Methodismus und charismatische Bewegung: Historische, theologische und hymnologische Beiträge - Reutlinger Theologische Studien, Band 2 9783767570900

Der Band zeichnet die Geschichte der Entstehung der charismatischen Bewegung innerhalb der Evangelisch-methodistischen K

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German Pages 263 [261] Year 2007

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Methodismus und charismatische Bewegung: Historische, theologische und hymnologische Beiträge - Reutlinger Theologische Studien, Band 2
 9783767570900

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Inhalt
Teil I
Teil II
Teil III
Teil IV
Teil V

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Reutlinger Theologische Studien Herausgegeben von Roland Gebauer, Michael Nausner und Christoph Raedel in Verbindung mit dem Theologischen Seminar Reutlingen und der Evangelisch-methodistischen Kirche in Deutschland

Band 2

Christoph Raedel (Hg.) Methodismus und charismatische Bewegung Historische, theologische und hymnologische Beiträge

Inh. Dr. Reinhilde Ruprecht e.K.

Für Vilém Schneeberger (1928 – 2006)

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte Daten sind im Internet über abrufbar. © Edition Ruprecht Inh. Dr. R. Ruprecht e.K., Postfach 1716, 37007 Göttingen – 2007 www.edition-ruprecht.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk einschließlich seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urhebergesetzes bedarf der vorherigen schriftlichen Zustimmung des Verlags. Diese ist auch erforderlich bei einer Nutzung für Lehr- und Unterrichtszwecke nach § 52a UrhG. Satz: Sven Kockrick Layout: mm interaktiv, Dortmund Umschlag: klartext, Göttingen Druck: buch bücher dd ag, Birkach ISBN: 978-3-7675-7090-0

Inhalt

Andreas Kraft Geleitwort ....................................................................................... 7 Christoph Raedel Einleitung ....................................................................................... 8

I

Historische Beiträge

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Walter Klaiber Mein Weg mit der charismatischen Bewegung .................................... 14 Reiner Dauner Der Weg des »Arbeitskreises Geistliche Gemeindeerneuerung in der Evangelisch-methodistischen Kirche«. Persönliche Erfahrungen und Eindrücke ...................................................................................... 30 Dieter Weigel Zur Geschichte der charismatischen Bewegung in der Evangelischmethodistischen Kirche (Schwerpunkt: Ostdeutsche Jährliche Konferenz) .................................................................................... 38 Thomas Röder Erfahrungen mit der charismatischen Bewegung in der Evangelischmethodistischen Kirche in der DDR ................................................. 53

II

Hymnologische Beiträge

63

James H. S. Steven Das charismatische Liedgut im Lichte des frühen methodistischen Liedguts ........................................................................................ 64 Joachim Georg »Wir loben unsern Gott von ganzem Herzen« – Anbetung in der Evangelisch-methodistischen Kirche .................................................. 85

Inhalt

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III Theologische Beiträge

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Roland Gebauer Gottes wirksame Gegenwart. Grundlinien des neutestamentlichen Zeugnisses vom Heiligen Geist und den Geistesgaben ........................ 110 Vilém Schneeberger Ein Herr – ein Geist – ein Glaube. Die pneumatologische Programmatik wesleyanischer Theologie .......................................... 135 Christoph Raedel Gotteserfahrung im Widerstreit? Zwischen methodistischer Identität und charismatischer Erneuerung ..................................................... 163

IV Praxisberichte

193

Frank Drutkowski Charismatischer Gemeindeaufbau in der Evangelischmethodistischen Kirche. Ein Praxisbericht aus der Gemeinde der Kreuzkirche in Berlin-Lankwitz. .................................................... 194 Frank und Irmgard Ufer Sozialdiakonische Arbeit im Kontext geistlicher Gemeindeerneuerung. Geschichte und Auftrag der Suchtkrankenhilfe »come back« in Zittau .. 218

V

Dokument

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Leitlinien: Die Evangelisch-methodistische Kirche und die charismatische Bewegung .............................................................. 230

Anhang

247

Autorenverzeichnis ....................................................................... 248 Dank .......................................................................................... 251 Hinweise zu den Abkürzungen ....................................................... 252 Register ...................................................................................... 253

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Geleitwort Andreas Kraft Mit Interesse und Gewinn habe ich den Band Methodismus und charismatische Bewegung gelesen. Dies liegt nicht nur daran, dass unter den Veröffentlichungen im deutschsprachigen Raum der Leser auf der Suche nach Hinweisen zum Anliegen der charismatischen Erneuerung bzw. der Geistlichen Gemeindeerneuerung in der Evangelisch-methodistischen Kirche kaum fündig wird, wie der Herausgeber in seiner Einleitung nüchtern feststellt, und hier somit eine Forschungslücke geschlossen wird; es sind eher zwei andere Aspekte, die mir hervorzuheben wichtig sind. Zum einen ist es Christoph Raedel gelungen, durch die Zusammenstellung der Beiträge dem Leser sowohl theologische Grundlagen als auch Praxisberichte und persönliche Positionsbestimmungen im Zusammenhang der Frage nach Selbstverständnis und Bedeutung der charismatischen Erneuerungsbewegung innerhalb der EmK zur Verfügung zu stellen; vielleicht lässt sich weiter gefasst auch sagen, dass es ihm gelingt, hier exemplarisch die Frage nach der Notwendigkeit der Erneuerung einer Kirche zu reflektieren, die sich von ihrer Entstehung her seinerzeit doch zutiefst als Erneuerungsbewegung verstand. Zum anderen gibt das Buch gerade in seinen historischen Beiträgen einen nennenswerten Einblick in persönliche Eindrücke und Empfindungen, in subjektiv wahrgenommene Freuden und Belastungen aus dem Zusammentreffen von »charismatischer Erneuerung« und »verfasster Kirche«. In dieser Hinsicht bedeutet das Buch eine vermutlich einzigartige und jedenfalls zeitnahe Dokumentation und Ergänzung der Diskussion. Je nach persönlichem Standpunkt wird insbesondere denen, die die Entwicklung des behandelten Themas in der Vergangenheit bewusst mitverfolgt oder gar mitgestaltet haben, beim Lesen gerade dieses ersten Teils des Bandes vielleicht der eine oder andere Aspekt fehlen, über- oder unterbewertet vorkommen oder zutreffend dargestellt zu sein scheinen. Gerade diese Pluralität der Perspektiven scheint mir die große Stärke des Buches zu sein. Auf hohem sachlichen Niveau und trotzdem sehr persönlich wird in ein Thema eingeführt, das meines Erachtens an Aktualität für die kirchliche Situation so schnell nichts eingebüßt haben wird. Braunfels, im Mai 2007 Andreas Kraft Sprecher des Arbeitskreises Geistliche Gemeindeerneuerung in der Evangelisch-methodistischen Kirche

Geleitwort

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Einleitung Christoph Raedel Das 20. Jahrhundert ist verschiedentlich als das Jahrhundert des Heiligen Geistes bezeichnet worden. Maßgeblich für diese Beschreibung ist das – weiter anhaltende – Wachstum pfingstlich-charismatischer Bewegungen und Kirchen1 in nahezu allen Teilen der Welt. Die akademische Theologie gerade auch in Deutschland hat die Ausbreitung dieser Strömungen lange Zeit kaum oder gar nicht zur Kenntnis genommen. Erst in den letzten Jahrzehnten des vergangenen 20. Jahrhunderts hat sich auch hierzulande die Wahrnehmung verändert. Dazu dürfte neben der Ausbreitung charismatischer Frömmigkeit auch der Dialog mit den Kirchen der östlichen Orthodoxie beigetragen haben, die in die Gespräche mit westlichen Theologen eine starke Betonung des Heiligen Geistes in Liturgie und Leben der Kirche einbrachten. Legt man die Wachstumsraten, die pfingstlich-charismatische Kirchen und Bewegungen in Ländern der südlichen Hemisphäre erreichen, als Maßstab an, dann nimmt sich die Bedeutung charismarischer Frömmigkeit im deutschsprachigen Raum eher bescheiden aus. Dies gilt auch und nicht zuletzt für den deutschsprachigen Methodismus. Allerdings ist zweifelhaft, ob eine rein quantitative Analyse den Einfluss bzw. die Wirkungen der charismatischen Bewegung zu erfassen vermag, denn die charismatischen Charakteristika liegen vornehmlich im Bereich der Spiritualität: »Man erwartet eine persönliche Erfahrung mit dem Heiligen Geist, betont den Empfang von (neutestamentlichen) Charismen, pflegt Anbetung und Lobpreis als unverzichtbare Bestandteile des Gottesdienstes und hat die Wichtigkeit einer biblisch orientierten Seelsorge für das Christsein neu entdeckt.«2 Die Existenz des »Arbeitskreises Geistliche Gemeindeerneuerung« (AGG) sowie die jährlich stattfindenden Kongresse können daher nur einen ersten Anhaltspunkt für ein Urteil über den Einfluss der charismatischen Bewegung in der Evangelisch-methodistischen Kirche geben. Tatsächlich dürften Impulse der Bewegung über den Kreis der im engeren Sinne organisierten Christen charismatischer Prägung hinausgehen. Exemplarisch deutlich wird dies an dem in Gemeinden gesungenen 1

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Ich verwende hier im vorläufigen Sinne eine sehr umfassende Bezeichnung ohne die bei näherer Betrachtung notwendigen weitergehenden Differenzierungen; allerdings ist mir der Plural Bewegungen wichtig; zur Begrifflichkeit vgl. Dirk Spornhauer, Die Charismatische Bewegung in der Bundesrepublik Deutschland. Ihre Geschichte und Theologie, Münster 2001, 17–21. Peter Zimmerling, Die charismatischen Bewegungen. Theologie – Spiritualität – Anstöße zum Gespräch, 2. Aufl. Göttingen 2002, 14.

Christoph Raedel

Liedgut, doch auch auf die Praxis von Seelsorge und Verkündigung hat die charismatische Bewegung ausgestrahlt. Dabei sind eindeutige Herkunftsnachweise für einwirkende Impulse nicht immer möglich, zumal die charismatische Bewegung innerhalb der Evangelisch-methodistischen Kirche sich verbunden weiß mit Charismatikern anderer Denominationen, so dass es im Bereich von Literaturverwertung und Kongressbetrieb eine breite Wechselwirkung gibt. Unter den nun auch in deutscher Sprache zahlreicher werdenden wissenschaftlichen Veröffentlichungen zu den charismatischen Bewegungen möchte ich hier besonders auf zwei Monographien verweisen. Peter Zimmerlings gründliche Untersuchung unter dem Titel Die charismatischen Bewegungen (Göttingen 2001, 2. Aufl. 2002) widmet sich schwerpunktmäßig theologischen Fragestellungen, die sich im Zusammenhang charismatischer Frömmigkeit ergeben. Zeitgleich hat Dirk Spornhauer auch die historischen Entwicklung in umsichtiger Weise untersucht (Die charismatische Bewegung in der Bundesrepublik Deutschland, Münster 2001). Obwohl beide Untersuchungen Maßstäbe setzen für eine kritische, aber faire Beschäftigung mit den in Deutschland wirkenden charismatischen Bewegungen, wird der Leser auf der Suche nach Hinweisen zur Geistlichen Gemeindeerneuerung in der Evangelisch-methodistischen Kirche hier jedoch nicht fündig. Dies muss kein Nachteil sein, ist doch das – vielleicht mangels Quellen oder Kontakten bedingte – Zurückstellen eines zudem recht kleinen Forschungsfeldes immer noch besser als dessen oberflächliche und damit ungenügende Kenntnisnahme. Auf jeden Fall wird hier ein Forschungsdesiderat offenkundig. Der vorliegende Band möchte diesem Desiderat abhelfen. Er versucht dies aus der Perspektive von Autoren, die entweder der charismatischen Bewegung angehören oder aber sich ihr in kritischer Sympathie verbunden wissen (der Herausgeber ordnet sich der zweiten Gruppe zu). Die Mitwirkung der verschiedenen Autoren ermöglichte es, die Thematik von unterschiedlichen Perspektiven aus in den Blick zu nehmen. Die ersten vier Beiträge sind historischen Aspekten der Entwicklung der charismatischen Bewegung innerhalb der Evangelisch-methodistischen Kirche in Deutschland gewidmet. Dass die Entwicklung in Westdeutschland und der DDR dabei in je eigenständiger Weise beleuchtet wird, liegt in der sehr unterschiedlichen Weise begründet, in der sich das Verhältnis von Kirche und Bewegung in den beiden Teilen Deutschlands gestaltete (und gestaltet). Eine eingehende Analyse, warum sich das Verhältnis beider unter den Bedingungen der DDR so außerordentlich schwierig gestaltete, liegt noch nicht vor. Mir scheint, dass in der Beschäftigung mit den Ursachen sowohl theologi-

Einleitung

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sche als auch nichttheologische Faktoren zu berücksichtigen sein werden.3 Die Tatsache jedenfalls, dass sich eine ähnliche Ost-West-Differenz auch für das Verhältnis von charismatischer Bewegung und baptistischen Gemeinden erkennen lässt,4 deutet darauf hin, dass die Fragestellung in einen größeren Zusammenhang gehört und eingehender Untersuchung bedarf. In einem ersten Beitrag zeichnet Walter Klaiber seinen Weg mit der charismatischen Bewegung nach. Er stellt die Entwicklung der charismatischen Bewegung in den Kontext zeitbezogener theologischer Entwicklungen und erinnert an die vielschichtigen Diskussionsprozesse kirchlicher Gremien. Die Beschäftigung und persönliche Berührung mit dem Arbeitskreis Geistliche Gemeindeerneuerung führt Walter Klaiber zu einer differenzierten Einschätzung der innerkirchlichen charismatischen Bewegung. Reiner Dauner, langjähriger Vorsitzender des Arbeitskreises, bietet mit seinem Beitrag eine Innensicht auf den Weg der charismatischen Bewegung im Westteil Deutschlands, wobei die Bedeutung persönlicher Begegnungen und Kontakte für das Wirksamwerden charismatischer Impulse eindrücklich wird. Erkennbar wird auch die internationale Vernetzung, die z. B. in den Namen der Referenten auf den Kongressen in Braunfels ihren Niederschlag findet. Hier wird ein Stück geographischer Weite der Bewegung spürbar. Ebenfalls aus eigener Erfahrung zeichnet Dieter Weigel den Weg der charismatischen Bewegung in der EmK in der DDR nach. Als wichtig für die Sammlung charismatisch geprägter Methodisten erwies sich hier der Kontext der Geistlichen Gemeindeerneurneuerung in der (v. a. Sächsischen) Landeskirche. Das Profil der Auseinandersetzungen zwischen entstehender charismatischer Bewegung und methodistischer Kirche wird scharf nachgezeichnet, wobei sich die Ausrichtung der Jugendarbeit als anhänglicher Streitpunkt erweist. Damit ist ein Indikator für eine Atmosphäre benannt, in der eine Anerkennung der charismatischen Bewegung durch die Kirche nicht erreicht werden konnte. Eine andere Perspektive auf diese Entwicklung in der ostdeutschen EmK bietet der Beitrag von Thomas Röder. Als Autor, der zwar das vom Neuen Testament her gebotene Grundanliegen der Bewegung teilt, nicht jedoch die Vereinnahmung des Charismas für eine be3

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Könnte das gespannte Verhältnis zwischen Kirchen bzw. Gemeinden einerseits und charismatischen Gruppen andererseits auch damit zu tun haben, dass für eine unter latentem staatlichen Druck stehende, zahlenmäßig kleine Freikirche der Gottesdienst eine der wenigen verbliebenen Möglichkeiten darstellt, a) ihre Freiheit vom totalitären Staat und b) ihre alle gesellschaftlichen Umbrüche überdauernde Kontinuität mit der (eigen)kirchlichen Tradition erfahrbar zu bezeugen, so dass das Kernanliegen der charismatischen Erneuerung, nämlich die Belebung und Neugestaltung des Gottesdienstes, wie ein zwar unbeabsichtigtes, aber gleichwohl massives Störfeuer im Prozess kirchlicher Selbstvergewisserung in diesem zentralen Bereich des kirchlichen Selbstvollzugs wirken musste? Persönliche Mitteilung von Dozent Günter Balders (Elstal).

Christoph Raedel

stimmte Strömung, leuchtet Röder den theologischen Hintergrund sowie die theologisch-literarischen Einflüsse aus, die den Weg der charismatischen Bewegung bestimmt haben. Er verweist auf die Spannungen, die über Fragen des Schriftverständnisses innerhalb der Kirche aufbrachen, wobei er von Extremen in gegensätzliche theologische Richtungen zu berichten weiß. Auf diese Weise treten die größeren gerade auch kirchenpolitischen Rahmenbedingungen vor Augen. Die im weitesten Sinne verstandenen hymnologischen Beiträge nehmen einen für charismatisches Selbstverständnis zentrales Element auf: das gesungene Lob Gottes, die Anbetung. Zunächst unterzieht der anglikanische Theologe James Steven das Liedgut des frühen Methodismus einerseits und das der modernen charismatischen Bewegung andererseits einem kritischen Vergleich. Dabei arbeitet er eine Reihe von Gemeinsamkeiten heraus (so im Blick auf die Volkstümlichkeit des Liedgutes und dessen Durchdringung mit biblischer Sprache), zeigt aber auch die bestehenden Unterschiede auf (wie den engeren thematischen Fokus moderner Lobpreislieder). Joachim Georg geht den für methodistischen Gottesdienst wichtigen liturgischen Entwicklungen nach und spannt so den gottesdienstlichen Rahmen auf, in dem sich die Anbetung der Gemeinde vollzieht. Er plädiert dafür, die Anbetung als eigenständige liturgische Einheit zu begreifen und gibt hilfreiche, aus der Praxis gewonnene Hinweise dafür, wie es im gemeinsamen Feiern des Gottesdienstes zu heilsamen Veränderungen kommen kann. Die Reihe der theologischen Beiträge eröffnet Roland Gebauer mit einer Darstellung biblisch-theologischer Leitlinien, die den Heiligen Geist als wirksame und zugleich geheimnisvolle Gegenwart des in Jesus Christus offenbaren Gottes in dieser Welt verstehen helfen. Weiterhin wird das Verständnis der Charismen differenziert und im Blick auf Charismen im weiteren und im engeren Sinne entfaltet. Vilém Schneeberger entfaltet John Wesleys Verständnis von »wahrer Religion« und zeigt auf, dass sich die Pneumatologie als Zugang zu Wesleys gesamter Theologie, die in grundlegender Weise Theologie der Heilserfahrung ist, eignet. Dabei wird deutlich, dass Wesley eher die Frucht als die Gaben des Heiligen Geistes betonte. In meinem eigenen Beitrag nehme ich mich des für das Selbstverständnis der methodistischen wie auch der charismatischen Bewegung fundamental wichtigen Begriffs der Gotteserfahrung an. Ich versuche zu zeigen, dass die methodistische Betonung der allen Christen gemeinsamen Grunderfahrung des Glaubens und die charismatische Betonung der in dieser Grunderfahrung wurzelnden Vielfalt der Erfahrungsweisen (Charismen) einander nicht ausschließen, sondern einander zu ergänzen und korrigieren vermögen. Das Familienverhältnis von Methodisten wesleyanischer

Einleitung

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und charismatischer Prägung kann durch einem Austausch der ihnen von Gott geschenkten Gaben nur gewinnen. Frank Drutkowski sowie Frank und Irmgard Ufer beschreiben in ihren Praxisberichten, wie charismatische Erneuerung in einer Großstadtgemeinde bzw. in einem sozialdiakonischen Dienst an suchtgefährdeten Menschen Gestalt gewinnt. Während Frank Drutkowski vor allem die Bedeutung eines tieferen Verständnisses von geistlicher Leitung für den Weg der Gemeinde markiert, heben Frank und Irmgard Ufer hervor, wie wichtig es ist, Gemeindeaufbau und diakonischen Dienst zusammenzuführen, um zu einer nachhaltigen Erneuerung Einzelner und der Gemeinschaft zu kommen. Beide Berichte lassen erkennen, dass Veränderungen und Aufbrüche mit Irritationen und häufig auch Verletzungen einhergehen, dass daher Buße und Versöhnung notwendige Zeichen eines Weges sind, der in die von Gott bestimmte Zukunft führt. Der Band schließt mit dem Abdruck der von der Generalkonferenz der United Methodist Church 1996 bestätigten Leitlinien für die innerkirchliche Begegnung mit der charismatischen Bewegung. Die Leitlinien empfehlen sich der kirchlichen Praxis vor allem durch ihren seelsorgerlichen Ton. Die weithin durchgehende Frageform lädt dazu ein, den Text nicht nur zu lesen, sondern sich den hier genannten Fragen persönlich zu stellen. So gesehen schließt der Band mit einer Einladung zum Gespräch. Das aufrichtige Gespräch bedarf der Selbstprüfung (im Sinne der Leitlinien) wie auch der Begegnung mit dem Anderen. In diesem Sinne möchte das Buch verstanden sein. Die Kenntnis geschichtlicher Entwicklungen, die Vergegenwärtigung biblisch- und systematisch-theologischer Überlegungen, schließlich das Zeugnis erfahrener Erneuerung in Gemeinden und Werken soll dazu ermutigen, aufeinander zuzugehen und im Gespräch zu entdecken, dass die unterschiedlichen Gaben, die uns geschenkt sind, das Siegel des einen Geistes tragen, des Geistes Christi. Gewidmet ist der Band dem verstorbenen tschechischen Superintendenten Vilém Schneeberger, der in der letzten Phase der Fertigstellung dieses Buches verstarb. Es enthält den letzten vor seinem Tod von ihm auf Deutsch verfassten Beitrag, in dem er noch einmal in programmatischer Weise die Grundmelodie seines Dienstes zum Klingen bringt, nämlich die Dankbarkeit für die wesleyanische Tradition und die Leidenschaft für die Erneuerung der Evangelischmethodistischen Kirche.

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Christoph Raedel

Teil I

Historische Beiträge

Mein Weg mit der charismatischen Bewegung Walter Klaiber Wenn ich zurückdenke, dann vollzog sich meine Begegnung mit der charismatischen Bewegung in sehr unterschiedlichen und sehr verschieden geprägten Etappen. Ich möchte dieses chronologische Schema benützen, um zu beschreiben, was mir diese Begegnung persönlich bedeutet hat. Drei Zeitabschnitte sind es, die ich hier nennen möchte.

1 Der theologische Aufbruch in den siebziger Jahren Die siebziger Jahre waren für die Evangelisch-methodistische Kirche in vielfältiger Weise eine Zeit der Weichenstellung für die Zukunft. In der ersten Hälfte des Jahrzehntes waren die organisatorischen und menschlichen Konsequenzen der Kirchenvereinigung von 1968 zu bewältigen. Im Westen Deutschlands geschah dies in einer gesellschaftlichen Situation, in der infolge der 68er-Bewegung nichts Traditionelles unbefragt gelten sollte. Das hatte auch für das Verhältnis der Menschen zur Kirche und für das Selbstverständnis der Menschen in der Kirche eminente Auswirkungen. Ich bin überzeugt, dass eine spätere Kirchengeschichtsschreibung – sollte sie sich mit der EmK beschäftigen – in dieser Situation sowohl eine außerordentliche Chance als auch ein Gefährdung für die Kirche sehen wird. Spätestens um die Mitte der siebziger Jahre stellte sich dann die klare Erkenntnis ein, dass es nicht genügt, die Arbeit der Kirche in den gewohnten Bahnen fortzusetzen, sondern dass es zu einer Besinnung auf ihren Auftrag und eine dadurch inspirierte Erneuerung der Kirche kommen müsse. Signalcharakter hatte damals die Tagung in Loccum »Unser Auftrag als Evangelischmethodistische Kirche – gestern, heute und morgen«.1 In den Referaten ist allerdings nichts von einer Auseinandersetzung mit der charismatischen Bewegung zu entdecken. Nur bei Gerhard Wittich, Die EmK – Kirche als Zeichen für Gottes Ja zum Menschen,2 findet sich ein Abschnitt Gemeinde als »charismatische Gemeinschaft«, der die Mitverantwortung und Mitarbeit aller in der Gemeinde als charismatische Wirklichkeit im Gegensatz zum »Charismendefizit« in der »Pastorenkirche« beschreibt. Wittich stellt allerdings klar: 1 2

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Die Referate sind veröffentlicht in: Unser Auftrag als Evangelisch-methodistische Kirche – gestern, heute und morgen; EmK heute 18, Stuttgart 1975. Ebd., 65–76.

Walter Klaiber

Gehen wir vom Grundcharisma des ewigen Lebens aus, kann Hilfe zur Bewältigung unseres Auftrages nicht in der Sehnsucht nach biblischen Charismen liegen – denn Konkretionen und Individuationen dieses Charismas sind geschichtlich bedingt –, sondern die Orientierung geschieht von der Zukunft des Reiches Gottes auf die Gegenwart hin . . . Wir müssen lernen, Charismen heute zu erkennen und auszubilden. So gilt es etwa, gute Ausbildung, analytische Fähigkeit und Kooperationsfähigkeit in den Dienst der Gemeinde zu stellen.

Obwohl diese Art, von Charisma zu reden, damals weithin Konsens war, registriert Wittich dennoch Widerstände gegen dieses Konzept: »Auch bei uns reagiert weitgehend kirchliches Ordnungsdenken misstrauisch und zurückhaltend, wenn von Charismen geredet wird. Und im Zweifelsfall ist man bei uns lieber ›evangelisch‹ als ein ›Schwärmer‹. Welches Trauma mag hier vorliegen?«3 Diese Frage wurde nicht weiter aufgegriffen. Zwar stand die Zusammenfassung der Ergebnisse von Loccum unter der verheißungsvollen Überschrift Auf dem Wege einer Erneuerung der Evangelisch-methodistischen Kirche4 , aber Impulse zu einer Erneuerung oder eine Auseinandersetzung mit dem Anliegen der geistlichen Gemeindeerneuerung finden sich darin – soweit ich sehe – nicht.5 Ich selber hatte mich 1975 in einer Reihe von Vorträgen mit den Anfragen aus der charismatischen Bewegung auseinanderzusetzen, die 1976 unter dem Titel »Zwischen Schwärmerei und Erstarrung. Vom Wirken des Heiligen Geistes in unserer Kirche« veröffentlicht wurden.6 Ich habe dabei versucht, das grundsätzliche Anliegen einer Erneuerung der Christen und der Kirche durch den Heiligen Geist aufzunehmen, mich aber auch mit Einzelfragen wie der Frage nach der Geistestaufe und der Bedeutung der Geistesgaben befasst. Im Blick auf die Bedeutung der Charismen für heute war mir wichtig, das traditionell verharmlosende Verständnis als Begabungen und Fertigkeiten wie Rasenmähen, Finanzverwaltung oder im Chor Singen zu überwinden, zugleich aber eine an der historischen Gestalt in 1 Kor 12 orientierte ›Leistungsforderung‹ zu vermeiden. Die Möglichkeit einer Verständigung in solchen Fragen schien damals gegeben, da eine Reihe der führenden Persönlichkeiten in der charismatischen Bewegung im Gespräch mit der neueren exegetischen Forschung

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Alle Zitate ebd., 73. Ergebnisse und Anregungen der Theologischen Arbeitstagung von Pastoren und Laien in Loccum 1975, EmK heute 20, Stuttgart 1976. Vgl. die kritischen Bemerkungen von Karl Steckel in seinem Kommentar zum Tagungsbericht in: Auf dem Wege einer Erneuerung der Evangelisch-methodistischen Kirche. Ergebnisse und Anregungen der Theologischen Arbeitstagung in Loccum 1975, Stuttgart 1976, 31–34. EmK heute 21, Stuttgart 1976.

Mein Weg mit der charismatischen Bewegung

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war und umgekehrt das Verständnis der Charismen, wie es Neutestamentler wie Ernst Käsemann und Eduard Schweizer vertraten, dem Grundanliegen der damaligen charismatischen Bewegung sehr nahe kam.7 Für mich persönlich war deshalb das damals geführte theologische Gespräch sehr hoffnungsvoll und zukunftsweisend. Von einer ähnlichen Offenheit zum Gespräch, zur Aufnahme wichtiger Anliegen, aber auch zur eigenständigen Verarbeitung auf der Grundlage der Schrift unter Anleitung der wesleyanischen Tradition ist die kleine Schrift des Rates der Evangelisch-methodistischen Zentralkonferenzen geprägt, die dieser nach seiner Tagung in Arnoldshain 1976 unter dem Titel Charisma und Erneuerung der Kirche herausgab.8 Hier heißt es: In der Begegnung mit den charismatischen Bewegungen bleibt es nicht aus, dass es unter uns zu einer Besinnung über das Charismatische in der Kirche kommt. Dabei werden wir das Wesen der Charismen, wie es das NT beschreibt, im Blick behalten müssen. Danach sind die Charismen die Befähigungen der Gemeinde zur Erfüllung ihres Auftrags.9

Damit waren Grundanliegen der Charismatischen Bewegung aufgenommen. Aber die Abwehr gegen eine Überbewertung spektakulärer Erscheinungen wurde ebenfalls ausgesprochen und daraus entstanden in der Folgezeit dann auch gravierende Meinungsunterschiede und Konflikte. Ende der siebziger Jahre wurde aber in der EmK – zumindest in Westdeutschland – offen und ohne scharfe Frontlinien diskutiert. Ein Papier mit Fragen zum Thema »Charisma und Erneuerung der Kirche«, das die Pastoren Martin Waitzmann und Heinrich Michelmann zur Distriktsversammlung der Pastoren des Karlsruher und Stuttgarter Distrikts vorlegten, zeigt das. Es beginnt mit einer doppelten Fragestellung, die typisch ist für die damalige Situation: 1. Es besteht Unruhe über die Situation der Kirche. Woher kommt diese Unruhe? Hängt sie zusammen mit dem Rückgang der Gliederzahlen 7

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Ich nenne nur Eduard Schweizer, Geist und Gemeinde im Neuen Testament und heute, ThEx NF 32, 1952; Ernst Käsemann, Amt und Gemeinde im Neuen Testament, in: Exegetische Versuche und Besinnungen I,6 1970, 109–134; Claus Heitmann/Heribert Mühlen (Hrsg.), Erfahrung und Theologie des Heiligen Geistes, 1974; Harding Meyer u. a., Wiederentdeckung des Heiligen Geistes. Der Heilige Geist in der charismatischen Erfahrung und theologischen Reflexion, Ökumenische Perspektiven 6, Frankfurt am Main 1974; Siegfried Großmann, Haushalter der Gnade Gottes. Von der charismatischen Bewegung zur charismatischen Erneuerung der Gemeinde, Wuppertal/Kassel 1977. Rat der Evangelisch-methodistischen Zentralkonferenzen, Charisma und Erneuerung der Kirche, Zürich 1977. Ebd., 14.

Walter Klaiber

oder unserer scheinbaren Bedeutungslosigkeit? Warum brauchen wir eine Erneuerung unserer Kirche? 2. Die charismatische Bewegung fordert zur Auseinandersetzung heraus. Inwieweit zeigt diese Bewegung auf eine Not unserer Kirche?

Es wird allerdings vermieden, eine allzu enge Beziehung zwischen beiden Fragen herzustellen. Die meisten der folgenden Fragen beschäftigen sich mit der Arbeitsweise und dem Auftrag der EmK, und es wird ausdrücklich betont, dass Erneuerung Geschenk ist. Erst ganz am Ende taucht die Frage nach der Vielzahl der Gaben auf. Der Text zeugt mehr von gemeinsamer Suche als von Konfrontation.

2 Die Suche nach dem richtigen Weg in den achtziger Jahren Das Klima änderte sich aber bald. Dies gilt vor allem für das Gebiet der Zentralkonferenz in der DDR. Die sehr aktive und einflussreiche charismatische Bewegung in der lutherischen Kirche Sachsens strahlte auch in die EmK aus und fand unter Pastoren und Gemeindegliedern Anhänger und Befürworter. Schon 1979 erhielt der Kirchenvorstand der EmK in der DDR von der Jährlichen Konferenz den Auftrag, eine Gesprächsgrundlage für die Auseinandersetzung über diese Frage zu erarbeiten. Sie erschien als Beilage zum Amtsblatt III/79 der EmK in der DDR unter dem Titel Wesen und Struktur Christlicher Gemeinde. Eine Handreichung des Kirchenvorstandes der EmK in der DDR.10 Der Text erwähnt – zumindest in der im Westen veröffentlichten Fassung – die charismatische Bewegung mit keinem Satz. Aber insbesondere die Abgrenzungen, die das thetisch gehaltene Papier formuliert, richten sich eindeutig an diese Adresse. Dabei geht es vor allem um die Auseinandersetzung mit Tendenzen, die bestehenden Gemeinden als geistlich tot abzuqualifizieren, mit Versuchen, den Kreis der wahrhaft Erweckten und Bekehrten zu sammeln, und mit dem autoritären Anspruch charismatischer Führergestalten. Die Frage der Charismen tritt demgegenüber eher zurück, obwohl auch sie unter Hinweis auf die Kriterien von 1 Kor 12 gestreift wird. Ich habe die Spannungen, die hinter diesem Papier standen, und die sich offensichtlich in der Folgezeit weiter verschärften, im Westen kaum verfolgen können. Aus der Sicht eines Betroffenen berichtet darüber in diesem Band Dieter Weigel. Ich war aber zufällig bei dem Ereignis anwesend, das die Beziehungen zwischen der Mehrheit der Jährlichen Konferenz und den Vertretern

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Veröffentlicht auch als EmK heute 31, Stuttgart 1980.

Mein Weg mit der charismatischen Bewegung

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und Vertreterinnen der charismatischen Bewegung in der EmK für die nächsten 20 Jahre fast traumatisch prägen sollte, nämlich der Entlassung von Pastor Eberhard Luderer durch die Jährliche Konferenz 1982 in Karl-Marx-Stadt. Eberhard Luderer war offensichtlich eine der führenden Gestalten innerhalb des Arbeitskreises für Geistliche Gemeindeerneuerung in der EmK. Er war aber auch der herausragende Repräsentant einer zunehmenden ›Radikalisierung‹ innerhalb der charismatischen Bewegung. Eines der Symptome dafür und Anlass für seine Entlassung war die Tatsache, dass er einige Zeit nach seiner Versetzung von Markneukirchen nach Schwerin in seiner früheren Gemeinde ›Älteste‹ einsetzte und mit der Gemeindeleitung beauftragte, ohne sich in irgendeiner Weise an die kirchenrechtlich vorgegebenen Leitungsstrukturen zu halten. Er war auch nicht bereit, diese Maßnahme zurückzunehmen, sondern berief sich auf einen Auftrag, den er dafür von Gott erhalten habe. Die Radikalität des Bruchs mit der Ordnung der EmK, den er dadurch vollzog, hatte eine doppelte Konsequenz. Einerseits gab es auch aus dem Kreis derer, die sich zur charismatischen Bewegung zählten, keinerlei Unterstützung für ihn. Andrerseits schien ihren Gegnern durch diesen Vorgang das ganze Unternehmen so desavouiert, dass es für die Zukunft schwer war, in der Konferenz eine offene Gesprächsbasis zu finden. Daran änderten auch Versuche wie ein Thesenpapier von Dozent Dieter Weigel zum Selbstverständnis des Arbeitskreises für Geistliche Gemeindeerneuerung wenig, obwohl er sich bemühte, die neutestamentlichen Grundlinien einzuhalten und offensichtlich auch Hinweise aus der Handreichung des Kirchenvorstandes aufnahm. Ein wichtiger Grund dafür war sicher auch der, dass im Umfeld unserer Gemeinden charismatische Gruppierungen wie das Missionswerk Josua eine aktive und attraktive Tätigkeit entfalteten, die auch den Arbeitskreis für Geistliche Gemeindeerneuerung der lutherischen Landeskirche beeinflussten und nicht ohne Wirkung auch auf Glieder der EmK blieben.11 Ein Papier des Ausschusses für theologische Fragen der Jährlichen Konferenz zum Gespräch über das Thema »Gemeindeerneuerung« an der Konferenz 1989 erinnerte deshalb an den bleibenden Auftrag »Heiligung über des Land zu verbreiten« und mahnte: »Stellen wir uns diesem Auftrag, dann werden wir alle untaugliche Konkurrenz ersetzen durch ein neues Miteinander in allen Bereichen gemeinsamer Verantwortung.« In der EmK in der Bundesrepublik liefen die Diskussionen darüber eher verdeckt. Die Entwicklung innerhalb der charismatischen Bewegung durch die sogenannte »Dritte Welle« wurde zum Teil mit Faszination, aber auch mit Sorge betrachtet. Denn einerseits schienen Unternehmungen wie die Arbeitsgemeinschaft für Gemeindeaufbau hilfreiche Impulse auch für die missionarische 11

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Mir liegt dazu eine Situationsanalyse von Frau Dr. R. Micheel vom November 1990 vor.

Walter Klaiber

Arbeit der EmK vermitteln zu können. Aber andrerseits war das Abtriften großer Teile der Bewegung in ein neupfingstlerisches Fahrwasser unübersehbar.12 Diese Entwicklung schwächte die innerkirchlichen charismatischen Bewegungen – zumindest im evangelischen Bereich –, wofür die Separation von Wolfram Kopfermann das deutlichste Symptom war13 . Im süddeutschen Raum faszinierte und beunruhigte das phänomenale Wachstum der Biblischen Glaubensgemeinde in Stuttgart unter Peter Wenz die Gemüter,14 und die Auswirkungen, die das auch für die Gemeinden der EmK hatte, führten zur Diskussion, ob man darauf durch eine klare theologische Abgrenzung oder durch die Aufnahme positiver, biblisch begründeter und für Menschen unserer Zeit attraktiver Elemente antworten solle. Der Kongress mit John Wimber in Frankfurt am Main im Herbst 1987 verschärfte die Auseinandersetzung in der Pastorenschaft. Während für diejenigen unter uns, die ausgehend von der paulinischen Charismenlehre der charismatischen Bewegung theologisch mit einer gewissen Sympathie gegenüberstanden, sich nun die Frage stellte, ob diese um des großen Erfolgs willen den Boden der paulinischen Kreuzestheologie verlasse, waren manche Brüder von dem, was sie dort erlebten, innerlich doch sehr angesprochen. Die Diskussion darüber ist kaum dokumentiert, da sie eher auf den Distriktsversammlungen der Pastoren und Pastorinnen oder in kleinen Gesprächsrunden beim spätabendlichen Bier stattfand als im öffentlichen Diskurs. Typisch für die Art der Auseinandersetzung mag der Vorwurf eines Pastors in einer Distriktsversammlung sein, es gäbe Brüder, die »Feuer von fremden Altären« holten (vgl. 3 Mose 10, 1). Mich selber beschäftigte damals die Frage, wie es Männer wie John Wimber oder Peter Wenz verantworten konnten, so plakativ davon zu sprechen, dass Jesus alle heile, die daran glaubten – so wurde das jedenfalls von vielen verstanden und mir berichtet –, da doch auch in ihrem persönlichen Umfeld und Freundeskreis Menschen an Krebs starben. Mir kam gerade in dieser Zeit ein Buch von David Watson15 , einem führenden Mitglied der charismatischen Bewegung in der anglikanischen Kirche, in die Hände, in dem er bis kurz 12 13

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Zu dieser Entwicklung vgl. Peter Zimmerling, Die charismatischen Bewegungen. Theologie – Spiritualität – Anstöße zum Gespräch, KKR 42, Göttingen 2001, 51f. Wolfram Kopfermann war Pfarrer der Nordelbischen Kirche und einer der Führer der Geistlichen Gemeindeerneuerung innerhalb der Evangelischen Kirche, bevor er 1990 mit einem Großteil seiner Gemeinde aus der Evangelisch-Lutherischen Kirche Nordelbien austrat und die Anskar-Kirche gründete. Er prophezeite damals die Gründung von 5 000 neuen Gemeinden seiner Kirche. Vgl. dazu Reinhart Hummel, Wolfram Kopfermann. Abschied von einer Illusion. Volkskirche ohne Zukunft, Materialdienst der EZW 53/8 (1990) 235–238. Dazu Reinhard Hempelmann, Die »Biblische Glaubensgemeinde«. Geschichte – Aktivitäten – Beurteilung, Materialdienst der EZW 57/5 (1994) 135–140. David Watson, Fear no Evil. A Personal Struggle with Cancer, London 1984.

Mein Weg mit der charismatischen Bewegung

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vor seinem Tod sein Ringen mit einer tödlichen Krebserkrankung beschreibt, die er als Gottes Weg mit ihm anzunehmen lernte. Diese Erfahrung schließt Hoffnung auf Heilung und Gebet für die Kranken nicht aus – das Buch ist u. a. John Wimber gewidmet! –, aber die Art, wie die Vollmacht zu heilen im power evangelism als missionarisches Werkzeug in unserer Hand proklamiert wurde, konnte ich mit solchen Erfahrungen nicht vereinbaren. Dennoch scheinen gerade Erfahrungen auf dem Kongress mit John Wimber ein wichtiger Impuls dafür gewesen zu sein, dass Anfang 1989 auch für die EmK im Westen Deutschlands ein Arbeitskreis Erneuerung durch den Heiligen Geist entstand, der später in Arbeitskreis Geistliche Gemeindeerneuerung in der EmK (AGG) umbenannt wurde.16

3 Die Erfahrungen mit dem Arbeitskreis Geistliche Gemeindeerneuerung in der EmK Die Gründung des Arbeitskreises führte in den Konferenzen des Jahres 1989 zu intensiven Diskussionen. Die Zentralkonferenz, die im März 1989 tagte, beschloss: Wir nehmen zustimmend zur Kenntnis, dass die B[ehörde für] Ev[angelisation] das Thema »Arbeitskreis . . . « bei der nächsten Sitzung erneut behandelt. Das genannte Ziel (Erneuerung durch den Heiligen Geist) wird als wichtiges Anliegen aufgenommen und weitergeführt im Sinne der Frage des St[ändigen] A[usschusses für das] B[ischofsamt] einer notwendigen »Kursbestimmung unserer Kirche zwischen Erstarrung und Schwärmerei«. Wir bitten die BEv, Formen zu finden, um dieses Anliegen in alle Bereiche unserer Kirche einzubringen.

Die Nordwestdeutsche Konferenz, die als nächste tagte, übernahm diese Formulierung. Ihr zuständiger Ausschuss (OA 3 A) sandte aber an die BEv noch ein ausführliches Votum: Wir beobachten in unseren Gemeinden und in der Pastorenschaft ein wachsendes Interesse an Fragen, die mit Formulierungen wie »geistliche Gemeindeerneuerung/Erneuerung durch den Heiligen Geist« u. Ä. beschrieben werden. Wir beobachten mit Sorge, dass Einzelne unseren Gemeinden und unserer Kirche den Rücken kehren, weil ihre diesbezüglichen Bedürfnisse keine

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Nach einem Referat von Erich Heß, Entstehung, Ziele und Geschichte des AGG in der EmK, gehalten bei der Laiendistriktsversammlung des Frankfurter und Karlsruher Distriktes am 13. 3. 2005.

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Ebene finden. Wir unterstützen und bejahen Initiativen, die helfen, der »geistlichen Gemeindeerneuerung« in unserer Kirche mehr Raum zu geben. Wir ermuntern die Gemeinden und verantwortlichen Mitarbeiter, der »Erneuerung durch den Heiligen Geist« offen zu begegnen. Wir begrüßen, dass die BEv. an grundlegender theologischer Wegweisung in diesen Fragen arbeitet. Es erscheint uns sinnvoll, dass Arbeitsergebnisse in geeigneter Form den Gemeinden und Mitarbeitern zugänglich gemacht werden.

Die entsprechenden Beschlüsse der Süddeutschen und Südwestdeutschen Konferenz waren knapper gehalten; gleichlautend wurde beschlossen: »Wir sehen die Notwendigkeit, an den Fragen der geistlichen Gemeindeerneuerung gründlich zu arbeiten, und bitten die BEv. entsprechende Beschlüsse zu fassen.« Der in der Zentralkonferenz für Evangelisation zuständige Ausschuss (BEv) spricht dann auch bei seiner nächsten Sitzung am 10./11. 11. 1989 sehr ausführlich über das Thema, zu dem ihm eine Kurzdarstellung des Selbstverständnisses des Arbeitskreises »Geistliche Gemeindeerneuerung in der Evangelisch-methodistischen Kirche« in der Bundesrepublik Deutschland vorliegt. Nach eingehender Aussprache beschließt man: 1. Die BEv nimmt zustimmend zur Kenntnis, dass sich ein Arbeitskreis für geistliche Gemeindeerneuerung in der Evangelisch-methodistischen Kirche gebildet hat. 2. Die BEv bejaht die im Selbstverständnis des Arbeitskreises beschriebenen Ziele und Aufgaben des Arbeitskreises. 3. Die BEv bittet den Arbeitskreis mitzuhelfen, dass die Anliegen der geistlichen Gemeindeerneuerung in einer für die EmK angemessenen Weise in unseren Gemeinden aufgenommen werden können. 4. In der BEv werden die Anliegen des Arbeitskreises durch die zum Arbeitskreis gehörenden Mitglieder der BEv vertreten. 5. Ein Vertreter aus dieser Gruppe der BEv-Mitglieder berichtet einmal jährlich in der BEv aus der Arbeit des Arbeitskreises.

Ein solcher Beschluss bedarf nach der Ordnung der EmK der Bestätigung durch den Kirchenvorstand, der sich deshalb auf seiner Sitzung Ende Januar 1990 mit diesen Fragen beschäftigte. Ich hatte für dieses Gespräch ein Papier Geistliche Erneuerung und kirchenleitendes Handeln vorbereitet, das für den Arbeitskreis Pastor Martin Waitzmann kommentierte. Der Kirchenvorstand bestätigte nach eingehender Diskussion die Beschlüsse der BEv, beschloss aber zusätzlich, »eine Orientierungshilfe zu Fragen der Geistlichen Gemeindeerneuerung/Charismatischen Bewegung« erstellen zu lassen, mit der Zielvorgabe: »Die Orientierungshilfe soll Zustimmung und Abgrenzung hinsichtlich der gegenwärtigen Bewegungen beschreiben.«

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Der mit der Erarbeitung betraute Ständige Ausschuss für Theologie und Predigtamt bildete in Verbindung mit dem AGG eine Arbeitsgruppe von sieben Personen, die sehr unterschiedliche Erfahrungen mit der Geistlichen Gemeindeerneuerung mitbrachten. Im Januar 1992 konnte die Arbeitsgruppe und der Ständige Ausschuss dem Kirchenvorstand einen Entwurf der Orientierungshilfe vorlegen, dem der KV grundsätzlich zustimmte und der nach Einarbeitung einiger Änderungsvorschläge im Februar 1992 unter dem Titel »Viele Gaben – ein Geist« Eine Arbeitsund Orientierungshilfe zur Begegnung mit der charismatischen Bewegung veröffentlicht wurde.17 Die Grundlinie der Studie habe ich seinerzeit im Vorwort so beschrieben:18 Sie rät einerseits, die Herausforderung durch die charismatische Bewegung ernst zu nehmen und sich für eine Erneuerung unserer Kirche durch den Heiligen Geist zu öffnen. Liebe zum Wort Gottes und zur Gemeinde, Ermutigung zum Gebet, Gewissheit der Gotteskindschaft und das Geschenk vielfältiger Gaben und lebendiger Gottesdienste sind Wirkungen des Heiligen Geistes, die wir auch für unsere Gemeinden und für uns persönlich immer wieder erbitten. Die Studie stellt dazu aber auch sechs Leitfragen, die helfen können, »alles zu prüfen und das Gute zu behalten«. Sie benennt eine Reihe von Gefahrenpunkten, die zu unguten Entwicklungen führen können. Positive Orientierungspunkte sind das Evangelium von Jesus Christus als dem Gekreuzigten und Auferstandenen, die Botschaft von der Rechtfertigung des Gottlosen allein aus Glauben und die Ausrichtung aller Gaben auf Aufbau und Mission der Gemeinde. Diese Orientierungspunkte können helfen, die Gefahr der Überbewertung einzelner Gaben oder enthusiastischer Erfahrungen, der Leugnung von Leiden und des Rückzugs aus der Weltverantwortung oder eines geistlichen Elitedenkens zu vermeiden.

Bei der Erarbeitung der Orientierungshilfe wurden auch die Leitlinien: Die Evangelisch-methodistische Kirche und die charismatische Bewegung der Generalkonferenz 1976 berücksichtigt und in Übersetzung im Anhang abgedruckt. Obwohl die Jahre 1990 bis 1992 von intensiven Gesprächen über die dann bei der Zentralkonferenz im Herbst 1992 vollzogene Wiedervereinigung der EmK im Ost- und Westdeutschland bestimmt waren und alle zukunftsweisenden Beschlüsse möglichst gemeinsam gefasst werden sollten, war bei diesem Thema keine Gemeinsamkeit möglich. Der Kirchenvorstand-West beschloss 17 18

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EmK heute 76, Stuttgart 1992. Ebd., 5.

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die Herausgabe im Wissen, dass sie im Kirchenvorstand-Ost in dieser Form kaum akzeptiert worden wäre; die Vertreter des Ostens allerdings signalisierten, dass sie das, was für die Gemeinden im Westen gesagt werden musste, nicht be- oder verhindern wollten. Wie aber verlief die weitere Entwicklung? Welche Erfahrungen haben wir in den vergangenen 15 Jahren mit dem Arbeitskreis und der Bewegung gemacht? Ich möchte mein Fazit für unterschiedliche Ebenen differenzieren. 3.1 Beobachtungen zur Arbeit des Arbeitskreises Der Arbeitskreis hatte sich die Aufgabe gestellt, Impulse der Erneuerung in unsere Kirche und ihre Gemeinden hineinzutragen. Durch seine Veranstaltungen wollte er Hilfen geben für das Einüben in einen verantwortlichen Umgang mit den Geistesgaben. Als Arbeitskreis wollte er charismatische Spiritualität in methodistische Frömmigkeit integrieren und durch Stellungnahmen zu Fragen und Herausforderungen im charismatischen Bereich zur Unterscheidung der Geister beitragen. All das ist zum Teil auch gelungen. Es sind von dieser Arbeit vor allem für einzelne Menschen aus unserer Kirche und über sie hinaus oft entscheidende Impulse ausgegangen. Wie sie sich in den Gemeinden ausgewirkt haben, möchte ich im übernächsten Abschnitt kurz skizzieren. Die Verantwortlichen haben versucht, die methodistische Prägung ihrer Arbeit deutlich zu bewahren. Stellungnahmen zu aktuellen Problemen, wie z. B. dem Toronto-Segen, kamen etwas zögerlich und hätten nach meinem Verständnis entschiedener ausfallen können. Hier zeigte sich ein Phänomen, das auch bei anderen Gruppierungen zu beobachten ist: Man kritisiert nicht gerne das eigene Lager. Nach einigen Jahren schienen mir allerdings die Hoffnung und der Wille, die Arbeit der Kirche als ganze zu reformieren und zu erneuern, etwas nachzulassen. Statt dessen begann man – zumindest ansatzweise – eigene Arbeitszweige aufzubauen, was insbesondere die Jugendarbeit betraf. Hier kam es zu kritischen Rückfragen nicht nur aus den Jugendwerken, sondern auch aus den Konferenzen. Immerhin gab es genug guten Willen auf allen Seiten, dass es möglich war, konstruktive Lösungen zu erarbeiten, die hoffentlich auch tragfähig sein werden. Von seinem Ansatz her stand der Arbeitskreis hier ja auch vor einem gewissen Dilemma: Sein Ziel, die ganze Kirche zu erneuern, hätte als Endziel gefordert, die eigene Arbeit möglichst überflüssig zu machen. Demgegenüber stand die Eigendynamik jeder lebendigen Organisation, die ihre Arbeit möglichst ausweiten möchte. Für manche in unserer Kirche war die Existenz eines Arbeitskreises, der nur lose in die Strukturen der Kirche eingebunden und nicht voll der zustän-

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digen Konferenz verantwortlich ist, eine ziemliche Anfechtung. Ich habe als ein Beispiel für solch ein Konstrukt immer auf den früher in der Süddeutschen Konferenz bestehenden Gesellschaftspolitischen Arbeitskreis hingewiesen, der der persönlichen Initiative seiner Mitglieder entsprang, frei arbeiten konnte (ohne von der Konferenz finanziert oder ihr gegenüber verantwortlich zu sein), aber der Konferenz berichten konnte. 3.2 Die Rolle der Kongresse Nach außen und in der Wahrnehmung der Kirche wirkte der Arbeitskreis vor allem durch seine Kongresse, die jährlich Ende Oktober in Braunfels oder Wetzlar stattfanden. Da sich dieser Termin fast immer mit der Herbstsitzung des Bischofsrates überschnitt, konnte ich keinen dieser Kongresse durchgehend besuchen. Ich war jedoch bei vielen von ihnen für ein Grußwort oder einen Vortrag anwesend und habe auch einige der Gastredner gehört. Darüber hinaus habe ich mit einer Vielzahl von Besuchern gesprochen, von denen sich keineswegs alle der charismatischen Bewegung zurechnen würden. Ich nenne solche Eigen- und Fremdbeobachtung in lockerer Reihenfolge. • Beeindruckend waren die steigenden bzw. gleichbleibenden Teilnehmerzahlen all die Jahre hindurch. Offensichtlich traf der Kongress in seiner Art auf ein Bedürfnis an geistlichem Erleben bei Menschen in unseren Gemeinden, dem sonst wenig Rechnung getragen wurde. • Unter den Besuchern gab es eine relativ große Anzahl von Menschen, die einfach den Kongress und seine Art, Spiritualität zu inszenieren und zu erleben, einmal kennen lernen wollten. Gerade sie haben die Art, wie der Kongress gestaltet wurde, überwiegend als verantwortlich und angemessen bezeichnet, auch wenn sie deswegen nicht zu ›Charismatikern‹ wurden. • Umgekehrt kamen auch Menschen nach Braunfels, die schon in sehr unterschiedlichen charismatischen Kreisen waren und für die der Kongress eine Möglichkeit bot, diese Frömmigkeit ohne Haschen nach Sensationen und in wohltuender Ordnung zu erleben. • Für viele ist einer der Hauptanziehungspunkte des Kongresses, hier echte ›Lobpreis-Kultur‹ zu erleben, ohne Rücksicht auf andere Gemeindeglieder nehmen zu müssen, denen diese Art des Singens zuwider oder jedenfalls schnell zu viel ist, aber auch ›enthusiastisch‹ sein zu dürfen, ohne in Ekstase verfallen zu müssen.

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• Die Hauptredner des Kongresses waren oft bekannte Methodisten aus Ländern außerhalb Deutschlands. Nicht alle von ihnen sind der charismatischen Bewegung im engeren Sinne zuzurechnen. Viele von ihnen repräsentieren eine evangelikal geprägte und sehr evangelistisch ausgerichtete Erweckungsbewegung mit ›charismatischen‹ Elementen. Die Einladung von Leuten wie Eddie Fox, Mvume Dandala oder Paulo Lockmann gab dem Kongress eine gewisse Weite und halfen, den Kontakt zum Weltmethodismus zu halten. • Sehr viel disparater waren wohl die Workshops. Hier machten manchmal schon die Themen den Außenstehenden nachdenklich, um nicht zu sagen misstrauisch. Ein Thema wie »Wie überlebe ich in einer geistlich toten Gemeinde« lässt befürchten, dass das Urteil über bestehende Gemeinden nicht unbedingt differenziert und vielleicht manchmal doch etwas vorschnell ausfallen würde. Das waren dann auch Anlässe, die zu Gesprächen in der Behörde für Evangelisation mit den Verantwortlichen führten. • Soweit ich es selber erlebt habe, wurde mit der Handhabung der Geistesgaben verantwortlich unter Berücksichtigung von 1 Kor 12–14 umgegangen. Sprachengebet sollte möglichst übersetzt werden, und prophetische Worte wurden von Brüdern und Schwestern geprüft, denen man die Gabe der Unterscheidung der Geister zutraute. Der Schönheit eines Sprachengesangs wird sich ja auch der nicht leicht entziehen, der nicht ohne weiteres einstimmen kann und seine eigene Erklärung für das Zustandekommen hat. • Nicht zuletzt versteht sich der Kongress als Ort des Gebets für die ganze Kirche, aber auch der Seelsorge, der Fürbitte und des Segnens für Einzelne. Diese Aufgabe wurde, soweit ich das beurteilen konnte, sehr intensiv wahrgenommen, und vielleicht waren die Augenblicke der Fürbitte für die Kirche am ehesten die Momente, wo sich Veranstalter und Teilnehmer nicht in der Distanz zu ihrer Kirche sahen, sondern sich mit ihr und ihrer Arbeit identifizierten. • So bin ich überzeugt, dass es nicht wenige Menschen waren, die auf dem Kongress entscheidende Impulse für ihr Leben erhalten haben. Gerade die Sprödigkeit der herrschenden geistlichen Kultur in unserer Kirche gegen das Bewusst- und Öffentlich-Machen tiefgreifender geistlicher Erfahrung (die aus Negativerfahrungen von Übertreibungen in der Vergangenheit entstanden ist) hat für manche den Kongress zu

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einem Ort werden lassen, wo man solche Erfahrungen machen kann (und darf). 3.3 Auswirkungen auf die Gemeinden Welche Auswirkungen haben diese Erfahrungen auf die Mitarbeit in den Gemeinden? Hier teilen die Kongresse für Geistliche Gemeindeerneuerung zunächst einmal eine gewisse ambivalente Wirkung mit anderen ›Großereignissen‹. Auch bei Leuten, die zum Kongress Junger Erwachsener oder häufig zum Kirchentag gehen, lässt sich eine unterschiedliche Reaktionsweise feststellen. Die einen sind erfüllt von neuer Motivation durch die vielfältigen Anregungen und versuchen etwas von dem, was sie erfahren oder erkannt haben, nun in die Gemeindearbeit einzubringen. Andere spüren nach solchen Erlebnissen erst, wie kümmerlich doch das Gemeindeleben zu Hause ist, und sind eher demotiviert, sich unter solchen Umständen einzubringen. Es ist nicht so leicht, ›Tabor‹-Erfahrungen oder Peak Experiences mit hinunter in den grauen Gemeindealltag zu nehmen. Im Blick auf den Kongress für Geistliche Gemeindeerneuerung ist dieses Problem eher noch verschärft, da es hier ja um die Kommunikation intensiver geistlicher Erlebnisse geht. Ich habe beobachtet: Schon wenn ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin von Braunfels zurückkehrt und davon berichtet, welche entscheidende Wende oder welche außerordentliche Vertiefung sein oder ihr geistliches Leben dort erfahren hat, ist das für die ›Daheimgebliebenen‹ nicht leicht zu verstehen. Und sehr schnell wandelt sich das Nichtverstehen in das Gefühl, in seinem eigenen ›normalen‹ Christsein angegriffen zu sein. Und in ihrer Begeisterung tun sich dann auch manchmal die ›Charismatiker‹ nicht leicht, zwischen dankbarem Bericht, werbender Zurschaustellung und andere abwertendem Stolz zu unterscheiden. So entsteht nicht selten eine Abwehrhaltung auch gegenüber Erfahrungen und Anregungen, die das Gemeindeleben bereichern könnten. Umgekehrt werden dabei Gemeinden als eine Gemeinschaft von Menschen mit unterschiedlichen Prägungen und Erkenntnissen manchmal auch überfordert. So gibt es Enttäuschungen auf beiden Seiten. Zugleich aber möchte ich dankbar feststellen, dass nicht wenige von denen, die die Kongresse besuchen, die Kraft, die sie dort geschöpft, und die Impulse, die sie dort bekommen haben, in guter Weise in die Arbeit ihrer Gemeinden einbringen und fröhlich von ihren Erfahrungen leben, ohne sie zum Maßstab für andere zu machen. 3.4 Die Existenz ›charismatischer‹ Gemeinden Mit dem eben Gesagten ist schon angedeutet, dass es sich als eine nicht einfache Aufgabe erwiesen hat, in der praktischen Gemeindearbeit charismatisch

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geprägte Spiritualität mit traditioneller methodistischer Frömmigkeit und Gottesdienstpraxis zusammen zu leben und beides in eine gemeinsame Konzeption zu integrieren. Am ehesten geht das mit einem Lobpreisteil im Gottesdienst. Viele Gemeinden, die lebendigere Gottesdienstformen suchen, die auch jüngere Menschen anziehen, haben in ihren Gottesdiensten am Anfang einen der Anbetung gewidmeten Teil, in dem auch Lobpreislieder gesungen werden. Daraus lässt sich noch nicht auf eine spezielle ›charismatische‹ Ausrichtung schließen. Kennzeichen dafür sind vielmehr die Offenheit für Geistesgaben wie prophetisches Wort und Sprachengebet. Es gibt in der EmK in Deutschland etwa ein halbes Dutzend Gemeinden, die in diesem Sinne als ›charismatische‹ Gemeinde bezeichnet werden können. Merkwürdigerweise befinden sie sich alle im Gebiet östlich von Elbe und Saale! Sie haben mit der Wirksamkeit des Arbeitskreises Geistliche Gemeindeerneuerung nur indirekt zu tun. Ihre Prägung haben sie in der Regel durch Pastoren oder Pastorinnen erhalten, die schon vor dessen Gründung durch die charismatische Bewegung beeinflusst waren. Zu einer solchen nachhaltigen Prägung ist es nicht an allen Dienstorten dieser Pastoren und Pastorinnen gekommen. Es bedurfte also offensichtlich auch einer gewissen Bereitschaft von Seiten der Gemeinde – oder zumindest einer Gruppe in ihr – sich diesen Impulsen zu öffnen. Die geistliche Umgestaltung der Gemeinden war in den meisten Fällen nicht ohne schmerzliche Umbrüche möglich. Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die diese Form von Spiritualität nicht mittragen konnten, schieden aus und schlossen sich – wo dies von den örtlichen Verhältnissen möglich war – anderen EmK-Gemeinden an. In der mündlich tradierten Geschichte dieser Gemeinden hat dies nicht selten zu einer nicht ungefährlichen einseitigen Einst- und Jetzt-Schematik geführt. Vor der Neuorientierung war die Gemeinde geistlich tot gewesen, jetzt ist sie vom Wirken des lebendigen Gottesgeistes erfüllt. Das dürfte in den seltensten Fällen der Wirklichkeit gerecht werden. Tatsächlich sind die meisten dieser Gemeinden trotz dieses ›Aderlasses‹ kräftig gewachsen – zunächst im Gottesdienstbesuch und dann auch in der Zahl ihrer Glieder. Die neuen Gemeindeglieder kommen vor allem aus zwei Richtungen: Sie sind Landeskirchler, die für ihre charismatische Spiritualität in ihrer Kirche keinen Platz finden, und es sind Mitglieder oder Freunde anderer charismatischer oder pfingstlich orientierter Gemeinden, denen die Ausrichtung ihrer bisherigen Gemeinde zu eng, zu autoritär, zu ungeordnet oder zu extrem geworden ist. Menschen aus nichtchristlichen Milieus finden auch zu diesen Gemeinden eher selten Zugang – wenn, dann sind es am ehesten Jugendliche. Fast alle dieser Gemeinden haben eine lebendige und florierende Kinder- und Jugendarbeit. In ihren Gottesdiensten nimmt Lobpreis und Gebet viel Zeit ein, der traditionelle Rahmen ist aber noch durchaus erkennbar. Auch über den

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Gottesdienst hinaus kennzeichnet eine intensive und eigengeprägte Gebetsfrömmigkeit diese Gemeinden. Die Gebefreudigkeit ist hoch, Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sind in der Regel sehr engagiert. Sie wollen bewusst EmKGemeinden sein, sind aber doch stark mit sich selbst und der eigenen Mission beschäftigt, so dass die Verbindung mit der connexio und ihren Aktivitäten eher gering ist. Pastoren und Gemeindeglieder sind allerdings wichtige Stützen für den AGG. Kommt man in die Gemeinden, ist man erstaunt, wie viele Verbindungen es in die charismatisch-pfingstlerische Szene hinein gibt, und kann nur hoffen, dass auch hier die Unterscheidung der Geister verantwortlich geübt wird. Ich habe diese Gemeinden sehr bewusst besucht und habe auch den kritischen Dialog mit ihnen gesucht. Ich war beeindruckt vom Ernst ihres Engagements und von der Offenheit für das Gespräch. Ich glaube, die Gaben und die Kraft, die Gott diesen Gemeinden geschenkt hat, können eine Bereicherung für den Dienst unserer Kirche sein, wenn sie sich nicht von der connexio abkapseln und auf die Anfragen hören, die es gibt, und sich umgekehrt auch die andern für ihr Anliegen öffnen und auf ihre Rückfragen hören.

4 Eine vorläufige Bilanz Der Versuch, diese Erfahrungen insgesamt auszuwerten, führt zu einem differenzierten Ergebnis. Ich selbst habe wichtige Impulse von den Brüdern und Schwestern der Geistlichen Gemeindeerneuerung erhalten. In Konfliktfällen habe ich die verantwortlichen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Arbeitskreises als gesprächsbereit und offen für die Suche nach Lösungen erlebt. Ich weiß, dass nicht alle die gleichen Erfahrungen gemacht haben und andere auch Abgrenzung und Verweigerung von Zusammenarbeit beklagen. Im Grunde spitzt sich die offen oder unterschwellig geführte Auseinandersetzung auf eine doppelte Frage zu: 1. Können die Schwestern und Brüder von der Geistlichen Gemeindeerneuerung erkennen und anerkennen, dass geistliche Erneuerung auch in anderen Formen geschieht als in denen, die sie selbst erlebt haben? Grundsätzlich tun sie das – aber wenn es um die Bewertungen geht, die in der Praxis ausgesprochen werden, ist das nicht immer spürbar. Das macht es dann auch schwierig, die eigenen Kräfte in die Arbeit der Gesamtkirche zu integrieren, und geneigt, eigene, parallele Veranstaltungen anzubieten. 2. Können diejenigen, die der Geistlichen Gemeindeerneuerung kritisch gegenüberstehen, erkennen, welche Sehnsucht nach wirklicher Verän-

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derung des Lebens Einzelner und der Kirche aus der Kraft des Geistes Jesu hinter deren Anliegen steckt, und aus dieser Perspektive heraus auch ihre Unzufriedenheit mit dem status quo und den permanenten Ruf zur Umkehr verstehen und respektieren? Auch hier mag man sich, solange es um den Grundsatz geht, leichter einig sein als bei der praktischen Verwirklichung. Das macht es von dieser Seite aus schwierig, Anliegen und Kräfte aus dem charismatischen Bereich aufzunehmen und mitgestalten zu lassen. Insgesamt wird man sagen können, dass die Arbeit des Arbeitskreises einer Reihe von Menschen geholfen hat, dass unsere Kirche ihnen geistliche Heimat bleiben oder werden konnte. Man kann allerdings auch auf diesem Feld beobachten, dass für manche Menschen eine einseitige Betonung ihrer besonderen geistlichen Anliegen attraktiver ist als der Versuch, eine verantwortliche Synthese zu finden. So konnte auch das Wirken des Arbeitskreises und derer, die seine Arbeit in Gemeinden und Regionen unterstützen, nicht verhindern, dass Gemeindeglieder in charismatische Gemeinden abgewandert sind. Von außen lässt sich auch sehr schwer beurteilen, ob die Verantwortlichen in solchen Gemeinden deren Anliegen gegenüber ganz verschlossen geblieben sind oder ob auch eine behutsame Öffnung dafür den Betreffenden nicht weit genug ging. In Einzelfällen wird man auch fragen dürfen, ob hinter geistlichen Themen nicht auch Machtfragen gestanden haben. Als persönliches Versäumnis sehe ich an, dass ich nicht intensiver versucht habe, der Ostdeutschen Jährlichen Konferenz zu einem sachlicheren Umgang mit den hier anstehenden Fragen zu helfen. Hier brachen in der Diskussion immer wieder Verletzungen aus der Vergangenheit auf. Vielleicht hätten wir eine Tagung veranstalten sollen, die genügend Schutzraum geboten hätte, diese Fragen zu bearbeiten, und dann auch Raum für das engagierte Gespräch über die sachlichen Differenzen hätte schaffen können. Gott wirkt unter uns auf sehr unterschiedliche Weise. Ich bin überzeugt, dass er das auch durch die Arbeit der Geistlichen Gemeindeerneuerung getan hat und tut. Und Gott wirkt überall durch Menschen, sodass das Wirken seines Geistes vermengt ist mit menschlichen Schwächen und menschlichem Versagen. Das Ziel einer Erneuerung unserer Kirche durch den Geist der Liebe bleibt uns allen vorgegeben. Die Sehnsucht danach, die seit 30 Jahren immer wieder aufbricht, ist geblieben. Wirkliche Erneuerung kann nur Gott schenken. Aber unser wesleyanisches Erbe zeigt uns, wie wir uns für Gottes Wirken öffnen können. Ich hoffe, dass wir als Menschen, die zur EmK gehören und in ihr Verantwortung tragen, dazu auch wirklich gemeinsam bereit sind.

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Der Weg des »Arbeitskreises Geistliche Gemeindeerneuerung in der Evangelischmethodistischen Kirche«. Persönliche Erfahrungen und Eindrücke Reiner Dauner Der Arbeitskreis Geistliche Gemeindeerneuerung in der EmK (AGG) hat seine geistlichen Wurzeln in den Erneuerungserfahrungen des charismatischen Aufbruchs, wie er in verschiedenen Ländern, Kirchen und Gemeinden seit Beginn der 60er Jahre geschieht. Eine Öffnung der Evangelisch-methodistischen Kirche in Europa für dieses Gedankengut wird sichtbar bei der Tagung des »Rates der Evangelisch-methodistischen Zentralkonferenzen Europas« im Oktober 1976. Bei dieser Tagung lautete das Thema »Charisma und Erneuerung der Kirche«. 1977 wurden diese Beiträge veröffentlicht, darin heißt es: Können die Kräfte des Heiligen Geistes, die in den charismatischen Gruppen aufgebrochen sind, unsere eigene Kirche aus der Erstarrung befreien? Viele unserer Glieder sehnen sich nach Erneuerung der Kirche und erbitten sie von Gott. Die charismatischen Gruppen wollen einen Weg weisen, der zur Erneuerung der Kirche führt.1

1 Der Weg bis zur staatlichen und kirchlichen Wiedervereinigung 1990 So wurden diese Themen zunächst positiv aufgenommen von etlichen Verantwortungsträgern, z. B. vom Direktor des Theologischen Seminars der EmK in Reutlingen, Dr. Walter Klaiber. Er schrieb 1976 über das Thema »Zwischen Schwärmerei und Erstarrung« mit dem Unterthema »Vom Wirken des Heiligen Geistes in unserer Kirche«.2 Und 1979 veröffentlichte Karl Heinz Voigt seinen Beitrag über »Die charismatische Grundstruktur der EmK«.3

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Charisma und Erneuerung der Kirche, hg. vom Rat der Evangelisch-methodistischen Zentralkonferenzen in Europa, Zürich 1977, 6. Walter Klaiber, Zwischen Schwärmerei und Erstarrung. Vom Wirken des Heiligen Geistes, Emk heute 21, Stuttgart 1976. Karl Heinz Voigt, Die charismatische Grundstruktur der Evangelisch-methodistischen Kirche. Ein Beitrag zum zwischenkirchlichen Gespräch, Emk heute 28, Stuttgart 1979.

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In den evangelischen Landeskirchen hielt Pastor Wolfram Kopfermann, Hamburg, Seminare ab über das Thema »Erneuerung der Kirche«,4 1980 gab es z. B. ein ökumenisches Einführungsseminar von Kopfermann, das er zusammen mit dem katholischen Theologie-Professor Heribert Mühlen5 angeboten hat. Auf diesem Seminar, das ich mit einem namhaften Freund und Pfarrer der evangelischen Landeskirche besuchte, erhielt ich die ersten Impulse zu diesem Thema »Erneuerung der Kirche durch den Heiligen Geist«. Wir waren beide zunächst skeptisch über das »Neue«, das angekündigt wurde. Aber das, was wir dort erlebten, hat uns beide überwältigt und mitgerissen: In den Kleingruppen erlebten wir z. B. echte Buße, Bekenntnis von Sünde, große Freude über die Gegenwart Gottes, sichtbare Wirkungen des Heiligen Geistes, wie z. B. Bekehrungen und Neuausrichtung des Lebens bei Menschen, die eigentlich sehr misstrauisch gekommen waren. 1982 segnete mich Heribert Mühlen mit Handauflegung bei einem Seminar auf Schloss Hirschberg, dass »Gott mich gebrauchen möge zur Erneuerung meiner Kirche«. Als Bischof Hermann Sticher mich 1984 dann fragte, ob ich das Amt eines »Beauftragten für Missionarischen Gemeindeaufbau« in der Zentralkonferenz Deutschland (West) übernehmen würde, hätte ich gerne »nein« gesagt, im Hinblick auf eine fruchtbare Gemeindearbeit in StuttgartFeuerbach (der durchschnittliche Gottesdienstbesuch lag bei 130 Personen) und mit Rücksicht auf meine Familie. Aber Gott hat mich in diesem Moment an meine Segnung auf Schloss Hirschberg erinnert – und so wollte ich Gott gehorsam sein und habe zugesagt. Bischof Sticher bejahte meine Bedingung, die ich an dieses neugeschaffene Amt stellte, nicht nur über strukturelle Veränderungen in den Gemeinden zu sprechen, sondern auch die geistlichen Akzente der charismatischen Bewegung einbringen zu dürfen. (Im Oktober 4

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Wolfram Kopfermann (Hamburg), bis zu seinem Austritt aus der Landeskirche Pfarrer der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche, danach Pfarrer der Freien Anskar-Kirche, wurde 1978 zum 1. Vorsitzenden des neugegründeten Arbeitskreises »Charismatische Gemeinde-Erneuerung in der Evangelischen Kirche« (CHARGE), später: »Geistliche Gemeinde-Erneuerung« (GGE), gewählt. Zu seinen wichtigsten Publikationen zählen: Abschied von einer Illusion. Volkskirche ohne Zukunft, Hamburg/Mainz 1991; Farbwechsel. Ein Grundkurs des Glaubens, 2000; Wir brauchen Erweckung, Haan 2002. Heribert Mühlen (1927–2006) lehrte von 1962 bis 1997 als Professor für Dogmatik und Dogmengeschichte an der Theologischen Fakultät in Paderborn. Sowohl von seiner wissenschaftlichen Arbeit wie auch von seinem außeruniversitären Engagement gingen wichtige Impulse für die geistliche Erneuerung seiner eigenen, der römisch-katholischen Kirche, und darüber hinaus, aus. Zu seinen in dieser Hinsicht wichtigsten Schriften gehören: Die Erneuerung des christlichen Glaubens. Charisma, Geist, Befreiung, München 1974; Erfahrungen mit dem Heiligen Geist. Zeugnisse und Berichte, Mainz 4 1983; Neu mit Gott. Einübung in christliches Leben und Zeugnis, Freiburg im Breisgau 4 2000 (aktualisierte Neuaufl.); Einübung in die christliche Grunderfahrung, 2 Bde., Mainz, zahlreiche Auflagen.

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1984 wurde ich dann in dieses Amt von der Zentralkonferenz Deutschland in Nürnberg gewählt.) Mein neues Amt gab mir die Möglichkeit, zunächst in Westdeutschland, dann deutschlandweit geistliche Akzente zu setzen: Fast an jedem Wochenende hielt ich Gemeindewachstumsseminare in EmK-Gemeinden. Exemplarisch erzähle ich die Erfahrung einer Gemeindewoche, die ich in unserer EmKGemeinde in Heidelberg (Februar 1986) hielt: Der Gemeindepastor erklärte mir, dass er noch nie eine Segnung angeboten hätte – aber ich sollte es wagen! Am Abschlussabend stellte ich einen Stuhl zur Segnung auf; aber der ›Ansturm‹ war so groß, dass wir eine zweite Möglichkeit (also einen weiteren Stuhl) anbieten mussten und erst um 22.45 Uhr mit den Segnungen zum Ende kamen! Noch nach 20 Jahren sprach mich ein Mann an, der sich damals hat segnen lassen und dem diese Erfahrung enorm viel bedeutet hat. Es ergaben sich viele sehr unterschiedliche Möglichkeiten in meinem Dienst, z. B. als Mitarbeiter beim Pastoren-Fortbildungs-Kurs in Reutlingen (im September 1986), dem wir das Gesamtthema gaben: »Leben aus Gottes Geist«, und der mit einem Segnungsgottesdienst abschloss; als Hauptreferent bei der Männerfreizeit im Jakob-Albrecht-Haus in Pfullingen mit 90 Teilnehmern; sowie als Referent zu dem Thema »Wege der Erneuerung im persönlichen und kirchlichen Bereich«, über das ich bei der Pastoren-Distriktsversammlung Reutlingen (im Januar 1988) sprechen durfte und das auch sehr positiv aufgenommen wurde. Welch großes Verlangen nach solchen Themen in unseren Gemeinden vorhanden war, zeigten auch die Freizeitwochenenden »Erneuerung durch den Heiligen Geist«, die wir zu dritt (Pastor Martin Waitzmann, Pastor Dieter Freund und ich) in den Jahren 1987 und 1988 in Clausthal-Zellerfeld anboten. Es konnten nicht alle Anmeldungen angenommen werden. Als wir am 24. August 1987 zu einem Clausthaler Begegnungstag einluden, kamen 280 Personen. Die Inhalte dieser Zusammenkünfte – so wurde uns berichtet – fehlten in ihren Gemeinden zuhause. Weitere Impulse brachte der John-Wimber-Kongress in Frankfurt am Main im Oktober 1987, an dem auch zehn Pastoren aus der EmK teilnahmen. Bei diesem Kongress mit dem Thema »Power Evangelism« (mit dem Untertitel: Evangelisation in der Kraft des Heiligen Geistes) wurden auch viele körperlich Kranke gesund. Mit den anwesenden Pastoren der EmK vereinbarte ich ein Treffen, an dem wir die Erlebnisse des Kongresses auswerten wollten. Ich lud ein nach Freudenstadt, wo wir vom 4. bis 6. Januar 1989 beieinander waren. In brüderlich einmütiger und geistlicher Atmosphäre gründeten wir – zunächst nur für Pastoren – den »Arbeitskreis Erneuerung durch den Heiligen Geist«,

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der heute den Namen »Arbeitskreis Geistliche Gemeindeerneuerung in der EmK« (AGG) trägt. Ich wurde damals zum Vorsitzenden gewählt. In der folgenden Sitzung der »Behörde für Evangelisation« der Zentralkonferenz (West), unter dem Vorsitz von Bischof Dr. Walter Klaiber, ging es dann um die Einbindung dieses Arbeitskreises in die Strukturen der EmK. Dies war nicht ganz einfach, da in der EmK nur demokratisch gewählte Personen in die kirchlichen Gremien kommen. Notwendig schien uns jedoch ein Wahlmodus, der die Vertretung des AGG durch einen dem Arbeitskreis auch tatsächlich angehörenden Vertreter sicherstellt. Dank der positiven Einstellung unserem AGG gegenüber und der Hilfeleistung des Vorsitzenden (Bischof Klaiber) fanden wir dann einen Kompromiss: Der AGG berichtet einmal im Jahr durch den AGG-Vorsitzenden und ein weiteres AGG-Mitglied der Behörde über seine Tätigkeiten und legt die Namensliste der Mitglieder des AGG vor.

2 Der Weg im wiedervereinigten Deutschland Im Januar 1990 – also schon bald nach der deutsch–deutschen Grenzöffnung – wurden erstmals sämtliche Pastoren der EmK in Deutschland zu einer offiziellen Tagung des AGG in das »Haus der Sieben Brüder« nach Hunoldstal (bei Frankfurt am Main) eingeladen. Dies war auch der erste offizielle Kontakt der Mitglieder der beiden Arbeitskreise Ost und West. Da der West-AGG bereits in die Strukturen der Kirche integriert war, verschmolzen die beiden Arbeitskreise zu einem Arbeitskreis. Ich wurde zum Vorsitzenden gewählt und Dieter Weigel zum stellvertretenden Vorsitzenden. Diese erste Zusammenkunft in Frankfurt war – wie dann auch die weiteren – geprägt von der Gegenwart Gottes, so dass Buße, Sündenbekenntnisse, Sprachengebet, prophetisches Reden, Gebet und Segnung füreinander sehr intensiv erlebt wurden. Leider muss noch davon berichtet werden, dass die Anfeindungen innerhalb unserer Kirche dem Arbeitskreis gegenüber immer stärker wurden, wobei es stets Einzelne waren, von denen die Ablehnung dafür um so heftiger war. Als Gründe dafür möchte ich folgende nennen: 1. Durch das Anwachsen der charismatischen Gemeinden außerhalb der EmK kam es sehr oft vor, dass Glieder unserer Kirche aus Frustration ihre EmK-Gemeinde verließen und sich diesen Gemeinden anschlossen. Dies erzeugte heftige Reaktionen bei Pastoren, weil sie uns als AGG für diese Entwicklung verantwortlich machten. 2. Bei manchen der neuen charismatischen Gemeinden (außerhalb der EmK) kam es zu Übertreibungen. Manche unserer Pastoren setzten

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uns auf dieselbe Stufe, obgleich sie unsere Zusammenkünfte noch nie besucht hatten. Wir haben jedoch immer erklärt – und dies auch so gelebt –, dass wir einen eigenen charismatischen Weg innerhalb der EmK gehen, der geprägt ist von Erfahrungen, die bereits John Wesley gemacht hat, die jedoch unserer Kirche verloren gingen. 3. Am stärksten waren die Vorbehalte dem AGG gegenüber in der Ostdeutschen Konferenz, da dort vor vielen Jahren ein Pastor des Arbeitskreises eigenmächtig Älteste eingesetzt hatte und dann aus der Kirche ausgeschlossen werden musste.6 Diese Verfehlung wurde in Gedanken von manchen tradiert und nicht vergeben. 4. Natürlich gab und gibt es auch theologische Gründe: Etliche hatten Schwierigkeiten mit Phänomenen wie Sprachengebet und prophetischer Rede! Auch die Praxis des Heilungsgebets für Kranke oder die Segnung Einzelner oder die Einladung an den Heiligen Geist erschienen manchen als unannehmbare Gaben und Aufgaben! 5. Am Anfang unseres AGG gab es auch heftige Gegenreaktionen auf die (charismatischen) ›Folienlieder‹! Inzwischen haben diese Lieder Eingang auch in viele EmK-Gemeinden gefunden, die sich nicht als ›charismatisch‹ bezeichnen würden. Meist war es die junge Generation, die gerne diese Lieder aufgegriffen hat. Der Kirchenvorstand der EmK in Deutschland (West) hat am 26. Januar 1990 beschlossen, eine »Orientierungshilfe zu Fragen der Geistlichen Gemeindeerneuerung/Charismatischen Bewegung« erstellen zu lassen. Als Zielvorgabe wurde formuliert: »Die Orientierungshilfe soll Zustimmung und Abgrenzung hinsichtlich der gegenwärtigen Bewegung beschreiben«. So wurde von dem Ständigen Ausschuss für Theologie und Predigtamt in Verbindung mit dem AGG eine Arbeitsgruppe von sieben Personen eingesetzt, die 1992 ein Heft herausgaben mit dem Thema »Viele Gaben – ein Geist«.7 Im Vorwort dieses Heftes schrieb Bischof Dr. Klaiber: »Ich wünsche unserer Kirche eine Erneuerung durch Gottes Geist, in der wir die Gaben und Aufgaben, die Kräfte und Dienste, die Gott uns gibt, erkennen und anerkennen und sie füreinander und für die Menschen in dieser Welt in Liebe leben.«8

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Siehe den Bericht von Dieter Weigel in diesem Band. »Viele Gaben – ein Geist«. Eine Arbeits- und Orientierungshilfe zur Begegnung mit der charismatischen Bewegung, emk heute 76, Stuttgart 1992. Ebd., 5.

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Ein Schwerpunkt der Arbeit des AGG wurde ein jährlich stattfindender Kongress. Damit haben wir 1991 begonnen. Der Ort Braunfels bei Wetzlar liegt ca. in der Mitte von Deutschland und hat sich als Veranstaltungsort bewährt. Sehr günstig ist, dass wir hier auch ein kircheneigenes Ferienheim – das Haus »Höhenblick« – besitzen und somit die Räumlichkeiten benutzen können. Die ersten Referenten zum Thema »Lebendige Gemeinden – treue Nachfolger« waren Dr. Walter Klaiber, Dr. Vilém Schneeberger und Dr. Paul Toaspern von der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg. Meine Mitgliedschaft bei »World Evangelism« (ein weltweites Gremium des »World Methodist Council«) brachte mir internationale Kontakte, brachte mich in Kontakt zu Bischöfen und Kirchenpräsidenten unserer weltweiten Kirche, der weltweiten methodistischen Connexio. So konnte ich 1992 zu unserem zweiten Kongress den Pastor der größten methodistischen Gemeinde der Welt aus Seoul (Korea) einladen: Dr. Sundo Kim. Er leitete eine Gemeinde mit 63 000 Mitgliedern; sein Schwerpunkt war das Thema Gebet (das Gesamtthema: Leben aus der Fülle Christi). Zum Kongress 1993 »vom Geist geboren – zu Zeugen berufen« konnte ich Bischof Paulo Lockmann aus Brasilien als Hauptreferenten gewinnen. 1994 lautete das Thema »Evangelisation in der Kraft des Heiligen Geistes«; Hauptreferent war Dr. W. R. Davies, Direktor des Cliff-College in Calver (England). Zum Thema »Erneuerung unserer Liebe« referierte 1995 Bischof Dr. Ole Borgen aus Norwegen. In den folgenden Jahren haben wir zu den Kongressen eingeladen: Johannes Facius, Dr. Eddie Fox (Direktor für Weltevangelisation, Nashville, USA), Pfarrer Friedrich Aschoff, Pfarrer Kurt Maeder (Straßburg), Bischof Lawi Imathiu aus Kenia (er war Präsident auch des World Methodist Council; während eines Besuchs bei Seminardirektor Dr. Manfred Marquardt in Reutlingen sagte er zu diesem: »Die charismatische Bewegung ist die Hoffnung der Kirche«), Keith Warrington, Hanspeter Nüesch (Campus für Christus, Schweiz), Bischof Dr. Denis Dutton (er war Bischof in Malaysia), Maria Prean (Österreich), Harald Eckert, den sächsischen Staatsminister Dr. Hans Geisler und weitere Referenten ›aus dem eigenen Lager‹. In diesem Jahr (2006) feiern wir den 16. Kongress mit dem Thema »Überrascht von den Gaben des Heiligen Geistes«. Referenten von außerhalb unserer Kirche sind Dr. Roland Werner und Pfarrer Kurt Maeder. An den Nachmittagen des Kongresses werden Workshops zu verschiedenen Themen angeboten; dabei kann auf die einzelnen Kongressteilnehmer stärker eingegangen werden. Während der Kongresse erleben wir immer wieder körperliche Heilungen, seelisches Heilwerden, Bekehrungen, Erfüllt-Werden mit dem Heiligen Geist, Sprachengebete, Sprachengesang, prophetisches Reden und auch Inspiration für den hauptamtlichen Pastorendienst. Die Einzelseelsorge spielt in jenen

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Tagen eine große Rolle und wird sehr oft in Anspruch genommen. Der Besuch der Kongresse liegt zur Zeit bei ca. 500 Teilnehmern. Eine Besonderheit unseres deutschen Arbeitskreises hat sich sehr bald herausgebildet: eine geistliche Patenschaft zu Pastoren und Gliedern unserer Kirche in der Schweiz und in Tschechien. Je ein Pastor aus diesen beiden Ländern ist ständiges Mitglied in unserem Leitungskreis des AGG. Zu unseren Kongressen reisen sie an, für die tschechischen Geschwister übernehmen wir sämtliche anfallenden Kosten in Deutschland. Auch für eine Gruppe von Pastoren aus Brasilien, die zum Kongress kamen, haben wir finanziell gesorgt und im Anschluss an den Kongress für sie eine Rundreise in Deutschland organisiert. Weitere Arbeitsbereiche des AGG sind Jugendveranstaltungen, teils als separate Veranstaltungen, teils parallel zum Kongress, teils zu anderen Zeiten. Während der Kongresse werden auch »Scoutstage« (Pfadfindertage) für Kinder angeboten; 2005 kamen dazu ca. 100 Kinder. Deutschland haben wir eingeteilt in acht Regionen, so dass Regionalleiter des AGG auch regionale Veranstaltungen durchführen können. Alle Wahlen innerhalb des Arbeitskreises werden demokratisch durchgeführt, immer während der jährlich stattfindenden Januar-Mitarbeitertagung. So wurde ich in all den Jahren als Vorsitzender bestätigt. Das Amt abgegeben habe ich mit meinem Eintritt in die Pension (2004). Besonders erwähnen möchte ich noch, dass Bischof Klaiber und das Kabinett der Süddeutschen Jährlichen Konferenz mich vor einigen Jahren zu 30% meiner Arbeitskraft für die Arbeit des AGG freigestellt haben; bezahlt wurde diese Freistellung von der Süddeutschen Konferenz. 1998 gab es in Rom eine große »Begegnung der Bewegungen«. Kardinal Ratzinger, heute Papst Benedikt XVI., sagte: »Ich erkenne in diesen Bewegungen das Wirken des Heiligen Geistes, der der Kirche neue jugendliche Frische bringt«, oder man kann es auch ausdrücken mit den Worten »ecclesia semper reformanda« (Kirche muss immer reformiert werden). Allerdings ist dies immer ein nicht einfacher Prozess, weil das Beharrungsvermögen und die Angst vor Veränderungen auch in der Kirche oft sehr groß ist. Unser Bischof Dr. W. Klaiber hat es geistlich so ausgedrückt: »Erneuerung durch den Heiligen Geist schließt die Bereitschaft zur Veränderung und Buße ein – aber diese Veränderung wird oft verweigert«. Als AGG haben wir dies immer wieder so erlebt – positiv wie negativ. Bei Beginn unserer Tätigkeit dachten wir, dass die Erneuerung des Einzelnen wie der Kirche bald wie ein Platzregen über unsere Kirche und unser Land fällt, wie es teils in Afrika und Asien geschehen ist. Dies ist so nicht eingetroffen; so halten wir uns an die Verheißung Jesu, dass der Sauerteig und auch ein Senfkorn die Kraft zur Veränderung des Ganzen in

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sich trägt, ja, dass der Heilige Geist auch heute noch die Kraft hat, Menschen und Verhältnisse zu verändern. Wir als AGG sind dankbar, im Rückblick feststellen zu können, dass durch unseren Arbeitskreis viel Segen in das Leben von Einzelnen und auch in unsere Kirche geflossen ist.

