarf.83 Sollte nach Prüfung des ausländischen Rechts der Dispens zu erteilen sein und die Eheschließung auch vor der vorgelagerten allgemeinen ordre public-Kontrolle des Art. 6 EGBGB Bestand haben, ist dem Antrag stattzugeben. Die inländische Eheschließung kann durch die Einholung des Ehefähigkeitszeugnisses und das Befreiungsverfahren also sehr viel Zeit beanspruchen.84 Bei der ordre public-Prüfung war zu beachten, dass der durch die Inlandsheirat gegebene starke Inlandsbezug die Einhaltung der in § 1303 Abs. 1 und Abs. 2 BGB a. F. gesetzten Grenzen erforderte.85 Die o. g. Formvorschriften bleiben jedoch außer Betracht, sofern die Eheschließung nach Art. 13 Abs. 3 S. 2 EGBGB a. F.86 von einer nach ausländischem Recht dazu ermächtigten Person vollzogen wird. Handelt es sich nämlich bei beiden Nupturienten um Ausländer87, so kann die Ehe ausnahmsweise ohne Mitwirkung eines Standesbeamten vor einer von der Regierung des Staates, dem einer der Verlobten angehört, ordnungsgemäß ermächtigten Person in der nach dem

81 MüKo/Wellenhofer, 9. Aufl., 2022, § 1309 BGB Rn. 15; BeckOK/Hahn, 62. Ed., 1.5.2022, § 1309 BGB Rn. 20; zum Art. 13 Abs. 2 EGBGB s. grundlegend die viel beachtete „Spanierentscheidung“ des BVerfG: BVerfG 4.5.1971, Az. 1 BvR 636/68, NJW 1971, 1509 ff. 82 S. nur MüKo/Wellenhofer, 9. Aufl., 2022, § 1309 BGB Rn. 23. 83 S. Andrae, NZFam 2016, 923, 925 f. 84 Die Langwierigkeit und Komplexität des Verfahrens ließ einen regelrechten „Heiratstourismus“ nach Dänemark entstehen, s. Opris, ZErb 2017, 158, 159 m.w. N. 85 BeckOGK/Erbarth, 1.6.2022, § 1353 BGB Rn. 252; Andrae, NZFam 2016, 923, 926. 86 Die Norm findet sich mittlerweile in Art. 13 Abs. 4 S. 2 EGBGB. 87 Die Beteiligung eines Mehrstaaters mit u. a. deutscher Staatsangehörigkeit ist selbst dann ausgeschlossen, wenn diese nicht die effektive i. S. d. Art. 5 Abs. 1 S. 2 EGBGB ist. Staatenlose sind dagegen auch bei gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland umfasst, s. MüKo/Coester, 8. Aufl., 2020, Art. 13 EGBGB Rn. 139.

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Recht dieses Staates vorgeschriebenen Form geschlossen werden.88 Dies gilt auch für Heiratsaspiranten mit deutschem Eheschließungsstatut ohne deutsche Staatsangehörigkeit.89 Dabei erbringt eine beglaubigte Abschrift der Eintragung der so geschlossenen Ehe in das Standesregister vollen Beweis der Eheschließung. Trauungspersonen i. S. d. Vorschrift sind konsularische oder diplomatische Vertreter, Funktionäre fremder Streitkräfte und durch staatlichen Hoheitsakt von der Regierung des betreffenden Staates zum Trauungsorgan bestellte Geistliche.90 Das Gefahrenpotenzial der Norm für Minderjährige wurde in der Vergangenheit als bedeutsam eingestuft, da eine Umgehung der ordre public-Kontrolle begünstigt und damit den Trauungen Minderjähriger der Weg geebnet würde.91

III. Bereits vollzogene Eheschließung im Ausland Auch die Frage nach der materiellen Wirksamkeit eines bereits im Ausland vorgenommenen Eheschließungsaktes bestimmt sich grundsätzlich gem. Art. 13 Abs. 1 EGBGB nach dem jeweiligen Heimatrecht beider Ehegatten, wobei nach Art. 4 Abs. 1 EGBGB erneut auch dessen IPR samt eventueller Rück- oder Weiterverweisung zu beachten ist.92 Aus dem Recht des Personalstatuts/der Personalstatute leiten sich ebenso die Folgen des Fehlens von sachlichen Voraussetzungen (Nichtigkeit, Aufhebbarkeit, Heilbarkeit) ab. Sollte die Ehe nach dem (Heimat-) Recht beider Ehegatten mangelbehaftet sein, so richten sich die rechtliche Bewertung des Mangels und die daraus resultierenden Fehlerfolgen nach der Rechtsordnung, die die schwereren Rechtsfolgen verhängt (Grundsatz des „ärgeren“ Rechts).93 In formeller Hinsicht richtet sich die Wirksamkeit einer Auslandsheirat dagegen nach der allgemeinen Anknüpfungsnorm für Formfragen (Art. 11 Abs. 1 EGBGB).94 Hiernach ist die Ehe aus deutscher Perspektive formwirksam zustande gekommen, wenn die formellen Anforderungen des materiel88

Genauer MüKo/ders., 8. Aufl., 2020, Art. 13 EGBGB Rn. 138 ff. S. MüKo/Coester, 8. Aufl., 2020, Art. 13 EGBGB Rn. 139. 90 Genauer hierzu MüKo/ders., 8. Aufl., 2020, Art. 13 EGBGB Rn. 140 ff.; Staudinger/Mankowski, 15. Aufl., 2010, Art. 13 EGBGB Rn. 628 ff. Jeweils am Beispiel eines griechisch-orthodoxen und eines Shia-Shariat-Priesters: OLG Celle 5. 11. 1964, Az. 5 Wx 72/64, NJW 1965, 224; OLG Köln 29.6.1981, Az. 16 Wx 57/81, FamRZ 1981, 868. 91 Die Vorschrift daher als mögliche „Schwachstelle im Minderjährigenschutz“ bezeichnend Antomo, NZFam 2016, 1155, 1157. 92 Diese kollisionsrechtlichen Grundsätze umging das OVG Münster 6.9.2006, Az. 18 B 1682/06, NJW 2007, 314, indem es grundlos für die Frage der materiellen Wirksamkeit der Eheschließung das dänische Eherecht heranzog. Diesen und andere Punkte kritisierend Mörsdorf-Schulte, NJW 2007, 1331 ff. 93 Näher dazu Erman/Stürner, 16. Aufl., 2020, Art. 13 EGBGB Rn. 37; Hepting, Deutsches und Internationales Familienrecht im Personenstandsrecht, III-254, III-257. 94 Zur Wirksamkeitsprüfung auf formeller Ebene, s. vertiefend: Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht, JAmt 2016, 16 ff. 89

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Kap. 2: Die gesetzliche Ausgangslage

len Eheschließungsstatuts nach Art. 13 Abs. 1 EGBGB gewahrt wurden (sog. Geschäftsform, Alt. 1) oder den Formerfordernissen des Rechts des Eheschließungsortes (lex loci celebrationis) Rechnung getragen wurde (sog. Ortsform, Alt. 2) gemäß dem Grundsatz „locus regit actum“. Zugunsten der Formgültigkeit von Rechtsgeschäften werden Orts- und Geschäftsrecht beide gleichermaßen berufen (Grundsatz der alternativen Anknüpfung).95 Im Ausland geschlossene Ehen bedürfen in Deutschland keiner Registrierung, ein für ausländische Entscheidungen in Ehesachen gem. § 107 FamFG bestehendes förmliches Anerkennungsverfahren gibt es nicht.96 Das Problem der Anerkennung des Ehegattenstatus wird vielmehr inzident relevant, wenn das Vorliegen einer wirksamen Ehe vorgreifliche Voraussetzung („Vorfrage“ 97) für den Eintritt einer daran anknüpfenden, zu regelnden Rechtsfolge („Hauptfrage“) ist oder nachträglich eine Beurkundung der Ehe erfolgen soll.98 Bei eingereisten Jugendlichen stellt sich die Frage der Anerkennungsfähigkeit der Ehe insbesondere im Rahmen des Merkmals „unbegleitet“ als Voraussetzung der vorläufigen Inobhutnahme (§ 42a Abs. 1 SGB VIII), sodass regelmäßig das Jugendamt gem. § 20 Abs. 1 SGB X die Wirksamkeit der Ehe zu prüfen hatte.99

IV. Verstoß von Minderjährigenehen gegen den ordre public sowie höherrangiges Recht und Rechtsprinzipien Da Minderjährigenehen mit wesentlichen Wertvorstellungen des deutschen Rechts kollidieren können, kann die Entscheidung über die Frage nach der maßgeblichen Altersgrenze nicht vorbehaltlos dem Auslandsrecht anvertraut werden. Vielmehr bedurfte der Grundsatz der Maßgeblichkeits des Heimatrechts in der Frage der Ehemündigkeit eines Korrektivs. Die Grenze der Heranziehung ausländischen Rechts und den eigentlichen Kernpunkt der Prüfung bei einer im Inland vorzunehmenden Eheschließung unter Beteiligung eines Minderjährigen sowie bei der Beurteilung der kollisionsrechtlichen Anerkennungsfähigkeit einer im 95 MüKo/Spellenberg, 8. Aufl., 2020, Art. 11 EGBGB Rn. 1; HK-BGB/Staudinger, 11. Aufl., 2021, Art. 11 EGBGB Rn. 3; Andrae, Internationales Familienrecht, § 1 Rn. 152; zur Verweisungsnatur ausführlich Staudinger/Winkler von Mohrenfels, 18. Aufl., 2019, Art. 11 EGBGB Rn. 42 ff.; MüKo/Spellenberg, 8. Aufl., 2020, Art. 11 EGBGB Rn. 16 ff. 96 S. Opris, ZErb 2017, 158; Hohloch, FPR 2011, 422, 426; Behrentin/Grünenwald, NJW 2018, 2010, 2011; Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht, JAmt 2016, 16, 18. 97 Zum Begriff der Vorfrage: Ollick, Das kollisionsrechtliche Vorfragenproblem und die Bedeutung des ordre public, 5 ff. 98 S. a. Antomo, NJW 2016, 3558, 3559; vgl. Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht, JAmt 2016, 127. 99 Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht, JAmt 2016, 370, 371. Seit Inkrafttreten des KEhenBekG ist in § 42a Abs. 1 S. 2 SBG VIII nunmehr festgeschrieben, dass auch ein verheiratetes Kind oder Jugendlicher als unbegleitet anzusehen ist.

B. Minderjährigenehen im Lichte des deutschen Kollisionsrechts

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Ausland geschlossenen Minderjährigenehe stellte daher der ordre public-Vorbehalt des Art. 6 EGBGB dar. Die bloße Abweichung von den Ergebnissen einer hypothetischen Anwendung inländischen Rechts begründet zwar noch keinen Verstoß gegen die deutsche öffentliche Ordnung.100 Die Bereitschaft zur Durchsetzung fremden Rechts endet aber dort, wo das Ergebnis der Rechtsanwendung im konkreten Fall in unhaltbarem Widerspruch zu den Grundgedanken und tragenden Prinzipien der deutschen Rechtsordnung steht.101 Nach Art. 6 S. 2 EGBGB ist eine fremde Rechtsnorm insbesondere dann nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung mit den Grundrechten unvereinbar ist. Nach allgemeiner Auffassung sind dabei auch die europa- und völkerrechtlichen Gewährleistungen der Menschenrechte zu berücksichtigen.102 Das Vorliegen eines ordre public-Verstoßes hatte zur Folge, dass die betreffende Ehe im Inland nicht geschlossen werden konnte bzw. der im Ausland bereits geschlossenen Minderjährigenehe die (vorbehaltlose) Anerkennung in Deutschland versagt wurde. 1. Berufung und Anwendung religiösen Rechts im deutschen IPR Auf einer Vorstufe zur ordre public-Prüfung stellt sich aufgrund des oben erörterten religiösen und kulturellen Hintergrunds von Minderjährigenehen kollisionsrechtlich aber zunächst die grundsätzliche Frage, inwieweit staatliches Recht überhaupt als Bewertungsmaßstab dienen kann, wenn in Deutschland die Wirksamkeit einer unter religiösem Familienrecht geschlossenen Ehe auf dem Prüfstand stehen sollte: So werden im Rahmen der Beurteilung der Anerkennungsfähigkeit ausländischer Minderjährigenehen regelmäßig fremde Rechtsnormen religiösen Charakters zur Anwendung berufen. Der Umgang staatlicher Gerichte mit religiösen Rechtssätzen könnte gewissen Einschränkungen unterliegen.103 Die Relevanz dieser Überlegung zeigt sich am Fall des OLG Bamberg: Hier basiert das als maßgebliches Recht berufene islamisch geprägte Eherecht Syriens auf dem Islam und ist damit gerade nicht als originär säkulares Recht zu klassifizieren. So soll das islamische Recht nach eigenem Selbstverständnis den Willen Gottes für die Menschheit ausdrücken und auf seiner Offenbarung beruhen.104 Einer Verweisung des IPR auf das zwar verstaatlichte, im Grunde jedoch religiöse ausländische Eherecht durch inländische Gerichte könnten im Hinblick auf 100 S. VG Berlin 29.7.2002, Az. 35 A 127.01, IPRspr 2002, 151, 152; AG Wuppertal 18.4.2016, Az. 64 F 154/15, BeckRS 2016, 135247, Rn. 41; Wurmnest, Ordre Public (Public Policy), in: General Principles of European Private International Law, 2016, 305, 306; Ernst, DRiZ 2019, 182. 101 Ständige Rspr. seit BGH 20.3.1963, Az. VIII ZR 130/61, BGHZ 39, 173, 176 f.; BGH 17.9.1968, Az. IV ZB 501/68, BGHZ 50, 370, 375 f. 102 Scholz, IPRax 2008, 213, 214. 103 Der Behandlung religiöser Normen im IPR widmet sich eingehend Stumpf, ZRP 1999, 205 ff. 104 Vikør, Between God and the Sultan, 1; für das islamische Familienrecht: Black/ Esmaeili/Hosen, Modern perspectives on islamic law, 107.

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Kap. 2: Die gesetzliche Ausgangslage

das Gebot religiöser Neutralität daher rechtliche Bedenken entgegenstehen.105 Vereinzelt wird daher die Auffassung vertreten, dass die Auslegung religiöser Vorschriften allein der jeweiligen Religionsgemeinschaft bzw. einem theologisch kompetenten Sachverständigen, nicht aber den deutschen Gerichten obliege.106 Gegen die Forderung nach der Zurückhaltung des Richters bei der Auslegung und Anwendung originär religiöser Normen lassen sich allerdings verschiedene Überlegungen ins Feld führen. Zunächst gestaltet sich die Abgrenzung zwischen religiösen und weltlichen Normen gerade dort, wo religiöse Vorstellungen in die weltliche Rechtssetzung eingeflossen sind, als diffizil. Meist sind die Normkomplexe so sehr miteinander verwoben, dass eine Differenzierung kaum vorzunehmen ist.107 Ist das religiöse Recht nämlich staatlich anerkannt (wie das typischerweise in den islamisch geprägten Rechtsordnungen der Fall ist), ist dieses Recht vorbehaltlos als staatliches Recht (wenn auch religiösen Ursprungs) zu begreifen. Ein richterliches Auslegungsverbot für religiös geprägtes Recht ist zudem aus verfassungsrechtlicher Sicht inakzeptabel.108 So ist die Auslegung entscheidungserheblicher Normen eine wesentliche Komponente der rechtsprechenden Gewalt, die gem. Art. 92 GG die Richter innehaben. Übertrüge man die Auslegungsbefugnis Religionsverbänden oder Sachverständigen, würde das zu einer sachwidrigen Verschiebung der Machtverhältnisse führen: Auf diese Weise verwandelte sich der Verband oder der Experte zu einer richterähnlichen Institution, die über den Rechtsfall letztlich zu befinden hätte.109 Daher kann und muss religiös geprägtes Recht durch deutsche Gerichte soweit zur Anwendung gelangen, wie es in den jeweiligen Rechtsordnungen durch die dortigen staatlichen und (staatlich anerkannten) religiösen Gerichte erfolgt.110 Ebenso darf die Anerkennungsfähigkeit ausländischer Eheschließungen in Deutschland nicht dadurch berührt werden, dass die zugrundeliegenden Regeln religiösen Ursprungs sind.111 2. Das Alter als umstrittenes Hauptkriterium Für die ordre public-Bewertung von Minderjährigenehen war man sich nur insoweit überwiegend einig, als dass aus Gründen des Kindeswohls und zum Schutz der sexuellen Selbstbestimmung auch bei Bestehen einer niedrigeren Ehe105 In vergleichbarer Weise ist der Islam in die Rechtsordnungen der oben genannten Beispielländer Afghanistan und Irak eingeflossen, s. Kap. 1 C. II. 3. b) und c). 106 So Stumpf, ZRP 1999, 205, 208. 107 Hierauf weist Scholz, StAZ 2002, 321, 322 hin. 108 Ders., StAZ 2002, 321, 323. 109 Vgl. ders., StAZ 2002, 321, 323. Es darf zudem nicht übersehen werden, dass die für eine bestimmte Glaubensrichtung stellvertretend auftretende Spitzenorganisation nicht immer feststeht, da es zumeist kein einheitliches Oberhaupt gibt. 110 Vgl. a. Jayme, Religiöses Recht vor staatlichen Gerichten, 37, der insoweit von einem Anwendungsbefehl spricht. 111 S. Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht, JAmt 2016, 127, 128.

B. Minderjährigenehen im Lichte des deutschen Kollisionsrechts

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mündigkeitsschwelle im ausländischen Heimatrecht die im deutschen Sexualstrafrecht gezogene Altersgrenze von 14 Jahren (§ 176 Abs. 1 StGB) nicht unterschritten werden darf.112 Im Übrigen taten sich aber im Hinblick auf die Frage, ab welchem konkreten Lebensalter die Eingehung einer Minderjährigenehe gegen den deutschen ordre public verstoßen kann, erhebliche Meinungsunterschiede auf.113 Teilweise wurde in starrer Entsprechung zu den nationalen sachrechtlichen Vorgaben für eine Mindestaltersgrenze von 16 Jahren bei Eheschließung plädiert.114 Nach einer anderen Auffassung konnte die Wirksamkeit von Eheschließungen für den deutschen Rechtsbereich unter dem Aspekt des Art. 6 EGBGB bereits dann nicht beanstandet werden, wenn der Minderjährige im Zeitpunkt der Eheschließung das 14. Lebensjahr erreicht hatte.115 In Einklang mit der niedrigsten in Europa vorzufindenden gesetzlichen Altersgrenze wurde dar-

112 MüKo/v. Hein, 8. Aufl., 2020, Art. 6 EGBGB Rn. 275; Erman/Stürner, 16. Aufl., 2020, Art. 13 EGBGB Rn. 41b; BeckOGK/Stürner, 1.2.2022, Art. 6 EGBGB Rn. 345; MüKo/Wellenhofer, 8. Aufl., 2021, Art. 229 § 44 EGBGB Rn. 3; Antomo, NZFam 2016, 1155, 1156; Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht, JAmt 2016, 127, 129; vgl. a. Kraus, StAZ 2017, 117, 119; Heiderhoff, IPRax 2017, 160, 161; a. A. AG Tübingen 25.10.1990, Az. 3 GR 105/90, ZfJ 1992, 48, das in einer im Alter von 12 Jahren nach uruguayischem Recht geschlossenen Ehe keinen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung erblickte. Hier hatte der gesetzliche Vertreter der minderjährigen Verlobten der Ehe jedoch zugestimmt, was nach alter Rechtslage von entscheidender Bedeutung war (zum Vertreterkonsens des § 3 Abs. 1 EheG 1946, s. Kap. 1 B. III. 2. b) bb) und cc)). 113 Gegen die Fokussierung auf das Alter: Brudermüller, Paarbeziehungen und Recht: Rechtsphilosophie und Familienrecht der Partnerschaft, 224; ähnlich Frank, StAZ 2012, 129, 130 f. 114 Coester, StAZ 1988, 122, 123; BeckOK/Lorenz, 62. Ed., 1.5.2022, Art. 6 EGBGB Rn. 25; Antomo, NJW 2016, 3558, 3561 f.; dies., NZFam 2016, 1155, 1159 f.; Bongartz, NZFam 2017, 541, 542; für eine 16-Jahresgrenze nur bei Vorliegen der entsprechenden Reife: Majer, NZFam 2016, 1019, 1021; eine statische Grenze verneinend KG 21.11.2011, Az. 1 W 79/11, FamRZ 2012, 1495, 1496. Einen ordre public-Verstoß nahm dagegen das AG Offenbach 30.10.2009, Az. 314 F 1132/09, FamRZ 2010, 1561, 1562 an, wobei jedoch die Tatsache, dass es sich bei der Ehe um eine durch einen Stellvertreter mit schriftlichem Einverständnis der minderjährigen Ehegattin vollzogene Nikah-Zeremonie handelte, den entscheidenden Grund hierfür darstellte. 115 Erman/Hohloch, 14. Aufl., 2014, Art. 13 EGBGB Rn. 24; Looschelders, Internationales Privatrecht – Art. 3–46 EGBGB, Art. 6 Rn. 44; Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht, JAmt 2016, 127, 129; Rohe, StAZ 2006, 93, 95; Luther, FamRZ 1962, 346, der trotz des seiner Ansicht nach vermutlichen Fehlens der erforderlichen Reife einen ordre public-Verstoß verneint; s. a. AG Hannover 7.1.2002, Az. 616 F 7355/00, FamRZ 2002, 1116, 1117 (eine zentrale Rolle spielten hier indes die Aspekte des Zeitablaufs, der Bestätigung und der Geburt von gemeinsamen Kindern); AG Tübingen 25.10.1990, Az. 3 GR 105/90, ZfJ 1992, 48. A. A. KG 21.11.2011, Az. 1 W 79/11, FamRZ 2012, 1495, 1496 (vorliegend bestand jedoch ein sehr starker Inlandsbezug: der Ehegatte war nur zwecks Eheschließung in den Libanon gereist und das Ehepaar hatte zu keinem Zeitpunkt miteinander zusammengelebt); s. hierzu die Kritik von Frank, StAZ 2012, 129 ff.; dieser Kritik zust. Jayme, Kulturelle Relativität und Internationales Privatrecht, in: Kulturelle Relativität und Internationales Privatrecht, 2014, 43, 52.

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Kap. 2: Die gesetzliche Ausgangslage

über hinaus ein Eingreifen der ordre public-Grundsätze bei Ehen ausgeschlossen, die von mindestens 15 Jahre alten Minderjährigen eingegangen wurden.116 Vereinzelt wurde für die Beurteilung sogar auf ein konkretes, einen ordre publicVerstoß auslösendes Alter verzichtet und stattdessen je nach kulturellem Hintergrund der Eheschließenden unterschieden.117 3. Hinreichender Inlandsbezug Nach einhelliger Auffassung war bei der Prüfung des ordre public-Vorbehalts danach zu unterscheiden, ob die Problematik der Anwendung ausländischen Rechts im Rahmen eines in Deutschland zu vollziehenden Eheschließungsaktes oder im Zuge einer nachfolgenden Prüfung der Anerkennungsfähigkeit einer bereits im Ausland vorgenommenen Eheschließung entsteht.118 Immerhin geht es bei dem erstgenannten Fall um die Entstehung einer Minderjährigenehe in Deutschland unter Mitwirkung eines Standesbeamten, sodass infolge der besonders engen Verbindung zur nationalen Rechtsordnung auf die deutschen Wertvorstellungen in besonderer Weise Rücksicht zu nehmen und die Schwelle für einen Verstoß gegen Art. 6 EGBGB entsprechend niedrig anzusetzen ist. Die Beurteilung der Wirksamkeit eines bereits im Ausland (aus dortiger Sicht wirksam) abgeschlossenen Rechtsverhältnisses aus der Retrospektive verlangt hingegen auch bei Bestehen eines Inlandsbezugs einen behutsamen Umgang mit dem Institut der öffentlichen Ordnung, der den Gegebenheiten des Einzelfalls hinreichend Rechnung trägt: Schließlich würde im Falle ihrer Nichtanerkennung die wirksam im Ausland zustande gekommene Ehe aus deutscher Sicht keine (volle) Gültigkeit erlangen, sodass die Eheleute in der misslichen Lage wären, dass sie die nach ihrem Eheschließungsstatut vollgültige Ehe in Deutschland nicht ohne Weiteres ausleben und eventuell nicht in den Genuss der Ehewirkungen kommen würden (sog. hinkende Ehe). Jedenfalls setzt sich die öffentliche Ordnung im konkreten Fall stets nur bei hinreichendem Inhaltsbezug durch.119 116 Staudinger/Mankowski, 15. Aufl., 2010, Art. 13 EGBGB Rn. 203; AG Hannover 7.1.2002, Az. 616 F 7355/00, FamRZ 2002, 1116, 1117; Mankowski, FamRZ 2016, 1274, 1275; Rohe, Islamisches Familienrecht in Deutschland im Wandel, in: Beiträge zum Islamischen Recht XI, 2016, 71, 79; ders., StAZ 2000, 161, 165; ebenfalls bei Ehemündigkeit von 15 Jahren nach Anwendung marrokanischen Rechts keinen ordre public-Verstoß annehmend VG Berlin 29.7.2002, Az. 35 A 127.01, IPRspr 2002, 151, 152; KG 7.6.1989, Az. 18 U 2625/88, FamRZ 1990, 45, 46; AG Syke 26.9.2017, Az. 22 F 97/14, juris; die Grenze zwischen dem 15. und dem 16. Lebensjahr ziehend Hepting, Deutsches und Internationales Familienrecht im Personenstandsrecht, III-281. 117 Hierfür hat sich jedenfalls Scholz, StAZ 2002, 321, 328 explizit ausgesprochen. Diesem gedanklichen Ansatz kritisch gegenüber: Majer, NZFam 2016, 1019, 1021. 118 Dies betont insb. Coester, StAZ 2016, 257, 259 f., der eine Parallele zur Behandlung polygamer Ehen zieht. S. a. Hofmann, Grundrechte und grenzüberschreitende Sachverhalte, 132. 119 Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland, BT-Drs. 10/504, 43; Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht – Bd. 1: Allgemeine Lehren, § 7 Rn. 263 f.

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4. Gegenwartsbezug Von besonderer Relevanz für die Frage der Anerkennung von im Ausland geschlossenen Minderjährigenehen war außerdem die Frage, welcher Zeitpunkt für die Beurteilung des ordre public-Verstoßes als ausschlaggebend anzusehen ist. So hielten beispielsweise die Amtsgerichte Hanau und Darmstadt (allein) den Zeitpunkt der Eheschließung für maßgeblich.120 Allerdings richtet sich die Vorbehaltsklausel des Art. 6 EGBGB ihrem Wortlaut nach nicht gegen eine abstrakte ausländische Rechtsnorm als solche, sondern gegen das Rechtsanwendungsergebnis im konkreten Fall, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar sein muss.121 Das Gericht hat demnach hic et nunc unter Würdigung aller Umstände zu entscheiden, ob der Fortbestand der Ehe zwischen den Beteiligten gerade im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (noch immer) dem unantastbaren Kernbereich der deutschen Rechtsordnung zuwiderläuft.122 Kam es also erst Jahre nach der Eheschließung der Minderjährigen im Ausland zu einer gerichtlichen Entscheidung in Deutschland, so waren die Ehen oft nicht mehr aus ordre public-Erwägungen heraus zu beanstanden.123 5. Rechtsfolgen des Verstoßes Die rechtlichen Folgen eines ordre public-Verstoßes sind nicht in Art. 6 EGBGB normiert. Die Vorschrift ordnet primär die Nichtbeachtung der betreffenden ausländischen Norm(en) an, was indes vielfach zu einer unbefriedigenden Regelungslücke führt.124 Das Gesetz schweigt hinsichtlich der Ausfüllung der120 Die genannten Entscheidungen des AG Hanau vom 6.5.2009 (Az. 41 III 9/08) und des AG Darmstadt vom 25.2.2011 (Az. 40 III 53/10) sind nicht veröffentlicht, werden aber beschrieben bei Frank, StAZ 2012, 129, 132. Ebenfalls den Gegenwartsbezug infolge der andauernden Minderjährigkeit der Ehegattin kategorisch ablehnend KG 21.11.2011, Az. 1 W 79/11, FamRZ 2012, 1495, 1496; krit. diesbezüglich: Heiderhoff, in: FS Geimer, 231, 236. 121 Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland, BT-Drs. 10/504, 43; Frank, StAZ 2012, 129, 132; Scholz, StAZ 2002, 321, 323; MüKo/v. Hein, 8. Aufl., 2020, Art. 6 EGBGB Rn. 220, 222; Erman/Hemler, 16. Aufl., 2020, Art. 6 EGBGB Rn. 17; vgl. a. Andrae, Internationales Familienrecht, § 1 Rn. 140; Wurmnest, Ordre Public (Public Policy), in: General Principles of European Private International Law, 2016, 305, 328; Mansel, Die kulturelle Identität im Internationalen Privatrecht, in: Pluralistische Gesellschaften und Internationales Recht, 2008, 137, 195 ff. 122 Erman/Hemler, 16. Aufl., 2020, Art. 6 EGBGB Rn. 18; Ehringfeld, KJ 1996, 271, 284; Staudinger/Voltz, 15. Aufl., 2013, Art. 6 EGBGB Rn. 144; zur inhaltlichen, räumlichen und zeitlichen Relativität des ordre public auch Büchler, Islamic law in Europe?, 41. 123 So im Fall des AG Hannover 7.1.2002, Az. 616 F 7355/00, FamRZ 2002, 1116; s. a. Frank, StAZ 2012, 129, 133; BeckOGK/Stürner, 1.2.2022, Art. 6 EGBGB Rn. 271 ff., 275 und 346. 124 MüKo/v. Hein, 8. Aufl., 2020, Art. 6 EGBGB Rn. 226; Erman/Hohloch, 15. Aufl., 2017, Art. 6 EGBGB Rn. 26.

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selben, um „der Praxis flexible und differenzierte Lösungen“ zu ermöglichen.125 Zur Klärung der Frage, welche Rechtsfolgen bei Eingreifen der Vorbehaltsklausel gelten, haben sich verschiedene Lösungsansätze entwickelt. a) Rückgriff auf die lex causae Dem Grundsatz vom geringstmöglichen Eingriff in das fremde Recht126 folgend könnte man die Lösung für das Problem nicht etwa im deutschen, sondern primär in dem von der Kollisionsnorm berufenen ausländischen Sachrecht (der lex causae) suchen.127 Nur wenn sich darin keine passenden Normen für vergleichbare Ehemängel finden, sei subsidiär als ultima ratio deutsches Recht als Ersatzrecht anzuwenden.128 Diese Sichtweise erscheint zunächst plausibel: Das auf dem strikten Ausnahmecharakter des ordre public129 basierende Gebot der zurückhaltenden Anwendung des Art. 6 EGBGB nötigt zu einem sorgsamen Umgang mit dem verletzten Recht.130 Die vorschnelle Durchsetzung eigenen Rechts unter Außerachtlassung und Ausschaltung der lex causae als originär zur Anwendung berufener Rechtsanwendungsquelle würde Gefahr laufen, dem Ideal des internationalen Entscheidungseinklangs zu widersprechen.131 Anstelle des automatischen Rückgriffs auf die deutsche lex fori sei sonach die ausfüllungsbedürftige Lücke durch eine modifizierte Anwendung des jeweiligen ausländischen Rechts selbst zu schließen. Folgte man dieser Ansicht, wäre in erster Linie das fremde Recht als Auffangrecht heranzuziehen. b) Anwendung der lex fori Dieser Auffassung ist jedoch entgegenzuhalten, dass sie inkonsequenterweise einen Rückgriff auf das ausländische Statut in Situationen vornimmt, in denen dieses als Lösungsstrategie für den konkreten Sachverhalt auf dem Prüfstand der 125

Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland, BT-Drs. 10/504, 44. Zurückgehend auf Pillet/Niboyet, Manuel de droit international privé, 554: „minimum d’atteinte portée à la loi étrangère“. S. dazu a. Schwung, RabelsZ 49 (1985), 407, 413. 127 S. nur BGH 21.11.1958, Az. IV ZR 107/58, BGHZ 28, 375, 387; BGH 14.10. 1992, Az. XII ZB 18/92, BGHZ 120, 29, 37; OLG Düsseldorf 19.12.2008, Az. I-3 WX 51/08, IPRax 2009, 520, 523; OLG München 16.4.2012, Az. 31 Wx 45/12, NJW-RR 2012, 1096, 1097; KG 26.2.2008, Az. 1 W 59/07, NJW-RR 2008, 1109, 1111; Palandt/ Thorn, 75. Aufl., 2016, Art. 6 EGBGB Rn. 13; eingehend MüKo/v. Hein, 8. Aufl., 2020, Art. 6 EGBGB Rn. 230 ff.; Rauscher, Internationales Privatrecht, Rn. 596. 128 S. BeckOGK/Stürner, 1.2.2022, Art. 6 EGBGB Rn. 289. 129 Dazu Spickhoff, Der ordre public im internationalen Privatrecht, 104. 130 MüKo/v. Hein, 8. Aufl., 2020, Art. 6 EGBGB Rn. 230; das behutsame Vorgehen als „Grundsatz und Richtschnur“ bezeichnend Staudinger/Voltz, 15. Aufl., 2013, Art. 6 EGBGB Rn. 212. 131 Zum internationalen Entscheidungseinklang: Kropholler, Internationales Privatrecht, § 6, 36 ff. 126

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deutschen öffentlichen Ordnung gerade versagt hat.132 Es wirkt befremdlich, einem Recht, das sich selbst nicht als verletzt begreift und daher weder eine Verletzungsfolge anordnet noch eine Auffanglösung bereithält, die Folgen der Verletzung der Vorbehaltsklausel abgewinnen zu wollen.133 Letztlich kreierte man dadurch ein willkürlich geschaffenes Kunstrecht und Ergebnisse, die das ausländische Recht für den speziellen Fall gerade nicht herzugeben vermag.134 Außerdem lässt dieser Lösungsansatz außer Betracht, dass der Gesetzgeber an den Stellen im Gesetz, an denen er eine spezielle ordre public-Norm geschaffen hat, stets die lex fori als Ersatzrecht beruft (z. B. Art. 13 Abs. 2 EGBGB).135 Auch rechtsvergleichend ist eine starke Neigung zur Heranziehung der lex fori auszumachen.136 Die zu Recht angemahnte Zurückhaltung beim Eingriff in ausländische Rechtsordnungen muss bereits auf einer vorgelagerten Ebene berücksichtigt werden, namentlich bereits dann, wenn untersucht wird, ob das ausländische Recht überhaupt gegen die deutsche öffentliche Ordnung verstößt. Ist dies aber der Fall, so kann nicht ebendiese lex causae zur Lösung des Problems herangezogen werden. Vielmehr muss die lex fori als Ersatzrecht konsultiert werden. c) Aufhebbarkeit von Minderjährigenehen Der Rückgriff auf die lex causae konnte auch im Hinblick auf die Rechtsfolgen eines ordre public-Verstoßes unüberwindbare Schwierigkeiten bereiten: Konnten auch im ausländischen Recht Verstöße gegen eherechtliche Mindestaltersvorschriften grundsätzlich die Aufhebbarkeit der Ehe nach sich ziehen, so 132 Mankowski, FamRZ 2016, 1274, 1276; im Ergebnis ebenso: Andrae, NZFam 2016, 923, 929; Opris, ZErb 2017, 158, 162 m. Fn. 35; Antomo, NJW 2016, 3558, 3562; Looschelders, Internationales Privatrecht – Art. 3–46 EGBGB, Art. 6 Rn. 32 f.; Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht – Bd. 1: Allgemeine Lehren, § 7 Rn. 285 ff.; obige Auffassung mit eingehender Begründung erörternd Schwung, RabelsZ 49 (1985), 407, 409 ff. 133 So auch in etwa Mankowski, FamRZ 2016, 1274, 1276. 134 Entsprechend argumentiert auch Ollick, Das kollisionsrechtliche Vorfragenproblem und die Bedeutung des ordre public, 61. 135 S. dies., Das kollisionsrechtliche Vorfragenproblem und die Bedeutung des ordre public, 61; Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht – Bd. 1: Allgemeine Lehren, § 7 Rn. 285; das Argument ließe sich jedoch auch umkehren: s. Spickhoff, Der ordre public im internationalen Privatrecht, 104; mit Hinweis auf die Gesetzesmaterialien (BTDrucks. 10/504, 44) auch Stürner/Krauß, Ausländisches Recht in deutschen Zivilverfahren – Eine rechtstatsächliche Untersuchung, 173 Rn. 477. 136 Lagarde, Chapter 11 – Public Policy, in: International Encyclopedia of Comparative Law – vol. III Part. 1: Private International Law, 2011, Rn. 53 ff.; Stürner/Krauß, Ausländisches Recht in deutschen Zivilverfahren – Eine rechtstatsächliche Untersuchung, 173, Rn. 479. So z. B. in Frankreich, s. Batiffol/Lagarde, Droit international privé, 591 f. Nr. 367; Schwung, RabelsZ 49 (1985), 407, 409 ff., Belgien, Spanien, Italien und Österreich, mit Bsp. Lagarde, Chapter 11 – Public Policy, in: International Encyclopedia of Comparative Law – vol. III Part. 1: Private International Law, 2011, Rn. 54; Melcher, EF-Z 2018, 103, 106.

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Kap. 2: Die gesetzliche Ausgangslage

war der soeben angeführte Streit zwar nicht von rechtlicher Bewandtnis, weil sich über die lex causae ja gerade eine dem deutschen Rechtsverständnis entsprechende, funktional äquivalente Lösung entnehmen ließ.137 Bei Divergenz der statusrechtlichen Rechtsfolgen fehlerhafter Ehen in der fremden Rechtsordnung hingegen führte die Anwendung des ausländischen Ersatzrechts ggf. zur Nichtigkeit und damit zur Nichtanerkennung der Ehe in Deutschland.138 Unter diesen Voraussetzungen galt die im Ausland weiterhin wirksame Ehe in Deutschland nicht als gültig (sog. hinkende Ehe). Diese Lösung, wonach die nach dem ausländischen Eheschließungsstatut wirksame Ehe unter Berufung auf ebendieses Recht härteren Fehlerfolgen unterworfen wurde, als im deutschen Recht für Fälle dieser Art überhaupt existieren, leuchtet nicht ein.139 Wurde im Fall einer Minderjährigenehe ein ordre public-Verstoß festgestellt, so musste also richtigerweise das deutsche Fehlerfolgenrecht zur Anwendung gelangen, wonach die Ehe als aufhebbar zu klassifizieren war.140 Eine eindeutige Schwäche der ordre public-Norm, die sich gerade auch im Kontext der Minderjährigenehen negativ auswirken konnte, weil die Betroffenen in diesem Zusammenhang ein besonders starkes Bedürfnis nach Statussicherheit haben, war seine Rechtsverhältnisbezogenheit. Der ordre public greift nur inter partes und entfaltet keine erga omnes Wirkung.141 Wurde also in einem Verfahren die ordre public-Widrigkeit der Ehe überprüft, so war das Resultat nicht verallgemeinerungsfähig. Die Wirksamkeit der Ehe musste vielmehr für jedes Verfahren einzeln überprüft werden, wodurch es zu konträren Entscheidungen kommen konnte. 6. Eventuelle Vermeidung der ordre public-Prüfung – Einordnung als zweiseitiges Ehehindernis Vielfach wurde der Beitritt der Bundesrepublik zum Ehewille-UNÜ142 zum Anlass genommen, den Mangel der Eheunmündigkeit bei Eheschließungen unter 137

So im Fall des OLG Bamberg 12.5.2016, Az. 2 UF 58/16, FamRZ 2016, 1270 ff. Ebendieser Rechtsfolge wurde die Ehe im Fall des KG 21.11.2011, Az. 1 W 79/ 11, FamRZ 2012, 1495, 1496 f. ausgesetzt, wo schiitisches Recht zur Anwendung berufen wurde; krit. Jayme, Kulturelle Relativität und Internationales Privatrecht, in: Kulturelle Relativität und Internationales Privatrecht, 2014, 43, 52; Frank, StAZ 2012, 129, 132 f. Zur Nichtigkeit als Fehlerfolge im schiitischen Recht, s. Kap. 1 C. II. 3. a) m. Fn. 238. 139 S. a. Andrae, NZFam 2016, 923, 929. 140 Für die Annahme von Nichtehen plädierten dies., NZFam 2016, 923, 929; Frank, StAZ 2012, 129, 131 (bei Eheschließungen vor Vollendung des 14. Lebensjahres). 141 S. nur Plich, Betrifft Justiz 2017, 141, 142; Weller, Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen, Mai 2017, 3 f. 142 Ziel dieses Übereinkommens ist nach seiner Präambel die völkerrechtliche Sicherung des Grundrechts auf freie Eheschließung. Ein spezifisches Heiratsmindestalter enthält die Konvention indes nicht, s. hierzu bereits Kap. 1 C. III. 138

B. Minderjährigenehen im Lichte des deutschen Kollisionsrechts

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Beteiligung von Personen mit inländischem Personalstatut nach englischem Vorbild143 als sog. zweiseitiges Ehehindernis einzuordnen, sodass die ordre publicPrüfung insofern obsolet wurde.144 Soweit einer der Nupturienten nämlich ein deutsches Eheschließungsstatut aufwies und demgemäß für ihn deutsches Recht Anwendung fand, musste dieser Auffassung zufolge die aus deutscher Sicht fehlende Ehemündigkeit bloß in der Person des anderen Verlobten vorliegen, um gegen die Zulässigkeit der Eheschließung zu sprechen. Die Vermeidung der aufwendigen und komplexen ordre public-Kontrolle erscheint zwar zunächst sinnvoll. Gleichzeitig wurden die jeweiligen Ehen damit aber einer genaueren Einzelfallüberprüfung entzogen. Weiterhin kann die Teilnahme am Ehewille-UNÜ zwar als Anhaltspunkt für die rechtspolitische Unerwünschtheit von Minderjährigenehen angesehen werden.145 Die Herleitung eines absoluten Verbots, auf das sich die Theorie vom zweiseitigen Ehehindernis stützte, geht indes zu weit, zumal das Übereinkommen keine Altersregulierung enthielt. Außerdem wurde der Qualifizierung der Ehemündigkeit deutschen Rechts als zweiseitige Ehevoraussetzung eine „Vermengung von Auslegungs- und ordre public-Fragen“ angelastet.146 Aus diesen Gründen ist der Mangel der Eheunmündigkeit als einseitiges Ehehindernis auszulegen, sodass unabhängig vom Eheschließungsstatut bei Minderjährigenehen der ordre public zu Rate zu ziehen ist.147 Ein ehemündiger Deutscher konnte also die Ehe mit einer ausländischen Minderjährigen schließen, die nach ihrem Heimatrecht, nicht jedoch nach deutschem Eheschließungsrecht ehemündig war, sofern die vom ordre public aufgestellten Grenzen eingehalten waren.

V. Der Beschluss des OLG Bamberg Als Musterbeispiel für die rechtliche Behandlung einer im Ausland geschlossenen Minderjährigenehe vor Inkrafttreten des neuen Gesetzes kann an dieser Stelle auf die aufsehenerregende Entscheidung des OLG Bamberg vom 12. Mai 2016148 verwiesen werden. Der Beschluss erregte nicht nur höchste Aufmerk-

143 S. dazu den Fall „Pugh vs. Pugh“, 1951, 2 All E.R. 680, besprochen bei: Bresler, The International Law Quarterly 4 (1951), 478 ff. 144 Mankowski, FamRZ 2016, 1274, 1275; Staudinger/ders., 15. Aufl., 2010, Art. 13 EGBGB Rn. 203; Antomo, NZFam 2016, 1155, 1157; Andrae, NZFam 2016, 923 f.; MüKo/Coester, 8. Aufl., 2020, Art. 13 EGBGB Rn. 50; Wagenitz/Bornhofen, Handbuch EheschlR, 235. 145 Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht – Bd. 2: Besonderer Teil, § 4 Rn. 92 m.w. N. 146 Verbatim Hepting, Deutsches und Internationales Familienrecht im Personenstandsrecht, III-280. 147 So auch ders., Deutsches und Internationales Familienrecht im Personenstandsrecht, III-280 f.; Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, 805. 148 OLG Bamberg 12.5.2016, Az. 2 UF 58/16, FamRZ 2016, 1270 ff.; im Ergebnis zust., jedoch krit. hinsichtlich der Begründung Nehls, ZJS 2016, 657 ff.

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Kap. 2: Die gesetzliche Ausgangslage

samkeit in den Medien149 und gab in der Politik den Anstoß für die Diskussion um den Umgang mit Kinderehen150, sondern er entfaltete auch in rechtlicher Hinsicht weittragende Wirkungen, die letztlich in der Gesetzesreform in Gestalt des KEhenBekG als Reaktion des Gesetzgebers mündeten. Infolge der vom OLG Bamberg zugelassenen Rechtsbeschwerde beschäftigte sich auch der BGH mit dem Fall151 und legte dem BVerfG die Frage der Verfassungswidrigkeit des neuen Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB vor. Ausgangspunkt des Verfahrens waren Anordnungen eines für den minderjährigen Ehegatten bestellten Vormunds in Bezug auf dessen Umgang mit seinem „Ehegatten“. Im Zentrum der Entscheidung aber stand die Frage der Anerkennung einer vor der Flucht aus dem Heimatstaat geschlossenen Ehe zwischen einer zum Zeitpunkt der Eheschließung 14-jährigen Syrerin und ihrem volljährigen Gatten. 1. Der Ausgangsfall Die damals 14-jährige syrische Staatsangehörige F, geboren am 1.1.2001, heiratete im Februar 2015 in ihrem Heimatland beim zuständigen Scharia-Gericht in Sarakeb rechtswirksam ihren am 1.1.1994 geborenen, 21-jährigen Cousin M. Bevor die Eheleute von Syrien über die Balkanroute nach Deutschland flohen, lebten sie dort seit Februar 2015 in ehelicher Lebensgemeinschaft zusammen. Nach ihrer Ankunft in Deutschland im August 2015 bestellte das AG Aschaffenburg mit Beschluss vom 16.9.2015 das Jugendamt zum Vormund, das bereits vorher die Inobhutnahme der F in Form ihrer Unterbringung in einer Jugendhilfeeinrichtung für weibliche minderjährige unbegleitete Flüchtlinge veranlasst hatte. Zwischen M und F wurde nur Kontakt in überwachter Form gestattet, da sexuelle Handlungen zwischen den Eheleuten und eine Verwirklichung des Straftatbestands des § 182 StGB befürchtet wurden. In der Folgezeit forderte M die Überprüfung der Umgangsregelung und übersandte die Ausfertigungen der relevanten Ehedokumente samt deutscher Übersetzung. Das AG legte die auf Aufhebung der Inobhutnahme gerichtete Aufforderung des M als Antrag auf Regelung des Umgangs mit seiner Frau aus und sprach ihm mit Beschluss vom 7.3.2016 das Recht auf einen wöchentlichen unbegleiteten Umgang von Freitag 17 Uhr bis Sonntagabend 17 Uhr zu, da er als enge Bezugsperson nach § 1685 Abs. 2 S. 1 BGB einzuordnen sei, woraus ein Umgangsrecht zwischen den Beteiligten resultiere. Die 149 Issig, Kinderehen nach Scharia-Recht spalten deutsche Justiz, Die Welt, 31.5. 2016; Schulz, Urteil von Bamberg – Bayerisches Gericht erklärt Kinderehe für rechtmäßig, Susanne Schröter im Gespräch, 15.6.2016. 150 S. die Debatte zwischen dem ehemaligen bayerischen Staatsminister für Justiz (CSU) Winfried Bausback („Kinder gehören nicht vor den Traualtar“), dem Pressesprecher des Deutschen Kinderhilfswerks e. V. Uwe Kamp („Ein Verbot ist noch kein Schutz“) und Dominik Bär vom Deutschen Institut für Menschenrechte („Pauschale Lösungen sind realitätsfern“), Thiele, Debatte: Kinderehen – dulden oder verbieten?, Tagesspiegel Causa November 2016. 151 BGH 14.11.2018, Az. XII ZB 292/16, FamRZ 2019, 181 ff.

B. Minderjährigenehen im Lichte des deutschen Kollisionsrechts

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Ausnutzung der fehlenden sexuellen Selbstbestimmung der F sei nicht zu besorgen und eine Strafbarkeit nach § 182 StGB damit nicht gegeben: Es fehle an der Vergleichbarkeit mit anderen deutschen Mädchen gleichen Alters, F habe bereits vor der Flucht mit M in ehelicher Gemeinschaft zusammengewohnt, eine Zwangsheirat könne im vorliegenden Fall nicht unterstellt werden. Gegen diese Entscheidung legte das Jugendamt Beschwerde ein und regte an, dem M jede Woche einen lediglich dreistündigen überwachten Umgang in Begleitung eines Dritten zu gewähren, da andernfalls mit dem Vollzug ungeschützten Geschlechtsverkehrs zu rechnen sei. 2. Entscheidungsgründe Das OLG Bamberg wies die Beschwerde des Jugendamts als unbegründet zurück und hob die erstinstanzliche Umgangsregelung ersatzlos auf. Für die internationale Zuständigkeit sei die Brüssel IIa-VO152 sachlich anwendbar, da die Hauptfrage nach der Bestimmungsbefugnis des Vormunds für den Aufenthalt des minderjährigen Ehegatten in den Bereich der elterlichen Verantwortung i. S. d. Art. 1 Abs. 1 lit. b, Abs. 2 lit. a Brüssel IIa-VO falle. Nach Art. 8 Abs. 1 Brüssel IIa-VO ist der Ort des gewöhnlichen Aufenthalts maßgeblich. Die mittlerweile 15-jährige F war vor dem syrischen Bürgerkrieg von Syrien nach Deutschland geflohen und befand sich zum Entscheidungszeitpunkt seit 8 Monaten im Inland, woraus sich eine internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte ergebe. Hilfsweise könne anlässlich der Flüchtlingseigenschaft der F auf Art. 13 Abs. 2 Brüssel IIa-VO bzw. auf Art. 6 Kinderschutzübereinkommen (HKsÜ)153 oder Art. 16 GFK zurückgegriffen werden. Das anzuwendende Recht bestimme sich für Fragen der Vormundschaft nach Art. 1 Abs. 1 lit. c, Abs. 2 und Art. 3 lit. b und c HKsÜ. Über Art. 15 Abs. 1 HKsÜ, der für die international zuständigen Behörden und Gerichte an das Sachrecht der lex fori anknüpft, gelangt das OLG für die Bestellung des Vormunds zur Anwendbarkeit deutschen Rechts. Den sonach anwendbaren §§ 1800, 1633 BGB154 zufolge stünde dem Vormund im Falle des Bestehens einer wirksamen Ehe das Aufenthaltsbestimmungsrecht über die minderjährige Ehefrau gerade nicht mehr zu. Die Entscheidungsbefugnis des Vormunds ergäbe sich auch nicht 152 Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (Brüssel IIa-Verordnung) vom 1.8.2004, ABl. 23.12.2003, L 338/1. 153 Gesetz zu dem Haager Übereinkommen vom 19. Oktober 1996 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern vom 25. Juni 2009 (HKsÜ), BGBl. 2009 Teil II, 602 ff. Die Vorschrift des Art. 6 HKsÜ ist jedoch gem. Art. 61 lit. a Brüssel IIa-VO nachrangig. 154 Die Norm des § 1633 BGB wurde im Zuge des KEhenBekG aufgehoben.

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aus Art. 16 Abs. 3 und 4 HKsÜ, da nach syrischem Recht mit der wirksamen Eheschließung die elterliche Sorge erloschen sei. Nach dem gem. Artt. 11, 13 Abs. 1 EGBGB anwendbaren syrischen Recht sei die Ehe unter Einhaltung sämtlicher Vorschriften des syr. PStG155 wirksam geschlossen worden und damit hier anzuerkennen. Ob und wann die Unterschreitung des deutschen Ehemündigkeitsalters einen ordre public-Verstoß darstelle, sei in der Rechtsprechung bisher uneinheitlich beantwortet worden. Doch selbst unter der Prämisse einer ordre public-Widrigkeit nach Art. 6 EGBGB bestünde kein Automatismus dahingehend, dass die den deutschen Ehemündigkeitsanforderungen nicht genügende Ehe nicht anzuerkennen sei. Rechtsfolge sei lediglich die Nichtanwendung der ausländischen Vorschrift mit der Folge, dass die entstandene Rechtslücke nach fremdem Recht möglichst systemkonform zu schließen sei. An dieser Stelle rekurriert das OLG auf die Folgen einer Mindestalterunterschreitung nach syrischem Recht, wonach die Ehe als lediglich anfechtbar dennoch Wirkungen entfaltet, solange die Beiwohnung stattgefunden hat. Dies war nach den Angaben der Eheleute der Fall, weswegen die vorliegende Ehe lediglich als aufhebbar zu qualifizieren war. Nach deutschem Recht stelle sich die Sachlage nicht anders dar (§§ 1303, 1314 Abs. 1 BGB a. F.). Dem Vormund stehe die tatsächliche Personensorge wegen §§ 1800, 1633 BGB a. F. nicht mehr zu, sodass sein Aufenthaltsbestimmungsrecht entfalle und die Ehefrau ihren Aufenthalt selbst bestimmen könne. Der Umgangsregelungsbeschluss sei ohne Rechtsgrundlage erfolgt und daher aufzuheben. 3. Würdigung: Einzelfallbezogenheit als Leitmaxime Der Beschluss des OLG Bamberg darf nicht den Eindruck erwecken, vor Inkrafttreten des KEhenBekG seien im Alter von unter 15 Jahren geschlossene Ehen typischerweise in Deutschland anerkannt worden. Vielmehr nahm das Gericht an, dass sich die Frage der Anerkennungsfähigkeit der zwischen M und F geschlossenen Ehe nur durch eine Einzelfallabwägung beantworten lasse. Unter hohem Begründungsaufwand kam es schließlich zu dem Ergebnis, dass die Ehe für den deutschen Rechtsbereich als wirksam anzuerkennen war. Vor dem Hintergrund der oben dargestellten ehemaligen Rechtslage ist die Entscheidung in rechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden. Die Qualifizierung der Ehemündigkeit als zweiseitiges Eheverbot wurde hier gar nicht erst in Betracht gezogen, da die Eheschließenden beide ein syrisches Eheschließungsstatut aufwiesen. Kernfrage war vielmehr, ob die Ehe gem. Art. 6 EGBGB in unhaltbarem Widerspruch zu tragenden Prinzipien des deutschen Rechts stand. Zwar war die Ehefrau im Zeitpunkt der Eheschließung gerade einmal 14 Jahre alt, eine 155 Die Vorschriften des syr. PStG sind einsehbar bei Yassari/Krell, Eherechtliche Bestimmungen im syrischen Personalstatutsgesetz v. 1953 (PSG) – Länderbericht Syrien, in: Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, 51 ff.

B. Minderjährigenehen im Lichte des deutschen Kollisionsrechts

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konkrete Altersgrenze für die Bejahung eines ordre public-Verstoßes hatte sich aber in der deutschen Praxis bislang nicht herausgebildet. Nach den Feststellungen des OLG lagen keine greifbaren Anhaltspunkte für eine Zwangsehe vor, beide Ehegatten wünschten den Fortbestand ihrer Ehe und bestanden auf einer gemeinsamen Unterbringung. Weiterhin führte das Gericht an, dass sowohl das in Syrien geltende als auch das deutsche Eherecht bei der Verletzung von Ehemündigkeitsvorschriften auf das Rechtsinstitut der Aufhebbarkeit zurückgreife. Daher gelangte es zu dem Resultat, dass sowohl nach der lex causae156 als auch nach der lex fori ein eventueller ordre public-Verstoß (mangels Vorliegens einer entsprechenden gerichtlichen Aufhebungsentscheidung) die Wirksamkeit der streitgegenständlichen Ehe letztlich unbeschadet ließ. In der Tat könnte man einen Mangel des Beschlusses darin erblicken, dass der Familiensenat des OLG Bamberg auf eine – auch im Wege eines obiter dictum durchaus mögliche – Stellungnahme zu der ordre public-Vereinbarkeit der vorliegenden Minderjährigenehe letzten Endes verzichtet hat.157 Seine Enthaltung in dieser Frage liegt aber wohl darin begründet, dass das Gericht keine Typisierung herbeiführen, sondern auf die starke Bedeutsamkeit einer ausgewogenen Einzelfallprüfung hinweisen wollte. Ob es jemals zu einem Aufhebungsverfahren kommen würde, war für das OLG nicht absehbar, denn dafür hätte die zuständige Behörde gem. § 1316 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 S. 2 i.V. m. § 1303 S. 1 BGB erst einmal einen Aufhebungsantrag stellen müssen. Außerdem hätte ein entsprechender Hinweis für ein Aufhebungsverfahren, das u. U. vor einem anderen Gericht hätte geführt werden müssen, keine besonders starke Aussagekraft besessen. Letztlich kann die unterlassene Beantwortung der Frage nach dem Vorliegen eines ordre public-Verstoßes wohl auch als ein Bekenntnis für eine einzelfallbezogene Untersuchung der jeweiligen Minderjährigenehe unter Beachtung des Kindeswohls verstanden werden. Weiterhin dürften die Ausführungen des Gerichts eher dahin zu verstehen sein, dass die Richter dazu tendierten, die streitgegenständliche Ehe auf dem Prüfstand der öffentlichen Ordnung bestehen zu lassen158, was in Anbetracht der Gesamtumstände und der klaren Interessenlage der Betroffenen angemessen erscheint. Die syrische Ehefrau F war zum Zeitpunkt der Gerichtsentscheidung fünfzehn-

156 Zöge man das syrische Eheschließungsstatut als einschlägiges Auffangrecht für die Rechtsfolgen heran, wäre die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte für den Anfechtungsantrag nach Art. 3 Brüssel IIa-VO gegeben. Allerdings bestünde weiterhin das Problem, dass das fremde Recht im konkreten Fall eben keinen Anfechtungsgrund erblickt, s. Andrae, NZFam 2016, 923, 929. 157 S. Antomo, NZFam 2016, 1155, 1158; Weller/Thomale/Hategan u. a., FamRZ 2018, 1289, 1293. 158 Hiervon geht Rauscher, in: FS Kren Kostkiewicz, 245, 246 aus. Ausdrücklich abgelehnt wurde der ordre public-Verstoß in der nächsten Instanz, s. BGH 14.11.2018, Az. XII ZB 292/16, FamRZ 2019, 181, 184.

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Kap. 2: Die gesetzliche Ausgangslage

einhalb Jahre alt, sodass vor dem Hintergrund des Gegenwartsbezugs der ordre public-Prüfung viel dafür sprach, ihrer Ehe nicht die Gültigkeit zu versagen. Immerhin fehlten der Ehefrau nur noch wenige Monate bis sie das nach dem damaligen deutschen Recht geltende Mindestalter von 16 Jahren erreicht hatte, ab dem ein Dispens von den Ehemündigkeitsvorschriften nach deutschem Recht erteilt werden konnte. Auch vor dem Hintergrund der deutschen Rechtsentwicklung, in deren Verlauf minderjährige Frauen über einen langen Zeitraum die Ehe unproblematisch schließen konnten, bevor 1975 für Eheschließungen vor dem 18. Lebensjahr eine Ausnahmegenehmigung etabliert wurde, ließ sich die Einordnung als ordre public-widrige Ehe kaum vertreten.

VI. Der im Ausland verheiratete minderjährige Ehegatte in der Rechtspraxis 1. Vorläufige Inobhutnahme, § 42a Abs. 1 SGB VIII a. F. Viele der minderjährigen Ehegatten kamen zum damaligen Zeitpunkt ohne ihre Eltern oder sonstige erwachsene Bezugspersonen als sog. unbegleitete Flüchtlinge nach Deutschland. Schon nach Maßgabe des § 42a Abs. 1 SGB VIII a. F.159 hatte das Jugendamt160 alle ausländischen minderjährigen Personen vorläufig in Obhut zu nehmen, sobald deren unbegleitete Einreise nach Deutschland festgestellt wurde. Als unbegleitet gelten geflüchtete Kinder und Jugendliche dann, wenn sie nicht in Begleitung eines Personensorge- oder Erziehungsberechtigten (§ 7 Abs. 1 Nr. 5, 6 SGB VIII) nach Deutschland eingereist sind. Im Kontext der verheirateten Minderjährigen gewann die Einordnung des volljährigen Ehegatten als Begleitperson erhebliche Bedeutung.161 Aus der rechtlichen Stellung als Ehegatte kann sich nach dem anwendbaren Recht eine Personensorgeberechtigung für den Betreffenden ergeben und im deutschen Recht fortwirken.162 In der weitaus überwiegenden Anzahl der Rechtsordnungen ist ein Übergang der elterlichen Sorgeberechtigung auf den volljährigen Ehegatten (meist den Ehemann) indes nicht vorgesehen.163 Besteht dennoch der seltene Fall, dass dem 159 § 42a Abs. 1 SGB VIII hatte vor Inkrafttreten des KEhenBekG noch nicht den Zusatz, dass die Norm auch für verheiratete Minderjährige Geltung beansprucht. 160 Gem. § 88a SGB VIII ist vorbehaltlich anderweitiger landesrechtlicher Regelungen das Jugendamt zuständig, in dessen Bereich sich der Minderjährige aufhält. 161 Diesem Themenkomplex muss sich der Rechtsanwender seit Einführung des S. 2, wonach auch verheiratete Minderjährige als unbegleitet anzusehen sind, im Rahmen des § 42a Abs. 1 SGB VIII nicht mehr zuwenden. 162 S. Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht, JAmt 2016, 370, 371; Lohse/Meysen, JAmt 2017, 345, 348. 163 Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht, JAmt 2016, 370, 371; Meysen/Achterfeld, Geflüchtete Kinder und Jugendliche im Spannungsfeld von Kinder- und Jugendhilfe-, Familien- und Ausländerrecht, in: Die herausgeforderte Rechtsordnung, 2018, 313, 343. Bei der Überprüfung, ob das ausländische Recht einen Sorgerechtsüber-

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Heimatrecht des minderjährigen Ehegatten zufolge der volljährige Ehegatte zur elterlichen Sorge berechtigt ist, so besteht gem. Art. 16 Abs. 3 HKsÜ diese elterliche Verantwortung auch nach der Ankunft des Minderjährigen in Deutschland zunächst fort. Allerdings ist diese dem deutschen Recht fremde Sorgerechtszuweisung im konkreten Fall wiederum auf dem Prüfstand der öffentlichen Ordnung nach Art. 6 EGBGB einer Wirksamkeitskontrolle zu unterziehen.164 Gelangt man zu dem Ergebnis, dass der minderjährige Ehegatte nicht der elterlichen Sorge des Ehepartners unterliegt, so bestimmt sich die Zuweisung der elterlichen Verantwortung gem. Art. 16 Abs. 4 HKsÜ nach deutschem Recht als dem Recht des Staates des neuen gewöhnlichen Aufenthalts. Auch hiernach ergibt sich keine Personensorgeberechtigung des volljährigen Ehegatten; die elterliche Sorge verbleibt vielmehr bei den Eltern des Minderjährigen als den üblichen Sorgerechtsinhabern (§ 1626 Abs. 1 S. 1 BGB). Wenn Minderjährige allein in Begleitung ihres Ehegatten nach Deutschland kommen, wird die elterliche Sorge regelmäßig ruhen (§ 1674 Abs. 1 BGB), da die Eltern die Sorgerechtsverantwortung meist durch ihren Verbleib im Heimatland oder aus sonstigen Gründen – etwa weil sie auf der Flucht erkrankt sind und an einer Weiterreise gehindert wurden – nicht aktiv ausüben können.165 Im Rahmen des § 42a Abs. 1 SGB VIII a. F. stellte sich weiterhin die Frage nach der Erziehungsberechtigung des volljährigen Ehegatten.166 § 7 Abs. 1 Nr. 6 SGB VIII setzt hierfür voraus, dass der Ehegatte auf Grund einer Vereinbarung mit dem Personensorgeberechtigten nicht nur vorübergehend und nicht nur für einzelne Verrichtungen Aufgaben der Personensorge wahrnimmt. Eine Erziehungsberechtigung kann ferner nur vorliegen, wenn die Begleitperson in Kontakt zu den sorgeberechtigten Eltern steht und ihnen damit die Möglichkeit gibt, in allen wesentlichen Angelegenheiten die Ausübung der elterlichen Sorge aktiv zu beeinflussen.167 Auch insofern hatte das Jugendamt von Amts wegen eine eigengang vorsieht, muss man besondere Sorgfalt walten lassen. So ist es möglich, dass die Eherechtsvorschriften dem Inhalt nach die Ehefrau unter die Obhut ihres Ehegatten stellen, der ihr bspw. Unterhalt (Nahrung, Kleidung, Wohnung) zu gewähren hat (genauer Sabuni/Wiedensohler, Die Welt des Islams 20 (1980), 146, 155 ff.). Diese Besonderheiten sind indes als reine Ehewirkungen zu qualifizieren, ohne dass Einfluss auf Personensorge (hada¯na) und Vormundschaft (wila¯ya) bestünde, vgl. Andrae, NZFam 2016, ˙ ˙ 923, 928. Genauer zur hada¯na und wila¯ya im islamischen Recht: Ibrahim, The Ameri˙ ˙ Law 63 (2015), 859 ff. can Journal of Comparative 164 Zur Annahme eines ordre public-Verstoßes tendiert das OLG Bamberg 12.5.2016, Az. 2 UF 58/16, FamRZ 2016, 1270, 1274. 165 S. hierzu die Ausführungen von Lettl, JA 2016, 481, 482 f.; vertiefend Lack, in: FS Salgo, 85, 109 f. 166 Gegen die Einordnung des Ehegatten als Erziehungsberechtigten Erb-Klünemann/Klößner, FamRB 2016, 160, 162, die in diesem Fall sogar eine Kindeswohlgefährdung nach § 1666 BGB bejahen. 167 Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht, JAmt 2016, 194, 195; Lohse/Meysen, JAmt 2017, 345, 348; vgl. a. Lettl, JA 2016, 481, 482.

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Kap. 2: Die gesetzliche Ausgangslage

ständige Prüfung vorzunehmen168; im Zweifel war die Inobhutnahme auszusprechen.169 Sollte weder eine Personensorge- noch eine Erziehungsberechtigung des volljährigen Ehegatten für seinen minderjährigen Partner vorliegen, so ist nach der Verteilung gem. § 42 Abs. 3 S. 4 SGB VIII eine Vormundschaft beim zuständigen Familiengericht anzuregen.170 Hierdurch wird die Vorgabe des Art. 24 der Richtlinie 2013/33/EU vom 26.6.2013 erfüllt, wonach „so bald wie möglich“ ein Vertreter zu bestellen ist.171 Unabhängig vom Ehestatus hat eine Inobhutnahme stets dann stattzufinden, wenn eine Gefährdung des Kindeswohls im Familienverband zu befürchten ist (§ 42 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB VIII).172 2. Vormundschaft, §§ 1773 ff. BGB Doch auch wenn nach den genannten Grundsätzen eine Personensorge- oder Erziehungsberechtigung des volljährigen Ehepartners bestehen sollte und die Inobhutnahme durch das Jugendamt des minderjährigen Ehegatten aus diesem Grund obsolet wird, hat das Jugendamt aufgrund des Schutzcharakters der Vormundschaftsvorschriften beim Familiengericht die Bestellung eines Vormunds anzuregen.173 Die Anordnungsvoraussetzungen richten sich gem. Art. 15 Abs. 1 HKsÜ nach deutschem Recht und folglich nach § 1773 BGB. Zu berücksichtigen blieben die Beschränkungen des früheren Rechts nach §§ 1800, 1633 BGB a. F., wonach die Personensorge des Vormunds lediglich auf die Vertretung in persönlichen Angelegenheiten bezogen war.174 Danach standen dem minderjährigen Ehegatten das Aufenthaltsbestimmungsrecht und die Entscheidungsbefugnis über seinen Umgang mit anderen Personen ausschließlich ihm selbst zu.

168 Zu den Voraussetzungen vertiefend Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht, JAmt 2016, 194 f.; Meysen/Achterfeld, Geflüchtete Kinder und Jugendliche im Spannungsfeld von Kinder- und Jugendhilfe-, Familien- und Ausländerrecht, in: Die herausgeforderte Rechtsordnung, 2018, 313, 314 f. 169 S. Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht, JAmt 2016, 194, 195. 170 Lack, in: FS Salgo, 85, 93. Detailliert hierzu Meysen/Achterfeld, Geflüchtete Kinder und Jugendliche im Spannungsfeld von Kinder- und Jugendhilfe-, Familien- und Ausländerrecht, in: Die herausgeforderte Rechtsordnung, 2018, 313, 321 ff. 171 Richtlinie 2013/33/EU vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (Aufnahmerichtlinie) vom 26.6.2013, ABl. 29.6.2013, L 180/96; s. a. Treichel, ZKJ 2018, 4, 7; Lack, in: FS Salgo, 85, 89. 172 Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht, JAmt 2016, 127, 129; ausführlich hierzu Zitelmann, in: FS Salgo, 385, 387 ff. 173 Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht, JAmt 2016, 598, 599. Die Regelung, wonach für die Vormundsbestellung der Abschluss des Verteilverfahrens abzuwarten ist, greift dann nicht, da eine Inobhutnahme vorher nicht erfolgt ist, s. dass., JAmt 2016, 370, 371. 174 S. dazu die Ausführungen in A. IV.

C. Zusammenfassung

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Einen weiteren neuralgischen Punkt stellt die Beendigung der rechtlichen Vertretung in grenzüberschreitenden Fällen dar.175 Die Vormundschaft des Kindes endet, wenn die Voraussetzungen für ihre Anordnung nach § 1773 BGB entfallen (§ 1882 BGB). Darunter fällt neben dem Ende des Ruhens der elterlichen Sorge der Eintritt des Mündels in die Volljährigkeit.176 Hier bereiten insbesondere solche Fallgestaltungen Probleme, in denen eine in Deutschland lebende und unter Vormundschaft gestellte Person ausländischer Abstammung zwar das 18. Lebensjahr vollendet und damit nach deutscher Rechtsauffassung die Volljährigkeit erreicht hat, aber von ihrem Heimatrecht weiterhin als minderjährig angesehen wird. Nach Art. 24 Abs. 1 EGBGB richtet sich das Ende der Vormundschaft nach dem Recht des Staates, dem der Mündel angehört. Sofern der Verweis vom fremden Recht angenommen wird, entscheidet also das ausländische Heimatrecht des Mündels über den weiteren Bestand der Vormundschaft.177 Ist nach dem fremden Recht der Volljährigkeitseintritt maßgeblich, so wird die Frage der Volljährigkeit selbständig über Art. 7 Abs. 1 EGBGB angeknüpft und wiederum nach dem Heimatrecht des Mündels beantwortet.178 Sollte hiernach die Volljährigkeit nicht auf die Vollendung des 18. Lebensjahres, sondern auf einen späteren Zeitpunkt abstellen, so unterliegt der Inhalt der angeordneten Vormundschaft (Auswahl, Bestellung, Beaufsichtigung, Rechte und Pflichten) nach Art. 24 Abs. 3 EGBGB dem Recht des anordnenden Staates, also deutschem Recht.179

C. Zusammenfassung Vor Inkrafttreten des KEhenBekG konnten Ehen von Minderjährigen im Alter von mindestens 16 Jahren bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen geschlossen werden.180 Eheschließungen von Beteiligten noch jüngeren Alters waren durch die zwingende Mitwirkung des Standesbeamten, der die formellen und materiellen Ehevoraussetzungen nach Maßgabe des PStG überprüfte, praktisch ausgeschlossen.181 In Bezug auf die ordre public-Widrigkeit von ausländischen Min175

Zu diesem Fragenkomplex in aller Ausführlichkeit Rupp, ZfPW 2018, 57, 63 ff. S. Lettl, JA 2016, 481, 487. 177 OLG Oldenburg 5.9.2017, Az. 13 WF 76/17, BeckRS 2017, 130703; BGH 20.12.2017, Az. XII ZB 333/17, NZFam 2018, 613, 614; BGH 24.1.2018, Az. XII ZB 423/17, NZFam 2018, 334; s. a. Andrae, Internationales Familienrecht, § 9 Rn. 125; krit. zu diesem „teilweisen Statutenwechsel“: Rupp, ZfPW 2018, 57, 66 ff. 178 S. BeckOK/Heiderhoff, 62. Ed., 1.5.2022, Art. 24 EGBGB Rn. 12; MüKo/Lipp, 8. Aufl., 2020, Art. 24 EGBGB Rn. 28; Rupp, ZfPW 2018, 57, 65. 179 Zu den Besonderheiten im Gebiet des Ausländerrechts: Meysen/Achterfeld, Geflüchtete Kinder und Jugendliche im Spannungsfeld von Kinder- und Jugendhilfe-, Familien- und Ausländerrecht, in: Die herausgeforderte Rechtsordnung, 2018, 313, 320 f. 180 AG Torgau 8.3.2004, Az. 1 F 319/03, juris; OLG Hamm 28.12.2009, Az. 6 WF 439/09, FamRZ 2010, 1801 f. 181 So auch Weller/Thomale/Hategan u. a., FamRZ 2018, 1289, 1290; Opris, ZErb 2017, 158, 162; Frie, FamRB 2017, 232, 233; Heiderhoff, IPRax 2017, 160, 161. 176

118

Kap. 2: Die gesetzliche Ausgangslage

derjährigenehen, bei deren Schließung ein Nupturient das 16. Lebensjahr noch nicht erreicht hatte, und hinsichtlich der daraus entstehenden Rechtsfolgen zeichnete sich im bisher geltenden Recht jedoch keine klare Tendenz ab.182 Um den gegenwartsbezogenen ordre public-Vorbehalt in Anschlag zu bringen, war nach einhelliger Meinung ein hinreichender Inlandsbezug erforderlich. Uneinigkeit herrschte hinsichtlich der Altersgrenze, die den ordre public-Verstoß auslöste. Von einem konturenlosen Anwendungsbereich des Art. 6 EGBGB kann aber keine Rede sein, denn den Gerichtsentscheidungen lässt sich durchaus ein eingängiges Bild der maßgeblichen Kriterien entnehmen, die bei der Rechtsfindung in ordre public-Situationen herangezogen wurden:183 Unter Würdigung der Gesamtumstände des Einzelfalls bildete der Minderjährigenschutz einen zentralen Prüfungsfaktor. Konkret wurde hier das Augenmerk auf die körperliche und geistige Entwicklung des (ehemals) minderjährigen Ehegatten im Zeitpunkt der Eheschließung, sowie sein derzeitiges Alter im Beurteilungszeitpunkt gerichtet.184 Auch wesentliche Vertrauensschutzaspekte unter Berücksichtigung der Dauer des ehelichen bzw. familiären Zusammenlebens, der Langlebigkeit bestimmter Ehen, der Bestätigung des Willens zur Fortsetzung der ehelichen Lebensgemeinschaft und der Geburt gemeinsamer Kinder flossen in die Beurteilung mit ein.185 Weiterhin waren die Folgen der Annahme eines ordre public-Verstoßes (die Entstehung hinkender Ehen, eine sich hieraus ergebende außerordentliche Härte) für die Lebenssituation der Beteiligten zu bedenken.186 Nicht minder bedeutsam war der Wunsch der Eheleute nach Fortsetzung des gemeinsamen Ehe- bzw. Familienlebens.187 Insofern begünstigte das damalige Recht Minderjährigenehen in keiner Weise.188 Der frühere Rechtszustand schuf im Gegenteil sowohl auf sachrechtlicher Ebene als auch im internationalprivatrechtlichen Kontext die Voraussetzungen für einen unvoreingenommenen, einzelfallgerechten Umgang mit Minderjährigenehen nach der ratio legis des Art. 6 EGBGB, der den vielfältigen Bedürfnissen der Beteiligten, den jeweiligen Umständen der konkreten Eheschließung mitsamt der Motivlage der Nupturienten unter Aufdeckung des eventuellen Bestehens eines sozial-familiären Drucks Rechnung trug. Die den Umgang mit ausländischen 182 S. MüKo/Wellenhofer, 8. Aufl., 2021, Art. 229 § 44 EGBGB Rn. 3; BeckOGK/ Stürner, 1.2.2022, Art. 6 EGBGB Rn. 339; dies vehement kritisierend: Majer, NZFam 2017, 537, 538. 183 S. zu den „Leitsätzen“: Möller/Yassari, KJ 2017, 269, 277 f. 184 AG Wuppertal 18.4.2016, Az. 64 F 154/15, BeckRS 2016, 135247, Rn. 43; KG 21.11.2011, Az. 1 W 79/11, FamRZ 2012, 1495, 1496. 185 S. AG Hannover 7.1.2002, Az. 616 F 7355/00, FamRZ 2002, 1116, 1117; noch nach Inkrafttreten des KEhenBekG AG Syke 26.9.2017, Az. 22 F 97/14, juris. 186 AG Wuppertal 18.4.2016, Az. 64 F 154/15, BeckRS 2016, 135247, Rn. 44. 187 OLG Bamberg 12.5.2016, Az. 2 UF 58/16, FamRZ 2016, 1270, 1274. 188 So auch BeckOGK/Otto, 1.1.2022, § 1315 BGB Rn. 8.4.

C. Zusammenfassung

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Minderjährigenehen betreffenden kollisionsrechtlichen Regelungen boten somit die Grundlage für eine differenzierte ordre public-Prüfung mit Rücksicht auf die vielgestaltigen Eheschließungskonstellationen: Den Ehen von Jugendlichen ab 14 Jahren wurde nur dann kein Einhalt geboten, wenn an der Willensfreiheit im Zeitpunkt der Eheschließung kein Zweifel bestand, die Ehegatten die Fortführung der Ehe aus freien Stücken befürworteten und die dafür notwendige Reife aufwiesen.189 Hatte einer der Beteiligten dagegen im Zeitpunkt der Eheschließung das 14. Lebensjahr noch nicht erreicht, so wurde regelmäßig ein ordre public-Verstoß angenommen.190 In einem solchen Fall wurde die Eheschließung unter Beteiligung des Minderjährigen verhindert oder der bereits vorhandenen Minderjährigenehe die Anerkennung versagt, indem man sie in der Regel für aufhebbar191 oder für unwirksam192 erklärte. Art. 6 EGBGB bot aber auch die notwendige Flexibilität, um eine im Eheschließungszeitpunkt eventuell mit Willensmängeln behaftete, lang gelebte Ehe kraft Zeitdauer zu einer wirksamen Ehe erstarken zu lassen.193 Die alte Rechtslage wies aber auch Nachteile auf. So bestand Unsicherheit über die Konsequenzen eines ordre public-Verstoßes und die Frage, aus welcher Rechtsordnung diese abzuleiten waren (s. IV. 5.), die das OLG Bamberg bedauerlicherweise trotz offensichtlichen Klärungsbedarfs nicht bereinigt hat. Außerdem war es auch bei eingehender gerichtlicher Überprüfung aufgrund der inter partesWirkung des ordre public-Vorbehalts nicht möglich, die Frage der Wirksamkeit der Ehe abschließend und verfahrensübergreifend mit Wirkung gegenüber jedermann zu klären.194 189 So bspw. bei OLG Bamberg 12.5.2016, Az. 2 UF 58/16, FamRZ 2016, 1270 ff.; verneint bei AG Greifswald 25.1.2010, Az. 61 F 214/08, IPRspr 2010, 178 f., wo eine Zwangsehe gegeben war. Die Vereinbarkeit der Eheschließung mit dem ordre public wurde nach Abwägung aller Einzelfallumstände ebenso abgelehnt bei AG Wuppertal 18.4.2016, Az. 64 F 154/15, BeckRS 2016, 135247. Hier behauptete die im Eheschließungszeitpunkt 14-jährige Ehegattin, dass sie von ihrem Bruder zur Eheschließung gezwungen worden und der Eheman ihr gegenüber wiederholt gewalttätig geworden sei. 190 OLG Köln 4.9.1996, Az. 16 Wx 181/96, FamRZ 1997, 1240; Kraus, StAZ 2017, 117, 119; AG Wuppertal 18.4.2016, Az. 64 F 154/15, BeckRS 2016, 135247, Rn. 43; Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht, JAmt 2016, 127, 129; einmalig wohl gegen einen ordre public-Verstoß argumentierend AG Tübingen 25.10.1990, Az. 3 GR 105/90, ZfJ 1992, 48. 191 Kraus, StAZ 2017, 117, 119. 192 KG 21.11.2011, Az. 1 W 79/11, FamRZ 2012, 1495 ff.; AG Greifswald 25.1. 2010, Az. 61 F 214/08, IPRspr 2010, 178, 179, wobei die Kinder hier nach ausdrücklichem Verlangen des Gerichts ehelich bleiben sollten. 193 So im Fall des AG Hannover 7.1.2002, Az. 616 F 7355/00, FamRZ 2002, 1116 ff. 194 Mit einer Feststellungklage kann schließlich nicht mit erga omnes, also mit jedermann bindender Wirkung festgestellt werden, ob eine Ehe besteht, vgl. dazu Frank, StAZ 2012, 236 f. Aus Sicht des Gesetzgebers wurden weiterhin die erläuterten Rechtsfolgen im Hinblick auf die Vormundschaft als misslich angesehen, s. Keil, jurisPR-IWR 2018, Anm. 4.

Kapitel 3

Die Gesetzesnovelle Durch das Inkrafttreten des KEhenBekG wurde die im Hinblick auf Minderjährigenehen als defizitär und unklar empfundene Rechtslage in Deutschland maßgeblich umgestaltet. Im Folgenden werden die einschneidenden normativen Änderungen aufgezeigt und nach einer Präzisierung des Anwendungsbereichs die Herausforderungen bei der praktischen Verwirklichung des Gesetzes veranschaulicht. Anschließend werden die durch das Gesetz entstandenen vielfältigen Auslegungsfragen näher erläutert.

A. Die Neuregelungen im Überblick I. Modifizierung der Eheschließungsregeln im deutschen Sachrecht Mit Schaffung des § 1303 S. 1 BGB wurde im deutschen Sachrecht das Ehemündigkeitsalter ausnahmslos an das Volljährigkeitsalter von 18 Jahren gekoppelt. Die familiengerichtliche Befreiungsmöglichkeit für einen der beiden Eheschließungswilligen nach § 1303 Abs. 2–4 BGB a. F. wurde vollständig abgeschafft. § 1303 S. 2 BGB stellt nunmehr klar, dass mit einer Person vor Vollendung ihres 16. Lebensjahres „eine Ehe nicht wirksam eingegangen werden“ kann. Die 16-Jahresgrenze erweist sich damit hinsichtlich der Rechtsfolgen fehlender Ehemündigkeit als entscheidende Weichenstellung: Während es für minderjährige Ehegatten, die bei Eheschließung das 16. Lebensjahr vollendet haben, bei der bereits vor der Reform geltenden Aufhebbarkeit der per se wirksamen Ehe nach § 1314 Abs. 1 Nr. 1 BGB bleibt, erfolgt bei Eheschließungen unter Beteiligung von unter 16-Jährigen eine Modifizierung dahingehend, dass diese Ehen gänzlich unwirksam sein und mithin keinerlei Rechtswirkungen entfalten sollen („Nichtehe“). § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BGB sieht bestimmte Konstellationen vor, in denen die gerichtliche Aufhebung der Ehe ausgeschlossen ist. Die erste betrifft den Fall der Bestätigung, wenn der minderjährige Ehegatte in der Zwischenzeit volljährig geworden ist und seinen Willen zur Fortsetzung der Ehe zu erkennen gegeben hat (lit. a). Bei der in lit. b aufgeführten zweiten Regelung handelt es sich um eine Härtefallklausel, die in besonders gelagerten, gravierenden Ausnahmefällen zur Wahrung des Kindeswohls eine Eheaufhebung verhindern soll. Die Aufhebung ist demnach ausgeschlossen, wenn sie „aufgrund außergewöhnlicher Umstände

A. Die Neuregelungen im Überblick

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[. . .] eine so schwere Härte für den minderjährigen Ehegatten darstellen würde, dass die Aufrechterhaltung der Ehe ausnahmsweise geboten erscheint“. Zu denken ist laut Gesetzesbegründung beispielsweise an eine schwere und lebensbedrohliche Erkrankung oder eine krankheitsbedingte Suizidgefahr des minderjährigen Ehegatten. Zudem kann sich eine außergewöhnliche Härte im Einzelfall auch daraus ergeben, dass die Aufhebung einer unter Beteiligung eines Unionsbürgers geschlossenen Ehe dessen Freizügigkeitsrecht verletzen würde.1 Begleitet wurden die Neuregelungen von einer Verschärfung des Verfahrensrechts. So besteht nicht nur nach § 1316 Abs. 1 Nr. 1 BGB für die Ehegatten die Befugnis zur Stellung des Aufhebungsantrags, wobei der minderjährige Ehegatte nach § 1316 Abs. 2 S. 2 BGB nicht der Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters bedarf; es wurde auch in § 1316 Abs. 3 S. 2 BGB eine Antragspflicht für die zuständige Verwaltungsbehörde eingeführt, wenn die Ehe nicht in der Zwischenzeit gem. § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. a BGB bestätigt wurde. Darüber hinaus wurden sämtliche familienrechtliche Spezialregelungen, die minderjährige Ehegatten betrafen, ersatzlos gestrichen2 oder neu gefasst.3 So wurde der Minderjährige als Ehevertragspartner aus dem BGB eliminiert, die entsprechende Regelung hat nunmehr den Betreuten zum Gegenstand.4 Ähnliche Streichungen bzw. Änderungen wurden im Unterhalts-5, Sorge-6, Namens-7, Adoptions-8 und Erbrecht9 vorgenommen. Außerdem sind bestimmte ehegüterrechtliche Schutzvorschriften entfallen.10 1

S. Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland, BT-Drs. 18/12086, 17. So § 8 Abs. 2 BGB (Wohnsitz), § 1317 Abs. 1 S. 2 Hs. 3 BGB (Antragsfrist für die Eheaufhebung in den Fällen des § 1314 Abs. 2 Nr. 2–4 BGB), § 1778 Abs. 3 BGB (Übergehen des benannten Vormunds einer Minderjährigen durch ihren Ehegatten). 3 § 1800 S. 1 BGB (Umfang der Personensorge), § 1903 Abs. 2 BGB (Einwilligungsvorbehalt). 4 § 1411 BGB (Eheverträge beschränkt Geschäftsfähiger und Geschäftsunfähiger). 5 Eliminierung der Bezugnahme auf den unverheirateten Minderjährigen in den Unterhaltsvorschriften (§§ 1602 Abs. 2 BGB, 1603 Abs. 2 BGB, 1606 Abs. 3 S. 2 BGB, 1609 Nr. 1 BGB, 1611 Abs. 2 BGB). 6 § 1649 Abs. 2 BGB: Änderung des S. 1 und Aufhebung des S. 2 (keine Befugnis zur Verwendung der Vermögenseinkünfte eines verheirateten Kindes), Abschaffung des § 1633 BGB (Personensorge für verheirateten Minderjährigen). 7 Streichung des Bezugs zum unverheirateten Minderjährigen in §§ 1617a Abs. 2 S. 1 BGB, 1618 S. 1 BGB. 8 Streichung der §§ 1749 Abs. 2 BGB (Annahme eines verheirateten Kindes), 1757 Abs. 3 BGB (Änderung des Geburtsnamens eines verheirateten Kindes), Änderung des § 1767 Abs. 2 S. 2, 3 BGB (Geltung der Vorschriften über Annahme Minderjähriger). 9 Aufhebung des § 2275 Abs. 2, 3 BGB (Erbvertrag durch beschränkt geschäftsfähigen Ehegatten oder Verlobten), Neufassung des § 2282 Abs. 1, 2 BGB (Anfechtung des Erbvertrags durch beschränkt geschäftsfähigen bzw. unter elterlicher Sorge oder Vormundschaft stehenden Erblasser), Aufhebung des § 2284 S. 2 BGB (Ausschluss der Bestätigung des Erbvertrags bei beschränkter Geschäftsfähigkeit des Erblassers), Abschaffung des § 2290 Abs. 2 S. 2 BGB und Neufassung des Abs. 3 (Aufhebung des 2

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Kap. 3: Die Gesetzesnovelle

II. Änderungen im deutschen internationalen Privatrecht Auf der kollisionsrechtlichen Ebene wurde durch die Neufassung des Art. 13 Abs. 3 EGBGB11 sichergestellt, dass das „Kinderehenverbot“ auch im IPR für Fälle mit Auslandsberührung ausnahmslos eingreift. Die vorstehend dargestellten Grundsätze über die Nichtigkeit bzw. Aufhebbarkeit gelten damit auch für solche Minderjährigenehen, in denen die Ehemündigkeit eines oder beider Verlobten nach der Grundregel des Art. 13 Abs. 1 EGBGB eigentlich ausländischem Recht unterliegt.

III. Überleitungsvorschriften für Altfälle und Heilungsklausel Eine Einschränkung erfahren die mit der Reform einhergehenden Verschärfungen durch die in Art. 229 § 44 EGBGB formulierten Übergangsregelungen: Nach Abs. 1 ist die Unwirksamkeitsanordnung des § 1303 S. 2 BGB nicht auf Ehen anzuwenden, die vor dem Tag des Inkrafttretens des KEhenBekG am 22.7. 2017 geschlossen wurden. Diese Ehen sind vielmehr nach den Bestimmungen des bisherigen Rechts lediglich aufhebbar. Ferner ist die Aufhebung einer Ehe wegen Verstoßes gegen § 1303 BGB ausgeschlossen, wenn sie nach Befreiung vom Erfordernis der Volljährigkeit gem. § 1303 Abs. 2–4 BGB a. F. vor dem 22.7.2017 geschlossen worden ist (Art. 229 § 44 Abs. 2 EGBGB). Alle bis zum 22.7.2017 noch nicht abgeschlossenen Befreiungsverfahren i. S. d. § 1303 Abs. 2– 4 BGB a. F. sind ferner gem. Art. 229 § 44 Abs. 3 EGBGB für erledigt zu erklären. Eine Genehmigung nach § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BGB a. F. kann nicht mehr erteilt werden. Die kollisionsrechtliche Bestimmung des Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB findet darüber hinaus keine Anwendung, wenn der minderjährige Ehegatte vor dem 22. Juli 1999 geboren worden ist (Art. 229 § 44 Abs. 4 Nr. 1 EGBGB). Nach Art. 229 § 44 Abs. 4 Nr. 2 EGBGB gilt die Unwirksamkeitsanordnung außerErbvertrags durch beschränkt Geschäftsfähigen, Erforderlichkeit der Genehmigung des Familiengerichts bei unter elterlicher Sorge oder Vormundschaft Stehenden mit Ausnahme von Ehegatten oder Verlobten, die den Vertrag geschlossen haben), Aufhebung des § 2296 Abs. 1 S. 2 BGB (Rücktritt vom Erbvertrag durch beschränkt geschäftsfähigen Erblasser), Streichung des letzten Halbsatzes des § 2347 Abs. 1 S. 1 BGB (Wegfall der Genehmigungsbedürftigkeit des Familiengerichts bei einem unter elterlicher Sorge Stehenden wenn der Erbverzichtsvertrag zwischen Ehegatten oder Verlobten abgeschlossen wird). Zu den erbrechtlichen Änderungen, s. genauer Sammet/Graf Wolffskeel von Reichenberg, ZEV 2019, 510 ff. 10 § 1458 BGB (Vormundschaft über einen Ehegatten), § 1484 Abs. 2 S. 2 BGB, § 1492 Abs. 3 S. 1 BGB (Ablehnung der Fortsetzung der Gütergemeinschaft durch überlebenden, unter elterlicher Sorge oder Vormundschaft stehenden Ehegatten), § 1516 Abs. 2 S. 2 BGB (Zustimmung bei Verfügung eines beschränkt geschäftsfähigen Ehegatten). 11 Der bisherige Abs. 3 findet sich nunmehr in Abs. 4.

A. Die Neuregelungen im Überblick

123

dem dann nicht, wenn die nach ausländischem Recht wirksame Ehe bis zur Volljährigkeit des minderjährigen Ehegatten im Ausland geführt worden ist und bis dahin kein Ehegatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland begründet hat.

IV. Verfahrensrechtliche Aspekte Die verfahrensrechtliche Absicherung dieser Änderungen erfolgt durch § 1310 BGB und § 11 Abs. 1 PStG als Ausprägungen des seit 1875 in Deutschland geltenden Prinzips der obligatorischen Zivilehe.12 Danach bedarf es für die wirksame Eingehung einer Ehe stets der staatlichen Mitwirkung in Gestalt eines Standesbeamten. Bei inländischen Eheschließungen unter Beteiligung eines Minderjährigen, auf die nach den Regeln des IPR ausländisches Recht anwendbar ist, wird der Standesbeamte nach § 1310 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 BGB i.V. m. Art. 13 Abs. 3 EGBGB verpflichtet, seine Mitwirkung zu verweigern.13 Ergänzend verbietet § 11 Abs. 2 S. 1 PStG jede „religiöse oder traditionelle Handlung, die darauf gerichtet ist, eine der Ehe vergleichbare dauerhafte Bindung zweier Personen zu begründen, von denen eine das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat“. Von dem Verbot umfasst ist ebenso der Abschluss eines „Vertrags, der nach den traditionellen oder religiösen Vorstellungen der Partner“ eine Eheschließung ersetzt. Mit dieser flankierenden Maßnahme führte der Gesetzgeber das zum 1.1.2009 aufgegebene Verbot religiöser Voraustrauungen14 für die Fälle der Minderjährigenehe wieder ein und ergänzt dieses in § 70 Abs. 1 PStG durch einen Bußgeldtatbestand. Normadressaten sind nach § 11 Abs. 2 S. 3 PStG zum einen Geistliche, die an einer derartigen Handlung mitwirken, zum anderen eine solche Handlung veranlassende Sorgeberechtigte und Personen, die als Volljährige oder Beauftragte einem solchen Vertrag zustimmen. Gleiches gilt für Zeugen, soweit ihre Mitwirkung für die Gültigkeit der Handlung als erforderlich angesehen wird. Die im Zuge der Reform eingeführte Vorschrift des § 129a FamFG garantiert die entsprechende Geltung des in § 155 FamFG geregelten Vorrang- und Beschleunigungsgebots für Verfahren auf Eheaufhebung wegen Eheunmündigkeit. Dabei soll der Anhörungstermin (§ 128 FamFG) spätestens einen Monat nach Beginn des Verfahrens stattfinden. In § 98 FamFG wurde durch Einfügung eines Abs. 2 die Zuständigkeit der deutschen Gerichte für Eheaufhebungsverfahren nach Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB auch für die Fälle klargestellt, in denen der 12 Zum Zweck dieses Grundsatzes: BeckOK/Hahn, 62. Ed., 1.5.2022, § 1310 BGB Rn. 2. 13 Zur entsprechenden Anwendung des Mitwirkungsverbots bei Ausstellung eines Ehefähigkeitszeugnisses im Fall einer aufhebbaren Ehe: Zimmermann, StAZ 2018, 133, 134, der die Ehemündigkeit in ihrer neuen Fassung nach § 1303 S. 1 BGB als zweiseitiges Ehehindernis klassifiziert. 14 Ehemals als Ordnungswidrigkeitentatbestand in § 67a PStG a. F. geregelt.

124

Kap. 3: Die Gesetzesnovelle

Ehegatte, der im Zeitpunkt der Eheschließung das 16., nicht aber das 18. Lebensjahr vollendet hatte, seinen (schlichten) Aufenthalt im Inland hat. Parallel hierzu wurde in § 122 Nr. 6 FamFG das Gericht in den Fällen des § 98 Abs. 2 FamFG für örtlich zuständig befunden, in dessen Bezirk der Ehegatte seinen (schlichten) Aufenthalt hat. Eine vollständige oder teilweise Auferlegung der Verfahrenskosten zulasten des minderjährigen Ehegatten ist nach § 132 Abs. 3 FamFG ausgeschlossen. In § 42a Abs. 1 S. 2 SGB VIII wurde verdeutlicht, dass die Einreise eines verheirateten ausländischen Kindes oder Jugendlichen auch dann als unbegleitet einzustufen ist, wenn sie nicht in Begleitung eines Personensorge- oder Erziehungsberechtigten geschieht. Hiermit wurde sichergestellt, dass die Minderjährigen unmittelbar nach dem Grenzübertritt nach Maßgabe des § 42 Abs. 1 Nr. 3 SGB VIII vorläufig in Obhut genommen werden.

V. Folgeänderungen im Aufenthalts- und Asylgesetz Um die Minderjährigen vor nachteiligen Folgen in Bezug auf ihr Asylersuchen zu schützen, wurde in § 26 Abs. 1 AsylG explizit klargestellt, dass es „für die Anerkennung als Asylberechtigter [. . .] unbeachtlich [ist], wenn die Ehe nach deutschem Recht wegen Minderjährigkeit im Zeitpunkt der Eheschließung unwirksam oder aufgehoben worden ist“. Hat der minderjährige Ehegatte bereits eine familienasylrechtliche Schutzposition erlangt, so scheidet ein Widerruf des im Wege des Familienasyls abgeleiteten Schutzanspruchs nach § 73 Abs. 2 lit. b AsylG aufgrund Unwirksamkeit oder Aufhebung der Ehe wegen Minderjährigkeit aus. Im Aufenthaltsgesetz wurde zunächst in § 30 Abs. 1 das Nachzugsalter für Ehegatten von Ausländern, die einen Aufenthaltstitel nach den §§ 19–21 AufenthG besitzen, auf 18 Jahre angehoben. Ferner wurde in § 31 Abs. 2 S. 2 AufenthG ergänzt, dass vom Kriterium des dreijährigen Bestands der Ehe im Bundesgebiet als Voraussetzung für die einjährige Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis des Ehegatten ausnahmsweise wegen Vorliegens eines besonderen Härtefalls abgesehen werden kann, wenn die Ehe unwirksam bzw. aufgehoben worden ist. Nach Maßgabe des Zusatzes in § 54 Abs. 2 Nr. 6 AufenthG ist ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse anzunehmen, wenn wiederholt seitens eines Verbotsadressaten i. S. d. § 11 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 PStG eine Handlung vorgenommen wird, die einen schwerwiegenden Verstoß gegen § 11 Abs. 2 S. 1 PStG begründet. Schwerwiegend ist der Verstoß dann, wenn eine Person unter 16 Jahren beteiligt ist.

VI. Die Gesamtevaluierung vom 14. August 2020 Gem. Art. 10 KEhenBekG waren die zentralen Neuregelungen innerhalb von drei Jahren (also bis zum 22.7.2020) von den jeweils zuständigen Ressorts auf ihre realen Auswirkungen hin zu untersuchen. Die umfangreiche Auswertung

A. Die Neuregelungen im Überblick

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umfasst ein Hauptdokument mit neun Anlagen15 und ist öffentlich zugänglich.16 Im Rahmen der Gesamtevaluierung wurde das KEhenBekG insbesondere aufgrund der umfassenden Erfassung der im Minderjährigenalter geschlossenen Ehen überwiegend als Erfolg bewertet.17 Es wurde jedoch auch festgestellt, dass das Gesetz nur auf nationaler Ebene abschreckende Wirkung entfaltet, während das Verbot der Minderjährigenehe im Ausland weitgehend unbekannt ist. Insgesamt greift die Gesamtauswertung mit ihren für den Berichtszeitraum von 2017 bis einschließlich dem 1. Quartal 2020 gewonnenen Erkenntnissen einige der in dieser Arbeit erörterten Probleme auf. So wurde berichtet, dass infolge der drohenden Verletzung des EU-Freizügigkeitsrechts (zur Auslegung der Härtefallklausel in diesem Punkt: D. I. 4. b) bb) (1)) nur sehr wenige der im EU-Ausland wirksam geschlossenen Ehen tatsächlich aufgehoben worden seien.18 Die Jugendämter gaben an, dass das Vorgehen der deutschen Behörden aufgrund der kulturellen Traditionen im Herkunftsland von den Betroffenen oft nicht nachvollzogen werden könne. Thematisiert wurde darüber hinaus der starke familiäre Druck, unter dem die Betroffenen oftmals stünden: Ehrverlust und der Verlust familiären Rückhalts seien zu befürchten (s. D. II. 3., Kap. 4 B. II. 1. a) bb) (4)).19 Die konkreten Rechtsfolgenregelungen der Aufhebbarkeit und Unwirksamkeit wurden überwiegend begrüßt. Teilweise wurde kritisiert, dass die Ausnahmevorschrift des § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b BGB zu eng konzipiert sei, sodass das Kindeswohl und der Wille des minderjährigen Ehegatten keine ausreichende Berücksichtigung fänden (s. D. I. 4. b) bb) (3) und (4)).20 Hinsichtlich der Unwirksamkeitsregelung wurden wegen der fehlenden Angemessenheits- und Einzelfallprüfung Bedenken geäußert. Es wurde zudem bemängelt, dass das Gesetz keine gesonderten Regelungen über die Rechtsfolgen der Unwirksamkeit (D. II. 2.) der 15 Darunter sind eine Rechtsprechungsübersicht zum Verbot von Kinderehen (Anlage 1), eine Zusammenfassung der Erkenntnisse der Standesämter (Anlage 2) und der für die Beantragung der Aufhebung einer Ehe zuständigen Behörden (Anlage 3), eine Zusammenfassung der wesentlichen Aussagen aus den Rückmeldungen der Jugendämter zu dem Fragebogen zur Evaluierung des KEhenBekG (Anlage 4), eine Einschätzung von TERRE DES FEMMES e. V. zur Wirksamkeit des KEhenBekG drei Jahre nach Inkrafttreten (Anlage 5), die Stellungnahmen des niedersächsischen Krisentelefons gegen Zwangsheirat bei kargah e. V. (Anlage 6), des ada Schutzhauses (Anlage 7) und der Evangelischen Gesellschaft Stuttgart e. V. YASEMIN – (mobile) Beratungsstelle für junge Migrantinnen – (Anlage 8) und schließlich Verbesserungsvorschläge der Standesämter im Rahmen der Evaluierung (Anlage 9). 16 Die Dokumente sind auf der Seite des Bundesministeriums für Justiz einsehbar, s. https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/DE/Bekaempfung_Kinder ehe.html. 17 Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Gesamtauswertung zur Evaluierung des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen, 14.8.2020, 8. 18 Ibid. 19 Ibid., 8 f. 20 Ibid., 9.

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Kap. 3: Die Gesetzesnovelle

Ehe enthalte. Als äußerst problematisch wurde in verfahrensrechtlicher Hinsicht die Pflicht zur Antragstellung der Behörde nach § 1316 Abs. 3 BGB (D. I. 3.) angesehen. Sie führe zu einer unnötigen Arbeitsbelastung der Behörden und sei kindeswohlabträglich.21 Problematisiert wurde ferner der Vorrang- und Beschleunigungsgrundsatz gem. § 129a FamFG, die fehlende Beweislastregel für Unklarheiten bei der Feststellung des tatsächlichen Alters und die Unsicherheit im Hinblick auf bestehende Meldepflichten zwischen den Behörden (s. C.).22

B. Anwendungsbereich Aufgrund des Gesetzes zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts vom 20.7.201723 wurde die sog. „Ehe für alle“ im BGB etabliert. Allerdings betraf die Rechtsfolgenanordnung des Art. 13 Abs. 3 EGBGB zunächst nur verschiedengeschlechtliche Ehen.24 Mit dem Gesetz zur Umsetzung des Gesetzes zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts vom 18.12.201825 hat der Gesetzgeber dieses Defizit behoben und in Art. 17b Abs. 5 EGBGB klargestellt, dass sich Art. 13 Abs. 3 EGBGB auch auf gleichgeschlechtliche Ehen und auf Ehen unter Beteiligung intersexueller Partner bezieht.

C. Herausforderungen in der Praxis Neben den komplexen rechtlichen Auslegungsfragen, denen im nächsten Abschnitt ausführlich nachgegangen wird, wirft das KEhenBekG auch Probleme tatsächlicher Art auf. So erweist sich seine praktische Verwirklichung in mancher Hinsicht als schwierig.

I. Das Grundproblem der Altersfeststellung Die vermeintlich klare Rechtsfolgenbestimmung anhand der gesetzlich fixierten Altersgrenzen ist in der Praxis immer dann schwer umzusetzen, wenn Geburts- und Eheschließungsdaten nicht bzw. nicht eindeutig feststellbar sind.26 In vielen Herkunftsstaaten werden keine Geburtenregister geführt, sodass die Aus-

21

Ibid. Ibid., 10. 23 BGBl. 2017 Teil I, 2787 f. 24 S. nur die kritischen Hinweise von Kohler, Rev. crit. DIP 2018, 51, 56; Zimmermann, StAZ 2018, 133, 134; Grüneberg/Thorn, 81. Aufl., 2022, Art. 13 EGBGB Rn. 20; Gössl, BRJ 2019, 6, 11. 25 BGBl. 2018 Teil I, 2639 ff. 26 Frie, FamRB 2017, 232, 236; Dürbeck, FamRZ 2018, 553, 564; Hüßtege, FamRZ 2017, 1374, 1377 f. 22

C. Herausforderungen in der Praxis

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weisdokumente – falls (noch) vorhanden27 – häufig keine zuverlässige Grundlage für die Ermittlung des Lebensalters bieten. Nicht selten besteht auch die Gefahr von Fälschungen und Manipulationen nicht zuletzt aufgrund eines unzuverlässigen Registerwesens in den Herkunftsstaaten.28 In Deutschland gibt es kein einheitliches Verfahren zur Altersfeststellung.29 Die Rechtsgrundlage für das in rechtlicher Hinsicht umstrittene30 behördliche Verfahren findet sich in § 42f SGB VIII, wonach die Feststellung der Minderjährigkeit im Rahmen der vorläufigen Inobhutnahme durch Einsichtnahme in die Ausweispapiere oder hilfsweise mittels einer „qualifizierten Inaugenscheinnahme“ erfolgt (Abs. 1). In Zweifelsfällen31 ist eine ärztliche Untersuchung zu veranlassen, die nur mit Einwilligung32 des Betroffenen und seines Vertreters erfolgen darf (Abs. 2). Kann auch nach einer ärztlichen Untersuchung die Volloder Minderjährigkeit des jungen Menschen nicht zweifelsfrei festgestellt werden, ist im Kinder- und Jugendhilferecht nicht auf die allgemeinen Grundsätze der materiellen Beweislast zurückzugreifen, wonach Unklarheiten zu Lasten desjenigen gehen, der aus der jeweiligen Tatsache eine günstige Rechtsfolge für sich herleiten will.33 Stattdessen ist der Betroffene in diesem Fall (vorläufig) in Obhut zu nehmen, bis seine Volljährigkeit festgestellt ist.34 Für die Altersfeststellung im familiengerichtlichen Verfahren hat die behördliche Alterseinschätzung jedoch keine Bindungswirkung, sondern lediglich Indizcharakter.35 Ist das Alter im jeweiligen Verfahren zweifelhaft, hat das Gericht gem. § 26 FamFG die Frage der Minderjährigkeit von Amts wegen zu ermitteln. Die Betroffenen trifft nach § 27 FamFG eine Mitwirkungspflicht.36 Kann sich das Gericht trotz Ausschöpfung aller verfahrensrechtlich möglichen, zulässigen und nach den Umständen veranlassten Aufklärungsmöglichkeiten keine hinreichende Gewissheit über das Alter verschaffen, so greift im Regelfall auch hier 27 Zum „notorischen“ Problem der „verlorenen“ Ausweispapiere: Mankowski, IPRax 2017, 130, 135. 28 S. Göbel-Zimmermann, ZAR 2008, 169, 171; Kirchhoff/Rudolf, NVwZ 2017, 1167, 1168; vgl. a. Max-Planck-Institut für Ausländisches und Internationales Privatrecht, RabelsZ 84 (2020), 705, 762 f.; Erbarth, FamRB 2018, 338, 339; Treichel, ZKJ 2018, 4, 6. 29 Erb-Klünemann/Klößner, FamRB 2016, 160, 163; Lack, in: FS Salgo, 85, 102. 30 Zu den rechtlichen Unklarheiten s. nur Menne, FamRZ 2016, 1223, 1226 m.w. N.; Herker, VR 2017, 301, 304 f., der sich eine „weitere rechtliche Ausgestaltung“ wünscht. 31 Hierzu insb. Treichel, ZKJ 2018, 4, 6. 32 Zur Einwilligungsfähigkeit von Minderjährigen im Kontext medizinischer Behandlungen allgemein: Spickhoff, FamRZ 2018, 412 ff. 33 S. Kirchhoff/Rudolf, NVwZ 2017, 1167, 1172. 34 S. ibid.; VGH München 5.7.2016, Az. 12 CE 16.1186, BeckRS 2016, 49246, Rn. 23. 35 Lentz/Hellmann, FuR 2018, 454, 457. 36 OLG Frankfurt am Main 9.8.2016, Az. 5 UF 169/16, FamRZ 2017, 244, 245.

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die in Art. 25 Abs. 5 S. 2 der Richtlinie EU 2013/3237 verankerte Vorgabe, dass bei fortbestehenden Zweifeln bezüglich des Alters des Antragstellers von dessen Minderjährigkeit auszugehen ist.38 Es ist jedoch zu beachten, dass dieser Zweifelssatz, der im Interesse des Minderjährigenschutzes zugunsten des Betroffenen wirken soll, im Rahmen eines Eheaufhebungsverfahrens im Kontext von im Ausland geschlossenen Minderjährigenehen gerade umgekehrt zu nachteiligen Konsequenzen für den Betroffenen führen kann. Im Falle einer schutzwürdigen Minderjährigenehe, die von den Ehegatten über längere Zeit hinweg einvernehmlich und in beiderseitigem Vertrauen gelebt wurde, haben die Beteiligten normalerweise ein Interesse an der Feststellung der Volljährigkeit. Denn nur dann kann die Ehe i. S. d. § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. a BGB von dem minderjährigen Ehegatten bestätigt oder eventuell gem. Art. 229 § 44 Abs. 4 Nr. 2 EGBGB geheilt werden. Insofern könnte sich der Rückschluss auf die Minderjährigkeit in Zweifelsfällen zu Lasten des betroffenen Ehegatten auswirken, da seine Ehe aufhebbar oder gar unwirksam wäre. Angesichts dieser weitreichenden Folgen stellt sich die Frage, wer im Falle einer im Ausland geschlossenen Minderjährigenehe die Beweislast für Unsicherheiten im Rahmen der Feststellung des tatsächlichen Alters der Ehegatten trägt.39 Eine Regelung zu dieser praktisch hochrelevanten Problematik enthält das KEhenBekG jedoch nicht.40 Da die Volljährigkeit im Zusammenhang mit Minderjährigenehen wesentlich für den Bestand der Ehe und die damit verbundenen rechtlichen Vorteile ist, kommt die oben genannte Zweifelsregel („Im Zweifel pro Minderjährigkeit“) hier nicht zur Anwendung. Stattdessen ist für die Bewertung der Wirksamkeit einer Minderjährigenehe auf die objektiven Beweislastregeln zurückzugreifen.

II. Weitere Defizite Große Schwierigkeiten bereitet der Praxis außerdem die Verständigung zwischen den verschiedenen Institutionen (Jugendamt, Ausländerbehörde, Meldebehörde, für die Antragstellung zuständige Verwaltungsbehörde, Standesamt) bei Kenntniserlangung von einer Minderjährigenehe.41 Zwar haben diese Behörden die Möglichkeit, die Daten über eine bestehende Minderjährigenehe weiterzuge37 Richtlinie 2013/32 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (Neufassung). 38 S. OLG Karlsruhe 26.8.2015, Az. 18 UF 92/15, NJW 2016, 87, 89; Erb-Klünemann/Klößner, FamRB 2016, 160, 164; Lack, in: FS Salgo, 85, 104 f. 39 Für eine entsprechende Anwendung des § 47f SGB VIII plädieren Hüßtege, FamRZ 2017, 1374, 1377 f.; Erbarth, FamRB 2018, 338, 339. 40 Krit. Erbarth, FamRB 2018, 338, 339; Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Gesamtauswertung zur Evaluierung des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen, 14.8.2020, 10, 20. 41 Ibid., 10.

C. Herausforderungen in der Praxis

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ben, auch wenn dadurch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der betroffenen Paare berührt wird.42 Der Schutz personenbezogener Daten nach Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG wird schließlich nicht schrankenlos gewährleistet, sondern erfährt eine gesetzliche Einschränkung durch die Maßgaben des BDSG43 und die Datenschutzgesetze der Länder.44 Nach § 23 Abs. 1 Nr. 3 BDSG ist die Verarbeitung personenbezogener Daten zu einem anderen Zweck als zu demjenigen, zu dem die Daten erhoben wurden, durch öffentliche Stellen im Rahmen ihrer Aufgabenerfüllung unter anderem dann zulässig, wenn sie zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit erforderlich ist. Von der Übermittlung der Daten hängt hier letztlich die wirksame Umsetzung der Aufhebungsbestimmungen der §§ 1314 Abs. 1 Nr. 1, 1316 Abs. 3 S. 2 BGB i.V. m. Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB ab. Denn nur wenn die zuständige Verwaltungsbehörde von den anderen Behörden über die jeweilige Minderjährigenehe in Kenntnis gesetzt wird, kann sie ihrer Pflicht zur Stellung des Aufhebungsantrags gem. § 1316 Abs. 3 S. 2 BGB nachkommen, sodass das Aufhebungsverfahren in Gang gesetzt werden kann.45 Damit besteht i. S. d. § 23 Abs. 1 Nr. 3 BDSG durchaus eine Gefahr der Umgehung der deutschen Gesetze als Bestandteil der öffentlichen Sicherheit, weshalb die Weitergabe der Daten zulässig ist.46 Von der datenschutzrechtlichen Möglichkeit zur Übermittlung der Daten an die zuständige Verwaltungsbehörde wurde in der behördlichen Praxis in vielen Fällen allerdings kein Gebrauch gemacht: Im Rahmen der Gesamtevaluierung gaben einige Jugendämter an, dass die für die Stellung eines Aufhebungsantrags zuständige Verwaltungsbehörde über eine bestehende Minderjährigenehe nicht informiert würde. Nach Auskunft eines Bundeslandes besteht eine datenschutzrechtliche Befugnis des Jugendamts zur Informationsübermittlung an die nach § 1316 Abs. 1 Nr. 1 BGB zuständige Verwaltungsbehörde nur dann, wenn die jeweilige Ehe eine Kindeswohlgefährdung darstellt.47 Ein anderes Bundesland ließ die rechtliche Möglichkeit einer Datenübermittlung durch die Landesbeauftragte für Datenschutz überprüfen und gelangte zu der Auffasung, dass die Übertragung von Daten durch das Jugendamt nur im Einvernehmen mit dem jungen Menschen möglich sei. Der nicht geregelte Mitteilungsverkehr der Behörden untereinander wird auch aus den Befragungen der Standesämter48 und der für den 42

Zu diesem Ergebnis kommt Horenkamp, StAZ 2021, 189, 190. Bundesdatenschutzgesetz, in Kraft getreten am 25.5.2018. 44 Die spezifischen landesrechtlichen Regelungen werden aufgeführt bei Horenkamp, StAZ 2021, 189, 190 in Fn. 5. 45 So auch Horenkamp, StAZ 2021, 189, 190. 46 S. ibid. 47 Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Gesamtauswertung zur Evaluierung des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen, 14.8.2020, 36. 48 Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, Anlage 2 zur Gesamtauswertung zur Evaluierung des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen – Zusammenfassung der Erkenntnisse der Standesämter, 11.5.2020, 13, 17, 26, 28. 43

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Aufhebungsantrag zuständigen Verwaltungsbehörden49 ersichtlich. Da die Standesämter im Saarland lediglich zufällig Kenntnis von bestehenden Minderjährigenehen erhielten (z. B. durch Vorsprachen bei Geburtsbeurkundungen), hat das Bundesland mit Wirkung zum 15.2.2019 in § 16a saarländische MeldedatenÜbermittlungsverordnung (MeldDÜV) eine Rechtsgrundlage für die Übersendung personenbezogener Daten durch die Meldebehörden an die Standesämter geschaffen.50 Im Rahmen der Gesamtauswertung wurde allgemein bemängelt, dass es an einer klaren gesetzlichen Regelung fehlte, die die gegenseitige Mitteilung von Minderjährigenehen ausdrücklich vorschreibt.51 In der 2. PStG-VwV-ÄndVwV52 vom 18. August 2021 wurde unter Nr. 34.2.4 nunmehr eine Regelung aufgenommen, wonach die Standesämter die für einen Antrag auf Aufhebung zuständigen Verwaltungsbehörden über die Aufhebbarkeit der Ehe nach § 1314 Abs. 1 Nr. 1 BGB auch i.V. m. Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB in Kenntnis zu setzen haben. Die Ehegatten sind von den Standesämtern ferner über die Aufhebbarkeit ihrer Ehe und die Mitteilung an die zuständige Verwaltungsbehörde zu informieren. Wenn der minderjährige Ehegatte die Ehe gem. § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. a BGB bestätigt hat, so muss eine Mitteilung nicht erfolgen, sofern dem Standesamt die Bestätigung bekannt geworden ist. Diese neue Vorgabe mag zwar bei den Standesämtern im Hinblick auf die Übermittlung von Daten an die zuständige Verwaltungsbehörde für Rechtssicherheit sorgen. Es fehlt indes nach wie vor an einer Rechtsgrundlage für eine umfassende Informationspflicht in Bezug auf andere Behörden zur Vermeidung einer mehrfachen Prüfung durch unterschiedliche Stellen. Klare Regelungen über Mitteilungspflichten zwischen den Behörden untereinander bleiben daher auch mit Blick auf die Ergebnisse aus der Gesamtevaluierung wünschenswert. Als misslungen wird teilweise auch der Beschleunigungsgrundsatz gem. § 129a FamFG empfunden, da den Jugendämtern die Abgabe einer sachgerechten und umfassenden Stellungnahme binnen eines Monats „kaum möglich“ ist.53

49 Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, Anlage 3 zur Gesamtauswertung zur Evaluierung des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen – Zusammenfassung der Erkenntnisse der für die Beantragung der Aufhebung einer Ehe zuständigen Behörden, 11.5.2020, 30 f., 35, 44, 52. 50 Ibid., 29. 51 Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Gesamtauswertung zur Evaluierung des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen, 14.8.2020, 10. 52 Zweite Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Änderung der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Personenstandsgesetz (2. PStG-VwV-ÄndVwV) vom 18. August 2021, BAnz. AT 25.8.2021 B2. 53 Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Gesamtauswertung zur Evaluierung des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen, 14.8.2020, 10.

D. Zentrale Auslegungsprobleme de lege lata

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D. Zentrale Auslegungsprobleme de lege lata Die im Zuge des KEhenBekG geänderten bzw. eingefügten Normen werfen Auslegungsprobleme auf, die eingehender Klärung bedürfen. Der vorliegende Abschnitt macht es sich daher zur Aufgabe, die entstandenen Probleme auf Auslegungsebene zu erläutern und einer angemessenen Lösung zuzuführen.

I. Aufhebbarkeit der im Alter ab 16 Jahren geschlossenen Minderjährigenehen Hat einer der Eheschließungswilligen im Zeitpunkt der Eheschließung mindestens das 16. Lebensjahr, nicht aber die mit der Volljährigkeitsgrenze übereinstimmende Ehemündigkeitsschwelle von 18 Jahren erreicht, wird die Ehe als aufhebbar eingestuft (§§ 1303 S. 1, 1314 Abs. 1 Nr. 1 BGB). Die Einordnung als ein rechtlich wirksames, wenn auch von Beseitigung bedrohtes Rechtsverhältnis galt im deutschen Sachrecht als allgemeine Folge fehlender Ehemündigkeit bereits vor Inkrafttreten des KEhenBekG, wenn die umfassende Beurteilung der Interessenlage durch das Familiengericht im Rahmen des Befreiungsverfahrens in der Verweigerung der Dispenserteilung mündete.54 Zur Stellung des Aufhebungsantrags sind weiterhin die Ehegatten und die zuständige Verwaltungsbehörde berechtigt (§ 1316 Abs. 1 Nr. 1 BGB). 1. Kollisionsrechtlicher Geltungsbereich Da das KEhenBekG vornehmlich auf die Bekämpfung ausländischer Minderjährigenehen abzielt, wird über die Formulierung „nach deutschem Recht“ die in Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB angeordnete Aufhebbarkeitsfolge nach Maßgabe der §§ 1313 ff. BGB auf solche nach Vollendung des 16. Lebensjahres geschlossenen Minderjährigenehen erstreckt, deren Eheschließungsvoraussetzungen für mindestens einen Verlobten nach Art. 13 Abs. 1 EGBGB ausländischem Recht unterliegen. Zu beachten ist, dass sich die Rechtsfolgen eines Eheschließungsmangels oder Ehehindernisses auch nach Einführung des Abs. 3 aus dem in Abs. 1 berufenen Personalstatut ergeben. Art. 13 Abs. 3 EGBGB ist heranzuziehen, wenn die jeweilige Fehlerfolge in ihrer Intensität nicht den deutschen Vorgaben entspricht.55 Tangiert von der Norm des Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB sind ausländische Staatsangehörige, deren nationales Kollisionsrecht nicht auf deutsches Recht zurückverweist.56 Handelt es sich um Staatenlose gem. Art. 1 Staa54

S. dazu Kap. 2 A.V. S. Erman/Stürner, 16. Aufl., 2020, Art. 13 EGBGB Rn. 41a, 41i. 56 Eine Übersicht der nach Deutschland zurück- oder weiterverweisenden Staaten findet sich bei Henrich/Mankowski, in: Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, 15. Aufl., 2010, Rn. 55 ff. 55

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tenlosenÜbk, Asylberechtigte nach §§ 2 Abs. 1, 6 AsylG oder Flüchtlinge i. S. d. Art. 1 GFK ist die gesetzliche Neuerung nur von Relevanz, wenn ihr (gewöhnlicher) Aufenthalt im Zeitpunkt der Eheschließung nicht in Deutschland belegen ist. Andernfalls weisen die Betroffenen ein deutsches Eheschließungsstatut auf, sodass für die Beurteilung der Anerkennungsfähigkeit ihrer Ehe und die rechtlichen Folgen unmittelbar das deutsche Sachrecht zur Anwendung gelangt, ohne dass es des Verweises im Kollisionsrecht bedürfte.57 Für den in der Praxis zurzeit im Vordergrund stehenden Kreis der subsidiär Schutzberechtigten i. S. d. § 4 AsylG kommt es in direkter Anwendung des Art. 13 Abs. 1 EGBGB auf ihr Heimatrecht im Zeitpunkt der Eheschließung an, sodass Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 BGB gegebenenfalls zur Anwendung gelangt.58 Gem. § 98 Abs. 2 FamFG i.V. m. Art. 7 Brüssel IIa-VO ergibt sich die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte für Eheaufhebungsverfahren bereits aus dem schlichten Aufenthalt des minderjährigen Ehegatten im Inland. Die Begründung eines inländischen Lebensmittelpunktes im Sinne eines gewöhnlichen Aufenthalts ist demnach nicht erforderlich.59 § 122 Nr. 6 FamFG erklärt in den Fällen des § 98 Abs. 2 FamFG das Gericht für örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Ehegatte, der im Zeitpunkt der Eheschließung das 16., nicht aber das 18. Lebensjahr vollendet hatte, seinen Aufenthalt hat. 2. Rechtswirkungen (§ 1318 BGB) Nach Maßgabe der § 1313 S. 2 BGB, § 116 Abs. 2 FamFG ist die Ehe mit Rechtskraft der gerichtlichen Aufhebungsentscheidung ex nunc aufgelöst. Damit ist die Aufhebbarkeit der Ehe per se unschädlich, die fehlerhafte Ehe wird bis zur Aufhebung durch das Gericht wie eine gültige Ehe behandelt und zeitigt zunächst alle aus einer wirksamen Eheschließung resultierenden rechtlichen Wirkungen (Güterrechtliche Ansprüche, Erb- und Unterhaltsansprüche, steuerliche Vergünstigungen und abstammungsrechtliche Folgen).60 Wird die Ehe aufgehoben, besagt die Rechtsfolgenanordnung des § 1318 Abs. 1 BGB, dass sich ihre rechtliche Abwicklung überwiegend nach dem Scheidungsfolgenrecht richtet. Insofern gewährt die (freilich beschränkte) Rechtsfolgenübertragung dem Minderjährigen in vermögens- und personenrechtlicher Hinsicht prima facie einen 57

S. Hüßtege, FamRZ 2017, 1374, 1376. Zum Eheschließungsstatut: Kap. 2 B. I. S. ders., FamRZ 2017, 1374, 1376. 59 Eher krit. Zöller/Geimer, 34. Aufl., 2022, § 98 FamFG Rn. 25. Sollten die Eheleute in Deutschland oder einem anderen EU-Mitgliedstaat einen gewöhnlichen Aufenthalt begründet haben, findet für die Eheaufhebung gem. Artt. 3 Abs. 1 lit. a, 1 Abs. 1 lit. a Brüssel IIa-VO die Brüssel IIa-VO Anwendung. Das Aufhebungsverfahren fällt nämlich unter die Ungültigerklärung der Ehe, s. Hausmann, in: Internationales und Europäisches Familienrecht, 2. Aufl., 2018, 1. Teil A. I. 2., Kap. I., 2 [Ehesachen] Rn. 28. 60 Zu den Ehewirkungen detailliert Ivo, Deutschland, in: Eherecht in Europa, 4. Aufl., 2021, 479, 483 ff. 58

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vermeintlich umfangreichen Schutz.61 Dennoch gebietet die restriktive Ausgestaltung der § 1318 Abs. 2–5 BGB eine genaue Überprüfung der diversen Rechtswirkungen im Hinblick auf den Schutz des Minderjährigen bei fehlender Ehemündigkeit. a) Unterhaltsfragen bei Verstoß gegen § 1303 S. 1 BGB aa) Anforderungen an die Bösgläubigkeit Gem. § 1318 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB finden die Regelungen über den nachehelichen Unterhalt (§§ 1569–1586b BGB) bei Verstoß gegen § 1303 BGB für jeden Ehegatten entsprechende Anwendung, der im Zeitpunkt der Eheschließung keine Kenntnis von der „Aufhebbarkeit der Ehe“ hatte. Das Vertrauen des gutgläubigen Ehegatten in den Bestand seiner Ehe soll ihn mithin vor dem Verlust von Unterhaltsansprüchen bewahren.62 Gerade im Fall einer noch andauernden Minderjährigkeit eines Beteiligten besteht dringender Anlass zur Bestimmung des konkreten Bezugspunktes für das Korrektiv der Kenntnis, welches vorbehaltlich der Anwendbarkeit des § 1318 Abs. 2 S. 2 BGB den Ausschluss jeglicher Unterhaltsansprüche herbeiführt und damit für den Betroffenen eine erhebliche Einbuße an vermögensrechtlichem Schutz darstellt. (1) Bloße Kenntnis der Fakten des Aufhebungstatbestands Es wäre denkbar, den die Aufhebbarkeit begründenden tatsächlichen Umstand der Minderjährigkeit in den Vordergrund zu stellen und die darauf bezogene Unkenntnis als Bedingung für die Annahme der Gutgläubigkeit des jeweiligen Ehegatten anzusehen.63 Das Wissen um die gesetzliche Qualifikation der entsprechenden Tatsache als Aufhebungsgrund ist nach dieser Auffassung für eine positive Kenntnis64 nicht erforderlich, da es eben nur auf die Kenntnis der die 61 Zu dieser Schlussfolgerung eines umfassenden Schutzes verleitet insb. die Gesetzesbegründung, s. Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland, BT-Drs. 18/ 12086, 13. 62 MüKo/Wellenhofer, 9. Aufl., 2022, § 1318 BGB Rn. 5. 63 OLG Bremen 13.11.2015, Az. 4 UF 73/15, FamRZ 2016, 828, 829; Grüneberg/ Siede, 81. Aufl., 2022, § 1318 BGB Rn. 2; BeckOGK/Otto, 1.1.2022, § 1318 BGB Rn. 6; Soergel/Heintzmann, 12. Aufl., 1987, § 37 EheG Rn. 3; Johannsen/Henrich/Althammer/Henrich, 7. Aufl., 2020, § 1318 BGB Rn. 3; vgl. zudem Schwab, in: FS Beitzke, 357, 361; Bosch, NJW 1998, 2004, 2010; a. A. Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, 7. Aufl., 2020, § 14 Rn. 24. 64 Selbst grob fahrlässige Unkenntnis oder bedingter Vorsatz führen nicht zum Ausschluss der Gutgläubigkeit, s. OLG Koblenz 19.3.1980, Az. 13 UF 777/79, FamRZ 1980, 589, 590 (bezogen auf die Kenntnis der Ehenichtigkeit nach der Vorgängerregelung des § 26 EheG); Staudinger/Voppel, 18. Aufl., 2018, § 1318 BGB Rn. 16; Johannsen/Henrich/Althammer/Henrich, 7. Aufl., 2020, § 1318 BGB Rn. 4; Maurer, in: Göppinger/Wax, UnterhaltsR, 9. Aufl., Rn. 1211; Roth, in: FS Schwab, 687, 689.

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Aufhebbarkeit rechtfertigenden Umstände ankommt. Das Abstellen auf die reine Tatsachenkenntnis entspricht der üblichen Verwendungsweise des Begriffs der „Kenntnis“ an anderen Stellen des BGB.65 Zudem erscheint der Nachweis eines Bewusstseins davon, dass ein bestimmter, bekannter Lebenssachverhalt einen konkreten eherechtlichen Aufhebungsgrund darstellt, nur schwer zu erbringen.66 (2) Ansatzweise Erfassung der rechtlichen Bedeutung der Tatsachen als Zusatzerfordernis Diese Ansicht führte jedoch zu dem sonderbaren Ergebnis, dass man bei Verstößen gegen § 1303 S. 1 BGB ohne nähere Prüfung von einer dem Grunde nach67 bestehenden Bösgläubigkeit des Eheunmündigen ausgehen müsste, da dem Minderjährigen im Zeitpunkt der Eheschließung seine Minderjährigkeit in der Regel bekannt sein wird. Sollten die Betroffenen ihr Alter bei einer Eheschließung im Ausland zwar kennen, es aber nicht als minderjährig einstufen (etwa, weil sie nach dem Recht des Heimatlandes bereits volljährig sind68), so wäre die Kenntnis der die Aufhebbarkeit tragenden Umstände dennoch zu bejahen, da allein das Wissen um die den Aufhebungsgrund der Minderjährigkeit i. S. d. § 2 BGB ausfüllenden Tatsachen relevant sein soll. Darüber hinaus stellt die erstgenannte Ansicht eine klare Abkehr vom rechtsfolgenorientierten Wortlaut der Norm dar, der explizit an die Kenntnis von der „Aufhebbarkeit“ der Ehe anknüpft. Insofern erscheint es naheliegend, für das Vorhandensein dieses subjektiven Tatbestandsmerkmals zusätzlich zur Kenntnis des Lebenssachverhalts zumindest eine rudimentäre Bewertung durch den Betroffenen zu verlangen, dass die geschlossene Ehe fehlerhaft bzw. angreifbar ist.69 Nur wenn eine gewisse Ahnung von den rechtlichen Konsequenzen der vor65 S. Staudinger/Voppel, 18. Aufl., 2018, § 1318 BGB Rn. 15; Köth, Die fehlerhafte Ehe als Fall des fehlerhaften Dauerschuldverhältnisses, 137 f.; einräumend auch Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, 7. Aufl., 2020, § 14 Rn. 24. So ist im Anfechtungsregime des BGB nach Maßgabe des § 142 Abs. 2 BGB die Gutgläubigkeit schon dann zu verneinen, „wenn der Dritte beim Erwerb die Umstände kannte [. . .], aus denen sich die Anfechtbarkeit [. . .] ergab [. . .]. Die Kenntnis [. . .] der Rechtsfolge der Anfechtung ist dagegen nicht erforderlich.“, s. BGH 1.7.1987, Az. VIII ZR 331/86, NJW-RR 1987, 1456, 1457. 66 Dieses Argument führen insb. Johannsen/Henrich/Althammer/Henrich, 7. Aufl., 2020, § 1318 BGB Rn. 3; Knaak, Die Eheaufhebungsregelung und das Eheschließungsrechtsgesetz vom 4. Mai 1998, 108 f., Fn. 67 an. 67 Zur Frage der Zurechenbarkeit der Kenntnis, s. bb). 68 Länder, die eine niedrige Volljährigkeitsschwelle vorsehen, sind Iran (Anm. 1 zu Art. 1210 iran. ZGB), Nordkorea, Timor-Leste und Jemen (Art. 50 ZGB Jemen, Art. 59 KinderrechteG). 69 S. Staudinger/Voppel, 18. Aufl., 2018, § 1318 BGB Rn. 15, 18; vgl. a. OLG Koblenz 19.3.1980, Az. 13 UF 777/79, FamRZ 1980, 589, 590; BeckOK/Hahn, 62. Ed., 1.5.2022, § 1318 BGB Rn. 3; Erman/Roth, 16. Aufl., 2020, § 1318 BGB Rn. 4; ders., in: FS Schwab, 687, 690; MüKo/Wellenhofer, 9. Aufl., 2022, § 1318 BGB Rn. 5.