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Zur Geschichte der charismatischen Bewegung in der Evangelisch-methodistischen Kirche (Schwerpunkt: Ostdeutsche Jährliche Konferenz) Dieter Weigel Die Geschichte charismatischer Aufbrüche in verschiedenen Gemeinden der Evangelisch-methodistischen Kirche in der ehemaligen DDR (Zentralkonferenz Ost) ist aufs engste verbunden mit der charismatischen Erneuerungsbewegung innerhalb der evangelischen Landeskirchen. Darum ist es unumgänglich, zunächst einen kurzen Überblick über diese Entwicklung voranzustellen, um die entsprechenden Vorgänge innerhalb der EmK-Ost verstehen zu können.

1 Der geistliche Aufbruch in den evangelischen Landeskirchen In den sechziger Jahren vollzog sich vornehmlich innerhalb der Landeskirche Sachsens ein starker geistlicher Aufbruch, der von einigen Ortsgemeinden wie Bräunsdorf, Crimmitschau und Großhartmannsdorf ausging. Hier entstanden geistliche Zentren, die weit über ihre Region hinaus viele Pfarrer und Mitarbeiter prägten. Es bildeten sich kleine Gebets- und Seelsorgekreise überall im Land, die eine enge seelsorgerliche Gemeinschaft durch persönliches Bibellesen, Gebet, Austausch und im Praktizieren geistlicher Gaben (Sprachengebet, Prophetie und Auslegung, Heilungen und Lösung von okkulten Bindungen) pflegten. Mit den geistlichen Zentren blieben sie durch Rüstwochen für Pfarrer, Pfarrfrauen, Katecheten und Mitarbeiter und durch persönliche Seelsorge eng verbunden. Eine Führerpersönlichkeit mit starker Prägekraft war zu Beginn des Aufbruchs Pfarrer Gerhard Küttner. In seiner Zeit als Gemeindepfarrer in Sosa/ Erzgebirge kam es während des Baues der dortigen Talsperre zu einer Erweckung unter Jugendlichen. Vorausgegangen war ein Kontakt der Gemeindejugend mit der Christusbruderschaft in Selbitz während einer Rüstzeit. Eine Folge davon war, dass Sosaer Jugendliche und Gemeindeglieder ohne Einwirkung des Pfarrers mit einem Rund-um-die-Uhr-Gebet in der Dorfkirche begannen. Daraufhin kam es zu der spektakulären Bekehrung des Parteisekretärs des Ortes, der mitten in der Nacht im Pfarrhaus Sturm klingelte, um seine Sünden zu bekennen. Pfarrer Küttner wurde als Staatsfeind verhaftet und in ›Stasi‹-Gefängnisse in Aue und Zwickau verbracht. Nach der Gerichtsverhandlung wurde er mit

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Auflagen freigelassen. Er musste von der Kirche zwangsversetzt werden. Ihm wurde als Pfarrer die Dorfgemeinde Bräunsdorf bei Limbach-Oberfrohna zugewiesen. Dort kam es ab 1952 zu einem geistlichen Aufbruch in der Gemeinde. Über eine Mannschaftsevangelisation entstand ein Kreis von Christen, die in einer verbindlichen Christusnachfolge leben wollten. Er umfasste bald einen großen Teil der Ortsgemeinde. Ab 1964 fanden tägliche Gebetsabende statt, in denen Sprachengebet, Prophetie und Heilungsgaben praktiziert wurden. Aus diesem »Christusdienst« bildete sich ab 1962 eine Schwesternschaft am Ort und es entstand der »Johannesring«, eine Art Tertiärbruder- bzw. -schwesternschaft. In Bräunsdorf wurden Rüstzeiten für Pfarrer und Pfarrfrauen, Katecheten und andere kirchliche Mitarbeiter angeboten, die mit jährlich bis zu 2000 Personen einen großen Zulauf fanden. Durch sie gelangte der geistliche Aufbruch in andere Ortsgemeinden in Sachsen und Thüringen. Pfarrer Küttner verkündigte die Vision eines vom Neuen Testament geprägten priesterlichen Dienstes, die er an viele weitergab, die von ihm Seelsorge empfingen. Diese Vision seines Dienstes war ihm schon in den 50er Jahren durch eine Begegnung mit der methodistischen Gemeindeschwester Anny Kälsch vermittelt worden, die sie wiederum von ihrem Seelsorger, dem methodistischen Superintendenten Paul Riedinger, dem geistlichen Vater der Ökumenischen Marienschwestern in Darmstadt, empfangen hatte. So fließen von Anfang an geistliche Impulse methodistischer Prägung in diesen Aufbruch ein. Eine weitere prägende Persönlichkeit war Pfarrer Hans Prehn. Er hatte in seiner Ortsgemeinde in Crimmitschau durch Mannschaftsevangelisationen und Gästetagungen, welche die persönliche Lebensübergabe an Christus zum Ziel hatten, eine Gemeindeerneuerung bewirken können. Mit evangelistischen Einsätzen eines Posaunenquartetts hatte diese Arbeit schon vor dem Zweiten Weltkrieg innerhalb der Volksmission Sachsen begonnen. Über den Kontakt zur »Oxford-Bewegung« wurden »Stille-Zeit-Gruppen« mit Bibellese, Gebet und seelsorgerlichem Austausch zum Grundelement der wachsenden Bewegung. Die persönliche Beichte wurde intensiv gepflegt. Etliche Pfarrer und Mitarbeiter erfuhren eine geistliche Erneuerung, und in ihren Gemeinden entstanden Seelsorge- und Gebetsgruppen. Mit einem Hingabegebet verpflichtete sich jeder »zur regelmäßigen Teilnahme am Gottesdienst und an der Feier des heiligen Abendmahls, zur Pflege der geschwisterlichen Gemeinschaft, zum geordneten täglichen Bibelstudium und Gebet, zur verantwortlichen Haushalterschaft und zum regelmäßigen seelsorgerlichen Gespräch«.

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Ein weiteres Zentrum vor allem für Jugendliche entstand ab 1958 mit Pfarrer Christoph Richter in Großhartmannsdorf bei Freiberg/Sachsen. Während einer evangelistischen Bibelwoche erlebte die Ortsgemeinde einen Aufbruch in eine verbindliche Christusnachfolge. Über 100 Gemeindeglieder bildeten den inneren Kreis und versammelten sich in Hausbibelkreisen. Ab 1960 führte man Mannschaftsevangelisationen durch und lud zu Rüstzeiten ein. Bis zu 2 500 Personen, meist Jugendliche, kamen jährlich nach Großhartmannsdorf. 1966 bildete sich eine Brüder-Kommunität, die sich als missionarische Dienstgruppe verstand. Ein Freundeskreis, der »Philippusring«, unterstützte die missionarisch-seelsorgerliche Arbeit der Gemeinde. Ab 1965 traten auch hier Charismen wie Sprachengebet, Prophetie und Auslegung auf. Diese wurden zuerst nur im engeren Kreis praktiziert. 1972 kam es zu einer Ausweitung, und Großhartmannsdorf wurde zu einem Zentrum charismatisch geprägter Jugenderweckung. Eine ähnlich große Ausstrahlung wie die Zentren in Sachsen hatte das Julius-Schniewind-Haus in Schönebeck-Salzelmen. 1957 wurde Pfarrer Bernhard Jansa von Bischof Jänicke (Magdeburg) mit der Einrichtung und Leitung dieses Seelsorgehauses beauftragt. In diesen Dienst nahm er eine kleine Schwesternschaft »St.-Anna-Stift« aus Sonneberg mit, die aus Schlesien stammte und sich nach der Flucht in Thüringen niedergelassen hatte. Pfarrer Jansa, der ursprünglich aus der Herrnhuter Brüdergemeine stammte, hatte schon 1929 durch eine prägende Begegnung mit Friedrich Stanger, der im Geiste Johann Christoph Blumhardts des Älteren in der »Arche« in Möttlingen wirkte, eine Erfüllung mit dem Heiligen Geist erlebt und Erfahrungen mit Krankenheilung und Lösung von okkulten Bindungen gemacht. Befreiung von Sünde, Krankheit und dämonischen Mächten wurden wesentliche Elemente seiner seelsorgerlichen Arbeit, die er in das Schniewindhaus einbrachte. Unter den Gästen kam es zu zahlreichen Heilungen und zu erneuerter Christusnachfolge, aber auch zu einem heftigen Konflikt mit staatlichen Stellen, der zur zeitweisen Schließung des Hauses führte. Die kleine Schwesternschaft wuchs stark an und wurde zum Träger der seelsorgerlichen Arbeit. Charismen wie Sprachengebet, Sprachengesang, Prophetie und Heilungen brachen auf. Es bildete sich eine kleine Bruderschaft und eine große Tertiärbruderbzw. -schwesternschaft. Neben der Gästearbeit wurden ab 1966 Tagungen und Rüstzeiten für Pfarrer, Pfarrfrauen, Katecheten und Mitarbeiter angeboten und in den Ortsgemeinden Evangelisationen durchgeführt. Nach dem Tode Pfarrer Jansas führte 1967–1999 Pfarrer Dieter Blischke die Arbeit im gleichen Geiste weiter. Besonders die vielfältigen ökumenischen Kontakte machten das Schniewindhaus als geistliches Zentrum weit über die Region hinaus bekannt.

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Darüber hinaus entstanden weitere geistliche Zentren u. a. im Rüstzeitenheim Slate bei Parchim (Pfarrer Paehl und Pfarrer Rienth), im Haus der Stille in Weitenhagen (Pfarrer Polzin), im Missionarischen Dienst Südharz (Pfarrer Schröder und Pfarrer Schulz), in Bibel- und Gebetskreisen um Berlin (Dr. Paul Toaspern), in Stendal (Propst Eichenberg) und Gotha (Pfarrer Wohlfahrt). 1975 wurde der Christusdienst Thüringen als ein Tochterunternehmen des Volksmissionskreises Sachsen gegründet. Ab 1984 gab es an verschiedenen Orten »Jüngerschaftsschulen«; zuerst 1984 mit Eckhard Neumann, dann aber u. a. in Pölzig (Pfarrer Rolf Heydel) und in Guthmannshausen (Dr. Peter Fischer, katholisch). Im Sommer 1968 fand in Buckow eine Jugendrüstzeit mit Jugendwart Fritz Schröer und Jugendlichen aus der Region Karl-Marx-Stadt statt, in der es zu einem spontanen Ausbruch von Charismen (Sprachengebet und Prophetie) kam. Die Bewegung breitete sich schnell in den Jugendkreisen und Gemeinden der Ephorie Karl-Marx-Stadt aus und umfasste bald einige Hundert Jugendliche. Da Kirchenleitung und Jugendwarte diesen Ereignissen ratlos gegenüberstanden, baten sie Pfarrer Küttner um Hilfe. Er veranstaltete mit ca. 400 Jugendlichen monatlich über zwei Jahre intensive Bibelseminare. Auf diese Weise konnte die Jugendbewegung in der evangelischen Kirche gehalten und in den Gemeinden fruchtbar werden. Ähnliche Erfahrungen mit Manifestationen des Heiligen Geistes geschahen bei Jugendlichen 1969 im Schniewindhaus und 1972/73 in Großhartmannsdorf. Daraus entstanden »Jesus-Treffs« in einigen Städten der DDR. In diese Zeit fallen auch die Anfänge der »Kirchenwochen«, zuerst in Niesky-See/Lausitz (ab 1973) und dann in Mohlsdorf/Thüringen (ab 1978). In kirchlichen Ausbildungsstätten und diakonischen Einrichtungen wie in vielen Ortsgemeinden bildeten sich Jugend-Gebetskreise. Zur seelsorgerlichen Beratung und Begleitung der verschiedenen Zentren, Gemeinden und Netzwerke des charismatischen Aufbruchs trafen sich ab 1977 die geistlichen Leiter zweimal im Jahr in Borsdorf (»Borsdorfer Konvent«). Weitere Kontaktebenen bildeten der Volksmissionskreis Sachsen, die Arbeitsgemeinschaft Missionarische Dienste, die Evangelistenkonferenz und der Pfarrergebetsbund. Die Gebetskreise im Lande wurden durch Rundbriefe miteinander verbunden. Eine gemeinsame Leitung und Organisationsstruktur der verschiedenen geistlichen Zentren wurde aber nicht angestrebt. In Leipzig hatte sich bereits 1955 ein »Arbeitskreis für Theologie und Evangelisation« gebildet, der vor allem evangelikal geprägte Theologiestudenten und -studentinnen aus den Freikirchen, der Landeskirchlichen Gemeinschaft und der Volksmission verband. Der unmittelbare Anlass war eine Evangelisation von Oberkirchenrat Dr. Werner de Boor in der Leipziger Thomaskirche. Der

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Arbeitskreis wurde zuerst vom Baptisten Karsten Speck, später vom Methodisten Dieter Weigel geleitet. Er war ein Ort der Begegnung und des Gesprächs von Studenten mit unterschiedlichen Ansätzen in Theologie und Frömmigkeit. Brisante Themen wie »Entmythologisierung«, »Bekehrung und Wiedergeburt«, »Taufe und Abendmahl« oder »Geistestaufe und Geistesgaben im Neuen Testament« wurden kritisch diskutiert. Prägende Theologen des Aufbruchs wie Dr. Werner de Boor, Adolf Pohl, Bernhard Jansa u. a. wurden zu Vorträgen und Diskussionen eingeladen. Es gab enge Verbindungen von Mitgliedern des Arbeitskreises u. a. zum Julius-Schniewind-Haus (Bernhard Jansa), zur Goßner-Arbeitermission (Bruno Schottstädt), zum Lükendorfer Arbeitskreis (Johannes Cieslak, Dieter Ackermann, Dietrich Mendt) und zum Volksmissionskreis Sachsen. Der Arbeitskreis bildete über einige Jahre für evangelikale Studenten an der Universität Leipzig eine Brücke zwischen wissenschaftlicher Arbeit und evangelikal-charismatischer Frömmigkeit. Einige Leiter wie Dieter Blischke, Werner Kluge u. a. sind aus diesem Arbeitskreis hervorgegangen. Andere mussten wegen Bedrängung durch die ›Stasi‹ das Land verlassen und studierten im Ausland weiter. Wieder andere arbeiteten als ›Arbeiterpriester‹ in sozialistischen Großstädten (Hans Kühn in »Schwarze Pumpe«). Das Spektrum an Theologie und Frömmigkeit war sehr breit. Von 1956 bis 1959 hielt Werner de Boor, auf Einladung des Arbeitskreises in Leipzig Studenten-Evangelisationen. Im Sommer 1957 kam es zu einem geistlichen Aufbruch, der weit über den Arbeitskreis hinausging. Es entstand der »Studenten-Bibelkreis« (Wolfgang Bilz). Mit täglichen Gebetszeiten, wöchentlichen Bibelabenden und vielen Seelsorgen führte er bei etlichen Studenten zu einer geistlichen Erneuerung, aber auch zu Konfrontationen mit der Theologischen Fakultät. Mit Dr. Werner de Boor, blieb dieser Aufbruch besonders eng verbunden.

2 Die Anfänge der charismatischen Bewegung in der Evangelisch-methodistischen Kirche in der Zentralkonferenz Ost vor der Wende Zu den ersten Kontakten von Methodisten zur charismatischen Gemeindeerneuerung in der DDR gehörte, wie oben beschrieben, die Begegnung von Gemeindeschwester Anny Kälsch mit Pfarrer Gerhard Küttner. Es waren dann zuerst methodistische Laienmitarbeiter, die in Bräunsdorf und im Schniewindhaus an Rüstzeiten teilnahmen und in persönlicher Seelsorge eine grundlegende Erneuerung ihres Lebens erfuhren. Zu ihnen gehörten die Laienprediger Ernst Günther in Schneeberg und Herbert Langefeld in Netzschkau. Um sie herum bildeten sich Gebets- und Seelsorgekreise.

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Durch sie wurden ihre Gemeindepastoren auf den Aufbruch hingewiesen und nahmen in den 60er Jahren an Pfarrerrüstzeiten teil. Zu ihnen gehörten u. a. Pastor Manfred Döbrich, Triebes – Manfred Gottschald, Reinsdorf – Manfred Kubig, Sonneberg – Eberhard Luderer, Großdeuben – Martin Mädler, Schönheide – Max Nestler, Greiz – Rolf Ringeis, Zschorlau – Martin Tschuschke, Eberswalde – und Dieter Weigel, Zeitz. Sie erfuhren in Bräunsdorf und im Schniewindhaus eine tiefgreifende und ihren Dienst prägende Erneuerung ihres geistlichen Lebens. Dasselbe gilt auch für einige Pastorenfrauen. Es war folgerichtig, dass sich diese Brüder bereits am 1. 6. 1967 in Großdeuben bei Leipzig zum ersten Mal und ab Frühjahr 1969 dann regelmäßig ca. alle sechs bis acht Wochen trafen und eine verbindliche Bruderschaft bildeten. Dieser »Bruderkreis« (sog. »Schwarzer Konvent«) innerhalb der EmK-Ost bildete über viele Jahre das geistliche Rückgrat der charismatischen Gemeindeerneuerung. Öfters nahmen auch Pastorenfrauen und Mitarbeiter aus den Gemeinden an diesen Zusammenkünften teil. In gemeinsamer Bibellese und im Hören auf Gott, im Austausch und im Lobpreis wurde Geschwisterschaft gelebt. Persönliche Sünde wurde aufgedeckt, bekannt und Vergebung zugesprochen. Die Nöte und Lasten des Dienstes, aber auch seine Freuden wurden mitgeteilt und in der Fürbitte vor Gott gebracht. Es gab Ermahnung und Korrektur untereinander, aber auch Tröstung und Segnung. Sprachengebet, Sprachengesang und Prophetie in Worten und Bildern wurden empfangen und ausgelegt. Die Fürbitte für die eigene Kirche und die Gemeinden wurde dabei nie vergessen. Wir versuchten uns in priesterlichem Dienst und persönlicher Hingabe unter die Last unserer Kirche zu stellen und beteten, hofften und glaubten für eine grundlegende Erneuerung an Haupt und Gliedern. Zum Abschluss feierten wir miteinander das Abendmahl. In einigen Gemeinden entstanden Gebets- und Seelsorgekreise, die von Bräunsdorf, Crimmitschau und Großhartmannsdorf, vom Schniewindhaus oder anderen geistlichen Zentren geprägt waren. Dort, wo der Gemeindepastor selbst die Kreise leitete oder ihnen zumindest offen gegenüberstand, konnten die Gruppen wachsen und sich in die Arbeit der Ortsgemeinden einbringen. Nicht selten bildeten sie den geistlichen Kern und stellten die aktivsten Mitarbeiter. Durch die geistliche Erneuerung kam es oft auch zu wachsender missionarisch-seelsorgerlicher Arbeit nach außen. Vom 23. bis 28. 2. 1969 lud Pastor Dieter Weigel zu einer Mannschaftsevangelisation in die EmK-Gemeinde Zeitz ein. Die Pastoren Manfred Gottschald, Eberhard Luderer, Max Nestler und Dieter Weigel, Pastorenfrau Friede-Renate Weigel, Gemeindeschwester Ilse Sumpf, Gemeindehelferin Gylfa

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Schneider, Laienprediger Herbert Langefeld und die Mitarbeiterin der Volksmission Sachsen Anni Mittenzwei nahmen als Mitarbeiter teil. Gemeinsam wurde auf Gott gehört, auf den Straßen eingeladen und am Abend verkündigt. Es gab einen geistlichen Aufbruch in der Gemeinde mit viel Seelsorge. Daraus entstand ein Gebets- und Seelsorgekreis von ca. 20 Personen. Kinderarbeit und Freundeskreis der Gemeinde wuchsen. Gemeinsam wurden Anfechtungen einzelner Glieder im Gebet durchgetragen. Eine Spaltung der Gemeinde fand nicht statt, obwohl nicht alle Gemeindeglieder am geistlichen Aufbruch beteiligt waren. Weitere Mannschaftsevangelisationen in anderen Gemeinden folgten. Wichtig war für viele Pastoren und Laienmitarbeiter, dass sie an ähnlichen Aktionen des Volksmissionskreises Sachsen teilnehmen und geistliche Teamarbeit einüben konnten. 1976 gab die Generalkonferenz der United Methodist Church (UMC) nach einer umfassenden Untersuchung ein Grundsatz-Dokument zum Verhältnis der United Methodist Church zur charismatischen Bewegung heraus, welches den geistlichen Aufbruch in vielen Ländern vorsichtig positiv beurteilte. Es enthielt eine Reihe von praktischen Ratschlägen für ein konstruktives Miteinander von charismatisch geprägten Christen in methodistischen Gemeinden. In der EmK-Ost kam es aber immer mehr zu Verdächtigungen und Ausgrenzungen der charismatisch geprägten Pastoren und Mitarbeiter. Sie wurden beschuldigt, eine Parallelstruktur in der EmK aufbauen zu wollen. Ihren Umgang mit neutestamentlichen Charismen legte man als Schwärmerei aus und vertrat den Standpunkt, die im Neuen Testament aufgeführten Charismen seien erloschen und heute auch nicht mehr erforderlich. Im Hintergrund wurde in Erinnerung an die in den 20er Jahren erfolgte Abspaltung der sog. »ElimGemeinden« von der damaligen Methodistenkirche eine neue Spaltung der EmK heraufbeschworen. Ältere Pastoren waren darum als ›gebrannte Kinder‹ ängstlich, wenn es um den Gebrauch von Charismen ging. Jüngere Pastoren nahmen oft eine Antistellung ein, weil sie sich als Wächter ›richtiger Theologie‹ verstanden. Die Auseinandersetzungen machten sich vor allem an der unterschiedlich geprägten Jugendarbeit fest. Mit der Versetzung von Friede-Renate und Dieter Weigel nach Tabarz/Thüringer Wald begannen in dem kleinen Rüstzeitheim der EmK ab 1972 charismatisch geprägte Jugendrüstzeiten. In ihnen wurden durch Seelsorge und Entscheidung zu neuer Hingabe an Jesus Christus viele Jugendliche in ihrem Glauben erneuert. Jährlich fanden bis zu acht Jugendrüstzeiten mit ca. 30 Jugendlichen statt, die immer voll belegt waren.

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Die Jugendlichen aus EmK-Gemeinden, die sich in ihren Gemeinden zu Gebetskreisen versammelten, wollten sich mit der üblichen kirchlichen Jugendarbeit nicht mehr zufriedengeben. Da aber das Jugendwerk der EmK-Ost diese Frömmigkeit nicht akzeptierte und außerdem den Anspruch erhob, für die Jugendarbeit in der EmK-Ost allein zuständig zu sein, wurde hart gestritten. Die Gemeindepastoren, welche die evangelikal-charismatisch geprägte Jugendarbeit begleiteten, beriefen sich darauf, dass jede Ortsgemeinde das Recht hat, Rüstzeiten in ihrer Gemeinde zu veranstalten. Der Theologische Ausschuss der JKO versuchte in Konsultationen diese Differenzen zu klären, allerdings ohne Ergebnis. Besonders die Pastoren Eberhard Luderer, Gottfried Fischer und Winfried Herschel wurden in den Sitzungen der Jährlichen Konferenz scharf angegriffen. In Mecklenburg hatten die Pastoren Winfried Herschel und Eduard Riedner 1969 mit Jugendrüstzeiten in Retgendorf und Graal-Müritz begonnen. Von 1975 bis 1986 kam es zu geistlichen Aufbrüchen mit Bekehrungen, Befreiungen und Heilungen und zum Aufbruch von Charismen. Das offizielle Jugendwerk befürchtete eine Spaltung und versuchte diesen Aufbruch zu verhindern. Es gelang aber nicht. Die Jugendlichen brachten sich vielmehr aktiv in die Rüstzeitenarbeit und die Gemeinden ein. Winfried Herschel hatte 1977 bei einer Pfarrertagung im Schniewindhaus eine grundlegende Erneuerung seines Lebens und eine neue Vollmacht seines Dienstes erfahren. Mit seiner Versetzung 1978 nach Zittau begann er trotz anfänglichen Widerstandes durch Gemeinde und Kirchenleitung eine wachsende missionarische Arbeit vor allem unter Suchtgefährdeten. Gemeindeglieder und Kirchenfremde sammelten sich ab 1983 im »Arbeitskreis für missionarischen Gemeindebau«. Bis 1988 wurden über 50 neue Glieder in die Gemeinde aufgenommen. Auch in Wismar begann Frieder Weinhold mit einer charismatisch geprägten Jugendarbeit, die sich nach der Wende mit dem Sozialwerk der Albanienhilfe verband. Eine weniger anstößige und von der EmK unterstützte Arbeit begann nach der Zentralkonferenz 1964 in der Nachfolge des methodistischen Evangelisten Stanley Jones mit der Durchführung von Ashrams. Sie umfassten damals tägliche Bibel-Meditationen, persönlichen Austausch geistlicher Erfahrungen und ein ununterbrochenes Gebet, in dem sich die Teilnehmer der Gruppe stündlich ablösten. Pastor Wolfgang Hammer führte sie bei seinen Besuchen in Gemeinden der DDR ein und Pastor Manfred Gottschald betreute sie über etliche Jahre. Die Ashramarbeit war für ihn auch der Anstoß, in vielen Einkehrtagen und Gebetsrüstzeiten Zum Gebet einzuladen und Gebetsschulungen in den Gemeinden durchzuführen.

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Zahlreiche Gebetskreise entstanden und wurden durch einen Gebetsbrief miteinander vernetzt. Diese Arbeit wurde von der EmK trotz mancher Kritik weitgehend unterstützt. Höhepunkte der Gebetskreisarbeit waren regelmäßige und gut besuchte Gebetstage zweimal im Jahr. Auch zahlreiche Jugendrüstzeiten fanden unter seiner Leitung in den Gemeinden statt. Mit den charismatisch geprägten Gemeinden und Gebetskreisen der evangelischen Landeskirche ergaben sich an vielen Orten enge Kontakte. Man kam in regionalen Pfarrerkonventen zu »Stiller Zeit« und zum geistlich-seelsorgerlichen Austausch zusammen. Über Bräunsdorf, Großhartmannsdorf, Crimmitschau und das Schniewindhaus wurden Kontakte geschlossen und gepflegt. In diesen Konventen wurden kirchentrennende Unterschiede klein und das gemeinsame Leben groß erlebt. Im Unterschied dazu verschärften sich die Angriffe innerhalb der EmKOst auf die Geschwister im »Bruderkreis« und in den Gebetskreisen. Teilweise kam es zu erzwungenen Versetzungen, um den ›gefährlichen‹ charismatischen Trend einer Gemeinde zu beenden. Bei den Sitzungen der Jährlichen Konferenzen wurde heftig polemisiert. Besonders die Seelsorge mit okkult Belasteten wurde zum Streitpunkt. Einige Pastoren waren nahe daran, die EmK zu verlassen. Sie blieben aber, um das von Gott begonnene Werk nicht zu gefährden. 1982 wurde durch die Jährliche Konferenz Ost ein Disziplinarverfahren gegen Pastor Eberhard Luderer eröffnet, das mit seiner Suspendierung vom Dienst als Pastor endete. Er hatte unter Umgehung der Kirchenordnung in der Gemeinde Markneukirchen ähnlich wie in Bräunsdorf ›Älteste‹ eingesetzt. Da er trotz vieler Gespräche und Ermahnungen auch des Bruderkreises nicht bereit war, seine Entscheidung zurückzunehmen, wurde er vom Pastorendienst suspendiert. Pastor Eberhard Luderer war ein begabter Evangelist und Seelsorger. Er und seine Frau waren eng mit der Arbeit von Pfarrer Küttner in Bräunsdorf verbunden. In Jugendrüstzeiten und Evangelisationen sind viele Menschen durch ihn zum lebendigen Glauben gekommen. Mit Pastor Rolf Ringeis, Pastor Manfred Gottschald, Pastor Max Nestler und Pastor Dieter Weigel war er einer der Gründer des Bruderkreises und eine Leitfigur der Gemeindeerneuerung in der EmK. Zuletzt geriet er unter den Einfluss von Personen außerhalb der EmK und verlor immer mehr den Kontakt zum Bruderkreis. Nach seinem Ausscheiden aus der EmK gründete er mit seiner Frau eigene Hauskreise, in denen man nach strengen Regeln die Nachfolge Christi leben wollte. Das Ausscheiden Eberhard Luderers aus der EmK und seine Weigerung, sich durch den Bruderkreis korrigieren zu lassen, führte zu einer Verunsicherung innerhalb der Gemeindeerneuerung. 1988 wagte der Bruderkreis einen Neuanfang. Vom 1. bis 4. März kamen etliche Pastoren (Michael Döbrich,

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Gottfried Fischer, Thomas Fritzsch, Winfried Herschel, Martin Kappaun, Manfred Kubig, Max Nestler, Dieter Weigel, Albrecht Weißbach, Harald Windsheimer) und ein Laienmitarbeiter (Herbert Langefeld) zu einer Klausur in der Herrnhutersiedlung Ebersdorf zusammen, um neu auf Gottes Führung und Weisung zu hören. Im hörenden Gebet und durch prophetische Weisungen wurde eine neue Perspektive des Dienstes geschenkt. Für den bisherigen »Bruderkreis« wurde die Bezeichnung »Arbeitskreis für geistliche Gemeindeerneuerung« gewählt. Im Auftrag des neu gegründeten Arbeitskreises teilten die Pastoren Gottfried Fischer, Max Nestler und Dieter Weigel in einem Brief Bischof Dr. Minor die Gründung des Arbeitskreises mit und baten ihn um ein klärendes Gespräch. Sie teilten ihm mit, dass wir in unserer Kirche bleiben und dem Herrn in ihr durch unsere Hingabe und mit unseren geistlichen Gaben und Erfahrungen dienen möchten. Vorausgegangen war ein Brief des Bischofs, in dem er seine Ablehnung und schwere Bedenken gegen diese Arbeit innerhalb unserer Kirche zum Ausdruck gebracht hatte. Das Gespräch mit dem Bischof fand kurz darauf in Burkhardtsdorf statt. Eine Anerkennung der charismatisch geprägten Arbeit innerhalb der JKO konnte nicht erreicht werden. Sie blieb weiterhin am Rande der kirchlichen Legalität. Immer wieder wurden Pastoren des Arbeitskreises vor Gremien der OJK vorgeladen und ermahnt, ihre Aktivitäten einzustellen. Auf Wunsch des Arbeitskreises fand ein Informationstag mit Pastoren und Mitarbeitern in Zwickau statt, an dem sich der »Arbeitskreis für Geistliche Gemeindeerneuerung« mit seinen Anliegen vorstellen wollte. Es kam zu heftigen Angriffen mit den bekannten Vorwürfen der Parallelstruktur und Kirchenspaltung. Die Vorwürfe gegen die charismatisch geprägten methodistischen Pastoren und Mitarbeiter gipfelten in dem Satz des Bischofs: »Ihr habt unsere Kirche nicht lieb!« Ermutigung und Tröstung erfuhren die Glieder des Arbeitskreises in dieser Zeit der Verdächtigungen und Ausgrenzungen durch ein Netz der Seelsorge und des Gebets, das viele Pastoren und Laien miteinander verband. Wichtig war auch ein Treffen mit dem methodistischen Kinderarzt Paul Dakin, London im November 1990, der uns durch seine prophetischen Worte sehr ermutigte.

3 Der Fortgang der charismatischen Bewegung in der Evangelisch-methodistischen Kirche in der Ostdeutschen Jährlichen Konferenz nach der friedlichen Revolution 1985 wurde Pastor Eduard Riedner in die Gemeinde Dresden-Emmaus versetzt und konnte bald eine wachsende charismatisch geprägte Gemeinde auf-

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bauen. Ab 1992 wuchs sie vor allem durch Christen, die aus anderen Kirchen und Gemeinden kamen und ihre Art der Frömmigkeit mitbrachten. Einige Gemeindeglieder gingen daraufhin in andere methodistische Gemeinden Dresdens. Bedenklich war von Anfang an, dass in dieser Gemeinde entgegen der Kirchenordnung die Wiedertaufe praktiziert wurde. So bestimmten bald nichtmethodistische Einflüsse und Mitarbeiter die Gemeinde. Ihre charismatisch geprägten Gottesdienste machten sie einerseits für viele Christen anziehend, andererseits isolierten sie die Gemeinde innerhalb der EmK. Pastor Eduard Riedner war oft heftigen Angriffen aus den Reihen der Pastoren ausgesetzt, aber das erstaunliche Wachstum der Gemeinde konnte es nicht aufhalten. Durch Kontakte in die ökumenische charismatische Bewegung wurde sie ein Sammlungsort für charismatisch geprägte Christen in Dresden und Umgebung. Auch im Arbeitskreis der Geistlichen Gemeindeerneuerung nahm Dresden-Emmaus eine Sonderstellung ein. Als Pastor Eduard Riedner 2001 in den Ruhestand ging und Pastor Gottfried Fischer dorthin versetzt wurde, kam es zu heftigen Auseinandersetzungen mit dem Vorstand der Gemeinde und Pastor Eduard Riedner, die 2002 zur Versetzung von Gottfried Fischer führten. Der Gemeindevorstand hielt an der eigenen Prägung in Verbindung mit einer Leitungskompetenz von Pastor Eduard Riedner fest. Dieser schied 2002 aus dem Arbeitskreis für Geistliche Gemeindeerneuerung aus. In Zeitz kam es mit der Versetzung von Pastor Winfried Herschel in diese Gemeinde zu einem neuen geistlichen Aufbruch. In Pfingst- und Silvesterrüstzeiten und in Verbindung mit der Kirchenwochenarbeit wurden viele missionarische Aktionen durchgeführt, die zu einem Wachstum der Gemeinde und zu neuen Gebets- und Seelsorgekreisen führten. Einzigartig war in dieser Gemeinde das tägliche Frühgebet. Charismen wurden auch im sonntäglichen Gottesdienst praktiziert. In Zittau wurde 1990 unter der Leitung von Laienprediger Frank Ufer und Team die charismatisch geprägte Arbeit mit Suchtkranken und mehrfach Behinderten in einen eigenen Verein »come back e. V.« überführt, der mit Hilfe staatlicher Förderung zahlreiche Häuser und Beratungsstellen für Suchtgefährdete in der ganzen Region einrichten konnte. Zu den Gründungsmitgliedern gehörten fünf Ehepaare der Geistlichen Gemeindeerneuerung (Irmgard und Frank Ufer, Helga und Dieter Klapper, Gerlinde und Christian Zimmermann, Erika und Reinhold Tschipke sowie Adele und Giesbert Mücke). Vorangegangen war die jahrelange engagierte Arbeit der Ehepaare Herschel und Ufer in Zittau.

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Dieter Weigel

1986 war durch Initiative von Gotthard Fritzsch, Frank Ufer und Dieter Weigel die »Arbeitsgruppe Suchtkrankenhilfe in der OJK« gegründet worden. Zu den sozialtherapeutischen Diensten in der Prävention und Grundversorgung Suchtkranker in Zittau und Umgebung wird ab 2006 mit dem »Lebenszentrum Gilead« ein Haus der Stille und Seelsorge hinzukommen. »Uns ist es wichtig, die Anfänge unserer Arbeit erneut aufzugreifen und dem Verein nach 15 Jahren Bestehen mit diesem Haus einen unverzichtbaren Baustein hinzuzufügen.« Bereits vor der Wende hatte es persönliche Kontakte zwischen charismatisch geprägten Pastoren und Laien der EmK in Ost und West gegeben. Im Januar 1989 wurde in der Zentralkonferenz West der »Arbeitskreis Geistliche Gemeindeerneuerung in der EmK« gegründet. Er war aus ökumenischen Kontakten und aus Seminaren »Erneuerung durch den Heiligen Geist« der Pastoren Dieter Freund und Reiner Dauner erwachsen. Dem Arbeitskreis gehörten eine Anzahl von EmK-Pastoren aus allen drei westdeutschen Jährlichen Konferenzen an, die sich offen zur Geistlichen Gemeindeerneuerung bekannten. Das führte dazu, dass der Arbeitskreis 1989 als offizielle Einrichtung der EmK anerkannt und in die kirchlichen Gremien eingebunden wurde. Eine Konfrontation der EmK mit ihren charismatisch geprägten Pastoren und Mitarbeitern konnte weithin vermieden werden. 1991 kam es zu einer ersten Begegnung der beiden Arbeitskreise Ost und West. Bei einer zweiten Begegnung im Frühjahr 1992 wurde in brüderlichen Gesprächen und mit Gebet und Segnung eine Vereinigung der beiden Arbeitskreise zu einem »Arbeitskreis für Geistliche Gemeindeerneuerung innerhalb der EmK« beschlossen. Reiner Dauner wurde zum Vorsitzenden und Dieter Weigel zum stellvertretenden Vorsitzenden des neuen Leitungskreises gewählt. Schon 1990 und dann jährlich kam man zu einer Konferenz der Geistlichen Gemeindeerneuerung für Gemeindeglieder, Mitarbeiter und Freunde in Braunfels bei Wetzlar zusammen.

4 Der Aufbruch unter der Jugend nach der Wende Gleich nach der Wende kam es im Osten zu einem erstaunlichen Aufbruch unter der Jugend. 1991 hatte Friede-Renate Weigel in Bad Klosterlausnitz durch Gespräche im Zug einige kirchenfremde Jugendliche kennengelernt, die nach Sinn und Orientierung suchten, und sie in ihre Wohnung eingeladen. Daraus entwickelte sich der »Montagskreis« von etwa 10 bis 15 Jugendlichen in Bad Klosterlausnitz. Über Oster- und Silvesterrüstzeiten in Tambach-Dietharz und in einigen EmK-Gemeinden entfaltete sich eine ständig wachsende seelsorgerliche Jugendarbeit innerhalb der EmK, die bald auch

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charismatische Erfahrungen machte. Geleitet wurde sie zunächst von FriedeRenate Weigel und einigen Jugendmitarbeitern aus Saalfeld, Schmalkalden, Erfurt, Zwönitz und Berlin-Oberschöneweide. Zeitweilig arbeiteten weitere Pastoren in der Leitung mit (Burkhardt Hübner, Berlin – Gottfried Fischer, Greiz – Enrico Rohringer, München – Friedemann Trommer, Waltersdorf). Neben einer jährlichen großen Sommerrüste fanden Mitarbeiterrüstzeiten und Silvesterrüstzeiten statt. Sie wurden von vielen Jugendlichen mit wachsender Tendenz besucht. »Wir waren immer unschlagbar billig, hatten aber nie Probleme, dass das Geld nicht gereicht hätte.« Zur ersten »Jugend-Bibelwoche« kam es im Sommer 1993 im EmK-Selbstversorgerhaus in Untersteinbach/Franken mit 35 Teilnehmern. Weitere am gleichen Ort folgten 1994 (51 Teilnehmer) und 1995 (74 Teilnehmer). Von 1996 bis 1998 wechselte man auf Grund der sich ausweitenden Teilnehmerzahlen (1996: 84 Teilnehmer) in die Jugendherberge Schwarzburg/Thüringen, ab 1999 in das EmK-Selbstversorgerhaus in Tambach-Dietharz. In diesen Rüstzeiten kam es zu vielen Einzelseelsorgen mit Befreiungsdiensten, inneren Heilungen und einer Erneuerung des Lebens. Im Mittelpunkt stand die lebendige Erfahrung des rettenden und erneuernden Gottes im Heiligen Geist und die erneuerte Hingabe an ihn. 1996 beendeten Friede-Renate Weigel (inzwischen Pastorin in Schmalkalden) und später auch Pastor Friedemann Trommer ihre Mitarbeit im Leitungsteam. Sabine und Enrico Rohringer, München (1995/96), und Pastor Gottfried Fischer, Greiz (1997–1998), begleiteten die Jugendarbeit. Ab 1999 lag die Leitung allein bei den Jugendmitarbeitern und es fanden bei abnehmenden Teilnehmerzahlen (1999: 31 Teilnehmer) nur noch Mitarbeiter-Tage und Silvesterrüstzeiten statt. Silvesterrüstzeiten gab es ab 1991/92 in jedem Jahr und sie waren meist überbelegt. Man ging in EmK-Gemeinden, wo Pastoren und Gemeindevorstände die Türen offen hielten, oder versammelte sich in EmK-Freizeitheimen. Die Leitung lag meist bei Friede-Renate Weigel und einem Leitungsteam. Beeindruckend an diesem Aufbruch war die starke Orientierung der Mitarbeiter an biblischen Themen und Texten. Obwohl auch charismatische Erfahrungen gemacht wurden, bestimmten sie doch nie die Ausrichtung der Bibelwochen. Manche ›typischen‹ Manifestationen des Heiligen Geistes (Heilungen – Sprachengebet – Auslegung – Prophetie) kamen eher sporadisch vor. Der Schwerpunkt lag mit dem Hören auf Gott in den »Stille-Zeit-Gruppen«, in Gebetszeiten, Bibelarbeiten und in der Hinführung zur Seelsorge. Auf einem Vorbereitungstag am 21. 2. 1998 wurde das Selbstverständnis dieser Arbeit so formuliert: »Wir wollen primär keine ›charismatische‹ Freizeit sein, sondern Leute befähigen, als Diener Christi zu leben. Geistesgaben sollen

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nicht vom Thema her im Vordergrund stehen, sondern auf natürliche Weise gebraucht werden. Ein einziges Thema: Jesus!« Die Mitarbeiter verstanden sich selbst als eine missionarisch-seelsorgerliche Ergänzung zur Jugendarbeit in der EmK und waren fest entschlossen, in dieser Kirche zu bleiben. Sie ermutigten die Jugendlichen, sich auch in ihren EmKOrtsgemeinden bzw. Jugendkreisen aktiv einzubringen. Sie suchten Pastoren der EmK als geistliche Leiter und Berater und anerkannten ihre Autorität. In der Spätphase des Aufbruchs kam es zu internen Auseinandersetzungen im Leitungkreis. Sabine Rohringer und später auch Friedemann Trommer schieden aus dem Leitungskreis aus. Als in dieser Zeit (1995–96) charismatische Erfahrungen (Toronto-Segen) zu sehr in die Mitte rückten, erwies es sich als hilfreich, dass der Leitungskreis an klarer biblischer Begründung festhielt. Die Mitarbeiter hielten auch daran fest, als Laien diese Arbeit verantwortungsvoll mitgestalteten, und schufen dafür entsprechende Strukturen. Ab 1994 wurden die Jugendbibelwochen in einem oder mehreren Vorbereitungstreffen gründlich vorbereitet. Daran konnten alle Jugendlichen teilnehmen, auch über den Leitungskreis hinaus, und ihre Vorstellungen einbringen. Eine elitäre Leitungsstruktur wurde abgelehnt. Charakteristisch in diesen Vorbereitungstreffen war ein intensives »Hören auf Gott«. Die »Stille-Zeit-Gruppen« waren enorm wichtig. Man wollte sich in allen Dingen Gottes Führung unterstellen. Hier wurden (zunehmend auch in Worten und Bildern) die Impulse für die Gestaltung des Tagungsprogramms empfangen und an der biblischen Grundlage geprüft. Die Stoßrichtung der Bibelwochen war die Vermittlung oder Erneuerung eines lebendigen Glaubens an Jesus Christus. Einzel- und Gruppenseelsorge wurde in vielfältiger Weise angeboten und genutzt. »Innere Heilung« war und blieb ein Schwerpunkt bei allen Rüstzeiten. Schon zum Beginn der Arbeit 1993 heißt es: »Es wird darum gehen, dass unser Verhältnis zu Jesus geklärt werden soll, wir uns von ihm beschenken und neu senden lassen«. Dazu dienten auch die Agape- und Abendmahlsfeiern bei jeder Bibelwoche und Rüstzeit und ausführliche Gebetszeiten. Gesucht wurde nach einer Gemeinde »nach dem Herzen Gottes«. Die Werbung lief lange Zeit nur über Mundpropaganda. Die zeitweilig harte Konfrontation mit dem offiziellen Jugendwerk der OJK konnte die Arbeit nicht hemmen. Sie bestätigte nur, dass es ein geistliches Defizit gab, welches durch das EmK-Jugendwerk nicht gefüllt werden konnte. Der ständige Vorwurf, Parallelstrukturen aufbauen zu wollen, war unbegründet und nur aus einem seltsamen Konkurrenzdenken heraus zu erklären. Trotz vieler Versuche der Klärung kam es nicht zu einer wirklichen Zusammenarbeit. Das lag vor allem an den großen inhaltlichen Unterschieden in der Zielsetzung der

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Jugendarbeit in der EmK. Zunehmend wurde dem Leitungskreis durch die Ablösung der Pastoren als Leiter die intensive Zurüstung der Mitarbeiter wichtig. Dabei galt jeder Jugendliche, der die Bibelwochen besuchte, als potentieller Mitarbeiter. Als die »Massenbewegung« abebbte, wurde eine Neuausrichtung des geistlichen Lebens angestrebt. So heißt es: »Missionarische Ausrichtung der Arbeit ist schwerpunktmäßig nicht dran!« Warum ist dieser geistliche Aufbruch unter der Jugend innerhalb der EmKOst nach wenigen Jahren zu Ende gegangen? Eine Ursache: Die Jugendbibelwochen lebten davon, dass es im Leitungskreis ›mitreißende‹ Mitarbeiter gab, die gut mit Jugendlichen umgehen konnten. Einige dieser Pastoren und Mitarbeiter schieden Mitte der 90er Jahre aus verschiedenen Gründen aus (Studium z. T. im Ausland, Heirat, berufliche Beanspruchung und auch inhaltliche Differenzen). Dadurch erfolgte eine ›Ausdünnung‹ des Leitungskreises, zum Teil auch eine Verlagerung auf zu spezielle geistliche Themen (1998: »Vorsicht: heilig!«). Einige EmK-Jugendkreise, die sich zuvor an den Jugendbibelwochen beteiligt hatten, führten in ihren Gemeinden eigene Silvesterrüstzeiten und Sommerrüstzeiten durch, die ein breiteres Spektrum der Jugendlichen erfassten. Viele Jugendliche sind durch die Jugendbibelwochen zu treuen und lebendigen Mitarbeitern in ihren Ortsgemeinden geworden. Für sie war es eine wichtige und prägende Zeit. Andere haben sich enttäuscht vom Glauben abgewandt und haben einen Bruch nicht nur mit der charismatischen Frömmigkeit, sondern mit dem Glauben überhaupt vollzogen. Mit der Einrichtung der »Konferenzen für Geistliche Gemeindeerneuerung innerhalb der EmK« in Braunfels ab 1990 fanden viele Jugendliche dort eine geistliche Heimat. So war eine Vernetzung des Aufbruchs unter der Jugend in der OJK mit dem jetzt gesamtdeutschen Arbeitskreis »Geistliche Gemeindeerneuerung in der EmK« gegeben.

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Dieter Weigel

Erfahrungen mit der charismatischen Bewegung in der Evangelisch-methodistischen Kirche in der DDR Thomas Röder »Wir verkündigen nicht uns selbst, sondern Jesus Christus als den Herrn«, mit diesem Wort aus 2 Kor 4, 5 leitete Bischof Armin Härtel seine Bischofsbotschaft an die 2. Tagung der Zentralkonferenz der EmK in der DDR am 7. Juni 1972 in der Erlöserkirche zu Plauen ein. Damit gab der Bischof ein klares Signal. Denn die Regierung der DDR versuchte mit ihren Mitteln, den Mitteln der Macht, Einfluss auf das Leben und damit auch die Verkündigung der Kirche zu nehmen. Auch andere Erwartungen wies er damit in die Schranken. Was man dem (damals) modernen Menschen zumuten oder nicht mehr zumuten kann, war nicht nur Diskussionsstoff zwischen Theologen, sondern bestimmte vielerorts auch das Gespräch in den Gemeinden. »Moderne Theologie« und »Kein anderes Evangelium« waren zwei häufig begegnende Schlagworte. In dieser Lage die Freiheit des Evangeliums zu leben, sich an Jesus gebunden zu wissen und das Evangelium zu bekennen, war der klare Auftrag und Dienst, zu dem sich der Bischof mit der Kirche bekannte. Die Gesellschaft, in der das Zeugnis so gelebt und ausgerichtet wurde, entfremdete sich zunehmend von der langen christlichen Tradition. Ersatzhandlungen wie Jugendweihe, sozialistische Namensgebung und weltliche Beerdigungen erfassten alle Schichten und machten vor den christlichen Familien nicht halt. Diese Entwicklung, aber auch die Bewegungen innerhalb der Theologie weckten bei Christen das Verlangen nach überzeugenden Modellen christlichen Lebens, nach klarer Kontur und Abgrenzung von der ›Welt‹, aber auch nach Erfolg, der als Machterweis Gottes dem eigenen Glauben Sicherheit gab und gegenüber der Welt als Gottesbeweis dienen konnte. Bestand auf der einen Seite nur noch wenig Interesse an traditioneller Evangelisation und wurde eine neue Definition von Mission gesucht und auch propagiert, ging es der anderen um eine neue Dimension christlicher Erfahrung, die das Wunderbare und Außerordentliche betonte, eingebunden in verbindliche, aber auch exklusive Gemeinschaft. Unser Augenmerk hier gilt letzterer Entwicklung. 1983 wurde von der Evangelischen Verlagsanstalt Berlin im Auftrag der Theologischen Studienabteilung beim Bund der Evangelischen

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Kirchen in der DDR ein Bericht über die charismatische Bewegung in den evangelischen Kirchen in der DDR veröffentlicht.1 Innerhalb der EmK in der DDR gab es seitens der Pastoren und Laien Kontakte zu den charismatisch geprägten Gruppierungen der Landeskirchen des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR. Hierher gehören die Verbindungen zum Schniewindhaus; besonders aber der Einfluss von Marienschwesternschaft, dem Kreis um Rainer-Friedemann Edel (samt massenhafter Einschleusung von Literatur seines Verlages) und von Pfarrer Küttner in Bräunsdorf muss erwähnt werden. All diese Kontakte und Begegnungen liefen auf persönlicher Schiene und tangierten die Kirche offiziell nicht. Trotzdem war der Einfluss deutlich. Es wurden Gebetstage organisiert, die sehr viel Zuspruch fanden. Pastor Manfred Gottschald gab regelmäßig Gebetsbriefe heraus, die übrigens sehr von den Schriften des Chinesen Watchman Nee beeinflusst waren und nicht ohne weiteres der Theologie, wie sie in der charismatischen Bewegung gepflegt wurde, zugeordnet werden können. Um Pastor Gottschald, der eng mit Pastor Eberhard Luderer, Pastor Max Nestler, Pastor Dieter Weigel, Pastor Martin Tschuschke und in den ersten Jahren Pastor Dieter Straka zusammenarbeitete, sammelte sich ein beachtlicher Kreis von Geschwistern innerhalb der Kirche. Ich habe selbst an Gebetstagen teilgenommen und lebendige Gemeinschaft erfahren. Allerdings waren Schriftverständnis und Schriftauslegung stark von der besonders durch die Schriften aus dem Verlag von R. F. Edel vertretenen Sicht geprägt. Da gab es dann interessante Bibelarbeiten zur Bedeutung der Stiftshütte, aber stark von der allegorischen Methode abhängig und eben keine wirkliche Schriftauslegung im Sinne des reformatorischen Verständnisses, das doch auch in der methodistischen Bewegung von Anfang an vertreten wird. Einem solchen Verständnis, wie es auch am Theologischen Seminar in Bad Klosterlausnitz gelehrt wurde, begegnete man mit einiger Skepsis und gelegentlich sehr kritisch bis verdächtigend. Das Schlagwort hieß »moderne Theologie« und Rudolf Bultmann galt als ihr Exponent. Dabei erfolgte keinerlei wirklich sachliche Auseinandersetzung mit dem ganzen Anliegen, das zu teilen ja niemand in Theologie und Kirche verurteilt war. Die lebendige Auseinandersetzung innerhalb der Theologie wurde kaum zur Kenntnis genommen. Höchstens Männer wie Gerhard Bergmann, der mit seinem Büchlein Alarm um die Bibel großes Echo fand, galten als theologisch vertrauenswürdig. Es war schon eine rühmliche Ausnahme, wenn der Schweriner Oberkirchenrat Dr. Werner de Boor, der als Evangelist und Bibellehrer stark prägte und auch 1

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Dieter Weigel hat in seinem Beitrag dessen Ergebnisse im Grundsatz übernommen und dann die Verbindungen zu unserer Kirche hergestellt und seine Bewertungen gegeben.

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gegenüber der charismatischen Bewegung seine Eigenständigkeit bewahrte, in seiner Auslegung des Johannesevangeliums in der Reihe Wuppertaler Studienbibel im Literaturhinweis vermerkte: »R. Bultmann ›Das Evangelium des Johannes‹ Berlin 1963. Auch wer theologisch völlig anders denkt als Bultmann, wird die Gründlichkeit, die Wissensfülle und exegetische Klarheit vieler Auslegungen dieses Kommentars schätzen müssen.« Die Theologen unserer Kirche, die sich zur charismatischen Bewegung rechneten, haben hier nicht die Haltung eingenommen, zu der de Boor riet, und zwar nicht nur auf Bultmann, sondern die wissenschaftliche Theologie überhaupt bezogen. Neben den Gebetstagen boten Rüstzeiten, die auch regelmäßig durch die Pastoren und Mitarbeiter aus der charismatischen Bewegung durchgeführt wurden, Gelegenheit, Lehre und Praxis aus dieser Sicht in die Gemeinden zu tragen, besonders in den seelsorgerlichen Fragen. Hatten die Pastoren auf Probe noch bis Mitte der sechziger Jahre in den Konferenzstudien Kurt E. Kochs Buch Seelsorge und Okkultismus als Lektüre durchzuarbeiten, ohne dass dies nennenswerten Einfluss auf die Seelsorgepraxis gehabt hätte, so stellte sich die Sache in der charismatischen Bewegung von Anfang an anders dar. Absagegebete, Gebetsnächte, Exorzismus, das war bei vielen Rüstzeiten geübte Praxis. Als Pastor musste ich selber erleben, wie eine gestandene und gläubige Frau völlig zerbrochen von einer Rüste zurückkam. Sie hatte dramatische Erfahrungen in der Seelsorge machen müssen. Es wurde freilich das von den Leitern und Leiterinnen immer wieder heftig abgewiegelt, änderte aber nichts an den Tatsachen. Im Norden der Republik (Schwerin) erlebte eine kleine Gemeinde, wie eine Prophetin den Einmarsch der Roten Armee voraussah. Der Pastor damals beschrieb mir persönlich die Aufmarschpläne und tat es voller Überzeugung. Besessenheit und Belastungen wurden auch immer wieder vermutet, wo Krankheiten auftraten oder Schwierigkeiten trotz intensiven Gebetes blieben. 1975 erlebte ich Pastor Luderer als Evangelist in Dresden und lebte aus diesem Grunde fast eine Woche mit ihm zusammen. Ich hatte ihn eingeladen. Die Woche verlief für ihn ohne den erwarteten Erfolg, denn er wurde nicht von allen als der vollmächtige Prediger akzeptiert. Den Grund dafür sah er darin, dass die Gemeinde noch vom Bösen gefangen sei. Zu einem brüderlichen Gespräch kam es nicht. Obwohl es die Situation geboten hätte, meinte er, dies sei nicht ›dran‹, d. h. er habe dafür keine geistliche Weisung. Leider war unsere Gemeinschaft dadurch schwer belastet und blieb es auch. Anders hingegen erlebte ich als Leiter von Rüstzeiten, die unter einfachen Verhältnissen in unserer Kirche in Tabarz stattfanden, die Hauseltern Dieter und Renate Weigel freundlich und zurückhaltend. Sie brachten sich ein mit Vorträgen zum Beispiel über Dietrich Bonhoeffer oder stellten Bücher vor wie ein Ehebuch von Irmela Hofmann. Hier wurde nicht versucht, Einfluss

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auf die Rüstzeiten zu nehmen. Dies sei erwähnt, weil es in jenen Jahren heftige Auseinandersetzungen zwischen Eltern und den Verantwortlichen der Jugendrüstzeitarbeit der Kirche und den Leitern von Rüstzeiten aus der charismatischen Bewegung gab. Erinnert sei an den Protest, den die seelsorgerliche Praxis auf solch einer Jugendrüste auslöste, so dass sich die Leitungen der Werke und Kirche dieses Themas in vielen Gesprächen und Auseinandersetzungen wohl annahmen, deren Aufarbeitung aber eigentlich nie gelang. Hier arbeitete die Zeit, die allerdings nicht aufarbeiten kann. Wo und wie die Verantwortlichkeiten wahrgenommen, wo Druck gemacht oder ein Freiheitsverständnis gelebt wurde, das nicht dem des Evangeliums entspricht, kann hier nicht beurteilt werden, aber es dürfte sich lohnen, im Abstand der Jahrzehnte hier noch einmal anhand der Aufzeichnungen und Protokolle nachzufragen. Die Reibungsflächen konnten wohl bis heute nicht ganz abgebaut werden, gerade im Bereich der Jugendarbeit, obwohl andererseits die Fragestellungen und Einstellungen sich erheblich verändert haben. Es wäre nun allerdings ein völlig einseitiges Bild, wenn wir nicht auf das Leben in der – ich nenne es der Unterscheidung halber so – ›Mitte‹ der Kirche, den Ausschüssen und Gremien, vor allem auch die Arbeit des Theologischen Grundkurses der VEF und natürlich zuerst die Lehre und das Studium am Theologischen Seminar zu sprechen kämen. Denn hier ging es ja auch, wie könnte es anders sein, um geistliches Leben, um gelebten Glauben, lebendiges Zeugnis, gerade in einer sich atheistisch verstehenden Gesellschaft. Deutlicher Ausdruck hierfür waren die Theologischen Referate, die seit 1969 gehalten wurden, das erste von Pastor Gerhard Riedel unter dem Thema Spiritualität und Weltverantwortung.2 Er verband darin nach methodistischer Theologie und Tradition Spiritualität und den Alltag der Welt. Freilich spielte dabei das Gespräch und die Auseinandersetzung mit der charismatischen Bewegung (nicht mit Gegnerschaft zu verwechseln) eine profilierte Rolle. Als Zwischenergebnis wurde vom Kirchenvorstand über einen Arbeitsausschuss der Konferenz eine Handreichung übergeben »als Hilfe zu einem sachlichen Gespräch. Es will dazu anregen, besonders über Wesen und Struktur der Gemeinde nachzudenken. Alles Reden in der Kirche soll doch letztlich dazu dienen, dass wir unserem Auftrag noch besser gerecht werden«.3 Bereits Punkt 1 macht das Anliegen geistlicher Erneuerung als ein Ganzes der Kirche deutlich, wenn es heißt: Christliche Gemeinde kann nur dann bleiben, was sie sein soll, wenn sie zutiefst davon überzeugt ist, dass sie fortgesetzter Erneuerung bedarf, nicht 2 3

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Eine Gesamtliste der Referate kann beim Unterausschuss für Theologische Fragen der OJK eingesehen werden. Handreichung zum Amtsblatt III/79 der EmK in der DDR, B 1.

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organisatorischer, sondern geistlicher, die nur aus dem Hören auf das Wort ihres Herrn kommen kann, dem sie in Buße zu gehorchen sucht. So gesehen will Christus, »dass das ganze Leben seiner Gläubigen auf Erden eine stete Buße sein soll« (Luther, 1. These der 95 von 1517).

Die damalige Auseinandersetzung innerhalb der Kirche wird in 1.2.1. angesprochen: Das verbietet für unsere Situation: ». . . Erneuerung der Gemeinde als eine Sache zu betreiben, in der sich der fromme Mensch selbst darstellt und so tut, als ob hier überhaupt etwas machbar wäre. Erneuerung ist schon gescheitert, wo wir ein Programm beschließen und es auf unsere Fahnen schreiben. Sie kann nur im Leiden der Kirche, im Hören auf das Wort und eben in der Buße den Anfang nehmen, den Gottes Geist selbst schenkt«.4

Diese wenigen Sätze sagen alles, worum es damals innerhalb der EmK ging, worin die unterschiedlichen Haltungen sich ausdrückten. Unstrittig ist der gemeinsame Glaube an das Werk der Liebe und Gnade Christi inmitten seiner Gemeinde, mit dem sie ihr Zeugnis ausrichtet. Unterschiedlich und darum strittig, oft unausgesprochen und nicht durchreflektiert war der Weg, den Gottes Gnade mit uns geht. Wenn wir mehr voneinander gewusst hätten, wäre es zu weniger Verdächtigungen und Vermutungen gekommen. Was das Gespräch5 erheblich erschwerte, war das unterschiedliche Schriftverständnis. Theologische Arbeit, wie sie vom Seminar getan wurde oder sich im Auftrag des Ausschusses für Theologische Fragen darstellte, stand auf Seiten der charismatischen Bewegung immer unter dem Verdacht, den Glauben eher fraglich als gewiss zu machen. Deswegen habe ich nie eine wirklich ernsthafte theologische Aufgeschlossenheit im Kreis (etwa dem »schwarzen Konvent«) charismatischer Geschwister kennen gelernt, dafür kreiste aber viel Sekundärliteratur, deren theologische Ernsthaftigkeit teilweise bezweifelt werden muss.6 Leider fehlte es im Bereich der Pastorenschaft auch nicht am anderen Extrem. Ein Pastor erklärte im kirchlichen Unterricht die Frage nach der Auferstehung Jesu für längst erledigt und meinte damit: für den Glauben nicht relevant. Die Eltern beschwerten sich brieflich beim Bischof. Der schrieb einen seelsorgerlichen Brief an den Amtsbruder, wies ihn aber auch deutlich darauf hin, solche Äußerungen zu unterlassen, die dem Evangelium und unserem 4 5 6

Ebd., B 2/399. Es kam damals zu theologischen Gesprächen; vgl. dazu den Beitrag von Dieter Weigel. Etwa die Literatur des US-Lutheraners Larry Christenson, deutlich an seinem Buch etwa zur christlichen Ehe (Larry Christenson/Nordis Christenson, Das christliche Ehepaar, Erzhausen 1978).

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Auftrag ja direkt entgegenstünden, auch dem Ordinationsgelübde. Gerade in den Jahren, in denen die EmK in der DDR als Jährliche Konferenz und Zentralkonferenz identisch war, gab es eine reiche und rege theologische Arbeit, die die Gemeinden stärkte und zum Zeugnis befähigte und ermutigte. Neben den Konferenzreferaten sind hier die Vorträge der Dozenten des Seminars zu nennen. Konferenzen, Distriktsversammlungen und Laienmitarbeiterschulungen boten hierzu Gelegenheit. Referate wie das von Dozent Lothar Schieck »Botschaft und Situation in der Bibel« (gehalten am 21. Mai 1983 vor den Laienabgeordneten der Jährlichen Konferenz) sind nur ein Beispiel von vielen. Hier fand das charismatische Leben der Kirche einen ausdrucksvollen geistlichen Bezug und schuf Vertrauen aus der Kraft des Wortes Gottes. Es wäre in der Tat ein falscher Eindruck, wenn die Bitte um geistliche Belebung und Erneuerung einer Gruppe in der Kirche zugeschrieben würde, wo doch tatsächlich alle danach fragten, wie das Zeugnis von Christus gelebt und ausgerichtet werden kann und soll. In einem Seminar für Mitarbeiter referierte Pastor Konrad Jordan am 15. Mai 1975 über die Frage »Die Bedeutung des Heiligen Geistes für den Dienst der Gemeinde Jesu«. In der Schlussbemerkung fasste er zusammen: »Was tut not? Größere Abhängigkeit vom Hlg Geist! Inanspruchnahme der gottgeschenkten Geisteskräfte! Auf keinen Fall aber dürfen wir etwas krampfhaft erzwingen wollen. Aber Beten, Hoffen, Offensein ist uns aufgetragen . . . «7 1980 legte Bischof Härtel in seiner Botschaft an die 4. Tagung der Zentralkonferenz am 4. Juni in Plauen ein Wort für den Pluralismus in der Kirche ein, das den gemeinsamen Dienst bekräftigen sollte, trotz unterschiedlicher Auffassungen auch in geistlichen Fragen: In ihr [der Kirche, T. R.] kann es allenfalls Pluralität geben, d. h. unterschiedliche Tendenzen geistlicher und theologischer Art, für die die offenbarte Wahrheit Gottes in Christus entscheidender Maßstab bleibt. Solcher Pluralität ist allerdings eine doppelte Grenze gesetzt: Sie wird von dem überschritten, der entweder den Wahrheitsgedanken verharmlost oder aber die Einheit der Kirche zerstört, um die Jesus Christus mit den Worten gebetet hat: ». . . auf dass sie alle eins seien, gleichwie du, Vater, in mir und ich in dir« (Joh 17, 21). Pluralität in der Kirche, die innerhalb dieser doppelten Grenze bleibt, ist legitim. Denn es gibt nicht Einheit trotz der Vielfalt, sondern nur Einheit in der Vielfalt für die Kirche, nachdem Gott selbst in ihr die Pluralität der Charismen und Dienste gestiftet hat. Diese Pluralität kann sowohl Streitobjekt als auch Geschenk sein. Ja, selbst im Streiten über sie vermag man beschenkt zu werden. Das haben wir anlässlich des theologischen Gesprächs im März 1979 in Scheibenberg erfahren, als Vertreter unterschiedlicher theologischer 7

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Manuskript.

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Auffassungen in unserer Kirche ihre Standpunkte offen darlegten und doch bereichernde Bruderschaft aneinander erlebten. Dies war möglich geworden, weil man nicht nur einander anhörte, sondern in Frage stellen ließ. Darauf wird es in Zukunft vermehrt ankommen. Was John Wesley in seiner berühmten Predigt über die ökumenische Gesinnung betonte, kann sich auch heute noch begeben: »Können wir nicht gleich denken, so können wir doch gleich lieben. Sollten wir nicht eines Herzens sein können, wenngleich wir nicht einer Ansicht sind?«.8

Jahre später, 1982, stellte der Ausschuss für Theologische Fragen dann ein Arbeitspapier mit dem Titel Zur theologischen Situation der EmK in der DDR vor. Der Abschnitt »Christlicher Glaube und Dämonologie« blickt noch einmal auf die Spannungen, die sich lebhaft im Diskurs zwischen den »Fronten« in der EmK manifest machten: Der Christ hat . . . kein Interesse an einer gegliederten und in sich differenzierenden Dämonologie. Nicht nur, dass die Zwischenwesen (sowohl dämonischer wie göttlicher Art) nur am Rande des biblischen Kanons auftauchen und weithin nicht voll integriertes fremdes Gut sind – das Desinteresse ist vielmehr ein theologisch-sachliches.9 [. . . ] Die Macht des Bösen ist nur verliehen und begrenzt. Der Christ hat darum in allen Fällen von Versuchung und Anfechtung mit Gott zu tun. Er hat mit Gott zu tun, auch wenn er es mit dem Teufel zu tun bekommt! Er betet: Führe uns nicht in Versuchung! Erlöse uns von dem Bösen!10 [. . . ] Er [der Christ] ist darum gehalten sich in jedem Fall auf die Tat Christi zu beziehen, die für ihn sowohl die Liebe Gottes garantiert, als auch den Sieg über das Böse/den Bösen einschließt.11

In seiner Bischofsbotschaft am 13. Juni 1984 an die 5. Tagung der Zentralkonferenz in Lauter stellt Bischof Härtel dankbar fest: Im zurückliegenden Jahrviert ist der Grad der Spannungen zwischen unterschiedlichen Frömmigkeitstendenzen in unserem Zentralkonferenzbereich merklich zurückgegangen. Dafür sind wir Gott dankbar. Pluralität in der Kirche kann gewiss von gesundem Leben in ihr zeugen . . . Pluralität in der Kirche ist Gottgewollt. Aber es gilt die feine Grenze zu ihrer Pervertierung nicht zu überschreiten. Sonst wird das, was befruchtend wirken kann, zum Spaltpilz, und was Kräfte freisetzen soll, kraftzersetzend. Je weniger wir aber Kräfte für uns selber verbrauchen, umso mehr Kraft werden wir haben für Zeugnis und Dienst. Darum dürfen unterschiedliche Prägungen christlicher

8 9 10 11

Hektografie, 5f. Ebd., 50. Ebd., 52. Ebd.

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Glaubenshaltung einander nicht aus dem Weg gehen, sondern sie müssen Kontaktgelegenheiten untereinander bewusst und unprovokatorisch suchen. Was wir auf diesem Gebiet brauchen, ist eine bessere Einübung in die im Neuen Testament bezeugte Dialektik der geistlichen Vielfalt einerseits und der Übereinstimmung in den Grundfragen des christlichen Glaubens andererseits.12

Die Geschichte zeigt, dass es trotz vieler Bemühungen bei einem ›Sonderdasein‹ der charismatischen Bewegung in der Kirche geblieben ist, was m. E. seinen Grund in der Vereinnahmung des Wortes und Inhalts von ›Charisma‹ durch eine Gruppe innerhalb der Kirche hat. Bei solchem Gebrauch und Verständnis legt es sich immer nahe, dass es zu Abgrenzung kommt. Denn es ist neutestamentlich gesehen ein Missbrauch des Begriffes Charisma und seiner Derivate, wenn er seiner umfassenden Geltung, die einschließt und gerade nicht ausschließt, entkleidet und zu einer Gruppenbezeichnung wird. Eine wirkliche Integration würde die Selbstbezeichnung (woher sie auch immer kommen mag) eliminieren. So sehr die charismatische Bewegung unstreitig zum Segen und Leben der Kirche gehört, hat sie doch aus eben genanntem Grund nicht wirklich dem Anliegen, mit dem sie angetreten ist, entsprochen. Das Anliegen selbst aber sehe ich eher positiv, denn damit werden die Anliegen von dem bewegt, der Herr der Gemeinde ist und sie in seiner Freiheit leitet und regiert. Weil es so ist, sind auch unstreitig viele Menschen in und außerhalb der Kirche mit dem Evangelium bekannt geworden und darin gesegnet. Dies geschieht immer dann, wenn wir uns unserer Berufung als Diener und nicht Herren des Glaubens bewusst sind. Gottes Geist ruft uns als Diener. Auch Bischof Rüdiger Minor sprach auf dem genannten Hintergrund in seiner Bischofsbotschaft zur 7. Tagung der Zentralkonferenz am 25. Mai 1988 in Plauen die Frage der Einheit in der Vielfalt an. . . . unser Umgang miteinander ist ein Prüfstein unserer Theologie. Für Rechthaberei ist kein Platz, wenn wir uns gemeinsam dem Wesentlichen verpflichtet wissen. Das schränkt die Notwendigkeit der sachlichen und brüderlichen Auseinandersetzung nicht ein. Wir müssen das offene Gespräch führen, im Ernstfall auch miteinander streiten, wo »Meinungen« hinderlich werden, statt hilfreich zu sein, und das Wesentliche verdunkeln. Wir können das aber nur, wenn wir einander in unserer Verschiedenheit als Geschenk Gottes annehmen. Wenn »gleich und gleich sich gesellt«, sollten wir gelassen bleiben; Fraktionsbildung aber ist Verletzung der geschwisterlichen Einheit. Entscheidend ist unser Umgang miteinander als Verschiedene. Die Schwestern und Brüder dürfen nicht zu Objekten unserer Belehrung und Reformen werden. Wenn es uns 12

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Gott dienen ein Leben lang. Bischofsbotschaft 1984, 9.

Thomas Röder

nicht gelingt, hier unsere Friedensfähigkeit zu beweisen, können wir uns alle »Friedensworte« sparen. Auch für die Gemeinde gilt, dass wir sie annehmen als Gottes Geschenk in ihrem geistlichen Leben wie in ihrer Dürftigkeit. Modelle für die »Kirche der Zukunft« mögen theologisch sauber gedrechselt sein; »Gemeindeerneuerung« mag hochgesteckte Ziele charismatischer Vielfalt formulieren, um Gemeinden danach zu formen. Der Sinn ist vom Ansatz her verfehlt, wenn dabei der »Zweck« vergessen wird, zu dem Gemeinde existiert – nicht stromlinienförmig gestaltet zu sein oder nach exotischen Früchten zu duften, sondern »Gott zu dienen in unserer Zeit.«

Der Blick auf die Geschichte der charismatischen Bewegung in der EmK in der DDR zeigt ein bewegtes und vielgestaltiges Bild, das zu unserer Kirche gehört. Es sagt etwas über den Weg der Kirche Christi in der Zeit, die ihr der Herr gibt und in der wir seine Mitarbeiter sein dürfen, aus. »Darum richtet nicht vor der Zeit, bis der Herr kommt . . . Dann wird einem jeden von Gott sein Lob zuteil werden« (1 Kor 4, 5). Im Sinne solcher Ermutigung dürfen wir als unterschiedliche Menschen, aber alle von Gott begabt, von ihm geliebt, gerufen und gesandt, den Menschen mit den Gaben dienen, die uns der Herr gegeben hat. Der charismatische Leib Christi ist die Gemeinde, deren Haupt der gekreuzigte, auferstandene und wiederkommende Herr ist. Er hat uns nicht sein Werk in die Hände gelegt und sich zurückgezogen, sondern wirkt lebendig inmitten der Gemeinde und ist im Heiligen Geist selber die Kraft ihres Zeugnisses in der Welt.

Erfahrungen mit der charismatischen Bewegung in der EmK in der DDR

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Teil II

Hymnologische Beiträge

Das charismatische Liedgut im Lichte des frühen methodistischen Liedguts James H. S. Steven 1 Einführung1 Eine der bedeutendsten Entwicklungen im Leben der europäischen Christenheit war das Wachstum der charismatischen Bewegung über die letzten 35 Jahre hinweg. Innerhalb der Kirche von England begann diese neopfingstlerische Bewegung unter den Evangelikalen; sie hat nun aber ein breites Spektrum an Traditionen beeinflusst. Die späten sechziger und die siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts hindurch wurden die charismatischen Anglikaner vom Fountain Trust unterstützt, der von Michael Harper gegründet wurde, und seit der Schließung des Trust 1980 durch die Anglican Renewal Ministries. Innerhalb der britischen Methodistenkirche entstanden eine Methodist Revival Fellowship sowie die Dynamis Renewal Fellowship.2 Auf diese und vergleichbare Strömungen wird manchmal als »charismatische Erneuerung« oder auch als »Geistliche Gemeindeerneuerung« verwiesen, was deren Charakteristika als eine Bewegung, die die Geistesgaben fördert als ein Mittel, das geistliche Leben der Kirche zu erneuern, sehr gut erfasst. Ihre sichtbarste Wirkung im Leben der Kirche hat die Bewegung im Bereich des öffentlichen Gottesdienstes hinterlassen. John Fenwick umreißt die Veränderung im Gottesdienststil zutreffend, wenn er sagt: Die Wirkungen reichen von einer Auflockerung des liturgischen Stils, der Aufnahme neuer Musik und der größeren Partizipation der Gemeinde durch die Ausübung verschiedener Gaben wie Prophetie und Zungenrede, einer Zeit des Dienens, die den persönlichen Zuspruch mit Handauflegung einschließen kann, bis hin zur Heilung oder dem »Ruhen im Geist«.3 1

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Der Aufsatz wurde auf Englisch veröffentlicht unter dem Titel »Charismatic Hymnody in the Light of Early Methodist Hymnody« in der Zeitschrift Studia Liturgica 27 (1997) 217–234. Der Herausgeber dieses Bandes hat den Text ins Deutsche übersetzt und, hauptsächlich im Anmerkungsapparat, im Blick auf den deutschsprachigen Leserkreis geringfügig bearbeitet. Beide Gruppen gingen in den 1990er Jahren mehr oder weniger in der ursprünglich eher konservativ-evangelikalen Gruppierung mit dem Namen Headway auf. Das von dieser herausgegebene Magazin Headline artikuliert die gemeinsamen Positionen charismatischer und konservativer Evangelikaler in der britischen Methodistenkirche. John Fenwick, Worship in the Spirit, in: Michael Perham (Hg.), Towards Liturgy 2000, London 1989, 15.

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Dieser pfingstlerische Gottesdienststil ist ganz wesentlich durch die Anbetungslieder vermittelt worden. Die 1970er Jahre wurden in Großbritannien dominiert durch die Gruppe »Fisherfolk«, die eine größere Sammlung von in der charismatischen Erneuerungsbewegung gebräuchlichen Liedern veröffentlichten: Sound of Living Waters (1974), Fresh Sounds (1976) und Cry Hosanna (1980).4 1983 wurde erstmals Mission Praise veröffentlicht, und nachfolgende Ausgaben vereinigten eine breite Sammlung charismatischer Lieder mit traditionellen Kirchenliedern und machten sie einem breiten Spektrum innerhalb der Kirche von England und darüber hinaus zugänglich. In den achtziger Jahren veröffentlichte auch der Kingsway-Verlag Lieder, die unter charismatischen Christen unabhängiger Hauskirchen zu den populärsten Liedern geworden waren: Songs of Fellowship5 und Songs and Hymns of Fellowship.6 Einzelne Liedermacher haben prominenten Status erreicht, vor allem Graham Kendrick. Große Ferienzusammenkünfte charismatischer Prägung wie Spring Harvest und New Wine haben ebenfalls Liederbücher hervorgebracht.

2 Charismatiker und die frühen Methodisten In der Beschäftigung mit der theologischen und liturgischen Bedeutung des Liedguts in der charismatischen Erneuerungsbewegung fand ich es erhellend, dieses mit dem Liedgut der frühen methodistischen Bewegung zu vergleichen, insbesondere mit den Liedern, die von Charles Wesley in der Zeit von seiner Bekehrung 1738 bis zur Publikation der Collection of Hymns for the Use of the People called Methodists (in diesem Artikel als Collection bezeichnet) im Jahr 1780 geschrieben wurden.7 Die Entscheidung, den frühen Methodismus gewissermaßen als Dialogpartner für die charismatische Erneuerungsbewegung auszuwählen, ist keinesfalls willkürlich. Die charismatische Bewegung besitzt viele Ähnlichkeiten mit der frühen methodistischen Bewegung. Am Beginn seiner als Standardwerk geltenden Einführung in die Geschichte des Methodismus unterscheidet Ru-

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Alle veröffentlicht bei Hodder & Stoughten. Die erste Ausgabe erschien 1980, gefolgt von einer erweiterten Auflage 1981 und einer Reihe von weiteren Ausgaben 1983 (Buch 2), 1985 (Buch 3), 1989 (Buch 4), einer kombinierten Ausgabe 1991 sowie Buch 5 im Jahr 1994. Veröffentlicht 1985. Das Buch enthält Stücke früherer Ausgaben von Songs of Fellowship gemeinsam mit einigen traditionellen Kirchenliedern. Zum Forschungsstand bis 1988 vgl. Teresa Berger, Charles Wesley und sein Liedgut. Eine Literaturübersicht, in: Theologische Revue 6 (1988) 442–450; siehe auch Friedemann Burkhardt, Charles Wesley – ein Dichter der Liebe, in: Mitteilungen 15/2 (1994) 4–32.

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pert Davies sieben Charakteristika, die seines Erachtens für eine Bewegung methodistischer Prägung typisch sind.8 Es handelt sich um folgende: 1. eine von Herzen kommende Zustimmung zur traditionellen christlichen Lehre, verbunden mit der Überzeugung, dass Lehren nutzlos sind, wenn sie sich nicht im Leben und in der Erfahrung als wahr erweisen; 2. eine starke Betonung der persönlichen Beziehung des Glaubenden zu Jesus Christus als Herrn und Retter; 3. eine gleichermaßen starke Betonung des Wirkens des Heiligen Geistes; 4. ein ernsthaftes Bemühen, das in Christus empfangene Leben in Gruppen und Gemeinschaften engagierter Männer und Frauen Gestalt werden zu lassen; 5. eine Sehnsucht nach der Verkündigung des Evangeliums unter allen Völkern; 6. eine Sorge sowohl um das materielle Wohlergehen als auch um die geistlichen Nöte der Armen; 7. eine Tendenz, Laien und Ordinierte in neuen Strukturen gemeinsamen Lebens und Dienens zusammenzubringen. Diese sieben Charakteristika des Methodismus waren zu unterschiedlichen Graden in den sechs Fallstudien-Gemeinden vorhanden, die ich für meine Untersuchung charismatischer Gottesdienste in der Kirche von England auswählte. Ich wurde Zeuge von Studienprogrammen, die darauf ausgerichtet waren, Gemeindegliedern bei der Anwendung der Bibel auf das moderne Leben zu helfen, von Predigten, die regelmäßig die Beziehung des Glaubenden zu Jesus Christus ansprachen, von der Bereitschaft, im Gottesdienst offen zu sein für die Gegenwart des Heiligen Geistes (oftmals zum Ausdruck gebracht in der »Anbetung im Geist«), von Gruppen, die sich unter der Woche zu Gebet oder Bibelstudium trafen, von der Anerkennung der Notwendigkeit, das Evangelium auszubreiten, von Projekten, die darauf ausgerichtet waren, die materiellen Nöte in diesem Land und darüber hinaus zu lindern, und von neuen Formen der Laienmitwirkung im Gottesdienst, die ihren Ausdruck in den Musik- und Gebetsgruppen fand. Ein weiterer Grund dafür, die charismatische Erneuerung zum Methodismus in Beziehung zu setzen, ergibt sich aus der Art und Weise, in der 8

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Rupert Davies, Methodism, London 1963, 11f.

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Befürworter einer der jüngeren Entwicklungen in der charismatischen Erneuerungsbewegung den »Toronto-Segen« durch Hinweis auf die Geschichte der frühen evangelikalen Erweckung historisch zu plausibilisieren suchen. Die Wesley-Brüder werden, zusammen mit George Whitefield und Jonathan Edwards, als Teil der ›charismatischen‹ Geschichte aufgefasst.9 Es ist weiterhin bedeutsam, dass in jenen meiner Fallstudie zugrunde liegenden Gemeinden, in denen sehr wenige traditionelle Kirchenlieder gesungen werden, es die gutbekannten Wesley-Lieder sind, die im Gebrauch bleiben, was ein Hinweis darauf ist, dass diese Lieder es vermögen, die in diesen Kirchen gegenwärtige charismatische Spiritualität zu reflektieren und ihr Ausdruck zu verleihen. Angesichts der engen Verbundenheit von Methodismus und charismatischer Bewegung ist es nicht überraschend, auffallende Ähnlichkeiten im Liedgut der beiden Bewegungen zu entdecken, wie die folgende Diskussion zeigen wird. Gleichwohl liegt der eigentliche Vorteil eines Vergleichs im Herausstellen der Unterschiede, wodurch es gelingt, ein schärferes Bild von der spezifischen Natur der liturgischen und theologischen Funktion des charismatischen Liedguts zu gewinnen. In der folgenden Diskussion wird sich der Ausdruck »charismatisches Liedgut« auf Chorusse (Songs) und Lieder (Hymns)10 beziehen, die innerhalb der charismatischen Bewegung seit Beginn der 1960er Jahre geschrieben und komponiert worden sind.

3 Ähnlichkeiten 3.1 Die zentrale Bedeutung des Singens im Gottesdienst Das Singen im Gottesdienst ist für beide Bewegungen wesentlich. Am Anfang des Vorwortes im Methodist Hymn Book von 1933 wird erklärt, dass »Methodism was born in song«.11 Ernest Rattenbury zufolge, der ausgiebig über das frühe methodistische Liedgut publiziert hat, kann es als gesichert angesehen werden, dass Charles Wesley der Autor von mehr als 7 300 Liedern bzw. Gedichten

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Vgl. zum Beispiel Patrick Dixon, Signs of Revival, Eastbourne 1994; Martin Benz, Wenn der Geist fällt. Das ungewöhnliche Wirken des Heiligen Geistes – einst und jetzt, Metzingen 1995 (zu Wesley und Whitefield S. 73–93); Ernst Gassmann, John Wesley. Briefe und Tagebuch. In Auswahl übersetzt mit 1. Erläuterungen; 2. Körperliche Phänomene, Selbstverlag 2000; zu den Phänomenen selbst vgl. auch Patrick Streiff, Enthusiastische Phänomene im Umfeld des Methodismus, in: ThFPr 21/2 (1995) 63–84. Im Sinne einer Arbeitshypothese sei gesagt, dass Lieder sich darin von Chorussen unterscheiden, dass sie eine Abfolge von metrischen Versen haben, die erzählerisch ein Thema entwickeln. Methodist Hymn Book, London 1933, V.

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war.12 Auch die Zahl der in der charismatischen Bewegung entstandenen Lieder ist groß; Verbreitung fanden sie durch Publikationen wie Mission Praise, Songs and Hymns of Fellowship und Liederbücher von Veranstaltungen wie Spring Harvest und New Wine. Edward O’Conner, ein der charismatischen Erneuerung nahestehender römisch-katholischer Priester, schreibt über diese neue Begeisterung für das Singen: »Ich möchte sagen, dass unsere Bestimmung, der wir folgen, darin liegt, ein neues Lied zu singen; ich wüsste nicht, was besser beschreibt, worum es in der charismatischen Erneuerung geht, als dass wir den Geist des Liedes in seinem tiefen und wahren Sinn verstehen.«13 3.2 Neue Möglichkeiten des Lobpreises Beide Bewegungen verkörpern neue Möglichkeiten des christlichen Lobpreises. Der öffentliche Gottesdienst in der Kirche von England zur Zeit der methodistischen Erweckung beschränkte sich auf das eher mürrische Singen der von Sternhold und Hopkins ins Metrum gesetzten Psalmen, wobei die Gemeinde saß und der Gemeindediener jede Zeile sorgfältig vorsprach.14 John Wesleys persönliches Urteil über den öffentlichen Gottesdienst in der Kirche von England könnte kaum geringschätziger ausfallen, wie der folgende Abschnitt zeigt, in dem er den Gottesdienst in der anglikanischen Pfarrkirche mit dem der jungen methodistischen Gemeinschaften vergleicht: Nor are [the Methodists’] solemn addresses to God interrupted either by the formal drawl of a parish clerk, the screaming of boys who bawl out what they neither feel nor understand, or the unreasonable and unmeaning impertinence of a voluntary on the organ. When it is seasonable to sing praise to God they do it with the spirit, and with the understanding also; not in the miserable, scandalous doggerel of Hopkins and Sternhold, but in psalms and hymns which are both sense and poetry, such as would sooner provoke a critic to turn Christian, than a Christian to turn critic.15

Die Geburtsstunde des Methodismus markiert einen gewaltigen Wandel in der Praxis des Lobpreises. Durch die Feder von Charles Wesley wurde das Kirchenlied das gewöhnliche Medium des Lobpreises in der neuen Bewegung. Charles Wesley machte phantasievollen Gebrauch vom Versmaß, indem er jedes Versmaß mit einem korrespondierenden christlichen Thema verband: 12

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Vgl. Ernest Rattenbury, The Evangelical Doctrines of Charles Wesley’s Hymns, London 1941. Frank Baker geht aufgrund weitergehender Forschungen von zirka 9 000 Liedern und Gedichten aus; vgl. Charles Wesley’s Verse. An Introduction, London 1964, 6. Edward England, The Spirit of Renewal, Eastbourne 1982, 115. Vgl. Horton Davies, Worship and Theology in England. 1690–1850, Oxford 1961, 65. A Letter to A Friend, 20 September 1757, Works (Jackson-Edition), Bd. 13, 217.

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mit der Freude des Glaubenden, dem Triumph der Passion Christi, dem Verlangen nach Gemeinschaft mit Gott, dem Ringen der Seele um Aufnahme in die himmlische Stadt und dem schlichten Ausdruck hingebungsvoller Liebe zu Gott.16 Methodistischer Lobpreis wurde »an allen Orten« laut und überschritt dabei die Grenzen der Pfarrkirche hinaus ins Freie in Begleitung des Predigens und in Hallen und Häuser für die Treffen der Gemeinschaft. Die Art des Lobpreises bei den Methodisten war, verglichen mit dem nüchternen Gottesdienst in der Pfarrkirche, überschwänglich und wird in den Worten eines von Wesleys Wachnacht-Liedern erfasst: Our concert of praise to Jesus we raise, and all the night long continue the new evangelical song. We dance to the fame of Jesus’ name, the joy it imparts is heaven begun in our musical hearts.17

Diese Überschwänglichkeit spiegelt sich in John Wesleys Anweisungen für den Gemeindegesang (1761) wieder. Sie schließen auch folgende Anweisung ein: »Sing frisch und mit frohem Mut. Hüte dich davor, so zu singen, als wärest du halb tot oder halb eingeschlafen, sondern erhebe deine Stimme mit Macht. Von jetzt ab fürchte dich nicht mehr vor deiner Stimme und schäme dich nicht mehr davor, dass man sie hört, als damals, als du die Lieder des Teufels sangst.«18 Die charismatische Erneuerung hat auch den bestehenden Kirchen in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts neue Möglichkeiten des christlichen Lobpreises gebracht. Neben dem Gebrauch der Kirchenlieder – und in einigen Gemeinden anstelle der Kirchenlieder – können wir nun den Gebrauch von Liedern oder Chorussen als Medium von Anbetung und Hingabe erleben. Nicht mehr verbinden einzelne Lieder liturgische Elemente miteinander, vielmehr werden Lieder in Folge gesungen, was in einigen Kirchen als »Lobpreiszeit« bezeichnet wird. Der Dienst der Gruppe »Fisherfolk« in den 1970er Jahren ermutigte zum Einsatz von Musikgruppen im Gottesdienst der 16

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Vgl. Ernest Rattenbury, The Evangelical Doctrines of Charles Wesley’s Hymns, 33–46. Isaac Watts beschränkte sich im Wesentlichen auf drei Versmaße, wogegen Wesley freizügig mit der Verwendung von über dreißig verschiedenen metrischen Formen experimentierte. Zitiert nach ebd., 40f. Works (Jackson-Edition), Bd. 14, 346. Die deutsche Übersetzung folgt Martin E. Brose, Zum Lob befreit. Charles Wesley und das Kirchenlied, Stuttgart 1997, 186.