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handenen Sachumstände existiert, wird ein schutzwürdiges Vertrauen in den rechtsfehlerfreien Bestand der Ehe erschüttert mit der schwerwiegenden Folge, dass die Unterhaltsvorschriften für den Ehegatten keine Anwendung finden. Hinweise für die Angemessenheit dieser Lesart lassen sich zudem der Entstehungsgeschichte70 entnehmen. So setzte auch § 1345 Abs. 1 BGB 1900 als Ursprungsfassung des entsprechenden Tatbestands71 ihrem Wortlaut nach bei einem Ehegatten die Kenntnis von der Nichtigkeit voraus, was allgemein dahingehend verstanden wurde, dass die Erfassung der rechtlichen Konsequenzen mitumfasst sein müsse.72 Auch unter der „Kenntnis vom Aufhebungsgrund“, auf die gem. § 42 Abs. 2 EheG 1938 und § 37 Abs. 2 EheG 1946 abzustellen war, wurde über die reine Tatsachenkenntnis hinaus die „Kenntnis von der Aufhebbarkeit der Ehe“ verstanden.73 Ebendiese Formulierung fand im Zuge des 1. EheRG von 1976 ihren gesetzlichen Niederschlag in § 37 Abs. 2 EheG.74 Die Neufassung der Voraussetzungen für den Ausschluss von vermögensrechtlichen Scheidungsfolgen wurde expressis verbis damit begründet, dass der bösgläubige Anspruchssteller „wissen [müsse], dass die ihm bekannten Tatsachen einen Aufhebungsgrund darstellen“.75 Zwar dient das Element der Kenntnis im aktuell geltenden § 1318 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB nicht mehr der Abwehr von Unterhaltsansprüchen des anderen Teils bei dessen Bösgläubigkeit im Hinblick auf den Eheschließungsmangel, sondern wirkt für den Gläubiger selbst als Ausschlusskorrektiv seiner eigenen Ansprüche.76 Trotz dieses Funktionswandels ist die in der gültigen 70 Vgl. Staudinger/Voppel, 18. Aufl., 2018, § 1318 BGB Rn. 1 ff., in Kürze dargestellt bei Roth, in: FS Schwab, 687, 689 f. 71 Der Wortlaut des § 1345 Abs. 1 BGB 1900 lautete wie folgt: „War dem einen Ehegatten die Nichtigkeit der Ehe bei der Eheschließung bekannt, so kann der andere Ehegatte, sofern nicht auch ihm die Nichtigkeit bekannt war, nach der Nichtigkeitserklärung oder der Auflösung der Ehe verlangen, daß ihr Verhältniß in vermögensrechtlicher Beziehung, insbesondere auch in Ansehung der Unterhaltspflicht, so behandelt wird, wie wenn die Ehe zur Zeit der Nichtigkeitserklärung oder der Auflösung geschieden und der Ehegatte, dem die Nichtigkeit bekannt war, für allein schuldig erklärt worden wäre.“ Nach §§ 1343 Abs. 1 S. 2, 142 BGB 1900 wurde die Kenntnis der Anfechtbarkeit der Kenntnis der Nichtigkeit gleichgestellt, s. Staudinger/Voppel, 18. Aufl., 2018, § 1318 BGB Rn. 1. 72 S. S. 69 der Gesetzesmotive, einsehbar bei Mugdan, Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich – Bd. 4, 39. 73 Volkmar, Grossdeutsches Eherecht, 152. Etwas anderes galt bei Aufhebung wegen arglistiger Täuschung und Drohung, s. RG 3.6.1940, Az. IV 690/39, RGZ 164, 111, 113 f. 74 S. § 37 Abs. 2 S. 1 EheG, aufgeführt in Erstes Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts (1. EheRG) vom 14.6.1976, BGBl. 1976 Teil I, 1421, 1434. 75 Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland, BT-Drs. 7/650, 184. Zu erwähnen bleibt jedoch, dass man sich in der Literatur größtenteils gegen diese in der Gesetzesbegründung gewählte Formulierung wandte und das Tatbestandsmerkmal bei Vorliegen einer reinen Faktenkenntnis als erfüllt ansah. 76 Zur Geschichte des EheschlRG: Staudinger/Voppel, 18. Aufl., 2018, § 1318 BGB Rn. 6 ff.

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Normfassung gewählte Formulierung dem Wortlaut der §§ 26 Abs. 2 S. 1, 37 Abs. 2 S. 1 EheG 1946 nachgebildet, weshalb die damalige Gesetzesintention durchaus als Argument in der Debatte herangezogen werden kann. Die Berücksichtigung eines Zusatzerfordernisses trägt überdies der Verschiedenartigkeit der in § 1318 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB aufgeführten Aufhebungstatbestände Rechnung77: Die fehlende Geschäftsfähigkeit (§ 1304 BGB), das Bestehen einer Mehr- (§ 1306 BGB) oder Verwandtenehe (§ 1307 BGB), Bewusstlosigkeit bzw. vorübergehende gestörte Geistestätigkeit im Zeitpunkt der Eheschließung, das unbewusste Eingehen der Ehe (§ 1314 Abs. 2 Nr. 1 und 2 BGB) sowie inhaltlich oder formell fehlerbehaftete Eheschließungserklärungen (§ 1311 BGB) können als Aufhebungsgründe ebenso zu Unterhaltsansprüchen des gutgläubigen Ehegatten führen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass etwa dem Verbot der bigamischen und inzestuösen Ehe ein in Europa allgemein anerkanntes Eheverständnis zugrunde liegt, das sowohl den Grundsatz der Monogamie als ein Wesensmerkmal des Ehebegriffes ansieht78 als auch die Verwandtenehe als sittlich verwerfliche Verbindung zurückweist und für unzulässig erklärt.79 Die Ahnung von der rechtlichen Angreifbarkeit derartiger Ehen dürfte mithin im Kulturverständnis der westlichen Welt tief verankert sein.80 Eine solche allgemeine und uneingeschränkte Ablehnung lässt sich der Gesetzesgenese für die Eheschließung Eheunmündiger insbesondere im Hinblick auf 16- und 17-jährige Nupturienten jedoch gerade nicht entnehmen.81 Immerhin bestand noch vor Inkrafttreten des KEhenBekG am 22.7.2017 für die Familiengerichte die Möglichkeit, auf Antrag die Befreiung vom Volljährigkeitserfordernis des § 1303 Abs. 1 BGB a. F. zu erteilen und auf diese Weise eine Eheschließung auch dann zu ermöglichen, wenn der Antragsteller erst das 16. Lebensjahr und sein künftiger Ehegatte die Volljährigkeit erreicht hatte (§ 1303 Abs. 2 BGB a. F.). Infolgedessen kann hier nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass sich der Aufhebbarkeitsgrund 77

So auch Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, 7. Aufl., 2020, § 14 Rn. 24. Die Einehe als „unantastbar empfundenen kulturellen Besitz in Europa“ bezeichnend dies., Familienrecht, § 10 Rn. 10; vgl. a. BGH 21.3.1962, Az. IV ZR 102/61, BGHZ 37, 51, 55. 79 Das Verbot der Nächstverwandtenehe findet seine Legitimation in der hergebrachten Auffassung von der Unvereinbarkeit zwischen enger Verwandtschaft und Ehe (Münch/Kunig/Heiderhoff, 7. Aufl., 2021, Art. 6 GG Rn. 80) und steht in Einklang mit dem Inzesttabu, dessen ungebrochene Rechtstradition in BVerfG 26.2.2008, Az. 2 BvR 392/07, BVerfGE 120, 224 ff. skizziert wird; s. a. Böhmer, StAZ 1991, 125, 127 f. 80 Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, 7. Aufl., 2020, § 14 Rn. 24. 81 Vgl. ibid., wonach die Einordnung der Eheunmündigkeit als Aufhebungsgrund aus rechtshistorischen Gesichtspunkten generell nicht „ohne weiteres bekannt“ sein dürfte. Die Autorinnen berufen sich dabei auf die bis 1998 geltenden Regelungen der §§ 18, 30 EheG 1946, die die Aufhebbarkeit bei beschränkter Geschäftsfähigkeit nur für solche Ehen vorsahen, bei denen der gesetzliche Vertreter nicht die Einwilligung zur Eheschließung oder zur Bestätigung erteilt hatte. Eheschließungen mit Zustimmung des gesetzlichen Vertreters waren stets wirksam, s. Kap. 1 B. III. 2. b) cc), Kap. 2 A.V. 78

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der Eheunmündigkeit im Rechtsempfinden der Allgemeinheit mit der vorgenannten Vehemenz und Reichweite etabliert hat. Vor diesem Hintergrund erscheint es durchaus angebracht, als zusätzliches Erfordernis zum Ausschluss von Unterhaltsansprüchen eine gewisse Rechtsfolgenkenntnis zu fordern. Allerdings ist einzuräumen, dass nach allgemeiner, zutreffender Auffassung keine allzu hohen Anforderungen an die Erfassung der rechtlichen Bedeutung der Minderjährigkeit als Aufhebungsgrund gestellt werden dürfen. Schließlich stößt man selbst unter Juristen hinsichtlich des Eheaufhebungsrechts auf variierende, nicht selten dürftige Rechtskenntnisse.82 Die genaue juristische Einordnung des Mangels ist daher nicht zu fordern, es muss lediglich eine im Ansatz vorhandene, dilettantische Erkenntnis über die Aufhebbarkeitsfolge seitens des Minderjährigen vorhanden sein; ihm muss die Tatsache seiner Minderjährigkeit jedenfalls aktuell in Bezug auf die Eheschließung als problematisch bewusst gewesen sein.83 Unbenommen der geringen Anforderungen an die Kenntnis nach § 1318 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB treten an dieser Stelle die Unterschiede zwischen In- und Auslandsehen deutlich hervor: Bei nach inländischem Eheschließungsstatut geschlossenen Minderjährigenehen wird eine gewisse Vorstellung von den rechtlichen Konsequenzen der Minderjährigkeit im Regelfall vorhanden sein. Weisen die Ehegatten nämlich ein deutsches Personalstatut auf, so besteht ein direkter Bezug zu den inländischen Rechtsbestimmungen und Gepflogenheiten, sodass hier von einer Kenntnis i. S. d. § 1318 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB ausgegangen werden kann. Anders verhält es sich aber in Fällen mit Auslandsberührung. Bei im Ausland von Personen mit ausländischem Personalstatut geschlossenen Minderjährigenehen werden die Ehegatten im Zeitpunkt ihrer Eheschließung in der Regel nicht mit den deutschen Sitten und Gebräuchen vertraut sein. Eine Kenntnis im vorgenannten Sinne kann ihnen sodann nicht unterstellt werden.84 Die Forderung nach einer laienhaften Kenntnis der Auswirkungen des Verstoßes auf den Bestand der Ehe als zusätzliches Kriterium erweist sich nach alldem als berechtigt. Nur auf diese Weise kann der im Wortlaut der Norm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers zur Geltung gebracht und der Verschiedenartigkeit von In- und Auslandssachverhalten im Hinblick auf die Kenntnis von der Eheaufhebbarkeit Rechnung getragen werden.

82 S. BeckOGK/Otto, 1.1.2022, § 1318 BGB Rn. 6; Maurer, in: Göppinger/Wax, UnterhaltsR, 9. Aufl., Rn. 1211. 83 Dies fordert Staudinger/Voppel, 18. Aufl., 2018, § 1318 BGB Rn. 18. 84 Diese Auffassung wird vom Gesetzgeber geteilt: Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland, BT-Drs. 18/12086, 13. Krit. dagegen Plich, RPsych 2017, 299, 305; dies., Betrifft Justiz 2017, 141, 143; Deutscher Juristinnenbund, Stellungnahme zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Bekämpfung von Kinderehen, 22.4.2017, 4.

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bb) Minderjährigkeitsbedingte Modifizierung der Anspruchsgewährung Nachdem analysiert worden ist, worauf sich die positive Kenntnis – angesichts ihrer weitreichenden rechtlichen Wirkungen – beziehen muss, ist ganz grundsätzlich zu klären, ob bei einem Minderjährigen von einer rechtlich beachtlichen „Kenntnis“ überhaupt gesprochen werden kann oder die Minderjährigkeit einer solchen Kenntniszurechnung ganz generell entgegensteht. Darüber hinaus ist zu prüfen, ob sich ein Unterhaltsanspruch auch gegen einen minderjährigen Ehegatten richten kann, wenn sein früherer (volljähriger) Ehegatte nicht aufgrund Bösgläubigkeit von der Geltendmachung eines entsprechenden Anspruchs ausgeschlossen ist. (1) Zurechnungsfähigkeit des bei Eheschließung minderjährigen Anspruchsinhabers Mit Blick auf den Schutzaspekt des § 1303 BGB könnte man die zur Bösgläubigkeit führende Kenntnis des im Eheschließungszeitpunkt minderjährigen Ehegatten grundsätzlich für unbeachtlich erklären und ihm stets eine Unterhaltsberechtigung nach Maßgabe der §§ 1569–1586b BGB zuerkennen, sofern die unterhaltsrechtlichen Voraussetzungen gegeben sind.85 So geht man bei Geschäftsunfähigen (§ 104 BGB) davon aus, dass sie die erforderliche Kenntnis von der Aufhebbarkeit einer Ehe de iure keinesfalls aufweisen können, da sie das für vernünftige Entscheidungen erforderliche Urteilsvermögen typischerweise nicht aufbringen und zur Bildung eines rechtlich erheblichen Willens außerstande sind.86 Auch bei beschränkt geschäftsfähigen Minderjährigen i. S. d. § 106 BGB herrscht eine begrenzte rechtsgeschäftliche Willensbildungs- und damit Verantwortungsfähigkeit vor, sodass die Zugrundelegung der bei Geschäftsunfähigkeit angewandten Grundsätze nicht abwegig erscheint. Zweifel an der Zurechnungsfähigkeit von Minderjährigen hinsichtlich der Kenntnis wurden bereits in der Entwurfsbegründung zum EheschlRG artikuliert. Dort heißt es wortwörtlich: „Die Kenntnis der eigenen Geschäftsunfähigkeit [. . .] kann, falls praktisch überhaupt vorstellbar, dem geschäftsunfähigen [. . .] Ehegatten nicht zu seinem Nachteil angelastet werden; dasselbe gilt – nach dem Schutzzweck des § 1303 BGB-E – für die Kenntnis eines eheunmündigen Ehegatten von seiner fehlenden Eheunmündigkeit.“ 87 Hieraus geht eindeutig hervor, dass die 85 Vgl. Eckebrecht, in: Scholz/Kleffmann, Praxishandbuch Familienrecht, 41. EL, September 2021, Rn. 150. 86 S. hierzu die Ausführungen von Roth, in: FS Schwab, 687, 692 f.; MüKo/Wellenhofer, 9. Aufl., 2022, § 1318 BGB Rn. 5; Johannsen/Henrich/Althammer/Henrich, 7. Aufl., 2020, § 1318 BGB Rn. 7; Grüneberg/Siede, 81. Aufl., 2022, § 1318 BGB Rn. 4; Köth, Die fehlerhafte Ehe als Fall des fehlerhaften Dauerschuldverhältnisses, 139; Eckebrecht, in: Scholz/Kleffmann, Praxishandbuch Familienrecht, 41. EL, September 2021, Rn. 150. 87 Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland, BT-Drs. 13/4898, 21.

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Urheber des Gesetzes einen umfassenden Schutz des Minderjährigen anstrebten und sich entschieden gegen seine Zurechnungsfähigkeit in Bezug auf die Kenntnis positioniert haben. Dieser in der Begründung ausgedrückte Minderjährigenschutzgedanke des historischen Gesetzgebers hat im Regelungskonzept der umgestalteten Vorschrift indes keinen Niederschlag gefunden. Daher steht eine in der Literatur vielfach vertretene Ansicht auf dem Standpunkt, dass sich eine positive Kenntnis des minderjährigen Ehegatten tatsächlich nachteilig auf seine Unterhaltsberechtigung auswirkt.88 Zwar wird diese Auslegung durchaus als Verstoß gegen das Anliegen des Minderjährigenschutzes bewertet89, allerdings lasse sich aufgrund des eindeutigen Wortlauts kein anderes Ergebnis herleiten. Es erscheint jedoch ebenso verfehlt, der sprachlichen Fehlleistung des Gesetzgebers ungeachtet ihrer befremdlichen Auswirkungen zu entsprechen und die Nachteile einer im Zeitpunkt der Eheschließung tatsächlich bestehenden Kenntnis selbst auf diejenigen minderjährigen Eheleute abzuwälzen, die noch nicht die geistige Reife besaßen, um den problematischen Sachverhalt zu erfassen. Dadurch würde der Schutzzweck der aufhebbarkeitsbegründenden Normen in sein Gegenteil verkehrt und der das gesamte Zivilrecht bestimmende Grundsatz des Minderjährigenschutzes ausgehebelt. Dabei folgt aus diesem Schutzpostulat keineswegs der universelle Ausschluss der Zurechnung der Kenntnis und die damit einhergehende automatische Gutgläubigkeit des Minderjährigen kraft seiner Minderjährigkeit. Dies führte zu einer Überstrapazierung des Schutzgedankens zu Lasten des anderen Ehegatten, der sich stets einer Inanspruchnahme wegen Unterhalts ausgesetzt sähe. Außerdem ist der Tatsache Rechnung zu tragen, dass Minderjährige durchaus zu eigenverantwortlichen Entscheidungen in höchstpersönlichen Angelegenheiten fähig sein können. Aufgrund der Höchstpersönlichkeit des Rechtsgeschäfts der Eheschließung scheidet auch ein Abstellen auf die Kenntnis des gesetzlichen Vertreters gem. §§ 819, 990 BGB aus.90 Vielmehr ist eine Rückbesinnung auf den telos des Tatbestandsmerkmals der Unkenntnis geboten, der auf einen Schutz entstandenen Vertrauens abzielt.91 Der Ausschluss eines individuellen schutzwürdigen Vertrauens in den Bestand der Ehe kann jedoch nur dort erfolgen, wo die natürliche Fähigkeit zur vollständigen Erfassung der Sachverhaltsumstände gesichert ist. Die auf die Eheschließung bezogene Ein88 Johannsen/Henrich/Althammer/Henrich, 7. Aufl., 2020, § 1318 BGB Rn. 6; BeckOK/Hahn, 62. Ed., 1.5.2022, § 1318 BGB Rn. 6; Grüneberg/Siede, 81. Aufl., 2022, § 1318 BGB Rn. 3; Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, 7. Aufl., 2020, § 14 Rn. 22 m. Fn. 55; Köth, Die fehlerhafte Ehe als Fall des fehlerhaften Dauerschuldverhältnisses, 142. 89 S. schon damals Schwab, in: FS Beitzke, 357, 361 m. Fn. 12. 90 Diesen gedanklichen Ansatz führt Roth, in: FS Schwab, 687, 696 an, lehnt ihn aber letztlich auch ab. 91 Ders., in: FS Schwab, 687, 696.

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sichtsfähigkeit des Minderjährigen ist somit unabdingbare Voraussetzung für die Zurechnung der Kenntnis.92 Dabei muss der Minderjährige die erforderliche Reife aufweisen, seine Kenntnis vom Aufhebungsgrund in ihrer Bedeutung zu erfassen und sein Handeln danach auszurichten.93 Dies steht in Einklang mit der Wertung im Bereich des Deliktsrechts, wo im Rahmen des § 828 Abs. 3 BGB ebenfalls auf „die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht“ abgestellt wird.94 Die Einsichtsfähigkeit erscheint auch in Ansehung des weitreichenden Adressatenkreises als sinnvolle Voraussetzung. Zwar greift die Aufhebbarkeit seit dem 22.7.2017 nach § 1314 Abs. 1 Nr. 1 BGB nur noch für die im Alter ab 16 Jahren geschlossenen Minderjährigenehen, während die von noch jüngeren Personen geschlossenen Ehen kraft Gesetzes nunmehr unwirksam sind (§ 1303 S. 2 BGB). Zu berücksichtigen bleiben aber auf der einen Seite die in der Überleitungsvorschrift des Art. 229 § 44 Abs. 1 EGBGB erwähnten, nach deutschem Eheschließungsstatut vor dem 22.7.2017 unzulässigerweise geschlossenen Ehen, die ausnahmslos – selbst bei Beteiligung von Personen unter 16 Jahren – zur Aufhebbarkeit nach dem bisherigen Recht und damit zur Anwendbarkeit des § 1318 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB führen.95 Auf der anderen Seite finden die Aufhebbarkeitsvorschriften – nach hier vertretener Ansicht – auch für die „geheilten“ Ehen i. S. d. Art. 229 § 44 Abs. 4 EGBGB Anwendung (s. Kap. 3 D. II. 5. b) cc)). Sollte es sich um eine im Ausland erfolgte Eheschließung96 handeln, die unter Rückgriff auf eine im nationalen Recht vorgesehene (gerichtliche) Befreiungsmöglichkeit erfolgte, kann die Einsichtsfähigkeit gegebenenfalls aus der entsprechenden Genehmigung hergeleitet werden, sofern die der Dispenserteilung vorangegangene Überprüfung nicht nur die körperliche, sondern auch die geistige Eignung des jeweiligen Minderjährigen für die Eingehung einer Ehe hinreichend kenntlich gemacht hat. 92 Ders., in: FS Schwab, 687, 696; Erman/ders., 16. Aufl., 2020, § 1318 BGB Rn. 3; Staudinger/Voppel, 18. Aufl., 2018, § 1318 BGB Rn. 18; keine Bedenken hinsichtlich der Zurechnungsfähigkeit 16- bzw. 17-jähriger Minderjähriger hat MüKo/Wellenhofer, 9. Aufl., 2022, § 1318 BGB Rn. 6; eine „starre Altersgrenze“ ablehnend BeckOGK/ Otto, 1.1.2022, § 1318 BGB Rn. 6. 93 So wortwörtl. Erman/Roth, 16. Aufl., 2020, § 1318 BGB Rn. 3. 94 Wie hier ders., in: FS Schwab, 687, 696. Köth, Die fehlerhafte Ehe als Fall des fehlerhaften Dauerschuldverhältnisses, 142 lehnt die Heranziehung des § 828 BGB mit dem Hinweis ab, dass der Minderjährige dort verpflichtet werde und es vorliegend um seine (Unterhalts-)berechtigung gehe. Für die Antwort auf die Frage nach der Unterhaltsberechtigung kommt es indes gerade auf die Kenntnis des Minderjährigen von der Aufhebbarkeit, also im Grunde auf die Verantwortbarkeit der Kenntnis an, weswegen die deliktsrechtlichen Maßstäbe im vorliegenden Kontext Berücksichtigung finden sollten. 95 MüKo/Wellenhofer, 8. Aufl., 2021, Art. 229 § 44 EGBGB Rn. 7; Grüneberg/ Siede, 81. Aufl., 2022, Art. 229 § 44 EGBGB Rn. 1; Frie, FamRB 2017, 232, 234; ausdrücklich auch Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland, BT-Drs. 18/12086, 24. 96 In den meisten Fällen fehlt es hier allerdings schon am Bestehen der Kenntnis, s. o. aa) (2).

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Insofern werden nach Aufhebung der Ehe eigene Unterhaltsansprüche des minderjährigen Ehegatten durch eine bestehende Kenntnis nur dann vereitelt, sofern er im Zeitpunkt der Eheschließung als einsichtsfähig zu qualifizieren ist. (2) Ausschluss der Unterhaltsverpflichtung des minderjährigen Ehegatten Eine ähnliche Problematik besteht im umgekehrten Fall einer eventuellen Unterhaltsverpflichtung des minderjährigen Ehegatten. War der andere Ehegatte nämlich nicht bösgläubig, so steht auch ihm nach dem reinen Wortlaut des § 1318 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB ein Anspruch gegen den minderjährigen Ehegatten zu. Vereinzelt wurde sogar zu bedenken gegeben, dass bei fortdauernder Minderjährigkeit des Ehegatten, dieser infolge seiner Haftung womöglich mit erheblichen Unterhaltsschulden in die Volljährigkeit eintreten müsse, sodass seine finanzielle Handlungsfähigkeit beträchtlich vermindert wäre.97 Diesem Bedenken ist aber entgegen zu halten, dass der Anspruch eines Unterhaltsberechtigten ohnehin in Relation zu der finanziellen Leistungsfähigkeit des unterhaltsverpflichteten Minderjährigen zu setzen ist. Dem Unterhaltsanspruch wird also ohnehin eine Grenze gesetzt, sodass eine Verschuldung des Minderjährigen realistischerweise nicht vorstellbar ist.98 Allerdings sollte dieser Einwand nicht zum Anlass genommen werden, um die im Hinblick auf den Schutzzweck des § 1303 BGB durchaus als befremdlich wahrgenommene99 gesetzgeberische Entscheidung schlichtweg hinzunehmen und sich unter Berufung auf den unmissverständlichen Gesetzestext gegen eine teleologische Reduktion auszusprechen.100 Die Unterhaltspflicht des Minderjährigen folgt im Grunde aus der Abgabe seiner eigenen, auf die Eheschließung gerichteten Willenserklärung. Die allgemeine Rechtsgeschäftslehre verbietet dem beschränkt geschäftsfähigen Minderjährigen jedoch den Abschluss von Geschäften,

97 Dies befürchtet Roth, in: FS Schwab, 687, 694 f. Er zieht die Parallele zu BVerfG 13.5.1986, Az. 1 BvR 1542/84, NJW 1986, 1859 ff. und plädiert für einen Schutz des Minderjährigen vor selbstschädigenden rechtsgeschäftlichen Erklärungen als Ausfluss der Ausübung des staatlichen Wächteramts des Art. 6 Abs. 2 GG. 98 S. Staudinger/Voppel, 18. Aufl., 2018, § 1318 BGB Rn. 19. Genauer zu Unterhaltsberechtigung und Unterhaltsverpflichtung Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, 7. Aufl., 2020, § 44 Rn. 20 ff. 99 S. nur Staudinger/Voppel, 18. Aufl., 2018, § 1318 BGB Rn. 19; Grüneberg/Siede, 81. Aufl., 2022, § 1318 BGB Rn. 3. 100 Auf diese Weise verfahren aber Palandt/Brudermüller, 75. Aufl., 2016, § 1303 BGB Rn. 3; NK-BGB/Finger, 3. Aufl., 2014, § 1318 BGB Rn. 6; Johannsen/Henrich/ Althammer/Henrich, 7. Aufl., 2020, § 1318 BGB Rn. 6; BeckOK/Hahn, 62. Ed., 1.5.2022, § 1318 BGB Rn. 6; MüKo/Wellenhofer, 9. Aufl., 2022, § 1318 BGB Rn. 6; Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, 7. Aufl., 2020, § 14 Rn. 23. Kritisch zum bereits im EheG bestehenden Dilemma, s. Beitzke, in: FS Knur, 39, 45 f.

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aus denen ihm rechtliche Nachteile erwachsen.101 Insofern stellt schon allein die spätere Entstehung von Unterhaltsansprüchen gegen den Minderjährigen unabhängig vom Umfang der Unterhaltsbelastung einen Verstoß gegen den allgemeinen Minderjährigenschutz dar. Ausdruck dieses Schutzgedankens war vor der Gesetzesreform die in § 1303 Abs. 2–4 BGB a. F. geforderte und nur im Ausnahmefall zu erteilende gerichtliche Genehmigung für Ehen unter Beteiligung von Minderjährigen. Hierdurch trat die gesetzgeberische Wertung klar hervor, dass der beschränkt Geschäftsfähige ohne familiengerichtliche Befreiung für die Eingehung einer Ehe als nicht hinreichend einsichtsfähig einzustufen ist. Seit der Gesetzesänderung im Zuge des KEhenBekG wird der Minderjährige von vornherein und ausnahmslos vom Gesetz nicht mehr für fähig befunden, eine Ehe zu schließen. Dabei geschah die Etablierung des ausnahmslosen Ehemündigkeitsalters von 18 Jahren mit dem Ziel der vollständigen Abschaffung von Minderjährigenehen nicht ohne wiederholten Verweis auf das Prinzip des effektiven Schutzes von Minderjährigen, der ebendiese legislativen Maßnahmen zwingend erforderlich mache.102 Insofern wurden die substantiellen normativen Änderungen aus gesetzgeberischer Warte als eine Verstärkung des ohnehin in § 1303 BGB manifestierten Schutzzwecks angesehen. Das mit dem KEhenBekG verfolgte Anliegen beschränkte sich dabei nicht auf die Bewahrung der Minderjährigen vor den Gefahren einer Eheschließung in frühem Alter, sondern bezog sich ebenso auf eine interessengerechte Abwicklung von bereits geschlossenen Minderjährigenehen. Diese mit der Gesetzesnovelle intendierte Intensivierung des Minderjährigenschutzes würde in ihr Gegenteil verkehrt, wenn im Rahmen der vermögensrechtlichen Liquidation der aufgehobenen Ehe selbst gutgläubige Minderjährige mit unterhaltsrechtlichen Ansprüchen konfrontiert würden. Die Unterhaltsverpflichtung von Minderjährigen ist auch aus dem Grund abzulehnen, dass das Rechtsinstitut der Eheaufhebung im KEhenBekG in strenger Unterscheidung zur Eheunwirksamkeit als die mildere Fehlerfolge festgelegt wurde. Die Defizite der unbefriedigenden rechtstechnischen Ausgestaltung des Eheaufhebungsrechts dürfen den Minderjährigen nicht zu Lasten gelegt werden, vielmehr muss der Minderjährigenschutz als Rechtsinstitut von Verfassungsrang in der praktischen Verwirklichung mit Stringenz durchgesetzt werden. Ein anderweitiges Verständnis der Vorschrift ist auch vor dem Hintergrund des in § 1318 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 BGB klar zu Tage tretenden gesetzgeberischen Willens ausgeschlossen. Die Norm lässt gegenseitige Unterhaltsansprüche bei Verstoß gegen die §§ 1306, 1307 BGB oder § 1311 BGB bei beiderseitiger Bösgläubigkeit der Ehegatten bestehen. § 1303 BGB findet in der Vorschrift indes keine Erwähnung. Daraus ist zu folgern, dass die Ehegatten vorbehaltlich des § 1318

101 So auch ders., in: FS Knur, 39, 46; Roth, in: FS Schwab, 687, 694; Knaak, Die Eheaufhebungsregelung und das Eheschließungsrechtsgesetz vom 4. Mai 1998, 133. 102 Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland, BT-Drs. 18/12086, 1, 15, 17.

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Abs. 2 S. 2 BGB bei einem Verstoß gegen die Ehemündigkeitsvorschriften zu nachehelichen Unterhaltsansprüchen nicht berechtigt sind, wenn beide Ehegatten die Minderjährigkeit kannten.103 Der Ausschluss gegenseitiger Unterhaltsansprüche bei Bösgläubigkeit beider Ehegatten soll dabei dem Schutz des Minderjährigen dienen.104 Ließe man die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen gegen den minderjährigen Ehegatten aber demgegenüber im Falle seiner Gutgläubigkeit zu, würde man diese Zielsetzung in ihr Gegenteil verkehren. Dass nämlich der Schutzgedanke im Falle der beiderseitigen Gutgläubigkeit der Ehegatten nicht greifen soll, erscheint kaum vertretbar.105 Anzunehmen ist, dass der Gesetzgeber das Problem einer Unterhaltsverpflichtung des minderjährigen Ehegatten für den Fall der Gutgläubigkeit des anderen Teils nicht gesehen hat, so dass § 1318 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB dahingehend ergänzend auszulegen106 ist, dass der Minderjährige den unterhaltsrechtlichen Ansprüchen seines Ehepartners nicht ausgesetzt ist und daher nicht als Anspruchsschuldner in Betracht kommt.107 cc) Anwendungsfälle Die Wirkung dieser verschiedenen Auslegungsansätze lässt sich am besten anhand von Beispielen verdeutlichen: Fallbeispiel 1108: Die deutschen Staatsangehörigen Felicitas (F) und Manfred (M) haben im Dezember 2019 in Deutschland geheiratet. Im Zeitpunkt der Eheschließung war F 16 Jahre alt, M hatte das 20. Lebensjahr vollendet. Auf Antrag der zuständigen Verwaltungsbehörde wird ihre Ehe im Mai 2020 gerichtlich aufgehoben. Fallbeispiel 2: Die 16-jährige irakische Staatsangehörige Fatima (F) hat im Dezember 2019 ihren 20-jährigen Landsmann Mohammed (M) im Irak geheiratet. Der zustän103 Staudinger/Voppel, 18. Aufl., 2018, § 1318 BGB Rn. 20; Johannsen/Henrich/Althammer/Henrich, 7. Aufl., 2020, § 1318 BGB Rn. 6; Maurer, in: Göppinger/Wax, UnterhaltsR, 9. Aufl., Rn. 1212; a. A. Erman/Roth, 16. Aufl., 2020, § 1318 BGB Rn. 3b, der dem Regierungsentwurf (BT-Drs. 13/4898, 21) entnimmt, dass auch in diesem Fall Unterhaltsansprüche gegeben sein können. 104 So MüKo/Wellenhofer, 9. Aufl., 2022, § 1318 BGB Rn. 8. 105 So argumentiert auch Roth, in: FS Schwab, 687, 695. 106 Näher zur sog. ergänzenden Rechtsfortbildung: Looschelders/Roth, Juristische Methodik im Prozeß der Rechtsanwendung, 280 ff. 107 S. a. Peter, Ausgewählte Probleme des neuen Eheschließungsrechts, 7. 108 Der gewählte Fall wird in der Realität zugegebenermaßen kaum zustande kommen und ist somit eher Schrifttumsbeispiel als Lebenswirklichkeit: Zunächst offenbart das statistische Datenmaterial, dass in Deutschland schon vor Abschaffung der Dispensmöglichkeit durch das KEhenBekG in sehr wenigen Fällen vor Eintritt des Volljährigkeitsalters geheiratet wurde. Außerdem dürfte in der Praxis der zuständige Standesbeamte die Schließung einer gesetzeswidrigen Minderjährigenehe aufgrund der von Amts wegen vorzunehmenden Prüfung der Ehevoraussetzungen (§ 13 PStG) regelmäßig verhindern. Nichtsdestotrotz bietet sich der Fall für die Frage nach dem Bestehen der Kenntnis als lehrreiches Exempel an.

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dige Familienrichter sah die körperliche Reife und Eignung der Eheschließungswilligen als erwiesen an, die Zustimmung des Ehevormundes war gegeben. Auf dieser Grundlage wurde die entsprechende Genehmigung für die Eheschließung gerichtlich erteilt. Im Mai 2020 flüchteten M und F nach Deutschland, wo die zuständige Verwaltungsbehörde bei Gericht den Antrag auf Aufhebung der Ehe stellte. Der Antrag wird bewilligt und die Ehe aufgehoben. Frage: Weist F in den Fallkonstellationen 1 und 2 jeweils eine zurechenbare Kenntnis i. S. d. § 1318 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB auf, sodass ihr trotz Vorliegens eines Unterhaltstatbestandes i. S. d. §§ 1569 ff. BGB Ansprüche aus nachehelichem Unterhalt versagt bleiben?109

F kann gem. § 1318 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB keinen Unterhalt verlangen, wenn sie im Zeitpunkt der Eheschließung die Aufhebbarkeit der Ehe kannte und ihr dieses Wissen zugerechnet werden kann. Zunächst ist zu klären, ob in den Beispielen jeweils grundsätzlich Kenntnis bestand. Interpretiert man den Begriff der Kenntnis als positives Wissen von der Minderjährigkeit, so könnte die minderjährige F nur in seltenen Sonderfällen Unterhalt beanspruchen. In der Regel ist schließlich davon auszugehen, dass Minderjährige über ihr Alter Bescheid wissen. Die im Fall 2 zu beachtende Besonderheit, dass nach irakischem Recht gem. Art. 3 Abs. 1 lit. a MSchG die Heirat ab 15 Jahren die volle Geschäftsfähigkeit der Nupturienten bewirkt, steht der Annahme einer Kenntnis von der Minderjährigkeit dabei nicht entgegen: Zunächst einmal bestehen Zweifel hinsichtlich der zivilrechtlichen Reichweite der Norm.110 Doch selbst wenn man annimmt, dass der Minderjährige mit der Eheschließung die uneingeschränkte zivilrechtliche Volljährigkeit erlangt, tritt diese erst nach erfolgter Eheschließung ein, während es für die Kenntnis auf den Zeitpunkt der Vornahme der Eheschließung ankommt. In der juristischen Sekunde des Eheschließungsakts war der minderjährige Ehegatte also noch unmündig. Außerdem ist die rechtliche Einordnung der Minderjährigkeit als Vorstufe zur Volljährigkeit nicht von Relevanz, da sich die Kenntnis nur auf das konkrete Alter bezieht.111 Die minderjährige F war sich also auch im Beispiel 2 ihres minderjährigen Alters bewusst. Wie oben dargelegt, ist jedoch als Ergänzung zum Wissen um die Sachumstände die laienhafte Erfassung der rechtlichen Bedeutung der Minderjährigkeit als Aufhebungsgrund seitens des minderjährigen Ehegatten zu fordern, wobei an diese keine hohen Anforderungen zu stellen sind. Im Fall 1 sind die Ehegatten deutsche Staatsangehörige und leben in Deutschland. Aufgrund des hinreichenden Inlandsbezugs ist es unwahrscheinlich, dass F nicht zu der Erkenntnis in 109 Für Fall 2) verweist Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB auf die Sachvorschriften des BGB zur Aufhebbarkeit nach deutschem Recht gem. § 1314 Abs. 1 Nr. 1 BGB. Somit findet die Aufhebungsfolgennorm des § 1318 BGB problemlos Anwendung. 110 S. Kap. 1 C. II. 3. c) m. Fn. 268. 111 S. o. aa) (2).

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Form einer Parallelwertung in der Laiensphäre gelangt ist, dass ihr minderjähriges Eheschließungsalter problematisch ist, zumal sie lediglich eine annähernde Vorstellung von den rechtlichen Wirkungen ihrer Minderjährigkeit gehabt haben muss. Insofern wird man hier zu der Schlussfolgerung gelangen, dass sowohl F als auch M im Zeitpunkt der Eheschließung eine Kenntnis i. S. d. § 1318 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB aufwiesen. Dies ergibt sich umso mehr aus der Tatsache, dass das KEhenBekG eine breite mediale Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte und zumindest für eine gewisse Zeit ins Zentrum der öffentlichen Wahrnehmung gerückt war. Die bundesweit hierzu geführten rechts- und gesellschaftspolitischen Kontroversen um Minderjährigenehen dürften den Ehegatten kaum entgangen sein. Zwar hängt die Annahme einer positiven Kenntnis nach den obigen Feststellungen gerade nicht davon ab, ob sich die konkrete Aufhebbarkeitsfolge bereits im Rechtsverständnis der Allgemeinheit etabliert hat.112 Dass im vorliegenden Fall die Befreiungsmöglichkeit nach § 1303 Abs. 2–4 BGB a. F. aber im Zeitpunkt der Eheschließung von F und M bereits seit über 2 Jahren nicht mehr existierte, hat dennoch Indizwirkung für das Bestehen der Kenntnis. In diesem Sinne ist im Fall 1 von einer Kenntnis der F auszugehen. Anders verhält es sich mit Fall 2. Er weist die Besonderheit auf, dass die Ehegatten irakische Staatsangehörige sind und die Ehe im Irak geschlossen haben. Erst ein halbes Jahr nach der Eheschließung sind sie als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen. Nach dem irakischen Heimatrecht113 der Ehegatten lagen alle Voraussetzungen zur Eingehung einer wirksamen Ehe vor. Insofern bestand für die Eheleute kein Anlass, defizitäre Rechtswirkungen zu befürchten und die Gültigkeit ihrer Ehe auch nur ansatzweise anzuzweifeln.114 Eine zum Eheschließungszeitpunkt vorhandene Ahnung dahingehend, dass sich die Minderjährigkeit der F nach deutschem Recht nachteilhaft auf die Ehe auswirken könnte, kann den auf die Wirksamkeit ihrer Eheschließung vertrauenden Ehegatten also nicht unterstellt werden.115 Zwar haben sie spätestens bei Stellung des Aufhebungsantrags der zuständigen Verwaltungsbehörde Kenntnis von der rechtlichen Angreifbarkeit ihrer Ehe erlangt. Nach dem eindeutigen Wortlaut ist eine spätere Kenntniserlangung jedoch für den Schutz des § 1318 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB unschädlich, wenn am Stichtag der Eheschließung die Kenntnis nicht vorlag.116 Im Zeitpunkt der Eheschließung wiesen die Beteiligten überhaupt keinen Bezug zu den hiesigen Lebensverhältnissen und rechtlichen Bewertungen auf. 112

S. o. aa) (2). Zu den Eheschließungsvoraussetzungen im irakischen Recht: Kap. 1 C. II. 3. c). 114 Vgl. a. Heiderhoff, in: FS Geimer, 231, 234. 115 Dies bestätigt die Gesamtauswertung, wonach „das in Deutschland geltende Verbot der Minderjährigenehe [. . .] im Ausland weitgehend unbekannt“ ist, s. Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Gesamtauswertung zur Evaluierung des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen, 14.8.2020, 8. 116 Maurer, in: Göppinger/Wax, UnterhaltsR, 9. Aufl., Rn. 1211. 113

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Ausgehend von dieser tatsächlichen Situation vermag man hier wohl kaum eine Kenntnis i. S. d. § 1318 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB anzunehmen. Im Unterschied zum Fall 1 liegt vorliegend ein Vertrauenstatbestand vor. Insofern entsteht – sofern F ihre Unkenntnis nachweisen kann – zwischen den Beteiligten ein Unterhaltsrechtsverhältnis i. S. d. §§ 1569 ff. BGB mit Ansprüchen der F gegen ihren früheren Ehegatten M. Im Fall 1 stellt sich weiterhin die Frage, ob die Kenntnis der eheunmündigen Gattin tatsächlich zu ihren Lasten gereichen darf. So könnte man die Zurechnungsfähigkeit der im Zeitpunkt der Eheaufhebung minderjährigen F unter Berufung auf den Minderjährigenschutz verneinen und ihr ungeachtet ihrer vorhandenen Kenntnis Unterhaltsansprüche gegen M zusprechen. Mit Blick auf den Sinn und Zweck der Vorschrift ist jedoch auf die Einsichtsfähigkeit des Minderjährigen im Einzelfall abzustellen. Als F mit M die Ehe einging, hatte sie bereits das 16. Lebensjahr vollendet. Jedenfalls 16 oder 17 Jahre alten Ehegatten ist die erforderliche Reife zur vollständigen Erfassung der tatsächlichen und rechtlichen Umstände regelmäßig zu unterstellen.117 Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass F ausnahmsweise keine hinreichende Einsichtsfähigkeit besaß, um die Reichweite ihrer Eheschließung zu erfassen, sind dem Sachverhalt nicht zu entnehmen. Demnach muss die vorhandene Kenntnis der F zugerechnet werden, sodass ihr im vorliegenden Fall Unterhaltsansprüche gegen M versagt bleiben. dd) Das Merkmal der „groben Unbilligkeit“ (§ 1318 Abs. 2 S. 2 BGB) Eine Rückausnahme von der Nichtanwendbarkeit der scheidungsrechtlichen Unterhaltsvorschriften bildet die in § 1318 Abs. 2 S. 2 BGB formulierte Härtefallklausel zugunsten von Ehegatten, die ein aus der Ehe hervorgegangenes Kind pflegen und erziehen.118 Unabhängig von ihrer Kenntnis der Aufhebbarkeit steht ihnen ein Unterhaltsanspruch wegen Betreuung eines gemeinschaftlichen Kindes in entsprechender Anwendung von § 1570 BGB auch dann zu, wenn eine Versagung des Unterhalts im Hinblick auf die Belange des Kindes grob unbillig wäre. Hinsichtlich der Auslegung des Tatbestandsmerkmals der groben Unbilligkeit sind nach herrschender Meinung die zu § 1579 BGB entwickelten Grundsätze zu konsultieren.119 Dabei verblüfft die in § 1318 Abs. 2 S. 2 BGB angeordnete Beschränkung des Unterhaltsanspruchs auf Fälle grober Unbilligkeit in Anbetracht der Tatsache, dass bereits im Zusammenhang mit § 1615l Abs. 2 S. 3 BGB a. F. die bis dato als Versagungsgrund für das Ende der Unterhaltspflicht geforderte grobe Unbillig117

Dies befürwortet auch Roth, in: FS Schwab, 687, 696. S. nur MüKo/Wellenhofer, 9. Aufl., 2022, § 1318 BGB Rn. 9. 119 Staudinger/Voppel, 18. Aufl., 2018, § 1318 BGB Rn. 32; BeckOK/Hahn, 62. Ed., 1.5.2022, § 1318 BGB Rn. 17. 118

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keit und die damit einhergehende, von § 1570 Abs. 1 S. 2 BGB divergierende Bemessung der Dauer des Unterhalts für eheliche und nichteheliche Kinder120 auf Unverständnis stießen und durch das BVerfG schließlich für verfassungswidrig erklärt wurden.121 Um die Entstehung verfassungsrechtlich fragwürdiger Ergebnisse zu vermeiden, bedarf es daher auch an dieser Stelle einer weiten verfassungskonformen Auslegung der Billigkeitsklausel dahingehend, dass bei Unterhaltsbedürftigkeit (§ 1569 S. 2 BGB) bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres des Kindes in der Regel Betreuungsunterhalt zu leisten ist (selbst in Fällen einfacher Unbilligkeit).122 Die extensive Auslegung des Merkmals der groben Unbilligkeit ist gerechtfertigt, weil andernfalls eine Eheaufhebung für den betreuenden Elternteil und dessen Kind nachteilhaftere Folgen hätte (nämlich die für Unterhaltsansprüche aufgestellte Barriere der groben Unbilligkeit) als die Eingehung einer vollkommen unwirksamen Ehe (wo eine Unterhaltsberechtigung aus § 1615l Abs. 2 S. 3 BGB für mindestens die ersten drei Lebensjahre des Kindes ohne jegliche Billigkeitsprüfung per se zu bejahen ist), was nicht sachgerecht erscheint.123 Eine Unvereinbarkeit mit dem Wortlaut der Norm ist dabei nicht zu besorgen: Bei dem

120 § 1615l Abs. 2 S. 3 BGB a. F. lautete wie folgt: „Die Unterhaltspflicht beginnt frühestens vier Monate vor der Geburt; sie endet drei Jahre nach der Geburt, sofern es nicht insbesondere unter Berücksichtigung der Belange des Kindes grob unbillig wäre, einen Unterhaltsanspruch nach Ablauf dieser Frist zu versagen.“ Diese sich im Wortlaut der Norm manifestierende grundlegende Abweichung von der unterhaltsrechtlichen Lage eines verheirateten Elternteils wurde vom BVerfG für verfassungsrechtlich unhaltbar angesehen, s. nachf. Fn. 121. Nach der herrschenden a. A. konnte eine Verlängerung in Fällen einfacher Unbilligkeit aber bereits de lege lata durch verfassungsgemäße Auslegung erreicht werden, s. BGH 5.7.2006, Az. XII ZR 11/04, FamRZ 2006, 1363, 1366; OLG Celle 21.11.2001, Az. 21 UF 96/01, FamRZ 2002, 636; vgl. a. Büttner, FamRZ 2000, 781, 783, 786. Insofern gingen von der Neuerung keine substantiellen Reformimpulse aus, s. Helms, Reform des Betreuungsunterhalts nach § 1615l BGB vor dem Hintergrund der abweichenden Regelung in § 1570 BGB, in: Reform des Unterhaltsrechts, 2007, 77. 121 BVerfG 28.2.2007, Az. 1 BvL 9/04, NJW 2007, 1735 ff. Die Entscheidung führte zur Angleichung der §§ 1570 Abs. 1, 1615l Abs. 2 BGB durch das Gesetz zur Änderung des Unterhaltsrechts vom 21.12.2007 (UÄndG) vom 1.1.2008, BGBl. 2007 Teil I, 3189, 3191. Hiermit wurde gesetzlich die Schwelle zur Verlängerung des Anspruchs auf Betreuungsunterhalt über das dritte Lebensjahr des Kindes hinaus für nicht verheiratete Ehegatten von der groben auf die einfache Unbilligkeit herabgesetzt (§ 1615l Abs. 2 S. 4 BGB). Eine vollständige Gleichschaltung der Normen ist jedoch nicht erfolgt, zu den verbleibenden Unterschieden s. genauer Helms, Reform des Betreuungsunterhalts nach § 1615l BGB vor dem Hintergrund der abweichenden Regelung in § 1570 BGB, in: Reform des Unterhaltsrechts, 2007, 77 ff. 122 So auch Maurer, in: Göppinger/Wax, UnterhaltsR, 9. Aufl., Rn. 1217, der dem § 1318 Abs. 2 S. 2 BGB als Konsequenz eine eigenständige Bedeutung abspricht. 123 Dies erkennt auch Schwab, FamRZ 2017, 1369, 1371 mit anschaulichem Beispiel; vgl. a. MüKo/Wellenhofer, 7. Aufl., 2017, § 1318 BGB Rn. 7, die insb. von einem dem Grunde nach weitgehend eheunabhängig ausgestalteten Betreuungsunterhalt spricht.

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Terminus der „groben Unbilligkeit“ handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, dessen Auslegung die Berücksichtigung, sogar besondere Gewichtung der Belange des Kindes verlangt.124 ee) Beweislastverteilung Nach der ursprünglichen Rechtslage hatte der Anspruchssteller gem. § 1345 Abs. 1 BGB 1900125 die im Zeitpunkt der Eheschließung bestehende Kenntnis von der Nichtigkeit der Ehe auf Seiten des anderen Ehegatten zu beweisen.126 Die im Zuge der Umgestaltung der Vorschrift in § 1318 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB vorgenommene Anknüpfung an die eigene Unkenntnis des Gläubigers brachte eine Beweislastumkehr mit sich. Seitdem trägt der nach Aufhebung der Ehe vom anderen Ehegatten Unterhalt beanspruchende Ehegatte die Beweislast für seine eigene fehlende Kenntnis.127 Der Unterhalt begehrende Ehegatte ist auch hinsichtlich der Tatsachen beweispflichtig, die eine Versagung des Unterhalts wegen der Belange eines gemeinschaftlichen Kindes als (grob) unbillig erscheinen lassen.128 ff) Zwischenfazit Nach den vorstehenden Ausführungen ist zu konstatieren, dass die auf das Unterhaltsrecht verweisenden gesetzlichen Aufhebungsregelungen bei einem Verstoß gegen die Ehemündigkeitsnorm des § 1303 S. 1 BGB ihrem Wortlaut nach für den minderjährigen Ehegatten eine eher unzureichende Schutzwirkung entfalten, die im Wege teleologischer bzw. verfassungskonformer Auslegung nur bedingt korrigiert werden kann. Dass Ansprüche auf Nachehelichenunterhalt nicht für jene minderjährige Personen bestehen, bei denen eine laienhafte und zurechenbare Kenntnis über die Aufhebbarkeit der Ehe vorhanden war, ist unter dem Aspekt des Minderjährigenschutzes durchaus beanstandungswürdig. Im Zusammenhang mit Eheschließungen, die in Deutschland ohne Auslandsbezug vollzogen werden, wird die Gutgläubigkeit der minderjährigen Ehegatten eher selten anzunehmen sein, sodass Unterhaltsansprüche kaum geltend gemacht werden können.129 Der Rettungsan124 Vgl. a. BGH 5.7.2006, Az. XII ZR 11/04, FamRZ 2006, 1363, 1366 (bezogen auf § 1615l Abs. 2 S. 3 BGB a. F.). 125 Der Wortlaut der Norm findet sich in Fn. 71. 126 S. 69 der Gesetzesmotive, einsehbar bei Mugdan, Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich – Bd. 4, 39. 127 OLG Bremen 13.11.2015, Az. 4 UF 73/15, FamRZ 2016, 828, 829; Johannsen/ Henrich/Althammer/Henrich, 7. Aufl., 2020, § 1318 BGB Rn. 5; MüKo/Wellenhofer, 9. Aufl., 2022, § 1318 BGB Rn. 11; BeckOK/Hahn, 62. Ed., 1.5.2022, § 1318 BGB Rn. 5; die Beweislastregelung als problematisch empfindend Roth, in: FS Schwab, 687, 691. 128 Staudinger/Voppel, 18. Aufl., 2018, § 1318 BGB Rn. 34. 129 S. Coester-Waltjen, IPRax 2017, 429, 431, s. o. Fallbeispiel 1.

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ker der fehlenden Einsichtsfähigkeit, der – nach der hier vertretenen Auffassung – den Ausschluss der Zurechnung der Kenntnis bewirkt und damit die Anspruchsmöglichkeit offenhält, greift für den Hauptadressatenkreis der 16- und 17-jährigen Minderjährigen nur in seltenen Fällen. Für die Praxis entlastend ist jedoch die Tatsache, dass es aufgrund der standesamtlichen Verfahrensvorschrift des § 13 PStG ohnehin kaum zur Schließung von Minderjährigenehen kommen dürfte, sodass der Anwendungsbereich der Aufhebungsregeln für diesen Fallkomplex überschaubar ist und die negativen Auswirkungen nur sehr vereinzelt zum Tragen kommen dürften.130 In Bezug auf Eheschließungen mit Auslandsbezug hat der Gesetzgeber zu Recht betont, dass hier von einer Unkenntnis des jeweiligen Ehegatten „in der Regel“ auszugehen sei.131 Allerdings greift die Anspruchssperre der Kenntnis deswegen besonders hart durch, weil aufgrund der in § 1318 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB enthaltenen Beweislastverteilung Zweifel an der Unkenntnis des schutzbedürftigen minderjährigen Ehegatten zu dessen Lasten gehen. Insofern wird in der rechtlichen Umsetzung der Aufhebungsregelungen den Minderjährigen die Geltendmachung ihrer womöglich dem Grunde nach bestehenden Ansprüche durch die Hürde der Beweislast zumindest erschwert. Eher bescheiden fällt auch die Schutzwirkung nach dem reinen Gesetzestext im Hinblick auf die Inanspruchnahme des minderjährigen Ehegatten aus. Zwar liegt auch hier die Beweislast für die eigene Unkenntnis bei dem jeweiligen Ehegatten, was in der vorliegenden Konstellation dem Minderjährigen in seiner Position als Anspruchsschuldner zum Vorteil gereicht. Kann der betreffende Ehegatte sein eigenes Nichtwissen um die Aufhebbarkeit jedoch nachweisen, steht den Ansprüchen nach wortgetreuer Lesart nichts entgegen. Um dieses Ergebnis zu korrigieren, bedarf es einer verfassungskonformen, ergänzenden Auslegung, die den schutzbedürftigen Minderjährigen vor einer Inanspruchnahme durch den Gläubiger bewahrt. Was die positive Härtefallklausel des § 1318 Abs. 2 S. 2 BGB betrifft, verwundert angesichts der gesetzgeberischen Reaktion auf die Entscheidung des BVerfG zum seinerzeit unterschiedlichen Billigungsmaßstab der § 1570 Abs. 2 S. 1 BGB und § 1615l Abs. 2 S. 3 BGB a. F. die Tatsache, dass der Wortlaut des § 1318 Abs. 2 S. 2 BGB nicht ebenso einer entsprechenden Änderung unterzogen wurde. Jedenfalls gelangt man unter Zurückstellung des Wortlauts mittels einer extensiven Auslegung des in § 1318 Abs. 2 S. 2 BGB fixierten Merkmals der groben Unbilligkeit zu dem Resultat, dass bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres des zu betreuenden Kindes regelmäßig Betreuungsunterhalt zu leisten ist. 130 So auch Antomo, ZRP 2017, 79, 80. Das in § 1310 Abs. 1 BGB geregelte Verbot, an der Schließung einer aufhebbaren Ehe mitzuwirken, gilt in entsprechender Anwendung auch für die Ausstellung des Ehefähigkeitszeugnisses, s. Zimmermann, StAZ 2018, 133, 134; an dem „schwammigen Wortlaut“ des § 1310 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 BGB Kritik übend Rohe, StAZ 2018, 72, 76. 131 Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland, BT-Drs. 18/12086, 13.

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Zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen erscheint darüber hinaus die Gewährung von Unterhaltsansprüchen in den Fällen einfacher Unbilligkeit geboten.132 Die zahlreichen Rettungsversuche durch teleologische und verfassungskonforme Auslegungen unterstreichen die Insuffizienz der bereits vor der Gesetzesreform mehrheitlich als missglückt angesehenen133 Aufhebungsfolgenregelung. Da die grundlegenden Auslegungsprobleme gerade im Bereich der Minderjährigenehen eine massive Zuspitzung erfahren haben, wäre diesbezüglich eine Angleichung im Gesetz selbst oder zumindest eine Klarstellung in der Gesetzesbegründung zu erwarten gewesen. b) Weitere Anwendungsgebiete des Scheidungsfolgenrechts Die Vorschriften zum gesetzlichen Güterrecht (§§ 1363–1390 BGB) und zum Versorgungsausgleich (§ 1587 BGB) finden gem. § 1318 Abs. 3 BGB grundsätzlich unabhängig von dem zugrunde liegenden Aufhebungsgrund und der Bösoder Gutgläubigkeit der Ehegatten entsprechende Anwendung. Die Anwendung unterbleibt jedoch, soweit diese im Hinblick auf die Umstände der Eheschließung oder im Falle der Doppelehe hinsichtlich der Belange des ersten Ehegatten grob unbillig wäre. Durch die Billigkeitsklausel des Abs. 3 erfolgt eine Einbeziehung der Umstände der jeweiligen Eheschließung, die der Anwendung der scheidungsrechtlichen Vermögensfolgen entgegenstehen können.134 Grobe Unbilligkeit ist dann gegeben, wenn der Ausgleich in der vom Gesetz vorgesehenen Weise dem Gerechtigkeitsgefühl in unerträglicher Weise widersprechen würde.135 Für den Verstoß gegen § 1303 BGB hat die Ausnahmeregelung jedoch keine eigenständige Bedeutung; als problematisch werden in diesem Zusammenhang lediglich die bei Eheschließung vorgenommene Drohung bzw. arglistige Täuschung und die Fälle der Mehrehen angesehen.136 Für die Behandlung der Ehewohnung und 132 Staudinger/Voppel, 18. Aufl., 2018, § 1318 BGB Rn. 32a; Eckebrecht, in: Scholz/ Kleffmann, Praxishandbuch Familienrecht, 41. EL, September 2021, Rn. 150. 133 S. nur Staudinger/Voppel, 18. Aufl., 2018, § 1318 BGB Rn. 8; Tschernitschek, FamRZ 1999, 829 f.; von „Verweisungsorgie“ sprechend Battes, Eherecht, 76; eher krit. in seiner Gesamtwürdigung auch Hepting, FamRZ 1998, 713, 728. 134 Eckebrecht, in: Scholz/Kleffmann, Praxishandbuch Familienrecht, 41. EL, September 2021, Rn. 150. Hierbei handelt es sich sowohl um eine Konkretisierung des in § 1381 BGB enthaltenen Leistungsverweigerungsrechts als auch um eine Ergänzung des Versagungsgrundes nach § 27 VersAusglG, s. Johannsen/Henrich/Althammer/Henrich, 7. Aufl., 2020, § 1318 BGB Rn. 15; MüKo/Wellenhofer, 9. Aufl., 2022, § 1318 BGB Rn. 14; Staudinger/Voppel, 18. Aufl., 2018, § 1318 BGB Rn. 35; für eine „doppelte Billigkeitsabwägung“: Finger, FamRB 2003, 361, 364. 135 S. MüKo/Wellenhofer, 9. Aufl., 2022, § 1318 BGB Rn. 14; Staudinger/Voppel, 18. Aufl., 2018, § 1318 BGB Rn. 36. 136 BeckOGK/Otto, 1.1.2022, § 1318 BGB Rn. 9; a. A. Eckebrecht, in: Scholz/Kleffmann, Praxishandbuch Familienrecht, 41. EL, September 2021, Rn. 150, der davon ausgeht, dass dem eheunmündigen Partner aus Billigkeitsgründen der Ausschluss von Ver-

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der Haushaltsgegenstände im Fall der Eheaufhebung verweist § 1318 Abs. 4 BGB entsprechend auf die auch bei einer Scheidung anwendbaren §§ 1568a, b BGB. Auch hier müssen die Umstände der Eheschließung und im Fall des § 1306 BGB die Belange der „dritten Person“ bei der Gestaltung der Rechtsfolgen besondere Berücksichtigung finden. Der vielkritisierte137 Ausschluss des gesetzlichen Ehegattenerbrechts nach § 1318 Abs. 5 BGB ist für den Fall der fehlenden Ehemündigkeit nicht vorgesehen. Insofern behält der minderjährige Ehegatte sämtliche Erbansprüche. 3. Antragspflicht der zuständigen Verwaltungsbehörde Entgegen der alten Rechtslage, die den zuständigen Behörden in § 1314 Abs. 1 BGB ein Entscheidungsermessen zubilligte138, wurde nach der Gesetzessystematik der §§ 1315, 1316 BGB nunmehr das Ermessen der zuständigen Verwaltungsbehörde139 auf Null reduziert und damit eine behördliche Antragspflicht etabliert.140 So heißt es nunmehr auch ausdrücklich in § 1316 Abs. 3 S. 2 Hs. 1 BGB: „Bei einem Verstoß gegen § 1303 Satz 1 muss die zuständige Behörde den Antrag stellen.“ Nur wenn der inzwischen volljährig gewordene Ehegatte im Wege der Bestätigung zu erkennen gegeben hat, die Ehe fortsetzen zu wollen, ist von der Stellung des Aufhebungsantrags abzusehen (§ 1316 Abs. 3 S. 2 Hs. 2 BGB). a) Die Bestimmung der Volljährigkeit Zunächst stellt sich die Frage, wie der Terminus der Volljährigkeit, der in § 1316 Abs. 3 S. 2 Hs. 2 BGB als Voraussetzung für die Beachtlichkeit einer Bestätigung normiert ist, zu verstehen ist. Da der Gesetzgeber im Normtext an dieser Stelle keinen ausdrücklichen Verweis auf die Maßstäbe des deutschen Rechts angeordnet hat und auch in der Gesetzesbegründung kein derartiger Rekurs erfolgt ist, könnte man die Frage des Eintritts der Volljährigkeit nach den allgemeinen Regeln des IPR als Vorfrage behandeln, die selbständig nach Art. 7 Abs. 1 EGBGB anzuknüpfen ist.141 Hiernach unterliegt die Rechts- und Geschäftsfähigmögensfolgen nicht droht, da ihm seine Kenntnis von der eigenen fehlenden Ehemündigkeit nicht angelastet werden kann. 137 S. Staudinger/Voppel, 18. Aufl., 2018, § 1318 BGB Rn. 44; Tschernitschek, FamRZ 1999, 829, 830. 138 Zu beachten ist hier, dass nach früherem Recht die Einschränkung des Ermessens gem. § 1316 Abs. 3 BGB a. F. nicht für Verstöße gegen § 1303 BGB galt. 139 Eine Übersicht der zuständigen Verwaltungsbehörden findet sich bei BeckOGK/ Otto, 1.1.2022, § 1316 BGB Rn. 10. 140 Für ein pflichtgemäßes Ermessen plädieren dagegen MüKoFamFG/Lugani, 3. Aufl., 2018, § 129 FamFG Rn. 7; BeckOKFamFG/Weber, 42. Ed., 1.4.2022, § 129 FamFG Rn. 4. 141 So Coester-Waltjen, IPRax 2019, 127, 130; ebenso Erbarth, FamRB 2019, 425, 426. Zum Grundsatz der selbständigen Anknüpfung von Vorfragen: MüKo/v. Hein,

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keit einer Person dem Recht des Staates, dem diese Person angehört. Weil die Bestätigungsregelung mit der Volljährigkeitsgrenze implizit die Erlangung der vollen Geschäftsfähigkeit als Unterscheidungskriterium festgelegt hat142, erscheint der Rückgriff auf Art. 7 Abs. 1 EGBGB keinesfalls abwegig. Liegt nach dem jeweiligen Heimatrecht keine nach Art. 4 Abs. 1 EGBGB zu beachtende Rückverweisung vor, gelangen dieser Sichtweise zufolge die vom deutschen Geschäftsstatut möglicherweise nach oben oder unten abweichenden Volljährigkeitsregelungen des jeweiligen ausländischen Heimatrechts zur Anwendung.143 Da nach Art. 7 Abs. 1 S. 2 EGBGB insbesondere auch die Erweiterung der Geschäftsfähigkeit durch Eheschließung zu beachten ist, erlangt folglich der im Ausland vielfach anzutreffende Grundsatz „Heirat macht mündig“ erhebliche Bedeutung.144 Insofern könnte die Konstellation entstehen, dass ein aus deutscher Sicht noch minderjähriger, beschränkt geschäftsfähiger Ehegatte aufgrund der Maßgeblichkeit seines Heimatrechts auch im deutschen Rechtsraum als volljährig und voll geschäftsfähig zu behandeln ist und seine Ehe mithin bestätigen kann. Tritt umgekehrt die Volljährigkeit nach dem jeweiligen Heimatrecht erst mit Vollendung des 19., 20. oder 21. Jahres ein, ohne dass die Heirat des Ehegatten dessen Mündigkeit herbeiführt, wäre ihm auch nach Vollendung des 18. Lebensjahres unabhängig vom Volljährigkeitseintritt nach deutschem Recht als Minderjährigem die Bestätigungsmöglichkeit zu versagen, bis er nach seinem Heimatrecht die Volljährigkeit erlangt hat. Dieser Sichtweise ist zugute zu halten, dass bei Sachverhalten mit einer Verbindung zum Recht eines ausländischen 8. Aufl., 2020, Einleitung IPR Rn. 184; BVerwG 19.7.2012, Az. 10 C 2/12, NJW 2012, 3461, 3462; BGH 11.10.2006, Az. XII ZR 79/04, NJW-RR 2007, 145, 146; BGH 22.1.1965, Az. IV ZB 441/64, NJW 1965, 1129, 1130 f.; Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, 908; grundsätzlich zur Unterscheidung zwischen selbständiger und unselbständiger Anknüpfung, s. Müller, JURA 2015, 1323. 142 In § 1315 Abs. 1 S. 2 BGB wird ausdrücklich klargestellt, dass die Bestätigung eines Geschäftsunfähigen unwirksam ist. 143 Zwar hat sich in der überwiegenden Mehrzahl der Staaten weltweit ein Volljährigkeitsalter von 18 Jahren durchgesetzt. Allerdings existiert in einigen Ländern eine niedrigere (17 Jahre in Nordkorea, Timor-Leste; 15 Jahre im Jemen (Art. 50 ZGB Jemen, Art. 59 KinderrechteG); 9 Jahre im Iran (Anm. 1 zu Art. 1210 iran. ZGB)) oder höhere Volljährigkeitsschwelle (21 Jahre in Argentinien, Belize, Bermuda, Benin, Botsuana, Haiti, Liberia, Libyen, Malawi, Mali, Nicaragua Singapore, Samoa, Swaziland, Namibia, Niger, Nigeria, Vereinigte Arabische Emirate, Lesotho, Madagaskar, Elfenbeinküste, Kuwait, Honduras, Gabun, Grenada, Ägypten, Kamerun, Bahrain, Papua Neuguinea, Ruanda, Tschad, Togo, Suriname; strittig (21 oder 18 Jahre) bei Gambia, Indonesien, Guinea (s. hierzu genauer Dutta/Lüttringhaus, FamRZ 2018, 1564 ff.); 20 Jahre in Burkina Faso, China/Republik Taiwan, Japan (bis 1.4.2022), Thailand, Neuseeland; 19 Jahre in Südkorea, Algerien). Für einen vollständigen Überblick: BeckOK/ Mäsch, 62. Ed., 1.5.2022, Anh. Art. 7 EGBGB; mit Gesetzesnachweisen: Staudinger/ Mankowski, 18. Aufl., 2019, Anh. Art. 7 EGBGB. 144 In vielen Staaten weltweit, darunter auch in zahlreichen europäischen Ländern herrscht der Grundsatz „Heirat macht mündig“, so z. B. in Albanien, Armenien, Bulgarien, Rumänien, Malta, Mazedonien, Österreich, Polen, Tschechische Republik, Ungarn. S. ergänzend Staudinger/Mankowski, 18. Aufl., 2019, Anh. Art. 7 EGBGB.

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Staates nicht unter radikaler Nichtbeachtung des Heimatrechts der Betroffenen pauschal deutsches materielles Recht für maßgeblich erklärt wird. Berücksichtigt man indes die gesetzgeberische Zielsetzung, so kommt man zu dem Schluss, dass der Begriff der Volljährigkeit nur auf die deutsche Sachnorm des § 2 BGB bezogen sein kann.145 Schließlich wäre es grob sachwidrig, für im Alter von mindestens 16 Jahren geschlossene Auslandsehen die Aufhebbarkeitsfolge nach deutschem Recht anzuordnen, um dann im Bereich der Heilung die Bestätigungsoption wiederum dem eventuell weitaus großzügigeren fremden Volljährigkeitsrecht zu unterstellen. Letztlich liefe dadurch der Sinn und Zweck des Gesetzes leer, da die Beachtlichkeit der sich aus der „mitgebrachten“ Rechtsordnung ergebenden Besonderheiten aufgrund der starken Beliebtheit der „Heirat macht mündig“-Formel146 und der erheblichen Anzahl von niedrigeren Volljährigkeitsgrenzen eine Bestätigungsoption für etliche Ehen eröffnen würde, die der Gesetzgeber mit dem neuen Gesetz gerade ohne Heilungsperspektive aufhebbar machen wollte. Dass im Gesetzestext nicht expressis verbis auf die Sachnorm des § 2 BGB rekurriert wurde, verdeutlicht lediglich die Selbstverständlichkeit, mit der man von legislatorischer Seite aus von der Anwendung der materiellen Volljährigkeitsgrenze des deutschen Sachrechts innerhalb der Aufhebungsvorschriften auch bei internationalen Sachverhalten ausging. Zudem verheißt die in Art. 13 Abs. 3 EGBGB enthaltene Formulierung „nach deutschem Recht aufhebbar“ die vollumfängliche, ausnahmslose Anwendung deutschen Rechts als Aufhebungsstatut, das systemimmanent auf die materiellrechtliche Sachnorm zur Volljährigkeit (§ 2 BGB) zurückgreifen soll. Gegen die selbständige Bestimmung der Volljährigkeit nach dem Heimatrecht sprechen ebenso praktische Erwägungen. Angesichts der Pluralität der Rechtsordnungen divergiert der Zeitpunkt des Eintritts der Volljährigkeit je nach Herkunftsland der jeweiligen Ehegatten. Diese Diversität birgt jedoch für die zuständigen Behörden ein nicht zu unterschätzendes Unsicherheitspotenzial, zumal sich die komplizierte Frage der Volljährigkeitserlangung oftmals nicht mit Gewissheit beantworten lässt.147 Insofern müsste die antragspflichtige Behörde zur Ermitt145 Ebenso Rohe, StAZ 2018, 72, 78 (bezogen auf § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. a BGB); Helms, Der Begriff des Kindes im Internationalen Familienrecht, in: Migration und IPR, 2019, 147, 161 m. Fn. 158 (bezogen auf Art. 229 § 44 Abs. 4 EGBGB). 146 Der Grundsatz gilt in den meisten osteuropäischen Staaten, in weiten Teilen der USA und in einigen Ländern Asiens, s. Staudinger/Hausmann, 18. Aufl., 2019, Art. 7 EGBGB Rn. 52a. 147 Darauf wiesen in Bezug auf vornehmlich afrikanische Staaten bereits Helms, Der Begriff des Kindes im Internationalen Familienrecht, in: Migration und IPR, 2019, 147, 152 und Rupp, ZfPW 2018, 57, 59 hin. Auffällig sind in diesem Zusammenhang die sich widersprechenden Volljährigkeitsangaben bei Staudinger/Mankowski, 18. Aufl., 2019, Anh. Art. 7 EGBGB und Youth Policy Labs, Youth Policy and Legislation Factsheet bzgl. der Länder Kambodscha (18 bzw. 16 Jahre), Kuba (18 bzw. 16 Jahre), Indonesien (21/18 bzw. 15 Jahre), Iran (18 bzw. 9 Jahre), Kirgistan (18 bzw. 16 Jahre)

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lung der länderspezifischen Rechtsbegebenheiten nicht unerheblichen Verwaltungsaufwand betreiben, um die Frage nach der Bestätigungsmöglichkeit sicher beantworten zu können. Für die Behörden und die betroffenen Ehegatten bestünde große Rechtsunsicherheit, die der Konzeption der Regelung klar zuwiderliefe. Im Ergebnis ist daher die Auffassung von der Volljährigkeit als selbständig anzuknüpfender Vorfrage abzulehnen. Vielmehr ist direkt § 2 BGB bei der Prüfung des § 1316 Abs. 3 S. 2 Hs. 2 BGB und des § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. a BGB heranzuziehen. Danach kann der minderjährige Ehegatte die Ehe nur bestätigen, wenn er das 18. Lebensjahr vollendet hat. b) Sonstige Voraussetzungen Die Bestimmung der zuständigen Behörde richtet sich nach dem Landesrecht, wobei die Gesetzesbegründung den Ländern eine Zuweisung an die Jugendämter nachdrücklich angeraten hat.148 In den Fällen des Verstoßes gegen § 1303 BGB liegt die Aufhebung der Ehe im öffentlichen Interesse, sodass der Antrag auf Aufhebung einer Minderjährigenehe nicht an eine Frist gebunden ist (argumentum e contrario § 1317 BGB).149 In Anbetracht des § 1316 Abs. 3 S. 1 BGB, wonach das Vorliegen evidenter Härtegründe bei anderen Eheschließungsmängeln einen Ausnahmefall von der behördlichen Antragspflicht konstituiert, drängt sich die Frage auf, warum bei der Aufhebbarkeit wegen Minderjährigkeit die Behörde nicht ebenso aus Härtegründen i. S. d. § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b BGB von der Antragstellung absehen kann, sondern den Aufhebungsantrag trotzdem zu stellen hat.150 Dieses Festhalten an der Verpflichtung der zuständigen Behörden zur Stellung des Aufhebungsantrags für die Fälle grober Härte lässt sich dadurch erkläMyanmar (18/21 bzw. 16 Jahre), Jemen (18 bzw. 15 Jahre) und Vietnam (18 bzw. 16 Jahre). Auch in der Rspr. finden sich unterschiedliche Altersgrenzen, z. B. hinsichtlich Guinea (21 und 18 Jahre, s. hierzu OLG Oldenburg 5.9.2017, Az. 13 WF 76/17, BeckRS 2017, 130703; BGH 20.12.2017, Az. XII ZB 333/17, NZFam 2018, 613, 615 m.w. N.; genauer dazu Dutta/Lüttringhaus, FamRZ 2018, 1564 ff.) und Gambia (21 Jahre: OLG München 12.4.2010, Az. 31 Wx 106/09; 18 Jahre: OLG Koblenz 14.2.2017, Az. 13 UF 32/17, NZFam 2017, 728; OLG Karlsruhe 26.8.2015, Az. 18 UF 92/15, NJW 2016, 87, 88; unschlüssig insoweit OLG Bremen 7.2.2017, Az. 5 UF 99/16 2017, 1227, 1228). 148 Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland, BT-Drs. 18/12086, 16. 149 Erstaunlich ist daher der Hinweis des AG Frankenthal 15.2.2018, Az. 71 F 268/ 17, FamRZ 2018, 749, dass im Falle der verfahrensgegenständlichen Minderjährigenehe „die Antragsfrist des § 1317 Abs. 1 S. 1 BGB unproblematisch eingehalten“ sei. 150 Frie, FamRB 2017, 232, 234; Erbarth, FamRB 2018, 296, 297; vgl. a. Möller/ Yassari, KJ 2017, 269, 280; Löhnig, FamRZ 2018, 749, 750; krit. auch Coester-Waltjen, IPRax 2019, 127, 130. Die Antragstellung hat selbst dann zu erfolgen, wenn die Aufhebung für ein aus der Ehe hervorgegangenes Kind eine schwere Härte darstellt, s. Eckebrecht, in: Scholz/Kleffmann, Praxishandbuch Familienrecht, 41. EL, September 2021, Rn. 150.

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ren, dass die Härtefallprüfung erst nach der Antragstellung im Rahmen des Aufhebungsverfahrens erfolgen und damit ausschließlich den Gerichten vorbehalten sein soll.151 Aus verfahrensökonomischen Gesichtspunkten ist der Verzicht auf eine dem § 1316 Abs. 3 S. 1 BGB äquivalente Regelung bei der eheunmündigkeitsbedingten Aufhebbarkeit trotzdem zu beanstanden, da er die vom Gesetzgeber ausdrücklich ungewollte Stellung evident aussichtsloser Aufhebungsanträge152 fördert.153 Zudem kann man aus der Gestaltung der Norm ein gewisses Misstrauen des Staates gegenüber seinen eigenen Behörden ablesen.154 Sehr misslich ist die Regelung zudem für die Fälle, in denen bereits bei Antragstellung offensichtlich ist, dass das Verfahren auch unter Beachtung des Beschleunigungsgebots nach § 129a FamFG bis zur Volljährigkeit des minderjährigen Ehegatten nicht abgeschlossen sein wird und dieser aller Voraussicht nach die Ehe bestätigen wird.155 Auch bei Aussichtslosigkeit des Aufhebungsverfahrens (z. B. bei Ehen unter Beteiligung eines Unionsbürgers156 oder bei lebensbedrohlicher Erkrankung bzw. krankheitsbedingter Suizidgefahr des minderjährigen Ehegatten) muss der Aufhebungsantrag gestellt werden. Angesichts dieser Sachlage könnten die Behörden in die Versuchung geraten, bis zur Volljährigkeit des Minderjährigen kein Verfahren einzuleiten oder eingeleitete Verfahren nicht weiterzuverfolgen.157 Angesichts des sich aus den Gesetzesmotiven ergebenden eindeutigen gesetzgeberischen Willens ist eine teleologische Reduktion der Norm indes ausgeschlossen.158 Vielmehr ist der Rechtsanwender an den insoweit verfehlten Wortlaut gebunden. 4. Ausschluss der Aufhebung und der Geltungsbereich des Art. 229 § 44 Abs. 1–3 EGBGB Der Eintritt des minderjährigen Ehegatten in die Volljährigkeit per se vermag die Ehe zwar nicht vor der Aufhebbarkeit zu bewahren. Dem neu geschaffenen Aufhebungsgrund nach § 1314 Abs. 1 Nr. 1 BGB stehen aber die dem Katalog 151

Vgl. Bongartz, NZFam 2017, 541, 542 f. Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland, BT-Drs. 18/12086, 23. 153 S. BeckOK/Hahn, 62. Ed., 1.5.2022, § 1316 BGB Rn. 9; Bongartz, NZFam 2017, 541, 544. 154 So Schwab, FamRZ 2017, 1369, 1370; vgl. a. Frie, FamRB 2017, 232, 234; Reuß, FamRZ 2019, 1, 5. 155 Vgl. a. BeckOGK/Otto, 1.1.2022, § 1316 BGB Rn. 13; Frie, FamRB 2017, 232, 234. 156 Die Verletzung der unionsrechtlichen Freizügigkeit führt nach der Gesetzesbegründung zum Ausschluss der Aufhebung, s. hierzu 4. b) bb) (1). Folglich wird in der Praxis in solchen Konstellationen durchweg die Ehe aufrechterhalten, s. Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Gesamtauswertung zur Evaluierung des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen, 14.8.2020, 28 f.; s. hierzu auch 4. b) bb) (2). 157 Dieser Verdacht hat sich in der Realtität bestätigt, s. dass., Gesamtauswertung zur Evaluierung des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen, 14.8.2020, 41. 158 So auch BeckOGK/Otto, 1.1.2022, § 1316 BGB Rn. 13. 152

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von Heilungsmöglichkeiten angefügten Ausnahmetatbestände des § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BGB gegenüber. a) Bestätigung gem. § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. a BGB Die Bestätigung einer unter Verstoß gegen § 1303 S. 1 BGB zustande gekommenen Ehe ist als geschäftsähnliche Handlung159 zu qualifizieren und unterliegt bestimmten Voraussetzungen. Neben dem Eintritt der Volljährigkeit des im Zeitpunkt der Eheschließung minderjährigen Verlobten setzt sie voraus, dass dieser die eheliche Lebensgemeinschaft trotz des Bewusstseins der an der Rechtsgültigkeit der Ehe bestehenden Zweifel begründet oder fortsetzt.160 aa) Eintritt der Volljährigkeit Auch im Zusammenhang mit § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. a BGB richtet sich der Eintritt der Volljährigkeit bei Auslandssachverhalten nicht etwa gem. Art. 7 Abs. 1 EGBGB nach dem Heimatrecht des betroffenen Ehegatten, sondern vollzieht sich in Entsprechung zu der deutschen Sachnorm des § 2 BGB mit der Vollendung des 18. Lebensjahres.161 Andernfalls könnten sich – sofern nach dem jeweiligen Heimatrecht keine Rück- bzw. Weiterverweisung nach Art. 4 Abs. 1 EGBGB eingreift – durch eine möglicherweise abweichende Bestimmung des Volljährigkeitsalters Ergebnisse ergeben, die mit Sinn und Zweck der Regelung nicht zu vereinbaren wären: Begänne die Volljährigkeit nach dem fremden Recht nämlich später als mit der Vollendung des 18. Lebensjahres, so bliebe dem Betroffenen die Bestätigungsoption bis zum Eintritt der nach dem berufenen Heimatrecht zu bestimmenden Volljährigkeit verwehrt, sodass die Ehe bis zum einschlägigen Zeitpunkt aufhebbar bliebe.162 Bei entsprechender Ausgestaltung des fremden Volljährigkeitsstatuts könnte mithin die Situation entstehen, dass der betroffene Ehegatte erst mit Vollendung des 21. Lebensjahres163 mithilfe des § 1315 159 Staudinger/Voppel, 18. Aufl., 2018, § 1315 BGB Rn. 11; BeckOK/Hahn, 62. Ed., 1.5.2022, § 1315 BGB Rn. 4; BGH 14.8.2020, Az. XII ZB 131/20, FamRZ 2020, 1533, 1536. 160 Vgl. BeckOGK/Otto, 1.1.2022, § 1315 BGB Rn. 8; Grüneberg/Siede, 81. Aufl., 2022, § 1315 BGB Rn. 6; Erman/Roth, 16. Aufl., 2020, § 1315 GBGB Rn. 5; Horenkamp, StAZ 2021, 189, 191; a. A. Eckebrecht, in: Scholz/Kleffmann, Praxishandbuch Familienrecht, 41. EL, September 2021, Rn. 150, der nur einen Ehefortsetzungswillen fordert. 161 So i. E. auch Rohe, StAZ 2018, 72, 78. S. näher dazu 3. a). 162 Hierzu insb. Frie, FamRB 2017, 232, 237 f.; vgl. a. Coester-Waltjen, IPRax 2019, 127, 130. 163 In zahlreichen Rechtsordnungen (z. B. Argentinien, Belize, Grenada, Haiti, Honduras, Benin, Botsuana, Burundi, Elfenbeinküste, Lesotho, Liberia, Libyen, Madagaskar, Malawi, Mali, Namibia, Nigeria, Niger, Ruanda, Südafrika, Sambia, Senegal, Swasiland, Togo, Tschad, Barain, Kuwait, Indonesien, Singapur, etc.) erlangt man die Volljährigkeit mit Vollendung des 21. Lebensjahres. Zur vollständigen Übersicht s. Staudinger/Mankowski, 18. Aufl., 2019, Anh. Art. 7 EGBGB.

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Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. a BGB seiner Ehe Beständigkeit verleihen könnte. Das Risiko einer vorherigen gerichtlichen Aufhebung der Ehe wäre in diesem Fall erheblich gesteigert, zumal eine Befreiung der zuständigen Verwaltungsbehörde von ihrer Pflicht zur Stellung des Aufhebungsantrags gem. § 1316 Abs. 3 S. 2 BGB infolge der fehlenden Volljährigkeit nicht in Betracht käme.164 Zur Vermeidung solcher sachwidrigen Ergebnisse ist es auch in diesem Zusammenhang geboten, die Volljährigkeit einheitlich unter Anwendung des § 2 BGB an die Vollendung des 18. Lebensjahres zu knüpfen. bb) Kundgabe des Fortsetzungswillens und Mangelbewusstsein Hat der minderjährige Ehegatte das 18. Lebensjahr erreicht, so muss er den auf die eheliche Lebensgemeinschaft bezogenen Fortsetzungswillen nach außen hin kundtun, wobei er ein sogenanntes Mangelbewusstsein aufweisen muss. Dabei wird eine Kenntnis von der konkreten rechtlichen Konsequenz der Eheaufhebbarkeit nicht gefordert, der Minderjährige muss lediglich begründete Zweifel daran hegen, dass seine Ehe mangelfrei zustande gekommen ist.165 Für die Kundgabe des Fortsetzungswillens genügt jedes, auch bloß faktische Verhalten, dem bei objektiver Würdigung aller Umstände der Wille zur Fortsetzung der Ehe zu entnehmen ist.166 Ein typisches Beispiel für eine Manifestierung des Fortsetzungswillens ist die Wiederaufnahme oder Fortsetzung des ehelichen Zusammenlebens nach Kenntnis von den die Aufhebung begründenden Tatsachen.167 Insbesondere im Hinblick auf Ehen, die nach dem Heimatrecht des Ehegatten wirksam im Ausland geschlossen wurden, stellt sich das Erfordernis einer Kenntnis vom Ehemangel als problematisch dar.168 Ein Großteil der Ehegatten wird keine Zweifel an der Rechtswirksamkeit der Ehe haben, weshalb auch im Falle des fortgesetzten Zusammenlebens nicht ohne Weiteres von einer Bestätigung

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S. hierzu 3. a). Grüneberg/Siede, 81. Aufl., 2022, § 1315 BGB Rn. 6; OLG Frankfurt am Main 11.1.2019, Az. 5 UF 172/18, juris, Rn. 34. 166 S. BeckOK/Hahn, 62. Ed., 1.5.2022, § 1315 BGB Rn. 3; Grüneberg/Siede, 81. Aufl., 2022, § 1315 BGB Rn. 7. 167 Staudinger/Voppel, 18. Aufl., 2018, § 1315 BGB Rn. 21. 168 So auch im Fall des BGH 14.8.2020, Az. XII ZB 131/20, FamRZ 2020, 1533, 1536; bestätigend Antomo, FamRZ 2020, 1538; Frank, StAZ 2019, 129, 134. Das Kriterium eines Mangelbewusstseins souverän ignorierend AG Tempelhof-Kreuzberg 14.11. 2018, Az. 160 F 13324/18, BeckRS 2018, 53363, Rn. 13; Erbarth, FamRB 2019, 47, Rn. 46; ebenso Eckebrecht, in: Scholz/Kleffmann, Praxishandbuch Familienrecht, 41. EL, September 2021, Rn. 131. Die Unsicherheiten im Zusammenhang mit dem Tatbestandsmerkmal „zu erkennen gegeben“ wurden auch in der Verwaltungspraxis als solche zu bedenken gegeben, s. Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Gesamtauswertung zur Evaluierung des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen, 14.8.2020, 28 f. 165

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ausgegangen werden kann.169 Dass die Bestätigungsvoraussetzungen selbst dann nicht erfüllt sind, wenn die Ehegatten jahrelang einvernehmlich im Vertrauen auf den Bestand ihrer Ehe zusammengelebt haben, eröffnet ihnen für den Fall, dass sie ihre Ehe nunmehr beenden wollen, auch die Möglichkeit, die Aufhebung der Ehe zu beantragen.170 Maßgebliches Motiv hierfür wird die Vermeidung eines Scheidungsverfahrens sein, das nicht nur anderen verfahrensrechtlichen Regelungen unterliegt, sondern auch andere rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen kann.171 In einer derartigen Fallkonstellation könnte die Ehe nicht durch Subsumtion unter die eng konzipierte Härtefallklausel des § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b BGB aufrechterhalten werden, da keine der in der Gesetzesbegründung genannten Beispielsituationen vorliegt.172 Abhilfe schafft an dieser Stelle jedoch § 1314 Abs. 1 BGB. Die Norm räumt den Gerichten ein inhaltlich beschränktes Ermessen ein („kann“), das ihnen im Ausnahmefall ermöglicht, von der Aufhebung abzusehen, wenn sie in keiner Hinsicht unter Minderjährigenschutzgesichtspunkten geboten ist, sondern vielmehr gewichtige Umstände gegen sie sprechen.173 Unter Berücksichtigung des besonderen Aufhebungssachverhalts wäre es hier angebracht, den Ehegatten die Aufhebung nicht zu ermöglichen.174 Das Beispiel zeigt jedoch deutlich, dass hier der Wortlaut des § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. a BGB das eigentlich angemessene Ergebnis, wonach eine (konkludente) Bestätigung anzunehmen ist, gerade nicht deckt. Damit trägt die gesetzliche Ausformung der Bestätigungsmöglichkeit den tatsächlichen und rechtlichen Besonderheiten von im Ausland begründeten Minderjährigenehen nicht gebührend Rechnung. Stattdessen muss auf die Auffangnorm des § 1314 Abs. 1 Nr. 1 BGB zurückgewichen werden in der Hoffnung, die Gerichte mögen durch Gebrauch des begrenzten Ermessens zu einer angemessenen Lösung gelangen. Für die Bestätigungsoption wird nolens volens zu klären sein, ob deren Voraussetzungen nicht realitätsbezogener auszugestalten und ergo dahingehend zu modifizieren sind, dass auf das Bewusstsein vom Mangel verzichtet wird.

169 Vgl. OLG Frankfurt am Main 11.1.2019, Az. 5 UF 172/18, juris, Rn. 34; a. A. AG Tempelhof-Kreuzberg 14.11.2018, Az. 160 F 13324/18, BeckRS 2018, 53363, Rn. 13, das bei mehrjährigem Zusammenleben unproblematisch eine Bestätigung angenommen hat; ähnlich BeckOGK/Erbarth, 1.6.2022, § 1353 BGB Rn. 278 („keine zu hohen Anforderungen“). 170 Die Option eines „Modellwechsels“ kritisch hinterfragend Coester-Waltjen, IPRax 2017, 429, 434. 171 Ein ähnlicher Fall beschäftigte den BGH, s. hierzu den aufschlussreichen Beschluss v. 14.8.2020, Az. XII ZB 131/20, FamRZ 2020, 1533 ff. 172 Zur Auslegung der Härtefallklausel, s. nachf. b). 173 S. dazu genauer unter 5. 174 Vgl. BGH 14.8.2020, Az. XII ZB 131/20, FamRZ 2020, 1533 ff.

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b) Härtefälle nach § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b BGB Erhebliche Probleme bereitet die Ermittlung des Sachgehalts des in § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b BGB geregelten zweiten Ausnahmetatbestands. Aus dem Wortlaut, der Gesetzessystematik und den in der Gesetzesbegründung angeführten Motiven lassen sich widersprüchliche Anhaltspunkte für die Auslegung der Vorschrift entnehmen. aa) Extensive Auslegung Nach dem systematischen Aufbau der Gesamtbestimmung des § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BGB ist die Härtefallklausel in lit. b unmittelbar an die in lit. a enthaltene Bestätigung angeschlossen und damit als deren rechtliches Äquivalent ausgestaltet.175 Bewertet man die Vorschrift als (annähernd) gleichwertige Alternative zur Bestätigungsoption, die in der Praxis recht gebräuchlich ist, so steht das einer Einordnung des lit. b als „atypischer Ausschlussgrund“ 176 entgegen. Für die Annahme einer Bestätigung i. S. d. lit. a genügt als objektive Voraussetzung jedes konkludente Verhalten, das nach außen einen Fortsetzungswillen zum Ausdruck bringt.177 Im Rückschluss erscheint es daher angebracht, jedenfalls keine allzu hohen Anforderungen an die zur Aufrechterhaltung der Ehe führenden objektiven Umstände zu stellen und eine weite Auslegung178 zu favorisieren, sodass lit. b in diversen Fallkonstellationen zum Einsatz kommen könnte. In diesem Sinne könnten nach der Vorstellung des Gesetzgebers alle Faktoren „außergewöhnlich“ sein, die von dem klischeehaften Bild einer klassischen Kinderehe, ergo einer mehr oder weniger erzwungenen Verbindung zwischen einer entmachteten und unterworfenen jungen Ehefrau und ihrem erheblich älteren, bevormundenden Ehemann abweichen.179 Immerhin deutet bereits der Titel des „Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen“ auf die eindeutig negative Grundhaltung des Gesetzgebers gegenüber den Ehen Minderjähriger hin.

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BeckOGK/Otto, 1.1.2022, § 1315 BGB Rn. 11. So ausdrücklich Staudinger/Voppel, 18. Aufl., 2018, § 1315 BGB Rn. 24. 177 Zur hohen subjektiven Hürde des Mangelbewusstseins: s. o. 4. a) bb). 178 Für eine weite Auslegung plädieren ebenso BeckOGK/Erbarth, 1.6.2022, § 1353 BGB Rn. 279 („keine überhöhten Anforderungen“); Grüneberg/Siede, 81. Aufl., 2022, § 1315 BGB Rn. 10; Löhnig, NZFam 2019, 72 f.; Schwab, FamRZ 2017, 1369, 1370; Makowsky, RabelsZ 83 (2019), 577, 604; AG Frankenthal 15.2.2018, Az. 71 F 268/17, FamRZ 2018, 749; BeckOGK/Stürner, 1.2.2022, Art. 6 EGBGB Rn. 340.1, der hier ordre public-Erwägungen ins Spiel bringen möchte. 179 S. Coester-Waltjen, IPRax 2019, 127, 131: „alle Abweichungen von diesem Schreckensbild [einer Minderjährigenehe mit einer unterdrückten, sozial isolierten, unfreien Minderjährigen]“ sollen schon als „außergewöhnliche Umstände“ gewertet werden. Zust. insoweit Erbarth, FamRB 2019, 425, 426. In eine ähnliche Richtung argumentiert das OLG Oldenburg 18.4.2018, Az. 13 UF 23/18, FamRZ 2018, 1152, 1153: „die Ehefrau [ist] aber nicht in dem Maße schutzbedürftig, wie dies dem Gesetzgeber bei Verabschiedung des Gesetzes [. . .] vorschwebte“. 176

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In den Gesetzesmaterialien, denen als Beleg für die Regelungsabsicht des Gesetzgebers insbesondere bei sachlich neuartigen Vorschriften ein erhebliches Gewicht zukommt180, lässt sich auf den ersten Blick noch ein weiterer Anhaltspunkt dafür finden, dass die Härteklausel des lit. b nicht auf individuelle Extremfälle beschränkt ist: So wird in der Gesetzesbegründung neben den Härtegründen einer schweren bzw. lebensbedrohlichen Erkrankung und krankheitsbedingten Suizidgefahr des Minderjährigen als drittes Beispiel die drohende Verletzung des Freizügigkeitsrechts eines minderjährigen Unionsbürgers angeführt.181 Während die beiden ersten Fallkonstellationen durch einen besonders hohen Härtegrad charakterisiert werden, besteht zum dritten Musterbeispiel ein eklatantes Missverhältnis, was die Häufigkeit und Schwere angeht.182 Hierdurch könnte der Gesetzgeber signalisiert haben, dass er den in den ersten Beispielen gesetzten hohen Härtegrad abzumildern bestrebt war und die Norm für weitere diverse und vielgestaltige Fallkonstellationen öffnen wollte. bb) Restriktive Auslegung (1) Die Freizügigkeitsverletzung als Härtefall Allerdings spricht gegen ein derartiges Verständnis, dass sich nach den gesetzgeberischen Motiven eine außergewöhnliche Härte nur „im Einzelfall“ aus der Verletzung der unionsrechtlich verbürgten Freizügigkeit ergibt. Aus dieser Formulierung könnte man schließen, dass eine drohende Freizügigkeitsverletzung den minderjährigen Unionsbürger nach dem Verständnis des Gesetzgebers nicht etwa automatisch vor der Aufhebung seiner Ehe bewahren, sondern lediglich eine konkrete Einzelfallprüfung hervorrufen soll. Es erscheint also angebracht, von der Aufhebung ausnahmsweise („im Einzelfall“) nur dann abzusehen, wenn zusätzlich zur Verletzung der unionsrechtlichen Freizügigkeit besondere Umstände vorliegen, die den Ausschluss der Aufhebung rechtfertigen.183 Angesichts des restriktiven Wortlauts des § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b BGB lässt sich eine bloße Verletzung des unionsrechtlich verbürgten Freizügigkeitsrechts ohne Berücksichtigung zusätzlicher Fallumstände ohnehin nur schwerlich als eine die 180 Vgl. BVerfG 11.6.1980, Az. 1 PBvU 1/79, BVerfGE 54, 277, 297; Walz, ZJS 2010, 482, 486. 181 Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland, BT-Drs. 18/12086, 17; dieses Anwendungsbeispiel zieht auch Makowsky, RabelsZ 83 (2019), 577, 604 ff. als Hinweis für ein weites Verständnis der Härtefallklausel heran. 182 Frie, FamRB 2017, 232, 233; vgl. a. Reuß, FamRZ 2019, 1, 4; Kommissariat der deutschen Bischöfe – Katholisches Büro Berlin, Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen, 1.3.2017, 2: „gewisse Unwucht“; BGH 14.8.2020, Az. XII ZB 131/20, FamRZ 2020, 1533, 1536: „wenig konsistent“; auch Croon-Gestefeld, RabelsZ 86 (2022), 32, 48 („unglücklich gewählt“); zweifelnd auch Rauscher, in: FS Kren Kostkiewicz, 245, 266. 183 Vgl. Majer, NZFam 2018, 610; ders., NZFam 2019, 659.

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Abweichung vom Regelfall begründende Situation i. S. d. Rechtsnorm werten.184 Ebensowenig kann nach dieser Ansicht eine Verletzung des Rechts auf Arbeitnehmerfreizügigkeit und Aufenthalt in Deutschland nach Art. 45 Abs. 3 lit. b und c AEUV als Unterfall des unionsrechtlichen Freizügigkeitsprinzips automatisch zu einem Härtegrund führen.185 Mit Blick auf die konkreten Ausführungen in der Gesetzesbegründung ist allerdings zu hinterfragen, ob der Gesetzgeber die Verletzung der unionsrechtlichen Freizügigkeit für die Annahme eines Härtefalls i. S. d. § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b BGB wirklich nicht als ausreichend erachtet hat. Die Lektüre der entsprechenden Passage legt nämlich eine andere Lesart nahe. Dort heißt es wortwörtlich: „Eine außergewöhnliche Härte könnte sich im Einzelfall auch daraus ergeben, dass die Aufhebung einer unter Beteiligung eines minderjährigen Unionsbürgers geschlossenen Ehe dessen Freizügigkeitsrecht verletzen würde.“ 186 Hiernach ist der Passus „im Einzelfall“ nicht etwa darauf bezogen, dass eine Freizügigkeitsverletzung nur ausnahmsweise die Entbehrlichkeit der Aufhebung bewirkt. Vielmehr ist der Gesetzgeber wohl davon ausgegangen, dass ein durch die Aufhebung hervorgerufener Eingriff in die unionsrechtliche Freizügigkeit in der Regel gerechtfertigt sein wird, sodass es nur „im Einzelfall“ zu einer Verletzung der Freizügigkeit kommt. Beschränkungen der Unionsfreizügigkeit sind ausnahmsweise dann gerechtfertigt, wenn sie auf objektiven Erwägungen des Allgemeininteresses beruhen und in einem angemessenen Verhältnis zu dem mit dem nationalen Recht berechtigterweise verfolgten Zweck stehen.187 Bei der Anwendung der Härtefallklausel ist insbesondere zu prüfen, ob die Behörden des Eheschließungsstaates die Belange der Minderjährigen und die Geschlechtergleichstellung hinreichend gewahrt haben.188 Sollte der Eingriff nicht gerechtfertigt sein und die Aufhebung tatsächlich mit dem unionsrechtlichen Freizügigkeitsrecht in Konflikt geraten, hat das Gericht die Härtefallklausel zu aktivieren. Insofern ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber einer Verletzung des Art. 21 Abs. 1 AEUV vorbeugen wollte und den Fall der Freizügigkeitsverletzung durchaus als Härtefall nach § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b BGB angesehen hat.189 Nach

184 So insb. Andrae, Internationales Familienrecht, § 1 Rn. 137; vgl. a. Rauscher, NJW 2018, 3421, 3422; gleichsinnig Kleinjohann, FamRZ 2019, 1854, 1855; Bongartz, NZFam 2017, 541, 544; Coester-Waltjen, IPRax 2017, 429, 434; Hüßtege, FamRZ 2017, 1374, 1379. A. A. wohl AG Ludwigshafen am Rhein 25.7.2018, Az. 5c F 160/18, unveröffentl.; tendenziell auch AG Herford 30.8.2018, Az. 14 F 555/18, unveröffentl. 185 Löhnig, FamRZ 2018, 749, 750. 186 Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland, BT-Drs. 18/12086, 17, 22 187 S. EuGH 5.6.2018, Rs. C-673/16 „Coman“, FamRZ 2018, 1063, 1066; EuGH 14.10.2008, Rs. C-353/06 „Grunkin-Paul“, NJW 2009, 135, 136. 188 So wortwörtlich Weller/Thomale/Hategan u. a., FamRZ 2018, 1289, 1297. 189 S. a. Wall, StAZ 2019, 331, 337; Reuß, FamRZ 2019, 1, 4; Weller/Thomale/Hategan u. a., FamRZ 2018, 1289, 1297.

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der Vorstellung des Gesetzgebers führt die Aufhebung aber eben nur „im Einzelfall“ zu einer solchen Verletzung der Unionsfreizügigkeit. (2) Rechtsprechung zu Minderjährigenehen unter Beteiligung eines Unionsbürgers Dementsprechend hat sich im Hinblick auf die Ausnahmebestimmung des § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b BGB eine lebendige Anwendungspraxis entwickelt, die den sog. rigor iuris durch eine behutsame Beurteilung der betreffenden Ehen zu umgehen versucht.190 Nach übereinstimmender Auffassung der Gerichte verletzt die Aufhebung einer im EU-Ausland im Alter von mindestens 16 Jahren geschlossenen Minderjährigenehe unter Beteiligung eines Unionsbürgers die unionsrechtliche Freizügigkeit und stellt sich als (wichtigster) Anwendungsfall der Härtefallklausel dar.191 Dabei beruht die Anwendung der Vorschrift auf verschiedenen Begründungserwägungen. In seinem Beschluss vom 15.2.2018192 hat das AG Frankenthal den Antrag auf Aufhebung einer 2017 in Bulgarien wirksam193 geschlossenen Ehe zwischen einer im Zeitpunkt der Eheschließung 16 Jahre alten Bulgarin und ihrem volljährigen (21-jährigen) Landsmann als unbegründet abgelehnt. Im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung hatte das Paar bereits ein Kind, ein zweites wurde erwartet. Das Gericht gelangte über Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB zur Anwendung der deutschen Eheaufhebungsregelungen und rekurrierte zunächst auf § 1314 BGB, der als „Kann-Vorschrift“ dem Familiengericht hinsichtlich der Aufhebung ein Ermessen einräume.194 Die Norm sei aufgrund der Beteiligung von Unionsbürgern im Lichte des Europarechts auszulegen, wobei der unionsrechtliche Freizügigkeitsgrundsatz die Anerkennung der Ehen von EU-Bürgern gebiete. Weiter190

Ähnlich Coester-Waltjen, IPRax 2019, 127; Wagner, FamRZ 2021, 1266, 1270. S. Coester-Waltjen, IPRax 2019, 127; s. a. Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Anlage 1 zur Gesamtauswertung zur Evaluierung des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen – Rechtsprechungsübersicht Verbot von Kinderehen. 192 AG Frankenthal 15.2.2018, Az. 71 F 268/17, FamRZ 2018, 749. 193 Die Wirksamkeitsprüfung auf materieller Ebene als unzureichend kritisierend Majer, NZFam 2018, 332. Die Kritik ist jedoch in Ansehung der bulgarischen Rechtslage unberechtigt: Selbst wenn die für die Befreiung vom regulären Ehemündigkeitsalter von 18 Jahren erforderliche gerichtliche Genehmigung (Art. 6 Abs. 1, 2 bulg. FamGB) nicht vorgelegen hätte, führte die Existenz von aus der Ehe hervorgegangenen Kindern oder die Schwangerschaft der Ehefrau zum Ausschluss der Aufhebung der Ehe (Artt. 46 Abs. 1 Nr. 1, 47 Abs. 1 Nr. 1 bulg. FamGB), s. (auch in Bezug auf AG Nordhorn, Az. 11 F 855/17 E1) Coester-Waltjen, IPRax 2019, 127, 128. 194 Ebenso auf das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts nach § 1314 Abs. 1 Nr. 1 BGB abstellend: AG Ahaus 30.9.2018, Az. 12 F 59/18, unveröffentl. Die in der vorliegenden Übersicht genannten unveröffentlichten Entscheidungen werden beschrieben bei: Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Anlage 1 zur Gesamtauswertung zur Evaluierung des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen – Rechtsprechungsübersicht Verbot von Kinderehen. 191

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hin wurden seitens des Gerichts die Sachverhaltsumstände der Freiwilligkeit der Eheschließung, der Existenz eines Kindes, der Schwangerschaft der Ehefrau und des Fehlens einer Berufsqualifikation sowie eines Schulabschlusses seitens der Ehefrau in Verbindung mit dem Eingriff in die unionsrechtlich verbürgte Freizügigkeit als schwere Härte i. S. d. § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b BGB eingestuft, was im Ergebnis zum Ausschluss der Eheaufhebung führte.195 Der der Entscheidung des AG Nordhorn vom 19.1.2018196 zugrunde liegende Sachverhalt betraf eine am 17.9.2016 in Lettland geschlossene Ehe zweier lettischer Staatsangehöriger. Hier wurde dem nach § 1316 Abs. 3 BGB seitens der Verwaltungsbehörde gestellten Antrag auf Aufhebung der Ehe nicht stattgegeben. Zwar sei die Ehefrau im Zeitpunkt der Eheschließung nur 16 Jahre alt gewesen, allerdings läge ein Verstoß gegen das Freizügigkeitsprinzip vor. Der innerstaatliche Rechtfertigungsgrund einer ordre public-Widrigkeit sei überdies nicht gegeben, da bis Juli 2017 auch in Deutschland Eheschließungen von 16- und 17-Jährigen in Ausnahmefällen möglich gewesen seien. Auch angesichts der Gesamtumstände sei eine Aufrechterhaltung der Ehe i. S. d. § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b BGB geboten: Die Ehe sei freiwillig geschlossen worden, die Eheleute hätten bereits ein einjähriges Kind und zudem sei die binnen kurzer Zeit (Mai 2018) volljährige Ehefrau hochschwanger. Im Falle der Aufhebung wolle die Ehefrau nach Erreichen der Volljährigkeit sogleich wieder heiraten, weswegen insgesamt von der Aufhebung der Ehe abzusehen sei.197 Auch in einer weiteren Entscheidung198 bejahte das AG Nordhorn die Anwendbarkeit des Ausnahmetatbestands des § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b BGB. Hier handelte es sich um eine am 4.8.2017 in Rumänien geschlossene Ehe rumänischer Staatsangehöriger im Alter von 16 und 21 Jahren. Der Ehemann arbeitete bereits seit 4 Jahren in Deutschland, die Ehefrau – im Zeitpunkt der Eheschließung schwanger – war mittlerweile Mutter eines knapp drei Monate alten, im November 2017 in Deutschland geborenen Kindes und zugleich Vollwaisin. Ihr Vormund war der größere Bruder, der sich zu dem Zeitpunkt in Italien aufgehalten haben soll. Bis zur Erlangung der Volljährigkeit der Ehefrau fehlten 11 Mo195 Ebenso auf die fehlende berufliche Ausbildung abstellend AG Bremen 22.6.2018, Az. 60 F 185/18 E1, unveröffentl. 196 AG Nordhorn 19.1.2018, Az. 11 F 852/17 E1, unveröffentl. 197 Auf ähnlichen Entscheidungserwägungen beruht der Beschluss des AG Mainz vom 27.2.2018. Zwar war die Ehefrau im Zeitpunkt der Entscheidung nicht schwanger. Das Gericht argumentierte aber auch hier mit der Freiwilligkeit der Eheschließung, dem Vorhandensein eines gemeinsamen Kindes und dem Vorhaben der Ehegatten, bei Erreichen der Volljährigkeit erneut zu heiraten, für die Anwendung der Härtefallklausel, s. AG Mainz 27.2.2018, Az. 35 F 5/18, unveröffentl.; ähnlich AG Lüdenscheid 10.7.2018, Az. 5 F 393/18, unveröffentl., wonach die Aufhebung in keinem vernünftigen Verhältnis zum bezweckten Minderjährigenschutz stand. Zudem hatten auch hier die Antragsgegner ein gemeinsames Kind. 198 AG Nordhorn 29.1.2018, Az. 11 F 855/17 E1, FamRZ 2018, 750 f.

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nate (Dezember 2018). Die Eheschließung kam nachweislich nicht unter Druck zustande und würde bei Aufhebung nach Vollendung des 18. Lebensjahres der Kindesmutter sofort wiederholt. Nach Ansicht des Gerichts sei auch im vorliegenden Fall mit der Aufhebung der verfahrensgegenständlichen Ehe die Verletzung der unionsrechtlich verbürgten Freizügigkeit verbunden, weshalb in Verbindung mit den konkreten Umständen ein das Absehen von der Eheaufhebung rechtfertigender Ausnahmefall zu bejahen sei. Nach den Feststellungen des OLG Oldenburg im Hinweisbeschluss vom 18.4. 2018199, der im anschließenden Beschwerdeverfahren erging, würde die Aufhebung der Ehe für die minderjährige Ehefrau insbesondere eine Verletzung ihres durch die Ehe vermittelten Arbeitnehmerfreizügigkeitsrechts nach Art. 45 Abs. 3 lit. b und c AEUV200 darstellen, da die Kenntnis vom Aufhebungsverfahren und die eventuelle Aufhebbarkeit die beteiligten Eheleute davon abgehalten hätte, nach der Eheschließung nach Deutschland einzureisen, sich dort niederzulassen und einer Arbeit nachzugehen. Zudem entzöge man dem Zusammenleben der Ehegatten mit dem Kind die rechtliche Grundlage. Des Weiteren betonte das OLG Oldenburg, dass die Ehefrau nicht zu den schutzbedürftigen Minderjährigen zählte, die der Gesetzgeber bei Verabschiedung des KEhenBekG anvisiert hatte. Es bestünden keine Anhaltspunkte für eine erzwungene Eheschließung oder eine fehlende Reife der Ehefrau im Eheschließungszeitpunkt. Zudem habe eine Anhörung der Ehegatten gezeigt, dass diese auch nach Aufhebung der Ehe weiter zusammenleben und die Eheschließung nach Erreichen der Volljährigkeit der Ehefrau erneut vornehmen wollten. Auf nahezu identischen Erwägungsgründen basiert die Entscheidung des OLG Frankfurt vom 28.8.2019.201 Auch hier berief sich das Gericht auf einen Verstoß gegen das Recht der Ehegatten auf Freizügigkeit innerhalb der EU gem. Art. 21 AEUV und gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art. 45 Abs. 3 lit. b und c AEUV. Die zuständige Landesbehörde hatte im Fall einer im Eheschließungszeitpunkt 17 Jahre alten Bulgarin, die bereits im Alter von 15 Jahren ihr erstes Kind auf die Welt gebracht, im Frühjahr 2018 in Bulgarien geheiratet hatte und seit Sommer 2018 mit ihrem Ehegatten in Deutschland lebte, den Eheaufhebungsantrag gestellt. Im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung erwartete sie ihr zweites Kind. Der Aufhebungsantrag wurde mit Verweis auf § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b BGB abgelehnt. Es sei eine EU-rechtskonforme Auslegung vorzunehmen. Des Weiteren sei die Antragsgegnerin nicht in dem Maße schutzbedürftig, wie dies dem Gesetzgeber vorgeschwebt hätte.202 199

OLG Oldenburg 18.4.2018, Az. 13 UF 23/18, FamRZ 2018, 1152 f. Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union. 201 OLG Frankfurt am Main 28.8.2019, Az. 5 UF 97/19, FamRZ 2019, 1853 f. 202 Auf die fehlende Schutzbedürftigkeit berief sich auch das AG Bremen-Blumenthal 15.2.2019, Az. 71a F 162/18 E1, unveröffentl. 200

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(3) Weitere Härtefälle Abgesehen von der Beeinträchtigung des unionsrechtlichen Freizügigkeitsrechts haben sich die Gerichte in ihren Begründungen auf diverse Fallumstände berufen, die ihrer Ansicht zufolge für die Aufrechterhaltung der Ehe sprechen. So wurden von gerichtlicher Seite im Rahmen der Prüfung, ob die Aufhebung aufgrund außergewöhnlicher Umstände für den Minderjährigen eine schwere Härte darstellt und deshalb ausgeschlossen sei, folgende Umstände zugunsten einer Aufrechterhaltung der Ehe berücksichtigt: – die Freiwilligkeit der Eheschließung und das erkennbare Interesse der Ehegatten an der Aufrechterhaltung ihrer Ehe, – die Funktion der Ehe als wirtschaftliche Absicherung des minderjährigen Ehegatten und – das Vorhandensein gemeinsamer Kinder und die Schwangerschaft des minderjährigen Ehegatten. Die gerichtlichen Überlegungen verleiten zu der Frage, ob die vorgenannten Lebensumstände selbst dann, wenn eine Verletzung des europäischen Freizügigkeitsrechts nicht vorliegt, dazu führen könnten, dass der Minderjährige durch die Aufhebung einer schweren Härte ausgesetzt wäre. Angesichts der Tatsache, dass diese Faktoren von der Intensität her nicht annähernd an den Härtegrad der in der Gesetzesbegründung beispielhaft genannten Lebenssituationen heranreichen, ist indes zu bezweifeln, ob sie relevante Aspekte darstellen, um einen Härtefall i. S. d. § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b BGB zu begründen. Eine fehlende schulische oder berufliche Ausbildung unter dem Aspekt des Wegfalls der wirtschaftlichen Absicherung bei Aufhebung der Ehe als einen solchen relevanten Aspekt aufzufassen, erscheint wenig nachvollziehbar.203 Die Einordnung der Ehe als Institut zur wirtschaftlichen Absicherung von Frauen kollidiert mit dem gleichberechtigungskonformen Rollenverständnis, das der Gesetzgeber mit dem am 1.7.1977 in Kraft getretenen Eherechtsreformgesetz etabliert hat. Dem Ehemann die Pflicht zur Versorgung der Ehefrau aufzuerlegen, um ihre fehlende Berufsqualifikation zu kompensieren und damit zugleich ihre Rolle als Hausfrau zu zementieren, entspricht einer überkommenen Eheauffassung und bedeutet einen Rückschritt, der die minderjährige Ehegattin ihrer Chancen auf wirtschaftliche Emanzipation ohne Mitwirkung und Zutun ihres Ehepartners beraubt. Zu Recht wurde daher bereits nach alter Rechtslage einer abgeschlossenen Ausbildung ein hoher Stellenwert zugesprochen und erkannt, dass die Nachteile einer abgebrochenen oder gänzlich fehlenden Ausbildung im Regelfall schwerer wiegen als die Vorteile einer vorzeitigen Eheschließung. Bei Gefährdung der Ausbildung der minderjährigen Heiratsaspirantin durch die bevorstehende Eheschlie203 So aber AG Frankenthal 15.2.2018, Az. 71 F 268/17, FamRZ 2018, 749; AG Bremen 22.6.2018, Az. 60 F 185/18 E1, unveröffentl.

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ßung wurde dementsprechend der richterliche Dispens verweigert.204 Der fehlenden Absolvierung eines Schulabschlusses bzw. einer Berufsausbildung ist im Rahmen der Prüfung der Härteklausel also keine Bedeutung beizumessen.205 Unter Berufung auf die funktionelle Bedeutung des Eheaufhebungsverfahrens könnte man aber die Freiwilligkeit der Eheschließung und die auf den Erhalt seiner Ehe gerichtete innere Überzeugung des minderjährigen Ehegatten als wesentliches Beurteilungskriterium ansehen.206 So zielt das Eheaufhebungsverfahren in erster Linie darauf ab, den freien Willen des jeweiligen Partners zu schützen und der Ausnutzung der fehlenden Selbstbestimmungsfähigkeit bei Eheschließung ein Ende zu setzen.207 In Ansehung der dem KEhenBekG zugrunde liegenden Wertentscheidung des Gesetzgebers verbietet sich jedoch die These, dass das Fehlen von Druck im Zeitpunkt der Eheschließung sowie der einvernehmliche Wunsch beider Ehegatten, ihre Ehe aufrechtzuerhalten, für sich genommen geeignete Härtegründe i. S. d. § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b BGB darstellen.208 Dies geht zum einen daraus hervor, dass sich die starre Bestimmung des Ehemündigkeitsalters nach dem Willen des Gesetzgebers möglichst auch gegen den Wunsch schutzbedürftiger Minderjähriger durchsetzen soll.209 Es widerspräche also diametral der gesetzgeberischen Intention, das Eingreifen der Härteklausel zur Disposition der schutzbedürftigen minderjährigen Ehegatten zu stellen. Ferner läge im Fall der fehlenden Freiwilligkeit der Eheschließung eine nach deutschem Recht verbotene Zwangsehe (§ 237 StGB) und damit ohnehin ein Verstoß gegen den ordre public vor.210 Die rechtliche Relevanz des Wunsches nach Fortsetzung des ehelichen Zusammenlebens gewinnt auch nicht mit der Annäherung des minderjährigen Ehegatten an das in § 2 BGB geregelte und vom Gesetzgeber als striktes Ehemündigkeitsalter fixierte Volljährigkeitsalter an Gewicht.211 Zwar hat der Gesetzgeber bei bevorstehender Volljährigkeit ein wachsendes Interesse 204 Vgl. OLG Saarbrücken 24.5.2007, Az. 6 UF 106/06, NJW-RR 2007, 1302, 1303. S. a. Kap. 2 A. II. 205 A. A. Majer, NZFam 2018, 332, der dazu tendiert, diese Kriterien als Eheaufhebungsindikatoren zu deuten. 206 S. AG Nordhorn 29.1.2018, Az. 11 F 855/17 E1, FamRZ 2018, 750 f.; AG Frankenthal 15.2.2018, Az. 71 F 268/17, FamRZ 2018, 749; OLG Oldenburg 18.4.2018, Az. 13 UF 23/18, FamRZ 2018, 1152 f.; in diese Richtung auch Coester-Waltjen, IPRax 2019, 127, 131; zust. insoweit Erbarth, FamRB 2019, 425, 426. 207 Coester-Waltjen, FamRZ 2012, 1185, 1186 f. 208 So auch BeckOGK/Otto, 1.1.2022, § 1315 BGB Rn. 11.1; Majer, NZFam 2018, 332; ders., NZFam 2018, 610; ebenfalls ablehnend Antomo, FamRZ 2020, 1538, 1539. 209 S. Coester-Waltjen, IPRax 2017, 429, 431. 210 Andrae, Internationales Familienrecht, § 1 Rn. 65; dagegen nimmt Majer, NZFam 2018, 610 an, dass der Aufhebungsgrund des § 1314 Abs. 2 Nr. 4 BGB erfüllt sei. Diese Vorschrift findet aber bei Auslandsehen keine Anwendung, s. Coester-Waltjen, IPRax 2019, 127, 131 m. Fn. 38. 211 So aber BeckOGK/Otto, 1.1.2022, § 1315 BGB Rn. 11.1; Löhnig, FamRZ 2018, 749, 750; Wapler, verdikt 2017, 9; sehr zurückhaltend dagegen Majer, NZFam 2018,

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daran, die zu erwartende Wiederheirat zwischen den Beteiligten aus prozessökonomischen Gründen zu vermeiden. Angesichts des restriktiven Wortlauts des § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b BGB und des in der Gesetzesbegründung eindeutig artikulierten Willens des Gesetzgebers soll die Härtefallklausel aber nur in den dort aufgelisteten absoluten Ausnahmefällen aktiviert werden. Anders als die in den Gesetzesmotiven angeführten Lebensumstände begründet die Aufhebung gegen den Willen der Ehegatten zudem selbst dann keine schwere Härte, wenn der minderjährige Ehegatte kurz vor dem Eintritt in die Volljährigkeit steht. Auch die Schwangerschaft der Ehefrau und das Vorhandensein gemeinsamer Kinder stellen keine außergewöhnlichen Umstände dar, die die Aufrechterhaltung der Ehe gebieten. Zwar bildete vor Inkrafttreten des KEhenBekG die Situation, dass die Verlobte ein Kind erwartet oder geboren hatte und dieses innerhalb einer Ehe heranwachsen sollte, oftmals den Grund für den Antrag auf Befreiung vom Erfordernis der Ehemündigkeit.212 Die Dispenserteilung wegen Schwangerschaft wurde aber zuletzt aufgrund der Tatsache, dass die Nichtehelichkeit von Kindern gesellschaftlich und auch rechtlich nicht mehr von Belang ist, sehr kritisch gesehen und häufig abgelehnt.213 Im vorliegenden Kontext bleibt zweifelsohne zu beachten, dass es sich um bereits geschlossene, voll wirksame Ehen handelt, die nur nach deutscher Rechtsvorstellung die Ehemündigkeitsvoraussetzungen nicht erfüllen. Deswegen bedarf es einer modifizierten, weniger strikten Handhabung als im Falle der Dispenserteilung, wo es (präventiv) um die Beurteilung der Neubegründung eines Statusverhältnisses und nicht – wie hier – (retrospektiv) um die Aufhebung einer bestehenden rechtlichen Verbindung geht. Trotzdem genügt eine Schwangerschaft oder das Vorhandensein aus der Ehe hervorgegangener Kinder nicht den hohen Anforderungen, die an eine schwere Härte i. S. d. § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b BGB zu stellen sind. Dies gilt umso mehr, als dass andernfalls im sehr jungen Alter Schwangerschaften mutwillig und systematisch herbeigeführt werden könnten, um die Voraussetzungen für eine besondere Härte im Sinne der Norm zu schaffen. Auch andere für die Ehegatten ausschlaggebende Umstände wie eine mehrjährige vorangegangene Bekanntschaft zwischen den Eheleuten214, ein geringer Al610, der einen Einfluss aber immerhin bejaht, wenn die Volljährigkeit unmittelbar bevorsteht. 212 Vgl. nur NK-BGB/Kleist/Friederici, 3. Aufl., 2014, § 1303 BGB Rn. 10. 213 MüKo/Wellenhofer, 7. Aufl., 2017, § 1303 BGB Rn. 9; vgl. a. Staudinger/Löhnig, 16. Aufl., 2015, § 1303 BGB Rn. 30; Erman/Roth, 14. Aufl., 2014, § 1303 BGB Rn. 6; frühzeitig AG Ravensburg 18.2.1976, Az. I GR 12/76, DAVorm 1976, 433; Neuhaus, Ehe und Kindschaft in rechtsvergleichender Sicht, 25; dahingehend auch Becker, MDR 1963, 965, 969; anders im Fall des LG Landshut 21.2.1973, Az. T 147/72, StAZ 1973, 122. 214 Majer, NZFam 2018, 610.

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tersunterschied und das Bestehen einer besonders intensiven, durch gemeinsam durchlebte strapaziöse Erfahrungen gestärkten Bindung215 erfüllen aufgrund des eindeutigen Wortlauts des § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b BGB nicht die Voraussetzungen der Härteklausel. Jenseits der Freizügigkeitsverletzung kommen damit als Härtefalle nur die einschneidenden Lebenssituationen einer schweren Erkrankung lebensbedrohlichen Ausmaßes sowie einer krankheitsbedingten Suizidgefahr in Betracht. Auch dass zwischen den genannten Regelbeispielen ein auffälliges Missverhältnis besteht, kann nicht zum Anlass genommen werden, den Anwendungsbereich der Härtefallklausel zu erweitern: Zunächst weist der Wortlaut des § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b BGB als äußerste Grenze jedweder Auslegung216 ganz eindeutig auf ein eng begrenztes Einsatzfeld hin. So eignet sich keiner der dort festgelegten Begriffe für eine extensive Auslegung. Die restriktiven Formulierungen wie „außergewöhnliche Umstände“, „so schwere Härte“ und „ausnahmsweise geboten“ unterstreichen vielmehr den absoluten Ausnahmecharakter der Vorschrift, der es gerade verbietet, eine größere Bandbreite an Fallkonstellationen dem Normtatbestand unterzuordnen.217 Des Weiteren erinnert die selektive Ausdrucksweise an den Wortlaut der in § 1568 BGB normierten Härteklausel, die ihrerseits lediglich von marginaler praktischer Relevanz ist und so gut wie nie zur Anwendung gelangt.218 Die Darstellung der Entstehungsgeschichte der Norm hat außerdem gezeigt, dass der Gesetzgeber im Minderjährigenalter geschlossene Ehen im Grunde per 215 Diese Faktoren hat der Bundesrat für die Erweiterung der Härtefallklausel in seiner Prüfbitte angeführt, s. Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland, BT-Drs. 18/12377, 10. 216 BVerfG 23.10.1985, Az. 1 BvR 1053/82, BVerfGE 71, 108, 115; Beaucamp, AöR 134 (2009), 83, 84; s. a. Deckert, JA 1994, 412, 415; Looschelders/Roth, Juristische Methodik im Prozeß der Rechtsanwendung, 67 m.w. N.; Kloepfer, Verfassungsrecht – Bd. II: Grundrechte, § 48 III Rn. 43; demgegenüber krit.: Wank, Die Auslegung von Gesetzen, 44. Ausführlich zu den Grenzen im Rahmen der Rechtsfortbildung: Ders., Rechtswissenschaft und Rechtsprechung, in: Rechtsprechungslehre – Zweites Internationales Symposium Münster 1988, 1992, 359, 376 ff. 217 So auch Staudinger/Voppel, 18. Aufl., 2018, § 1315 BGB Rn. 25; Antomo, ZRP 2017, 79, 80; vgl. a. Bongartz, NZFam 2017, 541, 544: „dreifacher Ausnahmecharakter“; BGH 14.8.2020, Az. XII ZB 131/20, FamRZ 2020, 1533, 1536: „äußerst eng gehaltene[r] Ausschlusstatbestand“; Andrae, RPsych 2017, 426, 433; Coester-Waltjen, IPRax 2017, 429, 434, die aber aufgrund des restriktiven Wortlauts auch die Verletzung der unionsrechtlichen Freizügigkeit allein nicht als „außergewöhnlichen Umstand“ oder „schwere Härte“ klassifizieren und deren Subsumtion unter die Norm gänzlich ablehnen. 218 Diesen Vergleich führt Coester-Waltjen, IPRax 2017, 429, 431 heran. Zur geringen praktischen Bedeutung des § 1568 BGB: BeckOK/Neumann, 62. Ed., 1.5.2022, § 1568 BGB Rn. 1; zu den wenigen Anwendungsbeispielen aus der Rechtspraxis: MüKo/Weber, 9. Aufl., 2022, § 1568 BGB Rn. 13; BeckOGK/Coester-Waltjen, 1.5. 2022, § 1568 BGB Rn. 9.

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se als kindeswohlwidrig ansieht. Dem Gedanken einer Minderjährigenehe als möglicherweise freier, auf Selbstbestimmung beruhender Liebesbeziehung hat man sich gemeinhin verschlossen und sich auf die Zielsetzung der Auflösung dieser Art von Ehe ohne Rücksicht auf die Umstände des Einzelfalls versteift. Daher soll die als „Härteklausel“ normierte Vorschrift nach den Gesetzesmotiven lediglich „in besonderen Ausnahmefällen“ zum Ausschluss der Aufhebung der Ehe führen. Explizit angeführt wird außerdem, dass es sich hierbei um „gravierende Einzelfälle“ handeln muss.219 Als Regelbeispiele wurden – wie bereits erwähnt – vorrangig die einschneidenden Lebenssituationen einer schweren Erkrankung lebensbedrohlichen Ausmaßes sowie einer krankheitsbedingten Suizidgefahr aufgezählt. Diese besonders drastisch gelagerten Musterbeispiele sind als persönliche Härtefälle220 zu werten und legen ebenfalls eine strikte Begrenzung des Anwendungsbereichs der Vorschrift nahe.221 Folgerichtig befand der Bundesrat die in der Gesetzesbegründung angeführten Beispielsfälle als unzureichend, weswegen er in seinem Petitum eine Ausweitung der Härtefallregelung um „weitere besondere soziale und psychologische Belange der betroffenen Minderjährigen“ unter Berücksichtigung des gesamten Kindeswohls erbat.222 Dieses Ansinnen wurde jedoch seitens der Bundesregierung mit dem Argument zurückgewiesen, dass die in der Vorschrift des § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b BGB und in der Gesetzesbegründung aufgeführten Härtefallgründe nicht abschließend seien und bei der Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls ohnehin ein gewisses Maß an Flexibilität gewährleistet sei.223 Dennoch bleibt zu beachten, dass der Anwendungsbereich der Norm sich nur im Rahmen des grammatikalisch Hinnehmbaren bewegen kann, denn nur was innerhalb des Wortlauts liegt, lässt sich als Inhalt des Gesetzes begreifen und durch Auslegung erfassen.224 Wie oben erörtert, ermöglicht die in § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b BGB getroffene Wortwahl nur eine restriktive Auslegung der Norm. Dass dies auch in Einklang mit dem Willen des Gesetzgebers steht, zeigt die Gegenäußerung der Bun219

Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland, BT-Drs. 18/12086, 22. So expressis verbis Bongartz, NZFam 2017, 541, 544. 221 Vgl. Majer, NZFam 2018, 332; Andrae, RPsych 2017, 426, 433; sowie Rohe, StAZ 2018, 72, 79; dem als Sachverständigen im Gesetzgebungsverfahren eine besonders fundierte Sachkunde im Hinblick auf die gesetzgeberische Motivation zuzuschreiben ist; die vom Gesetzgeber angeführten Beispiele als „absurd“ bezeichnend Wapler, verdikt 2017, 9. 222 Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland, BT-Drs. 18/12377, 10, Anlage 3; s. a. Bundesrat, BR-Drs. 275/17; s. zum „Gesetzgebungsverfahren im Schnelldurchlauf“: Blasweiler, Das Verbot von Kinderehen und dessen Auswirkungen auf das Familien- und Erbrecht, 32 ff. 223 Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland, BT-Drs. 18/12377, 11, Anlage 4. 224 Looschelders/Roth, Juristische Methodik im Prozeß der Rechtsanwendung, 67. 220

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desregierung, wonach eine Ausweitung der Härteklausel, gegebenenfalls bis hin zu einer allgemeinen Kindeswohlprüfung im Einzelfall, dem mit dem Gesetzesvorhaben verfolgten Ziel der Schaffung von Rechtsklarheit entgegenstünde.225 Insofern ist im Lichte des Wortlauts und des gesetzgeberischen Willens an einer engen Auslegung der Vorschrift nicht vorbeizukommen. (4) Stellungnahme Dem Gesetzgeber ist somit vorzuwerfen, dass die von ihm angeführten Beispielsfälle in einem unausgewogenen Missverhältnis stehen.226 Während die Situationen einer schweren Erkrankung lebensbedrohlichen Ausmaßes sowie einer krankheitsbedingten Suizidgefahr als außergewöhnliche Umstände i. S. d. § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b BGB anzusehen sind, bildet die Verletzung der unionsrechtlichen Freizügigkeit im Falle der Aufhebung einer im EU-Ausland begründeten Minderjährigenehe eine recht häufig vorkommende Konstellation und kann nicht als außergewöhnlicher Fall im Sinne der Härtefallklausel gewertet werden.227 Zweifel daran, ob diese gesetzliche Konstruktion aus verfassungs- oder europarechtlicher Perspektive womöglich nicht zu widerspruchsfreien und angemessenen Lösungen führt, können aber nicht im Rahmen der Auslegung der Norm behoben, sondern müssen im Rahmen der Prüfung der Verfassungs- bzw. Unionsrechtskonformität angebracht werden.228 Der Blick auf den praktischen Anwendungsbereich des § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b BGB hat außerdem veranschaulicht, dass sich die Einschätzung des Gesetzgebers, wonach die Einschränkung der unionsrechtlichen Freizügigkeit im Regelfall gerechtfertigt sein wird und folglich nur „im Einzelfall“ zu einer schweren Härte i. S. d. § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b BGB führt, nicht bestätigt hat. Stattdessen bildet die Aufhebung einer im EU-Ausland geschlossenen Minderjährigenehe das Haupteinsatzfeld der Vorschrift. In den meisten Entscheidungen wurde von den Gerichten allerdings nicht ausdrücklich klargestellt, ob die Härtefallregelung bei einer unter Beteiligung eines Unionsbürgers geschlossenen Minderjährigenehe grundsätzlich anzuwenden und folglich die Ehe in den jeweiligen Fällen generell aufrechtzuerhalten ist oder ob sich die Eheaufhebung nur unter Hinzutreten weiterer konkreter Umstände für

225 Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland, BT-Drs. 18/12377, 11, Anlage 4. 226 S. hierzu die Nachweise in Fn. 182. 227 So auch Coester-Waltjen, IPRax 2017, 429, 434; Bongartz, NZFam 2017, 541, 544; „verwundert“ zeigt sicht auch Reuß, FamRZ 2019, 1, 4, der mit der hier vertretenen Auffassung dennoch die Aktivierung der Härtefallklausel befürwortet; ebenso Wall, StAZ 2019, 331, 337; Weller/Thomale/Hategan u. a., FamRZ 2018, 1289, 1297. 228 Hierzu ausführlich Kap. 4. B. und C.

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den minderjährigen Ehegatten als eine schwere Härte darstellt.229 Lediglich in drei Entscheidungen sahen die Gerichte die aufgrund außergewöhnlicher Umstände begründete schwere Härte allein in der Verletzung der Freizügigkeit.230 Nach den vorausgegangenen Überlegungen haben die Gerichte auch stets zu prüfen, ob die mit der Aufhebung einhergehende Beschränkung des Freizügigkeitsrechts möglicherweise gerechtfertigt ist. Die Frage der Rechtfertigung der Verletzung der unionsrechtlichen Freizügigkeit wurde in den oben erörterten Entscheidungen jedoch meist ausgelassen oder nur oberflächlich behandelt.231 Eine Rechtfertigung kommt nur dann in Betracht, wenn das Gericht Umstände feststellt, die für eine Aufhebung der jeweiligen Ehe sprechen.232 Insofern sollen die Richter im Falle einer im EU-Ausland geschlossenen Ehe nicht der Mühe enthoben sein, unter Würdigung der tatsächlichen Begebenheiten des jeweiligen Sachverhalts dessen Eignung als Anwendungsfall der Ausnahmevorschrift zu überprüfen. Liegen zusätzlich zur Einschränkung des unionsrechtlichen Freizügigkeitsprinzips keine Umstände vor, die für eine Aufhebung der Ehe sprechen, ist ein schwerer Härtefall nach § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b BGB gegeben.233 Soweit also die Einschränkung der unionsrechtlichen Freizügigkeit per se als schwere Härte angesehen wurde (ohne das tatsächliche Vorliegen einer Verletzung des Freizügigkeitsrechts unter Berücksichtigung auch rechtfertigender Umstände abschließend zu prüfen), haben somit die Gerichte die Grenzen zulässiger Auslegung überschritten.234 c) Die Überleitungsvorschrift des Art. 229 § 44 Abs. 1–3 EGBGB Die grundsätzliche Durchsetzung des deutschen Ehemündigkeitsrechts wird in Art. 229 § 44 Abs. 1–3 EGBGB für Altfälle teilweise zurückgenommen. aa) Anwendungsbereich für nach deutschem Recht geschlossene Ehen Nach Art. 229 § 44 Abs. 1 EGBGB sind Ehen, die nach deutschem Recht vor dem Stichtag des 22.7.2017 als dem Tag des Inkrafttretens des KEhenBekG im Alter von unter 16 Jahren geschlossen wurden, nach altem Recht aufhebbar, 229 Das OLG Oldenburg hat sich sogar expressis verbis der Antwort entzogen, s. OLG Oldenburg 18.4.2018, Az. 13 UF 23/18, FamRZ 2018, 1152, 1153. 230 AG Ludwigshafen am Rhein 25.7.2018, Az. 5c F 160/18, unveröffentl.; vgl. a. AG Herford 30.8.2018, Az. 14 F 555/18, unveröffentl. Ein wenig mehr Begründungsaufwand betrieb das AG Bremen-Blumenthal 15.2.2019, Az. 71a F 162/18 E1, unveröffentl. 231 Krit. dazu auch Wagner, FamRZ 2021, 1266, 1270. 232 S. Wall, StAZ 2019, 331, 338. 233 Ibid. 234 So bei AG Ludwigshafen am Rhein 25.7.2018, Az. 5c F 160/18, unveröffentl.; vgl. a. AG Herford 30.8.2018, Az. 14 F 555/18, unveröffentl.

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§ 1303 S. 2 BGB gilt insoweit nicht.235 Nach den Aufhebungsvorschriften des ehemaligen Rechts konnte die Behörde den Aufhebungsantrag nach pflichtgemäßem Ermessen stellen. Die neue Fassung des § 1316 Abs. 3 BGB, der nun in Satz 3 abgesehen vom Ausnahmefall der Bestätigung eine starre behördliche Antragspflicht vorsieht, ist für die Fälle des Art. 229 § 44 Abs. 1 EGBGB anwendbar. Da Art. 229 § 44 Abs. 1 EGBGB nur für vor Inkrafttreten des KEhenBekG nach deutschem Recht geschlossene Ehen236 gilt, greift für die bis zum Stichtag bereits nach ausländischem Recht geschlossenen Ehen die Unwirksamkeitssanktion der kollisionsrechtlichen Regelung des Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB, sofern kein Fall des Art. 229 § 44 Abs. 4 EGBGB vorliegt.237 Hieraus ergibt sich das Problem, dass vor dem 22.7.2017 im Alter von unter 16 Jahren geschlossene Ehen je nach Eheschließungsstatut nach vollkommen unterschiedlichen Regeln beurteilt werden.238 Art. 229 § 44 Abs. 2 EGBGB sichert das Fortbestehen der vor Inkrafttreten des KEhenBekG unter Ausnutzung der gerichtlichen Dispensmöglichkeit nach § 1303 Abs. 2–4 BGB a. F. geschlossenen Ehen. Diese Ehen entfalten volle Wirksamkeit und sind nicht aufhebbar. Währenddessen gilt für Ehen, die durch Befreiung vom Erfordernis der Ehemündigkeit nach ausländischem Recht vor dem 22.7.2017 zustande gekommen sind, Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB, der auf die modifizierten Aufhebungsvorschriften der §§ 1313 ff. BGB verweist.239 Auch

235 BeckOGK/Kriewald, 1.4.2022, Art. 229 § 44 EGBGB Rn. 5; MüKo/Wellenhofer, 8. Aufl., 2021, Art. 229 § 44 EGBGB Rn. 7; Grüneberg/Siede, 81. Aufl., 2022, Art. 229 § 44 EGBGB Rn. 1; ausdrücklich auch Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland, BT-Drs. 18/12086, 24. 236 Zu beachten bleibt, dass auch solche Ehen tatbestandlich von Art. 229 § 44 Abs. 1 EGBGB erfasst sein können, bei deren Schließung im Ausland ein Ehegatte neben der ausländischen Staatsangehörigkeit auch die deutsche Staatsangehörigkeit besaß. Dann weist die Person gem. Art. 5 Abs. 1 S. 2 EGBGB ein deutsches Personalstatut auf, sodass deutsches Eheschließungsrecht anzuwenden ist und – wenn die Ehe vor dem 22.7.2017 im Alter von unter 16 Jahren eingegangen wurde – der Geltungsbereich der Überleitungsvorschrift eröffnet ist. S. OLG Frankfurt am Main 11.1.2019, Az. 5 UF 172/18, juris, Rn. 31 ff. 237 Klarstellend insoweit auch VG Berlin 28.9.2018, Az. 3 K 349.16 V, FamRZ 2019, 279, 280; s. a. Wagner, FamRZ 2021, 266, 267 in Fn. 20: „Eine Überleitungsvorschrift gibt es zu dieser Fallgruppe nicht.“ 238 S. Dutta, FamRZ 2019, 188, III-274. Zur verfassungsrechtlichen Vereinbarkeit, s. Kap. 4 B. II. 1. d). 239 Nicht überzeugend daher AG Tempelhof-Kreuzberg 14.11.2018, Az. 160 F 13324/18, BeckRS 2018, 53363, Rn. 11, das die Vorschrift des Art. 229 § 44 Abs. 1 EGBGB für eine am 10.9.2001 nach libanesischem Recht wohl mit gerichtlicher Genehmigung geschlossene Ehe zwischen einer 16-Jährigen und ihrem 21-jährigen Partner – beide im Eheschließungszeitpunkt libanesische Staatsangehörige – zum Einsatz brachte. Weder der Wortlaut noch der in den Motiven offenbarte Wille des Gesetzgebers („Die Regelung erfasst nur die nach deutschem Recht geschlossenen Ehen.“, s. Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland, BT-Drs. 18/12086, 24) lässt jedoch eine solch eigenmächtige Erstreckung des Anwendungsbereichs dieser Norm zu. Richtigstellend

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hieraus resultiert eine Ungleichbehandlung zwischen nach deutschem und ausländischem Eheschließungsstatut geschlossenen Ehen.240 War das Verfahren über die Erteilung eines Dispenses bis zum 22.7.2017 noch anhängig, also nicht abgeschlossen, galt es gem. Art. 229 § 44 Abs. 3 S. 1 EGBGB als erledigt. Auch eine heilende, nachträgliche Genehmigung des Familiengerichts nach § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Alt. 1 BGB a. F. kam nicht mehr in Frage (S. 2). bb) Keine analoge Anwendung auf nach ausländischem Recht geschlossene Ehen Nach dem Wortlaut des Art. 229 § 44 Abs. 1, 2 EGBGB fallen die nach ausländischem Eheschließungsstatut geschlossenen Altehen nicht in den Anwendungsbereich der Vorschrift, selbst wenn sie durch ein dem ehemaligen deutschen Recht äquivalentes Befreiungsverfahren zustande gekommen sind. Angesichts dieser beträchtlichen, Ungleichbehandlung stellt sich die Frage, ob die nach ausländischem Recht geschlossenen Ehen nicht in analoger Anwendung des Art. 229 § 44 Abs. 1, 2 EGBGB Bestandsschutz genießen.241 Dafür müssten jedoch die Voraussetzungen einer Analogie gegeben sein. Insofern muss eine Regelungslücke bestehen, die aufgedeckte Lücke muss planwidriger Natur sein,242 und es muss eine die Übertragung der Rechtsfolge rechtferti-

insoweit KG 17.2.2020, Az. 3 UF 173/18, BeckRS 2020, 19312: „Eine Übergangsregelung für Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB n. F. ist nicht vorhanden.“ Hier wird allerdings in der Folge eine analoge Anwendung des Art. 229 § 44 Abs. 2 EGBG vorgenommen, die ebenfalls abzulehnen ist (s. nachf. bb)); dies wiederum korrigierend BGH 14.8.2020, Az. XII ZB 131/20, FamRZ 2020, 1533, 1535. Auch Andrae, RPsych 2017, 426, 440 will den Anwendungsbereich des Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB nur auf Ehen erstrecken, die seit dem 22.7.2017 geschlossen werden. Dies lasse sich aus dem Sinn des Art. 229 § 44 Abs. 1–3 EGBGB ableiten, zudem stelle die Eheschließung einen abgeschlossenen Vorgang dar, dessen Wirksamkeit und Aufhebbarkeit sich nach dem im Zeitpunkt der Eheschließung geltenden (Kollisions)Recht bestimme, s. dies., Internationales Familienrecht, § 1 Rn. 134. Diese Sichtweise lässt jedoch unberücksichtigt, dass es mit Art. 229 § 44 Abs. 4 EGBGB eine kollisionsrechtsbezogene Übergangsvorschrift gibt, wonach in Altfällen Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB unter bestimmten Voraussetzungen nicht gilt. Im Wege des argumentum e contrario ist hieraus zu folgern, dass die Vorschrift des Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB für vor dem 22.7.2017 geschlossene Ehen uneingeschränkt Anwendung finden soll. Vgl. dazu a. Wall, StAZ 2018, 96, 99; MüKo/Wellenhofer, 8. Aufl., 2021, Art. 229 § 44 EGBGB Rn. 7; Toman/Olbing, Die ausländische Frühehe vor dem allgemeinen Gleichheitssatz, in: Die Frühehe im Recht, 2021, 217, 233. 240 Zur verfassungsrechtlichen Bewertung, s. Kap. 4 B. III. 1. b). 241 So jedenfalls KG 17.2.2020, Az. 3 UF 173/18, BeckRS 2020, 19312, unter II. 2. b) dd); Hüßtege, FamRZ 2017, 1374, 1376; vgl. a. Andrae, IPRax 2021, 522, 525; ablehnend BGH 14.8.2020, Az. XII ZB 131/20, FamRZ 2020, 1533, 1535; Grüneberg/ Siede, 81. Aufl., 2022, Art. 229 § 44 EGBGB Rn. 1. 242 Zum Begriff der Gesetzeslücke: Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, 15 ff.

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gende Vergleichbarkeit zwischen dem von der Norm erfassten Fall und dem ungeregelten Sachverhalt vorliegen.243 Nach den vorausgegangenen Ausführungen unterfallen nach ausländischem Recht im besagten Zeitraum vor Geltung des KEhenBekG zustande gekommene Ehen nicht der als Analogiebasis herangezogenen Norm des Art. 229 § 44 Abs. 1, 2 EGBGB. Eine Regelungslücke liegt also zweifelsfrei vor. Probleme bereitet indes die Feststellung der Planwidrigkeit der ermittelten Lücke. Diese ist anzunehmen, wenn der Gesetzgeber den Fall vergessen oder übersehen hat oder aufgrund eines erst nachträglich eingetretenen sozialen Wandels überhaupt nicht erfassen konnte.244 Angesichts der Tatsache, dass der Gesetzgeber bei der Reform auch und im Besonderen nach ausländischem Recht geschlossene Minderjährigenehen im Blick hatte, lässt sich die These einer analogen Anwendung des Art. 229 § 44 Abs. 1, 2 EGBGB kaum aufrechterhalten.245 Im Fall des Art. 229 § 44 Abs. 1 EGBGB war die maßgebliche Wertentscheidung des Gesetzgebers246 darauf gerichtet, lediglich die ohnehin selten vorkommenden247, nach deutschem Eheschließungsstatut zustande gekommenen Altehen den milderen Aufhebungsvorschriften des alten Rechts zu unterstellen.248 Die Norm sollte so möglichst begrenzte Heilungswirkung entfalten, um das allgemeine Ziel der Geringhaltung von Minderjährigenehen nicht zu gefährden.249 243 Genauer hierzu: Beaucamp, AöR 134 (2009), 83, 84 ff.; Schwacke, Juristische Methodik: mit Technik der Fallbearbeitung, 133 ff. 244 So ausdrücklich Beaucamp, AöR 134 (2009), 83, 85; vgl. a. Hirsch, JZ 2007, 853, 856; Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre: ein Lehrbuch, 634 f.; BVerfG 3.4.1990, Az. 1 BvR 1186/89, BVerfGE 82, 6, 12. 245 So i. E. auch Coester-Waltjen, IPRax 2017, 429, 433; dies., IPRax 2019, 127, 129; Dürbeck, FamRZ 2018, 553, 563; Erbarth, FamRB 2019, 425, 426; a. A. KG 17.2.2020, Az. 3 UF 173/18, BeckRS 2020, 19312, Rn. 24 ff., ebenso mit Verweis auf die Gesetzesbegründung. 246 Diese bildet die Grenze jeder ergänzenden Rechtsfortbildung, s. Looschelders/ Roth, Juristische Methodik im Prozeß der Rechtsanwendung, 309. Gleichermaßen von einer „bewussten gesetzgeberischen Entscheidung“ sprechend BGH 14.8.2020, Az. XII ZB 131/20, FamRZ 2020, 1533, 1535. 247 Majer, NZFam 2019, 659, 661. 248 Ebenso gegen eine analoge Anwendung BGH 14.8.2020, Az. XII ZB 131/20, FamRZ 2020, 1533, 1535. Fälschlicherweise hat das AG Tempelhof-Kreuzberg den Bestand einer am 10.9.2001 nach libanesischem Recht geschlossenen Ehe mit Verweis auf Art. 229 § 44 Abs. 1 EGBGB unangetastet gelassen, s. AG Tempelhof-Kreuzberg 14.11.2018, Az. 160 F 13324/18, BeckRS 2018, 53363, Rn. 11. 249 Andererseits kommt eine vollkommene Unschädlichmachung der Heilungsklausel in Gestalt einer entsprechenden Anwendung des Art. 13 Abs. 3 EGBGB auf die vor Erlass des Gesetzes nach inländischem Eheschließungsstatut geschlossenen Ehen, wie sie Majer, NZFam 2019, 659, 661 vorschlägt, nicht in Betracht. Die Heilungsklausel des Art. 229 § 44 Abs. 1 EGBGB liefe andernfalls leer, außerdem widerspicht eine derartige Vorgehensweise eklatant dem Wortlaut des Art. 13 Abs. 3 EGBGB, der nur auf Ehen anwendbar ist, bei denen „die Ehemündigkeit eines Verlobten [. . .] ausländischem Recht unterliegt“.

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Nach dem unmissverständlichen Willen des Gesetzgebers sollte sich zudem der aus Art. 229 § 44 Abs. 2 EGBGB erwachsende Bestandsschutz nur auf solche Ehen erstrecken, die unter Befreiung vom Ehemündigkeitserfordernis nach inländischem Eheschließungsstatut zustande gekommen sind. Ehen, die im Ausland durch gerichtliche oder behördliche Dispenserteilung nach der dortigen Rechtsordnung geschlossen wurden, sollten gerade nicht erfasst sein. Insofern hat der Gesetzgeber mit voller Absicht nur nach deutschem Recht vor Erreichen der Volljährigkeit geschlossene Ehen in den Gesetzestext aufgenommen, um die Wirksamkeitsfolge nur auf ebendiese Fälle zu beschränken.250 Außerdem lässt sich auch daran zweifeln, ob überhaupt eine „wertungsmäßige Gleichheit“ 251 zwischen dem vom Gesetzgeber geregelten und dem zur Beurteilung stehenden Sachverhalt gegeben ist. In diesem Zusammenhang darf man sich nicht mit der Feststellung begnügen, dass die Ehegatten einer nach ausländischem Eheschließungsstatut unter Ausnutzung der Befreiungsmöglichkeit geschlossenen Ehe im Vergleich zu den Beteiligten einer nach inländischem Recht vollzogenen Ehe ein nicht minder großes Interesse daran haben, dass ihre vor Inkrafttreten des KEhenBekG geschlossene Ehe nicht vom Aufhebungsgebot des § 1303 S. 1 BGB tangiert wird. Vielmehr ist zu prüfen, ob der Gesetzgeber bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie beim Erlaß der entsprechend anzuwendenden Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen wäre.252 Das Regelungskonzept des Art. 229 § 44 Abs. 2 EGBGB basierte auf der gesetzgeberischen Überzeugung, dass Altehen, die unter Befreiung vom Erfordernis der Volljährigkeit gem. § 1303 Abs. 2–4 BGB a. F. geschlossen wurden, schutzwürdig seien und ihnen demgemäß rechtlich die volle Wirksamkeit zukommen sollte. So waren die Dispensregelungen des deutschen materiellen Rechts von dem Bemühen getragen, unter Berücksichtigung des individuellen Reifegrads der Minderjährigen eine Eheschließung nur zuzulassen, wenn sie zum geplanten Zeitpunkt das Wohl der Minderjährigen nicht gefährdete.253 Diese dem Dispensverfahren inhärente Schutzgarantie hat in Art. 229 § 44 Abs. 2 EGBGB ihren besonderen und verbindlichen Niederschlag gefunden. Da je nach den Gegebenheiten des jeweiligen nationalen Rechts die Voraussetzungen einer Dispenserteilung divergieren, lässt sich dieser in § 1303 Abs. 2–4 BGB a. F. verankerte Grundgedanke indes nicht auf sämtliche ausländische Rechtsordnungen übertra250

So auch BGH 14.8.2020, Az. XII ZB 131/20, FamRZ 2020, 1533, 1535. Würdinger, AcP 206 (2006), 946, 953. 252 BGH 13.7.1988, Az. IVa ZR 55/87, NJW 1988, 2734; BGH 16.7.2003, Az. VIII ZR 274/02, NZM 2003, 679, 681; BGH 24.8.2016, Az. XII ZB 351/15, NJW 2016, 3174, 3175; BGH 10.10.2018, Az. XII ZB 231/18, NJW 2019, 153, 154; BGH 22.4. 2020, Az. XII ZB 383/19, NJW 2020, 1955, 1959; s. insb. BGH 14.8.2020, Az. XII ZB 131/20, FamRZ 2020, 1533, 1535. 253 Vgl. Lack, StAZ 2013, 275, 276. 251

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gen, die eine Befreiung vom Ehemündigkeitserfordernis für minderjährige Heiratsaspiranten (teilweise deutlich großzügiger) zulassen.254 Insofern wäre der gegenüber fremden Rechtsvorstellungen allgemein skeptische Gesetzgeber bei Befreiungen vom Ehemündigkeitserfordernis nach ausländischem Recht eher von einem reduzierten Schutzniveau ausgegangen, als dass er sie den Befreiungsverfahren nach § 1303 Abs. 2–4 BGB a. F. gleichgestellt hätte.255 Die Wertung, die Art. 229 § 44 Abs. 2 EGBGB zugrunde liegt, ist Ausdruck eines nationalstaatlich geprägten Rechtsdenkens, wonach lediglich inländische, nachweislich unter Beachtung des Minderjährigenschutzes geschlossene Ehen schützenswert sind. Es wäre also wertungsmäßig inkonsistent, dem Gesetzgeber im Hinblick auf inund ausländische Dispensverfahren dieselbe Einstellung zu unterstellen. Nichts lag ihm nämlich ferner, als eine unter unerwiesenen Schutzstandards zustande gekommene Minderjährigenehe zu einer für den deutschen Rechtsbereich vollwirksamen Ehe zu machen. Der Gesetzgeber wollte vielmehr die mit den fremden Rechtssystemen einhergehenden Unsicherheiten durch die Aufhebbarkeitsregelung beseitigen. Zwischen der geregelten und der nicht erfassten Falllage ist demnach (aus der maßgeblichen Sicht des Gesetzgebers) keine Vergleichbarkeit gegeben, sodass die Analogievoraussetzungen auch insofern nicht erfüllt sind. Der hinter Art. 229 § 44 Abs. 1, 2 EGBGB stehende Grundgedanke des Bestandsschutzes lässt sich nach der Vorstellung des Gesetzgebers also nicht auf die nach ausländischem Heimatrecht der Beteiligten geschlossenen Ehen übertragen. Das KEhenBekG in seiner Gesamtheit ist ein Zeugnis gesetzgeberischen Misstrauens gegenüber den Eherechtssystemen anderer Staaten und zielt auf die Abwehr anders gestalteter Eherechte ab. Aus diesem Grund muss die angedachte Analogie scheitern. 5. Verfassungskonforme Auslegung des § 1314 Abs. 1 BGB Womöglich gestattet die Formulierung „kann“ in § 1314 Abs. 1 BGB den Gerichten, jenseits der in der Gesetzesbegründung aufgelisteten Ausnahmefälle des § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BGB von einer Aufhebung abzusehen, wenn gewichtige Umstände die Aufrechterhaltung der Ehe rechtfertigen. Prüfungsbedürftig bleibt also, ob das Fehlen einer Bestätigung und besonderer Umstände im Sinne der Härtefallklausel zwingend zur Aufhebung der vor Volljährigkeitseintritt geschlossenen Ehe führt256 oder ob angesichts der Formulierung als „Kann“-Vorschrift 254 Zu den unterschiedlichen Ausgestaltungsmöglichkeiten des Dispenses, s. MaxPlanck-Institut für Ausländisches und Internationales Privatrecht, RabelsZ 84 (2020), 705, 732 ff. 255 Ebenso BGH 14.8.2020, Az. XII ZB 131/20, FamRZ 2020, 1533, 1535. 256 Entgegen des Wortlauts des § 1314 Abs. 1 BGB eine gerichtliche Aufhebungspflicht annehmend BeckOGK/Otto, 1.1.2022, § 1315 BGB Rn. 12; Löhnig, FamRZ 2018, 749, 750; Erbarth, FamRB 2018, 296, 297; Antomo, ZRP 2017, 79, 80; CoesterWaltjen, IPRax 2019, 127, 129; Andrae, RPsych 2017, 426, 440; Rauscher, NJW 2018, 3421, 3422; Makowsky, RabelsZ 83 (2019), 577, 602; ein „generelles Ermessen“ aus-

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§ 1314 Abs. 1 BGB den Gerichten womöglich einen Ermessensspielraum hinsichtlich der Aufhebungsentscheidung gewährt.257 Nach vielfach vertretener Ansicht lässt das „Zusammenspiel“ der §§ 1314, 1315 BGB nur den Schluss zu, dass die Gerichte vorbehaltlich der in § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BGB genannten Konstellationen die Aufhebung stets auszusprechen hätten.258 Die systematische Einbettung des § 1314 BGB als Vorläufer zum darauffolgenden § 1315 BGB führe dazu, dass der „Kann“-Wortlaut in § 1314 Abs. 1 BGB zwingend im Zusammenhang mit § 1315 BGB zu lesen sei, folglich eine Ehe zwar aufgehoben werden „kann“, allerdings nur in den Ausnahmefällen, die in der nachfolgenden Norm aufgeführt sind.259 Auch mit Blick auf den aus den Gesetzesmaterialien hervortretenden Willen des Gesetzgebers sind gegen eine wortgetreue Auslegung des § 1314 Abs. 1 BGB Zweifel angebracht. Befasst man sich mit den Aussagen in der Gesetzesbegründung, hat der Gesetzgeber scheinbar darauf abgezielt, den Gerichten nur in besonderen Ausnahmefällen ein Abweichen von der Aufhebungsregel zu ermöglichen.260 Zudem hat er dem auf eine Einzelfallprüfung gerichteten Vorschlag des Bundesrats eine eindeutige Absage erteilt, was als bewusste Entscheidung gegen eine Einzelfallprüfung gewertet werden kann. Eine offene und flexible Gesetzesinterpretation stünde demnach in Widerspruch zu der vom Gesetzgeber getroffenen Grundentscheidung, nach der Minderjährigenehen generell zu missbilligen und – abgesehen von wenigen Ausnahmefällen – aufzulösen sind.261 Den Gerichten sollte also gerade kein Erschließend OLG Frankfurt am Main 28.8.2019, Az. 5 UF 97/19, FamRZ 2019, 1853, 1854; ein Ermessen aus verwaltungsrechtlichen Gründen ablehnend Gutmann, ZAR 2021, 108, 113; vgl. a. Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland, BT-Drs. 18/ 12086, 2, wonach die Aufhebung „grundsätzlich immer“ zu erfolgen hat. 257 Für ein gerichtliches Aufhebungsermessen plädieren AG Frankenthal 15.2.2018, Az. 71 F 268/17, FamRZ 2018, 749 und AG Ahaus 30.9.2018, Az. 12 F 59/18, unveröffentl.; ebenso von einem gerichtlichen Ermessen ausgehend AG Mainz 27.2.2018, Az. 35 F 5/18, unveröffentl.; insb. BGH 14.8.2020, Az. XII ZB 131/20, FamRZ 2020, 1533, 1538; Weller/Thomale/Hategan u. a., FamRZ 2018, 1289, 1297 f., die daneben ein behördliches Antragsermessen favorisieren; das gerichtliche Ermessen zwar ablehnend, aber für eine aufhebungsausschließende „EU-rechtskonforme Auslegung“ des § 1314 BGB: Löhnig, FamRZ 2018, 749, 750; BGH 14.8.2020, Az. XII ZB 131/20, FamRZ 2020, 1533, 1536 ff. 258 Ausdrücklich Coester-Waltjen, IPRax 2019, 127, 129. 259 Ebenso Antomo, FamRZ 2020, 1538, 1539. 260 S. die entsprechenden Passagen in Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland, BT-Drs. 18/12086, 2, 15 f., wonach die Aufhebung „grundsätzlich immer zu erfolgen“ habe und „den Regelfall darstellen“ solle. Zudem solle das Aufhebungsverfahren „stringenter ausgestaltet“ werden. Die Härtefallklausel diene dazu, den Gerichten nur „in besonderen Ausnahmefällen“ ein Absehen von der Eheaufhebung zu gestatten. 261 Insofern kann man auch nicht von einer Nachlässigkeit des Gesetzgebers sprechen, wie sie Rohe, StAZ 2018, 72, 79 mit dem Ergebnis einer Rechtsanwendung im Sinne einer einzelfallbezogenen Kindeswohlprüfung annimmt. Das angeführte Regelbeispiel der Unionsrechtswidrigkeit zeigt ostentativ, dass sich der Gesetzgeber der Problematik seiner eng auszulegenden Vorschrift bewusst war.

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messen hinsichtlich der Aufhebung eingeräumt werden, vielmehr haben sie vorbehaltlich der in § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BGB genannten Ausnahmen die Ehe bei Verstoß gegen die Ehemündigkeitsanforderungen stets aufzuheben.262 Eine solche Interpretation des Gesetzes, die im Großen und Ganzen zu einer pauschalen Aufhebbarkeit der betreffenden Minderjährigenehen führt, droht jedoch in verfassungsrechtlich geschützte Positionen der Ehegatten einzugreifen. So verlangt der in Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG verbürgte Minderjährigenschutz eine individuelle Einzelprüfung, die die konkreten Bedürfnisse der jeweiligen Minderjährigen miteinbezieht und ihrem mit zunehmendem Alter bis zur Volljährigkeit anwachsenden Selbstbestimmungsrecht hinreichend Rechnung trägt.263 Ein generelles Aufhebungsgebot, das außerhalb der engen Voraussetzungen des § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BGB keinen Raum für eine Aufrechterhaltung der Ehe lässt, bliebe hinter diesen Schutzanforderungen jedoch weit zurück. Zwar steht den minderjährigen Ehegatten mit Erreichen der Volljährigkeit die Möglichkeit der Bestätigung offen. Ist aber weder das Stadium der mit der Volljährigkeit einhergehenden vollen Entscheidungsfreiheit noch die Schwelle der von § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b BGB erfassten Ausnahmesituationen erreicht, verfällt die Ehe unabhängig von den jeweiligen Einzelfallumständen dem Aufhebungsverdikt. Dabei wird der Gedanke, dass das Kind „ein Wesen mit eigener Menschenwürde und eigenem Recht auf Entfaltung seiner Persönlichkeit“ 264 ist, vollkommen negiert.265 Der gerichtliche Aufhebungszwang hat zudem überschießende Wirkungen, da der Minderjährige bei erfolgter Eheaufhebung nicht in die Volljährigkeit „entlassen“ werden kann, ohne ihm die volle und selbständige Entscheidungsfreiheit im Hinblick auf das Bestehen und die Folgen seiner Ehe zu lassen.266 Mit der Eheaufhebung im Minderjährigenalter bleibt dem Betroffenen nach Erreichen der Volljährigkeit also die Möglichkeit verschlossen, sein weiteres Leben als verheiratet fortzusetzen. Stattdessen wird er nolens volens mit den Folgen seiner aufgehobenen Ehe belastet, ohne die Eheauflösung veranlasst zu haben. Eine unabhängig von den Besonderheiten des Einzelfalls durch die Ge-

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S. Antomo, ZRP 2017, 79, 80. Auch ibid., 82. Dementsprechend nehmen auch die im Elternrecht des Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG wurzelnden Rechtsbefugnisse mit der zunehmenden Fähigkeit der Kinder zu selbstbestimmter und verantwortlicher Lebensführung graduell ab, s. BVerfG 9.2.1982, Az. 1 BvR 845/79, BVerfGE 59, 360, 382; BVerfG 18.4.1989, Az. 2 BvR 1169/84, NJW 1989, 2195, 2196. Zum hohen Grad der Selbstbestimmung bei Kindern im jungen Erwachsenenalter: Wapler, Kinderrechte und Kindeswohl, 402 f. Nicht grundlos wird das Jugendalter als „eigenständiger und prägender Lebensabschnitt mit spezifischen Herausforderungen“ bezeichnet, s. Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland, BT-Drs. 18/11050, 5. 264 BVerfG 29.7.1968, Az. 1 BvL 20/63, 31/66 und 5/67, NJW 1968, 2233, 2235. 265 So auch BGH 14.8.2020, Az. XII ZB 131/20, FamRZ 2020, 1533, 1537. 266 Vgl. BVerfG 13.5.1986, Az. 1 BvR 1542/84, NJW 1986, 1859, 1860; Hertwig, FamRZ 1987, 124, 126. 263

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richte vorzunehmende Aufhebung vernachlässigt somit eklatant die prinzipielle Zielsetzung des Gesetzgebers, dessen Ziel es nicht nur war, die gewisse Rechtsunsicherheit bei der Handhabung der allgemeinen ordre public-Klausel zu beseitigen, sondern vorrangig den Schutz Minderjähriger im sensiblen Bereich der Ehe zu verwirklichen. Zudem ergeben sich aus dem strikten Aufhebungszwang erhebliche Wertungswidersprüche bezogen auf den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Nach der vom BVerfG entwickelten „neuen Formel“ liegt eine Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG vor, wenn eine Gruppe von Normadressaten (genus proximum) im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten.267 Ließe man ein gerichtliches Ermessen nicht zu, so würden deutsche und ausländische Ehen aus unerfindlichen Gründen ungleich behandelt.268 Denn während Ehen, die vor Inkrafttreten des KEhenBekG nach dem ehemaligen deutschen Recht mit Dispens geschlossen wurden, nach der Übergangsregelung des Art. 229 § 44 Abs. 2 EGBGB vom Aufhebungsdiktat ausgenommen sind, unterfallen nach ausländischem Heimatrecht unter Ausnutzung einer gleichwertigen, gerichtlichen oder behördlichen Befreiungsoption geschlossene Ehen der Aufhebung oder gar der Unwirksamkeit, obwohl sie nach den Grundsätzen des bis dahin geltenden deutschen IPR für wirksam befunden wurden. Diese Handhabung widerspräche auch klar dem internationalprivatrechtlichen Grundsatz, wonach ein im Ausland begründetes Statusverhältnis anzuerkennen ist, wenn im Inland unter denselben Voraussetzungen ein Statusverhältnis begründet werden kann.269 Eine weitere sachgrundlose Ungleichbehandlung ergibt sich aus der in Art. 229 § 44 Abs. 4 EGBGB geschaffenen Heilungsklausel. So ist nicht einleuchtend, weswegen zwar für Ehen, die dem Unwirksamkeitsverdikt des Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB unterfallen, eine derartige Heilungsmöglichkeit geschaffen wurde, den im höheren Alter geschlossenen, damit nach Ansicht des Gesetzgebers schützenswerteren, aufhebbaren Auslandsehen aber keine Heilungsoption offensteht.270 Auch in dieser Hinsicht stellte die gesetzgeberische Maßnahme also eine unzulässige Relativierung des grundrechtlichen Schutzgebots aus Art. 3 Abs. 1 GG dar. Im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 i.V. m. Art. 20 Abs. 3 GG sähe sich das extensive Aufhebungsgebot ebenso verfassungsrechtlichen Einwänden ausgesetzt, soweit auch Auslandsehen, die vor dem 22.7.2017 im Alter von mindestens 16 Jah267

Erstmalig BVerfG 7.10.1980, Az. 1 BvL 50, 89/79, 1 BvR 240/79, NJW 1981,

271 f. 268 So auch Frank, StAZ 2019, 129, 134; Erbarth, FamRB 2019, 425, 426; CoesterWaltjen, IPRax 2017, 429, 433; dies., IPRax 2019, 127, 129 f. 269 Vgl. Siehr, RabelsZ 36 (1972), 93, 114. 270 Krit. Erbarth, FamRB 2019, 425, 426; Coester-Waltjen, IPRax 2019, 127, 129; zuletzt auch BGH 14.8.2020, Az. XII ZB 131/20, FamRZ 2020, 1533, 1537.

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ren geschlossen wurden und nicht die Voraussetzungen der Ausnahmeklausel des § 1315 Abs. 1 S. 1 BGB erfüllen, keinen Bestandsschutz genießen und zwingend aufgehoben werden müssen. Die Erkenntnis, dass die zwingende Aufhebung mit dem rechtsstaatlichen Vertrauensgrundsatz konfligiert, hat in Art. 229 § 44 Abs. 2 EGBGB besondere Hervorhebung gefunden, wo – allerdings nur für nach deutschem Eheschließungsstatut unter Ausnutzung der Dispensmöglichkeit geschlossene Ehen – eine Sonderregelung getroffen wurde.271 Entscheidend für die verfassungskonforme Auslegung aber ist, dass der Wortlaut des § 1314 Abs. 1 BGB so offen ist, dass er die genannten grundrechtlichen Bedenken mildern kann. Um dem Ausnahmecharakter des § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BGB auf der einen Seite und dem „Kann“-Wortlaut des § 1314 Abs. 1 BGB auf der anderen Seite Rechnung zu tragen, ist den Gerichten eine eingeschränkte Entscheidungsbefugnis einzuräumen, die es ihnen im Ausnahmefall ermöglicht, von der Aufhebung der jeweiligen Ehe abzusehen.272 Auf diese Weise können die Gerichte die Lebenswelt der beteiligten Ehegatten in den Fokus nehmen und die Gesamtumstände unter Berücksichtigung aller aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen einer umfassenden Würdigung unterziehen. Ergeben die Umstände im Einzelfall, dass die Aufhebung der jeweiligen Ehe in einer Grundrechtsverletzung mündet oder erscheint die Aufrechterhaltung der Ehe aus Kindeswohlgesichtspunkten angezeigt, können die Gerichte vom Regelfall der Aufhebung mithin Abstand nehmen. Weiterhin ergibt sich aus der gesetzessystematischen Ausgestaltung der §§ 1314, 1315 BGB nicht zwingend, dass die „Kann“-Formulierung des § 1314 Abs. 1 BGB nur in Bezug auf die darauffolgende Norm zu verstehen ist. So kann das Zusammenwirken der Normen auch wortgetreu dahingehend gedeutet werden, dass § 1314 BGB die Fälle enumerativ aufzählt, in denen die Ehe einer Aufhebung zugeführt werden kann, während § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BGB die Situationen beschreibt, in denen die Eheaufhebung unter keinen Umständen erfolgen darf. Den Gerichten soll also im Regelfall die Aufhebung obliegen, wobei sie die Ehe aber auch bei Vorliegen eines Aufhebungsgrundes ausnahmsweise aufrechterhalten können (§ 1314 Abs. 1 BGB). Sollte § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BGB einschlägig sein, hat die Aufhebung auf jeden Fall zu unterbleiben. Wollte man sich schließlich unter Berufung auf die in der Gesetzesbegründung vorhandenen Aussagen darauf berufen, dass der Gesetzgeber jede im Minderjährigenalter geschlossene Ehe als kindeswohlwidrig erachtet hat und abgesehen von

271 S. a. BGH 14.8.2020, Az. XII ZB 131/20, FamRZ 2020, 1533, 1537; zust. Rauscher, JR 2021, 579, 580. 272 Aus diesem Grund gibt es auch keinen Anlass für die von Antomo, FamRZ 2020, 1538, 1539 vorgeschlagene teleologische Reduktion des § 1314 BGB. Mit der Gewährung eines begrenzten gerichtlichen Ermessens setzt man sich gerade nicht über den Textbefund des § 1314 Abs. 1 Nr. 1 BGB hinweg.

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den in § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BGB geregelten Sonderfällen alle Ehen ausnahmslos aufheben wollte, so sollte man sich die Grundsätze sachgerechter Gesetzesauslegung vergegenwärtigen. Es gehört zu den unbestrittenen essentialia der juristischen Hermeneutik, dass „subjektive Vorstellungen“ hinter das vorrangige Ziel des Gesetzes zurücktreten können und folglich in ihrer Bedeutung für die Auslegung zu relativieren sind, wenn sie dem übergeordneten Gesetzeszweck entgegenstehen.273 Ausschlaggebend in diesem Zusammenhang ist, dass die in der Gesetzesbegründung bekundete gesetzgeberische Haltung im Gesetzestext keinen ablesbaren Niederschlag gefunden hat und stattdessen das gleichfalls hierin zum Ausdruck kommende Bestreben eines effektiven Minderjährigenschutzes in der Verwendung des Wortes „kann“ deutlich hervortritt. Dass der Gesetzgeber in den Gesetzesmaterialien strikte Äußerungen getroffen hat, kann also nicht als Argument dafür herhalten, sich im Rahmen der Auslegung von dem eigentlichen legislativen Zweck des Minderjährigenschutzes als dem Leitgedanken des KEhenBekG zu entfernen. In diesem Sinne ist hier die Aussage zutreffend, dass „das Gesetz klüger sein [kann] als seine Verfasser“.274 Der Richter hat schließlich danach zu fragen, was mit der Regelung in Anbetracht des konkreten Auslandssachverhalts bezweckt werden sollte, wobei er sich bei der Entscheidungsfindung an grundrechtlichen Wertentscheidungen zu orientieren hat.275 Nur eine wortgetreue Auslegung eröffnet den Gerichten den notwendigen, inhaltlich eingeschränkten Ermessensspielraum, um eine einzelfallbezogene Prüfung276 in der Weise vorzunehmen, als dass von einer Aufhebung dann Abstand genommen werden kann, wenn gewichtige Umstände dagegen sprechen und die Aufrechterhaltung der Ehe aus Minderjährigenschutzaspekten geboten ist. Eine solche Auslegungsvariante beugt der Verfassungs- und Unionsrechtswidrigkeit des deutschen Rechts in dieser Frage vor und trägt dem gesetzgeberischen Normerhaltungsinteresse277 ausreichend Rechnung. Die Weigerung, den in § 1314 Abs. 1 BGB vorhandenen Ermessensmechanismus in Gang zu setzen und so dem Postulat des Minderjährigenschutzes gerecht zu werden, liefe dagegen dem Schutz der (ehemals) minderjährigen Ehegatten als vorrangigem Gesetzesanliegen zuwider.

273

Vgl. Hirsch, JZ 2007, 853, 855. So der berühmte Ausspruch Gustav Radbruchs („Der Ausleger kann das Gesetz besser verstehen als seine Schöpfer es verstanden haben, das Gesetz kann klüger sein als seine Verfasser – es muss sogar klüger sein als seine Verfasser“) in seinem Werk Rechtsphilosophie, 8. Aufl., 1973, 207. Vgl. a. BVerfG 29.1.1974, Az. 2 BvN 1/69, BVerfGE 36, 342, 362. 275 Hirsch, JZ 2007, 853, 855. 276 Zur Notwendigkeit einer Einzelfallprüfung: Heiderhoff, Flüchtlinge und IPR – eine Einführung, in: Migration und IPR, 2019, 9, 21 f.; Plich, RPsych 2017, 299, 303 f.; Coester, FamRZ 2017, 77, 79 f. 277 Dazu genauer Looschelders/Roth, Juristische Methodik im Prozeß der Rechtsanwendung, 177 m.w. N.; s. a. Weber, Grenzen EU-rechtskonformer Auslegung und Rechtsfortbildung, 32. 274

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Die Erforderlichkeit eines begrenzten gerichtlichen Ermessens im Rahmen der Aufhebung ergibt sich auch aus der Missbrauchsgefahr, die einem generellen Aufhebungsgebot systemimmanent wäre: Selbst im Falle einer zwar im Minderjährigenalter geschlossenen, aber jahrelang gutgläubig gelebten Ehe könnten die Ehegatten den Aufhebungsantrag stellen und – in Ermangelung der in § 1315 Abs. 1 S. 1 BGB statuierten Ausnahmevoraussetzungen – vom Gericht die Aufhebung der Ehe erzwingen, ohne eine Scheidung durch richterliche Entscheidung nach § 1564 BGB in die Wege leiten und etwa den Nachweis des Scheiterns der Ehe nach § 1565 Abs. 1 BGB erbringen zu müssen.278 Die Gesetzeslage schüfe dadurch geradezu den Anreiz, das vergleichsweise unkomplizierte und erfolgsversprechende Aufhebungsverfahren als Ersatz zum langwierigen Scheidungsverfahren zu durchlaufen und sich auf diese Weise beispielsweise den Ablauf eines Trennungsjahres nach § 1565 Abs. 1 BGB zu ersparen.279 Insofern ist nach zutreffender, vom BGH mittlerweile ebenso vertretener280, wenn auch in der Literatur mehrheitlich bestrittener Ansicht die originäre Bedeutungsvariante des „Kann“-Wortlauts für die Gesetzesauslegung verbindlich: Bei Fehlen eines Ausschlussgrundes nach § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BGB ist das gerichtliche Ermessen nicht auf Null reduziert. Vielmehr sind die Gerichte auf der Grundlage des § 1314 Abs. 1 Nr. 1 BGB befugt, die Ehe aufrecht zu erhalten, wenn die Aufhebung in keiner Hinsicht aus Kindeswohlgesichtspunkten geboten ist, sondern vielmehr gewichtige Umstände gegen sie sprechen.281 6. Zusammenfassung Insgesamt ist festzustellen, dass das in den reformierten Aufhebungsvorschriften des BGB umgesetzte Schutzkonstrukt für die minderjährigen Ehegatten erhebliche Schwachstellen aufweist. Es ist dem Gesetzgeber nicht gelungen, Klarheit in allen die Aufhebung betreffenden Fragen vom Sachgehalt der Ausnahmetatbestände bis hin zu den rechtlichen Konsequenzen insbesondere auf dem Gebiet des Unterhaltsrechts herzustellen und damit für die Betroffenen umfassend Rechtssicherheit zu schaffen.

278

So im Fall des BGH 14.8.2020, Az. XII ZB 131/20, FamRZ 2020, 1533 ff. Auf die Zurückweisung des Aufhebungsantrags wegen unzulässiger Rechtsausübung ausweichend: Antomo, FamRZ 2020, 1538, 1539. 280 BGH 14.8.2020, Az. XII ZB 131/20, FamRZ 2020, 1533 ff. 281 So sinngemäß BGH 14.8.2020, Az. XII ZB 131/20, FamRZ 2020, 1533, 1538; i. E. auch Andrae, IPRax 2021, 522, 527; im konkreten Fall zum gleichen Ergebnis kommend, allerdings eine teleologische Reduktion des § 1314 BGB oder den Ausweg über die unzulässige Rechtsausübung präferierend Antomo, FamRZ 2020, 1538, 1539; Coester-Waltjen, IPRax 2021, 29, 30 m. Fn. 9 sieht im Vorgehen des BGH eine Überschreitung der Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung; gleichsinnig Löhnig, NJW 2020, 3782, 3783; Dürbeck, ZKJ 2021, 31; Kemper, FamRB 2021, 226, 228. 279

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Verstößt eine Ehe gegen § 1303 S. 1 BGB, wird den zuständigen Landesbehörden die Pflicht zur Stellung des Aufhebungsantrags auferlegt, sofern der minderjährige Ehegatte die Ehe nicht bestätigt hat (§ 1316 Abs. 3 S. 2 BGB). Durch den pauschalen Antragszwang wird das Aufhebungsverfahren unverzüglich in Gang gesetzt, sodass der Status der aufhebbaren Ehe nur von kurzer Dauer ist. Die behördliche Antragspflicht erstreckt sich sogar auf schwere Härtefälle, die im Ergebnis offensichtlich von der Aufhebung ausgenommen sind (§ 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b BGB). Hier wird der Minderjährige in ein aussichtsloses Aufhebungsverfahren mit all seinen Unannehmlichkeiten gedrängt. Für einen grundrechtssensiblen Umgang, wie ihn die Behörden vor der Reform in Ausübung ihres pflichtgemäßen Ermessens unter Beachtung des in Art. 6 Abs. 1 GG garantierten Eheund Familienschutzes pflegten282, bleibt kein Raum mehr. Selbst im zwingend durchzuführenden Aufhebungsverfahren verhindern die eng umgrenzten Voraussetzungen der Härtefallklausel eine ausreichende, einzelfallbezogene Berücksichtigung der Lebenswelt der betroffenen Mädchen und Jungen. Abgesehen von den in der Gesetzesbegründung aufgeführten Beispielsituationen (einer lebensbedrohlichen Erkrankung, einer krankheitsbedingten Suizidgefahr sowie einer drohenden Verletzung des unionsrechtlichen Freizügigkeitsprinzips) vermag die Existenz anderweitiger für die Aufrechterhaltung der Ehe sprechender Gründe – mögen diese auch noch so sehr das Kindeswohl beeinträchtigen – nicht den Ausnahmetatbestand auszulösen. Die im engen Wortlaut des § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b BGB zum Ausdruck kommende, gesetzgeberische Strenge lässt mithin weder die Berücksichtigung weitergehender Belange des minderjährigen Ehegatten selbst noch die Einbeziehung der Interessen gemeinsamer Kinder der Ehegatten zu. Stattdessen wurden die Kriterien der Kindeswohlverträglichkeit und Einzelfallgerechtigkeit durchweg und mit Bestimmtheit als entscheidungstragende Faktoren abgewehrt. Die enge Konzipierung der Härtefallklausel ist allerdings nicht das einzige Problem im Bereich der Aufhebungsvoraussetzungen. Auch im Hinblick auf die Bestätigungsmöglichkeit des § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. a BGB kann sich der Gesetzesinterpret dem rigor iuris nicht entziehen. Bei der Bestätigung handelt es sich um einen rechtstechnischen Begriff, der zwingend ein Mangelbewusstsein und einen kundgegebenen Fortsetzungswillen voraussetzt. Regelungsgegenstand der in Art. 229 § 44 Abs. 1, 2 EGBGB formulierten Überleitungsvorschrift sind ausschließlich nach inländischem Eheschließungsstatut geschlossene Altehen. Da der klare gesetzgeberische Wille eine Anwendung der Übergangsvorschrift im Wege der Analogie verbietet, genießen vor Inkrafttreten des KEhenBekG geschlossene Auslandsehen selbst dann keinen Bestands282 Staudinger/Voppel, 16. Aufl., 2015, § 1316 BGB Rn. 14; vgl. a. MüKo/Wellenhofer, 7. Aufl., 2017, § 1316 BGB Rn. 9; Wolf, FamRZ 1998, 1477, 1486; bezogen auf § 1316 Abs. 3 BGB a. F., s. BGH 11.4.2012, Az. XII ZR 99/10, NJW-RR 2012, 897, 898.

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schutz, wenn sie erst durch gerichtlichen oder behördlichen Dispens ermöglicht wurden. Die vom Gesetzgeber ins Werk gesetzte Verschärfung des Aufhebungsverfahrens „im Interesse des Kindeswohls“ 283 kann sich mangels Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls als kindeswohlwidrig herausstellen und vermag die vom Gesetzgeber angepriesene Orientierung „an den eherechtlichen und kindeswohlorientierten Maßstäben des deutschen Rechts“ 284 oftmals nicht zu gewährleisten. Vor diesem Hintergrund erscheint es geboten, den offenen Wortlaut des § 1314 Abs. 1 Nr. 1 BGB zum Anlass zu nehmen, um von einem extensiven Aufhebungsgebot wieder ein Stück weit Abstand zu nehmen und den Gerichten ein inhaltlich begrenztes Ermessen im Rahmen des Aufhebungsverfahrens zu gewähren. In diesem Sinne ist eine wortgetreue und verfassungskonforme Auslegung der Norm vorzunehmen, damit die Richter im Ausnahmefall von einer kindeswohlwidrigen Aufhebung absehen und so der (übergeordneten) ratio legis letztlich doch genügen können. Selbst wenn im Falle einer im Alter von mindestens 16 Jahren geschlossenen Ehe die engen Voraussetzungen des § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BGB nicht gegeben sind, ist es den Gerichten folglich gestattet, ausnahmsweise von der Aufhebung abzusehen und die Ehe bestehen zu lassen, wenn die Aufhebung unter Minderjährigenschutzgesichtspunkten in keiner Hinsicht geboten ist, sondern vielmehr gewichtige Umstände gegen sie sprechen. Auf diese Weise werden die mit der Eheschließung geschaffenen Lebensrealitäten der Ehegatten individuell gewürdigt und das Problem einer eventuellen Verfassungswidrigkeit des Aufhebungssystems zumindest in gewissem Grad entschärft.285

II. Unwirksamkeit der im Alter von unter 16 Jahren geschlossenen Ehen War einer der Nupturienten im Zeitpunkt der Eheschließung unter 16 Jahre alt, so begründet § 1303 S. 2 BGB nicht etwa nur einen Ehemangel, sondern ordnet die komplette rechtliche Irrelevanz der Eheschließung an, d. h. die Ehe ist von vornherein als unwirksam und nicht geschlossen anzusehen. Bereits vor der Reform waren Eheschließungen in diesem Altersspektrum im Inland nicht zulässig und wurden im Verlauf des Eheschließungsverfahrens vor dem Standesbeamten durch dessen strikte Prüfungspflicht in der Regel verhindert.286 Kam es dennoch vor Vollendung des 16. Lebensjahres zur Eheschließung, so blieb die rechtliche Wirksamkeit der Ehe zunächst unberührt und wurde erst durch die Rechtskraft der gerichtlichen Aufhebungsentscheidung beseitigt. Die zunächst bestehende 283 284 285 286

Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland, BT-Drs. 18/12086, 15. Ibid. Zu den verbleibenden verfassungsrechtlichen Fragen s. Kap. 4 B. III. S. dazu Kap. 2 B. II.

D. Zentrale Auslegungsprobleme de lege lata

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Gültigkeit der ex nunc aufhebbaren Ehe stattete sowohl die Ehegatten als auch die aus der Ehe hervorgegangenen Kinder mit allen status-, sorge- und unterhaltsrechtlichen Wirkungen aus und bot daher den Beteiligten selbst bei späterer Auflösung der Ehe einen beachtlichen Schutz. 1. Kollisionsrechtlicher Geltungsbereich Mit der gesetzlichen Neukonzeption wurden insbesondere solche Ehen anvisiert, die unter der Altersschwelle von 16 Jahren im Ausland nach Maßgabe des jeweiligen Sachrechts gültig geschlossen wurden. Während früher die Wirksamkeit dieser Ehen gem. Art. 13 Abs. 1 EGBGB zunächst nach dem jeweiligen Heimatrecht und anschließend auf der Grundlage des ordre public gem. Art. 6 Abs. 1 EGBGB beurteilt wurde, knüpft die Neuregelung in Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB als Rechtsgrundverweisung an die Sachvorschriften des BGB zur Ehemündigkeit an, sodass die betreffenden Ehen für den deutschen Rechtsbereich als niemals geschlossen behandelt werden.287 Die von Gesetzes wegen eintretende288 Unwirksamkeit der Ehe führt schließlich dazu, dass das Rechtsgeschäft erneut vorgenommen werden muss, um Wirksamkeit entfalten zu können. Während die im Alter von mindestens 16 Jahren geschlossenen, mithin aufhebbaren Ehen im Wege der Bestätigung nach Eintritt der Volljährigkeit geheilt werden können, ist eine nachträgliche Legalisierung der ipso iure unwirksamen Ehen auf diese Weise nicht möglich.289 Insofern wurde der Wille der Ehegatten, an der Ehe festhalten zu wollen, für diese Fallgruppe für unbeachtlich erklärt. Heilende Wirkung entfaltet nach Maßgabe des Art. 229 § 44 Abs. 4 EGBGB lediglich die Vollendung des 18. Lebensjahres des minderjährigen Ehegatten zum Stichtag des

287 Die Unwirksamkeitsregelung war bereits mehrfach Gegenstand von Gerichtsverfahren, s. AG Kassel 7.3.2018, Az. 524 F 3451/17 E1, FamRZ 2018, 1149 f.; OLG Frankfurt am Main 11.1.2019, Az. 5 UF 172/18, juris; AG München 13.5.2019, Az. 721 UR III 116/19, unveröffentl.; AG Fürth 19.6.2019, Az. 4 F 425/18 S, FamRZ 2019, 1855 ff. In ausländerrechtlichen Fallgestaltungen führte sie zur Verneinung des Ehegattennachzugsanspruchs nach § 30 Abs. 1 AufenthG und zur Versagung des entsprechenden Visums, s. VG Berlin 30.11.2017, Az. 5 L 550.17 V, FamRZ 2018, 1466 f.; VG Berlin 19.1.2018, Az. 28 K 418.16 V, juris; VG Berlin 28.9.2018, Az. 3 K 349.16 V, FamRZ 2019, 279 ff.; VG Berlin 16.11.2018, Az. 4 K 486.17 V, InfAuslR 2019, 98 ff. Derzeit wird Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB vom BVerfG verfassungsrechtlich geprüft, s. BGH 14.11.2018, Az. XII ZB 292/16, FamRZ 2019, 181 ff. 288 Unnachgiebig in diesem Punkt Erbarth, NZFam 2021, 9, 16 f. Kritik an der ipso iure-Wirkung übt Andrae, RPsych 2017, 426, 440, die ein Feststellungsverfahren mit erga omnes-Wirkung befürwortet. Zweifelnd auch Rauscher, NJW 2018, 3421, 3422, der auf eine Nichtigerklärung nach den Bestimmungen des Heimatrechts hinwirkt. Diese Ansicht verstößt jedoch gegen den Grundsatz des ärgeren Rechts und ist mit dem gesetzgeberischen Willen, wie er sich in der Folge noch klarer herausstellen wird, nicht vereinbar. 289 Kemper, FamRB 2017, 438, 442. Besondere Kritik hieran übt Rohe, StAZ 2018, 72, 78.

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Kap. 3: Die Gesetzesnovelle

22.7.2017 (Nr. 1) sowie das Fehlen jeglichen Inlandsbezugs bis zum Eintritt seiner Volljährigkeit (Nr. 2).290 Der persönliche Anwendungsbereich der Verweisungsnorm des Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB ist eröffnet, wenn es sich bei dem aus Art. 13 Abs. 1 EGBGB ergebenden Personalstatut des jeweiligen Verlobten im Zeitpunkt der Eheschließung um ausländisches Recht handelt. Für die Bestimmung des Eheschließungsstatuts gelten die oben dargestellten Grundsätze.291 2. Rechtliche Konsequenzen des Unwirksamkeitsverdikts Die aus Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB i.V. m. § 1303 S. 2 BGB resultierende generelle Versagung der Wirksamkeit provoziert einige Fragen, die im Folgenden näher erläutert werden. a) Entstehung hinkender Ehen und Vaterschaften – Bedeutung und Lösungsansätze Anders als im Falle der Einordnung als aufhebbare Ehe292 kann bei der Eheunwirksamkeit nicht über ehe-, vermögens-, unterhalts-, sorge- und kindschaftsrechtliche Folgefragen entschieden werden, weil die unwirksame Ehe von vornherein nicht existiert hat. Da hier also die sich aus §§ 1313 ff. BGB ergebenden Schutzwirkungen nicht greifen und in Ermangelung einer bestehenden Ehe aus dieser keine güterrechtlichen (Art. 15 EGBGB, Art. 26 Abs. 1 EuGüVO293) und erbrechtlichen (Art. 1 Abs. 2 Rom III-VO294, Art. 21 Abs. 1 EuErbVO295) Ansprüche hergeleitet werden können, entstehen dem besonders jungen Partner kaum hinnehmbare Nachteile.296 Zunächst ist der selbst im Falle eines langwäh290 291

Zu den Voraussetzungen genauer 5. a). S. a. Hüßtege, FamRZ 2017, 1374, 1376; genauer zum Eheschließungsstatut: s. o.

I. 1. 292 Die Aufhebbarkeit lässt die Anwendbarkeit des § 1592 Nr. 1 BGB unberührt, s. BeckOGK/Balzer, 1.5.2022, § 1592 BGB Rn. 61; OLG Jena 14.10.2013, Az. 9 W 366/13, FamRZ 2014, 579. 293 Verordnung (EU) 2016/1103 des Rates vom 24. Juni 2016 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Zuständigkeit, des anzuwendenden Rechts und der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Fragen des ehelichen Güterstands (EuGüVO) vom 28.7.2016, ABl. 8.7.2016, L 183/1. 294 Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 des Rates vom 20. Dezember 2010 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich des auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendenden Rechts (Rom III-VO) vom 30.12.2010, ABl. 29.12.2010, L 343/10. 295 Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses (EuErbVO) vom 16.6.2012, ABl. 27.7.2012, L 201/107. 296 „Sanktionskeule des Gesetzgebers“, Grüneberg/Siede, 81. Aufl., 2022, Einf. v. § 1313 BGB Rn. 2; zu den weitergehenden Nachteilen s. Deutsches Institut für Jugend-

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renden Zusammenlebens eintretende vollkommene Verlust des Ehestatus und der damit verbundenen Sicherheiten297 als gewichtiger Nachteil zu verzeichnen. Steuerrechtliche Vorteile bleiben den Ehegatten ebenso verwehrt wie staatliche Leistungen im Sozialrecht (z. B. Witwenrente). Gleichzeitig wird der (volljährige) Ehegatte eines Minderjährigen begünstigt, da er wegen der Unwirksamkeit der Ehe nur nur begrenzt unterhaltsverpflichtet ist.298 Die Option einer erneuten Eheschließung – diesmal mit Wirkung für das deutsche Recht – vermag diese Defizite nicht auszugleichen: Zwar erwüchsen mit dem erneuten Eheschluss nach Maßgabe des § 1360 BGB Ansprüche auf Unterhaltsleistungen und steuerliche Vergünstigungen, allerdings bezögen sich diese nicht auf die vorangegangene Zeit vor der wiederholten Eheschließung. Auch die Höhe des Versorgungsausgleichs (Art. 8 lit. a Rom III-VO i.V. m. Art. 17 Abs. 3 EGBGB) würde durch die Verkürzung der gemeinsamen Ehezeit bei einer zukünftigen Scheidung gemindert.299 Die strikte Nichtanerkennung der Ehe hat zudem Auswirkungen auf den Ehegattennachzug nach § 30 Abs. 1 AufenthG: Da zwischen den ehemaligen Ehegatten keine Ehe besteht, scheidet der Nachzug des im Ausland befindlichen Ehegatten zu seinem Ehepartner oder gemeinsamen Kindern nach Deutschland aus.300 Weiterhin ist zu beachten, dass sich die Unwirksamkeit nur auf den deutschen Rechtsbereich erstreckt und nach ausländischem Recht in aller Regel weiterhin eine vollwirksame Ehe gegeben ist, wodurch die Entstehung unter internationalprivatrechtlichem Blickwinkel unliebsamer, hinkender Eherechtsverhält-

hilfe und Familienrecht, JAmt 2016, 598, 599; Rohe, StAZ 2018, 72, 77 f.; Hüßtege, FamRZ 2017, 1374, 1377 f.; Coester-Waltjen, IPRax 2021, 29, 37; Frank, StAZ 2019, 129, 133; a. A. wohl MüKo/Wellenhofer, 9. Aufl., 2022, § 1303 BGB Rn. 15. 297 Der Ehestatus ist in zentralen Fragen des Namens-, Abstammungs-, Güter-, Unterhalts- und Erbrechts Vorfragegegenstand, so Makowsky, RabelsZ 83 (2019), 577, 585 mit Verweis auf Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, 813. 298 Gem. Art. 15 der Verordnung (EG) Nr. 4/2009 des Rates vom 18. Dezember 2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen (EuUntVO) vom 30.1. 2009, ABl. 10.1.2009, L 7/1, bestimmt sich das auf Unterhaltspflichten anwendbare Recht nach dem Haager Unterhaltsprotokoll vom 23. November 2007 (HUP). Das Unterhaltsstatut ist nach Art. 3 Abs. 1, 2 HUP das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts des Berechtigten, also das deutsche Recht. Demnach beschränkt sich die Unterhaltsverpflichtung auf § 1615l BGB, der nicht miteinander verheirateten Eltern Unterhalt gewährt, s. Majer, NZFam 2019, 659, 660. Zum Ganzen auch Hüßtege, FamRZ 2017, 1374, 1378. 299 Dies verdeutlicht Coester, FamRZ 2019, 282, 283. 300 S. hierzu die ergangenen Entscheidungen VG Berlin 28.9.2018, Az. 3 K 349.16 V, FamRZ 2019, 279 ff.; VG Berlin 16.11.2018, Az. 4 K 486.17 V, InfAuslR 2019, 98 ff.; VG Berlin 30.11.2017, Az. 5 L 550.17 V, FamRZ 2018, 1466 f.; VG Berlin 11.6. 2021, Az. VG 38 K 151/20 V, BeckRS 2021, 30309 (wobei hier die Eheschließung bereits nach syrischem Recht fehlerhaft war); s. a. BeckOGK/Stürner, 1.2.2022, Art. 6 EGBGB Rn. 340; ausführlich Druschke, Der Familienbegriff im deutschen Ausländerrecht, 136.

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nisse befördert und somit eine inkongruente Gesetzeslage im In- und Ausland geschaffen wird.301 Die aus dem Unwirksamkeitsverdikt folgenden rechtlichen Defizite betreffen allerdings nicht nur die Ehegatten selbst, sondern auch ihre aus der Ehe hervorgegangenen Kinder. So kann es im Rahmen einer abstammungsrechtlichen Fragestellung als sog. (internationalprivatrechtliche) Vorfrage auf die Gültigkeit der Ehe ankommen, die nach deutschen Rechtsmaßstäben in der vorliegenden Konstellation als von vornherein nicht existent angesehen wird. Dies kann sich auf die Bestimmung der Abstammung des Kindes in der Weise auswirken, dass keine abstammungsrechtliche Zuordnung zu einem rechtlichen Vater (vgl. § 1592 Nr. 1 BGB) erfolgt. Internationalprivatrechtlich beurteilt sich die Abstammung eines Kindes dabei alternativ nach einer der in Art. 19 Abs. 1 S. 1–3 EGBGB zur Verfügung gestellten Rechtsordnungen, wobei die verschiedenen Anknüpfungspunkte gleichrangig sind.302 Gem. Art. 19 Abs. 1 S. 1 EGBGB richtet sich die Abstammung nach dem Recht des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes303; lebt dieses dauerhaft in Deutschland gelangt also deutsches Sachrecht in Gestalt des § 1592 Nr. 1 BGB zur Anwendung, der die Vaterschaft an den Bestand der Ehe knüpft. Selbst wenn das von der sodann maßgeblichen Norm des Art. 13 Abs. 1 EGBGB304 berufene Heimatrecht die Ehe als wirksam bewertet, ist der Bestand der Ehe letztlich aufgrund des neu eingeführten Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB zu verneinen, sofern die Heilungsvorschrift des Art. 229 § 44 Abs. 4 EGBGB nicht zum Einsatz kommt. Demgemäß wäre das Kind als nichtehelich anzusehen. 301 S. Keil, jurisPR-IWR 2018, Anm. 4; Frank, StAZ 2018, 1, 3; Plich, RPsych 2017, 299, 303; Frie, FamRB 2017, 232, 236; Makowsky, RabelsZ 83 (2019), 577, 584; Yerlikaya-Manzel, Betrifft Justiz 2017, 30, 31; Andrae, RPsych 2017, 426, 438 f. Generell bezogen auf Art. 13 Abs. 3 EGBGB: BeckOGK/Stürner, 1.2.2022, Art. 6 EGBGB Rn. 340. S. a. Hüßtege, FamRZ 2017, 1374, 1377; Rohe, StAZ 2018, 72, 77. 302 BGH 20.4.2016, Az. XII ZB 15/15, NJW 2016, 2322, 2324; BGH 3.5.2006, Az. XII ZR 195/03, NJW 2006, 3416, 3417; MüKo/Helms, 8. Aufl., 2020, Art. 19 EGBGB Rn. 16; Staudinger/Henrich, 18. Aufl., 2019, Art. 19 EGBGB Rn. 22 f.; Erman/Stürner, 16. Aufl., 2020, Art. 19 EGBGB Rn. 17; Grüneberg/Thorn, 81. Aufl., 2022, Art. 19 EGBGB Rn. 6; Hepting, Deutsches und Internationales Familienrecht im Personenstandsrecht, IV–145 f.; a. A. für den Vorrang der Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt: Dethloff, IPRax 2006, 326, 329 f.; Eschbach, Die nichteheliche Kindschaft im Internationalen Privatrecht, 27. 303 Zum Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts: Staudinger/Henrich, 18. Aufl., 2019, Art. 19 EGBGB Rn. 13 f.; BeckOK/Heiderhoff, 62. Ed., 1.5.2022, Art. 19 EGBGB Rn. 11, genauer hierzu 5. a) cc). In Deutschland geborene Kinder von Asylbewerbern haben ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland, s. LG Kassel 20.9.1995, Az. 3 T 602/95, NJW-RR 1996, 1091. 304 Auf die richtige Art der Vorfragenanknüpfung kommt es hier nicht an: Beide Varianten der selbständigen, aus Sicht der lex fori vorzunehmenden Anknüpfung und der unselbständigen Vorfragenanknüpfung unter Zugrundelegung der lex causae führen zur Anwendung deutschen Kollisionsrechts, s. a. Krömer, StAZ 2006, 115.

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Zugleich befragt Art. 19 Abs. 1 S. 2 EGBGB für die Abstammung des Kindes das Recht des Staates, dem der jeweilige Elternteil angehört. Bei Einsatz dieser (alternativen) Zusatzanknüpfung unterliegt die Abstammung also unter Berücksichtigung von Rück- und Weiterverweisungen dem jeweiligen Heimatrecht als Personalstatut. Sollte das maßgebliche Recht aber für die Abstammung ebenfalls auf den Bestand der Ehe abstellen, so gelangt man innerhalb der Prüfung der ausländischen Sachnorm durch die nach zutreffender, herkömmlicher Meinung erforderliche selbständige Anknüpfung dieser Vorfrage305 wieder zunächst zu Art. 13 Abs. 1 EGBGB. Auch bei Wirksamkeit der jeweiligen Ehe nach dem hiernach berufenen Heimatrecht mündet die Prüfung aufgrund des Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB schließlich in der Unwirksamkeit der Ehe mit der Folge, dass ein Abstammungsverhältnis nicht hergeleitet werden kann und das Kind (jedenfalls zunächst) keinen Vater hat. Eine Besonderheit besteht hierbei für Kinder von Flüchtlingen, die dem Grundsatz der Wahrung der Familieneinheit zufolge von ihren Eltern den Flüchtlingsstatus gem. § 26 Abs. 4 AsylG oder aus der Flüchtlingskonvention direkt ableiten.306 Besitzen die Eltern die Staatsangehörigkeit des Staates, aus dem sie entflohen sind, wird die Anknüpfung an dieses Heimatrecht durch die in Art. 12 Abs. 1 GFK enthaltenen Ersatzanknüpfungspunkte des Wohnsitzlandes bzw. Aufenthaltslandes substituiert, da die Unterwerfung der persönlichen Rechtsbeziehungen unter die Regelungen des Verfolgerstaates nicht mit den Interessen der Flüchtlinge in Einklang zu bringen ist.307 Befindet sich der betroffene Elternteil in Deutschland, so gelangt man im Ergebnis also auch in dieser Fallkonstellation trotz der ursprünglich in Art. 19 Abs. 1 S. 2 EGBGB angeordneten Berufung des fremden Abstammungsstatuts direkt über § 1592 Nr. 1 BGB und Art. 13 Abs. 1 EGBGB zur Unwirksamkeit der Ehe nach Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB und zur Ablehnung einer Vater-Kind-Zuordnung aufgrund einer Ehe. 305 So ders., StAZ 2006, 115 f.; Dörner, in: FS Henrich, 119, 127; BGH 22.1.1965, Az. IV ZB 441/64, NJW 1965, 1129, 1130 f.; KG 19.2.1973, Az. 1 W 9292/70, OLGZ, 435, 437; OLG Hamm 29.7.1991, Az. 15 W 147/91, StAZ 1991, 315, 316; Frank, StAZ 2018, 1, 4; differenzierend danach, welche Anknüpfungsalternative die Feststellung eines Abstammungsverhältnisses begünstigt: Staudinger/Henrich, 18. Aufl., 2019, Art. 19 EGBGB Rn. 34; Hepting, Deutsches und Internationales Familienrecht im Personenstandsrecht, IV-197; krit. demgegenüber MüKo/Helms, 8. Aufl., 2020, Art. 19 EGBGB Rn. 50. Zur Vorfragendiskussion, s. nachf. aa). 306 BayObLG 28.2.1974, Az. 1 Z 82/73, BayObLGZ 1974, 95, 100; AG Berlin-Schöneberg 8.8.1995, Az. 70 III 153/95, StAZ 1996, 209; Erman/Stürner, 16. Aufl., 2020, Art. 5 EGBGB Rn. 82; MüKo/v. Hein, 8. Aufl., 2020, Anh. II Art. 5 EGBGB Rn. 55; Grüneberg/Thorn, 81. Aufl., 2022, Anh. Art. 5 EGBGB Rn. 21; Henrich, StAZ 2016, 1, 4; a. A. OLG Düsseldorf 20.3.1989, Az. 3 Wx 105/89, StAZ 1989, 281, 282; Lass, Der Flüchtling im deutschen internationalen Privatrecht, 48 ff. 307 MüKo/v. Hein, 8. Aufl., 2020, Anh. II Art. 5 EGBGB Rn. 61; Mankowski, IPRax 2017, 40, 41; zur Zielsetzung des Art. 12 Abs. 1 GFK, s. Arnold, Der Flüchtlingsbegriff der Genfer Flüchtlingskonvention im Kontext des Internationalen Privatrechts, in: Migration und IPR, 2019, 25, 26 ff.

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Auch die dritte Anknüpfungsmöglichkeit des gesetzlichen Ehewirkungsstatuts nach S. 3 vermag vorliegend keine Vaterschaft zu begründen.308 Hier ist die Frage nach der Wirksamkeit der Ehe als sog. „Erstfrage“ aufzufassen, die in der Regel ebenfalls selbständig unter Zugrundelegung der lex fori anzuknüpfen ist.309 Zunächst gelangt man über das deutsche Kollisionsrecht (Art. 13 Abs. 1 EGBGB) zur Anwendung des Heimatrechts des Ehegatten, wonach möglicherweise eine wirksame Ehe vorliegt. Letztlich greift aber auch hier schließlich die Unwirksamkeitsregel des Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB. Während die ex nunc wirkende Aufhebung nichts an der rechtlichen Vaterschaft gemeinsamer Kinder ändert, geht mit der Unwirksamkeit ein unwiderbringlicher Verlust des familienrechtlichen Status einher. Die Entziehung der rechtlichen Vaterschaft kann letztlich nur durch eine Anerkennung der Vaterschaft (§ 1592 Nr. 2 i.V. m. § 1594 BGB) oder ein Vaterschaftsfeststellungsverfahren (§ 1592 Nr. 3 i.V. m. § 1600d BGB) behoben werden.310 Hierfür benötigt der minderjährige Ehegatte gem. § 1596 Abs. 2 S. 2 BGB die Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters. Sollte er unbegleitet eingereist sein, ist dies der bestellte Vormund. Bei fortdauernder Minderjährigkeit einer minderjährigen Ehegattin ist weiterhin zu beachten, dass auch das Kind selbst wegen Ruhens der elterlichen Sorge der minderjährigen Mutter nach Maßgabe des § 1673 Abs. 2 BGB einen Vormund bekäme.311 Vor dem Hintergrund dieser bedenklichen Folgen sind die rechtlichen Rahmenbedingungen daraufhin auszuloten, ob man im Wege einer korrigierenden Auslegung zu angemesseneren Ergebnissen gelangen kann. aa) Unselbständige Anknüpfung im Rahmen des Art. 19 Abs. 1 S. 2 EGBGB Vorstellbar wäre, für die Beantwortung der Vorfrage im Zusammenhang mit der Prüfung des Art. 19 Abs. 1 S. 2 EGBGB auf die Rechtsordnung zurückzugreifen, die über die Hauptfrage entscheidet, um auf diese Weise den Weg für eine mögliche Vater-Kind-Zuordnung zu ebnen.312 Diese Verfahrensweise ist nur dort als Problembehandlung geeignet, wo eine Ersatzanknüpfung durch Art. 12 Abs. 1 GFK nicht erfolgt, das durch Art. 19 Abs. 1 S. 2 EGBGB berufene Heimatrecht also tatsächlich zur Anwendung kommt. Die unselbständige Anknüpfung der

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Insoweit feststellend Frank, StAZ 2018, 1, 4. S. MüKo/Helms, 8. Aufl., 2020, Art. 19 EGBGB Rn. 46, 48. 310 S. a. Kemper, FamRB 2017, 438, 442; Makowsky, RabelsZ 83 (2019), 577, 585. 311 Yerlikaya-Manzel, Betrifft Justiz 2017, 30, 31. 312 So verfahren BeckOK/Heiderhoff, 62. Ed., 1.5.2022, Art. 19 EGBGB Rn. 41; Staudinger/Henrich, 18. Aufl., 2019, Art. 19 EGBGB Rn. 34; Erman/Stürner, 16. Aufl., 2020, Art. 19 EGBGB Rn. 24; MüKo/Helms, 8. Aufl., 2020, Art. 19 EGBGB Rn. 51; Grüneberg/Thorn, 81. Aufl., 2022, Art. 19 EGBGB Rn. 8; Andrae, Internationales Familienrecht, § 1 Rn. 126; Lohse/Meysen, JAmt 2017, 345, 346. 309

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Vorfrage nach dem Recht der lex causae313 führte zur Maßgeblichkeit des vom fremden Kollisionsrecht berufenen Rechts, das die Voraussetzungen des vorgreiflichen Eherechtsverhältnisses sodann beherrscht. Da sich die Wirksamkeit der Ehe in diesem Fall nicht nach dem deutschem Kollisionsrecht bemisst, gelangten Art. 13 Abs. 1 und 3 EGBGB nicht zur Anwendung, sodass die Ehe im Ergebnis womöglich – je nach Ausgestaltung des berufenen fremden Rechts und unter Vorbehalt des ordre public nach Art. 6 EGBGB314 – doch Wirksamkeit entfalten und eine Zuordnung des Kindes zum Vater ermöglichen könnte. Die Interpretation als unselbständige Anknüpfung lässt sich durch weitere Überlegungen erhärten: Zunächst steht das Ergebnis einer abstammungsrechtlichen Zuordnung zum Ehemann der Mutter in Einklang mit dem Günstigkeitsprinzip315, das innerhalb des Art. 19 Abs. 1 EGBGB Geltung beansprucht. Außerdem bekräftigt insbesondere der Sinngehalt der abstammungsrechtlichen Bestimmungen die Maßgeblichkeit des fremden Kollisionsrechts für die Bewertung der Wirksamkeit der Ehe. So basiert die Vater-Kind-Zuweisung zum Ehemann der Mutter auf dem Grundgedanken, dass der Ehemann aufgrund der Beiwohnungsvermutung sehr wahrscheinlich der Erzeuger des Kindes ist, aber auch unabhängig von einer biologischen Verwandtschaft jedenfalls mit hoher Wahrscheinlichkeit in sozialer Hinsicht als männliche Hauptbezugsperson eine väterliche Beziehung zu dem Kind pflegen wird.316 Ob aber aus der Perspektive des deutschen Rechts die Ehe als wirksam geschlossen anzusehen ist, ist für beide Kriterien irrelevant. Daher sollte mit der Frage nach einem ausreichenden Fundament für eine Vater-Kind-Zuordnung allein das jeweilige fremde, über die Abstammung entscheidende Recht betraut werden, um nicht den zusammenhängenden Abstammungskomplex durch die selbständige Anknüpfung der abstammungsrechtlichen Vorfrage der Ehewirksamkeit aufzuspalten und die nach fremdem Recht gegebene Ehelichkeit als Abstammungsindiz zu ignorieren. Es erscheint also prima facie naheliegend, die Einschätzung des fremden Rechts über das Bestehen eines Abstammungsverhältnisses gebührend zu würdigen und die rechtliche Zuordnung des Kindes zum Ehemann im deutschen Rechtsbereich danach auszurichten.317 313 Diese befürwortend MüKo/Helms, 8. Aufl., 2020, Art. 19 EGBGB Rn. 49, 51; ders., StAZ 2009, 293, 297. 314 S. Andrae, Internationales Familienrecht, § 1 Rn. 126; Lohse/Meysen, JAmt 2017, 345, 346. 315 Hiernach soll die das Wohl des Kindes am ehesten fördernde Rechtsordnung zur Anwendung gelangen. Näher hierzu Andrae, Internationales Familienrecht, § 7 Rn. 29 ff.; BeckOK/Heiderhoff, 62. Ed., 1.5.2022, Art. 19 EGBGB Rn. 23 ff.; s. a. Grüneberg/Thorn, 81. Aufl., 2022, Art. 19 EGBGB Rn. 6; krit. MüKo/Helms, 8. Aufl., 2020, Art. 19 EGBGB Rn. 17 („untaugliche Leerformel“). 316 S. a. MüKo/Helms, 8. Aufl., 2020, Art. 19 EGBGB Rn. 49; ders., StAZ 2009, 293, 297; vgl. zu Beischlafsvermutung: Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland, BR-Drs. 13/4899, 52. 317 MüKo/Helms, 8. Aufl., 2020, Art. 19 EGBGB Rn. 49; ders., StAZ 2009, 293, 297.

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Auf der Grundlage der von einer fremden Rechtsordnung vorgenommenen Bewertung der Ehe eine Abstammungsbeziehung zu begründen, unterliefe indes das Diktat der strikten Rechtsfolgenlosigkeit, dem der nationale Gesetzgeber im Rahmen des KEhenBekG die von Minderjährigen im Alter von unter 16 Jahren geschlossenen Ehen unterworfen hat. Unwirksame Ehen sollen laut Gesetzesbegründung „keinerlei Rechtswirkung“, also auch im abstammungsrechtlichen Sinne keine Wirkung zeitigen.318 Zudem wurden mit der Reform die Wirkungen des nach Art. 13 Abs. 1 EGBGB grundsätzlich zur Anwendung berufenen Heimatrechts der Eheschließenden für die Frage der Ehemündigkeit eingeschränkt.319 Es wirkte gekünstelt, sich allein zum Zwecke der Schaffung einer Abstammungsbeziehung auf die fremde Rechtsordnung zu stützen, die nach deutschen Rechtsmaßstäben durch die Einführung der speziellen ordre public-Klausel des Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB320 für die Frage der Bewertung der Wirksamkeit von Ehen gerade für untauglich befunden wurde.321 Das in Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB zum Ausdruck gebrachte Misstrauen gegenüber allen in der Frage der

318 Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland, BT-Drs. 18/12086, 15. Dies betonend BGH 14.11.2018, Az. XII ZB 292/16, FamRZ 2019, 181, 185; Makowsky, RabelsZ 83 (2019), 577, 594. 319 Dementsprechend soll es nach den Gesetzesmaterialien bspw. „im Rahmen des deutschen Aufhebungsverfahrens nicht mehr auf das Ehemündigkeitsalter des ausländischen Rechts [ankommen]“, s. Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland, BT-Drs. 18/12086, 16. Dies unterstreicht auch BGH 14.11.2018, Az. XII ZB 292/16, FamRZ 2019, 181, 185. 320 So BGH 14.11.2018, Az. XII ZB 292/16, FamRZ 2019, 181, 185; KG 17.2.2020, Az. 3 UF 173/18, BeckRS 2020, 19312; Wall, StAZ 2018, 96, 98; ders., StAZ 2018, 194, 197; Weller/Thomale/Hategan u. a., FamRZ 2018, 1289, 1293 f.; BeckOK/Mörsdorf, 62. Ed., 1.2.2022, Art. 13 EGBGB Rn. 26; Erman/Hohloch, 15. Aufl., 2017, Art. 13 EGBGB Rn. 41c; Erbarth, FamRB 2018, 338, 339; Majer, NZFam 2017, 537, 540; ebenso Mankowski, FamRZ 2016, 1274, 1276; Rohe, StAZ 2018, 72, 76; s. vertiefend und mit ausführlicher Begründung Makowsky, RabelsZ 83 (2019), 577, 580; Andrae, Internationales Familienrecht, § 1 Rn. 119; die Norm hingegen dogmatisch als Eingriffsnorm mit sachrechtlichem (Rechtsfolgen)Gehalt einordnend: BeckOGK/ Stürner, 1.2.2022, Art. 6 EGBGB Rn. 125; Grüneberg/Thorn, 81. Aufl., 2022, Art. 13 EGBGB Rn. 3, 20; HK-BGB/Kemper, 11. Aufl., 2021, Art. 13 EGBGB Rn. 13; Hausmann, in: Internationales und Europäisches Familienrecht, 2. Aufl., 2018, 1. Teil A. II. 4. 60. b) Rn. 635; Coester-Waltjen, IPRax 2017, 429, 432; Ring, FF 2019, 75; vgl. a. Coester-Waltjen, Polygamie und sonstige Eheverbote, in: Migration und IPR, 2019, 129, 135 f.; Zimmermann, StAZ 2018, 133, 134; nach BeckOGK/Rentsch, 1.5.2022, Art. 13 EGBGB Rn. 51 stellt die Vorschrift ein zwischen positivem ordre public und Ehehindernis stehendes „Hybridgebilde“ dar. Der Streit ist aber eher dogmatischer Natur, denn jedenfalls setzt sich das Eingriffsrecht im Wege der unbedingten Sonderanknüpfung grundsätzlich gegenüber einem durch Regelkollisionsnormen berufenen fremden Recht durch (Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht – Bd. 1: Allgemeine Lehren, § 7 Rn. 275; dazu weitergehend Staudinger/Voltz, 15. Aufl., 2013, Art. 6 EGBGB Rn. 24 ff.; MüKo/v. Hein, 8. Aufl., 2020, Art. 6 EGBGB 92 f.). Durch die Kupierung der Verweisung des Art. 13 Abs. 1 EGBGB kommt letztlich das allgemeine Eheschließungsstatut für die Ehemündigkeitsfrage gar nicht zum Zuge, ins Gewicht fallen nur die Vorgaben des deutschen Sachrechts, s. a. Wall, StAZ 2018, 194, 197.

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Ehemündigkeit vom deutschen Recht abweichenden Rechtsordnungen lässt eine Berufung auf das fremde Recht in der Vorfrage eindeutig nicht zu. Vielmehr muss der Nichtigkeitsgedanke auf kollisionsrechtlicher Ebene vollends realisiert und damit die Frage der Wirksamkeit der Ehe konsequent auf Grundlage der lex fori gelöst werden, um eine Umgehung des gesetzgeberischen Zwecks zu vermeiden. Andernfalls würde man die ausdrücklich angeordnete Nichtbeachtung des ausländischen Eherechts ignorieren. Die unselbständige Vorfragenanknüpfung stellt mithin keine geeignete Methode dar, um die unliebsame Versagung der rechtlichen Vater-Kind-Zuordnung durch Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB zu unterbinden. bb) Bewertung als kraft Gesetzes aufgehobene Ehe analog § 1318 BGB Als weiteren denkbaren Lösungsansatz könnte man die betroffenen nach ganz herrschendem Verständnis unwirksamen Ehen als kraft Gesetzes aufgehobene Ehen einordnen und konsequenterweise sowohl sämtliche Ansprüche des minderjährigen Ehegatten als auch eine eventuelle rechtliche Vaterschaft in entsprechender Anwendung der Schutzvorschrift des § 1318 BGB und des § 1592 Nr. 1 BGB beibehalten.322 Auf den ersten Blick erscheint diese Auffassung als ein sinnvoller Ansatz, um die Schlechterstellung der Ehegatten, die im Alter von unter 16 Jahren die Ehe eingegangen und von der Unwirksamkeitsfolge betroffen sind, zu vermeiden. Der Wortlaut des § 1303 S. 2 BGB, wonach mit einer Person unter 16 Jahren, „eine Ehe nicht wirksam eingegangen werden kann“, steht einem solchen Verständnis nicht vorn vornherein entgegen: Auch geschäftsunfähigen Personen wird gem. § 1304 BGB die Möglichkeit einer rechtlich wirksamen Eheschließung abgesprochen, ohne dass dies die Unwirksamkeitsfolge der Nichtexistenz der Ehe nach sich zöge. Stattdessen ist die Geschäftsfähigkeit Aufhebungsgrund i. S. d. § 1314 Abs. 1 Nr. 2 BGB. Auch die Ausführungen im Plenarprotokoll stehen einer entsprechenden Anwendung des § 1318 BGB prima facie nicht entgegen: Durch die Etablierung der Nichtigkeitsfolge anstelle der Aufhebbarkeit erhoffte man sich in erster Linie, dass die betreffenden minderjährigen Ehegatten unter 16 Jahren von der Durchführung eines für sie strapaziösen und langwierigen Aufhebungsverfah-

321 Ähnlich Wall, StAZ 2018, 194, 197; vgl. zum in Art. 13 Abs. 3 S. 1 EGBGB a. F. (mittlerweile Art. 13 Abs. 4 S. 1 EGBGB) fixierten locus regit actum-Prinzip: Krömer, StAZ 2006, 115, 116. 322 Diesen Vorschlag unterbreitet Majer, NZFam 2017, 537, 539 f.; ders., NZFam 2018, 332; ders., NZFam 2019, 659, 660; zust. Kemper, FamRB 2017, 438, 442; Weller/ Thomale/Hategan u. a., FamRZ 2018, 1289, 1295 f., die eine Deklaration als aufhebbare Ehe indes ablehnen und die Aufhebbarkeit lediglich auf die Rechtsfolge beziehen wollen. Auf ganzer Linie ablehnend dagegen Schulte-Rudzio, Minderjährigenehen in Deutschland, 327.

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rens, das sich in seiner Dauer über drei bis sechs Monate erstrecken kann, verschont bleiben.323 Von einer Nichtanwendbarkeit der Aufhebungsfolgen ist dagegen im Gesetz nicht die Rede. Insofern bietet es sich an, die unwirksamen Ehen als ipso iure aufgehoben anzusehen, sodass es der Durchführung eines Aufhebungsverfahrens nicht bedarf, aber die Aufhebungsfolgen für die betroffenen Familien vollumfänglich zur Anwendung kommen können.324 Doch letztlich widerspricht ein solcher Ansatz dem binären Rechtsfolgensystem, das der Gesetzgeber explizit und trotz der aus der Rechtshistorie gewonnenen Erkenntnisse325 in Art. 13 Abs. 3 EGBGB errichtet hat.326 Der Einführung der Unwirksamkeitsfolge lag die Haltung zugrunde, dass der Minderjährigenschutz für diese Altersgruppe nur durch die vollumfassende Unwirksamkeit der Ehen erreicht werden kann, auch wenn dies mit dem Wegfall aller rechtlichen Wirkungen für und gegen die Minderjährigen einhergeht. Insofern kann die Anordnung der Unwirksamkeitsfolge nicht als Ungenauigkeit des gesetzgeberischen Ausdrucks, sondern muss stricto sensu als voll beabsichtigte Sanktion gewertet werden, die in ihrer Essenz rechtliche Folgenlosigkeit nach sich ziehen soll und

323 Diese Intention geht aus dem Redebeitrag des CDU/CSU-Fraktionsmitglieds A. Hoffmann hervor, s. Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 18/237, 24176, 24178 f.; ebenso zitiert bei Weller/Thomale/Hategan u. a., FamRZ 2018, 1289, 1296. 324 S. Weller/Thomale/Hategan u. a., FamRZ 2018, 1289, 1295 f., die den unwirksamen Ehen jedoch die Eigenschaft der Aufhebbarkeit absprechen und annehmen, dass die Aufhebungsfolgen dennoch greifen. 325 S. dazu Kap. 2 A.V.; dargestellt zudem bei dies., FamRZ 2018, 1289, 1296, die die historischen Begebenheiten zur Untermauerung ihrer These anführen: seit 1998 wurde bei der Behandlung aller Ehemängel der Tatsache Rechnung getragen, dass die Ehen dem öffentlichen Anschein und in der Regel auch der eigenen Überzeugung nach zumindest für eine gewisse Zeit tatsächlich gelebt wurden und somit nicht als „niemals existent“ betrachtet werden dürfen, ihnen mithin Rechtsfolgen zuteil werden müssen. Hieraus wird von den Autoren der Schluss gezogen, dass auch die etablierte Unwirksamkeitsfolge vor dem Hintergrund dieser gewonnenen Erkenntnis zu sehen sei und daher Rechtsfolgen zeitige. Dieser zur Ermittlung des Gesetzeszwecks methodisch einleuchtende Rekurs auf den Willen des historischen Gesetzgebers verkennt jedoch, dass der Gesetzgeber in Bezug auf im Alter von unter 16 Jahren geschlossene Minderjährigenehen eine derart strikte und determininierte Abwehrhaltung eingenommen hat, dass diese nur in der rechtlichen Einordnung als niemals existent ihre gesetzliche Entsprechung finden kann. Bei Schaffung des Gesetzes war man der Grundannahme verfallen, dass der Minderjährigenschutz in solchen Fällen ausschließlich die absolute Eheunwirksamkeit einfordere, deren Wesensmerkmal gerade das Fehlen jeglicher Rechtsfolgen ist. Insofern tragen die damals angestellten Erwägungen dahingehend, dass die rückwirkende Beseitigung von Statusverhältnissen und insb. der Ehe als sozialem Tatbestand ausgeschlossen sein sollte, für das KEhenBekG also nicht, da sich der Gesetzgeber offensichtlich von diesem Gedanken jedenfalls in Bezug auf Ehen in diesem Altersspektrum abgewandt hat. Der geschichtliche Richtungswandel von 1998 kann also nicht als Argument für eine analoge Anwendung des § 1318 BGB herangezogen werden. Vielmehr wurde die abgeschaffte „Zweispurigkeit“ wieder eingeführt, s. a. Plich, RPsych 2017, 299, 304. 326 Vgl. Löhnig, NZFam 2019, 72, 73.

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muss.327 Diesen Gedanken bekräftigt der Vorstoß des Politikers F. Tempel, der auf die Nachteilhaftigkeit der fehlenden Folgenregulierung für die betroffenen Nichtehen in der damaligen Bundestagssitzung nachdrücklich hingewiesen hat.328 Seine Bedenken wurden ebenso wie die zahlreichen kritischen Stellungnahmen im Vorfeld der Abstimmung im Bundestag zwar zur Kenntnis genommen, fanden aber dennoch keine Beachtung.329 Insofern kann dem Bundestag als Gesetzgebungsorgan trotz der Beschwichtigungen der CDU/CSU330 nicht unterstellt werden, hinsichtlich der negativen Folgen für die Betroffenen ahnungslos gewesen zu sein.331 Vielmehr ist in Anbetracht der zahlreichen kritischen Anmerkungen die gesetzgeberische Maßnahme als eine bewusste Entscheidung für die Einordnung als nicht existente Ehe, die keinerlei Rechtsfolgen auslöst, zu begreifen. cc) Teleologische Reduktion (1) Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB Am klaren Willen des Gesetzgebers muss auch eine teleologische Reduktion des Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB mit dem Ergebnis, dass die Norm im abstammungsrechtlichen Bereich nicht heranzuziehen sei, scheitern. So gibt es keine Anhaltspunkte für eine unbedachte Weite des Normwortlauts dahingehend, dass Fälle umfasst seien, die bei der Gesetzesreform unberücksichtigt geblieben sind.332 Im Gegenteil bestand das ausgeprägte Bestreben, sog. Kinderehen mit allen ungünstigen Konsequenzen für „null und nichtig“ zu erklären. Dass sich der Gesetzgeber der weitreichenden Auswirkungen durchaus bewusst war, verdeut327 So im Ergebnis mit Hinweis auf die Gesetzesbegründung auch Kemper, FamRB 2017, 438, 442; s. a. VG Berlin 28.9.2018, Az. 3 K 349.16 V, FamRZ 2019, 279, 280; Makowsky, RabelsZ 83 (2019), 577, 586; MüKo/Wellenhofer, 9. Aufl., 2022, § 1303 BGB Rn. 15; BeckOGK/Kriewald, 1.4.2022, § 1303 BGB Rn. 34 f. 328 S. der Redeausschnitt des Politikers F. Tempel von der Partei Die Linke: Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 18/237, 24176, 24177: „Es gibt also auch keine aus der Ehe erworbenen Ansprüche. Die Minderjährige steht dann ohne soziale Absicherung da. Eine solche Ehe pauschal per Gesetz für nichtig zu erklären, ist für den Staat ganz sicher der einfachste und schnellste Weg. Für die betroffene Minderjährige bringt er aber zusätzliche Risiken und Nachteile.“ 329 Der Abgeordnete A. Hoffmann reagierte auf den Vorwurf von F. Tempel mit der Aussage, dass meist „keinerlei Vermögen vorhanden“ sei und „die unterhaltsrechtliche Fragestellung in den nächsten Jahren [. . .] völlig anders abgebildet“ werde, s. ders., Plenarprotokoll 18/237, 24176, 24179. Auch der nachfolgende Redner M. Frieser (CDU/ CSU) stellte die Frage „Glauben Sie allen Ernstes, dass eine 12-, 13- oder 14-Jährige auf dem Weg nach Deutschland Versorgungsausgleichsansprüche erwirbt?“, s. ders., Plenarprotokoll 18/237, 24176, 24182. 330 Ibid. 331 So aber Weller/Thomale/Hategan u. a., FamRZ 2018, 1289, 1296; ablehnend Makowsky, RabelsZ 83 (2019), 577, 586; MüKo/Wellenhofer, 9. Aufl., 2022, § 1303 BGB Rn. 15. 332 Ebenso Wall, StAZ 2018, 194, 195.

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lichen wiederum die vielfach eingeholten Stellungnahmen, die allesamt auf die Unvereinbarkeit der Nichtigkeitsfolge mit dem Kindeswohl, die auftretenden Gefahren333 und die fragwürdigen Folgen im Abstammungsrecht334 hinwiesen. Im Zusammenhang mit der Abschaffung der in § 1303 Abs. 2–4 BGB a. F. normierten Befreiungsmöglichkeit wurde in der Gesetzesbegründung sogar ausdrücklich die rechtliche Gleichstellung von ehelichen und nichtehelichen Kindern betont.335 Insofern kann man dem Gesetzgeber hinsichtlich der abstammungsrechtlichen Auswirkungen des Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB und des § 1303 S. 2 BGGB keine Unachtsamkeit unterstellen.336 Durch eine teleologische Reduktion des Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB lässt sich die Problematik der „hinkenden Ehen und Vaterschaften“ ebenfalls nicht bewältigen. (2) Art. 229 § 44 Abs. 4 Nr. 1 EGBGB In Art. 229 § 44 Abs. 4 Nr. 1 EGBGB wird die Unwirksamkeitsfolge für alle im Ausland geschlossenen Ehen von minderjährigen Ehegatten, die am 22.7.2017 volljährig sind, zurückgenommen. Eine weitergehende Übergangsvorschrift für im Ausland wirksam geschlossene Altehen sieht das KEhenBekG nicht vor, auch eine analoge Anwendung der Norm scheidet aus.337 Damit kann das neue Recht auch Auswirkungen auf solche Vater-Kind-Verhältnisse haben, die kraft Gesetzes rechtswirksam mit Geburt des Kindes bereits vor Inkrafttreten des Gesetzes am 22.7.2017 begründet wurden. Vor einer rückwirkenden Vernichtung der Vaterschaft werden sie nur dann bewahrt, wenn der minderjährige Ehegatte vor dem 22.7.1999 geboren wurde. Andernfalls greift das Gesetz im Sinne einer „echten Rückwirkung“ 338 nachträglich in den abgeschlossenen Geburtstatbestand als vaterschaftsbegründendes Ereignis ein und bewirkt ex tunc den Wegfall der ursprünglich rechtswirksam begründeten Vaterschaft. Um diese verfassungsrechtlich bedenkliche Rechtsfolge zu vermeiden, könnte man mittels verfassungskonformer Rechtsfortbildung die Vorschrift des Art. 229 333 Deutscher Juristinnenbund, Stellungnahme zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Bekämpfung von Kinderehen, 22.4.2017, 2; Deutsches Institut für Menschenrechte, Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen, 22.2.2017, 5 f.; Deutscher Familiengerichtstag e. V., Stellungnahme zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung „Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen“, 17.2.2017, 4. 334 Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht, Hinweise zum Gesetzentwurf der Bundesregierung: Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen, 22.2.2017, 4. Zudem haben sowohl Dominik Bär als auch Wolfgang Schwackenberg in der Anhörung zum Entwurf auf die Problematik hingewiesen, s. Deutscher Bundestag – Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz, Protokoll 18/148, 29, 32. 335 Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland, BT-Drs. 18/12086, 13. 336 Wall, StAZ 2018, 194, 196; s. a. Makowsky, RabelsZ 83 (2019), 577, 594. 337 Ebenso VG Berlin 28.9.2018, Az. 3 K 349.16 V, FamRZ 2019, 279, 280. 338 Näher hierzu unter Kap. 4 B. II. 3.

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§ 44 Abs. 4 Nr. 1 EGBGB bei vor dem 22.7.2017 stattfindenden Geburten schlichtweg unangewendet lassen und die dadurch entstehende Lücke durch eine Gesamtanalogie der abstammungsrechtlichen Übergangsvorschriften ausfüllen.339 Möglich wäre damit ein Rückgriff sowohl auf Art. 220 Abs. 1 EGBGB, der Überleitungsnorm des Gesetzes zur Neuregelung des Internationalen Privatrechts von 1986, wonach das früher geltende Internationale Privatrecht auf vor dem 1. September 1986 abgeschlossene Vorgänge anzuwenden ist, als auch auf Art. 224 § 1 Abs. 1 EGBGB als Übergangsvorschrift zum Kindschaftsrechtsreformgesetz von 1997, das für die Vaterschaft hinsichtlich eines vor dem 1. Juli 1998 geborenen Kindes die Maßgeblichkeit der ehemaligen Vorschriften vorsieht. Transferiert man die in diesen Regelungen ausgedrückte Wertung auf die vorliegende Situation, so gelangt man zu der Schlussfolgerung, dass für abstammungsrechtliche Fragestellungen, die sich auf vor dem 22.7.2017 geborene Kinder beziehen, die bisherigen Rechtssätze heranzuziehen sind.340 Damit käme Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB i.V. m. § 1303 S. 2 BGB nicht zum Einsatz, die fehlende Ehemündigkeit führte im Einklang mit dem alten Recht lediglich zur Fehlerfolge der Eheaufhebbarkeit (§ 1314 Abs. 1 BGB a. F.), sodass die Ehe bis zur gerichtlichen Aufhebung gem. § 1313 S. 1, 2 BGB wirksam wäre und die rechtliche Vaterschaft bei Geburt eines Kindes vor Aufhebung der Ehe aufrechterhalten würde. Gegen diese Herangehensweise lassen sich jedoch einige Argumente ins Feld führen. Zunächst wird die Tatsache, dass die rückwirkende Unwirksamkeit von Ehen im Kontext abstammungsrechtlicher Beziehungen in der Gesetzesbegründung keine Erwähnung gefunden hat, zum Anlass genommen, das Fehlen einer Regelung zur Vermeidung ebendieser Problematik auf die Unwissenheit des Gesetzgebers zurückzuführen.341 Lässt man allerdings die Gesetzgebungsgeschichte – wie bereits oben ausgeführt wurde – Revue passieren, so wird erkennbar, dass der Gesetzgeber sich ganz bewusst für die rechtliche Nichtexistenz der geschaffenen Rechtsverhältnisse „ohne Rücksicht auf (Vaterschafts-)Verluste“ entschieden hat. Der Verzicht auf eine Rechtsfolgenregelung wurde in den schriftlichen und mündlichen Stellungnahmen unter Verweis sowohl auf die Rückwirkungsproblematik342 als auch auf die abstammungsrechtlichen Folgeprobleme343 beanstandet, sodass der Legislative die Verknüpfung beider Problemkomplexe bekannt war. Die Tatsache, dass das Gesetz dennoch ohne entsprechende Abmilde-

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Vorgeschlagen bei Wall, StAZ 2018, 194, 198. Ders., StAZ 2018, 194, 198. 341 So aber ders., StAZ 2018, 194, 198. 342 Deutsches Institut für Menschenrechte, Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen, 22.2.2017, 5 f.; s. a. die Ausführungen von den Sachverständigen Dominik Bär und Prof. Dr. Marc-Philippe Weller auf S. 13 und 21: Deutscher Bundestag – Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz, Protokoll 18/148. 343 S. Fn. 334. 340

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rungen erlassen wurde, ist somit als eine bewusste Entscheidung gegen die im Gesetzgebungsverfahren diskutierten Alternativen zu begreifen. Die Nichtbeachtung der Individualinteressen der als nichtehelich geltenden Kinder und ihrer Väter, denen Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB die Vaterschaft von Beginn an entzieht, ist darauf zurückzuführen, dass der Gesetzgeber die im Alter von unter 16 Jahren geschlossenen Ehen als ausschließlich mit negativen Folgen behaftete Zwangsehen angesehen hat, aus denen die im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes noch immer minderjährigen Ehegatten zu befreien seien.344 Auch im Rahmen der rechtsfortbildenden Auslegung ist diese gesetzgeberische Grundentscheidung zu respektieren. Da es dem Gesetzgeber auf die Eheunwirksamkeit erkennbar ankam, ist eine verfassungskonforme Auslegung dergestalt, die Anwendung der Übergangsvorschrift des Art. 229 § 44 Abs. 4 Nr. 1 EGBGB für die Fälle echter Rückwirkung auszuschließen und die entstehende Lücke durch eine Gesamtanalogie der abstammungsrechtlichen Übergangsvorschriften zu schließen, mit der gesetzgeberischen Zielsetzung nicht zu vereinbaren und daher als Lösungsalternative abzulehnen.345 dd) Verfassungskonforme Auslegung des Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB Auch in Fällen, in denen die Minderjährigenehe im Einzelfall unter Berücksichtigung des Kindeswohls aufrecht zu erhalten wäre oder die mittlerweile volljährige Ehegattin unbedingt an ihrer Ehe festhalten wollte, scheitert eine verfassungskonforme Auslegung des Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB346 an der klar geäußerten und im Gesetz zum Ausdruck gekommenen Intention des Gesetzgebers.347 Um Minderjährigenehen erfolgreich und nachhaltig zu unterbinden, hat sich der Gesetzgeber mit vollem Bewusstsein auf die vorbehaltlich Art. 229 § 44 Abs. 4 EGBGB generell geltende Unwirksamkeitsfolge festgelegt.348 Das Zugeständnis

344 Damit folgt der deutsche Gesetzgeber der Entschließung 2233 (2018) der Parlamentarischen Versammlung des Europarats, der zufolge „Kinderehen eine Form von Zwangsehen sind, da nicht davon ausgegangen werden kann, dass ein Kind eine umfassende, freie und informierte Zustimmung zu einer Heirat gegeben hat“ (Punkt 3.), s. Deutscher Bundestag, BT-Drs. 19/16197, 44. 345 Zum selben Ergebnis kommt Schulte-Rudzio, Minderjährigenehen in Deutschland, 342 f. 346 Diesen Lösungsvorschlag unterbreitet Gössl, Das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen – eine politische Reaktion auf die Flüchtlingskrise, in: Migration. Gesellschaftliches Zusammenleben im Wandel, 2018, 19, 38 f. Barros Fritz, Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB aus der Perspektive des Europarechts, in: Die Frühehe im Recht, 2021, 137, 165 befürwortet eine richtlinienkonforme Auslegung. 347 So auch VG Berlin 28.9.2018, Az. 3 K 349.16 V, FamRZ 2019, 279, 280; vgl. BGH 14.11.2018, Az. XII ZB 292/16, FamRZ 2019, 181, 185; Schulte-Rudzio, Minderjährigenehen in Deutschland, 327, 329 f. 348 S. a. BGH 14.11.2018, Az. XII ZB 292/16, FamRZ 2019, 181, 185.

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weitergehender, kindeswohlorientierter und den Willen der (ehemals) Minderjährigen berücksichtigender Ausnahmen bewirkte nach Ansicht des Gesetzgebers gerade die Rechtsunsicherheit, die durch die neuen klaren Vorgaben beseitigt werden sollte.349 Der Gesetzesbegründung sind zwar keine Hinweise auf den Umgang mit „hinkenden Ehen“ zu entnehmen, doch lassen die auch hierzu in den Stellungnahmen aufgeworfenen, im Laufe des Gesetzgebungsprozesses indes ignorierten Bedenken keinen Zweifel an der Entschlossenheit des Gesetzgebers, die neuen starren Regelungen durchsetzen zu wollen.350 b) Entstehung von (hinkenden) Doppelehen Hinkende Eherechtsverhältnisse verursachen außerdem die Entstehung von Doppelehen.351 Möchte beispielsweise ein volljähriger Ehegatte mit Personalstatut im Inland mit einer dritten Person die Ehe eingehen, tritt neben die nach seiner lex patria zwar bestehende, nach deutschem Recht indes unwirksame Minderjährigenehe eine zweite Ehe. Besteht nach dem Heimatrecht des Ehegatten ein Verbot der Doppelehe, so lässt sich die Zweitehenproblematik auch nur bedingt durch Art. 13 Abs. 2 Nr. 2 EGBGB lösen: Hiernach findet deutsches Recht dann Anwendung, wenn die Verlobten die zumutbaren Schritte zur Erfüllung der Voraussetzung, also zur Auflösung der „Erstehe“ unternommen haben. Nach deutschem Recht besteht aber keine zu scheidende Erstehe, da die Minderjährigenehe ja gerade als unwirksam angesehen wird. Insofern kann für die Scheidung der nur im Ausland wirksamen Ehe kein Rechtsschutzbedürfnis hergeleitet werden.352 Deutsches Recht findet demnach Anwendung und ermöglicht dem nur nach seinem Heimatrecht wirksam Verheirateten die Eingehung einer (hinkenden) Doppelehe. 3. Persönliche Nachteile Neben den rechtlichen Einbußen können den minderjährigen Ehegatten aufgrund der Ehenichtigkeit Nachteile im Verhältnis zu ihrer Familie und ihrem Umfeld entstehen. Wie oben erörtert, liegt den Minderjährigenehen meist ein abweichender kultureller Kontext mit stark religiösem Einfluss zugrunde. Die Ehe 349 Vgl. VG Berlin 30.11.2017, Az. 5 L 550.17 V, FamRZ 2018, 1466, 1467: „Die Rechtsfolge des Gesetzes [. . .] lässt weitere Ausnahmen nicht zu.“; wortgleich ebenso VG Berlin 19.1.2018, Az. 28 K 418.16 V, juris, Rn. 5. 350 S. VG Berlin 28.9.2018, Az. 3 K 349.16 V, FamRZ 2019, 279, 280; a. A. Duden, Zur Unwirksamkeit der Frühehe in Deutschland – Differenzierte Anwendung des Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB in: Die Frühehe im Recht, 2021, 629, 649 ff., der Zweifel am determinierten gesetzgeberischen Willen hinsichtlich der Unwirksamkeitsfolge hegt. 351 Zu diesem Problemkomplex: Hüßtege, FamRZ 2017, 1374, 1377; Onwuagbaizu, NZFam 2019, 465, 466; Keil, jurisPR-IWR 2018, Anm. 4. 352 Hüßtege, FamRZ 2017, 1374, 1377; während Onwuagbaizu, NZFam 2019, 465, 466 hier auf das Rechtsschutzerfordernis verzichten will und die in Nr. 2 statuierte Voraussetzung nicht als gegeben ansieht.

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bildet für viele Minderjährige den Schutzrahmen, der sie vor einem Ehrverlust durch Geschlechtsverkehr und Schwangerschaft außerhalb der ehelichen Lebensgemeinschaft bewahrt.353 Mit der ex tunc eintretenden Eheunwirksamkeit fällt dieser Schutzrahmen weg, sodass die minderjährigen Ehegatten in ihrem Umfeld und ihrer Familie, in die sie hineingeboren wurden und der sie sich weiterhin – auch nach ihrer Ankunft in Deutschland – zugehörig fühlen, Ächtungen ausgesetzt sein könnten. Die radikale Nichtigkeit könnte also dazu führen, dass die Minderjährigen aus ihren Familien, die ihrerseits die eigene Reputation aufrechterhalten wollen, verstoßen werden.354 Des Weiteren könnte den jeweiligen Ehegatten und ihren aus der unwirksamen Ehe hervorgegangenen Kindern die Rückkehr in ihr Heimatland nach Wegfall des Fluchtgrundes erheblich erschwert oder gar unmöglich gemacht werden.355 In Deutschland ist die Nichtehelichkeit der Kinder zwar nicht mehr relevant, doch kann sie sich im Ausland in Form rechtlicher Abwertung und sozialer Nachteile negativ auf das Kind auswirken.356 Da der Unwirksamkeit kein formelles Aufhebungsverfahren vorausgeht, liegt allerdings kein durch das Heimatoder neue Aufnahmeland anerkennbarer Rechtsakt vor, wodurch die Ehe im Falle der Rückkehr aus Sicht des ausländischen Rechts in der Regel als fortbestehend angesehen werden dürfte.357 Von einem stabilen und effektiven Schutz durch das KEhenBekG kann also keine Rede sein. 4. Verfahrensrechtliche Fragen Für die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte hinsichtlich der gerichtlichen Feststellung des Nichtbestehens der Ehe könnte man auf Artt. 1 Abs. 1 lit. a, 3 Abs. 1 lit. a Brüssel IIa-VO rekurrieren.358 Allerdings ist der Wortlaut der Brüssel IIa-VO ausdrücklich auf Verfahren mit statusverändernder Wirkung zugeschnitten, weswegen man Feststellungsklagen, die an der materiellen Rechtslage nichts ändern, allgemein vom sachlichen Anwendungsbereich aus-

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S. Kap. 1 C. I. 2., 3. Auf diese Gefahr weist z. B. Balloff, Kinder vor dem Familiengericht, 460 f. hin. 355 Vgl. MüKo/v. Hein, 8. Aufl., 2020, Art. 6 EGBGB Rn. 275; Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht, Hinweise zum Gesetzentwurf der Bundesregierung: Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen, 22.2.2017, 5. 356 S. Wapler, verdikt 2017, 9, 10. 357 Zum Problem bereits frühzeitig Deutsches Institut für Menschenrechte, Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen, 22.2.2017, 6. 358 Die von AG Kassel 7.3.2018, Az. 524 F 3451/17 E1, FamRZ 2018, 1149 f. in diesem Kontext konsultierte Norm des Art. 3 Abs. 1 Brüssel II-VO (Verordnung [EG] Nr. 1347/2000 des Rates vom 29.5.2000 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung für die gemeinsamen Kinder der Ehegatten) beansprucht seit deren Ersetzung durch die Brüssel IIa-VO am 1.3.2005 keine Geltung mehr. 354

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schließen könnte.359 Andererseits erscheint es im Hinblick auf das Bestreben der Brüssel IIa-VO nach einer einheitlichen Regelung für alle Statusentscheidungen, die eine Ehe betreffen, nicht sinnvoll, die Feststellungsbegehren, bei denen die Ungültigkeit zwar nicht als Gestaltungswirkung eintritt, aber dennoch rechtswirksam festgestellt wird, einer gesonderten Zuständigkeit zu unterwerfen.360 Doch selbst wenn man Feststellungsanträge nicht unter die Anerkennungsregeln der Brüssel IIa-VO subsumieren wollte, so bleibt für die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte der Rückgriff auf § 98 Abs. 1 FamFG. Zu beachten ist weiterhin, dass nur die Ehegatten selbst den Antrag auf Feststellung des Nichtbestehens ihrer Ehe stellen dürfen361; die Verwaltungsbehörde ist lediglich im Rahmen des § 129 Abs. 2 FamFG zur Mitwirkung, aber nicht zur Stellung des Antrags befugt.362 Erforderlich ist weiterhin ein Feststellungsinteresse, das bei bestehenden Zweifeln an der wirksamen Eingehung oder Auflösung einer Ehe zu bejahen ist.363 Bei im Ausland geschlossenen Minderjährigenehen liegt ein solches Interesse insbesondere dann vor, wenn die zuständige Verwaltungsbehörde deren Wirksamkeit bestätigt hat.364 Aufgrund der Sonderregelung des § 121 Nr. 3 FamFG kann die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens der Ehe nicht Gegenstand einer allgemeinen Feststellungsklage nach § 256 Abs. 1 ZPO sein.365

359 So verfahren MüKoFamFG/Gottwald, 3. Aufl., 2019, Art. 1 Brüssel IIa-VO Rn. 8, 8.1; Helms, FamRZ 2001, 257, 259; Staudinger/Spellenberg, 15. Aufl., 2015, Art. 1 Brüssel IIa-VO Rn. 23 ff.; Althammer, IPRax 2009, 381, 383. 360 S. Vogel, MDR 2000, 1045, 1046. Befürwortet zudem von Hau, FamRZ 2000, 1333; Gruber, FamRZ 2000, 1129, 1130; Niklas, Die Europäische Zuständigkeitsordnung in Ehe- und Kindschaftsverfahren, 30 f.; Eckebrecht, NZFam 2018, 707. 361 S. a. Prütting/Helms/Helms, 5. Aufl., 2020, § 121 FamFG Rn. 11. Ein obligatorisches Feststellungsverfahren ist nicht vorgesehen. Dem skeptisch gegenüber: Andrae, Internationales Familienrecht, § 1 Rn. 128 m. Fn. 94; Hüßtege, FamRZ 2017, 1374, 1377. 362 Johannsen/Henrich/Althammer/Markwardt, 7. Aufl., 2020, § 121 FamFG Rn. 10; MüKoFamFG/Lugani, 3. Aufl., 2018, § 129 FamFG Rn. 16; Prütting/Helms/Helms, 5. Aufl., 2020, § 121 FamFG Rn. 11. In der Entscheidung des AG Kassel 7.3.2018, Az. 524 F 3451/17 E1, FamRZ 2018, 1149 f. wurde verkannt, dass das hessische Regierungspräsidium als die zur Eheaufhebung antragsberechtigte Behörde nicht als Antragsteller zur Feststellung der Ehenichtigkeit fungieren kann; krit. dazu Dutta, FamRZ 2018, 1150, 1151; Erbarth, FamRB 2018, 338, 339. 363 BeckOKFamFG/Weber, 42. Ed., 1.4.2022, § 121 FamFG Rn. 8; Prütting/Helms/ Helms, 5. Aufl., 2020, § 121 FamFG Rn. 10; MüKoFamFG/Lugani, 3. Aufl., 2018, § 121 FamFG Rn. 12. 364 Ausdrücklich BeckOKFamFG/Weber, 42. Ed., 1.4.2022, § 121 FamFG Rn. 8. 365 BeckOGK/Erbarth, 1.6.2022, § 1353 BGB Rn. 270; Prütting/Helms/Helms, 5. Aufl., 2020, § 121 FamFG Rn. 9; fälschlicherweise erachtete das AG Kassel 7.3. 2018, Az. 524 F 3451/17 E1, FamRZ 2018, 1149 f. den Antrag der zuständigen Verwaltungsbehörde als zulässig und begründet; Kritik hieran übt BeckOGK/Erbarth, 1.6. 2022, § 1353 BGB Rn. 271; ders., FamRB 2018, 338, 339.

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5. Die Übergangsvorschrift des Art. 229 § 44 Abs. 4 EGBGB Der neugefasste Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB findet allerdings nur in den Grenzen der Überleitungsvorschrift des Art. 229 § 44 Abs. 4 EGBGB Anwendung, der Sonderregelungen für Ehen enthält, bei deren Schließung ausländisches Eheschließungsstatut galt und einer der Ehegatten das 16. Lebensjahr noch nicht erreicht hatte. Danach gilt die Sanktion des Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB nicht, wenn der minderjährige Ehegatte am Stichtag des Inkrafttretens des Gesetzes nach deutschem Recht bereits volljährig war, also wenn er vor dem 22.7.1999 geboren wurde (Nr. 1). Der Zeitpunkt der Eheschließung ist hierbei nicht von Relevanz.366 Gleichfalls können nach ausländischem Recht wirksame367, indes gegen Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB verstoßende Ehen geheilt werden, wenn sie bis zur Volljährigkeit des minderjährigen Ehegatten im Ausland geführt wurden, ohne dass bis zu diesem Zeitpunkt ein Ehegatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hatte (Nr. 2). a) Sachliche Voraussetzungen des Art. 229 § 44 Abs. 4 Nr. 2 EGBGB Bei der internationalprivatrechtlichen Heilungsvorschrift des Art. 229 § 44 Abs. 4 Nr. 2 EGBGB handelt es sich der Sache nach um eine Ausprägung des Erfordernisses einer hinreichend starken Inlandsbeziehung368 als eine der zentralen Voraussetzungen für das Eingreifen der Vorbehaltsklausel des Art. 6 EGBGB.369 Die Norm enthält zahlreiche auslegungsbedürftige Rechtsbegriffe und bereitet daher einige Auslegungsschwierigkeiten. aa) Volljährigkeitserfordernis Zunächst herrscht aufgrund der Mehrdeutigkeit des Begriffs der Volljährigkeit Unklarheit darüber, nach welchem Recht sich deren Eintritt bestimmt. (1) Selbständige Anknüpfung der Volljährigkeit an das Heimatrecht In Übereinstimmung mit den allgemein internationalprivatrechtlichen Grundsätzen könnte man auch hier die Volljährigkeit gem. Art. 7 Abs. 1 EGBGB in selbständiger Anknüpfung nach dem Heimatrecht des jeweiligen Ehegatten be366 So ausdrücklich Hepting/Dutta, Familie und Personenstand: ein Handbuch zum deutschen und internationalen Privatrecht, III-274. 367 Eine Aufhebbarkeit der Ehe nach ausländischem Recht steht einer Heilung somit nicht entgegen, s. dies., Familie und Personenstand: ein Handbuch zum deutschen und internationalen Privatrecht, III-278. 368 BeckOGK/Kriewald, 1.4.2022, Art. 229 § 44 EGBGB Rn. 4, 14; Wall, StAZ 2018, 96, 98; s. a. Gausing/Wittebol, DÖV 2018, 41, 42 m. Fn. 19; Makowsky, RabelsZ 83 (2019), 577, 588. 369 Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland, BT-Drs. 10/504, 43.

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stimmen.370 Zu beachten bleibt, dass bei einer Flüchtlingseigenschaft der Minderjährigen die Ersatzanknüpfung des Art. 12 GFK Anwendung findet, wonach für die Bestimmung des anwendbaren Rechts nicht an die Staatsangehörigkeit, sondern an das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts der Minderjährigen anzuknüpfen ist.371 Gelangt aber Art. 7 Abs. 1 S. 2 EGBGB tatsächlich zur Anwendung und sollte keine Rück- oder Weiterverweisung vorgesehen sein (Art. 4 Abs. 1 EGBGB), wird die Volljährigkeitsvoraussetzung vom Heimatrecht beherrscht. Allerdings kann ein solcher Ansatz für die Ehegatten mit gravierenden Nachteilen verbunden sein. Überstiege nach dem Heimatrecht das Volljährigkeitsalter die im deutschen Sachrecht geltende Volljährigkeitsgrenze von 18 Jahren, wäre zwar ggf. der Ausschlusstatbestand des Art. 229 § 44 Abs. 4 Nr. 1 EGBGB einschlägig, sodass die im Ausland geschlossene Ehe Wirksamkeit entfalten könnte.372 Sollte die Norm im konkreten Fall aber keine Anwendung finden, müssten die Ehegatten angesichts der Vorgaben des Art. 229 § 44 Abs. 4 Nr. 2 EGBGB schlimmstenfalls das Erreichen des 21. Lebensjahres abwarten, bevor ein Ehegatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland begründen dürfte.373 Andernfalls würde die Ehe mit der Einreise nach Deutschland sofort in eine Nichtehe verwandelt. Nicht minder unbefriedigende Ergebnisse sind in der umgekehrten Konstellation zu erwarten, wenn nach dem jeweiligen ausländischen Personalstatut die Eheschließung der Maxime „Heirat macht mündig“ folgend den Eintritt der Mündigkeit nach sich zieht (Art. 7 Abs. 1 S. 2 EGBGB). In diesem Fall würde die Ehe nach Ankunft der Eheleute in Deutschland aus deutscher Sicht unmittelbar als wirksam angesehen, selbst wenn der minderjährige Ehegatte das 18. Lebensjahr noch nicht erreicht haben sollte.374 Dasselbe gilt, wenn das Volljährigkeitsalter 370 Frank, StAZ 2018, 1, 2 m. Fn. 3; Coester-Waltjen, IPRax 2017, 429, 433; Hüßtege, FamRZ 2017, 1374, 1375; BeckOGK/Kriewald, 1.4.2022, Art. 229 § 44 EGBGB Rn. 15; Grüneberg/Siede, 81. Aufl., 2022, Art. 229 § 44 EGBGB Rn. 4; BeckOGK/Erbarth, 1.6.2022, § 1353 BGB Rn. 269; ders., FamRB 2018, 338, 340; ders., FamRB 2019, 250, 251; Frie, FamRB 2017, 232, 237; Rauscher, in: FS Kren Kostkiewicz, 245, 258 f.; Adamus, jurisPR-FamR 2019, Anm. 1; Dutta, FamRZ 2018, 1150; Hepting/ Dutta, Familie und Personenstand: ein Handbuch zum deutschen und internationalen Privatrecht, III-280; Onwuagbaizu, NZFam 2019, 465, 466; Druschke, Der Familienbegriff im deutschen Ausländerrecht, 140; Andrae, Internationales Familienrecht, § 1 Rn. 123 mit dem Einwand, dass die Vollendung des 18. Lebensjahres als Kriterium vorzuziehen ist. 371 S. AG Wuppertal 18.4.2016, Az. 64 F 154/15, BeckRS 2016, 135247, Rn. 26. 372 BeckOGK/Kriewald, 1.4.2022, Art. 229 § 44 EGBGB Rn. 15.1. 373 S. Makowsky, RabelsZ 83 (2019), 577, 590. 374 BeckOGK/Kriewald, 1.4.2022, Art. 229 § 44 EGBGB Rn. 15.2; Makowsky, RabelsZ 83 (2019), 577, 590; vgl. a. Grüneberg/Siede, 81. Aufl., 2022, Art. 229 § 44 EGBGB Rn. 4; Hepting/Dutta, Familie und Personenstand: ein Handbuch zum deutschen und internationalen Privatrecht, III-280. Dieses Ergebnis lässt sich auch nicht dadurch umgehen, dass man durch selbständige Vorfragenanknüpfung eine wirksame Ehe-

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dem fremden Heimatrecht zufolge von der Vollendung des 18. Lebensjahres nach unten abweicht und die weiteren Voraussetzungen des Art. 229 § 44 Abs. 4 Nr. 2 EGBGB (Führen der Ehe und kein gewöhnlicher Aufenthalt in Deutschland bis zum Volljährigkeitseintritt) gegeben sind. Zwar divergierten bei einem solchen Ansatz infolge der international unterschiedlichen Volljährigkeitsgrenzen je nach Herkunftsstaat die Rechtsfolgen. Aufgrund der Rigidität des Reformgesetzes, das das Heimatrecht in der Kernfrage der Ehemündigkeit beiseite schiebt, erscheint es jedoch geradezu zwingend, wenigstens die Bestimmung der Volljährigkeit dem Personenrecht des jeweiligen Heimatstaats zu überlassen. Weiterhin würden als positiver Nebeneffekt missliche „hinkende Volljährigkeiten“ 375 vermieden. Auch die von Art. 13 Abs. 3 EGBGB abweichende Terminologie des Art. 229 § 44 Abs. 4 Nr. 2 EGBGB kann als Indikator für eine selbständige Bestimmung der „Volljährigkeit“ nach dem Personalstatut des betreffenden Ehegatten gewertet werden.376 Der Rückgriff auf das jeweilige Personalstatut zur Klärung der Volljährigkeitsfrage steht indes in eklatantem Widerspruch zu dem bereits mehrfach angesprochenen Anliegen des Gesetzgebers, die Unwirksamkeit generell auf alle im Alter von unter 16 Jahren geschlossenen Ehen zu erstrecken.377 Immerhin führt die selbständige Anknüpfung zu einer gravierenden Abwertung der in Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB neu etablierten Rechtsfolge: Alle per se nach dieser Vorschrift unwirksamen Ehen würden gem. Art. 229 § 44 Abs. 4 Nr. 2 EGBGB geheilt, sofern nach dem Personalstatut des minderjährigen Ehegatten die Volljährigkeit bereits eingetreten bzw. mit dem Eheschließungsakt einhergegangen ist und die Ehe bis zum Volljährigkeitseintritt mit gewöhnlichem Aufenthalt beider Ehegatten im Ausland geführt wurde.378 Im Grunde genommen hinge die Wirksamkeit der Ehe dieser Ansicht zufolge maßgeblich von den „Zufälligkeiten des Volljährigkeitstatuts“ ab.379 (2) Trennung von Volljährigkeit und uneingeschränkter Geschäftsfähigkeit Zur Vermeidung dieses Problems könnte man bei der Anwendung des Art. 7 EGBGB – gleichsam als Kompromiss – die durch Heirat erreichte Mündigkeit schließung, von der nach dem berufenen Heimatrecht die Volljährigkeitserlangung entsprechend der Regel „Heirat macht mündig“ abhängt, ablehnt. Schließlich steht aus Sicht des deutschen Rechts die Heilung der Unwirksamkeit der Ehe gerade in Frage, s. dazu Dutta, FamRZ 2018, 1150; Coester-Waltjen, IPRax 2019, 127, 130; Erbarth, FamRB 2019, 425, 426. 375 Hierzu Frie, FamRB 2017, 232, 237. 376 Hepting/Dutta, Familie und Personenstand: ein Handbuch zum deutschen und internationalen Privatrecht, III-280. 377 Vgl. a. Erman/Stürner, 16. Aufl., 2020, Art. 13 EGBGB Rn. 41e. 378 Dutta, FamRZ 2018, 1150. 379 Frie, FamRB 2017, 232, 237.

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(ausschließlich) als Frage der Geschäftsfähigkeit werten und innerhalb des Art. 7 Abs. 1 S. 2 EGBGB von der Volljährigkeit unterscheiden.380 Immerhin findet sich im deutschen Kollisionsrecht keine explizit auf die Frage der Volljährigkeit zugeschnittene Vorschrift; auch in Art. 7 Abs. 1 S. 1 EGBGB wird lediglich zum Ausdruck gebracht, dass die „Rechtsfähigkeit und die Geschäftsfähigkeit einer Person“ deren Personalstatut unterliegen.381 Dementsprechend könnte man den Eheleuten zwar rechtliche Autonomie im Sinne einer unbeschränkten Geschäftsfähigkeit zubilligen, sie aber weiterhin als Minderjährige behandeln. Folglich müsste man in Fällen, in denen der minderjährige Ehegatte nach seinem Heimatrecht durch die Eheschließung zwar die Mündigkeit erlangt, aber noch immer nicht das 18. Lebensjahr vollendet hat, die Volljährigkeitsvoraussetzung nach Art. 229 § 44 Abs. 4 Nr. 2 EGBGB verneinen und eine Heilung der Eheunwirksamkeit ausschließen. Prima facie erscheint die angeführte Differenzierung nicht fernliegend. Auch in Österreich wird in § 21 Abs. 2 ABGB382 die Unterscheidung zwischen der Vollendung des 18. Lebensjahres als dem Alter, mit dem die Person in die Volljährigkeit entlassen wird, und der bereits mit 14 Jahren beginnenden Mündigkeit vorgenommen, die zu Erweiterungen im Bereich der beschränkten Geschäftsfähigkeit führt (§§ 170 Abs. 2, 171 ABGB).383 Des Weiteren kennt das deutsche Sachrecht für einen bestimmten Kreis von Rechtsgeschäften das Phänomen eines beschränkt geschäftsfähigen Minderjährigen, der partiell als unbeschränkt geschäftsfähig384 zu behandeln ist (§§ 112, 113 BGB).385 Dennoch bildet im deutschen Recht „die signifikante Erweiterung des rechtlichen Könnens“ 386 die hauptsächliche Wirkung der Volljährigkeit.387 Üblicherweise wird sie mit der vollen Geschäftsfähigkeit sogar gleichgestellt.388 Dies zeigt sich insbesondere auch daran, dass die Termini „volljährig“, „mündig“, „geschäftsfähig“ und „erwachsen“ im allgemeinen Sprachgebrauch synonym verwendet werden.389 Insofern führte die rechtliche Unterscheidung zu einer unna380 Angeregt von Coester-Waltjen, IPRax 2019, 127, 130, die diesen Weg aber letztlich ablehnt; diesen Ansatz befürwortend Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht – Bd. 2: Besonderer Teil, § 4 Rn. 96. 381 So auch Mäsch, in: FS Heldrich, 857, 858; Helms, Der Begriff des Kindes im Internationalen Familienrecht, in: Migration und IPR, 2019, 147. 382 Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch. 383 BeckOGK/Behme, 1.11.2021, § 2 BGB Rn. 3.1. 384 MüKo/Spickhoff, 9. Aufl., 2021, § 112 BGB Rn. 14; BeckOK/Wendtland, 62. Ed., 1.5.2022, § 112 BGB Rn. 6; Grüneberg/Ellenberger, 81. Aufl., 2022, § 112 BGB Rn. 1. 385 Coester-Waltjen, IPRax 2019, 127, 130. 386 So wortwörtl. BeckOGK/Behme, 1.11.2021, § 2 BGB Rn. 2. 387 Schwab, AcP 172 (1972), 266; vgl. ebenso Beitzke, AcP 172 (1972), 240, 249. 388 Rupp, ZfPW 2018, 57, 58. 389 Vgl. BeckOGK/Behme, 1.11.2021, § 2 BGB Rn. 3; MüKo/Lipp, 8. Aufl., 2020, Art. 7 EGBGB Rn. 50.