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Pfarrgemeinde, womit eine Alternative zur Orgel geboten und die Verbreitung von Liedern für die Instrumente populärer Musik, nämlich Gitarre und Keyboard, erleichtert wurde. Die Stärke der Musik der charismatischen Lieder, die sich an der Begleitung durch Gitarre und Keyboard orientiert, ist ihre Rhythmik und die leichte Improvisierbarkeit, während die klassische Musik der traditionellen Kirchenlieder zwar einen größeren Klangreichtum aufweist, aber im Rhythmus einförmig und nicht ohne weiteres zu improvisieren ist.19 Die Unterschiede im musikalischen Genre haben Konsequenzen im Blick auf die Begleitung des Gemeindegesangs: Orgeln kommen im klassischen Medium der Kirchenlieder zur vollen Entfaltung, haben es jedoch schwer, den rhythmischen Liedern der charismatischen Erneuerung Ausdruck zu verleihen, während Gitarre und Keyboard Schwierigkeiten mit Kirchenliedern haben, dagegen bei charismatischen Liedern zur vollen Entfaltung kommen.20 Charismatische Anbetung wird »an allen Orten« laut: in der Vertrautheit des Hauskreises, in der örtlichen Gemeinde und auf großen Konferenzen. Charismatische Anbetung ist überschwänglich und eröffnet neue Möglichkeiten für den Glaubenden, im Kontext des Gemeindegottesdienstes den Lobpreis erklingen zu lassen; zum Beispiel ist er frei, ohne Verlegenheit als äußeres Zeichen des Lobpreises seine Hände zu erheben oder seine Augen zu schließen. Die Texte der Lieder reflektieren diesen körperlichen Ausdruck der Anbetung: Als Anbetende »erheben wir unsere Hände«, »tanzen«, »klatschen« oder »fallen auf unsere Knie«. 3.3 Volkstümliches Liedgut Das Liedgut beider Bewegungen ist seiner Natur nach volkstümlich. Charles Wesley schrieb für jene, die von der Erweckungsbewegung erfasst worden waren, Menschen, von denen viele einfache, arme Arbeiter waren. Seine Arbeit bestand darin, Lieder zu komponieren, die von den Menschen gesungen 19

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Für eine hilfreiche Diskussion der Unterschiede zwischen Lobpreisliedern und traditionellen Kirchenliedern vgl. John Leach, Hymns and Spiritual Songs, Nottingham 1995, 6–10. Im Blick auf das Werk Charles Wesleys hat Frank Baker folgende Kennzeichen von »Hymns« vorgeschlagen: 1. Es ist ein religiöses Gedicht, Teil der Handlung beim Gottesdienst; 2. es ist in seiner Beziehung zum Glauben gemeinschaftsfördernd und drückt die Empfindungen einer Gruppe von Menschen aus, selbst wenn sie alle erwarten, »ich« anstelle von »wir« zu singen; 3. es ist lyrisch und sollte gesungen, nicht aber rezitiert oder psalmodiert werden; 4. Metrum und Struktur sind verhältnismäßig regelmäßig; es besteht aus mindestens zwei Strophen; vgl. Frank Baker, Charles Wesley’s Verse, 90f. Die deutsche Übersetzung dieser Kennzeichen findet sich bei Martin E. Brose, Zum Lob befreit, 46. In der Gruppe der von mir besuchten Kirchen sangen jene Gemeinden, die auf Orgelbegleitung verzichteten, die wenigsten traditionellen Kirchenlieder.

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werden würden und auch gesungen werden können. Rattenbury legt dar, dass die eingängigen Melodien und mitreißenden Versmaße »bei denen, die sie zuerst sangen, ein Verlangen weckten, den Takt mit Händen und Füßen zu schlagen«.21 Im Blick auf die Collection von 1780 schrieb James Martineau, der unitarische Geistliche und Philosoph des 19. Jahrhunderts: »Nach der Heiligen Schrift scheint mir das wesleyanische Liederbuch das großartigste Instrument volkstümlicher religiöser Kultur zu sein, das die Christenheit jemals hervorgebracht hat«.22 Charismatische Lieder sind gleicherweise für das Volk bestimmt. Wie oben erwähnt, führte die Gruppe »Fisherfolk« die volkstümliche Art des Singens in das Gemeindeleben ein, indem sie örtliche Musikgruppen ermutigte, die Leitung des Lobpreises zu übernehmen. Die Gitarre wurde zum Symbol dieser volkstümlichen Musik und trat so der Orgel gegenüber, die als das eher »kirchliche« Instrument angesehen wurde. Graham Kendrick äußert sich über diese Verschiebung in der Gottesdienstkultur folgendermaßen: Die Popularität der Gitarre hat dazu beigetragen, dass das Spielen und Schreiben einfacher Lobpreislieder zu einem Massenphänomen geworden ist; und zusammen mit dem Aufkommen der Hauskreise ist das Feiern des Gottesdienstes der ausgedünnten Atmosphäre eines Kirchengebäudes und der exklusiven Kontrolle von Pastoren, Chorleitern und Organisten entzogen und dem einfachen Glaubenden technisch und sprachlich zugänglich gemacht worden.23

Eines der Kennzeichen des gesungenen Lobpreises, wie er mit der charismatischen Erneuerung verbunden ist, besteht darin, dass er viel von der in den 1970er Jahren populären Musik- und Tanzkultur widerspiegelt. Dies ist erkennbar an der Weise, in der Lieder, die nacheinander gesungen werden, den Gottesdienstteilnehmer mitnehmen auf eine rituelle Reise vom Lobpreis Gottes hinein in die vertraute Gemeinschaft mit Gott (verstanden als eine persönliche Begegnung von Angesicht zu Angesicht, oftmals mit romantischen und sogar erotischen Untertönen). Es besteht hier eine starke Entsprechung zwischen dieser ritualisierten Reise und der Reise, die ein Discjockey ermöglicht, indem er von schnellen Tanznummern zum Höhepunkt langsamer Liebeslieder führt, bei denen man Intimität mit einem Tanzpartner erlebt. 3.4 Eine Gotteserfahrung feiern Die Lieder beider Bewegungen feiern die Erfahrung der Gnade Gottes. Zum Beispiel hat Charles Wesleys eigene Bekehrungserfahrung in einem gut bekann21 22 23

Ernest Rattenbury, The Evangelical Doctrines of Charles Wesley’s Hymns, 39. Life and Letters of James Martineau, Bd. 2, New York 1902, 99. Graham Kendrick (Hg.), Ten Worshipping Churches, London 1986, 12.

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ten Lied, das nur einige Tage später geschrieben wurde, ihren Niederschlag gefunden:24 My chains fell off, my heart was free, I rose, went forth, and followed thee.25

Im Vorwort der Collection von 1780 charakterisiert John Wesley die Sammlung von Liedern, die zumeist von seinem Bruder geschrieben worden waren, als »a little body of experimental and practical divinity«.26 Anders gesagt, wurden diese Lieder von den Wesley-Brüdern verstanden als Widerspiegelung des geistlichen Lebens und der Erfahrung der Gnade Gottes, derer der Christ gewiss geworden ist.27 Es gibt eine ganze Anzahl von Liedern, die die charismatische Erfahrung der Gnade Gottes reflektieren. Zwei Strophen des Liedes »I give you all the honour« illustrieren dies: As Your Spirit moves upon me now, You meet my deepest need, and I lift my hands up to Your throne, Your mercy, I’ve received.

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In seinem Tagebuch schreibt Charles Wesley für Dienstag, den 23. Mai 1738: »Ich erwachte unter dem Schutz Christi und gab mich IHM mit Leib und Seele hin. Um 9 Uhr begann ich, ein Lied über meine Bekehrung zu schreiben, war dann aber aus Furcht vor Stolz überzeugt, abbrechen zu sollen. Herr Bray kam und ermutigte mich, trotz des Satans weiter zu machen. Ich bat Christus, mir beizustehen und beendete das Lied. Als ich es später Herrn Bray zeigte, warf der Teufel einen feurigen Speer dazwischen: Er gab zu verstehen, dass es falsch war, und ich Gott dadurch gekränkt hätte. Mir schwand der Mut. In einem Gebetsbuch fand ich eine Antwort für ihn: Warum rühmst du dich selbst, du Tyrann, dass du Unheil anrichten kannst? Hierauf erkannte ich klar, dass es eine List des Feindes war, um Gott nicht die Ehre zu geben. Bei ihm ist es immer Brauch, Demut zu predigen, wenn durch Reden sein Reich gefährdet ist oder Christus geehrt werden soll. Am wenigsten möchte er, dass wir davon erzählen, was Gott für unsere Seelen getan hat, so besorgt schützt er uns vor Stolz«, zit. nach Martin E. Brose (Hg.), Charles Wesley (1707–1788), Tagebuch 1738, Stuttgart 1992, 28f. Um welches Lied es sich dabei handelte, kann nicht mit letzter Sicherheit entschieden werden. Brose hält das Lied »Where Shall my Wondering Soul Begin?« für wahrscheinlicher [Anm. des Hg.]. »And can it be that I should gain«, Hymns and Psalms, Nr. 216. WJW, Bd. 7, Nashville 1983, 74. Zur soteriologischen Konzentration dieser Lieder vgl. Teresa Berger, Theologie in Hymnen? Zum Verhältnis von Theologie und Doxologie am Beispiel der »Collection of Hymns for the Use of the People Called Methodists« (1780), Altenberge 1989, 125–184; vgl. weiter Friedemann Burkhardt, »Singing with Grace in your hearts to the Lord«. Eine hymnologische Untersuchung des Singens in der methodistischen Erweckung unter soteriologischen, dogmatischen und ekklesiologischen Aspekten, in: Mitteilungen 20/2 (1999) 3–20.

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You have broken chains that bound me, You’ve set this captive free,28 I will lift my voice to praise Your name for all eternity.29

Die Betonung auf die persönliche Erfahrung spiegelt sich auch im wiederholten Gebrauch der ersten Person, Singular und Plural, in den Liedern und Chorussen beider Bewegungen wider. Der häufige Gebrauch von »ich« und »wir« belegt, dass sowohl Methodismus als auch charismatische Erneuerungsbewegung einen Glauben leben, der persönlich angenommen werden muss, und auf eine Erfahrung Gottes (seines Friedens, seiner Kraft und seiner Gegenwart) abstellen, die bewusst genossen werden muss. Dem Liedgut beider Bewegungen gemeinsam ist ferner die Intensität der Hingabe. Man nehme nur die Intensität eines der von Charles Wesley geschriebenen Pfingstlieder: Come, Holy Ghost, all-quickening fire, Come, and in me delight to rest; Drawn by the lure of strong desire, O come and consecrate my breast; The temple of my soul prepare, And fix thy sacred presence there. Eager for thee I ask and pant; So strong, the principle divine Carries me out, with sweet constraint, Till all my hallowed soul is thine; Plunged in the Godhead’s deepest sea, And lost in thine immensity.30

Im charismatischen Liedgut findet die Intensität der Hingabe häufig ihren Ausdruck in der Sehnsucht, das Angesicht Gottes sehen und sein Wesen tiefer erfassen zu können, wie das folgende Lied zeigt: When I look into Your holiness, When I gaze into Your loveliness, When all things that surround Become shadows in the light of You; When I’ve found the joy of reaching Your heart, When my will becomes enthralled in Your love, 28 29 30

Man beachte, nebenbei bemerkt, den Anklang an Wesleys Lied »And can it be«. Zitiert nach Carl Tuttle (Copyright Mercy Publishing/Thanksgiving Music 1982), Mission Praise, London 1990, Nr. 271. Hymns and Psalms, Nr. 282, Verse 1 und 3.

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When all things that surround Become shadows in the light of You.31

In der Intensität der Hingabe spiegelt sich die erweckliche Frömmigkeit, die sowohl den frühen Methodismus als auch die charismatische Erneuerungsbewegung kennzeichnet. Ein ehemaliger Methodist beschreibt seine Bekehrungserfahrung folgendermaßen: ‘At last, by singing and repeating enthusiastic amorous hymns, and ignorantly applying particular texts of scripture, I got my imagination to the proper pitch, and thus I was born again in an instant.’32 Obwohl es die dieser Beschreibung unterliegende Skepsis anzuerkennen gilt, ist die Kennzeichnung des wiederholten Singens von »lebhaften gefühlvollen Liedern« als geistlich hilfreich eine passende Beschreibung des gesungenen charismatischen Lobpreises. 3.5 Von biblischer Sprache durchdrungen Die Bibel hat das Liedgut beider Bewegungen geprägt. John Wesley stellte, wiederum im Vorwort der Collection von 1780, die rhetorische Frage: ‘In what other publication of the kind have you so distinct and full an account of Scriptural Christianity?’33 Charles Wesleys Lieder waren voll von biblischen Anspielungen und Redewendungen. Henry Bett, dessen 1913 erschienene Arbeit The Hymns of Methodism eine wichtige literarische Studie der WesleyVerse bleibt, beschreibt dessen Lieder als »Schrift-Mosaike«.34 Entscheidend ist, dass es Wesley in seinen Liedern gelang, seine geistliche Erfahrung in einer der Bibel gemäßen Form abzubilden. Ein gutes Beispiel dafür ist sein bekanntes Lied »Wrestling Jacob« (»Der ringende Jakob«), in dem er geschickt seine Bekehrungsgeschichte und die Geschichte von Jakobs Kampf mit einem Engel in Gen 32 miteinander verwebt.35 Obwohl die charismatischen Lieder in literarischer Hinsicht keinesfalls als so ausgereift gelten können wie die Lieder Wesleys, legen sie dem Gottesdienstteilnehmer gleichwohl oftmals Bibelstellen in den Mund, in der Regel 31

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Von Wayne & Cathy Perrin (Copyright Integrity’s Hosanna! Music 1980), Songs of Fellowship (Eastborne 1991), Nr. 595. Als ich in einer Kirche dieses Lied mitsang, wurde die Intensität der Wirkung noch durch den langsamen Rhythmus des Liedes und die Haltung der Gottesdienstteilnehmer (geschlossene Augen, intensiver Blick) verstärkt. Zitiert in David Bebbington, Evangelicalism in Modern Britain, London 1989, 51. WJW, Bd. 7, 74. Henry Bett, The Hymns of Methodism, London 1913, 71; vgl. auch S T Kimbrough, Charles Wesley and Biblical Interpretation, in: ders. (Hg.), Charles Wesley. Poet and Theologian, Nashville 1992, 106–136. Vgl. Martin E. Brose, Charles Wesleys Gedicht »Der ringende Jakob« (Wrestling Jacob), in: EmK Geschichte 26/2 (2005) 45–60.

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Verse aus den Psalmen oder der himmlischen Anbetung, wie sie im Buch der Offenbarung geschildert wird. 3.6 Der christologische Fokus Schließlich ist festzustellen, dass das Liedgut beider Bewegungen den übereinstimmenden christologischen Fokus teilt. Ein anderes autobiographisches Lied Charles Wesleys legt den Grund für sein umfangreiches Liedschaffen offen: My heart is full of Christ, and longs Its glorious matter to declare! Of him I make my loftier songs, I cannot from its praise forbear; My ready tongue makes haste to sing The glories of my heavenly King.36

Doch in den Wesley-Liedern ging es nicht einfach darum, in pietistischer Weise den »Christus im Herzen« zu erheben. Christus wurde als der Gekreuzigte gepriesen, der mit ausgestreckten Armen Sünder einlädt, als er siegreich am Kreuz stirbt, und mit sichtbaren Wunden, als unser Hohepriester, umgeben von der Gemeinschaft der Heiligen und Engel, in das himmlische Heiligtum eintritt. Ein Vers aus Wesleys wohlbekanntem Lied »Lo! He comes with clouds descending« greift einige dieser Themen auf: The dear tokens of his passion Still his dazzling body bears, Cause of endless exultation To his ransomed worshippers; With what rapture Gaze we on those glorious scars!37

Obwohl die pfingstlerische Betonung bei ihr ganz auf dem Heiligen Geist liegt, ist in der charismatischen Erneuerungsbewegung Jesus diejenige Person der Trinität, die am häufigsten gepriesen wird, entweder als »Christus im Herzen« oder, häufiger noch, als der erhöhte Herr, als das Lamm, das zur Rechten Gottes regiert. »Majesty, worship his majesty« ist der Lobpreis charismatischer Christen: Jesus who died, now glorified, King of all kings.38

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Hymns and Psalms, Nr. 799. Ebd., Nr. 241. Von Jack W. Hayford (Copyright Rocksmith Music 1981), Mission Praise (1990), Nr. 454.

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4 Unterschiede Wenn wir betrachten, welche Unterschiede charismatisches Liedgut gegenüber den Liedern des frühen Methodismus aufweist, ermöglicht uns dies, die spezifischen Merkmale charismatischer Lieder zu erkennen. Einleitend ist es nötig, zwei einfache Beobachtungen vorauszuschicken. Als Erstes ist festzustellen, dass die große Mehrheit der von den frühen Methodisten gesungenen Lieder Schöpfungen eines einzigen Liederschreibers, nämlich Charles Wesleys, waren,39 während im charismatischen Liedgut die Dichtungen vieler verschiedener Lied- und Chorusschreiber zusammenfließen, und es gibt, Graham Kendrick ausgenommen, keinen einzelnen Namen, der aus der Vielzahl der englischsprachigen Liederschreiber heraussticht. Die zweite Beobachtung bezieht sich auf den Unterschied zwischen dem ausgereiften poetischen Stil der Lieder Charles Wesleys40 und dem tendenziell einfachen Stil eines Großteils des charismatischen Liedguts. Diese beiden Beobachtungen stehen miteinander darin in Zusammenhang, dass viele der verschiedenen Schreiber charismatischer Lieder eher in der populären Musik des 20. Jahrhunderts zu Hause sind, die zudem nicht über die literarischen Fähigkeiten verfügen, mit denen Charles Wesley so selbstverständlich arbeitete und die er im Schreiben seiner Lieder zu großer Entfaltung brachte.41 Zudem wäre es unrealistisch zu erwarten, im charismatischen Liedgut eine so ausgereifte und zusammenhängende Theologie zu finden, wie sie sich in den Liedern des frühen Methodismus ausmachen lässt,42 unter der gegebenen Voraussetzung, dass es der Mehrheit der Liederschreiber in der charismatischen Bewegung an der tiefen Vertrautheit Wesleys mit der christlichen theologischen Tradition fehlt. Gleichwohl ist es plausibel zu behaupten, dass die große Vielfalt charismatischer Liederschreiber die bodenständige Frömmigkeit der Bewegung in ihren Liedern aufs Ganze gesehen besser darzustellen vermag, als dies jemals durch die Lieder des Methodismus, denen Charles Wesley den Stempel seiner Theologie und Frömmigkeit aufge-

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Nach Ernest Rattenbury stammten 487 der 525 Lieder (93%) in der Collection von 1780 aus der Feder Charles Wesleys; vgl. The Evangelical Doctrines of Charles Wesley’s Hymns, 20. Für ein differenziert-kritisches Urteil vgl. jedoch Kenneth Shields, Charles Wesley as Poet, in: S T Kimbrough (Hg.), Charles Wesley. Poet and Theologian, 45–71. In Großbritannien ist Graham Kendrick als die große Ausnahme zu nennen. Die Lieder »The Servant King« und »Meekness and Majesty« sind gute Beispiele einer eher poetischen Ausdrucksweise. Es ist interessant festzustellen, dass sich Kendrick seit einiger Zeit drauf beschränkt, die Texte zu schreiben, während er einen anderen Musiker (Steve Thompson) die Musik dazu komponieren lässt. Ein Umstand, der es Rattenbury erlaubte, zwei Bücher über die Theologie der CharlesWesley-Lieder zu schreiben; vgl. The Evangelical Doctrines of Charles Wesley’s Hymns und The Eucharistic Hymns of John and Charles Wesley, London 1948.

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drückt hat, möglich war.43 Wir können diese Unterschiede zusammenfassen, indem wir die Lieder Charles Wesleys beschreiben als »ihrer Bestimmung nach volkstümlich« (das heißt, sie wurden von Wesley für das Volk geschrieben, das sie dann auch sang) und charismatische Lieder als »ihrem Ursprung nach volkstümlich« (das heißt, dass ihre Lieder aus der Gemeinschaft hervorgingen, die sie dann auch singt).44 Zum Beispiel begegnete ich in meinen Fallstudien einer Reihe von Gemeinden, die im öffentlichen Gottesdienst Lieder sangen, die in der Gemeinde selbst komponiert worden waren. Die Hauptunterschiede zwischen dem methodistischen Liedgut einerseits und dem der charismatischen Erneuerung andererseits lassen sich am Kriterium der Vielseitigkeit der in den Liedern angesprochenen christlichen Erfahrung verdeutlichen, ferner anhand ihrer Zwecksetzung und ihrer Behandlung von Christus und dem Heiligen Geist. 4.1 Die christliche Erfahrung Die Lieder Charles Wesleys decken einen weiten Horizont der christlichen Erfahrung ab. Ernest Rattenbury nennt seine Lieder – in Anlehnung an das bekannte Buch des Puritaners John Bunyan – die »Pilgerreise des achtzehnten Jahrhunderts«, bei der »jedes Ereignis auf dem Weg des Pilgers von der Stadt der Zerstörung zur himmlischen Stadt beschrieben wird«.45 In Teil IV der Collection von 1780, dem Abschnitt über das Leben des Christen, gibt es Lieder für Glaubende, die jauchzen, kämpfen, beten, wachen, arbeiten, leiden und sich nach voller Erlösung sehnen. Bernard Manning schreibt über die Collection, dass sie »ein Schatz für die Beschreibung jedes Gemütszustandes und jeder Seelenverfassung« ist.46 Wesley schrieb in den ersten beiden Teilen der Collection Lieder für ein weites Spektrum von Menschen, das sogar die der Kirche Entfremdeten einschloss. So gibt es Lieder für Vorsteher des Haushalts, für Ärzte, für gebärende Frauen, für Reisen, für den Besuch bei Freunden und sogar für zahnende Kinder. Wie oben erwähnt, hielt Wesley sich treu zur Kirche von England und schrieb (gleich seinem kongregationalistischen Zeitgenossen, dem Liederdichter Isaac Watts) Lieder für das Kirchenjahr sowie eine große Anzahl von Kirchenliedern zu den Sakramenten, zum Beispiel in der 1745 unter dem Titel Hymns on the Lord’s Supper erschienenen Sammlung.

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Ich verdanke diese Einsicht Dr. Martin Stringer von der Universität Birmingham. Diese Unterscheidung findet sich bei Brian Castle, der Wesleys Lieder mit Negro Spirituals vergleicht; vgl. Sing a New Song to the Lord, London 1994, 59. Ernest Rattenbury, The Evangelical Doctrines of Charles Wesley’s Hymns, 111. The Hymns of Wesley and Watts, London 1942, 13.

Das charismatische Liedgut im Lichte des frühen methodistischen Liedguts

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Im Vergleich dazu hat das charismatische Liedgut die Tendenz, lediglich ein engeres thematisches Spektrum abzudecken. Ihr primärer Referenzpunkt ist der Akt des christlichen Lobpreises und die Gotteserfahrung im Lobpreis. Es gibt einige Lieder, die explizite Verweise auf die Welt enthalten; sie sind ihrer Natur nach Fürbitten, in denen Jesus zum Beispiel gebeten wird, »das Land mit der Herrlichkeit des Vaters zu füllen«,47 aber im Allgemeinen bleibt die außerhalb der Anbetung liegende Welt eine unerforschte, fremde und gottlose Umgebung.48 Auch die christliche Erfahrung, die im Lobpreis gefeiert wird, ist enger gefasst als in den Liedern Wesleys. Die Freude an und die Liebe zu Gott sind die dominierenden Themen, wogegen es nur wenige Lieder gibt (die Lieder Graham Kendricks wären eine solche Ausnahme),49 in denen die Sünde beklagt, der mit der christlichen Nachfolge verbundene Kampf anerkannt und auf die ethischen Forderungen Christi verwiesen wird. Es gibt kaum Lieder, die sich auf die sakramentalen Vollzüge der Kirche beziehen, was den nichtsakramentalen evangelikalen Hang der Bewegung offenbart,50 obwohl ich in meiner Gottesdienstbeobachtung durchaus entdeckte, dass Lobpreislieder in einem sakramentalen Kontext verwendet wurden. Man kann schlussfolgernd sagen, dass die Lieder und Chorusse der charismatischen Erneuerungsbewegung primär eine bestimmte durch den Heiligen Geist vermittelte Erfahrung der Gegenwart Christi im Kontext des gemeinsamen Gottesdienstes widerspiegeln, während die Lieder des frühen Methodismus ein Mittel darstellten, mit dem Christen im Geist des Gebets die reiche Vielfalt der christlichen Glaubenserfahrung aufnahmen, wenn dies freilich auch in einem erwecklichen Bezugsrahmen geschah. 4.2 Der Zweck des Liedgutes Ein anderer Unterschied tritt zutage, wenn man den Zweck des Liedgutes in beiden Bewegungen betrachtet. Obwohl sie auch als Mittel dienten, durch 47 48

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Aus dem Lied »Lord, the light of your love is shining«, Mission Praise (1990), Nr. 445. Es lässt sich ein deutlicher Unterschied erkennen zwischen der Art und Weise, in der Wesley dem »gottlosen England« begegnete, nämlich durch Predigten und Lieder, in denen Sünder zu Christus eingeladen wurden, und dem Ansatz der charismatischen Bewegung, die dahin tendiert, die Welt als Bereich eines geistlichen Kampfes zu sehen; zum Beispiel das Lied »Let God arise, and let His enemies by scattered«, Mission Praise (1990), Nr. 405. Zwei der Lieder Graham Kendricks, in denen die Buße ihren Ausdruck findet, sind »Lord, have mercy on us« und »O Lord the clouds are gathering«, Mission Praise (1990), Nr. 430 und 509. »I am the Bread of Life«, Mission Praise (1990), Nr. 261, ist eine der offensichtlichen Ausnahmen. Das Lied aus dem Jahr 1971 entstammt der römisch-katholischen charismatischen Erneuerung.

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das die frühen Methodisten ihrer Freude und Einheit Ausdruck verliehen, dienten die Lieder Charles Wesleys hauptsächlich als Medium zur Ausbreitung der Lehren des Methodismus. John Wesley sprach den Liedern von Charles ganz klar eine dogmatische Zwecksetzung zu.51 Im Vorwort der Collection schreibt er seinen methodistischen Geschwistern, das Buch sei »a little body of experimental and practical divinity«, das ungeachtet seiner geringen Größe groß genug sei, um »all die bedeutsamen Wahrheiten eurer heiligen Religion ihrer spekulativen oder praktischen Seite nach« zu enthalten und um »sie alle anschaulich zu machen und anhand der Heiligen Schrift und der Vernunft zu beweisen«. Eine Durchsicht des Index der Collection von 1780 veranschaulicht dies, denn man findet nicht nur einen Sachindex, sondern auch einen Index der Schriftverweise und sogar einen Index aller Liedstrophen – ein Hinweis darauf, dass das Buch für Nachschlage- und Studienzwecke gedacht war. Mittels der Lieder von Charles Wesley sangen Methodisten sich durch die großen Lehrwahrheiten des christlichen Glaubens hindurch. Wesley konnte Lieder auch zu polemischen Zwecken verwenden: Zum Beispiel stellte die Sammlung von unter dem Titel Hymns on God’s Everlasting Love (1741) veröffentlichten Liedern eine ausdrückliche Widerlegung der calvinistischen Erwählungslehre dar. Den Liedern und Chorussen der charismatischen Bewegung kommt dagegen eine andere Funktion zu. Mit Ausnahme von ein oder zwei Liedern Graham Kendricks52 entfaltet ihr Liedgut den Lehrgehalt des christlichen Glaubens nicht. Ihr Hauptzweck ist es nicht, den Verstand zu beleben, sondern der Seele Gebete zur Verfügung zu stellen. Die Lieder haben eine rituelle Funktion. Dies kann anhand einer Anzahl von Liedern gezeigt werden, die auf das alttestamentliche Motiv des Tempels zurückgreifen, zum Beispiel die Lieder »I will enter his gates with thanksgiving in my heart« und »Within the veil I now would come«.53 Dies ist ferner offensichtlich in der implizit liturgischen Struktur von Liedern, die nacheinander gesungen werden: Indem die Lieder gesungen werden, vollzieht der Teilnehmer eine rituelle Reise von den Vorhöfen des Tempels in das Allerheiligste. Dies ist eine andere Art der Pilgerreise, eine Art »ritueller Pilgerreise«. Ein Pastor, den ich interviewte, erklärte den Gebrauch der Lieder auf folgende Weise: Nach meinem persönlichen Eindruck ist es der eigentliche Zweck des Lobpreisteils, im Geist anzubeten, und es ist eine Art der Bewegung mehr und mehr in das Allerheiligste hinein. Es fängt damit an, dass du durch die Vor51 52 53

Vgl. dazu Franz Hildebrandt, Introduction, in: WJW, Bd. 7, Nashville 1983, 1–22. Ich denke zum Beispiel an »Meekness and Majesty«, Mission Praise (1990), Nr. 465. Ebd., Nr. 307 und 778.

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höfe kommst, und das geschieht dann, wenn du möglicherweise Lieder mit stärker theologischem Inhalt singst, doch dann, zum Ende hin, singst du ein Liebeslied wie »I love you Lord«,54 wenn du im Geist anbetest. Du möchtest nicht länger darüber nachdenken müssen: »Ist dies theologisch korrekt?« Du weißt, etwas wie »Ich liebe dich, Herr« oder »Jesus, Jesus, Jesus« ist etwas, das dir die Freiheit gibt, mit dem Geist anzubeten, ohne dass du deinen Verstand gebrauchen musst.

4.3 Der Ort Christi im Liedgut Ich erwähnte oben den christologischen Fokus im Liedgut beider Bewegungen. Bei genauerer Betrachtung ergibt sich gleichwohl ein markanter Unterschied in ihrer christologischen Konzeption. In Wesleys Liedern zur Himmelfahrt sowie in seinen Abendmahlsliedern werden wir zu Christus als dem Opferlamm und dem Hohenpriester hingezogen, der seinen Dienst der Fürbitte fortsetzt, wobei insbesondere auf die Lehre des Hebräerbriefes Bezug genommen wird. Der entsprechende Zugang zu Gott im Gottesdienst vollzieht sich daher immer in und durch Christus: No condemnation now I dread; Jesus, and all in Him is mine! Alive in Him, my living Head, And clothed in righteousness divine, Bold I approach the eternal throne, And claim the crown, through Christ, my own.55

Auch in den Liedern der charismatischen Erneuerungsbewegung wird Christus erhoben, aber hauptsächlich ist er hier der erhobene Herr, vor dem jedes Knie sich beugen wird. Folglich verkünden Lieder dies entweder, indem sie es als eine Tatsache feiern (so wie in dem oben zitierten Lied »Majesty«), oder indem sie es zu einer Realität im Gottesdienst machen (zum Beispiel in »Jesus we enthrone you«).56 Christus als der auferstandene und erhöhte Hohepriester dagegen bleibt unberücksichtigt, und charismatisches Liedgut verfällt in den von Professor Thomas Torrance als typisch westkirchlich identifizierten Fehler, Christus so vollständig in die Majestät Gottes hineinzuheben, dass der durch seine menschliche Natur bleibende Dienst der Fürbitte verdunkelt wird.57 Und so gibt es, ungeachtet der Betonung des rituellen Zugangs zu Gott und der 54 55 56 57

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Ebd., 287. »An can it be that I should gain«, ebd., Nr. 33 (Hervorhebungen von mir). Ebd., Nr. 388. Vgl. zum Beispiel Thomas F. Torrance, Theology in Reconciliation, London 1975, Kap. 4.

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Anerkennung, dass wir diesen Zugang nur haben durch das, was Christus am Kreuz getan hat, im charismatischen Liedgut sehr wenig Bewusstsein dafür, dass wir uns Gott dynamisch – in, mit und durch Christus – nähern, wie dies bei den Wesleys und in der frühen christlichen Gottesdiensttradition der Fall war.58 Im charismatischen Lobpreis gehen wir allein durch den Vorhang des Allerheiligsten, sozusagen von Angesicht zu Angesicht mit Gott dem Vater. Es scheint, dass die Gegenwart Gottes durch den Geist, wie sie im Lobpreis gefeiert wird, für die Charismatiker den anhaltenden Dienst Christi in den Schatten stellt; dies aber konfrontiert uns mit der bedrängenden Frage: Inwiefern kann solcher Lobpreis wirklich christlich und trinitarisch sein? Diese mangelnde Anerkennung Jesu in seinem anhaltenden Dienst als der auferstandene Hohepriester mag zumindest im Ansatz die eher ›über‹-realisierte Eschatologie oder den Immanentismus des charismatischen Lobpreises erklären. Für die Wesley-Brüder war aller Lobpreis ein Vorgeschmack auf ein zukünftiges Leben, das sich mit den Heiligen in der Gegenwart des Lammes Gottes vollziehen wird. Zum Beispiel thematisiert Charles Wesleys Lied über die christliche Gemeinschaft »All praise to our redeeming Lord«59 viele ›charismatische‹ Themen wie die gegenseitige Erbauung, die Freude an den Gaben der anderen, die Harmonie im Namen Jesu, Friede und Freude, doch schließt es mit einem Verweis auf die zukünftige Vollkommenheit und Verzückung, die in charismatischem Liedgut unerwähnt bleiben: And if our fellowship below, In Jesus be so sweet, What heights of rapture shall we know When round His throne we meet!

Es ist die Tendenz charismatischen Liedgutes und Lobpreises zu betonen, dass wir durch den Dienst des Geistes die Fülle hier und jetzt erfahren. Es existiert wenig Sinn dafür, dass man im Lobpreis an einer außerhalb der Geschichte stehenden und zukünftigen Wirklichkeit teilhat, wie es bei den Wesley-Brüdern der Fall war. Für den Charismatiker ist der liturgische Raum, in dem sich der Lobpreis vollzieht, beschränkt auf die empirische, anbetende Gemeinde. Das charismatische Lied »Holy Spirit, we welcome You«,60 das den Geist dazu einlädt, in der anbetenden Gemeinde zu wirken, illustriert, dass das 58

59 60

Für die frühchristliche Zeit vgl. Joseph Jungmann, The Place of Christ in Liturgical Prayer, London 1989; für eine neuere theologische Untersuchung, in der die dynamische Bedeutung Christi für den christlichen Gottesdienst herausgearbeitet wird, vgl. James Torrance, Worship, Community, and the Triune God of Grace, Carlisle 1996. Mission Praise (1990), Nr. 19. Ebd., Nr. 241.

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wirklich Bedeutende für den Lobpreis eher die verändernde Gegenwart Gottes des Heiligen Geistes in der Gemeinde ist, als das Hineingezogenwerden der Gemeinde in eine transzendente Wirklichkeit in und durch den Geist. Charismatiker laden Gott dazu ein, sie und den Ort ihres Lobpreises zu erfüllen, doch kaum, wenn überhaupt, wird man eingeladen, aufzubrechen zu Gott, bei dem man, um es mit den Worten Charles Wesleys zu sagen, »[is] lost in wonder, love, and praise«.61 Ein Beobachter von außerhalb, der mich begleitete,62 als ich an den charismatischen Gottesdiensten der von mir ausgesuchten Gemeinden teilnahm, bemerkte mehrfach, besonders nach dem gesungenen Lobpreis, bei dem mehrere Lieder nacheinander gesungen werden, dass er diese Erfahrung als spirituell klaustrophobisch empfand. In diesem Zusammenhang ist es interessant zu beobachten, dass Engel, die traditionell dazu dienen, die transzendente Dimension des Lobpreises herauszustellen, ein herausragendes Motiv in den Liedern Charles Wesleys darstellen, kaum dagegen im charismatischen Liedgut. In den Liedern Wesleys verstärken Engel sehr oft den Sinn für das Wunderbare angesichts des Geheimnisses der Liebe Gottes und der Erlösung der Menschheit. Charles Wesleys berühmtes Lied »And can it be«, in dem er seine gerade gefundene Gewissheit und das Wunder der göttlichen Erlösung besingt, enthält folgende Strophe: ‘Tis mystery all! The immortal dies; who can explore His strange design? In vain the first-born seraph tries To sound the depths of love divine. ‘Tis mercy all! Let earth adore, let angel minds inquire no more.

Im Unterschied dazu sind Engel in den Liedern der charismatischen Bewegung eine seltene Spezies; sie begegnen in einigen von Graham Kendricks Weihnachtsliedern und in einem Lied, das Bezug nimmt auf die in Jes 6 erzählte Tempelvision des Jesaja, nämlich in »We see the Lord«.63 4.4 Der Ort des Heiligen Geistes im Liedgut Ein weiterer Unterschied zwischen dem Liedgut des frühen Methodismus einerseits und der charismatischen Bewegung andererseits wird in vom Heiligen Geist handelnden oder an ihn gerichteten Liedern und Chorussen sichtbar. 61 62 63

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»Love dinive, all loves excelling«, ebd., Nr. 449. Mein Beobachter war ein anglikanischer Christ, der vor der von mir durchgeführten Feldstudie keinerlei Berührung mit der charismatischen Bewegung hatte. Mission Praise (1990), Nr. 736.

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Für John Wesley besteht das Wirken des Geistes darin, Sünder zu bekehren, ihnen neues Leben zu schenken, ihnen zu bezeugen, dass sie Kinder Gottes sind, Wachstum in der Heiligung zu ermöglichen, sicherzustellen, dass die Gemeinschaft die Gemeinschaft des Heiligen Geistes ist, und in Wort und Sakrament gegenwärtig zu sein. Die Lieder seines Bruders Charles spiegeln diese Betonung wider, insbesondere seine Lieder zum Abendmahl und jene für das Pfingstfest. In dem vom Heiligen Geist handelnden oder an ihn gerichteten charismatischen Liedgut findet sich eine andere Betonung im Blick auf das Wirken des Geistes. Der Heilige Geist ist primär der Geist der Kraft (während er im wesleyanischen Liedgut primär der Geist der Liebe ist), der den Glaubenden salbt, damit er die Geistesgaben ausüben und das Werk im Namen Jesu tun kann. Die pfingstlerische Betonung des Geistes als Geist der Kraft steht hinter Formulierungen, in denen vom »sich bewegenden« und »wehenden« Geist sowie vom Geist als »Flamme« die Rede ist. Dieser Geist muss von Glaubenden empfangen werden, die sich ganz und gar vom Geist formen lassen. Man nehme den vielleicht bekanntesten und zutiefst traditionellen der kürzeren pfingstlerischen Chorusse: Spirit of the living God, fall afresh on me; Spirit of the living God, fall afresh on me; Break me, melt me, mould me, fill me; Spirit of the living God, Fall afresh on me.64

Die Frage, die sich aus diesem Chorus ergibt, besteht darin, zu welchem Zweck man diese innere Auflösung und Wiederherstellung erbittet. Bedauerlicherweise bietet das charismatische Liedgut wenig konkrete Antwort darauf, stattdessen ist in ihm eine Zweideutigkeit gegenwärtig, die es nicht zu leisten vermag, den Zweck und den Inhalt des Wirkens des Geistes zu bestimmen. In jenen Kirchen, in denen ich den »Gebetsdienst« beobachtete,65 war es der beständige Appell derer, die diese Zeiten leiteten, den Geist »tun zu lassen, was immer er will«, mit dem Ergebnis, dass, was immer auch geschieht, von ihnen »(ab)gesegnet« ist.66 Es scheint, dass es für Charismatiker vor allem darauf ankommt, die Souveränität und Freiheit des Geistes im Gottesdienst auf Kosten 64 65

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Von Daniel Iverson (Copyright Moody Bible Institute Chicago 1935, 1965), ebd., Nr. 613. Der Begriff Gebetsdienst wird für einen öffentlichen Gebetsdienst verwendet, wie er nach der Anrufung des Heiligen Geistes (im Stil des Leiters der charismatischen Vineyard Church, John Wimber, und in jüngerer Zeit im Kontext des »Toronto«-Segens) durchgeführt wird. Die Leiter dankten Gott fortwährend für das, was Gott gerade tat, womit sie der Gemeinde die Gewissheit vermittelten, dass das Zu-Boden-Fallen und die eigenartigen ekstatischen Phänomene, die mit dem »Toronto«-Segen verbunden waren, »von Gott« sind.

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der Bestimmung des Dienstes des Geistes, insbesondere in seiner Beziehung zum Dienst Christi, zu betonen. Der Geist wird daher vorrangig in funktionalen Begriffen aufgefasst, mit einer Aufgabe, die er wahrnimmt, und mit einer Verantwortung, die ihm zu tun erlaubt, was immer er tun möchte, weniger dagegen in relationalen Begriffen, wonach wir aus Gnade befähigt werden, uns hineinnehmen zu lassen in das Selbstopfer Christi im Dienst für die Welt und in Lob und Anbetung emporgehoben zu werden zum Vater im Himmel.

5 Schlussfolgerung Die charismatische Bewegung hat vielen Christen ein neues Lied in den Mund gelegt, ein Lied, das wie im frühen Methodismus die dynamische Gegenwart Christi bei seinem Volk feiert, so dass sein Volk die Früchte seiner Liebe, seiner Kraft und seines Friedens genießt. In beiden Bewegungen ist das Lied das Herzstück der liturgischen Feier. Doch verglichen mit den Liedern des Methodismus erheben sich Fragen. Es sind dies Fragen bezüglich der Weite der im Liedgut angesprochenen christlichen Erfahrung: Genügt es, dem Schöpfer und Erlöser der Welt Lob zu singen, ohne das Leben und die Erfahrung in der Welt anzusprechen?67 Es sind dies weiter Fragen bezüglich der Transzendenz Gottes: Wo ist, angesichts der durchaus bekräftigten Gegenwart Gottes des Heiligen Geistes in der Kirche, die Betonung des priesterlichen Christus, der uns aus dem Kraftfeld der Selbstbezüglichkeit heraus und in den himmlischen Lobpreis hinein führt? Und schließlich sind es Fragen bezüglich der Identität und Person des Geistes: Ist er eine Kraft, mit der wir zu rechnen und der wir uns unterzuordnen haben, oder ist er die dritte Person der Trinität, die uns aus Gnade führt und uns Christus und seiner Kirche einverleibt und die mit dem Vater und mit dem Sohn angebetet und verehrt wird?

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Eine der kritischen Anmerkungen, die im Blick auf die Lieder Charles Wesleys gemacht worden sind, bezieht sich auf die relative Abwesenheit der natürlichen Welt, die infolge seines christozentrischen Ansatzes aus dem Blick gerät. Immerhin jedoch nahmen seine Lieder Bezug auf den außerhalb des christlichen Gottesdienstes liegenden Kontext.

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»Wir loben unsern Gott von ganzem Herzen« – Anbetung in der Evangelisch-methodistischen Kirche1 Joachim Georg

Tausendfaches Gotteslob? – eine kurze Einführung »Warum singen wir so öde Lieder in unserem Gottesdienst?« Mit solch einer Art von Fragen oder Forderungen wie »Wir wollen auch einen Lobpreisgottesdienst!« konfrontierten in den 1980er Jahren Jugendliche der Evangelischmethodistischen Kirche ihre Pastoren und Gemeinden. Ihre Kritik galt der damals in den meisten Gemeinden gängigen Gottesdienstliturgie und dem üblichen Liedgut. In einigen wenigen Bezirken führten die Herausforderungen durch die charismatische Bewegung zu Polarisierungen, andere konnten kreativ mit den Anfragen und den dahinterstehenden berechtigten geistlichen Anliegen umgehen. Aus der Retrospektive nach über zwanzig Jahren stellt sich die Frage: Wie konnte es dazu kommen, dass eine Kirche, deren Gesangbücher weltweit in der Regel mit dem Loblied von Charles Wesley »Ich würde so gern mit tausend Zungen das Lob meines herrlichen Erlösers singen!«2 beginnen, das Anliegen der Anbetung Gottes erst durch die Impulse der charismatischen Bewegung wiederentdecken musste? In diesem Beitrag versuche ich die liturgischen und hymnologischen Entwicklungen seit den 80er Jahren aus der Sicht eines Gemeindepastors nachzuzeichnen und nach den Spezifika der jeweiligen Wünsche – respektive der Ängste auf der ›anderen Seite‹ – sowie nach den jeweiligen Implikationen zu fragen.

1 »Wir haben Gottes Spuren festgestellt« – unsere Herkunft Dieselbe Einsicht, die einem Zeitungsartikel über die Eröffnung eines neuen Museums als Schlagzeile voranstand, gilt auch für das Verstehen der Entwicklungen des Gottesdienstes in der Evangelisch-methodistischen Kirche: 1 2

Für Hedda und Sabine, für Siggi und Sieger. Danke fürs gemeinsame Suchen und Finden! Eigene Übersetzung des Liedes von Charles Wesley von 1739 »O, for a thousand tongues to sing«; es nimmt Bezug auf das deutsche Lied von Johann Mentzer von 1704 »O dass ich tausend Zungen hätte«, das Peter Böhler in einem Gespräch mit ihm 1739 erwähnte. Vgl. The United Methodist Hymnal, Nashville (Tennessee) 1989 und in vielen anderen Staaten. Auch im britischen Hymnal war dieses bis 1983 das erste Lied; im heutigen Hymnal ist es unter 744 zu finden.

»Wir loben unsern Gott von ganzem Herzen« – Anbetung in der EmK

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»Zukunft braucht Herkunft«. Um die in der Einführung genannten Fragen beziehungsweise Forderungen in ihrer Brisanz und Berechtigung nachvollziehen zu können, gehe ich auf die liturgische Praxis in der Evangelisch-methodistischen Kirche in den 80er Jahren ein. 1.1 Gottesdienst zwischen Wunsch und Wirklichkeit Wesentliche Kennzeichen »des evangelisch-methodistischen Gottesdienstes sind Lobpreis und Anbetung, Gesang und Gebet . . . «3 Als dies 1991 in der Neufassung der Agende der Evangelisch-methodistischen Kirche in Deutschland4 (im Folgenden »EmK« genannt) festhalten wurde, war die Liturgie der EmK in praxi viel stärker von einer thematischen Orientierung geprägt: Alles gottesdienstliche Geschehen lief auf die Predigt zu und von ihr weg, so dass man von der Normalform eines »Predigtgottesdienstes«5 sprechen konnte. Die Impulse aus der charismatischen Bewegung, die über viele verschiedene Kanäle die EmK erreichten, trugen dazu bei, dass »Lobpreis und Anbetung« heute tatsächlich in vielen Gemeinden ein »wesentliches Kennzeichen« ihrer Gottesdienste geworden sind, wobei die Entwicklung dahin nicht immer spannungsfrei verlief. Eine weitere Veränderung, die sich aus Anfragen an die EmK-Liturgie und der darauf folgenden Beschäftigung der Gemeinden mit ihren Gottesdiensten ergeben hat, betrifft die allgemeine Gültigkeit des agendarischen Formulars. 1991 bestand weitestgehend noch eine bundesweite Einheitlichkeit der EmKLiturgie. Auf diese Homogenität, die er als Proprium der EmK vermutete, war damals ein Pastor so stolz, dass er mir gegenüber äußerte: »Von Flensburg bis Friedrichshafen und von Cottbus bis Köln haben wir in jeder EmKGemeinde dieselbe Form des Gottesdienstes. Wo immer ich in Deutschland hinkomme, ich finde mich sofort zurecht.« Heute kann von einer einheitlichen Liturgie der EmK kaum noch die Rede sein. Etliche Bezirke – genauer: Gemeinden6 – haben inzwischen eine eigene Liturgie konzipiert, häufig in Anlehnung an die Grundform 1 A der Agende, manche auch als Weiterent3 4 5

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Agende EmK, 15 [vollständige Angaben zur Quelle im Literaturverzeichnis am Ende dieses Beitrages – Anm. d. Hg.]. Die Entwicklungen der Liturgie in den anderen deutschsprachigen Ländern kann ich nicht genügend beurteilen. Friedemann Burkhardt hat in Aufarbeitung der Geschichte und der Traditionen der verschiedenen Vorgängerkirchen der Evangelisch-methodistischen Kirche den »Predigtgottesdienst als Grundform« der Evangelisch-methodistischen Kirche bestimmt. Vgl. Burkhardt, 12. Bisweilen differieren die Liturgien innerhalb eines Bezirks: In einer Gemeinde kann der Gottesdienst nach Agende 1 A gefeiert werden, während die anderen Gemeinden eine eigene Gottesdienstordnung haben.

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wicklung dieser Grundform oder in bewusster Abgrenzung von ihr. Viele Gemeinden entdecken insbesondere die Anbetung Gottes neu und suchen nach für sie stimmigen Gestaltungsformen. Und selbst die Gemeinden, welche die überkommene Liturgie beibehalten haben, setzen bei der Liedbegleitung eine größere Bandbreite an Instrumenten ein. 1.2 Eine un-schlüssige Liturgie In seinem Artikel Building up the House of God zeichnet Walter Klaiber die Entstehungsgeschichte der EmK-Liturgie nach und zeigt ihre Eigentümlichkeiten auf. Bedingt durch die Zusammenführung der beiden gottesdienstlichen Traditionen nach der Vereinigung der Bischöflichen Methodistenkirche und der Evangelischen Gemeinschaft stelle die Agende von 1973 zwar »deutlich einen Kompromiss dar«7 ; sie habe zwanzig Jahre lang als »hilfreiches Arbeitsmittel für die Gemeinden« gedient, andererseits aber keine »in sich stimmige oder organische Einheit« gebildet. Somit erfordere die Gottesdienstvorbereitung viel Sorgfalt, um dem EmK-Gottesdienst ein »schlüssiges und überzeugendes Profil« zu verleihen.8 Hier wird auch die Pastoren- (und Themen-) Zentrierung des EmK-Gottesdienstes bis in die 90er Jahre hinein deutlich. Offensichtlich wurde in den Vereinigungsgesprächen zwischen Evangelischer Gemeinschaft und Methodistenkirche bezüglich Liturgik und Hymnologie nicht nur ein »Kompromiss« gesucht, sondern auch eine stärkere Orientierung an evangelisch-landeskirchlichen Traditionen. Vergleicht man das Gesangbuch der EmK nach der Kirchenvereinigung aus dem Jahr 1969 mit seinen beiden Vorgängern, fällt eine gegenüber den beiden bisherigen Traditionen neue Systematisierung auf. Das Gesangbuch der Evangelisch-methodistischen Kirche von 1969 gliedert sich in folgende Rubriken: »Das Kirchenjahr – Der Gottesdienst – Das christliche Leben – Besondere Zeiten – Aus der Väter Tagen.« Ein eigenständiges Stichwort »Anbetung« sucht man vergeblich, lediglich unter »Gottesdienst« lautet der erste Paragraph »Lob und Dank«. Dagegen nahmen in dem Gesangbuch der Methodistenkirche von 1926, das bis zur Vereinigung der beiden Kirchen im Jahre 1968 in Gebrauch war, unter dem Abschnitt »Der christliche Glaube« die Lieder zu »Anbetung und Lob Gottes«9 den ersten Platz ein; desgleichen findet sich im Gesangbuch der Evangelischen

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Klaiber, Building up, 292. A. a. O., 293. Die Abschnitte lauten: Der christliche Glaube – Die christliche Kirche – Das christliche Leben – Die christliche Hoffnung. Der Begriff »Kirchenjahr« wird nicht verwendet.

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Gemeinschaft von 1958 die »Anbetung Gottes«, mit Unterteilung in »Lob und Dank« sowie »Bitte und Gebet«, an die erste Stelle.10 Die in der hymnologischen Geschichte der EmK neue Orientierung am landeskirchlichen Kirchenjahr11 bewirkte im Denken und Empfinden der Gemeinden eine Veränderung. Vor der Kirchenvereinigung war die Predigt mit einer oft starken erwecklichen und missionarischen Komponente die Mitte des Gottesdienstes, gleichzeitig aber wurden Lieder aus der Tradition der Erweckungen und der Heiligungsbewegung gerne gesungen und problemlos integriert, so dass die Anbetung Gottes über diese ›unliturgische‹ Weise zu ihrem Recht kam. Ab 1969 aber sollten in der, oft als Nummernprogramm empfundenen und gestalteten, liturgischen Abfolge von • Alttestamentliche Schriftlesung • Lobpreis (»Ehr sei dem Vater«) • Neutestamentliche Schriftlesung • Lobpreis (»Halleluja«) • Gebet12 und • Anbetungslied13 inhaltlich »Lobpreis und Anbetung« als »wesentliche Kennzeichen des evangelisch-methodistischen Gottesdienstes« erkannt und erlebt werden. Wenn Thomas Mozer heute schreibt, die Lesungen aus dem AT und NT besäßen den »Charakter der Hinführung zum Lob« und dieser Teil der EmK-Liturgie – von 10

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Das Gesangbuch EG gliedert sich in die Teile: Anbetung Gottes – Heilige Zeiten (der Sonntag und das Kirchenjahr werden hierunter subsumiert) – Gemeinde Christi und Gnadenmittel – Jesuslieder – Die Heilsordnung – Das christliche Leben – Besondere Verhältnisse und Zeiten – Die letzten Dinge – Doxologie und Schlussgesänge. Ein weiteres Indiz für die Orientierung am Kirchenjahr ist die weit verbreitete Verwendung der landeskirchlichen Perikopenordnung, die bei einigen Pastoren und Pastorinnen so weit geht, dass sie ihre Predigt mit »Der Text für den heutigen Sonntag steht . . . « beginnen, ohne wenigstens zu reflektieren, dass es sich bei dieser Perikopenordnung um eine protestantische Tradition unter vielen handelt. Dieses laut Agende erste Gebet im Gottesdienst musste in praxi zu viele Funktionen abdecken: von der Epiklese über eine inhaltliche Bezugnahme zu den gehörten Bibeltexten, die Bitte um ein aufmerksames Predigthören sowie Vollmacht für die Predigenden bis hin zu Fürbitten für einzelne Gemeindeglieder und globale Anliegen. Viele Gemeinden haben mittlerweile ein zusätzliches kurzes »Eingangsgebet« am Anfang des Gottesdienstes. Die nach 1968 im Bereich der ostdeutschen Zentralkonferenz geltende Agende gab eine etwas andere Ordnung vor (Anm. des Hg).

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Alttestamentliche Schriftlesung bis Lobpreis – hätte »unabdingbar« den »Charakter der Verherrlichung Gottes«14 , so hätten in den 80er Jahren diese Deutung nicht einmal alle Pastoren und Pastorinnen verstanden. Wie oft habe ich von Liturginnen und Pastorinnen nach einer Schriftlesung die rein funktionale Aufforderung an die Gemeinde gehört: »Wir singen das ›Ehr sei dem Vater‹.« Der »Charakter der Verherrlichung Gottes« durch Lesungen und Lobpreis wurde vielfach weder von den Liturgen noch von den Gottesdienstteilnehmern als solcher empfunden, folgte doch die Gestaltung der Liturgie oft anderen Leitgedanken als dem »der Hinführung zum Lob«. Die Liturgen – bis heute sind es überwiegend die Pastoren oder Prediger, welche die gottesdienstlichen Lieder aussuchen – wählten bis weit in die 90er Jahre hinein für den ›Lobpreis‹ an Stelle von »Ehr sei dem Vater« beziehungsweise »Halleluja« Liedstrophen unter thematischen Gesichtspunkten aus, die oft nicht einmal einen Gebets-, geschweige denn Anbetungscharakter(!) hatten, zudem waren sie musikalisch eher unemotional. Auf Grund dieser langjährig erlebten und oft lieblos gestalteten Praxis verwundert es nicht, dass viele Menschen in der Liturgie der EmK die Anbetung Gottes weder erkennen noch erfahren konnten. Das auf diese Weise bis zur Unkenntlichkeit marginalisierte beziehungsweise konterkarierte Gotteslob evoziert verständlicherweise ein starkes Bedürfnis nach erlebbarer Anbetung. Es erscheint mir als nicht zufällig, dass die Anfragen an die Stimmigkeit der EmK-Liturgie und die Forderungen nach ›Lobpreis‹ Mitte der 1980er Jahre erfolgten, gewissermaßen im Jugendlichenalter der vereinigten Kirche; besonders Jugendliche empfanden die Liturgie als nicht in sich stimmig und vermissten die emotionale Seite eines begeisterten Gotteslobes. Für viele Erwachsene stellte die Liturgie der vereinigten Kirche insofern kein Problem dar, als für sie die inhaltliche Bewegung auf die Predigt hin entscheidend war.15 Etliche von ihnen erlebten sogar die neue Nüchternheit als eine Befreiung, nach einer Zeit der starken Betonung des Gefühls durch Heilslieder und eine persönliche, bisweilen auch moralisierende, Predigtweise. Außerdem gab es, wie Friedemann Burkhardt aufzeigt16 , im deutschsprachigen Methodismus kaum ein Interesse an Liturgie als eigener Gestalt unabhängig von der Predigt, im Unterschied zu den Traditionen in anderen Ländern, so

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Mozer, 101. Die Anordnung Alttestamentliche Schriftlesung – Lobpreis – Neutestamentliche Schriftlesung – Lobpreis – Gebet – Anbetungslied schien ja thematisch auf die Predigt abzuzielen. Dem hält Thomas Mozer entgegen, dass die Schriftlesungen »unverbunden neben den anderen« Teilen des Gottesdienstes stehen können, denn »die erste Gestaltungsausrichtung ist, Gott zu verherrlichen in Wort und Lied«; a. a. O., 102. Vgl. Burkhardt, 12–14.

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dass der Gottesdienstgestaltung wenig Achtsamkeit gewidmet wurde – bis zu den Herausforderungen durch die charismatische Bewegung. 1.3 Raum-Irritationen – ein Exkurs Parallel zu den Tendenzen, die sich im Gesangbuch EmK 1969 widerspiegeln, kann eine Entwicklung des methodistischen Kirchenbaus ab den 1960er Jahren von der »Kapelle« zur »Kirche« beobachtet werden. Wie es in der Festschrift zum 125-jährigen Jubiläum des Gemeindebezirks Esslingen heißt: »Die Kirchen werden als Sakralbauten gestaltet, die ohne Orgel nicht mehr auskommen.«17 Vorher hatte die Raumgestaltung der Kapellen, wie sie bis dahin weithin üblich waren, der gängigen Gottesdienst-Theologie entsprochen. Am Ende des 19. Jahrhunderts hatte sich in den Kirchen des kontinentalen Methodismus eine freie Gottesdienstform entwickelt, sie »folgte meist dem Schema: Lied – Stegreifgebet des Predigers – Lied – Predigt – Lied – Gebet – Segen.«18 Und genau in Korrelation zu diesem »Predigtgottesdienst« war die Kapelle gestaltet: Die Kanzel stand in der Mitte, um die zentrale Bedeutung des Wortes Gottes zu versinnbildlichen19 , an der Stirnwand war ein großes leeres Kreuz als zentraler Signifikant der Erlösungs- und Auferstehungsbotschaft angebracht, seitlich aufgemalte Bibelverse wie »Wir predigen den gekreuzigten Christus« oder Kurzbekenntnisse wie »Jesus lebt, Jesus siegt« visualisierten für alle die Leitlinien der Theologie. Das Raumkonzept entsprach dem Grundanliegen des Gottesdienstes, nämlich: »Die Predigt stand im Mittelpunkt«.20 Die Gestaltung der Gottesdiensträume in den Betonkirchen der 60er und 70er Jahre folgte nicht mehr einer eindeutigen und bewussten Theologie, sondern richtete sich nach raumästhetischen Gesichtspunkten, die sich, eher bewusst als unbewusst, an landeskirchlichen Sakralbauten orientierten. Die Architekten konzipierten oft nicht nur das Kirchengebäude, sondern auch ihren Gottesdienstraum. Es fällt auf, dass in dieser Zeit die Kanzel aus der Mitte rückt, die Orgel21 ein starkes Gewicht bekommt und aus dem Abendmahlstisch ein – schön gestalteter – Altar wird. In den 60er Jahren wollte die EmK ökumenisch als gleichwertige Partnerin behandelt und als ›Kirche‹ wahr-

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Festschrift Esslingen, 29. Burkhardt, 2. Die zur Kanzel seitlich hinaufführenden Treppen dienten nicht der Glorifizierung des Predigers, sondern damit er mit der ganzen Gemeinde Blickkontakt haben konnte. Burkhardt, ebd. Begleitinstrumente für den Gemeindegesang waren vorher vielfach Harmonium oder Klavier.

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genommen werden.22 Mit diesen äußeren Signalen von Verkirchlichung ging aber gleichzeitig ein Verlust an der Gestaltung von Glaubens-Gemeinschaft, freien Gebeten und dem unbekümmerten Singen emotionaler Heils- und Loblieder einher.23

2 »Bahnt einen Weg unserm Gott« – die Herausforderungen Das Gefühl der Jugendlichen in den 1980er Jahren, »so öde Lieder« singen zu müssen und im Gottesdienst der EmK fände kein ›Lobpreis‹ statt, speist sich einerseits aus der oben genannten Dissonanz zwischen dem Leitgedanken, Lobpreis und Anbetung seien wesentliche Kennzeichen des Gottesdienstes, und dem gottesdienstlichen Erleben: die liturgische Praxis konnte die gute Theorie nicht so mit Leben füllen, dass Anbetung erlebbar wurde. Die sich unbewusst vollziehenden Veränderungen von einem Predigtgottesdienst, der gleichzeitig aber viele gemeinschaftliche, freie und emotionale Züge pflegte, hin zu einem Gottesdienst, der ›liturgisch‹ sein und wohl auch ›Kirche‹-Sein transportieren wollte, wurden zu wenig wahrgenommen und reflektiert. Andererseits machten dieselben Jugendlichen außerhalb der Evangelischmethodistischen Kirche Erfahrungen mit anderen Formen von Gottesdienst und Frömmigkeit: Sie erlebten den selbstverständlichen(!) Einsatz von PopInstrumenten bei der Liedbegleitung und begegneten neuartigen geistlichen Liedern in Form von Taizé-Gesängen und, stärker noch, ›Lobpreisliedern‹. Die Songs der charismatischen Bewegung begeisterten aber nicht nur Jugendliche, sondern auch, mit Verzögerung und anders eingeordnet, einige Erwachsene in den Gemeinden, die im vermeintlich fehlenden Lobpreis ein Desiderat sahen. 2.1 Lobpreis als eigenständige liturgische Einheit Abgesehen von Ausnahmen bei einigen wenigen, deren Problematisieren des EmK-Gottesdienstes ein Platzhalter für eine grundsätzliche Kritik am Gemein22

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Festschrift Esslingen, 29: »Bei Renovierungen der Gottesdiensträume wird in der Regel die Kanzel von der Mitte weg auf die Seite gerückt. Es wird ein Altarraum geschaffen mit einem gewichtigen Abendmahlstisch.« Seit den 1950er Jahren sei »in der Evangelischen Gemeinschaft die Neigung zur Anpassung an die Landeskirche«, der »Wunsch zur Gleichwertigkeit« zu beobachten: »Die Gemeinschaft will Kirche (sein), wenn auch nicht mit landeskirchlichen Strukturen«; ebd. Lohnenswert wäre es, zwei weitere Bereiche näher zu beleuchten: zum einen die Korrelation von lernpsychologischen Ansätzen in Gesellschaft und Gottesdienstgestaltung (vgl. Gotteslob, 28: »Der Gottesdienst läßt sich [. . . ] im Sinn der Lernpsychologie begreifen«), zum anderen der Einfluss gesellschaftskritischer Themen wie Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung

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deverständnis war, ging es nach meiner Einschätzung denen, die ›Lobpreis‹ einforderten, um das geistlich-theologische Anliegen der Anbetung im Gottesdienst. Sie konnten im agendarischen Lobpreis mit den kurzen Gesängen »Ehr sei dem Vater« und »Halleluja« keine adäquate Anbetung Gottes erkennen, geschweige denn diese emotional erleben. Ein Blick auf das Liedgut unter »Lob und Dank« im Gesangbuch EmK 1969 verifiziert diese Einschätzung: Die meisten Lieder dieser Rubrik haben lediglich den Charakter der Aufforderung zum Lob, wie etwa »Nun lasst uns Gott, dem Herren, Dank sagen und ihn ehren«; Lieder, die das Du-Gespräch mit Gott suchen oder sein Wesen in Anbetung bestaunen, sind hingegen rar gesät. Und die Tatsache, dass die textlich und musikalisch emotionaleren Lieder in die Rubrik »Aus der Väter Tagen« abgeschoben wurden, veranschaulicht, dass die darin sich ausdrückende inbrünstige Art der Gottes-Hingabe – in den so genannten Lobpreisliedern der 80er Jahre mit Stilmitteln der Popmusik neu ›intoniert‹ – für die Kompilatoren des Gesangbuchs nur noch unter dem Aspekt der Nostalgie zu ertragen war. Des Weiteren wurde ein Element vermisst, das heute viele mit »vor Gott ankommen« oder »vor Gott treten« bezeichnen: der berechtigte Wunsch, sich in der Gegenwart Gottes zu verorten. Die Epiklese, also die Bitte um das Herabkommen des Heiligen Geistes, die liturgisch an den Anfang des Gottesdienstes gehört, war in dem EmK-Gottesdienst der 80er Jahre kaum zu spüren. Weder das kurze trinitarische Eingangswort noch das »Eingangsgebet«24 noch das erste Gemeindelied – wenn es denn ein Lob- und Anbetungslied war(!) – vermochte die Verortung vor Gott erlebbar zu machen. So wurden Hauptamtliche und Gemeinden mit dem berechtigten Anliegen konfrontiert, mittels des ›Lobpreises‹25 bereits im ersten Teil des Gottesdienstes das Du-Gespräch mit Gott aufzunehmen und den Respekt vor der wunderbaren Größe emotionaler und direkter auszudrücken. Lieder wie »Wir sind hier zusammen in Jesu Namen, um dich zu loben, o Herr« vertonten diesen Wunsch. Inhaltlich ging es beim Lobpreis tatsächlich um eine Erweiterung der Anbetung gegenüber dem Gesangbuch EmK 1969. Während das Gotteslob unter Lob und Dank stark auf das, was Gott für uns tut – deus pro nobis –, ausgerichtet war, wollte ›Lobpreis‹ als eigenständigen Topos besingen, wer Gott ist – essentia dei. Wenn auch häufig lediglich auf der emotionalen Ebene, spürten diejenigen, denen im Gottesdienst nichts fehlte, dass die überkommene Liturgie durch

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der Schöpfung und Aktionen wie Demonstrationen für Abrüstung und in Atom- und Umweltfragen. Vgl. Anmerkung 12: die Überladung dieses Gebetes durch Mehrfachfunktion. Im Folgenden verwende ich ›Lobpreis‹ mit Anführungszeichen zur Bezeichnung der speziellen Form von Anbetung, wie sie die charismatische Bewegung hervorbrachte.

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den vehementen Wunsch nach Lobpreis, der sich bisweilen auch als Forderung äußerte, hinterfragt wurde. Ihr Unbehagen erfasste unbewusst etwas Richtiges: ›Lobpreis‹26 • kritisierte – nonverbal – tatsächlich die zu geringe emotionale Erlebbarkeit von Anbetung im real vorfindlichen EmK-Gottesdienst, • forderte eine längere Phase der anbetenden Gottesbegegnung und eine tiefere ›Inbrunst‹ der Gottesdienstteilnehmer in ihrem Singen und Beten ein und • forderte, qua Vollzug, dazu auf, das anbetende Staunen über Gottes wunderbares Wesen, die Kraft seines Geistes und das heilsame Mysterium seiner Gegenwart neu zu entdecken. 2.2 Eine neue emotionale Kultur Neben der theologischen Anfrage an die EmK-Liturgie stellte vor allem die kultur-ästhetische Komponente von ›Lobpreis‹ die eigentliche Herausforderung für die Gemeinden dar. Die Lobpreislieder sind in der Popmusik beheimatet. Zwar kamen bereits mit den gesellschaftskritischen Liedern der späten 70er Jahre Instrumente wie Gitarre und Klavier und, seltener, Schlagzeug, zum Einsatz, aber das wurde – in der Regel – als jugendgottesdienstliche Ausnahme akzeptiert beziehungsweise erduldet. Nun jedoch sollte ein wesentliches Proprium des Gottesdienstes, die Anbetung, mittels Popmusik gestaltet werden; das bedeutete gegenüber der gewohnten Orgel und dem, meist eher für Chorbegleitung eingesetzten, Klavier die Integration neuer Instrumente und einer neuen Art des Musizierens. Hinzu kam, dass der mit ›Lobpreis‹ verbundene Ausdruck für die Gemeinden exotisch war: Die Gestik der emporgehobenen Arme bei Epiklese und Gottes-Jubel konnte zwar kognitiv mit Bibelstellen wie Ps 28, 2 und 88, 1027 gerechtfertigt werden, wurde aber emotional in einem eher durch bürgerliches Wohlverhalten dominierten Gottesdienst als ungehörig empfunden. Kulturell ebenso irritierend war die Art der Präsentation: Zum einen leitete ein Vorsänger von vorne zum Mitmachen an. Für Protestanten im Allgemeinen, die sich selbst eher als »peccatores« (Sünder) denn als »justi« (Gerechte) verstehen und eine starke Affinität zur Demut entwickeln, und evangelisch-methodistische Christen im Besonderen, in deren Tradition das Singen des Gemeindechors 26 27

›Lobpreis‹ wurde mitunter von beiden Seiten als Schlag- und Kampfwort eingesetzt. Vgl. auch Ex 17, 11f; Ps 143, 6 und 1 Tim 2, 8.

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»Dienst am Lied« hieß, war das vermeintlich selbstbewusste Auftreten28 der Lobpreis-Leiter ein Ärgernis. Zum anderen stellte der bewusste Verzicht auf Liederbücher zugunsten von Folien29 für viele einen Affront dar, der nonverbal das Defizitäre des Gesangbuchs zu signalisieren und den gewohnten Ritus zu hinterfragen schien. Das Stehen beim Lobpreis wäre 15 bis 20 Jahre früher für die bischöflich-methodistische Tradition der EmK nicht nur kein Problem gewesen, sondern hätte sich nahtlos in den Usus, beim Singen zu stehen, eingefügt. So aber hatten sich viele über Jahre hinweg an das Singen im Sitzen gewöhnt und empfanden eine doppelte Irritation.30 Da das Entdecken kultureller Differenzen unbewusst geschieht, wurden für die Argumentation pro oder contra diese Art von Anbetung ersatzweise kognitive Gründe verwendet. Die Gegner argumentierten, Lobpreis sprenge die Liturgie und diese sei doch »bis jetzt gut« gewesen. Der Vorwurf der Befürworter lautete: »Ihr seid nicht flexibel«31 und darin spiegele sich eine mangelnde geistliche Einstellung. Eine andere Reaktion projizierte das emotionale Unbehagen auf die mangelnde musikalische Qualität: Bach wurde mit Graham Kendrick, Crüger mit Twila Paris und Neander mit Nina Lee Hopper oder Youth with a Mission verglichen. Dabei hatten die, die den Barock als Ideal ins Feld führten, so gut wie keine eigene kulturelle Erfahrung mit Popmusik und somit keine Maßstäbe für Qualitätsbeurteilungen.32 Auf der anderen Seite wurde seitens der Liebhaber des Lobpreis-Pop undifferenziert jede Musik, die älter als dreißig Jahre war, einfach als ›verstaubt‹ diskreditiert. Anfang der 90er Jahre stellte es dann kein Problem mehr dar, Lieder aus der jeweils anderen musikalischen Tradition ins eigene Liedgut zu integrieren: »Gott ist gegenwärtig«

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Motivation ohne ein gewisses Maß an gesundem Selbstbewusstsein und Überzeugtsein von der Sache ist kaum vorstellbar. Damit die Hände ›frei für Gott‹ sind. Heute findet die Projektion mit Notebook und Beamer statt. Es wäre untersuchenswert, inwieweit diese Elemente des Lobpreises – Stehen, Klatschen, Hände heben, Leadsänger, Aufforderung zum Sing along etc. – ihre Wurzeln womöglich nicht in geistlichen Erkenntnissen haben, sondern eine christianisierte Form des Verhaltens bei Rock- und Pop-Konzerten darstellen. Andere Freikirchen wie der Bund der EFG oder der FEG hatten keine agendarisch festgelegte Liturgie, so dass sich dort ›Lobpreis‹ leichter beheimaten konnte. Erst in jüngerer Zeit entdecken Theologen der Freien evangelischen Gemeinden die Schätze von Liturgie, die eine Lanze für Liturgie als »heiliges Spiel« brechen. Vgl. Nösser/Reglin. Angesichts der gesamten Tradition von EG und MK beruht die Kritik der »Bach«-Liebhaber zudem auf einer zeitlich sehr schmalen ästhetischen Erfahrung. Das Singen, auch in den Gemeindechören, bestand immer aus musikalisch einfachen und für die Mehrheit nachvollziehbaren Formen. In den 70er und 80er Jahren hatten einige wenige die Möglichkeit, in landes- und freikirchlichen Kantoreien eine anspruchsvollere Chorliteratur kennen zu lernen.

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wurde begeistert via Folie gesungen, und »Ich lobe meinen Gott« fand Einzug in viele Gesangbücher.33 2.3 Anfragen an die geistliche Haltung Bisweilen wurde die Kritik der Jugendlichen an der geistlichen Ausrichtung und Tiefe der Gemeinde verbal geführt. Häufiger aber implizierte ihre Forderung nach einer »Lobpreiszeit« eine Anfrage an die Haltung der Gemeinde. Nicht in erster Linie an den Texten oder dem musikalischen Ausdruck der gewohnten Lieder, sondern am sturen Festhalten an alten Formen zeige sich die ungeistliche Gesinnung. »Rechnet ihr denn eigentlich noch mit Gottes Präsenz und seinem Handeln? Singt ihr aus Gewohnheit oder weil es euch ein geistliches Anliegen ist, Gott zu loben?« Die Lobpreislieder gaben den Jugendlichen ein Medium an die Hand, mittels dessen sie ihre Sehnsucht nach tieferen geistlichen Erfahrungen, nach Glaubenshingabe und Gottes Wunderhandeln in ihrer Kultur-Sprache adäquat ausdrücken konnten. Dabei stellten die für Pop-Lobpreislieder konstitutiven Elemente wie Epiklese und Ehrfurcht vor Gottes Majestät für die Traditionen der EmK keinen Fremdkörper dar, hatte man doch auch Lieder wie »O Heilger Geist, kehr bei uns ein«34 und »Herrscher der Ewigkeit«35 gesungen, nur kam die Anbetung jetzt in einem neuen kulturellen Gewand daher. Ergänzend weise ich noch darauf hin, dass die Anfragen durch die charismatische Bewegung sich nicht auf die Anbetungszeit im Gottesdienst beschränkten. Weitere Wünsche betrafen u. a. ein an Gaben – und nicht in erster Linie an Aufgaben – orientiertes Gemeindeleben, persönliche Salbung und Segnung, Anfragen an die Kindertaufe und eine ›geistliche‹ Gemeindeleitung im – falsch verstandenen – Gegensatz zu ›demokratisch‹ gewählten Gremien wie Gemeindevorstand und Bezirkskonferenz.

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Kulturellem Empfinden scheint mir auch der Streit über die ›Qualität‹ der Texte zu unterliegen. Wenn Strophenlieder im Gegensatz zu sich wiederholenden Texten als ›besser‹ beurteilt werden, wird die Intention der jeweiligen Ästhetik verkannt: Während die eine Art der Texte eher den Verstand anspricht, bringt die andere Gefühle angemessener zum Ausdruck. Was m. E. bislang ebenfalls zu wenig beachtet wurde, ist die Tatsache, dass der kulturelle Ausgangspunkt christlicher Pop- und Lobpreis-Musik in den USA liegt, in deren Gottesdiensten eine teilweise gänzlich andere Gesangskultur mit Bands und Solisten gepflegt wurde und wird. Vgl. Gesangbuch EmK 1969, 103, Gesangbuch EG, 143, und Gesangbuch MK, 158. Gesangbuch EmK 1969, 640; vgl. auch Lieder wie »Ich brauch dich allezeit«, Gesangbuch EmK 1969, 648, und »Gott ist gegenwärtig, lasset uns anbeten«, Gesangbuch EmK 1969, 167.

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3 »Neue Schritte wagen« – heilsame Lösungen Im gottesdienstlichen Singen der EmK fanden in den letzten 25 Jahren etliche Veränderungen statt, teilweise als bewusst initiierte Prozesse, teilweise als graduelle Entwicklungen, die sich ungeplant ergaben. Waren in den 70er und 80er Jahren die Lieder zu einseitig intellektuell geprägt und galt die Kongruenz von Text und Ton als hoher Wert, entdecken heute viele Gemeinden die Emotionalität des Singens neu. »Von ganzem Herzen« singen zu können – und nicht mehr nur »von ganzem Verstand« – ist für viele inzwischen zu einer unverzichtbaren Qualität geworden.36 Zu diesem den Verstand ›entlastenden‹ Singen haben sowohl Taizé-Gesänge als auch die Lobpreislieder verholfen. Bezüglich Länge und Gestaltung des Gottesdienstes gibt es unter den heutigen EmK-Gemeinden allerdings relativ große Unterschiede: Auf Grund einer konstitutiven Anbetungszeit sowie anderer Elemente, die in den vergangenen zwanzig Jahren die Liturgie angereichert haben37 , dauert der Gottesdienst in vielen Gemeinden deutlich länger als 60 Minuten, andere hingegen haben die agendarische Ordnung von 1991 nicht oder kaum modifiziert, integrieren aber – mit größerer musikalischer Bandbreite – in bescheidenem Rahmen Lobpreislieder in ihren Gottesdienst. Auch die emotionalen Reaktionen auf die Veränderungen, wie stark sie auch ausfallen mögen, sind vielgestaltig. Ertragen einige die Texte und die Pop-Musik der »Lobpreislieder« nur mit Mühe, sind für andere dieselben Lieder zu einem lieb gewordenen Ausdruck ihres Glaubens und gottesdienstlichen Lebens geworden, ohne dass sie sich dadurch als »Charismatiker« klassifizieren wollen. Im Rückblick auf die im Lauf der letzten Jahre entstandenen beziehungsweise gestalteten Veränderungen im gottesdienstlichen Leben und Erleben der EmK lassen sich einige Lösungsmodelle skizzieren, die zu einem konstruktiven Umgang mit den Herausforderungen geführt haben. Sie betreffen die theologische Reflexion von Anbetung, kybernetische und seelsorgerliche Komponenten sowie den positiven Umgang mit Traditionen aller Art. Sie sollen im Folgenden kurz skizziert werden. 3.1 Der Anbetung Raum geben Die Impulse aus der charismatischen Bewegung forderten Gemeinden und Hauptamtliche der EmK heraus über den theologischen locus von Lobpreis 36

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Dabei ist vielen Pastoren und Laien durchaus bewusst, dass etliche Lobpreislieder eine einseitige Theologie transportieren; vgl. unten 4.3. Der kritische Umgang mit Texten hat sich jedoch geändert. Spielte in den 80ern die theologische und metaphorische Richtigkeit eine große Rolle, ist die theologische Toleranz heute größer; es kommt stärker auf die emotionale Ebene an. In den frühen 80er Jahren kam die »Zeit mit den Kindern« hinzu, in den späten 80ern die »Zeit der Gemeinschaft«. Vgl. Agende EmK, 19, sowie Georg, Gemeinschaft, 27f.

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nachzudenken. Zwar kam Anbetung in der tradierten Liturgie nominell vor, jedoch fehlte angesichts der starken Fokussierung auf die Verkündigung eine angemessene Einordnung und Würdigung von Anbetung38 . Die Begegnung mit dem Phänomen ›Lobpreis‹ initiierte in den letzten beiden Dekaden eine theologische Diskussion, in deren Prozess sich Einzelne zum Gotteslob bekannten: Anbetung ist theologisch konstitutiv und darf liturgisch nicht marginalisiert werden.39 Dabei ist zu unterscheiden zwischen ›Lobpreis‹ als Musikund Ausdrucks-Stil und dem Wesen des Gotteslobs. Es hat dem gottesdienstlichen Leben der EmK gut getan, sich in der Gemeinde darüber verständigen zu müssen, was unverzichtbare Inhalte der Anbetung und welche Ausdrucksformen und -mittel für die jeweilige Gemeinde adäquat sind. Angesichts der divergierenden Interessen zweier unterschiedlicher Gruppen stellte die Einführung so genannter »Lobpreisgottesdienste« als Sonderveranstaltungen für viele Gemeinden eine vorläufige Lösung dar. In ihnen konnten die jeweils ›neusten‹ Lobpreislieder gesungen, Hände in Anbetung gehoben, Zeugnisse gegeben und Menschen persönlich gesegnet werden. Je besser es einer Gemeinde gelang, diese Sonder-Gottesdienste theologisch und seelsorgerlich in ihr Gesamtkonzept einzubinden, desto hilfreicher waren sie. Dabei blieb aber als Ziel bestehen, gemeinsam eine Liturgie zu finden, die Anbetung organisch in die bestehende Ordnung integrierte, so dass sich die gesamte Gemeinde theologisch und emotional beteiligen konnte. Ich möchte noch anmerken, dass ich Worte wie »Lobpreisgottesdienste« nicht sonderlich hilfreich finde, weil sie ein Element des Gottesdienstes überbetonen und implizieren könnten, dass die Anbetung der ›normalen‹ Gottesdienste nicht ausreiche. Ähnliches gilt für »Segnungsgottesdienste« oder gar »Gemeindegottesdienste«. Für mich gehören Anbetung, Segen und die Gemeinde konstitutiv zu jedem Gottesdienst und bedürfen daher keiner speziellen Markierung.

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Ich spreche lieber von ›Anbetung‹ als von ›Lobpreis‹, da letzterer Ausdruck für mich zu stark mit einseitigen Charakteristika besetzt ist. Außerdem empfinde ich ihn sprachlich als unnötige Doppelung. Die Nuancierung zwischen beiden Begriffen mit Ableitungen aus der deutschen Sprache zu begründen, wie Mozer, 101f, es tut, erscheint mir zu künstlich. Vgl. das Bekenntnis Manfred Marquardts in Gotteslob, 8: »Den Glaubenden [. . . ] ist es eine selbstverständliche Lebensäußerung, dem Lob zu bringen, der ihnen Leben geschenkt und seine Liebe erwiesen hat.« und S. 12: »Das Gotteslob ist eine nie vergehende Wirklichkeit.« sowie mit Wesleys Worten, S. 13: ‘Man’s chief end is to glorify God’. Ergänzend konstatiert Dieter Sackmann, »der liturgische Beitrag der ›Geistlichen Gemeindeerneuerung‹« sei in EmK-Gottesdiensten »durchaus zu erkennen«. In ihnen trete »die Anbetung Gottes besonders hervor, ebenso die Zuwendung an Kranke und andere, die Zuwendung durch die Gemeinde suchen.« Elemente wie Segnung, Gebet um Heilung, Beichte und »die prophetische Dimension« gewinne »einen neuen Stellenwert«; vgl. Gotteslob, 32.

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3.2 Liturgie gemeinsam verändern Veränderungsprozesse in der Gemeinde sind nie lediglich theologischer und kognitiver Natur, sondern unterliegen Gesetzen der Gruppendynamik. Somit werfen sie auch die Frage nach der ›Macht‹ auf: Hier fordert mich etwas heraus, das anders ist als meine bisherige Praxis, als das in meiner Gruppe Vertraute und Gewohnte. Was stellt sich als stärker heraus, das Neue oder das Traditionelle? Und wer in der Gemeinde hat die Macht, Veränderungen vorzunehmen? Etliche EmK-Gemeinden konnten die Herausforderungen durch ›Lobpreis‹ als Chance aufgreifen. Ein Mittel dazu war das gemeinsame Ringen, um das Wesen des Gottesdienstes und seiner Form zu verstehen, sowie eine offene, kreative Suche nach einer für diese Gemeinde stimmigen Liturgie. Im Folgenden umreiße ich paradigmatisch knapp die konstruktive Entwicklung in Esslingen am Neckar, einem vergleichsweise großen Gemeindebezirk der EmK. Anfänglich standen sich zwei antithetische Anschauungen gegenüber. Diejenigen, die mit der traditionellen EmK-Liturgie verbunden waren, verlangten: »Alles muss bleiben, wie es ist!« Hingegen lautete die entgegengesetzte Maximalforderung zugunsten von ›Lobpreis‹ und einer flexibleren Gottesdienstordnung: »Alles muss anders werden!« Das Gespräch miteinander suchend setzten sich Vertreter dieser Antipoden an einen Tisch mit dem erklärten Ziel, gemeinsam über Wesen und Gestaltung von Gottesdienst nachzudenken. In der Retrospektive erkenne ich drei methodische Schritte, die in diesem Diskurs einen konstruktiven Gruppenprozess ermöglichten. Zum einen schaffte der Austausch darüber, welche Gottesdienstelemente für jeden persönlich wertvoll waren und was sie damit theologischgeistlich verbanden, eine gute Kommunikationsbasis. Für ein schöpferisches Arbeiten an der Liturgie war zum anderen eine kurze Einführung in die Grundstruktur und eine Einteilung des Gottesdienstes in fünf Abschnitte40 äußerst hilfreich. Sowohl ›Traditionalisten‹ als auch ›Spontane‹ entdeckten die innere Zuordnung und den Sinn der einzelnen Elemente. Unsere neue Liturgie besteht aus den Gottesdienst-Teilen: • sich einfinden und ankommen • Gott loben und anbeten • hören und antworten 40

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Die neue Liturgie gliederte sich zunächst in vier Gottesdienst-Teile. Nach einer Evaluation verschoben wir die »Zeit der Gemeinschaft«, die vorher ein Teil von sich einfinden und ankommen war, nach hinten unter Anteil nehmen und Anteil geben. Zum Thema »Zeit der Gemeinschaft« vgl. Georg, Gemeinschaft, 9ff, 29 u. ö.

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• Anteil nehmen und Anteil geben • gesegnet und gesendet werden In einem dritten wesentlichen, und vielleicht entscheidenden, Schritt stellten wir jede einzelne gottesdienstliche Handlung zur Disposition, die Predigt eingeschlossen! Damit galten für alle Beteiligten dieselben Ausgangsbedingungen; und sie waren am Ende des Prozesses in gleicher Weise überrascht, dass sich die Veränderungen im Rahmen hielten. Besondere Sorgfalt verwandten wir auf die Gestaltung der Zeit der Anbetung41 . Dazu gehörte der Austausch über unser Verständnis von ›Lobpreis‹ beziehungsweiseGotteslob und seiner jeweiligen Form, über Unverzichtbares und Optionales sowie die Unterscheidung von lieb gewordenen Gewohnheiten und zukunftsorientiertem gemeinsamem Gestalten. Die sich für unsere vielschichtige Gemeinde als stimmig herauskristallisierende Zeit der Anbetung beinhaltet zwei Anbetungslieder, ein Gebet, das mit einem Psalmgebet eröffnet werden kann, und ein abschließendes Anbetungslied. Drei Gestaltungselemente leiteten uns dabei: Erstens wählen die jeweiligen Liturginnen, in Absprache mit den Musizierenden, die Loblieder aus; damit ist eine musikalische und textliche Vielfalt qua persona gewährleistet. Sodann hat sich als hilfreich herausgestellt, dass die Gemeinde während der gesamten Zeit der Anbetung steht! Dies ist nicht nur der Gestaltungsästhetik geschuldet42 , sondern drückt unsere dankbare Achtung vor Gott aus; wir verstehen den gesamten Block als ein anbetendes und lobendes Gebet43 und beschließen ihn folgerichtig mit »Amen«. Drittens können die Liturgen optional die Gemeinde in knapper Form auf die Anbetung einstimmen, indem sie einen besonderen Schwerpunkt für das Gotteslob nennen. Durch die Gespräche über Anbetung, und stärker noch durch ihren gemeinsamen Vollzug, einigten wir uns mühelos in vielen Fragen, die ein halbes Jahr vorher noch Konfliktpotential darstellten: ›Alte‹ und ›neue‹ Lob- beziehungsweise Lobpreislieder gehören gleichwertig dazu und sind es wesensmäßig auch; verschiedene Instrumentierungen bei der Begleitung werden nicht nur

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Zur Zeit der Anbetung gehört neben dem o. G. noch ein Chorlied resp. eine Instrumentalmusik. Es wäre möglich, den Teil Gott loben und anbeten insgesamt »Zeit der Anbetung« zu nennen, aber die Chorlieder sind nicht ausschließlich Loblieder. Anweisungen wie »Bitte nehmt Platz« oder »Bitte erhebt euch«, die ohnehin möglichst vermieden werden sollten, entfallen gänzlich. Diejenigen aus der EmK-Tradition sind es gewohnt, beim Gebet zu stehen, für die aus der ›Lobpreis‹-Tradition gehört das »Stehen vor Gott« dazu.

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ertragen, sondern sind erwünscht; die unterschiedliche Gestaltung durch die Liturginnen44 ist intentional und wird als Bereicherung empfunden45 . Dieses gemeinsame konstruktive Arbeiten an einer gemeinsamen Liturgie kann als Vertrauen bildende Maßnahme bezeichnet werden. Der Austausch über unsere Wünsche an das, was einen Gottesdienst auszeichnen soll, die Schwerpunktbildung mit den fünf Teilen und die Evaluation nach einem Jahr bewirkten, dass alle die neue Liturgie als ›ihren Gottesdienst‹ erleben und feiern. Mit einem Ausdruck von Reiner Strunk kann konstatiert werden: »Vertrauen hat Gestalt gewonnen«46 ; somit dient der im gemeinsamen Prozess gewonnene Gottesdienst dem Gemeindeaufbau. 3.3 Gegenseitige Akzeptanz und die ganze christliche Tradition Es war immer eine Stärke des Methodismus, die gesamte christliche Tradition, und nicht nur eigene Ausschnitte daraus, als einen zu hebenden Schatz wertzuschätzen. Wenn es um notwendige Veränderungsprozesse in der Ausgestaltung geistlichen Lebens ging, hat John Wesley sowohl die Bibel befragt als auch auf altkirchliche Rituale und positive Erfahrungen in anderen Kirchen und Gruppen zurückgegriffen47 . Angesichts dieser Grundhaltung könnte die EmK den vielstimmigen Reichtum an Musik, Liedern und Gestaltungselementen, die Anbetung fördern, leicht organisch in ihr gottesdienstliches Leben integrieren. Manche Gemeinden tun das in der liturgischen Praxis so, dass »der Lobpreis«, wie die Zeit der Anbetung häufig in Adaption charismatischer Diktion genannt wird, von verschiedenen Gruppen musikalisch und inhaltlich verantwortlich gestaltet wird. Damit ist gewährleistet, dass die verschiedenen, in der Gemeinde lebendigen und praktizierten Stilrichtungen, Lieder und theologischen Schwerpunkte vorkommen. Eine Zeit lang versuchten Gemeinden den heterogenen Wünschen bezüglich Anbetung Rechnung zu tragen, indem sie unterschiedliche Musikstile und Lieder den Sonntagen des Monats zuordneten.