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türlichen Aufspaltung von Volljährigkeit und unbeschränkter Geschäftsfähigkeit mit der Wirkung, dass beide Elemente trotz ihres unmittelbaren Zusammenhangs verschiedenen Rechten unterworfen würden. Außerdem scheitert dieser Lösungsversuch in den Fällen, in denen das ausländische Recht im Falle der Eheschließung nicht etwa nur die Erlangung der vollen Geschäftsfähigkeit, sondern ausdrücklich und unmissverständlich der Volljährigkeit anordnet.390 Diese Besonderheit einzelner Rechtsordnungen, in denen die natürliche Verbindung von Volljährigkeit und Mündigkeit expressis verbis gesetzlich fixiert ist, würde durch die Außerachtlassung der eheschließungsbedingten Volljährigkeitswirkung übergangen. Des Weiteren sehen einige Rechtssysteme in ihren Vorschriften die Möglichkeit einer Volljährigkeitserklärung vor.391 Auch in einem solchen Fall wäre die Beibehaltung der Minderjährigkeit im deutschen Recht nur schwerlich zu rechtfertigen. Man kreierte also mit dieser Auslegung einen eindeutigen Wertungswiderspruch, indem man das fremde Statut, dessen Geltungswillen man durch Anwendung des Art. 7 Abs. 1 EGBGB eigentlich befriedigen möchte, letztlich dann doch ignoriert. Überhaupt weist dieser Ansatz nur dann Lösungspotenzial auf, wenn nach der jeweiligen Rechtsordnung die Eheschließung mit der Mündigkeit einhergeht. Dort aber, wo das fremde Volljährigkeitsstatut eine niedrigere Altersgrenze veranschlagt, ist für die jüngeren, nach ausländischem Recht aber volljährigen Ehegatten unter 18 Jahren die Volljährigkeitsvoraussetzung nach Art. 229 § 44 Abs. 4 Nr. 2 EGBGB erfüllt, sodass vorbehaltlich der weiteren Heilungserfordernisse die jeweilige Ehe entgegen der Intention des Gesetzgebers dem Verdikt der Unwirksamkeit entgehen würde. Ebenfalls inakzeptabel sind außerdem die nachteiligen Auswirkungen in der entgegengesetzten Situation, in der das Heimatrecht für den Eintritt der Volljährigkeit ein höheres Alter als 18 Jahre vorsieht: Selbst wenn das 18. Lebensjahr überschritten wurde, fallen hier die Ehen der (aus deutscher Perspektive) volljährigen Ehegatten nicht in den Anwendungsbereich der Heilungsvorschrift, obwohl sie nach dem Willen des Gesetzgebers eine Heilung verdienen.

390 So z. B. im lettischen (Art. 221 Abs. 2 ZGB), polnischen (Art. 10 § 2 ZGB) und slowakischen Recht (§ 8 Abs. 2 S. 2 ZGB), im Recht Irlands (Sect. 2 1 VolljährigkeitsalterG), der Republik Kongo (Art. 415 FGB), Südkoreas (Art. 826 Abs. 2 ZGB) und im Rechtssystem von Mauritius (Art. 476 f. CC). Auch das türkische Recht spricht in Art. 11 Abs. 2 ZGB ausdrücklich davon, dass Heirat „volljährig“ macht. Bis 2015 galt dieser Grundsatz gem. Art. 1:233 BW a. F. ebenso für die Niederlande. Mit dem Gesetz zur Bekämpfung von Heiratszwang (s. dazu Kap. 4 A. I.) wurde dieser Teil der Norm indes entfernt. In der Begründung zum damaligen Gesetzesvorhaben wurde die Geschäftsfähigkeit als „wichtigste Konsequenz der Volljährigkeitserlangung“ bezeichnet („Het belangrijkste gevolg van het bereiken van de meerderjarigheid is de handelingsbekwaamheid.“, s. Tweede Kamer der Staten-Generaal, Kamerstuk 33 488 Nr. 3 (2012– 2013), 7). 391 Z. B. Österreich (§ 174 ABGB).

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(3) Rekurs auf das deutsche Sachrecht Sowohl im Hinblick auf den vom Gesetzgeber verfolgten telos der Neuregelung als auch vor dem Hintergrund der Pluralität der ausländischen Volljährigkeitsstatute können also beide Sichtweisen kaum zu praktikablen Lösungen führen. Schenkt man hingegen den Gesetzesmaterialien und den mit der Regelung verfolgten Zielsetzung die notwendige Beachtung, so kann der Gesetzestext nur so verstanden werden, dass unmittelbar an die Altersgrenze des § 2 BGB angeknüpft werden soll.392 In den Gesetzesmaterialien wird die Unwirksamkeitssanktion damit begründet, dass die Minderjährigen „in diesem Alter“ besonders schutzbedürftig seien.393 Dem liegt die klare Wertung zugrunde, dass das erforderliche Maß an Reife zur Führung einer wirksamen Ehe nur Personen zuzusprechen ist, die das 18. Lebensjahr erreicht haben. Von der Heilungswirkung sollen nach dem Vorstellungshorizont des Gesetzgebers daher nur solche Ehegatten profitieren, die dieses Alter erreicht haben und damit nicht mehr schutzbedürftig sind. Vor dem vollendeten 18. Lebensjahr erscheint eine Verkürzung des Anwendungsbereichs der Norm also nicht angebracht. Insofern ist anzunehmen, dass die Schöpfer des KEhenBekG die Volljährigkeit auf die inländischen materiell-rechtlichen Regelungen beziehen wollten und sich der weitreichenden Auswirkungen des Art. 7 Abs. 1 EGBGB im Zusammenhang mit dem vielerorts anzutreffenden Prinzip „Heirat macht mündig“ nach S. 2 nicht bewusst waren.394 Insofern spricht die „Rekonstruktion des dem Gesetz innewohnenden Gedankens“ 395 als Hauptaufgabe der Hermeneutik für einen unmittelbaren Rückgriff auf § 2 BGB. Diese Beurteilung deckt sich überdies mit Art. 2 HKsÜ, wo neutral die Vollendung des 18. Lebensjahres für maßgeblich erklärt wird.396 bb) Anforderungen an die Eheführung Weiterhin ist zweifelhaft, was unter dem „Führen einer Ehe“ i. S. v. Art. 229 § 44 Abs. 4 Nr. 2 EGBGB zu verstehen sein soll. 392 So auch Grüneberg/Thorn, 81. Aufl., 2022, Art. 13 EGBGB Rn. 22; Helms, Der Begriff des Kindes im Internationalen Familienrecht, in: Migration und IPR, 2019, 147, 61 m. Fn. 58; Makowsky, RabelsZ 83 (2019), 577, 590 f.; HK-BGB/Kemper, 11. Aufl., 2021, Art. 13 EGBGB Rn. 14; in diesem Sinne zudem AG Kassel 7.3.2018, Az. 524 F 3451/17 E1, FamRZ 2018, 1149, 1150; i. E. auch Erman/Stürner, 16. Aufl., 2020, Art. 13 EGBGB Rn. 41e. 393 Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland, BT-Drs. 18/12086, 17. 394 Ebenso von der Unbedachtheit des Gesetzgebers in diesem Punkt ausgehend, allerdings mit anderem Ergebnis: Coester-Waltjen, IPRax 2019, 127, 130; Dutta, FamRZ 2018, 1150. 395 Savigny, System des heutigen römischen Rechts – Erster Band, 213. 396 Darauf beruft sich ausdrücklich Erman/Stürner, 16. Aufl., 2020, Art. 13 EGBGB Rn. 41e.

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Ausreichend könnte der schlichte Rechtsbestand der Ehe sein, ohne dass die Betroffenen tatsächlich als Eheleute zusammenleben müssen. Demnach genügte der vollzogene Eheschließungsakt, um das Tatbestandsmerkmal als gegeben anzusehen. Allerdings impliziert die Verwendung des aktiven Verbs des „Führens der Ehe“ im Unterschied zur schlichten Ehebegründung womöglich doch die Erforderlichkeit eines tatsächlichen Zusammenlebens in ehelicher Lebensgemeinschaft.397 Immerhin bildet das gemeinsame Leben in unmittelbarer räumlich-gegenständlicher Nähe das zentrale Grundelement der Ehe, in dem sie sich letztlich nach außen hin manifestiert.398 Gerade im Umgang mit nach ausländischem Eheschließungsstatut geschlossenen Ehen bildet das Zusammenleben der Ehegatten ein verlässliches und greifbares Kriterium dafür, ob die Ehe tatsächlich geführt wurde. Eine eheliche Lebensgemeinschaft erfordert indes nach deutschem Sachrecht nicht zwingend ein Zusammenleben in häuslicher Lebensgemeinschaft, vielmehr kann auch das einvernehmliche räumliche Getrenntleben als abweichende Lebensgestaltung in Betracht kommen.399 Laut Gesetzesbegründung wird eine Ehe bereits dann geführt, wenn „beide Ehegatten an einer ehelichen Lebensgemeinschaft festhalten“.400 Hieraus geht hervor, dass auch der Gesetzgeber das äußere Erscheinungsmerkmal des häuslichen Zusammenlebens gerade nicht für konstitutiv erachtete, sondern besonderen Wert auf den Eheführungswillen beider Ehegatten legte. Eine andere Bewertung erscheint auch unter dem Gesichtspunkt anmaßend, dass der Bereich der ehelichen Lebensgestaltung allein den Absprachen der Ehegatten überlassen bleiben sollte und ihre Entscheidung über das Führen einer „Fernehe“ von gesetzlicher Warte aus nicht schlichtweg missbilligt werden sollte. Im Mittelpunkt soll also das „beidseitige Wollen der ehelichen Verbindung“ stehen.401 Die beschränkte Nachprüfbarkeit dieses subjektiven Elements dürfte in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle keine Rolle spielen, da die Ehe397 Onwuagbaizu, NZFam 2019, 465, 466; vgl. a. Grüneberg/Thorn, 81. Aufl., 2022, Art. 13 EGBGB Rn. 22; Hüßtege, FamRZ 2017, 1374, 1375; BeckOGK/Kriewald, 1.4. 2022, Art. 229 § 44 EGBGB Rn. 16. 398 Vgl. MüKo/Roth, 9. Aufl., 2022, § 1353 BGB Rn. 34; Erman/Kroll-Ludwigs, 16. Aufl., 2020, § 1353 BGB Rn. 6; Staudinger/Voppel, 17. Aufl., 2018, § 1353 BGB Rn. 70. 399 MüKo/Roth, 9. Aufl., 2022, § 1353 BGB Rn. 34; Grüneberg/Siede, 81. Aufl., 2022, § 1353 BGB Rn. 6; Erman/Kroll-Ludwigs, 16. Aufl., 2020, § 1353 BGB Rn. 6; Staudinger/Voppel, 17. Aufl., 2018, § 1353 BGB Rn. 70 ff.; OLG Brandenburg 16.10.2007, Az. 10 UF 141/07, NJOZ 2008, 3665, 3666; so im Ergebnis auch Hepting/ Dutta, Familie und Personenstand: ein Handbuch zum deutschen und internationalen Privatrecht, III-279; Makowsky, RabelsZ 83 (2019), 577, 589. 400 Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland, BT-Drs. 18/12086, 24. 401 So ausdrücklich Andrae, RPsych 2017, 426, 437; in die gleiche Richtung wohl Makowsky, RabelsZ 83 (2019), 577, 589; s. a. BGH 7.11.2001, Az. XII ZR 247/00 (KG), NJW 2002, 671.

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gatten in der Regel nach der Eheschließung zusammenleben. Haben sie jedoch keine häusliche Lebensgemeinschaft begründet oder diese nach einer gewissen Zeit aufgegeben, so ist dennoch ein beidseitiger Ehewille zu unterstellen, sofern die Ehegatten keine gegenteiligen Angaben machen oder schwerwiegende Indizien eine anderweitige Bewertung nahelegen.402 Eine zeitliche Komponente findet sich im Gesetzeswortlaut nur insoweit, als dass die Ehe „bis zur Volljährigkeit des minderjährigen Ehegatten“ zu führen ist. Da die nach Art. 229 § 44 Abs. 4 Nr. 2 EGBGB maßgebliche Volljährigkeit erst mit Erreichen des 18. Lebensjahres einsetzt, muss auf die erforderliche Zeitspanne zum Führen einer Ehe nicht eingegangen werden.403 Sollten beide Ehegatten bis zur Volljährigkeit an ihrer Ehe festhalten, ist von einer entsprechenden Eheführung auszugehen. cc) Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts Eine Heilung ist ferner ausgeschlossen, wenn vor Eintritt der Volljährigkeit des minderjährigen Ehegatten zeitweilig ein gewöhnlicher Aufenthalt in Deutschland von mindestens einem der beiden Ehegatten begründet wurde. Die Verwendung des gewöhnlichen Aufenthalts als Heilungsausschlussvoraussetzung gebietet eine inhaltliche Präzisierung dieses Terminus. Aufgrund der vielgestaltigen Verwendung in unterschiedlichen Rechtsgebieten wurde angeregt, dass innerhalb des IPR auf den verschiedenen Sachgebieten404 eine differenzierende Auslegung des Begriffs des gewöhnlichen Aufenthalts angebracht sei.405 Aus Gründen der Rechtssicherheit erscheint jedoch ein einheitliches Begriffsverständnis406 vor402 A. A. VG Berlin 19.1.2018, Az. 28 K 418.16 V, juris, Rn. 4, das ohne nähere Begründung die Eheführung in Zweifel gezogen hat, weil die Ehegattin einen Monat nach Eheschließung zu ihrem Vater nach Saudi-Arabien zog; krit. Andrae, Internationales Familienrecht, § 1 Rn. 121, die sich aufgrund der Unbestimmtheit für eine Streichung des Kriteriums ausspricht. 403 Dutta, FamRZ 2018, 1150 bejaht im Rahmen der selbständigen Vorfragenanknüpfung und Bestimmung der Volljährigkeit nach Art. 7 EGBGB bei Gültigkeit des Prinzips „Heirat macht mündig“ das Führen einer Ehe bereits in der juristischen Sekunde zwischen Eheschließungsakt und Volljährigkeitseintritt; dagegen hegt das VG Berlin 19.1.2018, Az. 28 K 418.16 V, juris, Rn. 4 selbst bei Auszug der Ehegattin nach einem Monat Zweifel an der Eheführung. 404 S. hierzu die Ausführungen von Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht – Bd. 1: Allgemeine Lehren, § 7 Rn. 22; vgl. a. Hepting/Dutta, Familie und Personenstand: ein Handbuch zum deutschen und internationalen Privatrecht, VI-50. 405 Zur Diskussion ausführlich Baetge, Der gewöhnliche Aufenthalt im Internationalen Privatrecht, 82 ff.; Kränzle, Heimat als Rechtsbegriff?, 120 ff.; auf die „rechtsgebietsspezifischen Nuancen“ im Rahmen der Auslegung hinweisend Andrae, RPsych 2017, 426, 438; Coester-Waltjen, IPRax 2017, 429, 433. 406 Hierfür plädieren Spickhoff, IPRax 1995, 185, 186; Erman/Stürner, 16. Aufl., 2020, Art. 5 EGBGB Rn. 46; vgl. a. Süß, § 2 Deutsches Internationales Familienrecht, in: Eherecht in Europa, 4. Aufl., 2021, 141, 161; für eine dreistufige Differenzierung

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zugswürdig, das im Einzelfall Raum für die rechtsgebietsspezifischen Besonderheiten lässt.407 Ungeachtet dieser Kontroverse ist die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts nach wie vor mit zahlreichen Unwägbarkeiten verbunden, feststehende Leitlinien für die Behandlung von Grenzfällen haben sich diesbezüglich noch nicht etabliert.408 Im Laufe der Zeit wurde der unbestimmte Rechtsbegriff jedoch durch einige konkretisierende Umschreibungen präzisiert, die allesamt eine besondere Intensität der Bindungen zum Aufenthaltsort zugrunde legen und kontextabhängig unterschiedlich stark ins Gewicht fallen.409 Im Allgemeinen bezeichnet der gewöhnliche Aufenthalt den Schwerpunkt der Bindungen der betroffenen Person sowie ihren Daseinsmittelpunkt.410 Die Begründung des gewöhnlichen Aufenthalts ist aufgrund der tatsächlichen Umstände zu beurteilen und setzt ein Mindestmaß an sozialer Integration im Aufenthaltsstaat voraus.411 Als Indikatoren für eine hinreichende soziale Eingliederung fungieren die Ausübung eines Berufs oder einer Tätigkeit, der Schulbesuch, die Ausbildung sowie das Bestehen familiärer und freundschaftlicher Bindungen im Inland.412 Der Aufenthalt muss deshalb auf Dauer angelegt und von gewisser Beständigkeit sein.413 Insoweit hat sich die Faustformel einer sechsmonatigen Mindagegen Baetge, Der gewöhnliche Aufenthalt im Internationalen Privatrecht, 98 ff., zusammengefasst auf S. 150. 407 MüKo/v. Hein, 8. Aufl., 2020, Art. 5 EGBGB Rn. 143. 408 Vgl. Weller, in: FS Coester-Waltjen, 897, 906; Budzikiewicz, Der gewöhnliche Aufenthalt von Flüchtlingen als Anknüpfungspunkt im Internationalen Privat- und Privatverfahrensrecht, in: Migration und IPR, 2019, 93, 99 ff.; Rentsch, ZEuP 2015, 288, 300; Weller/Rentsch, Habitual Residence: A Plea for Settled Intention, in: General Principles of European Private International Law, 2016, 171, 172 f. Die Haager Konferenz verzichtete auf eine Definition aus Furcht vor einer „begrifflichen Erstarrung“, wie sie den Terminus des „Wohnsitzes“ prägt, s. Baetge, Der gewöhnliche Aufenthalt im Internationalen Privatrecht, 33 und in seiner Einleitung. 409 Baetge, IPRax 2001, 573, 574; vgl. a. Kränzle, Heimat als Rechtsbegriff?, 123 ff.; Rohe, in: FS Rothoeft, 1, 19. 410 Richtungsweisend insofern BGH 5.2.1975, Az. IV ZR 103/73, NJW 1975, 1068; s. zudem Erman/Stürner, 16. Aufl., 2020, Art. 5 EGBGB Rn. 47; Staudinger/Bausback, 15. Aufl., 2013, Art. 5 EGBGB Rn. 43; Mansel, Personalstatut, Staatsangehörigkeit und Effektivität, 267; Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland, BT-Drs. 10/504, 41; Baetge, IPRax 2001, 573, 574; Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht – Bd. 1: Allgemeine Lehren, § 7 Rn. 23; Baetge, in: FS Kropholler, 77, 78. 411 Baetge, IPRax 2001, 573, 574; Andrae, RPsych 2017, 426, 438; vgl. a. Hepting/ Dutta, Familie und Personenstand: ein Handbuch zum deutschen und internationalen Privatrecht, VI-52. 412 Vgl. Erman/Stürner, 16. Aufl., 2020, Art. 5 EGBGB Rn. 19a; Baetge, in: FS Kropholler, 77, 81; vgl. a. die Indizienauflistung bei ders., Der gewöhnliche Aufenthalt im Internationalen Privatrecht, 108 ff. 413 Mansel, Personalstatut, Staatsangehörigkeit und Effektivität, 267 („längeres Verweilen“); Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht – Bd. 1: Allgemeine Lehren, § 7 Rn. 23; Budzikiewicz, Der gewöhnliche Aufenthalt von Flüchtlingen als Anknüpfungspunkt im Internationalen Privat- und Privatverfahrensrecht, in: Migration und IPR, 2019, 93, 104.

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destaufenthaltsdauer herausgebildet.414 Der gewöhnliche Aufenthalt kann aber auch schon zu einem früheren Zeitpunkt begründet werden, wenn er von vornherein auf eine längere Zeitdauer angelegt ist.415 Je länger die Person in Deutschland verweilt, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit einer sozialen Integration in die hiesige Umwelt.416 Kurzfristige Unterbrechungen lassen den entstandenen gewöhnlichen Aufenthalt dabei unberührt.417 Es darf allerdings nicht verkannt werden, dass der zeitliche Aspekt nur ein Gesichtspunkt unter vielen Faktoren ist, die für die Konkretisierung des gewöhnlichen Aufenthalts von Belang sind.418 In die Prüfung miteinzubeziehen sind des Weiteren eventuell vorhandene Sprachkenntnisse, die Belegenheit von Vermögenswerten und die Wohnsituation am Aufenthaltsort.419 Im Kontext der Minderjährigenehen ist bei der Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthaltsortes im Rahmen des Art. 229 § 44 Abs. 4 Nr. 2 EGBGB von zentraler Bedeutung, aus welchen Gründen die betreffenden Ehegatten nach Deutschland gekommen sind. (1) Arbeit als Grund für die Aufenthaltsnahme Bezieht der Ehegatte noch vor der Volljährigkeit seines minderjährigen Ehegatten in Deutschland Aufenthalt, um einer Beschäftigung nachzugehen, so lie414 BGH 29.10.1980, Az. IVb ZB 586/80, NJW 1981, 520, 521; OLG Rostock 25.5. 2000, Az. 10 UF 126/00, IPRax 2001, 588, 589; OLG Frankfurt am Main 29.2.1996, Az. 3 UF 19/96, FamRZ 1996, 1478, 1479; MüKo/v. Hein, 8. Aufl., 2020, Art. 5 EGBGB Rn. 154; Weller, in: FS Coester-Waltjen, 897, 906. Die Faustformel wurde allerdings für die Lokalisierung des gewöhnlichen Aufenthalts im Rahmen des Haager Minderjährigenschutzabkommens und damit für Kinder entwickelt, s. Baetge, in: FS Kropholler, 77, 81. Sie findet jedoch auch auf Erwachsene Anwendung, s. Grüneberg/Thorn, 81. Aufl., 2022, Art. 5 EGBGB Rn. 10; Spickhoff, IPRax 1995, 185, 186. 415 Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht – Bd. 1: Allgemeine Lehren, § 7 Rn. 23; OLG Hamm 12.3.1991, Az. 1 UF 471/90, FamRZ 1991, 1346, 1347; Grüneberg/Thorn, 81. Aufl., 2022, Art. 5 EGBGB Rn. 10. 416 Baetge, Der gewöhnliche Aufenthalt im Internationalen Privatrecht, 109; Mansel, Personalstatut, Staatsangehörigkeit und Effektivität, 268. Eine lange Aufenthaltsdauer ist indes kein Garant für eine vorhandene soziale Assimilation, s. MüKo/v. Hein, 8. Aufl., 2020, Art. 5 EGBGB Rn. 158. 417 S. OLG Düsseldorf 30.7.1997, Az. 3 WF 137/97, FamRZ 1998, 1318; Baetge, IPRax 2001, 573, 575; MüKo/v. Hein, 8. Aufl., 2020, Art. 5 EGBGB Rn. 153; Erman/ Stürner, 16. Aufl., 2020, Art. 5 EGBGB Rn. 51; Loewe, ÖJZ 1974, 144, 150: Nr. 8 der Empfehlungen des Europarats zur Vereinheitlichung der Rechtsbegriffe „Wohnsitz“ und „Aufenthalt“ vom 18.1.1972. 418 Hierauf warnend hinweisend Baetge, Der gewöhnliche Aufenthalt im Internationalen Privatrecht, 109; vgl. a. Spickhoff, IPRax 1995, 185, 187; Baetge, in: FS Kropholler, 77, 81; Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht, JAmt 2016, 190; Meysen/Achterfeld, Geflüchtete Kinder und Jugendliche im Spannungsfeld von Kinder- und Jugendhilfe-, Familien- und Ausländerrecht, in: Die herausgeforderte Rechtsordnung, 2018, 313, 335 erachten daher die sechsmonatige Mindestaufenthaltsdauer als überholt. 419 Baetge, Der gewöhnliche Aufenthalt im Internationalen Privatrecht, 117; ders., StAZ 2016, 289, 292.

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fert zwar die Erwerbstätigkeit selbst einen Hinweis darauf, dass nunmehr dort der Schwerpunkt seiner Lebensbeziehungen zu verorten ist.420 Allerdings hängt der Indizgehalt für die Lokalisierung des gewöhnlichen Aufenthalts auch hier von der zeitlichen Dimension, dem Grad der sozialen Integration und den familiären Beziehungen ab. Zu differenzieren ist zwischen der dauerhaften Arbeitsmigration und einer vorübergehenden Beschäftigung. Im ersten Fall ist der Arbeitsaufenthalt nicht nur temporärer Natur, sondern auf eine längere Zeitdauer angelegt. Selbst wenn nach der Planung der Arbeitsaufenthalt zeitlich begrenzt sein und die Familie im Heimatstaat zurückbleiben sollte, entsteht daher für den Arbeitnehmer im Regelfall ein gewöhnlicher Aufenthalt im Inland, wenn eine gewisse soziale Integration nicht ausgeschlossen erscheint.421 Handelt es sich dagegen um ein vorübergehendes Beschäftigungsverhältnis in Form einer Saisonarbeit oder eines Ferienjobs, so ist der indizielle Wert entsprechend gering.422 In diesem Fall kann also der gewöhnliche Aufenthalt im Herkunftsstaat verbleiben, wenn im Destinationsstaat keine hinlängliche gegenwärtige oder zu erwartende soziale Integration stattfindet.423 (2) Flucht als Grund für die Aufenthaltsnahme Erst im Zuge der sogenannten Flüchtlingskrise wurde die deutsche Öffentlichkeit in nennenswertem Umfang mit dem Phänomen von im Alter von unter 18 bzw. unter 16 Jahren verheirateten Jugendlichen konfrontiert.424 Auch den Hauptherkunftsstaaten der minderjährigen Ehegatten aus dem Jahr 2016425 nach zu urteilen, besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass Ehepaare oder einzelne Ehegatten als sog. Flüchtlinge im Rechtssinne in ihrem Heimatland persönlich verfolgt, als Bürgerkriegsflüchtlinge gewaltsam aus ihrer Heimat vertrieben oder 420 Wortwörtlich Baetge, Der gewöhnliche Aufenthalt im Internationalen Privatrecht, 114; OLG Frankfurt am Main 3.12.1976, Az. 20 W 942/76, OLGZ 1977, 141, 143. 421 Vgl. MüKoFamFG/Rauscher, 3. Aufl., 2018, § 98 FamFG Rn. 65; Spickhoff, IPRax 1995, 185, 187; a. A. dagegen HK-BGB/Dörner, 11. Aufl., 2021, Art. 5 EGBGB Rn. 8, der im Falle eines Gastarbeiters bei familiärer Bindung im Herkunftsland einen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland im Zweifel verneint. 422 Baetge, Der gewöhnliche Aufenthalt im Internationalen Privatrecht, 115; vgl. Spickhoff, IPRax 1995, 185, 188. 423 Vgl. HK-BGB/Dörner, 11. Aufl., 2021, Art. 5 EGBGB Rn. 8; Spickhoff, IPRax 1995, 185, 188. 424 Meysen/Achterfeld, Geflüchtete Kinder und Jugendliche im Spannungsfeld von Kinder- und Jugendhilfe-, Familien- und Ausländerrecht, in: Die herausgeforderte Rechtsordnung, 2018, 313, 341; Möller/Yassari, KJ 2017, 269, 274; Jänterä-Jareborg, in: FS Lowe, 267, 270. 425 Syrien wird seit 2011 vom Bürgerkrieg heimgesucht. Auch in Afghanistan finden seit 1978 immer wieder zusammenhängende bewaffnete Konflikte statt. Zur prekären Lage im Irak auch nach dem Sieg über die Dschihadisten-Miliz „Islamischer Staat“: Rhode, Irak – Dossier Innerstaatliche Konflikte, Bundeszentrale für politische Bildung, 24.9.2020.

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als sog. „Wirtschaftsflüchtlinge“ 426 aus finanzieller Not gezwungen wurden, den dort herrschenden ärmlichen oder gar existenzbedrohenden Rahmenbedingungen zu entfliehen. Besonders in diesen Fällen, in denen „neue Erscheinungsformen der Migration“ 427 zum Tragen kommen, erweist sich die Feststellung des gewöhnlichen Aufenthalts in Abgrenzung zu einem nur gelegentlichen oder vorübergehenden Aufenthalt jedoch als problematisch. Die Komplikationen, die im Umgang mit Geflüchteten auftreten, sind ihrer besonderen Lebenssituation geschuldet:428 Zunächst ist die rechtliche Grundlage ihres Aufenthalts im Zufluchtsstaat über einen langen Zeitraum hin unklar. Des Weiteren ist kaum zu prognostizieren, wie lange die Person im Inland verweilen wird. Die isolierte, provisorische Unterbringung der Flüchtlinge in Aufnahmeeinrichtungen (§ 47 AsylG) und Gemeinschaftsunterkünften (§ 53 AsylG), die ihrer Art nach von Flüchtlingsheimen über Wohncontainer bis hin zu Zeltstädten reichen können429, kann zudem den Kontakt zur einheimischen Bevölkerung erschweren.430 Hinzu tritt, dass die fehlende Gewissheit über den Aufenthaltsstatus und der Mangel an Sprachkenntnissen Hindernisse für die Schaffung neuer sozialer Kontakte darstellen und die zur Etablierung eines gewöhnlichen Aufenthalts wesentliche Integration negativ beeinträchtigen.431 Vor diesem Hintergrund bedürfen einige der oben genannten Faktoren im Hinblick auf diesen Personenkreis einer Relativierung. Damit der Aufenthalt im Inland zum gewöhnlichen Aufenthalt erstarken kann, ist zunächst erforderlich, dass sich der jeweilige Ehegatte tatsächlich physisch in Deutschland aufhält.432 Der bloße Wille zur permanenten Niederlassung an einem Wunschort, ohne dass der Ehegatte de facto nach Deutschland einreist, genügt insoweit nicht.433 Da Flüchtlinge sich meist erst seit kurzem im Inland aufhalten, 426 Wer aus wirtschaftlichen Gründen sein Heimatland verlassen hat, wird in Deutschland als Migrant eingestuft, s. Baetge, StAZ 2016, 289, 290. 427 So Mankowski, IPRax 2017, 40 ff. im Titel seines Aufsatzes. 428 Budzikiewicz, Der gewöhnliche Aufenthalt von Flüchtlingen als Anknüpfungspunkt im Internationalen Privat- und Privatverfahrensrecht, in: Migration und IPR, 2019, 93, 98; Baetge, StAZ 2016, 289, 292. 429 Ohlinger/Brands/Schweiger u. a., Unterbringung und Wohnen von Flüchtlingen: Engpässe überwinden – Kommunen entlasten, 2016, 9 f. 430 Baetge, StAZ 2016, 289, 292 f. 431 Budzikiewicz, Der gewöhnliche Aufenthalt von Flüchtlingen als Anknüpfungspunkt im Internationalen Privat- und Privatverfahrensrecht, in: Migration und IPR, 2019, 93, 98; Baetge, StAZ 2016, 289, 292. 432 BeckOK/Lorenz, 62. Ed., 1.5.2022, Art. 5 EGBGB Rn. 17; vgl. a. Kränzle, Heimat als Rechtsbegriff?, 123. 433 Gleiches gilt für den Reiseantritt, s. Kränzle, Heimat als Rechtsbegriff?, 123. Andernfalls würde die faktische Natur des gewöhnlichen Aufenthalts im Unterschied zum Wohnsitz oder domicile weitestgehend untergraben. Genauer hierzu Budzikiewicz, Der gewöhnliche Aufenthalt von Flüchtlingen als Anknüpfungspunkt im Internationalen Privat- und Privatverfahrensrecht, in: Migration und IPR, 2019, 93, 108 f.

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darf dem Zeitkriterium kein zu großes Gewicht beigemessen werden; andernfalls wäre ein gewöhnlicher Aufenthalt in den vielen Fällen kurzzeitiger Verweildauer per se auszuschließen.434 Umgekehrt nimmt die Indizintensität der Verweildauer zu, je länger der Aufenthalt im Inland andauert.435 Auch geringe Sprachkenntnisse geben nur wenig Aufschluss darüber, ob die Integration weit fortgeschritten ist. Vielmehr kommt dem aktiven Bemühen der Beteiligten, die Landessprache zu erlernen und die bestehende Sprachbarriere zu überwinden, größere Bedeutung zu.436 Anlässlich der oben genannten erschwerten Lebensbedingungen und eingeschränkten Integrationsmöglichkeiten entfaltet bereits der Umgang mit Personen aus dem Heimatland eine Indizwirkung für die Einbindung in die soziale Umwelt.437 Verstärkt fließen neben der Teilnahme an Sprachkursen sowie anderen Integrationsveranstaltungen und dem Schulbesuch des Kindes die Begründung eines Arbeitsverhältnisses und die rechtliche Absicherung des faktischen Lebensmittelpunkts in Gestalt eines sich auf eine längere Dauer erstreckenden temporären Aufenthaltstitels (Duldung) oder dauernden Aufenthaltsrechts maßgeblich in die Beurteilung des gewöhnlichen Aufenthalts mit ein.438 Die Feststellung eines entsprechenden Daseinsmittelpunkts in der Aufenthaltsrechtsordnung steht und fällt nicht ohne Weiteres mit der Frage, ob die Aufenthaltsnahme auf unrechtmäßige Weise erfolgte bzw. die Aufenthaltsberechtigung mittlerweile entfallen ist oder gerichtlicher Klärung bedarf.439 Ist eine Verfestigung zum ge434

So möchte aber wohl Andrae, RPsych 2017, 426, 438 verfahren. Baetge, StAZ 2016, 289, 292; Mankowski, IPRax 2017, 40, 48. Keine Zustimmung in diesem Punkt verdient damit die Entscheidung des AG Aschaffenburg vom 7.3.2016: hier wurde wie selbstverständlich ein gewöhnlicher Aufenthalt der Eheleute von Anfang an bejaht, obwohl hierfür keine Anhaltspunkte vorlagen. Der Beschluss wird kurz dargestellt bei OLG Bamberg 12.5.2016, Az. 2 UF 58/16, FamRZ 2016, 1270, 1272; krit. Andrae, Internationales Familienrecht, § 1 Rn. 122. Diese vorschnelle Einordnung als gewöhnlicher Aufenthalt bereits am Tag der Ankunft entspricht laut Corneloup/Heiderhoff/Honorati u. a., Children On The Move: A Private International Law Perspective, Juni 2017, 14, jedoch der gängigen Praxis. S. a. Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht, JAmt 2016, 370, 372; genauer hierzu dass., JAmt 2016, 190 f. In der nächsten Instanz wurde die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts auf die mittlerweile achtmonatige Aufenthaltsdauer gestützt. 436 KG 12.8.2013, Az. 16 UF 122/13, IPRspr 2013, 252, 254. 437 Budzikiewicz, Der gewöhnliche Aufenthalt von Flüchtlingen als Anknüpfungspunkt im Internationalen Privat- und Privatverfahrensrecht, in: Migration und IPR, 2019, 93, 110. 438 Mankowski, IPRax 2017, 40, 48; Budzikiewicz, Der gewöhnliche Aufenthalt von Flüchtlingen als Anknüpfungspunkt im Internationalen Privat- und Privatverfahrensrecht, in: Migration und IPR, 2019, 93, 110; s. a. OLG Schleswig 26.8.2015, Az. 8 AR 8/15, NJOZ 2016, 721, 722, wonach bei einer Duldung ein gewöhnlicher Aufenthalt dann entsteht, wenn „tatsächlich in Deutschland ein Lebensmittelpunkt begründet wird und eine Verlängerung des nicht gesicherten ausländerrechtlichen Aufenthaltstitels nicht ausgeschlossen ist“. 439 OLG Hamm 5.5.1989, Az. 1 WF 167/89, NJW 1990, 651 f.; OLG Nürnberg 5.3.2001, Az. 11 WF 320/01, FamRZ 2002, 324; MüKo/v. Hein, 8. Aufl., 2020, Art. 5 EGBGB Rn. 169; BeckOK/Lorenz, 62. Ed., 1.5.2022, Art. 5 EGBGB Rn. 17; Loewe, 435

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wöhnlichen Aufenthalt wegen hinreichender sozialer Integration erfolgt, so entfällt dieser nicht durch die negative Bescheidung von Anträgen auf Erteilung von Asyl oder auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.440 Das Ende der rechtlichen Gestattung des Aufenthalts tangiert den gewöhnlichen Aufenthalt nur dann, wenn sich in der Folge eine Änderung des tatsächlichen Lebensmittelpunkts beim Betroffenen vollzieht, er also freiwillig ausreist oder zwangsweise abgeschoben wird.441 Sodann ist der Ort des gewöhnlichen Aufenthalts erneut zu eruieren. Häufig besteht unter Flüchtlingen auf lange Sicht hin der Wunsch, zu gegebener Zeit in ihr Heimatland zurückzukehren. Dieser Rückkehrwille (animus revertendi) darf der Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts lediglich dann entgegenstehen, wenn er von Anfang an vorhanden war und konkret auf eine zeitnahe Rückreise ins Herkunftsland gerichtet ist; zudem darf eine vertiefte Integration noch nicht erfolgt sein.442 Bei der überwiegenden Mehrzahl der Flüchtlinge dürfte indes kein konkreter Rückkehrwille vorliegen. Hier besteht zumeist ein allgemeiner Rückkehrwunsch, der zeitlich nur insofern determiniert ist, als dass er – eher vage und unbestimmt – auf die Rückreise nach erfolgreicher Bekämpfung respektive Wegfall der Fluchtursachen im Heimatland bezogen ist.443 Ist der Aufenthalt den Umständen nach von vornherein auf längere Dauer angelegt, so kann er – auch wenn es noch nicht annähernd zu einer sozialen InteÖJZ 1974, 144, 150: Nr. 7 der Empfehlungen des Europarats zur Vereinheitlichung der Rechtsbegriffe „Wohnsitz“ und „Aufenthalt“; Baetge, in: FS Kropholler, 77, 83; Spickhoff, IPRax 1990, 225, 227; Kränzle, Heimat als Rechtsbegriff?, 123; a. A. Andrae, RPsych 2017, 426, 438. Ein engeres Verständnis galt ebenso im speziellen Bereich des Sozialrechts, wo auf den ausländerrechtlichen Status abgestellt wurde (s. BSG 28.7. 1992, Az. 5 RJ 24/91, BSGE 71, 78, 80; BSG 15.6.1982, Az. 10 RKg 26/81, NVwZ 1983, 246, 247; Baetge, StAZ 2016, 289, 294). Bei anderen sozialgerichtlichen Entscheidungen wurde ein gewöhnlicher Aufenthalt bei Asylbewerbern mit längerer Aufenthaltsdauer im Inland und ungewisser Verweildauer ebenso bejaht wie bei schlichter Duldung seines Aufenthalts und Verzicht auf seine Abschiebung aus humanitären Gründen, vgl. BSG 16.12.1987, Az. 11a REg 3/87, MDR 1988, 700, dazu ausführlich Spickhoff, IPRax 1990, 225, 226. 440 OLG Nürnberg 5.3.2001, Az. 11 WF 320/01, FamRZ 2002, 324; LG Kassel 26.2.1990, Az. 3 T 58/90, StAZ 1990, 169, 170 f.; s. a. OLG Schleswig 26.8.2015, Az. 8 AR 8/15, NJOZ 2016, 721, 722; Erman/Stürner, 16. Aufl., 2020, Art. 5 EGBGB Rn. 50; Budzikiewicz, Der gewöhnliche Aufenthalt von Flüchtlingen als Anknüpfungspunkt im Internationalen Privat- und Privatverfahrensrecht, in: Migration und IPR, 2019, 93, 111, 113; ausführlich Baetge, StAZ 2016, 289, 294. 441 S. Mankowski, IPRax 2017, 40, 49. 442 Budzikiewicz, Der gewöhnliche Aufenthalt von Flüchtlingen als Anknüpfungspunkt im Internationalen Privat- und Privatverfahrensrecht, in: Migration und IPR, 2019, 93, 110; vgl. Rohe, in: FS Rothoeft, 1, 22; MüKo/v. Hein, 8. Aufl., 2020, Art. 5 EGBGB Rn. 158; den Rückkehrwillen als Indikator verlangsamter Integration wertend: Kränzle, Heimat als Rechtsbegriff?, 264, 267. 443 Vgl. a. Budzikiewicz, Der gewöhnliche Aufenthalt von Flüchtlingen als Anknüpfungspunkt im Internationalen Privat- und Privatverfahrensrecht, in: Migration und IPR, 2019, 93, 110 m.w. N.

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gration gekommen ist – schon mit seinem Beginn als gewöhnlicher Aufenthalt qualifiziert werden.444 In diesem Sinne muss sich nach außen hin ein korrespondierender Bleibewille (animus manendi) manifestieren.445 Bei diesem subjektiven Kriterium handelt es sich indes nicht um eine konstitutive Voraussetzung, sondern vielmehr um ein weiteres Wesensmerkmal mit Indizgehalt.446 Innerhalb des Personenkreises der Flüchtlinge artikuliert sich der Bleibewille typischerweise bereits in der Stellung des Antrags auf Asyl oder auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.447 Fraglich bleibt, ob auch dem Begehren nach subsidiärem Schutz ein solcher Wille entnommen werden kann. Verdeutlicht man sich die guten Bleibeperspektiven, die die recht großzügige Gewährung des subsidiären Schutzes bietet448, kommt man nicht umhin, den entsprechenden Antrag als einen Hinweis auf eine mögliche Verfestigung der Ortsbindung zu werten, der in Kombination mit weiteren Faktoren die Entstehung eines gewöhnlichen Aufenthalts belegen kann.449 Bedingung für die Maßgeblichkeit des animus manendi ist 444 BGH 29.10.1980, Az. IVb ZB 586/80, NJW 1981, 520; BGH 3.2.1993, Az. XII ZB 93/90, NJW 1993, 2047, 2049; Spickhoff, IPRax 1990, 225, 227; Erman/Stürner, 16. Aufl., 2020, Art. 5 EGBGB Rn. 52; Baetge, in: FS Kropholler, 77, 84; Grüneberg/ Thorn, 81. Aufl., 2022, Art. 5 EGBGB Rn. 10 m.w. N. 445 S. MüKo/v. Hein, 8. Aufl., 2020, Art. 5 EGBGB Rn. 163; Spickhoff, IPRax 1990, 225, 227; Kränzle, Heimat als Rechtsbegriff?, 134 ff.; ausführlich Weller, Der „gewöhnliche Aufenthalt“ – Plädoyer für einen willenszentrierten Aufenthaltsbegriff, in: Brauchen wir eine Rom-0-Verordnung?, 2013, 293, 317 ff.; Weller/Rentsch, Habitual Residence: A Plea for Settled Intention, in: General Principles of European Private International Law, 2016, 171, 172, 184 ff.; Rentsch, ZEuP 2015, 288, 308 f.; Baetge, StAZ 2016, 289, 295; die willenszentrierte Sichtweise scheint auch beim EuGH durchgedrungen, richtungsweisend insofern EuGH 22.12.2010, Rs. C-497/10 PPU „Barbara Mercredi/Richard Chaffe“, FamRZ 2011, 617, 619, 621; a. A. BGH 5.2.1975, Az. IV ZR 103/73, NJW 1975, 1068, wonach „der Wille, den Aufenthaltsort zum Mittelpunkt oder Schwerpunkt der Lebensverhältnisse zu machen“ nicht von rechtlicher Bewandtnis ist. 446 Klarstellend insoweit auch Baetge, Der gewöhnliche Aufenthalt im Internationalen Privatrecht, 132; MüKo/v. Hein, 8. Aufl., 2020, Art. 5 EGBGB Rn. 164. 447 Budzikiewicz, Der gewöhnliche Aufenthalt von Flüchtlingen als Anknüpfungspunkt im Internationalen Privat- und Privatverfahrensrecht, in: Migration und IPR, 2019, 93, 111; Spickhoff, IPRax 1990, 225, 227; Mankowski, IPRax 2017, 40, 48; vgl. a. Arnold, Der Flüchtlingsbegriff der Genfer Flüchtlingskonvention im Kontext des Internationalen Privatrechts, in: Migration und IPR, 2019, 25, 42 f. 448 Prägnant aufgeführt bei Budzikiewicz, Der gewöhnliche Aufenthalt von Flüchtlingen als Anknüpfungspunkt im Internationalen Privat- und Privatverfahrensrecht, in: Migration und IPR, 2019, 93, 112: im Falle einer subsidiären Schutzberechtigung i. S. v. § 4 Abs. 1 AsylG wird zunächst für ein Jahr eine Aufenthaltserlaubnis erteilt, wobei diese nach Maßgabe des § 26 Abs. 1 S. 3 AufenthG um zwei weitere Jahre verlängert werden kann. Nach fünf Jahren wird den subsidiär Schutzberechtigten die Möglichkeit einer Niederlassung gewährt, wenn die in § 9 Abs. 2 S. 1 AufenthG bezeichneten Voraussetzungen vorliegen (§ 26 Abs. 4 AufenthG). 449 Dies., Der gewöhnliche Aufenthalt von Flüchtlingen als Anknüpfungspunkt im Internationalen Privat- und Privatverfahrensrecht, in: Migration und IPR, 2019, 93, 112; a. A. Mankowski, IPRax 2017, 40, 48, der die Beantragung von subsidiärem Schutz gerade als Fehlen eines permanenten Bleibewillens interpretiert; vgl. a. AG Hameln 28.2.2017, Az. 31 F 34/17 EASO, FamRZ 2017, 1223, 1224.

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allerdings die aus objektiver Sicht bestehende Aussicht auf seine Verwirklichung; das längere Verweilen und die Eingliederung in das soziale Umfeld am Aufenthaltsort müssen demnach vor dem Hintergrund des aktuellen Aufenthaltsstatus tatsächlich gegeben oder zu erwarten sein.450 Ist der längerfristige Aufenthalt des oder der Ehegatten nach den ausländerrechtlichen Bestimmungen ersichtlich unzulässig, etwa weil hinter dem Asylbegehren wirtschaftliche Gründe stecken oder der Asylantrag aus anderen Gründen offensichtlich unbegründet ist, kommt ein gewöhnlicher Aufenthalt unter Berufung auf den animus manendi nur dann in Betracht, wenn die soziale Integration bereits unzweifelhaft gegeben ist.451 (3) Besonderheiten bei Minderjährigkeit Hat ein noch immer minderjähriger Ehegatte seinen Aufenthalt nach Deutschland verlegt, so ist zu analysieren, inwiefern sich seine Minderjährigkeit auf die Lokalisierung seines gewöhnlichen Aufenthalts auswirkt. Das AG Hameln maß in seiner Entscheidung vom 28.2.2017 der Dauer des Aufenthalts einer Minderjährigen großen Wert bei.452 Der Beschluss verleitet zu der Annahme, dass nur bei einer längeren Aufenthaltszeitspanne die erforderliche soziale Integration in das neue Umfeld erfolgen kann.453 Nicht nur im Hinblick auf die oben angestellten Erwägungen, wonach eine bestimmte Mindestdauer gerade nicht strikt gefordert werden darf, greift dieser Gedankengang jedoch zu kurz. Zunächst ist weitgehend anerkannt, dass sich Kinder schneller in ihr Umfeld integrieren als Erwachsene.454 Außerdem müssen auch bei Minderjährigen die zuvor erörterten Faktoren in die Ermittlung ihres gewöhnlichen Aufenthalts einfließen.455 Ein entscheidender Stellenwert kommt also dem räumlichen Daseins- und Lebensmittelpunkt des Minderjährigen zu, wobei neben den Gründen für den Aufenthaltswechsel vor allem die bleibende Verwurzelung im heimatlichen Bezugsfeld auf der einen Seite bzw. die soziale Integration im Destinations450 BeckOK/Lorenz, 62. Ed., 1.5.2022, Art. 5 EGBGB Rn. 17; Spickhoff, IPRax 1990, 225, 227 f.; Budzikiewicz, Der gewöhnliche Aufenthalt von Flüchtlingen als Anknüpfungspunkt im Internationalen Privat- und Privatverfahrensrecht, in: Migration und IPR, 2019, 93, 112 f.; die faktische soziale Integration wird insofern durch eine Positivprognose ersetzt, s. Kränzle, Heimat als Rechtsbegriff?, 133. 451 Grüneberg/Thorn, 81. Aufl., 2022, Art. 5 EGBGB Rn. 10 mit zahlreichen Beispielen aus der Rspr.; ablehnend Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht, JAmt 2016, 190, 191. 452 S. AG Hameln 28.2.2017, Az. 31 F 34/17 EASO, FamRZ 2017, 1223, das bei einem einjährigen Verbleib einen gewöhnlichen Aufenthalt verneinte. 453 Vgl. Lack, in: FS Salgo, 85, 108; Heiderhoff/Frankemölle, Minderjährige Flüchtlinge – Überlegungen zum Kindeswohl und zur internationalen Zuständigkeit, in: Migration und IPR, 2019, 187, 201. 454 Baetge, StAZ 2016, 289, 294; ders., Der gewöhnliche Aufenthalt im Internationalen Privatrecht, 111. 455 Budzikiewicz, StAZ 2017, 289, 294; Baetge, StAZ 2016, 289, 294.

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staat auf der anderen Seite zu berücksichtigen sind. In diesem Zusammenhang sind zunächst die Rahmenbedingungen der Einreise von Belang. Insbesondere der Umstand, ob der Minderjährige mit seinem Ehepartner bzw. anderen Familienmitgliedern Aufenthalt im Destinationsstaat genommen hat oder sich bereits Bezugspersonen dort befinden, muss in die Beurteilung miteinbezogen werden.456 So kann die Anwesenheit des Ehegatten bzw. verwandter Personen im Inland eine Eingliederung des Minderjährigen in das soziale Umfeld erleichtern. Zu beachten ist, dass minderjährige Ehegatten bei ihrem Umzug nach Deutschland als unbegleitete Minderjährige behandelt und durch das Jugendamt vorläufig in Obhut genommen werden (§ 42a Abs. 1 S. 2 SGB VIII), um das Alter, die Identität sowie die Wirksamkeit ihrer Ehe einer eingehenden Prüfung zu unterziehen und ihnen Sicherheit zu gewähren.457 Auch diese Fürsorgemaßnahme in Erfüllung der staatlichen Schutzfunktion458 kann einer Integration förderlich sein.459 Unabhängig von der Wirksamkeit ihrer Ehe wird sich innerhalb des Personenkreises der minderjährigen Ehegatten die persönliche Bindung – insbesondere dann, wenn die Minderjährigen die Ehe willentlich begründet haben und eine innige Verbundenheit zum Ehegatten verspüren – auf den Ehepartner als primärer Bezugsperson konzentrieren460, zumal mit fortschreitendem Alter die Bedeutung der familiären Beziehung zu den Eltern oder sonstigen Verwandten abnimmt.461 Aufgrund der gewissen Fokussierung auf den Ehepartner ist für die

456 Budzikiewicz, Der gewöhnliche Aufenthalt von Flüchtlingen als Anknüpfungspunkt im Internationalen Privat- und Privatverfahrensrecht, in: Migration und IPR, 2019, 93, 114; sehr restriktiv in Bezug auf die Erlangung eines gewöhnlichen Aufenthalts dagegen Seiler, Minderjährige unbegleitete Flüchtlinge – sorge- und umgangsrechtliche Praxisfragen, in: 40 Jahre Familienrechtsreform, 2017, 357, 358 f. 457 Vgl. a. Lohse/Meysen, JAmt 2017, 345, 348; BeckOGK/Schwedler, 1.3.2022, § 42a SGB VIII Rn. 7; genauer hierzu Herker, VR 2017, 301, 302 ff.; Treichel, ZKJ 2018, 4, 6 f.; Seiler, Minderjährige unbegleitete Flüchtlinge – sorge- und umgangsrechtliche Praxisfragen, in: 40 Jahre Familienrechtsreform, 2017, 357, 361 ff.; Lentz/Hellmann, FuR 2018, 454 ff.; s. a. Erb-Klünemann/Klößner, FamRB 2016, 160 ff.; zur Einstufung des Ehemannes als Personen- bzw. Erziehungsberechtigter gem. § 42a Abs. 1 SGB VIII unter der Herrschaft des alten Rechts: Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht, JAmt 2016, 370. 458 BeckOGK/Schmidt, 1.5.2022, § 42 SGB VIII Rn. 1; s. hierzu a. Münder/Meysen/ Trenczek/Trenczek/Beckmann, 9. Aufl., 2022, § 42 SGB VIII Rn. 26. 459 Vgl. a. OLG Bamberg 12.5.2016, Az. 2 UF 58/16, FamRZ 2016, 1270, 1272, das bei einem durchgängigen achtmonatigen Verbleib der minderjährigen Ehegattin in einer Jugendhilfeeinrichtung einen gewöhnlichen Aufenthalt bejaht. 460 Vgl. Baetge, Der gewöhnliche Aufenthalt im Internationalen Privatrecht, 113; auch das AG Aschaffenburg stufte den Ehemann als enge Bezugsperson i. S. d. § 1685 Abs. 2 S. 1 BGB ein, s. Beschreibung des Hergangs bei OLG Bamberg 12.5.2016, Az. 2 UF 58/16, FamRZ 2016, 1270, 1271; vgl. a. Opris, ZErb 2017, 158, 164; Coester-Waltjen, IPRax 2017, 429, 436; Lohse/Meysen, JAmt 2017, 345, 349: „einzige Variable in ihrem Leben“. 461 Baetge, Der gewöhnliche Aufenthalt im Internationalen Privatrecht, 114; Budzikiewicz, Der gewöhnliche Aufenthalt von Flüchtlingen als Anknüpfungspunkt im Inter-

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soziale Eingliederung des minderjährigen Ehegatten von besonderer Bedeutung, ob sein Ehepartner im Destinationsstaat verweilt und dort seinen gewöhnlichen Aufenthalt begründet hat.462 Eine Ableitung des gewöhnlichen Aufenthalts ist indes ausgeschlossen463; auch divergierende gewöhnliche Aufenthalte der Ehegatten sind möglich, wenn die Indizien für eine derartige Bewertung sprechen. Mit zunehmendem Alter gewinnen für den Minderjährigen auch weitere Aspekte wie der Schul- oder Kindergartenbesuch464, eine aktive Freizeitgestaltung in und außerhalb von Vereinen, die Aufnahme einer Arbeitsbeschäftigung sowie soziale Kontakte im Inland etc. an Relevanz.465 Ebenso steigt die Bedeutung des Willens, je älter der Minderjährige ist.466 b) Rechtliche Konsequenzen der Heilung nach Art. 229 § 44 Abs. 4 EGBGB Bei Vorliegen aller Heilungsvoraussetzungen bleibt die Frage nach der kollisionsrechtlichen Beurteilung von Sachverhalten, die der strengen Nichtigkeitsfolge des Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB wegen des Eingreifens der Übergangsvorschrift nicht unterfallen.467 Die Norm des Art. 229 § 44 Abs. 4 EGBGB enthält mit Blick auf die Rechtsfolgen der Heilung lediglich den Hinweis, dass Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB keine Geltung beansprucht.

nationalen Privat- und Privatverfahrensrecht, in: Migration und IPR, 2019, 93, 114; vgl. LG Kleve 5.10.1976, Az. 4 T 263/76, FamRZ 1977, 335, 336. 462 Vgl. Budzikiewicz, Der gewöhnliche Aufenthalt von Flüchtlingen als Anknüpfungspunkt im Internationalen Privat- und Privatverfahrensrecht, in: Migration und IPR, 2019, 93, 113 f. 463 LG Kassel 20.9.1995, Az. 3 T 602/95, NJW-RR 1996, 1091; MüKo/v. Hein, 8. Aufl., 2020, Art. 5 EGBGB Rn. 177; Erman/Stürner, 16. Aufl., 2020, Art. 5 EGBGB Rn. 54; Grüneberg/Thorn, 81. Aufl., 2022, Art. 5 EGBGB Rn. 10; Baetge, StAZ 2016, 289, 294; Seiler, Minderjährige unbegleitete Flüchtlinge – sorge- und umgangsrechtliche Praxisfragen, in: 40 Jahre Familienrechtsreform, 2017, 357, 359. 464 Baetge, Der gewöhnliche Aufenthalt im Internationalen Privatrecht, 116 m. entsprechenden Rechtsprechungsnachweisen in Fn. 39, 40; Kränzle, Heimat als Rechtsbegriff?, 125 f. 465 Budzikiewicz, Der gewöhnliche Aufenthalt von Flüchtlingen als Anknüpfungspunkt im Internationalen Privat- und Privatverfahrensrecht, in: Migration und IPR, 2019, 93, 114; s. a. AG Hameln 28.2.2017, Az. 31 F 34/17 EASO, FamRZ 2017, 1223, 1224. 466 Staudinger/Mankowski, 17. Aufl., 2016, Art. 3 HUP Rn. 51. 467 So wohl VG Berlin 6.7.2020, Az. VG 4 K 769.16 A, BeckRS 2020, 19010, Rn. 20. Die Frage offenlassend OLG Frankfurt am Main 11.1.2019, Az. 5 UF 172/18, juris, Rn. 30 f. Das Gericht stellt allerdings zunächst eine Wirksamkeitskontrolle auf Grundlage des ordre public an und gelangt dann erst zur Rechtsfolgenfrage, s. Rn. 26 ff. Vgl. a. OVG Bremen 20.7.2021, Az. 2 LB 96/21, BeckRS 2021, 21071, Rn. 57, wonach Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB wegen Art. 229 § 44 Abs. 4 Nr. 1 EGBGB „nicht anzuwenden“ ist. Makowsky, RabelsZ 83 (2019), 577, 587 ff. differenziert zwischen der Überleitungsvorschrift (Nr. 1) und dem „Heilungstatbestand“ (Nr. 2).

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aa) Volle Rechtsgültigkeit und Unaufhebbarkeit der Ehen Daraus könnte man die Schlussfolgerung ziehen, dass die Befreiung vom Unwirksamkeitsverdikt die umfassende, fehlerfreie Wirksamkeit der Ehe herbeiführt.468 So suggeriert auch der in den Gesetzesmaterialien verwendete Terminus der „Heilung“ 469 nach dem klassischen Begriffsverständnis, dass die Ehe wieder vollkommen hergestellt wird, mithin zur vollen Bestandskraft unaufhebbar erstarkt und lediglich durch Ehescheidung beendet werden kann.470 Allerdings sind angesichts der wertungsmäßigen Inkonsistenz im Hinblick auf Ehen, die im Alter von 16 und 17 Jahren geschlossen wurden und gem. Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB i.V. m. § 1314 Abs. 1 Nr. 1 BGB der Aufhebbarkeit unterstehen, Zweifel an der reinen Wortlautlösung angebracht. Wie bereits festgestellt, hat der Gesetzgeber für Ehen, die von älteren Minderjährigen geschlossen wurden und mithin aufhebbar sind, kein dem Art. 229 § 44 Abs. 4 EGBGB entsprechendes Pendant geschaffen. Während also aufhebbare Ehen auch bei Erfüllung der in der Heilungsklausel statuierten Voraussetzungen weiterhin aufhebbar blieben, erstarkten die im Alter von unter 16 Jahren geschlossenen Ehen zu unaufhebbaren Ehen, die uneingeschränkte Gültigkeit besaßen.471 Der insoweit provozierte Widerspruch, wonach „extreme Fälle“ von Minderjährigenehen einer „sanften“ und „sanfte Fälle“ unter Beteiligung von vergleichsweise älteren Minderjährigen einer „extremen“ Behandlung unterzogen würden, stößt sich überdies am Willen des Gesetzgebers, der die besondere Schutzbedürftigkeit von jüngeren Verlobten deutlich hervorgehoben hat.472 bb) Rückgriff auf die allgemeine ordre public-Kontrolle nach altem Recht (Art. 6 EGBGB) Vor diesem Hintergrund erscheint es sinnvoll, in bewährter Manier für die Beurteilung der Wirksamkeit der „geheilten“ Ehen den ordre public auf Grundlage des Art. 6 EGBGB in Anschlag zu bringen.473 Ganz überwiegend wird geltend 468 Bongartz, NZFam 2017, 541, 545; Coester-Waltjen, IPRax 2017, 429, 432; Erman/Stürner, 16. Aufl., 2020, Art. 13 EGBGB Rn. 41e; ebenso Dutta, FamRZ 2019, 188, 189; die Vollwirksamkeit aber lediglich als Rechtsfolge für die dem Heilungstatbestand des Art. 229 § 44 Abs. 4 Nr. 2 EGBGB unterfallenden Ehen begreifend Makowsky, RabelsZ 83 (2019), 577, 592. 469 Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland, BT-Drs. 18/12086, 24. 470 Vgl. Wall, StAZ 2018, 96, 98; in die gleiche Richtung abzielend Makowsky, RabelsZ 83 (2019), 577, 592. 471 Dieses Dilemma aufzeigend Frank, StAZ 2018, 1, 2; Makowsky, RabelsZ 83 (2019), 577, 592. 472 Vgl. Wall, StAZ 2018, 96, 99. 473 BGH 14.8.2020, Az. XII ZB 131/20, FamRZ 2020, 1533, 1537; Hüßtege, FamRZ 2017, 1374, 1375; jedenfalls bezogen auf Art. 229 § 44 Abs. 4 Nr. 1 EGBGB Makowsky, RabelsZ 83 (2019), 577, 587 f.; Frie, FamRB 2017, 232, 236; BeckOGK/Kriewald,

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gemacht, dass dabei nicht der strenge Bewertungsmaßstab des aktuellen deutschen Sachrechts an die ordre public-Prüfung anzulegen sei und folglich auch nicht jedes von den in § 1303 S. 1 BGB festgelegten Grenzen divergierende Alter einen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung konstituiere. Die Prüfung unterliege vielmehr dem niedrigeren ordre public-Standard des bisherigen Rechts.474 Sollte die Ehe selbst den früheren deutschen Wertvorstellungen eklatant zuwiderlaufen, so seien die Rechtsfolgen den bis zum 22.7.2017 geltenden inländischen Regelungen als Ersatzrecht zu entnehmen. So sehr die Bewertung der Ehewirksamkeit am ordre public ein interessengerechtes Instrumentarium im Einzelfall böte, so wenig liegt es im Interesse des Gesetzgebers des KEhenBekG, in Bezug auf geheilte Ehen die ehemalige Rechtslage wiederaufleben zu lassen und die Grundsätze, die man als zu ungenau und vage eingestuft hat, erneut heranzuziehen.475 Der Gesetzgeber war bestrebt, den Rechtsanwender einer Prüfung im Einzelfall, die der Einsatz des ordre public erforderlich machte, zu entbinden und hat daher eine Sonderregelung getroffen, die der Anwendung des allgemeinen ordre public-Vorbehalts gemäß Art. 6 EGBGB vorgeht. Auch in Anbetracht der Tatsache, dass der ordre public gemeinhin als „der noch unbekannte und der noch unfertige Teil des internationalen Privatrechts“ 476 bezeichnet wird, kann dem auf Rechtssicherheit fixierten Gesetzgeber der Wille zur Anwendung der Vorbehaltsklausel keinesfalls unterstellt werden. Insofern ist auch der Rekurs auf die allgemeine ordre public-Prüfung nach Art. 6 EGBGB nicht mit der Intention des Gesetzgebers zu vereinbaren. Die These eines Rückgriffs auf den ordre public ist aber auch aus einem anderen Grund wenig überzeugend. Schließlich handelt es sich bei Art. 229 § 44 Abs. 4 Nr. 2 EGBGB im Unterschied zu Nr. 1 nicht um eine intertemporale Regelung, die den Anwendungsbereich der Vorschrift in zeitlicher Hinsicht eingrenzt, sondern um eine den Inlandsbezug konkretisierende Heilungsnorm, deren Anforderungen in keiner Weise an den Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes

1.4.2022, Art. 229 § 44 EGBGB Rn. 18; MüKo/Wellenhofer, 8. Aufl., 2021, Art. 229 § 44 EGBGB Rn. 9; BeckOGK/Stürner, 1.2.2022, Art. 6 EGBGB Rn. 340, 342; OLG Frankfurt am Main 11.1.2019, Az. 5 UF 172/18, juris, Rn. 26; a. A. Dutta, FamRZ 2019, 188, 189; Coester-Waltjen, IPRax 2017, 429, 432; im Hinblick auf Art. 229 § 44 Abs. 4 Nr. 2 EGBGB erteilt auch Makowsky, RabelsZ 83 (2019), 577, 592 der Anwendung des ordre public eine Absage. 474 BeckOGK/Stürner, 1.2.2022, Art. 6 EGBGB Rn. 342; Andrae, IPRax 2021, 522, 524 m. Fn. 26; s. zur Prüfung eingiebig Kap. 2 B. IV. A. A. dagegen Makowsky, RabelsZ 83 (2019), 577, 587, der den „Wandel der Rechtsanschauungen“ in die ordre publicBewertung miteinfließen lassen will. 475 Vgl. a. Wall, StAZ 2018, 96, 99. 476 So die Diagnose von Kahn, Abhandlungen zum Internationalen Privatrecht – Bd. 1, 161 (251), die allgemein Anklang fand. S. a. Kropholler, Internationales Privatrecht, § 36, 246.

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Kap. 3: Die Gesetzesnovelle

am 22.7.2017 gekoppelt sind.477 Insofern erweist sich die für „Altehen“ anerkannte Anwendung früheren Rechts bei Ehen, die der Heilungsklausel des Art. 229 § 44 Abs. 4 Nr. 2 EGBGB unterfallen, mangels zeitlicher Entsprechung als unpassend. Ebenso deutet die in Art. 229 § 44 Abs. 4 EGBGB angeordnete Nichtgeltung des Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB darauf hin, dass der Gesetzgeber auch für geheilte Ehen nicht die eigens eingeführte besondere ordre public-Norm des Art. 13 Abs. 3 EGBGB insgesamt außer Acht lassen und auf die allgemeine Vorschrift des Art. 6 EGBGB zurückgreifen wollte, sondern vorbehaltlich der Nr. 1 die neuen Rechtsmaßstäbe zur Anwendung kommen sollten. Aufgrund der hier aufgezeigten inneren Widersprüchlichkeiten ist dem Vorschlag, die Heilung als Ausgangspunkt für eine allgemeine ordre public-Kontrolle nach den Leitlinien des alten Rechts zu nehmen, eine Absage zu erteilen. cc) Aufhebbarkeit in analoger Anwendung des Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB Stattdessen ist davon auszugehen, dass eine nach Art. 229 § 44 Abs. 4 EGBGB geheilte Ehe als aufhebbare Ehe zu behandeln ist.478 Zwar läuft dieser Gedanke dem Wortlaut des Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB zuwider, da sich die besagte Eheschließung ja gerade nicht im Alter von 16 oder 17 Jahren vollzogen hat.479 Dem Problem ist jedoch durch eine analoge Anwendung der Vorschrift beizukommen. Nur die Anwendung der Aufhebungsvorschrifen der §§ 1313 ff. BGB vermag den vorstehend erläuterten Wertungswiderspruch auszuräumen und den Willen des Gesetzgebers nach einer stringenten und klaren Handhabung der Minderjährigenehen für die Zukunft zu befriedigen.480 Zugleich hat die Aufhebbarkeit zumindest im weitesten Sinne Heilungscharakter, da die Ehen von nicht existenten nulla zu aufhebbaren, aber dennoch Wirksamkeit beanspruchenden und rechtlich anerkannten Ehegemeinschaften aufgewertet werden. Weiterhin ist die Aufhebbarkeitsfolge mit dem Vorteil verbunden, 477 Makowsky, RabelsZ 83 (2019), 577, 588 f.; Wall, StAZ 2018, 96, 99, der die Heilungsnorm in Art. 229 § 44 Abs. 4 Nr. 2 EGBGB für deplatziert hält und sie dem Art. 13 Abs. 3 EGBGB als S. 2 annektiert hätte. 478 Wall, StAZ 2018, 96, 99 f.; Frank, StAZ 2019, 129, 132; Schulte-Rudzio, Minderjährigenehen in Deutschland, 72; s. a. AG München 13.5.2019, Az. 721 UR III 116/19, unveröffentl. in einem Fall, in dem die o. g. Wertungswidersprüchlichkeit besonders deutlich zu Tage trat: die Ehegattin war im Zeitpunkt der Eheschließung nur 13 Jahre alt. Auch hier wurde die geheilte Ehe als aufhebbar angesehen; ähnlich, allerdings für eine analoge Anwendung der Aufhebungsvorschriften nach §§ 1313 ff. BGB plädierend Gössl, Das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen – eine politische Reaktion auf die Flüchtlingskrise, in: Migration. Gesellschaftliches Zusammenleben im Wandel, 2018, 19, 34 f. A. A. Makowsky, RabelsZ 83 (2019), 577, 587 f., 592. 479 So zurecht Makowsky, RabelsZ 83 (2019), 577, 588. 480 Krit. insoweit ders., RabelsZ 83 (2019), 577, 592.

D. Zentrale Auslegungsprobleme de lege lata

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dass die minderjährigen Ehegatten mit Erreichen der Volljährigkeit die Auflösung ihrer Ehe durch Stellung des Aufhebungsantrags begehren können und nicht den eventuell nachteiligeren Weg der Scheidung gehen müssen.481 Die geheilten, aufhebbaren Ehen sind weiterhin einer Bestätigung nach § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. a BGB zugänglich. Auch die Härtefallklausel des lit. b BGB kann insoweit zum Tragen kommen. Für die Gerichte besteht überdies – wie bereits ausgeführt wurde482 – die Möglichkeit, auf Grundlage des § 1314 Abs. 1 BGB von einer Aufhebung abzusehen, wenn dies aus Kindeswohlgesichtspunkten geboten erscheint und gewichtige Umstände gegen die Aufhebung sprechen. 6. Zusammenfassung Die kategorische Nichtigkeitsfolge lässt sich im Wege der Auslegung nicht vermeiden. Die eindeutige Zielsetzung des Gesetzgebers würde vernachlässigt, wenn man die Unwirksamkeit durch unselbständige Anknüpfung im Rahmen des Art. 19 Abs. 1 S. 2 EGBGB, durch Bewertung der unwirksamen Ehen als kraft Gesetzes aufgehobene Ehen analog § 1318 BGB, durch teleologische Reduktion des Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB bzw. Art. 229 § 44 Abs. 4 EGBGB oder durch verfassungskonforme Auslegung des Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB vermeiden wollte. Die fehlende rechtliche Anerkennung der entsprechenden Ehen führt daher nicht nur zur automatischen Unwirksamkeit, sondern bei Existenz von Kindern auch zum völligen Verlust der Vaterstellung mit allen Rechten und Pflichten. Neben der Vorenthaltung einer finanziellen Absicherung können den minderjährigen Ehegatten auch auf persönlicher Ebene gewichtige Nachteile entstehen, wenn das Nichtverheiratetsein von der Familie und dem Umfeld innerhalb des jeweiligen Kulturkreises nicht gebilligt wird. Abgefedert wird das strenge Verdikt des Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB durch die „Unwirksamkeitsbremse“ des Art. 229 § 44 Abs. 4 EGBGB. Im Rahmen des Art. 229 § 44 Abs. 4 Nr. 2 EGBGB ist die Volljährigkeit nach der deutschen Sachnorm des § 2 BGB als Vollendung des 18. Lebensjahres zu interpretieren. Der Verstoß gegen Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB wird also nur dann geheilt, wenn der minderjährige Ehegatte nach deutschem Recht die Volljährigkeit erlangt hat und die weiteren Voraussetzungen der Norm gegeben sind. Das Erfordernis der „Eheführung“ i. S. d. Art. 229 § 44 Abs. 4 Nr. 2 EGBGB ist erfüllt, wenn beide Ehegatten bis zur Volljährigkeit des minderjährigen Ehegatten an ihrer Ehe festhalten. Die Bestimmung von Kriterien für die Begründung eines inländischen gewöhnlichen Aufenthalts im Zusammenhang mit Minderjährigenehen, die im Aus481 Die Aufhebungsfolgen „können günstiger als Scheidungsfolgen sein“, s. Jauernig/Budzikiewicz, 18. Aufl., 2021, § 1318 BGB Rn. 1. 482 S. hierzu oben I. 5.

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Kap. 3: Die Gesetzesnovelle

land geschlossen wurden, fällt nicht leicht, da die Gründe für die Anwesenheit im Destinationsort vielseitiger Natur sein können. Gelangt der jeweilige Ehegatte nach Deutschland, um einen Arbeitsaufenthalt von nicht nur temporärer Natur anzutreten, entsteht in der Regel ein gewöhnlicher Aufenthalt im Inland, wenn eine gewisse soziale Integration nicht ausgeschlossen erscheint. Dagegen wird die Anwesenheit im Inland infolge eines vorübergehenden Beschäftigungsverhältnisses nur dann einen gewöhnlichen Aufenthalt begründen können, wenn sich der Betreffende sozial integriert und sein Aufenhalt von gewisser Dauer ist. Ist eine Flucht aus dem Herkunftsstaat der Grund für die Begründung des Aufenthalts im Inland, so kommt einem eventuellen Rückkehrwunsch des Betroffenen Bedeutung zu, sofern der Wunsch schon zu Beginn des Aufenthalts hinreichend konkret und auf baldige Rückkehr gerichtet ist. Ein allgemeiner Heimkehrwille genügt dabei nicht. Sollten sich Familienmitglieder in Deutschland befinden, dürfte der Bleibewille des Ehegatten überwiegen. Der sog. animus manendi manifestiert sich überdies in der Stellung des Antrags auf Asyl oder Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Bei Minderjährigkeit der Ehegattin im Zeitpunkt der Aufenthaltsnahme haben die Inobhutnahme durch das Jugendamt und familiäre Kontakte im Inland Indizcharakter. Weiterhin sind Aspekte wie Schulbesuch, Freizeitgestaltung etc. von Relevanz. Insgesamt ist zu konstatieren, dass die Prüfung des gewöhnlichen Aufenthalts unter Einbeziehung der erörterten Kriterien am konkreten Einzelfall zu erfolgen hat.483 In die Beurteilung eines gewöhnlichen Aufenthalts fließen sowohl objektive Kriterien wie die gewisse Zeitdauer und eine hinreichende soziale Eingliederung als auch subjektive Kriterien wie ein korrespondierender Bleibewille mit ein. Aufgrund der Tatsache, dass die Sachverhalte oftmals zeitlich weit zurück liegen, kann für die Standesämter die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts zum maßgeblichen Zeitpunkt Schwierigkeiten bereiten.484 Die in Art. 229 § 44 Abs. 4 EGBGB angeordnete Heilung bewirkt für die betroffenen Ehen nicht etwa die volle Gültigkeit. Für sie ist auch nicht ausnahmsweise noch nach dem Inkrafttreten des KEhenBekG die ordre public-Kontrolle des Art. 6 EGBGB nach den bisherigen Maßstäben maßgeblich. Vielmehr findet auf die „geheilten“ Ehen Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB analoge Anwendung, sodass diese Ehen aufhebbar sind.

483 Vgl. insofern die Schlussanträge der Generalanwältin Kokott, 29.1.2009, Az. C523/07, BeckRS 2009, 70122, Rn. 41; Baetge, Der gewöhnliche Aufenthalt im Internationalen Privatrecht, 115; Kränzle, Heimat als Rechtsbegriff?, 125. 484 So auch Hepting/Dutta, Familie und Personenstand: ein Handbuch zum deutschen und internationalen Privatrecht, III-280.

Kapitel 4

Das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen auf dem Prüfstand der Verfassung und der unionsrechtlichen Freizügigkeit Schon bei der Auslegung des neuen Rechts stellte sich in verschiedenen Zusammenhängen die Frage nach einer verfassungs- oder europarechtskonformen Auslegung. Damit drängt sich die Frage auf, ob das KEhenBekG den verfassungs- und europarechtlichen Anforderungen genügt. Dieser Thematik widmet sich das folgende Kapitel. Bevor auf die grundrechtlichen Bedenken eingegangen wird, richtet sich der Blick im nachfolgenden Abschnitt zunächst auf einige ausgewählte Länder, die jüngst ähnliche Gesetzesänderungen vorangetrieben haben. Im Rahmen der abschließenden europarechtlichen Analyse steht insbesondere das unionsrechtliche Freizügigkeitsprinzip im Fokus der Betrachtung.

A. Rechtsvergleichender Überblick Auch außerhalb des deutschen Rechtsraums herrscht in Europa weitgehend Einigkeit darüber, dass „Kinderehen“ sozial und moralisch verwerflich sind.1 Trotz der weltweit zu beobachtenden Tendenz, das Heiratsmindestalter anzuheben, können in einigen EU-Mitgliedstaaten Minderjährige generell oder unter bestimmten Voraussetzungen nach wie vor eine vollwertige Ehe eingehen.2 So sehen die Rechtsordnungen von Schottland, Nordirland, Portugal und Malta ein allgemeines Ehemündigkeitsalter von 16 Jahren vor3, während den Eheschließungswilligen in anderen Ländern die Möglichkeit der Befreiung vom Alterserfordernis von 18 Jahren durch Dispenserteilung offensteht.4 1 Coester, FamRZ 2017, 77, 79; Lambertz, Child marriages and the law – with special reference to swedish developments, in: The Childs Interests in Conflict, 2016, 85, 86 f. 2 S. BeckOGK/Otto, 1.1.2022, § 1315 BGB Rn. 8.2; Dethloff, International Journal of Law, Policy and the Family 32 (2018), 302, 303. 3 S. Sect. 1 Marriage Act 1977 (Schottland); Sect. 13 Matrimonial Causes Order 1978 (Nordirland). In Malta und Portugal benötigen die Eheschließungswilligen allerdings bis zum Eintritt der Volljährigkeit mit 18 Jahren das Einverständnis des gesetzlichen Vertreters, s. Art. 3 Abs. 1, 2 malt. EheG, Artt. 1597, 1600, 1601 lit. a CC. 4 Mit Dispens: Frankreich, Artt. 144, 145, 148 CC (Genehmigung des Staatsanwalts, Zustimmung der Eltern); Österreich, § 1 Abs. 2 öst. EheG; Belgien, Art. 144, 145 belg. CC; Luxemburg, Artt. 144, 145 lux. CC (mit Befreiungsmöglichkeit ohne Altersbeschränkung, bei Verweigerung der Zustimmung ersatzhalber Genehmigung durch das

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Kap. 4: Das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen auf dem Prüfstand

Dennoch hat sich der Trend zur Heraufsetzung des Ehemündigkeitsalters auch in diversen europäischen Staaten bemerkbar gemacht. Umfassende Reformmaßnahmen wurden insbesondere in den Niederlanden und Österreich, aber auch in den nordeuropäischen Staaten Schweden und Dänemark ergriffen, wo die Ehemündigkeitsregelungen massiv verschärft und auf internationalprivatrechtlicher Ebene die Anerkennung von Minderjährigenehen mit grenzüberschreitendem Bezug deutlich eingeschränkt wurde. Zur besseren Einordnung des deutschen Rechts werden diese rechtsvergleichenden Entwicklungen skizzenartig dargestellt und mit der deutschen Gesetzesnovelle verglichen.

I. Niederlande Auch die Niederlande wurden im Zuge der europaweiten Migrationskrise vermehrt mit verheirateten Minderjährigen konfrontiert, die in ihrem Herkunftsland vor Erreichen der niederländischen Ehemündigkeitsgrenze rechtswirksam die Ehe begründet hatten.5 Zwischen dem 24. Juli 2014 und dem 8. Februar 2016 registrierte der Einwanderungs- und Einbürgerungsdienst ungefähr 210 Fälle von minderjährigen Ehegatten aus Syrien. Allein in der Zeit zwischen September 2015 und Januar 2016 gelangten 60 minderjährige Ehegatten in die Niederlande, von denen die jüngsten gerade einmal das 14. Lebensjahr erreicht hatten; in den meisten Fällen lag der Altersunterschied zwischen den Ehegatten bei fünf bis fünfzehn Jahren.6 Mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Bekämpfung von Heiratszwang (Wet tegengaan huwelijksdwang)7 am 5.12.2015 reagierte das niederländische Parlament auf

Gericht möglich, s. Art. 148 Abs. 3 belg./lux. CC; § 1 Abs. 2 öst. ZGB); Italien, Art. 84 i.V. m. Art. 2 CC; Rumänien, Art. 272 Abs. 1, 2 rum. Codul civil (Befreiungsmöglichkeit ab 16 Jahren); Polen, Art. 10 § 1 FVGB (geschlechtsabhängige Dispenserteilung für Frauen ab 16 Jahren); Bosnien, Art. 36 FamG der Republik Srpska, Art. 15 FamG der Föderation von Bosnien und Herzegowina, Art. 26 FamG des Bezirks Brcˇko von Bosnien und Herzegowina; Serbien, Art. 23 FamFG; Bulgarien, Art. 6 Abs. 1 bulg. FamGB; Estland, § 1 Abs. 3 FamGB (Dispenserteilung ab 15 Jahren); Slowenien, Artt. 18, 23 EheFamG (laut Theorie und Praxis Dispenserteilung ab 15 Jahren durch das Zentrum für Sozialarbeit, s. näher hierzu: Dobrovodsky´, StAZ 2019, 136 f.); Litauen, Art. 3.14 Abs. 2, 3 ZGB (Dispenserteilung ab 16 Jahren, Befreiungsmöglichkeit ohne Altersbeschränkung bei Schwangerschaft); Finnland, § 4 Abs. 2 EheG (Befreiungsmöglichkeit ohne Altersbeschränkung, Möglichkeit der Stellungnahme für den Sorgeberechtigten). Mit Mündigerklärung: Spanien, Art. 46 Nr. 1 CC i.V. m. Art. 317 CC in der Fassung des Gesetzes 15/2015. 5 S. Wijffelman, NQHR 35 (2018), 104; vertiefend Everdeen/Michaels, Die Frühehe in den Niederlanden, in: Die Frühehe im Recht, 2021, 525 ff. 6 Nationaal Rapporteur Mensenhandel en Seksueel Geweld tegen Kinderen, Zicht op kwetsbaarheid – Een verkennend onderzoek naar de kwetsbaarheid van kinderen voor mensenhandel, 2016, 47. 7 Wet tegengaan huwelijksdwang van 7.10.2015, Stb. 2015, 354.

A. Rechtsvergleichender Überblick

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die in den internationalen Medien8 aufgegriffene Problematik: Die in Art. 1:31 Abs. 2 und 3 Burgerlijk Wetboek (BW) geregelte Dispensmöglichkeit wurde ersatzlos gestrichen und die Ehemündigkeit (huwelijksleeftijd) damit ausnahmslos auf das 18. Lebensjahr angehoben. Bislang konnte die Befreiung erteilt werden, wenn beide Eheschließenden die Ehe miteinander eingehen wollten, mindestens das 16. Lebensjahr vollendet hatten und die Ehefrau gemäß der Erklärung eines Arztes schwanger war oder ihr Kind bereits zur Welt gebracht hatte (Abs. 2). Als zweite Ausnahmemöglichkeit konnte der Minister für Sicherheit und Justiz die Eheleute nach Maßgabe des Abs. 3 „aus wichtigen Gründen“ von der Altersanforderung des Abs. 1 freistellen.9 Die Befreiungsoption wurde vor Inkrafttreten des Reformgesetzes kaum genutzt. Jährlich wurden nur etwa fünf bis zehn Anträge auf Befreiung gestellt. Seit 2007 wurden sämtliche Freistellungsanträge abgelehnt.10 Die Rechtsfolgen für die Missachtung des Mindestalterserfordernisses bei der Eheschließung blieben unverändert: Wie bisher können die Ehen nach Maßgabe des Art. 1:69 BW auf Antrag für nichtig erklärt werden (nietigverklaring). Hat die bei Eheschließung Minderjährige mittlerweile die Volljährigkeit erreicht, so ist die Stellung des Antrags ihrerseits ausgeschlossen (Art. 1:74 BW). Gleiches gilt, wenn die Ehefrau vor dem Tag der Antragstellung schwanger geworden ist. Bis zur Rechtskraft der Nichtigerklärung entfaltet die Ehe volle Wirksamkeit, sie ist mithin nicht „absolut nichtig“.11 Allerdings wirkt die Nichtigerklärung nach Art. 1:77 BW zurück auf den Zeitpunkt der Eheschließung. Gemeinsamen Kindern und gutgläubigen Ehegatten gegenüber wird dieser Grundsatz in Art. 1:77 Abs. 2 lit. a und b BW zurückgenommen und die Geltung der Ehescheidungsfolgen angeordnet. Darüber hinaus wurden die Vorschriften über die Anerkennung im Ausland geschlossener Ehen (erkenning van in het buitenland gesloten huwelijken) modifiziert. Bis dato galt der Grundsatz, dass im Ausland geschlossene Ehen prinzipiell anzuerkennen sind, solange sie nicht offensichtlich mit der niederländischen öffentlichen Ordnung (openbare orde) unvereinbar sind.12 Dabei wurde von der

8 S. nur Holligan, Migrant crisis: Dutch alarm over child brides from Syria, BBC News, 20.10.2015. 9 S. Weber, Länderbericht Niederlande, in: Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, 226. EL, 43. 10 S. die Gesetzesbegründung (Memorie van toelichting): Tweede Kamer der StatenGeneraal, Kamerstuk 33 488 Nr. 3 (2012–2013), 7. 11 So Reinhartz/Vlaardingerbroek, Niederlande, in: Eherecht in Europa, 4. Aufl., 2021, 873, 878; Breemhaar, Länderbericht Niederlande, in: Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, 245. EL, 42; die Ehen daher als „aufhebbar“ bezeichnend Reuß, FamRZ 2019, 1, 7. 12 S. Artt. 10:31 i.V. m. 10:32 BW a. F.

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Kap. 4: Das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen auf dem Prüfstand

Vorbehaltsklausel nur äußerst zurückhaltend Gebrauch gemacht.13 Im neugefassten Art. 10:32 BW erfolgt nunmehr die Klarstellung, dass die öffentliche Ordnung in bestimmten Situationen „in jedem Fall“ die Anerkennung ausschließt. Dabei wird nach Art. 10:32 c) BW die Anerkennung u. a. auch dann verweigert, wenn einer der Ehegatten zum Zeitpunkt der Eheschließung nicht das achtzehnte Lebensjahr vollendet hatte, es sei denn, die Ehegatten haben zum Zeitpunkt der Antragstellung das 18. Lebensjahr vollendet.14 Der neue Grundsatz gilt unabhängig davon, ob über die Anerkennung der Gültigkeit einer Ehe als Haupt- oder Vorfrage entschieden wird (Art. 10:33 BW).

II. Schweden Kinderehen gerieten in Schweden bereits zu Beginn der Jahrtausendwende in den Fokus. Die sich über Jahrzehnte vollziehende Entwicklung des Staates zu einem zentralen Einwanderungsland hatte einen Anstieg von Zwangsehen zur Folge, die insbesondere von Kindern und Jugendlichen geschlossen wurden.15 Um die „unerfreulichen Erscheinungen“ 16 zu bewältigen und ihnen entgegenzuwirken, wurden in den letzten Jahren verschiedene Gesetzesvorhaben realisiert.

13 Die Niederlande ist Vertragspartner des Haager Übereinkommens vom 14. März 1978 über die Eheschließung und die Anerkennung der Gültigkeit von Ehen. Der Katalog der ausdrücklichen Ablehnungsgründe des Art. 11 des Übereinkommens wurde im Zuge der Reform in die Kollisionsnorm des Art. 10:32 BW in modifizierter Version aufgenommen. Nach dem erläuternden Bericht zum Übereinkommen war es die Absicht der Vertragsparteien, dass sowohl Art. 11 als auch die in Art. 14 des Übereinkommens enthaltene allgemeine ordre public-Klausel nur mit großer Zurückhaltung angewendet werden sollte, d. h. nur, wenn die Verweigerung der Anerkennung zweifellos von der niederländischen öffentlichen Ordnung verlangt wird. S. ausführlich dazu unter Punkt II. Eheschließungen im Ausland („Huwelijken gesloten in het buitenland“): Tweede Kamer der Staten-Generaal, Staatscommissie voor het Internationaal Privaatrecht, 5.11. 2010, Bijlage bij Kamerstuk 32 175 Nr. 17 (2010–2011), 6 ff.; Brief van de Staatssecretaris van veiligheid en Justitje en van de ministers voor immigratie en asiel en van binnenlandse zaken en koninkrijksrelaties, 28.4.2011, Kamerstuk 32 175 Nr. 17 (2010– 2011), 10 f. 14 Ziel des Gesetzes war es, die Anerkennung von im Ausland geschlossenen Ehen „auf das zu beschränken, was dem allgemeineren Erfahrungscharakter der Ehe in den Niederlanden entspricht.“, s. die Gesetzesbegründung: Tweede Kamer der Staten-Generaal, Kamerstuk 33 488 Nr. 3 (2012–2013), 1. Dabei wird die Vorschrift auch auf Altehen angewandt, s. Brief van de Staatssecretaris van veiligheid en Justitje, 15.2.2016, Kamerstuk 19 637 Nr. 2086 (2015–2016), 2. Hierzu vertiefend: Everdeen/Michaels, Die Frühehe in den Niederlanden, in: Die Frühehe im Recht, 2021, 543 f. 15 Vgl. Jänterä-Jareborg, in: FS Lowe, 267, 271 m. Fn. 12; Lambertz, Child marriages and the law – with special reference to swedish developments, in: The Childs Interests in Conflict, 2016, 85, 94; s. hierzu und zum Gesamten Franck, Die Frühehe in Schweden, in: Die Frühehe im Recht, 2021, 437 ff. 16 So wortwörtlich Bogdan, IPRax 2004, 546.

A. Rechtsvergleichender Überblick

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1. Die Reform von 2004 Die Regeln zur Anerkennung von Minderjährigenehen wurden erstmals im Jahr 2004 substantiellen Änderungen unterzogen.17 Vor der Änderung bestimmten sich die Voraussetzungen zur Eingehung einer Ehe vor einer schwedischen Behörde nach dem Recht des Staates, dem der Eheschließende angehörte.18 Hatte eine Person allerdings seit mindestens zwei Jahren ihren Wohnsitz in einem anderen Staat als dem, dessen Staatsangehörigkeit sie innehatte, bestand für sie vorbehaltlich der Zustimmung ihres Ehepartners die Möglichkeit zur Überprüfung der Eheschließungsvoraussetzungen nach dem Recht des Wohnsitzstaates.19 Nichtsdestotrotz waren auch bei der Anwendung der ausländischen Kollisionsregeln besondere Ehehindernisse zu beachten: Hatte der Nupturient beispielsweise das 15. Lebensjahr noch nicht erreicht, durfte die Ehe nicht ohne besondere Erlaubnis eingegangen werden.20 Nach den neuen Regeln wurde bei Inlandstrauungen gem. Kap. 1 § 1 Abs. 1 IntEheG das schwedische Recht zum Mindeststandard berufen, für alle Ehehindernisse gilt seitdem schwedisches Recht. Es ist indes zu beachten, dass nach dem damaligen schwedischen Recht bei Vorliegen besonderer Gründe (särskilda skäl) ein Dispens vom regulären Ehemündigkeitsalter von 18 Jahren erteilt werden konnte, sodass die Eheschließung von unter 18-Jährigen unter bestimmten Voraussetzungen ermöglicht wurde.21 Sollte der jeweilige Heiratsaspirant weder durch seine Staatsangehörigkeit noch aufgrund seines Wohnsitzes einen Bezug zu Schweden aufweisen, galten zusätzlich die Eheschließungsvoraussetzungen des Staates, dem er angehört oder in dem er seinen Wohnsitz hat (lex patriae oder lex domicilii).22 Auch hier war es jedoch in bestimmten Fällen möglich, auf 17

Lag om ändring i lagen (1904:26 s. 1) om vissa internationella rättsförhållanden rörande äktenskap och förmynderskap vom 1.5.2004, SFS 2004/05 Nr. 144. Die Regelungen sind zu finden im heutigen Gesetz über gewisse internationale Rechtsverhältnisse betreffend Ehe und Vormundschaft (IntEheG), Kap. 1, §§ 1, 7 und 8a, einsehbar bei Giesen, Länderbericht Schweden, in: Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, 40 f. 18 Vgl. Meurling, New choice of law rules for capacity to marry and the recognition of marriage in Sweden – a new principle?, in: Yearbook of Private International Law 2006, vol. VIII, 413, 414 f. 19 S. Bogdan/Ryrstedt, Fam. L. Q. 29 (1995), 675, 681. 20 Jänterä-Jareborg, Family Law in a Multicultural Sweden – the challenges of migration and religion, in: Uppsala-Minnesota Colloquium: Law, Culture and Values, 2009, 145, 159. 21 S. Kap. 2 § 1, Kap. 15 § 1 schwed. EheG 1988 (Äktenskapsbalk vom 1.1.1988), SFS 1987/88 Nr. 230; s. a. Bogdan/Ryrstedt, Fam. L. Q. 29 (1995), 675, 676; JänteräJareborg, FamRZ 2015, 1562, 1564; Meurling, New choice of law rules for capacity to marry and the recognition of marriage in Sweden – a new principle?, in: Yearbook of Private International Law 2006, vol. VIII, 413, 415 m. Fn. 12. 22 Diese Regelung diente vornehmlich dem Zweck, Heiratstourismus in Schweden zu unterbinden, s. Bogdan, IPRax 2004, 546, 547; Jänterä-Jareborg, in: FS Lowe, 267, 272; Meurling, New choice of law rules for capacity to marry and the recognition of

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Kap. 4: Das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen auf dem Prüfstand

Antrag beider Ehegatten für die Prüfung der Eheschließungsvoraussetzungen ausschließlich schwedisches Recht heranzuziehen, beispielsweise wenn die Bestimmung des Inhalts des ausländischen Rechts in Bezug auf die Ehefähigkeit schwer fiel oder unmöglich war.23 Um eine Umgehung des schwedischen Rechts durch Eheschließung im Ausland zu verhindern, wurde durch die Reform von 2004 auch die Anerkennung bereits im Ausland geschlossener Minderjährigenehen erheblich erschwert. Vor der Reform wurden im Ausland geschlossene Ehen in Schweden grundsätzlich anerkannt. Den einzigen Hinderungsgrund bildete ein Verstoß gegen den ordre public.24 Gem. Kap. 1 § 8a Abs. 1.1 IntEheG waren nach dem 1.5.2004 geschlossene Auslandsehen nicht mehr anzuerkennen, wenn zum Eheschließungszeitpunkt ein Ehehindernis nach schwedischem Recht gegeben war und mindestens einer der Ehegatten die schwedische Staatsangehörigkeit besaß oder in Schweden ansässig war. Mit dieser Regelung wollte man sicher gehen, dass die Ehegatten zum Zeitpunkt der Eheschließung aufgrund ihrer Verbundenheit zu Schweden Veranlassung dazu hatten, die schwedische Rechtslage zu berücksichtigen.25 Selbst wenn keiner der Ehegatten eine derartige Verbindung zu Schweden aufwies, konnten die nach ausländischem Recht geschlossenen Ehen im schwedischen Inland dann keine Wirksamkeit entfalten, wenn die Wahrscheinlichkeit bestand, dass sie unter Zwang zustande gekommen waren. In Kap. 1 § 8a Abs. 2 IntEheG wurde bei Vorliegen besonderer Gründe (särskilda skäl) eine Ausnahme vom Grundsatz der Nichtanerkennung gewährt. Als Beispielsituationen galten laut Gesetzesbegründung die Konstellationen, in denen die Eheschließung eine lange Zeit zurücklag, die Ehepartner Kinder hatten und an die rechtliche Verfestigung ihrer Beziehung als Ehe glaubten sowie Fälle, in denen das Kindeswohl in gesteigertem Maße die Anerkennung der Ehe verlangte.26 Obwohl die angeführten Beispiele den Eindruck einer gewissen Flexibilität vermitteln, wurde in der gerichtlichen Praxis von der Ausnahmeklausel offenbar nur sehr selten Gebrauch gemacht.27 Exemplarisch ist insofern ein Urteil des

marriage in Sweden – a new principle?, in: Yearbook of Private International Law 2006, vol. VIII, 413, 417; vgl. Kronborg, Utrecht L. Rev. 12 (2016), 81, 86. 23 Weitere, restriktiv anzuwendende Ausnahmegründe werden erörtert bei Bogdan, IPRax 2004, 546, 547; Meurling, New choice of law rules for capacity to marry and the recognition of marriage in Sweden – a new principle?, in: Yearbook of Private International Law 2006, vol. VIII, 413, 417; Justitiedepartementet, Prop. 2003/04 Nr. 48, 53 f. 24 Der Einsatz des ordre public-Vorbehalts unterlag dabei sehr strengen Voraussetzungen, s. Jänterä-Jareborg, in: FS Lowe, 267, 274. 25 Dies., The child in the intersections between society, family, faith and culture, in: The Childs Interests in Conflict, 2016, 1, 21. 26 Justitiedepartementet, Prop. 2003/04 Nr. 48, 56. 27 S. a. Bogdan, JPIL 15 (2019), 247, 250. Stattdessen entwickelte sich eine „strenge Praxis der Nichtanerkennung“, Jänterä-Jareborg, Family Law in a Multicultural Swe-

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obersten Verwaltungsgerichts Schwedens (högsta förvaltningsdomstolen) vom 13. März 2012.28 In dem Fall ging es um eine in Palästina wirksam geschlossene Ehe. Im Eheschließungszeitpunkt war die zukünftige Ehefrau in Schweden ansässig und es trennten sie lediglich zehn Tage von ihrem 18. Geburtstag. Diesen Umstand und die nachfolgende Schwangerschaft der Ehefrau werteten die Richter nicht als „besondere Gründe“. Stattdessen wurde die Entscheidung der schwedischen Verwaltungsbehörde29, die Eintragung der Ehe in das Bevölkerungsregister zu verweigern, bestätigt. 2. Die Reform von 2014 Die Gesetzesreform vom 1. Juli 201430 brachte auf der sachrechtlichen Ebene die Abschaffung der Dispensmöglichkeit vom regulären Ehemündigkeitsalter von 18 Jahren mit sich.31 Um die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen zu gewährleisten, schuf man straf- und zivilrechtliche Bestimmungen zum Schutz vor Zwangs- und Kinderheirat, wobei ein neuer Straftatbestand der Nötigung zur Eheschließung mit einer Freiheitsstrafe von bis zu vier Jahren eingeführt wurde.32 Des Weiteren wurde der Spielraum für die Anerkennung von im Ausland geschlossenen Ehen weiter eingeschränkt, was durch die Anhebung der entsprechenden Voraussetzungen von besonderen zu außergewöhnlichen Gründen (synnerliga skäl) kenntlich gemacht wurde.33 Angesichts des Umstandes, dass bereits bis dato nur in sehr beschränktem Umfang von der Ausnahmevorschrift Gebrauch gemacht wurde, war die Gesetzesänderung weniger von praktischen Erwägungen getragen, vielmehr sollte in erster Linie ein Signal der gesellschaftlichen Missbilligung jedweder Umgehung schwedischen Eherechts34 ausgesandt werden.35 den – the challenges of migration and religion, in: Uppsala-Minnesota Colloquium: Law, Culture and Values, 2009, 145, 161. 28 Högsta förvaltningsdomstolen 14.3.2012, Az. Fallnummer 2438-11, HFD 2012, ref. 17; beschrieben bei Jänterä-Jareborg, FamRZ 2015, 1562, 1564. 29 Skatteverket (Schwed. Zentralamt für Finanzwesen, hier in Funktion des Einwohnermeldeamts). 30 Die Novellierung war Folge der Ratifizierung des Übereinkommens zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt vom 1.8.2014, SEV Nr. 210. Justitiedepartementet, Prop. 2013/14 Nr. 208, 86 ff.; Kronborg, Utrecht L. Rev. 12 (2016), 81, 89. 31 Lag om ändring i äktenskapsbalken vom 1.7.2014, SFS 2014/19 Nr. 376. 32 Genauer hierzu Ministry of Justice Sweden, Greater protection against forced marriage and child marriage – Fact sheet, Juni 2014; Lambertz, Child marriages and the law – with special reference to swedish developments, in: The Childs Interests in Conflict, 2016, 85, 107 ff. 33 Justitiedepartementet, Prop. 2013/14 Nr. 208, 135; Lambertz, Child marriages and the law – with special reference to swedish developments, in: The Childs Interests in Conflict, 2016, 85, 107; vgl. a. Kronborg, Utrecht L. Rev. 12 (2016), 81, 89. 34 S. Jänterä-Jareborg, FamRZ 2015, 1562, 1565.

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Kap. 4: Das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen auf dem Prüfstand

3. Die Reform von 2018 Die Migrationskrise von 2015 bewirkte auch in Schweden ein verstärktes Aufkommen sogenannter Kinderehen.36 Das schwedische Parlament stimmte im November 2018 dem Vorschlag der Regierung zu, die IPR-Regeln für ausländische Minderjährigenehen erneut zu verschärfen. Die neuen Vorschriften verbieten die Anerkennung ausländischer Minderjährigenehen, unabhängig von der vorher geforderten Verbindung zu Schweden im Eheschließungszeitpunkt und dem Alter der Personen zum Zeitpunkt des Anerkennungsverfahrens. Die neuen Vorschriften traten am 1. Januar 2019 in Kraft.37 Seitdem ist in § 8a Abs. 1.1 IntEheG geregelt, dass eine nach ausländischem Recht geschlossene Ehe nicht anerkannt werden kann, „wenn einer der Beteiligten im Zeitpunkt der Eheschließung unter 18 Jahre alt war“.38 Allerdings werden im Bereich des Abstammungs- und Sorgerechts im Wege der unselbständigen Vorfragenanknüpfung die Rechtswirkungen einer Ehe aufrechterhalten.39 Ausnahmsweise soll die Anerkennung der jeweiligen Ehe möglich sein, wenn beide Ehegatten über 18 Jahre alt sind und außergewöhnliche Gründe für die Anerkennung der Ehe vorliegen. Das neue Recht gilt für alle Ehen, die ab Inkrafttreten des Gesetzes im Ausland geschlossen werden. Für alle zuvor vollzogenen Eheschließungen findet das alte Recht Anwendung. Die Gesetzesmotive40 sind in ihrer Rigorosität mit den Gesetzesmaterialien des KEhenBekG zu vergleichen. Als Grund für die Änderungen wurde hervorgehoben, dass unter der vorherigen Regelung „nicht allen Personen innerhalb der schwedischen Gerichtsbarkeit der gleiche Schutz gegen Kinderehen“ 41 zuteil wurde. Hier spielt der Gesetzgeber auf die Ehegatten an, die im Eheschließungszeitpunkt weder durch Wohnsitz noch durch Staatsbürgerschaft einen Bezug zum schwedischen Inland aufwiesen und deren Ehe aus diesem Grund nicht den Unwirksamkeitsregeln unterworfen waren. Als seiner Einschätzung nach einzig ge35 Aus diesem Grund wurde seitens der Kommission kein Anlass gesehen, die bereits bestehende Ausnahmenorm weiter zu beschränken, s. dies., FamRZ 2015, 1562, 1564 m. Fn. 14. Die Autorin gehörte als Expertin dem Ausschuss an. 36 Bis März 2016 wurden 132 Fälle verheiratete Kinder gemeldet. Die meisten Kinder hatten nach dem 1. August 2015 in Schweden Schutz gesucht und kamen aus Syrien, Afghanistan und dem Irak. 97 % waren Mädchen. Die meisten Kinder waren Jugendliche im Alter von 16 oder 17 Jahren, elf hatten das 15. und drei das 14. Lebensjahr erreicht, s. Migrationsverket, Är du gift? Utredning av handläggning av barn som är gifta när de söker skydd i Sverige, Rapport 29.3.2016, 2, 7. 37 Lag om ändring i lagen (1904:26 s. 1) om vissa internationella rättsförhållanden rörande äktenskap och förmynderskap vom 1.1.2019, SFS 2018/19 Nr. 1973. 38 Zur Debatte stand zunächst, den Zeitpunkt der Ankunft in Schweden für maßgeblich zu erklären, s. Jänterä-Jareborg, in: FS Lowe, 267, 275 f. 39 Justitiedepartementet, Prop. 2017/18 Nr. 288, 17. 40 Sveriges Riksdag, Bet. 2018/19:CU4. 41 Ibid., 5 f. („att nuvarande reglering innebär att alla personer inom svensk jurisdiktion inte åtnjuter samma skydd mot barnäktenskap“).

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eignete Schutzmaßnahme ließ der Gesetzgeber begrenzte Ausnahmefälle vom Unwirksamkeitsverdikt bei Vorliegen außergewöhnlicher Gründe nur noch unter der Voraussetzung zu, dass beide Ehegatten das 18. Lebensjahr erreicht haben.42 In den Gesetzesmotiven machte er unmissverständlich klar, dass eine Vereinbarkeit mit den unions- und menschenrechtlichen Vorgaben (Recht auf Freizügigkeit innerhalb der EU und Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß der EMRK43) nicht angezweifelt werde.44

III. Dänemark Zur grundsätzlichen Rechtsfolge der Unwirksamkeit ex tunc greift auch das Kollisionsrecht Dänemarks, wo für die Anerkennung von Auslandsehen seit dem 1. Februar 2017 ein Mindestalter von 18 Jahren vorgesehen ist.45 Die Rechtswirkungen in Bezug auf „Vaterschaft oder elterliche Verantwortung, Sorgerecht und Kindesunterhalt“ können jedoch aufrechterhalten werden.46 Nach § 22b Abs. 3 dän. EheG kann die jeweilige Ehe ausnahmsweise dann anerkannt werden, wenn zwingende Gründe (tvingende grunde) vorliegen und die Parteien bei Nichtanerkennung der Ehe in eine unbillige Lage (urimelig situation) geraten würden. Weiterhin gelten die Regelungen gem. Abs. 4 nicht für EU- oder EWR-Angehörige. Auch die Maßstäbe der Inlandseheschließung änderten sich mit der Reform. Eheschließungen sind gem. § 2 dän. EheG seitdem nur möglich, wenn die Personen das 18. Lebensjahr vollendet haben. Eine unter Verstoß gegen das Ehemündigkeitserfordernis geschlossene Ehe kann allerdings von der Familienrechtsagentur (Familieretshuset) als wirksam anerkannt werden, wenn besondere Gründe dafür vorliegen.

IV. Österreich In der Republik Österreich trat am 1. Juli 2018 das Zweite Erwachsenenschutzgesetz47 in Kraft, das insbesondere auf dem Gebiet des Personenrechts ein42

Kritik zu weiteren Aspekten äußert Bogdan, JPIL 15 (2019), 247, 252 ff. Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention), in Kraft getreten am 3.9.1953, BGBl. 1952 Teil II, 685 ff. 44 Sveriges Riksdag, Bet. 2018/19:CU4, 12. 45 § 22b Abs. 2 Nr. 2 dän. EheG (Lov om ægteskabs indgåelse og opløsning (Ægteskabsloven)). Die Änderung erfolgte durch das Gesetz zur Änderung des Ehe- und Auflösungsgesetzes, des Ausländergesetzes und des Vormundschaftsgesetzes (Lov om ændring af lov om ægteskabs indgåelse og opløsning, udlændingeloven og værgemålsloven, Lov Nr. 81 vom 24.1.2017). Eingehend zur Minderjährigenehenproblematik in Dänemark: Franck, Die Frühehe in Dänemark, in: Die Frühehe im Recht, 2021, 425 ff. 46 Lovforslag nr. L 94, Folketinget 2016–17, 8. 47 2. Erwachsenenschutz-Gesetz – 2. ErwSchG vom 1.7.2018, BGBl. für die Republik Österreich 2017/59. 43

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Kap. 4: Das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen auf dem Prüfstand

schneidende Änderungen mit sich brachte. Das Gesetz verfolgte vornehmlich das Ziel, die Autonomie vertretungsbedürftiger Personen zu steigern.48 Lediglich als begleitende Maßnahme wurden die Regeln zur Ehemündigkeit einigen Änderungen unterzogen: Unter dem in § 1 Abs. 1 öst. EheG gefassten Begriff der Ehefähigkeit sind nunmehr die Volljährigkeit und Ehefähigkeit49 zusammengefasst. Die §§ 2, 3 öst. EheG sind ersatzlos entfallen. Das Erfordernis der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters wurde für Eheschließungen von Volljährigen für obsolet erklärt und besteht nur noch für minderjährige Verlobte (§ 1 Abs. 2 öst. EheG). Weiterhin kann eine minderjährige Person bereits ab dem 16. Lebensjahr auf Antrag gerichtlich für ehefähig erklärt werden, wenn sie die erforderliche Reife besitzt und ihr Ehepartner volljährig ist. Die zur Eingehung der Ehe notwendige Zustimmung des gesetzlichen Vertreters kann auf Antrag durch das Gericht ersetzt werden, wenn keine rechtfertigenden Gründe für die Verweigerung der Zustimmung vorliegen. Geht es um eine im Ausland geschlossene Minderjährigenehe, so ist deren Wirksamkeit anhand der allgemeinen ordre public-Klausel des § 6 IPRG zu überprüfen. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zählt das Verbot der Minderjährigenehe zu den verfassungsrechtlich geschützten Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung.50 Dennoch sind die Richter im Falle einer Ehe, bei deren Schließung die österreichischen Mindestaltersbestimmungen nicht eingehalten wurden, nicht von der Pflicht zur Prüfung der Wirksamkeit dieser Ehe im Einzelfall entbunden.51 Die Entscheidungen der Bundesverwaltungsgerichte lassen indes eine klare Tendenz der Qualifizierung von Minderjährigenehen als ordre public-Verstoß erkennen.52 Sollte sich nach den Grundsätzen der österreichischen Rechtsordnung ein Korrekturbedürfnis ergeben und die ausländische Bestimmung infolge des ordre public-Verstoßes nicht zur Anwendung gelangen, muss in Entsprechung zu § 6 S. 2 IPRG österreichisches Recht als Ersatzrecht herangezogen werden.53 Nach § 22 Abs. 1 öst. EheG ist eine Ehe als nichtig anzusehen, wenn einer der Ehegatten zur Zeit der Eheschließung nicht

48 Genauer hierzu: Jesser-Huß, Länderbericht Österreich, in: Internationales Eheund Kindschaftsrecht, 37 f.; Ferrari/Guggenberger, FamRZ 2017, 1468 ff. 49 Zum neu eingeführten Begriff der Entscheidungsfähigkeit: Nationalrat Österreich, ErläutRV 1461 der Beilagen XXV. GP, 5, 9. 50 S. OGH 10.7.1986, Az. 7Ob600/86; OGH 28.8.2013, Az. 6Ob138/13g, jeweils unter Verweis auf Art. 16 Haager Minderjährigenschutzabkommen und § 6 IPRG. S. a. Max-Planck-Institut für Ausländisches und Internationales Privatrecht, RabelsZ 84 (2020), 705, 758 m.w. N. Eine Gesamtdarstellung bietet Siehr, Die Frühehe in Österreich, in: Die Frühehe im Recht, 2021, 551 ff. 51 Vgl. Melcher, EF-Z 2018, 103, 105. 52 BVwG 8.10.2018, Az. W175 2183104-1/2E, RIS 2018; BVwG 15.1.2018, Az. W240 2164625-1/2E, RIS 2018; BVwG 7.9.2018, Az. W212 2147807-1, RIS 2018. 53 S. Melcher, EF-Z 2018, 103, 106.

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ehefähig war und kein Aufhebungsgrund i. S. d. § 35 öst. EheG vorliegt. Die Nichtigkeit aufgrund des § 22 Abs. 1 öst. EheG ist im Sinne einer bloßen „Vernichtbarkeit“ zu verstehen, die nach Maßgabe des § 28 Abs. 1 S. 1 öst. EheG von einem der beiden Ehegatten vor Gericht begehrt werden kann. Die Möglichkeit der Nichtigerklärung durch die Staatsanwaltschaft bei fehlender Ehefähigkeit wurde durch die Reform aufgehoben.54 Anstelle der Nichtigkeitsfolgen des §§ 31, 32 öst. EheG kann der minderjährige Ehegatte die Scheidungsfolgen wählen.55

V. Vergleich zum deutschen Recht Die Reformen in den Niederlanden, Österreich, Schweden und Dänemark werfen die Frage auf, inwiefern Gemeinsamkeiten und Unterschiede zum deutschen Recht bestehen. Dem niederländischen, schwedischen, dänischen und deutschen Recht ist gemein, dass die Ehemündigkeit ausnahmslos erst mit Vollendung des 18. Lebensjahres erreicht wird. In Österreich wird dagegen Jugendlichen im Alter von 16 Jahren im Ausnahmefall bei Bestehen der für die Eheschließung erforderlichen Reife die Eheschließung ermöglicht. In dieser Hinsicht ist das österreichische Sachrecht großzügiger ausgestaltet. Eine mit dem deutschen Recht vergleichbare Abstufung der Rechtsfolgen in Aufhebbarkeit und Unwirksamkeit eo ipso ist in den Vergleichsstaaten nicht vorhanden. Allerdings sind die Sanktionen teilweise milder und teilweise schärfer: Nach niederländischem Recht sind alle im Alter von unter 18 Jahren zustande gekommenen Ehen zwar rückwirkend56 als nichtig zu qualifizieren, diese Rechtsfolge tritt aber erst mit der Rechtskraft der Nichtigkeitserklärung ein und die Ehen entfalten bis zu diesem Zeitpunkt Wirksamkeit. Nach österreichischem Recht sind ausländische Minderjährigenehen lediglich vernichtbar, allerdings ebenso mit Rückwirkung. Weiterhin greift das Verbot der Kinderehe nicht, sofern die Ehegattin im Zeitpunkt der Eheschließung mindestens 16 Jahre alt war.57 54 A. A. dies., EF-Z 2018, 103, 106 f., die sich dogmatisch für eine teleologische Reduktion des in § 28 Abs. 1 S. 1 EheG enthaltenen Verweises auf Fälle der fehlenden Ehefähigkeit ab 16 Jahren ausspricht. Dann würde der Fall der fehlenden Ehefähigkeit wegen Unterschreitung des Mindestalters unter § 28 Abs. 2 EheG fallen, sodass die Staatsanwaltschaft zur Antragstellung befähigt wäre. 55 Allerdings nur unter erschwerten Bedingungen, sofern der Ehegatte der Scheidung nicht zustimmt, s. Max-Planck-Institut für Ausländisches und Internationales Privatrecht, RabelsZ 84 (2020), 705, 776 f. 56 In den Niederlanden wird Art. 10:32 BW mit „rückwirkender Kraft“ auch auf Ehen aus dem Ausland angewandt, die bereits vor dem 5. Dezember 2015 geschlossen wurden, s. Rutten/van Smits Waesberghe/Blauwhoff u. a., Verboden huwelijken – Onderzoek naar de werking van de Wet tegengaan huwelijksdwang in de praktijk, 25.11.2019, 118. 57 S. Melcher, EF-Z 2018, 103, 105 f.

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Kap. 4: Das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen auf dem Prüfstand

Nach schwedischem und dänischem Recht sind im Alter von unter 18 Jahren geschlossene Ehen grundsätzlich unwirksam, wobei im Bereich des Abstammungsund Sorgerechts durch unselbständige Vorfragenanknüpfung dennoch von einer wirksamen Ehe ausgegangen wird, sodass die eherechtlichen Wirkungen aufrechterhalten werden. Die Rechtsordnungen der Vergleichsstaaten halten außerdem gewisse Ausnahme- und Heilungsmechanismen bereit. So enthält das schwedische Recht in Kap. 1 § 8a Abs. 2 IntEheG eine Ausnahmeklausel und verlangt seit seiner neuesten Reform neben der Vollendung des 18. Lebensjahres – ähnlich wie das deutsche Recht in § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b BGB – außergewöhnliche Gründe als Ausschlusskriterien für die grundsätzliche Nichtanerkennung der Ehe. Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich ferner, dass die Voraussetzung der außergewöhnlichen Anerkennungsgründe in Einzelfällen nicht enger ausgelegt werden darf, „als es das EU-Recht und die Europäische Konvention zulassen“.58 Im Unterschied zum deutschen Recht, das auf der Basis von außergewöhnlichen Umständen nur aufhebbare Ehen zur Wirksamkeit erstarken lässt, bezieht sich die Vorschrift des Kap. 1 § 8a Abs. 2 IntEheG allerdings auf sämtliche im Alter von unter 18 Jahren geschlossene Ehen. Auch das dänische Recht sieht generell für im Minderjährigenalter geschlossene Ehen eine Ausnahme vom Grundsatz der Nichtanerkennung vor, wenn zwingende Gründe vorliegen und die Parteien bei Nichtanerkennung der Ehe in eine unbillige Lage geraten würden. Auch die Ehen von EU- oder EWR-Angehörigen werden generell als wirksam anerkannt. Eine mit § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. a BGB vergleichbare Bestätigungsmöglichkeit besteht auch im österreichischen Recht in § 35 öst. EheG. Im niederländischen Recht kann von der ausnahmslosen Nichtanerkennung ausländischer Minderjährigenehen im Inland bereits dann abgesehen werden, wenn beide Ehepartner im Zeitpunkt der Antragstellung bereits das 18. Lebensjahr erreicht haben. Im Unterschied zum deutschen Recht gilt dies unabhängig vom Aufenthaltsort der Ehegatten. Im deutschen Recht betrifft § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. a BGB nur solche Ehen, die von Jugendlichen im Alter von mindestens 16 Jahren eingegangen wurden. Ist die Ehe zu einem früheren Zeitpunkt vor dem 16. Geburtstag des minderjährigen Ehegatten geschlossen worden, kann ihr also nicht im Wege der Bestätigung Wirksamkeit verliehen werden. Auch die in § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b BGB statuierte Härtefallklausel findet nur auf aufhebbare Ehen Anwendung. Unwirksame Ehen können sich gem. Art. 229 § 44 Abs. 4 EGBGB nur zu wirksamen, indes aufhebbaren Ehen entwickeln, wenn der minderjährige Ehegatte vor dem 22. Juli 1999 geboren worden ist oder die nach ausländischem Recht wirk-

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S. Sveriges Riksdag, Bet. 2018/19:CU4, 12.

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same Ehe bis zur Volljährigkeit des minderjährigen Ehegatten geführt worden ist und bis dahin kein Ehegatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland begründet hat. An dieser Stelle fließt also der Inlandsbezug der jeweiligen Ehe in die Beurteilung mit ein. Eine höhere Gewichtung erfährt das Kriterium eines hinreichenden Inlandsbezugs im österreichen Recht. Hier gilt in Entsprechung zu den Maßstäben des früheren deutschen Rechts, dass vom inländischen Recht abweichende Ergebnisse desto weniger hingenommen werden müssen, je stärker das Ausmaß und die Bedeutung des Inlandsbezugs ist.59 Die schwedischen Regelungen sahen früher in Kap. 1 § 8a Abs. 1.1 IntEheG einen Inlandsbezug vor, verzichten mittlerweile aber auf dieses Erfordernis.60 Kurioserweise ist auch der schwedische Gesetzgeber zahlreichen Anregungen zur Abmilderung des Gesetzesvorhabens nicht gefolgt.61 Ähnliche Beobachtungen hat man auch in den Niederlanden gemacht.62 Insgesamt kann man konstatieren, dass die eherechtlichen Reformen in Schweden, Dänemark und den Niederlanden einige Parallelen zu der deutschen Entwicklung aufweisen. Was die Einzelheiten der Einbettung des Kinderehenverbots in die verschiedenen Rechtsordnungen anbelangt, sind jedoch einige Unterschiede auszumachen. Mit den beschränkten Heilungsoptionen im Hinblick auf die im Alter von unter 16 Jahren geschlossenen Ehen weist das KEhenBekG ein Alleinstellungsmerkmal auf. So ermöglichen die in den Vergleichsstaaten bereitgestellten Heilungsmöglichkeiten durchweg eine Heilung der Ehe unabhängig vom Eheschließungsalter, wenn der minderjährige Ehegatte mittlerweile das 18. Lebensjahr vollendet hat und bestimmte weitere Voraussetzungen vorliegen. Österreich verfolgt in Bezug auf Minderjährigenehen den flexibelsten Ansatz, der vom Ausgangspunkt her mit der früheren deutschen Rechtslage vergleichbar ist. Das Gesetz fordert dort nach wie vor eine Prüfung der jeweiligen Ehe im Einzelfall, auch wenn sich offenbar eine eher strikte Gerichtspraxis entwickelt zu haben scheint.

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Melcher, EF-Z 2018, 103, 105 f. So auch ausdrücklich Max-Planck-Institut für Ausländisches und Internationales Privatrecht, RabelsZ 84 (2020), 705, 763. 61 Im Gesetzgebungsverfahren wurde bspw. angeraten, alle bereits bestehenden Kinderehen aufzulösen und dahingehend keine Ausnahmen zuzulassen, s. den Antrag 2018/ 19: 52 von M. Eskilandersson et al. (SD), Sveriges Riksdag, mot. 2018/19 Nr. 52; abgelehnt durch dass., Bet. 2018/19:CU4, 7 ff. Zudem wurde der Antrag gestellt, dass Kinderehen nur anerkannt werden sollten, wenn der minderjährige Ehegatte das 21. Lebensjahr vollendet hat, s. den Antrag 2018/19:72 von R. Hannah, dass., mot. 2018/19 Nr. 72; abgelehnt durch dass., Bet. 2018/19:CU4, 10 ff. 62 S. dazu Max-Planck-Institut für Ausländisches und Internationales Privatrecht, RabelsZ 84 (2020), 705, 751. 60

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Kap. 4: Das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen auf dem Prüfstand

B. Verfassungsrechtliche Bewertung „Darum hat das Recht sie [die Ehe] nach alten, von Generation zu Generation erneuerten sittlichen Grundentscheidungen unserer Rechtsgemeinschaft zu einem festen Rechtsinstitut ausgeformt, dessen Bestand und Schutz nicht nur die beiden Ehepartner, sondern die ganze Rechtsgemeinschaft angeht.“ 63

Im folgenden Abschnitt wird der Frage nachgegangen, ob die derzeitigen Regelungen zu Minderjährigenehen im deutschen Sach- und Kollisionsrecht mit der Verfassung in Einklang stehen.

I. Die ausnahmslose Festlegung des Ehemündigkeitsalters von 18 Jahren Mit dem KEhenBekG hat der Gesetzgeber die in § 1303 Abs. 2–4 BGB a. F. geregelte Option, vom Familiengericht auf Antrag vom Erfordernis der Volljährigkeit als Ehemündigkeitsvoraussetzung befreit zu werden, gestrichen. Der Abschaffung dieser „beschränkten Ehemündigkeit“ lag die Erwägung zugrunde, dass für die Ausnahmegenehmigung angesichts der geringen Anzahl von Eheschließungen Minderjähriger in Deutschland64 und der weltweit schwindenden Möglichkeit der Eheschließung vor Erreichen der Volljährigkeit65 keine Notwendigkeit mehr bestünde. Die rechtspraktischen Auswirkungen dieser Gesetzesänderung beschränken sich auf minderjährige Personen, die zum Zeitpunkt der Eheschließung ein deutsches Personalstatut aufweisen. Insoweit können deutsche Staatsangehörige, Mehrstaater mit deutscher Staatsangehörigkeit, Staatenlose, Asylberechtigte und Flüchtlinge i. S. d. GFK mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland eine Eheschließung im Inland fortan nur dann vornehmen, wenn sie das 18. Lebensjahr vollendet haben.66 1. Verstoß gegen Eheschließungsfreiheit, Art. 6 Abs. 1 GG Die Abschaffung des § 1303 Abs. 2 BGB a.F als einfachgesetzliche Ausprägung der grundrechtlich verbürgten Eheschließungsfreiheit bedarf vor dem Hintergrund des Art. 6 Abs. 1 GG einer verfassungsrechtlichen Überprüfung.

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Raiser, ZevKR 7 (1960), 314, 317. Die Gesetzesbegründung verweist darauf, dass „im Jahr 2015 nur noch 92 Ehen unter Beteiligung eines Minderjährigen registriert“ wurden, s. Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland, BT-Drs. 18/12086, 13. 65 S. dies., BT-Drs. 18/12377, 1. S. zum eindeutigen Trend eingängig Kap. 1 C. III. 66 Zum Eheschließungsstatut: Kap. 2 B. I. 64

B. Verfassungsrechtliche Bewertung

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a) Persönlicher und sachlicher Schutzbereich Art. 6 Abs. 1 GG stellt die Institutionen der Ehe und Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Die Bestimmung stellt aufgrund ihres mehrdimensionalen Wesens neben dem Grundrecht als Abwehrrecht im klassischen Sinne eine Grundsatznorm als verbindliche Wertentscheidung für den gesamten Bereich des die Ehe und Familie betreffenden privaten und öffentlichen Rechts dar.67 Der freie Zugang zur Ehe, den die Eheschließungsfreiheit sicherstellt, unterfällt dabei sowohl der Institutsgarantie als auch dem Freiheitsgrundrecht in seiner leistungsrechtlichen Erscheinungsform.68 In Frage steht vorliegend eine Beschneidung des Individualrechts auf freie Wahl des Eheschließungszeitpunkts als Ausfluss der Eheschließungsfreiheit.69 Grundrechtsträger sind alle natürlichen Personen ohne Rücksicht auf deren Staatsangehörigkeit.70 Von der Grundrechtsträgerschaft71 in Bezug auf Art. 6 Abs. 1 GG ist auch bei minderjährigen Heiratsaspiranten auszugehen.72 b) Eingriff oder verfassungskonforme Konkretisierung des grundrechtlichen Schutzguts Unter einem Eingriff ist jedes staatliche Handeln zu verstehen, das dem Einzelnen ein Verhalten, das in den Schutzbereich eines Grundrechts fällt, ganz oder teilweise unmöglich macht.73 Durch die Modifizierung der Ehemündigkeitsregelungen wird Heiratsaspiranten, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet 67 So wortwörtl. BVerfG 17.1.1957, Az. 1 BvL 4/54, NJW 1957, 417 ff.; BVerfG 21.10.1980, Az. 1 BvR 179, 464/78, NJW 1981, 107; BVerfG 17.7.2002, Az. 1 BvF 1/ 01, 1 BvF 2/01, NJW 2002, 2543, 2548; s. a. Mangoldt/Klein/Starck/Robbers, 7. Aufl., 2018, Art. 6 GG Rn. 8; Sachs/Coelln, 9. Aufl., 2021, Art. 6 GG Rn. 21; Dürig/Herzog/ Scholz/Badura, 96. EL, November 2021, Art. 6 GG Rn. 1. 68 BeckOGK/Kriewald, 1.4.2022, § 1303 BGB Rn. 15; vgl. a. Cornils, Die Ausgestaltung der Grundrechte, 359: Der freie Zugang zur Eheschließung sei „Gegenstand der institutionellen Verbürgung wie der individuell berufungsfähigen Grundrechtsposition“. 69 S. nur Mangoldt/Klein/Starck/Robbers, 7. Aufl., 2018, Art. 6 GG Rn. 51. 70 Dreier/Brosius-Gersdorf, 3. Aufl., 2013, Art. 6 GG Rn. 47; Sachs/Coelln, 9. Aufl., 2021, Art. 6 GG Rn. 22, 24; BVerfG 4.5.1971, Az. 1 BvR 636/68, NJW 1971, 1509. 71 Zu beachten ist im Unterschied hierzu die sog. Grundrechtsmündigkeit, s. ausführlich dazu Pieroth/Schlink/Kingreen u. a., Grundrechte – Staatsrecht II, Rn. 207 ff.; Kloepfer, Verfassungsrecht – Bd. II: Grundrechte, § 49 III Rn. 24. 72 So zurecht Wapler, Kinderrechte und Kindeswohl, 91; vgl. Roell, Die Geltung der Grundrechte für Minderjährige, 48 ff. 50; Radtke, DRiZ 2019, 56 f.; krit. Kuhn, Grundrechte und Minderjährigkeit, 9; a. A. Roth, Die Grundrechte Minderjähriger im Spannungsfeld selbständiger Grundrechtsausübung, elterlichen Erziehungsrechts und staatlicher Grundrechtsbindung, 18 ff., der Minderjährigen vor Vollendung des 18. Lebensjahres den Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG versagen will. Zur Grundrechtsmündigkeit s. genauer Reuter, Kindesgrundrechte und elterliche Gewalt, 51 ff. 73 Pieroth/Schlink/Kingreen u. a., Grundrechte – Staatsrecht II, Rn. 329; Kloepfer, Verfassungsrecht – Bd. II: Grundrechte, § 51 Rn. 31.

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Kap. 4: Das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen auf dem Prüfstand

haben, die grundrechtlich geschützte Eingehung einer Ehe verwehrt. Insofern liegt es prima facie nahe, die Eingriffsnatur der gesetzgeberischen Maßnahme zu bejahen.74 Allerdings ist im Rahmen der Interpretation des Art. 6 Abs. 1 GG der Grundrechtseingriff strikt von der Beeinträchtigung durch definitorische Ausgestaltungsregeln zu unterscheiden.75 So gilt es zu beachten, dass die Ausformung des normgeprägten Ehegrundrechts dem Gesetzgeber obliegt, der den Schutzbereich des verfassungsrechtlichen Gebildes der Ehe durch konstituierende einfachgesetzliche Normen im Familienrecht zu konkretisieren hat.76 Insofern füllt der einfache Gesetzgeber den grundrechtlich verbürgten Tatbestand des Ehegrundrechts im Lichte der verfassungsrechtlichen Vorgaben aus und setzt auf diese Weise die rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen fest, unter denen die Grundrechtsträger von ihrem Grundrecht Gebrauch machen können. Die den verfassungsrechtlichen Ehebegriff präzisierenden Eheschließungsvoraussetzungen des einfachen Rechts müssen dabei die Institutsgarantie wahren und unterliegen insoweit den in Art. 6 Abs. 1 GG aufgeführten Schutzgütern und dem allgemeinen Verhältnismäßigkeitsprinzip.77 Mit Verweis auf die essentielle Bedeutung der subjektiven Ehevoraussetzungen, die den Kern des Ehezugangsrechts bilden, und die in Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Autonomie der Ehegatten könnte man die Streichung der Dispensmöglichkeit als unzulässige Verkürzung des Schutzbereichs bewerten, die die gesetzgeberisch als Ausgestaltung vorgesehene Rechtsänderung in einen Eingriff für die Betroffenen umschlagen lässt. Immerhin ist das Eheschließungsrecht eine „höchst sensible Rechtsmaterie, die [. . .] fundamentale Rechtspositionen des Einzelnen berührt“ 78; zudem wird in diesem Bereich des Rechts „die Persönlichkeitssphäre des Kindes am intensivsten“ tangiert.79

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In diese Richtung wohl auch Reuß, FamRZ 2019, 1, 9. Hierzu allgemein Cornils, Die Ausgestaltung der Grundrechte, 358 ff. 76 Vgl. BVerfG 19.2.2013, Az. 1 BvL 1/11, 1 BvR 3247/09, NJW 2013, 847, 851; Dreier/Brosius-Gersdorf, 3. Aufl., 2013, Art. 6 GG Rn. 74; s. a. Müller-Freienfels, Ehe und Recht, 276 ff.; vgl. a. Wapler, Kinderrechte und Kindeswohl, 91; Kuhn, Grundrechte und Minderjährigkeit, 42; Gausing/Wittebol, DÖV 2018, 41, 44; Gellermann, Grundrechte in einfachgesetzlichem Gewande, 129. 77 BVerfG 4.5.1971, Az. 1 BvR 636/68, NJW 1971, 1509, 1510. Nach diesem Beschluss des BVerfG können zudem „zu strenge oder zu geringe Sach- oder Formvoraussetzungen der Eheschließung mit der Freiheit der Eheschließung oder anderen sich aus der Verfassung selbst ergebenden Strukturprinzipien der Ehe unvereinbar sein“. Vgl. a. BVerfG 17.7.2002, Az. 1 BvF 1/01, 1 BvF 2/01, NJW 2002, 2543, 2551. 78 Coester, StAZ 1988, 122. 79 So zutreffend Beitzke, AcP 172 (1972), 240, 260. In den Protokollen zum KEhenBekG bezeichnete Prof. T. Pfeiffer die Ehe und Familie als „das Höchstpersönlichste, was wir im Recht kennen“, s. Deutscher Bundestag – Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz, Protokoll 18/148, 26. 75

B. Verfassungsrechtliche Bewertung

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Die frühere Befreiungsmöglichkeit, die ursprünglich in § 1 Abs. 2 EheG geregelt war, fand seinerzeit Einzug ins Gesetz, weil man erkannte, dass ein starres Eheschließungsmindestalter nicht für jeden Lebenssachverhalt passte.80 Mit der bisherigen Ausnahmeklausel wurde schließlich garantiert, dass Personen ab der Vollendung des 16. Lebensjahres bei Vorliegen der durch das Gericht eingehend geprüften81 persönlichen Reife und natürlichen Einsichtsfähigkeit das Individualrecht auf Eheschließung gewährt wird und sie von den Vorteilen des Ehegattenstatus profitieren können.82 Die neue Regelung nimmt diesen theoretisch ehefähigen Minderjährigen die Möglichkeit zur Begründung einer Ehe.83 Insofern besteht für die Gesetzesnovelle in diesem Punkt hoher gesetzgeberischer Erklärungsbedarf.84 Gegen die Abschaffung der Ausnahmeklausel könnte man einwenden, dass Minderjährigen auch in anderen Zusammenhängen im Familien- und Erbrecht eine erhebliche Eigenverantwortung eingeräumt und ein gewisser Grad an Einsichtsfähigkeit zugetraut wird.85 Das Erbrecht erlaubt Jugendlichen, die das 16. Lebensjahr vollendet haben, in § 2229 Abs. 1 BGB die Errichtung eines Testaments, ohne dass hierfür die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters erforderlich wäre (Abs. 2).86 Außerdem steht die beschränkte Geschäftsfähigkeit einer eventuellen Vaterschaftsanfechtung (§ 1600a Abs. 2 BGB) bzw. Vaterschaftsanerkennung (§ 1596 Abs. 2 BGB) nicht entgegen, wobei bei letzterer der Minderjährige der Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters bedarf.87 Das Alter von 16 Jahren ist des Weiteren essentiell für die Geltendmachung von Auskunftsansprüchen zur Realisierung des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung (s. § 10 Abs. 1 S. 2 SaRegG, § 63 Abs. 1 PStG).88 Auch in anderen Rechtsgebie80 So auch wiedergegeben in der Gesetzesbegründung: Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland, BT-Drs. 18/12086, 13. 81 In seiner Gesamtabwägung musste das Familiengericht das Wohl des Minderjährigen in den Vordergrund rücken, die Ehe durfte dem Wohl des Minderjährigen nicht entgegenstehen. Genauer zur gerichtlichen Ergründung: Kap. 2 A. II. 82 Dies betonend Reuß, FamRZ 2019, 1, 9. Vereinzelt stellte man damals sogar die Verfassungskonformität dieser Maßgabe wegen Verletzung des Übermaßverbots in Frage und hielt eine umfassende Dispensmöglichkeit für noch jüngere Minderjährige für angemessen, s. Kap. 2 A. III. S. a. die von Lambertz, Child marriages and the law – with special reference to swedish developments, in: The Childs Interests in Conflict, 2016, 85, 100, 102 für die Beibehaltung der Befreiungsmöglichkeit im schwedischen Recht vorgebrachten Gründe. 83 Reuß, FamRZ 2019, 1, 9; s. a. Coester-Waltjen, IPRax 2017, 429, 430 („wenig überzeugend“). 84 Cornils, Die Ausgestaltung der Grundrechte, 393, der insoweit von einem „ungewöhnlich eng begrenzten Spielraum“ ausgeht. 85 So auch Reuß, FamRZ 2019, 1, 9. 86 S. W. Schwackenberg, Deutscher Bundestag – Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz, Protokoll 18/148, 19. 87 Dieses Beispiel nennt auch Reuß, FamRZ 2019, 1, 9. 88 S. Coester-Waltjen, IPRax 2017, 429, 430 m. Fn. 12.

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ten gesteht der Gesetzgeber Minderjährigen im Alter von mindestens 16 Jahren erheblichen Entscheidungsspielraum zu. Im Transplantationsgesetz wird ihnen die Möglichkeit eingeräumt, ihre Bereitschaft zur Organspende zu erklären (§ 2 Abs. 1a TPG) und auf Landes- und Kommunalebene ist man mit Vollendung des 16. Lebensjahres teilweise berechtigt, an politischen Wahlen teilzunehmen.89 Die angeführten Beispiele verdeutlichen, dass mindestens 16 Jahre alte Minderjährige auch im Eheschließungsrecht eine Sonderbehandlung verdienen könnten, in der die Besonderheiten des weiten Entwicklungsstadiums der Adoleszenz zum Tragen kommen.90 Der Gesetzgeber sah – wie oben bereits erwähnt – in der seltenen Anwendung der Ausnahmeklausel ein Argument für die Reformierung der Ehemündigkeitsvorschrift. Darüber hinaus berief er sich auf den internationalen Trend zur Heraufsetzung des Ehemündigkeitsalters. Weniger offensichtlich, doch bei kritischer Lektüre der Gesetzesbegründung unstreitig erkennbar, ist weiterhin das legislatorische Anliegen, die flexible Ehemündigkeitsregelung in ihrer sekundären Wirkung als Zugeständnis an die Rechts- und Wertvorstellungen von Einwanderern zu beseitigen, um so eine Verschärfung der ordre public-Grenze zur Abwehr anders gestalteter Eherechte zu rechtfertigen. Aus dieser Perspektive betrachtet scheint die unvermittelte und grundsätzliche Revision der früheren Wertung, dass Minderjährige von der Vollendung des 16. Lebensalters an grundsätzlich die Reife besitzen können, um die Tragweite ihrer Entscheidung zur Eingehung einer Ehe zu erfassen, nicht zuletzt auch in Ermangelung einer fundierten rechtlichen Begründung, mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip unvereinbar: Zunächst ist die Einschränkung der Eheschließungsfreiheit auf nationaler Sachrechtsebene eine fragwürdige Intervention, wenn sie in erster Linie dazu dient, um den Weg für einen strikteren Umgang mit ausländischen Minderjährigenehen zu ebnen. Außerdem kann der seltene Einsatz des praktisch nahezu bedeutungslosen § 1303 Abs. 2 BGB a. F. in umgekehrter Stoßrichtung als Argument dafür herangezogen werden, dass ein regulierendes Eingreifen insofern gerade nicht erforderlich war.91 Auch das vom Gesetzgeber angeführte Bedürfnis nach klaren Rechtsver-

89

S. hierzu BVerwG 13.6.2018, Az. 10 C 8/17, NJW 2018, 3328 ff. In diesem Sinne auch W. Schwackenberg in den Protokollen zum Gesetz, s. Deutscher Bundestag – Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz, Protokoll 18/148, 19. Zum besonderen Stadium zwischen Kindheit und Erwachsensein: Wapler, Kinderrechte und Kindeswohl, 402 f.; s. a. Punkt 2.1 der Stellungnahme der Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland, BT-Drs. 18/11050, 5 ff.; vgl. a. im Hinblick auf das Sorgerecht: Coester, Das Kindeswohl als Rechtsbegriff – Die richterliche Entscheidung über die elterliche Sorge beim Zerfall der Familiengemeinschaft, 268; BVerfG 18.4.1989, Az. 2 BvR 1169/84, NJW 1989, 2195, 2196 („Mit wachsender Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit des Kindes treten Verantwortlichkeit und Sorgerecht der Eltern zurück“); ähnlich bereits Becker, in: FS Bosch, 37, 42 ff., 53 ff.; einen Stufenplan der Teilmündigkeiten vorschlagend Bosch, FamRZ 1974, 1 ff. 91 Vgl. Reuß, FamRZ 2019, 1, 9. 90

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hältnissen, das eine starre Altersgrenze legitimiere, ist wenig überzeugend, da bei einem so singulären Geschäft wie der Eheschließung die Rechtssicherheit hinter den ganz überwiegenden Belangen der Heiratswilligen zurückträte. Aus diesen Gründen scheint der Gesetzgeber seiner strengen Rechtfertigungspflicht nicht nachgekommen zu sein. Diese Sichtweise ließe indes ein zentrales Element unberücksichtigt, das in der Gesetzesbegründung als tragendes Leitprinzip an einigen Stellen zum Vorschein kommt: So befürchtet der Gesetzgeber, dass sich eine zu frühe Eheschließung negativ auf das Kindeswohl auswirkt.92 Bisher ging man zwar davon aus, dass Minderjährige zu Selbstbestimmung und Selbstverantwortung hinsichtlich der Eheschließung in bestimmten Ausnahmefällen fähig sein sollen.93 Allerdings liegt es in der Einschätzungskompetenz des Gesetzgebers, wenn er zu der sittlichen und moralischen Überzeugung gelangt, dass minderjährige Personen unter der Volljährigkeitsgrenze die Tragweite und Gefahren einer frühen Eheschließung nicht absehen können und dementsprechend aus Kindeswohlgesichtspunkten eine Heraufsetzung des Ehemündigkeitsalters empfehlenswert sei.94 Das Familienrecht hat im Laufe der Zeit wie kein anderes Rechtgebiet tiefgreifende Reformen durchlaufen, die die natürlichen Wandlungsprozesse wertebehafteter Institutionen in der gesellschaftlichen Wirklichkeit widerspiegeln und zugleich Ausdruck wichtiger familienpolitischer Entscheidungen sind.95 Dabei strebt das Eherecht nicht danach, auf die soziale Wirklichkeit einzuwirken oder sie zu formen, sondern bildet sie lediglich ab und verleiht der bestehenden Ehesitte den organisatorischen Halt.96 Insofern hat der Gesetzgeber das Recht und wegen der Notwendigkeit einer rechtlichen Ordnung die Pflicht, den Ehebegriff rechtlich zu formen, mitzukonstituieren und weiterzuentwickeln. Er kann die ehelichen Anforderungen entsprechend seinem Wunsch nach einem robusten präventiven Minderjährigenschutz auch so hoch schrauben, wie es ihm für die Durchsetzung seiner Ziele erforderlich erscheint.97 In Anbetracht des soziologisch zu beobachtenden Funktionswandels der Ehe98, der sich in der Gesellschaft unter anderem 92

Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland, BT-Drs. 18/12086, 1, 15, 21 f. Vgl. zu der früheren Gesetzeslage in Bezug auf minderjährige Ehefrauen die Ausführungen von Schwab, AcP 172 (1972), 266, 273 ff. 94 Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland, BT-Drs. 18/12086, 15, 21 f. Der Gesetzgeber befürchtete insbesondere, dass „mit einer verfrühten Eheschließung [. . .] der Abbruch einer bereits begonnenen oder beabsichtigten Ausbildung einhergeht“. 95 S. bereits Friauf, NJW 1986, 2595, 2598. 96 Dazu Müller-Freienfels, Ehe und Recht, 43 ff.; Jäggi, Das verweltlichte Eherecht, 48. 97 Vgl. Gellermann, Grundrechte in einfachgesetzlichem Gewande, 128 f.; s. a. Friauf, NJW 1986, 2595, 2601, der konstatiert, dass sich der „liberale Selbstgestaltungsanspruch“ gerade nicht auf die Eheschließungsbedingungen bezieht. 98 Zum „Wertewandel“ und Bedeutungsverlust der Institution Ehe s. insb. Henrich, in: FS Lerche, 239 ff.; ders., Zeitschrift für Familienforschung 1999, 21, 25 f. 93

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im stetig anwachsenden Heiratsalter99 und in der Zunahme alternativer Lebensformen manifestiert, erscheint die Gesetzesanpassung als durchaus zeitgemäß und sachangemessen.100 Auch die migrationsbedingte Internationalisierung des Eheschließungstatbestands und der bei einer Eheschließung in Deutschland offenkundig starke Inlandsbezug rechtfertigen die Anhebung des Ehemündigkeitsalters.101 Denn die Ehemündigkeitsgrenzen mögen für den einzelnen Heiratsaspiranten von großer Bedeutung sein, doch sie betreffen mit gleicher Intensität die Interessen der Allgemeinheit sowie sozialpolitische Interessen; darüber hinaus muss dem staatlichen Schutzauftrag im Hinblick auf junge Menschen Rechnung getragen werden.102 Historisch betrachtet standen hinter der Norm des § 1303 Abs. 2 BGB a. F. zentrale Schutzaspekte wie die Bewahrung der minderjährigen Ehegattin vor dem Makel der nichtehelichen Schwangerschaft und die Vermeidung von Geburten außerhalb der Ehe.103 Für dieses Korrektiv besteht seit der rechtlichen Gleichstellung von ehelichen und nichtehelichen Kindern und ihrer uneingeschränkten gesellschaftlichen Anerkennung kein Bedürfnis mehr, weswegen dem Gesetzgeber die Anpassung der Regelungen möglich sein muss.104 Die Streichung der Abs. 2–4 des § 1303 BGB berührt auch nicht die ehelichen Strukturprinzipien als verfassungsfeste Substanz, die jedweder Relativierung durch den Gesetzgeber unzugänglich ist. Schließlich handelt es sich beim Eheschließungsmindestalter nicht um ein konstitutives Merkmal des verfassungsrechtlichen Ehebegriffs i. S. v. Art. 6 Abs. 1 GG, sondern um eine einzelne, spezifische Eheschließungsvoraussetzung, die der Gestaltung des Gesetzgebers im Rahmen seines Regelungsspielraums anheimgegeben ist. Weiterhin war die Befreiungsmöglichkeit schon in der Vergangenheit teilweise massiver Kritik ausgesetzt. Der Missstand wurde darin gesehen, dass das Dis-

99 Im aktuellsten Referenzjahr 2018 betrug das Heiratsdurchschnittsalter bei Frauen 32,1 und bei Männern 34,6 Jahre. Vgl. zur Entwicklung die Angaben des statistischen Bundesamts: Kap. 1 Fn. 100. 100 Vgl. Coester, FamRZ 2017, 77 f. 101 Krit. demgegenüber Andrae, RPsych 2017, 426, 433, die auf die „seelischen Konflikte“ hinweist, die der Wegfall der Befreiungsmöglichkeit bei den Eheschließungswilligen auslösen kann. Den zunehmend internationalen Charakter der Eheschließung bereits erkennend: Henrich, Zeitschrift für Familienforschung 1999, 21, 22; zu den auftauchenden Problemen bei Feststellung der Ehefähigkeit: Rohe, StAZ 2018, 72, 75. 102 S. Müller-Freienfels, Ehe und Recht, 276 f.; Coester, StAZ 1988, 122, 123. 103 Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland, BT-Drs. 7/117, 11: Nach dem damaligen gesellschaftlichen Standpunkt wurde erwartet, dass ein schwangeres Mädchen unter achtzehn Jahren „möglichst bald die Ehe schließt und dadurch die eheliche Geburt des zu erwartenden Kindes ermöglicht“. 104 Bongartz, NZFam 2017, 541, 543; vgl. Opris, ZErb 2017, 158, 165. Die Ausnahmevorschrift aus diesem Grund für überflüssig erachtend: Muscheler, Familienrecht, 137 f., Rn. 242.

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penssystem des § 1303 Abs. 2–4 BGB a. F. nicht den Anforderungen des Art. 2 Ehewille-UNÜ genügen würde.105 Hiernach sollen die Vertragsstaaten nicht nur das Heiratsmindestalter bestimmen, sondern auch den Personen unterhalb dieser Mindestaltersschwelle die Eheschließung nur dann ermöglichen, wenn die zuständige Behörde aus schwerwiegenden Gründen im Interesse der künftigen Ehegatten Befreiung erteilt. In Umkehrung dieses Regel-Ausnahmesystems bestand nach § 1303 Abs. 2 BGB a. F. aber ein rechtsverbindlicher Anspruch auf Erteilung der Befreiung, soweit keine Kindeswohlgefährdung zu befürchten war.106 Diesen Konflikt im Verhältnis zur Ehewille-UNÜ hat die Gesetzesnovelle nunmehr gelöst. Auch Art. 12 EMRK steht der Streichung der Dispensmöglichkeit nicht entgegen.107 Hiernach haben zwar Männer und Frauen mit Erreichen des Heiratsalters das Recht zur Eingehung einer Ehe und zur Familiengründung, allerdings nur „nach den nationalen Gesetzen, die die Ausübung dieses Rechts regeln“. In diesem Sinne hat der Gesetzgeber darüber zu befinden, wie er diese Regeln ausgestaltet. Aus diesen Gründen greifen die vorstehend geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken letztlich nicht durch.108 Der Gesetzgeber hat mit der Berufung auf das Kindeswohl den „notwendigen Rechtfertigungszusammenhang zwischen eherechtlichen Regeln und den verfassungsbegriffskonstituierenden Merkmalen“ 109 der Ehe geschaffen und in rechtmäßiger Ausübung seines staatlichen Schutzauftrags der Existenz eines „anachronistischen“ 110 Rechtsinstituts ein Ende bereitet, ohne die in der Verfassung festgesetzten Grundwertungen zu verletzen.

105 Andrae, NZFam 2016, 923, 925; zust. BeckOGK/Erbarth, 1.6.2022, § 1353 BGB Rn. 244. 106 Krit. auch Antomo, NZFam 2016, 1155, 1156. 107 Antomo, NZFam 2016, 1155, 1156. A. A. Reuß, FamRZ 2019, 1, 9. 108 So i. E. auch Dethloff/Maschwitz, StAZ 2010, 162, 173; Majer, NZFam 2017, 537, 539; Dethloff, International Journal of Law, Policy and the Family 32 (2018), 302, 310; Coester, FamRZ 2017, 77 f.; Weller/Thomale/Hategan u. a., FamRZ 2018, 1289, 1298; Antomo, NJW 2016, 3558, 3563; Möller/Yassari, KJ 2017, 269, 281; Gausing/ Wittebol, DÖV 2018, 41, 46 f.; so auch Kuhn, Grundrechte und Minderjährigkeit, 43; Müller-Freienfels, Ehe und Recht, 280 f.; Wapler, verdikt 2017, 9; weitere Argumente für die Abschaffung der Befreiungsmöglichkeit in Bezug auf das schwedische Recht: Lambertz, Child marriages and the law – with special reference to swedish developments, in: The Childs Interests in Conflict, 2016, 85, 100 ff.; vgl. Cornils, Die Ausgestaltung der Grundrechte, 394, der „eine auf grundrechtliche paternalistische Schutzpflichten gestützte Verweigerung der Eheberechtigung gegenüber Minderjährigen“ als überzeugendes, zur Rechtfertigung geeignetes Prinzip erachtet; vgl. dazu a. BK/Pirson, April 1978, Art. 6 GG Rn. 38; krit. dagegen Coester-Waltjen, IPRax 2017, 429, 430. 109 Cornils, Die Ausgestaltung der Grundrechte, 346. 110 Ebendiesen Begriff verwendend: Bongartz, NZFam 2017, 541, 543.

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2. Verstoß gegen die allgemeine Handlungsfreiheit und das Selbstbestimmungsrecht, Art. 2 Abs. 1 GG i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG In Betracht kommt zudem eine Verletzung der individuellen Handlungsfreiheit i. S. v. Art. 2 Abs. 1 GG. Dabei beinhaltet der Schutzbereich des Grundrechts im weitesten Sinne die Freiheit zu jedem beliebigen Tun oder Unterlassen.111 Gleichzeitig bildet die Eheschließung einen wesentlichen Bestandteil der privaten Lebensgestaltung, weshalb weiterhin an einen Verstoß gegen das Allgemeine Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG zu denken ist.112 Hierunter fällt sowohl die Freiheit der Minderjährigen, selbst zu entscheiden, ob und wann sie die Ehe eingehen, als auch das Recht darauf, dass die Rechtsordnung ihnen die rechtsverbindliche Ausgestaltung ihrer Beziehung zueinander im Rahmen der Institution Ehe nach außen hin gewährt. Allerdings bleibt zu beachten, dass der persönliche Lebensbereich der Eingehung einer Ehe vollständig vom Schutz des spezielleren Ehegrundrechts des Art. 6 Abs. 1 GG abgedeckt ist und das „Auffanggrundrecht“ 113 des Art. 2 Abs. 1 GG daher weder in Gestalt der allgemeinen Handlungsfreiheit noch in Kombination mit Art. 1 Abs. 1 GG als allgemeines Persönlichkeitsrecht in Anschlag gebracht werden kann. Doch selbst unter der Prämisse, dass der Schutzbereich eröffnet sein könnte, wäre infolge der oben näher ausgeführten Angemessenheit der gesetzgeberischen Maßnahme ein Eingriff verhältnismäßig und daher verfassungsrechtlich gerechtfertigt.114 3. Zwischenergebnis Die strikte Festlegung des Ehemündigkeitsalters auf 18 Jahre unter Beseitigung der Befreiungsmöglichkeit ist von der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers gedeckt und genügt als „schutzbereichsbegründende Ausgestaltung“ 115 den verfassungsrechtlichen Anforderungen.

II. Unwirksamkeit der im Alter von unter 16 Jahren geschlossenen Ehen Womöglich hat der Gesetzgeber aber mit der Einordnung der im Alter von unter 16 Jahren geschlossenen Ehen als Nichtehen nach § 1303 S. 2 BGB, 111 Grundlegend das sog. Elfes-Urteil, s. BVerfG 16.1.1957, Az. 1 BvR 253/56, BVerfGE 6, 32, 36 ff.; Sachs/Rixen, 9. Aufl., 2021, Art. 2 GG Rn. 43. 112 Vgl. Mangoldt/Klein/Starck/Starck, 7. Aufl., 2018, Art. 2 GG Rn. 88. 113 BVerfG 26.2.1997, Az. 1 BvR 2172/96, NJW 1997, 1841, 1843: „Aufgabe [des Grundrechts] ist es, [. . .] die Grundbedingungen für die Persönlichkeitsentfaltung zu sichern, die von den speziellen Freiheitsgarantien nicht erfaßt sind.“; Dreier/Dreier, 3. Aufl., 2013, Art. 2 I GG Rn. 98. 114 Vgl. Opris, ZErb 2017, 158, 162 f. 115 S. Kloepfer, Verfassungsrecht – Bd. II: Grundrechte, § 67 IV Rn. 50.

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Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB die von der Verfassung gesetzten Grenzen überschritten. Eine Regelung über die Rechtsfolgen der Ehenichtigkeit ist dem Gesetz nicht zu entnehmen, ab Inkrafttreten des Gesetzes geschlossene Ehen sind ohne Rücksicht auf das Eheschließungsstatut just als niemals existent anzusehen. Für nach ausländischem Eheschließungsstatut im Alter von unter 16 Jahren begründete Ehen wird die per Gesetz verordnete Unwirksamkeitslösung jedoch durch die Übergangsvorschrift des Art. 229 § 44 Abs. 4 EGBGB in ihrer Anwendung begrenzt. Bei einer nach inländischem Eheschließungsstatut vor dem 22.7.2017 im Alter von unter 16 Jahren geschlossenen Minderjährigenehe bleibt wiederum Art. 229 § 44 Abs. 1 EGBGB zu beachten, wonach anstelle der Unwirksamkeitssanktion die alten Aufhebbarkeitsregeln greifen. 1. Verstoß gegen Grundrechte der Ehegatten a) Schutz der Ehe und Familie, Art. 6 Abs. 1 GG Die Neuregelungen versagen den im Inland wie im Ausland im Alter von unter 16 Jahren geschlossenen Ehen die Wirksamkeit, sodass sie als niemals existent betrachtet werden. Insofern sind sie vorrangig am Ehe- und Familiengrundrecht des Art. 6 Abs. 1 GG116 als dem einschlägigen verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab zu messen. aa) Schutzbereich und Eingriff In persönlicher Hinsicht lassen sich dem Schutzbereich der Norm keine Einschränkungen entnehmen, da Art. 6 Abs. 1 GG als ein für jedermann geltendes Grundrecht seinen Schutz auch auf Angehörige fremder Staaten erstreckt.117 Eingebettet in die Schutzbereichsproblematik ist indes die Kernfrage, ob und inwieweit Ehen, die in so jungem Alter eingegangen wurden, als schützenswert i. S. d. Art. 6 Abs. 1 GG anzusehen sind. Die Eröffnung des sachlichen Schutzbereichs hängt somit davon ab, welches Verständnis dem verfassungsrechtlichen Begriff der Ehe118 zugrunde gelegt wird. (1) Zivilrechtsakzessorischer Ehebegriff Möglicherweise richtet sich die verfassungsrechtliche Schutzgarantie nach den allgemeinen familienrechtlichen Eheprinzipien.119 So ist davon auszugehen, dass 116 Zur verfassungsrechtlichen Geschichte dieses Grundrechts: Schwab, in: FS Bosch, 893 ff. 117 S. nur Meissner, JURA 1993, 1. 118 BVerfG 2.2.1993, Az. 2 BvR 1491/91, NJW 1993, 3316, 3317; Stern/Sachs/Dietlein, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland – Bd. VI/1, 386. 119 In diese Richtung Ipsen, § 154 Ehe und Familie, in: Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland – Bd. VII, 3. Aufl., 2009, Rn. 10: „im wesentlichen identisch“. Zum „Ehebegriff des deutschen Familienrechts“ s. ferner Gausing/Wittebol, DÖV 2018, 41, 44.

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auch der historische Verfassungsgesetzgeber im Jahre 1949 bei Schaffung des Art. 6 Abs. 1 GG die eherechtlichen Regelungen, wie sie zu dieser Zeit im EheG ausgestaltet waren120, im Sinne hatte und hiervon inspiriert war.121 Hielte man sich streng an die einfachgesetzlichen Vorgaben des heutigen, in §§ 1303 ff. BGB geregelten Eheschließungsrechts, so wären unter Missachtung der Ehemündigkeitsgrenze im Alter von unter 16 Jahren geschlossene, rechtlich mithin nicht existente Ehen von vornherein nicht vom Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG umfasst. Bei näherer Betrachtung kann eine solche strikte Zivilrechtsakzessorietät, wonach die verfassungsrechtliche Dimension der Ehe automatisch von den einzelnen bürgerlich-rechtlichen Ausformungen abhängig sein soll, aber nicht überzeugen. Wie oben bereits angedeutet, hat der einfache Gesetzgeber mit der ausschließlich ihm anvertrauten Festlegung der genauen gesetzlichen Inhalts- und Verfahrensbestimmungen des Familienrechts die verfassungsrechtlichen Kernelemente lediglich in konkrete Form gegossen, um das Rechtsinstitut der Ehe nach dem Leitbild der verfassungsrechtlichen (Instituts-)Garantie praktisch zu gewährleisten. Insofern handelt es sich bei den Regeln des einfachen Rechts um bloße nachzeichnende Einzelausprägungen des übergeordneten Verfassungsprinzips Ehe als Ausfluss des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums, aber keineswegs um verfassungsprinzipsbestimmende Vorschriften.122 Die Verschiedenartigkeit des einfachrechtlichen und des verfassungsrechtlichen Ehebegriffs123 zeigt sich bereits an der Tatsache, dass der ausgestaltende Gesetzgeber selbst den verfassungsrechtlichen Bindungen nach Art. 1 Abs. 3 GG unterliegt und die einfachgesetzlichen, in seine Disposition gestellten Regelungen ihrerseits „die wesentlichen, das Institut der Ehe bestimmenden Prinzipien beachten [müssen]“.124 Aus diesen Gründen kann der verfassungsrechtliche Ehebegriff nicht automatisch dem einfachen Eherecht unterworfen werden. Der zivilrechtliche Ehebegriff ist also kein geeigneter Prüfungsmaßstab für die verfassungsrechtliche Analyse. (2) Eigenständiger verfassungsrechtlicher Ehebegriff Aus verfassungsrechtlicher Perspektive wird die Ehe als eine unter Mitwirkung des Staates geschlossene, auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaft zweier Perso120

Bezogen auf die Ehemündigkeitsaltersbestimmungen: Kap. 1 B. III. 2. b) cc). S. Henrich, in: FS Lerche, 239, 245; BeckOK/Uhle, 51. Ed., 15.5.2022, Art. 6 GG Rn. 10a. 122 S. schon BVerfG 4.5.1971, Az. 1 BvR 636/68, NJW 1971, 1509, 1510. Auch Cornils, Die Ausgestaltung der Grundrechte, 341. 123 Zu dieser Erkenntnis der Unterschiedlichkeit der Ehebegriffe gelangt auch Henrich, in: FS Lerche, 239, 245; bestätigend insofern auch Coester-Waltjen, in: FS Henrich, 91. 124 S. die Ausführungen des ehemaligen Bundesverfassungsrichters H.-J. Papier, in: BVerfG 17.7.2002, Az. 1 BvF 1/01, 1 BvF 2/01, NJW 2002, 2543, 2551. 121

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nen verschiedenen oder desselben Geschlechts125 definiert, die auf freiem Entschluss und Gleichberechtigung der Partner beruht.126 Von zentraler Wichtigkeit sind hier die sog. unverzichtbaren Strukturprinzipien, die den verfassungsrechtlichen Kerngehalt der Ehe vor Aufhebung oder wesentlicher Umgestaltung bewahren sollen.127 Zu den fundamentalen Wesenszügen der Ehe gehören hiernach das Prinzip der Einehe, die auf Lebenszeit angelegte Dauerhaftigkeit der Beziehung, die Freiwilligkeit und Öffentlichkeit der Ehe, sowie die Lebensgemeinschaft in autonomer Gestaltung.128 Legt man diesen verfassungsrechtlichen Ehebegriff zugrunde, so genießen auch im Ausland geschlossene Ehen grundrechtlichen Schutz, wenn sie bestimmte Voraussetzungen erfüllen.129 Fehlerhafte Ehen, die unter Verstoß gegen die Eheschließungsvorschriften (also auch beispielsweise in Widerspruch zu den Ehemündigkeitsnormen) geschlossen wurden, sind nicht a priori vom Schutzbereich ausgenommen.130 Im Falle eines Ehemündigkeitsdefizits stellt sich mit Blick auf die Strukturprinzipien jedoch die Frage, ob die Ehe wirklich aus freiem Willen geschlossen wurde.131 Immerhin dienen die vom deutschen Recht für die Ehemündigkeit aufgestellten Altersvorgaben der Sicherstellung der Konsensnatur

125 Mit dem Gesetz zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts vom 20.7.2017 (BGBl. 2017 Teil I, 2787 f.) hat der einfache Gesetzgeber das Eheinstitut für gleichgeschlechtliche Paare geöffnet. Teilweise wird vertreten, dass die Verschiedengeschlechtlichkeit als begriffskonstituierendes Merkmal dem Ordnungskern der Ehe angehört und eine verfassungsgemäße Etablierung der gleichgeschlechtlichen Ehe damit dem verfassungsändernden Gesetzgeber vorbehalten war: Dürig/Herzog/Scholz/Badura, 96. EL, November 2021, Art. 6 GG Rn. 42; BeckOK/ Uhle, 51. Ed., 15.5.2022, Art. 6 GG Rn. 4 ff. m.w. N.; vgl. a. Stern/Sachs/Dietlein, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland – Bd. VI/1, 373 ff.; Henrich, Zeitschrift für Familienforschung 1999, 21, 23; s. a. das prägende Urteil des BVerfG: BVerfG 17.7.2002, Az. 1 BvF 1/01, 1 BvF 2/01, NJW 2002, 2543, 2547 f.; a. A. Mangoldt/ Klein/Starck/Robbers, 7. Aufl., 2018, Art. 6 GG Rn. 47a. 126 S. die traditionelle Definition in BVerfG 17.7.2002, Az. 1 BvF 1/01, 1 BvF 2/01, NJW 2002, 2543, 2547 f.; BVerfG 27.5.2008, Az. 1 BvL 10/05, NJW 2008, 3117, 3118; Sachs/Coelln, 9. Aufl., 2021, Art. 6 GG Rn. 4; Dreier/Brosius-Gersdorf, 3. Aufl., 2013, Art. 6 GG Rn. 49; Gellermann, Grundrechte in einfachgesetzlichem Gewande, 127; vgl. a. Henrich, Zeitschrift für Familienforschung 1999, 21, 23. 127 S. Sachs/Coelln, 9. Aufl., 2021, Art. 6 GG Rn. 31. Hier haben „Stabilität Vorrang vor der Dynamik, Beharrung Vorrang vor dem Wandel“, s. Henrich, Zeitschrift für Familienforschung 1999, 21, 29. 128 Dreier/Brosius-Gersdorf, 3. Aufl., 2013, Art. 6 GG Rn. 77; Mangoldt/Klein/ Starck/Robbers, 7. Aufl., 2018, Art. 6 GG Rn. 38; Cornils, Die Ausgestaltung der Grundrechte, 341; Henrich, Zeitschrift für Familienforschung 1999, 21, 29. 129 S. nur Dreier/Brosius-Gersdorf, 3. Aufl., 2013, Art. 6 GG Rn. 54; VG Berlin 28.9.2018, Az. 3 K 349.16 V, FamRZ 2019, 279, 281. 130 Vgl. Dreier/Brosius-Gersdorf, 3. Aufl., 2013, Art. 6 GG Rn. 53. 131 S. Majer, NZFam 2019, 659, 662; Schulte-Rudzio, Minderjährigenehen in Deutschland, 328; insofern auf die schwierige Feststellbarkeit der Freiwilligkeit hinweisend Hüßtege, FamRZ 2017, 1374, 1380; Rixen, JZ 2019, 628, 630.

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der Ehe132, sodass deren Unterschreiten Zweifel an der Freiwilligkeit und Ausgereiftheit der Eheschließungsentscheidung aufwirft. Dabei vermag die Übereinstimmung der jeweiligen Ehe mit den Maßstäben ausländischer Ehemündigkeitsvorschriften das Problem nicht zu beheben. Die gegen Minderjährigenehen vorgebrachten Einwände entspringen der Besorgnis, dass sich im frühen Alter geschlossene Ehen negativ auf das Kindeswohl auswirken. So werden Minderjährigenehen gemeinhin mit Zwangsehen, deren Begründung oder Fortführung gerade nicht auf dem freien Willen beider Partner beruht, assoziiert. Auch dem KEhenBekG lässt sich die Wertung entnehmen, dass Minderjährige im Alter von unter 18 Jahren noch nicht zur Eheschließung bereit seien und eine im Minderjährigenalter geschlossene Ehe eine Kindeswohlgefährdung darstellt.133 Diese pauschalisierende Annahme geht allerdings zu weit. Wie oben bereits erläutert, ist das Phänomen der vornehmlich im Ausland praktizierten Eheschließungen im jungen Alter zu vielschichtig, als dass man es undifferenziert mit der Zwangsehenproblematik gleichsetzen könnte.134 Auch wenn Minderjährige besonders anfällig für Zwangsverheiratungen sind135, ist es nicht sachgerecht, das Bestehen einer konsensualen Ehe allein vom Alter der Ehegatten abhängig zu machen. Wie der Fall des OLG Bamberg zeigt, müssen selbst Eheschließungen im jungen Alter von unter 16 Jahren nicht auf Zwang basieren. Vielmehr können die Heiratsaspiranten bei Eheschließungen im Ausland in Abweichung von der Vorstellung des deutschen Eherechtsgesetzgebers durchaus in der Lage sein, die Bedeutung und Tragweite ihres Verhaltens zu erkennen und die Ehe willentlich zu begründen.136 Ein niedriges Alter bei der Eheschließung erhöht zwar die Wahrscheinlichkeit, dass der jeweilige Ehegatte einem zumindest unterschwellig durch die eigene Familie, die Familie des Verlobten oder den Verlobten selbst ausgeübten Druck ausgesetzt war. Die arbiträre Altersschwelle von 16 Jahren bietet im Umgang mit Auslandsehen aber keinen adäquaten Differenzierungszeitpunkt für den Übergang von im Hinblick auf die Eheschließung entscheidungsunfähigen, unreifen Kindern zu autonomen, die Tragweite der Eheschließung erfassenden Jugendlichen. Nicht jede Ehe, die in Widerspruch zu der in Deutschland geltenden Ehemündigkeitsgrenze im Ausland geschlossen wurde und nach hiesiger Rechtsauffassung als anstößig empfunden wird, kann als 132 Die Konsensnatur der Ehe ist von „fundamentaler Bedeutung für das staatliche Recht“, s. Coester, StAZ 1988, 122, 126. 133 Dies insb. kritisierend Götz, Brücke an Maschinenraum: Auswirkungen von gesetzlichen Reformen und höchstrichterlicher Rechtsprechung in der Praxis, in: Moderne Familienformen – Symposium zum 75. Geburtstag von Michael Coester, 2017, 95, 116. 134 S. Coester-Waltjen, IPRax 2017, 429, 435; Arnold/Zwirlein-Forschner, GPR 2019, 262, 270, s. a. Kap. 1 C. I. 4. 135 Zu den Hintergründen: Hildebrand, Die Bekämpfung der Zwangsheirat in Deutschland, 85 f. Vgl. a. Hillgruber, ZAR 2006, 304, 309. 136 Vgl. Keil, jurisPR-IWR 2018, Anm. 4, Punkt D; Schulte-Rudzio, Minderjährigenehen in Deutschland, 328 mit weiteren Beispielen aus der Rspr. in Rn. 1247.

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Zwangsehe qualifiziert und damit dem grundrechtlichen Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG entzogen werden. Für die Festlegung einer geeigneten altersbezogenen Grenze spricht indes die strafrechtliche Vorschrift des § 176 StGB, die sexuelle Handlungen – also damit auch den „Vollzug der Ehe“ – mit Personen unter 14 Jahren unter Strafe stellt, wenn der Ehepartner strafmündig (also selbst über 14 Jahre alt) ist. Aus der Fixierung dieses Schutzalters lässt sich die (gut nachvollziehbare) Wertentscheidung herauslesen, dass die in der Norm als Kinder definierten Personen vor Vollendung des 14. Lebensjahres weder auf der geistigen Ebene noch von der körperlichen Entwicklung her die notwendige Reife zur Begründung einer Ehe besitzen und keinen rechtlich relevanten Eheschließungswillen bilden können. Bei Eheschließungen vor Erreichen dieser Untergrenze muss es sich mithin um kindeswohlgefährdende Zwangsehen handeln, die ab initio nicht vom Schutzbereich des Ehegrundrechts umfasst sein können. Aber auch den Ehen, die unter sonstigen Umständen gegen den Willen eines oder beider Ehegatten wirksam im Ausland geschlossen wurden, ist zweifelsohne der Grundrechtsschutz zu versagen.137 Hier gebietet das verfassungsrechtlich in Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG verankerte staatliche Wächteramt die Auflösung der Minderjährigenehe. Zudem stehen die negative Eheschließungsfreiheit nach Art. 6 Abs. 1 GG, das Selbstbestimmungsrecht gem. Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG, das Recht auf Freiheit nach Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG und das in Art. 3 Abs. 2 GG verbürgte Gebot der Gleichstellung von Mann und Frau dem Fortbestand der Ehe als relevante Grundrechte entgegen. (3) Ausweitung des verfassungsrechtlichen Eheschutzes in der Abwehrdimension Um das tatsächliche Schutzniveau des Art. 6 Abs. 1 GG zu erfassen, muss man sich auf die Natur des Ehegrundrechts zurückbesinnen. Allgemein anerkannt ist, dass es sich bei Art. 6 Abs. 1 GG um ein Grundrecht mit verschiedenen Gewährleistungsdimensionen handelt.138 Im Kontext der Minderjährigenehen kommt der Differenzierung zwischen der abwehrrechtlichen Grundrechtskomponente, die den materiellen und persönlichen Bereich der Ehe vor staatlichen Eingriffen schützt, und der institutionellen Garantie als ehebestandssicherndem Element fundamentale Bedeutung zu.139 Während der Institutscharakter stricto sensu an den verfassungsrechtlichen Ehebegriff gebunden ist140, geht das Schutzversprechen des Staates in seiner abwehrrechtlichen Erscheinungsform über die Wah137 Der Zwang muss dabei „letztlich doch freiwillig akzeptierte familiäre oder gesellschaftliche Erwartungen“ übersteigen, s. Sachs/Coelln, 9. Aufl., 2021, Art. 6 GG Rn. 8. 138 BeckOK/Uhle, 51. Ed., 15.5.2022, Art. 6 GG Rn. 20; Sachs/Coelln, 9. Aufl., 2021, Art. 6 GG Rn. 21. 139 So Gausing/Wittebol, DÖV 2018, 41, 50. 140 S. hierzu Coester-Waltjen, in: FS Henrich, 91, 95.

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rung der Konstitutionsprinzipien hinaus.141 Von bahnbrechender Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die sog. Witwenrentenentscheidung des BVerfG142, die durch ein Urteil des OLG Nürnberg143 nach zutreffender, wenn auch strittiger Ansicht eine inhaltliche Erweiterung erfahren hat: Das BVerfG hatte sich in seinem Beschluss vom 30. November 1982 mit der Frage der Gewährung einer Witwenrente aus der deutschen Arbeiterrentenversicherung auseinanderzusetzen. Dabei lag nach dem für den ausländischen, mittlerweile verstorbenen Verlobten zur Anwendung berufenen englischen Heimatrecht zwar eine rechtsgültige Ehe vor, die Verbindung war allerdings nach dem für die hinterbliebene Witwe maßgebenden deutschen Recht mangels staatlicher Mitwirkung beim Eheschließungsakt als Nichtehe zu qualifizieren. Nach den Feststellungen des Gerichts können aufgrund von Art. 6 Abs. 1 GG Rentenansprüche aus einer im Inland formell unwirksamen, im Ausland jedoch wirksamen Ehe dann hergeleitet werden, wenn die Ehe von beiden Partnern in gutem Glauben in ehelicher Lebensgemeinschaft über lange Jahre hinweg tatsächlich gelebt worden ist.144 Insofern wurde der Terminus „Witwe“ in § 1264 RVO145 dahingehend ausgelegt, dass hierunter auch hinterbliebene Ehegatten aus sog. hinkenden Ehen gefasst werden. Mit der Entscheidung hat das BVerfG also einer unter Missachtung eines grundlegenden Strukturelements geschlossenen Ehe sozialrechtliche Wirkungen beigemessen und die hinkende Ehe unter den Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG gestellt. Dabei muss die Ehe gewisse Mindestanforderungen erfüllen, um den Schutz der Verfassung zu genießen: Zunächst müssen die Eheleute bei Eingehung der hinkenden Ehe „ihre Verbindung als dauernde Gemeinschaft beabsichtigen“, zudem muss nach der für einen Ehegatten entscheidenden Rechtsordnung die Gemeinschaft als Ehe anerkannt sein und die Ehe darf nicht der öffentlichen Ordnung des Art. 6 EGBGB zuwiderlaufen.146 Hieraus lässt sich die wertvolle Erkenntnis gewinnen, dass zumindest bei Formverstößen die abwehrrechtliche Funktion des Ehegrundrechts in Auslandsfällen über die einfachrechtlichen Vorgaben hinaus Schutz gewähren kann und die streng an die Ordnungsprinzipien

141 Gausing/Wittebol, DÖV 2018, 41, 45; s. insb. Coester-Waltjen, in: FS Henrich, 91, 98. 142 BVerfG 30.11.1982, Az. 1 BvR 818/81, NJW 1983, 511 f.; bekräftigend OLG Köln 10.5.1993, Az. 16 WX 38/93, NJW 1993, 2755 f.; BayObLG 9.8.1994, Az. 1Z BR 64/94, BayObLGZ 1994, 227, 232; OLG Frankfurt am Main 13.1.2014, Az. 20 W 397/12, FamRZ 2014, 1106, 1108 f. 143 OLG Nürnberg 30.6.1997, Az. 7 UF 1117–97, NJW-RR 1998, 2 ff. 144 BVerfG 30.11.1982, Az. 1 BvR 818/81, NJW 1983, 511. 145 Reichsversicherungsordnung, mittlerweile findet sich die Norm in § 46 SGB VI. 146 BVerfG 30.11.1982, Az. 1 BvR 818/81, NJW 1983, 511 f.; Gössl, IPRax 2015, 233, 234.

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gebundene Institutsgarantie „hinter die freiheitlichen Dimensionen der Grundrechte zurück[tritt]“.147 Als nicht minder bedeutsam erweisen sich die Ausführungen des OLG Nürnberg in seiner Entscheidung vom 30.6.1997. Hiernach erstreckt sich der Schutz von Ehe und Familie aus Art. 6 Abs. 1 GG sogar auf eine Ehe, die nach deutscher Rechtsvorstellung unter Verstoß gegen das verfassungsrechtlich geschützte Prinzip der Einehe148 geschlossen wurde und trotz der nunmehr auch nach deutschem Recht erfolgten rechtskräftigen Scheidung der früheren (Erst)Ehe auf Grundlage der §§ 20, 24 EheG zum Gegenstand einer Ehenichtigkeitsklage149 der Staatsanwaltschaft wurde. Das Gericht sah die entsprechende Klage als rechtsmissbräuchlich an und wies sie in der Folge als unzulässige Rechtsausübung ab. Das Urteil basierte hauptsächlich auf der Erwägung, dass der mit der Nichtigerklärung verbundene Eingriff in das verfassungsrechtlich verbürgte Ehegrundrecht im vorliegenden Fall nicht durch ein besonderes, Art. 6 Abs. 1 GG übergeordnetes Interesse der Allgemeinheit an der Nichtigerklärung zu rechtfertigen sei. Während der BGH in einem Präzedenzfall150 mit Verweis auf den umfassenden Zweck der Nichtigkeitsklage deren Zulässigkeit trotz Scheidung der Erstehe bejaht hat, wurde dem Aspekt, dass die Ehe im Zeitpunkt der Klageerhebung bereits nach deutschem Recht geschieden und damit von ihrem ursprünglichen Defizit befreit gewesen war, in der Entscheidung des OLG Nürnberg heilende Kraft beigemessen. Unter Würdigung der vielseitigen Zweckrichtungen der Nichtigkeitsklage führte das OLG Nürnberg weiter aus, dass dem öffentlichen Interesse gleichwohl geringe Bedeutung beizumessen sei, sofern die Klage im Ergebnis zur Entstehung einer hinkenden (also in Deutschland unwirksamen aber im Ausland anerkannten) Ehe führen würde.151 Aus der Entscheidung lässt sich der Leitgedanke herauslesen, dass zunächst in Widerspruch zu einem konstitutiven Strukturmerkmal geschlossene Ehen im deutschen Rechtsraum dennoch zur Wirksamkeit erstarken, wenn der ursprüngliche Mangel im Verlauf der Zeit behoben wird. Diese in den vorgenannten Judikaten entwickelten Grundsätze haben für im Ausland begründete Minderjährigenehen, die allem Anschein nach nicht einvernehmlich geschlossen wurden, weitreichende Folgen: Im Unterschied zum streng 147 Ipsen, § 154 Ehe und Familie, in: Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland – Bd. VII, 3. Aufl., 2009, Rn. 6. 148 Zwar war die Erstehe nach polnischem Recht wirksam geschieden, das polnische Scheidungsurteil wurde aber in Deutschland nicht anerkannt. Das Prinzip der Einehe fand damals in § 5 EheG seine normative Ausgestaltung. 149 Dieser damaligen Klageform entspricht die in § 1316 BGB enthaltene Eheaufhebungsklage. 150 BGH 18.6.1986, Az. IV b ZR 41/85, NJW 1986, 3083 f. 151 OLG Nürnberg 30.6.1997, Az. 7 UF 1117–97, NJW-RR 1998, 2, 4.

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verfassungsbezogenen, institutionellen Ehebegriff, wonach Zwangsehen wegen Missachtung eines wesentlichen Strukturprinzips kategorisch vom grundrechtlichen Schutzbereich auszuschließen sind, gewährleistet die freiheitliche Grundrechtsdimension in Abwehrfällen die Anerkennung der Ehe, wenn 1. die Ehe von beiden Partnern gutgläubig und einvernehmlich in ehelicher Lebensgemeinschaft jahre- oder jahrzehntelang hinweg tatsächlich gelebt worden ist und/oder 2. der Grund für den fundamentalen Ehemangel inzwischen entfallen und nachträglich die Wahrung aller Strukturelemente zu bejahen ist.152 Freilich hat diese extensive Begriffsauffassung keine ungeteilte Zustimmung gefunden. So wird eine Entkopplung des verfassungsrechtlichen Ehebegriffs von seinen tragenden Wesensmerkmalen befürchtet und eine Übertragung der Grundsätze der Witwenrentenentscheidung auf andere Konstellationen als die der Formunwirksamkeit strikt abgelehnt.153 Solchen Vorstellungen ist indes die aufschlussreiche Entscheidung des OLG Nürnberg entgegenzusetzen, die die Erstreckung auf weitere Strukturelemente indiziert. Aber auch rechtsdogmatisch erscheint ein offener Ehebegriff angebracht. Denn das großzügige Begriffsverständnis geht auf das internationalprivatrechtliche Grundanliegen des Respekts gegenüber fremden Rechtsordnungen zurück. Dem sollte auch bei der Bestimmung des durch Art. 6 Abs. 1 GG gewährten Schutzbereiches nicht zuletzt anlässlich der völkerrechtsfreundlichen Tendenz des Grundgesetzes in Konfrontation mit Auslandssachverhalten Rechnung getragen werden.154 In diesem Sinne kann das Eheverständnis nicht allein von nationalen Vorgaben abhängen, vielmehr integriert Art. 6 Abs. 1 GG in seinen Schutzbereich auch andersartige Ehegestaltungen, die im Ausland begründet wurden. Von einer Entkernung des ver152 In diesem Sinne ist die Ehe in den Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG „hineingewachsen“. S. hierzu Coester-Waltjen, in: FS Henrich, 91, 98; vgl. Coester, in: FS Heldrich, 537, 544 f.; AG Hannover 7.1.2002, Az. 616 F 7355/00, FamRZ 2002, 1116, 1118; in diese Richtung in Bezug auf Minderjährigenehen auch Antomo, NJW 2016, 3558, 3561; Makowsky, RabelsZ 83 (2019), 577, 595; Martiny, Die ausländische Frühehe und der Schutz der Ehe nach Art. 6 Abs. 1 GG, in: Die Frühehe im Recht, 2021, 169, 176 ff.; ausdrücklich offenlassend VG Berlin 28.9.2018, Az. 3 K 349.16 V, FamRZ 2019, 279, 279, 281; vgl. zu Art. 6 EGBGB MüKo/v. Hein, 8. Aufl., 2020, Art. 6 EGBGB Rn. 222; Frank, in: FS Vrellis, 287, 290 ff. Die Bewertung am ordre public kann sich also durch Zeitablauf ändern: beiläufig BGH 23.4.1959, Az. VII ZR 2/58, NJW 1959, 1438, 1440; Soergel/Kegel, 12. Aufl., 1996, Art. 6 EGBGB Rn. 28. 153 Vgl. Stern/Sachs/Dietlein, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland – Bd. VI/1, 388; BeckOK/Uhle, 51. Ed., 15.5.2022, Art. 6 GG Rn. 11; insb. BGH 13.3.2003, Az. IX ZR 181/99, NJW-RR 2003, 850, 851 f.; a. A. dagegen Mäsch, IPRax 2004, 421, 424. 154 S. Dreier/Brosius-Gersdorf, 3. Aufl., 2013, Art. 6 GG Rn. 54; Gausing/Wittebol, DÖV 2018, 41, 46; ebenso für eine Verallgemeinerungsfähigkeit der Grundsätze der Witwenrentenentscheidung auf familienrechtliche Folgen Mäsch, IPRax 2004, 421, 424. Zum Verfassungsgrundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit ausgiebig Knop, Völker- und Europarechtsfreundlichkeit als Verfassungsgrundsätze, 200 ff.

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fassungsrechtlichen Prinzips der Konsensualehe kann auch deswegen keine Rede sein, weil vorliegend nicht etwa die Begründung einer Ehe in Rede steht und die Grundrechtskomponente der Eheschließungsfreiheit tangiert ist, sondern es um die abwehrrechtliche Verteidigung des Bestands einer Ehe geht, auf den die Beteiligten vertraut haben.155 Es sprechen also gewichtige Gründe dafür, das Zustimmungserfordernis nicht etwa auf den Zeitpunkt der Eheschließung zu fixieren, sondern auch Verbindungen, die tatsächlich gelebt wurden und inzwischen auf beiderseitiger Übereinkunft beruhen, verfassungsrechtlichen Schutz angedeihen zu lassen.156 In gleicher Weise müssen Ehen, die gutgläubig über lange Zeit hinweg in wechselseitigem Vertrauen auf den Bestand der Ehe geführt wurden, kraft Zeitdauer zu wirksamen Ehen erstarken.157 Fallkonstellationen, in denen die Ehe unter fortdauernder Verletzung des Strukturprinzips der Konsensualehe geführt wird, bleiben dagegen dem Grundrechtsschutz entzogen.158 Sollte eine Ehe, deren Begründung der Fundamentalstruktur ursprünglich widersprach, aber nunmehr den Verfassungsprinzipien in vollem Umfang Genüge leisten, so erscheint ein Ausschluss vom Schutzbereich auch deswegen nicht vertretbar, weil den elementaren Werten der deutschen Rechtsordnung im Beurteilungszeitpunkt ja nunmehr gerade Rechnung getragen wird.159 Im einfachen Recht hat dieser Gedanke in den vielfältigen Bestätigungsmöglichkeiten des § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. a, Nr. 2, 3 und 4 BGB Beachtung gefunden. Hier wird dem Ehegatten nach Überwindung des im Eheschließungszeitpunkt vorliegenden Defizits die Möglichkeit zugestanden, seine Ehe vor der Aufhebung zu bewahren.160 Besondere Beachtung verdient auch die Tatsache, dass die Nichteinhaltung der Strukturprinzipien bei Eheschließungen im Ausland der Heterogenität der unterschiedlichen Rechtskulturen geschuldet ist und der grundrechtliche Maßstab bei der Behandlung internationaler Ehesachverhalte weniger rigide anzulegen ist, als dies in vergleichbaren Sachverhalten der Fall wäre, die 155

Den Vertrauensaspekt besonders betonend Coester, in: FS Heldrich, 537, 544 f. Gausing/Wittebol, DÖV 2018, 41, 49; Coester, in: FS Heldrich, 537, 544 f.; a. A. BGH 13.3.2003, Az. IX ZR 181/99, NJW-RR 2003, 850 ff. 157 So im Fall des AG Hannover 7.1.2002, Az. 616 F 7355/00, FamRZ 2002, 1116 ff. 158 Sachs/Coelln, 9. Aufl., 2021, Art. 6 GG Rn. 27; s. a. Kingreen, ZAR 2007, 13, 14. 159 Die von Majer, NZFam 2019, 659, 660 angeführten Aspekte, auf die der BGH in seinem Vorlagebeschluss vom 14.11.2018 innerhalb der Prüfung der Vereinbarkeit der Unwirksamkeitsvorschrift des Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB mit Art. 6 Abs. 1 GG hätte eingehen sollen, bedürfen also keiner Erläuterung. Sollte nämlich einer der dort aufgeführten Punkte auf die jeweilige Minderjährigenehe zutreffen, sind also Zwangselemente ersichtlich oder zeigen sich Anzeichen einer Beeinträchtigung der sexuellen Selbstbestimmung der Frau bzw. der Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern, so bleibt die Ehe bereits dem Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG entzogen. 160 S. Gausing/Wittebol, DÖV 2018, 41, 50; Makowsky, RabelsZ 83 (2019), 577, 595; Schulte-Rudzio, Minderjährigenehen in Deutschland, 333. 156

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sich allein nach deutschem Recht richteten.161 Immerhin handelt es sich um Rechtsvorgänge, die ohne Inlandsbezug auf fremdem Rechtsgebiet wirksam vollzogen, bis dato sogar gelebt wurden und aus diesem Grund eine behutsame Behandlung des Rechtsanwenders verlangen, der die Ehen nicht unversehens als rechtlich unbeachtlich einstufen und so die Schutzfunktion des Art. 6 Abs. 1 GG in ihr Gegenteil verkehren darf.162 Dementsprechend ist die Chance auf die Bewahrung kultureller Besonderheiten über das internationale Familienrecht vor allem dann zu erhalten, wenn die Ehe die strukturellen Differenzen zwischenzeitlich überwunden hat und nunmehr zu einer nach deutscher Rechtsvorstellung anerkennenswerten Ehe erwachsen ist. Der Schutz der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des Art. 6 Abs. 1 GG greift also zunächst für solche im In- oder Ausland geschlossenen Minderjährigenehen, die aus freiem Willen begründet wurden. Bezogen auf solche Fallkonstellationen, in denen der Minderjährige gegen seinen Willen verheiratet wurde bzw. nicht die für die Eheschließung erforderliche Reife aufwies und dieses Defizit weiterhin der Ehe anhaftet, entfaltet der Ehebegriff des Art. 6 Abs. 1 GG jedoch Sperrwirkung, sodass den Zwangsgemeinschaften kein verfassungsrechtlicher Schutz angedeiht. Im Ausland geschlossene Ehen, die zwar im Zeitpunkt der Eheschließung gegen das Strukturprinzip der Konsensualehe verstießen, nunmehr jedoch vom Ehewillen beider Partner einvernehmlich getragen werden, sind trotz ihres anstößigen Zustandekommens vom Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG gedeckt. Gleiches gilt für Ehen, die jahrelang im Vertrauen auf den Ehebestand gelebt wurden. Soweit im Beurteilungszeitpunkt andere Ehen als Zwangsehen betroffen sind, ist der Schutzbereich mithin eröffnet. Die verfassungsrechtliche Prüfung hat sich damit an (mittlerweile) schutzbedürftigen Ehen zu orientieren, die frei von Zwängen geführt werden. (4) Familienbegriff Neben dem Eheschutz ist darüber hinaus das Schutzgut der Familie tangiert. Der in Art. 6 Abs. 1 GG statuierte Familienbegriff bezeichnet die Verbindung von Eltern und Kindern in den von der Rechtsordnung bestimmten oder anerkannten Lebensbereichen.163 Der besondere staatliche Schutz umfasst dabei auch 161 BVerfG 4.5.1971, Az. 1 BvR 636/68, NJW 1971, 1509, 1512; Hofmann, Grundrechte und grenzüberschreitende Sachverhalte, 129 ff.; Stumpf, ZRP 1999, 205, 207; vgl. hierzu a. Kronke, Die Wirkungskraft der Grundrechte bei Fällen mit Auslandsbezug, in: Die Wirkungskraft der Grundrechte bei Fällen mit Auslandsbezug, 1998, 33, 45 ff. 162 Gausing/Wittebol, DÖV 2018, 41, 46; Coester, StAZ 2016, 257, 261; ähnlich Coester-Waltjen, in: FS Henrich, 91, 98; vgl. a. Andrae, Internationales Familienrecht, § 1 Rn. 133. 163 OLG Karlsruhe 27.4.1983, Az. 2 WF 21/83, FamRZ 1983, 757; vgl. a. Sachs/ Coelln, 9. Aufl., 2021, Art. 6 GG Rn. 14; Coester-Waltjen, JURA 2008, 349 f.

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Familien, die nicht in einer Ehe wurzeln.164 Dabei ist zu beachten, dass auch die dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG unterstellten hinkenden Ehen den Status der Ehelichkeit bzw. hieraus erwachsende Rechtsansprüche vermitteln können.165 Unter den familiären Aspekt des Schutzgegenstands fällt auch die Verpflichtung des Staates, „die aus Eltern und Kindern bestehende Familiengemeinschaft sowohl im immateriell-persönlichen als auch im materiell-wirtschaftlichen Bereich als eigenständig und selbstverantwortlich zu respektieren“ 166, worunter auch die freie gestaltende Verwirklichung des innerfamiliären Verhältnisses gefasst ist.167 In seiner abwehrrechtlichen Gestalt stellt Art. 6 GG also klar, dass die öffentliche Gewalt „so wenig wie möglich in der Familie zu suchen“ hat.168 Auch das Interesse der Ehegatten am Bestand der familienrechtlichen Beziehungen ist vom Schutzumfang des Grundrechts gedeckt.169 (5) Vielgestaltige Eingriffsdimensionen Der in Art. 6 Abs. 1 GG normierte besondere Schutz der staatlichen Ordnung für Ehe und Familie umschließt negativ für den Staat selbst das Verbot, die Ehe oder die Familie im materiellen oder immateriellen Bereich zu schädigen, zu stören oder sonst zu beeinträchtigen.170 Die Norm garantiert damit eine Sphäre privater Lebensgestaltung, die der staatlichen Einwirkung entzogen ist.171 Dementsprechend stellt die Behinderung oder Verhinderung des räumlichen Zusammenlebens der Familie ohne rechtfertigenden Grund einen Verfassungsverstoß dar.172 Das Ehegrundrecht des Art. 6 Abs. 1 GG überlässt den Ehegatten außerdem den gesamten Lebensbereich der Ehe zur eigenverantwortlichen Gestaltung nach individuellen Vorstellungen.173 Ebenso entfaltet Art. 6 Abs. 1 GG in seiner Funktion

164 Kirchhof, AöR 129 (2004), 543, 549; zu den durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützten Familienkonstellationen: Britz, NZFam 2018, 289, 290 ff. 165 OLG Karlsruhe 27.4.1983, Az. 2 WF 21/83, FamRZ 1983, 757 f.; Kloepfer, Verfassungsrecht – Bd. II: Grundrechte, § 67 I Rn. 21. 166 So wortwörtl. BVerfG 28.2.1980, Az. 1 BvL 17/77, NJW 1980, 692, 694; s. a. Dreier/Brosius-Gersdorf, 3. Aufl., 2013, Art. 6 GG Rn. 121; Loschelder, FamRZ 1988, 333, 335 f. 167 BVerfG 19.4.2005, Az. 1 BvR 1644/00, NJW 2005, 1561, 1564; BeckOK/Uhle, 51. Ed., 15.5.2022, Art. 6 GG Rn. 28; zur Bedeutung und Funktion der Familie i. S. d. Art. 6 Abs. 1 GG: Britz, NZFam 2018, 289, 289 f. 168 So ausdrücklich Di Fabio, NJW 2003, 993, 996. 169 BVerfG 13.2.2007, Az. 1 BvR 421/05, NJW 2007, 753, 756. 170 BVerfG 17.1.1957, Az. 1 BvL 4/54, NJW 1957, 417, 418; Kloepfer, Verfassungsrecht – Bd. II: Grundrechte, § 67 II Rn. 25. 171 So wortwörtlich BVerfG 11.4.1967, Az. 2 BvL 3/62, NJW 1967, 1851, 1855. 172 S. Mangoldt/Klein/Starck/Robbers, 7. Aufl., 2018, Art. 6 GG Rn. 91. 173 Henrich, Zeitschrift für Familienforschung 1999, 21, 29; BeckOK/Uhle, 51. Ed., 15.5.2022, Art. 6 GG Rn. 25; Stern/Sachs/Dietlein, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland – Bd. VI/1, 384.

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Kap. 4: Das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen auf dem Prüfstand

als wertentscheidende Grundsatznorm, deren Einfluss in sämtliche Rechtsgebiete ausstrahlt, aufenthaltsrechtliche Schutzwirkungen.174 Durch die Neuregelungen des § 1303 S. 2 BGB und Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB wird den im In- und Ausland im Alter von unter 16 Jahren begründeten Ehen ohne Rücksicht auf die genaueren Umstände ihres Zustandekommens die rechtliche Anerkennung in Deutschland verwehrt, sodass die Eheleute ihre eheliche Lebensgemeinschaft nicht rechtlich wirksam gestalten und nach eigenen Vorstellungen ausleben können. Dabei bewährt sich der institutionelle Charakter der Ehe gerade in ihrer rechtlichen Anerkennung als Wesensmerkmal.175 Von der Frage der Wirksamkeit einer Eheschließung hängen zudem Folgeregelungen verschiedenster Art für die Ehegatten, die Kinder und das Vermögen ab.176 Eine wichtige Folge betrifft das Gebiet des Familiennachzugs: Gem. § 27 Abs. 1 AufenthG wird die Aufenthaltserlaubnis zum Schutz von Ehe und Familie gem. Art. 6 Abs. 1 GG erteilt und verlängert. Hierauf können sich die Ehegatten in Ermangelung einer wirksamen Ehe aber gerade nicht berufen. Sollte sich beispielsweise nur ein Ehegatte in Deutschland befinden, kommt sein Ehepartner, der noch keinen Gebietskontakt zur Bundesrepublik hergestellt hat, nicht in den Genuss eines Visums zum Ehegattennachzug nach § 30 Abs. 1 i.V. m. §§ 29, 27 AufenthG.177 In der Folge werden die Ehegatten an der Ausübung ihres Rechts auf eheliches und familiäres Zusammenleben gehindert.178 Der Verlust des Ehestatus hat für die in Deutschland lebenden Betroffenen außerdem zur Folge, dass sie aus ihrer einst wirksam geschlossenen Ehe keinerlei 174

Genauer hierzu vgl. Hillgruber, ZAR 2006, 304, 306 f. S. Papadimas, Form der Eheschließung, 14 m.w. N.; s. a. Müller-Freienfels, Ehe und Recht, 46: „Die allgemeine Überzeugung, einen Lebensbund geschlossen zu haben, gegenseitig verpflichtet zu sein, zusammenzuleben, sich wechselseitig zu achten und zu unterhalten, bildet einen realen Faktor, den zu berücksichtigen für unseren Gesetzgeber jedenfalls aus Gründen sinnvoller Ordnung unbedingt geboten ist, ganz abgesehen davon, dass Art. 6 Abs. 1 GG dies ihm vorschreibt.“ 176 S. hierzu insb. Wall, StAZ 2019, 225, 229; vgl. a. Hohloch, FPR 2011, 422. 177 S. dazu a. Druschke, Der Familienbegriff im deutschen Ausländerrecht, 135 f. Allgemein zur Eingriffswirkung von Beschränkungen des Ehegattennachzugs: Kingreen, ZAR 2007, 13, 14. 178 Vgl. hierzu auch Gutmann, ZAR 2021, 108, 114; a. A. VG Berlin 28.9.2018, Az. 3 K 349.16 V, FamRZ 2019, 279, 281 f.: hier wird eine Eingriffsqualität mit der Begründung abgelehnt, die mittlerweile volljährige Ehegattin könne einen Visumsantrag gem. § 7 Abs. 1 S. 3 AufenthG zwecks Wiederholung der Eheschließung in der Bundesrepublik stellen. Dass ein befristeter Aufenthaltstitel auf anderem Wege erreicht werden kann, ändert aber nichts an der Tatsache, dass die Ehe als Rechtsgrund für eine nach § 30 Abs. 1 AufenthG zu erteilende Aufenthaltserlaubnis entfällt und der Ehegatte bei Ankunft in Deutschland die Ehe erneut schließen muss, bevor er in den Genuss des ehelichen Zusammenlebens kommt. Zudem geht die zeitliche Verschiebung der Eheschließung mit gravierenden Nachteilen für den minderjährigen Ehegatten einher, weswegen der Eingriffscharakter zu bejahen ist. Vgl. hierzu a. Coester, FamRZ 2019, 282, 283; zu den ausländerrechtlichen Folgen: Druschke, Der Familienbegriff im deutschen Ausländerrecht, 145, 147 ff. 175

B. Verfassungsrechtliche Bewertung

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Rechte (beispielsweise Unterhalts-, Renten-, Erbansprüche oder güterrechtliche Teilhaberechte) herleiten dürfen. Steuerrechtliche Vorteile und die auf dem Ehestatus beruhenden staatlichen Leistungen des Sozialrechts bleiben den Ehegatten verwehrt. Die rechtliche Missbilligung der Ehen beeinträchtigt zudem die Familie in der Weise, dass dem Ehemann der Mutter eine kraft Ehe erworbene Vaterstellung im Hinblick auf im Ausland geborene Kinder rückwirkend genommen oder die rechtliche Perpetuierung der Vaterschaft im deutschen Recht nach § 1592 Nr. 1 BGB bei Geburt des gemeinsamen Kindes in Deutschland von Anfang an verweigert wird. Darüber hinaus steht dem Ehemann die Sorgerechtsverantwortung für ein in Deutschland geborenes Kind179 nach § 1626 BGB180 nicht zu. Damit der Ehemann die Sorgerechtsinhaberschaft übernehmen kann, müssen beide Ehegatten übereinstimmende Sorgeerklärungen (§ 1626a BGB) abgeben. Besonders anzuraten ist diese Maßnahme bei fortdauernder Minderjährigkeit der Mutter: Hier ruht nach § 1673 Abs. 2 BGB ihre elterliche Sorge, und es wird in Ermangelung einer Sorgeberechtigung des Vaters nach § 1678 Abs. 1 BGB für das in Deutschland geborene Kind gem. §§ 1791c, 1773 BGB das Jugendamt zum Vormund bestellt. Um die rechtliche Zuordnung zum Kind (wieder)herzustellen, muss der Ehemann weiterhin eine Vaterschaftsfeststellung (§ 1592 Nr. 3 BGB i.V. m. § 1600d BGB) erwirken bzw. die Vaterschaft anerkennen (§ 1592 Nr. 2 BGB i.V. m. § 1594 BGB). Erst dann entsteht die Unterhaltsverpflichtung des biologischen Vaters gegenüber seiner Ehefrau und seinem Kind.181 Die unsicheren Abstammungsverhältnisse und der mühsame Weg zur Erlangung des Status des rechtlichen Vaters, der mit erheblichem bürokratischen Aufwand für Vater und Mutter verbunden ist, können die gesamte familiäre Situation und die Beziehungen der Beteiligten belasten, sodass das Familienleben nicht unbeschwert fortgesetzt werden kann. Somit hat der Gesetzgeber in mehrfacher Hinsicht störende Maßnahmen ergriffen und damit das in Art. 6 Abs. 1 GG wurzelnde Abwehrrecht gegen Beeinträchtigungen im Bereich Ehe und Familie beschnitten.

179 Wurde das Kind im Heimatland, wo die Eltern ihren gewöhnlichen Aufenthalt pflegten, geboren und fungierten beide Elternteile nach dortigem Recht als Sorgerechtsinhaber, so besteht die elterliche Sorge der Eltern nach Maßgabe des Art. 16 Abs. 3 HKsÜ fort, auch wenn die Ehe rückwirkend unwirksam ist. S. Hüßtege, FamRZ 2017, 1374, 1378; Lohse/Meysen, JAmt 2017, 345, 346; allgemein zu Art. 16 Abs. 3 HKsÜ: BeckOGK/Markwardt, 1.6.2022, Art. 16 KSÜ Rn. 25 f. 180 Nach Art. 16 Abs. 1 HKsÜ bestimmt sich die Zuweisung oder das Erlöschen der elterlichen Verantwortung kraft Gesetzes ohne Einschreiten eines Gerichts oder einer Verwaltungsbehörde nach dem Recht des Staates des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes. Die Ehepartner sind gut beraten, vorsorglich inhaltlich übereinstimmende Sorgeerklärungen (§ 1626a Abs. 1 Nr. 1 BGB) abzugeben, um den Verlust der elterlichen Sorge des Ehemannes über das Kind zu vermeiden, s. Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht, JAmt 2016, 370, 372. Zu den Voraussetzungen an die Abgabe von Sorgeerklärungen vertiefend MüKo/Huber, 8. Aufl., 2020, § 1626a BGB Rn. 18 ff. 181 Kemper, FamRB 2017, 438, 442.

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Kap. 4: Das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen auf dem Prüfstand

bb) Verhältnismäßigkeit Eingriffe in die Grundrechtspositionen nach Art. 6 Abs. 1 GG können ausnahmsweise durch kollidierendes Verfassungsrecht gerechtfertigt sein.182 Die grundrechtseinschränkenden Maßnahmen unterliegen aber ihrerseits dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im weiteren Sinne als Leitregel von verfassungsrechtlichem Rang, die aus dem Rechtsstaatsprinzip und aus dem Wesen der Grundrechte allgemein resultiert.183 Zu beachten ist dabei, dass Art. 6 Abs. 1 GG durch die Attribuierung eines „besonderen“ Schutzes an Ehe und Familie eine hervorgehobene Stellung innehat und dem Staat hohe Hürden für die Rechtfertigung von Eingriffen auferlegt. Im Rahmen der Abwägung genießen die Rechtsgüter Ehe und Familie daher einen besonders ausgeprägten, vergleichsweise höheren Schutz.184 Fraglich ist, ob die neu eingeführten Unwirksamkeitsregelungen insoweit der Geeignetheits- und Erforderlichkeitskontrolle standhalten. (1) Ziellegitimität Vorab ist allerdings der legislative Zweck, den der Gesetzgeber mit Schaffung der Eingriffsnorm verfolgte, zu bestimmen und auf seine Legitimität hin zu überprüfen. Als primäres Ziel manifestiert sich der mehrfach in der Gesetzesbegründung als Hauptbeweggrund für das gesetzgeberische Tätigwerden angeführte Minderjährigenschutz.185 Insbesondere Minderjährige unter 16 Jahren seien in gesteigertem Maße schutzbedürftig und vor Zwangsverheiratungen zu bewahren. Aus Kindeswohlgesichtspunkten sei es zudem erforderlich, dass junge, aus dem Ausland stammende und bereits verheiratete Personen von den Wirkungen ihrer Ehe vollends befreit werden. Des Weiteren soll durch die Eheunwirksamkeit die direkte und unmittelbare Rückkehr der Minderjährigen zu einem Leben ermöglicht werden, das mit den Forderungen der hiesigen Wertegemeinschaft kompatibel ist. Die Unwirksamkeitsregelung wird aber noch von einer weiteren Zielsetzung getragen: Der Gesetzgeber wollte auf dem als unzureichend geregelt empfundenen Gebiet der sog. Kinderehen klare Rechtsverhältnisse schaffen.186 Als besonders unbefriedigend wurde die uneinheitliche Handhabung der ordre public-Klausel des Art. 6 EGBGB empfunden. Die altersabhängige Differenzie182 Jarass/Pieroth/Jarass, 17. Aufl., 2022, Art. 6 GG Rn. 23; Sachs/Coelln, 9. Aufl., 2021, Art. 6 GG Rn. 23; Kloepfer, Verfassungsrecht – Bd. II: Grundrechte, § 67 V Rn. 52. 183 BVerfG 15.6.1965, Az. 1 BvR 513/65, NJW 1966, 243, 244; Kloepfer, Verfassungsrecht – Bd. II: Grundrechte, § 51 VII Rn. 88. 184 Kirchhof, AöR 129 (2004), 543, 560. 185 Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland, BT-Drs. 18/12086, 1, 15, 17, 18, 19, 22, 24. 186 Dies., BT-Drs. 18/12086, 1, 14, 15, s. a. Andrae, IPRax 2021, 522, 523; Martiny, Die ausländische Frühehe und der Schutz der Ehe nach Art. 6 Abs. 1 GG, in: Die Frühehe im Recht, 2021, 169, 182.

B. Verfassungsrechtliche Bewertung

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rung zwischen Nichtigkeit und Aufhebbarkeit stellt nunmehr eine klare Grenzziehung dar, die sowohl dem Rechtsanwender als auch den betroffenen Ehegatten eine zweifelsfreie rechtliche Einordnung ermöglicht. Die Verfassungsgüter des Kindeswohls und der Rechtssicherheit stellen zweifelsohne legitime Zielsetzungen für die Grundrechtseinschränkung dar. (2) Geeignetheit Die betreffenden Regelungen müssen aber zudem zur Erreichung der vorgenannten Ziele geeignet sein. Diese Voraussetzung ist bereits dann erfüllt, wenn das gewählte Mittel in Hinblick auf die Zweckerreichung nicht krass ungeeignet ist, sondern der gewünschte Erfolg mithilfe des ausgesuchten Mittels gefördert werden kann.187 Dabei wird dem Gesetzgeber stets eine Einschätzungsprärogative eingeräumt, sodass gewissermaßen er selbst über die Geeignetheit befindet.188 Hinsichtlich der Unwirksamkeitsregelungen drängt sich der Gesamteindruck auf, dass der kindeswohlfixierte Gesetzgeber weniger die volljährigen Betroffenen von im Minderjährigenalter geschlossenen Ehen bedacht, als sich vielmehr auf die tatsächlich noch minderjährigen, verheirateten Personen als Hauptadressaten der Vorschriften fokussiert hat.189 Dies belegt die Übergangsnorm des Art. 229 § 44 Abs. 4 EGBGB, die zwar die Unwirksamkeit in eine Aufhebbarkeit verwandelt und damit den ehemals minderjährigen Ehegatten im Volljährigenalter die Möglichkeit zur Bestätigung ihrer Ehe verschafft, die aber derart restriktiv gefasst ist, dass sie keine der umfassenden Bestätigungsoption bei aufhebbaren Ehen (§ 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. a BGB) äquivalente Vorschrift darstellt: Schließlich ist das Eingreifen der temporalen Überleitungsvorschrift der Nr. 1 davon abhängig, dass der minderjährige Ehegatte im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes das 18. Lebensjahr vollendet hat, und auch die zweite Heilungsalternative der Nr. 2 ist an die engen Voraussetzungen geknüpft, dass die Ehe bis zum Volljährigkeitseintritt 190 des minderjährigen Ehegatten im Ausland geführt wurde ohne zwischenzeitliche gewöhnliche Aufenthaltsnahme durch ei187

BVerfG 16.3.1971, Az. 1 BvR 52, 665, 667, 754/66, NJW 1971, 1255, 1256. S. Hufen, Staatsrecht II – Grundrechte, § 9 Rn. 20; ähnlich Britz, JURA 2015, 319, 322. 189 Dafür sprechen auch die Aussagen im Plenarprotokoll. So wurde die Unwirksamkeitsanordnung eingeführt, weil man „12-, 13-, 14-jährigen Mädchen“ das Aufhebungsverfahren nicht zumuten wollte, s. A. Hoffmann, Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 18/237, 24176, 24178 f. Nach den Worten von M. Frieser soll „diesen Mädchen unter 16 Jahren ein besonderer Schutz zuteil“ werden, s. ders., Plenarprotokoll 18/237, 24176, 24181. Auch in der Gesetzesbegründung wird das Schutzbedürfnis „der Minderjährigen, die verheiratet in der Bundesrepublik Deutschland ankommen“ hervorgehoben, es seien „vorrangig Aspekte des Wohls der minderjährigen Ehegatten“ zu berücksichtigen, s. Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland, BT-Drs. 18/12086, 1, 15. 190 Hierunter ist die Erlangung des 18. Lebensjahres im Sinne des deutschen Sachrechts nach § 2 BGB zu verstehen, s. hierzu genauer Kap. 3 D. II. 5. a) aa) (3). 188

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Kap. 4: Das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen auf dem Prüfstand

nen der Ehegatten in Deutschland. Der Gesetzgeber verkennt also mit Blick auf den Gesetzeszweck die große Reichweite seiner Unwirksamkeitsregelungen und unterschätzt die Tatsache, dass die Beteiligten einer nach deutschem Recht unwirksamen Minderjährigenehe auch nach Inkrafttreten des Gesetzes mittlerweile die Volljährigkeit erlangt haben können bzw. die diversen Heilungsvoraussetzungen oftmals nicht erfüllen. Der vielbeschworene Minderjährigenschutz greift für die Ehegatten einer „unheilbaren“ Ehe nämlich nach Volljährigkeitseintritt gerade nicht mehr und kann somit nicht als Rechtfertigung der strikten Rechtsfolge dienen. Unter diesem Gesichtspunkt erheben sich also vehemente Zweifel an der Geeignetheit der geschaffenen Unwirksamkeitsregelungen. Doch auch während der noch andauernden Minderjährigkeit der betroffenen Personen lässt das harte Unwirksamkeitsverdikt die Regelungen im Hinblick auf das Ziel des Kindeswohls zunächst als zweckwidrig, ja sogar kontraproduktiv erscheinen.191 Immerhin wird auf einen typisierten Tatbestand abgestellt und bei Nichterreichen eines bestimmten Alters im Zeitpunkt der Eheschließung jedwede Ehe unabhängig von der Dauer und Intensität der gelebten Beziehung rechtlich als nicht gewesen abqualifiziert. Hiermit geht der Verlust jeglicher Ansprüche einher; eine kindeswohlzentrierte Überprüfung der Ehe im Einzelfall wird durch die pauschalisierenden Vorschriften gerade verhindert. Die Schwächen einer schlichten Nichtexistenz der Ehe treten insbesondere bei Rückkehr der Minderjährigen ins Heimatland deutlich hervor: Dort besteht die Ehe rechtlich nach wie vor und entfaltet Wirksamkeit.192 Der minderjährige Ehegatte wird also nicht daran gehindert, die Ehe einfach weiterzuführen, was die Nachhaltigkeit der Regelungen in Bezug auf den Kindeswohlschutz nach dem Verständnis des Gesetzgebers in Frage stellt. Denkbar ist auch, dass der volljährige Ehegatte anlässlich der Nichtanerkennung seiner Ehe die gewonnene Ungebundenheit ausnutzt und sich in Deutschland mit einer anderen Person vermählen möchte. Lässt das Heimatrecht des Ehegatten Polygamie zu, arrangiert der Standesbeamte mit der Eheschließung eine Mehrehe, die in Deutschland verboten ist und aktiv bekämpft werden soll.193 Herrscht im Heimatland des Ehegatten dagegen ein Polygamieverbot und versagt der Standesbeamte in Einklang mit dem nach Art. 13 Abs. 1 EGBGB berufenen Heimatrecht die Eheschließung, so stellt sich der Standesbeamte hierdurch inzident gegen die aus deutscher Sicht bestehende Unwirksamkeit

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Die Zielförderlichkeit ebenfalls anzweifelnd Möller/Yassari, KJ 2017, 269, 284. S. hierzu a. Coester-Waltjen, IPRax 2017, 429, 435 f.; Plich, RPsych 2017, 299, 304. Nach Art. 21 Brüssel IIa VO werden Scheidungsbeschlüsse, die in einem EU-Mitgliedstaat ergangen und rechtskräftig geworden sind, in allen Mitgliedstaaten – bis auf Dänemark – grundsätzlich ohne weitere Nachprüfung anerkannt. Dies gilt ebenso für Entscheidungen, welche die Aufhebung oder Feststellung des Nichtbestehens der Ehe (Ungültigerklärung) aussprechen, und für Entscheidungen zur Trennung ohne Auflösung des Ehebandes. 193 S. hierzu den Gesetzesantrag des Freistaates Bayern: BR-Drs. 249/18. 192

B. Verfassungsrechtliche Bewertung

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der Erstehe.194 In beiden Situationen bleiben die Interessen des minderjährigen Ehegatten unberücksichtigt. Das beschriebene Dilemma ist auch und insbesondere vor dem Hintergrund der Rechtssicherheit als zweitem zentralen Bestreben legislatorischen Handelns fragwürdig. Von elementarer Wichtigkeit bei der Prüfung der Geeignetheit ist jedoch wie oben festgestellt die Perspektive des Gesetzgebers. Aus dessen Sicht sind die Unwirksamkeitsregelungen jedenfalls teilweise zielführend, kommt die rechtliche Nichtexistenz der von der Unwirksamkeitsregelung erfassten Ehen doch einem persönlichen Befreiungsschlag für die betroffenen Minderjährigen gleich. Die Daten aus dem Ausländerzentralregister belegen darüber hinaus einen eindeutigen Rückgang der Zahl der in Deutschland lebenden ausländischen Minderjährigen mit dem Familienstand „verheiratet“, was die auf die Eindämmung von Minderjährigenehen abzielenden gesetzlichen Maßnahmen weiterhin in ihrer Zweckmäßigkeit bestätigt:195 Zum 31.10.2019 waren 162 in Deutschland lebende minderjährige Personen mit dem Familienstand „verheiratet“ registriert, die allesamt zwischen 16 und 18 Jahre alt waren. Nach Auskunft der Landesjustizverwaltungen gab es seit Inkrafttreten des KEhenBekG bis einschließlich März 2020 insgesamt lediglich ca. 104 Eheaufhebungsverfahren auf Grundlage des § 1314 Abs. 1 Nr. 1 BGB und 9 Verfahren zur Feststellung der Eheunwirksamkeit wegen Unterschreitung des Mindestalters von 16 Jahren.196 Auch jenseits der subjektiven Einschätzung des Gesetzgebers ist objektiv anzuerkennen, dass die ohne gerichtliche oder behördliche Feststellung eintretende Unwirksamkeit der Ehe für die Minderjährigen mit gewissen Vorteilen verbunden ist. Immerhin bewirken die fehlenden Folgewirkungen, dass der Minderjährige keinen Pflichten aus der Ehe nachkommen muss. Er bleibt unbehelligt von eventuellen finanziellen Ansprüchen seines früheren Ehepartners und kann dessen Ansprüche auf Wiederherstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft nach § 1353 BGB ohne Mühen abwehren. Ein weiterer Vorzug betrifft die rechtliche Automatik der Rechtsfolge, da den Minderjährigen das oftmals zermürbende und belastende Gerichtsverfahren erspart bleibt.197 Des Weiteren ist anzuerkennen, dass die prinzipielle Unmündigkeit von Minderjährigen vor Erreichen der Volljährigkeitsgrenze den Schutz vor unbedachten Entscheidungen und deren Auswirkungen erfordert.198 Da die Entstehung der Minderjährigenehen präventiv nicht ver194

S. Schulte-Rudzio, Minderjährigenehen in Deutschland, 69. Zu den tabellarisch aufgeführten, stetig abnehmenden Zahlen vom 31. März 2018 bis 31. März 2019 (in Quartalen): Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland, BT-Drs. 19/9746, 2; s. darüber hinaus die Daten der Gesamtauswertung: Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Gesamtauswertung zur Evaluierung des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen, 14.8.2020, 5 f. 196 S. die Daten der Gesamtauswertung in der vorangehenden Fn. 195. 197 S. Gausing/Wittebol, DÖV 2018, 41, 47. 198 Vgl. Coester, Das Kindeswohl als Rechtsbegriff – Die richterliche Entscheidung über die elterliche Sorge beim Zerfall der Familiengemeinschaft, 268. 195

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Kap. 4: Das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen auf dem Prüfstand

hindert werden kann, bietet sich ein generelles Verbot auf Rechtsfolgenebene als konsequente Schutzmaßnahme an. Trotz der hohen Belastung für die Beteiligten einer Minderjährigenehe ist den Regelungen aufgrund des großzügigen Kontrollmaßstabs eine gewisse Eignung in Bezug auf den Minderjährigenschutz daher nicht abzusprechen. Die oben ausführlich diskutierten Auslegungsfragen199, die durch das neue Recht aufgeworfen werden, könnten zu dem Schluss verleiten, dass die Unwirksamkeitsregelungen die Rechtssicherheit auf dem speziellen Gebiet der Minderjährigenehen nicht wirklich verbessert haben, sondern der Gesetzgeber hinter seinem selbst gesteckten Ziel zurückgeblieben ist.200 So ist die Erkennbarkeit des geltenden Rechts ein konkretisierendes Unterprinzip der Rechtssicherheit: Weder Bürgern noch Gerichten und Verwaltungsmitarbeitern sollte es schwerfallen, die Rechtslage zu ermitteln.201 Tatsächlich hat die standesamtliche Praxis aber massive rechtliche Ungewissheiten im Zusammenhang mit der Umsetzung des KEhenBekG offengelegt. Kritisiert wurde zuvörderst, dass es keine klaren Regelungen über den Mitteilungsverkehr zwischen den jeweiligen Behörden gebe, sodass die Gefahr einer mehrfachen Prüfung der Ehewirksamkeit durch unterschiedliche Stellen bestünde.202 Im Übrigen ist die Rechtssicherheit primär mit dem Vertrauensschutz verknüpft, der den Bürger von Verfassungs wegen vor einer grenzenlosen, rückwirkenden Verschlechterung seiner Rechtsposition per Gesetz beschützt.203 Die Nichtigkeitsfolge des Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB wirkt jedoch auch auf solche Ehen zurück, die bereits vor Inkrafttreten des KEhenBekG geschlossen wurden, was unter Vertrauensschutzaspekten höchst fragwürdig erscheint.204 Hinzu tritt der Umstand, dass die neue deutsche Rechtslage im Ausland kaum wahrgenommen wird und daher wenig Einfluss auf die bestehende „Kinderehenpraxis“ entfaltet.205 Da die Unwirksamkeit der Ehen ohne weiteres Zutun automatisch eintritt, wird den minderjährigen Ehegatten nach erfolgter Einreise diese weittragende Rechtsfolge auch nicht durch einen gerichtlichen 199

Dazu ausführlich Kap. 3 D. Krit. insb. Coester-Waltjen, IPRax 2017, 429, 435 f. So wohl Adamus, jurisPR-FamR 2019, Anm. 5. 201 So Beaucamp, DÖV 2017, 699, 701. 202 Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Gesamtauswertung zur Evaluierung des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen, 14.8.2020, 21; genauer hierzu: Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, Anlage 2 zur Gesamtauswertung zur Evaluierung des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen – Zusammenfassung der Erkenntnisse der Standesämter, 11.5.2020, 2, 17. 203 Vgl. Riechelmann, Rechtssicherheit als Freiheitsschutz: Struktur des verfassungsrechtlichen Bestandsschutzes, 1; ausführlich zum Verhältnis zwischen Vertrauensschutz und Rechtssicherheit: Schwarz, Vertrauensschutz als Verfassungsprinzip, 39 ff. 204 Mit Bezug auf die Vorlageentscheidung des BGH: Frank, StAZ 2019, 129, 131. S. a. nachf. unter 3. 205 Dies wird bestätigt durch die Gesamtevaluierung des Gesetzes, s. Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Gesamtauswertung zur Evaluierung des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen, 14.8.2020, 14. 200

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Prozess vermittelt. Das vorangehend entworfene Bild von der rechtlichen Undurchsichtigkeit der Nichtigkeitsfolge wird zudem durch das dürftige statistische Datenmaterial zu den in der Bundesrepublik existierenden, bis 2018 selbst für die Bundesregierung nicht quantifizierbaren Minderjährigenehen bestätigt.206 Allerdings ist im Rahmen der Prüfung der Geeignetheit eine tatsächliche Zielerreichung auch nicht erforderlich.207 Vielmehr genügt insoweit ein schlichter Beitrag zur Zweckerreichung.208 Es darf zudem nicht unerwähnt bleiben, dass der Grundsatz der Rechtssicherheit nicht absolut durchgesetzt werden kann, das gesetzgeberische Ziel also prinizpiell nur annäherungsweise zu erreichen ist.209 Bei allen verbleibenden Auslegungsschwierigkeiten ist den Neuregelungen außerdem insbesondere im Verhältnis zu der bisher geltenden Rechtslage eine klarstellende Wirkung nicht abzuerkennen. So schafft die starre Unterscheidung der Rechtsfolgen nach dem Alter mehr Rechtssicherheit für den Umgang mit im Inoder Ausland geschlossenen Minderjährigenehen als die einzelfallbezogene Beurteilung eines jeden Ehesachverhalts auf Grundlage der ordre public-Prüfung und die daraus folgenden, uneinheitlichen Rechtsfolgen (Anwendung der lex fori oder lex causae, Aufhebbarkeit oder Nichtigkeit).210 Nicht zu unterschätzen ist zudem die Rolle der Jugendämter und Hilfsorganisationen, die die Jugendlichen über den rechtlichen Stand ihrer Beziehung aufklären können und sollen.211 206 S. insoweit die Ahnungslosigkeit der Bundesregierung in Bezug auf genaue Zahlen und Daten: Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland, BT-Drs. 19/3081, 2 ff.; dies., BT-Drs. 19/9746, 3; dies., BT-Drs. 19/15722, 5 ff.; s. a. die Antwort von W. Bausback in Dolde, „Es geht um das Wohl jedes Kindes“, Nordbayerischer Kurier, 10.8.2018, 8: „Nein, uns liegen leider keine Zahlen vor.“ Die Nichtregierungsorganisation terre des femmes rügte die unzureichende Datenerhebung. Fälle, in denen ein Eheaufhebungsverfahren eingeleitet worden sei, würden nicht einheitlich und zentral erfasst, s. Terre des femmes, Ein Jahr Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen: TERRE DES FEMMES zählt 229 gemeldete Fälle und acht Urteile; Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Gesamtauswertung zur Evaluierung des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen, 14.8.2020, 42. Im gesamten Berichtszeitraum bis 2020 wurden lediglich 9 Verfahren zur Feststellung der Unwirksamkeit der Ehe wegen Fehlens des erforderlichen Mindestalters von 16 Jahren gemeldet, was sehr wenig erscheint. S. S. 6 der vorgehend genannten Gesamtauswertung. Die Zahl der (wohl sehr hohen) Dunkelziffer von Kinderehen ist der Bundesregierung nicht bekannt, s. Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland, BT-Drs. 19/15722, 3. Ein weiteres Manko ist die fehlende statistische Erfassung von verheirateten Minderjährigen, die mit ihren Eltern einreisen, s. dies., BT-Drs. 19/9568, 5. 207 Kloepfer, Verfassungsrecht – Bd. II: Grundrechte, § 51 VII, Rn. 98; Hufen, Staatsrecht II – Grundrechte, § 9 Rn. 20. 208 BVerfG 20.6.1984, Az. 1 BvR 1494/78, NJW 1985, 121, 123; Britz, JURA 2015, 319, 322. 209 S. Beaucamp, DÖV 2017, 699, 700. 210 Majer, NZFam 2017, 537, 538 f.; vgl. a. Weller/Thomale/Hategan u. a., FamRZ 2018, 1289, 1292 f. 211 S. Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland, BT-Drs. 19/3081, 2 f. vgl. a. die zahlreichen Beratungsangebote, s. dies., BT-Drs. 19/3081, 6 f., 9; dies., BT-Drs. 19/ 9746, 5 f.

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Kap. 4: Das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen auf dem Prüfstand

Nach alldem sind die zur Verwirklichung der gesetzgeberischen Ziele eingesetzten Mittel geeignet, die angestrebten Zwecke des Minderjährigenschutzes und der Rechtssicherheit zu erreichen. (3) Erforderlichkeit Auch im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers hinreichend Rechnung zu tragen.212 Nach dem Erforderlichkeitsgrundsatz sind die Neuregelungen nur dann zu beanstanden, wenn ein milderes, in die kollidierenden verfassungsrechtlichen Prinzipien weniger eingreifendes Mittel ersichtlich ist, das zur Erreichung der gesetzgeberischen Ziele in etwa gleich wirksam ist wie das tatsächlich gewählte Mittel.213 Als mildere, für die Betroffenen günstigere Alternativlösung bietet sich die Aufhebbarkeit nach den §§ 1313 ff. BGB an, die als Rechtsfolge für die im Alter von über 16 Jahren geschlossenen Ehen etabliert wurde. So berührt die Qualifizierung als aufhebbar nicht die rechtliche Wirksamkeit der Ehe, des Weiteren sind die Folgen einer Aufhebung weitgehend den Vorschriften über die Scheidung (§ 1318 BGB) nachgebildet. Trotz der oben aufgedeckten Schwächen des Aufhebungsregimes214 entfalten allein die Möglichkeit von unterhaltsrechtlichen Ansprüchen215 unabhängig von ihrem tatsächlichen Bestehen und die weiteren güterrechtlichen und erbrechtlichen Rechtsfolgen sowie die Vorschriften über die Behandlung der Ehewohnung und der Haushaltsgegenstände nach § 1318 Abs. 3–5 BGB für den minderjährigen Ehegatten mehr Schutz als die schlichte Verweigerung jeglicher Absicherung ab initio ohne Rücksicht auf den Einzelfall. Die Aufhebbarkeit hat weiterhin den Vorteil, dass sie die rechtliche Vaterschaft unberührt lässt, sodass für die Ausübung der elterlichen Sorge durch den Vater keine Vaterschaftsanerkennung/-feststellung erforderlich ist. Die Aufhebbarkeitsfolge ist also auch mit Blick auf den Familienschutz weniger belastend für die beteiligten Ehegatten. Der Gesetzgeber hat sich aber mit voller Intention gegen die Aufhebbarkeit von Ehen entschieden, die im Alter von unter 16 Jahren geschlossen wurden, weil er den betreffenden Minderjährigen die Beteiligung am Aufhebungsverfahren ersparen wollte.216 Auf den ersten Blick mag es erstrebenswert erscheinen, 212 BVerfG 16.1.1980, Az. 1 BvR 249/79, NJW 1980, 1511, 1512; Britz, JURA 2015, 319, 322. 213 BVerfG 16.3.1971, Az. 1 BvR 52, 665, 667, 754/66, NJW 1971, 1255, 1256; BVerfG 16.1.1980, Az. 1 BvR 249/79, NJW 1980, 1511, 1512; vgl. Hufen, Staatsrecht II – Grundrechte, § 9 Rn. 21; eingehend hierzu Clérico, Die Struktur der Verhältnismäßigkeit, 74 ff. 214 Die Mängel des Aufhebungssystems werden zusammenfassend dargestellt in Kap. 3 D. I. 6. 215 Der Scheidungsfolgeneintritt unterliegt bei Unterhaltsfragen nicht zu unterschätzenden Voraussetzungen, s. Kap. 3 D. I. 2. a). 216 S. den Redebeitrag von A. Hoffmann, Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 18/ 237, 24176, 24178 f.; s. a. Opris, ZErb 2017, 158, 164.

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die minderjährigen Ehegatten unmittelbar nach ihrer Ankunft in Deutschland automatisch aus den „Fesseln“ ihrer Ehe zu befreien, ohne sie einem aufwendigen Gerichtsprozess zu unterziehen. Bei näherer Betrachtung kann dieser Einschätzung seitens der Legislative aber nicht beigetreten werden. So greift das Argument für eine erhebliche Anzahl an Personen nicht, die zwar unterhalb der besagten Altersschwelle geheiratet, mittlerweile aber bereits die Volljährigkeit erreicht haben. Doch auch wenn die an Minderjährigenehen Beteiligten noch nicht das 18. Lebensjahr vollendet haben sollten, bleibt zu beachten, dass das individualisierte Aufhebungsverfahren vor allem im Kontext der Minderjährigenehen vornehmlich dem Schutz der Kinderrechte dienen soll und demgemäß für die Minderjährigen kaum nachteilig ist.217 Während die kategorische Nichtigkeitsfolge die beteiligten Individualbelange vollständig ignoriert, können die Interessen der Ehegatten durch die Aufhebungslösung erheblich besser durchgesetzt werden, da innerhalb des gerichtlichen Verfahrens auf die individuellen Besonderheiten ausreichend eingegangen und eine umfassende Klärung aller flankierenden Rechtsfragen herbeigeführt werden kann. Darüber hinaus stellt die Aufhebbarkeit insbesondere auch deshalb ein milderes Mittel dar, weil sie nicht mit einer strikten behördlichen Antragspflicht einhergehen muss, wie sie nach der derzeitigen Regelung für die im Alter von 16 und 17 Jahren geschlossenen Ehen (vorbehaltlich der Fälle des § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. a BGB) gilt. Zu denken ist hier an die frühere Rechtslage vor der Gesetzesnovelle, wo es im pflichtgemäßen Ermessen der zuständigen Verwaltungsbehörde stand, ob das Aufhebungsverfahren eingeleitet werden sollte. Im Rahmen dieser von der Behörde vorzunehmenden Einzelfallprüfung wurde das Kindeswohl ausreichend bedacht und es wurden lediglich solche Ehen dem Aufhebungsverfahren ausgesetzt, die in Anbetracht der Belange der Betroffenen und des öffentlichen Interesses Gegenstand eines Aufhebungsverfahrens bilden sollten.218 Die Aufhebbarkeitsfolge ist aus den vorstehenden Gründen besonders in Ansehung des Rechtsfolgenerhalts als offensichtlich milderes Mittel anzusehen. Klärungsbedürftig bleibt, ob einer Einordnung der Ehen als aufhebbar im Hinblick auf die gesetzgeberischen Ziele des Minderjährigenschutzes und der Rechtssicherheit die gleiche Wirksamkeit zuerkannt werden kann. Prima facie gibt die kindeswohlzentrierte Motivation des Gesetzgebers Anlass zur Verneinung dieser Frage. Immerhin ging es dem Gesetzgeber bei der Konstituierung des harschen Unwirksamkeitsverdikts gerade darum, die aus der Ehe resultierenden Rechtsfolgen wie etwa die Pflicht zum Zusammenleben nach § 1353 BGB bzw. die Durchsetzung des daraus resultierenden Rechts der Ehegatten auf Wiederherstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft für die Minderjährigen zu verhindern. Durch das Gesetz sollte zudem automatisch eine Vormundschaft für ver217 218

In diese Richtung auch Wall, StAZ 2019, 331, 337. Genauer hierzu s. oben Kap. 2 A.V.

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Kap. 4: Das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen auf dem Prüfstand

heiratete Minderjährige, die ohne ihre Eltern nach Deutschland einreisen, herbeigeführt werden.219 Die Aufhebbarkeit der jeweiligen Ehe berührt nicht deren Wirksamkeit, weswegen vor der Gesetzesreform in aller Regel keine umfassende Vormundschaft einer Behörde eingerichtet werden konnte. Gem. § 1633 BGB, der nach überwiegender Auffassung auf aufhebbare Ehen Anwendung fand220, beschränkte sich die Personensorge des Minderjährigen auf die Vertretung in persönlichen Angelegenheiten, was gem. § 1800 S. 1 BGB ebenso für den Vormund galt.221 Der Minderjährige übernahm damit die tatsächliche Sorge in persönlichen Angelegenheiten für sich selbst und konnte folglich über die Belange seines Aufenthalts und Umgangs eigenständig bestimmen. Allerdings hat der Gesetzgeber mit Wirkung zum 22.7.2017 die vormundschaftsbegrenzende Klausel des § 1633 BGB abgeschafft. In Abweichung zur alten Rechtslage stehen somit auch die Minderjährigen, die vorübergehend in aufhebbarer Ehe leben, bis zur Aufhebung unter voller elterlicher Sorge nach §§ 1626 ff. BGB. Der Sorgerechtsinhaber kann dabei über den Aufenthalt des Minderjährigen und dessen Umgang mit dem ehemaligen Ehepartner bestimmen.222 Wie bei der Unwirksamkeit findet eine räumliche Trennung der Ehegatten einer aufhebbaren Ehe nicht zwangsläufig statt, sondern hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.223 Das Kindeswohl ist bei dieser Analyse durch das Jugendamt ausschlaggebend.224 Sind aus der Ehe Kinder hervorgegangen, so ruht die elterliche Sorge des minderjährigen Ehegatten unabhängig davon, ob seine Ehe als aufhebbar oder nichtig zu qualifizieren ist (§ 1673 Abs. 2 BGB). Zudem kann bei Aufhebbarkeit der zur Stellung des Aufhebungsantrags berechtigte Ehegatte den Antrag auf Herstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft abwehren.225 Bezüglich des Minderjährigenschutzes ist der Aufhebbarkeitsfolge im Vergleich zur Unwirksamkeitsanordnung keine geringere Wirkkraft zu attestieren. Womöglich erscheint jedoch mit Blick auf das zweite gesetzgeberische Ziel der Rechtssicherheit eine andere Bewertung gerechtfertigt. So ist die ungewöhn-

219

Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland, BT-Drs. 18/12086, 17 f. So schon AG Hamburg 28.7.1964, Az. 115 S VII S 858, FamRZ 1964, 532 f.; BeckOGK/Kerscher, 1.5.2017, § 1633 (aufgeh.) Rn. 4; BeckOK/Veit, 43. Ed., 15.06. 2017, § 1633 BGB Rn. 1; Staudinger/Peschel-Gutzeit, 14. Aufl., 2007, § 1633 BGB Rn. 6; MüKo/Huber, 7. Aufl., 2017, § 1633 BGB Rn. 1; Antomo, NZFam 2016, 1155, 1159; a. A. Andrae, NZFam 2016, 923, 928 f., die § 1633 BGB bei aufhebbaren Ehen mit Ehemündigkeitsdefizit nicht zur Anwendung kommen lassen will; zust. insoweit Treichel, ZKJ 2018, 4, 8; ablehnend Antomo, NZFam 2016, 1155, 1159. 221 S. dazu eingehend oben Kap. 2 A. IV. 222 S. Andrae, RPsych 2017, 426, 431. 223 Münder/Meysen/Trenczek/Trenczek, 9. Aufl., 2022, § 42a SGB VIII Rn. 8. 224 Bongartz, NZFam 2017, 541, 545. Besonders relevant ist der Wille des minderjährigen Ehegatten, s. Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht, Stellungnahme vom 31. Januar 2020 in der Verfassungsrechtssache 1 BvL 7/18, 31.1.2020, 4. 225 S. Staudinger/Voppel, 17. Aufl., 2018, § 1353 BGB Rn. 154. 220

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lich harte Unwirksamkeitssanktion als eine Rechtsfolge mit eindeutiger Signalwirkung zu begreifen, wohingegen die mildere Aufhebbarkeitsfolge, die die Wirksamkeit der Ehe zunächst nicht beeinträchtigt, keinen vergleichbaren Warneffekt besitzt. Allerdings kann es für die Beurteilung der Rechtssicherheit nicht auf den Härtegrad der Rechtsfolgen ankommen: Ein hoher Abschreckungseffekt mag sich im Hinblick auf die Vorbildfunktion des deutschen Rechts im internationalen Kontext zwar als wirksamer erweisen, bei den von der Regelung betroffenen Menschen hat er jedoch keine rechtssicherheitserhöhenden Auswirkungen. Vielmehr ist die Aufhebbarkeitsfolge genauso leicht – wenn nicht aufgrund der rechtlichen Gleichstellung mit in höherem Alter geschlossenen Ehen noch leichter – zu vermitteln als die Nichtigkeitsfolge. Zuletzt könnte einer gleichartigen Wirksamkeitsintensität entgegengehalten werden, dass die Aufhebbarkeitsfolge im Unterschied zur Eheunwirksamkeit mit unverhältnismäßig großem Aufwand verbunden ist und die vielfachen Aufhebungsverfahren die Möglichkeiten der Jusitz übersteigen. Überdies dürfte es in der Regel schwerfallen, innerhalb der gerichtlichen Verfahren einen eventuellen Zwangskontext der Eheschließung aufzudecken. Während die Transformation der Ehe in eine Nichtehe ipso iure ohne verfahrensrechtliche Anstrengung eintritt und sämtliche Ehen – darunter auch alle in dem Altersspektrum von unter 16 Jahren geschlossenen Zwangsehen – für unwirksam erklärt werden, ist die Aufhebung der Ehe sowohl an das Handeln der Verwaltung als auch an die Durchführung eines familiengerichtlichen Verfahrens gekoppelt, in dem sich häufig nicht verlässlich aufklären lässt, ob die Ehe auf selbstbestimmte Weise begründet wurde.226 Nach den obigen Feststellungen ist eine derart intensive Auseinandersetzung mit den Eheschließungsumständen durch die Gerichte aber nur insoweit erforderlich, als es für die Frage des Bestehens eines aktuellen Zwangs relevant ist. Schließlich ist denkbar, dass die unter Verstoß gegen das Konsensprinzip zustande gekommene Ehe mittlerweile von ihrer Fehlerhaftigkeit geheilt ist. Im Rahmen des Gerichtsverfahrens werden die potentiellen Opfer einer Zwangsehe zudem in die Lage versetzt, ihre Rechte aktiv geltend zu machen. Die erforderliche Mitwirkung der Betroffenen im Gericht könnte durch Unterstützungs- und Beratungsprogramme sichergestellt werden, die darauf hinwirken, dass die Betroffenen zur Sachverhaltsermittlung in ausreichendem Maße beitragen. Solche Maßnahmen wären auch nicht mit unverhältnismäßigem Aufwand verbunden: Zwar vermag die durch die Abschaffung der Dispensmöglichkeit erzielte Einsparung der vereinzelt auftretenden Befreiungsverfahren auf nationaler Ebene nicht die vergleichsweise große Zahl an Aufhebungsverfahren aufzuwiegen. Allerdings ist zum einen die Zahl der nach Deutschland kommenden Geflüchteten im Rückgang begriffen, sodass hierzulande weniger Minderjährigen-

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Vgl. Rixen, JZ 2019, 628, 630.

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ehen zu verzeichnen sind.227 Zum anderen lässt die einzelfallabhängige Prüfung jeder Ehekonstellation innerhalb des Aufhebungsverfahrens genügend Spielraum für eine ausgewogene und kindeswohlzentrierte Beurteilung und dient dem Schutz der betreffenden minderjährigen Ehegatten. Die Offenlegung einer fortwährenden Zwangssituation im Zuge der Sachverhaltsermittlung kann des Weiteren durch Einholung von Expertenmeinungen und fachpsychologischen Sachverständigengutachten bewerkstelligt und vereinfacht werden. Alle weiteren Faktoren wie ein bestehender Bezug zu den Lebensverhältnissen in der Bundesrepublik Deutschland, ein vorhandenes beidseitiges Vertrauen der Ehegatten in den Bestand ihrer Ehe, die Ehedauer und das Vorhandensein gemeinsamer Kinder können in die Prüfung miteinbezogen werden. Insofern handelt es sich bei der Aufhebbarkeit auch unter diesem Gesichtspunkt um ein gleichermaßen wirksames Mittel, das nicht weniger zielgenau, sondern vielmehr in noch verfeinerter Weise die Eindämmung nicht schutzwürdiger, zu unterbindender Minderjährigenehen befördert. Es ist festzuhalten, dass der Gesetzgeber die Grenzen der Erforderlichkeit überschritten und damit die verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht erfüllt hat. (4) Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne Zweifelhaft ist ferner, ob sich die gesetzgeberische Maßnahme als angemessen erweist. Die Proportionalität des Mittels ist zu bejahen, wenn der mit der Maßnahme verfolgte Zweck nicht außer Verhältnis zur Schwere des Eingriffs steht.228 Hierbei hat eine Abwägung zu erfolgen, bei der die Interessen der Parteien unter Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Wertentscheidungen ausreichend zu würdigen sind.229 (a) Grundsätzliche Berechtigung des Regelungsanliegens Der Wunsch des Gesetzgebers, Minderjährigenehen zu bekämpfen, ist in Anbetracht der damit verbundenen negativen Auswirkungen auf das Kindeswohl und der starken Korrelation mit dem Phänomen der Zwangsehen ein nachvollziehbares und durchaus berechtigtes Anliegen.230 Auch gesetzestechnisch kann 227 O. A., Zahl der Kinderehen in Deutschland geht um 80 Prozent zurück, Die Welt, 7.6.2018. 228 Kloepfer, Verfassungsrecht – Bd. II: Grundrechte, § 51 VII Rn. 102. 229 BVerfG 24.5.1977, Az. 2 BvR 988/75, NJW 1977, 1489, 1490; Manssen, Grundrechte, § 8 Rn. 206; Kloepfer, Verfassungsrecht – Bd. II: Grundrechte, § 51 VII Rn. 103; vgl. a. Britz, JURA 2015, 319, 322. 230 S. a. Frie, FamRB 2017, 232, 239; Hüßtege, FamRZ 2017, 1374, 1380; Schwab, FamRZ 2017, 1369, 1373; Rohe, StAZ 2018, 72, 73 f.; Reuß, FamRZ 2019, 1, 10; Wapler, verdikt 2017, 9. Zu den bedenklichen Folgen auch Lambertz, Child marriages and the law – with special reference to swedish developments, in: The Childs Interests in Conflict, 2016, 85, 88 ff.

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die Einführung einer speziellen ordre public-Klausel mit Unwirksamkeitsfolge als Abwehrmechanismus überzeugen, da sich die Minderjährigenehenproblematik in der Bundesrepublik vornehmlich auf im Ausland begründete Ehen konzentriert und der rechtsvergleichende Blick gezeigt hat, dass die Rechtsordnungen zahlreicher Länder trotz des gegenläufigen internationalen Trends Minderjährigenehen nach wie vor zulassen.231 Anzuerkennen ist ferner, dass dem Gesetzgeber im Regelungsbereich der Ehemündigkeit ein weiter Ausgestaltungsspielraum zusteht.232 (b) Konfligierende Rechte des Minderjährigen Des Weiteren können die Regelungsziele des Kindeswohls und der Rechtssicherheit als kollidierende Verfassungsrechtsgüter den grundrechtlichen Eingriff in Art. 6 Abs. 1 GG einschränken233: So handelt es sich bei der Rechtssicherheit gem. Art. 20 Abs. 3 GG um einen Belang von Verfassungsrang234, zugleich besteht ein verfassungsrechtlicher Auftrag des Staates, in Ausübung seines Wächteramts nach Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG das Kindeswohl zu schützen.235 Konkret beruft sich das BVerfG in diesem Rahmen stets auf die Grundrechte des Kindes in Gestalt des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung sowie seines Rechts auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit nach Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG und seines aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG erwachsenden Rechts auf körperliche Unversehrtheit.236 Weitere eventuell tangierte Rechte sind die negative Eheschließungs231

S. oben Kap. 1 C. III. Dies betont insb. Hettich, FamRZ 2019, 188. Die legislative Gestaltungsfreiheit stand bereits mehrmals im Zentrum der Grundrechtsjudikatur, s. nur BVerfG 19.2.2013, Az. 1 BvL 1/11, 1 BvR 3247/09, NJW 2013, 847, 848, 851; BVerfG 17.7.2002, Az. 1 BvF 1/01, 1 BvF 2/01, NJW 2002, 2543, 2547 f. 233 Grundsätzlich hierzu: Jarass/Pieroth/Jarass, 17. Aufl., 2022, Art. 6 GG Rn. 23. 234 Sachs/Sachs, 9. Aufl., 2021, Art. 20 GG Rn. 122; BVerfG 3.11.1965, Az. 1 BvR 62/61, NJW 1966, 196, 199; BVerfG 12.12.1957, Az. 1 BvR 678/57, NJW 1957, 97; Maurer, Staatsrecht I, § 8 Rn. 46; vgl. Beaucamp, DÖV 2017, 699, 708. 235 S. nur Wapler, Kinderrechte und Kindeswohl, 478 ff.; Jeand’Heur, Verfassungsrechtliche Schutzgebote zum Wohl des Kindes und staatliche Interventionspflichten aus der Garantienorm des Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG, 17 f.; Kirchhof, NJW 2018, 2690, 2693; Jestaedt, Staatlicher Kindesschutz unter dem Grundgesetz – Aktuelle Kindesschutzmaßnahmen auf dem Prüfstand der Verfassung, in: Kindesschutz bei Kindeswohlgefährdung – neue Mittel und Wege?, 2008, 5, 11; vgl. zur verfassungsrechtlichen Dimension des Kindeswohls auch Coester, in: FS Salgo, 13, 15 f.; bezogen auf Minderjährigenehen: Antomo, NZFam 2016, 1155, 1159; Schulte-Rudzio, Minderjährigenehen in Deutschland, 329; Schoppe, Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB und kindesspezifische Gewährleistungen der Verfassung, in: Die Frühehe im Recht, 2021, 191 ff. 236 BVerfG 29.7.1968, Az. 1 BvL 20/63, 31/66 und 5/67, NJW 1968, 2233 ff.; Britz, NZFam 2016, 113; Radtke, DRiZ 2019, 56, 58; Andrae, Internationales Familienrecht, § 1 Rn. 65; zum bestehenden Zusammenhang zwischen körperlicher bzw. sexueller Gewalt und Minderjährigenehen: Plich, RPsych 2017, 299, 305; der Schutz der sexuellen Selbstbestimmung von Minderjährigen unter 16 Jahren hat gem. § 182 StGB auch besondere strafrechtliche Relevanz, s. Rixen, JZ 2019, 628, 631. Dass der Gesetzgeber 232

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freiheit nach Art. 6 Abs. 1 GG und der Grundsatz der Gleichberechtigung von Mann und Frau gem. Art. 3 Abs. 2 GG.237 So sind von Minderjährigenehen de facto ganz überwiegend junge Mädchen betroffen, sodass ein staatliches Eingreifen in Art. 6 Abs. 1 GG aufgrund des in Art. 3 Abs. 2 GG verankerten Grundsatzes der Geschlechtergleichstellung geboten erscheint. Tatsächlich bilden die einleitend ausführlich dargestellten negativen Folgen für das Kindeswohl und der sozio-ökonomische Kontext, in dem Minderjährigenehen vornehmlich entstehen, eine solide Basis für die Schlussfolgerung, dass Minderjährigenehen per se gegen die genannten grundrechtlich radizierten Positionen verstoßen238: Die Assoziation mit Zwangsehen, die hohe Mortalitätsrate von schwangeren minderjährigen Ehegattinnen, die erheblichen gesundheitlichen Risiken von Geschlechtskrankheiten bis hin zu psychischen Problemen und erhöhter suizidaler Gefährdung der betroffenen Frauen, die verminderten Bildungschancen und das Umfeld geschlechtsspezifischer Ungleichheit bekräftigen ein generelles Vorgehen gegen Minderjährigenehen und somit auch den vom deutschen Gesetzgeber eingeschlagenen Weg eines strikten Unwirksamkeitsautomatismus. Allerdings lassen sich diese typischen Hintergründe und Risiken der „klassischen Kinderehe“ 239 nicht auf alle in Deutschland vorzufindenden, im Alter von unter 16 Jahren geschlossenen Minderjährigenehen übertragen. Zunächst ist dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die gesetzgeberische Maßnahme nicht darauf abzielt, Eheschließungen von Minderjährigen zu vermeiden und die damit einhergehenden negativen Begleitumstände zu verhindern.240 Vielmehr handelt es sich bei den im Ausland geschlossenen Minderjährigenehen um (nach Heimatrecht) wirksam begründete, eventuell lang gelebte Ehebeziehungen, die für die Minderjährigen bereits Rechtswirklichkeit geworden sind, sodass der Staat nicht kurzerhand darin eingreifen darf.241 Es wird zudem unberücksichtigt gelassen, dass auch im konkreten Kontext das Recht des Kindes auf Schutz seiner körperlichen und geistigen Entwicklung aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 und Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG durch frühzeitige Eheschließung im Kindes- oder Jugendalter und den Fortbestand einer in derart jungem Alter geschlossenen Ehe als gefährdet ansah, ergibt sich aus der Gesetzesbegründung, vgl. Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland, BT-Drs. 18/12086, 14. 237 Düsing/Wittmann, AnwBl Online 2020, 446, 449; Bongartz, NZFam 2017, 541, 543; Majer, NZFam 2019, 659, 660. 238 Zu den sozio-ökonomischen Strukturen, dem kulturellen Hintergrund sowie den Auswirkungen von Minderjährigenehen auf das Kindeswohl: Kap. 1 C. I. 2. und 3.; s. hierzu auch insb. Düsing/Wittmann, AnwBl Online 2020, 446, 449 ff. 239 S. hierzu Kap. 1 C. I. 2. und 3.; komprimiert auch Max-Planck-Institut für Ausländisches und Internationales Privatrecht, RabelsZ 84 (2020), 705, 709 ff. 240 Einige Gerichte zweifeln daher die Effizienz der Unwirksamkeitsregelung an, s. Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Gesamtauswertung zur Evaluierung des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen, 14.8.2020, 16. 241 Zu Recht auf diesen großen Unterschied hinweisend: Andrae, Internationales Familienrecht, § 1 Rn. 33. Zur Wichtigkeit des Faktischen: Müller-Freienfels, Ehe und

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eine unter Zwang zustande gekommene und damit gegen die negative Eheschließungsfreiheit verstoßende Ehe in der Zwischenzeit von diesem Defekt geheilt sein kann, wenn der minderjährige Ehegatte seine Ehe als schützenden Rückzugsort von großer emotionaler Bedeutung nicht missen und auf die damit verbundenen Vorteile nicht verzichten möchte. Alle im Altersspektrum von unter 16 Jahren geschlossenen Minderjährigenehen dem Generalverdacht des (fortwirkenden) Zwangs auszusetzen, ist bei der Vielgestaltigkeit der Lebenssachverhalte auch deswegen verfehlt, weil selbst unter 16-jährige Ehegatten bei fortgeschrittener geistiger Entwicklung in der Lage sein können, die Eheschließung in ihrer Bedeutung zu erfassen und für sich zu wollen, ohne von externen Faktoren beeinflusst zu sein.242 Weiterhin ist in Erinnerung zu rufen, dass eine Zwangsehe von vornherein nicht dem grundrechtlichen Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG unterfällt, sondern vielmehr einen eigenen Straftatbestand nach § 237 StGB darstellt. Auf den staatlichen Schutzauftrag zur Bewahrung Minderjähriger vor unangemessener Fremdbestimmung kann sich der Gesetzgeber bei (mittlerweile) schützenswerten Ehen also nicht berufen.243 Darüber hinaus muss die Annahme des Gesetzgebers hinterfragt werden, alle im Alter von unter 16 Jahren geschlossenen Minderjährigenehen wären weder mit dem (absoluten) Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 2 GG noch mit dem in Art. 6 Abs. 1 GG geschützten Ehebild einer gleichberechtigten Partnerschaft zu vereinbaren. Art. 3 Abs. 2 GG steht dabei Regelungen entgegen, die sich in der gesellschaftlichen Wirklichkeit geschlechtstypisch auswirken und dadurch Benachteiligungen auslösen.244 Gemeint sind im Kontext der Minderjährigenehen die Ehefähigkeitsregelungen der diversen ausländischen Rechtsordnungen, die eine Eheschließung vor Erreichen des 16. Lebensjahres ermöglichen und dabei zwischen Mädchen und Jungen differenzieren oder aber bei geschlechtsneutraler Formulierung sich hauptsächlich auf junge Mädchen auswirken.245 Wie oben erörtert, sind im Kontext von Minderjährigenehen hauptsächlich junge Mädchen beteiligt. Allerdings geht nicht mit jeder Eheschließung pauschal eine Recht, 46; vgl. a. Kohler, Rev. crit. DIP 2018, 51, 57; nach Coester-Waltjen, FamRZ 2012, 1185, 1187 ist der Intensität der gelebten Gemeinschaft Rechnung zu tragen. 242 Prominentes Bsp. hierfür ist der Fall des OLG Bamberg 12.5.2016, Az. 2 UF 58/ 16, FamRZ 2016, 1270 ff. Dies anzweifelnd Düsing/Wittmann, AnwBl Online 2020, 446, 450. 243 Es ist ohnehin zu hinterfragen, ob das Gesetz im Falle einer Zwangsehe überhaupt durchgreift. Durch Zwang zustande gekommene Ehen gelangen den zuständigen Verwaltungsbehörden oft gar nicht erst zur Kenntnis, s. Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Gesamtauswertung zur Evaluierung des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen, 14.8.2020, 29 f. 244 Dürig/Herzog/Scholz/Langenfeld, 96. EL, November 2021, Art. 3 Abs. 2 GG Rn. 29. 245 S. hierzu die Ausführungen von Coester-Waltjen/Coester, Chaper 3 – Formation of Marriage, in: International Encyclopedia of Comparative Law – vol. IV: Persons and Family, 2007, 108 f.

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Benachteiligung für diese minderjährigen Mädchen einher. Auf der Grundlage des jeweiligen fremden Eheschließungsrechts können sich inmitten des anderen kulturellen Rechtsumfelds konkrete Eherechtsverhältnisse geformt haben, die auf dem Einvernehmen beider Nupturienten beruhen und im ehelichen Konsens gelebt werden, ohne dass in irgendeiner Weise in grundrechtlich relevante Positionen der Ehegattin eingegriffen würde. Doch selbst wenn man ohne Rücksicht auf die unterschiedlichen Kultur- und Rechtstraditionen die fremden Eheschließungsvoraussetzungen pauschal als geschlechterdiskriminierend einstufen wollte, fordert das Gebot der grundsätzlichen Anerkennung aller Rechtsordnungen246 dennoch eine Betrachtung der konkreten Rechtsanwendung im Einzelfall. Nur auf diese Weise kann unter Würdigung der verschiedenen Rechtskulturen festgestellt werden, ob sich die nach deutscher Rechtsvorstellung diskriminierenden Vorschriften in der jeweiligen Ehe so perpetuiert haben, dass de facto für die Betroffene eine geschlechterbedingte Benachteiligung vorliegt. Ein solches Vorgehen wird auch dem Grundrecht des Art. 3 Abs. 2 GG in seiner Eigenschaft als subjektivem Abwehrrecht am ehesten gerecht.247 Die Besonderheit rechtskultureller Diversität kommt auch im IPR zum Tragen, wo bei der ordre public-Kontrolle im Kontext von Auslandssachverhalten in bewährter Manier nicht etwa die abstrakte Rechtsnorm, sondern das konkrete Rechtsanwendungsergebnis im jeweiligen Fall auf seine Vereinbarkeit mit den elementaren Wertentscheidungen der hiesigen Rechtsordnung hin überprüft wird. Aber auch aus einem anderen Grund hält die Berufung auf Art. 3 Abs. 2 GG einer Überprüfung nicht stand: Die Norm enthält nach Aussage des BVerfG einen verbindlichen Verfassungsauftrag zur Verwirklichung der Gleichberechtigung in der gesellschaftlichen Wirklichkeit.248 Dieser Auftrag wird durch die Unwirksamkeitsfolge jedoch gerade nicht erfüllt, da die Nichtanerkennung der im Alter von unter 16 Jahren geschlossenen Ehen die rechtlichen Mechanismen zum Schutz des minderjährigen Ehegatten ausschaltet und dadurch Diskriminierungen eher noch schafft bzw. verstärkt.249 So ist der Ausgleichsmechanismus im Innenverhältnis, also die gerechte Verteilung von beziehungsbedingten Vor- und Nachteilen gemäß dem Leitbild der Ehe als Lebensgemeinschaft gleichberechtigter Partner wesentlicher Bestandteil der Zivilehe.250 Der Ordnungsrahmen der Ehe mitsamt der Verpflichtung zu wechselseitiger Rücksichtnahme, gegenseitiger

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S. bereits Savigny, System des heutigen Römischen Rechts – Achter Band, 27. Zur Grundstruktur des Art. 3 Abs. 2 GG: Mangoldt/Klein/Starck/Baer/Markard, 7. Aufl., 2018, Art. 3 Abs. 2 GG Rn. 352 f. 248 Dürig/Herzog/Scholz/Langenfeld, 96. EL, November 2021, Art. 3 Abs. 2 GG Rn. 58; BVerfG 18.11.2003, Az. 1 BvR 302/96, BVerfGE 109, 64, Rn. 89; BVerfG 28.1.1992, Az. 1 BvR 1025/82, 1 BvL 16/83, 1 BvL 10/91, BVerfGE 85, 191 ff. 249 S. bereits in Kürze Finger, FuR 2017, 353. 250 BVerfG 5.2.2002, Az. 1 BvR 105/95, 1 BvR 559/95, 1 BvR 457/96, BVerfGE 105, 1, 10; vgl. a. Wellenhofer, Familienrecht, § 9 Rn. 6. 247

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Fürsorge und Beistand untereinander als Grundelemente der ehelichen Gemeinschaft251 wird den ehemaligen Ehegatten aber gerade versagt. Damit werden auch die ökonomischen Aspekte der Ehe, die sich im gesetzlichen Güter- und Unterhaltsrecht niederschlagen, ausgeblendet und die Vermögensinteressen der Partner außer Acht gelassen, was für den schutzwürdigen Ehegatten eine einschneidende Verschlechterung seiner wirtschaftlichen Situation bedeutet.252 Weiterhin wird ignoriert, dass die Ehenichtigkeit im sozialen Umfeld der ehemaligen Ehegatten geschlechtsspezifische Nachteile zur Folge haben kann. Denn während sich die männlichen Ehegatten nach Kenntniserlangung von der Unwirksamkeit ihrer Ehe ohne Komplikationen einem anderen potenziellen Ehepartner zuwenden können, haben die weiblichen Beteiligten aufgrund des mutmaßlichen Verlusts ihrer Jungfräulichkeit innerhalb ihrer sozialen Gemeinschaft häufig einen Ehrverlust zu befürchten, sodass ihre Chancen auf eine Wiederheirat erheblich reduziert sind.253 Dies erweckt den Eindruck, dass der Gesetzgeber mit Einführung der Nichtigkeitsfolge im Hinblick auf Art. 3 Abs. 2 GG den Eingriffstatbestand in vielen Fällen erst herbeigeführt, in anderen Fällen aber jedenfalls intensiviert hat.254 Zwar könnte man sich nun darauf berufen, dass der minderjährige Ehegatte durch die Nichtanerkennung der Ehe wenigstens vor einem Zusammenleben mit dem Ehepartner in häuslicher Gemeinschaft geschützt würde. Insoweit wird indes verkannt, dass die Eheunwirksamkeit nicht notwendigerweise mit der faktischen Trennung der Ehegatten einhergeht. Zwar sind zunächst alle jugendlichen Verheirateten – sofern sie nicht in Begleitung eines Personensorgeberechtigten oder Erziehungsberechtigten eingereist sind – als unbegleitete Minderjährige (vorläufig) in Obhut zu nehmen (§ 42a Abs. 1 S. 2 SGB VIII). Allerdings prüft die Jugendhilfe in jedem Einzelfall altersunabhängig, ob eine getrennte Unterbringung aus fachlichen Gründen erforderlich oder ausgeschlossen ist.255 Hierbei sind die Wünsche der Kinder bzw. Jugendlichen zu berücksichtigen.256 Zu251 S. genauer Johannsen/Henrich/Althammer/Kohlenberg, 7. Aufl., 2020, § 1353 BGB Rn. 4 ff.; Loschelder, FamRZ 1988, 333, 338. 252 Aus diesem Grund sehen die Landesjustizverwaltungen die Eheunwirksamkeit als „problematisch“ an; nach Angaben der Jugendämter bewirkt die Nichtehe neben dem Wegfall von Privilegien (Anspruch auf Familienversicherung, Erwerb des Aufenthaltsstatus des Partners, Wegfall des Ehelichenstatus gemeinsamer Kinder) auch „finanzielle Schwierigkeiten“, s. Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Gesamtauswertung zur Evaluierung des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen, 14.8.2020, 14, 37 f. 253 Auf dieses Problem im Rahmen der Aufhebung aufmerksam machend: YerlikayaManzel, Betrifft Justiz 2017, 30, 32. 254 Ähnlich Gutmann, NVwZ 2019, 277, 281: „Nicht reflektiert wurde dabei, dass die Neuregelung nicht Schutz verschafft, sondern Schutzbedürftigkeit.“ 255 Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht, Stellungnahme vom 31. Januar 2020 in der Verfassungsrechtssache 1 BvL 7/18, 31.1.2020, 2, 3 f.; Lohse/ Meysen, JAmt 2017, 345, 348. 256 Ibid.; Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht, Stellungnahme vom 31. Januar 2020 in der Verfassungsrechtssache 1 BvL 7/18, 31.1.2020, 4.