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Mal ist die Zeit der Anbetung mit einem persönlichen Zeugnis versehen, mal wird sie eher meditativ, mal strenger ›liturgisch‹ gestaltet. Erwähnt sei noch, dass unsere jetzige Liturgie nur eine biblische Lesung beinhaltet, die wir mit einem »liturgischen Gesang«, den die Gemeinde auswendig singen kann, beschließen. Als Auswahl stehen uns sieben Gesänge – von »Ehr sei dem Vater« über »Meine Hoffnung und meine Freude« bis zu »Ich lobe meinen Gott von ganzem Herzen« – zur Verfügung. Dies ist das konkrete Ergebnis unseres gemeinsamen Nachdenkens über den Sinn von Schriftlesungen und den dazu gehörenden Lobgesängen. Vgl. Strunk, 112. Vgl. Wesleys Rückgriff auf altkirchliche Liebesmahle, sein Ringen um die Predigt im Freien, wo er mit der Bergpredigt gegen seine eigene Erziehung argumentierte, die Diskussion um

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Das verstärkte jedoch eine Segmentierung der Gemeinde und die vorhandenen Fremdheitsgefühle dem jeweils anderen Stil gegenüber. Hilfreicher könnte das Beispiel der Gemeinden sein, welche intentional die Absprache getroffen haben, dass in jedem Gottesdienst alle Stilrichtungen zu ihrem Recht kommen sollen! So können miteinander die Schätze der Tradition und der Gegenwart gehoben werden: Lieder von Philipp Nicolai, Joachim Neander, Gerhard Tersteegen und Paul Gerhardt, von Charles Wesley und Ernst Gebhardt, von Jacques Berthier und Peter Strauch, von Graham Kendrick und Lukas di Nunzio sowie Spirituals ergänzen sich gegenseitig; Orgel neben Schlagzeug, Flöten mit Gitarren, Klavier und Keyboard, angeleitete Kanons und der vierstimmige A-cappella-Gemeindegesang dienen miteinander der Anbetung Gottes. In der praktischen Durchführung sollte dabei darauf geachtet werden, dass die Gesetzmäßigkeiten der jeweiligen Musikstile beachtet werden und zur Geltung kommen48 bis hin zum adäquaten Einsatz von Instrumenten bei der jeweiligen Liedbegleitung. Dabei täte es mancher »Lobpreisgruppe« angesichts ihrer schnellen Zufriedenheit mit ihren musikalischen Ergebnissen gut, sich vom Ringen der Klassik-Fans um musikalischen Anspruch ein wenig anstecken zu lassen.

4 »Ich werfe meine Fragen hinüber« – notwendige Klärungen So sehr ich, wie viele andere, die Impulse, die in vielen Gemeinden zur vertieften Anbetung geführt haben, schätze, habe ich doch einige kritische Anfragen an das System ›Lobpreis‹. Sie diskreditieren die Anbetung als solche nicht, sondern beziehen sich auf einige Vorstellungen aus der charismatischen Bewegung, die zugleich mit ›Lobpreis‹ transportiert wurden und werden. 4.1 Das Spontane und das Verzweckte Gegenüber einer festgelegten und, womöglich noch, -geschriebenen Liturgie empfinden manche ›Lobpreis‹ als unliturgisch, frei und spontan. Stellvertretend

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die Predigt von Laien, die Einführung der Klassen etc. Eine seiner Leitfragen war: Was steht der Einführung dieser neuen Sache seitens der Bibel und der christlichen Tradition im Wege? Ein kleines Beispiel für musikalische Einseitigkeit beziehungsweise Ignoranz von Pop ist der fehlende Takt bei »Ins Wasser fällt ein Stein« nach der 1. Phrase; vgl. Regionalteil Württemberg im Evangelischen Gesangbuch (637). Vielleicht wollten klassisch ausgebildete Kirchenmusiker verhindern, dass die Gemeinde andere Gesangs-Stile lernt? Oder konnten sie sich nicht vorstellen, dass ein Takt Pause instrumental sinnvoll gefüllt werden kann? Oder spürten sie, was gute Popmusik angeht, dasselbe Defizit, das Martin Luther bezüglich einer verantwortlichen Mitgestaltung des Gottesdienstes durch Laien zum Diktum veranlasste: »ich habe noch nicht die Leute und Personen dazu«; vgl. Deutsche Messe, 297. Ein anderer

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für diese Einschätzung wird in einem Zeitungsartikel über eine charismatische Gemeinde die Meinung vertreten, ihr Gott sei »ganz anders, als man ihn aus den Amtskirchen kennt. Es gibt keine Liturgie«.49 Doch das ist eine gründliche Fehleinschätzung, denn keine gottesdienstliche Feier kommt auf Dauer ohne Liturgie aus; es handelt sich hier lediglich um eine andere Form von Liturgie! Man beachte nur die teilweise minutengenauen Absprachen in einer – ›freien‹ (?) – Lobpreisgruppe, das ritualisierte Aufstehen, Hände-Heben und FolienAuflegen. Nach mehrmaliger Teilnahme an charismatischen Gottesdiensten ist ein durchstrukturierter liturgischer Ablauf unschwer auszumachen. Daher täte es der Diskussion um ›festere‹ und »freiere« Formen gut, wenn gemeinsam auf das Wesen der jeweiligen Gottesdienst-Elemente geachtet und erst anschließend die Form diskutiert würde. Eine Orgel ist so wenig ein Signifikat für Unlebendiges, wie eine Lobpreisgruppe Geisterfülltheit garantiert. In Einführungen wurde bisweilen das Teleologische von Lobpreis thematisiert: Lobpreis finde statt, »damit wir gesegnet werden«. Unstrittig ist, dass viele Menschen in Zeiten der Anbetung tiefe geistliche Erfahrungen machen, dass Menschen durch das Singen von Anbetungsliedern »gesegnet« werden und somit Lobpreislieder als »Gnadenmittel« angesehen werden können. Sie jedoch für den Segen zu instrumentalisieren beziehungsweise ihnen ex opere operato, d. h. durch ihren bloßen Vollzug, segensreiche Wirkungen zuzuschreiben hieße das freie Handeln des Geistes Gottes in unzulässiger Weise zu beschränken, indem es für ein Medium vereinnahmt wird. Es täte der Sache der Anbetung gut, wenn es bei dem fröhlichen Bezeugen des Wirkens Gottes durch seinen Geist bliebe! Vergleichbares gilt auf anthropologischer Ebene für den Finalsatz »damit wir zur Ruhe kommen«. In einer Gesellschaft, in der fast alles final festgelegt und verzweckt ist, stellt die Anbetung Gottes um ihrer selbst beziehungsweise um Gottes willen eine heilsame Alternative dar. Sie ist intentional ›unabsichtlich‹ und zweckfrei und strahlt gerade deshalb eine tiefe Freude aus. Sie eröffnet eine ewigkeitliche Dimension, die durch nichts ersetzt werden kann. Sie ist deswegen nicht »l’art pour l’art«50 , sondern mit Worten Manfred Marquardts »eine selbstverständliche« – und ich füge hinzu: im positiven Sinne selbstvergessene – »Lebensäuße-

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Hinweis: Taizé-Gesänge sollten a cappella gesungen und mindestens dreimal wiederholt werden. Vgl. Steffen Becker, Gott heilt sogar dein kaputtes Auto. Die Botschaften der Biblischen Glaubens-Gemeinde, in: Stuttgarter Zeitung, 13. Juli 2006, 30. Vgl. Gotteslob, 20.

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rung, dem Lob zu bringen, der (den Glaubenden) Leben geschenkt und seine Liebe erwiesen hat.«51 4.2 Das Machbare und das Magische Der bisweilen unreflektiert verwendete Ausdruck »Wir machen Lobpreis« spiegelt eine vom Machbarkeitsdenken der modernen Gesellschaft beeinflusste Haltung wider. Sollte die Einstellung hinter dieser Ausdrucksweise signalisieren, Menschen wüssten ein unfehlbares äußeres Mittel, wie eine innere Haltung, nämlich das Gotteslob, herbeizuführen sei, ist sie abzulehnen. Ich vermisse bisweilen eine gesunde selbstkritische Demut in der Gottesbegegnung, wie sie etwa in Röm 8, 26 zum Ausdruck kommt: »Wir wissen nicht, worum wir in rechter Weise beten sollen; der Geist selber tritt jedoch für uns ein mit Seufzen, das wir nicht in Worte fassen können.« Nach Ps 40, 4 ist es Gott selbst, der zum angemessenen Lob befähigt.52 Auch die ›Mütter und Väter‹ der EmK haben Gott fröhlich gelobt und gleichzeitig die Unzulänglichkeit ihrer Anbetung verbalisiert, indem sie sangen: »Womit soll ich dich wohl loben?«53 Theologisch und geistlich bedenklicher ist ein magisches Verständnis von ›Lobpreis‹. Bisweilen wird von ›Lobpreis‹ geradezu bekenntnisartig geredet, als könne Gottes Geist nur in dieser Weise der Anbetung seine Wirkung entfalten oder als garantiere der Vollzug einer bestimmten Art lobpreisenden Singens bereits Gottes herbeieilende Gegenwart. Besonders wenn junge Leute für ›Lobpreis‹ begeistert werden sollen, sind die einseitig motivierenden Worte bisweilen von einer ›do ut des‹-Haltung kaum noch zu unterscheiden. Wünschenswert wäre in aller Gottes-Begeisterung eine selbstkritische Distanz zum Tun der Anbetung, wie sie noch im Lied »Großer Gott, wir fallen 51

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A. a. O., 8. Vgl. die von Marquardt erzählte Geschichte vom jüdischen Rabbi, der auch angesichts einer tödlichen Bedrohung »bloß noch vor seinem Tod Gott die Ehre geben (wollte)«; a. a. O., 10. In Weiterführung von Mt 26, 6–13 charakterisiert Fulbert Steffensky den Gottesdienst als »Poesie ohne Zweck« und plädiert für eine »absichtslose [. . . ] Annäherung an die Schönheit einer Sache« und eine »langfristige Einübung von [. . . ] Lebensbildern«, denn bereits »die Reduktion der Zwecke« sei »in sich schon eine Steigerung der Humanität des Menschen«, vgl. Steffensky, 91–101. »Er legte mir ein neues Lied in den Mund, einen Lobgesang auf ihn, unsern Gott.« Vgl. auch die Bitte der Jünger nach Lk 11, 1: »Herr, lehre uns beten!« Die Aufforderung zu einem demütigen Gotteslob wird besonders in Sir 43, 30ff laut: »Ihr, die ihr den Herrn lobt, singt laut, so viel ihr könnt; denn nie wird es genügen. Ihr, die ihr ihn preist, schöpft neue Kraft, werdet nicht müde; denn fassen könnt ihr es nie. Wer hat ihn gesehen, dass er erzählen könnte, und wer kann ihn loben, wie es ihm entspricht? Die Menge des Verborgenen ist größer als das Genannte, nur wenige von seinen Werken habe ich gesehen.« Das Lied kam sowohl im Gesangbuch EG (7) als auch im Gesangbuch MK (10) und im Gesangbuch EmK 1969 (137) vor.

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nieder«54 , das in beiden Gesangbüchern vor der Vereinigung zu finden ist, zum Ausdruck kam. Da wurde mit Worten Tersteegens gesungen: »Zwar du bedarfst nicht unsrer Lieder: uns ziemt und nützt dein Lob so sehr.« 4.3 Die Theologie der Gottesbilder Waren die Liedtexte der späten 60er und frühen 70er Jahre auch teilweise spröde, zu blass in ihrer Bildhaftigkeit und Emotionalität und zu einseitig intellektuell, so haben sie doch die durch sie transportierte Theologie reflektiert und verantwortet. Bei einer kritischen theologischen Durchsicht der Aussagen der »Lobpreislieder« fällt auf, dass etliche von ihnen biblische Metaphern ungebrochen übernehmen: Mit Vorliebe verwenden sie Bilder aus den hymnischen Psalmen und der Offenbarung55 : »du regierst in Ewigkeit« wird gesungen, vom »großen König«, dem »Lamm auf Gottes Thron«, es geht um »Ehre, Macht und Stärke« und um »Majestät«. Diese anachronistischen Bilder sollen wohl in ihrer Fremdheit einen angemessenen Respekt vor Gott evozieren, der zum Beispiel in der Gestik der erhobenen Arme seinen Ausdruck findet. Andererseits vermitteln Lieder wie »Vater, unser Vater« eine kindliche Nähe und tragen Sehnsüchte in naiver, ungeschminkter Direktheit vor: »Mehr, Herr, ich brauche mehr«. So gewiss die Bibel in ihren Bildern das für eine gesunde psychische und spirituelle Entwicklung so wichtige regressive Element, den »Zufluchtsort«, bereitstellt, ist in ihr das progressive Entfaltungspotential mindestens ebenbürtig beheimatet. Sie vermag es, die Balance zwischen Gotteskindschaft und dem Bund mit Gott resp. der Nachfolge Jesu mit dem konstitutiven eigenverantwortlichen Handeln zu halten. Meiner Einschätzung nach »bedient« die Mehrzahl der »Lobpreislieder« das Bedürfnis nach Regression zu einseitig, indem sie durch unreflektierte Übernahme bestimmter biblischer Bilder den Wunsch nach einem »majestätisch« Mächtigen verstärkt, der ein Gegenbild zur gesellschaftlich erlebten Realität der Ohnmacht darstellt. Mit dem schlichten Kolportieren von Bildern wie z. B. der »Herrschaft des Lammes« auf dem »Thron« wird nicht reflektiert, was diese Herrschaft denn theologisch für uns heute bedeutet. Zielten die Lieder der 70er und frühen 80er Jahre möglicherweise zu unausgewogen auf gesellschaftliche Veränderungen, blendet der aktuelle Liederschatz durch seine zu einseitige Betonung des Lobpreises bedrängende gesellschaftliche Herausforderungen aus, die von Christen nicht nur unter einem karitativen, sondern auch strukturellen Gesichtspunkt wahrgenommen und im Namen Gottes kritisiert und verändert werden müssen, 54 55

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Gesangbuch MK 17 und Gesangbuch EG 10. Vornehmlich aus den großen Lobgesängen capp. 5 und 7 sowie aus Offb 22.

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und beschneidet damit die »Progression«, das gesunde Wachstum in der VerAntwortung vor Gott.

5 »Hilf uns einander helfen, Herr« – Versuch einer Bilanz Die Geschichte der Erweckungen zeigt, dass neue Aufbrüche – wie Reformation, Pietismus, die methodistische Bewegung oder die charismatische Bewegung56 – immer auch neue Lieder hervorgebracht haben. Ich halte jedoch nichts von einem künstlich aufgebauten Gegensatz zwischen traditionellen und neuen Liedern, denn lebendige Gemeinden benötigen immer beides: die Verbundenheit mit der Tiefe der Geschichte und die Vernetzung mit der Weite des heutigen Volkes Gottes. Klaus Douglass behauptet sogar: »Ich bin davon überzeugt: Es wird keinen ›neuen Gottesdienst‹ ohne moderne Musik geben.« Das liege daran, dass »in den neuen Liedern [. . . ] oft eine Fröhlichkeit und mitreißende Kraft (steckt), die man von den herkömmlichen Kirchenliedern einfach nicht kennt.«57 Die »Lobpreislieder« und andere Impulse, die über die charismatische Bewegung in viele Gruppen und Kirchen Eingang fanden, haben zweifelsfrei das Singen, das Verständnis von Anbetung und vielerorts auch die Gestaltung der Liturgie in der Evangelisch-methodistischen Kirche beeinflusst und zu Veränderungen geführt. Dabei ist die Spannbreite, mit der sich Gemeinden für charismatische Gedanken, für Popmusik und für neue Formen öffnen, relativ groß. Besonders durch die Heiligungsbewegung Ende des 19. Jahrhunderts inspiriert, hatten in der Tradition der EmK einfache und emotionale Lieder der Anbetung ihren festen Platz neben Chorälen der Barockzeit.58 Das Singen der neuen Pop-Lobpreislieder nimmt diesen Zug methodistischer Frömmigkeit in anderer Musikgestalt wieder auf und führt ihn weiter. Dabei zieht sich eine Stärke evangelisch-methodistischen Singens durch alle Gesangbücher hin-

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Viele andere wichtige Einflüsse wären noch zu nennen: Ein neues Singen haben sowohl die Befreiungstheologie mit ihren Modifikationen als auch die liturgischen Aufbrüche des 20. Jh. initiiert. Vgl. Douglass, 44, 46. Die Lieder von Charles Wesley spielten sowohl im Gesangbuch MK als auch im Gesangbuch EG eine untergeordnete Rolle: Lediglich sechs Wesley-Lieder finden sich im Gesangbuch MK und nur zwei im Gesangbuch EG, darunter keine Anbetungslieder. Im Gesangbuch EmK 1969 waren ebenfalls sechs Wesley-Lieder zu finden, allerdings wurden gegenüber dem Gesangbuch MK zwei gestrichen und zwei neue aufgenommen. Mit »leben und loben« wurden die Charles-Wesley-Lieder neu entdeckt: Sieben seiner Lieder wurden neu übersetzt, darunter auch das eingangs erwähnte »Mein Mund besinge tausendfach«. Diese Entwicklung hat mit 21 Wesley-Liedern im Gesangbuch EmK ihre konsequente Fortsetzung gefunden.

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durch: das vierstimmige Singen der Gemeinde59 . Diesen Schatz sollte die EmK mit großer Liebe und viel Phantasie pflegen. Allerdings haben die Gewohnheiten der Popmusik das Singverhalten der jüngeren Generation beeinflusst. Die Kompetenz eigenständigen und chorischen Singens, die traditionell durch ein frühes Mitmachen im Gemeindechor gefördert wurde, nimmt rapide ab; das schlichte Mitsingen einer fertigen Musik von Medien wie CD-Playern verhindert eine Kontrolle der eigenen Stimme, und die rhythmische Exaktheit ist zwar auf den von Profis eingespielten CDs, meistens jedoch nicht von einer mit Gitarre begleiteten Hauskreisgruppe zu hören. Offen bleibt, welche Bedeutung es für die gemeinsame Sing-Tradition der Gemeinden hat, wenn Hauskreise ausschließlich Lieder aus den verschiedenen Bänden von »Feiert Jesus!« singen.60 Hier zeigt sich ein Mangel des, ansonsten in vielerlei Hinsicht gelungenen, Gesangbuchs EmK: Der Pop-Bereich der Anbetungslieder ist zu wenig berücksichtigt.61 Die Impulse aus der charismatischen Bewegung haben methodistische Frömmigkeit und Theologie mit der Unverzichtbarkeit und Schönheit von Anbetung konfrontiert und zu Positionen wie Negationen herausgefordert. Einerseits haben etliche Menschen in der Evangelisch-methodistischen Kirche reiche und tiefe Glaubenserfahrungen mit Anbetungsliedern gemacht, andererseits wurde ›Lobpreis‹ an manchen Stellen als das Eigentliche angesehen oder zum Selbstzweck, ja sogar als status confessionis missbraucht. Inzwischen scheint die Evangelisch-methodistische Kirche ihre eigene Form der Anbetung, die in einer Akzeptanz unterschiedlicher Frömmigkeitsformen besteht, gefunden zu haben. Sie ist damit nicht ›charismatisch‹ im engeren Sinne, wohl aber charismatisch in dem Sinn geworden, dass sie sich dem unverfügbaren Wirken des Heiligen Geistes und seinen Gaben (wieder) stärker und fröhlich öffnet. Wie oben ausführlich dargelegt, hat das Anliegen der Anbetung in vielen Gemeinden der Evangelisch-methodistischen Kirche ein Nachsinnen über die 59 60

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Dabei sperren sich rhythmische Popsongs bisweilen gegen homophone Sätze. Im Gesangbuch EmK wird das an einigen Stellen berücksichtigt: vgl. 15, 308, 309, 549 etc. »Feiert Jesus!« integriert jedoch eine ganze Reihe von Chorälen mit anbetendem Charakter und, bei dem Redaktionsteam nicht verwunderlich, etliche Songs aus dem in den 70er Jahren entstandenen deutschen christlichen Pop- und Jugendchorbereich, von dem die Evangelischmethodistische Kirche sich auch nur bedingt hat berühren lassen. Die Hauskreise singen somit Lieder aus drei verschiedenen Traditionen. Aber die Schnittmenge mit dem Gesangbuch EmK bleibt klein. Dafür bringt es die Internationalität methodistischen Singens zur Geltung. Ob jedoch die gegenüber dem Pop-Anteil proportional starke Berücksichtigung von Taizé- und sogar (pseudo-)gregorianischen Gesängen für die Zukunft des gemeindlichen Singens hilfreich sein wird, bleibt, zumindest aus heutiger Sicht, fraglich.

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Stimmigkeit der eigenen Gottesdienststruktur und – in abgestuften Graden der Veränderung – eine Neugestaltung der gemeindlichen Liturgie evoziert. Dabei geht es nicht um Neues um des Neuen willen, sondern, wie James F. White darlegt: »der Zweck von Gottesdienst-Reformen (kann) [. . . ] nur darin bestehen, Menschen zu befähigen mit vertiefter Hingabe und Beteiligung Gottesdienst zu feiern.«62 Als Pars pro toto dafür, dass dies in etlichen Gemeinden der Evangelisch-methodistischen Kirche gelungen ist, kann folgende Erfahrung dienen: In einer Gemeinde, die eine Alternative zum pastorenorientierten Gottesdienst gesucht und in einem gemeinsamen Prozess eine für sie stimmige Liturgie erarbeitet hatte, sagte ein junger Mann nach einem halben Jahr: »Ich habe jetzt das Gefühl: das ist mein Gottesdienst!«

Literatur Die Übersetzungen aus dem Englischen sind Übersetzungen des Autors. Agende der Evangelisch-methodistischen Kirche, hg. i. A. der Evangelischmethodistischen Kirche, Zentralkonferenz West, Stuttgart 1991. [Agende EmK] Burkhardt, Friedemann, Gottesdienst feiern in methodistischer Tradition (Manuskript). [Burkhardt] Douglass, Klaus, Gottes Liebe feiern, Emmelsbüll 2 1999. [Douglass] Feiert Jesus!, Neuhausen 1995. [Feiert Jesus 1] Feiert Jesus! 2, Holzgerlingen o. J. [Feiert Jesus 2] Festschrift zum 125-jährigen Jubiläum des Gemeindebezirks Esslingen der Evangelisch-methodistischen Kirche. [Festschrift Esslingen] Georg, Joachim, Gemeinschaft. Das dritte Kennzeichen des Gottesdienstes, EmK heute 83, Stuttgart 1994. [Georg, Gemeinschaft] Gesangbuch der Bischöflichen Methodistenkirche für die Gemeinden in Deutschland, Zürich 1926. [Gesangbuch MK] Gesangbuch für die Evangelische Gemeinschaft, Stuttgart 9 1958. [Gesangbuch EG] Gesangbuch der Evangelisch-methodistischen Kirche, Stuttgart 2002. [Gesangbuch EmK] 62

White, 213; vgl. auch a. a. O., 214: »Das unverzichtbare Mandat des protestantischen Gottesdienstes besteht darin, den christlichen Gottesdienst den Bedürfnissen der Menschen ent-

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Gesangbuch für die Evangelisch-methodistische Kirche, Stuttgart 3 1977. [Gesangbuch EmK 1969] Klaiber, Walter, Building up the House of God: Sunday worship in German Methodism. In: The Sunday Service of the Methodists. TwentiethCentury Worship. In: Worldwide Methodism, hg. Karen B. Westerfield Tucker, Nashville 1996. [Klaiber, Building up] leben und loben. Neue Lieder für die Gemeinde, Stuttgart 1987. [leben und loben] Luther, Martin, Deutsche Messe. In: Luthers Werke in Auswahl, hg. von Otto Clemen, Bd. 3, Berlin 6 1966, 294–309. [Deutsche Messe] Marquardt, Manfred; Sackmann, Dieter; Tripp, David, Theologie des Gotteslobs. Beiträge zur Geschichte der Evangelisch-methodistischen Kirche 39, Stuttgart 1991. [Gotteslob] Mozer, Thomas, Begeistert Gott feiern. Liturgie verstehen und gestalten, Stuttgart 2005. [Mozer] Nösser, Stephan/Reglin, Esther, Wir feiern Gottesdienst. Entwurf einer freikirchlichen Liturgik, Wuppertal 2001. [Nösser/Reglin] Steffensky, Fulbert, Feier des Lebens. Spiritualität im Alltag, Stuttgart 1984. [Steffensky] Strunk, Reiner, Vertrauen. Grundzüge einer Theologie des Gemeindeaufbaus, Stuttgart 1985. [Strunk] White, James F., Protestant Worship. Traditions in Transition, Louisville (Kentucky) 1989. [White]

sprechend umzugestalten unter Beachtung all der Veränderungen, die sich in ihrem sozialen Umfeld und in ihnen selbst vollziehen.«

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Teil III

Theologische Beiträge

Gottes wirksame Gegenwart. Grundlinien des neutestamentlichen Zeugnisses vom Heiligen Geist und den Geistesgaben1 Roland Gebauer

Grundlage allen theologischen und kirchlichen Redens vom Heiligen Geist2 ist das Neue Testament. Deshalb bemüht sich dieser Beitrag darum, die Grundlinien des neutestamentlichen Zeugnisses vom Heiligen Geist aufzuzeigen. Da der vorliegende Band dem Oberthema »charismatische Bewegung« gewidmet ist, sollen in meinen Überlegungen auch die Charismen bzw. Geistesgaben eine Rolle spielen. So ergeben sich zwei Schwerpunkte: Erstens: Was sagt das Neue Testament über den Heiligen Geist? Zweitens: Was sagt es über die Gaben des Heiligen Geistes? Die Eingrenzung auf das Neue Testament ist dabei beabsichtigt, denn die entscheidenden biblischen Aussagen über den Heiligen Geist finden wir im Neuen Testament, und von den Charismen ist ohnehin nur dort die Rede. Wo es erforderlich ist, nehme ich auch auf das Alte Testament Bezug. Bevor wir uns einzelnen Aspekten der Frage nach dem neutestamentlichen Zeugnis vom Heiligen Geist zuwenden, möchte ich vorab eine Definition vornehmen und sagen, was ich vom Neuen Testament her unter dem Heiligen Geist verstehe. Denn die sogenannte dritte Person des dreieinigen Gottes ist diejenige, die am wenigsten fassbar und beschreibbar ist.3 Da kann es hilfreich sein, wenn wir uns am Anfang verständigen, was wir mit dem Heiligen Geist meinen. Hier meine begriffliche Definition: Der Heilige Geist ist die wirksame Gegenwart des in Jesus Christus offenbaren Gottes in den Menschen. Damit meine ich im Wesentlichen ein Dreifaches: 1. Der Heilige Geist ist Gott selbst. 2. Er bezeichnet Gott als denjenigen, der im Menschen wirksam gegenwärtig ist. 3. Dabei handelt es sich um den Gott, der sich in Jesus Christus umfassend 1

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Es liegen zwei Vorträge zugrunde, die ich am 12. März 2005 auf der gemeinsamen Distriktslaienversammlung des Frankfurter und Karlsruher Distrikts in Freudenstadt gehalten habe. Der Vortragsstil wurde im Wesentlichen beibehalten. Oder: Geist Gottes. Sachlich meinen beide Begriffe dasselbe (bzw. denselben). Ich verwende im Folgenden generell die Bezeichnung Heiliger Geist. Nur da, wo es der Zusammenhang erfordert, können auch andere Formulierungen begegnen. Das zeigt sich etwa daran, dass die meisten Menschen (auch Christen!) mit Pfingsten im Vergleich zu den anderen großen christlichen Festen (Weihnachten, Karfreitag, Ostern) am wenigsten anfangen können.

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geoffenbart und zum Heil der Welt gehandelt hat. Gott sorgt als der Heilige Geist dafür, dass dieses Heil im Leben des Menschen zu einer erfahrbaren Realität wird. Auf dieser Grundlage wenden wir uns nun einigen Aspekten des neutestamentlichen Zeugnisses vom Heiligen Geist zu. Dabei zeigt sich gleich zu Anfang, dass wir ohne das Alte Testament nicht auskommen.

1 Warum es den Heiligen Geist gibt Den Heiligen Geist gibt es, weil Gott ganz anders ist als wir Menschen (und unsere Welt) und Gott den damit gegebenen Abstand immer wieder überwindet. Gott ist Geist, wir Menschen sind Fleisch. Gott ist ein geistiges Wesen und als solches ewig, unbegrenzt, allmächtig, heilig, jenseitig, vollkommen und vieles mehr. Wir Menschen sind Wesen aus Fleisch und Blut, das heißt aus Materie, und als solche begrenzt, sterblich, unvollkommen, sündhaft, diesseitig und so weiter. Zwischen beiden Seinsweisen gibt es keine natürliche Verbindung. Aber Gott überbrückt die unendliche Differenz zwischen sich (als Geist) und uns (als Fleisch) durch den Heiligen Geist. Das ist schon bei der Schöpfung angedeutet, das heißt bei dem Vorgang, in dem der geistige Gott die materielle Welt schafft. In Gen 1, 2 lesen wir: ». . . und der Geist Gottes schwebte über den Wassern«. Das will sagen: Gott ist bei der Schöpfung in Form seines Geistes gegenwärtig und wirksam. Diese Überbrückung der Distanz zwischen Geist und Fleisch, zwischen Gott und Mensch bzw. der Welt geht weiter in der Geschichte Israels, zum Beispiel in Gestalt der Propheten. Gott beauftragt und bevollmächtigt mit ihnen Menschen, in seinem Namen zu reden und zu handeln. Er tut dies durch seinen Geist (vgl. Jes 61, 1; Ez 2, 2; 11, 5 u. ö.; vgl. auch Joel 3, 1f). Es geht weiter in der Geschichte Jesu: Gott ist in dem Menschen Jesus von Nazareth wirksam und heilschaffend gegenwärtig (mehr dazu in Abschnitt 2). Es geht weiter in der Geschichte der Gemeinde: Ihre Entstehung, ihr Wachstum und ihr missionarisches Zeugnis ist von Gott selbst in den Glaubenden bewirkt (mehr dazu in Abschnitt 4). Alle diese Wirkungsweisen Gottes4 bedeuten eine Überbrückung der unendlichen Differenz zwischen Gott und dem Menschen bzw. der Welt. Es geht jeweils um das Wirksamwerden Gottes am/im Menschen oder der Welt. Eine Beziehung des Menschen zu Gott ist nur möglich, wenn und

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Es ließen sich noch viel mehr nennen.

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weil Gott selbst diese unendliche Differenz überbrückt und seine geistliche Wesensart in uns wirksam werden lässt. Dazu gibt es den Heiligen Geist, besser: Das tut Gott als Heiliger Geist. In dem Wort Jesu an die Frau am Jakobsbrunnen wird das treffend zum Ausdruck gebracht: »Gott ist Geist, und die ihn anbeten, müssen in Geist und Wahrheit anbeten« (Joh 4, 24). Weil wir Menschen Fleisch sind – vergänglich, schwach, sündhaft und so weiter –, können wir nicht einfach so zu Gott – dem Ewigen, Vollkommenen, Heiligen, Jenseitigen, kurzum: dem Geist – kommen bzw. ihn anbeten, sondern wir sind darauf angewiesen, dass Gott selbst uns hineinnimmt in die Wahrheit und Wirklichkeit seiner geistigen Wesensart. Deshalb »müssen« wir ihn »in Geist und Wahrheit anbeten«. Dabei ist das »Müssen« kein Zwang, sondern die Folge aus einer göttlichen Gegebenheit: Gott ist Geist. Der fundamentale und von uns aus unüberbrückbare Gegensatz von Geist und Fleisch – von Gott und Mensch, von Schöpfer und Geschöpf – wird vom Apostel Paulus in seinen Briefen näher erörtert. Nach Paulus gibt es für den Menschen zwei generelle Existenzmöglichkeiten: Er kann »nach dem Fleisch« oder »nach dem Geist« leben. Nach dem Fleisch leben heißt: im Vertrauen auf Fleisch und Blut leben, auf meine Möglichkeiten, die ich als Mensch habe (oder zu haben meine). Das aber ist Selbstbehauptung gegen Gott, denn ich lebe dann ja aus mir selbst, aus meinen (vermeintlichen) Möglichkeiten, und nicht aus Gott und seiner Kraft. Nach Paulus ist das die Sünde schlechthin, und ihre Folge ist der Tod, denn ich habe mich dann ja losgesagt von Gott, der das Leben ist und gibt. Paulus beschreibt diesen Sachverhalt im Römerbrief sehr deutlich: »Die nach dem Fleisch leben, sinnen auf das, was des Fleisches ist . . . Die Gesinnung des Fleisches ist Tod . . . ist Feindschaft gegen Gott . . . Wenn ihr nach dem Fleisch lebt, werdet ihr sterben« (Röm 8, 5–7.13). Die andere Möglichkeit ist, nach dem Geist zu leben. Das heißt: Ich führe mein Leben im Vertrauen auf Gott und das, was er in Jesus Christus für mich getan hat. Ich lebe dann nicht aus eigener Kraft, sondern aus der Kraft Gottes. Ich behaupte mich dann nicht selbst gegen Gott, sondern gebe mich ihm vertrauensvoll hin. Paulus nennt das: Leben – das wahre Leben. Es ist ein Leben in der Kraft des Heiligen Geistes: »Ihr seid nicht im Fleisch, sondern im Geist, wenn wirklich Gottes Geist in euch wohnt. . . . Wenn ihr durch den Geist die Handlungen des Leibes tötet,5 werdet ihr leben. Denn so viele durch den Geist Gottes geleitet werden, die sind Söhne Gottes« (Röm 8, 9.13f). Wir sehen also: Es gibt den Heiligen Geist, weil wir Menschen von Fleisch und Blut sind und Gott Geist ist – und weil wir nur zum wahren Leben finden, 5

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Das heißt: Wenn ihr die Sünde, deren Macht in euch als Menschen aus Fleisch und Blut wirksam ist, überwindet . . .

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wenn Gott selbst uns bewegt. Er tut das als Heiliger Geist und ist auf diese Weise in uns Menschen wirksam gegenwärtig. Wie sehr wir Menschen auf dieses Geschehen angewiesen sind, wird an Jesus Christus selbst in eindrücklicher Klarheit deutlich.

2 Der Heilige Geist und Jesus Christus Jesus wird uns im Neuen Testament nicht als ein irdisch sichtbares Geistwesen, sondern als Mensch von Fleisch und Blut geschildert. Als solcher ist der Sohn Gottes in die Seinsweise des Fleisches eingegangen (vgl. Joh 1, 14: »Das Wort wurde Fleisch«). Aber er lebte nicht »nach dem Fleisch«, sondern im völligen Einklang mit Gott, seinem himmlischen Vater. Er war dazu in der Lage, weil er durch und durch vom Geist Gottes bestimmt war. Jesus lebte »nach dem Geist«. Das mag überraschen, da er doch Gottes Sohn war. Warum ist er dann auf den Heiligen Geist angewiesen? Er müsste als Sohn Gottes doch die Kraft Gottes in sich selbst haben. Die Antwort auf diese Frage kann nur in der Tatsache liegen, dass der Sohn Gottes wirklich Mensch geworden ist. Jesus war eben kein übernatürliches Himmelswesen in menschlicher Gestalt, sondern wahrer Mensch aus Fleisch und Blut – einer wie wir alle, einer von uns allen. So nahe ist Gott uns in ihm gekommen! Dann aber lebte auch Jesus nicht aus eigener Kraft, sondern aus der Kraft Gottes. In ihm hat Gott in einzigartiger und umfassender Weise die unendliche Differenz zwischen sich und uns Menschen überbrückt. Und auch hier war Gott im Heiligen Geist bzw. als Heiliger Geist am Werk. Das wird in mehrfacher Hinsicht deutlich. Zunächst zeigt es sich bei der Geburt Jesu. Sie wird zurückgeführt auf die Wirksamkeit des Heiligen Geistes an/in der Jungfrau Maria (vgl. Mt 1, 18.20; Lk 1, 35). Das besagt: Die Menschwerdung des Gottessohnes kann nicht durch einen normalen menschlichen Zeugungsakt bewirkt werden, sondern sie verdankt sich dem Handeln Gottes an Maria. Gott selbst überbrückt in diesem Geschehen die unendliche ontologische (d. h. seinsmäßige) Differenz zwischen sich und uns Menschen. Gott wird im Heiligen Geist in Maria wirksam zur Geburt seines Sohnes als wahrer Mensch. Wir Menschen können zwar Menschen zeugen, aber keinen Sohn Gottes. Der eingangs festgestellte Sachverhalt zeigt sich weiterhin daran, dass Jesus mit dem Heiligen Geist ausgerüstet wurde, um seinen Auftrag von Gott erfüllen zu können. Alle Evangelien berichten übereinstimmend, dass er bei seiner Taufe den Heiligen Geist empfing (Mt 3, 16; Mk 1, 10; Lk 3, 22; Joh 1, 32f). Jesus war demnach, trotz der besonderen Umstände seiner Geburt, nicht in der Lage, aus sich selbst heraus im Sinne Gottes zu leben und zu handeln, sondern

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er war, ebenso wie wir alle, darauf angewiesen, dass Gott ihn mit seinem Geist ausrüstete bzw. als Heiliger Geist in ihm wirksam wurde. Bezeichnenderweise war dieses Geschehen so etwas wie der ›Startschuss‹ der öffentlichen Wirksamkeit Jesu. Er wird daraufhin vom Heiligen Geist in die Wüste geführt, um vom Satan versucht zu werden, und nachdem er diese ›Eingangsprüfung‹ bestanden hat, beginnt er mit der vollmächtigen Verkündigung der Gottesherrschaft in Wort und Tat (vgl. Mk 1, 12–28 und die Parallelstellen bei Mt und Lk). Folgerichtig wird die gesamte Wirksamkeit Jesu von den Evangelisten als eine vom Geist Gottes getragene interpretiert. So überliefert etwa Lukas ein Wort des Petrus, in dem es im Rückblick auf das Leben Jesu heißt: »Gott hat ihn mit Heiligem Geist und Kraft gesalbt« (Apg 10, 38). Hier wird alles, was Jesus sagte und tat, darauf zurückgeführt, dass Gott im Heiligen Geist »mit ihm war« (V. 38) und es sich von daher um ein vollmächtiges und heilbringendes Geschehen handelte (V. 37–43). Dass die gesamte Wirksamkeit Jesu von der Kraft des Heiligen Geistes getragen war und also Gott selbst in Jesus wirksam gegenwärtig war, wird von den Evangelisten in mehrfacher Hinsicht zum Ausdruck gebracht. So ist es der Heilige Geist, der Jesus an den Ort der Versuchung führt (Mt 4, 1; Mk 1, 12; Lk 4, 1). So vollbringt Jesus seine Heilungen und Dämonenaustreibungen in der Kraft des Geistes Gottes (Mt 12, 28; Apg 10, 38). Er lobpreist Gott »im Geist« (Lk 10, 21), und auch der Missionsbefehl geht auf das Wirken Gottes in ihm »durch den Heiligen Geist« zurück (Apg 1, 2). Aber nicht nur die irdische Wirksamkeit Jesu, sondern das mit ihm verbundene Heilsgeschehen im Ganzen wird vom Neuen Testament als ein vom Heiligen Geist getragenes und bestimmtes Geschehen interpretiert. Das gilt insbesondere für das alles entscheidende Geschehen der Auferweckung Jesu aus den Toten. Mit ihm ist ein vielfaches Bedeutungspotential verbunden. So besagt die Tatsache, dass Gott Jesus auferweckt hat, mindestens ein Dreifaches: – erstens, dass der Gott des Lebens über die Macht des Todes gesiegt hat – zweitens, dass der Anspruch Jesu, der Bote und Träger der endgültigen Heilsherrschaft Gottes zu sein, von Gott selbst bestätigt worden ist – und drittens, dass sein Tod kein Scheitern, sondern ein von Gott gewolltes Heilsgeschehen war und als solches in Kraft gesetzt worden ist. Nach dem Zeugnis des Neuen Testaments war in diesem alles entscheidenden Geschehen der Auferweckung Jesu Gott selbst am Werk – und zwar wiederum durch seinen Heiligen Geist bzw. als Heiliger Geist. So heißt es etwa bei Paulus, dass die mit der Auferstehung verbundene Einsetzung Jesu in die hoheitliche Machtposition des Sohnes Gottes ein Geschehen »nach dem Geist der Heiligkeit« war, also von Gott selbst durch den Heiligen Geist bewirkt worden ist (Röm 1, 4). Und in 1 Tim 3, 16 heißt es in einer lobpreisartigen

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Überlieferung über Jesus unter anderem: ». . . der geoffenbart worden ist im Fleisch, gerechtfertigt im Geist . . . «. Hier wird die Menschwerdung des Gottessohnes besungen (»geoffenbart im Fleisch«), und auf die sich daraus ergebende, aber nicht explizit gestellte Frage, wie sich das Geschehen des Todes zur Identität Jesu als Sohn Gottes verhält, wird geantwortet: Allen damit verbundenen Infragestellungen zum Trotz hat Gott ihn als seinen Sohn bestätigt (»gerechtfertigt«) durch sein Handeln »im Geist«, womit die Auferweckung von den Toten gemeint ist. Noch deutlicher sagt es 1 Petr 3, 18: Jesus Christus ist »zwar getötet nach dem Fleisch, aber lebendig gemacht nach dem Geist«. Das heißt: Jesus erlitt den Tod in menschlicher Schwachheit, als wahrer Mensch, aber er hat den Tod überwunden und lebt durch Gottes Lebenskraft, die Gott ihm im Heiligen Geist in der Auferweckung bleibend zugewendet hat. Das Wirksamwerden der todüberwindenden Lebenskraft Gottes in der Auferweckung Jesu Christi ist also ein geistliches Geschehen – das heißt: ein Geschehen jenseits aller irdischen und menschlichen Dimensionen und Möglichkeiten, ein Geschehen, in dem Gott selbst am Werk war, und zwar inmitten der Realität der irdisch-menschlichen Dimensionen, sie zugleich aber sprengend und überwindend. Jesus Christus ist der Träger und die Verkörperung dieses Geschehens. Es überbietet das normale menschliche Leben und seine Möglichkeiten bei weitem, weil hier Gott als Geist bzw. in seiner geistigen Wesensart ein für alle Mal heilschaffend, und das heißt den Tod überwindend, wirksam geworden ist. Paulus bringt diesen Sachverhalt auf den Punkt, wenn er in 1 Kor 15, 45 schreibt: »Der erste Mensch, Adam, wurde zu einer lebendigen Seele, der letzte Adam zu einem lebendig machenden Geist.« Das besagt sinngemäß: Adam, der Prototyp des Geschöpfes Mensch, wurde als lebendiges, aber sterbliches Wesen geschaffen, Jesus Christus dagegen, der Prototyp des erlösten Menschen, wurde (durch die Auferstehung) zum Träger des lebenschaffenden Handelns Gottes am Menschen – und dieses Handeln gehört in die Kategorie des Geistes: Es ist ein Wirken Gottes als Geist und im Geist. Wenn nun die Menschwerdung, das irdische Wirken und die Auferweckung Jesu Christi einen Geschehenszusammenhang darstellen, der zutiefst von Gottes Geist getragen und bestimmt ist, dann verwundert es auch nicht, dass im Neuen Testament Jesus Christus und der Heilige Geist auf das engste miteinander verbunden werden können. Vor allem Paulus ist hier zu nennen. In 2 Kor 3, 17 scheint er Christus und den Geist geradezu zu identifizieren, wenn er schreibt: »Der Herr ist der Geist.« Da er aber unmittelbar folgend vom »Geist des Herrn« spricht, unterscheidet er zugleich Jesus Christus und den Heiligen Geist. Ähnliches besagen 1 Kor 15, 45 (Christus »wurde . . . zu einem lebendig machenden Geist«) und Röm 15, 18f (der erhöhte Christus wirkt »in der Kraft des Geistes«). Im Grunde besagen derartige Aussagen: Gott, Jesus

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Christus und der Heilige Geist sind eine Einheit. Es handelt sich nicht um drei verschiedene, selbständige göttliche Personen, die lediglich miteinander verbunden wären. Sondern Jesus Christus ist Gott selbst, und zwar in der Weise seiner Offenbarung in der Person und Geschichte Jesu. Und der Heilige Geist ist Gott selbst in der Weise seines Wirkens am Menschen und in der Welt. Insofern ist es konsequent, wenn Jesus Christus und der Heilige Geist sehr eng miteinander verbunden werden, denn die Offenbarung Gottes in Jesus Christus zielt ja darauf, durch den Heiligen Geist zur bestimmenden Wirklichkeit in der Welt und im Leben jedes Menschen zu werden. Im Rückblick auf den gesamten Abschnitt lässt sich somit festhalten: Sowohl die irdische Wirksamkeit Jesu als auch das mit ihm verbundene Heilsgeschehen im Ganzen sind ein Handeln Gottes am Menschen und in der Welt. Gott vollzieht es im Heiligen Geist, durch den Heiligen Geist und als Heiliger Geist. Wir müssen es so vielfältig und zugleich offen formulieren, denn es steht für die wirksame Gegenwart des in Jesus Christus offenbaren Gottes im Menschen und in der Welt. Das ist und bleibt ein Geheimnis, dem wir uns nur annähern, es aber in dieser Welt nie erfassen können. Was das im Blick auf die Gegenwart Gottes in den Menschen bedeutet, die durch Jesus Christus mit Gott verbunden worden sind, wollen wir uns nun in einem weiteren Abschnitt ansehen.

3 Der Heilige Geist als wirksame Gegenwart Gottes im Menschen Die Wendung »wirksame Gegenwart Gottes im Menschen« enthält mindestens drei Teilaussagen: Gott wirkt – Gott ist als solcher gegenwärtig – und zwar im Menschen. Was es mit diesen drei Aussagen oder Aspekten auf sich hat, möchte ich ein wenig entfalten. 3.1 Die wirksame Gegenwart Gottes Hier geht es zunächst um den Aspekt der Wirksamkeit Gottes. Die Bibel schildert uns Gott in besonderer Weise als eine schöpferische Macht: in der Schöpfung selbst, in der Geschichte Israels, im Christusgeschehen, in der Entstehung und Ausbreitung der Kirche, um nur die wichtigsten Bereiche zu nennen. Zu Gottes Wesen gehören also Dynamik, machtvolles Handeln, unerschöpfliche Lebenskraft und so weiter. Dies alles soll nach dem Zeugnis des Neuen Testaments auch am bzw. im Menschen wirksam werden. Dabei begegnen wir einer dreifachen Weise der wirksamen Gegenwart Gottes im

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Menschen: als Kraft, als Beistand und als Offenbarung. Alle drei sind an den Heiligen Geist gebunden bzw. ergehen im Heiligen Geist. Zunächst steht der Heilige Geist für das Wirksamwerden der Kraft Gottes im Menschen. So heißt es am Anfang der Apostelgeschichte in einem Wort Jesu, das den ganzen Sinn und Inhalt dieses zweiten Teils des Werkes des Lukas6 programmatisch zusammenfasst: »Ihr werdet Kraft empfangen, wenn der Heilige Geist auf euch gekommen ist; und ihr werdet meine Zeugen sein, sowohl in Jerusalem als auch in ganz Judäa und Samaria und bis an das Ende der Erde« (Apg 1, 8). Im weiteren Fortgang seines Werkes schildert Lukas die Verwirklichung dieser Verheißung: das von Jerusalem ausgehende weltweite Wirksamwerden des Zeugnisses von Jesus Christus in der Kraft des Heiligen Geistes.7 Auch Paulus weiß von dieser Kraft zu berichten. Im Römerbrief spricht er im Rückblick auf seine bisherige missionarische Tätigkeit von dem, »was Christus . . . durch mich gewirkt hat zum Gehorsam der Nationen durch Wort und Werk, in der Kraft der Zeichen und Wunder, in der Kraft des Geistes« (Röm 15, 18f). Er betont also mit der abschließenden Wendung »in der Kraft des Geistes«, dass in seinem gesamten apostolischen Wirken, bis hinein in die Einzelheiten (Wort und Werk, Zeichen und Wunder), Christus selbst kraftvoll und mächtig am Werk gewesen ist – und zwar im Heiligen Geist. Beide genannten Stellen machen deutlich: Die Kraft Gottes im Heiligen Geist ist keine übernatürliche Lebenskraft, kein göttliches Lebenselixier, das unsere natürliche Vitalität stärken würde, sondern das Neue Testament spricht dort, wo es explizit etwas über das Wirksamwerden der Kraft Gottes im Heiligen Geist sagt, von einer geistlichen Kraft, die Christus und sein Heil zu den Menschen bringt und sie darin erhält. Die Kraft des Heiligen Geistes ist in erster Linie die Kraft des Christuszeugnisses. Wir werden uns diesem überaus wichtigen Aspekt im nächsten Abschnitt noch einmal zuwenden. Der Heilige Geist steht sodann für das Wirksamwerden des Beistands Gottes in unserem Leben. Gott lässt uns auch in schwierigen, ja notvollen Situationen des Lebens und des Glaubens nicht im Stich, sondern steht uns spürbar und erfahrbar bei. Auch davon weiß Paulus zu berichten, wenn er in der Gefangenschaft schreibt: »Ich weiß, dass mir dies (sc. die näheren Umstände seiner Gefangenschaft) zum Heil ausschlagen wird durch euer Gebet und durch den Beistand des Geistes Jesu Christi« (Phil 1, 19). Es geht also nicht nur um eine Art von Beistand, die einem hilft, not- und leidvolle Situationen 6 7

Vgl. Apg 1, 1f, wo Lukas auf sein Evangelium als den ersten Teil zurückblickt und die Apostelgeschichte mit ihm verbindet. Das tut er in so vielfältiger Weise, dass die betreffenden Stellen hier nicht aufgelistet werden können. Ich empfehle, sich anhand einer Konkordanz (Stichwort: Geist) eigenständig ein Bild zu verschaffen.

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durchzustehen, sondern der Heilige Geist sorgt auch und vor allem dafür, dass solche Erfahrungen sich letztlich positiv auf unseren Glauben und unser Heil auswirken.8 Ähnlich verhält es sich, wenn Jesus den Jüngern in der Situation des Abschiednehmens unmittelbar vor seinem Gang ans Kreuz einen »anderen Beistand« verheißt. Gemeint ist wiederum der Heilige Geist. Er wird nach dem Weggang Jesu seine Gegenwart gleichsam weiterführen, so dass die Jünger auch nach Karfreitag den Beistand ihres Herrn erfahren werden (vgl. Joh 14, 16.26; 15, 26; 16, 7). Das griechische Wort, das hier für den Heiligen Geist verwendet wird, Paraklet, bedeutet: Anwalt, Beistand. Das heißt: Der Heilige Geist macht die Sache der Jünger zu seiner eigenen und vergegenwärtigt Jesus bleibend in ihrem Leben – und zwar gerade in Situationen der Anfechtung und des Leids. Wenn Luther Paraklet mit »Tröster« übersetzt hat, so ist das sprachlich zwar nicht ganz zutreffend, es bringt aber den Aspekt der geistlichen Hilfe in Glaubens- und Lebensnot sehr schön zum Ausdruck. Schließlich steht der Heilige Geist für die offenbarende Wirksamkeit Gottes in unserem Leben. Es geht hier um die Erschließung des Geheimnisses der Wirklichkeit seines Wesens und des von ihm in Jesus Christus eröffneten Heils. Dies alles ist für uns Menschen, die wir »Fleisch« sind, nicht von uns aus erkennbar – auch nicht durch die scharfsinnigsten Gedanken über Gott. Es muss uns vielmehr von Gott selbst eröffnet und erschlossen werden. Wo dies geschieht, ist nach dem Neuen Testament wiederum Gott durch seinen Heiligen Geist am Werk. So hebt vor allem Paulus hervor, dass uns das Geheimnis Gottes bzw. Jesu Christi nur durch seinen Geist geoffenbart werden kann (1 Kor 2, 10f; vgl. Eph 3, 4f). Entsprechend kann er im Zusammenhang der Charismen von der »Offenbarung des Geistes« reden (1 Kor 12, 7 – mehr dazu in Abschnitt 5). Dem entspricht die Wendung »Geist der Offenbarung« (Eph 1, 17). Beides meint die offenbarende Wirksamkeit Gottes im Heiligen Geist als Grundvoraussetzung aller Erkenntnis Gottes und seines Heils und allen Glaubens daran. 3.2 Die wirksame Gegenwart Gottes Hier geht es um den Sachverhalt, dass es Gott selbst ist, der als Heiliger Geist im Menschen wirksam gegenwärtig ist. Damit greifen wir noch einmal das eingangs gestellte Problem der Überwindung der unendlichen Differenz zwischen Gott 8

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Indirekt ist hier auch ausgesagt, dass der Heilige Geist sich auch unsere Gebete für diese Zwecke zunutze macht. Beten, und insbesondere die Fürbitte, ist zwar eine menschliche Aktivität, aber seine Wirkung ist immer ein geistliches Geschehen (vgl. Röm 8, 26f und Abschnitt 4b).

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und Mensch durch Gott auf. Im Heiligen Geist überwindet Gott diese Differenz nicht nur so, dass wir in Verbindung mit ihm treten können, sondern so, dass er zur bestimmenden Wirklichkeit unseres Lebens wird. Im Heiligen Geist begibt sich Gott selbst mitten in unser Leben hinein, kommt er mitten in unserem Leben an, um es in seinem Sinne zu prägen und zu gestalten. Im Neuen Testament kommt das zum Ausdruck in der Rede von der Gabe des Heiligen Geistes. In allen Schriftengruppen lesen wir, dass Gott uns Menschen mit seinem Geist beschenkt und ausrüstet. Er schenkt auf diese Weise seine Gegenwart in unserem Leben. Im Einzelnen kann das in sehr vielfältigen Formulierungen gesagt werden. In Bezug auf Gott kann es heißen, dass er uns den Heiligen Geist gibt (Lk 11, 13; Joh 3, 34; Röm 5, 5), ihn darreicht (Gal 3, 5) oder ihn sendet (Joh 14, 26; Gal 4, 6; 1 Petr 1, 11f). In Bezug auf den Heiligen Geist ist davon die Rede, dass er auf die Jünger kommt (Apg 1, 8), ausgegossen wird (Apg 2, 33; Tit 3, 6) oder auf die Menschen fällt (Apg 10, 44). Und hinsichtlich der Menschen lesen wir, dass wir den Heiligen Geist empfangen (Joh 20, 22; Apg 2, 38; Röm 8, 15), ihn haben (Röm 8, 23; Jud 19), mit ihm getränkt sind (1 Kor 12, 13), mit ihm versiegelt sind (Eph 1, 13) oder des Heiligen Geistes teilhaftig geworden sind (Hebr 6, 4). Alle diese Aussagen bringen in je unterschiedlicher Blickrichtung das eine zum Ausdruck: Der Heilige Geist ist eine Gabe Gottes, die bei uns Menschen ankommt – und zwar so, dass sie sich im Innersten unseres Wesens ansiedelt, um uns von dem Zentrum unserer Persönlichkeit aus zu prägen und unser Leben zu gestalten. Auch diese Realität ist, wie es schon bei den obigen Aussagen der Fall war, nur in Bildern zu umschreiben (weil die Wirklichkeit Gottes das übersteigt, was uns unmittelbar zugänglich ist). So lesen wir, dass der Heilige Geist in uns wohnt (Röm 8, 9; 2 Tim 1, 14; Jak 4, 5), in uns ist (Joh 14, 17; 1 Thess 4, 8; 1 Petr 1, 11), bei uns bleibt (Joh 14, 17) oder auf uns ruht (1 Petr 4, 14). Als einziger »Ort« dieses »Wohnens« wird unser Herz genannt, also das innerste Zentrum unserer Person und unseres Lebens (2 Kor 1, 22; Gal 4, 6). Daraus folgt im Blick auf uns, dass wir ein Tempel des Heiligen Geistes sind (1 Kor 6, 17). Da der Tempel im Alten Testament der Ort der Gegenwart Gottes auf Erden ist, wird damit nichts weniger zum Ausdruck gebracht, als dass Gott selbst in uns gegenwärtig ist bzw. in uns wohnt. Deshalb kann Paulus einige Kapitel vorher mit demselben Bild auch sagen, dass wir ein Tempel Gottes sind (1 Kor 3, 16). Diese Gegenwart Gottes mitten in uns und unserem Leben besagt zugleich, dass Gott nicht einer von vielen »Gästen« in unserem Inneren ist, so dass da noch Platz für andere geistige Mächte wäre. Sondern Gott will uns total erfüllen und bestimmen – als die einzige wirkliche Macht in unserem Leben –, nicht

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um uns zu knechten, sondern um uns in die Freiheit der Kinder Gottes zu führen (vgl. Röm 8, 14f.21; 2 Kor 3, 17). Dieses Total-Bestimmtsein von Gott umschreibt Lukas mit der Wendung vom Erfülltsein mit dem Heiligen Geist (Lk 1, 15; Apg 2, 4 u. ö.). Paulus drückt es so aus: »So viele durch den Geist geleitet werden, die sind Söhne (= Kinder) Gottes« (Röm 8, 15). 3.3 Die wirksame Gegenwart Gottes im Menschen Hier geht es darum, dass wir auch als solche, die vom Geist Gottes umfassend bestimmt sind, Menschen bleiben – das heißt: Wir bleiben auch unter der Leitung des Heiligen Geistes eigenständige Persönlichkeiten, Subjekte unseres Denkens, Wollens und Handelns. Der Heilige Geist ist keine göttliche Kraft, die uns überwältigte und unsere Persönlichkeit ausschaltete. Das kann in seltenen Fällen zwar passieren, zum Beispiel in der Ekstase (vgl. Offb 1, 10; 4, 2), ist aber nicht die Regel. Im Gegenteil: Die Kraft des Geistes wird in uns so wirksam, dass das daraus resultierende Handeln und Verhalten wirklich unser Handeln und Verhalten ist. Der Heilige Geist wirkt so in uns, dass sein Wirken zu unserem Wirken wird, also völlig in menschliche Dimensionen eingeht (in Analogie zur völligen Menschwerdung des Sohnes Gottes). Auch dafür gibt es Beispiele im Neuen Testament. So spricht etwa Lukas davon, dass das Zeugnis von Jesus durch den Heiligen Geist und die Jünger ergeht (Apg 5, 32). Bezüglich der Ältesten heißt es einmal, der Heilige Geist habe sie in den Gemeinden eingesetzt (Apg 20, 28), zum anderen, sie seien von Menschen gewählt worden (Apg 14, 23). Paulus sagt auf der einen Seite, der Geist Gottes ruft in den Glaubenden Gott mit der vertrauensvollen Anrede »Abba« an (Gal 4, 6), auf der anderen Seite sind es die Christen selbst, die »im Heiligen Geist« so rufen (Röm 8, 15). Und bezüglich der Heilsgewissheit spricht der Apostel davon, dass der Geist Gottes »mit unserem Geist« bezeugt, dass wir Kinder Gottes sind (Röm 8, 16). Diese Beispiele zeigen: Was der Heilige Geist tut, tun gleichzeitig wir Menschen. Das gehört zusammen wie die zwei Seiten einer Münze. Der Geist wirkt in uns so, dass sein Wirken zu dem unsrigen wird: Jesus bezeugen, Amtsträger einsetzen, Gott anrufen, Heilsgewissheit haben, um bei den genannten Beispielen zu bleiben. Das gilt auch für unser Glauben, Hoffen und Lieben. Es ist auf der einen Seite das Werk des Heiligen Geistes in uns (Näheres dazu in Abschnitt 4), auf der anderen Seite bleibt es unsere Einstellung und unsere Aktivität (vgl. Röm 5, 5; 15, 13; 1 Kor 12, 3; Gal 5, 5; vgl. auch Kol 1, 29), zu der wir darum auch aufgerufen werden können. Wir sind nie bloßes Objekt des Wirkens des Geistes, sondern wir bleiben das, als was Gott uns geschaffen hat: freie, verantwortliche Subjekte. Und doch glauben und tun wir etwas,

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was wir ohne die Wirksamkeit des Geistes in uns nicht glauben und nicht tun könnten. Das Zusammenkommen dieser beiden gegensätzlichen Seiten in uns ist und bleibt ein Geheimnis. So wie man bei einer Münze nur jeweils eine Seite sehen kann, niemals aber beide gleichzeitig, können wir auch hier jeweils nur eine Seite erfassen, obwohl beide unauflöslich zusammengehören. An dem Gesagten wird deutlich, dass Gott durch seinen Geist zwar die unendliche Differenz zwischen sich und uns überbrückt, aber noch nicht aufgehoben hat. Das bleibt der Vollendung vorbehalten (vgl. 1 Joh 3, 2). Bis dahin sind und bleiben wir Menschen aus Fleisch und Blut. Damit sind und bleiben wir dem Heiligen Geist gegenüber aber immer auch freie Subjekte. Und das heißt: Wir können uns dem Wirken des Geistes in uns auch widersetzen und ihm entgegenwirken. Auch dafür gibt es Beispiele im Neuen Testament. So wird Ananias und Saphira vorgeworfen, den Heiligen Geist belogen zu haben (Apg 5, 3.9). Paulus warnt, den Geist nicht auszulöschen und nicht zu betrüben (1 Thess 5, 19; Eph 4, 30). Und im Hebräerbrief wird von der Möglichkeit gesprochen, durch die Verachtung des Heilswerkes Jesu den Heiligen Geist zu schmähen (Hebr 10, 29). Es ist also nicht selbstverständlich, dass wir dem Wirken des Geistes in uns Raum geben, sondern wir sind aufgefordert, dies immer wieder neu zuzulassen und uns dafür zu öffnen. Denn die Wirkungsart des Geistes entspricht der Wirkungsart Gottes, ja es ist die Wirkungsart Gottes: Er achtet uns als freie Persönlichkeiten. Damit aber stehen wir in der Verantwortung, immer wieder offen zu sein für die wirksame Gegenwart Gottes in uns. Wenn uns das gelingt, ist es paradoxerweise nicht unser eigenes Werk, sondern es geht auf das Wirken des Geistes in uns zurück. Dieser Zusammenhang ist und bleibt ein Geheimnis (vgl. Phil 2, 12f).

4 Die Wirkungen des Heiligen Geistes im Menschen Aufgrund der gebotenen Kürze kann ich im Folgenden die sechs wichtigsten Wirkungsbereiche des Geistes in uns nur kurz anreißen. Es geht dabei – im Unterschied zu Abschnitt 3 – nicht um die Art und Weise des Wirkens Gottes in uns, sondern um das, was der Geist durch uns und in uns bewirkt. 4.1 Christuszeugnis Weil die Ausgießung des Heiligen Geistes zu Pfingsten auf das engste mit dem Christusgeschehen verbunden war und dafür gesorgt hat, dass das in Jesus Christus geschaffene Heil Gottes den Menschen vollmächtig verkündigt

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wurde,9 ist die vornehmste Wirkung des Geistes das Christuszeugnis. Denn Gott will, dass das, was er in Jesus Christus für uns Menschen getan hat, auch bei uns ankommt. Dazu aber muss das Evangelium verkündigt und Jesus Christus als der rettende und befreiende Heilserweis Gottes bezeugt werden. Hier geht es darum, etwas zu sagen und zu vertreten, was wir aus eigenem Vermögen nicht erkennen, sagen und vertreten können. Es bedarf dazu des Zeugnisses von Jesus in unserem Inneren, und das kann nur der Heilige Geist selbst ausrichten (vgl. Joh 15, 26; Röm 8, 16). Und auch das Ergehen dieses Zeugnisses nach außen zu den Menschen ist nicht unser eigenes Werk, sondern das des Geistes in uns – wie uns vor allem das programmatische Wort Apg 1, 8, die Pfingstgeschichte und der Apostel Paulus (vgl. Röm 15, 18f u. ö.) lehren. 4.2 Glaube Dass das Zeugnis von Jesus Christus in unserem Inneren auch ankommt, dass wir uns ihm öffnen und es im Glauben annehmen, ist ebenso ein Werk des Heiligen Geistes wie das Zeugnis selbst. Denn wir können als fleischliche Wesen das Geistliche nicht einfach so erkennen und annehmen. Das muss Gott selbst durch seinen Geist in uns bewirken (vgl. Apg 6, 5; 2 Kor 4, 13; Eph 3, 16f). Was für den Glauben gilt, gilt damit aber auch für alles, was mit dem Glauben zusammenhängt bzw. als eine Äußerung des Glaubens erscheint. Einige Beispiele sollen dies verdeutlichen: So bindet Paulus etwa das Bekenntnis zu Jesus als dem Herrn an das Wirken des Heiligen Geistes in uns (1 Kor 12, 3). Auch die Erkenntnis geistlicher Wahrheiten und Zusammenhänge ist nur durch den Geist Gottes möglich (1 Kor 2, 12f). Und auch beten können wir nur, weil der Heilige Geist in uns ist. Denn die im Geist erfolgende Abba-Anrede Gottes (Röm 8, 15; Gal 4, 6) steht für die vertrauensvolle Hinwendung zu ihm als dem, der in Jesus Christus unser liebender Vater geworden ist. Von uns aus sind wir dazu nicht in der Lage. Dasselbe gilt für den Inhalt des Gebets. In unserer menschlich-fleischlichen Schwachheit wissen wir nicht, was wir Gott gemäß beten bzw. erbitten sollen. Nach Röm 8, 26f nimmt sich der Heilige Geist dieser Schwachheit an und sorgt dafür, dass das, was wir nur unzureichend wissen und ausdrücken können, bei Gott als etwas ankommt, was seiner Heiligkeit und seinem Heilshandeln in Jesus Christus entspricht (vgl. auch Joh 4, 23; Eph 6, 18; Phil 1, 19; Jud 20). 4.3 Leben Wenn wir das Christuszeugnis im Glauben annehmen, werden wir mit dem wahren Leben beschenkt – mit dem Leben, das Gott in Jesus Christus eröffnet 9

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Vgl. Apg 2, wo das Verkündigen der großen Taten Gottes (V. 11) und die Predigt des Petrus (V. 14–36) als eine unmittelbare Auswirkung der Geistausgießung geschildert wird.

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hat und das von der lebendigen Verbindung mit ihm und der Erfahrung seiner Kraft und Nähe geprägt ist. Dieses Leben ist im Grunde nichts anderes als die wirksame Gegenwart Gottes selbst in uns. Diese Gegenwart nimmt Gott als Heiliger Geist bzw. durch den Heiligen Geist wahr. Von daher bedeutet »den Geist haben« (vgl. Abschnitt 3b) das wahre Leben in und aus Gott zu haben. Deshalb spricht Paulus pointiert vom »Geist des Lebens« (Röm 8, 2) bzw. davon, dass »der Geist Leben ist« (Röm 8, 10; vgl. Joh 6, 63). Das primäre Kennzeichen dieses geistgewirkten Lebens ist die Freiheit. »Wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit« (2 Kor 3, 17). Damit ist eine doppelte Freiheit gemeint. Einmal: Freiheit von den Mächten der Sünde und des Todes. Sie herrschen nicht mehr über uns (Röm 8, 2); wir sind ihnen nicht mehr ausgeliefert, sondern können ihnen in der Kraft des Heiligen Geistes widerstehen – was nicht heißt, dass wir für sie immun geworden sind oder ihnen nicht auch immer wieder erliegen können (vgl. Gal 5, 13–25; Röm 6, 12–23). Und zum anderen geht es um die Freiheit, für Jesus Christus, unseren neuen Herrn, zu leben. Es ist die Freiheit, uns an den zu binden, der das Leben ist und gibt. Der Heilige Geist führt uns nicht nur in diese Verbindung mit Christus (vgl. Abschnitt b), sondern er erhält uns auch in ihr. »Wer dem Herrn anhängt, ist ein Geist mit ihm«, das heißt: Er/sie lebt in einer geistlichen Verbindung und Einheit mit Jesus Christus (1 Kor 6, 17). 4.4 Liebe Ebenso wie der Glaube und das Leben aus Gott ist auch die Liebe eine Wirkung des Heiligen Geistes in uns. Zwar können alle in gewisser Weise lieben bzw. Liebe erweisen – hier spiegelt sich etwas von einer schöpferischen Begabung und Veranlagung des Menschen durch den Schöpfer –, doch geht es hier um die Liebe, die aus dem Empfangen der Liebe Gottes in Jesus Christus erwächst. Es ist die Entsprechung zu der Liebe, die Gott uns in Jesus Christus erwiesen hat. Sie resultiert, ebenso wie das Empfangen selbst (vgl. Abschnitt b), aus der Wirksamkeit des Heiligen Geistes in uns. Nicht von ungefähr nennt Paulus die Liebe als erste Frucht des Geistes (Gal 5, 22). Und besonders deutlich formuliert er den genannten Sachverhalt in Röm 5, 5: »Die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist.« Die Liebe Gottes hat also durch den Heiligen Geist im tiefsten Inneren unseres Wesens Wohnung genommen und will uns von da aus bestimmen und zu unseren Mitmenschen gelangen. Von daher ist eine Lebensführung, die von dieser Liebe geprägt ist, die sogenannte Heiligung, ein Werk des Heiligen Geistes in uns – und zugleich unser Werk, an dem wir als verantwortliche und aktive Subjekte mit beteiligt sind (vgl. Abschnitt 3c). Paulus spricht diesen Sachverhalt in 1 Thess 4, 7f aus, wo es sinngemäß heißt: Gott hat uns zur

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Heiligung berufen und uns seinen Geist gegeben, damit wir dieser Berufung gerecht werden können. Ähnlich sagt es der Erste Petrusbrief, wenn er die Adressaten als solche anspricht, »die auserwählt sind . . . in der Heiligung des Geistes zum Gehorsam« (1 Petr 1, 1f), das heißt zu einer Lebensführung, die dem Willen Gottes entspricht. 4.5 Gemeinde Als die Gemeinschaft der Glaubenden ist die Gemeinde kein Interessenverband, zu dem sich Gleichgesinnte zusammengeschlossen haben, sondern eine geistliche Größe, die von Gott und seinem Heilserweis in Jesus Christus bestimmt ist. Von daher ist auch die Gemeinde bzw. die gesamte christliche Kirche ein Werk des Heiligen Geistes. Denn der Glaube, das Sich-bestimmt-sein-Lassen vom Christus-Heil und die sich daraus ergebende Zugehörigkeit zur christlichen Gemeinde ist ein zutiefst geistliches Geschehen. Es hat zwar eine äußere Gestalt (z. B. in Gottesdienst, Taufe usw.), ist aber seinem Wesen nach eine Geisteswirkung und -wirklichkeit. Von daher wird die Kirche im Epheserbrief eine »Behausung Gottes im Geist« genannt, die in Christus zusammengefügt ist und wächst (Eph 2, 21f). Als solche ist auch ihr gesamtes Leben – ihr/e Entstehung, Wachstum, Einheit, Gemeinschaft, Zeugnis und so weiter – vom Wirken des Heiligen Geistes in ihr im Ganzen sowie in den einzelnen Glaubenden geprägt. In diesem Zusammenhang spielen die Geistesgaben, die sogenannten Charismen, eine herausragende Rolle. Ihnen gilt der letzte Abschnitt.

5 Die Charismen – Gottes Wirken zum Aufbau der Gemeinde Man hätte diesen Abschnitt auch überschreiben können: »Das Wirken des Heiligen Geistes in der Gemeinde«. Da der Heilige Geist aber, wie im Eingangsabschnitt dargelegt, den im Menschen – und damit auch in der Gemeinde – gegenwärtigen und wirkenden Gott bezeichnet, möchte ich bei dieser theozentrischen10 Perspektive bleiben. Es geht nicht um eine Besonderheit der ersten Christen, die heute vielleicht nur noch dort eine Rolle spielt, wo man den Heiligen Geist besonders betont, sondern um Gaben, die Gott – durch den Heiligen Geist – seiner Kirche generell gegeben hat, um sie geistlich aufzubauen und wachsen zu lassen. Um hier klarer zu sehen, wollen wir uns zunächst einmal grundlegende Sachverhalte vor Augen führen.

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Das heißt: Gott in den Mittelpunkt stellend.

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5.1 Grundlegendes zum neutestamentlichen Zeugnis von den Charismen Der griechische Begriff charisma bedeutet: Gabe, wohlwollend gespendetes Gnadengeschenk. Zugrunde liegt der Begriff charis: Gunst, Wohlwollen, Gnade. Von daher wäre für charisma die Übersetzung mit »Gnadengabe«, die sich auch hin und wieder findet, die angemessenste. Es kommt in ihr zum Ausdruck, dass es sich um eine (oder mehrere) von Gott gnädig und wohlwollend gewährte Gabe handelt. Es hat sich in den verschiedenen Kirchen und Gemeinden unseres Sprachraums wohl aber die Bezeichnung »Geistesgabe« eingebürgert – wenn man nicht ohnehin von »Charismen« spricht –, womit ein besonderer, ja unmittelbarer Bezug zum Heiligen Geist ausgedrückt wird. Was für ein Bezug ist das? Und wie lässt er sich biblisch begründen? Der zentrale Text in dieser Hinsicht ist 1 Kor 12, 1–11. Paulus geht hier auf die Situation in der korinthischen Gemeinde bezüglich der Charismen ein und sieht sich genötigt, einiges zurechtzurücken und klarzustellen. Gleich zu Anfang nennt er das entscheidende Stichwort: pneumatika, geistliche Dinge (V. 1). Gemeint sind die Charismen, wie aus Vers 4 hervorgeht. Hier erfolgt die grundlegende Zuordnung des Begriffs charisma zum Heiligen Geist: »Es gibt Verschiedenheiten von Charismen, aber es ist derselbe Geist« (sc. der sie bewirkt). Nachdem er einige Charismen aufgezählt hat, hält Paulus in Vers 11 fest: »Dies alles . . . wirkt ein und derselbe Geist und teilt jedem besonders mit, wie er will.« Das ist eine äußerst wichtige Feststellung, die mehrere Einzelaussagen enthält: Erstens: Alle Charismen sind vom Heiligen Geist gewirkt. Sie haben ihren Ursprung nicht im menschlichen Denken, Wollen oder Handeln, sondern in der wirksamen Gegenwart Gottes in den Glaubenden durch seinen Geist. Die Charismen können also von uns Menschen nicht hervorgebracht werden – wir können sie nur dankbar empfangen. Zweitens: Die verschiedenen Charismen finden ihre Einheit in dem einen Geist, von dem sie herkommen. Sie dienen alle, auf je unterschiedliche Weise, dem, was Gott in der und durch die Gemeinde bewirken will. Sie können also nicht gegeneinander ausgespielt oder mit einer Rangordnung versehen werden, die sich an menschlichen Kriterien orientiert. Alle in der Gemeinde haben Gaben des einen Geistes empfangen. Sie dienen in je ihrer Eigenart dem einen Werk, das der eine Geist in der Gemeinde bewirken will. Es gilt also die Einheit der Gemeinde und ihrer Glieder in der Vielfalt ihrer Begabungen. Drittens: Alle Christen sind »Charismatiker«. Paulus betont, dass der Heilige Geist »jedem besonders« austeilt. Es sind also nicht nur einige Glieder der Gemeinde, die auf diese Weise begabt werden, sondern jede/r Glaubende hat mindestens ein Charisma vom Heiligen Geist bekommen. Wenn wir das ernst nehmen, steht jede/r Christ/in vor der Aufgabe herauszufinden, was sein/ihr

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spezielles Charisma ist. Dabei kann es sich auch um mehrere Begabungen handeln. Viertens: Die Zuteilung der Charismen erfolgt nach dem freien und souveränen Willen Gottes. Nach Paulus teilt der Heilige Geist die Charismen aus, »wie er will«. Das entspricht der absoluten Freiheit und Souveränität Gottes: Er ist an keinerlei Vorgaben oder Voraussetzungen gebunden. Wir sollen zwar nach den Charismen eifern, sogar nach einer ganz bestimmten Begabung (1 Kor 14, 1) – aber wir müssen uns mit dem »begnügen«, was wir bekommen, das heißt: es dankbar annehmen und einsetzen. Charismen sind also gnädig gewährte Begabungen, die Gott durch seinen Geist jedem Gemeindeglied in unterschiedlicher Weise zuteil werden lässt. Ihr Zweck ist es, die Entfaltung des geistlichen Lebens11 in der Gemeinde zu ermöglichen und zu fördern. Das ergibt sich aus dem Kontext, in dem im Neuen Testament jeweils ausführlicher von den Charismen die Rede ist: die Gemeinde als Leib Christi (Röm 12, 4–8; 1 Kor 12, 12–31; vgl. auch Eph 4, 7– 16). Dieser unaufgebbare Zusammenhang von Charismen und Leib Christi besagt ein Mehrfaches: Erstens: Es geht um die Zugehörigkeit zu Christus. Das ergibt sich aus der Bezeichnung »Leib Christi«. Das Bild vom Leib, den die Gemeinde bildet, meint nicht irgendeinen Leib, sondern den des Christus. Dieser Leib gehört also zu Christus, ist mit ihm verbunden und von ihm bestimmt. Die Charismen dienen also generell dem, was die Zugehörigkeit der Gemeinde zu Jesus Christus und seinem Heil zum Ausdruck bringt und fördert. Zweitens: Es geht um die Verleiblichung Christi auf Erden. Die Metapher von der Gemeinde als Leib Christi zielt auf eine irdisch sichtbare Größe. Sie umschreibt die sichtbare Gegenwart Christi und seines Heils auf der Erde, und zwar in der Gemeinde und ihrem Leben. Die Charismen dienen also generell dazu, Jesus Christus und sein Heil im Leben der Gemeinde sichtbar und erfahrbar zu machen – und damit auch Außenstehende anzusprechen. Drittens: Es geht um einen lebendigen Organismus. Ein Leib bildet eine organische Einheit in der Vielfalt seiner Glieder (1 Kor 12, 14ff: z. B. Fuß, Hand, Auge usw.). Auf die Gemeinde übertragen bedeutet das: Jedes Glied hat seine spezifische Funktion und Eigenart. Und es ist nur in der Einheit des Ganzen existenzfähig, aber niemals alleine. Alle Glieder zusammen machen den Leib zu dem, was er ist: ein lebendiger, funktionierender Organismus.

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Dazu gehören auch soziale, diakonische und andere Tätigkeiten. Ich habe den Begriff »geistliches Leben« gewählt, um deutlich zu machen, dass alle Lebensäußerungen der Gemeinde eine geistliche Dimension haben, insofern sie alle zum Aufbau der Gemeinde beitragen und damit im Dienst eines geistlichen, von Gott gewirkten Geschehens stehen.

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Die Charismen dienen also generell der Mitwirkung des/der einzelnen Glaubenden am Ganzen der Gemeinde bzw. Kirche. Jede/r trägt mit seiner/ihrer spezifischen Begabung und Funktion zum Leben der Gemeinde bei. – In diesem Zusammenhang stellt sich nun die Frage: Von welchen Begabungen und Funktionen spricht denn das Neue Testament? Dem gilt der nächste Abschnitt. 5.2 Überblick über die Charismen im Neuen Testament Beim Blick auf das gesamte neutestamentliche Zeugnis von den Charismen zeigt sich, dass die oben gewählte Begrifflichkeit von Begabungen und Funktionen nicht ausreicht, um die Sache ganz zu erfassen. Denn der Begriff charisma kann auch, seiner eigentlichen Bedeutung entsprechend, eine gnädig gewährte Gabe Gottes bezeichnen, die mit den Geistesgaben im engeren Sinn zunächst einmal nichts zu tun hat. Wir müssen also einen generellen Charisma-Begriff von einem spezifischen (zur Bezeichnung der Geistesgaben) unterscheiden. Wenden wir uns zuerst dem generellen Begriff zu, also den Charismen in einem weiteren Sinn: 5.2.1 Charismen im weiteren Sinn Die in Frage kommenden neutestamentlichen Aussagen machen deutlich, worum es geht. • 1 Kor 7, 7: Paulus bezeichnet hier die Befähigung zum Verheiratetoder Ledigsein als Charisma. Gott befähigt demzufolge durch seinen Geist die Glaubenden zur Ehe oder Ehelosigkeit. Beide Befähigungen sind Gaben seiner Gnade.12 • 2 Kor 1, 11: Hier wird die Rettung aus Todesgefahr durch Gott als Charisma bezeichnet, das Paulus und seinen Mitarbeitern zuteil wurde. Geht es dabei vordergründig um Bewahrung in großer Not, so steht doch der Dienst des Paulus als Apostel im Hintergrund, wie der weitere Fortgang des Zweiten Korintherbriefes zeigt. Damit dieser Dienst geschehen kann, schenkt Gott in seiner Gnade (aber auch nach seinem freien Willen) die Bewahrung seiner Diener.

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Gerade im Blick auf die heutige Zeit könnte es ausgesprochen hilfreich sein, die beiden Stände als je individuell gewährte gnadenhafte Begabung durch Gott zu erfassen, und zwar vor dem Hintergrund des Kontextes von 1 Kor 7: der Frage, wie Gott die jeweilige Begabung für die Sache des Evangeliums und der Gemeinde in Dienst nehmen will.

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• Röm 1, 11: Paulus spricht im Kontext davon, bei seinem geplanten Besuch in Rom den dortigen Christen das Evangelium zu verkündigen (V. 15). Er nennt dies Mitteilung von »geistlichem charisma«, und zwar offenbar deshalb, weil er erwartet, dass die römischen Christen durch diese Verkündigung geistlich gestärkt werden. • Röm 5, 15f: Hier bezeichnet Paulus das Heilshandeln Gottes in Jesus Christus im Ganzen als Charisma, durch welches Sünde und Tod der Menschen überwunden werden. • Röm 6, 23: Entsprechend zu Röm 5, 15f wird das »Ergebnis« dieser Überwindung auch Charisma genannt: das ewige Leben, das Gott allen Glaubenden gnädig gewährt. Die aufgeführten Aussagen zeigen: Der Begriff Charisma darf nicht auf die sogenannten Geistesgaben eingeengt werden, wie das heute vielfach geschieht. Er umfasst viel mehr, nämlich die verschiedensten Gnadenerweise Gottes an uns Menschen. Das reicht vom Geschenk des Heils als solchem, zum Beispiel das Christusgeschehen, die Überwindung von Sünde und Tod oder das ewige Leben, bis hin zu besonderen Gaben, die Gott einzelnen gnädig gewährt, wie etwa die Befähigung zu Ehe bzw. Ehelosigkeit oder Rettung aus bzw. Bewahrung in großer Not. All diese Gaben – und es sind gewiss nur Beispiele, die anzeigen, worum es geht – haben eines gemeinsam: Es handelt sich um ein gnädiges, wohlwollendes Schenken Gottes. Wir können uns hier nichts erwerben oder verdienen und auch keinerlei Anspruch auf irgendetwas erheben, was Gott uns geben müsste. Es sind eben Charismen: gnädig gewährte Gaben Gottes. 5.2.2 Charismen im engeren Sinn Neben dem weiter gefassten, generellen Charismenbegriff gibt es auch den engeren, speziellen. Er bezeichnet die Geistesgaben im anfangs erwähnten Sinn. Sie lassen sich in zwei Gruppen aufteilen: Charismen des Wortes und Charismen des Handelns. Die Unterscheidung macht deutlich, dass es in Bezug auf Wort und Tat je spezifische Begabungen Gottes gibt, die im Leben der Gemeinde aber zusammenkommen und von daher auch zusammengehören.13

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Der tiefste Grund für die Zusammengehörigkeit beider ist die Einheit von Reden und Handeln im Umgang Gottes mit den Menschen und der Welt, wie sie besonders im Wirken Jesu zutage tritt.

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Charismen des Wortes: Sie dienen dazu, das Wort Gottes in verschiedener Weise, in verschiedenen Situationen und mit verschiedenen Zielsetzungen zu verkündigen. Beim näheren Eingehen auf sie ist zu beachten, dass ihre Auflistung im Neuen Testament nicht vollständig ist. Paulus benennt jeweils nur die Charismen, die in Bezug auf seine Aussageabsicht im Blick auf die Situation der Briefempfänger wichtig sind. Daraus ergibt sich die Unterschiedlichkeit der Aufzählungen von Röm 12, 6–8 und 1 Kor 12, 8–10 und 28–30. Das heißt: Wir müssen davon ausgehen, dass es mehr Charismen gibt als diejenigen, von denen im Neuen Testament die Rede ist.14 Dennoch können wir ebenso davon ausgehen, dass die wichtigsten im Neuen Testament genannt sind. Die Kriterien für die Wichtigkeit ergeben sich dabei aus geistlichen Gesichtspunkten, wie sich im Einzelnen zeigen wird. Das eindeutig wichtigste Charisma ist nach Paulus die Prophetie – nicht nur, weil sie die einzige Geistesgabe ist, die in allen drei Aufzählungen begegnet (Röm 12, 6; 1 Kor 12, 10.28), sondern auch und vor allem, weil sie die Art des Redens Gottes durch Menschen darstellt, die wirklich die Herzen erreicht und sie im Sinne Gottes verändert. Dabei muss beachtet werden, dass prophetische Rede keinesfalls auf die Ansage künftiger Ereignisse reduziert werden darf,15 sondern primär das vollmächtige Hineinsagen des Wortes Gottes in eine bestimmte Situation der Gemeinde sowie Einzelner meint. Wer prophetisch redet, sagt im Namen Gottes, was jetzt dran ist, um Menschen bzw. die Gemeinde im Sinne Gottes zu verändern. Und er/sie sagt es so, dass es unser Innerstes erreicht und auf diese Weise wirklich etwas bewirkt. Paulus bezeichnet diese Wirkung mit dem Oberbegriff der Erbauung bzw. des geistlichen Aufbaus (griechisch: oikodome). Von daher hat das Charisma der Prophetie etwas Seelsorgliches an sich, wie die Ausführungen des Apostels in 1 Kor 14 belegen: Es geht primär um Zuspruch und/oder Ermahnung.16 An zweiter Stelle steht die Lehre (Röm 12, 7; 1 Kor 12, 28). Sie bildet sozusagen die Grundlage der Prophetie, denn es geht in der Lehre um die Vermittlung der wesentlichen Inhalte des Evangeliums für Glaube und Lebensführung. Sie zielt darauf, dass Menschen die Grundwahrheiten über Gott, Jesus Christus, den Glauben, das Leben im Glauben und die zukünftige Vollen14 15 16

Was könnte das für den Umgang mit der Thematik und ihrer Sache heute bedeuten? Das gilt schon für das Alte Testament (vgl. die auf die Gegenwart gerichteten Aussagen etwa bei Jesaja oder Jeremia). Das bringt die Frage mit sich: Wie bzw. wo kann prophetische Rede heute erfolgen? Es scheint sich nach dem Neuen Testament nicht um eine Art der Rede zu handeln, die an äußeren Merkmalen zu erkennen – und also einwandfrei zu identifizieren – ist, sondern um das wirkmächtige Verkündigen des Wortes Gottes in verschiedenen Situationen des Einzelnen wie der Gemeinde, das formal die verschiedensten Redeweisen umfassen kann und auf je seine Weise zur geistlichen Erbauung seiner Adressaten beiträgt.

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dung erkennen und in ihren Zusammenhängen sowie der Bedeutsamkeit für ihr Leben verstehen und annehmen. Mit dem Charisma der Lehre sind die Charismen der sogenannten Weisheitsrede und der Erkenntnisrede (1 Kor 12, 8) verbunden, denn die christliche Lehre zielt auf einen Zuwachs an geistlicher Weisheit und Erkenntnis der Zusammenhänge und Tiefen des Evangeliums. Die Dinge, um die es hier geht, sind ja nicht ohne weiteres klar, und man kann sie mit dem menschlichen Verstand allein nicht erfassen (vgl. Abschnitte 3a.4b). Hier brauchen wir Weisheit und Erkenntnis von Gott her – und darum eben auch Menschen, durch die Gott uns das vermittelt. Prophetie und Lehre sind demnach die wichtigsten Charismen für das (geistliche) Leben der Gemeinde, denn sie vermitteln Gottes Wort und Willen – sowohl grundsätzlich-generell im Blick auf Gottes Heilshandeln in Jesus Christus (Lehre) als auch situativ-speziell im Blick auf dessen konkrete Bedeutung für den Einzelnen und die Gemeinde (Prophetie). Da Gott auch heute noch auf diese Weise durch Menschen spricht und geistliches Wachstum wirkt, bleiben die Charismen der Prophetie und der Lehre aktuelle Gaben Gottes an seine Gemeinde. Der Rahmen, in dem sie wirksam werden, muss nichts Außergewöhnliches sein, sondern dies kann in jeder Predigt sowie den verschiedenen Formen der Unterweisung und Seelsorge geschehen. Ein weiteres Charisma des Wortes ist das Apostelamt (1 Kor 12, 28). Neben Paulus gab es im Urchristentum noch weitere Apostel. Ihre Aufgabe war die missionarische Verkündigung mit dem Ziel, Menschen zum Glauben an Jesus Christus zu führen und Gemeinden zu gründen (vgl. 1 Kor 3, 5.10). Wenn man die Befähigung zu diesem Dienst durch Gott nicht an die Bezeichnung Apostel oder den entsprechenden Personenkreis bindet, sondern von der Sache und ihrem Anliegen ausgeht, gibt es das betreffende Charisma auch noch heute. Man könnte dann etwa von den Charismen der Mission, der Evangelisation oder der Gemeindegründung sprechen, um nur einige zu nennen. Ein letztes Charisma des Wortes ist die Zungenrede bzw. Glossolalie. Diese Begabung wird in den Aufzählungen jeweils an letzter Stelle genannt (1 Kor 12, 10.28). In Röm 12 begegnet sie überhaupt nicht. Es handelt sich um ein Reden in bekannten (vgl. Apg 2, 6–11) und unbekannten (vgl. 1 Kor 13, 1: »Sprachen . . . der Engel«) Sprachen, das an Gott gerichtet ist und »Geheimnisse« zum Inhalt hat (1 Kor 14, 2). Es ist vor allem mit Beten, Singen und Danksagen verbunden (1 Kor 14, 2.14.28) und dient nach Paulus ausschließlich der eigenen Erbauung. Für andere ist es unverständlich und darum für sie ohne Nutzen (1 Kor 14, 2–4.16–19). Deshalb hat die Zungenrede für das geistliche Leben der Gemeinde einen geringen Stellenwert (was auch in ihrer Position jeweils am Ende der Aufzählungen zum Ausdruck kommt). Größer wird diese Bedeutung, wenn eine Interpretation oder Übertragung hinzukommt, die das

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Gesagte für alle verständlich macht. So ist mit der Zungenrede das Charisma der »Auslegung der Sprachen« verbunden (1 Kor 12, 10; vgl. V. 30). Von Paulus her muss man meines Erachtens die heute vielfach anzutreffende Hochschätzung der Zungenrede als eine Überbewertung ansehen. Die Begabung mit dem Heiligen Geist zeigt sich nach Paulus nicht zuerst, sondern zuletzt in der Zungenrede. Für die geistliche Erbauung des/der einzelnen Gläubigen hat sie ihren Wert, so dass der Apostel sie in dieser Hinsicht auch empfiehlt und sich selbst als ›Zungenredner‹ zu erkennen gibt (1 Kor 14, 4f.18), aber im Blick auf die vorrangige Erbauung der Gemeinde ist die Zungenrede bestenfalls ›zweite Wahl‹ – und auch nur dann, wenn sie für alle verständlich ausgelegt wird. Charismen des Handelns: Wie bei Gott und seiner Offenbarung in Jesus Christus Reden und Handeln zusammengehören, so auch bei Gottes Wirken zum Aufbau der Gemeinde. Deshalb treten neben die Charismen des Wortes diejenigen der Tat bzw. des Handelns. Sie lassen sich in drei Gruppen unterteilen. 1. Wunderwirksamkeit: Hier ist zuerst das Charisma des Glaubens zu nennen (1 Kor 12, 9). Damit ist nicht der rettende Glaube an Jesus Christus gemeint. Dieser ist zwar auch ein Werk des Heiligen Geistes im Menschen (vgl. Abschnitt 4b), aber dennoch kein Charisma, da er jedem Christen zuteil wird. Das Charisma des Glaubens meint offenbar eine außergewöhnliche Glaubensbegabung, die nur Einzelnen geschenkt ist und sie zu wunderbarem, Widerstände überwindendem Handeln befähigt (vgl. 1 Kor 13, 2: Glaube, der »Berge versetzt«). Damit eng verbunden ist das Charisma der Machttaten (griechisch: dynameis [1 Kor 12, 10.28]). Wahrscheinlich bezeichnet es – in Analogie zu den Wundern Jesu, die auch dynameis genannt werden (vgl. Mk 6, 2.5 u. ö.) – die Befähigung zur Überwindung widergöttlicher Mächte und unheilvoller Gebundenheiten. Eine spezielle Form dieser Begabung sind die Charismen der Heilungen (1 Kor 12, 9.28), also individuell verschiedene Befähigungen, Menschen von körperlichen und seelischen Leiden zu heilen. Die Charismen der Wunderwirksamkeit sind wohl die, mit denen wir heute die meisten Probleme haben. Zu sehr bestimmt unser rational-wissenschaftliches Denken auch uns Christen – und das Wunderhafte steht da, wo man mit ihm rechnet, in der Gefahr, sich am Spektakulären und vordergründig Großartigen ausweisen zu müssen. Gleichwohl stehen wir ›aufgeklärte‹ Christen meiner Ansicht nach vor der Herausforderung, uns auf die Dimension der heilenden und das Böse überwindenden Macht Gottes neu einzulassen –

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und dabei auch offen zu werden für ein unmittelbares Wirksamwerden dieser Macht in Menschen mit einer besonderen Glaubensbefähigung.17 2. Diakonisches Handeln: In diesen Bereich gehören die Charismen der Hilfeleistungen (1 Kor 12, 28), worunter wohl die verschiedensten Arten der Unterstützung von hilfsbedürftigen Menschen zu verstehen sind. Konkretisiert wird dies durch die Charismen des Mitteilens und des Übens von Barmherzigkeit (Röm 12, 8). Das umfasst nicht nur das Almosengeben, sondern jede Art von praktischer Hilfeleistung und persönlicher Zuwendung zum Nächsten in Not (vgl. Lk 10, 37). – Gerade im Kontext des Methodismus wäre es meines Erachtens wichtig, den charismatischen Charakter diakonischen Handelns wieder neu zu betonen. Das könnte uns helfen, soziales Engagement und geistliches Leben beieinander zu halten und einer drohenden Polarisierung der beiden Aspekte zu wehren. Und im Kontext einer charismatischen Frömmigkeit wäre zu bedenken, dass auch so etwas Unspektakuläres wie diakonisches Handeln zu den charismatischen Begabungen gehört. 3. Gemeindeleitung: Hier sind die Begabungen noch weiter und genereller gefasst als beim diakonischen Handeln. Einmal begegnen in diesem Zusammenhang die Charismen der Leitungen (1 Kor 12, 28). Mit diesen nicht näher beschriebenen Befähigungen sind nicht feste Ämter der Gemeindeleitung gemeint – die gab es bei Paulus noch nicht oder nur in allerersten Ansätzen (vgl. Phil 1, 1)18 –, sondern verschiedene Funktionen im Bereich der organisatorischen und geistlichen Leitung der Gemeinden. Dasselbe gilt für das Charisma des Vorstehens (Röm 12, 8). Auch hier handelt es sich nicht um ein festes Amt, sondern wahrscheinlich um verschiedene Leitungsfunktionen, die von einzelnen begabten Gemeindegliedern wahrgenommen wurden (vgl. 1 Thess 5, 12). – Zu diesem Komplex ist im Grunde Ähnliches zu sagen wie zu den Charismen des diakonischen Handelns: Das Element des Charismatischen umfasst nach Paulus eben auch völlig unspektakuläre und auf den ersten Blick ›normale‹ Begabungen (wie etwa Helfen oder Leiten). Zu Charismen werden diese Fähigkeiten dadurch, dass Gott sie in den Dienst der Gemeinde stellt und durch sie den Aufbau der Gemeinde und das Wachstum ihres geistlichen Lebens bewirkt.

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Zwar scheint Gott mit seinen Gaben Rücksicht zu nehmen auf die jeweilige Kultur – das könnte zumindest die Verbreitung der Charismen der Wunderwirksamkeit in weiten Teilen der Christenheit der Zweidrittelwelt nahelegen –, aber die Kultur birgt auch die Gefahr in sich, die Art des Wirkens Gottes an ihre Vorgaben anzupassen – was mir in unserem Kulturkreis nicht selten der Fall zu sein scheint. Unter der Voraussetzung, dass die Pastoralbriefe (1/2 Tim, Tit) sowie der Epheserbrief nicht von Paulus selbst stammen, sondern in späterer Zeit von seinen ›Schülern‹ verfasst worden sind.

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6 Schluss Das neutestamentliche Zeugnis vom Heiligen Geist ist nach allem, was wir bedacht haben, sehr vielfältig, aber es zeigen sich auch deutliche Grundlinien: – 1. Gott überbrückt durch den Heiligen Geist bzw. als Heiliger Geist die unendliche Distanz zwischen sich und uns Menschen bzw. unserer Welt, und zwar zu dem Zweck, uns sein göttliches Heil zuzuwenden. – 2. Diese Zuwendung hat Gott in Jesus Christus ein für alle Mal vollzogen, und zwar in dem Geschehen der Menschwerdung, des irdischen Wirkens, Sterbens und der Auferweckung Jesu. Nach dem Zeugnis des Neuen Testaments hat Gott in alledem durch seinen Geist am Menschen Jesus und durch ihn heilschaffend für alle Menschen gehandelt. – 3. Gott selbst sorgt durch den Heiligen Geist dafür, dass das, was er in Jesus Christus getan hat, auch bei/in uns Menschen ankommt. So ist er als Heiliger Geist in uns kraftvoll, beistehend und offenbarend gegenwärtig, uns im Innersten unseres Wesens in seinem Sinne prägend, dabei aber nie unsere geschöpfliche Personalität und Verantwortung aufhebend oder übergehend. – 4. In Bezug auf die Wirkungen Gottes als Heiliger Geist in uns steht die Befähigung zum Zeugnis von Jesus Christus an erster Stelle. Aber auch Glaube, neues Leben, Liebe sowie Entstehung und Wachstum der Gemeinde sind hier besonders zu nennen. – 5. Im letztgenannten Zusammenhang spielen die Charismen eine zentrale Rolle. Bezeichnen sie allgemein die verschiedensten Gnadenerweise Gottes an uns Menschen, so sind sie im Besonderen gnadenhafte Befähigungen einzelner Gemeindeglieder zum Zwecke der Entstehung und der Förderung des geistlichen Lebens und Zeugnisses der ganzen Gemeinde bzw. Kirche in Wort und Tat. So weit der Beitrag der Theologie. Dass dies alles in unseren Gemeinden und in unserem persönlichen Leben zu einer prägenden Realität wird, ist theologisch nicht zu bewerkstelligen. Hier stehen wir vor der Herausforderung, uns im Glauben und Gehorsam gegen Gottes Wort und Willen auf die Realität seiner wirksamen Gegenwart in uns Menschen einzulassen – immer wieder aufs Neue und mit der Bereitschaft, uns mitnehmen und verändern zu lassen. Das ist einerseits ein Risiko, weil wir nicht wissen, was dann geschieht. Aber andererseits ist es das Beste, was uns passieren kann – sagt uns doch das Neue (und auch das Alte) Testament: Was Gott als Heiliger Geist tut, dient zu unserem Heil und zu dem der Welt.

Literaturhinweise Großmann, Siegfried: Der Geist ist Leben. Hoffnung und Wagnis der charismatischen Erneuerung, Clausthal-Zellerfeld 2001.

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Hörster, Gerhard: Theologie des Neuen Testaments. Studienbuch, Wuppertal 2004, S. 180–219. Schneider, Dieter: Der Geist des Gekreuzigten. Zur paulinischen Theologie des Heiligen Geistes, Neukirchen-Vluyn 1987. Ders.: Der Geist, der Geschichte macht. Geisterfahrung bei Lukas, Neukirchen-Vluyn 1992. Ders.: Anwalt in bedrängter Zeit. Der Heilige Geist aus der Sicht des Johannes, Neukirchen-Vluyn 1994.

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Ein Herr – ein Geist – ein Glaube. Die pneumatologische Programmatik wesleyanischer Theologie Vilém Schneeberger Wenn wir von methodistischer Theologie sprechen, müssen wir zunächst klären, was wir uns unter diesem Begriff vorstellen. Die Geschichte des Methodismus umfasst noch keine drei Jahrhunderte, und doch finden wir im Verlauf dieser verhältnismäßig kurzen Zeitspanne unterschiedliche Akzentsetzungen. Zu Wesleys Zeiten war der Methodismus mehr oder weniger eine innerkirchliche Erweckungsbewegung. So zumindest hat sie John Wesley verstanden. Er hat seine Societies nicht als eine selbständige Kirche organisiert, sondern als erweckliche Gruppen in der Church of England nach dem Muster anderer bestehender Societies. Er selbst hat sich bis zu seinem Lebensende als ordinierter Geistlicher dieser Kirche verstanden, auch wenn er verschiedentlich abgewiesen und nicht akzeptiert wurde. Sogar nachdem er dringend notwendige Mitarbeiter für seine Bewegung ordiniert hatte, war er immer noch überzeugt, im Rahmen dieser Kirche zu stehen. Und theologisch betonte er immer wieder die »Lehre unserer Kirche«, nämlich die Lehre der Church of England. Er berief sich ständig auf das Book of Common Prayer, dessen Homilien er in seinen Schriften oft zitiert. Er wollte also keine neue Gemeinschaft gründen, sondern die im Leben des Glaubenden gegenwärtige Kraft Gottes verkünden. Die Organisation war zweitrangig, sie war nur das notwendige Instrument zum Festhalten dessen, was Gott in dieser Bewegung gewirkt hat. Nach Wesleys Tod traten andere Akzente in den Vordergrund. Die United Societies entwickelten sich in England allmählich zur Kirche, und ein halbes Jahrhundert nach Wesleys Tod taucht dann tatsächlich die Bezeichnung »Kirche« in England auf. Noch zu seinen Lebzeiten schrieb er für die amerikanischen Methodisten, die sich als Kirche organisiert haben, den Sunday Service, der das anglikanische Book of Common Prayer in Amerika ersetzen sollte, da die Anglikaner nach dem Unabhängigkeitskrieg das Feld geräumt hatten. Auch in England wurden dann organisatorische und gottesdienstliche Regeln eingeführt. Das Wirken des Heiligen Geistes, das zu Wesleys Lebzeiten stark im Vordergrund stand und das Geschehen in den Societies bestimmte, wurde von den eingeführten Regeln allmählich überschattet. Das Werk Gottes sollte mit Hilfe der Strukturen erhalten bleiben. Die Kirchenordnung ist notwendig, das hat schon Wesley in seinen Societies erkannt, aber wenn die Kirchenordnung im Leben der Kirche den ersten Platz einnimmt, kommt es zu einer

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folgenschweren Akzentverschiebung. Es wird deshalb ständig notwendig sein, das Verhältnis von Gottes Wirken und der Struktur vor Augen zu haben und bei der Betonung der Strukturen das Wirken Gottes nicht aus den Augen zu verlieren. Heute ist der Methodismus eine die ganze Welt umfassende Gemeinschaft. Abgesehen von den verschiedenen Strukturformen hat der Methodismus in den verschiedenen Ländern, Kulturbereichen und ökumenischen Verhältnissen unterschiedliche Gestalt angenommen. Es bestehen große Unterschiede zwischen methodistischen Gemeinschaften z. B. in Afrika und in Kontinentaleuropa oder in der angelsächsischen Welt. In den Missionsfeldern ist der Methodismus mehr »auf den Geist orientiert«, in Europa und Amerika spielt die Tradition eine nicht zu unterschätzende Rolle. Im Blick auf diesen Tatbestand ist es notwendig zu betonen, dass wir uns mit dem ursprünglichen Methodismus befassen wollen, wie wir ihn durch John Wesley interpretiert bekommen. Wesleys Ansicht ist zwar nicht normativ im Sinne eines Dogmas, doch zeigt sie die Wurzeln, aus denen die ganze Bewegung, initiiert durch Gottes Wirken, hervorgegangen ist. Diese Wurzeln können uns heute bei unserer Orientierungssuche helfen. Gott hat uns einen großen Reichtum anvertraut, den wir treu verwalten sollen.

1 John Wesleys Erfahrung Wesleys Erfahrung im Mai 1738 wird als seine Grunderfahrung angeführt, die eine Wende in seinem Leben bewirkt hat. Sie wird heute immer wieder unterstrichen und hochgespielt, obwohl sie Wesley in seinen Werken später kaum erwähnt. Es ist die Frage, ob er ihr eine solche Schlüsselstellung beigemessen hat. Es ist ganz gewiss keine Bekehrungserfahrung, sondern der Schritt zur ganz persönlichen, bewussten Annahme des Heils, der Schritt zur Gewissheit, dass Christus seine Sünden, ja gerade seine Sünden weggenommen und ihn vom Gesetz der Sünde und des Todes erlöst hat.1 Am 1. Januar 1739 hatte er ein anderes Erlebnis, das er im Tagebuch kurz beschrieben hat: Herr Hall, Kinchin, Ingham, Whitefield, Hutchins und mein Bruder Karl waren bei einem Liebesfest in der Kettengasse mit ungefähr sechzig unserer Brüder. Ungefähr um drei Uhr morgens, als wir in ernstem Gebet anhielten, kam die Kraft Gottes mächtig über uns, so dass einige vor übergroßer Freude aufjauchzten und sich auf die Knie warfen [wörtlich: zu Boden fielen]. Sobald

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Siehe Johannes Wesleys Tagebuch, Frankfurt am Main 1954, 30f.

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wir uns von dem ehrfurchtsvollen Staunen in der Gegenwart der Majestät Gottes etwas erholt hatten, fingen wir einmütig zu singen an: »Wir loben dich, o Gott, wir erkennen dich als Herrn.«2

Das Niederfallen war in verschiedenen Gottesdiensten der Herrnhuter üblich als Zeichen der Demut vor Gott. Nehemiah Curnock, der Herausgeber des Tagebuches John Wesleys, schreibt, dass es aber keinen Grund gibt, es als »formellen Akt der Prostration« zu verstehen. Der Eintrag in Wesleys vertraulichem Diarium bestätigt die Aussage seines für die Öffentlichkeit bestimmten Journals, »dass um drei Uhr am Morgen des 2. Januar die Kraft Gottes über die Versammelten kam. Die Versammlung lief dann noch einige Zeit lang weiter und Wesley kam erst um 6.30 Uhr zur Ruhe.«3 Diskutiert wird die Frage, ob man diese Erfahrung als ein »Pfingsterlebnis« bezeichnen kann. Die Schilderung führt uns in diese Richtung. Der Historiker John S. Simon, ein ausgezeichneter Wesley-Kenner, schreibt, dass einige der Anwesenden sich an die Stunde im »Obergemach« in Jerusalem erinnerten und daran, wie Petrus und Johannes »nach ihrer Freilassung zu den Ihren gingen und alles berichteten, was die Hohenpriester und die Ältesten zu ihnen gesagt hatten« (Apg 4, 23f). Und »als sie gebetet hatten, bebte der Ort, an dem sie versammelt waren, und alle wurden mit dem Heiligen Geist erfüllt, und sie verkündeten freimütig das Wort Gottes« (Apg 4, 31). Diese Erfahrung machte einen großen Eindruck auf Wesley und bereitete ihn auf den harten Weg vor, der in den Monaten des ereignisreichen Jahres vor ihm lag.4

Auch diese Erfahrung hat Wesley später kaum erwähnt und in diesem Zusammenhang nie von einem zweiten Segen gesprochen. Wenn man aber die Eintragungen in Wesleys Tagebuch vor und nach diesem Erlebnis vergleicht, scheint diese Silvesternacht doch ein bestimmter Wendepunkt gewesen zu sein. So schreibt Wesley z. B. am 5. Dezember 1738: In St. Thomas war eine junge Frau, die sich wie wahnsinnig gebärdete, laut schrie und in beständiger Unruhe war. Es trieb mich sehr, mit ihr zu reden. Sobald ich anfing, war sie ruhig. Die ganze Zeit liefen ihr die Tränen über’s Gesicht, als ich ihr sagte: »Jesus von Nazareth kam, um Sie zu befreien.« Ach, wo gibt es noch Glauben auf Erden? Warum lässt man diese armen Menschen in der offenkundigen Knechtschaft des Satans? Jesus, mein Herr! Gib du

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Ebd., 41f. The Journal of the Rev. John Wesley, hrsg. von Nehemiah Curnock, London 19603 , II, 122. John S. Simon, John Wesley and the Religious Societies, London 19552 , 239.

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Arznei, um ihre Krankheit zu heilen! Befreie alle, die auch jetzt noch von unreinen Geistern gequält werden!5

Wesley schien diese Arznei nicht zu haben. Ganz anders tönen dann die Tagebucheintragungen nach dem 1. Januar 1739. So schreibt er am 2. März 1739: Eins der überraschendsten Beispiele Seiner Macht, an die ich mich erinnere, ereignete sich am folgenden Dienstag, als ich eine Frau [Mrs. Compton] besuchte, die höchst erbost war über diesen neuen Weg und ihm eifrig widerstanden hat. Als ich feststellte, dass die Beweise sie nur immer mehr aufregten, unterbrach ich das Gespräch und schlug vor, dass wir miteinander beten; sie war einverstanden, dass wir niederknieen. In wenigen Minuten fiel sie in tiefe Todesnot, körperlich und seelisch, und kurz danach rief sie in tiefem Ernst aus: »Jetzt weiß ich, dass mir um Christi Willen vergeben wurde.« Sie sagte viele weitere Worte in diesem Sinn und bezeugte die Hoffnung auf Herrlichkeit. Und von dieser Stunde an gab ihr Gott die feste Überzeugung, dass sie den Glauben bezeugen soll, den sie vorher verfolgt hat.6

Ähnliche Töne kommen im Tagebuch immer häufiger vor. Wir können sagen, dass Wesley am 1. Januar 1739 in das Kraftfeld des Heiligen Geistes hineingezogen wurde. Er benützt nicht die heute gebrauchten Begriffe wie »Geisttaufe« und »Geistesgaben«, doch die Gegenwart und die Kraft des Heiligen Geistes mit den heute oft betonten äußeren Kundgebungen des Geistes war im Urmethodismus gegenwärtig.

2 Theologische Ansatzpunkte Diese Erfahrungen blieben begreiflicherweise nicht ohne Einfluss auf Wesleys Denken. Die Erfahrung war aber nie normativ. Für ihn war »die Erfahrung nicht der Beweis der Wahrheit, sondern die Wahrheit [war] der Beweis der Erfahrung«.7 Der Einfluss der Erfahrung ist auch an seinen Definitionen des Glaubens zu sehen, der neben der »objektiven« Dimension (fides) eine »subjektive« Dimension (fiducia) bekommt. Der christliche Glaube ist nicht nur die Zustimmung zu dem ganzen Evangelium von Christus, sondern auch ein völliges Vertrauen auf das Blut Christi, ein Bauen auf das Verdienst Seines Lebens, Sterbens und Auferstehens, ein Ruhen auf Ihm als unsrer Sühne und unserm Leben, als dem, der für uns 5 6 7

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Johannes Wesleys Tagebuch, 41. Works, Bd. I, 174f. C. W. Williams, Die Theologie John Wesleys, Frankfurt am Main 1967, 30.

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hingegeben wurde und in uns lebt. Dieser Glaube ist zuversichtliches Vertrauen des Menschen auf Gott, dass durch das Verdienst Christi seine Sünden vergeben sind und er durch die Versöhnung wieder Wohlgefallen genießt; er ist folglich eine innige Hingabe an den, »der uns zur Weisheit und zur Gerechtigkeit und zur Heiligung und zur Erlösung geworden ist«.8

Das musste dann in seiner Theologie Niederschlag finden. Ein guter Ausgangspunkt sind hier seine Definitionen des Christentums oder der Religion, wie er im Einklang mit seiner Zeit sagt, die in seinen Schriften oft wiederkehren. 2.1 Falsche Religion Wenn Wesley sagen soll, was wahre Religion nicht ist, nennt er in der Regel drei oder vier charakteristische Kennzeichen: Rechtgläubigkeit, Formalismus, Wohltätigkeit und Deismus. Dass es sich um keine zufälligen Zeichen handelt, sondern um wichtige Akzente seiner Lehre, ersehen wir daraus, dass er sie immer wieder erwähnt. Noch in einer Predigt, die er kurz vor seinem Tod (1789) niedergeschrieben hat, sagt er: Unter falscher Religion verstehe ich jede Religion, welche die Übergabe des Herzens an Gott nicht verlangt. Eine solche ist erstens eine Religion der Ansichten oder das, was man Rechtgläubigkeit nennt. In diese Falle geraten Tausende von denen, die vorgeben, an der »Rechtfertigung aus Glauben« festzuhalten; tatsächlich alle diejenigen, die unter Glauben nur ein System arminianischer oder calvinistischer Ansichten verstehen. Eine zweite Falle ist eine Religion der Form, des nur äußerlichen Gottesdienstes, auch wenn dieser noch so regelmäßig gehalten wird, auch wenn wir jeden Tag zur Andacht in die Kirche und jeden Sonntag zum Herrenmahl gehen. Eine solche Falle ist drittens eine Religion der Werke, welche durch Wohltätigkeit an den Menschen die Gnade Gottes sucht. Eine solche Falle ist, letztlich, eine Religion des Atheismus, d. h. jede Religion, die nicht auf Gott als Fundament gegründet ist, mit einem Wort, eine Religion, in der »Gott, der in Christus die Welt mit sich selber versöhnte«, nicht Alpha und Omega, Anfang und Ende, der Erste und der Letzte ist.9

Wesley lehnt grundsätzlich die Rechtgläubigkeit, die Formen und die Wohltätigkeit nicht ab, sie sind notwendig, bilden aber nicht das Fundament des Christentums. 8 9

John Wesley, Die 53 Lehrpredigten, Stuttgart 1986ff., 22 (Predigt 1 »Das Heil, das durch den Glauben kommt«) Works, Bd. VII, 269.

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2.2 Wahre Religion In der erwähnten Predigt aus dem Jahre 1789 wiederholt er dann kurz und klar, was wahre Religion ist: gesinnt sein, wie Jesus Christus gesinnt war (the whole mind which was also in Christ Jesus; vgl. Phil 2, 5).10 Diese Definition finden wir in seinen Schriften immer wieder. Konkret nennt er drei Kennzeichen der wahren Religion: Gottes Kraft, Gottes Liebe und reine Absicht. Gottes Kraft Der Gegenpol zur »reinen Lehre« ist die Betonung der Kraft Gottes. Nicht Lehre, sondern Gottes Wirken ist der Grund wahrer Religion. Lehre ist notwendig, ohne die reine Lehre verlieren wir sehr leicht das Ziel Gottes aus den Augen, aber die rechte Lehre ist nicht Selbstzweck, sie soll uns in den Strom der Wirksamkeit Gottes hineinnehmen. Gott will nicht belehren, sondern erneuern. Ihr wisst, dass es das große Ziel der Religion ist, unsere Herzen nach dem Ebenbilde Gottes zu erneuern und den gänzlichen Verlust rechtschaffener Gerechtigkeit und Heiligkeit, den wir durch den Fall unserer Ureltern erlitten, wieder gutzumachen. Ihr wisst, dass jede Religion nichts als ein eitles Glaubensspiel, eine Verhöhnung Gottes ist, verderblich für unsere eigenen Seelen, wenn sie nicht dem Ziel dient oder es nicht erreicht, unsere Seele nach Gottes Bild zu erneuern, nach dem Ebenbild ihres Schöpfers.11

Gottes Wirken wird in allen Lebensbereichen sichtbar, nicht nur in der Verwandlung des inneren Lebens. Wesley hat Gottes Kraft immer wieder neu erfahren und entdeckt. Sein umfangreiches Tagebuch ist im Grunde ein mächtiges Zeugnis von der wirkenden Kraft Gottes, der Menschen verwandelt und in Situationen eingreift, in denen der Mensch machtlos ist. Hier wären Hunderte von Bekehrungen und Gebetserhörungen anzuführen, deren das Tagebuch voll ist. Gottes Liebe Gottes Kraft hat Konsequenzen für das Leben des Menschen. Wesley stellt neben den Glauben, der sich an Gottes Kraft klammert, die Liebe Gottes, die unserem Leben eine neue Richtung gibt. In seinen Werken nennt er immer wieder »Glaube, Hoffnung, Liebe« (1 Kor 13, 13) als Kennzeichen des Christen. Seine ganze Theologie ist auf den Grundpfeilern Glaube und Liebe aufgebaut.12 10 11 12

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Ebd., 272. Die 53 Lehrpredigten, 853f. (Predigt 44 »Ursünde«) Ausführlicher in: Vilém Schneeberger, Theologische Wurzeln des sozialen Akzents bei John Wesley, Zürich/Stuttgart 1974.

Vilém Schneeberger

Die Liebe Gottes spielt eine ausschlaggebende Rolle dabei. Sie ist der sichtbare Beweis des Wirkens der Kraft Gottes. Die Religion selbst . . . definieren wir als Gott von ganzem Herzen und unseren Nächsten wie uns selbst zu lieben und in dieser Liebe sich alles Bösen zu enthalten und allen Menschen alles erdenklich Gute zu tun. Das haben wir manchmal ausführlicher so ausgedrückt: Wir betrachten die Religion als nichts anderes als Liebe, Liebe zu Gott und allen Menschen, Gott von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von allen Kräften als den zu lieben, der uns zuerst geliebt hat, als den Quell alles Guten, das wir empfangen haben und das wir zu genießen hoffen, und jede Seele zu lieben, die von Gott geschaffen wurde, jeden Menschen auf Erden, so wie unsere eigene Seele.13

Die verwandelnde Kraft der Liebe Gottes ist so mächtig, dass Wesley die christliche Vollkommenheit als »vollkommene Liebe« definiert. Reine Gesinnung Wesley verwendet diesen Begriff vor allem bei der Auslegung der Bergpredigt, um die wahre Religion von der falschen zu unterscheiden. In Mt 5 finden wir die »Regungen der Seele, die wahrhaftiges Christsein ausmachen, den inneren Zustand«, in Mt 6 wird gesagt, »wie all unser Tun, sogar das von Natur aus bestimmte, durch eine reine und heilige Gesinnung (pure intention) heilig, gut und vor Gott angenehm gemacht werden kann. Was ohne diese Gesinnung geschieht, erklärt Er mit Nachdruck, ist vor Gott wertlos. Dagegen sind alle äußeren Werke vor Seinen Augen von großem Wert, wenn sie auf diese Weise Gott geweiht sind.«14 Die Funktion der reinen Gesinnung zeigt Wesley an Mt 6, 22 »das Auge ist des Leibes Leuchte«: »Das Auge steht für die Absicht: Was das Auge für den Körper, ist die Absicht für die Seele. Wie das Auge alle Bewegungen des Körpers steuert, so steuert die Absicht die Regungen der Seele.«15 Diese reine Gesinnung soll all unsere Wünsche, Stimmungen, Gemütsbewegungen, Gedanken, Worte und Taten bestimmen. Wesley hat diese Unterscheidung von wahrer und falscher Religion nach der reinen Gesinnung bis an sein Lebensende gepredigt. In einer Predigt aus dem Jahre 1789 sagt er: »Wenn dein Auge lauter ist, allein auf Gott gerichtet, so wird dein ganzer Leib, d. h. deine ganze Seele, licht sein, mit Heiligkeit und Glückseligkeit gefüllt sein.«16 Nachdem Wesley bei der Charakterisierung der wahren Religion auf Gottes Macht und die in Christus offenbarte Liebe Gottes hingewiesen hat, 13 14 15 16

Works, Bd. VIII, 474 (»Principles of a Methodist Farther Explained«; 1746). Die 53 Lehrpredigten, 504 (Predigt 26 »Über die Bergpredigt unseres Herrn VI« [Leicht modifizierte Übersetzung; der Hg.]). Ebd., 552 (Predigt 28, »Über die Bergpredigt unseres Herrn VIII«). Works, Bd. VII, 297.

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betont er bei der reinen Gesinnung indirekt den Heiligen Geist, der diese Gesinnung im Menschen bewirkt. Die reine Gesinnung ist die Voraussetzung der christlichen Vollkommenheit: Auf der einen Seite ist es die reine Gesinnung, die das ganze Leben Gott opfert. Es ist die Hingabe unseres ganzen Herzens an Gott, es ist die Sehnsucht und der Wunsch, welche alle unsere Gemütsregungen beherrschen. Es ist die Hingabe nicht nur eines Teils, sondern der ganzen Seele, des ganzen Körpers und Wesens an Gott. Auf der anderen Seite ist es die ganze Gesinnung wie bei Christus, die uns befähigt, so zu leben, wie Christus gelebt hat.17

3 Theologische Struktur Die Definitionen der Religion deuten an, was das Anliegen Wesleys war. Die Kennzeichen der falschen Religion betonen das Tun des Menschen. Der Mensch formuliert die reine Lehre, bestimmt die Formen des gottesdienstlichen Lebens, erweist dem Nächsten barmherzige Hilfe und gestaltet im Deismus eine Religion nach eigener Vorstellung. Die wahre Religion betont das Wirken Gottes. Gott erweist seine Kraft im Leben des Menschen, Gott weckt die Liebe in seinem Herzen und bewirkt in ihm die reine Absicht, das »Wollen und das Vollbringen« (Phil 2, 13). Auf dieses mächtige Wirken Gottes wollte er ständig hinweisen und die Menschen aufrufen, sich ihm in Buße und Glauben zu öffnen. 3.1 Wirken des Heiligen Geistes Das musste notwendigerweise zur Betonung des Wirkens des Heiligen Geistes führen. »Weil es John Wesley besonders um den Gegenwartsbezug des göttlichen Heils zu tun war, musste es ihm auch um den Heiligen Geist gehen.«18 Diese Betonung ist ausgesprochen und unausgesprochen in allen Werken Wesleys zu finden. Er hat ständig das Wirken des Heiligen Geistes betont. Im Jahre 1745 schrieb er: Die unterscheidenden Lehren, die ich in all meinen Schriften und all meinen Predigten betone, liegen in einem sehr engen Bereich. Sie können sie alle zusammenfassen als wahrnehmbare Geisteswirkung (Perceptible Inspiration). Dafür kämpfe ich ernstlich, und das tun alle, die Methodistenprediger genannt

17 18

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Works, Bd. XI, 444 (»A Plain Account of Christian Perfection«). H. Mohr, Methodismus und charismatische Bewegung; in: Mitteilungen der Studiengemeinschaft zur Geschichte der EmK 13/1 (1992) 11.

Vilém Schneeberger

werden. Aber beachten Sie bitte, was wir damit meinen. Wir meinen jene Wirkung des Heiligen Geistes, durch die er uns mit Gerechtigkeit, Frieden und Freude, mit Liebe zu ihm und zur ganzen Menschheit erfüllt. Und wir glauben, dass es der Natur der Dinge nach nicht möglich ist, dass ein Mensch mit diesem Frieden und mit Freude und Liebe durch das Wirken des Heiligen Geistes erfüllt ist, ohne es klar wahrzunehmen, so wie er das Licht der Sonne wahrnimmt. Das ist (soweit ich sehe) die Hauptlehre der Methodisten. Das ist die Substanz dessen, was wir alle predigen. Und ich will immer noch glauben: Niemand ist ein wahrer Christ, solange er es nicht erfährt.19

In der Jackson-Ausgabe seiner Werke (1872) finden wir 1185-mal den Begriff Holy Ghost bzw. Holy Spirit. Wesley wird nicht zufällig als »Theologe des Dritten Glaubensartikels« bezeichnet. Dabei entdeckt er nichts wirklich Neues. Thomas Leßmann kommt bei der Untersuchung der Pneumatologie Wesleys zu dem Schluss: »John Wesleys Pneumatologie bietet keine neuartigen Lehransichten. Er versucht nicht, herkömmliche Dogmen durch neue zu ersetzen«.20 Wichtig ist aber sein ständiger Hinweis auf das Wirken des Heiligen Geistes. Im Farther Appeal to Men of Reason and Religion (1745) legt er z. B. seine Lehre dar und befasst sich mit Einwänden gegen diese Lehre. Er antwortet u. a. dem Bischof von York, der einen Rundbrief an die Geistlichen seiner Diözese gerichtet hat über die »Sekte der Methodisten«. Wesley befasst sich eingehend mit dem Wirken des Heiligen Geistes im Leben des Christen und belegt seinen Standpunkt mit Zitaten aus verschiedenen Homilien und Gebeten der Church of England. »Jede gute Gabe kommt von Gott und wird dem Menschen vom Heiligen Geist gegeben.«21 Auch in einem langen Brief an den Bischof von Gloucester (26. 11. 1762) zitiert er viele Stellen aus den anglikanischen Bekenntnisschriften, die »unsere Annahme des Heiligen Geistes und sein ordentliches Wirken in den wahren Christen betreffen«.22 Er will damit sagen, dass er Akzente aufnimmt, die lange Zeit verschüttet waren und nicht verkündet wurden, obzwar sie von grundlegender Wichtigkeit sind. Die pneumatologische Ausrichtung seiner Theologie ist auf allen Gebieten sichtbar. In seiner Verkündigung kehrt immer wieder die biblische Definition des Reiches Gottes zurück: »Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, es ist Gerechtigkeit, Friede und Freude im Heiligen Geist« (Röm 14, 17). Auch 19 20 21 22

The Letters of John Wesley, hrsg von J. Telford, London 19602 , II, 63f (To »John Smith«, 30. 12. 1745). Thomas Leßmann, Rolle und Bedeutung des Heiligen Geistes in der Theologie John Wesleys, Stuttgart 1987, 145. Works, Bd. VIII, 106; siehe bes. 99–106. Works, Bd. IX, 167; siehe bes. 167–170.

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weitere Bibelstellen, die sich auf den Heiligen Geist beziehen, erscheinen in seinen Schriften immer wieder, wie z. B. »die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist« (Röm 5, 5), »wisst ihr nicht, dass ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in euch wohnt« (1 Kor 3, 16) u. a. Das sind in seiner Sprache stereotype Wendungen, die er immer wieder gebraucht. Und die Betonung des inneren Zeugnisses des Heiligen Geistes ist ja für seine Botschaft charakteristisch. Das Werk des Heiligen Geistes ist auch wichtig für sein Verständnis des Heilsweges. Die Weiterführung des Werkes Gottes bei der Rechtfertigung »für uns« geschieht bei der Wiedergeburt und Heiligung. Wesley kann beide Aspekte – das Wirken des Geistes auch unterscheiden »für uns« und »in uns« – auch als relative (beziehungsorientierte) und reale Veränderung bezeichnen. »Zur selben Zeit, da wir gerechtfertigt werden, ja eben in diesem Augenblick, beginnt die Heiligung. Zu diesem Zeitpunkt werden wir wiedergeboren, ›von oben geboren‹, ›vom Geist geboren‹. Es geschieht eine reale und eine relative Veränderung der Beziehungen. Wir werden innerlich durch die Kraft Gottes erneuert.«23 Wesley hat die Notwendigkeit des Empfangs des Heiligen Geistes unterstrichen. In der Predigt seines Bruders Charles, die er unter die Lehrpredigten eingereiht hat, ist es ganz radikal ausgedrückt: »Der ist ein Christ, der den Geist Christi empfangen hat. Der ist kein Christ, der Ihn nicht empfangen hat. Es ist auch nicht möglich, Ihn empfangen zu haben, ohne es zu wissen.«24 Das sagt John Wesley auch in einem Brief vom 30. Dezember 1745 an John Smith: »Niemand kann ein wahrer Christ sein ohne die Eingebung (inspiration) des Heiligen Geistes, der sein Herz mit Frieden, Freude und Liebe füllt.«25 In den Gedanken über den Methodismus (1786) fragt er: »Was ist seine grundlegende Lehre?«, und antwortet u. a.: »Sie haben gelernt, dass die Religion ein inneres Prinzip ist, dass sie nichts anderes ist als der Sinn Christi, oder mit anderen Worten, die Erneuerung des Menschen zum Ebenbild Gottes in Gerechtigkeit und wahrer Heiligkeit, und dass das nicht anders in uns bewirkt werden kann, als durch die Kraft des Heiligen Geistes.«26 Leßmann sagt in seiner Untersuchung zum Schluss, dass der zentrale Begriff der Gnade bei Wesley mit der Lehre vom Heiligen Geist verknüpft ist und die Akzente seiner Gnadenlehre auch Schwerpunkte seiner Pneumatologie werden. »Wesleys Lehre vom Heiligen Geist ist soteriologisch ausgerichtet. Für ganze Abschnitte des ›Ordo salutis‹ kann man sagen, dass die Pneumatologie 23 24 25 26

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Die 53 Lehrpredigten, 827 (Predigt 43 »Der schriftgemäße Weg zum Heil«). Ebd., 59 (Predigt 3 »Wache auf, der du schläfst«). Works, Bd. XII, 71. Works, Bd. XIII, 258.

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in der Soteriologie aufgeht. Aber auch die Verknüpfungen von Christologie und Pneumatologie sind vielgestaltig und eng.«27 3.2 Stufen auf dem Glaubensweg Wesley hat nicht nur die »objektive« und die »subjektive« Seite der Aneignung des Heils, Gottes Werk »für uns« und sein Wirken »in uns«, unterschieden, sondern betonte auch das Wachstum des Christen auf dem Glaubensweg. Sein Denken war sehr dynamisch. Bei seiner Lebensanalyse im Tagebuch am 24. Mai 1738 zeigt er die dynamische Entwicklung, die er selber in seinem Leben erfahren hat. Die Unterscheidung der Lebens- und Glaubensstufen finden wir dann auch in seiner Lehre. Er unterscheidet zwischen dem »natürlichen Menschen«, der in Unkenntnis über sich und über Gott lebt, dem »Menschen unter dem Gesetz«, der sich seiner Sünden bewusst wird, und dem »Menschen unter der Gnade«. Der »natürliche Mensch« fürchtet und liebt Gott nicht; wer »unter dem Gesetz« ist, fürchtet Ihn, und wer unter der Gnade lebt, liebt Ihn. Der erste hat in göttlichen Dingen kein Licht, sondern wandelt in völliger Finsternis. Der zweite nimmt das schmerzhafte Licht der Hölle wahr und der dritte das frohmachende Licht des Himmels . . . Abschließend kann man sagen: Der natürliche Mensch überwindet nicht, noch kämpft er überhaupt. Der Mensch unter dem Gesetz kämpft mit der Sünde, vermag sie aber nicht zu besiegen. Der Mensch unter der Gnade kämpft und überwindet, ja er »überwindet durch den, der ihn geliebt hat«.28

Die Trennungslinie verläuft also nicht nur zwischen Glauben und Unglauben, sondern zwischen Glaubenserkenntnis und siegreichem Leben. Das war die Unterscheidung des Evangelisten, der die in der christlichen Umwelt aufgewachsenen Menschen zur Fülle des Glaubens führen will. Er hat erkannt, wie verderblich die Meinung ist, dass wir zugleich mit der Rechtfertigung völlig geheiligt und unsre Herzen von jeder Sünde gereinigt werden. Zwar werden wir dabei von der Herrschaft der Tatsünde befreit, und zugleich wird die Macht der Gesinnungssünde so gebrochen, dass wir ihr nicht mehr hörig sind. Aber es ist keineswegs wahr, dass dabei unsere Gesinnungssünde ganz vernichtet, die Wurzel des Stolzes, des Eigenwillens, des Zornes, der Weltliebe

27 28

Leßmann, Rolle und Bedeutung des Heiligen Geistes in der Theologie John Wesleys, 146. Die 53 Lehrpredigten, 172f (Predigt 9 »Der Geist der Knechtschaft und der Geist der Kindschaft«).

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aus dem Herzen gerissen ist oder dass der »fleischliche Sinn« und die Neigung des Herzens zum Rückfall völlig ausgerottet sind.29

In den Predigten »Über die Sünde im Glaubenden« (1763), »Der schriftgemäße Weg zum Heil« (1765) und »Die Buße der Gläubigen« (1767) zeigt er, dass im Leben der Gerechtfertigten und Wiedergeborenen viele Sünden bleiben, zwar abgeschwächt, doch sind sie nicht beseitigt. »Die Heilsgabe der ›völligen Heiligung‹, die Befreiung von der Macht der Sünde und die Erfüllung mit Gottes Liebe und Kraft ist eine zeitlich und sachlich von der Rechtfertigung unterschiedene Heilserfahrung.«30 Ohne in weitere Details zu gehen, können wir sagen: »John Wesley scheint der Erste gewesen zu sein, der methodisch zwei Erfahrungen unterschied: die Sündenvergebung und die Herzensreinigung.«31 Vor Wesley hatte niemand eine so bestimmte Lehre von einem zweiten Gnadenwerk entwickelt. »Damit aber hat ›der Methodismus einen wesentlichen Einfluss auf die Pfingstbewegung ausgeübt, in dem er das geistliche Verlangen auf die Erfahrung und besonders auf eine plötzliche, der Bekehrung folgende Erfahrung konzentrierte.‹«32 Wesley hat erkannt, dass die Rechtfertigung/Wiedergeburt nicht der Höhepunkt und das Ende des Glaubensweges ist, sondern der Anfang. Danach folgt der Weg der Heiligung, auf dem der Nachfolger Christi in einem bestimmten Augenblick die Befreiung von der Macht der Sünde in seinem Leben erfährt. Im Brief an Joseph Benson vom 28. Dezember 1770 hat es Wesley folgendermaßen ausgedrückt: Gibt es keine Hilfe? Gibt es keine Rettung von diesem inneren Feind? Sicher gibt es sie, sonst würden die großen und köstlichen Verheißungen nutzlos sein. »Ich will reines Wasser über euch sprengen, dass ihr rein werdet; von aller eurer Unreinheit und von allen Götzen will ich euch reinigen« . . . Das nenne ich Heiligung (die ein augenblickliches und ein fortschreitendes Werk ist) oder Vollkommenheit, in Liebe vollkommen, voller Liebe sein, was Tausende Stufen darstellt . . . Mit allem Eifer und allem Fleiß stärke die Brüder, (1) dass sie an dem festhalten, was sie erreicht haben, nämlich die Vergebung all ihrer Sünden auf Grund ihres Glaubens an den gekreuzigten Herrn, (2) dass sie die zweite Änderung erwarten, durch die sie von aller Sünde befreit und in Liebe vollkommen werden. Wenn sie das »Empfangen des Heiligen Geistes« nennen wollen, mögen sie es tun, aber diese Wortverbindung ist als solche 29 30 31 32

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Ebd., 263 (Predigt 14 »Die Buße der Gläubigen«). Lucida Schmieder, Geisttaufe. Ein Beitrag zur neueren Glaubensgeschichte, Paderborn 1982, 107f. Alfred Kuen, Der Heilige Geist. Biblische Lehre und menschliche Erfahrung, Wuppertal 1980, 148. Ebd., 149; Zitat aus F. D. Bruner, A Theology of the Holy Spirit, Pennsylvania 1972, 38.

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nicht biblisch und nicht ganz richtig, denn alle »haben den Heiligen Geist empfangen«, als sie gerechtfertigt wurden, denn »Gott sandte den Geist seines Sohnes in unser Herz, den Geist, der ruft: Abba, Vater« [Gal 4, 6].33

Wesley hat den Begriff der Geisttaufe nicht verwendet, John Fletcher war der Erste, bei dem der Begriff baptism of the Holy Spirit vorkommt. Seine Äußerungen betreffs der Geisttaufe finden wir in seinem Last Check to Antinomianism, der sich mit der christlichen Vollkommenheit befasst. Er sagt, dass die Erfahrung der Liebe, wie sie in 1 Kor 13 beschrieben ist, eine Folge der Taufe im Heiligen Geist ist . . . Fletcher verbindet ganz bewusst das Werk des Heiligen Geistes mit der Erfahrung der völligen Heiligung und zögert nicht, sie »Geisttaufe« zu nennen. Fletcher war überzeugt, dass seine Interpretation der christlichen Vollkommenheit mit Wesleys Interpretation übereinstimmt, und verteidigt seine eigene Anwendung des Begriffs »Geisttaufe«. Wir sollten nicht vergessen, dass Wesley alle »Checks« durchgesehen und besonders den letzten »Check« empfohlen hat.34

Bei Wesley finden wir den Begriff »Geisttaufe« nur einmal in der Predigt »Von der Kirche« über Eph 4, 1–6, wo er zur Wassertaufe sagt: Sie ist ein kostbares Mittel, durch das Glaube und Hoffnung jenen gegeben werden, die sie fleißig suchen. Einige waren geneigt, das in bildlichem Sinn auszulegen, als ob es sich auf die Taufe des Heiligen Geistes (baptism of the Holy Ghost) beziehen würde, die die Apostel am Pfingsttag empfangen haben und die in geringerem Maße allen Gläubigen gegeben ist . . . 35

Bei der Auslegung von Apg 1, 5 »ihr werdet mit dem Heiligen Geist getauft« sagt Wesley: »Und so sind alle wahren Gläubigen bis ans Ende der Welt.«36 Zu Mt 3, 11 »er wird euch mit dem Heiligen Geist und mit Feuer taufen« schreibt er: »Er wird euch mit dem Heiligen Geist füllen, eure Herzen mit dem Feuer der Liebe entfachen, welche viele Wasser nicht auslöschen können. Und das ist geschehen, sogar mit der äußeren Erscheinung wie Feuer am Pfingsttag.«37 Interessanterweise lässt Wesley die Stellen Mk 1, 8 und Lk 3, 16, wo von der Taufe mit dem Heiligen Geist und mit Feuer die Rede ist, in den Anmerkungen zum Neuen Testament ohne Kommentar, obwohl J. A. 33 34

35 36 37

Letters, Bd. V, 214f. Herbert McGonigle, Pneumatological Nomenclature in Early Methodism, in: Wesleyan Theological Journal 8/1 (1973), zit. nach Charles W. Carter, The Person and Ministry of the Holy Spirit, A Wesleyan Perspective, Grand Rapids 19772 , 185. Works, Bd. VI, 395. John Wesley, Explanatory Notes Upon the New Testament, London 1958, zur Stelle. Notes, zur Stelle.

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Bengel die Lukas-Stelle kommentiert: »Für die Gläubigen bedeutet das die feurige Kraft des Heiligen Geistes . . . «38 Im Farther Appeal to Men of Reason and Religion erwähnt Wesley diese Stelle nur und fragt: »Ist dir immer noch diese innere Taufe fremd, mit der alle wahren Gläubigen getauft sind?«39 Auch wenn Wesley also den Begriff der Geisttaufe nicht verwendet, betont Charles W. Carter, dass ihm »kein Beispiel bekannt ist, dass Wesley oder Fletcher jemals gegen die Anwendung dieses Begriffes gesprochen oder geschrieben hätten«.40 Das Anliegen der Annahme des Heiligen Geistes ist im Begriff des stufenweisen Heilswegs enthalten. Jeder, der sich im Glauben zu Christus bekehrt hat, hat den Heiligen Geist empfangen. So sagt er in der Predigt »Die Erstlingsgabe des Geistes« über Röm 8, 1, dass diejenigen, die »in Christus Jesus sind«, den Heiligen Geist haben: »Sie ›wandeln‹ wirklich ›nach dem Geist‹. Erfüllt mit Glauben und dem Heiligen Geist, besitzen sie in ihrem Herzen und zeigen im Leben – in ihrer ganzen Art zu reden und zu handeln – die wahren Früchte des Geistes Gottes.«41 Auch wenn der Gläubige den Heiligen Geist hat, ist er noch nicht am Ende des Weges und muss noch mit mannigfaltigen Sünden kämpfen. Die Predigt endet dann mit dem Ausblick zum endgültigen Sieg: »Warte in Frieden auf jene Stunde, in der ›der Gott des Friedens dich heilige durch und durch . . . ‹« Trotzdem ist auf der anderen Seite der Empfang des Heiligen Geistes nicht automatisch. Charles Wesley hat in seiner Predigt in Oxford anglikanische Quellen zitiert, die das belegen. Unsere Kirche »lehrt uns auch, um die ›Inspiration des Heiligen Geistes‹ zu beten, ja auch darum, dass wir ›erfüllt werden mit dem Heiligen Geist‹. Und jeder Älteste dieser Kirche bekennt, den Heiligen Geist durch Handauflegung empfangen zu haben.«42 Mit anderen Worten: »Die Gabe des Geistes Gottes ist kein statisches, einmaliges Geschenk, sondern stellt in ein dynamisches Geschehen hinein, das immer wieder neue Erkenntnis und Gewissheit eröffnet, mit Kraft für neue Dienste und Herausforderungen ausrüstet und neue Wege weist.«43 3.3 Christliche Vollkommenheit Die Betonung des heiligenden Wirkens Gottes musste notgedrungen die Frage aufwerfen, welche Folgen es für den Menschen hat. John Wesley, ein ausge38 39 40 41 42 43

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Johann Albrecht Bengel, Gnomon, Stuttgart 1970, 294. Works, Bd. VIII, 184. Charles W. Carter, The Person and Ministry of the Holy Spirit, 180. Die 53 Lehrpredigten, 145 (Predigt 8 »Die Erstlingsgabe des Geistes«). Ebd., 60 (Predigt 3 »Wache auf, der du schläfst«). Walter Klaiber/Manfred Marquardt, Gelebte Gnade. Grundriss einer Theologie der EmK, Stuttgart 1993, 191.

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zeichneter Bibelkenner, hat in diesem Zusammenhang Stellen betont, wie »ihr sollt vollkommen sein, wie es auch euer himmlischer Vater ist« (Mt 5, 48). Die Verkündigung der »vollen Heiligung«, wie er die christliche Vollkommenheit auch bezeichnet hat, nennt Wesley das »große Depositum«, das Gott den Methodisten anvertraut hat, »und es scheint, dass er uns deshalb ins Leben berufen hat, damit wir diese Lehre ausbreiten«.44 Die Betonung der christlichen Vollkommenheit, die er der Bibel entnommen hat, hat ihm viel Feindschaft eingebracht und ihn in viele Debatten verstrickt. Ohne dass wir die ganze komplexe Frage analysieren, wollen wir einige Akzente hervorheben, die für unser Thema wichtig sind. In der berühmten und oft problematisierten Predigt »Christliche Vollkommenheit« aus dem Jahre 1741, die den Charakter einer Abhandlung hat, stützt sich Wesley nicht auf die Erfahrung, sondern auf die Bibel und zitiert das oft erwähnte Wort aus dem Propheten Hesekiel: »von aller eurer Unreinheit und von allen euren Götzen will ich euch reinigen. Und ich will euch ein neues Herz und einen neuen Geist in euch geben . . . « (Hes 36, 25f). In dieser Predigt kommt er zu dem Schluss: »Ein Christ ist soweit vollkommen, dass er keine Sünde tut.«45 Gegenüber diesem als solchem problematischen Akzent sagt er auf der anderen Seite: Ich bin überzeugt, dass es keine Vollkommenheit in diesem Leben gibt, die unfreiwillige Übertretungen ausschließen würde, welche meiner Ansicht nach eine natürliche Konsequenz der Unwissenheit und Irrtümer ist, die von der sterblichen Existenz untrennbar sind. Deshalb ist sündenlose Vollkommenheit ein Begriff, den ich nie verwende, damit ich mir nicht widerspreche.46

Es gibt keine absolute Vollkommenheit. »Absolute Vollkommenheit gebührt nicht dem Menschen, auch nicht Engeln, sondern nur Gott allein.«47 Seine Überlegungen bewegen sich zwischen diesen beiden Grenzpositionen. Der scheinbare Gegensatz ist durch sein Verständnis der Sünde gegeben, die Wesley eher vom Standpunkt der Erfahrung aus sieht. Sein Anliegen hat er gleich in der ersten Lehrpredigt ausgedrückt, in der er vom Heil spricht, das allein aus Glauben kommt. »All die Seinen oder, wie es anderswo heißt, alle, die an Ihn glauben, wird er von all ihren Sünden retten, von der Erbsünde und den selbstverschuldeten Sünden in Vergangenheit und Gegenwart, Sünden des Fleisches und des Geistes. Durch Glauben an

44 45 46 47

Works, Bd. XIII, 9 (Brief an R. C. Brackenbury vom 15. 9. 1790). Die 53 Lehrpredigten, 784 (Predigt 40 »Christliche Vollkommenheit«). Works, Bd. XI, 396 (»A Plain Account of Christian Perfection«). Ebd., 442.

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Christus werden sie gerettet von der Schuld und Macht der Sünde.«48 Die Formulierung »gerettet von der Schuld und Macht der Sünde« ist eine andere Formulierung des Akzents auf Rechtfertigung und Heiligung, auf die objektive und subjektive Seite des Heils. Diese Akzentsetzung hat dann alle nachfolgenden Heiligungsbewegungen beeinflusst. Nach vielen Gesprächen und Polemiken hat er im Jahre 1767 seine Gedanken über die christliche Vollkommenheit zusammengefasst. Hinsichtlich der Art. Ich bin überzeugt, dass diese Vollkommenheit in der Seele immer durch einen einfachen Glaubensakt bewirkt wird, daher in einem Augenblick. Aber ich glaube auch an ein fortschreitendes Wirken, vor und nach diesem Augenblick. Hinsichtlich der Zeit. Ich bin überzeugt, dass dieser Augenblick im Allgemeinen der Augenblick des Todes ist, der Moment, ehe die Seele den Leib verlässt. Aber ich glaube auch, dass es zehn, zwanzig oder vierzig Jahre vorher sein kann. Ich glaube, dass es in der Regel viele Jahre nach der Rechtfertigung ist, aber es kann auch fünf Jahre oder fünf Monate danach sein, ich kenne kein schlüssiges Argument dagegen.49

Diese punktuelle Glaubenserfahrung hat es dann den Heiligungsbewegungen angetan gehabt. Was aber in den Heiligungsbewegungen oft fehlt, ist die Gleichsetzung der christlichen Vollkommenheit mit der Liebe Gottes. Auf diese Weise erwarten wir völlige Heiligung, völlige Errettung von all unseren Sünden (von Stolz, Eigenwillen, Zorn, Unglauben) oder, wie der Apostel sagt, »wir wenden uns zum Vollkommenen« [we go on unto perfection, wörtlich: wir gehen weiter zur Vollkommenheit]. Doch was ist das Vollkommene [perfection, Vollkommenheit]? Das Wort hat verschiedene Bedeutungen: Hier bedeutet es vollkommene Liebe, eine Liebe, die die Sünde ausschließt, eine Liebe, die das Herz erfüllt und alle Seelenkräfte in Anspruch nimmt. Es ist die Liebe, die »allezeit fröhlich ist, ohne Unterlass betet und dankbar ist in allen Dingen«.50

Diese Definition der Vollkommenheit als Liebe Gottes wiederholt sich in Wesleys Schriften immer wieder. Was ist die Vollkommenheit, die der Mensch erreichen kann, da er sich im verderblichen Leib befindet? Es ist die Befolgung des gütigen Gebotes »gib mir, mein Sohn, dein Herz«. »Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit all deinen Gedanken«. Das ist die 48 49 50

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Die 53 Lehrpredigten, 22 (Predigt 1 »Das Heil, das durch den Glauben kommt«). Works, Bd. XI, 446 (Brief »Thoughts on Christian Perfection«). Die 53 Lehrpredigten, 828 (Predigt 43 »Der schriftgemäße Weg zum Heil«).

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Summe der christlichen Vollkommenheit. Sie ist zusammengefasst in dem einen einzigen Wort Liebe. Ihr erster Zweig ist die Liebe zu Gott. Und der, der Gott liebt, liebt auch seinen Bruder.51

In einem Brief an Joseph Benson vom 16. März 1771 verbindet Wesley die »Vollkommenheit in Liebe« mit »erfüllt sein mit dem Heiligen Geist«.52

4 Gaben und Frucht des Heiligen Geistes Der Heilige Geist ist die höchste Gabe Gottes. Er ist »die beste der Gaben, die jede gute Gabe einschließt«.53 Das zeigt sich vor allem darin, dass der Heilige Geist die Liebe zu Gott und zu den Menschen weckt und in die Fülle der Liebe Gottes hineinführt. Zu 1 Thess 1, 5 »wir haben euch das Evangelium nicht nur mit Worten verkündet, sondern auch mit Macht und mit dem Heiligen Geist und mit voller Gewissheit« schreibt er: Der Geist legt Zeugnis ab, indem er in eure Herzen die Liebe Gottes ausgießt, die das höchste Zeugnis ist, welches gegeben werden kann. Alle diese Zeichen, wenn nicht sogar die Wundergaben (miraculous gifts), begleiten immer die Predigt des Evangeliums, falls es nicht vergeblich sein soll. Auch das außerordentliche Wirken des Heiligen Geistes ist nicht immer ganz ausgeschlossen, wo das Evangelium mit Macht verkündet wird und die Menschen für Gott leben.54

Wesley hat zwischen besonderen, außerordentlichen (extraordinary) Gaben des Heiligen Geistes und allgemeinen, ordentlichen (ordinary) Früchten des Heiligen Geistes unterschieden. 4.1 Besondere Geistesgaben Schon die Bezeichnung deutet an, dass es sich um etwas Außergewöhnliches, nicht um die Regel handelt. Deshalb hat Wesley die besonderen Geistesgaben nicht besonders betont, obwohl er mit ihnen gerechnet hat. Seine Ansicht hat er in der Predigt dargelegt, die er 1744 vor der Universitätsgemeinde in Oxford hielt über das Wort »Und sie wurden alle des Heiligen Geistes voll« (Apg 4, 31): Hier finden wir nichts von irgendeinem sichtbaren Zeichen, wie beim ersten Mal. Auch wird uns nichts davon berichtet, dass die besonderen Gaben des Hei51 52 53 54

WJW, Bd 3, 74 (Predigt 76 »On Perfection«). Letters, Bd. V, 229. Notes, zu Lk 11, 13. Notes, zur Stelle.

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ligen Geistes damals allen oder nur einigen der Jünger gegeben worden wären, wie die Gabe »gesund zu machen, andere Wunder zu tun, Weissagung, Geister zu unterscheiden, mancherlei Zungenrede« und »die Zungen auszulegen«. Ob diese Gaben des Heiligen Geistes der Kirche durch alle Zeiten bleiben sollten oder ob sie beim Herannahen der »Wiederherstellung aller Dinge« ihr wieder geschenkt werden oder nicht, das sind Fragen, die wir nicht zu entscheiden brauchen. Aber man muss beachten, dass sie selbst in der Anfangszeit der Kirche von Gott nur mit sparsamer Hand ausgeteilt worden sind. »Waren alle« damals »Propheten?« Waren »alle Wundertäter? Hatten alle die Gabe, gesund zu machen? Redeten alle in Zungen?« Keineswegs! Vielleicht nicht einer von Tausend. Wahrscheinlich nur Lehrer der Kirche, und auch von denen nur einige wenige. Es geschah deshalb zu einem noch köstlicheren Zweck als dem oben angegebenen, dass »sie alle voll des Heiligen Geistes wurden«. Dies geschah – unbestreitbar wichtig für Christen aller Zeiten –, damit sie »gesinnt« wurden, »wie Christus auch war«; es geschah, um ihnen zu den heiligen »Früchten des Geistes« zu verhelfen – wer sie nicht hat, »der ist nicht sein«.55

Das Kennzeichen des wahren Christen sind also nicht die Geistesgaben, sondern die Früchte des Geistes. Den Grund, warum die besonderen Geistesgaben in der Kirche nicht mehr vorkommen, sieht Wesley im Erkalten der Liebe. Es scheint nicht, dass diese besonderen Gaben des Heiligen Geistes in der Kirche länger als zwei oder drei Jahrhunderte vorkamen. Nach der verhängnisvollen Zeit, als sich Kaiser Konstantin als Christ bezeichnete, hören wir kaum mehr von ihnen. Im vergeblichen Bemühen, das Christentum so auszubreiten, häufte er Reichtum, Macht und Ehrenbezeugungen auf die Christen allgemein, besonders aber auf die Priesterschaft. Seit dieser Zeit haben sie fast ganz aufgehört, es finden sich nur wenige Beispiele. Die Ursache war nicht (wie allgemein angenommen wurde), »weil die Gelegenheit dazu nicht mehr da war«, da die ganze Welt christlich war. Das ist ein furchtbarer Irrtum. Die wahre Ursache war, weil »die Liebe bei vielen«, bei fast allen Christen, »erkaltet war«. Die Christen hatten vom Geist Christi nicht mehr als die Heiden. Wenn der Menschensohn gekommen wäre, um seine Kirche zu prüfen, hätte er kaum »Glauben auf der Erde« vorgefunden. Das war die wahre Ursache, warum die besonderen Gaben des Heiligen Geistes nicht mehr in der Kirche vorkamen: weil die Christen wieder Heiden wurden und nur eine tote Form hatten.56

Im Jahre 1748 veröffentlichte Dr. Conyers Middleton die Offene Untersuchung der Wunderkräfte, die angeblich in der Kirche vorgekommen sind, in der er 55 56

152

Die 53 Lehrpredigten, 69f. (Predigt 4 »Biblisches Christentum«). WJW, Bd. 3, 263 f. (Predigt 89 »The More Excellent Way«).

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nachweisen wollte, dass in der Urkirche keine Wunder vorgekommen sind, dass auch Jesus und die Apostel keine Wunder gewirkt haben. Wesley antwortet mit einer ausführlichen Analyse57 und belegt an vielen Beispielen, dass es in der Urkirche Geistesgaben gegeben hat. Er legt eine Übersicht der Geistesgaben vor und verteidigt sie. Wahrer Glaube besteht nicht in Ansichten und in der Bejahung von Ansichten, sondern er ist die Kraft, die der Allmächtige im sterblichen Geist bewirkt, welcher in einem irdenen Haus wohnt, damit er durch diesen Vorhang Einblick in die geistliche Welt gewinnt auf ewige und unsichtbare Dinge, und er ist die Macht, Dinge zu unterscheiden, welche Fleisch und Blut nicht gesehen haben und nicht sehen können.58

Mit dieser gegenwärtigen Kraft Gottes hat Wesley stets gerechnet, und deshalb hatte er keinen Grund, die besonderen Geistesgaben grundsätzlich abzulehnen. Eine weitere umfangreiche Antwort verfasste er im November 1762 auf die Publikation Über das Amt und Wirken des Heiligen Geistes des Bischofs von Gloucester.59 Auch hier verteidigt er die besonderen Geistesgaben und legt sein Verständnis der Gaben nach 1 Kor 12 vor. Ich bin überzeugt, dass das »Wort der Weisheit« bedeutet, Erkenntnis zu haben, die mannigfaltige Weisheit Gottes im großen Heilsrahmen des Evangeliums darzulegen; das »Wort der Erkenntnis« die Vollmacht zur Erklärung der alttestamentlichen Schriften und Prophetien; »Glaube« bedeutet außergewöhnliches Vertrauen zu Gott unter den schwierigsten und gefährlichsten Umständen; »die Gaben der Heilung« eine wundersame Kraft Krankheiten zu heilen; »die Unterscheidung der Geister« eine übernatürliche Unterscheidungsgabe, ob die Menschen aufrichtig sind oder nicht, ob sie für Ämter in der Kirche qualifiziert sind oder ob die, welche behaupten, durch Eingebung zu reden, es wirklich tun oder nicht.60

Wesley hat nie eine besondere Abhandlung über die Geistesgaben geschrieben. Seine Ansichten finden sich verstreut in seinen Schriften. Eine kurze Auslegung der Geistesgaben finden wir in den Anmerkungen zu 1 Kor 12, 4–11: Wort der Weisheit – Kraft, die mannigfaltige Weisheit Gottes im großen Rahmen des Heilsevangeliums zu verstehen und auszulegen. Wort der Erkenntnis – Vielleicht eine außergewöhnliche Fähigkeit, die alttestamentlichen Gestalten und Prophetien zu verstehen und zu deuten. Glaube kann hier die außergewöhnliche Fähigkeit bedeuten, unter Schwierigkeiten oder gefährlichen 57 58 59 60

Works, Bd. X, 1–79. Ebd., 73. Works, Bd. IX, 117–173. Ebd., 149.

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Umständen Gott zu vertrauen. Die Gabe der Heilung muss nicht nur auf die Heilung von Krankheiten durch Wort oder Handauflegung beschränkt sein. Sie kann sich auch dort kundtun, wenn auch auf einer niedrigeren Stufe, wo natürliche Heilmittel angewandt werden. Oft ist sie es, nicht die größere Fähigkeit, die einige Ärzte erfolgreicher macht als andere. Das mag im Blick auf andere Gaben ähnlich sein. Nachdem die goldenen Schilde verloren waren, ersetzte sie der König von Juda durch kupferne Schilde. Nachdem die echten Gaben verloren gingen, offenbart sich Gottes Macht in einer mehr verborgenen Weise durch menschliches Wissen und Hilfstätigkeit, und zwar umso mehr, wenn ihm mehr Raum gewährt wird. Kraft andere Wunder zu tun. Prophetie – Voraussage zukünftiger Ereignisse. Unterscheidung – ob die Menschen aufrichtig sind oder nicht, ob sie natürliche oder übernatürliche Gaben für die Ämter in der Kirche haben und ob jene, die behaupten, durch Eingebung zu reden, aus Gottes Geist, natürlichem Geist oder dämonischem Geist reden.61

Die Zungengabe verstand er als »plötzliche (instantaneus) Kenntnis einer bis dahin unbekannten Sprache, mit der derjenige, der sie bekommen hat, nachher ohne ein neues Wunder sprechen konnte, wenn er es für angebracht hielt«.62 Wichtig ist die Auslegung des Wortes »die Geister der Propheten sind den Propheten untertan« (1 Kor 14, 32), wo sich Wesley gegen unkontrollierte Eingebungen wehrt: Aber welcher Schwärmer beachtet das? Die Impulse des Heiligen Geistes, auch wenn sie die Menschen wirklich inspirieren, passen so zu ihren verstandesmäßigen Fähigkeiten, dass sie die Menschen nicht ihrer Selbstbeherrschung berauben, wie die heidnischen Priester in ihrer teuflischen Besessenheit. Böse Geister warfen ihre Propheten in solche unkontrollierbare Verzückung, die sie nötigte, wie Irrsinnige zu reden. Aber der Geist Gottes ließ seinen Propheten den klaren Gebrauch ihrer Urteilskraft, wann und solange es für sie angebracht war zu reden, und zwang sie nie zu irgendwelchen Ungebührlichkeiten, was den Inhalt, die Art oder Zeit ihres Redens betraf.63

Im Jahre 1754, als Wesley die Anmerkungen zum Neuen Testament schrieb, hatte er schon verschiedene Erfahrungen mit diesen Erscheinungen, und seine Ausführungen geben uns einen Einblick in seine Einstellung, welche Auswüchse er ablehnte, das Wirken des Heiligen Geistes aber akzeptierte. Zusammenfassend kann man sagen, dass Wesley die Gaben nach ihrer praktischen Nützlichkeit für die Gemeinde beurteilt hat. In den Anmerkungen sagt er zu dem Wort »wer prophetisch redet, ist größer als der, der in Zungen 61 62 63

154

Notes, zur Stelle. Notes, zu 1 Kor 14, 27. Notes, zur Stelle.

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redet« (1 Kor 14, 5): »d. h. nützlicher. Allein danach müssen wir alle unsere Gaben und Begabungen (gifts and talents) beurteilen.«64 4.2 Allgemeine Frucht des Geistes Mehr als die Geistesgaben hat Wesley die Frucht des Geistes betont. Wahrscheinlich hängt es damit zusammen, dass die erste Frucht des Geistes, die Liebe (Gal 5, 22), in seinem theologischen Denken einen so wichtigen Platz einnimmt als eines der Kennzeichen wahren christlichen Glaubens und dass die Frucht des Geistes im Leben eines jeden Christen sichtbar sein soll als Zeichen der Heiligung. Obwohl Wesley zu Apg 1, 5 gesagt hat, dass sich die Verheißung »ihr werdet mit dem Heiligen Geist getauft« auf alle Gläubigen bezieht und dass hier »auch die außerordentlichen Gaben des Heiligen Geistes verheißen sind«65 , schreibt er zu Apg 2, 38 »ihr werdet die Gabe des Heiligen Geistes empfangen«: »Die Gabe des Heiligen Geistes meint hier nicht die Vollmacht in Zungen zu reden, denn diese Verheißung wurde nicht all denen in der Ferne gegeben, in entfernten Zeiten und Völkern. Es ist eher die ständige Frucht des Glaubens, nämlich Gerechtigkeit, Friede und Freude im Heiligen Geist.«66 Er hat hier an die Charakteristik des Reiches Gottes nach Röm 14, 17 gedacht. Die sichtbare Frucht des Geistes ist ein Zeichen des unsichtbaren Glaubens. »Die Kennzeichen, an denen ich den Stand eines jeden Menschen erkenne, sind die innere Frucht des Geistes – Liebe, Freude, Friede und Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Selbstbeherrschung, Geduld, welche nicht durch Worte, sondern durch echte Frucht der äußeren Heiligkeit offenbar werden.«67 »Wenn das Zeugnis und die Frucht des Geistes zusammentreffen, kann es keinen triftigeren Beweis geben, dass wir Gott gehören.«68 Bei dieser Argumentation geht Wesley davon aus, dass ein guter Baum gute Frucht hervorbringt. Das betont er immer wieder. Besonders wenn er von der christlichen Vollkommenheit spricht, versucht er sich ganz konkret auszudrücken. In der Predigt über die Vollkommenheit, die nicht zu den Lehrpredigten zählt, sagt er, dass die Vollkommenheit nach Gal 5 »die ungeteilte Frucht des Geistes ist«, wenn »all diese Früchte in der Seele des Gläubigen in einen Strang verflochten sind«.69

64 65 66 67 68 69

Notes, zur Stelle. Notes, zur Stelle. Notes, zur Stelle. Works, Bd. VIII, 510 (An Rev. Dr. Free). Works, Bd. XIII, 98 (An Miss Coke). Works, Bd. VI, 413f.

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Die Verkündigung der Heiligung und christlichen Vollkommenheit hat immer die Frage geweckt, ob das alles nicht nur Theorie ist. Wesley war viel zu sehr ein real denkender Mensch, als dass er sich auf solche Theorien eingelassen hätte. Das Theoretisieren ist ja ein Zeichen »falscher Religion«. Wie erkennt der Mensch, dass er geheiligt ist, errettet von seiner inneren Verderbtheit? »Ich kann es nicht anders wissen, als wie ich weiß, dass ich gerechtfertigt bin. ›Daran erkennen wir, dass wir in Gott bleiben‹ und zwar in jeder Hinsicht: ›Er hat uns von seinem Geist gegeben‹. Wir erkennen es am Zeugnis und an der Frucht des Geistes.«70 Dann zählt er ganz konkret die Frucht des Geistes nach Gal 5 auf. Nicht die Geistesgaben, sondern die Frucht des Geistes macht den reifen Christen aus. Dieser Akzent ist bei Wesley sehr wichtig und ein gutes Korrektiv für jede überspitzte Pneumatologie, die Gaben auf Kosten der Frucht des Geistes betont.

5 Kundgebungen des Geistes Wo man mit dem Heiligen Geist rechnet und seinem Wirken in der Kirche Raum gibt, da kommt es zu außergewöhnlichen Erscheinungen. Wesley beschreibt in seinem Tagebuch und in den Briefen Versammlungen, in denen die Menschen aufschreien, zu Boden fallen, geheilt werden und plötzliche Befreiung erleben und sich zum Glauben durchringen. Im Juni 1739 berichtet er über die Versammlung in Wapping, wo er über Hebr 10, 19 predigte. Während ich alle Sünder allen Ernstes einlud, »in das Heiligtum einzutreten« auf dem »neuen und lebendigen Weg«, fingen viele von denen an, die das gehört hatten, mit lauter Stimme und in Tränen zu Gott zu rufen. Einige fielen zu Boden und lagen wie leblos, andere zitterten und bebten. Andere hatten so etwas wie einen Krampf im ganzen Körper, und zwar so stark, dass vier oder fünf Personen kaum einen Einzigen halten konnten. Ich habe schon viele hysterische und epileptische Anfälle gesehen, aber keiner war diesen ähnlich, und zwar in vieler Hinsicht. Ich habe gleich gebetet, dass Gott es nicht zulässt, dass die Schwachen daran Anstoß nehmen. Eine Frau hat großen Anstoß genommen, sie behauptete, dass sie sich beherrschen können, wenn sie wollen – niemand konnte es ihr ausreden; nachdem sie drei oder vier Meter gegangen war, fiel sie zu Boden in derselben Todesnot wie die anderen.71

In dieser Zeit kam es zur Erweckung in Bristol und Umgebung, über die Wesley regelmäßig nach London berichtete. 70 71

156

Works, Bd. XI, 420 (»A Plain Account of Christian Perfection«). Works, Bd. I, 204.

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Ich predigte in Newgate über die Worte »wer an den Sohn glaubt, hat das ewige Leben« und wurde geführt, ich weiß gar nicht wie, nachdrücklich und ausgesprochen über die Prädestination zu sprechen. Und dann habe ich gebetet, falls ich nicht die Wahrheit Gottes verkündige, dass Gott seine Hand von uns zurückzieht und nicht mehr unter uns wirkt; falls es seine Wahrheit ist, dann wird er nicht zögern und »die Verkündigung durch Zeichen bekräftigen«. Sofort fiel die Macht Gottes auf uns. Einer nach dem anderen fiel zu Boden. Wir konnten sie auf allen Seiten fallen sehen wie vom Blitz getroffen. Eine Frau schrie laut. Ich ging hin und betete für sie, und sie empfing Freude im Heiligen Geist. Eine zweite fiel in dieselbe Todesnot, wir beugten uns über sie und empfingen auch für sie die Verheißung des Vaters. Am Abend legte ich Gott dieselbe Bitte vor, und er antwortete fast früher, als wir zu rufen anfingen. Eine junge Frau hatte so große Schmerzen, wie ich es vorher nicht gesehen habe. Nach einer Viertelstunde war ein neues Lied in ihrem Mund, ein Lobpreis unserem Gott.72

Gerade solche Kundgebungen des Geistes in Bristol haben die Frage hervorgerufen: Was ist hier los? Wesley hat im Tagebuch den Inhalt eines Briefes an seinen Bruder Samuel abgedruckt, in dem er schreibt, dass bei den Menschen eine Umwandlung stattgefunden hat: Und dass solch eine Umwandlung tatsächlich zustande kam, erkennt man (nicht an ihrem Weinen und Schreien oder weil sie vielleicht Krämpfe bekommen – dies sind nicht die Früchte, nach denen ich urteile, wie Du anscheinend denkst – sondern) aus dem ganzen Charakter ihres Lebens, das bis dahin in vieler Hinsicht böse gewesen war, dann aber heilig, gerecht und gut wurde.73

Und er fügt eine Erklärung bei: Vielleicht geschieht es wegen der Verhärtung unserer Herzen, die nicht bereit sind etwas anzunehmen, wenn wir es nicht mit eigenen Augen sehen und mit eigenen Ohren hören. Wegen unserer Schwäche gab Gott deshalb in zärtlicher Herablassung so viele äußere Zeichen jenes Augenblicks, da er diese innere Veränderung bewirkt hat, damit sie unter uns ständig sichtbar und hörbar ist.74

Er warnte aber, die Geister nach Äußerlichkeiten, Reden oder Gefühlen zu beurteilen. Nicht nach Träumen, Visionen oder Offenbarungen, die angeblich ihre Seele empfangen hat, auch nicht nach ihren Tränen oder anderen unfreiwilligen körperlichen Anzeichen. Ich warnte sie, dass alle solche Anzeichen an sich 72 73 74

Letters, Bd. I, 303. Tagebuch, 20. Mai 1739, 48. Works, Bd. I, 196.

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zweifelhaft und fraglich sind. Sie können von Gott stammen, müssen es aber nicht. Deshalb soll man sich nicht einfach auf sie verlassen (und sie auch nicht einfach verwerfen), sondern nach einer anderen Regel prüfen, man soll sie dem einzig sicheren Test unterziehen, der Weisung und Offenbarung [vgl. Jes 8, 20].75

Dass das keine vereinzelten Erscheinungen waren, zeigt ein Brief des Predigers John Berridge, der im Juni 1758 John Wesley getroffen hat. Er beschreibt die methodistischen Versammlungen in einem Brief an John Wesley (vom 16. Juli 1759) folgendermaßen: Das Wort ist überall wie ein Hammer, der den Fels in Stücke schlägt. Die Menschen fallen um, schreien bitterlich und ringen so stark, dass fünf oder sechs Menschen sie kaum zu halten vermögen. Es ist wunderbar zu sehen, wie die Furcht des Herrn auch auf nicht erweckte Sünder fällt . . . Unlängst wurde der Geist der Liebe in wunderbarer Weise auf die Gläubigen ausgegossen. Sie wurden ohnmächtig, fielen um und lagen einige Stunden lang auf dem Boden wie tot. Ihr Körper war durch diese Ausbrüche der Freude so geschwächt, dass sie nicht fähig waren, in den darauffolgenden Tagen schwere Arbeit zu leisten.76

Diese Erscheinungen, die am Anfang der Erweckung häufig vorkamen und »als äußere Zeichen oft das innere Wirken Gottes begleiteten«77 , waren nicht typisch methodistisch. Prophezeiung, Träume, Krämpfe, Zuckungen, lautes Schreien nach Gott im Gebet, starke seelische Eindrücke aller Art waren eine Erscheinung der Zeit, die nicht auf England und den Methodismus beschränkt waren; und Wesley wusste dies. Diese Erscheinungen traten auch – und ohne Frage in großem Maße – innerhalb der methodistischen Bewegung auf. Sie aber als typisch methodistisch hinzustellen, ist falsch.78

Im November 1759 war Wesley in Everton. Im Tagebuch schreibt er, dass Gott spürbar anwesend war, aber die Versammlung anders war als bei seinem letzten Besuch. Niemand geriet in Verzückung, niemand schrie auf, niemand fiel zu Boden, niemand wand sich in Zuckungen, nur einige zitterten, und man hörte ein leises Gemurmel. Dann schreibt er: Die Gefahr bestand darin, dass man die außergewöhnlichen Erscheinungen wie lautes Aufschreien, Zuckungen, Visionen, Verzückung zu sehr schätzte, 75 76 77 78

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Ebd., 206. Zit. nach Luke Tyerman, The Life and Times of the Rev. John Wesley, M. A., London 1890, Bd. II, 332. Works, Bd. I, 210. Leßmann, Rolle und Bedeutung des Heiligen Geistes in der Theologie John Wesleys, 112.

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als ob sie für das innere Werk wesentlich wären, als ginge es nicht ohne sie. Vielleicht besteht jetzt die Gefahr darin, dass man sie zu wenig schätzt, dass man sie ganz ablehnt und meint, sie seien nicht von Gott und ein Hindernis seines Wirkens. Die Wahrheit ist jedoch die: (1) Gott hat plötzlich und mächtig viele überzeugt, dass sie verlorene Sünder sind; die natürliche Folge davon war plötzliches Aufschreien und starke körperliche Zuckungen. (2) Um die Gläubigen zu stärken und zu ermutigen und um sein Wirken mehr sichtbar zu machen, gab er einigen von ihnen göttliche Träume, anderen Verzückungen und Visionen. (3) In einigen dieser Fälle wurde nach einer gewissen Zeit die Gnade mit der Natur vermischt. (4) Satan hat ebenfalls dieses Wirken Gottes nachgeahmt, um das ganze Werk in Verruf zu bringen. Und doch wäre es nicht weise, Teile dieser Erscheinungen aufzugeben oder gar das Ganze abzulehnen. Zuerst war alles zweifellos von Gott. Es ist zum Teil bis heute noch so, und er wird uns befähigen zu unterscheiden, inwieweit und in welchem Fall diese Erscheinungen rein sind und wo sie vermischt oder entartet sind. Angenommen, dass in einigen Fällen auch Täuschung beigemischt war, dass Einzelne vorgetäuscht haben, etwas zu sehen oder zu fühlen, was nicht der Fall war, und die Schreie oder Zuckungen jener nachgeahmt haben, die wirklich vom Geist Gottes überwältigt waren. Auch das sollte uns nicht dazu verführen, das echte Werk des Geistes abzulehnen oder zu unterschätzen. Der Schatten darf seinen Gegenstand nicht entwerten und auch die Fälschung nicht einen echten Diamanten. Wir müssen weiter annehmen, dass Satan solche Visionen als Ursache benutzt, stolz zu machen. Aber was wollen wir damit beweisen? Nichts, als dass wir auf der Hut sein sollen, dass wir alle ermahnen sollen, von sich selber gering zu denken, denn bei Gott gilt nichts als demütige Liebe. Es wäre aber unvernünftig und unchristlich, Visionen als solche geringzuschätzen oder zu kritisieren.79

Das ist eine klare Stellungnahme Wesleys zu diesen Erscheinungen. Der Katholik Ronald A. Knox hat sich mit den »außernatürlichen Erscheinungen«, wie er sie nennt, zu Wesleys Zeiten befasst und sie ausführlich und sehr dramatisch aufgelistet.80 Er zeigt, dass diese Erscheinungen während des ganzen Wirkens Wesleys vorgekommen sind und nicht nur in Wesleys Versammlungen. Knox, ein scharfer Kritiker, der diesen Erscheinungen gar nicht geneigt ist, kommt zu dem Schluss: »Wer behauptet, Wesley habe zu irgendeiner Zeit seines Lebens solche Vorkommnisse bedauert oder zu verhindern gesucht, der

79 80

Works, Bd. II, 519f. Ronald A. Knox, Christliches Schwärmertum, Köln/Olten 1957, 462–489.

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setzt sich in offenen Widerspruch zu den Zeugnissen.«81 Wesley hat sie bei aller kritischer Vorsicht angenommen als Erweis der Gegenwart Gottes.

6 Die Bedeutung Wesleys Worin liegt die Bedeutung Wesleys und seines Methodismus? Das kann ein kurzer Rückblick auf den Weg der Kirche Christi anschaulich machen. Es gibt im Leben der Kirche geschichtliche Höhepunkte, in denen Gott Akzente setzt. Das sind Zeiten, in denen bestimmten Menschen bestimmte Schlüsselbegriffe der Bibel neu aufgehen. Nehmen wir z. B. Martin Luther. Generationen vor ihm haben Röm 3 gelesen, dass niemand durch seine Werke vor Gott gerecht sein kann. Generationen vor ihm haben gelesen, dass die Gerechtigkeit »durch den Glauben an Jesus Christus zu allen« kommt, »die da glauben« (Röm 3, 22). Und doch musste Martin Luther diese Wahrheit als Kennzeichen des christlichen Glaubens neu entdecken, dass »der Mensch gerecht werde ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben« (Röm 3, 28). Wie bekannt, hat er durch die Hinzufügung des Wörtleins »allein« diese Wahrheit noch unterstrichen. So hat er die große Reformation der Christenheit eingeleitet. Gott musste ihm die Augen öffnen, damit er diese Grundwahrheit neu sehen konnte: Christus allein ist Retter, allein durch die Annahme dieser Rettung im Glauben werden wir gerecht vor Gott. Wesley hat diese Botschaft ohne Abstriche übernommen. Gleich in der ersten Lehrpredigt »Das Heil, das durch den Glauben kommt« über Eph 2, 8 betont er die Bedeutung Luthers. Der Widersacher tobt, weil »das Heil, das durch den Glauben kommt,« der Welt verkündigt wird. Aus diesem Grund hat er die Erde und die Hölle in Bewegung gesetzt, um die zu vernichten, die es zuerst predigten. Und aus demselben Grund, wohl wissend, dass nur der Glaube die Grundfesten seines Reiches stürzen kann, hat er alle seine Heere aufgerufen und alle seine Künste der Lüge und Verleumdung angewandt, um jenen ruhmreichen Streiter des Herrn der Heerscharen, Martin Luther, davon abzuschrecken, dieses Evangelium wieder zum Leben zu erwecken.82

In der Predigt »Der Herr unsere Gerechtigkeit« zitiert er Luther. Diese Lehre ist eine Wahrheit, die sozusagen das ganze Gerüst des Christentums stützt. »Von ihr kann man zweifellos behaupten, was Luther von einer mit dieser eng 81 82

160

Ebd., 478. Die 53 Lehrpredigten, 30 (Predigt 1 »Das Heil, das durch den Glauben kommt«).

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verbundenen Wahrheit sagt: Sie ist der articulus stantis vel cadentis ecclesiae – die christliche Kirche steht oder fällt mit ihr. Sie ist wirklich Säule und Grund des Glaubens, durch den allein das Heil kommt.«83 Die Betonung des articulus stantis vel cadentis ecclesiae finden wir in seinen Schriften öfters. Wesley tat aber einen Schritt weiter und fragte, was das für unser Leben bedeutet. Wie wirkt sich Gottes Gerechtigkeit, die wir im Glauben annehmen, auf unser Leben aus? So kommt er notwendigerweise von der Betonung der Gerechtigkeit aus Glauben zur Betonung der Heiligung aus Glauben. »Wer hat eingeweihter über die Gerechtigkeit aus Glauben allein geschrieben als Martin Luther«, schrieb er in der Predigt über Gottes Weinberg. »Und wer hat weniger über die Lehre von der Heiligung gewusst und war mehr verwirrt in seinen Vorstellungen von dieser Lehre?«84 Wesley zitiert auch ein nicht belegtes Wort Luthers: »Die Menschen, die nach mir benannt sind (ich wünschte, sie wären nach Christus benannt), sind in ihren Ansichten und gottesdienstlichen Formen reformiert, aber ihre innere Einstellung und ihr Leben sind dieselben, wie sie früher gewesen sind.«85 Wesleys Anliegen ist die logische Weiterführung der Akzente Luthers. Die Betonung der Gerechtigkeit aus Glauben allein muss notwendigerweise zur Frage führen, wie sich diese Gerechtigkeit in unserem Leben auswirkt. Das »objektive« Heilswerk Christi hat »subjektive« Folgen für unser Leben. Theologisch hat es Wesley folgendermaßen formuliert: Rechtfertigung bedeutet die Änderung einer Beziehung, Wiedergeburt die Umgestaltung eines Wesens. Wenn Gott uns rechtfertigt, so tut er etwas für uns; in der Wiedergeburt wirkt er in uns. Die Rechtfertigung ändert unser äußeres Verhältnis zu Gott, so dass wir aus Feinden zu Kindern werden; durch die Wiedergeburt wird das Innerste unserer Seele umgestaltet, so dass wir aus Sündern zu Heiligen werden. In dem einen Fall werden wir in das Wohlgefallen Gottes wieder eingesetzt, in dem anderen in sein Ebenbild. In einem Fall wird die Schuld, im anderen die Macht der Sünde weggenommen.86

Der christliche Glaube ist »ein Ruhen auf Ihm als unsrer Sühne und unserm Leben, als dem, der für uns hingegeben wurde und in uns lebt«.87 Dass gerade hier Wesley das Werk des Heiligen Geistes betonen musste, ist begreiflich. Ohne das Wirken des Heiligen Geistes bleibt die christliche

83 84 85 86 87

Ebd., 362 (Predigt 20 »Der Herr unsere Gerechtigkeit«). Works, Bd. VII, 204. Works, Bd. VI, 163. Die 53 Lehrpredigten, 347 (Predigt 19 »Das große Vorrecht der Wiedergeborenen«); siehe auch 859 (Predigt 45 »Die Wiedergeburt«). Ebd., 22 (Predigt 1 »Das Heil, das durch den Glauben kommt«).

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Botschaft nur Theorie. Diese Erkenntnis Wesleys ist eine logische Applikation der Erkenntnis Luthers. Der Methodismus stellt in dieser Hinsicht die Weiterführung der Reformation dar. Und weil es sich um das den Menschen verwandelnde Wirken des Heiligen Geistes handelt, musste er ganz persönliche, individuelle Akzente dieses Wirkens betonen. Gerade diese Applikation der Reformationsakzente auf das Leben des Christen ist bezeichnend für die methodistischen Kirchen und für die Strömungen, die aus dem Methodismus hervorgegangen sind. Lycurgus Starkey schreibt, dass Wesley die dreifache Autorität der Bibel, Tradition und Vernunft, welche für die Church of England charakteristisch war, übernommen hat. »Aber zu den anglikanischen Normen fügte Wesley den pietistischen Wesenszug hinzu – die Betonung des inneren Wertes der christlichen Erfahrung, welche der Heilige Geist bewirkt.«88 Wesley war überzeugt, dass der Heilige Geist direkt im Leben des Menschen wirkt. Was wir heute neu unterstreichen müssen, ist John Wesleys Verständnis des christlichen Lebens im Blick auf Gottes Möglichkeiten, weniger die Unfähigkeiten des Menschen, sein Verständnis der Verheißungen Gottes, weniger die Ängste des Menschen, sein Verständnis mehr der gegenwärtigen als der zukünftigen siegreichen Gegenwart Gottes im Heiligen Geist für Führung, Hilfe und Stärkung.89

Lasst uns mit einem Wort von Donald English aus einer seiner Ansprachen als Präsident der Britischen methodistischen Konferenz schließen: Historisch scheint es klar zu sein, dass es eine direkte Verbindung gibt zwischen Wesleys Heiligungslehre und den Anfängen der Pfingstbewegung im 20. Jahrhundert. Die Verbindung geht über die Heiligungsbewegungen im 19. Jahrhundert, welche Aspekte der Lehre Wesleys betont haben, besonders die Lehre vom zweiten Segen, der nach der Bekehrung folgt und Augenblickscharakter hat. Besonders Charles Finney verband die methodistische Theologie der Heiligkeit mit Erweckungstechniken, nannte aber die zweite Erfahrung Taufe im Heiligen Geist.90

Die Heiligungsbewegung hat zwar methodistische Ansätze übernommen, ihre Entwicklung verlief dann aber unter dem Einfluss anderer Strömungen.