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dem kann selbst im Falle einer getrennten Unterbringung das Unwirksamkeitsdiktat nicht die bestehende Beziehung zwischen den ehemaligen Ehegatten auf der tatsächlichen Ebene verhindern. In diesem Sinne wurde seitens des Gesetzgebers die Macht des Faktischen unterschätzt und die Macht des Rechts überschätzt. Diese Einschätzung wird durch die Daten der Gesamtevaluierung bestätigt: Überwiegend erfolgt zwar eine vorläufige Inobhutnahme, aber nach den Angaben einiger Jugendämter wird im Falle einer Trennung ein regelmäßiger Umgang zwischen den Ehepartnern und eine Unterbringung des minderjährigen Ehegatten in der Nähe seines volljährigen Partners ermöglicht.257 Nach Auskunft mehrerer Jugendämter wird eine Trennung der Ehegatten gerade nicht eingeleitet, sondern von dem konkreten Einzelfall unter Beachtung des Kindeswohls sowie dem geäußerten Willen der Betroffenen abhängig gemacht. Nach den dortigen Aussagen wird selbst bei Minderjährigen, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, ein Zusammenleben mit dem Ehepartner ermöglicht, wenn die Minderjährigen klar ihren Willen dahingehend äußern, mit dem Ehepartner zusammenbleiben zu wollen.258 Von einigen Jugendämtern wurde weiterhin angegeben, dass eine zwangsweise Trennung nicht immer förderlich, für den Minderjährigen vielmehr „kaum nachvollziehbar und schwer erträglich“ sei.259 Nach den Rückmeldungen der Jugendämter sind die minderjährigen Ehegattinnen zum Großteil schwanger oder bereits (mehrfach) Mutter, was mehrere Jugendämter zum Anlass nahmen, um zur Bewahrung des Kindeswohls des Säuglings von einer Trennung der Eltern abzusehen.260 Hier wird in der Regel eine gemeinsame Unterbringungsmöglichkeit für die Familie angestrebt.261 Um die Lebenswirklichkeit der in Deutschland befindlichen minderjährigen Ehepartner realitätsgetreu zu erfassen, muss man sich also vom Klischee der typischen „Kinderehe“ als Abhängigkeitsverhältnis lösen und anerkennen, dass es durchaus Ehegatten gibt, die zwar in sehr jungem Alter wirksam im Ausland geheiratet haben, sich aber nach wie vor zu ihrem Ehegatten hingezogen fühlen und weiterhin mit ihm zusammenleben und verheiratet sein wollen. Es ist davon auszugehen, dass sich diese Personen eine rechtlich verbindliche Ausgestaltung ihrer

257 Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Gesamtauswertung zur Evaluierung des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen, 14.8.2020, 33. 258 S. a. Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht, Stellungnahme vom 31. Januar 2020 in der Verfassungsrechtssache 1 BvL 7/18, 31.1.2020, 4. 259 Ibid., 5. Zu den schwerwiegenden Folgen einer Separierung der Partner, s. Deutsche Gesellschaft für Psychologie, Stellungnahme – Minderjährigenehe – 1 BvL 7/18, 21.1.2020, 5. 260 Ibid., 4; Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Gesamtauswertung zur Evaluierung des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen, 14.8.2020, 34. 261 Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht, Stellungnahme vom 31. Januar 2020 in der Verfassungsrechtssache 1 BvL 7/18, 31.1.2020, 4.

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Beziehung im Rahmen der Institution Ehe wünschen.262 Wie oben erläutert, wäre damit für die minderjährigen Ehegatten nur ein Mehr an Rechten verbunden. Insofern verbietet sich die pauschale Aussage, dass eine im Alter von unter 16 Jahren geschlossene Minderjährigenehe gegen die Gleichberechtigungsinteressen des minderjährigen Ehegatten verstößt. Außerdem gründen die bedenklichen gesundheitlichen und bildungsbezogenen Folgen zu einem nicht unerheblichen Anteil auf den schlechteren Lebensverhältnissen, in denen Minderjährigenehen mehrheitlich entstehen und gelebt werden.263 Befinden sich die Eheleute aber in Deutschland, steht ihnen eine fortgeschrittene medizinische Infrastruktur mit verbesserten Behandlungs- und Therapiemaßnahmen zur Verfügung. So kann beispielsweise eine Schwangerschaft unter hohen Hygienebedingungen sicherer betreut werden. Ein bisheriger Bildungsrückstand des minderjährigen Ehegatten kann zudem durch die in Deutschland bestehende Schulpflicht aufgefangen werden.264 An dieser Stelle ist auf die Unterstützung durch die Kinder- und Jugendhilfe zurückzugreifen, die bereits jetzt den Jugendlichen den Schulbesuch bzw. die Absolvierung einer Ausbildung nahelegt.265 Der grundrechtliche Elementarbereich des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG ist also nicht zwangsläufig betroffen, weswegen die automatische Nichtanerkennung auch in diesem Punkt „über das Ziel hinausschießt“. (c) Aus dem Kindeswohlprinzip abzuleitende Vorgaben Die vorstehenden Überlegungen verdichten sich zu dem Eindruck, dass insbesondere das Kindeswohlprinzip bestimmte Anforderungen an die Behandlung von Minderjährigenehen stellt, die eine pauschale Handhabung verbieten. Die gesetzlich vorgesehene Umwandlung aller im Alter von unter 16 Jahren geschlos262

S. dazu bereits Fn. 175. Zu den sozio-ökonomischen Indikatoren, s. Kap. 1 C. I. 2. 264 Die Schulpflicht besteht für junge Menschen, die in Deutschland ihren Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben. So ist Deutschland als EU-Mitgliedstaat gemäß Art. 14 der EU-Aufnahmerichtlinie verpflichtet, minderjährigen Asylantragstellern bzw. minderjährigen Kindern von Antragstellern in ähnlicher Weise wie den eigenen Staatsangehörigen Zugang zum öffentlichen Bildungssystem zu gewähren (Abs. 1), wobei der Zugang nicht später als 3 Monate nach dem Zeitpunkt der Antragstellung auf internationalen Schutz erfolgen sollte (Abs. 3). Die konkrete Ausgestaltung der Schulpflicht erfolgt durch die Länder in den jeweiligen Schulgesetzen. Allgemein beträgt ihre Dauer mindestens zwölf Jahre, davon neun, mindestens zehn Jahre Vollzeitschulpflicht (allgemeine Schulpflicht) und in der Regel drei Jahre Teilzeitschulpflicht (Berufsschulpflicht). Die Schulpflicht endet in einigen Bundesländern mit der Vollendung des 18. Lebensjahres, falls kein Ausbildungsverhältnis besteht. In manchen Bundesländern wurde die Berufsschulpflicht für geflüchtete Jugendliche unabhängig von deren rechtlichen Status erweitert, s. hierzu Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland, BTDrs. 19/15740, 168. 265 Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht, Stellungnahme vom 31. Januar 2020 in der Verfassungsrechtssache 1 BvL 7/18, 31.1.2020, 5. 263

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senen Ehen in ex tunc unwirksame Nichtehen wird vom Gesetzgeber als Verbesserung des Minderjährigenschutzes verstanden.266 Hiermit hat der Staat die Deutungshoheit über das Kindeswohl in Bezug auf Minderjährigenehen den Gerichten entzogen. Nach legislativem Verständnis erzielt man mit der sofortigen Auflösung der betreffenden Ehen die unmittelbare Befreiung der betroffenen Minderjährigen aus ihren unfrei und uneigenständig eingegangenen Ehen. Allerdings erheben sich bei genauerer Betrachtung dieser starren gesetzgeberischen Wertentscheidung Zweifel, ob das Kindeswohl als pauschale Rechtfertigung für die Auflösung dieser Minderjährigenehen dienen kann. So bleibt die gesetzliche Umgestaltung den Beschränkungen des Verfassungsrechts unterworfen267, wobei die vom Gesetzgeber in den Vordergrund gestellten Minderjährigenschutzerwägungen womöglich seinem eigenen Handeln Grenzen setzen. Vor diesem Hintergrund ist nämlich zu hinterfragen, ob die betreffenden Jugendlichen als Grundrechtsträger durch ihren Anspruch auf staatlichen Schutz nicht gerade eine anderweitige, ja gegenteilige Behandlung ihrer Ehen verlangen können. Eine auf die Kindesgrundrechte gestützte vorrangige Berücksichtigung des Kindeswohls könnte beispielsweise eine einzelfallbezogene Betrachtung mit Möglichkeit der Aufrechterhaltung der jeweiligen Ehe erfordern. Beim Kindeswohl handelt es sich um einen unbestimmten und äußerst vielschichtigen Begriff, dessen umfassender Gehalt sich semantisch nur schwer und keinesfalls lediglich unter rein juristischen Aspekten erfassen lässt.268 In der Vergangenheit wurden zahlreiche Versuche unternommen, eine genauere inhaltliche

266 S. die vielfach verwendeten Formulierungen „im Interesse des Kindeswohls/Minderjährigenschutzes“ bzw. „zur Wahrung des Kindeswohls“, s. Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland, BT-Drs. 18/12086, 1, 15, 17, 18, 22. Das Kindeswohl wird dabei „allgemein und abstrakt“ verstanden, s. Schoppe, Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB und kindesspezifische Gewährleistungen der Verfassung, in: Die Frühehe im Recht, 2021, 191, 206. 267 BVerfG 19.2.2013, Az. 1 BvL 1/11, 1 BvR 3247/09, NJW 2013, 847, 851. 268 Dettenborn, Kindeswohl und Kindeswille – Psychologische und rechtliche Aspekte, 10, 47 ff.; s. a. Coester, Das Kindeswohl als Rechtsbegriff – Die richterliche Entscheidung über die elterliche Sorge beim Zerfall der Familiengemeinschaft, 3, 162 ff.; Jeand’Heur, Verfassungsrechtliche Schutzgebote zum Wohl des Kindes und staatliche Interventionspflichten aus der Garantienorm des Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG, 26 ff.; Oldenburger, Kindeswohl im Recht – Begründung, Ausgestaltung und Verlust der elterlichen Sorge, 12 ff., 125; vgl. a. Wapler, Kinderrechte und Kindeswohl, 135; Fichtner, NZFam 2015, 588, 592; Köster, Sorgerecht und Kindeswohl – Ein Vorschlag zur Neuregelung des Sorgerechts, 115 ff.; Menne, FamRZ 2016, 1223, 1227. Das Kindeswohl wurde darüber hinaus als „Leerformel“ bezeichnet, s. Ell, ZblJugR 1980, 319, 321; krit. Coester, Das Kindeswohl als Rechtsbegriff – Die richterliche Entscheidung über die elterliche Sorge beim Zerfall der Familiengemeinschaft, 173, demzufolge der Begriffsinhalt „erschließungsfähig und -bedürftig“ ist; vgl. a. Jestaedt, Staatlicher Kindesschutz unter dem Grundgesetz – Aktuelle Kindesschutzmaßnahmen auf dem Prüfstand der Verfassung, in: Kindesschutz bei Kindeswohlgefährdung – neue Mittel und Wege?, 2008, 5, 12.

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Bestimmung des Kindeswohls herbeizuführen. So wurde es als „die für die Persönlichkeitsentwicklung eines Kindes oder Jugendlichen günstige Relation zwischen seiner Bedürfnislage und seinen Lebensbedingungen“ 269 bezeichnet und als der umfassendere Begriff, der „alle individuellen Belange des Kindes zu einem bestimmten Zeitpunkt und mit ihren Bezügen in die Vergangenheit und Zukunft“ beschreibt, definitorisch von den Kinderrechten abgegrenzt.270 Obwohl es ein komplexes Unterfangen ist, im Einzelnen festzustellen, was das Kindeswohl ausmacht, lassen sich insbesondere aus dem Kindeswohlverständnis im Familienrecht271 Leitlinien zur inhaltlichen Präzisierung entnehmen. Ein hoher Stellenwert wird zunächst den inneren Bindungen des Kindes zugeschrieben.272 Bereits im Ausland geschlossene Minderjährigenehen führen im Regelfall zu einem gefestigten Beziehungsgeflecht, dessen Auflösung für den minderjährigen Ehegatten äußerst belastende Auswirkungen haben kann. Meist stellt der Ehepartner die einzige und wichtigste Hauptbezugsperson dar.273 Dies erklärt auch den entsprechenden Befund in der ersten rechtstatsächlichen Evaluierung der Wirkungen des Gesetzes, wonach die verheirateten Minderjährigen in den Jahren 2017 bis einschließlich erstes Quartal 2020 in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle weiterhin mit ihrem volljährigen Ehegatten zusammenleben möchten und im Verhältnis zur Gesamtzahl von ca. 224 Minderjährigenehen lediglich in 22 Fällen ein Wunsch nach Trennung geäußert wurde.274 Den bestehenden emotionalen Bindungen würde es daher entsprechen, das gelebte Eheverhältnis nicht von vornherein und ohne Rücksicht auf die innere Einstellung der Minderjährigen als unwirksam zu betrachten, sondern es im Einzelfall zu würdigen und ggf. aufrechtzuerhalten. 275 269 Dettenborn, Kindeswohl und Kindeswille – Psychologische und rechtliche Aspekte, 60. 270 Wapler, Kinderrechte und Kindeswohl, 572. 271 S. in aller Ausführlichkeit dies., Kinderrechte und Kindeswohl, 249 ff. 272 Dies., Kinderrechte und Kindeswohl, 261 f.; Coester, Das Kindeswohl als Rechtsbegriff – Die richterliche Entscheidung über die elterliche Sorge beim Zerfall der Familiengemeinschaft, 178 ff.; Balloff, Kinder vor dem Familiengericht, 265 ff.; vgl. die Bedeutung bei Gutachten in Kindschaftssachen: Lüblinghoff, NZFam 2015, 577, 578. 273 S. Kap. 3 D. II. 5. a) cc) (3). 274 Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Gesamtauswertung zur Evaluierung des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen, 14.8.2020, 35. 275 A. A. Dutta, FamRZ 2019, 188, 189, der nur die tatsächliche Trennung der Eheleute, nicht aber die Versagung der Anerkennung ihrer Beziehung als Ehe für kindeswohlrelevant hält. Nach der Wahrnehmung des minderjährigen Ehegatten findet die zu seinem Partner bestehende innere Bindung ihren Niederschlag aber gerade in der rechtlichen Verbindlichkeit des begründeten Eheverhältnisses. Die Institutionalisierung der Beziehung als Ehe ist also in der Regel für die Beteiligten von überragender Bedeutung. Insofern kann die Nichtanerkennung ihrer Ehe durchaus negative Auswirkungen auf das Wohl der minderjährigen Ehegatten haben. Demgemäß erscheint die vorgeschlagene Betrachtung des Einzelfalls nicht nur sinnvoll, sondern auch erforderlich. Vgl. hierzu a. Papadimas, Form der Eheschließung, 14.

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Weiterhin manifestiert sich das Kindeswohl in der sozialen Kontinuität der kindlichen Bindungen.276 Dabei ist das Kontinuitätsbedürfnis des Kindes nicht auf das Verhältnis zu seinen Eltern beschränkt, sondern erstreckt sich auf seine „persönliche Beziehungswelt“ und „äußeren Lebensverhältnisse“.277 So ist gemeinhin anerkannt, dass die ununterbrochene Fortführung der Lebensverhältnisse mitsamt den emotionalen und sozialen Bindungen des Kindes dessen Wohl förderlich ist.278 Indem der Gesetzgeber der Ehe von vornherein die Wirksamkeit versagt, wird das zum Ehepartner und – bei Vorhandensein gemeinsamer Kinder – zur Familie bestehende, besondere Bindungsverhältnis abrupt unterbrochen, der Minderjährige läuft Gefahr, aus dem gewohnten Eheumfeld herausgerissen zu werden und seine sozialen Beziehungen nicht in gewohnter Weise aufrechtzuerhalten. Dem Kontinuitätsinteresse entspricht auch der Schutz der kulturellen Identität des Kindes.279 Seine harmonische Entwicklung wird aber massiv gestört, wenn unter Missachtung seiner kulturellen Werte die in seinem Herkunftsland früh gegründete, aber dort gesetzlich anerkannte Ehe- und Familienbeziehung in Deutschland als niemals existent angesehen wird.280 Ignoriert wird dabei auch, dass die fremden Rechtsordnungen ihrerseits das wichtige Rechtsprinzip Kindeswohl – wenn auch als kulturell differente Konkretisierung281 – anerkennen und auf ihre Weise würdigen.282

276 Wapler, Kinderrechte und Kindeswohl, 262 f.; Coester, Das Kindeswohl als Rechtsbegriff – Die richterliche Entscheidung über die elterliche Sorge beim Zerfall der Familiengemeinschaft, 176 ff.; s. a. BVerfG 29.10.1998, Az. 2 BvR 1206-98, NJW 1999, 631, 632; Neuhaus, Ehe und Kindschaft in rechtsvergleichender Sicht, 250 ff. 277 S. expressis verbis Coester, Das Kindeswohl als Rechtsbegriff – Die richterliche Entscheidung über die elterliche Sorge beim Zerfall der Familiengemeinschaft, 327. 278 Ders., Das Kindeswohl als Rechtsbegriff – Die richterliche Entscheidung über die elterliche Sorge beim Zerfall der Familiengemeinschaft, 177. 279 Jayme, IPRax 1996, 237, 238; die kulturelle Verwurzelung als „bedeutungsvolles Kriterium“ ansehend Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, 7. Aufl., 2020, § 62 Rn. 11; für Büchler, Kulturelle Vielfalt und Familienrecht, in: Pluralistische Gesellschaften und Internationales Recht, 2008, 215, 230 ist die Kindeswohlmaxime „das größte Einfallstor für kulturell determinierte Wertvorstellungen“; vgl. a. Götz, Kindeswohl bei Auslandsbezug, in: 40 Jahre Familienrechtsreform, 2017, 255, 266 f. 280 Selbst im Falle einer Flucht aus dem Heimatland, können sich die Betroffenen trotzdem noch mit dem Recht ihres Heimatlandes als Ausdruck der eigenen kulturellen Identität verbunden fühlen, s. Budzikiewicz, Der gewöhnliche Aufenthalt von Flüchtlingen als Anknüpfungspunkt im Internationalen Privat- und Privatverfahrensrecht, in: Migration und IPR, 2019, 93, 115; Mansel, Das Staatsangehörigkeitsprinzip im deutschen und gemeinschaftsrechtlichen Internationalen Privatrecht: Schutz der kulturellen Identität oder Diskriminierung der Person?, in: Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht, 2003, 119, 142 ff. 281 Ausdrücklich Büchler, Kulturelle Vielfalt und Familienrecht, in: Pluralistische Gesellschaften und Internationales Recht, 2008, 215, 232. 282 S. für das islamische Recht: Nabhan, NZFam 2017, 504 ff.; Ibrahim, The American Journal of Comparative Law 63 (2015), 859 ff.

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Eine Folgenbetrachtung auf familiärer und gesellschaftlicher Ebene seitens des Gesetzgebers ist ebenfalls nicht erfolgt. Wie eingangs erläutert, spielt die Erhaltung der Ehre der Frau und der gesamten Familie im Kontext von Minderjährigenehen eine zentrale Rolle.283 Die Negierung der ehelichen Beziehung kann also nachhaltige Belastungen für den minderjährigen Ehegatten in Form von Stigmatisierung, Ausgrenzung und Ächtung im engsten Verwandtschafts- und Bekanntenkreis, aber auch gegenüber dem weiteren sozialen Umfeld mit sich bringen.284 Zu Recht sieht sich die Unwirksamkeitsfolge also dem Einwand ausgesetzt, dass die Belange des Kindes in Gestalt der Bewahrung nicht nur seines familiär-sozialen Umfelds sowie der darin aktuell bestehenden Beziehungen, sondern auch seines kulturellen Hintergrunds ignoriert werden und damit ein Verstoß gegen das Kontinuitätsprinzip vorliegt. Bei der Präzisierung des Kindeswohlmaßstabs kommt neben dem gegenläufigen Kontinuitätsinteresse auch einem entgegenstehenden Kindeswillen ein besonderes Gewicht zu.285 Während die inneren Bindungen des Kindes seinen tatsächlichen und autonomieunabhängigen „natürlichen Willen“ widerspiegeln, kommt beim voluntativen Aspekt das Selbstbestimmungsrecht des Minderjährigen gem. Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG zum Tragen.286 Dabei verdichtet sich mit zunehmendem Alter und höherem Grad der Einsichtsfähigkeit die Beachtlichkeit seines Willens.287

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Yerlikaya-Manzel, Betrifft Justiz 2017, 30, 31 f. S. zu den möglichen Negativfolgen: Deutsche Gesellschaft für Psychologie, Stellungnahme – Minderjährigenehe – 1 BvL 7/18, 21.1.2020, 5 f. Der Gesamtauswertung zufolge nannten die Jugendämter „kulturelle Unterschiede“ und „das Unverständnis der Betroffenen für das deutsche Rechtssystem“ als besondere Probleme im Umgang mit Minderjährigenehen, s. Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Gesamtauswertung zur Evaluierung des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen, 14.8.2020, 37; vgl. dazu a. Rohe, StAZ 2018, 72, 79. 285 Köster, Sorgerecht und Kindeswohl – Ein Vorschlag zur Neuregelung des Sorgerechts, 125 ff.; Hohmann-Dennhardt, FPR 2008, 476, 477; hierzu genauer Coester, Das Kindeswohl als Rechtsbegriff – Die richterliche Entscheidung über die elterliche Sorge beim Zerfall der Familiengemeinschaft, 256 ff.; Wapler, Kinderrechte und Kindeswohl, 263 ff., 530 ff.; vgl. a. Oldenburger, Kindeswohl im Recht – Begründung, Ausgestaltung und Verlust der elterlichen Sorge, 123 f., 130 f. 286 S. Wapler, Kinderrechte und Kindeswohl, 264; Balloff, Kinder vor dem Familiengericht, 246. 287 MüKo/Huber, 8. Aufl., 2020, § 1626a BGB Rn. 80; Hohmann-Dennhardt, FPR 2008, 476, 477; Dieckmann, AcP 178 (1978), 298, 318; Coester, Das Kindeswohl als Rechtsbegriff – Die richterliche Entscheidung über die elterliche Sorge beim Zerfall der Familiengemeinschaft, 281; Oldenburger, Kindeswohl im Recht – Begründung, Ausgestaltung und Verlust der elterlichen Sorge, 105; Hoffmann, Personensorge – Rechtliche Erläuterungen für Beratung, Gestaltung und Vertretung, § 3 Rn. 16; nach der Stellungnahme der Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland, BT-Drs. 18/11050, 6 müssen daher auch die „Interessen und Bedürfnisse von Jugendlichen“ ins Zentrum gerückt werden. 284

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Vor Inkrafttreten des KEhenBekG stellte sich die Frage der Einsichtsfähigkeit des Minderjährigen bei der kollisionsrechtlichen Wirksamkeitsprüfung am Maßstab des ordre public nach Art. 6 EGBGB.288 Zwar war es schwierig, einen möglichen Zwangskontext innerhalb der jeweiligen Ehen aufzudecken. Die Determinante des Minderjährigenschutzes als „herausragende familienrechtliche Verfahrensleitlinie“ 289 verlangte aber gerade diese aufwendige gerichtliche Überprüfung. Hierdurch konnte sichergestellt werden, dass eine Anerkennung der Ehe in Deutschland nur erfolgte, wenn keine Zwangselemente (mehr) bestanden und der Wille des Minderjährigen zur Erhaltung der Ehe Ausdruck eigenverantwortlicher Selbstbestimmung war. Das Kindeswohl spielte im Rahmen der ordre public-Kontrolle eine zentrale Rolle.290 Durch die Schaffung der Unwirksamkeitsregelung im Zuge des KEhenBekG hat der Gesetzgeber einen eventuell bestehenden Kindeswillen für unbeachtlich erklärt, wodurch er de facto die Willensfähigkeit von minderjährigen Ehegatten inzident in Abrede stellt. Eine solche Handhabung widerspricht indessen diametral der Erforderlichkeit der Einbeziehung der subjektiven Einstellung von Minderjährigen bei der Bestimmung des Kindeswohls, die insbesondere bei Sorgerechtsstreitigkeiten zu Tage tritt.291 Danach ist der Kindeswille selbst dann beachtlich, wenn der Minderjährige sogar noch nicht über die notwendige Reife verfügt, um in intellektueller Hinsicht Probleme zu begreifen oder eine rationale Abwägung vorzunehmen.292 Keine Berücksichtigung findet der Wille nur dann, wenn der Minderjährige in seiner Willensformung erkennbar manipuliert wurde.293 Inwieweit der geäußerte Kindeswille im Beurteilungszeitpunkt auf einer

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S. hierzu ausführlich oben Kap. 2 B. IV. Ausdrücklich Balloff, Kinder vor dem Familiengericht, 77; s. a. Menne, FamRZ 2016, 1223, 1230. 290 Heiderhoff, in: FS Geimer, 231, 234. Des Weiteren wird die Berücksichtigung des Kindeswohls im Rahmen der ordre public-Prüfung in Art. 22 HKsÜ ausdrücklich gefordert. 291 BVerfG 5.11.1980, Az. 1 BvR 349/80, NJW 1981, 217 f.; OLG Frankfurt am Main 13.11.2008, Az. 1 UF 72/08, FamRZ 2009, 990 f.; vgl. a. Dieckmann, AcP 178 (1978), 298, 313 ff.; Becker, in: FS Bosch, 37, 53 ff. Der Wille des Kindes ist auch in anderen wesentlichen Bereichen relevant, z. B. bei der vorläufigen Inobhutnahme, s. Herker, VR 2017, 301, 303; Lohse/Meysen, JAmt 2017, 345, 348. 292 S. Wapler, Kinderrechte und Kindeswohl, 533. Bei Sorgerechtsstreitigkeiten wurde sogar der Wille eines dreijährigen Kindes für beachtlich erklärt, s. BVerfG 23.3.2007, Az. 1 BvR 156/07, NJOZ 2007, 2411, 2415. Hier muss man jedoch den erklärten Willen aufgrund der entwicklungspsychologisch nicht gegebenen Möglichkeit einer selbstbestimmten Entscheidung als Ausdruck der inneren Bindung verstehen. 293 S. OLG Frankfurt am Main 13.11.2008, Az. 1 UF 72/08, FamRZ 2009, 990, 991; Coester, Das Kindeswohl als Rechtsbegriff – Die richterliche Entscheidung über die elterliche Sorge beim Zerfall der Familiengemeinschaft, 264 ff.; Balloff, Kinder vor dem Familiengericht, 253 ff.; Wapler, Kinderrechte und Kindeswohl, 533. 289

B. Verfassungsrechtliche Bewertung

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freien Willensentscheidung beruht, kann jedoch nur im Rahmen einer Einzelfallprüfung analysiert werden.294 Die herausgestellten subjektiven Kriterien zeigen, dass es nicht dem Kindeswohl entsprechen kann, für die im Alter von unter 16 Jahren geschlossenen Minderjährigenehen generalisierende Unwirksamkeitsregelungen zur Effektuierung des staatlichen Wächteramts aufzustellen. Zentrale Richtschnur für die Eruierung des Kindeswohls muss vielmehr die Ermittlung und Berücksichtung der konkreten persönlichen Belange des Kindes anhand der oben bezeichneten Indikatoren sein.295 Im Rahmen der Untersuchung dessen, was dem Wohl des minderjährigen Ehegatten am ehesten entspricht, ist der Minderjährige als Individuum in den Mittelpunkt der Entscheidung zu stellen und zu überprüfen, inwiefern sich die Aufrechterhaltung der ehelichen Beziehung auf seine persönliche Entwicklung auswirken wird. Hierbei ist der Wille des Minderjährigen unter angemessener Berücksichtigung seines Alters und seiner Verstandesreife zu beachten.296 Gegen diese Maxime der Einzelfallbezogenheit unter besonderer Anerkennung der persönlichen Befindlichkeiten und Bezugsverhältnisse der Minderjährigen spricht auch nicht die Feststellung des BVerfG, wonach dem Willen des Kindes nur dann Beachtung zuteil werden soll „soweit das mit seinem Wohl vereinbar ist“.297 Schließlich enthält die auf den ersten Blick restriktive Formel das Zugeständnis, dass zwischen den subjektiven und objektiven Kindeswohlelementen ein denknotwendiger Zusammenhang besteht: So gründet die Erforschung des Kindeswohls letztlich auf einer umfassenden Bewertung der tatsächlichen Lebensbedingungen der Minderjährigen im Einzelfall, dennoch wird auf ihre Beteiligung bei der Kindeswohlermittlung Wert gelegt.298 Dabei darf die Umsetzung des geäußerten Kindeswillens dem Kind nicht schaden, es muss vielmehr ein „Einklang“ 299 zwischen objektivem Kindeswohl und subjektiv geäußertem Kindeswillen bestehen.300

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S. hierzu Balloff, Kinder vor dem Familiengericht, 253 ff. Vgl. für das Sorgerecht: ders., Kinder vor dem Familiengericht, 75 f. 296 So für das österreichische Recht Melcher, EF-Z 2018, 103, 105. Ebenso dem Willen der Betroffenen zur Zeit der (fehlerhaften) Eheschließung wie auch im Beurteilungszeitpunkt Bedeutung beimessend: Coester-Waltjen, FamRZ 2012, 1185, 1187. Vgl. a. Coester, Das Kindeswohl als Rechtsbegriff – Die richterliche Entscheidung über die elterliche Sorge beim Zerfall der Familiengemeinschaft, 262 ff.; Dettenborn, Kindeswohl und Kindeswille – Psychologische und rechtliche Aspekte, 71 ff.; Oldenburger, Kindeswohl im Recht – Begründung, Ausgestaltung und Verlust der elterlichen Sorge, 105. 297 BVerfG 5.9.2007, Az. 1 BvR 1426/07, FamRZ 2007, 1797, 1798. 298 S. Wapler, Kinderrechte und Kindeswohl, 161. 299 BVerfG 8.3.2005, Az. 1 BvR 1986/04 2005, 801, 802. 300 S. a. Dettenborn, Kindeswohl und Kindeswille – Psychologische und rechtliche Aspekte, 82 f. 295

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Kap. 4: Das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen auf dem Prüfstand

Die Forderung, das Gesamtbild eines jeden Ausgangsfalls einzeln zu betrachten, lässt sich nicht unter pauschaler Berufung auf die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers entkräften. Zwar kommt dem Gesetzgeber im Rahmen des Art. 6 Abs. 1 GG bei der Ausformung der Ehemündigkeitsregelungen auf nationaler Ebene ein erheblicher Gestaltungsspielraum zu.301 Dennoch hat die gesetzgebende Gewalt der Unterschiedlichkeit zwischen den nach deutschem Recht zu schließenden Ehen, die seit der Gesetzesnovelle rechtmäßigerweise erst mit Vollendung des 18. Lebensjahres begründet werden können, und den nach ausländischem Recht bereits wirksam zustande gekommenen Ehen, die sich bereits im Zusammenleben der Ehegatten als sozialer Tatsache verwirklicht haben, Rechnung zu tragen. So muss die vom Gesetzgeber geschaffene spezielle ordre public-Ausformung des Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB, die sich auf die nach fremdem Recht wirksam begründeten Statusverhältnisse bezieht, dem Eheschutz des Art. 6 GG in verfassungsrechtlich zufriedenstellender Weise Geltung verschaffen. Grundrechtlich bedeutsam ist dabei zwar die gesetzgeberische Aufgabe, dem staatlichen Wächteramt nachzukommen und den Schutz des Kindes vor Kindeswohlgefährdungen auf der einfachgesetzlichen Ebene zu gewährleisten. Im Zuge dessen hat sich der Gesetzgeber aber wiederum an die verfassungsrechtlichen Vorgaben in Gestalt der freien Entfaltung der Persönlichkeit und der Würde des Kindes sowie seiner körperlichen wie geistigen Integrität gem. Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG zu halten (Art. 1 Abs. 3 GG).302 Gemeinhin setzt die staatliche Wächterverantwortung nach Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG nur dann ein, wenn der Minderjährige in seinen Rechten verletzt zu werden droht und somit eine nachhaltige Gefährdung des Kindeswohls zu besorgen ist.303 Nach der Definition des BVerfG unterliegt die Kindeswohlgefährdung aber sehr strengen Anforderungen. Notwendige Voraussetzung ist ein bereits eingetretener Schaden oder die akute Gefahr einer erheblichen Schädigung.304 Insbesondere ist das Kindeswohl nicht schon dann gefährdet, wenn die Lebensverhältnisse des Minderjährigen lediglich ein Gefährdungspotential in sich bergen.305 Insofern lässt sich die Berufung auf eine bei Minderjährigenehen im Allgemeinen vorherrschende Kindeswohlwidrigkeit auch nicht mit der Begründung rechtfertigen, der Gesetzgeber

301 Den Gesichtspunkt der gesetzgeberischen Ausgestaltungsfreiheit hebt insb. Hettich, FamRZ 2019, 188 hervor. 302 S. Coester, NZFam 2016, 577 f.; Wapler, Kinderrechte und Kindeswohl, 133. 303 Vgl. Oldenburger, Kindeswohl im Recht – Begründung, Ausgestaltung und Verlust der elterlichen Sorge, 144; Jeand’Heur, Verfassungsrechtliche Schutzgebote zum Wohl des Kindes und staatliche Interventionspflichten aus der Garantienorm des Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG, 103. 304 BVerfG 17.6.2009, Az. 1 BvR 467/09, BeckRS 2009, 35227; s. a. Britz, NZFam 2016, 113, 116 f. 305 So der Leitgedanke hinter neueren Gerichtsentscheidungen bei der Ermittlung von Kindeswohlgefährdungen, s. Wapler, Kinderrechte und Kindeswohl, 136 f. mit entsprechenden Nachweisen.

B. Verfassungsrechtliche Bewertung

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habe mit Schaffung der Unwirksamkeitsregelung eben eine lediglich auf die objektiven Elemente des Kindeswohls beschränkte, dogmatische Beurteilung in wertender Weise vorgenommen. Die These von angeblich für das Verbot von Minderjährigenehen sprechenden objektiven Entscheidungskriterien lässt außer Acht, dass das Kindeswohl auch in objektiver Hinsicht nicht als abstrakte „Passepartoutformel“ 306 für sämtliche Eingriffe in das Ehegrundrecht herhalten kann. Es müssen die realen Lebensbedingungen innerhalb der jeweiligen Ehe und die große Bandbreite an unterschiedlichen Lebenssituationen Beachtung finden, die in Entsprechung zu den Vorgaben des BVerfG das Kind in seiner Individualität als „ein Wesen mit eigener Menschenwürde und dem eigenen Recht auf Entfaltung seiner Persönlichkeit“ 307 beeinflussen. Eine objektive Betrachtung der konkreten Lebensrealität mündet im Falle des schlichten Bestehens einer Minderjährigenehe per se aber nicht notwendigerweise in der Annahme einer negativen Beeinträchtigung oder gar Gefährdung des Kindeswohls.308 Zwar muss sich im Kindeswohlbegriff „ein gewisses gesellschaftliches Werteund Moralverständnis entsprechend den inländischen Rechts- und Gerechtigkeitsmaßstäben“ 309 widerspiegeln, und an der Verhinderung von „scheidungsanfälligen Frühehen“ besteht seit langem in rechts- und sozialpolitischer Hinsicht ein großes Interesse.310 Allerdings wird auch nach den hiesigen Gerechtigkeitsmaßstäben die schlichte Unwirksamkeitserklärung von im Ausland geschlossenen höchstpersönlichen Statusverhältnissen, die einige Zeit im Vertrauen gelebt wurden, als anstößig empfunden. Die im Vorfeld der gesetzgeberischen Maßnahme teils getätigten vereinfachenden Aussagen311 und emotionalen Bilder312 können nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass die rechtliche Stellung als Ehegatte für den Minderjährigen keineswegs immer von Nachteil sein muss: So wird die sich aus den Landesschulgesetzen ergebende und in weiteren Teilen Deutschlands bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres bestehende Schulpflicht durch den 306 Auf diese Gefahr hat Jestaedt, Staatlicher Kindesschutz unter dem Grundgesetz – Aktuelle Kindesschutzmaßnahmen auf dem Prüfstand der Verfassung, in: Kindesschutz bei Kindeswohlgefährdung – neue Mittel und Wege?, 2008, 5, 11 hingewiesen. 307 BVerfG 29.7.1968, Az. 1 BvL 20/63, 31/66 und 5/67, NJW 1968, 2233, 2235; s. a. Jeand’Heur, Verfassungsrechtliche Schutzgebote zum Wohl des Kindes und staatliche Interventionspflichten aus der Garantienorm des Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG, 34. 308 Dies stellte das Deutsche Institut für Jugendhilfe und Familienrecht bereits 2016 dar: Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht, JAmt 2016, 127, 129: „Die Nichtanerkennung seiner/ihrer Eheschließung ist aus der Perspektive des Instituts nicht per se eine Maßnahme zum Schutz des Wohls des/der betroffenen Minderjährigen.“ 309 So Menne, FamRZ 2016, 1223, 1227 m.w. N. 310 S. bereits Bienwald, NJW 1975, 957, 959 m. Fn. 17; Coester, StAZ 1988, 122, 123; vgl. a. HK-BGB/Kemper, 8. Aufl., 2014, § 1303 BGB Rn. 2, wonach früher eingegangene Ehen schlicht „unerwünscht“ sind; relativierend Neuhaus, Ehe und Kindschaft in rechtsvergleichender Sicht, 22 f. 311 S. hierzu die entsprechenden Nachweise einführend in Fn. 5. 312 Alarmierend auch Horndasch, FuR 2017, 113.

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Kap. 4: Das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen auf dem Prüfstand

Ehegattenstatus nicht beeinflusst.313 Der Minderjährige kann aus der ehelichen Verbindung nicht nur wirtschaftliche Vorteile herleiten, sondern profitiert jedenfalls bei einer auf wechselseitiger Zuneigung gegründeten Ehegemeinschaft von der Unterstützung und dem Beistand seines Ehepartners.314 Regelmäßig wird in den vom Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG umfassten Ehekonstellationen ein starkes Interesse der minderjährigen Ehegatten an der Erhaltung ihrer Ehe zu konstatieren sein.315 Außerdem weisen, wie bereits oben angedeutet, Kinderehen eine Vielfalt an denkbaren Variationen mit entscheidungsrelevanten Faktoren auf. Von Verfassungs wegen geboten ist also eine kindbezogene Abwägung der konkreten Verhältnisse im einzelnen Fall.316 So sind neben dem aktuellen Alter des minderjährigen Ehegatten die konkreten Umstände seiner Eheschließung, die Ehedauer, das Vorhandensein gemeinsamer Kinder, die physische und psychische Konstitution der Ehegatten und ihr Vertrauen in den Bestand der Ehe miteinzubeziehen. Sind aus der Ehe Kinder hervorgegangen, muss zudem deren Kindeswohl mitberücksichtigt werden, sodass eine zweifache Kindeswohlgefährdungsprüfung erforderlich wird.317 Es lässt sich mithin nicht der Erkenntnis ausweichen, dass sich Kindeswohlbetrachtungen in objektiver und subjektiver Hinsicht anhand schematischer Maßstäbe verbieten. Der Eheschutz eines minderjährigen Ehegatten endet also erst dort, wo tatsächlich eine Kindeswohlbeeinträchtigung zu befürchten ist. Sollte sich die jeweilige Ehe also tatsächlich kindeswohlgefährdend auswirken, so hat der Staat kraft seines Wächteramts ohnehin die räumliche Trennung der Ehegatten einzuleiten – und zwar unabhängig von der Wirksamkeit der Ehe. Sollten nämlich Anzeichen für eine Kindeswohlgefährdung bestehen, so wird der minderjährige Ehegatte unverzüglich in Obhut genommen, bzw. werden Gespräche über die bestehenden Optionen hinsichtlich der Art und Weise der Durchführung der Inobhutnahme geführt. Darüber hinaus wird das Familiengericht über die Notwendigkeit eines Vormunds informiert (§ 42 Abs. 3 SGB VIII).318 313 S. Coester-Waltjen, IPRax 2017, 429, 430; Deutsches Institut für Menschenrechte, Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen, 22.2. 2017, 8. 314 Die Ehe als Rückzugsort und Geborgenheitsquelle bezeichnend Coester-Waltjen, IPRax 2017, 429, 435; vgl. a. Schulte-Rudzio, Minderjährigenehen in Deutschland, 329. 315 Vgl. insb. Coester-Waltjen, FamRZ 2012, 1185, 1187; vgl. a. Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Gesamtauswertung zur Evaluierung des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen, 14.8.2020, 35: in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle wollten die verheirateten minderjährigen Ehegatten weiterhin mit ihrem Ehegatten zusammenleben. 316 Vgl. Coester, NZFam 2016, 577, 579; Frank, StAZ 2019, 129, 130; bezogen auf § 1671 BGB: Johannsen/Henrich/Althammer/Jaeger, 7. Aufl., 2020, § 1671 BGB Rn. 84. 317 S. Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Gesamtauswertung zur Evaluierung des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen, 14.8.2020, 34. 318 Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht, Stellungnahme vom 31. Januar 2020 in der Verfassungsrechtssache 1 BvL 7/18, 31.1.2020, 2.

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In Anbetracht dieser aus dem Kindeswohlprinzip resultierenden Vorgaben verwundert ebenso die mit der grundsätzlichen Nichtanerkennung der Ehe einhergehende, fehlende Folgenregulierung in verfahrensrechtlicher Hinsicht. So muss das vom Gesetzgeber gewählte Verfahren grundsätzlich geeignet sein, „um eine möglichst zuverlässige Grundlage für eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung zu erlangen“.319 Dieser Anforderung kann die Nichtigkeitslösung aber in keiner Weise gerecht werden, wird ein Verfahren hier doch gerade nicht eingeleitet, da die Eheunwirksamkeit die Betroffenen einer Minderjährigenehe ohne Einbeziehung des Jugendamts oder gerichtliche Überprüfung des Einzelfalls ipso iure ereilt.320 Mithin erlaubt das undifferenzierte Unwirksamkeitsverdikt weder eine umfassende Ermittlung und Bewertung der tatsächlichen Fallumstände und konkreten Verhältnisse noch eine interessengerechte Ausbalancierung der involvierten Interessen der Beteiligten.321 Folge des gesetzgeberischen Tätigwerdens ist im Grunde genommen der vollständige und ersatzlose Wegfall der Kindeswohlprüfung. Stattdessen sind die persönlichen Lebensverhältnisse des Minderjährigen mit Ankunft in Deutschland bis zur Feststellung der Nichtigkeit seiner Ehe von Unsicherheit und Instabilität geprägt.322 Die Einordnung der Minderjährigenehe als rechtlich niemals existent kommt mithin nicht nur auf materiellrechtlicher Ebene, sondern auch verfahrensrechtlich einer Verobjektivierung der Minderjährigen gleich und führt durch den Rechtsverlust zur Verschlimmerung, wenn nicht überhaupt erst zur Erzeugung der Kindeswohlunverträglichkeit und nicht – wie vom Gesetzgeber beabsichtigt – zur Behebung dieses Defekts.323 Zweifel an der Vereinbarkeit mit dem Kindeswohl werden auch durch die Vorgaben der UN-KRK genährt, wonach die Ermittlung des Kindeswohls auf individueller Basis unter Beachtung der Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalls zu erfolgen hat. Die Stellung des Minderjährigen als Träger eigener Rechte bildet

319 Für das Sorgerecht: BVerfG 23.8.2006, Az. 1 BvR 476/04, NJOZ 2006, 3851, 3855; s. a. BVerfG 29.10.1998, Az. 2 BvR 1206-98, NJW 1999, 631, 632; BVerfG 5.9.2007, Az. 1 BvR 1426/07, FamRZ 2007, 1797, 1798; BVerfG 31.3.2010, Az. 1 BvR 2910/09, FamRZ 2010, 865, 866. 320 S. a. Plich, RPsych 2017, 299, 303 f.; krit. ebenso Klimke, ZAR 2021, 278, 280. 321 Zu der Komplexität der Kindeswohlprüfung innerhalb des Verfahrens auch Oldenburger, Kindeswohl im Recht – Begründung, Ausgestaltung und Verlust der elterlichen Sorge, 12 f. 322 Vgl. zu den negativen Folgen der Unsicherheit: Prof. T. Pfeiffer, Deutscher Bundestag – Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz, Protokoll 18/148, 26. 323 Einen Kindeswohlverstoß ebenso bejahend Heiderhoff, Flüchtlinge und IPR – eine Einführung, in: Migration und IPR, 2019, 9, 22; Plich, RPsych 2017, 299, 303 f.; Coester, FamRZ 2017, 77, 79; vgl. a. Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Gesamtauswertung zur Evaluierung des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen, 14.8.2020, 38; die Vorenthaltung der häuslichen Gemeinschaft der Ehegatten als Kindeswohlgefährdung nach § 1666 BGB bezeichnend BGH 14.11.2018, Az. XII ZB 292/16, FamRZ 2019, 181, 184.

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bereits den Ausgangspunkt der UN-KRK.324 Gem. Art. 3 Abs. 1 UN-KRK ist das Kindeswohl bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, als vorrangiger325 Gesichtspunkt zu berücksichtigen. In diesem Sinne müssen stets die Situation des Kindes, sein persönlicher Hintergrund und seine Bedürfnisse in der Prüfung verwertet werden. Das Kindeswohlkonzept ist dabei flexibel und anpassungsfähig ausgestaltet.326 Diese Interpretationsweise der Vorschrift korreliert mit Art. 12 Abs. 1 UN-KRK, der den Kindern, die zu eigener Meinungsbildung fähig sind, das Recht zur freien Meinungsäußerung in allen das Kind berührenden Angelegenheiten garantiert. Die Vertragsstaaten sind ferner dazu angehalten, die Meinung des Kindes entsprechend seinem Alter und Reifegrad zu berücksichtigen. Art. 12 Abs. 2 UN-KRK bekräftigt dieses Recht ausdrücklich für die Situation, dass ein Kind an ihn betreffenden Gerichts- oder Verwaltungsverfahren beteiligt ist.327 Im Zusammenhang mit dem Thema der Minderjährigenehen ist der Gesetzgeber mit Schaffung der pauschalen und automatisch eintretenden Nichtigkeitsregelung diesen Anforderungen nicht nachgekommen. So verlangt eine adäquate Einbeziehung der Kindesinteressen Spielraum für Einzelfallabwägungen unter Berücksichtigung der individuellen Belange des minderjährigen Ehegatten, zudem muss den Betroffenen einer umstrittenen Minderjährigenehe die Möglichkeit eingeräumt werden, ihren Willen am Erhalt der Ehe zum Ausdruck zu bringen. Durch den Wegfall des Gerichtsverfahrens wird diesem Erfordernis aber gerade nicht Rechnung getragen, da Abwägungsprozesse über einen möglichen Fortbestand der Ehe, in die das Kindeswohl miteinfließen könnte, gar nicht erst stattfinden. Auch die persönliche Anhörung des Minderjährigen nach § 159 FamFG als einfachgesetzliche Ausprägung des Erfordernisses aus Art. 12 UNKRK kann mangels Verfahrens nicht realisiert werden. Insofern ist die Umwandlung der im Alter von unter 16 Jahren geschlossenen Minderjährigenehen in Nichtehen mit den Zielvorgaben aus der UN-KRK unvereinbar.328 324 325

Maywald, in: FS Salgo, 23, 25. Krit. zur dt. Übers. des Wortes „primary“: Wapler, Kinderrechte und Kindeswohl,

245 f. 326 United Nations, Convention on the Rights of the Child, General comment No. 14 (2013) on the right of the child to have his or her best interests taken as a primary consideration (art. 3, para. 1), 29.5.2013, 9 par. 32. 327 Die Beteiligungsrechte des Minderjährigen bilden im Englischen eines der drei „P“ („Protection, Provision, Participation“), s. Maywald, in: FS Salgo, 23, 27. 328 So statt vieler Plich, RPsych 2017, 299, 303 f.; Hüßtege, FamRZ 2017, 1374, 1377; Coester, FamRZ 2017, 77, 79; Coester-Waltjen, IPRax 2017, 429, 431; a. A. Majer, NZFam 2019, 659, 661, der wegen der Berücksichtigung des Kindeswohls im Rahmen der vom Vormund zu treffenden Entscheidung, ob der minderjährige Ehegatte mit seinem Partner zusammenleben soll, einen Verstoß gegen die UN-KRK ausschließt. Die Thematik des Zusammenlebens der Partner ist jedoch von der Frage getrennt, ob diese als verheiratet angesehen werden und die Ehe führen dürfen. Eine Berufung auf die UN-KRK lehnt auch Andrae, Internationales Familienrecht, § 1 Rn. 132 mit der Begründung ab, Deutschland sei als Teilnehmerstaat der Ehewille-UNÜ nach der Präambel unter Bezug auf Art. 16 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verpflichtet,

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Summa summarum ist festzustellen, dass bereits geschlossene Minderjährigenehen an sich nicht ausnahmslos als ernste Gefahr für das Kindeswohl angesehen werden können. Folglich ist es dem Staat verfassungsrechtlich auch nicht gestattet, unter Berufung auf sein Wächteramt einen derart weitreichenden Eingriff in das Ehegrundrecht der Partner vorzunehmen. Schließlich wird das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel eines robusten Schutzes von minderjährigen Ehegatten gerade nicht durch die Auflösung ihrer Ehen unter Nichtbeachtung ihrer Belange erzielt.329 Entgegen der Annahme des Gesetzgebers eignet sich der Minderjährigenschutz also nicht als generalrepressiver Vorwand und vermag die grundsätzliche Unwirksamkeitserklärung sämtlicher im Ausland rechtmäßig begründeter Minderjährigenehen nicht zu rechtfertigen. Vielmehr stellt das Kindeswohlprinzip im System des Grundgesetzes einen Maßstab dar, der eine sorgfältige Würdigung und situative Bewertung der jeweiligen Gesamtumstände im einzelnen Fall erfordert. (d) Unzulässige Vermutungsregel Die Nichtigkeitsregelung versagt weiterhin unterschiedslos allen unter der Altersgrenze von 16 Jahren geschlossenen Ehen die Wirksamkeit und trifft damit neben den im Kindesalter geschlossenen Zwangsehen alle legitimen Ehen, die entweder aus reifer Überzeugung in jungem Alter geschlossen wurden oder aber im Laufe der Zeit auf eigenverantwortliche Weise vom beiderseitigen Konsens der Eheleute getragen werden. Durch die Reform ersetzte der Gesetzgeber die konkrete Kindeswohlprüfung anhand des ordre public durch die pauschale Annahme, dass alle im vorgenannten Altersspektrum begründeten Ehen durchweg dem Kindeswohl zuwiderlaufen. Dabei wird die in Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB aufgestellte Vermutungsregel dem grundrechtlich garantierten Schutz von Ehe und Familie aber nicht gerecht: Aufschluss über die engen Grenzen staatlichen Einschreitens bei grenzüberschreitenden Sachverhalten im Rahmen des Art. 6 Abs. 1 GG gibt die Spanierentscheidung330, wonach der Staat den Verlobten seinen Schutz nicht „aufzwingen darf“; dies sei weder mit dem Grundrecht der Ehe„die völlige Freiheit bei der Wahl des Ehegatten zu gewährleisten“ und „die Kinderehe und die Verlobung junger Mädchen vor dem heiratsfähigen Alter völlig zu beseitigen“. Nach Art. 2 Ehewille-UNÜ i.V. m. der Empfehlung der UN-Generalversammlung sollte das Heiratsmindestalter zudem keinesfalls vor der Vollendung des 15. Lebensjahres liegen. Diese Bedenken lassen sich aber mit dem Hinweis zurückweisen, dass es hier gerade nicht um die Verhinderung von Kinderehen oder Verlobungen von Menschen vor dem Ehefähigkeitsalter geht, sondern um bereits bestehende, im Ausland zustande gekommene, eventuell schützenswerte Eheverhältnisse. Es ist vielmehr anzunehmen, dass die UN-KRK tatsächlich eine Betrachtung der jeweiligen Ehe im Einzelfall einfordert, zumal selbst im Falle einer bevorstehenden Eheschließung Minderjähriger „die zuständige Behörde aus schwerwiegenden Gründen im Interesse der künftigen Ehegatten Befreiung“ vom Mindestheiratsalter erteilen kann. 329 So i. E. auch Grüneberg/Thorn, 81. Aufl., 2022, Art. 13 EGBGB Rn. 20. 330 BVerfG 4.5.1971, Az. 1 BvR 636/68, NJW 1971, 1509 ff.

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schließungsfreiheit noch mit der Selbstverantwortlichkeit der Ehegatten vereinbar, die das Wesen der Ehe im Sinne des Art. 6 Abs. 1 GG kennzeichne. Der Staat sei zudem „weder berechtigt noch verpflichtet, fürsorglich Ehen zu verhindern, deren Bestand etwa wegen extremer Altersunterschiede oder charakterlicher Mängel von vornherein fraglich erscheint oder bei denen mit großer Wahrscheinlichkeit schwere Nachteile für die Frau zu besorgen sind [. . .]“.331 Diese Erwägungen verdeutlichen, dass der dem Staat obliegende Schutz auf dem Gebiet des Eheschließungsrechts nicht ohne gewichtige Gründe über das Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen gestellt werden darf. Im Wege eines Erst-Recht-Schlusses lässt sich daraus ableiten, dass die Forderung nach staatlicher Zurückhaltung umso mehr bei solchen Ehen Geltung beanspruchen muss, die bereits wirksam zustande gekommen sind und verfassungsrechtlich nicht (mehr) beanstandungswürdig, sondern vielmehr vom Abwehrrecht des Art. 6 Abs. 1 GG umfasst sind. Die Unwirksamkeit dieser schützenswerten Ehen lässt sich hier gerade nicht auf den staatlichen Schutzauftrag vor unangemessener Fremdbestimmung stützen. (e) Übergriffigkeit der Regelung Unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit tritt erschwerend hinzu, dass das Unwirksamkeitsmodell der Altersentwicklung des Minderjährigen in keiner Weise Rechnung trägt. Mit steigendem Alter der Betroffenen und zunehmender Ehedauer verfestigt sich das Vertrauen auf den Bestand der Ehe und die damit einhergehenden rechtlichen und tatsächlichen Konsequenzen, sodass sich mit Zeitablauf auch die Belastungsintensität des Grundrechtseingriffs erhöht. Außerdem findet es keinerlei Beachtung, dass die minderjährigen Ehegatten die Schwelle des 16. Lebensjahres überschreiten und damit in das Stadium des unmittelbaren Bevorstehens des Erwachsenseins (sog. Adoleszenz) eintreten. Gerade in diesem Zeitraum muss aufgrund der ausgeprägten geistigen Konstitution der Minderjährigen aber eine Berücksichtigung ihrer Lebensumstände im Einzelfall gewährleistet werden.332 Des Weiteren sind Normadressaten der Regelung neben den volljährigen Ehepartnern auch diejenigen minderjährigen Ehegatten, die in der Zwischenzeit nach Inkrafttreten des Gesetzes333 zu vollkommen entscheidungsbefugten, nach deutschem Sachrecht ehemündigen Erwachsenen herangewachsen sind, für deren Ehen das staatliche Wächteramt des Art. 6 Abs. 1 GG nicht mehr als Eingriffslegitimation herangezogen werden kann. Da den Ehe331

S. ibid., 1513. Vgl. a. Coester, Das Kindeswohl als Rechtsbegriff – Die richterliche Entscheidung über die elterliche Sorge beim Zerfall der Familiengemeinschaft, 268, demzufolge ein „starres Unmündigkeitskonzept bis zum Tag der Volljährigkeit“ nicht angemessen ist. S. zu diesem Lebensabschnitt auch Wapler, Kinderrechte und Kindeswohl, 402 f. 333 Sollte der minderjährige Ehegatte das 18. Lebensjahr bei Erlass des Gesetzes vollendet haben, greift Art. 229 § 44 Abs. 4 Nr. 1 EGBGB. 332

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gatten keine Heilungsoption zur Verfügung gestellt wird, ragt die Umwandlung der nach ausländischem Recht wirksam zustande gekommenen Ehen in Nichtehen auch unvermeidlich in das Volljährigkeitsalter hinein: Trotz Mündigkeit kann ein mittlerweile volljähriger Ehegatte nicht über den Fortbestand seiner Ehe und die daraus resultierenden Folgen entscheiden.334 Auf diese Weise geht der vermeintliche Schutz der Unwirksamkeitsklausel über das Maß des Erforderlichen und Zumutbaren hinaus und wandelt sich zu einem aufgezwungenen „Protektionsdiktat“ ohne Raum für autonome Entscheidungsbildung.335 (f) Unzureichende Übergangsregel Aufgrund des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ist der Gesetzgeber gehalten, angemessene Übergangsregelungen zu schaffen.336 Hier ist zu beanstanden, dass die in Art. 229 § 44 Abs. 4 EGBGB statuierte Ausnahmeklausel die oben festgestellten grundrechtlichen Bedenken nicht auffangen kann.337 Die Unwirksamkeitsfolge lässt sich danach nur dann abwenden, wenn der minderjährige Ehegatte vor dem 22. Juni 1999 geboren worden ist oder wenn die nach ausländischem Recht wirksame Ehe bis zur Volljährigkeit des minderjährigen Ehegatten geführt worden ist und kein Ehegatte bis dahin seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland begründet hatte. Aufgrund des eng und konkret gehaltenen Wortlauts ist das Abstraktionsmaß der Vorschrift überschaubar. Eine Einbeziehung der genannten relevanten Faktoren (beidseitiges Vertrauen der Ehegatten in den Bestand ihrer Ehe, erkennbarer Fortsetzungswille im Beurteilungszeitpunkt338 physische und psychische Konstitution der betroffenen Ehegatten, Autonomie des minderjährigen Ehegatten zur Zeit der Eheschließung, Vorhandensein von aus der Ehe hervorgegangenen Kindern und Dauer des Ehebestands339) kann über Art. 229 § 44 Abs. 4 EGBGB jedenfalls nicht erfolgen. Auch dem früher im Rahmen der ordre public-Kontrolle relevanten Alter der Ehegatten im Beurteilungszeitpunkt wird innerhalb der Überleitungsvorschriften keine Bedeutung beigemessen.340 Insofern ist die Norm aufgrund ihrer Inflexibilität nicht geeig334 Sollte ein Verlust wesentlicher Ansprüche zu beklagen sein, wie es vorliegend in Bezug auf die ehebezogenen Ansprüche der Fall ist, kann von einer Beeinträchtigung der durch die Verfassung gewährleisteten Persönlichkeitsentwicklung des minderjährigen Ehegatten ausgegangen werden, vgl. Hertwig, FamRZ 1987, 124, 126. 335 Zum Gesamten s. Rixen, JZ 2019, 628, 631. 336 Vgl. BeckOGK/Rentsch, 1.5.2022, Art. 13 EGBGB Rn. 7. 337 S. a. Kohler, Rev. crit. DIP 2018, 51, 57: „les quelques exceptions prévues par les dispositions transitoires ne pouvant pallier cet inconvénient“. 338 Die fehlende Bestätigungsoption nach langjährigem Zusammenleben als „restlos missglückt“ bezeichnend Rohe, StAZ 2018, 72, 78. 339 S. dazu nochmal AG Hannover 7.1.2002, Az. 616 F 7355/00, FamRZ 2002, 1116 ff. 340 Insofern wird der „Istzustand der Kinderehe“ außer Acht gelassen, s. BeckOGK/ Rentsch, 1.5.2022, Art. 13 EGBGB Rn. 53.

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net, alle schützenswerten Ehen vor dem Unwirksamkeitsverdikt zu bewahren.341 Auch die Rechtsfolgen der Heilung nach Art. 229 § 44 Abs. 4 EGBGB können dem Bestandsschutz der Ehen kaum Rechnung tragen: Sollte eine Ehe den Anforderungen der Vorschrift genügen, so erlangt sie nicht etwa volle Gültigkeit, sondern mutiert – wie oben gezeigt wurde – in analoger Anwendung des Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB zu einer aufhebbaren Ehe.342 Von einer Heilung im eigentlichen Sinne kann daher keine Rede sein. Immerhin kann der minderjährige Ehegatte die Ehe nach § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. a BGB bestätigen und damit vor der Aufhebung retten.343 Nach alldem entspricht die Norm nicht dem grundlegenden Gehalt der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des Art. 6 Abs. 1 GG.344 Die Unzulänglichkeit der Übergangsregel bestätigt den Eindruck, dass die Unwirksamkeitsfolge dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz widerspricht. cc) Zwischenergebnis Am verfassungsrechtlichen Maßstab des in Art. 6 Abs. 1 GG verankerten Eheund Familienschutzes gemessen ist die in Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB und § 1303 S. 2 BGB enthaltene Nichtigkeitsanordnung als verfassungswidrig zu qualifizieren. Dabei gewährleistet auch die in Art. 229 § 44 Abs. 4 EGBGB statuierte Überleitungsvorschrift nicht ausreichend Flexibilität, um den verfassungsrechtlichen Anforderungen im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 GG Genüge zu tun. b) Elternrecht, Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG Die automatische Eheunwirksamkeit entfaltet weittragende Wirkungen in Bezug auf das Abstammungs- und Sorgerecht. So führen bei solchen Ehen, bei denen mindestens ein Beteiligter im Eheschließungszeitpunkt das 16. Lebensjahr nicht vollendet hat, alle Anknüpfungsalternativen des Art. 19 Abs. 1 EGBGB – sofern auch das nach Art. 19 Abs. 1 S. 2 EGBGB berufene fremde Recht unter Beachtung von Rück- bzw. Weiterverweisungen für die Abstammung auf den Bestand der Ehe abstellt – zu Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB, sodass mit der rückwirkend entfallenden Ehe auch einer zuvor durch Ehe erworbenen rechtlichen Vaterschaft die Legitimationsgrundlage entzogen wird.345 Bei aller verbleibenden Be341 S. Antomo, ZRP 2017, 79, 81; vgl. Frank, StAZ 2018, 1, 2. Dabei besteht ein „Regelungsauftrag“ dahingehend, dass der Staat entsprechende Heilungsoptionen für hinkende Rechtsverhältnisse zur Verfügung stellt, s. BeckOGK/Rentsch, 1.5.2022, Art. 13 EGBGB Rn. 7. 342 Hierzu ausführlich Kap. 3 D. II. 5. b) cc). 343 So zurecht Hepting/Dutta, Familie und Personenstand: ein Handbuch zum deutschen und internationalen Privatrecht, Rn. III-281. 344 S. a. Gausing/Wittebol, DÖV 2018, 41, 49. 345 S. Antomo, ZRP 2017, 79, 81; Hüßtege, FamRZ 2017, 1374, 1378; Kemper, FamRB 2017, 438, 442. Eine unselbständige Anknüpfung, aus der eventuell eine Ab-

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deutung der sozialen Vaterstellung346, die der Ehemann der Mutter womöglich für das Kind nach wie vor innehat, stellt die Durchtrennung der zwischen Vater und Kind bis dato bestehenden rechtlichen Abstammungsbeziehung wider den Willen der Beteiligten einen Eingriff in das verfassungsrechtlich geschützte Elternrecht nach Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG dar, da der Vater unvermittelt seine Stellung als Elternteil im Sinne dieser Vorschrift verliert.347 Damit wird zum einen sein Recht auf den Bestand der zuvor erlangten rechtlichen Vaterstellung sowie zum anderen das Interesse der Mutter am Fortbestand der gemeinsamen, womöglich über Jahre gelebten rechtlichen Elternschaft beeinträchtigt.348 Auch eine Sorgeberechtigung des Ehemannes kommt nach Art. 16 Abs. 1 HKsÜ, wonach sich der Erwerb der elterlichen Sorge nach dem Recht des gewöhnlichen Aufenthalts bestimmt, nur dann in Betracht, wenn die Ehegatten im Vorfeld Sorgeerklärungen abgegeben haben. Andernfalls ist allein die Mutter für das Kind sorgeberechtigt (§ 1626a Abs. 3 BGB).349 Wurde das Kind allerdings im Ausland geboren und ergab sich nach dem dortigen Recht bereits ehebedingt eine Sorgeberechtigung des Vaters, so besteht diese auch nach dem Umzug nach Deutschland nach Maßgabe des Art. 16 Abs. 3 HKsÜ fort350, ohne dass der Ehemann in Deutschland als Vater rechtlich anerkannt sein müsste. Eine Verschärfung der sorgerechtlichen Problematik und damit eine Intensivierung der Grundrechtsbeeinträchtigung zeichnet sich im Falle der Geburt des Kindes in Deutschland ab. Hier kommt ab initio keine rechtliche Vaterschaft des Ehemannes zustande, der nach ausländischem Recht mit der im Eheschließungszeitpunkt unter 16-jährigen Mutter wirksam verheiratet ist, da nach deutscher Rechtsauffassung eine wirksame, vaterschaftsbegründende Ehe gerade nicht vorliegt. Art. 16 Abs. 3 HKsÜ gelangt nicht zur Anwendung und dem Ehemann bleibt die elterliche Sorgeberechtigung (§ 1626 BGB) und sein Recht auf Umgang mit dem stammungsbeziehung resultieren könnte, begegnet durchschlagenden Einwänden und ist daher nicht geeignet, ein abstammungsrechtliches Verhältnis zwischen dem Ehemann der minderjährigen Ehegattin und dem Kind zu generieren. Vertiefend hierzu oben Kap. 3 D. II. 2. a) aa). 346 Die soziale Vaterschaft genießt ihrerseits verfassungsrechtlichen Schutz im Rahmen des Art. 6 Abs. 1 GG, s. BVerfG 19.2.2013, Az. 1 BvL 1/11, 1 BvR 3247/09, NJW 2013, 847, 850. 347 Staudinger/Rauscher, 15. Aufl., 2011, Einleitung zu §§ 1589–1600d BGB Rn. 34; BVerfG 9.4.2003, Az. 1 BvR 1493/96 u. a., NJW 2003, 2151, 2153; s. a. BVerfG 7.3.1995, Az. 1 BvR 790/91 u. a., NJW 1995, 2155, 2157. Nach Hufen, JuS 2011, 375, 376 haben dabei leibliche Väter eine besonders starke Stellung kraft des „natürlichen“ Elternrechts in Art. 6 Abs. 2 GG inne; s. a. BVerfG 23.8.2006, Az. 1 BvR 476/04, NJOZ 2006, 3851, 3854. 348 BVerfG 17.12.2013, Az. 1 BvL 6/10, NJW 2014, 1364, 1372; BVerfG 4.12.1974, Az. 1 BvL 14/73, NJW 1975, 203. 349 Die Mutter muss (mittlerweile) volljährig sein, da ihre elterliche Sorge ansonsten gem. § 1673 Abs. 2 BGB ruht. 350 Hausmann/Odersky/Schäuble u. a. (Hrsg.), Internationales Privatrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis, 2017, § 5 A. II. 3. d) aa) Rn. 42 ff.

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Kind (§ 1684 BGB) von Anfang an verwehrt. Die Möglichkeit, in seiner Eigenschaft als rechtlicher Vater Verantwortung für das Kind zu übernehmen, lässt sich dann nur durch Vaterschaftsanerkennung bzw. -feststellung und die Abgabe von übereinstimmenden Sorgeerklärungen der Ehegatten erreichen.351 Die tangierten Positionen des Ehemannes sind auch in dieser Konstellation von Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG umfasst, da die Vorschrift auch den biologischen Vater in seinem Interesse schützt, die Rechtsstellung als Vater des Kindes einzunehmen.352 Dass der völlige Verlust der Vaterstellung mit allen Rechten und Pflichten verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist, erscheint in Ansehung der Schwere der Rechtseinbuße fragwürdig. Mit der strikten Unwirksamkeitsfolge verfolgte der Gesetzgeber das Anliegen, den Minderjährigenschutz zu effektivieren und Rechtssicherheit herzustellen.353 Zu beachten bleibt aber, dass im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in das Verwandtschaftsverhältnis neben dem Kindeswohl des minderjährigen Ehegatten auch das Wohl des aus der Ehe entstandenen Kindes ausreichend zu würdigen ist. Nun könnte man aus der Perspektive des Gesetzgebers argumentieren, dass der rückwirkende Wegfall des Abstammungsstatus des gemeinsamen Kindes keine Schlechterstellung bewirkt, da nichteheliche Kinder den ehelichen mittlerweile rechtlich gleichgestellt sind, was sogar in Art. 6 Abs. 5 GG verfassungsrechtlich verankert wurde. Insofern handelt es sich bei der Nichtehelichkeit nicht mehr um einen ungünstigeren Personenstand.354 Die Schlussfolgerung, wonach dem Kind aufgrund seiner nichtehelichen Abstammung keine sozialen Nachteile erwachsen, greift aber im vorliegenden Kontext zu kurz. So wird außer Acht gelassen, dass der Wegfall des Verwandtschaftsverhältnisses bei Sachverhalten mit Auslandsbezug für das jeweilige Kind tatsächlich in gesellschaftlicher und familiärer Hinsicht relevant werden und seine persönliche Entwicklung negativ beeinträchtigen kann.355 Weiterhin tangiert die Versagung der statusrechtlichen Zuordnung zu seinem Vater durchaus die Rechtsstellung des Kindes und seiner möglicherweise noch minderjährigen Mutter insofern, als dass sie erst mit (Wieder-)Her351

So bereits Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht, JAmt 2016, 598,

599. 352 BVerfG 9.4.2003, Az. 1 BvR 1493/96 u. a., NJW 2003, 2151 ff.; Staudinger/Rauscher, 15. Aufl., 2011, Einleitung zu §§ 1589–1600d BGB Rn. 33; s. a. Stern/Sachs/ Dietlein, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland – Bd. VI/1, 529 f. 353 S. zum gesetzgeberischen Ziel: a) bb) (1). 354 Früher hatte das uneheliche Kind eine „Minderung seiner Stellung in der Gesellschaft“ zu befürchten, s. BVerfG 4.12.1974, Az. 1 BvL 14/73, NJW 1975, 203. 355 Es ist durchaus möglich, dass in anderen Rechtsordnungen eine Gleichstellung zwischen ehelichen und nichtehelichen Kindern noch nicht erfolgt ist, s. Druschke, Der Familienbegriff im deutschen Ausländerrecht, 195 f.; vgl. a. Wapler, verdikt 2017, 9, 10; Frank, StAZ 2019, 129, 133; sehr krit. diesem Argument gegenüber Lambertz, Child marriages and the law – with special reference to swedish developments, in: The Childs Interests in Conflict, 2016, 85, 101.

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stellung der rechtlichen Vaterschaftsbeziehung in erb- und unterhaltsrechtlicher Hinsicht Ansprüche geltend machen können.356 Der Wegfall der Abstammungsbeziehung erfolgt außerdem ohne Rücksicht auf die Belange und Interessen des Kindes und seiner womöglich noch minderjährigen Mutter, was der Individualität der Kindeswohlprüfung per se widerspricht. Darüber hinaus ist eine akute Beeinträchtigung des Kontinuitätsinteresses der minderjährigen Mutter und ihres Kindes zu beklagen, die nach Ankunft in Deutschland in Bezug auf den Ehemann mit dem Erlöschen des Verwandtschaftsverhältnisses konfrontiert werden. Insofern muss man den Unwirksamkeitsautomatismus, der für die betroffenen Ehegatten eine rückwirkende Vaterschaftsbeseitigung und eine potenzielle Sorgerechtsbeeinträchtigung zur Folge hat, als einen unverhältnismäßigen Eingriff in die geschützte Elternposition werten. Nach den vorstehenden Kindeswohlerwägungen kann dieser Eingriff auch nicht über Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG gerechtfertigt werden. Zumindest die gesetzliche Anordnung des Verlusts einer im Ausland nach dortigen Maßstäben bereits wirksam begründeten Vaterschaft stellt eine unzulässige Relativierung des grundrechtlichen Schutzgebots aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG dar. c) Allgemeines Persönlichkeitsrecht, Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG Wie oben mehrfach angesprochen, stößt die Unwirksamkeitsfolge bei den beteiligten Ehegatten einer Minderjährigenehe mit Blick auf das Selbstbestimmungsrecht gem. Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG auf verfassungsrechtliche Bedenken. Durch die pauschale Transformierung aller im Alter von unter 16 Jahren wirksam geschlossenen Ehen in unwirksame Nichtehen erfolgt ein Eingriff in das Recht der Ehegatten auf freie Entfaltung der Persönlichkeit in Gestalt ihrer Freiheit, die eigene Privatsphäre selbständig nach eigenen Vorstellungen und Wünschen zu gestalten und an der Lebensform der Ehe festzuhalten. Besonders gegenüber minderjährigen Personen trifft den Staat die Verpflichtung, in Einklang mit den Kindesgrundrechten „kindeswohlgerecht“ zu handeln und das individuelle Wohl im Einzelfall zu prüfen.357 Die Beeinträchtigung der allgemeinen Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG ist auch nicht gerechtfertigt. Durch die starre Unwirksamkeitsanordnung wird den Eheleuten die Führung und Anerkennung ihrer aus verfassungsrechtlicher Sicht schützenswerten Ehen versagt. Die eheliche Lebensgemeinschaft als Ort des Rückzugs und der Geborgenheit gehört dem der Öffentlichkeit entzogenen Raum der Privatsphäre an.358 356

S. Kemper, FamRB 2017, 438, 442. BVerfG 29.10.1998, Az. 2 BvR 1206-98, NJW 1999, 631, 632; s. a. BGH 14.11. 2018, Az. XII ZB 292/16, FamRZ 2019, 181, 187; krit. gegenüber den pauschalen Wirkungen des KEhenBekG daher Heiderhoff, NZFam 2020, 320, 322. 358 S. BVerfG 17.1.1957, Az. 1 BvL 4/54, NJW 1957, 417, 419. 357

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Eine Beschränkung der diesen höchstpersönlichen Bereich betreffenden Entscheidungsbefugnis kann nur unter strikter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsprinzips zugunsten überwiegender öffentlicher Interessen gerechtfertigt sein. Das Kindeswohl bildet dabei keinen Belang, den man zur Rechtfertigung der Nichtigkeitsfolge heranziehen könnte: So erstreckt sich der Schutz der Persönlichkeitsentwicklung von Minderjährigen auf die Bewahrung vor einem Verlust existentiell notwendiger Ansprüche (z. B. auf Unterhalt), der auch nach Eintritt der Volljährigkeit fortwirkt.359 Wie oben festgestellt, entfallen aber durch die starre Unwirksamkeitsanordnung die aus der Ehe resultierenden Schutzwirkungen. Sollte man also aufgrund der Kindeswohlwidrigkeit nicht schon die Zweckförderlichkeit der strikten Unwirksamkeitsfolge in Abrede stellen, ist jedenfalls ihre Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne zu verneinen. So widerspricht es dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, eine so strenge Maßnahme zu ergreifen, wenn es noch andere Möglichkeiten gibt, die Zielsetzung zu verwirklichen. Der Gesetzgeber hätte eine Heilungsklausel für schutzwürdige Ehen schaffen oder anstelle der Unwirksamkeit die Aufhebbarkeit der Ehen anordnen können, um die Ehewirkungen zugunsten der Eheleute und eventuell aus der Ehe hervorgegangener Kinder nicht rückwirkend zu vernichten. Beide Maßnahmen trügen den Besonderheiten des Einzelfalls hinreichend Rechnung und wären gleichermaßen, wenn nicht besser zum Schutz der minderjährigen Ehegatten geeignet, für die die Ehe zur gewollten Lebensrealität geworden ist. Dem Einwand, die vorgeschlagenen Alternativen seien der Rechtssicherheit als zweitem legislativen Ziel abträglich, ist engegenzutreten: Zwar besteht für die betroffenen Ehegatten durchaus ein nennenswertes Bedürfnis nach Rechtssicherheit, wenn es um den Bestand ihrer Ehen geht.360 Diesem Verlangen wäre der Gesetzgeber aber auch mit der Etablierung der milderen Aufhebbarkeitsfolge für die betroffenen Ehen nachgekommen.361 Womöglich hätte die sodann bestehende Gleichförmigkeit der Rechtsfolgen auf dem Gebiet der Minderjährigenehen bei den Betroffenen das Gefühl der Verlässlichkeit der Rechtsordnung sogar verstärkt, sodass die Aufhebbarkeit unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit als vorzugswürdig angesehen werden kann.362 Ebenso schränken flexible Heilungsoptionen die Rechtssicherheit in keiner Weise ein, sondern vermitteln den Betroffenen im Gegenteil hinreichende Klarheit über die rechtliche Einordnung ihrer Ehe. Wollte man die Alternativmaßnahmen dennoch als defizitär einstufen, müsste die Rechtssicherheit im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung hinter den ganz überwiegenden Belangen der Ehegatten und der aus der Ehe hervorgegangenen Kinder zurückstehen, da es sich bei einer bereits geschlossenen Ehe 359

Vgl. Hertwig, FamRZ 1987, 124, 126. Weller/Thomale/Hategan u. a., FamRZ 2018, 1289, 1294; Majer, NZFam 2017, 537, 539. 361 S. Weller/Thomale/Hategan u. a., FamRZ 2018, 1289, 1294. 362 S. dazu oben a) bb) (3). 360

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um einen höchstpersönlichen Lebensbereich handelt. Der Eingriff in die Grundrechtspositionen der Ehegatten aus Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG ist also (ebenfalls) nicht gerechtfertigt. d) Gleichbehandlungsgrundsatz, Art. 3 Abs. 1 GG Besondere Beachtung verdient die Frage eines möglichen Verstoßes gegen den Allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG. aa) Vorliegen einer Ungleichbehandlung Eine verfassungsrechtlich relevante Ungleichbehandlung ist gegeben, wenn wesentlich Gleiches willkürlich ungleich behandelt wird. Dies ist der Fall, wenn eine Personengruppe oder Situation rechtlich anders behandelt wird, als eine vergleichbare andere Personengruppe oder Situation.363 Im Zusammenhang mit der Nichtigkeitsfolge innerhalb des Komplexes der Minderjährigenehen364 ergeben sich aus den geschaffenen Regelungen in vielerlei Hinsicht Differenzierungen, die nicht unerhebliche verfassungsrechtliche Bedenken hervorrufen. Zunächst hat der Gesetzgeber in Art. 13 Abs. 3 EGBGB eine altersabhängige Rechtsfolgenunterscheidung vorgenommen: Das Unwirksamkeitsverdikt fällt mit dem vollendeten 16. Lebensjahr des minderjährigen Ehegatten im Zeitpunkt der Eheschließung. War er bei Ehebegründung also mindestens 16 Jahre alt, so bleibt die Ehe von der Qualifizierung als Nichtehe verschont, unterfällt aber stattdessen der Aufhebbarkeitsanordnung des Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB.365 Weiterhin besteht eine Divergenz nach dem Eheschließungsstatut für vor Inkrafttreten des Gesetzes im Alter von unter 16 Jahren geschlossene Ehen: Sollte im Falle einer nach ausländischem Recht geschlossenen Ehe der minderjährige Ehegatte nach dem 22.7.1999 geboren sein und einer der Ehegatten vor der Volljährigkeit des minderjährigen Ehegatten seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland begründet haben, so ist die Ehe als unwirksam anzusehen (Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB), während eine nach deutschem Personalstatut unter Ver363 S. BVerfG 9.8.1978, Az. 2 BvR 831/76, NJW 1979, 151, 153; BVerfG 23.10. 1951, Az. 2 BVG 1/51, NJW 1951, 877, 878 f.; BVerfG 7.3.2017, Az. 1 BvR 1694/13, 1 BvR 1314/12, 1 BvR 1630/12, 1 BvR 1694/13, 1 BvR 1874/13, NVwZ 2017, 1111, 1122; Pieroth/Schlink/Kingreen u. a., Grundrechte – Staatsrecht II, Rn. 590, 595; genauer zu den Anforderungen Kempny/Reimer, Die Gleichheitssätze, 46 ff. 364 Die bestehende Minderjährigenehe dient als gemeinsamer Bezugspunkt (tertium comparationis), der eine Vergleichbarkeit zwischen den ungleich behandelten Gruppen kreiert. Zum gemeinsamen Oberbegriff genauer Dreier/Heun, 3. Aufl., 2013, Art. 3 GG Rn. 24; Pieroth/Schlink/Kingreen u. a., Grundrechte – Staatsrecht II, § 11, Rn. 590, 592. 365 Für Ehen mit inländischem Eheschließungsstatut gilt die altersbedingte Differenzierung zwischen Nichtigkeit und Aufhebbarkeit nur, wenn sie nach Inkrafttreten des Gesetzes geschlossen wurden. Andernfalls greift Art. 229 § 44 Abs. 1–3 EGBGB. Bei ausländischem Eheschließungsstatut ist stets Abs. 4 der Überleitungsnorm zu beachten.

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stoß gegen die Ehemündigkeit geschlossene Ehe dagegen Wirksamkeit entfaltet und lediglich nach den bisher geltenden Bestimmungen aufgehoben werden kann (Art. 229 § 44 Abs. 1 EGBGB).366 Diese eheschließungsstatutsabhängige Differenzierung wird selbst bei Eingreifen des Art. 229 § 44 Abs. 4 EGBGB nicht überwunden, wenn auch in ihrer Intensität abgemildert: Erfüllt die nach ausländischem Eheschließungsstatut geschlossene Ehe die Heilungsvoraussetzungen, so ist sie nicht etwa in Entsprechung zu gleichermaßen nach deutschem Recht geschlossenen Ehen nach altem Recht aufhebbar. Vielmehr sind für sie die Aufhebungsregeln des neuen Rechts in Anwendung zu bringen, sodass auch dieser Fall in einer Ungleichbehandlung mündet. Auch aus dem Ausnahmetatbestand des Art. 229 § 44 Abs. 4 Nr. 2 EGBGB ergibt sich eine willkürlich anmutende Differenzierung. So soll die nach deutschem Recht zu bestimmende Volljährigkeit367 des bei Eheschließung minderjährigen Ehegatten nur dann heilende Wirkung entfalten, wenn sie bereits im Zeitpunkt der Begründung des gewöhnlichen Aufenthalts in Deutschland durch einen Ehegatten gegeben war. Dadurch wird für den Heilungseintritt zwischen solchen Konstellationen unterschieden, in denen der gewöhnliche Aufenthalt vor der Volljährigkeit des minderjährigen Ehegatten in Deutschland begründet wurde (Eheunwirksamkeit) und solchen, in denen die gewöhnliche Aufenthaltsnahme in Deutschland nach Volljährigkeitseintritt erfolgte (Heilung der Eheunwirksamkeit und anschließende Aufhebbarkeit368). bb) Fehlen eines sachlichen Grundes Zu beachten ist, dass dem Gesetzgeber nicht jegliche Ungleichbehandlung verwehrt bleibt, sondern das Grundgesetz nur dort Differenzierungen zwischen Gruppen von Normadressaten verbietet, „wo keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können“.369 Es ist demnach zu untersuchen, ob vorliegend rechtfertigende Sachgründe gegeben sind, die in angemessenem Verhältnis zu Ziel und Ausmaß der abweichenden Behandlung stehen.370 366 S. hierzu Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland, BT-Drs. 18/12086, 23 f. Krit. BGH 14.11.2018, Az. XII ZB 292/16, FamRZ 2019, 181, 187; den erkannten Wertungswiderspruch möchte Majer, NZFam 2019, 659, 661 durch eine analoge Anwendung des Art. 13 Abs. 3 EGBGB ausräumen. 367 S. zur Diskussion: Kap. 3 D. II. 5. a) aa). 368 Indes strittig, s. dazu im Einzelnen Kap. 3 D. II. 5. b). 369 Sog. „Neue Formel“ des BVerfG, s. erstmalig BVerfG 7.10.1980, Az. 1 BvL 50, 89/79, 1 BvR 240/79, NJW 1981, 271 f.; BVerfG 26.1.1993, Az. 1 BvL 38/92, NJW 1993, 1517; Mangoldt/Klein/Starck/Wollenschläger, 7. Aufl., 2018, Art. 3 Abs. 1 GG Rn. 93 ff.; s. hierzu die Ausführungen von Lindeiner, Willkür im Rechtsstaat? – Die Willkürkontrolle bei der Verfassungsbeschwerde gegen Gerichtsentscheidungen, 35 ff.; Britz, NJW 2014, 346, 347. 370 S. a. Britz, JURA 2015, 319, 322 f.

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Die altersbezogene Unterscheidung zwischen Unwirksamkeit und Aufhebbarkeit der Ehe gründete auf der gesetzgeberischen Erwägung, dass minderjährige Ehegatten, die in sehr jungem Alter geheiratet haben, besonders schützenswert seien und vor den weitreichenden Folgen ihrer übereilten und unüberlegten Ehebegründung bewahrt werden müssten.371 Der Gesetzgeber hielt es also von Verfassungs wegen für geboten, die Wirksamkeit der Ehe von einer ausreichenden Reife und Einsichtsfähigkeit im Zeitpunkt der Eheschließung abhängig zu machen, die er bei Heiratsaspiranten von unter 16 Jahren pauschal als nicht gegeben ansah. Dabei sah er gerade das 16. Lebensjahr für die Abstufung des Härtegrades der Rechtsfolgen als ausschlaggebend an, weil Eheschließungen ab diesem Alter vor der Gesetzesreform im Ausnahmefall zugelassen waren.372 Auch hier könnte man die Existenz eines legitimen Gesetzeszwecks mit der Begründung zurückweisen, dass das Kindeswohlziel den von der Norm ausgehenden Rechtsfolgenausschluss für im Alter von unter 16 Jahren geschlossene Nichtehen nicht deckt. Allerdings ließe diese Einschätzung den oben angesprochenen Prognosespielraum außer Acht, der dem Gesetzgeber nicht nur im Rahmen der Zwecksetzung, sondern auch bei der Geeignetheit des von ihm gewählten Mittels innerhalb der Gleichheitsprüfung nach Art. 3 Abs. 1 GG zusteht.373 Des Weiteren erweist sich die unterschiedliche Behandlung in Gestalt der Einordnung als Nichtehe im Hinblick auf das Kindeswohl auch nach objektiven Maßstäben als nicht vollkommen ungeeignet.374 So wird die umstrittene Unwirksamkeitsfolge aus der Perspektive des Gesetzgebers von der Zielsetzung getragen, im Bereich der „Kinderehen“ einen effektiven Minderjährigenschutz zu gewährleisten.375 Gleichwohl ist die zur Prüfung gestellte Maßnahme des Gesetzgebers nicht allein schon deshalb gerechtfertigt, weil ihm bei der Entscheidung darüber, auf welche Weise er den ihm aufgetragenen Minderjährigenschutz verwirklichen will, ein Gestaltungsspielraum zusteht. Vielmehr muss die Ungleichbehandlung zur Erreichung des Differenzierungsziels dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen. Dabei richten sich die Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit nach der Eingriffsintensität der Maßnahme.376 Die für die Wahl zwischen Nichtigkeit oder Aufhebbarkeit in Art. 13 Abs. 3 EGBGB ausschlaggebende Altersgrenze von 16 Jahren bildet zum einen ein Unterscheidungskriterium, das an ein persönliches Merkmal anknüpft und sich der Beeinflussung durch die Betroffenen im

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Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland, BT-Drs. 18/12086, 17. Dies., BT-Drs. 18/12086, 17. 373 S. Britz, JURA 2015, 319, 323. 374 S. o. II. 1. a) bb) (2). 375 S. hierzu genauer II. 1. a) bb) (1). Zur gerechtfertigten Differenzierung zwischen Erwachsenen und Kindern, s. Wapler, Kinderrechte und Kindeswohl, 401 f.; vgl. Benporath, Journal of Philosophy of Education 37 (2003), 127, 135. 376 Pieroth/Schlink/Kingreen u. a., Grundrechte – Staatsrecht II, Rn. 603. 372

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Beurteilungszeitpunkt entzieht. Zum anderen ist das in einer Ungleichbehandlung mündende Unwirksamkeitsverdikt mit einem Eingriff in den verfassungsrechtlich verbürgten Ehe- und Familienschutz des Art. 6 Abs. 1 GG, in das Elternrecht nach Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG und das allgemeine Persönlichkeitsrecht gem. Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG verbunden.377 Diese beiden Gesichtspunkte erhöhen die Beeinträchtigungsintensität der gesetzgeberischen Maßnahme in beträchtlicher Weise.378 Insofern erscheint fraglich, ob sich der schwerwiegende Eingriff durch den rechtfertigenden Sachgrund des Kindeswohls kompensieren lässt. So hat die Unwirksamkeitsanordnung nach den obigen Feststellungen für die jüngeren Beteiligten eine immense Schlechterstellung zur Folge, weil die ipso iure unwirksame Ehe jeglichen Rechtsfolgen entzogen bleibt und hier gerade kein an den eherechtlichen und kindeswohlorientierten Maßstäben des deutschen Rechts auszurichtendes Aufhebungsverfahren eingeleitet wird.379 Auf diese Weise verliert der minderjährige Ehegatte wertvolle Ansprüche: Die rechtliche Vaterschaft seines Ehepartners entfällt rückwirkend bzw. kann bei Geburt des gemeinsamen Kindes in Deutschland gar nicht erst begründet werden, und er kann bis zur Feststellung bzw. Anerkennung der Vaterschaft keine Unterhaltsansprüche gegen den Ehepartner geltend machen.380 Es wird zudem die Tatsache ignoriert, dass die Ehe im konkreten Fall den Schutz der minderjährigen Person bezwecken kann, die Kindeswohlbelange also für die Anerkennung der Ehe sprechen können.381 Die Bestätigungsoption steht den Beteiligten bemerkenswerterweise nur im Falle der Aufhebbarkeit ihrer Ehe, nicht aber bei Eheunwirksamkeit zur Verfügung.382 Die Nichtigkeitsregelung kann in ihrer Undifferenziertheit – wie oben erläutert – einer kindeswohlorientierten Beurteilung von Minderjährigenehen nicht Genüge leisten. Insbesondere im Verhältnis zu der vergleichsweise schonenden Aufhebbarkeitsfolge ist die Unwirksamkeit also nicht geeignet, das Ziel eines intensiven Minderjährigenschutzes zu verwirklichen: Die hervorgerufene Ungleichbehandlung widerspricht insofern dem Erforderlichkeitsgrundsatz und wird den durch die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne gestellten hohen Rechtfertigungsanforderungen nicht gerecht. Der Sachgrund des Minderjährigenschutzes kann also die sich aus der gesetzgeberischen Nichtigkeitsfolge ergebende Benachteiligung von 377

Dies ergibt sich aus der oben in a)–c) vorgenommenen Prüfung. Allgemein hierzu Pieroth/Schlink/Kingreen u. a., Grundrechte – Staatsrecht II, Rn. 602 f.; Britz, NJW 2014, 346, 348 ff.; BVerfG 26.1.1993, Az. 1 BvL 38/92, NJW 1993, 1517; BVerfG 7.2.2012, Az. 1 BvL 14/07, NJW 2012, 1711, 1712; BVerfG 6.7.2004, Az. 1 BvR 2515/95, NVwZ 2005, 319, 320. 379 Zu der Schlussfolgerung einer Benachteiligung jüngerer Kinder gegenüber Älteren gelangt auch Heiderhoff, NZFam 2020, 320, 322. Zur Nachteilhaftigkeit in Bezug auf das Kindeswohl, s. a) bb) (4). 380 Kemper, FamRB 2017, 438, 442. 381 So offensichtlich im Fall des OLG Bamberg 12.5.2016, Az. 2 UF 58/16, FamRZ 2016, 1270 ff.; hierzu a. Fountoulakis/Mäsch, in: FS Geiser, 241, 241. 382 Krit. insoweit auch Rixen, JZ 2019, 628, 632. 378

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minderjährigen Ehegatten, die die Ehe im Alter von unter 16 Jahren eingegangen sind, nicht rechtfertigen. Im Bereich der intertemporalen Regelungen lässt sich die aus dem Gesetz resultierende uneinheitliche Behandlung von vor Inkrafttreten des Gesetzes zustande gekommenen Minderjährigenehen, die dem deutschen Eheschließungsstatut unterliegen, und solchen, die nach ausländischem Recht geschlossen wurden, dagegen überhaupt nur schwerlich auf einen sachlichen Grund zurückführen.383 Nach Art. 13 Abs. 1 EGBGB bestimmt sich das Eheschließungsstatut für jeden Verlobten nach dem Recht des Staates, dem er angehört. Durch den unmittelbaren Bezug zur Staatsangehörigkeit ist das nach Art. 229 § 44 Abs. 1 EGBGB ausschlaggebende Kriterium des Eheschließungsstatuts den in Art. 3 Abs. 3 GG aufgeführten verbotenen Unterscheidungsmerkmalen der „Heimat“ und „Herkunft“ angenähert und bedarf daher besonderer Rechtfertigung.384 Verschärft wird der Rechtfertigungsbedarf dadurch, dass sich die Ungleichbehandlung in Bezug auf die ausländischem Recht unterfallenden, als nichtig zu klassifizierenden Ehen nachteilig auf das Ehe- und Familiengrundrecht des Art. 6 Abs. 1 GG auswirkt, dessen subjektivrechtlich einklagbare Schutz- und Fördergarantie nicht nur auf Deutsche beschränkt ist.385 Doch selbst bei genauerer Betrachtung erschließt sich kein Grund für die Differenzierung zwischen nach deutschem Recht geschlossenen Ehe-Altfällen und den nach ausländischem Eheschließungsstatut geschlossenen Altehen. Der Gesetzgeber ging wohl von der Prämisse aus, dass Minderjährige mit deutschem Personalstatut weniger „schutzwürdig“ seien. Wie oben eingehend erörtert, ist indes keineswegs erwiesen, dass eine im Alter von unter 16 Jahren nach ausländischem Recht geschlossene Ehe als Lebensumstand per se kindeswohlwidrig ist.386 Doch auch vor dem Hintergrund des dem KEhenBekG innewohnenden Kindeswohlverständnisses leuchtet die Unterscheidung nicht ein. Denn nach bisherigem Recht konnte eine Ehe in Deutschland nicht vor Vollendung des 16. Lebensjahres geschlossen werden. Bei einer dennoch in diesem Altersspek383 Einen sachlichen Grund verneinend BGH 14.11.2018, Az. XII ZB 292/16, FamRZ 2019, 181, 187; Coester, FamRZ 2019, 282, 283 m. Fn. 11; Frank, StAZ 2019, 129, 132; Kemper, FamRB 2017, 438, 442 (in Bezug auf die abstammungsrechtlichen Begebenheiten und deren unterhaltsrechtliche Folgen); die Unterscheidung wiederum als „nicht nachvollziehbar“ bezeichnend Andrae, RPsych 2017, 426, 436 f.; diesem kritischen Ansatz wiederum ohne Begründung skeptisch gegenüber Hettich, FamRZ 2019, 188. 384 So Pieroth/Schlink/Kingreen u. a., Grundrechte – Staatsrecht II, Rn. 610; BVerfG 7.2.2012, Az. 1 BvL 14/07, NJW 2012, 1711, 1712 f. 385 S. BVerfG 29.10.2002, Az. 1 BvL 16/95, 1 BvL 17/95, 1 BvL 16/97, FPR 2003, 106, 107. Zur Erstreckung des Anwendungsbereichs des Art. 6 Abs. 1 GG auf Ausländer, s. insb. BVerfG 7.2.2012, Az. 1 BvL 14/07, NJW 2012, 1711. 386 S. a. Schulte-Rudzio, Minderjährigenehen in Deutschland, 344 mit entsprechenden Rechtsprechungsnachweisen.

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trum geschlossenen Inlandsehe muss zwangsläufig von einer gesetzeswidrigen Minderjährigenehe ausgegangen werden, bei der der Standesbeamte seiner Prüfpflicht (§ 13 PStG) entweder nicht nachgekommen ist oder dabei Fehler unterlaufen sind. Für die Regelung des Art. 229 § 44 Abs. 1 EGBGB bedeutet dies, dass selbst Ehen, die nach deutschem Recht ohne effektiven Schutzmechanismus des § 1303 Abs. 2–4 BGB a. F. vor Vollendung des 16. Lebensjahres bis zum 22.7.2017 geschlossen wurden, den Aufhebbarkeitsregelungen des milderen, alten Rechts unterworfen werden.387 Währenddessen besteht bei den nach ausländischem Recht geschlossenen Ehen die Möglichkeit, dass diese sogar mithilfe eines Dispenses, also einer gerichtlichen oder behördlichen Überprüfung der jeweiligen Ehe, in Einklang mit den (ausländischen) gesetzlichen Bestimmungen zustande gekommen sind.388 Dennoch wird diese Vergleichsgruppe der nach ausländischem Eheschließungsstatut geschlossenen Ehen vorbehaltlich der Fälle des Art. 229 § 44 Abs. 4 EGBGB dem Unwirksamkeitsverdikt unterworfen. Die Beschränkung des Anwendungsbereichs der Vorschrift auf Inlandsfälle ist daher nicht haltbar. Eine einheitliche Regelung durch den Gesetzgeber wäre nicht nur empfehlenswert, sondern zwingend notwendig gewesen. Die grundlose Ungleichbehandlung von nach ausländischem Eheschließungsstatut geschlossenen Ehen hat vor dem Allgemeinen Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG keinen Bestand.389 Auch die Übergangsbestimmung des Art. 229 § 44 Abs. 4 Nr. 2 EGBGB muss sich vor dem Gleichheitspostulat des Art. 3 Abs. 1 GG behaupten: Ausschlaggebend für die Qualifizierung als aufhebbar anstelle von nichtig ist hiernach die am Zeitpunkt des Volljährigkeitseintritts des minderjährigen Ehegatten gemessene Begründung des gewöhnlichen Aufenthalts durch einen Ehepartner in Deutsch387

Zwar hat die auf im Altersspektrum von unter 16 Jahren nach deutschem Recht geschlossene Minderjährigenehen zugeschnittene Norm eine geringe rechtstatsächliche Bedeutung, da es infolge der rigiden standesamtlichen Verfahrensvorgaben aus § 1310 Abs. 1 BGB i.V. m. § 13 PStG ohnehin kaum zur Schließung solcher Ehen gekommen sein dürfte, s. a. Antomo, ZRP 2017, 79, 80; Majer, NZFam 2019, 659, 661; Helms, IPRax 2017, 153, 155. Vereinzelte Fälle sind dennoch denkbar und rechtfertigen die Aufklärung des oben dargestellten Missstands, so auch bezogen auf die allgemeine Einschätzung des KEhenBekG: Schulte-Rudzio, Minderjährigenehen in Deutschland, 50 f. mit Referenz zu Schwab, FamRZ 2017, 1369 (1370). 388 In Syrien (Art. 18 Abs. 1 syr. PStG), Estland (§ 1 Abs. 3 FamGB) und im Irak (§§ 7, 8 irak. PStG) liegt die Altersuntergrenze für die Dispenserteilung bei 15 Jahren für beide Geschlechter, in der Dominikanischen Republik (Art. 56 dom. Gesetz über das Personenstandswesen), Jordanien (Art. 10 Abs. 2 jord. PStG 2019) und Afghanistan (Art. 71 afgh. ZGB) kann nur Frauen, die das 15. Lebensjahr vollendet haben, der Dispens erteilt werden. In Andorra (Art. 18 Nr. 1 i.V. m. Art. 20 Nr. 1 Qualifiziertes EheG) und Kolumbien (Art. 140 kolumb. ZGB) liegt die Dispensaltersgrenze für beide Geschlechter sogar bei 14 Jahren. In Kuba ist diese niedrige Grenze nur für Frauen festgelegt, während Männer das 16. Lebensjahr vollendet haben müssen (Art. 4 kub. FamGB). Zu alldem: Max-Planck-Institut für Ausländisches und Internationales Privatrecht, RabelsZ 84 (2020), 705, 735 f. m. Fn. 149 f. 389 Ebenso Schulte-Rudzio, Minderjährigenehen in Deutschland, 344.

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land. Der Vorschrift liegt der Gedanke zugrunde, dass mit dem Eintritt in die Volljährigkeit nach deutschem Recht dem ehemals minderjährigen Ehegatten die umfassende Selbstbestimmungsfähigkeit darüber verliehen werden soll, wie er mit seiner im eheunmündigen Stadium eingegangenen Ehe umgehen möchte.390 Das zum Zeitpunkt der Begründung des gewöhnlichen Aufenthalts durch einen Ehepartner bereits erreichte Volljährigkeitsalter des ehemals minderjährigen Ehegatten nimmt der Gesetzgeber also zum Anlass, um eine Ausnahme vom automatischen Unwirksamkeitsmechanismus vorzusehen. Die Volljährigkeit fällt dabei nur dann ins Gewicht, wenn sie bereits vor der Begründung des gewöhnlichen Aufenthalts eines oder beider Ehegatten erreicht ist.391 Die an dieser Stelle vollzogene Ungleichbehandlung von minderjährigen Ehegatten in Abhängigkeit zu ihrem Eintritt in die Volljährigkeit vor oder nach Einreise in Deutschland wäre unter dem Gleichheitsaspekt unbedenklich, wenn zwischen den beiden Gruppen Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestünden, dass sie die Differenzierung rechtfertigen könnten.392 Wenn man aber der Volljährigkeit heilende Kraft beimessen möchte, so sollte das Unwirksamkeitsverdikt zugunsten der Aufhebbarkeitslösung unabhängig davon weichen, ob der minderjährige Ehegatte vor der Begründung des gewöhnlichen Aufenthalts durch einen Ehegatten in Deutschland volljährig geworden ist oder erst danach. Daher leuchtet es nicht ein, weswegen die betroffenen Ehegatten in der ersten Situation von den Nachteilen einer Nichtehe verschont bleiben und die Wirksamkeit ihrer Ehe zunächst – wenn auch mit dem Defizit der Aufhebbarkeit – aufrechterhalten wird, während die zweite Fallgruppe nicht von einer Heilung ihrer Ehe profitieren kann.393 Ein sachlicher Grund für die Differenzierung ist der Gesetzesbegründung insofern nicht zu entnehmen.394 Offenbar hat der Gesetzgeber damit das Ziel verfolgt, gegenwärtige, also aus seiner Sicht akut das Kindeswohl gefährdende Minderjährigenehen, bei denen der minderjährige Ehegatte die Volljährigkeit im Einreisezeitpunkt des oder der Ehegatten noch nicht erreicht hat, zu unterbinden.395 Einen tragfähigen Grund für die Unterscheidung kann man dieser starren Ab390

Rixen, JZ 2019, 628, 632. Zu den Schwierigkeiten der Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts: Kap. 3 D. II. 5. a) cc); s. a. Andrae, RPsych 2017, 426, 437 f.; Frank, StAZ 2018, 1, 2. 392 S. nur BVerfG 4.12.2002, Az. 2 BvR 400/98, FPR 2003, 451, 452; BVerfG 7.10.1980, Az. 1 BvL 50, 89/79, 1 BvR 240/79, NJW 1981, 271, 272 f. 393 Vgl. Antomo, ZRP 2017, 79, 81; ähnlich auch Toman/Olbing, Die ausländische Frühehe vor dem allgemeinen Gleichheitssatz, in: Die Frühehe im Recht, 2021, 217, 227 ff. Kritik an der Vorschrift übt auch Coester-Waltjen, IPRax 2019, 127, 129. Sie zieht für die Bestimmung der Volljährigkeit indes Art. 7 EGBGB heran, s. dies., IPRax 2017, 429, 433. 394 Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland, BT-Drs. 18/12086, 24. 395 In dieselbe Richtung gehend Schulte-Rudzio, Minderjährigenehen in Deutschland, 345 f. 391

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wehrhaltung allerdings nicht abgewinnen. Alle schutzwürdigen, im Ausland rechtmäßig begründeten Minderjährigenehen unterfallen dem erläuterten Grundrechtsschutz unabhängig davon, ob der minderjährige Ehegatte das 18. Lebensjahr vor oder nach der Begründung des gewöhnlichen Aufenthalts in Deutschland erreicht hat.396 cc) Zwischenergebnis Die in Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB i.V. m. § 1303 S. 2 BGB angeordnete Bewertung aller im Alter von unter 16 Jahren geschlossenen Ehen als Nichtehen verletzt den Allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Selbst die gesetzliche Ausgestaltung der kollisionsrechtlichen Heilungsvorschrift in Art. 229 § 44 Abs. 1, Abs. 4 Nr. 2 EGBGB widerspricht dem Gleichheitsprinzip. 2. Verstoß gegen Grundrechte der aus der ehelichen Verbindung hervorgegangenen Kinder Sollten aus der Ehe Kinder hervorgegangen sein, so wirkt sich die Frage der wirksamen Eheschließung nicht nur auf das Verhältnis zwischen den Ehegatten aus, sondern hat Konsequenzen für die Verbindung der Ehegatten zu dem Kind. Zu befürchten steht daher auch ein Eingriff in die Grundrechtspositionen der aus der Ehe hervorgegangenen Kinder. a) Recht auf Pflege und Erziehung durch die Eltern, Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG Bei Geburt des aus der im Alter von unter 16 Jahren geschlossenen Minderjährigenehe hervorgegangenen Kindes im Ausland entfällt durch den Wegfall der ehelichen Gemeinschaft nach Ankunft in Deutschland rückwirkend seine abstammungsrechtliche Zuordnung zu dem Mann, der im Zeitpunkt seiner Geburt nach ausländischem Recht wirksam mit seiner Mutter verheiratet war. Dieser Entzug der Abstammungsbeziehung stellt einen Eingriff in das durch Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG verfassungsrechtlich geschützte Recht des Kindes auf Pflege und Erziehung397 durch die Eltern dar, wobei hier das Interesse des Kindes am Erhalt seiner rechtlichen familiären Zuordnung tangiert ist. Der soziale Gehalt der durch Ehe erworbenen Vaterschaft ist in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle als hoch einzustufen, da sich Eltern und Kind(er) bis 396

S. dies., Minderjährigenehen in Deutschland, 346. BVerfG 19.2.2013, Az. 1 BvL 1/11, 1 BvR 3247/09, NJW 2013, 847, 848; BVerfG 17.12.2013, Az. 1 BvL 6/10, NJW 2014, 1364, 1372; Mangoldt/Klein/Starck/ Robbers, 7. Aufl., 2018, Art. 6 GG Rn. 145; für eine Herleitung aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG Hohmann-Dennhardt, FPR 2008, 476, 477; BVerfG 1.4.2008, Az. 1 BvR 1620/04, FPR 2008, 238 ff.; die Grundrechtsträgerschaft von Kindern generell ablehnend Kloepfer, Verfassungsrecht – Bd. II: Grundrechte, Rn. 65. 397

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zum Zeitpunkt der gerichtlichen oder behördlichen Entscheidung, in der die Wirksamkeit der Ehe in Frage gestellt wird, als Familie ansehen und insbesondere auf die rechtliche Anerkennung ihrer Beziehungen vertrauen. Auch eine Anerkennung bzw. Feststellung der Vaterschaft gem. § 1592 Nr. 2 und 3 BGB bewahrt das gemeinsame Kind nicht vor dem vorläufigen Verlust des Abstammungsstatus. Zwar wirken beide Möglichkeiten der Etablierung der rechtlichen Vaterschaft auf den Zeitpunkt der Geburt des Kindes zurück398, doch vor Wirksamkeit der Vaterschaftsanerkennung bzw. Rechtskraft der gerichtlichen Feststellungsentscheidung kann sich niemand auf die Vaterschaft des Ehemannes z. B. zur Geltendmachung von unterhalts-, erb- oder umgangsrechtlichen Ansprüchen berufen.399 Kam das gemeinsame Kind erst in Deutschland zur Welt, so zeitigt die Eheunwirksamkeit bei fortdauernder Minderjährigkeit der im Zeitpunkt der Eheschließung minderjährigen Ehefrau noch schwerwiegendere rechtstatsächliche Folgen: Da von vornherein keine wirksame Ehe vorliegt, erfolgt im Geburtszeitpunkt des gemeinsamen Kindes a priori keine statusrechtliche Zuordnung zum Ehemann der Mutter. Weiterhin gelangt Art. 16 Abs. 3 HKsÜ in Ermangelung einer (im Ausland) bestehenden Sorgeberechtigung nicht zur Anwendung, sodass für das gemeinsame Kind aufgrund der nach § 1673 Abs. 2 BGB ruhenden elterlichen Sorge der Mutter der einzige Sorgeberechtigte wegfiele mit der Konsequenz, dass es einen Vormund erhält.400 Die Abstammungsbeziehung lässt sich zwar nachträglich durch Vaterschaftsanerkennung bzw. -feststellung herstellen. Beeinträchtigt bleibt aber das „Interesse des Kindes an einer schnellen und unproblematischen Zuordnung zu seinem Vater“.401 Für die Sorgeberechtigung des Ehemannes ist die Abgabe übereinstimmender Sorgeerklärungen erforderlich.402 Eine Rechtfertigung dieses massiven Grundrechtseingriffs erscheint ausgeschlossen. Durch die Eheunwirksamkeit wird die Abstammungsbeziehung zwischen Vater und Kind nachträglich beseitigt bzw. bei Geburt des Kindes in 398 BeckOGK/Balzer, 1.5.2022, § 1592 BGB Rn. 98, 124; MüKo/Wellenhofer, 8. Aufl., 2020, § 1594 BGB Rn. 18; Staudinger/Rauscher, 15. Aufl., 2011, § 1594 BGB Rn. 9; MüKo/Wellenhofer, 8. Aufl., 2020, § 1600d BGB Rn. 101; OLG Köln 13.10. 2004, Az. 2 U 85/04, NJW-RR, 1319, 1320. 399 Staudinger/Rauscher, 15. Aufl., 2011, § 1594 BGB Rn. 8, 10 ff.; BeckOK/Hahn, 62. Ed., 1.5.2022, § 1600d BGB Rn. 13; zu den Ausnahmen: MüKo/Wellenhofer, 8. Aufl., 2020, § 1600d BGB Rn. 105 ff. Die Anerkennung der Vaterschaft und die in diesem Fall deklaratorisch wirkende Abgabe gemeinsamer Sorgeerklärungen der Ehegatten empfehlen daher Lohse/Meysen, JAmt 2017, 345, 346. 400 S. a. Yerlikaya-Manzel, Betrifft Justiz 2017, 30, 31. 401 S. Kemper, FamRB 2017, 438, 442. Des Weiteren hat das Kind ein eigenes Interesse daran, „frühzeitig und endgültig Gewissheit über seine familienrechtliche Stellung“ zu erlangen, s. BVerfG 4.12.1974, Az. 1 BvL 14/73, NJW 1975, 203. 402 S. hierzu genauer Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, 7. Aufl., 2020, § 58 Rn. 12 ff.

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Deutschland seine rechtliche Zuordnung zum Vater verweigert und auf diese Weise ohne Rücksicht auf den jeweiligen Einzelfall ein sofortiger Abstammungsverlust herbeigeführt. Insofern kommt man auch im vorliegenden Kontext nicht umhin, den oben bereits angestellten Erwägungen über die Unvereinbarkeit mit dem Kindeswohl beizutreten und eine Rechtfertigung der Grundrechtsbeeinträchtigung zu verneinen. Dies gilt hier umso mehr, als dem Kindeswohl bei der Prüfung des Art. 6 Abs. 2 S. 1 BGB eine zentrale, gar „wesensbestimmende“ Bedeutung zukommt.403 b) Schutz der Familie, Art. 6 Abs. 1 GG Gleichzeitig bildet die Gemeinschaft von Eltern und Kindern die Kernausprägung des Schutzgegenstands der Familie im Rahmen des Art. 6 Abs. 1 GG.404 Insofern ist es dem Staat untersagt, die Familie zu schädigen oder sonst zu beeinträchtigen. Vorliegend muss in mehrfacher Hinsicht eine Beeinträchtigung des Familienlebens angenommen werden. Zunächst wird dem gemeinsamen Kind durch die Nichtigerklärung der Ehe rückwirkend der Status der Ehelichkeit entzogen. In seiner Entscheidung vom 24.4.1983 stellte das OLG Karlsruhe ausdrücklich fest, dass eine grundrechtsrelevante Beeinträchtigung der Familie auch dann vorliegt, „wenn aus bestimmten Gründen Kinder aus einer Ehe nicht mit der Geburt [. . .] den Status eines ehelichen Kindes erwerben oder mindestens an den Rechtsfolgen dieses Status teilhaben könnten“.405 Wenn auch der Wegfall der Ehelichkeit im deutschen Recht mittlerweile unschädlich für die Rechtsstellung des Kindes ist, entfaltet er für das jeweilige Kind im internationalen Zusammenhang teilweise weittragende Wirkungen. Noch gravierender erscheint indes die Verweigerung der abstammungsrechtlichen Zuordnung des Kindes zum Ehemann. So korrespondiert das Interesse des rechtlichen Vaters am Fortbestand des Elternrechts mit dem Interesse des Kindes am Erhalt seiner rechtlichen und sozialen familiären Zuordnung aus Art. 6 Abs. 1 GG.406 Durch die Negierung der Vaterschaft wird letztlich die bestehende Eltern-Kind-Beziehung auf rechtlicher Ebene entwertet. Die (Wieder)herstellung der statusrechtlichen Zuordnung ist für die Familie mit nicht unerheblichem Aufwand und der Einschaltung einer Behörde oder eines Gerichts verbunden. Hierdurch können die innerfamiliären Beziehungen erheblich belastet und die Familienmitglieder an der unbeschwerten Fortführung ihres Familienlebens gehindert werden. Auf Rechtfertigungsebene 403 Vgl. BVerfG 19.2.2013, Az. 1 BvL 1/11, 1 BvR 3247/09, NJW 2013, 847, 849; Mangoldt/Klein/Starck/Robbers, 7. Aufl., 2018, Art. 6 GG Rn. 145. 404 Stern/Sachs/Dietlein, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland – Bd. VI/ 1, 395; Sachs/Coelln, 9. Aufl., 2021, Art. 6 GG Rn. 14; Kloepfer, Verfassungsrecht – Bd. II: Grundrechte, Rn. 19. 405 OLG Karlsruhe 27.4.1983, Az. 2 WF 21/83, FamRZ 1983, 757 f.; BayObLG 11.1.1990, Az. BReg. 3 Z 127/89, BayObLGZ 1990, 1, 5; vgl. a. BVerfG 4.12.1974, Az. 1 BvL 14/73, NJW 1975, 203 f. 406 BVerfG 13.11.2008, Az. 1 BvR 1192/08, NJW 2009, 425, 426 m.w. N.

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kann auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen werden: Die Versagung der verwandtschaftlichen Beziehung zwischen Ehemann und Kind ohne Betrachtung der Gesamtumstände des Ausgangsfalls verstößt gegen das Kindeswohl und ist verfassungsrechtlich nicht hinnehmbar. 3. Verstoß gegen den Vertrauensgrundsatz, Art. 20 Abs. 3 GG Die Unwirksamkeitsregelungen könnten weiterhin die aus dem Rechtsstaatsprinzip resultierenden Grenzen zulässiger Rückwirkung überschreiten. Die durch das KEhenBekG eingeführte Nichtigkeitsanordnung gilt nach § 1303 S. 2 BGB sowohl für Eheschließungen von Personen mit deutschem Personalstatut als auch gem. Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB für nach ausländischem Recht geschlossene Ehen. Während aber inländische Ehen, die bereits vor Inkrafttreten des Gesetzes am 22.7.2017 im Alter von unter 16 Jahren geschlossen worden sind, gem. Art. 229 § 44 Abs. 1 EGBGB vom Anwendungsbereich der Neuregelung des § 1303 S. 2 BGB ausgeschlossen und weiterhin nach den Regelungen des alten Rechts aufhebbar sind, werden die vor dem 22.7.2017 von unter 16-Jährigen nach ausländischem Recht wirksam geschlossenen Minderjährigenehen abgesehen von den in Art. 229 § 44 Abs. 4 EGBGB statuierten Ausnahmen als unwirksam angesehen. Dies gilt auch dann, wenn über diese Ehen bereits vor Inkrafttreten des KEhenBekG gerichtlich entschieden wurde407, wodurch das Prinzip der Rechtssicherheit in seiner genuinen Funktion betroffen wird.408 In diesem Sinne wirkt das Gesetz auf den Zeitpunkt vor seiner Verkündung zurück und ignoriert das Vertrauen der Beteiligten in den Bestand ihrer Ehe und verwandtschaftlichen Beziehungen. Der Umgang mit den nach ausländischem Eheschließungsstatut geschlossenen Ehen begegnet daher nicht nur unter dem Aspekt des Art. 3 Abs. 1 GG massiven – letztlich durchschlagenden – Einwänden.409 Vielmehr hat die rückwirkende Beseitigung der unter Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB zu subsumierenden Auslandsehen für die Betroffenen einen unwiderbringlichen Verlust des Ehe- und Abstammungsstatus zur Folge. Insofern ist die Neuregelung einer verfassungsrechtlichen Prüfung am Maßstab des Art. 20 Abs. 3 GG zu unterziehen.

407 So im Fall des AG Kassel 7.3.2018, Az. 524 F 3451/17 E1, FamRZ 2018, 1149 f.: hier wurde die Ehe zunächst als aufhebbar angesehen und bewusst auf die Einleitung eines Aufhebungsverfahrens verzichtet. Mit dem Beschluss wurde die Ehe nach Inkrafttreten des KEhenBekG sodann für unwirksam befunden. Auch im Fall des BGH 14.11.2018, Az. XII ZB 292/16, FamRZ 2019, 181 ff. hatte die Vorinstanz die Ehe als aufhebbar, aber wirksam eingestuft. Der BGH zweifelte die sich aus dem KEhenBekG ergebende Unwirksamkeitslösung in ihrer Verfassungsmäßigkeit an und legte den Fall dem BVerfG vor. S. zum Gesamten auch Schulte-Rudzio, Minderjährigenehen in Deutschland, 337 ff. 408 Vgl. Beaucamp, DÖV 2017, 699, 700 f. 409 S. zur Prüfung 1. d).

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Kap. 4: Das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen auf dem Prüfstand

a) Art der Rückwirkung Das Rückwirkungsverbot als Ausprägung des Vertrauensschutzes leitet sich aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG ab: Der Bürger soll auf die Beständigkeit der Rechtsnormen, die eine wesentliche Grundlage seiner Lebensgestaltung bilden und an die seine Erwartungen und Dispositionen anknüpfen, vertrauen dürfen.410 Dabei reicht der Vertrauensschutz nicht im Sinne eines generellen Rückwirkungsverbots so weit, dass der Bürger vor jedweder Änderung der für ihn günstigen, geltenden Rechtslage gefeit wäre.411 Allerdings schützt die Verfassung grundsätzlich das Vertrauen darauf, dass die mit abgeschlossenen Tatbeständen verknüpften gesetzlichen Rechtsfolgen anerkannt bleiben.412 Zur Zulässigkeit der Rückwirkung nachteiliger Gesetze hat das BVerfG die Fallgruppen der echten, retroaktiven und der unechten, retrospektiven Rückwirkung entwickelt.413 Die echte Rückwirkung liegt vor, wenn ein Gesetz nachträglich ändernd in „abgeschlossene, der Vergangenheit angehörende Tatbestände“ eingreift, deren Rechtsfolgen vor Gesetzesverkündung eingetreten sind.414 In diesem Fall knüpft das Gesetz an bereits abgeschlossene Tatbestände neue Rechtsfolgen an (sog. Rückbewirkung von Rechtsfolgen).415 Echt rückwirkende Gesetze sind im Zweifel verfassungsrechtlich unzulässig.416 Ausnahmsweise sind sie zulässig, wenn kein Vertrauenstatbestand vorliegt, bestehendes Vertrauen nicht schutzwürdig ist oder dem Vertrauen überwiegende öffentliche Interessen entgegenstehen.

410 Sachs/Sachs, 9. Aufl., 2021, Art. 20 GG Rn. 131; BeckOK/Huster/Rux, 51. Ed., 15.5.2022, Art. 20 GG Rn. 184; Maurer, Staatsrecht I, § 17 Rn. 112. 411 BVerfG 17.7.1974, Az. 1 BvR 51, 160, 285/69, 16, 18, 26/72, NJW 1975, 30, 32; BVerfG 5.2.2002, Az. 2 BvR 305/93, NJW 2002, 3009, 3012; BVerfG 10.10.2012, Az. 1 BvL 6/07, NJW 2013, 145, 147; vgl. Schwarz, Vertrauensschutz als Verfassungsprinzip, 115. 412 S. BVerfG 22.4.1998, Az. 1 BvR 2146/94, VIZ 1998, 586, 587; vgl. a. BVerfG 19.12.1961, Az. 2 BvL 6/59, BVerfGE 13, 261, 271; BVerfG 23.3.1971, Az. 2 BvL 2/ 66, 2 BvR 168/66, 2 BvR 196/66, 2 BvR 197/66, 2 BvR 210/66, 2 BvR 472/66, BVerfGE 30, 367, 385 f. 413 Grundlegend BVerfG 31.5.1960, Az. 2 BvL 4/59, BVerfGE 11, 139, 145 f.; grundsätzliche Kritk an dieser Unterscheidung übt z. B. Muckel, Kriterien des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes bei Gesetzesänderungen, 74 ff.; diese Kritik abweisend Riechelmann, Rechtssicherheit als Freiheitsschutz: Struktur des verfassungsrechtlichen Bestandsschutzes, 50 f. 414 BVerfG 31.5.1960, Az. 2 BvL 4/59, BVerfGE 11, 139, 145 f.; Dürig/Herzog/ Scholz/Grzeszick, 96. EL, November 2021, Art. 20 GG VII. Rn. 80; BeckOK/Huster/ Rux, 51. Ed., 15.5.2022, Art. 20 GG Rn. 186. 415 Dürig/Herzog/Scholz/Grzeszick, 96. EL, November 2021, Art. 20 GG VII. Rn. 78 f.; BVerfG 14.5.1986, Az. 2 BvL 2/83, NJW 1987, 1749, 1750 ff. 416 Sachs/Sachs, 9. Aufl., 2021, Art. 20 GG Rn. 133; Dürig/Herzog/Scholz/Grzeszick, 96. EL, November 2021, Art. 20 GG VII. Rn. 80; Maurer, Staatsrecht I, § 17 Rn. 117; Beaucamp, DÖV 2017, 699, 703 f.

B. Verfassungsrechtliche Bewertung

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Hierzu haben sich in der Judikatur vier Tatbestände herausgebildet.417 So kann sich der Bürger nicht auf das geltende Recht verlassen, wenn eine bisher unklare und verworrene Rechtslage durch eine rückwirkende Neuregelung bereinigt oder eine nichtige Rechtsvorschrift durch gültiges Recht ersetzt werden soll (sog. Vorbehalt des notleidenden Gesetzes).418 Weiterhin ist eine Rückwirkung gerechtfertigt, wenn der Betroffene zu dem Zeitpunkt, auf den sich die Rückwirkung bezieht, mit einer Gesetzesänderung rechnen musste419 oder die Rückwirkung nur einen unerheblichen Schaden verursacht (sog. Bagatellvorbehalt).420 Der Schutz berechtigten Vertrauens tritt außerdem zurück, wenn überragende Belange des Gemeinwohls die Rückwirkung erfordern (sog. Gemeinwohlvorbehalt).421 Dagegen wird eine unechte (retrospektive) Rückwirkung dann angenommen, wenn das Gesetz „nur auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt“.422 Die Norm knüpft in ihrem Tatbestand an Gegebenheiten vor ihrer Verkündung an, um Rechtsfolgen für die Zukunft zu regeln (sog. tatbestandliche Rückanknüpfung423). Belastende Gesetze mit unechter Rückwirkung sind nicht grundsätzlich unzulässig; der Betroffene muss bei gegenwärtigen Sachverhalten mit Veränderungen rechnen, und die allgemeine Erwartung des unveränderten Fortbestands des geltenden Rechts genießt keinen besonderen Schutz. Die Grenze der legislatorischen Änderungsbefugnis wird nur dann überschritten, wenn das Ausmaß des verursachten Vertrauensschadens und die Beeinträchtigung der geschützten Grundrechtspositionen des Bürgers nach Vornahme einer Interessenabwägung mit dem Rückwirkungsinteresse des Staates (Gemeinwohlinteresse) überwiegen.424

417

Zusammengefasst in: BVerfG 19.12.1961, Az. 2 BvL 6/59, BVerfGE 13, 261,

271 f. 418 BVerfG 4.5.1960, Az. 1 BvL 17/57, NJW 1960, 1195; Dürig/Herzog/Scholz/ Grzeszick, 96. EL, November 2021, Art. 20 GG VII. Rn. 86. 419 BVerfG 30.4.1952, Az. 1 BvR 14/52, 1 BvR 25/52, 1 BvR 167/52, BVerfGE 1, 264, 280; BeckOK/Huster/Rux, 51. Ed., 15.5.2022, Art. 20 GG Rn. 186.1. 420 BVerfG 23.3.1971, Az. 2 BvL 2/66, 2 BvR 168/66, 2 BvR 196/66, 2 BvR 197/ 66, 2 BvR 210/66, 2 BvR 472/66, BVerfGE 30, 367, 389; Sachs/Sachs, 9. Aufl., 2021, Art. 20 GG Rn. 135. 421 BVerfG 1.7.1953, Az. 1 BvL 23/51, NJW 1953, 1137, 1138; Dürig/Herzog/ Scholz/Grzeszick, 96. EL, November 2021, Art. 20 GG VII. Rn. 85. 422 Erstmalig BVerfG 31.5.1960, Az. 2 BvL 4/59, BVerfGE 11, 139, 145 f. 423 S. Dürig/Herzog/Scholz/Grzeszick, 96. EL, November 2021, Art. 20 GG VII. Rn. 78. 424 S. nur BVerfG 11.10.1962, Az. 1 BvL 22/57, NJW 1963, 29, 30; BVerfG 10.4.1984, Az. 2 BvL 19/82, NJW 1984, 2567; BVerfG 5.2.2002, Az. 2 BvR 305/93, NJW 2002, 3009, 3011; Sachs/Sachs, 9. Aufl., 2021, Art. 20 GG Rn. 137; BVerfG 7.7.2010, Az. 2 BvL 14/02, NJW 2010, 3629, 3630 ff.; Schwarz, Vertrauensschutz als Verfassungsprinzip, 107 f.; Beaucamp, DÖV 2017, 699, 704.

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Kap. 4: Das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen auf dem Prüfstand

b) Verlust des Ehestatus Abgesehen von den in der Überleitungsvorschrift des Art. 229 § 44 Abs. 4 EGBGB genannten Ausnahmefällen werden durch Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB pauschal alle im Ausland vor dem 22.7.2017 im Alter von unter 16 Jahren geschlossenen Ehen ex tunc als Nichtehen angesehen. Damit werden den jeweiligen Ehen im Nachhinein belastendere Konsequenzen beigemessen, als sie zum Zeitpunkt des rechtserheblichen Verhaltens – hier der Eheschließung als Begründung des Statusverhältnisses – galten, sodass hier die grundrechtsspezifische Ausprägung des Vertrauensgrundsatzes nach Art. 6 Abs. 1 i.V. m. Art. 20 Abs. 3 GG425 betroffen ist. Während sich die Rechtsfolgen einer ex nunc wirkenden Aufhebung (§§ 1313 ff. BGB) weitgehend nach den Vorschriften über die Scheidung (§ 1318 BGB) richten, sodass wesentliche Ansprüche (Versorgungsausgleich, Güterrechts-, Erb- und Unterhaltsansprüche) bestehen bleiben können, entfaltet die Nichtehe von vornherein keinerlei Rechtswirkung. Dies gilt auch dann, wenn der minderjährige Ehegatte volljährig geworden ist und die Ehe fortsetzen möchte. Da die Ehe nach allgemeinem Rechtsverständnis niemals existiert hat, entfallen somit sämtliche auf dem Bestand der Ehe gründenden rechtlichen Forderungen.426 Bei bereits erbrachten Leistungen wird zudem der bereicherungsrechtliche Rückabwicklungsmechanismus der §§ 812 ff. BGB in Gang gesetzt, sodass der eigentlich schutz- und unterstützungsbedürftige Minderjährige eventuell Rückzahlungen leisten muss.427 Neben der materiellen Absicherung wird den Minderjährigen der Schutz der Ehe als familienrechtlich anerkannter Bereich des Rückzugs und der emotionalen Geborgenheit genommen.428 Dieser folgenschwere Befund wirft die Frage auf, ob die Rückwirkung den aus dem Rechtsstaatsprinzip erwachsenden verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt.429 Im Voraus ist zu klären, um welche Art der Rückwirkung es sich hier handelt. Wählt man als Anknüpfungspunkt für die verfassungsrechtliche Prüfung den Bestand der Ehe, so beträfe die Gesetzesänderung auf den ersten Blick gegenwärtige, eventuell aufhebbare, aber jedenfalls noch nicht abgeschlossene Rechtsbeziehungen, deren Rechtsfolgen durch den Gesetzgeber lediglich nachträglich in

425 Zur vertrauensschützenden Wirkung des Art. 6 Abs. 1 GG, s. Muckel, Kriterien des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes bei Gesetzesänderungen, 48 f. 426 Genauer zu den rechtlichen Auswirkungen der Eheunwirksamkeit: Kap. 3 D. II. 2. 427 Auch Gössl, BRJ 2019, 6, 9; Deutscher Notarverein, Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen, 22.2.2017, 2; Deutscher Caritasverband e. V., Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen, 22.2.2017, 9; genauer hierzu Blasweiler, Das Verbot von Kinderehen und dessen Auswirkungen auf das Familien- und Erbrecht, 69 ff., 97 f. 428 Coester-Waltjen, IPRax 2017, 429, 435; Schulte-Rudzio, Minderjährigenehen in Deutschland, 329. 429 S. a. Andrae, RPsych 2017, 426, 436.

B. Verfassungsrechtliche Bewertung

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für die Betroffenen nachteiliger Weise modifiziert würden.430 Für diese Einschätzung spricht die Natur der Ehe als eine „auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaft“.431 So ist zwar die Eheschließung als statusbegründender Rechtsakt im Zeitpunkt des Inkrafttretens des KEhenBekG bereits abgeschlossen, den Ehegatten wird es aber gerade auf den Bestand ihres ehelichen Statusverhältnisses ankommen, das eben bis zum Eintritt der Unwirksamkeit noch andauert und nicht abgewickelt ist. Die Unwirksamkeitsfolge verwandelt sodann die wirksame, eventuell bereits für aufhebbar befundene, jedenfalls aber fortwährende Ehe in eine Nichtehe. Zwar erfolgt diese Rechtsfolgenumwandlung nach der ausdrücklichen Anordnung des Gesetzgebers mit Wirkung ex tunc, doch handelt es sich bei der vorverlagerten Geltung der Regelung um eine juristische Fiktion. So kann die Rechtsfolge der Unwirksamkeit faktisch erst nach Inkrafttreten des Gesetzes für die Zukunft (pro futuro) durchgesetzt werden.432 Würde eine solche Betrachtungsweise zutreffen, so führte indes denknotwendig jede Art der gesetzlichen Rückwirkung zur Annahme einer Rückanknüpfung auf Tatbestandsebene, also einer unechten Rückwirkung, da eine Rechtsnorm stets nur in fingierter Weise Wirkung für die Vergangenheit zeitigt.433 Die Unwirksamkeit als Wesensmerkmal der Nichtigkeitsfolge erzeugt für die Betroffenen jedoch spürbare, in die Vergangenheit reichende Konsequenzen, soweit bei der Geltendmachung ehebezogener Ansprüche (Unterhalts-, Erbansprüche, Zugewinn- und Versorgungsausgleich) die auf dem Bestand der Ehe basierenden Forderungen in ihrem Umfang verkürzt oder gar nicht erst zur Entstehung gelangen. Aufgrund dieser weittragenden negativen Folgen sind gegenüber der Annahme einer bloß unechten, retrospektiven Rückwirkung starke Zweifel angebracht. Bei näherer Betrachtung regelt Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB nicht Rechtsfolgen für die Zukunft, sondern greift nachträglich ändernd in den abgeschlossenen Sachverhalt der im Ausland vor Inkrafttreten des KEhenBekG erfolgten Eheschließung ein und unterwirft ihn einer neuen rechtlichen Bewertung. Dadurch wird eine eventuell bereits abgeschlossene Prüfung der Anerkennungsfähigkeit der Ehe nach den früher geltenden internationalprivatrechtlichen Regelungen, wo430 BGH 14.11.2018, Az. XII ZB 292/16, FamRZ 2019, 181, 187; Frank, StAZ 2019, 129, 131. 431 BVerfG 17.7.2002, Az. 1 BvF 1/01, 1 BvF 2/01, NJW 2002, 2543, 2547 f.; BVerfG 6.12.2005, Az. 1 BvL 3/03, BVerfGE 115, 1, 19; BVerfG 27.5.2008, Az. 1 BvL 10/05, NJW 2008, 3117, 3118. 432 Die notwendige Schlussfolgerung einer unechten Rückwirkung zieht daher BGH 14.11.2018, Az. XII ZB 292/16, FamRZ 2019, 181, 187; ebenso Rixen, JZ 2019, 628, 631 f.; Frank, StAZ 2019, 129, 131; Schulte-Rudzio, Minderjährigenehen in Deutschland, 339. 433 Diese logische Schwäche der Rückbewirkung von Rechtsfolgen wird aufgezeigt von Hahn, Zur Rückwirkung im Steuerrecht: zugleich eine Kritik am Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Mai 1986, 24 ff.; Schwarz, Vertrauensschutz als Verfassungsprinzip, 112 f.; vgl. a. die Kritik von Altmeyer, Vertrauensschutz im Recht der Europäischen Union und im deutschen Recht, 133.

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Kap. 4: Das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen auf dem Prüfstand

nach selbst ordre public-widrige Ehen als aufhebbare Ehen zunächst einmal Wirksamkeit entfalteten, verworfen und durch das Unwirksamkeitsverdikt ersetzt. Wenn jedoch infolge einer Gesetzesänderung die mit dem abgeschlossenen, eventuell viele Jahre zurückliegenden Tatbestand verknüpften Rechtsfolgen nicht weiter anerkannt, sondern (bis auf wenige Ausnahmen) generell versagt werden, liegt nach der Rechtsprechung des BVerfG ein Fall echter Rückwirkung mit engsten verfassungsrechtlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen vor.434 Definitionsgemäß sollte die Unwirksamkeitsrechtsfolge nach Ansicht des Gesetzgebers bereits „für einen vor der Verkündung der Norm liegenden Zeitpunkt auftreten“.435 Nur die Einordnung der Rechtsänderung als retroaktiv rückwirkend vermag das Wesensmerkmal der Nichtigkeitsfolge – die Unwirksamkeit der Ehe ex tunc – also angemessen widerzuspiegeln und die Reichweite der vom Gesetzgeber festgesetzten Maßnahme vollumfänglich abzubilden. Letztlich liegt der Moment der Vertrauensbetätigung der Eheleute in dem Augenblick, in dem sie die Ehe unter Achtung der in ihrem Heimatland geltenden Vorschriften rechtswirksam eingehen. Da ihrer Ehe nach den damaligen Regelungen des deutschen IPR auch Wirksamkeit beizumessen war, wurde diese Ausübung rechtsstaatlichen Vertrauens aus der deutschen Perspektive als solche auch bestätigt, was für vereinzelte Ehen bereits entsprechenden Ausdruck in verwaltungsrechtlichen oder gerichtlichen Entscheidungen vor Inkrafttreten des KEhenBekG gefunden hat.436 Wesentlicher Bezugspunkt für die Bestimmung der Rückwirkung muss daher die abgeschlossene Eheschließung als anspruchsbegründender Rechtsakt und nicht etwa der möglicherweise mit einem Eheaufhebungsverfahren belastete, noch andauernde Ehebestand sein.437 Die Klassifizierung als echt rückwirkende Schlechterstellung lässt sich zudem durch einen Vergleich mit ähnlich gelagerten Sachverhalten erhärten, in denen dieselbe Art der Rückwirkung bejaht wurde: In seinem Beschluss vom 12.11. 2015438 beanstandete das BVerfG im Zusammenhang mit der Frage der Zulässig-

434 Vgl. Altmeyer, Vertrauensschutz im Recht der Europäischen Union und im deutschen Recht, 131; BVerfG 19.12.1961, Az. 2 BvL 6/59, BVerfGE 13, 261, 271; BVerfG 23.3.1971, Az. 2 BvL 2/66, 2 BvR 168/66, 2 BvR 196/66, 2 BvR 197/66, 2 BvR 210/ 66, 2 BvR 472/66, BVerfGE 30, 367, 386 f.; im Unterschied zu BVerfG 31.5.1960, Az. 2 BvL 4/59, BVerfGE 11, 139, 145 f. 435 BVerfG 14.5.1986, Az. 2 BvL 2/83, NJW 1987, 1749, 1749 f.; vgl. a. BVerfG 22.3.1983, Az. 2 BvR 475/78, BVerfGE 63, 343, 353. 436 So im Fall des OLG Bamberg 12.5.2016, Az. 2 UF 58/16, FamRZ 2016, 1270 ff. Vgl. a. Zeh, Die ausländische Frühehe und das Rückwirkungsverbot, in: Die Frühehe im Recht, 2021, 241, 254. 437 S. Coester, FamRZ 2019, 282 f.; s. a. Andrae, RPsych 2017, 426, 436; ebenso für eine echte Rückwirkung plädierend Coester-Waltjen, IPRax 2019, 127, 129; zunächst auch Frank, StAZ 2018, 1, 5; anders aber bei ders., StAZ 2019, 129, 131. 438 BVerfG 11.12.2015, Az. 1 BvR 2961/14, 1 BvR 3051/14, NVwZ 2016, 300 ff.

B. Verfassungsrechtliche Bewertung

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keit rückwirkender Abgabenbescheide für Anschlüsse an leistungsgebundene Einrichtungen bzw. Anlagen im Bereich der Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung, dass der Vertrauensschutz der Betroffenen nicht hinreichend berücksichtigt worden sei. Zur Prüfung standen Satzungsänderungen des brandenburgischen Landesgesetzgebers, die in Kombination mit Normen des Kommunalabgabengesetzes (BbgKAG439) eine Verschiebung der Festsetzungsverjährungsfrist für die Erhebung von Anschlussbeiträgen ermöglichten. Hierdurch sollten die infolge fehlerhaften Satzungserlasses entstandenen Beitragsausfälle kompensiert werden. Während § 8 Abs. 7 S. 2 BbgKAG a. F. für die Entstehung der sachlichen Beitragspflicht für Anschlussbeiträge den Zeitpunkt des Inkrafttretens der ersten formell gültigen Beitragssatzung für maßgeblich erklärte, wurde die Norm mit Wirkung zum 1.2.2004 dahingehend geändert, dass es zeitlich auf das Inkrafttreten der rechtswirksamen Satzung ankam (§ 8 Abs. 7 S. 2 BbgKAG n. F.). Auf diese Weise lag es im Machtbereich der Behörden, durch erneuten Satzungserlass die Verjährungsfrist für die Festsetzung von Beitragsansprüchen abermals in Gang zu setzen. Für die betroffenen Beitragsschuldner hatte die Satzungsänderung erhebliche negative Auswirkungen zur Folge, da sie aufgrund der neuen Rechtslage zur Zahlung von Anschlussbeiträgen herangezogen wurden, die nach alter Rechtslage nicht mehr erhoben werden konnten. Nach alter Rechtslage entstand die sachliche Beitragspflicht wirksamkeitsunabhängig im Zeitpunkt des Inkrafttretens der ersten Beitragssatzung mit formellem Geltungsanspruch. Im Falle der Unwirksamkeit dieser Beitragssatzung konnte die sachliche Beitragspflicht für die jeweiligen Grundstücke nur durch eine nachfolgend eingeführte wirksame Beitragssatzung begründet werden, wobei diese rückwirkend am Tag des Inkrafttretens der unwirksamen Beitragssatzung bzw. dem darin festgelegten Zeitpunkt der Entstehung der sachlichen Beitragspflicht in Kraft trat.440 War zu diesem Zeitpunkt jedoch bereits die Festsetzungsverjährungsfrist von vier Jahren nach Abschluss des Kalenderjahres, in dem die unwirksame Satzung in Kraft treten sollte, verstrichen, so waren die jeweiligen Anschlussbeitragsforderungen in der „juristischen Sekunde“ ihrer Entstehung sogleich verjährt und erloschen (§ 12 Abs. 1 Nr. 4 lit. b BbgKAG i.V. m. §§ 169 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, 170 Abs. 1 AO441). Indem für die Entstehung der sachlichen Beitragspflicht nach der neuen Regelung auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens der „rechtswirksamen“ Satzung abzustellen war, konnten die besagten – nach alter Rechtslage verjährten – Anschlussbeitragsforderungen nun doch von den Beitragsschuldnern eingezogen werden. Obwohl die neue Fassung des § 8 Abs. 7 S. 2 BbgKAG ihre Wirkung de facto erst ab Inkraft-

439 Kommunalabgabengesetz für das Land Brandenburg (KAG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 31. März 2004, GVBl. I/04, Nr. 08, 174. 440 BVerfG 11.12.2015, Az. 1 BvR 2961/14, 1 BvR 3051/14, NVwZ 2016, 300, 303. 441 Abgabenordnung.

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Kap. 4: Das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen auf dem Prüfstand

treten der Gesetzesänderung entfaltete, wies sie daher dennoch einen „materiell rückwirkenden Charakter“ 442 auf. Folgerichtig wurde die Neuregelung als echt rückwirkend für verfassungswidrig erklärt. Die in diesem Judikat ausgedrückte Rechtswertung, dass „die Veranlagung der Grundstücke der Bf. [der Betroffenen] zu einem Herstellungsbeitrag rechtlich nicht mehr möglich gewesen wäre, wenn es bei der seinerzeitigen Gesetzeslage geblieben wäre“, ist auf die Umstände der Neuregelung im Zusammenhang der Minderjährigenehen übertragbar. Wie im Kontext der Kanalanschlussbeiträge sehen sich auch die Beteiligten einer unter Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB fallenden Minderjährigenehe, die nicht die Voraussetzungen der Übergangsvorschrift des Art. 229 § 44 Abs. 4 EGBGB erfüllt, mit einer Regelung konfrontiert, die zwar erst mit Inkrafttreten der Gesetzesänderung Wirkung zeitigt, aber materiell auf einen (eventuell weit) zurückliegenden Zeitpunkt (nämlich den der Eheschließung) zurückreicht und damit in einen bereits abgeschlossenen Sachverhalt eingreift. So wird ihre im Ausland wirksam geschlossene und nach damaliger deutscher Kollisionsrechtslage zumindest nicht von vornherein ungültige Ehe rückwirkend in ein rechtliches nullum verwandelt, obwohl die Beteiligten nach früherer Gesetzeslage schlimmstenfalls die Aufhebung als Folge der ordre public-Widrigkeit ihrer Ehe zu befürchten hatten. Eine echt rückwirkende Schlechterstellung der Beteiligten ergibt sich auch aus einer vergleichenden Betrachtung der klassischen Anwendungsfälle des Vertrauensschutzgebots im Steuerrecht, in denen die Steuer mit Ablauf eines Veranlagungszeitraums entsteht. Hier gilt, dass eine echte Rückwirkung gegeben ist, wenn der Gesetzgeber eine bereits entstandene Steuerschuld nachträglich abändert.443 Bei den vor dem 22.7.2017 im Ausland rechtmäßig vollzogenen Eheschließungen handelt es sich um der Vergangenheit angehörige, abgeschlossene und gleichzeitig statusbegründende Rechtsakte, deren Wirksamkeit für die deutsche Rechtsordnung nach früherer internationalprivatrechtlicher Einschätzung (lediglich) unter dem Vorbehalt der Vereinbarkeit mit dem ordre public stand. Dabei wurden ordre public-widrige Ehen zwar als aufhebbar eingestuft, aber nicht als „null und nichtig“ abqualifiziert. Insofern hat der Gesetzgeber die (bereits entstandenen) Rechtsfolgen des „ins Werk gesetzten“ Eheschließungstatbestands nachträglich belastend abgeändert und damit das Vertrauen der Beteiligten auf die Fortgeltung der bisherigen (Ehe)Rechtslage auf echt rückwirkende Weise verletzt.444

442

BVerfG 11.12.2015, Az. 1 BvR 2961/14, 1 BvR 3051/14, NVwZ 2016, 300, 303. S. nur BVerfG 7.7.2010, Az. 2 BvL 14/02, NJW 2010, 3629, 3631. 444 So auch Zeh, Die ausländische Frühehe und das Rückwirkungsverbot, in: Die Frühehe im Recht, 2021, 241, 254. Sollte man sich der Annahme einer echten Rückwirkung aber verschließen und von einer unechten Rückwirkung ausgehen, so ist dennoch eine Vereinbarkeit mit den Grundsätzen des rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes zwei443

B. Verfassungsrechtliche Bewertung

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aa) Vertrauenstatbestand Die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes können durch das Gesetz nur dann verletzt sein, wenn zuvor tatsächlich ein Vertrauenstatbestand entstanden war.445 Ob die bisherige Rechtslage eine tragfähige Vertrauensgrundlage für die Betroffenen bot, kann im vorliegenden Kontext angezweifelt werden. Wie oben festgestellt, ist im Ausland geschlossenen Minderjährigenehen auch aus Gründen der Völkerrechtsfreundlichkeit446 zwar grundsätzlich Verfassungsschutz zuzuerkennen, wenn sie bestimmte Voraussetzungen erfüllen.447 Allerdings wurde der Umgang mit Minderjährigenehen vor der Gesetzesreform in der Vergangenheit als diffus kritisiert448, sodass der Ausnahmetatbestand einer „unklaren Rechtslage“ naheliegend erscheint.449 Denn ist die bisherige Rechtslage verworren, kann die Rückwirkung ausnahmsweise zulässig sein. Zu klären ist also, ob vor der Gesetzesänderung eine stringente Linie in Rechtsprechung und Literatur erkennbar war, die den Betroffenen Vertrauen vermittelt haben könnte. Vor Inkrafttreten des KEhenBekG waren die im Ausland geschlossenen Ehen einer Einzelfallprüfung am Maßstab des ordre public zu unterziehen. In Bezug auf Ehen, die im Ausland im Alter von unter 16 Jahren eingegangen wurden, kamen die Gerichte zu unterschiedlichen Ergebnissen. Uneinigkeit herrschte sowohl über die Altersgrenze für das Eingreifen des Art. 6 EGBGB als auch über die Rechtsfolgen eines ordre public-Verstoßes.450 Im Zeitpunkt des Inkrafttretens des KEhenBekG war die Frage der Rechtsgültigkeit von Minderjährigenehen Gegenstand eines Verfahrens vor dem BGH; das oberste Gericht hatte aber noch keine Entscheidung getroffen. Dass gerichtliche Unstimmigkeit die Vertrauensgrundlage entziehen kann, ist im Wege des Erst-Recht-Schlusses aus einem Urteil des BVerfG herzuleiten, das eine verworrene Rechtslage selbst bei Vorliegen einer höchstrichterlichen Entscheidung in einer instanzgerichtlich sehr umstrittenen Frage angenommen hat, wenn sich noch keine gefestigte und langjährige Rechtsprechung hierzu gebildet hatte.451 In Ermangelung einer klaren Tendenz in felhaft, s. BGH 14.11.2018, Az. XII ZB 292/16, FamRZ 2019, 181, 187; Schulte-Rudzio, Minderjährigenehen in Deutschland, 339 f.; vgl. a. Coester, FamRZ 2019, 282, 283, der auf die hohen Hürden einer hypothetischen unechten Rückwirkung aufmerksam macht. 445 Zu den Voraussetzungen, s. Beaucamp, DÖV 2017, 699, 703. 446 Dreier/Brosius-Gersdorf, 3. Aufl., 2013, Art. 6 GG Rn. 54. 447 S. hierzu 1. a) aa) (2). 448 S. BeckOGK/Stürner, 1.2.2022, Art. 6 EGBGB Rn. 339; MüKo/Wellenhofer, 8. Aufl., 2021, Art. 229 § 44 EGBGB Rn. 3; Majer, NZFam 2017, 537, 538; SütterlinWack, FF 2017, 473, 474. 449 A. A. Andrae, RPsych 2017, 426, 437. 450 Diese Streitpunkte werden in Kap. 2 B. IV. 2. und 5. hinlänglich behandelt. 451 BVerfG 2.5.2012, Az. 2 BvL 5/10, BVerfGE 131, 20, 41 ff.

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Kap. 4: Das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen auf dem Prüfstand

Rechtsprechung und Literatur erscheint es daher angebracht, auch im hiesigen Kontext die Vertrauensgrundlage zu verneinen. An dieser Stelle muss man aber zu bedenken geben, dass die Gerichte im Kontext der Minderjährigenehen in den Entscheidungen bestimmte Faustregeln zur Prüfung des Vorliegens eines ordre public-Verstoßes entwickelt haben.452 Bei zwar im Ausland geschlossenen, aber in Deutschland gelebten Ehen wurde jedenfalls ein ausreichender Inlandsbezug angenommen, um in ordre public-Erwägungen einzusteigen.453 Die Abweichung von deutschen Rechtsgrundsätzen wurde umso weniger toleriert, je enger dieser Inlandsbezug war. Auch die Wünsche der Ehegatten flossen in die Abwägung mit ein. Weitere Leitlinien der Prüfung waren die Verstandesreife der jeweiligen Minderjährigen, die Dauer der Ehe sowie das Vorhandensein von Kindern und die Bestimmung der Rechtsfolgen eines ordre public-Verstoßes unter Berücksichtigung der Entstehung hinkender Ehen.454 Die uneinheitliche Handhabung des ordre public im Hinblick auf im Ausland vor Vollendung des 16. Lebensjahres geschlossene Ehen resultierte nicht zuletzt aus der einzelfallorientierten Prüfung, die Art. 6 EGBGB vorschreibt. Insofern war die verworren anmutende Behandlung dieser Ehen vom Gesetzgeber intendiert, um jeden einzelnen Fall einer verfassungskonformen Lösung zuzuführen. Für die Annahme einer Vertrauensgrundlage spricht zudem, dass andernfalls der Gesetzgeber jederzeit unter Berufung auf bestehende Auslegungsprobleme echt rückwirkende Gesetzesänderungen veranlassen könnte.455 Auch die unterschiedlichen Rechtsfolgen im Falle eines ordre public-Verstoßes können die Vertrauensbasis nicht erschüttern. So wurden die Ehen für gewöhnlich auch dann für aufhebbar erklärt, wenn das deutsche Recht im Falle eines ordre public-Verstoßes nicht zur Anwendung gelangte, da die herangezogenen ausländischen Sachrechte (lex causae) meist selbst die Aufhebbarkeit als Fehlerfolge und somit die (vorläufige) Wirksamkeit der Ehe vorsahen.456 Zudem war man sich weitgehend darüber einig, dass die Rechtsfolgen nach dem grundsätzlich zur Anwendung berufenen ausländischen Recht nicht strenger sein dürften als diejenigen nach deutschem Recht.457 Die Rechtslage war somit geeignet, einen Vertrauenstatbestand für die Betroffenen zu schaffen.

452 Möller/Yassari, KJ 2017, 269, 277 f. m.w. N.; vgl. a. Zeh, Die ausländische Frühehe und das Rückwirkungsverbot, in: Die Frühehe im Recht, 2021, 241, 256. 453 Coester, StAZ 2016, 257, 261. 454 So auch Möller/Yassari, KJ 2017, 269, 284; Coester, StAZ 2016, 257, 259 f.; zu alldem: Kap. 2 C. 455 BGH 17.12.2013, Az. 1 BvL 5/08, BVerfGE 135, 1, 24. 456 Opris, ZErb 2017, 158, 162 m. Fn. 35. Die Nichtigkeitsfolge wurde nur in vereinzelten Fällen (KG 21.11.2011, Az. 1 W 79/11, FamRZ 2012, 1495, 1496; AG Greifswald 25.1.2010, Az. 61 F 214/08, IPRspr 2010, 178 f.) veranlasst. 457 S. Andrae, NZFam 2016, 923, 929; Frank, StAZ 2012, 129, 130 f.

B. Verfassungsrechtliche Bewertung

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bb) Schutzwürdigkeit des Vertrauens Die Schutzwürdigkeit des Vertrauens auf den Bestand geltenden Rechts endet dann, wenn die Betroffenen nicht mit dem Fortbestand der Regelungen rechnen konnten. Nach den Ausführungen des BVerfG muss der von einem Gesetz Betroffene grundsätzlich „bis zum Zeitpunkt der Verkündung“ einer Neuregelung darauf vertrauen können, dass er nicht nachträglich einer bisher nicht geltenden Belastung unterworfen wird.458 Die Schutzwürdigkeit des Vertrauens steht außerdem in Frage, wenn zwingende Belange des Allgemeinwohls die rückwirkende Regelung erforderlich machen.459 Als Gemeinwohlbelang kommt hier die Rechtssicherheit als selbstgestecktes Ziel des Gesetzgebers in Betracht. An den Ausnahmetatbestand sind indes hohe Anforderungen zu stellen.460 Die vor Inkrafttreten des Gesetzes nach ausländischem Recht zustande gekommenen Auslandsehen vom Anwendungsbereich der Unwirksamkeitsregeln auszuschließen, wäre der Rechtssicherheit jedoch nicht abträglich gewesen. Der rückwirkende Unwirksamkeitsautomatismus ist somit nicht durch überwiegende zwingende Gründe des Gemeinwohls zu rechtfertigen. Insgesamt kann man also konstatieren, dass die Betroffenen einer vor Inkrafttreten des KEhenBekG im Ausland geschlossenen Minderjährigenehe schützwürdiges Vertrauen in die Wirksamkeit ihrer Ehe aufgebaut haben.461 Selbst im Falle einer schon als aufhebbar deklarierten Ehe durften die Eheleute darauf vertrauen, dass ihre Ehe bis zur gerichtlich erklärten Aufhebung als wirksame Ehe behandelt würde und sie in den Genuss der damit verbundenen Vorteile kommen. Mit der Bewertung dieser Ehen als unwirksam hat der Gesetzgeber den Vertrauensschutz mithin nicht hinreichend berücksichtigt. c) Der Verlust des Abstammungsstatus Das Verdikt der Nichtehe hat für die Betroffenen auch abstammungsrechtliche Nachteile zur Folge. So führt die ex tunc-Wirkung der Nichtehe bei in Deutschland lebenden Kindern, die in die jeweilige unwirksame Auslandsehe geboren wurden, wegen § 1592 Nr. 1 BGB, der über Art. 19 Abs. 1 EGBGB Anwendung 458 BVerfG 14.5.1986, Az. 2 BvL 2/83, NJW 1987, 1749, 1752; BVerfG 3.12.1997, Az. 2 BvR 882–97, NJW 1998, 1547, 1548. 459 Ibid.; BVerfG 14.5.1986, Az. 2 BvL 2/83, NJW 1987, 1749, 1753. 460 Dürig/Herzog/Scholz/Grzeszick, 96. EL, November 2021, Art. 20 GG VII. Rn. 85. 461 Zum gleichen Ergebnis kommt Zeh, Die ausländische Frühehe und das Rückwirkungsverbot, in: Die Frühehe im Recht, 2021, 241, 258. Restriktiv dagegen Andrae, RPsych 2017, 426, 437, die die im Jahr 2016 aufkommende Diskussion über die Wirksamkeit von Minderjährigenehen zum Anlass nimmt, ab diesem Zeitpunkt geschlossene Ehen vom Bestandsschutz auszuschließen.

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findet, zum Verlust der Abstammungszuordnung. Da die Abstammung des Kindes vom Vater durch die ex tunc eintretende Eheunwirksamkeit nicht vermittelt werden kann, bedarf es für die Herstellung der rechtlichen Vaterposition der wirksamen Anerkennung oder Feststellung der Vaterschaft nach § 1592 Nr. 2 i.V. m. § 1594 BGB oder § 1592 Nr. 3 i.V. m. § 1600d BGB. Insofern wird durch die Vorenthaltung der Vaterstellung nicht nur die abstammungsrechtliche Zuordnung des Kindes zu seinem Vater für die Zukunft verhindert, sondern auch sein Abstammungsstatus in der Vergangenheit „rückbewirkend“ getilgt. Auch insofern ist mithin ein Fall der echten Rückwirkung gegeben.462 Wie oben erläutert, wurde bisher die Linie verfolgt, dass im Ausland geschlossene Ehen, die vor Vollendung des 16. Lebensjahres eingegangen wurden, lediglich als aufhebbar eingestuft wurden, weswegen die rechtliche Vaterschaft infolge der ex nunc-Wirkung weiterhin Bestand hatte. Der Vertrauenstatbestand liegt hier also in der Geltung des § 1592 Nr. 1 BGB, der anerkannterweise auch bei aufhebbaren Ehen Anwendung findet.463 Gegen die Schutzbedürftigkeit bestehen auch hier keine rechtlichen Bedenken. Dass einem Kind rückwirkend der Vater genommen wird, kann nicht im Sinne des Allgemeinwohls sein. Das Ziel der Rechtsklarheit tritt hier eindeutig hinter dem Vertrauensschutz zurück, sodass ein Rechtfertigungsgrund für die echte Rückwirkung nicht erkennbar ist. Insofern führt auch hier die Anwendung des Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB zu einer verfassungsrechtlich unzulässigen Rückwirkung. d) Zwischenergebnis Mit der in Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB verwirklichten Nichtigkeitslösung hat der Gesetzgeber die durch den Vertrauensschutz gezogenen verfassungsrechtlichen Grenzen überschritten. Die Norm verstößt wegen des damit einhergehenden Verlusts des Ehestatus für alle Betroffenen, die im Ausland vor Inkrafttreten des KEhenBekG die Ehe geschlossen haben, gegen das Rückwirkungsverbot. Auch in Anbetracht des Abstammungsstatus der in die betroffenen Ehen hineingeborenen Kinder ist die Regelung nicht mit dem Rechtsstaatsprinzip zu vereinbaren. 4. Zusammenfassung Der Unwirksamkeitsautomatismus mit seiner unmittelbaren Konsequenz der eventuell rückwirkenden Vaterschaftsbeseitigung verstößt gegen die Grundrechte der Ehegatten in Gestalt der Art. 6 Abs. 1, Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG, Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 3 Abs. 1 GG sowie gegen Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG und Art. 6 Abs. 1 GG als Grundrechte der aus der ehe462 Frank, StAZ 2018, 1; so auch Schulte-Rudzio, Minderjährigenehen in Deutschland, 341. 463 MüKo/Wellenhofer, 8. Aufl., 2020, § 1592 BGB Rn. 6.

B. Verfassungsrechtliche Bewertung

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lichen Verbindung hervorgegangenen Kinder. Auch die Überleitungsvorschrift des Art. 229 § 44 Abs. 1, Abs. 4 Nr. 2 EGBGB widerspricht dem Gleichheitsprinzip des Art. 3 Abs. 1 GG. Mit Blick auf die rückwirkende Beseitigung der ehelichen und abstammungsrechtlichen Statusverhältnisse ist dem Gesetzgeber ferner aus rechtsstaatlicher Perspektive ein Verstoß gegen den verfassungsrechtlich gebotenen Vertrauensschutz nach Art. 20 Abs. 3 GG anzulasten.

III. Aufhebbarkeit der im Alter von 16 und 17 Jahren geschlossenen Ehen Nach § 1314 Abs. 1 Nr. 1 BGB kann eine Ehe aufgehoben werden, wenn der minderjährige Ehegatte im Zeitpunkt der Eheschließung das 16. Lebensjahr vollendet hatte. Diese Altersgrenze wird nach Maßgabe des Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB auch auf im Ausland rechtmäßig begründete Ehen übertragen. Zur schnelleren Durchführung der Eheaufhebungsverfahren gilt das Vorrang- und Beschleunigungsgebot des § 129a FamFG. Ob auch diese Regelung gegen die Verfassung verstößt, wird im Folgenden erörtert. 1. Verstoß gegen Grundrechte der Ehegatten a) Schutz der Ehe und Familie, Art. 6 Abs. 1 GG Die unter das Aufhebbarkeitsgebot fallenden Ehen sind zwar zunächst im deutschen Rechtsraum vollgültig, können aber durch die Gerichte auf Antrag der zuständigen Behörde mit Wirkung pro futuro aufgehoben werden. Wie im Fall der Eheunwirksamkeit ist daher auch hier ein Verstoß gegen den in Art. 6 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich verbürgten Ehe- und Familienschutz denkbar. aa) Schutzbereich Die oben herausgearbeiteten Grundsätze464 über die Ausdehnung der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des Art. 6 Abs. 1 GG auf im Ausland geschlossene Ehen, die zunächst gegen das Strukturprinzip der Konsensualehe verstießen, aber durch andauerndes einvernehmliches Zusammenleben der Eheleute geheilt wurden und somit im Beurteilungszeitpunkt zu „mangelfreien“ Ehen erstarkt sind, kommen auch im vorliegenden Zusammenhang zum Tragen. Sollten die Ehepartner über längere Zeit hinweg in einvernehmlichem Konsens die Ehe geführt haben, findet Art. 6 Abs. 1 GG auch dann Anwendung, wenn ein oder beide Ehepartner im Beurteilungszeitpunkt nicht mehr an der Ehe festhalten wollen.465 464

S. II. 1. a) aa) (4). Diese Situation tritt auch in dem Beispielsfall unter Kap. 3 D. I. 4. a) bb) auf. Aktuelles Exempel aus der Rspr. ist der dem BGH (14.8.2020, Az. XII ZB 131/20, FamRZ 2020, 1533 ff.) unterbreitete Fall. 465

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Außerdem ist der Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG auch dann eröffnet, wenn die jeweilige Ehe von beiden Ehepartnern eigenverantwortlich und autonom geschlossen wurde, wobei der minderjährige Ehegatte die notwendige Reife für eine solch weittragende Entscheidung erreicht haben muss. Die grundrechtlich radizierte Schutzwirkung wird indes versagt, wenn der minderjährige Ehegatte keine hinreichende Reife besaß, die Ehe unfreiwillig eingegangen ist und weiterhin Anzeichen für eine andauernde Zwanghaftigkeit der Ehe bestehen. Weiterer Schutzgegenstand des Art. 6 Abs. 1 GG ist die Familie als „die umfassende Gemeinschaft zwischen Eltern und Kindern“.466 bb) Eingriff Als Abwehrrecht schützt das Grundrecht des Art. 6 Abs. 1 GG das eheliche Zusammenleben und den familiären Bereich vor staatlichen Eingriffen, die sich verfassungsrechtlich nicht rechtfertigen lassen. Zu klären ist zunächst, ob und inwiefern die Qualifizierung als aufhebbare Ehe und die anschließende Aufhebung gem. Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB i.V. m. §§ 1313 ff. BGB einen Eingriffstatbestand darstellen. Die Einordnung als kraft Gesetzes aufhebbare Ehe an sich kann nicht als beeinträchtigend angesehen werden: Die betroffenen Ehen sind weiterhin vollumfänglich wirksam, ihre Existenz wird also für die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft bis zur Rechtskraft der gerichtlichen Aufhebungsentscheidung anerkannt. Alle sich aus einer wirksamen Eheschließung ergebenden Ansprüche gelangen damit zur Entstehung. Ein gerichtlicher Aufhebungszwang, wie ihn das KEhenBekG vorbehaltlich der in § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. a und b BGB enthaltenen Ausnahmen auf den ersten Blick statuiert, besteht – wie oben aufgezeigt wurde467 – letztlich nicht. Zwar entfaltet die Härtefallklausel des § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b BGB eine sehr beschränkte Schutzwirkung. Der Gesetzgeber hat die Vorschrift bewusst sehr eng konzipiert und mit restriktiven Anforderungen („außergewöhnliche Umstände“, „schwere Härte“, „ausnahmsweise geboten“) aufgeladen. Dennoch ist das Normgefüge mit zahlreichen Unwägbarkeiten verbunden.468 So soll § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b BGB nach der Gesetzesbegründung auch dann Anwendung finden, wenn die Aufhebung einer unter Beteiligung eines minderjährigen Unionsbürgers geschlossenen Ehe dessen Freizügigkeitsrecht verletzen würde.469 Weitere für die Ehegatten ausschlaggebende Umstände, die für eine Aufrecht-

466 467 468 469

S. nur BVerfG 29.7.1959, Az. 1 BvR 205/58 u. a., NJW 1959, 1483. Hierzu ausführlich Kap. 3 D. I. 5. Zu den Auslegungsfragen: Kap. 3 D. I. S. Kap. 3 D. I. 4. b) bb) (1).

B. Verfassungsrechtliche Bewertung

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erhaltung der Ehe sprechen mögen, finden aber keine Berücksichtigung.470 Aufgrund des bewussten Verzichts auf eine allgemeine Kindeswohlprüfung kann der Ausschluss der Aufhebung in Härtefällen den erstrebten Minderjährigenschutz nur unzureichend gewährleisten. Die durch die restriktive Ausgestaltung der Härtefallklausel entstehenden Komplikationen und Belastungen können aber durch ein weites Normverständnis des § 1314 Abs. 1 Nr. 1 BGB bewältigt werden.471 So ist die Ausgestaltung als „Kann“-Vorschrift zum Anlass zu nehmen, die Norm einer verfassungskonformen Auslegung zuzuführen und den Gerichten hinsichtlich der Eheaufhebung ein inhaltlich eingeschränktes Ermessen einzuräumen, das ihnen im Ausnahmefall die Aufrechterhaltung der jeweiligen Ehe ermöglicht, wenn die konkreten Fallumstände dies gebieten.472 Die dem Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG unterfallenden Ehen können daher von den Gerichten im Rahmen ihres begrenzten Ermessens vor einer Aufhebung bewahrt werden. Die wesentliche Konsequenz des hier vertretenen wörtlichen Normverständnisses des § 1314 Abs. 1 Nr. 1 BGB liegt für den Rechtsanwender also darin, schützenswerte Minderjährigenehen aus dem Anwendungsbereich der Aufhebungsregel auszuklammern. Das Aufhebungsverfahren erlaubt damit den Gerichten, das Gesamtbild eines jeden Ausgangsfalls in der gebotenen Sorgfalt zu betrachten und im Einzelfall die jeweilige Ehe aufrechtzuerhalten. Angesichts der milderen Wirkungen und des vorhandenen, wenn auch eingeschränkten Ermessens stellt sich das Aufhebbarkeitsmodell als kindeswohlgemäße Alternative zur Nichtigkeitslösung dar, sodass sich die Grundrechtsfrage prima facie nicht mehr stellt. Doch so schonend die Maßnahme im Vergleich zur Eheunwirksamkeit scheinen mag – auch im Zusammenhang mit der Aufhebbarkeitslösung zeigt sich die intransigente Haltung des Kinderehengesetzgebers in Gestalt der strengen Antragspflicht, der die zuständigen Verwaltungsbehörden im Vorfeld des Aufhebungsverfahrens unterliegen.473 Nach § 1316 Abs. 3 S. 2 BGB ist von der Antragstellung nur dann abzusehen, wenn der minderjährige Ehegatte zwischenzeitlich volljährig geworden ist und zu erkennen gegeben hat, die Ehe fortsetzen zu wollen. Unbenommen dieser Ausnahmemöglichkeit weist die Antragspflicht 470 S. hierzu die Überlegungen in Kap. 3 D. I. 4. b) bb) (3). Unter Berufung auf den verfassungsrechtlichen Schutz, den selbst aufhebbare Ehen nach Art. 6 GG genießen, wird zwar teilweise eine verfassungskonforme Auslegung der Härtefallklausel ins Feld geführt, s. Schwab, FamRZ 2017, 1369, 1370; Löhnig, FamRZ 2018, 749, 750; BeckOGK/Erbarth, 1.6.2022, § 1353 BGB Rn. 283. Eine solche Lesart überschreitet angesichts des restriktiven Wortlauts der Norm jedoch die Grenzen der grammatikalischen Auslegung. 471 Genauer dazu Kap. 3 D. I. 5. 472 So verfährt auch der BGH 14.8.2020, Az. XII ZB 131/20, FamRZ 2020, 1533, 1538. 473 Krit. hierzu a. Weller/Thomale/Hategan u. a., FamRZ 2018, 1289, 1297 f.

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durch die damit einhergehenden Belastungen der Ehegatten und ihrer Kinder Eingriffscharakter auf: So setzt die Beeinträchtigung des Familien- und Ehelebens nicht erst mit der gerichtlichen Aufhebungserklärung ein. Bereits die Stellung des Antrags durch die zuständige Verwaltungsbehörde leitet eine Phase der Unsicherheit für alle Beteiligten ein, in der der Bestand der Ehe als feste Grundlage der familiären Beziehungen in Frage gestellt wird. Die nachfolgende Durchführung des familiengerichtlichen Eheaufhebungsverfahrens unterzieht die Ehe als Fundament der gesamten familiären Situation einer staatlichen Prüfung, sodass die zwischenmenschlichen Beziehungen der einzelnen Familienmitglieder zueinander und der Ehegatten untereinander belastet werden können.474 Erschwerend tritt hinzu, dass es selbst dann bei der Einleitung des Aufhebungsverfahrens bleibt, wenn ein Härtefall i. S. d. § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b BGB (insbesondere lebensbedrohliche Erkrankung oder Suizidgefahr) vorliegt, was für den minderjährigen Ehegatten sehr schwere und gefährliche Konsequenzen haben könnte. cc) Verhältnismäßigkeit Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist zunächst die Zielsetzung des Gesetzgebers in den Blick zu nehmen. Sein vorwiegendes Interesse an einer behördlichen Antragspflicht liegt darin begründet, dass möglichst alle Minderjährigenehen, die nicht durch eine Bestätigung des minderjährigen Ehegatten von der Stellung des Aufhebungsantrags ausgenommen sind, einem gerichtlichen Aufhebungsverfahren unterzogen werden sollen. Aus Seiten des Gesetzgebers bestand dabei die festgefahrene Vorstellung, dass es sich bei diesen Ehen um unfreie Verbindungen handelt, deren Aufhebung er für grundsätzlich notwendig befand. Dementsprechend soll insbesondere die Abwägung, ob Härtefallumstände i. S. d. § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b BGB vorliegen, dem Gericht vorbehalten sein, um die Verfahrenseinleitung auch in einem solchen Fall zu gewährleisten.475 Die Belastungen sind verfassungsrechtlich gerechtfertigt, sofern in das Aufhebungsverfahren Ehen einbezogen werden, bei denen die gerichtliche Untersuchung am Ende ergibt, dass eine Aufhebung durchaus angebracht ist. Verfassungsrechtlich nicht hinzunehmen ist jedoch der in § 1316 Abs. 3 S. 2 BGB unnötig weit gefasste Antragszwang, wonach selbst Ehen einem offenbar aussichtslosen Verfahren ausgesetzt werden, bei denen härtefallbedingt das Ergebnis eines Aufhebungsausschlusses gem. § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b BGB bereits feststeht.476 Der Gesetzgeber hat zudem die Tatsache außer Acht gelassen, dass sich ein zwingendes Aufhebungsverfahren in den genannten Härtefallen gerade als 474 Vgl. Erbarth, FamRB 2019, 425, der im Eheaufhebungsverfahren eine „empfindliche Störung des Ehelebens“ erblickt; ebenso Coester-Waltjen, IPRax 2019, 127, 130. 475 Dies., IPRax 2017, 429, 430. 476 Ebenfalls krit. Bongartz, NZFam 2017, 541, 544.

B. Verfassungsrechtliche Bewertung

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akut kindeswohlgefährdend darstellen könnte: Für minderjährige Ehegatten, auf die die Voraussetzungen der Härtefallklausel zutreffen, könnte die Durchführung eines Aufhebungsverfahrens fatale, das Leben und die körperliche Unversehrtheit bedrohende Konsequenzen haben. Diese besonders schutzbedürftigen minderjährigen Ehegatten einem Aufhebungsverfahren und damit einer für Ehe- und Familienleben massiven Belastung auszusetzen, steht in eklatantem Widerspruch zu dem beabsichtigten Kindeswohlzweck. Soweit man nicht aus diesem Grund bereits die Geeignetheit der gesetzgeberischen Maßnahme in Frage stellt, kommt man im weiteren Verlauf der verfassungsrechtlichen Beurteilung nicht an der Erkenntnis vorbei, dass die Erforderlichkeit und Angemessenheit zu verneinen sind: Als milderes Mittel ist hier an eine Befreiung von der behördlichen Antragspflicht bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände im Sinne des § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b BGB zu denken. Da in diesem Fall eine gerichtliche Aufhebung ohnehin ausgeschlossen ist, wäre eine weitere Ausnahme von der behördlichen Antragspflicht auch nicht minder, sondern sogar besser geeignet, das legislative Ziel des Minderjährigenschutzes zu erreichen. Hier können die zuständigen Behörden im Rahmen der Härtefallprüfung das bestehende öffentliche Aufhebungsinteresse gegen die privaten Interessen der Ehegatten und Kinder unter Beachtung der Grundrechtsgarantien des Art. 6 Abs. 1 GG abwiegen und die Einleitung des Verfahrens verhindern. Die Option würde damit auch dem Verfassungsgebot des Bestandsschutzes von Ehen entsprechen, weil schützenswerten Ehen i. S. d. § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b BGB das Aufhebungsverfahren erspart bliebe. Die Antragspflicht der Behörde vermag aus verfassungsrechtlicher Sicht also nicht zu überzeugen, weil damit in die durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützten Positionen der Ehegatten und deren Kinder auf nicht zu rechtfertigende Weise eingegriffen wird. b) Gleichbehandlungsgrundsatz, Art. 3 Abs. 1 GG Die Übergangsvorschrift des Art. 229 § 44 Abs. 2 EGBGB, die Billigkeitsklausel des § 1318 Abs. 2 S. 2 BGB und die Härtefallnorm des § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b BGB provozieren ferner Wertungswidersprüche im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG. aa) Vorliegen einer Ungleichbehandlung Die Grundlage für einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG bildet das Vorliegen einer sachgrundlosen Ungleichbehandlung. Nach § 1318 Abs. 2 S. 2 BGB finden die Vorschriften über den Betreuungsunterhalt gem. § 1570 BGB „auch insoweit entsprechende Anwendung, als eine Versagung des Unterhalts im Hinblick auf die Belange des Kindes grob unbillig wäre“. Die grobe Unbilligkeit als Bedingung für die Gewährung von Unterhaltsansprüchen ruft dabei die abstruse Situation hervor, dass sich für den betreuen-

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den Elternteil und dessen Kind(er) im Falle einer Eheaufhebung die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen weitaus schwieriger gestaltet als bei Unwirksamkeit der Ehe, wo eine Unterhaltsberechtigung aus § 1615l Abs. 2 S. 3 BGB für mindestens die ersten drei Lebensjahre der Kinder ohne jegliche Billigkeitsprüfung per se zu bejahen ist.477 Diese seltsam anmutende Rechtslage lässt sich jedoch korrigieren: So ist die problematische Forderung nach grober Unbilligkeit, die das BVerfG im Zusammenhang mit einer anderen Norm bereits als inakzeptabel erkannt und zurecht beseitigt hat478, durch eine weite verfassungskonforme Auslegung dahingehend zu interpretieren, dass bei Unterhaltsbedürftigkeit (§ 1569 S. 2 BGB) bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres des Kindes in der Regel Betreuungsunterhalt zu leisten ist.479 Hierdurch wird eine eventuelle sachgrundlose Ungleichbehandlung unterbunden. Möglicherweise führt jedoch § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b BGB zu einer verfassungsrechtlich beanstandungswürdigen Ungleichbehandlung. Während die Norm Unionsbürgern im Falle der Verletzung der unionsrechtlichen Freizügigkeit durch die Aufhebung die Aufrechterhaltung ihrer Ehe gestattet, ist für Drittstaatsangehörige, die nicht unter einer lebensbedrohlichen Erkrankung oder krankheitsbedingten Suizidgefahr leiden, eine solche Ausnahme vom Regelfall der Aufhebung nicht vorgesehen. Allerdings kann die beschriebene Ungleichbehandlung durch § 1314 Abs. 1 BGB aufgelöst werden. Die Norm eröffnet den Gerichten im Rahmen der Aufhebungsentscheidung einen begrenzten Entscheidungsspielraum, den sie nach pflichtgemäßem Ermessen auszufüllen haben. Auf dieser Grundlage können Ehen vor der Aufhebung bewahrt werden, wenn die Aufhebung in keiner Hinsicht aus Kindeswohlgesichtspunkten geboten ist, sondern vielmehr gewichtige Umstände gegen sie sprechen. Insofern liegt auch hier letztlich keine Ungleichbehandlung vor. Weitere Quelle des Unbehagens im Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz ist die Übergangsvorschrift des Art. 229 § 44 Abs. 2 EGBGB. Auf Minderjährigenehen mit deutschem Eheschließungsstatut, die vor Inkrafttreten des KEhenBekG im Alter von 16 oder 17 Jahren unter Einsatz der Befreiungsvorschriften des § 1303 Abs. 2–4 BGB a. F. geschlossen wurden, sind die neuen Rechtsfolgenregelungen nicht anzuwenden. Vielmehr entfalten diese Ehen volle Wirksamkeit. Nach ausländischem Recht im gleichen Altersspektrum auf der Grundlage eines Dispenses geschlossene und nach damaligem IPR wirksame Ehen werden hingegen nicht vom Anwendungbereich der Norm erfasst, sondern unterstehen Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB. Dieses unbefriedigende Resultat lässt sich auch nicht durch eine analoge Anwendung des Art. 229 § 44 Abs. 2 EGBGB auf nach aus477

Diese Kalamität mit einem Bsp. hervorhebend Schwab, FamRZ 2017, 1369,

1371. 478 479

BVerfG 28.2.2007, Az. 1 BvL 9/04, NJW 2007, 1735 ff. S. hierzu Kap. 3 D. I. 2. a) dd).

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ländischem Eheschließungsstatut geschlossene Ehen vermeiden.480 Beiden Konstellationen liegt die Situation zugrunde, dass die Ehe jeweils vor Inkrafttreten des KEhenBekG im Alter von 16 oder 17 Jahren wirksam durch Dispens begründet wurde. Insofern liegt eine Ungleichbehandlung wesentlich gleicher Sachverhalte vor. bb) Fehlen eines sachlichen Grundes Womöglich beruht die unterschiedliche Behandlung vor Inkrafttreten des KEhenBekG geschlossener Ehen in Abhängigkeit vom Eheschließungsstatut jedoch auf einem nachvollziehbaren Sachgrund, sodass sie verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist. Art. 229 § 44 Abs. 2 EGBGB gründet auf der gesetzgeberischen Überzeugung, dass Ehen, die unter Ausnutzung der gerichtlichen Dispensmöglichkeit i. S. d. §§ 1303 Abs. 2–4 BGB a. F. geschlossen wurden, grundsätzlich dem Minderjährigenschutz hinreichend Rechnung tragen.481 Ein sachlicher Grund für die Andersbehandlung von Ehen, die auf der Basis eines von einer ausländischen Behörde oder eines ausländischen Gerichts erteilten Dispenses geschlossen wurden, wäre also gegeben, wenn man es als erwiesen ansehen könnte, dass durch ausländische Gerichte oder Behörden erteilte Befreiungen keinen den ehemaligen deutschen Dispensregelungen ebenbürtigen Schutz vermitteln. Zum besseren Verständnis sind hier skizzenartig die Schutzfaktoren des früheren Rechts in Erinnerung zu rufen. So unterlagen Minderjährigenehen vor Inkrafttreten des KEhenBekG einer eingehenden Prüfung durch die Familiengerichte. Die Ehe durfte in Deutschland nur dann geschlossen werden, wenn der minderjährige Ehewillige das Mindestalter von 16 Jahren vollendet hatte und der künftige Ehepartner am Tag der Eheschließung volljährig war (§ 1303 Abs. 2 BGB a. F.). Zentraler Maßstab des Dispensverfahrens war die Frage, ob die Eheschließung zum geplanten Zeitpunkt das Wohl des Minderjährigen gefährden könnte. Entscheidend war hier, ob der Minderjährige die für eine Ehe erforderliche Reife besitzt, um die Tragweite seines Heiratsentschlusses erfassen zu können, worunter nicht etwa die geistige Einsichtsfähigkeit eines Volljährigen, sondern die altersgerechte Entwicklung der Person zu verstehen war.482 Trotz des ausgeprägten Minderjährigenschutzes, der in den ehemaligen Dispensvorgaben des deutschen Rechts deutlich hervortritt, kann man die den ausländischen Dispensverfahren zugrunde liegenden Schutzstandards wohl kaum allgemein als niedriger ansehen: So repräsentieren die körperliche und geistige Verfassung der minderjährigen Ehegatten in den diversen Ausgestaltungen von Dispensverfahren weltweit „regelmäßig zu prüfende“ Kriterien. In nahezu allen Verfahren ist zudem der „Nutzen“ bzw. das „Wohl“ und „Interesse“ der minder480 481 482

S. oben Kap. 3 D. I. 4. c) bb). S. dazu BGH 14.8.2020, Az. XII ZB 131/20, FamRZ 2020, 1533, 1535. Zum Gesamten: Kap. 2 A. II.

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jährigen Heiratsaspiranten von Relevanz, teilweise werden schwerwiegende Gründe für die Eingehung der Ehe im Minderjährigenalter gefordert.483 Insofern kann das ausländische Dispensverfahren, auf dem die jeweilige Ehe basiert, durchaus ein dem deutschen Recht gleichwertiges Schutzniveau erreichen. Aus rechtsvergleichender Sicht muss man damit die eindeutige Bilanz eines schwächeren Minderjährigenschutzes, wie sie der deutsche Gesetzgeber gezogen hat, zurückweisen. Ein sachlicher Differenzierungsgrund lässt sich dem allgemeinen Ausschluss aller nach ausländischem Eheschließungsstatut vor dem 22.7.2017 geschlossenen Ehen von der Übergangsregelung des Art. 229 § 44 Abs. 2 EGBGB demnach nicht entnehmen. Als mildere Maßnahme hätte der Gesetzgeber die Übergangsregel wenigstens auf solche Ehen erstrecken müssen, die ein den inländischen Regeln äquivalentes ausländisches Befreiungsverfahren durchlaufen haben.484 Kann nämlich im Inland ein Statusverhältnis begründet werden, so muss ein unter denselben Voraussetzungen im Ausland begründetes Statusverhältnis anerkannt werden.485 Da die Ungleichbehandlung jeder sachlichen Grundlage entbehrt, liegt ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG vor.486 483 S. zum Gesamten in der gebotenen Ausführlichkeit: Max-Planck-Institut für Ausländisches und Internationales Privatrecht, RabelsZ 84 (2020), 705, 736 f. mit diversen Nachweisen. 484 S. a. Frank, StAZ 2019, 129, 134; vgl. a. Toman/Olbing, Die ausländische Frühehe vor dem allgemeinen Gleichheitssatz, in: Die Frühehe im Recht, 2021, 217, 238; Rauscher, JR 2021, 579, 580. 485 Vgl. Siehr, RabelsZ 36 (1972), 93, 114. 486 Die entgegengesetzte Meinung vertritt Schulte-Rudzio, Minderjährigenehen in Deutschland, 349 f., die einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG durch eine verfassungskonforme, den abwehrrechtlichen Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG berücksichtigende Auslegung des § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b BGB vermeiden möchte. Durch diese Interpretation der Härtefallklausel werden solche Auslandsehen aufrechterhalten, die durch einen den Minderjährigenschutz nach inländischen Rechtsmaßstäben hinreichend berücksichtigenden Dispens zustande gekommen sind, was vom Ergebnis her zwar richtig erscheint, aber methodisch nicht zu überzeugen vermag: schließlich bedeutete die Öffnung der Norm für solche Fälle, dass allein das Durchlaufen eines dem § 1303 Abs. 2– 4 BGB a. F. vergleichbaren Befreiungsverfahrens nach ausländischem Recht einen Härtefall konstituiert. Dies suggeriert, dass ein den deutschen Minderjährigenschutzmaßstäben genügendes Befreiungsverfahren bei Auslandsehen „außergewöhnlich“ ist, weswegen die Eheaufhebung in einem solchen Fall eine „schwere Härte“ für den Minderjährigen darstellt. Entgegen der oben getroffenen Feststellungen über die Pluralität der Befreiungsverfahren in fremden Rechtsordnungen, deren Schutzbarrieren nicht pauschal als niedriger eingestuft werden können, würde man nicht nur nach ausländischem Recht geschlossene Ehen, sondern die diversen Schutzsysteme ausländischer Eherechtsordnungen per se mit solch einer ungebührlichen (Fehl)Einschätzung deklassieren. Für diese realitätsresistente Abqualifizierung ausländischer Altehen als „Härtefälle“ sollte § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b BGB aber keinen Raum bieten. Weiterhin handelt es sich bei den im Ausland vor Inkrafttreten des Gesetzes geschlossenen Ehen um Altfälle, die – ebenso wie das deutsche Pendant – rechts- und gesetzestechnisch von der Übergangsnorm des Art. 229 § 44 EGBGB umfasst sein sollten. Dort wäre eine verfassungskonforme Auslegung daher noch eher vorstellbar, als an hier vorgeschlagener Stelle.

B. Verfassungsrechtliche Bewertung

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c) Kindeswohl, Artt. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1, 6 Abs. 2 GG Die Pflicht des Staates zur Gewährleistung eines soliden Minderjährigenschutzes findet ihre grundgesetzliche Verankerung in Artt. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1, 6 Abs. 2 GG. Zwar erlaubt das gerichtliche Aufhebungsverfahren eine kindzentrierte Betrachtung im Einzelfall und eine Ermessensentscheidung des Gerichts. Doch wie oben bereits angedeutet, erscheint es aus Kindeswohlgesichtspunkten fragwürdig, dass die Behörde zur Antragstellung verpflichtet ist. Von dem Antrag kann nur dann abgesehen werden, wenn der minderjährige Ehegatte volljährig geworden ist und die Ehe fortsetzen möchte. In Fällen dagegen, wo die Aufhebung aufgrund außergewöhnlicher Umstände eine schwere Härte für ihn darstellt, soll der Antrag dennoch gestellt werden. Damit wird der minderjährige Ehegatte einem Verfahren ausgesetzt, das keine Aussicht auf Erfolg hat. Insofern widerspricht der in § 1316 Abs. 3 S. 2 BGB geregelte Antragszwang eklatant dem Kindeswohl.487 Ebenso kindeswohlabträglich ist die Absenkung des Schutzniveaus, das der minderjährige Ehegatte auf der Rechtsfolgenebene im Unterhaltsrecht hinnehmen muss. Obwohl sich hier einige Unstimmigkeiten durch verfassungskonforme Auslegungen bereinigen lassen488, bleiben die Vorschriften über den Unterhalt des geschiedenen Ehegatten nach § 1318 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB unanwendbar, wenn bei dem minderjährigen Ehegatten im Eheschließungszeitpunkt eine entsprechende Kenntnis der Eheaufhebbarkeit vorhanden war.489 Insbesondere Ehegatten mit deutschem Eheschließungsstatut, die mit den hiesigen Rechts- und Werteanschauungen zumeist sehr gut vertraut sind, werden im Regelfall eine solche nachteilhafte Kenntnis aufweisen.490 Sich auf eine fehlende Einsichtsfähigkeit im Eheschließungszeitpunkt zu berufen, um die Zurechenbarkeit der Kenntnis zu verhindern und Unterhaltsansprüche zu generieren, gestaltet sich für die hier einschlägige Zielgruppe der zur Zeit der Eheschließung 16- und 17-jährigen 487 Die Nachteile der Pflicht zur Antragstellung haben sich bereits in der verfahrensrechtlichen Praxis manifestiert, s. Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Gesamtauswertung zur Evaluierung des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen, 14.8.2020, 9 f. Krit. zur hiesigen verfassungsrechtlichen Einordnung Schoppe, Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB und kindesspezifische Gewährleistungen der Verfassung, in: Die Frühehe im Recht, 2021, 191, 206, 213. der das Kindeswohl zwar als zentralen „Abwägungsbelang“ ansieht, ein hieraus resultierendes subjektives Recht indes verneint. 488 So wird z. B. das Merkmal der groben Unbilligkeit in § 1318 Abs. 2 S. 2 BGB relativiert (s. Kap. 3 D. I. 2. a) dd)), zudem wird im Rahmen des § 1318 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB die schutzbedürftige Minderjährige vor der Inanspruchnahme durch den Gläubiger bewahrt (s. Kap. 3 D. I. 2. a) bb)). 489 S. dazu oben Kap. 3 D. I. 2. a) aa)–cc). 490 Immerhin sind an die Kenntnis keine hohen Anforderungen zu stellen, s. dazu im Gesamten: Ibid.

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Kap. 4: Das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen auf dem Prüfstand

minderjährigen Ehegatten als schwierig.491 Für minderjährige Ehegatten, die eine Ehe nach ausländischem Recht eingegangen sind, stellt sich insbesondere die in § 1318 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB enthaltene Beweislastverteilung, wonach der schützenswerte minderjährige Ehegatte die Beweislast für seine eigene fehlende Kenntnis selbst trägt und Zweifel zu seinen Lasten gehen, als problematisch dar.492 Die Anknüpfung an die Unkenntnis im Eheschließungszeitpunkt und die schwere Nachweisbarkeit dieses Merkmals führen also zu einer denkbar schlechten Ausgangsposition für den minderjährigen Ehegatten, wenn er Unterhaltsansprüche geltend machen möchte. Aus diesen Gründen müssen die in § 1318 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB festgeschriebenen Voraussetzungen für die Gewährung von Unterhaltsansprüchen im Kontext der Minderjährigenehen als kindeswohlwidrig angesehen werden. 2. Verstoß gegen den Vertrauensgrundsatz, Art. 20 Abs. 3 GG Der Vertrauensgrundsatz ist in Art. 20 Abs. 3 GG verfassungsrechtlich abgesichert. Vor Inkrafttreten des KEhenBekG wurden im Ausland unter Beteiligung von 16- und 17-Jährigen rechtmäßig geschlossene Ehen als wirksam anerkannt, solange nicht der ordre public nach Art. 6 EGBGB in Anschlag zu bringen war. Da der Gesetzgeber in Art. 229 § 44 EGBGB keine entsprechende Übergangsregelung fixiert hat, wurden diese nach ausländischem Recht geschlossenen, womöglich sogar kraft gerichtlicher oder behördlicher Entscheidung als vollgültig anzusehenden Ehen zu aufhebbaren Ehen degradiert.493 Das Vertrauen der Ehegatten in die Wirksamkeit ihrer Ehen und die gerade in Statussachen erforderliche Rechtssicherheit sind hierbei unbeachtet geblieben. Auch in diesem Fall knüpft das Gesetz mithin an bereits abgeschlossene, vom deutschen IPR als wirksam eingestufte Eheschließungstatbestände neue Rechtsfolgen an (sog. Rückbewirkung von Rechtsfolgen).494 In diesem Sinne hat Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB i.V. m. §§ 1313 ff. BGB in Ermangelung einer Übergangsregelung für nach ausländischem Recht vor dem 22.7.2017 im Alter von 16 oder 17 Jahren geschlossene Ehen eine unzulässige echte Rückwirkung zur Folge, die weder durch zwingende Gründe des Gemeinwohls noch durch andere dem Gebot der Rechtssicherheit übergeordnete Ziele zu rechtfertigen ist.

491 Bei Minderjährigen dieser Altersgruppe wird schließlich grundsätzlich von einem hohen Selbstbestimmungsgrad auszugehen sein. Vgl. dazu auch Wapler, Kinderrechte und Kindeswohl, 402 f. 492 Zu dieser Problematik: Kap. 3 D. I. 2. a) ee). 493 Hepting/Dutta, Familie und Personenstand: ein Handbuch zum deutschen und internationalen Privatrecht, Rn. III-276. Starke Kritik hieran übend Frank, StAZ 2019, 129, 135. 494 So auch AG Bremen-Blumenthal 15.2.2019, Az. 71a F 162/18 E1, unveröffentl., 257; Rauscher, in: FS Kren Kostkiewicz, 245, 257; dagegen eine unechte Rückwirkung annehmend BGH 14.8.2020, Az. XII ZB 131/20, FamRZ 2020, 1533, 1537.

C. Europarechtliche Vereinbarkeit

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3. Zusammenfassung Bestimmte Bestandteile des Aufhebungssystems fallen dem Verdikt der Verfassungswidrigkeit anheim. So verstößt die behördliche Antragspflicht gegen das Ehe- und Familiengrundrecht des Art. 6 Abs. 1 GG und das Kindeswohl gem. Artt. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1, 6 Abs. 2 GG. Die Übergangsvorschrift des Art. 229 § 44 Abs. 2 EGBGB verletzt das Gleichbehandlungsprinzip nach Art. 3 Abs. 1 GG und das Fehlen einer Ausnahmeklausel für solche Ehen, die vor Inkrafttreten des KEhenBekG im Alter von 16 oder 17 Jahren geschlossen wurden, steht in Widerspruch zum rechtsstaatlichen Vertrauensgrundsatz gem. Art. 20 Abs. 3 GG. Die Regelung des § 1318 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB hält wiederum den verfassungsrechtlichen Kindeswohlvorgaben aus Artt. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1, 6 Abs. 2 GG nicht stand.

C. Europarechtliche Vereinbarkeit unter besonderer Berücksichtigung der unionsrechtlichen Freizügigkeit „But when we come to matters with a European element, the Treaty is like an incoming tide. It flows into the estuaries and up the rivers. It cannot be held back.“ 495

Die Ausdehnung der deutschen Ehemündigkeitsregeln durch Art. 13 Abs. 3 EGBGB kann über die Verfassungsebene hinaus auch die Rechtspositionen der Ehegatten auf europarechtlicher Ebene tangieren. So erheben sich gegen die generelle rechtliche Missbilligung von Minderjährigenehen mit Blick auf die Unionsbürgerfreizügigkeit nach Art. 21 Abs. 1 AEUV starke Zweifel, soweit es um eine im europäischen Rechtsraum im Minderjährigenalter wirksam geschlossene Ehe geht und diese Ehe den Aufhebbarkeits- bzw. Unwirksamkeitsregelungen des derzeitigen Rechts unterfällt. Ebenso erzeugt die Neuregelung diffizile Kontroversen in Bezug auf das in Art. 18 Abs. 1 AEUV enthaltene Diskriminierungsverbot sowie die Garantien des Ehe- und Familienlebens aus Artt. 7, 9 GRC.496

I. Minderjährigenehen in der EU Ungeachtet aller Bedenken497 hat der Gedanke einer Familienrechtsvereinheitlichung innerhalb der EU als Rechtsgemeinschaft498 im Bereich des Prozess495

Lord Denning im Fall „Bulmer vs. Bollinger“, 1974, 1 Chancery 401, 418. Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 1.12.2009, ABl. 26.10. 2012, C 326/391. 497 Gegen Harmonisierungsmaßnahmen auf den Gebieten des Personen-, Familienund Erbrechts wurde vor allem angeführt, dass die nationalen Rechtsordnungen hierdurch untergraben würden. Gerade diese Rechtsmaterien seien maßgeblich von Traditionen und kulturellen Werten durchdrungen, die tief im nationalen Geist verwurzelt seien und als identitätsstiftend empfunden würden, s insb. Büchler, Kulturelle Vielfalt und Familienrecht, in: Pluralistische Gesellschaften und Internationales Recht, 2008, 215, 220; Müller-Freienfels, The American Journal of Comparative Law 16 (1968), 496

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Kap. 4: Das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen auf dem Prüfstand

rechts und des Kollisionsrechts zunehmend Gestalt angenommen.499 Angesichts der Zunahme grenzüberschreitender und multinationaler Familienrechtsverhältnisse könnten sich die Harmonisierungsaktivitäten in der Zukunft auch auf das materielle Familienrecht erstrecken.500 Noch ist das sachliche Recht der Mitgliedstaaten vom legislatorischen Vereinheitlichungsstreben allerdings verschont geblieben.501 Insbesondere auf dem Gebiet des Eheschließungsrechts ist es daher in den Rechtsordnungen der EU mangels europäischen Einheitsrechts bei den nationalen Ehemündigkeits- und Dispensregelungen geblieben, die zum Teil große Unterschiede aufweisen.502 In manchen Rechtsordnungen ist eine Eheschließung bereits im Alter von 16 Jahren grundsätzlich oder durch Dispenserteilung mit Zustimmungserfordernis oder auch Mündigerklärung möglich. Während einige Rechtsordnungen die Minderjährigenehe ausnahmslos verboten haben503, ist in anderen Ländern ein Dispens bereits ab 15 Jahren oder sogar ohne Altersgrenze gesetzlich vorgesehen.504 Wie oben erläutert, erklärt eine Bestimmung des griechischen Eherechts sogar islamisches Recht in der griechischen Region Thrakien für anwendbar, sodass auch dort Minderjährigenehen geschlossen werden können.505 Ebenso kommt es innerhalb der Bevölkerungsgruppierung der Roma in Serbien, Bosnien, Rumänien und Bulgarien faktisch oft zur Schließung von Minderjährigen175; Neumayer, Eigenartiges und Altertümliches aus dem vergleichenden Erbrecht, in: Mélanges Paul Piotet, 1990, 485, 498 f., der von „Rechtsaltertümer[n] als zu bewahrendem Kulturerbe“ spricht; Legrand, RIDC 4 (1996), 779, 811, der die Harmonisierung des Zivilrechts allgemein als kulturimperalistisch deklassiert („[. . .] l’idée d’un Code civil européen [. . .] rappelle [. . .] des manifestations d’un impérialisme culturel [. . .].“); dagegen für eine Vereinheitlichung plädierend Groot, ZEuP 2001, 617, 618; Pintens, ZEuP 1998, 670, 672 f.; Martiny, RabelsZ 50 (1995), 419, 439 f. 498 Zurückgehend auf Walter Hallsteins einflussreiche Deutung der EWG als „Schöpfung des Rechts“, s. Hallstein, Die EWG – Eine Rechtsgemeinschaft (Rede zur Ehrenpromotion, Universität Padua, 12. März 1962), in: Europäische Reden, 1979, 341, 343. 499 Martiny, „Europäisches Internationales Familienrecht“, in: Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, 2009, 531; Dethloff, NJW 2018, 23, 24; umfassend dazu Streinz, in: FS Coester-Waltjen, 271 ff.; Pintens, Materielles Familienrecht in Europa – Einheit oder Vielfalt?, in: Internationales Familienrecht für das 21. Jahrhundert: Symposium zum 65. Geburtstag von Ulrich Spellenberg, 2006, 137, 144 ff.; zu den neuesten Entwicklungen im europäischen Familienkollisionsrecht: Heiderhoff/Beißel, JURA 2018, 253 ff.; Kohler, FamRZ 2020, 417 ff.; s. a. Arnold/Zwirlein-Forschner, GPR 2019, 262 ff. 500 Martiny, „Europäisches Internationales Familienrecht“, in: Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, 2009, 531; Dethloff, ZEuP 2007, 992, 999 f.; vgl. a. Streinz, in: FS Coester-Waltjen, 271, 273. 501 Heiderhoff/Beißel, JURA 2018, 253, 254; Coester-Waltjen, IPRax 2021, 29, 30. 502 S. dazu a. Reuß, FamRZ 2019, 1 ff. 503 Dänemark (§ 2 dän. EheG), Niederlande (Art. 1:31 BW), Schweden (Kap. 2 § 1 schwed. EheG). S. dazu im Einzelnen oben A. 504 S. hierzu genauer A., insb. Fn. 4 auf S. 225. 505 S. o. Kap. 1 C. I. 1.

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ehen in besonders jungem Alter.506 Daher ist es nicht verwunderlich, dass sich nach den Länderangaben des Ausländerzentralregisters zum Stichtag des 31.10. 2019 70 bulgarische, 15 rumänische und 11 griechische Minderjährige mit dem Familienstand „verheiratet“ in Deutschland aufhielten.507 In jenen Ländern geschlossene Minderjährigenehen bilden zudem häufig den Gegenstand gerichtlicher Verfahren in Deutschland.508 Rechtsvergleichend bilanzierend muss man feststellen, dass die auf den Ausschluss von Minderjährigenehen abzielenden Bestrebungen auf unionsrechtlicher Ebene509 in vielen nationalen Rechtsordnungen innerhalb der EU bisher noch nicht aufgegriffen wurden. Trotz der klar erkennbaren Rechtsentwicklung hin zu einem fixen Ehemündigkeitsalter von 18 Jahren ist die Schließung von Minderjährigenehen in einigen Mitgliedstaaten weiterhin möglich.

II. Unionsbürgerfreizügigkeit der Ehegatten, Art. 21 Abs. 1 AEUV Minderjährigenehen bilden also einen schwindenden, aber gegenwärtig dennoch existenten Teil der Rechtswirklichkeit in der EU. Die in Art. 13 Abs. 3 EGBGB nunmehr verwirklichte Nichtigkeits- bzw. Aufhebbarkeitslösung mit zwingend510 einzuleitendem Aufhebungsverfahren verwandelt demnach auch solche Ehen Minderjähriger in hinkende Statusverhältnisse, die in einem Mitgliedstaat der EU rechtsgültig geschlossen wurden. Sollten der Ehe Kinder entsprun506

Ibid. Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland, BT-Drs. 19/15722, 2. S. a. die einschlägigen Daten der für die Stellung des Aufhebungsantrags zuständigen Behörden: hier treten die genannten Länder besonders oft im Kontext der Staatsangehörigkeit minderjähriger Ehegatten auf, s. Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, Anlage 3 zur Gesamtauswertung zur Evaluierung des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen – Zusammenfassung der Erkenntnisse der für die Beantragung der Aufhebung einer Ehe zuständigen Behörden, 11.5.2020, 2 ff. 508 Bulgarien: AG Frankenthal 15.2.2018, Az. 71 F 268/17, FamRZ 2018, 749; AG Mainz 27.2.2018, Az. 35 F 5/18, unveröffentl.; AG Bremen 22.6.2018, Az. 60 F 185/18 E1, unveröffentl.; AG Lüdenscheid 10.7.2018, Az. 5 F 393/18, unveröffentl.; AG Ludwigshafen am Rhein 25.7.2018, Az. 5c F 160/18, unveröffentl.; AG Herford 30.8.2018, Az. 14 F 555/18, unveröffentl.; AG Ahaus 30.9.2018, Az. 12 F 59/18, unveröffentl.; OLG Frankfurt am Main 28.8.2019, Az. 5 UF 97/19, FamRZ 2019, 1853 f., Bosnien und Herzegowina: AG Kassel 7.3.2018, Az. 524 F 3451/17 E1, FamRZ 2018, 1149 f. und Rumänien: OLG Oldenburg 18.4.2018, Az. 13 UF 23/18, FamRZ 2018, 1152 f. Alle unveröffentlichten Entscheidungen werden zusammenfassend aufgeführt in: Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Anlage 1 zur Gesamtauswertung zur Evaluierung des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen – Rechtsprechungsübersicht Verbot von Kinderehen. 509 S. die Entschließung vom 4.10.2017 zu dem Thema „Kinderehen ein Ende setzen“, Nr. P8_TA(2017)0379, ABl. 27.9.2018, C 346/66 m.w. N. 510 Nur im Falle einer Bestätigung kann die Verwaltungsbehörde von der Antragstellung absehen. 507

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gen sein, so führte der Umzug nach Deutschland bei Unwirksamkeit der Ehe nach Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB sogar zu einem Verlust der Abstammungsbeziehung zwischen Vater und Kind. Die aus der Verschiedenheit der Kollisionsrechte resultierenden hinkenden Rechtsverhältnisse stehen allgemein im Widerspruch zu der erstrebten internationalen Entscheidungsharmonie511 und bergen gerade in den höchstpersönlichen Lebensbereichen von Ehe und Abstammung unliebsame Folgen für die Beteiligten, die sich in der misslichen Lage befinden, dass sie ihren familienrechtlichen Status nicht rechtswirksam ausleben und in den Genuss der damit verbundenen Wirkungen kommen dürfen.512 Auf diese Weise leidet in gravierendem Maße das Ansehen des Rechts und das Vertrauen auf seine internationale Unverbrüchlichkeit.513 Auf europarechtlicher Ebene dürften derartige Rechtsverluste insbesondere vor dem Hintergrund der Unionsbürgerfreizügigkeit Probleme aufwerfen. 1. Eröffnung des Schutzbereichs Der Gewährleistungsgehalt der Personenfreizügigkeit räumt allen Unionsbürgern das Recht ein, sich innerhalb der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten. Dabei gelangt die Norm nur dann zur Anwendung, soweit nicht der Anwendungsbereich der vorrangigen besonderen Gewährleistungen des freien Verkehrs von Waren nach Artt. 28 ff. AEUV, von Dienstleistungen nach Artt. 49 ff. AEUV, von Kapital gem. Artt. 56 ff. AEUV oder von Personen, bestehend aus der Arbeitnehmerfreizügigkeit gem. Artt. 45–48 AEUV und der Niederlassungsfreiheit gem. Artt. 49–55 AEUV, eröffnet ist.514 Zu erwähnen bleibt, dass je nach Fallgestaltung auch im Kontext der Minderjährigenehen eine konkretere Grundfreiheit (wie beispielsweise die Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art. 45 AEUV) betroffen sein kann.515 In erster Linie enthält Art. 21 Abs. 1 AEUV ein Beschränkungsverbot, das vor jeglichen, an die Wahrnehmung des allgemeinen Freizügigkeitsrechts anknüpfenden Benachteiligungen schützt.516 Im Zusammenspiel mit dem allgemeinen Diskriminierungsverbot aus Art. 18 Abs. 1 AEUV verbietet das Freizügigkeitsrecht außerdem jegliche Ungleichbehandlung aus Gründen der Staatsangehörigkeit bei 511

Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, 140. Ähnlich Frank, StAZ 2012, 129, 130. 513 So ausdrücklich Kropholler, Internationales Privatrecht, § 6, 37. 514 EuGH 6.2.2003, Rs. C-92/01 „Skanavi & Chryssanthakopoulos“, BeckRS 2004, 77901, Rn. 18; EuGH 16.12.2004, Rs. C-293/03 „Stylianakis“, BeckRS 2004, 78272, Rn. 33. 515 So z. B. bei OLG Oldenburg 18.4.2018, Az. 13 UF 23/18, FamRZ 2018, 1152, 1153; OLG Frankfurt am Main 28.8.2019, Az. 5 UF 97/19, FamRZ 2019, 1853, 1854. 516 EuGH 22.7.2002, Rs. C-224/98 „DHoop“, EuZW 2002, 635, 637; EuGH 12.5.2011, Rs. C-391/09 „Runevicˇ-Vardyn“, BeckRS 2011, 80519, Rn. 68; Grabitz/ Hilf/Nettesheim/Nettesheim, 75. EL, Januar 2022, Art. 21 AEUV Rn. 22. 512

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Ausübung des Freizügigkeitsrechts.517 Mobilitätswillige Unionsbürger, die von ihrer Freizügigkeit Gebrauch machen, haben einen Anspruch auf vollständige Inländergleichbehandlung, wenn der Sachverhalt vom Unionsrecht geregelt ist und keine unionsrechtlichen Beschränkungen und Bedingungen bestehen, die eine Differenzierung rechtfertigen.518 In personeller Hinsicht steht das Freizügigkeitsrecht nur solchen Bürgern zu, die gem. Art. 20 Abs. 1 AEUV die Unionsbürgerschaft, also die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats, innehaben. Sollte eine Person mit Unionsbürgerstatus gleichzeitig die Staatsangehörigkeit eines Drittstaates besitzen, so kann er sich dennoch auf Art. 21 AEUV berufen.519 Drittstaatsangehörigen steht die Geltendmachung des Freizügigkeitsrechts zwar nicht zu, ihnen kann aber als Familienangehörigen ein vom Unionsbürger „abgeleitetes Recht“ sekundärrechtlicher Natur zukommen, soweit dieser von seinem Freizügigkeitsrecht Gebrauch macht.520 Der strikte Umgang mit im Ausland geschlossenen Minderjährigenehen betrifft das Freizügigkeitsrecht in verschiedener Hinsicht: Zunächst ist im Hinblick auf das in Art. 21 Abs. 1 AEUV integrierte Diskriminierungsverbot die oben bereits als verfassungswidrig erkannte Ungleichbehandlung von vor Inkrafttreten des Gesetzes zustande gekommenen Minderjährigenehen in Abhängigkeit vom Eheschließungsstatut521 zu beanstanden. Weiterhin droht den Ehegatten, die vor Vollendung des 16. Lebensjahres in einem Mitgliedstaat der EU geheiratet haben und deren Ehe nicht die Voraussetzungen der Übergangsvorschrift des Art. 229 § 44 Abs. 4 EGBGB erfüllt, nach Ankunft in Deutschland die direkte Auflösung ihrer Ehe und eventuell auch die abrupte Beseitigung der rechtlichen Vater-KindBeziehung. Die einzig verbleibende Möglichkeit, den Ehe- bzw. Abstammungsstatus zu erhalten, ist der Verzicht auf die Einreise nach Deutschland. Wurde die Ehe dagegen im Alter von 16 oder 17 Jahren geschlossen, so wird sie, sofern sie nicht vom minderjährigen Ehegatten bestätigt wurde, wegen der behördlichen Antragspflicht einem Aufhebungsverfahren ausgesetzt, was wiederum ein Freizügigkeitshindernis darstellen könnte. Denn Ehegatten, die nicht mit diesen drastischen Rechtsfolgen konfrontiert werden wollen, sehen vernünftigerweise von einer Einreise nach Deutschland und damit von der Ausübung ihrer Freizügigkeit ab, um ihren Ehestatus keiner Gefährdung auszusetzen. Der derzeitige Umgang mit Minderjährigenehen verursacht somit hinkende Statusverhältnisse und ist im

517

Vgl. Calliess/Ruffert/Kluth, 6. Aufl., 2022, Art. 21 AEUV Rn. 7. Streinz/Magiera, 3. Aufl., 2018, Art. 21 AEUV Rn. 15. 519 Grabitz/Hilf/Nettesheim/Nettesheim, 75. EL, Januar 2022, Art. 21 AEUV Rn. 16. 520 EuGH 5.5.2011, Rs. C-434/09 „McCarthy“, NVwZ 2011, 867, 869; EuGH 10.5.2017, Rs. C-133/15 „Chavez-Vilchez“, NVwZ 2017, 1445, 1447; EuGH 14.11. 2017, Rs. C-165/16 „Lounes“, NVwZ 2018, 137; Calliess/Ruffert/Kluth, 6. Aufl., 2022, Art. 21 AEUV Rn. 17. 521 S. B. II. 1. d), III. 1. b). 518

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Hinblick auf die unionale Freizügigkeit hochproblematisch. Die daraus resultierende Unsicherheit in Statusfragen passt erst recht nicht ins Bild eines Europas, das den „Bürgerinnen und Bürgern einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ 522 bieten soll.523 2. Anfänge der Statusanerkennung in der Rechtsprechung des EuGH – das internationale Namensrecht als Wegbereiter Die Auffassung, dass auf Grundlage des Art. 21 Abs. 1 AEUV eventuell i.V. m. Art. 18 Abs. 1 AEUV eine in einem EU-Mitgliedstaat geschaffene Rechtslage auch in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt werden sollte, wurde in der Rechtsprechung des EuGH Schritt für Schritt entwickelt. Für die Ausdehnung des Anerkennungsprinzips, das ursprünglich aus der Waren- und Dienstleistungsfreiheit entwickelt wurde524, waren neben der auf dem Gebiet des internationalen Gesellschaftsrechts ergangenen Rechtsprechung525 insbesondere die Urteile zum internationalen Namensrecht von bahnbrechender Bedeutung.526 In den entsprechenden Judikaten ging es stets um die Frage, ob ein in einem Mitgliedstaat (Ursprungsstaat) rechtmäßig „erworbener“ Name bzw. eine dort erfolgte Namensänderung in allen anderen EU-Mitgliedstaaten (Aufnahmestaaten) anerkannt werden muss. Der EuGH kam zu dem Schluss, dass die uneinheitliche Handhabung des Namens in grenzüberschreitenden Zusammenhängen gegen das Unionsrecht verstößt, da die Freizügigkeit der betroffenen Unionsbürger nach Art. 21 Abs. 1 AEUV verletzt sei. Die aus unterschiedlichen Namen (in unterschiedlichen Mitgliedstaaten) resultierenden Zweifel an der Identität des Namensträgers seien geeignet, die Unionsbürger von der Ausübung ihres Freizügigkeitsrechts abzuhal522 S. Art. 3 Abs. 2 EUV: „Die Union bietet ihren Bürgerinnen und Bürgern einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ohne Binnengrenzen, in dem – in Verbindung mit geeigneten Maßnahmen in Bezug auf die Kontrollen an den Außengrenzen, das Asyl, die Einwanderung sowie die Verhütung und Bekämpfung der Kriminalität – der freie Personenverkehr gewährleistet ist.“ Hierzu genauer: Mansel, RabelsZ 70 (2006), 651, 655 ff. 523 Bezogen auf die Kollisionsnormen im Namensrecht: Henrich, IPRax 2005, 422; Dutta/Frank/Helms u. a., Ein Name in ganz Europa – Entwurf einer europäischen Verordnung über das Internationale Namensrecht, in: Ein Name in ganz Europa: Vorschläge für ein Internationales Namensrecht der Europäischen Union, 2016, 109, 110 f. 524 Zur Entwicklung des Anerkennungsprinzips: Mansel, RabelsZ 70 (2006), 651, 664 ff. 525 S. statt vieler EuGH 9.3.1999, Rs. C-212/97 „Centros“, NJW 1999, 2027 ff.; EuGH 5.11.2002, Rs. C-208/00 „Überseering“, NJW 2002, 3614 ff. 526 EuGH 2.10.2003, Rs. C-148/02 „Garcia Avello“, BeckRS 2004, 74436; EuGH 14.10.2008, Rs. C-353/06 „Grunkin-Paul“, NJW 2009, 135 ff.; EuGH 22.12.2010, Rs. C-208/09 „Sayn-Wittgenstein“, GRUR Int. 2011, 240 ff.; EuGH 12.5.2011, Rs. C-391/ 09 „Runevicˇ-Vardyn“, BeckRS 2011, 80519; EuGH 2.6.2016, Rs. C-438/14 „Bogendorff von Wolffersdorff“, NJW 2016, 2093 ff.; EuGH 8.6.2017, Rs. C-541/15 „Freitag“, NJW 2017, 3581 ff. Die Entscheidungen des EuGH waren dabei oft scharfer Kritik ausgesetzt, s. Henrich, IPRax 2005, 422 ff.; Kroll-Ludwigs, JZ 2009, 153 ff.

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ten.527 Ein weiterer unionsrechtlicher Ansatzpunkt für die Etablierung des Anerkennungsprinzips im internationalen Namensrecht ist das Benachteiligungsverbot (Art. 18 Abs. 1 AEUV).528 Um die Namenskontinuität in der EU zu gewährleisten, ist der jeweilige Aufnahmestaat also gehalten, den in einem anderen Land festgelegten Namen anzuerkennen, es sei denn, die Versagung der Anerkennung ist aus Gründen des ordre public gerechtfertigt.529 3. Vom Namen zum Status – Erstreckung der Anerkennungspflicht auf gleichgeschlechtliche Ehen durch das „Coman“-Urteil Bevor durch die Entscheidung „Coman“ vom 5.6.2018530 ein Klärungsprozess in der Rechtsprechung herbeigeführt wurde, war die Übertragbarkeit der ratio decidendi der vorgenannten Urteile auf andere im EU-Ausland geschaffene, insbesondere familienrechtliche Statusmerkmale Gegenstand intensiver Debatten.531 Gegen ein allgemeines Anerkennungsprinzip wurde angeführt, dass den Mitgliedstaaten hierdurch die Pflicht auferlegt würde, fremde, möglicherweise der jeweiligen Werteordnung widersprechende Rechtsgestaltungen zu akzeptieren.532 527

S. nur EuGH 14.10.2008, Rs. C-353/06 „Grunkin-Paul“, NJW 2009, 135, 136. Funken, Das Anerkennungsprinzip im internationalen Privatrecht, 108 ff.; Mansel, RabelsZ 70 (2006), 651, 710 f. Zudem fußt die Entscheidung „Garcia Arvello“ zentral auf dem Diskriminierungsverbot, s. EuGH 2.10.2003, Rs. C-148/02 „Garcia Avello“, BeckRS 2004, 74436, Rn. 30 ff. 529 EuGH 14.10.2008, Rs. C-353/06 „Grunkin-Paul“, NJW 2009, 135, 137; EuGH 22.12.2010, Rs. C-208/09 „Sayn-Wittgenstein“, GRUR Int. 2011, 240, 245; EuGH 12.5.2011, Rs. C-391/09 „Runevicˇ-Vardyn“, BeckRS 2011, 80519, Rn. 94; EuGH 2.6.2016, Rs. C-438/14 „Bogendorff von Wolffersdorff“, NJW 2016, 2093, 2099; EuGH 8.6.2017, Rs. C-541/15 „Freitag“, NJW 2017, 3581, 3583. 530 EuGH 5.6.2018, Rs. C-673/16 „Coman“, FamRZ 2018, 1063 ff.; diese Rechtsprechungslinie fortentwickelnd EuGH 14.12.2021, Rs. C-490/20 „VMA/Stolichna obshtina, rayon „Pancharevo”, NJW 2022, 675 ff. 531 Für eine Übertragbarkeit der entwickelten Grundsätze: Helms, GPR 2005, 36, 38; Lagarde, Rev. crit. DIP 93 (2004), 192, 199; Dethloff, ZEuP 2007, 992, 997; Lehmann, Recognition as a Substitute for Conflict of Laws?, in: General Principles of European Private International Law, 2016, 11, 42 f.; Mankowski, in: FS Coester-Waltjen, 571, 580 ff.; monographisch hierzu Leifeld, Das Anerkennungsprinzip im Kollisionsrechtssystem des internationalen Privatrechts, 81 ff.; allerdings in der Sache unrichtig und mit defizitärer Begründung KG 23.9.2010, Az. 1 W 70/08, NJW 2011, 535 ff.; zurückhaltender Henrich, IPRax 2005, 422, 423, der im Falle einer Verallgemeinerung der namensrechtlichen Grundsätze auf andere Statusverhältnisse von „unabsehbaren Konsequenzen“ spricht; krit. a. Funken, Das Anerkennungsprinzip im internationalen Privatrecht, 178 ff.; Gössl, IPRax 2018, 376, 381 f.; Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2011, 1, 3; s. hierzu a. allgemein Coester-Waltjen, IPRax 2006, 392, 397; Kohler, Der Einfluss der Globalisierung auf die Wahl der Anknüpfungsmomente im Internationalen Familienrecht, in: Internationales Familienrecht für das 21. Jahrhundert: Symposium zum 65. Geburtstag von Ulrich Spellenberg, 2006, 9, 26; Groot, Maastricht Journal of European and Comparative Law 11 (2004), 115, 118; s. a. die Ausführungen von Nordmeier, IPRax 2012, 31, 32 f. zu einigen Entscheidungen mitgliedstaatlicher Gerichte. 532 Vgl. Funken, Das Anerkennungsprinzip im internationalen Privatrecht, 180; sehr zurückhaltend auch Jayme/Kohler, IPRax 2001, 501, 514. 528

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Für den Aufnahmestaat bedeutete eine Ausdehnung des Anerkennungsgedankens zudem, dass er unter Verzicht auf eine selbständige kollisionsrechtliche Prüfung im EU-Ausland geschaffene Rechtslagen (Statusbegründungen bzw. -veränderungen) nolens volens akzeptieren müsste, wenn der ordre public-Vorbehalt nicht die Ablehnung der Anerkennung erfordert.533 Der von der Kommission unternommene Normierungsversuch in Gestalt eines Anerkennungsregimes für die Rechtswirkungen von Personenstandsurkunden534 stieß dementsprechend auf erhebliche Skepsis535, sodass in der am 6.7.2016 verabschiedeten Urkunden-Verordnung 2016/1191 nur eine Vereinfachung von Förmlichkeiten durchgesetzt wurde und auf die Einführung einer Pflicht zur Anerkennung des Urkundeninhalts verzichtet werden musste.536 Dennoch ist die Rechtsfigur der Anerkennung dem deutschen Recht im vorliegenden Kontext keineswegs fremd. Bereits im oben behandelten Witwenrentenfall537 stellte sich aus der Perspektive des deutschen Rechtsanwenders die schwierige Frage, ob dem deutschen Verfassungsrecht Ergebnisvorgaben für die Beurteilung einer ausländischen Rechtslage abzuleiten sind.538 Unter Heranziehung des Art. 6 Abs. 1 GG gelangte man seinerzeit zu dem Ergebnis, auch Hinterbliebene aus hinkenden Ehen als Witwen im Sinne des § 1264 RVO zu begreifen. Die im Ausland begründete, nach deutschem Recht unwirksame Ehe wurde mithin partiell, nämlich für die Zwecke des § 1264 RVO in Deutschland als wirksam anerkannt. In Anbetracht der Tatsache, dass der Anerkennungsgedanke auf Verfassungsebene jedenfalls im norm- und einzelfallbezogenen Kontext etabliert und eine europäische Ausdehnung in der Rechtsdiskussion bereits angedacht 533 S. MüKo/v. Hein, 8. Aufl., 2020, Art. 3 EGBGB Rn. 124; zur Notwendigkeit des ordre public-Vorbehalts auch bei Vorliegen der Anerkennungsvoraussetzungen: Funken, Das Anerkennungsprinzip im internationalen Privatrecht, 75 f.; Lagarde, RabelsZ 68 (2004), 225, 232; Coester-Waltjen, in: FS Jayme Bd. I, 121, 128. 534 S. das von der Kommission am 14.12.2010 unterbreitete Grünbuch für „Weniger Verwaltungsaufwand für EU-Bürger – Den freien Verkehr öffentlicher Urkunden und die Anerkennung der Rechtswirkungen von Personenstandsurkunden erleichtern“, KOM (2010), 747 endg. 535 Den Weg der Kollisionsrechtsvereinheitlichung vorziehend Mansel/Coester-Waltjen/Henrich u. a., IPRax 2011, 335, 340; Althammer, Das Konzept der Familie im Europäischen Internationalen Privatrecht, in: Grundfragen des Europäischen Kollisionsrechts, 2016, 1, 20 f.; s. a. Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2011, 1, 3 f.; misstrauisch gegenüber der inhaltlichen Anerkennung auch Wagner, DNotZ 2011, 176, 187. 536 S. Art. 2 Abs. 4 VO 2016/1191 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6.7.2016 zur Förderung der Freizügigkeit von Bürgern durch die Vereinfachung der Anforderungen an die Vorlage bestimmter öffentlicher Urkunden innerhalb der Europäischen Union und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1024/2012, wonach „diese Verordnung [. . .] nicht für die in einem Mitgliedstaat vorgenommene Anerkennung rechtlicher Wirkungen des Inhalts öffentlicher Urkunden [gilt], die von den Behörden eines anderen Mitgliedstaats ausgestellt wurden“. 537 BVerfG 30.11.1982, Az. 1 BvR 818/81, NJW 1983, 511 f.; s. a. B. II. 1. a) aa) (3). 538 Insb. Nordmeier, IPRax 2012, 31, 34 m.w. N.

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wurde539, erscheint die Anerkennung von Rechtslagen auf Unionsrechtsebene keinesfalls fernliegend. a) Sachverhalt und Entscheidungsgründe des EuGH In seinem bahnbrechenden „Coman“-Urteil hat der EuGH erstmals540 die im Rahmen von Art. 21 Abs. 1 AEUV entwickelten Anerkennungsgrundsätze auf ein anderes Statusverhältnis übertragen und damit einen „Dammbruch“ im Anerkennungsrecht ausgelöst. Der Fall betraf die Anerkennung einer in Belgien rechtmäßig geschlossenen Ehe zwischen einem Unionsbürger und seinem drittstaatlichen Ehegatten gleichen Geschlechts. Der rumänische und amerikanische Staatsbürger Herr Coman hatte seinen amerikanischen Partner Herrn Hamilton am 5.11.2010 in Brüssel geheiratet. Das Paar wollte seinen Wohnsitz in Rumänien begründen, doch auf Anfrage wurde es von der rumänischen Einwanderungsbehörde darüber informiert, dass Herrn Hamilton ein über drei Monate hinausgehendes Aufenthaltsrecht in Rumänien nicht zustünde: Eine Ehe zwischen Personen gleichen Geschlechts sei nach der im rumänischem Recht verankerten speziellen ordre public-Klausel des Art. 277 Abs. 2 rum. Codul civil ausdrücklich nicht anerkannt. Herr Hamilton werde daher nicht als Familienangehöriger oder Ehegatte im Sinne der rumänischen Rechtsordnung angesehen. In der Folge legte der rumänische Verfassungsgerichtshof dem EuGH im Wege der Vorabentscheidung nach Art. 267 AEUV unter anderem die Frage vor, ob Herr Hamilton als Partner einer in einem anderen Mitgliedstaat wirksam geschlossenen gleichgeschlechtlichen Ehe unter den Begriff „Ehegatte“ des Art. 2 Nr. 2 lit. a RL 2004/38541 zu subsumieren und ihm daher ein Recht auf Daueraufenthalt in Rumänien zu gewähren sei.542 In dem Urteil wies der EuGH zunächst auf den durch Art. 3 Abs. 2 RL 2004/ 38 klar begrenzten personalen Anwendungsbereich der Freizügigkeitsrichtlinie hin. Da das Aufenthaltsrecht eines Unionsbürgers in dem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, von Natur aus keinen Bedingungen unterliege543, fallen nur solche Unionsbürger in den Geltungsbereich der RL 2004/38, die sich 539

Jasper, MDR 1983, 543, 545. Die Entscheidung als „Eisbrecher“ für das Internationale Familienrecht bezeichnend Mankowski, IPRax 2020, 323, 324; s. a. Wall, StAZ 2019, 225: „Coman is the new Grunkin-Paul.“ 541 Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/ EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/ EWG und 93/96/EWG. 542 EuGH 5.6.2018, Rs. C-673/16 „Coman“, FamRZ 2018, 1063, 1064. 543 Dies ist ein völkerrechtlicher Grundsatz, s. EuGH 5.5.2011, Rs. C-434/09 „McCarthy“, NVwZ 2011, 867, 868; EuGH 14.11.2017, Rs. C-165/16 „Lounes“, NVwZ 2018, 137, 138. 540

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„in einen anderen als den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit [sie besitzen]“, begeben oder sich dort aufhalten.544 Auch ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht des drittstaatlichen Familienangehörigen des Unionsbürgers in dem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit der Unionsbürger besitzt, könne auf die Bestimmungen der Richtlinie nicht gestützt werden.545 Im vorliegenden Fall müsse die unmittelbare Anwendbarkeit der Freizügigkeitsrichtlinie auf Herrn Coman als rumänischen Staatsangehörigen, der mit seinem Partner in Rumänien dauerhaft Aufenthalt begründen möchte, also entfallen. Ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht zugunsten von Herrn Hamilton in direkter Anwendung des Art. 7 Abs. 2 RL 2004/38 komme demnach auch nicht in Betracht. Sehr wohl lasse sich aber auf der Grundlage des Art. 21 Abs. 1 AEUV ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht des drittstaatlichen Familienangehörigen des Unionsbürgers dann konstruieren, wenn der Unionsbürger sich in einem anderen Mitgliedstaat als seinem Heimatstaat aufgehalten und dort ein Familienleben mit dem Drittstaatsangehörigen entwickelt oder gefestigt hat.546 Um eine Fortsetzung dieses Familienlebens auch nach der Rückkehr des Unionsbürgers in seinen Heimatstaat zu gewährleisten, sei es aus Gründen der praktischen Wirksamkeit seiner Rechte aus Art. 21 Abs. 1 AEUV geboten, dem drittstaatlichen Familienangehörigen in entsprechender Anwendung der Richtlinie 2004/38 ein dauerndes abgeleitetes Aufenthaltsrecht in seinem Heimatstaat zu gewähren.547 Der EuGH stellte zunächst fest, dass Herr Coman, der nicht nur die amerikanische, sondern auch die rumänische Staatsbürgerschaft besitzt, gem. Art. 20 Abs. 3 AEUV den erforderlichen Status eines Unionsbürgers genieße.548 Weiterhin konstatierte das Gericht, dass der Begriff „Ehegatte“ i. S. d. Art. 2 Nr. 2 lit. a RL 2004/38 geschlechtsneutral sei und folglich den gleichgeschlechtlichen Ehegatten eines Unionsbürgers mitumfasse.549 Die Weigerung eines Mitgliedstaates, die gleichgeschlechtliche Ehe eines Unionsbürgers zum Zweck der Gewährung eines abgeleiteten Aufenthaltsrechts anzuerkennen, kann nach Auffassung des EuGH daher die Ausübung der in Art. 21 Abs. 1 AEUV verbürgten unionalen Freizügigkeit des Unionsbürgers behindern.550 Allerdings könne die Beschränkung der unionalen Freizügigkeit gerechtfertigt sein, wenn sie „auf objektiven 544

EuGH 14.11.2017, Rs. C-165/16 „Lounes“, NVwZ 2018, 137, 138 f. S. statt vieler EuGH 10.5.2017, Rs. C-133/15 „Chavez-Vilchez“, NVwZ 2017, 1445, 1446; EuGH 14.11.2017, Rs. C-165/16 „Lounes“, NVwZ 2018, 137, 138. 546 EuGH 5.6.2018, Rs. C-673/16 „Coman“, FamRZ 2018, 1063, 1064. 547 Ibid.; EuGH 12.3.2014, Rs. C-456/12 „O. und B.“, ZAR 2014, 377, 379 f. 548 EuGH 5.6.2018, Rs. C-673/16 „Coman“, FamRZ 2018, 1063, 1065. 549 Die gegenteilige Auffassung von der Ehe als Lebensgemeinschaft zweier Personen verschiedenen Geschlechts wurde noch in EuGH 17.2.1998, Rs. C-249/96 „Grant“, NJW 1998, 969, 970; EuGH 31.5.2001, Rs. C-122/99 P, C-125/99 P „D und Schweden“, FamRZ 2001, 1053, 1055 vertreten; krit. hierzu a. Croon-Gestefeld, StAZ 2018, 297, 298 f.; Michl, FamRZ 2018, 1147; Dutta, FamRZ 2018, 1067. 550 EuGH 5.6.2018, Rs. C-673/16 „Coman“, FamRZ 2018, 1063, 1066. 545

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Erwägungen des Allgemeininteresses beruht und in einem angemessenen Verhältnis zu dem mit dem nationalen Recht legitimerweise verfolgten Zweck steht“.551 Mehrfach wird anschließend betont, dass ein Mitgliedstaat unter Berufung auf nationales Recht die Anerkennung einer solchen Ehe nur insoweit nicht verweigern dürfe, als es um die Gewährung eines abgeleiteten Aufenthaltsrechts zugunsten des Drittstaatsangehörigen geht.552 Dabei widerspreche die Verpflichtung zur Anerkennung einer gleichgeschlechtlichen Ehe „weder der nationalen Identität [nach Art. 4 Abs. 2 EUV] noch der öffentlichen Ordnung des betreffenden Mitgliedstaats“.553 Schließlich sei im anerkennungspflichtigen Mitgliedstaat nicht die Ehe als Rechtsinstitut beeinträchtigt, da die Entscheidungsbefugnis hinsichtlich ihrer Öffnung für Personen gleichen Geschlechts dem nationalen Gesetzgeber überlassen bleibe. Ergänzend bemerkt der EuGH, dass eine nationale Maßnahme, die geeignet ist, die Ausübung der Personenfreizügigkeit zu behindern, nur dann gerechtfertigt werden könne, wenn sie mit den in der Charta garantierten Grundrechten, wie dem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, in Einklang steht. Dies sei vorliegend nicht der Fall, da auch das Privatund Familienleben gleichgeschlechtlicher Paare grundrechtlichen Schutz genieße (Art. 7 GRC, Art. 8 EMRK).554 b) Rechtliche Würdigung Im vorliegenden Kontext stellt sich die entscheidende Frage, ob sich die aus der Entscheidung herauskristallisierende Anerkennungspflicht auf den Bereich des Aufenthaltsrechts beschränkt.555 Allerdings verlässt der EuGH auf seinem Begründungsweg recht früh das Feld des Sekundärrechts, um unter ständigem Verweis auf die reichhaltig zitierte Namensrechtsprechung556 argumentativ das Fundament für eine primärrechtlich determinierte Pflicht zur rechtlichen Anerkennung von Ehebeziehungen als Ausfluss der unionalen Freizügigkeit zu legen.557 Ausweislich der eindeutigen und wiederholten Bezugnahme auf das primärrechtliche Postulat des Art. 21 Abs. 1 AEUV werden hinkende Statusverhältnisse ganz allgemein als Freizügigkeitsbeschränkungen begriffen.558 Zur Abwehr 551

Ibid. S. Wall, StAZ 2019, 225, 228 mit entsprechenden Nachweisen in Fn. 48. 553 EuGH 5.6.2018, Rs. C-673/16 „Coman“, FamRZ 2018, 1063, 1066. 554 Ibid., 1066 f. 555 So Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2019, 85, 89; Michl, FamRZ 2018, 1147, 1148; Kohler/Pintens, FamRZ 2018, 1369, 1373 f.; in diese Richtung auch Dutta, FamRZ 2018, 1067, 1068. 556 EuGH 5.6.2018, Rs. C-673/16 „Coman“, FamRZ 2018, 1063, 1065 f. 557 Auch das Argument der „dogmatischen Verortung auf der Ebene des Primärrechts“ bemühend Wall, StAZ 2019, 225, 228; ders., StAZ 2021, 202, 206. 558 Ebenso weitreichende Bedeutung messen Mankowski, IPRax 2020, 323 f.; Frank, StAZ 2019, 129, 135; Werner, ZEuP 2019, 803, 820; La Durantaye, IPRax 2019, 281, 287 und Croon-Gestefeld, StAZ 2018, 297, 299 ff. der Entscheidung bei. 552

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aller Nachteile, die eine Nichtanerkennung von Statusverhältnissen für die Betroffenen mit sich bringt, soll der Anerkennungsmechanismus nach den Vorstellungen des EuGH konsequenterweise stets dann ausgelöst werden, wenn die Beschränkung ungerechtfertigt ist, d. h. nicht „auf objektiven Erwägungen des Allgemeininteresses beruht und in einem angemessenen Verhältnis zu dem mit dem nationalen Recht legitimerweise verfolgten Zweck steht“.559 Die Anerkennung von Statusverhältnissen im europäischen Rechtsraum stellt zugegebenermaßen insbesondere im Hinblick auf das IPR eine rechtliche Herausforderung dar.560 Zwar steht die Anerkennungsmethode nach nahezu einhelliger Meinung unter dem Vorbehalt des ordre public. Ist die ohnehin eng zu verstehende561 öffentliche Ordnung aber nicht in Anschlag zu bringen, so schreibt das Anerkennungsprinzip unabhängig von der Anwendung der eigenen Kollisionsnormen den Mitgliedstaaten die Akzeptanz der im EU-Ausland geschaffenen Statuslage vor. Verdeutlicht man sich die weitreichenden Folgen der Statusanerkennung gerade auf dem „rechtskulturell heiklen“ 562 Gebiet des Familienrechts, so mutet die unionale Freizügigkeit des Art. 21 Abs. 1 AEUV als Freibrief für die Bemächtigung des europäischen Gesetzgebers über das internationale Familienstatusrecht an. An dieser Stelle muss man sich vergegenwärtigen, dass eine „Anerkennung von Rechts wegen“ im Bereich des familienrechtlichen Personenstands als Maßnahme i. S. d. Art. 81 Abs. 3 AEUV einstimmig nach Anhörung des Europäischen Parlaments zu beschließen wäre.563 Allerdings stand vorliegend die pri559 EuGH 5.6.2018, Rs. C-673/16 „Coman“, FamRZ 2018, 1063, 1066; EuGH 14.10.2008, Rs. C-353/06 „Grunkin-Paul“, NJW 2009, 135, 136; EuGH 2.6.2016, Rs. C-438/14 „Bogendorff von Wolffersdorff“, NJW 2016, 2093, 2096; EuGH 22.12.2010, Rs. C-208/09 „Sayn-Wittgenstein“, GRUR Int. 2011, 240, 244 f. m.w. N. 560 S. bloß Dutta, FamRZ 2018, 1067, 1068 („Was bleibt dann noch vom Kollisionsrecht?“); von der „Abdankung des IPR“ sprechend MüKo/v. Hein, 8. Aufl., 2020, Art. 3 EGBGB Rn. 123; Croon-Gestefeld, StAZ 2018, 297, 300 („Spannungsverhältnis zwischen EU-Freizügigkeitsrecht und europäisch geformten Kollisionsrecht“); Kohler, IPRax 2022, 226, 230 geht von einer „verdeckten Umgestaltung des nationalen Familienrechts“ aus; eine Verlagerung der Entscheidungsmacht von der Legislative auf die Judikative befürchtet Arnold/Zwirlein-Forschner, GPR 2019, 262, 268; sehr skeptisch auch Rauscher, in: FS Kren Kostkiewicz, 245, 265, der die „race to the bottom“-Wirkung als Argument gegen die Erstreckung des Anerkennungsprinzips auf personenstandsrechtlich registrierte Statusverhältnisse anführt („race to the bottom in Ansehung statusrechtlicher Verhältnisse“, s. zur Erläuterung dieses Effekts im Bereich der Warenverkehrsfreiheit des Europäischen Wirtschaftsrechts: Mansel, RabelsZ 70 (2006), 651, 668). 561 Barros Fritz, Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB aus der Perspektive des Europarechts, in: Die Frühehe im Recht, 2021, 137, 148 f., 156. Eine Berufung auf die öffentliche Ordnung kommt nur dann in Betracht, „wenn eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt“, s. EuGH 5.6. 2018, Rs. C-673/16 „Coman“, FamRZ 2018, 1063, 1066 m.w. N. 562 Expressis verbis MüKo/v. Hein, 8. Aufl., 2020, Art. 3 EGBGB Rn. 136. 563 Mansel, IPRax 2011, 341, 342.

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märrechtliche Norm des Art. 21 Abs. 1 AEUV im Zentrum der Aufmerksamkeit. Damit bewegte sich der EuGH auf einem Terrain, das evident in seinen Kompetenzbereich fällt.564 Dabei hat sich das Gericht in der richtungsweisenden causa „Coman“ eines hochbrisanten Themas angenommen, das tiefe Gräben in den nationalen Sachrechten der Mitgliedstaaten aufwirft.565 Seinen eigenen Relativierungsversuchen566 zum Trotz hat es rechtstechnisch der Frage nach der Verpflichtung zur Anerkennung gleichgeschlechtlicher Ehen primärrechtliche Bewandtnis im Rahmen des Art. 21 Abs. 1 AEUV verliehen, damit eindeutig Position bezogen und sich auf Konfrontationskurs mit den Mitgliedstaaten begeben, die sich der fortschreitenden Ausbreitung der sog. „Ehe für alle“ in den EU-Mitgliedstaaten567 entgegenstellen und auf ihrem Verständnis von der Ehe als Verbindung zwischen Mann und Frau beharren.568 Bereits bei Schaffung der EuGüVO zeigte sich die rechtspolitische Spaltung der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare. Um die opponierenden Staaten für die Mitwirkung an den Verordnungen zu gewinnen, verzichtete man bewusst auf eine autonome Ehedefinition und überließ das Begriffsverständnis nach Erwägungsgrund 17 der EuGüVO „dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten“. Durch die Unnachgiebigkeit jener Staaten konnte die Verordnung trotz dieser Bemühungen nur im Wege der Verstärkten Zusammenarbeit von 18 Mitgliedstaaten verwirklicht werden.569 Rückblickend war der gescheiterte Normierungsversuch der Kommission570 die erste Etappe auf dem Weg hin zur Etablierung eines statusrechtlichen Anerkennungsregimes. Mit der „gezielt[en] und hochbewusst[en]“ 571 Übertragung der Namensrechtsprechung auf Statusfragen in der Sache „Coman“ stellt der EuGH die Mitgliedstaaten vor vollendete Tatsachen.572 Dabei wurde möglicherweise 564 Dies betont auch Werner, ZEuP 2019, 803, 813; krit. dagegen Kohler, IPRax 2022, 226, 231. 565 Wall, StAZ 2019, 225, 228; Dutta, FamRZ 2018, 1067; Michl, FamRZ 2018, 1147. Die Unterschiedlichkeit der Auffassungen innerhalb der EU als Argument gegen eine allgemeine Pflicht zur Anerkennung einer im europäischen Ausland geschlossenen gleichgeschlechtlichen Ehe anführend OLG Celle 10.3.2011, Az. 17 W 48/10, BeckRS 2011, 11781. 566 EuGH 5.6.2018, Rs. C-673/16 „Coman“, FamRZ 2018, 1063, 1065, wonach es den Mitgliedstaaten freistünde, die Ehe für Personen gleichen Geschlechts gesetzlich zu etablieren; s. a. Kohler, IPRax 2022, 226, 230, der die Versicherung des EuGH als „Palliativ“ bezeichnet. 567 Die rasante Entwicklung illustriert Croon-Gestefeld, StAZ 2018, 297, 299. Mittlerweile ist die „Ehe für alle“ in 15 der 27 EU-Mitgliedstaaten anerkannt. 568 S. Wall, StAZ 2019, 225, 228; Croon-Gestefeld, StAZ 2018, 297, 299 f. 569 Dutta, FamRZ 2018, 1067; Wall, StAZ 2019, 225, 228. 570 S. Fn. 534. 571 Mankowski, IPRax 2020, 323, 324 m.w. N. in Fn. 13. 572 So Werner, ZEuP 2019, 803, 814.

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unterschätzt, dass den beiden Bereichen unterschiedliche Sachverhaltskonstellationen zugrunde liegen: Während sich namensrechtliche Fälle im zweiseitigen Verhältnis zwischen dem freizügigkeitsberechtigen Unionsbürger und dem jeweiligen, auf die Durchsetzung des eigenen Namenskollisions- und Namenssachrechts bedachten Aufnahmestaat als Vertreter des öffentlichen Ordnungsinteresses abspielen, kann sich bei im EU-Ausland begründeten Statusverhältnissen die Interessenlage weitaus komplexer gestalten.573 Auch im Fall der gleichgeschlechtlichen Ehe sind mehrere Betroffene, nämlich beide Partner, involviert und vertreten jeweils eigene Interessen. Nimmt man aber die typische Interessenlage der Parteien in den Blick, so stellt man fest, dass sich die Interessen beider Partner auf die erwünschte Anerkennung ihrer Ehe richten. Die Mehrdimensionalität auf Sachverhaltsebene manifestiert sich also nicht in der binären Interessenlage, die zwischen den Beteiligten besteht: Das Interesse des Aufnahmestaates konkurriert letztlich mit dem gleichlaufenden Interesse der unmittelbar betroffenen Ehepartner.574 Aus den unterschiedlichen Sachverhaltskonstellationen erwachsen keine multipolaren, sich widerstreitenden Interessen, sodass hieraus kein Hindernis für die Übertragbarkeit der Namensrechtsprechung auf Statusverhältnisse konstruiert werden kann. Eine Übertragung der Namensrechtsprechung erscheint indes aus einem anderen Grund fragwürdig: Die Anerkennungswirkung hat in den Bereichen des Namensrechts und des Personenstands jeweils unterschiedliche Folgen. Dies bestätigt eine Entscheidung des VG Berlin, das die Übertragbarkeit der namensrechtlichen Anerkennungsgrundsätze der Grunkin-Paul-Entscheidung auf gleichgeschlechtliche Ehen damals mit der Begründung ablehnte, der Name bezeichne die Identität der Person, während der Familienstand nur für den Umgang mit Rechten und Pflichten von Bedeutung sei.575 Die Verschiedenheit der Folgen ist jedoch unschädlich, solange aus der Nichtanerkennung auch bei Statusverhältnissen „dem Betroffenen [. . .] ,schwerwiegende Nachteile‘ administrativer, beruflicher oder privater Art erwachsen können“.576 Der „Status des Ehegatten ist wesentlich auf allen Gebieten des Rechts“.577 Mit ihm gehen wertvolle Vermögenspositionen in Gestalt von güterrechtlichen Ausgleichsansprüchen und Unter573 Eingehend hierzu Wall, StAZ 2019, 225, 234 f. m.w. N. in Fn. 149; ders., StAZ 2018, 55, 61; s. a. Nordmeier, StAZ 2011, 129, 139. 574 Wall, StAZ 2019, 225, 234 f. 575 VG Berlin 15.6.2010, Az. 23 A 242/08, IPRax 2011, 270, 272. Zu diesem Argument greift auch Mansel, RabelsZ 70 (2006), 651, 710, demzufolge das Namensrecht im Vergleich zu personenstandsrechtlichen Fragen enger mit dem Persönlichkeitsrecht und dem Identitätsschutz des Betroffenen verknüpft ist. 576 Ausdrücklich EuGH 12.5.2011, Rs. C-391/09 „Runevic ˇ -Vardyn“, BeckRS 2011, 80519, Rn. 76; EuGH 2.6.2016, Rs. C-438/14 „Bogendorff von Wolffersdorff“, NJW 2016, 2093, 2095; s. a. EuGH 2.10.2003, Rs. C-148/02 „Garcia Avello“, BeckRS 2004, 74436, Rn. 36. 577 So bereits Coester, StAZ 1988, 122.

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haltsansprüchen sowie steuerrechtliche Begünstigungen und im Sozialrecht staatliche Leistungen einher.578 Die Verweigerung der Anerkennung des wirksam erworbenen Ehestatus hat damit für alle Beteiligten schwerwiegende, in das Privatleben der Partner hineinreichende Nachteile im Zivil-, Aufenthalts-, Steuer- und Sozialrecht zur Folge, sodass hinkende Statusverhältnisse ein geeignetes Mobilitätshindernis darstellen können.579 Im Verhältnis zu den namensrechtlichen Fällen gelangt man also zu der Schlussfolgerung, dass bei Verweigerung der Anerkennung eines Ehestatus erst recht eine Behinderung der Unionsfreizügigkeit angenommen werden muss.580 Aus „klassisch-kollisionsrechtlicher“ Sicht mag man eine Kollisionsrechtsvereinheitlichung gegenüber einem ausufernden Anerkennungsprinzip bevorzugen, zumal die zu behandelnden Probleme des Umgangs mit hinkenden Statusverhältnissen gar nicht erst entstanden wären, wenn in den Mitgliedstaaten kollisionsrechtliche Konformität bestünde.581 Die Vielschichtigkeit der Materie582 kann aber auch zum Anlass genommen werden, das Anerkennungsprinzip nicht etwa als konkurrierende Methode zum IPR aufzufassen583, sondern es vielmehr als komplettierendes Instrument in das Kollisionsrechtsgefüge zu integrieren.584 Dass sich der Anerkennungsgedanke als integraler Teil des europäischen Kollisionsrechts bewähren könnte, leuchtet ein.585 So wird auch der eingefleischte Kollisionsrechtler dafür Verständnis haben müssen, dass es kaum mit Sinn und Zweck der Freizügigkeitsnorm des Art. 21 Abs. 1 EGBGB vereinbar sein kann, wenn der in einem Mitgliedstaat wirksam erworbene Status an den Binnengrenzen endet. Da für das Bestehen einer Freizügigkeitsbeeinträchtigung kein wirtschaftlicher Zusammenhang dargetan werden muss586, ist grundsätzlich einzuge578

Wall, StAZ 2019, 225, 229. Mankowski, in: FS Coester-Waltjen, 571, 585; Wall, StAZ 2019, 225, 229. Hinzu kommt, dass auch der Ehe für manche Beteiligten eine identitätsstiftende Bedeutung zukommt, s. o. Kap. 1 C. I. 4. 580 So auch Werner, ZEuP 2019, 803, 813; Croon-Gestefeld, StAZ 2018, 297, 298; Wall, StAZ 2019, 225, 229; vgl. Lurger, IPRax 2013, 282, 288; Henrich, IPRax 2005, 422, 423, der jedoch auch Zweifel hinsichtlich eines ausufernden Anerkennungsprinzips vorbringt. 581 Vgl. Mansel, RabelsZ 70 (2006), 651, 711; ders., IPrax 2011, 341, 342. 582 Zu den Fliehkräften, die das IPR herausfordern: Weller, RabelsZ 81 (2017), 747, 760 ff. 583 Von einer „Pulverisierung“ des IPR sprechend Mankowski/Höffmann, IPRax 2011, 247, 253; Dutta, FamRZ 2018, 1067, 1068: „Schreckgespenst gerade der deutschen Kollisionsrechtler“; vgl. a. Helms, IPRax 2017, 153, 158. 584 So sinngemaß Weller, RabelsZ 81 (2017), 747, 770 ff., der die Spannungen zwischen Anerkennungsprinzip und IPR mit einer „Methodentrias des IPR“ methodisch bewältigen will. Den Vorschlag einer Lösung über den ordre public européen unterbreitet Werner, ZEuP 2019, 803, 816 f. 585 Insofern würde sich der Verdacht einer „Verdrängung des IPR“ (s. hierzu insb. Pionierarbeit von Jayme/Kohler, IPRax 2001, 501 ff.) nicht bestätigen. 586 Vgl. Mansel, RabelsZ 70 (2006), 651, 708. 579

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stehen, dass rechtliche Statusunterschiede innerhalb der Mitgliedstaaten durchaus gegen Art. 21 Abs. 1 AEUV verstoßen können. In diesem Sinne verdient es Beifall, dass der EuGH in seiner Entscheidung „Coman“ die Namensrechtsgrundsätze auf gleichgeschlechtliche Ehen übertragen und zugleich hinkenden Rechtsverhältnissen in statusrelevanten Fragen im gesamten europäischen Rechtsraum einen Riegel vorgeschoben hat. 4. Übertragbarkeit der Anerkennungsmethode auf Minderjährigenehen Infolge der Verschärfung der (Kollisions)Rechtslage werden aus Sicht der deutschen Rechtsordnung nunmehr im EU-Ausland von Personen unter 16 Jahren geschlossene Ehen vorbehaltlich der in Art. 229 § 44 Abs. 4 EGBGB aufgeführten Ausnahmen als ungültig angesehen (Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB i.V. m. § 1303 S. 2 BGB). Ehen, die im Alter von 16 oder 17 Jahren geschlossen wurden, werden hingegen einem Aufhebungsverfahren ausgesetzt, sollte keine Bestätigung i. S. d. § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. a BGB vorliegen (Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB i.V. m. §§ 1303 S. 1 BGB). Auch hier stehen also im EU-Ausland wirksam geschlossene Ehen in Rede, die im Aufnahmestaat Deutschland nicht akzeptiert werden, sodass sich die Personenfreizügigkeit der betroffenen Ehegatten an den Neuregelungen stößt. Um die volle Wirksamkeit der Ehen zu bewahren und hinkende Statusverhältnisse in diesem Kontext zu vermeiden, erscheint es im Lichte der vorangegangenen Erläuterungen daher angebracht, den Fallkomplex der Minderjährigenehen als weiteres Anwendungsfeld für das Anerkennungsprinzip anzusehen und die in „Coman“ angestellten Erwägungen mutatis mutandis auch hier fruchtbar zu machen.587 a) Die EU-Minderjährigenehe als unerwünschtes Relikt Trotz der unübersehbaren Parallelen auf Sachverhaltsebene lässt sich ein gewichtiger Unterschied zwischen der in „Coman“ streitgegenständlichen, gleichgeschlechtlichen Ehe und der im Minderjährigenalter geschlossenen Ehe ausmachen, der die Ausstrahlungswirkung der EuGH-Entscheidung für Minderjährigenehen womöglich begrenzen, wenn nicht blockieren könnte: Anders als bei Ehen von Partnern gleichen Geschlechts, die sich mit steigender Tendenz in der EU durchsetzen, schreitet umgekehrt die Zurückdrängung von Minderjährigenehen unaufhaltsam voran. In der Entschließung des Europäischen Parlaments vom 4.10.2017 werden „Kinderehen“ als Formen „der Zwangsverheiratung“ und „der Gewalt gegen Frauen und Mädchen“ sowie als „Verstoß gegen die Rechte 587 So verfahren z. B. OLG Oldenburg 18.4.2018, Az. 13 UF 23/18, FamRZ 2018, 1152, 1153; OLG Frankfurt am Main 28.8.2019, Az. 5 UF 97/19, FamRZ 2019, 1853, 1854; zust. wohl Croon-Gestefeld, RabelsZ 86 (2022), 32, 49.

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des Kindes“ 588 angesehen. Es wurden außerdem konkrete Schritte gefordert, um gezielt „gegen Kinderehen, Früh- und Zwangsverheiratung vorzugehen und diese Praxis einzuschränken“.589 Es könnte daher widersinnig erscheinen, Minderjährigenehen unter Berufung auf den europarechtlichen Anerkennungsgrundsatz aufrechtzuerhalten, wenn die Bemühungen auf Unionsrechtsebene auf die Eindämmung solcher Ehen hinauslaufen. Dies gilt insbesondere dann, wenn man das Anerkennungsprinzip methodisch als ordre public européen in das Verweisungssystem eingliedern wollte:590 Die Anerkennung im EU-Ausland geschlossener Minderjährigenehen in Deutschland bedeutete, dass die „niedrigeren“ (Minderjährigenschutz)Standards des Ursprungsstaats als Rechtsfundament für die besagten Ehen im Aufnahmestaat respektiert würden, was im Hinblick auf die erwähnte Entschließung kontraproduktiv erscheint. Zudem stünde zu befürchten, dass heiratswillige Minderjährige ihre Eheschließung im EU-Ausland nach dem dortigen Recht vollziehen, um ihre Ehe letztlich auf Basis des Anerkennungsprinzips sodann in Deutschland ohne Rechtseinbuße fortzusetzen. b) Die Rückbesinnung auf die Unionsbürgerfreizügigkeit Die aufgezeigten Befürchtungen erweisen sich aber im vorliegenden Kontext als unbegründet. Die vorgenannte Entschließung entfaltet keine Rechtswirkung, sondern spiegelt lediglich die eindeutige (rechtspolitische) Position des Europäischen Parlaments wider und dient als Anregung, entsprechende eheschließungsrechtliche Maßnahmen zu ergreifen. Die grundsätzliche Pflicht der Mitgliedstaaten zur Wahrung des Freizügigkeitsgrundsatzes aus Art. 21 Abs. 1 AEUV bleibt indes bindend, sodass die Aufrechterhaltung im EU-Ausland geschlossener Minderjährigenehen durchaus geboten sein kann. Die hiergegen vorgebrachten Einwände erweisen sich bei näherer Betrachtung auch als haltlos aber auch aus einem anderen Grund haltlos: Unstreitig ist, dass auch gegenüber dem Anerkennungsprinzip der ordre public vorbehalten bleiben muss.591 Von einem grenzenlosen Anerkennungsprinzip kann also nicht die Rede

588 Europäisches Parlament, Entschließung vom 4.10.2017 zu dem Thema „Kinderehen ein Ende setzen“, Nr. P8_TA(2017)0379, ABl. 27.9.2018, C 346/66, Punkte F. und R. 2. 589 Ibid., R. 5. 590 So Werner, ZEuP 2019, 803, 817 ff.; krit. hingegen Funken, Das Anerkennungsprinzip im internationalen Privatrecht, 78 ff. 591 EuGH 22.12.2010, Rs. C-208/09 „Sayn-Wittgenstein“, GRUR Int. 2011, 240, 245; EuGH 14.10.2008, Rs. C-353/06 „Grunkin-Paul“, NJW 2009, 135, 137; Mankowski/Höffmann, IPRax 2011, 247, 253; Funken, Das Anerkennungsprinzip im internationalen Privatrecht, 75 ff.; Leifeld, Das Anerkennungsprinzip im Kollisionsrechtssystem des internationalen Privatrechts, 178 f.; Mansel, RabelsZ 70 (2006), 651, 727 f.; Lagarde, RabelsZ 68 (2004), 225, 232. Vgl. a. das von der Kommission am 14.12.2010 unterbreitete Grünbuch für „Weniger Verwaltungsaufwand für EU-Bürger – Den freien

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sein. Was der EuGH im Fall „Coman“ für die gleichgeschlechtliche Ehe betont, gilt auch hier: Der „nationalen Identität“ der Mitgliedstaaten ist gebührend Rechnung zu tragen. Keineswegs erlegt die Anerkennungsmethode den Aufnahmestaaten die Pflicht auf, alle in der EU geschlossenen Minderjährigenehen unbesehen zu akzeptieren.592 Dass die im Urteil „Coman“ entwickelte Übertragung der Anerkennungsgrundsätze auf hinkende Statusverhältnisse vom Ergebnis her einleuchtet, wird durch die Entscheidung des KG Berlin vom 23.9.2010 bestätigt: Hier ging es um die Anerkennung eines nach französischem Recht wirksamen Vaterschaftsanerkenntnisses. Das Gericht erkannte schon damals: „wenn der Verlust des Namens einen Europarechtsverstoß darstellen kann, gilt dies umso mehr, wenn die familiäre Bindung zum Vater gekappt wird“.593 Auch die Nichtanerkennung von Minderjährigenehen kann zur rückwirkenden Beseitigung der rechtlichen Vater-KindBeziehung und damit zum Verlust des familienrechtlichen Status führen. Diese weitreichenden Folgen unterstreichen das Bedürfnis nach einer europaweiten Anerkennung als Korrektiv für derartige Ergebnisse. Darüber hinaus ist auch die Interessenlage mit derjenigen bei einer gleichgeschlechtlichen Ehe zu vergleichen: Im Falle einer Minderjährigenehe sind dem öffentlichen Ordnungsinteresse an einer Eheaufhebung oder Unwirksamkeit der Ehe ipso iure die privaten Interessen der Eheleute, aber durch die abstammungsrechtliche Dimension eventuell auch die gleichlaufenden Interessen der aus der Ehe hervorgegangenen Kinder am Bestand der wirksamen Ehe gegenübergestellt. Die durch das „Coman“-Urteil vom 5.6.2018 eingeführte Rechtsprechung ist auf die Minderjährigenehen also übertragbar: Sofern eine ungerechtfertigte Freizügigkeitsbeschränkung vorliegt, ist aus dem Primärrecht die Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Anerkennung der jeweiligen Minderjährigenehe abzuleiten. 5. Vorliegen einer Freizügigkeitsbeschränkung Erörterungsbedürftig bleibt, ob die Unionsbürger durch die substantiellen Änderungen infolge des KEhenBekG in ihrer Freizügigkeit gem. Art. 21 Abs. 1 AEUV beeinträchtigt werden. Hierbei ist zwischen der per Gesetz verordneten Unwirksamkeit und der Aufhebbarkeit der Ehe zu unterscheiden. Die Nichtigkeitsregelung des Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB verwandelt solche Ehen in hinkende Statusverhältnisse, die in einem EU-Mitgliedstaat im Alter von Verkehr öffentlicher Urkunden und die Anerkennung der Rechtswirkungen von Personenstandsurkunden erleichtern“, KOM (2010) 747 endg., S. 15. 592 Vgl. EuGH 5.6.2018, Rs. C-673/16 „Coman“, FamRZ 2018, 1063, 1066; a. A. wohl Kohler, IPRax 2022, 226, 230. 593 KG 23.9.2010, Az. 1 W 70/08, NJW 2011, 535, 536. Hier berief sich das Gericht allerdings nicht auf die Unionsbürgerfreizügigkeit nach Art. 21 Abs. 1 AEUV, sondern auf Art. 8 EMRK.

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unter 16 Jahren wirksam geschlossen wurden und nicht die Voraussetzungen der Übergangsvorschrift des Art. 229 § 44 Abs. 4 EGBGB erfüllen. Sollten aus der Ehe Kinder hervorgegangen sein, so wird darüber hinaus mit Ankunft in Deutschland die rechtliche Vater-Kind-Beziehung gekappt und dadurch ein weiteres hinkendes Rechtsverhältnis geschaffen. Im Ursprungsland bestehen dagegen beide Rechtsverhältnisse unverändert fort. Die Unwirksamkeitsregelungen kreieren also hinkende Statusverhältnisse und sind damit als freizügigkeitsbeschränkend anzusehen.594 Komplexer gestaltet sich die Rechtslage, wenn die Ehe im Alter von 16 oder 17 Jahren geschlossen wurde und somit gem. Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB, §§ 1313 ff. BGB den Aufhebungsmechanismus in Gang setzt. Um hinkende Statusverhältnisse in bestimmten Fällen zu vermeiden, hat der Gesetzgeber verschiedene Barrieren errichtet. Hat der minderjährige Ehegatte mittlerweile das 18. Lebensjahr erreicht und nach außen hin bekundet, dass er die Ehe fortsetzen möchte (§ 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. a BGB), muss gem. § 1316 Abs. 3 S. 2 BGB kein Aufhebungsverfahren eingeleitet werden. In allen anderen Fällen kommt es zwar zur Einleitung des Aufhebungsverfahrens, die Aufhebung ist aber ausgeschlossen, wenn nach der Härtefallklausel des § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b BGB die Aufhebung aufgrund außergewöhnlicher Umstände eine so schwere Härte für den minderjährigen Ehegatten darstellen würde, dass die Aufrechterhaltung der Ehe ausnahmsweise geboten erscheint. Nach der Gesetzesbegründung stellt auch die durch die Aufhebung der Ehe drohende Verletzung des unionsrechtlichen Freizügigkeitsrechts eines minderjährigen Unionsbürgers eine schwere Härte nach § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b BGB dar, sodass die Ehe in einem solchen Fall aufrechtzuerhalten ist.595 Als drittes Schutzinstrument gewährt § 1314 Abs. 1 Nr. 1 BGB dem zuständigen Familiengericht die Möglichkeit, die Ehe ausnahmsweise vor der Aufhebung zu bewahren, wenn dies aus Kindeswohlgesichtspunkten geboten erscheint und gewichtige Umstände gegen die Aufhebung sprechen. Damit die Ehe letztlich aufgehoben werden kann, müssen all diese Hürden überwunden werden. Sollte das Gericht nach Würdigung der Umstände des Einzelfalls die Aufhebung einer im EU-Ausland geschlossenen Ehe anordnen, so entsteht auch hier ein hinkendes Statusverhältnis, das wiederum eine Beeinträchtigung der unionalen Freizügigkeit der Unionsbürger darstellt. Aufgrund des unbefriedigenden Ergebnisses für solche inner-unionalen Konstellationen, die der Aufhebung unterliegen, könnte man für die betroffenen EU-

594 S. a. Hepting/Dutta, Familie und Personenstand: ein Handbuch zum deutschen und internationalen Privatrecht, Rn. III-283; Croon-Gestefeld, RabelsZ 86 (2022), 32, 47. Für die Schritte, die der Standesbeamte als Rechtsanwender an vorderster Front zu prüfen hat, s. Wall, StAZ 2019, 225, 233 f. 595 S. oben Kap. 3 D. I. 4. b) bb) (1); ebenso Wall, StAZ 2019, 331, 337 f.; Reuß, FamRZ 2019, 1, 4; Weller/Thomale/Hategan u. a., FamRZ 2018, 1289, 1297.

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Ehen eine europarechtskonforme596 Auslegung in Erwägung ziehen und die Anforderungen an die Anwendung der Härtefallklausel auf diese Weise herabsetzen. Allerdings setzt eine Auslegung im Lichte höherrangigen Rechts die Vereinbarkeit mit der Zielsetzung des Gesetzgebers voraus.597 Die strikte Ablehnung der vom Bundesrat angeregten Ausweitung der in § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b BGB vorgesehenen Härtefallregelung598 deutet klar darauf hin, dass der Gesetzgeber einer großzügigen Anwendung der Ausnahmeklausel ablehnend gegenüberstand und insofern zu keinen Kompromissen bereit war. Die Bindung des Rechtsanwenders an diese Haltung des Gesetzgebers, die im entsprechend restriktiv gehaltenen Wortlaut des § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b BGB ihren klaren gesetzlichen Niederschlag gefunden hat, lässt eine gemeinschaftsrechtsorientierte Auslegung der Norm dergestalt, dass auch bei einem gerechtfertigten Eingriff in die Unionsfreizügigkeit von der Aufhebung der Ehe abgesehen werden kann, nicht zu. Zwar würde es vom Ergebnis her einleuchten, allen freizügigkeitsberechtigten EU-Bürgern im Hinblick auf den Bestand ihrer Ehen einen lückenlosen Schutz zu gewähren. Allerdings würde eine europarechtskonforme Lesart die Grenzen der grammatikalischen Auslegung überschreiten. Eine gegen den klaren Wortlaut des Gesetzes, wie er alleiniger Gegenstand der Beschlussfassung geworden ist, verstoßende Deutung greift zudem unzulässig in die Kompetenzen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers ein.599 Insofern lässt sich im Falle eines bloßen Eingriffs in die unionsrechtliche Freizügigkeit die Geltung der eng umgrenzten gesetzlichen Voraussetzungen, wie sie aus dem Begriffsinhalt der Härtefallklausel, der Grundentscheidung des Gesetzgebers und dessen Zielsetzung resultieren, nicht im Wege einer europarechtsgetreuen Auslegung umgehen.600 Ob die Freizügigkeitsbeeinträchtigung erst im Zeitpunkt der Entstehung des hinkenden Statusverhältnisses einsetzt, ist in Anbetracht der Funktionsweise des Aufhebungsmechanismus aber zu hinterfragen. Schließlich wird bereits vorher für alle im Alter von 16 und 17 Jahren geschlossenen Ehen zwingend ein Aufhebungsverfahren eingeleitet, wenn keine Bestätigung i. S. d. § 1315 Abs. 1 S. 1 596 BeckOK/Hahn, 62. Ed., 1.5.2022, § 1315 BGB Rn. 5; OLG Oldenburg 18.4. 2018, Az. 13 UF 23/18, FamRZ 2018, 1152 f.; Majer, NZFam 2018, 332; für eine europarechtskonforme Auslegung des § 1314 Abs. 1 Nr. 1 BGB: AG Frankenthal 15.2.2018, Az. 71 F 268/17, FamRZ 2018, 749; OLG Frankfurt am Main 28.8.2019, Az. 5 UF 97/ 19, FamRZ 2019, 1853 f.; Löhnig, FamRZ 2018, 749, 750. 597 S. BVerfG 3.6.1992, Az. 2 BvR 1041/88, 2 BvR 78/89, BVerfGE 86, 288, 320; Looschelders/Roth, Juristische Methodik im Prozeß der Rechtsanwendung, 179. 598 Der Bundesrat befürwortete in seiner Prüfbitte die Berücksichtigung „weitere[r] besondere[r] soziale[r] und psychologische[r] Belange der betroffenen Minderjährigen“ sowie eine allgemeine Kindeswohlprüfung, s. Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland, BT-Drs. 18/12377, 10, Anlage 3. 599 S. BVerfG 25.1.2011, Az. 1 BvR 918/10, NJW 2011, 836, 838; vgl. a. Looschelders/Roth, Juristische Methodik im Prozeß der Rechtsanwendung, 66. 600 Der Beschluss des AG Frankenthal ist in diesem Punkt folglich als verfehlt anzusehen: eine unionsrechtskonforme Auslegung kommt nicht in Betracht.