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Lycurgus M. Starkey, The Work of the Holy Spirit, A Study in Wesleyan Theology, New York/Nashville 1962, 142. Ebd., 162. Donald English, From Wesley’s Chair, London 1979, 94.

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Gotteserfahrung im Widerstreit? Zwischen methodistischer Identität und charismatischer Erneuerung Christoph Raedel 1 Zugänge zur Gotteserfahrung Esgibt eine Sehnsucht nach der Erfahrung des für uns unsichtbaren Gottes. Diese Sehnsucht ist nicht neu, aber es gibt Zeiten, in denen sie stärker, und Zeiten, in denen sie schwächer ausgebildet ist. Die Sehnsucht, Gott zu erfahren, sucht sich ihren Raum, in den Kirchen, sofern dieser Sehnsucht Raum gegeben wird, oder außerhalb der Kirchen, wenn ihr der Ort verwehrt wird. Raum findet diese Sehnsucht, wo immer es dann auch sei. Die Geschichte der christlichen Kirchen weiß um Strömungen und Bewegungen, denen die Erfahrung der Gegenwart Gottes wichtig war. Ihnen war – und ist – es wichtig, dem Wirken Gottes in dieser Welt Raum zu geben, Erfahrung Gottes nicht als Selbsterfahrung zu lesen, sondern als Begegnung mit dem »Du«, an dem der Mensch überhaupt erst zum »Ich« wird. Ihrem bei aller Unterschiedlichkeit des geschichtlichen Hintergrundes und der theologischen Nuancen gemeinsamen Ansatz nach sind Methodismus und charismatische Bewegung von der Frage nach der Gotteserfahrung her motiviert, genauer: der Erfahrung des mich in seiner Gegenwart annehmenden und verändernden, zur Gemeinschaft rufenden Gottes. Diese die Jahrhunderte übergreifende Gemeinsamkeit, die zugleich die Aktualität dieses Ansatzes aufzeigt, wird man nur um den Preis übersehen können, eine der beiden Bewegungen, oder gar beide, in ihrem Anliegen misszuverstehen. Dabei sind freilich die unterschiedlichen Akzente, die hinsichtlich des genauen Verständnisses von Gotteserfahrung bei John Wesley einerseits und in der geschichtlich jüngeren charismatischen Bewegung andererseits gesetzt wurden, nicht zu übersehen. Es sind diese unterschiedlichen Akzente, denen im Folgenden nachgegangen werden soll, wobei uns die Frage bewegt, ob sich die das jeweilige Verständnis dominierenden Aspekte komplementär, also einander ergänzend, oder konträr zueinander verhalten. Ausgehen werde ich von folgender Beobachtung: Während John Wesley, theologisch betrachtet, stärker die Einheit der Gotteserfahrung betonte, wie sie durch die alle Christen miteinander verbindende Grunderfahrung der Gotteskindschaft gegeben ist, betont die charismatische Bewegung (wenn denn ihre Vielgestaltigkeit die Verwendung des Singulars ›Bewegung‹ überhaupt zulässt) stärker die Vielfalt

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der je persönlichen Gotteserfahrung, die im Reichtum der in der Gemeinde Jesu Christi gegenwärtigen Gaben Gottes ihren Ausdruck findet. Es ist wichtig, den unterschiedlichen, diese Akzentsetzungen je mitbedingenden historischen Kontext im Blick zu behalten. Dies gilt umso mehr, wenn wir uns der Frage zuwenden, welche Konsequenzen sich aus diesen beiden Zugangsweisen zur Gotteserfahrung für die Ausgestaltung des kirchlichen bzw. gemeindlichen Lebens ergeben haben. Diesbezüglich soll gezeigt werden, dass auch Wesleys Überlegungen zur Ordnung der gemeindlichen Dienste nachhaltig vom Gedanken der Einheit aller Dienste unter Maßgabe dessen, was der Erfahrung der Gotteskindschaft dient, bestimmt sind. Im Unterschied dazu betont die charismatische Bewegung, bei allem ihr eigenen Respekt vor gewachsenen kirchlichen Ordnungsstrukturen, stärker den Gedanken der Vielfalt der in der Gemeinde von möglichst vielen auszuübenden Dienstämter.

2 Einheit und Vielfalt der Gotteserfahrung 2.1 Die christliche Grunderfahrung – das ›gewöhnliche‹ Wirken des Heiligen Geistes Als das Herzstück der Theologie John Wesleys ist immer wieder die Lehre vom Heil bzw. der Erlösung bezeichnet worden, also die Lehre von der den Menschen für die Gemeinschaft mit Gott öffnenden, ihn auf seine Einwilligung hin der Herrschaft des Sohnes unterordnenden und durch die Kraft des Heiligen Geistes erneuernden Gnade. Alle Bereiche des theologischen Denkens Wesleys sind in unmittelbarer oder mittelbarer Weise auf diesen Zentralaspekt seiner Theologie bezogen. Mit seinem Verständnis von Gotteserfahrung kann es nicht anders sein. Wenn Wesley von der Gnade spricht, als vorlaufender, überführender, rechtfertigender und heiligender Gnade, dann sind damit die ›gewöhnlichen‹ Wirkungen des Heiligen Geistes bezeichnet, durch die ein Mensch aus seiner Selbstabschließung Gott und dem Nächsten gegenüber befreit und in die Gemeinschaft mit Gott und den Menschen aufgenommen wird.1 Das Wirken des Heiligen Geistes wird theologisch verortet im Zusammenhang der Erlösung des Menschen von der Sünde und seine Erneuerung in das Ebenbild 1

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‘This doctrine, therefore, is the “most proper” of all others “to be instilled into a child”: That it is by nature a “child of wrath”, under the guilt and under the power of sin; that it can be saved from wrath only by the merits, and sufferings, and love of the son of God; that it can be delivered from the power of sin only by the inspiration of his Holy Spirit; but that by his grace it may be renewed in the image of God, perfected in love, and made meet for glory’, Works, Bd. IX, 313.

Christoph Raedel

Gottes.2 Wesleys Pneumatologie ist – im Anschluss an Gal 5, 22 – primär vom Gedanken der Frucht des Geistes her bestimmt. Es ist für unsere Darstellung hier nicht unwesentlich, dass dieser Begriff bei Paulus (ungeachtet der ihr sich in Gal 5, 22f anschließenden Aufzählung) im Singular verwendet wird. Wesley kann von der Frucht des Geistes in einem weiteren und einem engeren Sinne sprechen, wobei die Übergänge fließend sind. In einem weiteren Sinn bezeichnet die Frucht des Geistes die im Menschen gewirkte Frucht der Erlösung: Erkenntnis der Sünde, Rechtfertigung, Wiedergeburt, Gewissheit des Heils, Heiligung. Dabei wird das Wirken des Heiligen Geistes am menschlichen Einzelbewusstsein, mit Röm 8, 16, insbesondere mit dem Zeugnis der Gotteskindschaft in Verbindung gebracht: Der Geist [Gottes] selbst bezeugt mit unserem Geist, dass wir Kinder Gottes sind.3 Wiederum ist es nicht zufällig, dass Paulus gerade dort, wo er vom Zeugnis des Heiligen Geistes beim einzelnen Christen spricht, jetzt zum Plural wechselt: Der Geist bezeugt mir, dass wir Kinder sind (nicht: dass ich Kind bin). Kurz gesagt: Durch den Heiligen Geist wird dem Menschen das durch Christus vollbrachte Heilswerk zugeeignet und innerlich bezeugt. Wesleys Überlegungen zur Frage der Gotteserfahrung gehören folglich in den Kontext seiner Pneumatologie. Gotteserfahrung meint, dass der Gott Heiliger Geist sich am Bewusstsein des Menschen zur Erfahrung bringt. Erfahrung ist Erfahrung eines anderen, der seine Identität als Gegenüber und seine Gegenwart bezeugt. Inwiefern aber ist nun der Singular »Frucht« des Geistes und der Plural »Kinder« in diesem Zusammenhang von Bedeutung? Wenn Wesley von der Erfahrbarkeit Gottes im Leben eines Menschen spricht, dann bezieht er sich dabei primär auf die Grunderfahrung des Glaubens. Was wiedergeborene Christen miteinander verbindet, was ihnen, als Grunddatum ihres Glaubens, gemeinsam ist, ist die Erfahrung, durch die Abwendung vom Bösen und die Hinwendung zu Gott hindurch zu einem neuen Leben aus der Kraft Gottes geboren worden zu sein. Was Christen miteinander teilen, ist das Wissen darum, dass die Macht der Sünde gebrochen und die Herrschaft Christi über ihrem Leben ausgerufen ist. Damit sind die Christen zugleich Glieder am Leib Christi oder, anders gesagt, als Kinder Teil einer neuen Familie geworden, nämlich der Gemeinschaft der Glaubenden. 2

3

Für eine neuere, auch gegenwartsbezogene Darstellung von Wesleys Soteriologie vgl. Theodor Runyon, Die neue Schöpfung. John Wesleys Theologie heute, Göttingen 2005. Daneben bleibt Harald Linströms Darstellung, Wesley und die Heiligung, Stuttgart 2 1982, weiterhin wichtig. Ausführlich erläutert Wesley sein Verständnis vom Zeugnis der Gotteskindschaft in zwei Predigten: Das Zeugnis des Geistes I und II, in: Die 53 Lehrpredigten, Stuttgart 1986–1992, 179–211.

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Zwar bin ich als einzelner Mensch, dem die Gotteskindschaft bezeugt wird, im Empfang dieses Zeugnisses unvertretbar und insofern persönlich angesprochen, doch sind im Zuspruch der Kindschaft das persönliche und das soziale Moment gleichursprünglich. Das neue Leben aus dem Geist Gottes ist eine Menschen miteinander verbindende Wirklichkeit. Gemeinschaft gibt es nur in der Begegnung von Ich und Du; insofern hat die Gotteskindschaft eine persönliche Dimension. Als Teil ein und derselben Familie erfahren sich Kinder jedoch nur, sofern es auch tatsächlich zur Begegnung mit den Geschwistern kommt; insofern hat die Gotteskindschaft zugleich eine soziale, bzw. ekklesiale, Dimension. Wesleys primäres theologisches wie auch praktisches Interesse gilt also der allen (wiedergeborenen) Christen gemeinsamen Grunderfahrung des Glaubens. Diese Grunderfahrung zeichnet aus, dass sie durch keinen Erfahrungsgehalt mehr überboten werden kann. Die Erfahrung, dass Gott sich in seiner unergründlichen Barmherzigkeit dem Menschen schenkt, ist für ein Geschöpf nicht mehr steigerungsfähig. Damit ist nicht bestritten, dass die bezeichnete Grunderfahrung des Glaubens sich am menschlichen Einzelbewusstsein in unterschiedlicher Weise manifestiert, dass Menschen diese sie mit anderen Christen verbindende Grunderfahrung in voneinander unterschiedener Weise beschreiben. Entscheidend ist etwas anderes: Dem sich Gott im Glauben öffnenden Menschen wird ein innerer Eindruck der Liebe Gottes zuteil, der ihn seinerseits anregt, Gottes Liebe in der Verehrung Gottes und der Zuwendung zum Nächsten Ausdruck zu verleihen. Die Fassetten dieses Ausdrucks sind ihrerseits – in einem engeren Sinne – Frucht des Heiligen Geistes: Liebe, Freude, Friede, Langmut . . . (Gal 5, 22f). Wenn Wesleys primäres Interesse auch der Grunderfahrung des Glaubens galt, so konnte er gleichwohl, schon von seiner ausgiebigen Verkündigungsund seelsorgerlichen Erfahrung aus, die Tatsache nicht ausblenden, dass Menschen auf das innere Wirken des Heiligen Geistes auf ›außergewöhnliche‹ Weise reagierten. Gerade dort, wo Menschen sich in besonderer Weise als gebunden und verloren erfuhren, konnte Wesley ergreifende Reaktionen auf das Wirken des Geistes beobachten. Für Wesley handelt es sich bei den in seinem Tagebuch immer wieder beschriebenen körperlichen und emotionalen Phänomenen um Anzeichen, die das Eigentliche, nämlich das Erfülltwerden mit der Liebe Gottes, begleiten (können), aber nicht zu begründen oder zu beweisen vermögen. Das entscheidende Kriterium dafür, dass ekstatische Phänomene Reaktion nicht auf rein seelische Vorgänge, sondern auf das Wirken des Heiligen Geistes sind, ist die sichtbare Frucht des Heiligen Geistes, also eine den Geboten entsprechende veränderte Lebensführung. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass noch so spektakuläre Manifestationen keinen Anspruch auf Anerkennung als Wir-

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ken des Heiligen Geistes haben, sofern eine erkennbare Neuorientierung des Betroffenen am biblischen Wort ausbleibt. Insgesamt bemühte sich Wesley um eine ausgewogene Beurteilung außergewöhnlicher Phänomene, die vor allem in den Anfangsjahren der methodistischen Bewegung seine und die Verkündigung anderer Prediger begleiteten. Es galt, sie weder zu fördern noch zu unterdrücken, vielmehr im gegebenen Fall zu prüfen, ob die Phänomene geistlichen, natürlichen oder satanischen Ursprungs sind bzw. eine Mischung daraus.4 Der Aspekt der Unterscheidung ist Wesley also von jeher wichtig gewesen, weshalb er pauschalen Urteilen (positiver wie negativer Art) weniger abgewinnen konnte als viele seiner v. a. theologischen Zeitgenossen. Als grundlegend galt ihm vielmehr die Einsicht, dass außergewöhnliche Geistwirkungen ihren Zweck nicht in sich selber haben, sondern auf das Geschenk der Liebe Gottes bezogen sind, in der alle Geistmanifestationen ihre Quelle und Norm haben.5 Allerdings muss man, in historischer Hinsicht, auch sagen, dass dieser Grundsatz sich zwar theologisch als plausibel erweist, er an ›Praktikabilität‹ aber zu wünschen übrig ließ, wie Wesley selber z. B. in der Auseindersetzung mit George Bell erleben musste.6 Methodistische Identität ist eng verwoben mit der Frage nach der Frucht des Geistes, die in der Erfahrung der geistlichen Erneuerung (Wiedergeburt) und beständigen Nachfolge (Heiligung) persönlich zugeeignet und in sozialer Verantwortung bewährt wird. Die charismatische Erneuerungsbewegung akzentuiert hier etwas anders, ohne dass daraus notwendig ein Widerspruch zu so verstandener methodistischer Identität besteht. Sie tendiert stärker dahin, die von Wesley und der Erweckungsbewegung hervorgehobene Grunderfahrung schon vorauszusetzen, ohne sie damit abzuwerten.7 Das Thema der charis4 5 6

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Dies waren die Grundmöglichkeiten, mit denen Wesley rechnete; vgl. Works, Bd. II, 519 (Tagebuch 25. November 1759). Vgl. Albert Outler, John Wesley a Theologian – Then and Now, in: Methodist History 12/4 (1974) 79. George Bell nahm für sich selbst eine besondere Inspiration des Heiligen Geistes in Anspruch und kündigte die Wiederkunft Christi für den 28. Februar 1763 an. David Hampton schreibt im Blick auf Wesleys zögerndes Verhalten gegenüber Bell: ‘Bell’s case showes just how difficult it was for Wesley, given his assumptions about the way God acted in the lives of humble people, to make a judgement between what he considered a legitimate expression of Methodist piety and what was indefensible enthusiasm’; Methodism. Empire of the Spirit, New Haven/London 2005, 39. Wenn ich mich im Folgenden auf Autoren der charismatischen Bewegung beziehe, die nicht in der methodistischen Tradition stehen, dann trage ich zum einen der Tatsache Rechnung, dass die charismatische Bewegung innerhalb der deutschsprachigen EmK nicht mit profiliert theologischen Schriften in Erscheinung getreten ist, und erkenne zugleich an, dass das theologische Gespräch innerhalb der charismatischen Bewegung denominationelle Grenzen gerade zu überwinden bemüht ist.

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matischen Erneuerung ist freilich ein anderes,8 nämlich die Neubesinnung auf den in der neutestamentlichen Überlieferung bezeugten Reichtum der Gaben Gottes, der mit dem Abschluss der apostolischen Ära nicht an sein Ende gekommen ist, sondern als Verheißungsgut auch von der gegenwärtigen Christenheit in Anspruch genommen werden darf und soll. Mit dieser Einsicht verbinden sich eine Reihe von Anliegen, die hier nur angedeutet werden können. Zum einen möchte die charismatische Bewegung deutlich machen, dass jeder Christ, dem die christliche Grunderfahrung zuteil geworden ist, auch – mindestens – ein Charisma erhalten hat. Damit ist bereits im Ansatz jedem Denken in Kategorien, nach denen es ›begabte‹ und ›unbegabte‹ Christen gibt, der Boden entzogen. Die Teilnahme am Leben und auch am Dienstauftrag der Gemeinde ergibt sich nicht primär aus einer Verpflichtung, die z. B. bei der Aufnahme in die Kirche übernommen wurde, sondern aus der Begabung jedes einzelnen Christen durch Gott. Die charismatische Bewegung entwickelt von daher ein besonderes Interesse an der Frage, wie Christen zur Entdeckung und Entfaltung ihrer Gaben geholfen werden kann. Die Tatsache, dass Charismen vom Heiligen Geist geschenkt werden, wird nicht als Widerspruch zu der dem Menschen zukommenden Aufgabe verstanden, förderliche Bedingungen für die Ausübung der Gaben zu schaffen. Wichtig wird somit die Frage, wie die in einem Christen mit der Einwohnung Christi angelegte Gabe »geweckt« werden kann, eine Frage, die zum Beispiel mit dem Hinweis auf die Gebetsbitte oder das Handauflegen durch geistliche Leiter geschehen kann.9 Ist die Gabe geweckt und damit persönlich angenommen, dann beginnt ein Lernprozess, dessen Länge und Intensität sich nicht vorab bestimmen lässt. Der Hinweis auf den Lernprozess bedeutet nicht, dass die Gabe Gottes »unvollkommen oder schlecht [ist], vielmehr geht es um einen Entwicklungsprozess, der beim Gabenträger einzusetzen hat«10 , der im Umgang mit der ihm geschenkten Gabe Lernerfahrungen macht. Schließlich möchte die charismatische Erneuerung ihrem Anliegen nach die ganze Vielfalt und den Reichtum der Charismen zur Geltung kommen

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So kann Siegfried Großmann auf die »christliche Grunderfahrung« nur knapp eingehen, um dann ausführlich die Vielfalt der Charismen der Wirkungen des Heiligen Geistes aufzuzeigen; vgl. Der Geist ist Leben. Hoffnung und Wagnis der charismatischen Erneuerung, Wuppertal/ Kassel 2 1991, 58ff. Die »christliche Grunderfahrung« wird hier in keiner Weise abgewertet; ihre Entfaltung und Durchdringung in den früheren Erweckungsbewegungen wird vielmehr vorausgesetzt und nicht als Proprium der charismatischen Bewegung verstanden. Heinrich Christian Rust, Charismatisch dienen. Gabenorientiert leben, Kassel 2006, 59f. Ebd., 61.

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lassen. Die Klassifizierung bestimmter Charismen als mehr oder weniger wertvoll (und folglich mehr oder weniger erstrebenswert) wird abgelehnt. Aus der Tatsache, dass Paulus bestimmten Charismen unterschiedliche Bedeutung zuerkennt (vgl. 1 Kor 14, 5) ergibt sich nicht eine feste Rangordnung der Charismen, vielmehr folgen daraus je spezifische Platzanweisungen im Leben der Gemeinde. Die Unterschiedlichkeit der Gaben wird nicht von vornherein als Konfliktfeld der Gemeindearbeit interpretiert, sondern als Tor »zur Stärkung der Abhängigkeit voneinander und damit zur Einheit des Leibes«.11 Methodistische Identität kann im Gespräch mit der charismatischen Bewegung eine Erweiterung und Vertiefung der in der eigenen Tradition gründenden Anliegen erfahren. Methodistische Theologie hatte von jeher ein ausgeprägtes Interesse an der Heilserfahrung und damit am Vorgang des Empfangs der göttlichen Gnade. Die charismatische Bewegung kann nicht den Anspruch erheben, die christliche Grunderfahrung überbieten zu können, doch kann sie das Interesse an der Gestaltwerdung des Glaubens im Leben von Christen auf die persönliche Frage hin vertiefen, welche Gnadengabe mit der Einwohnung Christi in einem Christen angelegt ist. Der charismatische Ansatz beim Charisma des Einzelnen vermag zudem den zur Nachfolge gehörenden Dienstgedanken positiv zu begründen. Es geht nicht darum, etwas zu tun, um Gott zu gefallen, sondern darum, die in mir angelegte Gabe zur Ehre Gottes und zur Auferbauung der Gemeinde auszuüben und damit meinen Dienst Gott zum Geschenk zu machen. Von der methodistischen Identität her, die stärker die alle Christen miteinander verbindende Grunderfahrung des Glaubens betont, ist jedoch jeder Tendenz zur Verselbständigung der Gabenausübung gegenüber der christlichen Grunderfahrung zu wehren. Der Wert eines Christen vor Gott (und Menschen) lässt sich durch die besonders ›gelungene‹ oder besonders ›spektakuläre‹ Ausübung von Gaben nicht steigern (folglich auch nicht mindern), weil Anerkennung vor Gott dem Glaubenden um Christi willen zukommt. Auch der Eindruck besonderer Gottesnähe darf nicht von der Grunderfahrung des Christseins isoliert werden, insofern die Nähe Gottes zu den Menschen, wie sie in der Einwohnung Christi durch den Glauben erfahren wird, unter den Bedingungen unvollendeten Menschseins nicht mehr überboten werden kann. Gemeinsam sind methodistische und charismatische Frömmigkeit daran zu erinnern, dass das Interesse am menschlichen Empfang der Gnade sachlich stets ein abgeleitetes Interesse ist, abgeleitet nämlich von einem Interesse und einer Sehnsucht nach Gott, der allein den Menschen neuzuschaffen vermag.

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Ebd., 72.

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2.2 Geistleitung und Lebensführung – das persönliche Wirken des Heiligen Geistes Die frühe methodistische Bewegung um Wesley sah sich immer wieder dem Vorwurf des »Enthusiasmus«, also des Schwärmertums ausgesetzt. Dieser Vorwurf bezog sich nicht zuletzt auf Wesleys Lehre von der »perceptible inspiration«, also der bewussten Einwirkung des Heiligen Geistes auf die Ebene des menschlichen Einzelbewusstseins. Wesley bestreitet zwar nicht, dass die Inspiration der Apostel, denen wir die heiligen Schriften verdanken, mit dem Tod der Apostel zu einem gewissen Abschluss gekommen sei, doch möchte er zeigen, dass die Zueignung des Heils zu allen Zeiten eine »bewusste Inspiration« des Heiligen Geistes einschließt. Die Tatsache selbst, dass Gottes Geist durch »internal, plainly perceptable whispers«12 zu Christen redet, wobei nicht unbedingt an Worte gedacht ist, sondern allgemein an einen für den Menschen wahrnehmbaren inneren Eindruck, kann nach Wesleys Überzeugung nicht auf das apostolische Zeitalter eingegrenzt werden.13 Der Gedanke der ›unmittelbaren‹ Einwirkung des Heiligen Geistes auf bestimmte Christen lässt Ahnungen von einem unkontrollierbaren Enthusiasmus aufkommen, der sich dem Gehorsam gegenüber der biblischen Überlieferung entzieht und in unannehmbaren religiösen Exzessen endet. Zumindest waren dies die Befürchtungen, mit denen sich Wesley seinerzeit konfrontiert sah. Mit umso größerer Behutsamkeit gilt es diesen ebenso theologisch wie frömmigkeitspraktisch sensiblen Punkt zu interpretieren. Bereits mit der sachlich ersten Grundaussage Wesleys zu dieser Thematik wird einem sich auf Sonderoffenbarungen stützenden und folglich elitären ›Geistchristentum‹ der Boden entzogen. Die »wahrnehmbare Einwirkung« des Heiligen Geistes ist gerade nicht das Sonderrecht einzelner besonders begabter, sondern sie ist das Privileg aller Christen. Denn was der Heilige Geist den Glaubenden bezeugen möchte, ist nichts anderes als die gerade benannte Grunderfahrung des Glaubens. So meint »perceptible inspiration« seiner Grundbedeutung nach »diejenige Inspiration durch Gottes Heiligen Geist, in der er uns (jeden wahrhaft Glaubenden) mit Gerechtigkeit und Friede und Freude, mit Liebe zu ihm und allen Menschen erfüllt«.14 Der Begriff bezeichnet bei Wesley »denjenigen inwendigen Beistand des Heiligen Geistes, der ›unseren Schwachheiten abhilft, unseren Verstand erleuchtet, unseren Willen

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Zit. nach Ted Campbell, John Wesley and Christian Antiquity. Religious Vision and Cultural Change, Nashville 1991, 60. Vgl. dazu ebd., 55–61. Works, Bd. XII, 77.

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ausrichtet, der uns tröstet, reinigt und heiligt‹«.15 Was einige Zeitgenossen Wesleys für die Ausgeburt von »Schwärmertum« und andere Zeitgenossen für das Privileg einiger besonders geistbegabter Christen hielten, bezeichnet bei Wesley gerade kein »außergewöhnliches«, sondern das »gewöhnliche«, weil die Heilserfahrung vergegenwärtigende Wirken des Heiligen Geistes. Mit diesem erneuten Hinweis auf die christliche Grunderfahrung ist die Frage nach der Bedeutung des Heiligen Geistes in Fragen der persönlichen Lebensführung noch nicht beantwortet. Wesley rechnete sehr konkret damit, dass Gott Menschen in persönlicher Weise führt; interessanterweise stehen seine diesbezüglichen Erfahrungen und Reflexionen allerdings weniger im pneumatologischen Zusammenhang, sondern werden mit der Überzeugung von der göttlichen Vorsehung (Providenz) begründet. In dieser Zuordnung spiegelt sich Wesleys Anliegen, die Lehre vom Heiligen Geist ganz von der für den Menschen erfahrbaren barmherzigen Zuwendung Gottes her zu bestimmen und menschlichen Einzelinteressen (wie sie in Fragen der persönlichen Geistleitung durchschimmern) keinen zu großen Raum zu geben. Wo Wesley daher theologisch über die Leitung durch den Heiligen Geist in Fragen des alltäglichen Lebens nachdenkt, da fällt dieses Nachdenken weniger ›praktikabel‹ – damit aber auch weniger schematisch – aus, als wir uns das vielleicht manchmal wünschten. Das folgende, etwas längere Zitat bietet gleichwohl Aufschluss über Wesleys Zugang zur Frage individueller Lebensführungen. Wie führt der Geist Gottes seine Kinder dahin, diese oder jene konkrete Handlung auszuführen? Kannst du dir vorstellen, dass dies nur durch einen blinden Impuls erfolgt? Indem er dich dazu bewegt, es zu tun, und du weißt nicht warum? Nicht doch. Er führt uns mit unseren Augen mindestens ebenso sehr wie mit der Hand; und durch Hitze ebenso wie durch Licht. Er zeigt uns den Weg, den wir gehen sollen, und er regt uns an, ihn zu gehen. Zum Beispiel: Hier ist ein Mann, der dabei ist, vom Hunger dahingerafft zu werden. Wie werde ich »vom Geist geführt«, sein Los zu erleichtern? Erstens dadurch, dass Er [der Heilige Geist] mich davon überzeugt, dass es der Wille Gottes ist, dass ich es tue; und zweitens dadurch, dass Er mein Herz mit Liebe zu diesem Menschen erfüllt. Sowohl das Licht als auch die Hitze sind Gaben Gottes; sie werden in mir bewirkt durch denselben Geist, der mich führt, durch sein Überzeugen wie durch seine Liebe, die mich hingehen und jenen Mann speisen lässt. Dies ist die klare, rationale Erklärung, wie der Geist gewöhnlicherweise führt.16

Wesleys Überlegungen zur persönlichen Führung durch den Heiligen Geist erscheinen wiederum als eng bezogen auf die soteriologische Grunder15 16

Works, Bd. IX, 91. Works, Bd. VIII, 188.

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fahrung des Christseins. Der Heilige Geist vermittelt die Identität und die Gegenwart Gottes in eine konkrete Situation hinein. In seiner Identität als der aus grundloser Barmherzigkeit Liebende überzeugt Gott den Menschen, bestimmte, in Übereinstimmung mit seinem offenbarten Wort stehende Dinge zu tun. Als der in Liebe Gegenwärtige erfüllt Gott das Herz des Glaubenden und befähigt ihn damit, das als richtig Erkannte auch zu tun. Im Spannungsfeld von Gottesgegenwart und menschlicher Einzelerfahrung arbeitet sich Wesley vorsichtig vom Pol der Gottesgegenwart her vor. Denn soviel ist gewiss: Die Gegenwart Gottes ist wesentlich transformative Gegenwart. Die Liebe Gottes kann nicht anders empfangen werden als dadurch, dass ihrem kraftvollen Wirken Raum im eigenen Leben gegeben und so die eigene Existenz als Dasein für andere ausgerichtet wird. Indem Wesley Begriffe wie »überzeugen« und »erfüllen«, »Licht« und »Hitze«, »Wille Gottes« und »Liebe Gottes« einander zuordnet, weist er darauf hin, dass diese Begriffe nur dann angemessen verstanden werden, wenn sie in ihrer Hinordnung auf den jeweils anderen Begriff gedeutet werden. »Übernatürliche« Erkenntnis ist ihrem Grund nach Einsicht in den heiligen Liebeswillen Gottes, der auf Lebenssituationen ein neues Licht fallen lässt. Das Erfülltwerden mit der Liebe Gottes wiederum bezeichnet die zunehmend tiefere Gleichgestaltung mit dem Willen Gottes, nicht eine religiös gedeutete Gefühlsaufwallung, die ohne nachhaltige Wirkungen wieder verfliegt. Wesley bestreitet nicht, dass die menschliche Lebenswirklichkeit jedem Einzelnen eine Fülle von Entscheidungen abverlangt. Gegenüber der Variabilität geschichtlicher Einzelerfahrungen verweist Wesley jedoch auf das, was dem Geist wesentlich eigen ist, nämlich die erleuchtende und zur Tat bewegende Liebe Gottes im Herzen zu vergegenwärtigen.17 Viele in Entscheidungssituationen sich stellende Einzelfragen bleiben damit unbeantwortet, diese bewusste Zurückhaltung hilft jedoch, den Blick klar zu halten für das, was sich situationsübergreifend von der christlichen Grunderfahrung her aussagen lässt: Was immer ich den Eindruck habe tun zu müssen, es darf dem offenbarten Wort Gottes nicht widersprechen, denn Gott kann sich selber nicht widersprechen. Wenn Christen daher Träume und Visionen empfangen, sind diese stets zu beurteilen an dem, was die Bibel als Weisung für das Leben aus dem Geist vorgibt. Ihnen eignet keine größere Bedeutung oder Vollmacht, nur weil sie dem Betroffenen ›eindrücklicher‹ erscheinen. Besondere Wirkungen des Heiligen 17

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In der Praxis allerdings gab Wesley in kritischen Situationen durchaus dem Impuls nach, Gottes Willen noch genauer erforschen zu wollen. Er nahm dafür zu den fragwürdigen, an magisches Verständnis grenzenden Praktiken wie dem ›blinden‹ Aufschlagen der Bibel an irgendeiner Stelle sowie dem Werfen des Loses Zuflucht. Darin wird er uns heute kaum Vorbild sein können.

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Geistes sind zudem nicht gleichzusetzen mit dem ›gewöhnlichen‹, das Heil zueignenden Wirken des Geistes, sie können dies begleiten oder auch nicht. Die charismatische Bewegung ist, darin der frühen methodistischen Bewegung nicht unähnlich, in starkem Maße eine Seelsorgebewegung. Die Fragen der Menschen, die in einer komplexer werdenden und sich immer weiter pluralisierenden Welt ja nicht ab-, sondern zunehmen, werden hier außerordentlich ernst genommen. Die Verheißung, dass Gott alle Tage unseres Lebens bei uns ist, wird nicht lediglich zugesprochen, sondern gewinnt Gestalt in einer Fülle von seelsorgerlichen Angeboten, die Glaubenshilfe als Lebenshilfe anbieten. In diesem Zusammenhang werden bestimmte Charismen wichtig, die Gott schenkt, um in die konkrete Lebenswirklichkeit von Menschen – wegweisend, ermutigend, kritisch – hineinzusprechen. Zu denken ist hier an die prophetische Rede, das Weisheitswort und das Wort der Erkenntnis. Scharfe Abgrenzungen dieser – miteinander verwandten – Gaben sind, schon aufgrund der Tatsache, dass ihre Praxis im Neuen Testament nur in Andeutungen erwähnt wird, nicht möglich. Deutlich ist jedoch, dass in ihnen ein Dienst Gottes für den Menschen sichtbar wird, der belegen kann, dass Gott auch die ›Kleinigkeiten‹ des Lebens nicht verborgen sind. Das Wort der Weisheit wird offenbar vor allem in besonders herausfordernden Lebenssituationen geschenkt und erweist sich dann als das eine schwierige Situation lösende Wort. Es trifft, so Siegfried Großmann, »das Problem ganz genau, löst eine gespannte Atmosphäre auf oder bringt eine lange, fruchtlose Diskussion an ihren entscheidenden Punkt«.18 Das Wort der Erkenntnis scheint noch stärker auf die jeweilige Situation eines Menschen zu zielen, dessen Umstände, Zweifel und Fragen durch eine auf die konkrete Situation zugespitzte Aussage hin aufgedeckt, erhellt, in einen größeren Zusammenhang eingeordnet oder im Hinblick auf Gottes Absichten interpretiert werden. Es ist offensichtlich, dass die genannten Gaben, verantwortungsvoll ausgeübt, eine befreiende Wirkung entfalten können, dass sie aber, in unreifer Weise angewendet, großen Schaden anrichten können. Charismatische Theologen übersehen die mit der geübten Praxis gegebenen Gefahren nicht, nehmen aber zu Recht auch hierfür den Grundsatz in Anspruch, dass der Missbrauch den rechten Gebrauch nicht aufhebt und die in die Gemeinschaft der Glaubenden eingebettete und einer Prüfung zugängliche Ausübung dieser Gaben durch geistlich reife Christen der beste Weg ist, zu einer verantwortlichen Praxis zu gelangen. In der methodistischen Tradition wurde Fragen der persönlichen Lebensführung von jeher eine große Bedeutung zugemessen. Dabei wurde der Heilige Geist vor allem als Ausleger des biblischen Christuszeugnisses verstanden, in 18

Siegfried Großmann, Der Geist ist Leben, 97.

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dem der Gemeinde die Leitlinien einer gottgefälligen Lebensführung zugänglich sind. Fragen der sittlichen Lebensgestaltung waren in starkem Maße – vielleicht in zu starkem Maße – Gegenstand von Lehre und Verkündigung. Zugleich kann davon ausgegangen werden, dass die frühen Kleingruppen (die »Klassen«) Probleme der individuellen Lebensführung thematisiert und von der Bibel her um Wegweisung gerungen haben. Dieser stark an den Grundaussagen der Bibel orientierte Seelsorgeansatz musste in dem Maße an Plausibilität verlieren, in dem die historisch-kritische Forschung die Abständigkeit der biblischen Texte zu unserer Lebenswelt bewusst machte und in der Interpretation zunächst nach der Intention des ursprünglichen Autors fragte. Die ›geistliche‹ Schriftlesung hatte ihren Platz an der Seite der historischen Auslegung zu finden oder aber zu weichen. Mit der Auflösung der Kleingruppenstruktur der Gemeinden ging freilich ein wichtiger Raum für die primär geistlichseelsorgerliche Anwendung der biblischen Texte auf persönliche Lebensfragen verloren. Zudem war die methodistische Tradition dem reformatorischen Verständnis vom Predigtdienst darin gefolgt, dass der prophetische Dienst einfach mit der – vornehmlich in der Predigt sich ereignenden – Wortverkündigung identifiziert wurde. Damit ist dem Charisma der Prophetie sein kritisches Potential gerade auch gegenüber der Lehre und Verkündigung genommen worden. Es ist erfreulich, dass in neuerer Zeit die Frage des prophetischen Dienstes auch in der theologischen Diskussion neu bedacht worden ist. So hat die internationale methodistisch/römisch-katholische Dialogkommission in einem ihrer Berichte darauf hingewiesen, dass der prophetische Ruf nicht »auf der Zustimmung offizieller Autoritäten oder der Annahme durch das ganze Volk Gottes« beruht, sondern den Anspruch erhebt, »direkt von Gott bevollmächtigt zu sein«.19 Der Kommission zufolge muss die »Schwierigkeit, prophetische Worte ›abzuwägen‹ oder zu ›unterscheiden‹, . . . anerkannt werden. Aber das sollte nicht die Herausforderung abschwächen, auf prophetische Stimmen zu hören«.20 Die notwendige Prüfung prophetischer Rede gemäß der »Analogie des Glaubens« (Röm 12, 6) kann nicht Aufgabe eines einzelnen Amtsträgers sein, sondern ist in einem die ganze Gemeinde repräsentierenden kollegialen Leitungsgremium zu vollziehen, das zumindest nach methodistischem Verständnis als – die Kategorien ordiniert/nichtordiniert übergreifender – Kreis von »Ältesten« zu verstehen ist. 19

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Das Wort des Lebens. Eine Erklärung zu Offenbarung und Glauben (1996), in: Dokument wachsender Übereinstimmung. Sämtliche Berichte und Konsenstexte interkonfessioneller Gespräche auf Weltebene, Bd. 3, hrsg. Harding Meyer u. a., Paderborn/Frankfurt am Main 2003, 488. Ebd., 489.

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Weil es zur methodistischen Identität gehört, Glauben und Leben in ihrem mit dem Lebensweg Jesu gegebenen fundamentalen wechselseitigen Zusammenhang zu sehen, weil der Glaube nicht lediglich ein Akt der Anerkennung von Tatsachen, sondern eine Lebensbewegung ist, deshalb kann methodistische Identität sich dadurch bereichern lassen, dass sie sich solchen Charismen öffnet, durch die Gott einzelne Bereiche und konkrete Situationen des Lebens für seinen Willen erschließt. Das lebensweltliche Dasein von Christen ist der Fürsorge Gottes nicht entzogen, sondern liegt offen vor ihm. Wo Gott sich im Hinblick auf Entscheidungen und Überlegungen vernehmbar machen möchte, da sollten wir seinem sehr konkreten – manchmal peinlich konkreten – Reden das Ohr nicht verschließen. Das Wort von der peinlichen Konkretheit des Redens Gottes weist bereits auf die seelsorgerliche Sensibilität hin, die stets und in besonderem Maße dort gefordert ist, wo Gottes Reden mit sehr konkreten situativen Bezügen verbunden wird. Es legt sich nahe, gerade angesichts der hierfür geschenkten Gaben verantwortlich über den Ort und Rahmen von Erkenntnis- und Weisheitsworten sowie prophetischem Reden nachzudenken. Ihren rechten Ort werden solche Gaben am ehesten dort finden können, wo die Mitglieder und Freunde einer Gemeinde möglichst oft und in möglichst vielfältiger Weise zusammenkommen, wenn es also nicht nur den gemeinsamen Gottesdienst, sondern auch verbindliche Kleingruppen, nicht nur die Bibelbetrachtung, sondern auch das persönliche Gespräch zu Lebensfragen gibt. Zugleich kann der Ansatz der methodistischen Tradition, der stärker Gottes allen Christen gemeinsam geltende Ordnungen zum Leben betont, sich als orientierend für die charismatische Praxis erweisen. Es muss gerade dort, wo es um Fragen der auf Menschen oder Situationen zugespitzten Erkenntnis geht, deutlich werden, dass Gottes Geist nicht ein Geheimwissen offenbart, das in keinem erkennbaren Bezug zum Weg der Gemeinde Jesu in dieser Welt steht. Jede tiefere Erkenntnis hat sich an ihrem erkennbaren Bezug zur Grunderkenntnis der Liebe Gottes in Jesus Christus als geistgewirkt auszuweisen. Auch der Träger bestimmter Charismen sollte sich nicht an dem Ziel orientieren, seine Gabe immer ›effektiver‹, eindrücklicher und bewundernswerter auszuüben, sondern einzig daran, immer tiefer in Christus eingewurzelt zu sein und immer mehr umgestaltet zu werden in sein Bild. Die Liebe Christi ist unvereinbar mit der Tendenz, aus dem Geschenk einer Gnadengabe Machtansprüche gegenüber anderen Menschen ableiten zu wollen, und sei es in noch so ›geistlicher‹ Weise. Die Ausübung von Charismen, die den individuellen Lebensweg von Menschen mit dem Anruf Gottes in Verbindung bringen, erweist sich als geistgewirkt darin, dass sie die Abhängigkeit des Betroffenen von Gott stärkt, ihn aber nicht in persönliche Abhängigkeit von geistlichen Leitern führt.

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Ein letzter Punkt: Seine tiefe Abhängigkeit von Gott bedeutet kein Weniger, sondern ein Mehr an Personalität für den Menschen. Deshalb schließt die Bindung an Gott die Freiheit des Menschen auch nicht aus, sondern setzt sie vielmehr in Kraft. Einweisung in christliche Lebensführung bedeutet daher Berufung und Ermöglichung zu einem Leben in Freiheit, denn wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit (2 Kor 3, 17). Es besteht von daher ein Unterschied zwischen der – geistlich gesunden – grundsätzlichen Offenheit für Gottes führendes und korrigierendes Reden und einer – krankhaften – Abhängigkeit von immer wieder neu eingeforderten Erkenntnisworten, die den Mut zur tapferen Entscheidung in persönlicher Verantwortung verkümmern lässt. Geistliche Leiterschaft erweist ihre Kompetenz auch darin, dass sie einer spirituellen Bedürfniskultur nicht einfach nachgibt, sondern in umfassender – seelsorgerlicher und lehrhafter – Weise Christen zur Ausbildung eines reifen Charakters ermutigt und anleitet, der das Geschenk der Freiheit im Vertrauen auf Gottes beständige Gegenwart anzunehmen bereit ist. 2.3 Das »unmittelbare« Einwirken des Heiligen Geistes Umgangssprachlich wird eine Erfahrung als unmittelbar oder direkt bezeichnet, wenn zwischen dem Subjekt der Erfahrung (z. B. Gott) und dem Rezipienten der Erfahrung (also dem Menschen) kein äußerliches Vermittlungsmoment steht. Gedacht ist häufig an spontane, durch äußere Umstände weder induzierte noch über sie vermittelte Eindrücke auf das »Innere« des Menschen, denen dann gerade um ihrer Unmittelbarkeit willen ein besonderer Rang zugebilligt wird. Als vermittelte bzw. indirekte Erfahrung wird im Gegensatz dazu die »Erfahrung als« verstanden. Das bedeutet, dass ein der äußeren Welterfahrung zugehörender und damit den äußeren Sinnen zugänglicher Vorgang oder Eindruck als Erfahrung Gottes gedeutet wird, so dass das Wahrnehmen einer Person, einer Abbildung oder eines Gegenstandes als Manifestation der Gegenwart Gottes interpretiert wird. Ein gängiges Beispiel für diese Kategorie ist die Erfahrung der Gegenwart eines hilfreichen Menschen, der mir in meiner notvollen Situation als Beistand Gottes deutlich wird. Im theologischen Sprachgebrauch wird das vermittelte Wirken des Heiligen Geistes normalerweise in Verbindung gebracht mit der Anerkennung von »Gnadenmitteln«, also solchen von Gott eingesetzten, aber vom Menschen zu vollziehenden Ritualen und Praktiken, für die Gott die Verheißung seiner Gegenwart gegeben hat. Im Unterschied dazu wird der Anspruch unmittelbarer Geisteinwirkung (bzw. »Inspiration«) in der Regel mit Personen oder Gruppen verbunden, die für sich in Anspruch nehmen (oder denen unterstellt wird), für den Verkehr mit Gottes Geist keinerlei äußerer, d. h. welthafter Vermittlungsvollzüge zu bedürfen.

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Die Besinnung auf Wesleys Eingehen auf diese – nur scheinbare – Alternative kann helfen, Engführungen zu überwinden und Einseitigkeiten zu vermeiden. In seinen unter Aufnahme der empiristischen Erkenntnistheorie gewonnenen Überzeugungen begegnet uns ein Ansatz, der sowohl die Entgegenstellung als auch die Über- bzw. Unterbewertung von vermittelter oder unvermittelter Gotteserfahrung zu vermeiden sucht. Um dies zu erkennen, ist es notwendig, zunächst die zentralen Begriffe in ihrer Bedeutung zu präzisieren. Zunächst ist klarzustellen, dass der Begriff »immediate« (unvermittelt) bei Wesley gerade nicht eine Erfahrung bezeichnet, die sine mediis (ohne Vermittlungsinstanzen) zustande kommt. Bezeichnet ist hiermit vielmehr der Aspekt der Gleichzeitigkeit mit dem im Heiligen Geist gegenwärtigen Herrn Jesus Christus in der Gotteserfahrung. Der Begriff »immediate« setzt also implizit bei der geschichtlichen Tatsache ein, dass unsere Erfahrung der Gegenwart des auferstandenen Jesus sich von der Erfahrung der Gegenwart des irdischen Jesus, wie sie die ersten Jünger machen konnten, unterscheidet. Sie ist keine Erfahrung des Tastens der äußeren Sinne, sondern eine geistliche Erfahrung, insofern der Heilige Geist Christus in den Kategorien von Raum und Zeit, an die der Auferstandene selbst nicht gebunden ist, vergegenwärtigt. Die Erfahrung der Liebe Gottes vollzieht sich damit kraft der Einwirkung des Heiligen Geistes so, »als ob du vor tausendsiebenhundert Jahren gelebt hättest«, wie Wesley schreibt.21 Wird das Wirken des Heiligen Geistes als unmittelbar charakterisiert, dann ist damit hingewiesen auf seine die irdischen Begrenzungen von Raum und Zeit transzendierende (überschreitende) Wirkungsweise, die den Glaubenden in eine Begegnung mit Christus und in ihm mit der Liebe Gottes bringt, in die nichts Trennendes mehr hineinragt: ‘God, a Spirit, acts upon you as a spirit’.22 Die Bezeichnung der Wirksamkeit des Heiligen Geistes als unmittelbar weist somit auf eine Glaubenswahrheit hin: Gott ist mir im Geist näher, als irgendein Element seines Schöpfungswerkes mir das je sein könnte. Wenn Gott sich mit dem Menschen verbindet, dann vermag sich nichts Trennendes zwischen ihn und den von ihm Angeredeten zu stellen. Mit dem Begriff »unmittelbar« ist soweit über die mögliche Einschaltung (oder Ausschaltung) mittlerer Instanzen, seien dies Personen, Gegenstände oder Handlungen, überhaupt noch nichts gesagt. Was aber ist dann mit der Vorstellung vom »mittelbaren« Wirken des Heiligen Geistes verbunden? Auch dieser Begriff wird von Wesley in einer Weise bestimmt, mit der die landläufige Entgegensetzung von vermittelter 21 22

Vgl. Works, Bd. VIII, 107. Ebd.

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und unvermittelter Gotteserfahrung unterlaufen wird. Wesley zufolge vollzieht sich alle unmittelbare Gotteserfahrung – unmittelbar im gerade skizzierten Sinne verstanden – auf sinnlich vermittelte Weise. Dieser Gedanke wird erst verständlich, wenn man sich Wesleys Modifikation des seinerzeit vorherrschenden erkenntnistheoretischen Empirismus verdeutlicht, demzufolge Erkenntnis dem Menschen zugänglich wird über die Wahrnehmung seiner Sinnesorgane, die durch die reflektierende Tätigkeit der Vernunft interpretiert und damit zur Erfahrung verdichtet wird.23 Wesley sieht den Menschen nun nicht lediglich mit Sinnen zur Erfassung äußerer Eindrücke (wie Geruch und Geschmack) ausgestattet, sondern auch mit »geistlichen Sinnen« (spiritual senses), die ihn dazu befähigen, die Wirkungen des Heiligen Geistes zu empfangen und im Horizont des biblischen Zeugnisses zu deuten. Die Gnade, so Wesley, ist »für das Herz ebenso wahrnehmbar, wenn sie es festigt, erfrischt, reinigt und ihm die Liebe Gottes eingießt, wie sinnlich wahrnehmbare Gegenstände es für die Sinnesorgane sind«.24 Die innere geistliche Wahrnehmung beschreibt somit die der göttlichen Zuwendung zum Menschen entsprechende Weise menschlicher Wahrnehmung. Was dabei wahrgenommen wird, ist freilich nicht der modus operandi, nicht die Wirkweise, in der Gottes Geist auf das menschliche Bewusstsein einwirkt, sondern die Wirkungen selbst, die der Heilige Geist mitteilt, nämlich Vergebung der Sünden und Friede mit Gott.25 Wenn nun aber alle Wirkungen des Heiligen Geistes sinnlich vermittelt sind, was bedeutet dies im Blick auf Bedeutung und Notwendigkeit äußerlicher Gnadenmittel? Werden diese damit verzichtbar? Wesley lag nichts ferner als diese für ihn nun durchaus schwärmerische Schlussfolgerung. Allerdings ist theologisch fein zu unterscheiden: Die Wahrnehmung der »geistlichen« Sinne ist bei Wesley einerseits auf die allgemeine Wahrnehmung der »natürlichen« Sinne bezogen, andererseits jedoch nicht von ihnen abhängig. Das bedeutet: Wie Gott sich beim Menschen zur Erfahrung bringt, steht in seiner Macht und seinem Belieben. Dabei ist der letztere Begriff – von mir – mit Bedacht gewählt. Denn Belieben meint nicht Willkür, sondern weist hin auf das Treueverhältnis Gottes gegenüber dem Menschen, das für diesen als liebende Zuwendung erfahrbar wird. Gott bindet sich also in seiner Identität und Gegenwart als

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Zu Wesleys Erkenntnistheorie vgl. Rex Matthews, ‘With the Eyes of Faith’. Spiritual Experience and the knowledge of God in the Theology of John Wesley, in: Theodor Runyon, Wesleyan Theology Today. A Bicentennial Theological Consultation, Nashville 1985, 406–415; ferner Richard Brantley, Locke, Wesley and the Mode of English Romanticism, Gainesville 1984. Theodor Runyon, Die neue Schöpfung, 169. ‘[B]y the operations of the Spirit, I do not mean the manner in which he operates, but the graces which he operates in a Christian’; Works, Bd. XIV, 355.

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liebender Gott an bestimmte kirchliche Kernpraktiken26 (Wesley selbst spricht von »Gnadenmitteln«), für deren Gebrauch Gott dem Menschen verheißt: Ich will dir darin begegnen. Gott bindet sich nicht an bestimmte kirchliche Kernpraktiken, weil er in irgendeinem Verpflichtungsverhältnis steht, sondern er schafft aus freier Güte welthafte »Räume« seiner verheißungsvollen Gegenwart. Die persönliche Kommunikation Gottes mit dem Menschen ist somit eingewoben in ein Netz kirchlicher Kernpraktiken, die der Christ in Anspruch zu nehmen eingeladen ist. Dabei gewinnt die Kommunikation für den Glaubenden gerade dadurch an erhellender und lebensbestimmender Kraft und Klarheit, wenn die Gnadenmittel gerade in ihrer Vielfalt in Anspruch genommen werden. Denn während einige Gnadenmittel, wie die Begegnung in Kleingruppen, persönliche Zeiten des Betens und Fastens sowie das bewusste Aufmerken auf den Willen Gottes, den Glaubenden mehr für die Gegenwart Gottes öffnen, erschließen andere Gnadenmittel, wie das Abendmahl, das Studium der Bibel sowie der Gebrauch traditioneller Gebete und Gesänge, stärker die Identität Gottes.27 Das bewusste Sich-Einlassen auf die Vielfalt der Weisen, in denen Gott uns begegnen möchte, bewahrt vor einem Abgleiten in Einseitigkeiten, während die Orientierung vor allem an meinen eigenen Bedürfnissen und Wünschen dazu führen kann, dass ich letztlich nur noch mir selber begegne. Zweierlei wird an diesen Ausführungen deutlich. Zum einen verbergen sich hinter der Entgegenstellung von mittelbarer und unmittelbarer Gotteserfahrung einer Reihe von Missverständnissen. Wenn Gott sich beim Menschen zur Erfahrung bringt, dann hat dieses Begegnungsgeschehen per se eine mit geschöpflichen Mitteln nicht zu überbietende Direktheit bzw. Unmittelbarkeit. Weil aber der Mensch nicht Gott, sondern Geschöpf ist, deshalb ist ihm die unmittelbare Gegenwart Gottes immer nur in – geschöpflich – vermittelter Weise zugänglich. Damit ist gemeint, dass Gottes Gegenwart sich über den Eindruck der menschlichen Sinne mitteilt, wobei Wesley vom Vorhandensein sowohl äußerer als auch innerer Sinne ausgeht. Als Schöpfer aller Dinge – und nicht nur des Geistes im Unterschied zum Körper – nimmt Gott für die Kommunikation mit den Menschen in der Regel alle Sinne in Anspruch. So kann Wesley von inneren Eindrücken beim bzw. während des Gebets sprechen,28 und Gleiches ist für alle Gnadenmittel anzunehmen. Gott verbindet innere Eindrücke mit den durch menschliche Handlungen induzierten äußeren 26 27 28

Ich übernehme diesen Begriff von Reinhard Hütter, Theologie als kirchliche Praktik. Zur Verhältnisbestimmung von Kirche, Lehre und Theologie, Gütersloh 1997. Zu dieser Unterscheidung vgl. Henry Knight, The Presence of God in the Christian Life. John Wesley and the Means of Grace, Lanham/London 1992. Vgl. Works, Bd. IX, 91.

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sinnlichen Eindrücken. Das ist die »gewöhnliche« Weise göttlichen Kommunizierens. In Gottes Souveränität steht es freilich, so er es will, einen inneren Eindruck zu erzeugen, der nicht mit einem äußeren Eindruck verbunden ist. Wesley hält dies zu Recht grundsätzlich für möglich, erachtet es jedoch nicht als den Regelfall. Damit scheint dem Grundsatz, dass Gottes inneres Wirken am Menschen auf dessen äußere Sinne bezogen, aber nicht auf sie angewiesen ist, in angemessener Weise entsprochen. Zum anderen wird deutlich, dass die Gotteserfahrung im Grundsatz in einen ekklesiologischen Kontext eingerückt wird. Wer Gott unmittelbar erfahren möchte, braucht die Vergleichzeitigung mit dem auferstandenen Herrn, der in der Gemeinde als gegenwärtig erfahrbar ist. Insofern sind in der Gotteserfahrung das personale und das soziale (bzw. ekklesiale) Moment gleichursprünglich: Die befreiende Erfahrung des Heiligen Geistes geht einher mit der Aufnahme in die Gemeinschaft der Glaubenden (in der geschichtlichen Gestalt einer konkreten christlichen Gemeinschaft). Diese soziale Dimension ist von der persönlichen Dimension der Glaubenserfahrung nicht ablösbar. Die charismatische Bewegung hat von der Pfingstbewegung ein gewisses Interesse am »unmittelbaren« Wirken des Heiligen Geistes geerbt, was zumeist als Gegensatz zum kirchlich vermittelten Wirken des Geistes gesehen wurde. Dabei ging es nicht darum, eine vermittelte Wirksamkeit des Heiligen Geistes zu verneinen, sondern vor allem darum, den Erwartungshorizont im Hinblick auf Gottes Möglichkeiten, mit dem Menschen zu kommunizieren, zu erweitern. Die Betonung, dass Gott auch durch Träume, Visionen und Auditionen Menschen zu erreichen vermag, schien primär gegen eine rationalistische Verengung des westlich-modern denkenden Vernunftbegriffs gerichtet zu sein, demzufolge Gott nicht direkt in den von ihm gesetzten Ursache-WirkungsZusammenhang eingreift. Das Insistieren auf die Möglichkeit direkter Geistwirkungen stand damit im Kontext der Frage der Möglichkeit von Wundern überhaupt. In ihrer weiteren Entwicklung bis in die Gegenwart hat die charismatische Bewegung in der Frage der göttlichen Kommunikation in dieser Welt zu einer weithin ausgewogenen Beurteilung gefunden. Dazu dürfte die konsequent gemeindeorientierte Ausrichtung beigetragen haben, die auch in der Selbstbezeichnung »Geistliche Gemeindeerneuerung« zum Ausdruck kommt. Als primärer Ort der Geisterfahrung ist die Gemeinde anzusehen, ihren Gottesdienst und ihre Leitungsstrukturen gilt es in solcher Weise zu gestalten, dass Gottes Geist in der Vielfalt seiner Wirkmöglichkeiten erfahrbar wird. Dabei lässt sich die Praxis der Ausübung der Charismen durchaus im Sinne der oben skizzierten Überlegungen Wesleys verstehen. Gottes unmittelbare Gegenwart kann für Geschöpfe immer nur in kreatürlich vermittelter Weise empfangen

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und weitergegeben werden.29 Dies gilt für das Wort der Verkündigung, weshalb – bereits in altreformatorischer Sicht – der Gemeinde der Auftrag zur Prüfung der Lehre zukommt. Das Gleiche gilt aber auch für prophetische Worte und Worte der Erkenntnis, die – das hat eine nüchterne charismatische Theologie stets betont – der Prüfung durch die Gemeinde, in der Regel in Gestalt geistlicher Leiter, zu unterziehen sind. Prophetische Erkenntnis kann sich mit den Elementen ihrer menschlichen Wahrnehmung vermengen, sie kann auch am falschen Ort oder zu den falschen Leuten gesagt werden. Deshalb bedürfen auch die durch geistliche Sinne vermittelten Eindrücke der Beurteilung (1 Kor 14, 29). In dem Bestreben, die Vision einer charismatischen Erneuerung mit der Tradition der je eigenen Kirche zu verbinden, ist die charismatische Bewegung sogar zu einer neuen Wertschätzung sakramentaler Handlungen gelangt. Das scheint von einem starken pneumatologischen Ansatz her auch nur konsequent. Wenn Gottes Geist frei ist zu wirken, wo und wann er will, dann muss er auch frei sein, in den Sakramenten und anderen kirchlichen Gnadenmitteln zu wirken. Freilich ist dies lediglich eine Minimalaussage; von Wesley her wird man mehr als dies sagen können und wollen: Gott hat sich in seiner Freiheit herabgelassen, in bestimmten Ordnungen und Handlungen seine Gegenwart zu verheißen. Umgekehrt wird das theologische Verständnis der Sakramente vertieft, wenn diese nicht nur von ihrer (geschichtlichen) Einsetzung durch Jesus her, sondern auch als Ort der geistgewirkten Vergegenwärtigung des auferstandenen Herrn verstanden werden. So vermag auch in diesem Punkt die charismatische Bewegung die methodistische Identität zu bereichern und zu profilieren. Im methodistischen Verständnis von der gewöhnlichen Weise der Kommunikation Gottes mit Menschen, die ihm im Glauben zugewandt leben, ist die Einsicht angelegt, dass die Wahrnehmung der inneren, also »geistlichen« Sinne auf die Wahrnehmung der äußeren Sinne bezogen, aber nicht von ihnen abhängig ist. Diese grundlegende Einsicht darf nun aber nicht zum Abschirmen der von Gott souverän in Dienst genommenen ungewöhnlichen Kommunikationswege dienen. Gott hat immer mehr und auch andere Wege und Möglichkeiten, als dogmatische Formeln es zu fassen vermögen. Die Grundoffenheit für das überraschende, spontane und durch kein Gremium geplante Wirken des Heiligen Geistes im Leben der Gemeinde oder auch Einzelner darf weder durch eine um diese Dimension verkürzte Erwartungshaltung unterlaufen noch theologisch weggeschnitten werden. 29

Man mag beides noch schärfer unterscheiden wollen, aber im ekklesialen Kontext wirkt Gott innere Eindrücke, damit sie weitergegeben werden.

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Umgekehrt vermag der methodistische Ansatz bei dieser Frage der charismatischen Offenheit für das Geistwirken Orientierung zu geben. Inneren Eindrücken kommt gegenüber der Erfahrung der Gegenwart Gottes in den Gnadenmitteln keine besondere Dignität und auch keinerlei erkenntnistheoretischer Vorrang zu, weil Menschen als Geschöpfe das Wirken des Gottesgeistes prinzipiell nicht anders als vermittelt durch die (inneren und/oder äußeren) Sinne zu empfangen vermögen. Damit ist auch dem Glaubenden, in dem Christus durch den Geist Wohnung genommen hat, eine mit seiner Kreatürlichkeit mitgegebene Grenze gesetzt, die ihn über sich selbst hinaus auf die Gemeinschaft der Glaubenden hinweist, in der Eindrücke und Erfahrungen geprüft werden (können). Die Vielfalt der Wege göttlicher Kommunikation ist nach methodistischer Auffassung um der Einheit Gottes willen auch als Einheit anzunehmen. Darauf weist die Rede von einem Netz von kirchlichen Kernpraktiken bzw. Gnadenmitteln hin. Um in eine reife Beziehung zu Gott hineinzuwachsen, gilt es das ganze Netz in Anspruch zu nehmen, um so die Identität und Gegenwart des einen Gottes in größtmöglicher Fülle in das eigene Leben aufzunehmen. Damit ist einer vor allem an spirituellen Bedürfnissen orientierten Religionskultur eine Grenze gesetzt. Es gilt nicht so sehr, auf dem Markt spiritueller Multioptionen beliebig auszuwählen, sondern sich – mit Neugier und erwartungsvoller Offenheit – auf die von Gott angebotenen Wege, auf denen wir ihn noch besser kennen- und liebenlernen können, einzulassen.

3 Einheit und Vielfalt der Gaben und Dienste 3.1 Die Bedeutung der Charismen Wir wenden uns im Folgenden noch einmal dem bereits berührten Punkt der Charismen zu, fragen jetzt aber noch deutlicher nach ihrer Bedeutung für den von allen Christen wahrzunehmenden Dienstauftrag der Gemeinde. Wenn nämlich die Grunderfahrung des Heiligen Geistes Menschen in ein neues Leben aus der Fülle Gottes einweist, dann erweist sich die Wirklichkeit dieses neuen Lebens darin, dass der Glaubende mit der ihm verliehenen Gnadengabe Gott und den Glaubensgeschwistern dient. Paulus spricht in diesem Zusammenhang von der Ausübung der Charismen, die zum Nutzen der Gemeinde geschehen soll (1 Kor 12, 7). Damit ist theologisch gesehen der Bereich der Dienste in der Gemeinde, in letzter Konsequenz auch des Verhältnisses von Charisma und Amt, berührt. Es ist an dieser Stelle nicht möglich, auf die vielschichtige und komplexe Diskussion, wie sie heute gerade auch im ökumenischen Bereich geführt wird, einzugehen. Lediglich auf einige

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Beobachtungen, die sich im Hinblick auf das Verhältnis von Methodismus und charismatischer Bewegung als klärend erweisen könnten, soll hier eingegangen werden. Hatten wir in Wesleys Ausführungen zur Pneumatologie bereits die Unterscheidung zwischen dem ›gewöhnlichen‹ und dem ›außergewöhlichen‹ Wirken des Heiligen Geistes gefunden (ersteres hatte ich als die Grunderfahrung des Glaubens bezeichnet, letzteres ließe sich als Begleiterfahrung bezeichnen), so begegnet diese Unterscheidung wieder in Wesleys Auslegung der paulinischen Charismenkataloge. Als die ›gewöhnlichen‹ Gaben bezeichnet er die zur Führung einer Gemeinde in Verkündigung und Unterweisung notwendigen Gaben, als ›außergewöhnlich‹ Gaben wie Zungenrede, Heilungen und Weissagungsrede.30 Aus seinen diesbezüglichen Äußerungen wird erkennnbar, dass Wesley solchen Gaben, die sich als für die Kirche in ihrer – wie auch immer im Einzelnen – verfassten Form grundlegend erweisen, einen zumindest funktionalen Vorrang einräumt. Das Anliegen seiner Auslegung dürfte hier freilich weniger die Stützung bestehender kirchlicher Strukturen sein. Vielmehr wollte Wesley wohl den Schluss vermeiden, dass die Kirche in denjenigen Zeiten der Kirchengeschichte, in denen die ›außergewöhlichen‹ Gaben (vermutlich) nicht vorkamen, nicht im Vollsinn des Wortes Kirche gewesen sei. Auch dort, wo ›nur‹ die lebensrettende Botschaft von der Erlösung durch Jesus Christus verkündigt (und gelebt) wird, ist Kirche, auch wenn es nicht zu Heilungen kommt oder in Zungen gebetet wird. Wesley vermutete im Übrigen, dass das Ausbleiben außergewöhnlicher Gaben in der Geschichte der Kirche nicht dem Willen Gottes, sondern den in der Kirche insbesondere seit dem 4. Jahrhundert, also seit der Erhebung des Christentums zur Staatsreligion, vorherrschenden Missständen zuzuschreiben ist.31 Er erwartete, dass die für die ›letzte‹ Zeit zu erwartende Geistausgießung auch das Aufleben der ›außergewöhnlichen‹ Geistesgaben einschließt.32 Wesleys Abstufung der bei Paulus genannten Charismen ist mit der Unterscheidung von ›gewöhnlichen‹ und ›außergewöhnlichen‹ Charismen sehr unglücklich angelegt. Sie scheint zu sehr dem Erscheinungsbild der Charismen verhaftet, also der Tatsache, dass einige Charismen dem Betrachter spektakulärer erscheinen als andere. Aber könnte es nicht sein, dass wir etwas als ›außergewöhnlich‹ wahrnehmen, nicht weil ihm theologisch weniger Gewicht zukommt bzw. zukommen sollte, sondern weil wir der Sache oder dem Ge30 31 32

Vgl. Explanatory Notes upon the New Testament, 569 (zu Röm 12, 5); WJW, Bd. 3, 264 (Predigt 89 »The More Excellent Way«, § 3). Vgl. WJW, Bd. 3, 263f. (Predigt 89 »The More Excellent Way«, §§ 1–2). Konferenzgespräche über Lehre und Ordnung, Graz/Weihern o. J., 18 (Freitag, 2. August 1745, Frage 16).

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schehen entwöhnt sind? Von der Wirksamkeit Jesu her zumindest wird man zu einer Unterscheidung zum Beispiel zwischen Wortverkündigung als ›gewöhnlichem‹ und Heilungen als ›außergewöhnlichem‹ Wirken kaum gelangen können.33 Die Unterscheidung, so sie denn gewollt ist, wird folglich anders begründet werden müssen. Paulus deutet eine Unterscheidung selber an, wenn er in 1 Kor 14, 23–25 auf die zumindest funktionale Differenz zwischen Zungenrede und Weissagung eingeht. Jede Gabe, die in der Gegenwart des Heiligen Geistes im Leben des Glaubenden wurzelt, bewirkt – so sie der Ordnung gemäß ausgeübt wird – Erbauung der Gemeinde (das bedeutet bei der Zungenrede, dass ihr eine Auslegung folgt). Aber nicht jede Gabe ist dazu bestimmt, das Leben aus der Gemeinschaft mit Gott an Nichtchristen mitzuteilen. Der ›genetische‹ Effekt, den Beginn (die Genesis) neuen Lebens in einem Sünder zu bewirken, wohnt nicht allen Charismen ein, was unterschiedlichen Charismen einen unterschiedlichen Ort im Gemeindeleben zuweist, ohne dass die Anerkennung einer funktionalen Diversität der Gaben mit deren Auf- bzw. Abwertung einhergehen muss. 3.2 Der Dienstauftrag der Gemeinde Obwohl die unterschiedliche Bewertung, wie sie den Charismen bei Wesley durch die Unterscheidung von ›gewöhnlichen‹ und ›außergewöhnlichen‹ Charismen zuteil wird, sich als eine sinnvolle funktionale Differenzierung interpretieren ließe (vielleicht auch von Wesley als solche gemeint war), führte sie unter den konkreten geschichtlichen Bedingungen, unter denen sich der Methodismus ausbildete und entwickelte, zur Ausprägung bestimmter Einseitigkeiten, die dann erst im Nachhinein auch eine theologische Begründung erfuhren. Machen wir uns die geschichtliche Bestimmung des Methodismus, wie Wesley sie verstand, deutlich: Wesley war überzeugt davon, dass Gott die methodistische Bewegung dazu berufen hatte, die Kirche zu erneuern und schriftgemäße Heiligung auszubreiten.34 Mit anderen Worten: Er erkannte als die göttliche Zwecksetzung für den Methodismus, durch Verkündigung – in Wort und Tat! – sowie die Bildung von Gemeinschaften Menschen mit der befreienden Liebe Gottes in Berührung zu bringen und ihnen zu helfen, aus der Erfahrung der Gemeinschaft mit Gott heraus ein neues Leben zu führen. Wesley hatte nun durchaus eine Sicht für die im Empfang des Heiligen Geistes 33 34

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Vgl. Wolfgang Bittner, Heilung – Zeichen der Herrschaft Gottes, Neukirchen-Vluyn 2 1988. Works, Bd. VIII, 299 (Minutes of Several Conversations).

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gründende Begabung eines jeden Christen zur Mitwirkung an der Ausbreitung des Reiches Gottes. Es gab für ihn kein passives Christsein. Worauf es für jeden Einzelnen als Teil der Gemeinschaft ankam, war, die empfangene Gnade Gottes wirken zu lassen, ihr Gestalt zu geben im Dienst an der Gemeinschaft und darüber hinaus an jedem, der einem zum Nächsten wird. Wesley sieht hier außerordentlich scharf, allerdings sieht er nicht weit genug. Wesley sieht scharf – und ich meine, dass er hier nicht ausschließlich praktischen Erwägungen folgt –, dass auch die ›Laien‹ teilhaben am Verkündigungsauftrag der Kirche. Dies geschieht nicht nur (wenn natürlich auch) durch ihren verantwortlichen Dienst in der Gesellschaft, sondern auch durch die Wahrnehmung des Verkündigungsdienstes in der Gemeinde. Dieser Schritt ist im geschichtlichen Kontext gesehen nichts anderes als revolutionär. Die Dienste in der Gemeinschaft – immer noch innerhalb der Anglikanischen Kirche – werden neu geordnet, und zwar in der Weise, dass von Gott berufene, aber von der Kirche nicht ordinierte Christen wesentliche Gemeinschaftsvollzüge im Bereich von Verkündigung und Seelsorge verantworten und damit die geistliche Leitung der Gemeinschaft nicht nur von einigen wenigen ordinierten Amtsträgern, sondern von vielen Christen kollegial wahrgenommen wird. Dass Wesley für die Ausbreitung und Gestaltwerdung der Bewegung auf die Begabungen von Laien zurückgriff, spricht für seine Bereitschaft, tradierte Leitungsstrukturen aufzubrechen und neue Wege für die Kommunikation des Evangeliums zu suchen.35 Dass er die Ausübung geistlicher Begabungen in den straff organisierten Zusammenhang der von ihm mit erheblicher Autorität geführten Bewegung stellte, dürfte vor allem dem Bemühen geschuldet sein, die Beziehungen zur Anglikanischen Mutterkirche nicht mehr als nötig zu belasten, was sich nur durch das Einfordern von Gemeinschaftsdisziplin sicherstellen ließ. Die charismatische Begabung der Christen wird von Wesley also in einer ganz bestimmten Hinsicht gewürdigt und gefördert: Mission. Das Charisma erweist sich in der Fähigkeit und der Bereitschaft, eine missionarische Existenz zu leben, durch die sich andere eingeladen und ermutigt fühlen, sich ebenfalls auf den Weg der Christusnachfolge einzulassen. Mit dieser Bestimmung kommt es zu einer scharfen Fokussierung der Wirksamkeit der Charismen, ohne Zweifel aber auch zu einer Verengung. So wird, wie oben schon erwähnt, die prophetische Dimension des Charismas ganz in den Dienst der Wortverkündigung eingerückt. Wesley handelt 35

Zu Wesleys Verteidigung der Tätigkeit von Laien und ihrer Bedeutung im frühen Methodismus vgl. Thomas Leßmann, Rolle und Bedeutung des Heiligen Geistes in der Theologie John Wesleys, Stuttgart 1987, 116–119, sowie die immer noch wichtige Untersuchung von Theophil Funk, Die Anfänge der Laienarbeit im Methodismus, Bremen 1941.

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hier aus naheliegendem apologetischem Interesse. Gegenüber den Vorwürfen aus den Reihen des anglikanischen Establishments, die Kirche zu spalten, hebt er hervor, dass die von ihm berufenen ›Laien‹ nicht den in der Sakramentsverwaltung ihren Ausdruck findenden priesterlichen Dienst, sondern den in der Wortverkündigung Gestalt gewinnenden prophetischen Dienst ausübten.36 Diese offenkundig am Alten Testament gewonnene Unterscheidung zwischen priesterlichem und prophetischem Wort lässt sich jedoch kaum unvermittelt in die mit dem Neuen Testament keimhaft beginnende Ordnung der Dienstämter der Gemeinde eintragen. Zu allererst nämlich gilt der priesterliche Dienst – was Wesleys Argumentation nahezu umkehrt – nach dem Zeugnis des Neuen Testaments durch den Opfertod Jesu als Kulthandlung als überwunden (Hebr 10, 10) und dadurch in geistlicher Weise allen Christen aufgetragen (1 Petr 2, 9), im übrigen können wir die Praxis urchristlicher Prophetie nur noch in Umrissen rekonstruieren.37 Schließlich entbehrt es, wie Dietrich Ritschl anmerkt, nicht einer gewissen Ironie, dass für die ordinierten Amtsträger (in den reformatorischen Kirchen) gerade solche Vollzüge »als Monopole reserviert« sind, die von der Sache her kein volles Theologiestudium erfordern, nämlich die Sakramentsverwaltung, während die stärker lehrhafte Verkündigung auch theologischen ›Laien‹ offensteht.38 Für unseren Zusammenhang ist noch ein anderer Aspekt von Interesse. Soweit erkennbar, ging Wesleys grundsätzliche Offenheit für das Vorkommen ›außergewöhnlicher‹ Gaben nicht einher mit der konkreten Erwartung, dass diese für die Erneuerung der Kirche von zentraler Bedeutung sein könnten. Wenn Wesley daher Christen zur Ausübung der ihnen von Gott gegebenen Charismen ermutigte, dann hatte diese Ermutigung eine deutliche Tendenz hin zur Förderung bestimmter, nämlich der von ihm als ›gewöhnlich‹, d. h. grundlegend erachteten Charismen, während die Ausübung der von ihm als ›außergewöhnlich‹ bezeichneten Gaben weniger förderlich erschien. Diese im Sinne des Aufbaus missionarisch ausgerichteter Gemeinschaften zunächst verständliche Orientierung musste sich langfristig als problematisch erweisen. Zunächst ging es, nachdem die methodistische Bewegung den Weg der eigenständigen Kirchenbildung beschritten hatte, auch weiterhin um das

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Vgl. dazu seine Predigt »Prophets and Priests«, WJW, Bd. 4, 75–84. Verdienstvoll in dieser Hinsicht ist die Untersuchung von Gerhard Dautzenberg, Urchristliche Prophetie. Ihre Erforschung, ihre Voraussetzungen im Judentum und ihre Struktur im ersten Korintherbrief, Stuttgart 1975; vgl. auch Ulrich Wendel, Die erstrebenswerte Gabe. Prophetie in der christlichen Gemeinde heute – neutestamentliche Erkundungen, Neukirchen-Vluyn 2000. Zur Logik der Theologie. Kurze Darstellung der Zusammenhänge theologischer Grundgedanken, München 1984, 132.

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Aufspüren der in der Gemeinde vorhandenen Gaben. Im Sinne eines expliziten geistlichen Rezeptionsprozesses wurde jedoch vor allem nach geeigneten Personen für die in einer methodistischen Gemeinde zentralen Dienstfunktionen (Pastor, Klassenführer etc.) gesucht. Andere Aufgaben wurden verteilt, weil die Dienstträger nicht alles tun können. Wesleys theologische Vorordnung solcher Charismen, die die Teilhabe an der Grunderfahrung des Glaubens ermöglichen, führte faktisch zu einer geistlichen Unterbestimmung des Reichtums der Gaben in der Gemeinde, insofern diese vor allem im Blick auf ihren pragmatisch-funktionalen Beitrag zur Gestaltung des Gemeindelebens wahrgenommen wurden: Abwaschen und Stühlestellen erscheinen in diesem Kontext als besonders gefragte Gaben. Die geistliche Grundlegung aller Dienste der Gemeinde in der paulinischen Charismenlehre ist damit jedoch verschüttet. Das theologische Abheben des pastoralen Dienstes vom Dienstauftrag aller Christen führt faktisch dazu, dass Gemeinden ihren ›Geistlichen‹ haben, auch wenn diese Terminologie offiziell nie in die freikirchliche Ekklesiologie Eingang gefunden hat. Tatsächlich jedoch üben die Träger von Dienstämtern einen geistlichen Dienst aus wie alle Christen, denen mit der Taufe die Gabe des Heiligen Geistes verheißen ist. Das ›Besondere‹ ihres Dienstes besteht vor allem darin, dass ihr Verantwortungsbereich das Ganze der Gemeinde und die Ordnung des ihr geschenkten Reichtums der Gaben umfasst. Diesem Reichtum Raum zu geben, ist das Proprium geistlicher Leitung. Gerade darin wird die Einheit des der Gemeinde gegebenen Auftrags sichtbar, nämlich dem Evangelium als Leben wirkende Gotteskraft in dieser Welt erfahrbare Gestalt zu geben. Dieses Verständnis von ›besonderem‹ Dienst setzt freilich einen Sinn für den Reichtum der von Gott verliehenen Charismen voraus. Als geistlicher Rezeptionsprozess hat das Aufspüren von Charismen zwar immer auch eine pragmatische Dimension (die Stühle müssen ja gestellt werden), sie geht aber in dieser Betrachtungsweise nicht auf. Umgekehrt kann die Einsicht in die Vielfalt der Gaben zu einem neuen Bewusstsein dafür führen, dass Leitung am ehesten im kollegialen Miteinander verschiedener Leitungsdienste geschieht. Zwar kann es nicht darum gehen, irgendeine biblische Leitungsstruktur zu restituieren, doch genauso wenig genügt es, die Entwicklung der kirchlichen Leitungsstrukturen an irgendeinem Punkt der Geschichte festzuschreiben und die Reflexion auf die Gestalt, in der sich Kirchenleitung vollzieht, an diesem Punkt abzubrechen. Die methodistische Tradition hat sich im Grundzug, wenn auch nicht immer in der Praxis, eine Flexibilität in der Ordnung von Leitungsdiensten bewahrt, die der Zurückhaltung des Neuen Testaments in der Vorgabe bestimmter gemeindlicher Strukturen entspricht. Insofern ist es konsequent, immer wieder aufs

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Neue nach Ordnungen zu suchen, in denen das Evangelium in der Gegenwart gelebt und weitergegeben werden kann. Dabei ist der Dienst aller Christen in Gemeinde und Gesellschaft der weitere Horizont, in dem der besondere Dienst einiger Christen seinen Ort und seine Bedeutung hat. Das Wecken und Ausüben der vom Heiligen Geist empfangenen Gaben im Dienst der Gemeinde darf als ein zentrales Anliegen der charismatischen Gemeindeerneuerung gelten.39 Allerdings werden die Wirkungsbereiche des Heiligen Geistes deutlich differenzierter und faktisch auch weiter aufgefasst, als dies bei Wesley zumindest in der Auslegung der einschlägigen paulinischen Texte der Fall ist. Wesleys Unterscheidung von ›gewöhnlichen‹ und ›außergewöhnlichen‹ Charismen arbeitet einem Bewertungsgefälle zu, das in der charismatischen Bewegung überwunden wird. So spricht Heinrich Christian Rust von vier Ebenen, auf denen der Ausübung der Charismen Bedeutung zukommt. Konkret verweist er auf die Bedeutung der Charismen a) für die Verherrlichung Gottes, b) für die Auferbauung der Gemeinde, c) für die Evangelisation und d) für das persönliche Leben.40 Dieser differenzierte Zugriff ermöglicht eine sich immer weiter vertiefende Einsicht in die Bedeutung der Charismen, so dass Siegfried Großmann sogar von »charismatischen Erfahrungen in Gesellschaft und Politik« sprechen kann.41 Die Erfahrung der Gegenwart Gottes kann durch solche Überlegungen vertieft werden, wenn auch von der methodistischen Tradition her stets der Rückbezug aller charismatischer Praxis auf die Grunderfahrung des Glaubens einzufordern ist. Methodistische Identität und charismatische Bewegung setzen hier also unterschiedliche, jedoch einander nicht ausschließende, sondern ergänzende Schwerpunkte. Nach methodistischem Verständnis ist jeder Christ von seiner christlichen Grunderfahrung her dazu berufen und befähigt, die ihm zuteilgewordene Liebe Gottes in Wort und Tat weiterzugeben, damit anderen Menschen ebenfalls die Erfahrung der Gemeinschaft mit Gott zuteil wird. Hier gibt es unterschiedliche natürliche Voraussetzungen, was sich in unterschiedlichen Platzanweisungen in der Ausführung dieses Dienstauftrags auswirken wird. Der Auftrag selbst gilt jedoch allen Christen, nicht lediglich einigen wenigen ›Profis‹. Im Blick auf die Bedeutung der Charismen wird in der methodistischen Tradition also der allen Christen gemeinsame Dienstauftrag zur Ausbreitung des Reiches Gottes betont. Die charismatische Akzentsetzung 39

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Darin zeigt sich zunächst einmal eine Übereinstimmung im Anliegen zwischen der frühen methodistischen und der zeitlich jüngeren charismatischen Bewegung; vgl. Howard Snyder/ Daniel Runyon, The Devided Flame. Wesleyans and the Charismatic Renewal, Grand Rapids 1986, 65. Charismatisch dienen, 74–79. Vgl. Der Geist ist Leben, 220ff.

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widerspricht diesem Anliegen nicht, sie integriert vielmehr die missionarische Dimension in den weiteren Horizont, in dem die – vielschichtige – Bedeutung der Charismen zum Tragen kommen soll.42 Sie betont stärker die Vielzahl der Platzanweisungen, die sich aus der Fülle der Charismen gerade auch angesichts des einen, alle verbindenden Auftrags ergibt. Diese unterschiedlichen Akzentsetzungen können bis in die – durchschnittliche – Gottesdiensterfahrung hinein verfolgt werden, wobei diese typisierten Unterschiede hier nur benannt werden, um sofort feststellen zu können, dass diese scharf gezogenen Grenzen erfreulicherweise immer mehr verschwimmen. So nimmt im methodistischen Gottesdienst traditionell die Predigt den zentralen Platz ein. Sie ist der primäre Ort, an dem der Wille Gottes für seine Kirche und durch sie für die Welt verkündigt und zur Wahrnehmung der den Christen damit übertragenen Verantwortung ermutigt wird. Die Liturgie des Gottesdienstes führt – im Sinne der Sammlung – auf diesen Punkt hin und von ihm aus – im Sinne der Sendung – weiter. Charismatischer Gottesdienst unterscheidet sich von diesem Raster keinesfalls durch das Fehlen einer – vielleicht sogar zeitlich ebenso langen – Predigt, sondern eher durch die multiple Polarität des Gottesdienstgeschehens, das die Rede von dem einen Zentrum des Gottesdienstes nicht unbedingt erlaubt. Neben der Verkündigung des allen geltenden Gotteswillens wird die Gegenwart Gottes ausgiebig gefeiert, des Weiteren ist Raum für persönliche Eindrücke und Erfahrungen, die eine andere Ebene der Konkretion ermöglichen als die Predigt. Noch einmal: Es ist erfreulich, dass diese Typisierungen sich immer weniger zur Gegenüberstellung eignen, vor allem, weil den unterschiedlichen Weisen, in denen Gott sich vergegenwärtigt, zunehmend auch in methodistischen Gemeinden Raum gegeben wird, die man nicht als ›charismatisch‹ im Sinne einer Richtungsbezeichnung charakterisieren kann. Und in der Tat erweisen sich bei sorgfältiger Betrachtung einzelne Elemente als in der eigenen Tradition bereits angelegt oder sogar schon einmal vorhanden, wenn auch im Zuge geschichtlicher Entwicklungen verschüttet.

4 Fazit – abschließende Überlegungen Methodistische Identität kann sich durch Einsichten und Erfahrungen der charismatischen Bewegung bereichern und zugleich in einem guten Sinne schärfen lassen, während umgekehrt die charismatische Bewegung – und hier insbesondere der innerhalb des Methodismus wirkende Teil der Bewegung – 42

So hebt Wolfram Kopfermann hervor, dass sein Interesse an einer neuen Erweckungsbewegung gerade auch »missionarischer Natur« ist; Wir brauchen Erweckung. Was Gott denen schenken kann, die sich danach ausstrecken, Wuppertal 2002, 112.

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dazu eingeladen ist, Impulse der methodistischen Tradition aufzunehmen. Dieser Befund überrascht nicht, sofern man sowohl die methodistische als auch die charismatische Bewegung als Momente einer die Jahrhunderte übergreifenden, sich in ihren Ausgestaltungen wandelnden Erweckungsgeschichte ansieht. Das Gespräch zwischen methodistischer Tradition und charismatischer Bewegung ist somit kein Gespräch zwischen einander fremden, sondern miteinander verwandten Partnern. Es kann nichts anderes als ›Familiengespräch‹ sein. In der Sache konnte zweierlei herausgearbeitet werden. Es ist das Verdienst John Wesleys, den Zuspruch der Rechtfertigung aus Glauben als christliche Grunderfahrung entfaltet zu haben. Der Begriff der Gotteserfahrung wird, entgegen dem Verdacht eines mystischen Enthusiasmus oder geistlicher Anmaßung besonderer Inspiration, auf eine solide soteriologische Grundlage gestellt: Die christliche Grunderfahrung ist Erfahrung der geistgewirkten Zueignung der Frucht der Versöhnung Christi. Alle wiedergeborenen Christen eint damit die Erfahrung, dass sie Vergebung der Sünden und neues Leben als Kinder Gottes empfangen haben und berufen sind, der Frucht des Geistes Gestalt zu geben. Die charismatische Bewegung setzt diese Grunderfahrung voraus und entfaltet sie im Hinblick auf die Vielfalt der Wirkungen, die diese Grunderfahrung im Leben von Christen freisetzt. Sie möchte für die Vielfalt von Begleiterfahrungen, die Menschen am Beginn oder auch zu anderen Zeiten ihres Unterwegsseins mit Gott machen, offen sein und diese Vielfalt als von Gott geschenkten Reichtum annehmen. Die in der Grunderfahrung dem Christsein vorgegebene Einheit und die mit dem Reichtum der Charismen der Gemeinde geschenkte Vielfalt können nicht gegeneinander gestellt, sondern müssen im Sinne einer fruchtbaren Spannung immer wieder neu aufeinander bezogen werden. Die methodistische Tradition bietet der charismatischen Bewegung jedenfalls die Gabe an, die Vielfalt der von Gott gegebenen Gaben als Manifestationen der alle Christen verbindenden Grunderfahrung des Glaubens anzuerkennen. In der Ausgestaltung der kirchlich-gemeindlichen Ordnung hat sich die methodistische Tradition stets am Sendungsauftrag der Kirche, ihrer Mission, orientiert. Dienststruktur und auch gottesdienstliches Leben sind an der Einheit des Dienstauftrages der Kirche ausgerichtet worden. Dies hat nicht nur faktisch zu einer Abblendung bestimmter, bereits von Wesley als ›außergewöhnlich‹ charakterisierter Charismen geführt, sondern unter den Bedingungen einer den Dienst des Pastors immer stärker betonenden Entwicklung auch zu einer charismatischen ›Entlastung‹ der nichtordinierten Kirchenglieder geführt. Sie sind es, so schien es manchmal, denen gedient wird, wogegen doch tatsächlich jeder Einzelne von ihnen Subjekt des Dienstes im Namen

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Christi ist. Die charismatische Bewegung hat dazu beigetragen, Leitung vor allem als Dienst der Ermöglichung zu verstehen, der dazu bestimmt ist, die in den Glaubenden angelegten Charismen zu wecken und in ihrer Entfaltung zu fördern. Von diesem Verständnis her kann auch das Schema eines starren Gegenüber von Pastor und Gemeinde überwunden werden zugunsten eines dynamischeren Miteinanders, in dem alle mit der ihnen zuteilgewordenen Gabe den anderen dienen. Die charismatische Bewegung bietet dem Kirche gewordenen Methodismus die Gabe an, die Vielfalt der gemeindlichen Dienste als Reichtum anzuerkennen und Leitungsverantwortung wieder stärker als geistlichen Dienst zu verstehen, der vom Pastor (Hirten) in der Gemeinschaft mit anderen Dienstämtern wahrgenommen wird. Auf diesem Weg kann es zu einem Austausch der Gaben kommen, der die Gemeinschaft der Glaubenden bereichert und sie mit der Wirklichkeit Gottes in dieser Welt immer besser vertraut werden lässt. Gemeinsam können Methodisten wesleyanischer und charismatischer Prägung in die Bitte Charles Wesleys um das Kommen des Heiligen Geistes einstimmen:43 Spirit of faith, come down, reveal the things of God, and make to us the Godhead known, and witness with the blood. ’Tis thine the blood to apply and give us eyes to see, who did for every sinner die hath surely died for me. No one can truly say that Jesus is the Lord, unless thou take the veil away and breathe the living Word. Then, only then, we feel our interest in his blood, and cry with joy unspeakable, ‘Thou art my Lord, my God!’ O that the world might know the all atoning Lamb! Spirit of faith, descend and show the virtue of his name; the grace which all may find, 43

The United Methodist Hymnal, Nashville 1989, Nr. 332. Die deutsche Fassung des Liedes findet sich im Gesangbuch der Evangelisch-methodistischen Kirche, Stuttgart/Zürich/Wien 2002 unter Nr. 252.

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the saving power, impart, and testify to humankind, and speak in every heart. Inspire the living faith (which whosoe’er receive, the witness in themselves they have and consciously believe), the faith that conquers all, and doth the mountain move, and saves whoe’er on Jesus call, and perfects them in love.