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Nr. 1 lit. a BGB vorliegt. Dies gilt selbst für die Ehen, deren Aufhebung für den Minderjährigen im Ergebnis eine besonders schwere Härte gem. § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b BGB darstellte. Im Rahmen des Aufhebungsverfahrens wird die jeweilige Ehe einer genauen Überprüfung unterzogen und das bestehende Ehebzw. Familienleben mit behördlichen und gerichtlichen Nachforschungen belastet. Zudem können unter der Durchführung des familiengerichtlichen Aufhebungsverfahrens, in dem die gesamten Umstände vom Zustandekommen der Ehe bis zur gegenwärtigen Situation erkundet und eingeordnet werden, die sozialen Beziehungen zwischen den Betroffenen erheblich leiden. Insofern stellt das Aufhebungsverfahren für alle Beteiligten einen belastenden Eingriff dar601, der geeignet ist, die Ehegatten von ihrer Einreise nach Deutschland abzuhalten. Folglich konstituieren die behördliche Antragspflicht und das nachfolgende Aufhebungsverfahren ihrerseits eine Beschränkung der Unionsbürgerfreizügigkeit.602 Das Recht aus Art. 21 Abs. 1 AEUV verbietet zudem jegliche Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit bei der Ausübung des Rechts auf Freizügigkeit. Wie oben603 bereits dargelegt, erfolgt in Art. 13 Abs. 3 i.V. m. Art. 229 § 44 Abs. 1, 2 EGBGB eine ungerechtfertigte Differenzierung nach dem Eheschließungsstatut für vor Inkrafttreten des KEhenBekG geschlossene Ehen, die im unionsrechtlichen Kontext mit Art. 21 Abs. 1 i.V. m. Art. 18 Abs. 1 AEUV in Konflikt gerät. Insgesamt werden nach deutschem Recht vor Inkrafttreten des KEhenBekG geschlossene Ehen einer schonenderen Behandlung unterzogen, als vergleichbare nach ausländischem Recht geschlossene Ehen. Dadurch beeinträchtigt der Gesetzgeber das Benachteiligungsverbot des Art. 21 Abs. 1 i.V. m. Art. 18 Abs. 1 AEUV. 6. Rechtfertigung der Beschränkung Beschränkungen der Unionsfreizügigkeit sind ausnahmsweise gerechtfertigt, wenn sie auf objektiven Erwägungen des Allgemeininteresses beruhen und in einem angemessenen Verhältnis zu dem mit dem nationalen Recht berechtigterweise verfolgten Zweck stehen.604 Vorliegend könnten ordre public-Erwägungen die Ablehnung der Anerkennung erforderlich machen. Dabei ist der ordre public, wenn er eine Ausnahme von einer Grundfreiheit rechtfertigen soll, eng zu verstehen und nur zur Anwendung zu 601 Erbarth, FamRB 2019, 425; Coester-Waltjen, IPRax 2019, 127, 130; BGH 11.4.2012, Az. XII ZR 99/10, NJW-RR 2012, 897, 898. 602 So auch Antomo, FamRZ 2020, 1538, 1539; Bongartz, NZFam 2017, 541, 544; Coester-Waltjen, IPRax 2017, 429, 434; dies., IPRax 2019, 127, 130; Kleinjohann, FamRZ 2019, 1854, 1855; Löhnig, FamRZ 2018, 749, 750; Erbarth, FamRB 2019, 425; BeckOGK/Otto, 1.1.2022, § 1315 BGB Rn. 10. 603 S. genauer B. II. 1. d), III. 1. b). 604 S. EuGH 5.6.2018, Rs. C-673/16 „Coman“, FamRZ 2018, 1063, 1066; EuGH 14.10.2008, Rs. C-353/06 „Grunkin-Paul“, NJW 2009, 135, 136.

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bringen, wenn eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.605 Mit Art. 13 Abs. 3 EGBGB hat der Gesetzgeber einen speziellen ordre public-Vorbehalt geschaffen, der unabhängig von dem nach Art. 13 Abs. 1 EGBGB berufenen Recht grundsätzlich alle im Minderjährigenalter geschlossenen Ehen in unwirksame bzw. aufhebbare Ehen verwandelt. Die Prüfung am Maßstab der allgemeinen ordre public-Klausel des Art. 6 EGBGB ist sonach hinfällig geworden. Die strikte Gesetzgebungsmaßnahme war dabei von der Intention getragen, die Beteiligten vor den negativen Folgen einer bereits erfolgten Eheschließung im Minderjährigenalter zu bewahren: Neben allgemeinen Kindeswohlerwägungen stand der Schutz der sexuellen Selbstbestimmung gem. Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG, die negative Eheschließungsfreiheit nach Art. 6 Abs. 1 GG und das verfassungsrechtlich verankerte Gebot der Gleichstellung von Mann und Frau gem. Art. 3 Abs. 2 GG im Fokus.606 Darüber hinaus verfolgte der Gesetzgeber mit der Fixierung statischer Altersgrenzen das Ziel, die vermeintlichen Unklarheiten des alten Rechts zu beheben und vollumfassend Rechtssicherheit für alle Beteiligten zu schaffen.607 Das gesetzgeberische Anliegen ist dabei verständlich und berechtigt. Tatsächlich bergen im Ausland geschlossene Minderjährigenehen angesichts der speziellen Vulnerabilität von Kindern und Jugendlichen zahlreiche Gefahren.608 Wie oben erläutert, sind von Minderjährigenehen überproportional viele Mädchen betroffen, sodass auch die Sorge im Hinblick auf Art. 3 Abs. 2 GG angebracht erscheint. Die im ordre public-Vorbehalt des Art. 13 Abs. 3 EGBGB zum Ausdruck gebrachte generelle Missbilligung von Minderjährigenehen entspricht damit dem gesellschaftlichen Grundinteresse eines effektiven Minderjährigenschutzes. Ob der Gesetzgeber aber den Anforderungen der Verhältnismäßigkeit gerecht wird, erscheint fraglich. Die Verhältnismäßigkeit ist zu bejahen, wenn die Maßnahme zur Erreichung des verfolgten Ziels geeignet ist und nicht über das hinausgeht, was dazu notwendig ist.609 Die Unwirksamkeitssanktion des Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB weist nach den obigen Feststellungen erhebliche Schwachstellen auf: Beanstandungswürdig ist zunächst die Reichweite der Regelung, die den (ehemals) minderjährigen Ehegatten über das Volljährigkeitsalter hinaus tangiert. Damit verknüpft ist die Rigidität des Art. 229 § 44 Abs. 4 EGBGB, der sämtliche heilungsrelevante Gesichts605 EuGH 14.10.2004, Rs. C-„Omega“, NVwZ 2004, 1741, 1472; EuGH 10.7.2008, Rs. C-33/07 „Jipa“, NVwZ 2008, 1221, 1222 m.w. N. 606 Weller/Thomale/Hategan u. a., FamRZ 2018, 1289, 1297. 607 S. hierzu a. B. II. 1. a) bb) (1). 608 Hierzu ausführlich oben Kap. 1 C. I. 3. 609 EuGH 5.6.2018, Rs. C-673/16 „Coman“, FamRZ 2018, 1063, 1066; EuGH 26.2.2015, C-359/13 „Martens“, NVwZ-RR 2015, 457, 458 m.w. N.

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punkte außer Acht lässt.610 Insgesamt wird das Vertrauen der Ehegatten in die Wirksamkeit ihrer ehelichen Beziehung zerstört und damit der auf Unionsrechtsebene als allgemeiner Rechtsgrundsatz etablierte Vertrauensschutz außer Acht gelassen.611 Weiterhin hat der Gesetzgeber Minderjährigenehen pauschal mit Zwangsehen gleichgesetzt, ohne die Vielschichtigkeit der Thematik ausreichend zu würdigen und die jeweilige Ehe einer Einzelfallentscheidung zugänglich zu machen. Anstelle der Nichtigkeitsanordnung hätte man als milderes, gleichgeeignetes Mittel die Rechtspositionen der Ehegatten und ihrer Kinder im Rahmen eines Aufhebungsverfahrens erhalten können. Infolge der vielfachen Grundrechtsverstöße612 ist ein angemessenes Verhältnis zu dem mit dem Gesetz legitimer Weise verfolgten Zweck auszuschließen. Dagegen ist die Fehlerfolge der Aufhebbarkeit gesetzestechnisch so konstruiert, dass im Ergebnis nur solche Ehen dem Aufhebungsverdikt unterfallen, deren Aufhebung für die (ehemals) minderjährigen Ehegatten tatsächlich aus Gründen des Kindeswohls oder bei Würdigung der Gesamtumstände geboten ist. So ist die Aufhebung der Ehe aufgrund der Härtefallklausel des § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b BGB ausgeschlossen, wenn sie für den minderjährigen Ehegatten eine Verletzung der unionalen Freizügigkeit darstellt. Ist die Aufhebung der Ehe aus Minderjährigenschutzaspekten nicht angezeigt, sondern in Anbetracht der Gesamtumstände sogar unangemessen, können sich die Gerichte gegen diese „Aufhebung wider besseres Wissen“ auch auf der Grundlage des § 1314 Abs. 1 Nr. 1 BGB verwehren und die Ehe aufrechterhalten. Denn die „Kann“-Formulierung dieser Vorschrift räumt den gerichtlichen Entscheidungsträgern im konkreten Einzelfall ein beschränktes Ermessen hinsichtlich der Aufhebungsentscheidung ein. Im Ergebnis fallen also nur solche Ehen unter das Aufhebungsgebot, die selbst einer allgemeinen ordre public-Kontrolle nach Art. 6 EGBGB nicht standhielten und somit ohnehin nicht schutzwürdig sind. Insofern tangiert die Aufhebungsfolge diejenigen Minderjährigenehen, die der Gesetzgeber des KEhenBekG vornehmlich im Blick hatte. Zugleich stellt sie das mildeste Mittel für alle Beteiligten dar. In dieser Hinsicht hält das Aufhebungsregime den Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit also stand. Fraglich ist indes, ob dies auch für die durch das obligatorische Aufhebungsverfahren hervorgerufene Freizügigkeitsbeschränkung gilt. Das behördliche Antragsdiktat umfasst alle Ehen, die nach Vollendung des 16. und vor Erreichen des 610 S. a. Hepting/Dutta, Familie und Personenstand: ein Handbuch zum deutschen und internationalen Privatrecht, Rn. III-30; Wall, StAZ 2019, 331, 333 f.; Rohe, StAZ 2018, 72, 78. 611 Wall, StAZ 2019, 331, 334 mit entsprechenden Nachweisen aus der Unionsrechtsprechung. 612 Zusammengefasst in B. II. 4. Auch Gutmann, ZAR 2021, 108, 114 lehnt die Rechtfertigung der generellen Unwirksamkeit von Minderjährigenehen durch den ordre public-Vorbehalt des Art. 13 Abs. 3 EGBGB ab.

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18. Lebensjahres geschlossen wurden und nicht gem. § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. a BGB bestätigt wurden. Selbst dort, wo die Aufhebung aufgrund außergewöhnlicher Umstände für den minderjährigen Ehegatten eine „schwere Härte“ nach § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. bBGB bedeutete, wird ein – hier mithin aussichtsloses – Aufhebungsverfahren in Gang gesetzt. Dabei stellt das Verfahren selbst bereits einen Eingriff in das Familienleben dar, der bei dem minderjährigen Ehegatten und seiner Familie große seelische Konflikte auslösen kann.613 Die Unverhältnismäßigkeit der Beeinträchtigung wird auch nicht durch das ehrenwerte Ziel kompensiert, die jeweilige Ehe im Aufhebungsverfahren genau zu untersuchen, eventuelle Ungereimtheiten während ihres Zustandekommens aufzudecken und die Betroffenen vor den Folgen einer möglicherweise unfreiwillig geführten Ehe zu bewahren. Denn in den Situationen, die von der Härtefallklausel umfasst sind, geht die Gefahr gerade von der potentiellen Eheaufhebung aus und nicht von dem Weiterbestehen der Ehe. Einen Grundrechtseingriff hätte man vermeiden können, indem man den zuständigen Behörden die Befugnis einräumt, bei außergewöhnlichen Umständen i. S. d. Härtefallklausel von der Stellung des Aufhebungsantrags abzusehen. Bei Anwendbarkeit des § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b BGB tritt also das oben erwähnte, gesetzgeberische Schutzanliegen hinter den überwiegenden Belangen der minderjährigen Ehegatten zurück. Die pauschale Antragspflicht der zuständigen Behörden zur Einleitung eines Aufhebungsverfahrens stellt bei Eingreifen der Härtefallklausel für die betroffenen Unionsbürger eine nicht gerechtfertigte Freizügigkeitsbeschränkung dar. Sollten die Umstände aber das Eingreifen der Härtefallklausel nicht nahelegen, so erscheint es gerechtfertigt, die jeweilige (Minderjährigen-)Ehe auf einen eventuellen Zwangskontext hin zu überprüfen.614 Wie oben erläutert, bilden die Mitgliedstaaten ein weites kulturelles Rechtsumfeld, das verschiedenartige Ausprägungen von (vereinzelt religiösen) Eherechten kennt. Insofern scheint es angemessen, die jeweilige Ehe einer gerichtlichen Einzelfallbetrachtung unter Anhörung der Ehegatten zuzuführen, um dem Postulat des Schutzes des Kindeswohls und der sexuellen Selbstbestimmung des Kindes sicher Rechnung zu tragen. Dabei kommt die Durchführung des gerichtlichen Aufhebungsverfahrens keineswegs einem Unwerturteil über das ausländische Recht gleich. Es geht vielmehr darum, die Ehe der betroffenen Unionsbürger ins Zentrum gerichtlicher Betrachtung zu rücken und die Individualinteressen des minderjährigen Ehegatten im Beurteilungszeitpunkt eingehend zu würdigen. Damit bietet die gerichtliche Überprüfung den notwendigen Spielraum für eine einzelfallbezogene Ausbalancierung der involvierten Bedürfnisse der Beteiligten. Der Eingriff durch Einleitung des behördlichen Aufhebungsverfahrens ist insoweit angesichts seiner legitimen Zwecksetzung verhältnismäßig. Die oben angeführten ordre public-Erwä613 614

Zur Eingriffsqualität s. B. III. 1. a) bb). So auch Wall, StAZ 2019, 331, 336 f.

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gungen rechtfertigen demnach für Fälle außerhalb des Anwendungsbereichs der Härtefallklausel die Freizügigkeitsbeschränkung. Weiterhin wird durch das Vorrang- und Beschleunigungsgebot nach §§ 129a, 155 FamFG sichergestellt, dass das Verfahren zügig vonstatten geht. Neben den Belastungen, denen die Ehegatten notwendigenfalls ausgesetzt werden, wird der minderjährige Ehegatte mit Anhörungs- und Verfahrensbeistandsmöglichkeiten ausgestattet (§§ 158, 159 BGB). Das vom Gesetzgeber gewählte Aufhebungsverfahren berücksichtigt also die Interessen des Kindes. Bei der Ausübung des Rechts auf Freizügigkeit ist der Unionsbürger im Rahmen des Diskriminierungsverbots vor jeder direkten oder indirekten Benachteiligung aus Gründen der Staatsangehörigkeit geschützt.615 Wie bereits erörtert, sind nach ausländischem Eheschließungsstatut geschlossene Ehen von der Übergangsvorschrift des Art. 229 § 44 Abs. 1, 2 EGBGB im Unterschied zu vergleichbaren nach deutschem Recht geschlossenen Ehen ausgeschlossen. Die Ungleichbehandlung beruht auf keinem nachvollziehbaren Sachgrund und muss daher als unverhältnismäßig angesehen werden.

III. Weitere unions- und völkerrechtliche Verstöße Der in Europa bestehende Grund- und Menschenrechtsschutz basiert auf einem vielschichtigen System unterschiedlicher, sich überkreuzender und ergänzender Rechtsquellen.616 Neben die Grundfreiheiten und Grundrechte der EU treten die grundrechtlichen Garantien der EMRK als anerkannte Kernelemente gemeineuropäischen Verfassungsrechts.617 1. Gewährleistungen der EMRK Da die EMRK als Menschenrechtskodifikation universaler Geltung einer Vielzahl verschiedenartiger Ausprägungen von Familien Rechnung tragen muss, ist die Schutzgarantie des Familienlebens wesentlich weiter ausgestaltet als in der deutschen Verfassungsrechtsterminologie. So ist das in Art. 8 Abs. 1 EMRK enthaltene Schutzkonzept insbesondere auf faktische Familienbeziehungen ausgerichtet.618 Dennoch hat der EGMR in der Entscheidung „Muñoz Díaz vs. Spain“ vom 8.12.2009 deutlich gemacht, dass für die Konventionsstaaten keine Verpflichtung besteht, Eheschließungen auf der Grundlage fremder Rechtsordnun615

Streinz/Magiera, 3. Aufl., 2018, Art. 21 AEUV Rn. 15. S. Pache, EuR 2004, 393. Das BVerfG sprach in der „Recht auf Vergessenwerden I-Entscheidung“ unter Berufung auf die Rspr. des EuGH von der „Vielgestaltigkeit des Grundrechtsschutzes als Strukturprinzip der EU“, s. BVerfG 6.11.2019, Az. 1 BvR 16/ 13, EuZW 2019, 1021, 1024. 617 Oster, JA 2007, 96. 618 S. nur Helms, IPRax 2017, 153, 157; Mustasaari, Child & Fam. L. Q. 26 (2014), 261, 267. 616

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gen anzuerkennen, die den Grundwerten der nationalen Rechtsordnungen widersprechen.619 In dieser Entscheidung zog der EGMR aber auch eine Schlussfolgerung, die im vorliegenden Kontext bedeutsam ist. Er stellte Folgendes fest: „Es verstößt gegen Art. 14 EMRK i.V. m. Art. 1 des Zusatzprotokolls zur EMRK, dass der spanische Staat einer Frau, die vor Einführung der Zivilehe in Spanien nach dem Ritus der Roma geheiratet hatte, auf die Rechtsgültigkeit dieser Ehe vertraute und in diesem Vertrauen durch Handlungen staatlicher Behörden (Ausstellung eines gemeinsamen Familienbuchs für das (Ehe-)Paar und die sechs Kinder; Anerkennung als kinderreiche Familie) bestärkt wurde, nach dem Tod ihres Mannes die Gewährung einer Witwenrente versagt.“

Ähnlich wie in der oben beschriebenen Witwenrentenentscheidung des BVerfG620 genießt der soziale Tatbestand einer gelebten Ehe unter der Konvention also in der Weise Schutz, dass hieraus trotz Eheunwirksamkeit sozialrechtliche Rechtsfolgen erwachsen. Im Rahmen des Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB wird das Vertrauen der Ehegatten vor allem dann strapaziert, wenn die Ehe vor Inkrafttreten des KEhenBekG rechtmäßig im Ausland geschlossen wurde und die Heilungsvoraussetzungen nicht vorliegen.621 Gegen die schlichte Nichtexistenz ihrer Ehen und die Versagung jeglicher Ehewirkungen sind die Ehegatten aber auch nicht gefeit, wenn die Wirksamkeit ihrer Ehe – wie im Fall des EGMR – bereits zuvor nach Ankunft in Deutschland durch staatliche Behörden bestätigt wurde. Dass die streitgegenständliche Ehe im Fall des EGMR in Spanien geschlossen und dort die Witwenrentenzahlung versagt wurde, ist insofern von nachrangiger Bedeutung. Im Vordergrund steht die Tatsache, dass die Ehefrau Vertrauen in die Ehewirksamkeit aufgebaut hatte. Auf die bestehenden mehrjährigen Familienbindungen stellte der EGMR auch in einem anderen Fall622 ab. Hier ging es um die Anerkennung einer peruanischen Adoption in Luxemburg. Eine unverheiratete luxemburgische Staatsangehörige hatte zuvor in Peru ein Kind adoptiert und dort mit ihm längere Zeit gelebt. Das nach Art. 370 Abs. 2 lux. CC anwendbare luxemburgische Recht billigte unverheirateten Personen die Möglichkeit einer Volladoption gem. Art. 367 lux. CC allerdings nicht zu, sodass die luxemburgischen Behörden die Adoption nicht anerkannten. Auf der Grundlage seines an gelebten Sozialbeziehungen orientierten Familienverständnisses bejahte der Gerichtshof eine tatsächliche Familienbeziehung, die durch die Adoption begründet worden war. Die Verweigerung der Anerkennung erachtete er weiterhin als ungerechtfertigten Eingriff in 619

EGMR 8.12.2009, 49151/07 „Muñoz Díaz vs. Spain“, BeckRS 2010, 6571. S. dazu eingehend B. II. 1. a) aa) (3). 621 Dann liegt eine verfassungsrechtlich beanstandungswürdige Rückwirkung vor, s. o. B. II. 3. 622 EGMR 28.6.2007, 76240/01 „Wagner gegen Luxemburg“, FamRZ 2007, 1529 ff. 620

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Art. 8 Abs. 1 EMRK. Nach den Feststellungen des EGMR müsse „der sozialen Realität der Situation“ in derartigen Fällen Rechnung getragen werden, das Kindeswohl habe „oberste Priorität“ und die Luxemburger Richter dürften „vernünftigerweise nicht den rechtlichen Status außer Acht lassen [. . .], der im Ausland wirksam begründet worden“ sei.623 Stattdessen sei eine „konkrete Prüfung der Situation“ erforderlich, zumal die Konvention als ein „lebendiges Instrument [. . .] im Licht der aktuellen Lebensbedingungen zu interpretieren“ sei. Die Betonung der tatsächlichen Lebens- und Familienverhältnisse als statusrelevant weist starke Parallelen zum unionsrechtlichen Anerkennungsgedanken auf.624 Durch ein anderes Urteil625 wird die zunächst naheliegende These von einer vergleichbaren Anerkennungsdimension im menschenrechtlichen Kontext indes wieder entkräftet. Hiernach wird die Anerkennung einer im Alter von 14 Jahren geschlossenen Ehe gem. Art. 8 EMRK den Konventionsstaaten gerade nicht abverlangt. Es liegt also der Schluss nahe, dass Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB zwar im Hinblick auf den Vertrauensschutz nach Art. 14 EMRK i.V. m. Art. 1 Prot. EMRK als konventionsrechtswidrig einzustufen ist. Hinsichtlich des Schutzes durch Art. 8 EMRK ist jedoch auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen.626 2. Anwendbarkeit der GRC Die Grundrechtsgarantien bewegen sich jedoch nicht nur im Spannungsfeld von Menschenrechtskonvention, Grundrechtecharta und den Verfassungsgrundrechten. Vielmehr beanspruchen in Europa auch weitere völkerrechtliche Verträge, wie die hier relevante Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR) vom 12. Dezember 1966627, die GFK, die Ehewille-UNÜ, die UN-KRK628 und die CEDAW Geltung. Auf die Vereinbarkeit der Regelungen des KEhenBekG mit diesen völkerrechtlichen Verträgen wird in der vorliegenden Untersuchung nicht eingegangen.629 Die folgenden Ausführungen beschränken sich auf die unionsrechtlichen 623

Diesem Argumentationsgang kritisch gegenüber: Henrich, FamRZ 2007, 1531. Dies sieht auch Basedow, FamRZ 2019, 1833, 1838. 625 EGMR 8.12.2015, 60119/12 „Case of Z.H. and R.H. vs. Switzerland“. 626 So i. E. auch Basedow, FamRZ 2019, 1833, 1839. 627 Deutschland gehört diesem Pakt seit Inkrafttreten am 23.3.1976 an, s. BGBl. 1973 Teil II 1533. 628 Die UN-KRK stellt „das grundlegende Menschenrechtsdokument für Minderjährige“ dar, s. Herker, VR 2017, 301. 629 Hinsichtlich der völkerrechtlichen Vereinbarkeit des KEhenBekG sei an dieser Stelle auf die erschöpfenden Darstellungen von Schulte-Rudzio, Minderjährigenehen in Deutschland, 293 ff., Siegert, Der ordre public im internationalen Eheschließungsrecht, 260 ff., 278 ff. und Sommerfeld, Völkerrechtliche Anforderungen an die Frühehe, in: Die Frühehe im Recht, 2021, 101 ff. verwiesen. 624

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Gewährleistungen der GRC, die in der EMRK teilweise ihre Entsprechung finden. Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRC beschränkt die Bindung der Mitgliedstaaten an die durch die Charta garantierten Grundrechte „ausschließlich“ auf die Fälle der „Durchführung von Unionsrecht“. Nach der EuGH-Rechtsprechung sind hierunter trotz anderslautender Stimmen in der Literatur630 auch die Situationen zu subsumieren, in denen die Mitgliedstaaten unter Berufung auf die Ausnahmeregelungen des Vertrages Grundfreiheiten einschränken („Einschränkungskonstellation“). Ausnahmen von den Grundfreiheiten dürfen nationale Regelungen nur dann normieren, wenn diese „im Einklang mit den [Unions]Grundrechten“ stehen.631 Die Unionsgrundrechte fungieren für die Mitgliedstaaten an dieser Stelle innerhalb der grundfreiheitlichen Prüfung als sog. Schranken-Schranken.632 Ist also eine innerstaatliche Regelung geeignet, „eine oder mehrere durch den AEUVertrag garantierte Grundfreiheiten zu beeinträchtigen“, so ist der Anwendungsbereich der GRC eröffnet.633 Die obigen Ausführungen haben gezeigt, dass Art. 13 Abs. 3 EGBGB die unionsrechtliche Freizügigkeit einschränkt, sodass die Unionsgrundrechte der GRC auch im vorliegenden Kontext Anwendung finden.634 Die GRC ist nicht nur in weiten Teilen der EMRK als „Kernstück der europäischen Grundrechtsverfassung“ 635 nachgebildet. Die in ihr enthaltenen Rechte, die den in der EMRK garantierten Rechten entsprechen, haben nach Art. 52 Abs. 3 S. 1 GRC auch „die gleiche Bedeutung und Tragweite“ wie in der Konvention. Dies wird hier zum Anlass genommen, die jeweiligen Grundrechtsgewährleistungen zusammen zu prüfen. 3. Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, Artt. 8 EMRK, 7 GRC In Artt. 8 EMRK, 7 GRC ist der Schutz des Privat- und Familienlebens verbürgt. Das Recht auf Achtung des Privatlebens gewährleistet dabei die Entwick630 S. nur Huber, EuR 2008, 190, 194 ff.; Calliess/Ruffert/Kingreen, 6. Aufl., 2022, Art. 51 GRC Rn. 22 f.; zust. Schulte-Rudzio, Minderjährigenehen in Deutschland, 171; Franzius, ZaöRV 2015, 383, 386 ff.; zur Diskussion: NK-GRC/Schwerdtfeger, 5. Aufl., 2019, Art. 51 GRC Rn. 36 ff. 631 EuGH 18.6.1991, Rs. C-260/89 „ERT“, BeckRS 2004, 75777, Rn. 43; EuGH 30.4.2014, Rs. C-390/12 „Pfleger“, EuZW 2014, 597, 598 f. 632 S. hierzu NK-GRC/Schwerdtfeger, 5. Aufl., 2019, Art. 51 GRC Rn. 39. 633 Jarass/Jarass, 4. Aufl., 2021, Art. 51 GRC Rn. 32; EuGH 21.5.2019, Rs. C-235/ 17 „Kommission/Ungarn“, BeckRS 2019, 9091, Rn. 64; EuGH 27.4.2006, Rs. C-441/ 02 „Kommission/Deutschland“, ZAR 2006, 210, 214 m.w. N. 634 S. zur Bindung der Mitgliedstaaten an die Unionsgrundrechte bei Beeinträchtigung der Freizügigkeit: EuGH 27.4.2006, Rs. C-441/02 „Kommission/Deutschland“, ZAR 2006, 210, 214 m.w. N. 635 Dörr/Grote/Marauhn, 3. Aufl., 2022, Einleitung Rn. 2.

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lung und Verwirklichung der Persönlichkeit des Individuums. Im Gegensatz zum Schutzgehalt des Art. 2 Abs. 1 GG bezieht sich das Privatleben hier neben dem inneren Bereich der Persönlichkeitssphäre auch auf die äußeren, zwischenmenschlichen Beziehungen.636 Eine weitere spezifische Ausprägung ist das Recht auf Selbstbestimmung, dessen Bestandteil das Recht auf Achtung der Identität und der Ehre einer Person ist.637 Unter den Schutz der „Familie“ fallen die Beziehungen zwischen den Ehepartnern untereinander und zwischen Eltern und Kindern.638 Die Schutzgüter sind im Vergleich zu den in Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 6 Abs. 1GG garantierten Grundrechten eher lebensbestimmt als rechtsfokussiert.639 Ein tatsächliches Familienleben muss vorhanden sein640, Art. 8 EMRK vermittelt keinen Anspruch auf Gründung einer Familie.641 Auf Grundlage des Art. 13 Abs. 3 EGBGB werden jenseits der in Art. 229 § 44 EGBGB vorgesehenen Ausnahmen im Ausland geschlossene Minderjährigenehen als unwirksam oder aufhebbar angesehen. Damit wird ihnen die (volle) rechtliche Wirksamkeit versagt, was nicht nur im Hinblick auf das Recht auf Achtung des Familienlebens bedenklich erscheint. So sieht der EGMR die staatliche Anerkennung des Personenstands eines Individuums als wesentlichen Teil seiner persönlichen und sozialen Identität an, sodass das Privatleben beeinträchtigt ist.642 Ein Angriff auf die mit dem Privatleben verbundene Identität liegt ebenfalls vor, wenn die rechtliche Zuordnung des Vaters zum Kind wegfällt oder die Herstellung eines Vater-Kind-Verhältnisses von vornherein unmöglich ist.643 Die Unwirksamkeitsfolge des Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB führt zum rückwirkenden Wegfall bzw. zur Versagung der statusrechtlichen Zuordnung des gemeinsamen Kindes zum Vater. Neben dem Eingriff in das Familienleben der Beteiligten ist im Falle der Nichtanerkennung einer Minderjährigenehe also ebenfalls eine Beeinträchtigung des Privatlebens der Ehegatten und Kinder zu bejahen.

636 Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention – Ein Studienbuch, § 22 Rn. 6 m.w. N. 637 Dörr/Grote/Marauhn/Böhringer/Marauhn, 3. Aufl., 2022, Art. 8 EMRK Rn. 36. 638 Jarass/Jarass, 4. Aufl., 2021, Art. 7 GRC Rn. 19; vgl. a. EGMR 26.5.1994, 16/ 1993/411/490 „Keegan gegen Irland“, NJW 1995, 2153 ff.; zur Reichweite des verfassungs- und konventionsrechtlichen Familienbegriffs: Klinkhammer, ZfPW 2015, 5 ff. 639 Dörr/Grote/Marauhn/Böhringer/Marauhn, 3. Aufl., 2022, Art. 8 EMRK Rn. 40. S. a. Wolff, EuR 2005, 721, 725; Helms, IPRax 2017, 153, 157. 640 Wichtig ist das Zusammenleben der Partner, die Dauer ihrer Beziehung und die Festigkeit ihrer Bindung, die z. B. bei gemeinsamen Kindern zu bejahen ist, s. EGMR 8.12.2015, 60119/12 „Case of Z.H. and R.H. vs. Switzerland“, Rn. 42. 641 EGMR 13.6.1976, 6833/74 „Marckx gegen Belgien“, NJW 1979, 2449, 2450. 642 EGMR 20.7.2010, 38.816/07 „Dadouch gegen Malta“, NLMR 2010, 235, 236. 643 EGMR 26.6.2014, 65192/11 „Mennesson gegen Frankreich“, NJW 2015, 3211, 3212; EGMR 7.2.2002, 53176/99 „Mikulic´ gegen Kroatien“, BeckRS 2014, 21335, Rn. 53 ff.

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Kap. 4: Das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen auf dem Prüfstand

Nach Maßgabe des Art. 8 Abs. 2 EMRK muss der Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens auf einer gesetzlichen Grundlage beruhen. Weiterhin muss die Beeinträchtigung ein legitimes Ziel verfolgen und in einer demokratrischen Gesellschaft notwendig, also verhältnismäßig sein. Mit Art. 13 Abs. 3 EGBGB liegt eine hinreichende gesetzliche Grundlage für den Eingriff vor. Prüfungsbedürftig bleibt, ob mit dem Eingriff ein legitimes Ziel i. S. d. Art. 8 Abs. 2 EMRK verfolgt wurde: Der Eingriff muss „in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer“ notwendig sein. Die aufgeführten Ziele sind dabei sehr weit zu verstehen.644 Das KEhenBekG zielte vorrangig darauf ab, die Standards zur Berücksichtigung des Kindeswohls auf dem Gebiet der Minderjährigenehen zu erhöhen und so einen flächendeckenden Minderjährigenschutz zu ermöglichen. Dieses Bestreben kann unter den Schutz der Gesundheit oder der Moral gefasst werden.645 Die anschließende Verhältnismäßigkeitskontrolle erfordert eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter mit den verfolgten öffentlichen Interessen.646 Mit der Unwirksamkeitssanktion des Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB hat der Gesetzgeber den „gravierendsten möglichen Eingriff“ 647 gewählt: Unabhängig von den Umständen des Einzelfalls sind generell alle im Ausland im Alter von unter 16 Jahren eingegangenen Ehen, die nicht die Voraussetzungen der Überleitungsnorm erfüllen, als unwirksam anzusehen. Den Ehen auch für die Vergangenheit jede Rechtswirkung abzusprechen, den Ehegatten und ihren Kindern alle aus der Ehe erwachsenden Ansprüche zu verweigern und das Vater-Kind-Verhältnis zu beseitigen entspricht keinesfalls einem „dringenden sozialen Bedürfnis“.648 Die ausführliche Verfassungsrechtsanalyse hat bereits gezeigt, dass das rigide Unwirksamkeitsverdikt dem Kindeswohl gerade widerspricht, da es in keiner Weise die gebotene, individuelle Einzelfallbetrachtung gewährleistet.649 Zu beachten ist ferner, dass der Ermessensspielraum, der den staatlichen Behörden und Gerichten in den Konventionsstaaten grundsätzlich zusteht, im hochsensiblen Feld der

644

Jarass/Jarass, 4. Aufl., 2021, Art. 7 GRC Rn. 36. Vgl. Dörr/Grote/Marauhn/Böhringer/Marauhn, 3. Aufl., 2022, Art. 8 EMRK Rn. 94. 646 Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention – Ein Studienbuch, § 22 Rn. 44. 647 Expressis verbis Gutmann, NVwZ 2019, 277, 281. 648 HK-EMRK/Meyer-Ladewig/Nettesheim, 4. Aufl., 2017, Art. 8 EMRK Rn. 110. 649 Coester, FamRZ 2017, 77, 79; Plich, RPsych 2017, 299, 303; Schulte-Rudzio, Minderjährigenehen in Deutschland, 376. 645

C. Europarechtliche Vereinbarkeit

359

Abstammung stark eingeschränkt ist.650 Die Unwirksamkeitsfolge stellt infolgedessen eine Verletzung der Artt. 8 EMRK, 7 GRC dar. Im Unterschied zur Eheunwirksamkeit lässt das in Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB i.V. m. § 1313 ff. BGB angeordnete Aufhebungsverfahren eine Prüfung der jeweiligen Ehe im Einzelfall zu. Die strenge Antragspflicht der Behörde, die selbst in den prekären Fällen des § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b BGB die Einleitung eines Aufhebungsverfahrens erzwingt, ist dagegen unter Kindeswohlgesichtspunkten nur schwer zu rechtfertigen. Hier werden minderjährige Personen in ein Verfahren einbezogen, das ihnen die Aufhebung ihrer Ehe als Möglichkeit vor Augen führt, obwohl ebendiese Aufhebung aufgrund außergewöhnlicher Umstände für sie eine besonders schwere Härte darstellen würde. Allein diese Konfrontation hat negative Folgen für das Kindeswohl.651 Die behördliche Pflicht zur Antragstellung nach Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB i.V. m. § 1316 Abs. 3 S. 2 BGB ist somit unverhältnismäßig und verletzt Artt. 8 EMRK, 7 GRC.652 4. Recht auf Eheschließung, Artt. 12 EMRK, 9 GRC Der originäre Schutzgehalt der Artt. 12 EMRK, 9 GRC bezieht sich auf den Gründungsakt der Eheschließung und vermittelt das Recht, eine Ehe einzugehen. Vereinzelt wird hieraus der Umkehrschluss gezogen, das Eheschließungsrecht umfasse ebenso das staatliche Verbot, eine zulässigerweise eingegangene Ehe zu beenden.653 Dieser Sichtweise zufolge wäre die Nichtanerkennung im Ausland geschlossener Minderjährigenehen als ein Eingriff in das Recht auf Eheschließung nach Artt. 12 EMRK, 9 GRC zu werten. Angesichts ihres klaren Wortlauts erscheint es aber unangemessen, aus den Vorschriften ein staatliches Eheauflösungsverbot abzuleiten: Die Normen sind auf die „Eingehung einer Ehe“ bzw. „Gründung einer Familie“ gerichtet, was der Eheauflösung gerade entgegensteht.654 Mit Einführung des Art. 13 Abs. 3 EGBGB hat der Gesetzgeber das tatsächliche Familienleben der Beteiligten beeinträchtigt und damit bereits den Eingriffstatbestand für die Anwendung der Artt. 8 EMRK, 7 GRC herbeigeführt. Ein Eingriff in Artt. 12 EMRK, 9 GRC kann daher nicht festgestellt werden. 650 EGMR 26.6.2014, 65192/11 „Mennesson gegen Frankreich“, NJW 2015, 3211, Rn. 3211; HK-EMRK/Meyer-Ladewig/Nettesheim, 4. Aufl., 2017, Art. 8 EMRK Rn. 112. 651 S. dazu B. III. 1. a) cc). 652 A. A. Schulte-Rudzio, Minderjährigenehen in Deutschland, 377 f., die eine völkerrechtskonforme Auslegung der Härtefallklausel vornehmen möchte. Allerdings bleibt das Problem der behördlichen Antragspflicht hier bestehen. 653 Wolff, EuR 2005, 721, 729 m.w. N. 654 Aus diesem Grund ein auf Art. 12 EMRK gründendes Recht auf Ehescheidung verneinend: Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention – Ein Studienbuch, § 22 Rn. 84. Vgl. a. Jarass/Jarass, 4. Aufl., 2021, Art. 9 GRC Rn. 6.

360

Kap. 4: Das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen auf dem Prüfstand

Allerdings wurde der Anwendungsbereich des Eheschließungsrechts durch die in § 1303 S. 1 BGB vorgenommene Anhebung des Ehemündigkeitsalters auf 18 Jahre durchaus beschränkt, sodass ein Eingriff in dieser Beziehung zu bejahen ist. Den Artt. 12 EMRK, 9 GRC ist aber auch ein zweifacher Verweis auf die verbleibende Rechtshoheit der Vertragsstaaten zu entnehmen: Zum einen wird auf die Nennung eines Eheschließungsmindestalters verzichtet, zum anderen ist ausdrücklich von innerstaatlichen Gesetzen die Rede, „welche die Ausübung dieses Rechts regeln“.655 Insofern gewähren die Normen den Vertragsstaaten einen weiten Gestaltungsspielraum für die inhaltliche Ausgestaltung der innerstaatlichen Eheschließungsregeln als Ausdruck traditioneller sozialer und kultureller Anschauungen.656 Bei der konkreten Ausformung des in Art. 12 EMRK begründeten Rechts haben die Mitgliedstaaten allerdings den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten. So darf das staatliche Recht die in Art. 12 EMRK enthaltene Rechtsgarantie nicht auf eine Weise einschränken, dass die Norm in ihrem Wesensgehalt berührt wird.657 Der Kerngehalt wird hier jedoch nicht angetastet: Mit der Anhebung auf 18 Jahre hat der deutsche Gesetzgeber in Ausübung der ihm obliegenden Regelungskompetenz just das Eheschließungsalter an die allgemeine Geschäftsfähigkeit angeglichen. Damit folgt er dem unverkennbaren europäischen Trend hin zur Erhöhung des Ehemindestalters auf 18 Jahre, der als Anhaltspunkt für einen wachsenden gemeinsamen Standard der Mitgliedstaaten gesehen werden kann, auf dessen Grundlage sich die Auslegung der Konventionsrechte vollzieht. Insofern ist im Hinblick auf Artt. 12 EMRK, 9 GRC kein unverhältnismäßiges staatliches Handeln erkennbar. 5. Rechte des Kindes, Art. 24 GRC Die Vorschrift hebt Kinder als besonders schutzbedürftige Personengruppe hervor. In Entsprechung zu Art. 1 UN-KRK sind mit Kindern alle Menschen gemeint, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben.658 Gem. Art. 24 Abs. 1 S. 1 GRC steht den Kindern ein Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge zu, die für ihr Wohlergehen notwendig sind. Der notwendige Schutz umfasst insbesondere die Sicherheit, Gesundheit und Entwicklung der Kinder, während sich die Fürsorge auf sonstige Leistungen, wie insbesondere Pflege, Erziehung und Bildung bezieht.659 Nach Maßgabe des S. 3 ist die den Kindern

655

Voltz, Menschenrechte und ordre public im Internationalen Privatrecht, 330. Jarass/Jarass, 4. Aufl., 2021, Art. 9 GRC Rn. 13. 657 HK-EMRK/Meyer-Ladewig/Nettesheim, 4. Aufl., 2017, Art. 12 EMRK Rn. 6; EGMR 18.12.1987, 11329/85, 21/1986/119/168 „F. gegen Schweiz“, EGMR-E Bd. 3, 724, 726. 658 Jarass/Jarass, 4. Aufl., 2021, Art. 24 GRC Rn. 9; NK-GRC/Hölscheidt, 5. Aufl., 2019, Art. 24 GRC Rn. 18. 659 Jarass/Jarass, 4. Aufl., 2021, Art. 24 GRC Rn. 11. 656

C. Europarechtliche Vereinbarkeit

361

ohnehin (nach Artt. 11 Abs. 1 S. 1, 24 Abs. 1 S. 2 GRC) zustehende Meinungsfreiheit für den Bereich ihrer Angelegenheiten in besonderem Maße zu berücksichtigen. Bei Angelegenheiten, die Kinder betreffen, erwächst aus der Norm die Verpflichtung, deren Meinung in die Entscheidungsfindungsprozesse, insbesondere im Rahmen von Gerichts- und Verwaltungsverfahren i. S. d. Art. 12 Abs. 2 UN-KRK, miteinzubeziehen. 660 Art. 24 Abs. 2 GRC normiert in Anlehnung an Art. 3 Abs. 1 UN-KRK den Vorrang des Kindeswohls.661 Demgemäß müssen öffentliche und private Einrichtungen bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, deren Wohl vorrangig erwägen. Die Eheunwirksamkeit des Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB verletzt fundamentale Rechtspositionen der minderjährigen Ehegatten und ihrer Kinder und bietet damit keine Grundlage i. S. d. Art. 24 Abs. 1 S. 1 GRC, um den Schutz und die Fürsorge zu gewährleisten, die für das Wohlergehen von Kindern notwendig sind. Darüber hinaus wird die Nichtigkeitsfolge per Gesetz angeordnet und tritt automatisch ein: Den Minderjährigen wird mithin weder auf tatsächlicher noch auf rechtlicher Ebene die Möglichkeit eröffnet, ihre Meinung zu äußern und in den Entscheidungsprozess einzubringen, sodass den Anforderungen des Art. 24 Abs. 1 S. 3 GRC nicht Genüge getan wurde. Weiterhin verstößt Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB gegen den verfassungsrechtlich gebotenen Schutz des Kindeswohls, sodass auch ein Verstoß gegen Art. 24 Abs. 2 GRC als chartaimmanenter Ausprägung des Kindeswohlsschutzes vorliegt. Die Aufhebbarkeitsfolge ist wiederum unter dem Blickwinkel der behördlichen Antragspflicht bedenklich: Hier wird selbst für unter § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b BGB zu subsumierende Fälle die Eröffnung eines eindeutig aussichtsund erfolglosen Aufhebungsverfahrens erzwungen, was dem Kindeswohl widerspricht und zu einer Verletzung des Art. 24 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 GRC führt. 6. Nichtdiskriminierung, Freizügigkeit und Aufenthaltsfreiheit, Art. 21 Abs. 2 GRC und Art. 45 Abs. 1 GRC Nach Art. 21 Abs. 2 GRC ist unbeschadet besonderer Bestimmungen der Verträge jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten. Art. 45 Abs. 1 GRC sichert dagegen allen Unionsbürgern das Recht zu, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten. Eine Verletzung der unionsrechtlichen Freizügigkeit und des Diskriminierungsverbots ist somit vor dem Hintergrund der obigen Ausführungen gegeben.

660 NK-GRC/Hölscheidt, 5. Aufl., 2019, Art. 24 GRC Rn. 26; Jarass/Jarass, 4. Aufl., 2021, Art. 24 GRC Rn. 13. 661 So expressis verbis Herker, VR 2017, 301, 302.

362

Kap. 4: Das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen auf dem Prüfstand

IV. Zusammenfassung Die mit dem KEhenBekG einhergehende Verschärfung der deutschen Kollisionsrechtslage stellt sich für den Bereich der in der EU zusammengeschlossenen Staaten als höchst problematisch dar: Die durch Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB i.V. m. § 1303 S. 2 BGB hervorgerufene Eheunwirksamkeit der im Alter von unter 16 Jahren geschlossenen Ehen führt zu einer ungerechtfertigten Beschränkung des unionsrechtlichen Freizügigkeitsrechts nach Art. 21 Abs. 1 AEUV. Für die von 16 oder 17 Jahre alten Minderjährigen geschlossenen Ehen verstößt die nach Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB i.V. m. § 1316 Abs. 3 S. 2 BGB obligatorische Einleitung des Aufhebungsverfahrens dann gegen das Freizügigkeitsrecht des Art. 21 Abs. 1 AEUV, wenn die Aufhebung aufgrund außergewöhnlicher Umstände für den minderjährigen Ehegatten eine „schwere Härte“ nach § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b BGB bedeutete. Außerdem stellt die in Art. 13 Abs. 3 i.V. m. Art. 229 § 44 Abs. 1, 2 EGBGB vorgenommene Differenzierung anhand des Eheschließungsstatuts für vor Inkrafttreten des KEhenBekG im unionsrechtlichen Kontext geschlossene Ehen eine ungerechtfertigte Beeinträchtigung des Benachteiligungsverbots in Art. 21 Abs. 1 i.V. m. Art. 18 Abs. 1 AEUV dar. Die im KEhenBekG getroffenen Maßnahmen geraten weiterhin mit weiteren Quellen des substantiellen EU- und Völkerrechts662 in Konflikt. Die aus Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB i.V. m. § 1303 S. 2 BGB resultierende absolute Unwirksamkeit und der behördliche Antragsbefehl des Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB i.V. m. § 1316 Abs. 3 S. 2 BGB für die unter § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b BGB zu subsumierenden Fälle führen zu einer Verletzung der Artt. 8 EMRK, 7 GRC, des Art. 24 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 GRC und des Art. 45 Abs. 1 GRC. Weiterhin verstößt die aus Art. 13 Abs. 3 i.V. m. Art. 229 § 44 Abs. 1, 2 EGBGB resultierende Ungleichbehandlung gegen Art. 21 Abs. 2 GRC.

662 Zur völkerrechtlichen Dimension genauer Schulte-Rudzio, Minderjährigenehen in Deutschland, 293 ff.; Siegert, Der ordre public im internationalen Eheschließungsrecht, 260 ff., 278 ff.; s. a. Sommerfeld, Völkerrechtliche Anforderungen an die Frühehe, in: Die Frühehe im Recht, 2021, 101 ff.

Kapitel 5

Wesentliche Ergebnisse und Desiderata Der folgende Abschnitt widmet sich zunächst der zusammenfassenden Darstellung der Ergebnisse dieser Untersuchung. Anschließend werden die gezogenen Schlussfolgerungen in Form von Leitlinien zur Behandlung von Minderjährigenehen fruchtbar gemacht und zuletzt konkrete Reformvorschläge unterbreitet.

A. Gesamtzusammenfassung Ehen von Minderjährigen sind in Deutschland kein unbekanntes Phänomen, sondern bilden einen festen Bestandteil der deutschen Eherechtsgeschichte. Während im römischen, kanonischen und mittelalterlichen Recht die soziale Sicherungsfunktion der Ehe im Mittelpunkt stand, hat das Rechtsinstitut im Wandel der Zeit wichtige Grundprinzipien wie die Gleichberechtigung von Mann und Frau und den Minderjährigenschutz in sich vereint (Kap. 1 B.). Von Minderjährigenschutzerwägungen war auch die analysierte Gesetzgebungsmaßnahme getragen, mit der sich der Gesetzgeber dem klar erkennbaren internationalen Trend der Anhebung des Ehemündigkeitsalters angeschlossen hat. Dennoch existieren weiterhin zahlreiche Rechtsordnungen, die Eheschließungen von Minderjährigen erlauben. Dies gilt vor allem für die islam-rechtlich ausgerichteten Staaten, wie am Länderbeispiel Syrien zu sehen ist. Hier wurde 2019 das Eheschließungsmindestalter für beide Geschlechter auf 18 Jahre heraufgesetzt, allerdings mit Dispensmöglichkeit bei Vollendung des 15. Lebensjahres. Gemeinhin liegt Minderjährigenehen ein abweichender kultureller Hintergrund zugrunde, der oft stark beeinflusst ist von Religion und Tradition. Faktoren wie Armut, geringe Bildungs- und Arbeitschancen, patriarchalische Strukturen und familiärer Druck wirken zugleich als Ursachen und Multiplikatoren für Eheschließungen in jungem Alter. Auch die möglichen gesundheitlichen Nachteile in reproduktionsmedizinischer Hinsicht lassen keinen Zweifel daran, dass Eheschließungen im Minderjährigenalter für die Beteiligten schädlich sein können. Gleichzeitig gebietet die Vielschichtigkeit der Thematik, sich vom typischen Bild der Minderjährigenehe als einem unfreien und erzwungenen Abhängigkeitsverhältnis zwischen einem jungen unreifen Mädchen und einem erheblich älteren Mann zu lösen. Frühe Eheschließungen entstehen in diversen Kontexten und basieren auf vollkommen unterschiedlichen Motiven. Pauschalierende Annahmen verbieten sich schon aufgrund der gesteigerten Vulnerabilität der beteiligten

364

Kap. 5: Wesentliche Ergebnisse und Desiderata

Minderjährigen und der starken Grundrechtssensibilität der Rechtsmaterie (Kap. 1 C.). Bereits vor Inkrafttreten des KEhenBekG betrug das allgemeine Ehemündigkeitsalter 18 Jahre, wobei das Familiengericht im Ausnahmefall auf Antrag Befreiung vom regulären Alterserfordernis erteilen konnte, sofern am Tag der Eheschließung der minderjährige Heiratsaspirant das 16. Lebensjahr vollendet hatte und der künftige Ehegatte volljährig war (§ 1303 Abs. 2 BGB a. F.) (Kap. 2 A.). Im Unterschied zu der aktuellen Rechtslage bildete der allgemeine ordre publicVorbehalt des Art. 6 EGBGB den Schwerpunkt bei der Prüfung der Anerkennungsfähigkeit einer wirksam geschlossenen Auslandsehe nach Art. 13 Abs. 1 EGBGB. Dieser war dann in Anschlag zu bringen, wenn die jeweilige Minderjährigenehe als Ergebnis der Rechtsanwendung im konkreten Fall in unhaltbar starkem Widerspruch zu den Grundgedanken und tragenden Prinzipien der deutschen Rechtsordnung stand. Über die einen ordre public-Verstoß auslösende Heiratsaltersgrenze herrschte Uneinigkeit. Allerdings bestand keineswegs eine objektive Lücke im ursprünglichen Regelungssystem. Den Gerichten sollte vielmehr durch die Offenheit des ordre public-Gedankens ein sinnvoller Ermessensspielraum eingeräumt werden. Prüfungsrelevante Kriterien waren ein hinreichender Inlandsbezug, die körperliche und geistige Entwicklung des (ehemals) minderjährigen Ehegatten im Zeitpunkt der Eheschließung sowie sein Alter im Beurteilungszeitpunkt, die Dauer des ehelichen bzw. familiären Zusammenlebens, ein erkennbarer Fortsetzungswille und die Geburt gemeinsamer Kinder. Bedacht wurden ebenso die Folgen der Annahme eines ordre public-Verstoßes (die Entstehung hinkender Ehen und eine sich hieraus ergebende außerordentliche Härte) für die Lebenssituation der Beteiligten. Das damalige Recht bot mit dem ordre public also ein hinlängliches Instrumentarium für eine im Ergebnis differenzierte und ausbalancierte Handhabung von Minderjährigenehen, die den individuellen Bedürfnissen der Beteiligten Rechnung trug. Nachteilig an der bisherigen Rechtslage war die inter partes-Wirkung des Art. 6 EGBGB, durch die die Frage der Ehewirksamkeit nicht abschließend und verfahrensübergreifend mit Wirkung gegenüber jedermann geklärt werden konnte (Kap. 2 B.). Mit der Gesetzesnovelle wurde auf sachrechtlicher Ebene die in §§ 1303 Abs. 2–4 BGB a. F. geregelte Dispensmöglichkeit gestrichen und ein Rechtsfolgendualismus von Aufhebbarkeit und Unwirksamkeit für Eheschließungen im Minderjährigenalter eingeführt. Auch kollisionsrechtlich wird die ordre publicKontrolle nach Art. 6 EGBGB nunmehr durch die Sonderregelung des Art. 13 Abs. 3 EGBGB ersetzt, wonach die jeweilige im Ausland geschlossene Ehe vorbehaltlich der in Art. 229 § 44 EGBGB statuierten Übergangsregelungen aus deutscher Rechtsperspektive als unwirksam (Nr. 1) oder aufhebbar (Nr. 2) zu qualifizieren ist (Kap. 3 A.). Neben praktischen Schwierigkeiten (Kap. 3 C.) bergen die gesetzlichen Änderungen einige Unklarheiten auf Auslegungsebene: Im Rahmen der Aufhebbar-

A. Gesamtzusammenfassung

365

keitsfolge (Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB, § 1303 S. 1 BGB) ist das Kriterium der Kenntnis von der Aufhebbarkeit als Versagungsgrund für nacheheliche Unterhaltsansprüche nach § 1318 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB dergestalt auszulegen, dass der minderjährige Ehegatte eine Ahnung von der rechtlichen Angreifbarkeit der Ehe im Eheschließungszeitpunkt besitzen muss. Beim Merkmal der groben Unbilligkeit nach § 1318 Abs. 2 S. 2 BGB ist zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen eine extensive Auslegung dahingehend geboten, dass bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres des gemeinsamen Kindes in der Regel Betreuungsunterhalt zu leisten ist. Die Bestätigung nach § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. a BGB als Ausschlussgrund der Aufhebung setzt voraus, dass der minderjährige Ehegatte – anknüpfend an die Sachnorm des § 2 BGB und nicht etwa an Art. 7 EGBGB – das 18. Lebensjahr vollendet hat und in der Tendenz begründete Zweifel daran hegt, dass seine Ehe mangelfrei zustande gekommen ist. Außerdem muss er seinen Fortsetzungswillen nach außen hin manifestieren, wobei auch faktisches Verhalten wie die Fortsetzung des ehelichen Zusammenlebens mit dem Ehepartner genügt. Im Rahmen der Härtefallklausel des § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b BGB können nur die Lebensumstände einer lebensbedrohlichen Erkrankung und krankheitsbedingten Suizidgefahr dazu führen, dass der Minderjährige durch die Aufhebung einer schweren Härte ausgesetzt wird. Andere gegen die Aufhebung der Ehe sprechende, gravierende Faktoren wie die Existenz von Kindern, das Erhaltungsinteresse des Minderjährigen am Bestand der Ehe und die Ehedauer, die die Nachteilhaftigkeit der Situation im Falle der Aufhebung für den minderjährigen Ehegatten ebenso als schwerwiegend erscheinen lassen, bleiben unberücksichtigt. Bei Ehen unter Beteiligung von Unionsbürgern begründet weiterhin die Verletzung der unionsrechtlichen Freizügigkeit des minderjährigen Unionsbürgers einen Härtefall. Die Norm soll nach dem Willen des Gesetzgebers schließlich in den Fällen Geltung beanspruchen, die in der Gesetzesbegründung aufgelistet sind. An dem eindeutigen (entgegenstehenden) gesetzgeberischen Willen scheitert überdies eine analoge Anwendung der Übergangsvorschriften des Art. 229 § 44 Abs. 1, 2 EGBGB auf nach ausländischem Recht eventuell unter Ausnutzung eines Dispenses geschlossene Ehen. Eine kindeswohlwidrige Entscheidung kann indes durch § 1314 Abs. 1 Nr. 1 BGB vermieden werden. Der offene Wortlaut der Norm gewährt den Gerichten im Rahmen der Aufhebungsentscheidung ein restriktiv auszuübendes Ermessen. Selbst wenn im Falle einer im Minderjährigenalter von mindestens 16 Jahren geschlossenen Ehe die engen Voraussetzungen des § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BGB nicht gegeben sind, ist es den Familiengerichten ausnahmsweise gestattet, von der Eheaufhebung abzusehen, wenn die Aufhebung unter Minderjährigenschutzaspekten nicht geboten ist, sondern vielmehr gewichtige Umstände gegen sie sprechen (Kap. 3 D. I.). An der nach Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB, § 1303 S. 2 BGB angeordneten Unwirksamkeitsfolge für im Alter von unter 16 Jahren geschlossene Ehen lässt sich im Wege der Auslegung nicht vorbeikommen. Wie bei der Aufhebbarkeitslösung

366

Kap. 5: Wesentliche Ergebnisse und Desiderata

bezieht sich die Volljährigkeit als Heilungsvoraussetzung nach Art. 229 § 44 Abs. 4 Nr. 1 EGBGB auf die Vollendung des 18. Lebensjahres. Die Beurteilung eines gewöhnlichen Aufenthalts nach Art. 229 § 44 Abs. 4 Nr. 2 EGBGB hängt maßgeblich von den Gründen für die Anwesenheit am Destinationsort ab. Allgemein ist eine gewisse Zeitdauer des Aufenthalts und eine hinreichende soziale Eingliederung des jeweiligen Ehegatten erforderlich. Die Heilung nach Art. 229 § 44 Abs. 4 EGBGB bewirkt nicht die rechtliche Vollgültigkeit, sondern vielmehr die Aufhebbarkeit der betroffenen Ehen analog Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB (Kap. 3 D. II.). Die rechtsvergleichende Darstellung hat gezeigt, dass die engen Voraussetzungen des Art. 229 § 44 Abs. 4 EGBGB im Bereich der im Alter von unter 16 Jahren geschlossenen Ehen in den betrachteten Vergleichsrechtsordnungen keine Parallele finden. Vielmehr wird dort unabhängig vom Eheschließungsalter eine Heilung der Ehe mit Vollendung des 18. Lebensjahres ermöglicht, wenn bestimmte Voraussetzungen vorliegen. Während Österreich in Entsprechung zur bisherigen deutschen Rechtslage Minderjährigenehen im Wege des Dispensverfahrens zulässt, wird in den Rechtsordnungen der Vergleichsstaaten ein striktes gesetzliches Verbot von Kinderehen – jeweils auf unterschiedliche Weise – durchgesetzt (Kap. 4 A.) In der verfassungsrechtlichen Analyse hat sich herausgestellt, dass die Abschaffung der in § 1303 Abs. 2–4 BGB a. F. statuierten Befreiungsmöglichkeit auf nationaler Sachrechtsebene im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 GG bereits keine Eingriffsqualität aufweist: So schränkt § 1303 BGB in seiner aktuellen Fassung den freien Zugang zur Ehe nicht ein, sondern gewährleistet ihn, indem die nach gesetzgeberischer Vorstellung unreifen Minderjährigen als an der freien Willensbildung gehinderte Personen vor Eheschließungen „bewahrt“ werden (Kap. 4 B. I.). Dagegen genügt die Einordnung der im Alter von unter 16 Jahren geschlossenen Ehen als Nichtehen nach § 1303 S. 2 BGB, Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen: Das staatliche Schutzversprechen aus Art. 6 Abs. 1 GG geht in seiner abwehrrechtlichen Erscheinungsform über die Wahrung der verfassungsrechtlichen Konstitutionsprinzipien hinaus und erstreckt sich auch auf solche Minderjährigenehen, die zunächst unter Verstoß gegen das Strukturprinzip der Konsensualehe geschlossen wurden, im Beurteilungszeitpunkt jedoch vom Ehewillen beider Ehegatten einvernehmlich getragen werden und sich nach deutscher Rechtsvorstellung zu anerkennenswerten Ehen entwickelt haben. Unbenommen der grundsätzlichen Berechtigung des Regelungsanliegens ist die Unwirksamkeitsfolge aufgrund ihrer Schwächen (Gleichsetzung mit der Zwangsehe, Übergriffigkeit der Regelung, soweit davon auch mittlerweile Volljährige betroffen sind, und Unzulänglichkeit der Übergangsvorschrift) als unverhältnismäßig einzustufen. Wurden in eine im Alter von unter 16 Jahren geschlossene Ehe, die nicht die Kriterien des Art. 229 § 44 Abs. 4

A. Gesamtzusammenfassung

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EGBGB erfüllt, Kinder hineingeboren, so führen als abstammungsrechtliche Folgewirkung alle Anknüpfungsalternativen des Art. 19 Abs. 1 EGBGB – sofern auch das nach Art. 19 Abs. 1 S. 2 EGBGB berufene fremde Recht unter Beachtung von Rück- bzw. Weiterverweisungen für die Abstammung auf den Bestand der Ehe abstellt – ggf. über § 1592 Nr. 1 BGB zur Eheunwirksamkeit nach Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB. Dies hat zur Folge, dass mit der rückwirkend entfallenen Ehe auch der abstammungsrechtlichen Zuordnung des Kindes zu dem Mann, der im Zeitpunkt seiner Geburt nach ausländischem Recht wirksam mit seiner Mutter verheiratet war, die Legitimationsgrundlage entzogen wird. Unabhängig von einer möglicherweise bestehenden Sorgeberechtigung des einstigen Ehegatten gem. Art. 16 Abs. 1, 3 HKsÜ wird im Falle der Geburt des Kindes im Ausland seine zuvor durch Ehe erworbene rechtliche Vaterstellung mit allen Rechten und Pflichten entzogen. Sollte das Kind in Deutschland geboren werden, kommt eine Vaterschaft ab initio nicht zustande. Diese Durchtrennung bzw. Verwehrung einer zwischen Vater und Kind bestehenden rechtlichen Abstammungsbeziehung wider den Willen der Beteiligten stellt einen ungerechtfertigten Eingriff in das verfassungsrechtlich geschützte Elternrecht nach Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG dar. Überdies wird eine Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Ehegatten nach Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG in Gestalt ihrer Freiheit, die eigene Privatsphäre selbständig nach eigenen Vorstellungen und Wünschen zu gestalten, an der Lebensform der Ehe festzuhalten und in Lebensumständen zu leben, die ihre Ehewahl tatsächlich zulassen, bejaht. Weiterhin verstößt die in Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB i.V. m. § 1303 S. 2 BGB angeordnete Umwandlung aller Ehen in Nichtehen gegen den Allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Selbst die Übergangsregelungen widersprechen in ihrer gesetzlichen Ausgestaltung dem Gleichheitsprinzip: Zum einen erschließt sich kein Grund dafür, nur nach deutschem Recht geschlossene Ehe-Altfälle dem zeitlichen Anwendungsbereich der Unwirksamkeitsvorschrift zu entziehen und als Heilungsmaßnahme den bisherigen Aufhebbarkeitsvorschriften zu unterstellen (Art. 229 § 44 Abs. 1 EGBGB), während für die vor Erlass des Gesetzes vollzogenen Ehen von Minderjährigen mit ausländischem Eheschließungsstatut die Unwirksamkeitsfolge bzw. bei Einschlägigkeit des Art. 229 § 44 Abs. 4 EGBGB die „neue Aufhebbarkeitsfolge“ mitsamt behördlicher Antragspflicht beibehalten wird. Zum anderen kann die Übergangsregelung des Art. 229 § 44 Abs. 4 Nr. 2 EGBGB auch von ihren Voraussetzungen her kaum als eine der Bestätigungsmöglichkeit des § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. a BGB ebenbürtige Schutznorm für mittlerweile volljährige, von der Eheunwirksamkeit Betroffene aufgefasst werden, die in ihrer Ehe verbleiben wollen. Zwar erscheint die volljährigkeitsbedingte Abkehr von der Vermutung, dass im Alter von unter 16 Jahren geschlossene Minderjährigenehen per se nicht schutzwürdig seien und rückwirkend beseitigt werden müssten, zunächst plausibel. Es leuchtet indes nicht ein, weswegen das Volljährigkeitskriterium nur dann ausschlaggebend

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Kap. 5: Wesentliche Ergebnisse und Desiderata

für den Ausschluss der Unwirksamkeit sein soll, wenn es bereits vor der Aufenthaltsnahme durch einen Ehegatten erfüllt ist. Als verletzte Grundrechte der aus der Ehe hervorgegangenen Kinder sind das Recht auf Pflege und Erziehung durch die Eltern nach Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG und der aus Art. 6 Abs. 1 GG erwachsende Schutz der Familie zu nennen. Mit dem Unwirksamkeitsdiktat hat der Gesetzgeber außerdem die durch den rechtsstaatlichen Vertrauensgrundsatz nach Art. 20 Abs. 3 GG gezogenen Grenzen überschritten: Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB wirkt für Ehen, die vor Inkrafttreten des Gesetzes nach ausländischem Recht wirksam geschlossen wurden auf den Zeitpunkt vor seiner Verkündung zurück und verwandelt diese bis dato bestehenden Ehen in unwirksame Nichtehen. Dies gilt auch für Ehen, die unter Anwendung des allgemeinen ordre public-Vorbehalts gem. Art. 6 EGBGB nach ehemaligem Recht bereits als wirksam eingestuft wurden. Dabei stellen sowohl der nachträglich eintretende Wegfall des Ehestatus als auch der unwiederbringliche Verlust des Abstammungsstatus echte Rückwirkungen dar. Die bisherige Rechtslage vermittelte insoweit eine solide Grundlage für das Vertrauen der Ehegatten in den Bestand ihrer Ehe und verwandtschaftlichen Beziehungen (Kap. 4 B. II.). Auch das Aufhebbarkeitsregime des Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB i.V. m. § 1303 S. 1 BGB ist verfassungsrechtlich zu beanstanden. So widerspricht die behördliche Antragspflicht des § 1316 Abs. 3 S. 2 BGB den Grundrechtsgarantien aus Art. 6 Abs. 1 GG und Artt. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1, 6 Abs. 2 GG. Die in § 1318 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB festgeschriebenen Voraussetzungen für die Gewährung von Unterhaltsansprüchen sind als kindeswohlwidrig einzustufen. Die aufhebungsbezogene Übergangsregelung des Art. 229 § 44 Abs. 2 EGBGB ist lediglich auf Ehen mit inländischem Dispens gerichtet und gilt nicht für im Ausland geschlossene Ehen, die aufgrund einer äquivalenten Befreiung vom Alterserfordernis durch ein ausländisches Gericht zustande gekommen sind. Dies mündet in einer Verletzung des in Art. 3 Abs. 1 GG verankerten Gleichheitsgrundsatzes. Weiterhin wird durch das Fehlen einer Überleitungsvorschrift für vor Inkrafttreten des KEheBekG im Ausland im Alter von 16 oder 17 Jahren geschlossene Ehen in die durch Art. 6 Abs. 1 i.V. m. Art. 20 Abs. 3 GG geschützten Positionen der Ehegatten und deren Kinder auf nicht zu rechtfertigende Weise eingegriffen (Kap. 4 B. III.). War an der im Alter von unter 18 Jahren geschlossenen Ehe ein Unionsbürger beteiligt, so führen sowohl die Unwirksamkeitsanordnung nach Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB i.V. m. § 1303 S. 2 BGB als auch die obligatorische Einleitung des Aufhebungsverfahrens gem. Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB i.V. m. § 1316 Abs. 3 S. 2 BGB zu einer ungerechtfertigten Beschränkung des unionsrechtlichen Freizügigkeitsrechts nach Art. 21 Abs. 1 AEUV. Die EuGH-Entscheidung „Coman“ hat gezeigt, dass die Schaffung hinkender Statusverhältnisse grundsätzlich unzulässig ist. Die Ausnahmeregelung des Art. 229 § 44 Abs. 1, 2 EGBGB und die

B. Leitlinien für die Behandlung von Minderjährigenehen

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dort vorgenommene Unterscheidung nach dem Eheschließungsstatut stellen im unionsrechtlichen Kontext eine ungerechtfertigte Beeinträchtigung des in Art. 21 Abs. 1 i.V. m. Art. 18 Abs. 1 AEUV geregelten Benachteiligungsverbots dar. Als völkerrechtliche Verstöße sind insbesondere die Verletzung der Artt. 8 EMRK, 7 GRC, des Art. 24 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 GRC, des Art. 45 Abs. 1 GRC und des Art. 21 Abs. 2 GRC hervorzuheben (Kap. 4 C.).

B. Leitlinien für die Behandlung von Minderjährigenehen Die kritische Analyse der maßgeblichen Regelungen des KEhenBekG hat die Grenzen staatlichen Eingreifens offengelegt. Weiterer Reflexion bedarf an dieser Stelle die Frage, welche Faustregeln der Gesetzgeber bei Anpassung der Vorschriften befolgen sollte, um einen adäquaten Umgang mit im Ausland geschlossenen Minderjährigenehen zu gewährleisten.

I. Rückkehr zum Kindeswohl „Concerning the recognition of child marriages, the Member States should aim at striking a balance between the conflicting interests, on the one hand, of accepting the rights established by marriage under a foreign law and, on the other, of protecting children. The child’s best interests must guide the decision in each individual case.“ 1

Der Gesetzgeber des KEhenBekG hat insbesondere im Bereich der Unwirksamkeitslösung die konkrete Kindeswohlprüfung durch die pauschale Annahme ersetzt, dass sich Minderjährigenehen und Kindeswohl antipodisch gegenüberstünden und der Verbleib des Minderjährigen in seiner Ehe per se dem Kindeswohl widerspräche. Die Gesamtevaluierung des Gesetzes offenbart jedoch, dass das Haupteinsatzfeld der Regelung weniger die „klassische“ Kinderehe als Zwangsgemeinschaft als vielmehr die eigenständig eingegangene, oder aber jedenfalls durch Zeitablauf zur Wirksamkeit erstarkte Ehe ist, an der der Minderjährige im Zweifel festhalten will.2 Zu einem kindeswohlgeleiteten Verständnis der Thematik gehört demnach auch die Einsicht, dass eine im Entstehungszeitpunkt aus Kindeswohlgesichtspunkten fraglos ordre public-widrige Ehe mittlerweile geheilt und zu einem auch nach deutschen Rechtsmaßstäben schützenswerten Statusverhältnis erwachsen sein kann, dessen Aufrechterhaltung aus Minderjährigenschutzerwägungen sogar geboten ist. Aus diesem Grund begegnet die 1 Corneloup/Heiderhoff/Honorati u. a., Children On The Move: A Private International Law Perspective, Juni 2017, 33. 2 In den meisten Fällen wollten die minderjährigen Ehegatten weiterhin mit ihrem volljährigen Ehegatten zusammenleben, lediglich in 22 Fällen wurde ein Wunsch nach Trennung geäußert: Kap. 4 Fn. 274.

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Kap. 5: Wesentliche Ergebnisse und Desiderata

Heranziehung des Kindeswohls als Eingriffslegitimation für die Etablierung einer pauschalen Unwirksamkeitsfolge bereits im Grundsatz erheblichen Bedenken. Zwar besteht kein Zweifel daran, dass die Praxis der „Kinderehen“ für die betroffenen Minderjährigen äußerst schädlich sein kann. Sie laufen Gefahr, ihr Selbstbestimmungsrecht und ihre Chance auf Wachstum, Entwicklung und Bildung zu verlieren. Dass die Minderjährigen womöglich psychologisch nicht in der Lage waren, sich eine ausreichend informierte Meinung über die Ehe und ihre Auswirkungen zu bilden, kann aber nicht als Rechtfertigung dafür angeführt werden, statische Altersgrenzen für die Wirksamkeit im Ausland geschaffener Statusverhältnisse zu setzen und damit ohne Rücksicht auf den Einzelfall die rechtswirksam zustande gekommenen Ehen von Minderjährigen zunichte zu machen. Das Kindeswohl nach der Idee des deutschen Rechts gebietet im höchstpersönlichen und grundrechtssensiblen Bereich des Eherechts eine Betrachtung des individuellen Falls. Nur so kann der Spagat zwischen Schutz und Selbstbestimmungsrecht von Minderjährigen gelöst werden. Durchaus kann es dazu kommen, dass das rechtspolitische Anliegen und Gemeinwohlziel der Eindämmung von „Kinderehen“ zurückstehen muss hinter dem vorrangigen und berechtigten Wunsch des Minderjährigen, seine Ehe fortzusetzen. Eine generalpräventive Eignung des Kindeswohls zur Legitimierung der strikten Unwirksamkeitslösung verbietet sich auch unter dem Gesichtspunkt, dass das BVerfG mahnend betont hat, dass es sich bei Kindern um eigene Persönlichkeiten handelt, deren Menschenwürde und Persönlichkeitsrechte zu beachten sind. Um dem grundlegenden Gehalt dieser verfassungsrechtlichen Gewährleistung zu entsprechen und ein hohes Schutzniveau für die Betroffenen sicherzustellen, müssen im Zusammenhang mit Minderjährigenehen die persönlichen Elemente des Kindeswohls zum Tragen kommen und die Eheverhältnisse einer einzelfallorientierten Prüfung unterzogen werden.3 Der Gesetzgeber darf nicht verkennen, dass Jugendliche unterschiedliche Entwicklungstempi durchlaufen und auch in den Erlebens- und Verarbeitungsweisen große Variabilität herrscht.4 Im Kontext internationaler Ehesachverhalte bleibt zu bedenken, dass in den unterschiedlichen Kulturen verschiedene Konzeptionen vom Entwicklungsstadium der Kindheit und vom menschlichen Reifungsprozess existieren.5 Die kulturgebundenen Differenzen sind im Rahmen der Einzelfallwürdigung zu berücksichtigen.

3 Vgl. hierzu a. Lambertz, Child marriages and the law – with special reference to swedish developments, in: The Childs Interests in Conflict, 2016, 85, 110. Die Erforderlichkeit einer individuellen Feststellung des Kindeswohls für jedes einzelne Kind ergibt sich völkerrechtlich außerdem aus Art. 3 UN-KRK und mittelbar auch aus dem Beteiligungsrecht des Art. 12 UN-KRK. 4 Vgl. hierzu genauer Fegert/Ziegenhain, in: FS Salgo, 409, 423. 5 Wapler, Kinderrechte und Kindeswohl, 401; Benporath, Journal of Philosophy of Education 37 (2003), 127; Mustasaari, Child & Fam. L. Q. 26 (2014), 261, 271.

B. Leitlinien für die Behandlung von Minderjährigenehen

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II. Wiederherstellung der „internationalprivatrechtlichen Gerechtigkeit“ „Le droit international privé, même sous la forme des règles de conflit de lois, n’est point dépourvu de vraies valeurs fondamentales. Il aspire à la justice, il la poursuit, et, dans une certaine mesure, la réalise déjà.“ 6

Das Leitmotiv des klassischen IPR ist der Grundsatz der Gleichwertigkeit der Rechtsordnungen und das Streben nach internationalem Entscheidungseinklang.7 Auf dem Gebiet der ausländischen Minderjährigenehen hat sich der Gesetzgeber von diesem Postulat abgewandt und seine nationalen Moral- und Sittlichkeitsvorstellungen auch für Auslandssachverhalte zum Maßstab erhoben. Dabei wohnt dem Respekt fremder Rechtsordnungen und der Bewahrung kultureller Besonderheiten über das internationale Familienrecht ein spezifischer kollisionsrechtlicher Gerechtigkeitsgehalt inne, den es zu wahren gilt: Trotz des internationalen Trends der Heraufsetzung des Heiratsmindestalters reagiert das Recht nach wie vor nicht einheitlich auf Minderjährigenehen. Ein kollisionsrechtliches Leitmodell im Sinne einer kategorischen Zurückweisung hat sich nicht etabliert. Bei Verschiedenheit der Sachrechte versucht das IPR durch die Bereitstellung von Mechanismen für die Anerkennung ausländischer Statusverhältnisse, die Kluft zwischen aus- und inländischem Recht zu überbrücken und die kollidierenden Wertvorstellungen auszugleichen.8 Wo aber das Ergebnis der Rechtsanwendung im konkreten Fall den grundlegendsten Werten des deutschen Rechts widerspricht, ist die Aufhebung des jeweiligen Statusverhältnisses durch den ordre public veranlasst.9 Als systemwidrige Ausnahme darf die Klausel allerdings nur zurückhaltend angewendet werden. Art. 6 EGBG wirkt nicht nur als „Einbruchstelle“ 10 der Grundrechte in das IPR. Auch Menschenrechte und höherrangige Leitprinzipien

6 Vrellis, Conflit ou coordination de valeurs en droit international prive ´ : a` la recherche de la justice, in: Collected Courses of The Hague Academy of International Law – Recueil des cours, 2007, 175, 468. 7 Die Gleichwertigkeit aller fremden Rechtsordnungen als „revolutionären Schritt des weltweit geltenden IPR“ bezeichnend: Rohe, Islamisches Familienrecht in Deutschland im Wandel, in: Beiträge zum Islamischen Recht XI, 2016, 71, 73. 8 Mustasaari, Child & Fam. L. Q. 26 (2014), 261, 268, s. a. Jayme, Kulturelle Relativität und Internationales Privatrecht, in: Kulturelle Relativität und Internationales Privatrecht, 2014, 43, 66; vgl. a. Basedow, FamRZ 2019, 1833, 1838, der auf die Notwendigkeit einer Einzelfallprüfung hinweist. 9 Vgl. Büchler, Islamic law in Europe?, 41; Rohe, Islamisches Familienrecht in Deutschland im Wandel, in: Beiträge zum Islamischen Recht XI, 2016, 71, 73 f. 10 Der Begriff geht zurück auf Neumann/Nipperdey/Scheuner/Dürig, 1954, Grundrechte – Bd. 2, 525. S. a. BVerfG 4.5.1971, Az. 1 BvR 636/68, BVerfGE 31, 58, 86; dazu a. Siehr, RabelsZ 36 (1972), 93, 110 ff.; Hofmann, Grundrechte und grenzüberschreitende Sachverhalte, 128 ff.

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Kap. 5: Wesentliche Ergebnisse und Desiderata

haben kollisionsrechtlich deutlich an Einfluss gewonnen und sind im Rahmen der ordre public-Prüfung von hoher Relevanz.11 Integraler Bestandteil der öffentlichen Ordnung ist das Kindeswohl.12 Rechtskulturelle Prägungen der Kindheits- und Jugendphase sind in internationalen Fällen als Rahmenbedingungen zu berücksichtigen, zumal sie einen Teil der kulturellen Identität der Beteiligten ausmachen.13 Zwar hat die kulturelle Freiheit ihre Grenze dort, wo allgemeinverbindliche Menschen- und Bürgerrechte in Gefahr sind.14 Den menschenrechtlichen Vorgaben lässt sich zwar die vorgefasste Antwort über die generelle Unerwünschtheit von „Kinderehen“ 15, aber gerade keine allgemeinverbindliche Altergrenze für die Ehemündigkeit entnehmen.16 Im Fokus der Menschenrechte in der persönlichen Sphäre steht jedenfalls die Achtung und Anerkennung der menschlichen Handlungsfähigkeit und der persönlichen Autonomie. Die in Art. 16 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und in Art. 12 EMRK artikulierte Freiheit, eine Ehe einzugehen und eine Familie zu gründen, drückt sowohl die Idee der persönlichen Autonomie als auch den Wert aus, den menschliche Gemeinschaften der Familie beimessen.17 Die Eheschließungs- und Familiengründungsfreiheit baut dabei auf der Idee auf, dass die Ehe „nur auf Grund der freien und vollen Willenseinigung der zukünftigen Ehegatten geschlossen werden“ darf (Art. 16 Abs. 2 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte). Als Mindeststandard wird also die seelische und geistige Fähigkeit des Minderjährigen zum „free and full consent“ vorausgesetzt.18 Bei bereits geschlossenen Ehen ist außerdem der Schutz wohlerworbener Rechte, wie er aus Art. 12 Abs. 2 GFK erwächst, zu beachten. Die grund- und menschenrechtsbezogene ordre public-Anwendung nach Art. 6 EGBGB führt also dort, wo unterschiedliche Werte aufeinandertreffen, zu einer Prüfung am konkreten Einzelfall,

11 Schulze, IPRax 2010, 290, 293; Scholz, IPRax 2008, 213, 214; Helms, IPRax 2017, 153 ff. 12 S. Kap. 4 Fn. 290. 13 S. Schulze, IPRax 2010, 290, 295; Basedow, FamRZ 2019, 1833, 1838; Jayme, IPRax 1996, 237 ff.; Mansel, Die kulturelle Identität im Internationalen Privatrecht, in: Pluralistische Gesellschaften und Internationales Recht, 2008, 137, 211; vgl. in Bezug auf Minderjährigenehen: Dethloff, International Journal of Law, Policy and the Family 32 (2018), 302, 310; s. a. Siegert, Der ordre public im internationalen Eheschließungsrecht, 52 ff., 266, 281. Zur kulturellen Relativität der Rechtsordnung ausführlich Jayme, Kulturelle Relativität und Internationales Privatrecht, in: Kulturelle Relativität und Internationales Privatrecht, 2014, 43 ff. 14 Büchler, Kulturelle Identität und Familienrecht. Modelle, Chancen und Grenzen familienrechtlicher Pluralität, in: Grenzen, Differenzen, Übergänge. Spannungsfelder inter- und transkultureller Kommunikation, 2007, 55, 66. 15 S. hierzu Kap. 1 C. III. 16 Voltz, Menschenrechte und ordre public im Internationalen Privatrecht, 354. 17 Mustasaari, Child & Fam. L. Q. 26 (2014), 261, 269. 18 S. Voltz, Menschenrechte und ordre public im Internationalen Privatrecht, 354.

B. Leitlinien für die Behandlung von Minderjährigenehen

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wie es das OLG Bamberg in seinem wegweisenden Beschluss seinerzeit „mustergültig vorexerzierte“.19 Seit Inkrafttreten des KEhenBekG geht die Sonderregelung des Art. 13 Abs. 3 EGBGB der allgemeinen ordre public-Kontrolle vor. Insofern hat der Gesetzgeber das dem Art. 6 EGBGB innewohnende Regel-Ausnahme-Verhältnis umgekehrt: Die ausdrückliche Nichtbeachtung des ausländischen Eherechts bildet nunmehr den Regelfall. Hierdurch bricht Art. 13 Abs. 3 EGBGB mit dem Grundsatz, dass im Ausland begründete Statusverhätnisse in der Regel anzuerkennen sind. Ebenso wird die inhaltlich neutrale kollisionsrechtliche Anknüpfung an das Heimatrecht der Ehegatten nach Art. 13 Abs. 1 EGBGB für den Bereich der Minderjährigenehen entwertet. Die Vorgehensweise des deutschen Kollisionsrechtsgesetzgebers verstößt gegen internationalprivatrechtliche Gerechtigkeitsvorstellungen. Die Internationalisierung der Ehesachverhalte und das hierdurch wachsende Verständnis für fremde Rechtsgestaltungen spricht klar gegen die strikt altersabhängige Differenzierung zwischen Unwirksamkeit und Aufhebbarkeit. Es ist allgemein anerkannt, dass der deutsche ordre public nicht der Ort ist, an dem sich die Rechts- und Sittenstandards der deutschen Rechts- und Gesellschaftsordnung uneingeschränkt durchsetzen können.20 Diesen Leitsatz durch die Einführung einer Sonderregelung zu umgehen, um im Rahmen des Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB jede einschlägige Minderjährigenehe aus der Sicht des deutschen Kollisionsrechts als Verstoß gegen die öffentliche Ordnung abzuqualifizieren, mündet in der Aushebelung der internationalprivatrechtlichen Grundsätze und widerspricht diametral dem kollisionsrechtlichen Anliegen.21

III. Verwirklichung der statusrechtlichen Selbstbestimmung „The diversity of domestic systems of private international law interferes more and more with the needs of families moving across frontiers. Nothing is more frustrating for people than the experience that [. . .] a relationship such as a marriage or adoption is recognized as valid in one state but not in another.“ 22

Die aus Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB resultierende rückwirkende Beseitigung der im Ausland geschaffenen Statuslagen ist auch aus unionsrechtlicher Sicht 19

Ausdrücklich Fountoulakis/Mäsch, in: FS Geiser, 241, 251. S. nur Ehringfeld, KJ 1996, 271, 289. Es geht vielmehr um den Kernbestand, also den „unantastbaren Bereich der eigenen Rechtsordnung, den preiszugeben keine Rechtsordnung bereit ist“, s. Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, 516. 21 Gutmann, NVwZ 2019, 277, 281 spricht vom „Export deutscher Leitkultur“; Coester-Waltjen, IPRax 2021, 29, 30, 32 von der „Materialisierung des Kollisionsrechts“ und einem „Eingriff in international-privatrechtliche Grundprinzipien“ und Löhnig, NZFam 2021, 446, 447 von der „Ausblendung kollisionsrechtlicher Grundsätze“ und ebenso von der „Materialisierung des IPR“. 22 van Loon, in: Liber amicorum Droz, 173, 177. 20

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Kap. 5: Wesentliche Ergebnisse und Desiderata

fragwürdig. Es darf nicht verkannt werden, dass für die Ehegatten ihre im EUAusland geschlossene Ehe keinesfalls ein abgewickelter Tatbestand, sondern zuvörderst ein rechtlich begründeter Status ist. So sind die Ehegatten im Zeitpunkt ihrer Einreise nach Deutschland überzeugt, mit allen diesem Status innewohnenden Wirkungen verheiratet zu sein. Sie hegen die legitime Erwartung, als Ehegatten angesehen zu werden und von den in wesentlichen Rechtsbereichen anzutreffenden Vorteilen dieser Rechtsposition profitieren zu können. Dieser statusbezogene Vertrauensschutzaspekt hat in der EuGH-Rechtsprechung sein unionsrechtliches Fundament im Anerkennungsprinzip.23 Nach der Entscheidung in der Rechtssache „Coman“ können rechtlich begründete Statusunterschiede zwischen den Mitgliedstaatsrechten unionsrechtlich relevante Freizügigkeitsbeeinträchtigungen darstellen. Die „namensrechtliche Selbstbestimmung“ 24, wie sie aus den entsprechenden Gerichtsentscheidungen zum internationalen Namensrecht hervorgeht, hat sich demgemäß zu einer „statusrechtlichen Selbstbestimmung“ weiterentwickelt. Soweit die minderjährigen Ehegatten also nach dem Recht ihres Herkunftsstaates bereits mit 16 Jahren oder sogar darunter eine wirksame Ehe geschlossen haben (was, wie oben gezeigt, in einigen Mitgliedstaaten unter bestimmten Voraussetzungen möglich ist), führt die Ausdehnung des Anerkennungsgedankens dazu, dass dem favor matrimonii Rechnung getragen und ihre Ehebeziehung in Deutschland als fait accompli anerkannt wird, wenn die Anerkennung nicht im Einzelfall gegen grundlegende Werte der öffentlichen Ordnung verstößt. Im Grundsatz bleibt die Entscheidungshoheit über den Bestand ihres Statusverhältnisses also den Beteiligten einer im EU-Ausland begründeten Minderjährigenehe selbst überlassen. Die prinzipielle Rechtslagenanerkennung ist auch geboten, da es sich bei der Minderjährigenehe um eine Statusangelegenheit handelt, die den Betroffenen unmittelbar in seinen höchstpersönlichen Belangen berührt. In Sachverhalten mit Drittstaatenbezug beansprucht der Anerkennungsgedanke aus Art. 21 Abs. 1 AEUV keine Geltung. Im Hinblick auf die Statussicherheit können sich aber aus dem Schutz des Privat- und Familienlebens des Art. 8 Abs. 1 EMRK und aus dem Vertrauensschutz nach Art. 14 EMRK i.V. m. Art. 1 des Zusatzprotokolls zur EMRK im Einzelfall ähnlich günstige Lösungen ergeben, wie sie die europarechtlichen Entscheidungen für Unionssachverhalte vorgeben.25

23

Für die Verbindung zum Vertrauensschutz: Hepting, StAZ 2013, 1 ff. S. Schulze, IPRax 2010, 290, 295. 25 S. EGMR 28.6.2007, 76240/01 „Wagner gegen Luxemburg“, FamRZ 2007, 1529 ff.; EGMR 8.12.2009, 49151/07 „Muñoz Díaz vs. Spain“, BeckRS 2010, 6571. Im völkerrechtlichen Kontext nimmt die Anerkennungsdimension aber kein vergleichbares Ausmaß an. So wird von den Konventionsstaaten die Anerkennung einer im Alter von 14 Jahren geschlossenen Ehe nicht gefordert, s. EGMR 8.12.2015, 60119/12 „Case of Z.H. and R.H. vs. Switzerland“. Zum Gesamten: Kap. 4 C. III. 24

B. Leitlinien für die Behandlung von Minderjährigenehen

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IV. Erweiterung des rechtspolitischen Horizonts „To conclude, when legislating against child marriages states should take measures to counteract the difficulties which certain groups may experience because of the new law. This is not only a matter of respect, tone of voice and non-confrontation, but also a matter of clearly explaining the intent of the law, of openness, dialogue and a willingness to respond to needs expressed.“ 26

Bereits der reißerische Titel entlarvt das KEhenBekG als ein Gesetzeswerk, das seine Wirkkraft vor allem auf politischer Ebene entfalten sollte. So war schon zu seinem Entstehungszeitpunkt die Thematik in hohem Maße politisch aufgeladen, da das Phänomen der Minderjährigenehen in Deutschland vordringlich als Begleiterscheinung der Migrationskrise in den Fokus der öffentlichen Wahrnehmung gerückt war. Der Gesetzgeber befürchtete eine Unterwanderung von Rechtserrungenschaften wie des umfassenden Schutzes von Kindern sowie der Gleichberechtigung von Mann und Frau und zog das „schärfste Schwert des Zivilrechts“ (die Ehenichtigkeit), um in härtestmöglicher Form gegen die im Alter von unter 16 Jahren geschlossenen Ehen vorzugehen. Auch der wahlkampfrhetorische Terminus der „Kinderehe“ offenbart die Voreingenommenheit des Gesetzgebers, der seine nationalen Wertvorstellungen auch in internationalen Sachverhalten uneingeschränkt zur Geltung bringen wollte. Diese eindimensionale Orientierung an bestimmten Werten mag oberflächlich aus gesetzgeberischer Sicht zu einer kinder- und geschlechtergerechten Gesellschaft ohne „Kinderehen“ führen. Im Ergebnis hat sich der Gesetzgeber aber durch die Schaffung des KEhenBekG zur direkten Umsetzung politischer Absichten als terrible simplificateur hervorgetan. Denn im Lichte der in dieser Untersuchung gewonnenen Erkenntnisse hat sich seine Zielsetzung für die Fallgruppe der im Alter von unter 16 Jahren geschlossenen Minderjährigenehen gerade nicht erfüllt, weil die individuellen Belange der minderjährigen Ehegatten keine Berücksichtigung finden und ihnen die rechtlichen Schutzmechanismen durch die Nichtanerkennung der Ehe vorenthalten werden. Auch wenn die Regeln auf den ersten Blick kindeswohlgerecht und geschlechtsneutral sein mögen, ist davon auszugehen, dass in den meisten Fällen die Ehefrau zum Zeitpunkt der Eheschließung minderjährig war und als der wirtschaftlich schwächere Teil am meisten unter dem unwirksamkeitsbedingten Wegfall der finanziellen Absicherung leidet. Tatsächlich ermöglicht das Nichtigkeitskonstrukt dem Ehegatten, seine minderjährige Ehefrau bei der Ankunft in Deutschland zu verlassen und sofort eine neue Ehe mit einer anderen Frau einzugehen. Außerdem lässt die neue Rechtswirklichkeit internationalprivatrechtliche Werte wie die Achtung der fremden kulturellen Identität, das Streben nach dem 26 Lambertz, Child marriages and the law – with special reference to swedish developments, in: The Childs Interests in Conflict, 2016, 85, 110.

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Kap. 5: Wesentliche Ergebnisse und Desiderata

äußeren Entscheidungseinklang, die Vermeidung hinkender Rechtsverhältnisse, das Ansehen des Rechts und das Vertrauen auf seine internationale Unverbrüchlichkeit außer Betracht. Dabei kann man in Familienrechtsfragen mit Auslandsberührung nur dann zu einer ausdifferenzierten Lösung gelangen, wenn das Gesetz ausreichend Raum für das Zusammenwirken der verschiedenen, möglicherweise konkurrierenden Werte schafft.27 In einer freiheitlich organisierten pluralistischen Gesellschaft muss es der Anspruch der Familienrechtsordnung sein, auch anstößige, aber schützenswerte „Kinderehen“ anzuerkennen, selbst wenn diese ein rechtspolitisches Störgefühl evozieren. Rechtspolitisch ist daher eine Perspektivenerweiterung zu fordern. Für fremd anmutende Rechtsgestaltungen darf nicht just ein pauschaler Abwehrmechanismus in Gang gesetzt werden. Der Gesetzgeber hat sich vielmehr von seinem verzerrten Bild einer Minderjährigenehe als einer unfreiwilligen Unterdrückungsbeziehung loszureißen und eine Rechtslage zu schaffen, die den Gerichten eine individuelle Betrachtung der einzelnen Ehen ermöglicht. Insofern muss der Rechtspluralismus als „ein Feld anthropologischer Erkundung“ 28 begriffen werden, wo das fremde Rechtsverständnis nicht direkt auf Ablehnung, sondern auf sachliche Auseinandersetzung und Zurückhaltung in der Bewertung stößt.29 Dabei ist im rechtlichen Diskurs eine Rückbesinnung auf die freie Selbstentfaltung des Individuums erforderlich, zu der sich die deutsche Rechtsordnung in innergesellschaftlichen Fragen großherzig bekennt.30 Insofern sollte auch bei Sachverhalten mit Auslandsbezug, wo Menschen mit abweichendem kulturellen Hintergrund beteiligt sind, die Person mitsamt ihren kulturbezogenen Bindungen als Individuum ins Zentrum gerückt und auf nüchterne Weise das Integrationspotential ihrer Ehe- und Familienbeziehung erforscht werden. Diese Vorgehensweise ist in einer Gesellschaft, die sich den Werten der Akzeptanz und Offenheit in sämtlichen Bereichen besonders verpflichtet fühlt, zu erwarten. In dieser versöhnlich-inklusiven Begegnung mit dem fremden Recht liegen die „Essenzen kultureller Verständigung im Familienrecht“. 31

27

S. Basedow, FamRZ 2019, 1833, 1838. Büchler, Kulturelle Vielfalt und Familienrecht, in: Pluralistische Gesellschaften und Internationales Recht, 2008, 215, 248. 29 Vgl. dies., Kulturelle Identität und Familienrecht. Modelle, Chancen und Grenzen familienrechtlicher Pluralität, in: Grenzen, Differenzen, Übergänge. Spannungsfelder inter- und transkultureller Kommunikation, 2007, 55, 68. 30 Dies fordert auch Basedow, FamRZ 2019, 1833, 1839 in seiner Schlussbemerkung. 31 Büchler, Kulturelle Vielfalt und Familienrecht, in: Pluralistische Gesellschaften und Internationales Recht, 2008, 215, 249; ebenso einen dynamischen Ansatz befürwortend Mustasaari, Child & Fam. L. Q. 26 (2014), 261, 279 ff.; zum breiten Spektrum des Familienrechts in literarischer Einbettung: Jung, JZ 2021, 1044, 1047. 28

C. Regelungs- und Änderungsbedarf für den Gesetzgeber

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C. Regelungs- und Änderungsbedarf für den Gesetzgeber Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse lässt sich ein eindeutiger Änderungsbedarf feststellen. Im Folgenden werden thesenförmig konkrete Vorschläge für eine Gesetzesmodifikation unterbreitet mit dem Ziel, die herausgestellten Unstimmigkeiten auf Auslegungs- und Wertungsebene zu beseitigen.

I. Vorschläge de lege ferenda 1. Nach dem derzeitigen deutschen Recht sind die im Alter von unter 16 Jahren geschlossenen Auslandsehen bis auf die in der entsprechenden Überleitungsvorschrift geregelten Ausnahmen ipso iure nichtexistent. Dabei stellt die Unwirksamkeitsanordnung im Bereich der Minderjährigenehen ein juristisch nicht haltbares Konstrukt dar. Um einen adäquaten Umgang mit im Ausland geschlossenen Minderjährigenehen zu gewährleisten, ist daher in erster Linie eine Abkehr von dem in Art. 13 Abs. 3 EGBGB i.V. m. § 1303 BGB enthaltenen Rechtsfolgendualismus geboten. Ein Rekurs auf die allgemeine ordre public-Norm ist indes nicht vorzunehmen. Aufgrund der inter partes-Wirkung bietet Art. 6 EGBGB kein Fundament, um die Frage der Ehewirksamkeit außerhalb des konkreten Rechtsverhältnisses abschließend zu beantworten. Stattdessen ist weiterhin auf die in Art. 13 Abs. 3 EGBGB getroffene Sonderregelung zurückzugreifen, die unter den dort genannten Voraussetzungen an sich berufenes ausländisches Eheschließungsrecht verdrängt und durch deutsches Recht ersetzt. Allerdings soll sich die Aufhebbarkeit als einheitliche Rechtsfolge auf alle Eheschließungen erstrecken, bei denen der minderjährige Ehegatte im Eheschließungszeitpunkt das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte. Im Ergebnis sind daher Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB und § 1303 S. 2 BGB zu streichen. Weiterhin ist die Kollisionsnorm textlich entsprechend anzupassen. Die neue Fassung des Art. 13 Abs. 3 EGBGB lautete sodann: „Unterliegt die Ehemündigkeit eines Verlobten nach Absatz 1 ausländischem Recht, ist die Ehe nach deutschem Recht aufhebbar, wenn der Verlobte im Zeitpunkt der Eheschließung das 18. Lebensjahr nicht vollendet hatte.“ 32 32 Schulte-Rudzio, Minderjährigenehen in Deutschland, 419 nimmt die Qualifizierung des § 1303 S. 1 BGB als zweiseitiges Ehehindernis zum Anlass, Art. 13 Abs. 3 EGBGB dergestalt umzuformulieren, dass die Ehe nach deutschem Recht aufhebbar ist, wenn „die Ehemündigkeit beider Verlobten nach Absatz 1 ausländischem Recht unterliegt“ und „einer der Verlobten im Zeitpunkt der Eheschließung das 18. Lebensjahr vollendet hatte“. Zwar ist es richtig, dass ohnehin deutsches Recht zur Anwendung gelangt, sobald sich die Ehemündigkeit von einem Verlobten nach deutschem Recht bestimmt. Art. 13 Abs. 3 EGBGB steht dieser Erkenntnis vom doppelseitig wirkenden Ehehindernis in seiner jetzigen Ausgestaltung aber nicht entgegen. Die Wortwahl „eines Verlobten“ ist nicht zahlenbezogen in dem Sinne zu verstehen, dass nur die Ehemündigkeit von einem (einzigen) der beiden Verlobten ausländischem Recht unterliegt, während der andere Verlobte ein deutsches Ehemündigkeitsstatut aufweist. Der unbestimmte Artikel wurde vielmehr gewählt, weil sich Art. 13 Abs. 3 EGBGB kategorisch auf den je-

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Kap. 5: Wesentliche Ergebnisse und Desiderata

Die generelle Sachnormverweisung ins deutsche Recht führt nunmehr auch für die im Alter von unter 16 Jahren geschlossenen Ehen, für die zuvor keine Rechtsfolgenregelung im Gesetz getroffen war, zur Aufhebbarkeitsfolge der §§ 1313 ff. BGB. Damit wird etwa auch die Möglichkeit zur Bestätigung der fehlerhaften Ehe eröffnet. 2. Innerhalb des Aufhebbarkeitsregimes ist die Antragspflicht der zuständigen Landesbehörden gem. § 1316 Abs. 3 S. 2 BGB aufzuheben. Zu diesem Zweck wird § 1303 BGB in die Paragraphenauflistung des § 1316 Abs. 3 S. 1 BGB integriert. Innerhalb ihres begrenzten Ermessens hat die zuständige Behörde das öffentliche Ordnungsinteresse gegen die privaten Interessen der Ehegatten und ihrer Kinder unter Beachtung der Grundrechtsgarantien des Art. 6 Abs. 1 GG abzuwägen. Im folgenden S. 2 ist das begrenzte Ermessen aufrechtzuerhalten und eine absolute Ausnahme für den Fall der Bestätigung zu formulieren, sodass § 1316 Abs. 3 BGB wie folgt zu fassen ist: „Bei Verstoß gegen die §§ 1303, 1304, 1306, 1307 sowie in den Fällen des § 1314 Abs. 2 Nr. 1 und 5 soll die zuständige Verwaltungsbehörde den Antrag stellen, wenn nicht die Aufhebung der Ehe für einen Ehegatten oder für die aus der Ehe hervorgegangenen Kinder eine so schwere Härte darstellen würde, dass die Aufrechterhaltung der Ehe ausnahmsweise geboten erscheint. Bei einem Verstoß gegen § 1303 darf die zuständige Behörde den Antrag nicht stellen, wenn der minderjährige Ehegatte zwischenzeitlich volljährig geworden ist und nach außen hin zu erkennen gegeben hat, dass er die Ehe fortsetzen will.“

3. Die Bestätigungsoption kann in ihrer jetzigen Ausgestaltung nicht überzeugen. Ein inzwischen volljährig gewordener Minderjähriger, der seine Ehe im Ausland geschlossen und jahrelang mit seinem Ehepartner zusammegelebt hat, wird im Regelfall keinen Zweifel daran haben, dass seine Ehe mangelfrei zustande gekommen ist. Die Anforderungen an die Bestätigung i. S. d. § 1316 Abs. 3 S. 2 BGB und § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. a BGB werden daher auf dem Gebiet der Minderjährigenehen dahingehend reduziert, dass auf das Erfordernis eines Mangelbewusstseins verzichtet wird und der erkennbare und nach außen getragene Fortsetzungswille des minderjährigen Ehegatten ausreichend ist. Dabei kann sich der Fortsetzungswille in der schlichten Weiterführung des ehelichen Zusammenlebens manifestieren. Begründete Zweifel des minderjährigen Ehegatten am mangelfreien Zustandekommen seiner Ehe sind also nicht zu fordern. Da dieses Kriterium für die Bestätigung aber in der Regel zwingende Voraussetzung ist, sind die herabgesetzten Anforderungen im Wortlaut des § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. a BGB besonders kenntlich zu machen. Dies soll durch den Zusatz „nach außen hin“ erfolgen: weiligen Ehegatten beziehen sollte, dessen Ehemündigkeit zur Prüfung steht. Über die Ehemündigkeit des anderen Verlobten trifft die Norm keine Aussage. Ein Änderungsbedarf besteht also in dieser Hinsicht nicht. Vgl. zur Aufhebbarkeitslösung bei Sachverhalten mit Auslandsbezug auch Blasweiler, Das Verbot von Kinderehen und dessen Auswirkungen auf das Familien- und Erbrecht, 191 ff.

C. Regelungs- und Änderungsbedarf für den Gesetzgeber

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„. . . der minderjährige Ehegatte, nachdem er volljährig geworden ist, nach außen hin zu erkennen gegeben hat, dass er die Ehe fortsetzen will (Bestätigung) . . .“.

Die Bestätigung muss seitens des minderjährigen Ehegatten schriftlich erklärt werden (s. hierzu II.). Die Behörden und Gerichte haben individuell zu prüfen, ob bestimmte Gründe doch für die Aufhebung der Ehe sprechen. Diese Vorgehensweise sichert das Wohl des minderjährigen Ehegatten. 4. § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b BGB bleibt unverändert.33 Zwar ist die Härtefallregelung zu eng konzipiert, um Grundrechtsverletzungen zu vermeiden. Der Vorschrift kommt indes keine hohe rechtstatsächliche Bedeutung zu, da zum einen nach § 1316 Abs. 3 S. 1 BGB in der vorgeschlagenen, reformierten Fassung (Punkt 2.) bereits die Behörden eine Prüfung der Härtefallklausel vornehmen. Zum anderen können die Gerichte gem. § 1314 Abs. 1 Nr. 1 BGB von der Aufhebung ausnahmsweise auch dann absehen, wenn die Voraussetzungen der Härtefallklausel nicht erfüllt sind. Entbehrlich ist die in § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BGB eingebettete Härtefallklausel jedoch deswegen nicht, da sie zusätzlichen Schutz gewährt. So ist jeder Rechtsregelung immanent, dass die Anwendung des Rechts in Einzelfällen zu unterschiedlichen Ergebnissen führen kann. In Fällen, in denen die Behörde einen Härtefall verneint hat, erscheint eine weitere Überprüfung durch die Familiengerichte als „zweiter Kontrollinstanz“ durchaus sinnvoll, um die Minderjährigen ausreichend zu schützen. 5. Sollte kein Härtefall gegeben sein, können die Familiengerichte gem. § 1314 Abs. 1 Nr. 1 BGB gleichwohl von der Aufhebung absehen, wenn dies aus Kindeswohlaspekten geboten erscheint und gewichtige Umstände gegen die Aufhebung sprechen. Die Norm fängt somit alle sonstigen, für Kinderehen atypischen und gewichtigen Phänomene auf, die ein Abweichen vom Regelfall der Aufhebung rechtfertigen. Dazu gehören beispielsweise die Freiwilligkeit der Eheschließung, die Existenz von Kindern, das Erhaltungsinteresse des Minderjährigen am Bestand der Ehe, eine mehrjährige vorangegangene Bekanntschaft34, das Bestehen einer besonders intensiven Bindung35, eine gelungene Integration, mögliche ausländerrechtliche Konsequenzen und die absehbare Volljährigkeit.36 Dabei kann im Rahmen des Aufhebungsverfahrens für alle ehe-, vermögens- und kindschaftsrechtlichen Einzelfragen verbindlich und eindeutig der Ehestatus des Paares geklärt werden. 6. Weiterhin ist eine klarere Fassung des § 1318 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB geboten. Der Verweis auf das nacheheliche Unterhaltsrecht stellt sich dort als wenig 33

Anders dagegen dies., Minderjährigenehen in Deutschland, 417. Majer, NZFam 2018, 610. 35 Diese Faktoren hat der Bundesrat für die Erweiterung der Härtefallklausel in seiner Prüfbitte angeführt, s. Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland, BT-Drs. 18/12377, 10. 36 Vgl. a. Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Gesamtauswertung zur Evaluierung des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen, 14.8.2020, 36. 34

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Kap. 5: Wesentliche Ergebnisse und Desiderata

hilfreich heraus, wo der Minderjährige die rechtliche Bedeutung der Minderjährigkeit als Aufhebungsgrund erfasst hat. Der Norm ist daher folgender Satz anzufügen: „Hat einer der Ehegatten im Zeitpunkt der Eheschließung das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet, ist davon auszugehen, dass der minderjährige Ehegatte die Aufhebbarkeit nicht gekannt hat, es sei denn, es liegen konkrete Anhaltspunkte für eine solche Kenntnis vor.“ 37

Mit dieser gesetzlichen Vermutung wird auch das Folgeproblem der Beweislastumkehr38 ausgeräumt. Der minderjährige Ehegatte muss seine fehlende Kenntnis nur dann nachweisen, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass er im Eheschließungszeitpunkt eine Ahnung von der Angreifbarkeit seiner Ehe hatte. 7. Die lex lata sieht in § 1316 Abs. 3 S. 2 BGB ein obligatorisches Aufhebungsverfahren für Ehen vor, die nach Vollendung des 16. und vor Erreichen des 18. Lebensjahres geschlossen und nicht gem. § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. a BGB bestätigt wurden. Hiervon sind sogar Ehen umfasst, deren Aufhebung aufgrund außergewöhnlicher Umstände für den minderjährigen Ehegatten eine „schwere Härte“ nach § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b BGB bedeutete. Da die Mitgliedstaaten nach Art. 21 Abs. 1 AEUV unionsrechtlich dazu verpflichtet sind, die in einem anderen Mitgliedstaat begründeten Statusverhältnisse im Falle des Zuzugs zu respektieren, stellt die zwingende Einleitung eines Aufhebungsverfahrens für Ehen unter Beteiligung von Unionsbürgern eine Freizügigkeitsbeeinträchtigung dar, die bei Vorliegen eines Härtefalls i. S. d. § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b BGB nicht zu rechtfertigen ist. Die in Punkt 2. vorgeschlagene Änderung der Vorschrift erweist sich hier aber als taugliches Remedium, um die durch das Antragsdiktat hervorgerufene Freizügigkeitsverletzung zu verhindern. Zwar wird die effektive Ausübung der unionalen Freizügigkeit nach Art. 21 AEUV und Art. 45 GRC noch immer in den Fällen behindert, in denen die Aufhebung im Einzelfall keine schwere Härte für den minderjährigen Ehegatten darstellt und sich die Behörde für eine Antragstellung entscheidet. In diesen Fällen ist der Eingriff in Art. 21 Abs. 1 AEUV und Art. 45 GRC jedoch gerechtfertigt: Bei der EU handelt es sich unabhängig von den Harmonisierungsbestrebungen um eine Rechtsgemeinschaft mit rechtskulturellen Unterschieden zwischen den Mitgliedstaaten. Auch die Ehemündigkeitsvoraussetzungen wurden noch nicht EU-weit vereinheitlicht. Für die Mitgliedstaaten lässt sich daher keine allgemein feststellbare Ehemündigkeit fixieren. Um den sich letztlich als Quintessenz des Gesetzesvorhabens herauskristallisierenden Minderjährigenschutz zu gewährleisten, sind daher auch im EU-Ausland geschaffene Ehen im konkreten Fall gerichtlich zu überprüfen. Auf diese Weise finden die involvierten Interessen der Beteiligten ausreichende Berücksichtigung. Außerdem kann von Eheaufhebungsverfahren eine Inklusions37 38

Ähnlich auch Schulte-Rudzio, Minderjährigenehen in Deutschland, 418. S. hierzu Kap. 3 D. I. 2. a) ee).

C. Regelungs- und Änderungsbedarf für den Gesetzgeber

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wirkung ausgehen, auf die gerade bei kulturellen Divergenzen kaum verzichtet werden kann.39 8. Soweit das Gesetz in Art. 229 § 44 Abs. 2 EGBG inländischen Altfällen Bestandsschutz zuspricht, muss dieser Schutz für ausländische Altehen gleichermaßen gelten, wenn diese unter gleichen Bedingungen entstanden sind. Daher sind die nach ausländischem Eheschließungsstatut geschlossenen Altehen in den Anwendungsbereich der Vorschrift aufzunehmen, sodass folgender Satz anzufügen ist: „Gleiches gilt für eine Ehe, die im Ausland durch ein dem ehemaligen deutschen Recht äquivalentes Befreiungsverfahren vor dem 22. Juli 2017 zustande gekommen ist.“

Die aus dem Fehlen einer Übergangsregelung für vor Inkrafttreten des Gesetzes im Alter von 16 und 17 Jahren geschlossene Ehen resultierende verfassungsrechtlich beanstandungswürdige Rückwirkung der Norm und die damit einhergehende Schädigung des Vertrauens der Ehegatten in die volle Wirksamkeit ihrer Ehe ist dagegen nicht durch eine Gesetzesänderung zu kompensieren. Die Betroffenen werden mittlerweile das Volljährigkeitsalter erreicht haben, sodass sich dieser Missstand durch Zeitablauf erledigt hat. Mit der Neuregelung des Art. 13 Abs. 3 EGBGB entfällt das Bedürfnis für Art. 229 § 44 Abs. 4 EGBG, sodass diese Passage zu streichen ist. 9. Erforderlich ist weiterhin die Wiedereinführung des § 1633 BGB a. F., wonach sich die Personensorge des Sorgeberechtigten und nach § 1800 S. 1 BGB des Vormunds für verheiratete Minderjährige auf die Vertretung in persönlichen Angelegenheiten beschränkt. Die Tragweite der Elimierung des § 1633 BGB hielt sich ohnehin in Grenzen, da sich bereits aus den ehelichen „Kerngrundsätzen“ nach § 1353 Abs. 1 S. 2 BGB ergibt, dass der Vormund den wirksam verheirateten Eheleuten ihre eheliche Lebensgemeinschaft nicht vorenthalten darf.40 10. Als Folge der Abschaffung des Unwirksamkeitsverdikts aus Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB ist § 1310 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 BGB dahingehend abzuändern, dass „nach Artikel 13 Absatz 3 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche die Aufhebung der Ehe in Betracht kommt“.

Weiterhin sind an den maßgeblichen Stellen im BGB die Normangaben des § 1303 S. 1 und des Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB durch § 1303 und Art. 13 Abs. 3 EGBGB zu ersetzen. 39 Vgl. Büchler, Kulturelle Vielfalt und Familienrecht, in: Pluralistische Gesellschaften und Internationales Recht, 2008, 215, 248. S. genauer zum Gesamten: Kap. 4 C. II. 6. 40 So insb. BGH 14.11.2018, Az. XII ZB 292/16, FamRZ 2019, 181, 184; krit. dagegen Dutta, FamRZ 2019, 188, 189. Soweit sich der BGH darauf beruht, dass die Vorenthaltung der ehelichen Lebensgemeinschaft eine Kindeswohlgefährdung nach § 1666 BGB darstellt, kann ihm aber nicht gefolgt werden. Hierfür bedarf es einer Prüfung im Einzelfall, s. Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht, Stellungnahme vom 31. Januar 2020 in der Verfassungsrechtssache 1 BvL 7/18, 31.1.2020, 4.

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Kap. 5: Wesentliche Ergebnisse und Desiderata

II. Praktischer Prüfungs- und Handlungsbedarf Die Tilgung des minderjährigen Ehegatten aus dem BGB war nicht durchdacht. Der Gesetzgeber hat übersehen, dass es (bereits nach der lex lata) in Deutschland weiterhin gültige Ehen unter Beteiligung Minderjähriger geben kann. Die insoweit vorgenommenen, ersatzlosen Normstreichungen sind einer genauen Überprüfung zu unterziehen.41 Auch nach Einführung der Regelung in Nr. 34.2.4 der 2. PStG-VwV-ÄndVwV herrscht in der Rechtspraxis nach wie vor „große Unsicherheit“ 42 im Hinblick auf bestehende Meldepflichten zwischen den am Verwaltungsprozess beteiligten Behörden. In den Verfahrensablauf können zahlreiche Institutionen (Ausländerbehörden, Meldebehörden, Jugendämter, Standesämter und in Asylfällen das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) eingebunden sein. Sinnvoll wäre daher die Errichtung einer zentralen Behörde in jedem Bundesland, die für Aufhebungsverfahren zuständig sein soll.43 Weiterhin wird die Schaffung einer klaren gesetzlichen Grundlage für die gegenseitige Informationsübertragung zwischen der feststellenden Behörde und der antragsberechtigten Behörde angeregt. Hierbei hat der Gesetzgeber eventuelle datenschutzrechtliche Bedenken auszuräumen. Dringend angeraten wird, dass die zuständige Behörde die Jugendämter frühzeitig auf bestehende Minderjährigenehen hinweist, damit diese trotz der kurzen Monatsfrist (§ 155 Abs. 2 FamFG) im gerichtlichen Verfahren sachgerecht mitwirken und eine fundierte Stellungnahme abgeben können. Nach den Rückmeldungen der Standes- und Jugendämter, der zuständigen Behörden und der Familiengerichte ist der Verfahrensweg für die Beteiligten noch immer von zahlreichen Unklarheiten geprägt. Hier empfiehlt sich die Veröffentlichung einer Handreichung inklusiver praktischer Handlungsempfehlungen, in der die einzelnen gesetzlichen Regelungen erläutert und erklärt werden.44 Unbefriedigend ist derzeit die nicht geregelte Form der Bestätigungserklärung. Um dem Gebot der Rechtssicherheit zu entsprechen, sollte die Bestätigung in schriftlicher Form gegenüber der zuständigen Verwaltungsbehörde erklärt werden, die für die Antragstellung zuständig ist. An dieser Stelle wird auch die Einrichtung einer zentralen Datenbank angeregt, auf der die Bestätigungserklä41 Zu den erbrechtlichen Auswirkungen: Sammet/Graf Wolffskeel von Reichenberg, ZEV 2019, 510 ff. 42 Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Gesamtauswertung zur Evaluierung des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen, 14.8.2020, 10. 43 Dies fordert Terre des femmes, Gesamtauswertung der Bundesregierung zur Evaluierung des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen – Die wichtigsten Erkenntnisse aus Sicht von TERRE DES FEMMES (TDF), 8.9.2020, 2. 44 Explizit gefordert von den Jugend- und Standesämtern, s. Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Gesamtauswertung zur Evaluierung des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen, 14.8.2020, 41.

C. Regelungs- und Änderungsbedarf für den Gesetzgeber

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rungen abgespeichert werden. Allen beteiligten Behörden sollte der Zugriff auf dieses Verzeichnis gestattet werden. Die vorzunehmenden Jugendhilfemaßnahmen sind in Art und Umfang zu konkretisieren. Zentraler Aspekt im Umgang mit Minderjährigenehen ist die unterstützende Begleitung der Betroffenen. Ihnen sollte stets der Zugang zu Beratung, Aufklärung und Hilfe offenstehen. Hierfür ist auf die bereits zur Verfügung stehenden Angebote der Kinder- und Jugendhilfe (§§ 8 Abs. 3, 16, 17 SGB VIII) zurückzugreifen. Im gerichtlichen Aufhebungsverfahren hat das Jugendamt nach § 50 SGB VIII die Betroffenen zu unterstützen. Sinnvoll erscheint auch die verpflichtende Bestellung eines Verfahrensbeistands für den minderjährigen Ehegatten.

III. Ausblick Gegen das KEhenBekG und insbesondere die darin verwirklichte Nichtigkeitslösung hat sich bereits im frühen Gesetzesstadium massiver Protest erhoben. Das „Kreuzfeuer der Kritik“ 45 hält bis zum heutigen Tag an und gipfelt in der derzeitigen verfassungsrechtlichen Kontrolle durch das BVerfG. Die vorstehende Untersuchung hat deutlich gemacht, dass die artikulierten Zweifel vor allem im Hinblick auf den rechtlichen Umgang mit nach ausländischem Recht eingegangenen Ehen berechtigt sind und der Gesetzgeber hinter den Idealen der hohen Gesetzgebungskunst deutlich zurückgeblieben ist. Er ist daher gehalten, nachzubessern und rechtliche Rahmenbedingungen für eine sachangemessene Behandlung zu schaffen. Zugegebenermaßen kann dem Gesetz die klare Signalwirkung schon wegen seines reißerischen Titels kaum abgesprochen werden. Mit der hohen Symbolkraft geht jedoch eine akute Verschlechterung der Rechtsposition der im Ausland verheirateten Minderjährigen einher. So wurde die vor der Novellierung bedeutsame einzelfallbezogene ordre public-Prüfung nach Art. 6 EGBGB, mittels derer der deutsche Staat bei erheblichen Abweichungen von den Ehemündigkeitsvorstellungen des deutschen Rechts in die nach dem ausländischen Recht wirksame Ehe eingreifen und deren Rechtswirksamkeit versagen konnte, in Bezug auf Minderjährigenehen durch eine pauschale Aufoktroyierung der deutschen Rechtsanschauungen ersetzt und damit für obsolet erklärt. Von seiner unbegründeten Angst vor dem Einfluss fremder Gemeinwohlvorstellungen geleitet hat der Gesetzgeber eine Kollisionsrechtslage geschaffen, die den individuellen Belangen der minderjährigen Ehegatten unzureichend Rechnung trägt. Die staatliche Zurückweisung von Minderjährigenehen geht so weit, dass den im Alter von unter 16 Jahren geschlossenen Auslandsehen ohne Rücksicht auf das kulturelle Rechtsumfeld, in dem sie entstanden sind, die rechtliche Basis entzogen wird, wenn sie nicht den engen Anforderungen des Art. 229 § 44 Abs. 4 EGBGB entsprechen. Dabei bedient sich der Gesetzgeber mit der Eheunwirksamkeit eines Instruments, 45

So Majer, NZFam 2019, 659 im Titel seines Aufsatzes.

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Kap. 5: Wesentliche Ergebnisse und Desiderata

das ob seiner Schärfe im Eherecht nur in seltenen Ausnahmefällen greift, und gibt dadurch den Grundsatz auf, dass eine bereits geschlossene, möglicherweise defizitäre Ehe nicht ungeschehen gemacht und rückwirkend aus der Welt geschafft werden kann. Die in Gesetzesform gegossene neue Rechtswirklichkeit negiert, dass der Schutz des minderjährigen Ehegatten meist die Anerkennung der Ehe gebietet, da diese sich womöglich zu einer anspruchsbegründenden Schutzund Beistandsgemeinschaft entwickelt hat, die dem Willen des minderjährigen Ehegatten voll entspricht. Die Auswirkungen einer aufgezwungenen Eheaufhebung haben sich im Fall des OLG Bamberg angedeutet: Die rigide Vorgehensweise des Jugendamts führte zu Unverständnis und Integrationsverweigerung. Diese Arbeit hat gezeigt, dass dem hochkomplexen Phänomen der Minderjährigenehen nicht aus einer Schwarz-Weiß-Perspektive heraus zu begegnen ist. Stattdessen können dem Kindeswohl im Kontext der Minderjährigenehen nur durch eine Einzelfallbetrachtung der jeweiligen Ehe klare Konturen verliehen werden. In dem einführend zitierten Ausschnitt der Kurzgeschichte Erich Kästners hat der kritische Ich-Erzähler die jungen Eheleute zum Hotel gebracht und ihnen nachgelächelt. Womöglich ist er zu der erhellenden Erkenntnis gelangt, dass Hans und Fanny in ihrem Ehebündnis nicht etwa das Ende, sondern erst den Anfang erblicken. Ein solch differenziertes Verständnis ist auch dem Gesetzgeber zu wünschen. Die vorliegende Arbeit leistet hoffentlich einen entsprechenden Beitrag und bietet Anregungen, um den Umgang mit Minderjährigenehen in Deutschland zu verbessern.

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Sachwortverzeichnis Abstammungsstatus 188 ff., 223, 259, 292 ff., 304 ff., 317 f., 367 Adoleszenz 242, 290 Afghanistan 72 ff. Allgemeine Handlungsfreiheit 246 Allgemeines Persönlichkeitsrecht 295 ff., 367 Allgemeines Preußisches Landrecht 39 ff. Altersfeststellung 126 ff. Alterskriterium 102 ff. Altersuntergrenze 87 f. Anerkennung 92 ff., 132 Anerkennungsprinzip 334 ff., 368, 374 animus manendi 216, 224 animus revertendi 215, 224 Anknüpfung 151 ff. – selbständige 202 ff. – unselbständige 190 ff. Antragspflicht der Behörde 121, 126, 129, 151 ff., 172, 183, 322 f., 329, 349, 351 f., 368, 378, 380 ’aql 69 Arrangierte Ehe 63 Aufhebbarkeit 120 ff., 131 ff., 365 Auslegungsfragen 29, 131 ff., 364 ff. Ausnahmetatbestände 156 ff., 320 f. ba¯til 71 Befreiungsmöglichkeit 45 ff., 84 ff., 145, 166 f., 175 f., 225 ff., 238 ff., 302, 364, 366 Beschleunigungsgebot 123 f., 130 Bestätigung 92, 121, 156 ff., 255, 348, 378 f., 382 Brautpreis 34 bulu¯gh 69

Code Civil 39 ff. Codex Iuris Canonici 38 Coman-Entscheidung 335 ff., 368, 374 conventio in manum 35 copulatio carnalis 38 COVID-19-Pandemie 51, 81 Dänemark 233, 235 ff. Dimensionen von Minderjährigenehen 28, 60 Diskriminierungsverbot 332 f., 349, 353, 361 f. Domizilprinzip 93 Doppelehen, 90, 150, 199 Ehe, Begriff 34, 240, 243, 247 ff. Ehefähigkeitszeugnis 96 ff. Eheführung 207 ff., 223, 261 Ehegattennachzug 187, 258 Ehehindernis 97, 108 f., 131 Ehemündigkeit, geschichtliche Entwicklung 32 ff., 363 Eheschließungsalter 35 ff., 46 ff., 68, 74 Eheschließungsfreiheit – negative 271 ff., 350 – positive 238 ff., 366 Eheschließungsstatut 93 ff., 109, 112, 131, 172 f., 183, 297 ff. Eheschließungsvoraussetzungen 84 ff. Ehestatus 186 f., 223, 258 f., 307 ff., 310 ff. Ehre 57, 71 f., 200 Einzelfallbetrachtung 112 ff., 118, 283 f., 327, 370, 384 Elternkonsens 39 ff., 48 Elternrecht 292 ff. Ermessensspielraum 177 ff., 184

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Sachwortverzeichnis

EU 225 ff., 329 ff., 351, 379 Europäische Menschenrechtskonvention 353 ff. ezdewa¯g˘ 73 fait accompli 374 Familie, Begriff 256 f. Familiennachzug 258 fa¯sid 71 favor matrimonii 374 fiqh 64 Flüchtlinge 94 f., 97, 131 f., 212 ff. Flüchtlingskrise 25, 27 Fortsetzungswille 157 f., 291, 365 Freizügigkeit 121, 160 ff., 170 f., 320 f., 324, 329, 331 ff., 345 ff., 361 f., 368, 380 Frühehe 31 f., 78 Gegenwartsbezug des ordre public 105, 114, 118 Gesamtevaluierung 124 ff., 276 Geschlechterungleichheit 55 ff. Getrenntleben 208 f. Gewöhnlicher Aufenthalt 132, 209 ff., 223 f. Gleichbehandlungsgrundsatz 297 ff., 323 ff., 367 Grobe Unbilligkeit 146 ff., 365 Grundrechtecharta 355 ff.

Internationalprivatrechtliche Gerechtigkeit 371 ff. Irak 74 f., 143 ff. Islamischer Staat, Terrormiliz 72 Islamisches Recht 53, 63 ff., 101 f., 363 kafa¯’a 70 Kampf gegen Minderjährigenehen 76 ff. Kanonisches Recht 37 ff., 48 f., 90 Kenntnis von der Aufhebbarkeit 133 ff. Kinderehe 31, 78 Kindeswohl 28 f., 57 ff., 76, 102, 120, 126, 128, 169, 180 f., 184, 199, 260 ff., 272, 277 ff., 299 ff., 327 ff., 363, 365, 369 f., 384 Kollisionsrecht 92 ff., 118 f., 122 f., 131 f., 185 f. Krieg 55 f., 72, 212 Kultureller Kontext 32, 54 ff., 199, 274, 363 Leitlinien 369 lex causae 106 f., 113 f., 265, 316 lex fori 106, 111 ff., 265 lex loci celebrationis 100

Härtefälle 120 f., 159 ff., 183, 320 ff., 327, 347 ff., 351 f., 365, 380 Häusliche Lebensgemeinschaft 208 f. Heilung 220 ff., 291 Hinkende Ehe 104, 108, 186 ff., 199, 252 Hinkende Vaterschaft 186 ff.

mahr 67 majorennitas 33 Mangelbewusstsein 157 f. 365 matrimonium 35 Mehrstaater 93 Meldepflicht 128 ff. Minderjährigenschutz 128, 139, 146, 181, 260 ff., 289, 325, 350, 365 minores 34 Mitgift 35, 54 Mündigkeitsformen 34

ïg˘a¯b 67 impuberes 36 Inlandsbezug des ordre public 104, 118 Inobhutnahme 110 f.

Namensrecht 334 ff. Nichtehe 120 Niederlande 226 ff., 235 ff. nika¯h 67

Sachwortverzeichnis Obligatorische Zivilehe 83 f., 123 OLG Bamberg 25 f., 28 f., 63, 101, 110 ff., 372 f. ordre public 97 f., 349 ff., 371 ff. ordre public européen 345 ordre public-Kontrolle 95, 98 ff., 220 f. ordre public-Verstoß 100 ff., 117 ff., 163 ff., 166, 364 Österreich 233 ff. pater familias 35 Praxisprobleme 126 ff. Protestantisches Eherecht 38 f. pubertas 33 qabu¯l 67 Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens 356 ff. Recht auf Eheschließung 359 f. Recht auf informationelle Selbstbestimmung 129 Recht auf Pflege und Erziehung durch die Eltern 304 ff. Rechte des Kindes 360 f. Rechtsfolgen der Aufhebbarkeit 132 ff. Rechtsfolgen der Unwirksamkeit 186 ff., 223 Rechtsfolgen von Ehemängeln 90 ff., 131 Rechtsfolgen von ordre public-Verstößen 101, 105 ff., 119 Rechtspolitischer Horizont 375 f. Rechtssicherheit 28, 260 ff., 296, 307 ff., 328, 350, 382 Rechtsstellung des minderjährigen Ehegatten 88 ff. Rechtsvergleichung 225 ff., 366 Registrierung von Ehen 50 Religiöses Recht 101 f. renvoi 95, 99, 131 Römisches Recht 33 ff., 48 f., 68

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Rückwirkung 308 ff., 381 – echte 308 f., 312 ff., 318 – unechte 309 ff. Sachgrund 298 ff., 325 ff. Schutz der Ehe 247 ff., 319 ff., 366 Schutz der Familie 247 ff., 306 f., 319 ff. Schutz der sexuellen Selbstbestimmung 102, 111, 271, 350, 352 Schweden 228 ff., 235 ff. Selbstbestimmungsrecht 246, 370 sharı¯’a 64 ff. shı¯’a 71 sine manu 35 Sozio-ökonomische Faktoren 54 ff., 277, 363 Spanier-Entscheidung 289 f. Staatenlose 93, 131 f. Statusrechtliche Selbstbestimmung 373 f. Syrien 55, 69 ff. Terminologie 31 f., terrible simplificateur 375 Thrakien 53, 330 toga virilis 33 Überleitungsvorschriften 122 f., 171, 183, 202 ff., 291, 302 ff., 324 ff., 366 Ungleichbehandlung 173, 297 f., 323 ff. Unionsbürgerfreizügigkeit siehe Freizügigkeit Unterhalt 133 ff., 365, 379 f. Unwirksamkeit 122, 125, 184 ff., 246 ff., 365 f., 377 Vaterschaftsanerkennung, -feststellung 259, 266, 294, 305 Verbreitung von Minderjährigenehen 50 ff. Vertrauensgrundsatz 255, 307 ff., 328 f., 368 Vertrauenstatbestand 315 f. Vertreterkonsens 43 ff., 38 Viktimisierung 60

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Sachwortverzeichnis

Volljährigkeit 33, 84, 166 f. Volljährigkeitseintritt 151 ff., 202 ff. Volljährigkeitserklärung 42 Voraustrauungsverbot 27, 30, 84, 123 Vorfrage 100, 151, 154, 188, 190 ff., 236, 232 Vorläufige Inobhutnahme 100, 114 ff., 124, 127, 218, 275 f. Vormundschaft 111, 117, 267 f.

Wächteramt des Staates, 85, 250, 283 f., 290 walı¯ 68, 74 Wertungsfragen 29, 238 ff. Witwenrentenentscheidung 252 ff., 336 Wohnsitz 93 ff., 189, 229 Zwangsehe 31, 63, 78, 166, 250 f., 254, 156, 270 ff., 282 ff., 344 f., 366