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Teil IV

Praxisberichte

Charismatischer Gemeindeaufbau in der Evangelischmethodistischen Kirche. Ein Praxisbericht aus der Gemeinde der Kreuzkirche in Berlin-Lankwitz. Frank Drutkowski1

1 Ein Sonntagsbesuch in der Gemeinde Es ist Sonntag, 9.30 Uhr. Seit einer halben Stunde hört man aus dem Gottesdienstraum Lobpreismusik. Eine der Lobpreisgruppen, die abwechselnd in den Gottesdiensten spielen, hat sich zum Einsingen eingefunden. Seit einigen Minuten treffen nun immer mehr Leute ein, die vom Begrüßungsdienst herzlich in Empfang genommen werden. Manche nehmen auf den Stühlen des Gottesdienstraumes Platz, andere gehen nach vorne, wo sich die Beter treffen, die für den Gottesdienst und die Gäste beten. Sie singen ein Lobpreislied. Nachdem der Prediger kurz in das Thema des Gottesdienstes eingeführt hat, findet man sich in mehreren kleinen Gebetsgruppen zusammen. Zeitgleich treffen sich im Hauptraum der Kinderarche die Mitarbeiter zum Gebet für das Kinderprogramm. Nach ca. 20 Minuten hört man im Gottesdienstraum erneut Lobpreis. Die Gebetszeit in den Kleingruppen wird beendet, und man sammelt sich vor dem Kreuz, um den Prediger zu segnen. Die Ältesten (s. u.) legen dabei die Hände auf. Der Raum füllt sich zusehends. Man hört Gespräche, Lachen und herzliches Begrüßen. Es herrscht eine fröhliche, familiäre Atmosphäre. Über den Beamer liest man an der Wand: »Ein herzliches Willkommen zum Gottesdienst!« Kurz nach 10 Uhr begrüßt der Pastor die Anwesenden, bittet sie um Ruhe und lädt sie ein, gemeinsam auf das Orgelvorspiel zu hören. Knapp 250 Personen, Erwachsene und Kinder, sind anwesend. Nach dem Vorspiel erhebt sich die Gemeinde, und der Gottesdienst wird im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes mit dem Verlesen des Wochenspruches eröffnet. Die Gäste werden willkommen geheißen und gebeten, sich zu melden, während die Gemeinde sie mit Applaus begrüßt. Einer Frau und einem Kind wird am Platz eine Rose überreicht, weil sie an diesem Sonntag ihren Geburtstag feiern.

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Herrn Pastor Stefan Kraft und Herrn Siegfried Kindt sei für ihre Mitarbeit beim Entstehen dieses Beitrags gedankt. Sie haben die Entwicklung der Gemeinde über einen längeren Zeitraum als ich selbst persönlich begleitet und mir viele wertvolle Impulse für diesen Bericht gegeben.

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Wieder wird geklatscht. Das erste Lied im Gottesdienst ist ein modernes Lobpreislied: »Nur deine Liebe, Herr, ist größer«. Wie alle Lieder wird auch dieses per Beamer an die Wand projiziert. Die Gemeinde hat sich zu diesem Lied erhoben, während die Kinder dazu tanzen. Danach setzt sich die Gemeinde, und der Pastor ruft die Kinder und Teenies nach vorne. Die kleinsten werden von ihren Eltern getragen. Mit einigen Mitarbeitern der Kinderarche stehen nun etwa 60 Personen vor dem Kreuz. Darin zeigt sich recht gut die Altersstruktur der Gemeinde. Sie ist geprägt von vielen jungen Leuten und Familien. Eine Kerze wird entzündet und den Kindern mitgegeben. Die Kinder werden gebeten, sich gegenseitig als Zeichen des Zusammengehörens die Hände auf die Schultern zu legen oder sich anzufassen (je nachdem, was cooler ist). Ein Gemeindeglied segnet die Kinder. Mit den 15 Mitarbeitern des Sonntags, die aus Platzgründen im hinteren Bereich des Gottesdienstraumes stehend warten, verlassen die Kinder den Gottesdienstraum. Sie versammeln sich zunächst im Kinderplenum, wo sie gemeinsam Lobpreis haben, ein Anspiel sehen und einen kurzen biblischen Impuls vermittelt bekommen. Danach teilen sie sich in etliche altersgemäße Gruppen auf, die buchstäblich alle weiteren auf dem Kirchengrundstück zur Verfügung stehenden Räume belegen. Zurück zum Gottesdienst: Die Moderatorin des Informationsteils weist mit fröhlichem Charme lediglich auf die besonderen Veranstaltungen der kommenden Woche hin. Ein Mitarbeiter wirbt darüber hinaus für den Alpha-Kurs. Ein anderer informiert über die in Kürze beginnenden Informationsabende für die Gliederaufnahme. Diese Termine und alle regelmäßigen Veranstaltungen sind auf einem Flyer zusammengestellt, den jeder Gottesdienstbesucher am Eingang erhalten hat. Die Gemeinde stimmt nun gemeinsam das Lied »Liebe, komm herab zur Erde« an, das von der Orgel begleitet wird. Mit einigen einführenden Worten weckt der Prediger Interesse an der folgenden biblischen Lesung. Der Lektor – heute ein junger Mann mit fränkischem Akzent – liest den Bibeltext vor. Die Gemeinde steht auf, und er betet um Segen für die Verkündigung. Es folgt das Lied »O Gott, sei gelobt für die Liebe im Sohn«. Es herrscht eine erwartungsvolle Atmosphäre. Die nächsten 25 Minuten gehören der Predigt. Es wird gelacht. Es wird verstanden und zu konkreten Schritten ermutigt. Die Predigt will etwas bewirken. Sie möchte nicht nur informieren. In der anschließenden Lobpreiszeit wird die Möglichkeit gegeben, auf die Predigt zu reagieren. Man kann nach vorne kommen und sich segnen lassen, wozu die Ältesten und Pastoren bereit sind. Viele stehen beim Singen. Einige heben die Hände. Bei manchen Liedern wird mitgeklatscht. Während dieser Zeit kommen acht Personen nach vorne. Verschiedene Älteste knien mit ihnen, tauschen sich mit ihnen kurz aus und beten für sie mit Handauflegung. Das Ganze geschieht ohne Druck,

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und trotz der Öffentlichkeit scheint der Schutz der Einzelnen gewahrt zu sein. Die Lobpreiszeit dauert etwa 25 Minuten. In dieser Zeit singt die Gemeinde sechs Lieder, begleitet von Keyboard, Gitarre, Geige und Schlagzeug. Zwei junge Frauen am Mikrofon komplettieren die Lobpreisgruppe. Ein Gebet des Lobpreisleiters schließt diese Zeit ab. Der Pastor tritt ans Mikrofon und bittet die Gemeinde, wieder Platz zu nehmen. Er fragt nach kurzen ermutigenden Erfahrungsberichten aus der letzten Zeit. Eine Studentin legt dar, wie Gott ihr in einer Prüfungssituation geholfen hat. Eine Mutter freut sich über die Heilung ihres Sohnes, für den in der Gemeinde gebetet wurde. Ein Mann erzählt davon, dass Gott eine verfahrene Arbeitssituation entschärft hat. Schließlich berichtet eine Lehrerin von einer inneren Heilung und Freisetzung, die sie durch Christus erlebt hat. Es folgt die Kollektensammlung, wobei die Gäste ermutigt werden, das Kollektenkörbchen einfach weiterzureichen. Schließlich sind sie als Gäste eingeladen. Währenddessen spielt die Orgel, und die besonderen Veranstaltungen der kommenden Wochen werden an die Wand projiziert. Die Gemeinde stimmt ein: »Mein Mund besinge tausendfach den Ruhm des Herrn der Welt«. Der Gottesdienst wird beschlossen, indem die Gemeinde miteinander das Vaterunser betet und den Segen Gottes empfängt. Nach eindreiviertel Stunden rundet das Nachspiel den Gottesdienst ab. Draußen hört man schon die Kinder, die sich im letzten Teil ihres Vormittagsprogramms in verschiedenen Aktions- und Spielgruppen trafen. Fast alle Anwesenden verteilen sich in den unterschiedlichsten Räumen der Kirche. Sie nutzen das Angebot, gemeinsam Kaffee zu trinken. Gäste werden persönlich begrüßt, Bekannte in den Arm genommen. Für beinahe eineinhalb Stunden herrscht nun auf dem gesamten Grundstück eine Atmosphäre regen Treibens. Es ist Sonntag, 18.00 Uhr. Eine Hand voll Beter trifft sich im Gottesdienstraum, um den Abendgottesdienst im Gebet vorzubereiten. Sie nehmen sich Zeit, um Jesus Christus anzubeten und die Nähe Gottes zu suchen. Die von 25–40 Personen besuchten Abendgottesdienste haben einen ganz anderen Schwerpunkt als die Vormittagsgottesdienste. Da der Abendgottesdienst keinem festgelegten Ablaufplan folgt, hören die Beter im Gebet auf Impulse des Heiligen Geistes, die dem Abend seine inhaltliche Prägung geben sollen. Ein 50-jähriger Mann spricht von einem geistlichen ›Bild‹, das er den anderen mitteilt. Eine junge Frau ergänzt diesen Eindruck, indem sie schildert, was sie im Gebet empfunden hat. Gemeinsam knien oder liegen die Personen vor dem Kreuz. Sie beten um Segen für die Gäste und um Offenheit für das Wirken Gottes. Gegen 19.00 Uhr kommt der Lobpreisleiter des Abends und nach und nach die Besucher. Ca. 19.25 Uhr beginnt der Gottesdienst ohne besondere Eröffnung mit Lobpreis. Wer den Raum betritt, wird von Lobpreis empfangen.

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Etwa eine halbe Stunde wird gesungen, unterbrochen von einigen Gebeten. Dann lädt der Leiter des Abends alle Anwesenden freundlich dazu ein, aufeinander zuzugehen und sich zu begrüßen. Die Gottesdienstbesucher nehmen sich dafür einige Minuten Zeit. Wer sich kennt, nimmt sich in den Arm. Man spricht mit den Gästen und tauscht sich ein wenig aus. In den folgenden Minuten gibt der Leiter des Abends einen Impuls weiter. Es handelt sich dabei nicht um eine Predigt, sondern um Gedankenanstöße zu einem Thema, das nach seiner Wahrnehmung Gott für die Anwesenden auf dem Herzen hat. In der sich anschließenden Lobpreiszeit besteht die Möglichkeit, auf diesen Impuls persönlich zu reagieren. Eine Frau geht nach vorne und bittet einen der Ältesten um Fürbitte und Segen. Sie knien sich vor das Kreuz, und die Frau wird gesegnet. Ein junger Mann kniet sich ebenfalls vorne hin. Der Leiter des Abends geht zu ihm und fragt, ob er für ihn beten darf. An zwei weiteren Stellen im Raum sieht man Leute die Köpfe zusammenstecken und beten. Währenddessen führt der Lobpreisleiter die Gemeinde weiter in die Anbetung hinein. Nach einigen Liedern schließt sich ein Singen ›in Sprachen‹ an, welches einige Augenblicke den Raum füllt. Währenddessen tritt ein Mann an den Leiter des Abends heran, um ihm ein geistliches Bild mitzuteilen. Wenig später, im Anschluss an das nächste Lied, gibt dieser Mann seinen Eindruck an die Gemeinde weiter. Auf dieses Wort hin kommen zwei Personen nach vorne, um ihrerseits darauf zu reagieren. Der Leiter sowie ein Mitarbeiter gehen zu ihnen, um mit ihnen zu beten. Eine der beiden Personen wird von der Gegenwart Gottes derart berührt, dass sie bei der Segnung zu Boden sinkt und eine Zeitlang auf dem Boden liegt. Nach einiger Zeit erhebt sie sich wieder und geht zu ihrem Platz. Alles scheint sehr dicht, sehr vertraut, ohne äußere Unruhe oder Aufregung. Gegen 21.00 Uhr bittet der Leiter des Abends die Anwesenden nach vorne zum Kreuz, wo sich alle im Kreis aufstellen, sich an den Händen fassen und eine kurze Gebetsgemeinschaft haben. Sie danken Gott für den Abend, beten ihn über dem Erlebten an oder machen ihm in ihrem Gebet ›Komplimente‹. Mit einem Segen endet der Abend. Kaum einer der Anwesenden hat das Bedürfnis, schnell zu gehen. Manche bleiben noch still betroffen auf ihren Plätzen sitzen, andere reden miteinander, wieder andere beten zu zweit. Erst nach einiger Zeit beginnt sich der Raum zu leeren, und gegen 21.30 Uhr ist der Abend zu Ende. Wer sonntags die Gottesdienste der evangelisch-methodistischen Kreuzkirche in Berlin-Lankwitz besucht, wird genau das erleben können, was hier beschrieben ist. Wie durch ein Mikroskop lassen die Gottesdienste die Gene der Gemeinde sichtbar werden, die sie prägen und die ihren Dienst beschreiben. Die Gemeinde der Kreuzkirche bekennt sich nicht nur dazu, Gemeinde Christi zu sein, sondern es ist ihr ein Anliegen, in allen Belangen und Bereichen

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bis hin in das persönliche Leben seine Ehre zu suchen, seine Herrschaft zu bejahen und aufgerichtet zu wissen. Sie ist deshalb keine Gemeinde, die sich in vielen offenen oder verdeckten Konfliktfeldern zu verlieren droht, sondern die in ihrem Wunsch, für Christus zu leben, eine beachtliche Homogenität widerspiegelt. Besucher nehmen sie als eine humorvolle Gemeinde mit großer Freude und Leichtigkeit wahr, als eine Gemeinde mit dem Wunsch, neue Beziehungen zu bauen und beziehungsintensiv zu leben. Sie ist eine Gemeinde, die weiß, dass sie stark ist, weil der auferstandene Christus in ihr wohnt – eine Gemeinde, die voller Hoffnung ist, dass Christus durch ihr Leben und ihren Dienst in den Stadtteil verändernd und erneuernd hinein wirken will und kann. Sie hat Freude daran zu wachsen. Und sie hat Freude daran, Glauben zu lernen. Zugleich ist sie aber auch eine an ihrer Unvollkommenheit leidende Gemeinde, die sich nach einer größeren Vollmacht sehnt, um den Menschen in ihrer Umgebung besser und nachhaltiger helfen zu können.

2 Die Anfänge des Weges Charismatischer Gemeindeaufbau in der Evangelisch-methodistischen Kirche . . . Vor drei Jahrzehnten hätte niemand geahnt, dass wir als Gemeinde der Kreuzkirche in Berlin-Lankwitz einmal unter diesem Blickwinkel von unserer Arbeit und Entwicklung berichten werden. Es war interessanterweise nie das Ziel der Gemeindeleitung, eine sog. ›charismatische‹ Gemeinde zu bauen. Wenn man diese Denkschablonen einmal benutzt, dann würde sich zwar die Mehrheit der Gemeindeglieder heute in gewisser Weise zu den charismatisch orientierten Christen zählen. Aber als Gemeinde leben wir sehr bewusst in Nähe und zugleich Abgrenzung zur charismatischen Bewegung. Unser Fokus richtet sich nicht darauf, einem christlichen Lager zugerechnet zu werden. Sondern alle Entwicklungsschritte resultieren aus dem Verlangen, den Weg Gottes geführt zu werden. Und in der Tat wird im Rückblick deutlich, dass der Herr uns unseren eigenen Weg in seine Berufung hinein geführt hat. Die Anfänge dieses Weges reichen bis in die Dienstzeit von Pastor Wolfgang Blech zurück. Wolfgang Blech bekam 1977 eine Dienstzuweisung für die Gemeinden Berlin-Lankwitz und Berlin-Steglitz. Beide Gemeinden waren unterschiedlicher, wie man sie sich kaum vorstellen kann. Zur Gemeinde Berlin-Lankwitz hielten sich etwa 20 ältere und alte Gemeindeglieder. Hier gab es einen Gebetskreis, der intensiv darum betete, Gott möge doch neue Glieder der Gemeinde zuführen, weil sonst die Perspektive der Gemeindeschließung unabwendbar schien. Ganz anders die Gemeinde Berlin-Steglitz. Aus annähernd 80 Gliedern bestehend (hauptsächlich junge Familien), war sie ein Sammelbecken unterschiedlichster Prägungen und Frömmigkeitsstile

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(Friedensbewegung, Jesus-People-Bewegung, konservativ-evangelikal, sozial orientiert). Im Herbst 1980 kam es zu einer denkwürdigen Vorstandsklausur des Steglitzer Gemeindevorstandes im Haus der evangelisch-freikirchlichen Gemeinde in der Clayallee. Aufgrund eines irreparablen Wasserschadens am kürzlich neugebauten Gemeindehaus beschloss der Vorstand, als komplette Steglitzer Gemeinde nach Berlin-Lankwitz umzuziehen und den Zusammenlegungsprozess der beiden Gemeinden einzuleiten. Darüber hinaus kam es auf dieser Klausur zu einer tiefen Bußbewegung über konkrete Leitungs- und Beziehungsprobleme in der Steglitzer Gemeinde und in deren Vorstand. Vergebung wurde gesucht und gewährt, Versöhnung erlebt und erstmals Einzelnen der Segen Gottes persönlich zugesprochen. Infolge dieser geistlichen Dynamik beschloss der Vorstand, monatlich stattfindende »Sing-and-pray-Abende« einzuführen. An diesen Abenden saß man im Kreis, sang gemeinsam Lieder, die gemeinschaftlich aus Liederbüchern herausgesucht wurden. Man betete miteinander und berichtete von ermutigenden Glaubenserfahrungen, u. a. auch von erlebten Heilungen. Die dann erfolgte Zusammenlegung beider Gemeinden brachte zunächst keine Veränderungen im Sonntagsgottesdienst mit sich. Es wurden jedoch dem Sonntagsgottesdienst bald zwei bis drei Loblieder (sogenannte ›Folienlieder‹) zeitlich vorgelagert, ohne als Beginn desselben zu gelten. Die Tür zu einer Integration dieser Lieder in den Gottesdienst und damit in das ›offizielle‹ Gemeindeleben war noch nicht geöffnet. Ab 1982 musste die gerade im Zusammenwachsen begriffene Gemeinde eine zweijährige Vakanz überbrücken, in der sich der Superintendent Walter A. Siering begleitend mit viel Liebe und Sorgfalt um die Gemeinde kümmerte. Diese Vakanz erwies sich zugleich als eine Zeit, in der die Vielfalt in der Gemeinde jetzt noch stärker berücksichtigt werden musste. Das leiterische Machtvakuum wurde überdies schnell von ganz unterschiedlichen Strömungen ausgefüllt. Man nahm die Dinge selbst in die Hand, und so entwickelte sich in der Gemeinde ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein. Es gab einen gewissen Stolz, die Lankwitzer Gemeinde zu sein.2 Das wirkte hemmend sowohl für die weitere Entwicklung als auch für die Außenwahrnehmung der Gemeinde. 1984 erhielt Pastor Carsten Kraft eine Dienstzuweisung an die Gemeinde. Selbst von seinem Gabenprofil her weniger ein ausgesprochener ›Leiter‹, als vielmehr durch und durch Gemeindehirte, versuchte er, angeregt von Wolfram Kopfermann und Heribert Mühlen3 , mit viel Liebe und Geduld und immer 2

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Ende der neunziger Jahre hat die Gemeinde in großer Einheit in einem Gottesdienst aufgrund der Predigt und eines konkreten prophetischen Bildes über ihrer distanzierten Haltung gegenüber dem Lobpreis Gottes und über dieser Haltung des Stolzes, verbunden mit einer Geringschätzung anderer, öffentlich Buße getan. Diese Kontakte entstanden durch die ersten gemeinsamen Seminare der evangelischen und katholischen Gemeindeerneuerungsbewegung.

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wieder vermittelnd für eine Öffnung gegenüber dem Heiligen Geist einzutreten. »Sing-and-pray«-Lieder fanden teilweise Eingang in den Gottesdienst. Es wurde in einem Gemeindeseminar über die Bedeutung der Geistesgaben gelehrt. In dieser Zeit suchten einige Gemeindeglieder intensiven Kontakt zu den großen freien charismatischen Gemeinden in der Stadt. Sie versuchten, dort gemachte Erfahrungen in die Lankwitzer Gemeinde hineinzutragen. Aber das, was außerhalb erlebt wurde, war in der eigenen Ortsgemeinde so nicht immer umsetzbar und hilfreich. So kam es von Mitte der achtziger bis in die neunziger Jahre hinein deshalb immer wieder zu Spannungen in der Gemeinde. Über die Fragen von Geistestaufe und Sprachengebet (und ihrer Erfahrung gerade von Kindern der Gemeinde) kam es zu spannungsreichen und stark problematisierenden Auseinandersetzungen, die zu einer ablehnenden Gesamthaltung führten. Ende der achtziger Jahre verließ ein Hauskreis die Gemeinde, weil in den Augen der meisten Glieder dieses Hauskreises der Prozess der Öffnung für den Heiligen Geist deutlich zu langsam vorankam. Etwa zu derselben Zeit stürzte die Gemeinde in eine große Krise, die sie an den Rand eines Zerbruchs führte. Die Krise wurde ausgelöst durch persönliche Schwierigkeiten, berührte jedoch auch bald geistliche Schwerpunkte, wie sie bereits angeklungen sind. Dass es dennoch zu einem Vergebungsprozess kam, der die Gemeinde davor bewahrte auseinanderzubrechen, wurde als eine Gnade Gottes erlebt. Es scheint, dass sich auf diesem Weg die Tür für das Wirken des Heiligen Geistes nicht verschlossen, sondern ein Stück weiter geöffnet hat. Jetzt wurden »Sing-and-pray«-Lieder zweiwöchentlich als Beginn des Gottesdienstes gesungen. Inhaltlich und liturgisch wurden die Gottesdienste bis 1996 jedoch nicht verändert. Ebenso blieb die Leitungsstruktur der Gemeinde unverändert. Der Gemeindevorstand verstand sich zumindest seit der Zusammenlegung der beiden Gemeinden als eine parlamentarische Instanz, in der alle Interessen und Frömmigkeitsstile vertreten sein sollten. In der Dienstzeit von Pastor Carsten Kraft wurde darüber hinaus vom Vorstand offiziell beschlossen, die Dauer eines Gottesdienstes von 60 auf nun 75 Minuten auszudehnen. Anfang der neunziger Jahre setzte sich der Vorstand intensiv mit Aufbrüchen in der charismatischen Bewegung, dem sogenannten »Toronto-Segen«, auseinander. Dazu erstellte der Vorstand ein Arbeitspapier unter dem Titel Was wir wollen und was wir nicht wollen, welches sich später als ein Meilenstein für die weitere Entwicklung herausstellte. Die Hauptaussage dieses Papiers unterstrich, man wolle nicht bestimmte Erscheinungen und Phänomene kopieren, die mit dem Heiligen Geist in Zusammenhang gebracht werden, dafür aber in einer prinzipiellen Offenheit gegenüber dem Wirken des Heiligen Geistes leben. So wurden in der Folge als Ausdruck dieser Sehnsucht und Erwartungshaltung

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gegenüber dem Heiligen Geist zweiwöchentliche Lobpreisgottesdienste am Samstagabend eingeführt.4 Zieht man Bilanz, so wird deutlich: Gegen Ende der Dienstzeit von Pastor Carsten Kraft, der im Februar 1996 wenige Monate vor seiner geplanten Versetzung in den Ruhestand verstarb, artikulierte sich bei etlichen Geschwistern im Gemeindevorstand klar der Wunsch nach einem Aufbruch und nach geistlicher Leitung. Es drückte sich die Erwartung aus, ein ›Leiter‹ möge die vielen verschiedenen Fäden im Vorstand und in der Gemeinde zu einer Kordel verknüpfen und damit eine Bündelung bewirken, die der Gemeinde einen Entwicklungsschub und ein hohes Maß an Eindeutigkeit und Stärke verleiht. Aus diesem Grund fragte der Vorstand 1995 Pastor Stefan Kraft an, ob er sich vorstellen könne, auf der Grundlage des im Vorstand erstellten Arbeitspapiers die Nachfolge seines Vaters anzutreten. Nach einer Zeit des Betens und Prüfens beantwortete dieser die Anfrage positiv. Zu den Konsultationen für die Versetzungen des Jahres 1996 unterstrich der Laienvertreter Siegfried Kindt noch einmal den ausdrücklichen Wunsch nach einer eindeutigen geistlichen Leitung und die Bereitschaft der Gemeinde zu einem neuen Aufbruch.

3 Die Erneuerung nimmt Gestalt an Mit der Dienstzuweisung von Pastor Stefan Kraft im Jahre 1996 gewann der eingeschlagene Weg der Gemeinde an Dynamik. Kernpunkte der Veränderungen in den Folgejahren berührten v. a. Fragen des Verständnisses von Leitung, der strukturellen Ermöglichung geistlicher Leiterschaft und der Befähigung von Geschwistern, leiterische Verantwortung zu übernehmen. Die Fokussierung auf diesen Bereich ist nur folgerichtig, denn die Erneuerung einer Gemeinde kann und wird nicht an der Leiterschaft vorbei geschehen. Wäre das der Fall, dann würde sie in aller Regel erneuerte Einzelpersönlichkeiten oder kleine Kreise hervorbringen, die nicht selten in Spannung oder sogar Abgrenzung zur übrigen Gemeinde leben. Es hat sich schon oft erwiesen, dass solche Kreise unter normalen Bedingungen eben keine geistliche Durchschlagskraft auf die gesamte Gemeinde entfalten können. Die Erfahrung bestätigt in vielfacher Weise, was das Neue Testament erkennen lässt: die Achtung Gottes vor der Leiterschaft (1 Thess 5, 12 u. a.). Er respektiert die Entscheidungen der Leiterschaft. Diese Entscheidungen können den Segen Gottes für eine Gemeinde freisetzen. Oder sie können im negativen Falle auch Segen zurückhalten. Darin liegt das hohe Maß an Verantwortung der Leiter begründet. 4

Elemente dieser Lobpreisgottesdienste waren Lobpreis mit vielen Liedern, Gebet, persönliche Fürbitte und Segnung.

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Und deshalb ist ›Leiterschaft‹ kein marginales Thema oder ein Thema neben vielen anderen. In Fragen von Gemeindeerneuerung und charismatischem Gemeindeaufbau ist sie ein wichtiger Schlüssel. Aus diesem Grund liegt hier auch der Schwerpunkt dieser Darstellung. Andere ohne Zweifel wichtige Themen, wie z. B. die Gottesdienstgestaltung, die sozial-diakonische Arbeit der Gemeinde, die Seelsorge an Gemeindegliedern und Gemeindefremden oder die Kleingruppenarbeit erscheinen dem sachlich nachgeordnet. Wenn wir den Fragen der Leiterschaft solch ein großes Gewicht geben, dann wollen wir nicht den Eindruck erwecken, dass die technische Anwendung von Prinzipien und Methoden allein schon den ›Erfolg‹ bringt. Leiterschaft erschöpft sich nicht in Einsichten und Methoden des Sozialmanagements, so hilfreich und gut sie sein mögen. Leiterschaft erschöpft sich auch nicht in den klassischen Qualitäten wie z. B. der Entschlossenheit und der Fähigkeit, andere für einen bestimmten Weg zu gewinnen. Unserer Auffassung nach ist es die zentrale Aufgabe der Leitung, Menschen zu begeistern, mit Leidenschaft und Hingabe Gottes Wege zu gehen. Wir haben erkannt, wie herausfordernd es ist, sich von Gott solch ein Herz für die Gemeinde schenken zu lassen. Ein Herz, das auch buchstäblich Tränen für andere vergießen kann, weil es einen drängt, dass die Gemeinde in die Zukunft Gottes aufbricht, und weil man erfüllt ist von dem Wunsch, dass keiner in der Gemeinde und möglichst wenige außerhalb der Gemeinde verloren gehen. Wir haben gelernt: Leiterschaft bedeutet, die Lasten Jesu Christi zu tragen und auch zu empfinden und zugleich von einer großen Zuversicht auf einen großen Gott ergriffen zu sein. Das bringt sehr viel Arbeit mit sich sowohl im ganz praktischen Nachgehen, Vermitteln, Ermutigen und Gewinnen der Geschwister als auch im Hinblick auf den eigenen, inneren Umgang mit der Verantwortung für die Gemeinde und der Aufgabe ihrer Leitung. Dieses will mitbedacht werden, wenn im Folgenden über die Leiterschaft berichtet und reflektiert wird. 3.1 Eine neue Struktur der Leitung Nachdem der Bischof die Dienstzuweisung für Pastor Stefan Kraft ausgesprochen hatte, trat der Gemeindevorstand mit der Bitte an Pastor Kraft heran, um eine Vision für die Gemeinde zu beten und diese, vorausgesetzt, Gott schenkt sie, mitzubringen. Und so geschah es auch. Auf einer Gemeindefreizeit Anfang Oktober 1996 in Oberoderwitz stellte Pastor Kraft der Gemeinde die Vision vor, die er empfangen hatte. Sie war vom Charakter her eindeutig eine Sammlungsvision, die auf das Ziel zuführte, die Gemeinde zu einen und sie zu befähigen, Gottes Sicht und Berufung wahrzunehmen und anzunehmen. Sie

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umfasste schwerpunktmäßig das gottesdienstliche Leben der Gemeinde.5 Alle Anwesenden erkannten diese Vision als von Gott für die Gemeinde gegeben an. Zwei Wochen später wurde im Rahmen zweier Gemeindeabende allen Gliedern, die nicht an der Freizeit teilnehmen konnten, die Vision zur Prüfung vorgelegt. Und auch hier ergab sich wieder eine 100%ige Zustimmung. Im Zuge dieses Prozesses legte der Laienvertreter Siegfried Kindt die Leitung des Gemeindevorstandes nieder, damit Pastor Stefan Kraft in die Leitung dieses Gremiums gewählt werden konnte. Damit wurde die Ernsthaftigkeit, mit der die Gemeinde nach einer starken geistlichen Leitung suchte, unterstrichen. Auch wenn zwar alle Gemeindeglieder ihre Zustimmung zur Vision geäußert hatten, war es doch für einige Glieder schwer, diese Vision nicht nur zu begrüßen, sondern den Gemeindealltag schrittweise umzustellen und danach auszurichten. So wurde recht schnell offenbar, dass sich einige Fäden nicht in die Kordel einflechten lassen wollten. Und es kam zu Spannungen und Konflikten, ja sogar zu sachlicher Gegnerschaft. Wodurch entstand nun diese Gegnerschaft? Es war bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht gelungen, die Offenheit für das neue Denken in der Gemeinde auch fest zu etablieren. Die Gemeinde selbst erlebte sich ja als ein Sammelbecken für unterschiedlichste Strömungen und Frömmigkeitsstile. Das aus der Moderation dieser Vielfalt entstandene Machtvakuum zwischen den Ausschüssen der Gemeinde existierte jetzt nicht mehr. Die Leitungskompetenzen waren verteilt, und die inhaltlichen Prämissen wurden auch strukturell umgesetzt. Dadurch verloren einige Geschwister ihren über Jahre angestammten Platz. Und sie merkten, es gab keine Möglichkeit mehr, den inhaltlichen Weg der Gemeinde zu verzögern. An einem Beispiel soll das verdeutlicht werden. Der Ausschuss für christliche Erziehung arbeitete damals in zwei Unterausschüssen. Einer war zuständig für Musik und der andere für die Kinderarbeit der Gemeinde. Dabei war der Letztere mit Personen besetzt, die aktuell nicht mehr in der Kinderarbeit tätig waren. So wohnte diesem Unterausschuss oft die Tendenz inne, die Kinderarbeit zu kontrollieren und sie somit vor ›Auswüchsen‹ zu bewahren. Auch war man sehr bedacht, in der Zusammensetzung dieser Ausschüsse ein Gleichgewicht zu wahren zwischen den Geschwistern, die Impulse aus der charismatischen Bewegung aufnehmen wollten, und anderen Geschwistern, die ihrerseits offen als Behüter vor diesen charismatischen Einflüssen auftraten. Das prägte die Atmosphäre: Man nahm sich vorsorglich zurück, um nicht von anderen ›glattgebügelt‹ zu werden. Es liegt auf der Hand, dass diese Struktur jegliche zielorientierte Arbeit sehr schwierig machte. Man passte aufeinander auf. Man war bemüht, Entwicklungen, die anderen Geschwistern Rückenwind 5

Die Gemeindevision wird unter 3.1.1. ausführlicher beschrieben.

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bedeuteten, abzubremsen. Viel Eindeutigkeit wurde im Keim erstickt. Gleichzeitig delegierte der Gemeindevorstand die ›Krisenthemen‹ zur Behandlung in Ausschüsse, weil er sich selbst mehr als parlamentarische Koordinations-, denn als Leitungsinstanz verstand. In seinem Versuch, tolerant zu sein und sich in keinerlei Richtung festzulegen, erhob er den Kompromiss zur Königsdisziplin. Es wurde über alles geredet, aber der leiterische Mut fehlte an vielen Stellen. Diese Infrastruktur war bestens dazu geeignet, sich gegenseitig an die Kette zu legen. Sie war eine Struktur, die in sich das Misstrauen gegeneinander und das Denken in Gruppen bewahrte. Dass nun solche Strukturen aufgebrochen wurden, der Ausschuss für christliche Erziehung beispielsweise nur noch mit Kinder- und Jugendmitarbeitern besetzt wurde, erregte bei einigen Geschwistern Missfallen. Darüber hinaus wirkten natürlich auch sehr persönlich gefärbte Ängste vor den ›Auswüchsen‹ der charismatischen Theologie trennend. Ein Gleiches traf auch auf Unterschiede in der Christologie zu, in der Frage, wer Jesus Christus für den einzelnen persönlich, für die Gemeinde und für die heutige Gesellschaft ist. Des Weiteren existierten divergierende Bilder vom Auftrag und Wesen der Gemeinde: Einige liebten das Bild von der Gemeinde als einer Art Zeltplatz, auf dem alle fröhlich campen können, oder als einem großen Dach, unter dem alle wohnen können. Diese Beschreibung trifft zwar auf das Wesen des Volkes Gottes zu, ist aber nicht zwingend auf das Wesen einer konkreten Ortsgemeinde zu übertragen.6 Diese Bilder schienen eher ein Rechtfertigungsgrund zu sein, an der programmatischen Vielfalt festzuhalten und ein Vorangehen in eine bestimmte Richtung abzulehnen. Es kam immer wieder auch zu gemeinschaftserschwerenden Erfahrungen. Zum Teil war man nicht bereit, sich für andere ganz zu öffnen, mahnte aber ständig die »Einheit« an. Und so kam es, dass die Gemeinde trotz ungezählter Stunden des Miteinander-Redens, des Suchens nach einem Miteinander und des Gewinnenwollens sechs Glieder verloren hat, die diesen Weg der Gemeinde nicht mitgehen wollten. Das waren sehr schmerzhafte Erfahrungen für alle Beteiligten – aus der Distanz betrachtet wohl ein Preis der Erneuerung. Die ersten Jahre konzentrierten sich darauf, den Gemeindevorstand zu befähigen, in verantwortlicher Weise die Gemeinde geistlich zu leiten. Kontroverse Fragen wurden nicht mehr wegdelegiert, sondern entschieden. Die Kraft wurde nicht mehr ins Ausgleichen investiert, sondern in das Gewinnen der Gemeinde. Die Debatten um das Vorangehen oder Hinauszögern machten der 6

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So sehr klar ist, dass eine Gemeinde in ihrem Herzen eine große Toleranz gegenüber ganz unterschiedlichen Ausprägungen der Frömmigkeit haben muss, so sehr ist natürlich auch klar, dass nicht jede auf Gemeindeebene gelebte Eindeutigkeit eine Ausgrenzung oder gar eine Verurteilung anderer Frömmigkeitsstile bedeuten muss. Eindeutigkeit ist kein Gegner der Weitherzigkeit.

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inhaltlichen Arbeit Platz. Es wurden vier inhaltliche Kriterien aufgestellt, wer in der Gemeinde ein Ältester sein kann, nämlich wer 1. sich in der Gemeinde als ein Ältester erwiesen hat, wer 2. die Gemeindevision liebt und dafür lebt, 3. Verantwortung übernehmen und tragen will und 4. sich unterordnen kann7 . Diese inhaltlichen Kriterien wiederum führten zu strukturellen Konsequenzen in der Besetzung des Vorstandes. Einige Geschwister, deren Begabungen offensichtlich in anderen Bereichen lagen als dem der »Leitung«, empfanden das selbst und verzichteten gerne auf eine Wiederwahl in das Leitungsgremium. Daneben gab es auch wenige andere, die innerkirchlich über die Gemeinde und den Pastor verurteilend redeten, was an manchen Stellen ein nicht geringes Spannungspotenzial in sich barg. Unter Pastor Carsten Kraft kam der Vorstand alle sechs Wochen zusammen, seit 1996 alle vier Wochen, etwa drei Jahre später alle drei Wochen, wiederum etwa drei Jahre später 14-täglich, und schließlich treffen sich seit 2004 Teile des Vorstandes8 wöchentlich. Diese Verkürzung des Turnus hat direkt mit einer Intensivierung der Gebetszeiten und damit der Entwicklung des Vorstandes zu einem betenden Vorstand zu tun.9 Ca. 40–50% der Sitzungszeit verbringen die Ältesten in Gebet und Lobpreis. Wir erleben zunehmend, dass der Herr uns in seine Gegenwart hineinzieht. Er will, dass wir ihn suchen, uns ihm aussetzen und von ihm verändern lassen. Es ist uns wichtig geworden, uns nach dem Segen Gottes auszustrecken und ihn nicht vorschnell als schon gegeben vorauszusetzen. Wir haben gelernt, auf den Herrn zu warten und dieses Warten auch auszuhalten.10 Unsere Leitung hat sich so immer mehr dahin orientiert, den Herrn zu bitten, selbst zu leiten. Es ist seine Gemeinde, und er soll das Recht haben, sie so zu leiten, wie er will. In den Sitzungen ist es inzwischen selbstverständlich, einander zu segnen und die Gaben des Geistes, prophetisches Reden und Sprachengebet, einzusetzen. Wir haben 7

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Entsprechend dem Grundsatz: Wer leiten will, sollte dies aus einer Haltung des Dienens und der Demut heraus tun (vgl. Mt 20, 26–28; Joh 13, 15; 1 Petr 5, 5). Deshalb sind wir der Meinung: Wer sich selbst nicht (anderen Leitern) unterordnen kann, wird auch nicht geistlich (das heißt: dem Wesen Jesu entsprechend) leiten können. Der Gemeindevorstand (Ältestenkreis) trifft sich nach wie vor alle 14 Tage. In den dazwischen liegenden Wochen kommt ein Teil der Geschwister nur zum Gebet für die Gemeinde zusammen (nach Ex 17 nennen sie sich »Mose-Team«), die anderen Geschwister des Ältestenkreises sind mit der Anleitung von verschiedenen Dienstgruppen im Hinblick auf die Vision betraut. Sie sind das sog. »Josua-Team«. Eindrücke und Ergebnisse beider Teams fließen in die gemeinsamen Treffen des Ältestenkreises ein. Bis 1996 waren zwar eine Andacht und ein gesprochenes Gebet Elemente der Vorstandssitzungen, aber der Vorstand selbst war kein betender Vorstand, der auch empfindet, dass die Hauptarbeit tatsächlich im Gebet getan wird. Vor einigen Jahren haben wir die Jahresplanung beispielsweise über drei Sitzungen verschoben, weil wir in wichtigen Fragen noch keine Klarheit und Einheit untereinander hatten.

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gelernt und sind immer noch dabei, in dieser Weise als Älteste vor Gott zu stehen. Das wollen wir dadurch ausdrücken, dass wir uns seit einiger Zeit nicht mehr »Gemeindevorstand«, sondern »Ältestenkreis« nennen. Aus diesem Stehen in der Gegenwart Gottes heraus haben wir dann auch das, was im Hinblick auf die Vision geboten schien, getan. Dabei erwies sich die Vermittlung der eigenen geistlichen Klarheit hin zu den verschiedenen Außenstehenden z. T. als herausfordernd. Für manche war das Empfinden, für diese Klarheiten auch kämpfen zu müssen, sehr präsent. Das führte untereinander immer wieder zu Ermüdung und machte es notwendig, sich vor Christus neu zu finden. Die Art geistlicher Leiterschaft, wie wir als Älteste sie leben, genießt in der Gemeinde ein hohes Vertrauen. Die Gemeinde weiß um das redliche Bemühen ihrer Ältesten. Und zunehmend erleben wir leiterische Vollmacht über die Grenzen unserer Gemeinde hinaus. Diese haben wir uns nicht gesucht, sondern sie wird uns von anderen Geschwistern und Gemeinden angetragen. Dabei haben wir an uns selbst tiefgreifende Veränderungen erlebt: Der Herr hat uns eine Liebe zu seinem Reich geschenkt und z. T. buchstäblich Tränen für andere Gemeinden in unserem Stadtteil. Er hat uns ein starkes Bedürfnis der Fürbitte für andere Gemeinden gegeben und eine drängende Leidenschaft, dass sich sein Reich mit Macht ausbreitet, wo immer sich Menschen danach ausstrecken. Wenn wir dabei helfen können, dann tun wir es sehr gerne. Dabei ist uns eine Autorität zugewachsen, die daraus geboren wurde, dass wir selbst gelernt haben, unsere Herzen Jesus Christus hinzuhalten. Das ist keine ›Masche‹, kein ›Rezept‹, aber doch so etwas wie ›unser Weg‹ geworden. Es hat uns verändert und die Arbeit viel, viel effektiver gemacht. So hat sich auch recht schnell ein Wachstum der Gemeinde eingestellt. In den letzten zehn Jahren hat sich der Gottesdienstbesuch trotz des Weggangs von etwa 80 Personen aufgrund beruflicher Veränderungen auf etwa 250 verdoppelt. 3.1.1 Die Gemeindevision Auf die Gemeindevision wurde schon mehrfach hingewiesen. Hier ist nun der Ort, sie ausführlicher und systematisiert darzustellen. In den letzten Jahren ist es im Zuge ganz unterschiedlicher Zugänge zum Gemeindeaufbau modern geworden, von einer ›Vision‹ zu reden. Dabei wird der Begriff ›Vision‹ recht individuell oder gruppenspezifisch gefüllt. Wenn wir von unserer ›Gemeindevision‹ reden, dann verstehen wir darunter nicht, uns eine Vision ›erarbeitet‹ zu haben, indem wir die Gemeindeentwicklung und den aktuellen Gemeindezustand analysiert haben, um daraus Ziele für die weitere Arbeit abzuleiten. ›Vision‹ ist für uns auch nicht deckungsgleich mit einem Leitbildprozess, der auf breiterer Basis in einer Gemeinde durchgeführt wird. All das hat natürlich

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seine Berechtigung und seinen Wert. Für uns aber ist die ›Vision‹ durch ein klares prophetisches Reden des Heiligen Geistes qualifiziert, das der Geist zwar Einzelnen schenkt – wenn es sich um eine ›Gemeindevision‹ handelt, in der Regel einzelnen Ältesten –, aber von den Ältesten der Gemeinde insgesamt nach der Prüfung im Gebet rezipiert werden muss. In diesem Sinne ist unsere ›Gemeindevision‹ eine ›empfangene‹ Vision. Wir erleben, dass sie deshalb ein hohes Maß an Gewissheit freisetzt. »Des Herrn Wort ist wahrhaftig, und was er zusagt, das hält er gewiss« (Ps 33, 4). Aufgrund dieses Charakters befördert die Vision den Glauben. Der Glaube wiederum ist ein Werkzeug, das Gott in unsere Hand gelegt hat: Wenn wir die einzelnen Schritte im Glauben gehen, dann erweist sich der Herr in seiner Treue zu uns. »Alle Dinge sind möglich dem, der glaubt« (Mk 9, 23). Natürlich ist uns bewusst: Nichts von dem, was geschieht, ist letztlich unser Verdienst, sondern unsere Zuversicht und Kraft liegt gerade darin, den Herrn selbst handeln zu sehen. Noch ein zweiter grundlegender Aspekt soll vorangestellt werden. Wir verstehen unsere Gemeindevision nicht als eine Art ›technische Bedienungsanleitung‹, deren ›Umsetzung‹ unsere primäre Aufgabe ist. Gerade auf dem Hintergrund der unterschiedlichen Persönlichkeits- und Begabungsstrukturen, die sich in unserer Gemeinde finden, erscheint etwas anderes als zentral: die Liebe zueinander. Wir wollen diese Liebe. Wir ringen um diese Liebe. Wir fördern sie, wo es nur geht. Wo viele Menschen zusammen leben, entstehen natürlich Reibungen, und es kommt zu Missverständnissen und Konflikten. Das bleibt nicht aus. Wie überall ist auch bei uns die Liebe umkämpft und manchmal ermattet. Wie überall braucht auch bei uns die Gemeinschaft die liebevolle und geduldige Pflege. Das ist ein Großteil unserer Arbeit, eine Atmosphäre der Wertschätzung jedes Einzelnen bei aller Unterschiedlichkeit zu fördern. Darum sind wir als Gemeinde bewusst eine gemeinschaftsintensive Gruppe. Wir nehmen einander oft in den Arm. Es ist uns wichtig, dass die Vision nicht allein ein Leitbild für die Gemeindeentwicklung ist, sondern dass die Gemeinde von der Liebe Christi getragen wird. Und damit trägt die Liebe zueinander auch die Vision und ermöglicht, dass sich viele in diese Vision hineinstellen.11 Worin besteht nun der konkrete Inhalt der Gemeindevision? Der ersten Vision, die einen Zeitraum von fünf Jahren umfasste (1996–2001), sind drei entscheidende Grundsätze vorangestellt, die nach wie vor uneingeschränkt Gültigkeit besitzen. Sie sind sozusagen die drei »geistlichen Grundprinzipien« unserer Gemeindearbeit: 11

Man könnte das an einem einfachen Bild deutlich machen: Das Schiff ist die Liebe, die Vision ist die Fracht, die das Schiff befördert.

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1. Treu sein gegenüber dem Wort Gottes. Das mag fast wie eine Selbstverständlichkeit klingen. Es ist ein Satz, dem sicher jeder Christ zustimmen wird. Schwieriger ist es, dieses Grundprinzip mit Leben zu füllen. Denn es gilt, das Wort Gottes auch über liebgewordene, vielleicht bisher unhinterfragbare Traditionen zu stellen. Es gilt, tatsächlich zu vergeben, weil das Wort Gottes dazu auffordert. Es gilt, dem Lobpreis tatsächlich Raum zu geben, weil das Wort Gottes davon spricht. Es gilt, die Gaben des Geistes tatsächlich zu erbeten und zu gebrauchen, weil das Wort Gottes das so vorsieht. Es ist eine Haltung, die das Wort Gottes über persönliche Vorlieben und Ängste stellt. Im Gemeindealltag erweist sich das oft genug als Herausforderung. 2. Fasziniert sein von Jesus. Eine lebendige Gemeinde ist immer eine Gemeinde, in der Jesus gegenwärtig ist. Das macht ihre Ausstrahlung aus. In Jesus liegt alle Rettung, alle Kraft, alle Hoffnung, alle Liebe und alle Vollmacht. Darum ist eine Gemeinde, die von Jesus fasziniert ist, immer zugleich auch eine faszinierende Gemeinde. 3. Offen sein für den Heiligen Geist. Gott baut sein Reich durch sein Wort und seinen Geist. Doch gerade gegenüber dem Heiligen Geist und seinem Wirken gibt es nicht selten tief sitzende Vorurteile und Ängste. Sie bremsen geradezu einen Gemeindeaufbau in neutestamentlicher Perspektive. Darum sagen wir Ja zum Handeln des Heiligen Geistes unter uns, weil er uns Christus bringt. Sich vor dem Heiligen Geist zu ›schützen‹, ist genauso unnötig, wie sich vor Christus und seiner Gnade schützen zu wollen. Diese Grundprinzipien finden ihre Konkretionen in den durch die Vision beschriebenen Elementen des Gemeindelebens.12 Dazu gehören u. a. eine 12

Zur Vision gehören auch sieben »Erklärungssätze« oder »Thesen zum Gemeindeaufbau« (von 1996). Diese Erklärungssätze wurden zwar so gut wie nie zitiert, sie waren aber enorm hilfreich für das Finden in der Vision und für die Entfaltung der Stärke der Vision. Deshalb sollen sie hier aufgeführt werden: 1. Kein Gemeindeaufbau, keine wachsende, lebendige Gemeinde ohne Einheit! Einheit muss in mehr bestehen als in der Tatsache gleicher Gemeindezugehörigkeit. Einheit, die geistlich Kraft freisetzen soll, muss eine »Einheit der Herzen« sein, die in herzlicher Liebe um Christi willen einander zugetan sind. Alle beurteilende Distanz weicht der liebevollen Annahme. Wer Christus im Herzen hat, muss immer auch die Geschwister im Herzen haben. Diese Einheit bedeutet nicht Uniformität, sondern Vertrauen. Sie wird u. a. gestärkt durch gemeinsame Lehre, ein gemeinsames Selbstverständnis, gemeinsame Ziele usw. Diese Einheit gelingt nicht ohne den Verzicht auf Machtpositionen und das ›Recht-habenWollen‹.

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lebendige Gebetsarbeit vor dem Gottesdienst, gelebte Geschwisterschaft in gereinigten Beziehungen und liebevoller Unterordnung untereinander, eine ›evangelistische Atmosphäre‹ in der Gemeinde, die sich nicht nur in Projekten, sondern in ihrem Leben zeigt, eine Stärkung des Lobpreises in Besonnenheit und Begeisterung, eine bewusste Zuwendung und Liebe zu den Gästen, eine effektive Leitungs- und Sitzungsarbeit, ein gelebtes Vertrauen in die geistliche 2. Kein Gemeindeaufbau ohne Heiligung! Heiligung ›passiert‹ nicht einfach, sie will gewollt werden. So sehr geistliche Aufbrüche nicht ›gemacht‹ werden können, so sehr ist Heiligung die geistlich normale und angemessene Erwartungshaltung derer, die auf Gottes Aufbrüche zuleben. Das Wort Gottes und die Erfahrung belegen das vielfältig. Ein Bereich der Heiligung ist der Bereich der Beziehungen und des Umgangs miteinander. Hier gilt, dass die Wahrheit nicht ohne die Liebe bleiben kann. Der Anspruch Gottes auf ein auf ihn hin gelebtes Leben betrifft darüber hinaus aber alle Bereiche des menschlichen Lebens. 3. Kein Gemeindeaufbau ohne den Abbau von alten (Vor-)Urteilen und Verweigerungen! Neuanfänge in der Gemeinde können nicht von Bestand sein, wenn sie die Herzen selbst nicht erreichen. Alte Verletzungen, alte Vorurteile, alte Verweigerungen, alte Festlegungen, alte Eide und Ängste gilt es, neu der Liebe und Weisheit Gottes auszusetzen. Wir sagen Nein zur Pflege alter ›Feind‹-Bilder und unguten ›Koalitionsverpflichtungen‹. Statt dessen sagen wir Ja zu einem durch Liebe und Vertrauen befreiten Umgang miteinander. 4. Kein Gemeindeaufbau ohne Verbindlichkeit! Verbindlichkeit wird oft der Enge verdächtigt, Individualismus als Freiheit gepriesen. Es gilt neu zu erkennen, dass es einen Zusammenhang zwischen unserer Christus- und unserer Gemeindeverbindlichkeit gibt. Diese äußert sich u. a. in der Teilnahme am Gemeindeleben, in der Fürbitte für sie, im Mitdenken und -arbeiten sowie in der finanziellen Unterstützung derselben. Ebenso im Suchen und Bejahen der gemeinsamen Lehre und Erfahrungen mit Christus. Das Ziel der Verbindlichkeit ist nicht das Verpflichtet-Sein, sondern die Hingabe in Liebe. 5. Kein Gemeindeaufbau ohne klare Ziele! Nachfolge ist immer ›zielgerichtet‹, nämlich immer auf die Zusagen und die Zukunft Gottes zugehend. Geistliche Ziellosigkeit führt schnell zu Aktivismus und letztlich zur Erstarrung in Traditionen. Ziele müssen sich messen lassen am Wort Gottes. Wer setzt nun diese Ziele? Der Glaube tut es, der sich mehr an Gott als an den eigenen Möglichkeiten orientiert. Wir sagen Nein zur Macht der Verhältnisse im Bekenntnis zum auferstandenen Christus. Neben qualitativen Zielen kann es auch quantitative Ziele geben. Für unsere Gemeinde in Lankwitz benennen wir als konkretes Ziel in 5 Jahren die Zahl von 150 Gottesdienstbesuchern. 6. Kein Gemeindeaufbau ohne klare, geistliche Leiterschaft! In Entscheidungsfragen bewegt sich Gemeinde immer zwischen zwei Polen: dem Herbeiführen und der reinen Abhängigkeit von Mehrheiten (prinzipielle Demokratie) auf der einen Seite und dem einsamen Entscheiden eines wie auch immer dazu Bevollmächtigten (Diktatur) auf der anderen Seite. Das Gegenmodell dazu heißt ›geistliche Leiterschaft‹, die unabdingbar auf Berufungen und Befähigungen Gottes angewiesen ist. Es geht also nicht um die Herrschaft eines ›Gemeindeadels‹, sondern um den Dienst der Leitung, der sich in Zielsetzung und Umsetzung auf Gottes helfendes und segnendes Handeln angewiesen weiß und der vom Vertrauen der Geschwister getragen wird, die dieses Leitungsmodell bejahen. 7. Kein Gemeindeaufbau ohne Entschlossenheit! Die Einnahme des verheißenen Landes bedeutete für Israel ganze Hingabe an dieses Ziel. Auf Gottes Zukunft zuzugehen ist nicht eine

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Leiterschaft, eine Koordinierung des großen Ideen- und Mitarbeiterpotenzials, eine intensive Anleitung und Begleitung von Mitarbeitern und einiges mehr. Neben diesen qualitativen Eckdaten beschrieb die erste Vision auch zwei quantitative Ziele: Vor dem Gottesdienst kommen ca. 30 Personen im Gottesdienstraum zum Gebet zusammen, und der Gottesdienstbesuch soll von ca. 100 auf 150 Besucher steigen. Alle diese Elemente der ersten Gemeindevision, inklusive der quantitativen Ziele, hatten sich nach fünf Jahren erfüllt. Das Überraschende: Sie entwickelten sich nicht durch ein starkes leiterisches Vorwärtsdrängen, sondern durch angeleitete Veränderungen in nahezu ›homöopathischen‹ Dosen ohne jede Eile und jeden Druck. Sie entfalteten sich ausschließlich aus dem Reagieren auf die konkrete gemeindliche Situation heraus. Seit dem Jahre 2000 betete der Ältestenkreis intensiv um eine sog. ›Anschlussvision‹, die zielführend für den Zeitraum ab Sommer 2001 sein soll. Wieder war unsere Erfahrung: Der Herr redet, weil er sein Reich bauen will. Auch diese Anschlussvision haben wir als Ältestenkreis empfangen und rezipiert. Im Zeitraum der nächsten 15 Jahre (bis 2016) sollen drei Arbeitsbereiche der Gemeinde auf- und ausgebaut werden: 1. Einer der Schwerpunkte wird die Arbeit mit Kindern und Teenagern sein. Nach statistischen Angaben entscheiden sich etwa 80% aller Christen im Alter von 4 bis 14 Jahren für die Nachfolge Jesu. Wir empfinden, dass der Herr uns eine offene Tür zu dieser Altersgruppe gegeben hat. Kristallisationspunkt dieses Arbeitsbereiches, den wir »Aufwind« genannt haben, ist ein Schülerhort. 2. Gott lenkt unseren Blick verstärkt in unseren Stadtteil hinein. Wir spüren, wie es Gott auf seinem Herzen hat, den Menschen in unserem Stadtteil zu dienen, indem sie seine Kraft erleben können. Das kann durch unterschiedliche Kanäle geschehen, z. B. durch Beratung, durch Seelsorge, durch Hilfe zur Integration in die Gesellschaft u. ä. Wir nennen diesen Arbeitsbereich deshalb »Kraftwerk« als einen Ort, an dem sich Gott offenbart und Menschen heilt und befreit. Kristallisationspunkt dieser Arbeit wird eine Arztpraxis sein. Frage des prinzipiellen ›Dafür-Seins‹, sondern will mit ganzer Entschlossenheit gelebt werden. Diese Entschlossenheit bedeutet eine Abkehr von irgendwelchen lang gepflegten Nebenschauplätzen interner Auseinandersetzungen. Leben für Christus, »mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele, mit allen Kräften und mit ganzem Verstand«, heißt die Aufgabe der Gemeinde Jesu. Und Leben in Christus, im Frieden Gottes und in der Kraft des Heiligen Geistes, ist die Verheißung, die sich eben darin erfüllt.

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3. Wir werden verstärkt den Armen dienen. Hier haben wir bis jetzt noch keine Konkretionen über diese Zusage hinaus. Die Anschlussvision enthält wieder zwei quantitative Ziele: Die Gemeinde selbst wird auf 390–450 Glieder anwachsen und eine Tochtergemeinde mit 100–150 Gliedern innerhalb der 15 Jahre gründen. Schließlich gibt uns die Anschlussvision vier Wesensbeschreibungen der Arbeit an die Hand: Multiplikation (Austeilen des Segens, Anleitung der Mitarbeiterschaft), Dienen als eine Grundhaltung der gemeindlichen Arbeit, prophetischer Dienst und Gebetsdienst, die beide über die eigenen Gemeindegrenzen hinaus weisen. Zur Zeit befinden wir uns mitten im Werden dieser Vision. Auf einige Einzelheiten wird später noch eingegangen werden. An dieser Stelle soll zunächst im Sinne einer Reflexion das bisher Gesagte noch einmal gebündelt werden. Diese Reflexion kann helfen, über alle berichteten Einzelheiten hinaus tiefer liegende Einsichten und Entscheidungen zu markieren und zu verdeutlichen, welche Grundhaltung in Bezug auf die Leiterschaft der Herr in uns über die Zeit hinweg hat reifen lassen. 3.1.2 Leiterische Grundhaltungen Freisetzung von Leitern Leiten heißt den richtigen Weg gehen, ihn andere lehren und sie zum Mitgehen gewinnen.13 Mit diesen Worten lässt sich kurz und klar umreißen, was den Dienst der Leitung ausmacht. Dieser Dienst beginnt nicht bei der Anleitung anderer, sondern er beginnt bei und mit der Persönlichkeit des Leiters. Er muss die Wege mit Christus gehen, die er andere führen will. Darum setzt die Aufgabe der Gemeindeleitung nicht bei Einzelfragen und Einzelzielen an, sondern bei dem Aufbau und der Freisetzung der Leiter14 . Nicht die Vision an sich ist das schlechthin Entscheidende, sondern

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In unseren Predigten ist es mittlerweile fast zu einer stehenden Redewendung geworden, die Gemeinde zu fragen: »Kann ich dich/euch gewinnen, bei diesem oder jenem mitzugehen . . . ?« Nach unserer Sicht sind für einen Leiter folgende Einsichten und Haltungen unablässig: 1. Er muss wissen, wer er in Christus ist. Er muss verstanden haben, in welchen Stand und welche Autorität ihn die Gotteskindschaft erhoben hat. Er lebt in der Gnade als ein versöhnter Sünder, den Gott berufen hat zum Aufbau seines Reiches. 2. Darum ist auch die Liebe zum Reich Gottes seine Leidenschaft. Sein Blick geht über den Horizont seiner Gruppe oder Gemeinde hinaus und er liebt die Vorstellung, wie Menschen in ihrer ganzen Existenz verändert werden, wenn sie unter die Herrschaft Jesu Christi kommen.

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die Geschwister, die sie tragen. Wenn man auf den Weg unserer Gemeinde seit 1996 zurückblickt, dann fällt auf, die nachhaltigsten Veränderungen in den ersten Jahren ereigneten sich innerhalb der Leiterschaft selbst – im Heranreifen einer festen, entschlossenen, Christus hingegebenen, zueinander stehenden und die Gemeinde von Herzen liebenden Ältestenschaft. Am prägendsten auf diesem Weg waren neben vielen Gesprächen, neben der Lehre in den Sitzungen des Ältestenkreises, neben den zu meisternden Herausforderungen vor allem das gemeinsame Ringen im Gebet und das Lernen, offen voreinander und vor Christus zu stehen und einander segnend zu begleiten. Immer wieder muss hervorgehoben werden: Ohne den Prozess der Veränderung und Vertiefung unseres Gebetslebens Wäre die Entwicklung der Gemeinde völlig anders verlaufen. In diesem Prozess hat unsere Zuversicht stark gewonnen, dass der Herr auch tatsächlich handeln wird, wenn wir ihn bitten. Und besonders dann, wenn wir ihn in der Einheit als Älteste bitten. Grundprinzipien und Grundwerte der Gemeindeleitung Welches sind die grundlegenden Prinzipien und Werte in unserer Leiterschaft? Prinzipien nennen wir dabei die Arbeitsgrundlagen, über die wir uns im Ältestenkreis einig sind. Diese Prinzipien sind kein Produkt tiefsinniger Überlegungen am grünen Tisch, sondern sind geboren aus der Praxis und aufgestellt für die Praxis. Folgende fünf Prinzipien tragen elementar unsere Arbeitsweise: 1. Wir wollen leiten. Wir sagen ausdrücklich Ja zu unserer Berufung. Wir sind der tiefen Überzeugung, dass Leiter der Gemeinde dann am besten dienen, wenn sie auch leiten und Einfluss ausüben wollen, um sie von A nach B zu bringen. Das hat freilich seinen Preis, nämlich das Bedürfnis nach Harmonie zurückzustellen und den Versuchungen zu widerstehen, 3. Im Herzen eines Leiters werden die entscheidenden Schlachten geschlagen. Leiter sind Menschen des Gebets, die wissen, dass die Siege über ihre Schwachheiten und die der Gemeinde in Fürbitte und Gebetskampf errungen werden. Leben die Leiter ein heiliges Leben, so wird ihre Gemeinde an diesem Segen Anteil haben. Führen die Leiter ein Leben der Umkehr, dann wird auch die Gemeinde Erneuerung erleben. 4. Leiter kennen das Gefühl der Einsamkeit. Sie gehören ganz in die Gemeinde und stehen doch mit ihrer ganzen Existenz auf Gottes Seite. Das führt nicht selten in eine gefühlte Einsamkeit. Deshalb ist die Einheit der Leiter untereinander so entscheidend – das feste Band der Liebe, das sie verbindet. 5. Und schließlich zeichnen sich Leiter dadurch aus, dass sie leiten wollen. Sie wollen im positiven Sinne regieren. Das ist ihr Dienst am Leib Christi. Um u. a. auch Leiter zu formen und freizusetzen, haben wir die Vision Einzelnen in ihren Bereichen anvertraut, so geschehen z. B. im Bereich »Aufwind«, »Kraftwerk« und der Jugendund Teenagerarbeit.

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falsche Kompromisse einzugehen, um es allen recht zu machen und niemanden zu verletzen. Das impliziert des Weiteren die Bereitschaft, Erkanntes umzusetzen und nicht nur darüber zu lehren. Deshalb haben wir beispielsweise begonnen, öffentlich im Gottesdienst für Kranke zu beten, weil wir im Gebet für die Kranken einen klaren Auftrag Gottes für die Gemeinde sehen. Und nicht, weil wir schon so viele Erfahrungen im kleineren Rahmen damit gemacht hätten. In ähnlicher Weise haben wir begonnen, uns dem Befreiungsdienst in der Seelsorge zu stellen oder alle Geschwister, die auswärts Dienste übernehmen, zu segnen oder Erfahrungsberichte in den Gottesdiensten zu ermöglichen oder im Lobpreis uns für prophetische Bilder zu öffnen oder durch Aufrufe im Gottesdienst Reaktionen der Besucher den Weg zu ebnen. 2. Wir wollen Leiterschaft anerkennen und Unterordnung untereinander praktizieren. Wir fühlen immer mehr Liebe zu Gottes Vorstellungen von der Ältestenschaft, von der Gemeinde und vom Reich Gottes. Als Älteste sind wir in tiefer Weise miteinander verbunden und wissen voneinander, dass es uns nicht um Einfluss auf oder Macht in der Gemeinde geht. Diese Verbundenheit macht uns kritikfähiger, weil keiner Angst hat, von anderen bloßgestellt zu werden. 3. Alle Leitung geschieht durch den Heiligen Geist. Im Prozess der zurückliegenden Jahre haben wir entdeckt, wie sehr sich Leiterschaft auf die Ausschöpfung menschlicher Einsichten und Fähigkeiten beschränkt, wenn nicht der Heilige Geist den »Blick in das Herz Gottes« ermöglicht. Es ist klar, dass man das nicht ›machen‹ kann. Aber, obwohl es unverfügbar ist, kann man es dennoch suchen. Und das tun wir nach wie vor. Wir lieben es, uns in die Arme Gottes fallen zu lassen. Auch das war und ist ein Lernprozess. Dabei haben wir verinnerlicht, dass wir die Gemeinde nicht kontrollieren. Wir leiten sie nur in die Gegenwart Gottes. Und Gott hat ein großes Interesse daran, seine Gemeinde selbst zu leiten. Eine unserer wichtigsten leiterischen Erkenntnisse ist es, dabei Gott nicht im Weg zu stehen. Und wie tut er das? Er leitet sie, indem er in den Zeiten des Lobpreises und der Anbetung unser Herz faktisch verändert. Er tut es, indem er uns lehrt, auf seine Impulse zu achten. 4. Wichtige Entscheidungen treffen wir in Einheit, d. h. einstimmig. Wir glauben, die Leitung des Heiligen Geistes zeigt sich darin, dass er unsere unterschiedlichen Persönlichkeiten eins macht. Das erspart uns natür-

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lich nicht die Verpflichtung, einander zu gewinnen. Dieses Prinzip der Einheit ist uns ein enorm hohes Gut, denn unsere Entschlossenheit hat sich schon oft als Weg zu leiterischer Vollmacht bewährt. Dabei gilt auch: So wie der Ältestenkreis die Gemeinde anleitet und nicht über sie herrscht, so leitet der Pastor seinerseits den Ältestenkreis an. Und 5. Wir wollen wachsen. Unsere Arbeit soll sich daran messen lassen können, ob sie effektiv ist und das Reich Gottes vorantreibt. Auf diesen Prinzipien basiert unsere Arbeit. Darüber hinaus wird sie durch etliche Werte geprägt. Diese Werte haben zwar nicht dieselbe grundlegende Bedeutung, sie beschreiben aber die Überzeugungen, aus denen wir ableiten, wie unser gemeindliches Leben gelingen kann. Werte unserer Arbeit sind z. B.: Unser Maß ist nicht unser Denken über Gott, sondern sein Denken über uns. Es ist uns wichtig, dass Jesus Christus der Herr auch über unsere Theologie ist. Oder: Wir predigen schwerpunktmäßig eine heile Beziehung zu Christus. Es ist unsere Überzeugung und Erfahrung, dass alle Ethik und gesellschaftliche Relevanz der Nachfolge aus einer heilen Christusbeziehung fließt. Oder: Wir wollen in unserem Stadtteil nicht ›Kirche‹ repräsentieren, wir wollen das Reich Gottes zu den Menschen bringen. Dabei ist uns entscheidend wichtig, dem Herrn unter uns Raum zu geben, das zu tun, was er will. 3.2 Konkretionen Mit einem gerafften Blick auf die Konkretionen des Dargestellten in den einzelnen Feldern unserer Gemeindearbeit soll der Bericht abgerundet werden. Dieses Kapitel kann deshalb auf eine Gesamtdarstellung verzichten, weil vieles bereits in den vorangehenden Ausführungen zur Sprache gekommen ist. 3.2.1 Gottesdienstgestaltung Bis 1998 hatte der Lobpreis nur alle zwei Wochen nach der Predigt im Gottesdienst seinen Platz. Er sollte bis dahin in der Regel nicht mehr als drei Lieder umfassen. Es gab immer noch Stimmen, die bewusst darauf achteten, dass sich im Gottesdienst eine Vielfalt der Stile ausdrücken kann. Bis dahin wurde mehrfach in Predigten und Bibelabenden über die Bedeutung des Lobpreises gelehrt. Die leiterische Behutsamkeit, mit der Veränderungen eingeführt wurden, zeigt sich hier geradezu exemplarisch. Erst ab 1998 war der Lobpreis (größtenteils nach der Predigt) Bestandteil eines jeden Gottesdienstes. Mit diesem Schritt wurden die 14-täglich am Samstagabend stattfindenden Lobpreisgottesdienste eingestellt. Über die Jahre hinweg erhielt der Gottesdienst sein zu Beginn

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beschriebenes typisches Gesicht. Es fehlt hier der Raum, die einzelnen Schritte nachzuzeichnen. Es soll genügen, an dieser Stelle auf die Entwicklung der Abendgottesdienste hinzuweisen. Diese haben wir zu einer Zeit eingeführt, als der Morgengottesdienst von ca. 130 Erwachsenen und 35 Kindern besucht wurde. Schon damals empfanden wir, mit diesem Angebot eine Entlastung der räumlichen Kapazitäten zu ermöglichen. Gleichzeitig sollte den Kindermitarbeitern die Gelegenheit gegeben werden, abends an einem Gottesdienst und somit am geistlichen Weg der Gemeinde teilnehmen zu können. Die Abendgottesdienste wiederholten inhaltlich den Morgengottesdienst in angepasster Form. Ein weiterer Grund dafür war die Befürchtung, durch zwei völlig verschiedene Gottesdienste auf lange Sicht zwei Gemeinden in einem Haus entstehen zu lassen. Beides, sowohl die Erwartungen als auch die Befürchtung, traf nicht ein. Der durchschnittliche Besuch lag abends nur bei etwa zehn Personen. Mitten in die Überlegungen hinein, die Abendgottesdienste wieder einzustellen, kam es vor zwei Jahren aus dem Gebet vor diesem Gottesdienst heraus zu einer spontanen Veränderung des gesamten Ablaufes mit einer Schwerpunktsetzung bei Lobpreis und Anbetung und der Möglichkeit, auf Impulse des Heiligen Geistes zu reagieren. Seitdem hat sich die Zahl der Besucher teilweise vervierfacht. 3.2.2 Sozial-diakonische Arbeit – die ›andere Evangelisation‹ des Stadtteils Die erste Gemeindevision war ausgezeichnet durch ihren sammelnden und heilenden Charakter. Hier führt die Anschlussvision einen wichtigen Schritt weiter: Sie sendet die Gemeinde in den Stadtteil hinein zu den Menschen und ihren ganz konkreten Bedürfnissen und Nöten. Der Gedanke des Reiches Gottes, das in ganz profanen Bezügen in Berlin-Lankwitz Gestalt annimmt, entfaltet in der Gemeinde seine faszinierende Kraft und hat unser Denken geweitet. Wir wollen Fürsorge statt Gleichgültigkeit leben. Und selbst wenn unsere Mühen nicht unmittelbar zu Bekehrungen und zu einem Gemeindewachstum führen würden, wäre es dennoch richtig, gerechte und heile Strukturen in unserem Umfeld zu schaffen, weil das dem Wesen Gottes entspricht. Um den ersten Visionsschritt, den Schülerhort, zu realisieren, haben wir eine Interessengruppe in der Gemeinde gebildet, aus der heraus sich der Verein »Aufwind e. V.« gegründet hat. Dieser Verein wird von der Gemeinde massiv und direkt unterstützt. Über ihn sind sowohl die Leiterinnen der »Aufwind«-Arbeit als auch ein Jugendreferent angestellt. Wir erleben, dass die Vision uns eine Tür zu den Kindern um ihrer selbst willen aufgestoßen hat. Wir wollen den Kindern dienen und sie nicht als Mittel gebrauchen, ihre Eltern zu ›erreichen‹. Zu dem ganzen ersten Visionsschritt »Aufwind« zählt heute das

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»Kids-Café« (dienstags), eine Pfadfinderarbeit (Royal Ranger), eine TeenieTanzgruppe (»Kick Point Change«), regelmäßige Freizeiten und Ferienworkshops für Kinder sowie ein Team, das Kontakte zu den umliegenden Schulen aufbaut und dort evangelistische Einsätze leitet. Der zweite Visionsschritt, das »Kraftwerk«, ist gerade in der Phase der Entwicklung. Wir wissen, es geht um mehr als nur eine Arztpraxis. Sie wird allerdings ein ›Andockpunkt‹ sein, um Menschen in das Kraftfeld Gottes zu begleiten. Der dritte Visionsschritt ist zur Zeit noch am wenigsten konkretisiert, auch wenn das Dienstags-Café Bedürftigen Raum gibt und derzeit ein Alkoholiker-Hauskreis im Entstehen ist. 3.2.3 Seelsorge in und durch die Gemeinde Neben den Gottesdiensten kommen die meisten Menschen über seelsorgerliche Kontakte neu in unsere Gemeinde. In den letzten Jahren hat sich der Akzent der Seelsorge verschoben. Der psychologisch orientierte Ansatz »Als Christ bin ich dir nahe!« macht sukzessive dem Ansatz Platz: »Gott kommt dir nahe!« Wir erlebten eine Veränderung unseres Blickes: Nicht der seelsorgerliche Rat ist das Entscheidende, was wir geben können, sondern wir begleiten Menschen in die Nähe Christi und erleben, wie er den Verwundeten und Enttäuschten dient. Einen enormen Schub in diese Richtung brachte das Hineingehen oder besser Hineingeführtwerden in den Befreiungsdienst, der größtenteils mit innerer Heilung verbunden ist. Die Seelsorge wird von Gemeindegliedern und -fremden gesucht und auch im Sinne biblischer Ermahnung genutzt. Wir warten – soweit es möglich ist – nicht so lange, bis die Menschen Probleme mit ihrer Not haben, sondern wir als Älteste und Seelsorger haben Not mit ihren Problemen. 3.2.4 Kleingruppenarbeit im Umbruch Obwohl wir viele (zur Zeit 13) Hauskreise in der Gemeinde haben, sind sie eines der größten Arbeitsfelder der Zukunft. In den letzten Jahren war einer der Ältesten mit der Hauskreiskoordination betraut. Er lud die Hauskreisleiter zweimal im Jahr zu gemeinsamen Treffen ein. Sie sollten dabei einander ermutigen und stärken können und Impulse für ihren Dienst erhalten. Zu diesen Treffen kamen in der Regel maximal die Hälfte aller Hauskreisleiter. Das zeigt, wie wenig unter ihnen noch das Bewusstsein, Leiter unter Leitern zu sein, ausgeprägt ist. Damit bedingt sich wechselseitig, dass auf der Hauskreisebene selbst die Akzeptanz der Leiterschaft noch nicht durchgedrungen zu sein scheint. Über weite Strecken haben die Hauskreise den Charakter

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eines ›Familientreffens‹. Die Beziehungsebene steht eindeutig im Vordergrund. Zweifellos ist die Beziehungsebene in einer Gemeinde als eine Entlastung von aller verantwortlichen Mitarbeit unbedingt nötig. Familiäres Fühlen, Freude und Glück dürfen nicht nur gepredigt werden, sie müssen auch erfahren werden. Gleichwohl macht diese Einseitigkeit die Hauskreise nur indirekt für den Gemeindeaufbau nutzbar. Sie sind leider noch keine missionarische ›Waffe‹ in unserer Hand. Obwohl wir in Predigten und in Informationsabenden vor den Gliederaufnahmen oft über die Bedeutung der Hauskreise sprechen und Geschwister ermutigen, sich in Hauskreise integrieren zu lassen, wird das offensichtlich nur wenig angenommen. Hauskreise scheinen eher als eine ›bedarfsorientierte Freiwilligkeitsaktion‹ verstanden zu werden. Nur knapp die Hälfte der Glieder unserer Gemeinde gehören zur Zeit einem Hauskreis an. Bei einer weiter wachsenden Gemeinde kann das nicht mehr in die Beliebigkeit gestellt sein. Es ist deutlich: Hier gilt es ein immenses Arbeitspensum zu bewältigen. Im Zuge der Umstrukturierung der Ältestenkreisarbeit und ihrer Aufteilung in eine Betergruppe (»Mose-Team«) und eine Anleitergruppe (»Josua-Team«)15 wurden zwei Älteste mit der Koordination der Hauskreise und der Anleitung ihrer Leiter beauftragt. Hier geschieht viel, wenngleich die Arbeitsmenge noch die Breitenwirkung und Nachhaltigkeit dieser Arbeit dämpft.

4 Die Perspektive der Gemeinde Viel ist geworden, und viel ist in Bewegung. Es ist der Herr, der uns seine Wege geführt hat und ohne Zweifel auch weiter führen wird. Dafür gebührt ihm die Ehre. Bei allem, was anzupacken, zu gestalten, zu fördern und anzuleiten bleibt, ist es der Motor und die Sehnsucht der Gemeinde, zu sehen, wie das Reich Gottes in unserem Wohn- und Arbeitsumfeld Gestalt gewinnt. Wir sind voller Hoffnung und Zuversicht, dass der Herr uns genau das schenken wird, was er uns in der Vision verheißen hat. Er ist es, der die Menschen in BerlinLankwitz liebt. Er ruft die Verlorenen ins Leben. Er heilt die Enttäuschten und die Kranken. Er begegnet den Einsamen. Er befreit die durch Süchte und Bitterkeit Gebundenen. Er stellt zerstörte Beziehungen wieder her. Er gibt Kindern und Teenagern eine Zukunftsperspektive. Er schafft Recht dem Ausgegrenzten. Er tut es durch seine Gemeinde. Er tut es durch uns. Das ist in der Tat faszinierend. Und dafür wollen wir buchstäblich Raum schaffen, damit all das geschehen kann. Wir haben einen fantastischen Gott! Deshalb zieht es uns immer neu in die Anbetung. 15

Vgl. Fußnote 8.

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Sozialdiakonische Arbeit im Kontext geistlicher Gemeindeerneuerung. Geschichte und Auftrag der Suchtkrankenhilfe »come back« in Zittau Frank und Irmgard Ufer1

Der Ausgangspunkt der Entstehungsgeschichte dieser Arbeit liegt in den siebziger, achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Eine alleinstehende gläubige Frau im Alter von Anfang fünfzig kümmerte sich um bedürftige und suchtkranke Menschen und hatte für diese ein offenes Haus. Sie war Mitglied der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft zur Abwehr der Suchtgefahren (AGAS) in der DDR und traf sich bereits in den 70er Jahren regelmäßig mit anderen Frauen aus unterschiedlichen Kirchgemeinden in einem Gebetskreis. Sie beteten für eine geistliche Erneuerung in der Oberlausitz, setzten sich aber auch für einzelne Personen in Krisensituationen ein. Anfang der 80er Jahre kamen dann mehrere ganz unterschiedliche Personengruppen aus dem Gebiet des Zittauer EmK-Gemeindebezirks zusammen: Menschen, die in eigenen tiefen Lebenskrisen aktuell eine persönliche Lebenswende durch Jesus Christus erlebt hatten und nun eine (neue) Gemeinde suchten, in die sie sich einbringen konnten, ein Pastorenehepaar, das wenige Jahre zuvor eine Erweckung und Bestätigung seiner Berufung erlebt hatte und dem die persönliche Erneuerung von Menschen und die geistliche Gemeindeerneuerung am Herzen lag, sowie Personen, die bereits in der EmK Mitglied waren und sich nach Erneuerung und Aufbruch sehnten. Diese Sehnsucht nach persönlicher Veränderung entwickelte sich mehr und mehr in der Gemeinde. Klare Predigten über Umkehr und Buße zeigten rasch Auswirkungen: Menschen fanden zum Glauben an Jesus Christus, bei anderen erneuerte und vertiefte sich ihr Glaubensleben. Relativ regelmäßig wurden dann durch mehrere Geschwister auch die Tagungen der Geistlichen Gemeindeerneuerung in der DDR besucht. In dieser Gesamtsituation war der Ausspruch »Gerettet sein gibt Rettersinn« ein wichtiger Leitgedanke. Es blieb aber nicht nur beim Gedanken, dieser wurde auch praktisch umgesetzt. Daraus entwickelte sich zunächst ein Hauskreis, in dem sich die oben beschriebenen Personen verbindlich trafen,

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An der Erarbeitung dieses Beitrages haben außerdem mitgewirkt: Christian Zimmermann, Helga Klapper und Torsten-Michael Ufer.

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persönlich füreinander da waren, Nöte und Sorgen gemeinsam trugen. Geistliche wie praktische Hilfestellung wurde hier untereinander gelebt. In diesem Hauskreis war genauso Platz für die, die Hilfe suchten und eine persönliche Lebensveränderung für sich wünschten. Und es kamen viele Menschen in aktuellen Lebenskrisen dazu, von denen einige alkoholkrank waren. Interessant ist auch, dass hier Menschen, die sich im normalen Alltag nie in solch persönlicher Form zusammengesetzt hätten, zusammenkamen: Kantor und Suchtkranker, Ärztin und Fabrikarbeiter etc. Gemeindeglieder und weitere Christen und öffneten ihre Häuser und nahmen hilfebedürftige Personen bewusst in die Familiengemeinschaft auf. Aus dieser Zeit stammt folgendes Beispiel: Zu einem Hauskreistreffen zum Gebet für die hilfebedürftigen und suchtkranken Menschen und diese Arbeit kam unerwartet ein Mann, der noch nie vorher dabeigewesen war, sich aber erkennbar in einer persönlich schwerwiegenden Notlage befand. Er musste aufgenommen werden, und es stand die Frage im Raum, wer es tun könnte. Spontan, wenn auch mit Unsicherheit, meldete sich ein Bruder und sagte: »Ich nehme diesen Mann mit nach Hause«. In einer Zeit, in der nicht jeder DDR-Haushalt ein Telefon besaß, blieb ihm nichts anderes übrig, als seine Ehefrau zu Hause mit dieser Entscheidung zu überraschen. Als er zu Hause ankam und seine Frau die Tür öffnete, war sie zunächst verwundert, dass ihr Mann zu später Abendstunde eine fremde Person mitbrachte und dann noch erklärte, dass dieser Mensch in Not ist und jetzt einige Zeit bei ihnen wohnen wird. Nachdem der erste Schreck und die Verwunderung überwunden waren, entwickelte sich daraus eine halbjährige Lebensgemeinschaft. Der aufgenommene spätere Bruder konnte durch diese enge Beziehung und Gemeinschaft in die Gemeinde integriert werden. Er wurde ein Gemeindemitglied, gesundete und fand sogar wieder eine Arbeitsstelle an diesem Ort.

Durch solche Begegnungen und Erlebnisse haben wir erfahren, was heilende Gemeinschaft bedeutet und wie wichtig die Integration in eine Gemeinde ist. Dabei gab es mehrere Lebensformen, wie das konkrete Mitleben in einer Art Großfamilie oder Patenschaften zwischen Gemeindegliedern/-ehepaaren und einzelnen Menschen, die Begleitung und Hilfe brauchten. Da dies inzwischen mehrere Personen betraf, die den Weg in die Gemeinde gefunden hatten, entwickelte sich aus dem Hauskreis heraus im Rahmen der EmK vor Ort der Arbeitskreis für missionarischen Gemeindeaufbau, der sich einmal wöchentlich traf. Der Name drückte die Überzeugung aus, dass Gemeindezuwachs im Wesentlichen durch die Menschen von den »Hecken und Zäunen« (nach Lk 14, 21.23) geschehen würde. Der Arbeitskreis wurde bewusst als »Tor« zur Gemeinde verstanden, denn hierhin kamen Leute, die sonst nicht über eine Kirchenschwelle getreten wären (Atheisten, politische Funktionäre etc.).

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Durch diese Entwicklung kam Bewegung in die gesamte Gemeinde. Die Gemeinde wuchs, vor allem durch Personen, die schon zu DDR-Zeiten in schwierigen Lebenssituationen und sozialen Umfeldbedingungen lebten, und so kam es zu einer starken Fokussierung auf die Bedürfnisse der neu Hinzugekommenen. Für die langjährigen Gemeindeglieder war diese plötzliche starke Veränderung in der Gemeinde und die Vielzahl der neuen Personen nicht nur eine Herausforderung, sondern diese wurde von einigen auch als eine Bedrohung ihres bisherigen Gemeindestiles erlebt. Es gab gegenseitige Berührungsängste und Vorbehalte. Im Rückblick müssen wir uns eingestehen, dass der Aufbau dieser neuen Arbeitsfelder und die Integration neuer Menschen in die Gemeinde zum Teil unsensibel, ja auch rücksichtslos geschah. Es gab von einigen Geschwistern Widerstand gegen Veränderung an sich, insbesondere aber gegen ›Bußpredigten‹. Wirkungen des Heiligen Geistes wurden zum Teil sehr kritisch bewertet, und diese Kritik verfestigte sich bei einigen zu tiefer Verbitterung und Feindseligkeit. Wir, denen der missionarische Gemeindeaufbau damals wie heute (wieder ganz neu) so im Herzen brannte, müssen im Rückblick bekennen, dass wir an unseren Geschwistern durch Lieblosigkeit schuldig geworden sind. Leider wurden auch dadurch Probleme entweder gar nicht wahrgenommen oder übergangen und konnten daher zeitnah nicht gelöst werden. Eine Vermittlung in dieser Gemeindesituation durch Vorstand und Pastor schien damals nicht möglich zu sein. Die Folgen waren nicht nur anhaltende Spannungen, sondern eine deutliche Polarisierung. Dennoch kamen durch das weitere geistliche wie soziale Engagement des Arbeitskreises für missionarischen Gemeindeaufbau in enger Zusammenarbeit mit dem Pastorenehepaar Menschen zum lebendigen Glauben und weitere neue Personen in die Gemeinde. Diese erlebten beides: intensive seelsorgerliche Hilfe und lebenspraktische soziale Hilfen. Menschen wurden frei von Bindungen und erlebten Gesundung ihrer Gesamtpersönlichkeit, die auch Auswirkungen auf ihr gesamtes Lebensumfeld hatten. Gleichzeitig entwickelte sich die Arbeit mit Randständigen, vorwiegend Menschen mit Alkoholproblemen, zu einem eigenen Arbeitszweig. Infolge dieser Entwicklung wurde im Jahr 1986 die Arbeitsgruppe (AG) Sucht in der ostdeutschen Jährlichen Konferenz der EmK gegründet. Diese AG wirkte nicht nur im Bereich des Gemeindebezirkes Zittau, sondern wollte Gemeindebezirke im Gebiet der gesamten Jährlichen Konferenz anregen, ermutigen und unterstützen, Randständige – insbesondere mit Alkoholproblemen – in die Gemeinden einzuladen und zu integrieren, aber auch für

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Suchtprobleme innerhalb der Gemeinden zu sensibilisieren. Sie hielt es nicht für ausreichend, diese Menschen ausschließlich auf die damals bestehenden Gruppen der AGAS zu verweisen. Bei aller geschwisterlicher Beziehung und Würdigung der Arbeit der AGAS, die selbst von sich nicht den Anspruch hatte, Gemeinde zu sein, war es notwendig, dass wir unsere Gemeinden für suchtkranke Menschen öffneten und mit ihnen auch Gemeindeaufbau geschehen konnte. Andererseits war es notwendig, dass sich Gemeinden auch mit der Suchtproblematik auseinandersetzten (u. a. alkoholfreie Gemeindefeiern, alkoholfreies Abendmahl). Die Gründung der Arbeitsgemeinschaft erfolgte sowohl im Konsens mit dem damaligen Bischof der EmK als auch dem Leiter der AGAS. Der Weg bis zur Gründung der AG Sucht der EmK/OJK und auch noch die Jahre danach waren jedoch nicht ohne Widerstand, und es dauerte einige Zeit, bis sich diese Arbeit in unserer Kirche etablieren konnte. Möglicherweise lagen die Widerstände darin begründet, dass viele Mitarbeiter dieser AG auch im Rahmen der charismatischen Bewegung wirkten und dadurch Vorbehalte und Berührungsängste in der Kirche bezogen auf diese AG vorhanden waren. Als Leitvers wählten wir damals für unsere AG das Bibelwort aus Ps 12, 6, der uns bis heute begleitet: »Ich will Hilfe schaffen dem, der sich danach sehnt, spricht der Herr«. Es wird uns immer wieder bewusst, dass dieses Wort alle einschließt, die Hilfe und Veränderung durch die Gnade Gottes und seine Liebe für ihr Leben erhoffen, und das gleichermaßen für den Hilfesuchenden und den Helfer. Hier begegnen wir uns auf gleicher Ebene als Bedürftige, als Gebende und Nehmende. Es war uns wichtig, nicht Almosen zu geben, sondern Leben zu teilen. Wir können bezeugen, dass wir in Zeiten des Lebenteilens selbst beschenkt worden sind. Wir finden uns hier wieder im Anliegen des geistlich-diakonischen Ansatzes von John Wesley. Für uns heißt Diakonie auch: »Miteinander durch den Staub gehen.« Nach der bisher geschilderten Entwicklung kamen auch zunehmend Christen aus anderen Gemeinden zum Teil als neue Glieder in unsere Gemeinde, die ebenfalls Sehnsucht nach persönlicher Erneuerung hatten. Unter ihnen befanden sich auch solche, bei denen für diesen Schritt die charismatische Ausrichtung von Teilen der Gemeinde wie auch die ihnen bekannte seelsorgerliche Kompetenz des damaligen Gemeindepastors die Beweggründe waren. In der Folgezeit rückten einige Gnadengaben immer stärker in den Fokus, und die Begleitung der sozialdiakonischen Arbeit verlor zunehmend bei einigen Geschwistern an geistlicher Bedeutung. Diese und folgende Bewertungen wurden uns erst in der Rückblende so deutlich und fordern uns zur Auseinandersetzung mit dem damals Geschehenen heraus.

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Erwartungen an Heilungsgeschehen und prophetische Offenbarungen wurden immer stärker zum wesentlichen Inhalt von Lobpreisgottesdiensten, und diese hielten einer ehrlichen Prüfung nicht immer stand. Theologische Lehrmeinungen mündeten zum Teil in elitäres Denken und Bewerten. Bei den meisten Hinzukommenden konnte auf Grund ihrer eigenen Glaubenserfahrung und Bibelkenntnis eine Beurteilungskompetenz nicht vorhanden sein. So waren Auswirkungen wie Abhängigkeit von der Autorität des Pastors einerseits und Resignation auf Grund von empfundener Minderwertigkeit oder Unverständnis auf Grund unerfüllter Erwartungen andererseits auch Folgen dieser Entwicklung. Diese Situation verstärkte nicht nur die schon bestehende Polarisierung in der Gemeinde, sondern brachte auch Spannungen gerade innerhalb der Gemeindegruppe, die den Gemeindeaufbau miteinander vorangebracht hatte. In dieser Gruppe kam es zum Teil zu Trennungen oder innerer Emigration. In schmerzlicher Weise müssen wir feststellen, dass auch nach inzwischen fast 20 Jahren immer noch Verletzungen, Irritationen und Verwirrung gegenständlich sind, die damals so nicht wahrgenommen wurden. In diese Situation hinein fand 1988 ein Pastorenwechsel statt. Der neue Pastor versuchte, mit der entstandenen Situation umzugehen, die vorhandenen Unterschiede zu akzeptieren und diesen gerecht zu werden. Mitten in dieser Entwicklung kam die politische Wendezeit, die einschneidende Veränderungen mit sich brachte und neue Möglichkeiten eröffnete. Ein wesentlicher Aspekt war, dass eine jahrelange Vision, für Randständige, Verlorene und Hilfesuchende ein Haus zu haben, um mit ihnen dort zu arbeiten und zu leben, urplötzlich eine reale Verwirklichungschance fand. Auch die Gemeinde fand ein neues Zuhause: Eine leerstehende Zittauer Kirche – die zur Geschichte der Stadt gehörende Hospitalkirche – wurde durch unsere Gemeinde in einem baulich sehr schlechten Zustand von der Stadt übernommen und mit Engagement des Pastors, der Gemeindeglieder und der Baufirmen für die Nutzung als Gotteshaus wiederhergestellt. Im Jahr 1990 gründete sich aus der AG Sucht der EmK/OJK der Verein come back mit der Zielsetzung, suchtkranken und hilfebedürftigen Menschen durch christlich-soziale Angebote eine Lebensveränderung zu ermöglichen. Dies sollte geschehen durch Führung von Wohngemeinschaften, soziale und seelsorgerliche Betreuung mit dem Ziel der Sinnfindung des Lebens und der Neuorientierung der Persönlichkeit. Diese Arbeit erfolgte im Einvernehmen und in der Begleitung der EmK/OJK. Die Erfüllung des Vereinszweckes steht auf der Grundlage des Evangeliums Jesu Christi. Darüber hinaus besteht die AG Sucht im Rahmen der Ostdeutschen Jährlichen Konferenz (OJK) als überregionale Arbeit im Konferenzgebiet un-

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eingeschränkt weiter. Die Integration der Arbeit – sowohl der AG Sucht als auch des come back e. V. – in die Strukturen der OJK war der verbindlichen Mitarbeit des neuen Gemeindepastors und seiner nachdrücklichen Fürsprache wesentlich zu verdanken. Die Gründung des Vereins war wiederum eng damit verbunden, dass Menschen sich für den Aufbau haben rufen lassen, teilweise ihre gesicherten Arbeitsstellen aufgaben, um ganzheitlich den Aufbau des Vereins voranzubringen. Die ersten Mitarbeiter des Vereins folgten ihrer gemeinsamen geistlichen Vision, Menschen Hilfe zu schaffen und ihnen Gemeinschaft anzubieten. Dies wurde bewusst als Auftrag Gottes gesehen, und das Aufgeben zum Beispiel von Berufen wurde als persönlicher Gehorsamsschritt verstanden. Die Arbeit erfolgte zunächst ohne finanzielle Absicherung mit einem hohen persönlichen Risiko und doch gesundem Gottvertrauen. Aus dem Rückblick darf heute gesagt werden, dass uns diese durchgehende Vision, die Gewissheit der Führung Gottes und das Vertrauen zu seiner Treue gerade auch in unserer Unvollkommenheit bis heute getragen und gehalten hat. Wir haben auf diesem Weg seit 1990 große Wunder Gottes konkret erlebt. Aus den kleinen Anfängen des Aufbaues der ersten sozialtherapeutischen Einrichtung für Suchtkranke in Sachsen mit damals 20 Plätzen ist eine Einrichtung entstanden, die heute umfangreiche Versorgungsfelder hat. Diese liegen im stationären Bereich (Sozialtherapeutische Wohnstätte für chronisch mehrfachgeschädigte alkoholkranke Männer mit 85 Plätzen), im ambulanten Bereich (Suchtberatung, Ambulantes Betreutes Wohnen) und im Bereich der Begegnungs- und Förderstätte, wo wir Arbeit, Tagesstruktur und Beschäftigung für bedürftige Menschen anbieten können. In der Darstellung dieser Entwicklung, die sich nicht nur im äußeren Wachstum zeigte, sondern auch in der Hilfe für Menschen, die wirklich Neuorientierung und einen Sinn für ihr Leben fanden, ist festzustellen, dass der Gemeindeprozess und der Prozess von »come back« in ungenügender Weise synchron verlaufen sind. Unterschiedliche geistliche Bewertungen aus der Vergangenheit und deren offen gebliebene Klärung brachten es mit sich, dass die Fokussierung unsererseits zu stark auf die institutionelle Arbeit der Suchtkrankenhilfe ausgerichtet war. Darunter litt die nötige Klärung geistlicher Prozesse in der Gemeinde, und es entstand mehr ein Nebeneinander als ein Miteinander. Rückblickend sehen wir hier eine Fehlentwicklung. Auch benötigt Erneuerung und Sinnfindung des Lebens für Einzelne dem Ziel des Vereins entsprechend eine Heimat, die letztendlich eine institutionelle Suchtkrankenhilfe nicht bieten kann. Diese Heimat bleibt aus unserer Sicht unverrückbar die Gemeinde. In dem klaren Wissen der Unterschiedlichkeit des come back e. V.

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und der Gemeinde ist es unsere Überzeugung, dass beide Teile sich bedingen und einander brauchen. In unserer sozialtherapeutischen Wohnstätte nehmen die Bewohner an den täglichen Morgenandachten teil. Wir bieten ihnen Gottesdienstbesuche, Bibelgespräche und persönlich seelsorgerliche Gespräche an. Seit Bestehen der Wohnheime haben sich immer wieder einige wenige für Christus entschieden. Die Einbindung in die EmK-Gemeinde geschah dagegen kaum, sie fühlten sich hier nicht zuhause. Der überwiegende Teil von ihnen wurde Glied in einer anderen Freikirche in Zittau, zu der sich inzwischen auch neu hinzukommende Mitarbeiter eher hielten, als dass sich diese für einen gemeinsamen Weg mit uns in der EmK entscheiden konnten. Die ungeklärte Gemeindesituation in der EmK Zittau musste Auswirkungen haben. Die schon bestehende Polarisierung in der Gemeinde wurde nochmals verschärft durch innerhalb der Bezirkskonferenz bestehende unterschiedliche Bewertungen des Fehlverhaltens eines Gemeindeglieds und damaligen »come-back«-Mitarbeiters sowie dessen Konsequenzen. Die Zittauer »comeback«- und EmK-Mitglieder kamen zu dem Entschluss, sich von ihren Zittauer Geschwistern auf Zeit zu trennen und mit den Geschwistern der EmK Großschönau (selber Gemeindebezirk) Gottesdienst zu feiern. Sonntag für Sonntag fuhren die Familien mit einigen Bewohnern der Sozialtherapeutischen Wohnstätte mit mehreren Autos nach Großschönau – und das sieben Jahre lang. Diese Gemeindesituation war für neu hinzukommende Mitarbeiter und andere Personen nicht nachvollziehbar. Dieser Zustand wurde immer bedrückender. Wir hatten den Eindruck, dass Gott uns widersteht. Im Bewusstwerden unserer Fehlerhaftigkeit und Unzulänglichkeit der Prozessgestaltung ist uns unsere eigene Hilfsbedürftigkeit erneut deutlich geworden, und es kam zu einer Rückbesinnung auf die Wurzeln unserer Arbeit. Dort hatten wir erfahren und persönlich erlebt, dass durch Buße und Umkehr Erneuerung geschieht, Dienstfähigkeit sich entwickelt, Gemeinde gebaut werden kann, im geistlichen und im sozialen Verständnis, Menschen eine neue Identität finden, gerettet werden und zur Gemeinde hinzukommen. Aus einem Gebetsprozess wurde ein Prozess der Buße, der viele persönlich eingeschlossen hat, einschließlich unseres jetzigen Gemeindepastors. Dieser Prozess mündete in Wege der Versöhnung. Wo stehen wir heute? Seit Mai 2006 haben sich unsere Gemeinden auf einen gemeinsamen Neuanfang verständigt. Wir stehen am Anfang eines Versöhnungs- und eines (wie wir hoffen) gesunden Wachstumsprozesses. Die Hospitalkirche ist gut gefüllt mit jungen und alten Menschen (bis Anfang neunzig), mit »Glaubenden und Suchenden«, Gesunden und Kranken, Zurückhaltenden und aktiv Teilnehmenden. Neue Menschen kommen hinzu,

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zahlenmäßig am meisten Bewohner der Sozialtherapeutischen Wohnstätte für alkoholkranke Menschen. Staunend und dankbar erleben wir seit Jahren des Bestehens des Heimes nun erstmals in einer größeren Anzahl, dass sich Bewohner bekehren, taufen lassen und Glieder der Gemeinde werden. Wir haben erlebt, dass mit der Bereitschaft, uns auf den Weg der Versöhnung zu begeben, fast gleichzeitig der geistliche Aufbruch unter den Bewohnern geschah. Uns ist erneut wichtig geworden, dass Gemeinde ein Ort der gelebten Versöhnung sein muss. Gemeinschaftsformen wachsen, z. B. Hauskreise oder individuelles Bibellesen mit zwei bis drei Personen. Bibelstunde und Gebetskreis für die Gemeinde werden reger und bewusster genutzt, wo Antworten aus der Bibel zu lebenswichtigen und auch in der Vergangenheit unterschiedlich bewerteten Themen wie Gaben des Heiligen Geistes gemeinsam gefunden werden. Das Wort Gottes, seine Gnade und Liebe zu den Menschen, die zur Umkehr und Buße führt, werden treffend verkündigt, seelsorgerliche Begleitung wird angeboten und in Anspruch genommen. Auch wenn es uns schwerfällt, andere an unserem persönlichen Leben teilhaben zu lassen und unsere Häuser zu öffnen, wird uns mehr und mehr deutlich, dass wir Gemeinschaft und Seelsorge brauchen, um unseren Glauben zu leben und unseren Alltag bewältigen zu können. In dieser Form Gemeinschaft zu leben, wird für uns wieder eine ganz neue Herausforderung. Dazu ergänzend soll auch das »Lebenszentrum Gilead« des come back e. V. dienen. Manche geistlichen Dinge ›passieren einfach so‹, z. B. dass ein Neubekehrter, der von Geistesgaben vorher noch nichts wusste, in einem Hauskreis während des Betens ein Bild vor Augen sieht und auch eine Erklärung bekommt. Oder dass sich Bewohner untereinander zum Bibellesen und Beten auf ihren Zimmern treffen. Andere Dinge wie zum Beispiel Lobpreis sind zur Zeit (noch) nicht (wieder) in der Form umgesetzt, wie es sich viele wünschen und erhoffen. Im praktischen wie im geistlichen Bereich liegt viel Arbeit vor uns. Zugleich merken wir, dass unsere Kräfte nur begrenzt sind und wir Geduld miteinander haben müssen. In der Gemeinde brauchen wir einander und denken darüber nach, wie sich jeder einbringen kann und ein breites Verantwortungsbewusstsein gefördert wird. Wir glauben, dass Gott Gemeinde gerade auch durch die Menschen bereichert, die mit körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen leben. Wachstum ist nicht manipulierbar und findet in seiner entscheidenden und wesentlichen Phase im Verborgenen statt. Dennoch sollten wir als Gemeinde weiter über Ziele im Gespräch und Gebet bleiben, damit uns Gott durch seinen Geist zu einer gemeinsamen Gemeindevision führen kann.

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In der hier dargestellten Entwicklung wird deutlich, dass geistliche Gemeindeerneuerung durch die Predigt von Buße, persönliche Veränderung einzelner Suchender und derer von den »Hecken und Zäunen« geschah. Es wurde in seelsorgerlicher Gemeinschaft versucht miteinander zu leben. Der Glaube und die persönliche Erfahrung, von Sünde befreit zu sein, führten zur Zuwendung zum Nächsten. Geistliche Gemeindeerneuerung wurde real. Jedoch gab es auch Fehlentwicklungen, Verletzungen und schmerzliche Trennungen. Ein Aufeinanderzugehen wurde erst wieder nach Jahren möglich, und was lange getrennt war, beginnt nun wieder zusammenzuwachsen. »Typisch methodistisch!«, könnte man meinen, denn wenn wir die Entstehungsgeschichte unserer Kirche anschauen, fallen uns manche Parallelen auf. John Wesley predigte Buße und Umkehr. Menschen, insbesondere einfache Industriearbeiter, fühlten sich von der Botschaft angesprochen, wünschten persönliche Veränderung und Seelsorge, es brauchte passende und verbindliche Gemeinschaftsstrukturen, um den Bedürfnissen der ›Suchenden‹ gerecht zu werden. So entstanden Seelsorgegruppen: die sog. Klassen und Banden. Sie wurden zu einem Ort der verbindlichen und heilenden Gemeinschaft, des Lernens und diakonischen Wirkens. Die von John Wesley gepredigte ›Heiligung‹ ist für ihn die Folge der Rechtfertigung und ein Prozess des tätigen Glaubens (»Glaube, der in der Liebe tätig ist«, Gal 5, 6). Heiligung ist für ihn nicht nur auf das persönliche Glaubensleben des Einzelnen gerichtet, sondern muss Auswirkungen auf den ›Nächsten‹ haben. Gerade aus diesem Grund war es der Leitung des Arbeitskreises für geistliche Gemeindeerneuerung (AGG) der EmK und uns seit Jahren wichtig, einen Workshop beim jährlichen Kongress der AGG anzubieten, der das sozialdiakonische Anliegen bewusst einbringen sollte. John Wesley wendete sich in besonderer Weise den Armen und Benachteiligten zu, er ließ sich von ihrer Not anrühren und fühlte sich für die Beseitigung des Elends verantwortlich, es entstand eine Bewegung hin zu den Armen und Entkirchlichten. Jedoch bereits in den Anfängen gab es Trennungen, und es entstanden Gemeinschaften mit unterschiedlichen Ausrichtungen. Versöhnungen und erneute Zusammenschlüsse kennzeichnen die methodistische Geschichte. Wenn wir nachdenken über Visionen, Ziele und wie geistliche Gemeindeerneuerung gelingen kann, sollten wir unsere Wurzeln und die Erfahrungen unserer ›Glaubensväter‹ nicht aus den Augen verlieren. Diese Rückbesinnung und die Auseinandersetzung mit unserer eigenen ›Geschichte‹ hat uns gestärkt und kann uns ermutigen für die Herausforderungen von heute und morgen. Zusammenfassend möchten wir noch einmal betonen, dass aus unserer Sicht und Erfahrung geistliche Gemeindeerneuerung nur dann nachhaltig

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und stabil zu einem Gemeindewachstum führt und heilende Gemeinschaft Bestand hat, wenn die Integration aller – insbesondere der sozial schwachen und randständigen Menschen, derer von den »Hecken und Zäunen« – als wesentlicher Schwerpunkt gesehen wird.

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Teil V

Dokument

Leitlinien: Die Evangelisch-methodistische Kirche und die charismatische Bewegung1

1 Einführung Seit Anfang der 60er Jahre übte die ökumenisch orientierte charismatische Erneuerungsbewegung einen immer größeren Einfluss auf die großen christlichen Kirchen aus. Davon sind die protestantischen Kirchen wie auch die katholische Kirche in gleicher Weise betroffen. Eine Umfrage des Gallup-Instituts hat ergeben, dass sich ungefähr 18% der Methodisten dieser Bewegung zurechnen. Die Jährliche Konferenz von »Western Pennsylvania« stellte einen Antrag an die 1972 tagende Generalkonferenz der United Methodist Church (Evangelisch-methodistische Kirche), ein Positionspapier über die Beziehung zur charismatischen Bewegung zu erarbeiten. Eine Arbeitsgruppe des »General Board of Discipleship«2 erstellte daraufhin diese »Leitlinien« zur Beratung im »General Board of Discipleship« und an der Generalkonferenz. Die Arbeitsgruppe ging davon aus, dass dieses Positionspapier im Kontext des theologischen Pluralismus, wie er für die Evangelisch-methodistische Kirche charakteristisch ist, ausgedrückt werden sollte. Es sollte die gegenwärtigen, gesellschaftlich bedingten Wünsche nach erfahrbarem Christsein in der Weise zum Ausdruck bringen, wie wir sie redlich vertreten können, und es sollte sich im Rahmen unserer Lehrgrundlagen und der Allgemeinen Regeln befinden, wie sie in den Paragraphen 68–70 der »Discipline« (Kirchenordnung) von 1972 dargestellt sind. Diese Leitlinien wurden von der 1976 tagenden Generalkonferenz angenommen. Das Kapitel »Die Charismatische Bewegung: Ihre historischen Wurzeln und ihr wesleyanischer Rahmen« wurde vom Executiv-Kommittee der Division of Evangelism, Worship and Stewardship und den Herausgebern aus einer Schrift von Dr. Robert G. Tuttle zusammengestellt; es ist nicht offiziel1

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Übersetzt von Armin Besserer und leicht vom Hg. bearbeitet. Der englische Originaltitel lautet: Guidelines. The United Methodist Church and the Charismatic Movement, in gültiger Fassung abgedruckt im Book of Discipline 1996, 696–709. Die englischsprachige Originalfassung nennt an dieser Stelle die Mitglieder der Arbeitsgruppe: Don Cottrill, director of services, Youth Ministry Coordinators; T. Poe Williams, assistant general secretary, Local Church Education Training Enterprises; Maxie Dunnam, editor, The Upper Room; Horace Weaver, executive editor, Adult Publications, und Ross E. Whetstone, assistant general secretary for Evangelism.

ler Natur, sondern vielmehr »der Kirche zum Studium als Hintergrund der Leitlinien empfohlen«.

2 Begrifflichkeit Die mit der charismatischen Bewegung verbundene Begrifflichkeit kann verwirren, weil sie unterschiedlich gebraucht wird. »Pentecostal« (Pfingstler): Der Begriff bezieht sich auf die Bewegung, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts begann und zu Anfang des 20. Jahrhunderts zur Gründung einer ganzen Reihe sogenannter Pfingstkirchen führte. Die klassische Pfingstbewegung betont eine sogenannte Anfangserfahrung (initial evidence), die die Notwendigkeit einer »Taufe im Heiligen Geist« einschließt, die in der Glossolalie bzw. der Zungenrede ihren Ausdruck findet. Die Folgerung, dass jemand deswegen nicht in Zungen spricht, weil der die völlige Hingabe an den Willen und die Absicht Gottes verweigert und sich damit schuldig macht, kann unter Methodisten zu Trennungen führen. Charismatisch: Im allgemeinen Sprachgebrauch wird der Begriff »charismatisch« oft mit Glossolalie bzw. der Zungenrede in Verbindung gebracht. Demgegenüber betonen die meisten Personen innerhalb der charismatischen Bewegung die Wichtigkeit aller Geistesgaben. Sie betonen damit 1 Kor 12, 7: »In einem jeden offenbart sich der Geist zum Nutzen aller«. Viele heben die Gaben der Prophetie, der Heilung und der Zungenrede sowie deren Auslegung besonders hervor aus der Überzeugung, dass diese Gaben in der Kirche vernachlässigt worden sind und deswegen betont werden sollten. Charismatische Bewegung: In diesem Arbeitspapier steht die Bezeichnung »charismatische Bewegung« für die Bewegung, die um 1960 in den großen protestantischen Kirchen sowie in der katholischen Kirche begann und die Wichtigkeit der Geistesgaben für das Leben der Kirche hervorhob. Im biblischen Sprachgebrauch gibt es allerdings keine »nicht-charismatischen Christen«, denn der Begriff charismata (Charismen) deutet auf die Gnadengaben Gottes hin, die er allen Christen gibt, um sie für den Dienst auszurüsten. Wir benutzen den Begriff in diesem Arbeitspapier jedoch entsprechend dem allgemeinen Sprachgebrauch.

3 Leitlinien Wir glauben, dass es die Kirche nötig hat, um Sensibilität zu beten, damit sie die Offenbarungen des Heiligen Geistes in unserer heutigen Welt wahrnimmt und darauf antwortet. Wir lassen dabei nicht außer Acht, dass die Probleme

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der Unterscheidung zwischen dem Echten und dem Vorgetäuschten beträchtlich sind. Diese Problematik darf uns aber nicht lähmen, die Gegenwart des Heiligen Geistes wahrzunehmen. Wir sollten es auch nicht zulassen, dass die Furcht vor dem Unbekannten und Ungewohnten uns verschließt, von der Gnade überrascht zu werden. Wir wissen, dass der Missbrauch mystischer Erfahrungen eine beständige Gefahr ist. Dies stellt aber keinen Grund dar, echte Begegnungen mit dem Geist Gottes von vornherein auszuschließen. Wir bemühen uns um diese Fragen, die uns im Blick auf charismatische Erfahrungen aufgegeben werden, und treten für einen Geist der Offenheit und Liebe ein. Wir richten die Aufmerksamkeit der Kirche auf die Aussagen von 1 Kor 13 und die Erklärungen der Kirchenordnung (Discipline 1972, § 70). Dort heißt es: »Methodisten können von ganzem Herzen das klassisch-ökumenische Leitwort unterstützen: ›Im Wesentlichen Einheit, im Unwesentlichen Freiheit, in allem aber Barmherzigkeit‹ (Liebe, die sich sorgt und um Verstehen bemüht).« Ohne ein aktives, friedfertiges, objektives und liebevolles Verstehen der religiösen Erfahrung anderer, auch wenn diese von unserer unterschieden ist, ist Versöhnung unmöglich. Die Kriterien, nach denen wir die Wertigkeit der religiösen Erfahrung eines anderen beurteilen, müssen mit der Gesinnung und dem Geist unseres Herrn Jesus Christus, wie er im Neuen Testament geoffenbart ist, übereinstimmen. Wenn die Erfahrung mit dem Heiligen Geist auf Spaltung hin ausgerichtet ist und sie Selbstgerechtigkeit, Feindseligkeit, einen übertriebenen Anspruch auf wahre Erkenntnis und Machtgelüste fördert, dann muss diese Erfahrung Gegenstand einer ernsthaften Prüfung sein. Wenn jedoch die Erfahrung deutlich in eine neue Dimension von Glaube und Freude im Christsein führt und zum Segen für andere führt, dann müssen wir daraus schließen, dass das »der Herr getan hat« und wir ihn dafür preisen sollen. Leitlinien für alle 1. Sei denen gegenüber offen und nimm sie an, deren christliche Erfahrung anders ist als deine eigene. 2. Begleite und umschließe alle Diskussionen, Konferenzen, Treffen und Personen mit deinem Gebet. 3. Sei offen für neue Wege, durch die Gott mit seinem Geist zu seiner Kirche sprechen möchte. 4. Trachte nach den Gaben des Geistes, die dein Leben und deinen Dienst bereichern.

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5. Beachte, dass der Missbrauch geistlicher Gaben es nicht rechtfertigt, sie zu verbieten. 6. Denke daran, dass – wie andere neue Bewegungen in der Kirchengeschichte – auch die charismatische Erneuerungsbewegung einen wichtigen Beitrag für die weltweite Kirche Jesu Christi leistet. Leitlinien für Pastoren, die charismatische Erfahrungen gemacht haben 7. Verbinde mit deiner charismatischen Erfahrung eine gründliche Beschäftigung mit dem Wesen und der Tradition der Evangelisch-methodistischen Kirche. Bedenke, dass dein Einfluss in der Gemeinde zum großen Teil durch deine Liebe zustande kommt und den disziplinierten Gebrauch deiner Gaben. Dein Verhalten und deine Verantwortungsbereitschaft als Pastor gegenüber der ganzen Gemeinde spielen eine große Rolle. 8. Trachte nach einer vertieften und beständigen Freundschaft mit deinen Kollegen und Kolleginnen innerhalb und außerhalb der charismatischen Bewegung. 9. Denke an dein Ordinationsgelübde und insbesondere an das Versprechen, »Einigkeit, Friede und Liebe, soweit es an dir liegt, zu bewahren unter allen Christen, und besonders unter denen, die dir in deiner Gemeinde anvertraut sind.« Und denke auch daran, dass du »ehrfürchtig diejenigen achtest, denen Verantwortung für dich aufgetragen ist, und du ihren Ermahnungen bereitwillig und mit Freuden folgst«. 10. Widerstehe der Versuchung, deine persönliche Sicht und Erfahrung anderen aufzuzwingen. Versuche diejenigen zu verstehen, deren geistliche Erfahrungen anders sind als deine. 11. Trachte nach verstärkter Kompetenz im Bereich biblischer Exegese und Systematischer Theologie und mühe dich darum, das Evangelium in seiner Gesamtheit zu predigen (The Book of Discipline 1972, § 304). 12. Bete um die Geistesgaben, die für deinen Dienst wichtig sind, und fahre fort, dein Leben nach den Früchten des Heiligen Geistes zu überprüfen. 13. Bemühe dich darum, deine persönliche Erfahrung auch im sozialdiakonischen Zeugnis auszudrücken.

Leitlinien: Die EmK und die charismatische Bewegung

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Leitlinien für Pastoren, die keine charismatischen Erfahrungen gemacht haben 14. Überprüfe weiterhin dein Verständnis der Lehre und Erfahrung des Heiligen Geistes, damit du dies klar und verständlich weitervermitteln kannst. 15. Denke an die Lehren aus der Kirchengeschichte, wenn Gottes Volk alte Wahrheiten wiederentdeckte: dass dies oft ein beunruhigender Prozess war; dass dies gewöhnlich Umwälzung, Veränderung und zu einem gewissen Grad auch Leiden und Missverständnisse mit sich brachte. 16. Bemühe dich um Information aus erster Hand, was charismatische Erneuerung für solche bedeutet, die sie erlebt haben. Halte dich mit deinem Urteil zurück, bis du aus erster Hand Erkenntnisse gesammelt hast (indem du zum Beispiel an charismatischen Zusammenkünften teilnimmst und Gebetstreffen zu verstehen suchst). Dann reagiere als Christ, als evangelisch-methodistischer Pastor oder Pastorin, als mitfühlende und gewissenhafte Persönlichkeit. Bleibe offen für schriftgemäße Unterweisung hinsichtlich der Geistesgaben. 17. Wenn sich Zungenrede ereignet, versuche zu verstehen, was sie für diese Person und ihr persönliches geistliches Leben bedeutet und welche Bedeutung das Sprachengebet bei der Fürbitte, besonders im gottesdienstlichen Rahmen hat. Wir sollten uns dessen bewusst sein, dass die Zungenrede von vielen Menschen mit charismatischen Erfahrungen als eine der kleineren Gaben des Geistes bezeichnet wird. 18. Versuche auch die Bedeutung der anderen Geistesgaben im Zusammenhang der charismatischen Erfahrung zu verstehen. Das sind zum Beispiel: Worte der Weisheit, Worte der Erkenntnis, die Gaben des Glaubens, der Heilung, der Wunder oder der prophetischen Rede. 19. Methodistische Pastorinnen und Pastoren sollten sich über den Gewinn im Klaren sein, den alle durch den Austausch verschiedener, von der biblischen Botschaft gestützter Erfahrungen haben können. Dementsprechend sollte der Pastor auch alle Gebets- und Gemeinschaftstreffen offen halten für alle Gemeindeglieder, die daran interessiert sind. Leitlinien für Laien, die charismatische Erfahrungen gemacht haben 20. Denke daran, neben deiner Begeisterung auch ein klares Wissen davon zu bekommen, was es bedeutet, zur Evangelisch-methodistischen

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Kirche mit ihrer Ordnung und Leitung zu gehören. Die charismatische Bewegung ist eng verwandt mit der Heiligungsbewegung, die Teil unserer Tradition ist. Besprich dich mit deinem Pastor oder deiner Pastorin, und wenn er/sie deine Erfahrung nicht nachvollziehen kann, so hilf ihm oder ihr zu verstehen, was sie für dich bedeutet. Lade ihn oder sie ein, an eurem Gruppentreffen teilzunehmen. 21. Bete darum, dass der Heilige Geist euch Verständnis füreinander schenkt und euch Einfühlungsvermögen für andere methodistische Geschwister gibt. 22. Strebe nach gesicherter Erkenntnis biblischer Inhalte in Verbindung mit deinen geistlichen Erfahrungen. »Bemühe dich, Wissen und lebendige Frömmigkeit beieinander zu halten« (Wesley). Versuche, deine Erfahrungen mit den theologischen Traditionen unserer Kirche zu verbinden. 23. Vermeide undisziplinierten, undiplomatischen Enthusiasmus bei allem Eifer, andere an deinen Erfahrungen teilhaben zu lassen. Widerstehe der Versuchung, dich als Autorität in Sachen geistliche Erfahrung aufzuspielen. Wenn du dich in deinem Bereich fehlerhaft verhältst, dann ist dies oft der Grund dafür, dass dich methodistische Geschwister geistlichen Hochmuts bezichtigen. 24. Eure Gebetsversammlungen und andere Treffen sollen allen Gliedern der Gemeinde offenstehen. Wenn Nichtcharismatiker anwesend sind, so sprich mit ihnen über die Absicht solcher Treffen und erkläre ihnen die Bedeutung ihres Inhalts. 25. Denke daran, dass es viele Arten christlicher Erfahrungen gibt, die zu geistlichem Wachstum führen. Charismatische Erfahrungen stellen nur eine Form dar. 26. Ergreife die Gelegenheiten, dich persönlich in die Mitarbeit und die missionarischen Aktivitäten deiner Gemeinde einzuordnen. Zeige als Konsequenz deiner charismatischen Erfahrungen, dass du in besonderer Weise in deiner Gemeinde aktiv bist. Unterstütze mit Begeisterung deine Gemeinde, den Pastor oder die Pastorin, die anderen Laienmitarbeiter und Laienmitarbeiterinnen, die Arbeit im Distrikt, in der Jährlichen Konferenz und darüber hinaus. Dies mag durchaus das wirksamste Zeugnis für den Wert und die Echtheit deiner charismatischen Erfahrung sein.

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27. Es ist nicht nötig, alle physischen und verbalen Ausdrucksweisen der Pfingstgruppen zu übernehmen. Diese einzelnen Ausdrucksformen können manchmal sogar Barrieren für dein Zeugnis sein. 28. Versuche, gegenüber deinen charismatischen Erfahrungen auch etwas Abstand zu gewinnen: Kein Zweifel, sie bewirken in dir das Gefühl, dass du dein Christsein jetzt besser lebst. Aber denke daran, dass dies nicht bedeutet, dass du ein besserer Christ bist als andere, sondern eher, dass du vielleicht ein besserer Christ als vorher bist. Leitlinien für Laien, die keine charismatischen Erfahrungen gemacht haben 29. Wir glauben, dass Gott ständig seine Kirche zu erneuern sucht, und das gilt auch für die Evangelisch-methodistische Kirche. Bete darum, dass Gott dir deinen Platz zeigt im Prozess der Erneuerung seiner Kirche. Der Einfluss der charismatischen Bewegung auf unsere Kirche ist nur ein Aspekt der Erneuerung. 30. Wenn einige Mitglieder deiner Gemeinde charismatische Erfahrungen haben sollten, dann nimm diese Personen als Christen an. Wenn ihr Verhalten auferbauend in die Gemeinde hineinwirkt, dann danke Gott. 31. Sei dir der Gefahr bewusst, dass man sich schnell von denen trennt, die andere Erfahrungen gemacht haben als man selbst. Beobachte charismatische Mitchristen in ihren Gebetsversammlungen, in deiner Gemeinde und in den Aufgaben deiner Kirche. Überprüfe die biblischen Aussagen darüber. Bete darüber. Diskutiere deine Fragen mit dem Gemeindepastor bzw. der Gemeindepastorin. Die Evangelisch-methodistische Kirche versteht sich in theologischen Fragen als pluralistisch. 32. Lass dich nicht verunsichern, wenn deine Erfahrungen anders sind als die anderer Christen. Das bedeutet nicht, dass dein Christsein minderwertiger wäre. Die Mitarbeit in der Gemeinde und in ihren missionarischen Aufgaben erfordert viele Gaben (1 Kor 12–14). Jeder Christ ist ein einzigartiges Glied am Leib Christi. 33. Wenn dein Pastor bzw. deine Pastorin charismatisch ist, hilf ihm oder ihr, die geistlichen Bedürfnisse der ganzen Gemeinde zu sehen und für alle Pastor und Lehrer zu sein. Ermutige ihn oder sie, das Evangelium in seiner Gesamtheit zu predigen.

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Leitlinien für Personen in der kirchlichen Verwaltung und Leitung 34. Verweise rücksichtsvoll auf die verschiedenen Abschnitte dieser Leitlinien und vergiss das Gebet nicht. 35. Nimm die pastorale Verantwortung gegenüber ordinierten Pastoren und Gemeinden wahr, insbesondere gegenüber denen, deren geistliche Erfahrungen charismatisch geprägt sind. 36. Leitungspersonen haben besonders darauf zu achten, ob die lehrhaften Aussagen der Pastoren und Pastorinnen zur charismatischen Bewegung und deren praktische Auswirkungen dem Bau der Gemeinde und der Kirche dienen. 37. Treten in einer bestimmten Situation spalterische Tendenzen auf, bemühe dich um eine möglichst sorgfältige Auswertung. Es mögen unter Umständen auch ganz andere Gründe vorhanden sein, die die Gemeinschaft stören. Manchmal leiten uns Spannungen und Konflikte zu mehr Klarheit und zu einem guten Gemeindeaufbau. Deshalb müssen wir uns in allen Belangen weise verhalten und darüber beten. 38. Von kirchlichen Leitungspersonen und Gremien werden klare Aussagen zur charismatischen Bewegung erwartet. Deshalb fordern wir alle auf, sich Informationen aus erster Hand zu beschaffen. Wir müssen zu verstehen suchen, was dies für die beteiligten Personen und Gemeinden und ihren missionarischen Auftrag bedeutet. 39. Sollte ein Pastor oder eine Pastorin bestimmte charismatische Lehren und Praktiken überbetonen, sollten mit ihm oder ihr Gespräche geführt werden, damit das Evangelium in seiner Ganzheit gepredigt und der gesamten Gemeinde gedient wird. Darüber hinaus sollte erreicht werden, dass dieser Pastor oder diese Pastorin unsere Arbeit als Kirche und Konferenz besser verstehen lernt. 40. Jährliche Konferenzen können auch in die Situation kommen, dass eine charismatische Gruppe in einer Gemeinde einen Pastor und/oder eine Gemeindeleitung hat, die der charismatischen Bewegung feindlich oder gleichgültig gegenüber steht. In solchen Fällen haben der »Ständige Ausschuss für das Predigtamt«, der Bischof und die Superintendenten die seelsorgerliche Verantwortung zur Vermittlung und Aussöhnung. 41. Bete weiterhin um Sensibilität für die Erkenntnis des Willens Gottes und um die Leitung durch den Heiligen Geist.

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4 Die Charismatische Bewegung: ihre historischen Grundlagen und wesleyanischer Rahmen3 Im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts konnte man eine einmütige Betonung der Vaterschaft Gottes beobachten, einen radikalen evangelikalen Glauben an die Person Jesu Christi und die charismatische Betonung des Heiligen Geistes. Charismatische Gaben und Erfahrungen des Geistes sind aber nicht neu in der Kirche. In der Geschichte gab es immer wieder Manifestationen der Gaben und Erfahrungen mit dem Geist, in jedem Jahrhundert nach Pfingsten. In unseren Tagen ist das Wirken des Heiligen Geistes offensichtlich. Zunehmend gibt es in der Evangelisch-methodistischen Kirche Heilungsgottesdienste, Teilnahme an Lobpreis- und Gebetsgruppen. Überall im Lande besucht man Heilig-Geist-Konferenzen. Das Interesse ist groß. Man hört Zeugnisse von Bischöfen, Laien, Superintendenten, Seminarlehrern und Pastoren. Dennoch fühlen sich viele charismatische Methodisten isoliert und missverstanden. Viele Nichtcharismatiker fühlen sich bedroht und reagieren mit Abneigung und Feindschaft. Wenn wir unser wesleyanisches Erbe wiederentdecken – das ein wichtiger Beitrag zur charismatischen Bewegung war –, dann kann Versöhnung werden. Azusa Street, wo die amerikanische Pfingstkirche begann, ist für diese Bewegung das, was Aldersgate für den Methodismus ist. Die pfingstliche Lehre von der Geistestaufe wurde abgeleitet von Wesleys Lehre über den zweiten Segen oder vollkommene Heiligung. 4.1 Die historische Grundlage Wer die charismatischen Ursprünge studiert, findet im Methodismus äußerst wichtige Traditionen. Wesleys Theologie der Gnade ist faktisch eine Theologie des Heiligen Geistes. Die Begriffe Gnade und Heiliger Geist sind in allen Schriften Wesleys miteinander verknüpft. Frederick Dale Bruner4 mag etwas übertreiben, wenn er darauf besteht, dass die Pfingstlich/Charismatischen Bewegungen die »Fleischwerdung eines übertriebenen primitiven Methodismus« seien, die Tatsache bleibt, aus dem Methodismus des 18. Jahrhunderts entwickelte sich die Heiligungsbewegung Amerikas im 19. Jahrhundert, 3

4

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Übersetzt von Jürgen Blanke. Der Leser beachte – besonders bei den Zeitangaben und den Anmerkungen zur Lehre anderer Kirchen –, dass das Dokument im Jahr 1976 in den USA verfasst wurde [Anmerkung des Übersetzers]. Frederick Dale Bruner, A Theology of the Holy Spirit: The Pentecostal Experience and the New Testament Witness, Grand Rapids 1970.

welche Vorläufer war zu den pfingstlich-charismatischen Erscheinungen im 20. Jahrhundert. Es war im 18. Jahrhundert das methodistische Streben nach augenblicklicher Erfahrung von Heiligung – das zweite Werk der Gnade, richtig oder falsch verstanden –, das die amerikanische Heiligungsbewegung des 19. Jahrhunderts inspirierte. Erweckungsprediger wie Charles Finney (1792 geboren, ein Jahr nach Wesleys Tod) nahmen Wesleys theologische Schriften zur Grundlage für eine Betonung der Heiligkeit, welche die Religion in Amerika »wiederbeleben« sollte. Wenn Finneys Methodologie auch wichtiger als seine Theologie für die pfingstlich-charismatische Bewegung wurde, so hat seine Einführung des Begriffs »Taufe im Heiligen Geist« eine starke Wirkung ähnlich der pfingstlichen Betonung, die in der Azusa Street geschah. Es ist fraglich, ob die Pfingstbewegung als solche sich hätte entwickeln können, wenn nicht die Heiligungsbewegung an Einfluss in den Kirchen verloren hätte. Jedenfalls entstand zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch das Aufgeben von Wesleys Betonung der Vollkommenheit bei den Methodisten, die Entwicklung theologischer Ideen als Antwort auf sich verändernde kulturelle Bedingungen und der offensichtliche Wohlstand und die Weltlichkeit der Kirche erhebliche geistliche Unsicherheit. Es war auch eine Zeit gewaltiger sozialer Umwälzungen. Amerika entwickelte sich rasant aus einer agrarischen in eine industrielle Gesellschaft, weg von einer ländlichen zu einer städtischen Bevölkerung, von relativ gleichförmiger zu bunt gemischter Zusammensetzung. Antikolonialismus machte dem Imperialismus Platz, die Politik des laissez-faire den ersten Versuchen von behördlichen Sozialgesetzen. Das löste, nach W. G. McLoughlin5 , einen heftigen Schock aus bei den ländlichen, evangelikal ausgerichteten, intellektuell naiven und gefühlsmäßig verunsicherten Menschen, die die Mehrheit der Kirchgänger im Lande bildeten. Viele nun spürten die Notwendigkeit, in einer entpersönlichten Welt einen Anreiz zu schaffen für einen christlichen Glauben, der persönlich ist. Die Pfingstbewgung, von manchen gleichermaßen nah gesehen zwischen methodistischer Erfahrungstheologie wie erwecklicher Erfahrungsmethodologie, sollte in einer erlebnishungrigen Welt diesem Mangel wenigstens teilweise abhelfen. Die Pfingstbewegung hätte sich möglicherweise nie aus den großen Kirchen herausgelöst, und auch die Erweckungsbewegung wäre in den Kirchen geblieben, hätten nicht so viele Christen überreagiert. Das soziale Evangelium, in der Erweckungsbewegung entstanden, passte sich einer mehr liberalen 5

William G. McLoughlin, Modern Revivalism: Charles Grandison Finney to Billy Graham, New York 1959, 468.

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Tradition an, die es als vordringlich empfand, alles auszumerzen, was auch nur entfernt daran erinnern könnte, dass Priester und Levit an den Leiden der Menschheit vorbeigehen. So entstand eine Polarisierung von Kirche und Pfingstlern. Die pfingstliche Lehre, die darauf besteht, dass Zungenrede Beweis für die Taufe im Geist sei, bleibt bis heute trennend. Die pfingstlichen Anfänge waren spontan, an verschiedenen Plätzen und kaum beachtet. Schon 1896 berichteten Erweckungsleute von Zungenrede in North Carolina. Aber erst 1900 wurde diesen Erscheinungen Bedeutung zugemessen. Charles F. Parham, ein junger methodistischer Pastor, der frustriert war von der Sterilität seines eigenen Dienstes im Gegensatz zur Vollmacht der Apostel, eröffnete in Topeka (Kansas) das Bethel Bible College. Parham und seine Studenten identifizierten Wesleys Lehre von »subsequent instantaneous sanctification« (nachfolgende augenblickliche Heiligung) mit Finneys »Taufe im Heiligen Geist« und schlossen daraus, dass sie im Zeugnis der Zungenrede gesucht werden sollte. Parham gründete eine zweite Schule in Houston (Texas). Unter denen, die die Taufe im Heiligen Geist suchten, war auch William J. Seymour, ein farbiger Pastor aus Los Angeles. Nach einigen Monaten des Studiums und Gebets ging er zurück nach Los Angeles, wo eine Erweckung während einer Mission in einer früheren Methodistenkapelle in Azusa Street 312 aufbrach. Diese Erweckung dauerte drei Jahre an, und damit begann offiziell die amerikanische Pfingstbewegung. Vor etwa 25 Jahren begannen Pastoren und Laien aus verschiedenen Großkirchen mit mehr Freiheit davon zu berichten, dass sie Erfahrungen mit einigen Geistesgaben machten. Aber statt in Pfingstgemeinden abzuwandern, entschieden sie sich, in ihren Kirchen zu bleiben. So begann die charismatische Bewegung, als Menschen über Konfessionsgrenzen hinaus – evangelisch und katholisch – erkannten, dass sie gleiche Erfahrungen machten. Sie arbeiteten weiter in ihren jeweiligen Kirchen, begannen aber, sich zu treffen und über diese Erfahrungen offen zu reden. Es gibt einige Bereiche, in denen Charismatiker sich mit ihren pfingstlichen Vettern einig sind – zum Beispiel die Betonung, dass es nach der Bekehrung weitere Glaubenserfahrungen gibt, und die Offenheit für Geistesgaben. Aber es gibt auch deutliche Unterschiede. Pfingstler fassen Neubekehrte in eigenen Gemeinden zusammen, Charismatiker tun dies nicht. Sie ermutigen sie im Gegenteil, in ihren Kirchen zu bleiben. Pfingstler haben ein recht klar definiertes theologisches System. Sie bestehen darauf, dass der Bekehrung eine Erfahrung augenblicklicher Heiligung –bekannt als Taufe im Heiligen Geist – folge, die bestätigt werden muss durch das Empfangen der Gabe der Zungenrede. Charismatiker lehren nicht so. Auch wenn Charismatiker für alle Geistesgaben und Erfahrungen offen sind, die der Bekehrung folgen, versu-

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chen sie nicht, diese losgelöst als Beweis von Spiritualität zu sehen. Vielmehr verstehen sie solche im Licht ihrer eigenen Tradition. John Wesley schreibt (John Wesley, Sermons: »Scriptural Christianity«): In diesem Kapitel [Apg 4] lesen wir, dass, als die Apostel und Brüder beteten und Gott priesen, »sich die Stätte bewegte, da sie versammelt waren, und sie alle voll des Heiligen Geistes wurden.« Hier finden wir nichts von irgendeinem sichtbaren Zeichen, wie beim ersten Mal. Auch wird uns nichts davon berichtet, dass die besonderen Gaben des Heiligen Geistes damals allen oder nur einigen der Jünger gegeben worden wären, wie die Gabe, »gesund zu machen, andere Wunder zu tun, Weissagung, Geister zu unterscheiden, mancherlei Zungenrede« und »die Zungen auszulegen«. Ob diese Gaben des Heiligen Geistes der Kirche durch alle Zeiten bleiben sollten oder ob sie beim Herannahen der »Wiederherstellung aller Dinge« ihr wieder geschenkt werden sollten, das sind Fragen, die wir nicht zu entscheiden brauchen. Aber man muss beachten, dass sie selbst in der Anfangszeit der Kirche von Gott nur mit sparsamer Hand ausgeteilt worden sind. »Waren alle« damals »Propheten«? Waren »alle Wundertäter«? Hatten alle die Gabe, gesund zu machen? Redeten alle in Zungen? Keineswegs! Vielleicht nicht einer von Tausend. Wahrscheinlich nur Lehrer der Kirche, und auch von denen nur einige wenige. Es geschah deshalb zu einem noch köstlicheren Zweck als dem eben angegebenen, dass »sie alle voll des Heiligen Geistes wurden.« Dies geschah – unstreitig wichtig für Christen aller Zeiten –, damit sie »gesinnt« wurden, »wie Christus auch war«; es geschah, um ihnen zu den heiligen »Früchten des Geistes« zu verhelfen – wer sie nicht hat, »der ist nicht sein«. Es geschah, um sie mit »Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Gütigkeit« zu erfüllen, um sie auszurüsten mit Glauben (vielleicht sollte das Wort hier mit Treue wiedergegeben werden), mit »Sanftmut und Keuschheit«. Es geschah, um sie fähig zu machen, dass sie »ihr Fleisch samt den Lüsten und Begierden kreuzigten« und aufgrund dieser inneren Wandlung alle äußere Gerechtigkeit erfüllten: »zu wandeln, wie Christus« im »Werk des Glaubens, in der Geduld der Hoffnung und in der Arbeit der Liebe«.6

Dies nicht angemessen zu beachten bringt manche Charismatiker in Schwierigkeiten. Im Idealfall sehen z. B. presbyterianische Charismatiker ihre Gaben und Erfahrungen im Licht der Herrschaft Gottes, katholische Charismatiker im Licht ihrer sakramentalen Theologie und Methodisten im Licht von John Wesleys Theologie der Gnade. Probleme ergeben sich erst, wenn Charismatiker wissend oder unwissentlich versuchen, eine mehr klassische pfingstliche Linie in ihre Tradition zu bringen, und damit Spaltung geschieht. 6

John Wesley, WJW, Bd. 1, 159f. [die Übersetzung folgt der Ausgabe: John Wesley, Die 53 Lehrpredigten, 69f. (Predigt 4 »Scriptual Christianity«, § 2–4)].

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Genauso verheerend die Situation, wenn gar keine Linie erkennbar ist und sie zu ›Zugvögeln‹ werden, die leicht verletzbar sind. Sie ersetzen Lehre durch Erfahrung und sind nicht länger in einer Tradition zuhause, die sie stützen könnte. Darum bemühen wir uns, Methodisten mit einem klaren Verständnis für ihr Erbe auszustatten, eines Erbes, welches sie befähigen wird, auf gesunde Weise charismatische Gaben und Erfahrungen zu beurteilen. 4.2 Ein wesleyanischer Rahmen Charismatiker verstehen ihre Gaben und Erfahrungen im Licht ihrer jeweiligen Tradition. Geschieht dies nicht, so tritt Spaltung und/oder Ausbeutung ein. Schwenken methodistische Charismatiker auf eine klassische pfingstliche Linie ein, so sind sie nicht länger Methodisten – wenigstens nicht im wesleyanischen Sinne. John Wesley sagte: Du sagst: »Die Zungenrede kann als angemessener Prüfstein oder Maßstab gelten, die übernatürlichen Ansprüche aller Kirchen zu unterscheiden. Können sie uns bei ihren außerordentlichen Gaben diese nicht vorweisen, dann sind auch die anderen nicht echt«. Nun, ich dachte, es sei umgekehrt. Ich dachte, es sei eine anerkannte Regel in dem Falle, dass »all diese Gaben ein und derselbe Geist bewirkt, wie er sie jedermann austeilt, wie er will«, und so wie jedem Menschen, so jeder Kirche, jeder Gruppe von Menschen. Wenn das so ist, dann ist euer Prüfstein nicht angemessen. Wir erkennen: ER wirkt, wie ER will. Nun mag, mit eurer gütigen Erlaubnis, er die Zungenrede austeilen, wo er nichts anderes gibt, und dafür gute Gründe haben, ob du oder ich das erkennen oder nicht. Denn möglicherweise haben wir den Willen des Herrn nicht erkannt und waren nicht seine Ratgeber. Andererseits mag er viele andere Gaben geben, wo es nicht sein Wille ist, diese zu geben. Besonders dort, wo sie nichts nützen würde, wie in einer Kirche, wo alle eines Sinnes sind und eine Sprache sprechen.7

Charismatiker müssen behutsam angeleitet werden zu einer Wachheit gegenüber Spaltungstendenzen. Wenn methodistische Charismatiker keine theologische Grundlage haben – ein Mangel, der nicht nur bei Charismatikern vorkommt –, dann sollten sie wissen, dass, richtig verstanden im Kontext unserer Tradition, ihre charismatischen Gaben und Erfahrungen als frischer Wind verstanden werden in einer Kirche, die immer noch mehr Mühe hat mit Eis als mit Feuer. John Wesleys Theologie der Gnade, recht verstanden, 7

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John Wesley, Works, Bd. 10, 56.

kann methodistische Charismatiker in einer Tradition gründen, die ihrem Enthusiasmus Richtung gibt. Darum lasst uns Wesleys Theologie der Gnade neu untersuchen im Licht der charismatischen Gaben und Erfahrungen. Wesleys Theologie der Gnade ist tatsächlich eine Theologie des Heiligen Geistes. Er glaubte, dass die reformatorische Theologie auf der Lehre von der Erbsünde gründete und dass es Gottes souveränem Willen entspricht, »unsere sündige, teuflische Natur« durch seinen Heiligen Geist zu verwandeln. Er nannte dies vorlaufende, rechtfertigende und heiligende Gnade. Durch Sünde und Tod gebunden erlebt man sozusagen ab dem Moment der Empfängnis das sanfte Locken des Heiligen Geistes – vorlaufende Gnade. Diese Gnade kommt uns zuvor, zu weit vom Weg abzukommen, so dass ein Mensch schließlich versteht, was es heißt, gerechtfertigt zu sein, und dann der Heilige Geist die Freiheit schenkt, ja zu sagen. Für Wesley war dieses ja ein Herzensglaube, geschenkt allein durch Christi Erlösung. Dies erlaubt dem Heiligen Geist, die Gerechtigkeit, die in Christus war, dem Gläubigen zuzuteilen – rechtfertigende Gnade. Für Wesley ist dies der Beginn einer lebenslänglichen Bewegung von zugeteilter hin zu ausgeteilter Gnade, in der der Heilige Geist den Gläubigen von der Gerechtigkeit Christi, ausgeteilt im Glauben, zu einer Gerechtigkeit Christi, ausgelebt im Leben des Einzelnen, leitet – heiligende Gnade. Die meisten Schüler Wesleys erkennen deutlich den Akzent, den er auf Heiligung legte. Genau an diesem Punkt dürfen wir aber nicht in den gleichen Fehler verfallen, den klassische Pfingstler machen, nämlich die Heiligung losgelöst zu sehen als eine andere Erfahrung über die Bekehrung hinaus. Harald Lindström8 schreibt in Wesley und die Heiligung, dass Untersuchungen von Wesleys Konzept der Heiligung sich zu oft konzentriert haben auf Wiedergeburt und völlige Heiligung (christian perfection) als »zwei isolierte Phänomene, organisch unverbunden mit der Lehre von der Erlösung als Ganzer.« Weil diese beiden Ereignisse in Wesleys Denken auch gleichzeitig möglich sein konnten, wird der schrittweise Prozess einer Heiligung oft zu gering gewichtet. Wesleys Betonung des schrittweisen Prozesses jedoch ist offensichtlich, weil, obwohl »völlige Heiligung« eine Möglichkeit und Ziel für alle Glaubenden ist, die Mehrheit der christlichen Gläubigen immer in diesem Prozess bleiben wird. Zugegeben, Wesley war manchmal etwas unvorsichtig, wenn er Heiligung als unmittelbar folgende Erfahrung nach der Rechtfertigung benannte. Würde er heute schreiben, würde er wahrscheinlich Heiligung als schrittweises Werk der Gnade stärker betonen, gekennzeichnet durch viele Erfahrungen täglicher Buße. 8

Harald Lindström, Wesley and Sanctification, London 1950, 105.

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Hat man Wesleys Erfahrung von »völliger Heiligung« verstanden, wird klar, wie viel weniger der Begriff der pfingstlichen »Taufe im Heiligen Geist« umfasst, wenn es nicht fortgesetzt Werke der Gnade gibt. Gnade ist etwas Fortwährendes, auch wenn sie bisweilen scheinbar nur punktförmig wahrgenommen wird. In unserer Untersuchung der charismatischen Bewegung ist es wesentlich, dass wir den Begriff »gefüllt mit dem Heiligen Geist« nicht mit Wesleys reifer Lehre von der Heiligung verwechseln. Geistgefülltes Leben ist vielmehr eine beständige Folge von Gaben und Erfahrungen und göttlicher Unterstützung, mit der Bekehrung beginnend und fortwährend uns auf das Ziel hin bewegend. Viele Charismatiker glauben nun, dass gefüllt sein mit dem Heiligen Geist eine Erfahrung sei, die mit der Rechtfertigung beginne und sich fortsetze als ein lebenslang motivierendes Erleben des Gläubigen. Für Charismatiker bedeutet Geisttaufe nicht eine, sondern viele Gaben, nicht zwei, sondern viele Erfahrungen, um uns von Tag zu Tag zu stützen. Die Bedeutung von Wesleys Lehre lässt sich zeigen an seinem Ausspruch: »Die einzige Art, Methodisten lebendig zu halten, ist, sie in Bewegung zu halten.« Wesley übernahm das Wort moi progressus ad infinitum – mein Fortschreiten ist ohne Ende – von François Fenelon, dem Theologen und Mystiker des 17. Jahrhunderts. Auf diese Weise können methodistische Charismatiker im Kontext ihrer eigenen reichen Tradition nie die Gaben und Erfahrungen als Zeichen höherer Spiritualität verstehen, die sie besser machen als andere. Vielmehr macht die Kraft Gottes, die ihnen zufließt, sie besser, als sie vorher waren. 4.3 Schlussfolgerung Pfingstler haben ein voraussagbares Verständnis der wesleyanischen Erweckung. Wenngleich die Pfingstbewegung ihren Ursprung tief in jener Tradition hat, so gibt es doch wenig Gemeinsamkeit mit Wesleys Theologie. Charismatiker andererseits haben einen Bezugspunkt, um ihre Gaben und Erfahrungen in einer Weise zu verstehen, die sowohl gesichert als auch offen ist. Methodistische Charismatiker und Nichtcharismatiker sollten gleichermaßen ermutigt werden. Es besteht kein Grund, Fronten aufzubauen. Albert Outler9 stellte fest, die charismatische Bewegung könnte eine dritte große Erweckung befördern. Er schließt: Was wäre, wenn die charismatische Bewegung sich als mehr herausstellen sollte als eine Eintagsfliege? Werden sie unsere Verbündeten oder unsere Feinde sein in unserem Engagement in einer Kirche, die katholisch, evangelikal und 9

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Albert Outler, Evangelism in the Wesleyan Spirit, Nashville 1971, 82.

reformiert ist; nämlich katholisch in ihrem Hinausreichen, evangelikal in ihrem geistlichen Ausstrecken, reformiert in ihrer ständigen Offenheit für Veränderung. Wenn nichts davon eintritt, gebt meine Bemerkungen den Hasen. Aber wenn etwas geschieht, dann sagt nicht, ihr seid nicht gewarnt worden!

Wir alle haben blinde Flecken, Charismatiker z. B. tendieren zu einem übersteigerten persönlichen Evangelium. Nichtcharismatiker muss man erinnern, dass das Gegenteil von persönlich nicht sozial, sondern unpersönlich ist. Die soziale Dimension des Evangeliums übergeht nicht die persönliche Dimension, im Gegenteil, sie steigert sie gewaltig. Sie eröffnet Möglichkeiten zum Zeugnis und Dienst in der Welt. Im Grunde ist das Wort Nichtcharismatiker ein Unwort. Alle Christen haben Gaben. Charismatiker, wie wir früher definierten, bezieht sich auf solche, die deutlicher die Lehre von der Kraft des Heiligen Geistes erkennen und betonen, einer Kraft, die in ihnen durch solche Gaben wirkt. Sicher muss noch viel gelehrt und gelernt werden sowohl von Fehlern als auch Erfolgen. Gnade uns Gott, wenn wir in der Zwischenzeit nicht in Liebe und Offenheit miteinander umgehen. Schließlich ist es das, worum es im geisterfüllten Leben geht.

Leitlinien: Die EmK und die charismatische Bewegung

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Anhang

Autorenverzeichnis

Reiner Dauner, BA: Geb. 1939; Diplom der Bankakademie; Theologiestudium; Pastor der Evangelisch-methodistischen Kirche; Beauftragter für Missionarischen Gemeindeaufbau der EmK in Deutschland (1985–1996); Geistlicher Leiter von »Gang nach Emmaus« (1992–2005); Vorsitzender des Arbeitskreises Geistliche Gemeindeerneuerung in der EmK (1989–2004); Regionalsekretär für Weltevangelisation für Deutschland (World Methodist Council). Frank Drutkowski: Geb. 1969; Biologie- und Theologiestudium in Berlin; Diplom-Theologe und Pastor der Evangelisch-methodistischen Kirche in BerlinLankwitz; Doktorand am Seminar für Kirchengeschichte der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität Berlin. Dr. habil. Roland Gebauer: Geb. 1955; Theologiestudium in Frankfurt am Main und Erlangen; 1987 Promotion, 1996 Habilitation; Pastor der Evangelischmethodistischen Kirche; seit 1998 (zunächst Dozent, jetzt) Professor für Neues Testament am Theologischen Seminar (FH) der Evangelisch-methodistischen Kirche in Reutlingen. Joachim Georg: Geb. 1954; 1973–1978 Theologiestudium in Bethel, Tübingen und Heidelberg; 1978 Fakultätsexamen in Heidelberg; 1978–1981 Pastor auf Probe in Mülheim/Ruhr; 1981 Ordination zum Pastor der Evangelischmethodistischen Kirche; 1981–1992 Pastor in Berlin; 1992–1994 Dozent für Praktische Theologie am Theologischen Seminar der Evangelisch-methodistischen Kirche in Reutlingen; 1994–1996 Lektor im Verlag der Evangelischmethodistischen Kirche und Anglistikstudium in Tübingen; seit 1996 Pastor in Esslingen/Neckar; Liedermacher. Dr. Walter Klaiber: Geb. 1940; Theologiestudium in Reutlingen, Göttingen und Tübingen, Pastor der Evangelisch-methodistischen Kirche; 1972 Promotion zum Dr. theol in Tübingen; 1971–1989 Dozent für Neues Testament und Griechisch am Theologischen Seminar in Reutlingen; 1977–1989 Direktor des Theologischen Seminars; 1989–2005 Bischof der Evangelisch-methodistischen Kirche in Deutschland (bis 1992 für Westdeutschland, dann für Gesamtdeutschland); 2001–2007 Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland.

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Dr. Christoph Raedel: Geb. 1971; Theologiestudium in Rostock, Cambridge, Halle (Saale) und Reutlingen; 2002 Promotion an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg mit einer Arbeit zur methodistischen Theologie im 19. Jahrhundert; seit 2005 Dozent für Evangelische Theologie (Schwerpunkt Dogmatik/Ethik) am CVJM-Kolleg in Kassel; Laienprediger der Evangelischmethodistischen Kirche. Thomas Röder: Geb. 1946; Theologiestudium am Theologischen Seminar der Evangelisch-methodistischen Kirche in Bad Klosterlausnitz; Pastor der EmK in Dresden-Neustadt; 1982–1992 Sekretär der Bischofskanzlei der EmK in Dresden; seit 1992 Pastor in Crottendorf; seit 1993 Schatzmeister der Ostdeutschen Jährlichen Konferenz; Mitglied des Kirchenvorstandes der EmK. Dr. Vilém Schneeberger: Geb. 1928; Theologiestudium an der Evangelisch-theologischen Comenius-Fakultät in Prag; Promotion an der Tschechoslowakischen Theologischen Hus-Fakultät in Prag (ThDr.); danach Pastor der Evangelisch-methodistischen Kirche, zumeist an Gemeinden in Prag; 21 Jahre lang Superintendent des gesamten Werkes in der Tschechoslowakei. Übersetzer einer Reihe von Werken John Wesleys und über John Wesley; gest. 2006. Dr. James S. T. Steven: Geb. 1962; Studium der Naturwissenschaften in Cambridge und der Theologie in Durham; 1999 Promotion am King’s College London mit einer Arbeit über charismatischen Gottesdienst in der Kirche von England; seit 2000 Tutor in Christian Worship am Trinity College in Bristol. Frank Ufer: Geb. 1947; Betriebswirtschaftsstudium an der Technischen Universität Dresden; Studium Sozialtherapeut (VT), seit 1981 in der Suchtkrankenhilfe tätig (zunächst ehrenamtlich und seit 1990 hauptamtlich); seit 1990 Vorsitzender des come back e. V.; Laienprediger der Evangelisch-methodistischen Kirche. Irmgard Ufer: Geb. 1947; Medizinstudium in Berlin und Dresden; bis 1990 tätig als Fachärztin für Allgemeinmedizin; seit 1981 in der Suchtkrankenhilfe tätig (zunächst ehrenamtlich und seit 1990 hauptamtlich); 1990–1992 Suchtbeauftragte des Landkreises Löbau-Zittau; 1992–2000 Leiterin der Suchtberatungsund Behandlungsstelle der Evangelisch-methodistischen Kirche in Zittau; Konzilarärztin für die Sozialtherapeutische Wohnstätte; seit 1990 Mitglied im Vorstand des come back e. V. Dieter Weigel: Geb. 1932; 1953–1958 Studium in Leipzig; 1958–1959 Assistent bei Prof. Franz Lau (Kirchengeschichte) und Predigtauftrag für die MKGemeinden Dessau, Wolfen, Bitterfeld und Wittenberg; 1960 Ordination;

Autorenverzeichnis

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Pastor der Evangelisch-methodistischen Kirche in Zwickau-Planitz (1960– 1966), Zeitz (1966–1972), Tabarz (1972–1984) und Altenburg (1984–1988); 1972–1997 Leiter des Theologischen Grundkurses der Evangelischen Freikirchen in der DDR/Deutschland; 1972–1988 Lehrbeauftragter, 1988–91 Dozent für Praktische Theologie am Theologischen Seminar in Bad Klosterlausnitz; 1991–1997 Pastor in Schmalkalden und Friedrichroda; 1991–1997 Leiter des Bildungswerkes Ost der EmK; seit 1997 Pastor im Ruhestand in Schmalkalden.

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Dank Bei den Arbeiten an diesem Buch bin ich von verschiedener Seite unterstützt worden. Gespräche mit Pastor Reiner Dauner in einer frühen Phase dieses Projekts haben mir geholfen, Klarheit über die Gesamtkonzeption des Buches zu bekommen und einige Autoren des vorliegenden Bandes zu gewinnen. Bischof i. R. Dr. Walter Klaiber danke ich für freundliche und konstruktive Hinweise, die ich im persönlichen Gespräch wie auch über andere Kommunikationswege von ihm erhalten habe, wenn immer ich mit ihm Kontakt aufnahm. Mein Bruder, Martin Raedel, hat die Arbeit an diesem Buch auf der redaktionellen Ebene gewissenhaft betreut, wofür ich ihm herzlich danken möchte. In bewährter und gewohnt zuverlässiger Weise hat Sven Kockrick die Texte für den Druck vorbereitet. Auch ihm gilt mein ganz besonderer Dank. Pastor Hans Jakob Reimers und Jürgen Blanke haben das fertige Typoskript einer abschließenden Korrektur unterzogen und mich damit sehr unterstützt. Herr Kockrick und Herr Reimers haben zudem freundlicherweise die Erstellung der Register übernommen. Für zwei namhafte Druckkostenzuschüsse danke ich der Studiengemeinschaft für Geschichte der Evangelisch-methodistischen Kirche sowie der Stiftung Geistliches Leben. Dass das Erscheinen des Buches möglich wurde, ist nicht zuletzt den Zuschussgebern zu verdanken. Schließlich bin ich dankbar dafür, dass die Mitherausgeber der Reihe Reutlinger Theologische Studien, Prof. Dr. Roland Gebauer und Prof. Dr. Michael Nausner, meinem Vorschlag auf Aufnahme dieses Bandes in die noch junge Reihe zugestimmt und die Verwirklichung des Projekts mit Interesse und Wohlwollen begleitet haben. Christoph Raedel

Dank

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Hinweise zu den Abkürzungen Für Zitate aus dem Gesamtwerk John Wesleys ist auf zwei verschiedene Werkausgaben zurückgegriffen worden, da die neuere der beiden Ausgaben nach wie vor unvollendet ist. Die jeweils verwendete Ausgabe lässt sich aus der verwendeten Abkürzung erschließen: WJW = The Works of John Wesley, ed. Frank Baker, The Oxford/Bicentennial Edition, Oxford/Nashville 1975ff. Works = The Works of the Rev. John Wesley, ed. Thomas Jackson, 3rd edition, 14 volumes, London 1829–1831 (verschiedene Nachdrucke). Eher kirchenspezifische Abkürzungen werden bei der ersten Nennung ausgeschrieben. Weitere Abkürzungen theologischer Publikationen können dem Abkürzungsverzeichnis der Theologischen Realenzyklopädie, zusammengestellt von Siegfried M. Schwertner, 2., überarbeitete und erweiterte Aufl. Berlin/New York 1994 entnommen werden.

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Register

Personenregister Ackermann, Dieter 42 Aschoff, Friedrich 35

Crüger, Johann 94 Curnock, Nehemia 137

Bach, Johann Sebastian 94 Baker, Frank 70 Balders, Günter 10 Bebbington, David 74 Becker, Steffen 102 Bell, George 167 Bengel, Johann Albrecht 148 Benson, Joseph 146, 151 Benz, Martin 67 Berger, Teresa 65, 72 Bergmann, Gerhard 54 Berridge, John 158 Berthier, Jacques 101 Bett, Henry 74 Bilz, Wolfgang 42 Bittner, Wolfgang 184 Blech, Wolfgang 198 Blischke, Dieter 40, 42 Blumhardt, Johann Christoph 40 Böhler, Peter 85 Bonhoeffer, Dietrich 55 Borgen, Ole 35 Brackenbury, R. C. 149 Brose, Martin E. 70, 74 Bruner, Frederick Dale 146, 238 Bultmann, Rudolf 54f Bunyan, John 77 Burkhardt, Friedemann 65, 72, 86, 89f, 107

Dakin, Paul 47 Dandala, Mvume 25 Dauner, Reiner 49 Davies, Horton 68 Davies, Rupert 66 Davies, W. R. 35 de Boor, Werner 41f, 54f di Nunzio, Lukas 101 Dixon, Patrick 67 Döbrich, Manfred 43 Döbrich, Michael 46 Douglass, Klaus 105, 107 Dunnam, Maxie 230 Dutton, Denis 35

Campbell, Ted 170 Carter, Charles W. 147f Castle, Brian 77 Christenson, Larry 57 Christenson, Nordis 57 Cieslak, Johannes 42 Cottrill, Don 230

Eckert, Harald 35 Edel, Rainer-Friedemann 54 Edwards, Jonathan 67 Eichenberg (Probst) 41 England, Edward 68 English, Donald 162 Facius, Johannes 35 Fenelon, François 244 Fenwick, John 64 Finney, Charles 162, 239f Fischer, Gottfried 45, 47f, 50 Fischer, Peter 41 Fletcher, John 147f Fox, Eddie 25, 35 Freund, Dieter 32, 49 Fritzsch, Gotthard 49 Fritzsch, Thomas 47 Funk, Theophil 185 Gassmann, Ernst 67 Gebhardt, Ernst 101

Register

253

Geisler, Hans 35 Georg, Joachim 98, 107 Gerhardt, Paul 101 Gottschald, Manfred 43, 45f, 54 Großmann, Siegfried 16, 133, 168, 173, 188 Günther, Ernst 42 Hall, Westley 136 Hammer, Wolfgang 45 Hampton, David 167 Harper, Michael 64 Härtel, Armin 53, 58f Heitmann, Claus 16 Hempelmann, Reinhard 19 Herschel, Winfried 45, 47f Heß, Erich 20 Heydel, Rolf 41 Hildebrandt, Franz 79 Hofmann, Irmela 55 Hopkins, John 68 Hopper, Lina Lee 94 Hörster, Gerhard 134 Hübner, Burkhardt 50 Hutchins 136 Hütter, Reinhard 179 Imathiu, Lawi 35 Ingham, Benjamin 136 Jänicke (Bischof) 40 Jansa, Bernhard 40, 42 Jones, Stanley 45 Jordan, Konrad 58 Jungmann, Joseph 81 Kälsch, Anny 39, 42 Kappaun, Martin 47 Käsemann, Ernst 16 Kendrick, Graham 65, 71, 76, 78f, 82, 94, 101 Kim, Sundo 35 Kimbrough, S T 74, 76 Kinchin, Charles 136 Kindt, Siegfried 201, 203 Klaiber, Walter 30, 33–36, 87, 108, 148 Klapper, Dieter 48 Klapper, Helga 48 Kluge, Werner 42 Knight, Henry 179

254

Knox, Ronald A. 159 Koch, Kurt E. 55 Konstantin (Kaiser) 152 Kopfermann, Wolfram 19, 31, 189, 199 Kraft, Carsten 199ff, 205 Kraft, Stefan 201ff Kubig, Manfred 43, 47 Kuen, Alfred 146 Kühn, Hans 42 Küttner 54 Küttner, Gerhard 38f, 41f, 46 Langefeld, Herbert 42, 44, 47 Leach, John 70 Leßmann, Thomas 143ff, 158, 185 Lindström, Harald 243 Lockmann, Paulo 25, 35 Luderer, Eberhard 18, 43, 45f, 54f Luther, Martin 57, 101, 108, 118, 160ff Mädler, Martin 43 Maeder, Kurt 35 Manning, Bernard 77 Marquardt, Manfred 35, 97, 102f, 108, 148 Martinaeu, James 71 Matthews, Rex 178 McGonigle, Herbert 147 McLoughlin, William G. 239 Mendt, Dietrich 42 Mentzer, Johann 85 Micheel, R. 18 Michelmann, Heinrich 16 Middleton, Conyers 152 Minor, Rüdiger 47, 60 Mittenzwei, Anni 44 Mohr, H. 142 Mozer, Thomas 88f, 97, 108 Mücke, Adele 48 Mücke, Giesbert 48 Mühlen, Heribert 16, 31, 199 Neander, Joachim 94, 101 Nee, Watchman 54 Nestler, Max 43, 46f, 54 Neumann, Eckhard 41 Nicolai, Philipp 101 Nösser, Stephan 108 Nüesch, Hanspeter 35

O’Conner, Edward 68 Outler, Albert 167, 244 Paehl (Pfarrer) 41 Parham, Charles F. 240 Paris, Twila 94 Pohl, Adolf 42 Polzin (Pfarrer) 41 Prean, Maria 35 Prehn, Hans 39 Rattenbury, Ernest 67ff, 71, 76f Ratzinger, Joseph 36 Reglin, Esther 108 Richter, Christoph 40 Riedel, Gerhard 56 Riedinger, Paul 39 Riedner, Eduard 45, 47f Rienth (Pfarrer) 41 Ringeis, Rolf 43, 46 Ritschl, Dieter 186 Rohringer, Enrico 50 Rohringer, Sabine 50f Runyon, Daniel 188 Runyon, Theodor 165, 178 Rust, Heinrich Christian 168, 188 Sackmann, Dieter 97 Schieck, Lothar 58 Schmieder, Lucida 146 Schneeberger, Vilém 35 Schneider, Dieter 134 Schneider, Gylfa 44 Schottstädt, Bruno 42 Schröder (Pfarrer) 41 Schröer, Fritz 41 Schulz (Pfarrer) 41 Schweizer, Eduard 16 Seymour, William J. 240 Shields, Kenneth 76 Siering, Walter A. 199 Simon, John S. 137 Smith, John 143f Snyder, Howard 188 Speck, Karsten 42 Spornhauer, Dirk 8f Stanger, Friedrich 40 Starkey, Lycurgus 162 Steckel, Karl 15 Steffensky, Fulbert 103, 108

Sternhold, Thomas 68 Sticher, Hermann 31 Straka, Dieter 54 Strauch, Peter 101 Streiff, Patrick 67 Stringer, Martin 77 Strunk, Reiner 100, 108 Sumpf, Ilse 43 Tersteegen, Gerhard 101, 104 Thompson, Steve 76 Toaspern, Paul 35, 41 Torrance, Thomas F. 80f Trommer, Friedemann 50f Tschipke, Erika 48 Tschipke, Reinhold 48 Tschuschke, Martin 43, 54 Tuttle, Carl 73 Tuttle, Robert G. 230 Tyerman, Luke 158 Ufer, Frank 48f Ufer, Irmgard 48 Voigt, Karl Heinz 30 Waitzmann, Martin 16, 21, 32 Warrington, Keith 35 Watson, David 19 Watts, Isaac 69, 77 Weaver, Horace 230 Weigel, Dieter 17f, 33f, 42ff, 46f, 49, 54f, 57 Weigel, Friede-Renate 43f, 49f, 55 Weinhold, Frieder 45 Weißbach, Albrecht 47 Wenz, Peter 19 Werner, Roland 35 Wesley, Charles 65, 67–82, 84f, 101, 105, 136, 191 Wesley, John 34, 59, 67ff, 72, 74, 79, 81, 83, 97, 100, 135–167, 170ff, 177–181, 183–188, 190, 221, 226, 235, 238–244 Wesley, Samuel 157 Whetstone, Ross E. 230 White, James F. 107f Whitefield, George 67, 136 Williams, C. W. 138 Williams, T. Poe 230

Register

255

Wimber, John 19f, 83 Windsheimer, Harald 47 Wittich, Gerhard 14f Wohlfahrt (Pfarrer) 41

Zimmerling, Peter 8f, 19 Zimmermann, Christian 48 Zimmermann, Gerlinde 48

Sachregister Abendgottesdienst 196, 215 Abendmahl 39, 42f, 51, 80, 83, 179, 221 Absagegebet 55 Alkoholiker-Hauskreis 216 Alkoholproblem 220 Allgemeine Regeln 230 Alpha-Kurs 195 Älteste 18, 34, 46, 120, 137, 148, 174, 194f, 197, 205ff, 212f, 216f Ältestenkreis 205f, 210, 212, 214, 217 Ambulantes Betreutes Wohnen 223 Anbetung 27, 65f, 69f, 75, 78, 84–89, 91–97, 99–103, 105f, 197, 213, 215, 217 Anglican Renewal Ministries 64 Anskar-Kirche 19, 31 Anweisungen für den Gemeindegesang (1761) 69 Apostelamt 130 Arbeiterpriester 42 Arbeitsgemeinschaft für Gemeindeaufbau 18 Arbeitsgruppe Suchtkrankenhilfe in der OJK 49, 220–223 Arbeitskreis Erneuerung durch den Heiligen Geist 32 Arminianismus 139 Arnoldshain 16 Arztpraxis 210, 216 Ashram 45 Atheismus 56, 139, 219 Audition 180 Aufwind 210, 212, 215 Auslegung der Sprachen/Zungenrede 50, 131, 184, 231 Azusa Street 238ff Baptism of the Holy Spirit 147 Baptismus 42

256

Befreiungsdienst 50, 213, 216 Beichte 39, 97 Beter-Gruppe siehe Mose-Team Biblische Glaubensgemeinde 19 Book of Common Prayer 135 Borsorfer Konvent 41 Building up the House of God 87, 108 Bußbewegung 199 Buße 31, 33, 36, 57, 78, 142, 146, 199, 218, 224ff, 243 Calvinismus 79, 139 Charismen 15ff, 19, 40f, 44f, 48, 58, 110, 118, 124–133, 168f, 173, 175, 180, 182–191, 231 Charismendefizit 14 Chorus 67, 69, 73, 78f, 82f Christologie 75, 80, 145, 204 Collection of Hymns for the Use of the People called Methodists 65, 71f, 74, 76f, 79 come back e. V. 48, 222–225 Connexio 28, 35 Cry Hosanna 65 Dämonologie 59 Deismus 139, 142 Diakonie 41, 126, 132, 202, 221, 226, 233 Distriktsversammlung 16, 19f, 32, 58 Division of Evangelism, Worship and Stewardship 230 Dritte Welle 18 Dynamis Renewal Fellowship 64 Ebenbild Gottes 140, 144, 161, 165 Einheit der Herzen 208 Einzelseelsorge siehe Seelsorge Ekstase 24, 120

Engel 74f, 82, 130 Enthusiasmus 22, 24, 74, 167, 170, 190, 235, 243 Entmythologisierung 42 Epiklese 88, 92f, 95 Erbsünde 149, 243 Erfahrung 16, 20, 22f, 25f, 28, 34, 40f, 45, 47, 50f, 53, 55, 66, 71–74, 77f, 82, 84, 91, 95, 100, 102, 107, 118, 123, 136ff, 146f, 149, 154, 162–167, 171, 176–179, 182, 184, 188ff, 200f, 204, 209f, 213f, 226, 232–238, 240–244 Berichte 196, 213 der Gegenwart Gottes/Christi 78, 182, 188 der Gemeinschaft mit Gott 188 des Heiligen Geistes 16, 180, 234 Glaube siehe Glaubenserfahrung Methodologie 239 mit dem Heiligen Geist 31, 232 Theologie 239 von augenblicklicher Heiligung 239f Erkenntnisrede 130 Erkenntnisworte 176, 181 Evangelikal 25, 41f, 45, 64, 67, 78, 199, 238f, 244f Evangelisation 21, 25, 32f, 35, 39–44, 46, 53, 130, 188, 215 Exorzismus 55 Farther Appeal to Men of Reason and Religion (1745) 143, 148 Ferienworkshop für Kinder 216 Fisherfolk 65, 69, 71 Folien(lieder) 34, 94, 102, 199 Formalismus 139 Fountain Trust 64 Freisetzung 196, 211 Fresh Sounds 65 Friedensbewegung 199 Frucht des Geistes 123, 151, 155f, 165ff, 190 Frühgebet 48 Gaben 17, 22, 25, 28, 34f, 38, 42, 47, 61, 64, 81, 95, 106, 110, 119, 124f, 127f, 130, 132, 138, 143, 148, 151–156, 164, 168f, 171, 173, 175, 182ff, 186ff, 190f, 205,

208, 225, 231–234, 236, 238, 240–245 Gebet 20, 22, 25, 27f, 33, 35, 38f, 44f, 47, 49, 55, 66, 78f, 86, 88–92, 97, 99, 117f, 122, 136, 143, 158, 168, 179, 194, 196f, 201, 205, 207, 210, 212f, 215, 219, 225, 232, 237, 240 Gebetsabend 39 Gebetsarbeit 209 Gebetsbrief 46, 54 Gebetsdienst 83, 211 Gebetserhörung 140 Gebetsgemeinschaft 197 Gebetsgruppe 39, 66, 194, 238 Gebetskampf 212 Gebetskreis 38, 41–46, 48, 198, 218, 225 Gebetsleben 212 Gebetsnacht 55 Gebetsprozess 224 Gebetsrüstzeiten 45 Gebetstage 46, 54f Gebetstreffen 234 Gebetsversammlung 235f Gebetszeit 42, 50f, 194, 205 Geist als »Flamme« 83 Geist der Kraft 83 Geist der Liebe 83 Geistliche Erneuerung und kirchenleitendes Handeln (Papier) 21 Geisttaufe 15, 42, 138, 146ff, 200, 238, 244 Gemeindegründung 130, 231 Gemeindeleitung 18, 95, 120, 132, 174, 180, 185, 187, 191, 198–205, 209, 211ff, 235, 237 General Board of Discipleship 230 Generalkonferenz 22, 44, 230 Gesellschaftspolitischer Arbeitskreis 24 Gewissheit des Heils siehe Heilsgewissheit Gitarre 70f, 93, 101, 106, 196 Glaubenserfahrung 78, 106, 150, 180, 199, 222, 240 Glossolalie siehe Zungenrede Gnade 16, 57, 71f, 84, 125, 127f, 133, 139, 144ff, 159, 164, 169, 175, 178, 182, 185, 200, 208, 211, 221, 225, 231f, 238f, 241–244 Gnadenmittel 88, 102, 176, 178f, 181f Gotteserfahrung 78, 163ff, 177–180, 190

Register

257

Gotteskindschaft 83, 120, 145, 161, 165f, 190 Grunderfahrung 136, 163, 165–172, 182, 187f, 190 Handauflegung 31, 64, 148, 154, 168, 195 Hände heben 70, 94, 102 Hauskreis 46, 70f, 106, 200, 216–219, 225 Headline 64 Headway 64 Heilende Gemeinschaft 226f Heiligung 18, 83, 123f, 139, 144, 146, 150, 155f, 161f, 165, 167, 184, 209, 226, 239f, 243f volle 149 völlige 146f, 150, 243f vollkommene 238 Heiligungsbewegung 88, 105, 150, 162, 235, 238f Heilserfahrung 146, 169, 171 Heilsgewissheit 120, 165 Heilslieder 89, 91 Heilsweg 144, 148 Heilung 20, 35, 38, 40, 45, 50f, 64, 97, 114, 131, 153f, 183f, 196, 199, 216, 222, 231, 234 Heilungsgabe 39 Heilungsgebet 34 Heilungsgottesdienste 238 Hilfeleistung 132 Homilien 135, 143 Hospitalkirche Zittau 222, 224 Hymns of Methodism, The 74 Hymns on God’s Everlasting Love (1741) 79 Hymns on the Lord’s Supper (1745) 77 Identität des Geistes 84 des Menschen 165, 224 Gottes 172, 178f, 182 Jesu 115 methodistische 163, 167, 169, 175, 181, 188f Immanentismus des charismatischen Lobpreises 81 Impulse des Heiligen Geistes 154, 196, 215

258

Inspiration 35, 144, 148, 164, 167, 170, 176, 190 perceptible 142, 170 Intensität der Hingabe 73f Jesus-People-Bewegung 199 Johannesring 39 Jugendarbeit 23, 27, 44f, 49–52, 56 Jugendbibelwochen 51f Jugendgebetskreis 41 Jugendrüstzeit 41, 44ff, 56 Jugendwerk 23, 45, 51 Jüngerschaftsschulen 41 Keyboard 70, 101, 196 Kick Point Change 216 Kids-Café 216 Kingsway-Verlag 65 Klassen 101, 174, 187, 226 Klatschen 70, 94 Kleingruppen 31, 174f, 179, 194, 202, 216 Kongresse/Konferenzen in Braunfels 24, 26, 35, 49, 52 Kraft des Heiligen Geistes 29, 32, 37, 112, 114f, 117, 120, 138, 148, 164, 210, 245 Gottes 58, 112f, 115, 117, 135ff, 140ff, 144, 153, 165, 187, 216, 244 Krampf 156ff Kreuzestheologie 19 Laienmitarbeiterschulung 58 Lamm 75, 80f, 104 Last Check to Antinomianism 147 Leadsänger 94 Lebensübergabe 39 Lebenszentrum Gilead 49, 225 Leitbild 206f Leiterschaft 176, 201f, 206, 209–213, 216 Leitungsdienst 187 Leitungsfunktion 132 Leitungsgremium 174, 205 Leitungsinstanz 204 Leitungskompetenz 48, 203 Leitungspersonen 237 Leitungsstruktur 18, 51, 180, 185, 187, 200

Leitungsverantwortung 191 Liebe 22, 29, 34f, 57, 65, 69, 78, 83f, 97, 103, 106, 120, 123, 133, 140–147, 150ff, 155, 158f, 166, 171f, 195, 206–209, 211ff, 221, 225f, 232f, 241, 245 Christi 175, 207 Gottes 59, 82, 123, 140f, 144, 146, 150f, 166f, 170, 172, 175, 177f, 184, 188 Lobpreis 27, 43, 68–71, 74f, 78, 81f, 84, 86, 88f, 91–94, 96–104, 106, 114, 157, 194ff, 199, 201, 205, 208f, 213ff, 225 Lobpreisgottesdienst 85, 97, 201, 214, 222 Lobpreisgruppe 101f, 194, 196, 238 Lobpreiskultur 24 Lobpreisleiter 94, 196f Lobpreislieder 27, 70f, 78, 91ff, 95ff, 99, 102, 104f Lobpreismusik 94f, 194 Lobpreisteil 27, 79 Lobpreiszeit 69, 95, 195ff Loccum 14f

Pluralismus 58, 230, 236 Pluralität 58f Pneumatologie 135, 143ff, 147, 156, 165, 171, 181, 183 Polarisierung 85, 132, 220, 222, 224, 240 Popmusik 70f, 76, 91–96, 101, 105f Power Evangelism 20, 32 Prädestination 157 Priesterlicher Dienst 39, 43, 186 Prophet 55, 111, 149, 152, 154, 186, 241 Prophetie 38–41, 43, 50, 64, 97, 129f, 153f, 174, 185f, 231 Prophetische Bilder 199, 213 Prophetische Erkenntnis 181 Prophetische Offenbarung 222 Prophetische Rede 173ff Prophetische Weisung 47 Prophetischer Dienst 174, 186, 211 Prophetischer Ruf 174 Prophetisches Reden 33ff, 129, 205, 207, 234 Prophetisches Wort 25, 27, 47, 174, 181 Prophezeiung 19, 158 Prüfung 114, 173f, 181, 196, 203, 207, 222, 232

Marienschwesternschaft 39, 54 Methodist Hymn Book 67 Methodist Revival Fellowship 64 Mission 22, 28, 53, 114, 130, 136, 185, 190, 240 Mission Praise 65, 68, 73, 75, 78f, 81f Missionswerk Josua 18 Mose-Team 217 Musikgruppen 69, 71 Mystik 190, 232, 244

Randständige 220, 222, 227 Rechtfertigung 22, 115, 139, 144–147, 150, 156, 161, 164f, 190, 226, 243f Reformation 105, 160, 162 Regression 104 Reich Gottes 15, 143, 155, 185, 188, 206, 208, 210f, 213ff, 217 Royal Ranger 216 Ruhen im Geist 64

New Wine 65, 68

Salbung 95 Schlagzeug 93, 101, 196 Schniewindhaus 40–43, 45f, 54 Schülerhort 210, 215 Schwarzer Konvent 43, 57 Scoutstage 36 Seelsorge 25, 38–44, 46f, 49ff, 55ff, 96f, 129f, 166, 173–176, 185, 202, 210, 213, 216, 220ff, 224ff, 237 -bewegung 173 Einzel- 35, 50 -gruppe 39, 51, 226 -kreis 38, 42ff, 48

Offenbarung 75, 104, 116ff, 131, 157f, 170, 174, 222, 231 Okkultismus 38, 40, 46, 55 Ordo salutis 144 Orgel 70f, 90, 93, 101f, 194ff Oxford-Bewegung 39 Peak Experiences 26 Pfarrergebetsbund 41 Philippusring 40 Pilgerreise 77, 79

Register

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Segnung 25, 31–34, 43, 49, 60, 95, 97, 99, 102, 194f, 197, 201, 205, 209, 212f Segnungsgottesdienst 32, 97 Sing along 94 Sing-and-pray 199f Societies 135, 137 Sonder-Gottesdienst 97 Songs 67, 91, 106 Songs and Hymns of Fellowship 65, 68 Songs of Fellowship 65, 74 Soteriologie 72, 144f, 165, 171, 190 Sound of Living Waters 65 Sozialdiakonische Arbeit siehe Diakonie Soziale Verantwortung 167 Soziales Engagement 132, 220 Sozialtherapeutische Einrichtung 223 Sozialtherapeutische Wohnstätte 223ff Sozialtherapeutischer Dienst 49 Sozialwerk der Albanienhilfe 45 Spiritualität 19, 23f, 27, 56, 67, 108, 178, 241, 244 Sprachengebet 25, 27, 33ff, 38–41, 43, 50, 200, 205, 234 Sprachengesang 25, 35, 40, 43, 197 Spring Harvest 65, 68 St.-Anna-Stift 40 Stille Zeit 39, 46, 50f Suchtgefährdete 45, 48 Suchtkrankenhilfe 49, 223 Sunday Service 135 Sünde 40, 43, 78, 112, 123, 128, 136, 139, 145f, 148ff, 161, 164f, 178, 184, 190, 226, 243 Sündenbekenntnis 31, 33, 38 Taizé-Gesang 91, 96, 102, 106 Taufe im Heiligen Geist 147, 162, 231, 239f, 244 Theologisches Seminar 30, 35, 54, 56ff Toronto-Segen 23, 51, 67, 83, 200 Träume 157ff, 172, 180

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Übertreibungen 25, 33 Unterscheidung der Geister 23, 25, 28, 153 Versöhnung 139, 190, 199, 224ff, 232, 238 Verzückung 81, 154, 158f Vision 39, 157ff, 172, 180f, 202f, 205– 208, 210ff, 215ff, 222f, 226 Vollkommenheit 81, 141f, 146–151, 155f, 239 Wachnacht-Lieder 69 Wachstum in der Heiligung 83 Weisheit 130, 139, 153, 173, 175, 209, 234 Weltverantwortung 22, 56 Werfen des Loses 172 Werk des Heiligen Geistes 122ff, 131, 144, 147, 161 Wiedergeburt 42, 144, 146, 161, 165, 167, 243 Wiedertaufe 48 Wirken des Heiligen Geists 15, 22, 27, 29ff, 36, 66f, 83, 103, 106, 118, 120–124, 133, 135, 142ff, 151, 153f, 156, 161f, 164–168, 170– 173, 176ff, 180–183, 188, 200, 208, 220, 238 Workshop 25, 35, 226 World Evangelism 35 World Methodist Council 35 Wrestling Jacob 74 Youth with a Mission 94 Zeugnis des Geistes 144, 151, 165f Zuckungen 158f Zungenrede 64, 130f, 152, 154f, 183f, 231, 234, 240ff Zweiter Segen 137, 162, 238